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German Pages 404 Year 1982
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 431
Umweltplanung und Grundgesetz Grundrechte und Verfassungsgrundsätze in ihren normativen Anforderungen an die Planung als Problem des Städtebaus
Von
Friedrich Malz
Duncker & Humblot · Berlin
FRIEDRICH
MALZ
Umweltplanung und Grundgesetz
Schriften
zum ö f f e n t l i c h e n Band 431
Recht
Umweltplanung und Grundgesetz Grundrechte und Verfassungsgrundsätze in ihren normativen Anforderungen an die Planung als Problem des Städtebaus
Von D r . Friedrich M a l z
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
D 82 (Diss. Τ Η Aachen) Alle Hechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05231 5
Meinem Vater Dr. Heinrich Malz zum Gedenken
Vorwort Die Arbeit lag i m SS 1981 als interdisziplinäre Dissertation der Fakultät Bauwesen der R W T H Aachen vor. Sie wurde betreut von Herrn Prof. Gerhard Curdes und Herrn Prof. Dr. Gerhard W. W i t t kämper. Beiden Herren danke ich sehr herzlich für Ihre zahlreichen Anregungen, kritischen Einwände und Ihre großzügige Betreuung, die bei der schwierigen und komplexen Thematik nicht immer problemlos war. Dankenswerterweise begleitete Herr Prof. Dr.-Ing. Hans Josef Kayser das Promotionsverfahren. Ein besonderer Dank geht an Frau Johanna Güttel, M. A. Sie hat nicht nur die mühselige Arbeit übernommen, das umfangreiche Manuskript erstmals i n Maschinenschrift zu übertragen, sondern hat i n vielen Diskussionen während der Anfangsphase des Forschungsprozesses die Dissertation auch ein gutes Stück m i t auf den Weg gebracht. Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Rolf-Heinz Höppner, der mich mit Informationsmaterial und konstruktiver K r i t i k unterstützt hat. Ein weiterer Dank geht an das Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen i n Bonn, das einen wesentlichen Teil des Druckkostenzuschusses aus Förderungsmitteln der Privaten Kreditwirtschaft beschafft hat. Dank schulde ich ebenfalls Herrn Prof. Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit i n die Reihe „Schriften zum öffentlichen Recht". Aachen, i m August 1982 Friedrich
Malz
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
15
Α. Lebensumwelt und sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
19
1.
Der Negativbefund zu den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen: Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
19
1.1.
Der Befund i n den Fachdisziplinen unter Rückgriff auf populärwissenschaftliche Darstellungen
24
1.2.
Die Diskussion i n den Massenmedien
30
1.3.
Die A r t i k u l a t i o n der Betroffenen
35
2.
Der Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
48
2.1.
Der Begriff Wohnen
49
2.1.1. Der Begriff Wohnung
50
2.2.
53
Der Begriff Wohnumwelt
2.2.1. Der Begriff Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen
56
2.3.
Der Begriff Umweltplanung
61
3.
Erkenntnisinteresse u n d Begründung f ü r ein Theoriekonzept
72
B. Forschungsziel, Forschungsmethodik, Forschungsansatz, Forschungsplan
75
1.
Eingrenzung der Forschungsproblematik u n d Präzisierung des E r kenntnisziels
75
1.1.
Festlegung der Forschungsmethodik unter Berücksichtigung der L o g i k des Forschungsprozesses
78
2.
W a h l eines problemadäquaten Forschungsansatzes u n d Theoriekonzeptes
80
3.
Untersuchungsschwerpunkte i m Uberblick u n d Forschungsplan . . .
88
10
nsverzeichnis C. Wertproblematik der sozialräumlichen Daseinsbedingungen in der Lebensumwelt und das Konzept der Grundrechte
91
1.
Grundfragen wertorientierter Gestaltung der Daseinsbedingungen i n der Wohnumwelt
91
1.1.
Problematik städtebaulicher Leitbilder bei der Planung u n d w e r t orientierten Gestaltung der Daseinsbedingungen
96
1.2.
Probleme der Umsetzung der Grundrechtsordnung i n Leitkonzepte zur wertorientierten Gestaltung der sozialräumlichen Daseinsbedingungen
99
1.3.
Z u m Zusammenhang von Werten u n d Normen, Leitbildern u n d Zielen i n ihrer Bedeutung für Umweltplanungen u n d das Problem der Leerformeln 102
2.
Die „Leerformelhaftigkedt" der Grundrechte i n i h r e n defizitären Auswirkungen auf die sozialräumlichen Daseinsbedingungen 107
2.1.
Defizite i m Grundrechtsbewußtsein der planenden Akteure u n d Betroffenen 111
2.1.1. Exkurs: Der Befund i n der „Grünen Charta von der Mainau"
113
2.2.
Bedrohungen der Grundrechte und i n ihrem Gefolge Einschränkungen und Gefährdungen der sozialräumlichen Daseinsbedingungen 115
3.
Überwindung der Krisensituation durch konsequente Anwendung der grundrechtlichen Wertordnung 119
3.1.
Exkurs: Implementationsversuche i m Rahmen der Diskussion u m die Einführung eines „Umweltgrundrechts" 125
4.
Die Grundrechte funktion
4.1.
S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Grundrechte: Der Mensch als G r u n d rechtsträger u n d M i t t e l p u n k t der Grundrechtsordnung 136
4.2.
Probleme der Raumwirksamkeit der Grundrechte: Thematisierte umweltbeanspruchende Lebensbereiche 144
4.3.
Die „Wertbegründetheit" der Grundrechtsordnung: Grundrechtliches Wertsystem u n d der Bezug zum Konzept der Daseinsgrundfunktionen 150
4.4.
Das grundrechüiche Wertsystem als Konstruktionsgrundlage von raumwirksamen Planungsleitbildern — Begründungen f ü r ein „Planungsgrundsätzegesetz" 158
5.
Das Konzept der Grundrechte zur Bereinigung der Wertkonfusion betreffend die Gestaltung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen u n d zur I n i t i a t i o n n o r m a t i v - q u a l i t a t i v e r Wirkungen i m System der Umweltplanung — Erster Konzeptualisierungsschritt 166
als raumwirksames
Wertsystem m i t
Leitbild-
135
nsverzeichnis D. Situationsproblematik der Betroffenen in der Wohnumwelt und das Konzept der Verfassungsgrundsätze
170
1.
Bestimmung von Fakten zur sozialräumlichen Situationsproblemat i k mittels traditioneller Wohnumwelt-Fallstudien 170
2.
Wohnumweltmodell als Systematisierungskonzept zur Erfassung sozialräumlicher Problemlagen u n d Fehlentwicklungen i n einem Problemkatalog 175
2.1.
Problemsynopse: Psycho-soziale Gefahren u n d Bedrohungen
183
2.2.
Problemsynopse: Physisch-natürliche Notstände
185
2.3.
Problemsynopse: Kulturell-zivilisatorische Defizite
188
2.4.
Problemsynopse: Infrastrukturell-technische und Bedrohungen
191
2.5.
Problemsynopse: ökonomisch-produktionelle Krisen u n d Defizite
198
2.6.
Problemsynopse: Politisch-rechtlich-administrative luste
201
3.
Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das Grundgesetz u n d insbesondere an die Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze 210
3.1.
Demokratieprinzip und normativer Wirkungsgehalt der sozialräumlichen Krisensituation
zur
Lösung
3.2.
Sozialstaatsprinzip u n d normativer Wirkungsgehalt zur der sozialräumlichen Krisensituation
Lösung
3.3.
Rechtsstaatsprinzip und normativer Wirkungsgehalt zur Lösung der sozialräumlichen Krisensituation 227
3.4.
Föderalismusprirazip u n d normativer Wirkungsgehalt zur Lösung der sozialräumlichen Krisensituation 235
4.
Das Konzept der Verfassungsgrundsätze als Option u n d Chance zur Lösung der sozialräumlichen Problemlagen sowie zur Effektivierung der Anspruchsebene der Betroffenen i n der Wohnumwelt — Zweiter Konzeptualisierungsschritt 243
Mangelsituationen
Funktionsver-
E. Planungsproblematik und das Konzept der Verfassungsgrundsätze 1.
223
251
Erkenntnisinteresse u n d Stand der Fachdiskussion zu Problemen der Planung i m K o n t e x t m i t Fragen des Grundgesetzes
1.1.
218
Diskussionsspektrum
251 254
1.1.1. Defizite interdisziplinärer Zusammenarbeit
255
1.2.
255
Problematik des rechtsdogmatischen Abstraktionsniveaus
1.2.1. Konkretisierungsproblematik u n d Grundrechtsgefährdung
256
12
nsverzeichnis
1.2.2. Interdependenzproblematik
257
1.2.3. Ideologieanfälligkeit
259
I.3.
Verfassungsrechtliche u n d verfassungspolitische Problemaspekte . . 264
2.
Forderungskatalog zur Bereinigung u n d Neuorientierung der öffentlichen Diskussion 268
2.1.
Ordnungspolitische Offenheit der Verfassung als Voraussetzung alternativer Planimgskonzeptionen 270
2.1.1. E x k u r s : Wohnungspolitik der Nachkriegsjahre (1949—1961)
273
2.2.
Nutzung der i m Grundgesetz angelegten „ordnungspolitischen Neut r a l i t ä t " als Basis zur Weiterentwicklung von Umweltplanungen 276
3.
Verfassungsgrundsätze planungen
3.1.
Normative Anforderungen des Demokratieprinzips an die U m w e l t planung 285
3.2.
Normative Anforderungen des Sozialstaatsprinzips an die U m w e l t planung 290
3.3.
Normative Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die U m w e l t planung 295
3.4.
Normative Anforderungen des Föderalismusprinzips an die U m weltplanung 301
4.
Normativbestände der Verfassungsgrundsätze u n d praktizierte Konzeptionen städtebaulicher Planung unter besonderer Berücksichtigung der Bauleitplanung 316
u n d i h r heterogener Bezug zu U m w e l t -
282
4.1.
Bauleitplanung als Auffangplanung
320
4.2.
Bauleitplanung als Entwicklungsplanung
325
5.
Das normative Wirksystem der Verfassungsgrundsätze zur Bereinigung defizitärer städtebaulicher Planungen sowie zur E f f e k t i vierung u n d Optimierung von Umweltplanungskonzepten — D r i t ter Konzeptualisierungsschritt 330
F. Schlußbetrachtung und Ausblick
341
Anhang D./E. Verfassungsgrundsätze
352
I. Demokratieprinzip
352
I I . Sozialstaatsprinzip
363
I I I . Rechtsstaatsprinzip
368
I V . Föderalismusprinzip
376
Literaturverzeichnis
386
Abkürzungsverzeichnis AN
= Aachener Nachrichten
A n m . d. Verf.
= Anmerkung(en) der Verfasser
APUZ
= Aus P o l i t i k und Zeitgeschichte
BBauG
= Bundesbaugesetz
BGB
= Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
= Bundesgesetzblatt
BImSchG
=
B1GBW
= Blätter f ü r Grundstücks-, Bau- u n d Wohnungsrecht
Bundes-Immissionsschutzgesetz
BMBau
= Bundesminister f ü r Raumordnung, Bauwesen u n d Städtebau
BMI
= Bundesminister des I n n e r n
BMJFG
= Bundesminister für Jugend, Familie u n d Gesellschaft
BMWi
= Bundesminister f ü r Wirtschaft
BRD
= Bundesrepublik Deutschland
BR-Drs.
=
BROP
=
Bundesrat-Drucksache Bundesraumordnungsprogramm
BT-Drs.
=
Bundestag-Drucksache
BVerfG
=
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
= Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerfGG
= Gesetz über das Bundesverfassungsgericht
Difu
= Deutsches I n s t i t u t für Urbanistik
DÖV
= Die Öffentliche V e r w a l t u n g
DV
= Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau u n d Raumplanung
DVB1.
= Deutsches Verwaltungsblatt
FN
= Fußnote
FR
= Frankfurter Rundschau
GEWOS
= Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V.
GV.NW
= Gesetz- u n d Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen
HdRuR
= Handwörterbuch der Raumforschung u n d Raumordnung
HdSW
= Handwörterbuch der Sozialwissenschaften
i. S. v.
= i m Sinne v o n
i. V. m.
= i n Verbindung m i t
JZ
=
Juristenzeitung
14
Abkürzungsverzeichnis
Jg.
= Jahrgang
KZSS
= Kölner Zeitschrift f ü r Soziologie u n d Sozialpsychologie
LaPlaG(e)
=
Landesplamingsgesetz(e)
LEPro
=
Landesentwicklungsprogramm
Lfg.
= Lieferung
NJW
= Neue Juristische Wochenschrift
NW
=
OECD
= Organization for Economic Co-operation and Development
Nordrhein-Westfalen
PVS
= Politische Vierteljahresschrift
ROG
=
SIN
= Städtebauinstitut Forschungsgesellschaft m b H
Raumordnungsgesetz
StBauFG
=
Städtebauförderungsgesetz
Vorbemerkung Städtebauliche und umweltbezogene Planungen auf der Grundlage der zwei Säulen der Verfassungsordnung — Grundrechte und Verfassungsgrundsätze — zu diskutieren, neu zu überdenken und weiter zu entwickeln, ist eine unverzichtbare Voraussetzung, u m den langwierigen Prozeß einer humaneren Umweltnutzung und einer lebensgerechteren Gestaltung des Verhältnisses von Mensch und Umwelt vorzubereiten und einzuleiten. Zwar werden seit Gründung der Bundesrepublik die Städte und Siedlungen geplant und realisiert unter den Normen und Wertsetzungen des Grundgesetzes. Zwar erhebt diese Verfassung die Menschenwürde zum obersten Wert, garantiert, schützt und achtet sie ebenso wie das Recht auf Leben i n physisch-psychischer Unversehrtheit und die Chancen auf Persönlichkeitsentfaltung und Selbstbestimmung i n der sozialen und umweltbeanspruchenden Gemeinschaft. Zwar verbürgt diese Verfassung werthafte Struktur- und Ordnungselemente i n Form demokratischer, sozial-, rechts- und bundesstaatlicher Normierungen, die für das öffentliche Wirken und Leben des Gemeinwesens unabweisbar sind. Zwar markiert der planerische Zielhorizont m i t den gängigen Formeln von der Entwicklung „humaner Städte", der Sicherung einer „menschenwürdigen Umwelt", der Verwirklichung von „Lebensqualität" etc. den Zusammenhang von Planung und Verfassung. Doch diese Anspruchsdimension zur Gestaltung des Verhältnisses von Mensch und Lebensumwelt steht i n einem beklagenswerten Widerspruch zu den architektonischen, städtebaulichen, landschaftlichen und sonstigen räumlichen Realitäten. Die allenthalb erlebbare Planung der Zerstörung des Daseinsraumes hat sich beschleunigt, so daß für die Betroffenen und Beplanten die Auseinandersetzung mit oder die Resignation vor menschenverachtenden, Gesundheit bedrohenden und gefährdenden, Leben vernichtenden, Entfaltungsmöglichkeiten einschränkenden und verhindernden Erscheinungsformen i n der Lebensumwelt bereits zur Alltäglichkeit geworden ist. I n dieser desolaten Situation sind eben nicht nur existentiell unverzichtbare räumliche Grundlagen i n Gefahr geraten, sondern es ist gleichermaßen das Gleichgewicht des Gemeinwesens und der Fortbestand der Gesellschaft bedroht. Folglich geht es nicht nur um die Erforschung
16
Vorbemerkung
der ursächlichen Planungen und realen Umweltbedingungen, unter denen diese Entwicklung ablaufen konnte. Es ist vor allem die Frage nach gesellschaftlichen und planungswirksamen Lösungen und Auswegen zu stellen, m i t denen diese Gefahren behoben und i n Zukunft verhindert werden können. I n einem werthaft verfaßten Gemeinwesen mündet das zwangsläufig ein i n eine Rückbesinnung auf das Verhältnis von Planung und Verfassung, und dabei speziell i n Überlegungen einer effizienteren Umsetzung der Normativgehalte von Grundrechten und Verfassungsgrundsätzen i n und mittels Planung. I n der i n Teil A vorgenommenen Problematisierung des Forschungsvorhabens und der Nachzeichnung der öffentlichen K r i t i k zur sozialräumlichen Situation werden zwar unterschiedliche Urteile abgegeben, doch ist diesen die Einschätzung der räumlich und baulich konkret gewordenen Fehlplanungswirklichkeit als Widerspruch u n d Verletzung des Verfassungstextes gemeinsam. Der kritische Zustand der Lebensumwelt angesichts bestehender Daseinsbedürfnisse und Umweltansprüche des Menschen setzt sich fort i m kritischen Verhältnis praktizierter Planungskonzepte zur Verfassungsordnung. Die Kompliziertheit dieser Zusammenhänge, die sich am ehesten i n einem i m Austausch befindlichen System vermuten und dort erklären lassen, führt dazu, die Interdisziplinarität des planungs- und verfassungswissenschaftlichen Untersuchungsfeldes i n einen systemtheoretischen Ansatz einzubringen. Aus dieser i n Teil Β diskutierten Perspektive ergeben sich erstens plausible Erklärungen für das Untersuchungsinteresse, die dabei vorgenommenen Schwerpunktsetzungen und die thematischen Ausgrenzungen. So w i r d beispielsweise die Problematik der umweltbezogenen Planungs- und Fachgesetze und werden Fragen der einfachen Rechtsprechung zu Umweltproblemen nur marginal behandelt. Vielmehr t r i t t die unmittelbare und raumwirksame Rechtsgültigkeit der Grundrechte angesichts ihrer Vorrangfunktion vor einfachgesetzliche Regelungen i n das Untersuchungsinteresse. Zweitens ermöglicht der systemtheoretische Ansatz für den aus einer Disziplin kommenden Forschenden — wie i m vorliegenden Falle — fruchtbare Einsichten, disziplinüberschreitende Erklärungsmuster, forschungsspezifische Gewichtungen und Abgrenzungen zu den i n einem Problemkomplex und i n Interaktion stehenden Untersuchungselementen von Planung und Verfassung, womit das Untersuchungsziel dieser Arbeit unterstützt wird. A u f der Grundlage dieser methodischen und theoretischen Voraussetzungen erfolgt die Einlösung des eingangs formulierten Zielanspruchs i n drei hintereinandergeschalteten Schritten und i n einer gemischt normativ-empirischen Ausrichtung der komplementär zu denkenden Ergebnisse:
Vorbemerkung
Den Defiziten an Wert- und qualitativer Zielorientierung i n den u m weltbezogenen und städtebaulichen Planungskonzepten, ihrer Überformung durch ökonomisches Wachstumsdenken und Ausrichtung auf technologische Rationalitäts- und administrative Effizienzkriterien werden i n Teil C die Wertsetzungen der Grundrechte unter Auslotung der Umweltgrundrechtsdiskussion gegenübergestellt. E i n Ausweg aus der Interdependenz der erschreckenden sozialräumlichen Qualitätsmängel und der nicht minder bedrohlichen gesellschaftlichen Wertkonfusion w i r d darin gesehen, das grundrechtliche Wert- und Anspruchssystem i n ein übergeordnetes Planungsleitbild mit Bindungscharakter für alle raumwirksamen Maßnahmen zu transformieren. Für Planungskonzepte werden damit qualitative Imperative und konsensfähige Wertmaßstäbe gesetzt und eindeutig kenntlich gemacht. Diese haben dann für die Gestaltung der Daseinsbedingungen sowie die Nutzungs- und Verfügungsweisen i n der Lebensumwelt bereits vom Grundgesetz her unmittelbare und vorrangige Rechtsgültigkeit i m Sinne des Grundrechtsprimats und einen unabweisbaren Anspruch auf Konkretion. M i t der i n Teil D erfolgten Sammlung und Systematisierung von empirisch belegbaren sozialräumlichen Krisensituationen i n einem Problemkatalog w i r d kein Anlaß mehr zu bloßen Vermutungen über diese kritischen Sachverhalte gegeben. Vielmehr zeigen sich i n der Gesamtschau der Probleme noch weiterreichende Zusammenhänge: Die lokalisierbaren umweltrelevanten Zerstörungen und konkreten räumlichen Krisen bewirken auch immer Gefahren und Bedrohungen — m i t allerdings diffusem Ausstrahlungseffekt — i m Gesellschaftssystem. Dieser Wirkungszusammenhang läßt sich auch i n umgekehrter Richtung, also vom Gesellschaftssystem zur Umwelt, konstatieren. Und nachweislich können diese Interdependenzen anhand exemplarisch ausgewählter U m weltsituationen i n bewertender Gegenüberstellung m i t den grundgesetzimmanenten Zielfunktionen des Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzips belegt werden. Dabei erweisen sich zahlreiche sozialräumliche Problemlagen als Verletzungstatbestände der mit den genannten Verfassungsgrundsätzen begründeten Normierungen. Somit münden Überlegungen zur Lösung dieser Verfassungswidrigkeiten ein i n Aktivierungs- und Optimierungsvorschläge demokratischer, sozial-, rechts- und bundesstaatlicher Maßgaben i m System der umweltbeanspruchenden Gesellschaft. Denn dort sind zunächst — respektive flankierend — die Voraussetzungen für alle weiteren Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu schaffen. Ob und i n welcher Form schließlich unter Rückgriff auf die gesamte Verfassungsordnung Möglichkeiten bestehen, die tradierten Handlungs- und Entscheidungsmuster i m Prozeß umweltbezogener und 2 Malz
18
Vorbemerkung
städtebaulicher Planungen weiterzuentwickeln oder abzulösen, steht in Teil E zur Diskussion. Ins Blickfeld gerückt w i r d dabei der planungsrelevante Bedeutungsgehalt der Verfassungsgrundsätze. Und das bedeutet als Lösungsweg für die Planungsproblematik: Rückbesinnung auf die demokratischen, sozial-, rechts- und bundesstaatlichen Handlungsanweisungen zur Revision und Innovation praktizierter Planungskonzepte. Und es bedeutet weiter: Akzeptanz der Konkretisierungspflicht verfassungsimmanenter Wertmaßstäbe und Zielfunktionen i m Planungsprozeß sowie ihre Umsetzung mittels Planung i n das stets entwicklungsfähige und verbesserungsbedürftige Verhältnis von Gesellschaft und Lebensumwelt. A u f der Grundlage der somit konturierten konzeptionellen Lösungsschritte dieser Arbeit sind Planungskonzepte i n Zukunft weiterzudenken. Zur Stützung dieser Intention erscheint es unter anderem notwendig, ein Planungsgrundsätzegesetz zu schaffen, das i n Inhalt, Zweck und Ausmaß die Ergebnisse der einzelnen Lösungsvorschläge vereinigt und das i n Ausstrahlungs- und Bindungswirkung die Gesamtheit der umweltrelevanten Akteure zur Einlösung der Verfassung verpflichtet. Denn erst m i t ihrer konsequenten Umsetzung i n und mittels Planung sowie ihrer unabweisbaren Anwendung i n den raumrelevanten Rechtsund Politikbereichen kann erwartet werden: eine ausgewogenere Situation i n den widerstreitenden sozialen, ökonomischen, politischen und ökologischen Interessen an der Lebensumwelt zu schaffen; sozialräumliche und konsensfähige Qualitätsziele aufzuzeigen; ein profunderes Verfassungsdenken bei Akteuren und Betroffenen einzuleiten; ein rationaleres Verhältnis i m komplizierten Beziehungsgeflecht von Planung und Grundgesetz zu begründen und somit die normativen Voraussetzungen für eine humane Umweltnutzung i n einer menschenwürdig gestaltbaren Lebensumwelt herzustellen.
Α. Lebensumwelt und sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem „Die Grundlagen unseres Lebens sind i n Gefahr geraten, w e i l lebenswichtige Elemente der N a t u r verschmutzt, vergiftet u n d vernichtet werden, u n d w e i l der L ä r m uns unerträglich bedrängt. Die Würde des Menschen ist dort bedroht, wo seine natürliche U m w e l t beeinträchtigt w i r d . Z u den u n v e r letzlichen u n d unveräußerlichen Menschenrechten gehört auch das Hecht auf ein gesundes u n d menschenwürdiges Leben i n Stadt u n d Land." (Grüne Charta von der Mainau, 1961)1.
1. Der Negativbefund zu den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen: Bedrohungen des Daseins in der Lebensumwelt Die Probleme des Wohnens und der Wohnumwelt 2 , die i m weitesten Sinne Probleme der Raumnutzung und der sozialräumlichen Organisation der Gesellschaft, i m engeren Sinne Probleme der Städte, Siedlungen, Dörfer, Wohnquartiere und der i n ihnen lebenden Bevölkerung sind, werden i n der Bundesrepublik seit Ende der fünfziger / Anfang der sechziger Jahre und i n nahezu ausufernder Form seit dem Einsetzen der Umweltdiskussion um 1970 i n der wissenschaftlichen Literatur, i n den Massenmedien und i n der Artikulation der Bewohner thematisiert 3 . Es handelt sich bei diesen Befunden zur Situationsproblemat i k des Daseinsraumes — subsumiert unter Schlagworten wie „Krise der Stadt", „Krise der Umwelt" — zumeist um selektive Realitätsausschnitte und Versuche, demonstriert an konkreten Beispielen, für die Problemkomplexität der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen 4 , i n fachlichen und öffentlichen Diskussionen unter Wissenschaftlern, Politikern, Planern und Betroffenen ein Problembewußtsein zu schaffen. M i t diesem Bewußtsein soll eine Ausgangsbasis für den langwierigen Prozeß der Suche nach alternativen Lösungen zur Uberwindung der scheinbar unentwirrbaren Krisen-, Konflikt-, Gefahren- und Bedrohungspotentiale i m dialektischen Verhältnis von raumbeanspruchender Gesellschaft und Lebensumwelt vorbereitet bzw. eingeleitet werden. 1 Deutscher Rat f ü r Landespflege (Hg.), „Charta" v o m 20. A p r i l 1961, A u s zug; vgl. ebenfalls C. 2.1.1. 2 Z u den Begriffsinhalten von „Wohnen", „ W o h n u m w e l t " etc. vgl. A. 2.1. ff. 3 Vgl. BT-Drs. 8/1938, Umweltgutachten '78, S. 339: „Bereits seit Beginn der sechziger Jahre w u r d e n i n Fachkreisen die Probleme der Stadtentwickl u n g behandelt, aus denen sich ein Jahrzehnt später i n der breiten öffentlichen Diskussion die Umweltprobleme herauskristallisierten." 4 Differenziert zum Begriffsinhalt vgl. A. 2.2.1.
2*
20
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
Der Komplexitätsgrad der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen — gebildet von materiellen und immateriellen Gegebenheiten, d. h. von natürlichen Faktoren (Boden, Wasser, Luft, Fauna und Flora), infrastrukturellen Einrichtungen (Gebäude und Verkehrsanlagen), sozialen Bedingungen (Personen, Institutionen, Kontakte, persönliche Bindungen), ökonomischen (Wirtschaftssystem) und politischen Ordnungs- und Steuerungskriterien (Regierungs-, Rechts- und Verwaltungssystem) —, setzt sich i n den meisten der dazu vorliegenden Befunde fort. Dadurch w i r d das schwerwiegende Problem aufgeworfen, das Verhältnis Mensch-Wohnumwelt sachgerecht einzuschätzen und zu differenzieren sowie allgemeingültige, objektive Aussagen zu gewinnen, mit denen der Prozeß der Bewußtseinsbildung problemadäquat gesteuert und ein Konsens zu möglichen Lösungen gefunden werden könnte. Zunächst vermitteln die Negativbefunde — seien sie nun Ergebnis des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses, der massenmedialen Aufbereitung oder der Betroffenenartikulation —, i n der Heterogenität der benannten Problemfelder den Eindruck der mehr oder weniger „totalen Krise" i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt. So mag es gerechtfertigt sein, ohne Einzelbefunde bereits an dieser Stelle einer differenzierten Prüfung zu unterziehen, die K r i t i k zur Problematik von Gesellschaft und Lebensumwelt unter folgenden Kurzformeln zusammenzufassen: 1. Als Analyse der wissenschaftlichen und alltags weltlichen K r i t i k ergibt sich ein „Konglomerat" strukturell und funktional bedingter und verflochtener Einzelprobleme, die von räumlichen Notständen, ökologischen Problemen, technologischen Risiken über ökonomische Pressionen und Abhängigkeiten, politisch-rechtlich-administrative Zwänge und Bevormundungen bis h i n zu sozialen Mangelsituationen, psychischen Ängsten und Gefahren, physischen Erkrankungsformen sowie ideellen und kulturellen Defiziten reichen. 2. Als Diagnose ist m i t h i n eine mehr oder weniger unwirtliche und menschenunwürdige, sozialräumliche Lebenswirklichkeit zu konstatieren, deren Konsequenz eine entsprechend i n ihren Fundamenten bedrohte und gefährdete Gesellschaft ist. 3. A u f der Grundlage dieser globalen Sachverhalte erscheint eine generelle, sich auf die Trendverlängerung der Befunde und sich abzeichnenden Tendenzen stützende Prognose plausibel, die auf eine chancenlose Zukunft und einen unaufhaltsamen Abstieg i n ein Mensch-Wohnumwelt-Debakel verweist. Fragt man nach den Ursachen der Krise der Lebensumwelt, so erhält man entsprechend den zahllosen Negativbefunden und den dort explizit
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
21
gemachten Einzelproblemen ebenso zahlreiche, übereinstimmende wie divergierende Erklärungsmuster. Als auslösende Momente und mögliche Verursachungseffekte werden u. a. genannt: Defizite der raumrelevanten Planungen; Defizite der Wirtschaftsordnung; Defizite der Politik, der Administration, des Rechtssystems; Defizite an verbindlichen Werten, Leitbildern, normativen Handlungsanweisungen; Defizite hochindustrialisierter, pluralistischer Gesellschaftsordnungen 5 . Von diesen (und weiteren) defizitären Faktoren und Sachverhalten kann oder muß angenommen werden, daß sie i m einzelnen, i n Kombination und/oder alle zusammen — entsprechend der Wirkungsweise von Elementen i n Systemen 6 — für die Krise der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen verantwortlich sind. Ohne i m Rahmen dieser Arbeit zu beabsichtigen, das Problem von Haupt- und Nebenursachen für das i n die Krise geratene komplizierte und komplexe System Mensch-Wohnumwelt durch Auswertung der Negativbefunde und die Gewichtung der dort benannten Kausal- und Wirkfaktoren klären zu können (wobei unterstellt werden darf, daß ein derartiges Anliegen schwerlich leistbar ist), verweist ein i n den Planungsdisziplinen und Sozialwissenschaften anerkanntes Theorem auf eine hinreichend plausible Erklärung für das konstatierte Dilemma: Die i m Raum ablesbaren gebauten Strukturen und sozialräumlichen Nutzungsweisen sind Ausdruck und Spiegelbild der jeweiligen Gesellschaft, ihrer Wertvorstellungen, Rangordnungen und bewußt gewollten Lebensbedingungen 7 . 5 Dazu i m einzelnen die nach Merkmalgruppen gegliederten u n d nach E r hebungskriterien systematisierten Problemsynopsen i n D. 2.1. ff. 6 Ausführlich dargestellt i m Rahmen des Forschungsansatzes, B. 2. 7 Bereits Max Weber hat i n seinen, Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Schriften aus historisch-soziologischer Perspektive auf diesen Kausalzusammenhang aufmerksam gemacht: daß sich an den Städten u n d ihren Entwicklungen sowohl Ideologien, Herrschaftssysteme als auch Wirtschaftsordnungen ablesen lassen. Vgl. dazu den Sammelband ausgewählter Schriften Weber, Soziologie — Weltgeschichtliche Analysen — Politik. Die These, die heute i n Planungstheorie, Soziologie u n d benachbarten Disziplinen bereits „Trivialcharakter" hat, w i r d i n der jüngeren Stadt- u n d Gesellschaftsk r i t i k immer wieder aufgegriffen; vgl. u. v. a. Hillebrecht, Menschen i n M o numenten — Die Stadt u n d ihre Mitte. I n diesem Vortrag v o m 3. 7.1966, gehalten anläßlich einer öffentlichen Sitzung des Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Künste, geht der A u t o r u. a. dem Problem nach, wie D i k taturen versuchen, m i t städtebaulichen Maßnahmen gesellschaftliche bzw. politische Ordnungssysteme i m Raum durch gebaute S t r u k t u r e n darzustellen. Ebenfalls w i r d die Frage aufgeworfen, w i e sich die demokratische Gesellschaft, ζ . B. die der Bundesrepublik, i n ihren Bauten repräsentiert u n d ob sie bereits die Chance verpaßt hat, i n i h r e n Städten demokratische L e bensformen sichtbar zu machen. — Des weiteren: Rainer, F ü r eine lebensgerechte Stadt, S. 16; Bode, Kommerz u n d K u l t u r i n geballter Ladung; Gesprächsaufzeichnung zwischen Laage u n d Schmidt: ,Dann sollten w i r mehr Eigenheime bauen/
2 2 Α .
Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
M i t dieser These — sie stellt u. a. die i n der Kapitelüberschrift eingelagerten Problemkategorien (Variablen) von Lebensumwelt und Daseinsbedingungen i n einen Theorierahmen — w i r d zunächst ein komplex strukturierter Erklärungsansatz für das Erscheinungsbild der Wohnumwelt, für die Nutzungsarten und Verfügungsweisen i m Raum, i n Städten und Siedlungen vermittelt, die ursächlich als Ausdruck und A b b i l d der Daseinsbedingungen und Lebensformen der jeweils existenten Gesellschaft gelten 8 . M i t h i n ergeben sich zwischen den Variablen folgende essentiellen Interaktionsmuster: — Der Hinweis auf das bewußt Gewollte, das i m Raum ablesbar wird, läßt die realen, gebauten Strukturen und sozialräumlichen Funktionen i n der Wohnumwelt als Ergebnis von gesellschaftlicher Akzeptanz und Entscheidung, als Produkt von Planungen ebenso wie von Nicht-Planungen erfaßbar werden 9 . — Der Hinweis auf die sich i m Raum widerspiegelnden Wertvorstellungen erklärt die Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen als Ergebnis von vorherrschenden Leitbildern, Zielvorstellungen und normativen Handlungsweisen 10 und/oder als Resultat der gesellschaftlichen Orientierungslosigkeit 11 . — M i t dem Hinweis auf die sozialen Rangordnungen und Schichtungen, die i m Raum manifest werden, w i r d der Zusammenhang von ökonomischen Prozessen, sozialen und politischen Bedingungen hergestellt, die das Erscheinungsbild der Wohnumwelt i m Sinne der jeweils vorherrschenden Macht- und Herrschaftsstrukturen prägen 1 2 . 8 Vertiefend dazu noch ein Z i t a t : „Die architektonische Gestaltung von Stadt und Landschaft ist (...) der sichtbarste u n d erlebbarste Ausdruck der demokratischen Lebensform. Sie spiegelt wider, wie w e i t Lebensgefühl, p o l i tische Verantwortlichkeit, Wirtschaftskraft u n d auch Kunstsinn die tragenden Charaktereigenschaften unseres Gemeinwesens sind. I n der A r c h i t e k t u r können w i r den Vergleichsmaß stab f ü r die innere Verfassung unserer Stadt finden." Klose, i n seinem Grußwort an den Deutschen Architektentag 1977, der unter dem nicht unumstrittenen Motto stand: ,Staat als Kunstwerk'. β A l s Beleg hierfür mag ζ . B. gelten, daß das Instrument der Planung i n nahezu allen seinen Details durch ein umfassendes Rechtssystem geregelt ist. Daß dabei maßgebliche, gesellschaftlich relevante Anspruchs- u n d Bedürfnisbereiche nicht kodifiziert bzw. rigide eingeschränkt werden, steht i n diesem Zusammenhang zunächst nicht zur Debatte. 10 Paradigmatisch sei auf das Anfang der 60er Jahre postulierte und p r a k tizierte städtebauliche Planungsleitbild: Autogerechte Stadt verwiesen und die damit i n den Städten geschaffene u n d heute allenthalben beklagte V e r kehrsproblematik. 11 Dazu vertiefend C. 1.—1.2. 12 Augenfälliger Beweis, wie sich die Sozialstrukturen u n d Rangordnungen der Gesellschaft i m Raum ablesen lassen, sind ζ . B. die i m Gefolge sozialräumlicher Entmischungsprozesse entstandenen Obdachlosensiedlungen, i n nerstädtischen Ausländerslums, Arbeitersiedlungen, Angestelltensuburbs, Einfamilienhausgettos u n d lupenreinen Villenviertel. I n diesem Sinne vgl. die Ausführungen von: Grauhanl Linder, P o l i t i k der Verstädterung, S. 50 f.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
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Fazit: Die Wohnumwelt i n ihren defizitären Strukturen und Funktionen ist das Ergebnis langzeitlich raumwirksam gewordener Steuerungs-, Produktions- und Planungsprozesse. Zieht man aus den Wohnumweltrealitäten Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen und Wertvorstellungen dieser Gesellschaft, dann ist — angesichts der sozialräumlichen Krisensituationen — diesen Lebensformen und Leitideen bestenfalls zu attestieren, daß sie orientierungslos, Widersprüchen und gefährlichen Extremen verhaftet sind, bei denen die Interessen der dominierenden Gruppen der Gesellschaft überwiegen. Die i n diesen Negativbefunden sich reflektierenden, vorherrschenden Verhaltens- und Handlungsweisen der Gesellschaft lassen den Schluß zu, daß die Wohnumwelt maßgeblich bestimmt, gestaltet und bedroht w i r d i m Prozeß von Entscheidungen und Planungen der politisch verantwortlichen und gestaltenden Akteure, von Verwertungsansprüchen der ökonomisch Leistungsfähigen, von Gruppenegoismus und Individualismus eines Teiles der Gesellschaft, der zu Lasten der Allgemeinheit m i t ihren legitimen Nutzungsansprüchen an das Allgemeingut „ U m w e l t " geht. A u f der Basis dieser ersten Grobeinschätzung der Mensch-WohnweltBedingungen — i n den Kontext der Gesamtproblematik von Umweltplanung und Grundgesetz gestellt — und der daraus gewonnenen Erkenntnisschritte kann folgende Arbeitshypothese aufgestellt werden: Die als Resultat raumwirksamer Planungen und politisch-administrativer Entscheidungen ausweisbaren Negativbefunde i m sozialräumlichen Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt sind m i t der Würde des Menschen, dem obersten Wert des Grundgesetzes nicht vereinbar. Indem das gesamte Grundgesetz von der Fundamentalnorm Menschenwürde beherrscht wird, manifestieren diese sozialräumlichen Gegebenheiten eklatante Bedrohungen und latente Verletzungen der Grundrechtsordnung und stehen i n offensichtlichem Widerspruch zu den Normativinhalten der Verfassungsgrundsätze 13 . Die Verifikation respektive Falsifikation dieser Grundannahmen ist i m Rahmen aller weiteren Untersuchungsteile dieser Arbeit von zentra18 Sowohl die Grundrechte (dazu vertiefend T e i l C) als auch die Verfassungsgrundsätze (gemeint sind Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- u n d Föderalismusprinzip, i m einzelnen behandelt i n T e i l D u n d E) werden v o m obersten Wert des GG, der Würde des Menschen beherrscht. Das bedeutet vor allem, daß planerisches u n d politisches Handeln u n d Entscheiden sich an diesem höchsten u n d unantastbaren, zu achtenden und zu schützenden Wert orientieren und sich i n ihren Resultaten an i h m messen lassen müssen. Z u r Bedeutung der Menschenwürde als oberstem Wert des GG vgl. BVerfG (Hg.), Nachschlagewerk, insbes. den Abschnitt: Die Grundrechte — Allgemeines, Nr. 1 ,Wesen, Abwehrrechte u n d Wertmaßstäbe (der Grundrechte) 4 , Nr. 23 ,Schutz von Freiheit u n d Würde oberster Rechtszweck', Nr. 24 Richtungsweisend auch für Staatsorganisation' und zu A r t . 1 Nr. 1 , (Menschenwürde) I m GG oberster Wert', Nr. 2 ,Art. 1 GG als tragendes Konstitutionsprinzip'.
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
lern Interesse. Ob und inwieweit die Hypothese einer Modifizierung bedarf, w i r d zunächst und unter anderem durch die i m folgenden vorgenommene, stichprobenartige Prüfung der Befunde 1 4 — wie sie die Fachdisziplinen, Massenmedien und Betroffenen formulieren — näher geklärt. Die daran anschließenden, definitorischen Festlegungen zu einigen maßgeblichen Untersuchungseinheiten (Wohnen, Wohnung, Wohnumwelt, Umweltplanung etc.) dienen der systematischen Präzisierung der wertorientierten Bedürfnis- und Anspruchsdimensionen i m dialektischen Verhältnis Mensch-Wohnumwelt und sind i n diesem Sinne auch als methodologische Arbeitshilfe zur Differenzierung der globalen Inhalte der Hypothese zu verstehen. 1.1. Der Befund in den Fachdisziplinen unter Rückgriff auf populärwissenschaftliche Darstellungen
Entsprechend der „Multidisziplinarität des Forschungsfeldes S t a d t " 1 5 — präzisiert i m Hinblick auf den hier interessierenden Untersuchungsschwerpunkt — liegt für das Problemfeld Mensch-Wohnumwelt 1 6 eine kaum noch überschaubare, geschweige denn i m traditionellen wissenschaftlichen Arbeitsprozeß auswertbare Fülle wissenschaftlicher Publikationen v o r 1 7 . Dieses Dilemma der nicht mehr zu bewältigenden Informationsfülle, der Forschungsüberhänge — so ζ . B. Studien zu spezifisch räum-, siedlungs- und stadtstrukturellen Problemen — kontrastiert i n besonders augenfälligem Maße zum Problem der Forschungsdefizite — ζ . B. Ana14 Das Interesse g i l t dabei der Auswertung — i. S. der Sekundäranalyse v o n Publikationen — der i n der öffentlichen Diskussion vorfindbaren Negativbefunde zum Bezugssystem Mensch—Wohnumwelt. D a m i t soll nicht etwa der „ K r i s e der Stadt" das W o r t geredet, sondern diese vielmehr fundiert nachgewiesen oder widerlegt werden. 15 J. Friedrichs, Stadtanalyse, S. 18. 16 Z u den einzelnen Wissenschaften, deren Erkenntnisinteresse dem Bezugssystem Mensch—Wohnumwelt gilt, siehe vor allem die nach M e r k m a l gruppen unterschiedenen Problemsynopsen, D. 2.1 ff., jeweils Spalte 1. 17 Dieser Sachverhalt, allgemeinhin als „Informationslawine" / „Informationskatastrophe" apostrophiert, hat bereits Anfang der 70er Jahre Dokumentationsspezialisten die Ansicht vertreten lassen, daß ein Wissenschaftler n u r noch ca. 5 °/o der i n der W e l t erscheinenden L i t e r a t u r seines Fachgebietes zur Kenntnis nehmen kann. Vgl. A. Nagel, Politische Entscheidungslehre, Bd. 1, S. 31 f. I n diesem Sinne äußern sich u. v. a. ebenfalls: Hoff mann, V o m I n f o r mationszufall u n d dem Erkennen neuer Wahrheiten: „ W i r leben alle mehr oder weniger v o m Informationszufall, da die ,Informationslawine' nicht mehr zu bewältigen ist. Selbst i n herkömmlichen Problembereichen ist eine totale Informiertheit auch n u r f ü r einen winzigen Teilbereich unmöglich geworden." J. Friedrichs, Stadtanalyse, S. 12: „Die Publikationen zur Stadtforschung sind inzwischen derart zahlreich, daß man sich darauf beschränken möchte, n u r eine Bibliographie der Bibliographien zu verfassen."
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
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lysen i m Sinne von Beschreibung und Erklärung der Zusammenhänge und Auswirkungen natürlicher und gebauter Wohnumweltgegebenheiten auf die Physis und Psyche des Menschen, auf das sozialräumliche Verhalten von Bewohnern; Untersuchungen zur Wert- und Zielforschung sowie zur Transformation von Werten und Normen über das Instrument Planung i n konkrete Mensch-Wohnumwelt-Realität i m Sinne der Realisation sozialräumlicher Qualitäten. Aber nicht genug dieser Probleme, stellt sich doch beim Rückgriff auf einen Bruchteil repräsentativer Veröffentlichungsbeispiele, der der vorliegenden Untersuchungsproblematik als Grundlagenliteratur dienen soll, ein weiteres Problem spezifisch wissenschaftlich-methodologischer Art. Denn je nachdem, welche theoretischen Ansätze, Variablen, Modelle, Methoden, Konzepte etc. der empirischen Sozialforschung i n Kombination m i t Theorieansätzen 18 , Grundannahmen und Thesen, Stufen i m Erkenntnisprozeß, zentralen Frage- und Problemstellungen, Kategorien, statistischem Datenmaterial etc. der raumrelevanten Disziplinen (ζ. B. Raum- und Regionalforschung, Urbanistik, Planungstheorie) und benachbarten Wissenschaften (ζ . B. Soziologie, Psychologie, Ökologie, Ökonomie, Politikwissenschaft) zur Analyse der Interdependenzproblematik von Mensch und Wohnumwelt, von sozialräumlichen Problemlagen und ihren Verursachungsbedingungen Anwendung gefunden haben, stets kommt es zu einem breiten Spektrum differierender, divergierender und/oder kontroverser Ergebnisse. Dies selbst dann, wenn es sich um ein und denselben räumlich und sozial abgegrenzten Untersuchungsbereich handelt. Verschärft w i r d das Problem der sachgerechten Literaturauswahl und problemadäquaten Literaturauswertung 1 9 noch dadurch, daß nicht nur 18 Z u m Inhalt, Anwendungsbereich und zur K r i t i k einiger maßgeblicher u n d i n Gebrauch befindlicher Theorieansätze, so ζ . B. „Bedürfnis-/Zufriedenheitsansatz", „Umweltansatz", „Ausstattungs-/Defizitansatz", „Nutzungsansatz", zur Erfassung sozialräumlicher W i r k l i c h k e i t i n der städtischen U m w e l t vgl. I n s t i t u t f ü r Städtebau und Landesplanung der R W T H Aachen (Hg.), Raum f ü r soziales Leben, Bd. 1, S. 9 ff. Dort w i r d u. a. auf S. 9 ausgeführt, daß die genannten Theorieansätze „bezogen auf ihre Grundannahmen ein fast ebenso widersprüchliches B i l d (ergeben) w i e die W i r k l i c h k e i t der Wahnviertel. So sind die Annahmen über die Konstitution sozialer Beziehungen, die Annahme über Lebensnotwendigkeiten und die daraus drängenden Probleme ebenso kontrovers w i e die Annahmen über die Verursachungszusammenhänge sozialer Probleme. Diese kontroversen Annahmen wären weniger schwerwiegend, w e n n die i n der L i t e r a t u r bekannten Ansätze tragfähige und akzeptable Grundannahmen sowie brauchbare Methoden und Resultate hervorgebracht hätten". 19 Z u r Schwierigkeit der Literaturauswertung angesichts der Widersprüchlichkeit wissenschaftlicher Publikationen; vgl. u. a. I n s t i t u t f ü r Städtebau (Hg.), S. 24 ff.
2 6 Α .
Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
die variierenden Theorieansätze — einschließlich der Defizite i n der Theoriebildung 2 0 — und Forschungsmethoden der beteiligten Disziplinen, sondern ebenfalls die differierende politische und/oder weltanschauliche Standortgebundenheit 21 des Forschenden die Erklärungsmuster maßgeblich prägen 2 2 . Letztere erscheinen dann als höchst subjektive Befunde und/oder vermitteln durch ihr Rekurrieren auf die „herrschende Meinung" eben nichts anderes als die „Meinung der Herrschenden". Die i n Langzeitprozessen entstandenen Machtstrukturen, Ideologien, spezifischen Wahrnehmungs- und Erklärungsmuster werden somit zu unreflektierten Bestandteilen von Theorieansätzen, die i n der Konsequenz intersubjektiv nicht mehr nachvollziehbar sind, sich also weder verifizieren noch falsifizieren lassen. Materialfülle, Forschungsdefizite, Theoriemängel, Situationsbedingtheit der Erkenntnisse und Standortgebundenheit des Forschenden verdichten sich zu dem scheinbar unüberwindlichen Problem der Verallgemeinerungsfähigkeit, der Vergleichbarkeit und der Formulierung einheitlicher Schlußfolgerungen aus den lokalisierten Mängeln i m System Mensch-Wohnumwelt sowie ihrer Beseitigung durch entsprechend „verobjektivierte" Aussagen zu Handlungs-, Entscheidungs- und Planungsalternativen. Vor diesem Hintergrund muß folglich auch der beispielsweise i n der Urbanistik diskutierte und zunächst so viel versprechende Analyseansatz, die Deskription und Evaluation sog. „Archetypen" und die Übertragung der Ergebnisse auf ähnliche Situationen m i t der Intention einer allgemeingültigen Neukonzipierung von planerischen Zielen, M i t t e l n und Maßnahmen als äußerst fragwürdig angesehen werden 2 3 : Denn die sich auf den ersten Blick ähnlich oder analog darstellenden städtischen Krisensituationen erweisen sich bei differenzierter Analyse als zu heterogen i n ihren jeweiligen, spezifisch sozialräumlichen Gegeben20 Vgl. J. Friedrichs, Stadtanalyse, der diesen defizitären Tatbestand unter Bezugnahme auf die Stadtsoziologie auf S. 14 w i e folgt formuliert: „Der w o h l augenfälligste Sachverhalt der soziologischen Stadtforschung ist die Diskrepanz von Materialfülle u n d unzureichender Theorie." 21 Z u r „Standortgebundenheit" vgl. D. 2., F N 19. 22 Verfassungsnormative Grundlage für die durch die Wissenschaften verbreiteten Meinungen i m Sinne von Stellungnahmen, Gutachten, Wertungen (auch Werturteilen), Einschätzungen, Anschauungen, Urteilen (auch V o r u r teilen) etc. ist A r t . 5 Abs. 3: „ K u n s t u n d Wissenschaft, Forschung u n d Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." 23 Dazu die Ergebniszusammenfassung der 165. Session des Salzburger Seminars i n American Studies zum Thema „ U r b a n Problems and Planning", von: Braun, Stadtplanung: Die Skepsis der Fachleute — Gedanken u m ein Seminar, S. 18—22. Des weiteren und insbes. zur Problematik der Situationsbedingtheit u n d mangelnden Vergleichbarkeit sozialräumlicher Bestandsanalysen: I n s t i t u t für Städtebau (Hg.), Anhang 1, S. 19 ff.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
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heiten (ζ . B. Sozialstruktur der Bewohner, Lage, Ausstattung, Einbindung und Verflechtung der Wohnumwelt i n die räum-, siedlungs- und stadtstrukturellen Zusammenhänge). Angesichts des zuvor Gesagten erscheint es geboten, i n der Behandlung bzw. Auswertung der wissenschaftlichen Literatur und der Befunde zur Wohnwirklichkeit, zum Verhältnis Mensch-Wohnumwelt auf ein Abstraktionsniveau und/oder einen Allgemeinheitsgrad auszuweichen, bei dem es von nachrangigem Interesse ist, welche Theorieansätze und Erklärungsversuche den Untersuchungen zugrunde liegen. Vielmehr interessiert hier vorrangig, i n die nahezu unüberschaubare Vielzahl lokalisierbarer Mißstände (Einzelprobleme) und/oder Krisensituationen (sich wechselseitig beeinflussende Problemfelder) zunächst m i t einzelnen Beschreibungs-/Erfassungskategorien eine gewisse Ordnung zu bringen. Dieses Vorgehen beinhaltet allerdings auch ein theoretisches Vorverständnis, bei dem die Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen als ein ganzheitliches und raumgebundenes Sozialsystem aufgefaßt werden, das zu Forschungszwecken i n einzelne Teilsysteme (Subsysteme) zerlegt werden kann. Solcherart Einschätzung des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Umwelt liegt demnach eine systemtheoretische Betrachtungsweise zugrunde 2 4 . Dabei werden die Probleme i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt primär als gesamtgesellschaftliche begriffen, für die gleichermaßen soziale, politische und ökonomische Faktoren 2 5 relevant sind, die sich einzeln, i n Kombination und/oder allesamt wechselseitig bedingen, ergänzen, voneinander abhängen und ihren konkreten Bezug i m Raum, d. h. einer Siedlung, Stadt, einem Stadtteil, Wohnquartier etc. haben. Das Denken, Analysieren und Interpretieren in Systemen erscheint m i t h i n zur Erhellung und Durchdringung der vorliegenden Untersuchungsproblematik besonders geeignet, da sowohl die Konditionen des Gesamtsystems erkenn- und beschreibbar werden, als auch seine konstituierenden und inter agierenden Einzelelemente i n den jeweiligen Interdependenzen, Abhängigkeiten und Vernetzungen erf aßt und erklärt werden können. Somit w i r d davon ausgegangen, daß das hier zunächst verfolgte Ziel, nämlich das gesamte System von Mensch und Wohnumwelt nach Krisenerscheinungen (ohne vorherige Gewichtung, d. h. auch ohne bewußte Einschränkung und/oder sektorale Behandlungsweisen aufgrund des Theorieansatzes) absuchen zu können und diese Suchfunktion folglich nicht nur auf bestimmte Bereiche zu beschränken, am 24 Z u m systemtheoretischen Ansatz, der dieser A r b e i t zugrundegelegt w i r d , ausführlich B. 2. 25 Z u r weiteren Differenzierung der Faktoren vgl. die Ausführungen i n D. 2. i m Rahmen der Einführung eines „Wohnumweltmodells".
2 8 Α .
Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
ehesten i m Rahmen eines systemtheoretischen Ansatzes realisiert werden kann. Die Eignung dieses theoretischen Vorverständnisses w i r d u. a. auch i m Zusammenhang mit der i m folgenden vorgenommenen Auswahl und Einschätzung einiger Befunde aus dem Bereich wissenschaftlicher Publikationen unter Beweis gestellt. Die Veröffentlichungsbeispiele tragen bereits i n ihren Titeln genügend markante Bezeichnungen für das scheinbar unentwirrbare Krisen- und Konfliktpotential, dem die raumbeanspruchende Gesellschaft i n der Lebensumwelt ausgesetzt ist. So ist Verödung 27, dem beispielsweise -die Rede von der Unwirtlichkeitder 28 29 Labyrinth und Chaos , der Unregierbarkeiti , dem Elend 30, der Aus1 32 33 beutung* , dem Untergang und Tod der Städte, Siedlungen, Dörfer und Wohnumwelt. M i t diesen Begriffen werden allein schon in der bloßen Aufzählung Komplexitätszusammenhänge i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt vermittelt, die sich zur gesamtgesellschaftlichen Dimension rekonstruieren lassen, indem u. a. soziale (Elend, Unwirtlichkeit), ökonomische (Ausbeutung), politische (Unregierbarkeit) und räumliche (Labyrinth, Verödung) Bezugsfelder genannt werden, die i m oben dargelegten Sinn als systemkonstituierende Einzelelemente aufzufassen sind. Zweifelsfrei werden mit diesen Schlagworten — ihr wissenschaftlicher Charakter sei dahingestellt — Negativerscheinungen und Gefahrenpotentiale für den Fortbestand von Gesellschaft und Umwelt (i. S. eines Gesamtsystems) markiert, die i n der Vision der unabwendbar heraufziehenden Katastrophe m i t vernichtendem Ausgang (Untergang, Tod) kumulieren. I n den jeweiligen Veröffentlichungen werden ζ . T. fundierte Analysen, Diagnosen und Prognosen zur Problematik der Mensch-Wohnumwelt-Realitäten sowie entsprechende Lösungsvorschläge vermittelt, deren theoretische und empirische Aussagegehalte allerdings i m Kontext m i t den weiter oben diskutierten, wissenschaftsspezifischen Problemen zu sehen und zu prüfen sind. Die Erscheinungsdaten der stich26 Mitscherlich, Die U n w i r t l i c h k e i t unserer Städte — A n s t i f t u n g zum U n frieden. 27 Unsere Großstädte veröden v o m Z e n t r u m aus, Studie führender Stadtplaner. 28 Andritzkyl Becker/Seile (Hg.), L a b y r i n t h Stadt — Planung u n d Chaos i m Städtebau. 29 Klose, V o n der Unregierbarkeit der Städte. 30 Ragon, Die großen I r r t ü m e r — V o m Elend der Städte. 31 Helms, Die Stadt — M e d i u m der Ausbeutung, i n : Helms/Janssen (Hg.), Kapitalistischer Städtebau. 32 Jacobs, Stadt i m Untergang. 33 Dies., Tod u n d Leben großer amerikanischer Städte.
Synopsel : Krise der Stadt und Lebensumwelt im zeitlichen Längsschnitt PROBLEMFELDER IN DER RETROSPEKTIVE 1966
Allgemeine
PROBLEMFELDER DES STATUS QUO 1977
(a)
Trends
Allgemeine
(b)
Trends
Auflösung der S t a d t und Aushöhlung i h r e r M i t t e ; Z e r s i e d l u n g der L a n d s c h a f t ; Änderungen der L e b e n s - und D a s e in s f o r m e n und z . T . w e s e n s fremde Anforderungen an d i e Uberlieferten Stadtformen; Prozesse der Auflösung b i s h e r i g e r f u n k t i o n a l e r und r ä u m l i c h e r Zusammenhänge und Bezüge sowie P r o z e s s e n e u e r , sozialräuml i c h e r I n t e g r a t i o n s v o r g ä n g e ; zunehmende L o c k e r u n g a l t e r Bindungen z w i s c h e n den O r t e n d e s Wohnens, des A r b e i t e n s , d e r E r h o l u n g e t c . .
Schrumpfende S t ä d t e ; Einbußen an u r b a n e r V i t a l i t ä t ; Einebnung c h a r a k t e r i s t i s c h e r Stadtstrukturen; soziale Erosion.
Leitbilder/ZielSetzungen
Leitbilder/Zielsetzungen
Versäumnisse, Stadtformen nach der G e s e l l s c h a f t gemäßen, menschenwürdigen Maßstäben sowie entsprechend demokratischen Form- und Gestaltungsvermögens zu e n t w i c k e l n , somit Städte als offenes Eingeständnis kulturellen Unvermögens und p o l i t i s c h e n V e r s a g e n s ; F e h l e n von A l t e r n a t i v e n und L ö s u n g s v o r s c h l ä g e n , der e n Annahme o d e r A b l e h n u n g e i n e S a c h e p o l i t i s c h e r E n t s c h e i d u n g s e i n muß; F e h l e n n e u e r A r beitsstile, wissenschaftlicher Grundlagenforschung, d i e g e s e l l s c h a f t l i c h e R e l e v a n z und p o l i t i s c h e Rangstellung haben; Fehlen g e s e l l s c h a f t s p o l i t i s c h e r Z i e l e , d i e dem S t a d t p l a n e r die Richtung weisen.
U n z u l ä n g l i c h k e i t t r a d i e r t e r Auffassungen Uber d i e S t a d t a l s Lebensraum; Mängel der p o l i t i schen I n s t r u m e n t e und V e r f a h r e n z u r E r h a l t u n g der Lebensfähigkeit der großen S t ä d t e ; Fehlen von K o n z e p t i o n e n z u r Lösung g e g e n w ä r t i g e r Probleme.
Bevölkerung/Betroffene
Bevölkerung/Betroffene
Allgemeiner w e i t e r e r Bevölkerungszuwachs; vers t ä r k t e r Zuwachs d e r B e v ö l k e r u n g i n den S c h w e r punkten der W i r t s c h a f t , den S t a d t r e g i o n e n und S t ä d t e n ; Zunahme d e r " M a n t e l b e v ö l k e r u n g " durch Zuwachs a n n i c h t e r w e r b s t ä t i g e r Bevölkerung i n f o l g e l a n g e r A u s b i l d u n g s z e i t und f r ü h z e i t i ger Beendigung der E r w e r b s t ä t i g k e i t ; Zunahme von B e s c h ä f t i g t e n im t e r t i ä r e n S e k t o r .
E n t l e e r u n g d e r I n n e n s t a d t b e r e i c h e , da d i e S t a d t a l s Lebensraum, d . h . a l s P l a t z f U r Wohnungen d u r c h s c h n i t t l i c h v e r d i e n e n d e r B ü r g e r n i c h t mehr v o r h a n d e n i s t ; Abwanderung d e r i n n e r s t ä d t i s c h e n Wohnbevölkerung i n d i e Randzonen d e r S t ä d t e ; V e r s c h l e c h t e r u n g d e r S o z i a l s t r u k t u r durch nachrückende Bevölkerung, z.T. ausländische Arbeitnehmer; Entmischung d e r B e v ö l k e r u n g i n s b e s o n d e r e i n den G r o ß s t ä d ten.
Stadtstrukturelle
Disparitäten
Stadtstrukturelle
Disparitäten
Z u n a h m e a n A r b e i t s p l ä t z e n d e s t e r t i ä r e n Sek·? t o r s vor a l l e m i n den S t a d t z e n t r e n ; Zunahme der B e s i e d l u n g und B e v ö l k e r u n g im S t a d t - U m l a n d ; fehlende K o n t i n u i t ä t und W e i t e r v e r m i t t lung von Wandlungen h i n s i c h t l i c h des S t a d t g r u n d r i s s e s und S t a d t b i l d e s , d e r S t r a ß e n r ä u m e und P l a t z g e s t a l t u n g e n .
Fehler i n der Einschätzung der Verdichtungsräume a l s " r e i c h " und " e x p a n d i e r e n d " ; schwerwiegende Ungleichgewichte i n n e r h a l b der V e r dichtungsräume und insbesondere hinsichtlich der V e r t e i l u n g der Bevölkerung, der Nutzungss t r u k t u r e n , d e r L e b e n s q u a l i t ä t und dadurch bedingte Gefährdung der F u n k t i o n s f ä h i g k e i t .
Wohnungsbestand/-bedarf
Wohnungsbestand/-bedarf
M i ß b r a u c h v o n t a u s e n d e n W o h n u n g e n , um M e n s c h e n i n Monumenten l e b e n und zu F i g u r e n i n S t a f f a gen werden zu l a s s e n , d i e d e r R e p r ä s e n t a t i o n des S t a a t e s dienen ( s o z i a l e r Wohnungsbau); Zunahme d e s W o h n u n g s b e d a r f s i n f o l g e d e r V e r längerung des d u r c h s c h n i t t l i c h e n Lebensalters.
U b e r a l t e r u n g des Wohnungsbestandes i n Großstädten b e i gleichzeitigem Fehlen notwendigen Modernisierungsmittel.
Bodenordnung/GrundstÜcksmarkt F e h l e n d e r S c h u t z v o r d e r W i l l k ü r u n d dem M i ß brauch i n der Bodennutzung; Uberbewertung des E i g e n t u m s r e c h t s an Grund und Boden.
Bodenordnung/GrundstÜcksmarkt Erschwerung und V e r h i n d e r u n g der E r h a l t u n g der Substanz und der R e v i t a l i s i e r u n g der S t ä d t e durch den f r e i e n Grundstücksmarkt.
Verkehr
Verkehr
Anwachsen z e n t r i p e t a l e r Verkehrsbewegungen zu den i n den S t a d t z e n t r e n k o n z e n t r i e r t e n A r b e i t s p l ä t z e n ; Zunahme z e n t r i f u g a l e r Verkehrsbewegungen zu den i n den R a n d g e b i e t e n d e r Städte liegenden d e z e n t r a l i s i e r t e n Wohnplätzen. Zunahme d e r V e r k e h r s b e d ü r f n i s s e i n d e r W i r t s c h a f t , im B e r u f s - und F r e i z e i t v e r k e h r ; Zunahme a n K r a f t f a h r z e u g e n u n d a n F l ä c h e n b e d a r f für diese i n a l l e n T e i l e n der S t a d t , insbesond e r e i n den S t a d t z e n t r e n .
Fortschreitende Zerstörung den I n d i v i d u a l v e r k e h r .
der
Städte
den der
durch
Recht/Gesetzgebung/Programme
Recht/Gesetzgebung/Programme
Mangelndes Bewußtsein der G e s e l l s c h a f t , insbesondere der P o l i t i k e r h i n s i c h t l i c h i h r e r baul i c h e n Verantwortung; fehlende Beachtung der Probleme der S t a d t e n t w i c k l u n g , obwohl s i c h i n diesem B e r e i c h Tag f ü r Tag i r r e p a r a b l e " V e r s t e i n e r u n g e n " und "Verkrustungen" vollziehen.
L ä n g s t U b e r h o l t e Grundannahmen im B e r e i c h d e r ' g e l t e n d e n Gesetzgebung zu s t ä d t e b a u l i c h e n M a ß n a h m e n , v o r a l l e m i m Rahmen d e s BROP, d e r Gemeinschaftsaufgaben und Förderungsprogramme; unzureichende V e r t e i l u n g des Steueraufkommens und W i d e r s p r u c h zu den wachsenden f i n a n z i e l l e n Belastungen, d i e die großen Städte f ü r weite B e r e i c h e i n den umliegenden Regionen zu t r a g e n haben.
(a)
Hillebrecht,
(b)
Unsere Großstädte
R.,
Die
Stadt
...»
...
Studie
führender
Stadtplaner
und
Kommunalpolitiker.
3 0 Α .
Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
probenartig ausgewählten Publikationen verweisen u. a. auch darauf, daß die sozialräumlichen Fehlentwicklungen bereits Anfang der sechziger Jahre Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Zusammenfassend und zur Unterstreichung der zuvor lediglich unter schlagwortartigen Kategorien skizzierten, sozialräumlichen Problematik sind i n der vorstehenden Synopse 1 die Ergebnisse zweier Studien herangezogen, die i m zeitlichen Längsschnitt (1966—1977) und i n der synoptischen Gegenüberstellung einige für die „Krise der Stadt und Lebensumwelt" charakteristische Problemfelder umreißen. Bemerkenswert ist dabei vor allem, daß die meisten der vor über einer Dekade benannten, defizitären sozialräumlichen Gegebenheiten, die sich zunächst als generelle Trends und Tendenzen abzeichneten, i n der jüngeren Studie (und auch heute) nicht weniger akut sind als seinerzeit; und daß sich die konstatierten Mängel, Bedrohungen und Gefahren ζ . T. verschärft und/ oder sozialräumlich verlagert haben 3 4 . Von den verantwortlichen Akteuren (Regierung, Parlamente, Planungsexperten etc.) lediglich zur Kenntnis genommen und durch einige periphere Eingriffe i n das bestehende Planungssystem abgemildert — ζ . B. StBauFG, Umweltschutzgesetzgebung, raumrelevante Programme, geänderte Planungskonzeption (integrativ oder koordinativ) — haben sich die lange schwelenden sozialräumlichen Einzelprobleme i n ihren wechselseitigen Abhängigkeiten und i n ihren relativ unkalkulierbaren Multiplikator- und Akzeleratoreffekten angesichts ausgebliebener problemadäquater, planerischer und politischer Ordnungs-, Lenkungs- und Gegensteuerungsmaßnahmen immer mehr zu der heute allenthalben beklagten Situationsproblematik der Betroffenen i n ihrer Lebensumwelt verdichtet. Somit ergibt sich i m Hinblick auf die eingangs formulierte Arbeitshypothese von der verfassungswidrigen und grundrechtsbedrohenden Planungswirklichkeit, unter Berücksichtigung des weiter oben Ausgeführten und i n globaler Einschätzung der i n den Fachdisziplinen formulierten Negativbefunde zum dialektischen Verhältnis von Mensch und Wohnumwelt, eine generelle Bestätigung dieser Grundannahme. 1.2. Die Diskussion in den Massenmedien
Der sprunghafte Anstieg der Berichterstattung i n den Medien Presse, Funk und Fernsehen zu Wohnumweltproblemen seit Beginn der siebziger Jahre hat, wie dies bereits für die fachöffentliche Diskussion konstatiert wurde, die „Informationsschwemme" zu diesem Themenbereich soweit anwachsen lassen, daß eine Erfassung und inhaltliche Auswertung nur noch stichprobenartig und unter zuvor festgelegten Systematisierungskategorien vorgenommen werden kann. A l l e i n für den Problem34
Vgl. vertiefend dazu die Inhalte der Problemsynopsen i n D. 2.1. ff.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
31
bereich der g e m e i n h i n spezifischen U m w e l t f r a g e n b z w . U m w e l t s c h u t z f r a g e n (ζ . B . A b f a l l b e s e i t i g u n g , L ä r m b e k ä m p f u n g , Luftreinhaltung, Gewässerschutz, Strahlenschutz) i s t i m Z e i t r a u m v o n 1970 b i s 1976 eine V e r d r e i f a c h u n g der V e r ö f f e n t l i c h u n g e n g e g e n ü b e r d e n sechziger J a h r e n zu verzeichnen35. M a ß g e b l i c h f ü r d i e massenmediale „ I n f o r m a t i o n s l a w i n e " s i n d eine Vielzahl v o n Faktoren. Dazu zählt die den U m w e l t p r o b l e m e n g e w i d m e t e A u f m e r k s a m k e i t i m S i n n e einer ö f f e n t l i c h d i s k u t i e r t e n u n d a k z e p tierten P r o b l e m p r i o r i t ä t m i t einer i m m e r umfangreicher werdenden L i s t e u n g e l ö s t e r P r o b l e m e i m städtischen D a s e i n s r a u m (ζ . B . V e r k e h r s p r o b l e m e , V e r s l u m u n g , V e r ö d u n g , Zersiedelung), z u G e f ä h r d u n g e n menschlichen L e b e n s u n d menschlicher G e s u n d h e i t ( ζ . B . L ä r m , L u f t u n d Wasserverschmutzung) s o w i e z u w e i t e r e n k o m p l e x e n , u m w e l t r e l e v a n t e n G r u n d b e r e i c h e n (ζ . B . Z e r s t ö r u n g des N a t u r h a u s h a l t e s ) . Z u n e n n e n s i n d ebenfalls die i m m a s s e n m e d i a l e n Prozeß d e r P r o b l e m a u f b e r e i t u n g sich a r t i k u l i e r e n d e n gesellschaftlichen G r u p p e n , d i e v o n d e n J o u r n a l i s t e n ü b e r d i e Wissenschaftler, P o l i t i k e r u n d I n t e r e s s e n v e r t r e t e r bis h i n z u d e n S e l b s t h i l f e o r g a n i s a t i o n e n (ζ . B . B ü r g e r i n i t i a t i v e n ) als B e t r o f f e n e reichen. D a r ü b e r h i n a u s ist d i e e f f e k t i v e A u f w e r t u n g des T h e m a s „ U m w e l t " z u e i n e m z e n t r a l e n O b j e k t b e r e i c h des ö f f e n t l i c h e n Interesses n i c h t z u l e t z t d e m „ a n w a l t s c h a f t l i c h e n " S e l b s t v e r s t ä n d n i s 3 6 35
Vgl. Umweltgutachten '78, S. 444. Z u m journalistischen SelbtsVerständnis — weniger aus wissenschaftstheoretischer als aus praktisch-beruflicher Perspektive — vgl. ζ . B. die Themenausgabe „Die Massenmedien i m Wahlkampf", Information u n d M a n i pulation, Politiker u n d Publizisten sagen ihre Meinung, i n : Das Parlament. I n Betracht gezogen werden müssen gleichermaßen die möglichen Gefahren, die von den Massenmedien angesichts ihrer dominierenden Rolle i m M e i nungs- und Willensbildungsprozeß ausgehen können. Kritische Distanziertheit gegenüber massenmedial vermittelten Problemen ist unabdingbar. Z w a r gehören B i l d u n g u n d A u f k l ä r u n g zu vorrangigen Medienfunktionen, doch sind Meinungsmanipulation u n d -Unterdrückung, Weitergabe u n d Verstärk u n g ζ . B. von Vorurteilen bereits „integraler Bestandteil" i n der I n f o r m a tionsvermittlung. Vgl. dazu u. a. See, Grundwissen einer kritischen K o m m u n a l p o l i t i k — Wirtschaft, Staat u n d kommunale Selbstverwaltung, S. 32. Der A u t o r problematisiert diesen Sachverhalt u. a. durch ein Zitat von Franz Josef Strauß aus dem Jahre 1969: „ M a n kann einem Volke, auch wenn es i h m gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich u n d durch düstere Prophezeihungen die Z u k u n f t als gefährdet u n d katastrophenbeladen vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten u n d durch Angstreaktionen erst die Gefahr heraufbeschworen w i r d , vor der angeblich gewarnt werden soll. Dazu gehört auch der leichtfertig das Gesetz der Dimension verletzende Gebrauch der Begriffe »Krise 4, »Depression', »Inflation 4 u. ä." Dies ist die negative Seite sog. „öffentlicher" A u f k l ä r u n g : „Panikmache" u n d „ V e r u n glimpfeung". Die andere Seite ist die Möglichkeit der Bagatellisierung, M e i nungsunterdrückung u n d Verschleierung von Problemzusammenhängen. Als Beispiel sei verwiesen auf die 1978 i n der Tagespresse veröffentlichten U m welt-Anzeigen der Bundesregierung, i n denen dem Bürger eine heile u n d i n takte Welt i n der Bundesrepublik vorgespiegelt wurde. Wie verdummend, und damit die „Würde des einzelnen" i m Rahmen seines Informationsinter36
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eines überwiegend kritischen und sich zunehmend für die „ U m w e l t " engagierenden und profilierenden Journalismus zu verdanken. Besondere Beachtung verdient vor allem der zuletzt genannte Aspekt: Durch gezielte, qualitativ und quantitativ erhöhte Berichterstattung machen sich Presse, Funk und Fernsehen i m öffentlichen Kommunikations- und Meinungsbildungsprozeß über Umweltprobleme zu stellvertretenden Sprechern eines allgemein konstatierbaren Unbehagens breiter Bevölkerungskreise. Ein Unbehagen, das noch i n den sechziger Jahren nur geringes öffentliches Interesse fand und über keine nennenswerten, einflußrelevanten Artikulationschancen verfügte 3 7 . Die Massenmedien realisierten und realisieren folglich durch Aufdeckung, Benennung und Problematisierung von Mißständen, Bedrohungen, heraufziehenden Gefahren und Einschränkungen i m existentiellen Daseinsraum Wohnumwelt i n einem Umfang das demokratische Postulat „Öffentlichkeit" i m Sinne der Nutzung der Chancen ihrer grundgesetzlich legitimierten Funktionen 3 8 , wie es weder den Parlamenten noch dem individuellen politischen oder wissenschaftlichen Akteur, weder einer engagierten sozialen Gruppe noch gar dem k r i t i schen Bürger und Betroffenen allein je gelingen konnte und kann. Orientierung und Aufklärung, Ermöglichung der Bildung einer rational begründbaren und sachverständigen Meinung des einzelnen Bürgers zu umweltrelevanten Problembereichen haben somit zu einer wachsenden K r i t i k und zu besseren Kontrollmöglichkeiten der politischen Entscheidungsträger und des wissenschaftlichen Sachverstandes geführt. Die Schattenseite dieser prinzipiell positiv zu bewertenden, wachsenden Publizität des Themas „ U m w e l t " ist jedoch die Gefahr der hiermit einhergehenden, tendenziellen Abnahme des öffentlichen Aufmerksamkeitsgrades, indem die Zerredung von Problemen deren Aktualität aus dem öffentlichen Bewußtsein wieder verdrängt. Angesprochen sind hier vor allem: Die Anknüpfung der K r i t i k am Vordergründigen 3 9 , an lokalen und regionalen Skandalen und Katastroesses verletzend, diese Anzeigen letztlich sind, kritisiert Horst Stern zu Recht: „ W e r die kreatürliche Not von Menschen, Tieren u n d Pflanzen zum p o l i t i schen Werbegag herabwürdigt, offenbart ein Defizit an M o r a l i n der Ausübung staatlicher Macht." Vgl. ders., W a r u m regen sich die grünen Typen auf? 37 Vgl. Umweltgutachten '78, S. 446. 38 Normative Grundlagen der demokratischen, massenmedial vermittelten Öffentlichkeit bildet A r t . 5 („Freiheit der Meinungsäußerung u n d -Verbreitung"), nach dem alle gesellschaftlich relevanten Meinungspositionen gleiche A r t i k u l a t i o n s - , Verbreitungs- u n d Rezeptionschancen haben müssen, den Massenmedien m i t h i n eine öffentliche F u n k t i o n zugewiesen w i r d . 89 Vgl. Der Spiegel (Hg.), Expandierende M ä r k t e — Umweltpflege u n d Regeneration, Bd. 4, S. 1 : „ A n der Beeinträchtigung der U m w e l t als dem bewohnten Lebensraum, der vor aller Augen liegt, hat sich die öffentliche Dis-
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phen 4 0 , wie sie bereits zum „Medienalltag" gehören, läßt die unseren gesamten Daseinsraum und die gesamte Menschheit bedrohenden Probleme — solange nicht jeder selbst unmittelbar betroffen ist — als räumlich fixier- und ausgrenzbare Krisensituationen erscheinen, was i n der Konsequenz einer umfassenden Sichtweise mit entsprechendem Willen zu — auch unbequemen — Lösungsversuchen entgegenstehen muß. Die Verschleierung und nicht explizite Benennung maßgeblicher und für das jeweils spezifische Umweltproblem verantwortlicher Zusammenhänge, wie beispielsweise und vor allem der Widerspruch zwischen den Interessen an unbegrenztem Wirtschaftswachstum und einer nicht ursächlich befragten Wohlstandsexpansion auf der einen und der folgenschweren Unterschätzung dieser m i t dem wirtschaftlichtechnologischen Fortschrittsglauben einhergehenden Folgen einer gefährliche Ausmaße annehmenden, ζ . T. bereits irreparablen Unweitzerstörung auf der anderen Seite — diese Sachverhalte stehen ebenso einer umfassenden Problemsicht entgegen, wie die Reduktion des K o m plexitätsgrades der Mensch-Wohnumwelt-Problematik durch einseitige Sichtweisen, ζ . T. auch bedingt durch die populärwissenschaftliche A u f bereitung einer komplizierten Materie m i t der Intention einer möglichst breiten Informationsstreuung. Auswahl und Auswertung der hier interessierenden Medienberichterstattung konfrontieren den Forschenden und Betroffenen unweigerlich mit ähnlich gelagerten Problemen, wie sie bereits i m Kontext m i t der Prüfung wissenschaftlicher Veröffentlichungen skizziert wurden: Die Situationsabhängigkeit der Problembefunde, die politische und interessenabhängige Standortgebundenheit der Medienorgane, die sich i n der journalistischen Arbeit widerspiegelt und die Glaubwürdigkeit der Medienberichterstattung i n der Öffentlichkeit steigert oder mindert 4 1 . M i t noch mehr Fragezeichen, als dies für die m i t Theorieansätzen, kussion i n erster L i n i e entzündet: Schmutz i n der L u f t , U n r a t i n den Gewässern, M ü l l auf dem Erdboden. Daß die K r i t i k i n großer Breite a m Vordergründigen anknüpft, ist verständlich. Belästigungen durch Gestank u n d Häßlichkeit, auch die Minderung des ,Freizeitwertes 4 der U m w e l t , sind wichtige Punkte." 40 Paradigmatisch sei verwiesen auf die menschliches Leben u n d städtische U m w e l t zerstörende chemische Katastrophe von Seveso/Italien (1976) u n d das Kernkraftwerksunglück von Harrisburg/Pennsylvania, U S A (1979). 41 Die krassen Differenzen i n der Glaubwürdigkeit gegenüber Informationen aus unterschiedlichen Quellen/Interessengruppen zu Umweltproblemen i n der Bevölkerung verdeutlicht eine Repräsentativerhebung von I N F A S (1977) zum Thema: „ . . . Informationen über die Umweltfreundlichkeit oder Umweltfeindlichkeit von Industrien oder K e r n k r a f t w e r k e n " . Bei der Frage, wessen Informationen am ehesten Glauben zu schenken sei, schnitten die „Sprecher der Industriebetriebe" m i t 6 % a m schlechtesten ab, gefolgt v o n den „ P o l i t i k e r n " m i t 10%, den „Journalisten" m i t l l ° / o , den „städtischen Stellen" m i t 15°/o. Der Grad der Glaubwürdigkeit von Informationen aus dem Bereich der „ B ü r g e r i n i t i a t i v e n " lag i m m e r h i n bei 26°/o; als überdurch3 Malz
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expliziten Frage- und Problemstellungen, Modellen, Methoden etc. arbeitenden Wissenschaften der Fall ist, muß die Verallgemeinerungsfähigkeit der massenmedial vermittelten Befunde versehen werden. Dagegen ist allerdings die Nachprüfbarkeit der einzelnen Befunde weit eher gegeben als i n den Fachdisziplinen und ihren ζ . T. rein theoretischen Konstruktionen, da sich die Medien vorwiegend um die Darstellung konkreter IST-Zustände i n der Wohnumwelt bemühen, die zumindest von der lokal und/oder regional betroffenen Bevölkerung direkt überprüft werden können. I m Hinblick auf die vorliegende Problemstellung können die zuvor kurz umrissenen Restriktionen aber auch als Chance aufgefaßt werden. So bieten die massenmedial vermittelten Befunde i n ihrem pluralistischen Meinungsbild zur Wohnumweltsituation der Bevölkerung eine entscheidende Ergänzung zur Herstellung einer vielfältigen „Öffentlichkeit" i m Prozeß der Erkennung und Bewertung der Wohnumweltprobleme sowie als Voraussetzung und Basis zur Artikulation der i n ihrer Alltagswelt Betroffenen. Von Interesse sind weiterhin — wie zuvor bereits angesprochen — die Problembefunde sowohl i n lokal, regional und/oder überregional ausgrenzbaren Bereichen als auch die darin erkennbare, jeweilige I n teressengebundenheit und Standortabhängigkeit i m Hinblick auf das Mensch-Wohnumwelt-System. Dies m i t dem Ziel, ohne vorherige Einschränkungen und Gewichtungen, Möglichkeiten der Sytematisierung (Sammlung, Ordnung, Abstimmung) und argumentativen Verknüpfung vieler Einzelprobleme und ihrer Umfelder sowie der darauf aufbauenden Schlußfolgerungen zu gewährleisten. A u f die Wiedergabe von Beispielen aus der Medienberichterstattung zur Mensch-Wohnumwelt-Problematik w i r d an dieser Stelle deshalb verzichtet, da dies eine eigene wissenschaftliche Arbeit m i t kommunikationstheoretischem Schwerpunkt darstellt. Statt dessen sei auf eine erstmals 1972 eröffnete „Wanderausstellung" verwiesen (in der die Medienträger B i l d und Text zur Erzeugung von Meinungs- und Willensbildung inerhalb der Bevölkerung i n gelungener Weise verknüpft sind), die die Probleme des Wohnens und der städtischen Wohnumwelt unter dem Motto „Profitopolis" umfassend thematisiert. Diese Ausstellung, 1979 i n geänderter Schwerpunktsetzung und unter dem Thema „Von Profitopolis zur Stadt der Menschen" erneut zusammengestellt 42 , vermittelt einen generellen Einblick i n den „ miseraschnittlich vertrauenswürdig w u r d e n die Informationen der „Wissenschaftl e r " m i t 64 %> eingestuft. Vgl. Umweltgutachten '78, S. 447. 42 Initiatoren der Ausstellung sind der Münchener Museumsdirektor Wend Fischer u n d der Düsseldorfer Architekt Josef Lehmbrock, vgl. Städtebau — V o n unten, i n : Der Spiegel.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
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bien Zustand" unserer Städte, der als „verfassungswidrig" charakterisiert wird, da m i t i h m die „Würde des Menschen" sowie das „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" ständig verletzt werden: »„Überall die gleichen kleinen Manhattans, die gleichen Wohngettos 2. Klasse' sowie ,1. Klasse'; ,Planungsverdrängte' i n Asylen — ,dressierte Etagenkinder 4 i n Hochhäusern. — Städtischer Lebensraum w i r d durch Fahrbahnbreiten und Wendekreise, durch Parkstreifen und Ampel-Phasen bestimmt. ,Der Lärm, den der Mieter und seine Kinder (laut Hausordnung) nicht machen dürfen, w i r d frei Wohnung von draußen geliefert' 4 3 ." Auch i n dieser knappen, generalisierenden Beschreibung der defizitären IST-Zustände von Wohnumweltrealitäten und ihrer Auswirkungen auf den Menschen werden gesamtgesellschaftliche Kausalzusammenhänge evident, indem auf politische (ζ . B. Verfassung), soziale (ζ . B. Sozialstruktur, Gettoisierung) und ökonomische (ζ . B. „Profit", ökonomisch-technische Machbarkeit) Faktoren Bezug genommen wird, die gleichermaßen — sowohl für sich allein genommen als auch i n ihrer Interdependenz — für den desolaten Zustand des städtischen Daseinsraumes und die Unwirtlichkeit der Wohnumwelt verantwortlich sind. Wie i m zuletzt skizzierten Beispiel explizit zum Ausdruck gebracht, w i r d ebenfalls i m Kontext m i t den i n den Massenmedien diskutierten sozialräumlichen Negativbefunden jene eingangs formulierte Grundannahme von einer verfassungswidrigen und die Menschenwürde verletzenden Planungswirklichkeit i n genereller Beurteilung der MenschWohnumwelt-Realitäten bestätigt. 1.3. Die Artikulation der Betroffenen
I n dem Maße, i n dem eine wachsende Zahl mündiger Bürger unter den Bedingungen einer politisch fungierenden, d. h. aufklärenden und bewußtseinsbildenden Öffentlichkeit (Wissenschaft und Massenmedien) Repolitisierungstendenzen forcierte 4 4 , stieg der Öffentlichkeitsdruck auf die am politischen Prozeß der Entscheidungsbildung bzw. -beein43
Ebd. Vgl. dazu die vielschichtige, alle Lebens- u n d Gesellschaftsbereiche u m fassende Diskussion zur Betroffenenartikulation unter Synonyma w i e Partizipation, Demokratisierung, Mitbestimmung, Teilhabe, Emanzipation, Selbstbestimmung u n d Selbstverantwortung, Autonomie, Mündigkeit u. ä. Besonders informativ u n d eindrucksvoll zum I n h a l t u n d Umfang, den diese Diskussion allein f ü r den Bereich städtebaulicher Partizipation angenommen hat, ist die Literaturdokumentation (Stand: Januar 1976): B M B a u (Hg.), Partizipation, i n der ca. 1000 Titel, vor allem der seit Anfang der 70er Jahre erschienenen Veröffentlichungen zusammengestellt u n d durch die Wiedergabe entsprechender Textstellen erläutert sind. Dabei werden auch eine Reihe praktisch erprobter Modelle der städtebaulichen Partizipation vorgestellt. 44
3*
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
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flussung, -Sanktionierung und -ausführung maßgeblich beteiligten A k teure. Die Dynamik dieses politischen Sozialisationsprozesses, verstanden als Lernen durch teilnehmendes Handeln, durch die Bereitschaft zur Mitverantwortung und Partizipation, durch die Umwandlung von negativen Erfahrungen und Motivationen, konfrontierte die politisch Verantwortlichen m i t einem neuen, bisher i n diesen Dimensionen unbekannten sozialen Handlungspotential. Unmittelbare oder mittelbare, abstrakte oder antizipierte Formen der Betroffenheit einer täglich erlebbaren und erfahrbaren, defizitären Wohn- und Wohnumweltrealität führten zu spontanen Selbsthilfeorganisationen, zu strukturbezogenen oder zu altruistischen Engagements 45 , einhergehend m i t der Möglichkeit der öffentlichen Dramatisierung von jeweils als Bedrohung erlebten sozialräumlichen Konflikten und Problemen. Zum charakteristischen Erscheinungsbild dieses spürbaren Repolitisierungsprozesses gehört das seit Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre zu beobachtende Anwachsen der Bürgerinitiativbewegung auf kommunaler, regionaler oder überregionaler Ebene, von der Signalwirkungen (Bürgerinitiativen als sog. „Frühwarn-" oder „Vorwarnsysteme") und Solidarisierungstendenzen m i t unterschiedlichen Aktionsradien ausgehen. Die Einschätzungen dieser Bewegung und anderer organisierter Formen der Betroffenheit 4 8 sind bei den etablierten Institutionen und Akteuren (Regierung, Parlamente, Abgeordnete, Parteien, Interessenverbände, Planungsexperten etc.) äußerst kontrovers. Das Reaktionsspektrum auf diese „sozialpolitischen Phänomene" reicht von deren Diskreditierung, Diskriminierung und Radikalisierung 4 7 über deren Umwerbung und Anerkennung bis h i n zu deren Ermutigung und Bestärkung als konstitutives Element des kommunalpolitischen A l l tags 48 . 45
Vgl. Bahr (Hg.), Politisierung des Alltags, S. 19 ff. Einen guten Überblick über die Formen der politischen Beteiligung v e r m i t t e l n : Buse/ Ν elles, i n : U. ν. Alemann (Hg.), Partizipation — Demokratisier u n g — Mitbestimmimg, S. 79 ff. 47 Vgl. die Problematisierung der Bürgerinitiativbewegung i n folgenden Veröffentlichungsbeispielen: Faßbinder, Kapitalistische Stadtplanung u n d die I l l u s i o n demokratischer Bürgerinitiativen, i n : Probleme des Klassenkampfes; Mayer/Reich (Hg.), Mitbestimung contra GG?; W. Hoffmann, Die große Blockade. V o n der Schweinezucht zum K e r n k r a f t w e r k : Wo Bürger I n v e s t i tionen stoppen. 48 Paradigmatisch dazu die folgenden Veröffentlichungen: Zeitler, M i t den Bürgern f ü r die Bürger; Sieverts, Der Bürger als Bauherr der Stadt, i n : Schultz (Hg.), Lebensqualität — konkrete Vorschläge zu einem abstrakten Begriff; Waffenschmidt, Bürger helfen Bürgern — Eine I n i t i a t i v e der k o m munalpolitischen Vereinigung der C D U / C S U ; Roesler, Meckern ist B ü r g e r pflicht — W a r u m die Stadt Leinfelden sich an die Spitze der deutschen Gemeinden setzte. 46
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
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Trotz der offenbaren Differenz bei der Beurteilung politischer Beteiligung — i n welcher Form auch immer — und der daraus resultierenden Restriktionen für ihren Aktionsradius konnte und kann diese auf ein beachtliches Ergebnis verweisen. Durch hartnäckiges Insistieren auf verfassungsmäßig verbürgten Rechten 49 , durch Mobilisierung von Betroffenen i m Rahmen von Petitionen, Beschwerden, Bürgerbegehren, Volksentscheiden 50 etc., durch Anrufung der Gerichte 6 1 sowie durch sachverständige Teilnahme an den Erörterungsterminen, die ζ . T. zu den integralen Bestandteilen der Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren des geltenden raumrelevanten Planungsrechts 52 gehören, gelingt es dieser Bewegung relativ häufig, Politiker, Planungsexperten, Interessenverbände und Fachbehörden zur Revision bereits getroffener, umweltbedeutsamer Entscheidungen und/oder zum Verzicht auf noch nicht wirksam gewordene, sozialräumliche Zielvorstellungen zu zwingen. Je nach Bewußtseinsstand werden primär solche Probleme artikul i e r t 5 3 , m i t denen die Betroffenen i m Bereich ihrer lokalen bzw. kommunalen Lebensumwelt täglich konfrontiert werden und die von diesen generell als Defizite an Geborgenheit, Entfaltungs- und Identifikationsmöglichkeiten, als Anpassungszwänge, Frustrationen, Entfremdungsund Ohnmachtserfahrungen erlebt werden. Entsprechend dem Kom49 Dazu zählen insbesondere die Rechte, Freiheiten u n d Garantien, die zugleich Grundlagen u n d Schranken für bürgerliche A k t i v i t ä t e n u n d Partizipationsforderungen sind, der folgenden G G - A r t . : Freiheitsrechte des A r t . 2 ; Meinungsfreiheit des A r t . 5; Versammlungsfreiheit des A r t . 8; Vereinigungsfreiheit des A r t . 9; Petitionsrecht des A r t . 17; Rechtsweggarantie des A r t . 19 Abs. 4; Widerstandsrecht des A r t . 20 Abs. 4. 50 Gewährleistet entweder als „Volksbegehren" oder als „Volksentscheid" durch die einzelnen Landesverfassungen: Baden-Württemberg — A r t . 26, 43 Abs. 1, 60, 64 Abs. 3; Bayern — A r t . 72 Abs. 1, 73, 74; B e r l i n — A r t . 49; B r e men — A r t . 69—74; H a m b u r g — A r t . 70; Hessen — A r t . 124; Nordrhein-Westfalen — A r t . 68; Rheinland-Pfalz — A r t . 109 Abs. 3 u n d 4; Saarland — A r t . 62, 101, 102; Schleswig-Holstein — A r t . 3 sowie auf gemeindlicher Ebene als „ B ü r gerbegehren" oder „Bürgerentscheid" i m Rahmen der einzelnen K o m m u n a l verfassungen. 51 Vgl. zur Rechtsgrundlage insbes. Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage i m Umweltrecht; Mayer-Tasch, Umweltrecht und U m w e l t p o l i t i k , i n : Doran/Hinz/Mayer-Tasch (Hg.), Umweltschutz. 52 Einfachgesetzlich fixiert entweder als „ M i t w i r k u n g s r e c h t " oder „ E r ö r terungsverfahren", so z. B. i m § 2a BBauG „Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung"; § 1 StBauFG „Städtebauliche Sanierungs- und E n t w i c k lungsmaßnahmen", Abs. 4 (Berücksichtigung der Belange der Betroffenen); § 4 „Vorbereitende Untersuchungen u n d Stellungnahmen" (insbes. Abs. 1 u n d 2); §57 „Besondere Vorschriften für den Entwicklungsbereich (Abs. 1); §10 Abs. 3 ff. BImSchG „Genehmigungsverfahren". 53 Maßgebend für den Bewußtseinsstand i n Bezug auf die W o h n u m w e l t sind vor allem Bildungsgrad, Alter, Beruf, Wohnort, Grad der Betroffenheit, Interessenstandort; i n weiterer Differenzierung vgl. z.B. I n s t i t u t für angewandte Sozialwissenschaft (Hg.), U m weltpolitisches Bewußtsein.
