Ungehorsam oder Widerstand?: Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529–1530) [1 ed.] 9783428471317, 9783428071319


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German Pages 206 Year 1991

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Ungehorsam oder Widerstand?: Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529–1530) [1 ed.]
 9783428471317, 9783428071319

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Historische Forschungen Band 46

Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529–1530)

Von Dr. Diethelm Böttcher

Duncker & Humblot · Berlin

DIETHELM BÖTTCHER

Ungehorsam oder Widerstand?

Historische Forschungen Band 46

Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529 -1530)

Von Dr. Diethelm Böttcher

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Böttcher, Diethelm: Ungehorsam oder Widerstand?: Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529-1530 / von Diethelm Böttcher. — Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Historische Forschungen; Bd. 46) ISBN 3-428-07131-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-07131-X

Dem Andenken meiner Lehrer Karl Griewank und Karl Heussi

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Protestation und Friedstand L

Die Ausnehmung als Problem des Treuvoibehalts und der Bündnistreue

11 14

1. Das Problem - Die Bündnisverhandlungen in Ungewißheit über den Gegner ... 14

OL

2. Formen der Ausnehmung

15

3. Rechtliche Begründungen der beschränkten Ausnehmung

18

Die Ausnehmung als Problem des Treuvoibehalts und der Bündnistreue (Fortsetzung). Gegenwehr und Wideistand

21

1. Das kaiserliche Mandat bringt Klarheit über die Gefahrenlage Hessen und Kursachsen reagieren verschieden 2. Bugenhagens Bedenken zum Widerstandsrecht

23

3.

25

Formen der Ausnehmung

4. Die beschränkte Ausnehmung im deutschen Spätmittelalter (Beispiele) 5. HL

21

Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

29 31

Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten über Gehorsamspflicht und Wideistandsrccht

40

1. Erste Reaktionen auf die Verhaftung der Appellationsgesandtschaft

40

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

42

3. Der Tag zu Schmalkalden (28.11. - 4.12.1529)

53

4.

Der Brief Landgraf Philipps an Markgraf Georg (3.12.1529)

57

5. Die Verhandlungen des Nürnberger Rätetages am 10.1.1530 und ihre Folgen .. 62

IV.

6. Luthers Ratschlag (6.3.1530)

67

Die lutherischen Appellationsverwandten zwischen Finigung im Glauben und Ungehorsam

73

1. Die offiziellen Glaubensverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 .... 73 2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthons Gutachten zum Widerstandsrecht

82

8

Inhaltsverzeichnis 3. Die offiziellen Glaubensverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 .... 4.

V.

Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

Die Protestationsverwandten zwischen Friedstand und Widerstand

98

116 130

1. Der Reichsbeschluß in der Glaubenssache (13.10.1530) und die Verhandlungen über einen Friedstand (Reichsrat am 22.10.)

130

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen zum Widerstandsrecht

136

3. Die Torgauer Disputation (26. - 28.10.)

147

4. Vorbereitungen für einen Aufruf Luthers an das deutsche Volk

156

5.

Noch einmal Verhandlungen über einen Friedstand

160

6.

Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

164

Zum politischen Selbstverständnis Johanns von Sachsen, des ersten evangelischen Kurfürsten

176

Schluß:

Exkurs 1: Läßt sich Melanchthons Gutachten zur Widerstandsfrage überzeugend datieren?

180

Exkurs 2: Zur Datierung der Ereignisse vom 18. bis 20. August 1530 in Brücks "Geschichte der Handlungen" Verzeichnis der angeführten Quellen und Literatur

183 185

Namensregister

195

Sachregister

198

Abkürzungsverzeichnis

ARG

Archiv für Reformationsgeschichte

BS

Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche

C

Causa (z. B. C. 3 q. 7 c. 4) Corpus Iuris Canonici, ed. Friedberg, vol. I.

C

Codex Iustinianus Corpus Iuris Civilis, vol. II., ed. Krüger

CR

Corpus Reformatorum

D

Digesta Corpus Iuris Civilis, vol. I., edd. Mommsen - Krüger

D

Distinctio (z. B. D. 96 c. 10) Corpus Iuris Canonici, ed. Friedberg, vol. I.

DDC

Dictionnaire de droit canonique

DWb

Deutsches Wörterbuch, begr. v. Jakob und Wilhelm Grimm

F

Consuetudines Feudorum, edd. Lehmann - Eckhardt

FRA

Fontes Rerum Austriacarum

HEPG

Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

HZ

Historische Zeitschrift

KLK

Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung

LuJ

Luther-Jahrbuch

MBW

Melanchthons Briefwechsel, hg. v. Scheible

MSA

Melanchthons Werke in Auswahl, hg. v. Stupperich

NAKG

Nederlands archief voor kerkgeschiedenis, Nieuwe serie

NF

Neue Folge

Nov

Novellae Corpus Iuris Civilis, vol. III., edd. Schoell - Kroll

10

Abkürzungsverzeichnis

PC

Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation

QFRG

Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

RQ

Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte

RST

Reformationsgeschichtliche Studien und Texte

RTA

Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe

RTA JR

- Jüngere Reihe

RTA MR

- Mittlere Reihe

RWB

Deutsches Rechtswörterbuch

SbBA

Sitzungsberichte der (Königlich) Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse

SHKBA

Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften

SKRG

Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte

SVRG

Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte

USRG

Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte

VMPIG

Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte

WA

D. Martin Luthers Werke (Weimarer Ausgabe)

WA Br

- Briefwechsel

WA TR

-Tischreden

WdF

Wege der Forschung

X

Liber Extra Corpus Iuris Canonici, ed. Friedberg, vol. II.

ZHF

Zeitschrift für historische Forschung

ZKG

Zeitschrift für Kirchengeschichte

ZRG GA

Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung

ZRG KA

- Kanonistische Abteilung

ZRG RA

- Romanistische Abteilung

ZVThGA

Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde

VI

Liber Sextus Corpus Iuris Canonici, ed. Friedberg, vol. II.

Einleitung: Protestation und Friedstand Wenige Tage vor dem Ende des Speyrer Reichstages, am 19. April 1529, verglichen sich die Vertreter Kaiser Karls V. mit den altgläubigen Kurfürsten, Fürsten und Ständen über den Abschied in Sachen des Glaubens und der Religion, wie ihn der Große Ausschuß mit 15 gegen 3 Stimmen vorgeschlagen hatte, ohne den Einspruch der evangelischen Minderheit irgendwie zu berücksichtigen1. Der Abschied verpflichtete die altgläubigen Reichsstände, beim Wormser Edikt zu bleiben. Von den evangelischen verlangte er, weitere Neuerungen wie z.B. die gänzliche Abschaffung der Opfermesse zu unterlassen; doch ging er nicht so weit, von ihnen ebenfalls den Vollzug des Edikts zu fordern. Zwingiis Lehre sollte im ganzen Reich verboten sein, unter geschärfter Strafandrohung erst recht die der Wiedertäufer. Diese Bestimmungen sollten so lange in Kraft bleiben, bis ein allgemeines, freies, christliches Konzil in deutschen Landen oder eine ähnliche deutsche Versammlung unter Vorsitz des Kaisers die Irrungen in der Glaubenslehre und der Religionsübung beilegen würden2. Nach den Terminvorstellungen der Ständemehrheit hätte eine solche Versammlung spätestens im Oktober 1531 zusammentreten müssen. Der Abschied wurde unter den Schutz des Landfriedens gestellt derart, daß kein Stand den andern wegen des Glaubens mit Waffengewalt angreifen, seiner Güter und Einkünfte entsetzen oder ihm durch Schutz und Schirm Untertane entziehen durfte. Gegen Friedbrecher sollte auf Antrag des Geschädigten das Reichskammergericht mit Mandatsprozeß und Acht vorgehen, und grundsätzlich wurde jeder Stand verpflichtet, an einer Achtvollstreckung mitzuwirken. Hatte der Reichsabschied von 1526 mit der Formel, jeder Stand solle es in Sachen des Glaubens und der Religion halten, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne, die freilich ungewollte Möglichkeit zu einer extensiven Auslegung geboten und auf diese Weise die Verfestigung und Ausbreitung der Reformation scheinbar legalisiert3, so versuchte die altgläubige Mehr1 Reichsabschied vom 22.4.1529 (RTA JR 7,1296 -1314) - Das Folgende nach Kühn, Geschichte. 2 "ain frei cristlich general concilium" (RTA JR 7,1299). Diese Charakterisierung erhielt das verlangte Konzil schon in der Antwort der Stände auf das Anbringen des päpstlichen Nuntius am 5.2.1523: "liberum christianum concilium ad locum convenientem in natione Germanica" (RTA JR 3,440). 3

Friedensburg, 481 - 487.

12

Einleitung: Protestation und Friedstand

heit jetzt, den entstandenen Schaden durch eine restriktive Erklärung des ersten Speyrer Abschieds zu begrenzen: Die Reformation zum Stillstand bringen, die lutherischen Fürsten und Städte von den oberdeutschen Städte trennen und die Voraussetzungen einer Rekatholisierung in den Gebieten de Reformation offenhalten, das war die Tendenz des neuen Abschieds\ Gegen den Abschied protestierten noch in demselben Reichsrat Kursachsen, Braunschweig-Lüneburg, Brandenburg-Ansbach, Hessen und Anhalt, und ihrer Protestation traten unverzüglich vierzehn Reichsstädte bei, darunter Straßburg, Ulm und Nürnberg 3. Wo die Ehre Gottes und ihre Gewissen betroffen seien, könnten sie durch keine Majorität verpflichtet werden. Auch könnten einstimmig beschlossene Gesetze wie der Abschied von 1526 nicht durch einfachen Mehrheitsbeschluß aufgehoben werden6. Im Sinne dieser Rechtsverwahrung erklärten sie den gegenwärtigen Reichsabschied für null und nichtig und den früheren für nicht aufgehoben, an den sie sich auch in Zukunft halten wollten. Die protestierenden Fürsten und Städte widersprachen also der Verpflichtung der altgläubigen, das Wormser Edikt wie bisher durchzuführen; und sie waren nicht bereit, auf weitere Veränderungen im Kirchenbrauch zu verzichten und neben der evangelischen Meßfeier die alte Opfermesse zu dulden. Das bedeutet: Sie beharrten auf der Konsolidierung der Reformation in ihren Gebieten und auf der Möglichkeit der weiteren Ausbreitung. Die altgläubige Mehrheit wollte die Anerkennung des Abschieds nicht mit Waffengewalt erzwingen und war dazu wohl auch gar nicht imstande. So tauschten beide Seiten nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch am 24. April Friedenszusicherungen aus7. Die Kurfürsten und Fürsten der Mehrheit, den kaiserlichen Statthalter eingeschlossen, leisteten selbst und erwarteten von den fünf protestierenden Gewaltverzicht in Glaubenssachen bis zum Konzil. Ihr Revers erwähnte weder die Religionssachen noch die evangelischen Grafen und Reichsstädte. Kurfürst und Fürsten der Minderheit erwarteten Sicherstellung aller evangelischen Obrigkeiten und für alle auf dem Konzil zu behandelnden Sachen und versprachen ihrerseits Gewaltverzicht gemäß dem Landfrieden und dem Speyrer Reichsabschied von 1526. Die Friedenszusicherungen erfaßten nicht denselben Personenkreis und nicht dieselben Gegenstände, was nach dem Verlauf des Reichstages auch nicht zu erwarten war. Der Konfliktstoff blieb. Doch war der er4

Kühn, Geschichte, 71.74.

5

Die vorgetragene Brück'sche Fassung der Protestation RTA JR 7,1260 -1265. Die von Vogler stammende erweiterte Fassung vom 20.4., die König Ferdinand erhielt und ungelesen zurückschickte, ebd., 1273 -1288. Vgl. Schiaich, 274 - 299. Becker, 398 - 402. 6 Das - umstrittene - Erfordernis der Einstimmigkeit war keine spontan-subjektive Parteienbehauptung. Vgl. Schiaich, 275, 35 mit Verweis auf von Gierke 3, 473, wo die legistische und kanonistische Literatur für und wider dieses Argument verzeichnet ist. 7

RTA JR 7,1342.1343 f.

Einleitung: Protestation und Friedstand

ste von mehreren zukünftigen 'Anständen' zwischen den Religionsparteien geschlossen8. Alle Protestationsverwandten ergänzten ihre Rechtsverwahrung vor dem Reichsrat durch eine gemeinschaftliche Appellation an den Kaiser und ein freies, christliches Konzil, ein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung, das geeignet war, ein etwa beabsichtigtes Achtverfahren aufzuhalten 9. Eine besondere Gesandtschaft sollte vor dem Kaiser, der damals, auf der Reise nach Italien begriffen, in Barcelona weilte, die Protestation rechtfertigen und ihm, falls die Rechtfertigung mißlang, das Appellationsinstrument übergeben. Kursachsen, Hessen, Straßburg, Ulm und Nürnberg vereinbarten daneben in einem geheimen 'Verständnis', am 6. Juni in Rodach Verhandlungen über ein festes Verteidigungsbündnis aufzunehmen 10. Für die Zwischenzeit versprachen sie einander bewaffnete Hilfe bei einem Überraschungsangriff der Gegenpartei sowie bei anderen Beschwerungen, die der Schwäbische Bund, das Reichsregiment oder das Kammergericht wegen des zwiespältigen Abschieds oder der Pack'sehen Händel etwa verursachen würden. Die Gesandtschaft an den Kaiser und das Bündnis mit den Glaubensverwandten wurden für die nächsten anderthalb Jahre zu Richtpunkten der kursächsischen Politik11. Hier soll jedoch nur ein einziges Problem dieser Politik betrachtet werden: Durfte das Verteidigungsbündnis auch vor der Feindschaft des Kaisers schützen? Die Ausnehmung des Kaisers und das Widerstandsrecht 12 sind also das Thema der folgenden Untersuchung. Das Problem wurde von einer kleinen Anzahl maßgeblicher Politiker, Theologen und Juristen diskutiert, der eigentliche Kampf um das Widerstandsrecht allein unter den Lutheranern ausgetragen, und zwar intern, nicht in der Öffentlichkeit gegen den altkirchlichen Widerpart. Die Auseinandersetzung war also frei von Apologetik und diente allein der Meinungsbildung und -durchsetzung.

8

Kühn, Geschichte, 253 f.

9

RTA JR 7, 852 f. 1345 -1356. Die Appellation gebraucht ebenso wie der Reichsabschied die Worte "ein frei christenlich concilion" (ebd., 1347). Schon auf dem Nürnberger Reichstag konnte man 'frei' = 'papstfrei' verstehen (Jedin, 169 f.). Zu Appellation und Konzilsverlangen als Mittel dissimulierender und temporisierender Politik, über die sich auch Luther im klaren war (WA Br. 5,259.470), Karl Müller, 18. Kühn , Geschichte, 238. Jedin , 198. 10

RTA JR 7,1321-1324.

11

Vgl. Hans von Schubert . Steglich in ARG 62, 161-192. Auch Fabian , Entstehung, 2.

Aufl. 12 Das Wort 'Widerstandsrecht' ist nicht quellenmäßig. 'Defendere' und 'resistere', 'die Gegenwehr gebrauchen* und 'widerstehen' werden mit Bezug auf Gleiche, Niedere und Höhere gebraucht. Trotzdem empfanden die Zeitgenossen die Gegenwehr gegen den Höheren als eine besondere, risikoreiche Angelegenheit. Auch deshalb soll das Wort hier beibehalten werden.

I. Die Ausnehmung als Problem des Treuvorbehalts und der Bündnistreue 1. Nach altem Herkommen war in allen Bündnissen der König bzw. Kaiser auszunehmen, sofern er nicht selbst an ihnen teilnahm. Die Ausnehmung (exceptio)1 war der Treuvorbehalt in der Einung analog demjenigen bei mehrfacher Vasallität2. Ausgenommen wurden also der Lehnsherr, aber auch andere Personen und Personenverbände, die auf die Treue aller oder einzelner Einungsverwandten ältere Rechtsansprüche besaßen. Die Bundesgenossen verpflichteten sich damit gegeneinander, den Ausgenommenen keinen Schaden zuzufügen. Wären die Dinge tatsächlich so klar und einfach gewesen, der deutsche König als der oberste Lehnsherr hätte im Reich unantastbar dagestanden. Aber sie waren es nicht. Die Verträge wurden im allgemeinen nicht offengelegt, der König besaß also kein Prüfungsrecht 3; und es gab keine Standardformel, die Qualität und Umfang der Ausnehmung eindeutig geregelt hätte und allgemein anerkannt gewesen wäre. Deshalb konnte die Exzeptionsklausel zur Pforte werden, durch die in einen unverfänglich klingenden Text verfälschende Absichten eingeschleust wurden oder durch die sich jemand, wenn es ernst wurde, davonstahl. König Franz I. suchte 1520, nachdem Karl zum Kaiser gewählt worden war, ein großes Bündnis deutscher Fürsten mit Frankreich "pro defensione contra quoscumque et absque omni conditione". Hier war der eigentliche Zweck so durchsichtig, daß Kurfürst Joachim von Brandenburg, der an sich die Tendenz gegen Habsburg billigte, ablehnen mußte: Das sei "cum » onore liciteque" nicht zu machen, und in das Bündnis wurde die Ausnehmung von Papst, Kaiser, Reich und allen sonstigen Lehnsherren hineingeschrieben4. Oder: 1 Das Wort ist begrifflich verschieden von der exceptio ( = Einrede) des römischen Rechts. 2

Kienast in ZRG GA 66,133.

3

Die Schmalkaldischen Bundesverwandten schlugen 1537 dem Reichsvizekanzler Held eine diesbezügliche Forderung rundweg ab (Hortleder, Ursachen, 2,1246.1255). Erbverbrüderungen benötigten jedoch, wenn Reichslehen betroffen waren, die kaiserliche Bestätigung (HRG 1,984 f.). 4 RTA JR 2, 29,1.31, 3 - Um dem Bündnis dennoch die habsburgfeindliche Richtung zu geben, schlugen Kf. Joachim und die Hzz. Heinrich der Mittlere von Braunschweig-Lüneburg und Albrecht von Mecklenburg den folgenden Plan vor Deutsche Fürsten schließen zunächst ein Bündnis ohne französische Beteiligung. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt durch

2. Formen der Ausnehmung

15

Als in der zweiten Hälfte 1529 die oberdeutschen Städte an die Gründung eines eigenen Bundes dachten und Konstanz einen Vertragsentwurf vorlegte, wollten die verordneten Ulmer Räte die Ausnehmung kaiserlicher Majestät so geändert wissen, Mas Costantz und ir anhang etc. in demselben ainich Schlupfloch, so zu ferhinderung der hulf dienlich, nit suchen können. Dann wo hierin die äugen nit ufgethan, so möchten die erbarn stett in disem fall neben allem schaden gar leichtlich schumpf und spot erfolgen." 5 Der Entwurf enthielt eine Mischung von Ausnehmimg bestehender Einungen und Nichtangriffsklausel zugunsten von Kaiser und Reich. Da war es wohl der nicht ausdrücklich genannte Schirmvertrag der Stadt mit Österreich, der die Ulmer mißtrauisch machte. Die Ausnehmung war also auch im Innenverhältnis der Bundesgenossen von Bedeutung. Sie war nicht nur ein Problem des Treuvorbehalts, sondern auch der Bündnistreue. Was taten die Protestierenden, um mit diesem Problem fertig zu werden? In ihrem noch in Speyer getroffenen vorläufigen Verständnis hatten sie unter den möglichen Feinden den Schwäbischen Bund, das Regiment und das Kammergericht genannt, aber nicht den Kaiser. Unmittelbare Gefahr drohte ja nicht von seiner Seite; denn der Appellant hatte Anspruch auf rechtliches Gehör, und man brauchte kaum zu besorgen, daß der oberste Richter des Reiches gegen diesen Rechtsgrundsatz verstoßen würde6. Doch in einem festen, auf Jahre berechneten Bündnis mußte man klären, wie man sich zum Kaiser stellen wollte, falls er die Rechtfertigung der Protestation nicht akzeptierte oder die Appellation verwarf. 2. Der Begriff (Entwurf) des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler, der den Rodacher Verhandlungen (7. - 8. Juni) zugrunde gelegt wurde, gab der Ausnehmung den umfassenden Sinn einer freien Ausnehmung: "entlich und on mittel", unwiderruflich und ohne Einschränkung, sollte sie der

Mehrheitsbeschluß. Dann bemüht sich der französische König, die Mehrheit der Mitglieder einzeln für sich zu gewinnen, und tritt endlich dem Bündnis bei. Auf diese Weise kann er widerstrebende Fürsten zur Bundesgenossenschaft zwingen (ebd., 29.122). Der perfide Plan, obgleich er nicht verwirklicht wurde, zeigt immerhin, daß Bundesgenossen allen Grund hatten, voreinander auf der Hut zu sein. Als der Kürfürst mit seinem Treiben Verdacht erregt hatte, sandte er über seinen Bruder Albrecht von Mainz dem Kaiser eine Abschrift des Vertrags (ebd., 32). Der Text verriet natürlich nichts von den weiter reichenden Absichten, die Kg. Franz an das Projekt ursprünglich geknüpft hatte. Vgl. Bernays, 8. 5 6

RTA JR 8,232.

Ungeschriebene, allgemein anerkannte Rechtsprinzipien wurden bezeichnenderweise auch ' Kaiserrecht ' genannt (Krause, Kaiserrecht, 130 f.). - Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten über die Ausnehmung, womit Kuhn, Geschichte, 235 das Schweigen über den Kaiser erklärt, bestanden sicher schon in Speyer, doch wird man dort im Drange der Zeit kein Problem aufgeworfen haben, das zur Lösung noch nicht anstand.

16

I. Die Ausnehmung: Treuvorbehalt und Bündnistreue

kaiserlichen Majestät gegenüber gelten7. Sogar bei schwerem Amtsmißbrauch - und religiöse Zwangsmaßnahmen wären in den Augen aller Evangelischen ein schwerer Amtsmißbrauch gewesen — sollte dem gleichzeitigen Nürnberger 'Bedenken' zufolge der Bündnisfall nicht eintreten8. Und Schwierigkeiten barg schon der Begriff der kaiserlichen Majestät. Er bezeichnete den Träger des kaiserlichen Amtes, die Amtsperson, die sich durch Mandat oder Delegation von Befugnissen zu einer Vielzahl physischer Personen auswachsen konnte. Zu denken war an den Statthalter König Ferdinand und an das Reichsregiment. Ob auch an den Schwäbischen Bund, dessen Schirmherr der Kaiser war? Daß sich der Bund des kaiserlichen Namens bedienen dürfe, um, ohne Widerstand zu finden, religiös bedingte Landfriedensprobleme zu lösen, meinten die Nürnberger denn doch nicht. Das erklärten sie mit der unter Juristen wie Theologen gebräuchlichen Denkfigur der zweifachen Persönlichkeit: Dem Bund gehöre Karl nicht in seiner Eigenschaft als Kaiser an, sondern als Herr seiner Erblande, "als eine besondere person", die keine Obrigkeit über die Stadt habe9. Doch trotz dieser Erklärung hätte das neue Bündnis weniger Sicherheit geboten als die vorläufige Absprache vom 22. April. Da korrigierte man in der gemeinsamen Sitzimg aller Gesandten die Klausel mit Hilfe eines einzigen Wortes, so daß es nicht mehr "auf ir ksl. Mt." hieß, sondern "auf ir ksl. Mt. person", auf welche das Verständnis nicht gedeutet werden solle. Diese Änderung hatte nichts zu tun mit persona publica und privata, mit der eben erwähnten Lehre von der doppelten Rechtspersönlichkeit; sie besagte einfach: Karl V. persönlich. Ausgenommen wurde also der Kaiser in eigener Person, dem man den Lehns- bzw. Huldigungseid geschworen hatte, kein anderer außer ihm, auch nicht sein Statthalter Ferdinand, der die Geschäfte des Kaisers in Deutschland führte und die Hauptschuld trug, daß man an Bündnis und Gegenwehr denken mußte. Markgraf Georg von Brandenburg, der sich den fünf Fürsten und Städten zugesellt hatte, wollte das mit ausdrücklichen Worten erklärt wissen: "nemlich so ksl. Mt. aigner person im

7 RTA JR 8,81,100. Die korrigierte Fassung der Rodacher Notel lautet: "Und furnemlich soll die röm. ksl. Mt. als unser herr, kaiser und oberer in dieser unser freuntlichen verstantnus und ainigung entlich und on mittel ausgenomen sein. Also das solliche unser verstantnus auf ir ksl. Mt. person kainswegs gezogen, gestellt oder gedeut, auch in ainichem articul auf ir Mt. gar nit verstanden werden soll."-Der Ausdruck 'frei ausnehmen' ist quellenmäßig (ebd., 83. 100 f. 295. 382). 8 9

Ebd., 83.

Ebd., 83. Das war keine Nürnberger Konstruktion ad hoc. Der Schwäbische Bund selbst hatte in Maximilian I. den Erzherzog von Österreich als Mitglied und den Kaiser als Schirmherrn des Bundes unterschieden (Ernst Schubert, 98). Zur Lehre der doppelten Persönlichkeit von Gierke 3, 331-333. 605 - 609. Mit umfassender Themenstellung Ernst Η Kantorowicz - Die Privatperson wird in den Quellen eine 'sondere' oder 'einzelne Person' oder 'persona privata', die Amtsperson eine 'persona publica' genannt.

2. Formen der Ausnehmung

17

Feld sei, nit wann sein Mt. etlich leut oder mandat wider uns schicket, das solchs auch fur irer Mt. person verstanden werden und unser verstentnus dawider nit stathaben sollt".10 Auf diese Weise wurde aus der freien eine beschränkte Ausnehmung n. Die korrigierte Klausel Spenglers war nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit, zumal sich auch andere darüber Gedanken gemacht hatten. Ulm hatte seinen Gesandten gleich vier Entwürfe mit nach Rodach gegeben, die allesamt die Ablehnung der Nürnberger Klausel erkennen ließen. Es waren Variationen des Ausnehmens und Nichtausnehmens in ausdrücklicher und verdeckter Sprache, doch gingen sie alle von der Vorstellung aus, daß das Kaisertum ein Amt mit beschränkten Kompetenzen und folglich beschränktem Gehorsamsanspruch sei. Die erste Fassung sagte, worin der Kaiser ausgenommen werde, "in allen zeitlichen und irdischen dingen", die zweite, worin nicht, nämlich in bezug auf Gottes Wort und das Heil der Seelen, und die dritte sagte beides mit dem vertrauten Bibelwort: "gebt Got, das Got, und dem keyser, das dem keyser gehört". Die vierte Form restringierte am stärksten: "wo und sovil wir der (seil, kaiserlichen Majestät) mit leyb und gut zu thun schuldig".12 Landgraf Philipp von Hessen hatte seine Gesandten angewiesen, die Weitläufigkeit der Spengler'sehen Klausel durch den Zusatz einzuschränken, daß die Ausnehmung entfalle, wenn der Kaiser selbst oder jemand in seinem Namen die Verbündeten wegen des Evangeliums angreife oder sonstwie beschwere. Ob die Korrektur mit ausdrücklichen oder verdeckten Worten geschah, war ihm nicht so wichtig, wenn nur ihr Sinn unzweifelhaft zum Ausdruck kam13. Straßburg wollte es sogar bei einer Nichtangriffsklausel bewenden lassen: Die Einung sei weder Kaiser noch Reich noch sonst wem zuwider und nur gegenwehrsweise aufgerichtet 14. Die Unterlassung der Ausnehmung und ihr Ersatz durch eine Nichtangriffsklausel kann für sich allein nicht als Indiz für versteckte Angriffsabsichten gelten. Vielmehr wurde, indem die Aussage von der Person (Begünstigter oder nicht) auf die Sache (kein Angriff, aber Gegenwehr) verlagert wurde, der Auffassung vorgebaut, besondere persön-

10

RTA JR 8,122.

11

Ein terminus technicus fehlt. Man sagte 'mit einer Maß ausnehmen' (ebd., 255. 295), wohl auch 'mit einer Geding ausnehmen' (ebd., 83). 12

Ebd., 87.

13

Ebd., 87.

14

PC 1, 368. RTA JR 8, 88. Straßburg blieb bei seiner Auffassung in Voraussicht der Gefahren, die auch in einer beschränkten Ausnehmung schlummerten (PC 1,387 f. RTA JR 8.211 f.) und zeigte erst in der Instruktion zum Tag von Schmalkalden eine gewisse Bereitschaft, auf den ksä.-brd. Ausnehmungsartikel einzugehen (PC 1, 413. RTA JR 8, 390). Zur veränderten, der Straßburger Auffassung entgegenkommenden Einstellung Philipps von Hessen (ebd., 311). - Für die Nichtangriffsklausel gibt es keinen quellenmäßigen Ausdruck. Man sagte gewöhnlich, das Bündnis solle jemand 'nicht zuwider sein'.

18

I. Die Ausnehmung: Treuvorbehalt und Bündnistreue

liehe Bindungen wie die lehnrechtlichen könnten einen Grund abgeben, die Gegenwehr und Hilfe auszuschließen. Niemand durfte also seine Hilfe davon abhängig machen, ob Karl V. als Herr des Hauses Österreich oder als römischer Kaiser, ob die kaiserliche Majestät in eigner Person oder als Delegat bzw. Mandatar in Erscheinung trat, um die Verbündeten insgesamt oder einzeln 'mit der Tat vorzunehmen'. Mehr noch, indem Straßburg als Bündniszweck ganz allgemein den Schutz vor Gewalt bestimmte, konnte niemand unter dem Schein des Rechts die Hilfe verweigern, falls der Kaiser Zwangsmaßnahmen gegen die evangelische Lehre als religiös neutrale Landfriedensaktionen tarnte. Die Nichtangriffsklausel war geeignet, den Bundesverwandten untereinander ein größeres Maß an Vertragssicherheit zu schaffen. 3. Nach dem gemeinsamen Rodacher Tag wählte man für die weiteren Verhandlungen ein Verfahren ähnlich dem der Reichstage. Zunächst sollten die Fürsten untereinander beraten und dann ihren einmütigen Beschluß auf einem gemeinsamen Tag den Städten vortragen, worauf man endgültig beschließen oder auf Bericht annehmen würde. Die Zusammenkunft der fürstlichen Räte wurde für den 7. Juli nach Saalfeld anberaumt. Was Markgraf Georg an der korrigierten Ausnehmungsklausel der Rodacher Notel beanstandete, ist schon gesagt worden. Auch dem Landgrafen genügte sie noch nicht13. Er wiederholte seinen Wunsch nach einem Zusatz nachdrücklicher, formulierte selbst einen Text und versah seine Räte mit Argumenten, die seiner Meinung nach den Widerstand gegen den Kaiser rechtfertigten: das Vorbild eines Moses und David, die bereit waren, sich für ihr Volk zu opfern; die Notwendigkeit, die Worte der Apostel Petrus und Paulus historisch zu verstehen; der gegenseitige Vertrag zwischen Kaiser und Reichsständen; die Selbstentsetzung des rechtsbrüchigen Oberherrn 16. Aber das war für ihn noch keine Grundsatzfrage; wenn nötig, sollten seine Räte mit den andern stimmen. Es sieht nicht so aus, daß man in Saalfeld oder in den folgenden Wochen anderswo die Argumente des Landgrafen diskutiert hätte. Noch bestand kein Bedürfnis, der Gegner war noch nicht auf den Plan getreten. Wenn es nach Philipp gegangen wäre, hätten die Räte wie vorgesehen in Saalfeld beschlossen. Doch gleich im ersten Stadium stockten die Verhandlungen, weil Kursachsen auf einem persönlichen Treffen der Fürsten bestand, während der Hesse immer wieder ablehnte, einmal sogar eine 13 16

Instruktion für Boyneburg und Kolmatsch, 4.7.1529 (RTA JR 8,125 -132).

Ebd., 128 f. Mit den Apostelworten sind Rom. 13 und 1. Petr. 2,17 gemeint. - Ein halbes Jahr später in der Auseinandersetzung mit Georg von Brandenburg wird Philipp diese Gedanken mit großer Leidenschaft weiter ausführen. Hier, wo die Resonanz noch fehlte, mag die bloße Aufzählung genügen.

3. Rechtliche Begründungen der beschränkten Ausnehmung

19

Badekur vorschützte. Natürlich ging es nicht um bloße Formalitäten. Philipp wußte nur zu gut, worauf der Kurfürst aus war, und sagte ganz offen, daß über den Ausschuß Straßburgs und der anderen oberdeutschen Städte mit ihm nicht zu reden sei17. Der zum 24. August nach Schwabach ausgeschriebene gemeinsame Tag mußte auf den 16. Oktober verschoben werden 18.

Kurfürst Johann von Sachsen äußerte sich erst spät und erst auf Anfrage zu Bündnis und Ausnehmung19. Die Ursache der Verzögerung war Luther, der mit seinem spontanen Ratschlag vom 22. Mai die kursächsische Politik durcheinandergebracht hatte20. Doch nun im letzten Julidrittel fand sie zu einem klaren Kurs zurück, den sie mit gewissen Korrekturen bis zur Gründimg des Schmalkaldischen Bundes gehalten hat. Minkwitz hatte in Rodach glücklicherweise nicht die Gelegenheit gefunden, den Kreis der möglichen Feinde auf die zu beschränken, die "über uns kain ordentliche obrigkait haben", wie sein Auftrag gewesen war; und die Verhandlungen zu verschleppen hatte sich erübrigt, weil alle Gesandten ohnehin nur auf Hintersichbringen instruiert gewesen waren 21 Jetzt folgte Kursachsen nicht länger Luthers Rat, das Bundmachen ganz bleiben zu lassen, wohl aber seiner eindringlichen Warnung vor den Sakramentierern. Man wollte ein Bündnis zum Schutze des Glaubens, dabei aber sichergehen, daß es wirklich Glaubensverwandte waren, die man im Ernstfall mitverteidigte. So entstand die Forderung, alle potentiellen Bundesgenossen auf ein gemeinsames Bekenntnis zu verpflichten, die Schwabacher Artikel, die etwa zu jener Zeit verfaßt wurden. Gleichzeitig plante man eine zweite Gesandtschaft an den Kaiser für den Fall, daß die erste ungnädig beschieden wurde; und die sollte nur noch für die Stände sprechen, die im gemeinsamen Bekenntnis vereint waren 22. Kursachsen wollte also die Protestations- und Appellationsgemeinschaft durch eine Bekenntnisgemeinschaft ersetzen, die durch den Nachweis der Rechtgläubigkeit den Ausgleich mit dem Kaiser suchte und sich zugleich auf die Verteidigung des gemeinsamen Glaubens auch gegen den Kaiser einrichtete 17

Am 17. 6. 1529 warnt er den Kurfürsten zum erstenmal, sich von irgendwem bestimmen zu lassen, die Städte wegen der strittigen Sakramentslehre vom Bündnis auszuschließen (ebd., 119). Ausführlich erläutert er seine Politik gegenüber den Städten in seiner Saalfelder Instruktion (ebd., 126 -128) und später öfter. 18

Ebd., 133. 203 - 205.

19

Ksä. Bedenken zur Rodacher Notel, etwa 23.7.1529 (RTA JR 8, 254 - 268). Steglich in ARG 62,182 f. 20

WA Br 5,75 - 78 mit 13,112. RTA JR 8,77 f. Köhler! , 33 - 35. Hauswirth, 104 -107.

21

RTA JR 8,92.

22

Ebd., 255.266 f.

23

In diesem mittelbaren Sinn sagt Steglich in ARG 62,162.191 zu Recht, daß die Schwabacher Artikel von vornherein eine Doppelfunktion hatten. Sein Argument ist nicht nur, wie

20

I. Die Ausnehmung: Treuvorbehalt und Bündnistreue

Bei dieser streng dogmatischen Konzeption kann man nicht umhin, die Sakramentierer sich selbst zu überlassen. Was die Ausnehmimg des Kaisers im Bündnis anlangte, schlug das kursächsische Bedenken zur Rodacher Notel vor, dieselbe "mit ayner maß zu thun", eine beschränkte Ausnehmung also, und fügte erklärend hinzu: "domit man sich hirinnen nicht mehr begebe, dann man fur Got und zu recht schuldig".24 'Gott und das Recht', das war eine alte Paarformel, welche die Überzeugung ausdrückte, daß alles Recht in Gott geborgen sei, so daß ihm der Kaiser ebenso Untertan sein mußte wie der Kurfürst von Sachsen oder der Markgraf von Brandenburg. Oft genug machte diese Überzeugung gerade derjenige geltend, der sich im Streit mit dem Höheren befand 25. Einzelheiten der Ausnehmung nannte das Bedenken noch nicht, doch dies vorbereitend hielt es eine Zweiteilung für angebracht. Dem Vertragstext sollte eine kurze, in allgemeinen Worten gehaltene Klausel inseriert, die Erklärung, unter welchen Bedingungen der Bündnisfall eintrat, in einem besonderen Reversale niedergelegt werden26.

Gerhard Müller, Bündnis, 29 f. glaubt, die Übergabe der Artikel an den Kaiser, sondern vor allem das beharrliche Bemühen um eine zweite Gesandtschaft, die ausschließlich die Mitglieder der Bekenntnisgemeinschaft vor Karl vertreten sollte. 24

RTA JR 8,255.

25

Graf-Dietherr, 1.7. Krause, Kaiserrecht, 44 f. (Sachsenspiegel). Brunner, 133 f. sowie 48. 262. So ermahnt 1461 Hz. Ludwig von Bayern-Landshut Ksr. Friedrich III, daß er "nach ausweysung götlicher und mentschlicher rechtH verpflichtet sei, niemand mit der Tat vorzunehmen, der sich zu Recht erboten habe (Chmel 2, 250). Die absagende Stadt Wien wirft 1462 demselben Kaiser vor, er habe sich nicht so verhalten, wie er als ihr Herr und Landesfürst "von götlichs rechtens wegn zu tun schuldig" (ebd. 269). Pfgf. Friedrich der Siegreiche wertet in einem Schreiben an Ksr. Friedrich den Versuch, ihn gewaltsam der elsässischen Landvogtei zu entsetzen, als Rechtsverweigerung und Ehrverletzung, "das were immer swere von einem Rom. keiser zu hören und must ein iglicher dabi versten, dass mir gewalt und unrecht geschee". Er dringe niemand zur Notwehr, sondern werde selbst zur Notwehr gedrungen; "darum min notturft heischt, got den almechtigen und die gerechtigkeit und min herren und frunde zu hilf zu nemen, mich des ofeuhalten, so ferre ich mag" (4.3.1471. RTA 22, 222). Heinrich von Liechtenstein sagt 1477 Friedrich III. ab, weil er ihn "wider got und recht" mit Gewalt bedrohe (Chmel 2,338). 26 RTA JR 8, 225. Mgf. Georg war zunächst gegen eine solche Zweiteilung: "Ob es darzu kome, das man die ainigung aufligen ader offenbarn solt, das man darin unser cristlich außnemen fundt und nit gedecht, die beibrieff weren erst darnach geferlich uffgericht" (ebd., 269).

Π. Die Ausnehmung als Problem des Treuvorbehalts und der Bündnistreue (Fortsetzung) - Gegenwehr und Widerstand 1. Zu jener Zeit kehrte eine kursächsisch-hessische Gesandtschaft aus Spanien zurück und brachte Kunde von einem Mandat, das der Kaiser an die protestierenden Stände gerichtet habe1. Darin stellt Karl fest, daß der Glaubensartikel des Abschieds von der großen Mehrheit aller Stände einhellig beschlossen sei und daß ihr nach altem Herkommen die Minderheit zu folgen habe. Er diene der Erhaltung von Frieden und Einigkeit im heiligen Reich. Zudem sei er "auf miti und mass" beschlossen, ein Kompromiß also, der keinen Grund zur Verweigerung gebe. Daher befiehlt der Kaiser den protestierenden Fürsten und Städten, dem Reichsabschied beizutreten. "Dann wo ir über dise unser gnedige Warnung verrer ungehorsamlich erscheinen wurdet, mochten wir nit umbgeen, sonder wurden und mueßten zu erhaltung schuldiger gehorsam im hl. Reich gegn euch ernstlich straffen furnemen, darvor euch niemands dann ir selbs, so ir euch obgemeltermassen gehorsamlich erzaigt, guet sein mag." Kein Wort von einer Gelegenheit zur Rechtfertigung, von der Gewährung rechtlichen Gehörs. Der Kaiser machte kurzen Prozeß. Doch das Mandat wurde den Adressaten offiziell nicht zugestellt, weil König Ferdinand angesichts der akuten Türkengefahr nicht Öl ins Feuer gießen wollte, und es ist dann auch später unterblieben. Aber die Protestierenden hatten Karls Gesinnung kennengelernt, deren Ernsthaftigkeit durch den Friedensschluß mit Frankreich beglaubigt wurde, bevor überhaupt ihre auf lange Fristen angelegte Politik in Gang gekommen war. "Man sol uns nicht vordammen unvorhoret", gab damals Johann Bugenhagen seinem Kurfürsten zu bedenken2. Der Kaiser wolle sie "onverhorter und unerkenter Sachen" angreifen und entsetzen, empörte sich Philipp von Hessen noch Monate später3, und selbst Melanchthon beklagte, daß er nicht "re ordine cognita" verfahre 4. Der Landgraf drängte jetzt noch mehr zum Handeln. Von allen Seiten werde er gewarnt, schrieb er dem sächsischen Kurfürsten, der Kaiser wolle die Anhänger des Evangeliums in den Gehorsam 1

RTA JR 8,696.

2

Bedenken vom 29.9.1529 (Scheible, 28).

3

RTA JR 8,489.

4

CR 2,21. Scheible, 58.

22

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

des Papstes zurückführen. Man müsse dafür sorgen, daß nicht die Feinde den Vorsprung gewännen. "Man kan itzt woll ein potschaft schicken zu ksl. Mt. und ein entlichen frid begern oder unfriden, das werr der negst weg." Das schrieb er nur im Irrealis, wagte es denn doch nicht vorzuschlagen. Dann die direkte Frage: Wenn der Kaiser angreift, wird sich der Kurfürst wehren oder leiden oder abfallen? Und was hat er, der Landgraf, von ihm zu erwarten? Das müsse er wissen, gerade herausgesagt, ohne die höflichen Schnörkel des kurfürstlichen Schreibers3. Kurfürst Johann antwortete mit ziemlicher Gelassenheit: Vor dem Winter sei kein Angriff zu besorgen. Man habe also Zeit, den Ausgang der Appellationsgesandtschaft abzuwarten und nachzudenken, was in einer zweiten Gesandtschaft dem Kaiser vorzutragen sei. Er stehe fest zu Gottes Wort, Land und Leuten und zu seinen Einungsverwandten. "Allein das nuhr zcuvor dis woll bedacht und zcuvorhyn beschlossen word, was E. L., ich und andere in solchem fai, der den kayser angehet etc., mit Got thun können und auch vermugen werden, auff das wyr von des worts wegen wider dasselbig wort nit in Gottes urteil fallen und die straffe mit hone und spot und mit fahr unser seien über uns kome."6 Solches Zuvorbedenken brauchte noch kein grundsätzliches Infragestellen des Widerstandsrechtes zu bedeuten, es konnte auch bloß die Modalitäten meinen, und ganz offensichtlich wollte der Kurfürst mit diesem Hinweis die persönliche Teilnahme des Landgrafen am Schleizer Fürstentag erreichen, der auf den 3. Oktober angesetzt war. Georg Vogler, der brandenburgische Kanzler, saß bereits über dem Entwurf einer gemeinsamen kursächsisch-brandenburgischen Instruktion, die in Schleiz beraten und beschlossen und möglichst auch von Hessen mitgetragen werden sollte. Aber da nun stellte Johann die Grundlagen der kursächsischen Bündnispolitik tatsächlich wieder in Frage, indem er ein diesbezügliches theologisches Bedenken einholte: "Ob auch gotlich sey, vorbundniß zu machen wedder die feinde mit den Steden, die das sacrament Christi vorleugnen und nach vormanung sich nicht bessern." Und: "Ob man auch dem keysere muge mit gewalt geweldichlich wedderstreben, wen er mit gewalt wolte uns uberzihen umb Gots Wortes willen." Man könnte glauben, um sich seiner Sache zu vergewissern oder um Argumentationshilfen zu gewinnen; doch der Kurfürst sagt selbst, der Wunsch nach theologischem Rat sei durch das allgemeine Gerücht eines drohenden kaiserlichen Angriffs hervorgerufen worden7. Das klingt eher nach Überprüfung des bisherigen Standpunktes. Wie Luther antworten würde, konnte eigentlich nicht zweifelhaft sein. War Johann also allen Ernstes bereit, seine eigne Politik ein zweites Mal zu konterkarieren? 5

14.9.1529 (RTA JR 8,241 f.).

6

23.9.1529 (ebd., 246 f.).

7

WA Br 5,233.

2. Bugenhagens Bedenken zum Widerstandsrecht

23

Als Gregor Brück, der Altkanzler, jetzt Rat von Haus aus und in Wittenberg ansässig, den Auftrag seines Herrn ausführte, waren Luther, Melanchthon und Jonas schon unterwegs nach Marburg, um, mißmutig genug, das Religionsgespräch mit Zwingli und seinem Anhang zu bestreiten. Johann Bugenhagen, der Daheimgebliebene, mußte allein Stellung nehmen8. 2. Die erste Frage, die hier nicht weiter interessiert, beantwortete er mit Nein, darin sowohl mit Luther als auch dem kurfürstlichen Hof übereinstimmend. Zur zweiten Frage entwickelte er Ansichten, die Luther nicht alle geteilt hätte. Alle obrigkeitliche Gewalt ist von Gott (Rom. 13,1). Sie schützt die Frommen und straft die Bösen und hilft so Gottes Ordnung erhalten. Das meint der Apostel Paulus mit den Worten: "Wer sich wedder die gewalt setzt, der wedderstrebet Gots ordenunge." Die Obrigkeit ist in ihrer Gewalt beschränkt; in Sachen, die Gottes Wort betreffen, ist sie kein Richter. Ein christlicher Unterherr nimmt die Gehorsamspflicht gegen den Oberherrn besonders ernst; doch in dem, was Gott gehört, hat er ihm nicht gehuldigt, und diese Wahrheit wird er ihm wenn nötig sagen. Wenn nun der Oberherr seine Gewalt gegen Gott und Gottes Wort richtet, verliert sie ihre Legitimation, sie hört auf, obrigkeitliche Gewalt zu sein. "Weil du nu des HERRN wort verworfen hast, hat er dich auch verworffen, das du nicht konig seyest" (1. Sam. 15, 26)9. Nach der theologischen Grundlegung erteilt Bugenhagen seinen Rat für die politische Praxis. Einzelpersonen, denen um Gottes willen unrechte Gewalt widerfährt, müssen sie leiden, auch Fürsten, sofern sie nur persönlich betroffen sind. Sind jedoch Land und Leute von Verwüstung und Mord an Leib und Seele bedroht und weiß der Unterherr ganz genau, daß seine Sache gerecht ist, dann soll er sie vor dem Oberherrn rechtfertigen und, findet er kein Gehör, vor aller Welt protestieren und so 8 Scheible, 25 - 29. Vgl. Wolgast, 136 -139. Um Wiederholungen zu vermeiden, habe ich die Gedankenfolge des 14-Punkte-Bedenkens zum Teil umgestellt. - Daß es 'die sächsischen Politiker' sollten darauf angelegt haben, Luther zu übergehen - was Wolgast, 136,60 für möglich hält - , ist m.E. auszuschließen. Der fordernde Brief des Landgrafen, der zusammen mit dem kaiserlichen Mandat die Verunsicherung und den Wunsch nach theologischer Beratung verursacht haben dürfte, wurde am 14.9. geschrieben. Luther brach am 15. oder am 16.9. von Wittenberg, am 18. von Torgau auf (Buchwald, 67). Ihm einen reitenden Boten nachzuschicken wäre ebenso ungewöhnlich (Luther war doch nicht der einzige theologische Fachmann) wie unnütz gewesen. Auf dem Schleizer Tag (3. - 7.10.) war, so oder so, eine Entscheidung fällig, und die Zeit drängte. Selbst der in Wittenberg erreichbare Bugenhagen konnte sein Bedenken erst am 29.9. fertigstellen. Auch sei daran erinnert, daß Luther zur Erstellung seines Widerstandsgutachtens vom 6.3.1530 über vier Wochen benötigte. 9 Die Geschichte von Saul und Samuel diente in der ma. Publizistik oft dazu, ein Absetzungsrecht der höchsten geistlichen gegenüber der weltlichen Gewalt aus der Bibel zu beweisen (Kirn, 28-47). Doch Bugenhagen meint keine Selbstentsetzung = Verlust der kaiserlichen Stellung. Der Widerstand trifft nicht einen Kaiser ohne Amt, sondern außerhalb desselben. Im Folgenden legt er nämlich dar, wie die Juden ihrem König Saul in weltlichen Dingen auch noch nach der Verfluchung Gehorsam leisten.

24

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

die Unschuld an den Tag geben. Schließlich soll er seine Untertanen mit dem Schwert beschirmen, wenn sie seinen Schutz begehren, und in ihrer Not nicht verlassen; denn sie haben ihm allezeit mit Leib und Gut gedient, nur weil sie in ihm ihren Herrn sehen, der Schutz mit dem Schwert gewähren kann. "Eyn miedling sehet den wulff kommen und flehet und vorlesset die schaffe" (Joh. 10, 12) . Zwar soll kein Unterherr gegen den Oberherrn handeln, geschweige denn ein Untertan, aber wenn ein Oberherr sich selbst aus der von Gott verordneten Gewalt setzt und lieber Vergewaltiger, Mörder, Türke sein will, folgt daraus keineswegs, daß auch der Unterherr seine von Gott befohlene Schutzgewalt niederlegt. Kurz gesagt, beruht Bugenhagens Urteil auf zwei Voraussetzungen: 1. Die von Gott verordnete obrigkeitliche Gewalt ist gut, die tyrannische Gewalt ist des Teufels. Die Vorstellung vom Tyrannen als einer Geißel Gottes zieht Bugenhagen nicht in Erwägung. 2. Der Fürst ist im Verhältnis zum kaiserlichen Oberherrn ' Unterherr\ nicht Untertan. Er schuldet ihm keinen unbedingten, sondern "allen geborlichen gehorsam".10 Die erste Aussage ist ausdrücklich, die zweite nur implizit im Text enthalten. Dieser Mangel an theoretischer Durchdringung hat Bugenhagen Schwierigkeiten bereitet, die er in einem persönlich gehaltenen Nachwort dem Kurfürsten freimütig gesteht. Deshalb verweist er mehrmals auf den Rat anderer, die es besser verstünden als er. Daß er den abwesenden Luther meinte, war unschwer zu erraten. Doch da er dessen entgegengesetzte Meinung gekannt haben dürfte, folgte er zugleich einem Gebot des Anstands, wenn er seinen Auftraggeber darauf aufmerksam machte. Ein praktisches Urteil besaß er gleichwohl, und das wiederholte er abschließend ohne "Zaghaftigkeit": "Sol eyn furste mit dem schwerde nicht weren dem Uberherrn, wen er nicht eyn uberherr, sondern eyn fiend, morder wil seyn der unschuldigen untersassen des fursten, so sol ich prediger auch mit dem worde Gots nicht straffen die ubericheit, wen sie sundiget. Ich habe Gots wort, der hat Gots schwerd, beydes wehret dem bösen nach gots befehle und ordenung."11 Diese Auffassung lag auf der Linie der kursächsischen Politik, und es ist denkbar, daß Brück zur Urteilsbildung beigetragen hat12; doch ein Gefälligkeitsgutachten hat Bugenhagen nicht erstattet. Für das 10

Scheible, 27.

11

Ebd., 28 f. Der Text macht nicht den Eindruck, daß Bugenhagen mit großer Zaghaftigkeit geurteilt habe, wie Clemen in WA Br 5,181 glaubt feststellen zu müssen. Doch die besondere Situation, das Ungenügen an der theoretischen Begründung, wohl auch die konventionelle Gutachterbescheidenheit, die schon das Widerstandsgutachten von 1523 zeigt (WA Br 12, 42 f.), legten ein höheres Maß an Zurückhaltung nahe. Vgl. Dörries, 200 f. 12 Die Übereinstimmungen zwischen Bugenhagens Bedenken und späteren kursächsischen Äußerungen (RTA JR 8, 298. 366) sind offensichtlich, z. B. die Beschränktheit der Huldigung, der landesherrliche Schutz als Gegenleistung für Abgaben und Dienste der Untertanen, der Kaiser als Feind. Doch ist es müßig, nach Abhängigkeiten zu fragen; denn die Argumente standen zur Verfügung und brauchten nicht erdacht zu werden.

. Formen der Ausnehmung

25

Widerstandsrecht der niederen Obrigkeit war er schon 1523 eingetreten, und noch am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges schrieb er, von dieser Meinung sei er niemals abgewichen13. Bugenhagen schloß das Bedenken am 29. September ab, vier Tage vor Beginn des Schleizer Treffens. Wir wissen nicht, ob es noch rechtzeitig in die Hände des Kurfürsten gelangte, doch die kursächsisch-brandenburgische Instruktion wurde in Schleiz gemeinsam beschlossen mitsamt dem vorgesehenen Ausnehmungsartikel14. 3. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte war der Glaube, waren letzte Wahrheiten der Beweggrund, daß sich Reichsfürsten gegen das Oberhaupt des Reiches zusammentaten. Andererseits bekannten dieselben Fürsten "underthenigklich" ihre Gehorsamspflicht gegenüber ihrem 'allergnädigsten' Herrn und Kaiser: Ein seltsamer Widerspruch scheint diesen Ausnehmungsartikel zu beherrschen 15. Doch was für das Spätmittelalter zutrifft 16 , gilt auch hier. Der Gehorsam war nicht so untertänig gemeint, wie die Wörter klangen; die paßten besser zu einer künftigen Staatlichkeit, die das Reich niemals erlangte. Und beide Fürsten verstanden sich weder im Glauben noch im Widerstand als Neuerer, die der revolutionären Formlosigkeit und Übersteigerung bedurft hätten. Das zur Rechtfertigung Notwendige reduzierte sich ihnen zu den juristischen Argumenten Kompetenzmangel, Rechtsverweigerung, Schutz und Schirm. Kurfürst Johann und Markgraf Georg bekannten sich also positiv zu ihrer Gehorsamspflicht und den daraus folgenden Leistungs- und Unterlassungspflichten: "das wir uns gegen irer ksl. Mt. in allem schuldigen und Pflichtigen gehorsam underthenigklich halten und ertzaigen wollen, als weyt unser leib, gut und vermugen raicht, auch nichts furnemen oder handeln wollen noch sollen, das unser pflicht, damit wir irer Mt. und derselben ksl. hochhait und ampte verwandt sein, zuwider oder ungemeß were". Aber die Hoheit des Kaisers endete vor dem höheren Recht, vor Gottes Wort und der Ordnimg des Naturrechts, und die Huldigung der Fürsten hatte ihm nicht mehr versprochen, 13

WA Br 12, 42 - Ebd., 43, 6. Dem steht entgegen, daß das unter Luthers Federführung entstandene konträre Gutachten vom 6.3.1530 (WA Br 5, 249 - 262) auch von Bugenhagen mitberaten worden ist. Vgl. Dörries, 209,32. 213. Vielleicht wollte es die zeitgenössische Praxis bei Gemeinschaftsgutachten, daß sich die abweichende Minderheit stillschweigend fügte und die Mehrheitsmeinung mittrug. 14 RTA JR 8,297,15.311. Zwar erwähnt die Instruktion das Reversale nicht, doch gehört es zu den Aktenstücken, die Minkwitz nach Schwabach mitgegeben wurden. 15 16

RTA JR 8,297 f. Hans von Schubert, 186 f.

Die lehnsstaatliche Treuepflicht ist im Reich nie zu einer moderner Staatlichkeit entsprechenden Gehorsamspflicht weiterentwickelt worden. Denn obwohl die Reichsfürsten die Autorität des Königs und ihre Gehorsamspflicht grundsätzlich anerkannten, verstanden sie diese Bindung stets als eine freiwillige, persönliche und widerrufliche. Auch wurde der Umfang der Gehorsamspflichten niemals festgelegt (Ernst Schubert, 299 - 305).

26

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

als er kraft seiner Hoheit verlangen durfte. Gebote darüber hinaus gingen über ihr Vermögen, ihnen waren sie keinen Gehorsam schuldig. Kurfürst und Markgraf zählten sodann die Bedingungen auf, an welche die Ausnehmung geknüpft wurde, und diese Enumeration bekräftigte den defensiven Charakter der Einung. Die Ausnehmung sollte ihre Wirksamkeit verlieren bei Überzug und Schädigimg von Seiten des Kaisers oder seiner Beauftragten 1. "sachen halben unsern heiligen glauben und Gottes wort, das über irer Mt. hochait ist, darinnen wir auch Got und Cristo unserm Herren allain gehuldiget und gelobt sein und irer Mt. darin nicht geschworn noch verwandt sein", insbesondere 2. bei Rechtsverweigerung ("zuforderst vor anfang und endtlicher endung aines gemainen, freyen, cristlichen concily oder nationalversamblung und sonderlich auch unerhört und wider unser appellation, so wir an ire Mt. und ain gemain, frey, cristlich concilium undterschidentlicher maßen angestalt haben") und 3. in anderen notwehrfähigen Sachen ("wider naturliche recht und pillichait gegen uns handeln und furnemen"). In allen Fällen war mit dem fürstlichen Recht zum Widerstand die landesherrliche Pflicht zu Schutz und Schirm verbunden ("nachdem uns alßdann und in solichem falle bey unserer pflicht, damit wir unsern underthanen widerumb verwandt sein, gepurn will, die unsern wider menigklichen — soferne Got gnad dartzu verleihet - zu schützen und retten"). Dann sollten alle Bundesverwandten "einander on alle außnemung ainichs stands oder personen vermog diser unser freuntlichen verainigung zu helfen verpflicht und verhaft sein". Kurfürst und Markgraf hatten sich also auf eine beschränkte Ausnehmung verständigt, genauer gesagt, auf eine bedingte, insofern sie bis zum Eintritt eines ungewissen, zukünftigen Ereignisses in vollem Umfang gelten sollte. Das Reversale enthält Hinweise auf die Herkunft dieser Anschauungen. So wird das Verhältnis der Unterordnung durch Huldigung begründet, ist demnach nicht naturgegeben. Das Gehorsamsgelöbnis erstreckt sich auf bestimmte, nicht auf alle Lebensbereiche. Die Unterlassungspflicht, dem Kaiser nicht zu schaden, wird ohne Vorbehalt bejaht. Positive Leistungen werden nach Vermögen zugesagt, d. h. pro posse suo, sie müssen zumutbar und höheren Pflichten nicht zuwider sein. All das sind Merkmale einer persönlichen Bindung nach Lehnrecht, die ihren verpflichtenden Charakter nicht aus Befehl und Gehorsam, sondern wechselseitiger Treue bezog 17. Die Fürsten waren bereit, ihrem kaiserlichen Lehnsherrn die Treue zu halten, und erwarteten von ihm als einem "hochloblichen, eer- und rechtsliebenden kaiser" das gleiche. Karl würde sich nach ihrem Urteil des Treubruchs schuldig machen, wenn er ihnen tatsächlich rechtliches Gehör verweigerte und sie 17

Kern, Gottesgnadentum, 152 f. Mitteis, Lehnrecht, 79-82. 531 -536. Ganshof86 - 88. Krieger, 23. 392 f. - Es besagt in diesem Zusammenhang wenig, daß Johann nie die Belehnung durch den Kaiser empfangen hat. Seine Stellung in der Lehnshierarchie des Reiches war unangefochten.

. Formen der Ausnehmung

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mit der Tat vornähme, während eine Gesandtschaft unterwegs war, die Protestation zu rechtfertigen. Ein Angriff gegen Vasallen, die sich zu Recht erboten, war Rechtsverweigerung, war Herrenfelonie und gab dem Verletzten das Widerstandsrecht 18, auf welches er bei dessen Verquickung mit Schutz und Schirm nicht einfach verzichten durfte 19. Kurfürst Johann und Markgraf Georg dachten in rechtlichen Formen, die älter waren als die Reformation. Nur — was sie von der Huldigung ausgenommen glaubten, was sie als unzumutbare Leistungen zurückwiesen oder wofür sie rechtliches Gehör verlangten, das warf Fragen auf, die das alte Herkommen dem Ketzerrecht anheimgegeben hätte. Der Landgraf von Hessen schickte Boyneburg und Kolmatsch mit einer eigenen Instruktion nach Schwabach20. Ohne Straßburg und Ulm werde er keine neue Einung schließen. Mit dem Kurfürsten sei er ja durch eine ältere hinreichend verbunden: ein unmißverständlicher Hinweis, daß er Kursachsen in der Pflicht des Magdeburger Bündnisses zu halten gedachte. Wenn der Markgraf und Nürnberg beitreten wollten, sei er einverstanden und schlage vor, bei einer persönlichen Zusammenkunft das Bündnis auf den neuesten Stand zu bringen. Es war in den Tagen des Marburger Religionsgesprächs, daß Philipp das Magdeburger Bündnis wiederentdeckte. Eine erste Andeutung hatte er in seine Instruktion zum Schleizer Tag geschrieben21, deutlicher war er dann gegenüber dem Kurfürsten geworden22. Er habe seit langer Zeit wieder einmal die Magdeburger Notel studiert und befunden, daß sie weder den Kaiser noch sonst wen ausnehme23. Nach diesem Vorbild möge man auch jetzt verfahren und weiter kein Ausnehmen suchen. Denn welche Bedenken könnte man jetzt vorwenden, wenn man damals keine Bedenken trug, jederlei Ausnehmung zu unterlassen! Die Antwort war unschwer zu finden: Karl war zu jener Zeit fern vom Reich durch die große europäische Politik vollauf gebunden, während jetzt seit dem Speyrer Reichstag seine Rückkehr ins Reich erwartet wurde. Kurfürst Johann und Markgraf Georg waren in Schleiz denn auch bei ihrem Ausnehmungsartikel geblieben und hatten, die provozierende Frage überhörend, die hessischen Räte beschieden, man sei in diesem Punkt "nit so weit voneinander".24 Trotz seinem neuerwachten Interesse am Magdeburger Bündnis 18

Kern, Gottesgnadentum, 362. Mitteis, Lehnrecht, 542 f.

19

Kienast, Untertaneneid, 119.142.

20

11.10.1529 (RTA JR 8,307 - 313).

21

28.9.1529 (ebd., 130 yl).

22

3.10.1529 (ebd., 254).

23

Die Klausel wiederholt das Gehorsamsversprechen gegenüber dem Kaiser und das Rechtsgebot gegen jedermann (Hortleder, Ursachen 2,1317). 24 RTA JR 8, 302.

28

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

wollte Landgraf Philipp das bisher verfolgte Projekt nicht einfach fallenlassen. Er machte sogar einen Vermittlungsvorschlag, demzufolge Kursachsen und Brandenburg von ihrer Bündnispflicht befreit sein sollten, wenn ein Angriff speziell wegen der strittigen Sakramentslehre geführt würde, das Illusionäre eines solchen Falles bewußt in Rechnung stellend. Würden die beiden Fürsten doch noch auf die Bekenntnisbindung verzichten, dann hatten die hessischen Räte Vollmacht abzuschließen. Merkwürdigerweise erhob Philipp gerade für diesen Fall neue, schärfere Forderungen. In der Ausnehmungsfrage verlangte er nun allen Ernstes eine Regelung nach Magdeburger Vorbild, also die Unterlassung jeder Ausnehmung ersatzweise eine Nichtangriffsklausel nach Straßburger Muster. Nur wenn beides nicht zu erreichen war, wollte er dem kursächsisch-brandenburgischen Artikel zustimmen, allerdings auch nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß davon das Magdeburger Bündnis in keiner Weise berührt werde 25. Kursachsen sollte-in völlig veränderter Situation - bei der Nichtausnehmung des Kaisers festgehalten werden. Warum diese überzogene Forderung? Sicher hatte der Brief vom 23. September den Landgrafen mißtrauisch gemacht. Er wird außerdem gewußt haben, daß sein Vermittlungsvorschlag ein "Schlupfloch" von der Art auftat, wie es Ulm in jenem Konstanzer Entwurf zu entdecken glaubte26. Die Ausnehmungsklausel war nun einmal auch ein Problem der Bündnistreue. Oder wollte er auf diese Weise ein neues Projekt absichern, dem er den Vorzug vor den sich hinschleppenden Verhandlungen gab: ein Bund der lutherischen Stände und ein Bund der Oberdeutschen und Schweizer, deren Bindeglied er, der Landgraf, als Mitglied beider Bündnisse sein würde? Denn er hatte auf dem Marburger Schloß nicht nur den disputierten Gelehrten zugehört, sondern auch erste, geheime Gespräche mit Zwingli über ein Burgrecht geführt 27. Am 18. Oktober in Schwabach verhandelten die fürstlichen Räte und Städteboten den ganzen Tag lang ohne Erfolg. Mathis Pfarrer und Bernhard Besserer nahmen die Schwabacher Artikel nur auf Hintersichbringen an. Dann erneuerte man die zwischenzeitliche Hilfszusage bei einem Überraschungsangriff und setzte für den 15. Dezember einen Rätetag nach Schmalkalden an, "sich des orts, sovil Got gefellig und möglich sein will, der itz strittigen und ander artikel zu aufrichtung des furgenumen vertreulichen verstentnus dienstlich und notwendig zu vergleichen und zu beschliessen".28

23

Ebd., 311.

26

Vgl. 1.1.

27

Lenz, 57. Hauswirth, 112 -114.

28

RTA JR 8,316.

4. Die beschränkte Ausnehmung im deutschen Spätmittelalter

29

4. Das Beschränken der Ausnehmung war keine Erfindung der Protestierenden. Die Ausnehmung allein der königlichen Person ist seit dem frühen 13. Jahrhundert im ganzen germanisch-romanischen Kulturkreis nachgewiesen. Während man keine Bedenken trug, seine Interessen gegenüber dem Königtum durch Fehden zu verfolgen, scheute man doch davor zurück, sich an der Person des 'Gesalbten des Herrn' zu vergreifen 29. So zum Beispiel Herzog Walram von Limburg. Als er 1213 auf die französische Seite wechselte, nahm er neben dem Reich zwar auch den König von England aus, dessen Lehnsmann er ebenfalls war, aber nur "ubi ipse rex esset persoliter" 30, und Graf Floris von Holland tat 1296 in ähnlicher Lage gegenüber dem deutschen König genau das gleiche31. Anderthalb Jahrhunderte später, 1453, sagte Georg von Puchheim Friedrich III. ab und nahm doch die kaiserliche Person ausdrücklich aus32. Schwer zu sagen, wie weit ins Spätmittelalter hinein die Scheu vor der sakralen Weihe des Königs das Verhalten der Doppelvasallen und Fehdeführenden bestimmte33. Die Teilnehmer des Rodacher Tages waren ganz gewiß frei von solchen Gefühlen, als sie die gleiche Form der Ausnehmung wählten. Aber deren Tradition wirkte weiter und natürlich auch ihr praktischer Nutzen. Ebenfalls im 13. Jahrhundert kam während des Interregnums die Übung auf, in der Person des deutschen Königs zwischen dem König als solchem und dem Landesherrn zu unterscheiden und jenen allein auszunehmen. Das geschah in offener, häufiger in verdeckter Form. Die Ausnehmung galt dann nur "in his, quae concernimi imperium" 34, oder sie wurde für das Reich ausgesprochen, wobei der König nicht eigens erwähnt wurde 35, oder sie wurde in stillschweigendem Einvernehmen auf "unsern herrn, den keyser, am reich" beschränkt36. 1459 schlossen die Herzöge Albrecht VI. von Österreich und Ludwig der Reiche von Bayern-Landshut ein Bündnis, in welchem sie den Kaiser ausnahmen; wörtlich: "Doch nemen wir baid fürstn hirinne aus unsern heilign vatter den babst, auch unsern gnedigen herren bruder und swager herrn Fridrichn 29 Kienast, Untertaneneid, 149 f. Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Gesinnung bei: Ders., Fürsten 2,59 f. 30

Ders., Fürsten 1, 212,4.

31

Kern, Anfänge, 333.

32

Brunner, 13.

33

Kern, Gottesgnadentum, 101.

34

Kienast, Fürsten 2,151 f. Angermeier, Königtum, 444. Ernst Schubert, 274.

35

Ernst Schubert, 273 f. Die Differenzierung in König und Landesherr hatte nicht immer eine königsfeindliche Tendenz, wie sie denn überhaupt auf einen König selber, Alfons von Kastilien, zurückgeht. Das gleiche gilt für die Ausnehmung allein des Reiches. Vgl. etwa Sachsenspiegel Ldr. 2,1 oder das von Angermeier, Königtum, 508 erwähnte Beispiel. 36

FRA 2/44,238.

30

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

Römischen kaiser an dem heilign reiche." Wenig später schloß derselbe Albrecht ein Bündnis mit Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen von Sachsen, in dem sie ebenfalls den Kaiser ausnahmen; wörtlich: "Doch so nemen wir obmgnanten fürsten hirynne uß unsern heyligen vater den babst und unsern gnedigsten lieben herrn swager ohmen unde bruder hern Friderichen Romischen keyser an dem heyligen riche unde als hertzogen zcu Osterrich." 37 Die beiden Klauseln sind beredt. Alle drei Fürsten kannten sich aus im Unterscheiden zwischen Kaiser und Landesfürst und nutzten das auf ihre Weise. Der Wittelsbacher wollte - er hatte Grund dazu —, der Wettiner wollte nicht in den Habsburger Bruderzwist eingreifen. Albrecht sagte im Juni 1461 seinem Bruder ab, doch der reagierte als Kaiser und erklärte beiden Herzögen den Reichskrieg. Ludwig als der am meisten Gefährdete protestierte und bezeugte vor Friedrich ΙΠ. und aller Öffentlichkeit seine Rechtsauffassung: Er sei Helfer in einer innerhabsburgischen Fehde, die das Reich nicht berühre. Dem Kaiser sei er nicht Feind geworden38. Infolgedessen schickte er ihm und seinem Reichshauptmann, Markgraf Albrecht von Brandenburg, die Fehdebriefe zurück, mahnte die fränkischen und schwäbischen Reichsstädte, in dieser Sache stillzusitzen, und führte seinen Kampf gegen Albrecht Achilles als "notwer, die dann einen yeden von geistlichem, keyserlichem und naturlichen rechten erlaupt ist".39 Und Friedrich der Sanftmütige konnte sich, unter Hinweis auf jenes Bündnis, dem Markgrafen als Vermittler empfehlen und im übrigen die bewaffnete Reichshilfe ablehnen40. Von all dem hatten die Nürnberger nichts im Sinn, als sie in ihrem Bedenken zum Rodacher Tag in Karl V. den Kaiser und den Herrn der Erblande unterschieden; sie wollten sich damit nur Handlungsfreiheit gegenüber dem Schwäbischen Bund bewahren41. Das Defensivprinzip bei mehrfacher Vasallität wurde gegenüber dem deutschen König zum erstenmal während des Interregnums angewendet. Es besagt, daß der Lehnsmann dem angegriffenen Herrn gegen den angreifenden hilft 42 . In den lehnsfreien Bündnissen der späteren Zeiten entstand daraus die Ausnehmung des Königs mit einer auflösenden Bedingung, wie sie oben beschrieben wurde. So 37

Chmel2,172.179. Angermeier, Königtum, 444 f. 446,354.

38

An den Städtetag in Dinkelsbühl, 27. 7. 1461 (FRA 2/44, 152 -156). An Ksr. Friedrich III. 15. 8. 1461 (Chmell, 247 - 250). An Mgf. Albrecht von Brandenburg, 19. 8. 1461 (FRA 2/44,180). 39

Ebd., 156.

40

August 1461 (ebd., 176). Ähnliche Vorkehrungen in dem Bündnis zwischen den Hzz. Johann und Sigmund von Bayern-München und Sigmund von Tirol, Ende Juli 1460 (ebd., 51) und in dem Bündnis zwischen den Hzz. Ludwig von Bayern-Landshut und Sigmund von Tirol, 30.4. 1461 (C/wne/2,240). 41

RTA JR 8,83.

42

Kienast, Fürsten 2,134,4.

5. Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

31

taten sich 1405 die Nachbarn der Kurpfalz zusammen, weil ihnen die erfolgreiche Territorialpolitik König Ruprechts Sorgen bereitete, und schlossen den Marbacher Bund. Darin nahmen sie zwar den König aus, aber nur unter umfänglichen, detaillierten Bedingungen: sofern er sie nicht an ihren Freiheiten, Briefen, Rechten und guten Gewohnheiten oder an ihren Herrschaften, Landen, Leuten und Gütern beschädige oder davon dringe oder mit Gewalt überziehe und belagere43. Begreiflich, daß Ruprecht die erbetene Bestätigung verweigerte und die Auflösung des Bundes verlangte, was wiederum die betreffenden Fürsten und Städte ablehnten: Ihr Bund diene dem Reich zur Ehre und zum Frieden44. Das brauchte kein bloßer Vorwand zu sein. Die Markgrafen Johann und Albrecht von Brandenburg versprachen 1454 König Ladislaus von Ungarn und Böhmen Hilfe gegen jedermann, ausgenommen das Reich und den Kaiser; doch sollte dessen Ausnehmung hinfällig werden, wenn er dem jungen König, seinem früheren Mündel, an "gutern, pfänden, herschaften und herligkeiten gewalt thun" wolle45. Nicht anders 1529. Auch Kurfürst Johann und Markgraf Georg folgten dem überkommenen Defensivprinzip, als sie in ihrem Reversale Kaiser Karl V. vollständig ausnahmen, solange er ihre Selbstverpflichtung durch unrechte Gewalt nicht selber auflöste. 5. Jede beschränkte Ausnehmung eines Höheren schließt die Bereitschaft zum aktiven, gewaltsamen Widerstand gegen den Ausgenommenen ein, und mit ihr verbunden ist das Bewußtsein einer gerechten Sache, aber auch eines besonderen Risikos. Die Quellen haben dafür kein eigenes Wort, der frühneuhochdeutsche 'widerstand besitzt diese spezielle Bedeutung nicht. Er kann dem Türken gelten oder dem Papst wegen hoher finanzieller Forderungen oder in Notwehr dem Kaiser oder auf dessen Gebot einem Reichsfürsten: gegen den Willen oder Zwang eines andern stehen, der sei, wer er wolle46. In den Akten der Protestierenden wird dieser Sachverhalt 'Gegenwehr', 'benötigte Gegenwehr', öfter 'Gegenwehr und Rettung', an anderer Stelle 'Gegen- und Notwehr' genannt47. Die Gegenwehr gebraucht 43

RTA 5, 751 f.

44

Julius Weizäcker in RTA 5,712. Angermeier, Königtum, 336 - 340.

45 FRA 2/42, 134. - Ladislaus hatte nichts von dem Versprechen, weil er früh starb. Aber Jahre später konnte Ludwig der Reiche seinem Feinde Albrecht Achilles vorwerfen, er wisse von Verschreibungen, in denen jener den Kaiser nicht ausgenommen habe. Da hatte ihm nämlich der Markgraf den gleichen Vorwurf gemacht (FRA 2/44, 238). 46 47

FRA 2/44, 77. 99.186. 371. RTA 22,180. RTA JR 8,1001.1010.1032 u.a.

Nürnberger Bedenken zum Nürnberger Begriff zum Tag von Rodach, Nr. 3 (RTA JR 8, 83). Rodacher Notel (ebd., 99). Ksä. Bedenken zur Rodacher Notel (ebd., 255). Ksä.-brd. Instruktion zum Schwabacher Konvent, Nr. 2 (ebd., 275). Kf. Johann an Christoph Tetzel und Hieronymus Ebner, 27.10.1530 (Fabian, Entstehung, 1. Aufl. 145 f.).

