135 49 56MB
German Pages 736 [740] Year 1951
H E I N R I C H
D Ö R R I E
• U N E N D L I C H E
R E I H E N
U N E N D L I C H E REIHEN VON
HEINRICH DÖRRIE
M i t 2i A b b i l d u n g e n
VERLAG
VON
R.
OLDENBOURG
MÜNCHEN
1951
Copyright 1951 by R . Oldenbourg, München Printed in Germany
VORWORT
Das vorliegende Buch verfolgt den Zweck, den Leser mit den wichtigsten Sätzen der Theorie der unendlichen Reihen und Produkte bekannt zu machen und ihn vermittels zahlreicher durchgerechneter Beispiele in die Praxis des Rechnens mit unendlichen Reihen und Produkten einzuführen. Demgemäß steht das Buch etwa in der Mitte zwischen einer systematischen Darlegung der Theorie und einer mit Lösungen versehenen Aufgabensammlung über unendliche Reihen und Produkte. Was zunächst die Theorie betrifft, so enthalt das Buch außer einem großen Bestände allgemeiner Satze auch mehr oder weniger ausführliche Exkurse über spezielle Reihen und Produkte wie Asymptotische Reihen, Besselreihen, Dirichletreihen, Fourierreihen, Thetareihen, Eulerprodukte, Gammaprodukte, Thetaprodukte usw. Der Vollständigkeit wegen und um dem Leser das Nachschlagen in anderen Büchern zu ersparen, wurden auch die Reihen von Taylor, Laurent und Lagrange sowie die Cauchyschen Integralsätze — die in den meisten Büchern über unendliche Reihen als bekannt vorausgesetzt werden — in die theoretische Darstellung mit aufgenommen. Was die Anwendungsbeispiele angeht, so ist der Text laufend mit zahlreichen vollständig gelösten Aufgaben durchsetzt. Darüber hinaus ist der ganze dritte Teil des Buches den Anwendungen der unendlichen Reihen und Produkte gewidmet und bietet dem Leser in drei Abschnitten die ausführlichen Lösungen einer reichen Fülle von arithmetischen, geometrischen und physikalischen Problemen, unter ihnen, um nur einige Beispiele zu nennen, Dirichlets Primzahlsatz, die diophantischen Gleichungen von Fermat-Euler und Lagrange-Jacobi, Weierstraß' Existenzbeweis für stetige und doch nichtdifferenzierbare Funktionen, Hurwitz' isoperimetrischer Hauptsatz, Keplers Gleichung, Schwin-
VI
VORWORT
gungsdauer des Pendels, Schwingungen einer kreisförmigen Membran, Fraunhofers Beugungserscheinung an einer kreisförmigen Öffnung. Diese Anwendungen zeigen eindrucksvoll den gewaltigen Nutzen, den unendlich eReihen und Produkte zu leisten vermögen. Der Verfasser hofft, die Beweise der Sätze und die Lösungen der Aufgaben einfach und leichtverständlich dargestellt und dadurch allen mathematisch Interessierten einen bequemen Zugang zu dem wichtigen Gebiet der unendlichen Reihen und Produkte vermittelt zu haben. Wiesbaden, im November 1950 Heinrich Dörrie
INHALTSVERZEICHNIS ERSTER
TEIL
Analytische Hilfsmittel Erster Abschnitt
Grenzen § 1 § 2 § 3 § 4 § 5 § 6 § 7 § 8 § 9 §10 §11
Mengen Wege, Gebiete, Bereiche Dedekinds Schnittsatz Grenzen und Limiten Cauchys Konvergenzkriterium Das Schachtelungsprinzip Anwendungen des Schachtelungsprinzips Heine-Borels Überdeckungssatz Spezielle Grenzwerte Cauchys Bruch-Wurzel-Satz Bruchlimessätze
3 9 12 13 18 20 21 24 29 35 40
Zweiter Abschnitt
Ungleichungen § 12 §13 §14 §15 § 16 §17 § 18 §19 § 20 § 21 § 22 § 23 § 24
Cauchys Mittelwertsatz Die Potenzungleichung Die Ungleichung der Potenzsumme Die Ungleichung der Exponentialfunktion Die Ungleichung der logarithmischen F u n k t i o n Die Ungleichungen der Kreisfunktionen Abels Lemma Die Ungleichungen von Lagrange und Schwarz Der Produktflächensatz Fakultätsschranken Hölders Ungleichung Newtons und Maclaurins Ungleichungen Bessels Ungleichung
45 47 52 56 60 65 67 69 74 79 83 87 91
D r i t t e r Abschnitt
Restbrüche § 25 § 26 §27 §28 § 29
Restbruchschranken Die Af «-Ungleichung Lagranges Restbruchsatz Der Konstantensatz Dirichlets Sinus- und Cosinusreihe
97 106 109 113 114
VIII § § § §
30 31 32 33
INHALTSVERZEICHNIS
Der Satz von Taylor Restbruch und Mittelwert Die Mittelwerte der Elementarfunktionen Mittelwert von sin«* und cos"*
117 123 125 127
Vierter Abschnitt Integrale § 34 § 35 §36 §37 § 38 §39 §40 § 41 § 42 § 43 § 44 §45
Der Integralbegriff Die Mittelwertsätze der Integralrechnung Frullanis Satz Die Leibnizsche Kegel Integration unter dem Integralzeichen Regulärfunktionen Cauchys Hauptsatz Cauchys Integralformel Ableitungen einer Regulärfunktion Liouvilles Satz Cauchys Residuens>atz Cauchys Pol-Wurzel-Satz
ZWEITER
:
129 140 144 146 149 151 154 161 163 166 167 169
TEIL
Unendliche Reihen und Produkte Erster Abschnitt Reihen mit k o n s t a n t e n Gliedern § 46 § 47 §48 § 49 § 50 § 51 § 52 § 53 § 54 § 55 § 56 § 57 § 58 § 59
Konvergenz und Divergenz einer unendlichen Reihe Reihenvergleichung Teleskopreihen Cauchys Bruch-und Wurzelkriterium Cauchys Kondensationsknterium Cauchys Integralkriterium Gauß' Konvergenzkriterium Raabes Konvergenzmerkmal Reihen mit beliebigen konstanten Gliedern Absolut und unbedingt konvergent Multiplikation unendlicher Reihen Kummers Reihenumformung Die Umformung von Euler-Markoff Tannerys Satz
174 179 186 193 198 205 208 212 217 221 226 230 233 237
Zweiter Abschnitt Reihen mit variablen Gliedern § 60 § 61 § 62 § 63
Gleichmäßige Konvergenz Merkmale für gleichmäßige Konvergenz Stetigkeit Ableitung einer konvergenten Funktionenfolge
240 246 248 250
INHALTSVERZEICHNIS
§ 64 Integration § 65 Weierstraß' Konvergenzsatz § 66 Gleichmäßig konvergente Integrale
IX
256 261 264
Dritter Abschnitt
Doppelreihen § 67 § 68 § 69 § 70 §71
Doppelreihen mit positiven Gliedern Doppelreihen mit beliebigen Gliedern Anwendungen der Doppelreihen Jacobis Doppelreihenformeln Hilberts Doppelreihensatz