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plexitätsgrad der materiellen und immateriellen Wohnumweltgegebenheiten und der Vielschichtigkeit der von dort ausgehenden Bedrohungen, denen sich der Mensch i n seinem biologisch-physiologischen Sein sowie i n seiner geistig-seelischen Existenz ausgesetzt sieht, manifestiert sich die Vielschichtigkeit von Gegenstand, Richtung und Adressat der K r i t i k . So kehrt mit nahezu konstanter Regelmäßigkeit das artikulierte Unbehagen gegenüber räumlich-strukturellen und räumlich-funktionalen Fehlentwicklungen des Daseinsraumes wieder und richtet sich vor allem: — gegen die Monotonie, Monumentalität und Unbewohnbarkeit der Wohnungen; — gegen die Verkehrsprobleme und infrastrukturelle Unterversorgung von Wohngebieten; — gegen die Lärm- und Geruchsbelästigung aus Industrie, technischen Anlagen und Einrichtungen; — gegen die landschaftszerstörenden und -verunstaltenden Siedlungs-, Industrie- und Verkehrskomplexe; — gegen die Verslumung von Wohngebieten, die Zweckentfremdung und Vernichtung von Wohnhäusern; — gegen die Vernachlässigung von Minderheitsinteressen sog. Problemgruppen (kinderreiche Familien, Jugendliche, ältere Menschen, sozial und ökonomisch Schwache). Begleitet w i r d diese K r i t i k nicht selten von konstruktiven Alternativvorschlägen für eine lebensgerechtere, menschenwürdigere, qualitativ bessere Lebensumwelt. Diese Auseinandersetzung mit der Fehlplanungswirklichkeit impliziert gleichermaßen K r i t i k an dem raumwirksamen Instrument der Planung, das zwar dem politischen Anspruch nach zur Verwirklichung von Allgemeinwohl, Menschenwürde, Freiheit, Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit konzipiert ist, m i t dem jedoch nach wie vor ohne die notwendige Rückkopplung m i t den effektiv Betroffenen Wohnumwelt realisiert wird. Der Mangel an praktizierter Demokratie, an Dialog- und Diskussionsbereitschaft zwischen Regierenden und Regierten w i r d also implizit mitkritisiert und die Gefahr der hieraus erwachsenden tendenziellen Polarisierung und Entfremdung auf horizontaler und vertikaler Ebene erkannt. A n die Stelle der argumentativen, pluralistischen Konkurrenz von Einzelnen und Gruppen als demokratische Methode der Entscheidungsbildung i m gesamtgesellschaftlichen Bereich auf der Basis des
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demokratischen Postulats der Verwirklichung des mündigen und selbstbestimmenden Menschen i n einer mündigen Gesellschaft 54 t r i t t der Kampf um die Sicherung und Verteidigung von gruppenegoistischen, rivalisierenden Herrschafts- und Machtansprüchen, die Erhaltung individualistischer Positionen, die Verstetigung sozialer und wirtschaftlicher Dominanz. Der heterogenen K r i t i k entspricht die Heterogenität der Adressatengruppe dieser K r i t i k . Sie richtet sich gegen Politiker, Parlamente, A b geordnete, Parteien, Fachbehörden, Planungsexperten, Wissenschaftler, Interessenorganisationen ebenso wie gegen den Nachbarn des Bürgers (ζ. B. den Gewerbetreibenden m i t seinem geruchs- und lärmbelästigenden Betrieb i m Wohnquartier), den Bauherrn, den Hausbesitzer, den Vermieter, aber auch gegen den Mitbewohner i m Mietshaus (ζ . B. i n der Ausübung seiner alltäglichen Aktivitäten und Grundbedürfnisse, soweit diese störend oder einschränkend i n den Lebensbereich des Betroffenen hineinwirken). Es handelt sich m i t h i n u m ein Akteurskontingent, das unter dem signifikanten Begriff wohnumweltrelevante Rollen- und Funktionsträger zusammengefaßt werden kann. Die Auswertung der nicht ursächlich „abgefragten" Betroffenenartikulation ist ein unverzichtbarer Bestandteil zur Komplettierung des öffentlichen Meinungs- und Bewußtseinsbildes über den IST-Zustand der Wohnsituation und Wohnumweltrealitäten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die solcherart zustandegekommenen Befunde geprägt sind von Selbsterfahrung, variierenden Formen von Betroffenheit, temporärer Abhängigkeit (artikuliert zumeist i m Augenblick erhöhter Gefahr), Ortsnähe, Problemauswahl, interessenbezogener Prioritätensetzung, Einstellungs- und Verhaltensmustern. Eine Verobjektivierung und Generalisierung der Befunde ist folglich nur i n begrenztem Umfang möglich. Ihre Verwertbarkeit unterscheidet sich damit ebenso wie ihr genereller Grundtenor nur unwesentlich von den wissenschaftlich und massenmedial vermittelten Befunden, denen sie sehr häufig als empirisches Basismaterial dienen. Warum die Betroffenenartikulation und Urteile von Bewohnern über den IST-Zustand der Wohnumweltsituation dennoch i n ihrem Aussagegehalt herabgestuft werden, kann hier nur hypothetisch beantwortet werden. Zu vermuten ist u. a. ein Interpretationskampf um die Daseinsbedingungen des Menschen i n einer lebensgerechteren Wohnumwelt, bei dem die bisherige Verantwortlichkeit und Meinungsführung der etablierten wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktionsträger sowie ihre traditionellen Macht- und Herrschaftspositionen i n 54
Vgl. Habermas,
Protestbewegung u n d Hochschulreform.
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
F r a g e g e s t e l l t 5 5 u n d v e r s u c h t w i r d , diesen V e r l u s t
an Terrain
und
R e p u t a t i o n d u r c h entsprechende R e a k t i o n e n a b z u m i l d e r n . Charakteristische Argumentationsmuster der hier w i r k s a m werdenden „herrschenden M e i n u n g " bei der Einschätzung der Betroffenena r t i k u l a t i o n s i n d d a n n beispielsweise: — D i e A u s s t a t t u n g des Raumes m i t E i n r i c h t u n g e n d e r I n f r a s t r u k t u r nach d e n V o r s t e l l u n g e n d e r B e v ö l k e r u n g ist als „ d i e B e t o n i e r u n g eines t e m p o r ä r e n Z u s t a n d e s d e r A h n u n g s l o s i g k e i t " e i n z u s t u f e n 5 6 . — Das „sozial-ethische V e r s t ä n d n i s des G e m e i n w o h l s u n d u n s e r e r K u l t u r " u n d die „zielorientierte politische E t h i k u n d Entscheidungsb e f u g n i s der stets f ü r das Ganze v e r a n t w o r t l i c h e n u n d b e a u f t r a g t e n p o l i t i s c h e n F ü h r u n g " 5 7 e r l a u b t n u r eine eingeschränkte B e r ü c k s i c h tigung der A r t i k u l a t i o n der Betroffenen u n d i h r e r Zielvorstellungen i m Gestaltungsprozeß d e r L e b e n s u m w e l t . Diese G e r i n g s c h ä t z u n g des A r t i k u l a t i o n s v e r m ö g e n s u n d W o h n u m w e l t b e w u ß t s e i n s der B e v ö l k e r u n g m u ß f o l g e r i c h t i g z u v e r m i n d e r t e n 55 Vgl. sinngemäß Mayer-Tasch, Recht auf bürgerlichen Ungehorsam? Der A u t o r verweist auf S. 11 auf die zunehmende Infragestellung des „Repräsentationspositivismus" durch den Bürger, legitimiert diesen Trend verfassungsrechtlich unter Berufung auf A r t . 5 Abs. 1 (Recht auf Meinungsfreiheit u n d -Verbreitung), A r t . 8 (Versammlungsfreiheit), A r t . 9 (Vereinigungsfreiheit), A r t . 17 (Petitionsrecht) und stellt klar, daß damit nicht n u r der subj e k t i v e Gehalt der Grundrechte durch den Bürger wahrgenommen w i r d , sondern vor allem auch die konstitutiven Elemente der Demokratie, m i t deren Inanspruchnahme ein Beitrag zur Konkretisierung einer objektiven Verfassungsordnung geleistet w i r d . Z u dem hier zum Ausdruck gebrachten sog. „Doppelcharakter" der Grundrechte vgl. die Ausführungen i n C. 3. 56 Vgl. Hilse, Die längst bekannten Wohnwünsche der Bundesbürger, S. 380. 57 Vgl. B M B a u (Hg.), Beirat f ü r Raumordnung, S. 36 f. Diesen pauschalen Abweisungen der Betroffenenartikulation und wohnumweltrelevanten Zielvorstellungen der Bevölkerung ist ein Argumentationsbeispiel entgegenzuhalten, das die zuvor vorgestellten mehr oder weniger entkräftet oder doch zumindest eine differenziertere Perspektive i m H i n b l i c k auf den Produktionsprozeß von Wohnumweltrealitäten ermöglicht: „ ( . . . ) i n die Situation gestellt, votierten i n unserer jüngsten Erhebung (gemeint ist eine I N F A S - R e präsentativerhebung, Bundesgebiet, F r ü h j a h r 1972, A n m . d. Verf.) n u r 4 % der Bevölkerung f ü r ein Fußballstadion, 21 °/o f ü r ein Hallenbad, aber 64 °/o f ü r den Bau einer Kläranlage — wobei impliziert war, daß i n der Gemeinde bisher keine vergleichbaren Einrichtungen existieren. A l l e Gruppen i n der Bevölkerung setzen ihre Schwerpunkte gleich, verteilen also ihre M i t t e l überwiegend zugunsten der Kläranlage. (...). Wer n u n wieder glaubt, diese Zahl e n stellten alle pessimistischen Prognosen i n Sachen Umweltschutz auf den Kopf, überschätzt die Daten. Selbst wenn der Bau eines Fußballstadions i n unserer Umfrage so wenig Punkte sammelte, so zeigt sich doch die geballte Macht der Fans, w e n n es zum Schwur kommt. Eindrucksvollen Anschauungsunterricht lieferten dafür die Auseinandersetzungen u n d Abstimmungen i n einigen bundesdeutschen Großstädten wegen des millionenschweren Ausbaus ihrer Arenen f ü r die Fußballweltmeisterschaft." Vgl. I n s t i t u t für angewandte Sozialwissenschaft (Hg.), S. 7.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
41
Durchsetzungschancen von raumrelevanten Maßnahmen i m traditionellen Planungsprozeß führen. Darüber hinaus stehen diese Aussagen i n sichtbarem Widerspruch zu dem von allen maßgeblichen politischen Kräften öffentlich bekundeten Willen zur Reform umweltrelevanter Entscheidungs- und Planungsprozesse, als deren Voraussetzung der mündige, d. h. hier vor allem umweltbewußte Bürger gilt. Die Negation der Betroffenenartikulation zerstört die von politischer Seite zunächst geweckte Hoffnung, ein fruchtbarer Dialog zwischen dominierenden politischen Entscheidungsträgern und den von Entscheidungen letztendlich Betroffenen sei i m Rahmen einer partizipatorisch verstandenen, demokratischen Willensbildung möglich und nötig, u m eine polychromqualitative Akzentuierung des Lebens und der Wohnumweltbedingungen auf breiter Basis als die bessere, zukunftsorientierte Lösung durchzusetzen. Durch das Beharren auf einer einseitigen, herrschafts- und machtorientierten sowie ökonomisch-quantitativen Betrachtungsweise der Wohnumweltprobleme, potenziert durch verstärkte legislative und administrative Zwänge, werden jedoch die für jede Demokratie so verhängnisvollen Entpolitisierungstendenzen forciert 5 8 . Neben der unzureichenden oder gänzlich fehlenden Berücksichtigung der Betroffenenartikulation 5 9 ist auch die Einschätzung der nicht ursächlich befragten Betroffenen i m Hinblick auf ihre möglichen Hoffnungen und Erwartungen äußerst kontrovers. Der Ausklammerung dieser Betroffenen und damit der Verzicht auf ihre Nutzung als wichtige Informationsquelle, die realiter dazu geführt hat, daß über zentrale wohnumweltrelevante Entscheidungen und Zielvorstellungen fast ausschließlich nur noch i n politischen und wissenschaftlichen Fachkreisen, i n Gremien, Ausschüssen und Forschungsprojekten diskutiert wird, stehen jene reformorientierten Kräfte gegenüber, die sich um die Anerken58
Dazu Mayer-Tasch, Umweltrecht, S. 52. Letztlich werden damit auch Forderungen abgeblockt u n d regierungsamtliche Erklärungen hinfällig, den Planungsprozeß als sozialkommunikativen Interaktionsprozeß zu gestalten und zu institutionalisieren, i n den alle gesellschaftlichen K r ä f t e i m Sinne wohnumweltrelevanter Rollen- und F u n k tionsträger ihre Vorstellungen einbringen sowie i n kontinuierlichen Diskussionen vertreten u n d weiterentwickeln. Vgl. zur Planung als sozialer I n t e r aktionsprozeß u. a. BT-Drs. 7/2802, Umweltgutachten '74, insbes. S. 4. H i e r w i r d i m H i n b l i c k auf den raumrelevanten Zielfindungsprozeß folgende Feststellung bzw. Forderung: getroffen: „ ( . . . ) der Zielfindungsprozeß verläuft i n diesem Bereich (Raumordnung, Landesplanung u n d Stadtentwicklung, A n m . d. Verf.) als eine Diskussion der verschiedenen gesellschaftlich relevanten K r ä f t e u n d Überzeugungen, die jeweils ihre Vorstellungen zur Geltung zu bringen versuchen. Wie eine umweltfreundliche Stadt, wie ein sinnv o l l geordneter Siedlungsraum auszusehen hat, w i r d von Generation zu Generation neu definiert. H i e r geschieht die Zielfindung i n einem permanenten politischen Planungs- u n d Entscheidungsprozeß, i n dem verschiedene Güter gegeneinander abgewogen werden." Des weiteren zu dieser Problemstellung: Laage, U m w e l t u n d Mitbestimmung; Wustlich, Vertrautheitsplanung. 59
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
nung der Betroffenenartikulation und ihre Nutzbarmachung für den Planungsprozeß bemühen. Diese Akteure akzeptieren, daß die praktisch-politische Durchsetzbarkeit von längerfristig vorsorgenden, rationalen, gestaltenden, gesellschaftspolitisch orientierten und umweltrelevanten Planungsmaßnahmen nur dann Erfolg haben kann, wenn es gelingt, einen permanenten Rückkopplungsprozeß m i t den mittelbar und unmittelbar Betroffenen herzustellen 60 . Dabei liegt die Betonung auf der Einsicht, daß „gerade i m überschaubaren städtebaulichen Bereich (...) die Bürger durchaus erkennen (können), ob die Planungen ihren berechtigten Forderungen nach gesunder Luft, wenig Lärm, genügend Freiraum m i t ausreichenden K i n derspielplätzen und Durchgrünung der Siedlungsstruktur Rechnung tragen", (...) sie daher „auch entsprechende Anregungen vorbringen und an der Planung konstruktiv mitgestalten (können), wenn man dafür seitens der Verwaltung die erforderlichen Voraussetzungen schafft". Eingeräumt w i r d schließlich auch, daß „von der M i t w i r k u n g der Bürger (...) eine Verbesserung der städtebaulichen Entwicklung i m Sinne der Gestaltung eines humanen Städtebaus zu erwarten (ist)" 6 1 ; und daß die Artikulation der Betroffenen zur Wohnumwelt und „ i n bezug auf die Lebensweise, die Gestaltung der Beziehungen zur Umwelt und die M i t w i r k u n g am öffentlichen Leben (...) wesentliche Bestimmungsgründe für ihre Wohn- und Siedlungsweise (sind), die ihrerseits wiederum das Leben der Gemeinden, der Regionen und damit die Gesamtgestaltung des Raumes beeinflussen" 62 . Von dieser spontanen, organisierten oder nicht-organisierten, jedoch nicht-abgefragten Betroffenenartikulation ist eine weitere Kategorie zu unterscheiden: Meinung und K r i t i k der Bevölkerung i m Rahmen demoskopischer Befragungen zur Wohnzufriedenheit und/oder Wohnunzufriedenheit. Es versteht sich, daß auch die Umfrageergebnisse von einer Reihe subjektiver Variablen — wie Beruf, Alter, Wohnort, etc. — abhängig sind und geprägt werden von sozialer Herkunft, von Denkweisen, Werten, Ideen, Ansprüchen, Erwartungen, Forderungen, Wohnund Lebensstil 6 3 einerseits und andererseits bestimmt werden von objektiven Faktoren, die sich aus der jeweiligen Wohnumweltsituation ζ. B. i m Sinne der Ausstattungsqualität ergeben. Die demoskopische Erforschung von Wohnzufriedenheit/Wohnunzufriedenheit mittels unterschiedlicher Methoden der empirischen Sozial00
I n diesem Sinne auch das Umweltgutachten 78, S. 448 ff. und S. 576. Vgl. Stich, Normative Anforderungen, S. 1676, hier stellvertretend f ü r eine Vielzahl ähnlicher Einschätzungen der Betroffenenartikulation zitiert. 62 Groeben, Die Rolle der Städte bei der E n t w i c k l u n g einer europäischen S t r u k t u r - u n d Regionalpolitik, S. 2. 63 Vgl. u. a. I n s t i t u t f ü r Städtebau (Hg.), S. 39. 61
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
43
forschung 64 ist aufgrund der vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten, die derartige Befragungssituationen bereithalten (ζ . B. rhetorische Fragestellungen, einseitige Ausrichtung der Fragen auf spezielle Problembereiche des Lebens, Fragen ohne alternative Artikulationsmöglichkeiten, Manipulation der demografischen Daten), i m Hinblick auf ihren Informationswert und Aussagegehalt einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Auch gegenüber Einwänden der Ergebnisauswertung solcher Umfragen i m Planungsprozeß ist kritische Wachsamkeit geboten, wenn diese — i n Form häufig nicht überprüfbarer Hypothesen — den Befragten unterstellen, sie seien überfordert, sich ihrer eigenen Wünsche nicht voll bewußt und daher unfähig, präzise Auskünfte zu geben. Zu den gängigen Urteilen über die formulierten Erwartungen und Forderungen gehört auch deren Einstufung als utopisch und unrealistisch, mit der Begründung, diese seien durch ein überzogenes Anspruchsniveau hochgeschraubt und/oder verkümmert durch die A n passung „nach unten" aufgrund ungünstiger Lebens- und Umweltbedingungen 6 5 . Es ist sicher zutreffend, daß die aus demoskopischen und demografischen Untersuchungen gewonnenen Daten und Erkenntnisse keine ausschließliche Entscheidungs- und Handlungsgrundlage für umweltrelevante Planungen sein können 6 6 ! Von dieser Einschränkung abgesehen, w i r d aber hier die Auffassung vertreten, daß eine vorurteilsfreiere Berücksichtigung und Integration der Bedürfnis- und Wunschartikulation, des Erwartungs- und Anspruchshorizontes, der Forderungen und Wertvorstellungen der Bevölkerung bei der Entscheidungsfindung i m Umweltplanungsprozeß durchzusetzen ist. Das bedeutet sowohl die Nutzung und Förderung des Dialogs zwischen Bürgern und Verwaltung i m Rahmen der durch die Novelle des Bundesbaugesetzes von 1976 rechtlich verankerten sog. „vorgezogenen Bürgerbeteiligung" am städtebaulichen Planungsprozeß 67 , als auch die Notwendigkeit einer konsequenteren Erforschung der Wechselbeziehungen und Unbekanntheits64 I m wesentlichen kommen dabei folgende Methoden zur Anwendung: Wohnwunschbefragungen, Meinungsbefragungen, Verhaltensstudien, M o t i vationsanalysen u n d Korrelationsanalysen: vgl. dazu B M B a u (Hg.), Ziele, S. 20. Des weiteren vgl. H. v. Alemann, Der Forschungsprozeß, insbes. das K a p i t e l „Techniken der Datenerhebung", S. 207 ff., m. w. N. 65 Vgl. ergänzend die detaillierte Darstellung i n B M B a u (Hg.), Ziele, S. 21. 66 Ebd.; des weiteren: Burckhardt, Wer plant die Planung?, i n : Pehnt (Hg.), Die Stadt i n der Bundesrepublik. Der A u t o r k r i t i s i e r t die p r i m i t i v e n Befragungsmethoden von Planern u n d planenden Soziologen u n d verweist auf deren Aussagelosigkeit. Insbes. dann, wenn die Befragungen nach dem Schema ablaufen: „ S i n d Sie m i t I h r e r Wohnung zufrieden? — Ja / N e i n /Weiß nicht." Wobei die Zufriedenheitsquoten i n der Regel über 9 0 % liegen (S. 483). Vgl. zur Problematik der Erhebung von Wohnbedürfnissen ebenfalls Bahrdt, Wohnbedürfnisse u n d Wohnwünsche, i n : Pehnt (Hg.), S. 64 ff. 67 Vgl. § 2a BBauG „Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung".
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
relationen, die zwischen den subjektiven Ansprüchen der Bevölkerung und der objektiven Wohnumweltsituation bestehen bzw. vermutet werden und die durch Gewöhnung, Bildung, Aufklärung und Information jeweils ein qualitativ anderes Niveau erreichen können. Wie ausgeprägt Anspruchsartikulation, Wunschvorstellungen, Urteilsfähigkeit und damit gleichermaßen kreativer Sachverstand von Bewohnern gegenüber ihrer Wohnumwelt sein können, w i r d i m folgenden mit einem Beispiel belegt. Bei einer Repräsentativ-Befragung 68 von Bewohnern i n „Neuen Siedlungen" richtet sich die K r i t i k gegen bauliche und räumliche Strukturen einer von den Betroffenen als verunstaltet empfundenen Wohnumwelt. So ist i n den Bewohnerurteilen gegenüber den Neubaugebieten die Rede von: ,Stumpfsinnigen Betonfassaden; monotoner, einfallsloser Gebäudegestaltung; heruntergekommenen Häusern; stereotyper, kasernenartiger Anordnung der Baukörper bei gleichzeitiger Unübersichtlichkeit, räumlicher Enge und liederlichen Grünanlagen des Siedlungskomplexes'. Weitere Klagen machen die psychischen Auswirkungen derart geplanter, gestalteter und produzierter Wohnumwelt auf die Bewohner deutlich, wenn diese u. a. artikulieren: ,Die Atmosphäre der Wohnanlage sei steril und feindlich; die unpersönliche unverbindliche und ungestaltete, i n Beton gegossene Belanglosigkeit lasse keinen Raum für Phantasie i n der Auseinandersetzung m i t der Wohnumwelt'. Angesichts der i n dem Beispiel zum Ausdruck gebrachten Frustrationen und Ohnmachtserfahrungen der Betroffenen gegenüber den benannten, defizitären Wohnumweltrealitäten ist auch die allgemein konstatierbare Flucht i n diffuse Wohnumwelt- und Wohnwunschvorstellungen differenzierter einzuschätzen, als dies gemeinhin der Fall ist. Denn verständlich w i r d vor dem Hintergrund, der als verunstaltet und unwirtlich empfundenen Wohnumwelt, der Wunsch der Betroffenen nach einem Mehr an Identifikationsmöglichkeiten, Geborgenheit, Selbstausdruck, ästhetischer Wahrnehmung 6 9 etc. i n der Wohnung und Wohnumwelt, ebenso wie die Sehnsucht des einzelnen ζ . B. nach der Idylle 68 Vgl. die inhaltliche Kurzfassung einer i m A u f t r a g des B M B a u v o m S I N Nürnberg durchgeführten Repräsentativ-Bewohnerbefragung i n Neuen Siedlungen, i n : DV-Nachrichten. Wie Bewohnerurteile ebenfalls ausfallen können — wenn sie ζ . B. i m A u f t r a g von Wohnungsbaugesellschaften durchgeführt werden —, w i r d i n einer GEWOS-Studie deutlich. Vgl. dazu die Ergebniszusammenfassung „Neubaugebiete sind doch besser als i h r Ruf", i n : Presseschau, S. 4. Danach ergibt eine von der Gesellschaft für Wohnungs- u n d Siedlungswesen e. V. i m A u f t r a g der Neuen Heimat von 1975—1977 i n 10 Neubauwohnanlagen des Bundesgebiets durchgeführte Bewohnerbefragung, daß die Mieter i n ihrer großen Mehrheit — bis zu 86,4% (!) — m i t ihren Wohnungen u n d ihrer Wohnumwelt zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. 89 Z u den genannten Bedürfnisdimensionen i m Zusammenhang m i t dem Lebensbereich Wohnen bzw. Wohnung vgl. vertiefend A . 2.1.1.
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
45
mittelalterlicher Siedlungen, Dörfer und Städte, in denen vorgeblich jeder Bewohner sein eigener Architekt und Baumeister gewesen ist 7 0 . Bei dieser Flucht i n eine nicht weiter hinterfragte „Wohnumweltidylle" (die übrigens auch bei Planern und Politikern festzustellen ist 7 1 ) werden zwar grundlegende Zusammenhänge heutiger städtischer Strukturen und Funktionen i n Abhängigkeit zu den differenzierten und antagonistischen Anforderungen hochindustrialisierter und pluralistisch organisierter Gesellschaften an die Lebensumwelt verkannt bzw. nicht sachgerecht eingeschätzt. Doch wenn diese sozialräumlichen Wunschvorstellungen i n der öffentlichen Diskussion auf folgenden Nenner gebracht werden: „Das Leitbild, das w i r von einer Stadt haben, ist eine mittelalterliche Stadt m i t Fernheizung, aber ohne kirchliche oder feudale Herrschaft, eine bürgerliche Repräsentationsstadt des 19. Jahrhunderts ohne Hinterhäuser, eine Stadt mit Autofahrverbot für die anderen, eine Stadt ohne Industrie, ohne Banken, ohne Beton, ohne Büros — allerdings m i t gleichmäßig hohem Einkommen für alle" 7 2 , dann ist mehr oder weniger offenkundig, daß der Sachverstand und die Artikulationsfähigkeit der Betroffenen herabgesetzt, zumindest aber unterlaufen werden soll. Aus differenzierterer Perspektive ist angesichts der Unwirtlichkeit der Wohnumwelt schließlich auch die Flucht i n den Wunsch nach dem „Eigenheim", dem „Wohnen i m Grünen", den „eigenen vier Wänden", wie er i n der Wohnwunschskala der Bundesbürger seit jeher und nach wie vor m i t ca. 75 °/o an der Spitze steht 7 3 , zu beurteilen. Nach der hier zugrundegelegten Auffassung sind die skizzierten Beispiele diffuser Wohnwunschvorstellungen und Wohnumweltansprü70
U. a. problematisiert von Braun, S. 20. Ebd. 72 Adrian, Grundsätze zur modernen Stadtentwicklung a m Beispiel F r a n k f u r t : „ L e i t b i l d der menschlichen Stadt". 73 Vgl. die i m folgenden nach dem Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1977, Bd. V I I , S. 248 f. je nach Wohnort der Bevölkerung differenzierten D a ten: 71
BEVÖLKERUNG Dörfer insgesamt
Kleinstädte
Mittelstädte
Grossstädte
Stadtkern
WUNSCH
76 %
j
83 %
75 %
80 %
70 %
70 %
WIRKLICHKEIT
41 %
I
69 %
51 %
42 %
14 %
13 %
Mittelstädte
Grossstädte
BEVÖLKERUNG Dörfer Insgesamt
Kleinstädte
Stadtkern
WUNSCH
71 %
75 %
71 %
75 %
66 %
66 %
WIRKLICHKEIT
54%
81 %
65 %
54 %
27%
18 %
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Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
che weniger Ausdruck mangelnden Sachverstandes als vielmehr erdrückendes Indiz der generellen Unzufriedenheit, des Unmutes und Unbehagens der Bewohner m i t der maßgeblich nach ökonomischen Effizienzkriterien und rigiden Planungsstandards produzierten Mietwohnung (Eigentumswohnung) und Wohnumwelt zu werten. Somit w i r d trotz aller dargestellten Vorbehalte, Relativierungen, Widersprüche und Unklarheiten bei der Einschätzung der Betroffenenartikulation die Ansicht vertreten, daß der Mensch als wie auch immer Betroffener durchaus i n der Lage ist, seine täglich erfahr- und erlebbare Wohnwirklichkeit, d. h. vor allem den Wohn-, Arbeits-, Versorgungsund Freizeitwert und damit die Qualität bzw. die Defizite seiner sozialräumlichen Wohnumweltbedingungen vergleichend messen und beurteilen zu können. Diese Urteilsfähigkeit darf i m Umweltplanungsprozeß nicht ungenutzt bleiben 7 4 . Denn unter Einbezug der Wünsche und des Sachverstandes der Beplanten kann — wie weiter oben dargelegt — nicht nur erwartet werden, eine menschengerechtere Wohnumwelt zu schaffen; vielmehr bestehen auch i m Hinblick auf die der Arbeit zugrundegelegte Problemsicht berechtigte Annahmen, m i t der Berücksichtigung der sozialräumlichen Belange und Ansprüche der Bevölkerung einen maßgeblichen Beitrag sowohl zur Realisation der partizipatorischen Normativinhalte des Demokratiegebotes 75 als auch zur Konkretisierung der grundrechtlich verbürgten Chancengleichheit zu leisten. Und zwar dadurch, daß die implizit durch A r t . 14 grundrechtlich garantierte Baufreiheit 7 6 nicht nur von jenen Gruppen der Gesell74 Hierzu paradigmatisch Stahl/Cur des, Umweltplanung i n der Industriegesellschaft. U n t e r Hinweis auf die Notwendigkeit der Suche nach neuen Formen der „Selbstplanung" der U m w e l t , äußern sich die Autoren w i e folgt: Daß man eben nicht mehr davon ausgehen kann, „daß allein der Planer sachverständig ist u n d der Planungsbetroffene nicht; denn eine unseren d i vergierenden Wünschen entsprechende U m w e l t zu schaffen, reichen K r e a t i v i t ä t u n d Sachverstand der Planer nicht aus. Sie können einfach nicht wissen, w i e jeder von uns wohnen w i l l " (S. 59). 75 Ausführlich dazu D. 3.1. u n d Anhang D / E , Kap. I. 76 Zur Baufreiheit bzw. zum Recht auf Bebauung vgl. BVerfGE 24, 367 (401), zit. i n : C. 4.2., F N 191. Des weiteren u n d vertiefend: Bartlsperger/Boldt/Umbach, Stichwort „Baufreiheit" i n : Der moderne Staat. Dort w i r d ausgeführt, daß sich die „Baufreiheit" als institutionelle Garantie des GG — Besitz u n d / oder Nutzungsrechte an G r u n d u n d Boden vorausgesetzt — insbesondere aus der Zusammenschau der Grundrechte der Freiheit der Persönlichkeitentfaltung des A r t . 2 Abs. 1 und aus der Eigentumsgarantie des A r t . 14 ergibt. Ebenfalls von Bedeutung sind i n diesem Zusammenhang A r t . 5 Abs. 1 (Meinungsfreiheit), A r t . 5 Abs. 3 (Kunstfreiheit), A r t . 12 Abs. 1 (Berufs- u n d Gewerbefreiheit). Schrankensetzende Bedingungen zur „Baufreiheit" hält das GG selbst vor durch A r t . 14 Abs. 2 (Sozialpflichtigkeit), A r t . 14 Abs. 3 (Entschädigungspflichtige Enteigung) u n d A r t . 15 (Sozialisierungsmöglichkeit). K o n k r e t w i r k s a m werdende Reglements zur Baufreiheit enthalten das Instrumentar i u m des Bau- u n d Planungsrechts (BBauG, StBauFG, BauNVO) sowie weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften (Natur-, Landschafts-, Denkmal- u n d Umweltschutzgesetzgebung, Straßenrecht, Orts- und Gestaltsatzungen).
1. Bedrohungen des Daseins i n der Lebensumwelt
47
schaft durch Haus-, Siedlungsbau und Produktion der Wohnumwelt wahrgenommen werden kann, die über Grund und Boden sowie die notwendigen ökonomischen Ressourcen verfügen, sondern indem diese Baufreiheit zumindest mittelbar durch Partizipation am Gestaltungsprozeß der Wohnung und Wohnumwelt von jedermann ausgeübt werden kann. Einschätzungen, die auf eine mehr oder weniger pauschale Abweisung der Betroffenenartikulation hinauslaufen und lediglich formal-rechtlichen Partizipationschancen das Wort reden, stehen m i t h i n i m Gegensatz zu den zuvor genannten grundgesetzlichen Garantien 7 7 und widersprechen dem von der Verfassung entworfenen „Menschenbild". Dieses geht explizit von der gemeinschaftsbezogenen und -gebundenen Eigenständigkeit und Freiheit, der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebens- und Umweltgestaltung und der sittlichen Autonomie des Menschen aus 78 . Ähnlich wie bei den Negativbefunden zur Wohnumwelt, die von den Fachdisziplinen und den Massenmedien benannt werden, läßt sich auch die K r i t i k der Betroffenen an den Wohnumweltrealitäten dahingehend zusammenfassen, daß i n ihr gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge für den desolaten Zustand des Daseinsraumes und der Lebensbedingungen verantwortlich gemacht werden. I n der Betroffenenartikulation w i r d sowohl auf politische (ζ . B. durch den Hinweis auf quantitativ und qualitativ unterversorgte Bevölkerungsgruppen und Wohngebiete), ökonomische (ζ . B. durch die K r i t i k an der bereits kurz nach der Produktion reparaturbedürftigen Wohnumwelt) als auch soziale Faktoren (ζ. B. durch die Artikulation physischer und psychischer Betroffenheit an den phantasielosen und monumentalen Wohngettos) aufmerksam gemacht, die jeder für sich und/oder insgesamt zur überwiegend negativ charakterisierten Wohnumwelt beitragen. I n genereller Einschätzung der skizzierten Betroffenenartikulation bestätigt sich ebenfalls die eingangs formulierte Arbeitshypothese von der als verfassungswidrig und Menschenwürde bedrohend empfundenen, sozialräumlichen Planungswirklichkeit. 77 A u f die Konkretisierung partizipatorischer Gehalte zielt auch die Rechtsprechung des B V e r f G ab. Vgl. B V e r f G (Hg.). Z u A r t . 1 w i r d unter Nr. 3 S i cherung möglichst weitgehender Persönlichkeitsentfaltung' ausgeführt: „ ,Um seiner Würde w i l l e n muß' dem Menschen ,eine möglichst weitgehende E n t faltung seiner Persönlichkeit gesichert werden'. F ü r den politisch-sozialen Bereich bedeutet das: ,der Einzelne soll· i n möglichst weitem Umfange ,an den Entscheidungen f ü r die Gesamtheit m i t w i r k e n . Der Staat hat i h m dazu den Weg zu öffnen'." 78 „Das Menschenbild des GG ist nicht das eines isolierten souveränen I n dividuums; das GG hat vielmehr die Spannung Individuum—Gemeinschaft i m Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. Das ergibt sich insbesondere aus einer Gesamtsicht der A r t . 1, 2, 12, 14, 15, 19 u n d 20 GG. t t BVerfG (Hg.), A r t . 1, Nr. 4 »Menschenbild des Grundgesetzes'.
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
48
2. D e r Begriffsapparat z u m Mensch-Wohnumwelt-System
Aus Gründen des besseren Problemverständnisses und der intersubjektiven Nachprüfbarkeit bedarf es eines methodischen Schrittes, der i m allgemeinen der „Definitionsphase" des Forschungsprozesses zugeordnet w i r d 7 9 . Dabei gilt i m folgenden das besondere Interesse den maßgeblichen und bereits eingeführten Begriffen wie Wohnen, Wohnung, Wohnumwelt, Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen und Umweltplanung. Der Systematik der nacheinandergeschalteten Begriffe liegt eine induktive Vorgehensweise zugrunde, d. h. i n der jeweils nachfolgenden Definition sind die i n den vorausgegangenen Definitionen festgelegten, strukturellen und funktionalen Bedingungen sowie Interdependenzen — soweit nicht wiederholt — implizit mitgedacht. Intention ist es, die Begriffsdefinition i m weiteren Arbeitsverlauf zu ergänzen und — soweit die i n der Problemstellung eingelagerten übrigen Kategorien wie Grundrechte 8 0 und Verfassungsgrundsätze 81 thematisiert werden — zu vervollständigen. Abgesehen von der essentiellen Grundlagenfunktion für jedweden Forschungsprozeß besteht i n diesem konkreten Fall die Notwendigkeit dieses terminologischen Arbeitsschrittes darin, dem gravierenden „Forschungs-Lag" — dem Fehlen allgemeingültiger Operationalisierungen der genannten Begriffskategorien — zumindest hilfsweise entgegenzuwirken. Angesichts der i m Rahmen dieser Arbeit relevanten Wissenschaftszweige 82 , d. h. vor allem Städtebau (Planungstheorie) und Politikwissenschaft (Verfassungstheorie), ist es geboten, einen plausiblen und brauchbaren Begriffsapparat zu erarbeiten. M i t dieser Schwierigkeit der Reduzierung der hohen Definitions Variabilität ist i m übrigen jede interdisziplinär angelegte Forschungsthematik konfrontiert, w i l l sie ein auch für weiterführende Forschungsarbeiten fruchtbares Begriffsinstrumentarium bereitstellen. Methodologisch ist i m Rahmen dieser Arbeit die Form der sog. „operationalen Definition" angezeigt, verstanden als „Arbeitsdefinition", i n der die Festlegung des Bedeutungsinhaltes und -umfanges durch A n gabe teils formalisierter, abstrakter Eigenschaften und teils meßbarer Merkmale und Kriterien erfolgt. Die zu den zuvor genannten Begriffskategorien weiterzuentwickelnden Definitionen sind zwar vom Standort der beiden Hauptdisziplinen dieser Arbeit nicht bis ins letzte Detail 79
Dazu vertiefend B. 1.1. Vgl. C. 4.3. 81 Vgl. D. 3. 82 Einen guten Überblick über die hier angesprochene Wissenschaftsvielfalt v e r m i t t e l n die jeweils i n Spalte 2 der Problemsynopsen i n D. 2.1. ff. genannten H a u p t - u n d Teildisziplinen. 80
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
49
als gesichert anzusehen, da — wie bereits dargelegt — die Festlegung von Eigenschaften und Beziehungen der Begriffselemente Kompromißcharakter haben muß. Diese Arbeitsdefinitionen erhalten hier insofern Verbindlichkeit, als sie i n Form von Denkanleitungen m i t Thesencharakter die weiteren Arbeitsschritte unterstützen sollen. Ziel ist es u. a.: — die Begriffsdefinition maßgeblich auf die Bedürfnis- und Anspruchsdimension des Menschen auszurichten durch die Benennung daseinsbedingter Erfordernisse, sozialräumlicher Sachverhalte und Beziehungszusammenhänge ; — die Begriffsdefinition gemäß dem IST-Zustand so zu strukturieren, daß möglichst das gesamte Spektrum und die Komplexität der Vorstellungszusammenhänge rekonstruiert und verengte Interpretationen ebenso wie Mißverständnisse und Fehldeutungen vermieden werden; — deflatorische SOLL-Vorstellungen zu den Begriffen i m Sinne von Denkanleitungen m i t Leitbildcharakter zu entwickeln, die auch für die Zukunft tragfähig sind und einen kontinuierlichen Prozeß einzuleiten vermögen, der sich den jeweiligen Zielvorgaben annähert. I m folgenden w i r d zunächst auf den Lebensbereich Wohnen i n der Absicht eingegangen, diesen durch eine genügend breite definitorische Ausdifferenzierung m i t konkreten Inhalten zu füllen, da Wohnen i m weitesten Sinne als umweltbeanspruchende Daseinsgrundfunktion aufzufassen ist. 2.1. Der Begriff Wohnen
Der komplex erlebte und analytisch nicht verarbeitete „Lebensbereich ,Wohnen 4 beschreibt sich i n Wechselwirkungen von Stadtteil, Wohnsiedlungsform, Lage, Größe und Grundriß der Wohnung, deren Ausstattung, Nachbarschaft, Beruf, Freizeit, Versorgung, Lebenszuschnitt, Zusammensetzung und sozialem Status der Bewohner" 8 3 . I m weit gefaßten Fundamentalverständnis vom maßgeblich soziokulturell determinierten „Wohnen" (Tradition, Erziehung, Bildung, Außensteuerung, Leitbilder), das ein wesentlicher Indikator des sozialen Wandels und des zivilisatorischen Prozesses ist, handelt es sich um ein genuines Grundbedürfnis zur umfassenden Realisierung existentieller Ansprüche und Voraussetzungen des Individuums, der Familie und sozialer Gruppen. 83 Blücher, Stich w o r t „Wohnungssoziologie", i n : Bernsdorf (Hg.), W ö r t e r buch der Soziologie, Bd. 3, S. 937.
4 Malz
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
I m engeren Sinne ist „Wohnen" zum einen die subjektive Basis für die Verwirklichung des Wohnerlebnisses, das ausgerichtet ist auf die individuelle, familiale und gruppenspezifische Gewährleistung von Sicherheits-, Schutz-, Intimitäts- u n d Rekreationsbedürfnissen sowie auf Unabhängigkeits-, Freiheits-, Gestaltungs- und Entfaltungsansprüche. „Wohnen" kann zum anderen auch als objektives Grundbedürfnis verstanden werden, durch das — neben den zuvor genannten — weitere wohnrelevante Bedürfnisdimensionen zum Tragen kommen: physische Behaglichkeit, Sicherheit und Abschirmung vor direkter Bedrohung, Intimität und Geborgenheit vor sozialen Einflüssen, Identifikation als Ausdruck seelischer Bindungen und Kreativitätschancen sowie optimale psychische Stimulation 8 4 . Angemessen erscheint folglich ein Verständnis von „Wohnen", das i n seine Überlegungen die gesamtgesellschaftliche 85 , soziokulturell überformten Bedingungsfaktoren und ihre Wechselwirkungen hinsichtlich räumlich-struktureller, technologisch-infrastruktureller und politischökonomischer Gegebenheiten miteinbezieht. I n seiner sozialräumlichen Dimension ist „Wohnen" verflochten mit der Wohnumwelt und steht i n Bezug zu allen weiteren Grundlebensbereichen wie Arbeit, Erholung, Versorgung, Kommunikation. Erst i m Zusammenhang m i t diesen Daseinsgrundfunktionen ist es umfassend gewährleistet und w i r d durch Teilhabe an und Entfaltung i n der Gemeinschaft ebenso wie i m Rahmen der Verwirklichung individueller und gruppenspezifischer Lebensziele konkretisiert. „Wohnen" als ein fundamentales umweit- und raumbeanspruchendes Grundbedürfnis setzt nach geltenden Vorstellungen die Verfügbarkeit eines umfriedeten, eingehegten und/oder umbauten Raumes i n Form einer Wohnung voraus, die „neben Gesundheit und Nahrung die wichtigste Voraussetzung für menschliches Leben" 8 6 i m Sinne biologischphysiologischer und geistig-seelischer Existenz ist. 2.1.1. Der Begriff
Wohnung
„Die Bedeutung der Wohnung und des Hauses für das individuelle und familiale Leben ist so fundamental, daß i n ihr (...) ein zentrales 84 Z u m Wohnen als objektives Grundbedürfnis u n d zu den hier genannten Nutzungsdimensionen vgl. ζ . B. Gehmacher, Denkansätze zu einer rationalen Wohnungspolitik. 85 Konstitutive Elemente des gesamtgesellschaftlichen Faktors sind soziale, politische u n d ökonomische Komponenten, die aus systemtheoretischer Perspektive als die drei Sub-/Teilsysteme des Gesamtsystems aufgefaßt werden; dazu differenziert B. 2. 86 Stahl/Curdes, S. 58.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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Element der kulturellen und zivilisatorischen Entwicklung überhaupt gesehen werden muß 8 7 ." Als ein eingehegter, umfriedeter und/oder umbauter Raum, i n dem sich das Wohnen vollzieht, ist die „Wohnung" somit ein mehr oder minder abgeschlossener privater, individueller und familialer Daseinsbzw. Erlebnisraum 8 8 . I n dieser Bedeutung ist die „Wohnung" auch für hochindustrialisierte, mobile Gesellschaften (räumlich-gebauter) Mittelp u n k t 8 9 , von dem aus die umweltbeanspruchenden Bedürfnisse (Daseinsgrundfunktionen) vollzogen werden. Die „Wohnung" ist mittelbar und unmittelbar abhängig von einer Vielzahl von Variablen, die sich i n unterschiedlicher Intensität auf diese selbst und damit auf das Wohnerlebnis seiner Bewohner auswirken. Zum Tragen kommen einerseits immaterielle Faktoren, die neben ihrem subjektiven auch objektiven Gehalt entfalten können, d. h. Bedürfnisse nach: — „Befriedigender Umwelt: Die Wohnung liegt i n einer Umgebung m i t guter L u f t und minimalen Lärmbelästigungen. — Geborgenheit und Sicherheit: Die Wohnung und i m weiteren Sinne auch die Wohnumgebung vermitteln den Bewohnern ein Gefühl an Sicherheit und Geborgenheit. — Problemlosem täglichen Lebensvollzug: Der tägliche Lebensvollzug (Einkaufen, Abliefern der Kinder i m Kindergarten, zur Arbeit 87 Schäfers, Sozialstruktur u n d Wandel der Bundesrepublik Deutschland, S. 239. 88 Diese Relativierung ergibt sich insbesondere aus verfassungsrechtlicher Betrachtungsweise der Wohnung. Nach „herrschender" Auslegung des A r t . 13 („Unverletzlichkeit der Wohnung") ist die Wohnung „der Inbegriff der Räume, die ein Mensch der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen u n d zum M i t t e l p u n k t seines Daseins gemacht hat". Vgl. Pappennann, A r t . 13, Rdnr. 9, i n : v. Münch (Hg.), GG-Kommentar, Bd. 1. Ebd., Rdnr. 10 macht die extensive Auslegung des Begriffs „ W o h n u n g " evident: „Nicht n u r die Räume, die dem Menschen als M i t t e l p u n k t seines Privatlebens dienen, sollen geschützt sein, sondern auch die Geschäftsräume, (...) ferner jedes befriedete Besitztum, d. h. jeder eingehegte T e i l der Erdoberfläche." Entsprechend fallen u n ter den Unverletzlichkeitsanspruch des A r t . 13 u. a. auch Campingwagen, Flure, Gärten, Höfe, Hotelzimmer etc., die ebenfalls als „Wohnung" v e r standen werden. 89 V o n der Wohnung als M i t t e l p u n k t geht u. v. a. auch D. Partzsch aus, der darauf sein Ordnungskonzept der „Daseinsgrundfunktionen" (vgl. Skizze 8) aufbaut und dazu ausführt, daß „die Wohnung das H e i m des Menschen ist, wovon i m Normalfall täglich die Einrichtungen einiger oder aller anderen Daseinsgrundfunktionen aufgesucht bzw. benutzt werden u n d i n die danach die Rückkehr erfolgt". Partzsch, F ü r die Bürger unserer Gesellschaft — Was ist und wozu dient die Raumordnung? Auch das B V e r f G geht i n seinen E n t scheidungen von der „Wohnung als M i t t e l p u n k t der menschlichen Existenz" aus. Vgl. B V e r f G (Hg.), A r t . 14, Nr. 195 »Beachtung i m Mieterschutzrecht'.
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Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem f a h r e n [gehen], i n d i e Schule f a h r e n [gehen], A m t s w e g e erledigen) ist problemlos bewältigbar.
— Bewegung: Die Wohnumgebung ermöglicht A k t i v i t ä t e n m i t körperl i c h e r B e w e g u n g , m i t Spazierengehen, L a u f e n , S p o r t t r e i b e n i m G r ü n e n (ohne spezifische S p o r t g e r ä t e - A n g e b o t e ) , S p o r t t r e i b e n i n S p o r t a n l a g e n ( H a l l e n b a d , F u ß b a l l - , T e n n i s p l a t z , T u r n h a l l e , etc.) körperliche A r b e i t m i t Hobby-Charakter (Gartenarbeit, Basteln etc.). — Sozialen K o n t a k t e n : Das W o h n m i l i e u e r m ö g l i c h t K o n t a k t m i t M e n schen, die n i c h t z u r engeren F a m i l i e gehören, es eignet sich als A n k e r p u n k t f ü r d e n eigenen F r e u n d e s k r e i s . — Selbstausdruck/Kreativität: Die W o h n u n g u n d ihre U m g e b i m g erm ö g l i c h e n A k t i v i t ä t e n m i t M ö g l i c h k e i t z u m Selbstausdruck (Basteln, k ü n s t l e r i s c h e A k t i v i t ä t e n , D i s k u t i e r e n , W e i t e r b i l d u n g , politisches b z w . soziales E n g a g e m e n t ) . — Angenehmer, ästhetischer Wahrnehmung: Die Wohnumgebung verm i t t e l t a n g e n e h m e S i n n e s w a h r n e h m u n g (Sehen, H ö r e n , Riechen, Tasten u n d allgemeines K ö p e r g e f ü h l ) " 9 0 . Andererseits sind jene materiellen D e t e r m i n a n t e n der o b j e k t i v e n W o h n u n g s s i t u a t i o n v o n B e d e u t u n g , d e r e n substantielles V o r h a n d e n s e i n d e n Lebensbereich W o h n e n erst k o n s t i t u i e r e n :
00 I n s t i t u t f ü r empirische Sozialforschung, Kosten-Nutzenrechnung f ü r städtische Wohnformen. A l s methodisches Konzept liegt dieser Differenzier u n g ein „Bedürfnisansatz" i n K o m b i n a t i o n m i t einem „Kosten-Nutzenansatz" zugrunde, das f ü r eine sachgerechte Behandlung der W o h n - u n d Wohnungsproblematik besonders geeignet erscheint. Vgl. erweiternd zu den verschiedenen methodischen Ansätzen u n d Untersuchungskonzepten, die die Erfassung v o n sozialräumlicher Realität u n d von Wohnverhalten z u m Ziel haben, insbes.: I n s t i t u t f ü r Städtebau (Hg.), S. 9 ff. sowie die dort getroffene Entscheidung zugunsten des Nutzungsansatzes. Dabei haben andere Erhebungskategorien u n d Merkmalgruppen Relevanz; so werden z.B. zur Erfassung der „Bedingungen des Wohnverhaltens" folgende Systematisierungsu n d Differenzierungskriterien vorgeschlagen, die (allerdings unter einem anderen Erkenntnishorizont) bei einem Vergleich m i t den i m Text zitierten Bedürfniskategorien sowohl Unterschiede u n d Erweiterungen als auch Ubereinstimmungen aufweisen: „Beziehungen zwischen Individuen/Gruppen: Beziehungen der Familienmitglieder, Beziehungen zwischen fremden Personen; Rollenstereotype der Geschlechter und Altersgruppen: Geschlechterrollen, Rollenstereotype einzelner Altersgruppen, Umgang der Altersgruppen m i t einander; Beziehungen zu Dingen und Personen der unmittelbaren Umwelt: kognitive, affektive Beziehungen a u f / B i n d u n g an Dinge der U m w e l t ; Umgang m i t Geräuschen, Sichtkontakten usw.; Form und Struktur der gegenwärtigen Architektur: S t r u k t u r der Wohnung, Ausformung der Übergangszonen, generelle Raumfolgen; sozialökonomische Determinanten: Beziehung zwischen Arbeitszeit u n d Freizeit, Verteilung von Einkommen, Verfügung über Waren u n d Dienstleistlungen" (S. 40 f.).
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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— Gebaute Erscheinungsform (Flachbau, Hochbau) und die zumeist i n starren Grundrissen vorgegebenen Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten; — Größe und Ausstattung der Wohnung, die sich traditionell nach Planungsmeßgrößen und Planungsstandards wie Räume und/oder Fläche pro Person, sanitäre Einrichtungen, technische Ausstattung, Lärmschutz etc. richtet; — Lage der Wohnung i n der Gebäudestruktur, Himmelsrichtung, Zugang zum Freien; — Zu- und Einordnung i n die Wohnumwelt, d. h. i n räum-, siedlungsund stadtstrukturelle Zusammenhänge und i n das Beziehungsgeflecht der übrigen umweltbeanspruchenden Daseinseinrichtungen (Arbeitsplätze, Bildungsstätten, Versorgungs- und Verkehrseinrichtungen, Freizeitmöglichkeiten) i n Abhängigkeit von Angebotsstruktur, Erreichbarkeit (zumutbare Entfernung); — Wohnungsangebot auf dem „Wohnungsmarkt" und die damit eng vernetzten Bedingungen des Boden- und Kapitalmarktes i n A b hängigkeit von Förderungssystemen i m Rahmen der Wohnungspolitik; — Verfügungsgewalt über die Wohnung i n den dominierenden Rechtsfiguren von Eigentum und Miete, die sich i n besonderem Maße auf das Grundbedürfnis Wohnen auswirken, d. h. vor allem i m Hinblick auf Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, Identifikations-, Entfaltungs- und Unabhängigkeitsbedürfnisse der Wohnenden relevant werden 9 1 . I m Kontext mit den soziostrukturellen Daten der Bewohner (Familienstand, Alter, Beruf, Bildung, Einkommen und das auf bisherigen Wohnerfahrungen basierende Wohnbewußtsein) entfalten die genannten immateriellen und materiellen Variablen auf das Wohnverhalten (soziale Interaktion und Kommunikation), auf die Wohnungsnutzung und Wohnwünsche ihre außerordentliche Wirkungskraft, wie sie darüber hinaus die komplexe Natur des Wohnens und die Bedeutung der Wohnung als integrativer Bestandteil und als kleinste räumlich abgrenzbare Einheit der Wohnumwelt unterstreichen. 2.2. Der Begriff Wohnumwelt
I n der Begriffskombination „Wohnumwelt" kommen zum Ausdruck: — das genuine Bedürfnis des Menschen — das Wohnen — einschließlich der darauf orientierten bzw. von dort ihren Ausgang nehmen91 Vgl. die weitere Differenzierung von einigen der zuvor genannten V a riablen bei Herlyn/Herlyn, WohnVerhältnisse i n der BRD.
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
den raumbeanspruchenden Grundbedürfnisse (Daseinsgrundfunktionen); — das über die Wohnung hinausreichende, überaus komplexe sozialräumliche Bezugssytem — die Umwelt. „Wohnumwelt" kann definiert werden als ganzheitliches System und hochkompliziertes Wirkungsgefüge, das erst durch das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher raumrelevanter Einzelkomponenten i m Sinne natürlicher Gegebenheiten, gebauter Strukturen, sozialer Bedingungen und kultureller Einflüsse sowie ökonomischer und politischer Faktoren konkret beschreibbar w i r d 9 2 . Diese Faktorengesamtheit w i r k t einerseits auf den Menschen ein und beeinflußt seine Lebensbedingungen grundlegend, andererseits sind auf diese Faktoren seine Verhaltensmuster und Handlungsweisen als soziales Wesen ausgerichtet. Damit ist jene i m weiteren zu definierende Interdependenz angesprochen, die i m Kontext der Arbeit als Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen bezeichnet wird. Die „Wohnumwelt" w i r d hier verstanden als der Daseins- und Erlebnisraum des Menschen zur Erfüllung seiner individuellen, biologischphysiologischen und geistig-seelischen Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten sowie gemeinschaftsbezogener Lebensziele, die als A n sprüche und Nutzungschancen (im Sinne der räumlich abhängigen Bedürfnisbefriedigung und Optimierung des Lebens) eng nebeneinander stehen, sich wechselseitig bedingen und/oder miteinander konkurrieren. I n der „Wohnumwelt" werden somit individuelle und kollektive Voraussetzungen der Daseinsbedingungen und -erfahrungen strukturiert sowie Aktivitäts-, Kommunikations-, Sicherheits- und Vertrautheitsbedürfnisse gedeckt oder nicht gewährleistet.
92 Die Tatsache, daß der Begriff U m w e l t äußerst komplex, ,in empirischer Hinsicht differenziert u n d wenig identisch 4 ist (vgl. i. d. S. die Hinweise zur Abgrenzung des Begriffs „Wohnumfeld" i n : I n s t i t u t f ü r Städtebau (Hg.), A n hang 1, S. 4) u n d eine außergewöhnliche Definitionsvariabilität besitzt, k a n n nicht als Argument gegen entsprechende Bemühungen einer deflatorischen Eingrenzung u n d Präzisierung stehen. — Versuche der eindimensionalen F i xierung von U m w e l t , w i e sie insbesondere i m Rahmen der umweltpolitischen Diskussion feststellbar sind u n d w i e sie ζ . B. durch die Begriffskombinationen „Umweltschutz", „Umweltzerstörung", „Umweltgefährdung" unterstrichen werden, werden der Vielschichtigkeit des Begriffs nicht gerecht. U m w e l t lediglich noch verstanden als die natürlichen Gegebenheiten des M e n schen u n d begrifflich gefaßt als „die Gesamtheit aller Bereiche (Boden, L u f t , Wasser), aus denen Einflüsse auf den Menschen erfolgen (vgl. Jahresbericht 1972/73 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, S. 50), erweist sich bei den aufgeworfenen Problemen als zu eng, w e i l damit n u r die N a t u r substanz gemeint ist u n d nicht mehr jener Daseinsraum des Menschen, w o r i n dieser entsprechend den Bedürfnissen seiner Zivilisationsstufe sowohl biologisch-physiologisch als auch geistig-seelisch existent sein soll.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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Dieser Faktorenkomplexität entspricht das räumliche Erscheinungsbild der „Wohnumwelt", die durch die typischen Struktur- und Funktionsmerkmale geprägt wird, wie sie für ein Wohnquartier, einen Stadtteil, eine Stadt, einen Verdichtungs- oder Ballungsraum, ein Dorf, einen ländlichen Raum, eine offene Landschaft und für die sozialen, ökonomischen und politischen Nutzungsweisen und Erfordernisse charakteristisch sind. Aus der Planungsperspektive und ihrem Bedarf an räumlich abgrenzbaren Einheiten kann der gobale Begriff „Wohnumwelt" i n folgende Unterscheidungskategorien differenziert werden 9 3 , die sich idealtypisch schematisiert als ein Kreismodell abbilden lassen 94 , realiter i m Raum jedoch i n amorpher und vielschichtiger Form auftreten: Die engste Wohnumwelt 95 ist jener räumliche Bereich, i n dem sich die Wohnung i n einem entsprechenden Gebäude oder Wohnhaus sowie auf einem sie umgebenden Grundstück befindet. Dieser Bereich ist für den Menschen sozialräumlicher Mittelpunkt, Voraussetzung zur V e r w i r k lichung seines Grundbedürfnisses Wohnen und aller damit verknüpften existentiellen Notwendigkeiten und Ansprüche sowie soziostrukturell unterschiedlich geformter Nutzungs- und Verhaltensweisen. Die engere Wohnumwelt 96 hat etwa die räumliche Dimension eines Baublocks, einer Bau- oder Häusergruppe. I n ihr sind eine relativ gut überschaubare Anzahl von Gebäuden m i t einliegenden Wohnungen und/oder von Wohnhäusern m i t den jeweils dazugehörenden Grundstücken sowie Frei- und Verkehrsflächen, häufig auch Versorgungseinrichtungen zur Deckung des täglichen Bedarfs zusammengefaßt, die für den Menschen alltägliche Aktivitäts-, Kommunikations- und Versorgungsbedürfnisse erfüllen. Die weitere Wohnumwelt 97 hat i n ihrer räumlichen Ausdehnung etwa die Größe eines Stadtviertels, eines Stadtteils oder eines Dorfes. I n ihr werden neben den genannten Bedingungen i m Idealfall all jene umweltbeanspruchenden Einrichtungen bereitgehalten, die es dem Menschen ermöglichen, seine unterschiedlichen Grundbedürfnisse wie die des Arbeitens, Sich-Bildens, Sich-Versorgens, des Teilhabens am gemeinschaftsbezogenen Leben wahrzunehmen und zu verwirklichen. 93
Dazu u n d i m folgenden vgl. ζ . B. Strack, Gutachten zu den r ä u m - u n d siedlungsstrukturellen Bedingungen f ü r die Entwicklung der Wohnumwelt, S. 7 ff. 94 Siehe Skizze 1, A . 2.2.1. 95 I n etwa deckungsgleich m i t dem Begriff „Schwellenbereich". oe Vergleichbar m i t den Begriffen „Nahbereich", „Wohnumfeld", „ u n m i t t e l bare Umgebung der Wohnung". 97
Synonym hierfür stehen Beriffe w i e „Wohnquartier", „Nachbarschaft".
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
56
Die weiteste Wohnumwelt 98 hat die räumliche Dimension einer Stadt m i t ihrem Umland, einer Region, i n der dem Menschen die Möglichkeit gegeben ist, die Gesamtheit seiner differenzierten, raumbeanspruchenden Grundbedürfnisse i n zumutbarer Entfernung und Erreichbarkeit von seiner Wohnung aus sowie i n quantitativ und qualitativ unterschiedlicher Angebotsstruktur und seinen Ansprüchen und Erwartungen entsprechend verwirklichen zu können. Die i m ersten Definitionsteil unter dem Aspekt der sozialräumlichen Belange des Menschen formulierten Inhalte und Denkkategorien zur „Wohnumwelt" und die i m zweiten Teil unter dem Gesichtspunkt des räumlichen Abgrenzungsbedarfs der Planung skizzierte räum- und siedlungsstrukturelle Dimensionierung der „Wohnumwelt" werden i m folgenden i n der Zusammenschau der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen weiter differenziert. Denn erst i n diesem Bezugs- und Wirksystem können jene Interdependenzen hinreichend deutlich gemacht werden, die sowohl das Verhalten und die Einstellungen des Menschen i m Rahmen seiner „Wohnumwelt" als auch den komplexen Wirkungszusammenhang zwischen „Wohnumwelt" und Menschen maßgeblich prägen. 2.2.1. Der Begriff
Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen
Diese Begriffskombination ist ein gedankliches Konstrukt, das auf den Definitionsergebnissen der bisherigen Begriffe aufbaut, die Vielzahl der benannten materiellen und immateriellen Eigenschaften umfaßt und die Gesamtheit der sozialen und räumlichen Interdependenzen i m Sinne eines angenommenen, dialektischen Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt umschreibt. Angesprochen sind m i t h i n die sich ständig wandelnden und i n Wechselbeziehung zueinander stehenden Formen, Erscheinungen und Einflüsse der Umwelt sowie jene vom Menschen selbst geschaffenen, gestalteten, genutzten und beeinflußten Faktoren, die auf diesen einwirken, von denen seine Lebensbedingungen abhängen und auf die seine Verhaltens- und Einstellungsmuster als soziales Wesen bezogen sind. Diese zunächst sehr global-abstrakte Fixierung bedarf weiterer Differenzierungen: I m Bezugssystem der „Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen" t r i t t zunächst der Mensch als umweltabhängiges und umweltbeanspruchendes Wesen a u f " . Für die Verwirklichung und Ausübung seiner fundamen98
I n h a l t l i c h ähnlich dem Begriff „Siedlungsstruktur". M i t dieser explizit gemachten Trivialerkenntnis soll v o r allem auf die Bedeutung von U m w e l t , Raum, G r u n d u n d Boden als gesamtgesellschaftliches Allgemeingut hingewiesen werden. Z u r sozial u n d ökonomisch besonderen Bedeutung des G r u n d u n d Bodens vor allem auch i m Rechtsverkehr vgl. BVerfGE 21, 73 (83). Die i n der Entscheidung von 1967 enthaltenen Forderun99
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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tal-existentiellen Grundbedürfnisse benötigt er i n jeweiliger Abhängigkeit zu soziostrukturellen Faktoren (Alter, Beruf, Bildung, Interessenstandort etc.) Raum bzw. Umwelt i n den unterschiedlichsten Größenordnungen und an den verschiedensten, räumlich relativ eindeutig fixierbaren Orten (ζ . B. i m Sinne zumutbarer Erreichbarkeit vom Wohnstandort). Die Wohnumwelt hält einen Großteil der existentiellen Voraussetzungen für das biologisch-physiologische Sein des Menschen bereit, und zwar i n Form des natürlichen Ökosystems i m Sinne sog. natürlich-räumlicher Gegebenheiten wie Boden, Wasser, Luft, Klima, Fauna und Flora. Der Mensch ist aber nicht nur abhängig von diesen Gegebenheiten, er macht sie sich zu eigen und nutzt sie. Er beutet sie aus, gefährdet und zerstört sie häufig genug. Er beeinflußt sie direkt und indirekt durch gesamtgesellschaftlich relevante Maßnahmen (ζ . B. durch raumwirksame Gesetze, Programme). Er gestaltet sich die Wohnumwelt nach seinen Vorstellungen (ζ . B. i m Rahmen raumrelevanter Planungen, Finanzmittel) insbesondere durch die Produktion gebauter-räumlicher Strukturen, die sich i n Form von Gebäuden, technischen Einrichtungen und Anlagen sowie ganz allgemein i n Städten, Siedlungen, Dörfern etc., d. h. als Produktionslandschaft darstellen. Als soziales Wesen, das i n der unmittelbaren und mittelbaren Gemeinschaft mit anderen Menschen i n dieser Wohnumwelt lebt, richtet der Mensch sein Verhalten auf die von der Gemeinschaft genutzte Wohnumwelt aus, paßt es an diese an oder w i r d i n den Ansprüchen und Erwartungen seiner Lebensvorgänge von den vorgefundenen Wohnumwelt-Bedingungen beeinflußt, also selbst angepaßt. Diese Dimension i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt, d. h. die unterschiedlichen Verfügungs-, Nutzungs- und Verhaltensweisen des Menschen i m Raum, werden hier — i n Abhängigkeit von seinen differenzierten Legen (dazu i m einzelnen C. 4.2., F N 192) u. a. auch an die Legislative, Besitz an G r u n d u n d Boden nicht ,mit anderen Vermögenswerten gleichzustellen 4 u n d diesen ,nicht als mobile Ware 4 zu behandeln sowie das Bodenrecht entsprechend aus- u n d umzugestalten, hat der Gesetzgeber bislang nicht oder doch n u r peripher erfüllt. Das mag insofern nicht verwundern, als die B V e r f GE 2, 380 (402) besagt, daß A r t . 14 „das Eigentum so schützen (will), wie es das bürgerliche Recht u n d die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben". So ist G r u n d u n d Boden nach w i e vor den marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten von Angebot u n d Nachfrage unterworfen, ebenso wie einem mehr oder weniger ausgeprägtem Eigentümerbelieben. Indiz hierfür mögen die unaufhaltsam gestiegenen Grundstückspreise sein, die sich bereits vor ca. 7 Jahren i n den Innenstädten durchschnittlich zwischen 1000,— u n d 3000,— D M / q m bewegten. I n der Kölner Innenstadt betrug der durchschnittliche Grundstückspreis pro q m jedoch 10 000,— D M , i n der Münchener Innenstadt 12 000,— D M u n d i n Einzelfällen (München) bis zu 31 800,— D M . Diese E n t w i c k l u n g dürfte seither k a u m zum Stillstand gekommen sein. Vgl. zu den Zahlenangaben Ratz, Bodenpolitik i n der BRD, S. 11.
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
bensvorgängen, sozialen Bedürfnissen, Ansprüchen und Beziehungen — unter dem signifikanten Begriff sozialräumliche Bedingungen subsumiert. Zu den genannten natürlich-räumlichen und gebauten-räumlichen Einflußgrößen, die das visuelle Erscheinungsbild der Wohnumwelt maßgeblich strukturieren, t r i t t nach bisherigen Ergebnissen also eine weitere, die sozialräumliche Komponente hinzu, m i t der die funktionalen und komplexen Wechselwirkungen von Mensch und Wohnumwelt markiert werden sollen. I n dieser ersten deflatorischen Differenzierung des mehrdimensionalen Bezugssystems Mensch-Wohnumwelt erscheint der Mensch m i t h i n als Teil von drei verschiedenartigen Wohnumwelten (natürliche, gebaute, soziale), die jedoch i n ihrer wechselseitigen Durchdringung und Abhängigkeit gedacht werden müssen und erst i n ihrem Zusammenspiel das System der „Mensch-WohnumweltBedingungen" konstituieren. Die bisherigen Angaben zum dialektischen Verhältnis von Mensch und Wohnumwelt sollen i m Hinblick auf die Forschungsproblematik u m einige Überlegungen erweitert werden. Die Suche gilt weiteren Kriterien, m i t denen — zu Merkmalgruppen zusammengefaßt — das komplexe Wirkungsgefüge Mensch-Wohnumwelt präziser erfaßt und beschrieben werden kann, als dies bisher mit den aufgeführten Kategorien möglich ist. Inhaltliche Differenzierungsund Klassifizierungsversuche der „Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen", die letztlich jedoch als ganzheitlich wirksam werdendes System aufzufassen sind, gehen insbesondere auf den Biologen Jakob Johann von Uexküll zurück, der Anfang der dreißiger Jahre i n seinen Untersuchungen über die Wechselwirkungen von Umwelt und Mensch eine ähnliche Dreiteilung der Umweltfaktoren i n eine natürliche, gebaute und soziale Komponente vornimmt, wie sie zuvor skizziert w u r d e 1 0 0 . Der Ökologe Konrad Buchwald und andere Wissenschaftler greifen diese Differenzierung wieder auf; Buchwald setzt dabei die „natürliche Umwelt" gleich m i t dem Begriff der „primären Umwelt" des Menschen und subsumiert die „gebaute U m w e l t " und die „soziale Umwelt" unter den Begriff der „sekundären Umwelt". Diese Kategorisierung und vereinfachende Unterscheidung der Umwelt entsprechend ihrer „natürlichen" und „künstlich geschaffenen" Einflußfaktoren mögen ζ . B. Günter Hartkopf dazu veranlaßt haben, den Menschen als Teil von zwei Umweltbereichen aufzufassen 101 . 100 y g i hierzu u n d i m folgenden die detaillierte Aufarbeitung von U m w e l t begriffen i n Boesler/v. Matthey, Systematik zur Umweltterminologie u n d systematisierter Katalog von Grundbegriffen f ü r die U m w e l t p l a n u n g u n d den Umweltschutz, S. 10 ff.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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Schematisiert lassen sich diese typisierenden Aussagen zur Umwelt i n ihrer Übertragung auf die Wohnumwelt wie i n der nachfolgenden Skizze 1 darstellen.
Für globale Analysen und entsprechend deskriptive Betrachtungen mag diese typisierende Differenzierung durchaus befriedigen. U m jedoch die „Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen" für die vorliegende Themenstellung realitäts- und komplexitätsgerechter darstellen zu können, um u. a. einen sensibilisierten Zugang zu diesem Bezugssystem zu erhalten, w i r d hier — unter Rückgriff auf jene Wissenschaftsbereiche, zu deren mehr oder minder erklärtem Erkenntnisobjekt die Interdependenz von Mensch und Wohnumwelt gehört 1 0 2 — die Auffassung vertreten, daß eine weitere Differenzierung i n insgesamt sechs wohn101 Hartkopf definiert die Mensch-Umwelt-Beziehungen w i e folgt: „ E i n m a l gehört er (der Mensch, A n m . d. Verf.) zur Welt der natürlichen Gegebenheiten, insbesondere m i t i h r e n biologischen Gesetzmäßigkeiten, die seine eigene physische Existenz bestimmen. Z u m anderen hat sich der Mensch aufgrund der i h m gegebenen geistigen Fähigkeiten i m K a m p f gegen die i h m zunächst feindlich erscheinende natürliche U m w e l t eine besondere U m w e l t geschaffen, die ich hier als künstlich bezeichnen möchte, künstlich sind dabei die handwerklichen, später technischen H i l f s m i t t e l zur Ausnutzung der N a tur, die Wohnformen i n stets zunehmenden Ballungen sowie die gesellschaftlichen u n d politischen Institutionen des Zusammenlebens." 102 Gemeint sind die Wissenschaftsbereiche N a t u r - , Ingenieur- u n d Sozialwissenschaften einschließlich der i n ihnen integrierten Disziplinen.
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Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
umweltkonstituierende Einflußgrößen vorzunehmen ist. Diese sollen hier nach folgenden Merkmalgruppen geordnet werden 1 0 3 : Merkmalgruppe 1: Psycho-soziale Faktoren Merkmalgruppe 2: Physisch-natürliche Faktoren Merkmalgruppe 3: Kulturell-zivilisatorische Faktoren Merkmalgruppe 4: Infrastrukturell-technische Faktoren Merkmalgruppe 5: ökonomisch-produktionelle Faktoren Merkmalgruppe 6 : Politisch-rechtlich-administrative Faktoren Diese genannten Einflußgrößen, die aus systemtheoretischer Perspektive auch als Sub- bzw. Teilsysteme der Umwelt aufgefaßt werden können 1 0 4 , konstituieren erst i n ihrer Gesamtheit die „Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen", unterliegen temporären, sachlichen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsphasen und Wandlungsprozessen, haben neben interdependentem auch konkurrierenden und/oder widersprüchlichen Charakter. I m strukturellen und funktionalen Geflecht dieser wohnumweltkonstituierenden Einflußfaktoren steht der Mensch sowohl als aktiv Gestaltender und Teilhabender als auch als passiv Beeinflußter und Betroffener 1 0 5 . Lebensformen und Wohnumweltstrukturen sind m i t h i n sozial und räumlich konkret gewordener Ausdruck und Ergebnis von „planvollen" ebenso wie von „planlosen" Eingriffen i n das Bezugssystem von Mensch und Wohnumwelt. Es liegt nahe, für diese prozessualen Eingriffe eine entsprechende Begriffskategorie zu suchen und diese als Denkanleitung m i t Leitbildcharakter i n die Diskussion einzuführen. Geeignet hierfür erscheint der Begriff Umweltplanung, der als analytische Grundgesamtheit bereits i m Forschungsthema eingelagert ist. Dieser Begriff umfaßt die i n den voraufgegangenen Definitionen explizit benannten und implizit mitgedachten, komplexen Elemente i n ihrer Gesamtheit und i n ihrer primären Funktion für die menschliche Existenz i n eindeutiger und sinnfälliger Form. Gängige Begriffe zu raumrelevanten Planungen wie Städtebau, Stadtentwicklungsplanung, Stadtteil- und Quartierplanung, Bauleitplanung und Objektplanung sind i n der Begriffskombination Umweltplanung und i m Sinne integrierter Querschnittsaufgaben mitberücksichtigt. 103 Z u m deflatorischen Gehalt der einzelnen Merkmalgruppen vgl. die nach diesen Unterscheidungskategorien erstellten Problemsynopsen i n D. 2.1. ff., jeweils Spalte 1. 104 Vgl. T e i l Β u n d insbes. D. 2. 105 Z u r Erläuterung vgl. Skizze 8, D. 2. sowie die entsprechenden textlichen Ausführungen.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
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2.3. Der Begriff Umweltplanung A l s W o r t k o m b i n a t i o n u n d D e n k k a t e g o r i e s i n d i n diesem B e g r i f f 1 0 6 die bereits definierten, heterogenen I n h a l t e der M e n s c h - W o h n u m w e l t B e d i n g u n g e n u n d — als w e i t e r e K a t e g o r i e — der vielschichtige B e g r i f f des P l a n e n s b z w . d e r P l a n u n g m i t e i n a n d e r verschmolzen. M i t d e m T e r m i n u s w i r d insbesondere die K o m p l e x i t ä t d e r G e s t a l t u n g s - , H a n d l u n g s - u n d E i n g r i f f s e b e n e U m w e l t / W o h n u m w e l t i n i h r e m umfassenden S i n n u n d gesamten P r o b l e m f e l d d e u t l i c h e r m a r k i e r t , als dies i n d e n gebräuchlichen W o r t k o m b i n a t i o n e n raumrelevanter Planungsarten w i e R a u m o r d n u n g , L a n d e s p l a n u n g , S t ä d t e b a u etc. d e r F a l l ist. Insbesondere i m R a h m e n des t r a d i t i o n e l l e n Planungsverständnisses k ö n n e n V e r e n g u n g e n i n d e n B e g r i f f s i n h a l t e n festgestellt w e r d e n . So h a t sich d i e raumrelevante Planungstätigkeit immer mehr von ihrer ursprünglich v o r g e g e b e n e n Z e n t r i e r u n g a u f d e n Menschen als I n t e r e s s e n m i t t e l p u n k t u n d seinen m a n n i g f a c h e n , u n t e r s c h i e d l i c h u m w e l t b e a n s p r u c h e n d e n D a seinsbedürfnissen sowie v o n seinen r a u m b e d e u t s a m e n E r w a r t u n g e n , A n s p r ü c h e n , W ü n s c h e n u n d W e r t v o r s t e l l u n g e n i m S i n n e d e r z u v o r fest106 Eine allgemeinverbindliche Definition und ein einheitlicher Gebrauch des Begriffs U m w e l t p l a n u n g hat sich bislang nicht durchgesetzt. Vielmehr zeichnet den Terminus i n der fachspezifischen u n d öffentlichen Diskussion eine verwirrende Definitionsvariabilität aus, die sowohl zur Mehrdeutigkeit als auch zu Einengungen des Sinngehalts geführt hat. So fungiert der B e g r i f f Umweltplanung als Sammelbezeichnung für eine allgemeine Staatstätigkeit, unter der die Gesamtheit raumwirksamer Maßnahmen (Städte-, Wohnungsbau, Verkehrs-, Landschaftsplanung etc.) u n d Programme (Bundesraumordnungsprogramm,Umweltprogramm etc.) zusammengefaßt sind (vgl. sinngemäß B M B a u (Hg.), Beirat f ü r Raumordnung, S. 73), die der Daseinsvorsorge und/oder der Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlgedankens dienen (vgl. dazu z.B. die Ausführungen bei Stahl/Curdes, S. 7). Gleichzeitig w i r d U m w e l t p l a n u n g als Oberbegriff f ü r jedwede r a u m relevante Maßnahme gebraucht. Darunter werden die Planungstätigkeiten der Raumordnung, Landesplanung, des Städtebaus, der Stadtentwicklungsplanung etc. subsumiert, f ü r die alle zusammen oder einzeln U m w e l t p l a n u n g auch als Synonym verwendet w i r d . Schließlich w i r d der Begriff zur Charakterisierung fach- u n d ressortübergreifender, raumrelevanter Tätigkeiten angewandt, bei denen eine K o o r d i nation unter den Maßnahmeträgern u n d den Zuständigkeiten stattgefunden hat u n d die Planungen als Maßnahmebündel und/oder Querschnittsauf gaben i m Sinne von Rahmenplanungen verzahnt sind (vgl· Malz, Stichwort „ U m weltplanung", i n : Taschenwörterbuch der Umweltplanung, S. 581 ff.; des w e i teren: projektgruppe aachen, Stichwort „ U m w e l t p l a n u n g " (0.1030), i n : Fachwörterbuch zur Raumforschung u n d Raumordnung). Ebenfalls üblich ist die Verwendung des Begriffs als Synonym für das T ä tigkeitsfeld der „integrierten Stadtentwicklungsplanung" (vgl. ζ . B. die H i n weise i m Umweltgutachten '78, S. 339 f.). Darüber hinaus k a n n eine zunehmende Entleerung des komplexen Sinngehaltes von U m w e l t p l a n u n g beobachtet werden, indem der Begriff insbes. i n der öffentlichen u n d regierungsoffiziellen Diskussion zur Bezeichnung p l a nerischer Tätigkeiten benutzt w i r d , die „lediglich" Maßnahmen des U m w e l t schutzes umfassen und/oder planerische Eingriffe i n die Natursubstanz bzw. i n das Ökosystem meinen.
