Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege [1 ed.] 9783428420346, 9783428020348


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Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege [1 ed.]
 9783428420346, 9783428020348

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HANS·PETER LEMMEL

Unbestimmte Strafbarkeitsvorau8setzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Profe81or der Rechte an der Univeroitlt Rambm,

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtsiehrem der deutschen Universitäten

Band 6

Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege

Von

Dr. Hans-Peter Lemmel

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

In die Reihe aufgenommen von Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

® 1970 Duncker '" Humblot. Berlln n

Gedruckt 1970 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 8S PrInted In Gennany

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Frühjahr 1969 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Die Anregung zu der Beschäftigung mit dem Grundsatz Il/Ullum crimen sine lege ging von Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser aus, der die Arbeit auch betreut hat. Ihm möchte ich auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Das Manuskript wurde nachträglich nur geringfügig geändert und

im August 1969 abgeschlossen. Später veröffentlichte .gerichtliche Ent-

scheidungen konnten nur noch in den Anmel1kungen berücksichtigt werden. Ebenfalls nur noch in den Anmerkungen konnte den Abhandlungen von Friedrich-Christian Schroeder: Die Bestimmtheit von Strafgesetzen am Beispiel des groben Unfugs, JZ 1969, 775 ff., Wolfgang Knies: Verfassungsrechtliche Probleme des § 184 Abs.1 Nr.1 StGB, NJW 1970, 15 ff., und Ernst-Walter Hanack: Zur verfassungsmäßigen Bestimmtheit und strafrechtlichen Auslegung des Begriffs "unzüchtige Schrift" (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, Art. 103 Abs.2 GG), JZ 1970, 41 ff., Rechnung getragen werden. Winsen/Luhe, im Februar 1970

Hans-Peter Lemmel

Inhaltsübersicht ETste-r Teil Der Gegenstand der Untersuchung § 1. Einleitung I. Anlaß der Untersuchung ..................................

I!. Fragestellung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

§ 2. Die Geltung des Pl'imips der Geset%esbestimmtheit

17 17 18

............

20

I. Herleitung des Prinzips aus Art. 103 II GG .................. II. Historische übersicht über die C"R!Itung des Prinzips der

20

....................................

22

§ 3. Unbestimmte Strafuarkeitsvoraussetzungen ......................

31 31

Geset%esbestimmtheit

I. Unbestritten unzulässige Gesetzesfassungen .................. II. Problematische Gesetzesfassungen .......................... 1. Tatbestandsmerkmale des Strafgeset%buches ..............

35 35

2. Tatbestandsmerkmale außerhalb des Strafgeset%buches

40

3. Tatbestandsmerkmale im E 1962

43

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

§ 4. Versuch einer Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes

44

I. Normative Tatbestandsmerkmale, Generalklauseln, Ennessens-

begriffe und offene Tatbestände als mögliche Kategorien unbestl.nunter Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 44 II. Unbraucl1bal1keit der Kategorien der normativen Tatbestandsmerkmale, Generalklauseln und offenen Tatbestände für die BegreIEUIllg des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . .. 45 1II. Leugnung der Existenz von Tatbestandsmerkmalen mit einem Ermessensspielmum für den Richter ........................ 49

Zweite-r Teil Die Abgrenzung der unbestimmten von den bestimmten Strafbarkeitsvoraussetzungen durch Lehre und Rechtsprechung § 1. Unterscheidungskriterien nach herrschender Lehre lllDd Recht-

sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit ....................

52 53

Inhaltsübersicht

8

II. Möglichkeit rein logischer Subsumtion und Möglichkeit eindeutiger Sinnennittllung .................................... 54 § 2. Kritik der von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung be-

nutzten Unterscheidungskriterien

...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

I. Angeblich "bestimmte" TatbestandsmerIanale

. . . . . . . . . . . . ..

56 56

II. Überprüfung der angeblich "bestimmten" 'Ilatbestandsmerkmale 57 1. Fehlende Vorhersehbarkeit ..............................

57

2. Unmög1ichkeit der unmittelbaren Subsumtion ............

58

3. UnmögUchkeit rein rationaler Rechtsanwendung ..........

61

a) Auslegung als eine Tätigkeit mit potentiell irrationalen Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Auslegung als eine Tätigkeit mit notwendigerweise -irrationalen Elementen ............ . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Subsumtion als eine Tätigkeit mit irrationalen Elementen d) Gesetzesanwendung als rechtsschöpferrische Tätigkeit .. e) Unmöglichkeit einer völlig gleichmäßigen Rechtsprechung durch die Gerichte .................................. 4. Mangelnde Berechen'barkeit . .. . . . . .. .. . . . . . . .. . . . . . . . .. 5. Unpraktikabdlität der Kriterien der Urngrenzbarkeit oder Auslegbarkeit .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

62 64 67

68

70 70 72

III. Unbestimmtheit der angeblich "bestimmten" Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 73 § 3. Überprüfung der Sinndeutungen des Satzes nullum crimen sine lege, auf denen die herrschenden Unterscheidungslehren beruhen 74 I. nul.lJum crimen sine lege als ein Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im Sinne einer durch Vorhersebbarkeit und Vertrauensschutz gekennzeichneten Rechtssicherheit (h. L.) .................... 74

1. Darstellung

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . ..