272 276 281 284 289
Vierter Abschnitt
Potenzreihen § 72 § 73 § 74 § 75 § 76 § 77 § 78 §79 § 80 §81
Konvergenz von Potenzreihen Abels Stetigkeitssatz Ableitung einer Potenzreihe Die Reihen von Laurent und Taylor Methode der unbestimmten Koeffizienten Riemanns Identitätssatz Kehrwert einer Potenzreihe Substitution einer Potenzreihe in eine andere U m k e h r u n g einer Potenzreihe Lagranges Reihe
293 297 300 302 305 310 311 313 319 321
F ü n f t e r Abschnitt
Elementarreihen § § § § § § §
82 83 84 85 86 87 88
Die Sinus- und Cosinusreihe Die Exponentialreihe Die logarithmische Reihe Die Arcustangensreihe Die Binomialreihe Die Arcussinusreihe Teilbruchzerlegung von cot^r und cosec*
§3 89 Die Potenzreihe f ü r — — e*— 1 § 90 Die Tangens- und Secansreihe
324 329 338 345 348 353 359 364 372
Sechster Abschnitt
Unendliche Produkte § § § §
91 92 93 94
Konvergenz unendlicher P r o d u k t e Normalprodukte Die unendlichen Sinus- und Cosinusprodukte D a s unendliche Produkt 77 (1 + cnx)
§ 95 Die Eulerprodukte II (1+*«) und 77 (1 — *») l I § 96 Jacobis I d e n t i t ä t
380 384 386 390 393 402
X § 97 § 98 § 99 §100
INHALTSVERZEICHNIS
Unendliche Produkte für Thetafunktionen Weierstraß' Produktsatz Die Gammafunktion als unendliches P r o d u k t Grundeigenschaften der Gammafunktion
407 417 421 429
Siebenter Abschnitt
Trigonometrische Reihen §101 Fourierkonstanten und Fourierreihen §102 Die Sätze von Malmsten und Dirichlet §103 Heine-Cantors Eindeutigkeitssatz oo § 104 Das Integral f ^ d x o §105 Die Abschnitte der Dirichletreihe §106 Das Dirichletmtegral §107 Fourierreihen von Dirichletfunktionen §108 Anwendungen von Dirichlets Satz §109 Der Satz von Lebesgue §110 Gleichmaßig konvergente Fourierreihen §111 Der Satz von Du Bois-Rcymond § 112 Parsevals Formel §113 G i b b s ' P h ä n o m e n §114 Fourierreihen nichtperiodischer Funktionen
443 448 452 456 458 463 469 473 480 483 487 489 492 495
Achter Abschnitt
Dirichletreihen § 115 §116 §117 §118
Konvergenzabszissen Eindeutigkeitssätze Multiplikation von Dirichletreihen Dirichlets L-Reihen
498 505 508 515
Neunter Abschnitt
Asymptotische Reihen §119 §120 §121 §122 § 123 §124
Bernoullipolynome Eulers Summenformel Eulers Limesformel Eulers Konstante und die harmonische Reihe Stirlings Reihe Die asymptotische Reihe f ü r den Logarithmus der Gammafunktion . . .
532 539 543 547 551 553
Zehnter Abschnitt
Besselreihen §125 §126 §127 §128 §129 §130
Legendrepolynome Besselreihen und ihre Differentialgleichung Vom Legendrepolynom zur Besseltranszendente Besselreihen beliebiger Ordnung Grundsystem der Besseischen Differentialgleichung Besselfunktionen endlicher Form
559 562 566 569 574 579
INHALTSVERZEICHNIS
§131 §132 §133 § 134 §135 § 136 §137 §138 § 139 §140
X I
Besselfunktion und Kreisfunktion Die Differentialgleichung von Lommel Besselfunktion als Laplacetransformierte Hankelfunktionen Asymptotische Entwicklung der Hankelfunktionen Wurzeln der Besselfunktion Besselfunktionen als unendliche Produkte Entwicklung einer Funktion in eine Besselreihe Eigenschaften der Summe Konvergenz der Besselreihe
DRITTER
584 586 589 596 603 608 617 619 623 636
TEIL
Anwendungen der unendlichen Reihen Erster Abschnitt Arithmetische Anwendungen §141 §142 §143 §144 §145 § 146 §147 § 148
Kompositionen Das Verteilungsproblem Newtons Formeln Stetige Funktionen ohne Ableitung Einige Bestimmte Integrale Die diophantische Gleichung von Fermat-Euler Die diophantische Gleichung von Lagrange- Jacobi Dirichlets Primzahlsatz
645 647 650 653 656 665 670 674
Zweiter Abschnitt Geometrische Anwendungen §149 §150 §151 §152 § 153 §154 §155
Dreieckswinkelberechnung Rektifikation des Kreises Rektifikation von Ellipse und Lemniskate Meridiankrümmung Die Keplersche Gleichung Brennstrahl und Mittlere Anomalie Der isoperimetrische Hauptsatz
677 680 684 686 688 692 694
Dritter Abschnitt Physikalische Anwendungen §156 §157 §158 §159 §160 §161
Schwingungsdauer des Pendels Saitenschwingungen Schwingungen eines frei herabhängenden Seils Schwingungen einer kreisförmigen Membran Atmosphärische Strahlenbrechung Beugung an einer Kreisöffnung
i
697 700 704 707 712 717
ERSTER
ANALYTISCHE
TEIL
HILFSMITTEL
ERSTER
ABSCHNITT
GRENZEN § 1. Mengen Eine Zahlenmenge oder Punktmenge ist der Inbegriff aller Zahlen oder Punkte der Zahlenebene, die durch eine gewisse, allen diesen Zahlen gemeinsame Eigenschaft als zusammengehörig gekennzeichnet und zu einem Ganzen vereinigt sind. Die zur Menge gehörigen Zahlen bzw. Punkte heißen die Elemente oder Glieder der Menge. Im allgemeinen sind die Elemente einer Menge als untereinander verschieden zu denken; man kann aber auch Mengen betrachten, in denen einander gleiche Elemente vorkommen. Eine Menge heißt endlich oder unendlich, je nachdem sie endlich viele oder unendlich viele Elemente enthält. Aus Gründen der Vollständigkeit und im Interesse uneingeschränkter Gültigkeit der Sätze der Mengenlehre hat man auch eine gar kein Element enthaltende uneigentliche Menge, die ,.Nullmenge" oder ,,leere Menge" eingeführt. Sie rechnet zu den endlichen Mengen, und man sagt, daß sie in jeder Menge als Teilmenge enthalten ist. Von den endlichen Mengen abgesehen, sind die einfachsten Mengen die abzählbaren Mengen. Eine Menge heißt abzählbar, wenn man ihre Elemente numerieren kann, so daß sich die Menge als — nicht notwendig unendlich viel Glieder enthaltende — sog. Zahlenfolge oder Punktfolge Z1,
Z2,
Z3,
...