32

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

der Benötigte zur Verhütung oder Abwehr von Gewalt, d. h. "unpillicher, unrechtlicher Vergewaltigung und beschedigung".48 Sie ist demnach solcher Gewalt begrifflich entgegengesetzt, doch wird sie auch von der Kriegshandlung und Fehde abgehoben, die der Bund etwa selbst zu beginnen fähig wäre. Die Gegenwehr kann dem Einungsgenossen zugewendet werden, dann ist sie 'Hilfe' oder 'Rettung und Hilfe', oder den eigenen Untertanen, dann ist sie 'Schutz' und als solcher eine der vornehmsten Aufgaben weltlicher Herrschaft. Dazu heißt es im Nürnberger Bedenken: "so ist nutz und gut und wurdet bei meniglich ein tapfer ansehen machen, das man sich nit darumb zusamen verpunde, fur sich selbs ainiche kriegshandlung, uberzug, vehd oder Vergewaltigung furzunemen, sonder allain sich vor gewalt zu schützen und also allain ein gegenwehre zu geprauchen, wie dann ainer yden oberkeit nit allain von allem rechten erlaubt, sonder auch ir schuldigs ampt ist, die iren vor gewalt zu schützen."49 Trotzdem ist die Gegenwehr nicht das Privileg eines Standes oder der das Volk repräsentierenden Gesamtheit der Stände, sondern 'meniglich', jedermann für sich selbst, besitzt dieses Recht. Es wird von allen unter Menschen geltenden Rechten gewährt, sowohl dem natürlichen als auch dem kaiserlichen, d. h. dem römischen in seiner rezipierten Gestalt und den einschlägigen Reichsgesetzen50, und kann von der höchsten weltlichen Obrigkeit nicht entzogen werden. Mit einem Wort: Die Gegenwehr ist der natürliche Schutz des Menschen gegen unrechte Gewalt So spricht die kursächsisch-brandenburgische Instruktionum das Gesagte im Zitat zu wiederholen - von der Gegenwehr, "die von naturlichem und ksl. rechten meniglich zugelassen wurdet, also das auch die höchst zeitlich oberkait nit fug noch recht hat, jemandt desselben naturlichen schütz zu entsetzen, weder durch sich selbst on mittel noch durch ire gescheit".51 Von den Rechtsquellen der Gegenwehr war oben schon die 48

Rodacher Notel (RTA JR 8, 99). Ebd., 83. Hess. Instruktion zum Tag von Saalfeld (ebd., 128). Ksä.-brd. Instruktion (ebd., 275). Ksä.-brd. Ausnehmungsartikel (ebd., 298). 50 'Kaiserrecht' ist in der nachstaufischen Zeit zunächst alles vom Kaiser ausgehende oder auf ihn zurückgeführte Recht, z. B. die Landfrieden, und dann seit dem 15. Jh. vorwiegend, aber nicht ausschließlich das römische Recht (Krause, Kaiserrecht, 69 - 86. 98 -122. 49

51 RTA JR 8, 275. Ebs. Rodacher Notel (ebd., 99). Ksä. Bedenken (ebd., 255). Mit genau den gleichen Argumenten rechtfertigt Hz. Ludwig von Bayern-Landshut seinen Widerstand gegen das Reichsaufgebot: "wie wol er dann Romischer keyser und obrist haupt ist, so hat er uns und den unsern doch durch sulch sein gewaltsam furnemen ursach gegeben, uns seins gewaltz auftzuhalten und der notwer, die dann einen yeden von geistlichem, keyserlichem und naturlichen rechten erlaupt ist, zu geprauchen (FRA 2/44, 156). - Benert, 17 - 36 lenkt das Augenmerk darauf, daß lutherische Befürworter des Widerstands (1529 -1547) den Fürsten nicht nur ein Widerstandsrecht, sondern zugleich eine Widerstandspflicht zuschreiben, insofern sie als Träger des Schwertamtes und Glieder des Reiches für dessen Wohlfahrt mitverantwortlich waren. Begründet wird diese Pflicht mit der zweifachen Eidesbindung, die nicht nur dem Kaiser, sondern auch und vor allem dem Reich galt. Hierzu Emst Schubert, 267 - 274. Soweit ich

5. Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

33

Rede, vom Lehnrecht, überhaupt vom Gewohnheitsrecht; im Folgenden sollen diejenigen Rechtsquellen ausführlicher betrachtet werden, auf die sich die Protestierenden ausdrücklich berufen. Das Institut der Notwehr (defensio, tutela)52 gehört zum Normenbestand des Naturrechts, das Gott den Menschen eingegeben hat, und darum können Menschen es weder aufheben noch ändern, wohl aber auslegen53. 'Vim vi repellere licet': der Satz stand fest; aber wie weit seine Geltung reicht, inwieweit also das entgegenstehende Verbot, Menschen zu verletzen oder zu töten, eingeschränkt werden darf, das festzustellen ist Sache der Menschen. Insofern ist die Notwehr auch Bestandteil des gesetzten Rechts. Nach dem ius commune, dem römischen und dem kanonischen Recht54, erstreckt sie sich sowohl auf den Schutz von Leib und Leben als auch auf den Schutz der Ehre als auch auf die Erhaltung von Hab und Gut und sogar auf dessen Wiederschaffung, wenn es durch unrechte Gewalt oder heimlichen Zugriff verlorengegangen ist. Berechtigt ist jedermann, jedermann darf auch einem Benötigten Hilfe leisten. Das alles hat in bezug auf Absicht, Mittel und Dauer 'cum moderamine inculpatae tutelae' zu geschehen. Angemessen ist die Gegengewalt, die zur Verteidigung und nicht zur Rache gebraucht wird. Die Rache (vindicta) will nicht nur oder nicht mehr schützen, erhalten, wiederschaffen, sondern begangenes Unrecht strafen. Sie wird im Gericht, in Fehde und Krieg vollzogen und ist, anders als die Notwehr, den Trägern von Herrschaft vorbehalten55. Maßvoll im Gebrauch der Mittel ist der Angegriffene, der Gegengewalt anwendet, weil er sich anders nicht schützen kann. Hier gehen die Auffassungen auseinander. Nach Meinimg besonders der Kanonisten sollen Menschen einfachen Standes, etwa Bauern und Mönche, wenn möglich vor dem Angreifer weglaufen; bloß dem Edelmann, dem

sehe, wird dieses Argument nur in Texten gebraucht, die zur Veröffentlichung oder zur Vorbereitung von Veröffentlichungen bestimmt sind, so im Brief des Lgf. Philipp an Luther, 21.10.1530 (WA Br 5, 654), in Luthers Notizen zur "Warnung" (WA 30/3, 394), in Brucks Darstellung des Augsburger Reichstags (175 f.), in der Verwahrung und in der Herausforderung der Schmalkaldischen Bundesfürsten, 11. 8. und 1./2. 9. 1546 (Hortleder, Rechtmäßigkeit, 296. 303). Vgl. Ernst Schubert, 273 f. 52 Das Wort 'Notwehr' begegnet schon in c.5 der offiziellen lateinischen Fassung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235. 'Gegenwehr' ist das jüngere Wort, das DWb 4/1,2300 f. zufolge seit dem 15. Jahrhundert bezeugt ist. Die Texte FRA 2/44 aus den Jahren 1460 bis 1462 haben sowohl 'Notwehr' (53. 185. 186. 330. 416) als auch 'Gegenwehr' (141. 323. 340. 356. 361). - Der folgende Überblick nach Dahm, 115 -145 und Kuttner, 334 - 359. Die an sich unverhältnismäßige Ausführlichkeit für den Begriff 'in continenti' bei Besitzentziehung ist durch das Thema dieser Arbeit bedingt. 53

Zur Derogation des Naturrechts etwa Ulimann, 50 - 75 und Weigand, 374 - 386.

54

Cassandre, 65.

55

Zum Strafcharakter des Krieges und der Fehde vgl. Regout, 91 - 93. 145. Brunner, 8 f. 22-24.

34

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

es Schande brächte, wird die Flucht nicht zugemutet. Anders Bartolus: Einen Menschen zur Flucht nötigen ist allein schon unrechte Gewalt derart, daß ihr sich jedermann ohne Unterschied des Standes widersetzen darf 56. Den Notwehrexzeß verbietet natürlich auch er. Das dritte Merkmal der Angemessenheit ist die Gegengewalt ohne Verzug (in continenti) und nicht erst nach geraumer Zeit (ex intervallo). Bei Gewalt gegen Personen bezeichnet in continenti den Zeitpunkt des gegenwärtigen Angriffs. Der Benötigte braucht den ersten Schlag nicht abzuwarten, andererseits darf er den fliehenden Angreifer nicht verfolgen. Das wäre Rache. Ein gewisser Michele, Bürger in Pisa, hatte den Mörder seines Sohnes getötet und kam vor Gericht. Doch der Richter erkannte auf Notwehr und sprach ihn frei, weil der Mörder die Waffe noch blank gezogen und so die Angriffsdrohimg gegen den Vater seines Opfers gerichtet hatte57. Bei Besitzentziehung bezeichnet in continenti die Zeit bis zur notwehrmäßigen Wiederschaffung (recuperatio). Aber kann das Wiedererlangen einer Sache Teil der Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs sein? Geschieht es nicht ex intervallo, also in rächender Absicht? Diese Schwierigkeit wird durch eine juristische Fiktion gelöst: Der rechtmäßige Besitzer verliert natürlich den tatsächlichen Besitz an denjenigen, der das Gut gewaltsam oder heimlich an sich gebracht hat. Wenn er jedoch den Besitzwillen (animus possessionem retinendi) aufrechterhält, führt er, während er die recuperatio vorbereitet, die Notwehr gegen den Eindringling gleichsam fort und vollendet sie erst mit der Wiederinbesitznahme58. Dementsprechend bestimmt die Glosse zu D. 43, 16, 3, 9 in continenti als die Zeitspanne, bevor sich der Beraubte anderen Geschäften zuwendet, und setzt dafür zwei bis drei Tage an59. Aber es wurden nicht nur Bauernhöfe und Landhäuser entzogen, sondern auch Burgen und ganze Länder. Deshalb sagt Bartolus, man müsse bei solchen Fristen die Beschaffenheit der entziehenden Person und der entzogenen Sache berücksichtigen und 'boni homines'60 damit betrauen, im konkreten Einzelfall zu entscheiden, was als unverzüglich anzusehen sei. Wenn etwa ein Bürger aus seinem Landhaus verdrängt wird, sammelt er in der Stadt seine Freunde und wirft mit deren Hilfe den Eindringling wieder hinaus. Das kann in drei Tagen erledigt sein. Wird dagegen ein Edelmann von einem andern aus seiner Burg vertrieben, so muß er aufwendige Rüstungen veranstalten, und das 56

Zu C. 8,4,1, n. 8.

57

Philippus Decius, cons. 459.

58

Baldus zu C. 8.4.1, nn. 6.28. Die Glosse zu D. 43,16,3,9 läßt nur die possessio naturalis verlorengehen, dagegen die possessio civilis andauern. 59

v. continenti: "antequam ad alia extranea divertat negotia". Ebs. Hostiensis und Panormitanus zu X5,12,18, n. 9. 60

Salviolil, 9 f.

5. Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

35

kann mehr als ein halbes Jahr in Anspruch nehmen61. Das war in Deutschland nicht anders als in Italien. Der Koadjutor von Mainz, Graf Heinrich von Württemberg, erklärte am 17. November 1466 dem Grafen Johann von Wertheim mutwillig Fehde und nahm ihm die Pfandschaft Thum weg. Dieser erbot sich zu Recht, vergebens. Darauf bat er seinen Herrn, Bischof Rudolf von Würzburg, um Schutz: Er möge seine Rechtgebote vertreten und, falls sie auch jetzt verachtet würden, ihm bei seiner "notwere" helfen. Die Widersage, zu der sich Graf Johann am 5. Februar 1467 genötigt sah, war also noch immer, fast ein Vierteljahr nach der Absage des Koadjutors, Notwehr 62. Baldus, der hierin Huguccio folgt, nennt noch ein drittes Beispiel. Wird ein Fürst aus seinem Land vertrieben, dann darf er es wiedereinnehmen, wann immer die Gelegenheit sich bietet, sogar noch nach zehn Jahren63. Als recuperatio wollte Karl V. seinen Kampf um Reichsitalien verstanden wissen, als er auf dem Wormser Reichstag eine Romzughilfe von 4000 Reitern und 20 000 Fußknechten forderte. "In vii hundert jaren" sei die Gelegenheit nie so günstig gewesen wie jetzt. Wenn die Stände die Hilfe unverzüglich bewilligten, werde er von Deutschland aus "Romzug und recuperation furnemen" 64. Der Zeitabstand zwischen Entzug und geplanter Wiederschaffung war gewaltig und ging über die Vorstellung der Juristenlehre weit hinaus. Doch dachte der junge Herrscher gewiß nicht an sie, eher an sein Krönungsversprechen; denn was die Rechte einem jedem erlaubten, defendere und recuperare, das machte der Krönungsordo dem deutschen König zur Pflicht 65. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Die in den Akten enthaltenen Teilaussagen fügen sich jetzt zu einem Ganzen. Die protestierenden Reichsfürsten und Reichsstädte, Obrigkeiten allesamt, nahmen für sich das Recht auf Gegenwehr in Anspruch, nicht anders als irgendein Privatmann. Ihr Glaubensschutzbund, der sich vom Mittellauf der Elbe bis hin zum Oberrhein erstrecken würde, und ein etwa entstehender Kampf sollten nach derselben Norm gerechtfertigt sein wie der Degenstoß jenes Pisaner Bürgers, der den Mörder des jungen Giovanni gleichfalls das Leben kostete. Nun war der Tatbestand der Notwehr wirklich so gefaßt, daß er auf beide scheinbar 61

Bartolus zu D. 43,16, 3, 9.

62

Most, 133.

63

Huguccio zu D. 1 c. 7. Baldus zu C. 7,10,7, n. 3.

64

RTA JR 2,392 f.

65

Die dritte und vierte der Fragen, die der Ebf. von Köln dem erwählten König stellte, lautete: "Vis regnum tibi a deo concessum secundum iusticiam praedecessorum tuorum regere et efficaciter defendere? Vis iura regni et imperii, bona eiusdem iniuste dispersa conservare et recuperare? (ebd., 96). Diese Fragen sind spätestens seit 1309 Bestandteil des Krönungsordo (Kneger, 98).

36

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

grundverschiedene Sachverhalte zutraf, deren Erscheinungsformen auf der einen Seite mehr dem Totschlag und auf der andern mehr dem Kriege ähnelten66. Aber das Erfordernis der Angemessenheit der Mittel und der Zeit, die sich nach dem zu schützenden Rechtsgut bestimmte, sorgte in der Praxis doch für eine ständische Abschichtung der Notwehrberechtigten. Ein Privatmann hatte eben nicht Land und Leute zu schützen. Die Fehde und die Pfändung ohne Prozeß und Urteil als Mittel eigenmächtiger Rechtsdurchsetzimg wurden durch den Ewigen Landfrieden von 1495 für das ganze Reich und für alle Zeiten verboten und künftig als Landfriedensbruch unter Strafe gestellt. Der Friedbrecher sollte ipso facto in die Acht fallen; Urteil und Erklärung der Acht von Seiten des Königs lagen nachgerade in dem Gesetz bereit, um sofort mit der Tat wirksam zu werden. Jedermann, also auch der Geschädigte selbst, sollte befugt sein, dem Friedlosen nach Leben und Gut zu trachten. Verzichtete das Gesetz, wie sein Wortlaut nahelegt, tatsächlich auf ein besonderes Gerichtsverfahren 67, dann lud es den Mächtigen zum Mißbrauch gegen den Schwächeren gleichsam ein. Darum trennte der erneuerte Landfrieden von 1521 die Erklärung der Strafe vom Eintritt derselben durch einen nicht näher bestimmten Zeitraum. Zwar auch jetzt fiel der Friedbrecher, wenn er denn einer war, mit der Tat in die Acht, und das Reichskammergericht oder Reichsregiment und Statthalter verhängten sie nicht, sondern erklärten sie nur, d. h., sie stellten die Tatsache der ipso facto eingetretenen Friedlosigkeit des Ächters öffentlich fest. Aber bevor es zu einer solchen Erklärung kam, erhielt der Beschuldigte rechtliches Gehör, mußte das Gericht die Tatsache des Friedensbruches feststellen. Auch bestand die Möglichkeit zu einem außergerichtlichen Vergleich mit dem Geschädigten. Erst wenn die Acht erklärt war, sollten Leib und Gut des Ächters jedermann erlaubt sein. Das hieß nun freilich nicht, daß der Geschädigte warten mußte, bis ihm von Gerichts wegen sein Recht wurde. Vielmehr sagt das Gesetz ausdrücklich: "Aber dem beschedigten sampt seinen verwanten und heifern sol in mitler zeit, auch vor und ehe die declaration volgt, gegen denselbigen thetern und fridbrechern, auch den iern und deren mithelfern und enthaltern sein gegenwehre und Verfolgung zu thun zu frischer that, oder wann er sein freund und helfer 66 Hier sei daran erinnert, daß der Verteidigungsfall der Bundesrepublik Deutschland desgleichen analog der individuellen Notwehr definiert wird (Düng in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Kommentar zum GG zu dem inzwischen aufgehobenen Art. 59a Rdnr. 2 - 6 . Herzog ebd. Art. 115 a Rdnr. 21). 67 Art. 3 (RTA MR 5, 364). Der Achteintritt ipso facto wurde besonders häufig im 15. Jh. angedroht. So ist auch der Passus "die sullen mit der tat von recht zusambt andern penen in unser und des Hl. R. acht gefallen sein" schon im Landfrieden von 1486 enthalten. Doch dürfte in den meisten Fällen der Vollstreckung ein Erklärungsurteil vorausgegangen sein (Poetsch, 58 f.).

5. Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

37

haben mag, [...] unbenommen, nit verbotten, sonder genzlich fürbehalten sein."68 Der Landfrieden von 1521 verbot demnach die Fehde, aber nicht die Notwehr gegen die verbotene Fehde®. Er hätte das im Verständnis der Zeit auch gar nicht tun können, weil die Notwehr natürlichen Rechts war und kein Kaiser und kein Papst imstande waren, Naturrecht zu ändern oder aufzuheben. Nachdem Ulrich von Württemberg im Winter 1519 Reutlingen, Reichsstadt und Mitglied des Schwäbischen Bundes, überfallen und in seine Gewalt gebracht hatte, warnte der Reichsvikar den Herzog wie auch den Bund, Aufruhr im Reich zu entfachen. Doch dadurch unbeeindruckt, glaubten sich Feldhauptmann und Bundesverwandte im Recht, als sie dem Württemberger absagten: Sie seien als Glieder des Reiches und kraft ihrer Einung zu "göttlicher, natürlicher und rechtlicher gegenwöre gedrungen".70 Heinrich der Mittlere von Braunschweig, der tatkräftige Helfer des kampfesfreudigen Hildesheimer Bischofs, schlug das Schlichtungsangebot Friedrichs des Weisen mit der halbwahren Behauptung aus, sie seien von ihren Feinden ohne alle Verwahrung zur Gegenwehr genötigt worden 71. Der fränkische Ritter Hans Melchior von Rosenberg hatte sich dem Schwäbischen Bund mehrmals zu Recht erboten, der ihm trotzdem sein Schloß Boxberg wegnahm und niederbrannte. Da supplizierte er an das Reichsregiment um Wiedererlangung seiner Güter und Schadenersatz, wobei er anmerkte, wenn er hier keine Hilfe finde, könne ein jeder sich denken, "was in dem nur zu billiger gegenwehr von natur und dem rechten geburen mocht".72 Hessen und Kursachsen, die im Verlauf der Packschen Händel mit den friedensbedrohenden Rüstungen begonnen hatten, brachten gegenüber dem Reichsregiment zu ihrer Rechtfertigung vor, der Landfrieden erlaube die Gegenwehr; und das wiederholte der Landgraf in einem öffentlichen Ausschreiben: Jeder fromme, verständige und unparteiische Mensch werde "in betrachtung deß, daß in natürlichen und beschriebenen rechten auch darumb in dem kaiserlichen landfrieden die not- und die gegenwehre nicht benommen ist", billigen müssen, "gegen ein solch geschwinde bündnuß und fürnehmen unser not- und gegenwehre in der zeit also fürzunehmen, daß wir den unchristlichen unrechten gewalt, der uns unverhörter sach begegnen sol, aufhalten und die unsern bei gleich

68 RTA JR 2, 318 f. und 295 (KGO: "das niemants hinfüro in die acht erkannt, erclert noch für ein echter gehalten werde, er sei dann zuvor daizu rechtlich citirt"). Das Erfordernis des deklaratorischen Urteils und der Vorbehalt der Gegenwehr wurden in den Landfrieden von 1548 und in die Kammergerichtsordnung von 1555 übernommen (Poetsch, 60 f. 132). ω

Das gleiche hat schon Radbruch, 142 zu Art. 129 CCC festgestellt.

70

Sattler, Beilage Nr. 11 - Über die Fürstenfehden nach 1495 vgl. WiesfleckerS,

71

RTA JR 1,720. Havemann, 20 - 22.

72

RTA JR 4,560. Georg Schmidt, 192 -194.

77 - 91.

38

II. Treuvorbehalt und Bündnistreue - Gegenwehr und Widerstand

und recht beschirmen mögen".73 Derselbe Philipp von Hessen, von Karl V. zur Rede gestellt, gab zur Antwort, er habe alle seine Feldzüge — die Sikkingen-Fehde, den Bauernkrieg, die Packschen Händel - aus Notwehr unternommen74. Wer hätte seine Fehde nicht in diesem Glauben oder unter diesem Vorwand geführt!

Die Protestierenden, die mit ihrem Bündnis allein die Gegenwehr und Rettung suchten, wußten sie also durch Gewohnheit und Recht gebilligt, jüngst noch durch den Landfrieden Karls V. Da ihnen jedoch die größte Gefahr von ebendem drohte, in dessen Namen der Landfrieden ergangen war, stellte sich heraus, daß sie den Umfang der Gegenwehr verschieden bestimmten. Schon in Rodach bestand, vorerst eher verdeckt als offen, keine Gemeinsamkeit der Rechtsauffassungen. Nach Nürnberger Verständnis war die Notwehr nur unter Rechtsgleichen erlaubt, sie endete vor dem rechten Herrn. Der rechtmäßig zur Herrschaft gelangte, von Gott verordnete Herr konnte an seinen Untertanen zum Gewalttäter werden, ohne dadurch zum rechtsgleichen Benötiger, zum Feind zu werden. Die Nürnberger schlossen das aus Gottes Wort, weltliche Rechtsquellen nannten sie nicht73. Das war lutherisch gedacht. Philipp von Hessen stellte sich frühzeitig auf eine Auseinandersetzung mit ihrem Standpunkt ein76. Doch bei Kurfürst Johann haben wir guten Grund zu glauben, daß er solchen Gedanken zugänglich war 77. Natürlich sahen auch seine Kanzler und Räte das Außergewöhnliche der Situation, aber von rechtlichen Skrupeln ist in dem Bedenken zur Rodacher Notel und in der gemeinsam mit Brandenburg erstellten Instruktion nichts zu spüren. Im Gegenteil. Diese Dokumente, die den Bündnisverhandlungen zugrunde gelegt werden sollten, sprechen von der Gegenwehr und ihren Rechtsquellen im direkten Zusammenhang mit der kaiserlichen Ge73

Dülfcr, Dam. 123. Qu. 44 f.

74

Bericht der Nürnberger Gesandten vom 6.7.1530 (CR 2,166). Grundmann, = SVRG 176,36. 75 Nürnberger Bedenken zum Nürnberger Begriff zum Tag von Rodach, etwa 22.5.1529, Nr. 4 (RTA JR 8, 83). Die II. 5., Fn. 49 zitierte Pflicht zum Schutz der Untertanen endet vor dem Kaiser, "dhweil der kaiser unser rechter herre und oberer von Gott verordent ist, [...] Dann wider den gepuert sich kainem unterthan weder verpuntnus zu machen zu helfen, weder sich zu wehren, er neme die sach gleich so ungeschickt fure als er wolle, es sei auch sein handlung von des glaubens oder ander Ursachen wegen, dess hat sich ein yder Christ aus dem wort Gottes und sunst genugsamlich zu weissen." 76 77

Instruktion zum Saalfelder Tag, 4.7.1529 (ebd., 128 f.).

Von einem diesbezüglichen Ereignis berichtet Spengler in seinem Widerstandsgutachten (ebd., 482), das er ohne Nennung seiner Verfasserschaft über Melanchthon Kf. Johann zuleitete. Spengler, der die Geschichte vermutlich vom damaligen Gesprächspartner des Kurfürsten, Dr. Linck, persönlich erfahren hatte, muß ihrer Authentizität sicher gewesen sein. Denn eine falsche Tatsachenbehauptung, die der Kurfürst unschwer als solche hätte erkennen können, wäre der Überzeugungskraft seines Gutachtens abträglich gewesen.

5. Gegenwehr (Notwehr) und Widerstand

39

fahr, und sie behandeln den Bund gegen den Kaiser nicht einmal als einen Sonderfall der Notwehr 78. Vielmehr vermitteln sie die Vorstellung, daß der Widerstand als Notwehr gegen die Obrigkeit, begrifflich ungeschieden, im gemeinen Begriff der Notwehr aufgehoben sei.

78

Etwa 23. 7.1529 (ebd., 255). Anfang Oktober 1529 (ebd., 275).

ΠΙ. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten über Gehorsamspflicht und Widerstandsrecht 1. Die Nachricht von der auf kaiserlichen Befehl erfolgten Verhaftung der Appellationsgesandtschaft, die spätestens am 24. Oktober in Nürnberg eintraf und sofort weitergegeben wurde1, löste unter den Appellationsverwandten Bestürzung aus und zugleich das Bedürfnis einer raschen, einmütigen Reaktion, weshalb der sächsische Kurfürst den Schmalkaldener Tag auf den 28. November vorverlegte 2. Johann erwog, künftige Reichstage nicht mehr persönlich zu besuchen; auch wollte er an den Kaiser keine zweite Gesandtschaft schicken, sondern die Aufklärung des Falles "durch ein eylend post" betreiben. Im übrigen hoffte er auf die Solidarität seiner altgläubigen Standesgenossen, die eine solche Beschwerung "wider naturlich pilligkeit und freihait deutzscher nation" nicht loben könnten3. Da traf es sich, daß auf den 12. November ein Deputationstag in Speyer anberaumt war, der über die beharrliche Türkenhilfe beschließen sollte. So schrieb der Kurfürst seinen Räten in die Instruktion, Grundvoraussetzung eines erfolgreichen Türkenzuges sei ein allgemeiner Frieden im Reich, und nach dem gemeinsamen Sieg müßten die Evangelischen auch künftig vor Krieg und Überfall versichert sein4. Markgraf Georg, der zweite Evangelische unter den achtzehn Deputierten, tat das gleiche5. Alle Protestierenden wollten in der Türkenpolitik Geschlossenheit beweisen6. Das war aber auch schon alles an Gemeinsamkeiten. In der Bündnisfrage bewirkte die Hiobsbotschaft aus Piacenza kein engeres Zusammenrücken. Ulm und Straßburg sahen keinen Grund, sich dem nachgeschobenen Bekenntnisdiktat Kursachsens zu

1

RTA JR 8, 318 f.

2

Ebd., 348 - 350.

3 Κsä. Bedenken zum Schmalkaldener Tag, November 1529 (ebd., 378 - 380). Zur gleichzeitigen Berufung auf die fürstliche Libertät vgl. Pfeiffer, Verständnis, 98 -112. - Bei den Altgläubigen erregte der Vorfall kein Aufsehen, sofern er überhaupt wahrgenommen wurde. Der bayrische Rat Dr. Franz Burghardt vermutete beispielsweise, die Gesandten hätten sich "mit reden oderfleischessen am hoffe onzimlich gehalten" (RTA JR 8,1027). 4

Ebd., 1000-1002.

5

Ebd., 1010.

6

Ebd., 318.326.348.

1. Verhaftung der Appellationsgesandtschaft

41

beugen, fanden den Inhalt sogar "disputierlich".7 Der Kurfürst wiederum war von sich aus nicht bereit, die Ausgangslage von Speyer und Rodach wiederherzustellen, obwohl er die Zerrüttung kommen sah, und suchte zum zweitenmal in kurzer Zeit den Rat der Theologen8. Die Wittenberger rieten wie zuvor von einem Bündnis mit den Sakramentierern rundweg ab, es blieb bei der nach Rodach aufgenommenen Politik. Doch die Frage nach der Zulässigkeit des Widerstands wurde im November nicht noch einmal gestellt. Zu diesem Punkt heißt es im kursächsischen "Bedenken, worumb mit den sacramentirern kain bundtnus zu machen" unmißverständlich: "Item unser gnedigst und gnedige hern seint schuldig vor Got, ire frome untherdanen, von denen sie darumb renth und gult haben, zu Vorthedingen wider allen unrechten gewalt, als der kaiser in diesem falh zu üben auch furhat, darumb er nit meher den wie ein ander vheindt zu achten."9 'Vorthedigung' war nicht einfach Verteidigung, sondern Schutz und Schirm. Sie fand ihre Legitimation nicht in einem Privileg, das gewährt und widerrufen werden konnte, sondern im Faktischen, in der Fähigkeit und im Willen zu schützen und im Schutzbedürfnis der dazu Unfähigen, und erzeugte dann sowohl die Pflicht zu schützen als auch den Anspruch geschützt zu werden 10. Und 7

Ebd., 384. 389 f. Kf. Johann an Dr. Brück, 14.11.1529 (ebd., 363 f.). Daß politische Verunsicherung und Bereitschaft zur Kursänderung die Anfrage veranlaßt hätten (so Steglich in ARG 62, 184. Wolgast, 139), geht aus dem Text nicht hervor. Eher war der Wunsch nach Vergewisserung und Argumentationshilfe durch die Gelehrten bestimmend: Der Kurfürst erwartet in Schmalkalden eine harte Auseinandersetzung mit dem Landgrafen und will sich darauf vorbereiten ("Nachdem ir aber wist, das sich diser handel obberurts verstentnus uf vorigen gehalten tegen an dem vornehmlichisten artikl des hochwirdigen sacraments halben etwas gestossen, welchs sonder zweivel itzt nit weniger dan vorhin zu bewegen furfallen wirdet, und der Landgraf solchen irthumb nichts bewegt, sonder hart dorauff dryngt, das solchs keynswegs soll angesehen werden, domit wir nu in dem etwas gefast und versichert sein mögen [...]"). Die drei Fragen, die er Luther, Bugenhagen und Melanchthon durch Dr. Brück vorlegt, umschreiben Einwände, die ihm Philipp und andere wahrscheinlich entgegenhalten werden ( "uff alle fell, dye sye woll bewegen werden"). - Vgl. Köhlerl, 166 -168. 8

9 18./28.11. 1529 (RTA JR 8, 366). Falls Hans von Schubert, 135 mit seiner Annahme recht hat, daß in dem von Brück überarbeiteten Bedenken (ebd., 365 - 374) das selbständig nicht mehr vorhandene Theologengutachten enthalten ist, muß die hier zitierte Stelle dem ursprünglichen Bestand zugerechnet werden. Dann hätten dieses Argument die Theologen selber eingeführt, vermutlich Bugenhagen, der es schon in seinem eigenen Bedenken vorgetragen hat (Scheible, 28 f.). Sie gebrauchen es als Gegenargument, das stärkeren Argumenten weichen muß; doch versuchen sie nicht, es zu widerlegen. Brück hat an dieser Stelle nichts geändert, weil das Argument seiner Überzeugung entsprach: Ein Jahr später in Torgau wird er es Luther und Melanchthon entgegenhalten. 10

Engel, 84 - 86. - Mit ebendieser Begründung sagte die Stadt Wien 1462 dem Kaiser den Gehorsam auf: Meur k. g. und ain yeder landsfürst ist den seinen schuldig, si vor gewalt und unrecht ze schuczen und ze schermen, darumb nymbt er ynn des lands nucz und rent" (Chmel 2, 268). Friedrich III. bestritt keineswegs den Zusammenhang zwischen 'Rent und Gült' und 'Schutz und Schirm', wenn er 1465 der niederösterreichischen Landschaft durch seinen Sprecher sagen ließ: "auch wer wissenlich, das der merer tail rendt und gült verphendt und davon

42

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

'Feind' war, wer einem andern den Frieden aufkündigte und dessen Schutzbefohlene angriff 11. Die Verthedigung kannte keine Ausnehmungsklausel. Daher war es ganz folgerichtig, wenn Brück den kaiserlichen Angreifer in eine Reihe mit andern Feinden stellte. 2. Es war der Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler, der das Widerstandsrecht grundsätzlich in Zweifel zog und den Meinungsstreit unter den lutherischen Fürsten, Theologen und Juristen auslöste. In den kritischen Wochen nach der Verhaftung der Appellationsgesandtschaft verfaßte er seine Meinung zur Ausnehmung des Kaisers in ein schriftliches "Bedenken, ob sich gebur, wider kaiserliche Majestät mit der that ze handeln, ob uns gleich ir Majestät von Gottes wort zu tringen understunde"12. Der Vernunft falle es schwer, beginnt er, zu begreifen, warum sich ein Mensch gegen Glaubenszwang nicht tätlich wehren sollte. "Aber", fährt er fort, "hie ist nit die frag, was ainem menschen, sonder ainem chrißten, nit auß naturlichem oder menschlichem rechten, sonder auß Gottes gebott, bevelch und gehaiß ordenlich zu thun gepure."13 Er sieht also, was den Widerstand gegen den Kaiser in der Glaubenssache angeht, eine Antinomie zwischen dem natürlichen und den weltlichen Rechten einerseits und dem göttlichen Recht 14 andererseits bestehen, welch letzteres an den Christen strengere Anforderungen stellte als Vernunft und Menschensatzung. Zwei Normen sind es vor allem, die das nach seiner Meinung bewirken: Das Evangelium darf von keinem Christen, gleich welchen Standes, mit Waffengewalt verteidigt werden, denn dessen Schutz hat Gott sich selbst vorbehalten. Und: Ein Christ darf sich seiner Obrigkeit nicht widersetzen und muß von ihr auch unrechte Gewalt ertragen 15. Nun hätte gewiß kein evangelischer Christ ge-

empfrömdt und abgedrungen weren, daß dye rendt und gült, die sein k. g. im landt hiett, nicht genugsam weren, das man das landt davon beschirmen mocht oder mügen hiet (FRA 2/44, 599). In anderm Zusammenhang ebs. Hz. Ludwig von Bayern-Landshut (ebd., 154). Die hier angemahnte Pflicht bestand auch nach Lehnrecht. Den Schutz seiner Vasallen hatte der Lehnsherr auch gegenüber seinem eignen Lehnsherrn wahrzunehmen (Kienast, Untertaneneid, 119. 142). 11

Brunner, 20-22.

12

RTA JR 8,468 - 483. Ebd. zur Textentwicklung und Verbreitung des Bedenkens.

13

Ebd., 470.

14

Spengler gebraucht die folgenden Wortgruppen synonym: "gottes wort", "gottes Ordnung", "gottes wort, gebott und bevelhe", "göttlich recht, bevelhe und gepott", "gottlich (und naturlich) recht", "gottes bevelch und Ordnung", "gottes bevelch und wort". 'Göttliches Recht' meint also in der herkömmlichen Weise die geoffenbarten Gebote des Alten und des Neuen Testaments (HRG 2,493 f.) und wird auch von mir in diesem Sinne gebraucht. 15 RTA JR 8,473 f. In diesem Zusammenhang erwähnt Spengler auch das Verbot, Richter in eigener Sache zu sein (ebd., 476). - Die zahlreichen Bibelzitate lassen erkennen, daß er keinen Unterschied zwischen Schutz (Gegenwehr) und Vergeltung macht (ebd., 475).

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

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wagt, diese Normen in Zweifel zu ziehen, was jedoch nicht ausschloß, daß man sie einer näheren Bestimmung in bezug auf Personen und Güter für zugänglich hielt. Von solchen Versuchen nennt Spengler die folgenden: 1. Die protestierenden Fürsten und Städte wollen nicht das Evangelium an sich vor dem Kaiser beschützen, sondern ihre Untertanen, wenn sie von ihm wegen des Evangeliums angegriffen werden. 2. Das göttliche Gehorsamsgebot ist auf die unrechte Gewalt gegen zeitliches Gut beschränkt, die Vergewaltigung der Gewissen muß notfalls mit Waffengewalt verhindert werden. 3. Die Protestierenden behalten auch vor dem Kaiser ihr obrigkeitliches Amt. 4. Das göttliche Leidensgebot richtet sich an den Christen als Privatperson; der Christ als Obrigkeit, dem das Schwertamt aufgetragen ist, muß die ihm anvertrauten Untertanen vor aller unrechten Gewalt beschützen. 5. Wenn der Kaiser die Grenzen seines Amtes übertritt, hört er auf, Kaiser zu sein16. Das waren die Argumente, die in jenen Monaten die Politiker in Briefen und Bedenken, in Instruktionen und Vertragsentwürfen gebrauchten17, um voreinander die Gegenwehr zu rechtfertigen und für den Ernstfall Handlungsfreiheit zu gewinnen: theologisch abgesichert der enggefaßte Bündniszweck oder in der theologisierenden Sprache der Zeit die alte Herrschaftspflicht, Land und Leute zu schützen "wider menigklichen" und "wider allen unrechten gewalt", oder ganz ohne Theologie die ipso facto wirkende Selbstentsetzung, die seit alters zum Widerstandsrecht gehörte18. Spengler läßt keins dieser Argumente gelten. Differenzierungen nach diesem oder jenem Motiv der Verfolgung lehnt er ab. Sie verleiten letztlich nur dazu, unter dem Schein des Evangeliums gegen das Evangelium zu streiten. Christus hat vorgelebt, auf welche Weise ein Christ der Verfolgung widersteht, und dieses Leidensgebot macht keine Ausnahme. Dem Argument der obrigkeitlichen Schutzpflicht begegnet Spengler, indem er die in Theologie und Jurisprudenz geläufige Fiktion der doppelten Persönlichkeit aufgreift: Die Fürsten und Reichsstädte sind Obrigkeiten mit dem Schwertamt (personae publicae) im Verhältnis zu ihren Untertanen, ihren Mitständen und reichsfremden Herrschern. "Aber dwider den kaiser hat solchs mitnichten statt. Dann disesfalls ist Nurmberg (die ich deß orts abermaln zum exempel einfure) kain oberkait mer, sonder wie ain andere ainzelige privata persona

16

Ebd., 474.476.479.477 f. 480.

17

In schöner Vollständigkeit sind diese Argumente enthalten in der hess. Instruktion zum Tag zu Saalfeld, 4. 7.1529 (ebd., 128 f.). Zu 1.) Lgf. Philipp an Kf. Johann, 18. 7.1529 (ebd., 202). Ksä.-brd. Instruktion zum Schwabacher Konvent (ebd., 275). Zu 2.) Brd. Instruktion zum Tag zu Schmalkalden, 23.11.1529 (ebd., 382). Zu 4.) Rodacher Notel (ebd., 99). Ksä.-brd. Ausnehmungsartikel (ebd., 298). Ksä. Bedenken, 18./28.11.1529 (ebd., 366). Zu 5.) Ksä. Bedenken (ebd., 366). Brd. Instruktion zum Tag zu Schmalkalden (ebd., 382). 18

Kern, Recht, = Neudruck, 86.

44

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

und on mittel deß kaisers undterthan."19 Die Aussage ist eindeutig. Spengler ist der Meinung, daß Fürsten und Reichsstädte im Verhältnis zum Kaiser uneingeschränkt den geringen Status von Untertanen haben. Deshalb geschähe die Gegenwehr nicht zu pflichtgemäßem Schutz, sondern in Ungehorsam gegen Gott. Auch die Fiktion der Selbstentsetzung des rechtsbrüchigen Herrschers geht ihm gegen das göttliche Recht: Gott hat das obrigkeitliche Amt doch nicht mit einer auflösenden Klausel gestiftet! Sie geht ihm auch gegen die Vernunft; denn in letzter Konsequenz würde, da Amtspflichtverletzungen überall vorkommen oder unterstellt werden, alle Über- und Unterordnung, würde alle Ordnung überhaupt im Gemeinwesen zerstört 20. Will man Spenglers Bedenken auf eine kurze Formel bringen, kann man sagen: Die Gegenwehr war unzulässig sowohl im Hinblick auf den Benötiger (Kaiser) als auch die Benötigten (Fürsten und Reichsstädte) als auch auf das schutzwürdige Gut (Glaube). Das waren radikale Gedanken. Die Eigenmacht des Hochadels, die ausnahmslose Herrschaftspflicht zu Schutz und Schirm, das Widerstandsrecht wurden bestritten auf Grund eines geschärfte Verständnisses der göttlichen Gebote, das der Welt nicht länger Konzession machen wollte. Zwei Fragen, die das Bedenken aufwirft, sollen in diesem Zusammenhang näher betrachtet werden. Zunächst, woher hatte Spengler die Vorstellung einer christlichen Obrigkeit, die jenes schwierige, aber doch nicht neue politische Problem gemäß Gottes Geboten lösen würde? Man wird da an Luthers "Von weltlicher Obrigkeit" denken21; denn Spengler erwähnt eingangs die Themen des ersten und zweiten Teils und einiges aus dem dritten Teil dieser Schrift 22, bevor er sein eignes Thema ausführt, das jener nur am Rande gestreift hat23. Luther entwirft das ideale Bild eines christlichen Fürsten im Gegensatz zum Typus des weltlichen24, der sich ihm aus gegebenem 19

RTA JR 8, 478. In der Endredaktion seines Bedenkens (S) - nach der Auseinandersetzung mit Lgf. Philipp und Dr. Beyer und in Kenntnis von Luthers Gutachten zum Widerstandsrecht - formuliert Spengler seine Auffassung noch deutlicher, daß die obrigkeitliche Gewalt der Reichsstände vom Kaiser delegiert und nicht unmittelbar von Gott sei. Wieder steht seine Vaterstadt als Beispiel für alle Reichsstände: "Das auch Nurmberg ain oberkait ist und mit ainem sondern regiment als ain statt über die irn versehen, das hat sie nit von ir selbs oder an ain mittel, sondern von ainem romischen kaiser, deß amptleut und Verwalter sie sein" (ebd., 479). 20

Ebd., 480.

21

WA 11, 245 - 281. - Es ist hier unmöglich und sicher auch unnötig, auch nur eine Auswahl der Literatur zu Luthers 'Staats'auffassung bzw. Zwei-Reiche-Lehre anzuführen. Doch sei hingewiesen auf Meinecke, 1 - 22. 22

RTA JR 8,470 Z. 27 f. Z. 29 - 471Z. 2. Z. 3 -11.

23

WA 11,277.

24

Die beiden Ausdrücke in direkter Gegenüberstellung ebd., 271 Z. 30 - 36. Sinngleiche Formulierungen für den 'christlichen Fürsten' ebd., 257 Z. 35 f., 267 Z. 31,268 Z. 12.18,273 Z.

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

45

Anlaß in Kurfürst Joachim von Brandenburg und in den Herzögen Georg von Sachsen und Wilhelm von Bayern darstellt. Die hatten nämlich ihren Untertanen befohlen, die Neuen Testamente in der Luther-Übersetzung der Obrigkeit abzuliefern. Doch darf man deshalb nicht christliche und weltliche Fürsten als Synonyma für evangelische und altgläubige mißverstehen. Luther gebraucht das Gegensatzpaar, obgleich in veränderter Sprachform, wieder während des Augsburger Reichstages25. Gefragt, ob Kurfürst Johann die Privatmessen tolerieren dürfe, antwortet er, der Kurfürst sei hierin nicht als ein Fürst, sondern als ein Christ betroffen und dürfe nicht bewilligen, was das Evangelium verbiete. Auch hier muß man sich vor einem Mißverständnis hüten. Der Fürst als Fürst und der Fürst als Christ sind nicht das gleiche wie persona publica und persona privtata; schließlich war es eine durch und durch amtliche Maßnahme, die Privatmessen in den kursächsischen Landen zu untersagen. 'Weltlicher Fürst' oder 'Fürst als Fürst' meint denjenigen, der bei der Wahrnehmung seines Amtes Gottes Gebote nicht erkennt und befolgt und im übrigen, trotzdem auch er ein Werkzeug Gottes, ein tüchtiger Regent sein kann, der nach Menschenrecht und -gesetz den Frieden erhält. Aber ein Fürst muß nicht von dieser Art sein. Das politische Amt nötigt ihn nicht, wie die "Sophisten" lehren, Jesu Bergpredigt als bloße Ratschläge zu verstehen und sie den Unpolitischen, die nach Vollkommenheit streben, anheimzustellen. Er kann auch als Fürst ein wahrer Christ sein. Dann wird er beides, den Dekalog und die Bergpredigt, als Gebote verstehen und nach der neuen Gerechtigkeit der Jünger Jesu leben. Je nachdem, ob ihn die Übel der Welt als Individuum allein oder in sozialer Verantwortung betreffen, wird er das Unrecht leiden oder tatkräftig bekämpfen. Luther spricht in diesem Zusammenhang von der Zugehörigkeit des Christen zu zwei Reichen, dem Reich Gottes und dem Reich der Welt. Der christliche Fürst mißbraucht seine Herrschaft nicht, um Reichtum, Macht und Ehre zu gewinnen, sondern er versieht sein obrigkeitliches Amt als Gottesdienst in der Liebe zu seinem Nächsten, seinen Untertanen, um ihnen Frieden, Wohlfahrt und die Verkündigung von Gottes Wort zu sichern. In dieser Eigenschaft gebraucht er weltliches Recht, aber wie gesagt nicht, um sich sein Recht zu holen, sondern der Menge schwacher oder bloßer Nennchristen, die kein Unrecht leiden wollen, zu ihrem Recht zu verhelfen, und in diesem Gebrauch des weltlichen Rechts handelt er dem Evangelium gemäß. Gegen äußere Feinde, die Land und Leute angreifen, scheut er sich nicht, Krieg zu führen, denn auch dazu ist ihm das Schwert von Gott verliehen. - Soweit Luther in seiner Obrigkeitsschrift. Der Widerspruch zwischen

30. 37, 278 Z. 14. Ironisch gebraucht 263 Z. 25, 270 Z. 4. Der Ausdruck 'weltlicher Fürst' erscheint außerdem 267 Z. 24 - 27,269 Z. 34 f., 273 Z. 29.32. 25

WA Br 5,573.

46

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

Evangelium und Recht, der in Luthers Lehre angelegt ist und von Spengler nachdrücklich betont wird 26 , tritt dann in Erscheinung, wenn die weltlichen Rechte oder auch das natürliche dem Menschen etwas erlauben, was die Heilige Schrift dem Christen verbietet. Vernunft und Menschensatzung erlauben jedermann die gewaltsame Abwehr unrechter Gewalt. Vim vi repellere licet. Aber ein christlicher Fürst, sofern ihm allein unrechte Gewalt widerfuhr, sollte sich darauf nicht berufen, er sollte den Backenstreich empfangen und noch den zweiten gewärtigen. Vielleicht erwartet man, daß der Rollenwechsel, den Luthers Soziallehre dem christlichen Fürsten abverlangte, durch die geläufigen Begriffe persona publica und persona privata bezeichnet werde, und in bezug auf einen Fürsten ginge das durchaus an. Aber ein schlichter Hausvater, der für Frau und Kinder sorgte, Knechte und Mägde gegen Dritte in Schutz nahm, ohne an sich zu denken, handelte im wesentlichen wie ein Landesherr, und doch würde ihn niemand persona publica nennen, es sei denn in Abwandlung des juristischen Sprachgebrauchs und unter Inkaufnahme von Mißverständnissen. Luther benutzt das lateinische Begriffspaar in seiner Obrigkeitsschrift kein einziges Mal. Die zweite Frage, die Spenglers Bedenken aufwirft, ist diese: Wie begründet er seine Meinung, Fürsten und Städte seien im Verhältnis zum Kaiser Einzelpersonen (personae privatae), also bloße Unter tane und keine - wenngleich niedere — Obrigkeiten? Die Frage, ob Untertan oder niedere Obrigkeit, war die Streitfrage schlechthin, wie er wohl wußte27. Sie war strenggenommen kein Gegenstand der Theologie, sondern mußte nach dem Recht und Herkommen des Reiches, mithin nach weltlichem Recht entschieden werden. Spengler unternahm denn auch den Versuch, seine Meinung solcherart zu beweisen, wofür ihm seine Vaterstadt als Beispiel dienen sollte. An Argumenten nennt er die Ableitung der Ratsobrigkeit vom Kaiser, die Huldigung des Rates, den Gerichtsstand der Stadt vor dem Reichskammergericht und die Pflicht zur Reichshilfe, lauter Tatsachen, die sich nicht bestreiten lassen28. Der König war Stadtherr Nürnbergs, und von ihm stammte folglich die obrigkeitliche Gewalt des Rates über die Bürger. Der Huldigungseid, den der Rat durch seine Gesandten dem König bzw. Kaiser leistete, war in der Tat ein Untertaneneid, kein Lehnseid auf gegen26

RTA JR 8,470.501.506. Ebs. Brenz, ebd., 498.

27

"Dann hie ligt der grund und knodt diser Sachen" (ebd., 479). Das wiederholt er mit den gleichen Worten in seiner Schutzschrift (ebd., 502). 28 Ebd., 478 f. Die Berufung zum Reichstag, die Herleitung der Hochgerichtsbarkeit mitsamt dem Schultheißen- und Stadtrichteramt sowie die ausdrücklich behauptete Übertragbarkeit der Beweisführung auf die Reichsfürsten sind erst in der nach dem 6. 3.1530 überarbeiteten Fassung (S) hinzugekommen. Weggefallen ist in S die Folgepflicht beim Romzug zur Erlangung der Kaiserkrone, weil Karl sie in der Zwischenzeit ohne Mitwirkung des Reiches erhalten hatte.

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

47

seitige Treue. Doch entsprach ihm regelmäßig die Bestätigung der königlichen Privilegien, und es war schon vorgekommen, daß die Nürnberger die Huldigung hinauszögerten, als der neue König die Privilegien seiner Vorgänger nicht sogleich bestätigen wollte29. Das Reichskammergericht, welches für das reichsunmittelbare Nürnberg zuständig war, sprach im Namen des Kaisers Recht, aber es war nicht so ausschließlich "deß kaisers gericht", wie Spengler möchte glauben machen30. Natürlich bestand auch die Pflicht zur Teilnahme an einer Reichsheerfahrt, und trotzdem hielten sich die Nürnberger aus dem gebotenen Krieg gegen Bayern-Landshut und andere heraus, in welchem ihr gefährlich ausgreifender Nachbar, Markgraf Albrecht von Brandenburg, die Reichshauptmannschaft innehatte31. Nürnbergs Verhältnis zum Kaiser war ebenso bestimmt durch rechtliche Abhängigkeit wie durch tatsächliche Verselbständigung32. Spengler urteilte nach strengem Recht: Demzufolge war Karl V. Herr der Stadt, ihr 'rechter, natürlicher Herr', und Nürnberg ihm Untertan. Was für die Reichsstadt zutraf, sollte ohne weiteres für alle Reichsstände gelten, und so wurde sein Bedenken in Ansbach, Marburg und Torgau auch verstanden. Spengler macht da keinen Unterschied zwischen Städten und Fürsten und hält eine gesonderte Beweisführung für unnötig. Auch als er in einem zweiten Bedenken die Einwände von fürstlicher Seite abzuwehren hat, begnügt er sich mit dem Hinweis auf das im ersten Bedenken Gesagte und wiederholt nur seine Behauptung: "der kaiser ist aller reichstende ordenlicher herr und weltlichs haupt. [...] Er höret auch alle oberkait der reichstende über ire undterthanen gegen dem kaiser auf. Und ist ain yeder reichstand mit den seinen gegen dem kaiser nit anders dann wie ain ander undterthan und privata persona gegen seinem rechten herrn und obern zu rechen."33 Man muß ohne Erklärung sogar die Merkwürdigkeit hinnehmen, daß er den kurfürstlichen 'Untertanen' dann doch das Recht zubilligt, einen Kaiser abzusetzen34. Aber das deutsche Reich, zusammengewachsen aus der Hinterlassenschaft an karolingischem Reichsgut und den deutschen Stämmen, war nicht das einheitliche Staatswesen, das in Spenglers Denken vorausgesetzt wird, und der König bzw. Kaiser war nicht im alleinigen Besitz einer zentralen Staatsgewalt, von der er an fürstliche oder städtische Verwaltungsbeamte hätte delegieren kön29

Pfeiffer,

Nürnberg, 83.

30

RTA JR 8, 479. Auf dem Reformreichstag 1495 hatten die Reichsstände (aber nicht die Reichsstädte) die gesetzliche Teilhabe an der königlichen Gerichtshoheit erlangt ( Wiesflecker 2,242 f. Angermeier, Reichsreform, 182 f. 205 f.). 31

FRA 2/44,489.

32

Das belegt vor allem die materialreiche Untersuchung von Helmut Müller, 1 -101.

33

RTA JR 8,479.502 f.

34

Ebd., 506 f.

48

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

nen. Die Reichsfürsten besaßen vielmehr eigenständige Herrschaft über Land und Leute, die nicht vom König ausging35. Die lehnrechtliche Umgestaltung der Reichsverfassung um 1200 hatte darin keinen Wandel bewirkt: Dem obersten Lehnsherrn war weder der "Griff auf die Untervasallen"36 gelungen, noch waren alle hochadligen Allodien der Feudalisierung anheimgefallen. Wohl trugen die Fürsten Lehen vom Reich, und sie waren nach Lehnrecht abhängig vom König, aber nicht in der Art und Weise von Ministerialen. Als hochadlige Kronvasallen und Träger eigenständiger Herrschaft waren sie nicht Untertane des Königs, sondern Glieder des Reichs, mitspracheberechtigt bei dessen Regierung, so wie der König das Haupt des Reiches war. Spengler verkannte, daß die Rechtsstellung der Reichsfürsten und der Reichsstädte verschieden war; er verkannte den Dualismus zwischen Königtum und Landesherrschaft, die beide in ihren Bereichen legitime Herrschaft verkörperten. Er irrte also, wenn er die Fürsten schlechthin als Untertane des Kaisers verstand. Insofern war eine wesentliche Voraus setzung für sein Bedenken gegen das Widerstandsrecht falsch. Einem Manne der in Nürnberg das Ratsschreiberamt versah, konnte eigentlich nicht verborgen bleiben, daß der Abstand zur kaiserlichen Majestät für diejenigen geringer war, welche gemeinsam mit ihr die Reichsgesetze beschlossen und die meisten Beisitzer des Kammergerichts präsentierten, selbst aber in frei vereinbarten Schiedsgerichten Recht geben und nehmen konnten, als für diejenigen, welche ohne Stimmrecht den Reichstag besuchten und vor "deß kaisers gericht" zu Recht stehen mußten. Warum hielt das Spengler für bedeutungslos? Man wird kaum fehlgehen, wenn man den Grund dort sucht, wo auch die Vorstellung einer Antinomie zwischen göttlichem und weltlichem Recht zu finden war, in den Schriften Martin Luthers. 1525, als das blutige Strafgericht an den Bauern vollzogen war und die Dänen ihren König vertrieben hatten, wurde Luther von einem, der dabeigewesen war, gefragt, "ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können".37 Er denkt über die Frage nach mit der Erfahrung des zweifachen Aufruhrs. Die Erinnerung an die Unruhen unter dem deutschen Adel zur Zeit Kaiser Maximilians klingt an, aber noch kein Gedanke daran, daß sein eigner Kurfürst gegen Karl V. die Waffen ergreifen könnte. Luther schreibt von den Menschen, die Krieg führen, weniger vom Krieg selbst: Gleiche gegen Gleiche, die Oberperson gegen die Unterpersonen, die Unterpersonen gegen die Oberperson. Besonders der letzte Fall beschäftigt ihn, das lag an der Situation. Unter keinen Umständen sagt er, darf ein Kriegsmann Dienste 35

Stengel. Theodor Mayer, 215-247. 308-310. Bader, 265 - 283. HRG 1, 121. 1339. 3,

1173. 36

Mitteis, Staat, 293.

37

WA 19,623 - 662. Karl Müller, 9 -12.

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

49

nehmen bei einem Fürsten, der gegen seinen Oberherrn zu Felde zieht. In diesem Zusammenhang stehen die vielzitierten Sätze: "Denn wenn sich ein Fürst zum Keyser keret als zu seinem öberherrn, so ist er nicht mehr Fürst, sondern eine eintzele person ym gehorsam des Keysers, wie alle andere, ein iglicher für sich. Wenn er sich aber zu seinen unterthanen keret als zu seinen unterthanen, so ist er so viel personen, so viel heubter er unter sich und an sich hangen hat. Also auch der Keyser, wenn er sich gegen Gott keret, so ist er nicht Keyser, sondern eine eintzele person, wie alle andere für Gott; keret er aber sich zu seinen unterthanen, so ist er so viel mal Keiser, so viel er unter yhm hat. Also ist auch von allen andern öberkeiten zu reden, das wenn sie sich zu yhren öberherrn keren, so haben sie keine öberkeit und sind aller öberkeit ausgezogen. Wenn sie sich herunter keren, so werden sie mit aller öberkeit gezieret. Das also zu letzt alle öberkeit hynauff zu Gott kome, des sie alleine ist. Denn er ist der Keyser, Fürst, Grave, Eddel, Richter und alles und teilet sie aus, wie er wil, gegen die unterthanen und hebt sie widderümb auff gegen sich selbs."38 Das hieß: Alle obrigkeitliche Gewalt im Reich beruhte auf Delegation, die nächst Gott vom Kaiser ausging. Der sächsische Kurfürst unterschied sich in dieser Hinsicht nur graduell vom Bürgermeister von Torgau. Und alle fürstlichen Delegaten waren mitsamt ihren Landsassen, Bürgern und Bauern die Untertanen des Kaisers39. Spengler, der die Kriegsleuteschrift für sein Bedenken benutzte40, hat hier seine Auffassung von der Untertänigkeit der Reichsfürsten entweder gewonnen oder bestätigt gefunden. Das gleiche gilt für Johann Brenz 41. Doch so entschieden Luther seine Meinung vorträgt, so wenig sagt er seinen Lesern, was ihn zu der Erkenntnis gebracht hat. Die Begriffsreihe Kaiser, Fürsten, Grafen und Herren läßt an die Heerschildordnung des Lehnrechts denken. Die strenge Über- und Unterordnung erinnert an das hierarchische Organisationsprinzip der alten Kirche 42. Bezieht man jedoch den engsten 38 39

WA 19, 652 f.

Man könnte Luthers Verfassungsprinzip theonomen Zentralismus nennen. Die von Dörries, 208, 29 geäußerte Vermutung wird durch fast wörtliche Übereinstimmung in beider Schriften bestätigt. Vgl. Fn. 46 und 47. 41 Vgl.Fn.52. 42 Zu Luthers Verständnis der Reichsverfassung vgl. Wolgast, 87 - 94. Ungeklärt bleibt, ob Luther darin einem Vorbild folgt und gegebenenfalls welchem. Eiert, 326 und zuletzt Günter, 54 sehen das Vorbild, ohne den Beweis zu führen, im Lehnrecht. Das ist sehr unwahrscheinlich und wäre auch unzutreffend, wie Wolgast, 91 f. nachgewiesen hat. Denn das Lehnrecht gewährte dem Vasallen gerade das, was Luther auf Grund der Heiligen Schrift bekämpfte: die Treuaufsagung gegen den treulosen Herrn. Luther wußte das, und deshalb appellierte er an den Christen im Lehnsmann, wenn er vom Widerstand abriet (WA 11, 276 f. WA Br 5, 258). Außerdem gab es im Lehnsverband des Reiches keinen Treuvorbehalt des Untervasallen zugunsten des obersten Lehnsherrn, und dieser besaß über jenen keine unmittelbare Herrschaftsgewalt. Wolgast selbst gibt der Erklärung den Vorzug, daß "offenbar die Übertragung 40

50

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

Kontext jener Stelle in seine Überlegungen ein — Gott stiftet den Menschen Obrigkeit und Untertänigkeit, Gott nimmt alle Obrigkeit wieder an sich: also Anfang und Ende der Menschheitsgeschichte43 —, dann regen sich die Zweifel, ob Luther überhaupt weltliches Recht vor Augen hatte, als er jene Sätze niederschrieb, die heute so oft als Zeugnis seines Verständnisses der Reichsverfassung zitiert werden. Wie gut kannte er dieses komplizierte Gebilde? Am Anfang seines Nachdenkens über die Obrigkeit stand jedenfalls nicht die Heerschildordnung oder die kirchliche Hierarchie, sondern das vierte Gebot, aus dem er seine Drei-Stände-Lehre entwickelt hatte44. "Du solt Vatter und Mutter ehrenn." Vater und Mutter — das meint die leiblichen Eltern, aber auch Paten und Schullehrer, Meister und Meisterin, Ratsherren und Amtleute ebenso wie Fürsten und Kaiser, schließlich die Pfarrer. Und gerichtet ist das Gebot an Kinder, Knechte und Mägde, Handwerksgesellen, Bauern, Bürger, Landsassen usw. Denn Gott hat, um seine Schöpfung zu erhalten, drei Stände (Orden, Werke, Hierarchien) gestiftet: den Ehe- und Hausstand, das weltliche Gemeinwesen und die Kirche (oeconomia, politia, ecclesia). Zwar, unter dem Evangelium vor dem himmlischen Vater sind alle Menschen gleich, aber unter dem Gesetz in den Ständen herrscht Überund Unterordnimg, gibt es Väter, Oberpersonen, Gewalten, Obrigkeiten, gemeine Personen (welche Wörter alle dasselbe bedeuten) und Kinder, Unterpersonen, einzelne Personen, die ihnen Untertan sind. Jeder Mensch gehört jedem Stand an. So ist der Fürst zugleich Sohn seiner Eltern und Mitglied der christlichen Gemeinde, der Pfarrer Ehemann und Bürger. Sie alle sind füreinander Oberperson oder Unterperson, je nachdem, nur gegenüber der göttlichen Obrigkeit sind sie vereint in gleicher Untertänigkeit. Werden der religiösen Relation Gott - Mensch auf das politische Verhältnis Kaiser - Stände Luthers Anschauungen bestimmt" habe (88). Aber in diesen zwei Relationen sind gerade nicht "dieselben Herrschafts- und Gehorsamsbeziehungen in Geltung", insofern der kaiserliche Gehorsamsanspruch erlaubter - , ja gebotenerweise auf Remonstration und leidensbereiten Ungehorsam stoßen kann. Auch Wolgasts zweite Erklärung kann nicht recht überzeugen, daß Luther das Vorbild, natürlich unreflektiert, in der kirchlichen Hierarchie hatte, die ihm ja aus seiner Klosterzeit vertraut war. Zu bedenken wäre: Die Drei-Stände-Lehre des Spätmittelalters bewahrte dem Kaiser eine von den Zeiten überholte höchste Autorität im Stande der weltlichen Obrigkeit (Maurer; Lehre, 18). Vielleicht war es einfach so, daß Luther zugleich mit dieser Lehre ihre überhöhte Vorstellung von der kaiserlichen Gewalt übernommen hatte. 43 "Denn Got hat die unter person gantz und gar gesetzt eintzelen zu sein für sich alleine und yhr das schwerd genomen und yns gefengnis gelegt. [...] Widderümb, die oberperson ist gesetzt, das sie sol eine gemeine person sein und nicht alleine für sich selbs, sol anhang haben der unterthanen und das schwerd füren" (WA 19, 652). - "Und so redet er auch 1. Cor. 15., das Gott wird alle öberkeit auff heben, wenn er nu wird selbsrigirn und alles zu sich keren" (ebd., 653). 44 Von den guten Werken, 1520 (WA 6, 250-265). Der Große Katechismus, 1529 (WA 30/1,147 -157). Kinder. Maurer, Lehre.

2. Spenglers Bedenken (November 1529)

51

demnach alle Menschen vom vierten Gebot erfaßt, so gibt es ihnen auch die Norm ihres Verhaltens. Wer Untertan ist, soll den Oberen ehren — das ist mehr als lieben — und ihm folglich gehorchen, und wer ein obrigkeitliches Amt verwaltet, soll Fürsorge leisten für alle, die ihm anvertraut sind45. Was aber, wenn die Obrigkeit ihre Pflichten gröblich verletzt? Dann muß der Untertan das Unrecht hinnehmen, das sie ihm zufügt, und wenn ihr Befehl gegen Gottes Gebote verstößt, muß er den Gehorsam verweigern und die Konsequenzen tragen. In keinem Fall ist ihm gewaltsamer Widerstand erlaubt, er darf sich nicht zum Richter in eigener Sache aufwerfen, erst recht nicht in der Sache Gottes46. Im Streit des Untertanen gegen die Obrigkeit ist der Höchste allein der Richter: "Das ist kurtz umb das recht an yhm selbst, wilchs Gott selbs eingesetzt und von menschen angenomen ist. Denn es reymet sich nicht: Gehorsam zu sein und doch widder streiten, Unterthenig zu sein und den herrn nicht wollen leyden."47 Alle Obrigkeit auf Erden ist von Gott und darum geheiligt bis ans Ende aller Tage, "wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt" (1. Kor. 15, 24)48. Das Wort Obrigkeit' hatte sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durchgesetzt zur Bezeichnung der Summe königlicher oder fürstlicher, dann auch magistratischer Herrschaftsrechte, und in dieser Bedeutung wurde es auch noch zur Zeit Luthers gebraucht49. Luther verwandte das Wort, neben anderen Wörtern, in einer weiteren und tieferen Bedeutung: zur Bezeichnimg je-

45 "Alles aber, was gesagt ist von dissen werckenn, ist begriffen in den zweyen, Gehorsam und sorgfeltickeit. Gehorsam gepurt den unterthanen, sorgfeltickeit den uberhern" (WA 6, 264). 46 "Mein grund und ursach dis allen ist, das Gott spricht: 'Die Rache ist mein, Ich wil vergelten.' Item: 'Richtet nicht.' Dazu ym alten Testament so hart und offt verboten wird, der öberkeit auch nicht zufluchen noch ubel zu reden, Exo. 23. 'Du solt dem Fürsten deines volcks nichtfluchen.' Und Paulus 1. Timot. 2. leret die Christen für die öberkeit bitten etc. Salomo auch ynn seinen spruchen und Prediger allenthalben leret, dem Könige gehorchen und unterthenig zu sein. Nu kan das niemand leucken, wenn die unterthanen sich widder die öberkeit setzen, das sie sich selbs rechen, sich selbs zurichter machen. Wilchs nicht alleine widder Gotts Ordnung und gebot, der das gericht und räche wil selbs haben, sondern auch widder alle natürliche recht und billicheit ist; wie man spricht: 'Niemand sol sein selbsrichter sein.' Und aber mal: 'Wer widder schlecht, der ist unrecht'" (WA 19, 636). Luther macht also ebenso wie Spengler keinen Unterschied zwischen Schutz vor drohender und Vergeltung für geschehene Gewalt. 47 Ebd., 633. Bei Spengler heißt es: "Dann es schickt sich ye gar nit, kan auch nebeneinander nit steen, zu leiden und sich mit gewalt zu schützen, gehorsam zu sein und mit der thatt zu widerstreben. Das gottlich und naturlich recht verpieten, das kainer sich rechen oder sein selbs richter sein soll. Welcher sich nun wider die oberkait setzt, macht sich selbs zumrichter und suchet räch, das ye, wie gemeldt, wider gottes bevelch und Ordnung, auch wider das naturlich recht und billichait ist, welchs sagt: nyemand soll sein selbsrichter sein, und wer widerschlecht, ist ungerecht" (RTA JR 8,476). 48

WA 19, 653.

49

Maschke, 7 - 9 . Zum Begriff der Obrigkeit von Gierke 1,642 f. HRG 3,1171 -1174.

52

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

der sozialen Überordnung, die auf Fürsorge und Gehorsam gegründet und durch Gottes Wort geheiligt ist. Wie Luther so Spengler, Brenz und Melanchthon und andere; da konnten Mißverständnisse nicht ausbleiben. Aber die Drei-Stände-Lehre an sich schloß nicht grundsätzlich aus, den Fürsten im Verhältnis zum Kaiser einen gleichen oder doch ähnlichen obrigkeitlichen Charakter zu belassen; dann war es Schutz der Untertanen, was jetzt als Aufruhr gegen die Obrigkeit galt. Dazu freilich mußte der Theologe ein besseres Verständnis der Reichsverfassung gewinnen. - Kehren wir zum Gang der Ereignisse zurück: Es war der Nürnberger Ratsschreiber, der im Lager der Protestierenden den Meinungsstreit über das Widerstandsrecht entfachte, aber das geistige Rüstzeug stammte von Luther 50. Spengler schickte sein Bedenken gleich nach der Fertigstellung dem brandenburgischen Kanzler Georg Vogler. "Ich bin so thoricht, das ich leiden mag, das auß diser verstentnus nichts werde", schreibt er in dem Brief, mit dem er die Sendung ankündigte. In den Schwabacher Artikeln sah er ein geeignetes Mittel, das zu bewerkstelligen, wozu er den Kanzler denn auch ermunterte 51. Da fanden sich in dem Bedenken Gründe genug, die die Abkehr von einem Vorhaben, das man bis jetzt mitgetragen hatte, erleichtern mochten. Im Auftrag des Markgrafen sandte Vogler eine Abschrift — mit entsprechenden Änderungen, die Verfasser und Herkunftsort unkenntlich machten — nach Schwäbisch Hall zu Johann Brenz und erbat sich dessen Urteil. Der antwortete unverzüglich, er könne "auß der heiligen gschrift nit änderst berichten, dann das sollich verzeichnuß mit begriffung irer puncten gantz göttlich unn christenlich gestellt seye".52 Auch Melanchthon, der 50 Rassow f 73 - 78 zufolge wurde die interne Auseinandersetzung der Protestierenden über das Widerstandsrecht durch die Reichsidee hervorgerufen, welcher die Wirklichkeit nicht mehr entsprach. Spengler, dessen Meinung Luther akzeptiert habe, verstehe wie Karl V. das Reich noch als "System, das in den Begriffen Christenheit, Kaiser, Reich beschlosen war", als "die übergreifende Ordnung sakralen Charakters, der um deswillen ein Erkennntis in Sachen des Glaubens nicht bestritten werden könne" (78), und bestreite darum den Ständen das Widerstandsrecht, nicht jedoch die Pflicht zum Ungehorsam. Dagegen sehe Philipp von Hessen wie Kg. Franz I. von Frankreich in der neuen Idee des status ( = Staat bzw. Territorialstaat) "die primär verpflichtende Ordnung" (78) und halte deswegen den Widerstand für Rechtens. Das ist nichtrichtig.Dem Reich sakralen Charakter beizumessen kommt für einen überzeugten Lutheraner nicht in Frage. Spengler folgt der Obrigkeitslehre Luthers. Das ist der Grund, weshalb er den gewaltsamen Widerstand gegen den Kaiser, aber auch dessen Richten in Glaubenssachen als Verstoß gegen Gottes Gebote verurteilt (RTA JR 8,472). Der Anschluß an das mittelalterliche Widerstandsrecht ist nicht über Spengler, wie Rassow meint (78,89), sondern über den hessischen Landgrafen herzustellen. 51 52

15.11.1529 (RTA JR 8,359).

Brenz an Mgf. Georg, 27.11.1529 (ebd., 483-485). Brenz nennt keine zusätzlichen Argumente, zwei erklärt er jedoch ausführlicher: die Doppelstellung der Fürsten und städtischen Räte als Obrigkeit und Untertan streng nach der Vorstellung Luthers (WA 19, 652) sowie die Ablehnung der dem Buch Richter entnommenen alttestamentlichen Gegenargumente (Erheb-

3. Der Tag zu Schmalkalden (28.11. - 4.12.1529)

53

als heimlicher Bundesgenosse gelten konnte53, bekam von Spengler ein Exemplar zugesandt, ohne Nennung des Verfassers, mit der nicht unverfänglichen Bitte um Stellungnahme. Er erfüllte diese Bitte zunächst zwar nicht, aber er brachte das Bedenken dem Kurfürsten zur Kenntnis54, und das war wohl auch in erster Linie beabsichtigt. 3. Die Zusammenkunft der appellationsverwandten Fürsten und Städte war wie erinnerlich auf den 28. November 1529 vorverlegt worden. Als die Sächsischen an diesem Tage mit einem Aufgebot von 250 Pferden in Schmalkalden einzogen, hatte sich die Hälfte der vorgesehenen Tagesordnung bereits von selbst erledigt. Die Gesandten waren frei. Ihre Verhaftung klärte sich als ein Mißverständnis auf, wie sie am Nachmittag des 29. persönlich berichten konnten55. Das änderte jedoch nichts daran, daß der Kaiser die Appellation als solche ungnädig beschieden hatte. Schon begann man, nach Ständen getrennt, über eine zweite Gesandtschaft an ihn zu beraten. Da zogen die Fürsten den andern Verhandlungspunkt, das Bündnis, vor und baten die Vertreter von Nürnberg, Ulm und Straßburg zu sich aufs Rathaus. Von Minkwitz befragt, erklärten Sturm und Besserer, die Schwabacher Artikel seien ihren Herren beschwerlich und unannehmbar. Auch lehnten sie von sich aus eine ältere hessische Anregung ab, Angriffe wegen der strittigen Sakramentslehre von den Bündnispflichten auszunehmen, und schlugen statt dessen einen andern Kompromiß vor: Wenn einzelne Bundesverwandte wegen des Glaubens angegriffen würden, sollten sie die uneingeschränkte Hilfe des ganzen Bundes erhalten, doch sich zugleich zum Beweis ihrer Rechtgläubigkeit erbieten, und sofern sie falscher Lehre überführt und der Besserung unzugänglich wären, sollten die andern aller Bündnispflichten ledig sein56. Aber die Fürsten konnten sich nicht auf eine einmütige Antwort verständigen und mußten fürs erste die Städteboten ohne Bescheid entlassen. Was anschließend im Fürstenrat besprochen wurde, ist nur von Landgraf Philipp bekannt, weil er es Sturm und Besserer erzählte, die es überliefert haben. Die Sächsischen werden sich an ihr Bedenken gehalten bung der Israeliten gegen die Könige der Moabiter und Kanaaniter). Anderes ist eher Mahnung und Trost des Seelsorgers (Gott mit fröhlichem Heizen bitten können. Unzuverlässigkeit der großen Menge. Als Christ, nicht als Übeltäter leiden). Wenig glücklich ist daneben sein Versuch einer reichsrechtlichen Begründung, wenn er die Erzämter der Kurfürsten zum Erweis der "dienstbarkeit und underthenigkeit" heranzieht (RTA JR 8,493). 53 Vor 12.12. 1529 (MBW 1, Nr. 846). Melanchthon hatte in Briefen vom 17. 5. 1529 Spengler, desgleichen Camerarius und Baumgartner beschworen, das Bündnis mit den zwinglischen Städten zu hintertreiben (RTA JR 8, 76 f.). 54

WA Br 5, 224.250,1.

55

RTA JR 8,403.

56

Ebd., 405 f. Zur Bekenntnisfrage insgesamt Köhler2,169 -177.

54

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

haben, das ja nach dem Schema sie et non zum praktischen Gebrauch eingerichtet war. Philipp machte jetzt seinen Vermittlungsvorschlag bekannt, den er nach dem erfolglosen Marburger Religionsgespräch ersonnen hatte: Er allein wolle sich mit den Städten verbünden. Würde er seinetwegen oder wegen der Städte angegriffen, sollten die Fürsten ihm auf Grund des Magdeburger Bundes helfen. Müßte dagegen er den Fürsten zuziehen, sollten die Städte auf Grund ihres Bündnisses mit ihm ebenfalls zur Hilfe verpflichtet sein. Der Vorschlag wurde, wie es scheint, sofort abgelehnt. Was dann "zornsweis" gesprochen wurde, dürfte die Sächsischen unvorbereitet getroffen haben: Sie ließen zu sehr ihre Prediger herrschen 57! Trotzdem neigte der Landgraf nicht zum Pessimismus. Es komme jetzt alles darauf an, sagte er den Ulmer und Straßburger Gesandten, die er zum Nachtmahl geladen hatte, daß sich die oberdeutschen Städte untereinander und mit den Schweizern zusammentun. Er werde dann nicht fehlen. Mit Kursachsen und Lüneburg sei er hinlänglich verbunden; die müßten ihm wohl oder übel helfen, wenn sie nicht eid- und siegelbrüchig werden wollten58. Nürnberg, das die Schwabacher Artikel anerkannte und gute Kontakte zu den Oberdeutschen unterhielt, schien der geeignete Vermittler zu sein. Aber Kreß und Volckamer übernahmen den Auftrag nur widerstrebend 59; denn da ihre Herren weder mit den Sakramentierern noch überhaupt ein Bündnis gegen den Kaiser schließen wollten, kam die Kompromißlosigkeit der Fürsten im Grunde gelegen, um ihnen die offene Entscheidung gegen beide Gruppierungen zu ersparen 60. Zudem konnte ihnen Brück nicht mehr mit auf den Weg geben als das Angebot eines vierwöchigen Aufschubs, und eigne Vermittlungsvorschläge hatten sie nicht. So scheiterte die Aktion noch am selben Tage61. Am folgenden 2. Dezember erhielten Straßburg und Ulm von den kursächsischen und brandenburgischen Unterhändlern — Lüneburg, Hessen und die Grafen waren nicht vertreten — einen vorgezogenen, besonderen Abschied. Dr. Brück bedauerte den beschwerlichen Ausgang und bat die Gesandten, den Abschied "gnediger mainung zu verston und anzunemen". Man müsse allseits weiter nachdenken, wie man sich der Artikel wegen einigen könne, und Gott bitten, daß er zur Vermittlung seine Gnade gebe®. Ein endgültiger Bruch sollte es also nicht sein. Aber für die nächste Zukunft waren beide Städte nicht nur von den weiteren Bündnis57

Nach Besserer (RTA JR 8,410). Vgl. auch Vogler (ebd., 409).

58

Ebd., 410.

59

Ebd., 414.

60

RTA JR 8,359.438. Hauswirth, 101.

61

RTA JR 8,416.

® Ebd., 417.

3. Der Tag zu Schmalkalden (28.11. -4.12.1529)

55

Verhandlungen ausgeschlossen, sondern auch aus der Appellationsgemeinschaft. Die Partnerschaft zwischen Kursachsen und Brandenburg war nicht so unverbrüchlich, wie es in den letzten Tagen den Anschein hatte. Vogler unterstützte zwar die sächsische Politik der Bekenntnisbindung und insofern eine Politik, die er selber mitbegründet hatte; aber indem er das tat, förderte er zugleich wissentlich den Nürnberger Wunsch, an jener Bedingung das Bündnis scheitern zu lassen. Er machte auch kein Hehl daraus, daß der Markgraf auf die Nürnberger Rücksicht nehmen müsse, doch über deren stille Erwartungen ließ er seine sächsischen Kollegen im unklaren, erst recht natürlich darüber, daß er selbst im Begriff stand, mit Hilfe von Spenglers Bedenken einen Sinneswandel seines Herrn weg von Bündnis und Widerstand herbeizuführen. Während also die Franken an einem Bündnis die antikaiserliche Tendenz so sehr fürchteten, daß sie lieber auf die gemeinsame Verteidigung verzichteten, war andererseits ihr Bedürfnis nach dogmatischer Abgrenzung von den Sakramentierern nicht so stark, daß sie ihm jede gesamtevangelische Solidarität hätten opfern müssen. Deshalb unternahmen Vogler und Wiesenthau den Versuch, die Appellationsgemeinschaft zu retten, indem sie dem Kurfürsten vorstellten, daß Nürnberg sich nicht von den Städten trennen werde und Brandenburg nicht von Nürnberg. Doch nach einer halbtägigen internen Beratung blieb es dabei: Aus Gewissensgründen wollte Johann die Städte weder im Bündnis noch in der Fortführung der Appellation neben sich dulden, "dann die sundigen wissenlich wider Gots wort und also in den Heiligen Gaist, dem sonst kain sunde, so auß plodikait geschee, mag vergleicht werden".63 Der Kurfürst berief sich auf eine Gewissensentscheidung: da fällt es schwer, Kritik zu üben. Und wenn er wirklich von der Möglichkeit überzeugt war, zu einem Ausgleich mit dem Kaiser zu gelangen - mit Worten wird das nicht gesagt - , dann war der Versuch folgerichtig gedacht, die Rechtgläubigen um sich zu sammeln und die Oberdeutschen vor die Wahl zu stellen: Bekenntnis oder Trennung; denn auch nach Meinung der Altgläubigen hatten die Sakramentierer sich von der Kirche weiter entfernt als die Lutherischen. Allerdings erwies sich der Versuch sehr bald als undurchführbar; denn die ins Bündnis paßten, wollten nicht, und die ins Bündnis wollten, paßten nicht hinein. Aber so oder so mußte der Kurfürst sich fragen lassen, warum er dann überhaupt gemeinsam mit ihnen protestiert und appelliert und Bündnisverhandlungen aufgenommen hatte. Der jähe Wechsel kurz vor Rodach, an sich nichts Ungewöhnliches in der Diplomatie jener Zeit 64 , findet seine Erklärung wohl darin, daß dem politischen Führer der deutschen Reformation die Sicherheit des Handelns, die aus einer festen Glaubensüberzeugung erwachsen kann, nicht gegeben 63

Ebd., 423 f.

64

Bcmays, 1-4.

56

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

war und daß er darum auf Luthers Gewissensberatung angewiesen blieb. Die freilich war auf eigene Weise beständig und konvergierte nicht mit den wechselnden Bedürfnissen einer steten Politik. Der Ausschluß Straßburgs und Ulms reduzierte das Bündnisproblem auf die Frage, ob Brandenburg und Nürnberg dem Magdeburger Bund beitreten würden. Vogler und Wiesenthau antworteten gemäß ihrer Instruktion und konnten die Ablehnung mit der geographischen Lage des Landes glaubhaft entschuldigen65. Vom Nürnberger Rat war keine andere Antwort zu erwarten. Ein Bündnis mit den übrigen in Schmalkalden vertretenen Städten ohne die beiden in der Region führenden wurde von niemand in Erwägung gezogen. Im Fürstenrat, der am 3. Dezember gegen sechs Uhr morgens auf dem Rathaus begann, nahm man den Ausschluß Straßburgs und Ulms nicht einfach zur Kenntnis, um dann zur Tagesordnung, der Schickung an den Kaiser, überzugehen. Herzog Ernst von Lüneburg schlug ein zweites Religionsgespräch vor, damit man sich "mit gutem gewissen zu inen verpinden mocht", und Landgraf Philipp brachte seinen von den Städten abgelehnten Vorschlag in Erinnerung, den Sakramentsartikel auszunehmen, "das were je wider unser gewissen nit". Ohne die beiden Städte schließe er kein Bündnis. Dann bleibe er beim Magdeburgischen, dem Brandenburg und Nürnberg beitreten könnten — die Ausnehmung des Kaisers, die dort unterlassen war, erwähnte er natürlich nicht —, aber auch ohne Bündnis werde er Leib und Gut zu Markgraf Georg setzen. Eine zweite Gesandtschaft an den Kaiser, welche die Zertrennung der Protestierenden offenbaren mußte, lehnte er, anders als der Lüneburger, ab. Gegen Mittag ließ Kurfürst Johann, nun wieder voll unterstützt von den Markgräflichen, definitiv erklären, mit den Mißheiligen könnten sie guten Gewissens weder in ein Verständnis treten noch die Appellation fortsetzen. Ein weiteres Tagleisten mit ihnen lehnten sie ab, solange jene in ihrem Irrtum verharrten. Der Landgraf nahm das letzte Wort: Er werde für sich mit den Städten verhandeln und tun, was nötig sei66. Die Boten der anderen Städte, nämlich Heilbronn, Reutlingen, Memmingen, Konstanz, Lindau und Kempten, hatten die weite, winterliche Reise nach Schmalkalden gemacht, um am fünften Verhandlungstag die Schwabacher Artikel auf Hintersichbringen entgegenzunehmen und zu erfahren, daß man am 6. Januar in Nürnberg über eine Gesandtschaft an den Kaiser verhandeln wolle. Diesen Tag durften nur noch diejenigen Städte beschicken, die die eingehändigten Glaubensartikel bekannten. Das Gefühl der Gemeinsamkeit reichte gerade noch so weit, daß man strengste Geheimhaltung vereinbarte, um die Uneinigkeit vor den

65

RTA JR 8,424.