74

2. Konsequenz für das Prinzip der Gesetzesbestimmtheit .... 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ..

78 78

II. nuIlum crimen sine lege als demokratisches Prinzip (Henze, Grünwald) .............................................. 81 1. Darstellung

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

81

2. Konsequenz für das Pninzip der Gesetzesbestimmtheit .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. 3. Kritik

82 82

III. nul1um crimen sine lege als Garant materieller Gerechtigkett durch Gewaltenhemmung (Grünwald) ...................... 85 1. Darstellung

IV.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

85

2. Konsequenz für das Prinzi!p der Gesetzesbestimmtheit .... 3. Krritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

8,:;

n~~m

crimen sine lege als Ausfluß des Schuldprinzips (Sax,

Düri.g u. a.) ........................•.....................•.

85

R7

Inhaltsübersicht

9

1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Konsequenz für .das Prinzip der Gesetzesbestimmtheit .... 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 4. Andere Unterscheidungslehren

87 88 89

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

96

I. Versuche verfassungskonformer Auslegungen als Variationen der herrschenden .A:bgrenzun,gslehren ... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96 11. Drei-Stufen-Schema (Kohlmann) ............................

99

1. Darstellung

2. Kritik

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 99 ............................................... , 100

111. Güterabwägung zwischen den Idealen der Rechtssicherhei.t einerseits und der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit andererseits (Seel, Lenckner) ...................................... 103 1. Darstellung

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103

a) nullum crimen sine lege als AusRuß des RechtssicherheitspIinzips unter dem Vorbehalt der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit (Seei) ................................ b) Konsequenz für da.;; Prinzip der Gesetzesbestimmtheit .. c) Zulässigkeit wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bei überwiegenden Belangen der Gerechtigkeit (Lenckner) .. 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

104 105 105 106

a) Unzulä9sige Relativierung des Art. 103 11 GG durch die Auslegung Seels ...................................... 106 b) Unpraktikabilität der Unterscheldungslehre ............ 110 IV. Bestimmtheit des Wertverletzungstypus (Sax)

.. . . . . . . . . . . .. 113

1. Darstellung ............................................ 113 2. UnpraktikabiUtät der Unberscheidungslehre .............. 114 3. Unvereinbarkeit der Unterscheidungslehre mit Art. 103 11 GG 116

V. Evidenz der UDbestlmmtheit (Stöckel) ...................... 117 1. Darstellung ............................................ 117 ................................................ 118

2. Kritik

Dritte1' Teil

Die FeststeUanc der Unbestimmtheit von StrafbarkeltsvoranssetZ1lllcen eigener Versuch § 1. Der Sinn des nullum crimen sine lege-Satzes in der Zeit der AIufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119

I. Methodische Vorbemerkung ................................ 119 11. Die Interpretation der Parömie in der Aufklärungszeit ...... 121

10

Inhaltsübersicht 111. 1)berprüfung der Interpretation der Aufklärungszeit an ihren eigenen Anschauungen .................................... 123

§ 2. Das Problem einer Anderung der AuslegtUng des nullum crimen sine 'lege-Satzes infoJge von Wertungs änderungen seit der Aufklärungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125 I. Die .Änderungen des Wortlauts der Parömie ................ 125 11. Die Anderungen der Stellung der Parömie in der Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127

f 3. Die Notwendigkeit einer neuen Interpretation des Satzes nullwn

crimen sine lege !infologe einer gegenüber der Aufklärungsteit verbesserten Kenntnis der Funktion des Strafgesetzes .............. 131 I. Die Rolle des Strafgeset-zes gegenüber den staatldchen Organen 132 1. Die Relativität der Bindung des Richters durch das strafgesetz ................................................ 132 2. Die Bindung des Richters durch die Rechtsinstitute ........ 133 a) Das Faktum einer relativ gleichmäßigen Rechtsprechung 133 b) Die Existenz von Rechtsinstituten im allgemeinen Rechtsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134 c) Die Existenz von Rechtsinstituten im Strafrecht ........ 135 8a) "A!bbreviaturen" und Verweisungen

.............. bb) Die Unbestimm1beit von Gesetzesauslegungen .. .. ce) Gewohnheitsrecht im Strafrecht .................. ct) Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil . . . . . . .. ß) Gewohnheitsrecht !m Besonderen TeU .......... dd) Richterrecht, Gerichtsgebrauch und ständiJge Rechtsprechung im Stmfrecht .......................... ct) Das Problem der Rückwirkung von Änderungen einer festen Rechtsprechung .................... ß) Das Problem der Bindung der Staatsanwaltschaft an eine feste höchstrlchterliche Rechtsprechung .. ee) Zusammenfassung: Die Existenz faktisch verbindlicher Rechtssätze neben dem Stnrlgesetz .......... ff) Erklärung dieser Rechtssätze als Rechtsinstitute ....