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Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
gelegten Definitionen entfernt und w i r d von einem weitgehend technokratischen und/oder reduktionistischen Verständnis beherrscht 107 . Aus diesen Gründen w i r d hier „Umweltplanung" als ein Oberbegriff für umweltbedeutsame Maßnahmen eingeführt und versucht durchzuhalten, und zwar nicht etwa, u m administrativ und legislatorisch eingeführte und festgelegte Begriffe abzulösen 108 , sondern u m eine Präzisierung dieses vielschichtigen Tätigkeitsfeldes bereits terminologisch zu erreichen. Eine weitgehende Deckungsgleichheit m i t den Inhalten des Begriffs „Integrierte Stadtentwicklungsplanung" w i r d dabei nicht negiert, soweit diese als umweltbeeinflussende und prozessuale Gesamtkonzeption ausgewiesen ist, i n der einzelne Fachplanungen gebündelt sind und die jeweiligen Maßnahmeträger i n ihrer Zuständigkeit koordiniert und abgestimmt zusammenarbeiten. Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis w i r d „Umweltplanung" i m weitesten Sinne als ein langzeitlicher Prozeß definiert, der eine i n der Gegenwart getroffene gedankliche Antizipation einer i n der Zukunft beabsichtigten umweltwirksamen Zielrealisierung bzw. Handlungskonkretisierung darstellt, m i t der das Bezugssystem der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen i m Sinne seiner Veränderungsfähigkeit und Gestaltungsbedürftigkeit beeinflußt wird. Global benennbares Ziel ist es demnach, eine zukünftige, umweltbedeutsame Ordnung und Entwicklung entsprechend den jeweils hierzu vorherrschenden, gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen und Belangen herbeizuführen respektive einzuleiten. Auch „Umweltplanung" kann i n ihrem prozessualen A b lauf zunächst nach dem traditionellen Dreierschnitt von Planungen erklärt werden, i n dem folgende und i m wesentlichen sukzessiv aufeinander aufbauende Tätigkeiten vollzogen werden 1 0 9 : 107 Indiz hierfür sind nicht n u r die fehlenden städtischen Gesamtkonzepte, die mangelnde Rücksichtnahme auf Gesamtbelange i m städtischen Raum, die unzulängliche A b s t i m m u n g von Fachplanungen u. a. m. (vgl. U m w e l t g u t achten '78, S. 339 f.) u n d die i n ihrem Gefolge konstatierbare „Krise der Stadt u n d W o h n u m w e l t " , sondern ebenfalls die fundierte K r i t i k von Fachkundigen an der planerischen Tätigkeit bzw. an den Planern u n d ihrer professionellen Ausbildung selbst (vgl. Burckhardt, S. 479); des weiteren B M B a u (Hg.), Interdisziplinäre Studiengänge für Stadtplaner. — Auch Begriffe w i e „Stückwerkstechniken", „Fläche-für-Fläche-Planungen", „Anpassungs-" u n d „ A u f fangplanung" zur Charakterisierung der praktizierten raumrelevanten T ä tigkeiten verweisen i n die Richtung eines verengten Planungshorizontes. Schließlich können als Beleg auch wissenschaftliche Bemühungen bewertet werden, die darauf gerichtet sind, qualitative K r i t e r i e n u n d Maßstäbe zur Gestaltung einer menschlicheren U m w e l t zu entwickeln. 108 Dazu insbes. E. 4. ff.; dort werden weitere definitorische Angaben zum herkömmlichen Planungsinstrumentarium gemacht sowie die Problematik u n d der defizitäre IST-Zustand raumrelevanter Planungsarten diskutiert. 109 Vgl. Müllenblach, Stichwort „Planung", i n : Malz, S. 412 f.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
63
1. Schritt: Bestandsaufnahme und Problemanalyse: Tätigkeitsfeld, das i m wesentlichen empirisch und juristisch bestimmt ist. 2. Schritt: Zielformulierung und Entwicklungsprognose: Tätigkeitsfeld, das maßgeblich politischen und wissenschaftlichen Einflüssen unterliegt. 3. Schritt: Maßnahmeerörterung und Realisierung: Tätigkeitsfeld, i n dem organisatorische und wirtschaftliche Faktoren dominieren. Die bisherigen definitorischen Festlegungen sind schematisch i n der nachfolgenden Skizze 2 dargestellt. Skizze 2: Prozeß der Umweltplanung im traditionellen „Dreierschritt"
)
MASSGEBLICHE EINFLÜSSE
ι
j
PLANUNGSPROZESS
Entsprechend der hier angestrebten komplexen Betrachtungsweise und Differenzierung der Begriffe und analytischen Grundgesamtheiten genügt die zuvor gegebene Beschreibung planerischer Tätigkeit nicht. I n ihr kommt vornehmlich die zeitliche Dimension des Planungsprozesses zum Ausdruck, indem Planung mehr oder weniger eindimensional als kontinuierliche Abfolge unterschiedlicher, hintereinandergeschalteter Handlungsschritte i n einer Ebene („Planungslängsschnitt") gedacht wird. Unberücksichtigt bleibt die sachliche und systematische Dimension des Planungsprozesses („Planungsquerschnitt"). U m diese sachgerecht — wie i m folgenden skizziert — i n ein Planungsmodell einbeziehen zu können, w i r d „Umweltplanung" nach den i n ihr maßgeblich lokalisierbaren Ebenen differenziert: (1) Ebene der Analyse, Diagnose und Prognose Angesprochen ist jene Handlungsebene der Planung, auf der die methodischen Hilfsmittel der angewandten Forschung als ein dreistufiges,
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
aufeinander aufbauendes und interdependentes System 1 1 0 zur Anwendung kommen und die als unverzichtbare Grundlage und Voraussetzung der Erfassung der IST-Zustände der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen und ihrer sachgerechten Problematisierung gilt. Die Analyse (Bestandsaufnahme) ermöglicht die „Strukturierung" und „Dimensionierung" (Olaf Boustedt) der Problematik der MenschWohnumwelt-Bedingungen i n einem Erhebungs- und Planungsraum. Z u ihr gehören i m wesentlichen folgende Tätigkeitsfelder: Sammlung, Aufbereitung und Auswertung von Daten und Informationen sowie Beschreibung und Abbildung der Wohn- und Wohnumweltrealitäten, systematisiert entsprechend dem hier zugrundegelegten Verständnis, d. h. nach den sechs genannten wohnumweltkonstituierenden Einflußgrößen und einer Vielzahl weiterer sozialräumlicher Untersuchungskriterien. Die Diagnose baut auf den Erkenntnissen der Analyse auf und dient vor allem der „Lokalisation" und „Integration" (O. Boustedt) der Bedingungen und Problemfelder i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt. Methodische Arbeitsschritte sind: Aufdeckung und Lokalisation von Konflikt-, Krisen- und Bedrohungssituationen i m dialektischen Verhältnis von Mensch und Wohnumwelt sowie Bewertung von Zusammenhängen und Interdependenzen — unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, Organisationsweisen, Akteure etc. — der i m Planungsprozeß produzierten sozialräumlichen Wirklichkeit. Die Prognose, die — aufbauend auf den genannten methodischen Schritten — d e r Aufzeigung von zukünftig zu erwartenden Problemen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt bei unveränderten Gegebenheiten dient (Trend-/Ex-Post-Prognose) und/oder i n die Zukunft gerichtete, begründungs- und konsensfähige Lösungen zur Wohnumweltproblematik anbietet, indem von bestimmten zukunftsrelevanten A n nahmen und Daten (Alternativen, Optionen) ausgegangen w i r d (ExAnte-Prognose). (2) Ebene der Ziele, Zielfindung
und Zielsetzung
Von dieser Orientierungs- und Initiationsebene aus erhält der Prozeß der „Umweltplanung" maßgebliche Handlungs- und Entscheidungsim110 Vgl. zu einem derartigen Dreistufenmodell die Vorschläge von Boustedt, Überlegungen zur Verbesserung des Informationssystems f ü r die Stadtu n d Regionalplanung. Manusk. 1969; zit. n.: Laage, U m w e l t , S. 64. Boustedt gliedert dieses Modell i n „Strukturforschung", „Verflechtungsforschung" u n d „Entwicklungsforschung". Methodisch kommen i n den einzelnen Forschungsschritten u n d i n der genannten Reihenfolge die Analyse, die Diagnose und die Prognose zur Anwendung.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
65
pulse hinsichtlich des SOLL-Zustandes der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen bzw. des Umfanges der zu gestaltenden Materie. Die Ebene der Ziele 111 w i r d strukturiert und funktional angeleitet durch die Ergebnisse der ersten Ebene, dem vorgegebenen Wert-, Normen- und Leitbildhorizont einer Gesellschaft, wie er nach dem hier zugrundegelegten Verständnis i m Wertsystem der Verfassung 1 1 2 zum Ausdruck kommt, und u. U. konkretisiert sowie präzisiert i n entsprechenden Planungsgrundsätzen (z. B. ROG, StBauFG) rechtskräftig verankert ist und/oder sich i n Vorstellungen, Erwartungen, Bedürfnissen und Ansprüchen aller Rollen- und Funktionsträger 1 1 3 i m System von Mensch-Wohnumwelt artikuliert. Z u diesen i m wesentlichen vorgegebenen Zielen kann ein aktiv stimulierter Prozeß der Zielfindung treten, und zwar i m Sinne eines sozialen Interaktions- und Kommunikationsprozesses und einer permanenten Diskussion zwischen Planenden und Betroffenen 1 1 4 , i n der die Gesamtheit der wohnumweltrelevanten Akteure ihre Vorstellungen zur Geltung zu bringen versuchen. Dabei w i r d die Frage nach dem „ W I E " einer daseins-, lebensgerechten und menschenwürdigen Wohnumwelt jeweils von Generation zu Generation neu definiert, indem verschiedene Wohnumweltgüter gegeneinander abgewogen werden 1 1 5 . Aufbauend auf der Zielfindung geht es bei der Zielsetzung u m die Klärung der Fragen:
zunächst
— Besteht ein Bedarf an den jeweiligen Zielen? — Wessen Ziele werden gesetzt bzw. wer hat sie formuliert? — Welchen sozialen Gruppen kommt die Zielrealisation zugute? — K a n n m i t ihnen eine Verbesserung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen erreicht werden? 1 1 6 Der Prozeß der Zielsetzung, der zu einem legislativen A k t führen kann, w i r d unter den Maximen der „Umweltplanung" durch eine legitimatorisch orientierte Zielplanung 1 1 7 unterstützt und konkretisiert. 111 Z u r Problematik von Zielen vgl. insbes. A. Nagel, sowie die A u s f ü h rungen i n C. 1.3. 112 Dazu detailliert C. 4 ff. 113 Z u r Differenzierung des Begriffs siehe A . 1.3. 114 Die Notwendigkeit k o m m u n i k a t i v angelegter Planungsprozesse w i r d u. a. betont u n d gefordert von Habermas, Legitimationsprobleme; Laage/Michaelis/Renk, Planungstheorie für Architekten sowie Wustlich, Vertrautheitsplanung. 115 Vgl. Umweltgutachten '74, S. 4. 116 Vgl. sinngemäß A. Nagel, S. 440 f. 117 Hierbei handelt es sich nicht etwa u m ein N o v u m i m raumrelevanten Planungsprozeß, vielmehr w u r d e n bereits M i t t e der 70er Jahre i n den Stadt-
5 Malz
66
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
(3) Ebene der Rahmenbedingungen,
Steuerungen und Strategien
Diese umgreift die jeweils i n Abhängigkeit zu den dominierenden Interessenlagen der Zeit und den sachlichen Gegebenheiten stehenden und i m wesentlichen politisch, ökonomisch und sozial vorstrukturierten Entscheidungs- und Handlungsspielräume der „Umweltplanung". Sie ist zugleich jene Ebene, auf der die Chancen zur Neukonzeptualisierung und zur Gewinnung alternativer Gestaltungsmöglichkeiten des planerischen Prozesses initiiert werden können. Die Ebene der Rahmenbedingungen ist charakterisiert durch die vor allem i n herrschafts- und machtorientierten Langzeitprozessen der konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen entstandenen, mehr oder weniger flexiblen und konkretisierungsbedürftigen Regelungen zur Sozial«, Wirtschafts- und politischen Ordnung, die durch die Verfassung und ihre Grundsätze 1 1 8 i n ihren maßgeblichen Eckpunkten markiert sind 1 1 9 . Da die Verfassungsordnung nicht als starr und statisch angenommen w i r d 1 ! ï 0 , sondern vielmehr analog ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit und Konkretisierungsfähigkeit eine differenzierte Bandbreite möglicher Ordnungsvorstellungen garantiert, ergeben sich auf dieser Ebene die Voraussetzungen zur Initiation von Veränderungen des Prozesses der „Umweltplanung" i m Sinne alternativer Steuerungsleistungen. Unter Steuerung i m Planungsprozeß w i r d hier die Aufgaben- und Maßnahmevielfalt subsumiert, die sich i n die Funktionen Ordnung, Sicherung, Verteilung, Versorgung, Entwicklung und Gestaltung differenzieren lassen und mit denen das Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt beeinflußt wird. Diese Steuerungsfunktionen sind primär abhängig von den Rahmenbedingungen und fallen i m wesentlichen i n den Kompetenzbereich des politischen Systems und seiner Akteure i n Abstimmung und Kompromißfindung m i t den sozialen und ökonomischen Interessengruppen. Die raumrelevante Konkretisierung der Steuerungsfunktionen ist maßgeblich der Administration (planende, kontrollierende und zustimmende Verwaltung) sowie entsprechenden Planungsinstitutionen (ausführende Institutionen i n Form von Planungsämtern, -büros, Einzelpersonen) überantwortet. I m Ziel-, Aufgaben- und Maßnahmehorizont der Steuerung sind die quantitativen und qualitativen entwicklungsämtern einiger Großstädte (ζ . B. i n München) sog. „ Z i e l p l a nungsressorts" eingerichtet, i n denen die Zielplanung auf der Grundlage einer verwaltungsorientierten Wissenschaft durchgeführt w i r d , die als F ü h rungshilfe konzipiert u n d M i t t e l sein soll, die „Maßnahmeplanung" anzuleiten. 118 Z u den Verfassungsgrundsätzen ausführlich T e i l D u n d E sowie A n hang D / E . 119 Dazu grundlegend D. 2. 120 Z u r „Offenheit" der Verfassungsordnung siehe insbes. E. 2.1.1.
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
67
Dimensionen der regelungsbedürftigen Materie zu integrieren und die divergierenden und konkurrierenden Interessenkonstellationen (ζ . B. i m Hinblick auf die Tatsache, daß Umwelt, Grund und Boden bereits verteilt, besetzt und i n der rechtlich abgesicherten Verfügungsgewalt von Individuen, Institutionen etc. stehen) an den Umweltbedingungen abzustimmen, zu entschärfen und einem gesamtgesellschftlichen Grundkonsens zuzuführen. Konstitutiver Bestandteil dieser Ebene sind schließlich die Durchsetzungsformen des Planungsprozesses, die hier als Strategien ausgewiesen werden. Es handelt sich also um Fragen der effektivsten Durchgestaltung des Planungsprozesses, d. h. u m das Problem der „Planung der Planungen"; dieser wurde und w i r d nicht die ihr zukommende Bedeutung zugemessen; sie orientierte und orientiert sich noch an isolierten Teilzielen; sie wurde und w i r d vollzogen i n Form punktueller und unkoordinierter Eingriffe i m Sinne von Auffang- und Anpassungsplan u n g 1 2 1 . Strategisch ist der Prozeß der „Umweltplanung" als integrierte Entwicklungsplanung 1 2 2 zu konzipieren, indem versucht wird, Struktur und Funktion des Planungsprozesses auf sachliche, zeitliche und systematisch geordnete Entwicklungsziele und Aufgaben (Querschnittsaufgaben) auszurichten und i n analog koordinierten Finanzierungs- und Durchführungsbedingungen festzulegen. (4) Ebene der Organisation
und des Rechtsinstrumentariums
Diese Ebene impliziert die differenzierte und i n rechtliche Regelungen gefaßte Ordnung und Gliederung des Planungsprozesses einschließlich der Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen i m komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaftssystem, und zwar i n jeweiliger Abstimmung m i t bzw. i n Abhängigkeit von der Größe eines Planungsraumes. Der Organisation der „Umweltplanung" liegt eine Hierarchie zugrunde, die ihre weitgehende Entsprechung i m föderativen A u f b a u 1 2 3 des Gemeinwesens (Struktur des Verwaltungsaufbaus) und i n der Differenzierung des Gesamtraumes i n unterschiedliche Größeneinheiten hat, teils markiert durch Verwaltungsgrenzen (Länder, Bezirke, Regionen, Kreise, Gemeindeverbände, Gemeinden, Stadtbezirke und Stadtteile), teils mehr oder weniger willkürlich abgegrenzt nach räumlichen, ökonomischen und sozialen Kriterien (ζ . B. Arbeitsmarktregionen, Gebietseinheiten des BROP, Verdichtungsräume und ländliche Räume) und/ 121
Vgl. E. 4.1. Dazu detailliert die Ausführungen i m K o n t e x t m i t der Diskussion der Bauleitplanung als Entwicklungsplanung i n E. 4.2. 123 Z u m föderalistischen Verfassungsprinzip i n seiner Bedeutung f ü r die U m w e l t p l a n u n g siehe insbes. E. 3.4. 122
5*
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Α. Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
oder nach entsprechenden Nutzungskriterien (z.B. nach der zuvor skizzierten Unterscheidung i n „weiteste Wohnumwelt" bis h i n zur „engsten Wohnumwelt"). Die Spitze der Hierarchie der traditionellen raumrelevanten Planungsarten (die i n der herkömmlichen Unterscheidung auch für die „Umweltplanung" beibehalten werden können) bildet die Raumordnung, gefolgt von der Landesplanung sowie der — nur i n gewissem Umfange und länderweise unterschiedlich institutionalisierten — Regional-, Bezirks-, Kreis- und Gebietsentwicklungsplanung, an die sich die Kommunalplanung (Bauleitplanung) bzw. der Städtebau, die Stadtentwicklungs- und Stadteilplanung anschließen und der gewissermaßen auf der untersten Rangstufe der Hierarchie die Objekt- bzw. die Einzelplanung (ζ . B. Planung von Infrastruktureinrichtungen und Wohnungsbau) nachgeordnet sind 1 2 4 . Der Umstand, daß raumrelevante Maßnahmen, die i n dieser hierarchischen Organisationsstruktur wirksam werden, sowohl auf allen höheren als auch allen niedrigeren Raumeinheiten des Bezugssystems Mensch-Wohnumwelt Auswirkungen entfalten, verweist auf die Notwendigkeit, die Organisation nicht nur von „oben" nach „unten" durchzustrukturieren, sondern ebenfalls i n gegenläufiger Richtung. Dieses sog. „Gegenstromprinzip" 1 2 5 ist i m Prozeß der „ U m weltplanung" weit mehr zu berücksichtigen, als dies bisher der Fall war und ist. Dabei ist davon auszugehen, daß erst durch eine problemadäquate Anwendung dieses organisationssoziologischen Prinzips eine sachgerechte, administrativ-planerische Koordination und Kooperation bislang unabgestimmter, nebeneinander wirkender und ζ . T. konkurrierender Maßnahmen, Ressorts und Planungsträger erreicht werden kann und eine sinnvolle Unterstützung des Planungsprozesses durch Wissenschaft und Forschung sowie durch alle Planungsbeteiligten und »betroffenen ermöglicht wird. Das Rechtsinstrumentarium, das den Prozeß der „Umweltplanung" strukturell organisiert und funktional anleitet und i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt durch die sozialräumliche Nutzungs- und Ver124
Detailliert u n d schematisch dargestellt i n E. 3.4., Skizze 14. Z u m Begriff vgl. projektgruppe aachen, Stichwort „Gegenstromprinzip" (0.0385): „ I n der Raumordnung, Landes- u n d Regionalplanung besagt das Gegenstromprinzip, daß bei Planungen m i t überörtlichen Gesichtspunkten u n d m i t A u s w i r k u n g e n auf die Belange des örtlichen Bereichs die planerischen Zielvorstellungen v o n „oben" nach „ u n t e n " zu harmonisieren sind. V o r aussetzung sind dabei die umfassende Information über die jeweiligen Planungsabsichten der höheren Planungsbehörden u n d die Möglichkeiten, die aus der örtlichen Kenntnis u n d den unmittelbaren praktischen Erfahrungen resultieren." Dieser verfahrenstechnische Grundsatz ist ζ . B. i n § 1 Abs. 4 ROG zum Ausdruck gebracht, indem dort gefordert w i r d , daß eine gegenseitige Berücksichtigung der kulturellen, sozialen u n d wirtschaftlichen E r f o r dernisse des Gesamtraumes u n d seiner Einzelräume gewährleistet sein soll. 125
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System
69
fügungsweisen konkret erfahr- und erlebbar wird, umfaßt die grundrechtlichen Verbürgungen, Normen und Garantien 1 2 6 und die Verfassungsaufträge 127 , reicht über das Raumordnungsgesetz (ROG), die Landesplanungsgesetze (LaPlaGe), das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) und Bundesbaugesetz (BBauG), die Umweltschutzgesetze, die Straßenverkehrsgesetzgebung, die Naturschutz-, Landschaftsschutz-, Denkmalschutzgesetzgebung bis h i n zu den Wohnungsbau- und Mietgesetzen sowie entsprechenden Rechtsfiguren des Bürgerlichen Gesetzbuches und den für einen Großteil dieser Gesetze jeweils geltenden (erweiternden/einschränkenden) Durchführungsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Erlassen und Richtlinien der Länder sowie weiteren gemeindlichen Satzungsbestimmungen und Verordnungen. Diese Gesetzesflut 128 , einhergehend m i t einer ständig fortschreitenden Bürokratisierung des gesamten Planungsapparates und -Vollzugs sowie einer damit verbundenen, tendenziell zunehmenden Bevormundung 1 2 9 des Menschen i n der Wohnumwelt, gilt es vor allem einzudämmen, zu durchforsten und m i t Rechtsqualität auszustatten. Letztere kann u. a. dadurch konkretisiert werden, daß die Vielzahl gesetzlich verbürgter, raumrelevanter Ziele und Grundsätze der genannten Gesetze systematisiert und operationabel ausgestaltet werden; daß auf eine weitere Perfektionierung und Reglementierung des Planungsprozesses verzichtet wird; daß der primären Funktion des raumrelevanten Rechts, zur humanwertorientierten Konkretisierung der Daseinsbedingungen und zur menschenwürdigen Gestaltung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen einen Beitrag zu leisten, Vorrang vor technokratischen sowie bürokratisch-administrativen Regelungen eingeräumt wird. (5) Ebene der Realisation und Wirkungskontrolle Diese umfaßt die Maßnahmen von der Plananfertigung bis zur Produktion der Wohnumwelt, die auf den interdependenten Voraussetzungen der übrigen vier Ebenen aufbauen; sie dienen der Konkretisierung der bewußt gewollten und initiierten Strukturen und Funktionen i n der Umwelt und sind an den durch Entscheidungen festgelegten Zielen i m 126
Z u r Raumwirksamkeit der Grundrechte siehe C. 4.2. Dazu insbes. T e i l D u n d T e i l E. 128 Augenfälliges Beispiel hierfür ist, daß nach Angaben des Deutschen Städte- u n d Gemeindebundes beim Bau eines E i n - oder Zweifamilienhauses i m Genehmigungsverfahren von den Bauämtern bis zu 314 Erlasse, zahlreiche Gesetze, Rechtsverordnungen, gemeindliche Satzungsbestimmungen sowie eine weitere Z a h l einschlägiger Urteile von Verwaltungsgerichten zu beachten sind. Vgl. F ü r Fertighäuser bald eine schnellere Baugenehmigung, i n : A N , Nr. 27 v o m 1. 2.1978. 129 Das Ausmaß grundrechtlicher Einschränkungen u n d des Abbaus von Teilhabe-, Mitverantwortungs- u n d Selbstentfaltungsmöglichkeiten w i r d i n C. 2.2. diskutiert. 127
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Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
Prozeß der Rückkopplung hinsichtlich ihres angestrebten und real erreichten Ausmaßes zu überprüfen. Die Realisation, die maßgeblich ökonomisch, d. h. i m Sinne der Verfügbarkeit und Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel, orientiert ist, w i r d i m Planungsprozeß der Gestaltung und Entwicklung der Wohnumwelt durch eine Maßnahmeplanung unterstützt. Dieser obliegt es, i m Hinblick auf die divergierenden und konkurrierenden Interessen an den raumwirksamen M i t t e l n und der Wohnumwelt die verknappten und begrenzten finanziellen Ressourcen zu koordinieren, abzustimmen und zu harmonisieren. Der Einsatz der finanziellen M i t t e l erfolgt auf der Grundlage exakt ermittelter Daten und Informationen zu wohnumweltrelevanten und raumbeanspruchenden Bedürfnis- und Erwartungshorizonten des Menschen. Da die i m Prozeß der Realisierung und Produktion von Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen als Finanzierungsund Bauträger auftretenden Organisationen, Institutionen, Einzelpersonen etc. nach Maßgabe ihres finanziellen Mitteleinsatzes und ihrer Gewinnkalkulation den letztlich entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung und Veränderung des Bezugssystems Mensch-Wohnumwelt haben, sind diese Akteure und ihre Aktivitäten i m Prozeß der „Umweltplanung" einer besonders wirksamen und zielorientierten Kontrolle zu unterziehen. Der gesamte Planungsprozeß, i n dessen zeitlichen Verlauf etwaig auftretende Veränderungen i n den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen stets mitzuberücksichtigen sind, ist auf allen Ebenen durch Wirkungskontrollen zu begleiten, m i t denen auf der Grundlage der gesammelten und systematisierten Daten sowie Informationen i m sog. „Feed-Back" die auf den einzelnen Ebenen benannten Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Effizienz und Realisierungschancen überprüft, gegebenenfalls abgeändert, erweitert und modifiziert werden können. Schließlich sind die durch „Umweltplanung" produzierten Strukturen und Funktionen i m sozialräumlichen Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt i n turnusmäßig festgelegten Zeittakten zu kontrollieren, entsprechend den temporär und sachlich bedingten Wandlungsprozessen i n den sechs wohnumweltkonstituierenden Einflußgrößen und gewandelten Vorstellungen zu einer menschenwürdigen und lebensgerechten Wohnumwelt neu zu überdenken, damit das hier dargestellte Planungsmodell auf allen fünf Ebenen hinsichtlich des Umfanges der gestaltungs- und veränderungsbedürftigen Materie i n Initiation, Orientierung und Steuerung modifiziert werden kann. M i t diesen Überlegungen ist der zuvor skizzierte „Dreierschritt" des Planungsprozesses u m grundlegende, interdependente Handlungs- und Denkkategorien erweitert. Es w i r d der i m traditionellen Planungsver-
71
2. Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumwelt-System Skizze 3: Prozeß der Umweltplanung i m 5-Ebenen-Modell MENSCH- WOHNUMWELT- BEDINGUNGEN
I
I
I
η
Ι Werte/Normen/ 1 1 Leitbilder/Ziele |
1 Zielfindung
I
1
1
Zielplanung
1 Zielsetzung
|
1r I
IST-Zustand
IST-Zustand
Rahmen bedingungen: ge Ord. l·«-»- politisch dnung Sozialor Wirtschi aftsordSteuerung: Ordnung/Sicherung Verteilung / E n t wicklung /Gestaltung
Strategien
Raumorganisation: W o h n umweltebenen.
Gesellschaftsorganisation
Massnahmeplanung
Organis a t i o n
t
iRechtsir tstrur Imentari um
H Ι 1
+
\
Berücksichtigung von Veränderungen der M e n s c h Wohnumwelt-B ed i η -j gungen während des Planungsprozesses din-X >
•SOLL: MENSCH-WOHNUMWELT-BEDINGUNGEN
V Wirkungskontrolle
KONTROLLEN / FORTSCHREIBUNG DER PLANUNGSGRUNDLAGEN WAHREND DES
ΊΧ
•FEED-BACK" PLANUNGSPROZESSES
72
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
ständnis vertretenen Auffassung widersprochen, daß es sich bei Planungen um sukzessive und stringent hintereinandergeschaltete Tätigkeiten handelt bzw. handeln kann. Systematisiert und schematisch komprimiert können die wichtigsten Erkenntnisse zu den fünf Ebenen entsprechend der vorstehenden Skizze 3 visualisiert werden. 3. Erkenntnisinteresse u n d Begründung für ein Theoriekonzept
I m Kontext m i t der Skizzierung der Negativbefunde zum System Mensch-Wohnumwelt, die sich als raumwirksam gewordene Planungsergebnisse i n Abhängigkeit von gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Ordnungs- und Wertvorstellungen — bzw. als Resultat nicht i n Anwendung gebrachter und sozialräumlich umgesetzter Werte und Normen — ausweisen lassen, ist die Arbeitshypothese aufgestellt worden, daß die defizitären Erscheinungen i m dialektischen Verhältnis von Mensch und Umwelt Bedrohungen und Gefährdungen respektive Verstöße und Verletzungen der von der Menschenwürde beherrschten Verfassungsordnung darstellen. Diese vermuteten Gefährdungen und Verletzungen der verfassungsmäßigen Ordnung und damit ebenfalls der durch diese markierten, sozialräumlichen Daseinsbedingungen sind i m Rahmen der Grobanalyse der Befunde, wie sie die Fachdisziplinen, die Massenmedien und die Betroffenen artikulieren, i n genereller Hinsicht bestätigt worden. Insofern gilt das erkenntnisleitende Interesse dieser Arbeit dem differenzierteren Nachweis der verfassungswidrigen Planungswirklichkeit und der Diskussion von verfassungsgemäßen Lösungschancen dieser Problematik. I m Hinblick auf den zuletzt benannten Sachverhalt und Hauptuntersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit w i r d davon ausgegangen, daß diese Chancen durch die Wertgebundenheit der Verfassung 1 3 0 vorstrukturiert sind. Somit w i r d erwartet, daß eine theoretisch befriedigend begründbare Konzeptualisierung sowie praktisch realisierbare Fortentwicklung des umweltwirksamen Planungsinstrumentariums auf der Leitbildbasis der Grundrechtsordnung und der Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze durchsetzbar ist und daß auf dieser Grundlage vielfältige, bisher ungenutzte Möglichkeiten bestehen (ζ . B. durch zeitgemäße Interpretation der Wertgebundenheit, durch problemadäquate Nutzung der Offenheit der Verfassungsordnung), den langwierigen Prozeß einer humanorientierten Gestaltung der MenschWohnumwelt-Bedingungen einzuleiten. 130 Vgl. dazu B V e r f G (Hg.) A r t . 1, Nr. 23 ,Schutz von Freiheit u n d Würde oberster Rechtszweck'. D o r t w i r d u.a. ausgeführt: „Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit u n d Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt (...)." Vertiefend zur Wertgebundenheit C. 4.3.
3. Erkenntnisinteresse
73
Zur Einlösung des hier noch global postulierten Erkenntnisinteresses 1 3 1 ist u. a. die Frage nach den Erkenntnismöglichkeiten i m Sinne der methodologischen Durchführbarkeit der Arbeit zu klären. Hierzu notwendig ist der Entwurf einer entsprechenden Forschungskonzeption und die Erarbeitung eines theoretischen Bezugrahmens, der die analytische Durchdringung und Auflösung der Untersuchungskomplexität erlaubt. Differenzierungen i n der komplexen Forschungsproblematik bieten sich zunächst i n Form der i m Begriffsapparat zum Mensch-Wohnumweltsystem erfolgten deflatorischen Festlegungen an, m i t denen u. a. das Anspruchsniveau und der Erwartungshorizont der Gesellschaft hinsichtlich der wertorientierten Gestaltung der Lebensumwelt und Daseinsbedingungen rahmenartig und unter folgenden Systematisierungskategorien erfaßt ist: — Bedürfnisdimension und Anspruchsniveau zum Wohnen (A. 2.1.— 2.1.1.);
— soziostrukturelle Komponenten des Wohnens und materielle Kategorien der Wohnung (A. 2.1.1.); — Differenzierung der Wohnumwelt nach nutzungs- und planungsrelevanten Ebenen (A. 2.2.); — materielle und immaterielle Einflußgrößen, die das Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt konstituieren (A. 2.2.1.); — Handlungs- und Entscheidungsebenen des Umweltplanungsprozesses (A. 2.3.). M i t diesen Kategorien, die i m Arbeitsprozeß um weitere Aussagen komplettiert und durch die deflatorische Fixierung der übrigen Untersuchungseinheiten, d. h. vor allem der Grundrechte 1 3 2 und der Verfassungsgrundsätze 133 ergänzt werden, ergibt sich zunächst die Voraussetzung für eine systematische Erfassung der defizitären Strukturen und Funktionen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt. I m weiteren sind m i t diesem Kategoriengerüst aber auch Theoreme m i t befriedigender Erklärungskraft und Generalisierbarkeit aufgestellt, auf deren Grundlage gesamtgesellschaftliche Diskurse m i t dem Ziel der Verbesserung und Behebung (i. S. von zu ergreifenden Maßnahmen, zu realisierenden Lösungen, zu erprobenden Alternativen und zu erwägenden Optionen) der durchgängig kritisierten Mensch-Wohnumwelt-Problematik realiserbar erscheinen. 131 182 188
Differenziert dazu B. 1. Vgl. C. 4.3. Vgl· D. 3.
74
Α . Sozialräumliche Daseinsbedingungen als Forschungsproblem
Da es sich — wie mehrfach betont — bei der Themenstellung u m Umweltprobleme unter Einbeziehung aller möglichen Aspekte handelt, geht es zunächst u m die Entflechtung m i t anschließender neuerlicher und problemadäquater Integration eines überaus komplizierten und heterogenen Systems, i n dem vielfältige und unterschiedliche W i r k faktoren, Interdependenzen und Beziehungen der einzelnen Untersuchungseinheiten (Planung, Verfassung, Mensch-Wohnumwelt etc.) vermutet werden. A u f der Grundlage dieser Annahmen erscheint eine Systemanalyse — d. h. ein systemtheoretischer Ansatz, wie er bereits i n A. 1.1. angesprochen und i m folgenden Teil Β dezidiert und i n weiterer Differenzierung erkenntnisleitender Hypothesen, Fragestellungen und thematischer Untersuchungsschwerpunkte skizziert w i r d — zur Bewältigung der hier vorliegenden Problemstellung angezeigt. Damit sind Intention und Konzeption der Forschungsthematik konturiert: Städtebauliche und politikwissenschaftliche Hypothesen auf der Basis eines systemtheoretischen Forschungsansatzes zu ordnen sowie — auf der Grundlage der Situationsanalyse der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen und i m Kontext m i t den strukturellen Konditionen und funktionalen Wirkungsgehalten der Grundrechtsordnung und Verfassungsgrundsätze problematisiert — konzeptionelle Vorschläge für die Umweltplanung zu erarbeiten, von denen angenommen werden darf, daß m i t ihnen maßgeblich zur Konkretisierung menschenwürdiger Daseinsbedingungen beigetragen werden kann.
Β. Forschungsziel, Forschungsmethodik, Forschungsansatz, Forschungsplan 1. Eingrenzung der Forschungsproblematik und Präzisierung des Erkenntnisziels
Durch die Betrachtung der gleichen Probleme aus der Perspektive der Umweltplanung und Verfassung steht die Untersuchungsproblemat i k i n dem interdisziplinären Bezugsrahmen 1 von Städtebau (Planungstheorie) und Politikwissenschaft (Verfassungstheorie); sie liegt damit i n einer bislang völlig unzureichend erhellten „Forschungsgrauzone", deren reale Probleme jedoch i n der Alltagswelt der Betroffenen i n Form der als verfassungswidrig und Menschenwürde verletzend empfundenen Planungswirklichkeit sehr konkret sind. Die Ursachen für den „Forschungs-Lag" sind vielfältiger und komplexer Natur, wie es bereits die i n Teil A durchgeführte Problematisierung des Untersuchungsfeldes gezeigt hat. So w i r d Anlaß zu folgenden, das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit weiter differenzierenden und strukturierenden Grundannahmen gegeben: — Eine soziokulturelle und geistig-politische Anerkennung sowie Verankerung der Wirkfaktoren zwischen Planung und Verfassung i n ihren Auswirkungen auf die Wohnumwelt hat bei den wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktionsträgern keine hinreichend breite Interessen- und konsensfähige Diskussionsbasis gefunden. — Die latenten ebenso wie manifest gewordenen Einschränkungen, Bedrohungen, Gefährdungen und Verletzungen der nur i m Raum realisierbaren und ausübbaren Grundrechte sind durch die i m Umweltplanungs- und politisch-administrativen Entscheidungsprozeß entstandene Krise der Stadt und Lebensumwelt zu einem Dauerzustand geworden, der bei den wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktioristrägern mehr oder weniger internalisiert ist und innovatorische Denkprozesse zur wertorientierten Planung und Gestaltung der Daseinsbedingungen blockiert 2 . 1 Damit w i r d die eingangs mehrfach betonte Multidisziplinarität des F o r schungsfeldes nicht negiert, sondern die vorliegende Untersuchungsproblem a t i k auf die zwei maßgeblichen Disziplinen konzentriert, m i t denen das Erkenntnisinteresse u n d -ziel der A r b e i t realisiert werden kann. 2 Diese Grundannahmen werden i n den Teilen C—E ausführlich m i t b e handelt (i. S. der Problematisierung, Differenzierung, Verifikation/Falsifikation); dabei w i r d u.a. auch auf weitere Ursachen f ü r den Forschungs-Lag
76
Β . Forschungsziel, Forschungsansatz, Forschungsplan
Diese komplementären Hypothesen lassen vermuten: — daß eine Ausdifferenzierung des komplexen Wertsystems der Grundrechte 3 und der Heterogenität der Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze i n ihrem strukturellen und funktionalen Gehalt für das Handlungsinstrument der Umweltplanung nur unzureichend stattgefunden hat 4 ; — daß, soweit Ausdifferenzierungen der wertgebundenen Verfassungsordnung für Umweltplanungen erfolgt sind, sich diese lediglich punktuell, leerformelhaft abstrakt und/oder i m Rahmen politisch und ökonomisch opportuner Interessenabwägungen nachweisen lassen; — daß die von der Verfassung her eröffneten Möglichkeiten zu evolutionären Entwicklungen, zur Erprobung von Alternativen, zur innovatorischen Initiation und Organisation des Handlungsinstruments Planung bislang ungenutzt geblieben sind 5 ; — daß sich die K l u f t zwischen den sozialräumlichen Erscheinungsformen der Wohnumwelt und den grundrechtsgeschützten Lebensbedürfnissen, gemessen an dem Werthorizont der Grundrechte und der Normativität der Verfassungsgrundsätze, seit Inkrafttreten des Grundgesetzes zunehmend u n d parallel zum i n allen Lebensbereichen zu beobachtenden Prozeß des Auseinanderfallens von Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit vergrößert hat 6 . A u f der Basis der i n Teil A vorgenommenen Problematisierung des Forschungsfeldes, der zuvor skizzierten arbeitshypothetischen Grundannahmen und der darin implizit sowie explizit angedeuteten Möglichkeiten zur Verbesserung der Daseinsbedingungen des Menschen auch i m Rahmen von Planungen einen Beitrag leisten zu können, kann das erkenntnisleitende Interesse dieser Arbeit i n folgender Fragestellung präzisiert werden: eingegangen, so ζ . B. auf die Unbekanntheitsrelationen zwischen den U n t e r suchungseinheiten; die Theoriedefizite zur Untersuchungsproblematik; die I n teressenkollisionen zwischen politischen u n d wissenschaftlichen A k t e u r e n hinsichtlich des Problemfeldes; die Abschottung der einzelnen Disziplinen bei der Behandlung der Problematik; die Ideologieanfälligkeit der Thematik. 8 Dazu vertiefend die Ausführungen i n C. 4.—4.4. 4 Vgl. die Teile D—E sowie Anhang D / E . 5 Z u m Beleg f ü r die unter den beiden letzten Spiegelstrichen skizzierten Grundanniahmen sei ζ . B. verwiesen auf die i m Zusammenhang m i t der v o r letzten umfangreichen Novellierung des B B a u G (1976) zunächst konzipierte Neugestaltung des Bodenrechts u. a. durch die Aufspaltung des Besitzes an G r u n d und Boden i n Nutzungs- u n d Verfügungseigentum und die E i n f ü h r u n g des Planungswertausgleichis, die durch das Beharren der i m Gesetzgebungsprozeß einflußrelevanten A k t e u r e u n d Interessenorganisationen auf ihren einmal erworbenen Rechts-, Herrschafts- u n d Machtpositionen nicht kodifiziert wurden. 6 Vgl. C. 2. ff. u. D. 3., Synopse 5.
1. Erkenntnisziel
77
— Bestehen Chancen, durch Nutzbarmachung des grundrechtlichen Wertsystems und der funktionalen, wertgebundenen Normativgehalte der Verfassungsgrundsätze das Handlungsinstrument Umweltplanung (derart z u initiieren und zu organisieren, daß damit eine umfassende Verbesserung der durchgängig kritisierten MenschWohnumwelt-Bedingungen i m Sinne der Konkretisierung der Menschenwürde erreicht werden kann? U m zu einer inhaltlich begrenzten Auswahl der m i t diesem Thema verbundenen Probleme und zu i m zeitlich begrenzten Forschungsprozeß realisierbaren Untersuchungsschwerpunkten zu gelangen, ist eine weitere Ausdifferenzierung und Eingrenzung des global benannten Erkenntnisinteresses i n folgende Fragen unverzichtbar: — Wie kann das Problem der Konkretion und Realisation einer als menschenwürdig charakterisierbaren Wohnumwelt gelöst werden angesichts der divergierenden sozialräumlichen Wertvorstellungen, Ansprüche, Erwartungen etc. des einzelnen und der antagonistischen Interessenvielfalt der Gesellschaft an der Nutzung, Verfügung und Gestaltung der Umwelt? — Wie kann das Wertsystem der Grundrechtsordnung dazu genutzt werden? — Wie können die wertgebundenen Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze zur Lösung der sozialräumlichen Situationsproblematik i n Anwendung gebracht werden? — Wie kann unter Rückgriff auf die Verfassung Umweltplanung so initiiert und organisiert werden, daß die verfassungswidrige Diskrepanz zwischen Grundgesetzordnung einerseits sowie Planungsordnung und Ordnung des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Lebensumwelt andererseits kontinuierlich abgebaut wird? Durch Klärung dieser Fragen i m Rahmen der einzelnen Untersuchungsschwerpunkte w i r d das Erkenntnisziel verfolgt: — Städtebauliche und umweltrelevante Planungskonzepte auf der Grundlage der Grundrechte und Verfassungsgrundsätze weiterzudenken, u m m i t solcherart evolvierten Planungsinstrumenten den langwierigen Prozeß einer humanwertorientierten Gestaltung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen einzuleiten. I n Verfolgung dieses Ziels w i r d die Arbeit auf folgende zwei komplementären Beiträge beschränkt bleiben: 1. Es werden das planungs- und verfassungsrelevante Grundlagenmaterial i n seiner Interdependenzproblematik aus der Perspektive der beiden Disziplinen von Städtebau und Politikwissenschaft auf-
78
Β . Forschungsziel, Forschungsansatz, Forschungsplan
bereitet sowie anwendungsorientierte Konzeptualisierungsvorschläge für das Handlungsinstrument Umweltplanung vorgelegt. 2. Es w i r d ein problemadäquater Theorierahmen zum Forschungsproblem geliefert, indem ein systemtheoretischer Ansatz m i t normativempirischer Ausrichtung zugrundegelegt wird. Dabei w i r d i m Laufe der einzelnen Forschungsschritte (Untersuchungsschwerpunkte) zunehmend eine Verfeinerung und Systematisierung des Untersuchungsproblems erfolgen. Des weiteren w i r d eine Zergliederung der Komplexität der Themenstellung i n seine wichtigsten Elemente sowie eine Klassifizierung i n Untersuchungskategorien vorgenommen, die als deskriptive Schemata/Konzepte zu verstehen sind, nach der die Fülle des empirischen Materials gesammelt, aufbereitet und abgerufen werden kann. Sowohl Umfang und Komplexität der zuvor i n Erkenntnisinteresse und -ziel präzisierten Untersuchungsproblematik als auch die Realisierung des eben angekündigten, komplementären Beitrags zur wechselseitigen Befruchtung von Theorie und Praxis erfordern — einen methodologisch gegliederten Forschungsprozeß, — die Bestimmung eines problemadäquaten Theorierahmens, — die Entwicklung eines Forschungsplans mit arbeitshypothetischer Festlegung der einzelnen Untersuchungsschwerpunkte, wie sie in den folgenden Teilkapiteln zur Darstellung kommen. 1.1. Festlegung der Forschungsmethodik unter Berücksichtigung der Logik des Forschungsprozesses
Zur sachgerechten und problemadäquaten Begleitung, Organisation und Anleitung des Forschungsablaufes sind einzelne Untersuchungsphasen mit differierenden Forschungstechniken und Arbeitsschritten zu unterscheiden und durchzuführen. I n der vorliegenden Arbeit w i r d i n Modifizierung der von Heine von Alemann für die Praxis der empirischen Sozialforschung modellhaft entwickelte Forschungsprozeß aufgegriffen 7 , der idealiter als schrittweise aufeinander aufbauende, sich 7 Η . v. Alemann, S. 144. Der A u t o r unterscheidet 4 Phasen, untergliedert i n insgesamt 18 Arbeitsschritte: 1. Definitionsphase mit a) Problem w ä h l , b) Literaturanalyse, c) Entwicklung des theoretischen Bezugsrahmens, d) Operationalisierung der Grundbegriffe, e) Festlegung von Grundgesamtheit u n d Analyseeinheiten, f) Entwicklung des Forschungsplans; 2. Durchführungsphase mit g) Erarbeitung der Forschungsinstrumente, h) Aufstellung des A u s wahlplans, i) Vortest u n d Exploration, j) Vorbereitung der Hauptuntersuchung, k) Durchführung der Hauptuntersuchung, 1) Verkodung der Daten; 3. Analysephase mit m) Dateiaufbau u n d Datenbereinigung, n) A u s w a h l des Analyseprogramms, o) Deskriptive Analyse, p) Kausal- u n d Modellanalyse; 4. Disseminationsphase mit q) Schreiben der Forschungsberichte, r) P u b l i kation der Ergebnisse.
1. Erkenntnisziel
79
kontinuierlich vollziehende Arbeitsabfolge ausgewiesen ist. I n Anlehnung an diese systematisch-methodologische Festlegung w i r d eine Differenzierung i n folgende Hauptuntersuchungsphasen und i n die i m weiteren benannten, dabei zu leistenden forschungsspezifischen Einzelschritte vorgenommen: 1. Definitionsphase:
— Problematisierung, — Begriffsbildung und -definitionen, — Operationalisierung, — zentrale Arbeitshypothesen, — Bestimmung von Untersuchungseinheiten, — Festlegung des theoretischen Bezugsrahmens 8 .
2. Erhebungsphase:
— Inhalts-, Dokumenten- und Sekundäranalysen, Erarbeitung deskriptiver Schemata/Konzepte, mittels derer das empirisch gesichtete Material gesammelt und aufbereitet werden kann, Entwicklung weiterer Arbeitshypothesen zu den einzelnen Untersuchungsschritten 0 .
3. Analyse-und Interpretationsphase:
Deskription, Theorietest und Analyse 1 0 , Interpretation der Ergebnisse, Bestätigung, Widerlegung, Modifikation der Arbeitshypothesen 11 .
8 Diese Phase ist durch T e i l A u n d die i n diesem Untersuchungsteil geleisteten (bzw. noch zu vollziehenden) Arbeitsschritte weitgehend abgeschlossen. 9 Diese Untersuchungsphase w i r d die Teile C—E der A r b e i t begleiten. 10 Z u den drei Forschungstechniken gibt H. v. Alemann, S. 177 folgende Definitionen: „Deskriptive Untersuchungen w o l l e n dem Forschungsgegenstand möglichst nahe kommen, sie w o l l e n u m allen Prèis ein Höchstmaß an Übereinstimmung m i t der Wirklichkeit. Dies geht aber i n der Regel auf Kosten der Allgemeinheit u n d Verallgemeinerungsfähigkeit der Untersuchungsergebnisse. Theorie-testende Untersuchungen setzen diese prognostische Fähigkeit, die Fähigkeit der E r k l ä r u n g von Sachverhalten als Ziel voraus, müssen aber zu diesem Zweck die Z a h l der Variablen u n d die V a r i a b i l i t ä t der V a riablen einschränken, was ein Element der Spekulation i n den Forschungsprozeß hineinbringt. Analytische Untersuchungen versuchen einen M i t t e l w e g zwischen diesen beiden Extrempunkten, wobei aber noch nicht geklärt ist, ob sie d a m i t i m Endeffekt erfolgreicher sein werden als die beiden anderen Modelle. I n den Sozialwissenschaften w i r d dieser Ansatz durch die Vielzahl der relevanten Variablen u n d durch ihre Interdependenzen begünstigt" (Hervorhebungen d. Verf.). 11
Die genannten Arbeitsschritte strukturieren ebenfalls die Teile C—E u n d fließen ein bzw. bilden die Grundlage für den T e i l F der Arbeit.
80
4.
Β . Forschungsziel, Forschungsansatz, Forschungsplan
Konzeptualisierungsphase:
Ergebnisse i n der theoretischen und praktischen (konzeptionellen) Anwendung, Stützung der Konzeption durch kontrollierte Hypothesen, Aufzeigen von Möglichkeiten zur Problemlösung 12 .
Diese zugrundegelegte Gliederung des Arbeitsprozesses i n voneinander getrennte Untersuchungsschritte m i t ihren sukzessiv verlaufenden und aufeinander aufbauenden Einzelphasen müssen allerdings als idealtypische Konstruktion des Forschungsprozesses gedacht werden. Für die konkrete Forschungspraxis sind diese Phasen als sich teilweise überschneidende, synchron geschaltete oder i n veränderter Reihenfolge zu leistende Anbeitsschritte anzusehen. Damit ist der Erwartung widersprochen, den Forschungsprozeß stringent gemäß den benannten Einizelphasen strukturieren und vollziehen zu können. 2. W a h l eines problemadäquaten Forschungsansatzes und Theoriekonzeptes
Anknüpfend an die weiter oben vorgenommenen Eingrenzungen und Präzisierungen des Erkenntnisinteresses und Untersuchungsziels sowie an die i m letzten Teilabschnitt skizzierte, prozessuale Stufenfolge zur methodologischen Realisierbarkeit des Forschungsvorhabens, geht es i m folgenden darum, einen problemadäquaten Forschungsansatz respektive ein forschungsbegleitendes Theoriekonzept zu suchen. Hinsichtlich dieses Anliegens ergeben sich jedoch erhebliche Schwierigkeiten, die i m Kontext folgender Ursachen zu sehen sind: (1) Bei der vorliegenden Untersuchungsproblematik handelt es sich, wie mehrfach betont, um eine interdisziplinäre Problemstellung i n einer Forschungsgrauzone, bei der die beteiligten Wissenschaften jeweils für sich m i t einer Vielfalt unterschiedlicher Theorien, Konzepte, Methoden und Modelle zur Beschreibung und Erklärung disziplinspezifischer und disziplinübergreifender Kernprobleme arbeiten. (2) Durch die i n Teil A durchgeführte Problematisierung des Forschungsfeldes sind die maßgeblichen Untersuchungseinheiten einschließlich ihrer Subelemente i n das Blickfeld gerückt, deren Kausalbeziehungen zwar vermutet, deren unmittelbare und mittelbare Wirkungsweisen und Abhängigkeiten jedoch zunächst nicht eindeutig lokalisierbar sind und somit Anlaß zu einer Vielzahl von Hypothesen geben. Gemeint sind 12
Diese Phase findet insbesondere A n w e n d u n g f ü r die Teile C—F.
2. Theoriekonzept
81
hiermit vor allem die angenommenen, funktionalen und strukturellen Zusammenhänge zwischen — den planerischen Maßnahmen und Eingriffen: planung;
Planung/Umwelt-
— den verfaßten Rechten, Ansprüchen, wertgebundenen Rahmenbedingungen: Verfassung /Grundrechte, Verfassungsgrundsätze; — den Daseinsbedürfnissen und
der Menschen: Lebensbereiche /Wohnen
— den sozialräumlichen Bedingungen: Umwelt/Wohnumwelt. Vor dem Hintergrund dieser wissenschafts- und untersuchungsspezifischen Sachverhalte ist die Suche und Wahl eines Theorierahmens unverzichtbar, um das komplizierte Geflecht von Interdependenzen, Vernetzungen und Unbekanntheitsrelationen der genannten Haupt- und Subelemente und damit die Forschungsthematik problemorientiert analysieren und interpretieren zu können. Zwar gibt es keine „Rezepturen" zur Lösung von Forschungsvorhaben, in die die Probleme von Umweltplanung und Grundgesetz quasi hineingestellt und systematisch gelöst werden könnten, sondern es existieren eine Vielzahl divergierender Theorieund Erklärungsansätze, die entweder i n ihrer methodisch reinen Form, i n Kombination m i t anderen Ansätzen oder i n Modifikation bei theoretisch-empirischen Untersuchungen Anwendung finden können 1 3 . Doch um die vorliegende Komplexität der Problemstellung und Wirkfaktoren annähernd realistisch beschreiben und erklären sowie konzeptionelle Lösungsvorschläge unterbreiten zu können, erscheint ein systemtheoretischer Analyseansatz i n Verbindung m i t einer gemischt normativ-empirischen Ausrichtung aus folgenden Gründen am ehesten geeignet, das Forschungsvorhaben zu unterstützen: (1) I n Anwendung gebracht werden systemtheoretische Ansätze von den hier beteiligten Wissenschaften 14 nicht n u r bei der Lösung disziplinspezifischer Probleme, sondern die Systemtheorie hat sich u. a. auch i m Rahmen von interdisziplinären Forschungsprojekten 16 bewährt. Letzteres vor allem weil m i t diesem Theorieansatz die Möglichkeit eröffnet wird, die sonst auf Abschottung und Spezialisierung ausgerichteten Wissenschaften zu integrieren. Des weiteren soll m i t der gemischt nor13
Dazu die Problematisierung i n H. v. Alemann, insbes. S. 155. F ü r den Städtebau (Planungswissenschaften) vgl. paradigmatiisch Braun/ Fehl (Hg.), Systemtheorie und Systemtechnik i n der Raumplanung. Z u r A n wendung der Systemtheorie i n der Politikwissenschaft siehe v o r allem Narr, Theoriebegriff u n d Systemtheorie. 15 Z u r Geeignetheit des systemtheoretischen Analyseansatzes i m Rahmen eines multidisziplinären Forschungsprojektes zur Neukonzeptualisierung der Wohnungspolitik, i n das die Disziplinen der Politikwissenschaft, Ökonomie, Umweltpsychologie, Siedlungsgeographie u n d Rechtswissenschaften integriert sind, vgl. Malz/Müllenbach/Wustlich, Wohnungspolitische Forschung, S. 181 ff. 14
6 Malz
82
Β . Forschungsziel, Forschungsansatz, Forschungsplan
mativ-empirischen Ausrichtung des Ansatzes insbesondere der Zielund Wertorientierung (Grundrechte, Verfassungsgrundsätze) Rechnung getragen werden, die bei der Lösung von gesellschaftlich hervorgerufenen Verfassungsproblemen für die Entscheidungs- und Handlungspraxis der jeweiligen Rollen- und Funktionsträger i m Umweltplanungsprozeß Relevanz signalisieren. (2) Systemtheoretischen Ansätzen liegt ganz allgemein die Vorstellung zugrunde, „daß alles und jedes als System betrachtet, d. h. unter dem Aspekt seiner inneren Organisation und seiner Interaktion m i t der Umwelt analysiert werden kann. Der jeweils interessierende Gegenstand w i r d m i t Hilfe einer besonderen Methode als System rekonstruiert und bestimmten Analyseverfahren unterworfen. Wesentlich für die Methode der Systemtheorie ist das „Analogieprinzip" 1 6 , „bei dem aufgrund von Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten von Sachverhalten oder Systemen i n bestimmten Funktionsweisen, Strukturen, Eigenschaften von Elementen auf die Ähnlichkeit auch anderer Funktionen, Bestandteile usw. der Systeme geschlossen w i r d " 1 7 . „Darüber hinaus beharrt die Systemtheorie auf der Analyse von Einzelbeziehungen unter dem Aspekt ihrer Funktionen für das umfassende Ganze. Ihre Erklärungsmodelle sind daher oft nicht kausal, sondern teleologisch konstruiert, meist durch Angabe der Bedingungen des Systemgleichgewichts. Da die Systemsprache alle Prozesse und Strukturen (ungeachtet der Verschiedenheit der empirischen Gegenstände) i n gleichen Begriffen wiedergibt, werden häufig fruchtbare Einsichten über disziplinäre Grenzen hinweg möglich 1 8 ." A u f der Grundlage dieser kurzgefaßten Sachverhalte zur forschungsspezifischen Anwendbarkeit und zu den funktionalen Konditionen systemtheoretischer Analyseansätze gilt für das Untersuchungsproblem von Umweltplanung und Grundgesetz zunächst, daß es i m Kontext des gesamtgesellschaftlichen Systems zu sehen und dort vernetzt ist. Dieses kann i n ein — politisches Teilsystem, — ökonomisches Teilsystem und — soziokulturelles Teilsystem aufgelöst werden 1 9 . Die auch unter dem Begriff „triadisches System" subsumierten Teilsysteme (Subsysteme) stehen, da sie als „offen" auf16 Jensen/Epskamp, Stichwort: „Systemtheorie", i n : Fuchs/Klima et al. (Hg.), L e x i k o n zur Soziologie, S. 677. 17 Rönsch, Stichwort: „Analogieschluß", i n : ebd., S. 31. 18 Jensen/Epskamp, Stichwort „Systemtheorie", i n : ebd. 10 Vgl. hierzu u. a. die modellhafte Darstellung von Offe, K r i s e n des K r i senmanagements: Elemente einer politischen Krisentheorie, i n : M . Jänicke (Hg.), Herrschaft u n d Krise, S. 213.
2. Theoriekonzept
83
zufassen sind, untereinander über ihre Inputs und/oder Outputs i n Interaktion, m i t denen idealiter ein Gleichgewichtszustand des Gesamtsystems erreicht wird. Sie empfangen darüber hinaus Impulse aus der Umwelt, auf die sie gleichermaßen über Input-, Outputbeziehungen funktional und strukturell einwirken. Von den nachfolgenden Untersuchungseinheiten der Forschungsthematik, d. h. Planung (Umweltplanung), Verfassung (Grundsätze, Grundrechte), Umwelt (Wohnumwelt), Daseinsbedingungen (Lebensbereiche, -bedürfnisse) kann aus systemtheoretischer Perspektive angenommen werden, daß diese selbst ein Gesamtsystem bilden und/oder innerhalb eines solchen vernetzt sind, das aus dem triadischen System, seinem Umfeld und den sich darin vollziehenden Interaktionszusammenhängen besteht. A u f die wesentlichen Strukturelemente und Funktionsweisen reduziert, kann somit zum Untersuchungsproblem folgende modelltheoretische Visualisier u n g 2 0 und idealtypische Verbalisierung 2 1 vorgenommen werden: (1) I n der modellhaften Darstellung und aus systemtheoretischer Perspektive w i r d Umweltplanung innerhalb des politischen, soziokulturellen u n d ökonomischen Teilsystems jeweils auf der Steuerungsebene ausgewiesen und lokalisiert. (2) Ihre Impulse erhält Umweltplanung durch die jeweiligen systeminternen Strukturen und Funktionen (d. h. von der Ziel- und Ordnungsebene des entsprechenden Teilsystems) i m Rahmen von Input- und/oder Outputvorgängen. Diese wiederum werden strukturiert und funktional angeleitet durch Anforderungen aus der Umwelt, durch Interaktionen/ Kommunikationsaustausch m i t den übrigen Subsystemen und durch Aufforderungen aus der wertgebundenen Verfassungsordnung des Gemeinwesens. (3) Die Verfassungsgrundsätze (Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats-, Föderalismusprinzip) und das Wertsystem der Grundrechte können in dieser strukturell-funktionalen Betrachtungsweise als Hauptwirkfaktoren angesehen werden. Sie beeinflussen zusammen zunächst die Zielebene jedes einzelnen Teilsystems, indem ihre wertgebundenen Normativgehalte Imperative/Direktiven setzen und Rahmenbedingungen markieren, innerhalb derer sich das jeweilige Subsystem mehr oder weniger selbständig und verfassungskonform i n seiner Ordnung zu konstituieren sowie seine Steuerungsmaßnahmen zu organisieren hat. (4) Diese Ordnung/Struktur verlangt den Teilsystemen i m Rahmen ihrer systeminternen Funktionen Steuerungsvorgänge ab, m i t denen sich das Teilsystem jeweils i n einer für sich selbst optimalen Konstitu20
Vgl. die Skizze 4 auf der folgenden Seite. Die den folgenden textlichen Ausführungen jeweils vorangestellten Z i f fern entsprechen jenen i n der Skizze 4 kreisförmig umrandeten. 21
6*
84
Β . Forschungsziel, Forschungsansatz, Forschungsplan Skizze 4: Systemtheoretisches Modell zur Forschungsthematik - • V E R F A S S U N G
K o n z e n t r a t i o n und Eigendynamik i n d e r H e r r s c h a f t s - und Machtausübung
(D. 2.6.) ( ) D i e i n Klammern g e s e t z t e n A n g a b e n b e z i e h e n s i c h a u f d i e
•4
eweiligen
F r e i e Wahl d e s Berufes, des Arbeitsplatzes, der Berufsstätte Eigentum, Erbrecht, Sozial-
14 p f l i c h t i g k e i t , Enteignung
L e e r l a u f e n d e Grundr e c h t e : A r t . 13 Unverletzlichkeit d e r Wohnung; A r t . 15 Sozialisierung ; A r t . 18 V e r w i r k u n g der Grundrechte durch Mißbrauch; A r t . 19 G e w ä h r leistung der Grundrechte
Problemsynopsen.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
213
den. W i r d der Wertinhalt des Grundrechts, wie i n Teil C angekündigt 2 3 , jeweils als Beurteilungsmaßstab (Bewertungskonzept) für die sozialräumlichen Problemlagen herangezogen, so können zahlreiche Gefährdungen, Bedrohungen, Unvereinbarkeiten, Verstöße etc. kenntlich gemacht werden, die bestenfalls als die Diskrepanz zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit auszuweisen sind, schlimmstenfalls jedoch als Verfassungsverletzungen bzw. konkrete Gefahren für den Fortbestand des Gemeinwesens und seiner Gesellschaft verstanden werden müssen 24 . Da die Grundrechtsordnung als untrennbar verknüpft m i t den Verfassungsgrundsätzen i n Form der Demokratie, des Sozial- und Rechtsstaates sowie des Föderalismus angesehen w i r d 2 5 , kann hier zunächst i n genereller Einschätzung dieser Interdependenzen ebenfalls von einer Bedrohung der Verfassungsgrundsätze durch die i n den Problemsynopsen dargestellten sozialräumlichen Mängel, Defizite, Krisen, etc. ausgegangen werden. Inwieweit diese Grundannahme zutrifft, w i r d unter dem jeweiligen Verfassungsgrundsatz i m Rahmen einer entsprechenden Übersicht (Synopse) geklärt und verdeutlicht. Vorläufig w i r d hier zusammenfassend die sozialräumliche Problemat i k als verfassungswidriger Tatbestand erachtet, auf den das Grundgesetz i m Sinne seiner „Offenheit" und „Lebendigkeit" zu reagieren h a t 2 6 und zwar dadurch, daß diesen Konflikten sowie Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität etc. einerseits das grundrechtliche Wertsystem i n der unter Teil C dargelegten A r t und Weise (Planungsleitbild, Planungsgrundsätzegesetz) problemlösend, innovatorisch und/ oder evolutionär entgegengesetzt w i r d und andererseits die normativen Wirkungsgehalte der Verfassungsgrundsätze i n der i m weiteren vorzunehmenden Differenzierung handlungs- und entscheidungsmotivierend entgegengehalten werden. Das erkenntnisleitende Interesse der weiteren Teilkapitel ist somit darauf gerichtet, die gesamtgesellschaftlichen Bedingungzusammenhän23
Vgl. insbes. C. 5. Z u r Vermeidung von Mißverständnissen sei vermerkt, daß es sich beim skizzierten Vorgehen selbstverständlich nicht u m ein Beurteilungsverfahren handelt, das m i t entsprechenden juristischen bzw. gerichtlichen K o n t r o l l v e r fahren vergleichbar ist. Eine exakte verfassungsrechtliche Einschätzung der sozialräumlichen Problematik wäre von den dafür zuständigen u n d legitimierten A k t e u r e n u n d letztlich v o m B V e r f G zu leisten. 25 Vgl. hierzu die unter dem jeweiligen Verfassungsgrundsatz vorgenommene integrale Problemsicht sowohl i n Anhang D / E als auch i n D. 3.1. ff. 26 Z u r „Lebendigkeit" u n d „Reaktionsweise" der Verfassung i m hier zugrundegelegten Verständnis vgl. paradigmatisch FR-Dokumentation, Den Lehrern des Landes Hessen ins Stammbuch geschrieben; zur „Offenheit" des GG vgl. E. 2.1. 24
214
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze Skizze 10: Sozialräumliche Problemlagen des Gemeinwesens als Herausforderungen an das Grundgesetz
Ο Die in Klammern gesetzten Angaben verweisen auf den jeweiligen Untersuchungsteil.
ge i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt zunächst i m Kontext ihrer „Verfaßtheit" und der dafür maßgeblichen Verfassungsgrundsätze vor dem Hintergrund der i n Skizze 10 dargestellten Grobstruktur und -funktion zu analysieren. Erst i m Anschluß daran kann der Frage nachgegangen werden, inwieweit Chancen bestehen, die Wohnumweltprobleme m i t Hilfe des Handlungsinstrumentes Umweltplanung zu entschärfen oder gar zu lösen, indem Denkanstöße zur Neukonzeptualisierung raumwirksamer Planungen ebenfalls auf der Grundlage der Verfassungsgrundsätze diskutiert und vermittelt werden 2 7 . Entsprechend diesen arbeitsprozessualen und forschungsspezifischen Abgrenzungen liegt den weiteren Teilkapiteln die Annahme zugrunde, daß die Verfassungsgrundsätze eine über das Wertsystem der Grund27
Dieser Problemkomplex ist Untersuchungsgegenstand von T e i l E.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
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rechte hinausreichende und/oder komplementäre normative Wirkung zur Lösung der sozialräumlichen Problemlagen bereithalten und Optionen zur humanwertorientierten Steuerung, Entwicklung und Gestaltung des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Umwelt bieten 2 8 . Ein Anspruch auf erschöpfende Behandlung dieser vielschichtigen Problematik w i r d selbstverständlich nicht erhoben, vielmehr liegt der Schwerpunkt auf der Herausarbeitung jener prinzipiellen Strukturen und Funktionen, die i n der Zusammenschau von Verfassungsgrundsätzen und den auf das Gemeinwesen (einschließlich der darin existenten Gesellschaft) bezogenen Fragen relevant werden. I n dieser skizzierten Problemstellung geht es jedoch zunächst um einige grundlegende begriffliche Klärungen, Eingrenzungen und Zuordnungen: Wenn zuvor und auch weiterhin von Verfassungsgrundsätzen (Verfassungsprinzipien) die Rede ist 2 9 , sind damit primär die Aussagen jener Grundgesetzartikel thematisiert, die über den „Charakter und die Ziele des vom Grundgesetz installierten" Gemeinwesens Auskunft geben 3 0 . Gemeint sind die strukturellen und funktionalen Elemente des A r t . 20 Abs. 1, i n dem die BR-Deutschland als ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ausgewiesen 3 1 , sowie des A r t . 28 Abs. 1 Satz 1, i n
dem der Begriff des sozialen Rechtsstaates eingeführt w i r d 3 2 . Nach herrschender Verfassungsinterpretation bedarf es jedoch nicht erst der Hinzuziehung von A r t . 28, da die struktur- und handlungsbezogenen Elemente bereits i n ihrer Gesamtheit i n dem als „Staatsfundamentalnorm" 3 3 apostrophierten A r t . 20 vermutet werden. So nennen 28
Schwerpunktmäßig w i r d somit die i m 5-Ebenen-Modell der U m w e l t p l a nung ausgewiesene (3) Ebene der Rahmenbedingungen hinsichtlich ihrer sachgerechten u n d verfassungskonformen Weiterentwicklung d i s k u t i e r t ; vgl. A . 2.3. 29 I m GG-Schrifttum sind eine Reihe weiterer Begriffe i n synonymer V e r wendung gebräuchlich: Verfassungsprinzipien, -imperative, -postulate, «geböte, -direktiven, Staatszielbestimmungen, -Strukturbestimmungen etc. Je nachdem, ob der A u t o r mehr die strukturelle oder funktionale Komponente, den Ordnungs- oder Handlungscharakter oder beide Aspekte als gleichrangig anerkennt, w i r d einem der Begriffe bzw. einer der Begriffskombinationen der Vorzug gegeben. 30 Maunz et al., A r t . 20, Rdnr. 8. 31 A r t . 20 Abs. 1 : „ D i e Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer u n d sozialer Bundesstaat." 32 A r t . 28 Abs. 1 Satz 1: „Die verfassungsmäßige Ordnung muß den G r u n d sätzen des republikanischen, demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates i m Sinne dieses GG entsprechen." — Die teilweise adjektivische (demokratisch, sozial) u n d teilweise substantivische F o r m (Bundesstaat, Rechtsstaat) ist nach herrschender Lehre hinsichtlich der m i t diesen A r t i k e l n f ü r das Gemeinwesen begründeten Strukturmerkmale u n d Ordnungsprinzipien unerheblich. Sie r ä u m t v o r allem keinem Element gegenüber einem anderen einen V o r rang ein. 33 Maunz et al., A r t . 20, Rdnr. 7.
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D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Maunz/Dürig/HerzoglScholz insgesamt sieben tragende Prinzipien, die i n Art. 20 begründet sind 3 4 . Es sind dies: — das demokratische Prinzip, — die republikanische Staatsspitze, — der bundesstaatliche Aufbau, — die Gewaltenteilung, — die Verfassungs- sowie Gesetzesbindung, — die Hechtsstaatlichkeit 35 , — die Sozialstaatlichkeit. Da diese Prinzipien i m Kontext der vorliegenden Fragestellungen teils von geringerer Relevanz (so die „republikanische Staatsspitze" 36 ), teils als Elemente aufzufassen sind, die der inhaltlichen Differenzierung anderer Prinzipien dienen (so die „Gewaltenteilung", die sowohl Merkmal des „demokratischen Prinzips" als auch Element der „Rechtsstaatlichkeit" ist; des weiteren die „Verfassungs- sowie Gesetzesbindung", die ebenfalls ein Element der „Rechtsstaatlichkeit" ist), verbleiben insgesamt noch die folgenden vier Verfassungsgrundsätze: — das Demokratieprinzip, — das Sozialstaatsprinzip, — das Rechtsstaatsprinzip, — das Föderalismusprinzip. Werden diese Elemente als Strukturprinzipien verstanden, d. h. als konstitutive, sachliche und politische Bestandsmerkmale der Grundordnung des Gemeinwesens, so sind damit gemeint die Demokratie, der Sozialstaat, der Rechtsstaat und der Bundesstaat. T r i t t ihr normativer Charakter i n den Vordergrund der Betrachtung, so wird, wie dargestellt, den einzelnen Elementen jeweils der Begriff Prinzip 3 7 zugeordnet und unter dem i m weiteren verwendeten Begriff Verfassungsgrundsätze (-prinzipien) subsumiert. I n dieser Bedeutung entfalten die Elemente funktionalen Charakter und markieren den Gestaltungsspielraum und -auftrag politischen Handelns. 34
Ebd., Rdnr. 10. Z w a r umstritten, jedoch als stillschweigendes Bekenntnis i n A r t . 20 v e r m u t e t ; dementsprechend auch das B V e r f G i n seinen Entscheidungen, vgl. i m Überblick B V e r f G (Hg.), A r t . 20 I I I , S. 59 ff. 88 Als Prinzip benannt, durch das sich der Staatsaufbau der BR-Deoitschland von jeniem einer Monarchie abgrenzt. 37 Oder eine ähnliche Bezeichnung, vgl. F N 29. 35
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Nach herrschender Lehre w i r d zur systematischen Behandlung der Verfassungsgrundsätze einschließlich ihrer inhaltlichen Ausfüllung die Berücksichtigung des gesamten Gedankengebäudes des Grundgesetzes erforderlich. I m engeren Sinne müssen vor allem die i n A r t . 20 begründeten Prinzipien bei einer sachgerechten Verfassungsexegese stets i m Zusammenhang m i t A r t . 1 und Art. 79 interpretiert werden 3 8 , durch letzteren sind sie jeder Verfassungsänderung entzogen 39 . Die Konkretisierung und Realisierung der Prinzipien selbst sowie ihre Umsetzung und Anwendung i m Rahmen politischen Handelns ist idealtypisch und verfasungsrechtlich unverzichtbar vor dem Hintergrund ihrer Konkordanz und Gleichrangigkeit untereinander sowie i n Übereinstimmung mit den Fundamentalnormen des Grundrechtsteiles der Verfassung zu vollziehen. I h r Charakter als Prinzipien verweist darauf, daß es sich nicht um verfassungsrechtliche Vollregelungen i m Sinne von „Normen" 4 0 , sondern um „Normativbestimmungen" handelt 4 1 , deren „Detailfragen sich nur i n der Auseinandersetzung m i t dem konkreten Fall klären lassen" 42 . Für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist i m zuvor skizzierten Sinn- und Argumentationszusammenhang deutlich geworden, daß es sich bei den Verfassungsgrundsätzen nicht nur um statisch-beschreibende Maßstäbe, sondern gleichfalls u m dynamisch-entwicklungsbedürftige Instrumente handelt, die es i m Rahmen aktiven politischen Handelns auszufüllen und umzusetzen gilt. Sie dienen somit den verfassungsmäßig legitimierten Akteuren einerseits zur Ordnung und Sicherung eines verfassungskonformen Status-quo und ermöglichen ihnen andererseits, Fragen der Verteilung und Versorgung, der Lenkung und Steuerung zu beantworten sowie Probleme der Entwicklung und zukünftigen Gestaltung des Gemeinwesens zu lösen 43 . Unter der zugrundegelegten Problemsicht geht es i m weiteren und zusammenfassend um die analytische Aufbereitung folgender interdependenter Sachverhalte: 38
Maunz et al., A r t . 20, Rdnrn. 11 ff. Z u r V i e l f a l t u n d Problematik dabei zur Diskussion stehender Interpretations- u n d Theorieansätze vgl. C. 4.3. 89 A r t . 79 Abs. 3 G G : „Eine Änderung dieses GG, durch welche die Gliederung des Bundes i n Länder, die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung oder die i n den A r t i k e l n 1 u n d 20 niedergelegten G r u n d sätze berührt werden, ist unzulässig." 40 Maunz et al., A r t . 28, Rdnrn. 17 u. 20. 41 Z u r Unterscheidung der Begriffe „ N o r m " u n d „ n o r m a t i v " vgl. ebd., Rdnr. 17 : „Während der Begriff „ N o r m " einen bindenden Rechtssatz zum Ausdruck bringt, gibt das W o r t „ n o r m a t i v " n u r einen Rahmen an. N u r die Grenzen sind bindend, nicht der Rahmeninhalt." 42 Ebd., A r t . 20, Rdnr. 106. 43 Diese s t r u k t u r e l l - f u n k t i o n a l e n Bedingungen verweisen i m weitesten Sinne auf das Handlungsinstrument Planung; vgl. dazu die Problema tisierung u n d konzeptionellen Vorschläge i n T e i l E.
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D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
— Herausarbeitung der wichtigsten, interpretatorisch bestimmbaren, normativen Einzelelemente 44 i m Sinne von Imperativen, Direktiven, Geboten und Verboten der jeweiligen Verfassungsgrundsätze (auf der Grundlage der i n Anhang DIE durchgeführten Einzelanalysen), die Umsetzungschancen i n gesellschaftsrelevante Zielvorstellungen und Steuerungsalternativen indizieren. — Überprüfung der sozialräumlichen Situations- und Betroff enenproblematik anhand der normativen Wirkungsgehalte der Verfassungsgrundsätze und Klärung (Bewertung), inwieweit diese Problemlagen eine konkret gewordene Gegenordnung zum Grundgesetz darstellen und/oder als Verfassungsverstöße aufzufassen sind. — Zusammenschau der Normativbestände der Verfassungsgrundsätze, die unter rahmensetzender Priorität als Handlungs- und Entscheidungsinstrumente für den gemeinwesenorientierten Gestaltungsprozeß zu aktivieren sind, u m Lösungen zu den konstatierten sozialräumlichen Krisen- und Mängelsituationen einzuleiten. Ausgegangen w i r d somit von der Grundannahme, daß durch konsequente Umsetzung und Anwendung der strukturell-funktionalen und qualitativen Wirkungsgehalte der Verfassungsgrundsätze Chancen und Alternativen zur humanwertorientierten Steuerung der Gemeinwesenordnung bestehen und damit ebenfalls Möglichkeiten zur grundgesetzkonformen Konkretisierung und Optimierung gesamtgesellschaftlicher Ansprüche i m fundamentalen Bedingungszusammenhang von Mensch und Wohnumwelt gegeben sind. 3.1. Demokratieprinzip und normativer Wirkungsgehalt zur Losung der sozialräumlichen Krisensituation
I m Rahmen der Analyse und Interpretation zum Demokratieprinzip (Anhang DIE), zu seinen grundgesetzimmanenten Struktur- und Funktionselementen und zu den i n diesem Zusammenhang deduzierbaren verfassungsnormativen Wirkungsgehalten, subsumierbar unter der Leitidee „Demokratisierung des Gemeinwesens", ist entsprechend der innerhalb dieses Verfassungsgrundsatzes konstatierbaren engen Vernetzungen und Wechselwirkungen von gesellschaftlicher u n d planerischer Relevanz auf eine exakte Trennung zwischen diesen beiden Bereichen verzichtet worden. Es hat sich gezeigt, daß gerade bei der vorliegenden Untersuchungsproblematik eine integrale Sicht i n der Aufbereitung der demokratischen Normativbestimmungen fruchtbare Ein44 Dieser relativierende Hinweis ist insofern erforderlich, als es keine a l l gemeingültigen Definitionen zu den Verfassungsgrundsätzen gibt. Vgl. entsprechende Anmerkungen zur Demokratie, zum Rechtsstaat etc. von Schnapp, i n : v. Münch (Hg. ), A r t . 20, Rdnrn. 11 ff.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
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sichten vermittelt, die das Erkenntnisinteresse unterstützen: Zum einen sachgerechte Beurteilungsgrundlagen zu den festgestellten sozialräumlichen Problemlagen zu erhalten und zum anderen den verfassungslegitimatorischen, normativ-offenen und wertgebundenen Handlungsrahmen zu markieren, der Optionen — ebenso wie Postulate und Imperative — zur Lösung der i m Mängelkatalog dargestellten Situations- und Betroffenenproblematik vermuten läßt. Wenn i m folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagegehalte zum Demokratieprinzip dennoch unter der weiter oben angekündigten, zweipoligen Schwerpunktsetzung erfolgt 4 5 , dann ist diese Vorgehensweise maßgeblich m i t der gewählten, systematisch-methodischen Behandlung der Themenstellung zu begründen. Die materiell-inhaltliche Ausfüllung des Demokratieprinzips stützt sich auf zwei Säulen: Zunächst ist dies die Wertordnung der Grundrechte i m Sinne teils unverzichtbarer Normen, teils unabänderlicher Vollregelungen, auf deren Grundlage sich das Prinzip erst entfalten kann 4 6 . Des weiteren sind es die politisch ausfüllungs- und entwicklungsbedürftigen Normativbestimmungen i m Sinne von Rahmensetzungen, die durch das Prinzip selbst sowie seine Auslegung und systematische Behandlung i m Rahmen der gesamten Verfassungsordnung entfaltet werden. Entsprechend diesen beiden, idealtypisch unterscheidbaren Bereichen, die realiter jedoch einen Funktionskomplex darstellen, lassen sich i m weiteren verfassungsnormative Allsätze entwickeln, die — wie analytisch und interpretatorisch nachgewiesen — i m Hinblick auf das Leitziel „Demokratisierung des Gemeinwesens" grundgesetzlich nicht zu beanstanden sind und mehr oder minder verbindliche Wirkungen entfalten. Unter der zugrundeliegenden Problemsicht können somit zur Unterstützung, Konkretisierung und Realisierung der Leitidee folgende unverzichtbaren Maßgaben und Forderungen formuliert werden: — Realisierung von Menschenwürde, sozialgebundener Freiheit und prinzipieller Gleichheit; — Verwirklichung von Selbstentfaltungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten i n der sozialen Gemeinschaft; — Optimierung der Voraussetzungen zur Gedanken-, Informationsund Meinungsfreiheit sowie zur Artikulation durch Aufklärung und Bewußtseinsschärf ung ; 45 Die Planungsrelevanz des Demokratieprinzips w i r d insbes. i n E. 3.1. aufgegriffen u n d problematisiert. 48 Die „unlösbaren Wechselwirkungen" zwischen Demokratieprinzip u n d Grundrechten werden u. a. betont i m Zusammenhang m i t der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3) i n BVerfGE 35, 148.
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D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
— Konkretisierung der Teilhabe an der politischen Willens- und Meinungsbildung unter anderem auch i m Rahmen von Wahlen, Plebisziten, sozialräumlichen (insbesondere kommunalen und regionalen) Entscheidungen und Gestaltungsmaßnahmen; — Stärkung der Kooperationsbereitschaft und Solidarität der Bürger untereinander; — Abbau traditioneller Übergewichte etablierter, artikulationsfähiger Interessengruppen ; — Abbau obrigkeitlichen Gebarens der Verwaltung durch Herstellung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bürgern und Administration, Beherrschten und Herrschenden sowie Verhinderung von Entfremdungstendenzen und Ohnmachtserfahrungen durch Beseitigung des vertikalen Kommunikationsgefälles; — Differenzierung des Mehrheitsprinzips bei Willensentscheidungen durch Beachtung des Minoritätenschutzes, insbesondere auch von sog. qualifizierten Minoritäten; — Verbesserung der horizontalen Gewaltenteilung durch Machtstreuung, Machtkontrolle und Willkürverbote; — Gewährleistung der öffentlichen K r i t i k und Stärkung der parlamentarischen Opposition. Bei Transformation des prozessualen Charakters dieser heterogenen Maßgabeforderungen i n ein System statisch-beschreibender Kriterien (bei denen der dynamisch-entwicklungsbedürftige Gehalt unverkennbar erhalten bleibt 4 7 ), ist es i m weiteren möglich, die zahlreichen i n den Problemsynopsen benannten sozialräumlichen Mängel, Defizite, Krisen etc. einer generellen Beurteilung zu unterziehen. Somit kann in methodisch simplifizierter Form der Nachweis dazu erbracht werden, ob und inwieweit die sozialräumlichen Problemlagen der Gesellschaft Widersprüche, Bedrohungen, Verletzungen etc. eben dieser, Wirksamkeit und Beachtung fordernden, Normativbestimmungen des Demokratieprinzips sind. Entsprechend den zur Ermittlung von Grundrechtsgefährdungen durch sozialräumliche Problemlagen entwickelten Grundstrukturen und Analysekategorien (Synopse 5) erfolgt dieser Nachweis anhand der i n der Synopse 6 zur Darstellung gebrachten, stichprobenartig aus dem Problemkatalog ausgewählten Beispiele. Diese exemplarische Problematisierung ermöglicht in genereller Einschätzung (d. h. unter Verzicht auf weiterreichende Interpretationen) der dabei ersichtlichen Sachverhalte, folgenden Befund zu konstatieren: 47 Gemeint ist das Kriterienraster (Normativbestimmungen des Demokratieprinzips) i n der rechten Spalte der nachfolgenden Synopse 6.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
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Synopse 6: Sozialräumliche Krisen und Problemlagen als Verletzungstatbestand des Demokratieprinzips UMWELTKONSTITUIERENOE ALS
FAKTOREN
ANALYSEKATE-
GORIEN
(·)
SOZIALRÄUMLICHE PROBLEMFELDER IN SCHLAGWORTEN ( AUSWAHL )
WIDERSPRÜCHE BEDROHUNGEN GEFAHREN VERSTÖSSE
• Umschlagen d e r W o h n u n z u f r i e d e n h e i t i n r e s i g n a t i v e V e r h a l t e n s w e i s e n i . S . von Ohnmachtserfahrungen gegenüber d e r gegebenen, n i c h t veränderbaren Wohnsituation.
PHYSISCH NATÜRLICH
( D. 2.2. )
KULTURELL ZIVILISATORISCH
( D. 2.3. )
INFRASTRUKTURELLTECHNISCH
( D. 2.4.)
ÖKONOMISCH PRODUKTIONELL
( D. 2.5.)
• Verfall/Zerstörung (planerisch, spekulat i v ) a l t e r S t a d t s t r u k t u r e n und h i s t o r i scher W o h n u m w e l t q u a l i t ä t e n ; F o l g e n : V e r l u s t k u l t u r e l l w e r t v o l l e r , e i n m a l i g e r Baus t r u k t u r e n , m e n s c h l i c h e r Maßstäbe u n d / o d e r G e t t o b i l d u n g , Verslumung; • E i n s e i t i g e Planung, E n t w i c k l u n g , G e s t a l t u n g , Maßstabsetzung z u r Wohnung/Wohnumwelt aufgrund r i g i d e r E f f i z i e n z k r i t e r i e n ; U n t e r s t e l l u n g , d i e s e s e i e n a u f k u l t u r e l l e Bed ü r f n i s s e und z i v i l i s a t o r i s c h e Ansprüche der G e s e l l s c h a f t a u s g e r i c h t e t . • M o n o s t r u k t u r e n und M i ß V e r h ä l t n i s s e i n d e r Raumnutzung, r ä u m l i c h e D i s p a r i t ä t e n z w i schen h o c h s p e z i a l i s i e r t e n / - v e r s o r g t e n I n d u s t r i e b a l l u n g e n und l ä n d l i c h e n Räumen; • R i g i d i t ä t e n der Gestaltungs-/Durchführ u n g s a u f l a g e n h i n s i c h t l i c h Wohnungen/Wohnumwelt; fehlende M i t s p r a c h e / - p l a n u n g / - g e s t a l t u n g d e r Bewohner im P l a n u n g s - / P r o d u k t i o n s p r o z e ß von Wohnung/Wohnumwelt i n z u nehmender b a u l i c h e r V e r d i c h t u n g und u n t e r f o r t s c h r e i t e n d e n ökonomischen, t e c h n i s c h e n und b ü r o k r a t i s c h e n E f f i z i e n z k r i t e r i e n .