66

Ebd., 425 f.

4. Der Brief Landgraf Philipps an Markgraf Georg (3.12.1529)

57

Gegnern zu verbergen*7. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die zweite Gesandtschaft kam auch auf dem Nürnberger Tag nicht zustande68. Abends in der letzten gemeinsamen Sitzung - es galt der heimgekehrten Appellationsgesandtschaft den Dank abzustatten - ließ Jakob Sturm der unter den Städtern herrschenden Verbitterung freien Lauf. Da gingen nach erfolgter Danksagung Brück, Wiesenthau und Johann Furster, der lüneburgische Kanzler, zu ihnen und baten sie, zu Hause bei ihren Herren mit allem Fleiß für die Annahme der Artikel zu werben; denn sie sollten "entlich" dafürhalten, daß die Fürsten gern mit ihnen im Bündnis wären®. Später bemerkten die Nürnberger kritisch gegenüber Brück, man habe Straßburg und Ulm etwas rauh behandelt. Darauf der Altkanzler, als hätte er ihr verdecktes Spiel durchschaut: Das komme aus dem Ratschlag ihrer Prediger, den wolle er jetzt dem Landgrafen bringen 70. 4. Philipps vor Zeugen getanes Erbieten zugunsten des Markgrafen war ein rechtes Danaergeschenk. Noch am selben 3. Dezember bedrängte er brieflich seinen brandenburgischen Erbeinungsverwandten mit der Frage, was er von ihm an Hilfe bei einem kaiserlichen Angriff zu erwarten habe. Eine umgehende, eigenhändige Antwort, dem Überbringer mitzugeben, begehrte er 71. Doch Georg wartete natürlich die Rückkehr seines Kanzlers ab. Seiner ausweichenden Antwort legte er das Bedenken Spenglers bei - wobei auch hier Verfasser und Herkunftsort verschwiegen wurden —, sei es zur Belehrung des Fragestellers, sei es zur eignen Rechtfertigung; denn er wollte sich nicht zu mehr verpflichten, als die Erbeinung von ihm verlangte, in welcher Papst und Kaiser ausgenommen waren72. Der Landgraf reagierte sofort 73. Zwar das "buchlin von euer lieb cantzler" — den hielt er für den Verfasser — wolle er auf sich beruhen lassen, was er dann doch nicht tat, zugleich aber hielt er dem Älteren nachdrücklich die Fürstenpflichten und -rechte vor, von denen er selbst zutiefst durchdrungen war. Philipp teilt natürlich Spenglers Überzeugung, daß Gott seine Kirche erhalten werde und daß die Bereitschaft zum Leiden Christenpflicht sei; doch tritt sie zurück hinter eine gleichfalls gottgegebene Pflicht, die ihn und Markgraf Georg 67

Ebd., 427 f.

68

Steglich in ARG 62,187.

ω

RTA JR 8,429 f.

70 Ebd., 430. Die harte Replik war sachlich nicht gerechtfertigt (Spengler an Vogler, 12.12.1529; ebd., 439 f.) und läßt sich eigentlich nur aus der herrschenden Stimmung erklären. 71

Ebd., 486.

72

12.12.1529 (ebd., 486 f.).

73

21. 12. 1529 (ebd., 487 - 491). Karl Müller, 13 - 15. Hans von Schubert ries, 205 f.

f

199 - 202. Dör-

58

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

ganz speziell anging: Sie haben die Ehre Gottes und das Seelenheil ihrer Untertanen zu befördern, praktisch, die Verkündigung der evangelischen Lehre zu gewährleisten und die Wiedereinführung der "alten mißbreuch" zu verhindern. Das war in der Tat eine obrigkeitliche Aufgabe im Sinne Luthers, und Spengler bestritt das seinerseits nicht74. Daß sie bei gleichen Lehrmeinungen trotzdem zu unterschiedlicher Gewichtimg derselben und zu verschiedenen Schlüssen gelangten, lag einzig und allein an jener Streitfrage, die der Ratsschreiber den "grund und knodt diser Sachen" nannte75. Philipp zieht mit keinem Wort in Erwägung, daß er jemals nicht Herr seines Landes, daß ein anderer als er Obrigkeit seiner Untertanen sein könnte: Sein ganzer Brief bezeugt den Landesherrn. Während es Spengler und Brenz nach dem Beispiel Luthers auf den Mut des einzelnen zum Glaubensbekenntnis in der Verfolgung wollten ankommen lassen und doch wußten, daß der große Haufe solcher Prüfung nicht gewachsen wäre76, dachte Philipp in der Verantwortung des landesherrlichen Kirchenregiments und wollte seinen Untertanen die äußerste Not in dieser Welt ersparen. Er erinnert den Markgrafen nicht an die Märtyrer und Konfessoren der frühen Kirche, sondern an Moses und König David, die sich für ihr Volk hatten opfern wollen. Aber stand nicht dieser landesherrlichen Aufgabe der Gehorsam entgegen, den sie als Reichsßrsten Karl V. geschworen hatten? Die Verpflichtung, sagt Philipp, ist wechselseitig. Kaiser und Fürsten stehen "in eynem vordingten wege", in einem Vertragsverhältnis, womit auf die Wahlkapitulation angespielt war 77: "sein ksl. Mt. solle recht thun, und sover sie das thun, sollen wir ir gehorsam leisten". Die Pflege des Rechts78, das ist "die vornembste ursach, dorumb er erwelet ist". Gehorsam meinte also nicht den unbedingten gegenüber Befehlen eines Herrn, sondern den einverständlichen gegenüber gerechtem Gericht. Doch wenn der Kaiser das Recht nicht pflegt, wenn also "die vornembste ursach" seiner Wahl wegfällt, dann, folgert Philipp, "seint wir ime auch nicht zum unpillichen vorphlicht" 79. Die Leistung, der Gehorsam, entfällt, wenn die vereinbarte Gegenleistung ausbleibt. Er glaubt sich mit dem Markgrafen einig, daß diese Situation jetzt eingetreten sei: Die Protestierenden haben den richtigen Glauben, der Kai74 RTA JR 8,471.502.505. Der Nürnberger Rat hatte in einem von Spengler entworfenen Schreiben die gleichen Argumente gebraucht, um die Einfuhrung der Reformation zu rechtfertigen (Pfeiffer, Nürnberg, 154). 75

RTA JR 8,479.502.

76

Ebd., 472.484.504.

77

Ebd., 489.

78

Zu 'Recht tun', 'Recht geben', 'iustitiam facere' als Tätigkeit des Richters oder anderer Gerichtspersonen Krause, Anschauungen, 16 f. 79

RTA JR 8,489.

4. Der Brief Landgraf Philipps an Markgraf Georg (3.12.1529)

59

ser hat den falschen und maßt sich an, über das Evangelium ein Gebot ("gesaz oder ordenunge") zu erlassen, wo er doch schon in hohen weltlichen Sachen bei der Rechtsbesserung und der Schaffung von Satzungsrecht ("enderunge oder newe sazung") an die Zustimmung aller Reichsstände gebunden ist80. Er will die protestierenden Fürsten angreifen und ohne rechtliches Verfahren ihrer Herrschaft entsetzen. Konkret ging es wie bekannt um den Speyrer Reichsabschied, den die Mehrheit der Stände mit dem Vertreter des Kaisers in der Glaubenssache vereinbart hatte, während die Minderheit im Protest verharrte, und um das - nicht zugestellte — Mandat vom 12. Juli 1529, in welchem Karl den Protestierenden gebot, ihrer Folgepflicht nachzukommen. Geschah ihnen damit Unrecht? Philipps Forderimg der Einstimmigkeit entsprach dem alten Grundsatz aus germanischer Zeit, daß nur die Selbstverpflichtung an Satzungsrecht binden könne; aber der wurde durch den Folgezwang und das Majoritätsprinzip in Frage gestellt, und das kaiserliche Gebot folgte dieser jüngeren Anschauung81. Hier stand Meinung gegen Meinung. Doch die außergerichtliche Fürstenabsetzung würde eindeutig gegen die Wahlkapitulation verstoßen und könnte nicht mehr mit der Schwere und Notorietät der Pflichtverletzung gerechtfertigt werden82. Spengler sah das im Grunde nicht anders, auch er war überzeugt, daß Karl "die maß seines bevolhnen ampts, oberkait und gewalts" übertrete und "auß ainem christlichen regirer ain tyrann" werde 83. Aber er glaubte, die strafende Rache dem höchsten Richter anheimstellen zu müssen, während der Landgraf sich jetzt und hier zur Selbsthilfe berechtigt und verpflichtet fühlte. Er bezog sich dafür wie gesagt auf die Wahlkapitulation, die Karl am Vorabend seiner Krönung in Aachen beschworen hatte, und er durfte das mit gutem Grund, was die Wechselseitigkeit der Verpflichtung und den Rechtsschutz anlangte. Ein Widerstandsrecht freilich verbriefte die Kapitulation nicht, wie sie denn überhaupt, von der allgemein gehaltenen kassatorischen Klausel abgesehen, keine Sanktionen gegen kaiserliche Vertragsverletzungen enthielt84. Aber es bedurfte auch nicht unbedingt der beschworenen Urkunde, um Philipps Standpunkt zu befestigen. Denn jedes Lehnsverhältnis, ob nun die persönliche Bindung durch die Treue oder die dingli80 §§2. 31 der Wahlkapitulation. Das Indefinitpronomen 'all' ("on einiche vorwilligunge aller stende des heiligen reichs") ist interpretierende Zutat des Landgrafen. - Die Paragraphenangaben folgen der von Karl Zeumer wiederhergestellten älteren Zählung, die von derjenigen in RTA JR 1 abweicht. - Zu Rechtsbesserung, Satzung und Rechtsgebot Ebel, 19 - 27. 81 Ebd., 21 - 24. 45. Klaus Schiaich, Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613; in ZHF10 (1983), 299 - 340. 82 §§21. 22 der Wahlkapitulation. Zur außergerichtlichen Absetzung durch persönliche Jurisdiktion des Kaisers Krieger, 534 f. 83

RTA JR 8,472.

84

Kleinheyer, 112.

60

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

che durch das Lehnsgut stärker empfunden wurde, war ja eine Art Vertrag auf Gegenseitigkeit, obwohl der Herr keinen Treueid leistete85. Das Lehnrecht verlangte vom Vasallen keine Selbstübergabe auf Gedeih und Verderb, sondern es befreite ihn von seinen Pflichten, wenn der Rechtsgrund des Vertrages wegfiel 86, und es berechtigte ihn zum gewaltsamen Widerstand, wenn ihm der Herr die Treue brach. Der Angriff unter Verweigerung eines rechtlichen Verfahrens aber war Herrenfelonie, das duldete keinen Zweifel 87. Es war jedoch weder die Wahlkapitulation noch das Lehnrecht, was dem Markgrafen die Probleme schuf; die Frage war vielmehr, ob das weltliche vor dem göttlichen Recht bestehen konnte. Deshalb erläutert Philipp, wie die biblischen loci classici gegen das Widerstandsrecht nach seiner Meinung zu verstehen sind: Als die Apostel den Gemeindeältesten geboten, "sich der römischen obrigkait nit zu widdersezen"88, da gab es niemand, der sie ihres Glaubens halber hätte schützen können. Die Landpfleger ging das nichts an, außerdem waren sie Beamte des Kaisers, jederzeit absetzbar. Seitdem haben sich die Zeiten geändert. Die deutschen Fürsten gelangen durch Erbfolge zur Herrschaft, der Kaiser kann sie nicht absetzen, und ihnen ist die Sorge für das Seelenheil ihrer Untertanen anvertraut. Philipp vermied also den Fehler des reinen Schriftprinzips, die Apostelzeit einfach in die eigene Gegenwart zu übertragen und die deutschen Landesherren den römischen Provinzstatthaltern gleichzusetzen. Die Schußfolgerung überließ er seinem Leser: Wenn sie selber Obrigkeiten waren und keine kaiserlichen "amptleut und Verwalter"89, dann konnten jene Apostelworte, die Gehorsam gegen die Obrigkeit und Bereitschaft zum Leiden verlangten, nicht an ihresgleichen gerichtet sein90. Dann bestand mithin gar nicht der von Spengler vorausgesetzte Widerspruch zwischen göttlichem und menschliche Recht Bleibt noch zu sagen, der einfache Untertan besaß auch nach Philipps Meinung kein Widerstandsrecht, eben weil er eine "sondere persoen" und keine Obrigkeit war. Die von Spengler beschworene Auflösung aller 85

Mitteis, Lehnrecht, 79 - 82.531 - 534. Ganshof, 86 - 88. Krieger, 391 f.

86

Ganshof, 167 f.

87

Kern, Gottesgnadentum, 362. Mitteis, Lehnrecht, 542 f. Krieger, 469 f.

88

RTA JR 8,489.

89

So Spenglers Formulierung (ebd., 479).

90

In seiner von Bitterkeit erfüllten Duplik vom 7.3.1530 wird er dann ganz direkt: "Ich wolt doch gern eyn texsten sehen in der gantzen Schrift, der doch so laut: Wan eyn oberkeyt under eyner andern oberkeyt ist und in dem fall stunde, wye wir deutschen iezt stehen in solchem eydt, den uns ksl. Mt. gethan hat, und dan solche grose oberkeyt eynen mit gewalt wolt zu lästern und sunden tringen und, wo er solche laster und sunde nit anneme, seyne underthan darumb vorderben, und die ander oberkeyt, die in solchem fall wie E.L. und ich stehen, sich des uffzuhalten wüste, - w a doch solchs Got ehe verbotter* ùuer ihe eyn apostel gelert hett" (ebd., 573 f.).

4. Der Brief Landgraf Philipps an Markgraf Georg (3.12.1529)

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Ordnung lag nicht in der Konsequenz des reichsständischen Widerstandsrechts91. In seiner Auseinandersetzung mit dem Nürnberger Ratsschreiber verfocht der Landgraf von Hessen den hohen Rang des Landesherrn und Reichsfürsten gegen verfassungsfremde Theologumena. Nicht Luthers Idee einer theonomen, zentralistischen Reichsverfassung, sondern "die Teilhabe Reich und regionale Herrschaftstellten ihm die Aufgabe: Wahrung dessen, was nach seiner Überzeugung Recht war, und Schutz von Land und Leuten bis hin zum Widerstand gegen den kaiserlichen Lehnsherrn. Der Streit um Bündnis und Widerstand nahm seinen Fortgang. Der Brief des Landgrafen wurde in der Ansbacher Kanzlei so zurechtgekürzt, daß er wie ein anonymes Gutachten wirkte, und in dieser Gestalt nach Nürnberg und Hall geschickt93. Spengler und Brenz machten sich auf den dringenden Wunsch des Markgrafen unverzüglich an die Widerlegung, jener nicht ohne eine abfällige Bemerkung über das vermeintliche opusculum des kursächsischen Altkanzlers 94. Beider Repliken standen dem brandenburgischen Kanzler wahrscheinlich schon auf dem Nürnberger Gesandtentag zur Verfügung 95. Später gingen sie an Landgraf Philipp, dessen Brief in der Sache noch unbeantwortet war 96, und der verfaßte abermals eine Entgegnung, voller Bitterkeit und natürlich ohne Erfolg 97. Da schrieb man schon den 7. März 1530. Alle diese Bedenken können hier außer Betracht bleiben; denn sie wiederholen und variieren nur, ergänzen gelegentlich auch, was Spengler und Philipp in ihren ersten Beiträgen gültig gesagt hatten. Markgraf Georg, der Schwächste unter den Protestierenden, auf die es ankam, hatte es so eingerichtet, daß Philipp und Spengler, dem Brenz die Stange hielt, mit geschlossenem Visier streiten mußten und keiner seinen Widerpart erkannte. Der eine vermutete ihn in Vogler, der andere in Dr. Brück, der wiederum beim Landgrafen in Verdacht stand, das Bündnis hintertrieben zu haben98. Es war nun an Brandenburg, die nachschmalkaldischen Wirrungen durch ein offenes Bekenntnis seiner politischen Kehrtwendung aufzulösen. 91 Ebd., 480. Philipp hat seinen Standpunkt in der Instruktion zum Saalfelder Tag ausführlich erläutert (ebd., 129). Es waren immer die Gegner, die das Widerstandsrecht auf alle Untertanen ausdehnten, um es dadurch ad absurdum zu führen. Aber in der ganzen Auseinandersetzung hat niemand die Lehre von der Volkssouveränität und ein darauf gegründetes Widerstandsrecht in Betracht gezogen. 92

HRG 1,1339.

93

RTA JR 8,491 f.

94

Spengler an Vogler, 2.1.1530 (ebd., 492).

95

Ebd., 492-501.501-509.

96

Mgf. Georg an Lgf. Philipp, 18. 2.1530 (ebd., 571).

97

Lgf. Philipp an Mgf. Georg, 7. 3.1530 (ebd., 571 - 574).

98

Ebd., 431.

62

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

5. Kursachsen war bisher von den Auseinandersetzungen um Bündnis und Widerstandsrecht nahezu unberührt geblieben. Nur das Spenglersche Bedenken war bis Torgau vorgedrungen. Auf dem Nürnberger Tag, wo die Räte der lutherischen Fürsten und die Gastgeber nunmehr unter sich waren, brach der verborgene Dissens offen auf 99. Als der hessische Gesandte vorschlug, zu beraten, ob man die bewilligten Gelder zum Unterhalt des Reichsregiments und Reichskammergerichts sowie zur Türkenhilfe erlegen solle100, ging Georg Vogler mit seiner Loyalitätserklärung so weit, zu sagen: Wenn sein Herr, der Markgraf, vom Kaiser mit Gewalt überzogen werde, wolle er sich nicht wehren, sondern alles leiden, was Gott ihm zugedacht habe-welcher Auffassung die Vertreter Nürnbergs sofort beipflichteten. Der Kanzler des Kurfürsten, Dr. Christian Beyer, von dieser Wendimg überrascht, wandte ein, doch nur als seine private Meinung: Seines Wissens sei in solchem Fall der Kaiser "vheindt" - er scheute sich nicht, diesen fehderechtlichen Ausdruck zu gebrauchen - und keine "rechte öberkeit"; denn die Fürsten und anderen Obrigkeiten trügen ihr Amt genausogut wie er von Gott 101 . Also kein Gedanke daran, daß sie im Verhältnis zum Kaiser personae privatae darstellen könnten! Mehr wollte der Kanzler dazu nicht sagen und das Ganze den Theologen anheimstellen, aber die Brandenburger und Nürnberger ließen nicht ab. Vogler berief sich auf Brenz und "ander gelerten ratschlege"102, den eigentlichen Initiator nannte er nicht beim Namen. Der war auch nicht zugegen, weil es dem jüngeren Ratsschreiber oblag, das Protokoll zu führen 103. Doch als er in der Kanzlei auf Dr. Beyer traf, griff er sofort das Thema auf, beschuldigte ihn des Irrtums, und es ergab sich eine lange Disputation in lateinischer Sprache über den Begriff der rechten Obrigkeit und die diesbezüglichen Normen des göttlichen und des natürlichen Rechts. Später sprach der Kanzler noch die Nürnberger Geistlichen Dr. Linck und Oslander. Jener teilte Spenglers Meinung, dieser nicht, doch befürchtete er, weitere Auseinandersetzungen könnten "ein schwermerey" verursachen. Beide Theologen versprachen dem Kanzler ihre schriftlichen Gutachten104. Nachdem Wenzeslaus Linck, Johann Brenz, außerdem Speng99

Zum Folgenden Beyers Bericht (ebd., 549 - 551).

100

Ebd., 549 (gemäß dem Reichsmandat vom 22.4.1529).

101

Vgl. Kern, Gottesgnadentum, 257-260.

101

RTA JR 8,550.

103

Manfred J. Schmied; 135.

104

Das von Stegiich nicht aufgefundene Gutachten Lincks (RTA JR 8, 551, 5) hat Lötz, 270 - 273 nachgewiesen. Oslanders Gutachten ist bearbeitet von Bernhard Schneider, 451 467. Eine annähernd genaue Datierung ist nicht möglich (457 f.). Jedenfalls hat das sehr interessante Gutachten ebensowenig wie das von Linck in Torgau vorgelegen, als der Kurfürst am 27.1.1530 an Luther schrieb; denn in diesem Brief erwähnt er die Meinungen der Nürnberger Geistlichen nur im Sollen des Hörensagens (WA Br 5,224).

5. Der Nürnberger Räte tag und die Folgen

63

ler in seinem von Melanchthon übermittelten Bedenken gegen das Widerstandsrecht und - außer Bugenhagen — nur Andreas Oslander dafür votiert hatten, wandte sich Kurfürst Johann nunmehr an seine eignen Theologen und begehrte von ihnen zu eigenen Händen einen "ordentlichen Ratschlag"105. Er schildert in der Disposition seines Schreibens den Sachverhalt - "So sich Kais. Maj. oder jemandes anders in derselben Kais. Maj. Namen unterstehen wird, uns und unsere Land und Leute oder andere umb des göttlichen Worts willen [...] darüber mit der Tat zu beschweren, zu uberziehen und gewaltiglich fürzunehmen"—, gibt Hinweise zur Rechtslage — "über unser christlich, gleich und rechtlich Erbieten, auch rechtlich getane Appellation, und sonderlich, weil ihre Maj. in ihrer Wahl zu Franckfurt bewilligt, sich verpflicht und verschrieben hat, Kurfürsten, Fürsten und Stände in allen Sachen bei ordentlichen Rechten bleiben zu lassen und niemands, der solches leiden möcht, darüber mit der Tat zu beschweren, zu uberziehen und gewaltiglich fürzunehmen" — und stellt die Rechtsfrage — "ob wir solches zu dulden schuldig oder aber desselben Gewalts uns wiederumb aufhalten möchten" —. Luther soll dazu aus dem göttlichen und natürlichen Recht seinen geistlichen Rat erteilen — "des göttlich, christlich, billig und recht ist" —, nachdem er mit Jonas, Bugenhagen und Melanchthon darüber beratschlagt hat. Die Hinweise zur Rechtslage geben durch ihre Formulierung zu verstehen, daß man das weltliche Recht auf seiner Seite wußte. Das Argument Wahlkapitulation und Widerstandsrecht zählte, wie ersichtlich, nicht nur bei Philipp von Hessen, der es in den Verhandlungen über die Ausnehmung des Kaisers aufgebracht und später nach dem Scheitern des Bundes der Leidensbereitschaft des Brandenburgers entgegengesetzt hatte106. Jetzt gebrauchte es auch der Kurfürst bzw. Brück, der den Brief an Luther revidiert hatte. Nach dem Urteil moderner Verfassungshistoriker waren die Königswahl und die Wahlverschreibung zwei selbständige, voneinander unabhängige Rechtsgeschäfte 107. Aber die Kapitulation von 119 war mm keineswegs ein aus freien Stücken gewährtes Gnadengeschenk, das der junge Habsburger seinen Wählern ebensogut hätte versagen können. Das 'Wir sollen und wollen' am Anfang der meisten Artikel besagt das Gegenteil108. Sie war vielmehr ein Vertrag, den das Kurkollegium zugleich für seine einzelnen Mitglieder, die Fürsten und Stände mit dem zu Wählenden ausgehandelt und mit dem erwählten Römischen König ge105

Kf. Johann an Luther, 27.1.1530 (ebd., 223 - 225 mit WA Br 13,120 -122.

106

RTA JR 8,129.489.

107

Härtung, 323 f. Ausführlich Kleinheyer, 101 -113. Anders Marongiu, 37, der Wahl und Kapitulation als einen gegenseitigen Vertrag interpretiert. Er trifft damit die Auffassung, die bei Philipp von Hessen und Brück begegnet. 108

Frcnsdorff,

115 -126

64

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

schlossen hatte. Hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen war sie ein einseitiger Vertrag: Verpflichtungen erzeugte sie nur für eine Seite, nämlich die des Gewählten. Sanktionen für den Fall schwerer Vertragsverletzung waren jedoch nicht enthalten, bloß die kassatorische Klausel des Artikels 32, welche Handlungen contra capitulationem von vornherein für nichtig erklärte. In dieser Form waren viele Herrschaftsverträge geschlossen. Kursachsen und Hessen verstanden denn auch die Wahl und die Wahlkapitulation als ein recht liches Ganzes, als einen gegenseitigen, kausalen Vertrag der für beide Seite insgesamt und einzeln, Rechte und Pflichten erzeugte 109. Kurfürsten, Fürsten und Stände hatten Treue und Gehorsam versprochen, damit ihnen der König gelobte, sie "in allen Sachen bei ordentlichen Rechten bleiben zu lassen und niemands, der solches leiden möcht, darüber mit der Tat zu beschweren, zu uberziehen und gewaltiglich fürzunehmen", wie es der Kurfürstenbrief in wörtlicher Anlehnung an die Artikel 4 und 21 formuliert 110. Die Zusage des Königs war die causa, der Rechtsgrund, dessentwegen die ständische Seite den ganzen Vertrag eingegangen war: "Sein ksl. Mt. solle recht thun, und sover sie das thun, sollen wir ir gehorsam leisten. Wo aber ire Mt. das und ire pfliecht uberschreit, seint wir ime auch nicht zum unpillichen vorphlicht; dan die vornembste ursach, dorumb er erwelet ist, hett er vorgessen, so er diß volnbrechte."111 Daraus folgte: Wenn der Rechtsgrund nicht verwirklicht wurde, wenn der Kaiser den Vertrag nicht erfüllte, ja gröblich verletzte, dann waren die Protestierenden ihrerseits berechtigt, die Erfüllung von ihnen gegebenen Zusagen zu verweigern. 'Cessante causa cessat effectus.112 Spengler glaubte zu wissen, daß dieses Argument "wol bey den rechtgelerten ettwas schliessen und ain ansehen machen" werde 113. 109 Die Einzelakte der Wahl, Wahlverschreibung und Krönung waren, soweit die Bestimmungen der Goldenen Bulle dem nicht entgegenstanden, derart ineinander verschränkt, daß die Kapitulation wie die Gegenleistung für die Herrschaftsübertragung wirken konnte. In dem weitläufigen Vorgang des Herrschaftswechsels, der von der Wahl des Königs bis zur Belehnung der Kurfürsten, Fürsten und Stände fast zwei Jahre brauchte, war es eine Woche nach dem Wahlakt der Austausch der Kapitulation und des Wahldekrets mitsamt dem Gelöbnis der königlichen Kommissare, der König werde die Beeidigung persönlich wiederholen, der die Herrschaft auf Karl V. tatsächlich übertrug. Deshalb konnte er am 27.12.1519 die vorläufige Bestätigung aller Lehen vornehmen (RTA JR 2,7). 110 WA Br 5,224 - (Art. 4:) "Und in allweg sollen und wellen wir die Teutsch nation, das heilig Römisch reiche und die churfursten, als die vordristen gelider desselben, auch ander forsten, grafen, herren und steende bei iren hochisten wirden, rechten und gerechtigkaiten, macht und gewalt, jeden nach seinem stand und wesen, beleiben lassen on unser und meniglieli eintrag und verhindernus." (Art. 21:) "und mit nichten gestatten, in den oder anderen Sachen, darin sie ordentlich recht leiden mugen und des urbutig sein, mit raub, nam, prand, vehden, krieg oder andrer gestalt zu beschedigen, anzugreifen oder zu uberfallen" (RTA JR 1,867.873). 111

Vgl. III. 4., Fnn. 77.79. Das Vorbild ist durch die Anwendung des Satzes im ma. Kondiktionenrecht gegeben, wo er dazu dient, die Rückforderung der erbrachten Vorleistung beim Ausbleiben der vereinbarten Gegenleistung zu begründen (Söllner, 187 -197. Wesenberg-Wesener, 48 f.). Melanchthon, 112

5. Der Nürnberger Rätetag und die Folgen

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Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit gehörte und gehört so selbstverständlich zu den allgemeinen Rechtsüberzeugungen, daß sich Quellenbelege erübrigen. Ein Beispiel mag daher genügen. Philippus Decius behandelt in einem seiner Consilia114 die Auflösung der Vermögensgemeinschaft zweier Brüder und die Rückforderung der gewährten Anteile, was er für Rechtens erklärt, weil der jüngere Bruder vertragswidrig die Teilung verlangt hatte; und um seine Meinung zu belegen, allegiert er Bartolus zu einer lex des Codex Iustinianus, Panormitanus zu einem capitulum der Dekretalen und die Accursische Glosse zu einem Titel der Libri feudorum 115. Diese Texte haben das Verlöbnis, die Erbpacht oder den Lehnsdienst zum Gegenstand, grundverschiedene Dinge also, doch gemeinsam ist ihnen und den Erläuterungen die Überzeugung, daß niemand seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen brauche, wenn der andre die seinen nicht erfüllt. Auf dem weiten Feld des Vertragsrechts treffen sich Legisten, Kanonisten und Feudisten in ein und derselben Überzeugung116. "Frangenti fidem fides frangatur eidem", sagt ein Sprichwort 117, das Bartolus und Panormitanus zitieren. Und das Gesagte gilt, wie letzterer ausführt, auch für den Vasallen, der sich seinem Herrn durch einen Eid zum Dienst verpflichtet hat: er darf sich aus eigener Autorität den Eid erlassen118. Normalerweise gab es Gerichte, die dem Prinzip der Gegenseitigkeit im Leben zur Wirkung verhalfen. Aber wenn der oberste Richter selber seine Vertragspflichten gröblich verletzte, trat an seine Stelle das Widerstandsrecht, das ja, obgleich oft mißbraucht, seiner Natur nach ein Abwehrrecht war. Herzog Ludwig der Reiche verteidigte sich 1461 gegen den Vorwurf des Treubruchs, den der kaiserliche Feldhauptmann, Markgraf Albrecht Achilles, öffentlich erhoben hatte, gleichfalls in aller Öffentlichkeit 119: Er habe Kaiser Friedrich III. nicht die Feindschaft angesagt, doch sei er ihm auch nicht zu mehr verpflichtet als andere Fürsten des Reiches. "Nun erfint sich nach außweisung aller recht, das uns der keyser als unser lehenherre in aller maß von rechtens wegen gewant ist, durch den wir wissen, daß die Juristen mit dieser Regel argumentierten, schreibt 'conditio' statt 'causa' (Scheible, 58). Auch die Accursische Glosse gebraucht 'conditio' und 'causa' (finalis) häufig synonym (Söllner, 200). 113

RTA JR 8,506. Brenz ist dieses Argument gleichfalls geläufig (ebd., 498).

114

cons. 265.

115

C. 5,3,3 - cons. 244 über X 2,24,3 - F 2,7,1.

116

Baldus in seinem Aureum opus super feudis, ebd. stimmt der Glosse zu und setzt dahinter ein "tene menti". 117 Walther, Bd. 2,182. Das Sprichwort ist auch in der Fassung überliefert, daß 'fides' durch 'pactum' ersetzt ist. Vgl. Merzbacher, 339 - 362, bes. 347 - 360. 118 119

cons. 244 mit v. iurata.

FRA 2/44, 237. Eine ausführliche Beschreibung seines Konflikts mit dem Kaiser gibt Hz. Ludwig in seinem Schreiben an den Dinkelsbühler Städtetag, 27.7.1461 (ebd., 152 -156).

66

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

als wir im in kraft der pflicht, die wir im von lehens wegen geton haben, schuldig sein. Auß dem ist aber zu vermercken, das uns der keyser alswol schuldig ist, unsern schaden zu warnen [ = verhüten] und unsern furnemen zu furdern, als wir im sein." Dann rechnet der Herzog vor. Er hat dem Kaiser allezeit treue Dienste erwiesen, aber nichts als Ungnade und Beschwerimg erfahren. Friedrich hat ihn und seine Untertanen um mehr als 300 000 Gulden gebracht, indem er Wein, Salz, Eisen und andere Güter mit neuen Aufschlägen belegte, und damit das alte Herkommen und die Privilegien verletzt, die seine Vorgänger und er selbst gegeben hatten. Ludwig hat dagegen mehrfach friedfertige Vorstellungen erhoben und schließlich billige und völlige Rechtgebote getan120. Aber der Kaiser hat sie allesamt verachtet und seine Beschwerungen fortgesetzt. "Warum solten wir dann nicht macht haben, der mercklichen Ursachen halben unser pflicht aufzusagen und uns der notwer zu geprauchen? Es begibt sich auch teglich, so ein lehenherr seinem lehenman beswerung und unbillicheit tut und mit im nicht rechtz pflegen wil, das dann der lehenman seine lehen aufsagt und sich des unrechten nach seinem vermögen uffheltet." Ein anderes Beispiel aus dem Jahre 1519, als die Zeit Kaiser Maximilians zu Ende ging und vorüber war 121 . Die württembergischen Landstände besaßen aus dem Tübinger Vertrag (1514) das Recht, gefragt zu werden, bevor der Herzog Krieg oder Fehde unternahm. Desungeachtet überfiel Ulrich aus nichtigem Anlaß Reutlingen und unterwarf es seiner Botmäßigkeit, was den Schwäbischen Bund, dessen Mitglied die Reichsstadt war, auf den Plan rief. Der Feldhauptmann des Bundes, Herzog Wilhelm von Bayern, forderte die württembergischen Stände auf, ihren Herzog zu verlassen und dem Bundesheer zuzuziehen, um dem Bund die Kriegskosten und dem Land die Verwüstung zu ersparen. Denn Herzog Ulrich hatte den Tübinger Vertrag treulos gebrochen und die Treue der gemeinen Landschaft verwirkt: daß "ir als seine underthanen aller pflicht und underthenigkeit entledigt seyet, wie dann sollichs die vertrege lautter außweysen und er sich selbs under seinem Innsigel und mit aigner hannd verbunden und underschriben hat". 6. Luther gab sein Gutachten mit etwa zweiwöchiger Verspätung am 6. März, nachdem er weisungsgemäß mit Jonas, Bugenhagen und Melanchthon darüber beraten hatte122. Der Schriftsatz enthält Prädikatsformen der 1. Person Plural wie auch Singular und ist allein von Luther unterschrieben: es war also hauptsächlich seine Arbeit 123 . Wie er in seiner Herzog Jo120

Zum Begriff 'völliges Rechtgebot' Obenaus, 118 -120. Sattler, Beilage 12. 122 WA Br 5, 249 - 262. Karì Müller, 22 - 24. Hans von Schubert, 226. Dörnes, 209 - 213. Wolgast, 154-162. 121

123

Wolgast, 154 f.

6. Luthers Ratschlag (6. 3.1530)

67

hann gewidmeten Obrigkeitsschrift die 'weltlichen Fürsten' von den wenigen, "die gern auch Christliche fursten und herrn sein wollten", gesondert und nur für diese geschrieben hatte124, so schränkt er hier im Gutachten für denselben Fürsten auf die gleiche Weise ein: "wer ein Christ sein will", wird den folgenden Rat beherzigen125. Die Großgliederung des Textes ergibt sich aus der Aufgabe. Luther legt in zwei längeren Abschnitten dar, was in derartigen Fällen, wie sie der Kurfürstenbrief charakterisiert, göttliches Gebot und christliches Verhalten ist und was im bestimmten, erwarteten Fall Fürst und Untertanen tun bzw. lassen sollen. Man kann sie in rhetorischer Terminologie quaestio infinita und quaestio finita oder einfach quaestio und causa nennen. Der erste Abschnitt ist nach den Angaben zur Rechtslage (Wahlkapitulation, Notwehr, Appellation) gegliedert und der zweite nach den Bestandteilen der Sachverhaltsschilderung (Land und Leute, der Kurfürst, der Schutz von Gottes Wort). Luther gutachtet aus der Heiligen Schrift auf der Grundlage seiner Soziallehre. Das weltliche Recht berücksichtigt er fast gar nicht, wozu er schließlich auch nicht aufgefordert worden war. Er hält für möglich, daß "weltliche odder bepstische rechte" die Vertragstreue über das Obrigkeitsprinzip stellen; er weiß, daß "die iuristen handeln von den repressalien und diffidation", von Repressalien und Treuaufsage: Vielleicht also werden andere Konsulenten "nach keiserlichen odder weltlichen rechten" den Widerstand für Rechtens erklären. "Aber nach der schrifft wil sichs ynn keinen weg zimen, das sich iemand, wer ein Christ sein will, widder seine oberkeit setze, got gebe, sie thu recht oder unrecht, sondern ein Christ sol gewalt und unrecht leiden, sonderlich von seiner oberkeit." 126 Damit ist gleich zu Anfang die Sentenz des Gutachtens ausgesprochen. Das weltliche Recht widersprach dem Gebot Gottes . Kurfürst Johann, wenn er sich je zur Gegenwehr entschließen sollte, würde sich nicht mehr auf 'Gott und das Recht' berufen können. Luther begründet sein Urteil, indem er die dem weltlichen und natürlichen Recht entstammenden Argumente des Kurfürstenbriefs durch Argumente aus dem Evangelium zurückweist. Zur Wahlkapitulation: Der Bruch der eidlichen Verpflichtung hebt die Obrigkeit des Kaisers und die Gehorsamspflicht seiner Untertanen nicht auf; denn die Obrigkeit ist von Gott gestiftet, ist also nicht erst durch einen Herrschaftsvertrag

124

WA 11, 271. 273.

125

WA Br 5,258.

126

Ebd. - Hier liegt es vielleicht nahe, im 'christlichen Fürsten' persona publica und privata zu unterscheiden. Aber Luther gebraucht in diesem Gutachten den Personenbegriff nicht, und in der Torgauer Disputation wird er ihn unwillig ablehnen (WA Br 6, 17). Anders in der Kriegsleuteschrift, wo er die Ausdrücke 'gemeine' und 'einzelne Person' verwendet (WA 19, 653) un J damit persona publica und privata meint.

68

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

zustande gekommen. Der Rechtsbruch, begangen an Menschen, erscheint in der angemessenen Relation, sobald man ihn mit der Sünde wider Gott vergleicht. Ein Kaiser oder sonst ein Fürst kann alle Gebote Gottes übertreten und hört doch nicht auf, Kaiser oder Fürst zu sein; darum muß er es erst recht bleiben, wenn er 'nur' an seinen Untertanen schuldig wird, bis daß ihn die Strafe der Absetzung trifft. Den gleichen Gedankengang hatte Luther in der Kriegsleuteschrift am Beispiel der Könige von Frankreich und Dänemark entwickelt, mit einem Unterschied: Dort war es die Rache Gottes, hier ist es die Abwahl des Kurkollegiums, welche die Obrigkeit aufhebt 127. Luther bleibt die Erklärung schuldig, warum die Absetzung keinen Eingriff in die göttliche Ordnung darstellt. Vielleicht folgte er einfach der Ansicht Spenglers oder den Präzedenzfällen von 1298 und 1400. Aber vielleicht erkannte er im einmütigen Handeln der Wahlfürsten den Willen Gottes. Dann wäre der Gedankengang hier wie dort völlig gleich. Da Gott durch sein offenbartes Wort den Widerstand gegen die Obrigkeit verboten hat, ist die Notwehrregel des Naturrechts 'Vim vi repellere licet' außer Geltung in bezug auf die Obrigkeit. Ja, sie gilt nicht einmal gegenüber Rechtsgleichen; denn gegen sie stehen andere Naturrechtsregeln, welche die Eigenmacht verbieten: "Niemand sol sein eigen richter sein128, item: Wer widder schlegt, der ist unrecht." Die Notwehr ist nur dann erlaubt, wenn sie als Nothilfe für andere, als Schutz der Untertanen gefordert wird 129 . Aber die Untertanen der Fürsten seien zugleich, ja mehr noch die Untertanen des Kaisers, meint Luther - während doch die Masse des deutschen Volkes gerade nicht unmittelbar zu Kaiser und Reich stand - , und es zieme sich nicht, die Untertanen gegen ihren Herrn in Schutz zu nehmen130. Luther mutete einem

127

WA 19, 641 f.

128

Es ist nicht C. 3, 5, 1, also weltliches gegen Naturrecht, womit Luther hier argumentiert, sondern das Rechtssprichwort, das die Codex-Stelle abändert und verallgemeinert und als Verurteilung jeglicher Eigenmacht verstanden wird (Graf-Dietherr; 425. 428). Das macht die von Wolgast, 156 f. geäußerten Bedenken gegenstandslos. 129 Vgl. WA 11, 277. WA 19, 648. - Wolgast, 157 versteht die Stelle so, daß Luther die Notwehr gegen Rechtsgleiche für erlaubt halte. Aber das liefe auf eine contradictio in adiecto hinaus: "ia sie (seil, die Notwehrregel in lat. und dt. Fassung) tugen auch nicht gegen gleiche, on wo es notwehr oder schütz foddert...". Ich verstehe die Stelle "on wo es notwehr oder schütz foddert der andern odder unterthanen" anders: die beiden 'oder' nicht ausschließend, sondern eher steigernd und die Trennung der beiden Genitivattribute von ihren Beziehungswörtern als eine intensivierende Herausstellung, also: Notwehr der andern ( = Nothilfe) bzw. Schutz der Untertanen. - Die Ablehnung der Notwehr aus christlicher Gesinnung findet sich auch in der Kanonistik, bei keinem Geringeren z.B. als Huguccio (Kuttner, 336.349 - 354). 130 Hier folgt der bekannte Vergleich: "gleich wie sichs nicht ziemet, das der burg^rmeister zu Torgaw wolt die burger wider den fursten zu Sachsen mit gewalt schützen etc., so lang er fürst zu Sachsen ist". Man wüßte gern, ob Luther den sächsischen Landständen wirklich ein Absetzungsrecht zuerkannte oder ob sich hier die Logik seiner Beweisführung verselbständigt hat.

6. Luthers Ratschlag (6.3.1530)

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christlichen Fürsten viel zu. Nicht allein, daß er die Fürstenpflicht zu Schutz und Schirm relativierte, zog er auch die herkömmliche Streiterledigung zwischen Standesgleichen in Zweifel, wo nach dem Versagen von Rechtgebot und Schiedsgericht die Gegenwehr in eigener Sache noch immer als zulässig galt. In der Weigerung des Kaisers, die Appellation anzunehmen, sieht Luther nur die Vorwegnahme der ohnehin gewissen Verurteilung, nur einen Verstoß gegen die Prozeßordnung, der die Beschwerungen nicht größer macht, als wenn ein ordentliches Verfahren durchgeführt würde. Empörung über die Verletzung oberster Rechtsprinzipien ist bei ihm nicht zu spüren, aber auch kein Verständnis für den möglichen Nutzen temporisierender und dissimulierender Politik mit Rechtsbegriffen 131. Wie anders wurde von Luther die quaestio infinita beantwortet als ein halbes Jahr vorher von Bugenhagen, der seine Sentenz doch ebenfalls aus der Heiligen Schrift hergeleitet hatte! Will man sich nicht der Weisheit des abgeklärten Glapion überlassen, es sei die Bibel "ein buch wie ein weich wachs, das man zerren und denen kont nach eins iden gefallen" 132, muß man sachliche Gründe für das Auseinandertreten der Meinungen finden. Bugenhagen war sich zunächst nicht ganz klar, wie das Gehorsamsgebot zugunsten der - kaiserlichen — Obrigkeit und das — fürstliche — Schwertamt zu vereinbaren seien. Beide, Gehorsamsanspruch und Schwertamt, sind nach Römer 13 Kennzeichen der Obrigkeit. Demnach betrachtete Bugenhagen den Kurfürsten von Sachsen als eine eigenständige Obrigkeit unter dem Kaiser, wenn schließlich dem gerechten Unterherrn Recht und Pflicht zum Widerstand gegen den tyrannischen Oberherrn zusprach. Für Luther existierte dieses Problem überhaupt nicht. Er glaubte die "gottliche Ordnung" der Obrigkeit, die er aus dem 4. Gebot ableitete, in der politia derart eingerichtet, daß jede obrigkeitliche Gewalt vor der höheren endete und sich in Untertänigkeit verkehrte. So war der Bürgermeister von Torgau Obrigkeit seiner Mitbürger, aber dem Kurfürsten von Sachsen Untertan, und dieser war Obrigkeit der Torgauer Bürger und ihres Bürgermeisters, aber Untertan des römischen Kaisers, der wiederum war Oberherr von Bürgern, Bürgermeister und Kurfürst, aber mit allen gemeinsam Untertan Gott dem Herrn. Widerstand war dann "rotterey und auffruhr und zwitracht anfahen", war Sünde gegen das höchste Gebot der zweiten Tafel 133. Dieser theonome Zentralismus

131

Vgl. Bernays, 22. Martin Hcckel, 185 -190.

132

RTA JR 2,482 f.

133

WA Br 5, 259. WA 19, 652 f. "Auß dissem gebot leren wir, das nach den hohen wercken der ersten drey gebot kein besser werck seinn, dan gehorsam und dienst aller der, die uns tzur ubirkeit gesetzt. Darumb auch ungehorsam grosser sund ist dan todschlag, unkeuscheit, Stelen, betriegen, und was darinnen mag begriffen werden" (WA 6,250).

70

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

ignorierte die auf Teilhabe am Reich und regionaler Herrschaft beruhende Reichsgliedschaft des Fürsten, die unaufhebbare Pflicht zu Schutz und Schirm das Recht des Hochadels zur Gegenwehr und konstruierte das Reich, dieses h storisch gewachsene Gemenge herrschaftlicher und genossenschaftlicher Stru turen, als einen Untertanenverband nächst Gott unter dem Kaiser. Es lag also nicht an der Theologie, sondern an den außertheologischen Vorgaben, nämlich ihren gegensätzlichen Vorstellungen von der Verfassung des Reiches, daß Bugenhagen und Luther zu gegensätzlichen Meinungen gelangten. Eine solche Vorgabe nach weltlichem Recht war allerdings unvermeidlich, ob man sie nun wissentlich machte wie Bugenhagen, Spengler und Philipp von Hessen oder unreflektiert passieren ließ wie Luther, Brenz und Melanchthon. Denn Mt. 22, 21 oder 1. Petr. 2 konnten einem Christen sagen, er müsse der Obrigkeit gehorchen, aber nicht, wer im Reich des 16. Jahrhunderts Obrigkeit war. Insofern war eine rein theologische Auskunft auf die Frage des Kurfürstenbriefs gar nicht möglich. In der quaestio finita rät Luther dem Kurfürsten, Land und Leute schutzlos dem Kaiser offen zu lassen, aber jede Mitwirkung an der glaubensbedingten Verfolgung seiner Untertanen zu verweigern. In der Stunde der Prüfung muß jeder Christ auf eigene Gefahr seinen Glauben bekennen: als Untertan, ohne Schutz beim Landesherrn zu suchen, als Fürst, ohne zum Mittäter der Missetat des Kaisers zu werden. Luther dachte dabei an einen relativ kleinen Kreis gefährdeter Personen, in erster Linie an die evangelischen Prediger 134. Er hatte anscheinend eine Situation vor Augen, wie sie zwei Jahre zuvor in dem angeblichen Breslauer Bundesvertrag überscharf beschrieben worden war: Der Kurfürst von Sachsen erhält vom Kaiser den Befehl, Luther und die evangelischen Prediger sowie die ehemaligen Mönche und Nonnen gefangenzusetzen und auszuliefern — diese Säuberung als Einleitung zur Wiederaufrichtung der alten Kirche —; verweigert er den Gehorsam, so greifen ihn die verbündeten Fürsten mit aller Macht an und ver-

134 Ebs. Wolgast, 160. Karl Müller, 25 bezieht die Aussage auf alle Untertanen. Dagegen spricht die folgende Überlegung: "Wil k. Mt. widder uns", soll uns kein Fürst oder Herr gegen ihn schützen. Wir werden von ihnen keinen Schutz begehren (Diese Ergänzung ist wegen der Konstruktion des folgenden Satzes nötig.). MUnd sol auch niemand anders von seinem fursten oder herren begeren ...". Luther unterscheidet zwei Gruppen gefährdeter Untertanen: die mit dem Personalpronomen der 1. Person Plural bezeichnete und die von dieser durch "auch niemand anders" abgehobene. Die erste Gruppe, zu der sich Luther selbst rechnet, ist bestimmt, die zweite, durch Indefinitpronomen bezeichnete unbestimmt. Beide Gruppen zusammen bilden nicht die Gesamtheit der Untertanen; denn ein kaiserlicher Auftrag an die Fürsten zum "angreiffen, fahen, todten und veriagen" kann schwerlich gegen die ganze Bevölkerung gerichtet sein. Die bestimmte Gruppe, zu der sich Luther selbst zählt, die durch den Kaiser gefährdet ist, aber bei ihren Fürsten keinen Schutz sucht, können eigentlich nur die evangelischen Prediger sein.

6. Luthers Ratschlag (6. 3.1530)

71

treiben die Ernestiner für alle Zeit aus ihren Landen135. Die tatsächlichen Maßnahmen der Gegenseite gingen 1529 so weit nicht. Gewiß, die Eindämmung der Reformation war nun Reichsbeschluß, die Appellation vom Kaiser nicht angenommen, und die inoffizielle Strafandrohung wegen Ungehorsam und Landfriedensbruch galt Kurfürst Johann persönlich. Aber noch bestand die Friedenszusicherung, welche die Fürsten in Speyer einander gegeben hatten. Die Lage des sächsischen Kurfürsten war ernst genug. Doch Luther schätzte sie offenbar gefährlicher ein, als sie war, nicht, wie man gewöhnlich annimmt, weniger gefährlich 136. Indolenz gegenüber der Wirklichkeit dürfte demnach nicht zum Rigorismus seines Ratschlags beigetragen haben. Ausführlich geht er dann auf das Motiv Schutz des Evangeliums ein. Gottes Wort zu erhalten ist allein die Sache Gottes. Des Christen Sache sind Gottvertrauen und Gebet. Gott ist treu. Er wird Mittel finden, das Evangelium zu erhalten und den Seinen zu helfen, wie er stets getan hat und zu Zeiten Christi und der Apostel besonders. Torheit wäre es, Gottes Gebot zu übertreten, um sein Wort zu verteidigen, und Glaubensschwäche, die ihm nicht vertraut, daß er ohne Menschenwitz zu helfen weiß. Luther erinnert an Joj achin, den König von Juda (2. Kön. 24, 12), und an den Propheten Jeremia (Jer. 38, 17 f.), die errettet wurden, weil sie vom Kampf gegen Nebukadnezar, die Geißel Jahwes, auf dessen Geheiß abstanden bzw. abrieten, und andererseits an Jesajas Drohungen gegen die Juden, die dem ägyptischen Bündnis mehr vertrauen wollten als Jahwe (Jes. 30, 15 f.). "Prophetisches Geschichtsbewußtsein und urchristlicher Glaube - das ist Luthers Rat in der Widerstandsfrage." 137 Er selber fand Worte prophetischer Mahnung. Er sieht den großen Krieg heraufziehen. Der Kaiser wehrt sich und hat ja den größeren Haufen auf seiner Seite. Der Kurfürst, wenn er gleich Sieger bliebe, muß immer weiter und selbst nach der Krone greifen, die ihm die Helfer von heute schon morgen streitig machen. In diesem Getümmel will jeder Kaiser sein. Morden und Jammer, ein wahres Teufelswerk! Kann ein Gewissen ertragen, Ursache dazu oder Helfer zu sein! Was Luther nicht sah: daß Widerstand als ein vorsichtiges Handeln aus der Defensive mit begrenztem Ziel gemeint war, als letztes Mittel einer temporisierenden Politik. Zu verwundern war das freilich nicht. Es war noch keine zwei Jahre her, 135

Diilfer, Darstellung, 62. Quellen, 49 - Als die von Otto von Pack ausgelöste Krise schon im Abklingen war, äußerte Luther in einem privaten, aber publik gewordenen Brief den Verdacht, der Breslauer Bund bestehe tatsächlich, und Hz. Georg von Sachsen sei sein Urheber (WA Br 4,483). Diese Ansicht hat er, wenn ichrichtigsehe, niemals korrigiert (WA 30/2,15). In der folgenden literarischen Fehde nahm er die Verdächtigung nicht zurück, sondern erweckte eher den gegenteiligen Eindruck (Von heimlichen und gestohlenen Briefen, 1529. WA 30/2, 27 Z. 22 ff. 33 Z. 3 ff. 37 Z. 15 ff. 38 bes. Z. 31 - 33. 39 Z. 29 ff.), was ihm Beifall von der falschen Seite eintrug (Pack an Luther, 23.1.1529. WA Br 5,10 f.). 136

Zuletzt Wolgast , 160 f.

137

Dörries, 212.

72

III. Grundsatzstreit der lutherischen Protestationsverwandten

da hatte Philipp von Hessen mit seiner ungestümen Angriffslust Kurfürst Johann beinahe in einen mutwilligen Krieg gezogen, und das Gerücht, das jenem seit den Packschen Händeln anhing, er wolle sich selbst oder den Kurfürsten zum deutschen König machen, versetzte nicht nur Luther in tiefe Unruhe 138.

138

Kühn, Philipp, 123. RTA JR 7,1036,1. Dülfer, Darstellung, 10-. QueUen 43.

I V . Die lutherischen Appellationsverwandten zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

1. Fast gleichzeitig mit dem Widerstandsgutachten, am 11. März, traf am Torgauer Hoflager das kaiserliche Ausschreiben zum Reichstag ein1. Der Kaiser kam ins Reich. Die Protestierenden hatten es jetzt nicht mehr nur mit seinem Stellvertreter und dem Regiment zu tun, gegen die sie ehedem einen vorläufigen Schutzvertrag geschlossen hatten, und gegen den Kaiser gab es kein Christenrecht auf Gegenwehr, wie Johann und seine Räte soeben unterrichtet worden waren2. Es gab auch keine gemeinsame Politik der Protestierenden. Sie hatten weder zu einem Verteidigungsbündnis noch zu einer zweiten Gesandtschaft an den Kaiser zusammengefunden. Statt dessen machten sich nun drei Sondergesandtschaften auf den Weg nach Innsbruck. Doch Gefahr schien nicht im Verzuge. Das Ausschreiben war hinsichtlich der Glaubenssache ganz auf Frieden gestellt. Kein Wort mehr von Huldentzug, das am kursächsischen Hofe als Androhung der Acht verstanden und als Rechtsverweigerung gewertet worden war; statt dessen das Angebot eines Verfahrens "in liebe und gutligkait", in welchem beide Seiten gehört werden sollten und die Schuld an Irrung und Zwiespalt nicht von vornherein den Protestierenden zugerechnet wurde3. Der Glaubensabschied des letzten Reichstages, gegen welchen Protestation und Appellation gerichtet waren, schien zur Disposition gestellt. Schließlich brachte Karls Rückkehr dem sächsischen Kurfürsten ein Problem, das ihn und sein Haus allein betraf, nämlich die Pflicht zur Lehnsmutung, die während der jahrelangen Abwesenheit unterblieben war. Auch der sächsisch-jülische Erbvertrag von 1526

1 Im Folgenden soll keine Darstellung der Glaubenshandlung auf dem Augsburger Reichstag versucht werden, sondern nur ein Abriß der offiziellen Verhandlungen mit ihren Arbeitsweisen. Er soll dazu dienen, den Fortgang der Diskussion über das Widerstandsrecht in die Ereignisgeschichte einzuordnen. 2 Wolgast• 164 f. Melanchthons Brief, den er am 31.3.1530 unmittelbar nach den Torgauer Beratungen an Christian Beyer schrieb (CR 2,34), erweckt den Eindruck, daß Theologen und Politiker nunmehr in der Ablehnung des Widerstandsrechtes übereinstimmten. 3 Förstemann 1, 7. Die Wendung zur Milde ergab sich aus dem Stellenwert, den Karl der deutschen Glaubenssache in seiner politischen Gesamtplanung zugewiesen hatte, und aus gleichgerichteten Ratschlägen Ferdinands. Der weiterreichende Vorschlag eines Religionsgespräches ging daneben auf den Einfluß humanistischer Räte, vielleicht Valdés1, zurück. Das zeigen die einander ergänzenden Aufsätze von Reinhard und Rabe.

74

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

bedurfte zu seiner Gültigkeit der kaiserlichen Bestätigung. Alles das empfahl eine maßvolle Politik des friedlichen Ausgleichs4. Kurfürst Johann stellte die Bitte um Lehnserneuerung und Bestätigung der Erbverbrüderung vor Beginn des Reichstages durch eine ranghohe Gesandtschaft, und er selbst reiste frühzeitig nach dem süddeutschen Tagungsort, damit er wenn erwünscht seinen Lehnsherrn persönlich aufsuchen konnte. An sich eine Routineangelegenheit. Aber wegen der Glaubensirrung mußte er darauf gefaßt sein, daß seine Wünsche nicht erfüllt wurden. Für diesen Fall erhielten die Gesandten bestimmte Weisungen, unter anderem, dem Kaiser ein Exemplar der Schwabacher Artikel zu überreichen 5. Von größerer Bedeutung war natürlich die Glaubenshandlung selbst. Kursachsen hielt für möglich, daß der Reichstag die Aufgaben eines Nationalkonzils übernahm, und stellte sich nicht einfach auf Bekenntnis ablegen und rechtfertigen ein, sondern auf Verhandlungen von gleich zu gleich6. Der Wortlaut des kaiserlichen Ausschreibens legte das nahe7. Wie sah das Konzept aus, das die Politiker zusammen mit den Theologen, vorab wohl Brück mit Melanchthon, dafür entwarfen: die Forderungen, Zugeständnisse, Argumente8? Die Glaubenslehre, war man überzeugt, die im Fürstentum gepredigt wurde, entsprach dem Evangelium; sie stellte keine Neuerung dar. Hier ging man zunächst nicht in die Einzelheiten, sondern vertraute auf die Überzeugungskraft der Schwabacher Artikel, die man der Sondergesandtschaft mitgegeben hatte. Den Verdacht der Häresie ließ man gar nicht an sich herankommen. Ebenso urteilte man über die im Fürstentum eingeführten Kirchenordnungen. Sie waren anders als anderswo, aber aus dem Geiste des Evangeliums; der Vorwurf des Schismas war ungerechtfertigt. "Denn Ungleichheit in äußerlichen menschlichen Ordnungen sind nicht wider die Einigkeit der christlichen Kirchen, wie klar ausweiset dieser Artikel: credo sanctam Ecclesiam catholicam." Das schrieb Melanchthon in den letzten Märztagen während oder kurz nach den Torgauer Beratungen mit Brück 4

Zur Würdigung der ksä. Politik vgl. von Ranke 3,190 -196.

5

RTA JR 8,625 - 628. Steglich in ARG 62,190 f.

6

Kf. Johann an Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon, 14. 3.1530 (WA Br 5,264). Der Anspruch auf Parteiengleichheit wird stark betont von Brück, 10-15. 7 "(1) alle ains yeglichen gutbeduncken, opinion und maynung zwischen uns selbs in liebe und gutligkait zu hören, (2) zu verstehen und zu erwegen, (3) die zu ainer ainigen Christlichen warhait zu brengen und zu vergleichen, (4) alles, so zu baiden tailen nit recht ist ausgelegt oder gehandelt, abzuthun, (5) durch uns alle ain ainige und ware Religion anzunemen und zu halten und, (6) wie wir alle unter ainem Christo sein und streiten, also alle in ainer gemainschaft, kirchen und ainigkeit zu leben" (Förstemann 1, 7 f. Die Ziffern von mir zur Kennzeichnung der Handlungsschritte). 8 von Walter, 22 - 32.73 - 78.

22 - 30. Vor allem Maurer, Erwägungen, 348 - 394. Ders., Kommentar 1,

1. Die offiziellen Glaubensverhandlungen in Augsburg

75

und anderen9. In den von Menschen geschaffenen Ordnungen vor allem fand man die Wurzeln der Zwietracht\ die das kaiserliche Ausschreiben beklagte; hier waren im Laufe der Jahrhunderte Mißbräuche eingedrungen. Diese Auffassung wurde zur gedanklichen Grundlage der kursächsischen Ausgleich politik i0. Die eigenen Kirchenordnungen hatten inzwischen diese Mißbräuche abgeschafft, sachlich völlig zu Recht; aber man mußte sich fragen, welche von ihnen um des Friedens willen mit gutem Gewissen hingenommen werden durften. Auf keinen Fall das Abendmahl unter einer Gestalt, der Zölibat, die Winkel- und Kaufmessen. Das vollständige Abendmahl, die Priesterehe und die Pfarrmesse waren unabdingbar. Dagegen war man bereit, die Weihe- und Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe da, wo ihr Wirken aufgehört hatte, wiederherzustellen, sofern sie nur aufhörten, die verheirateten Priester zu verfolgen und die jungen Ordinanden auf die alten Mißbräuche zu verpflichten. In der Konsequenz dieses Angebots lag, obwohl unausgesprochen, ein zweites, weiter reichendes: eine Art Bestandsgarantie für die geistlichen Fürstentümer 11. Das traute man zu erreichen sich zu. Wie fest müssen die Planer von der Richtigkeit ihres Grundgedankens überzeugt gewesen sein! Gesetzt, der Vorschlag wurde unverändert ausgeführt, so nahmen unter der Duldung altkirchlicher Bischöfe die evangelischen Lehren und Gebräuche ihren freien Lauf durch die bestehenden oder wieder hergestellten Diözesen über die politischen Grenzen hinweg, soweit die we bende Kraft ihrer Predigt reichte. Bezüglich einer bedingten Anerkennung des Papsttums und der Zustimmung zu einer Verurteilung der Sakramentierer, wozu sich die Wittenberger Theologen in ihrer ersten Stellungnahme bereit erklärt hatten, legten die Politiker sich nicht fest. Allerdings waren die Sondergesandten ermächtigt, dem Kaiser die sehr distanzierte Haltung des Kurfürsten gegenüber den Sakramentierern anzuzeigen12. Schließlich sah man Verhandlungsmöglichkeiten in der Frage der Klostergüter, wo übrigens die Position des Kurfürsten wegen seiner zahlreichen Patronatsrechte ziemlich stark war 13. Wenn der Reichstag anstelle eines Nationalkonzils handelte, dann verstand es sich von selbst, daß seine einhelligen Beschlüsse den Glaubenszwist überall im Reich und endgültig beilegten. Erst zu einem späteren Zeitpunkt kam der von beiden Seiten akzeptierte Gedanke auf, die Vereinbarungen bis zu einem Generalkonzil zu befristen. Man darf nicht außer acht lassen, daß das vorstehende Konzept aus Texten der Theologen, vor allem Melanchthons, gewonnen ist. Politiker und Theologen haben natürlich 9

Hs A der sog. Torgauer Artikel (CR 4,987. BS, 108).

10

BS, 83 d.

11

Ziemlich direkt ausgesprochen in Luthers "Vermahnung" (WA 30/2,342).

12

RTA JR 8, 627.

13

Ebd., 628.

76

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

bei der Planung zusammengearbeitet, trotzdem regen sich Zweifel, ob nicht erfahrene Männer wie Gregor Brück oder Hans von der Planitz von vornherein gewisse Abstriche gemacht haben. Noch im Zustand des Entstehens wurde das kursächsische Verhandlungskonzept auf eine ernste Probe gestellt. Johannes Eck schrieb seine "404 Artikel zum Reichstag zu Augsburg" und bezichtigte darin Luther, Zwingli und die Wiedertäufer ohne Unterschied der Ketzerei. Schwerer wog, daß Karl V. die Belehnung und die Bestätigung des Erbvertrags verweigerte und die Schwabacher Artikel mit keinem Wort erwähnte, als ob sie das nicht wert wären14. Die Altkirchlichen empfanden eben doch den Zwiespalt in der Glaubenslehre tiefer, als es die kursächsischen Planer hatten wahrhaben wollen. Aus dieser Erfahrung entstand die Confessio Augustana, Melanchthons großer Versuch, die Katholizität der evangelischen Glaubenslehre in gründlicher Darstellung zu beweisen. Die Überzeugungsarbeit wurde verstärkt 15, aber der Grundgedanke des Verhandlungskonzeptes nicht aufgegeben. "Tota dissensio est de paucis quibusdam abusibus", heißt es am Schluß des Augsburger Bekenntnisses erster Teil 16 . In seiner Proposition vom 20. Juni begehrte Karl V. von den Ständen, es solle ihm ein jeder, wie es unbestimmt hieß, seine Meinung über den Glaubenszwiespalt schriftlich in deutscher und lateinischer Sprache zur Kenntnis bringen 17. Daß er sich an das im Reichstagsausschreiben angekündigte Verfahren hielt und vor allem der Umstand, daß die evangelischen Fürsten dem sächsischen Bekenntnis beigetreten waren, ersparte Kurfürst Johann die diskriminierende Rolle des der Abweichung Verdächtigen, der sich vor dem rechtgläubigen Kaiser zu verantworten hatte. Jetzt bot sich die Chance, die anfänglichen Verhandlungen vom Religionsstreit weg auf Fragen der Verfahrensordnung zu lenken und auf diesem allseits vertrauten, wertfreien Felde die Gleichberechtigung mit der altgläubigen Ständemehrheit durchzusetzen, welche in Speyer versagt geblieben war. So wenigstens schien es für den Augenblick. Gregor Brück verfaßte am 21., vielleicht erst am 23. als politische Absichtserklärung eine neue Vorrede zur theologischen Bekenntnisschrift 18. Sie war völlig frei von den Rechtfertigungsversuchen der älteren

14 Antwort Karls V. auf Dölzigs Werbung. Innsbruck, 11.5.1530 (ebd., 638). Zur Wirkung im ksä. Lager Gf. Wilhelm von Neuenahr an Gf. Wilhelm von Nassau, Augsburg, Mitte Mai 1530 (ebd., 640). Brück, 23 - 26. 15

Maurer, Kommentar 1,24 f.

16

BS, 83 c.

17

Förstemann 1,308 f.

18

BS, 44 - 49.

1. Die offiziellen Glaubensverhandlungen in Augsburg

77

Fassungen und ging auf die kaiserliche Proposition "rein geschäftsmäßig" ein19. Die zweite Vollversammlung des Reichstages am 24. Juni20 war zunächst dem Kardinallegaten gewidmet, der in einem erhöhten Sessel gegenüber dem Kaiser Platz genommen hatte. Campeggio überbrachte ein päpstliches Breve, das auf Karls Geheiß verlesen wurde, und hielt dann selbst eine lateinische Rede, in welcher er Kaiser und Fürsten zur Einigkeit und zum Kampf gegen die Türken aufrief. Es war gegen drei Uhr, als der Legat geendet hatte und feierlich hinausgeleitet wurde, und noch genügend Zeit, das Bekenntnis der Lutherischen zu verlesen. Die fünf Fürsten hatten sich schon erhoben, um vor den Kaiser hinzutreten, da wandte sich dieser an die ihm zunächst Sitzenden und ließ nach kurzer Beratung erklären, er wolle vorher die Gesandtschaft der niederösterreichischen Stände empfangen 21. Das verstieß zweifellos gegen die gerade erst getroffene Vereinbarung, die Türkenhilfe nach der Glaubensirrung zu behandeln. Die Verlesung der umfänglichen Bittschrift war auch nicht in Kürze erledigt, sie brauchte ihre Zeit. Endlich kam Dr. Brück zu Wort. Seine Herren seien im Gehorsam gegen das Ausschreiben und die Proposition des Kaisers bereit, ihr "gutbeduncken, artickel und meynung" vorzutragen und zu übergeben, "zuvorsichtig, es wurde von den andern Churfurst, fursten und Stenden dergleichen furtragen irer opinion und meynung jetzt auch bescheen"22 Er wußte natürlich, daß die Altgläubigen nicht daran dachten, ein schriftliches Bekenntnis einzureichen, und der Kaiser wußte es auch; denn der Fürstenausschuß hatte ihm zwei Tage zuvor nur das Erbieten der lutherischen Fürsten gemeldet und verschwiegen, daß diese von den andern das gleiche verlangten23. Im Grunde wird allen Beteiligten klar gewesen sein, daß von der Gleichbehandlung in diesem Punkte die Gleichberechtigung in der bevorstehenden Glaubenshandlung abhing. Nach einem Bedacht mit den Ständen der Mehrheit ließ der Kaiser antworten, der Vortrag sei unnötig, man habe ja alles schriftlich. Auch spreche das Ausschreiben allein vom Kaiser, der eines jeden Gutbedünken, Meinung und Opinion hören wolle. Die Fünf hielten dagegen, man habe ihm die falsche Meinung eingebildet, auch inner- und außerhalb des Reiches verbreitet, als ließen sie in ihren Landen Neuerun19 Gussmann, 116. Moeller, 80 - 82. Maurer, Kommentar 1, 59 - 61 - Moeller, 81, 23 überschätzt allerdings das ksl. "Entgegenkommen gegenüber den Protestanten", weil das folgende Geschehen außerhalb seiner Betrachtung bleibt. 20 Tetleben, 74-76. Bericht der Nürnberger Gesandten, 25.6.1530 (CR 2, 127-130). Campeggio an Salviati, 26.6.1530 (Nuntiaturberichte, 72 f.). Brück, 51 - 55. von Walter, 50 52. 21 22 23

Brück, 51. Ebd., 52. Ebd., 49 f.

78

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

gen predigen. Deshalb müßten sie auf ihrer Bitte beharren. Darauf der Kaiser: Eine Neuerung wäre es, wenn das, was er mit Kurfürsten und Fürsten verhandle, dem gemeinen Mann sollte angezeigt werden.24 Da erinnerten ihn die Lutherischen daran, daß er ihnen durch Kurfürst Joachim die Verlesung zugesagt habe. Der Kaiser war bloßgestellt. Er hatte sozusagen Tilibustern' lassen, um sein Versprechen loszuwerden, und die österreichischen Grenzlande in ihrer Not waren ihm dafür nicht zu schade gewesen25. Jetzt lenkte er ein: es sei für diesmal zu spät, schon sechs Uhr abends. Sie sollten sich mit ihrem Vortrag bis morgen gedulden. Und dann verlangte er ihre Bekenntnisschrift ausgehändigt. Die evangelischen Fürsten hörten vor allem das Nein. Nach einem Bedacht gaben sie zur Antwort: Es seien viel geringere Supplikationen öffentlich vor jedermann verlesen worden - eine deutliche Anspielung auf das unschöne Manöver, dessen Opfer sie geworden waren —; ihre Sache sei wichtig. Sie hätten sich verhalten, wie sie es vor Gott und kaiserlicher Majestät verantworten könnten. Zur Abwehr der kaiserlichen Vorzensur fiel ihnen nichts Besseres ein, als Korrekturbedürftigkeit der Reinschrift vorzuschützen, die man über Nacht beheben wolle. Der Kaiser hatte es leicht, sich verwundert zu geben. Doch nahm er die Weigerung hin, weil er ihrer Versicherung glaubte, die Schrift enthalte nichts, was jemand hätte beschweren können. Vortrag und Übergabe der Confessio erfolgten am 25. Juni im Kapitelsaal des bischöflichen Palastes in Gegenwart des Kaisers, der Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reiches26. Die schon erwähnte Vorrede enthielt vier Angebote und Forderungen. 1. Die andern Stände sollten ebenfalls der kai24 Daß Karl selbst den Verdacht geäußert habe, die lutherischen Fürsten wollten mit dem Vortrag ihres Bekenntnisses die Öffentlichkeit erreichen, sagen Tetleben , 75 und Campeggio (Nuntiaturberichte, 73). Brück, 56 schreibt diesen Verdacht böswilligen Ratgebern des Kaisers zu. Doch war er nicht ganz unbegründet, wie die Nbg. Gesandten indirekt bestätigen, denen zufolge die Konfessoren schließlich die Vertagung, nicht jedoch die Verlegung aus dem Rathaus in den Bischofspalast hinnehmen wollten (CR 2,129). 25 Liebmann, 262 - 264, ist der Ansicht, die Konfessionsverwandten hätten erst am 23. 6. beschlossen, ihr Bekenntnis auf dem Rathaus zu verlesen, und am 24. gegen den Widerstand des Kaisers für den folgenden Tag "erzwungen". Das könnte man aus dem Bericht der Nbg. Gesandten vom 25. schließen, man habe am 23. die CA "verlesen, verhört und beratschlagt, dieselbe auf gestert nachmittag kaiserlicher Maj. vor den Reichsständen zu überantworten und verlesen zu lassen" (CR 2,127). Doch übersieht er Tetleben, 75: "Daruff wydder von den luttherischen antworth gefallen, das keyc Μ hetth oen zusagen lassen durch marggrave Joachim churfursten, das maen oere artikel und bekentnisse wolte leßen lassen, darume betthen ße noch." Die ksl. Zusage wurde demnach schon am 22. gegeben, als ein Fürstenausschuß unter Leitung des Brandenburgers dem Kaiser die Antwort beider Kurien auf die Proposition überbrachte. Teil dieser Antwort war das Erbieten der lutherischen Fürsten, ihr Bekenntnis im nächsten Reichsrat am 24. zu übergeben (Brück, 50), und wohl auch - denn eine Zusage setzt eine Bitte voraus - die Bitte um Verlesung derselben. Die Konfessionsverwandten hatten also keinen Überraschungscoup geplant. 26

von Walter, 52 f.

1. Die offiziellen Glaubensverhandlungen in Augsburg

79

serlichen Proposition nachkommen und ihr Bekenntnis überreichen. 2. Unter dieser Voraussetzung waren die fünf Fürsten bereit, mit ihnen über ein angemessenes, gerechtes Verfahren zu verhandeln27, das, wie der folgende Punkt zu erkennen gibt, wenigstens die Anerkennung als einer gleichberechtigten Partei erbringen mußte. 3. Anschließend sollten beide Parteien die Verhandlungen in der Sache aufnehmen. Ziel war, wie man mit den Worten des Ausschreibens ausdrückte, den Glaubenszwiespalt zu vergleichen und sich in der einen, wahren Religion zu vereinigen. Welche Rolle man dem Kaiser dabei zudachte, verbot der schuldige Respekt zu sagen, jedenfalls nicht die eines Richters im Schiedsverfahren 28. 4. Ersatzweise erboten sich die Fürsten wieder auf ein Konzil als letzte Instanz, das sie nach dem Vorbild der Reichstage von Nürnberg und Speyer durch die Attribute 'allgemein, frei und christlich' charakterisierten, und diese ihre vorsorglich erneuerte Appellation versuchten sie zu befestigen, indem sie alle früheren unter Karl V. gemachten Konzilszusagen aufzählten. Gemeint war natürlich unausgesprochen ein geläutertes Konzil, "wilches von dissen sachen nytt ex consuetudine, nytt ex traditionibus humanis, sonder nach der heiligen schritte urteil und richte". 29 Gleich nach der Übergabe der deutschen und lateinischen Fassung entließ der Kaiser die Konfessoren mit dem Bescheid, er werde sich bei der Behandlung dieser großen und wichtigen Angelegenheit aufrichtig und unverweislich erzeigen. Dann wandte er sich an die zurückbleibenden Stände und begehrte ihren Rat. Die baten um Aufschub bis zum nächsten Tag. Zwischen dem 26. Juni und 2. August, in fünfeinhalb Wochen, einigten sich der Kaiser und die altgläubigen Fürsten auf ein Verhandlungskonzept in der Glaubenssache30, während die evangelischen 'vor der Tür' bleiben mußten und sich die Zeit mit Preisschießen um Zinnkrüge vertrieben 31. Ein Religionsgespräch gleichberechtigter Partner unter der unparteiischen Leitung des Kaisers stand nicht zur Diskussion. Vielmehr schlug Karl den alt27

"daß wir uns mit ihren Liebden und ihnen von bequemen gleichmäßigen Wegen unterreden" (BS, 46). 28 "damit unser beiderseits, als Parten, schriftlich Furbringen und Gebrechen zwischen uns selbs in Lieb und Gutigkeit gehandelt und diesselbe Zwiespalten zu einer einigen, wahren Religion [...] geführt mugen werden" (ebd., 46). 29

Justus Jonas in seinem Bedenken vom 14.9.1530 (Förstemann 2,426).

30

Programmatischen Charakter hat die ksl. Danksagung vom 10. 7. (Förstemann 2, 9 -12. Datierung nach Brieger, 133), welche die bisherigen Beratungsergebnisse, bes. die ksl. Anfrage vom 5. 7. und die Antwort der Stände vom 6. 7. (.Brieger,; 127 - 130.130 -133, der auf den 7. 7. datiert), zusammenfaßt. Diesem Konzept wurden Ergänzungen hinzugefügt durch die Beratungen vom 15. 7. sowie vom 1. und 2.8. {Tetleben, 87. 97 f.). von Walter,; 53 - 63. Immenkötter, Einheit, 11 -15. 31

Brück, 20 f.

80

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

gläubigen Fürsten ein Schiedsgericht vor, das unter Reichsfürsten gebräuchliche Mittel rechtlicher Streiterledigung. Aber die lehnten ab, als Partei gegen die Fünf zu klagen, wie sie sich vorher geweigert hatten, neben ihnen ein eigenes Bekenntnis einzureichen: denn beides hätte die Lutherischen zu einer gleichberechtigten Partei aufgewertet 32. Beschlossen wurde, der Kaiser solle aus der Machtvollkommenheit seines Amtes handeln, was ihm auf Grund des Wormser Edikts und als advocatus Romanae ecclesiae zukomme33. So beugte man der Behauptung irgendwelcher Rechtsmängel vor, 'quia plenitudo potestatis omnia supplet'34, und sogar die Eigenschaft eines 'natürlichen Oberherrn' legte man ihm bei —für Reichsfürsten ungewöhnlich —, um den kaiserlichen Machtspruch zu rechtfertigen 35. Das Prinzip der Gewaltenfülle ersetzte zwar nicht das Erfordernis ständischer Mitwirkung, aber es hatte doch zur Folge, daß entweder der Kaiser selbst durch seine Kommissare oder die Stände in seinem Auftrag mit den Lutherischen verhandelten, daß also die gewöhnliche Arbeitsweise der Reichstage durchbrochen wurde 36. Dieser Beschluß kam aus der Erfahrung des letzten Reichstages, der mit Protestation und Appellation geendet hatte, und drückte die herrschende Stimmung aus: Karl V. und die Mehrheit der Kurfürsten, Fürsten und Stände verstanden sich als 'Kaiser und Reich ' und die Minderheit als die von Glauben und Recht Abgewichenen, denen sie rechtliches Gehör gewähren wollten, aber nicht Parteiengleichheit und die Neutralität de kaiserlichen Person* 1. Daß ihr Bekenntnis widerlegt und zurückgewiesen wurde, stand von vornherein fest; doch man verlangte von den Theologen eine Begründung aus der Heiligen Schrift und nicht aus Häresienkatalogen. Diese Widerlegung, Confutation, sollte also im Namen des Kaisers ergehen, aber auf Rat der Fürsten nicht in der Form eines Dekrets, sondern eines Ratschlags und ohne Drohungen38. Man riskierte diesmal nicht wie in 32

Den lutherischen Fürsten sollte nur dann ein Schiedsgericht angeboten werden, wenn man der Annahme sicher sein durfte (Brieger, 134. Tetleben, 82), und wurde folglich unterlassen (Gussmann, 144). 33 Förstemann 2, 9 f. Diese Alternative zum Schiedsverfahren erscheint bereits in der ksl. Anfrage vom 5.7. (Brieger, 128. Tetleben, 81). Vgl. von Walter, 62. Reinhard, 96. 34

Ernst Schubert, 134.