135 136 137 137 137 140 140 142 144 145

d) Die Vereinbarkeit der Rechtsinstitute mit dem Grundgesetz .............................................. 147 3. Rückwirk:ungen der histenz der Rechtsinstitute auf das Verstän~ des Str~setzes ............................ 148 11. Die Rolle des strafgesetzes gegenüber dem Bimger .......... 149 1. Die sozialpädagogische Funktion

........................ 149

a) Die Unbrauchbarkeit des Strafgesetzes als Informationsmittel für den Bürger ................................ 150 b) Die sozialpädagogische Funktion der Kultumormen .... 151

Inhaltsübersicht

111.

11

2. Die Kontrollfunktion

154

~aDlDlenfa~g

154

§ 4. Der modeme Sinn des Prinzips nullum crimen sine lege ........ 15f'i

I. Der Schiutz des Bür,gers vor willkürlicher strafe als G1'undgedanke der Parömie ...................................... 156 11. Konkretisierungen des Grundgedankens .................... 157

1. Art. 103 II GO als Kompetenzbegrenzung der staatlichen Organe ................................................. 156 2. Art. 103 It GG als Garantie der KontroUmöglichkeoit der

Strafrechtspfiege

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181

3. Art. 103 II GO als Garantie der sozialpädagogischen Funktion des str~esetzes .................................. 182

III. nuilum crimen sine lege als selbständiges formales Prinzip .. 183 IV. Rechtsinstitute im Strafrecht und das Prinzip nuLlum crimen sine lege .................................................. 165

1. Anerkennung der faktischen Existenz der Rechtsinstitute .. 186 2. Die Vereinbarkeit der Rechtsinstitute mit Art. 103 11 GO .. 186 3. Das Rückwirkungsvemot im Strafrecht und die Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168 § 5. Konsequenrzen aus der erarbeiteten Auslegung des Art. 103 II GG

für die Beschaffenheit der Straftatbestände .................... 170 I. Kriminalpolitische Bedürfnisse und die Idee der Gerechtigkeit als Leitgedanken für die Straigesetzgebung neben dem Satz n~lum cr.Unen sine lege .................................. 170 II.1. Die Bildung "geschlossener Typen" als Aufgabe des Gesetzgeben! ................................................ 171 2. Die

einer Fachsprache im Strafrecht und ihre .............................................. 174

~lässigkeit

Grenzen

III. Zusammenfassung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 179

§ 6. Kriterien für eine unzulässige

beständen

Unbestimmtheit von Straftat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 180

I. Fehlende oder unzureichende Rechtssetzung durch den Gesetz,geber als gemeinsamer Mangel aller unbestimmten Tatbestände ....... " " ......... , ........................... 180 11. Fehlende Eigenwertung des Gesetzgebers .................... 181

1. Offenes Fehlen der ,gesetzgeberischen Wertung durch Einräumung eines Tatbestandsermessens .................... 181 2. Verstecktes Fehlen der Wertung des Gesetzgebers ........ 181 a) Verwendung von "Blanketfuegriffen" oder "Regulativen" 181 b) Verweisungen auf nicht existierende außerstrafrechtltche Wertungen ........................................ 183

12

Inhaltsübersicht c) Verstecktes Fehlen der gesetzgeberischen Wertung innerhalb einer umfassenderen Strafvorschr:ift .............. 189 3. Unbehebbare Unklarheiten und Widersprüche ............ 191

III. Mangelhafte TypenbUdung

.......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193

1. Unterscheidung von mangelhafter Typenbildung und fehlender Wertung ........................................ 193 2. Zu weite Tatbestände .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 194 3. ErfoLgs- statt Verhaltensbeschreibung .................... 197 IV. PönaUsierung strafrechtlich nicht erlaßbaren Verhaltens

.... 200

§ 7. Ergebnis der Untersuchung .................................... 201 Sduif&&UllUlveneldmls

203

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

AcP

Archiv für die civüistische Praxis

a.F.

alte Fassung

AG

Amtsgerimt

AktG

Aktiengesetz

Annalen

Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft

A.T.

Allgemeiner Teil

AtomG

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kememergie und den Schutz gegen ihre Gefahren

BayGVBl.

Bayrisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BayObLGSt

Entscheidungen des Bayrischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen

bayrStGB

bayrisches strafgesetzbuch von 1813

BayVerfGH

Bayrischer Verfassungsgerichtshof

BayVGH

Entscheidungen des Bayrischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofs

BB

Der Betriebsberater

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BierStG

Biersteuergesetz

BOKraft

Verordnung über den Betrieb von Kraftfahruntemehmen im Personenverkehr

B.T.

Besonderer Teil

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

DAR

Deutsches Autorecht

DDR

Deutsche Demokratische Republik

14

AbkÜl'Zungsverzelchnfs

DJ

Deutsche Justiz

D.J.T.

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DR

Deutsches Recht

DRiZ

Deutsche Rdchterzeitung

DRZ

Deutsche Rechtszeitung

DStR

Deutsches Strafrecht (vormals: Goltdammers Archiv)

E1925

Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs,

E1962

Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB), 1962

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Famillenrecht

GA

Goltdammers Archiv

GaststG

Gaststättengesetz

GG

Gnmdgesetz

GjS

Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften

1925

Grdr.

Grundriß

GS

Der Gerichtssaal

GüKG

Güterkraftverkehrsgesetz

GVG

Gericbtsverfassungsgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HansOLG

Hanseatisches Oberlandesgericht

Hdb.

Handbuch

h.L.

herrschende Lehre

i.d.F.

in der Fassung

I.K.V;

Internationale Kriminalistische Vereinigung

i.V.m.

in Verbindung mit

JR

Jurdstische Rundschau

JuS

Jurdstiscbe Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

K./M.lR.

KleinknechtlMüller/Reitberger: Kommentar zur StrafprozeBordnung

Abkilrzungsverzeichnis

15

Komm.

Kommentar

KP

Kundmachungspatent (Österreich)

KRG

Kontrollratsgesetz

Lb.

Lehrbuch

LG

Landgericht

L.K.

Leipziger Kommentar

Mat.

Materialien zur Strafrechtsrefonn

MDR

Monatssduift für deutsdJes Recht

MenschRK.onv

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Mitt.

Mitteilungen

MScbrKrimPsych Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsrefonn m.w.N.

mit weiterem Nachweis

n.cr.s.l.

nullum crimen sine lege

Nds.ÄBI.

Niedersäcbsisches Ärzteblatt

n.F.

neue Fassung

N.F.

Neue Folge

Niederschriften

Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission

NJ

Neue Justiz (DDR)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

n.p.s.1.

nulla poena sine lege

öStG

österreicbisches Strafgesetz

OGH

Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

o.J.

ohne Jahr

OLG

Oberlandesgericht

PBefG

Personenbeförderungsgesetz

PragerJZ

Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift

PrALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5.2.1794

PrStGB

Preußisches Strafgesetzbuch

RAO

Reicbsabgabenordnung

AbkürzWlgSverzelchnis

18

Rdnr.

Randnummer

RepSchG

Republikschutzgesetz

RepSchVO

Republikschutzverordnung

Revue de Science criminelle Revue de Science criminelle et de Droit penal

compare

RGBl.

ReichlSgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RJGG

Reichsjugendgerichtsgesetz

ROW

Recht in Ost und West

SJZ

Süddeutsche Juristenzeltung

SprG

Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen

stAG

Strafrechtsänderungsgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

I.StrRG

Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.8. 1969

2.StrRG

Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. 7. 1969

Stud.Gen.

Studium Generale

stVG

Straßenverkehrsgesetz

StVO

Straßenverkehrsordnung

VDA

Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil

Verh.

Verhandlungen

VerhG

Gesetz, betreffend das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege (Hamburg)

VorE 1909

Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1909

VRS

Verkehrsrechtliche Sammlung

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WStG

Wehrstrafgesetz

ZAkDR

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht

ZAuslIPR.

Zeitschrift für ausländisches und intemationales Privatrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Erster Teil:

Der Gegenstand der Untersuchung § 1. Einleitung

L Anlaß der Untersuchung In jüngster Zeit ist in verschiedenen Veröffentlichungen die Gültigkeit einze1ner Strafgesetze angezweifelt worden, weil sie "UDlbestimmt" seien. Besonders die §§ 360 Nr.ll und 226a1 sind ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. So hat Schröder den § 360 Nr.ll "mangels jeglicher präziser UmseMeibung" für nichtig erklärt2• Ihm hat sich Schultz angesch1.ossen8 • Kurz zuvor hatte schon Woesner diese Vorschrift als "leere Generalklausei" bezeichnet'. Und zu § 226a sagte Woesner, es sei unklar, was mit ihm gemeint sei; die Bestimmung sei deshaLb schlechterdings nicht zu halten5 • Auch andere Autoren vertreten diese Ansich~. Bis jetzt hat die Kritik zwar in heiden Fällen die Rechtsprechung nicht ändern können1 . Doch haben das KG und das OLG Ramm die vorgetragenen Argumente für so wesentlich gehalten, daß sie sich mit ihnen (für den Fall des groben Unfugs) ausdrücklich auseinandergesetzt habens. Bereits aus diesen Beispielen wird deutlich, daß die Unbestimmtheit von Strafgesetzen für die heuUge Stl1afrechtswissenschaft und -rechtsprechung ein außerordentlich aktuelles Problem darstellt. Doch nicht nur de lege lata, sondern auch de lege ferenda ist der Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit von großem Interesse. Welche 1 Paragraphen ohne Gesetzesanea,be sind solche des StGB in der am 1. 1. 1970 geltenden Fassung. 2 JR 1964, 392; femer JZ 1966, 649 ff. 3 MDR 1965, 18. 4 NJW 1963, 275. 6 NJW 1963, 275; ferner NJW 1964. 3. e z. B. Baumann, A.T., § 11 II 1 (S. 103 f.); Roxin JuS 1964, 380 f. und Nds. ABI. 1965, 169; Reinhardt JR 1964, 374 - weitere Stellungnahmen unten S.36 und 39. 7 Vgl. aber den VOrlagebeschluß des AG Bremerhaven (NJW 1966. 1680) zu § 360 Nr.11. 8 KG in JR 1965, 392 f.; zustimmend Heinitz, Hirsch-Festschrift, S. 60; OLG Hamm in JZ 1966, 648 f.; für Gültigkeit des § 360 Nr.11 jetzt auch BVerfG, BesdIIl. v. 14.5.1969, NJW 1969, 1759.

2 Lemm.el

18

1. Teil. Der Gegenstand der Untersuchung

Schwierigkeiten die FormulieI'UlIlg eines neuen Gesetzes gerade im Hinblick auf dieses Prinzip macht, hat sich jetzt wieder bei den Arbeiten am Entwurf für ein neues Strafgesetz;buch gezeigt. Schon heute werden einige der neuen Tatbestände bekämpft, weil sie nicht scharf genug ,gefaßt seienD. Und Bockelmann, ein Mitglied der Großen Strafrechtskommission, stellte bereits während der Beratungen über den Entwurf resi.gniert die rhetorische Frage: "Was haben nicht auch wir schon gegen diesen Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit der Strafe gesündigt, einfach weil wir es mußten 10?" 11. Fragestellung

Unter dem Prinzip der Gesetzesbestimmtheit (im folgenden auch !Qurz "Bestimmtheitssatz" genannt) versteht die h. L. die Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber das strafbare Verhalten durch bestimmte und eindeutige Tatbestandsmerkmale genau umschreibt" 11, oder etwas vorsichtiger formuliert, daß die Strafgesetze einen solchen Grad an Bestimmtheit erreichen, "daß das Gesetz eine zuverlässige und feste Grundlage für die Rechtsprechung bietet"12. Es dürften keine "unerträglichen Zweifel übrigble1ben, W1aS erlaUlbt und was verboten ist" 13. Beliebt ist die Wendung, ein Strafgesetz müsse "hinreichend bestimmt" sein14. Es stellt sich aber nun die Frage, wann denn ein Strafgesetz "hinreichend bestimmt" ist, welche AnfordeIWlgen an ein Strafgesetz zu stellen sind, damit es nicht als "UIllbeStimmt" betrachtet werden muß. Oder man kann mit Blick auf das unbestimmte Strafgesetz auch sagen: Es ist zu klären, was ein unbestimmtes Gesetz ist, wie man es beschreiben kann und wodurch es sich vom bestimmten Gesetz unterscheidet. Diesem Fragenkomplex soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Die Bedeutung der Fragestellung erweist sich, wenn man die Folgen der Unbestimmtheit ins Auge ilaßt: Der Grundsatz der Bestimmt9 Vgl. unten S.43, ferner schon Jeschek und Dünnebier in Niederschriften 1X,8.268. 10 Niederschriften XII, S. 88. 11 Baumann, A.T., § 11 II 1 (S.103); ähnlich Hellmuth Mayer. Mat. I., S. 261, 271; Maunz/Dürig, Art. 103 Rdnr.107. 12 Grünwald ZStW 76 (1964), 6; ähnlich die Begründung des E 1962 (S. 106); ferner Schönke/Schröder, § 2 Rdnr.64; Schwarz/Dreher, § 2 Anm.1 B b; vgl. auch Jagusch in L.K., Bd. 1., § 2 Anm. lid. 13 Hellmuth Mayer, A.T. (1953), S.86; vgl. auch Wetzet. Lb., § 5 II 3 (S.22). 14 z. B. Stree: Deliktsfolgen, S.4; Grünwatd ZStW 76 (1964), 7; BVerfG E 4, 358; BGH St 18, 362; ähnliche Formulierungen: Hamann: Grundgesetz, Art. 103 Anm. B 4 (S.423): "hinreichend umschrieben"; Woesner NJW 1963, 273: "in hinreichend klarer und bestimmter Form unter Strafe gestellt".