3
RECHTLICH -
} •4
ADMINISTRATIV
K o o p e r a t i o n und S o l i d a r i t ä t unter den mündigen Bürgern
Ausgewogenheit i n d e r Einflußnahme der I n t e r e s s e n gruppen
K o o p e r a t i o n und Kommunikation zwischen Bürgern,' I n i t i a t i v und I n t e r e s s e n g r u p p e n und s t a a t l i c h e n G e walten
• E i n s e i t i g k e i t i n d e r O r i e n t i e r u n g ökonom i s c h e r und s i c h im f r e i e n M a r k t o r g a n i s i e r e n d e n K r ä f t e an m a t e r i e l l e n und f o r m a len Kategorien; Folge: V e r s c h ä r f u n g des Spannungsfeldes zwischen m a t e r i e l l e n R e a l i t ä t e n von Wohnung/Wohnumwelt und d e r m i t diesem D a s e i n s b e d ü r f n i s verbundenen i m m a t e r i e l l e n Werte;
Mehrheitsprinzip bei Willensentscheidungen unter g l e i c h z e i t i g e r Beachtung des M i n o ritätenschutzes
• Durchsetzung d e r I n t e r e s s e n d e r ökonomisch s t ä r k s t e n M a r k t t e i l n e h m e r a u f dem Wohnungs- und Bodenmarkt.
• P o l i t i s c h e S t e u e r u n g s v e r l u s t e (Wohnungs-, Wohnumweltpolitik, Werte, Z i e l e , Entscheidungsprozesse, O r g a n i s a t i o n , W i l l e n s - , Meinungsbildung), D e f i z i t e der Rechtsordnung ( G e s e t z e , Programme, F i n a n z i e r u n g ) , Probleme d e r A d m i n i s t r a t i o n .
Meinungs-, I n f o r mationsfreiheit und A r t i k u l a t i o n s chancen
T e i l h a b e an p o l i t i scher W i l l e n s - und Meinungsbildung; P a r t i z i p a t i o n an wohnumweltrelevanter Entscheidung
Gewaltenteilung durch Machtstreuung, Machtkontrolle, W i l l kürverbote
• Politikentfremdung, -Verdrossenheit, Vertrauensverluste i n die Handlungsfähigkeit der gewählten Repräsentanten angesichts zunehmender Wohnumweltverschlechterungen; POLITISCH-
(AUSWAHL)
Selbstentfaltungsund Selbstbestimmungschancen i n d e r s o z i a l e n Gemeinschaft
( D. 2.1. ) • B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r n a t ü r l i c h e n Lebensg r u n d l a g e n , der K r e i s l ä u f e und W i r k f a k t o r e n i m . N a t u r h a u s h a l t , u . a . F o l g e von Wissensdef i z i t e n , f e h l e n d e r U m w e l t e t h i k , mangelnder sachgerechter, e n t i d e o l o g i s i e r t e r Information; • R i s i k o v e r s c h ä r f u n g im B e r e i c h e x i s t e n t i e l l unverzichtbarer Umweltfaktoren f ü r d i e gesamte I n d u s t r i e z i v i l i s a t i o n durch ökonomische P r o d u k t i o n s p r o z e s s e b i s h i n z u r Auslösung von U m w e l t k a t a s t r o p h e n .
NORMATIVBESTAND Menschenwürde, sozialgebundene Freiheit, prinz i p i e l l e Gleichheit
• Anpassungszwänge i n f o l g e mangelnder Wohnund W o h n u m w e l t q u a l i t ä t e n , N i v e l l i e r u n g d e r Wohnerwartungen und Wohnumweltansprüche sowie E n t s t e h u n g m a n i p u l a t i v b e e i n f l u ß t e r Wohnwünsche b e i d e r B e v ö l k e r u n g s m e h r h e i t ; PSYCHO - SOZIAL
DEMOKRATIEPRINZIP
4
öffentliche Kritik durch p a r l a m e n t a rische Opposition
( D. 2.6.) ( · ) D i e i n Klammern g e s e t z t e n Angaben b e z i e h e n s i c h a u f d i e j e w e i l i g e n
Problemsynopsen.
222
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Die sozialräumliche Krisensituation erweist sich unter den zugrundegelegten Prämissen und Argumentationsbasen als Verletzungstatbestand auch des Demokratieprinzips. Der exakte Nachweis hierzu ist jedoch weit schwieriger zu führen, als dies i m Zusammenhang mit den „Grundrechtsverletzungen" möglich ist. Dieses Dilemma resultiert vor allem daraus, daß es sich bei den i m Rahmen dieses Teilkapitels vorgenommenen Bewertungen u m Prüfungen von Sachverhalten an einem normativen Kriterienraster handelt, m i t h i n also eine kaum abschätzbare Vielzahl unterschiedlicher Auslegungsmöglichkeiten besteht; während der Nachweis von Grundrechtsgefährdungen anhand von Normen und Vollregelungen geführt werden kann, deren Interpretationsspielraum vergleichsweise starr und unverrückbar vorgegeben ist 4 8 . Da jedoch entsprechend dem Konkordanzprinzip der Verfassungsgrundsätze untereinander und mit den Grundrechten Verletzungen i n einem Bereich auch stets als Verstöße und Gefährdungen eines anderen Bereiches der Verfassungsordnung anzusehen sind, w i r d die Problematik der Interpretations Vielfalt angesichts der konstatierten „Grundrechtsverletzungen" relativiert. Durch die Ergebnisse der Synopse 6 kann die Auffassung von den Verstößen gegen das Demokratieprinzip durch die sozialräumlichen Problemlagen als bestätigt angesehen werden. Diese Bestätigung hat allerdings den Charakter einer forschungsspezifischen und standortgebundenen Einschätzung; i h r Aussagegehalt erhebt demnach nicht den Anspruch objektiver juristischer respektive richterlicher Urteils- und Kontrollverfahrensqualität. I m Hinblick auf die Leitidee „Demokratisierung des Gemeinwesens" und des daraus deduzierbaren Leitbildes „Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Daseinsbedingungen" kann resümierend folgendes festgehalten werden: (1) Angesichts der Vielzahl sozialräumlicher und damit eben auch verfassungsrechtlicher Probleme w i r d evident, daß es unter der zugrundegelegten Perspektive noch ein weiter Weg bis zur Realisation eines demokratischen Gemeinwesens ist, i n dem insbesondere die Werthaftigkeit, Streitbarkeit und Verteidigungsbereitschaft demokratischer Prinzipien i m Kontext mit der „Mündigkeit des Bürgers" gewährleistet ist. Vielmehr haben sich i m Zusammenhang m i t den sozialräumlichen Krisensituationen i n der Verfassungswirklichkeit Strukturen und Tendenzen herausgebildet und verfestigt, die dem normativen Wirkungsgehalt des Demokratieprinzips zuwiderlaufen und die, w i r d ihnen nicht umfassend entgegengesteuert, sich eigendynamisch entwickelnd und verselbständigend, weitere Probleme i m Gemeinwesen Bundesrepublik 48
Z u m deflatorischen Gehalt der Begriffe „ N o r m " u n d „ n o r m a t i v " vgl. D. 3., F N 41.
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m i t kaum abschätzbaren, also unkalkulierbaren Folgewirkungen verursachen können. (2) Als unverzichtbare Voraussetzung und als ein erster konzeptioneller Schritt zur Lösung der konstatierten Situations- und Betroffenenproblematik i n der Wohnumwelt aus der Perspektive des Demokratieprinzips werden m i t h i n erachtet, die genannten Normativbestimmungen mit dem Ziel einer wirksameren, sozialräumlich-qualitativen Interessenund Bedürfnisbefriedigung i n politisches und damit auch planerisches Handeln umzusetzen und konsequent anzuwenden. U m i n diesem Sinne die Gesamtgesellschaft und ihre sozialräumlichen Daseinsbedingungen an die Inhalte und Forderungen des demokratischen Verfassungsgrundsatzes kontinuierlich anzunähern, besteht von der Verfassung her die unabweisbare Notwendigkeit, ebenfalls die gesamten Normativbestände aller übrigen Verfassungsgrundsätze einschließlich der Wertordnung der Grundrechte gemäß dem grundgesetzimmanenten Konkordanzprinzip (d. h. unter anderem auch Ubereinstimmung i m Sinne von Gleichrangigkeit, Gleichwertigkeit, Gleichzeitigkeit) i n Systematisierung und Harmonisierung nutzbar zu machen. 3.2. Sozialstaatsprinzip und normativer Wirkungsgehalt zur Lösung der sozialräumlichen Krisensituation
Vor dem Hintergrund der i n Anhang D/ E durchgeführten Analyse, Interpretation und Problematisierung zu den verfassungsimmanenten Struktur- und Funktionselementen des Sozialstaatsprinzips verweist der gesellschaftsrelevante Gehalt dieses Verfassungsgrundsatzes auf die Konkretisierung sozialer Gerechtigkeit i m Sinne der Herstellung eines sozialen Ausgleichs i n den sozialen Ungleichheiten der Gesellschaft. Unter der hier zugrundegelegten Problemperspektive w i r d diese vom Grundgesetz gemeinte sozialstaatliche Leitidee i n das Leitziel modifiziert: „Sozialgerechte Daseinsentfaltung i n der Wohnumwelt". Zur Konkretion und Realisation dieses Leitbildes werden seitens der Verfassung, obgleich sich der sozialstaatliche Gedanke i n der Grundgesetzordnung nur sehr unvollkommen niedergeschlagen hat, nach herrschender Verfassungsexegese und nach maßgeblichen Verfassungsgerichtsentscheidungen normative Wirkungsgehalte bereitgestellt, die i n ihren generellen ebenso wie interpretatorisch differenzierbaren Inhalten zur Entwicklung und Steuerung des Gemeinwesens und zur sozialgerechteren Einflußnahme auf die Daseinsbedingungen der umweltbeanspruchenden Bevölkerung einzeln und/oder i n Kombination Beiträge zu leisten vermögen. Zunächst und ganz allgemein gilt entsprechend jener m i t dem Sozialstaatsprinzip überwiegend i n Zusammenhang gebrachten dynamischen
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D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Funktion von der grundsätzlichen Verbesserungsfähigkeit und stetigen Verbesserungsbedürftigkeit gesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse und damit auch sozialräumlicher Bedingungen und Gegebenheiten, daß der normative Wirkungsgehalt dieses Verfassungsgrundsatzes i m Rahmen eines materiellen Ausgestaltungswillens vielfach den Charakter unmittelbar geltenden Rechts annimmt. E i n Sachverhalt, der i n dieser Konsequenz bei den übrigen Verfassungsgrundsätzen nicht so eindeutig ersichtlich ist. Dementsprechend sind die politischen Akteure, d. h. insbesondere der Gesetzgeber i m Kontext seiner legislatorischen Entscheidungskompetenz und Normsetzungsbefugnis sowie ebenfalls Verwaltung und Rechtsprechung i m Rahmen des Entscheidungsvollzugs und der Anwendung gesellschaftsrelevanter Bestimmungen durch rechtsverbindliche Regelungen an die Inhalte dieses Verfassungspostulats rückgekoppelt, mit dem eine permanente und kontinuierliche „soziale, politische, juridische und moralische Entwicklung und Erneuerung der Gesellschaft" 49 ermöglicht werden soll. I m zuvor dargelegten Sinne w i r d m i t dem Sozialstaatsprinzip sowohl eine individuelle als auch kollektive — d. h. unter den Maximen des Grundgesetzes „personale" 6 0 — Zielrichtung angegeben, m i t der aus der Perspektive dieser Arbeit i n den gestaltungsbedürftigen Lebensverhältnissen des Menschen in der Wohnumwelt eine sozialgerechtere Daseinsentfaltung und gleichwertige Existenzsicherung erreicht werden soll. Die Konkretion dieser Zielrichtung stützt sich, w i e dies bei den übrigen Verfassungsgrundsätzen auch der Fall ist, auf die zwei Säulen: Wertordnung der Grundrechte einerseits und Rahmensetzungen innerhalb der übrigen Verfassungsordnung andererseits. M i t h i n kann der unter -diesen Prämissen m i t dem Sozialstaatsprinzip verknüpfbare, verfassungsimmanente Normativbestand wie folgt differenziert werden: — Konkretisierung, Sicherung und Weiterentwicklung der Menschenwürde, der sozialgebundenen Freiheitsrechte, der Chancen zur Garantie der Unversehrtheit des Lebens, der prinzipiellen sozialen Gleichheit; — Abbau, Ausgleich und Angleichung sozialer und räumlicher Ungleichheiten u n d Verhinderung von Nivellierungstrends zur Erreichung dieser Maßgabe; — Schaffung sozialer und materieller Gerechtigkeit und Ausgewogenheit i n den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen; — Schutz sozial und wirtschaftlich Schwacher durch Garantie eines Leben ermöglichenden Existenzminimums sowie Optimierung von 49 50
Maihof er, S. 37. Z u r Entscheidung des GG f ü r den „Personalismus" vgl. C. 4.1.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
225
Selbstentfaltungs- und Selbstbestimmungschancen unter anderem auch zur sozialen Reintegration sog. Problemgruppen; — Herstellung und Sicherung von Chancen zum sozialen Aufstieg und zur sozialen Partnerschaft unter humanwertorientierten Rahmensetzungen; — Schaffung von Voraussetzungen zur Deckung des Daseinsbedarfs, der Daseinsbedürfnisse i m Rahmen der umweltbeanspruchenden Daseinsgrundfunktionen; — Konkretisierung der Sozialpflichtigkeiten i n den Mensch-'Wohnumwelt-Bedingungen und Ermöglichung von sozialem Fortschritt; — Aufbruch verfestigter, sozial ungerechter, gesamtgesellschaftlicher Strukturen, Privilegien, materieller und immaterieller Besitzstände; — Ausfüllung und Wahrnehmung der Legitimation und Verpflichtungen zur Daseinsfür- und Daseinsvorsorge sowie zu gesamtgesellschaftlich unverzichtbaren Gestaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch die jeweiligen Akteure; — Verpflichtung aller wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktionsträger auf sozialstaatliche Gebote und Verbote; — Verfeinerung und Weiterentwicklung (d. h. auch Überprüfung und Durchforstung) des Gesetzesinstrumentariums zur Bewältigung sozialräumlicher K o n f l i k t - und Krisensituationen. M i t dieser (möglichen) Differenzierung des Normativbestandes ist zunächst jener verfassungslegitimatorische und qualitative sozialstaatliche Handlungsrahmen i m Sinne von Optionen, Postulaten, Imperativen und Verboten markiert, gemäß dem das Bezugssystem MenschWohnumwelt zu gestalten und zu entwickeln ist. Da es hier und i m weiteren aber auch u m eine Bewertung der sozialräumlichen Krisensituationen und Problemlagen geht, wie sie i n den Problemsynopsen dargestellt sind, w i r d analog zu den Ausführungen zum Demokratieprinzip eine Transformation des Maßnahmeforderungscharakters dieser Normativbestimmungen i n statisch-beschreibende Aussagen vorgenommen® 1. Damit w i r d ein methodisch vereinfachtes Prüfbzw. Kriterienraster zur Einschätzung der sozialräumlichen Krisensituation und Betroffenenproblematik geschaffen. I n der Gegenüberstellung einzelner und stichprobenartig aus dem Problemkatalog ausgewählter, sozialräumlicher Befunde m i t diesem Prüfraster kann, wie dies i n der nachfolgenden Synopse 7 erfolgt ist, der generelle Nachweis erbracht werden, daß sich die sozialräumlichen Mängel, Defizite, Ge51
Vgl. Synopse 7, rechte Spalte.
15 Malz
226
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze Synopse 7: Sozialräumliche Krisen und Problemlagen als Verletzungstatbestand des Sozialstaatsprinzips
UMWELTKONSTITUIERENDE ALS
WIDERSPRÜCHE
FAKTOREN
ANALYSEKATE-
GORIEN
(·)
SOZIALRÄUMLICHE PROBLEMFELDER IN SCHLAGWORTEN (AUSWAHL)
BEDROHUNGEN
• Einschränkung und V e r h i n d e r u n g der Bef r i e d i g u n g e x i s t e n t i e l l e r und g e n u i n e r Das e i n s - und G r u n d b e d ü r f n i s s e , z.B. der Persönlichkeitsentfaltung, der Sicherheit und G e b o r g e n h e i t , d e r G e s t a l t u n g s - und Unabhängigkeitsbedürfnisse infolge mangelnder Wohnungs- und W o h n u m w e l t q u a l i t ä t e n .
( D. 2.1. ) • B e e i n t r ä c h t i g u n g , Ausbeutung und V e r n i c h t u n g d e r n a t ü r l i c h e n und existentiell u n v e r z i c h t b a r e n Umweltfaktoren des Menschen, u . a . durch n i c h t beherrschbare T e c h n o l o g i e n und P r o d u k t i o n s p r o z e s s e , in deren G e f o l g e u n k o n t r o l l i e r t e und unkont r o l l i e r b a r e Emissionen a n f a l l e n mit erheblichen, gesundheitsschädigenden und umweltzerstörenden Auswirkungen, d i e als Allgemeinlastkosten aufgefangen werden
PHYSISCH NATURLICH
( D. 2.2.
ZIVILISATORISCH
(AUSWAHL) Menschenwürde, sozialgebundene Freiheitsrechte, Unversehrtheit des Lebens, prinzipielle soziale Gleichheit
i
m
Ausgewogenheit i n den s o z i a l e n und r ä u m l i chen S t r u k t u r e n und Funktionen
Gleichwertigkeit, materielle Gerechtigkeit, Einheitlichkeit der Mensch-WohnumweltBedingungen (sozialräumlichen Lebensverhältnisse)
9
Garantie eines Leben ermöglichenden Existenzminimums, Gewährleistung von Selbstentfaltung und Selbstbestimmung
)
KULTURELL -
NORMATIVBESTAND
VERSTÖSSE
• S e g r e g a t i o n und R e s e r v a t e b i l d u n g der Bevölkerung j e nach S o z i a l s t r u k t u r , z.B. in überalterten Wohnquartieren, Beamten- und Arbeitersiedlungen, Villenvororten, Slums;
PSYCHO - SOZIAL
SOZIALSTAATSPRINZIP
GEFAHREN
>
• Vernichtung historischer Bausubstanz, k u l t u r e l l e r W e r t e l e m e n t e i n Form ü b e r lieferter Stadt-, S i e d l u n g s - und Lands c h a f t s q u a l i t ä t e n durch Nutzung, Verfügung und P l a n u n g v o n Wohnungen und Wohnumwelt nach a d m i n i s t r a t i v e n und t e c h n i schen R a t i o n a l i ä t s a n f o r d e r u n g e n , ökonomischen E f f i z i e n z k r i t e r i e n und individuellem Gewinnstreben.
1
Sozialer Aufstieg, soziale Partnerschaft, sozialer Fortschritt
( D. 2.3. )
INFRASTRUKTURELLTECHNISCH
( D. 2.4. )
ÖKONOMISCH PRODUKTIONELL
( D. 2.5.)
POLITISCH RECHTLICH ADMINISTRATIV
• D i s p a r i t ä t e n in der Wirtschafts-/Infrastruktur, der Bevölkerungs-/Erwerbsstruktur, der Bevölkerungsdichte/-verteilung mit z.T. gravierenden infrastrukturellen Mangelsituationen i n den l ä n d l i c h e n , strukt u r s c h w a c h e n Räumen und m i t z . T . überversorgten, hochspezialisierten Industrieballungen; Folgen: Verhinderung der Schaffung gleichwertiger sozialräumlicher Lebensverh ä l t n i s s e , d e r E r f ü l l u n g des P r i n z i p s der Chancengleichheit mit entsprechenden Entf a l t u n g s m ö g l i c h k e i t e n i n der Wohnumwelt.
• U n z u l ä n g l i c h k e i t e n des s i c h s e l b s t organisierenden Marktsystems (Wohnungsmarkt, Bodenmarkt), z.T. Verhinderung/Versagen p o l i t i s c h legitimer Versorgungs-, Sicher u n g s - u n d O r d n u n g s z i e l e , um d a s L e b e n s g u t Wohnung und d a s e x i s t e n t i e l l e Bedürfnis Wohnen n i c h t a u s s c h l i e ß l i c h materiellen Bedingungen zu u n t e r w e r f e n ; • N i c h t e i n l ö s u n g von Maßgaben, wonach Grund u n d Boden (Wohnung und Wohnumwelt) nicht den Marktmechanismen " m o b i l e r Waren" unterliegen kann.
) 9
Daseinsbedarfsund Daseinsbedürfnisd e c k u n g i m Rahmen d e r umweltbeanspruchenden Daseinsgrundfunktionen
f
D a s e i n s f ü r - und Daseinsvorsorge als gesellschaftspolitische Legitimation und V e r p f l i c h t u n g
Sozialgerechte Gebote und V e r b o t e f ü r die i n i t i a t i v werdenden, umweltrelevanten R o l l e n - und F u n k t i o n s träger
• Verhinderung der sozialräumlichen Realis a t i o n des grundgesetzlichen Postulats: Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse i n a l l e n Teilräumen des Bundesgeb i e t s a l s P r i n z i p d e r Raumordnung, der Landesentwicklungspolitik etc.; • politische Steuerungsverluste, Defizite der Rechtsordnung, Ubersteuerungen und - S t a b i l i s i e r u n g e n i n O r g a n i s a t i o n und Vollzug der Administration.
( D. 2.6. ) ( · ) D i e i n Klammern g e s e t z t e n Angaben b e z i e h e n s i c h a u f d i e
eweiligen
Sozialpflichtigkeiten i n den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen
m
Sozialgerechtes Gesetzesinstrumentarium zur Steuerung und Entwicklung der sozialräumlichen Gegeb e n h e i t e n und E r f o r dernisse
Problemsynopsen.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
227
fahren, Funktionsverluste etc. als Verletzungstatbestand auch des Sozialstaatsprinzips erweisen. I m Hinblick auf die grundgesetzimmanente Leitidee der V e r w i r k lichung sozialer Gerechtigkeit und des forschungsspezifischen Leitzieles „Sozialgerechte Daseinsentfaltung i n der Wohnumwelt" kann aufgrund der vorgenommenen Problematisierung folgendes festgehalten werden: (1) Durch die sozialräumlichen Problemlagen und damit eng verknüpften gesellschaftlichen Krisensituationen, wie sie sich i n konkret benennbaren raumstrukturellen u n d funktionalräumlichen Gegebenheiten und Bedingungen manifestieren, haben sich i m Bezugssystem von Gesellschaft und Wohnumwelt Strukturen i n z.T. eigendynamischer Entwicklung und Verselbständigung herausgebildet und verfestigt, die in mehr oder minder krassem Widerspruch, i n Bedrohung und Gefährdung zu den von der Verfassung gesetzten Qualitäten des Sozialstaatsprinzips stehen, respektive m i t dem Verfassungsanspruch dieser Staatszielbestimmung unvereinbar sind. (2) Auch für diesen Verfassungsgrundsatz gilt, daß er Chancen eröffnet und Optionen bereithält, die sozialräumlichen Problemlagen zu lösen und zu bereinigen, indem seine normativen Wirkungsgehalte unter Berücksichtigung der entsprechenden von der Verfassung her gebotenen Regelungs- und Wechselwirkungszusammenhänge zu einer sozialräumlich-qualitativen Interessen- und Bedürfnisbefriedigung und unter der Maxime des Abbaus, des Ausgleichs und der Angleichung gesellschaftlich ungleicher Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse i n der Wohnumwelt genutzt werden. Das bedeutet, daß die Normativbestimmungen des Sozialstaatsprinzips zur Initiation politischen Handelns und Entscheidens i n ihrer Gesamtheit konsequenter umzusetzen sowie i n ihrem Zielcharakter und Forderungsgehalt i m Rahmen planerischer und umweltbedeutsamer Gestaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen i n Anwendung zu bringen sind. 3.3. Rechtsstaatsprinzip und normativer Wirkungsgehalt zur Lösung der sozialräumlichen Krisensituation
Die Direktiven, Gebote und Verbote, Postulate und Imperative, die i m Kontext der i m Anhang DIE erfolgten Analyse und Interpretation zum Rechtsstaatsprinzip kenntlich gemacht werden konnten, verweisen i n ihrem strukturbezogenen Charakter und als funktionale Elemente auf die Konstituierung öffentlichen Lebens und hoheitlichen Handelns. Die vom Grundgesetz diesem Verfassungsgrundsatz zugeordnete Leitidee läßt sich dahingehend umreißen, daß m i t ihr ein Gemeinwesen verfaßt und in Form gebracht w i r d sowie maßgebliche Daseinsbereiche 1 *
228
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
geordnet werden. Dabei sollen die von der Vernunft her erfaßbaren legislatorischen Regelungen einerseits der Konkretisierung von Gleichheits- und Freiheitsrechten innerhalb der Gesellschaft dienen und andererseits grundsätzliche Beiträge leisten zur rechtsverbindlichen Absicherung demokratischer, sozialstaatlicher und föderativer Normativbestände. I m Rahmen der Konkretion dieser Leitidee sind unter der zugrundegelegten Problemsicht sowohl mittelbare als auch unmittelbare Auswirkungen auf die wertorientierte Einflußnahme und qualitative Gestaltung des dialektischen Verhältnisses und fundamentalen Bedingungszusammenhangs von Mensch und Umwelt zu erwarten, ζ . B. i m Hinblick auf die Optimierung der grundrechtlichen Garantien auf Leben und körperliche Unversehrtheit i n der Wohnumwelt; des Anspruchs auf Realisation der Sozialpflichtigkeit des Eigentums an Grund und Boden. Demzufolge erscheint es berechtigt, aus dieser vom Grundgesetz gemeinten Leitidee das für diese Arbeit relevante Leitziel zu deduzieren: „Schaffung einer rechtlich-qualitativen Ordnung zu den sozialräumlichen Daseinsbedingungen". Analog zu den übrigen Verfassungsprinzipien gilt ebenfalls für das Rechtsstaatsprinzip, daß sich der normative Wirkungsgehalt zur Konkretion dieses Leitgedankens erst i n seiner vollen Funktion dadurch entfaltet, daß interpretatorische Leistungen, verfassungsrechtliche Entscheidungen und verfassungspolitische Einflußnahmen i m Rahmen aktiven politischen Handelns erfolgen. U m die grundgesetzlich gemeinte Leitidee zum Rechtsstaatsprinzip i n ihrem verfassungsrechtlichen sowie materiell-rechtlichen Inhalt besser verstehen zu können, ist zunächst dazu überzugehen, daß weitere verfassungsimmanente Normen und Grundsätze m i t allerdings weitgehendem Prinzipiencharakter 5 2 i n die Betrachtung einbezogen werden. Stichwortartig zusammengefaßt geht es dabei u m folgende Maßgaben und Forderungen, die insgesamt audi als primär konstituierende Grundelemente des Rechtsstaates zu verstehen sind: — Positivierung konkreter, sachlicher Grundprinzipien, die Grundlagen und Aufgaben der materiell rechtsstaatlichen Ordnung bestimmen; d. h. Ausgestaltung der Menschenwürde, der Freiheit und Gleichh e i t 5 3 sowie aller übrigen darauf bezogenen Grundrechte; — Aufgliederung und Begrenzung der Bereiche staatlicher Wirksamkeit auf der Grundlage des Gewaltenteilungsprinzips, d. h.: Schaf52 Es handelt sich also keineswegs — w i e häufig angenommen — u m sog. „verfassoingsrechtliche Vollregelungen", d. h. Normen, die einen totalen, ohne jede Möglichkeit der Ausnahme gedachten Geltungsanspruch erheben. Vgl. Maunz et al., A r t . 20, Kap. I, Rdnr. 24. 63 Vgl. sinngemäß: Hesse, Rechtsstaat, S. 565.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
229
fung entsprechender Organe und Organisationsbereiche m i t jeweils spezifizierten Aufgaben und Verantwortungen sowie getrennten Funktionen, von denen aus sich „die Ordnung der Zuständigkeiten und Verfahren (...) i n alle Bereiche staatlicher Wirksamkeit (fortsetzt) bis h i n zu den untersten Organen der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt" 5 4 . — Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, d.h.: „Die Gesetze sind durch ihre allgemeinverpflichtende Kraft auch für die Verwaltung verbindlich; die Gesetzgebung ist daher der Verwaltung funktionell überlegen. Sie vermag deren Wirkbereich näher zu bestimmen und zu begrenzen 55 ." So sind z.B. Eingriffe i n Freiheit und Eigentum nur aufgrund eines formellen Gesetzes oder mindestens gleichrangigen Rechtssatzes zulässig. „Rechtswidrige Maßnahmen der Verwaltungsbehörden können gerichtlich aufgehoben werden 5 6 ." — Meßbarkeit und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns, das sich i n bestimmten, rechtsnormativ geregelten Organisations- und Verfahrensformen so zu vollziehen hat, daß einem Mißbrauch vorgebeugt w i r d : „ Z u diesen rechtstechnischen Formen gehören Verteilungsschemata, nach denen die staatlichen Regelungsfunktionen aufgegliedert und koordiniert werden (...). Belastende Hoheitsakte dürfen nur ergehen, wenn eine ordnungsgemäß zustandegekommene allgemeine Rechtsnorm hierzu die Ermächtigung gibt (»Vorbehalt des Gesetzes 4 ) 57 ." — Prinzip des Vorrangs der Verfassung, zu dem sich kein staatlicher A k t in Widerspruch setzen darf. A n diese uneingeschränkt bindende K r a f t der Verfassung ist selbstverständlich auch die Gesetzgebung gekoppelt (Art. 20 Abs. 3), indem Verfassungsdurchbrechungen (Art. 79 Abs. 1) und die Aushöhlung von Grundrechten (Art. 19 Abs. 2) verboten sind. M i t dieser bewirkten Bindung politischer Gewalten untrennbar verknüpft ist die Gewährleistung des „ u m fassenden gerichtlichen Rechtsschutzes gegen alle Akte der öffentlichen G e w a l t " 5 8 (Art. 19 Abs. 4), der den Schutz des einzelnen in seinen subjektiven Rechten mitbeinhaltet. 54
Ebd., S. 561. Wolff /Bachof, S. 75. 58 Ebd., S. 53. 57 Zippelius, S. 170 f. Dazu u. a. auch die Ausführungen von Hesse, G r u n d züge, S.80 f., der sich bei dieser Problematik sinngemäß w i e folgt äußert: Die m i t diesem Primat des Rechts b e w i r k t e feste Rechtsbindung auch der Regierenden i n i h r e r Eigenschaft als Träger politischer Gewalten „bedeutet nicht totale rechtliche Durchnormierung" der Lebensbereiche, sondern soll die „unparteiische Ausübung staatlicher Gewalt", die „Unparteilichkeit des Rechts" bewirken u n d i m Gemeinwesen jene Schranken aufrichten, die es davor bewahren, daß das Recht zu einem bloßen Instrument partikularer Interessen u n d politischer Machthaber u m f u n k t i o n i e r t w i r d . 55
230
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Dieses Resümee zum strukturellen und funktionalen Gehalt des Rechtsstaatsprinzips zeigt, daß dieses eben mehr ist als ein bloßes „System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit" 5 9 , sich auf die zwei Säulen Wertsystem der Grundrechte einerseits und Rahmensetzungen der übrigen Verfassungsordnung andererseits stützt und die Eigenart und Bedeutung dieses Verfassungsgrundsatzes i m Gesamtgefüge des Grundgesetzes markiert: Als „Grundentscheidung" oder „leitendes Prinzip", das „der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten" bedarf 6 0 , w i r d es erst dann i m vollen Sinn zum materiellen Rechtsstaat, wenn „der Primat des Rechts (...) nicht nur i m Sinne der Bindung an bestimmte Inhalte des Rechts" g i l t 6 1 . Vielmehr erfordert das, wie bereits betont, eine für alle staatliche Gewalten verbindliche Positivierung solcher Inhalte, „wie sie sich namentlich i n den Grundrechten (vgl. A r t . 1 Abs. 3) und i n der Formel vom ,sozialen Rechtsstaat4 finden" 6 2 . M i t diesen Prämissen, Maximen und Argumentationsbasen w i r d zunächst die generelle rechtsstaatliche Zielrichtung zur Konstituierung des Gemeinwesens angegeben. I m Hinblick auf die der Arbeit zugrundegelegte Problemstellung und hinsichtlich der Diskussion von Chancen zur Behebung der i n die Krise geratenen Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse der Gesellschaft i n der Wohnumwelt, entfaltet das Rechtsstaatsprinzip ein heterogenes System normativer Wirkungen, deren dynamisch-entwicklungsbedürftiger Maßgabencharakter i n folgende Aussagen differenziert werden kann: — Positivierung von konkreten, sachlichen Prinzipien, insbesondere m i t personalem Substrat i n der Gesamtheit der umweltwirksamen Gesetzgebung 63 , die der Effektivierung des Wertsystems der Grundrechte und damit der sozialräumlichen Optimierung von Menschenwürde, sozialgebundener Freiheit und prinzipieller Gleichheit dienen; — Schaffung von Rechtsqualität durch Rechtssicherheit, -frieden und -beständigkeit, durch Klarheit und Verständlichkeit der Gesetze, durch Vermeidung von Unbestimmtheiten bei der Festlegung von Tatbeständen, durch Entwicklung allgemeingültiger Richtlinien, Nor58
Hesse, Grundzüge, S. 82. Forsthoff, zit. n.: Hesse, Grundzüge, S. 79. 60 BVerfGE 2, 380 (403); 6, 32 (41); 6, 55 (72); 20, 323 (331); zit. n.: Hesse, Grundzüge, S. 76. 61 Ebd. 62 Ebd., S. 82. 63 Vgl. i m Uberblick u n d systematisiert nach dem Konzept der Daseinsgrundfunktionen die dabei aus verfassungsrechtlicher Sicht i n Frage k o m menden Gesetzgebungsbereiche i n D. 3.4., Synopse 10. 59
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
231
men, Verfahrensregelungen etc. für die Rechtsprechung und damit Verhinderung von willkürlicher, sozialisationsbedingter und parteiischer Auslegung; — Reduzierung sogenannter General- und Ermächtigungsklauseln, unbestimmter Rechtsbegriffe, Normverweisungen und Beschneidung von Ermessensspielräumen der Verwaltung durch exakte gesetzliche Grenzziehungen (Kenntlichmachung des Inhalts, Zweckes und Ausmaßes der Gesetze und der hoheitlichen Tätigkeit); — Schaffung von Rechtsnormen und -inhalten, die es dem Betroffenen ermöglichen, seine Rechtslage zu erkennen, sein Verhalten darauf auszurichten und seine Rechte wahrzunehmen; — Aufbruch von Rechtsstrukturen und -Positionen, die dem Gerechtigkeits- und Gleichheitsgrundsatz sowie gewandelten sozialräumlichen Erfordernissen und Entwicklungsvorstellungen entgegenstehen (Aufhebung veralteter Normen, Korrektur von Gesetzesregelungen, Beseitigung von Gesetzeslücken); — Gewährleistung und Optimierung von Chancen zur Wahrnehmung des grundgesetzlich garantierten, gerichtlichen Individualschutzes, insbesondere angesichts von Verletzungsvorgängen der Rechtssphäre durch administrative Akte (d. h. auch Verstärkung des Begründungszwanges und der frühzeitigen Information für das Vorgehen der Exekutive); — rechtsförmige Konkretisierung und Absicherung der Normativbestände des Demokratie-, Sozialstaats- und Föderalismusprinzips; — Wahrnehmung und Ausfüllung der Legitimation zur Rechtsetzung durch die entsprechenden Akteure i m Rahmen der hierfür geltenden verfassungsmäßigen Ordnungs- und Organisationsstrukturen (Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz); — Durchforstung des gesetzlichen „Wildwuchses" u n d Schaffung von überschaubaren Rechtsbereichen, die nach bestimmten, allgemeinverbindlichen Systematisierungskategorien thematisiert sind. I m Kontext dieser möglichen Differenzierung zu einer forschungsspezifisch begrenzten Auswahl maßgeblicher, rechtsstaatlicher Normativbestimmungen erhält der m i t diesem Verfassungsgrundsatz begründete, qualitative politische Handlungsspielraum jenen Markierungsrahmen, i n dem eine rechtliche Ausgestaltung des Bezugssystems Mensch und Wohnumwelt nach wertorientierten Maßstäben erfolgen kann und von dem eine Bereinigung der konstatierten sozialräumlichen Situations- und Betroffenenproblematik erwartet wird.
232
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze Synopse 8: Sozialräumliche Krisen und Problemlagen als Verletzungstatbestand des Rechtsstaatsprinzips
UMWELTKONSTITUIERENDE ALS
FAKTOREN
ANALYSEKATE-
GORIEN
(·)
PSYCHO-SOZIAL
( D. 2.1. )
PHYSISCH NATÜRLICH
WIDERSPRÜCHE SOZIALRÄUMLICHE PROBLEMFELDER IN SCHLAGWORTEN (AUSWAHL)
BEDROHUNGEN GEFAHREN
RECHTSSTAATSPRINZIP NORMATIVBESTANO (AUSWAHL)
VERSTÖSSE
• Anpassungs-, V e r h a l t e n s - und E i n s t e l lungsprobleme p s y c h o - s o z i a l e r A r t b i s h i n zu p h y s i s c h e n und psychischen K r a n k h e i t s f o r men b e i einem z u m e i s t s o z i a l und ökonomisch u n t e r p r i v i l e g i e r t e n G r o ß t e i l der Bevölkerung i n f o l g e s o z i a l r ä u m l i c h e r S t r u k t u r e n und f u n k t i o n e l l e r Bedingungen, d i e u . a . a l s E r g e b n i s e i n e r Gesetzgebung v e r m u t e t werden können, i n der k e i n e umweltwirksame E f f e k t i v i e r u n g und O p t i m i e r u n g g r u n d r e c h t l i c h e r Werte und Normen s t a t t g e f u n d e n h a t .
Umweltwirksame G e s e t z gebung m i t personalem S u b s t r a t z u r Menschenwürde, s o z i a l g e b u n denen F r e i h e i t und p r i n z i p i e l l e n Gleichheit
f
• Unzulängliche Rechtsinstrumente zur S i cherung der n a t ü r l i c h e n Lebensgrundlagen, z u r Durchsetzung des V e r u r s a c h e r - / V o r s o r g e p r i n z i p s b e i Lärmbekämpfung, L u f t r e i n h a l t u n g , Gewässerschutz, A b f a l l w i r t s c h a f t , Naturschutz e t c . ; • K o o r d i n a t i o n s - und Abstimmungsmängel i n d e r L a n d s c h a f t s - und B a u l e i t p l a n u n g , i n s b e sondere a n g e s i c h t s R e s s o r t s t r e i t i g k e i t e n und K o o p e r a t i o n s d e f i z i t e n ; F o l g e n : V e r n i c h t u n g und Z e r s t ö r u n g von U m w e l t f a k t o r e n .
R e c h t s q u a l i t ä t (Rechtssicherheit/-f rieden/ - b e s t ä n d i g k e i t ) durch K l a r h e i t / V e r s t a n d i i'chk e i t d e r G e s e t z e und d a r i n begründeten Richtlinien/Normen/ Verfahrensregelungen
"Ι
E x a k t h e i t der G e s e t z e und R e d u k t i o n von Genera 1-/Ermächt igungsk l a u s e l n , Normverweisungen, Ermessensspielräumen
( D. 2.2.)
KULTURELLZIVILISATORISCH
• K o n f l i k t e i n den s t ä d t e b a u l i c h e n Z i e l s e t z u n g e n ; Unvermögen, I n t e r e s s e n g e g e n s ä t z e einem r e c h t s k r ä f t i g e n Konsens z u z u f ü h r e n ; z . B . : Belange d e r Gemeinschaft v e r s u s Bauf r e i h e i t des e i n z e l n e n ? H e r s t e l l u n g von S o z i a l p f l i c h t i g k e i t des Eigentums v e r s u s f r e i e r V e r f ü g b a r k e i t an Grund und Boden; Stadtumbau v e r s u s S t a d t e r w e i t e r u n g ; V e r kehrsplanung versus S t a d t e r h a l t u n g (damit verbunden: V e r l u s t / V e r n i c h t u n g k u l t u r e l l * w e r t v o l l e r S t a d t - und L a n d s c h a f t s e l e m e n t e ) .
3 ι ρ
( D. 2.3.)
INFRASTRUKTURELLTECHNISCH
• Wohnungsfehlbestand, U n t e r v e r s o r g u n g b e s t i m m t e r Bevölkerungsgruppen ( k i n d e r r e i c h e F a m i l i e n , G r o ß f a m i l i e n , Wohngemeinschaften, s o z i a l und ökonomisch Schwache, a l t e Menschen) m i t ausreichendem Wohnraum; • Mängel i n d e r Bausubstanz der Wohnungen · ( c a . 4 Mio m i t d e f i z i t ä r e r A u s s t a t t u n g ) , verbunden m i t e x t r e m s c h l e c h t e r Wohnumwelta u s s t a t t u n g , s t ä n d i g s t e i g e n d e n M i e t e n und w e i t e r e r V e r s c h l e c h t e r u n g der Wohnungsversorgung sog. Problemgruppen.
( D. 2.4. )
ÖKONOMISCH - · PRODUKTIONELL
POLITISCH RECHTLICH ADMINISTRATIV
( D. 2.6. )
m
• F e h l e n d e r E i n s a t z marktkonformer H i l f s m i t t e l und g e s e t z l i c h e r O r d n u n g s v o r s t e l l u n g e n a n g e s i c h t s i h r e r I d e o l o g i s i e r u n g und a u f g r u n d l o b b y i s t i s c h e r E i n f l ü s s e , d i e auch d i e Normsetzungen im B e r e i c h des Wohnungsund Bodenmarkts b e h e r r s c h e n ; Konsequenzenι mangelnde P r e i s - und Kostendämpfungen a u f dem Wohnungsmarkt, f e h l e n d e M a r k t t r a n s p a r e n z , u n z u l ä n g l i c h e Baukostensenkung, f e h l e n de Förderung und Umsetzung d i f f e r e n z i e r t e r Wohnrechts- und Eigentumsformen b e i Wohnung und Boden e t c . • L e g i t i m a t i o n s k r i s e des p o l i t i s c h e n S y stems ( E x e k u t i v e , L e g i s l a t i v e , J u d i k a t i v e ) i n s b e s o n d e r e a l s F o l g e von Bevormundungstendenzen durch t e c h n i s c h - b ü r o k r a t i s c h e n Perfektionismus, Verkomplizierung der A l l t a g s w e l t , Ü b e r s t e u e r u n g der D a s e i n s b e dingungen, Ü b e r s t a b i l i s i e r u n g b e i der Herrschafts-/Machtausübung durch Gesetze, Verordnungen, E r l a s s e ; • D e f i z i t e d e r Nutzung k o n s e n s f ä h i g e r V e r f a s s u n g s p r i n z i p i e n , Werte e t c . z u r Ausges t a l t u n g e i n e r z e i t - und problemadäquaten Recht sordnung.
( · ) D i e i n Klammern g e s e t z t e n Angaben b e z i e h e n s i c h au
die
m
eweiligen
G e s e t z e , nach denen die Betroffenen i h r Verhalten ausrichten können
Gesetzesnormen m i t echten Gerechtigk e i t s - und G l e i c h heitsgrundsätzen
Individualschutz bei Verletzungsvorgängen d e r Rechtssphäre durch a d m i n i s t r a t i v e Akteure
Rechtssicherung demokratischer, sozialstaatlicher und f ö d e r a t i v e r Normativbestände
R e c h t s s e t z u n g im Rahmen g e l t e n d e r verfassungsmäßiger Ordnungs- und Organisationsstrukturen
überschaubärkeit und S y s t e m a t i s i e r u n g der Rechtsbereiche u n t e r der Maxime Eindämmung d e r Gesetzesflut
Problemsynopsen.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
233
Entsprechend den Ausführungen zu den übrigen Verfassungsgrundsätzen geht es ebenfalls i m Zusammenhang m i t den dargestellten M a x i men zum Rechtsstaatsprinzip u m eine Bewertung der sozialräumlichen Krisensituation und Problemlagen. Somit gilt es i m weiteren, den Maßgabeforderungscharakter der oben genannten, normativen Wirkungsgehalte i n ein System statisch-beschreibender Kriterien zu transformieren 6 4 und diese i n Gegenüberstellung m i t stichprobenartig aus dem Problemkatalog ausgewählten, sozialräumlichen Befunden einer methodisch-vereinfachten Einschätzung hinsichtlich ihrer Widersprüche zur rechtsstaatlichen Staatszielbestimmung zu unterziehen. Dabei konnte i n Synopse 8 unter den zugrundegelegten, forschungsthematischen und standortgebundenen Positionen der generelle Nachweis erbracht werden, daß sich zahlreiche der konstatierten sozialräumlichen Negativbefunde auch als Verletzungstatbestand des Rechtsstaatsprinzips erweisen. I m Hinblick auf die m i t dem Rechtsstaatsprinzip begründete Leitidee zur Konstituierung hoheitlichen Handelns in einem durch rechtliche und der Vernunft einsichtigen Regelungen verfaßten und i n Form gebrachten Gemeinwesens sowie i m Hinblick auf das forschungsspezifische Leitbild der Herstellung einer rechtlich-qualitativen Ordnung i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen können resümierend folgende Sachverhalte festgehalten werden: (1) Die Entstehung und das Vorhandensein der sozialräumlichen K r i sensituationen und Problemlagen, die sich gemäß dem vereinfachten Prüfverfahren als rechtsstaatliche Verstöße darstellen, indem sie den Verfassungsanspruch dieser Staatszielbestimmung i n der sozialen und räumlichen Wirklichkeit nicht erfüllen, können i m Kontext m i t einer nur mangelhaften Umsetzung sowie einer unzureichenden Systematisierung und Harmonisierung der rechtsnormativen Wirkungsgehalte i m Rahmen hoheitlichen Handelns (oder Unterlassens) und i n der Ausgestaltung eines entsprechend sozialräumlich wirksam werdenden Gesetzesinstrumentariums vermutet werden. So haben sich Strukturen und Funktionen i m Gemeinwesen herausgebildet, entwickelt und ζ . T. verselbständigt, deren Beseitigung insofern besondere Probleme aufwerfen, w e i l damit Privilegien und Besitzstände sowohl materieller als auch immaterieller A r t quasi rechtlich institutionalisiert worden sind. Die jeweiligen Nutznießer dieser Entwicklungen und die Inhaber dieser Rechtspositionen setzen sich beim Versuch legislatorischer Neuregelungen zumeist unter Hinweis auf den Vertrauensschutz i n die Rechtsbeständigkeit, Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden sowie unter Berufung auf die weitgehende Schonung einmal erworbener Besitzstände um so erfolgreicher zur Wehr, je einflußreicher ihre jeweiligen Interessenorganisationen sind. Offenkundigstes Beispiel hierfür ist das 64
Vgl. Synopse 8, rechte Spalte.
234
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
insgesamt als sozial ungerecht zu bezeichnende Bodenrecht, bei dem bisher jeglicher umfassender Reformversuch am Widerstand jener politisch, sozial und ökonomisch gleichermaßen einflußrelevanten Gruppierungen gescheitert ist, die durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen privilegiert sind. (2) I n der Differenzierung der normativen Wirkungsgehalte zum Rechtsstaatsprinzip hat sich gezeigt, daß auch diese Staatszielbestimmung konkrete sachliche Chancen eröffnet und Optionen bereithält, die sozialräumliche Situations- und Betroffenenproblematik zu bereinigen und zu lösen. Bezugnehmend auf das Beispiel zum Bodenrecht und zu Reformversuchen dieses umweltbedeutsamen und städtebaulich so wichtigen Gesetzgebungsbereichs wäre es bei einem entsprechend vorhandenen legislatorischen Ausgestaltungswillens unverzichtbar, jene rechtsstaatliche Maxime handlungs- und entscheidungsmotivierend zu nutzen, die besagt, daß einmal gesetzes Recht nicht schon dadurch Recht ist, indem es angewendet und befolgt wird, respektive rechtliche Positionen institutionalisiert, die sich nachträglich als offensichtliches Unrecht erweisen 65 . I m Kontext der m i t dem Bodenrecht anskizzierten Problematik hinsichtlich verfestigter Besitzstände und Privilegien an Grund und Boden innerhalb eines Teils der Gesellschaft bedeutet das (soweit sich diese als sozial ungerecht erweisen), daß der Rechtsschutz nicht soweit gehen kann, den bisher privilegierten Betroffenen i m Rahmen reformerischer Maßnahmen und sozialgerechterer Normsetzungen jegliche Enttäuschungen zu ersparen. Vielmehr sind hier die verfassungsimmanenten rechtsstaatlichen Zielbestimmungen dazu zu nutzen, die als ungerecht erkannten Normen aufzuheben und durch Gesetzesregelungen zu ersetzen bzw. zu korrigieren, die den temporär gewandelten Interessen und Erfordernissen des Gemeinwesens adäquater sind und m i t denen echten Gleichheits- und Gerechtigkeitspostulaten zum Durchbruch verholfen werden kann. Analog zu den Ausführungen unter den übrigen Verfassungsgrundsätzen ist es auch für die zielgerichtete Implementation rechtsstaatlicher Prinzipien i m Gemeinwesen unabweisbar, daß dabei die Wechselwirkungen, Vernetzungen, Gegenläufigkeiten etc. m i t der gesamten Verfassungsordnung zu beachten sind. I n diesem Sinne gilt, daß der wertgebundene Gehalt des Rechtsstaatsprinzips nur dann qualitative Problemlösungen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt gewährleisten wird, wenn die normativen Wirkungsgehalte eben konsequenter als bisher zur Initiation politischen Handelns und Entscheidens, zur Konkretisierung sozial gerechter Regelungen und Gesetze umgesetzt und i m Rahmen umweltbedeutsamer Maßnahmen sowie gesellschaftsrele65
Vgl. i. d. S. BVerfGE 23, 98 (106 f.).
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
235
vanter und humanwertorientierter Entwicklungsvorstellungen i n A n wendung gebracht werden. 3.4. Föderalismusprinzip und normativer Wirkungsgehalt zur Lösung der sozialräumlichen Krisensituation
Unter den Voraussetzungen der analytisch und interpretatorisch ermittelten, strukturbezogenen und funktionalen Elemente zum Föderalismusprinzip i n Anhang DIE verweist der normative Bedeutungsgehalt dieser Staatszielbestimmung auf die dezentralisierte Organisation öffentlichen Lebens und hoheitlichen Handelns in einem zweistufig verfaßten Gemeinwesen. Die grundgesetzimmanente Leitidee zum Föderalismusprinzip kann dabei unter folgende Schlagworte subsumiert werden: „Schaffung und Sicherung förderativer Organisationsstrukturen i m Gemeinwesen zur Herstellung bundes- und länderstaatlicher Freiheiten durch Machtverteilung, Machtausbalancierung und durch Verhinderung von zentralistischer Staatsomnipotenz". Auch wenn i n diesem generell-abstrakten Leitgedanken zunächst nur mittelbare Querverbindungen zur Forschungsthematik erkennbar sind, so kann durch eine deduktive Auflösung dieser Leitidee unter den zugrundegelegten Prämissen u n d der Problemperspektive das forschungsspezifische Leitziel i n folgender Formel zusammengefaßt werden: „Schaffung föderativ-qualitativer Organisations- und Ordnungsstrukturen i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen". Analog zu den Konditionen der übrigen Verfassungsgrundsätze werden die Elemente des Föderalismusprinzips erst durch Hinzuziehung weiterer verfassungsimmanenter Normen und Grundsätze, durch die Verfassungsexegese, durch aktives politisches Handeln etc. materiellinhaltlich konkretisiert. Erkennbar w i r d dabei, daß das Föderalismusprinzip auch aus der Perspektive des Grundgesetzes eben mehr ist als ein bloßes Prinzip zur Organisation komplizierter, umweltabhängiger, moderner Gesellschafts- und Regierungssysteme, und zwar insofern, als es i m Gefüge der gesamten Verfassungsordnung als verbindende Grundentscheidung und Leitidee zur Verwirklichung des Demokratie-, Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzips entscheidende Beiträge leisten soll. Das bedeutet i m Kontext der vorliegenden Themenstellung und entsprechend der Problematisierung zu den übrigen Verfassungsgrundsätzen, daß auf den normativen Wirkungsgehalt dieser Staatszielbestimmung bei der Suche nach Verbesserungschancen der sozialräumlichen Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse nicht verzichtet werden kann. Verfassungsnormativ abgesicherte Impulse erhält das Föderalismusprinzip einerseits aus seiner Rückkopplung i m Wertsystem der Grund-
236
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
rechtsordnung und andererseits i n den prinzipiellen Markierungen bzw. wertgebundenen Rahmensetzungen der übrigen Verfassungsordnung. Stichwortartig zusammengefaßt geht es m i t h i n u m folgende primärkonstitutiven Normativelemente: — Begründung einer vertikalen Gewaltenteilung (in Ergänzung zur horizontalen Gewaltentrennung und -verschränkung des Demokratieprinzips), die als Ordnungsprinzip staatliche Herrschaft und gemeinwesenrelevantes Handeln dezentralisiert, ausbalanciert, beschränkt und die Gefahr der Machtzusammenballung und des Machtmißbrauchs omnipotenter, politischer Systeme zentralistischen Charakters prinzipiell reduziert. — Errichtung eines zweistufigen Staatsaufbaus, i n dem neben dem Bund als Gesamtsystem die Länder als grundsätzlich gleichberechtigte Teilsysteme m i t eigenen Ordnungs- und Organisationsstrukturen (Verfassung, Parlamente, Regierungen; demokratische, sozialund rechtsstaatliche Prinzipien) handeln. — Sicherung der bundesstaatlichen Homogenität durch die unmittelbare Geltung auch des Grundgesetzes für die Länder und den ungeschriebenen Grundsatz der Bundestreue, durch den Bund und Länder zur gegenseitigen Information, Rücksichtnahme und gesamtgesellschaftlicher M i t w i r k u n g verpflichtet werden sowie die grundgesetzimmanent aufgerichtete Kollisionsregel, die besagt: „Bundesrecht bricht Landesrecht." — Begründung einer sachgerechten und problemadäquaten Kompetenzverteilung und -verschränkung zwischen Bund und Ländern bei der Aufgabenbewältigung, die u. a. durch organisatorische Festlegungen i m Gesetzgebungsbereich — vgl. Synopse 10 — und zwar i n Form der ausschließlichen, der konkurrierenden, der Rahmen- und Grundsatzgesetzgebung hergestellt w i r d u n d weitere Absicherungen i n jenen Regelungen zur 'Gesetzesausführung und Rechtsprechung erhält, die den Ländern unter Vorbehalt der Kontrolle durch den Bund zugewiesen sind. Soweit einige der m i t dem Grundgesetz ursprünglich und primär begründeten föderativen Elemente, die jedoch i m historischen Prozeß und entsprechend der Offenheit der Verfassung 66 wesentliche Ergänzungen erfahren haben. Diese sind zu sehen i m Kontext m i t einer wissenschaftlich-technologischen, sozioökonomischen und sozialräumlichen Entwicklungsdynamik, wie sie für moderne und hochindustrialisierte Gesellschaften typisch ist. So hat vor allem der fortschreitende A u f gabenzuwachs i m Sinne von länderübergreifenden Verflechtungen i m 66
Dazu ausführlich insbes. E. 2.1.
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
237
politischen, ökonomischen, sozialen und räumlichen Bereich (Umweltschutz, Landesentwicklung, Industrieansiedlung etc.) m i t entsprechend zahlreichen kompetenzüberschreitenden Querschnittsaufgaben ζ( . B. Raumordnungs-, Städtebau-, regionale Strukturpolitik) zum modernen Daseinsfür- und Daseinsvorsorgestaat geführt. Verfassungsrechtlich wurde damit die Anerkennung und Institutionalisierung neuer Zusammenwirkungsformen zwischen Bund und Ländern unumgänglich, die i n der politischen Wirklichkeit als „kooperativer Föderalismus" praktiziert werden: Dabei stehen Bund und Länder bei der Erfüllung unterschiedlicher Aufgabenbereiche nun nicht mehr gleichrangig nebeneinander, sondern kooperieren i m Rahmen einer Vielzahl von Planungen, Programmen, Gemeinschaftsaufgaben sowie i n zahlreichen Gremien, Ausschüssen und Fachministerkonferenzen „unbeschadet der jeweiligen Zuständigkeiten" und „ i n gemeinschaftlicher Verantwortung für eine aufeinander abgestimmte Gesamtpolitik" 6 7 . Angesichts dieser „unitarisierenden Tendenzen" werden unter anderem aber auch Probleme geschaffen, die gemeinhin als „Substanzverluste des Bundestaates" und als eine „Entmachtung der Landtage" charakterisiert werden. Neben den genannten, auf gegenseitige Ergänzung, Kooperation und Koordination von Bund und Ländern angelegten, föderativen Normativbestimmungen fließen insbesondere aus den politischen, juristischen und organisatorischen Föderalismustheorien normative Elemente i n die verfassungsrechtliche Diskussion ein, die i n Modifizierung zu den verfassungsimmanenten Prinzipien i m komplizierten Lebensprozeß des Gemeinwesens Gestalt annehmen und damit ebenfalls i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen und umweltbezogenen Organisationsweisen der Gesellschaft Relevanz entfalten. Diese Grundsätze und die vom Grundgesetz explizit festgelegten, föderativen Rahmensetzungen können unter der forschungsspezifischen Prämissen und Argumentationsbasen i n ein System heterogener Maßgaben und Forderungen aufgelöst werden, m i t dem die Aufzeigung von Optionen und Alternativen zur Verbesserung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen ermöglicht w i r d sowie die Konkretisierung des Leitziels der Herstellung föderativ-qualitativer Organisations- und Ordnungsstrukturen i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen realisierbar erscheint. I n diesem Sinne kann folgende begrenzte Auswahl von Einzelbestimmungen aus dem föderativen Gesamtbestand deduziert werden: — Konkretisierung und Ausgestaltung raumbezogener Selbstbestimmung u n d Selbstverwaltung durch die Schaffung (Beibehaltung) 67
Z u m Z i t a t vgl. A n h a n g D / E , Kap. I V .
238
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
kleinräumiger, problemnaher, überschaubarer Kaumeinheiten, die für die Betroffenen i n der Wohnumwelt Chancen einer Optimierung und Effektivierung in der Ausübung grundrechtlicher Verbürgungen ermöglichen; — Bildung eines Systems pluraler Entscheidungszentren, die — unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Besonderheiten — das unvermittelte (nicht nur repräsentativ vertretene) Interesse der Betroffenen durch Informations-, Partizipations- und Artikulationsmöglichkeiten konkurrierender Willensbildungs- und Lösungschancen i m Sinne demokratischer Selbstverwirklichung sicherstellen (Realisierung von Vielfalt i n Einheit); — Sicherung und Verbesserung der Kooperation respektive anderer Formen problembezogener und föderativer Zusammenarbeit, insbesondere auch bei der Lückenanalyse und Prioritätensetzung politischer, sozialer und ökonomischer Aufgabenschwerpunkte und ihrer Realisierung i m System der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen zur Wahrung und Herstellung qualitativ gleichwertiger Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse; — Konkretisierung geteilter staatlicher Machtausübung auf territorial und kompetenzmäßig voneinander getrennte politische Akteure (Zuständigkeitseffektivierung i m Bereich der Legislative, Exekutive und Judikative) sowie deren Kontrolle durch ein System wechselseitiger Beschränkungen m i t dem Ziel der Herstellung und Sicherung von Freiheit; — Stärkung der vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern durch ein institutionalisiertes System von Gegengewichten, Machtkontrollen, Schranken gegen Machtzusammenballung und Machtmißbrauch; — Konkretisierung bundesfreundlichen Verhaltens i m Rahmen von Zielsetzungen zu und Maßnahmeverwirklichungen i n der Gestaltung des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Wohnumwelt durch gegenseitige Information, Rücksichtnahme und gesamtstaatliche M i t verantwortungen ; — Leistung wichtiger Beiträge zur Konkretisierung sozial- und rechtsstaatlicher Belange.
demokratischer,
I n dieser Aufzählung maßgeblicher, m i t dem Föderalismusprinzip begründeter, gesellschaftsrelevanter Wirkungsgehalte ist zunächst der qualitative politische Handlungs- und Gestaltungsspielraum markiert. Werden die Normativbestimmungen i n konkretes Handeln umgesetzt und i n problemadäquatem Entscheiden angewendet, so kann entsprechend den Ausführungen unter den übrigen Verfassungsgrundsätzen
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
239
auch m i t ihrem Normativgehalt eine Bereinigung der Negativbefunde i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt vermutet werden. Analog zu den Ausführungen zum Demokratie-, Sozialstaats- und Hechtsstaatsprinzip geht es i m weiteren u m 'den Versuch einer Bewertung der sozialräumlichen Krisensituationen und Problemlagen auf der Grundlage der benannten Maximen und Theoreme des Föderalismusprinzips. Da m i t diesen normativen Wirkungsgehalten die Zielrichtung zur Entwicklung und Gestaltung des Gemeinwesens angegeben wird, ist es zunächst erforderlich, den prozessualen Aufforderungscharakter der föderativen Bestimmungen i n ein System statisch-beschreibender Aussagen zu transformieren. Dieses Kriterienraster — wie es i n der rechten Spalte der nachfolgenden Synopse 9 wiedergegeben ist — bietet nun die Möglichkeit einer generellen Einschätzung der sozialräumlichen Sachverhalte. Eine stichprobenartig aus dem Problemkatalog zusammengestellte Auswahl sozialräumlicher Negativbefunde dem Bewertungsraster gegenübergestellt, indiziert i n diesem methodisch-vereinfachten Verfahren die Widersprüche hinsichtlich der vom Grundgesetz m i t der föderativen Staatszielbestimmung gesetzten, normativen Entwicklungsmaßstäbe zum Gemeinwesen. Somit w i r d i n Synopse 9 unter den zugrundegelegten forschungsspezifischen Argumentationsbasen und standortgebundenen Positionen ebenfalls der generelle Nachweis erbracht, daß die sozialräumlichen Problemlagen und die i n ihrem Kontext stehenden gesellschaftlichen Krisensituationen als Verletzungstatbestand auch des Föderalismusprinzips einschätzbar sind. Resümierend können i m Hinblick auf die m i t dem Föderalismusprinzip verfassungsimmanent begründete Leitidee und des daraus für die Forschungsthematik gewonnenen Leitziels — der Schaffung und Herstellung föderativ-qualitativer Organisations- und Ordnungsstrukturen i n den Daseinsbedingungen und Lebensverhältnissen der raumgebundenen Gesellschaft — folgende Sachverhalte festgestellt werden: (1) I n der Verfassungswirklichkeit, den Realitäten des Gemeinwesens und i n den sozialräumlichen Organisationsweisen der Gesellschaft haben sich strukturelle und funktionale Bedingungen herausgebildet, entwickelt, verselbständigt und verfestigt, die m i t dem ursächlich vom Grundgesetz gemeinten, föderativen Gedankengut und entsprechenden wertgebundenen Rahmensetzungen nicht oder doch nur noch bedingt i n Einklang stehen. Auch die Versuche durch entsprechende Verfassungsänderungen i m Sinne der Anpassung des Grundgesetzes an die politischen, ökonomischen, sozialen und räumlichen Gegebenheiten und temporär gewandelten Erfordernisse (ζ . B. Finanzreform, Gebietsreform, kooperative Zusammenwirkungsformen, geänderte Zuständigkeiten und Aufgabenverteilungen bei der Planung) können, gemessen
240
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze Synopse 9: Sozialräumliche Krisen und Problemlagen als Verletzungstatbestand des Föderalismusprinzips
UMWELTKONSTITUIERENDE ALS
FAKTOREN
ANALYSEKATE-
GORIEN
(·)
PSYCHO-SOZIAL
WIDERSPRÜCHE SOZIALRÄUMLICHE PROBLEMFELDER IN SCHLAGWORTEN (AUSWAHL)
BEDROHUNGEN
NATURLICH
( D. 2.2. )
KULTURELLZIVILISATORISCH
• Verstädterungsprozesse (Verdichtung, Konzentration, Zentralisation versus Verdiinnung, Z e r s i e d l u n g ) und d a m i t Maßstabsvergrößerungen, d i e d i e S t ä d t e zu unüberschaub a r e n , a d m i n i s t r a t i v und p o l i t i s c h unreg i e r b a r e n Agglomerationen werden lassen; Konsequenzen: Anonymität, Orientierungslosigkeit, Änderung t r a d i e r t e r Lebensformen, Anpassungszwänge m i t krankheitsfördernden, s o z i a l schädigenden Auswirkungen auf Physis und Psyche.
• Konflikte: umweltgerechte Maßstäbe/Lebensformen v e r s u s Bau, E r w e i t e r u n g , Ansiedlung gigantisch dimensionierter Industrie-/Gewerbebetriebe, Infrastrukturanlagen, Wohnsiedlungen, einhergehend mit R e s t r i k t i o n e n und z . T . i r r e p a r a b l e n Schäden i n der sowohl großräumigen, regional/lokal notwendigen Umwelterhaltung/-pflege i.S. der Beachtung komplexer ökologischer Zusammenhänge i n den e x i s t e n t i e l l unverzichtbarÖkosystemen, bereits ren Umweltfaktoren, zusammengeschrumpft a u f sog. ökologische Ausgleichsräume. • Qualitätsverluste der Städte, Landschaft e n , Regionen im Zuge d e r V e r n i c h t u n g spez i f i s c h k u l t u r e l l e r und h i s t o r i s c h e r , lokaler Eigenarten (z.B. Ablesbarkeit von Ausgewogenheit zwischen S t a d t und L a n d schaft, stadtwirksame strukturelle/funkt i o n e i l e Besonderheiten, atmosphärische Wertelemente) einhergehend mit einem V e r l u s t an Identifikations-/Orientierungsmöglichkeiten, Verantwortungsgefühl für und I n t e r e s s e der Betroffenen an ihrem Wohnort.
m M -ì
TECHNISCH
( D. 2.4. )
ÖKONOMISCH PRODUKTIONELL
• Agglomerationen und B a l l u n g e n durch räumliche Konzentration von A r b e i t s s t ä t t e n der I n d u s t r i e , des Gewerbes, der Dienstleistungseinrichtungen, der Wohnstätten, u . a . a l s Folge von Standortgunst, Bodenp r e i s e n , Führungs- und Rechtsvorteilen, verbunden mit einer Verschärfung räumlicher D i s p a r i t ä t e n und M o n o s t r u k t u r e n , die r e g i o n a l und l o k a l zur Vergrößerung grauer, monotoner, m o n o f u n k t i o n a l g e n u t z t e r Raumzonen beitragen.
• R e g i o n a l e und l o k a l e Wohnungsversorgungsmängel sowie Wohnungsüberangebote, einhergehend m i t U n z u l ä n g l i c h k e i t e n der räumlich ausgewogenen Wohnungsbedarfs-/Wohnungsmarktprognosen, d i e u . a . in Abhängigkeit stehen zu demografischen Entwicklungen, zur Wohnungsnachfrage, zum U m z u g s v e r h a l t e n , zu k u r z - und l a n g f r i s t i g e n T r e n d s a u f dem Wohnungsmarkt, zu Wohnungsbeständen, -modernisierungen.
( D. 2 . 5 . )
POLITISCH RECHTLICH ADMINISTRATIV
( D. 2 . 6 . )
• Mängel der E f f i z i e n z des Verwaltungsappar a t e s ; der r ä u m l i c h ausgewogenen Lokalisat i o n der Verwaltungsstellen; der hinreichenden Auslastung des Verwaltungsperson a l s ; der Sachnähe, Objektnähe, Bürgernähe; der Vereinfachung'der Verwaltungsverfahren; des Abbaus von D o p p e l z u s t ä n d i g k e i t e n und des Ressortegoismus; der sachgerechten Aufgabenbündelung und - V e r k n ü p f u n g ; des Abbaus d e r A t o m i s i e r u n g von Zuständigkeitsregulierungen, P r i v i l e g i e n und B e s i t z s t ä n den bestimmter Verwaltungsbehörden.
( · ) D i e i n Klammern g e s e t z t e n Angaben b e z i e h e n s i c h a u f d i e J e w e i l i g e n
(AUSWAHL) Selbstbestimmung und -Verwaltung in kleinräumigen, problemnahen, ü b e r s c h a u b a r e n Raume i n h e i t e n m i t d e r Mögl i c h k e i t d e r Ausübung grundrechtlicher Verbürgungen
System p l u r a l e r Entscheidungszentren mit regionalen/lokalen Bes o n d e r h e i t e n und m i t Möglichkeiten der Bet r o f f eneninformat ion, -artikulation, -partizipation i.S. vielfält i g e r Lösungen in Einheit Politische, soziale, ökonomische Aufgabenschwerpunkte i n der föderativen Zusammenarbeit zur Herstellung qualitativ gleichwertiger Daseinsbedingungen und L e b e n s v e r h ä l t nisse
Geteilte staatliche Machtausübung bei t e r r i t o r i a l und kompetenzmäßig getrennten, umweltrelevanten Roll e n - und F u n k t i o n s trägern zur Zuständigk e i t s - und Freiheitsoptimierung
( D. 2.3. )
INFRASTRUKTURELL-
NORMATIVBESTAND
VERSTÖSSE
( D. 2.1. )
PHYSISCH-
FÖDERALISMUS PRINZIP
GEFAHREN
Vertikale Gewaltent e i l u n g z w i s c h e n Bund und L ä n d e r n (Ermöglichung von Machtkontrolle bei gleichzeitigen Kooperationsformen)
Bundesfreundliches Verhalten i n der Gestaltung, Nutzung und Verfügung des Bezugssystems Mensch-Wohnumwelt (Informationen, Rücksichtnahme, gesamtstaatliche Mitverantwortungen)
11
m
Wahrung vierung sozialstaatlic
Problemsynopsen.
und Effektidemokratischer und r e c h t s her Belange
3. Mensch-Wohnumwelt-Problematik als Herausforderung an das GG
241
an den politischen Realitäten, allenfalls als Abwehrsiege für jene vom Grundgesetz vorgegebenen, föderativ-normativen Rahmensetzungen erachtet werden. Der Trend zur Zentralisation und Konzentration, zur Maßstabvergrößerung, zur Besitzstands- und Privilegienerweiterung, zur Bewältigung ständig wachsender Aufgaben, verbunden m i t sich insgesamt i n der Anonymität und personalen Losgelöstheit stabilisierenden Tendenzen, seien sie nun politischer, organisatorischer, bürokratisch-technischer, ökonomischer oder räumlicher Art, ist — wie das i n Synopse 9 anhand einiger Beispiele belegt werden konnte — unverkennbar. Diese Sachverhalte lassen insgesamt den Schluß zu, daß m i t dem ursprünglich i m Föderalismusprinzip begründeten, normativen Wirkungsgehalten einschließlich m i t den i n späteren Ergänzungen hinzugetretenen grundgesetzlichen Rahmensetzungen die Probleme des Gemeinwesens nicht bewältigt worden sind, sich lediglich verlagert haben und die föderativ-qualitativen Organisations- u n d Ordnungsstrukturen durch hoheitliches Handeln und gesellschaftsbezogene Gemeinwesenarbeit nicht, respektive nur bedingt realisiert werden konnten. (2) I n der Differenzierung des föderativen Normativbestandes und seiner forschungsspezifischen Auflösung i n gesellschaftsrelevante Maßgaben und Forderungen konnten jedoch auch Optionen und Alternativen einzuschlagender Richtungen aufgezeigt und damit ebenfalls Chancen zur Lösung der konkreten sozialräumlichen Fehlentwicklungen markiert werden. Denn vermutet w i r d analog zur Problematisierung unter den übrigen Verfassungsgrundsätzen und gemäß den Bewertungen i n Synopse 9, daß es m i t den vom Föderalismusprinzip gemeinten Ideen und funktionalen Bedeutungsgehalten bislang ungenutzte Handlungsund Gestaltungsspielräume gibt, die dann, wenn sie konsequent genutzt werden, einen Beitrag zur Bereinigung der sozialräumlichen Problemlagen leisten können. Somit kann entsprechend den Ausführungen unter den übrigen Verfassungsgrundsätzen auch für die Realisation und Konkretisierung des föderativen Gedankengutes i m Gemeinwesen und der Herstellung qualitativer gesellschaftlicher Bedingungen zunächst folgende unabweisbare verfassungsrechtliche Forderung gestellt werden. Die Normativbestände des Föderalismusprinzips sind unter Berücksichtigung der Vernetzungen, Wechselwirkungen, Gegenläufigkeiten etc. sowie der unverzichtbaren Konkordanz m i t der gesamten Verfassungsordnung i n dem Maße zu systematisieren und zu harmonisieren, daß damit die Grundvoraussetzungen ihrer Umsetzung und konsequenten Anwendung zur Gestaltung des Bezugssystems Mensch-Wohnumwelt geschaffen werden. Wenn auch nicht erwartet werden kann, daß gemäß der legislatorischen Kompetenzverteilung zwischen B u n d und Ländern und ihrer 16 Malz
Synopse 10: Maßgebliche Gesetzgebungsbereiche zur Regelung des Verhältnisses Mensch—Umwelt und mit unmittelbarem Bezug zur Umweltplanung — systematisiert nach dem Konzept der Daseinsgrundfunktionen
4. Zweiter Konzeptualisierungsschritt
243
Handlungszuständigkeiten i m Kähmen allseitiger Verbindlichkeit (d. h. vor allem auch i m Hinblick auf die konkurrierende Rahmen- und Grundsatzgesetzgebung) eine noch so umfassende, ausgewogene und differenzierte Rechtssetzung zur Schaffung und Sicherung qualitativföderativer Organisations- und Ordnungsstrukturen beitragen wird, so weisen doch die i n der nebenstehenden Synopse 10 benannten Gesetzgebungsbereiche — wie sie enumerativ i n der Verfassung niedergelegt sind — darauf hin, daß m i t ihnen die vielfältigsten umweltbedeutsamen und sozialräumlich relevanten Probleme i n Angriff genommen werden können. Somit w i r d nicht nur das föderative Gedankengut des Grundgesetzes verwirklichbar, sondern es werden damit ebenfalls Erfolge i n der Bewältigung sozialräumlicher Problemlagen erzielbar sein. Zwar sind, wie das die Auflistung der Gesetzgebungsbereiche verdeutlicht, nicht alle Lebensbereiche rechtlich geordnet; sie sollen es vom Grundgedanken der Verfassung her auch nicht sein. Doch mangelt es — so kann vermutet werden — bei den zuständigen umweltrelevanten Rollen- und Funktionsträgern an Initiative, auch die punktuell, legislatorisch fixierten Rechtsbereiche i m Kontext eines ausgeprägten politisch-rechtlichen u n d politisch-administrativen Umsetzungs- und A n wendungswillens konsequent einzusetzen. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzungen w i r d folglich auch nicht die Auffassung vertreten, es bedürfe neuer und weiterer Gesetze, w i r d einmal abgesehen von bestimmten, völlig unzureichend fixierten Grundlagenbereichen (ζ . B. Bodenrecht) und der hier vertretenen Auffassung der Einführung eines „Planungsgrundsätzegesetzes" zur Kodifikation des gesamten umweltwirksamen Planungsrechts sowie der rahmensetzenden Initiation und Organisation von Umweltplanungen. Vielmehr muß sich der politische und handlungsorientierte Entscheidungswillen durchsetzen, die wertgebundenen, i n den Grundrechten und Verfassungsgrundsätzen rückgekoppelten Gesetzesinhalte sach- und problemadäquat auszuschöpfen und zur Bereinigung und Lösung entsprechender situativ bedingter, sozialräumlicher Krisensituationen und Problemlagen zu nutzen.
4. Das Konzept der Verfassungsgrundsätze als Option und Chance zur Lösung der sozialräumlichen Problemlagen sowie zur Effektivierung der Anspruchsebene der Betroffenen in der Wohnumwelt — Zweiter Konzeptualisierungsschritt Die Analyse der Verfassungsgrundsätze und Interpretationsmöglichkeiten der Normativbestände i m Sinne ihrer gesellschaftsrelevanten Nutzungs-, Umsetzungs- und Anwendungschancen haben deutlich gemacht, daß die durch das Grundgesetz i n der Ordnung ihrer Lebenspro16*
244
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
zesse konstituierte Gesellschaft respektive das i n seiner Staatlichkeit verfaßte Gemeinwesen maßgeblich akzentuiert werden durch die Polarität und Interdependenzen des Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaatsund Föderalismusprinzips mit der Grundrechtsordnung. Des weiteren konnte kenntlich gemacht werden, daß sich das Gemeinwesen eben nicht i n einem statischen und verfassungsrechtlich festgeschriebenen Ordnungszustand befindet (befinden soll) und auch nicht allein als das jeweilige Resultat „permanenter Auseinandersetzungen der politischen K r ä f t e " 6 8 ausweisbar ist. Vielmehr gewinnen Wirklichkeit und Leben des Gemeinwesens erst konkretere Gestalt „ i n dem bedingenden Nebeneinander von Bewegendem und Erhaltendem, Formendem und Geformtem, der Offenheit für das Fließende und Werdende des geschichtlichen Lebens und seiner institutionellen Bewältigung" 6 9 . Für diese Wirklichkeit und dieses Leben sind jedoch i m Gefolge der konstatierten sozialräumlichen Krisensituationen und Problemlagen Gefährdungen, Bedrohungen und Verletzungen entstanden, die den Fortbestand des demokratisch verfaßten und der Menschenwürde verpflichteten Gemeinwesens insgesamt i n Frage stellen. Wurden bisher die maßgeblichen Einzelelemente der Verfassungsgrundsätze jeweils für sich und i n ihrem gesellschaftsrelevanten Aufforderungscharakter an das Gemeinwesen thematisiert, so geht es in diesem, den Untersuchungsteil abschließendem Resümee darum, die Normativbestände aufgrund der verfassungsimmanenten Forderung nach Beachtung ihrer praktischen Konkordanz, Vernetzungen und Gegenläufigkeiten etc. wiederum zusammenzuführen. Dieser Anspruch kann jedoch aus forschungspragmatischen Gründen nicht theoretisch analytisch geleistet werden, sondern w i r d vielmehr methodisch-systematisch gelöst. I n diesem Sinne w i r d das heterogene Gesamtspektrum der Maßgaben, Zielvorstellungen, Steuerungsansprüche, Ordnungsmerkmale und Organisationskriterien der Verfassungsprinzipien i n Tableau 3 zusammengeführt. Relevanz hat i m hier diskutierten Kontext zuallererst die Effektivierung und Optimierung der i n der nachfolgenden Skizze 11 benannten übergeordneten Leitziele der Verfassungsgrundsätze, bei denen die sozialräumliche Bezugskomponente Wohnumwelt und die i m Ersten Konzeptualisierungsschritt thematisierte Grundrechtsordnung i n den bestehenden Querverbindungen jeweils mitgedacht sind. I m Uberblick ergeben sich somit folgende grundlegenden Beziehungen:
68 69
Hesse, Grundzüge, S. 110 f. Ebd.
4. Zweiter Konzeptualisierungsschritt
245
Skizze 11: Grundrechtsordnung — Verfassungsgrundsätze — Gemeinwesenordnung
Zur weiteren Systematisierung der Ergebnisse und Erkenntnisse dieses Untersuchungsteiles und insbesondere i m Hinblick auf die einzelnen Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze w i r d aus Gründen der Übersichtlichkeit die Form eines Tableaus gewählt. Darin werden aufgezeigt: — die beiden unverzichtbaren Bestandteile der Verfassungsordnung — Grundrechte auf der einen und Verfassungsgrundsätze auf der anderen Seite 7 0 — i n ihrem normativen Wirkungsgehalt zur Initiation von Lösungen der sozialräumlichen Situationsproblematik und zur Konkretisierung der Anspruchsebene der Gesellschaft; — die Leitziele, die den jeweiligen Verfassungsgrundsätzen immanent sind bzw. die i m Rahmen interp re tatarischer Differenzierung gewonnen und i m Hinblick auf die zugrundegelegte Problemstellung formuliert werden; 70 I m Tableau 3 auf S. 247 sind diese beiden Komponenten aus grafischen Gründen hintereinandergeschaltet, realiter sind sie jedoch auf einer Ebene angesiedelt zu verstehen.
246
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
— die einzelnen Normativbestände des Verfassungsgrundsatzes, für die das zuvor Gesagte gilt und deren Summe jeweils als Konkretisierungsmaßstab des Leitzieles zu verstehen ist; — die Zielrichtung der jeweiligen Normativbestände, d. h. die Gesamtgesellschaft respektive das Gemeinwesen; — die Zieldimension i m Sinne der Konkretisierung der sozialräumlichen Anspruchsebene und des grundrechts- und wertgebundenen Planungsleitbildes: „Humanwertorientierte Daseinsbedingungen in einer menschenwürdigen Wohnumwelt". Bei den auf dieser Abstraktionsebene gewonnenen Ergebnissen handelt es sich m i t h i n u m die Aufzeigung und Kenntlichmachung konzeptioneller Schritte zur Einleitung von Lösungsmöglichkeiten, d. h. also u m die Erfüllung des theoretischen Anspruchs der Untersuchungsproblematik. Wollte man die jeweiligen Verfassungsgrundsätze und die ihnen zugeordneten Leitziele sowie Theoreme (normativen Einzelelemente) hinsichtlich ihrer praxeologischen Implementation befriedigend operationalisieren, so müßten neben weiteren differenzierten theoretischen Aufarbeitungen ebenfalls vertiefende empirische Analysen eingeleitet werden. Ein Anspruch, der i m Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht leistbar ist. Aber selbst bei dem der Problemstellung zugrunde gelegten Abstraktionsniveau sind die Maßgaben und Forderungen (Normativbestände) — der Verfassungsgrundsätze für sich allein betrachtet; — i m Rahmen der jeweiligen Verfassungsprinzipien beurteilt; — i n den Interdependenzen m i t den normativen Einzelelementen aller übrigen Verfassungsgrundsätze eingeschätzt; immer noch derart komplex-heterogen, daß auch i m Hinblick auf den Erhalt einer angemessenen theoretischen Konsistenz konsequenterweise auf weitere Systematisierungsschritte nicht verzichtet werden dürfte. Wenn dies dennoch geschieht, dann sind dafür forschungspragmatische Gründe ausschlaggebend. Denn die Erfüllung dieses Anspruchs würde für jeden Verfassungsgrundsatz eine eigene umfangreiche Forschungsarbeit erforderlich machen. Dieses Dilemma kann i n der vorliegenden Arbeit jedoch nur durch einige weitere, generell konzeptionelle Bearbeitungshinweise abgemildert werden. Dabei ist davon auszugehen, daß das vorliegende, umfangreiche Material als Basis für alle weiteren theoretischen — und ebenfalls praxeologischen — Schritte genutzt wird, die der Suche nach geeigneten Instrumentalisierungen, Normierungen, Operationalisierungen und Konstruktionen von Zielsystemen der Normativ-
Tableau 3: Konzept der Verfassungsgrundsätze und sein normativer Wirkungsgehalt als Option und Chance zur Konkretisierung sozialräumlicher Wohnumweltqualitäten KONKORDANZPRINZIP
DEMOKRATIEPRINZIP
SOZIALSTAATSPRINZIP
RECHTSSTAATSPRINZIP
GRUNDRECHTE LEITZIELE:
D E M O K R A T I S I E R U N G DER G E S E L L S C H A F T UND I H R E R DASEINSBEDINGUNGEN
SOZIALGERECHTE D A S E I N S E N T F A L T U N G I N DER WOHNUMWELT
FUDERALISMUSPRINZIP
^
RECHTLICH-QUALITATIVE ORDNUNGEN DER S O Z I A L RÄUMLICHEN D A S E I N S BEDINGUNGEN
FÖDERATIV-QUALITATIVE O R G A N I S A T I O N S - UND ORDNUNGSSTRUKTUREN TN DEN D A S E I N S B E D I N G U N G E N
• Positivierung konkreter, sachlicher P r i n z i p i e n zur Ausgestaltung der Grundrechtsordnung; • Verrechtlichung p e r s o n a l e r Maßgaben der Grundrechte, Verwirklichung echter Gerechtigkeitsgrundsätze; • Wahrnehmung u n d Ausfüllung der Legitimation zur Rechts e t z u n g u n t e r Wahrung der P r i n z i p i e n : Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz ;
• Konkretisierung raumbezogener Selbstbestimmung/-verwaltung durch Schaffung kleinräumiger, problemnaher, überschaubarer Raumeinheiten; h i e r d u r c h Chancen verstärkter Selbstverwirklichung ;
NORMATIVBESTANDE: • Realisierung von Menschenwürde, sozialgebundener Freiheit, prinzipieller Gleichheit; • Verwirklichung von Selbstentfaltungsund Selbstbestimmungsmöglichkeiten in der sozialen Gemeinschaft; • Optimierung der Voraussetzungen zur Gedanken-/Meinungsfreiheit, Artikulation; • Konkretisierung von T e i l h a b e an p o l i t i scher Willens-/Meinungsbildung (gesellschaftliche Aufklärung etc.); • Differenzierung des Mehrheitsprinzips, Beachtung des M i n o r i tätenschutzes (qualifizierte Minoritäten); • Verbesserung der horizontalen Gewaltenteilung durch Machtstreuung/-kontrolle, Willkürverbote; • Gewährleistung öffentlicher Kritik, Stärkung parlamentarischer Opposition; • Abbau t r a d i t i o n e l l e r Ubergewichte etablierter, artikulationsfähiger Interessengruppen; • Stärkung der Kooperationsbereits c h a f t und S o l i d a r i t ä t der Bürger; • Abbau o b r i g k e i t l i c h e n Gebarens der Verwaltung, Hers t e l l u n g von Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bürg e r n und A d m i n i stration, Beherrsch te n und H e r r schenden, Verhinderung von Entfremdungstendenzen durch Beseitigung d e s v e r t i k a l e n Kommunikationsgefälles.