35

Das legt die ksl. Danksagung (Förstemann 2,10) nahe.

36

Der Kaiser verhandelte mit den Lutheranern und erteilte ihrem Bekenntnis die Antwort (Tetleben, 99). Die Ständeausschüsse, deren Einsetzung er genehmigte (ebd., 102. 118. 131) und deren Bericht er empfing (ebd., 137), arbeiteten unter dem Vorbehalt seiner Zustimmung (ebd., 118). In der Schlußphase verhandelte er wieder selbst mit den fünf Fürsten und begehrte von ihnen die Annahme des Glaubensabschiedes, den er zuvor mit den altgläubigen Fürsten verglichen hatte (ebd., 157).

3.

37

Brück, 61 f. Vgl. von Ranke 3,197 f. Lutz, 26.

38

Tetleben, 97 f. Der Wortlaut der ursprünglichen Klausel bei Immenkötter, Reichstag, 45,

1. Die offiziellen Glaubensverhandlungen in Augsburg

81

Worms den vollen Einsatz der kaiserlichen Autorität, um die Möglichkeit gütlicher Verhandlungen offenzuhalten. Der Text sollte in einer Plenarsitzung verlesen, Abschriften jedoch nicht aus der Hand gegeben werden38*. Dadurch hoffte man die befürchtete Verschleppungstaktik mit schriftlichem Replizieren und Duplizieren zu unterbinden. Verhandlungen waren für den Fall vorgesehen, daß ein Vergleich mit dem Kaiser nicht zustande kam. Diese Aufgabe sollten die altgläubigen Kurfürsten und Fürsten sowie andere Stände übernehmen und mit den fünf lutherischen die gütliche Handlung in eigens gebildeten Ausschüssen führen. Das Verhandlungskonzept bezeichnet drei mögliche Wege: Die Fürsten beider Seiten vereinigten sich darin, alle Z spalte und Irrungen im Glauben vollständig auszuräumen, oder sie verglichen wenigstens die meisten strittigen Artikel und schufen so die Voraussetzung d die übrigen in der Zeit zwischen dem Reichstag und dem Konzil verglichen we den konnten. Von sachlichen Zugeständnissen an die Lutheraner war nicht die Rede. Als letzter Weg, falls ein schrittweiser Vergleich unerreichbar sch wurde ein allgemeines Konzil in Aussicht genommen. Die Eröffnung sollte so bald wie möglich erfolgen, der Tagungsort 'gelegen' sein, d. h. so gewählt werden, daß nicht von vornherein den deutschen Teilnehmern Nachteile, Ungelegenheiten, entstünden. Bedingung war jedoch, daß die Protestierenden zuvor das Wormser Edikt ausführten und alle Neuerungen in den alten Rechtszustand zurückversetzten 39. Dieses Verhandlungskonzept war wie eine sorgfältig dosierte Therapie zur Ketzerbekehrung, vom leichten Mittel zum stärkeren fortschreitend; denn mit Ketzern hatte man es zweifellos zu tun, obgleich man offiziell den "hesligen namen"40 vermied und weniger bestimmt von 'Abgewichenen' oder 'Neuerern' sprach. Waren die lutherischen Fürsten einsichtig, so genügten eindringliche Appelle der ihnen 'verwandten', solidarisch verbundenen Mitfürsten, und alle Probleme lösten sich von selbst. Oder sie waren wenigstens nicht verstockt und bewiesen guten Willen — Melanchthons Auftreten konnte da Hoffnungen nähren—, dann mußte man geduldige Überzeugungsarbeit leisten, auch mit Teilerfolgen zufrieden sein und längere Verhandlungspausen einräumen, sofern ois zum Konzil der volle Erfolg zu erwarten war. Oder sie ließen eigensinnig 380 Die ksl. Danksagung spricht von 'Verlesen', ebs. die Stellungnahmen der beiden Kurien vom 6. und 13. 7. (Brieger; 133. 135. Förstemann 2,11). Tetleben, 87 präzisiert: "Und wan das antwort allenthalben bedacht, solten es darnach den luttherischen fursten verleßen, nicht ubergeben werden und mydt dennselbigen daruff gehandelt, wy dan fhur auch beslossen, bedacht und keyr M* durch Kff. u. Ff. gerathen.M Es gibt daher keinen Grund, wie Immenkötter, Einheit, 14 f. eine besondere Initiative Campeggios anzunehmen. 39 Förstemann 2, 11 f.-Die letztgenannte Bedingung steht nicht in der ksl. Danksagung, aber Kaiser und Fürsten hatten sich in ihren Vorverhandlungen darauf geeinigt (Brieger, 132. Tetleben, 81. 83), und in der Spätphase der gütlichen Handlung wurde sie den Protestierenden auch präsentiert (Förstemann 2,308. 391 - 394. Tetleben, 134.141. Brück, 117 f.). 40

Tetleben, 144*.

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

nur die Autorität des Konzils gelten, dann sollten sie das Konzil haben, zumal es auch aus anderen Gründen wünschenswert erschien41, doch dann mußten sie ihre ehrlichen Absichten beweisen, indem sie bis dahin die Ausgangslage von 1521 wiederherstellten. Das also waren die drei Wege, auf die sich Kaiser und Reichstagsmehrheit verständigten. Sie benutzten sie beharrlich einen nach dem andern bis zum Reichsabschied vom 19. November und noch darüber hinaus42. Es waren alles Wege der gütlichen Handlung Überrumplungsversuche, Druck und Drohungen gehörten dazu, doch keine tätliche Gewalt - , und sie hatten ein und dasselbe Ziel: die Wiederherstellung der Einheit im Glauben durch friedliche Rückführung der Abgewichenen. Wie es bei einem Scheitern der gütlichen Handlung weitergehen sollte, blieb vorerst ungeklärt. Der Kaiser hatte am 5. Juli die Frage nach der Gewaltanwendung gestellt, die Fürsten hatten ihre Antwort aufgeschoben 43, und als sie wieder verlangt wurde, rieten ihre Deputierten von einem ernstlichen Abschied per modum edicti ab44. Aber ein friedlicher Anstand ohne eine — wenigstens vorläufige — Entscheidung in der Glaubenssache, der die Dinge treiben ließ, wurde zu keiner Zeit in Erwägimg gezogen. 2. Es war eine starke Untertreibung, wenn Brück später von allerlei Kurzweil schreibt, mit der sich die protestierenden Fürsten die lange Wartezeit vertrieben hätten. In Wirklichkeit waren die fünfeinhalb Wochen mit Spannung geladen. Seit der Übergabe der Confessio Augustana hatte der Kaiser nur ein einziges Mal Kontakt zu ihnen aufgenommen, als er sie fragen ließ, ob sie noch weitere Artikel vorzubringen gedächten45. Wirkte schon das lange offizielle Schweigen beunruhigend, so nicht weniger das, was von den Verhandlungen Karls mit den altkirchlichen Ständen durchsikkerte: Der Kaiser selbst werde auf das Bekenntnis antworten und entweder die Annahme seines Spruchs oder die Abstellung aller Neuerungen bis zur Konzilsentscheidung verlangen46. Wollte er wirklich sich und dem Reich den Schimpf antun und nicht, wie versprochen, in gütlicher Handlung vermit-

41

Rassow, 30.50 - 54.

42

Noch im Juli 1531 beauftragte der Kaiser die als Vermittler tatigen Gff. Wilhelm von Nassau und Wilhelm von Neuenahr, Kf. Johann die Rückkehr zur alten Kirche nahezulegen, bevor sie ihre Vermittlungsvorschläge unterbreiteten. Und Anfang September desselben Jahres begannen die Kff. von Mainz und von der Pfalz ihre Vermittlung mit dem Vorschlag, die erfolglos abgebrochenen Glaubensverhandlungen wiederaufzunehmen ( Winckelmann, 139. 142). 43

Tetleben, 81 f. 83.

44

Ebd., 151 f.

45

Kf. Johann an Luther, 15.7.1530 (WA Br 5,482 f.).

46

z. B. Melanchthon an Luther, 8.7.1530 (ebd., 446 - 448).

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

83

teln, sondern als Richter entscheiden, dazu unverhörter Sache47? Da geschah es wie zur Bestätigung dieses Verdachts, daß am 16. Juli Pfalzgraf Friedrich und Graf Heinrich von Nassau, die ranghöchsten Deutschen am Kaiserhof, dazu Georg Truchseß von Waldburg und Wilhelm von Roggendorf im sächsischen Quartier vorstellig wurden — Markgraf Georg hatte eine ähnliche Heimsuchung durch seine Brüder und kurfürstlichen Vettern zu bestehen — und den endgültig ablehnenden Bescheid in den lehnrechtlichen Angelegenheiten überbrachten: Der Kaiser werde Johann weder die Belehnung erteilen noch den Ehevertrag seines Sohnes bestätigen, weil und solange er die Hauptursache des lutherischen Glaubens und Wesens sei. Er forderte ihn auf, von diesem Glauben abzulassen. Auch begehrte er Klarheit, ob der Kurfürst mit den Schweizern im Bündnis stehe. Aus den Beratungen der Antwort, die noch am selben Tage aufgenommen wurden, sind unter anderm zwei theologische Gutachten überliefert, das eine von Spalatin, das andere vielleicht von Agricola, jedenfalls nicht von Melanchthon48. Beide Theologen sehen die Pflicht des Kurfürsten in dem öffentlichen, auch wiederholten Bekenntnis seines Glaubens erfüllt. Darüber hinaus kann er den Kaiser seines Gehorsams versichern und an das friedfertige Reichstagsausschreiben erinnern. "Daß sich aber von wegen des heiligen Evangelions mein gnädigster Herr mit gewappneter Hand gegen Kais. Maj. sperren und setzen sollten, wüßt ich keineswegs zu rathen", fährt Spalatin fort 49, und sein Kollege: "Wollt aber solchs alles nicht helfen, so muß unser gnäd. Herr den Kaiser machen lassen und ihm nicht wehren, auch im Fall der äußersten Noth [...] vernehmen lassen, dem Kaiser zu gestatten, Execution zu thun." Demnach gab es Stimmen, die zur Gegenwehr rieten? Und wenn ja, dann werden sie mit der Übergabe der Antwort an den Kaiser nicht verstummt sein50. In die gleiche Zeit gehört m. E. das juristische Gutachten Melanchthons gegen das Widerstandsrecht: "Phil. Mei. ad Iohannem Electo47 Luther an Kf. Johann, 9.7.1530 (ebd., 13, 117-119). Brück, 69-Zum Folgenden der Bericht der Nbg. Gesandten, 17. 7.1530 (CR 2, 206 f.), auch Brück, 68 f. 48

CR 2,200 - 205. Höß in ARG 44,76 - 78.

49

Höß, ebd., 83 sagt, Spalatin habe nach den Religionsverhandlungen seine Meinung geändert und am 14. 9. für das Widerstandsrecht gestimmt. Diese Aussage ist jedoch nicht schlüssig. Spalatin begründet seinen Rat, die Verhandlungen zu beenden, mit der clausula Petri und weist zum Trost, Venn es zu krieg, blutvergießen und verderb lande und leute kummen solt", auf den Herrn Zebaot, den Herrn der himmlischen Heerscharen. Daraus kann man nicht folgern, daß Spalatin nunmehr das Widerstandsrecht anerkenne. 50 Noch am Vorabend der Religionsgespräche, am 11. oder 12.8.1530, glaubt Melanchthon Grund zu haben, die Neigung zu gewaltsamem Widerstand zu beklagen: "Ich wolt, das die fursten willigten, was der K[aiser] furhellt, oder doch sich vernemen Hessen, dem K. nicht zu weren, execution zu thon; denn was wollen doch die fursten mit disen Sachen zu thon haben, deren sie sich gar nicht annemen, und gilt yhn eyns so vii als das ander. Auch gedencken sie nichts drob zu leiden, sonder sich mitt gewaltt auff zu halden, das doch viel erger ist, denn dem K. zu weichen" (Förstemann 2,240. CR 2,270).

84

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

rem", wie das Gothaer Exemplar überschrieben ist51. Aus ihm müßte man schließen, daß dem Theologenrat getreu nach Luther Juristenrat nach gemeinem Recht entgegengesetzt worden war: 'Wer es für zulässig hält, dem Kaiser gewaltsam Widerstand zu leisten, wenn er das Land mit unrechter Gewalt überzieht, bringt die folgenden Argumente bei. Die Rechte erlauben, dem Richter in folgenden Fällen Widerstand zu leisten: wenn er die Sache nicht verhandeln will und auch die Appellation nicht annimmt, desgleichen wenn er gebietet, was seines Amtes nicht ist (vgl. die Glosse zu D. 50, 17, 167, 1), desgleichen wenn das Unrecht offenkundig ist, wie Bartolus zu C. 10, 1, 5 und andere an anderer Stelle sagen.'52 Was Melanchthon hier aus Digesten und Codex, aus der Accursischen Glosse und Bartolus skizzenhaft zusammenstellt, sind Aussagen einer Widerstandslehre, die Glossatoren und Kommentatoren im 13. und 14. Jahrhundert entwickelt hatten. Von ihr soll jetzt berichtet werden. D. 1, 1, 3 gewährleistet allen Menschen das Recht auf Abwehr von Unrecht und Gewalt, auf Notwehr. Was jemand zur Verteidigung seiner Person unternimmt, das tut er nach allgemeiner Überzeugung zu Recht: denn da die Natur zwischen den Menschen eine Art Verwandtschaft gestiftet hat, ist es frevelhaft, seinem Mitmenschen nach dem Leben zu trachten. Die Accursische Glosse erläutert einschränkend, das betreffe die private, unrechte Gewalt, weder die Gewalt von Seiten der Obrigkeit noch die private, welche gerecht ist. Was aber, fragt sie weiter, wenn der Podestà unrechte Gewalt anwendet? Und sie antwortet, Martinus Gosia folgend: 'Wir müssen es leiden.' Doch verweist sie auf den Klageweg, der dem Geschädigten offensteht, gegen niedere Beamte bei währender Amtszeit, gegen höhere nach Ablauf derselben, im Sindikatsprozeß. Die Glosse zu D. 1,1, 3 lehnt also die Notwehr gegen den Podestà, den Widerstand, ab. Sie fand jedoch mit ihrem "pati debemus" bei den Späteren keine Nachfolge. In D. 50, 17, 167, 1 heißt es: 'Wer etwas auf Befehl eines Richters tut, handelt offensichtlich nicht arglistig, sofern er zum Gehorsam verpflichtet ist.' 53 Der Befehl des Richters entschuldigt. Die Glosse — es ist eine Glosse Azos — wendet diese Regel auf die Gerichtsdiener an, die auf Geheiß des Richters ein rechtmäßig ergangenes Urteil vollstrecken. Aber sind sie auch dann entschuldigt, wenn das Urteil rechtswidrig zustande gekommen ist, 51

Scheible, 57 - 60. CR 2,20 - 22. Zur Datierung Exkurs 1.

52

"Qui sentiunt, quod liceat vi resistere caesari vim iniustam inferenti, haec argumenta afferunt: Iura concedunt resistere potestati in his casibus: quando non vult cognoscere rem nec defert appellationi, item quando praecipit ea, quae non sunt officii sui, ut in Glo(ssa). De reg(ulis) iur(is), l(ege) Non videntur, § Qui iussu, item quando constat iniustitia, ut indicai Bartolus l(ege) Prohibitum, C, De iure fisci, li(bro) 10, et alii alias" (Scheible , 57). 53

"Qui iussu iudicis aliquid facit, non videtur dolo malo facere, qui parere necesse habet."

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

85

oder haften sie für den Schaden, den sie anrichten54? Damit ist die Frage nach den Grenzen der Gehorsamspflicht und dem Widerstandsrecht erneut gestellt, diesmal nicht im Hinblick auf den Geschädigten, sondern den potentiellen Mitschädiger. Azo unterscheidet zwischen dem Richter im Amt und in privater Eigenschaft. Handelt der Richter in Ausübung seines Amtes, so haben die Büttel seiner Anordnung zu folgen, z. B. eine Hauszerstörung durchzuführen, selbst wenn sie objektiv rechtswidrig ist, und ihr Gehorsam kann ihnen nicht als Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Das ist so, weil es die auctoritas rerum iudicatarum und das öffentliche Interesse an der Ahndung von Verbrechen erfordern und weil die Vermutung für die Rechtmäßigkeit der Anordnung spricht. Handelt der Richter jedoch außerhalb seines Amtes, so werden es die Büttel zwar an der gewohnten Ehrerbietung nicht fehlen lassen, aber gehorchen dürfen sie ihm keinesfalls, selbst wenn seine Anordnung inhaltlich Rechtens ist. Und das verstößt nicht gegen ihren Gehorsamseid, denn der ist auf richterliche Befehle beschränkt, die glaubhaft (verisimiliter) zustande gekommen sind55. In bestimmten Fällen, gemeint sind die casus atrociores 56, ist es mit dem bloßen Ungehorsam nicht getan. Wenn beispielsweise der Richter die Annahme einer zulässigen Appellation verweigert 57 — auch hier ist er nämlich Privatperson, weil mit dem Einreichen der Berufung seine Gerichtsbarkeit in dieser Sache endigt —, dann genügt es nicht, bei der Vollstreckung des angefochtenen Urteils stillschweigend beiseite zu stehen, sondern die Gehilfen des Richters müssen Widerspruch erheben und ihrem Herrn das Unrecht seines Tuns vor Augen halten58. Andernfalls haften sie mit ihm zusammen. Man kann sagen, Azo lehnt wie die Glosse zu D. 1, 1, 3 den Widerstand gegen den Richter ab, insofern er die Ausführung eines amtlichen ungerechten Befehls entschuldigt, aber im Gegensatz zu ihr sieht er, daß ein Richter nicht immer und überall Richter ist. Azo trennt in ihm die private von der amtlichen Eigenschaft, die persona privata von der persona publica, wie man seit Cinus sagen wird 59 , und an die verschiedenen Eigenschaften knüpft er die obengenannten verschiedenen Rechtsfolgen. Es ist die Privat54

Zur Haftung des Hilfspersonals Engelmann, 348 - 353, bes. 351.

55

Vgl. die Marginalglosse des Bologninus zu D. 50, 17, 167, 1: "Ista gl. est valde nota, ad hoc quod iuramentum simpliciter praestitum superiori per subiectum de obediendo ei intelligitur semper in licitis et honestis et verisimilibus et in his, quae spectant ad eius officium, alias autem non." 56

Kuttner, 282 f. Engelmann, 351.

57

Das Beispiel wird von Azo nicht ausgeführt, ergibt sich jedoch aus dem allegierten Reskript C. 7,62, 21. 58 Azo versteht unter 'resistere' gewiß das gleiche wie seine Quellen C. 7. 62, 21 und C. 12, 33,5, nämlich 'Widerspruch erheben'. 59

Cinus zu N. 120,5 post C. 1,2,14; n. 3 - 4. Vgl. von Gierke 3,363,34.

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

heit des Befehlenden, nicht die Ungerechtigkeit des Befohlenen, in welcher er den Geltungsgrund des Rechtes und der Pflicht zu Ungehorsam und Widerspruch erblickt. Hier liegt der Ursprung der legistischen Widerstandslehre 60. Dinus kommentiert die Rechtsregei 24 des Liber Sextus, die D. 50, 17, 167, 1 nachgebildet ist, und stellt wie Azo die Frage nach den Grenzen der Gehorsamspflicht der Vollstreckungsbeamten. Aber anders als Azo macht er nicht mehr nur die amtliche oder private Eigenschaft des Befehlenden, sondern Recht oder Unrecht der richterlichen Amtshandlung zum Kriterium seiner Distinktion. Spruch und Gebot des Richters sind entweder rechtmäßig (secundum legem) oder offenkundig rechtswidrig (aperte contra legem) oder zweifelhaft (dubium). Im ersten Fall müssen die Gerichtsdiener natürlich gehorchen, und wer nicht gehorcht, macht sich strafbar. Gehorsam ist auch im Zweifelsfall geboten, wofür Dinus fast die gleiche Begründung gibt wie Azo für die Verbindlichkeit sämtlicher Amtshandlungen des Richters. Anders im zweiten Fall. Da heißt es: "non debet obediri, imo resisti potest et debet per officiales" 61, und das gleiche Recht, nicht die Pflicht, steht selbst Privaten zu. Dinus sagt uns ebensowenig wie Azo, was er unter 'resistere' versteht, und da beispielsweise Innozenz IV. die Appellation auch zu den Formen von 'resistere' zählt62, wird man sich hüten, das Wort einfach mit 'Widerstand leisten' zu übersetzen. Doch können die von ihm allegierten Quellen weiterhelfen. Fünf der sechs Reskripte machen die Kanzlei des Richters für dessen Gesetzwidrigkeiten mitverantwortlich und bedrohen mit Strafe, die 'resistere' 63 oder 'prohibere' 64 unterlassen oder "qui exsequi male iussa festinant" 65. Das 'resistere' erfolgt durch 'contradicere' 66 oder 'legem obicere' 67. Das 'prohibere' hat "debito tarnen honore servato" zu geschehen68. Die Codex-Stellen meinen also mit 'resistere' 'Widerspruch erheben', und es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß Dinus

60 Die meisten Kommentatoren der D. 1,1, 3 nennen zustimmend die Glosse zu D. 50,17, 167,1, so Bartolus n. 3, Albericus de Rosciate n. 6, Baldus n. 20, Paulus de Castro n. 6, Jason de Mayno n. 18.19. Ebs. Philippus Decius zu D. 50,17,167,1; n. 4. 61 Zustimmend die Kommentatoren der D. 1, 1, 3 Bartolus n. 3 Raffael Fulgosius n. 1, Jason de Mayno n. 18. ω

Zu X1,29,8 v. transactions

63

C. 10,32, 33. C. 7, 62, 21. C. 12, 33,5.

64

C 1,49,1,6.

65

C. 10,48,15.

66

C. 10,32,33. C. 7,62,21.

67

C. 12, 33,5.

68

C. 1,49,1,6.

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

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anders denkt: Gegen offenkundig rechtswidrige Urteile und Anordnungen haben die Vollstreckungsbeamten das Recht, aber auch die Pflicht zu Ungehorsam und Widerspruch. Ein Ritter aus der familia des Podestà hat z. B. einen Bürger wider alles Recht der Folter unterworfen; er wird deswegen angeklagt, doch die Richter zerreißen die Klagschrift, weil er nur einen Befehl des Podestà ausgeführt habe. Vermutlich hätte auch Azo ihn entschuldigt. Dinus jedoch mißbilligt diese Entscheidimg, nach seinem Urteil ist der Ritter mitverantwortlich für das geschehene Unrecht. In solchen Fällen dürfen, wie oben erwähnt, auch Private 'resistere'. Die Prüfung der diesbezüglichen Rechtsquellen ergibt nun, daß Dinus das Wort in einem weiteren Sinne gebraucht als bloß dem von 'Widerspruch erheben'. Außer zwei leges über die zulässige Klage gegen den Fiskus bei überhöhter Besteuerung69 und über das gerechtfertigte Versäumnis der Ladung vor ein nicht zuständiges Gericht 70 allegiert er zwei Reskripte, welche Privatleuten den aktiven Widerstand gegen kaiserliche Exekutivbeamte gestatten. Caesariani kommen, um das Vermögen eines Mannes zu konfiszieren, aber sie haben keine schriftliche Order des Kaisers vorzuweisen. Da dürfen alle, die ein Interesse haben, sogar handgreiflich werden, um das Unrecht abzuwehren71. Oder auf einer kaiserlichen Domäne erscheint im Auftrag eines höheren Provinzbeamten ein Feldmesser und will für irgendeinen Truppenteil Quartier machen, was verboten ist. Den darf der Verwalter, den dürfen sogar die Kolonen verjagen72. Was also heißt 'resistere'? Das Wort bezeichnet ebenso den Widerspruch des Unterbeamten gegen den Vorgesetzten wie das Einlegen gewisser Rechtsmittel gegen den Fiskus wie auch den aktiven Widerstand von Privatleuten gegen Staatsbeamte, ist jedoch verschieden von 'non oboedire'. Man darf folglich die beiden Begriffe nicht wie aktiven und passiven Widerstand unter den Oberbegriff 'Widerstand' subsumieren. 'Resistere' heißt eine für Unrecht erkannte Maßnahme des Höheren nicht untätig hinnehmen. 'Non oboedire' heißt —so wird man sagen dürfen —nicht mittun, wenn von Seiten des Höheren Unrecht geschieht73. Cinus zu C. 8, 4,1 geht wie und stellt wie jene die Frage wenn ihm der Richter Gewalt zwischen der Privat- und der ω

C. 10,1,7.

70

D. 42,1,53,3.

71

C. 10,1,5.

72

C. 12,40,5,1.

73

die Glosse zu D. 1, 1, 3 von der Notwehr aus für den Privaten, ob der sich wehren dürfe, antue. Er trifft die bekannte Unterscheidung Amtsperson des Richters, zwischen der ge-

Also nicht 'passiven Widerstand leisten', der ja auch die Durchsetzung des eigenen Willens zu erzwingen versucht, insofern er in größerer Zahl geschieht oder die Aussicht hat, in der Menge Resonanz zu wecken.

88

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

rechten und der ungerechten Amtshandlung und geht dann einen Schritt weiter als die bisherigen Autoren. Nach dem Vorbild des Petrus de Bellapertica fragt er nach dem Ausmaß der Beschwerung, welche der Richter dem Verurteilten auferlegt, und gelangt so zum Begriff des 'gravamen' oder 'damnum irreparabile', des 'unwiederbringlichen Schadens'74. Während Dinus für die zweifelhaften Urteile vollen Gehorsam fordert, ist das für Cinus nicht mehr selbstverständlich. Es kommt darauf an, sagt er, ob die Schädigung rückgängig gemacht werden kann oder nicht. Im ersten Fall kann der Beschwerte seine Sache durch Rechtsmittel weiterverfolgen und Entschädigung erlangen, deshalb muß er zunächst gehorchen. Im zweiten Fall darf er 'de facto' Widerstand leisten, damit die Beschwerung, deren Rechtmäßigkeit zweifelhaft ist, gar nicht erst eintritt, weil eben Tatsachen, wenn sie erst einmal geschaffen sind, durch kein noch so vernünftiges Recht ungeschehen gemacht werden können75. Die Wortverbindung 'de facto resistere', in der Wiederholung oft wieder zu 'resistere' verkürzt, begegnet, wenn ich richtig sehe, zuerst bei Petrus de Bellapertica und wird dann von den italienischen Legisten allgemein übernommen. Ihre Bedeutung ist von 'appellare', überhaupt von den 'remedia iuris' deutlich abgegrenzt. Vorausgesetzt wird, daß der Richter sein Urteil im freien Ermessen nach den besonderen Umständen des Einzelfalles bildet und darüber Normen des Rechts außer acht läßt76. Das sieht man zunächst und am häufigsten dann gegeben, wenn er 74 Cinus beruft sich ganz allgemein auf Petrus de Bellapertica, ohne auf eine bestimmte Stelle zu verweisen. Zu denken wäre etwa an die folgende: Zu C. 7,65,5 - das Reskript schließt die Appellation von der Urteilsvollstreckung aus, mit der einen Ausnahme, daß dabei das Urteilsmaß überschritten wird - bildet Petrus in seinen Repetitionen mehrere Schulfälle. In deren einem verurteilt ein Richter den Beklagten zur Zahlung von fünf Pfund Silber, tatsächlich will er jedoch in zehn Pfund vollstrecken, er überschreitet das Maß. Der Beschwerte legt natürlich auf Grund des genannten Gesetzes Berufung ein, aber der Richter fährt unbeirrt in seinem Tun fort. Petrus ist offenbar nicht der Meinung, daß der Richter mit der Appellation von der Vollstreckung seine Gerichtsbarkeit in dieser Sache verliere und zur Privatperson werde, jedenfalls hält er in dieser Situation den Widerstand nicht ohne weiteres für erlaubt. Das hängt, sagt er, vom Ausmaß der Schädigung ab, ob sie heilbar ist oder nicht. Ist sie so geringfügig wie hier, daß der Richter fünf Pfund zuviel kassiert, hat man sie vorläufig hinzunehmen; denn sie kann durch ein späteres Verfahren rückgängig gemacht werden. Anders ist es, wenn er das Maß überschreitet, indem er die Wüstung des Hauses oder Körperstrafen befiehlt. Da wird der Bedrohte appellieren und sich dann tatkräftig zur Wehr setzen. Denn - unter Anspielung auf Mt. 5,39 - wer einmal die Backe hingehalten hat, den heilt kein Rechtsmittel mehr (n. 15). 75

"Unde Dynus solet distinguere: aut certum est, quod iudex procedit secundum ius, aut certum est, quod procedit contra ius, aut dubium; et in dubio dicit parendum. Quod intelligo, ubi per aliud remedium iuris potest reparari, quod iudex facit. Alias de facto resistatur, quia factae causae nulla iuris ratione etc., ut 1. si quis in bello § factae." Die Allegation am Ende läßt sich nicht verifizieren. Gemeint ist wahrscheinlich D. 49,15,12,1 und 2 = 1. in bello §§ si quis. facti autem causae, ff. de captivis et de postliminio. 76 Cinus zu C. 7, 65,5; n. 6: "Sed pone, quod iudex non vult eum audire, imo statim pronunciat vel exequitur, sicut vidimus de facto fieri per iudices assessores, qui consueverunt potius factum quam iura sequi. Dico, quod appellabitur per hunc legem, quia iniqua est executio. Et

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eine an sich zulässige Appellation verweigert und die sofortige Urteilsvollstreckung befiehlt, deren Folgen nicht wiederaufgehoben werden können, bald auch dann, wenn er die richterliche Gewalt außerhalb seiner Gerichtsbarkeit mißbraucht oder ganz allgemein das Unrecht seiner Handlung offenkundig ist. Wenn also der Richter bloß auf Grund von Tatsachen und nicht von Rechts wegen handelte, durfte der dadurch Beschwerte sich auf Grund der Tatsachen wehren: "iudici de facto aliquid facienti licitum est de facto resistere." 77 Aber wie konnte jemand gegen eine ungerechte Beschwerung angehen, wenn ihm der Richter die Mittel verweigerte, welche das Recht für solche Fälle gewährte? Es ist offensichtlich, daß hier die handgreiflichen Mittel, Tätlichkeiten, gemeint waren. Das wird durch den Sprachgebrauch der Kanonisten bestätigt, die in all diesen Fällen das 'de facto resistere' der Legisten mit 'violenter resistere' wiedergeben78. An diese Sprachgewohnheit erinnert eine Bemerkung, die Valentin von Tetleben auf dem Augsburger Reichstag notierte: "De facto seu violenter" wolle man mit den Protestierenden noch nicht verfahren 79, was besagte, daß die Gewaltanwendung als letztes Mittel in Betracht kam, wenn sich der Widerpart gegen einen friedlichen Ausgleich im Rahmen der Rechtsordnung sperrte. Beide Ausdrücke besitzen den gleichen Bedeutungsumfang, obwohl der kanonistische die Mittel, der legistische den Grund hervorhebt. 'De facto' in Verbindung mit 'resistere' bezeichnet demnach sowohl den Rechtfertigungsgrund als auch die Mittel des Widerstands. Damit war die Distinktion im wesentlichen ausgebildet. Bartolus erwähnt sie zustimmend, ohne etwas hinzufügen zu wollen80, was er an anderm Ort tunc aut dominus assessor vel iudex defert appellationi, et bene quidem, aut non defert, sed capitanee ad iniquam executionem procedit. Tunc refert secundum Petrum. Aut est tale factum, quod reparari potest per iudicem appellationis, et tunc expectabitur suum remedium; aut non potest reparari, et tunc sibi de facto resistetur, arg. ff. de appellationibus recipiendis vel non, 1. 2; infra de iure fisci, 1. prohibitum." Anders als zu C. 8, 4, 1; n. 10 schränkt Cinus hier das Widerstandsrecht ein, so wie es Baldus tut und wie ihn Panormitanus zu X1, 29, 8; n. 2 (vgl. Fn. 78) versteht. Zur Rechtswirklichkeit vgl. Salvioli 2,11. Zu den tatsächlichen Appellationsbeschränkungen in Strafsachen ebd., 615 f. 77

Jason zu D. 1,1, 3; n. 19. Beispielsweise Innozenz zu X 1, 29, 8 v. resistere. Panormitanus ebd.; n. 2 passim, ganz deutlich, wo er auf Cinus zu C. 7, 65, 5; n. 6 Bezug nimmt: "Item adde dictum Cyni in 1. ab executione, C. quorum appellationes non recipiantur, ubi in hac materia ponit notabilem distinctionem dicens, quod aut potest per remedium appellationis relevari gravamen, quod iudex iniuste infligit, et non debet sibi violenter resisti sed appellali, quia ad hoc est inventum appellationis remedium, aut gravamen est irrevocabile, et tunc potest sibi violenter resisti." 78

79 Tetleben, 84. Die deutsche Entsprechung 'mit Gewalt und (oder) der Tat' findet sich etwa im Schmalkaldischen Bundesvertrag (Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 350) oder bei Ludwig dem Reichen, der 1463 vor der Beilegung seiner Fehde gegen Ksr. Friedrich III. fordert, "das er dann die tat und den krig nicht gebrauchen, sundern sich billich an recht benugen lassen solt" (FRA 2/44,532). 80 Zu D. 1,1, 3; n. 3 und zu D. 50,17,167,1.

90

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dann doch tut. In seiner lectura über C. 10, 1, 5 spricht er über die Nachprüfbarkeit öffentlicher Anordnungen: Was die Gehilfen des Podestà angeht, die brauchen sich gewöhnlich nicht durch ein Dokument auszuweisen, sie sind ja in der Stadt bekannt. Doch müssen sie bei Amtshandlungen ein Abzeichen ihres Amtes tragen, z. B. das rote Birett des Boten, sonst darf man sich ihnen widersetzen. Zur Beschlagnahme von Vermögenswerten benötigen sie allerdings einen schriftlichen Befehl gemäß der obengenannten lex. Wollen sie etwa ohne einen solchen widerrechtlich konfiszieren, darf ihnen der Betroffene de facto Widerstand leisten, und nicht nur er, sondern auch andere, die ein Interesse haben, die von der Beschlagnahme einen Nachteil gewärtigen müssen, wie Verwandte, Freunde und Nachbarn. Er wird dann laut nach alter Gewohnheit "Hilfe! Hilfe!" schreien, damit sie eilends herbeikommen. Doch auch ungerufen dürfen sie ihm zu Hilfe eilen. Mit der Feststellung der zum Widerstand berechtigten Personen liefert Bartolus einen eigenen Beitrag zur Widerstandslehre. Baldus behandelt den Gegenstand in seinem Notwehr-Kommentar zu D. 1, 1, 3 81 . Auch er beginnt mit der herkömmlichen Unterscheidung zwischen der Privat- und der Amtsperson im Richter und der Folgerung daraus: Die ungerechte Gewalt des Privatmanns wird natürlich nicht durch das Richteramt gedeckt. Doch dann übernimmt er nicht die bloß formallogische Einteilung der Amtshandlungen in rechtmäßige, offenkundig rechtswidrige und zweifelhafte, wie sie Dinus eingeführt hatte; sondern er distinguiert die vis (iniuria) der Amtsperson prozessual danach, ob sie 'sine causae cognitione' oder 'causa cognita' geschieht, und gelangt so zu drei klar abgegrenzten Tatbeständen ungerechter richterlicher Gewalt. Sie kann sein eine dingliche Beschwerung ohne Durchführung eines ordentlichen Verfahrens, eine Schädigung an Leib und Leben ohne Durchführung eines ordentlichen Verfahrens oder eine Beschwerung gleich welcher Art durch Urteil in einem formal korrekten Prozeß. Dementsprechend differenziert Baldus die Zulässigkeit der Abwehrmittel. Im ersten Fall ist nur die Appellation erlaubt, denn der Schaden kann ersetzt werden82. Im zweiten wird der tätliche Widerstand nicht ausgeschlossen83; trotzdem tue der Angeklagte besser daran, Berufung einzulegen. Im dritten Fall kommt überhaupt nur die Appellation in Frage. Doch wenn sie der Richter mißachtet, darf man sich der drohenden Urteilsvollstreckung widersetzen, auch mit gewaffneter Hand, und das ist vor allem dann angebracht, wenn die Schädigimg nicht wieder81 n. 20. In gedrängter Form behandelt er den Gegenstand noch einmal in seinem zweiten Notwehr-Kommentar zu C. 8,4,1; n. 34, dsgl. zu C. 7,65,5; n. 11. 82 Raffael Fulgosius zu D. 1,1, 3; n. 1, der sonst wie Baldus distinguiert, läßt den Richter "non causa cognita" zur Privatperson werden. 83

Eindeutig zustimmend zu C. 8,4,1; n. 34.

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

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aufzuheben wäre. In allen Fällen, auch wo das Unrecht offenkundig ist (sine causae cognitione), strebt Baldus zunächst, wie er selbst bekennt, nach einer Lösung "civili modo sine armis"84 und hält den Widerstand erst dann für unvermeidlich, wenn der Richter seinem ersten Unrecht ein zweites hinzufügt. Mit dieser Sonderform ist die Ausgestaltung der legistischen Widerstandslehre abgeschlossen. Paulus de Castro85 und Jason de Mayno86 überliefern sie inhaltlich so, wie sie seit Cinus besteht. Nur wählen sie für ihre Darstellung eine neue Form, in welcher die Glieder der Distinktion als die Ausnahmen einer allgemeinen Regel erscheinen. Das Verbot privater Gewalt gegen den Richter gemäß der Glosse zu D. 1, 1, 3 — und sinngemäß gegen die Vollstreckungsorgane — duldet drei Ausnahmen: wenn er außerhalb seines Amtes als Privatperson unrechte Gewalt gebraucht, wenn die im Amt gebrauchte Gewalt offenkundig unrecht ist, wenn die Beschwerung, die aus mutmaßlich unrechter Gewalt im Amt erwachsen würde, nicht rückgängig zu machen wäre. Nicht immer war es iniuria, was den Richter vom ius absehen und de facto verfahren ließ, sondern das Erfordernis, subsidiäres Recht anzuwenden87. Ius war ja nicht das von den Kommunen selbst gesetzte Statutarrecht, an welches der Richter selbstverständlich gebunden war, sondern das römische bzw. gemeine Recht. Wenn die Statuten Lücken enthielten, die aufzufüllen waren, stand das ius commune zur Verfügung, daneben die örtliche Gewohnheit, im Strafrecht auch die Analogie und das freie Ermessen. Aber es war keine Selbstverständlichkeit, daß dem gemeinen Recht der erste Rang unter den subsidiären Rechtsquellen bestimmt war; und obgleich sich seit Mitte des 15. Jahrhunderts die Tendenz verstärkte, ihm in Straf- wie in Zivilsachen den Vorzug zu geben, stand die Ermessensentscheidung noch lange Zeit in Übung88. De iure oder de facto verfahren bedeutete demnach in erster Linie, die Lücken der Statuten durch gemeines Recht oder freies Ermessen ergänzen. Die unterliegende Partei allerdings gewann dadurch entweder die Chance der Appellation oder mußte die sofortige Vollstrekkung des Urteils gewärtigen89. Diese Rechtsunsicherheit war es wohl, nicht 84

Ebd.

85

Zu D. 1,1,3; n. 6.

86

Zu D. 1,1,3; n. 18 f.

87

Dahm, 45-81.

88

Vgl. IV. 2., Fn. 76. Uva, 144-147. Zur Subsidiarität des gemeinen Rechts schon Josef Kohler, 13 - 1 6 auf Grund umfangreichen Belegmaterials. Zur Ermessensfreiheit des Richters besonders bei Geldstrafen ebd., 271 - 274. 89 Die daraus entstehende Rechtsunsicherheit erklärt vielleicht auch, warum vielerorts die Ermessensentscheidung auf die leichteren, mit Geldstrafe bedrohten Straftaten beschränkt war (Uva, 72 - 74. 77.97.146).

92

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

unbedingt iniuria des Richters, welche die Lehrer des römischen Rechts veranlaßte, ein 'de facto resistere' anzuerkennen. Merkwürdigerweise sagt keiner der genannten Kommentatoren, wie es nach erfolgreichem Widerstand weiterging. Der Widerstand war sicher nicht als eigenmächtige Rechtsdurchsetzung gegen den ungerechten oder suspekten Richter gemeint, die das Gemeinwesen billigend würde passieren lassen. Das anzunehmen fiele schwer, obwohl es in der Praxis oft genug darauf hinaus gelaufen sein dürfte 90. In einer imperfekten Rechtskultur war es vielmehr ein unvermeidlicher Rechtsbehelf, damit die Ausgangslage zwischen Gericht und unterlegener Partei bis zur endgültigen Entscheidung der Sache unbeschädigt erhalten blieb. Das letzte Wort werden wie in den minder dramatischen Fällen so auch hier die Appellationsrichter gehabt haben, die nicht zur familia des Podestà gehörten, sondern der Kommune unmittelbar unterstanden91, oder die Richter im Sindikatsprozeß, wo der Podestà nach Ablauf seiner Amtszeit Rechenschaft zu geben hatte92. Daß die Kommentatoren ihre Widerstandslehre auf den höchsten Richter und Herrscher eines Gemeinwesens ausgedehnt wissen wollten, ist ganz unwahrscheinlich. Ihre Fallbeispiele bleiben hier - anders als bei der Notwehr — im Bereich des Privat- und des Strafrechts. Sie handeln von Pfändung, Folter und Hauszerstörung, von Drangsalen, die dem einzelnen Bürger zustoßen mochten, desgleichen von potestas und iudex samt ihren Gehilfen, von Justizpersonen mit befristeter Amtsgewalt, aber fast nie kommt ein magistratus perpetuus ins Spiel. Kommune oder Signoria standen nicht zur Diskussion, wenn zulässiger Widerstand ein Notbehelf im Rechtsgang war und nichts weiter 93. Das Widerstandsrecht, das die Lehsten lehrten, gehörte nicht zum Traditionsgut des rezipierten römischen Rechts . Das wenige, was sie darin entdeckten, fand sich im Codex Iustinianus und erlaubte privaten Widerstand in besonderen Fällen allein gegen untere Exekutivbeamte. Aber der Widerstand gegen Richter gehörte zur Rechtswirklichkeit der italienischen Städte, in denen die Kommentatoren lebten und lehrten. Den Widerspruch zwischen dem rezipierten Recht und den Tatsachen lösten sie durch eine quaestio de facto 9* auf, d. h sie sahen die aus dem Faktischen entstandene Rechtsfrage im Zusammenhang mit sinnverwandten Normen des Corpus iuris — meist sind es D. 1, 1, 3 und 90

Beispiele bei Genzmer, 307,49 und 309,56.

91

Hermann Kantorowicz, 61 (für Bologna). Salvioli 2, 560. Doch entbehrte die Organisation der Appellationsgerichtsbarkeit in den italienischen Städten und Territorien jeder Einheitlichkeit (ebd., 561). 92

Kantorowicz,

93

50. Dahni, 73 - 76. Engelmann, 529 f. HEPG, 1,438.

Cinus zu C. 7, 65,5; n. 6 stellt immerhin die Frage, ob man sich einem "iudex, a quo non appellatur," widersetzen dürfe. Paulus de Castro zu D. 1,1, 3; n. 6 nennt die magistratus perpetui nur, um anzumerken, daß sie bei währender Amtszeit gerichtlich belangt werden können. 94

HEPG 1,144 f.

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

93

C. 8, 4, 1, die Notwehr zum Schutze von Personen und Sachen — und begriffe so den Widerstand als eine Sonderform der Notwehr,; die ja Rechtens war. diese Weise erhielt das Widerstandsrecht seinen Platz und seine Gestaltung im gelehrten Recht des Mittelalters. Der Sprachgebrauch hält die Herkunft in Erinnerung: resistere de facto, nicht Widerstand von Rechts wegen. Bartolus deutet darauf hin in seiner kurzen additio zu D. 50, 17, 167, 1, wo er seiner Hörerschaft einprägt: 'Merke die hier gestellte Glosse, die mehr umfaßt, als wir in iure haben.'95 Melanchthon hatte den Weg zurück zur Accursischen Glosse gewiesen, und indem wir von da aus die Entwicklung der legistischen Widerstandslehre begleiteten, sind wir wieder bei Melanchthon und denen angelangt, "qui sentiunt, quod liceat vi resistere Caesari vim iniustam inferenti". Wir kennen nun die Rechtsauffassung, mit welcher in den kritischen Julitagen und später die kursächsischen Räte das Theologengutachten vom 6. März vermutlich abwehrten. Bemerkenswert ist, daß sie die Rechtsgrundlage der geplanten Einung deutlich veränderten. Wenn sie jetzt von Gegenwehr sprechen, meinen sie nicht mehr wie ein Jahr zuvor im Bedenken zur Rodacher Notel die "gegenwehr und rettung", "die von naturlichem rechten menigklichem zugelassen wirdet". 96 Das Naturrecht fehlt jetzt in ihrer Beweisführung. die Kompetenz für dasselbe den Theologen nicht bestreiten konnten, lösten sie notgedrungen den Argumentationszusammenhang zwischen natürlichem und weltlichem Recht und begnügten sich mit dem Recht der Welt, für das die Juristen zuständig waren. So übernahmen sie die Widerstandslehre der Kommentatoren, den gemeinrechtlichen Sonderfall der Notwehr gegen den ungerechten Richter, und wandten sie analog auf den Streit zwischen Kurfürst und Kaiser an, obwohl die Lehre sicher nicht für eine solche cause célèbre gedacht war. Das war jedoch im Sinne der Zeit methodisch korrekt; schließlich trug auch Bartolus kein Bedenken, von der Klage gegen den tutor furiosi auf die Klage gegen Fürsten, Bischöfe und Kommunen zu schließen.97 Melanchthon brachte nun in seinem consilium für Kurfürst Johann ebenjenen Theologenratschlag, an dem er ja selber mitgearbeitet hatte, in Erinnerung, und zwar in der Weise, daß er die 'iurisconsulti' mit ihren eigenen Waffen angriff. 98 Die Rechtsfrage, die er erörtert, ist anders, enger gestellt 95

"et tene menti glossam hic positam pleniorem, quam habeamus in iure."

96

RTA JR 8,255.

97

Zu D. 39,1,5, 7; n. 10. Den Beklagten ist gemeinsam, daß sie ein Amt auf Lebenszeit innehaben, also nicht nach Ablauf der Amtszeit belangt werden können. 98

Die iurisconsulti sind, wie sich aus dem Text ergibt, zeitgenössische Juristen im Lager der

Da sie

94

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

als bei Luther: Stimmt es, wie die iurisconsulti behaupten, daß in gewissen Fällen unrechter Gewalt von Seiten der Obrigkeit das — römische — Recht ein Widerstandsrecht gewährt? Luther hatte dagegen zu entscheiden, welches Verhalten bei einem "umb des göttlichen Worts willen" geschehenden Angriff des Kaisers "göttlich, christlich, billig und recht" sei". Während er dementsprechend die Beweisgründe aus der Heiligen Schrift breiter ausführte und die abgelehnten Zweifelsgründe aus den weltlichen Rechten nur kurz ansprach, ja sogar die Möglichkeit eines in ihnen enthaltenen Widerstandsrechtes offenließ, stellt Melanchthon gerade diese in den Vordergrund, um nun zu beweisen, daß auch die weltlichen Rechte den Widerstand gegen die Obrigkeit nicht legalisieren bzw. nicht legalisieren können. Unausgesprochene Voraussetzung seines Denkens ist derselbe theonome Obrigkeitsbegriff, der auch das unter Luthers Federführung entstandene Gutachten trägt: Der Kaiser ist gegenüber dem Kurfürsten Obrigkeit, und der Kurfürst ist gegenüber dem Kaiser schlechthin Untertan. Melanchthon referiert einleitend die legistische Widerstandslehre — erlaubte Gegenwehr bei Rechtsverweigerung, Kompetenzüberschreitung und Notorietät der unrechten Gewalt-, dann prüft er sie an ihren vermeintlichen Quellen im Corpus iuris und macht dabei die Entdeckung, daß diese in den genannten Fällen gar nicht den Widerstand, sondern den Ungehorsam gegen die Obrigkeit erlauben100. Diesen Unterschied zwischen Ungehorsam und gewaltsamem Widerstand haben die iurisconsulti nicht gesehen. Statt dessen folgen sie ihrer eignen Vernunft und interpretieren mit Hilfe der Regel ' Vim vi repellere licet' ein Widerstandsrecht in die römischen Quellen hinein: Das Recht setzt in den genannten Fällen unrechte Gewalt von selten der Obrigkeit voraus, es gebietet aber nicht, daß sie duldend hinzunehmen sei; also, schließen die iurisconsulti, erlaubt das Recht die gewaltsame Gegenwehr. So hatten die doctores dreihundert Jahre lang geschlossen und interpretierend die Rechtslehre weiterentwickelt 101, aber Melanchthon hatte die Quel-

Protestierenden. Sie sind es nämlich, die das Wahlversprechen Karls V. in der konkreten Situation aktualisieren. Mit den doctores sind vermutlich die Kommentatoren gemeint, welche die Widerstandslehre ausgebildet haben. 99

WA Br 5,224.

100

Schon Brenz (RTA JR 8,499) und Spengler (ebd., 503) haben auf den Unterschied zwischen gebotenem Ungehorsam und verbotenem Widerstand gegen den Kaiser hingewiesen. Sie lösen mit dieser Unterscheidung den scheinbaren Widerspruch zwischen Rom. 13, 2 und Apg. 5, 29 innerhalb des göttlichen Rechts auf. Melanchthon unterscheidet nun im römischen Recht zwischen erlaubtem Ungehorsam und unerlaubtem Widerstand, um auch den Widerspruch zwischen göttlichem und weltlichem Recht als einen nur scheinbaren zu erweisen, Auf diese Weise will er das Argumentationsfeld der iurisconsulti verkleinern. 101 Vgl. z. B. Bartolus zu Qui sint rebelies, v. rebellando. Felinus zu X1, 29,8; col. 1055: "Pro hoc est text(us) in c. 2 de consti(tutionibus) in V I ( t 0 1 2 ) in fin(e), ubi dicitur, quod extra territorium iudicis potest quis non ei parere. Ergo resistere."

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

95

len für sich, wenn er der legistischen Widerstandslehre die Billigung durch das römische Recht entzog. Er erbrachte den Nachweis, daß sich seit dem Bedenken zur Rodacher Notel im Grunde nichts geändert hatte und die als unchristlich zurückgewiesene Notwehr der vorreformatorischen Naturrech lehre noch immer die Köpfe der iurisconsulti beherrschte. Nachdem er so ihr eigentliches Argument aufgedeckt hat, geht er daran, dasselbe zu widerlegen. Die Vernunfterkenntnis f Vim vi repellere licet' widerstreitet vor allem dem göttlichen Recht. Denn die Heilige Schrift gebietet, der Obrigkeit sich nicht zu widersetzen und schlechte Obere zu ertragen, und sie droht dem Übertreter Vergeltung an: "Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen" (Mt. 26, 52). Die Vernunfterkenntnis, unrechte Gewalt gewaltsam abzuwehren, ist außerdem nachrangig gegenüber der Obrigkeit; denn deren Existenz ist gleichfalls auf eine Erkenntnis der natürlichen Vernunft zurückzuführen 102. Das weltliche Recht folgt dieser Einsicht und schränkt die Geltung jener Regel so weit ein, daß die Rechte der Obrigkeit unangetastet bleiben. Stellt sich beispielsweise heraus, daß ein rechtskräftig gewordenes Urteil rechtswidrig zustande gekommen ist, geht gleichwohl die auctoritas rei iudicatae vor, und es ist dem unrechten Richterspruch Gehorsam zu leisten. So lehren es die iurisconsulti selber, und das gewiß in der Absicht, die Obrigkeit vor Schaden durch die Regel 'Vim vi repellere licet' zu bewahren. Doch Melanchthons Ironie war fehl am Platze; denn Widerstand als Rechtsbehelf im Sinne der legistischen Lehre wollte ja kein rechtskräftiges Urteil vernichten, sondern vielmehr das Eintreten der Rechtskraft aufhalten. Ein letztes, naturrechtliches Argument ist noch zu nennen: Der 102

Den Beweis hatte Melanchthon 1521 in seinen Loci communes geführt: Aus dem Umstand, daß die Menschen in eine Gemeinschaft hineingeboren werden, folgt die vernünftige Forderung, daß niemand seinem Mitmenschen Schaden zufüge; das ist das zweite von drei allgemeinsten Prinzipien des Naturrechts. Da es aber immer Menschen gibt, die dieses Gebot mißachten, muß wenigstens dafür gesorgt werden, daß die Zahl der Opfer so klein wie möglich bleibe. Zu diesem Zweck sind vernünftigerweise Obrigkeiten und Strafen gegen Missetäter geschaffen worden; diese Schlußfolgerung ist eine der conclusiones primae, die zusammen mit den principia communia die leges naturae bilden, den materiellen Bestand des von Gott den Menschen eingeprägten Naturrechts (lex naturae im Singular). Die "vim vi repellandam" dagegen zählt Melanchthon zu den Regeln des ius gentium, die er nicht dem eigentlichen Naturrecht zuordnen möchte; denn in ihnen kommen die verkehrte Gesinnung der Menschennatur, nicht deren Gesetze zum Ausdruck (CR 21,116 -120, bes. 120. MSA 2/1,40 - 45, bes. 45). Vgl. Bauer, 244 - 255. Maurer, Melanchthon, 292 - 294. Die Ableitung der Obrigkeit aus dem Naturrecht bleibt die gleiche im 3. Buch des Kommentars zu Aristoteles' Ethik, 1532 (CR 16,388) und in der Neubearbeitung der Loci communes, 1535 (CR 21,402 f.). Der Widerstreit zwischen dem 'Vim vi repellere licet' der Vernunftserkenntnis und dem Gehorsamsgebot des göttlichen Rechts existiert dagegen nicht mehr. Melanchthon deutet jetzt die Naturrechtsregel als die der Obrigkeit eingeräumte Befugnis, kriminelle Gewalt durch gesetzliche Gewalt zu rächen (CR 16, 389. CR 21, 408 f. MSA 2/1, 330 Anm.). Diese etwas merkwürdige Deutung verkennt, daß jene Regel in allen Rechten gerade nicht die Rache, sondern stets die Notwehr bezeichnet. Die Neubearbeitung von 1543 unterscheidet dann deutlich zwischen defensio und vindicta und versteht 'Vim vi repellere licet' wie allgemein üblich als Umschreibung der Notwehr (CR 21,722 f. MSA 2/1,330 f.).

96

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

einen Vernunfterkenntnis, welche die Gegenwehr erlaubt, steht eine andere entgegen, welche den Widerstand verbietet: 'Niemand darf Richter in eigener Sache sein.' Wer sich da zum Richter aufwirft, maßt sich das Amt der Obrigkeit an103. Damit endet Melanchthons erster Beweisgang. Sein Ergebnis in Kürze: Die Regel 'Vim vi repellere licet' ist an sich vernunftgemäß, aber, als Widerstand gegen die Obrigkeit interpretiert, widerstreitet sie ebenso dem gesetzten weltlichen Recht wie der natürlichen Vernunft und dem geoffenbarten göttlichen Recht. Nun wendet sich Melanchthon dem zweiten Argument der iurisconsulti zu, dem verfassungsrechtlichen, das uns bereits bei Philipp von Hessen und in der kurfürstlichen Anfrage an Luther begegnet ist 104 . Er beschreibt auch hier zunächst die Ansichten seiner Opponenten — die Wahl und Wahlkapitulation als einen gegenseitigen Vertrag, die Sicherung der ständischen Rechte als dessen Rechtsgrund, den Wegfall der Gehorsamspflicht bei schwerem Vertragsbruch, hier speziell bei Ächtung ohne rechtliches Gehör (Art. 22) - und zitiert die alles zusammenfassende Rechtsregel: "Cessante conditione cessat effectus." 105 Das ist ein blendendes Argument, bemerkt Melanchthon; er bestreitet ihm die Schlüssigkeit ebensowenig wie Brenz und Spengler106. Aber es greift zu kurz. Denn es sind zwei Ursachen (causae), die den Kurfürsten gegenüber dem Kaiser verpflichten. Die eine ist das Gehorsamsversprechen des Kurfürsten, welches wegfallen mag; und nur dieses allein sehen die iurisconsulti. Die andere ist Gottes Gehorsamsgebot, welches niemals in Fortfall kommt. Mit der conclusio endet der juristische Teil des Gutachtens: Widerstand gegen den Kaiser, auch wenn er unrechte Gewalt verübt, ist nach Mt. 26, 52 verboten. "Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen."107 103

Ebs. Luther (WA 19, 641 f.).

104

Vgl. III. 5.

103

Vgl. III. 5., Fn. 112.

106

In ihren Gutachten für Mgf. Georg von Brandenburg, Anfang Januar 1530 (RTA JR 8, 497 f. 505 f.). 107 Wolgasts, 163 Kritik, Melanchthon verlasse in seinem Gutachten "den Boden der juristischen Beweisführung", darf man nicht in dem Sinne verstehen, daß es hier zu einem Bruch in der Methode und Argumentation komme. Gewiß verleugnet er nicht den Theologen, wenn er sich auf das Gebiet der Jurisprudenz begibt - das haben übrigens die Kanonisten auch nicht getan - , doch ist als stillschweigende Denkvoraussetzung zu berücksichtigen, was er in den Loci communes über das Recht geschrieben hat: Der Christ unter dem Gesetz lebt nach dreierlei Recht, das mit unterschiedlicher Autorität ausgestattet ist, nach der von Gott den Christen geoffenbarten lex divina, nach der lex naturae, die alle Menschen dank ihrer von Gott eingerichteten Vernunft erkennen können, und nach der lex humana, die von Menschen gemacht und von Gott zugelassen wird (CR 21,116 -126.130. MSA 2/1, 40 - 52. 55 f.). Alle drei galten als 'Recht', und die Rechtsgebiete waren nicht so scharf voneinander getrennt, daß ein Recht auf dem Gebiet des andern nichts zu suchen gehabt hätte. Zwar Dinge wie Maße und Gewichte waren der lex humana allein überlassen, aber für solche wie Obrigkeit und Verbrechensstrafen waren alle drei Rechte zuständig. Melanchthon blieb also methodisch korrekt, wenn er z. B.

2. Die legistische Widerstandslehre und Melanchthon

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Die Derogation des Vertragsrechtes durch das göttliche Recht geht auf Luther zurück. In seiner Kriegsleute-Schrift von 1526 verurteilt er jeden Krieg der 'Unterpersonen' gegen die Oberperson', weil Gott sich die Rache vorbehalten hat und weil das Richten in eigner Sache gegen die natürliche Billigkeit verstößt. Dieser Grundsatz kann auch von einem Herrschaftsvertrag nicht durchbrochen werden. Was Luther an solchen Verträgen anerkennt, ist die Selbstverpflichtung der Fürsten, nach Gesetzen und nicht nach Mutwillen zu regieren. Doch die vereinbarten Sanktionen gegen Vertragsbruch hält er für wertlos. Hat doch ein Fürst nicht nur diese Artikel, sondern auch Gottes Gebote zu halten gelobt! Wenn er nun beide bricht, wird der höchste Richter sein Urteil sprechen. Aber den Untertanen ist es verwehrt, in eigener Sache und an Gottes Statt zu richten 108. Dieser Grundsatz allein zählte für Luther. Die ältere Unterscheidung zwischen dem Widerstand, der drohendes Unrecht verhüten, und der Rache, die geschehenes Unrecht strafen will 109 , findet bei keinem der Widerstandsgegner Beachtung. Die Rechtsfrage nach der Zulässigkeit des Widerstands dürfe jedoch nicht getrennt werden von der politischen Frage nach dessen Zweckmäßigkeit, fährt Melanchthon fort. Er fürchtet, daß die Evangelischen den Krieg verHeren oder daß sie zur Ursache einer entsetzlichen 'mutatio' des Reiches werden, in welcher letzten Endes die eigenen Glaubensverwandten über Kursachsen herfallen werden. Die wären dann vielleicht noch weniger bereit, der Kirche ihre gehörige Ordnung zu geben, als jetzt die Papisten. Angesichts solcher Gefahren gebietet schon die politische Klugheit, lieber unrechte Gewalt zu ertragen als Krieg zu riskieren. Nachdem Melanchthon in dieser Weise geklärt hat, was dem wahren Christen gebühre, wendet er sich noch einmal der legistischen Widerstandslehre zu, und zwar dem Tatbestand der Notorietät, den seine Opponenten anscheinend besonders hervorgekehrt hatten110. Er prüft ihn, als ob es das göttliche Gehorsamsgebot nicht gäbe, einfach vom Standpunkt eines umsichtigen Juristen, und kommt sinngemäß zu dem folgenden Ergebnis: Notorisch wird ein Unrecht nicht schon durch die Tatsache, daß es eben Unrecht ist, sondern erst dadurch, daß es im allgemeinen Bewußtsein als Unrecht gilt. Aber ein solches Bewußtsein kann sich in Anbetracht der Papisten gar nicht bilden. Deshalb muß auch derjenige iurisconsultus, der nur nach weltlichem Recht urteilen eine Vertragsauflösung nach weltlichem Recht an den Normen des höherwertigen göttlichen Rechts überprüfte. Die Methode übergreifender Interpretation war nicht ungewöhnlich, neu war indessen der Rigorismus, zu dem Melanchthons strenger Biblizismus führte. 108

WA 19,641 f.

109

Vgl. II.5.

110

Das geschah dann wieder in der Torgauer Disputation.

98

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

wollte, den Protestierenden das Widerstandsrecht bestreiten. Wer also rät zum Widerstand? Es sind die zwinglischen Städte, von denen Melanchthon freilich weiß, daß sie weder Recht noch Evangelium kümmert. Ihre Prediger haben dem Aufruhr der Bauern Vorschub geleistet, und jetzt wollen sie wieder nach diesem Muster verfahren. Zwingli ruft des Kaisers Städte öffentlich auf, sich gegen den Kaiser gewaltsam zu wehren. Bucer hat Sickingens Missetat öffentlich verteidigt, und von Luthers Schrift gegen die Bauern hat er gesagt, sie spreche die gnadenlose Sprache des mosaischen Gesetzes. Und jetzt suchen sie einen Antiochus, um durch ihn das Reich und die Kirche ärger denn je in Verwirrung zu stürzen. Bucer und die oberdeutschen Städte samt den Schweizern in der Rolle der abtrünnigen Israeliten, die einen Kriegsfürsten suchen, der den Tempel des Herrn entweihen wird (1. Makk. 1)! Die Lage der Protestierenden hatte sich seit dem März dramatisch verschlechtert. Aber die Grundsätze, nach denen die Theologen urteilten, blieben davon unberührt. Der Rat, mit dem Melanchthon sein Gutachten schließt, wiederholt deshalb den Ratschlag Luthers: Mag der Kaiser nach seinem Willen tun, der wahre Christ wird ihm nicht wehren und, wenn es sein muß, seinen Glauben bekennen und leiden, ohne andere mit ins Verderben zu ziehen, so wie Christus seinen Leidensweg allein ohne die Apostel gegangen ist. 3. Einen Tag, nachdem sich Kaiser und altgläubige Fürsten geeinigt hatten, am 3. August, wurde den bekennenden Fürsten und Städten die Antwort zuteil, im selben Kapitelsaal vor demselben Publikum und gleichfalls durch Verlesung 111. Auch die andern Städte, welche die Protestation und Appellation, aber nicht das Bekenntnis unterschrieben hatten, waren zum Erscheinen befohlen worden. Der Prolog, der vom Sprecher des Kaisers, Pfalzgraf Friedrich, vorgetragen wurde, versuchte den Eindruck zu erwekken, als sei man gemäß dem Reichstagsausschreiben verfahren 112. Dann folgte die Verlesung des langen theologischen Hauptteils, die Nürnberger Gesandten zählten über fünfzig Blatt. Da konnten Laien wie Kreß, Volckamer und Baumgartner nicht so recht folgen, aber die "Antwort in summa" begriffen alle sofort, daß "im Ende die großen Hauptartikel, die

111 Bericht der Nbg. Gesandten vom 4. und 6.8.1530 (CR 2, 249 - 252. 255 - 258). Brück, 71 - 77. Tetleben, 98 -102. Förstemann 2,178 -181 (für den 5.8.). 112

(1) Der Kaiser hat die Bekenntnisschriften einiger Fürsten, auch die einiger Städte "entfangen und muntlich und scrifflich gehört", (2) er hat sie "vylen tapfern meneren, auch anderer nation, zu besichtigen und beratslagen gegeben", den Rat der anderen christlichen Fürsten eingeholt, (3) die Antwort schriftlich abgefaßt, beratschlagt und beschlossen. (4) Er erwartet von den Protestierenden, "das ße us dysser gegeben antwort sich der warheyth berichten wurden und (5) uf deselbige gegebene antwort der cristligen kirghen, auch myth seyner Mt., auch andern cristligen Kff. u. Ff. u. Stenden des reichs vergleigen" (Tetleben, 98 f.).

3. Die Ausschüsse

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Priesterehe, das Sacrament unter beider Gestalt zu nehmen, und daß die Meß kein Opfer sey, deßgleichen daß die Klostergelübde nicht zu halten seyn, gänzlich verworfen und für unchristlich geachtet worden". 113 Im Schlußwort, das wieder der Pfalzgraf persönlich sprach, knüpfte der Kaiser erneut an das im Ausschreiben genannte Verfahren an. Er erwarte von den Appellanten, sie werden sich nunmehr der Wahrheit berichten und auf der Grundlage der gegebenen Antwort mit der christlichen Kirche, auch mit ihrem Kaiser und den christlichen Kurfürsten, Fürsten und Ständen vergleichen. Er versicherte sie seiner Gnade; doch stellte er bei einem Mißlingen der Vergleichung Maßnahmen in Aussicht, zu welchen ihn sein Amt als oberster Vogt der Kirche und sein Gewissen verpflichteten. Dr. Brück, der im Neunen des Kurfürsten von Sachsen und seiner Mitverwandten antwortete, erinnerte an die Zusicherung des Kaisers, beide Seiten in Güte zu hören, sowie die Bereitschaft seiner Herren, zum Nutzen von Frieden und Einigkeit nach Gewissen Weisung anzunehmen, und bat darauf, da die einen Artikel ihrer Konfession ganz oder teilweise angenommen, andere ganz oder teilweise abgelehnt, auch zahlreiche Schriften angeführt würden, um eine Abschrift der kaiserlichen Antwort. Bei aller Behutsamkeit der Sprache, die noch im Bericht der Nürnberger Gesandten durchklingt, nahm man sich eben doch die Freiheit, selber zu prüfen, ob die mit der Autorität des kaiserlichen Namens ausgestattete Confutatio vor dem göttlichen Wort bestehen konnte114. Diese Bitte fand die Kurfürsten und Fürsten uneins, so daß der Kaiser Vertagung befahl. Jene votierten jetzt für Entgegenkommen, um nicht den Vorwurf mangelnden rechtlichen Gehörs auf sich zu ziehen. Diese blieben aus dem bekannten Grund bei der einmal gefaßten Meinimg. In der Audienz am späten Nachmittag des 5. August ließ der Kaiser seine Bereitschaft erklären, eine Abschrift zuzustellen unter der Bedingung, daß sie nicht an die Öffentlichkeit gebracht werde. Auch verbat er sich weitere Gegenschriften. Dem Ausschreiben sei nun Genüge getan. Das war gewiß ein Angebot, wie wenn der Fuchs dem Storch die Mahlzeit in einer flachen Schüssel vorsetzt 115; aber dabei blieb es endgültig. Als Karl aufstand und den Raum verließ, hatte sich allen sichtbar seine Handlung mit den bekennenden Fürsten und Städten 'zerstoßen' 116. 113

CR 2, 250.

114

von Walter, 73 f. Lutz, 26 f.

115

Brück, 74 - Der Altkanzler kleidete die Ablehnung in die Mitteilung, man habe die wichtigsten Artikel der Confutatio mitgeschrieben und werde auf Grund dieser Aufzeichnungen antworten (CR 2,257. Förstemann 2,181). 116

In aller Deutlichkeit formuliert bei Tetleben, 102: "Und nach sich der handel alßoe zwissen key.r Mt. und den lutherischen fursten zürslagen und gestossen myth ungnad, haben sich

100

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

Noch am selben Tag holten sich die altgläubigen Fürsten von beiden Seiten die Bewilligung ihrer Vermittlung, die sie am 7. August in der Frühe durch einen Großen Ausschuß aufnehmen wollten117. Da geschah etwas Unerwartetes. Die deutschen Knechte des Kaisers hatten in der Nacht zum Sonntag die Tore besetzt und hielten sie noch am Morgen verwahrt. Sie hatten, wie es hieß, Befehl, auf den Kurfürsten von Sachsen zu achten118. Unter diesen Auspizien betraten die vier Fürsten mit ihren Räten - die Hessen fehlten - und die Nürnberger und Reutlinger Botschaften den Kapitelsaal neben dem Dom, wo sie Kurfürst Joachim als Sprecher des Ausschusses beschwor, sich mit Kaiser und Ständen zu vergleichen, unter Vorhaltung der schrecklichen Folgen, die aus der Zweiung für Land und Leute, ihre eigene Person, das ganze deutsche Vaterland entstehen müßten. Er wußte natürlich schon wie alle Frühaufsteher dieses Tages, daß Landgraf Philipp ohne Urlaub auf und davon war und daß jene unerhörte Maßnahme denen galt, die er jetzt mit seinen Schreckensbildern traktierte. Er kann nicht überrascht gewesen sein, daß seine Rede als Kriegsdrohung empfunden wurde 119 . Die Audienz beim Kaiser am selben Tag brachte eine gewisse Entspannung. Die Zurückgebliebenen hatten nicht die Absicht, hatten sie niemals gehabt, es dem Landgrafen gleichzutun und durch gemeinsamen Verzug den Reichstag lahmzulegen. Anderseits mußte sich der machtbewußte Habsburger sagen lassen, daß solches unangekündigte Toresperren bei seinen Vorgängern nicht der Brauch gewesen sei120. Der Vorfall wurde durch die Versicherung der kaiserlichen Gnade und durch eine Entschuldigung des Kurfürsten von Brandenburg beigelegt. In der kursächsischen Politik hinterließ er keine erkennbaren Spuren. Der Große Ausschuß fuhr fort, die Lutherischen zu drängen, sich mit Kaiser und Ständen auf die Confutatio zu vergleichen oder wenigstens "itlighe weghe und maes" zu zeigen, wie diese Sache verglichen werden könne. 'Wege und Maß', nicht 'Mittel', wie Tetleben eigens anmerkt: also kein Religionsgespräch! Brück erklärte sich in dieser Situation außerstande, "maes oder weghe vorzuslaen", und bat seinerseits den Ausschuß, "mittel, maes und weghe" anzuzeigen121. Seine Abalßoebald dey andere cristligen Kff. u. Ff. in de sache geslagen [...]". Jene bestritten gegenüber den altgläubigen Vermittlern energisch, Irrungen oder Beschwerungen mit dem Kaiser zu haben (CR 2,258. Brück, 77). Verständlicherweise; denn die 'Ungnade' setzte 'Ungehorsam' voraus, der leicht als Loyalitätsverweigerung, als Felonie ausgelegt werden konnte. 117 Förstemann 2, 182-217. Brück, 78 - 89. Berichte der Nbg. Gesandten vom 8., 11. und 14.8. (CR 2,261 - 268.278 - 280). Tetleben, 102 -117. Immenkötter, Einheit, 24 - 28. 118

Brück, 80.

119

Ebd., 79. CR 2,267.

120

Brück, 81. CR 2,265.

121

Tetleben, 109 f.

3. Die Ausschüsse

101

lehnung begründete er am folgenden Tag, dem 10., unter anderem mit dem schweren Vorwurf an die Adresse der kaiserlichen Umgebung, man habe die versprochene gütliche Handlung noch gar nicht begonnen und versuche statt dessen unter Drohungen, sie zum Anschluß an die kaiserliche Antwort zu nötigen. Der Altkanzler hatte schon am 3. August im Reichsrat von Abreise gesprochen, die hohen Kosten des Aufenthalts vorschützend, jetzt erinnerte er an das versprochene Konzil und die anhängige Appellation. Mit andern Worten, er gab zu verstehen, man könne die Glaubenshandlung wegen Zwecklosigkeit von der Tagesordnung absetzen. Und hatte denn bis jetzt der Ausschuß mehr getan, als Karls erfolglosen Überrumpelungsversuch durch ebenso erfolglose Überredungsversuche zu ersetzen? Da verdient Beachtung, wer von den Kur- und den weltlichen Fürsten höchstpersönlich mitwirken wollte, um im Auftrag aller Stände den Abgewichenen ins Gewissen zu reden 122. Die hohenzollernschen Brüder Joachim und Albrecht wußten unter den Lutherischen ihren Vetter Georg; Albrecht Achilles, der Markgraf und spätere Kurfürst, war ihr gemeinsamer Großvater. Joachim war außerdem mit seinem kursächsischen Nachbarn Johann verschwägert, der allerdings wegen gewisser Familienprobleme auf ihn nicht gut zu sprechen war. Der Ernestiner Johann wiederum und der Albertiner Georg, Luthers Intimfeind, der ebenfalls im Ausschuß saß, waren wie die drei Hohenzollern rechte Vettern. Derselbe Georg hatte Philipp von Hessen, den Agilsten unter den evangelischen Fürsten, zum Schwiegersohn. Albrecht von Mecklenburg war nicht nur wegen der lüneburgischen und hessischen Verwandtschaft dabei, sondern mehr noch wegen seines Bruders Heinrich, der im Schweriner Teilherzogtum offen die Reformation begünstigte. Bei Heinrich dem Jüngeren spielten verwandtschaftliche Rücksichten keine Rolle, denn die Häuser Lüneburg und Braunschweig waren schon seit hundertundfünfzig Jahren getrennt und hatten noch wenige Jahre vorher in der blutigen Hildesheimer Stiftsfehde gegeneinander gekämpft. Aber Heinrich konspirierte damals wegen seines geächteten Schwagers Ulrich mit seinem Freund, dem hessischen Landgrafen, und insofern waren mittelbar auch hier verwandtschaftliche Interessen im Spiel123. Sachsen, Brandenburg und Hessen waren obendrein durch Erbverbrüderung miteinander verbunden. Angesichts dieser Beziehungen wird man die drängenden Wiederholungen des Großen Ausschusses nicht als einfallslose 'Persuasion' verstehen, sondern als einen Autoritätenbeweis, der seine Überzeugungskraft aus der na122

Die im Folgenden genannten Fürsten bildeten ein Drittel des Ausschusses. Berücksichtigt man, daß in den Ausschüssen auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen geistlichen und weltlichen Fürsten geachtet wurde und daß fürstliche Mitglieder sich oft genug durch Räte vertreten ließen, kann man schon in jener Anzahl ein Zeichen persönlichen Engagements erblikken. 123

Grundmann, 14 - 20.36.

102

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

türlichen Familienbindung und der Pietät gegen die verewigten Voreltern gewinnen wollte. Aber eben nicht gewann. Der Große Ausschuß mußte in wenigen Tagen erkennen, daß er bei den Lutherischen so nichts ausrichten konnte. Kurfürst Joachim teilte es ihnen am 11. August mit, wobei er sich in heftigste Beschuldigungen steigerte: Sie machten sich ein Gewissen, wo sie sich keins zu machen brauchten, und sie machten sich kein Gewissen, wo es ihnen bitter nötig wäre. Am meisten mußten ihre Theologen herhalten: entlaufene Mönche, Bilderstürmer der eine, Sakramentsschänder der andere, Wiedertäufer und Gartbrüder, das waren ihre geistlichen Autoritäten! Aber so, in geharnischter Rede, signalisierte er die Bereitschaft zum Religionsgespräch, indem er zwar nicht die Aushändigimg einer Abschrift, wohl aber die beliebige Verlesung der Confutatio anbot, damit man beiderseits feststellen könne, in welchen Artikeln man einig sei und über welche man sich unterreden und noch vergleichen müsse124. Der erste der drei Wege hatte nicht zum Ziel geführt, deshalb wurde nunmehr der zweite beschritten. Am selben Tag oder tags darauf schrieb Melanchthon seine Gedanken über Mittel und Wege nieder, wie man die beiderseitige unfruchtbare Verweigerung im Großen Ausschuß überwinden könne, Überlegungen also zu den materiellen und taktischen Problemen künftiger Verhandlungen123. Als erstes schlug er einen Ausschuß von fachkundigen, friedenswilligen Männern beider Seiten vor, die einen Vergleich über die Glaubenslehre und die kirchlichen Bräuche ausarbeiten sollten. Doch während er das niederschrieb, kamen ihm schon die Zweifel am Nutzen dieses 'Weges': "Sed quid prodest ista via, cum adversarii tarnen nunquam volent accipere nostras ceremonias?" Gregor Brück, für den das Bedenken bestimmt war oder über den es an den Kurfürsten ging, urteilte differenzierter. "Si non de ceremoniis, saltem de doctrina", vermerkte er am Rand, "ad hoc valeret colloquium."126 Er hielt eine Einigung in der Glaubenslehre für möglich — darauf beruhte ja das ganze kursächsische Verhandlungskonzept - und den paritätischen Ausschuß für ein geeignetes Instrument. Ein Erfolg oder Teilerfolg würde von politischen Erfolgen begleitet sein, wie er des weiteren notierte. Die Altkirchlichen konnten die Evangelischen nicht der Häresie anklagen, und ein bloßes Schisma in den Zeremonien wog nicht so schwer, daß es jene zu einem rechtlich begründeten Krieg veranlassen konnte. Außerdem diente ein Religionsgespräch "ad multam pacem nostrorum", besonders wenn die

124 Förstemann 2, 190. Tetieben, 115. Zur Bedeutung des Großen Ausschusses vgl. Hönde, Libell, 56. 125

Förstemann 2,238 - 240 (mit falschem Datum). CR 2,268 - 270.

126

Förstemann 2,238 f., der als einziger Brücks Aktenvermerk berücksichtigt.