darstellen läßt, die abgekürzt oft durch {zn} bezeichnet wird. Der Index n von zn ist die Nummer des Elements zn dieser Menge. Eine Folge x1, x2, x3, . . . reeller Zahlen, deren Elemente mit zunehmendem Zeiger ständig wachsen oder doch wenigstens nicht kleiner werden [ständig fallen oder doch wenigstens nicht größer werden] heißt eine Steigfolge [Sinkfolge]. Steigfolgen und Sinkfolgen führen den gemeinsamen Namen monotone Folgen. 1*
4
ERSTER ABSCHNITT. GRENZEN
Die einfachste abzahlbare unendliche Menge ist die Folge 1, 2, 3, ... der natürlichen Zahlen. Die Menge aller reellen Rationalzahlen ist ebenfalls abzählbar. Um das einzusehen, zeigen wir zuerst, daß die Menge aller rationalen positiven Echtbrüche abzählbar ist. Die Abzählbarkeit erkennt man sofort an der nur die irreduziblen Echtbrüche enthaltenden Anordnung i i i l i i i i i i i i i i i l i 2 ' 3' 3' 4 ' 4 ' 5' 5' 5' 5' 6' 6' 7 ' 7 ' 7' 7' 7'
7'
in welchem jedem positivrationalen Echtbruch seine Nummer zugewiesen ist. 1 2 5 Beispielsweise ist — der erste, — der siebente, — der U t e Echtbruch. Um die Abzählbarkeit aller Rationalzahlen darzutun, schreiben wir die angegebene Echtbruchfolge nochmals nieder, jedoch mit der Abänderung, daß zwischen je zwei sukzessiven Elementen p : q und r : s noch die neuen Brüche q.p, — p'-q und -q:p eingeschaltet werden. Setzt man vor die so entstehende Folge noch die beiden Zahlen 0 und 1, so hat man alle Rationalzahlen in einer eindeutig bestimmten, also numerierbaren Anordnung. Auch die Gitterpunkte der Zahlenebene bilden eine abzahlbare Menge. (Ein Gitterpunkt ist ein Punkt mit ganzzahligen Koordinaten.) Beweis. Die Realachse der Zahlenebene laufe wie üb'* lieh waagrecht nach rechts, die Imaginarachse lotrecht nach oben; als Längeneinheit diene das cm. Unter einem Rechtsknick (bzw. Linksknick) verstehen | J_ wir einen Streckenzug ABC, welcher aus einer nach rechts (bzw. links) laufenden Strecke A B und einer ebenso langen nach oben (bzw. unten) laufenden Strecke BC besteht. Die Länge der Strecke heiße die Breite des Knicks. Wir zeichnen nun folgenden stetigen spiralförmigen unendlichen Streckenzug. Wir beginnen im Ursprung 0 mit einem 1 cm breiten Rechtsknick, reihen daran einen 2 cm breiten Linksknick, fahren fort mit einem 3 cm breiten Rechtsknick, setzen daran einen i cm breiten Linksknick usw. Die Spirale läuft sukzessiv durch sämtliche Gitterpunkte der Ebene, so daß jeder nur einmal passiert wird und dabei seine Nummer erhält, womit die behauptete Abzahlbarkeit dargetan ist. Satz von Georg Cantor: Die Zahlen des Fundamentalintervalls Bd. 77.)
sind nicht abzählbar. (Crelles Journal,
[Fundamentalintervall ist das Intervall (0, 1).]