• Konkretisierung, Sicherung, Weiterentwicklung der Menschenwürde, sozialgebundener Freiheitsrechte, Chancen z u r G a r a n t i e der Unversehrtheit des Lebens, prinzipieller, sozialer Gleichheit; • Abbau, Ausgleich, Angleichung sozialer und r ä u m l i c h e r Üngleichheiten, Verhinderung von N i v e l lierungstrends; • Schaffung sozialer und m a t e r i e l l e r Ger e c h t i g k e i t und Ausgewogenheit; • Schutz s o z i a l und wirtschaftlich Schwacher durch Garantie eines Leben e r m ö g l i chenden Existenzminimums, O p t i m i e r u n g v o n Selbstentfaltungs-/ Selbstbestimmungschancen u . a . auch zur sozialen Reintegration. sog. Problemgruppen; • Herstellung/Sicher u n g v o n C h a n c e n zum sozialen Aufstieg, zur sozialen Partners c h a f t u n t e r humanwertorientierten Rahmensetzunaen; • Schaffung der Voraussetzung z u r Deckung von D a s e i n s b e d a r f / -bedürfnissen; • Konkretisierung der Sozialpflichtigkeiten, Ermöglichung des sozialen Fortschritts; • Aufbruch verfestigter, sozial ungerechter Strukturen, Privilegien; • Ausfüllung/Wahrnehmung u n v e r z i c h t b a r e r Gestaltungs-/Entwicklungsmaßnahmen; • Verpflichtung der Akteure auf sozials t a a t l i c h e Gebote und Verbote; • Verfeinerung, Weit e r e n t w i c k l u n g des Gesetzesinstrumentariums zur Bewältigung von Konflikten/Krisen.
• rechtsförmige Konk r e t i s i e r u n g und Absicherung der Verfassungsgrundsätze; • Schaffung von Rechtsqualität durch Rechtssicherheit, -frieden, -beständigk e i t , K l a r h e i t und Verständlichkeit der Gesetze, Vermeidung von Unbestimmtheiten; • Reduzierung sog. General-/Ermächtigungsklauseln, unbestimmter Rechtsbegriffe, Normverweisungen, Beschneidung von E r messensspielräumen ; • Klärung unbestimmter Gesetzesbegriffe und T a t b e s t a n d s m e r k male, Entwicklung allgemeingültiger Richtlinien/Normen; • Schaffung von Rechtsnormen, d i e es dem B e t r o f f e n e n ermöglichen, seine Rechtslage zu e r k e n nen, s e i n V e r h a l t e n darauf auszurichten, seine Rechte wahrzunehmen ; • Aufhebung veraltet e r Normen, Korrekt u r von Gesetzesregelungen. Beseitigung von Gesetzeslücken; • Gewährleistung des Individualschutzes, Verstärkung des Begründungszwanges für die Exekutive; Schaffung überschaubarer/systematisierter Rechtsbereiche.
• Bildung eines Systems p l u r a l e r Entscheidungszentren mit Sicherstellung von Informations-, Partizipations-, Artikulationsmöglichkeiten i.S. konkurrierender Willensbildungs-/Lösungschancen; • Stärkung der v e r t i k a l e n Gewaltent e i l u n g durch ein System von Gegengewichten, Machtkontrollen, Schranken gegen Machtzusammenballung/-mißbrauch; • Konkretisierung geteilter, staatlicher Machtausübung auf t e r r i t o r i a l und kompetenzmäßig voneinander getrennte politische Akteure, Kontrolle durch ein System w e c h s e l s e i t i ger Beschränkungen; • Verbesserung der Wahrnehmungschancen der Zuständigkeiten von L e g i s l a t i v e , E x e k u t i v e und J u d i kative; • Sicherung/Verbesserung der Kooperat i o n bei der Lückenanalyse, Prioritätensetzung p o l i t i s c h e r , s o z i a l e r und ökonomischer Aufgabenschwerpunkte; • Konkretisierung bundesfreundlichen V e r h a l t e n s i m Rahmen von Z i e l s e t z u n g e n und Maßnahmeverwirklichungen ; • Leistung maßgeblicher Beiträge zur K o n k r e t i s i e r u n g demokratischer, sozialund r e c h t s s t a a t l i cher Belange.
J N P U T AN HUMANWERTORIENTIERTE DASEINSBEDINGUNGEN IN EINER MENSCHENWÜRDIGEN
GESELLSCHAFT^
WOHNUMWELT
248
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
bestände m i t problemadäquatem Bezug zur Gestaltung und Entwicklung der dialektischen Realitätsverhältnisse von Mensch und Wohnumwelt dienen. Wollte man beispielsweise, u m i n der vorherigen Argumentation zu bleiben, dazu übergehen, das dem jeweiligen Verfassungsgrundsatz zugeordnete, oberste Leitziel i n eine sog. Zielhierarchie umzusetzen, so müßte bei dieser Konstruktion nicht nur jeweils eine weitere methodisch-systematische Verfeinerung i m Sinne von Ordnung, Homogenisierung und Abstimmung m i t jenen dem jeweiligen Leitziel vertikal zugeordneten Einzelmerkmalen der Normativbestände vorgenommen werden. Diese Schritte würden ebenfalls i n horizontaler Richtung und zunächst mit allen übrigen obersten Leitzielen notwendig; sie müßten schließlich nochmals i n vertikaler Harmonisierung m i t den jeweiligen Normativbeständen durchgeführt werden. Darüber hinaus müßten gleichermaßen all jene Konditionen beachtet werden — d. h. insbesondere Kompatibilitätsprüfungen, Dimensionierungen der normativen Einzelelemente — wie sie bereits bei den Konzeptualisierungsvorschlägen zur Einführung eines i n der Grundrechtsordnung rückgekoppelten, übergeordneten Planungsleitbildes problematisiert wurden 7 1 . M i t h i n würden also Arbeitsschritte relevant, die nur i n weiteren, umfangreichen Forschungsvorhaben lösbar sind. Hinsichtlich des i n diesem Untersuchungsteil der Arbeit ebenfalls formulierten Anspruchs: Chancen der Prüfung zu eröffnen, die sozialräumliche Situations- und Betroffenenproblematik — wie sie i m Problemkatalog detailliert vermittelt wurde — als eine konkret gewordene Gegenordnung zum Grundgesetz exakter zu erfassen und zu bewerten, ergibt sich durch die den Verfassungsgrundsätzen zugeordneten normativen Einzelemente ein wichtiges Hilfsinstrumentarium i m Sinne eines Kriterien- bzw. Überprüfungsrasters. Erste systematische und schematische Versuche der Nutzanwendung sind i n der Gegenüberstellung stichprobenartig aus dem Problemkatalog ausgewählter sozialräumlicher Befunde m i t dem Normativbestand des jeweiligen Verfassungsgrundsatzes zu sehen"72. Dabei erweisen sich die sozialräumlichen Problemlagen als Verstöße, Gefahren, Bedrohungen etc. der Verfassungsordnung. So läßt sich die eingangs der Arbeit aufgeworfene These verifizieren, daß die sozialräumlichen Probleme und Krisensituationen eine Realität darstellen, die i m Widerspruch zur Verfassungsordnung steht und damit auch i m Gegensatz zu einer von dieser institutionell beabsichtigten und der Menschenwürde verpflichteten Gemeinwesenund Gesellschaftsordnung. Allerdings relativiert sich dieser Erkenntnis71 72
Vgl. dazu C. 4.4. u. 5. Vgl. die Synopsen 6—9.
4. Zweiter Konzeptualisierungsschritt
249
gehalt vor dem Hintergrund der forschungsspezifischen Prämissen und Argumentationsbasen. Denn die Fragen: — inwieweit die Krisensituationen von Mensch und Wohnumwelt tatsächlich und zugleich justitiabel i m Widerspruch zu den Einzelelementen respektive zur Gesamtordnung der Verfassung stehen; — inwieweit die Mensch-Wohnumwelt-Problematik eine ohne Rechtsgrundlage „gewachsene" Realität darstellt, die gegen die Verfassungsordnung verstößt und/oder diese verletzt; — inwieweit bestimmte Tatbestände verfassungslegitimatorisch abzusichern und/oder i n die Verfassungsordnung explizit einbezogen werden müssen, um die Krise der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen zu lösen; sind zunächst nur global beantwortbar. Handelt es sich doch insgesamt u m ausgesprochen staatstheoretische, verfassungsrechtliche und -politische und selbstverständlich auch um juristische Problemstellungen, die an die entsprechenden Organe und ihre Akteure weiterzuleiten sind. Diesen kann die Problemlösung jedoch nicht allein überlassen bleiben. Vielmehr ist die Problematik i n interdisziplinären Diskursen m i t der Gesamtheit der umweltrelevanten Rollen- und Funktionsträger einem Konsens zuzuführen. Fazit: Es konnten insgesamt sozialräumliche Problemlagen und K r i sensituationen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt nachgewiesen werden, die strukturell und funktional das der Menschenwürde verpflichtete Gemeinwesen und seine Gesellschaft gefährden und bedrohen. Konzeptionelle Möglichkeiten i m Sinne von Chancen, Optionen und Alternativen zur Lösung dieser sozialräumlichen Problematik und zur Konkretisierung der Anspruchsebene der Betroffenen sind i m Zusammenhang der gesellschaftsrelevanten Maßgaben der Normativbestände der jeweiligen Verfassungsgrundsätze diskutiert, problematisiert und aufgezeigt worden. Der handlungs- und entscheidungsmotivierende Bedeutungsgehalt der Verfassungsgrundsätze — subsumierbar unter den forschungsspezifisch modifizierten Leitzielen m i t überwiegend gesellschaftlicher Relevanz — ist gemäß den i n den einzelnen Teilkapiteln skizzierten Prämissen umzusetzen i n ein „Planungsgrundsätzegesetz", wie es i n S t r u k t u r und Funktion bereits i n Teil C erläutert wurde. Somit ist i n Bindungs- und Ausstrahlungswirkung ein Zweiter Konzeptualisierungsschritt erarbeitet. Von diesem w i r d angenommen, daß er m i t der Effektivierung und Optimierung der Grundrechtsordnung i n einem rahmensetzenden Planungsleitbild — Erster Konzeptualisie-
250
D. Betroffenenproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
rungsschritt — jene unverzichtbare Anwendungsbasis bildet, von der aus die Realisierung humanwertorientierter Daseinsbedingungen i m Rahmen aktiven politischen Handelns dann initiiert und organisiert werden kann, wenn es gelingt, auch den Prozeß der Umweltplanung auf der Grundlage der Verfassungsgrundsätze durchzugestalten. M i t diesem Resümee ist übergeleitet i n den nachfolgenden Untersuchungsteil der Arbeit und zugleich das dort verfolgte Erkenntnisziel schwerpunktmäßig thematisiert.
E. Planungsproblematik und das Konzept der Verfassungsgrundeätze 1. Erkenntnisinteresse und Stand der Fachdiskussion zu Problemen der Planung im Kontext mit Fragen des Grundgesetzes Die Diskussion von Planungsproblemen i m Kontext m i t Verfassungsfragen gehört zwar zum fundamentalen Bestand und erkenntnisspezifischen Interesse der Wissenschaft vom öffentlichen Recht 1 , doch muß nach Durchsicht einschlägiger Veröffentlichungsbeispiele 2 zu dieser Thematik festgestellt werden, daß der Erkenntnisschwerpunkt, der diesem Untersuchungsteil der Arbeit zugrundeliegt, nur punktuell tangiert und fragmentarisch erörtert wird. Es gibt folglich keine befriedigenden Hinweise — weder theoretisch und interdisziplinär fundierte noch praxeologisch orientierte — von denen direkte und konsistente A n t w o r ten auf die Fragestellung zu erwarten wären: Ob und i n welcher Form unter Rückgriff auf die Normativinhalte der gesamten Verfassungsordnung Möglichkeiten bestehen, den Prozeß der Umweltplanung — i m Sinne der eingangs vorgenommenen terminologischen Abgrenzungen 3 — so zu strukturieren, daß damit die Diskrepanz zwischen einer der Menschenwürde verpflichteten Verfassungsordnung und der krisenhaften Situation des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Wohnumwelt abgebaut werden könnte. Galt bereits für die beiden vorherigen Teile C und D, daß angesichts des „Forschungs-Lag" sich dem jeweiligen Erkenntnisziel nur durch umfangreiche Analysen und theoretisch-konzeptionelle Vorgehensweise angenähert werden konnte, so t r i f f t dies ebenfalls für diesen Untersuchungsteil zu. Dementsprechend werden mehrere, sukzessiv aufeinander aufbauende, methodisch-systematische Arbeitsschritte unverzicht1 Z u r rechtsdogmatischen Gliederung u n d Abgrenzung des öffentlichen Rechts sowie dem d a m i t verbundenen „unermüdlichen Theoriestreit" vgl. Rinken, Stichwort „öffentliches Recht", i n : Görlitz (Hg.), Handlexikon zur Rechtswissenschaft, S. 279 ff.; Adomeit, Stichwort „Rechtswissenschaft", i n : ebd., S. 369 ff.; Kriele, E i n f ü h r u n g i n die Staatslehre; Wiethölter, Rechtswissenschaft. 2 Z u m neueren Diskussionsstand vgl. paradigmatisch m i t zahlreichen L i t e raturhinweisen Ossenbühl, Normative Anforderungen, Bd. 1, T e i l B ; des w e i teren Stich, Normative Anforderungen; Enquete-Kommission Verfassungsref o r m des Deutschen Bundestages, T e i l I I , B u n d u n d Länder, Kap. 11. 3 Dazu A . 2.3.
252
.
n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
bar, indem einerseits die Probleme der Umweltplanung i n ihren Verursachungsbedingungen hinreichend komplex auszudifferenzieren sind und andererseits die Normativgehalte der einzelnen Verfassungsgrundsätze i m Sinne ihrer struktur- und handlungsbezogenen — und nunmehr planungsrelevanten — Elemente durch interpretatorische und analytische Leistungen unter Berücksichtigung verfassungsimmanenter Maßgaben zu gewinnen sind. Schließlich ist i n einer integralen Gesamtbetrachtung die solchermaßen zergliederte Untersuchungsproblematik wieder zusammenzuführen, u m bestehende, theoretisch abgesicherte und praxeologisch umsetzbare Chancen zur Neukonzeptualisierung des Prozesses von Umweltplanungen zu diskutieren. Das erkenntnisleitende Interesse dieses Untersuchungsteiles somit durch folgende Kernfragen präzisiert werden:
kann
— Besteht die Möglichkeit, ein hinreichend konkretes und konsistentes, normatives Aussagesystem mit Aufforderungscharakter aus den einzelnen Verfassungsgrundsätzen für die Umweltplanung zu gewinnen? — Können m i t diesem grundgesetzlichen Wirkungsgehalt der Normativbestände sowohl die Richtung eindeutiger kenntlich gemacht werden, i n der die Struktur von Umweltplanungen durchzugestalten ist als auch Chancen gewiesen werden, die Normativgehalte (einzeln und/oder insgesamt) mittels Umweltplanung zu konkretisieren 4 ? — Kann mittels der Normativgehalte der Verfassungsgrundsätze Umweltplanung so beeinflußt werden, daß die sozialräumlichen Problemlagen i m Sinne der i m Problemkatalog des Teiles D dargestellten Sachverhalte und Tatbestände eingedämmt, beseitigt respektive grundlegend und humanwertorientiert gelöst werden können? — Können i n den Ist- und Soll-Konzeptionen praktizierter bzw. verrechtlicher umweltrelevanter Planungen jene Maßgaben und Forderungen wiedergefunden werden, die durch die Verfassungsgrundsätze und ihre normativen Wirkungsgehalte gewiesen werden? Ehe auf diese Fragestellungen und ihre Beantwortung i m Rahmen der damit notwendig werdenden Analysen und Interpretationen der Verfassungsgrundsätze und Konzeptionen der Umweltplanung eingegangen werden kann, soll zunächst anhand der Sekundäranalyse einiger maßgeblicher, jüngerer Veröffentlichungsbeispiele überprüft werden, 4 Dieser komplementäre Charakter der Normativbestände ergibt sich daraus, daß diese einerseits i m Sinne von Handlungsanweisungen an die Planung aufgefaßt werden können, indem sie deren s t r u k t u r e l l e n u n d f u n k t i o nalen Gehalt bestimmen sollen u n d andererseits als Konkretisderungsmaßstäbe ausweisbar sind, die es m i t dem Instrument der Planung i n U m w e l t realitäten umzusetzen gilt.
1. Stand der öffentlichen Diskussion
253
ob i m Rahmen der Diskussion von Planung und Grundgesetz die skizzierten Fragestellungen überhaupt thematisiert werden oder ob sich die Fachdiskussion — und wenn ja aus welchen Gründen — auf andere Problemfelder konzentriert; das Dilemma der Diskrepanz zwischen Verfassungsordnung — Planungsordnung — Gemeinwesenordnung — Wohnumweltordnung m i t h i n also auch ursächlich durch forschungsspezifische Unterlassungen und/oder einseitige wissenschaftliche Interessenorientierungen mitverursacht wird. I n einer generalisierenden Einschätzung der wissenschaftlichen Diskussion von Planung und Grundgesetz kann zunächst festgehalten werden, daß die damit verknüpften Fragestellungen zwar Interdisziplinarität signalisieren, jedoch vorrangig als eine Domäne der Rechtsdogmatik 5 betrachtet und unter Anwendung der Methoden juristischer Hermeneut i k untersucht werden 6 . Indem diese jedoch nach wie vor — trotz aller Auflockerungen und Einbeziehung anderer Methoden m i t dem Ziel eines realitätsgerechteren Problemverständnisses 7 — weniger dem Untersuchungsobjekt als vielmehr einem fachwissenschaftlichen Ansatz und einer fachspezifischen Methodik verpflichtet sind 8 , unterblieb bislang weitgehend die Beteiligung von Planungsdisziplinen an raumrelevanter Planungstheoriebildung und -forschung unter dem Aspekt der Überprüfung vorhandener, Erarbeitung neuer und Weiterentwicklung bestehender Erklärungsversuche und Lösungsansätze bei der Konkretisierung und Interpretation der Verfassungsgrundsätze. 5
Die Rechtsdogmatik, die — entsprechend ihrer praktischen Bedeutung — als die Lehre v o m geltenden Recht den größten R a u m i n der Rechtswissenschaft einnimmt, ist nach Adomeit „weder reine noch auch n u r angewandte Wissenschaft, sondern eine speziell definierte A k t i v i t ä t , ein öffentliches (politisches) Handeln i n Ergänzung plebiszitärer u n d demokratisch-repräsentativer Entscheidungen, das unabdingbar notwendig ist, u m die Rechtsordnung zu vervollständigen u n d fortzuentwickeln. . . . Die Jurisprudenz als Rechtsdogmatik ist nicht szientifizierbar u n d soll es nicht s e i n . . . " . Vgl. Adomeit, i n : Görlitz (Hg.), Handlexikon der Rechtswissenschaft, S. 370 f. 6 Z u den Methoden juristischer Hermeneutik, ihrer Fragwürdigkeit, ihren Bedingungen u n d Grenzen vgl. stellvertretend f ü r andere Hesse, Grundzüge, S. 20 ff. m i t einem umfangreichen Anmerkungsapparat. 7 H i e r m i t ist ein zentrales Problem der Politikwissenschaft angesprochen, d. h. die Frage nach d e m Verhältnis zwischen der Verfassungsinterpretation durch die Staatsrechtslehre — also der juristischen Hermeneutik — u n d der politikwissienschaftlichen Analyse. Die hieraus entstehenden, außerordentlich komplexen definitorischen, theoretischen u n d methodischen Schwierigkeiten, zu denen eine Fülle wissenschaftlichen Schrifttums keine befriedigenden L ö sungsbeiträge zu liefern vermochte, thematisiert ausführlich Hartwich, insbes. S. 273 ff. Der A u t o r betont zu Recht, daß gerade durch eine i n „methodischer Freiheit" u n d lediglich am Gegenstand konstituierte Wissenschaft „die Diskussion neu befruchtet und aus wissenschaftsspezifischen Sackgassen herausgeführt" werde. Diese Feststellung ist auch auf den hier zu behandelnden Problemzusammenhang übertragbar. 8 Vgl. ebd., S. 275.
254
.
n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
Angesichts der juristischen und rechtsdogmatischen Abstraktionsebene, auf der diese wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung geführt wird, stellt sich die Frage, ob es einer Einzeldisziplin gelingen kann, die Aussagen, Werte und Normen sowie die Aufträge und Prinzipien der Verfassung für die planende Tätigkeit so umzuformulieren, zu operationalisieren und inhaltlich zu konkretisieren, daß einerseits rechtswissenschaftlich begründbare und abgesicherte 9 , andererseits planungsrelevante, verallgemeinerungsfähige und systematisierbare Zielaussagen, Leitvorstellungen, Organisationsstrukturen und Strategien gefunden werden, die dann i n konkreten Planungskonzeptionen auch Anwendung finden können. 1.1. Diskussionsspektrum
Bei den Auseinandersetzungen u m umweltrelevante Planungsprobleme i m Zusammenhang m i t Verfassungsgrundsätzen geht es vor allem u m Fragen der Interpretation, Weiterentwicklung, Modifizierung und Konkretisierung — der i n A r t . 1 des Grundrechtsteiles verankerten Menschenwürde als soziopolitischer und soziokultureller Fundamentalnorm und allen weiteren auf diesen Hauptwert h i n orientierten Grundrechten 1 0 ; — der i n Art. 20 niedergelegten vier Staatszielbestimmungen der Demokratie, der Sozial-, Rechts- und Bundesstaatlichkeit 11 ; — der i n den A r t . 72, 104 a und 106 formulierten Handlungsanweisungen zur Schaffung und Wahrung der räumlichen Einheitlichkeit der Lebensbedingungen i m Bundesgebiet sowie der i n A r t . 91a und 91b verankerten Grundsätze zur Verbesserung der Lebensverhältnisse; — der i n den A r t . 73, 74 und 75 benannten und legislatorisch zu regelnden, raumrelevanten Bereiche durch die konkurrierende, ausschließliche und Rahmen-Gesetzgebung 12 . Als übergeordnetes Ziel w i r d i n diesen Kontroversen die Nutzbarmachung der genannten Werte und Grundsätze für eine kontinuierliche Verbesserung, Neuorientierung und Neukonzeptualisierung von raumrelevanten Planungen entsprechend den realen temporären u n d sachlichen Wandlungsprozessen hochindustrialisierter, pluralistischer Gemeinwesen zwar immer wieder postuliert, jedoch jeweils nur punktuell und erkenntnisspezifisch unbefriedigend diskutiert und i n den seltensten Fällen i n politischem Handeln und Entscheiden angewendet. 9 Z u r Schwierigkeit der rechtswissenschaftlichen Durchformung von V e r fassungsaussagen i m H i n b l i c k auf die planende Tätigkeit vgl. u. a. SchmidtAßmann, Planung unter d e m GG, S. 541 ff. 10 Schwerpunktmäßig behandelt i n T e i l C. 11 Vgl. grundlegend Anhang D / E . 12 Vgl. i m Uberblick D. 3.4., Synopse 10.
1. Stand der öffentlichen Diskussion
1.1.1. Defizite
interdisziplinärer
255
Zusammenarbeit
Daß es der Rechtswissenschaft bislang nur bedingt gelungen ist, ihre fachspezifischen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse den Planungswissenschaften als Grundlagenmaterial für deren Forschungsinteressen zur Verfügung zu stellen, ist angesichts der Unzahl ungelöster Wohnumweltprobleme 1 3 ein unbestreitbares wissenschaftsorganisatorisches Dilemma. Die nachteiligen Auswirkungen dieser fehlenden fachübergreifenden Kooperation sind allerdings nicht allein den Rechtswissenschaften, sondern gleichermaßen auch den Planungsdisziplinen anzulasten. Jede Disziplin mag für sich wichtige und bleibende Ergebnisse hervorbringen; keine kann aber — und dies gilt für alle Wissenschaftszweige — auf neue Ideen, Einsichten, Methoden und Problemlösungsvorstellungen einer anderen Wissenschaft verzichten. Wenn also die raumrelevante Planungstheorie und -forschung weiterkommen und ihren eigenen Anspruch einlösen w i l l , darf sie ebensowenig wie die Rechtswissenschaft vor den von den Fachdisziplinen gezogenen Abgrenzungen haltmachen. So gilt es, die vorhandenen Forschungsdefizite i n der interdisziplinären „Grauzone" von Verfassung und Planung aufzuarbeiten. Die „Bevormundung" und „Fremdbestimmung" der Planungswissenschaften durch die Rechtswissenschaft muß durch kommunikative Strukturen i m Sinne eines permanenten Dialogs ersetzt werden. Es ist — auch aus Gründen der Forschungsethik 14 — unzulässig, daß die raumrelevanten Planungsdisziplinen rechtswissenschaftliche Erkenntnisse mehr oder weniger ungeprüft übernehmen und dann die wohnumweltmanifesten Defizite durch Bekenntnisse zu stets der „Menschenwürde" verpflichtete Planungen verschleiern. Die räumlich gebauten Wohnumweltstrukturen widerspiegeln — wie dies i n Teil D i n genereller Einschätzung hinreichend belegt ist — geradezu das Gegenteil. Die Unfruchtbarkeit der bisherigen Diskussionen hinsichtlich neuer Beiträge zur Problemlösung hat neben unzureichender fachübergreifender Kooperation i n diesem Bereich eine Vielzahl weiterer Ursachen, von denen i m folgenden einige der wichtigsten benannt und bewußt gemacht werden sollen. 1.2. Problematik des rechtsdogmatischen Abstraktionsniveaus
Bisher fehlt jeder ernsthafte Versuch, die Komplexität der Problemstellung i n ihren vernetzten Zusammenhängen hinreichend zu struk13
Vgl. die Problemsynopsen i n D. 2.1. ff. Z u r Diskussion von ethischen Fragen der Sozialforschung vgl. z.B. H. v. Alemann, S. 286 ff. 14
256
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
turieren, zu analysieren sowie schrittweise und logisch stringent i n jene Komponenten aufzulösen, die die Realisierbarkeit postulierter Werte und Normen durch den Nachweis ihrer Umsetzbarkeit i n Planungsziele, Planungsstrategien, Organisationsweisen und rechtswirksame Planungsinstrumente einer breiten Öffentlichkeit ebenso wie den planenden Akteuren überzeugend darzustellen vermag. Charakteristische Argumentationsmuster, die sich geradezu wie ein „roter Faden" durch die einschlägige wissenschaftliche Literatur ziehen, sind vielmehr Auffassungen wie jene von Thomas Ellwein, indem der strukturelle und funktionale Wirkungsgehalt von verfassungsimmanenten Werten, Normen etc. auf die ordnende, gestaltende und planende Tätigkeit dahingehend erklärt w i r d : Daß das abstractum „Menschenwürde" entsprechend der jeweiligen Zeit und i n pluralistischen Gesellschaften m i t verschiedenen Inhalten auszufüllen und dann aufgrund der vorhandenen Ergebnisse die Ordnung zu gestalten oder zu verändern sei 15 . M i t solchen mehr oder weniger unscharfen, generellen Formulierungen bleiben die entscheidenden Fragen nach der Umsetzung abstrakter Werte, Normen und Normativbestimmungen i n entsprechende Wohnumweltrealität und -qualität jedoch unbeantwortet. 1.2.1. Konkretisierungsproblematik
und Grundrechtsgefährdung
Versäumt wurde, Planung und Verfassung i n ihren komplexen und systematischen Verflechtungszusammenhängen zu analysieren, die Werthaftigkeit der Verfassungsinterpretationen durch die Staatsrechtslehre und die differierenden verfassungspolitischen Positionen i n den Auseinandersetzungen zu verdeutlichen und vor dem Hintergrund der demokratischen, sozial-, rechts- und bundesstaatlichen Prinzipien i n all ihren Details, Handlungsspielräumen, Variationsmöglichkeiten und Interpretationsbreiten explizit zu machen 16 . Außerdem scheint vor allem der Grundrechtsteil der Verfassung i n seiner Gesamtheit nicht seiner Bedeutung entsprechend eingestuft zu werden 1 7 , wenn die Diskussion lediglich auf einige wenige Grundrechte abhebt 1 8 . 15
Ellwein, Regierungislehre, S. 135. Die A u f h e l l u n g gesellschaftspolitischer Werthaltigkeit juristischer Deduktionen u n d die Beantwortung der Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz der Verfassungsinterpretationen f ü r die gegebenen Besitz- und Status Verhältnisse ist — w i e Hartwich, S. 273 ff., nachdrücklich betont — eine zentrale Aufgabe der politikwissenschaftlichen Analyse. 17 Z u r Stellung der Grundrechte i m Verfassungsgefüge u n d den darüber bestehenden unterschiedlichen Auffassungen vgl. Hesse, Grundzüge, S. 124 ff.; vertiefend T e i l C. 18 So auf die Menschenwürde des A r t . 1, die Freiheitsrechte des A r t . 2 und die Eigentumsgewährleistung des A r t . 14; vgl. dazu i n weiterer Problematisierung i n C. 4.2., F N 193. 16
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Dies wiegt um so schwerer, als der Grundrechtsteil jene primären Ansprüche, existentiellen Bedürfnisse und gemeinschaftlichen Schutz-, Abwehr- und Gewährleistungsfunktionen enthält, die der Konkretisierung vor allem auch i m Rahmen raumrelevanter Planungen bedürftig, zugleich jedoch durch den grenzüberschreitenden Charakter von Umweltplanungen, die i n die Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen eingreifen, i n ihrem Bestand der ständigen Gefahr der Usurpation, Änderung, Einschränkung, Bedrohung und Gefährdung ausgesetzt sind. Da Planungen vollendete Fakten schaffen, die sich „durch nachträgliche A n rufung der Gerichte nicht mehr aus der Welt" schaffen lassen 19 und stets auch in mehr oder weniger private Daseinsräume vordringen, werden auch immer wieder grundrechtlich abgesicherte Bestands- und Wertkategorien betroffen sein und zur Disposition gestellt. Aber nicht nur durch Planung geschaffene Tatsachen sind i n diesem Zusammenhang zu thematisieren, sondern auch a l l jene Teile raumrelevanter Planungen, die „ungeplant zu lassen, man sich stillschweigend einig w a r " 2 0 und die für Wohnumweltverschlechterungen, für Defizite bei der Ausübbarkeit der raumbeanspruchenden Daseinsbedürfnisse, für vielfältige Bedrohungen und Gefahren der Betroffenen etc. verantwortlich sind 2 1 . 1.2.2.
Interdependenzproblematik
Es lassen sich i n den Diskussionsbeiträgen zur Planung und Verfassung nur schwerlich Anhaltspunkte finden, die auf der einen Seite trennende Faktoren und Wesensunterschiede der beiden Fachbereiche aufarbeiten und auf der anderen Seite die strukturellen Aspekte, die ihrem Prinzip nach Ähnlichkeit aufweisen und verbindend wirken, i n ihren Verflechtungen u n d Abhängigkeiten beschreiben und erklären. So stellen sich eine Fülle von Fragen und ungelösten Problemen, auf die befriedigende Antworten nach wie vor fehlen. Daher soll i m Rahmen des für diese Arbeit gewählten systemtheoretischen Forschungsansatzes und der Verortung der Sachbereiche i n einem Modell 2 2 versucht werden, zur raumrelevanten Planungstheoriebildung beizutragen und Anstöße für die weitere, interdisziplinäre Forschung zu geben. Das Problemspektrum läßt sich i m Kontext von Umweltplanung und Grundgesetz um folgende Grundannahmen erweitern: 19 20 21 22
Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 127. Burckhardt , S. 477. Dazu vertiefend insbes. C. 2.2. Vgl. B. 2., Skizze 4.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
(a) Das traditionelle Verständnis weist Planung aus als ein auf I n t u i tion des Planers und/oder der planenden Institution beruhendes Handlungskonzept, das geeignet ist, bestehende Strukturen zu verändern und neu zu gestalten. Die Verfassung w i r d verstanden als ein materieller und formaler Organisationsrahmen m i t „grenzsetzendem" und zugleich „offenem" Charakter sowie relativ eindeutig markierten Wahlmöglichkeiten hinsichtlich sozialer, ökonomischer und politischer Handlungsspielräume. (b) Planung antizipiert die Zukunft, indem i n der Gegenwart über gewollte und als wünschenswert erachtete Entwicklungen und Gestaltungen entschieden wird, die erst i n der Zukunft i n ihren vollen Auswirkungen zum Tragen kommen und zumeist auch erst dort anhand der geschaffenen Fakten überprüft werden können. Die Verfassung basiert ursächlich auf der Rezeption der Vergangenheit, indem i n ihr bereits Erprobtes und Bewährtes fixiert, zur Norm erhoben und verrechtlicht ist; oder indem aus gegenwärtig aufbrechenden, latenten und/oder offenen Konfliktsituationen zur zukünftigen Vermeidung ähnlicher Situationen ein entsprechendes Instrumentarium entwickelt wird. Dem Prinzip nach w i r d somit Bewährtes und Erprobtes der Vergangenheit i n die Zukunft projiziert. (c) Planung und Verfassung grund ihrer Kodifikation.
haben institutionellen Charakter
auf-
(d) Die Werte, Normen, Grundsätze und Prinzipien der Verfassung werden über Konzeptionen der Planung und i m Rahmen entsprechender Sicherungs-, Ordnungs-, Gestaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen konkretisiert. Dabei hat sich sowohl die Verfassung aufgrund ihrer Offenheit und temporären Interpretationsbedürftigkeit als auch die Planung aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Wert- und Prinzipieninterpretation auf soziale, politische und ökonomische Wandlungsprozesse und die i n diesem Zusammenhang neu entstandenen gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse einzustellen. (e) Die Verfassung ist m i t h i n auf prinzipielle Offenheit angelegt. Sie weist i n der Regel einen lediglich durch Rahmen- und Leitpunkte abgesicherten Handlungsspielraum i m Kontext von Negativausgrenzungen auf 2 3 . Planung ist i n ihren Zielen und Organisations23 I . d . S. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 127 f.: „(.,..) das Recht der Verfassung als schrankensetzendes Recht gestattet regelmäßig m i t einiger Sicherheit zu sagen, was m i t einem Prinzip der Verfassung jedenfalls nicht vereinbar ist, es k a n n dagegen n u r sielten der Verfassung entnommen w e r den, daß eine bestimmte Verhaltensweise oder Regelung v o m GG wegen geboten sei."
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strukturen verrechtlicht. Sie ermöglicht i n ihrer Kodifikation nur eine bedingte Auswahl unter alternativen Handlungs- und Entscheidungsformen. (f)
Planungen wirken in der Schaffung von Fakten für die Betroffenen i n der Regel fremdbestimmend. Genuine Prinzipien wie die der Selbstbestimmung, der Mitsprache und der Teilhabe sind i n diesem Prozeß nur bedingt gewährleistet. Die Verfassung ist als gesamtgesellschaftliche Konsens- und Identifikationsbasis ausgewiesen. Sie gewährleistet Selbstbestimmung, Willensbildung, Teilhabe u. a. m. i m Prozeß der Entwicklung des Gemeinwesens. Planungen müssen bei Bedrohung und Einschränkung individueller Daseins- und Freiheitsräume anfechtbar sein. Die Verfassung garantiert und gewährleistet diesen Anspruch.
(g) Planung erzeugt durch ihre Faktensetzung und Maßnahmegeflechte häufig zuvor nicht eindeutig erkenn- und abschätzbare Sachgesetzlichkeiten. Die Legitimität dieser auch als „Normativität des Faktischen" apostrophierten Planungsergebnisse müssen von der Verfassung her sichergestellt sein. Darüber hinaus lösen Planungen tischen" apostrophierten Planungsergebnisse muß von der Verfassung Bezugspunkte haben und rückgekoppelt sein müssen, sondern auf die der Gesetzgeber seinerseits durch die Weiterentwicklung der Verfassung und Ausdeutung von Wert- und Normvorstellungen zu reagieren hat. 1.2.3. Ideologieanfälligkeit Nach wie v o r ist die öffentliche Diskussion zu Fragen der Planung i n der Zusammenschau m i t Fragen der Verfassung besonders ideologieanfällig. Dieser Sachverhalt, der i n der sozial-, rechtswissenschaftlichen und planungstheoretischen Literatur nahezu erschöpfend behandelt wird" 24 , hat seinen historischen Bezugspunkt vor allem i n einer A r t „Zwei-Fronten-Krieg", der bereits i n den dreißiger Jahren i n den Sozialwissenschaften seinen Ausgang nahm und sich hier m i t den Namen Karl R. Popper und Karl Mannheim verbindet 2 5 . Die zunächst wissenschaftlich argumentativ geführte Auseinandersetzung w i r d i n der politischen Planungsdiskussion der fünfziger und sechziger Jahre zunehmend ideologisiert, indem u m Sachlichkeit bemühte Argumentationsformen einer lobbyistischen, herrschafts- und machtorientierten Beweis24 Vgl. stellvertretend f ü r viele andere: Lompe, Gesiellschaftspolitik und Planung; Klages, Planungspolitik; Ossenbühl, Normative Anforderungen; Kaiser, Planung I . 25 Vgl. Popper, L o g i k der Forschung; Ders., Prognose u n d Prophetie i n den Sozial wissenschaf ten, i n : Topitsch, L o g i k der Sozial W i s s e n s c h a f t en; Mannheim, Mensch u n d Gesellschaft i m Zeitalter des Umbaus; Ders., Freiheit und geplante Demokratie.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
führung weichen. Stark vereinfacht, kennzeichnet die politische Kontroverse die Polarisierung i n zwei gegensätzliche Stereotype 26 . A u f der einen Seite w i r d Planung als unvereinbar m i t den Prinzipien eines „freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens" angesehen. Eine unmittelbar verpflichtende Verantwortung des politischen Systems und seiner Akteure für Gesellschafts- und Wirtschaftsprozesse w i r d abgelehnt. Die i n A r t . 2 des Grundgesetzes verbürgte Wertkategorie „Freiheit" w i r d durch rein formale und individualistische Interpretation als „Hauptfreiheitsrecht" überbewertet, als antinomischer Begriff und unvereinbarer Gegensatz zur Planung verstanden 27 . Die ideologische Fixierung der Planung erhält eine besondere Variante vor allem durch die Hinzuziehung markttheoretischer Argumente i m Rahmen des Streites um die Frage einer dem Grundgesetz inhärenten Wirtschaftsverfassung 2 8 . A m prononciertesten w i r d diese Auffassung von Hans C. Nip perdey vertreten 2 9 , wonach das Grundgesetz die „soziale M a r k t w i r t schaft" 3 0 verfassungsrechtlich institutionalisiert habe und eine entsprechende „marktkonforme" Wirtschaftspolitik vorschreibe 31 . Nach dieser sehr angreifbaren und weithin verworfenen Annahme 3 2 sind die übrigen Grundrechte dem A r t . 2, d. h. auch staatliche Verantwortlichkeiten, untergeordnet, haben sozialstaatliche Interventionen und Planungsaktivitäten zwangsläufig den Charakter der Verfassungswidrigkeit 33 . Ganz entgegengesetzt kommen andere Interpreten aus der i m Grundgesetz angelegten Polarität von wirtschaftlicher Freiheit und sozial26 Exemplarisch f ü r viele andere sei hier auf die Darstellung bei Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 151 ff. verwiesen, der anhand von Beispielen aus der rechtswissenschaftlichen Perspektive die konträren Standpunkte zur Planungsdiskussion herausgearbeitet hat. 27 Ellwein, Regierungssystem. Der A u t o r betont i n diesem Zusammenhang die Verwurzelung der Scheu vor dem „ P l a n " auch i m antikommunistischen Affekt. Vgl. ebd., S. 453. 28 Einen guten, systematischen Überblick v e r m i t t e l t Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung. 29 Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft u n d GG. 80 Pilz, Soziale Marktwirtschaft. 31 Vgl. auch die Ausführungen von Hartwich, S. 324 ff. 32 Z u r K r i t i k dieser Annahme, die „Freiheitsrechte der A r t . 2 I und 12 I GG garantierten die Institutionen des Wettbewerbs u n d der Gewerbefreiheit" siehe u. a. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, S. 205— 213. Badura widerspricht ausdrücklich der These, i m G G sei eine „Gesamtentscheidung über die Ordnung des Wirtschaftslebens eines Gemeinwesens" i. S. Euchens und der ordoliberalen Schule verankert. — I m übrigen hat bereits 1954 i m „Investitionshilfe-Urteil" das B V e r f G (BVerfGE 4, 7 ff. vom 20. 7.1954) diese Deutung verworfen. Dennoch w a r es m i t Nipperdeys I n t e r pretation so ähnlich wie m i t der Rechtsstaatsinterpretation von Forsthoff (1953): „Sie w u r d e w e i t h i n abgelehnt, jedoch immer wieder zum gedanklichen Kristallisationspunkt gemacht." Vgl. Hartwich, S. 295 ff. 33 So ζ . B. Rupp, GG u n d „Wirtschaftsverfassung"
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s t a a t l i c h e m V o r b e h a l t sowie u n t e r Z u g r u n d e l e g u n g eines i m A n s a t z m a t e r i e l l e n F r e i h e i t s b e g r i f f s 3 4 z u d e m S c h l u ß : I n d i v i d u e l l e F r e i h e i t sei n i c h t schlechthin gegeben, s o n d e r n müsse d u r c h sozialstaatliche P o l i t i k u n d P l a n u n g erst s o w e i t w i e m ö g l i c h v e r w i r k l i c h t w e r d e n * 5 . D a n a c h ist der S t a a t — als politische O r g a n i s a t i o n d e r d e m o k r a t i s c h e n G e s e l l schaft — „ p l a n e n d e r , v e r t e i l e n d e r , gestaltender, i n d i v i d u e l l e s w i e soziales L e b e n erst e r m ö g l i c h e n d e r S t a a t , u n d er ist dies n i c h t n u r i m S i n n e e i n e r G e g e b e n h e i t , s o n d e r n i h m i s t die A u f g a b e v o n Rechts wegen gestellt"36. D a r ü b e r h i n a u s m a c h t die Z u n a h m e p l a n e n d e r u n d i n t e r v e n t i o n i s t i scher T e n d e n z e n d u r c h p o l i t i s c h e O r g a n e i n a l l e n m o d e r n e n I n d u s t r i e nationen — trotz ihrer Bekenntnisse zur freien M a r k t w i r t s c h a f t — drastisch d e u t l i c h , daß aus p o l i t i s c h e n u n d sachlichen G r ü n d e n 3 7 a n steigende P l a n u n g s e r f o r d e r n i s s e i m S i n n e systematischer, r a t i o n a l e P r i o r i t ä t e n setzender K o o r d i n a t i o n d e r A k t i o n e n e i n e o f f e n s i c h t l i c h n i c h t a u f z u h a l t e n d e E n t w i c k l u n g darstellen, besonders w e n n d a m i t l a n g f r i s t i g e I n v e s t i t i o n e n großer K a p i t a l i e n 3 8 oder die B e w ä l t i g u n g v o n Wirtschaftskrisen verbunden sind39. 34 Die extremste Position besetzt hier w o h l Abendroth, Das GG. Aber auch neben Abendroth — als engagiertestem Vertreter eines demokratisch planenden sozialen Wohlfahrtsstaates — gibt es profilierte Stellungnahmen zu alternativen Planungskonzeptionen i m Rahmen einer umfassenden Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. So vor allem Hartwich, S. 344 ff.; Ridder, Die soziale Ordnung des GG. 35 Hartwich, S. 361. Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfas-sungssystem des GG. S. 71 ff., hier: S. 566 ff. 37 Z u diesen politischen Planungstendenzen u n d ihren Ursachen vgl. stellvertretend für andere v. Eynern, Grundriß, S. 114; Thiele, Wirtschaftsverfassungsrecht. 38 I m übrigen v e r t r i t t auch Badura, Grundprobleme, S. 212, als bedeutender Vertreter der „herrschenden" Sozialstaatstheorie die Auffassung, daß „ W i r t schaftsplanung u n d Investitionslenkung . . . m i t einer privatwirtschaftlichen u n d marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung nicht notwendig i m W i d e r spruch" stehen. 39 Planung als unverzichtbare Voraussetzung eines erfolgreichen Krisenmanagements m i t dem Ziel kontinuierlicher Fortentwicklung und Sozialgestaltung hochindustrialisierter, demokratischer Gemeinwesen befürwortet 1959 bereits schon Friedrich, Demokratie als Herrschafts- u n d Lebensform, S. 91 ff., der (S. 95) ausführt: „daß eine Demokratie ohne sehr umfangreiche Planung i n unserer industriellen Gesellschaft überhaupt nicht mehr bestehen kann". — Die Enquete-Kommission Verfassungsreform, Teü I I , S. 100, stellt den dargelegten Sachverhalt u n d die zweipoligen Standpunkte zur Planungsdiskussion unter Bezugnahme auf politische, ökonomische u n d soziale S t r u k turkrisen i n den 60er u n d 70er Jahren i n der BR-Deutschland weniger k o n trovers d a r : „Einer anfänglichen Distanziertheit dem Planungsgedanken gegenüber folgte nach der k o n j u n k t u r e l l e n Krise der Jahre 1966/67 eine a l l seitige Aufgeschlossenheit, die wachsenden Staatsaufgaben, ihre gegenseitigen Verflechtungen, ihre fachlichen Schwierigkeiten und die Sachzwänge i n den verschiedenen Aufgaben- und Finanzierungsbereichen m i t der Planung i n den G r i f f zu bekommen. Die Finanzreform des Jahres 1969 hatte sich
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Offenbar auch unter dem Eindruck gestiegener politischer Planungsrealitäten 4 0 und aufgrund der Einsicht i n ihre zumindest partielle Berechtigung lassen sich i n jüngerer Zeit auch von sonst prinzipiellen Planungsgegnern Zwischenpositionen ausmachen 41 . Denn: „Geplant wird, seit es Menschen g i b t 4 2 . " Waren es zunächst vitale biologische, vor allem aber kulturelle Folgebedürfnisse, die — wollten sie befriedigt werden — zu zielgerichtetem und zukunftsorientiertem Handeln zwangen, geht es i n hochspezialisierten und differenzierten arbeitsteiligen Gesellschaften, i n denen weder „die gegenwärtige noch die zukünftige Befriedigung individueller und gesellschaftlicher Bedürfnisse garantiert" sind, u m gesellschaftliche Planung i m Sinne globaler politischer Strategien zur Zukunftsbewältigung 4 3 . Wenn Güterknappheit und Bedürfnisexpansion unter dem Gebot des optimalen Einsatzes der verfügbaren Ressourcen stehen, wenn die Abwehr ökonomischer, das politische System am ehesten gefährdende Krisen und die Entwicklung langfristiger wirtschaftspolitischer Strategien zur Verbürgung von Stabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung zur Existenzfrage eines Gemeinwesens werden, dann ist die Frage „nicht mehr das Ob, sondern nur noch das Wie der Planung" 4 4 . Da Planung stets ein zeitlich dimensionierter Vorgang ist, unterscheidet man zwischen kurzfristiger, mittelfristiger und langfristiger Planung 4 5 und hierbei wiederum unter einer Fülle unterschiedlicher Strategien wie der Auffang- und Anpassungsplanung, der Globalplanung, der Rahmenplanung, der Entwicklungsplanung 4 6 . zum Ziel gesetzt, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Die anschließenden Bemühungen, diese Möglichkeiten i n die T a t umzusetzen, haben die hochgestimmten Erwartungen auf einen baldigen durchschlagenden Erfolg nicht bestätigt. Verstärkt durch den Eindruck der erneuten Rezession i n den Jahren 1974/75 machte sich Vorsicht, w e n n nicht sogar eine gewisse Resignat i o n gegenüber einer Planung der staatlichen Aufgaben bemerkbar." 40 A m deutlichsten werden wirtschaftsplanerische Maßnahmen, die von der mittelbaren L e n k u n g bis h i n zu entwicklungsplanerischen Interventionen reichen, i n der S t r u k t u r p o l i t i k , zu der auch das Subventionswesen gehört. I m einzelnen siehe hierzu v. Eynern, Grundriß, S. 232 ff. 41 Vgl. hierzu: „Pläne (Perspektiven) der Bundesregierung, der Parteien u n d gesellschaftlichen Gruppierungen zur »Ausgestaltung 4 der M a r k t w i r t schaft", i n : Pilz, Soziale Marktwirtschaft, S. 84 ff. m i t umfangreichen A n m e r kungen. 42 Görlitz, Stich w o r t „Planung", i n : Ders. (Hg.), Handlexikon zur P o l i t i k wissenschaft, S. 296 ff. 48 Ebd., S. 297. 44 Ebd., S. 298. 45 Ebd., S. 299; Görlitz benennt z.B. Planungen als primär, die „alternative Gegenbilder zur Gegenwart" setzen u n d als sekundär jene, die „Planungsfolgen abfangen". 46 Vgl. zum definitorischen Gehalt einiger der benannten Planungskonzeptionen, die auch i m Rahmen von Umweltplanungen praktiziert werden bzw. zur Diskussion stehen, insbes. E. 4.1. f.
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Die K r i t i k an der Planung richtet sich demzufolge vor allem auf die Frage nach dem „Wie". Dabei geht es u m die unterschiedlichen A u f fassungen über die Methoden („Strategien") der Planung auf der Grundlage divergierender Auffassungen über die Organisation des politischen und gesellschaftlichen Lebens. Der sog. „holistischen Gesamtplanung" w i r d dabei von der vorgeblich reformorientierten „Stückwerk-Technik", als deren führender Vertreter K . R. Popper g i l t 4 7 , unterstellt, durch ihre globalen und komplexen Ziel-Mittelvorgaben müsse diese zwangsläufig zu „sozialistischem Planungsbürokratismus", „sozialistischer Planwirtschaft", letztlich zum „total verwalteten Bürger" und einem seiner „individuellen" und „grundgesetzlich garantierten Entfaltungsmöglichkeiten" enthobenen Menschen „totalitär regierter Staaten" führen 4 8 . Aber nicht nur i n der politischen Diskussion, sondern auch von den Planern und Planungsinstitutionen selbst werden ideologisch überformte Argumente gegen die Planung vorgebracht. Unter Rückgriff auf ökonomische und politische Positionen zur Planungseindämmung werden die „naturwüchsige Ordnung der Marktmechanismen" und „die freiheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums" auf einen Nenner gebracht; so beispielsweise i m Rahmen sog. „organischer" Betrachtungsweisen von Stadt- und Siedlungsstrukturen, festgemacht an den vorgeblich „organisch gewachsenen mittelalterlichen Städten" 4 9 , denen dann gegenüber den „geplanten geometrischen und monotonen Städten neuerer Zeit" der Vorzug gegeben wird. Wachstum und Planung werden als Antinomie betrachtet. Entgegen aller besseren Kenntnis der Stadtforschung w i r d dabei verschwiegen, daß nahezu jeder Stadt i m mitteleuropäischen Raum ein Gründungsakt und den Stadtentwicklungen i n der Regel planerische, rechtlich abgesicherte A k t i v i t ä t e n ebenso wie politische, soziale und ökonomische Entscheidungen vorausgegangen sind, unabhängig davon, ob es sich u m geometrische oder nicht-geometrische Grundrisse handelt 5 0 . Planer selbst verknüpfen also erfolgreich 47 Popper, Das Elend des Historizismus; zur K r i t i k vgl. Schuon, Bürgerliche Gesellschaftstheorie der Gegenwart. 48 Vgl. u. a. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. 151. 49 I n dem hier behandelten K o n t e x t sind n u r einige wenige Aspekte herausgearbeitet. Eine vergleichsweise ausführliche Darstellung der Ideologien „organischen, städtischen Wachstums" findet sich bei Helms/Janssen (Hg.), Kapitalistischer Städtebau. Vgl. auch Berndt/Lorenzer/Horn, A r c h i t e k t u r als Ideologie. 50 Die heute gemeinhin als idyllisch u n d gewachsen erscheinenden, v e r w i n kelten Straßenzüge u n d engen Gäßchen angeblich „organisch entwickelter mittelalterlicher Städte" sind vielmehr i m Zusammenhang m i t einem u m fangreichen Reglement geltender „Bauordnungen" entstanden. I m m i t t e l europäischen Raum sind diese bereits i m frühen M i t t e l a l t e r nachweisbar. Das bedeutsamste Zeugnis dieser A r t ist w o h l der „Sachsenspiegel", i n dem u. a. Nachbarrechte, Traufordnungen, Bauwiche, Fensterrechte, Bodenordnung,
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
ökonomische u n d politische I d e o l o g i e n m i t R u d i m e n t e n k u n s t h i s t o rischer B e t r a c h t u n g s w e i s e n des 19. J a h r h u n d e r t s , u m g e g e n w ä r t i g e F e h l p l a n u n g s r e a l i t ä t e n apologetisch z u verschleiern, die t e n d e n z i e l l i h r e Ursachen s o w o h l i m M a n g e l a n umfassenden, ü b e r g r e i f e n d e n u n d z u k u n f t s o r i e n t i e r t e n P l a n u n g s k o n z e p t i o n e n als auch i m U n v e r m ö g e n der P l a n e r haben. Diese „ o r g a n i s c h e n B e t r a c h t u n g s w e i s e n " scheinen sich auch i m B e w u ß t s e i n d e r P o l i t i k e r festgesetzt z u haben. W i r d doch stets e r n e u t d e r U n m u t ü b e r die N a c h t e i l e d e r h e u t e „ a l l e s r e g l e m e n t i e r e n d e n P l a n u n g " , i h r e r „ V e r w i s s e n s c h a f t l i c h u n g " u n d ihres „ U n f e h l b a r keitsanspruches" a r t i k u l i e r t u n d a u f d i e V o r t e i l e f r ü h e r e r „ u n g e p l a n ter" Entwicklungen der Siedlungen, Dörfer u n d Städte hingewiesen51. Davon unberührt bleibt die Notwendigkeit u n d Berechtigung einer d i f f e r e n z i e r t e n K r i t i k a n d e m „ W i e " d e r P l a n u n g . A u ß e r F r a g e stehen beispielsweise d i e l e g i t i m e n F o r d e r u n g e n nach K o n t r o l l e des P l a n u n g s prozesses u n d B e t e i l i g u n g s f o r m e n d e r B e t r o f f e n e n a n demselben, f ü r die L ö s u n g e n z w a r z . T . g e f u n d e n w u r d e n , j e d o c h b i s l a n g n u r h a l b herzig praktiziert werden 52. 1.3. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Problemaspekte D i e n i c h t e i n d e u t i g e A b - u n d A u s g r e n z u n g v o n verfassungsrechtlichen u n d verfassungspolitischen S t a n d o r t e n 5 3 b e i der I n t e r p r e t a t i o n 5 4 u n d Wegerechte festgelegt waren. Vgl. i m historischen Uberblick Buff , Bauordnung i m Wandel. 51 Stellvertretend hierfür ein K o m m u n a l p o l i t i k e r : Schwaiger-Herrschmann, Stadt- u n d Stadtentwicklungsplanung Ende der 70er Jahre, S. 27—29. 52 Wichtige Kritikansätze liefern z. B. die breit angelegte Partizipationsdiskussion u n d die wachsende Anzahl von Bürgerinitiativen, auf die hier nur global verwiesen werden kann. Vgl. Bahr (Hg.), Politisierung; Mayer-Tasch, Bürgerinitiativbewegung. Hinsichtlich der Möglichkeiten praktizierter Beteiligungsformen i m Städtebau vgl. z.B. das theoretisch fundierte u n d 1975/76 i n Testläufen i n Hagen-Haspe erprobte Modell von Dienel, Die Planungszelle. 53 Z u r Unterscheidung verfassungspolitischer und verfassungsrechtlicher Argumentationsweisen werden folgende Abgrenzungskriterien u n d begriffliche Klärungen eingeführt: Der verfassungspolitischen Diskussion werden jene Interpretationen zugeordnet, die den Standort der jeweiligen politischen F ü h r u n g u n d der von ihrem W i l l e n getragenen, aber jederzeit revidierbaren politischen Entscheidungen zur Konkretisierung des Gestaltungsspielraumes der Verfassung erkennen lassen und die deutlich machen, daß es u m die E r haltung einmal besetzter Herrschafts- u n d Machtpositionen der jeweiligen Verfassungsorgane geht. — Eine verfassungsrechtliche Argumentation ist dann gegeben, wenn die Diskussion m i t jenen Interpretationsmustern k o r respondiert, die die Verfassung als ein instrumentelles, i n sich offenes u n d zugleich dynamisches System ausweisen, das die Voraussetzungen der rechtlichen Grundordnung eines demokratischen Gemeinwesens verankert. Durch die Ordnungsprinzipien u n d - s t r u k t u r e n sowie eine relativ geschlossene normative Wertordnung, die zur Disposition der gesetzlichen Konkretisierung stehen, ermöglicht die Verfassung politische Einheit u n d soziales Leben bzw. gewährleistet entsprechend ihren Ausgestaltungsmaximen differenzierte, funktionale Integrationsformen für politische, ökonomische u n d soziale H a n d lungsweisen.
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den Forderungen nach Konkretisierung der Werte, Normen, Grundsätze und Handlungsspielräume des Grundgesetzes ist ein weiterer wichtiger Problemfaktor bei der Herausarbeitung des öffentlichen Diskussionsstandes. Dies vor allem hinsichtlich der nicht zweifelsfreien Klärung des interdependenten Verhältnisses von Verfassung und Politik und der Übernahme dieser Schwierigkeit bei der Beurteilung von Planungen i m allgemeinen und Umweltplanungen im besonderen. Aus der systemtheoretischen Perspektive kann zwar eine mehr oder weniger eindeutige Lokalisation von Verfassung und Politik vorgenommen werden' 55 . So sind i m Systemmodell die Impulse darstellbar, die die Verfassung an die Politik und das gesamtgesellschaftliche System sendet, und umgekehrt die Anstöße, die die Verfassung aus der Politik i n Form sog. Input-Output-Beziehungen 5 6 zur Fortentwicklung der verfassungsimmanenten Werte und Normativinhalte erhält. Doch handelt es sich bei dieser Darstellung um eine modelltheoretische Betrachtungsweise der Interdependenzen 57 . Die Aussage- und Erklärungskraft derartiger idealtypisch visualisierter Annahmen der Systemtheorie sind zwangsläufig begrenzt, da sie m i t dem Ziel der Gewährleistung der strikten Wissenschaftlichkeit ihrer Aussagen Wirklichkeit reduzieren. I n der Realität bestehen zwischen Verfassung und Politik fließende Grenzen, zum Teil kaum wahrnehmbare Schwellenbereiche, Übergänge, Durchdringungen und Überschneidungen ebenso wie unverzichtbare Wirkfaktoren. Hinzu kommt ein der verfassungsrechtlichen Hermeneutik zugrundeliegender Theoriepluralismus 58 , der sowohl Rudimente aus den liberalen Staatsauffassungen des 19. Jahrhunderts als auch Elemente eines egalitären demokratischen Gemeinwesens der Gegenwart miteinander vermischt, und die oft unzureichend bewußt gemachten und begründeten „Antizipationen des Vor-Verständnisses" durch den Interpreten, der „ n u r aus der konkreten geschichtlichen Situation heraus, i n der er sich befindet, deren Gewordenheit seine Denkinhalte geprägt hat und sein Wissen und seine Vor-Urteile bestimmt" haben, den Inhalt der zu interpretierenden Norm erfassen kann 5 9 . 54 Z u m „ T h e o r i e n w i r r w a r r " der Verfassungsexegese siehe weiter unten; vgl. vertiefend C. 4.3. 55 Vgl. B. 2., Skizze 4, u n d die entsprechenden textlichen Erläuterungen. 56 Vgl. z.B. auch die Ausführungen von Berg-Schlosser/Maier/Stammen, Einführungen i n die Politikwissenschaft, S. 158 ff. 57 Z u m heuristischen Sinn und der heuristischen Grenze der systemtheoretischen Untersuchungen vgl. Narr, Theoriebegriffe u n d Systemtheorie, T e i l I, S. 170 ff. 58 Ausführlich problematisiert i n C. 4.3. 59 Hesse, Grundzüge, S. 26; des weiteren S. 301 ff.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
Gleichermaßen fließen parteipolitische Positionen u n d Grundorient i e r u n g e n i n die I n t e r p r e t a t i o n der W e r t e , N o r m e n , V e r f a s s u n g s g r u n d sätze etc. e i n , die — angesichts u n k l a r e r R i c h t l i n i e n e i n z e l n e r I n t e r p r e t a t i o n s m e t h o d e n 6 0 u n d i n d e r F o l g e fehlender, e i n d e u t i g e r D e f i n i t i o n s m e r k m a l e — k e i n e v e r b i n d l i c h e n A u s s a g e n ü b e r i h r e I n h a l t zulassen. V i e l m e h r w e r d e n die v e r r e c h t l i c h t e n N o r m e n u n t e r m e h r oder w e n i g e r „ n e b u l ö s e n " G l o b a l b e g r i f f e n zusammengefaßt, die sich s o w o h l a u f „ g e setzesnahe, b e h a r r e n d e , k o n s e r v a t i v e als auch g e s e t z ü b e r w i n d e n d e , p r o gressive A r g u m e n t a t i o n s f o r m e n " s t ü t z e n k ö n n e n 6 1 . D i e A u f g a b e der V e r f a s s u n g s i n t e r p r e t a t i o n , „ d a s v e r f a s s u n g s m ä ß i g »richtige' E r g e b n i s 60 Ebd., S. 23 ff. Der A u t o r betont seine verstärkten Bedenken angesichts der Tatsache, „daß die Praxis verfassungsrechtlicher Interpretationen sich von den von i h r selbst anerkannten Interpretationsregeln oft w e i t entfernt" habe. So geben die „herkömmlichen Auslegungsregeln", zu denen sich das B V e r f G ausdrücklich bekennt, „ n u r begrenzten Aufschluß über die A r t und Weise, i n der das Gericht zu seinen Entscheidungen gelangt". A u f die Grenzen jener Verfassungsinterpretation verweist u. a. auch Adomeit, S. 217 ff. Interpretation — so Adomeit — könne n u r „die Mehrheit möglicher Bedeutungen präziser herausarbeiten. Die Entscheidung zwischen den sich anbietenden A l t e r n a t i v e n ist ein Wahlakt, der i m W i l l e n des Interpreten, nicht mehr i n dem des Gesetzgebers liegt." 61 Ders., S. 220. Die folgende Ubersicht gibt i n geraffter F o r m die A r g u mentationsmuster bei der Interpretation der Verfassung aus dem Selbstverständnis der Parteien wieder, m i t denen diese auf die politische Willensbildung der Bürger u n d die Verfassungsexegese i m Rahmen ihrer jeweiligen Regierungspolitik EinfLuß nehmen. 1
SELBSTVER-
^N^STÄNDNIS/· GRUNDPARTE, E Ï > ^ R T
CDU/CSU
FDP
E
Parteipolitisches Selbstv e r s t ä n d n i s b e i der Auslegung der Verfassung L i b e r a l - g r u n d r e c h t l i c h e bzw. bürgerlich rechtsstaatliche Orientierung
Liberal-sozial-personale und d e m o k r a t i s c h - f u n k t i o nale Orientierung
Sozialstaatliche.und materielldemokratische O r i e n t i e r u n g
SPD
Grundwerte und P r i n z i p i e n d e r P a r t e i m i t Verfassungscharakter
F r e i h e i t , S o l i d a r i t ä t , Gleichh e i t a u f der Grundlage v o n P l u r a l i t ä t , Subsidiarität und E f f e k t i v i t ä t
I n d i v i d u e l l e F r e i h e i t e n des sozialgebundenen E i n z e l n e n , Selbstbestimmung, s o z i a l e G e r e c h t i g k e i t a u f der Grundl a g e von L i b e r a l i t ä t , J o l e r a n z und Konkurrenz F r e i h e i t , Gerechtigkeit, Solidar i t ä t a u f der Grundlage v o n gleichberechtigter Mitwirkung/ M i t v e r a n t w o r t u n g i n a l l e n Lebensb e r e i c h e n , der Eröffnung g l e i cher Chancen und Rechte sowie Durchsetzung von L e b e n s q u a l i t ä t
Die Ubersicht stützt sich auf die parteipolitischen Grundsatzprogramme zur K o m m u n a l p o l i t i k : Kommun-alpolitisches Grundsatzprogramm der CDU/CSU v o m 21.—22.11.1975 i n -Stuttgart; L e i t l i n i e n zur K o m m u n a l p o l i t i k , überarbeitete Fassung (Stand 22. 3.1976) der Thesen liberaler K o m m u n a l p o l i t i k , 26. ordentlicher Parteitag der F D P v o m 27.-29.10.1975 i n Mainz; K o m m u n a l p o l i tisches Grundsatzprogramm der SPD v o m 15.11.1975 i n Mannheim; des weiteren Reuter, K o m m u n a l p o l i t i k i m Parteienvergleich, S. 34 ff.
1. Stand der öffentlichen Diskussion
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i n einem rational und kontrollierbaren Verfahren zu finden, dieses Ergebnis rational und kontrollierbar zu begründen und auf diese Weise Rechtsgewißheit und Voraussehbarkeit zu schaffen", scheint „freilich i n der Gegenwart weniger denn je bewältigt" 6 2 . So w i r d nicht zu Unrecht „das üppig wuchernde Dickicht von Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur" zum Grundgesetz kritisiert, das ein geradezu beängstigendes Ausmaß nicht nur für den damit befaßten Wissenschaftler, sondern insbesondere auch für den Bürger als informationsbedürftigen und -willigen Laien angenommen hat 6 3 . Somit ist die Forderung nach Rückbesinnung der zuständigen Verfassungsorgane — d. h. neben dem Bundesverfassungsgericht auch der Regierung, des Gesetzgebers und der politischen Parteien — auf die Aufgaben, Grenzen, Bedingungen und Möglichkeiten der Verfassungsinterpretation i m Hinblick auf die rechtsstaatlich gebotene Rechtssicherheit, Durchschaubarkeit und Berechenbarkeit politischer, sozialer und ökonomischer Prozesse und Planungen unverzichtbar 6 4 . Das Dilemma fehlender Transparenz i m Sinne der Aufdeckung der verfassungstheoretischen, rechtsdogmatischen, staatsphilosophischen und methodischen Vor-Verständnisse aber auch der eigenen politischen Positionswahl konfrontiert die Akteure und Betroffenen m i t einem Erosionsprozeß i m Verfassungsbereich, der sich als unüberwindbare K l u f t zwischen postuliertem Verfassungsanspruch und erlebter Verfassungswirklichkeit darstellt 6 5 . Damit verbunden ist die Gefahr tendenzieller Manipulation der öffentlichen Meinung u n d politischen Willensbildung, was u m so schwerer wiegt, als i n politisch sachlich zu haltenden Grundsatz- und Reformdiskussionen über Gestaltungsmöglichkeiten und Handlungsinstrumente zur Steuerung (ζ . B. Planungen) des Gemeinwesens und zur Krisenbewältigung verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Positionswahlen auch bewußt als Instrumente zur Durchsetzung eigener Interessen i m politischen Kräftefeld i n unzulässiger Vernetzung eingesetzt werden 6 6 . M i t anderen Worten: Der Nachweis dessen, was „verfassungslegitim" und was „verfassungswidrig" oder von der Verfassung her „machbar" und „nicht machbar" ist, w i r d m i t lobbyistischen ebenso wie m i t herrschafts- u n d machtpolitischen Argumenten vermischt, i n die Diskussion eingebracht und sowohl vom Gesetzgeber bei der Konkretisierung und Fortentwicklung 62
Hesse, Grundzüge, S. 21. Vgl. i n diesem Sinne auch Ridder, S. 10. 64 Prononciert Böckenförde, der aus den dargelegten Gründen eine „verfassungsmäßige Grundrechtstheorie" fordert; vgl. vertiefend C. 4.3. 65 Den V o r w u r f des Mißbrauchs der Verfassung zu Leigitimitätszwecken u n d einer sich ausbreitenden „Grundgesetztheologie" erhebt neben anderen Seifert, Grundgesetz u n d Restauration. 66 Vgl. Ridder, S. 13 ff. 63
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
der V e r f a s s u n g als auch v o n d e n b e r u f e n e n übernommen67.
Verfassungsinterpreten
2. Forderungskatalog zur Bereinigung und Neuorientierung der öffentlichen Diskussion D i e z u v o r dargelegte k o m p l e x e u n d v e r n e t z t e P r o b l e m s t r u k t u r z u m B e f u n d der ö f f e n t l i c h e n D i s k u s s i o n i n P l a n u n g s - u n d V e r f a s s u n g s f r a g e n z e i g t die D r i n g l i c h k e i t d e r A u f s t e l l u n g eines F o r d e r u n g s k a t a l o g e s 6 8 z u r B e r e i n i g u n g des N e g a t i v b e f u n d e s . A u s d e r Sicht der Verfassung lassen sich i m H i n b l i c k a u f die P l a n u n g folgende a l l g e m e i n e n F o r d e r u n g e n f o r m u l i e r e n , die verfassungs-legit i m a t o r i s c h d u r c h d i e d e r j e w e i l i g e n F o r d e r u n g i n K l a m m e r n beigef ü g t e n Verfassungsobersätze r e s p e k t i v e G r u n d g e s e t z a r t i k e l abgesichert sind: — N o t w e n d i g k e i t der T r e n n u n g v o n verfassungsrechtlichen I n t e r p r e t a bei tionen u n d verfassungspolitischen Argumentationsweisen 69, gleichzeitiger N o t w e n d i g k e i t d e r s t ä r k e r e n N u t z u n g des i n t e r d e p e n d e n t e n V e r h ä l t n i s s e s v o n V e r f a s s u n g u n d P o l i t i k { N u t z u n g der I n p u t s der V e r f a s s u n g a n die P o l i t i k s o w i e j e n e r d e r P o l i t i k z u r F o r t e n t w i c k l u n g d e r Verfassungsgrundsätze) i n s e i n e r B e d e u t u n g f ü r P l a n u n g e n ( A r t . 1; 18; 20; 70 ff.; 92 ff.); — N o t w e n d i g k e i t der E i n f ü h r u n g distanzierter, neutraler u n d differenzierter Betrachtungsweisen zur S t r u k t u r u n d F u n k t i o n v o n V e r fassung u n d P l a n u n g e n ( A r t . 1; 20 u n d 28); 67 Ä h n l i c h äußert sich neben vielen anderen Autoren auch Witzel, Eigentumsgarantie u n d städtisches Bauland, S. 3. Der A u t o r weist darauf hin, daß die Diskussion zu der untersuchten Problemstellung, bei der es u m Fragen des Eigentums u n d somit u m A r t . 14 geht, auch i n der konkreten Fragestell u n g Emotionen h e r v o r r u f t : „Die ideologischen Auseinandersetzungen i m Gesetzgebungsverfahren werden ohne weiteres i n die verfassungsrechtliche Diskussion übernommen." 68 Die Forderungen stützen sich i m wesentlichen auf die bisherigen Arbeitsergebnisse sowie folgende Veröffentlichungsbeispiele: Enquete-Kommission Verfassungsreform, T e i l I u n d I I ; Ossenbühl, Normative Anforderungen. 69 Diese Forderung erscheint als besonders relevant vor dem unter E. 1.3. dargelegten Hintergrund. F ü r die „neutrale" Behandlung der vorliegenden Forschungsproblematik muß eine klare Trennung zwischen diesen beiden z. T. kontroversen Diskussionsstandorten eingeführt werden. Geltend w i r d hierfür gemacht die Notwendigkeit, sich nicht i m staatsphilosophiischen u n d rechtsdogmatischen Ausdeutungspluralismus der G G - L i t e r a t u r zu verlieren u n d die subjektiven Befunde der zwangsläufig interessengeprägten Auffassungen der A u t o r e n bei der Interpretation von Verfassungsgrundsätzen i m Hinblick auf die Planung weitgehend auszuschalten. B e i der Weiterbehandl u n g der h i e r m i t verbundenen Fragestellungen werden somit vorrangig einige der maßgeblichen GG-Kommentare sowie die sich auf BVerfGE stützende L i t e r a t u r herangezogen.
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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— Notwendigkeit der Rückbesinnung auf einen differenzierten und i n der Verfassung rückgekoppelten Begriffsapparat sowie Verhinderung der Bündelung bestimmter verfassungsrechtlicher Sachverhalte u n d Grundsätze zu mehr oder minder „nebulösen" Globalbegriffen m i t dem Ziel der effektiveren Nutzung von Verfassungsgrundsätzen (Abbau von Konsensschwellen, Konfrontationen etc.) (Art. 1; 19; 20); — Notwendigkeit der Überbrückung des Neutralitätsschwundes, der mangelnden Distanz, des Pluralismus der Verfassungstheorien bei der Ausdeutung und Konkretisierung von Verfassungsgrundsätzen i m Hinblick auf eine Neuorientierung der raumrelevanten Einzelpolitiken und ihrer funktionellen Bedeutung für raumwirksame Planung (Art. 1; 20 und 28); — Notwendigkeit der unbedingten Beachtung unverzichtbarer Grenzmarkierungen der Verfassung und Verhinderung, daß die ursprüngliche Fassung, d. h. der Wesensgehalt des Grundgesetzes durch außerrechtliche Praktiken, gesamtgesellschaftliche Strukturentwicklungen und Verfestigungen überwuchert w i r d (Art. 1; 19; 79). Aus der Sicht der Planung können i m Hinblick auf die Verfassung folgende allgemeinen Forderungen aufgestellt werden: — Notwendigkeit der Weiterentwicklung bereits vorhandener nungsvorstellungen der Verfassung (Art. 28; 70 ff.; 91a und b);
Pla-
— Notwendigkeit der Rückbesinnimg u n d Bewahrung von Distanziertheit und Problemadäquanz bei der verfassungsrechtlichen Fortentwicklung des Planungsinstrumentariums insbesondere unter Berücksichtigung des Aspektes, daß derartige Maßnahmen stets i n „Neuland" führen (Art. 1; 19; 20 und 28; A r t . 79); — Notwendigkeit, die Problematik einer verfassungsrechtlichen Kodifikation von Planungsfragen i m Auge zu behalten 7 0 , insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich die Mängel des derzeitigen Planungsinstrumentariums nicht mehr vom einfachen Gesetzgeber beheben lassen (Art. 1; 19; 70 ff.); — Notwendigkeit der Anerkennung des Umstandes, daß für die Überbrückimg der K l u f t von Verfassungsanspruch und -Wirklichkeit das Gebiet der raumwirksamen Planungen von besonderer Relevanz ist und daß eine kontinuierliche Verfassungsentwicklung i n ihren 70 Schmidt-Aßmann, S. 547, ist — abweichend von der hier vertretenen Auffassung — der Ansicht, daß die Zeit zu einer großen K o d i f i k a t i o n des Planungsrechts nicht reif ist. Vielmehr sollen „Bundes- u n d Landesgesetzgeber (...) jeweils zu i h r e m T e i l den ,Einbau' der Planung i n das Instrument a r i u m des Verfassungsstaates vollziehen". D e m Gesetzgeber w i r d dabei eine Steuerungsfunktion obliegen, damit Planungen wenigstens ein M i n i m u m „ a n normativer Ordnung" erfahren.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
Ergebnissen für das demokratische Gemeinwesen nur i m Kontext mit einer kontinuierlichen Planungsentwicklung Erfolg versprechen kann (Art. 1; 19; 20 und 28; A r t . 79); — Notwendigkeit der Rückbesinnung auf die Grundstrukturen des Wesens der Planung, der Beachtung der politischen Rolle der Planung, der Integrationserfordernisse verschiedener Planungsmaßnahmen, der gesellschaftlichen Teilhabe am Planungsprozeß, der Planung der Ressourcen und ihres sachgerechten Einsatzes, der Fortentwicklung des Planungsverständnisses i n seinen heterogenen Bezugspunkten zur Gesellschaft, der Berücksichtigung von Problemen der Planeraus- und Planerweiterbildung angesichts sich beschleunigender gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse (Art. 1 bis 19; 20 und 28; A r t . 70 ff.). Insgesamt bedeutet das: die Notwendigkeit einer Absage an idealistisch überzogene Planimgsvorstellungen und -erwartungen sowie die Dringlichkeit der sachgerechten Einschätzung von Planungskapazitäten i m Hinblick auf die verfügbaren finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen; die Überwindung von Konsensschwellen bei gemeinsamen Grundannahmen; die Verhinderung eines fortschreitenden und sich verselbständigenden Planungsperfektionismus; den Abbau der Kompliziertheit von Planungsverfahren; die problemadäquate Integration der unterschiedlichen Einzelaufgaben sowie die Beachtung der Vielfalt ihrer möglichen Interdependenzen und Sachgeisetzlichkeiten. 2.1. Ordnungspolitische Offenheit der Verfassung als Voraussetzung alternativer Planungskonzeptionen
Die i n den A r t i k e l n 1 und 20, 28 und 70 verankerten, jeder Verfassungsänderung 71 entzogenen Grundsätze der Menschenwürde, Grundrechtsbindung staatlicher Gewalt, Volkssouveränität, Demokratie, Bundes-, Rechts- und Sozialstaatlichkeit, M i t w i r k u n g der Länder an der Gesetzgebung, die m i t den i n den A r t . 2—19 normierten Grundrechten zu den Fundamentalnormen der verfassungsmäßigen Ordnung des Gemeinwesens gehören 72 , sind — wie mehrfach betont — angesichts ihres 71 I n A r t . 79 Abs. 3 ist der sog. „Ewigkeitscharakter" der angeführten V e r fassungsgrundsätze niedergelegt. 72 Wenn auch die A r t . 2 bis 19 Änderungen durch Gesetze m i t vorgeschriebenen qualifizierten Mehrheiten zugänglich sind, d a r f der „Wesensgehalt" der Grundrechte gemäß A r t . 19 Abs. 2 nicht angetastet werden. Diese Wesensgehaltsgarantie bezeichnet nichts anderes, als die „aus der Aufgabe der praktischen Konkordanz resultierenden Schranken der Begrenzung von Grundrechten", die freilich auch vor dem H i n t e r g r u n d des komplizierten rechtsdogmatischen Streites u m die gebotene Interpretation des A r t . 19 Abs. 2 gesehen werden muß. Siehe vor allem Hesse, Grundzüge, S. 139; Maunz, Staatsrecht, S. 142.
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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h o h e n A b s t r a k t i o n s n i v e a u s a u f I n t e r p r e t a t i o n , z u m T e i l a u f rechtliche A u s g e s t a l t u n g u n d K o n k r e t i s i e r u n g s m a ß n a h m e n angewiesen. Diese g r u n d g e s e t z l i c h e n F u n d a m e n t a l n o r m e n e r g ä n z e n sich wechselseitig, s i n d d u r c h zahlreiche B e z i e h u n g e n u n t e r e i n a n d e r v e r k n ü p f t , w e i s e n aber auch p o l a r e A k z e n t u i e r u n g e n a u f 7 3 . D i e h i e r geschützten Rechtsgüter müssen j e d o c h i n d e r k o n k r e t e n verfassungsrechtlichen P r o b l e m l ö s u n g u n t e r das P r i n z i p d e r „ p r a k t i s c h e n K o n k o r d a n z " i m S i n n e sachlicher u n d f u n k t i o n e l l e r E i n h e i t s b i l d u n g g e s t e l l t w e r d e n 7 4 . Die N o r m i e r u n g e n bzw. N o r m a t i v i n h a l t e der Verfassung konstituieren — d a r a u f w u r d e b e r e i t s h i n g e w i e s e n — k e i n e n organisatorisch u n d r e c h t s n o r m a t i v s t a r r e n R a h m e n ; sie e r w e i s e n sich v i e l m e h r als G r e n z m a r k i e r u n g e n , i n denen F r a g e n z u r S t e u e r u n g , E n t w i c k l u n g u n d G e s t a l t u n g des Gemeinwesens u n d der s o z i a l r ä u m l i c h e n L e b e n s b e d i n gungen bewußt offen gehalten s i n d 7 5 . Diese i m Grundgesetz angelegte „ o r d n u n g s p o l i t i s c h e N e u t r a l i t ä t " 7 6 e r f o l g t e s i c h e r l i c h i m p l i z i t auch i n der E i n s i c h t , daß z u k ü n f t i g e n E n t 73 Wie kontrovers die verfassungs juris tische Hermeneutik z.B. das V e r hältnis von Demokratie, sozialem Rechtsstaat u n d Bundesstaat i n der v e r fassungsmäßigen Ordnung interpretiert, w i r d deutlich an der v o r a l l e m von Forsthoff, Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaates (1954), i n : Ders. (Hg.), Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit, S. 165 ff., behaupteten A n t i nomie von (formalem) „Rechtsstaat" u n d „Sozialstaat". Z u r K r i t i k vgl. Hesse, Grundzüge, S. 109 ff. 74 Ebd., S. 112. 75 Richtungsweisend f ü r diese u n d andere Positionen, die von einer v e r fass ungsnormati ν offenen Ausgangssdtuation i m GG ausgehen, liegen i. d. R. die Entscheidungen des B V e r f G zum Investitionshilfegesetz (sog. „ I n v e s t i tionshiilfe-Urteil" v o m 20. 7.1954) zugrunde, das bereits i m Zusammenhang m i t der unter E. 1.2.3. thematisierten „Ideologieanfälligkeit" der Planungsdiskussion e r w ä h n t wurde. Hervorgehoben w i r d i n dieser Entscheidung die „wirtschaftspolitische Neutralität" des GG u n d ausgeführt: Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei nicht durch eine bestimmte „Wirtschaftsverfassung des G G festgelegt; damit garantiere das GG weder die n u r m i t „ m a r k t konformen M i t t e l n " zu steuernde „soziale M a r k t w i r t s c h a f t " noch die w i r t schaftspolitische Neutralität der Regierungs- u n d Gesetzgebungsgewalt; v i e l mehr — so das B V e r f G — sei das GG insofern neutral, als der Gesetzgeber die i h m jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschafts- u n d 'Sozialordnung v e r folgen könne, sofern er dabei die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, den sozialstaatlichen Auftrag, die rechts staatlichen Verfassungsgrundsätze u n d die grundrechtlichen Gewährleistungen respektiere. I. d. iS. vgl. auch Badura, Wirtschaftsverfassung, S. 18 ff. Die dargelegten Einschätzungen sind generell auch auf das Ordnungs- und Steuerungsinstrument Planung übertragbar. 76
Vgl. zum Terminus z.B. Leibholz/Rinck, Einführung, Rdnr. 7 sowie A r t . 20 Rdnr. 12. I n seiner ehemaligen Eigenschaft als Bundesverfassungsrichter n i m m t Leibholz öffentlich nochmals Stellung zur „ordnungspolitischen Neutralität" u n d „Offenheit des G G " ; Ders., Eigentum verpflichtet — Interpretationen zu einem Grundgesetzartikel, u n d f ü h r t dazu aus: „ I n W i r k l i c h k e i t ist die heutige Wirtschafts- u n d Sozialordnung zwar eine nach dem GG mögliche Ordnung, keineswegs aber — w i e behauptet worden ist — die allein mögliche. Die heutige soziale Marktwirtschaft beruht, w i e auch das B V e r f G bemerkt hat, auf einer v o m W i l l e n des Gesetzgebers getragenen
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
wicklungs- und Wandlungsprozessen der technologischen, ökonomischen, sozialen und i m weitesten Sinne umweltbeanspruchenden Lebensverhältnisse und -bedürfnisse des Menschen m i t entsprechend alternativen und problemgerechten Entscheidungs- und Handlungsinstrumenten zur Gestaltung des sozialen Lebens i n räumlichen Bezugssystemen begegnet werden kann und muß. Somit ist den politischen Handlungsträgern Raum belassen, i n der Zukunft auftretenden und i n der Gegenwart nicht ohne weiteres prognostizierbaren, unbekannten Aufgaben sowie zum Abbau von erkannten Krisen- und Konfliktsituationen m i t einem sachlich und zeitlich begründetem Instrumentarium von Intervention, Lenkung, planender Gestaltung, Programmen, gesetzgeberischen Maßnahmen aktiv zu werden 7 7 . Die Entscheidung über die jeweils problemadäquaten und sachgemäß erscheinenden Ordnungs-, Lenkungs-, Steuerungs-, Verteilungs- und Entwicklungsmaßnahmen sollen dabei i n der freien Auseinandersetzung der jeweiligen geistigen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kräfte unter Beachtung demokratischer Spielregeln entstehen. I n diesem Sinne ermöglicht der verfassungsnormative offene Gestaltungsrahmen dem konkretisierenden Gesetzgeber Initiativmöglichkeiten zur Verabschiedung von Gesetzen, Programmen und Maßnahmen, die nicht i m Einklang m i t den bisherigen ökonomischen, sozialen und politischen Ordnungsvorstellungen zu stehen brauchen 78 . wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere E n t scheidung ersetzt u n d durchbrochen werden kann. Es ist daher v o n Verfassung wegen belanglos, ob ein Gesetz i m Einklang m i t der bisherigen W i r t schafte- und Sozialordnung steht. (...). Werden Maßnahmen v o m Gesetzgeber erlassen, die m i t der M a r k t - u n d Wirtschaftsordnung unvereinbar sind, so muß die verfassungsrechtliche Nachprüfung sich darauf beschränken, die jeweiligen Gesetze auf ihre Übereinstimmung m i t den allgemeinen Verfassungsprinzipien u n d den Grundrechten zu prüfen." 77 Vgl. paradigmatisch die von der „Großen K o a l i t i o n " institutionalisierten k o n j u n k t u r - u n d wachstumspolitischen Reformen zur Rückgewinnung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" nach der Rezession von 1966/67, die m i t dem „ ,15. Änderungsgesetz zum GG 4 v o m 8. J u n i 1967 (BGBl. I S. 581) u n d dem i n zeitlichem u n d sachlichem Zusammenhang damit erlassenen ,Gesetz zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft' v o m 8. J u n i 1967 (BGBl. I S. 582) förmlich ihren Einzug i n das Verfassungsrecht u n d i n die rechtliche Ordnung der Wirtschafts-, Finanz- u n d Haushaltsp o l i t i k gehalten" haben. Dazu Badura, Wirtschaftsverfassung, S. 55 ff.; des weiteren Thiele, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 234 ff. I m K o n t e x t der v o r liegenden Forschungsthematik vgl. u. a. zur Neukonzeptualisierung der Wohnungspolitik i n i h r e n Auswirkungen auf die Sozialordnung das „Gesetz über den A b b a u der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales M i e t u n d Wohnrecht" v o m 23. 6.1960 (BGBl. I S. 389), i n der L i t e r a t u r als sog. „Abbaugesetz" apostrophiert sowie die Einführung des B ß a u G v o m 23. 6.1960 (BGBl. I S . 341), heute g ü l t i g i n der Neufassung v o m 18.8. 1976 (BGBl. I S. 2256) u n d der letzten Änderung am 6. 7.1979 (BGBl. I S. 949), m i t denen die erkannten Mißstände i n Stadt, Siedlungen, Dörfern etc. behoben werden soll(t)en. Zur Problematik vgl. stellvertretend Hartwich, S. 208 ff. 78
I n diesem Sinne nochmals Leibholz/Rinck,
A r t . 20 Rdnr. 12.