3. Die Ausschüsse

103

Vergleichung der meisten Artikel gelang127. Was die umstrittenen Kirchenbräuche anging, war Brück entschlossen, Zugeständnisse bei der Bischofsgewalt und den Äußerlichkeiten nur dann zu machen, wenn zuvor die drei wesentlichen Forderungen der Evangelischen erfüllt wurden, wenigstens bis zum Konzil, wo die Religionsgespräche fortgesetzt werden müßten. Noch einen dritten Vorteil sah Brück in der Aufnahme von Ausschußverhandlungen, nämlich die Chance, den Streit über die Eigentumsrechte an den verlassenen Klöstern einvernehmlich zu vertagen. Im weiteren Verlauf seines Bedenkens erwog Melanchthon die 'Mittel·, die in Frage oder nicht in Frage kamen. Als Verhandlungsziel bezeichnete er die bekannte Dreiheit: Abendmahl unter beiden Gestalten, Priesterehe und Pfarrmesse. Vor allem von den ersten beiden war nichts nachzulassen. Der Kaiser müßte der Einsicht fähig sein, daß der Versuch, eine Änderung zu erzwingen, das religiöse Leben schlechthin zerstören würde. Über die bischöfliche Jurisdiktion könne man verhandeln. Auch brauche man sich nicht zu weigern, über die Messe zu disputieren. Hierzu merkte der Altkanzler an: "Via principalis, quod supersedeamus usque ad concilium." 'Der Hauptweg ist, daß wir's bis zum Konzil unterlassen.' Was bezweckte eine Taktik, die das Religionsgespräch suchte, aber dem Disput über eine der wesentlichen Forderungen und Verhandlungen über das wesentliche Zugeständnis aus dem Wege ging? Etwa zur gleichen Zeit erstatteten die in Augsburg anwesenden kursächsischen Theologen ein gemeinsames Gutachten zu den bevorstehenden Religionsgesprächen128. Sie bekannten sich ausdrücklich zur Einheit der Kirche: Es wäre vor Gott nicht zu verantworten, wollte man in unnötiger Spaltung verharren, unter der die Zucht in Schulen und Kirchen leide, zumal Gott nichts Höheres geboten habe, als Frieden zu halten. Zu diesem Zweck empfahlen sie eine Kompromißlösung und beschrieben im einzelnen, worin man mit Gott und Gewissen nachgeben könne und worin nicht. Davon sei hier nur zweierlei genannt. Die Theologen befürworteten mit den entsprechenden Kautelen für Lehre und Prediger die Wiederherstellung der bischöflichen Gewalt, auch aus Gründen der Ordnung und der frühchristlichen Tradition. Denn obwohl der Papst ein Antichrist sei, könnten doch die Christen unter ihm leben wie einst die Juden unter Pharao. Die Art, wie sie den selbsterhobenen Einwand entkräfteten, gibt zu erkennen, daß sie ohne Bedenken im Papsttum das höchste Amt der bischöflichen Ordnung sahen. Aber so viel wollte Brück der Gegenseite nicht zugestehen. Der Papst wolle nicht einfach oberster Bischof sein, sondern maße sich einen Primat aus

127 Es ist nicht klar, ob Brück den inneren Frieden der Bevölkerung meint wie die ksä. Theologen in ihrem Bedenken vom 14./15. 8.1530 (Förstemann 2, 245) oder den Friedenswillen der mitverwandten Fürsten und Städte. 128

Ebd., 244 - 248 (mit falschem Datum). CR 2.280 - 285.

104

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

göttlichem Recht an. Das könne man guten Gewissens nicht hinnehmen129. Weit schwerer fiel den Theologen ein zweites Zugeständnis. Ihre anfängliche Zuversicht, dem Evangelium werde nun überall freier Lauf gelassen, war der bedrückenden Erkenntnis gewichen, "das das Evangelion nicht zu andern kerne".130 Zwar vermieden sie, den Verzicht endgültig auszusprechen, aber grundsätzlich räumten sie dem äußeren Frieden den Vorrang ein vor der Freiheit der Verkündigung. Brück ließ diese Einsicht ohne Randvermerk passieren. Was der Bericht über die kursächsischen Planungen vom 11. bis 15. August zeigen soll, ist dies: Der Altkanzler und Melanchthon, die auf evangelischer Seite die Hauptlast der Glaubenshandlung tragen sollten, hatten von ihrer Aufgabe unterschiedliche Vorstellungen. Melanchthon ging von der Voraussetzung aus, es müsse auf dem Reichstag eine globale Lösung der Glaubensirrung gefunden werden; und obwohl oder gerade weil er die Unmöglichkeit spürte, entwarf er in den kommenden Verhandlungen immer neue Kompromißvorschläge, um die Einigung nachgerade zu erzwingen. Anders Brück. Er betrachtete die Glaubenshandlung als ein langwieriges Verfahren mit offenem Ausgang, das über den Reichstag hinaus noch das Konzil beschäftigen würde. Das Mögliche wägend, war er darauf bedacht, den Konflikt auf der Ebene des Schismas zu halten, um den großen Ketzerkrieg zu verhüten, und von den reformatorischen Errungenschaften nichts preiszugeben. Deshalb taktierte er auf Zeitgewinn™. Es ist nicht bekannt, ob er dieses Konzept von Anfang an im Sinne hatte oder ob er damit auf den starken Druck von seiten des Kaisers reagierte. Die Vermutung spricht für das zweite. Denn wenn man, wie geschehen, die vorzeitige Abreise des Kurfürsten in Erwägung zog, bevor noch der Reichstag eröffnet worden war 132, gestand man sich doch den Mißerfolg der bisherigen Politik ein. So wäre das aus den Aktenvermerken ersichtliche Konzept der illusionslose Ersatz des alten, das auf den Torgauer Beratungen basierte. Mit Sicherheit kann man sagen, daß weder Melanchthon noch die mitverwandten Fürsten und Städte in diese Gedanken des Altkanzlers eingeweiht waren. Am 13. August sprach Brück vor dem Großen Ausschuß. Am Ende seiner Rede, die der rhetorischen Leistung seines Gegenspielers an Länge und Deutlichkeit der Kritik nicht nachstand, machte er den Vorschlag, einen pa129

Förstemann 2,247 f. CR 2,284V

130

Förstemann 2,248.

131

Hierzu paßt, was Kf. Johann am 29.8.1530 nach dem Scheitern der Ausschußverhandlungen den Nürnberger Gesandten antworten ließ: Man habe die Wiederherstellung der bischöflichen Gewalt unter anderem deshalb angeboten, weil man den Verdacht mangelnder Verhandlungsbereitschaft habe vermeiden wollen. Auch sei zu vermuten gewesen, daß die Gegenseite ablehnen werde, wenn man auf den Hauptpunkten fest beharrte (CR 2,322). 132

RTA JR 8,640.

3. Die Ausschüsse

105

ritätischen Ausschuß einzusetzen. Man hatte das Angebot der Religionsgespräche verstanden und angenommen133. Das Hin- und Herschieben, wer wem Maß und Wege vorzuschlagen habe, hörte auf; die Glaubenshandlung konnte weitergehen134. Nach der Sitzung traten einige Fürsten zu den Evangelischen, erkundigten sich nach Einzelheiten: fünf, sieben oder neun Mitglieder usw.? Johann Eck, der auch zugegen war, räsonierte im Gespräch mit Kreß über die geplante personelle Zusammensetzung, nannte die Fürsten eitel Narren, die man nicht brauche, um die Sache zu richten. Dann sprach Albrecht von Mainz den Nürnberger Patrizier an: Sie hätten es den Bischöfen und Pfaffen tüchtig gegeben. Schon wahr. Aber die Weltlichen seien auch nicht besser. Vielleicht lagen in dieser Stunde Erleichterung und Hoffnung einseitig bei den Altgläubigen. Kreß teilte ihren Optimismus nicht. Die Einsetzung des neuen Ausschusses wurde am 14. von den Ständen einmütig gebilligt und am 15. vom Kaiser genehmigt. Die Religionsgespräche zwischen den Ständen, bei denen Karl im Hintergrund blieb, gehörten zum Drei-Wege-Plan der Altkirchlichen und kamen dem Verlangen der Evangelischen, das sie in der Vorrede zu ihrem Bekenntnis angemeldet hatten, entgegen, aber sie schlossen keine Parteiengleichheit ein. Der Vierzehnerausschuß 135 war aus altgläubigen und evangelischen Verordneten paritätisch zusammengesetzt, je zwei Fürsten, zwei Kanzlern alles promovierte Kanonisten - und drei Theologen. Bei den Evangelischen dominierten die Sächsischen mit dem Kurprinzen, Gregor Brück und Melanchthon. Daß Hessen nur mit einem Theologen beteiligt wurde, hatte der Landgraf durch sein plötzliches Verschwinden leichtgemacht. Bei den Altgläubigen waren Hieronymus Vehus, der badische Kanzler, und Johann Eck die führenden Köpfe. Der Vierzehnerausschuß war ein Instrument der amicabilis compositio, der gütlichen Handlung nicht wie der obengenannte Große Ausschuß einer von den normalen Reichstagsausschüssen 136. Denn Kurfürsten, Fürsten und Stände wählten nur die Hälfte der Mitglieder; die andern sieben wurden von den protestierenden Fürsten gestellt, die, gemessen an den Virilstimmen, in beiden Kurien eine verschwindend kleine Minderheit bildeten. Jede Deputation hatte nach dem Kurienprinzip eine einzige Stimme; die Freiheit von Weisungen und die Abstimmung nach Mehrheit, wel133

Förstemann 2, 201 - 217, der Vorschlag selbst 217.

134

Zum Folgenden der Bericht der Nbg. Gesandten vom 14.8.1530 (CR 2,279).

135

Hierzu die Berichte von Vehus (Honée, Libell, 205 - 253), Bruck, 89-105, Heller (Förstemann 2, 263 - 271), Kreß und Bernhard Baumgartner (CR 2, 286 - 288. 289 - 291. 293 f.). Virck, 303-307. Immenkötter, Einheit, 28 - 56. Honée in NAKG 53, 64 - 84. Ders., Libell, 56-58.63-74. 136 Zu diesen Oestreich. Vgl. Honée, Libell, 56 - 58 - Über die Geschäftsordnung des Vierzehnerausschusses informiert ausführlich Tetleben, 117 -119.

106

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

che die normalen Reichstagsausschüsse kennzeichneten, galten für diesen Religionsausschuß nicht. Man mußte sich einigen, wenn ein Beschluß zustande kommen sollte. Die Altgläubigen protestierten von vornherein wie vor Disputationen üblich, nichts zu tun, was dem heiligen Glauben und der christlichen Kirche zuwider wäre, und für die andern war selbstverständlich das Evangelium die Richtschnur. Beide Deputationen verhandelten nur auf Hintersichbringen. Das Beratungsergebnis mußte an Kurfürsten, Fürsten und Stände gebracht werden und nach deren Zustimmung von diesen an den Kaiser. Der allein hatte das Recht zur endgültigen Bewilligung oder Ablehnung. Natürlich behielten sich auch der Kurfürst von Sachsen und seine Mitverwandten ihre Entscheidung vor. Es war nun aber nicht so, daß bei Nichteinigung der Verordneten die Glaubenshandlung ohne Entscheidung sollte eingestellt werden - das unterscheidet den Vierzehnerausschuß von der itio in partes späterer Reichstage - 137 ; sondern der kaiserliche Gehorsamsanspruch wurde gegenüber allen Kurfürsten, Fürsten und Ständen aufrechterhalten und nach dem Fehlschlagen der gütlichen Handlung nachdrücklich erhoben. Verlesen, d. h. zum Gegenstand der Beratung gemacht, wurde das Bekenntnis der Lutherischen, nicht zugleich, wie diese es wollten, die Confutatio, obwohl sie natürlich bei Bedarf herangezogen wurde 138. Das paßte zu der früheren Weigerung der altgläubigen Fürsten, gegen die lutherischen als Partei in ein Schiedsverfahren einzutreten. Die Artikel wurden einer nach dem andern beraten und nach Möglichkeit sofort verglichen, ehe die Beratung des nächsten aufgenommen wurde. Die altgläubigen Ausschußmitglieder hatten die Weisimg, alle verglichenen Artikel oder Teile von Artikeln anzunehmen und bei den unverglichenen Artikeln oder Teilen jeweils die Gegenseite um Vermittlungsvorschläge zu bitten, selbst aber keine zu machen. Daran hielten sie sich so lange wie möglich, doch gingen sie nicht so weit, jede konstruktive Mitarbeit schuldig zu bleiben. Zur Verfahrensordnung ist ferner anzumerken, daß über die Beratungen keine Schriftsätze angefertigt und gedruckt werden durften. Auch sollte von jeder Seite immer nur einer reden, damit das Gespräch in Liebe und ohne Zank geführt werde. Und das gelang in den ersten Tagen: Wenn Eck und Melanchthon sich in Hitze redeten, griffen die Fürsten mäßigend ein139. Nach dem beschriebenen Verfahren wurden am 16. und 17. August die meisten der einundzwanzig den Glauben betreffenden Artikel verglichen, manchmal durch Formelkompromisse, welche die vorhandenen Lehrunter-

137

HRG 2,452.

138

Spalatili, 158 f. CR 2,287 f.

139

Ebd., 288.

3. Die Ausschüsse

107

schiede verdeckten140. Melanchthon disputierte auf keinem Theologenkongreß, und auch Eck hatte nun begriffen, daß die Heilige Inquisition in Augsburg nicht gefragt war: Da ließ wohl der spiritus loci manche Aussage kompro'-.dßfähig erscheinen, die ihnen zu Hause unter ihresgleichen als unverzichtbare Wahrheit gegolten hätte. Dann kam man im Ausschuß überein, die noch unverglichenen Artikel 12, 20, 21 zurückzustellen und den zweiten Teil der Bekenntnisschrift vorzuziehen. War es nun ein glücklicher Zufall oder vorausschauende Regie auf Seiten der Konfessionsverwandten: die Artikel über Kommunion, Priesterehe und Messe standen an erster und der über die Bischofsgewalt an letzter Stelle, und nach der vereinbarten Verfahrensordnung mußten sie in dieser Reihenfolge jeder für sich vorgenommen werden. Denn man gewann einen taktischen Vorteil, wenn zuerst die Punkte beraten wurden, bei denen man Zugeständnisse erwarten durfte, und erst danach diejenigen, bei denen man selbst welche machen mußte. Aber die Sachverhalte, um die es hier ging, waren im wirklichen Leben so eng miteinander verbunden, daß man vernünftigerweise nicht länger einen Artikel nach dem andern abhaken konnte. Das mußten auch die Evangelischen einsehen, und man beschloß noch am selben Tage, den zweiten Teil insgesamt ohne vorgreifende Entscheidungen über einzelne Artikel zu beraten und zu v gleichen M1. Die Verordneten der minderheitlichen Fürsten und Städte legten verabredungsgemäß am 18. einen Rahmenvorschlag (Proposition) zum ganzen zwei Teil ihres Bekenntnisses vor 142, nachdem sie in der Mittagsstunde die Zustimmung ihrer der Deputation nicht angehörenden Mitverwandten eingeholt hatten143. Sie erklärten sich außerstande, anderes vorzuschlagen, als daß "bey uns" das Abendmahl unter beiden Gestalten, die Priesterehe und die Pfarrmesse bis zur Beratung auf einem Konzil erhalten blieben. Damit dennoch christliche Einigkeit und ordentliches Regiment in der Kirche bewahrt würden, erboten sie sich, "darnach und alsdan" wegen der bischöflichen Gewalt, der Speisevorschriften und der gewohnten Kirchenbräuche "mit den Ordinariis locorum" zu vereinbaren, daß ihnen von den evangelischen Pfarrern Obödienz geschehe, ihre "geburliche" Jurisdiktion nicht verhindert und "sovil muglich und christenlich" in den Kirchen Gleichheit der Lehre und Zeremonien gehalten werde. Diese Proposition entsprach ganz dem Konzept, das Gregor Brück auf jenem Bedenken Melanchthons vermerkt hatte 144. Die Geltung der Artikel 22 bis 24 auf die eigenen Gebiete und 140

Immcnköttcr, Einheit, 40. Dcrs., Reichstag, 34-36. Vehus (Honée, Libell, 221) und nach dessen Schlußbericht Tetleben, 125. Ebs. Schirrmacher, 222. 141

142 143 144

Brück, 95. Förstemann 2,249. Honée, Libell, 222 f. Bericht der Nbg. Gesandten vom 19.8.1530 (CR 2,290). "sequetur postea in omnibus externis et iurisdictione episcoporum permisso evangelio

108

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

die Zeit bis zum Konzil zu beschränken wurde ausdrücklich oder indirekt eingeräumt. Anderseits vermied der Text Aussagen und damit Zugeständnisse betreffend die Gesamtkirche und das Papsttum, die Ordenspersonen und die Klostergüter. Auch das war in den Aktenvermerken Brücks vorbereitet. Die Verordneten der andern Seite gingen auf die Bedingung nicht ein, die ersten drei Artikel in vollem Umfang ohne Diskussion anzunehmen. Um aber die gütliche Handlung trotzdem fortsetzen zu können, verlangten sie, mit der bischöflichen Gewalt und Jurisdiktion zu beginnen. Das verstieß an sich nicht gegen den Beschluß des Vortages, da ja unbeschadet der abschließenden Vergleichung en bloc ohne Präjudiz die vorausgehende unbeschließliche Disputation einer bestimmten Ordnung folgen mußte; aber nun lehnten wieder die Evangelischen ab, da nur die alte Reihenfolge der Sache angemessen sei. Der Streit zog sich bis zum Abend hin 145 . Dann erboten sich die Altgläubigen, tags darauf Mittel und Wege vorzuschlagen, die der Erhaltung des Friedens dienen könnten. Die Deputation der Reichsstände übergab ihren Vorschlag, den ersten seit Beginn des Vierzehnerausschusses am 19. frühmorgens 146. Der Artikel betreffend die bischöfliche Gewalt war darin, ihrer Forderung entsprechend, an die erste Stelle gesetzt. Was wichtiger war: die Altgläubigen zeigten sich jetzt grundsätzlich bereit, die Kommunion unter beiden Gestalten zu dulden und verheiratete Priester in Kauf zu nehmen, mit der obengenannten räumlich-zeitlichen Beschränkung. Aber sie knüpften daran Kautelen, von denen einige wie Übergangsbestimmungen auf dem Rückweg zur alten Kirche wirkten, und doch wurden sie auch in Sorge um die eigene Bevölkerung ausbedungen147: die Gemeinde vor dem Gottesdienst über die Gleichwertigkeit beider Abendmahlsformen unterrichten, auf Wunsch die Spendung unter einer Gestalt gewähren, die ausscheidenden verehelichten Priester durch unverheiratete ersetzen. Unkraut unter den Weizen streuen, um die gute Frucht zu verderben (Mt. 13, 24 — 30), nannte es Brück 148. Der ganze 19. August und der nächste Vormittag gehörten den lutherischen Gelehrten, deren theologische Vermittlungsbemühungen in der Wissenschaft die größte Aufmerksamkeit gefunden haben. Das soll hier unterbleiben, auch in der Überzeugung, daß eine Art Wunder nötig gewesen wäre, um den zweiten Teil CA insgesamt zu vergleichen. vetus (?) restituere, demissis nobis coniugio clericorum, missis nostris et participatione sacramenti sub utraque specie, vel saltern usque ad concilium" (Förstemann 2, 239. Die Lesung "vetus" ist unsicher). 145

Zum Verfahrensstreit vgl. Exkurs 2. Honée, Libell, 70 - 74.

146

Förstemann 2,250 - 255. Honée, Libell, 70 - 74. Inhaltsangabe Tetleben, 126 f.

147

Kf. Johann an Luther, 22.8.1530 (WA Br 12, 125). Melanchthon an Luther, 29.8.1530 (WA Br5,598). 148

101.116.

3. Die Ausschüsse

109

Die Deputation der Reichsstände beriet die Antwort der Evangelischen, die ihnen am 20. gegen zwei Uhr nachmittags übergeben wurde 149, etwa eine Stunde lang. In der anschließenden gemeinsamen Sitzung erklärte ihr Wortführer, sie hätten in der kurzen Zeit nicht alle Punkte beraten können, sondern nur die Kommunion und die Messe150. Das waren die Artikel, welche die Evangelischen wieder an die erste Stelle gesetzt hatten. Vehus gab also im Verfahrensstreit nach und konnte es getrost; denn jetzt hatte er die Diskussion über jene Artikel, die der Widerpart bisher verweigert hatte. Dann kamen die bohrenden Fragen: wegen der Beichte, der Privatmessen, des großen und kleinen Kanons, der Priesterehe, vor allem aber wegen des Altarsakraments: Würden ihre Prediger öffentlich lehren, daß die unter einer Gestalt Empfangenden nicht unrecht tun, und würden sie auf Verlangen das Sakrament in dieser Form darreichen? Brück erwiderte, sie hätten in ihrer Antwort ihre Meinung klar genug angezeigt. Auch seien die Dinge genügend disputiert. Was sie mit Gott und Gewissen nachlassen könnten, hätten sie ihnen alles auf einmal angezeigt "und wolten inen solchs darumb also haben vormeldet, das sie es vor einen undinstlichen Vorzug achteten, von weither mittelung ader nachlassung zu handeln".151 Und in der Tat war der Handlungsspielraum der sieben Verordneten mit diesem einen Vermittlungsvorschlag verbraucht. Denn sie hatten ihn ausgearbeitet und übergeben, ohne die Mitverwandten überhaupt zu informieren, und konnten nun vielleicht mit deren nachträglicher Zustimmung rechnen, aber sicher nicht mit der Ermächtigung zu weiterem 'Mitteln' 152 . Die Absicht, die Ausschußarbeit zu beenden, löste auf der Gegenseite helle Empörung aus, die sich in Sarkasmen Luft schaffte. Man verstehe, daß sie nicht nachlassen könnten, was sogar die Böhmen nachgelassen hätten. Man verstehe, daß die ganze Christenheit, sofern sie nicht lutherisch sei, unrecht tue, daß die Abgeschiedenen, ihre eignen Voreltern auch, unrecht getan hätten, das Sakrament unter einer Gestalt zu empfangen! Ob das dem Frieden diene, müßten sie selbst bedenken. Doch trennten sich am Abend die Deputationen in der Absicht, am nächsten Morgen wieder zusammenzutreffen. Die Sitzung am Sonntag, dem 21. August, begann mit Vorwürfen, denen die Evangelischen die Versicherung ihrer Friedensbereitschaft entgegensetzten und die Beteuerung, das äußerst Mögliche nachgelassen zu haben. Sie baten ihre Verhandlungsgegner, ihren Vermittlungsvorschlag vom 20. an Kurfürsten, Für149 Förstemann 2, 256-263. Spalatin, 170-178. Honée, Libell, 234 - 241. Inhaltsangabe Tetleben, 128 f. 150

Heller (Förstemann 2,265).

151

Brück, 98.

152

Vgl. S. 113. Von Lgf. Philipp war sogar die Obstruktion der Ausgleichspolitik zu befürchten, wie die geradezu groteske Umkehrung der Forderungen in dem Brief an seine Räte vom 29. 8.1530 zeigt (CR 2, 323 - 325).

110

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

sten und Stände zu bringen und sich dort für das Konzil zu verwenden. Dann erklärten sie in einem kurzen Schriftsatz 153, sie hätten zu keiner Zeit jemand verdammt, der das heilige Sakrament unter nur einer Gestalt empfangen habe oder empfange, weder Tote noch Lebende noch Künftige. Dem ließen sie eine zweite, mündliche Erklärung im Sinne der Konkomitanz folgen, um die laut gewordene Verdächtigung abzuwehren, als hielten sie es mit der nestorianischen Ketzerei. Nach einem Bedacht holten die Altgläubigen einen Text hervor, wie die lutherischen und die katholischen Pfarrer predigen sollten, daß man niemand wegen der einen oder beiderlei Gestalt verurteile, auch daß jene die Spendung sub una nicht verweigern dürften. Als nun die derart Bedrängten ihre vorige Bitte wiederholten, begannen die andern eine Disputation über den Kanon. Turbulenzen und heftige Worte mit erhobener Stimme gesprochen wie am Tag zuvor. Schließlich kehrte die Einsicht ins Unabänderliche ein. Beide Deputationen erboten sich, ihren Auftraggebern Bericht zu erstatten154 und deren Bescheid einander mitzuteilen. Beide baten einander um Entschuldigung. Wenn sich ihrerseits "etwas wort verlauffen" hätten, sollten sie das nicht unfreundlich verstehen155. Damit war der Vierzehnerausschuß, aber nicht die gütliche Handlung an sich beendet. In der Antwort der minderheitlichen Verordneten stand unter Punkt fünf, wie sie sich die künftige bischöfliche Gewalt und Jurisdiktion vorstellten: Dem örtlichen Bischof werden die neuen Geistlichen präsentiert. Er bestraft Vergehen von Geistlichen. Er verhängt den kleinen Bann im Sinne der Bibel. Für ehe- und eigentumsrechtliche Sachen ist er nicht zuständig. Aber dieser Artikel konnte nicht mehr beraten werden, was die Voraussicht des Altkanzlers bestätigte: "Via principalis, quod supersedeamus usque ad concilium." Am Morgen des 22. August gaben die evangelischen Fürsten die Absicht zu erkennen, aus Augsburg abzureisen156, und jedermann konnte sehen, wie das große Gepäck des Kurfürsten auf vier Wagen verladen wurde. Ein gemeinsamer Verzug also, der einen ordentlichen Abschluß der Glaubenshandlung unmöglich machen würde! Doch das war sächsischerseits eine bloße Demonstration; denn am selben Tag schrieb Johann an Luther und begehrte dessen Rat, ob man die Verhandlungen über den Vermittlungsvor153

Brück, 99 f., Honée, Libell, 250.

154

Ev. Schlußbericht betr. Kommunion, Messe, Priesterehe, Ordensleute und Klostergüter ( Förstemann 2,274 - 276). Honée, Libell, 252 f. 155 156

Heller (Förstemann 2,269 - 271).

Zur Bildung des Sechserausschusses die Berichte von Tetleben, 130 f., Kreß und Bernhard Baumgartner (CR 2, 301 f.) und Sebastian Heller (Förstemann 2, 290 - 292), auch Brück, 105. Über die Arbeit des Ausschusses Virck, 308 - 310, Immenkötter, Einheit, 56 - 66. Honée in NAKG 53,85 - 96.

3. Die Ausschüsse

111

schlag hinaus mit weiteren Zugeständnissen fortsetzen solle oder nicht157. Die altkirchlichen Stände, die am folgenden Morgen zusammentraten, um den Bericht ihrer sieben Ausschußmitglieder entgegenzunehmen, sahen jetzt den Zeitpunkt gekommen, an den dritten der vereinbarten Lösungswege zu denken und den Kaiser um Erlaubnis zu bitten, "uff mittel eynes conciliums zu handeln".158 Karl willigte ein. Ein neuer, verkleinerter Ausschuß sollte eingesetzt werden: vier Kanzler und zwei Theologen, die alle schon dem vorigen Ausschuß angehört hatten, jedoch keine Fürsten. Das geschah deshalb, weil man Georg von Sachsen loswerden wollte, dem man die Schuld gab, daß sich zuletzt das Verhandlungsklima verschlechtert hatte159. Denn in Wirklichkeit hatte man es mit dem dritten Weg nicht so eilig und hegte noch immer die Hoffnung, die Lutherischen über ihr Angebot vom 20. August hinaus zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. Zunächst schlug Kurfürst Johann die Bitte der mainzischen Räte, den engeren Ausschuß zu beschicken, ab; doch Kurfürst Albrecht weigerte sich, diesen Bescheid vor die Stände zu bringen. Minkwitz gegenüber, der die Absage überbracht hatte, machte er Andeutungen "von gutlichen mittein und friden", auch wenn weitere Artikel nicht mehr könnten verglichen werden, und traf damit genau das, woran den Sächsischen am meisten gelegen war. Trotzdem bedurfte es dreimaliger Beratung, bis deren Mitverwandte der Beschickung zustimmten. Sie waren über die Eigenmächtigkeit der sieben Verordneten verärgert und wollten Wiederholungen vorbeugen. Deshalb versagten sie dem Vermittlungsvorschlag ihr nachträgliches Plazet und verlangten statt dessen Abschriften, die sie ihren Herren zusandten160. Bis deren Weisungen eintrafen, mußte weiteres Mitteln unterbleiben, wollte man nicht die Gemeinsamkeit des Handelns aufs Spiel setzen. Der Sechserausschuß trat am 24. August zum erstenmal zusammen. Die Verordneten der Mehrheit baten wie gewöhnlich ihre Partner um Vermittlungsvorschläge. Doch die konnten nur auf ihr Angebot vom 20. verweisen und gaben ihrerseits die Bitte zurück 161. Johann Eck regte nun an, die drei 157

WA Br 12,124 -126.

158

Tetleben, 130 f.

159

Förstemann 2, 290. CR 2, 301. Auch Tetleben , 131 ist so zu verstehen, wenn er von Ausschußmitgliedern spricht, "dey dem handel nicht hessisch und sceydlich seyn". Johann Friedrich von Sachsen, Mitglied des Vierzehnerausschusses, äußert gegenüber Georgs Schwiegertochter, in der Confutatio sei von den Klostergütern nicht die Rede gewesen, erst der Herzog habe im Ausschuß das Thema aufgebracht und auf dessen Behandlung beharrt (Mentz, 133). Hz. Georg war übrigens gegen den Willen der Kurfürsten gewählt worden ( Tetleben , 122). 160 Hellers Bericht vor den mitverwandten Fürsten und Botschaften am 22.8. (Förstemann 2, 263-271). Über die Sitzung die Berichte der Nbg. Gesandten vom 23. und 26. 8. (CR 2, 300 - 302. 313). 161

Tetleben, 132 f.

112

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

noch unverglichenen Lehrartikel zuerst vorzunehmen. Das hatte seinen guten Grund, wie die Ausführungen des badischen Kanzlers zeigten, der anschließend sprach. Sie, die Katholiken, begann Vehus, hielten die Lutherischen für 'Abgesonderte' - er gebrauchte das mildere Wort, dazu auf deutsch —; sie wollten in diesem Ausschuß gemeinsam nach Wegen suchen, den Vorwurf der Absonderung gegenstandslos zu machen. Zu diesem Zweck müßten beide Teile die Einheit im Glauben wahren und jeder vom andern bekennen, daß er den rechten Glauben lehre und halte. Dann könnten sie wegen der unterschiedlichen Gebräuche miteinander Geduld haben, bis ein künftiges Konzil die Klärung bringe 162. Das werde nun nicht mehr von einem Reichstag auf den andern verschoben; ja, in ihren Kreisen sei man überzeugt, es werde "nach Verrichtung diser gebrechen" binnen Monatsfrist ausgeschrieben163. Das klang schlüssig. Und hatte nicht der Altkanzler den politischen Aspekt der Beziehung Glaubenslehre — Kirchenbräuche ebenso beurteilt, als er sich von Verhandlungen über die Lehre Nutzen versprach 164? Kein Zweifel, beide Seiten waren bemüht, den Konflikt vom Häresievorwurf freizuhalten. Aber beider Motive waren grundverschieden. Brück war es zufrieden, wenn Verhandlungen geführt oder ein Stillstand geschlossen wurden; denn solange man im Gespräch blieb, konnte der Vorwurf der Häresie nicht laut werden, war die Gefahr eines Ketzerkrieges gering. Vehus wiederum hatte soeben die Einheit im Glauben zur Voraussetzung der Konzilsgewährung gemacht165, denn die Konzilsväter konnten allenfalls mit Schismatikern verhandeln. Natürlich lagen auch bei einer bloß interimistischen Lösung die Schwierigkeiten im Detail, in der Frage, wieviel man glaubte einander zugestehen und abverlangen zu müssen. Der badische Kanzler tat in dieser Hinsicht nicht viel mehr, als in weitläufiger Rede seinen Vorschlag vom 19. August zu wiederholen166. Den hielt er noch für verhandlungsfähig. Diese Beharrlichkeit darf nicht verwundern. Die zahlreichen Kautelen bei der Gewährung des Laienkelchs und der Tolerierung verehelichter Priester, das unnachgiebige Festhalten am Opfercharakter der Messe und an den Privatmessen und anderes mehr waren als Maßnahmen im Sinne jener unitas fidei gedacht, als Schritte auf dem von Kaiser und Ständemehrheit vereinbarten zweiten Lösungsweg, so viele Irrungen wie möglich vor einem künftigen Konzil zu vertragen. Man wird Vehus nicht gerade verdächtigen, daß er in jenen Tagen gleich dem päpstli1 0

Förstemann 2,292 f.

163

Ebd., 297.

164

Vgl. IV. 3, Fn. 126.

165

Bruck, 117.

166

Ebd., 109.115. Tetleben, 133 f. Immenkötter, Einheit, 59 - 61. Honée, Libell, 77 f. betont stärker als I. die Bereitschaft zu weiterem Entgegenkommen.

3. Die Ausschüsse

113

chen Kardinallegaten den weisen Solon im Sinne hatte, der die Athener verpflichtete, die Reformgesetze bis zu seiner Rückkehr zu befolgen, und sich dann nicht mehr blicken ließ1*7. Brücks Erwiderung konnte trockener nicht sein: Es wäre vertane Zeit, wenn sie solche Mittel und Wege an ihre Herren brächten. Über andere, z.B. einen friedlichen Anstand bis zu einem künftigen Konzil, wollten sie dagegen gern mit ihnen auf Hintersichbringen sprechen168. Brück, Heller und Melanchthon berichteten am 25. August vor den versammelten Räten, Botschaften und Theologen169. In den anschließenden getrennten Beratungen brauchten die Sächsischen am längsten und empfahlen dann überraschenderweise, die Verhandlungen auf der Grundlage ihres letzten Vorschlags fortzusetzen. Und Melanchthon hatte auch schon ein Verzeichnis gestellt, was den andern ohne Gewissensbeschwerung weiter könne nachgelassen werden 170. Anzuzeigen war ferner ein Zettel des badischen Kanzlers, durch welchen er seine Forderungen zu Artikel CA 28 anmeldete: Künftige Pfarramtskandidaten sollten den Bischöfen nicht einfach präsentiert, sondern von diesen examiniert und admittiert werden, worunter eine Zulassimg trotz kanonischer Bedenken zu verstehen war 171 . Die Ablehnung war einhellig. Lüneburg, Hessen und die Städte verweigerten ihre Zustimmung zu weiteren Vermittlungen. Sie hätten wegen des letzten Vorschlags noch keinen Befehl von ihren Herren. Das klang rein geschäftsmäßig und ging doch nicht so einfach ab. Unmut lag in der Luft und kehrte sich gegen Melanchthon, der in seiner Gereiztheit den lüneburgischen Kanzler provozierte: "Wer sagen darf, daß die nächst übergebnen Mittel nicht christlich, der lüg's als ein Bösewicht!" Furster schlug zurück: "Wer das Widerspiel sagen darf, der lüg's als eine Bösewicht!"172 Auch Erhard Schnepf, der hessische Theologe im Vierzehnerausschuß, sprach gegen Melanchthon. Die Nürnberger schwiegen, aber sie empfanden Unbehagen über das Artikelstellen ihres Freundes und machten sich Sorgen, daß er ins Gerede komme. Am Ende blieb es dabei, daß die Verordneten wieder in den 167

Ehses in RQ 18,368. Vgl. Brück, 116.

168

Der Herausgeber Förstemann hält die von Heller notierte Antwort Brücks (298 f.) für identisch mit der bei Brück, 109 -115 ausführlich wiedergegebenen Rede. Das kann jedoch aus inhaltlichen Gründen (die Erbietungen an den Schlüssen!) nicht richtig sein. Brück hat diese Rede erst am 26. gehalten, was aus seiner eignen, späteren Darstellung nicht ersichtlich ist (109: "nach gehabten Bedacht"). Sie ist das "anbringen", auf welches die Antwort der Altgläubigen (Förstemann 2,299) Bezug nimmt. ι ω

Das Folgende nach dem Bericht der Nbg. Gesandten vom 26.8.1530 (CR 2,313 f.).

170

MBW1, Nr. 1043.

171

Der Zettel ist verlorengegangen (Brück, 108**. Förstemann 2,298), doch ergibt sich sein Inhalt aus CR 2,313. 172

CR 2, 364.

114

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

Ausschuß gingen. Sie sollten jedoch keine Mittel vorschlagen und mit dem Widerpart "von andern fiiglichen Wegen" reden, d. h., von einem friedlichen Anstand bis zum Konzil. Eine Krise war es nicht, was da in der sächsischen Kanzlei zum Ausbruch kam - die Gefahr der Trennung bestand zu keiner Zeit —, wohl aber ein Konflikt der Meinungen und Interessen als Begleiterscheinung einer mangelhaft koordinierten Politik Wer von den Protestierenden den Reichstag besuchte, mußte zu Verhandlungen in der Glaubenssache bereit sein. Philipp von Hessen konnte sich diesem Zwang durch heimlichen Verzug entziehen und die Freiheit kompromißlosen Neinsagens bewahren, weil er keine Nachfolge fand. Ein gemeinsamer Verzug aller bekennenden Fürsten und Städte wäre jedoch einer Kampfansage an Kaiser und Reich nahegekommen. Wer sich also auf Verhandlungen einließ, mußte zu Kompromissen bereit sein. Was hätte da nähergelegen, als ein gemeinsames Konzept vorzubereiten! Aber seit den Tagen von Schmalkalden und Nürnberg gab es keine gemeinsame Politik der Protestierenden mehr. Die Vorbereitung auf den Reichstag geschah in den Kanzleien und Ratsstuben ohne wechselseitige Abstimmung. Erst der äußere Druck in Augsburg führte die Evangelischen zusammen und wies dem Ranghöchsten unter ihnen Ehre und Last der Leitung zu. Seitdem verhandelt wurde, war es im Grunde so, daß Kursachsen handelte, Brandenburg assistierte und die übrigen informiert und um Zustimmung gebeten wurden. Es war Dr. Brück, der die Stagnation im Großen Ausschuß überwand, indem er die Bildung eines Fachausschusses vorschlug. Die Sitzverteilung dort-zwei Fürsten, zwei Kanonisten, drei Theologen — war derart aufgeschlüsselt, daß auf evangelischer Seite, von wo die Anregung gekommen war 173, eine andere als die vollzogene Besetzung kaum möglich war. Die sieben Verordneten unter der geistigen Führung von Brück und Melanchthon entwarfen den Rahmenvorschlag vom 18. August und versagten den Räten und Botschaften der Mitverwandten die Gelegenheit zum Abschriftnehmen und Hintersichbringen174. Schließlich erstellten sie den Vermittlungsvorschlag vom 20. und übergaben ihn der Gegenseite ohne Vorwegunterrichtung der Mitbetroffenen, die ihre Zustimmung zweifellos verweigert hätten. Aber wie hätte der Ausschuß arbeiten sollen, wenn, da ein gemeinsames Konzept fehlte, jeder Verhandlungsschritt ein Hintersichbringen und Weisungeinholen auslöste! In materieller Hinsicht konnten sich die Mitverwandten des Kurfürsten nicht hintergangen fühlen. Sie wußten, daß er im Gegensatz zu ihnen175 die Frage der Bischofsgewalt für kompromißfähig hielt. Schließlich hatten sie Luthers

173

Ebd., 279.

174

Ebd., 290.

175

Maurer, Erwägungen, 367 f.

3. Die Ausschüsse

115

"Vermahnung an die Geistlichen" gelesen176, und sie hatten das Glaubensbekenntnis des Kurfürsten von Sachsen mitbekannt177. Das konnte sie natürlich nicht hindern, eigene Meinungen und Interessen zur Geltung zu bringen, als es ihnen dringlich erschien. Da waren es der kursächsisch-brandenburgische Alleingang im Vierzehnerausschuß, Melanchthons diffizile Einigungsformeln, welche die reformatorische Klarheit trübten, und das Ansinnen, das Kirchenregiment mit den alten bischöflichen Rivalen zu teilen, welche die Grenze markierten, über die man dem Kurfürsten nicht mehr zu folgen gedachte - sofern er selbst sie ernstlich hat überschreiten wollen178.

Die kursächsischen Verordneten hatten für die Ausschußsitzung am 26. keine Instruktion erhalten, weder vom Kurfürsten noch von Johann Friedrich 179 . Dabei war es unumgänglich, die Altgläubigen an diesem Tage wissen zu lassen, ob die Religionsgespräche fortgeführt würden oder nicht. Melanchthon kam jedenfalls nicht zum Zuge. Brück, der nach der anderthalbtägigen Pause die Antwort mündlich erteilte, ging den Vorschlag seines badischen Kollegen Punkt für Punkt durch, um zu beweisen, daß sich in dem neuen Gewand die alten, unannehmbaren Forderungen präsentierten. Sie, die Altgläubigen, hätten den Ausschuß angetragen, nun müßten sie auch neue, gangbare Wege weisen. Sonst wäre es besser, bei dem Abschied im Vierzehnerausschuß zu bleiben und beim Kaiser um ein Konzil anzuhalten. Zu Gesprächen über einen friedlichen Anstand waren die Evangelischen ger bereit. Doch ob nun Minkwitz den Reichserzkanzler mißverstanden oder der es auf ein Mißverständnis angelegt hatte: zu Gesprächen über Anstand und Abschied waren die Verordneten der andern Seite nicht ermächtigt. Aufgebrachtes Reden und Widerreden, wobei Brück so weit ging, Einblick in ihre Instruktion zu verlangen. Da brauste der Ingolstädter auf: Das Konzil könnten sie haben, aber erst müßten sie alles in den vorigen Stand zurück176

WA 30/2, 340 - 343. Luther will das allerdings nicht als Verhandlungsangebot verstanden wissen: bischöfliche Jurisdiktion gegen freies Evangelium. Die Verkündigung des Evangeliums bedarf nicht der Anerkennung durch die Gegenseite, um rechtmäßig zu sein (322). Nirgendwo taucht der Gedanke auf, sie könne auf die bereits reformierten Gebiete beschränkt oder auf die Zeitspanne bis zu einem Konzil befristet werden. Das Evangelium ist kein Verhandlungsgegenstand. Doch um des Friedens willen und dem Volk zuliebe, dem es bis jetzt vorenthalten wird, will Luther einen Zustand tolerieren, der weniger schlecht ist als der jetzige: die Existenz geistlicher Fürsten und die bischöfliche Jurisdiktionsgewalt in personaler Trennung vom bischöflichen Predigt- und Seelsorgeamt. 177 "Es werden aber die Bischof leichtlich den Gehorsam erhalten, wo sie nicht darauf drungen, diejenigen Satzungen zu halten, so doch ohn Sund nicht mögen gehalten werden" (BS, 131 f.). 178 179

Vgl. IV. 3., Fn. 131.

Melanchthon an Luther, 26. 8. 1530 (MBW 1, Nr. 1046)-Über die Sitzung am 26. 8. informieren am besten die Berichte Sebastian Hellers (Förstemann 2, 299 - 301) und Hieronymus Baumgartners (CR 2,320 f.). Brück, 118 f. und Tetleben, 134 beschränken sich auf die Wiedergabe der Verfahrens- und Rechtsfragen.

116

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

versetzen - der dritte und letzte Lösungsweg! - ; daran schloß er Drohreden, verwies auf das Schicksal von Florenz, das soeben von kaiserlichen Truppen erobert worden war. In ihren Kirchen, bekam er zur Antwort, lasse man immer für den Sieg des Kaisers über seine Feinde beten. Dann kehrte der versöhnliche Ton zurück. Um Frieden und Einigkeit willen sollten die Lutherischen die Sache noch einmal bedenken, und diese versprachen für den kommenden Sonntag eine schriftliche, 'endliche' Antwort auf Vehus' Vorschlag. Als Melanchthon, der wegen seiner Nachgiebigkeit Vielgescholtene, dem fernen Luther von den Tagesereignissen berichtete, warf er den beiden Ernestinern "imbecillitas animi", Führungsschwäche, vor. Die Antwort, die am 28. August verlesen und übergeben wurde 180, erwähnte die Verhandlungen der beiden Ausschüsse nur noch in der narratio. Was Brück seit dem 20. August den altgläubigen Verordneten zu gemeinsamer Entschließung vorgeschlagen hatte, vollzogen die bekennenden Fürsten und Städte jetzt einseitig von sich aus: die Beendigung der Religionsgespräche. Sie erklärten sich bereit, neue Vorschläge oder die Antwort auf ihr im Vierzehnerausschuß getanes Erbieten zu hören, und verlangten im übrigen, daß es in der Konzilsangelegenheit bei den früheren Reichsabschieden bleibe und nichts daran ihrer Appellation zuwider geändert werde. Schließlich erboten sie sich wiederum zu Gesprächen über einen friedlichen Anstand bis zum Konzil. Zwei Tage später traf Luthers Ratschlag in Augsburg ein. Er konnte als eine Bestätigung der kursächsischen Politik gelesen werden 181. Gregor Brück charakterisierte später die dreiwöchigen Ausschußverhandlungen mit einer bitteren Anekdote: Ein Windischer und ein Deutscher gingen zusammen auf die Jagd und erlegten eine Eule und einen Hasen. Als sie nun die Beute auslosen wollten, schlug der Wende vor: 'Fällt das Los so, nehme ich den Hasen, und fällt das Los anders, kriegst du die Eule.' 182 4. Am 31. August hatten die Stände dem Kaiser den Ausschußbericht zugestellt und ihren Verhandlungsauftrag zurückgegeben183. Am 7. September nahm Karl die Sache wieder selbst in die Hand, er führte sie hart, 180

Honée, Libell, 267 - 279. Förstemann 2,306 - 310. Brück, 120 -123. Tetleben, 135 f.

181

An Kf. Johann, 26. 8.1530 (WA Br 5,572 - 575). Luther äußert sich nicht, wiewohl dazu aufgefordert, zu den von den Verordneten angebotenen, vom Kurfürsten jedoch noch nicht bewilligten Zugeständnissen, es sei denn durch eine allgemeine Regel: Nichts nachlassen, was aus Gottes Wort ist! Nichts zum Gottesdienst annehmen, was ohne Gottes Wort gestiftet ist! Fasten, Feiertage, Zeremonien dürfen angenommen werden, sofern sie als weltliche Ordnungen von der weltlichen Obrigkeit eingeführt werden. Doch weiteres Nachgeben in bezug auf Abendmahl, Privatmesse und Kanon, das Melanchthon in den ersten zwei Punkten für unbeschwerlich hielt (MBW1, Nr. 1043), lehnt er ab. 182

Brück, 116.

183

Tetleben, 137.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

117

aber immer noch 'gnädig'184. Die Protestierenden, die er an diesem Tag zu sich befohlen hatte, bekamen den ihnen gefährlichen Vorwurf der Sektenbildung, auch den mangelnder Vergleichungsbereitschaft zu hören und schließlich ganz offiziell, womit Johann Eck im Sechserausschuß herausgeplatzt war: Vor einem Konzil hatten sie die alten kirchlichen Bräuche und Rechtszustände wiederherzustellen. Der Kaiser duldete keine Verzögerung durch Vertagung oder langes Bedachtnehmen. So antworteten die Protestierenden unverzüglich, 'untertäniglich' in der Form, aber fest in der Sache, hielten sich nicht lange bei den Vorwürfen auf, die sie auf mangelnde Unterrichtung zurückführten, und dankten für die Bereitschaft, ein Konzil in die Wege zu leiten. Dorthin "als den ordentlichen wege, solche Sachen zu handeln und zu entscheiden"185, hätten die Reichsabschiede die Lehre und Zwiespalte des Glaubens verwiesen, und sie hätten niemand auferlegt, "die mißbreuche, so durch gottes worth und ordenung gefallen, vor dem Concilien wideraufzurichten". Die Bedingung des Kaisers lehnten sie unter Hinweis auf ihre anhängige Appellation ab. Bestünde er darauf, "were es angezaigter Appellacion und protestacion als neuerung zuwider und dem Rechten ungemeß". Dann traten sie ab, Fürsten, Räte und Botschaften, und mußten im Vorraum zwei Stunden warten - Kurfürst Johann war immerhin schon zweiundsechzig und nicht der gesündeste - , bis der Kaiser mit seinem Bruder und einigen spanischen und deutschen Räten die Antwort fertiggestellt hatte. Sie wurde ihnen gegen acht Uhr abends durch Georg Truchseß erteilt. Der Kaiser nahm ihre 'Entschuldigung' wegen der Sekte und neuen Lehre zur Kenntnis - "Solt inen auch herzlich und getreulich laidt sein, sich von der christenlichen kirchen zu sondern"186 - und bekräftigte im übrigen seinen Vorwurf mangelnder Bereitschaft zur Vergleichung. Ihre, der Protestierenden, Berufung auf den Speyrer Abschied erklärte er für unzulässig, und ihre Appellation hielt er ganz einfach für nichtig. Damit könnten sie sich nicht behelfen, sondern als das Häuflein, das sie in der Kirche bildeten, hätten sie in Brauch und Recht der Kirche dem größeren Haufen zu folgen. Soviel von den Argumenten. Das Ganze war im Grunde bloß eine verdeckte Disputation; dahinter stand eine einzige Frage, die nun am Ende direkt gestellt wurde: Waren der Kurfürst von Sachsen und die ihm zugewandten Fürsten bereit, die gütliche Glaubenshandlung fortzusetzen, oder blieben sie bei ihrer Antwort? Im ersten Fall wollte Karl persönlich nach Mitteln und Wegen suchen, welche die Einigkeit bis zum Konzil fördern und ein friedliches Nebeneinander der Stände gewährleisten könnten - die in integrum restitutio war demnach nicht das letzte Wort 184

Förstemann 2,391 - 397. Tetleben, 141 f. Brück, 135 -139. Vgl. Honée, Libell, 97 -101.

183

Dieses und die folgenden zwei Zitate Brück, 137.

186

Ebd., 138.

118

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

gewesen - ; im zweiten Fall würde er sich als Vogt und Schirmherr der Kirche erzeigen. Bedenkzeit bis zum nächsten Tag ein Uhr. Später wurde die Audienz auf den 9. verschoben187. Dr. Brück gab im Namen des Kurfürsten und der verwandten Fürsten und Städte die Antwort mündlich, nicht zugleich in schriftlicher Form; denn es war jetzt nichts mehr zu bedenken und zu antworten. Auf das Wesentliche reduziert und der gebührenden untertänigen Sprache entkleidet, lautete sie: Da der Kaiser befremdet sei, wie weit sich die Verordneten des andern Teils mit ihnen eingelassen hätten, so würden ihn weitere Verhandlungen nur mit unnötiger Mühe belasten und andere Reichsangelegenheiten aufhalten 188. Darauf der Kaiser: Solche Antworten habe er zur Genüge vernommen. Er werde die Sache weiter bedenken, mit den Ständen des Reichs beraten und seinen Entschluß wissen lassen. "Von stundt hat kay.e Mat. begern lassen, das die Stende dieses teils solcher Irer Mat. andtworth erwarten und vor des nit vorrucken wolten."189 Welcherart konnte diese Antwort sein? Da die meisten Stände einer gewaltsamen Lösung abgeneigt waren 190 und auch Karl selbst die Prioritäten anders setzte191, verbot sich eine Neuauflage des Wormser Edikts. Deshalb mußte die kurfürstlich-fürstliche Deputation, die in Übereinstimmung mit dem Kaiser den Abschluß der Glaubenshandlung dieses Reichstages vorbereitete, einen friedlichen Abschied und das hieß wohl oder übel die Zustimmung der Lutherischen suchen192. Dazu nutzte man die inoffiziellen Kontakte, die Truchseß von Waldburg und Vehus sofort nach dem Scheitern der kaiserlichen Handlung geknüpft hatten und geflissentlich unterhielten 193. Aber die Unterhändler trafen nun auf eine ähnliche Sprödigkeit wie ehedem Melanchthon bei seinen Fühlungnahmen. So wurde der Glaubensabschied von den Deputierten entworfen, von den altgläubigen Ständen beraten und mit dem Kaiser verglichen, ohne daß man der Annahme durch die Lutherischen sicher sein durfte. Die Verlesung war auf den 22. September angesetzt. An diesem Tag gegen vier Uhr nachmittags begaben sich Kurfürst Johann, Herzog Ernst, Markgraf Georg und Fürst Wolfgang von An187

Ebd., 139.

188

Förstemann 2,410 - 415. Tetleben, 142 f. Brück, 139 -144, die angeführte Stelle 142.

189

Brück, 142. Zu den verzweifelten Bemühungen, die Person des Kurfürsten aus der direkten Konfrontation mit dem Kaiser zu lösen, Brück, 143 f. 161 -176 und der anschauliche Bericht der Nbg. Gesandten vom 19.9.1530 (CR 2,379 - 381). 190

Tetleben, 148 f.

191

Reinhard, 90.

192

Tetleben, 151 f.

193

Hierzu vor allem Honée in NAKG 54,1 - 63. Über die September-Verhandlungen als inoffizielle Fortsetzung der Ausschußverhandlungen und der kaiserlichen Vermittlung Ders., Libell, 105-148.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

119

halt, gefolgt von ihren und den hessischen Räten und den Botschaften der Städte, zur kaiserlichen Pfalz, wohin sie erfordert waren. Als sie die Augustiner-Stiftskirche durchqueren wollten, wurden die Fürsten von Georg Truchseß und Dr. Vehus angesprochen und beiseite gebeten194. Dr. Brück ging mit ihnen. Sie meinten es treu mit ihnen, begannen die beiden Unterhändler, und wollten ungenannt bleiben für das, was sie ihnen jetzt streng geheim eröffneten. Der Abschied werde zwar wie geplant vorgelegt werden195, aber sie wüßten einen Weg, "das der unvorglichenen artickel halben biß auf ein Concilium wol anstandt und fride gegeben wurde werden" 196. Auf den Kaiser könne man sich dabei verlassen. Damit übergaben sie einen Zettel, auf dem dieser Weg beschrieben war. Die Fürsten sollten vor ihrer Abreise noch einmal persönlich den Kaiser aufsuchen und ihn untertänig bitten, die Bedenkzeit über den 15. April hinaus zu verlängern, wenn sie bei Ablauf der Frist darum nachsuchen würden. Der Kaiser werde ihnen antworten: Sofern sie dem Abschied gehorsam nachkämen, werde er ihr Gesuch gnädig bedenken; auch müßten Frieden und Einigkeit unter den Ständen erhalten bleiben. Soweit der Zettel. Aber die Sache hatte einen Haken. Brück erkannte an der Handschrift den Schreiber - er gehörte zur mainzischen Kanzlei197. Der Täuschungsversuch setzte nicht nur das Einverständnis des Erzkanzlers, sondern auch des Kaisers selbst voraus, der ja schließlich mitspielen mußte198. Man war offensichtlich an höchster Stelle bereit, die vier Fürsten und ihre Mitverwandten durch versteckte Zugeständnisse für den Abschied zu gewinnen und sich mit weniger zufriedenzugeben, wenn nur der Schein des vollen Erfolgs gewahrt bliebe; denn ein vollständiger Mißerfolg der Glaubenshandlung mußte auf die kaiserliche Autorität zurückfallen. Man hatte schon die Lichter angezündet, als der Abschied zur Verlesung kam199. Dem narrativen Teil zufolge ist die Glaubenssache im Geiste des 194

Brück, 178.

195

Zur Beratung des Abschieds durch die altkirchlichen Stände am Vormittag und frühen Nachmittag des 22.9.1530 Tetleben, 156 f. Honée in NAKG 54,47 - 54. 196

Brück, 181.

197

Ebd., 181 f. Immenkötter, Einheit, 88 übersieht, daß der Zettel in der mainzischen Kanzlei geschrieben worden ist und die Unterhändler demnach nicht aus eigner Initiative gehandelt haben. Im übrigen nimmt Brück, 180 Truchseß von Waldburg und Vehus persönlich in Schutz: Sie werden es gut gemeint haben, nicht aber diejenigen, die ihnen diesen Handel aufgebunden haben. 198 Brück, 178 hatte schon früher die beiden Unterhändler in Verdacht, mit immer neuen Vorschlägen die evangelischen Fürsten so lange hinhalten zu wollen, bis der Fürstenausschuß den Abschied würde fertiggestellt haben. 199

Johann Joachim Müller, 895. Förstemann 2,474 - 478. Honée in NAKG 54,58 - 63. Wiedergedruckt in Ders., Libell, 347-352.

120

IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

kaiserlichen Ausschreibens verhandelt worden. Das Bekenntnis des Kurfürsten von Sachsen, der fünf Fürsten und sechs Städte ist im Reichsrat gehört, mit fachmännischer Hilfe beraten und durch die Evangelien mit gutem Grund widerlegt und abgelehnt worden. Nach eingehenden Verhandlungen haben sich der Kurfürst und seine Mitverwandten mit Kaiser und Reichsständen über einige Glaubensartikel verglichen. Der Abschied geht jetzt ohne merkliche Zäsur 200 in den dispositiven Teil über. Wegen einiger noch unverglichener Artikel gewährt der Kaiser den genannten Fürsten und Städten Bedenkzeit bis zum 15. April 1531. Vor Ablauf der Frist sollen sie in gesiegelten Schreiben erklären, ob sie sich auch über diese Artikel mit der christlichen Kirche, mit dem Papst, dem Kaiser, den andern Kurfürsten, Fürsten und Ständen und allen Häuptern und Gliedern der Christenheit "mitler Zeit der erorterung eins negstkunfftigen Concilii"201 vereinigen wollen oder nicht. Der Kaiser wird zur gleichen Zeit bedenken, was ihm in dieser Angelegenheit zu tun gebühre. Für die Zeit des Bedachts gebietet er einen allgemeinen Frieden. Doch haben die lutherischen Fürsten und Städte inzwischen einige Auflagen zu erfüllen. Sie müssen in ihrem Herrschaftsbereich den Druck und Verkauf neuer religiöser Schriften verbieten. Sie dürfen nicht, "wie bisher gescheen ist", fremde Untertanen in Schutz und Schirm nehmen und an ihre "Sect" ziehen. Andererseits müssen sie ihren altgläubigen Untertanen den Gottesdienst in der alten Form und die Kirchengebäude belassen und den verbliebenen Ordenspersonen die Gelegenheit zu Meßopfer und Beichte wiederherstellen. Außerdem müssen sie sich verpflichten, gemeinsam mit den altgläubigen Ständen gegen Wiedertäufer und Sakramentierer vorzugehen. Weil in der Christenheit vielleicht allerlei Mißstände eingerissen sind, haben sich der Kaiser und alle in Augsburg versammelten Kurfürsten, Fürsten und Stände - also altkirchliche wie lutherische - endgültig entschlossen, beim Papst und bei allen christlichen Potentaten auf "ein gemein Christlich Concilio" hinzuwirken. Es soll innerhalb sechs Monaten nach Reichstagsende ausgeschrieben und spätestens ein Jahr nach dem Ausschreiben eröffnet werden. Von Konzessionen an die lutherischen Fürsten und Städte ist im Abschied nicht die Rede. Sie werden, wenn man so will, durch die schweigende Hinnahme des status quo gemacht. In den lutherischen Gebieten konnte das religiöse Leben weitergehen wie bisher: evangelischer Wortgottesdienst und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, von Priestern gefeiert, die verheiratet waren. Die Forderung, alle seit dem Wormser Edikt eingeführten Neuerungen rückgängig zu machen — bislang Vorbedingung der Konzilsgewährung-, wurde still200

An dieser Stelle des Ausschußentwurfs hatten nämlich die altkirchlichen Stände eine längere Streichung vorgenommen (vgl. Honée in NAKG 54,60 f.). 201

Dieses und die folgenden zwei Zitate Förstemann 2,476 - 478.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

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schweigend fallengelassen, und sogar von Sequestrierung der eingezogenen Klostergüter war nicht mehr die Rede202. Aber das stand alles unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit bis zur Erklärungsfrist am 15. April 1531 bzw. bis zur Konzilseröffnung. Der Abschied war, indem er als Nahziel nicht mehr, aber auch nicht weniger als den Stillstand der Reformation verfolgte, keine Neuauflage des Wormser Edikts, wohl aber des letzten Speyrer Reichsabschiedes. Er lag auf der Linie des kaiserlich-mehrheitlichen Konzepts vom 10. Juli und stellte dessen zweiten Weg dar. Er war kein Ultimatum an den Kurfürsten von Sachsen, die fünf Fürsten und sechs Städte, bis zum 15. April zur alten Kirche zurückzukehren 203; doch er verlangte von ihnen die verbindliche Erklärung, die Wiedervereinigung zu wollen, und bot ihnen die Möglichkeit, die gütliche Handlung nach Ablauf der Sieben-Monats-Frist wiederaufzunehmen und vor der Eröffnung des Konzils über die unverglichenen Artikel einen Vergleich zu schließen, während die unstrittigen und die im Vierzehnerausschuß verglichenen festgeschrieben und nicht mehr Gegenstand von Verhandlungen sein sollten. Daß neue Streitfragen wie Papsttum und Ablaß nicht mehr nachgeschoben werden durften, verstand sich wohl von selbst. Die Einhaltung des vorgesehenen Terminplans vorausgesetzt, mußten die Irrungen und Zwiespalte im Glauben bis April/ Mai 1532 aus der Welt geschafft sein. Wenn die evangelischen Fürsten und Städte den Abschied annahmen, trafen sie eine Vorentscheidung zugunsten d Rückkehr in die alte Kirche. Denn mit ihrer Unterschrift würden sie sich zu Auflagen verpflichten, die unverzüglich erfüllt werden mußten, und diese Auflagen waren so gestaltet, daß sie die weitere Ausbreitung der Reformation unter obrigkeitlicher Förderung verhinderten 204. Es wären wohlgemerkt 202

Nach Tetleben, 152 schlug die Fürstendeputation am 14.9. vor, alle in den Ausschüssen mit den Protestierenden verglichenen Artikel "vor bekantlich und vertragen" anzunehmen und die unverglichenen auf ein künftiges Konzil zu stellen. Mit der Restitution der Klöster solle man noch eine Zeitlang 'zusehen' ( = abwarten; DWb 16, 820). Das Verfahren, alle Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten inhaltlich festzustellen in der Erwartung einer späteren weiter gehenden Vergleichung, war auch bei der Abfassung der Marburger Artikel (Art. 15) angewandt worden (Köhler 2,125. 127.132 f.). Im Augsburger Religionsabschied unterblieb die ausdrückliche Auflistung der unverglichenen Artikel, weil die altkirchlichen Stände keinen Zweifel wollten aufkommen lassen, daß ihr Standpunkt in der Heiligen Schrift gegründet sei (Tetleben, 156. Immenkötter, Einheit, 87). Honée in NAKG 54, 53,172 hält Tetlebens Begründung für falsch, vielmehr seien die Altkirchlichen mit dieser Änderung auf die von den Lutheranern am 21. gegenüber Waldburg und Vehus geäußerte Kritik eingegangen. 203 So zuletzt Gerhard Müller, Duldung, 167. Honée in NAKG 54,1 - 63 hat nachgewiesen, daß der Kaiser in den inoffiziellen Verhandlungen seit dem 10.9. den Lutheranern Zugeständnisse gemacht hat und bereit war, weitere Zugeständnisse zu machen, daß mithin der Abschied kein auf wenige Monate befristetes Ultimatum war. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man das ksl.-mehrheitliche Verhandlungskonzept vom 10.7. in die Betrachtung einbezieht. 204 Jedin, 210. Immenkötter, Einheit, 86. Honées zwiespältiges Urteil über den Religionsabschied, daß er einerseits zur "präkonziliaren Wiedervereinigung", andererseits zur "Bestätigung des status quo ante" tendiere (ebd., 54, ebs. Ders. in NAKG 56, 411 f.), kann ich nicht ganz

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

die evangelischen Obrigkeiten selbst, die den Stillstand der Reformation würden verfügen und überwachen müssen. Mit ihrer Unterschrift würden sie zudem die altgläubige Auffassung vom Verlauf und Ergebnis der bisherigen Glaubenshandlung akzeptieren, und diesen Schaden würde man später nicht durch juristische Auslegungskünste wie 'Verba narrativa non disponimi wegdisputieren können. Konnten die Fürsten und Städte bei einer Wiederaufnahme der gütlichen Handlung auch nur so viel durchsetzen, wie Mitte September in Aussicht gestanden hatte, für ein Glaubensbekenntnis, das bald darauf in einem Reichsgesetz unwidersprochen für widerlegt und abgelehnt erklärt worden war? Oder konnten sie den Ungehorsam oder gar den Widerstand wagen für eine religiöse Bewegimg, der sie selbst den Elan genommen hatten? Der kursächsische Altkanzler trug die Erwiderung der bekennenden Fürsten und Städte vor 205 . Er deutete gleich eingangs an, daß der Abschied unannehmbar sei, indem er ihn einen Entwurf nannte206, und ging dann sofort zum Hauptanliegen der Konfessionsverwandten über: Ihr Bekenntnis sei keineswegs, wie behauptet, "durch die heilligen Euangelien und geschritten mit gutem grand widerlegt und abgelernt"; sie hielten "ungezweifelt" dafür, daß es "im heiligen worth gottes [...] bestendig und christenlich gegrundt und gewidembt" sei207. Obwohl ihnen die Widerlegung der kaiserlichen Confutatio durch die Verweigerung einer Abschrift erschwert worden sei, hätten sie nun trotzdem eine Verantwortungsschrift hergestellt, aus welcher der Kaiser befinden könne," das die ubergeben bekenthnus nach [ = noch] unvorlegt bestendiglich bestünde"208 Unter diesen Worten überreichte der Kanzler dem kaiserlichen Sprecher Melanchthons Apologie, der sie auch teilen: Obwohl die altkirchliche Seite in wenigen Tagen viel von ihren ursprünglichen Forderungen nachließ, um den toten Punkt in nächstkünftigen Verhandlungen überwinden zu können, hat sie letzten Endes nichts zugestanden, was über den in ihrem Verhandlungskonzept festgelegten zweiten Weg hinausgegangen wäre. 203 Zu den Verhandlungen des 22. und 23. 9. 1530 Brück, 183 - 206. JJ. Müller, 899 - 922. Förstemann 2,478 - 481.601-607 (Seb. Heller). Für den folgenden 23. 9. gibt Förstemann nur noch abweichende Lesarten zu Briicks Bericht. Schirrmacher,; 313 - 320. Tetleben, 157 -166. RQ 20 (1906), 60 - 64 (Campeggio). Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 94,489 weist auf die ungedruckten kuipfälzischen, badischen (?) und hessischen Berichte hin. Die folgende Darstellung orientiert sich hauptsachlich an den Aufzeichnungen von Brück und Tetleben, die inhaltlich weitgehend übereinstimmen, von Walter, 86 - 88. - Die Replik war offensichtlich vorbereitet, wie die beiden unterschiedlichen Fassungen (Förstemann 2, Nr. 207 und 208) zeigen. Der Inhalt war durch Georg Truchseß bekannt, der Zutritt zum Kaiser und zum Abschiedsausschuß hatte (Brück, 179.183**). 206 Ebd., 184: "denn begrieffenen kayr. Mat. abschiedt". Dagegen Tetleben, 157: "die schrift, welich in gestalt eyn abschieds furgelesen". 207 Mit den zitierten Formulierungen sind die beiden konträren Standpunkte formelhaft bezeichnet (z. B. Brück, 184. Förstemann 2,482. Tetleben, 157). 208

Brück, 184.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

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entgegennahm; aber König Ferdinand machte ihm augenblicklich ein Zeichen, die Schrift zurückzugeben209. Darauf wandte er sich mit leisen Worten an seinen Bruder 210. Dr. Brück, seinen Vortrag wiederaufnehmend, dankte dem Kaiser für den Frieden; das hieß, man nahm ihn an. Dann ging er auf einzelne Bedingungen des Friedstands ein. Zum Verbot neuer religiöser Druckschriften bemerkte er, man werde sich unverweislich halten. Das war die Formel, mit der man Widerspruch vermied, ohne zuzustimmen. In bezug auf die Wiedertäufer und Sakramentierer unterschied er sorgfältig zwischen jenen, die ernsthaft gestraft würden, und diesen, gegen welche man predigen lasse, und gab damit zu verstehen, daß man sich nicht von den Oberdeutschen trennen wolle. Gegen die Bezeichnung 'Sekte' legte er Verwahrung ein. Schließlich bat er zur besseren Beratimg um eine Kopie des Abschieds und schlug vor, die Bedingungen des Friedstands in die Erklärungsfrist bis zum 15. April 1531 einzubeziehen. Die bekennenden Fürsten und Städte lehnten also nicht einfach ab, sondern sie modifizierten den kaiserlichen Abschied, um auf diese Weise ihrem eigenen Ziel näher zu kommen: dem allgemeinen Frieden ohne einseitige Bedingungen211. Sie warteten eine gute Stunde auf die Antwort des Kaisers 212, vergeblich, dann beschied sie dessen Sprecher auf den folgenden Tag acht Uhr. Das war der Tag, den Kurfürst Johann unwiderruflich für die Abreise festgesetzt hatte.

209 Brück, 184: "Und hat also Doctor Bruck die Apologia kayr. Mat. zu uberantwortten angebotten, die auch pfalzgraf Friderich von ime angenhomen, aber dieselb Doctor Brucken auf konig Ferdinandus wincken und geheiß widergeben." Ihm folgend J. J. Müller; 899. Ähnlich Spalatin, 197. Schirrmacher, 314. Förstemann 2, 482 (hier das ursprüngliche 'Ferdinand' in 'Kaiser' korrigiert). Tetleben, 158: "Und hath doctor Bruck, der redner, dieselbig schriefft keyr. Mt. dargereicht und zustellen wollen; ir Mt. hat aber die von sich gestoßen und sich geweigerth, des anzunhemen.*1 Diese im wesentlichen übereinstimmenden Darstellungen finden keinen Widerspruch in Campeggios Worten: "Inter haec dum afferretur Caesari eorum responsio ad confutationem Caesaris, noluit eam Caesar recipere nec rex nec comes Palatinus" (RQ 20, 60). Denn sie sind doch nicht so zu verstehen, daß die drei einer nach dem andern die Apologie angeboten bekamen und der Reihe nach ablehnten, sondern so, daß sie auf ein einziges Anerbieten gemeinsam ablehnend reagierten. Man kann also nicht wie Ehses, ebd., 60, 6 diesen Satz als Korrektur der andern Berichte in Anspruch nehmen. 210

Förstemann 2,482.

211

Truchseß von Waldburg hatte noch am 21. 9. der lutherischen Seite vorgeschlagen, nach der Anhörung des Abschieds Beschwerung anzuzeigen und um acht Monate Bedenkzeit zu bitten. Das hätte zugleich einen Verzicht auf Kritik an den Aussagen über die Glaubenshandlung bedeutet. Aber gerade das wollten die Konfessionsverwandten nicht zugestehen (Brück, 177). 212 Förstemann 2, 601 - Campeggio behauptet als einziger, am selben Abend sei es noch zu weiterer Wechselrede gekommen (RQ 20, 60 f.). Doch die genannten Inhalte gehören zu den Auseinandersetzungen des folgenden Tages. Über die Beratungen der Altgläubigen Tetleben, 158 f.

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

Georg Truchseß und Dr. Vehus, die sich in der markgräflich-brandenburgischen Herberge zum Nachtmahl einfanden - von den Sächsischen war Minkwitz anwesend - , gaben sich alle Mühe, die Anwesenden von der Annehmbarkeit des Abschieds zu überzeugen. Doch ging niemand darauf ein 213 . Da brachten sie noch zu später Stunde eine Abschrift herbei, um schwarz auf weiß zu demonstrieren, daß er "ganz nit beschwerlich"214 gestellt sei. Freilich, die andern Räte und Botschaften, die fünf Uhr in der Frühe dazukamen, dachten darüber anders und nannten ihnen nun an Hand des Abschieds den vollständigen Katalog der Beschwerungen: die angebliche Verhandlungsführung im Geiste des Ausschreibens, die angebliche Widerlegung ihres Bekenntnisses, die angebliche teilweise Vergleichung mit Aufschub für den Rest. Auch was der Abschied zum Verbot religiöser Druckschriften, zur Wiederzulassung von Meßopfer und Beichte, zum Vorgehen gegen Wiedertäufer und Sakramentierer sagte, erschien ihnen ganz oder teilweise unannehmbar215. Sie baten die Unterhändler inständig, sich für eine Milderung oder wenigstens - gemäß dem Brückschen Vorschlag - für einen Aufschub des Abschieds einzusetzen216. Die versprachen, ihr möglichstes zu tun; doch besorgten sie, da es inzwischen acht Uhr geworden war, der Kaiser werde jetzt seine Antwort schon gefaßt haben217. In der Tat gebrauchte er sie nur noch als Botschafter zu den altgläubigen Fürsten 218, die seit sechs Uhr auf dem Rathaus tagten219. Die Eröffnung der letzten gemeinsamen Sitzung verzögerte sich um eine gute Stunde220, aber nicht weil der Kaiser die Messe gehört hätte, wie die Wartenden glaubten221, sondern weil einige unter den Altkirchlichen sich

213

Förstemann 2,601 - 603.

214

Brück, 188.

215

Brück, 188 f. hat Punkt 1 bis 3; das folgende Blatt des Manuskripts, das wahrscheinlich die übrigen vier enthielt, ist herausgeschnitten (ebd., 189*). Alle sieben Punkte bei J. J. Müller; 903 f. Bei Förstemann 2, 604 - 607 und Brück, 186* * * fehlen Punkt 1 und 3. Punkt 3 ist jedoch auch Campeggio bekannt (RQ 20,60). Vereinzelt steht also Punkt 1, die Kritik an der ksl. Verhandlungsführung. Vielleicht hat Brück, 188 f. sie erst später in seine Darstellung aufgenommen, wie denn auch Luther in seiner "Warnung" die Verhandlungsführung auf dem Reichstag heftig kritisiert (WA 30/3,283 - 290). 216

Förstemann 2,604.

217

Ebd., 606 f. Brück, 187: "Und seind also gleich vor uns zu kayr. Mat. gangen; was sie aber erlangt, gibt die nachvolgend handlung zu erkennen." 218

Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 98.

219

Tetleben, 156 f. RQ 20,61 f.

220

J. J. Müller, 905. Förstemann 2,607. RQ 20,62: "ad duas horas". Schirrmacher, 320: "Diese handlung hat gewehret von neun uhr an vor mittag bis umb zwey schlege nach mittage." 221

Brück, 190. Förstemann 2,607.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

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heftig sträubten, in ein Kriegsbündnis gegen die Ketzer zu willigen222. An diesem 23. September sprach für den Kaiser der redegewaltige Kurfürst von Brandenburg, der, obwohl seit Tagen unpäßlich, dem Pfalzgrafen diese Mühe mit Freuden abnahm223: Daß sich der Kurfürst von Sachsen und seine Mitverwandten noch immer vernehmen ließen, sie hätten den rechten Glauben und irrten nicht, und was sie getan, sei mehr aus göttlichem Befehl als ihren eigenen Köpfen hervorgegangen, darüber könne sich Ihre Majestät nicht genug verwundern 224; denn Kursachsens Prediger täten genau das, was schon viele Konzilien als ketzerisch verdammt hätten. Auch stehe in keinem Evangelium geschrieben, daß man jemand das Seine mit Gewalt wegnimmt und dann sagt, man könne es ihm mit gutem Gewissen nicht zurückgeben. Ihre Majestät könne sich nicht genug der Unterstellung verwundern, als ob sie und die Stände irrig glaubten, als ob so viele löbliche Kaiser, Könige, Kurfürsten, Fürsten und Stände in so vielen Jahrhunderten, des sächsischen Kurfürsten Vorfahren auch, irrig geglaubt und die Sache nicht so wohl verstanden hätten wie sie selber. "Derhalben inen ire Mt. solch gar nicht zulaß oder gestat, das ir thun recht sey oder eynen grund hab."225 Der Kaiser begehre von ihnen in Gnaden, den Abschied zu bewilligen und anzunehmen. Sie sollten den unermeßlichen Schaden bedenken, der aus ihrer Weigerung für sie selbst und die ganze deutsche Nation erwachsen würde, worüber sie dereinst vor Gott Rechenschaft ablegen müßten. Einer Änderung oder Milderung könne nicht stattgegeben werden. Was ihre Replik auf die kaiserliche Confutatio 226 angehe, so hätten sie sich diese Mühe sparen können. Der Kaiser habe mehrfach erklärt, keine Repliken anzunehmen; es gebühre seinem Amt auch nicht, Disputationen über den heiligen Glauben zuzulassen. Soweit der Auftrag des Kaisers. Dem schloß der kurfürstliche Sprecher noch ein paar Worte im Namen der Stände an, wie er sagte227. Er wiederholte das Begehren des Kaisers als eindringliche Bitte aller Stände. Wenn aber der Kurfürst von Sachsen und seine Mitverwandten bei ihrer Weige222 Zur Beratung der altgläubigen Kurfürsten und Fürsten Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 96 - 98, der aus dem ungedruckten Bericht der kurpfälz. Räte sehr interessante Einzelheiten mitteilt. RQ 20,61 f. 223 Campeggio zufolge begründete Friedrich die Ablehnung mit einer Schwäche der Stimme und der Aussprache (RQ 20, 62: "quia exilis est spiritus et vocis"). Doch möchte man eher glauben, daß ihn die Angriffe auf die Politik seines Bruders dazu bewogen. 224 Alle von mir eingesehenen Berichte enthalten die gleichen Argumente, z. T. in anderer Reihenfolge. Diese Darstellung folgt hauptsächlich Tctlcbcn, 159 f., welcher der Rhetorik der gesprochenen Rede offensichtlich am nächsten bleibt. 225

Ebd., 159.

226

Der Ausdruck ist quellenmäßig (z. B. Tctlcbcn, 157.160. RQ 20,60).

227 Tctlcbcn, 160: "von der stende wegen". Brück, 191: "Darneben hetten churfursten, fursten und Stende ime zu rheden bevolhen."