§ 1. Einlei toog

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heit der Straftatbestände wird nach allgemeiner Ansicht aus dem Prinzip nullum crimen, nulla poena sine lege in Art. 10311 GG abgeleitet15 • Darallls foLgt, daß jedes Strafgesetz, das gegen den Bestimmtheitssatz verstößt, auch mit der Parömie IlJUllum crimen, nuUa poena sine lege unvereinbar, also verfassungswidrig und damit nichtig ist16 • Ode Fl1age nach der Bestimmtheit ist also für das pl1aktische Rechtsleben ungemein wichtig. Es wird zu zeigen sein, daß eine befriedj,gende Grenzziehung zwischen !bestimmten und unbestimmten Gesetzen nur möglich ist, wenn der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege selbst erneut kritisch durchdacht und in Einklang mit unseren heutigen dogmatischen und methodologischen Erkenntnissen gebracht wird. Insofern hat dQe Fragestelliung auch theoretisch-dogmatische Bedeutung. Wenn bis jetzt von "unbestimmt" und "bestimmt" die Rede war, so geschah dies in einem doppelten Sinn. Gemeint war einmal die Bestimmtheit i. S. d. Art. 10311 GG, also in einem technischen Sinne. Dagegen war der Begriff in der Wendi'UJJlg "hinreichend bestimmt" untechnisch zu verstehen. Während es bei der ersten Bedeutung nur die kontradQktorischen Aussagen "bestimmt" und "unbestimmt" geben mann, lassen sich für die zweite mehrere Grade der Bestimmtheit oder Unlhestimmtheit unterscheiden; hier gehen Bestimmtheit und Unbestimmtheit IUl'htlos ineinander über. Für die vorliegende Untersuchung ist IlJUr die Bestimmtheit (bzw. Unbestimmtheit) i. S. d. Art. 10311 GG, wie sie z. B. auch im "Bestimmtheitsgrundsatz" enthalten ist, von Interesse. Doch ist zu beachten, daß iIIIl Schrifttum in aller Regel zwischen :bewen Bedeutungen nicht ausdrücklich unterschieden wird. Sogar bei der Behandlung des Bestimantheitssatzes werden die Bezeichnungen "bestimmt" und "unbestimmt" mitunter im untechnischen Sinn gebl1aucht, so z. B. wenn Jescheck vom Staatsgeheimnis als von einem "vom Verfassungsrecht gebilligten unbestimmten Rechtsbegriff" spricht17 • Es wird sich deshalb nicht vermewen lassen, das Wort "bestimmt" aIIlch in diesem zweiten Sinne zu verwenden. Die Frage, wann ein Stl1afgesetz gegen den Bestimmtheitsgrunrlsatz des Art. 103 11 GG verstößt, bedarf jedoch noch der Einschränkung. In dieser Fonn gestellt, würde sie auch eine Überprüfung der angedrohten Rechtsfolgen einer Straftat, also die Bestimmtheit der Strafdrohungen (und eventuell sogar der Maßregeln der Sicherung und Besserung18) erfordern. In der Tat existiert das Problem der gesetzVgI. Schönke/Schröder. § 2 Rdnr. 63 ff.; Baumann. A.T., § 11 II (S. 103). H.L.; vgI. BayVGH 4 (1951) II, 194 ff.; Baumann. aaO; Lencker JuS 1968, 252 m.w.N. (Anm. 27). 11 Pressefreiheit, S.16; ähnlich OGH St 1, 85. 18 Dazu MaunzlDilrig, Art. 103 Rdnr. 117 m.w.N.; vgI. auch § 2 VI StGB in der Fassung des 2.StrRG. 15

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1. Tell. Der Gegenstand der Untersuchung

lichen Bestimmtheit auch bei den Straffolgen; es sei nm an die Diskussion um die Zulässigkeit der Geldstrafe in unbegrenzter Höhe erinnert19 • Jedoch soll hier im Rahmen des gestellten Themas lediglich die Bestimmtheit der Strafbarkeitsvoraussetzungen, also der Tatbestandsbildung (im weitesten Sinne) erörtert werden. Wenn man mit der h. L. der Meinung ist, daß in Art. 103 II GG sowohl der Satz nullum crimen sine lege (Notwendigkeit vorangehender gesetzlicher Festlegung der Strafbarkeit20), als auch der Satz nulla poena sine lege (Notwendigkeit vorangehender Festlegung der Strafe) verfassungs.rechtlich anerkannt ist21 , so interessiert also für die Untersuchung nur der erste Satz: nullum crimen sine legeH. In dieser Arbeit werden nur Tatbestände des Besonderen Teils untersucht. Dabei wird nicht verkannt, daß man auch Fragen des AlLgemeinen Teils in den weiteren Problemkreis der Arbeit einbeziehen könnte, so z. B. die Bestrafung der sog. unechten UnterlasSU11lgs.delikte23 oder des fahrlässigen Verhaltens bei Vorschriften, die für fahrlässige Handlungen nicht ausdrücklich Strafe aIliCkohen". Doch würde eine Behandlung dieser Fr-agen das Thema :DU sehr ausweiten. Umgekehrt soll aber auch keine Beschränkung etwa auf den Tatbestand vorgenommen werden, der in § 59 I mit der Unkenntnis der "Tatbestands"-merkmale gemeint ist 25• Auf den Umfang des Geltungsbereiches des Garantietatbestandes und des Bestimmtheitssatzes kann allerdings nicht eingegangen werden.