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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Die i n der „herrschenden Lehre" überwiegend akzeptierte These von der „ordnungspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes — auf konträre Standorte wurde bereits hingewiesen — ist für die hier zu erörternde Problemstellung insofern von besonderem Interesse, als dieser — von Experten i n Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz häufig ignorierte oder verfälschte™, i m politischen Bewußtsein breiter Bevölkerungsschichten verschüttete oder manipulativ überformte 8 0 — verfassungsnormativ offene Gestaltungsrahmen ein vielfältiges Spektrum von Möglichkeiten zur Neukonzeptualisierung raumrelevanter Politiken .und damit einhergehend ebenfalls eine sach- und zeitgemäße Fortentwicklung entsprechender Instrumente i m Sinne von Umweltplanung eröffnet. 2.1.1. Exkurs:
Wohnungspolitik
der Nachkriegsjahre
(1949—1961)
Die Nutzungschancen und Konkretisierungsmöglichkeiten dieses Gestaltungsrahmens — i m zuvor formulierten Sinne — lassen sich rückblickend instruktiv belegen anhand der den gesetzgeberischen Initiativen zugrundeliegenden ordnungspolitischen Vorstellungen Ende der vierziger bis Anfang der sechziger Jahre zur Konstituierung und Regulierung des Bau- und Wohnungswesens und der i n diesem Zusammenhang notwendigerweise zu kodifizierenden Planungen. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß es sich bei diesen Politik- und Planungsbereichen u m maßgebliche Handlungsinstrumente zur sozialräumlichen Gestaltung dessen handelt, was i m vorliegenden Untersuchungskontext als Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen ausgewiesen ist. 79 Wie sehr die eigene politische Positionswahl die wissenschaftliche Z i e l setzung der juristischen Hermeneutik beeinflussen kann, daß sogar der p o l i tische Gegner m i t juristischen M i t t e l n disqualifiziert wurde, belegt Hartwich, S. 344 ff. anhand von ausführlichem Quellenmaterial aus d e m wissenschaftlichen u n d parteipolitischen Schrifttum zum Sozialstaat. Dieses neige — so Hartwich — überwiegend dazu, „diejenigen Elemente der Verfassung i n den M i t t e l p u n k t zu stellen, die zugleich das politisch realisierte Sozialstaatsmodell i n seinem Ansatz, w e n n auch nicht i n seiner aktuellen Ausprägung als das einzig mögliche erscheinen lassen". Zuzustimmen ist Hartwich folglich, daß — so gesehen — das alternative Sozialstaatsmodell m i t Sozialisieriing, einem materialen Freiheitsverständnis, einer umfassenden Demokratisierung v o n Wirtschaft u n d Gesellschaft „auch wissenschaftlich weitgehend eleminiert worden" ist. Betrachtet m a n ζ . B. die jahrelange u n d nach w i e vor fruchtlose Diskussion u m die Reform des Bodenrechts, findet m a n Hartwichs These n u r allzu bestätigt. Vgl. hierzu u. a. Conradi IDieterich/Hauff, F ü r ein soziales Bodenrecht. 80 Diesen Sachverhalt beklagt u . a . Ridder, S. 9; i n scheinbar polemischer Überspitzung stellt der A u t o r fest, daß das G G weniger „Besitz des Volkes", vielmehr „ e i n von ahnungs- u n d verantwortungslosen Fest- u n d Alltagsrednern beschworener Fetisch" sowie „Domäne von ,Experten' i n Wissenschaft', Politik, V e r w a l t u n g u n d Justiz" geworden sei, deren „Beiträge zur Erosion der Verfassungssubstanz i m Verlauf der 25 Jahre ein beängstigendes Ausmaß erreicht haben". Ä h n l i c h kritisch Seifert, S. 12 f.; Hartwich, S. 351.
18 Malz
274
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
So war vor allem i n den drei Legislaturperioden von 1949 bis 1961 die bundesgesetzliche Neuregelung auf dem Gebiet des Wohnungsbaues „auffallend stark", wobei die Tendenz innerhalb des genannten Zeitraumes „ganz deutlich auf dem großen und zusammenhängenden Gebiet der öffentlichen Wohnraumbewirtschaftung, des öffentlichen Mietpreisrechts und des Mieterschutzes" auf „eine Freigabe oder — i m Sinne der verfassungsrechtlichen Terminologie — eine Entpflichtung 4 des Eigentums" hinauslief 8 1 . M i t Ausgang des Krieges (1945) und nach Gründung der BR-Deutschland (1949) war zur Behebung der durch Kriegszerstörung und anhaltende Zuwanderung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge entstandenen Wohnungsnot die gesellschafts-, wirtschaftspolitisch und sozialräumlich gleichermaßen relevante Entscheidung zur „Wohnungszwangswirtschaft" gefallen 82 . Nach Beseitigung der größten Engpässe i n der Wohnungsversorgung wurde der durch interventionistische und zwangswirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen charakterisierte Wohnungsbau zunehmend aufgelockert 8 3 und „ m i t der gesetzlichen Regelung des Gesamtkomplexes von Wohnraumbewirtschaftung, Mietgestaltung, Wohnungsbau, Mieterschutz und öffentlicher Bindung besonders geförderter Wohnungen" 8 4 — nach H.-H. Hartwich legislativer „Kulminationspunkt" einer auf Freigabe des Grund- und Wohnungseigentums abzielenden Politik — schließlich abgebaut 85 . Diesem „Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- u n d Wohnrecht" lagen bestimmte verfassungspolitische und interpretatorisch determinierte Vorstellungen der damaligen Regierung und des Bundesgesetzgebers 81 Hartwich, S. 208. Deutlich w i r d bei den von Hartwich angeführten und untersuchten Beispielen zur Neubestimmung der Sozialpflichtigkeit des E i gentums, „daß die gesetzliche Gestaltung sozialer Bereiche i n der Bundesrepublik nicht i m m e r n u r auf die Freigabe individueller Rechte u n d A n s p r ü che zielte", sondern als „gesetzliche Bindungen v o n Privateigentum" intendierten, „die Übereinstimmung m i t dem GG i m Prinzip herbeizuführen" (S. 203 ff.) : z. B. durch Bindungen zur Sicherung der Bauleitplanung (BBauG v o m 23.6.1960); durch Bindungen mittels behördlich geleiteter Flurbereinigungsverfahren (Flurbereinigungsgesetz v o m 14. 7.1953) ; durch Eigentumsbindungen i m Interesse von A g r a r s t r u k t u r u n d landwirtschaftlichen Betrieben (Grundstücksverkehrsgesetz v o m 28. 7.1961). 82 Das Wohnungsdefizit bezifferte sich 1948/49 — auf d e m Höhepunkt der Wohnungsnot — i m Bundesgebiet auf 5 M i o Wohnungen bei einem Bestand von oa. 8,5 M i o Wohnungen i m Jahre 1945. „Wegen der Wohnungsnot u n t e r w a r f das Wohnungsgesetz des K o n trollrat s v o m 8. 3.1946 den vorhandenen W o h n r a u m einer umfassenden und öffentlichen Bewirtschaftung. Die Mieten w u r d e n auf dem Stand v o m 17.10.1936 festgehalten. Der Mieterschutz wurde z u m T e i l noch verstärkt". Hartwich, S. 210. 83 I m einzelnen vgl. ebd., S. 210 ff. 84 Ebd., S. 212. 85 Nach Auffassung von Hartwich (ebd.) ist dies „die komplexe gesetzgeberische V e r w i r k l i c h u n g einer bestimmten verfassungsrechtlichen Interpretation, ideologischer Postulate und interessenbedingter Forderungen".
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des G G
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zugrunde. Diese orientierten sich vor allem am Leitbild zur „sozialen Marktwirtschaft", definiert als: „die sozial gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, i n der die Leistung freier und tüchtiger Menschen i n eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von w i r t schaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle erbringt" 8 6 . Für den Bereich des Wohnungs- und Bauwesens und seine gesetzliche Regelungen bedeutet dieser Sachverhalt, den „Gesetzmäßigkeiten" des M a r k tes Geltung zu verschaffen. M i t anderen Worten: „Die Eingriffe der Wohnungszwangswirtschaft i n das private Eigentum und i n die Vertragsfreiheit (sollten) aufhören, wenn eine etwa ausgeglichene Wohnungsversorgung gegeben (war) 8 7 ." Ohne an dieser Stelle auf die offensichtliche Problematik der Bewertung und Beurteilung des „Sozialen" i m Rahmen dieser ebenso wohnungspolitisch bedeutsamen als auch ökonomisch, sozial und raumwirksam wichtigen Gestaltungs-, Steuerungs- und Lenkungsmaßnahmen näher eingehen zu können, zeigt dieses wichtige Beispiel der rechtlichen Entwicklung der Eigentumsgewährleistung 88 anschaulich, daß auf der Basis eines einzigartigen ökonomischen Aufschwungs es plötzlich realisierbar zu sein schien, durch „die ungeheure Ausbreitung sozialstaatlicher Leistungen allen Gruppen das ihrige und jedem eine Chance zu versprechen" 89 . Diese sichtbaren Erfolge einer neoliberal orientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik 9 0 entzogen jenen politischen Konzeptionen, „die dem Bestehenden grundlegende Alternativen entgegensetzten (...) ihren ursprünglichen Rückhalt". Somit konnten politische Alternativen „ m i t einiger Glaubwürdigkeit i n das Arsenal gefährlicher ,Experimente 4 verwiesen werden" 9 1 . Berechtigt ist daher die These, daß — bei globaler Betrachtung der Planungsrealität — bis i n die Mitte der 60er Jahre „die Politik i n der BRD m i t guten Gründen als »politics of nonplanning 4 bezeichnet wer86 Düsseldorfer Leitsätze der C D U v o m 15.7.1949, i n : Politische Akademie Eichholz (Hg.), Dokumente zur Christlichen Demokratie, S. 206 ff. 87 Hartwich, S. 214. 88 Neben einer F ü l l e von Maßnahmen zur Begünstigung der Vermögensbildung lagen auf dieser Entwicklungslinie auch die zunehmende Privatisier u n g öffentlicher Unternehmen. Weitere Angaben bei Hartwich, S. 188 ff.; vgl. auch Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 275 ff. 89 Schäfer, L e i t l i n i e n stabilitätskonformen Verhaltens, i n : Schäfer/Nedelmann (Hg.), Der C D U Staat I I , S. 443. 90 Die neoliberale Wirtschafts- und Soialpolitik w a r verbunden m i t Nip perdeys Interpretation der „sozialen M a r k t w i r t s c h a f t " als „verfassungsmäßige Ordnung", der Rechtsstaatsinterpretation von Forsthoff u n d einer an Euckens Typologie der Wirtschaftsformen angelehnten Antiplanungsideologie; vgl. υ. Eynern, Grundriß, S. 64 ff. 91 Hirsch, Parlament u n d Verwaltung, 2. Teil, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle i n der Bundesrepublik Deutschland, S. 169.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
den" kann 9 2 . Dennoch hat die vorherrschende Antiplanungsideologie „Planungen" nicht völlig ausschalten können. Allerdings basierte das, was als Planung angesehen wurde (punktuelle Interventionen und Stimulierungen wirtschaftlicher Entwicklungen; isolierte, unzusammenhängende Detailprogramme m i t kurzfristiger Perspektive; Mittelverteilung nach dem „Gießkannenprinzip" u. a. m.), ihrem Selbstverständnis nach nicht auf politischen Alternativen i m Sinne eines wirkungsvollen, nach verfassungsnormativen Zielfunktionen ausgerichteten Rahmenplanungskonzeptes und ebenfalls nicht i m Sinne einer sozialräumliche Aufgaben integrierenden Entwicklungsplanungskonzeption. Der Charakter dieser A r t Planung ist vielmehr „als reaktives Anpassungsverhalten des ökonomischen und sozialen Systems" zu werten 9 3 , was bei der an sich ja widersprechenden Gesetzgebung i m Rahmen der allgemeinen Zielsetzung des zuvor skizzierten „Abbaus der Beschränkungen, der Bindungen und des Zwanges i n der Verfügung über Wohnungseigentum" 9 4 besonders deutlich wird. Der gewisse Widerspruch zwischen marktwirtschaftlicher Ideologie und der schon i n den fünfziger Jahren real erfolgenden zentralen K o ordination und Steuerung erklärt sich auch auf wohnungspolitischem Gebiet dadurch, „daß nicht so sehr öffentliche Institutionen als Träger der planenden Koordination auftraten, sondern diese Aufgabe eher von Wirtschaftsverbänden und vor allem von den privaten Großbanken übernommen w u r d e " 9 5 . 2.2. Nutzung der im Grundgesetz angelegten „ordnungspolitischen Neutralität" als Basis zur Weiterentwicklung von Umweltplanungen
Als eine „zu vordergründige Rationalisierung" muß das übliche Erklärungsschema angesehen werden, „daß die vorherrschende Antiplanungsideologie eine wirkungsvolle (...) Planung verhindert habe" 9 6 . Die Einsicht, daß — zumindest mittelfristig — auch demokratisch organisierte Gesellschaften nicht mehr ohne intensivere Planung auch der Staatsausgaben und der Infrastrukturpolitik auskommen können 9 7 , hat sich nach dem Wiederaufbau und nach der wirtschaftlichen Aufschwung92 Naschold, Anpassungsplanung oder politische Gestaltungsplanung? i n : Steffani, Parlamentarismus, S. 79 und 69 ff. 93 Ebd., S. 80. 94 So die fortgeltenden Bindungen des öffentlich geförderten Wohnraums bei einem sonst „freien Wohnungsmarkt". I m übrigen vgl. Hartwich, S. 217 f. 95 Hirsch, S. 166. 96 Naschold, S. 80. 97 Hirsch, S. 168: „ V o r diesem H i n t e r g r u n d wären i m übrigen die gerade zu dieser Zeit verstärkt einsetzenden wissenschaftlichen Bemühungen u m die Rationalisierung der gesamten Regierungsorganisation u n d Regierungsarbeit zu sehen."
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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phase — wie bereits erwähnt — spätestens seit der tiefgreifenden und umfassenden Wirtschaftskrise 1966/67 durchgesetzt. Plausibler erscheint somit ein Erklärungsrahmen, der u m eine Verbindung von system- und lerntheoretischen Annahmen erweitert w i r d : „Danach konnten aufgrund der hohen wirtschaftlichen Zuwachsraten die zentralen Systemerfordernisse wie äußere Sicherheit, Wirtschaftsstabilität und Massenloyalität i n einem solchen Maße erfüllt werden, daß auf das politische System kein unabweisbarer Druck zu zielstrebigem Lernen i m Sinne seiner Umstrukturierung auf planvolle Steuerungsprozesse ausgeübt wurde, denn die dysfunktionalen Folgen planloser Politik blieben weitgehend unerkannt 9 8 ." Als m i t der Wirtschaftsund Finanzkrise 1966/67 sich diese dysfunktionalen, sozioökonomischen und sozialräumlichen Konsequenzen verschärften (Stagnation/Sinken der Wirtschaftswachstumsraten, Strukturkrisen, schrumpfende Gewinne, Arbeitslosigkeit, wachsende Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem Sektor, langfristige Finanzierungslücken i m Bundeshaushalt, Wohnungs- u n d Infrastrukturmängel, Siedlungsprobleme, städtebauliche Mißstände u. a. m. 0 9 ), mußte das politische System — wenn es „überleben" wollte — „seine routinisierten Verhaltensmuster aufgeben und durch einen zielstrebigen Lernprozeß ein höheres Rationalitätsniveau seiner Handlungen anstreben" 1 0 0 . M i t dem Übergang von der „konventionellen" zur „aufgeklärten" Marktwirtschaft (Karl Schiller) und weitgehender Akzeptierung der konjunkturellen Verantwortlichkeit des Staates i m Sinne einer systematischen, makroökonomischen Steuerung durch Intervention, „ w i e er i n der Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts' zum Staatszweck von Verfassungsrang seinen Ausdruck f a n d " 1 0 1 , bleibt jedoch die Frage nach Grad und Ausmaß verfassungsnormativ legitimierter, planerischer Schritte i m Rahmen innovativer, an grundsätzlichen Zielfunktionen orientierter Planungskonzepte unbeantwortet. Ein zentrales, bislang ungelöstes Problem, m i t dem sich die Bemühungen u m politische Innovation i m Sinne einer planvollen Gestaltung (hier speziell der Umweltpolitik und Umweltplanung) konfrontiert sehen, stellt diese durch (Verfassungs-) Rechtsprechung, Staatsrechtslehre und Planungstheorie nur höchst fragmentarisch, inkonsequent und unstimmig erfüllte Aufgabe dar. Denn i m Rahmen der historisch gege98
Naschold, S. 80. Ebd., S. 81; vgl. hier auch den umfangreichen Anmerkungsapparat m i t relevanten Literaturangaben S. 101 ff. M 0 Ebd. 101 Denninger, Stich w o r t „Sozialstaat", i n : Görlitz (Hg.), Handlexikon zur Rechtswissenschaft, S. 428. 99
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
benen, verfassungsnormativ offenen Ausgangssituation ist es eben nur unzureichend gelungen, die Verfassungsgrundsätze i n ihrer Konkordanz und vor allem auch „die Tragweite des Sozialstaatsprinzips rechtsfortbildend-konkretisierend auszuloten". Zuzustimmen ist E.Denninger, der diese Problematik wie folgt resümiert: daß die Chancen weitgehend ungenutzt geblieben sind, „über die individualbezogenen Topoi der ,Zumutbarkeit' und der ,Verhältnismäßigkeit' hinaus aus einem konsistenten Theorieansatz folgerichtige Kriterien für eine funktionale, gesetzgebungspolitisch beachtenswerte Verbindung des Sozialstaatsmoments m i t den rechtsstaatlichen Freiheitsgarantien zu entwickeln" 1 0 2 . So stellt sich nach wie vor das praktisch-politische Problem des Einbaus innovatorischer Planungselemente „neben die herkömmlichen Instrumentarien der Intervention von Regierung und Bundesbank i n das System der Marktwirtschaft" 1 0 3 . Unsicherheit herrscht angesichts des Streitstandes der theoretischen Diskussion über die Frage, wie mit Hilfe eines auf Menschenwürde und Partizipation anzulegenden „ I n teressenkonflikte institutionell verarbeitenden politischen Systems eine Kompossibilität des gewährenden und leistenden (damit zwangsläufig auch nehmenden, verteilenden, planenden und lenkenden) Sozialstaats m i t dem individuelle, auch ökonomische Entfaltungschancen gewährleistenden Rechtsstaat auf Dauer herzustellen" sei 1 0 4 . Das „Patt" der rechtsdogmatischen Argumentationsmuster spiegelt sich auch i n den Parteiprogrammen wider, „die keine Richtung zu verprellen wagen (,Gefälligkeitsdemokratie'); es handelt dem marktwirtschaftlichen System den V o r w u r f ein, zu systemüberwindenden Reformen unfähig zu sein (.. . ) " 1 0 5 . Es kann natürlich i n wissenschaftlich-technologisch und sozioökonomisch dynamisch entwickelten Industriegesellschaften m i t pluralen, mehr oder weniger antagonistischen und sich verändernden Intressenkonstellationen 1 0 6 kaum einen abschließenden Konsens darüber geben, „ob und unter welchen Bedingungen ein Zustand ,sozialer Gerechtigkeit' erreicht sei" 1 0 7 , zu deren Verwirklichung der Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes den Gesetzgeber verpflichtet hat, dies zeigt sich nicht nur an dem hohen Maß inhaltlicher Beliebigkeit und inkonsistenter Argumentation, die die juristische Verfassungshermeneutik bei der Interpre102
Ebd., S. 427. Wittkämper, Stichwort „Planung i n der BRD", i n : v. Eynern (Hg.), W ö r terbuch zur politischen Ökonomie, S. 275. 104 Denninger, Stichwort „Sozialstaat", S. 428. 105 Wittkämper, Stichwort „Planung i n der B R D " , S. 275. 106 ν . Beyme, Interessengruppen i n der Demokratie. 107 Denninger, Stichwort „Sozialstaat", S. 430. 103
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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tation dieser „Sozialgestaltungspflicht" kennzeichnet, obwohl unstrittig die „Garantie der Menschenwürde" auch i m Sinne eines „materialen Grundprinzips" zum „obersten Zweck des Staates der Moderne" erhoben w i r d 1 0 8 . Auch die i m demokratischen System der Öffentlichkeit verantwortlichen Verfassungsorgane — Parlament, Regierung und Parteien — sind zwangsläufig interessengefärbt und nicht Vertreter eines abstrakten „Allgemeinwohls". Insofern erweist sich i n der Tat der Sozialstaat als eine Kategorie der „konkreten Utopie" (...), „als eine über das jeweils Erreichte hinausweisende ,ewige Aufgabe 4 , deren konkrete Bewältigung dem demokratischen Prozeß anheimgegeben ist"109. Eine funktionierende Demokratie setzt demnach bei wachsender „Diskrepanz zwischen Umweltanforderungen und ihrer Krisenbewältigungskapazität" 1 1 0 diese Offenheit für konkrete Utopien geradezu voraus. Anknüpfend an diese verfassungsnormativ angelegte Möglichkeit der prinzipiellen Veränderbarkeit gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Funktionen geht es nunmehr u m die konzeptionelle Diskussion langfristig institutionalisierbarer und nicht technokratisch verkürzter umweltpolitischer Planungskonzepte. Aus den weiter oben skizzierten Notwendigkeiten und zunächst noch global vermittelten Möglichkeiten, sozialräumliche Innovation i m Sinne einer zukunftsorientierten Umweltplanungspolitik zur Bewältigung der gestiegenen und zum Teil konträren Anforderungen i m Verhältnis Mensch-Wohnumwelt anzustreben, w i r d das politische System initiiert, spezifisch funktionale Leistungen i n Form adaptiver und antizipierender umweltpolitischer Entscheidungen zu erbringen, wenn es seine Funktionsfähigkeit und seine öffentlich-politische Legitimationsbasis nicht verlieren w i l l . Diese spezifischen Leistungen setzen jedoch — angesichts des hohen Komplexitätsgrades moderner Gesellschaften und ihrer Lebensbedingungen und -Verhältnisse m i t den sich daraus „ f ü r (...) Planung ergebenden gewaltigen Informations- und Wertproblemen" 1 1 1 — intensive Such- und Lernprozesse i m Rahmen von umweltpolitischen Entscheidungsprozessen (Informationsverarbeitungsprozessen) voraus, die an die jeweiligen, wohnumweltrelevanten Rollen- u n d Funktionsträger zunächst und speziell auf den Ebenen Partei, Parlament und Regierung die Anforderungen stellen: los Maihof er, Rechtsstaat u n d Sozialstaat, i n : Weyer (Hg.), Rechtsstaat — Sozialstaat, S. 13 ff. 109 Denninger, Stichwort „Sozialstaat", S. 430. 119 Naschold, S. 82. 111 Ebd., S. 74.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
— entsprechend den sich tendenziell beschleunigenden Entwicklungsund Wandlungsprozessen mit wachsenden Wohnumweltproblemen bei gleichzeitiger Verminderung der Problemlösungskapazität, — entsprechend des verfeinerten Instrumentariums zur Vorwegnahme der Zukunft (wissenschaftlich rationalisierte Politik, Anleitung der politischen Praxis durch wissenschaftliche und technologische Beratung, Einsatz von Datenverarbeitung und Datenbanken), — entsprechend der für die nachfolgenden Generationen (über-)lebensnotwendigen gegenwärtigen Maßnahmen aus den soziokulturellen Inputs (Bedürfnissen und Interessen) Ziele zu identifizieren (Sammeln, Speichern, Auswerten einschlägiger Informationen, Entwicklung von Problemlösungsstrategien, Handlungsalternativen und Entscheidungsmodellen) sowie materielle und instrumentelle Voraussetzungen zu schaffen (Planung, Plan, Planvollzug, Plankontrolle und Plananalyse), um diese Ziele zu realisieren und über reaktives Anpassungsverhalten hinaus planvolle, zukunftsorientierte Verhaltensmuster gegenüber internen und externen Anforderungen zu entwickeln, also i n Outputs umzusetzen 112 . Das bedeutet zusammenfassend, daß Umweltplanung konzeptionell als eine „aktuelle Version von Systematisierung" 1 1 3 , als „Versuch der Steigerung der Informationsverarbeitungskapazität" 1 1 4 sowie als „der systematische Entwurf einer rationalen Ordnung auf der Grundlage alles verfügbaren einschlägigen Wissens" 1 1 5 ausweisbar wird. I n Übereinstimmung m i t neueren politikwissenschaftlichen Erkenntnissen und praxisbezogenen Empfehlungen 1 1 6 kann davon ausgegangen werden, daß eine Innovation der Gesamtheit der raumrelevanten Politik e n 1 1 7 dann besser zu konzipieren ist, wenn diese durch rückgekoppelte Interaktionen m i t der gesamtgesellschaftlichen Identifikationsbasis „Verfassung" i n Richtung auf das Systemziel „humanere Wohnumwelt" zu lernen bemüht ist. 112
Vgl. auch Elhoein, Regierungslehre, S. 129 ff. Kaiser, zit. n.: ebd., S. 142. 114 Naschold, S. 77. 115 Ellwein, Regierungslehre, S. 142. 116 Vgl. u. a. Wittkämper, Handlungsträger; Enquete-Kommission Verfassungsreform ; B M B a u (Hg.), Beirat für Raumordnimg. I n dieser Analyse der Gültigkeit der Ziele des ROG und des BROP unter sich ändernden E n t w i c k lungsbedingungen v e r t r i t t der Beirat die Ansicht, daß durch Nutzung u n d Ausschöpfung der Verfassungsprinzipien u n d Grundrechte politisches H a n deln weiterentwickelt u n d dadurch z. B. die Raumordnungspolitik auch i m Sinne gesamtgesellschaftlicher Erfordernisse u n d Wandlungsprozesse neu konzipiert werden kann. A u f der Grundlage dieser Erkenntnis e n t w i r f t der Beirat einen heterogenen Zielkatalog i n F o r m gesellschaftlicher Indikatoren f ü r die Raumordnung. 117 Vgl. jeweils die 3. Spalte der Problemsynopsen i n D. 2.1. ff. 113
2. Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit des GG
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Für Umweltplanungen würde dies i m Hinblick auf ihre Ziele, Strate' gien, Organisationsweisen, rechtswirksamen Planungsinstrumente u. a. m. zur Folge haben, daß generell eine Neuorientierung struktureller und funktionaler Planungselemente eröffnet wird: — indem die Grundrechte, Normvorstellungen und Verfassungsgrundsätze als planungstheoretische Handlungsanweisungen m i t gestalterischem Praxisbezug akzeptiert, weitergedacht, umgesetzt und angewendet werden 1 1 8 ; — indem die Leit- und Orientierungsvorstellungen zu einer menschenwürdigeren und lebensgerechteren Daseins- und Wohnumweltgestaltung zunächst verbal-qualitativ i n ein Wertsystem transformiert und die Einzelwerte des Systems zielhierarchisch operationalisiert werden; — indem dieses Wertsystem schließlich für den konkreten raumrelevanten Planungsfall i n numerisch-quantitativen Zielsystemen indikatorisiert w i r d 1 1 9 . Die sich hierdurch ergebenden Chancen für eine raumwirksame Konkretisierung der normativen Wirkungsgehalte der Verfassung — d. h. vor allem auch ein kontinuierlicher Abbau der durch Fehlplanungen entstandenen Diskrepanz zwischen Grundrechtsanspruch und Grundrechtswirklichkeit — führen darüber hinaus zu folgenden wichtigen Konsequenzen respektive Maßnahmen: — Die genuinen, raumbeanspruchenden Bedürfnisse des Menschen werden entsprechend ihrer zentralen verfassungsrechtlichen Bedeutung i n das Zentrum allen planerischen Handelns und Entscheidens gerückt. Den technokratisch verkürzten, vorwiegend ökonomischen Effizienzkriterien und Standards i n bisherigen, nicht mehr hinterfragten Umweltplanungen w i r d — i n diesem an verfassungsnormativen Zielfunktionen orientierten und für neue Lernprozesse offenen Planungssystem — e i n nachrangiger Stellenwert zugeordnet 1 2 0 . — Umweltplanungen müssen einen kontinuierlichen Beitrag zur Konkretisierung der Raumwirksamkeit der Grundrechte leisten; Bestandsbedrohungen und Gefährdungen des Wesensgehaltes der Grundrechte, die i m Rahmen bisheriger Planungen entstanden sind, müssen abgebaut und i n Zukunft vehindert werden 1 2 1 . Analog gilt das zuvor Gesagte für jene Maßgaben und Forderungen, die i m Rah118
Vgl. i. d. S. T e i l C sowie die Ausführungen i n T e i l D. Z u entsprechend konzeptionellen Vorschlägen vgl. insbes. und zusammenfassend C. 5. 120 Dazu die Problematisierung i n C. 1.2. f. 121 Vertiefend C. 2. 119
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
men der Analyse und Interpretation aus den Verfassungsgrundsätzen gewonnen werden 1 2 2 . — Strategien zur planvolleren und zielorientierten Nutzung der Wohnumweltressourcen/Wohnumweltstrukturen müssen auf die Fundamentalnorm Menschenwürde sowie auf alle übrigen auf diesen Zentralwert h i n ausgerichteten Grundrechte verpflichtet werden 1 2 3 . — Zukünftige Entscheidungsprozesse zu Gestaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen der Wohnumwelt müssen individuelle und kollektive Ansprüche, Erwartungen und Bedürfnisse von Familien, sozialen Gruppen und Individuen gleichermaßen berücksichtigen. Diese ergeben sich nicht nur aus den differenzierten Anforderungen, wie sie i m Konzept der Wohnumweltebenen 1 2 4 und den darin auftretenden unterschiedlichen Forderungen der Daseinsgrundfunktionen entstehen, sondern sind jeweils mit den durch das grundrechtliche Wertsystem abgedeckten sozialräumlichen Lebensbereichen zu interpretieren 1 2 5 . — Der Prozeß und das Konzept der Umweltplanung sind darüber hinaus und vordringlich m i t den gemeinwesen- bzw. gesellschaftsrelevanten Maßgaben und Forderungen abzustimmen, wie sie den normativen Wirkungsgehalten der Verfassungsgrundsätze zu entnehmen sind 1 2 6 , zu deren mittelbarer und unmittelbarer Konkretion Umweltplanung einen dauerhaften Beitrag zu leisten hat. 3. Verfassungsgrundsätze u n d i h r heterogener Bezug zu U m w e l t p l a n u n g e n
Die Analyse des wissenschaftlichen Diskussionsstandes und -spektrums zu Fragen der Verfassung i m Kontext m i t Problemen der Planung hat einen komplizierten Sachverhalt deutlich gemacht, der insgesamt einen erheblichen, theoretischen und praxeologischen „ForschungsLag" i n diesem interdisziplinären Erkenntnisbereich indiziert. Das wissenschaftliche Interesse an der Problemstellung — unter anderem beeinträchtigt durch Defizite i n der interdisziplinären Zusammenarbeit und verformt durch die inhaltliche Beliebigkeit und inkonsistenten A r gumentationsmuster i m Rahmen der Rechtsdogmatik, durch fehlende Theorieansätze, durch Ideologieanfälligkeit — gilt überwiegend der Erörterung von Planungs- und Verfassungsfragen i m Zusammenhang mit politisch-organisatorischen Tätigkeiten (Steuerung, Lenkung, Inter122 123 124 125 126
Zusammenfassend vgl. D. 4., Tableau 3. Dazu C. 4. ff. Z u m Begriff und zur räumlichen Differenzierung vgl. A. 2.2. Vgl. C. 4. ff. Vgl. D. 4., Tableau 3.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
283
vention etc.) und w i r d vor allem i m Kontext m i t kontroversen Standpunkten zur Wirtschaftspolitik thematisiert. Wissenschaftliche Beiträge aus den Disziplinen der Raumforschung, des Städtebaus, der Urbanistik respektive den raumrelevanten Planungstheorien fehlen entweder ganz oder behandeln diesen Untersuchungskomplex nur punktuell, indem sich das Erkenntnisinteresse reduktionistisch auf einzelne Grundrechtsbzw. Verfassungsartikel konzentriert 1 2 7 . Diese restriktiven Sachverhalte, die für die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion gleichermaßen symptomatisch sind, bilden somit eine ausgesprochen problematische und defizitäre Grundlage für die Behandlung der Themenstellung, bei der die Schwerpunkte des Erkenntnisinteresses — wie weiter oben dargelegt — darauf konzentriert sind, Fragen der Verfassungsgrundsätze i m Kontext m i t Umweltplanungen zu diskutieren und Vorschläge für eine grundgesetzlich umfassend rückgekoppelte Planungskonzeption zu erarbeiten. Aus der Sekundäranalyse des verwendeten wissenschaftlichen Materials können allerdings einige grundlegende Aussagen und Erkenntnisse i n ihrem generellen Bedeutungsgehalt für das m i t dieser Arbeit verfolgte Untersuchungsziel genutzt werden. Es sind dies vor allem jene Erkenntnisse, die summarisch von der zuvor problematisierten These der „ordnungspolitischen Neutralität" der Verfassung ausgehen, eine verfassungsnormativ angelegte, prinzipielle Veränderbarkeit gesamtgesellschaftlicher Strukturen und Funktionen betonen sowie die Frage nach der Innovation von an grundgesetzlichen Zielfunktionen und normativen Wirkungsgehalten orientierten Planungskonzeptionen zwar nicht beantworten, jedoch deren Realisierungschancen offenlassen. Damit ist der Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen konturiert. I m Mittelpunkt des Interesses steht zunächst die Herausarbeitung und Kenntlichmachung der prinzipiellen Strukturen und funktionalen Beziehungen, die i m Bezugssystem Verfassungsgrundsätze und Planungen vermutet werden respektive angelagert sind und die durch die Ergebnisse des Teiles D — u n d dort speziell durch die i n D. 3.1. ff. u 4. herausgestellten Normativinhalte der i n A r t . 20 verankerten Staatszielbestimmungen der Demokratie, des Sozial-, Rechts- und Bundesstaates — gestützt werden. Dabei sind diese Verfassungsgrundsätze, das sei nochmals betont, einerseits als Strukturprinzipien aufzufassen, indem sie das Gemeinwesen i n seiner Grundordnung konstituieren, und andererseits als normative Ordnungsfunktionen zu verstehen, die dynamisch-entwicklungsbedürftigen Charakter haben und den Gestaltungsspielraum sowie Handlungsauftrag aktiver politischer Tätigkeit markieren. Der zuletzt 127
Vgl. u. a. dazu die Hinweise i n C. 4.2., F N 193.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
genannte Sachverhalt, dem i m weiteren das besondere analytische und interpretatorische Interesse gilt, verweist i m weitesten Sinne auf die Notwendigkeit des Einsatzes zweckrationaler und zielorientierter Handlungskonzepte, wie sie beispielsweise i n Form des Instrumentes der Planung zur Verfügung stehen. Das Handlungsinstrument der Planung erscheint somit geeignet, jene gesamtgesellschaftlich relevanten Gestaltungsaufträge und normativen Wirkungsgehalte des Grundgesetzes — wie sie durch das Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzip entfaltet werden — handhaben zu können und funktional konkretisieren zu helfen. Diese Grundannahme basiert auf den bisherigen Erkenntnissen und Interpretationen 1 2 8 sowie auf den i m weiteren zu bestimmenden terminologischen Festlegungen zur Interdependenz von Planungsstruktur und Verfassungsgrundsätzen. Schematisch dargestellt und auf maßgebliche strukturelle und funktionale Beziehungen beschränkt, ergibt sich folgendes Bild: Skizze 12: Interdependenzen von Planungsstruktur, Grundrechten und Verfassungsgrundsätzen
128
Dazu D. 3.1. ff. sowie Anhang D / E , Kap. I.—IV.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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Diese idealtypische Visualisierung verdeutlicht, daß nur dann von einer i n der gesamten Verfassungsordnung rückgekoppelten Planung gesprochen werden kann, wenn alle aufgeführten Einzelelemente berücksichtigt und i n ihren funktionalen Beziehungen miteinander verknüpft sind. Implizit w i r d damit auch jene Grundannahme zum Ausdruck gebracht, daß sich bei einer unterschiedlichen Gewichtimg und/ oder Außerachtlassung eines Verfassungsgrundsatzes i n Struktur und funktionalem Gehalt verschiedenartige Planungskonzeptionen ergeben können. Diese mögen dann zwar gerade noch von der Verfassung bzw. einzelnen Verfassungsgrundsätzen abgedeckt sein, doch muß derartigen Planungen unterstellt werden, daß sie ihre Impulse und konzeptionellen Ausformungen vor allem von der jeweils temporär geltenden „herrschenden Meinung" oder einem verfassungstheoretisch beliebigen, ideologisch überformten Grundgesetzverständnis erhalten. Dieser Sachverhalt konnte i m weiter oben skizzierten Beispiel nachgewiesen werden, bei dem die kontroverse Interpretation zum Rechts- und Sozialstaatsprinzips i m Kontext m i t (politischen) Planungen dazu geführt hat, der Rechtsstaatlichkeit vor der Sozialstaatlichkeit den Vorrang einzuräumen bzw. letztere gänzlich aus der Diskussion zu verbannen, indem sie als antinomisch und unvereinbar m i t den übrigen Verfassungsgrundsätzen respektive als utopisch abqualifiziert wurde (wird). M i t anderen Worten: Es besteht Grund zur Annahme, daß bei Nichtbeachtung des praktischen Konkordanzprinzips und seiner Erfordernisse hinsichtlich der gleichzeitigen, gleichrangigen und gleichwertigen A n wendung der Normativinhalte der Verfassungsgrundsätze es zu einer tendenziellen Verschiebung i n der Konzeptualisierung der Struktur von Umweltplanungen kommt, w i e sie beispielsweise i n den praktizierten Formen der Bauleitplanung als Auffangplanung und/oder Entwicklungsplanung nachweisbar sind 1 2 9 . Ehe auf eine problemorientierte Analyse dieser beiden, realiter auftretenden Planungskonzeptionen eingegangen wird, soll zunächst der normative Wirkungsgehalt der einzelnen Verfassungsgrundsätze i n seinen möglichen Input-Output-Beziehungen zur Umweltplanimg diskutiert werden. 3.1. Normative Anforderungen des Demokratieprinzips an die Umweltplanung
Anknüpfend an die Analyse und Interpretation zum Demokratieprinzip i n Anhang DIE sowie an die Erkenntnisse i n Teil D und die dort unter dem Leitziel „Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Daseinsbedingungen" dargestellten Sachverhalte 1 3 0 hält dieser Verfassungsgrund129 130
Dazu ausführlich E. 4.-4.2. Vgl. D. 3.1.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
satz eine Reihe normativer Anforderungen an die Umweltplanung bereit, die subsumierbar sind unter der Zielvorstellung „Demokratisierung der Planung". I m Hinblick auf eine Differenzierung dieses Leitbildes sind zunächst jene verfassung9immanenten Konditionen des Demokratieprinzips von grundlegender Relevanz, die diesen Verfassungsgrundsatz als „Typus" und grundgesetzlich „verbindende Leitidee" materiellinhaltlich konkretisieren. Hierzu zählen insbesondere: die Menschenwürde; die prinzipielle Gleichheit und das materielle Willkürverbot; die Freiheitsrechte und vor allem die Grundrechte der Kommunikation; die politische Ordnungsidee der Gewaltenteilung; das Mehrheitsprinzip und der Minoritätenschutz; das Mehrparteiensystem; die Kontrolle der Regierung durch die Opposition; die Wahlen und entsprechende Wahlmodalitäten; die Ordnung der Lebensbereiche durch Sätze objektiven Rechts. Zwar w i r d i n den dieser Arbeit zugrundegelegten Grundgesetz-Kommentaren kein unmittelbarer Bezug zwischen Planungen und Demokratieprinzip hergestellt, doch wurden bereits i n Teil D eine Vielzahl von Normativsätzen und Wirkfaktoren prinzipiellen Charakters benannt, die auf das Handlungsinstrument Planung verweisen. Auszugehen ist somit von folgenden grundsätzlichen Überlegungen: Das Demokratieprinzip begründet i m Hinblick auf Umweltplanungen weder eine explizite „Planungspflicht" noch eine „Planungsabstinenz". Es setzt vielmehr einen durch die Verfassung legitimierten, normativ-offenen und wertgebundenen Handlungsrahmen zur Gestaltung, Entwicklung, Steuerung und Ordnung des Gemeinwesens und der darin menschenwürdig zu konkretisierenden Lebensverhältnisse und Daseinsbedingungen. Da sich m i t der Zielsetzung „Demokratisierung der Daseinsbedingungen" durch „Demokratisierung der Planung" implizit auch die Einsicht einer wirksameren u n d gleichmäßigeren, qualitativ-sozialräumlichen Interessen- und Bedürfnisbefriedigung sowie einer kontinuierlichen Annäherung der politischen und ökonomischen Leistungsfähigkeit an das soziokulturelle Anspruchsniveau verbindet, kann nicht erwartet werden, daß derartige Gestaltungs- und Steuerungsmaßnahmen von einer Politik respektive einer Umweltplanung erbracht werden können, „die gesellschaftliche Prozesse als gegeben voraussetzt und sich auf korrigierende und kompensierende ad^hoc-Interventionen beschränkt" 1 3 1 . Vielmehr w i r d die „Fähigkeit zur aktiven Gestaltung und Umstrukturierung gesellschaftlicher Prozesse" — und d. h. selbstverständlich auch des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Wohnumwelt — „zum zentralen K r i t e r i u m der Leistungsfähigkeit des politischen Systems" 1 3 2 . 131 132
Scharps, Planung als politischer Prozeß, S. 39. Ebd.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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Das auf dem liberalen Demokratieverständnis Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts beruhende „Vertrauen i n die sinnvolle Selbstbewegung der gesellschaftlichen Zustände" 1 3 3 ist unter der Last der Folgeprobleme enttäuscht worden. Paradigmatisch kann dies belegt werden m i t zahlreichen politisch, ökonomisch und sozial gleichermaßen relevanten Defiziten, Bedrohungen und Krisen 1 3 4 , für die der Topos der „Sozialen Frage" mit sozialräumlichen Problemen der Wohnungsnot; der Gettoisierung der Bevölkerung i m menschenverachtenden Massenwohnungsbau ; der siedlungsstrukturellen Konzentrationsprozesse i m Rahmen der Industrialisierung; der schon damals relevanten „Umweltverschmutzungen" und „Umweltzerstörungen" u. a. m. lediglich ein Indiz ist. N u r sehr zögernd setzt sich ein zwar theoretisch begründeter und breiter Konsens dazu durch, daß den quantitativ u n d qualitativ stetig steigenden, soziokulturellen Bedürfnissen und sozialräumlichen A n sprüchen der Menschen nicht mehr „ m i t der konventionellen Politik der kleinen Schritte, der isolierten Einzelaktionen und des pragmatischen Krisenmanagements (...) zu genügen i s t " 1 3 5 , sondern daß Politik und das Handlungsinstrument Planung als Aufgabenerfüllung und „ Z u kunftsbewältigung" 1 3 6 verstanden werden müssen. Doch zeigt sich gerade i m Bereich der Kommunalpolitik und bei den auf dieser Ebene praktizierten Umweltplanungen, daß diese sich eben nach wie vor als „Auffangplanung", „Fläche-für-Fläche-Planung", „Reparatur", „Nachvollzug von Sachzwängen" etc. 1 3 7 vollziehen. Fazit dieser komprimierten Problematisierung, m i t der auch der „Doppelcharakter" der normativen Wirkungen des Verfassungsgrundsatzes 138 unterstrichen w i r d : (1) Unbestritten kann m i t dem Instrument der Umweltplanung (im Sinne der eingangs getroffenen, deflatorischen Festlegungen) zur Konkretisierung des unverzichtbaren Normativbestandes des Demokratieprinzips beigetragen werden. D. h., es können vor allem grundrechtlich verbürgte Freiheitsbereiche i n der Gemeinschaft effektiviert; Einsichtsfähigkeit und Gemeinsinn i n sozialräumlichen Situationen gefördert; raumbeanspruchende, existentielle Grundvoraussetzungen und Bedürf133 Forsthoff, Uber M i t t e l u n d Methoden moderner Planung, i n : Kaiser (Hg.), Planung I I I , S. 21. 134 Vertiefend dazu ζ . B. Schäfers, desrepublik Deutschland, S. 22 ff. 135 Scharpf, S. 39. 136 Ellwein, Politik, S. 10. 137 Dazu vertiefend E. 4.-4.2. 138 Vgl. D. 3.
Sozialstruktur u n d Wandel der B u n -
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
nisse des Menschen i n der Wohnumwelt verwirklicht sowie demokratischer Politik- und Planungsvollzug realisiert werden. (2) Die Frage, welcher A r t die Anforderungen des Demokratieprinzips an eine problemadäquate und veränderungsfähige Umweltplanung sind 1 3 9 , kann auf der Grundlage der Ergebnisse des Anhanges D/E und des Teiles D sowie unter der diesem Untersuchungsteil zugrundeliegenden Problemperspektive „Demokratisierung der Planung" m i t dem Hinweis auf die folgenden, verfassungsnormativ abgesicherten Maßgaben und Forderungen beantwortet werden: — Optimierung von Chancen zur politischen Willensbildung und zur Artikulation der Bevölkerung i m Rahmen der Sozialisation demokratischer und partizipatorischer Grundrechte; — Realisierung praktikabler, erprobter und institutionell absicherbarer Beteilungsformen (z. B. „Planungszelle" 1 4 0 ) nicht nur der unmittelbar, sondern auch der mittelbar Planungsbetroffenen, d. h. auch Gewährung eines Minoritätenschutzes insbesondere sog. Problemgruppen (sozioökonomisch benachteiligte, nicht organisierte und unterrepräsentierte Gruppen); — Herstellung von Öffentlichkeit durch Realisierung der Informationspflicht der Exekutive auf den verschiedenen Planungsebenen 141 bzw. durch Erweiterung des Informationsanspruchs der Öffentlichkeit; — Konkretisierung des Schutzanspruches sozialräumlicher Belange (Interessen, Bedürfnisse, Werte, Leitideen) der Menschen gegenüber den planenden Akteuren vor allem auf der problemnahen Ebene der Betroffenheit i n kommunalen und regionalen Wohnumweltbereichen sowie Leistung eines Beitrages zur Selbstbestimmung und Selbstentfaltung; — Gewährleistung der Kontrolle der Planung und Planinhalte durch die Parlamente und die Opposition und Kontrolle der Administra139 So interessant f ü r Praxis u n d Forschung i n diesem Zusammenhang die Diskussion der Folgeprobleme einer an den Normativbeständen der Verfassungsgrundsätze veränderten U m w e l t p l a n u n g auch ist, so k a n n i m Rahmen dieser A r b e i t hierzu keine befriedigende A n t w o r t gefunden werden. Der H i n weis auf die Problematisierung dieser Thematik von Scharpf, S. 40 u n d insbes. S. 118 ff. mag somit genügen. Der A u t o r unterstreicht ebd. die Probleme, die sich z. B. durch langfristige politische Planung ergeben können u n d v e r weist auf das reale Risiko „einer politisch unverantwortlichen u n d u n k o n t r o l lierbaren Expertokratie der planenden Verwaltung", m i t dem die Demokratie durch längerfristige Planung konfrontiert w i r d . Z w a r k a n n auch Scharpf keine befriedigende Lösung anbieten, doch gibt er Anregungen zur Verdeutlichung des Problems selbst u n d Hinweise auf jene Richtung, „ i n der befriedigende Lösungen gesucht werden könnten". 140 Vgl. E. 1.2.3., F N 52. 141 Dazu detailliert E. 3.4.
3. Bezug zu Umweltplanungen
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tion i m Rahmen des hoheitlichen Planungsvollzugs auf allen Ebenen der Planung; — Bindung der gewählten Repräsentanten (Abgeordneten) an die vorgestellten Programme und sozialräumlich relevanten Zielsetzungen (Konkretisierung, d. h. Ordnung, Abstimmung und Homogenisierung linsbesondere der koiximunalpolitischen Grundsatzprogramme der Parteien 1 4 2 ); — Optimierung von Chancen zur Teilhabe der Öffentlichkeit an der sozialräumlichen Zielfindung und Zielsetzung (Entwicklung operationalisierbarer Zielkategorien und ihre Transformation i n Zielsysteme/Zielhierarchien z.B. i m Sinne des i n TeilC vorgestellten Planungsleitbildes) zur Planung; — Herstellung von Transparenz i n den Planinhalten und Planungsverfahren einschließlich der Gewährleistung von Möglichkeiten zur Nachprüfbarkeit des fianziellen Ressourceneinsatzes; — Aufklärung über bestehende Abwehr- und Klagerechte zur Einflußnahme auf den Planungsprozeß sowie Gewährleistung von Chancen zur Beseitigung von Mißständen, die durch Planungen hervorgerufen werden; — Rückkopplung gesellschaftlicher Verwertungsinteressen von Forschungsvorhaben u n d -ergebnissen an soziale und demokratische Funktionen der Wissenschaft (Aufklärung; Implementation i m Planungsprozeß; Autonomie wissenschaftlicher Forschimg gegenüber Dogmatismus, politischer Macht; Öffentlichkeit der Ergebnisse). Die Heterogenität dieser normativen Anforderungen des Demokratieprinzips an die Umweltplanung ist evident. Daß ihre Transformation i n die Lebensverhältnisse des Gemeinwesens und ihr Einbau in die Struktur und Funktion des Planungsprozesses eine Vielzahl weiterer Probleme und umfangreiche Arbeitsschritte sowohl systematisch methodischer, theoretischer als auch praxeologischer Natur aufwerfen wird, wurde bereits i n TeilD unter den einzelnen Verfassungsgrundsätzen nachdrücklich betont. Doch dürfen dieses Dilemma und dieser Schwierigkeitsgrad nicht als Argument gegen entsprechende Bemühungen stehen, die sozialräumlichen und generell als grundgesetzwidrig erachteten Problemlagen mittels eines auf der Grundlage der demokratischen Normativgehalte entwickelten und partizipativ effektivierten Umweltplanungsinstrumentariums zu beheben. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen ist es hinreichend empirisch erwiesen — vgl. Problemkatalog — daß die Krise der 142
Vgl. zur K r i t i k Reuter, der die I n h a l t e dieser Programme ohne Schwerpunkt« u n d Prioritätensetzung m i t „Warenhauskatalogen" vergleicht. 19 M a l z
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen eben auch maßgeblich das Resultat von planerischen Eingriffen, Maßnahmen und Programmen ist ebenso wie von umweltwirksamen Unterlassungen und sozialräumlicher Konzeptionslosigkeit. Folglich ist die Forderung berechtigt, daß dem Verletzungstatbestand des Demokratieprinzips — vgl. Synopse 6 — und den sich i n seinem Gefolge z.T. eigendynamisch entwickelnden und verselbständigenden Strukturen und Tendenzen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt entgegenzusteuern ist, indem der normative W i r kungsgehalt des Demokratieprinzips einerseits als Maßgabenbündel für entsprechend strukturell und funktional durchzugestaltende Umweltplanungen genutzt w i r d und andererseits über das Instrument von Umweltplanungen i n Anwendung gebracht sowie i n qualitativ-sozialräumliche Realitäten umgesetzt wird. I n diesem Sinne kann abschließend festgehalten werden: M i t der Diskussion und Herausarbeitung der wertgebundenen Normativgehalte des Demokratieprinzips ist jene verfassungslegitimatorische Richtung markiert, i n der befriedigende Lösungen zur Neukonzeptualisierung der einzelnen Ebenen 3 4 3 von Umweltplanungen vermutet werden, respektive zu suchen sind sowie Wege zur „Demokratisierung der Planung" und damit gleichermaßen zur „Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Daseinsbedingungen" beschritten werden können 1 4 4 . 3.2. Normative Anforderungen des Sozialstaatsprinzips an die Umweltplanung
Auszugehen ist von den grundlegenden, analytischen und interpreta torischen Erkenntnissen i n Anhang DIE sowie den i n Τ eil Ό dargestellten Sachverhalten, nach denen sich das Sozialstaatsprinzip als Verfassungsgrundsatz und Staatszielbestimmung, als „Typus" und „verbindende Leitidee" imit ausgesprochen dynamisch-entwicklungsbedürftigem Charakter erweist und den sozialen Auftrag des Grundgesetzes normativ markiert. Dieser läßt sich i m Hinblick auf die zugrundegelegte Problemperspektive unter dem Leitziel subsumieren: „Sozialgerechte Daseinsentfaltung i n der Wohnumwelt" durch „Sozialgerechte Daseinsfür- und Daseinsvorsorge". Der verfassungsnormativ abgesicherte Wirkungsgehalt des Sozialstaatsprinzip s umfaßt ein heterogenes, weitgefächertes Handlungs-, Gestaltungs- und Anspruchssystem. Dieses reicht — schwerpunktmäßig zusammengefaßt — von der personalen Daseinssicherung durch die 143
Vgl. A . 2.3. sowie E. 3., Skizze 12, i n der i n schematisierter F o r m der u n mittelbare Bezug des Demokratieprinzips zu den einzelnen Ebenen der U m weltplanung dargestellt ist. 144 Zusammenfassend u n d alle Verfassungsgrundsätze berücksichtigend vgl. E. 5.
3. Bezug zu Umweltplanungen
291
Garantie eines materiellen Existenzminimums, der Gewährleistung der sozialgebundenen Freiheitsrechte, über den intendierten Abbau und die Angleichung sozialer und räumlicher Disparitäten, den Schutz der sozial und wirtschaftlich Schwächeren bis h i n zur Institutionalisierung eines differenzierten Instrumentariums, das der Zielrealisation dienen soll. Z u diesen Instrumenten zählen vor allem: Pläne, Programme, Gesetze, Lenkungs- und Steuerungsmaßnahmen, Umverteilungen, I n terventionen und Subventionen i m Rahmen aktiven politischen Handelns. Das Sozialstaatsprinzip indiziert m i t der zuvor global umrissenen Zielrichtung und dem zum Ausdruck gebrachten Zielhorizont eine allgemeine „Planungsnotwendigkeit" 1 4 5 u n d signalisiert zur Zielerreichung eine „Planungspflicht". Versteht man Planung — wie mehrfach betont — zunächst und allgemein als zielorientiertes und zweckrationales Handeln zur „humaneren", „lebensgerechteren", „ausgewogeneren" und „gleichwertigeren" Gestaltung sozialräumlicher Bereiche, so sind die maßgeblichen Verknüpfungen des Sozialstaatsprinzips m i t dem Instrument Umweltplanung i n generalisierender Einschätzung verdeutlicht. Zugleich werden damit auch jene Imperative, Gebote und Verbote, Postulate etc. in ihrem Bedeutungsgehalt eindeutiger konturiert, die den Prozeß der Umweltplanung initiieren, organisieren und anleiten sollen, indem sie ihrem prinzipiellen Charakter nach zur sozialgerechteren Einflußnahme auf die Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen auffordern. I m Zusammenhang mit der Überwindung der Fülle sozialräumlicher Krisensymptome, Defizite und Gefahren — systematisch erfaßt und i n ihrer komplizierten Vernetzung und Vielfalt vermittelt durch die Problemsynopsen 14ß — von denen angenommen werden kann, daß sie unter anderem auch ihre Ursachen i n sozialstaatlichen Unterlassungen, Fehlleistungen und Fehlinterpretationen der Vergangenheit und Gegenwart haben 1 4 7 , sind eine Reihe von mehr oder minder intensiven Versuchen und Bemühungen der Legislative, Exekutive und Judikative zu vermerken, den sozialstaatlichen Auftrag zu konkretisieren oder doch zumindest diesem gerecht zu werden. Die bestehenden Problemlagen verdeutlichen jedoch insgesamt, daß diesen Intentionen nur geringer Erfolg beschieden gewesen ist, respektive daß diese sich ins Gegenteil verkehrt haben.
145 Davon gehen auch die maßgeblichen GG-Kommentare aus; vgl. zur ausgewerteten L i t e r a t u r C. 4.3., F N 206. 146 Vgl. D. 2.1—2.6. 147 Z u r Problematik u n d Ideologisierung des Sozialstaatsprinzips i m K o n text m i t Planungsfragen vgl. insbes. E. 1.2.3.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
Zwar stützen sich sozialräumlich bedeutsame und planungsrelevante Maßnahmen sowie die entsprechende Gesetzgebung letztlich auf die Erfüllung der sozial-normativen Anforderungen des Grundgesetzes, indem z. B. der „menschenwürdige Städtebau" proklamiert, die „Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität" postuliert, der „Interessenausgleich zwischen individuellen und gemeinwohlorientierten Belangen bei der Raumnutzung" zum Ziel erhoben, die „breite Streuung von Vermögen und Eigentum an Grund und Boden" gesetzlich fixiert wird, oder indem die „Förderung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen und die soziale Reintegration sog. Problemgruppen" i n regierungsamtliche und/oder parteipolitische Verlautbarungen als Programmsatz aufgenommen und die „Gleichwertigkeit der sozialräumlichen Lebensverhältnisse i m Bundesgebiet" grundgesetzlich festgeschrieben ist. Doch die Wohnumweltrealitäten indizieren geradezu das Gegenteil des A n spruches, der i n diesen Zielen zum Ausdruck gebracht w i r d : Die „Krise der Stadt und Wohnumwelt", „wachsende Umweltverschlechterungen und -Zerstörungen", „egoistische Gruppenrenitenz", „Kumulation an Grund und Boden i n der Hand Weniger", „Zunahme der sozialen Problem- und Randgruppen", „Disparitäten i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen und Lebensverhältnissen" sind seit Jahrzehnten unbestreitbare Mißstände, die insgesamt die Ineffizienz manifestieren, m i t dem Instrument der Umweltplanung das sozialstaatliche Leitprinzip der sozialen Gerechtigkeit gesellschaftlich und räumlich zu realisieren. So mag die These ihre Berechtigung haben, daß die auch für die Gestaltung des Umweltplanungsprozesses (einschließlich Rahmenbedingungen und Gesetzgebung) i n ihrer Gesamtheit zu beachtende Komplexität sozialstaatlicher Anforderungen — wie sie sich i m nachfolgenden Zitat widerspiegeln — bislang nicht entscheidungsorientiert und zielgerichtet abgestimmt und eingesetzt worden ist: Denn „es bedarf (...) zur tatsächlichen Gewährleistung u n d rechtlichen Sicherstellung der größten u n d gleichen sozialen Chance der autonomen Individuen, über die individualen Freiheitsrechte und Menschenrechte hinaus, w i e sie uns der freiheitliche Rechtsstaat verbrieft, der sozialen Teilhab er echte und Mitbestimmungsrechte, wie sie der heutige freiheitliche Sozialstaat zu v e r bürgen u n t e r n i m m t ; der Rechte auf größtmögliche u n d gleichberechtigte Teilhabe und Mitbestimmung an der arbeitsteiligen Gestaltung der gesellschaftlichen Möglichkeiten (in den allgemeinen Lebensverhältnissen w i e besonderen Wirtschafts Verhältnissen, den U m w e l t Verhältnissen wie den A r beitsverhältnissen, den Verkehrsverhältnissen w i e den Gesundheitsverhältnissen), von denen die Befriedigung der individuellen w i e der »kollektiven* Bedürfnisse, die Entfaltung der persönlichen w i e der »gesellschaftlichen 4 Fähigkeiten A l l e r tatsächlich alltäglich abhängt" 1 4 8 .
148
Maihof er, S. 30.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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Das Grundgesetz m i t seinem sozialen Auftrag als verfassungsrechtliche Zielbestimmung, als normative Grundlage und als Rahmenordnung zur Bewältigung sozialer und räumlicher Konflikte steht zwar bereit, doch „es kommt (eben vor allem) darauf an, es zu nutzen" 1 4 9 . Somit kann zunächst davon ausgegangen werden, daß i m Hinblick auf die Gestaltung und Effektivierung des Instrumentes Umweltplanung und ihres sozialräumlichen Outputs die i m weiteren benannten, ververfassungsimmanenten sozialstaatlichen Maßgaben und Anforderungen unabweisbar sind: — Umsetzung und Nutzung des vom politischen System geforderten und von den jeweiligen umweltrelevanten Rollen- und Funktionsträgern zu realisierenden Konzeptes der Daseinsfür- und Daseinsvorsorge zur Deckung eines differenzierten, sozialräumlichen Bedarfs hochindustrialisierter, arbeitsteiliger Gesellschaften bei der Ausübung der raumgebundenen Daseinsgrundfunktionen; — Herstellung menschenwürdiger Daseinsbedingungen i n der sozialen Gemeinschaft sowie Schaffung/Gewährleistung der sozialräumlich notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung grundrechtlich verbürgter Ansprüche und Bedürfnisdimensionen; — Konkretisierung gleichwertiger Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse i n der Wohnumwelt; — Entwicklung vorausschauender, umfassender, prozessualer und integrierender Planungskonzeptionen und -Strategien einschließlich der damit notwendig werdenden Zielvorgaben, Mittelabwägungen, Kontrollen etc.; — Berücksichtigung, Gewährleistung, A b - und Eingrenzungen des sozialräumlichen Bedarfs der Bevölkerung und kontinuierliche A b wägungen (zeitliche, sachliche und systematische) bei der Festsetzung der sozialen Zielgruppen und der sozialräumlichen Zielrichtung; — Schaffung echter sozialer Gerechtigkeitsgrundsätze einschließlich einer kontinuierlichen Verbesserung der Wohnumwelt-Bedingungen ζ. B. städtebauliche Sanierungen, Wohnungsbauförderung, Arbeitsplatzsicherung, Gewährleistung der personellen u n d materiellen Versorgung m i t Infrastruktureinrichtungen, Ermöglichung der Kommunikations-, Freizeit- und Erholungsbedürfnisse; — Konkretisierung der Grundsätze zu sozialräumlichen Belangen i m Rahmen eines permanent zu überprüfenden und fortzuentwickelnden, planungswirksamen Gesetzesinstrumentariums; 149
Schmidt, Der soziale A u f t r a g des GG, i n : Weyer (Hg.), S. 57.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
— Verrechtlichung von sozialräumlichen Zielvorgaben i n entsprechenden Gesetzen, d. h. auch Schaffung sozialgerechter Grundlagen bei der Mittelbereitstellung und i m Rahmen von turnusmäßigen Effizienzkontrollen zu unterziehenden Struktur-, Investitions- und Förderungsprogrammen m i t sozialräumlicher Wirkkraft. Hinsichtlich der Nutzung der zuvor aufgeführten, sozial-normativen Wirkungsgehalte für das Instrument Umweltplanung, seine flankierenden Rahmenbedingungen sowie entsprechende sozialräumlich bedeutsame und planungsrelevante Gesetze gelten zunächst und analog jene unter den letzten Abschnitten zum Demokratieprinzip dargelegten, allgemeinen Sachverhalte. I m Kontext der Diskussion der sozialräumlichen Krisensituationen sowie der Planungsproblematik und der Normativbestimmungen des Sozialstaatsprinzips konnte der generelle Nachweis erbracht werden, daß die zur Realisierung des sozialen Auftrages der Verfassung unverzichtbaren, sozialstaatlichen Maßgaben nur punktuell in gesellschaftsrelevante und raumbedeutsame Zielvorstellungen Eingang gefunden haben und daß die i n diesem Untersuchungskapitel genannten, planungsrelevanten Forderungen lediglich marginal und inkonsistent zur Effektivierung und Optimierung des Handlungsinstrumentes Umweltplanung eingesetzt worden sind. Somit kann unter den forschungsspezifischen Prämissen zusammenfassend folgender Befund konstatiert werden: Weder die Suche und Wahl geeigneter Handlungsstrategien noch die notwendigerweise am sozialräumlichen Bedarf und an soziokulturellen Belangen vorzunehmenden A b - und Eingrenzungen der sozialen Zielgruppen 1 5 0 und räumlichen Zielrichtungen, weder die problemadäquate Einschätzung zur zielgerichteten Lenkung der personellen, sachlichen und finanziellen M i t t e l und deren Kontrolle noch die ständigen Effizienzprüfungen zu unterziehenden gesetzgeberischen Maßnahmen (seien sie nun rahmensetzender, flankierender oder konkretisierender Natur) sind m i t Erfolg durchgeführt worden. Vielmehr erweisen sich die sozialräumlichen Problemlagen auch als Resultat einer restriktiven Umsetzung und Anwendung sozialstaatlicher Belange i m Rahmen umweltplanender Tätigkeiten — vgl. Problemkatalog — die insgesamt zum dargestellten Verletzungstatbestand des Sozialstaatsprinzips — vgl. Synopse 7 — geführt haben. Sollen diese Negativtendenzen und -trends i m Bezugssystem MenschWohnumwelt bereinigt werden, so ist die Gesamtheit der wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktionsträger — d. h. vor allem Regierung, Parlament, Exekutive und Judikative sowie die i m Rahmen dieser 150
Z u r Notwendigkeit sozialstaatlicher Orientierung nach Bedarf u n d T y pisierung (typische Fälle des Bedarfs) vgl. BVerfGE 17,1 (1).
3. Bezug zu Urnweltplanungen
295
Institutionen agierenden Entscheidungsträger — vor die fortwährende Aufgabe gestellt, das heterogene Spektrum der normativen Anforderungen des Sozialstaatsprinzips i n entsprechende Umweltplanungskonzeptionen zu transformieren und somit das Instrument Umweltplanung auf allen Ebenen 1 6 1 neu zu konzeptualisieren. Zusammenfassend heißt das: Z u r Umsetzung sozial-normativer A n forderungen i n Wohnumweltqualitäten m i t Hilfe des Instrumentes Umweltplanung ist es unabweisbar, die Normativbestimmung des Sozialstaatsprinzips in eine entsprechende Planungskonzeption einzubauen. Diese ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht als statisch und geschlossen aufzufassen, sondern nach den jeweils zum Zeitpunkt planerischer Tätigkeit existenten sozialräumlichen Anforderungen zu überprüfen und — soweit notwendig — zu revidieren, zu modifizieren und zu verfeinern. Denn es w i r d davon ausgegangen, daß die Gestaltungsfähigkeit und Verbesserungsbedürftigkeit des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Wohnumwelt als Planungsaufgabe permanent bestehen bleibt, indem die i n diesem Bezugssystem temporär vorhandenen, sozialräumlichen Bedürfnisse, antagonistischen Interessenlagen und Leitbilder immer auch nach einer sozial gerechteren Entwicklung und Veränderung verlangen. Dieser Anspruch kann aber nur dann eingelöst werden, wenn die Umweltplanungskonzeption flexibel genug ist, auf die entsprechenden Herausforderungen m i t differierenden Handlungs- und Entscheidungsweisen zu reagieren. Damit ist zunächst die verfassungslegitimatorische Richtung konturiert, i n der problemadäquate Lösungen zur Konkretion des sozialstaatlichen Leitzieles „Sozialgerechte Daseinsfür- und Daseinsvorsorge" mittels Umweltplanung zu suchen sind 1 5 2 . 3.3. Normative Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Umweltplanung
A u f der Grundlage der Erkenntnisse zum Rechtsstaatsprinzip, wie sie i n Anhang DIE analytisch und interpretatorisch aufbereitet sind sowie der Ergebnisse i n Teil D, erweist sich auch dieser Verfassungsgrundsatz i m Gesamtgefüge des Grundgesetzes als „Typus" und „verbindende Leitidee". Die daraus resultierenden Konsequenzen hinsichtlich deflatorischer Festlegung und hinsichtlich der zu beachtenden Konditionen bei der Nutzung können somit analog zu den Ausführungen unter den übrigen Verfassungsprinzipien gedacht werden. 151 I m Sinne der deflatorischen Festlegungen i n A . 2.3. sowie unter Berücksichtigung der unmittelbaren Wirkungsweise des Sozialstaatsprinzips auf S t r u k t u r und F u n k t i o n der Umweltplanung, wie sie i n E. 3., Skizze 12, schematisch visualisiert ist. 152 Z u den dabei insgesamt zu beachtenden verfassungsnormativen K o n d i tionen u n d Erfordernissen vgl. E. 5.
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n n p r o b l e m a t i k und Verfassungsgrundsätze
Da m i t dem Rechtsstaatsprinzip öffentliches Leben sowie hoheitliches Handeln und Entscheiden i m Gemeinwesen konstituiert, i n Form gebracht und i n von der Vernunft her erfaßbaren Regeln einsichtig gemacht werden soll, ist ein erster genereller Bezug zum zweckrationalen und zielorientierten Instrument der Planung und des Planes hergestellt. Ausgegangen w i r d davon, daß eine Konkretion der skizzierten Zielfunktionen ohne planerische Tätigkeit nicht möglich ist. Zwar w i r d nach herrschender Lehre dem Rechtsstaatsprinzip weder eine besondere „Planungsvorliebe" noch eine größere „Planungsaversion" als den übrigen Verfassungsgrundsätzen zugesprochen, sieht man einmal von den m i t dem Sozialstaatsprinzip intendierten Richtungen ab. Doch geht unbestreitbar auch von der Rechtsstaatlichkeit eine „Planungsnotwendigkeit" aus, m i t der konkret und i m zuvor skizzierten Sinne eine aktive und prospektive Gemeinwesensteuerung und damit ebenfalls eine zielgerichtete Einflußnahme auf das Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt erreicht werden soll 1 5 3 . I m Hinblick auf das i n diesem Untersuchungsteil verfolgte Erkenntnisziel werden die zum Rechtsstaatsprinzip bereits explizierten, gesellschaftsrelevanten Maximen und i m weiteren vermuteten, normativen Anforderungen an die planende Tätigkeit unter der Zielbestimmung zusammengefaßt: „ Schaffung einer rechtlich-qualitativen Ordnung zu den sozialräumlichen Daseinsbedingungen" durch „rechtsstaatlich verfaßte Umweltplanungen". Der bisher ermittelte, verfassungsimmanente und gesellschaftsrelevante Wirkungsgehalt des Rechtsstaatsprinzips 154 markiert ein komplexes Handlungs- und Gestaltungssystem. Dieses reicht zusammenfassend von der Konkretisierung und Gewährleistung der sozialräumlichen Ausübbarkeit der Grundrechte; dem rechtsförmigen Zustandekommen des Gesetzesinstrumentariums; der Sicherung und Schaf fung von Rechtsqualität über Gebote zur Voraussehbarkeit und Vorausberechenbarkeit der Gesetzesregelungen bis h i n zu Willkürverboten, Abwägungsgeboten, der Geeignetheit und Erforderlichkeit sowie der Verhältnismäßigkeit hoheitlicher Eingriffe und Maßnahmen. I n diesem komprimierten Resümee w i r d ebenfalls eine Vielzahl von relevanten Verknüpfungspunkten und Grundsätzen ersichtlich, die i n ihrem Wirkungs- und Anforderungsgehalt den unmittelbaren Bezug zum Handlungsinstrument Planung erkennen lassen und zu einer entsprechenden Durchgestaltung desselben auffordern. Zugleich können 153 Abweichende Auffassungen sind vor allem i n der Diskussion zum Rechts- u n d Sozialstaatsprinzip der 50er u n d 60er Jahre konstatierbar; vgl. dazu insbes. E. 1.3. 154 Grundlegend D. 3.3.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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vor diesem Hintergrund auch einige maßgebliche Problembereiche benannt werden, die i m Spannungsverhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Umweltplanungen vermutet werden, respektive realiter vorhanden sind. I m wesentlichen geht es dabei u m die folgenden vernetzten Bedingungen und ungeklärten Problemfelder 1 5 5 : — Berücksichtigung der Komplexitätserfordernisse von Umweltplanungen und der durch sie erzeugten mehrdimensionalen Sachverhalte angesichts der Ausrichtung der Instrumente des Rechtsstaates auf weitgehend eindimensionale Tatbestände; — Wesensunterschiede zwischen absolutem planerischem Denken und Recht sowie die Tatsache, daß das Recht Grenzen setzt, während Planung ihrer Idee nach und zu ihrer Effizienzsteigerung Grenzen, Stufen und Schranken zu überwinden sucht; — Gewinnung von gleichermaßen rechts- und planungswissenschaftlich durchformten Lehrsätzen, Normen und Zielen für die planende Tätigkeit; — Einbindung der Planung i n ihrer rechtlichen Verfaßtheit i n ein föderativ gestuftes Planungssystem bei gleichzeitiger Problematik der Rechtsaufspaltung {Rahmenkompetenz, konkurrierende Gesetzgebung, ausschließliche Gesetzgebung 156 ) durch das Föderalismusprinzip und einer daraus resultierenden, mangelnden Rechtsvereinheitlichung; — Unterwerfung der Planung rechtsstaatlichen Grundsätzen und dieser Staatszielbestimmung zugeordneten, grundgesetzimmanenten Geboten, Verboten, Prinzipien und Postulaten, die für die Verwaltung bindend sind und von der Rechtsprechung als „wertkontrollierendes" Instrumentarium eingesetzt werden; — Erzeugung von Veränderungen i n den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen durch Planungen; Schwierigkeiten der Definition von Betroffenheit und/oder eines i n seinen Rechten Berührtseins, bei denen das Individualschutzrecht zu greifen hat; — Gebot der Planungstransparenz i m Zusammenhang m i t den rechtlichen Verfahren bei der Planaufstellung u n d den hier auftretenden Konflikten zwischen Planungsbetroffenen und Planungsinstitutionen (unter anderem auch: Problematik der Mitwirkungsrechte der Bür155
Die Problematisierung, die u. a. auch den bereits weiter oben diskutierten, erheblichen theoretischen u n d praxeologischen Forschungs-Lag i n der Behandlung von Verfassungsfragen i m K o n t e x t m i t Planungsproblemen u n t e r streicht, stützt sich vor allem auf die Ausführungen von Schmidt-Aßmann, S. 541—57. 156 v g l . i m Überblick D. 3.4., Synopse 10.
298
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
ger an der Planung; Klärung des Maßes der berührten Interessen sowie rechtlich verbürgte Anhörungen bis zur gemeinsamen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung i m Planungsverfahren). Diesen Problemfeldern, die einerseits erst durch den strukturellen und funktionalen Wirkungsgehalt des Rechtsstaatsprinzips erzeugt werden, treten andererseits eine Vielzahl kompliziert vernetzter normativer Anforderungen des Verfassungsgrundsatzes gegenüber, die dieser i n Form grundgesetzimmanenter Maßgaben und Forderungen an das Instrument Umweltplanung vorhält: — Legitimation jedweder hoheitlichen planerischen Tätigkeit i n der Verfassungsrechtsordnung i m Sinne einer verfassungskonformen und rechtlich verfaßten Planung; — Setzung von rechtsverbindlichen Rahmenbedingungen und Gesetzen, die der Konfliktlösung, Bindung und Kontrolle i m Rahmen von Planungen sowie dem Schutz vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen des Gemeinwesens dienen; — Gewährleistung von Rechtssicherheit, Rechtsfrieden und Rechtsbeständigkeit i m Rahmen von Planungen; — Gewährleistung und Konkretisierung von Grundrechten insbesondere von Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechten i m Rahmen von Planungen; — Absicherung des einzelnen durch Rechtsschutz bei planerischen Eingriffen insbesondere i n einmal erworbene Rechtspositionen und i n bestehende Rechtssphären; — Gebot der Bestimmtheit der Ermächtigung und Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung i m Rahmen planerischer Tätigkeiten; — Gebot der Verhältnismäßigkeit der M i t t e l und Grundsatz des Übermaßverbotes bei Planungen; — Gewährleistung der Normklarheit, der Begrenzung, der Meßbarkeit, der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der planenden Tätigkeit. Neben diesen generellen Grundsätzen für und Anforderungen an die planende Tätigkeit lassen sich i m engeren Sinne für planerische A k t i v i täten zur Gestaltung u n d Entwicklung des Bezugssystems MenschWohnumwelt die nachfolgenden Maximen aus dem Rechtsstaatsprinzip deduzieren: — Begründung der rechtlichen Legitimationsbasis für hoheitliche, sozialräumliche Ordnungs- und Gestaltungsmaßnahmen; — Setzung eines verfassungsnormativen Gestaltungsrahmens für die Entwicklung planungs- und raumwirksamer Rechtsinstrumente i n
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
299
den Kategorien des öffentlichen Rechts (z.B. BBauG, StBauFG, Umweltschutzgesetz) und des Zivilrechts (ζ . B. BGB); — Begründung der rechtlichen Voraussetzungen für die Entwicklung von Instrumenten i n Form von Rahmengesetzen (z.B. ROG) und entsprechenden Maßnahme- bzw. Durchführungsgesetzen (ζ . B. Bundesraumordnungsprogramm, Raumordnungsprogramme und -pläne der Länder; Gebiets- und Gemeindeentwicklungspläne der Kommunen); — Basis der Gesetzgebung zur Verrechtlichung von Werten, Normen und Zielen i n Rechtsgrundsätzen { ζ . B. Raumordnungsgrundsätze des ROG, Grundsätze der Bauleitplanung des BBauG), wobei diese i n Form von Maximal- und/oder MinimalnSollwerten einerseits den planerischen Handlungsrahmen zur Schaffung einer anzustrebenden sozialräumlichen Wirklichkeit festlegen, andererseits auch als rechtswirksame Richtlinien zur Abwehr und Regulation von K o n f l i k t situationen dienen können, indem politische, ökonomische und soziokulturelle Belange sowie räum- und siedlungsstrukturelle Erfordernisse gegeneinander abgewogen bzw. i n Einklang gebracht werden und/oder gemeinwohlorientierte vor individuellen, interessenorientierten Belangen Vorrang erhalten; — Gewährleistung eines rechtsverbindlichen Planungsverfahrens durch die Setzung instrumenteller, methodischer und organisatorischer Richtlinien für das Zustandekommen von Planungen (ζ . B. Beschluß, Genehmigung und Inkrafttreten des Bebauungsplanes); — Gewährleistung des Rechts- und Individualschutzes der Planungsbetroffenen, indem insbesondere rechtsverbindliche Abwehrmöglichkeiten gegen planerische W i l l k ü r und Eingriffe i n verfassungsnormativ verbürgte, individuelle und gemeinschaftsbezogene Wertkategorien — wie Leben, Würde, Freiheit, Eigentum — sowie i n sonstige bisher bestehende Rechtspositionen realisiert werden können und die Grundsätze des Übermaßverbotes, der Geeignetheit, der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit, der Vorhersehbarkeit planerischen Handelns gewahrt werden; — Schaffung der rechtlichen Grundlagen für jene Forderungen, die unter den Leitzielen „Demokratisierung der Planung" und „Sozialgerechte Daseinsfür- und Daseinsvorsorge" subsumierbar sind und die ζ . T. in Ansätzen und formalrechtlich i m novellierten BBauG, i m StBauFG und i n einigen Umweltschutzgesetzen niedergelegt sind. Die i n dieser Auflistung vermittelte Heterogenität der durch das Rechtsstaatsprinzip begründeten normativen Anforderungen an U m weltplanungen erzeugt dieselbe generelle Problematik (im Sinne zu beachtender theoretischer Erfordernisse und praxeologischer Konditio-
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
nen bei der Transformation rechtsstaatlicher Grundsätze i n entsprechende Planungskonzepte), auf die bereits unter den übrigen Verfassungsgrundsätzen hingewiesen wurde. I n Anbetracht der konstatierten sozialräumlichen Problemlagen und Krisensituationen, die sich in der Wirklichkeit des Gemeinwesens vor allem auch i m Kontext m i t Fehlleistungen umweltplanender Tätigkeiten herausgebildet und verfestigt haben — vgl. Problemkatalog — und die gemäß den forschungsspezifischen Prämissen und Argumentationsbasen als Verletzungstatbestand des Rechtsstaatsprinzips ausweisbar sind — vgl. Synopse 8 — kann zusammenfassend von folgenden Erkenntnissen ausgegangen werden: Die normativ-rechtsstaatlichen A n forderungen an Umweltplanungen sind bislang nur punktuell sowie restriktiv zur wertorientierten Einflußnahme und qualitativen Gestaltung der fundamentalen Bedingungszusammenhänge i m dialektischen Verhältnis von Mensch und Umwelt genutzt worden. Die vom Grundgesetz mit dem Rechtsstaatsprinzip ebenfalls intendierten Konkretisierungs-, Effektivierungs- und Optimierungsgebote des Wertsystems der Grundrechte und der übrigen Verfassungsgrundsätze sind bislang m i t nur geringem Erfolg realisiert worden. Ein funktional und strukturell problemadäquater sowie sachgerechter Einbau rechtsstaatlicher Zielfunktionen i n die praktizierten Umweltplanungskonzeptionen kann nur marginal angenommen werden. Denn die dafür notwendigerweise vorzunehmenden Harmonisierungen und Systematisierungen der Gesamtheit der Normativbestände aller Verfassungsgrundsätze sind i n den herkömmlichen Umweltplanungskonzeptionen und den damit tatsächlich realisierten Mensch-Wohnumwelt^Gegebenheiten nicht — oder nur bedingt — erkennbar. Vielmehr manifestiert sich die Kompliziertheit der Vernetzungen, Gegenläufigkeiten, Widersprüche i m Konzept der Verfassungsgrundsätze unter den dargelegten Grundannahmen eben auch in einer sozialräumlichen Fehlplanungswirklichkeit, m i t der Menschenwürde verletzt und das Dasein und Leben der jeweils i n der Wohnumwelt Betroffenen bedroht und gefährdet wird. Zwar konnte i n der Differenzierung auch der rechtsstaatlichen Normativbestände kenntlich gemacht werden, daß i n ihrem wertgebundenen Zielcharakter und Aufforderungsgehalt konkrete sachliche Chancen und Optionen bereitgestellt sind, die sozialräumlichen Problemfelder zu bereinigen und zu lösen. Doch dazu ist es eben unabweisbar, daß diese rechtsstaatlichen Maximen — i n Konkordanz m i t allen weiteren verfassungsimmanenten Normativbestimmungen — konsequenter als bisher zur Durchgestaltung und Konzeptualisierung aller Ebenen von Umweltplanungen 1 5 7 genutzt und i n Anwendung gebracht werden, 157 I. S. der deflatorischen Festlegungen i n A. 2.3. u n d der schematischen Visualisierung i n E. 3., Skizze 12.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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um sie i n rechtlich-qualitative Ordnungen sozialräumlicher Daseinsbedingungen und Wohnumweltrealitäten umsetzen zu können 1 5 8 . Zur partiellen Konfliktlösung einiger, weiter oben skizzierter und durch das Rechtsstaatsprinzip erst initiierter Problemfelder (einschließlich der daraus resultierenden und zuletzt umrissenen Problematik) kann i m Hinblick auf erste Schritte zur verfassungsnormativen Fixierung von Umweltplanungen Bezug genommen werden auf entsprechende Empfehlungen von E. Schmidt-Aßmann. Dieser schlägt angesichts der Komplexitätserfordernisse heutiger Planungen und dabei zu beachtender, verfassungsimmanenter Belange sowie unter Auslotung der rechtsstaatlichen Anforderungen an grundgesetzkonform verfaßte Planungen zunächst eine Zergliederung der Planung i n schrittweise hintereinandergeschaltete Phasen vor, bei denen folgende Bedingungen zu beachten sind: „1. Stufe: Abbau der Komplexität der Planung durch Zergliederung des Planungsverfahrens und des Planes. 2. Stufe: Herausarbeitung der i n den rechtsstaatlichen Instrumenten zentral wirksamen Anliegen der Verfassungsentscheidungen (z.B. demokratische Legitimation, kondominale Interessenwahrnehmung, Schutz eines individuellen Kernbereichs freier Entscheidungen). 3. Stufe: Betrachtung, i n welchem Stadium der Planung und i n welchen Elementen des Planes die zentralen Anliegen am besten zur W i r k u n g gebracht, aber auch am ehesten gefährdet werden können. 4. Stufe: Verknüpfung dieser Stadien und Elemente m i t denjenigen Instrumenten, die dem betroffenen Belang auch sonst Geltung verschaffen, d. h. Aktivierung alter oder Konstruktion neuer Mechanismen, ζ . B. zur Mitwirkung, Kontrolle, Publizierung, Fixierung der Planung oder des Planes 1 5 9 ." 3.4. Normative Anforderungen des Föderalismusprinzips an die Umweltplanung
Analog zu den Ausführungen zum Demokratie-, Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip stützen sich auch die folgenden Reflexionen zum Föderalismusprinzip auf die grundlegenden, strukturellen und funktionalen Erkenntnisse, die zu diesem Verfassungsgrundsatz i n Anhang DIE und Teil Ό analytisch und interpretatorisch ermittelt wurden. Kenntlich gemacht werden konnte i n diesem Zusammenhang, daß es sich bei der Staatszielbestimmung zum zweistufigen Bundesstaat um 158 159
Zusammenfassend vgl. E. 5. Schmidt-Aßmann, S. 544.