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

rung verharrten, für den Fall hätten die gehorsamen, getreuen Kurfürsten, Fürsten und Stände Ihrer Majestät zugesagt und diese wiederum ihnen, Leib und Gut, Land und Leute, auch alle Ihre Königreiche treulich beieinander zuzusetzen. Das wolle er ihnen nicht verborgen haben. Bei diesen Worten entstand unter den altgläubigen Fürsten Bewegung. Gebärden des Unmuts verrieten, daß der Redner mehr gesagt hatte, als ihm aufgetragen war 228 . Der kursächsische Altkanzler war mit seinem Versuch vom Vortag, die Forderungen der Gegenseite flexibel abzufangen, gescheitert. Der Kaiser hatte nicht nur sein Begehren ultimativ wiederholt, 1. den Abschied sofort und unverändert anzunehmen und 2. die darin eingeschlossene Anerkennung der Confutatio zu akzeptieren, sondern er hatte auch 3. mit der beißenden Kritik an den Klosterenteignungen, die im Abschied noch nicht erwähnt waren, erhöhte Forderungen angedeutet und, so schien es, 4. mit dem Bündnis das Instrument in die Hand bekommen, sie gewaltsam einzutreiben. Die Situation der Konfessionsverwandten war schwieriger geworden, als jetzt ihr Redner zu jenen vier Punkten antwortete: Ihr Bekenntnis sei so fest in Gottes Wort gegründet, daß die Pforten der Hölle dagegen keinen Bestand hätten229. Sie hofften es beim Jüngsten Gericht zu verantworten. In den Händen hielt er die Apologie, welche er abermals zur Übergabe anbot. Den Abschied betreffend verwies er auf die Waldburg und Vehus gegebene Erklärung, warum man ihn nicht annehmen könne, und wiederholte seine Bitte um eine Abschrift und um Bedenkzeit wegen des ganzen Inhalts. Im übrigen wollten auch seine Herren sich der kaiserlichen Majestät "in aller untherdenigkeit mit leib und gut und allem, sovil der gewissen halben unvorlezlich"230, erboten haben, nicht weniger als andere Kurfürsten, Fürsten und Stände. Ausführlich rechtfertigte der Kanzler die kursächsische Verwaltung erledigter Klöster, erinnerte an seinen diesbezüglichen Vorschlag im Vierzehnerausschuß sowie an die rechtlich korrekten Einreden auf gewisse dem Reichstag eingereichte Supplikationen. Zu dem überraschend angekündigten Bündnis sagte er mit einer Wendung, die damals zum Ausdruck höchster Verwunderung, ja Empörung gebräuchlich war: Der Kurfürst von Sachsen und seine Mitverwandten hätten sich nicht versehen, daß ihretwegen die Stände sich solche beschwerliche Verpflichtung aufladen würden. Sie jedenfalls hätten ihnen dazu keine Ursache gege228 Brück, 208. J. J. Müller, 922. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 99. Tetleben und Campeggio berichten nicht von einer derartigen Reaktion, auch nicht davon, daß sich später einige Fürsten von den Schlußworten des brd. Kurfürsten distanzierten (so Brück, 209 - 212. J. J. Müller, 922 - 924. Förstemann 2,615 f. 622.644.663). 229 Brück, 193. J. J. Müller, 908. Tetleben, 161. Karl verstand diese Anspielung auf die eine, von Christus gestiftete Kirche (Mt. 16,18) nicht und mußte sie sich übersetzen lassen (WA TR 2,354). 230

Brück, 195.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

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ben und gedächten das auch in Zukunft nicht zu tun. Waren es nun die kriegerischen Worte des Kurfürsten von Brandenburg oder die wortreichen Rechtfertigungsversuche des kursächsischen Altkanzlers, die ihm überflüssig erschienen: als die Lutherischen abtraten, bemerkte der Kaiser, kurz und bündig müsse man ihnen antworten, und auf deutsch fügte er hinzu: "Kortze wort und guthe füste horn zu dysser sache."231 In Fortsetzung der Handlung sprach Kurfürst Joachim zu den Fürsten und Städtebotschaften, die wieder eingetreten waren 232: Der Kaiser werde ihnen nicht zugestehen, daß ihr Bekenntnis in Gottes Wort gegründet sei, und wenn sie noch so lange davon redeten. Auch er habe ein Gewissen und gedenke nicht so leicht vom hergebrachten Glauben abzuweichen wie der Kurfürst von Sachsen. Der Abschied werde nicht geändert. Für den Fall beharrlicher Verweigerung drohte er ernste Konsequenzen an: einen endgültigen Abschied mit den gehorsamen Ständen - mit Bindungswirkung für die ungehorsamen - sowie Beratungen mit dem Papst und andern christlichen Herrschern, was ihm als Beschirmer der Kirche zu tun gebühre "und das dieser neuer Irthumb und sect genzlich ausgereuth und deuzsche Nacion zu Christenlicher ainigkeit widerumb gebracht werden mocht".233 Sodann gebot er, nun schon in Abkehr von dem Abschied, als ein christlicher Kaiser, "der da rechts niemant weygern sollt", die spolierten und vertriebenen Ordensleute und andern Geistlichen unverzüglich und vorbehaltlos in ihre alten Rechte wiedereinzusetzen, "damit nit ir Mt. verursacht werde, als cristlicher keyser selbs geburlich execucion zu thun".234 Dieser Antwort des Kaisers ließ Kurfürst Joachim eine Antwort der altgläubigen Stände folgen. Ursache, sich zu Schutz und Rettimg zusammenzuschließen, hätten sie, die Abgewichenen, ihnen mehr als eine gegeben: der Geist des Aufruhrs in ihrer Lehre, der den Bauernkrieg entfesselt habe, die Schmähschriften ihrer Prediger gegen Kaiser und Fürsten, die Verachtimg des Wormser Ediktes und anderes mehr. So rein sei ihre Sache nicht, wie sie immer tun 235 . Das wollten sie ihnen nicht verborgen haben. Es ging schon in die fünfte Stunde mit Reden, Bedachtnehmen und Erwiderung. Im Grunde folgten die Reden der beiden Tage alle dem gleichen Denkmuster: das durch Generationen geheiligte Herkommen gegen die individuelle Gewissensentscheidung, die Forde231 Tetleben, 163*. CR 2,391. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 99. RQ 20,64. Die kurpfälz. Räte beziehen den Ausspruch auf das erste, Tetleben dagegen auf das zweite Motiv. 232

Tetleben, 162 f. Bruck, 199 f. Zum Teil in anderer Reihenfolge.

233

Ebd., 199. Tetleben, 162.

234

Ebd., 162 f. Bei Brück fehlt die Androhung der ksl. Vollstreckung.

235

Tetleben, 162*. 163 betont im Gegensatz zu Brück, 199 f. den defensiven Charakter der Zusammensetzung in einer Weise, die zur sonstigen Schärfe der Rede nicht paßt. Hier dürfte die persönliche (kurmainzische?) Auffassung das reine Protokollieren überlagern.

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IV. Zwischen Einigung im Glauben und Ungehorsam

rung gegen die rechtfertigende Weigerung, die Drohung gegen das Erbieten eingeschränkten Gehorsams. Dazu kamen Vorwürfe und Unterstellungen und die entsprechenden Verwahrungen. Die ständige Wiederholung bestätigte nur, daß man zu Ende gekommen war, ohne die befreiende Lösung gefunden zu haben. Dem kursächsischen Sprecher blieb nichts weiter übrig, als die Ablehnung seiner Vorschläge und die Zurückweisung der Apologie zu bedauern. Dann heftige Proteste gegen die Anschuldigungen der altgläubigen Stände. Der Kurfürst und seine Mitverwandten hätten sich nicht versehen, daß der andere Teil ausgerechnet sie für seine kriegerischen Absprachen verantwortlich machen wolle. Sie seien stets zur friedlichen Streiterledigung bereit gewesen, in der Güte oder zu Recht, und zu allem Überfluß wollten sie sich jetzt erneut zu Recht erbieten. Noch weniger hätten sie sich versehen, daß man ihnen die Schuld am Bauernkrieg zuschieben wolle. Die Ursachen des Aufruhrs habe der Reichstag 1526 festgestellt und in einer Instruktion dem Kaiser nach Spanien berichtet. Mit solchen Verunglimpfungen hätte man sie billigerweise verschonen sollen. Dann wandte sich Brück wieder an den Kaiser. Er bat ihn, sich nicht zu Ungnaden bewegen zu lassen, und versicherte ihn des Gehorsams über das schuldige Maß hinaus. Den Restitutionsbefehl überging er mit Stillschweigen. Hierauf die endliche kaiserliche Resolution: Es blieb bei dem, was dem Kurfürsten von Sachsen und seinen Mitverwandten eröffnet worden war, auch bei dem, wozu sich Kurfürsten, Fürsten und Stände gegenüber dem Kaiser erboten hatten. Von Seiten der Konfessionsverwandten noch einmal die Bitte wie zuvor. Der Abschied Kurfürst Johanns von seinem kaiserlichen Herrn hat Ranke tief berührt. Er schildert ihn in Anlehnimg an Dr. Brücks Bericht folgendermaßen: "Endlich war der Moment gekommen, wo er, im Begriffe abzureisen, an ihn herantrat, um sich von ihm zu beurlauben. Oheim, Oheim', sagte der Kaiser, 'deß hätte ich mich zu Ew. Liebden nicht versehen.' Der Kurfürst erwiderte nichts darauf; die Augen füllten sich ihm mit hellen Tränen; Worte vermochte er nicht zufinden. So verließ er den Palast und gleich darauf die Stadt."236 Die kurpfälzischen Räte hatten die Szene anders, ohne den Anflug von Wehmut, in Erinnerung: Mit "zornigem Gemüt" wendet sich da der Kaiser gegen den Zweiundsechzigjährigen, "er hette sich zuo ime solichs muotwillens und Ungehorsams nit versehen" 237 Wenn sich der Gehorsam gegen die Obrigkeit mit dem Gehorsam gegen Gott nicht mehr vereinbaren läßt, dann muß man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Das geschieht nicht durch Widerstand gegen die Obrigkeit schlechthin, sondern durch Ungehorsam gegen ihr verwerfliches Gebot. Als Luther im März diesen Rat erteilte, dachte er in erster Linie an einzelne 236

Brück, 206 - von Ranke 3,229. Vgl. Gussmann, 462,63.

237

Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 99.

4. Die Schlußphase der offiziellen Verhandlungen

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kurfürstliche Untertanen, die ihren Glauben auf eigne Gefahr würden bekennen müssen, weniger an den Kurfürsten selbst. Ein halbes Jahr später waren es gerade die evangelischen Fürsten, deren Glaubenstreue auf die Probe gestellt wurde. Sie hatten sich vernünftigerweise nicht in diese Situation gedrängt, sondern der Kaiser hatte den politischen Konflikt zur persönlichen Konfrontation verschärft, als er ihre vorzeitige Abreise verhinderte und dann den Bedacht des Abschieds verweigerte. Zwar hatte es an Pressionen und Zusammenstößen auch in den zurückliegenden Wochen nicht gefehlt, aber jetzt hatten der Kaiser und die Mehrheit der Kurfürsten und Fürsten ihre kirchlich-religiösen Forderungen in Gesetzesform gebracht, und nach den — umstrittenen — Verfahrensregeln der Reichsgesetzgebung verlangten sie von der Minderheit mitzuwirken, daß diese Forderungen geltendes Recht würden. Fürstliche Räte konnten in einer solchen Situation notfalls mangelnde Vollmacht vorschützen; die Fürsten konnten das nicht, weil sie die Herren waren, sie mußten ihre Entscheidung jetzt und hier treffen. In der außergewöhnlichen Situation des 22. und 23. September handelten sie ganz in Übereinstimmung mit Luthers Ratschlag. Sie gehorchten Gott mehr als den Menschen, indem sie durch ihren Sprecher ihren Glauben bekannten, die Bewilligung des Abschieds aus Gewissensgründen verweigerte und im übrigen den Kaiser ihres Gehorsams versicherten. So hat die dritte Version, die vom Ende der Verhandlungen überliefert ist 238 , die innere Wahrheit für sich, wonach der alte Kurfürst fast aufsprang und voller Freude die Worte seines Kanzlers wiederholte von den Pforten der Hölle, die keinen Bestand haben gegen die unzweifelhafte göttliche Wahrheit.

238

Spalatin, 198. Schirrmacher, 320.

V · Die Protestationsverwandten zwischen Friedstand und Widerstand 1. Den Frieden mit dem Kaiser und den altgläubigen Ständen womöglich doch zu erhalten und zu sichern war die vornehmste Aufgabe der Räte, die Kurfürst Johann in Augsburg zurückgelassen hatte1. Ihre Möglichkeiten waren allerdings gering, obwohl Kursachsen jetzt Bereitschaft zeigte, einige Auflagen des Abschieds, den es am 23. September verweigert hatte, zu erfüllen 2. Denn ein neuer Ausschuß entwarf inzwischen einen neuen Religionsabschied, der in den ersten Oktobertagen fertig wurde. Natürlich waren die Protestierenden von den Beratungen ausgeschlossen worden, sie hatten auch gar keine Vollmacht für die Glaubenshandlung, doch wußten sie sich insgeheim "durch gute freund" eine Abschrift zu verschaffen 3. Der Abschied verhieß nichts Gutes. "Dan alle artigkel, sovil wir gelesen, ergrunden sich dohin, das man das alt Romisch wesen biß zu dem wenigsten widerumb in seinen gebrauch und standt wie zuvor aufzurichten und einzusetzen, dabey mit höchstem gebot, Acht und aberacht vorsichert sein soll."4 Etwa zur gleichen Zeit, am 4. Oktober, auf dem Weg zum Rathaus wurden die sächsischen Räte vom mainzischen Kanzler und anderen beiseite genommen und im Auftrag der Stände gefragt, ob sie Vollmacht hätten, "von aynem gleichmessigen abschiedt dieses Reichstags" oder wenigstens einem friedlichen zu handeln. Die Sächsischen erboten sich instruktionsgemäß und nach Rücksprache mit ihren Kollegen zur Handlung auf einen friedlichen Abschied. Danach geschah lange weiter nichts, als daß die Altgläubigen fast täglich beisammensaßen und beratschlagten5. Da ergriffen die Protestierenden am 21. Oktober die Initiative und überreichten dem Kurfürsten von Mainz und den kurpfälzischen Räten ihren Entwurf eines allgemeinen, beständigen Friedens. Die Friedenszusicherung müsse "insgemein" gegeben werden, d. h. von allen und für alle Personen, Kaiser, König, Kurfürsten, 1 Gf. Albrecht von Mansfeld, Hans von der Planitz, Christoph von Taubenheim, Hans von Dölzig. Gf. Albrecht verließ Augsburg am 14.10., unmittelbar nach dem Beschluß des zweiten Religionsabschiedes. 2

Förstemann 2,659.

3

Ebd., 682.707. PC 1,504.

4

Förstemann 2,683.

5

Ebd., 680 - 682. 709. Über die Widerstände im Reichsrat und im Ausschuß ebd., 708. Unterstützung fanden die Protestierenden nur bei Jülich, Baden und Mecklenburg.

1. Der Reichsbeschluß in der Glaubenssache (13.10.1530)

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Fürsten und Stände, für alle Sachen einschließlich Glauben und Religion und bis zum Abschluß des in Aussicht genommenen Konzils. Der Religionsabschied dagegen dürfe nicht "insgemein" gestellt werden, da ihm die Protestierenden doch nicht beitreten könnten. Wenn dann der Fiskal gegen sie auf die Acht prozedieren würde, wäre der Frieden schon hinfällig und, wie sie anmerkten, die Türkenhilfe auch6. Dieser Vorstoß ging aber schon deswegen fehl, weil die Ständemehrheit inzwischen ihren eignen Entwurf fertig hatte und ihm den Vorzug gab. Die altgläubigen Stände verhandelten am 22. Oktober durch ihren Sprecher, den brandenburgischen Kurfürsten, mit den Protestierenden über den Friedensartikel 7, der dem Reichsabschied inseriert werden sollte. Der Verlesung des Textes durch einen Sekretär folgten wieder der Vorwurf der Absonderung, den die Evangelischen während des ganzen Reichstages zu hören gekriegt hatten, und der Appell, wenigstens in der Türkenhilfe, die durch Mehrheit beschlossen und eine gemeinchristliche Angelegenheit sei, treu zu Kaiser und Reich zu stehen. Die Angesprochenen antworteten mit Gegenvorwürfen und blieben bei ihrem Vorsatz: keine Türkenhilfe ohne einen allgemeinen, beständigen Frieden! Die eigentüche Handlung nahm ihren üblichen Verlauf mit Rede und Gegenrede, kurzem Bedachtnehmen und Bitte um Abschriften, dann hatten die Räte der Protestierenden das Entscheidende herausgefunden: Der Friedensartikel war auf den Reichsabschied gegründet und dieser auf die Religion; in den Frieden einbezogen wurden nur diejenigen, die den Abschied annahmen, und da die Protestierenden aus Gewissensgründen den Religionsteil desselben nicht annehmen konnten, waren sie folglich aus dem Frieden ausgeschlossen. Kurfürst Joachim wies diese Auslegung zurück: In den Friedensartikel sei der allgemeine Landfrieden mit einbezogen, den seinerzeit alle Kurfürsten, Fürsten und Stände verbrieft und besiegele hätten. Auch mahnte er erneut die Türkenhilfe an. Aber die 'Sächsischen und ihr Anhang' beharrten auf ihrer Kritik des Entwurfs: Der Kaiser habe mit ihnen, den Altgläubigen, einen Verstand zur Wiederaufrichtung der alten Religion gemacht; daraus erkenne man, was ihnen der Landfrieden nütze. Nun stellten sie ihrerseits Forderungen im Sinne der personalen und sachlichen Allgemeinheit des Friedens. Man müsse die Protestierenden mit ausdrücklichen Worten in den Frieden aufnehmen, den Kaiser namentlich einbeziehen und den Friedensschutz bis zum Konzilsende auf die Religion ausdehnen. Dann wollten sie sich in allem übrigen

6 7

Ebd., 749 f.

Text bei Förstemann 2,753 - 755. Zum Folgenden ebd., 750 - 752. 755 - 761. Bericht der Nbg. Gesandten vom 23.10.1530 (CR 2,416-420). - Im Gegensatz zu dem hier angewandten Verfahren waren die Speyrer Friedenszusagen vom 24.4.1529 (RTA JR 7, 1342 -1344) kein Bestandteil des von den Protestierenden nicht angenommenen Reichsabschiedes und wurden zwei Tage nach dessen Verkündung ausgetauscht (Kuhn, Geschichte, 233).

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

neben den andern Ständen halten. Die gaben keine weitere Antwort, sondern wollten es an den Kaiser bringen und zeigten damit das Ende ihrer Handlung an. Die Sächsischen bedauerten und äußerten noch den Wunsch, man möge dem Kaiser ihre Bitte vortragen, einen allgemeinen, beständigen Frieden zu befördern. Darauf der Kurfürst einsilbig: "Es soll geschehen." Christoph von Taubenheim gab der Stimmimg unter den kursächsischen Räten Ausdruck: "So besorgen wir doch nhun fort ahn wenig besserung ader furtreglicher anderung, und stehet also der großwichtigste handel unsers haylwertigen glaubens und der gemayne fride in der genade des Barmherzigen gotes, der es zu gedeyen seins ewigen lobs walden wolle."8 Der Religionsabschied, den der Kaiser und die altgläubigen Stände am 13. Oktober ohne die Protestierenden beschlossen hatten, war schon fünf Tage später am Torgauer Hof bekannt, da ja die Räte in Augsburg frühzeitig in den Besitz einer Abschrift gelangt waren9. Die narratio berichtet in breiter Ausführlichkeit die Umstände, die ihn herbeigeführt haben: die Ablehnung des gnädigen Abschieds vom 22. September durch den Kurfürsten von Sachsen und seine Mitverwandten (§§ 1 — 7) und die Verweigerung der Bekenner der Tetrapolitana (§§ 8 - 9). Dann folgt eine Absichtserklärung. Kaiser, Kurfürsten, Fürsten und Stände haben sich endgültig entschlossen, "bey dem alten, wahren, lange herbrachten Christlichen Glauben und Religion, auch desselben ehrlichen, löblichen Ceremonien und Gebräuchen, in gemeiner Kirchen biß anher geübt, festiglich zu bleiben und zu halten, auch denen vor Entscheidung nächstkünfftiges General-Concilii kein Enderung thun zu lassen". Zur Begründung dienen die oberste Vogtei des Römischen Kaisers über die Christenheit und das Wormser Edikt (§ 10). Mit einer neuen Begründungsreihe wird eine zweite Absichtserklärung vorbereitet. Weil seit dem Wormser Edikt allerhand Beschwerungen und Neuerungen in der Kirche eingerissen sind — hier wird in 25 Paragraphen das lutherisch-zwinglisch-täuferische Sündenregister aufgezählt (§§ 12 — 36) — , weil das Sektenunwesen Irrglauben und Sittenverfall gezeitigt hat, weil das alles dem heiligen Evangelium und dem Herkommen der Kirche zuwider ist, hat der Kaiser mit den Ständen einträchtig beschlossen, "daß obangezeigte und alle andere [...] Neuerung abgethan und cassirt seynd und Wir darob und daran seyn und verfügen sollen und wollen [...], daß sich diejenigen, die solche Neuerung fürgenommen haben, mit Uns und berühr8 9

An Kf. Johann, 24.10.1530 (Förstemann 2,765).

Der Religionsabschied vom 13.10.1530 wurde Bestandteil des Reichsabschiedes vom 19.11.1530. Text des letzteren bei Koch 2, 306 - 332. J. J. Müller, 997-1024 bringt nur den Glaubensabschied. Da beide Herausgeber auch die narratio in Paragraphen gliedern und die Paragraphen von narratio und dispositio fortlaufend durchnumerieren, wird dem Irrtum Vorschub geleistet, die in der narratio erwähnte, also nicht dispositive Fristsetzung 15.4.1531 (des September-Abschieds!) sei ein Bestandteil der Willenserklärung des November-Abschieds. Tatsächlich gibt dieser den Protestierenden keine Bedenkzeit. Vgl. Luttenbcrger, 28,64

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ten gemeinen Churfürsten und Ständen biß zu einem nächstkommenden Concilio vereinigen und vergleichen" (§ 37). Von § 38 an folgt die dispositio, der eigentliche Gesetzesbefehl. "Demnach gebieten, meynen und wollen Wir, daß in dem gantzen Römischen Reich festiglich gehalten, gelehrt und geprediget werde": 1. Die Glaubenslehre der alten Kirche und ihre überkommenen Bräuche, die in zehn Paragraphen beschrieben werden, sind für das ganze Reich verbindlich (§§ 38 — 47). Jedermann, gleich welchen Standes, soll sich "dieser Unser Ordnung, Satzung [...] gemäß und gehorsam halten" und bei Strafe an Leib, Leben oder Gut keine Neuerung vornehmen (§ 57). 2. Verheiratete Priester verlieren ihre Ämter und Pfründen (§ 49). Sofern sie ihre ohnehin ungültige Ehe auflösen, können sie Absolution und Restitution ihres geistlichen Amtes erlangen (§ 50). Unbußfertige Priester werden aus dem Reich vertrieben oder gehörig bestraft (§ 51). Künftig sollen alle Prediger von ihren zuständigen Bischöfen auf Lebensführung, Glaubenslehre und Befähigung examiniert werden, bevor sie zum Predigtamt zugelassen werden. "Und fürnemlich, daß sie in ihrem Predigen vermeiden und unterlassen sollen, was zu Bewegung des gemeinen Manns wider die Obrigkeit oder die Christen-Menschen in Irrung führen oder gegen einander zu verhetzen dienen oder Ursach geben möchte" (§ 55). 3. Was von Bistümern, Stiften, Klöstern, frommen Stiftungen und anderm Kirchengut seit dem Wormser Edikt durch Eigenmacht abgetan wurde, ist dem rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren. Zerstörte Klöster sind wiederaufzubauen. In den restituierten Kirchen sollen die Messe und alle Zeremonien wie von alters her gehalten werden. "Alles bey Pön Unsers Kayserlichen Land-Friedens, Acht und Aber-Acht, wie Wir dann deßhalben Unser sonder Pönal Mandat ausgehen und verkünden lassen werden, solches weiter innhaltend" (§ 59). 4. Allen Obrigkeiten und ihren Untertanen, geistlichen und weltlichen, sollen die ihnen rechtmäßig zustehenden wiederkehrenden Leistungen und andere Gerechtsame erhalten bleiben. Inzwischen erfolgte Ablösungen sind ungültig. Gegen zuwiderhandelnde Obrigkeiten soll der Fiskal auf Landfriedensbruch klagen (§§ 63 - 64). Zu erwähnen ist ferner: § 58 verbietet Herstellung und Verkauf von Druckschriften, die religiöse Neuerungen oder Schmähungen enthalten. § 60 stellt die altgläubigen Einwohner evangelischer Gebiete unter kaiserlichen Schutz (Ab- und Zuzug ohne Nachteile). Da die geistige Führung der Reformation bei den evangelischen Predigern lag, da das Verbot des alten Kultus und die Einziehimg der Kirchengüter mitsamt den Einkünften in der Regel die Verwaltungsmaßnahmen waren, mit welchen eine reformwillige Obrigkeit die Reformation durchsetzte, waren die hier getroffenen Dispositionen genau die Gegenmaßnahmen, um die Neuerungen auf dem Rechtsweg rückgängig zu machen, sofern das auf dem Rechtsweg überhaupt möglich war. Schließlich wurden den Protestierenden die Rechtsmittel gegen den Abschied rigoros abgeschnitten. Der Kaiser hob e plenitudine potestatis mit Rat und Willen

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

der Stände alle Artikel früherer Reichsabschiede auf, die diesem jüngsten widersprachen, und er erklärte alle geschehenen und künftigen Einreden und Appellationen an wen auch immer für nichtig, das unter Strafandrohung "nach Gelegenheit der Sachen" (§ 64). So gerüstet, wollte der Kaiser beim Papst ein allgemeines Konzil nachsuchen, welches er und die Stände nicht nur wegen der Irrungen, sondern auch wegen der von den Altgläubigen selbst gerügten Mißbräuche und Beschwerden (gravamina) und der Eroberung christlicher Länder durch die Türken dringend wünschten. Es sollte nach seiner Vorstellung innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Reichstages ausgeschrieben und spätestens ein Jahr nach der Ausschreibung eröffnet werden. Die Konzilsväter hätten demnach Ende Mai 1532 zusammentreten müssen. Der Glaubensabschied vom 13. Oktober und das Konzilsvorhaben bezeichnen den dritten Weg, der vom Kaiser und den altgläubigen Ständen in ihrem Verhandlungsprogramm vom 10. Juli ins Auge gefaßt worden war. Jetzt hatten sie die Hoffnung auf einen friedlichen Ausgleich, die noch den zweiten Weg markiert hatte, hinter sich gelassen. Der gnädige Abschied vom 22. September hatte die Konfessionsverwandten als mindere, dennoch als Partner eines Vergleichs behandelt; er hatte ihnen Bedenkzeit und die Möglichkeit zu weiteren Verhandlungen eingeräumt, obwohl unzweifelhaft war, wer hätte nachgeben müssen, und er hatte von ihnen bis zum Konzil 'nur' den Stillstand der Reformation gefordert. Der Abschied vom 13. Oktober sah in der altgläubigen Reichstagsmehrheit das Reich schlechthin; die 'Neuerer', wie die Protestierenden jetzt genannt wurden, behandelte er als Objekte der Gesetzgebung, denen die Vereinigung mit Kaiser und Reich befohlen wurde. Die 'Neuerungen' seit dem Wormser Edikt, die Reformation, wurden durch Reichsgesetz aufgehoben. Eine Wiederholung jener dramatischen Szene vom 23. September gab es nicht. Der säkulare Konflikt zwischen Kaiser und Kurfürst, schien es, wurde heruntergestuft, wurde der Instanz des Gewissens entzogen und der Kompetenz des kaiserlichen Anklägers in Landfriedenssachen überwiesen. Es war mit einem Wort ein 'ernstlicher Abschied'. Doch waren gewisse Sicherungen eingebaut; das zeigen die Sanktionen, die für Verstöße gegen die einzelnen Gebote angedroht wurden. Gegen Obrigkeiten, welche die Druckschriftenzensur lässig handhabten, die andern die Einkünfte wie Grundrenten und Zehnten entzogen, sollte der Fiskal beim Kammergericht prozedieren. Aber das waren die Bagatellfälle. Die Restitution des Kirchengutes und die Wiederaufrichtung der Messe waren ebenfalls unter den Schutz des Landfriedens gestellt. Hier jedoch fehlte die Anweisung an den Fiskal, von Amts wegen vorzugehen, wurde auf ein noch zu erlassendes Pönalmandat verwiesen. Das Verbot des alten Kultus und die Einziehung des Kirchenguts, die materiellen Grundlagen der Reformation, wurden als bloße Antragsdelikte behandelt. Vollends fehlte jede Strafandrohung gegen Obrigkeiten, welche die Verfolgung verheirateter Priester unterließen. Der

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Abschied sollte demnach nicht automatisch zum 'rechtlichen Krieg' und über Acht und Achtvollstreckung in einen blutigen führen 10.

Zusammen mit der Kopie des Abschieds waren ein Menge Nachrichten und Gerüchte eingegangen: König Ferdinand habe seinem gesamten reisigen Hofgesinde ansagen lassen, binnen vierzehn Tagen bei der Hand zu sein. Heinrich von Nassau soll Reiter und Fußvolk werben, auch der Herzog von Lothringen stehe in Werbung. In den Niederlanden sind zweitausend Spanier angekommen. Man wolle die Völker gegen die Türken oder zum Schutze der Frankfurter Wahl gebrauchen, heißt es, aber daneben hält sich das Gerücht, daß unter diesem Vorwand ein Überfall auf Kursachsen und Hessen vorbereitet werde. Dem Kaiser schreibt man den Ausspruch zu: "Man wil mich ainen neuen glauben lernen, man muß das werck mit der faust außfuren." Das ist den Räten von vier redlichen Personen unabhängig voneinander zugetragen worden. Und der Braunschweiger Herzog soll zu Eck von Rischach gesagt haben: "Du und ich müssen über die Nauglaubigen hauptleuth sein." Der Kurfürst werde wissen, endet der Bericht aus Augsburg, "was die unmeidliche notturft der gegenvorsicherung, Ordnung und bestellung in dem zufall pillich erfordern wolle".11 Alles in allem standen die Zeichen auf Sturm. Trotz seiner Bemühungen um einen friedlichen Anstand war Kurfürst Johann nicht geneigt, auch den nächsten Schritt in Übereinstim mung mit Luthers Ratschlag vom 6. März zu tun: dem Kaiser Land und Leute offenstehen zu lassen und die Sache Gott zu befehlen. Schon in Nürnberg, wo er auf der Rückreise von Augsburg Station machte, hatte er die Losunger auf ein Verteidigungsbündnis angesprochen. Auch waren Hans von Dölzig, der Marschall, und der alte Kanzler bereits mit Überlegungen beschäftigt, die am 23. Oktober den ersten größeren Plan der Landesverteidigung zeitigten. Der Kurfürst war also überzeugt, zur Notwehr gegen den Kaiser berechtigt zu sein12. Aber seit die Reformation ein Thema der großen Politik geworden war, wirkte die geistliche Autorität des Reformators ins Politische hinein13, und einen Glaubensschutzbund gegen seine erklärte Meinimg anzustreben hätte die kursächsische Politik ins Zwielicht der Unglaubwürdigkeit gerückt. Man konnte nicht umhin, auf Luther einzuwirken, daß sein März-Gutachten nicht sein letztes Wort in dieser Sache blieb. Dazu war eine Disputation sehr viel besser geeignet als ein in räumlicher Distanz er-

10

Hierzu paßt, daß der Kaiser in seiner geheimen Instruktion vom 12.2.1531 Kg. Ferdinand zu größter Behutsamkeit verpflichtete. Er solle Ächtung und Achtvollstreckung nach Möglichkeit vermeiden und nur nach ksl. Genehmigung verfügen ( Winckelmann, 62). 11

Ksä. Räte an Kf. Johann, 10.10.1530 (Förstemann 2,707 - 710).

12

Wolgast, 165 f. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 115.

13

Dörnes, 220.

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

stelltes Gutachten, und Dr. Brück, der nach Wittenberg heimgekehrt war, sorgte auch gleich dafür, daß die bzw. einige Juristen der Universität mit einem Rechtsgutachten die Disputationsgrundlage vorgaben. Es könnte am 22. Oktober gewesen sein, als sie bei Melchior Kling zur Beratung zusammenkamen. Wenn nicht alles täuscht, ist eine Vorarbeit davon erhalten geblieben. 2. Der Gutachtenentwurf 14 behandelt die Rechtsfrage: 'Ist es der niederen Obrigkeit in bestimmten Fällen erlaubt, sich gegen die höhere zu wehren?' 15 Indem der Verfasser das Verhältnis der Über- und Unterordnimg der Notwehrgegner hervorhebt, gibt er einen Hinweis auf das Ziel seines Gutachtens. Er will den Widerstand gegen den Kaiser als einen Anwendungsfall der Notwehr erweisen, gegen Luther und Melanchthon, deren Namen im übrigen nicht genannt werden. Der Gutachter beginnt mit dem allgemeinen Recht des Menschen auf Notwehr und der besonderen Pflicht des Untertanen zur Gewalthinnahme: Die Gegenwehr gegen unrechte Gewalt ist jedermann erlaubt, was stillschweigend einschließt, daß rechte Gewalt hinzunehmen ist. Unrecht ist die ohne vorhergehenden, rechtmäßigen Grund verübte tätliche Gewalt. Ein rechtmäßiger Grund ist z. B. das Gerichtsurteil, das der Vollstreckung vorhergeht. Die bei der Vollstreckung eines Urteils gebrauchte Gewalt gilt auf Grund der auctoritas rei iudicatae als rechtmäßig, auch wenn sie im Erfolg manchmal unrecht ist16. Mit demselben Argument hatte Melanchthon beweisen wollen, daß das römische Recht den

14

Text bei Köhler, Brentiana, 231 f. Der Abdruck enthält zwei offenkundige sinnentstellende Auflösungsfehler. In Ziffer 1 lies 'propter exequcionem sententie' statt 'propter exequcionem sue'. In Ziffer 5 lies 'authoritatem rei iudicate' statt 'authoritatem rei iudicare'. Zur Grobdatierung ebd. Auch Wolgast, 167 f. Die inneren Merkmale des Textes deuten auf eine Abfassung nach dem Religionsabschied vom 13.10. und vor der Torgauer Disputation vom 26.128.10.1530. Die nicht näher bezeichneten Urteiler, die ihre Sentenz über die protestierenden Reichsstände gefällt haben, können nur Rechtsgleiche, also Reichsstände auf einem Reichstag sein, da an einen Kammergerichtsprozeß nicht zu denken ist (Die Reformationsprozesse wurden erst nach dem Reichsabschied vom 19.11.1530 wiederaufgenommen). Inhaltlich betrachtet, wirkt der Gutachtenentwurf wie eine Duplik auf Melanchthons Einrede der auctoritas rei iudicatae. Seine Argumente sind z. T. in das Gutachten eingegangen, das Luther und seinen Kollegen in Torgau vorgetragen wurde. Er trägt den Vermerk: "Ad proximam diem Sabbati apud Melchiorem Kling hora 12." Für die genannte Besprechung käme am ehesten der 22.10.1530 in Betracht oder auch der 15.10., falls der Gutachter das seit der zweiten Oktoberwoche erwartete beschwerliche Ergebnis des Religionsabschiedes vorweggenommen hat. Bei dem Verfasser dürfen wir wohl an einen der Wittenberger Rechtsgelehrten denken, die das consilium für die Torgauer Disputation erstellt haben. Er hätte demnach seinen Entwurf als eine Vorarbeit in die kollegiale Beratung bei Kling eingebracht. Daher fehlen z. B. alle Gesetzesnachweise. 15

"Quod liceat inferiori magistratui in certis casibus se contra superiorem defendere".

16

Vgl. etwa die von Melanchthon angeführte Glosse zu D. 50,17,167,1.

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen

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Widerstand gegen die Obrigkeit nicht erlaubt 17. Aber hatte der Religionsabschied überhaupt die Rechtskraft eines die Streitsache entscheidenden Urteils erlangt? So wie die Speyrer Protestation des Vorjahres die einschlägigen Artikel des Reichsabschiedes für nichtig erklärt hatte, weil die bloße Mehrheit einen einstimmig gefaßten Beschluß nicht aufheben könne und weil Sachen der Ehre Gottes und des Seelenheils als Gewissensfragen der Mehrheitsentscheidung entzogen seien18, so erkennt auch dieser Gutachtenentwurf auf Nichtigkeit des Augsburger Abschieds: Gegen die evangelischen Reichsstände ist gar kein gültiges Urteil ergangen, weil denen, die da ihre Sentenz gesprochen haben, hierzu die Gerichtsbarkeit fehlt; und überhaupt kann in Glaubenssachen gegen sie nichts verkündet werden, was die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils erlangen könnte, womit anscheinend die kanonistische Rechtsregel gemeint war, derzufolge causae spirituales nach ergangener Entscheidung nicht zu res iudicatae werden19. Der Kaiser könnte nicht die Vollstreckung eines Urteils geltend machen, sondern er beginge unrechte Gewalt, wenn er die Stände mit Krieg überzöge. Damit war Melanchthons Einrede der auctoritas rei iudicatae entkräftet, aber die eigentliche Rechtsfrage noch nicht gelöst. Dies besorgt der Gutachter auf die herkömmliche Weise unter Anwendung der bekannten Regel aus D. 43, 16, 1, 27 und ausdrücklicher Bezugnahme auf das Naturrecht. Doch betont er nun seiner Zielsetzung entsprechend, daß die Notwehr sowohl unter Gleichen als auch dem Niederen gegen den Höheren erlaubt ist. So tötet der Sohn den Vater, wenn er anders sich nicht retten kann, unbeschadet der väterlichen Gewalt und der natürlichen Kindesliebe, und der Vasall den Herrn, ohne seinen Treueid zu verletzen. Dieser Jurist begriff den Widerstand als Notwehr und sah ihn wie eh und je im Naturrecht begründet. Melanchthons Naturrechtsverständnis, das der Obrigkeit höheren Rang zuerkannte als der Notwehr 20, war ihm ebenso fremd wie Luthers Anschauung, daß die Notwehr nur unter Rechtsgleichen und auch da nur zum Schutze Dritter als Nothilfe zulässig sei21. In seinem Gutachten fehlen denn auch die Wörter 'Christ' und 'christlich', die in den Bedenken Spenglers, Luthers und Melanchthons ein Zeichen dafür sind, daß ihre Verfasser vom herkömmlichen Recht abrücken oder ihm eine neue Auslegung geben werden22. 17

Vgl. IV. 2.

18

Vgl. Einleitung.

19

Vgl. V. 2, Fn. 41.

20

Vgl. IV. 2.

21

Vgl. III.6.

22

Spengler "Aber hie ist nit die frag, was ainem menschen, sonder ainem Christen, nit auß naturlichem oder menschlichem rechten, sonder auß gottes gebott, bevelch und gehaiß orden-

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Das consilium der Wittenberger Juristen23 gliedert sich wie üblich in zwei Hauptteile, quaestio infinita und quaestio finita. In der quaestio infinita stellen die Gutachter zuerst die Rechtsfrage: 'Ist gegen einen ungerecht vorgehenden Richter Widerstand erlaubt?' 24 Dann zitieren sie ablehnende Meinungen und bilden die Regel: 'Gegen einen Richter ist Widerstand nicht erlaubt.' 25 Anschließend behandeln sie die Ausnahmen von der Regel, was den wesentlichen Inhalt ihres Gutachtens ausmacht. Erlaubt ist der Widerstand gegen einen Richter in vier Fällen: 1. bei Beschwerung durch Fortsetzung des Verfahrens trotz eingelegter Appellation, 2. bei Beschwerung durch außergerichtliche Gewalt, 3. bei ungerechter Beschwerung in einem Gerichtsverfahren, sofern die Folgen unheilbar sind, 4. bei Beschwerung durch Maßnahmen, deren Ungerechtigkeit notorisch, also allen Leuten, nicht nur wie unter drittens der beschwerten Partei gewiß ist. Die quaestio infinita des Wittenberger Gutachtens ist nach Inhalt und Aufbau nichts anderes als die gekürzte Wiedergabe der Nummer zwei des Kommentars, den Felinus Sandaeus, der 1503 verstorbene Bischof von Lucca, zu X 1, 29, 8 geschrieben hat. Die Übereinstimmung reicht oft bis in den Wortlaut. Felinus folgt seinerseits Panormitanus, nur daß er dessen Argumente in anderer Ordnung — enumerierend, nicht distinguierend — vorträgt und dessen Belege um viele zusätzliche vermehrt. Panormitanus hat die kanonistische Widerstandslehre in Auseinandersetzung mit Innozenz IV. ausgebildet, er kann als ihr Vollender gelten26. Sie soll im Folgenden beschrieben werden. Grundlegender Text ist immer X 1, 29, 8. In dieser Dekretale trifft Alexander III. eine Regelung für die Folgen aus der fehlerhaften Handlung eines iudex delegatus des Papstes. Ein Kleriker verklagt einen Prälaten wegen einer Kirche, die dieser innehat, vor dem delegierten Richter. Dieser spricht sie ihm durch Vergleich oder auf andere Weise zu und ordnet die Einweisung in den Besitz an. Aber der Ortsbischof als der iudex Ordinarius weiß, daß der Kleriker der kanonischen Einsetzung in das entsprechende Amt ermangelt. Trotzdem darf er sich der Anordnung nicht gewaltsam ('violenter') widersetzen, sondern er soll bei dem Delegaten darauf dringen, die lieh zu thun gepure" (RTA JR 8,470). Luther "Aber nach der schrifft wil sichs ynn keinen weg zimen, das sich iemand, wer ein Christ sein will, widder seine öberkeit setze" (WA Br 5, 258). Melanchthon: "non licet christiano se contra potestatem vi defendere" (Scheible, 57). Vgl. Kari Müller, 18 f.) 23 Text bei Scheible, 63 — 66. Zu Verfasserschaft und Datierung zuletzt Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 116-121. 24

"ludici procedenti iniuste an licitum sit resistere".

25

"fac regulam, quod ludici non est licitum resistere".

26

Die legistische und die kanonistische Widerstandslehre unterscheiden sich vor allem dadurch, daß die eine vorwiegend aus dem römischen, die andere vorwiegend aus dem kanonischen Recht schöpft.

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen

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Besitzeinweisung auszusetzen, bis der Papst die Sache entschieden hat. Innozenz IV. tritt in seinem Kommentar zur selben Dekretale dem dictum seines Vorgängers bei. Wäre der delegierte Richter außerhalb seiner Gerichtsbarkeit in einer Sache tätig geworden, die ihm gar nicht übertragen worden war, so hätte man sich gegen ihn zur Wehr setzen dürfen. Da er aber mit seiner fehlerhaften Handlung ('male procedere') in den Grenzen seiner Delegation geblieben ist, darf man nur mit Appellation, nicht jedoch mit gewaltsamem Widerstand gegen ihn vorgehen. Die Appellation hat zur Folge, daß die Delegation der Gerichtsbarkeit widerrufen ist. Führt nun der Delegat das Verfahren trotzdem weiter, tut er das nicht mehr als Richter, und gegen ihn ist gewaltsamer Widerstand erlaubt - aber nicht einem jeden, nur demjenigen, der im Besitz der Sache oder des Rechtes ist, in deren Besitz die zu Unrecht obsiegende Partei eingewiesen wird. Im vorliegenden Fall ist der Bischof als der ordentliche Richter zum gewaltsamen Widerstand nicht befugt; denn sein Einsetzungsrecht ist in dem Verfahren nicht bestritten worden, und es wird ihm auch nicht entzogen, wenn jener Kleriker in den Besitz des Kanonikats eingewiesen wird. Zum Widerstand befugt ist jedoch das Domkapitel, sofern es appelliert hat, weil die Besitzeinweisung in seine Rechte eingreift. Panormitanus behandelt in der Nummer 2 seiner lectura über X 1, 29, 8 das Widerstandsrecht auf der Grundlage dreier Notabilien des Innozenz. Im ersten stellt er das grundsätzliche Widerstandsverbot auf: 'Der örtliche ordentliche Richter darf sich nicht gewaltsam dem Delegaten des Papstes widersetzen, auch wenn dieser ungerecht verfährt.' 27 Dem stellt er C. 10, 1, 5 entgegen. Dieses Reskript der Kaiser Diokletian und Maximian bringt in Erinnerung, daß die Beschlagnahme privater Vermögen ohne schriftliche kaiserliche Anordnung verboten ist, und um den Übergriffen der Fiskalbeamten vorzubeugen, gestattet es allen, die ein Interesse haben, sich der rechtswidrigen Beschlagnahme tätlich zu widersetzen. Daß es dort ein Richter, hier Vollstreckungsbeamte sind, die ungerecht handeln, macht die Aussagen nicht unvergleichbar; als wesentlich erscheinen die Gleichheit des ungerechten Tuns und die Gegensätzlichkeit der daran geknüpften Folgen. Panormitanus löst den Widerspruch durch eine erste, von Innozenz vorgezeichnete Distinktion: Ein delegierter Richter verfährt ungerecht entweder in einer ihm nicht übertragenen Sache - dann darf man ihm gewaltsam Widerstand leisten — oder in einer ihm übertragenen, dann darf man es nicht bzw. nur dann, wenn er die eingebrachte Appellation nicht annimmt. Das Widerstandsrecht bildet hier das Gegenstück zum außergerichtlichen Ge27

"Not(a) secundo, quod delegato pape etiam iniuste procedenti non debet Ordinarius loci violenter resistere." - 'Iniuria' im weitesten Sinne bezeichnet jede Art von Rechtsverletzung (DDC 5,1364 f.).

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

waltgebrauch. Es ist konsequent auf dasjenige Unrecht bezogen, das ein Richter unter dem bloßen Schein richterlicher Gewalt begeht, und bleibt auf den unmittelbar in seinen Rechten Beschwerten beschränkt, während die Korrektur des Unrechts im Amt ebenso konsequent der richterlichen Gewalt des Höheren vorbehalten ist. Doch ist die Lösung nur vorläufig. Panormitanus stellt ihr drei Einwände entgegen, nämlich Innozenz IV. zu VI 5, 11, 6, die Glossa ordinaria zu Χ 1, 29, 29 und Cinus zu C. 7, 65, 5, die er schließlich mit der Distinktion des Innozenz zu einer stärker differenzierten Lösung vereinigen wird. Die von ihm kommentierte Dekretale V I 5, 11, 6 hat Innozenz selbst 1245 auf dem 1. Konzil zu Lyon gegeben. Der Domdekan von Orléans hatte einen nicht näher bezeichneten Bailli — anscheinend war er als Richter des Königs für die hohe Geistlichkeit des Bistums in zeitlichen Sachen zuständig - exkommuniziert und, als dieser ihm daraufhin seinen Besitz entzog, sich mit der Verhängung des Interdikts gewehrt. Der Papst rechtfertigt in seiner Dekretale das Vorgehen als Notwehr. Ein Prälat darf sich gegen weltliche Herren auch mit Kirchenstrafen wehren, zumal wenn ihm kein hinreichender weltlicher Schutz zur Verfügung steht. In seinem Kommentar macht er dazu generalisierend das dictum, dessentwegen er von Panormitanus an dieser Stelle zitiert wird: 'Es ist nicht nur dem Kleriker, sondern auch dem Laien erlaubt, sich zu schützen, sogar gegen ihren ordentlichen Richter, wenn er ihnen durch Nichteinhaltung des ordentlichen Verfahrensweges Schaden an Person oder Sachen zufügt.' 28 X 1, 29, 29, die zweite Konträrstelle des Panormitanus, ist eine Dekretale Innozenz' III. Der Archidiakon von Castello (Venedig) hatte die Verlesung eines Mandats, das im Zusammenhang mit einer Benefizialsache ergangen war, in seiner Kirche verhindert, weil er glaubte, daß den delegierten Richtern durch einen zweiten Justizbrief des Papstes die Gerichtsbarkeit entzogen worden sei, und der Patriarch von Grado, der sich als Subdelegai in dieser Sache für die Vollstreckung zuständig glaubte, hatte ihn und seine Kirche deswegen mit dem Interdikt belegt. Im Rechtsstreit zwischen Archidiakon und Patriarch sollen die delegierten Richter prüfen, ob die Gerichtsbarkeit der zuvor genannten Delegaten fortbestand oder tatsächlich durch einen Justizbrief widerrufen worden war, und demgemäß das Interdikt entweder bestätigen oder für null und nichtig erklären. Die Glosse erläutert die zweite der beiden Möglichkeiten, und ihr folgend formuliert Panormitanus: 'Einem Richter, der ein nichtiges Urteil zur Vollstreckung auftragen will, darf man ungestraft gewaltsamen Widerstand leisten.'29 Bei 28 Innozenz IV. zu V I 5,11, 6 v. Decano, hinter X 5, 39: "Non solum clerico, sed etiam laico licet se tueri, etiam si iudex suus Ordinarius ordine iudicario non servato iniuriatur sibi in rebus vel persona." 29

sti."

"quod iudici volenti sententiam nullam mandare executioni impune potest violenter resi-

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen

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der dritten Konträrstelle, die Panormitanus anführt, Cinus zu C. 7, 65, 5, handelt es sich um einen der seltenen Fälle zulässiger Appellation gegen die Urteilsvollstreckung. Die siegreiche Partei beantragt nach dem Hauptverfahren die Vollstreckung von Amts wegen. Der Verurteilte hat dagegen eine rechtswirksame Einrede ('exceptio valida'). Aber der Richter will ihn gar nicht anhören, weil er ein Verschleppungsmanöver vermutet, und sofort vollstrecken lassen. Da wird jener natürlich auf Grund der genannten lex appellieren. Doch vielleicht setzt sich der Richter sogar über die Appellation hinweg und nimmt die Vollstreckung widerrechtlich vor. Was kann der also Beschwerte dann tun? Ist die zu erwartende Beschwerung derart, daß sie nachträglich wieder behoben werden kann, muß er sie hinnehmen und sein Recht vom Appellationsrichter erwarten. Ist sie jedoch 'unwiderruflich' ('gravamen irrevocabile'), so darf sich der Beschwerte mit der Tat widersetzen, um die Schädigung abzuwehren30. Damit ist das Material einer Widerstandslehre vorbereitet. Panormitanus bringt es jetzt in einer zweiten, erweiterten Distinktion zum Ausgleich: Ein Richter handelt wider Recht außerhalb seiner Gerichtsbarkeit. Das geschieht, um bei den gegebenen Beispielen zu bleiben, wenn er in Sachen tätig wird, für die er nicht zuständig ist, oder wenn er die Verfahrensordnung nicht einhält. Dann darf man ihm mit Gewalt entgegentreten wie jedem andern Menschen auch. Oder er handelt wider Recht in Ausübung seines Richteramtes. Dann entscheiden die mutmaßlichen Folgen über die Zulässigkeit des Widerstands, je nachdem sie durch Appellation geheilt werden können oder nicht. Wer ungerechterweise an den Galgen oder auf die Folter gebracht werden soll, darf sich dem Richter gewaltsam widersetzen, und jedermann darf dem Bedrängten dabei helfen. Ist die Beschwerung dagegen derart, daß sie durch Appellation rückgängig gemacht werden kann, muß man weiterfragen, ob das Unrecht notorisch ist oder nicht. Notorisch ungerecht ist beispielsweise ein Mandat, das auf Grund eines nichtigen Urteils gegeben wird; denn ein nichtiges Urteil kann keine rechtliche Wirkung zeitigen. Auch hier ist Widerstand erlaubt. Bleiben die in Ausübung der Amtsgewalt begangenen, nicht notorisch ungerechten Handlungen, deren beschwerende Folgen rückgängig gemacht werden können. Sie dürfen nicht anders als durch Appellation angefochten werden. Wie man sieht, ist in der zweiten Distinktion dem Widerstandsrecht zulasten der Berufung mehr Raum gegeben als in der ersten, vorläufigen. Nicht nur das außergerichtliche Unrecht, sondern unter Umständen auch das im Amt begangene darf mit privater Gewalt abgewehrt werden. Panormitanus trägt damit der Rechtswirklichkeit seines Landes Rechnung. Er will ja keine Widerstandslehre speziell für den Gebrauch vor geistlichen Gerichten entwickeln, sie soll, wie seine Beispiele von Folter 30

Vgl. Cinus zu C. 8,4,1 (IV. 2).

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

und Galgenstrafe beweisen, auch im Bereich der kommunalen Justiz gelten. Er hat mit dieser Distinktion nachhaltigen Einfluß gewonnen. Noch das Reichskammergericht hat sie im 16. Jahrhundert übernommen und mehrfach angewendet31. In einer weiteren Distinktion geht es um das Unrecht des Richters nach erfolgter Appellation, wenn er nämlich die Streitsache nicht abgibt und sein angefochtenes Urteil zur Vollstreckung aufträgt. Nach dem obengenannten zweiten Notabile des Innozenz ist dann Widerstand erlaubt, da ja der Richter im Verhältnis zum Appellanten nicht mehr Richter, sondern, wie Felinus sagt, Privatperson ist. Dem steht der gleichfalls schon genannte Einwand des Cinus entgegen, der die Zulässigkeit des Widerstands vom Ausmaß der drohenden Beschwerung abhängig macht. Panormitanus löst den Widerspruch, indem er das Merkmal der rechtlichen Wirksamkeit ('utilitas appellationis') einführt: Je nachdem die Gültigkeit der Appellation unzweifelhaft ist oder nicht, soll das dictum des Innozenz oder des Cinus gelten. In diesem Punkt folgen die Wittenberger Konsulenten nicht Panormitanus, sondern Innozenz mit seiner einfachen Lösung, verständlicherweise, denn § 64 des Glaubensabschiedes erklärte die Konzilsappellation der Protestierenden für null und nichtig. Das dritte Notabile betrifft die zum Widerstand befugten Personen. Innozenz beschränkt das Recht hierzu auf den unmittelbar Beschwerten, und solche Beschränkung mochte in Pfründenangelegenheiten gegenüber dem päpstlichen Delegaten angemessen sein, aber sie bot keinen hinreichenden Schutz in der rauheren Wirklichkeit der italienischen Kommunen. Panormitanus stellt nun dem dictum des Papstes Bartolus zu C. 10, 1, 5 entgegen, der das Widerstandsrecht einem größeren Personenkreis zubilligt32, und sucht einen mittleren Weg: Appellation und Widerstand sind von seiten Dritter dann Rechtens, wenn der Bedrängte darum bittet. Aber Bartolus sagt ausdrücklich, daß die Helfer auch unaufgefordert eingreifen dürfen. Hier nun vermittelt Felinus, indem er — beliebtes Kriterium — die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer nachträglichen Schadensheilung entscheiden läßt, ob Panormitanus oder Bartolus gelten sollen. Diese Lösung übernehmen die Wittenberger Juristen in ihr consilium33. 31

Mynsinger, cent. 5, obs. 18.

32

Ebs. Bartolus zu D. 49, 1, 6. Baldus zu C. 1, 4, 6; n. 3, der den Verwandten eines zum Tode Verurteilten das Widerstandsrecht zubilligt, wenn der Richter ihre Appellation nicht annimmt. 33 Das ist der Sinn der in ihrer Knappheit mißverständlichen und von Scheible, 64,269 mißverstandenen Stelle "Vide Felinum [...] si est reparabile". - Felinus' Lösung konnte für den Fall Bedeutung erlangen, daß die Theologen den Juristen einwendeten, die Untertanen des Kurfürsten würden in Sachen des Glaubens ihren Herrn gar nicht um Hilfe bitten.

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen

143

In der quaestio finita wenden die Gutachter die kanonistische Widerstandslehre auf die Glaubenssache der protestierenden Fürsten und Städte an: 1. Die Gerichtsbarkeit in der Sache ruht, weil die Appellation an ein künftiges Konzil anhängig ist. 2. Die Beschwerung, die bei Befolgung der kaiserlichen Edikte und Mandate entstünde, wäre nicht wieder rückgängig zu machen. 3. Der Kaiser besitzt keine Gerichtsbarkeit in Glaubenssachen. 4. Sein Unrecht ist notorisch, weil seine spanischen Ratgeber in dieser Sache notorische Feinde, Widersacher und Eiferer sind. Das Argument der Notorietät, dem erst Brück durch nachträgliche Korrektur diesen Sachverhalt zuordnete34, wird verständlich, wenn man es auf die Wahlkapitulation bezieht, die Karl verpflichtete, in deutschen Angelegenheiten deutsche Räte zu gebrauchen35. Zum dritten Argument, und zwar nur zu diesem, werden Einwände vorgetragen und widerlegt. Der Kaiser besitzt keine Gerichtsbarkeit in Glaubenssachen, aber er ist zur Durchführung von Konzilsbeschlüssen berechtigt. Nun könnte jemand sagen, die Glaubensartikel der Evangelischen seien schon von früheren Konzilien verurteilt worden, folglich stehe dem Kaiser als dem Vogt der Kirche die Durchführung jener Beschlüsse zu. Was hier die Gutachter im Potentialis niederschreiben, das hatten der Kurfürst und der Altkanzler in der letzten gemeinsamen Reichsversammlung und vorher sehr direkt zu hören bekommen: die Verdammung ihrer Lehre durch das frühere Konstanzer Konzil, die Ungültigkeit ihrer Konzilsappellation, die kaiserliche Advokatie über die Kirche 36; und so etwa stand es jetzt auch im Glaubensabschied, der demnächst Reichsgesetz werden sollte. Die Gutachter bestreiten dem Kaiser nicht die Kirchenvogtei, wie Luther es tat 37 - denn sie wußten natürlich, was ihm die Wahlkapitulation an erster Stelle auferlegte 38 -, und sie teilen die dem Konziliarismus verpflichtete Meinung, die ihn zur Durchführung von Konzilsbeschlüssen befugte. Aber sie bestreiten die Tatsachenbehauptung der Gegenseite: Es gibt keine Konzilsbeschlüsse, die der Vogt der Kirche an den Evangelischen exekutieren müßte. Und gesetzt, es wären auf dem Konzil zu Konstanz einige Artikel 34

Scheible, 66, 286. Zu Brücks Anteil am Gutachten Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 118. Wolgast, 166,8. 35 § 13 (RTA JR 1, 870 f.). Vgl. den Entwurf einer ksä. Instruktion für die zweite Gesandtschaft an den Kaiser, wo diese Pflicht mit unverstellten Worten angemahnt wird (RTA JR 8, 543). Diesbezügliches Unbehagen verrät auch eine Bemerkung des altgläubigen Unterhändlers Truchseß von Waldburg: "Die (seil. ksl. Majestät) hette der deuzschen, so vorstendig weren, wenig in Radt, der grosser häuf weren Spanier und frembder Nacion leuth, denn wenig daran gelegen were, wie es den Deuzschen ginge" (Brück, 156). 36 Confutatio Art. 7. 22; dt. bei Immenkötter, Brück, 138.190. 37

WA 15,278. 30/2,130.

38

§ 1 (RTA JR 1,865 f.).

Reichstag, 52 f. 69. Tetleben, 99. 142. 159 f.

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

verurteilt worden, aus Arglist und Unkenntnis, so ist doch ihre Behandlung auf einem künftigen Konzil durch Reichsabschiede unter Zustimmung der Bischöfe und Fürsten wieder zugelassen worden 39. Wenn nämlich in einem Zivilprozeß die siegreiche Partei ohne Appellation des Prozeßgegners geschehen läßt, daß über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des zu ihren Gunsten ergangenen Urteils vor Gericht gestritten wird, dann verliert das Urteil seine Gültigkeit und die Wirkungen einer res iudicata, was heißen soll: es kann weder vollstreckt werden noch wird ein weiteres Verfahren in derselben Sache ausgeschlossen40. Was bei Zivilsachen üblich ist, gilt erst recht bei Glaubens- wie auch Ehesachen und dergleichen. Die Gutachter reihen also die causa fidei der protestierenden Fürsten und Städte, in der sie nach Meinung ihrer Gegner schon verurteilt sind, ein unter die causae spirituales des kanonischen Rechts, deren Entscheidungen niemals endgültig Rechtskraft erlangen und durch sententia contraria aufgehoben werden können, weil hier das Beharren auf einer als Fehlurteil erkannten Entscheidung das Heil der Seele gefährden könnte41. Zusammengefaßt: Der Kaiser ist ßr die Untersuchung und Entscheidung der Glaubenssache nicht zuständig er ist hierin kein Richter, sondern Privatperson ; und was seine Kompe tenz ßr die Ausßhrung von Konzilsbeschlüssen anlangt, so existieren bis zur Neuverhandlung vor einem künßgen Konzil keine vollstreckbaren Beschlüsse Nun folgt die Lösung des Einwands: Wenn in bestimmten Fällen von Rechts wegen erlaubt ist, sich dem zuständigen Richter zu widersetzen, dann ist Widerstand erst recht erlaubt gegen den, der gar nicht Richter der Sache ist. Die Gutachter zitieren in diesem Zusammenhang D. 2, 1, 20, eine Digestenstelle, die in der Auslegung des Albericus de Rosciate zu den wichtigsten Voraussetzungen der legistischen Widerstandslehre gehört: "Excedenti iurisdictionem suam re, loco, persona vel tempore non paretur impune." 'Wer seine Gerichtsbarkeit in bezug auf die Streitsache, die Person, seinen Amtssprengel oder seine Amtszeit überschreitet, dem versagt man den Gehorsam straffrei.' 42 Wenn die Kommentatoren das non paretur ihrer Quelle übernahmen, dachten sie dennoch nicht daran, die Reaktion eines Beschwerten auf unrechte Gewalt in erlaubten Ungehorsam und verbotenen Widerstand zu distinguieren. Melanchthons Unterscheidung wäre ihnen wohl unrealistisch vorgekommen. Sie schieden vielmehr im Beschwerenden die private von der öffentlichen Person43, wodurch die gedankliche Voraus39

Scheible, 66,281. Vgl. etwa die konkludentes Verhalten betreffende Rechtsregel "Non refert, an quis assensum praefert verbis an rebus et factis" (Liebs, 141). 40

41 42 43

n. 5.

Felinus zu X1,29,8 v. Utrum sententia. Salvioli 2,548. Zurowski, 129 -131. Ebs. zu dieser Stelle Angelus de Ubaldis, Paulus de Castro und Jason de Mayno. Zu dieser Stelle Cinus, n. 2. Bartolus, v. idem est. Baldus, n. 13. Alexander Tartagnus,

2. Das Gutachten der Wittenberger Juristen

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Setzung für die oben beschriebene nichtrevolutionäre, rechtliche Widerstandslehre gewonnen war. In ihrer Folge stehen die Gutachter der Wittenberger Juristenfakultät. - Den zweiten Einwand gegen das dritte Argument - der Papst könnte dem Kaiser die Gerichtsbarkeit in der Glaubenssache übertragen - erledigen sie mit dem Hinweis auf die Konzilsappellation. Hier genügt ihnen die konziliaristische Theorie der Überordnung des Konzils über den Papst44. Die Verfasser des Gutachtens brauchten wahrscheinlich ebensowenig wie sein Empfänger, Dr. Brück, die kanonistische Widerstandslehre, um sich von der Rechtmäßigkeit des Widerstands zu überzeugen. Das Recht hierzu lag in der Herrschaft selbst begründet. Herrschaft war Schutz gegen unrechte Gewalt schlechthin: eigener und Schutz von Land und Leuten. Doch das war ungeschriebenes Recht des Herkommens, nicht vom Oberhaupt des Reiches gesetzt, und es hatte zwar nicht das mittelalterliche Naturrechtsverständnis, wohl aber Luthers Theologie gegen sich. Auf Luther kam es in diesem Augenblick an. Das consilium mußte also, sollte es überhaupt eine Chance haben, den Reformator zu überzeugen, die Rechtmäßigkeit des Widerstands im geschriebenen Recht nachweisen. Man hat dagegen eingewendet, die Lehre vom Widerstandsrecht der niederen Obrigkeiten sei wesentlich ein Produkt des politischen Kampfes und könne schwerlich aus dem positiven Recht begründet werden45. Wenn nicht aus gesetztem, so doch aus geltendem Recht! Denn es war ja nicht so, daß die Gutachter aus Elementen des geschriebenen Rechts ad hoc eine Theorie verfertigt hätten, um einer vermeintlich revolutionären Denkweise der kursächsischen Räte den Anschein des Rechts zu geben. Das Widerstandsrecht der magistratus inferiores hatte nichts Revolutionäres an sich; es war, mit Wörtern der Wissenschaftssprache bezeichnet, nichts anderes als das alte Gewohnheitsrecht des Hochadels auf Widerstand gegen unrechte Gewalt. Und die dem Gutachten zugrunde liegende Lehre war das ausschließliche Werk von Kanonisten und Legisten des 13. bis 15. Jahrhunderts. Die Rechtsgelehrten der Wittenberger Universität haben keine Widerstandslehre entwickelt, sie haben eine entwickelte Widerstandslehre angewendet. Wenn ferner gesagt wird, die Darstellung der vier Ausnahmefälle der quaestio infinita sei ganz von Felinus abhängig46, ist das gewiß richtig; aber man muß sich hüten, in diese Feststellung den Vorwurf mangelnder Originalität hineinzuhören. Das Gutachten ist von Felinus bzw. Panormitanus in der Weise abhängig, wie Rechtsanwendung und Auslegung von Gesetz und herrschender Lehre abhängig sind. Doch warum gaben seine Verfasser der kanonistischen Version 44

Handbuch der Kirchengeschichte, 3/2,551 f. 566 f.

45

Wolzendorff,

46

Scheible, 64, 263 und 266.

184, der Cardauns folgt. Ebs. Wolgast, 167.

146

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

der Widerstandslehre den Vorzug? Kanonisches Recht war auch in den Ländern der Reformation geltendes Recht, natürlich nicht in seinem vollen Umfang; es war nicht toter Buchstabe geworden, weil vor dem Elstertor ein Codex Dekretalen mitverbrannt worden war 47. Auch dort wurde kirchliches Vermögen verwaltet, wurden Prediger angestellt, Ehen eingesegnet und Kinder getauft, kurz, kirchliche Handlungen vollzogen, die ins bürgerliche Leben hineinwirkten und nicht im rechtsfreien Raum bleiben konnten. Da war man zwangsläufig auf das Recht der alten Kirche angewiesen, solange es noch kein evangelisches Kirchenrecht gab. Darüber hinaus enthielt das kanonische Recht zahlreiche Normen, die kirchlich neutral waren, gerade auch im Prozeßrecht 48, das den Wittenberger Juristen zur Rechtfertigimg des Widerstands diente. Die legistische Widerstandslehre hätte natürlich die gleichen Dienste leisten können49. Wenn die Gutachter der kanonistischen Version den Vorzug gaben, dann wohl vor allem deshalb, weil Melanchthon eben erst den naturrechtlichen Ansatz der legistischen Lehre nachgewiesen hatte50. Und ein Naturrecht auf Widerstand gegen die Obrigkeit lehnte Luther kategorisch ab, was sich in Torgau sehr bald bestätigen sollte51. 47 Die Weitergeltung kanonischen Rechts in den evangelischen Territorien und Kirchen ist als Tatsache unbestritten. Gewisse Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, ob Luther solches Festhalten völlig ablehnte (z. B. Schäfer, 165-413. Liermann, 69 - 85) oder nicht nur ablehnte (z. B. Maurer, Reste, 190 - 253). Vgl. den forschungsgeschichtlichen Überblick von Mühlmann, 235 - 305. Man braucht zur Erklärung also nicht die Vermutung Karl Müllers, 18 heranzuziehen, die Protestierenden hätten sich mit der kanonistischen Argumentation auf das künftige Konzil und das Recht ihrer Gegner eingestellt. 48

HEPG 1,383.

49

Man könnte vermuten, daß die Gutachter die Einrede der Rechtsverweigerung nach den Augsburger Vergleichsverhandlungen für verbraucht gehalten hätten und auch deshalb der kanonistischen Lehre den Vorzug gaben, weil sie im Unterschied zur legistischen keinen Tatbestand der Justizverweigerung enthält. Aber gerade diese Einrede hat Luther nach dem Reichsabschied gegenüber der Öffentlichkeit hervorgehoben (WA 30/3,284). 50 51

Vgl. sein Bedenken für die Kurfürsten (IV. 2).

Skinner, 194 - 206 glaubt bei den deutschen Protestanten zwei verschiedene Widerstandstheorien zu erkennen: "the constitutional theory of the Hessians, and the private-law theory of the Saxon jurists" (199), und von letzterer sagt er, sie schließe, da sie auf 'privatrechtliche ' Argumente gegründet sei, zwangsläufig die radikale Folgerung ein, daß jeder Privatmann ebenfalls zum Widerstand gegen unrechte Gewalt des Herrschers berechtigt sei (200). Das ist nicht richtig. 1.) Die Vorstellung einer besonderen 'privatrechtlichen' Widerstandstheorie gewinnt Skinner einzig und allein aus dem Gutachten der Wittenberger Juristen vom Oktober 1530. Die kanonistischen Belege desselben waren jedoch für Brück und seine Helfer nur eine Rechtsquelle des Widerstandsrechtes neben anderen. Aus den andern ksä. Äußerungen zum Widerstand ergibt sich, daß Brück nicht anders als Lgf. Philipp das Widerstandsrecht auch und vor allem in der Verfassung des Reiches begründet sah. 2.) Der Eindruck, daß die sog. 'privatrechtliche' Widerstandstheorie ein Revolutionsrecht für jedermann impliziere, kann dadurch entstehen, daß Skinner quaestio infinita und quaestio finita des Gutachtens, die Erörterung der Rechtsfrage und die Entscheidung im konkreten Fall, nicht auseinanderhält. Zwar muß man aus dem Gutachten schließen, daß auch ein Privatmann in bestimmten Fällen zur Durch-

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3. Die Disputation mit den Theologen, denen das Rechtsgutachten vorgetragen werden sollte, fand zwischen dem 26. und 28. Oktober in Torgau statt52. Das Ergebnis lag wahrscheinlich schon am 27. vor. Von Seiten der Theologen nahmen Luther, Melanchthon und Jonas teil, vielleicht auch Spalatin53. Von Seiten der kurfürstlichen Räte war es Dr. Brück, der Rhetor, wie ihn Melanchthon nennt54, das heißt der Sprecher der Augsburgischen Konfessionsverwandten vor Kaiser und Reich. Wer zu dieser Gruppe sonst noch gehörte, etwa die Gutachter selbst, wissen wir nicht. Trotz solcher Kenntnislücken darf man feststellen, mit Luther, Melanchthon und Brück waren die Autoritäten aufgeboten angesichts der Aufgabe, bei der Neugewichtung der kursächsischen Politik ein Maß zu finden, das die Ansprüche des Glaubens mit den Erfordernissen der Politik wieder ins Gleichgewicht brachte. Von dem Verhandlungsverlauf insgesamt wissen wir nicht viel mehr als das Verhandlungsziel und daß "scharf' disputiert wurde. Brück und die Räte versuchten nicht weniger, als Luther zum Widerruf seines Bedenkens vom 6. März zu bewegen, wie dieser gegenüber Spengler bezeugt55. Es war also nicht wie seinerzeit im kurfürstlichen Schreiben vom 27. Januar sein Rat gefragt. Unklar ist, auf welche Weise das Gutachten der Juristen in die Disputation eingeführt wurde. Der "zetel" wurde den Theologen "furgetragen", das kann heißen: in mündlichem Vortrag verlesen oder aber als Schriftstück vorgelegt56. Im ersten Fall konnten sie einen Bedacht verlangen, um abgesondert die Verlesung wiederholen zu lassen oder Einsicht in den Text zu nehmen. Das gehörte zu den üblichen Verhandlungstechniken der Zeit. Doch ob nun vorgelesen oder vorgelegt - von den Theologen waren zwei zugleich Juristen, welche die kanonistischen Quellen des Gutachtens unschwer erkennen konnten57. Unklar ist vor allem, inwiesetzung der Appellation ein Widerstandsrecht gegen einen erstinstanzlichen Richter besaß, aber seine Streitsache konnte niemals einen politischen Charakter annehmen wie die des sächsischen Kurfürsten, schon deshalb nicht, weil der erstinstanzliche Richter eines Privaten weder der Kaiser noch der Landesherr waren. 52 Luthers Erklärung und das Protokoll WA Br 5, 662 f. Scheible, 67 f. Karl Müller, 32 - 52. Fabian, Entstehung, 1. Aufl., 146. Stolzenau, 242 - 252. Dörries, 216 - 224. Günter, 121-125. Wolgast, 175,16.188 f. 53 So Scheible, 61, dagegen Dr. Martin Luthers Briefwechsel, bearb. v. Enders, Bd. 8,299,2. 54 CR 2,471. 55 WA Br 6,36. Vgl. Wolgast, 176. 56 DWb 12/2,1765. 57

Karl Müller, 50 nimmt an, den Theologen seien die Argumente des Gutachtens ohne die kanonistischen Belegstellen vorgelegt worden; wohl deshalb, weil er keine überzeugende Erklärung weiß, warum man dem Reformator ausgerechnet ein kanonistisch gearbeitetes Gutachten unterbreitet hat. Man kann wohl diese und die daran anknüpfenden Vermutungen (Dörries, 217,45. Wolgast, III, 29) aufgeben. Wolgasts Zweifel, ob mit dem "zetel" der volle Wortlaut des Gutachtens gemeint sein könne, ist unbegründet: Der Zettel, das lose Blatt Papier, be-

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V. Zwischen Friedstand und Widerstand

weit dieses consilium auf kanonistischer Grundlage die Verhandlungen beeinflußte. Einerseits war es gerade dieser "zetel", mit dem Luther seine Schlußerklärung begründete; anderseits waren es "der öberkeit rechte", das "ius civile", das "Kaiserliche Recht", das "ius politicum et imperiale", mit denen die Räte in der Schlußphase der Verhandlungen argumentierten 58. Den Ausschlag gaben doch wohl die Rechte, als deren Quelle der Kaiser angesehen wurde, also das römische Recht in seiner gemeinrechtlichen Fortbildung und besonders die Reichsgesetze. Sicher ist jedoch, daß das Gutachten über Torgau hinaus der kursächsischen Bündnispolitik und ihrem Werben um Nürnberg und Brandenburg diente und somit den Rechtsstandpunkt Kursachsens gültig beschreibt59. Von jener Schlußphase erhalten wir durch Luthers Briefe an die Nürnberger Freunde ein leidliches Bild®.

Irgendwann kamen die Verhandlungen an ihren toten Punkt. Die Antinomie zwischen dem natürlichen und den weltlichen Rechten einerseits und dem göttlichen Recht andererseits, die den Befunden Spenglers und Luthers z grunde lag trat nun in voller Schärfe hervor*\ Stimmen wurden laut, man solle überhaupt auf den Rat der Theologen verzichten. Das konnte Luther nicht ändern. Aber sein dictum, "der Rechtspruch 'Vim vi repellere licet' wäre nicht genug, wie wir den zuvor auch im Ratschlag verlegt hätten", war "endlich", endgültig, und das Naturrecht fiel nun einmal in die Zuständigkeit der Theologen62. Er zog sein Gutachten also nicht zurück. Brück verlor damit die Möglichkeit, den Widerstand in der herkömmlichen Weise als "rettung und gegenwehre" zu rechtfertigen, "die von naturlichem und kaiserlichen rechten meniglieli zugelassen wurdet".63 Da machte jemand — Brück? Luther nennt gegenüber Linck und Spengler keine Namen — den Vorschlag, eine rein juristische Lösung des Problems zu suchen. Das kaiserliche Recht erlaube den Widerstand "in notorie iniustis". Die Notorietät des Unrechts sah der zeichnet in der älteren Sprache auch längere Schriftsätze, z. B. Statuten oder Klagschriften (DWb 15,816 f.). So nennt Tetleben, 156 den Entwurf des Reichsabschiedes "cedula recessus". 58

WA Br 6,17. 37. Scheible, 67.

59

Instruktion für Hans von Minkwitz, 6.11.1530 oder kurz vorher, zu dem auf den 13.11. angesetzten, dann abgesagten Tag von Nürnberg (Fabian, Entstehung, 1. Aufl., 152). 60 Wichtig sind vor allem seine Briefe an Linck vom 15.1.1531 (WA Br 6, 16 - 1 8 ) und Spengler vom 15.2.1531 (ebd. 35 - 37) sowie Melanchthons Brief an Camerarius vom 16.2.1531 (CR 2,471 mit Korrekturen WA Br 6,36 und 13,192). - Dörries, 222,57 sieht in Luthers Briefen eine "authentische Interpretation" der Torgauer Erklärung und des Ratschlags, m. E. zu Recht. Dagegen glaubt Wolgast, 175, Luthers und Melanchthons Briefe seien "teilweise in apologetischer Absicht abgefaßt" und stellten daher "manches bewußt oder unbewußt anders" dar. Dochfinde ich nichts, womit diese Ansicht begründet werden könnte. 61

Vgl. III. 2. und 6.

62

WA Br 6,36.

63

RTA JR 8,275.

3. Die Torgauer Disputation (26. - 28.10.)

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Altkanzler erwiesen, wie aus seiner Korrektur zu Punkt 4 der quaestio finita des Juristengutachtens hervorgeht, durch das parteiische, feindselige Verhalten der kaiserlichen Ratgeber64. Der Topos vom falschen Ratgeber entstammt mittelalterlichem Denken. Unrechtes Handeln nach falschem Rat entlastet den Herrscher persönlich, es wälzt die größere Schuld auf die ungetreuen Räte65. So war die Disputation genau bei dem Standpunkt angelangt, von welchem Luther im März-Gutachten ausgegangen war, um ihn zu überwinden. Umsonst. Wo er die Christenpflicht zum Gehorsam anmahnte, sprachen die andern vom Fürstenrecht auf Widerstand. Er nahm es hin, daß die Rechte von seiner Theologe abgegrenzt wurden^ er konnte schließlich nicht mehr als raten. Doch für sein Teil lehnte er die Mitarbeit an einem gemeinsamen Gutachten nach weltlichem Recht ab. "Ich rate nicht, ich bin Theologe. Aber wenn die Juristen nach ihren Gesetzen sagen könnten, daß es erlaubt ist, würde ich sie nicht daran hindern, ihre Gesetze zu gebrauchen. Sollen sie selber zusehen! Denn wenn der Kaiser in seinen Gesetzen bestimmt hat, daß man sich diesfalls gegen ihn wehren darf, dann soll er das Gesetz leiden, das er gegeben hat; nur will ich nach so einem Gesetz nicht raten oder urteilen, sondern bleiben in meiner Theologie."67 Dreimal fügt er dem Prädikat ein intensivierendes "ego" bei, um seine Distanz zu betonen. So beschieden sich Theologen wie Politiker mit den Kompetenzen, die ihres Amtes waren. Luther akzeptierte, widerwillig genug, die Anwendbarkeit des kaiserlichen Rechts sowie die Zuständigkeit der Juristen für dessen Auslegung, wie er eben umgekehrt sich weigerte, nach kaiserlichem Recht zu gutachten. Und doch hätte die Abgrenzung die Wende hin zu einer Bugenhagen-Lösung sein können68. Existierte nämlich ein positives Widerstandsrecht 64

Vgl. Scheible, 66, 286.

65

Kern, Gottesgnadentum, 154 -156. - Das Argument kam Luthers Denkweise entgegen. In der "Warnung an seine lieben Deutschen" wird er selber mit großer innerer Anteilnahme vorbringen: die Verkürzung rechtlichen Gehörs in den Reichstagsverhandlungen, die ungerechte Verurteilung der Konfessionsverwandten, die Entschuldigung des Kaisers, die Anklagen gegen die eigentlichen Aufrührer wie Hz. Georg von Sachsen und Kf. Joachim von Brandenburg und gegen den päpstlichen Legaten (WA 30/3,283 - 290. 291 - 298). 66

Hierzu eingehend Wolgast, 180.

67

"Ego non consulo ut theologus. Sed si iuriste possent dicere legibus suis id licere, Ego permitterem eos legibus suis uti. Ipsi viderint. Nam si Cesar hoc statuit in suis legibus, ut in hoc casu liceat sibi resisti, patiatur legem, quam tulit, modo ego non consulam aut iudicem de ista ipsa lege, sed maneam in theologia mea" (WA Br 6, 16 f. mit Korrekturen WA Br 13, 191). - "Ipsi viderint" ist eine bitterböse Anspielung auf "tu videris" und Vos videritis" (Mt. 27, 4. 24), mit welchen Worten Judas Ischariot und die vor Pilatus zusammengelaufenen Juden an ihre frei gewählte, nicht zugeschobene Verantwortung für Jesu Hinrichtung erinnert werden (Karl Müller, 36,3). - Das ma. Rechtssprichwort "Patere legem, quam tu ipse tuleris" ( Walther 3, Nr. 20828 a) spiegelt den Gedanken, daß Willkür Recht bricht (Obenaus, 94, 3. Siehe auch Krause, Kaiserrecht, 140 f.). 68

Vgl. II. 2.