§ 1. MENGEN
5
Beweis. Cantor denkt sich jede Zahl des Intervalls (0, 1) als unendlichen Dezimalbruch geschrieben (der also nicht mit lauter Nullen endigt), so daß z. B. für 7 : 8 0,8749999... geschrieben wird. Angenommen, die Zahlen des Intervalls (0, 1) seien abzahlbar und demgemäß durch die Folge xx, x2, x3, ... in inf. in der Cantorschen Schreibung dargestellt. Durch folgende Vorschrift Cantors gelingt es jetzt, beliebig viele Zahlen des Fundamen talin tervalls anzugeben, die in der Folge {%M} nicht vorkommen: Man bildet einen positiven Echtbruch y so, daß seine r-te Dezimale [v = 1, 2, 3, ...] von der v-ten Dezimale von xv abweicht. Dieses y kann der Folge {xnj nicht angehören, womit die angenommene Abzählbarkeit sich als unhaltbar erweist. Da man bei Befolgung der Can torschen Vorschrift bei jeder Dezimale die Wahl unter 8 verschiedenen Ziffern hat, so gibt es 8°° Zahlen y des Fundamentalintervalls, die alle der Folge {xnj nicht angehören. Umfaßt also beispielsweise die Folge x1, x2, x3, ... die samtlichen Rationalzahlen des Fundamentalintervalls, so liefert Cantors Vorschrift nicht weniger als 8°° Irrationalzahlen des Fundamen talin tervalls! Etwas allgemeiner lautet
Cantors Satz:
Auf jeder noch so kleinen Strecke der Zahlenachse liegen unendlich viele Punkte, die einer vorgelegten Punktfolge der Strecke nicht angehören. Beweis, x' = a und x' -=b> a seien die Endpunkte der Strecke, und der bewegliche Punkt %' durchlaufe die Strecke von links nach rechts. Durch die Vorschrift x = (x' — a)l(b — a) wird dann die Strecke eineindeutig auf das Fundamentalintervall abgebildet, so daß jedem Punkt x' der Strecke genau ein Punkt x des Fundamen talin tervalls entspricht und aus der vorgelegten Punktfolge der Strecke eine Punktfolge des Fundamentalintervalls wird. Die den Punkten y (s. o.) vermöge der Abbildungsformel y=(y'~
a)l(b - a)
entsprechenden Streckenpunkte y' gehören dann der vorgelegten Folge nicht an, w. z. b. w. Die Gesamtheit aller Punkte einer Strecke bildet ein sog. Kontinuum, das Streckenkontinuum. Mit Benutzung dieses Ausdrucks erhalt Cantors Satz die prägnante Fassung: Das Streckenkontinuum
ist nicht >abzählbar.
6
ERSTER ABSCHNITT. GRENZEN
Eine Realzahlenmenge heißt nach oben beschränkt, wenn es eine endliche ZahlO gibt, die sämtliche Elemente der Menge überschreitet. Die Zahl 0 heißt eine obere Schranke der Menge. Eine Menge heißt nach unten beschränkt, wenn eine endliche Zahl U existiert, die alle Mengenglieder unterschreitet. Die Zahl t/ist eine untere Schranke der Menge. Eine Zahlenmenge heißt beschränkt, wenn es eine endliche Zahl gibt, die den Betrag jedes Elements der Menge überschreitet. Häufungsstellen Ein Punkt der Zahlenebene heißt eine Häufungsstelle einer Menge, wenn in jeder reduzierten Umgebung des Punktes unendlich viele Glieder der Menge liegen. Dabei versteht man unter der „reduzierten Umgebung" e des Punktes c der Zahlenebene die Gesamtheit der von c verschiedenen Punkte z, für welche \z — c | < s ausfällt und — wenn es sich nur um Realzahlen handelt — unter der „reduzierten Umgebung" e des Punktes x = a der Realachse die Gesamtheit der von a verschiedenen Punkte x der Realachse, für welche \x — a | < e ist. Eine Häufungsstelle kann auch so definiert werden: Ein Punkt heißt Häufungsstelle einer Menge, wenn in jeder Umgebung des Punktes außer ihm selbst mindestens ein Punkt der Menge liegt. In dieser zweiten Definition ist die erste enthalten. In der T a t : P sei ein Punkt der Menge, derart, daß in jeder Umgebung von P (außer P) mindestens ein Punkt der Menge liegt. In der beliebig kleinen positiven Umgebung e liege demgemäß das von P um d < e abstehende Mengenglied Q. Wir nehmen jetzt die Umgebung e1 — d: 2 von P; in ihr muß mindestens ein von P verschiedenes Mengenelement Qj liegen, dessen Abstand d1 von P < et ist. Wir gehen zur Umgebung e2 = d1: 2 über; in ihr muß mindestens ein von P verschiedenes Element Q2 der Menge liegen, dessen Abstand d2 von P < e2 ist. Darauf finden wir in der neuen Umgebung e3 = d2: 2 einen neuen Mengenpunkt Q3 usf. Wir haben damit das Vorhandensein von unendlich vielen Mengengliedern Q, Q l t Q%, Q3, ... in der beliebig vorgegebenen Umgebung e von P festgestellt, so daß P auch nach der ersten Definition eine Häufungsstelle ist. Eine Häufungsstelle einer Menge braucht nicht notwendig der Menge anzugehören. Beispiele 1. Die durch die Formel %„ = ( « + t") : (2 n + in),
[« = 1 , 2 , 3 , . . . ]
definierte Realzahlenmenge oder Folge {x n } besteht aus den Elementen 0
'
~ — — — — — 5 ' IT' 9 ' 9 ' 13' 13' •"
\
und hat die einzige der Menge nicht angehörige Haufungsstelle x = — .
§ 1. MENGEN
2. Die Menge bestehe aus den Zahlen der drei Folgen {xn}, {yn}, [zn] mit
1 Diese Menge hat drei Häufungsstellen x = 2, y = ly,
1 z = 1-g-.
3. Die Menge der Zahlen, die entsteht, wenn im Ausdruck 1 +
r +1 1 + 1(r + 1)2 + ""' + ( r -1f l ) '
r und s unabhängig voneinander alle natürlichen Zahlen durchlaufen, hat die unendlich vielen Haufungsstellen 2 , 3 / 2 , 4 / 3 , 5 / 4 , 6 / 5 , ... 4. Die Menge aller Rationalzahlen des Fundamen talin tervalls hat jede Zahl dieses Intervalls zur Häufungsstelle, besitzt demnach unendlich viel mehr Haufungsstellen wie sie selbst Elemente hat. 5. Die Menge aller Punkte der Zahlenebene von der Form Zn = 1/2 + 20)"
mit
0) = ( - 1 + i ]/3): 2
hat die drei Häufungsstellen i j/3, — i j/3 und 3, von denen keine der Menge angehört. 6. Die Folge {zn=
1/n + in} hat die 4 Haufungsstellen 1 + i, 0, 1 — i, 2, von «
denen nur die erste der Menge angehört. (Es ist lim jjn = 1.) *) Punktarten einer Menge Ein Punkt heißt Innenpunkt einer Menge, wenn er eine Umgebung besitzt, die der Menge angehört. Die Gesamtheit aller Innenpunkte bildet das Innere der Menge. [Unter der Umgebung e eines Punktes c der Zahlenachse bzw. Zahlenebene versteht man die Gesamtheit aller Realzahlen bzw. Komplexzahlen z, für, welche \z — c \ < e ist.] Ein Punkt heißt Außenpunkt einer Menge, wenn er eine Umgebung besitzt, von der kein Punkt der Menge angehört. Die Gesamtheit aller Außenpunkte bildet das Außere oder auch das Komplement der Menge. Ein Punkt heißt Randpunkt einer Menge, wenn in jeder Umgebung desselben mindestens ein Punkt liegt, welcher der Menge angehört, und mindestens einer, welcher ihr nicht angehört. *) Nach dem binomischen Satze ist (1 + 1/ —) > 1 + V2 n + (n — 1) > n, mithin 1 < ^ < 1 + 1/— .