302
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
mehr als nur u m ein Organisationsprinzip des politischen Systems und seiner legislativen, exekutiven und judikativen Aufgabenbewältigung handelt, indem der Föderalismus seinem funktionalen Gehalt nach als eine die Demokratie, den Sozial- und Rechtsstaat sowie die Grundrechtsordnung verbindende und konkretisierende Leitidee aufzufassen ist. Sein verfassungsimmanenter Wirkungsgehalt kann unter forschungsspezifischer Problemsicht und idealtypisch i n folgender Zielformel zusammengefaßt werden: „Schaffung föderativ-qualitativer Organisationsund Ordnungsstrukturen i n den sozialräumlichen Daseinsbedingungen" durch „föderativ-qualitative Handlungs- und Entscheidungsweisen i m Konzept der Umweltplanung". I n der bisherigen Diskussion zum Föderalismusprinzip unter Schwerpunktsetzung seiner gesellschafts- und gemeinwesenrelevanten Komponenten konnten Struktur- und Funktionselemente herausgearbeitet werden, zu denen — kurz resümiert — vor allem zu zählen sind: Konkretisierung geteilter staatlicher Machtausübung auf territorial und kompetenzmäßig voneinander getrennte, politische Akteure und deren Kontrolle durch ein System von wechselseitigen Beschränkungen m i t dem Ziel der Herstellung und Sicherung von staatlicher und personaler Freiheit sowie der Realisierung von Vielfalt i n Einheit; Ausgestaltung und Gewährleistung sowohl regionaler als auch landsmannschaftlicher Selbstbestimmung und Selbstverwaltung; Eröffnung von Chancen verstärkter (demokratischer Selbstverwaltung durch Sicherung bzw. B i l dung eines Systems pluraler Entscheidungszentren; Sicherstellung konkurrierender Willensbildungs- und problemnaher Lösungschancen durch Gewährleistung unvermittelter — nicht nur repräsentativ vertretener — Interessen der Betroffenen i m Rahmen entsprechender Informations·, Partizipations- und Artikulationsmöglichkeiten. M i t dieser Aufzählung werden u. a. auch jene Bezugspunkte ins Blickfeld gerückt, die dieser Verfassungsgrundsatz m i t Planungen i m allgemeinen und Umweltplanungen i m besonderen aufweist und die gleichermaßen Aufforderungs- und Ordnungscharakter für hoheitliches Handeln respektive für die Gemeinwesenarbeit implizieren. Aufforderungscharakter insofern, als sie sozialräumliche Konkretisierungsansprüche anzeigen; Ordnungscharakter deswegen, w e i l es zu ihrer Realisierung i m Rahmen von Planungen erforderlich wird, Zielrichtungen, Aufgabenverteilung, Kompetenzabgrenzungen und Kooperationsweisen festzulegen. Geht es i m derzeit praktizierten föderativen System Bundesrepublik 1 6 0 um die Realisation von Planen, Planungen, Maßnahme- und Aufgabenbe160 Z u dem nach langjährigen politischen u n d wissenschaftlichen Diskussionen — diese können selbstverständlich nicht als abgeschlossen angesehen werden — entwickeltem Minimalkonsens über die grundlegenden bundesstaatlichen Legitimations- u n d Funktionselemente vgl. insbes. Anhang D / E , Kap. I V .
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
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wältigung selbst, so kann zunächst verwiesen werden auf zwei theoretisch fundierte und praxeologisch erprobte Grundmodelle: Das Modell der „Gebietsorganisation" und das Modell der „Aufgabenorganisation" die idealtypisch als alternative Basiskonzepte für die Zuweisung und Durchführung hoheitlichen, raumrelevanten Handelns auf unterschiedlichen Kompetenzebenen (Bund, Länder, sonstige Gebietskörperschaften) — entweder raumbezogen oder aufgabenbezogen — gedacht werden können 1 6 1 . Schematisch lassen sich die Wesensmerkmale dieser Grundmodelle wie folgt darstellen 1 6 2 : Skizze 13: Grundmodelle föderativer Aufgabenorganisation im politischen System der BR-Deutschland GEBIETSORGANISATIONSMODELL
AUFGABENORGANISATIONSMODELL
B ü n d e l u n g a l l e r a u f das j e w e i l i g e G e b i e t b e g r e n z t e n A u f g a b e n und i h r e E r f ü l l u n g durch g e b i e t s b e z o g e n e , o r g a n i s i e r t e V e r waltung seinheiten
S p e z i e l l e räumliche Organisation für jede begrenzbare Fachaufgabe - E i n z e l a u f g a b e i s t o r g a n i s a t i o n s b e s t i m m e n d , n i c h t das Bündel
RÄUMLICHE
AUFGABENBEZOGENE
DEZENTRALISIERUNG
Kompetenzfragen der j e w e i l s Gebietskörperschaft
RAUMLICHE
kleineren
Ortsnahe Erbringung ö f f e n t l i c h e r stungen
V e r s e l b s t ä n d i g u n g von V e r w a l t u n g s t r ä g e r n - Anstalten, Körperschaften, Stiftungen etc.
AUFGABENBEZOGENE
DEKONZENTRATION Lei-
DEZENTRALISIERUNG
DEKONZENTRATION
Problemnahe E r b r i n g u n g ö f f e n t l i c h e r stungen ( z . B . i n t e n s i v e B e t e i l i g u n g troffener)
LeiBe-
Ehe die Benennung und Auflistung der maßgeblichen normativen Anforderungen des Föderalismusprinzips an die Umweltplanungen erfolgt, sind zunächst noch zwei wesentliche Problemkreise zu diskutieren. Erstens: Die verfassungsrechtlich geregelten Prinzipien und Gebote heutiger Bundesstaatlichkeit für die organisatorische Realisierung von Umweltplanungen 1 6 3 sind vor dem Hintergrund bestehender soziokul161 Realiter sind diese beiden Grundmodelle jedoch nicht i n reiner F o r m existent, vielmehr kommen sie bei der bundesstaatlichen u n d verwaltungsbezogenen Aufgabenbewältigung u n d -organisation nebeneinander und/oder i n Mischform zur Anwendung. 162 Die Inhalte der Skizze stützen sich auf die textlichen Ausführungen von Wiagener (Hg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, S. 31 ff. u. S. 35 f. 163 Vgl. das Planungs-Organisations-System, visualisiert i n E. 3.4., Skizze 14.
304
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
tureller, ökonomischer und politisch-administrativer Restriktionen bei gleichzeitig steigendem Nachholbedarf langfristig angelegter Interventions- und Steuerungsmöglichkeiten auf allen Planungsebenen und den von diesen abgedeckten sozialräumlichen Wohnumweltbereichen zu sehen. Zweitens: Dadurch, daß A r t . 20 und 28 i m Gefüge der Verfassungsordnung als „aus einem Guß" ausgewiesen sind, werden über den zweistufig organisierten Staatsaufbau (Bund und Länder) gemäß A r t . 28 weiterreichende und zwar kommunalpolitisch-relevante Regelungen i n diesem föderativen System impliziert. (Ad 1) Vor allem i n den nachfolgend benannten Bereichen vollzogen und vollziehen sich problematische, sektorale und regionale Strukturwandlungen m i t negativen Begleiterscheinungen und Konsequenzen 164 , die das föderative System stets aufs neue vor die Überprüfung seiner praktizierten Handlungskonzepte stellen und die die Modifizierung und Revidierung von Strategien, Techniken, Handlungs- und Entscheidungsweisen zur Umweltplanung unverzichtbar machen: — Bedeutungseinbußen soziokultureller Werte, insbesondere der landsmannschaftlichen Verbundenheit; — Zunahme länderübergreifender, sozialräumlicher Verflechtungen (z. B. beim Umweltschutz, bei der Landesentwicklung, bei Industrieansiedlungen); — Anwachsen der Kommunikations- und Verkehrsdichte sowie die Zunahme der — nicht zuletzt arbeitsmarktpolitisch begründeten — regionalen Mobilität der Bevölkerung; — Dynamik überregionaler und internationaler Interdependenzen vor allem i m Bereich der industriellen Produktion bei steigender industrieller Dominanz sowie die dadurch erforderlich werdenden Integrationsbemühungen, zentralen Abstimmugsmechanismen und Transformationsinstitutionen ; — Anwachsen des Anspruchsniveaus hinsichtlich der Bereitstellung materieller und personeller Infrastrukturen «der vielfältigsten A r t — die partiell zentral koordiniert werden müssen und bereits gesamtstaatlich koordiniert werden (z. B. i m Rahmen des Bundesraumordnungsprogramms, der Verkehrswegeplanung, des Umweltschutzes, der Finanz- und Bildungsplanung) — einhergehend m i t dem Verlust bisheriger föderativer Organisations- und Kompetenzschemata 166 . 164 Vgl. z. B. Presse- und Informationsabteilung des SPD-Vorstandes (Hg.), ökonomisch-politischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1975—1985. 165 Die skizzierten Problemfelder stützen sich i m wesentlichen auf: Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), Föderalismus u n d gesamtstaatliche Verantw o r t u n g des Bundes, S. 14 f.
3. Bezug zu Umweltplanungen
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Hinzu treten eine Reihe weiterer Problemfelder u n d Konflikte, die vor allem i m Zuge von Umweltplanungen auf den unterschiedlichen Planungsebenen selbst i n i t i i e r t werden, dem normativen Anspruch des (kooperativen) Föderalismus entgegenstehen und letztlich auf der lokalen Betroffenenebene der Kommunen zu vielen der i m Problemi catal o g 1 6 6 dargestellten Negativerscheinungen i m Bezugssystem MenschWohnumwelt geführt haben. Dieser Sachverhalt, d. h. die A u s w i r k u n gen von übergeordneten u n d höherstufigen Maßnahmen der U m w e l t planung auf den kommunalen Bereich und dieser notwendigerweise i n der Organisation entsprechender Konzeptionen zur Umweltplanung zu berücksichtigende Umstand verweist auf den zweiten Problembereich und soll i m folgenden deutlicher herausgearbeitet werden. (Ad 2) Der durch das Föderalismusprinzip organisierte zweistufige Staatsaufbau i n B u n d u n d Länder erhält durch A r t . 28 seine Konkretion, impliziert aber auch durch die dort getroffenen Regelungen weiterreichenden Bedeutungsgehalt. Verfassungsnormativ legt dieser Grundgesetzartikel unter anderem folgendes fest: — „ I n den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das V o l k eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist" (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 1 6 T ). — „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i m Rahmen der Gesetze i n eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben i m Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung" (Art. 28 Abs. 2). Durch diese räumliche Gliederung und die gebietliche Anerkennung hoheitlicher Qualitäten für die Kreise und Gemeinden (z. B. Kreis- und Kommunalwahlen, Satzungsrechte) reicht das föderative Prinzip i n der politischen Willensbildung und i n der verwaltungsbezogenen Aufgabenbewältigung bis hinab i n die Gemeinden. Diesen w i r d von Seiten der Verfassung das Selbstverwaltungsrecht als „institutionelle G a r a n t i e " 1 6 8 zugestanden. So betonen die kommunalen Spitzenverbände „zum Stand166
Vgl. D. 2.1. ff. Diese verfassungsrechtliche Regelung mag w o h l auch immer wieder zur irrtümlichen Grundannahme beitragen, daß der Föderalismus i n der Bundesrepublik einen drei- bzw. vierstufigen Staatsaufbau begründe. Übersehen w i r d dabei, daß die Kreise und Gemeinden als i n die Länder „inkorporiert" gelten, m i t h i n also keine eigenständige staatliche Ebene sind, u n d daß A r t . 20 und 28 i m GG unter dem I I . Abschnitt „Der Bund und die Länder" aufgeführt sind, also bereits vom Wortgehalt der Verfassung her ein zweistufiger Staatsaufbau begründet wird. I m übrigen vgl. Anhang D/E, Kap. IV, F N 2. 168 Vgl. Maunz et al., A r t . 28, Kap. I I , Rdnr. 45. 167
20 M a l z
306
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
ort des kommunalen Bereichs nach dem Grundgesetz", daß die kommunale Selbstverwaltung „eine der Grundlagen des demokratischen Staatswesens und Fundament der öffentlichen Verwaltung i m Bundesstaat" ist: „Der kommunale Bereich w i r d (...) als wesentliches Element des kooperativen Föderalismus angesehen; die politische Willensbildung vollzieht sich nach dem Grundgesetz auf drei Ebenen: i m kommunalen Bereich, i n den Ländern und i m Bund. Dabei sind auch die Vertretungskörperschaften der Städte, Gemeinden und Kreise demokratisch legitimiert, Gesamtverantwortung für i h r Gebiet zu tragen. Unbeschadet der grundsätzlichen organisatorischen Zuordnung des kommunalen Bereichs zu den Ländern hat er auch einen politisch wie rechtlich bundesstaatlichen Bezug. Dabei w i r d die bisherige föderative Struktur des Bundes i n bezug auf den kommunalen Bereich als entwicklungsfähig und verbesserungsbedürftig angesehen 169 ." Ohne an dieser Stelle auf die offensichtliche Problematik des als „elastisch und substanzschwach" charakterisierten Begriffs der kommunalen Selbstverwaltung 1 7 0 angesichts des mehrfach betonten sozialräumlichen Aufgabenzuwachses und eines seit Inkrafttreten des Grundgesetzes zu beobachtenden „Entörtlichungsprozesses" 171 eingehen zu können, beinhaltet die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden vor allem auch die Planungshoheit. Gerade i m Zusammenhang m i t Umweltplanungen und i n einer Zeit wachsender Legitimationsbedürftigkeit staatlicher Steuerungsfunktionen kommen den Gemeinden als ein wichtiger, den dezentralisierten Verwaltungsaufbau durch eine stufenweise Dezentralisierung des politischen Systems ergänzender Bestandteil der politischen Organisation des Gemeinwesens sowie der kommunalen Selbstverwaltung die entscheidenden Funktionen der untersten Verwaltungsebene zu: „die Legitimations- und Innovationsfunktion" 1 7 2 . „Die körperschaftliche Strukturierung des Subsystems Gemeinde, die dem Bürger einen Mitgliedschaftsstatus einräumt, hat i n zweckprogrammierten Planimgssituationen die Bedeutung, örtliche und regionale Besonderheiten zur Geltung kommen zu lassen und damit die Basis für ein politisches Engagement zu verbreiten sowie demokratische Verhaltensweisen nahe zu bringen (...). Uber den Bereich der planenden Verwaltung hinaus erfüllt die kommunale Selbstverwaltung i n konditional programmierten Entscheidungsprozessen die Funktion, Fehlerquellen i n der Entscheidungsprogrammierung aufzuspüren und als demokratisch 189 Reformvorstellungen der K o m m u n a l e n Spitzenverbände z u m Standort der Städte, Gemeinden u n d Kreise nach dem GG, i n : Enquete-Kommission Verfassungsreform, Teü I I , S. 221. 170 Maunz et al., A r t . 28, Kap. I I , Rdnr. 42. 171 Ebd., A r t . 28, Kap. I I , Rdnr. 63. 172 Waterkamp, Handbuch Politische Planung, S. 88.
3. Bezug zu Umweltplanungen
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legitimierter Innovationsfaktor für die Dynamisierung einer beharrenden Verwaltung zu sorgen 1 7 3 ." Charakteristisch für die Interdependenz von föderativen Strukturelementen und den verschiedenen Ebenen des hierarchisch organisierten Systems von Umweltplanungen sind vor allem folgende Sachverhalte, die zugleich eine erhebliche Problematik auf allen Planungsebenen (Bund, Länder, Regierungsbezirke, Kreise, Gemeindeverbände, Gemeinden) indizieren und zwar insofern als: — A l l e Planungsebenen auf ein äquivalentes Bevölkerungs-, W i r t schafts- und Ressourcenpotential zurückgreifen, m i t h i n also „eine Abschottung der Planungen, eine autonome Aufgabenbewältigung und eine Beschränkung auf den jeweils eigenen Planungsbereich illusorisch" i s t 1 7 4 . — Alle Gemeinschaftsaufgaben, Investitions- und Infrastrukturmaßnahmen von Bund und Ländern örtliche und regionale Auswirkungen haben u n d somit die M i t w i r k u n g der Städte, Gemeinden und Kreise an der Aufgabenerfüllung unabweisbar wird. — Die problemnahe Bewältigung öffentlicher Aufgaben i n lokalen und überschaubaren Einheiten Chancen bietet, demokratische und sozialstaatliche Belange zu konkretisieren (ζ . B. Selbstverwirklichung der Bürger durch Partizipation an den öffentlichen Aufgaben; unmittelbare Informations- und Artikulationsmöglichkeiten der Betroffenen; Förderung lokaler Initiativen, Erfolgskontrolle, K r i t i k und Innovation durch dezentralisierte Ziel- und Programmplanungen). — Die Erhaltung und Förderung lokaler und regionaler Selbstbestimm u n g u n d -Verwaltung; die Herstellung gleichwertiger Lebensbedin-
gungen bei gleichzeitiger Erhaltung von räumlicher Vielfalt i n Einheit; die Gewährleistung dezentralisierter Ausübung der Planungsgewalt bei gleichzeitiger Abstimmung u n d Koordination, gegenseitiger Information und Rücksichtnahme auf allen Planungsebenen und unter den jeweiligen Planungsbehörden (im kommunalen Bereich unter Stadtplanern, Kommunalverwaltungen, Kommunalvertretungen und Planungsgenehmigungsbehörden) ebenfalls einen räumlichen Beitrag zur Konkretisierung der Grundrechte darstellen. Letzteres vor allem dann, wenn m i t der Weiterentwicklung der Einfluß- und Partizipationsmöglichkeit der Gemeinden an den höherstufigen Planungs- und Entscheidungsprozessen auch das M i t w i r 173 Roters, Kommunale M i t w i r k u n g an höherstufigen Entscheidungsprozessen, S. 53. 174 Waterkamp, S. 88.
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n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
kungsrecht auf der lokalen Ebene selbst (Bedürfnisartikulation betroffener Bürger) verbessert wird. — Gerade i m Hinblick auf die Gemeinden, die „als Verwirklichungsebene staatlicher Planungen (...) am dichtesten i n den Prozeß öffentlicher Aufgabenerledigung eingebettet" sind und unter Berücksichtigung der Erfüllung des Anspruchs des kooperativen Föderalismus, m i t dem „der Ausbau der flächenbezogenen Raumplanung und der Infrastrukturplanung zu einer gebiets-, zeit- und finanzbezogenen Landesentwicklungsplanung, die ressortübergreifend alle Fachplanungen unter Prioritätengesichtspunkten koordiniert und eine integrierte Aufgabenplanung von Bund, Ländern und Gemeind e n " 1 7 5 angestrebt wird, eine isolierte Aufgabenerfüllung auf verschiedenen Planungsebenen nicht mehr vertretbar ist. Die zuvor schlagwortartig skizzierte Interdependenzproblematik zwischen föderativer Struktur und praktizierter Umweltplanung hat zunächst für alle verwaltungs- und gebietsbezogenen Ebenen Relevanz. I n ihrer eigentlichen W i r k k r a f t und sozialräumlichen Konfliktkonstellation schlägt sie schließlich auf den kommunalen und regionalen Bereich durch, indem dort u. a. für die Bevölkerung unmittelbares Berührtsein und direkte Betroffenheit i n den Daseinsbedingungen und Lebensverhältnissen erzeugt wird. A u f die kommunale Ebene projiziert, bedeutet das: Durch gesamtstaatliche und raumbezogene Rahmenbedingungen (Programme, Pläne, Planungen, Gesetze u. a. m. des Bundes u n d der Länder) sowie durch zunehmende Vernetzungen, Intensitäten und wachsende Komplexität von Umweltplanungen werden Probleme erzeugt, die ihre Auswirkungen erst i m lokalen bzw. i m regionalen Raum entfalten und die Bevölkerung ebenso w i e die jeweils betroffene Gemeinde i n ihren verfassungsnormativ verbürgten Rechten tangieren, einschränken und/oder verletzen. Die 'damit für kommunale Planungen aufgeworfenen Restriktionen sind i m Kontext m i t folgenden problematischen Sachzusammenhängen zu sehen: — zunehmende Reduktion kommunaler Handlungsspielräume, Gestaltungsfreiheiten, Erfolgskontrollen, Informationschancen und Informationsrückkopplung von der gemeindlichen Basis an übergeordnete Planungsebenen und ein damit fortschreitender Substanzverlust der gemeindlichen Selbstverwaltung; — mangelnde Realisierung kommunaler Mitspracherechte vor allem bei der Aufstellung von Zielen und Grundsätzen zur Raumordnung, bei der Erstellung von Struktur- und Investitionsprogrammen auf Bundes- und Landesebene, wobei die damit verbundenen Probleme 175
Ebd., S. 89.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
309
für die Gemeinden um so erheblicher werden, wenn Bereiche wie Städtebauförderung, Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, Wohnungsbau· und Wirtschaftsförderung betroffen s i n d 1 7 6 ; — unzureichende Abstimmung zwischen den Fachplanungen (d. h. Planungen zum Verkehr, zum Natur- und Landschaftsschutz, zur Wasserwirtschaft, zur Ver- und Entsorgung) auf Bundes und Landesebene sowie zwischen der gemeindlichen Bauleitplanung, die sich u. a. aus den schwierig zu handhabenden Rechtsinstrumenten und Unklarheiten über die Bindungswirkungen ergeben; — verwirrende Rechtsvielfalt i m Bereich der Landes- und Regionalplanung als Ergebnis der den Ländern hierfür i m Rahmen föderativer Organisationsstruktur und Aufgabenzuweisung zuerkannten Gesetzgebungskompetenz 177 . Dieser Problemausschnitt sowie alle bereits weiter oben benannten Konfliktfelder verdeutlichen, daß das Föderalismusprinzip angesichts veränderter wissenschaftlich-technologischer, politischer und sozioökonomischer Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechtere, zeitgemäße und zukunftsorientierte Reformpolitik zu den sozialräumlichen Daseinsbedingungen unter den Konditionen bestehender bundesstaatlicher Organisationsstrukturen, tradierter Interpretationsschemata und (wissenschaftlicher) Rechtfertigungstheorien nicht mehr bzw. nur noch bedingt funktionsfähig ist. Der Prozeß und die Organisation der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenbewältigung zur Gestaltung, Nutzung und Entwicklung der Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen erfolgt unter den zuvor aufgezeigten Restriktionen des föderativen Prinzips und läßt sich schematisiert als ein hierarchisch geordnetes Planungs-Organisations-System darstellen, i n dem die maßgeblichen Planungsebenen des Bundes, des Landes, der Regierungsbezirke (Kreise, Regionen) und der Gemeinden unterschieden werden m i t den entsprechenden Planungsarten der Raumordnung, Landesplanung, Regionalplanung, Bauleitplanung 1 7 8 . Die Furiktionsfähigkeit und Legitimation des Föderalismus als Gliederungs-, Ordnungs- und Organisationsprinzip sowie als grundgesetzlich verbindende Leitidee hat seit Inkrafttreten des Grundgesetzes zahl178 Problematisiert i n Enquete-Kommission Verfassiungsreform, T e i l I I , S. 216 ff. m i t zahlreichen Hinweisen auf weitere Problemfelder. 177 v g l , z u den beiden letztgenannten Problemkreisen Battis , Rechtsfragen zum BROP, S. 73—80; i n s t r u k t i v werden hier die m i t den föderativen Strukturen der Bundesrepublik verknüpften Schwierigkeiten aus juristischer Perspektive vertieft. Ausführlich zur Gesetzgebungskompetenz vgl. Anhang D / E , Kap. I V . u n d i n der Übersicht D. 3.4., Synopse 10. 178
Vgl. Skizze 14 auf S. 311.
310
.
n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
reiche Veränderungen und Wirkungseinbußen erfahren. Diese sind i m Kontext evidenter Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes sowie i m Zusammenhang der verfassungsrechtlichen Anerkennung des kooperativen Föderalismus und zwar i n Abhängigkeit zu politischen Innovations-, Lern- und Umsetzungskapazitäten einzuschätzen und zu lösen. Da unter den zugrundegelegten Prämissen auch dem grundgesetzimmanenten Normativbestand des Föderalismusprinzips zuerkannt wird, Chancen zur Verbesserung sowohl der sozialräumlichen Daseinsbedingungen 1 7 9 als auch der Konzeptionen der Umweltplanung zu offerieren, geht es zunächst darum, die dabei i n Betracht kommenden verfassungsnormativen Anforderungen an die planende Tätigkeit herauszuarbeiten. I n diesem Sinne sind folgende föderativen Maßgaben und Forderungen unabweisbar: — Differenzierung des die föderative Ordnung kennzeichnenden Grundsatzes der vertikalen Gewaltenteilung und seine problemadäquate Nutzung und Weiterentwicklung auch für die Ordnung der Planungsgewalt. Das bedeutet: permanente Überprüfung und — soweit erforderlich — Revision der auf Bundesebene i n Form der Raumordnung praktizierten ordnenden Planungsart und der auf Landesebene i n Form der Landesplanung praktizierten leistenden und ausführenden Planungsart unter den gewandelten Rahmenbedingungen. — Nutzung und Ausfüllung der Rahmenkompetenz zur Raumordnung auf Bundesebene durch eine effektive, rechtzeitig Prioritäten setzende, Ziel- und Entscheidungskonflikte vermindernde Rahmengesetzgebung 1 8 0 , die durch umfassende Koordinierung aller raumbedeutsamen Ressortplanungen (Fachplanungen) den weitgehend leerformelhaft formulierten Zielen und Grundsätzen der Raumordn u n g 1 8 1 Wirkungs- und Durchsetzungökraft zu verleihen auch i m stande ist, also z. B. durch raumwirksame Investitionen 18 " 2 der ein179
Vgl. D. 3.4. 180 i n w i e w e i t die i m K o n t e x t dieser Forderung bisher greifende Rechtsgrundlage i n F o r m des ROG zu erweitern, zu modifizieren und/oder gänzlich abzulösen ist, soll hier nicht i n allen Details problematisiert werden. I m Rahmen dieser A r b e i t w i r d vielmehr die generelle Auffassung vertreten, daß die Einführung eines alle flächenbezogenen u n d 'umweltwirksamen Planungen koordinierenden u n d integrierenden Planungsgrundsätzegesetzes (vgl. grundlegend C. 4.4.) Chancen bieten könnte (für die Bereinigung der sozialräumlichen Situationsproblematik wurde dies bereits i n D. 4. dargestellt), die bestehenden Restriktionen i n den Konzepten praktizierter U m w e l t p l a n u n g kontinuierlich abzubauen, indem diese den jeweiligen politischen, ökonomischen, sozialen u n d räumlichen Erfordernissen sowie wissenschaftlich-praxeologischen Erkenntnissen angepaßt werden (vgl. zusammenfassend E. 5.). 181
Vgl. §§ 1 und 2 ROG. 182 vgl. die entsprechenden Hinweise i n § 4 Abs. 1 ROG.
3. Bezug zu U w e l t p l a n u n g e n
311
Skizze 14: Organisation der raumwirksamen Planungen/Umweltplanungen 188
! PLANUNGSTRÄGER
BUND
iss x>i-e Skizze stützt sich auf die Informationsschrift: Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Städtebauliche Planung — M i t w i r k u n g des Bürgers, S. 7. Diese visualisiert die Planungsorganisation i n NRW. I m Bereich der Trägerschaften auf der Landesebene bestehen i n den einzelnen Bundesländern ζ . T. Abweichungen.
312
.
n n p r o b l e m a t i k u n d Verfassungsgrundsätze
zelnen Ressorts (Investitionsplanung, Gemeinschaftsaufgaben) die bundesstaatliche und räumliche Homogenität 1 3 4 unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten 185 und i m Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse und sozialräumlicher Daseinsbedingungen zu verwirklichen. Das impliziert u. a. auch: Konkretisierung des grundrechtlichen Wertsystems i n der Form eines i n den Grundrechten rückgekoppelten Planungsleitbildes 1 8 6 . — Weiterentwicklung von Rahmenrichtlinien und Rahmenprogrammen (BROP), deren primäre Bedeutung als konzeptionelle Leitidee für die großräumige Entwicklung des Bundesgebietes zu sehen ist. Das erfordert: Erhöhung der verbindlichen Wirkung von Zielaussagen unter Vermeidung bisher methodischer Mängel 1 8 7 , um unerwünschten, ungleichgewichtigen räumlichen Entwicklungen entgegenzusteuern. — Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch die Länder auf der Grundlage eines weiterzuentwickelnden Rechtsinstrumentariums, das die Landesplanung einschließlich der i n i h r integrierten sektoralen Planungen auch konkret funktionsfähig macht. Das bedingt: Sachliche, zeitliche und räumliche Koordination sowohl der Ziele als auch der Maßnahmen der verschiedenen Entscheidungsträger. — Durchführung der delegierten, raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen durch die Länder, die i m Rahmen der Landesplanung ihren Beitrag zur räumlichen Entwicklung des Landes — und somit auch des Bundesgebietes — nach Maßgabe der Raumordnungsgrundsätze des Bundes und der i n den jeweiligen Landesplanungsgesetzen und Landesentwicklungsprogrammen verrechtlichten Grundsätze 1 8 8 des Landes zu leisten haben. Unverzichtbar sind somit: Planende und koordinierende Tätigkeiten i m Sinne von Ordnungs-, Sicherungs-, Steuerungs-, Entwicklungs-, Versorgungs- und Verteilungsmaßnahmen. 184 I. d. S. vgl. z. B. § 1 Abs. 1 u. 4 ROG, dort ist die Anpassung r a u m w i r k samer Tätigkeiten an übergeordnete Ziele angesprochen zur Vermeidung bzw. Beseitigung sozialräumlicher Disparitäten. iss y g i z iß den Grundsatz der Beachtung regionaler Besonderheiten i n § 2 Nr. 8 ROG. 186
Z u diesem konzeptionellen Vorschlag vgl. C. 4.4. Waterkamp, S. 177. Hier w i r d i m übrigen ein guter Uberblick über A n wendungsbereiche gegenwärtiger politischer Planungen vermittelt. 188 Vgl. paradigmatisch f ü r das L a n d Nordrhein-Westfalen die Grundsätze i n § 1 L a P l a G v o m 7. 5.1962 (GV.NW S. 229), zuletzt geändert durch Gesetz v o m 7.12. 1976 (GV.NW S. 416) und die Grundsätze i n den §§ 1—5 für die Gesamtentwicklung des Landes; die Grundsätze i n den §§ 6—10 f ü r die räumliche S t r u k t u r sowie f ü r Sachbereiche i n den §§ 12—18, LEPro v o m 19. 3. 1974 (GV.NW S. 96). 187
3. Bezug zu Umweltplanungen
313
— Kompetenzabgrenzungen und ^Zuweisungen i m verwaltungsorganisatorischen und verfahrenstechnischen Ablauf und der Ausführung der Landesplanung unter Berücksichtigung des allgemeinen, auf gegenseitige Ergänzung und wechselseitiges Zusammenwirken von Bund und Ländern angelegten Gebots bundesfreundlichen Verhaltens. Damit ist u. a. auch die Notwendigkeit der Institutionalisierung respektive der konsequenten Nutzung des „Gegenstromprinzips" 1 8 9 auf allen Planungsebenen und bei allen Planungsarten angesprochen. Diese Maßgaben, die aus dem grundgesetzimmanenten Normativbestand des Föderalismusprinzips i m Hinblick auf die strukturelle und funktionale Ausgestaltung von Umweltplanungen i m zweistufigen Bundesstaat ableitbar sind, haben zwar i n ihrer überwiegenden Mehrzahl ihren Niederschlag in der raumwirksamen Rahmengesetzgebung (ROG, LaPlaGe) gefunden; doch ist — angesichts der in TeilD dargestellten Problemlagen — vgl. Problemkatalog — und der i n diesem Zusammenhang nachweisbaren Verletzungstatbestände des Föderalismusprinzips — vgl. Synopse 9 — davon auszugehen, daß die föderativen Forderungen i n ihrem wertgebundenen Wirkungsgehalt die Konzeption praktizierter Umweltplanungen nicht oder nur marginal zu initiieren und zu organisieren vermochten. Analog zur Problematisierung der übrigen Verfassungsgrundsätze sowie der Grundrechtsordnung kann auch beim Föderalismusprinzip und den von dieser Staatszielbestimmung ausgehenden theoretischen Erfordernissen und praxeologischen Konditionen bei der Transformation und Implementation seiner qualitativen Anforderungen an entsprechende Planungskonzepte von folgenden generalisierenden Grundannahmen ausgegangen werden: I n der Realität der gesamtgesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge i m Gemeinwesen und i n seiner Verfassungswirklichkeit haben sich konträr zum ursächlich vom Grundgesetz gemeinten föderativen Ideengut zentralistische und unitarisierende Tendenzen herausgebildet, verselbständigt und verfestigt. Die unabweisbaren Grundvoraussetzungen — d. h. vor allem Beachtung des Konkordanzprinzips i m Sinne der Reduzierung und/oder Ausschaltung von Gegenläufigkeiten und Widersprüchen i n den Normativbeständen aller Verfassungsgrundsätze, Systematisierung und Harmonisierung ihrer Zielfunktionen — zur sachgerechten und problemadäquaten Umsetzung und konsequenten Anwendung der föderativen W i r kungsgehalte i m Konzept der praktizierten Umweltplanungen sind nicht oder doch nur bedingt geschaffen worden. Die i m Kontext dieser Restriktionen allenthalben ebenfalls zu beobachtenden politisch-admi189
Z u m Begriff und I n h a l t vgl. A . 2.3., F N 125.
314
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
nistrativen Vollzugsdefizite -bei der Nutzung der bestehenden Instrumente, Rechtsgrundlagen und Rahmenbedingungen sowie die damit eng verknüpften planerisch-bürokratischen und planerisch-technokratischen Probleme haben zu weiteren sozialräumlichen Krisenverschärfungen, Struktur- und Funktionsdefekten i m Gemeinwesen beigetragen. Soll diese Problematik gelöst werden, dann ist unter den forschungsspezifischen Argumentationsbasen auch hier die unabweisbare Forderung zu stellen, daß die föderativen Maßgaben gemäß den dargestellten Prämissen zur Durchgestaltung und Konzeptualisierung aller Ebenen von Umweltplanungen 1 9 0 genutzt werden, um i n dem solcherart effektivierten Planungskonzept föderativ-qualitative Handlungs- und Entscheidungsweisen zu institutionalisieren. Denn erst bei Erfüllung dieser Konditionen — i n Abstimmung m i t den Erfordernissen aus den übrigen Verfassungsgrundsätzen — kann angenommen werden, daß m i t der praxisbezogenen, umweltwirksamen Planungstätigkeit auch jener unverzichtbare Beitrag zur Schaffung humanwertorientierter, sozialräumlicher Daseinsbedingungen leistbar ist. Wie i n diesem zweistufigen Bundesstaat und i n einem entsprechend rahmensetzend organisierten, umweltwirksamen Planungssystem das Verhältnis der Gemeinden einzuschätzen ist und welche Funktion dieser Gebietskörperschaft vom föderativen Verfassungsgrundsatz i m Hinblick auf die Ausübung und Erfüllung der Planungshoheit zuerkannt respektive zugewiesen w i r d 1 9 1 , wurde bereits weiter oben durch den Einbezug der Verfassungsregelungen des A r t . 28 i n diese Problematisierung angesprochen und soll hier abschließend unter Bezugnahme auf entsprechende Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages beantwortet werden. Diese Vorschläge zielen unter anderem auch darauf ab, die i n der Verfassungspraxis zu beobachtenden und dem föderativen Anspruch entgegenwirkenden ökonomischen und räumlichen Konzentrationsprozesse sowie politisch-administrativen Zentralisierungstendenzen abzubauen und/ oder doch zumindest abzumildern.
190
I. S. der defindtorischen Festlegungen i n A. 2.3. Gemäß A r t . 28 w i r d von der Annahme ausgegangen, daß die dargelegten föderativ-normativen Anforderungen an Umweltplanungen durch die A n e r kennung hoheitlicher Qualitäten f ü r die Gemeinden konkretisiert u n d auf dieser Gebietsebene sozialräumlich realisiert werden. Denn A r t . 28 garantiert bezüglich der Gemeinden „ ( . . . ) die institutionelle Gewährleistung der k o m munalen Selbstverwaltung i m Rahmen des organisatorischen Aufbaus der Bundesrepublik u n d die Existenz von Gemeinden (ohne Einzelbestandsgarantie) m i t dem Recht autonom-eigenverantwortlicher Gestaltung aller Probleme des lokalen Raumes unter Vorbehalt gesetzlicher Regelungen" (Waterkamp, S. 91). Vgl. auch Rotèrs , S. 7. 191
3. Bezug zu Umweltplanungen
315
Zwar hat die Kommission „von einer Empfehlung zur verfassungsrechtlichen Verankerung kommunaler M i t w i r k u n g " 1 9 2 an überörtlichen und übergeordneten Planungen Abstand genommen; doch werden i n dem von ihr empfohlenen A r t . 28a und seiner Aufnahme i n das Grundgesetz eine Reihe von Gesetzesinitiativen und Anstößen erwartet, die auch i n diese Richtung tendieren. Zusammenfassend
geht es um folgendes:
Dem B u n d und den Ländern
werden von der Verfassung her die gemeinsame Aufgabenplanung i n Form der Rahmenplanung zugestanden. Damit kann und w i r d die bereits faktisch vorhandene und verfassungsrechtlich abgesicherte Kooperation zwischen Bund und L ä n d e r n 1 9 3 auf weitere sozialräumliche A u f gaben respektive Planungsbereiche ausgedehnt werden. Die „Auswahl der einzelnen Vorhaben, die Einzelplanung und ihre Durchführung (wird) Aufgabe von Bund u n d Ländern i m Rahmen ihrer Zuständigkeiten (bleiben)". Die Rahmenplanung schließlich bedarf „der Zustimmung des Bundes und der Mehrheit der Länder" unter Beteiligung der „VolkVertretungen des Bundes und der Länder". Durch entsprechende, auf der Basis des A r t . 28 a verabschiedeter „Planungsausführungsgesetze" kann ebenfalls die Planungsbeteiligung der kommunalen Gebietskörperschaften geregelt und somit die faktisch bestehende K o m petenzverschränkung von Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen verfassungsrechtlich bzw. durch einfache Gesetze abgesichert werden. Gemäß den Kommissions-Vorschlägen soll der Grundgesetzartikel folgenden Wortlaut haben: „ A r t . 28 a (1) Bund und Länder können gemeinsam Aufgaben planen, die für die Entwicklung des Bundesgebietes von Bedeutung sind. (2) Die gemeinsame Planung ist Rahmenplanung. Die Auswahl der einzelnen Vorhaben, die Einzelplanung und ihre Durchführung bleiben Aufgabe von Bund und Ländern i m Rahmen ihrer Zuständigkeiten. (3) Die gemeinsame Planung bedarf der Zustimmung des Bundes und der Mehrheit der Länder. Die Volksvertretungen des Bundes und der Länder sind zu beteiligen. (4) Das Nähere, insbesondere die Auswahl der Planungsbereiche, das Verfahren und die Beteiligung des Bundestages sowie Grundsätze über die Beteiligung der Volksvertretungen der Länder regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf 1 9 4 ." 192 Enquete-Kommission Verfassungsreform, T e i l I I , S. 229, m i t entsprechenden Begründungen. 193 Vgl. z. B. A r t . 91a; 91b; 104a Abs. 4. 194 Enquete-Kommission Verfassungsreform, T e i l I, S. 251.
316
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
4. Normativbestände der Verfassungsgrundsätze und praktizierte Konzeptionen städtebaulicher Planung unter besonderer Berücksichtigung der Bauleitplanung Inwieweit i n den praktizierten und institutionalisierten, umweltwirksamen respektive städtebaulichen Planungskonzepten eine Rückkopplung i n der Verfassung stattgefunden hat — diese eingangs des Untersuchungsteils aufgeworfene Problemstellung — soll i n der nachfolgenden Diskussion beschränkt bleiben auf die schwerpunktmäßige Skizzierung einiger generell explizierbarer Sachverhalte. I m Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht somit die Kenntlichmachung der konzeptionellen Konditionen, Konfliktpotentiale, Verknüpfungen und Widersprüche, die sich i m Kontext der normativen Anforderungen der Verfassungsgrundsätze und städtebaulicher Praxis, dargestellt am Beispiel der Bauleitplanung, nachweisen lassen. Dabei w i r d zunächst ausgegangen von folgenden Erkenntnissen: A u f der einen Seite: — die normativen Anforderungen der Verfassungsgrundsätze als Maßgaben m i t Aufforderungs- und Ordnungscharakter i m Sinne der Begründung von Planungsnotwendigkeiten und Planungspflichten; — die Normativbestände der Verfassungsgrundsätze als ein System komplexer, heterogener und konfliktträchtiger Faktoren zur Strukturierung, Initiierung, Effektivierung und Optimierung von Planungen. Auf der anderen Seite: — der praktizierte Städtebau (Fachplanungen und Bauleitplanung) i n Form entsprechender Konzeptionen der „Auffangplanung" und „Entwicklungsplanung" ; — die i m Gefolge dieser Planungskonzeptionen entstandene Fehlplanungswirklichkeit. Angeknüpft w i r d i m weiteren an den nachfolgenden und i m wesentlichen bereits verifizierten Grundannahmen: — Umweltwirksame u n d städtebauliche Planungen sind auf allen strukturbedingten und funktionalen Ebenen 1 9 5 nur unzureichend i n der Verfassungsordnung i m Sinne des grundrechtlichen Wertsystems und der Normativinhalte der Verfassungsprinzipien rückgekoppelt. — Eine effiziente Diskussion zur Umsetzung der normativ-qualitativen Verfassungsgehalte i n umweltrelevante Planungen und mittels Umweltplanung hat nicht stattgefunden. 195
I. S. der terminologischen Festlegungen i n A . 2.3.
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
317
Zu berücksichtigen sind schließlich die aus ζ . T. antagonistischen politischen, ökonomischen, sozialen und räumlichen Interessen resultierenden Gründe, die Umweltplanungen als einem Instrument „rationaler Zukunftsorientierung" 1 9 6 entgegenstanden und entgegenstehen: — fehlende bzw. unzureichende interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Planungswissenschaften bei der Aufarbeitung von Planungsproblemen und sozialräumlichen Situationen i m Kontext m i t Verfassungsfragen; — hohes rechtsdogmatisches Abstraktionsniveau und intersubjektiv nicht nachvollziehbare Argumentationsmuster, die von den Staatsund Rechtswissenschaften i n die Planungsdiskussion eingeführt werden und einen konstruktiven Dialog erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen; — inhaltliche und instrumentelle Unbestimmtheit bei grundlegenden Wertpositionen und Zielvorstellungen, die mangels fehlender Opera tionalisierung/Opera tionalisierbarkeit über eine allenfalls allgemeine, konsensbildende Wirkung hinaus keinen Beitrag zur qualitativen wohnumweltpolitischen Entscheidungsfindung zu leisten vermögen, eben w e i l keine konkreten Alternativen bei u m w e l t w i r k samen Planungsentscheidungen ausgeschlossen respektive 'benannt werden; — Ideologieanfälligkeit bei der Thematisierung der gesamtgesellschaftlichen Funktion der Planung sowohl i n der politik- und verwaltungswissenschaftlichen als auch der politisch-praktischen Diskussion197; — mangelhafte bzw. sich nur zögernd durchsetzende Lernfähigkeit des gesamtgesellschaftlichen Systems, das trotz intensivierter Aufklärungsarbeit, gestiegener Handlungsbereitschaft durch freigesetztes Unbehagen (Bürgerinitiativen und -bewegungen als politisch relevante Mobilisierungsfaktoren!) eher zur Beharrung u n d Erhaltung des Status quo als zur Evolution und Innovation tendiert; — unzureichende Nutzung der ordnungspolitischen Offenheit der Verfassung („Neutralität «der Verfassung" i m Sinne der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Wahl planungspolitischer M i t t e l u n d Instrumente) zur Durchsetzung tiefgreifender Reformen; — mangelnde Flexibilität des politisch-administrativen Systems bei der Berücksichtigung gewandelter politischer, ökonomischer, soziokultureller und sozialräumlicher Wert- und Normvorstellungen und entsprechend darin rückgekoppelte Leitbilder und Zielsysteme; 198
Ellwein, Politik, S. 15. Vgl. Ronge, Stichwort „Planung", i n : Sontheimer/Röhring (Hg.), H a n d buch, S. 482 ff. 197
318
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
— Tabuisierung verrechtlicher Plazierungen i n der Sozialstruktur der Gesellschaft (z. B. Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden). Vor diesem Hintergrund — Verfassungsanspruch, Hypothesen und Theorieverständnis einerseits sowie Planungspraxis und restriktive politische Handlungsstrukturen andererseits, die insgesamt ein äußerst konfliktträchtiges Problembündel ergeben — soll zur exakteren Explikation und Lokalisation vermuteter Kausalzusammenhänge von Verfassungsfragen und Planungsproblemen auf die heuristische Funktion des systemtheoretischen Ansatzes 1 9 8 zurückgegriffen werden. Danach ist das Grundgesetz aufzufassen als komplexe Wertordnung, die sich i n differenzierter Form als ein offenes System interdependenter und interagierender Elemente darstellt und sich strukturell und funktional zusammensetzt aus Werten, Normen, Grundsätzen und Prinzipien, Verboten und Geboten. Analog zu diesem Systemverständnis von der Verfassung, das sich zudem nicht nur auf eine rein ideal typische Konstruktion von Systemstrukturen und -funktionen und deren Verifikation zu stützen braucht, sind die weiteren Reflexionen sowohl vom systemtheoretischen Ansatz her plausibel abgesichert als auch verfassungstheoretisch legitimiert. Dies vor allem und deshalb, w e i l i m allgemeinen Verfassungsverständnis jene der Systemtheorie verwandten Erklärungsund Interpretationsmuster genutzt werden i m Sinne von: »Grundrechte als Wertsystem 4 , ,Verfassungsgrundsätze als verbindende Leitidee', ,Prinzip der praktischen Konkordanz der Verfassungselemente 4 , ,Offenheit und Interaktion der Verfassung m i t der Umwelt 4 . Die maßgeblichen Wirkungsweisen und konditionalen Zusammenhänge i n der eingangs problematisierten Fragestellung lassen sich in Anlehnung an dieses theoretische Verständnis somit wie folgt erklären: Kommt es innerhalb der Verfassungsordnung zu Selektionen i m Sinne einer nicht gleichrangigen, gleichwertigen und gleichzeitigen Beachtung und Nutzung der verfassungsnormativen Systemelemente, so sind schwerpunktmäßige Verlagerungen, Ungleichgewichte und Konflikte der gesamten System- und Wertordnung selbst und — soweit diese offen ist, also i n Interaktion m i t der Umwelt steht — i n die Mensch-Wohnumwelt-Bedingungen hineinprojizierte Instabilitäten und Probleme nicht auszuschließen. Angenommen w i r d also, daß die solchermaßen modifizierte System- und Wertordnung der Verfassung, über umweltrelevante Planungskonzeptionen i n Wohnumweltrealitäten umgesetzt, Fehlleistungen und Defizite erzeugt 1 9 9 . W i r d i n diese Kausalkette die i n Teil A aufgeworfene Arbeitshypothese von den Zusammenhängen der „bewußt gewollten Lebensbedin198
Dazu ausführlich B. 2. Dazu grundlegend die E. 3.1.—3.4. 199
jeweils
resümierende
Problematisierung
in
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
319
gungen" und den „produzierten Erscheinungsformen der Wohnumwelt" gestellt 2 0 0 und w i r d i n diesem Kontext akzeptiert, daß wert- und humanwertorientierte Grundvorstellungen zu den Daseinsbedingungen und Lebensverhältnissen i n der gesamten Verfassungsordnung mehr oder weniger explizit ihren Niederschlag gefunden haben und der Befund zu den sozialräumlichen Erscheinungsformen i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt defizitär zu beurteilen ist, dann kann dies unter anderem auch als Folge von Selektionsprozessen innerhalb der Verfassungsordnung eingeschätzt werden. M i t anderen Worten: Die Interdependenzen der Gesamtheit der Einzelwerte und Normativbestimmungen sind als unverzichtbare Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit des Verfassungssystems und der i n diesem rückgekoppelten Handlungsinstrumente (im Sinne umweltwirksamer bzw. städtebaulicher Planungskonzepte) eben •unzureichend berücksichtigt worden. Die konstatierte Krise der Stadt, Lebensumwelt und Wohnumwelt ist demnach i m Gefolge einer unter restriktiven Konditionen vorgenommenen Umsetzung der normativen Anforderungen der Verfassungsgrundsätze i n Umweltplanung und mittels Umweltplanung entstanden. Unbestreitbar ist, daß es sich dabei ebenfalls u m einen „bewußt gewollten" Prozeß gehandelt hat (handelt), i n dem sich die dominierenden, wohnumweltrelevanten Rollen- und Funktionsträger, also die politischen Entscheidungs- und Gestaltungsakteure auf Regierungs-, Parlaments-, Verwaltungs-, Parteien- und Interessenvertretungsebene, mehrheitlich darüber einig waren (sind), welche Einzelwerte und clemente der verfassungsnormativen Maßgaben und Forderungen Priorität hatten (haben) und als explizite Handlungsanweisungen an die Planungsträger weiterzuleiten und i n Umweltplanungen zu verrechtlichen waren (sind). Dieser Entscheidungsprozeß ist i m Hinblick auf die Reduktion des mehrfach betonten Konfliktpotentials und der Heterogenität der verfassungsimmanenten Normativbestände seinem prinzipiellen Charakter nach zunächst ein politisch-rechtlich legitimer Vorgang, für den der Begriff der „Güterabwägung" 2 0 1 steht, bei dem idealiter eine abstrakte Abwägung nicht konkreter Normativgüter der Verfassungsgrundsätze vorgenommen wird. Vor dem Hintergrund der skizzierten Restriktionen und Defizite der verfassungsrechtlichen (-politischen) und planungsrelevanten Diskussion 2 0 2 scheint dieser Prozeß jedoch eher zur „Interessenabwägung" der ohnehin dominierenden politischen und ökonomischen Akteure umfunktioniert zu sein und damit i m Widerspruch zu stehen zum ursächlichen Wirkungsgehalt des Güterabwägungsprinzips i m Sinne seiner evolutionierenden Funktion, d. h. vor allem auch 200 201 202
Vgl. A . 1.1. Z u m Begriff vgl. u. a. Maunz et al., A r t . 5, Rdnr. 252. Vgl. E. 1.1.1. ff.
320
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
hinsichtlich der Konkretisierung von Rechtsqualitäten i m Bezugssystem Mensch-Wohnumwelt und der Verwirklichung echter Gerechtigkeitsgrundsätze i m Gemeinwesen über das Handlungsinstrument Planung. Daß auf derartigen Entscheidungsgrundlagen konzipierte Strategien, Zielsetzungen, Organisationsweisen, Rahmensetzungen und Rechtsinstrumente zur Umweltplanung nur punktuell, vorrangig interessenorientiert und somit ohne reformerischen Gestaltungswillen i n der Verfassungsordnung rückgekoppelt sind, ist eine plausible Hypothese, deren Verifizierung beispielsweise besonders eindrucksvoll i m Kontext raumrelevanter Grundlagenbereiche — so der Bodenordnung — möglich i s t 2 0 3 . I n den folgenden Ausführungen soll die zuvor skizzierte Problematik i m Rahmen einer umfassenderen Analyse bestehender Strukturen und Funktionen i n den praktizierten städtebaulichen Planungskonzepten — und wie angekündigt am Beispiel der Bauleitplanung dargestellt — diskutiert werden. 4.1. Bauleitplanung als Auffangplanung
Die benannten restriktiven Sachverhalte und formulierten Grundannahmen können i m Zusammenhang m i t der Ausgestaltung jener umweltwirksamen Planungskonzeption für den kommunalen Bereich nachgewiesen werden, die m i t dem BBauG von 1960 als Bauleitplanung institutionalisiert wurde. Diese behielt bis zur Novellierung des BBauG (1976) Gültigkeit — sieht man einmal ab von Modifikationen, die sich durch das ROG (1965), die LaPlaGe 2 0 4 , das StBauFG (1971) und entsprechende Fachplanungsgesetze 205 ergeben haben — und läßt sich zu Recht i m Sinne der ihr zugrundeliegenden strategischen Konzeption als A u f fang- und/oder Anpassungsplanung charakterisieren. Willy Zinkahn hat das ehemalige Konzept der Bauleitplanung in einer Einführung zum novellierten BBauG m i t folgenden Hinweisen problema tisiert : „Das Bundesbaugesetz war prinzipiell auf Sachprobleme zugeschnitten, die sich aus dem Blickpunkt und den Bedürfnissen einer stetig fortschreitenden, organischen städtebaulichen Entwicklung einer Gemeinde 203 Dazu i m Uberblick die gesellschaftspolitische Diskussion zur Bodenordnung i n der BR-Deutschland anhand von Dokumenten, zusammengestellt von Knirsch, Bodenrecht-Beiträge zur Reform des Grundeigentums. 204 Die LaPlaGe datieren i n den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Z w a r hatten Nordrhein-Westfalen bereits 1950 u n d Bayern 1957 LaPlaGe erlassen, doch sind diese i n den 60er Jahren gänzlich novelliert u n d auch jene i n den übrigen Bundesländern erst nach I n k r a f t t r e t e n des B B a u G verabschiedet worden. 205 Gemeint sind u. a. Gesetze zur Verkehrsplanung, zum Wohnungsbau, zu den Gemeinschaftsaufgaben, zur Flurbereinigung.
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
321
ergaben. Die Bauleitplanung w a r demgemäß darauf ausgerichtet, einen Rahmen aufzustellen, der die Nutzung des Grund und Bodens aus der Sicht des öffentlichen Interesses lenkend begrenzte. Die Verwirklichung der planerischen Festsetzung hing i m Grundsatz allein von der Initiative und Leistungsfähigkeit der Eigentümer ab. Die Bauleitplanung war eine ,Auffangplanung', die an einer bestimmten Grenze die Privatinitiative auffing und sie rahmensetzend überwachte 2 0 6 ." Diese aus der Literaturfülle exemplarisch ausgewählte Darstellung zur Bauleitplanung als Auffangplanung — eine nach Durchsicht der einschlägigen Veröffentlichungsbeispiele jedoch durchaus repräsentative Einschätzung — impliziert bei näherer Analyse eine Reihe restriktiver Sachverhalte, die mehr oder minder zwingend den Schluß zulassen: — Daß dieses Planungskonzept eben nicht einmal i n einer Annäherung an das Gesamtpotential der verfassungsnormativ explizierbaren Maßgaben und Forderungen rückgekoppelt war, geschweige denn diese zu konkretisieren vermochte. — Daß diese Form der städtebaulichen Planung ungeeignet war und ist, den Erfordernissen spezialisierter Industriegesellschaften zu genügen und den sich wandelnden sozialräumlichen Bedürfnissen und Belangen sowie den sich ändernden Gestaltungs-, Nutzungs- und Entwicklungsanforderungen an die Wohnumwelt gerecht zu werden. — Daß die Bauleitplanung als Auffangplanung keine Chancen bot und bietet, die anstehenden und sich abzeichnenden Probleme einer wissenschaftlichen und/oder politisch-praktischen Lösimg zuzuführen^ 0 7 . I n der Analyse und Interpretation des Zitats von W. Zinkahn kann der defizitäre Charakter i m einzelnen kenntlich gemacht werden, der aus der Sicht jenes, der Arbeit zugrundegelegten, verfassungsnormativ abgesicherten Planungsverständnisses eine effiziente und funktionstüchtige Bauleitplanung verhindert hat. I m einzelnen handelt es sich um folgende Auffassungen und Annahmen: — I m Rahmen städtebaulicher Planung seien nur sachlich-technische Probleme zu berücksichtigen und es bedürfe keiner weiterreichenden Regelungen und Setzung von Zielen, die die Anspruchsebene der Gesamtheit der raumnutzenden Bevölkerung be träfe. — Bei der Entwicklung einer Gemeinde handele es sich um einen kontinuierlichen und organischen Prozeß, der keine weiteren aktiven 206
Zinkahn, BBauG, S. V I I I . Einige dieser Problemfelder müssen w o h l auch bereits gegen Ende der parlamentarischen Beratungen zum B B a u G erkannt worden sein; vgl. Z i n Jcahn, S. V I I I . 207
21 M a l z
322
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
und prospektiven Steuerungsmaßnahmen durch das Gemeinwesen erfordere. — Die städtebauliche Entwicklung könne sich i n einem lediglich der Privatinitiative überlassenen und für diese abgesteckten, rahmensetzenden Handlungsspielraum vollziehen. — Ein so komplizierter Vorgang und komplexes Gebilde wie die sozialräumliche Organisation der Gesellschaft i n Städten und Siedlungen, Agglomerationen und Verdichtungsräumen könne i n der Entwicklung der Leistungsfähigkeit, Initiative und Tüchtigkeit einiger weniger Grund- und Bodeneigentümer überlassen und anvertraut werden. — Die Grenzen der Privatinitiativen brauchten lediglich flankierend überwacht zu werden und Fehlleistungen könnten nachträglich „aufgefangen" u n d — wenn notwendig — i m öffentlichen Interesse korrigiert werden. Die von diesen Auffassungen getragene Planungskonzeption enthält ganz offensichtlich Rudimente spätliberalen Gedankengutes des ausgehenden 19./beginnenden 20. Jahrhunderts, eine einseitige Interpretation der Verfassungsordnung i m Sinne der Überbetonung einiger weniger Grundrechte (individuelle Freiheitsrechte, Eigentumsgewährleistung) und Verfassungsgrundsätze (Rechtsstaatsprinzip) unter Vernachlässigung der übrigen Werte und Normativbestimmungen, Gebote und Verbote sowie eine mehr oder minder explizite politische Antiplanungsideologie. Vor allem aber entspricht die Auffangplanung den konstituierenden Prinzipien des auf den „ordoliberalen Grundsätzen" aufbauenden Konzepts der „sozialen Marktwirtschaft" 2 0 8 insofern, als dieser Planungskonzeption unterstellt wurde und wird, daß m i t i h r „die Leistung freier und tüchtiger Menschen i n eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle e r b r i n g t " 2 0 9 . Zusammenfassend betrachtet erscheint es legitim, die i m ehemaligen BBauG verrechtlichte Bauleitplanung als „die komplexe gesetzgeberische Verwirklichung einer bestimmten verfassungsrechtlichen Interpretation, ideologischer Postulate und interessenbedingter Forderungen" zu resümieren 2 1 0 . Entgegen den Reforrnvorstellungen zur Neukonzipierung der Bauleitplanung, wie sie i n die Novellen zum BBauG Eingang gefunden haben und i n ihrer Konzeption zur Entwicklungsplanung hintendieren, ist 208 v g l zu den benannten Problemfeldern E. 1.2.3. 209
Düsseldorfer Leitsätze der C D U v o m 15.7.1949, S. 206. Hartwich, S. 212, der diese These i m Zusammenhang m i t der Wohnungsbaugesetzgebung der 60er Jahre aufgestellt hat. 210
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
323
davon auszugehen, daß die Strategie der Auffangplanung zwar vom Gesetzgeber aufgegeben bzw. aufgehoben wurde, daß jedoch — entsprechend der gesamtgesellschaftlichen Beharrungs- und Erhaltungstendenzen des Status quo — die planenden Akteure und Instituionen das Soll-Konzept der Entwicklungsplanung i n einem langzeitlichen Prozeß der Reform- und Lernfähigkeit i m Hinblick auf seine Eignung unter Beweis stellen müssen. Denn es gehört zu den mittlerweile sozialwissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen, daß man für die Verbreitung von fundiertem Grundwissen, seiner sachgerechten Effektivierung als politisch-planerische Handlungsinstrumente und seiner problemadäquaten Umsetzung i n Wohnumweltrealität „ m i t Jahrzehnten" zu rechnen h a t 2 1 1 . Das bedeutet, daß i m sechsten Jahr nach Inkrafttreten des novellierten BBauG (1.1.1977) zu Recht angenommen werden darf, daß die Konzeption der Auffangplanung — wenn auch i n modifizierter Form — als ein nach wie vor für zahlreiche Gemeinden und die entsprechenden Exekutivorgane typisches städtebauliches Planungskonzept Geltung hat. Fazit: I m Konzept der Bauleitplanung als Auffangplanung respektive Anpassungsplanung sind zwar die Schwachstellen i m weiter oben skizzierten Sinne erkannt, die damit verursachte, i m Problemkatalog 212 eindrucksvoll belegte Fehlplanungswirklichkeit beklagt und durch die Novellierung des BBauG Reformmaßnahmen eingeleitet worden. Doch waren und sind u. a. auch durch die rechtliche Verfaßtheit dieser Planung sowie der vom politisch-planerischen System erlernten und sozialisierten Handlungsmuster nur bedingt Möglichkeiten vorhanden und eine alternative Ausschöpfung des Handlungsspielraumes gegeben, u m die Konkretion einer lebensgerechteren und menschenwürdigen Wohnumwelt effizient zu initiieren. Die praktizierten umweltwirksamen und städtebaulichen Lösungskonzepte waren und sind demzufolge i n der Polarität von „Resignation" und „Machbarkeitswahn" 2 1 3 angesiedelt, vollzogen und vollziehen sich i n praxi jedoch eher unter Maximen wie ,Entscheidungslosigkeit ist auch Entscheidung' 214 , ,Konzeptionslosigkeit ist auch eine 211
So z. B. auch Der Rat der Sachverständigen f ü r Umweltfragen i n seinem Umweltgutachten '78, S. 447. 212 Vgl. D. 2.1. 213 Vgl. die kritische Auseinandersetzung zu diesem Themienkomplex i m Rahmen der D E U B A U '75: D V f ü r Wohnungswesen, Städtebau u n d R a u m planung e.V. (Hg.), Z u r Machbarkeit des humanen Städtebaus. 214 Vgl. u. a.: „ ( . . . ) ,non-decisions' sind eben auch Elemente des politischen Prozesses." Rüge, Analyse gesellschaftlicher Ziele, i n : W. Zapf (Hg.), S. 106. Oder: „ ( . . . ) die U mweit-Verschlechterung w a r auch eine Folge v o n Planimg: Sie ist eben jener T e i l der Planung, die ungeplant zu lassen m a n sich s t i l l schweigend einig war." Burckhardt , S. 477. 21*
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
324
A r t P r o g r a m m ' 2 1 5 u n d . P r o b l e m b e w ä l t i g u n g ist der f e r n e n Z u k u n f t a n heimzustellen'216. U n t e r der z u g r u n d e g e l e g t e n P r o b l e m p e r s p e k t i v e k a n n dieses I s t System u m w e l t w i r k s a m e r u n d städtebaulicher P l a n u n g i m k o m m u n a l e n M i k r o b e r e i c h angesichts seiner l e d i g l i c h p u n k t u e l l e n R ü c k k o p p l u n g i n d e r V e r f a s s u n g s o r d n u n g , d e r N i c h t b e r ü c k s i c h t i g u n g entsprechender Handlungserfordernisse u n d Initiationsmechanismen sowie i m H i n b l i c k a u f die daraus r e s u l t i e r e n d e n V o l l z u g s d e f i z i t e u n d F e h l l e i s t u n g e n i m Bezugssystem M e n s c h - W o h n u m w e l t schematisch w i e f o l g t v i s u a l i s i e r t werden: Skizze 15: IST-System — Städtebauliche Umweltplanung (Bauleitplanung) in der Konzeption der Auffangplanung/Anpassungsplanung
PUNKTUELLE BERÜCKSICHTIGUNG DES WERTSYSTEMS DER GRUNDRECHTE UND DER NORMATIVEN ANFORDERUNGEN DER VERFASSUNGSGRUNDSÄTZE IN STRUKTUR UND FUNKTION UMWELTWIRKSAMER, STÄDTEBAULICHER PLANUNGSKONZEPTE (BAULEITPLANUNG/FACHPLANUNGEN/OBJEKTPLANUNGEN).
ΤΓ OUTPUT STÄDTEBAULICHER UMWELTPLANUNG PLANUNGS ORDNUNG
(BAULEITPLANUNG) ALS AUFFANGPLANUNG
PSYCHO-SOZIALE GEFAHREN
PHYSISCH-
UND
BEDROHUNGEN
KULTURELL -
NATURLICHE NOTSTÄNDE
INFRASTRUKTURELL-
ZIVILISATORISCHE DEFIZITE
TECHNISCHE MANGELSITUATIONEN
'ÖKONOMISCH — PRODUKTIONELLE KRISEN
POLITISCHRECHTLICH— ADMINISTRATIVE FUNKTIONSVERLUSTE
WOHNUMWELTORDNUNG
KRISE
DER
DASEINSBEDINGUNGEN
UND
WOHNUMWELT
215 Vgl. Ellwein, Regierungssystem, S. 451, der auf diesen Sachverhalt i m Zusammenhang m i t der politischen Programmlosigkeit zur Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips aufmerksam gemacht hat. 218 I. d. S. äußerte sich beispielsweise Albert Vietor, ehem. Vorstandsvorsitzender der Unternehmensgruppe Neue Heimat, bei der Grundsteinlegung zum Wohnring Neuperlach-Mimchen. E r rechtfertigte die Lösung zur Stadtteilneugründung u. a. u n d sinngemäß m i t folgender Begründung: daß heute Neubau der W o h n u m w e l t i m Grunde n u r Skelett sein k a n n u n d daß die neuen Stadtteile von heute nach dem Jahre 2000 ihre wahre Gestalt gefunden haben werden. Als Beweis für diese Behauptung diente Vietor der H i n weis auf die Großsiedlungen der 20er Jahre, die heute als Durchbruch i m Städtebau gepriesen würden.
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
325
4.2. Bauleitplanung als Entwicklungsplanung
I n der bisherigen Problematisierung von Fragen der Verfassung i m Kontext m i t Planungsproblemen, dargestellt am Beispiel praktizierter städtebaulicher Umweltplanimg {Bauleitplanung), konnten eine Reihe restriktiver Sachverhalte kenntlich gemacht werden. Diese lassen insgesamt den Schluß zu, daß die i m BBauG (1960) als Auffangplanung verrechtlichte Bauleitplanung die von der Verfassung her gestellten Anforderungen — wenn überhaupt — nur i n wenigen Punkten erfüllte. Die konstitutiven Prinzipien dieses Planungsverständnisses i m Sinne — eines kontinuierlichen sozialräumlichen, sich selbst steuernden, organischen Entwicklungsprozesses, — einer vorwiegend statischen und lediglich ordnenden hoheitlicher Tätigkeit,
Funktion
— einer fast ausschließlich dem „freien Spiel" der ökonomischen Kräfte und der gesellschaftlichen Privatinitiative überlassenen räumlichen Steuerung, sie alle sind zunehmend durch die unter anderem daraus resultierenden sozialräumlichen Fehlleistungen in Frage gestellt worden 2 1 7 . Denn diese Prinzipien und die darauf fußenden Umweltplanungskonzepte erwiesen sich mehr und mehr als ungeeignet, die Komplexität der städtebaulichen Sachzusammenhänge sowie die unterschiedlichen umweltbeanspruchenden Bedürfnisse und antagonistischen Interessen des pluralistischen Gesellschaftssystems auch nur annähernd problemadäquat erfassen und planvoll gestalten zu können. Die sozialräumlichen Krisensituationen haben jedoch zu diesem Zeitpunkt für die umweltrelevanten Entscheidungs- und Gestaltungsakteure, Rollen- und Funktionsträger noch nicht jene Brisanz und Dimension angenommen, um ihren Handlungs- und Entscheidungswillen i m Sinne der Suche nach völlig neuen Lösungswegen respektive nach alternativen Planungskonzepten zu motivieren 2 1 8 . 217 I n Ergänzung u n d Differenzierung sei vermerkt, daß die sozialräumliche Problematik, w i e sie sich z. Zt. der Verabschiedung des B B a u G bereits allenthalben abzeichnete, selbstverständlich i m K o n t e x t eines mehr als zwei J a h r zehnte andauernden Prozesses einzuschätzen ist, der seinen Ausgangspunkt i n den vorhandenen defizitären Raum-, Siedlungs- und Stadtstrukturen, i n den nach 1945 zum Wiederaufbau der zerstörten Städte verabschiedeten „Aufbaugesetzen" der Länder (vgl. zum Begriff Akademie für Raumforschung etc. (Hg.), Stichwort „Aufbaugesetze", i n : HdRuR, Bd. 1, Sp. 90) sowie i n dem das diese Gesetze ergänzenden raumwirksamen Fachplanungsinstrumentar i u m hatte. 218 Vgl. sinngemäß Grauhan/Linder, S. 153, die diese Problematik i m H i n blick auf aktives politisches Verhalten wie folgt formulieren: „ A k t u e l l e K r i sen stellen Auswahlsituationen dar, i n denen sich die Probleme so zuspitzen, daß neue Handlungswege gewählt werden müssen."
326
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Zwar wurde bereits M i t t e der sechziger Jahre versucht — so vor allem i m Kontext einer nunmehr massiv einsetzenden „Städtebaukrit i k " 2 1 9 — d i e tradierten Planungsvorstellungen und -inhalte zur Bauleitplanung als Auffangplanung zu modifizieren; doch i n diese Planungskonzeption jene von der öffentlichen Hand initiierten, aktiven und prospektiven Steuerungs- und Gestaltungsfunktionen miteinfließen zu lassen, stößt nicht nur angesichts der rechtlichen Verfaßtheit der Bauleitplanung auf rechtsstaatliche Probleme, sondern selbstverständlich auch auf Widerstände der Akteure i n Politik und Planung 2 2 0 , die ihre Interessen, Besitzstände, Herrschafts- und Machtpositionen gefährdet sehen. So setzen sich n u r sehr zögernd die Leitgedanken zu einem Planungsverständnis durch, m i t dem beabsichtigt ist, umfassend und übergreifend sowie verschiedene Aufgabenbereiche koordinierend und integrierend, sozialräumliche Situationen und Problemlagen zukunftsorientiert zu lösen. Diese somit auf aktiv und prospektiv steuernde Gestaltung abzielende städtebauliche Planung w i r d begrifflich unter der Kategorie „Entwicklungsplanung" eingeführt und je nach räumlich abgrenzbaren Bezugsrahmen (Planungsraum) i n „Landesentwicklungsplanung", „Kommunale Entwicklungsplanung", „Stadtentwicklungsplanung" u. a. m. unterschieden. Die sachlichen Inhalte und die Verortung der Begriffe innerhalb der bereits institutionalisierten, u m w e l t w i r k samen Planungen bleiben jedoch sehr vage und uneinheitlich und sind trotz der Aufnahme der Entwicklungsplanung i n § 1 Abs. 5 BBauG bisher nicht eindeutig geklärt 2 2 1 , wie das anhand der folgenden Definitionsbeispiele anschaulich demonstriert werden kann. So gibt Gerd Albers i n dem 1970 i n 2. Auflage erschienenen Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung folgende Begriffserläuterung: „Der Begriff der ,Stadtentwicklungsplanung* hat sich i m Laufe der 60er Jahre zunehmend durchgesetzt als Bezeichnung f ü r eine Kategorie des Planens, die sich i n mehrfacher Hinsicht von der traditionellen Vorstellung des Städtebaues unterscheidet u n d über sie hinausweist. Stadtentwicklung w i r d dabei nicht so sehr i m Sinne von Evolution verstanden, als vielmehr i m Sinne des englischen Development', also transitiv interpretiert. Dieses neue Planungsverständnis w i r d vor allem durch folgende Sachverhalte gekennzeichnet: — Die ausschließlich oder vorwiegend auf die räumliche Ordnung bezogene Sicht w i r d ergänzt u n d erweitert durch eine zusammenfassende Betrachtung u n d wechselseitige A b s t i m m u n g räumlicher, wirtschaftlicher u n d sozialer Entwicklungsaspekte. 219
220
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Dazu ausführlich die Problematisierung E. 1.2.3. f. 221 Das B B a u G f ü h r t den Begriff lediglich ein, verzichtet jedoch auf jegliche legaldefinitorischen Präzisierungen.
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
327
— Die ,Anpassungsplanung' oder ,Auffangplanung', die lediglich den Rahmen für die P r i v a t i n i t i a t i v e absteckt, w i r d ersetzt durch eine aktive, die I n vestitionsplanung einbeziehende Strukturentwicklungspolitik der öffentlichen Hand. — A n die Stelle einer räumlich meist dreidimensional artikulierten Zielvorstellung f ü r einen zu erreichenden Ordnungszustand t r i t t das Konzept eines kontinuierlich zu lenkenden Veränderungsprozesses; nicht Planausführung, sondern Entwicklungssteuerung steht i m Vordergrund 2 2 2 ." D i e projektgruppe
aachen
l i e f e r t i m R a h m e n eines F o r s c h u n g s a u f -
trages des BMBau 1975 folgende Begriffserklärung zur Entwicklungsplanung: „Administratives u n d ressortübergreifendes Instrument zur planvollen Beeinflussung der sich ständig ändernden räumlichen u n d strukturellen Bedingungen eines Raumes. Planungsgrundlagen sind eine Entwicklungs- u n d E n t wicklungsbestandsanalyse u n d eine Theorie der Entwicklung, die eine exante Prognose erlaubt. Planungsaufgabe ist die Festlegung von sachlich, zeitlich u n d systematisch geordneten Entwicklungszielen u n d entsprechend n o t wendigen Entwicklungsmaßnahmen u n d i h r e n Finanzierungs- u n d Durchführungsbedingungen. Ergebnis der Entwicklungsplanung sind eine u m fassende Bestandsaufnahme u n d das Entwicklungsprogramm 2 2 3 ."
Dieselbe Projektgruppe präzisiert schließlich das Planungskonzept inhaltlich unter dem Begriff der Stadtentwicklungsplanung wie folgt: „(...). Die Aufgaben der Stadtentwicklungsplanung umfassen die A u f stellung von Entwicklungszielen u n d -maßnahmen als politisch-administratives Führungskonzept u n d die Gestaltung der I n t e r a k t i o n zwischen den Bürgern u n d den politisch-administrativen Entscheidungsträgern; sie setzt die planungspolitischen Rahmenbedingungen f ü r alle kommunalen Fachplanungen 2 2 4 ."
I n einer 1978 erschienenen Informationsschrift von
Nordrhein-Westfalen
des
Innenministers
z u r s t ä d t e b a u l i c h e n P l a n u n g w i r d die E n t -
wicklungsplanung/Stadtentwicklungsplanung von amtlicher Seite i n haltlich und als verrechtlichtes Planungskonzept wie folgt definiert und verortet: „Die Entwicklung einer Gemeinde w i r d heute von einer großen Anzahl verschiedener Bedürfnisse u n d Interessen, ζ . B. wirtschaftlicher, sozialer oder k u l t u r e l l e r A r t , bestimmt, die einer sinnvollen Koordinierung bedürfen. Sie darf nicht dem Z u f a l l überlassen werden. Es ist daher Pflicht der Gemeinde, ordnend tätig zu werden. Dies t u t sie u. a. durch die Bauleitplanung, i n der sie die räumlichen Voraussetzungen f ü r eine am W o h l der Allgemeinheit ausgerichtete geordnete Entwicklung schafft. U m räumliche Festlegungen treffen zu können, bedarf es einer Vielzahl von vorausgehenden Einzelentscheidungen über die angestrebten Ziele u n d die erforderlichen Maßnahmen. 222 Albers, Stichwort „Stadtentwicklungsplanung", i n : Akademie f ü r R a u m forschung etc. (Hg.), HdRuR, Bd. 3, Sp. 3202. 223 projektgruppe aachen, Stichwort 0.0267 „Entwicklungsplanung". 224 Dies., Stichwort 0.0950 „Stadtentwicklungsplanung".
328
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Auswahl, Umfang, Rang- u n d Zeitfolge sowie Finanzierung der einzelnen Maßnahmen erfordern wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten u n d V e r flechtungen eine umfassende koordinierende Gesamtplanung. Diese Gesamtplanung ist ein Prozeß der Entscheidungsvorbereitung u n d Entscheidungsfindung. Er w i r d allgemein als Entwicklungsplanung bezeichnet. Die kommunale Entwicklungsplanung ist keine den Bürger unmittelbar berührende Planung i m üblichen Sinn, sondern ein Programm. Sie besteht i n der Regel aus lang- und mittelfristigen Zielvorgaben, Maßnahmeplanung, Zeitplanung u n d Finanzplanung. (...). I h r e m Programmcharakter entsprechend ist kommunale Entwicklungsplanung fortlaufend zu überprüfen und ständig den veränderten Gegebenheiten und neuen Entwicklungen anzupassen. F ü r die Erarbeitung einer kommunalen Entwicklungsplanung und für eine etwaige Bürgerbeteilung gibt es keine formellen Vorschriften 2 2 5 ."
So unterschiedlich i n ihrer Schwerpunktsetzung und inhaltlichen Aussagekraft diese drei Definitionsbeispiele zur Entwicklungsplanung auch ausfallen, so weisen sie doch eine Vielzahl von gemeinsamen Merkmalen und Sachverhalten auf, die sie von den Prinzipien der Bauleitplanung bisheriger Prägung deutlich abheben. Ebenfalls kenntlich werden eine Reihe von Querverbindungen zum interpretatorisch ermittelten Wirkungsgehalt der Verfassungsgrundsätze. Die Schlußfolgerung ist somit berechtigt, daß die umweltwirksame Entwicklungsplanung i n umfassenderem Sinn in 'der gesamten Verfassungsordnung und den sie verbindenden wertorientierten Leitideen rückgekoppelt ist als die traditionellen Planungskonzepte. Dabei stehen vor allem die nachfolgend benannten Definitionsinhalte m i t den unter dem jeweiligen Verfassungsgrundsätzen dargestellten normativen Anforderungen an Umweltplanungen in °inem generell explizierbaren und engen Bezug: — Aktive Ordnung und prospektive Steuerung einer vom Wohl der Allgemeinheit geleiteten, von der öffentlichen Hand initiierten räum wirksamen Planung i m Sinne einer Planungsverpflichtung der jeweiligen Gemeinde m i t dem Ziel der Schaffung und Sicherung einer „menschenwürdigen U m w e l t " 2 2 6 . — Kontinuierliche Beeinflussung der räumlichen Veränderungsprozesse durch zielgerichtete und planmäßige Entwicklungssteuerung sowie unter Berücksichtigung der notwendigen interdependenten räumlichen, sozialen und wirtschaftlichen Abstimmungsprozesse i m Rahmen umweltwirksamer Planungen 2 2 7 . 225
Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), S. 15. Vgl. § 1 Abs. 6 2. Halbsatz BBauG. 227 Vgl. die i n § 1 Abs. 6 BBauG unter 18 unterschiedlichen räumlichen Zielkategorien aufgeführten sog. Grundsätze der Bauleitplanung, die bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu beachten sind u n d die durch die Festlegung der zeichnerischen Inhalte des Flächennutzungsplanes (§ 5 BBauG) sowie durch jene des Bebauungsplanes (§ 9 BBauG) z. T. ergänzt u n d präzisiert werden, u m später über Planung i n Wohnumweltrealität umgesetzt zu werden. 226
4. Konzeptionen städtebaulicher Planungen
329
— Umfassende Berücksichtigung der räumlichen Situationsproblematik i m Rahmen der Erstellung sachgerechter und turnusmäßig fortzuschreibender, räumlicher Bestandsanalysen, darauf aufbauender Bedarf sf orderung en und Prognosen sowie Kommunikation und Interaktion zwischen Bürgern und politisch-administrativen Entscheidungsträgern i m Zielfindungsprozefi 228. — Problemadäquate Aufstellung eines fortlaufend zu überprüfenden, den sich ständig ändernden räumlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassenden Entwicklungsprogrammes als Orientierungsrahmen für und Konkretisierungsanforderung an umweltwirksame Planungen sowie als Informationsinstrument für die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit, m i t den für eine koordinierende, integrierende und ressortübergreifende Gesamtplanung funktionell wesentlichen Elementen der lang- und mittelfristigen Zielvorgaben 229, der Maßnahmeplanung 23®, der Zeitplanung 231 und der Finanzplanung 232 Die Ausführungen dieses Kapitels sind unter dem eingangs erhobenen Anspruch der Explikation wesentlicher und genereller Sachverhalte zu sehen, d. h. jener maßgeblichen Interdependenzen, die sich i m Rahmen der normativen Anforderungen der Verfassungsgrundsätze an die Bauleitplanung ihrem Prinzip nach ergeben. U m zu differenzierenden Aussagen zu gelangen, bedarf es weiterreichender Analysen des Rechtsinstrumentariums zur Bauleitplanung als Entwicklungsplanung i m Kontext mit dem Wertsystem der Grundrechte ebenso wie m i t den einzelnen Maßgaben und Forderungen der Normativbestände der Verfassungsgrundsätze. Aus pragmatischen Gründen erscheint jedoch an dieser Stelle der Arbeit die Reduktion der Komplexität und die Beschränkung des Umfanges derartiger Analysen auf die wesentlichsten Interdependenzen gerechtfertigt. Die i m BBauG institutionalisierte Entwicklungsplanung konstituiert sich inhaltlich durch die zuvor unter den einzelnen Spiegelstrichen benannten Elemente und korrespondiert m i t dem unter der Grundrechtsordnung vorgestellten Wertsystemen 2 3 3 sowie m i t den unter den einzelnen Verfassungsprinzipien aufgeführten Leitzielen 2 3 4 . Resümierend und schematisch dargestellt ergeben sich m i t h i n folgende Querverbindungen: 228
Vgl. § 2a Abs. 2—6 BBauG. Vgl. § 1 Abs. 6 BBauG. 230 Vgl. § 9a BBauG. 231 Vgl. § 5 Abs. 3 BBauG. 232 Vgl. § 9 Abs. 8 B B a u G u n d i n Ergänzung u n d Weiterführung der skizzierten Problemkreise die Auswertung des B B a u G u n d sonstiger, raumrelevanter Planungsgesetze i n : I n s t i t u t für Städtebau (Hg.), Bd. 1, Anhang I I I . 233 Vgl. C. 4.4. u. 5. 234 Differenziert dazu E. 3.2.-3.4. 229
330
E. Planungsproblematik und Verfassungsgrundsätze
Skizze 16: Verfassungsordnung — Entwicklungsplanung
Auszugehen ist i n der solchermaßen auf der Grundlage der Verfassung effektivierten Konzeption der städtebaulichen Umweltplanung von Grundannahmen, die das Soll-Konzept der Bauleitplanung als Entwicklungsplanung dazu befähigt, die i m nebenstehend visualisierten Schema i n globaler Einschätzung wiedergegebenen Konditionen zu erfüllen und zwar dann, w e n n die i m letzten und folgenden K a p i t e l dieses Untersuchungsteils zusammenfassend und abschließend dargestellten Ergebnisse und Bedingungen i n der dort vorgenommenen Differenzierung berücksichtigt werden.
5. Das normative Wirksystem der Verfassungsgrundsätze zur Bereinigung defizitärer städtebaulicher Planungen sowie zur Effektivierung und Optimierung von Umweltplanungskonzepten — D r i t t e r Konzeptualisierungsschritt
Fragen der Verfassungsgrundsätze i m K o n t e x t m i t Problemen von Umweltplanungen zu diskutieren, Vorschläge zu unterbreiten sowie programmatische Hinweise zu geben für eine an grundrechtlichen und
5. D r i t t e r Konzeptualisierungsschritt
331
Skizze 17: SOLL-System — Städtebauliche Umweltplanung (Bauleitplanung) in der Konzeption der Entwicklungsplanung
VERFASSUNGSORDNUNG
KONKORDANZPRINZIP
1 DEM0KRA1ilEPRINZIP 1 1 SOZIALSTAATSPRINZIP | RECHTSSTAATSPRINZIP
\
•
G
GRUNDRECHTLICHES DER
NORMATIVEN
TEBAULICHER
GRUNDRECHTE
1
PLANUNGSLEITBILD
Ρ
UND DIFFERENZIERTE
DER
MASSGABEN
F ODER ALISMUSPRINZIP 1
BERÜCKSICHTIGUNG
VERFASSUNGSGRUNDSATZE
I M KONZEPT
STÄD-
UMWELTPLANUNG (BAULEITPLANUNG/FACHPLANUNGEN/OBJEKTPLANUNGEN ) .
OUTPUT STÄDTEBAULICHER UMWELTPLANUNG (BAULEITPLANUNG)
PLANUNGSORDNUNG
ALS
PHYSISCH PSYCHO-SOZIALE WOHNUMWELTOUALITÄTEN
KULTURELL -
NATÜRLICHE
INFRASTRUKTURELLTECHNISCHE
ZIVILISATORISCHE
POLITISCH ÖKONOMISCH
WOHNUMWELT-
WOHNUMWELT-
WOHNUMWELT-
WOHNUMWELT-
QUALITÄTEN
OUALITÄTEN
QUALITÄTEN
QUALITÄTEN
HUMANWERTORIENTIERTE WOHNUMWELTORDNUNG
IN EINER
-
PRODUKTIONELLE
RECHTLICH ADMINISTRATIVE WOHNUMWELTQUALITÄTEN
DASEINSBEDINGUNGEN
MENSCHENWÜRDIGEN
WOHNUMWELT
verfassungsnormativen Zielfunktionen orientierte Umweltplanungskonzeption, war schwerpunktmäßig erklärtes Erkenntnisziel «dieses Untersuchungsteils. Dabei konnten bei dem hier zugrundegelegten Verfassungs - und Planungsverständnis eine Vielzahl von Einzelmerkmalen sowie eine Reihe von zu beachtenden Sachverhalten eingegrenzt bzw. ausgegrenzt werden, die hinsichtlich der sowohl theoretisch als auch praxeologisch zu führenden Diskussion von Lösungen zur Bereinigung bisher praktizierter, defizitärer umweltwirksamer Planungskonzepte und i n Zukunft auf der Grundlage der gesamten Verfassungsordnung zu konzeptualisierender Umweltplanungen von unabweisbarem Basischarakter sind.
332
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Zusammenfassend geht es dabei um folgende dominierenden Sachverhalte i n ihren fundamentalen und qualitativen Konditionen und den damit unvermeidlich ebenfalls begründeten generellen Konfliktkonstellationen : 1. Die Verfassung erweist sich i n Analyse und Interpretation als ein System komplexer und heterogener Faktorenbündel i m Sinne von Geboten und Verboten; Imperativen und Postulaten; Wechselwirkungen und Interdependenzen; politischen Gestaltungs- respektive Handlungsspielräumen; sich überschneidenden Funktionen zur Ermöglichung eines freien politischen Prozesses; Stabilisierungs-, Rationalisierungs- und Begrenzungsmaßgaben von Macht- und Herrschaftsansprüchen ; Konstituierungs- und Konkretisierungsforderungen zur Gewährleistung personaler Grundrechte. Die Vielzahl der jeweils unter den einzelnen Verfassungsgrundsätzen interpretatorisch ermittelbaren Wirkfaktoren bzw. grundgesetzimmanenten, normativen Anforderungen entfaltet vor diesem Hintergrund und i m Kontext aller weiteren verfassungsrelevanten Bedingungen (z. B. „Konkordanz", „Leitideecharakter", „Offenheit") ein außerordentlich konfliktträchtiges Verflechtungspotential. 2. Durch diese verfassungsrechtlichen Konditionen ergibt sich bereits bei der Diskussion der einzelnen Verfassungsgrundsätze eine ungewöhnliche Konfliktdimension, die noch dadurch erhöht wird, daß das normative Wirksystem i m Kontext m i t Fragen zur Umweltplanung problematisiert wird. Denn die Normativbestände des Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzips halten eben nicht nur Maßgaben vor, die zur Konzeptualisierung verfassungskonformer Umweltplanungen auf allen Ebenen 2 3 5 unverzichtbar sind. Vielmehr sind die Inhalte der Verfassungsgrundsätze auch i m Sinne ihres Doppelcharakters 236 als jene werthaften Zielfunktionen zu verstehen, die es über bzw. mittels Umweltplanung i n Wohnumweltrealitäten und zwar i m Sinne der Konkretion von Qualitäten i n allen umweltkonstituierenden Bereichen umzusetzen gilt237. Verfassungsprobleme einerseits, Umweltplanungsproblematik andererseits und die i n diesem Spannungsfeld eingelagerten und/oder entstandenen Betroffenen- und Wohnumweltprobleme — diese thematische Komplexität bedarf i m Kontext dieses abschließenden Untersuchungskapitels einer generalisierenden, inhaltlichen Reduktion: 235 236 237
Dazu die terminologischen Festlegungen i n A . 2.3. Z u m Bedeutungsgehalt vgl. D. 3. Vgl. i m Überblick Skizze 17.