150

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

gegen den Kaiser, dann konnte Kurfürst Johann, dem es zustand, im Verhältnis zu Karl V nicht einfach Privatperson, bloßer Untertan sein. Dann blieb er, obgleich minderen Ranges als der Kaiser, Obrigkeit^. Die Räte gebrauchten das Argument der doppelten Persönlichkeit, das Spengler ein Jahr zuvor zugunsten des Kaisers gegen die Reichsfürsten und -Städte gerichtet hatte70, zugunsten ihres Fürsten gegen den Kaiser. Von seiner Antwort berichtet Luther dem Nürnberger Prediger Linck: 'Darin freilich gab ich ihnen gern recht, der Kurfürst als Fürst ist eine Person der Politia; und wenn er in dieser Eigenschaft handelt, handelt er nicht als Christ, der weder Fürst ist noch Mann noch sonst was von Personen in der Welt. Ob es also dem Kurfürsten als Fürsten erlaubt sei, sich dem Kaiser zu widersetzen, hätten die Juristen nach ihrem Fachverstand und Gewissen zu befinden. Einem Christen, der ja der Welt gestorben ist, ist es jedenfalls nicht erlaubt.' 71 Was er den Räten ironisch 'konzedierte', war ein Leitgedanke seiner Obrigkeitsschrift: der Unterschied zwischen Fürst und Fürst, "der auch gerne eyn Christen were und wissen wollt, wie er faren solle".72 Auf die Distinktion in persona publica und privata ging er gar nicht ein, sondern antwortete gemäß jener Schrift mit dem Gegensatzpaar 'christlicher' und 'weltlicher Fürst'. 73 Wenn der Kurfürst in der anstehenden Situation als "politica persona" handelte, dann war er eben auch nur einer jener zahllosen 'weltlichen Fürsten', denen Gottes Wort in Gebote und unverbindliche Ratschläge zergliedert wurde. Wollte er dagegen als ein Christ handeln, dann konnte ihm keine Klassifizierung nach Stand, Geschlecht oder Rechtspersönlichkeit ein Widerstandsrecht verschaffen, dann war ihm der Widerstand gegen die kaiserliche Obrigkeit verboten. Die Antwort lag auf der Linie des März-Gutachtens. 09 Ebs. Wolgast, 182. Dieser Schluß ist deshalb zwingend, weil in der gesamten Auseinandersetzung ein Widerstandsrecht des Volkes nie ernsthaft zur Diskussion stand. 70

Vgl. III. 2., Fn. 33.

71

"Hoc sane verum esse libenter concessi, quod princeps ut princeps sit politica persona et sic agens non agit ut Christianus, qui nec est princeps nec masculus nec quiequam in mundo personarum. Si igitur principi ut principi liceat resistere Cesari, illorum sit et iudicii et conscience. Christiano certe nihil licet, ut qui mundo sit mortuus" (WA Br 6,17 mit Korrekturen WA Br 13,191). WA Br 11,329 verweist zum besseren Verständnis der zitierten Stelle auf WA Br 9, 610: "At tales larvae sunt Maritus, politicus, domesticus, Johannes, Petrus, Lutherus, Amsdorffius etc., cum nihil horum sit Ecclesia, quae nec est Iudeus nec Graecus, nec masculus nec femina, sed unus Christus etc. Quare Christus, si Episcopatus suo officio stet, nihil curabit, an larva sit privata vel publica, plebeia vel regia. Sub omnibus larvis et personis coli potest, ut Ps. 2,14 d(icit): 'Et nunc Reges intelligite etc. ". 72 73

WA 11,273.

Die Mißverständnisse entstehen, wenn man "princeps ut princeps" mit 'persona publica' und "Christianus" mit 'persona privata' gleichsetzt. Luther meint in der Obrigkeitsschrift, im März-Gutachten, in den Briefen vom 26.8.1530 (vgl. S. 45) und 15.1.1531 den Fürsten, der im weltlichen Amt zugleich Christ sein will. Dieser Fürstenbegriff hat nichts zu tun mit der Denkfigur der zweifachen Persönlichkeit, die übrigens andernorts Luther durchaus geläufig ist

3. Die Torgauer Disputation (26. - 28.10.)

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Luther gewährte jetzt nicht der "politica persona", was er im März dem "christianus" versagt hatte. Hätte Luther es anders gemeint, wie hätte er dann in demselben Brief an Linck die mit dem "ius civile" begründete Entschlossenheit zum Widerstand eine Sünde aus Glaubensschwäche nennen dürfen! Wer in der Sache des Evangeliums nur nach dem weltlichen Recht fragte, setzte seine Erwartungen allein in menschliche Vernunft und Vorsorge und bewies einen Mangel an Gottvertrauen. Schutz der evangelischen Lehre und Widerstand waren für Luther nicht nur eine Rechtsfrage, sondern auch und noch mehr eine Frage des Glaubens74. Er kannte die lehnrechtliche Treuaufsage und die gemeinrechtliche Repressalie, als er im März Kurfürst Johann riet, unrechte Gewalt von kaiserlicher Seite als Christ widerstandslos hinzunehmen; und er hielt ein kaiserrechtliches Widerstandsrecht für möglich, als er jetzt den kurfürstlichen Räten klarmachte, wie belanglos es für einen Christen sei, ob er Fürst oder Untertan, Mann oder Frau war, diese oder jene Weltperson darstellte. Beide Male setzte er dem weltlichen Recht, das den Widerstand tatsächlich oder möglicherweise laubte, das christliche Verhalten entgegen, dem sich der Widerstand gegen Obrigkeit verbot Was hatte sich seit dem März an Luthers Haltung geändert? Bei der Antwort muß man den rechtlichen und den religiösen Aspekt auseinanderhalten, ohne sie voneinander zu trennen. Obwohl Luther auch schon im März von der Sache wußte, zog er doch anscheinend erst in Torgau angesichts der Vorhaltungen Brücks, den er schätzte, ernsthaft in Betracht, daß der Widerstand gegen den Kaiser Rechtscharakter haben könnte, und er war jetzt bereit, das Widerstandsrecht im Rahmen der weltlichen Ordnung hinzunehmen, sofern es ihm als ein Akt der kaiserlichen Gesetzgebung nachgewiesen wurde. Aber den Widerstand aus theologischer Sicht gutz heißen, dazu ist Luther nie bereit gewesen. Deshalb auch jetzt wie im MärzGutachten der geistliche Zuspruch: Gott hat geholfen und wird weiter helfen, so daß die Gegenwehr unnötig ist. Man kann das so zusammenfassen: Der Kurfürst sollte nicht auf weltliches Recht und weltlichen Status bauen, sondern als Christ handeln und den Schutz des Evangeliums Gott befehlen. Nur wenn er dazu nicht imstande war, gewann die Frage Bedeutung, ob das kaiserliche Recht dem Kurfürsten in seiner Fürsteneigenschaft die Gegenwehr erlaubte. Dann war es Sache der Juristen, Rat zu geben nach bestem 74 Karl Müller, 38. 51. Johannes Hecket, 186 f. Dörries, 223 f. mit einer theologisch ausführlicheren Würdigung. Hier sei auch hingewiesen auf eine Anmerkung Holls, 228, 1: "Bei dieser Frage (seil, des bewaffneten Widerstands gegen den Kaiser) erhellt übrigens auch, daß die Scheidung innerhalb der Person, d. h. in unserm Fall die Scheidung zwischen dem Fürsten und dem Fürsten als Christen, Luther jetzt nicht mehr genügt. [...] Luther räumt den Gegnern (! die Gegner arbeiten damit!) ein, daß der Fürst als Fürst 'politische Person* ist und nach bestehendem Reichsrecht Widerstand leisten darf. Aber daraus folgt für Luther längst noch nicht, daß er dies auch soll. Wenn er Glauben hätte, d. h. wenn er wirklicher Christ wäre, würde er es trotz des Reichsrechtes nicht tun...".

152

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Wissen und Gewissen75. Aber Brück und seine Kollegen begehrten Luthers Rat nicht, sie hatten eine gefestigte Meinung und beendeten die Disputation, nachdem die doppelte Rechtspersönlichkeit des Kurfürsten festgestellt worden war 76. Sie waren gewiß überzeugt, im Einklang mit Gottes Geboten zu handeln, wenn sie ihrem Herrn nicht nur zur Fortsetzung der Friedensbemühungen, sondern auch zu Bündnis und Verteidigungsbereitschaft rieten. Doch mußten sie es hinnehmen, wenn ihnen die Theologen den Argumentationszusammenhang zwischen göttlichem, natürlichem und weltlichen Rechten zerstörten, der den vorjährigen Entwurf des Ausnehmungsartikels getragen hatte77. Sie reagierten darauf, indem sie sich bei der Handhabung weltlichen Rechts von der Einwirkung der Theologen abgrenzten. Brück verlangte nun von Luther eine schriftliche Erklärung zur Rechtslage, die man soeben festgestellt hatte, und zwar ausschließlich zur Rechtslage unter Weglassung der theologischen Einwände. Luther sträubte sich gegen dieses Ansinnen, dann aber hat er sie doch geschrieben78. Unter Bezug auf den obengenannten "zetel" spricht er von der Rechtsauffassung der Juristen; er bestätigt sie nicht, aber er zweifelt sie auch nicht an. Er charakterisiert und befürwortet die anlaufenden Rüstungen als eine vorbeugende Maßnahme gegen Angriffe von jeglicher Seite und nimmt ihnen dadurch die spezielle Stoßrichtung gegen den Kaiser. Sein umstrittenes Gutachten widerruft er nicht; er erklärt jedoch, es in unvollständiger Kenntnis der Rechtslage gestellt zu haben. "Denn das wir bisher geleret, stracks nicht widderzustehen der öberkeit, haben wir nicht gewust, das solchs der öberkeit rechte selbs geben, welchen wir doch allenthalben zu gehorchen vleissig geleret haben." Diese Erklärung band Luther an den mündlich getanen Vorbehalt, daß die Prüfung der juristischen Beweise das Vorhandensein eines positiven Widerstandsrechtes bestätigen würde; denn die Disputation hatte 75 Es gehört zu den geläufigen Wertungen, Luther habe in den Torgauer Verhandlungen die Verantwortung den Juristen zugeschoben. So Winckelmann, 37. Karl Müller, 37.51. Holl 1, 379. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 124. Dörnes, 221. Brecht, 397 ("Entscheidung ... abgegeben"). Dagegen ist Folgendes zu bedenken: Wer einem andern die Verantwortung zuschiebt, der hat sie ursprünglich und gerechterweise selbst. Die Verantwortung für die kursächsische Politik einschließlich Widerstandsrecht lag nicht bei Luther, sondern nächst dem Kurfürsten bei den Räten, die in dessen Auftrag planten und handelten. Das war in jenen Jahren vor allem der promovierte Jurist Gregor Brück. Sie vollzogen die fällige Kurskorrektur in eigner Verantwortung: sie suchten Luthers Unterstützung gegenüber Dritten, nicht sein Plazet, in jenen Oktobertagen nicht einmal seinen Rat. Man überschätzt die theologische Kompetenz für das Widerstandsrecht und verkennt dessen fortwirkende mittelalterliche Tradition, wenn man die ursprüngliche Verantwortung bei Luther glaubt. 76

"Hactenus actum est" (WA Br 6,17).

77

Vgl. 1.3., Fn. 24. II. 5., Fn. 51.

78

"Hanc έπιείκειαν tarnen moderatissime scripsit Lutherus, et vix extorsit illi ό ρητοορ" (CR 2,471).

3. Die Torgauer Disputation (26. - 28.10.)

153

seine Zweifel nicht restlos ausräumen können. 'So sind wir Theologen bei unserm vorigen Ratschlag geblieben', schließt er seinen Brief an Spengler, 'und haben den späteren suspendiert, und wir warten auf die Beweisführung der Juristen, die wir nicht zu sehen kriegen.' 79 Der Dissens in der praktischen Frage, was jetzt zu tun sei, blieb in Torgau voll und ganz bestehen80 und wurde, gesondert von jener Erklärung zur Rechtsfrage, von beiden Seiten ad usum principis zu Protokoll gegeben. Luther und die andern Theologen blieben bei der Politik des leidenden Ungehorsams81. Die evangelischen Stände sollten durch eine Gesandtschaft dem Kaiser die Gründe anzeigen, warum sie dem Religionsabschied nicht beitreten könnten. Finde man den Kaiser zur zwangsweisen Vollstreckung entschlossen, solle man ihm das auf seine Verantwortung vor Gott anheimstellen und sagen, er werde keinen Widerstand finden. Dann werde es ohne Blutvergießen abgehen, und in zwei, drei Jahren werde das alte Wesen ganz von selbst zusammenbrechen. Anders als die Juristen in ihrem Gutachten befürchteten die Theologen kein gravamen irreparabile. Brück und seine Kollegen teilten solche Zuversicht nicht. Sie glaubten nicht, daß es mit der Rückkehr der Mönche und Nonnen sein Bewenden haben würde. Vollzug des Glaubensabschiedes würde Ketzertaufe und Firmung der evangelisch getauften Kinder, Vertreibimg der Prediger, Auflösung der Priesterehen bedeuten. Der Kurfürst und alle Personen in hervorgehobener Stellung würden gezwungen werden, dem Evangelium wie einer Ketzerei abzuschwören, oder andernfalls aus Amt und Würden vertrieben. Die Räte hatten die in Augsburg laut gewordenen Drohungen nicht vergessen, sie hatten den jüngsten Abschied aufmerksam gelesen und den Zusammenhang zwischen Rückkehr der Mönche und Vertreibung der Prediger begriffen. Jetzt zogen sie prompt aus Luthers Erklärung den Schluß, den man logischerweise erwarten durfte und der ihrem Verständnis von Herrschaft entsprach: "So die christenlichen stende mit gewissen widerstandt thun mögen etc., damit den iren gots worth umb einen tag nit genomen ader desselbigen unberaubt pleiben, so muge es auch nit an sein, das sie es als der iren Obrigkeiten, von denen sie darumb rhent und g haben, schuldig und pflichtig sein." 82 Herrschaft verpflichtet zu Schutz. Die 79 "Sic nos theologi in nostra sententia mansimus priore et posteriorem istam suspendimus et iuristarum probationem exspectamus, quam non videmus" (WA Br 6, 37). Das Perfekt "vidimus" bei Wolgast, 177, 29 dürfte ein Lesefehler sein. Es läßt sich nicht mit Sicherheit klären, ob mit 'probatio iuristarum', die Luther noch am 15.2.1531 vermißt, der Text des vorgetragenen Gutachtens, der nicht ausgehändigt wurde, gemeint ist oder eine neue, die mündliche Disputation ergänzende Beweisführung, die versprochen, aber nicht mehr nachgereicht wurde. 80 So Kart Müller, 39 - 41 und ihm folgend Clemen in WA Br 5, 664. Ebs. Dörries, 219 f. Anders Wolgast, 184, der Luthers Aussagen in der Erklärung und im Protokoll harmonisieren möchte. 81

So formuliert treffend Kunst, 227.

82

Scheible, 68.

154

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

reformatorische Theologie hat das nicht ändern können. Melanchthon zufolge gab Brück jedoch Luther das Versprechen, daß der gewaltsame Widerstand nicht angewendet werde, wenn der Kaiser wegen der Herausgabe der eingezogenen Klöster tätig werde, sondern erst wenn die 'persona principis' in Mitleidenschaft gezogen würde, d. h., wenn die Folgen der Abschiedsvollstreckung nicht die von den Theologen erwarteten, sondern die von den Räten befürchteten sein würden83. Aber auch so konnte er ihm nur mit knapper Müh 1 und Not jene Erklärung abringen, die Melanchthon ein 'verstümmeltes Schriftstück' nennt84.

So waren zwei Schriftstücke entstanden, die aufeinander bezogen waren wie quaestio und causa eines Gutachtens, jedenfalls in formaler Hinsicht, insofern das erste die abstrakte Rechtsfrage klärte und das zweite praktischen Rat erteilte. Aber es waren eben doch zwei Schriftstücke, voneinander getrennt auf verschiedene Blätter geschrieben: das erste eine eigenhändige Erklärung Luthers, der Form nach eine Gemeinschaftserklärung der Theologen in der ersten Person Pluralis, das andere ein Protokoll von Schreiberhand, welches die dissentierenden Ratschläge der beiden Gruppen verzeichnet. Für sich genommen war die Torgauer Erklärung ein Formelkompromiß, der die Meinungsverschiedenheiten gegenüber Dritten verschleierte, aber unter den unmittelbar Beteiligten wie gesagt nicht ausräumte. Diesen Eindruck legen die zurückhaltenden Formulierungen und der entgegenstehende Theologenratschlag nahe, Luthers Kommentar gegenüber Linck vor allem und Spengler macht ihn zur Gewißheit. Luther hatte, im Banne seines theonomen Zentralismus, kein realistischeres Verständ nis der Reichsverfassung gewonnen. Man hatte dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und das war und blieb für Luther eben der Gehorsam. Im Widerstand konnte er auch jetzt nicht die gerechtfertigte Eigenmacht des 83 "si de restitutione ageret Cesar" (CR 2,471 mit Korrektur WA Br 13,192) versteht Wolgast, 185 als "Wiederaufrichtung des alten Kirchenwesens". Das scheint mir nichtrichtig.Das Wort 'restitutio' als terminus technicus wurde auf dem Augsburger Reichstag dann gebraucht, wenn für die eingezogenen Klöster bzw. die enteigneten Ordenspersonen die Wiederherstellung des vorigen Rechtszustandes verlangt wurde. In dieser Frage war Kf. Johann schon damals zu gewissen Konzessionen bereit gewesen. Zum Eintritt des casus resistendi Karì Müller, 43 f. - Wolgasts, 184,60 Kritik an Melanchthons brieflicher Darstellung beruht auf einem zweifachen Mißverständnis: 1.) Die 'persona principis' bezeichnet gerade nicht die persona privata, sondern steht synonym für persona publica. 2.) Es war denkbar, daß der Kaiser gewisse Reichsfürsten ("nonnulli") - man denkt sofort an Georg von Sachsen und Joachim von Brandenburg - mit der Exekution der Acht beauftragte; auch dann wäre die Gegenwehr Widerstandshandlung gewesen. - Luther erwähnt die von Melanchthon genannte Zusage Brücks nicht, wie umgekehrt Melanchthon den von Luther genannten Vorbehalt der Beweisprüfung nicht erwähnt. Das schließt nicht aus, daß beide gemacht worden sind; denn in keinem der drei Briefe wird eine vollständige Darstellung der Torgauer Vorgänge angestrebt. 84 "illam chartern Lutheri truncatam" (CR 2,471) - Zur Beurteilung von Brücks Verhalten Dörries, 220 f., der gegenteilige Wertungen zurückweist.

3. Die Torgauer Disputation (26. - 28.10.)

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Hochadels gegen seinen treubrüchigen Oberherrn erkennen, sondern allenfalls die Fortsetzung des Gehorsams mit anderen Mitteln, wie er Spengler mit Hilfe eines Syllogismus zu erklären versucht: Den Geboten des Kaisers oder des Kaiserrechts ist zu gehorchen. Gebietet dieses, sich jenem bei notorischem Unrecht zu widersetzen, ist folglich Widerstand zu leisten85. Wenn Luther in demselben Brief vom Ausbleiben der verlangten und zugesagten 'probatio iuristarum' schreiben kann, dann war er in Torgau von der Existenz eines positiven Widerstandsrechtes nicht wirklich überzeugt worden, was eigentlich auch nicht verwundern kann; denn er wußte natürlich von Melanchthon, daß die juristische Widerstandslehre das Werk von Legisten und Kanonisten war und aus dem Corpus iuris nicht ohne Rückgriff auf das Naturrecht hatte entwickelt werden können. Demnach hätte er seine Erklärung geschrieben und aus der Hand gegeben und ihre Gültigkeit nur an den mündlichen Vorbehalt geknüpft, daß die Juristen ihre Beweisgründe nachlieferten! Wir sprechen nicht von unglaublicher Naivität, geschäftsmäßiges Denken wäre der Sache unangemessen. Wir spüren in seinem Tun die widerstrebende Selbstüberwindung zu jenem Formelkompromiß, durch den der Seelsorger vor Gott die Mitverantwortung übernahm für das, was die schwachen Christen neben ihm fehlten. Luther predigte, gewiß impolitisch, in unerschütterlichem Gottvertrauen: 'Gott wird uns beistehen, so daß Widerstand unnötig ist.' 86 Brück, religiös alles andre als indifferent, beharrte in seinem herkömmlichen Herrschaftsverständnis, daß die christlichen Stände "als der iren obrigkeiten, von denen sie darumb rhent und gult haben, schuldig und pflichtig sein", Schutz auch in Glaubensdingen zu gewähren. Aber

85 WA Br 6, 37. Luthers Konstruktion eines Widerstands aus Gehorsam ist nicht herzuleiten aus der ma. Vorstellung des Widerstands aus Treue (Hierzu Kern, Gottesgnadentum, 328 - 330), sondern sie ist die formallogische Umwandlung des Sprichworts, das er in seinem Brief an Linck (WA Br 6, 17) gebraucht. - An Angermeiers Luther-Kritik (Reichsreform, 254 - 258) istrichtig,daß die Zwei-Reiche-Lehre dem römisch-deutschen Reich den religiösen Charakter bestreitet und damit auch "die Legitimation, die Gewalt und die Funktion des Kaisertums in ihrem spezifisch religiös-mittelalterlichen Selbstverständnis negiert" (255). Aber sie hat nicht die fürstlichen Obrigkeiten der kaiserlichen Obrigkeit gleichrangig zur Seite gestellt, sondern jene dieser eindeutig untergeordnet. Das ist in Luthers Schriften, Gutachten und Briefen zahlreich belegt und wohlbekannt. Auch hat er dem Widerstand der evangelischen Fürsten keineswegs die religiöse Legitimation verschafft. Das Äußerste, was er zur Unterstützung der Seinen tat, waren die interne schriftliche Erklärung, in der er seinen Widerspruch gegen ein rein weltliches Widerstandsrecht bedingungsweise aufgibt, und die öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam für den Fall, daß der Kaiser das Reichsheer zum Krieg gegen die Evangelischen aufbot. Zuzugeben ist, was Luther offensichtlich nicht erkannt hat: Die massenhafte Befolgung der "Warnung an seine lieben Deutschen" durch Fürsten, landsässige Lehnsleute, Kriegsunternehmer und Landsknechte hätte den individuellen Ungehorsam zu gemeinschaftlichem passivem Widerstand gesteigert, und diese Art des Kampfes wäre dann religiös legitimiert gewesen. 86

17).

"frusta me predicante Deum nobis affuturum esse, ut resistere non sit opus" (WA Br 6,

156

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Luther besorgte von diesem Vorhaben eine Vermischung der Reiche Gottes und der Welt und legte es den Politikern als Glaubensschwäche aus: 'Doch der Glaube ist nicht jedermanns Ding.' 87 Da er nun ihren Glauben zu schwach fand, das Evangelium zu erfüllen, wollte er ihnen wenigstens das ius civile lassen, damit sie Bündnis und Widerstand, wozu er sie entschlossen sah, mit gutem Gewissen betreiben konnten. Darum blieb er zwar in der Kernfrage fest - was er am 6. März in der quaestio finita geraten hatte, wiederholte er am 27. Oktober zu Protokoll — , aber er verzichtete schließlich darauf, die gemeinrechtliche Widerstandslehre in Zweifel zu ziehen, und er schrieb jene separate Erklärung, über deren Verwendungszweck er sich im klaren sein mußte. 'Doch tröste ich mich', vertraut er Linck an, 'wenn sie nun unsern Rat durchaus nicht annehmen, ist ihre Sünde kleiner oder ihr Handeln sicherer, wenn sie nach dem ius civile handeln, als wenn sie geradezu gegen ihr Gewissen und mit festem Willen gegen die Schrift handeln. Unterdessen glauben sie selber, daß sie nicht gegen die Schrift handeln, solange sie nicht gegen das ius civile handeln.'88 4. Auch von anderer Seite wurde Luther in dieser Sache angegangen. Der Landgraf von Hessen forderte ihn auf, "ein Vermahnung an alle Gläubigen" zu richten und ihm seine Meinung über den Widerstand gegen den Kaiser mitzuteilen, wobei er den Eindruck erweckte, als schreibe er einem Gleichgesinnten89. Vorsorglich schickte er ihm, dem vielbeschäftigten Manne, eine Argumentationshilfe von fünf Punkten mit. 1. Das Neue Testament berichtet von keiner Situation, nach welcher die derzeitige der evangelischen Fürsten beurteilt werden könnte. 2. Die deutschen Fürsten sind nicht mit den Provinzstatthaltern des alten römischen Reiches zu vergleichen; denn sie besitzen die Erblichkeit ihrer Herrschaft, das ius de non evocando und das Steuerbewilligungsrecht gegenüber dem Kaiser. 3. Die Verpflichtung zwischen Kaiser und Fürsten beruht auf Gegenseitigkeit. Der Kaiser, der sein Amt durch Wahl erlangt hat, macht sich durch den Bruch des beschworenen Landfriedens zu einer "gemeinen Person" und zu einem gewöhnlichen Friedensbrecher. 4. Der Kaiser ist für Glaubenssachen nicht zuständig. Und man dürfte ihm das Richteramt auch schon deshalb nicht überlassen, "dweil er so parteisch handelt, daß er Kläger, Richter und Antworter ist". 5. Der Abschied ist nicht "einmütiglich" verglichen. Und selbst 87

"Sed non omnium estfides" (ebd.). Ebs. Domes, 223.

88

"Solor tarnen meipsum, quod, si omnino nostrum consilium non admittant, minus eos peccare aut tutius agere, si civili Iure agerent, quam si prorsus contra Conscientiam et certa voluntate contra scripturas egerint. Interim ipsi credunt nec contra scripturas sese agere, dum non contra Ius civile agunt" (WA Br 6,17 mit den Korrekturen WA Br 13,191). 89 21.10.1530 (WA Br 5, 653 - 655). Vorausgegangen war ein nicht erhaltener Brief (ebd., 651,1).

4. Vorbereitungen für einen Aufruf Luthers

157

wenn die Gegenseite die Mehrheit hätte, so wären die Evangelischen doch die pars sanior90. Man sieht, es sind die gleichen Gedanken, die Philipp zehn Monate zuvor dem Markgrafen von Brandenburg vorgehalten hatte, nur jetzt verstärkt durch das Argument der Selbstentsetzung91 und nach den Augsburger Erfahrungen erweitert durch den Vorwurf angemaßten und parteiischen Richtertums. Es bedurfte der Anregung des Landgrafen nicht. Luther arbeitete bereits an einer Schrift, die als "Warnung an seine heben Deutschen" im folgenden Jahr etwa zur Zeit des Schmalkaldischen Bündnisschlusses veröffentlicht wurde 92. Von den Vorarbeiten sind sechs nicht ausgeführte Entwürfe in der Form von Argumentationsreihen erhalten93. Sie zeigen, daß Luthers Überlegungen in zwei Richtungen gingen. Tenor des ersten und sechsten Entwurfs ist der Aufruf zum Ungehorsam, falls der Kaiser das Aufgebot zum Krieg gegen die Evangelischen erließ. Tenor des dritten, vierten und fünften Entwurfs ist die Rechtfertigung der bewaffneten Gegenwehr, die entweder getarnt als Verteidigung gegen rechtsgleiche Fürsten (3.) oder offen als Widerstand gegen den Kaiser (5.) oder als beides zugleich (4.) dargestellt wird 94 . Hier seien der vierte und fünfte Entwurf wiedergegeben. Der vierte hat den Vertragsbruch zum Inhalt. Der Kurfürst von Sachsen ist kein leibeigener Knecht, der Kaiser ist Herr nur nach bestimmten Verträgen. Emphatisch wird damit ein Untertanverhältnis zurückgewiesen. Der Kaiser ist den Fürsten durch Eide verbunden, das Reich in seiner Verfassung zu erhalten und nicht in die Knechtschaft zu führen. Gegen solche Versuche sind Rechtsmittel erlaubt, und der Kurfürst, seinerseits dem Reiche geschworen, ist verpflichtet, sie zu gebrauchen. Daß auf Widerstand aus Vertragsbruch geschlossen wird, ist nicht ausdrücklich gesagt; statt dessen wird die Beweisführung umgebogen: Hinter allem steckt Herzog Georg, der längst nach der sächsischen Kurwürde trachtet; der Kaiser wird nur vorgeschoben. Der Konflikt besteht also im Grunde genommen unter rechtsgleichen Fürsten. Der fünfte Entwurf hat den Rechtsbruch schlechthin zum Inhalt. Im Konflikt mit einem Rechtsgleichen hat die niedere Obrigkeit ("politicus") das Recht, sich zu wehren; zum Schutze ihrer Untertanen ist sie sogar dazu verpflichtet. Wenn nun ein Höherer tyrannisch regiert, wird er den Niederen gleich; denn er entäußert sich seiner "persona superioris" und verliert damit

90

Elsener, 104 -116.565. Ebel, 21 - 24.45.

91

Kern, Gottesgnadentum, 163 -166. Ders., Recht und Verfassung, 86.

92

Zur Datierung Clemen in WA 30/3,255. Karl Müller, 53,1.

93

WA 30/3, 392 - 399. Karl Müller, 56 - 63. Wolgast, 187 f.

94

Der zweite Entwurf bleibt mir unverständlich. Wenn Karl Müllers, 57 f. Deutungsversuch richtig ist, dürfte er zur Gruppe 'Rechtfertigung des Widerstands* gehören.

158

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

zugleich die "personae inferiorum". Mit dieser Argumentation hängt eine zweite eng zusammen. Wenn ein Tyrann erst einmal anfängt, einzelnen niederen Obrigkeiten Gewalt anzutun, ohne daß ihm gewehrt wird, so stünde es ihm bald frei, das ganze Gemeinwesen zu verwüsten. Es ist aber einer jeden Obrigkeit geboten, das Gemeinwesen und das Recht zu schützen. Das Recht steht über dem Tyrannen, darum ist sie dem Recht mehr verpflichtet als einem Tyrannen. Um es zu wiederholen! Das Recht über dem Herrscher; die Selbstentsetzung ipso facto, die Herstellung natürlicher Gleichheit, der Widerstand im Namen des Rechts - das war mittelalterliches Widerstandsrech in ReinkulturWar Luther doch unter dem Eindruck des schweren Konflikts zwischen Kaiser und Kurfürst schwankend geworden in seiner Ablehnung des Widerstands, und bahnte sich jetzt ein besseres Verständnis der Reichsverfassung an? Das sicher nicht, denn die beiden Entwürfe stehen unter dem Vorbehalt: So muß ein Politiker handeln, ein Christ darf das nicht96. Das wirft sofort eine zweite Frage auf: Hatte Luther die Hoffnung seiner Obrigkeitsschrift begraben, die Fürsten zu lehren, wie sie Christen sein könnten, ohne daß ihretwegen die Gebote der Bergpredigt zu bloßen Ratschlägen verfälscht würden, und räumte er jetzt der Welt ihre eignen Gesetze ein? Wann immer er sich in den Spannungen der Jahre 1529 — 1531 zur bewaffneten Gegenwehr äußerte, unterschied er den Christen vom — bloßen - Politiker. So Heß er im März-Gutachten "die iuristen handeln von den repressalien und diffidation", aber "wer ein Christ sein will", widersetzt sich der Obrigkeit nicht97. Das hieß, der Kurfürst solle sein politisches Amt nicht einfach nach Juristenrat, sondern in christlicher Gesinnung führen. In Torgau sagte er den Räten: Wenn der Kurfürst als Fürst handelt, handelt er nicht als Christ, was wie erinnerlich nicht die Anerkennung zweier wesensverschiedener Lebensmaximen meinte, sondern Resignation angesichts der Tatsache, daß die 'christlichen Fürsten' und ihre Ratgeber nicht immer aus christlicher Gesinnung handelten98. In den beiden Argumentationsreihen wirkt die Unterscheidung noch schärfer, ausschließend wie ein Entweder — Oder. 'Ein Christ, mag er gegen einen Höheren, Gleichen oder Niederen stehen, schlägt nicht zurück.' Dagegen ist der Fürst als Politiker 'verpflichtet', durch Widerstand die Rechte des Reiches zu wahren und seine 95

Kern, Recht und Verfassung, 66 - 69. 85 - 87. DersGottesgnadentum, 121 -137. 187 f. (Selbstentsetzung in der kirchlichen Lehre), 222 (Gleichstellung nach Lehnrecht). 136. 182 -187 (germanische und kirchliche Widerstandspflicht). 96

Entwurf 4, Arg. 6 - 7 : "Christianus Iuri [richtig: iure] cedit Sed princeps astrictus Iuramentis Imperij tenetur ut politicus non cedere". Entwurf 5, Arg. 1 - 2 : "Christianus stat contra superiorem equalem, Inferiorem, non repercutit Sed tarnen politicus pari resistit pro se iure, pro suis debito" (WA 30/3,394.396). Karl Müller, 59,1.4. 97

Vgl. ΙΠ. 6.

98

Vgl. V. 3, Fn. 74.

4. Vorbereitungen für einen Aufruf Luthers

159

Untertanen zu schützen". Das sieht so aus, als hätte sich Luther unter dem Druck der Ereignisse auf seine frühere Position zurückgezogen - hier Christperson, dort Weltperson- , von der Karl Holl sagt, sie sei "keine Lösung, sondern eher ein Ausweichen".100 Aber — die widerstandsrechtlichen Entwürfe blieben Erwägungen, auf Zettel notiert und letztlich verworfen; ausgeführt wurden Gedanken aus dem Geist von Torgau, die das März-Gut achten nicht verleugneten. 101 Noch aus Torgau antwortete Luther dem Landgrafen, in spürbarer Distanzierung, dessen Argumentationshilfe beiseite lassend: "das E. f. g. begert, ein buchlin zu trost der schwachen auszulassen, wil ich E. f. g. nicht bergen, das ich on das gefasset bin, ein büchlin ynn kurtz auszulassen, Darinn ich den abschied vnd vngeschicktes furnemen der fursten rüren wil, mit vermanung eins yders gewissen, das kein vnterthan schuldig sey, Wo k. Mt. wurde drauff beharren, gehorsam zu leisten, sondern wil (so viel meine fedder vermag) von solchem gehorsam abschrecken, das sich niemand soll begeben ynn solche lesterliche, mordische vnd teuffelisch anschlege. Gott gebe, das ich viel frucht damit schaffe, Amen. Dennoch sol es verwaret sein, das mans nicht muge auffrurisch schelten." 102 Diese Sätz enthalten die Grundgedanken der "Warnung an seine lieben Deutschen".103 Der Tenor dieser Schrift ist: "Man muß Gott mehr gehorchen als den 99

Vgl.Fn.96.

100

183.

101 Luther hat das Manuskript seiner "Warnung" kaum vor Mitte November abgeschlossen (Revisionsnachtrag zu WA 30/3, 63), eher später. Es fehlte ihm also nicht an Zeit, neue Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Torgauer Verhandlungen und dem landgräflichen Schreiben zu verwerten. Was Torgau angeht, hat er das nachweislich getan, unbeschadet dessen, daß er am letzten Verhandlungstag oder schon früher eine deutliche Vorstellung von den Grundzügen seiner Schrift besaß, z. B.: "wills lassen gehen und geschehen, das sie es eine not were heissen, und wil sie damit jns Recht und zu den Juristen weisen" (282); "Des gleichen wil ich der leute gewissen nicht beschweret lassen mit der fahr und sorge, als sey jr gegen were auffrürissch" (283); "Denn der Keiser handelt als denn nicht allein widder Gott und Göttlich recht, sondern auch widder seine eigen Keiserìiche recht, eyde, pflicht, Siegel und brieve" (291 Hierzu Wolgast, 185 -188. Daß Philipps Schreiben auf Luther Einfluß gewonnen habe (Winckelmann, 39. Günter, 126), ist dagegen unwahrscheinlich. Zwar stimmen die Argumente des 4. und 5. Entwurfs mit den Anschauungen des Landgrafen überein, doch ist damit noch nicht gesagt, daß er sie erst durch ihn kennengelernt hat. Vor allem aber hat er sie, was auch Günter, 130 sieht, in seine "Warnung" nicht übernommen. Luther zeigt Verständnis für die Benötigten, die sich wehren, doch rechtfertigt ihren Widerstand nicht (282 f.). Ebs. Brecht, 2,402. Ich finde in der ganzen Schrift nur eine Stelle, die das Widerstandsnec/if- indirekt -bejaht: "Denn ich wil mein gewissen unbeschweret haben und den namen wedder fur Gott noch der weit tragen, das aus meinem rat odder willen jemand kriege odder sich were, ausgenomen die jhenigen, denen es befolhen ist und recht dazu haben, Ro. xiij" (299). Das läßt nicht das Urteil zu, Luther habe sich "die Argumente des Landgrafen zu eigen gemacht" (Günter, 129). 102 103

WA Br 5,660.

Reichstag und Abschied (WA 30/3, 284 - 290). Ungebührliches Verhalten gewisser Fürsten (282 f. 287. 295 u. a.). Keine Gehorsamspflicht (291). Vom Gehorsam abschrecken (291. 298 - 320). Nicht aufrührerisch (282.291 - 298.299). Gott wird Blutvergießen verhüten (276 f.).

160

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Menschen" und folglich dem kaiserlichen Aufgebot gegen das Evangelium den Gehorsam verweigern. 104 Philipp von Hessen hatte Luther auch nach seiner Meinung über das Widerstandsrecht gefragt. Doch der antwortete ausweichend. Er wolle sich hierzu nicht schriftlich äußern, und er begründete das mit seinem geistlichen Stand und "vielen vrsachen". Seine Meinung werde dem Landgrafen beim "gemeinen ratschlag" nicht verborgen bleiben103. Er hatte den Seinen geraten, vergeblich, nun ließ er sie machen106. 5. Das war am 28. Oktober. In Augsburg wurde einen Tag später der Artikel des Friedens, den die altgläubigen Stände mit dem Kaiser verglichen hatten, aus kaiserlicher Machtvollkommenheit erlassen. Karl V. wandte sich darin unmittelbar an alle Reichsangehörigen vom Kurfürsten bis zum letzten Untertan und gebot ihnen unter Strafandrohung, "das kayner den andern mit gewalt und der that wider Recht und unsern und des heiligen Reichs aufgerichten landfriden uberziehe, angreiffe noch beschedige".107 Die im Grunde widersprüchliche Verknüpfung von Vereinbarung und Gebot trug der neuartigen Situation Rechnimg, daß eine abgesonderte Minderheit in die Friedenspflicht genommen werden sollte, ihre Zustimmung zur Fassung vom 22. Oktober aber nicht zu erlangen gewesen war. Die Sächsischen und ihre Mitverwandten hatten denn auch in ihrer schriftlichen Einrede zu beanstanden, daß der Kaiser außerhalb des Friedens blieb; sie verwiesen auf Kaiser Maximilian und Karl V. selbst, die an älteren Landfrieden persönlich teilgenommen hatten108. Sie baten ferner um eine Erklärung, wie das Verständnis zwischen Kaiser und altgläubigen Fürsten gemeint sei, und den Umkehrschluß der oben zitierten Textstelle bedenkend, verhehlten sie ihren Argwohn nicht, hier würden die gesetzlichen Vorkehrungen getroffen, um gegen ihre Herren mit Fiskal und Kammergericht vorzugehen. Sie begehrten deshalb in Sachen des Glaubens und der Religion bis zum Abschluß des 104

Ebs. Karl Müller, 56. Dörnes, 227 unter Bezug auf Luthers Brief an den Landgrafen.

105

Die dem Kurfürsten angezeigte "meynung" Luthers ist weder die Torgauer Erklärung (so Enders 8, 296, 3) noch ein quellenmäßig nicht belegter mündlich erteilter Ratschlag (so Clemen in WA Br 5, 661, 5), sondern das, was die Theologen "darneben" im Torgauer Protokoll bedacht haben (ebd., 662). Davon wird nämlich im Schlußsatz des Protokolls gesagt: "Es sali aber durch die Räte und Botschaften, so itzt Martini zu Norenberg beisammen sein, auch weiter bewogen werden" (ebd., 663). Der Sinn der Textstelle ist also: Dem Landgrafen wird Luthers Meinung unverborgen bleiben, weil wahrscheinlich ist, "das man einen gemeinen ratschlag ( = eine gemeinsame Beratung) davon ( = von dem zu Protokoll gegebenen Bedenken der Theologen) halten wird". 106

Diesen Ausdruck gebraucht Luther gegenüber Linck (WA Br 6,17).

107

Text bei Förstemann 2,773 f. Zum Folgenden ebd., 774 - 777.

108

RTA MR 5/1,449 f. RTA JR 2,736.

5. Noch einmal Verhandlungen über einen Friedstand

161

Konzils Sicherheit vor kriegerischer Gewalt und vor Fiskalprozessen und einen Frieden mit Einschluß des Kaisers. Die kaiserliche Antwort wurde ihnen bereits am 30. Oktober, einem Sonntag, vor allen Ständen in Gegenwart des Pfalzgrafen Friedrich erteilt 109. Sie versäumte nicht, den Protestierenden die Schuld zuzuweisen, daß der Frieden geboten werden müsse, und sie enthielt eine vordergründige Erklärung, warum sich der Beitritt des Kaisers erübrige. Von dem Verständnis hieß es, es sei "zur gegenwehr und defensive" gemacht; man habe nicht die Absicht, "wider sie zu kriegen". Das waren Repliken, situationsgerecht, welche die kaiserlichen Räte ins Konzept geschrieben haben mochten. Aber die lutherisch-ständische Kritik am Friedensartikel rührte darüber hinaus an die kaiserliche Gebotsgewalt und forderte den Habsburger in seinem Herrscherstolz heraus: Es sei im Reiche nie der Brauch gewesen und niemals hinzunehmen, daß der Kaiser sich selbst Frieden gebiete. "Aber sein Mat. von Ir hochait und obrigkait wegen soll und mag seinen Untertanen fridt zu halten woll gebieten."110 Nicht weniger heftig wies er das Begehren zurück, die Kammergerichtsprozesse in Religionssachen abzustellen. Er sah darin den anmaßenden Versuch, ihm das Recht zu sperren. Recht ergehen zu lassen gehöre zur höchsten Obrigkeit der Majestät, ohne die ein Kaiser nicht Kaiser wäre. Lauter Neuerungen und Belästigungen hätten sie, die Räte, vorgebracht, das sollten sie künftig unterlassen. Hans von der Planitz als Sprecher der Sächsischen erwiderte nach kurzem Bedacht mit seinen Kollegen111. Sie zeigten Betroffenheit über die ungnädige Antwort und hätten doch nur gesagt, was die Notwendigkeit gebiete. Die Sprache verschlug es ihnen also nicht, denn das Sicherheitsbedürfnis verlangte nun einmal, den Kaiser in die Friedenspflicht der Stände einzubinden. Grundsätzliches war auch hier im Spiel, wenn sie abermals das Vorbild des alten Kaisers und des Wormser Landfriedens nannten und ihre Bitte erneuerten, der Kaiser möge "sich mit churfursten, forsten und Stenden auch vorainigen, vorpflichten und vorbinden". 112 Gegen die kaiserliche Gebotsgewalt, die Karl so vehement behauptet hatte, verfochten sie unbeirrt das ständische Satzungsrecht in der Reichsgesetzgebung. Zum zweiten Punkt: Sie wollten dem Kaiser keineswegs das Recht sperren, beteuerten sie, ganz im Gegenteil! Alle Kurfürsten hätten den Kaiser bei der Wahl gebeten, Frieden und Recht im Reich zu wahren, und der Kurfürst von Sachsen habe dazu nicht geringe Hilfe geleistet. (Der Kurfürst von Brandenburg wird die Anspielung auf seine und

109

Zum Folgenden Förstemann 2,778 - 781. CR 2,425 - 428.

110

Ebd., 779. Vgl. Angermeier, Reichsreform, 275.

111

Zum Folgenden Förstemann 2,781 - 784.

112

Ebd., 782.

162

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Friedrichs des Weisen Rolle bei der Kaiserwahl verstanden haben.)113 Sie begehrten ledigleich zu wissen, ob der Religionsabschied "insgemein" gestellt sei unter Einbeziehung ihrer Fürsten, so daß "der fiscal ader Camergericht auf die peen, im abschied bestimbt, procedirn mochten". Das würde große Beschwerung und wenig Frieden bringen. Mit der Bitte um einen gnädigen Bescheid traten die Räte ab. Noch am selben Tag wurden sie wieder vor die Stände erfordert 114. Sie hätten zweifellos des Kaisers "entlich gemuet" vermerkt, eröffnete ihnen Kurfürst Joachim, auch daß Kaiser und Stände nicht die Absicht hätten, "mit der tadt wider ire gnedigst und gnedige herrn sambt derselben mitverwanten ichtes furzunemen, allain solten sie Ire feust auch bey sich behalten". Mit dem Fiskal hätten die Stände nichts zu schaffen. Sie sollten sich direkt an den Kaiser wenden. Die Räte, die sofort verstanden, daß der Verzicht auf tätliches Vorgehen das rechtliche nicht ausschloß, antworteten, vom Frieden wollten sie diesmal nicht reden, sondern nur das eine wissen: Waren die protestierenden Fürsten und Städte im Religionsabschied mitgemeint, und war nach der Publikation des Abschieds zu besorgen, daß der Fiskal auf Grund des neuen Gesetzes von Amts wegen würde tätig werden? Langes Hin und Her, endlich hieß es von Seiten der Altkirchlichen, sie glaubten nicht, daß die Protestierenden im Religionsabschied mitgemeint seien — womit auch nur der erste Teil der Frage beantwortet war - , doch sollten die Räte am Nachmittag wiederkommen, dann werde ihnen der Abschied vorgelesen. Es dauerte gut zwei Stunden, bis der mainzische Sekretär die Verlesung hinter sich gebracht hatte. Zwischen vier und fünf Uhr ließen die Stände fragen, ob man fertig sei. Ihre Sorge sei jetzt größer als zuvor, sagten die Sächsischen, tatsächlich sei der Abschied "insgemein" gestellt, und sie zählten die Beweise auf. Aber wenn sie, die Stände, "erclerung und aigentlichen bericht", eine verbindliche Auslegung also, bezüglich Religionsabschied und Kammergerichtsprozessen gäben, wollten sie damit zufrieden sein. Da machte Kurfürst Joachim ein Ende. Die Räte hätten die Meinung der Stände gehört: genüge ihnen das nicht, müßten sie den Kaiser selber fragen. Man habe bemerkt, war die Antwort, daß ihnen die Handlung beschwerlich werde. Dabei müsse man es bleiben lassen. Am 2. November machten die Sächsischen und ihre Mitverwandten den Versuch, vom Kaiser die Erklärung zu bekommen, die ihnen die Stände verweigert hatten115. Der ließ sie gar nicht vor: seine Räte stünden nicht zur Verfügung. Da betrat König Ferdinand den Vorraum, erkannte unter den

113

Vgl. Delius, 9-34.

114

Zum Folgenden Förstemann 2,784 - 786.787 - 790.

115

Zum Folgenden Förstemann 2,794 - 796.804 f. 810 - 815. CR 2,436 f.

5. Noch einmal Verhandlungen über einen Friedstand

163

Antichambrierenden Hans von der Planitz und erbot sich mit ein paar freundlichen Worten über Kurfürst Johann, das Schreiben seinem Bruder einzuhändigen. Die Antwort brauchte länger, sie wurde am 11. November in Gegenwart von Pfalzgraf Friedrich und dem Propst von Waldkirch erteilt. Sie erbrachte nichts Neues, außer daß nun der Kaiser selbst bestätigte, die Protestierenden seien im Religionsabschied nicht begriffen, denn sie hätten ihn ja nicht angenommen116. Die Räte baten um eine Abschrift, die ihnen großzügig überlassen wurde, wollten ihren Herren berichten - um so durch Zeitgewinn die Handlung offenzuhalten — , was der Pfalzgraf sogleich unterband. Nach kurzem Bedacht erklärte von der Planitz, der kaiserliche Bescheid nehme von ihren Beschwerungen nichts weg. Ein kurzer Bedacht auf der Gegenseite, dann sagte der Pfalzgraf, der Kaiser wisse an seiner Antwort keine Änderung zu tun. Er hoffe, ihre Herren werden sich unverweislich halten. Das war die Floskel, mit der man im Zwist die Höflichkeit wahrte. So ging man auseinander. Dem Reichsabschied wurden alle beide Vorlagen inseriert 117. Der Friedensartikel enthielt somit einen vereinbarten und einen gebotenen Frieden. Kontrahenten des erstgenannten (§§ 65 - 69) waren der Kaiser und von den Kurfürsten, Fürsten und Ständen diejenigen, "so diesen Abschied angenommen und bewilligt". Sie versprachen einander Verzicht auf jede Gewaltanwendung und in Sachen des Glaubens und der Religion rechtliche und militärische Hilfe gegen unrechte Gewalt von Seiten Dritter. Gemeint waren die Protestierenden, von denen man Rüstung und Überzug besorgte. Ihnen wollte man mit Mandatsprozeß, Achterklärung und -Vollstreckung begegnen118. Der aus kaiserlicher Machtvollkommenheit gebotene Frieden (§ 72) erfaßte alle Reichsangehörigen, sowohl die altgläubigen als auch die evangelischen ohne Rücksicht darauf, ob sie den Religionsabschied angenommen hatten oder nicht. Das ausdrückliche Verbot des Gewaltgebrauchs wider Recht und den Landfrieden ließ kritische Leser, die die Sächsischen und ihre Mitverwandten waren, an den stillschweigenden Umkehrschluß denken, daß Gewalt von Rechts wegen und auf Grund des Landfriedens er116

Ebd., 811.

117

Text bei Koch 2, 316 f. J. J. Müller, 1022 -1024. Förstemann 2, 753 - 755. 773. Die Paragraphenzählung ist bei Müllerum zwei Ziffern versetzt, also Koch § 1 = Müller § 3. Bei Müller fehlen die §§70 - 72 Koch'scher Zählung. 118 Der Artikel des vereinbarten Friedens (§§65-67) hat im großen und ganzen den gleichen Wortlaut wie der Friedensartikel §§ 10 - 1 2 RA 1529 (RTA JR 7,1144 f. 1301). Änderungen ergeben sich aus dem Umstand, daß an der Augsburger Vereinbarung der Kaiser beteiligt ist. Hinzugefügt ist in § 65 RA 1530 der hier zitierte Relativsatz. Er trägt der Erfahrung Rechnung, daß die Protestierenden den RA 1529 nicht angenommen hatten, sowie der Erwartung, daß sie auch den RA 1530 ablehnen würden. Der RA 1529 enthält natürlich keinen gebotenen Frieden. Zum Mandatsprozeß Sieglerschmidt,291 - 312. Doch sei auf des Vf. Vorbehalt 309,61 hingewiesen.

164

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

laubt sei. Unter Landfriedensschutz standen seit dem 19. November 1530 die Einsetzung eigenmächtig entsetzter geistlicher Personen und Körperschaften in den vorigen Stand, die Wiederaufrichtung der althergebrachten Religionsübung in den restituierten Kirchen und Klöstern sowie die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der kirchlichen Einkünfte 119. Als an diesem Tag der Reichsabschied in Augsburg verkündet wurde, befanden sich die kursächsischen Räte auf der Heimreise 120. 6. Am 22. Dezember 1530, vier Wochen nach der Verkündung des Abschieds und knapp vierzehn Tage vor der Wahl Ferdinands zum deutschen König, kamen die Fürsten und die Vertreter der bedeutendsten Städte der Augsburgischen Konfession und der Tetrapolitana in Schmalkalden zusammen, derselben Stadt, wo ein Jahr zuvor der Bündnisschluß am Sakramentsartikel ihres evangelischen Bekenntnisses gescheitert war. Daß die Fürsten — Georg von Brandenburg ausgenommen — in eigner Person erschienen, deutete an, daß Beschlüsse gefaßt werden sollten. Von den vier Hauptberatungspunkten betrafen allein drei akute Fragen der äußeren Sicherheit: das Bündnis, die Religionsprozesse vor dem Reichskammergericht und die Botschaft an den Kaiser 121. Die Gesandten des Brandenburgers wurden noch am 25., die Nürnberger am 26. früh vor die Fürsten geladen, wobei sich ergab, daß sie keine Vollmacht hatten, über ein Bündnis zu verhandeln. Am Nachmittag, wieder in getrennten Begegnungen, legten sich Mansfeld und Planitz ins Mittel. Natürlich riefen sie Luther und Melanchthon zu Zeugen an, legten deren Sinneswandel dar, erinnerten an die Schutzpflicht der Obrigkeit wie an eine selbstverständliche, gemeinsame Überzeugung: ob sie, die Nürnberger und Brandenburgischen, im Ernst glaubten, der Rat werde Kreß oder Oslander, der Markgraf Vogler oder Seckendorf dem Kaiser ausliefern, wenn der es befehle? Als alles nichts fruchtete, schlug der Zorn durch: Ihre Herren hätten sich wohl schon mit dem Kaiser arrangiert? Auch der Vorschlag, einen Theologenkonvent zu berufen, auf dessen Votum der Kurfürst hören werde, fand kein Echo122. Unterdessen hatte Brück zu den Gesandten der andern Städte gesprochen. In der Beurteilung der Lage seit dem 23. September stimmte man überein: Kurfürst Joachim von 119

Diese Bestimmung derogierte dem in den KGO 1495 und 1521 festgestellten Privileg der Kurfürsten, Fürsten und Fürstenmäßigen, ihre Besitzstreitigkeiten durch vereinbarte Schiedsgerichte zu vertragen (RTA MR 5,411 - 414. RTA JR 2, 303), da Friedbruchsachen schon erstinstanzlich in die Zuständigkeit des Reichskammergerichts fielen (Art. 3 und 19 Landfrieden 1521 ebd., 318. 330). - Über den Reichsabschied 1530 als einen Versuch, die "Systemkrise des Reichs" zu überwinden, Luttenberger, 29-31. 120

Förstemann 2,838 f.

121

Winckelmann, 52 - 57. Schornbaum, , 158 -162. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 152 -159.

122

Schornbaum, 159 -161.

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

165

Brandenburg hatte ihnen mit einem Bündnis des Kaisers und der altgläubigen Stände gedroht. Die Friedenszusicherung war ihnen verweigert worden. Zwar hatte der Kaiser dann die Verbindung als reine Gegenwehr erklärt, aber andererseits ließ er dem Fiskal freie Hand gegen die Evangelischen, und das Reichskammergericht war auf den jüngsten Reichsabschied verpflichtet worden. In den Religionsprozessen, die man auf sich zukommen sah, würde das Gericht regelmäßig die Evangelischen verurteilen, und im Falle des Ungehorsams würde der Fiskal das Achtverfahren in Gang setzen. Der Abschied verpflichtete die nächstgesessenen Stände zur Vollstreckung der Acht 123 . Von den Argumenten, die Brück in den Beratungen sonst noch gebrauchte, hielten die Ulmer und Straßburger vor allem eins für berichtenswert: Man müsse jetzt die menschlichen Mittel gebrauchen, die Gott an die Hand gebe124. Wir kennen dieses Argument, das Luthers Denken so sehr entgegen war, aus dem Brief des hessischen Landgrafen an Markgraf Georg 123. Den Autoritätsbeweis, Luthers und Melanchthons nunmehr differenzierte Meinung über Widerstandsrecht und Widerstand, scheint man nur gegenüber den Verweigerern Nürnberg und Brandenburg-Ansbach benötigt zu haben126. Nach der Mittagsmahlzeit erklärte Jakob Sturm im Namen der Städte Straßburg, Ulm, Heilbronn und Reutlingen, sie seien zu Bündnisverhandlungen auf Hintersichbringen ermächtigt. Darauf regten die Fürsten die Bildung eines Ausschusses an, dem Herzog Ernst, Landgraf Philipp, Sturm, Georg Besserer und Johann von der Wyck angehören sollten127. Andern Tags mußten die Städtevertreter zwei Stunden warten, bis die Beratung mit den Fürsten beginnen konnte. Sie hätten zwar gestern einen Ausschuß vereinbart, sagte Brück zur Entschuldigung, aber da die Gesandten von Bremen und Magdeburg nur gemeinsam handeln dürften, hätten die Fürsten, um die Sache zu befördern, allein eine Notel des Bundes gestellt, die er ihnen jetzt vorlesen und zur Beratung aushändigen wolle. Die Entschuldigung mochte glauben, wer wollte. Sturm, der zusammen mit Philipp nach Schmalkalden gekommen war, wird sich sein Teil gedacht haben. Denn was die Städtischen zu hören bekamen, war nichts anderes als das Burgrecht, das Hessen, Straßburg, Zürich und Basel fünf Wochen vor-

123

Ebd., 159. PC 1,567. Fabian, Beschlüsse, 71 f.

124

PC 1,567. Fabian, Beschlüsse, 71.

125

RTA JR 8,488.

126

Schornbaum, 160 f.

127

Daß dem Ausschuß neben Johann von der Wyck aus Bremen auch ein Magdeburger angehört habe, wie die Ulmer Gesandten berichten (Fabian, Beschlüsse, 74), ist ganz unwahrscheinlich, weil sonst Brücks Entschuldigung überhaupt nicht plausibel wäre (ebd., 74 f.).

166

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

her geschlossen hatten128. Natürlich mit neuem Protokoll und Eschatokoll. Das eine oder andre Wort war umgestellt oder ersetzt worden. Doch gab es auch drei Änderungen, die stärker in den Inhalt eingriffen. Fast möchte man glauben, an jenem langen Morgen sei es dem Landgrafen gelungen, das immer wache Mißtrauen Brücks zu überspielen. Doch da man auch die Schweizer für den neuen Bund gewinnen wollte, mußte es auch dem Altkanzler sinnvoll erscheinen, einen Text zu gebrauchen, den sie selbst mit ausgehandelt hatten. Zudem hatten gerade Zürich und Basel dafür gesorgt, daß das Burgrecht rein defensiv gestaltet war 129 , was dem kursächsischen Interesse entgegenkam, und schließlich bezeugen die wenigen substantiellen Änderungen sehr deutlich, daß Dr. Brück die Leitung der Verhandlungen nicht entglitten war. Die Gesandten der Städte hatten drei Änderungswünsche, die ohne weiteres erfüllt wurden. Deren einer betraf die Herabsetzung der Laufzeit von zehn auf sechs Jahre. Am 28. Dezember war der Vertrag fertig und wurde sofort oder auf eine sechswöchige Erklärungsfrist angenommen130. Das 'christliche Verständnis' eröffnet die Namensnennimg der Vertragschließenden mit der Gottes-Gnaden-Formel. Der Kurfürst, die Fürsten und die Ratskollegien nebst anderen reichsstädtischen Organen verstanden sich also als Obrigkeiten, was sie auch mit ausdrücklichen Worten sagen. Im ganzen Text findet sich kein Wort, das auf die diesbezüglichen Vorbehalte der Spengler, Brenz, Luther und Melanchthon Bezug nähme. Die narratio schließt mit der Darstellung der politischen Lage an. Das geschieht anders als in den vorangegangenen Beratungen mit einer gewissen Abstraktheit. Die 'geschwinden Läufte dieser Zeit' sind es, die der evangelischen Predigt gefährlich werden. "Man" oder "imants" werden die Gegner umschrieben, deren Angriff "mit gewalt oder der tat" zu befürchten ist. Von dem Augsburger Abschied, dem Kaiser und den altkirchlichen Ständen, die gemeint sind, ist im Vertragstext nicht die Rede. Die Amtspflicht einer christlichen Obrigkeit wird so beschrieben, wie es Landgraf Philipp gegenüber Markgraf Georg getan hatte: nicht bloß - wie Brandenburg und Nürnberg — die Verkündigimg von Gottes reinem Wort gewährleisten, sondern auch die Untertanen vor dem erzwungenen Abfall schützen131. Die Erfüllung dieser obrigm Text des Burgrechts in: Amtliche Sammlung, 1514 -1516. Text des Schmalkaldischen Vertrags bei: Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 349 - 353. Lenz, 58 f. 240 f. 429.463 hat die sehr weit gehende Textgleichheit festgestellt. 129

Lenz, 240 f. Hauswirth, 209.

130

Der Bundesgründungsvertrag ist auf den 27.2.1531 datiert. Die Bundesverfassung wurde am 2.7.1533 geschlossen und in den folgenden Jahren mehrmals geändert (Fabian, Entstehung, 1. Aufl., 126). 131

663).

Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 350. Ebs. Brück in den Torgauer Verhandlungen (WA Br 5,

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

167

keitlichen Pflicht ist der eigentliche Beweggrund des Bündnisses. Dem folgt di herkömmliche ideelle Zweckbestimmung, die gewöhnlich aus dem dreigliedrigen Topos 'zu Gottes Lob, dem Reich zu Ehren, Land und Leuten zum Nutzen' bestand und in keiner ständischen Einung fehlte, obwohl sie keinen inhaltlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Bündniszweck besaß132. Hier nun wird ein solcher Zusammenhang durch eine aktualisierende Erweiterung hergestellt: zum Wachsen freier göttlicher Lehre und zur Förderung eines einhelligen christlichen Friedens. Dem Beweggrund entsprechend dient das Verständnis ausschließlich der Gegenwehr. In diesem Zusammenhang nennen die Vertragschließenden die Rechtsquellen, aus denen sie die Berechtigung dazu ableiten: "allain zu gegenwehr und rettungsweise, die aynem yden nicht allayn von menschlichen, sonder auch von geschrieben rechten zugelassen und vergönnt ist".133 Die entsprechende Stelle lautet im Burgrecht: "allein zuo gegenwer und rettungswyse, die einem jeden nit alleinig von mentschlichem oder natürlichem, sonder ouch von keiserlichem rechten zuoglassen und vergunnt ist".134 Diese wiederum hat ihr Vorbild in der schon mehrfach erwähnten kursächsisch-brandenburgischen Instruktion, die dem Landgrafen und den Straßburgern bekannt war: "dieweil dieses verstentnus allain auff rettung und gegenwehre steen soll, die von naturlichem und ksl. rechten meniglieli zugelassen wurdet". 133 Die Instruktion knüpft ihrerseits an die Rodacher Notel an, in der es heißt: "allain gegenwehrs- und rettungsweis, die ainem yden menschen von menschlichem, naturlichen und kaiserlichen rechten on mittel erlaubt ist".136 Die Aussagen über die Rechtsquellen reichen also vom Beginn der Verhandlungen im Juni 1529 bis zum Vertragsschluß im Dezember 1530. Um mit dem Beiläufi132 Zum Vergleich seien genannt: "gotte und unser lieben frowen ze lobe, dem heiigen Romischenricheze sterkung, ze nutz und ze eren, uns selbs und den unsern und gemeinem lande ze fride und ze gemach" (Marbacher Bund 1405. RTA 5, 751); "dem allmechtigen got zu lobe und aus angeborner gute, sunder auch dem heiligen Romischen reiche zu eren und wirden, landu (sie!) und leuten, geistlichem und weltlichem stände zu frid, gemach, nutz und frumen" (Bündnis zwischen Ehz. Albrecht von Österreich und Hz. Ludwig von Bayern-Landshut 1459. Chmel 2, 171. Ebs. 179. 238); "got dem almechtigen zu lobe, dem heyiigen reich zu eren und umb gemeins nutzs, frides und gemachs willen unser land und leute" (Bündnis zwischen Eb. Burkhard von Salzburg, Hz. Ludwig von Bayern-Landshut und Hz. Siegmund von Tirol 1462. FRA 2/44,453. Ebs. 664). Vgl. Angermeier, Königtum, 444. 133

Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 350.

134

Das Zitat nach dem von Stickler edierten Exemplar (Amtliche Sammlung, 1515). Die folgenden Korrekturangaben nach dem ungedruckten hessischen Exemplar, das Fabian benutzt hat. 133 RTA JR 8,273 und 275. Das ksä. Bedenken zur Rodacher Notel, das der Instruktion zugrunde liegt, beruft sich nur auf das Naturrecht: "Nachdem aber diB verstendnuß allain auf gegenwehr und rettung stehen soll, die von naturlichem rechten menigklichem zugelassen wirdet" (ebd., 255). 136

Ebd., 99.

168

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

gen zu beginnen. Der Verfasser des Burgrechts hat im Vergleich zu Vogler, der die Instruktion entworfen hat, die Aussage ganz allgemein intensiviert. Er hat das Prädikat verdoppelt, "meniglich" durch das klangvollere "aynem yden" und das schwachtonige "und" durch die nachdrückliche mehrgliedrige Konjunktion "nicht allayn - sonder auch" ersetzt. Doch hat er auch den Sinn des älteren Textes modifiziert, indem er die "Eindrucksstelle" des Satzes137 dem Dativobjekt "meniglich" entzogen und dem präpositioneilen Objekt "von rechten" gegeben hat. Dementsprechend ist der Nebensinn der Aussage verändert von: 'Die Gegenwehr wird jedermann zugelassen, also auch uns' zu: 'Die Gegenwehr wird von allen Rechten zugelassen, keins ausgenommen'. Der Schmalkaldische Bundesvertrag behält die intensivierende Satzstruktur bei, doch den Inhalt verändert er merklich. Er bezeichnet die Rechtsquellen allgemeiner und weniger bestimmt. Während das hessische Burgrecht noch von "menschlichen ader naturlichen" und von "kayserlichen rechten" spricht und damit die gleiche begriffliche Bestimmtheit beweist wie die kursächsisch-brandenburgische Instruktion und die Rodacher Notel, ist im Bundesvertrag "ader naturlichen" gestrichen und "kayserlichen" durch "geschrieben" ersetzt. Nim ist im geschriebenen Recht das kaiserliche zweifellos mitgemeint138, und die Einbeziehung weiterer geschriebener Rechte mochte zweckmäßig erscheinen, weil das offizielle kursächsische Gutachten zum Widerstandsrecht aus kanonistischen Quellen gearbeitet war. Was aber sind die 'menschlichen Rechte'? Wenn das Gemeinsame der menschlichen und der geschriebenen Rechte darin besteht, daß sie einem jeden die Gegenwehr zulassen, dann müssen die so nachdrücklich verknüpften Adjektivattribute das enthalten, worin sich beide Rechte unterscheiden. 'Menschlich' meint demnach nicht, daß dieses Recht von Menschen gemacht ist — das trifft ja gerade auch für die geschriebenen Rechte zu — , sondern daß es bei allen Menschen als ungeschriebenes Recht gilt. Man kann darunter das ius gentium verstehen, wie es etwa Melanchthon in der ersten Auflage seiner "Loci communes" erklärt 139; aber das von Gott allen Menschen eingeprägte Naturrecht ist es nicht. Bedingt durch Luthers Widerspruch, verzichten die Vertragspartner auf das Naturrecht und damit auf die Einheit der Rechts quellen ihres Bundes und gründen die Gegenwehr ohne Ausnehmung des Kaisers allein auf die geschriebenen und ungeschriebenen weltlichen Rechte. Der dispositio nach zu schließen, rechneten die Verbündeten nicht damit, daß der Bund insgesamt mit Krieg würde überzogen werden. Sie ver137

Drach, 18.

138

z. B. "in naturlichen und beschriebenen rechten" (RTA JR 8, 379), "die ksl. und andere beschrieben recht" (ebd., 544). RWB 2,112 belegt 'beschriebenes' = geschriebenes Recht für das römische und das kanonische Recht, für Lehnrechte, Stadtrechte u. a. 139

CR 21,120. MSA 2/1,45.

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

169

sprechen einander Hilfe, wenn einer der Ihren mit Vergewaltigung oder Fehde bedroht oder angegriffen wird wegen Gottes Wort, der evangelischen Lehre und des Glaubens oder wegen einer damit zusammenhängenden Sache, die anstelle der genannten Gründe vorgeschützt wird. Die Beistandsverpflichtung war allgemein und weit gefaßt, weil man, wie Brück den Städtevertretern erklärte, nicht alle Gefährdungsfälle vorhersehen und aufzählen könne140. Hier nun folgt die zweite wesentliche Änderung an dem übernommenen Vertragstext. Der Bund verspricht dem bedrohten oder angegriffenen Mitglied, anders als es im hessischen Burgrecht geregelt war, keine unverzügliche Waffenhilfe, sondern dasselbe muß sich zunächst auf seine Bundesverwandten zu Recht erbieten 141. Das heißt, der Bund übernimmt es, dem Gegner ein Schiedsgericht anzubieten, dessen Spruch den Benötigten ohne Appellationsmöglichkeit bindet142. Wenn jedoch eine Schlichtung nicht zustande kommt, leisten die Bundesverwandten dem Angegriffenen unverzüglich und mit aller Macht Hilfe und scheiden aus dem Kampf nicht ohne Wissen und Willen der anderen. Mit dieser Regelung war zugleich Vorsorge getroffen, daß die Gesamtheit nicht in einen Konflikt gezogen wurde, den einer der Ihren mutwillig provoziert hatte. Die Schmalkaldischen suchten auf diese Weise den Frieden und nicht zuletzt die bestehenden Besitzverhältnisse zu schützen, als ob es keine höchste Friedensgerichtsbarkeit gegeben hätte. Denn nachdem das Kammergericht den Reichsabschied beschworen hatte, der den Protestierenden den Friedstand verweigerte, sahen sie in jenem nur noch ein Werkzeug ihrer Gegner. Sie setzten mit ihrem Bund die Praxis der großen Fürstenbündnisse des 15. Jahrhunderts fort, die regionale Friedenssicherung und Interessenpolitik zugleich verfolgten, als die Friedenswahrung durch den König im argen lag143. 140

Fabian, Beschlüsse, 75.

141

Burgrecht: daß ein Teil unter uns "befechdet, begwaltiget oder überzogen wurde, daß dann wir alle die andern [...] die sach uns keiner andern gestalt sollen angelegen sin lassen, dann als ob unser jeder selbs angriffen, befechdet, überzogen [...] wäe" (Amtliche Sammlung 1515). - Bundesvertrag: daß ein Teil unter und "befedet, vorgewaltigt und uberczogen wolt werden oder befedet und ubertzogen wurde und derselbig auf uns andere schleunigs, entlichs rechten leiden möcht, das dan wir alle die andern [...] die sach uns kayner andern gestalt sollen anligen lassen, dan als ob unser yder selbs angriffen, bevhedet, ubertzogen [...] were" (Fabian, Entstehung, 2. AuH., 351). 142 Zur Bezogenheit von Schiedsgericht und Fehde im Spätmittelalter Obenaus, 55 - 67. Die Verweigerung des Schiedsgerichts legt den Verdacht mutwilliger Fehde nahe (ebd., 58). 143 Zu diesen Fürstenbündnissen vgl. Angermeier, Königtum, 442 f. - In seiner Kritik des Bundes (DersReichsreform, 276 - 278) urteilt Angermeier, die Schmalkaldischen hätten sich darauf eingestellt, alle politischen Möglichkeiten diesseits der Revolution - Veit über die Reichsverfassung hinaus bis zur Konspiration" - zu nutzen, was er durch den bei der Errichtung des Bundes gefaßten Beschluß, mit mehreren ausländischen Königen in Verbindung zu treten, bestätigt findet. Da jedoch Karl V. am 23.9.1530 vor dem Reichsrat im Beisein der protestierenden Fürsten angekündigt hatte, er werde mit dem Papst und christlichen Königen beraten, wie die neue Sekte ausgerottet und die deutsche Nation zur christlichen Einigkeit zu-

170

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

Wie anders der legale Weg der gehorsamen Stände, die der kaiserlichen Gerichtshoheit und dem Reichskammergericht trauen durften! Der Bedrohte erbot sich seinem Gegner zu Recht144 und zeigte die Bedrohung dem Kammergericht an. Das erließ ein mit der Acht bewehrtes Mandat an den Benötiger, vom Angriff abzustehen, und führte gegen den Ungehorsamen das Achtverfahren durch. Die nächstgesessenen Stände übernahmen die Vollstreckung der Acht und den Schutz des Angegriffenen 145. Der Vertrag enthält keine Ausnehmung des Kaisers, auch nicht in der eingeschränkten Form, welche die kursächsisch-brandenburgische Instruktion vorgeschlagen hatte146, sondern nur eine Nichtangriffsklausel Zwar wird darin der Kaiser ausdrücklich genannt, aber nur noch zusammen mit allen Reichsständen und sonstigen, denen das Bündnis nicht zuwider sein soll. Das lag in der Natur der Sache, und eine substantielle Änderung an der hessischen Vorlage hätte im Widerspruch zu dem erklärten Bündniszweck gestanden147. Auf dem vorjährigen Schmalkaldener Tag hätte die 'Ausnehmung mit einer Beding' nach Art des Vogler'sehen Entwurfs genügt; denn solange die Gefährdimg durch den Kaiser nur im Bereich des Möglichen lag, genügte die Bereitschaft zum Widerstand. Aber nachdem Karl im Verein mit der Ständemehrheit seinen Willen erklärt hatte, war schon das Bündnis an sich Widerstand. Die Frage war nicht mehr Widerstand oder nicht, sondern gewaltfreier oder gewaltsamer Widerstand. Hatte man also die Ausnehmung unterlassen, betonte man doch den rein defensiven Charakter des Bundes, indem man zusätzlich seinen Rechtsgrund und die Pflicht zum Rechtgebot wiederholte: "allayn zu erhaltung cristenlicher warhait und fridens ym hailigen Reich und deutzscher Nation und zu entschuttung unbillichs gewalts für uns und unser undertann und vorwanten rückgeführt werden könne (Bruck, 199. Tetleben, 162), wird man den Schmalkaldener Beschluß kaum anders verstehen als einen Versuch, der ksl. Aktion an Ort und Stelle durch eigne Kontakte zu begegnen. Außerdem übersieht Angermeier, daß die Schmalkaldischen an den Kaiser eine Botschaft richteten,um Verhandlungen über eine Milderung des Reichsabschiedes anzuknüpfen, daß sie Prokuratoren am Kammergericht bestellten, um sich mit prozessualen Mitteln zu wehren, und daß jedes bedrohte oder angegriffene Bundesmitglied zum Rechtgebot verpflichtet war, bevor es die militärische Hilfe des Bundes erwarten konnte. Das waren Vorkehrungen, welche die Schwelle zum bewaffneten Widerstand so hoch wie möglich ansetzten. Sie scheinen mir eher Rankes 3,145 f. Urteil zu belegen, der Bund habe auf "Realpolitik" verzichtet, als die These Angermeiers, daß darin primär fürstliche Libertätspolitik zum Ausdruck komme und durch das religiöse Engagement nur verstärkt worden sei. 144 Der Entwurf des Friedensartikels vom 22.10.1530 machte ein Rechtgebot noch nicht erforderlich (Förstemann 2,753). 145

§§66.67 RA 1530.

146

RTA JR 8,297 f.

147

Schon der Burgrechtsentwurf, den Philipp wohl am 4.10.1529 Zwingli in Marburg vorlegte, enthielt eine Nichtangriffsklausel: es solle solcher "christlicher verstand keiserlicher Majestät oder keim stand des helgen Ryche zuowider" sein (Hauswirth, 113).

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

171

allayn yn gegenwehr und rettungsweise furgenommen, da unser yder, wie oben berurt, recht geben und nemen mag".148 So wie die beschränkte Ausnehmung keine Erfindung der Protestierenden war, so waren das Ausweichen in die Nichtangriffsklausel oder die Unterlassung der Ausnehmung nicht nur bei ihnen gebräuchlich. Reichsfürsten, die ohne Anfechtung zur alten Kirche standen oder sogar als deren Stütze gelten konnten, bedienten sich der Klausel ebenfalls. Heinrich von Braunschweig versprach in seinem—nicht wirksam gewordenen — Vertrag mit Philipp von Hessen (3. April 1530) dem Dänenkönig sowie dem zu restituierenden Herzog Ulrich Hilfe gegen einen Angriff, "doch in alweg hierine kay.e Mt. ausgenomen". Dagegen war das Beistandsversprechen für Philipp mit dem schwächeren Vorbehalt versehen: "in alweg kay.r Mt. nicht zuwiddera". Beide Fürsten vereinbarten in diesem Vertrag wohlgemerkt nicht nur die gewaltsame Rückführung des Württembergers, sondern auch die Eroberung Goslars 149. Die Nichtangriffsklausel sollte demnach nicht gelten, wenn der Kaiser den Hessen angriff, um die Reichsstadt zu schützen! Die Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern, die ebenso wie die Schmalkaldischen Bundesfürsten König Ferdinand die Anerkennung verweigerten, schlossen mit ihnen ein Verteidigungsbündnis, den Saalfelder Bund (24. Oktober 1531), gegen alle Angriffe und sonstige Gewalt, die "von jemants, wer der were", ausgehen mochten. Und das taten sie in der herkömmlichen Weise im Bewußtsein ihrer Pflichten gegen die kaiserliche Majestät, die also nicht mit dem derzeitigen Träger identisch war, und das Heilige Römische Reich und in Wahrnehmung ihrer aus der Goldenen Bulle hergebrachten Freiheiten 150. Eine förmliche Verpflichtung auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, die Kursachsen auf dem ersten Schmalkaldener Tag zur unerläßlichen Bedingung gemacht hatte, war nicht vorgesehen. Die Straßburger Gesandten auf dem Reichstag hatten an jenem ereignisschweren 13. Oktober Albrecht von Mansfeld versichert, man stimme nun auch im Sakramentsartikel überein, und dabei auf Bucers Besuch bei Luther hingewiesen151. Das genügte fortan auch dem Kurfürsten, die oberdeutschen Städte wieder als bündnisfähig anzuerkennen. Im ganzen Vertrag findet sich kein Wort von "den artikeln unsers hailigen glaubens", die im Abschied des Vorjahres wiederholt

148 Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 352-Die Formel 'Recht geben und nehmen' besagt: alles tun und vom Gegner Getane anerkennen, was nach den Regeln eines rechtlichen Verfahrens erforderlich ist (Gudian in ZRG GA 94, 342 f. in seiner Rezension von Krause, Anschauungen). 149

Grundmann = SVRG176,84. Zur Planung des Projekts ebd., 14 - 20.

150

Stumpf, 18 f.

151

Förstemann 2,726-729. Winckelmann, 31 f.

172

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

genannt werden 152; und das Störmanöver, das der brandenburgische Kanzler noch in letzter Minute unternahm, wurde mit gelassener Beiläufigkeit abgewiesen153. Dennoch stand keineswegs das Bündnis allen reformatorischen Bekenntnissen offen. Das verrät die dritte Änderung von Belang, welche die Vertragschließenden an ihrer Vorlage vorzunehmen für nötig erachteten. Die Burgrechtsverwandten versprachen einander zu helfen, wenn einer angegriffen wurde um "sins gloubens willen, wie denselben ein jeder uß uns in siner oberkeit für christlich und recht haltet und predigen laßt". Die Formel erfaßte die zwinglische Lehre, der Zürich und Basel anhingen, ebenso wie die Tetrapolitana Straßburgs und die Augustana, die Philipp von Hessen trotz persönlicher Vorbehalte unterschrieben hatte. Die Schmalkaldischen nun strichen diese Worte und setzten dafür "umb [...] unsers hailigen glaubend ein — Possessivpronomen der ersten Person Pluralis: das meinte die Bekenntnisse der in Schmalkalden vertretenen Stände 154. Die reformierten Schweizer Städte wurden durch Straßburger Vermittlung aufgefordert, sich dem Vier-Städte-Bekenntnis anzuschließen und dem Bündnis beizutreten. Zwingli lehnte jedoch die Beitrittsbedingung unverzüglich ab155, und die lutherische Führungsmacht zeigte sich auf dem Frankfurter Bundestag nicht bereit zu einer Bündnispolitik ohne Bekenntnisbindung, die schließlich nur den ohnehin starken zwinglischen Kräften der oberdeutschen Reformation Vorschub geleistet hätte156. Die Bereitschaft zum gewaltsamen Widerstand und die Fähigkeit, sie glaubhaft darzustellen, brachten es dahin, daß die Protestierenden nicht wie ihnen zugedacht zu Gefangenen des Landfriedens wurden. So konnten sie mit größerer Aussicht auf Erfolg die prozessualen und politischen Mittel nutzen, die diesseits der Gewaltschwelle zur Verfügung standen. Auch das wurde noch in Schmalkalden vorbereitet. Im Auftrag der Versammelten erstellte der hessische Kanzler Johann Feige einen Ratschlag, wie man sich bei fiskalischen Klagen aus dem Augsburger Reichsabschied verhalten sollte 157 . Während die altgläubige Mehrheit der Meinung war, in den Artikeln 38 - 64 Abweichungen von der kirchlichen Lehre und Sitte oder Landfriedens- und Eigentumsdelikte behandelt zu haben, die sowieso oder auch vor die weltlichen Gerichte gehörten, erklärte der Gutachter ihren Inhalt zu 152

RTA JR 8,432 - 434.