§ 2. Die Geltung des Prinzips der Gesetzesbestimmtheit I. Herleitung des Prinzips aus Art. 103 U GG

Wenn von der Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz gesprochen wird, so setzt dies voraus, daß es den Bestimmt19 Vgl. z. B. Schönke!SchTödeT, § 2 Rdnr. 65; Maunz!DüTig, Art. 103 Rdnr.108; Sax: Grundsätze, S.1011 ff.; Schom: Die Europäische Konvention, S. 240 f. - Zum ganzen Problem vgI. StTee: De1iktsfolgen, S. 21 ff. 20 In abweichendem Sprachgebrauch nennen Hellmuth MayeT (Mat. I, S. 259 11.) und andere auch diesen Grundsatz "nulla poena sine lege". 21 VgI. Schönke!SchTödeT, § 2 Rdnr.61 m.w.N. 22 Deshalb ist die vereinzelt vertretene Ansicht (Nachweise bei Schönke! SehTöder, § 2 Rdnr. 61; Stree: Deliktsfolgen, S. 21 11.), durch Art. 103 II GG werde nicht der Grundsatz nulla poena sine lege, sondern nur nullum crimen sine lege verfassungsrechtlich geschützt, für diese Arbeit gleichgültig. 23 Dazu z. B. Hellmuth MayeT. Mat. I., S.277; Busch, v. Weber-Festschrift, S.19211. 2.& Dazu einerseits BGHSt6, 131ff.; MauTach, A.T., §42III {S. 458 f.); andererseits FTanz BB 1963, 118. 25 VgI. zu den verschiedenen Tatbestandsbegriffen: Engisch, Mezger-Festschrift, S. 130 ff.

§ 2. Die Geltung des Bestimmtheitssatzes - Herleitung

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heitssatz überhaupt g~bt. Lehre und Rechtsprechung gehen auch tatsächlich, trotz aller Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen, einmütig1 von der Existenz dieses Prinzips aus. Dabei ist die Herleittmg des Bestimmtheitssatzes keinesfalls ganz unproblematisch. Art. 103 II GG lautet: "Eine Tat karm nur ·bestraft werden, wenn die Strafuarkeit gesetzlich bestimmt war, -bevor die Tat begangen wurde:!." Seel hat aus dem Wort "bestimmt" entnehmen wollen, daß schon der Wortlaut des Art. 103 II GG "bestimmte Begriffe" verlange3. Er räumt zwar ein, daß ein "UIlIbestimmter Begriff" nicht "unbestimmt" i. S. d. Art. 103 II GG sein muß, geht jedoch davon aus, daß die "Bestimmtheit" eines Begriffes und die "Bestimmtheit" des Gesetzes in Art. 103 II GG gleichermaßen "Eigenschaften" sind (wenn auch nicht identische)4. Bei dieser Deutung verkennt Seel jedoch, daß das Wort "bestimmt" selbst mehrdeutig ist. Spricht man von "bestimmten Begriffen", von dem Erfordernis "bestimmter" Strafgesetze, so wird "bestimmt" als Adjektiv, zur Beschre~bung der Qualität der Begriffe, bzw. Gesetze gebraucht; in dieser Weise, also etwa im Sinne von "exakt", "präzise" wird "bestimmt" auch im Bestimmtheitsgrundsatz verwendet. In Art. 103 II GG ist dagegen "bestimmt" Bestandteil des Prädikats, .gleichbedeutend mit "angeordnet" oder "festgelegt"4&. Sax hat diese Zweideutigkeit des Wortes "bestimmt" IlIUr teilweise richtig erkannt, indem er dem "äußerlich festgelegt" (gemeint wohl im Sinne von "nur festgelegt") ein "inhaltHch eindeutig umrissen" gegenüberstellt5 • Im zweiten Fall würde "bestimmt" also die Funktion von Verb und Adver.b haben. Dann müßte Art. 103 II GG jedoch lauten: " ... werm die Strafuarkeit .gesetzlich bestimmt bestimmt war, ... ". In Wirklichkeit sagt aber der Wortlaut des Art. 103 II GG über die Art der gesetzlichen Androhung der Strafbarkeit, den Grad der Exaktheit der Beschreibung gar nichts6. Sehr kritisch allerdings Kielwetn, Annales Univ. Saraviensis, VIII (1960), . :I Gleichlautend § 2 I StGB. s Diss. 1965, S. 5. 4 aaO, S.6. 4a So jetzt auch Friedrich-Christian Schroeder JZ 1969, 776. 11 Grundsätze, S. 1005; so auch im Anschluß an ihn Bopp, Diss. 1966, S. 154 und Danckert. Diss. 1967, S.7 f. 8 So auch Germann: Methodische Grundfragen, S. 69 f.; Class, Eb. SchmidtFestschrift, S.135; Gundermann, Diss.1961, S.114. - Geradezu unverständlich mutet die Differenzierung Danckerts (aaO, S. 8) an, der Bestimmtheitssatz sei nicht im Prinzip n.cr.s.l., sondern in Art. 103 11 GG begründet. Denn es ist bisher von niemandem in Zweifel gezogen worden, daß Art. 103 11 GG nur die deutsche Übersetzung des lateinischen Satzes enthält (vgl. den Sprachgebrauch z. B. bei Schönke!Schröder, § 2 Rdnr.3, 63). Gerade durch die Beachtung der lateinischen Formulierung hätte sich Danckerts Irrtum vermeiden lassen. 1