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E R S T E R ABSCHNITT: GRENZEN
Die Gesamtheit der Randpunkte einer Menge bildet den Rand oder die Grenze der Menge. Ein P u n k t heißt Isolierter Punkt einer Menge, wenn er der Menge angehört, aber eine Umgebung besitzt, von der außer ihm kein P u n k t zur Menge gehört. Offene und abgeschlossene
Mengen
Eine Menge heißt offen, wenn sie nur aus Innenpunkten besteht. Sie heißt abgeschlossen, wenn sie alle ihre Häufungsstellen enthält oder aber, wenn sie keine Häufungsstelle hat. Die Nullmenge gilt als abgeschlossen. Dementsprechend heißt ein Intervall der Zahlenachse abgeschlossen oder offen, je nachdem die beiden Endpunkte des Intervalls zum Intervall gerechnet werden oder nicht. Sind a u n d b die Intervallenden, so wird das offene Intervall mit (a, b), das abgeschlossene mit \a, b] oder (a, ö) bezeichnet. Ebenso heißt eine in der Zahlenebene liegende Fläche (als Menge ihrer Punkte) abgeschlossen oder offen, je nachdem ihre Randpunkte ihr zugerechnet werden oder nicht. Zusammenhang Eine Menge heißt zusammenhängend, wenn je zwei ihrer Punkte durch eine stetige Linie verbunden werden können, deren Punkte alle der Menge angehören. Eine abgeschlossene zusammenhängende Punktmenge heißt Kontinuum. Ableitung einer Menge Unter der Ableitung einer Menge versteht m a n die Gesamtheit ihrer Häufungsstellen. Die Ableitung der Menge 3K wird mit 90?' bezeichnet. Die Ableitung einer Menge ist eine abgeschlossene Menge. Beweis. Wir brauchen uns nur um den Fall zu kümmern, daß die Ableitung • 2)?' der gegebenen Menge 90? unendlich viele verschiedene Haufungsstellen besitzt, da jede Menge mit endlich vielen Häufungsstellen von selbst abgeschlossen ist. e sei eine beliebige Umgebung einer Häufungsstelle g von 50?'. In der Umgebung e/2 von g liegt mindestens ein von g verschiedenes Element z' von 90?', so d a ß |g — z' | < e : 2 ist. Da z' eine Häufungsstelle von SO? ist, liegt in der Umgebung e/2 von z' mindestens ein Punkt z von 9)? so, daß \z' — z | < e/2 ist. Aus den beiden Ungleichungen folgt — | z < e. Damit liegt aber in der beliebigen Umgebung e von g mindestens ein von g verschiedener P u n k t (z) von 90?, d. h. g ist Häufungsstelle von 90? und gehört als solche zu 90?'. Folglich enthält 93?' jede seiner Häufungsstellen und ist somit abgeschlossen.
§ 2. WEGE, GEBIETE, BEREICHE
9
Mit Benutzung des Ableitungsbegriffs kann man noch sagen: Eine Menge heißt abgeschlossen, wenn sie ihre Ableitung enthält. Ist umgekehrt eine Menge in ihrer Ableitung enthalten, m. a. W., ist jeder Punkt der Menge eine ihrer Häufungsstellen, so heißt die Menge in sich dicht. Eine Menge, die mit ihrer Ableitung übereinstimmt, heißt perfekt. Eine Punktmenge heißt dicht, wenn die Verbindungsstrecke je zweier ihrer Punkte mindestens einen weiteren Punkt der Menge enthält. Durchmesser einer Menge Die Verbindungsstrecke je zweier Punkte einer Menge heißt eine Strecke der Menge. Unter dem Durchmesser einer Punktmenge versteht man die obere Grenze aller Strecken der Menge (§ 4).
§ 2. Wege, Gebiete, Bereiche I.
Wege
Eine ebene Kurve c ist der Ort oder die Bahn des Mobils (beweglichen Punktes) P, dessen Koordinaten x und y sich durch die Bahngleichungen (Gleichungen der Kurve in Parameterdarstellung) x= 1 : d ausfällt. Unter der Umgebung ö eines Weges versteht man das Gebiet, welches aus der Umgebung (5 jedes Wegpunktes besteht. Unter dem Gebiet eines Umlaufs versteht man die Gesamtheit aller innerhalb des Umlaufs liegenden Punkte. Ebenso ist der Bereich eines Umlaufs die Gesamtheit aller Punkte, die innerhalb des Umlaufs oder auf dem Umlauf selbst liegen. Ein Gebiet bzw. Bereich heißt endlich, wenn alle seine Punkte im Endlichen liegen. Ein Gebiet oder Bereich heißt k-fach zusammenhängend, wenn sein Rand aus k getrennten Punkten oder Kontinuen besteht. Ein Kontinuum ist, wie schon im § 1 gesagt wurde, eine zusammenhangende abgeschlossene Punktmenge.
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E R S T E R ABSCHNITT: G R E N Z E N
Eine Kreisfläche z. B. ist einfach zusammenhängend; denn ihr Rand ist ein (lineares) Kontinuum. Auch jeder Umlaufsbereich ist einfach zusammenhängend, sein Rand gleichfalls ein lineares Kontinuum. Die außerhalb eines Umlaufs liegenden Punkte der ¿-Ebene bilden gleichfalls ein einfach zusammenhängendes Gebiet. Liegt ein Umlauf ganz innerhalb eines andern Umlaufs, so ist das zwischen den beiden Umläufen liegende Gebiet zweifachzusammenhängend. Zeichnet man außerhalb eines Kreises a einen zweiten Kreis 6, sodann einen beide Kreise einschließenden dritten Kreis c, so bilden die Punkte, die zugleich außerhalb der Kreise a und 6 und innerhalb des Kreises c liegen, ein dreifachzusammenhängendes Gebiet usw.