153

PC 1,569. Köhler, 2,251.

154

Amtliche Sammlung, 1515. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 351 - Lenz, 429 f.

155

Hauswirth, 232 - 236.

156

Auf den Zusammenhang zwischen Bündnispolitik und lutherisch-zwinglischer Rivalität in den oberdeutschen Städten hat Lenz, 437 f. aufmerksam gemacht. 157 Text des Gutachtens bei Fabian, Urkunden, 18 - 24. Text des Beschlusses im Bundesabschied vom 4.4.1531 bei Winckelmann, 292 f. (Beilage 3).

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

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Glaubenssachen, die der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen seien. Glaubenssachen sind namentlich die Abschaffung der altkirchlichen Bräuche, die Einführung der evangelischen Lehre, die Aufhebung der bischöflichen Jurisdiktion, aber auch die Einziehung erledigter Klöster samt deren Einkünften, da sie den Glauben "principaUter" angehe158. Für den Fall, daß der kaiserliche Fiskal gegen einen oder mehrere tätig würde, um die Befolgung des Abschieds zu erzwingen, schließen sich die Verbündeten zu einer Streitgenossenschaft 159 zusammen und bestellen zwei Prokuratoren als gemeinsame bevollmächtigte Prozeßvertreter am Reichskammergericht. Diese werden dem Gericht die Zuständigkeit in Glaubenssachen bestreiten und erklären, daß ihre Mandanten nicht verpflichtet seien, diesbezüglich Ladungen zu folgen, Einlassungen vorzubringen und Anordnungen zu gehorchen160. Zur Begründung sollen sie die folgenden Einreden vortragen: 1. Das Kammergericht ist für Glaubenssachen nicht zuständig, weil es ein weltliches Gericht ist. 2. Die Gerichtsbarkeit in Glaubenssachen hegt bei dem freien, christlichen Konzil, bei welchem die Appellation der protestierenden Stände vom Speyrer und Augsburger Abschied anhängig ist 161 . Das Gericht wird gebeten, Glaubenssachen an das Konzil zu weisen. 3. ist zu erwägen, ob das Kammergericht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden soll, weil Richter und Beisitzer auf den Augsburger Abschied vereidigt sind. "Uff dise obgemelten exception, sonderlich den ersten baiden, soll man hart steen und sich darvon nit tringen lassen."162 Mit einem Wort, die Prokuratoren hatten die Aufgabe, drohende Religionsprozesse mit prozeßrechtlichen Mitteln zu verhindern. Doch wenn das Kammergericht die Einreden abweist und das Verfahren fortsetzt, werden die Prokuratoren von dieser Entscheidung appellieren, und damit ist ihre Arbeit getan. Die beschwerten Fürsten oder Städte halten sich dann an ihr in Schmalkalden geschlossenes 'christliches Verständnis', was bedeutete: Das Reichskammergericht mochte Erzwingungsstrafen verhängen oder die Religionsprozesse als Kontumazialverfahren durchführen, aber der Versuch der Urteilsvollstreckung

158

Fabian, Urkunden, 19.21. Zum Begriff der Glaubenssache s. a. Dommasch, 17 - 24.

159

Feige gebraucht nach der rubrica C. 3, 40 den lat. Ausdruck "eiusdem litis consortes" (Fabian, Urkunden, 18). - Der Streitgenossenschaft schlossen sich alle in Schmalkalden vertretenen Stände an, auch diejenigen, die wie Brandenburg und Nürnberg den Beitritt zum Bündnis verweigerten. Sie sollten rechtliche Hilfe, aber keinen militärischen Beistand erhalten. 160 Die im Gutachten genannte protestatio de non consentiendo soll von vornherein jede Mißdeutung ausschließen, als ob die Beklagten in ein Verfahren vor einem nicht zuständigen Gericht einwilligten und dadurch eine ausnahmsweise Zuständigkeit herbeiführten. 161 Feige nimmt hier die zweite Appellation als bereits geschehen vorweg. Tatsächlich erfolgte sie jedoch ziemlich spät und wurde dem Reichskammergericht erst zwischen dem 27.12.1531 und 8.4.1532 eingereicht (Fabian, Urkunden, 20,12). 162

Ebd., 21.

174

V. Zwischen Friedstand und Widerstand

würde einen Krieg entfachen 163. Wir kennen die ersten beiden Einreden aus der legistischen und kanonistischen Widerstandslehre und wissen, daß die rechtswidrige Zurückweisung der Appellation, ein Verfahren also 'extraiudicialiter 1 oder 'pendente appellatione', den Beschwerten zum Widerstand mit der Tat berechtigte 164. Das eigentlich politische Mittel bestand in dem Versuch, mit dem Kaiser wiederanzuknüpfen. Trotz der eindrucksvollen Stärke des Bundes hörten die Schmalkaldischen unter kursächsischer Führung nicht auf, einen friedlichen Anstand und rechtliche Sicherstellung vor fiskalischen Klagen zu suchen. Das geschah in der herabgestuften Form einer schriftlichen Botschaft 165, nicht, wie ursprünglich erwogen, durch Gesandte. Da die Hoffnung auf ein baldiges Konzil getrogen hatte und der Sultan zu einem neuen Vorstoß rüstete, sah sich der Kaiser nur zu bald genötigt, auf das Anerbieten einzugehen166. Die Kurfürsten von Mainz und von der Pfalz übernahmen das mühselige Geschäft des Vermittelns. Sie knüpften an die Intentionen des gescheiterten September-Abschieds an und schlugen vor, die Glaubensverhandlungen da wiederaufzunehmen, wo man sie letztes Jahr abgebrochen hatte. Die Protestierenden, die ihre Theologen gar nicht mitgebracht hatten, lehnten Glaubensverhandlungen überhaupt ab. Die Augsburger Erfahrungen hätten bewiesen, daß nur ein freies, christliches Konzil imstande sei, den Glaubensstreit zu entscheiden. Ziel der Vermittlung könne nur ein allgemeiner, beständiger Frieden sein167. Im Fortgang der Vermittlung unterbreiteten die Kurfürsten einen Entwurf, der den Friedstandsbedingungen des September-Abschieds sehr ähnlich war und mithin wie diese den Stillstand der Reformation bezweckte168. Über diesen Entwurf und seine Abänderungen wurde lange Zeit verhandelt, zuerst durch die Kanzler Dr. Türk und Dr. Brück, dann in Anwesenheit der Kurfürsten Albrecht und Ludwig und des Kurprinzen Johann Friedrich zu Schweinfurt und Nürnberg, während im nahen Regensburg Kaiser und Stände zum Reichstag versammelt waren. Die Protestierenden antworteten mit hohen Gegenforderungen, verlangten die Einbeziehung derjenigen Fürsten und Städte in den Frieden, die in Zukunft evangelisch werden würden, und ein Konzil nach ihrem Verständnis, nämlich eine nicht vom Papst zu berufende Theologenversammlung, die allein nach Gottes Wort ohne Rückgriff auf frühere Konzilsent163

Zum Verfahren der Religionsprozesse am Reichskammergericht Dommasch, 24 - 28.

164

Vgl. IV. 2. V. 2.

165

Fabian, Urkunden, 24 - 28.

166

Das Folgende nach Winckelmann, 139 - 255. Luttenberger, 164 -184.

w

Winckelmann, 142 f.

168

Text ebd., 297 f. (Beilage 5). 175 -178.

6. Die Errichtung des Schmalkaldischen Bundes (22. - 28.12.)

175

Scheidungen urteilen würde. Das hieß: weder Friedstand noch Konzil durften die Existenz und Ausbreitung der evangeüschen Lehre beeinträchtigen1^. Da man nicht abermals in Zwietracht auseinandergehen wollte, verzichtete man auf jede Vereinbarung in der Sache und schloß einen Friedstand auf der Grundlage des status quo. In der Hauptsache hatten die Protestierenden erreicht, was sie seit September 1530 wollten; jetzt lösten sie ihr Versprechen ein und leisteten die Türkenhilfe. Die Spannung freilich blieb. Der Reichsabschied vom 27. Juli 1532 behielt die Entscheidimg über die Neuerungen einem künftigen Konzil vor. Er bekräftigte den ernstlichen Abschied von Augsburg nicht und erneuerte auch nicht die Verpflichtung des Kammergerichts auf jenen Abschied170. Der Friedstand wurde am 3. August außerhalb des Reichsabschiedes durch kaiserliches Mandat verkündet. Er verbot allen Kurfürsten, Fürsten und Ständen, in Glaubenssachen Gewalt zu gebrauchen. Befristet war er bis zum Konzil oder, wenn sich dessen Berufung verzögerte, bis zur nächsten Reichsversammlung. Der Kaiser selbst trat dem Anstand nicht bei. Außerhalb des Friedensmandates und nur in der Form einer schriftlichen Zusicherung an die kurfürstlichen Vermittler gewährte der Kaiser den Beklagten in anhängigen und künftigen Religionsprozessen den Anspruch, bei ihm oder seinem Stellvertreter die Einstellung des Verfahrens zu beantragen171. Das war alles andere als eine verläßliche rechtliche Sicherstellung, und tatsächlich gingen die Religionsprozesse unverändert weiter. In diesem "rechtlichen Krieg", der sich über Jahre hinzog, wurden nicht Reisige und Geschütz ins Feld geführt; der Schmalkaldische Bund, der unter so schweren Skrupeln und Widerständen geschlossen worden war, hatte in erster Linie Rechtsschutz zu leisten172.

Besonders Art. 3 und 4 der Erklärung der evangelischen Stände vom 23.4.1532 (ebd., 305 - 308. Beilage 7). Über die erreichte Annäherung und die fortbestehenden Hindernisse ebd., 207 - 209. Luttenberger, 175 f. 178 f. Aulinger, 197 - 204. 170

Winckelmann, 253.

171

Text bei Fabian, Urkunden, 76 - 79.80 f. Winckelmann, 249. 251 f. Smend, 146 f. Luttenberger, 180 -184. Wegen der Religionsprozesse hatte der Kaiser schon am 8.7.1531 den Fiskal angewiesen, auf Grund des Augsburger Abschieds eingeleitete Verfahren bis zum nächsten Reichstag auszusetzen (Text bei Fabian, Urkunden, 37. Winckelmann, 127). Nicht davon berührt waren diejenigen Prozesse, an welchen der Fiskal unbeteiligt war (Smend, 146). 172

von Ranke 3,222 f. 228.230. Smend, 144. Ausführlich Schlüter-Schindler,

283.

Schluß: Zum politischen Selbstverständnis Johanns von Sachsen, des ersten evangelischen Kurfürsten Vom sächsischen Kurfürsten existiert aus den Konfliktsjahren 1529/1530 kein zusammenhängendes, persönliches Zeugnis, wie er sich als Landesherr und Reichsfürst selbst verstand. Doch wird seiner Meinung entsprochen haben, was diesbezüglich seine Räte für ihn oder in seinem Namen konzipierten, so daß wir abschließend eine Darstellung seines Selbstverständnisses wagen dürfen. Drei Pflichten sind es, zu denen sich Kurfürst Johann mehrfach bekennt: gegenüber Gott, dem Kaiser und seinen Untertanen. Als Landesherr schuldet er seinen Untertanen Schutz und Schirm gegen unrechte Gewalt1. Dazu gehören auch die Gewährleistung und Erhaltung der evangelischen Predigt und des rechten Glaubens. Diese Herrenpflicht gilt vor Gott und duldet keine Ausnahme2. Schutz gewähren ist die herrschaftliche Gegenleistung für die Abgaben und Dienste, zu denen die Untertanen ihrem Herrn verpflichtet sind3. Als Reichsfürst erkennt Kurfürst Johann im Kaiser seinen Oberherrn an. Trotzdem ist seine Herrschaft ebenso unmittelbar von Gott wie die des Kaisers. Hinsichtlich ihrer Legitimation ist sie also der kaiserlichen gleich4. Daß die kaiserliche die landesherrliche Obrigkeit und damit die Pflicht zu Schutz und Schirm aufheben könne, hat Johann unter dem Einfluß Luthers wahrscheinlich zeitweilig geglaubt; zur festen Überzeugung ist es ihm nicht geworden. Das Verhältnis von Kaiser und Kurfürst wird durch 'Gnade' und 'Gehorsam' bestimmt. Diese Gnade zu erlangen, bedarf es keiner besonderen Anstrengimg; sie ist vielmehr das normale Verhalten der kaiserlichen Majestät gegenüber dem gehorsamen Reichsstand5. Um so schwerer wog ihr Verlust, der den Kurfürsten traf, als er am 23. September den Religionsabschied verwarf: er hatte jetzt die Acht und Achtvollstreckung zu gewärtigen. Trotzdem nennen die Schmalkaldi1 RTA JR 8, 99. 298 Z. 24. 366 Z. 21. WA Br 5, 663. Fabian, Beschlüsse, 71 f. Oers., Entstehung, 2. Aufl., 352. 2 RTA JR 8, 275 Z. 5. 277 Z. 7. 550 Z. 6. 17. WA Br 5, 224. 663. Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 350 f. Vgl. Brunner, 358 - 367. 3

RTA JR 8,366. WA Br 5,663. Vgl. Brunner, 263,2.

4

RTA JR 8,550.

5

Der Kaiser konnte sich aber auch einem Reichsstand Vor andern gnädig erweisen" (Kühn, Geschichte, 126, 1). Dann hatte dieser eine besondere Leistung erbracht, oder sie wurde von ihm erwartet.

Schluß: Zum politischen Selbstverständnis Johanns von Sachsen

177

sehen Bundesverwandten Karl noch immer ihren "allgnedigsten herrn", gegen den ihre Einung nicht gerichtet sei6, und geben damit zu verstehen, daß es jedenfalls nicht an ihnen läge, falls der normale Zustand in den äußersten Ernst umschlüge. Dagegen findet sich in den kursächsischen Akten dieser Zeit nicht der Ausdruck 'natürlicher Oberherr 1, der eine Eigenschaft von rechtlicher Tragweite beinhaltet, die der Kaiser beansprucht7 und die ihm Männer wie Spengler oder Brenz, der Nördlinger Rat oder nürnbergische Gesandte ohne weiteres zuerkennen8: Der Gehorsam, in welchem sich der sächsische Kurfürst "underthenigklich halten und ertzaigen" will 9 , ist nicht natürliche Pflicht, sondern freiwillig geschworen; und das Wort vom "schuldigen gehorsam"10 ist nicht explikativ, sondern limitativ gemeint: als Gehorsam, soweit er geschuldet wird. Er kann unter Umständen sehr viel verlangen, den Einsatz von Leben und Gut; aber bezeichnenderweise erbietet sich Kurfürst Johann immer dann dazu, wenn er in anderen Dingen den Gehorsam versagt11. In der Hauptsache kommt es wohl darauf an, daß beide Teile "nichts furnemen oder handeln wollen noch sollen", was dem andern wider Recht und Billigkeit zum Schaden gereichen würde 12. Die Sprache der Zeit nannte es Gnade und Gehorsam, gemeint war die alte lehnrecht6

Fabian, Entstehung, 2. Aufl., 352.

7

RTA JR 8,160.593.596. Föistemann 2,10.

8

RTA JR 8, 342. 479. 493. 454. 605. Im Gegensatz hierzu vereinbaren die oberdeutschen Städte auf dem Memminger Tag, "ksl. Mt. nit naturlichen hern bekenen" (ebd., 220). Auch die Kurfürsten und Fürsten des Speyrer Deputationstages nennen den Kaiser ihren 'rechten', nicht ihren 'natürlichen' Herrn (ebd., 1040). Zum Vergleich Beispiele aus den Jahren 1459 bis 1463: 'Natürlicher Herr', 'dominus naturalis' wird der Kaiser im Verhältnis zu den Reichsstädten genannt, u. z. von diesen selbst (FRA 2/44,104.157), von den Fürsten (ebd., 232), dem Kaiser (ebd., 117 f.) und dem Papst (ebd., 478). Im Verhältnis zu den Reichsfürsten wird der Ausdruck nur vereinzelt gebraucht, so ausgerechnet von Hz. Ludwig dem Reichen von BayernLandshut: "so ist unser egenanter gnadigster herre, der Romisch kayser, euer und unser naturlicher herre und ordenlicher richter" (ebd., 36. S. a. Ernst Schubert, 291). Im allgemeinen ist der Kaiser der 'rechte Herr' der Fürsten (deutlich unterschieden FRA 2/44, 157. 232). Wenn sich Friedrich III. in einem Aufruf an alle Getreuen und Untertanen des Reiches als deren "rechten, obersten, naturlichen herrn" bezeichnet (ebd., 362), ist das letzte Attribut vielleicht nur auf die Untertanen bezogen. 9

RTA JR 8,298.

10

Ebd., 255.276.298. Brück, 195.

11

So im Entwurf einer Instruktion an den Kaiser, Januar 1530: "Dann ob wir wol irer ksl. Mt. und dem heyligen reich als gehorsame glieder desselben mit pflichten ane mittel vorstrickt und darumb schuldig, jha gantz gneigt und willig weren, irer ksl. Mt. als unserm rechten hern mit unsern personen, landen, leuthen und vermugen pilliche gehorsam und untherdenigkeit zu laisten, so sein doch unsere seelen und gewissen, wie irer ksl. Mt. selbs unvorborgen, aus aller menschen handen genomen und unther des geboth, herschung und gewaldt allain gesteh, der sie mit seinem blut erkaufft und gefreihet hat und zu des gehorsam, bevelich und regirung wir uns in der tauff bekenth und vorpflicht hetten" (RTA JR 8, 545). Ebs. ebd., 298. Brück, 195. Fabian, Beschlüsse, 71 f. 12

RTA JR 8, 298.

Schluß: Zum politischen Selbstverständnis Johanns von Sachsen

liehe Treue auf Gegenseitigkeit13. Der Kaiser bricht die Treue, wenn er über die Hoheit seines Amtes hinaus Sachen des Glaubens und der Religion, in denen der Kurfürst Christus allein gehuldigt hat, an sich zieht14, wenn er ohne Rücksicht auf das Recht und die Wahlkapitulation das rechtliche Erbieten des Kurfürsten und die Konzilsappellation der protestierenden Stände übergeht13. Greift er dann Land und Leute an, so wird er dem Kurfürsten "vheindt"16, gerade so, als ob ihm irgendein anderer von Adel mutwillige Fehde ansagt; denn die kaiserliche Autorität kann nicht dazu herhalten, dem Angegriffenen den natürlichen Schutz zu entziehen17. Diese Gedanken waren situationsbedingt radikal, gleichwohl defensiv und keineswegs neu, nicht Ausdruck eines gesteigerten Partikularismus, der Antrieb und Stoßrichtung aus der Glaubensspaltung empfing. In seiner "Geschichte der Handlungen des heiligen Glaubens auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1530" berichtet Gregor Brück, man habe damals im September kaiserlicherseits vorgehabt, die Tore der Stadt-unter einem lächerlichen Vorwand - zu schließen, um Kurfürst Johann, der abreisen wollte, am Reichstag festzuhalten. Die Affäre veranlaßte den Altkanzler zu Betrachtungen über den Zustand der Reichsverfassimg, wobei er sich fragt, was wohl die alten deutschen Fürsten gesagt hätten, wenn sie aus ihren Gräbern auferstanden und dabeigewesen wären18. Über die Jahrhunderte hin bis in die Gegenwart hat das "Reich deuzscher Nacion" das "Romisch Reich" erhalten und allzeit seine und seiner Kurfürsten, Fürsten und Stände "freihalten und Übertäten" bewahrt. Brück ist darauf stolz. Doch er sagt das nicht etwa, damit man dem Kaiser den Gehorsam entziehe. Er weiß: ein römischer Kaiser und König steht "über alle Recht" und regiert "aus volkomenem gewalt"19, aber er hat seinerseits dem Reich die Treue geschworen und ist "solche pacten und gedinge zu halten auch und zum höchsten schuldig".20 Es hat auch früher "gewaltige" Kaiser und Könige gegeben, 13 Die hier auf Grund weniger ksä. Schriftstücke getroffenen Feststellungen decken sich mit den Ergebnissen, die Ernst Schubert, 298 - 301 und 303 - 305 für das Spätmittelalter auf viel breiterer Quellengrundlage gewonnen hat. 14

RTA JR 8,298. Fabian, Beschlüsse, 71 f.

15

WA Br 5,224.

16

RTA JR 8,366.550.

17

Ebd.,255.275.

18

175 f.

19

Die Formel 'prineeps legibus absolutus' bedeutet im ma. Verständnis die Befugnis des Herrschers, Recht zu setzen, aufzuheben und zu ändern, nicht etwa absolutistische Machtvollkommenheit (Krause, Kaiserrecht, 53 - 55). 20

Daß dies kein Widerspruch ist, hat Ernst Schubert, 115 -117.122 -125. 133 f. 298 - 304

Schluß: Zum politischen Selbstverständnis Johanns von Sachsen

179

die dem Reich und seinen Gliedern nach der Freiheit trachteten. "Do seint wir", läßt Brück seine ins Leben zurückgekehrten Fürsten sprechen, "gleichwol beisammen plieben, damit der Bock nit zu weit wider uns und unsere nachkomen in garten schritte und, was einem widerfure, das es uns andern und unsern nachkomen hernach auch belegenen mocht." Der sächsische Kurfürst brauchte die fürstliche Solidarität nicht so ganz und gar zu entbehren, wie hier sein Altkanzler glauben machen will, und umgekehrt war in ihm und seinen Ratgebern so viel Reichsbewußtsein lebendig, daß sie den schweren Konflikt, denkend und handelnd, ohne Überreaktionen durchzustehen vermochten21. Was sie aus ihrem Denken ausschlossen, ist dabei ebenso bemerkenswert wie ihre Gedanken selbst. Der Kaiser wurde nicht zum Tyrannen hochstilisiert. Die antike und mittelalterliche Tyrannenlehre blieb aus dem Spiel, was im Vergleich zu Luthers Vorstellung vom Antichrist auf dem Papstthron um so mehr Beachtung verdient. Es gab auch kein Widerstandsrecht des Volkes, abgeleitet aus der Theorie der Volkssouveränität. Die Kursächsischen begriffen ihren Widerstand, wenn er denn sein mußte, nicht revolutionär; sondern rechtlich 71. Sie folgten dem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht des Hochadels, sich und die Seinen gegen unrechte Gewalt zu schützen, und beriefen sich dafür — wie vor ihnen andere in ähnlicher Lage — auf Gott und das Naturrecht 23. Aber bei dem heftigen Widerspruch der maßgebenden Theologen konnte schließlich das Recht in der Fülle seiner Erscheinungsformen nicht länger zur Rechtfertigung des W derstands gegen den Kaiser dienen. Da mußte man sich mit der Widerstandslehre der Legisten und Kanonisten begnügen, die eigentlich nur als Rechtsbehelf bis zur Streitentscheidung durch den höheren Richter gedacht war. In der Sache selbst blieb der Kurfürst letzten Endes fest: Schutz und Widerstand, nicht leidensbereiter Ungehorsam.

dargelegt. - Zur Stellung der Reichsfürsten als "Teilhaber am Reiche" Theodor Mayer, 309. Krieger, 158. 21 Christensen, 419 - 430 stellt die Frage, ob der Kurfürst ein Opportunist (wegen seiner schwankenden Politik gegenüber den oberdeutschen Städten) oder ein religiöser Idealist gewesen sei, und er glaubt die Antwort in der Mitte zu finden: Johann habe, um das politische Überleben des Luthertums zu gewährleisten, aber nie für weltlichen Gewinn (Belehnung) opportunistische "Realpolitik" getrieben. Die dieser Wertung zugrunde liegende Beweisführung ist insofern einseitig, als sie unausgesprochen eine Verpflichtung des Kurfürsten nur gegenüber dem deutschen, ja europäischen Protestantismus voraussetzt - einer Größe, die wegen der strittigen Abendmahlslehre für ihn nicht existierte - und seine bestehende, tief empfundene Verpflichtung gegenüber Kaiser und Reich außer acht läßt. Bezeichnenderweise wird das Problem des Widerstandsrechtes gar nicht erwähnt. 22

Vgl. Kern, Recht und Verfassung, 88 f.

23

RTA JR 8,255.275. Vgl. Brunner, 48.

Exkurs 1: Läßt sich Melanchthons Gutachten zur Widerstandsfrage überzeugend datieren? Luther hatte zusammen mit Jonas, Bugenhagen und Melanchthon durch das kurfürstliche Schreiben vom 27. Januar 1530 den Auftrag erhalten, die Widerstandsfrage nach göttlichem und natürlichem Recht ("des göttlich, christlich, billig und recht ist") zu begutachten, zuständigkeitshalber, könnte man sagen. Die Beschreibung der rechtlichen Situation ließ die Ansicht durchblicken, daß der Kurfürst nach den weltlichen Rechten zum Widerstand gegen den Kaiser berechtigt sei (WA Br 5, 223 - 225), und Melanchthon rechnete damit, daß die "iurisconsulti" in diesem Sinne gutachten würden. In einem Brief an Hieronymus Baumgartner (CR 1, Nr. 626, mit falscher Datierung. MBW 1, Nr. 870) nannte er eins ihrer Argumente: erlaubte Gegenwehr bei Rechtsverweigerung, das, mochte er es auch abqualifizieren, von alters her Bedeutung hatte und in den Monaten nach dem Bekanntwerden des kaiserlichen Mandats aus Barcelona und vor dem Eingang des kaiserlichen Reichstagsausschreibens ganz besonders haben mußte. Es lag daher nahe, die gestellte Aufgabe ohne Auftrag zu erweitern und das Hauptgutachten durch ein Seitengutachten zu befestigen, in welchem bewiesen wurde, daß auch die weltlichen Rechte den Widerstand verbieten oder daß das göttliche Recht etwaigen freistellenden Normen des weltlichen Rechts derogiere. Diese Überlegung spricht für die gleichzeitige Entstehung beider Consilia. Doch Melanchthons Briefe an Baumgartner von Ende Februar/Anfang März 1530 und an Joachim Camerarius, wahrscheinlich nach dem 14. März geschrieben, die für diese Datierung herangezogen werden (CR 1, Nr. 626 und 2, Nr. 667. MBW 1, Nr. 870 und 873. Wolgast, 164, 45), beweisen nicht, daß er in dieser Zeit ein Sondergutachten zur Widerstandsfrage ausarbeitete und Lazarus Spengler zuschickte. Wenn Melanchthon bei den Prädikaten und Possessivpronomina zwischen der 1. Person Singular und der 1. Person Plural unterscheidet, will er damit verschiedene Personen bezeichnen: einmal sich selbst, das andere Mal eine Mehrzahl von Personen unter Einschluß seiner eigenen. Es ist nicht anzunehmen, daß er in ein und demselben Text von sich bald im Singular und bald im pluralis modestiae spricht oder mit dem Plural einmal sich selbst und dann wieder eine Personenmehrheit bezeichnet. Die Briefe bedürfen solcher Behelfe nicht, um verständlich zu werden. Ihr Inhalt, soweit er in diesem Zusammenhang interessiert, ist der folgende: Nach Lazarus Spengler hat auch Kurfürst Johann wegen des Widerstandsrechtes um Rat gefragt. Die Beratung liegt jetzt bei den damit beauftragten Theologen, nämlich Luther zusammen mit Jonas, Bugenhagen und Melanchthon ("in manibus nostris"). Alles, was für den Kurfürsten geschrieben werden wird, wird Melanchthon seinen Nürnberger Freunden schicken, d. h. Baumgartner und Camerarius als den Adressaten des ersten bzw. zweiten Briefs sowie Spengler, der hier als Empfänger einer dritten Sendung genannt wird ("mittam vobis"). Schon jetzt teilt er Baumgartner das mutmaßliche ("ut arbitror") Beratungsergebnis mit. Die "iurisconsulti" könnten sich irgendwas ausdenken und Rechtsverweigerung als Rechtfertigungsgrund der Gegenwehr anführen; aber sie, die Theologen, werden dieses Argument nicht gebrauchen ("nos non utemur"). Aus dem zweiten Brief ergibt sich, daß Melanchthon sein Versprechen gehalten hat. Spengler wurde die Nachricht geschickt, daß sie, die Theologen, Widerstand gegen den Kaiser ablehnen ("nostrani sententiam") und wie sie dem Kurfürsten geantwortet haben ( " ά π ε κ ρ ι ν ά μ ε ϋα ). Luthers Schriftsatz in dieser Sache durfte nicht geschickt werden. Aber Melanchthon wird ihn vorzeigen ("ostendam"), wenn sie, der Kurfürst mit seinem Gefolge, auf dem Weg zum Reichstag in Nürnberg Station machen ("cum istuc venerimus"). Entgegengesetzt werden also nicht Melanchthons Sondergutachten und Luthers Ratschlag ( Wolgast , 164, 45. MBW 1, Nr. 873), auch nicht Abschrift und Original des Luther-Gutachtens (Gemen in WA Br 5, 250), sondern Inhalt und

Exkurs 1: Läßt sich Melanchthons Gutachten überzeugend datieren?

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Wortlaut desselben, die von allen vier Theologen getragene Meinung ('sententia'!) und der von Luther geschriebene Text ( Wolgast bedenkt diese Möglichkeit, verwirft sie dann aber doch). Von Melanchthons Sondergutachten ist in beiden Briefen gar nicht die Rede. Setzt man die Entstehung beider Consilia in der gleichen Zeit an, wofür es wie gesagt einen gewichtigen Grund gibt, dann wirkt freilich der Expediat-Absatz bei Melanchthon, ein Zehntel des Gutachtens, höchst überflüssig. Diese politischen Befürchtungen standen ja alle schon bei Luther und hatten obendrein mit Rechtsberatung nichts zu tun. Die Wiederholung gewänne aber dann einen Sinn, wenn der Verfasser sie eine gewisse Zeit nach dem Hauptgutachten gebrauchte, um einen Gedanken, der ihm wichtig war, in Erinnerung zu bringen. Das war am 16. 7.1530 der Fall, als auch Spalatin und Agricola (?) dem Kurfürsten vom Widerstand gegen den Kaiser abrieten. Eine Datierung auf Anfang März 1530 kann auch nicht die heftigen Ausfälle erklären - sie machen ein Sechstel des Textes aus - , die Melanchthon gegen die 'zwinglischen' Städte, Zwingli selbst und Bucerrichtet.Dazu gab es im ersten Quartal dieses Jahres keinen Grund; denn Kursachsen hatte wegen der unterschiedlichen Sakramentslehre nicht nur das Scheitern der Einung hingenommen, sondern sogar die Protestations- und Appellationsgemeinschaft mit jenen Städten gelöst, und eine Wiederannäherung stand damals nicht in Aussicht (Steglich in ARG 62,185). Darüber hinaus finden sich in dem Gutachten einige Hinweise, die eine spätere Entstehung desselben wahrscheinlich machen. Es sind das vier Aussagen, die das temporale Adverb "nunc" enthalten und folglich auf die Gegenwart des Sprechenden bezogen sind: Jetzt sind die Papisten nicht bereit, der Kirche ihre gehörige Ordnung wiederzugeben; aber nach einem Sieg über den Kaiser wären die Bundesgenossen des Kurfürsten dazu vielleicht noch weniger bereit. Jetzt hätte unrechte Gewalt von Seiten des Kaisers keinen notorischen Charakter, weil sie die Gegner für gerecht hielten. Jetzt bemühen sich die Prediger der 'zwinglischen' Städte - Zwingli, Bucer, Straßburg werden namentlich genannt - , das Reich nach dem Vorbild des Bauernkrieges in Aufruhr zu versetzen, und Zwingli fordert die Reichsstädte ganz offen zum Widerstand gegen den Kaiser auf. Jetzt suchen sie anscheinend einen Antiochus, durch den sie das Reich und die Kirche mehr denn je zuvor in Wirren stürzen wollen. Die erste Aussage setzt voraus, daß die Bereitschaft der Altgläubigen zur Ordnung der Kirche auf die Probe gestellt worden war und das Ergebnis enttäuscht hatte. Damit konnten eigentlich nur die Glaubensverhandlungen auf dem Augsburger Reichstag in der zweiten Augusthälfte gemeint sein oder vorher im Juni und Juli die zahlreichen inoffiziellen Gespräche Melanchthons mit der andern Seite (Auflistung der Gesprächspartner bei Gussmann, 1/1,459), die ihn für die Chancen einer Aussöhnung tief pessimistisch stimmten (M. an Luther, 8.7.1530, WA Br 5, 446 - 448. MBW 1, Nr. 960. M.s Bedenken ca. 12.8.1530, CR 2,268). Das gleiche gilt für die dritte und vierte Aussage. Von angeblichen Umtrieben 'zwinglischer' Städte berichtete Melanchthon erstmals am 31. März 1530: "Ex Noriberga scribitur mihi, quod Argentinenses et alii quidam circumferunt Consilia, quod liceat arma gerere adversus Caesarem" (M. an Christian Beyer, CR 2, Nr. 677. MBW 1, Nr. 886). Da war er gerade aus Torgau heimgekehrt, wo unter seiner Mitwirkung das kursächsische Verhandlungskonzept für den Reichstag festgelegt worden war. Mitte Juni richtete er erneut und heftiger als zuvor seinen Argwohn gegen die Schweizer und oberdeutschen Städte. Das hatte viel mit Philipp von Hessen zu tun, von dem noch ganz ungewiß war, ob er dem kursächsischen Bekenntnis beitreten würde. Melanchthon und Brenz beschworen ihn am 11. Juni, sich von der rechten Sakramentslehre nicht abwenden zu lassen, und fügten die Warnung hinzu: "Denn wir wollen E. F. G. nicht bergen, daß die Zwinglischen allhie rühmen, wie sie gefaßt seyn mit Geld und Leuten, was sie für Anhang haben fremder Nation. Item, wie sie Bisthumer austheilen wollen und frei werden. Und befremdet uns sehr, daß sie sonst viel von der Liebe rühmen und sich doch vernehmen lassen von solchen Practiken, darin man wenig Liebe, Gedult und Gehorsam spüren kann. Und wenn sie schon rechte Lehre hätten, wäre doch solch Vornehmen, das sie sich selbst rühmen, nicht christlich, dadurch eine schreckliche Zerrüttung der Kirchen und aller Regiment folgen mußte" (CR 2, Nr. 718. MBW 1, Nr. 924. Vgl. Brenz an Isenmann, 11.6.1530: "Minatur nobis Satan grande exitium, non quidem a Caesareanis, sed ab Antiochanis." CR 2, Nr. 717. Zum Briefwechsel zwischen Landgraf Philipp und Melanchthon/Brenz vgl. Virck in ZKG 9,82 - 86). Zwei Tage später mahnte Melanchthon in derselben Angelegenheit das Eingreifen Luthers an und begründete die Dringlichkeit: "Miras insidias struunt ei Cingliani. Et quale sit ingenium, nosti, et quid spectet. Cingliani hic aperte iactitant se regnum invasuros esse" (WA Br 12, Nr.

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Exkurs 1: Läßt sich Melanchthons Gutachten überzeugend datieren?

4237 a. MBW 1, Nr. 927. Vgl. M. an Veit Dietrich, dem er am 13.6. mit Anspielung auf Sallust, Catilinarische Verschwörung, 16, 4 schreibt: "Sed minus odii haberet causa nostra, nisi Cingliani earn praegravarent, qui non modo dogmata habent intolerabilia, sed etiam seditiosissima Consilia ineunt opprimendi Imperatoris.H CR 2, Nr. 721. MBW 1, Nr. 928). Daß Zwingli selbst die ~ oberdeutschen ~ Reichsstädte zum Widerstand gegen den Kaiser auffordere, behauptete Melanchthon auch in einem nicht überlieferten Brief an Friedrich Myconius, der es seinerseits am 19. September 1530 Johann Lang mitteilte: "Zwingiii scriptum ad imperii civitates de Caesaris vi repellenda non vidi, sed tantum per Philippum nostrum edoctus sum ilium scripsisse. Lutheri et Philippi Consilia in ea quaestione transmitto ea lege, ne cuivis monstrentur" (Clemen in ZVThGA 28, NF 20, 361). Ein Schreiben oder eine Schrift dieser Art kann ich nicht nachweisen. Vielleicht waren die Briefe gemeint, die Zwingli am 27. und 28. Februar 1530 an Jakob Sturm oder Konrad Joham (Straßburg), am 1. März an Konrad Zwick (Konstanz) und am 26. März an Konrad Sam (Ulm) gesandt hatte (CR 97, Nrr: 986.989. 1002), kaum der fast "revolutionäre" Brief vom 18. August an Sam und Simpert Schenk (Memmingen) (CR 98, Nr. 1077), da dieser schon ziemlich nahe beim terminus ante quem von Melanchthons Gutachten liegt. Wenn Melanchthon neben Zwingli auch Bucer der Aufrührerei beschuldigte, war das von seinem Standpunkt aus begreiflich, seitdem jener am 26. Juni in Augsburg aufgetaucht war und sich in wochenlanger Beharrlichkeit abmühte, die theologischen Voraussetzungen für die politische Wiederannäherung Straßburgs an die lutherischen Fürsten herzustellen. Er befürchtete davon nur, daß die kursächsische Ausgleichspolitik bei den altgläubigen Verhandlungspartnern kompromittiert werden könnte, weshalb er jeden persönlichen Kontakt mit Bucer vermied (M. an B., 15. 7.1530, CR 2, Nr. 707. MBW 1, Nr. 972. Virck in ZKG 9, 91). Auch glaubte er dessen Hintermänner zu kennen, die den Kurfürsten in ein Bündnis mit Hessen und den Sakramentierern drängen wollten, das nach seiner Überzeugung in einer schrecklichen 'mutatio imperii' enden mußte. Erst als die Kritik der Lüneburger, Hessen und Nürnberger an der kursächsischen Verhandlungsführung überaus heftig wurde (Immenkötter, Einheit, 51. 67. Gerhard Müllerin RST118,256 f.) "was er bezeichnenderweise 'helvetisieren' nannte (M. an Luther, 10. 9.1530, WA Br 5, 604. MBW 1, Nr. 1073) - , ließ er sich von Urbanus Rhegius und anderen bewegen, Bucer persönlich zu empfangen. Trotzdem unterließ er es nicht, dessen Einlenken in der Sakramentslehre, das er für taktisch bedingte Heuchelei hielt, bei Luther in Mißkredit zu bringen. Das geschah am 26. August (M. an Veit Dietrich, CR 2, Nr. 863. WA Br 5,567 f. mit 13,176. MBW 1, Nr. 1045. Clemen in WA Br 5,566 f.). Die vorstehenden Überlegungen, obwohl sie letzte Gewißheit nicht geben können, haben vielleicht soviel geklärt: Da man die nichtjuristischen, politischen Teile des Gutachtens, besonders die Aussagen mit dem Zeitadverb nunc, als Reaktion auf eine bestimmte, dem Verfasser wie dem Empfänger gegenwärtige Situation verstehen muß, kann man in den Spannungen zwischen der Übergabe des Augsburger Bekenntnisses und dem Beginn der Glaubensverhandlungen oder kurz nach dem Scheitern des Sechserausschusses am ehesten die Lage erkennen, die der Reaktion Melanchthons entspricht. Daher möchte ich das Gutachten auf Mitte Juli oder auch in den August ansetzen. Terminus ante quem ist der 19. September 1530. An diesem Tag sandte wie erinnerlich Friedrich Myconius Luthers und Melanchthons Gutachten zum Widerstandsrecht seinem Amtsbruder Johann Lang in Erfurt.

Exkurs 2: Zur Datierung der Ereignisse vom 18. bis 20. August 1530 in Brücks "Geschichte der Handlungen" Bei Brück haben die Ereignisse der genannten Tage folgende zeitliche Ordnung: 18.8. abschließende Beratung des 1. Teils CA ("biß in dritten tag"; 91); Streit über die Beratungsfolge beim 2. Teil. 19.8. Übergabe des evangelischen Rahmenvorschlags zum 2. Teil; Übergabe der altkirchlichen "Unbeschließlichen und unvorgreiflichen christlichen Mittel"; Übergabe der evangelischen "Unvorgreiflichen Gegenvorschläge und Antwort" ("auf den freitag am abent, 96). 20. 8. Diskussion der "Antwort". Schirrmacher, 522 f. bietet die gleiche Chronologie, ausgenommen die Übergabe der "Antwort", die er mit Förstemann 2, 256 auf den 20. ohne Angabe der Tageszeit setzt. Diese zeitliche Ordnung stimmt mit der in Vehus' Bericht an die Reichsstände nicht überein. Da Vehus seinen Bericht schon am 22.8. erstattete (Honée, Libell, 62, 53), während Brück seine "Geschichte der Handlungen" erst Monate später schrieb, wird man den Angaben des badischen Kanzlers mehr Glauben schenken, zumal Brück in demselben Zeitabschnitt zwei weitere irrige Zeitangaben unterlaufen sind (Brück, 96**. 98***). Doch soll diese Vorentscheidung durch eine Kritik der Brück'schen Darstellung ergänzt werden. 1. Der Rahmenvorschlag zum 2. Teil CA beginnt mit den Worten: "Wir haben gestern Eur liebden und der andern anzaigung gehört und uns davon untherred und die sachen aufs vleissigst bewogen" (95). Diese Aussage bleibt bei Brück beziehungslos, da nach seiner Darstellung der vorige Nachmittag und Abend mit dem Streit um die Geschäftsordnung ausgefüllt und zu Ende gegangen seien. Sie gewinnt dagegen sinnvolle Beziehung im Zusammenhang mit Vehus' Bericht zum 17.8.: "Hiemit ist der 17. tag augusti biss umb sechs uren gegen nacht verschlissen, undt also voneinander abgescheiden, das jeder theil soll nach leidlichen cristlichen massen unnd wegen nachgedennckens haben unnd die uff morgen furbringen" (Honée, Libell, 221). Demzufolge wurde der Rahmenvorschlag schon am 18. übergeben (ebd., 221 f.), allerdings nicht "mane", wie die lateinische Übersetzung des Berichts angibt (RQ 19,135); denn am selben Tag gegen 12 Uhr wurden die Räte und Städteboten der kursächsischen Konfessionsverwandten über den Wortlaut unterrichtet, worauf sie der Übergabe zustimmten (Bericht der Nürnberger Gesandten vom 20.8.; CR 2,290). 2. Zum Verfahrensstreit existiert eine Niederschrift von Brück. Sie ist gedruckt bei Förstemann 2, 236 - 238 (auf den 18. datiert) und in CR 2, 285 f. (auf den 17. datiert). Diese Niederschrift enthält am Ende offenbar einen sinnentstellenden Fehler, der von Förstemann übernommen und in CR durch einen Besserungsversuch vergrößert worden ist. Brück hat den Text mit ganz geringen Abweichungen in seine "Geschichte der Handlungen" übernommen ("haben die fursten des andern teils furgeslagen"; 93 Z. 20 bis "biß uf den andern tage verschoben"; 94 Z. 6 v. u.) und dabei den Fehler korrigiert. Die Stelle lautetrichtig:"Wo es nun die meynung haben solt, das Irer f. g. und Irer zugeordenten schrieftliche ubergebene anzaig und meynung von Inen solten vor schiedtliche furslege und mittel, die sie darbey wolten beruhen lassen, an churfurst, fursten und stende getragen werden, so wolten sie sich oftberurter lezern punct gern zu untherrede, wie sie vor gut angesehen hetten, einlassen" (94. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: In der Fügung "churfurst, fursten und stende" gebraucht Brück "churfurst" als Plural. Ebs. 97 Z.19 f. 98 Z. 15 v. u., 99 Z. 13, 212 Z. 8 v. u.). Der Verfahrensstreit: - mit CA 28 oder CA 22 - 24 beginnen ~ hat sich Vehus zufolge am 18. im Anschluß an die Übergabe des Rahmenvorschlags zugetragen (Honée, Libell, 223 ~ 226), Brück zufolge vor derselben am 18. (94). M. E. befindet sich Brück im Irrtum. Denn die Fügung "schrieftliche ubergebene anzaig und meynung" ( = Rahmenvorschlag) ist doch wohl so zu verstehen, daß die Anzeige bereits übergeben worden ist, nicht erst noch übergeben werden soll. Demnach berichten Brück und

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Exkurs 2: Zur Datierung der Ereignisse vom 18. bis 20. August 1530

Vehus über ein und dasselbe Ereignis am Nachmittag und Abend des 18.8. Die Argumentation der Evangelischen geben beide übereinstimmend wieder - die Ursachen des Verfalls der Bischofsgewalt vor der Wiederherstellung derselben diskutieren ~, verschieden dagegen die Argumentation der Altgläubigen. Vehus nennt das historische Recht der Bischöfe, Brück die wiederholte Versicherung, eine Einigung über CA 28 werde die Einigung über die ersten Artikel erleichtern. Aber hier muß man die Verschiedenheit der Sprechintention berücksichtigen, die in den Berichten zu einer Auswahl unter den in den Verhandlungen vorgetragenen Argumenten geführt haben könnte: Vehus sprach vor einem Gremium, dem sehr viele geistliche Fürsten angehörten, während Brück gegen die Verhandlungstaktik der andern Seite polemisiert (94 Z. 5 ff. v.u.).

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Personenregister Accursius, Franciscus 84.93 Agricola, Johann 83.181 Albericus de Rosciate 86.144 Albrecht, Kf. v. Mainz 15. 82 f. 101.105.111. 115.130.174 Albrecht, Gf. v. Mansfeld 130.164.171 Albrecht, Hz. v. Mecklenburg 14.101 Albrecht VI., Ehz. v. Österreich 29 f. 167 Albrecht Achilles, Mgf. (Kf.) v. Brandenburg 30 f. 47.65.101 Alexander III., Papst 138 Alexander Tartagnus 144 Alfonso v. Kastilien, dt. Kg. 29 Amsdorf, Nikolaus v. 150 Angelus de Ubaldis 144 Antiochus s. Philipp, Lgf. v. Hessen AzoPortius 84 f. 86 Baldus de Ubaldis 35.86.89. 90 f. 144 Bartolus de Saxoferrato 34 f. 65. 84. 86. 89 f. 93 f. 142.144 Baumgartner, Bernhard 98.105.110.113 Baumgartner, Hieronymus 53.115.180 Besserer, Bernhard 28.53 Besserer, Georg 165 Beyer, Christian 44.62.73.181 Bologninus, Ludovicus 85 Boyneburg, Siegmund v. 18.27 f. Brenz, Johannes 49. 52. 58. 61 f. 65. 70. 94. 96.166.177.181 Brück, Gregor 12. 23 f. 33.41 f. 54.57.61.63. 74. 76-83. 98-101. 102-104. 105. 107110. 112-119. 122 f. 124 f. 126 f. 128. 135 f. 143. 145 f. 147-149. 151-155. 164 -166.169 f. 174.177 -179.183 f. Bucer, Martin 98.171.181 f.

Bugenhagen, Johannes 21. 23-25.41.63.66. 69 f. 74.180 Burghardt, Franz 40 Burkhard, Eb. v. Salzburg 167 Camerarius, Joachim 53.148.180 Campeggio, Lorenzo 77 f. 81.113.122-126. 149 Cinus de Pistoia 85. 87-89. 91 f. 140-142. 144 Dietrich, Veit 182 Dinus Mugellanus 86 f. 88.90 Diokletian, röm. Ksr. 139 Dölzig, Hans v. 76.130.135 Ebner, Hieronymus 31.135 Eck, Johannes 76.105 -107.111.115.117 Ernst, Hz. v. Braunschweig-Lüneburg 56. 118.165 Feige v. Lichtenau, Johann 172 f. Felinus Sandaeus 94.138.142.144 f. Ferdinand (I.), Kg. v. Böhmen, (dt. Kg.) 12. 16.21.59.73.117.123.135.162 -164.171 Floris, Gf. v. Holland 29 Förster s. Furster Franz I., Kg. v. Frankreich 14 f. 52.68 Friedrich III., röm. Ksr. 20. 29-31. 41. 65 f. 89.177 Friedrich I., Kg. v. Dänemark 68.171 Friedrich. Pfgf. (Kf. v. d. Pfalz) 83. 98 f. 122 f. 125.161.163 Friedrich d. Sanftmütige, Kf. v. Sachsen 30 Friedrich d. Siegreiche (Kf. v. d. Pfalz) 20 Friedrich d. Weise, Kf. v. Sachsen 37.162

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Personenregister

Furster, Johann 57.113

150-154.157 f. 161.163 f. 171. 176- 179. 180-182

Georg d. Bärtige, Hz. v. Sachsen 45. 71. 101.

Johann Friedrich, (Kf. v. Sachsen) 83. 105.

111.149.154.157 111.115 f. 174 Georg d. Fromme, Mgf. v. Brandenburg 16. Jonas, Justus 23.63.66.74.79.147.180 18. 20. 25- 28. 31. 40. 52. 55 - 58. 60 - 63. 83.96.101.118.157.164-166 Karl V., röm. Ksr. 11. 13-20. 21 f. 25-27. Glapion,Jean 69 30 f. 35. 38. 40. 47 f. 52. 55. 58 f. 62 - 64. 69 - 71.73. 76 - 83.94.98 -101.103 -106. Heinrich VIII. v. Liechtenstein 20

111 f. 115. 116-118.120. 122 -129.131 -

Heinrich, Hz. v. Mecklenburg 101

135. 137. 143. 145. 150-154. 157-160.

Heinrich, Gf. v. Nassau 83.135

161 f. 163 -165.169 -171.174 -177.180 -

Heinrich v. Württemberg, Koadjutor v.

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Mainz 35 Heinrich d. Jüngere, Hz. v. BraunschweigWolfenbüttel 101.135.171 Heinrich d. Mittlere, Hz. v. BraunschweigLüneburg 14.37 Held, Matthias 14 Heller, Sebastian 105. 109-111. 113. 115. 122 Henricus de Segusio s. Hostiensis Hostiensis 34 Huguccio (Hugutius) 35.68 Innozenz III., Papst 140

Kling, Melchior 136 Kolmatsch, Georg v. 18. 27 f. Kreß, Christoph 54. 98.105.110.113.164 Ladislaus Postumus, Kg. v. Ungarn u. Böhmen 31 Lang, Johann 182 Lin(c)k, Wenzeslaus 38. 62. 148.150 f. 154156.160 Ludwig, Hz. v. Bayern 171 Ludwig V., Kf. v. d. Pfalz 82.125.174 Ludwig d. Reiche, Hz. v. Bayern-Landshut

20.29.31 f. 42.65 f. 89.167.177 Luther, Martin 19. 22-24. 33. 41. 44-46. 48-52.56. 58. 61. 63. 66- 72. 74. 76. 82 84. 94. 96 - 98. 101. 108. 110. 114-116. Jason de Mayno 86.89.91.144 128 f. 135-137. 143. 145 f. 147-156. Joachim, Kf. v. Brandenburg 14 f. 45. 78. 83. 157-160. 164-166. 168. 171. 176. 179100 -102. 125 f. 127. 131 f. 149. 154. 162. 182 164 f. Joham, Konrad 182 Martinus Gosia 84 Johann, Hz. v. Bayern-München 30 Maximilian I., röm. Ksr. 16.48. 66.160 f. Johann, Mgf. v. Brandenburg 31 Maximinian, röm. Ksr. 139 Johann, Gf. v. Wertheim 35 Melanchthon, Philipp 21. 23. 38. 41. 52 f. Johann d. Beständige, Kf. v. Sachsen 19 - 24. 63 f. 66. 70. 73 - 76. 81 - 83. 93- 98.102 f. 25-28. 31. 38. 40 f. 43. 45. 48 f. 53. 55 f. 104-108. 113-116. 118. 122. 136 f. 144. 63. 67. 69-72. 73-76. 82 f. 93. 99-102. 146 -148.154 f. 164 -166.168.180- 182 104. 106. 108. 110 f. 114-118. 120 f. 123. Merklin, Balthasar 163 125 -127. 128 f. 130. 132. 134 f. 143. 147. Minkwitz, Hans v. 19.25.53.111.115.148 Innozenz IV., Papst 86.89.138- 140.142 Isenmann, Johann 181

Personenregister Mykonius, Friedrich 182 Nicolaus de Tudescis s. Panormitanus

Spengler, Lazarus 15.17. 38. 42-49.51 - 53. 55. 57-62. 64. 68. 70. 94. 96. 137. 147 f. 150.153-155.166.177.180 Sturm, Jakob 53.57.165.182

Oslander, Andreas 62.164 Pack, Otto v. 71 Panormitanus 34. 65. 89.138- 142.145 Paulus de Castro 86.91 f. 144 Petrus de Bellapertica 88 f. Pfarrer, Mathis 28 Philipp, Lgf. v. Hessen 17-19. 21 - 23. 27 f. 33. 37 f. 41. 43 f. 52 - 54. 56. 57- 61. 63. 70. 72. 96. 98. 100 f. 105. 109. 114. 146. 156 f. 159 f. 165 -167.170 -172.181 Philippus Decius 34.65.86 Planitz, Hans v. d. 76.130.161.163 f. Puchheim, Georg v. 29 Raffael Fulgosius 86.90 Rhegius, Urbanus 182 Rischach, Eck v. 135 Roggendorf, Wilhelm v. 83 Rosenberg, Hans Melchior v. 37 Rudolf, Β. v. Würzburg 35 Ruprecht v. d. Pfalz, dt. Kg. 31 Salviati, Jacopo 77 Sam, Konrad 182 Schenk, Simpert 182 Schnepf, Erhard 113 Seckendorf, Kaspar v. 164 Sickingen, Franz v. 38.98 Siegmund, Hz. v. Bayern-München 30 Siegmund, Hz. v. Tirol 30.167 Spalatin, Georg 83. 106. 109. 123. 129. 147. 181

Taubenheim, Christoph v. 130.132 Tetleben, Valentin v. 77-82. 89. 98-100. 102.105.107 -112.116 -127.148.170 Tetzel, Christoph 31.135 Truchseßv. Waldburg, Georg 83. 117-119. 121-124.126.143 Türk, Christoph 174

Ulrich, Hz. v. Württemberg 37.66.101.171 Valdés, Alonso 73 Vehus, Hieronymus 105. 107. 109. 112 f. 115 f. 118 f. 121.124.126.183 f. Vogler, Georg 12. 22. 52. 55-57. 61 f. 164. 168.170.172 Vol(c)kamer, Gemens 54. 98 Waldkirch, Propst v. s. Merklin Walram, Hz. v. Limburg 29 Westhausen, Caspar v. 130 Wiesenthau, Wolf Christoph v. 55 - 57 Wilhelm IV., Hz. v. Bayern 37.45. 66.171 Wilhelm, Gf. v. Nassau-Dillenburg 76.82 Wilhelm, Gf. v. Neuenahr 76.82 Wolfgang, Fürst v.Anhalt 118 Wyck, Johann v. d. 165 Zwick, Konrad 182 Zwingli, Huldrych 23. 28. 76. 98. 170. 172. 181 f.

Sachregister Bündnisse, Versammlungen, Verlautbarungen u.ä., die mit einer Ortsbezeichnung verbunden sind, werden unter dem Ortsnamen aufgeführt. Innerhalb der Stichwortgruppen wird auf alphabetische Reihenfolge verzichtet.

Ablaß 121 Absetzung. Entsetzung - von Fürsten 20.59 - des Kaisers 47.68 s. a. Selbstentsetzung Acht 11.13.73.130.133.135.165.176 - Eintritt ipso facto 36 - deklaratorisches Urteil 36 f. Apologie d. Augsb. Bekenntnisses 122. 126. 128 Appellation 144 s. a. iniuria - an Kaiser u. Konzil 13.15. 26. 53. 63. 67. 69.71.73.80.98 -

an künftiges Konzil 79.101.116.143.145. 173.178 Verbot d. App. 134.142

- App. v. Reichskammergericht 173 Augsburg: Reichstag 1530 45.159.178 u. oft -

Glaubensabschied (Sept.) 118 -129.130. 132.134.174.176 - Glaubensabschied (Okt.) 127. 132-135. 136 f. 143.153.159.162 f. 175 - Reichsabschied 82.148.163 f. 166.172 Augsburgisches Bekenntnis 76. 77 - 79. 82. 98.106.115.120.122.164.172 - Bestätigt oder widerlegt? 122-129 Ausnehmung 13 -

Begriff 14 freie 15 f. 171 beschränkte 16 f. 20.26.29- 31.170

-

Unterlassung 14.17. 27 f. 56.171 s. a. Nichtangriffsklausel

Ausnehmungsklausel. -artikel 14 - Marbacher Bund 30 f. - Ehz. Albrecht VI. 29 f. - Nürnberg 15 f. 38 - Ulm 17 - Rodacher Notel 16 f. - ksä.-brd. Artikel 25 - 27.28.38.43 Ausschreiben z. Reichstag 1530 73 f. 76. 98 f. 124 Basel 165 f. 172 Bauernkrieg 38.98.127 Beichte 109.120.124 Bekenntnisbindung 19. 23. 28. 40 f. 55 f. 171 f. Beschwerung pass. Bischofsgewalt 75.103.107 f. 110.113 f. 115 Böhmen: Utraquisten 109 Brandenburg-Ansbach 12. 54 - 56. 114. 148. 165 f. Braunschweig-Lüneburg 12.54.101.113 Bremen 165 Burgrecht 28.165-172 s. a. Schmalkald. Bund causa spiritualis 137.144 s. a. Religionssache clausula Petri s. Gehorsam Confessio Augustana s. Augsburgisches Bekenntnis

Sachregister Confutatio 80.98 -100.102.106.122.125 f. incontinenti 34f. s. a. Notwehr

199

damnum irreparabile s. iniuria defendere, defensio 13.33.95 s. a. Notwehr

Folgepflicht 21.59.129 s. a. Mehrheitsprinzip Frankfurt a. Μ.: Tag d. Schmalk. Bd. 1531 172 Freiheit dt. Nation. Libertät 40.171.178 Friedstand. Friedlicher Anstand — friedl. A. Reichstag 1529 12 f. 131

- defendere et recuperare 35 Defensivprinzip 14.26.30 f. 170.178

— Bemühung um friedl. A. 40. 109. 113116.123.130 -132.160 f. 174

s. a. Nichtangriffsklausel Dekret s. Kaiser Delegation. Delegat 16.47 f. 49.138 f. 140 diffidatio s. Lehnrecht Drei-Stände-Lehre Luthers 50-52 Drei-Wege-Plan 81 f. 102.105.111 f. 116.134 dubium (Zweifelsfall) 86.88.90 s. a. iniuria

— Verweigerung d. friedl. A. 82. 115. 120. 131.160 f. 165.169 — vereinbarter u. gebotener Frieden 163 — Einung u. Friedenssicherung 167. 169. 172 s. a. Landfrieden. Verständnis — Nürnberger Anstand 1532 175 Fürsten s. a. Freiheit dt. Nation. Gehorsam. Lehnrecht. Notwehr. Obrigkeit. Schutz. Vertrag. Wahlkapitulation. Widerstandsrecht

Edikt s. Kaiser Einstimmigkeit 12.59.75.137.156 s. a. Mehrheitsprinzip Erbeinung. Erbverbrüderung 14 - brd.-sächs.-hess. 57.101 - sächs.-jül. 73 f. 76.83 Ermessen, richterl. 88.91 s. a. iniuria ernstlich 21.82.134.177 exceptio ~ = Ausnehmung 14 = Einrede 14.141.173 extraiudicialiter (außergerichtlich) 174

— Landesherren 20.48.58.62.176 — Erblichkeit 60.156 — Reichsfürsten (Glieder d. Reichs) 32. 48. 58-61.64.69 f. 179 — Teilhabe an Gesetzgebung 48. 59. 156. 161 — Analogie z. röm. Provinzstatthalter 18. 60.156 — Christi, u. weltl. Ff. nach Luther 44. 67. 150 f. 158

s. a. iniuria Gegenwehr s. Notwehr de facto 88 f. 91 s. a. resistere. Mit der Tat Fehde -

Fehde u. Notwehr 20. 30. 32. 35. 37 f. 66. 178 - Rechtgebot u. Fehde 35. 37.64.66.89 - Fehdeverbot u. Notwehr 36 f. Feind 24.30.38.41.62.178 Fiskal 131.133 f. 160.162.165.172 f. 174 s. a. Reichskammergericht

Gehör, rechtl. 15.21.26 f. 36 f. 80.96.99.149 Gehorsam — Gehorsam (Treue) u. Gnade 25 f. 176178 s. a. ksl. Gnade — ksl. Gehorsamsanspruch 21. 50. 99. 106. 119.133 — fsl. Gehorsamserbieten 27. 77. 83. 96. 177 s. a. untertänig

200

Sachregister

— Grenzen d. G. (schuldiger, Pflichtiger G.) 17. 24.25 f. 58. 64.177 f. — Gehorsamserbieten u. Ungehorsam 83. 126.128 f. — göttl. Gehorsamsgebot 51.95 s. a. Obrigkeit — göttl. Gehorsamsgebot u. leidensbereiter Ungehorsam (clausula Petri) 42 f. 51.58. 60. 62. 67. 70. 83. 94. 96. 98. 128 f. 135. 149.153 — göttl. Gehorsamsgebot u. gewillkürtes Recht 68.97.149.152.154 f. s. a. Herrschaftsvertrag Gewalt, unrechte pass. Gewohnheitsrecht s. Herkommen Glauben auf eigne Gefahr bekennen 43. 58. 70.83.98.129.133 s. a. Gehorsam. Obrigkeit Glaubenslehre 74 - 76. 102. 106 f. 112. 120. 125.127.132 f. Glaubenssache s. Religionssache Gleichberechtigung d. Protest. 74. 76 f. 79 f. 105 f. Gnade, ksl. 21. 25. 99.100.117.125.132.134. 161.176 f. s. a. Gehorsam Gott u. d. Recht 20.67 Gottes-Gnaden-Formel 166 Güte. Gütlichkeit. Gütl. Handlung (Glaubenshandlung) 73. 81 f. 101. 104 f. 108. 110.111.117.118 f. 121 u. öfter — insbes. Religionsgespräch 100. 102 f. 105. 115 f. s. a. Mittel Händel, Packsche 13.37 f. 72 Häresie s. Ketzer Heilbronn 56.165 Herkommen 21. 27. 38. 46. 66.127. 132.145. 179 Herr. Oberherr s. a. Obrigkeit — rechter Herr 38.47.177

— rechter, natürlicher Herr 80.177 Herrschaft s. Obrigkeit Herrschaftsvertrag 18. 68.178 s. a. Wahlkapitulation Hessen 12 f. 37.54.64.105.113.135.165 Hilfe 18. 26. 31. 32.37.53 iniuria 139 — iniuria d. Richters extraiudicialiter 84 - 91.138 -141.174 ordine iudicario non servato 140 f. post appellationem 84 f. 88 - 90. 138140.142.174 damnum irreparabile 88.90 f. 138.141 f. notorie (aperte contra legem) 84. 86. 88 f. 91.138.141.148 causa non cognita 84.90 f. 146 s. a. Rechtsverweigerung — iniuria u. subsidiäres ius 91 f. itio in partes 106 de iure 91. 93 ius commune s. gemeines Recht ius gentium 168 Kaiser (dt. König) s. a. Gehorsam. Herr. Herrschaftsvertrag. Kaiserrecht. Landfrieden. Lehnrecht. Obrigkeit. Wahlkapitulation — Begriff d. ksl. Majestät 16.18.50.171 — oberster Lehnsherr 14.16.48. 65. 74 — oberster Vogt d. Kirche 80. 99. 118. 127. 132.143 f. — oberster Richter 15.47.127.161.170 — Gebotsgewalt (Edikt, Mandat, Dekret) 16 f. 21.23.59.80.82.133 f: 161.178 s. a. ksl. Machtvollkommenheit — Amtscharakter 17.25.43.59.157 — in Bündnissen ausgenommen 14-17. 29 f. 31.57 — keine Gerichtsbarkeit in Glaubenssachen 16.23.26.43.52. 79.83.143 f. 156 — Wahlkaisertum 58.156 — Kaiser als Landesfürst 16.18.29 f.

Sachregister Kaiser u.Reich 80.134.147 Kaiserrecht 15.30. 32.37.67.148 f. 155.159 Kempten 56 Ketzer. Ketzerei 27. 74. 76. 80 f. 102. 112. 125.153 s. a. Sekte. Wiedertäufer Kirchenbrauch 12. 74 f. 107. 112. 116 f. 120. 132

201

-

Schaden wehren 14.25 f. 66.177 Lehnsherr in Bündnissen ausgenommen 14

-

Treuaufsage (diffidatio) 30. 49. 66. 67. 151.158

Lehnsmutung 73 f. 76.83 Lindau 56

— Konzil 1414 -1418 143 Kontumazialverfahren 173

Machtvollkommenheit, ksl. 80.133.160.163 Magdeburg 165 - M.erBund 27f. 54.56 Mandat s. Kaiser Mandatsprozeß 11.163.170 s. a. Reichskammergericht Marbacher Bund 31

s. a. Reichskammergericht Konzil 81 f. 110 f. 115.117.120.125.132.134. 144.146.174

- M.er Artikel 121 Mehrheitsprinzip 15.21.59

Kirchenregiment, landesherrl. 58.115 Klöster s. Restitution Klostergelübde 99.108 Konkomitanz 110 Konstanz 15.28.56

— allg., freies, christl. K. 11. 13. 26. 79.173. 174 f. — Befristung d. Glaubensvereinbarungen 75.103.107 f. 112.120 f. 133 Konziliarismus 143.145 Krieg 32 f. 102.104 u. oft — rechtlicher IC 135.175 Kursachsen 12 f. 37. 40. 54 f. 62. 64. 74. 97. 114.135.148 Laienkelch u. Kommunion unter einer Gestalt 75. 99. 103. 107 f. 108-110. 112. 116.120 Land u. Leute pass. Landesfürst. Landesherr s. Fürsten Landfrieden ~

Landfrieden u. Notwehr 36 f.

— Einbeziehung d. Kaisers 131 f. 156.160 f. — Landfriedensschutz in Religionssachen 11 f. 133 f. 161.164.172 s. a. Friedstand — L. u. Schiedsgericht 164 Lehnrecht 16.33.46.49 — Freiwill. Bindung auf Gegenseitigkeit 18 f. 26.59 f. 65

Marburg: Religionsgespräch 1529 23.27.54

- Ausschluß in Gewissensfragen 12.137 - Ausschluß im Vieizehnerausschuß 105 f. Memmingen 56 Messe. Meßopfer 11 f. 99. 107. 109 f. 112. 116.120.124.133 f. - bei Luther 12.75.103.107.120 Mittel. Vermittlung 100. 106. 107- 109. 111. 114.117.130.174 - Mittel u.Maß 21 - Mittel u. Wege 100.102 f. 108.113.117 - Wege u. Maß 100.105.115 Nationalversammlung, -konzil 11.26.74 f. Naturrecht 25 f. 30. 32 f. 37. 40. 42. 51. 62 f. 94 f. 155 u. oft Nestorianismus 110 Nichtangriffsklausel (N. N. nicht zuwider) 15.17 f. 28.170 f. s. a. Ausnehmung. Defensivprinzip nonoboedire 86 f. s. a. Widerstand Nothilfe 32.68 s. a. Notwehr Notorietät d. Unrechts 97 f. 143.148 f. s. a. iniuria

202

Sachregister

Notwehr 16.18.38.43.67.70.93 s. a. Widerstand — Wortgebrauch 31.33

ordo iudiciarius 21.69 s. a. iniuria

— Begriff 31 f. 33-35.38 f. — Rechtsquellen: Einheit aller Rechte 20. 30.32. 33.36.37.38.66.167f. — berechtigte Personen 32.33 f. 35.167 — Ständische Abschichtung d. Berechtigung 35 f.

Papst 31. 37. 120 f. 127. 134. 139. 145. 169. 174 — in Bündnissen ausgenommen 14.29 f. 57

s. a. in continenti — Kirchenstrafen als Notwehr 140 — Fehde, Fehdeverbot u. N. s. Fehde

parssanior 157 s. a. Mehrheitsprinzip Patronat 75 Person

— ksl.-mehrheitl. Verständnis als N. 161. 165 — Schmalk. Bund als Notwehr 167 -171 — Notwehr bei Luther 68.158 Nürnberg 12 f. 30 f. 38. 40. 43 f. 46 - 48. 53 57.61.135.148.165 f. — Reichstag 1524 79 — Rätetage 1530 56. 61 f. 114.160 — N.er Anstand 1532 174 f. Oberherr. Oberperson s. Obrigkeit Obrigkeit. Herrschaft 12.35.49.157 — Begriff 51 f. 62 — Ableitung aus d. göttl. Recht 23. 62.166. 176 insbes. dem 4. Gebot 50 f. 69 aus d. Naturrecht 95 — Schutzpflicht 24. 32. 41. 44. 69 f. 145. 153-155.157.164.176 s. a. Schutz gegen jedermann 26.41.43 — rechte Lehre bewahren 58. 60. 116. 166. 176 — Obrigkeit u. unrechte Gewalt 19. 22 - 24. 38.41 f. 44.67 f. 94 f. 96 — Obrigkeit u. niedere Obrigkeit Untertan im Verhältnis zum Oberherrn 43 f. 46 - 48.49.53. 62.94.153 f. Unterherr im Verhältnis zum Oberherrn 24.41.43.52.60.69.150.166.176

— Antichrist 103.179 — Anerkennung durch Evangelische? 75. 103 f. 108

— physische P. 16 f. 18.29 — persona privata. Privatperson. Einzelperson. Sondere Person. Gemeine Person 16. 23. 43. 45 - 47. 49 f. 60. 62. 67. 85. 88. 90 f. 142.144.150.156 — persona publica. Amtsperson, persona principis 16.43.45 f. 67. 85. 90.144.150. 154 Persönlichkeit, zweifache 16. 43. 85. 150152 plenitudo potestatis s. ksl. Machtvollkommenheit potestas. Podestà 84.87.90.92 Priesterehe u. Zölibat 75. 99. 103.107-109. 112.120.134 f. 153 Privatmesse. Kaufmesse. Winkelmesse 45. 75.109.112.116 Protestation — nach Einspruch 23.30 — insbes. ν. Reichsabschied 1529 12.13.15. 73.80.98.137 — protestatio de non consentendo 173 Protestationsgemeinschaft 19 s. a. Appellationsgemeinschaft quaestio de facto 92 Rache. Rachestrafe (vindicta) 33 f. 51.59.95. 97 Recht, gemeines 33.84.148.151

Sachregister — als subsidiäres Recht 91 Recht, göttliches 37. 44 f. 51. 62 f. 94. 104. 159 — Wortgebrauch 42 — Antinomie zum weltl. (u. natürl.) Recht 46.48.60.67.148.151 Recht, kanonisches. Geistliches R. 30.32. 33. 67 — Fortgeltung in ev. Gebieten 146 Recht, menschliches 32.42.45.167f. Recht, römisches 33.91 f. 148.151.156 s. a. Kaiserrecht Recht, weltliches 42. 45 f. 50. 63. 67. 70. 94 f. 98.151 f. s. a. gemeines R. Kaiserr. kanon. R. Lehnr. röm. R. Rechte, Einheit aller R. s. Notwehr Rechtgebot 27. 35. 37. 63. 66. 69. 128. 169 f. 178 s. a. Fehde. Schiedsgericht Rechtsgrund (causa) s. Vertrag Rechtskraft s. auctoritas rei iudicatae Rechtspersönlichkeit s. Persönlichkeit Rechtsverweigerung 25 f. 66. 73. 83 f. 90. 94. 127 s. a. iniuria — Angriff auf den Vasallen 17.20 f. 26 f. 60 — das Recht sperren 161 recuperalo (Wiederschaffung) 33-35 Regensburg: Reichstag 1532 174 f. Reich — in Bündnissen ausgenommen 14.29.31 — Bündnisse zu Ehren u. Nutzen d. R. 21. 31.100.125.167.171 Reichskammergericht 11. 13. 15. 36. 48. 62. 134.160-162.164.170 s. a. Acht. Mandatsprozeß. Religionssachen — Gerichtsstand d. Reichsstädte 46-48 — Verpflichtung auf d. Reichsabschied 1530 165.169.173.175 — Zuständigkeit in Religionssachen 172174

203

Reichsregiment 13.15 f. 36 f. 62 Reichsstädte. Freie Städte - obrigkeitl. Gewalt 32.46 f. 51.166 - oberdt. R. 12.15.19.28.54 f. 98.123.171 Reichsverfassung 36 - 38. 46 - 48. 56 - 61. 63 f. 178 - bei Luther 49 f. 52.61.68 - 70.154 f. - bei Melanchthon 96 f. Religionssachen 12.144 f. 161.164 f. 173.175 Rent u. Gült 24.41.153 Repressalien 67.151.158 resistere 13.85.86.87 - de factor. 88f.90.92f. - violenterà 89.139.140 Restitution - Herausgabe eingezogener Klöster (prot. Sicht) 75.103.108.126.154.173 - Herausgabe eingezogener Klöster (alterchi. Sicht) 111.121.126 f. 133.164 - Wiederherstellung d. alten Rechtszustands 81.115.117.130.132 -135 Reutlingen 37.56.66.165 Revolution 25.145.146 f. 169.179 s. a. Widerstandsrecht Richter in eigner Sache 51.68.96 f. Rodach -

Tag zu R. 1529 13.15 -19. 28. 30. 38. 40. 55

-

Notel 16.18.31.38.43.93

Saalfeld - Tag zu S. 1529 18.43.61 - S.er Bund 1531 171 Sakramentierer 19 f. 40.54 f. 75.120.123 f. s. a. Bekenntnisbindung Schaden, unwiederbringlicher s. damnum irreparabile Schiedsgericht 48.69.128.169 - kein Schiedsg. wg. Glaubensirrung 79 f. 106 s. a. Landfrieden Schisma 74.102.104.112 Schleiz: Tag 1529 22 f. 25.27

204

Sachregister

Schmalkalden - Tag zu Sch. 1529 17. 28. 40. 43. 53-57. 114

Torgau - Artikel 73-75

-

Tübinger Vertrag 66

Tag zu Sch. 1530 164-172

- Sch.er Bund 14.19.166- 172 - Sch.er Krieg 25 Schutz. Schutz u. Schirm s. a. Lehnrecht. Obrigkeit - von Land u. Leuten 23 f. 25 f. 32. 36.41 43. 61. 67 f. 153 f. - d. Vasallen 35.42 ~ d. Evangeliums 19.42 f. 67. 71.151 - Entzug fremder Untertanen 11. 68.120 - ksl. Schutz für Altgläubige 133 Schwabach - Tag zu Sch. (Aug. 1529) 19.31 - Sch.er Konvent (Okt. 1529) 28.43 - Artikel 19 f. 28.52 - 54.56 f. 74.76 Schwäbisch Hall 52.61 Schwäbischer Bund 13.15 f. 30.37.66 Schweiz 28.54.83.98.166.172 Sechserausschuß 111 u. öfter Sekte 117.120.123.127.132.169 Selbstentsetzung 18.23.43 f. 156 f. 157 f. s. a. Widerstandsrecht Sindikatsprozeß 84.92 Speyer - Reichstag 1526 11 f. 117.128 - Reichstag 1529 11 - 13.27. 76. 79 f. Glaubensabschied 11 f. 21.73.137 Reichsabschied 11 f. 59.163 - Deputationstag 1529 40 Straßburg 12 f. 17-19. 28. 40.53 f. 56 f. 165. 172 Streitgenossenschaft 173 Tat, mit der s. a. de facto, de iure, violenter -

= ipso facto 36 mit Gewalt oder der Tat (de facto seu violenter) 89.141.160.166

- mit der Tat vornehmen 20.42.63 f. 162 Tetrapolitana 132.164.172

-

Luthers Erklärung 148.152-156.160

Türkenhilfe, beharrliche 40.62.77.131.175 Tyrann. Tyrannenlehre 24.59.69.157 f. 179 Ulm 12 f. 15.17. 28.40.53 f. 56 f. 165 Unterherr. Unterperson s. Obrigkeit untertänig(lich) 25.117.119.126.177 s. a. Gehorsam utilitas appellationis 142 Vergleich 81.102 f. 106 f. 121 u. oft s. a. Güte Verhandlungskonzept -

ksä. 74 - 76.102 -104.107 f. 110 ksl.-mehrheitl. 81 f. 121 f. s. a. Drei-Wege-Plan

- fehlendes protest. V. 73.114 Verkündigungsfreiheit, ev. 11 f.

75. 115.

174 f. - räuml.-zeitl. Beschränkung 104.107.120 - Versuch d. Eindämmung 11 f. 71. 120122.174 - Verbot d. V. 127.132 - 134 Vermittlung s. Mittel Vertrag s. a. Herrschaftsvertrag. Wahlkapitulation - Prinzip d. Gegenseitigkeit 18. 58. 60. 64. 65 f. 96.170 - Bündnistreue 15.18.22.28.54.67 - Folgen d. Vertragsbruchs 64. 65 f. 67 f. 96 f. 157 Verzug 100.110.114.118.129 Vierzehnerausschuß 105 f. 114. u. oft violenter 138 s. a. de facto, resistere, mit der Tat Vim vi repellere licet 33.46.68.94 - 96.148 s. a. Notwehr. Widerstand Vogt d. Kirche, höchster s. Kaiser

Sachregister Volkssouveränität 179 s. a. Widerstandsrecht Vorthedigung 41 f. s. a. Schutz u. Schirm

Wahldekret 63 Wahlkapitulation 59.63 f. 67 f. 143.178 — W. u. Wahldekret als gegenseit. Vertrag 58 f. 63 f. 67.96 — keine Regelung für Vertragsbruch 59.64 Wege s. Mittel Widerspruch Untergebener 85 f. 86 f. s. a. iniuria Widerstand 55. 69.71.122.156.165.170.172 — Wortbedeutung 31 — Begriff 31 f. 39 — W. u. Ungehorsam 87. 94.144.159 f. — passiver W. 87.155 — W. u. Rache 51. 95. 97 Widerstandslehre 84.145.155 f. — kanonistische 138- 142.145 f. — legistische 84- 93.94 f. 144.146 — am Reichskammergericht 142 Widerstandspflicht (dem Reiche geschworen) 32.157-159 Widerstandsrecht 13. 22. 44. 52. 59. 61-63. ~

65. 73. 83.160.165 Wort 13

— als Notwehr begriffen 20. 39. 93. 136 f. 148.159

-

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Rechtsbehelf v. Privatpersonen 89. 92. 95.140.142 s. a. iniuria W.d. Volkes 60 f. 150.179 s. a. Volkssouveränität W. d. Stände 23.43.59.135.149 Rechtsquellen: Einheit aller Rechte 20. 24. 26. 33 - 35. 91-93. 95. 137. 144. 148. 151. 179. W. u. lutherische Theologie Ausschluß d. göttl. Rechts 42. 44. 6769.95 f. Ausschluß d. Naturrechts 44. 68. 95 f. 146.148 Ausschluß d. röm. Rechts 94 f. Verzicht auf naturrechtl. Begründung 93. 168.179 W. allein aus weltl. Recht 149- 152.159. 167 f. 179 W. bei Bugenhagen 23 - 25. 69.149 f. W. bei Philipp v. Hessen 18. 58-61. 156 f. W. in Luthers Notizen z. "Warnung" 157-160, bes. 158

Wiedertäufer 11.76.120.123 f. 132 Worms -

Reichstag 1521 35

-

Edikt 11 f. 80 f. 118.120.127.132 -134

Zürich 165 f. 172 Zwei-Reiche-Lehre Luthers 45.155