136.

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1. Teil. Der Gegenstand der Untersuchung

Wenn sich der Bestimantheitssatz also aus dem Wortlaut des Art. 103 11 GG nicht ableiten läßt, so kann seine Geltung dennoch nicht fmglich sein. Das hat schon Beling mit dem bekannten Beispiel des "Schurkenparagraphen" nachgewiesen7 • Wollte der Gesetzgeber ein Strafgesetz erlassen, das lauten würde: "Jeder Schurke wird bestraft", so wäre dem Wortlaut des Art. 103 11 GG zwar genüge getan. Aber ein solches Gesetz würde Art. 103 11 GG überflüssig, ja sinnlos machen. Denn dann gäbe es keine Tat mehr, die nicht schon auf Grund des SchurkenparagrapheIß straft>ar wäre. So läßt sich also, ohne schon Genaueres über Inhalt und Sinn des Art. 103 11 GG auszusagen, aus der Teleologik dieser Vorschrift folgern, daß der Schurkenparagraph nicht mit Art. 103 11 GG vereinbar sem kann. Daraus folgt, daß nicht jede gesetzliche AnordllJung, nicht irgendein Gesetz ausreicht, sondern daß in der Tat gew.isse Anforderungen an das Gesetz zu stellen sind. Welche das im einzelnen sein mögen, muß hier noch offen bleiben; daß der Bestimmtheitssatz in irgendeiner Form gilt, ist damit jedoch bereits erwiesen. 11. Historische tlbersicht über die Geltung des Prinzips der Gesetzesbestimmtheit

Obwohl die Existenz des Bestimantheitssatzes - von der Zeit zwischen 1933 und 1945 abgesehen - nie ausdrücklich bestritten worden ist8, ist seine Wichtigkeit doch in der Vergangenheit recht unterschiedlich eingeschätzt worden. In der Aufklärungszeit hat man, wie seLbstverständlich, exakte Verbrechensbeschreibungen gefordert. Schon Montesquieu lehnt unklare Strafgesetze a:b, da sie zu Unsicherheit führen müßten und so die Gefahr der Entartung zum Despotismus mit sich brächten9 • Ihm folgend wendet sich Beccaria10 mit Entschiedenheit gegen die "Undeutlichkeit" ("oscuritl\") der Gesetze, bekämpft ilhre Abfassung in einer fremden Sprachell und fordert ein "jede Willkür ausschließendes und so klar als möglich a:bgefaßtes Gesetz"12. Einige Jahre später verlangen v. Glo7

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Beling: Lehre vom Verbrechen, S.22 (zu § 2 StGB a.F.). Binding (Handbuch, S. 17 ff., insbes. S. 22 ff.) nimmt in seiner Polemik

gegen das Prinzip nuUa poena si ne lege poenali zum Bestimmtheitssatz nicht Stellung. 9 Vom Geist der Gesetze (deutsche übertragung von Forsthojj). Buch XII, Kap. 7 (Bd. I, S. 266 f.) und Buch XXIX, Kap. 16 (Bd. II, S. 364 f.). 10 Beccaria: Dei delitti e delle pene (1764); zitiert nach Beccaria: Opere I, S. 35 ff.; deutsche Übersetzung von Esselborn: über Verbrechen und Strafen. 11 Esselborn, aaO, S. 75 (§ 5). 12 Esselborn, aaO, S.116 (§ 17).

§ 2. Die Geltung des Bestimmtheitssatzes - Histor. Übersicht

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big und Hwter, daß die Strafgesetze "gewiß und bestimmt" seien t3 , wozu nicht o