§ 3. Dedekinds Schnittsatz Von größter Bedeutung für die Beweise vieler Sätze der Analysis ist die zuerst (1872) von Richard Dedekind genauer betrachtete Klasseneinteilung der Realzahlen, d. h. die Einteilung aller Realzahlen in zwei Klassen derart, daß jede Zahl der ersten Klasse kleiner ist als jede Zahl der zweiten Klasse. Man nenn t die erste Klasse zweckmäßig die Unterklasse, die zweite die Oberklasse, die Angehörigen der beiden Klassen entsprechend Unterzahlen \m&.0berzahlen. Die einfachste derartige Klasseneinteilung entsteht, wenn man nach Fixierung einer gewissen Realzahl r die beliebige Realzahl z in die Ober- oder Unterklasse tut, je nachdem z die Fixzahl r überschreitet oder nicht. Bei dieser Einteilung ist r die größte aller Unterzahlen. Die Einteilung läßt sich auch so einrichten, daß die Fixzahl r die kleinste aller Oberzahlen wird: Man tut die beliebige Zahl z in die Unter- oder Oberklasse, je nachdem z die Fixzahl r unterschreitet oder nicht. Jede Realzahl r vermag demnach genau zwei solche Klasseneinteilungen zu „erzeugen". Wir geben noch zwei Beispiele von Klasseneinteilungen. 1. In die Oberklasse kommt jede Zahl, deren Quadrat die gegebene positive Ganzzahl g überschreitet, in die Unterklasse jede andere Zahl. Die Einteilung wird in diesem Beispiel durch die Quadratwurzel aus g hervorgebracht. 2. In die Unterklasse kommt jede Zahl von der Form s zur Oberklasse gehört. Am schnellsten sieht man das ein, wenn man jeden Punkt der Zahlenachse gelb oder blau markiert derart, daß jeder gelbe Punkt links von jedem blauen liegt. Die gelben Punkte bilden die Unter-, die blauen die Oberklasse der Einteilung. Dann ist klar, daß auf der Zahlenachse genau ein Punkt s (eine Zahl s) existiert derart, daß jeder Punkt links von s (jede Zahl < s) gelb, jeder Punkt rechts von s (jede Zahl > s) blau markiert ist. Dieses eindeutig bestimmte s ist die Zahl, deren Existenz unser Satz behauptet. Eine Klasseneinteilung der Realzahlen wird auch ein Dedekindschnitt, die durch sie erzeugte Zahl s die Schnittzahl der Einteilung genannt. Mit Benutzung dieser Ausdrücke erhalt Dedekinds Schnittsatz die Form: Jeder Dedekindschnitt erzeugt genau eine Schnittzahl derart, daß jede kleinere Zahl der Unterklasse, jede größere Zahl der Oberklasse des Schnitts angehört. Die Schnittzahl selbst gehört zur Unter- oder Oberklasse. Sieht man die Klasseneinteilung als durch die Schnittzahl s bewirkt an, so kann man die Unterklasse bzw. Oberklasse der Einteilung auch die Unterklasse bzw. Oberklasse der Schnittzahl nennen. Bisweilen sagt man statt „Schnittzahl" auch kurzweg „Schnitt". Das erregt keinerlei Bedenken, wenn aus dem Zusammenhange hervorgeht, daß der Ausdruck „Schnitt" dann nicht den Akt der Einteilung, sondern das Ergebnis dieses Akts bedeutet. Der folgende Paragraph soll an einigen Anwendungen die große Bedeutung von Dedekinds Schnittsatz zeigen.
§ 4. Grenzen und Limiten 1. Satz von der oberen Grenze: Jede nach oben beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt genau eine obere Grenze, d. h. es existiert eine einzige, der Menge nicht notwendig angehörige Zahl G mit folgenden zwei Eigenschaften: 1. Oberhalb von G liegt keine Zahl der Menge. 2. In jedem abgeschlossenen Intervall mit dem Rechtsende G liegt mindestens eine Zahl der Menge. Diese Zahl G heißt obere Grenze der Menge. Der Beweis dieses Satzes folgt ohne weiteres aus folgender Definition der oberen Grenze.
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E R S T E R ABSCHNITT: G R E N Z E N
Die obere Grenze ist der Schnitt, in dessen Unterklasse jede Zahl kommt, oberhalb welcher wenigstens ein Mengenglied liegt, in dessen Oberklasse jede Zahl kommt, oberhalb welcher kein Mengenglied liegt. Ist also beispielsweise {x n } = , %2 > #3 > • • • y > • • • C1HC Folge unaufhörlich wachsender Zahlen, die sämtlich unterhalb einer endlichen Zahl E liegen, so besitzt die Folge eine obere Grenze G, und man schreibt lim xn = G. n—*co Diese Gleichung bedeutet: Zu jedem positiven e existiert ein Zeiger n derart, daß für jeden größeren Zeiger N G — e < xN < G ist. In def T a t : im Intervall [G — e, G] liegt mindestens eine Zahl, etwa xn, der Folge. Demnach ist G — e gi xn ^ G, also sicher xN > G — e. Da ferner für M > N xN < xM und xM > G oder xM ^ G ist, folgt ferner xN < G. Die obere Grenze der Folge
ist z. B. die Eulersche Zahl e (§ 15). 2. Satz von der unteren Grenze: Jede nach unten beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt genau eine untere Grenze; d. h. es gibt eine einzige der Menge nicht notwendig angehörige Zahl g mit folgenden zwei Eigenschaften: 1. Unterhalb von g liegt keine Zahl der Menge. 2. In jedem abgeschlossenen Intervall mit dem Linksende g liegt wenigstens eine Zahl der Menge. Diese Zahl g heißt untere Grenze der Menge. Der Beweis des Satzes folgt sofort aus folgender Definition der unteren Grenze: Die untere Grenze der Menge ist der Schnitt, in dessen 06«rklasse jede Zahl kommt, Mwferhalb welcher wenigstens ein Mengenglied liegt, in dessen Unterklasse jede Zahl kommt, unterhalb welcher kein Mengenglied liegt. Jede Folge xlt x2, x3, ... unaufhörlich fallender Zahlen, die samtlich oberhalb einer festen endlichen Zahl e liegen, besitzt eine untere Grenze g, und man schreibt lim x„ = g. n—»-00
§ 4. G R E N Z E N UND L I M I T E N
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Diese Gleichung bedeutet: Zu jedem positiven e existiert ein endlicher Zeiger n derart, daß für jeden größeren Zeiger N g< *n
• • •
i11^•
konvergiert dann und mir dann gegen einen endlichen Grenzwert, wenn zu jedem positiven e ein endlicher Zeiger n existiert derart, daß für jeden größeren Zeiger N die Cauchysche Ungleichung gilt: I xN - xn | < e. Beweis. I. Besitzt die Folge den Limes X, so existiert zu jedem positiven e ein Zeiger n derart, daß für jeden Zeiger N ig w I *jy — A | < e: 2 ausfällt. Aus | xn — X | < e : 2 und | xN — X | < e : 2 ergibt sich \*N
-
* » | < £•
Cauchys Ungleichung ist also notwendig. II. Ist umgekehrt Cauchys Ungleichung erfüllt, so folgt aus | xs | < | xn | + e die Beschränktheit der Folge xi, x2, x3, ... und daraus das Vorhandensein des Oberlimes L und Unterlimes l. Wir behaupten, daß beide Limiten denselben Wert X haben. Beweis. Ist L #= l, so setzen wir L — l = 4e. Dann liegen in den beiden Intervallen (l — e, l + e) und (L — e, L + e) unendlich viele Folgeglieder. Nach Fixierung von xn ist dann, etwa für xM (mit M > n) aus dem ersten, für xN m i t N > n) aus dem zweiten dieser Intervalle, sowohl \xM — xn\ als auch xN — xn | kleiner als e, mithin | xM — xN \ < 2e, was aber unmöglich ist, da xM und xN um wenigstens 2e auseinanderliegen. Demnach ist tatsächlich L — l = X, und dieses X ist der Limes unserer Folge. Eine Zahlenfolge x1, x2, x3, . . . , die Cauchys Ungleichung \xN — xn \ < e befriedigt, heißt konzentriert oder auch eine Cauchyfolge. Bei Benutzung dieser Redeweise lautet unser Konvergenzsatz kurz wie folgt: Cauchys
Konvergenzmerkmal:
Eine Zahlenfolge konvergiert dann und nur dann gegen einen endlichen Grenzwert, wenn sie konzentriert ist. Zusatz. Eine konvergente Folge mit verschwindendem Grenzwert heißt Nullfolge. Wenn die Glieder xn der Folge {%„} unbegrenzt wachsen, schreibt man natürlich lim xn = oo.
n—>oo
2*
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E R S T E R ABSCHNITT: GRENZEN
§ 6. Das Schachtelungsprinzip I.
Intervallschachtelung
Unter einer Intervallschachtelung versteht man eine Folge von unbegrenzt abnehmenden abgeschlossenen Intervallen J1, J2, J3, ... der Zahlenachse, bei welcher jedes Intervall der Folge im vorhergehenden Intervall liegt. Jedes Intervall der Schachtelung enthält also alle folgenden Intervalle und ist selbst in allen vorhergehenden Intervallen enthalten. E s gilt folgender Intervallschachtelungssatz: In jeder Intervallschachtelung der Schachtelung angehört.
existiert genau ein Punkt, der allen
Intervallen
In anderer Ausdrucksweise: Die Intervalle einer Schachtelung ,,Schrumpf punkt", zusammen.
schrumpfen
schließlich
auf einen Punkt,
den
Beweis. Zunächst ist klar, daß es nicht zwei allen Intervallen der Schachtelung angehörige Punkte A und B geben kann, da die endliche Strecke AB wegen der unbegrenzten Abnahme der Intervalle bei hinreichend hohem Zeiger n im Intervall Jn nicht mehr Platz hat. Wir betrachten nun den Dedekindschnitt, bei welchem jedes linke Intervallende und jeder links davon liegende Punkt in die Unterklasse, jeder andere Punkt der Zahlenachse in die Oberklasse kommt. Da nach Voraussetzung kein rechtes Intervallende Linksende eines andern Intervalls sein kann oder gar links vom Linksende eines Intervalls liegen kann, so ist jedes rechte Intervallende eine Oberzahl. Unser Dedekindschnitt definiert eine einzige Schnittzahl s derart, daß , U ig
S ig
0
ist, wo u eine beliebige Unterzahl, o eine beliebige Oberzahl der Einteilung bedeutet. Da nun das Linksende ln des Intervalls Jn eine Unterzahl, das Rechtsende rn eine Oberzahl der Einteilung ist, so gilt auch die Ungleichung in ^ S iS 1'n. Sie zeigt, daß der Schnitt s sämtlichen Intervallen der Schachtelung angehört, womit unser Satz bewiesen ist. Die Annahme der Abgeschlossenheit Grund. Die offenen Intervalle
der Intervalle / 1 , / 2 , ... hat ihren guten -i-j, (o, - i - j , . . . bilden beispielsweise
auch eine Schachtelung, sie haben aber keinen Punkt gemeinsam.
§7. A N W E N D U N G E N D E S
II.
SCHACHTELUNGSPRINZIPS
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Rechtecksschachtelung
Unter einer Rechtecksschachtelung verstehen wir eine Folge von abgeschlossenen Rechtecken Rlt R2, ... der Zahlenebene mit achsenparallelen unbegrenzt abnehmenden Seiten, bei welcher jedes Rechteck der Folge im vorhergehenden Rechteck liegt. Jedes Rechteck der Schachtelung enthält alle folgenden Rechtecke u n d ist selbst in allen vorhergehenden Rechtecken enthalten. E s gilt folgender Rechtecksschachtelungssatz: Es gibt genau einen Punkt, der allen Rechtecken einer Schachtelung ( Schrumpf stelle).
angehört
Beweis. Zunächst steht fest, daß nicht zwei allen Rechtecken der Schachtelung angehörige Punkte A u n d B existieren können, da die Strecke AB bei hinreichend hohem n im Rechteck Rn nicht untergebracht werden kann. Wir projizieren nun die abszissenachsenparallelen Rechtecksseiten auf die x-Achse, die ordinatenachsenparallelen Rechtecks sei ten auf die y-Ach sc. Dadurch entsteht auf jeder Achse eine Intervallschachtelung. Die erste von ihnen bestimmt auf der Abszissenachse einen allen hier liegenden Intervallen gemeinsamen Schrumpfpunkt mit etwa der Abszisse x, die zweite auf der Ordinatenachse einen Schrumpfpunkt mit der Ordinate y. Der P u n k t (x, y) mit der Abszisse x, der Ordinate y ist der allen Rechtecken unserer Schachtelung angehörige Schrumpfpunkt, dessen Existenz unser Satz behauptet.
§ 7. Anwendungen des Schachtelungsprinzips I. Satz
von
Bolzano-Weierstraß:
Jede beschränkte unendliche Punktmenge der Zahlenebene besitzt mindestens eine Häufungsstelle. (D. h. eine Stelle, in deren noch so kleiner Umgebung unendlich viele P u n k t e der Menge liegen.) Beweis. Wir zeichnen ein Quadrat Q1 mit achsenparallelen Seiten, welches sämtliche Punkte der Menge enthalt, und teilen es durch zwei Achsenparallelen in vier gleiche Quadrate. Mindestens eins dieser Quadrate, etwa das Quadrat Q2, enthält unendlich viele Punkte der Menge. Auch Q2 zerlegen wir durch Achsenparallelen in vier gleiche Quadrate. Mindestens eins von ihnen, etwa Q3, enthalt unendlich viele Punkte der Menge. So fahren wir fort und erhalten die Quadratschachtelung , Q2, Q3,
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ERSTER ABSCHNITT: GRENZEN
Nach dem vorhergehenden Satze bestimmt diese Schachtelung genau einen, allen Quadraten der Schachtelung gemeinsamen Punkt, den Schrumpfpunkt P. Nun enthält jedes Quadrat Qn einerseits unendlich viele Punkte der Menge, anderseits den Punkt P. Ist also r der Radius einer beliebig kleinen kreisförmigen Umgebung U des Punktes P und das Quadrat Qn so klein, daß seine Seite < r : 2 ist, so liegt Qn ganz im Kreise U, so daß U unendlich viele Punkte der Menge enthält. Daher ist P eine Häufungsstelle der Menge. II. Cauchys
Konvergenzkriterium
Besonderes Interesse beanspruchen beschränkte Punktmengen der Zahlenebene, die erstens abzählbar sind und zweitens nur eine Häufungsstelle besitzen. Eine solche in Gestalt einer Punktfolge zlt z2, zit ... in inf. mit einer einzigen Häufungsstelle L erscheinende Menge heißt konvergent; man sagt: sie konvergiert oder strebt gegen den Grenzwert L oder Limes L und schreibt lim zn = L. n—>co Wir betrachten eine konvergente Punktmenge der Zahlenebene mit dem Limes L. e sei der Radius eines um das Zentrum L beschriebenen Kreises f, und der Zeiger v der zu unserer Menge gehörigen Quadratschachtelung (s. o.) sei so groß, daß Qv innerhalb von f liegt. Da unendlich viele Punkte der Menge in Qv liegen, dagegen — weil nur eine Häufungsstelle vorhanden — nur endlich viele Mengenpunkte außerhalb von Qv, so liegen auch innerhalb von E unendlich viele Punkte der Folge {z n }, während außerhalb von t nur endlich viele liegen können. Daher gibt es einen Zeiger n derart, daß für jeden größeren Zeiger N zN innerhalb von f liegt. Wenn also die Folge zlt z2, zz, ... einen endlichen Grenzwert L hat, laßt sich zu jedem positiven e ein Zeiger n angeben derart, d a ß für jeden größeren Zeiger N \zN — L\< e ausfällt. Daß umgekehrt bei Erfülltsein dieser Ungleichung die Folge zx, z2, ••• die einzige Häufungsstelle L besitzt, ist klar. Wir notieren: Die Punktfolge zlt z2, z3, ... in inf.
§ 7. A N W E N D U N G E N D E S S C H A C H T E L U N G S P R I N Z I P S
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der Zahlenebene konvergiert dann und nur dann gegen den endlichen Grenzwert L, wenn zu jedem positiven e ein endlicher Zeiger n existiert derart, daß für jeden größeren Zeiger N \zy-L\ oo gegen Null streben, wird lim Gn = 12
Gn
Bm„[(l
V.
1
1
n + 1
n+ 2
= '
+ ••• +n +
n'
I)'-l],
+
wo c eine gegebene reelle Konstante bedeutet. Der Limes läßt sich leicht bestimmen mittels des Schrankensatzes für den Differenzenquotient der Potenz xe, demzufolge -
X — x
zwischen cxe
1
und cX€
1
liegt (§ 25). Hier ist x = 1 und X = 1 + — , so daß 1V
1+ —
n /
-1
n 1 \l \x j Dorne, Unendliche Reihen
+ V
ü X
sowie
(^7 \X J
d
ausfällt. D a n n wird (* + d)
a>0).
Ist b < a, so wird nach dieser Limesformel lim (1: qn) = 0, mithin limgr»=cx5
( a > b > 0).
Für b = a ist qn = 1, also auch \imqn = 1. Sind a und b nicht beide positiv, so gibt es sicher einen endlichen Zeiger e derart, daß A = a + ed und B = b + ed positiv sind. Man schreibt dann für n = e + v n -F
C) mit
cv »(« + • • • ( « + ^ ~ 1 b(b + d)...(b
+ 7=\d'
n
A (A + d) ... (A + V d)
~ B(B + d)...(B
+ vd)-
Mit unbegrenzt wachsendem n strebt dann Qv gegen 0, 1 oder + oo, je nachdem a b ist, und qn strebt gegen dieselben Grenzwerte, falls E positiv ist. Bei negativem E wird für a < b und für a — b ebenfalls lim qn = 0 bzw. 1, für a > b dagegen lim 0 sei der Hochlimes, K > 0 der Tieflimes von {C„}, e eine beliebig kleine positive Zahl < 1. Dann laßt sich ein Zeiger n angeben derart, daß für jeden Zeiger N ¡ä « die Ungleichung K{ 1 -e)