. D r i t t e r Konzeptualisierungsschritt
333
Nachgewiesen werden konnte am Beispiel praktizierter, u m w e l t w i r k samer und speziell städtebaulicher Planungskonzepte (Bauleitplanung als Auffangplanung), daß Effizienz- und Rationalitätssteigerungen von Umweltplanungen in einem konditionalen Zusammenhang m i t entsprechenden Optimierungsvorstellungen bzw. restriktiven Implementationen der Verfassungsordnung stehen. Soweit es sich dabei um eine nach politisch, planerisch und gesellschaftlich opportunen Auswahlkriterien und/oder nach ideologisch überformten und interessenorientierten Entscheidungen vorgenommene Rückkopplung handelt — indem ζ . B. das von Seiten der Verfassung geforderte Prinzip der „Güterabwägung" durch das der „Interessenabwägung" ersetzt w i r d — kommt es i n der Konsequenz regelmäßig zum Entwurf von Planungskonzeptionen, die auf den Ebenen ihrer Ziele, Strategien, Organisationsweisen, ihres Rechtsinstrumentariums etc. lediglich fragmentarisch und punktuell verfassungsnormativ legitimierbar waren und sind. Daß i m Gefolge derartiger Planungskonzeptionen schließlich sozialräumliche Problemlagen entstanden sind und entstehen, die als Verletzungstatbestände der Wertgebundenheit der gesamten Verfassungsordnung einzuschätzen sind, konnte i m Kontext der nachweislich bestehenden Wechselwirkungen von Planung und Verfassung sowie anhand zahlreicher Beispiele belegt werden 2 3 8 . Als besonders problematisch muß diese Fehlplanungswirklichkeit insofern angesehen werden, als sich m i t ihr i m Bezugssystem MenschWohnumwelt Strukturen und Funktionen verfestigt und zum Teil verselbständigt haben m i t dem Ergebnis weiterer eigendynamischer Fehlentwicklungen, deren direkte Verursachungsmomente und Auslösefaktoren jedoch nicht mehr exakt lokalisierbar sind und die somit weder durch eine Planungstätigkeit der Einzelschritte, der gezielten Eingriffe etc. noch i m Sinne des „Auffangens" und der „Anpassung" bewältigbar sind, sondern denen nur umfassend und unter Berücksichtigung aller nur möglichen umweltkonstituierenden Bereiche und gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse begegnet werden kann. Das jedoch verlangt zunächst, bei allen umweltrelevanten Rollen- und Funktionsträgern den langfristigen und langwierigen Prozeß von Änderungen in den tradierten und sozialisationsbedingten Verhaltensweisen und Einstellungsmustern zu initiieren. Die damit aufgeworfenen Schwierigkeiten beginnen dann schon dort, wo diese Fehlplanungswirklichkeit von jenen — zumeist dominierenden — Gruppen i n Politik, Planung, Wirtschaft und Gesellschaft nicht als solche anerkannt wird, die ihre Interessen mit Hilfe derartiger Planungskonzepte und -ergebnisse realisiert sehen. Und die Probleme setzen sich fort und gipfeln schließlich i n den diver238 v g l i
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Uberblick die Synopsen 5—9 i n T e i l D.
334
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
gierenden gesellschaftlichen Positionen zur lebensgerechteren Umweltentwicklung sowie i n den antagonistischen Nutzungs-, Gestaltungsund Verfügungsinteressen an der Wohnumwelt. Ob Möglichkeiten bestehen, aus den einzelnen Verfassungsgrundsätzen ein normatives Wirksystem m i t Aufforderungscharakter für die Umweltplanung zu gewinnen. Ob sich auf dieser Basis Chancen anbieten und Richtungen gewiesen werden können, das Konzept der Umweltplanung zu effektivieren und darüber hinaus zur Konkretion dieser Normativbestimmungen i n den Wohnumweltrealitäten beizutragen. Und schließlich: Ob m i t derartigen Umweltplanungen Optionen und Alternativen gegeben sind zur effizienten Behebung der sozialräumlichen Fehlplanungswirklichkeit. — A u f diese eingangs des Untersuchungsteils aufgeworfenen Problemstellungen können entsprechend den zuvor resümierten Schwierigkeiten sicherlich keine abschließenden und alle Details (befriedigend klärende Antworten gefunden werden. Denn die i n diesem Zusammenhang notwendigerweise durchzuführenden, weiteren umfangreichen, theoretisch-analytischen Untersuchungen und praxeologischen Arbeitsschritte würden eine eigenständige, neue Untersuchung erfordern. So gelten i m Rahmen dieses Resümees ähnliche Konditionen, wie sie bereits i n Teil D 2 3 9 benannt wurden. Folglich w i r d der i n den Fragen formulierte Erwartungshorizont i m Wege methodisch-systematischer Schritte und i m Sinne der Aufzeigung konzeptioneller Lösungsangebote erfüllt. Die Diskussion der normativen Wirkungsgehalte der einzelnen Verfassungsgrundsätze i n ihren möglichen Input-Output-Beziehungen zur Umweltplanung, die durch den mehrfach betonten, außerordentlichen Komplexitäts- und Vernetzungsgrad dieses Untersuchungszusammenhanges erschwert wird, wurde zunächst geführt auf der Basis der Desintegration i m Sinne der Einzelanalyse der jeweiligen Verfassungsgrundsätze und ihrer normativen Anforderungen an Umweltplanungen. Die heterogenen Faktorenbündel von planungsrelevanten Maßgaben, Forderungen, Ziel- und Steuerungsansprüchen, Ordnungskriterien etc., die dabei unter dem Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzip ermittelt werden konnten, werden i n integraler Sicht und abschließend i n Tableau 4 zusammengeführt. Darin sind i n Systematisierung und i m einzelnen dargestellt: — die dominierenden Elemente der Verfassungsordnung (Verfassungsgrundsätze — Grundrechte), deren Normativität, Wertbegründetheit und Rechtsgültigkeit, Umweltplanungen zu initiieren und zu organisieren vermögen; 239
Vgl. D. 4.
Tableau 4: Normatives Wirksystem der Verfassungsgrundsätze in seinen Anforderungen an Umweltplanungskonzepte KONKORDANZPRINZIP
DEMOKRATIEPRINZIP
SOZIALSTAATSPRINZIP
RECHTSSTAATSPRINZIP
GRUNDRECHTE LEITZIELE: DEMOKRATISIERUNG PLANUNG
DER
FÜDERAUSMUSPRINZIP
Ζ
SOZIALGERECHTE DASEINSFÜR-/DASEINSVORSORGE
RECHTSSTAATLICHE V E R F A S S T H E I T DER PLANUNG
FÖDERATIV-QUALITATIVE K O N D I T I O N E N DER PLANUNG
• Nutzung der Planungslegitimation im Rahmen d e s K o n z e D t s der Daseinsfür-/-vorsorge zur Deckung des sozialräumlichen Bedarfs; • H e r s t e l l u n g menschenwürdiger Daseinsbedingungeh i n der soz i a l e n Gemeinschaft z u r Ausübung g r u n d rechtlich verbürgter Ansprüche; • Konkretisierung gleichwertiger Lebensverhältnisse i n der Wohnumwelt; • Entwicklung vorausschauender, umfassender, prozessualer, integrierender Planungskonzeptionen (Zielvorgaben, Mittelabwägungen, Kontrollen); • Ab-/Eingrenzung des sozialräumlichen Bedarfs, Festsetzung der sozialen Zielgruppen, der räumlichen Zielrichtung; • Schaffung sozialer Gerechtigkeitsgrundsätze durch kontinuierliche Verbesserung der Wohnumweltbedingungen (städtebauliche Sanierung, Wohnungsbauförderung , Arbeitsplatzsicherung, Versorgung mit Infrastruktureinrichtungen) ; • Konkretisierung der Grundsätze zu sozialräumlichen Belangen, Uberprüfung/Fortentwicklung des Gesetzesinstrumentariums zur Raumordnung, zum Städtebau, Wohnungsbau, Umweltschutz; • Setzung und V e r rechtlichung sozialräumlicher Zielvorgaben, Mittelbereitstellung, Effizienzk o n t r o l l e n zu S t r u k tur·, Investitions-, Förderungsprogrammen mit sozialräumlicher Wirkkraft.
• Begründung der rechtlichen Legitimationsbasis für sozialräumliche Ordnungs-/Gestaltungsmaßnahmen; • Setzung eines v e r fassungsnormativen Gestaltungsrahmens für die Entwicklung Planung s - / r a u m w i r k s a m e r Rechtsinstrumente; • Begründung der rechtlichen Voraussetzungen für die Entwicklung von Ins t r u m e n t e n i n Form von Rahmengesetzen, Maßnahme-/Durchführungsgesetzen; • Basis der Gesetzgebung z u r Verrechtlichung von W e r t e n und Zielen in Rechtsgrundsätzen (Maximal-/Minimalsollwerte); • Gewährleistung eines rechtsverbindlichen Planungsverfahrens durch Setzung instrumenteller, methodischer, organisatorischer Richtlinien für das Zustandekommen v o n P l a n u n g e n ; • Rechtsschutz-Gewährleistung der Planungsbetroffenen durch rechtsverbindliche Abwehrmöglichkeiten gegen p l a n e r i s c h e Willkür, Eingriffe in grundrechtlich verbürgte Wertkategorien, Beachtung der Grundsätze des Ubermaßverbotes, der Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Normklarheit, Meßbark e i t und Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit planerischer Tätigkeiten ;
• Nutzung des Grundsatzes der vertikalen Gewaltenteilung auch f ü r d i e Ordnung d e r Planungsgewalt (Bundesebene: Raumordnung a l s ordnende Planungsa r t , Landesebene: Landesplanung a l s leistende und a u s f ü h r e n d e Planungsart, Gemeindeebene: Städtebau a l s konkretisierende Planungsart) ;
NORMATIVBESTANDE: • Optimierung von Chancen zur Sozialisation demokratischer/ partizipatorischer Grundrechte; • R e a l i s i e r u n g von Beteiligungsformen; • H e r s t e l l u n g von Ö f fentlichkeit, Informat i o n s p f l i c h t der Exekutive, Erweiterung des Informationsanspruchs? • Konkretisierung des Schutzanspruchs sozialräumlicher Belange (Interessen, Bedürfnisse, Werte); • Gewährleistung der Kontrolle, Planung, Planinhalte durch Parlamente, Opposition sowie K o n t r o l l e der E x e k u t i v e im P l a n u n g s vollzug auf a l l e n Planungsebenen; • Bindung der gewählten Repräsentanten an ihre vorgestellten, sozialräumlich televanten Zielsetzungen; • Optimierung von Chancen zur Teilhabe der Öffentlichkeit an sozialräumlicher Zielfindung und Zielsetzung; • H e r s t e l l u n g von Transparenz i n den Planinhalten, Planungsverfahren ; Uberprüfbarkeit der finanziellen Ressourcen; • Aufklärung über bestehende Abwehrund K l a g e r e c h t e zur Einflußnahme auf den Planungsprozeß, zur Beseitigung von durch Planungen verursachten MißStänden; • Rückkopplung gesellschaftlicher Verwertungsinteressen von Forschungsvorhaben und - e r g e b n i s sen an s o z i a l e und demokratische Funktionen der Wissenschaft.
HUMANWERTQR1ENTIERTE
• Schaffung der rechtlichen Grundlagen, die zur Konkretion der Normativbestände der übrigen Verfassungsprinzipien erforderlich sind.
DASEINSBEDINGUNGEN IN EINER
MENSCHENWÜRDIGEN
• Ausfüllung der Rahmenkompetenz z u r Raumordnung auf Bundesebene d u r c h effektive, Prioritäten setzende, Ziel-/Entscheidungskonflikte vermindernde Rahmengesetzgebung ; Koordinierung raumbedeutsamer Fachplanungen zur Durchsetzung sozialräumlicher Grundsätze und Z i e l e ; • Weiterentwicklung von R a h m e n r i c h t l i n i e n / -Programmen zu konzeptionellen Leitideen für die sozialräumliche Entwicklung des Bundesgebiets, Erhöhung d e r verbindlichen Wirkungen von Zielaussagen; • Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch d i e Länder auf der Basis eines weiterzuentwickelnden GesetzesInstrumentariums ( s a c h l i c h e , zeitliche, räumliche Zielund Maßnahmekoordination) ; • Durchführung der delegierten, raumbedeutsamen Planungen durch die Länder, die im Rahmen d e r Landesplanung zur Entwicklung des Landes/Bundesgebiets beizutragen haben; • Kompetenzabgrenzungen/-zuweisungen im verwaltungsorganisatorischen/- technischen A b l a u f und d e r A u s führung der Landesplanung u n t e r Berücksicht i g u n g des Gebots bundesfreundlichen Verhaltens.
WOHNUMWELT
336
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
— die obersten Leitziele, unter denen der gesamte Normativbestand des jeweiligen Verfassungsgrundsatzes i m Hinblick auf Umweltplanungen subsumierbar ist; — die einzelnen normativen Anforderungen der Verfassungsgrundsätze, deren Summe jeweils als Konkretisierungsmaßstab des obersten Leitzieles gilt; — die Zielrichtung der normativen Anforderungen, d. h. die Umweltplanung; — die Zieldimension von Umweltplanungen i m Sinne der Konkretion von Wohnumweltqualitäten. I m Hinblick auf die praxeologische Umsetz- und Anwendbarkeit dieses verfassungsnormativen Wirksystems i n entsprechenden Konzepten der Umweltplanung gelten die Konditionen der i n Teil C und D dargestellten Konzeptualisierungsschritte in Verbindung m i t den Erkenntnissen dieses Untersuchungsteils. Hinzu treten jene Einschätzungen und Relativierungen, auf die unter den zugrundegelegten forschungsspezifischen Prämissen sowie aus forschungspragmatischen Gründen mehrfach aufmerksam gemacht wurde. Somit kann i m Rahmen dieses Dritten Konzeptualisierungsschrittes folgendes resümiert werden: (1) Von verfassungskonformen Umweltplanungen kann idealiter nur dann gesprochen werden, wenn i n ihnen die Gesamtheit jener der Verfassungsordnung immanenten Werte, Normativbestimmungen, Handlungsanweisungen und Gestaltungsspielräume gleichzeitig, gleichrangig und gleichwertig berücksichtigt sind. Dies t r i f f t bisher i n keinem Fall der praktizierten Umweltplanungskonzepte zu und konnte einerseits i m Kontext der Analyse zur Ist-Konzeption der Bauleitplanung als Auffangplanung belegt und andererseits anhand der sozialräumlichen Fehlplanungswirklichkeit und ihrer nachweislichen Verletzung der grundgesetzlich gewollten, wertgebundenen Gemeinwesen- und Gesellschaftsordnung verifiziert werden. (2) Umweltplanungen i n S t r u k t u r und Funktion verfassungsnormativ durchzugestalten und zu effektivieren sowie ihren umweltwirksamen Output qualitativ zu optimieren, heißt zunächst, jene Chancen, Optionen und Alternativen zu nutzen, die sich i m Kontext m i t der i n Teil C geführten Diskussion zur Konstruktion und Institutionalisierung eines i m Wertsystem der Grundrechte rückgekoppelten „Planungsleitbildes" ergeben haben. Solcherart initiierte und organisierte Umweltplanungen können jedoch nicht losgelöst von den Bedingungszusammenhängen i m Gemeinwesen gesehen werden und sind somit — entsprechend den Ergebnissen des Teiles D — durch die Konkretion demokratischer, sozial- und rechtsstaatlicher sowie föderativer Zielfunktionen i m Gesamt-
5. D r i t t e r Konzeptualisierungsschritt
337
gesellschaftssystem zu verankern, was eine Bereinigung und Lösung der sozialräumlichen Problemlage mitumfaßt und voraussetzt. Erst auf der Grundlage dieser Konditionen kann dazu übergegangen werden, auf den i n diesem Untersuchungsteil ermittelten Erkenntnissen aufzubauen, indem das normative Wirksystem der Verfassungsgrundsätze i m Sinne seiner an das Handlungsinstrument Planung gerichteten Maßgaben und Forderungen zur Neukonzeptualisierung aller zukünftigen umweltwirksamen Planungen i n Anwendung gebracht wird. Idealtypisch lassen sich die zuvor schlagwortartig zusammengefaßten Sachverhalte der einzelnen Teilkapitel i n ihrer Differenzierung als Systemelemente und i n ihren spezifischen Querverbindungen und Wechselwirkungen gemäß der nachfolgenden Skizze 18 zusammenführen. Die dabei in ihrer Verknüpfung dargestellten Hauptuntersuchungselemente und Subsysteme bilden schließlich das Grundlagenraster für die inhaltliche Ausgestaltung eines „Planungsgrundsätzegesetzes". (3) Umweltwirksame Planimgskonzepte können nicht i n einem von der Verfassung her festgeschriebenen und statischen Ordnungszustand konstruiert werden, sondern sind idealtypisch das Ergebnis permanenter Auseinandersetzungen innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Systems. Denn zugrundegelegt w i r d als Planungsaufgabe und -notwendigkeit eine fortwährend bestehen bleibende Gestaltungsfähigkeit und Verbesserungsbedürftigkeit des dialektischen Verhältnisses von Mensch und Umwelt, was folglich auch eine kontinuierliche Fortentwicklung des planerischen Instrumentariums und der damit institutionalisierten Planungstätigkeit erfordert. (4) I m Prozeß der Konzeptualisierung umweltwirksamer Planungen sind vor allem jene Sachverhalte zu berücksichtigen und zu nutzen, die i m Kontext mit entsprechenden temporären und sachlichen Wandlungsprozessen stehen, d. h. insbesondere Erkenntnisse aus — dem Verfassungsverständnis (ζ . B. Verfassungsanspruch/-Wirklichkeit, Verfassungsänderungen, Wertgebundenheit, Normativität); — der Gemeinwesen- und Gesellschaftsordnung (ζ . B. Spezialisierungsvorgänge, Pluralität, Interessenantagonismus); — der Ordnung der sozialräumlichen Daseinsbedingungen und Lebensverhältnisse i m Planungsraum (ζ . B. Ist-/Soll-Zustand, Fehlentwicklungen, Trends); — dem Planungsverständnis (z.B. Planungsarten/-ebenen, Planungsinstitutionen, Integration und Koordination bei der Aufgabenbewältigung). Vor dem Hintergrund dieser generellen Einschätzungen ist es plausibel, daß hier kein i m Detail und für alle Ebenen von Umweltplanun22 M a l z
338
E. Planungsproblematik u n d Verfassungsgrundsätze
Skizze 18: Funktionaler Zusammenhang von Verfassungsordnung, Planungsordnung, Gemeinwesenordnung und Wohnumweltordnung — Grundelemente eines „Planungsgrundsätzegesetzes" VERFASSUNGSORDNUNG
LEITZIELE AN DAS
LEITZIELE
GEMEINWESEN
G R U Ν D R E C Η Τ E
•
DEMOKRATIEPRINZIP
DEMOKRATISIERUNG DER DASEINSBEDINGUNGEN
DEMOKRATISIERUNG DER PLANUNG
SOZIALSTAATSPRINZIP
SOZIALGERECHTE DASEINSENTFALTUNG
SOZIALGERECHTE DASEINSFURUND DASEINSVORSORGE
RECHTSSTAATSPRINZIP
RECHTLICH-QUALITATIVE DASEINSORDNUNGEN
RECHTSSTAATLICHE VERFASSTHEIT DER PLANUNG
FÏÏDERALISMUSPRINZIP
FÖDERATIV-QUALITATIVE ORGANISATIONSSTRUKTUREN
FUDERATIV - QUALITATIVE KON DITIONEN DER PLANUNG
!=| PLANUNGSLEITBILD
]16 unter Bezugnahme auf: BVerfGE 6, 198; 10, 370 f.; 17,23. — Der nach herrschender Auffassung n u r „unbestimmt" f o r m u lierte „soziale A u f t r a g " des GG hat vor allem i m ersten Jahrzehnt nach dessen I n k r a f t t r e t e n zu staatsphilosophischen Diskussionen ebenso w i e zu Spekulationen u n d ideologischen Kontroversen über Bedeutung, Inhalt, Stellung, Konkretisierung u n d materielle Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips (auch als Sozialstaatgebot, Sozialstaatlichkeit, Sozialprinzip, Sozialstaatspostulat apostrophiert) i m Verfassungssystem geführt, deren nachhaltige — ζ . T. fruchtbare — A u s w i r k u n g e n heute noch erkennbar sind. Diese Kontroversen verbinden sich v o r allem m i t Namen w i e Ipsen, Ridder, Scheuner, Abendroth, Forsthoff. Sie sind umfassend kritisch dargestellt und gewürdigt i n Hartwich, Sozialstaatspostulat. 7 Jäckel, S. 356 ff. 8 Maunz et al., A r t . 20, Kap. I , Rdnr. 43. 9 Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 17. 10 BVerfGE 8, 329. 11 Stein, Stich w o r t „Sozialstaat", i n : Görlitz (Hg.), Handlexikon zur P o l i t i k wissenschaft, S. 397; vgl. auch Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 20. 3
II.
staatsprinzip
365
konkretisieren u n d zu präzisieren. Diese s t r u k t u r - u n d handlungsorientierten Elemente sind zunächst i n Verbindung m i t den nachfolgend beschriebenen Sachverhalten zu sehen u n d werden i m weiteren durch Verfassungsbestimmungen, Werte u n d Normen konkretisiert 1 2 : — Dem Sozialstaatsprinzip liegt der generelle Gedanke von der Verbesserungsfähigkeit u n d Verbesserungsbedürftigkeit verfestigter gesamtgesellschaftlicher S t r u k t u r e n u n d Verhältnisse zugrunde 1 3 . Es ist „ i n besonderem Maße auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten zwischen den M e n schen ausgerichtet (hat als Regelungsobjekt demnach die Gesamtgesellschaft i m Auge, A n m . d. Verf.) u n d dient zuförderst der Erhaltung u n d Sicherheit der menschlichen Würde, dem obersten Grundsatz der V e r fassung" 1 4 . — Die Menschenwürde (Art. 1) u n d die individuelle, zugleich sozialgebundene 1 5 Freiheit (Art. 2) sind ohne ein gewisses Maß an materieller E x i stenzsicherung nicht zu verwirklichen. Das Sozialstaatsprinzip gewährleistet i n Verbindung m i t dem Rechtsstaatsprinzip u n d i n der Zusammenschau m i t den genannten grundrechtlichen Fundamentalnormen den A n spruch u n d die Garantie auf ein materielles Existenzminimum 1 8 f ü r den Schutzbedürftigen u n d schwächeren Bürger, der sich nicht aus eigener K r a f t eine hinreichend existentielle Basis schaffen kann, u m sich „ w ü r dig" u n d „ f r e i " zu entfalten 1 7 . — Der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3), der nahezu deckungsgleich ist m i t dem Gerechtigkeitsgrundsatz, erhält i n Verbindung m i t dem Sozialstaatsprinzip dynamischen Charakter u n d zielt auf die Schaffung v o n mehr sozialer Gerechtigkeit u n d Ausgewogenheit, auf die V e r w i r k l i c h u n g von Sozialpflichtigkeit u n d sozialem Fortschritt ab 1 8 . Dies bedeutet nicht n u r einen sozialen Ausgleich, sondern auch eine soziale Angleichung unterschiedlich privilegierter Bevölkerungsgruppen (im Hinblick auf die Beseitigung räumlicher Disparitäten: unterschiedlich privilegierter Gemeinden, Regionen u n d Länder) herbeizuführen. — M i t dem Sozialstaatsprinzip w i r d darauf verwiesen, einen bislang — u n d sich entsprechend den temporären Wandlungsprozessen der raumbezogenen Gesellschaft stets verändernden — „ungenutzten S p i e l r a u m " 1 9 zur sozialen Entwicklung i m Rahmen einer vielfältigen u n d differenzierten Aufgabenwahrnehmung (Vorsorge-, Versorgungs- u n d Verteilungsaufgaben) auszufüllen. 12 A u f das „wertbetonte Element" des Sozialstaatsprinzips macht u. a. aufmerksam Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 18. 13 Maunz, Staatsrecht, S. 78. 14 Leibholz/Rinck, A r t . 20, Rdnr. 12 unter Bezugnahme auf die BVerfGE 35, 355 f. 15 Ebd., Rdnr. 13: „Das GG hat die Spannung Individuum-Gemeinschaft i m Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden; der Einzelne muß sich daher diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege u n d Förderung des sozialen Zusammenlebens i n den Grenzen des allgemein zumutbaren vorsieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt." 16 BVerfGE 1,105. 17 Vgl. ebenfalls die Ausführungen i n C. 4.1. 18 Vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 12, 354 (367). 19 Leibholz, „Eigentum verpflichtet".
366
A n h a n g D./E.: Verfassungsgrundsätze
— Das Sozialstaatsprinzip impliziert die aktive u n d sozialgerechte Einflußnahme auf die Wirtschafts- u n d Sozialordnung, die entsprechend den raumstrukturellen Erfordernissen u n d funktionsräumlichen Beziehungen zu gestalten u n d zu entwickeln sind. I m zuvor dargelegten Sinne w i r d demnach versucht, m i t dem Sozialstaatsprinzip ein System individueller u n d kollektiver Existenzsicherung i m Rahmen von Leistungen u n d Umverteilungen zu konkretisieren. Diese reichen v o m „ A b b a u sozialer Ungleichheit", von dem „Schutz der sozial u n d w i r t schaftlich Schwächeren", der „Schaffung der existentiellen Voraussetzungen f ü r die Entfaltung von F r e i h e i t " 2 0 i n der Gemeinschaft, der Gewährleistung eines materiellen Existenzminimums bis h i n zu einem „System von staatlichen Maßnahmen zur Sicherung des sozialen Aufstiegs, zur Herstellung der sozialen Partnerschaft u n d zur Deckung des Daseinsbedarfs der breiten Schichten i m Wege der Daseinsfürsorge u n d -Vorsorge" 21 . Hierdurch w i r d i m Grundgesetz aber „ n u r " das generelle Z i e l der Herstellung einer gerechteren Sozialordnung angesprochen. F ü r die Erreichung dieses Zieles werden seitens der Verfassung mehr oder weniger „ a l l e Wege" offengehalten 2 2 . Das I n s t r u m e n t a r i u m zur Zielrealisierung ist dementsprechend variabel u n d reicht von Plänen u n d Programmen, Maßnahmegesetzen, Wirtschaftslenkungsmaßnahmen, Steuerung des Verhaltens der Bürger, E i n beziehung der M i t h i l f e privater (Wohlfahrts-) Organisationen 2 3 bis h i n zu Interventionen u n d Subventionen. Es k a n n darüber hinaus auch generelle Sozialisierungsmaßnahmen i m Sinne von A r t . 15 des Grundgesetzes m i t u m fassen 24 . Angesichts dieses Gewährleistungs-, Forderungs- u n d Ordnungshorizontes, der m i t dem Sozialstaatsprinzip verbunden ist, w i r d eine vielschichtige Problematik aufgeworfen, die hier n u r benannt u n d nicht weiter vertieft werden kann. Es handelt sich vor allem u m Fragen der Effektivierung dieses P r i n zips, der Erhaltung der Funktionsfähigkeit, der effizienteren Nutzung durch konkrete Handlungsanweisungen, Zielvorgaben, Mittelabwägungen u n d K o n trollen, der problemadäquaten Befriedigung von Bedürfnissen u n d A n s p r ü chen der Bevölkerung, der D r i t t w i r k u n g u n d Einbeziehung sozialstaatlicher Maßnahmen i n das Privatrecht 2 5 . Die Diskussion u m geeignete Ansätze zur Lösung dieser Probleme w i r d jedoch erheblich erschwert durch jenen ideo20
Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 18. Huber, Nationalstaat u n d Verfassungsstaat, S. 262; vgl. auch BVerfGE 9, 124 (133). 22 Leibholz/Rinck, A r t . 20, Rdnr. 12. Das Sozialstaatsprinzip ermächtigt allerdings nicht zu beliebiger Sozialgestaltung, vor allem nicht zu solcher, die das Gebot der Gleichheit auflösen könnte. Dazu grundlegend BVerfGE 12, 354 (367). 23 Ebd.; des weiteren BVerfGE22, 180 (204). 24 Präzisierend u n d ζ . T. weiterreichend vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 78, der das i m Zusammenhang m i t dem Sozialstaatsprinzip geforderte Instrument a r i u m n u r dann als „sozial gerecht" u n d „sozial ausgleichend" gelten läßt, w e n n die entsprechenden Pläne, Programme, Gesetze etc. „ i n Zusammenhang gestellt werden (...) m i t der Koalitionsfreiheit (Art. 9), m i t dem A u s schluß des Arbeitszwanges (Art. 12), m i t der Pflichtigkeit des Eigentums (Art. 14), m i t der Vergesellschaftung v o n G r u n d u n d Boden, Naturschätzen u n d Produktionsmitteln (Art. 15) (und w e n n sie) über alle diese Einzelforderungen noch hinausgeh (en)". 25 Maunz et al., A r t . 20, Kap. I, Rdnr. 50. 21
II.
staatsprinzip
367
logischen Uberformungsprozeß, m i t dem der sozialstaatliche Konkretisierungswille sich seit I n k r a f t t r e t e n des Grundgesetzes konfrontiert sieht: V e r w i r k l i c h u n g u n d Ausbau des Sozialstaates werden negativ assoziiert m i t der Schaffung eines tendenziell freiheitsfeindlichen Verwaltungs-, Lenkungs-, Versorgungs- u n d Wohlfahrtsstaates, der letztlich i n ein totalitäres Regierungssystem einmünden müsse 28 . Die genannten, inhaltlich determinierten Einzelmerkmale des Sozialstaatsprinzips, die den Charakter von Gewährleistungs- u n d Ordnungsaufgaben haben, verweisen darauf, daß dieser Verfassungsgrundsatz untrennbar v e r k n ü p f t ist m i t konkretisierenden, aktiven politischen Handlungsmaßnahmen auf allen Ebenen jener i n den Problemsynopsen aufgeführten, unterschiedlichen Politiken 2 7 , f ü r die zunächst das Instrument der Planung i n seiner allgemeinsten F o r m zur Verfügung steht 2 8 . I n weiterer Differenzierung der gemeinwesen- bzw. gesellschaftsrelevanten Bezugskomponenten des Sozialstaatsprinzips zur Herstellung einer sozialgerechteren Ordnung 2 9 sind folgende dynamische Normativinhalte dieses Verfassungsgrundsatzes besonders hervorzuheben, ohne daß aus ihnen allerdings die Berechtigung respektive Nichtberechtigung einzelner, konkret spezifizierbarer Maßnahmeinhalte abgeleitet werden könnten: — Legitimation u n d Verpflichtung der politischen Akteure zur Daseinsfüru n d Daseinsvorsorge 30 i m Sinne gesamtgesellschaftlich u n d räumlich relevanter Gestaltungs- u n d Entwicklungsmaßnahmen auf allen hoheitlichen Ebenen des Gemeinwesens (Bund, Länder u n d Gemeinden) u n d i n allen Politikbereichen ; — Ausschöpfung des grundgesetzlich konzipierten Handlungsspielraumes der Legislative i m parlamentarischen Willensbildungs- u n d Entscheidungsprozeß, indem bei politischen I n i t i a t i v e n (d. h. v o r allem auch Gesetzesinitiativen) unter vorrangiger Beachtung des Sozialstaatsprinzips: (a) die parlamentarische Opposition ihre F u n k t i o n öffentlich akzentuierter K r i t i k w a h r n i m m t u n d i m „offiziellen politischen Dialog den entscheidenen Kontrahenten der Regierungsmehrheit" b i l d e t 3 1 ; (b) Parlamentsmehrheit u n d Regierung sich als „richtungsbestimmende u n d kontrollfähige Entscheidungsinstanz gegenüber der Ministerialu n d Vollzugsverwaltung" begreifen, „ u m der einseitigen Abhängigkeit der Regierung v o n den Entscheidungsvorbereitungen der Ministerialbürokratie effizient entgegenwirken zu können" 3 2 . 28
Z u r Terminologie u n d Interdependenz wirtschaftlicher u n d politischer Systeme vgl. u. a. v. Eynern, S. 59 ff. sowie Klages, S. 52 ff. 27 Vgl. jeweils die 3. Spalte der Problemsynopsen i n D. 2.1.—2.6. 28 Z u m Bezug des Sozialstaatsprinzips zu speziell umweltrelevanten Planungen vgl. die Problematisierung u n d Diskussion i n E. 3.2. 29 Z u r sozialen Gerechtigkeit als Leitprinzip der Sozialstaatlichkeit s. u. a. BVerfGE 5, 85 (198). 30 Z u m Recht u n d zur staatlichen Verpflichtung der Daseinsfür- u n d Daseinsvorsorge vgl. grundlegend BVerfGE 9, 124 (133). 31 Steff ani, Parlamentarische Demokratie, S. 36. 32 Ebd., S. 42. Denn „ f ü r die Transparenz aller wesentlichen Diskussionsund Entscheidungsabläufe", das t r i f f t vor allem i m Rahmen einer sozialstaatsgerechteren Normsetzung i n den unterschiedlichen P o l i t i k e n u n d den entsprechenden Planungen zu, „Sorge zu tragen, ist ein primäres Postulat, dem das Parlament i n einer parlamentarischen Demokratie gerecht werden
368
Anhang D./E.: Verfassungsgrundsätze
— Entwicklung von Handlungsinstrumenten u n d -Strategien, von Zielen und Grundsätzen zu gesamtgesellschaftlich u n d räumlich relevanten S t r u k t u r - , Investitions- u n d Förderungsprogrammen, die i m engeren u n d weiteren Sinne der „Verbesserung der Lebensqualität" der umweltbeanspruchenden u n d -nutzenden Gesellschaft dienen u n d i h r zu einer „ w ü r d i g e n " u n d „freien" Entfaltung i m Sinne des v o m Grundgesetz entworfenen „anthropozentrischen" 3 3 Gemeinwesens verhelfen, indem „der Staat (...) u m des Menschen w i l l e n u n d nicht der Mensch u m des Staates w i l l e n da (ist)" 3 4 . Das bedeutet insgesamt: — Konkretisierung der Menschenwürde, der Freiheits- u n d Gleichheitsrechte (gleichwertige Entfaltungsmöglichkeiten, Schutz von Randgruppen) durch die Förderung u n d Herstellung materieller Gerechtigkeit, die Befriedigung sich wandelnder, temporären Bedingungen unterworfener Ansprüche u n d Bedürfnisse des Menschen an die u n d i n der U m w e l t i m Rahmen der Schaffung der hierfür notwendigen Voraussetzungen; d . h . vor allem auch Bereithaltung einer Vielfalt unterschiedlicher Einrichtungen zu den Daseinsgrundfunktionen unter der Zielsetzung der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen bzw. der W a h r u n g der Einheitlichkeit der L e bensverhältnisse gemäß A r t . 72 Abs. 3 Nr. 3; A r t . 91a Abs. 1; A r t . 104 a Abs. 4; A r t . 106 Abs. 3 Nr. 2 3 5 .
III.
Rechtsstaatsprinzip
Auch wenn der Begriff „Rechtsstaat" unter den Verfassungsgrundsätzen des A r t . 20 nicht benannt ist, sieht das Bundesverfassungsgericht ebenso wie die maßgeblichen Grundgesetz-Kommentare seine Ausprägung bereits i n diesem A r t i k e l — u n d zwar i n Abs. 3 — verankert 1 . W i r d A r t . 28, der die muß". Neben den vielfältigen erforderlichen Strukturreformen zur Steiger u n g des Demokratiepotentials des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik, d. h. seines Sozialstaats-, Partizipations-, Transparenz- u n d Effizienzpotentials erachtet Steffani ganz besonders die permanente Parlamentsreform als einen außerordentlichen wichtigen F a k t o r ; vgl. ebd. S. 40 ff. 33 Maunz et al., A r t . 20, Kap. I, Rdnr. 15. 34 Ebd., F N 1. 35 A r t . 72 Abs. 2 Nr. 3: „Der B u n d hat (...) das Gesetzgebungsrecht (...), w e i l die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahr u n g der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines L a n des hinaus sie erfordert." — A r t . 91a Abs 1 : „Der B u n d w i r k t (...) bei der E r f ü l l u n g von Aufgaben der Länder m i t , wenn diese Aufgaben f ü r die Gesamtheit bedeutsam sind u n d die M i t w i r k u n g des Bundes zur Verbesserung der Lebens Verhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsauf gaben) : 1. Ausbau u n d Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, 2. V e r besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, 3. Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r u n d des Küstenschutzes." — A r t . 104a Abs. 4: „Der B u n d k a n n den Ländern Finanzhilfen f ü r besonders bedeutsame Investitionen der Länder u n d Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur A b w e h r einer Stör u n g des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder z u m Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft i m Bundesgebiet oder zur Förderung des w i r t schaftlichen Wachstums erforderlich sind (...)." — A r t . 106 Abs. 3 Nr. 2: „Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder s i n d so aufeinander abzustimmen, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überlastung der Steuerpflichtigen vermieden u n d die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse i m Bundesgebiet gewahrt w i r d . "
I I I . Rechtsstaatsprinzip
369
verfassungsmäßige Ordnung f ü r die Bundesländer festlegt, m i t i n die Betrachtung einbezogen, so w i r d auf den Rechtsstaat i n Abs. 1 Bezug genommen, indem dort ausdrücklich formuliert ist: „ D i e verfassungsmäßige Ordnung i n den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates i m Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen." Diese Formulierung läßt darauf schließen, daß die Rechtsstaatlichkeit i n A r t . 20 stillschweigend zugrundegelegt ist u n d f ü r den B u n d vorausgesetzt wird. I n Analogie zu den übrigen Verfassungsgrundsätzen n i m m t das Rechtsstaatsprinzip innerhalb des Verfassungssystems den Charakter einer verbindenden, innerlich zusammenhaltenden Leitidee' ein 2 . Es enthält nicht f ü r jeden Sachverhalt u n d „keine i n allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote u n d Verbote von Verfassungsrang, sondern ist ein Verfassungsgrundsatz, der der Konkretisierung j e nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, wobei allerdings fundamentale Elemente (...) i m ganzen gewahrt bleiben müssen" 3 . A l s „ T y p u s " 4 w i r f t der Rechtsstaat Probleme seiner definitorischen Erfaßbarkeit auf, soll er seine Ordnungs- u n d K o m m u n i k a t i o n s f u n k t i o n erfüllen, d. h. einen übereinstimmend u n d präzise definierten empirischen Bezug haben 5 . Die Frage nach seiner spezifischen Merkmalausprägung w i r d auch dadurch wenig zufriedenstellend beantwortet, w e n n diesem — w i e i m einschlägigen Schrifttum zum Grundgesetz — A t t r i b u t e w i e „demokratisch" u n d „sozial" hinzugefügt werden 8 . Da sich der Rechtsstaat des Grundgesetzes von früheren verfassungsrechtlichen Erscheinungsformen i n wesentlichen Punkten abhebt 7 , k a n n dieser „ m i t den überkommenen Formeln u n d Begriffen n u r noch bedingt charakterisiert werden". Vielmehr w i r d seine Bedeutung erst sichtbar, „ w e n n die Wirkungsweise der formellen u n d materiellen Grundelemente des Rechtsstaates u n d seine F u n k t i o n i n der verfassungsmäßigen Ordnung des G r u n d gesetzes ins Auge gefaßt werden" 8 . Soll also der Bedeutungsgehalt dieses Verfassungsgrundsatzes beschrieben werden, müssen über den normativen Befund hinaus die Wirkungsweisen u n d Funktionen dieses Verfassungsgrundsatzes geklärt werden. A l s der Verfassung u n d insbesondere A r t . 20 immanente Einzelelemente des Rechtsstaatsbegriffs gelten 8 : 1
Vgl. B V e r f G (Hg.), A r t . 20 I I I . BVerfGE 2, 380 (403). 3 BayVerfGE 8, 38; ebenso Maunz et al., A r t . 20, Kap. I, Rdnr. 43. 4 Z u r typisierenden Betrachtungsweise vgl. u. a. Zippelius, S. 67 ff. 5 MayntzfHolm/Hübner, Einführung i n die Methoden der empirischen Soziologie, S. 10 ff. 8 Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates i m Bonner GG, i n : Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkieit, S. 44. 7 Weder die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 noch die Weimarer Reichs Verfassung von 1919 enthalten ein ausdrückliches Bekenntnis zum Rechtsstaat. 8 Hesse, Rechtsstaat, S. 569. 9 Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 23, unter Berufung auf Maunz, Staatsrecht, nachfolgend m i t einigen Abänderungen zitiert. 2
24 M a l z
370 — — — — —
Anhang
E. Verfassungsgrundsätze
die prinzipielle Gewährleistung persönlicher Grundrechte 1 0 ; die Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2) ; das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g (Art. 20 Abs. 3) ; die Meßbarkeit und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns; der Rechtsschutz bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4).
Z w a r sind nicht alle genannten Elemente — w i e die Aufzählung zeigt — i n A r t . 20 enthalten, doch können die darüber hinausgehenden als unverzichtbare Ergänzungen zu den i n A r t . 20 explizit aufgeführten Grundsätzen aufgefaßt werden. Diese f ü r die K o n s t i t u t i o n u n d F u n k t i o n des Gemeinwesens wichtigen Elemente haben sowohl strukturellen als auch handlungsbezogenen Charakter. I n dem wechselseitigen Beziehungsgeflecht dieser Elemente m i t den ü b r i gen Verfassungsgrundsätzen werden eine Reihe weiterer Einzelmerkmale begründet, die m i t den sozialen, demokratischen u n d föderalen G r u n d p r i n zipien der Gesamtordnung der Verfassung verknüpft u n d integraler Bestandt e ü f ü r die materielle A u s f ü l l u n g u n d Funktionsfähigkeit des Rechtsstaatsbegriffs sind. Die F u n k t i o n des Rechtsstaats i m Verfassungssystem impliziert als „ w e sentliches Element der Konstituierung heutiger Staatlichkeit": — E i n „formelles Aufbauprinzip", indem „der Rechtsstaat den Staat u n d seine Wirksamkeit durch bewußte, klare, durch die V e r n u n f t erfaßbare Regeln u n d Grundsätze i n F o r m bringt, indem er die öffentlichen Z u stände verstetigt u n d einsichtig macht, indem die B i n d u n g an das Recht dem Recht selbst u n d den staatlichen Gewalten, die es anzuwenden haben, relative Unabhängigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Interessen und politischen Richtungen verleiht" u n d insoweit als „eine feste, dauerhafte u n d unparteiische Größe entsteht" 1 1 . — E i n „materielles Aufbauprinzip", indem durch das Rechtsstaatsprinzip gesellschaftliche S t r u k t u r e n „ m i t konkret bestimmtem I n h a l t , den P r i n zipien der autonomen Person, der Gleichheit u n d Freiheit als Grundlage der Gemeinschaftsordnung" e r f ü l l t werden, „wobei sich der enge Z u sammenhang zwischen materiellem u n d formellem Rechtsstaat namentlich darin zeigt, daß die rechtsstaatliche Freiheit des Grundgesetzes ,verfaßte', i n F o r m gebrachte Freiheit i s t " 1 2 . Z u r Bestimmung jener fundamentalen Eigenschaften des Rechtsstaatsprinzips, die f ü r die Forschungsproblematik von besonderer Relevanz sind, w i r d es bei aller hierbei gebotenen Beschränkung notwendig, den Verfassungsgrundsatz i n seiner Bedeutung f ü r die Gesetzgebung, die Verwaltung, die Rechtsprechung u n d die „Rechtsunterworfenen" (d. h. die Betroffenen) zu analysieren u n d die Einzelmerkmale stichwortartig aufzuführen. Evident w i r d dabei die Fülle von Prinzipien, Grundsätzen, Verboten u n d Geboten, Wechselwirkungen u n d Interdependenzen, Gestaltungsspielräumen u n d Relativierungen, die auf den sowohl statisch-beschreibenden als auch dynamischen Charakter dieses Verfassungsgrundsatzes verweisen. 10 Soweit diese Grundrechte Freiheitsräume absichern u n d dem sog. „status negativus" zugehören. 11 Hesse, Rechtsstaat, S. 579. 12 Ebd., S. 579 ff.
I I I . Rechtsstaatsprinzip (1) Aus dem Rechtsstaatsprinzip Bereich der Gesetzgebung ls:
ergeben sich als Konsequenzen
371 für
den
Der Legislative eröffnet das Rechtsstaatsprinzip i m Rahmen der Gewaltentrennung u n d i m Bereich der Gesetzgebung zwar generell einen weiten Ermessensspielraum i m Hinblick auf seine legislatorischen Initiativmöglichkeiten 1 4 sowie die durch Ge- u n d Verbote zu regelnden Materien. Jedoch muß die Bindung des Gesetzgebers an bestimmte zentrale, rechtsstaatliche G r u n d sätze, zu denen die Rechtssicherheit 15, der Rechtsfrieden u n d die Rechtsbeständigkeit zählen, stets gewahrleistet sein. A n diesen Grundsätzen haben sich das Rechtsfindungsverfahren, die Auslegung u n d Zwecktauglichkeit der Gesetze, die Eignung der gesetzlichen M i t t e l zur Zielerreichung, die rechtskräftigen A k t e u n d Entscheidungen der öffentlichen Gewalt, die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege u . a . m . zu orientieren. Die Prinzipien der Rechtssicherheit u n d des Rechtsfriedens nehmen dabei aus rechtsstaatlicher Sicht einen so zentralen Stellenwert ein, daß zu ihren Gunsten unter Umständen auch eine unrichtige Entscheidung i n K a u f genommen werden k a n n 1 8 . F ü r Gesetze ergeben sich i m Zusammenspiel der zuvor genannten Einzelelemente insbesondere folgende Grundbedingungen: Das Gebot der Rechtssicherheit erfodert zwar inhaltliche Klarheit u n d Verständlichkeit der Gesetze 17 u n d soll damit vor allem die Unbestimmtheit von Tatbeständen 18, die willkürliche u n d parteiische Auslegung verhindern, doch sind i m Rahmen des Ermessensspielraumes u n d der wechselseitigen Bedingtheit der rechtsstaatlichen Grundsätze eine Reihe von Relativierungen durchaus m i t dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Zulässigkeit von Generalklauseln 19, unbestimmter Gesetzesbegriffeder Normver13 Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich i m wesentlichen auf die Auswertung des GG-Kommentars von Leibholz/Rinck, Den A u t o r e n ist es i n der Kommentierung zum Rechtsstaatsprinzip besonders gut gelungen, aufzuzeigen, welche auch von der ΒVerf-Rechtsprechung anerkannten Konsequenzen sich aus dem Rechtsstaatsprinzip für den Bereich der Gesetzgebung, den Bereich der Verwaltung, den Bereich der Rechtsprechung, die R ü c k w i r k i m g von Gesetzen, die B i n d u n g der Rechtsprechung an Gesetz u n d Recht ergeben. Ausgewertet werden i m folgenden vor allem die Rdnrn.: 24—28 c zu A r t . 20. 14 I. d. S. BVerfGE 43, 242 (288 f.). 15 Z u r Voraussehbarkeit, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit vgl. B V e r f GE, 7, 89 (92); 30, 392 (403); 7, 194 (196 f.). 18 BVerfGE 2, 380 (403 ff.). 17 Grundlegend B V e r f G E 14, 13 (16); des weiteren BVerfGE 17, 306 (313 f.). 18 Vgl. BVerfGE 21, 73 (79). 19 BVerfGE 8, 274 (326). 20 Hierunter fallen vor allem die Verwendung sog. flüssiger, auslegungsbedürftiger u n d -fähiger Begriffe i n den Gesetzen, die der Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens gerecht zu werden versuchen, ohne dies bis ins letzte Detail regeln zu w o l l e n u n d zu können. Z u derartigen unibestimmten Gesetzesbegriffen zählen u. a. eine Reihe der i n der planungsrelevanten Gesetzgebung aufgeführten Grundsätze. Vgl. beispielsweise Formulierungen i n § 1 Abs. 6 B B a u G w i e : Gewährleistung einer „sozialgerechteren Bodennutzimg"; Sicherung einer „menschenwürdigen U m w e l t " ; Berücksichtigung der „allgemeinen Anforderungen a n gesunde Wohn- u n d Arbeitsverhältnisse" ; Berücksichtigung der „sozialen u n d kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung"; Berücksichtigung der „Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung". Vgl. grundlegend BVerfGE 21, 73 (79).
24*
372
Anhang D./E. Verfassungsgrundsätze
Weisung i n Gesetzen 21 — allerdings m i t der Einschränkung, daß diese dem Gebot der Normklarheit u n d Justitiabilität 22 sowie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel 23 u n d dem Grundsatz des Übermaßverbotes 24 entsprechen müssen. Gesetzgebung u n d Gesetze sind unter der rechtsstaatlichen Zielsetzung angetreten, echte Gerechtigkeitspostulate zu verwirklichen 25. F ü r die „Rechtsunterworfenen" werden aus Gründen der Rechtssicherheit K l a r h e i t u n d V e r ständlichkeit der Gesetze gefordert. Normen und deren Inhalte sollen von den Betroffenen hinreichend exakt festgestellt werden könnenso daß sie ihre Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können. Aus Gründen der Rechtsbeständigkeit w i r d u. a. auch gefordert, daß eine einmal erworbene Rechtsposition u n d ein einmal erworbener Besitzstand einer weitgehenden Schonung unterliegen 27 — ohne daß sich hieraus allerdings verfassungsrechtlich abgesicherte Ansprüche ableiten ließen —, wobei der Schutz vor unnötigen Eingriffen jedoch n u r soweit gehen kann, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist 2 8 . (2) Für den Bereich der Verwaltung prinzip folgende Konsequenzen:
20
ergeben sich aus dem
Rechtsstaats-
I m Rahmen des „gewaltengliedernden Rechtsstaates", i n dem die Exekutive von der Legislative getrennt u n d die Rechtsprechung persönlich u n d sachlich unabhängig ist, hat die V e r w a l t u n g durch die Zuweisung von Kompetenzen u n d durch feste, klare u n d verbindliche Verfahrensregeln ihre Funktionen verantwortlich wahrzunehmen. Diese Bindungen „ a n die i n bestimmtem V e r fahren beschlossenen u n d allgemein bekanntgegebenen abstrakten u n d generellen materiellen Gesetze ( . . . ) " sind also als Pflichten vorher gesetzlich definiert, d. h. jegliche Ausübung des Staatsgewalt vollzieht sich auch für die A d m i n i s t r a t i o n i n rechtlich bestimmten Formen 3 0 . M i t diesem formalen Aspekt des Rechtsstaatsprinzips w i r d das Gebot der Bestimmtheit der Ermächtigung der Verwaltung 31 u n d der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung umschrieben 3 2 . Daraus folgt, daß: 21
B V e r f G E 5, 25 (31). BVerfGE 21, 73 (79). 23 BVerfGE 19, 342 (348 f.). 24 Diese beiden Gebote ergeben sich bereits aus dem Charakter der Grundrechte und beinhalten ebenfalls das generelle Verbot sog. „belastender Gesetze". 25 Z u r Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzip vgl. u. a. BVerfGE 7, 194 (196); 3, 225 (237). 26 Dazu die B V e r f G E 17, 306 (313 f.). 27 BVerfGE 25, 236 (255). 28 Vgl. ζ . B. B V e r f G E 22, 64 (77). 29 Ausgewertet werden i m folgenden vorrangig Leibholz/Rinck, A r t . 20, Rdnrn. 29—34 e. 30 I . d . S. u . a . B V e r f G E 34, 52 (60); 9, 83 (87); i n erweiternder Interpretation s. a. Wolff/ Bachof, S. 50 ff. 31 Grundlegend BVerfGE 8, 274 (325). 32 BVerfGE 6, 32 (43); 6, 323 (331). A l s T e i l der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g g i l t u. a. auch deren Bindung an das Sozialstaatsprinzip, BVerfGE 3, 377 (381). 22
I I I . Rechtsstaatsprinzip
373
— der Gesetzgeber die hoheitlichen Eingriffsmöglichkeiten offenliegenden Rechtsbereiche des einzelnen selbst abgrenzt 3 3 u n d dies nicht dem Ermessensspielraum der V e r w a l t u n g überläßt 3 4 ; — die V e r w a l t u n g i n die Rechtssphäre des einzelnen n u r durch entsprechende Ermächtigung eingreifen kann; — die Eingriffsmöglichkeiten i n die Freiheitsräume des einzelnen nicht durch „vage Generalklauseln" 3 5 , sondern durch exakte Grenzziehungen des Gesetzgebers festzulegen sind; — ein möglichst lückenloser gerichtlicher Individualschutz i m Sinne des A r t . 19 Abs. 4 gegen die Verletzung der Rechtssphäre gewährleistet w i r d ; — die V e r w a l t u n g gesetzesverletzende Tatsachen u n d Tatbestände einwandfrei festzustellen h a t 3 6 u n d einem Begründungszwang f ü r i h r Vorgehen gegenüber dem einzelnen unterliegt 3 7 . Neben diesen Konsequenzen, die sich aus der formalen u n d gewaltengliedernden Rechtsstaatlichkeit ergeben, werden an den Rechtsstaat i m materiellen Sinne weitere Anforderungen gestellt, u n d zwar i m Rahmen der rechtsstaatlichen A n w e n d u n g u n d sachgerechten Durch- u n d Ausführung von Gesetzen u n d Verordnungen durch die Exekutive. Danach müssen I n h a l t u n d Formulierung der Gesetze u n d Verordnungen (u. a. aus dem Grunde, daß nicht alle Zweifel u n d Unklarheiten i n einem Gesetz beseitigt werden k ö n nen) zumindest das Ziel des gesetzgeberischen Willens möglichst k l a r erkennen lassen 38 . Durch die Verwendung des Wortes „ k a n n " i n Gesetzen w i r d der V e r w a l t u n g eine Ermächtigungsklausel eingeräumt, deren Ziel allerdings verdeutlicht werden muß. M i t anderen Worten: Das, „Wozu" die Verwaltung ermächtigt wird, muß bereits im Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt, normiert, begrenzt, meßbar, voraussehbar und berechenbar sein 39 u n d nicht erst i n der sich auf die Ermächtigung stützenden Verordnung. Grundsätzlich g i l t i m Verhältnis Gesetz — Verordnung, daß dem Gesetz ein höherer Rechtswert zukommt als der Verordnung 4 0 . Für die Betroffenen Ansprüche:
ergeben sich hieraus
vor allem folgende
Rechte
und
— Der Betroffene unterliegt einem gerichtlichen Schutz gegenüber unnötigen, fehlerhaften u n d rechtsverletzenden Eingriffen der öffentlichen Gewalt 4 1 . 33
B V e r f G E 20, 150 (157 f.). Z u r Einräumung eines gewissen Ermessensspielraumes vgl. BVerfGE 8, 274 (326); 9, 137 (147). 35 Grundlegend B V e r f G E 8, 274 (325). 36 Vgl. u. a. BVerfGE 8, 274 (325 f.). 37 BVerfGE 6, 32 (44 f.). 38 BVerfGE 17, 306 (314). 39 Vgl. u. a. BVerfGE 6, 32 (42); 7, 282 (302); 8, 71 (76). 40 Dieses Verhältnis ergibt sich u. a. daraus, daß Gesetzen, die nach den durch die Verfassung festgelegten förmlichen Rechtsetzungsverfahren zustande gekommen sind, zugesprochen w i r d , i n einem höheren Maße auf Dauer (Rechtsbeständigkeit) angelegt zu sein, als von der V e r w a l t u n g erlassene Verordnungen. Z u m Verhältnis Gesetz-Verwaltungsvorschrift vgl. u.a. BVerfGE 8, 155 (170 ff.); des weiteren zum Vorrang des Gesetzes BVerfGE 8, 155 (169 f.). 41 Vgl. BVerfGE 17, 306 (313 f.). 34
374
Anhang D./'E.; Verfassungsgrundsätze
— Gesetz u n d Verordnungen müssen i n I n h a l t u n d Formulierung so abgefaßt sein, daß der Betroffene seine Rechtslage zweifelsfrei erkennen u n d sein Verhalten danach ausrichten k a n n 4 2 . — Es muß gewährleistet sein, daß der einzelne über die Eingriffsmöglichkeiten der V e r w a l t u n g i n seine Rechtssphäre informiert ist 4 3 . — Schließlich hat jeder, i n dessen Rechte durch hoheitliche A k t e eingegriffen w i r d , Anspruch auf eine Begründung f ü r den Eingriff (Begründungszwang der V e r w a l t u n g gegenüber dem Rechtsunterworfenen), u m seine Rechte auch sachgemäß verteidigen zu können 4 4 . (3) Für den Bereich staatsprinzip folgende
der Rechtsprechung Konsequenzen:
45
ergeben sich aus dem Rechts-
Die Judikative, als sog. selbständige „ D r i t t e Gewalt" gegenüber Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g apostrophiert, hat ihre verfassungsrechtliche L e g i t i mationsbasis i m Gewaltenteilungsprinzip des A r t . 20 Abs. 2. Der verfassungsmäßige Standort der Rechtsprechung ist grundlegend i n den A r t . 92—104 festgelegt. A u s dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit folgt f ü r die Rechtsprechung als dem Kernbereich der Rechtspflege der fundamentale Grundsatz, „daß niem a n d i n eigener Sache Richter sein kann" 4 ®. Z u den zentralen Funktionen der Rechtsprechung gehört die „schöpferische F ü l l u n g weiter Gesetzeslücken auf der Grundlage einer richtungsweisenden Generalklausel" 4 7 i m Sinne der inhaltlichen K l ä r u n g u n d Konkretisierung v o n unbestimmten Gesetzesbegriffen u n d von Tatbestandsmerkmalen durch die E n t w i c k l u n g allgemeingültiger Richtlinien. Allerdings k a n n dieser Sachverhalt aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich sein, w e n n die Rechtsprechung Gesetzesbegriffe auszufüllen u n d Tatbestandsmerkmale zu schaffen hat 4 8 . Denn — w i e zuvor bereits dargelegt — soll das Gesetz p r i m ä r seine Rechtssicherheit aus der D i k t i o n der Gesetzgebung erhalten 4 9 . M i t der i n A r t . 20 Abs. 3 abgesicherten B i n d u n g der Rechtsprechung an Gesetz u n d Recht w i r d hervorgehoben, daß das Recht nicht m i t der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch ist. Es k a n n durchaus ein „ M e h r an Recht bestehen, das seine Quelle i n der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt u n d den geschriebenen Gesetzen gegenüber als K o r r e k t i v zu w i r k e n vermag; es zu finden u n d i n Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung" 50 . Demzufolge besteht die richterliche Tätigkeit „nicht n u r i m Erkennen u n d Aussprechen von 42 I. d. S. BVerfGE 9, 137 (147, 149); des weiteren B V e r f G E 21, 73 (79); 17, 306 (314). 48 I . d. S. B V e r f G E 6, 32 (44 f.); 9, 137(194). 44 BVerfGE 6, 32 (44 f.). 45 Ausgewertet werden i m folgenden Leibholz/Rinck, A r t . 20, Rdnrn. 35—37. 46 BVerfGE 3, 377 (381 f.). 47 BVerfGE 21, 73 (82); 13, 153 (164). 48 Z u r Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen durch allgemeine Richtlinien der Rechtsprechung vgl. B V e r f G E 21, 1 (4). 49 I m Zusammenhang der Konsequenzen, die eich aus dem Rechtsstaatsprinzip f ü r die Rechtsprechung ergeben, ist noch erwähnenswert, daß das GG keine mehrstufige Gerichtsbarkeit gebietet u n d daß ebenfalls nicht stets das Rechtsmittel der Revision gegeben zu sein braucht. 50 Leibholz/Rinck, A r t . 20, Rdnr. 48 unter Berufung auf BVerfGE 34, 286 f.; vgl. u. a. auch B V e r f G E 11, 126 (130).
I I I . Rechtsstaatsprinzip
375
Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung k a n n es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber i n dem Text der geschriebenen Gesetze nicht oder n u r unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, (z.B. hinsichtlich der Konkretisierung einer menschenwürdigen Umwelt 4 , w i e sie i m B B a u G angesprochen ist, A n m . d. Verf.) i n einem A k t des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans L i c h t zu bringen u n d i n E n t scheidungen zu realisieren" 5 1 . (4) Für die Rechtsunterworfenen ergibt sich aus den zuvor skizzierten rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß i h m Rechtsschutz garantiert w i r d , der für i h n vor allem auch Vertrauensschutz i n die Rechtsbeständigkeit der Gesetzgebung u n d der Rechtsprechung bedeutet 5 2 . Die sog. „belastenden Gesetze", m i t denen bestehende Rechtspositionen u n d bestimmte Rechtslagen verschlechtert werden, sind n u r dann gerechtfertigt, w e n n dem A l l g e m e i n w o h l der Vorrang gegenüber einer Vertrauensenttäuschung i m Einzelfall eingeräumt w i r d . Der rechtsstaatliche Grundsatz des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes geht jedoch nicht soweit, dem Betroffenen jegliche Enttäuschung zu ersparen 58 . Die Aufhebung ungerechter u n d veraltener N o r men, die K o r r e k t u r von Gesetzesregelungen 54 , die ergänzende gesetzliche Regelung zur Ausschaltung v o n I r r t ü m e r n 5 5 oder zur Beseitigimg von Gesetzeslücken sind gerade aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit geboten. Daß sich dadurch f ü r den Bürger ein Verlust an erworbenen Rechtspositionen, an Erwartungen u n d Hoffnungen ergeben kann, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden u n d f ä l l t nicht unter den rechtsstaatlich gebotenen V e r trauensschutz. Schon i n diesem skizzenhaft zusammengestellten Überblick zu maßgeblichen inhaltlichen Elementen des Rechtsstaatsprinzips, den dabei erkennbaren normativen Wirkungsgehalten f ü r gesellschaftsrelevante Gestaltungsmaßnahmen i m Gemeinwesen sowie entsprechenden grundgesetzlichen A n forderungen an das Instrument der U m w e l t p l a n u n g w i r d e i n Eindruck über das vielschichtige Problempotential vermittelt, das sich aus der Fülle von ineinandergreifenden Einzelelementen ergibt. Einerseits erfüllen die rechtsstaatlichen Grundsätze Ordnungs- und Sicherungsfunktionen i m Gemeinwesen, andererseits übernehmen sie als Gebote zur demokratischen, sozialstaatlichen, föderativen u n d selbstverständlich auch grundrechtlichen K o n kretisierung aktive Steuerungsfunktionen. I m K o n t e x t dieses sowohl s t r u k turellen als auch funktionalen Gehaltes des Rechtsstaatsprinzips werden vor allem Probleme folgender A r t aufgeworfen: — sachgerechte Einordnung, Gewährleistung u n d Berücksichtigung der m i t dem Rechtsstaatsprinzip verbundenen Gebote u n d Verbote; — Notwendigkeit der ständigen Herstellung v o n Konkordanz der Rechtsstaatlichkeit m i t allen übrigen Verfassungsprinzipien bei der Interpreta51 Ebd., A r t . 20, Rdnr. 48. Dieser Grundsatz g i l t vor allem auch hinsichtlich der Realisierung verfassungsimmanenter u n d insbes. grundrechtlicher Wertvorstellungen BVerfGE 9, 338 (349); einschränkend vgl. BVerfGE 34, 269 (280). 52 Z u r Rechtssicherheit u n d zum Vertrauensschutz grundlegend BVerfGE 30, 392 (403). 53 I. d. S. beispielsweise BVerfGE 22, 64 (77); 30, 392 (404). 54 Vgl. u. a. BVerfGE 23, 50 (58). 55 Vgl. BVerfGE 11, 64 (77).
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A n h a n g D./E. Verfassungsgrundsätze
t i o n u n d der Nutzung der Prinzipien zur Konzeptualisierung problemlösender Handlungsalternativen ; — Beachtung des Zusammenspiels der rechtsstaatlichen Einzelelemente und der Problematik von Fehlleistungen u n d Funktionsverlusten eines Elementes i n seinen Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit sowie auf das gesamte System des Verfassungsgefüges ; — Trennung u n d gleichzeitige Verschränkung u n d Kontrolle der drei „Gewalten" (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung); — Effektivierung u n d Optimierung der Grundrechte durch die Gesetzgebung u n d Rechtsprechung (z. B. Bundesverfassungsgericht) sowie Beachtimg der Rechtssphäre der Betroffenen i m Geflecht der Absolutheitsansprüche der Grundsätze, Prinzipien u. a. m., bei deren gleichzeitiger Relativierung. Des weiteren geht es u m Probleme w i e : — Verrechtlichung von Zielen u n d i h r e r auf Dauer angelegten G ü l t i g k e i t als Gesetzesnormen angesichts sich rasch wandelnder gesellschaftlicher Wertorientierungen, Lebens- u n d Umweltbedingungen; — sachgerechte A n w e n d u n g u n d weitgehend o b j e k t i v zu haltende N o r m exegese bei unbestimmten Rechtsbegriffen durch V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung; — Zustandekommen (im Rahmen sog. „Ermächtigungsklauseln") von V e r waltungs- u n d Durchführungsverordnungen u n d von Gesetze ergänzenden Verwaltungserlassen — zumal, gemäß der Arbeits- u n d Funktionsweise der Verwaltung, derartige Verordnungen u n d Erlasse i n einem w e i t gehend öffentlicher K o n t r o l l e entzogenen Raum entstehen; — Ausschaltung von Gegensätzen u n d Gegenläufigkeiten, die sich z. B. i m Rahmen sozialstaatlicher Belange u n d rechtsstaatlicher Erfordernisse ergeben können u n d die die Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung vor die schwierige Aufgabe der sozialgerechten Ausgestaltung u n d A n wendung der Gesetze stellen.
IV.
Föderalismusprinzip
Der Föderalismus als staatliches Organisationsprinzip u n d Verfassungsgrundsatz ist i n A r t . 20 Abs. 1 durch den Hinweis normiert, daß „die Bundesrepublik Deutschland (...) ein demokratischer u n d sozialer Bundesstaat (ist)". W i r d A r t . 28 m i t i n die Betrachtung einbezogen 1 , so ist das v o m Grundgesetz entworfene föderative M o d e l l dasjenige eines zweigliedrigen Bundesstaates 2 1 Nach herrschender Lehre sind A r t . 20 u n d 28 „aus einem Guß". Dazu Maunz et a l M A r t . 20, Kap. I , Rdnr. 31 f. 2 Z u den gegensätzlichen Auffassungen, daß das Föderalismusprinzip etwa einen d r e i - oder vierstufigen Staatsaufbau konzipiere, vgl. ablehnend u. v. a.: Maunz et al., A r t . 28, Kap. I I , Rdnr. 79: „Das GG geht von einem zweistufigen A u f b a u der staatlichen Organisation, nämlich i n B u n d und Länder, nicht v o n einem dreistufigen A u f b a u i n Bund, Länder u n d Gemeinden, auch nicht von einem vierstufigen A u f b a u unter Einfügung der Gemeindeverbände aus, es bezieht also Gemeinden u n d Gemeindeverbände i n den A u f b a u der L ä n der ein. Dies k o m m t bereits i n der Uberschrift von A r t . 20 zum Ausdruck („Der B u n d u n d die Länder") und i n der Regelung dieses Abschnittes, der die Gemeinden als i n die Länder inkorporiert behandelt." Grundlegend siehe vor allem auch die entsprechenden BVerfGE i n B V e r f G (Hg.), A r t . 20 und A r t . 28.
I .
easprinzip
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i m Sinne eines Gesamtstaates (Bund) u n d von Gliedstaaten (Länder). I n diesem Modell werden die Länder als Teilstaaten der Bundesrepublik betrachtet, die m i t annähernd gleichen formalen Staatsqualitäten (Verfassungen, Parlamente, Regierungen, Wahlen, Gesetzgebung etc.) u n d Wesensmerkmalen ausgestattet sind. Letztere ergeben sich aus der „Homogenitätsklausel" 3 des A r t . 28 Abs. 1, die bestimmt, daß „die verfassungsmäßige Ordnung i n den Ländern (...) den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates i m Sinne des Grundgesetzes entsprechen (muß)". Seine verfassungsrechtlich abgesicherte Bestands- u n d Unantastbarkeitsgarantie 4 erhält der föderative Verfassungsgrundsatz durch A r t . 79 Abs. 3, wonach „eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des B u n des i n Länder, die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung oder die i n den A r t i k e l n 1 u n d 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, (...) unzulässig (ist)." Die Analyse zum Föderalismusprinzip k a n n nicht an einem „verfassungsmäßigen Bundesstaatsbegriff anknüpfen" u n d läßt sich — „ebensowenig w i e das Verständnis zur Demokratie u n d des sozialen Rechtsstaates — (...) von ihrer Ausformung durch die Verfassung ablösen" 5 . So ist auch die föderative Organisation der Bundesrepublik zunächst als „ T y p u s " u n d „verbindende Leitidee" i m Gesamtgefüge der Verfassungsordnung zu verstehen, die nach dem Nationalsozialismus — „nach d e m Erlebnis der Perversion der Macht" 6 — als politisches Gestaltungsprinzip f ü r die Organisation des künftigen Gemeinwesens eine besondere Chance hatte 7 . M i t der Grundentscheidung der „ V e r 3 Z u m Mindestmaß an Homogenität von Bundesverfassung und Landesverfassungen vgl. BVerfGE 36, 342 (361). 4 Einschränkend ist allerdings festzuhalten, daß die an die Länder gerichteten Normativbestimmungen des A r t . 28 n u r soweit an der „Ewigkeitsklausel" des A r t . 79 Abs. 3 partizipieren, als sie auch i n A r t . 20 niedergelegt sind. So können ζ . B. weder die Länder noch die Kreise, Gemeinden u n d Gemeindeverbände aus A r t . 28 eine Bestandsgarantie i m Sinne i h r e r Existenz u n d ihrer räumlichen Größe ableiten. A r t . 79 Abs. 3 garantiert gemäß der i n A r t . 29 postulierten „Neugliederung des Bundesgebietes" weder die gegenwärtigen Grenzen der Bundesländer noch i h r e Anzahl. Z u r Bestandsgarantie u n d zur Existenz der Länder vgl. die BVerfGE 1, 14 (48); 5, 34 (38). 5 Hesse, Grundzüge, S. 89. 6 Ellwein, Regierungssystem, S. 52. 7 Grundlage f ü r die Wiedereinführung des Föderalismus nach Kriegsende bildete das Potsdamer A b k o m m e n v o m 2. 8.1945, das i n P u n k t 9 f ü r Deutschland eine „Dezentralisierung der politischen S t r u k t u r " u n d d i e „ E n t w i c k l u n g einer örtlichen Selbstverantwortung" vorsah. -— Die frühe B i l d u n g der L ä n der i n der amerikanischen Besatzungszone w a r Ausdruck der deutlich föderalistischen Tendenz der US-Militärregierung. Bereits 1946 w u r d e n hier Wahlen zu den verfassungsgebenden Versammlungen ausgeschrieben u n d deren von diesen beschlossenen Landesverfassungen konnten Ende 1946 i n K r a f t treten; n u r Bremens Verfassung datiert v o m 21.10.1947, w e i l diese Hansestadt — ursprünglich zur britischen Zone gehörend — erst 1947 der amerikanischen Militärregierung unterstellt wurde. I n der französischen Zone w u r d e n zwar zunächst n u r kommunale Verwaltungen errichtet u n d erst später die drei Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern u n d RheinlandPfalz gebildet, jedoch konnten auch hier i m M a i 1947 die Landesverfassungen nach vorherigem Plebiszit verkündet werden. — Anders verhielt es sich i n der britischen Besatzungszone. Z w a r k a m es hier schon i m November 1946 zur B i l d u n g der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen u n d dem Stadt-Staat Hamburg, jedoch verhinderte die zögernde H a l tung der britischen Militärregierung sowohl die Landtagswahlen — die
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Anhang D./E. Verfassungsgrundsätze
fassungsväter" f ü r die bundesstaatliche Organisation hat sich somit „die F u n k t i o n föderativer Ordnung von derjenigen politischer Einheitsbildung auf diejenige einer Ergänzung der demokratischen u n d rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes" verlagert 8 . D e m Anspruch nach t r i t t dem einzelnen Bürger „nicht eine einheitliche, ungeteilte Staatsgewalt i m Vollzug staatlicher Aufgaben gegenüber, sondern Aufgaben u n d Befugnisse sind zwischen zwei selbständigen Ebenen politischer Entscheidung geteilt, dem B u n d u n d den Ländern" 9 . I m zuletzt dargelegten Sinne bezeichnet Föderalismus ein politisches Grundprinzip 1 0 , das seine Ausprägung u n d Konkretisier u n g erst i m realen Leben des Gemeinwesens erhält, u n d ergänzt die horizontale Gewalten verschränkung 1 1 durch eine vertikale Gewaltenteilung, wonach die Existenz u n d die Rechte von grundsätzlich gleichberechtigten B u n desländern sowie die Verteilung staatlicher Herrschaft u n d Kompetenzen auf verschiedene Institutionen u n d Organe geregelt w i r d . Diese Trennung staatlicher Gewalt i n die des Zentralstaates u n d der Gliedstaaten bewirkt, „daß durch wechselseitige Kontrollmaßnahmen von B u n d u n d Ländern die politische Entscheidungsgewalt eingeschränkt u n d gehemmt w i r d u n d somit die Gefahr des Machtmißbrauchs grundsätzlich reduziert w i r d " 1 2 . Folglich ist — analog zu entsprechenden Föderalismustheorien — auch f ü r das Gemeinwesen Bundesrepublik die Behauptung konstitutiv, daß die föderative Organisationsform staatliche Freiheit schafft, sichert u n d fördert sowie „die Staatsomnipotenz zentralistischen Charakters" verhindert 1 3 . Als Kernproblem des föderativen Systems der Bundesrepublik k a n n nach diesen grundlegenden Ausführungen die Kompetenzverteilung zwischen B u n d u n d Ländern angesehen werden 1 4 . Dabei geht es zunächst u m die zentrale Frage, „ob die Organe des Bundes (bzw. der Bundesrepublik) auch m i t V e r bindlichkeit f ü r die Länder handeln sowie, ob und gegebenenfalls i n welcher Weise der B u n d den Ländern übergeordnet ist". Nach herrschender Lehre Landtage w u r d e n zunächst ernannt — als auch die Verabschiedung der L a n desverfassungen. Vgl. Deutsche Verfassungen, m i t Änderungen u n d Nachträgen nach dem Stand v o m 11.1.1951, zusammengestellt v o n Füßlein. 8 Hesse, Grundzüge, S. 90. 9 Lambrecht, Föderalismus (Bundesstaat), i n : Sontheimer/Röhring (Hg.), S.194. 10 Dazu u. a. Friedrich, Nationaler u n d internationaler Föderalismus i n Theorie u n d Praxis, S. 154 ff. 11 Diese zählt zu den konstituierenden Prinzipien des demokratischen Systems, vgl. die entsprechenden Ausführungen i n diesem Anhang, Kap. I. 12 Pilz, Einführung, S. 168; einen kurzen A b r i ß über die Entwicklungsgeschichte des Föderalismus u n d den sich dabei herausbildenden ambivalenten Föderalismusbegriffen — z. B. der traditionale deutsche versus dem rationalen amerikanischen — g i b t : Walper, Föderalismus, S. 12 ff.; v g l . w e i t e r h i n : Lauf er, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland; Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 100 ff. 13 Lambrecht, S. 193. 14 Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 6. Gerade zu diesem Kernproblem sind aus der Sicht der unterschiedlichen Föderalismusthieorien (ζ . B. politische, juristische, organisatorische) eine F ü l l e von modellartigen Lösungsvorstellungen zur Kompetenzverteilung u n d -verschränkung entwickelt worden. Eine gute Übersicht über die Theorienvielfalt m i t entsprechenden Lösungsperspektiven gibt m i t zahlreichen Literaturhinweisen Wittkämper, Begründung einer stärkeren Dezentralisierung politischer Entscheidungen aus einer politologischen Theorie des Föderalismus.
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läßt sich diese Problemstellung „bereits m i t H i l f e des GG lösen u n d ist zusammenfassend dahingehend zu beantworten, daß sowohl der B u n d als auch die Länder i m Rahmen ihrer Zuständigkeiten m i t allseitiger Verbindlichkeit handeln" 1 5 . E i n weiterer Problemkomplex ist die Verteilung der Zuständigkeiten i m Gesetzgebungsbereich. Diese regelt das Grundgesetz i n F o r m der ausschließlichen, der konkurrierenden, der Rahmen- u n d der Grundsatzgesetzgebung 18 . Die Vielzahl von Verfassungsartikeln, die hinsichtlich der Organisation (d. h. vor allem Kompetenzen zur Rechtssetzung, Rechtsausführung u n d Rechtsprechung) der Gesetzgebung Relevanz haben, unterstreicht die außerordentliche Bedeutung, die der exakten verfassungsrechtlichen Normierung dieses Kompetenzbereiches aus der Sicht der Verfassung zugemessen w i r d . Schlagw o r t a r t i g zusammengefaßt geht es v o r allem u m grundgesetzliche Regelungen zu folgenden Sachverhalten: — Die alleinige Zuständigkeit des Bundes besteht i m Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung (Art. 73) ; ein Gesetzgebungsrecht haben die Länder n u r dann, „ w e n n u n d soweit sie hierzu i n einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden" (Art. 71). — I m Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74) haben B u n d u n d Länder das Gesetzgebungsrecht; allerdings erlischt jenes der Länder dann, w e n n der B u n d von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch macht; als besondere Voraussetzung der Bundeszuständigkeit g i l t i n diesem Bereich ein „Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung" (Art. 72 Abs. 2). — Bei der Rahmengesetzgebung des Bundes (Art. 75) ist dieser auf Regelungen beschränkt, die der Ausfüllung durch die Länder fähig u n d bed ü r f t i g sind; i m übrigen gilt das gleiche w i e i m Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. 15
Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 8. Außerordentlich aufschlußreich ist — entstehungsgeschichtlich betrachtet — die Auseinandersetzung i m Parlamentarischen Rat u m die verfassungsrechtliche A u s f ü l l u n g des Sozialstaatsgrundsatzes durch Gesetzgebungszuständigkeiten. Bei den Debatten u m die Zuständigkeitsregelungen i n der Verfassung waren die sozialstaatlich u n d gesellschaftspolitisch interessantesten Zuständigkeiten nach d e m A r t . 36 des „Herrenchiemsee-Entwurfs" (in seiner endgültigen Fassimg der spätere A r t . 74 GG) „Vorranggesetzgebung", „Enteignungsrecht, Gemeineigentum, Grundsätze der Bodenverteüung, E i n griffe i n die Wirtschaft zur Sicherung der Erzeugung u n d z u m Schutze der Verbraucher, Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellungen, Arbeitsrecht einschließlich Arbeitslenkung, Kriegsschädenrecht u n d Wiedergutmachung sowie Grundsätze f ü r die öffentliche Fürsorge, das Flüchtlingswesen u n d die Sozialversicherung". So wurde nach Auffassimg von Hartwich die politische T a k t i k der SPD angesichts der Mehrheitsverhältnisse i m „ P a r lamentarischen Rat" davon bestimmt, „ Z u r ü c k h a l t u n g bei den Diskussionen über soziale Grundrechte u n d ,Lebensordnungen' zu üben", gleichzeitig j e doch zu versuchen, einen umfangreichen Katalog von „Bundeszuständigkeiten f ü r gesetzgeberische Interventionen i n Wirtschaft u n d Gesellschaft" i m GG zu verankern. Demgegenüber neigte die C D U / C S U zu „sozialpolitisch motivierte(n) Mindestnormen", die verfassungs- bzw. fürsorgerechtlich abzusichern waren; zwar w u r d e n auch von dieser F r a k t i o n erweiterte Bundeszuständigkeiten vorgesehen, direkte gesamtstaatliche Verantwortlichkeit f ü r wirtschaftliche u n d soziale Prozesse u n d damit deren Planung u n d L e n k u n g aber abgelehnt. Vgl. Hartwich, S. 37 ff. Z u r Rechtsmaterie, die i m Rahmen dieser unterschiedlichen Kompetenzverteilung geregelt w i r d , vgl. i m Überblick D. 3.4., Synopse 10. 16
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Anhang
E. Verfassungsgrundsätze
— Die exekutive Kompetenzverteilung ist i m V I I I . Abschnitt des G r u n d gesetzes („Ausführung der Bundesgesetze u n d die Bundesverwaltung") näher geregelt (Art. 86—90). — Gegenüber den Ländern, denen die Gesetzesausführung (Art. 30 u n d 84 ff.) u n d die Rechtsprechung (Art. 92) obliegt, übt der B u n d K o n t r o l l f u n k t i o n e n zur Erhaltung der bundesstaatlichen Homogenität 1 7 aus, indem die höchsten Revisionsinstanzen der V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung als Bundesorgane (Bundesgerichte u n d oberste Bundesgerichte, w i e der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das B u n desarbeitsgericht u n d das Bundessozialgericht) eingerichtet sind (Art. 95 u n d 96). — Bei auftretenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen B u n d u n d Ländern oder zwischen verschiedenen Ländern entscheidet das Bundesverfassungsgericht „als Garant des Bundesstaatlichen Systems" (Art. 93 i n Verbindung m i t § 13 BVerfGG), das vor allem föderative Entscheidungsbefugnisse hat über: (a) Zuständigkeitsstreitigkeiten organen des Bundes;
zwischen Bundesrat
und
Verfassungs-
(b) Verfassungsstreitigkeiten zwischen B u n d u n d Ländern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht m i t dem G r u n d gesetz oder von Landesrecht m i t sonstigem Bundesrecht 1 8 ; (c) Verfassungsstreitigkeiten zwischen B u n d u n d Ländern hinsichtlich ihrer Rechte u n d Pflichten vor allem bei der A u s f ü h r u n g von Bundesgesetzen durch die Länder u n d bei der Ausübung der Bundesaufsicht 1 9 . F ü r die den Bundesstaat des Grundgesetzes kennzeichnende vertikale Gewaltenteilung konnte m i t h i n eine Fülle von föderativen Strukturelementen u n d Funktionen kenntlich gemacht werden, die sich allerdings entsprechend den sich wandelnden Erfordernissen hochindustrialisierter Gemeinwesen, dem fortschreitenden Aufgabenzuwachs des modernen Leistungsstaates und der Interdependenz einer Vielzahl staatlicher Aufgaben i m Laufe der Entwicklung der Bundesrepublik verändert haben. Zeichnete sich i n der Gründungsphase der Bundesrepublik das bundesstaatliche System durch eine grundgesetzlich k l a r geregelte, relativ starre A u f t e ü u n g der Sachkompetenzen zwischen B u n d und Ländern aus, ist f ü r den heutigen Bundesstaat kennzeichnend, daß sich „eine Tendenz zur Kompetenzübertragung von den L ä n 17 I n diesem Zusammenhang sei auf den i n A r t . 72 u n d weiteren A r t i k e l n verankerten Verfassungsauftrag an den B u n d verwiesen, der bestimmt, die „Rechts- und Wirtschaftseinheit" sowie die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" i m Bundesgebiet zu wahren. 18 Grundlegend dazu die sog. „Kollisionsregel" des A r t . 31, m i t der norm i e r t w i r d , daß bei einem Widerspruch zwischen G G u n d Landesverfassungen dem GG als Bundesrecht Vorrang einzuräumen ist („Bundesrecht bricht Landesrecht"). Dies g i l t unabhängig davon, ob es sich u m die i n A r t . 1 bis A r t . 19 niedergelegten oder u m die an anderer Stelle des GG — ζ . B. i n den A r t . 33, 38, 101 bis 104 — verankerten verfassungsrechtlichen Normierungen i m Sinne von Grundrechten handelt. Vgl. u. a. auch die Ausführungen von Maunz et al., A r t . 20, Kap. I, Rdnr. 33. 19 Vgl. Hesse, Grundzüge, S. 261 ff.; Maunz, Staatsrecht, S. 294 ff. ; hier auch die wichtige Problematisierung der verfassungspolitischen Rechtfertigung des richterlichen Prüfungsrechts i m Rahmen abstrakter Normenkontrollverfahren.
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d e m auf den B u n d " vollzogen hat 2 0 , so daß „faktisch die Gesetzgebungskompetenz weitgehend beim B u n d konzentriert ist, während die Ausführung der Gesetze u n d die Rechtsprechung vorwiegend Ländersache s i n d " 2 1 . Die W e i terentwicklung der föderativen Verfassung sollte den Bundesstaat als staatliches Gliederungsprinzip „angesichts der Konfrontation m i t der zentralisierenden D y n a m i k der modernen Industriegesellschaft" revitalisieren 2 2 , sollte die erforderliche Kooperation von B u n d u n d Ländern bei der Festlegung politischer Aufgabenschwerpunkte angesichts wachsender, länderübergreifender politisch-ökonomischer Verflechtungen u n d kompetenzüberschreitender Querschnitts aufgaben erst v o l l praktikabel machen 2 8 . I m Sinne dieser n o r mativen Forderungen wurde ζ . B. versucht, m i t der Reform der Finanzverfassung von 196924, dem bisher s t r u k t u r e l l bedeutendsten Eingriff i n das bundesstaatliche System, „die gröbsten Strukturdefekte i n der Finanzverfassung durch eine bedarfsgerechtere, aber auch kompliziertere Umverteilung der Finanzmasse u n d die Einführung des Instituts der Gemeinschaftsaufgaben" zu beheben 25 . Diese, die föderative Ordnung i n Richtung auf einen Kompetenzzuwachs beim B u n d s t r u k t u r e l l verändernde Finanzreform betraf vor allem die Regelung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a und 91b), des Lasten Verteilungsgrundsatzes (Art. 104 a), der Finanzhilfe des Bundes (Art. 104a Abs. 4) und des großen Steuerverbundes (Art. 106)28. So wenig also die h i e r m i t verfassungsrechtlich anerkannten neuen Kooperationsformen zwischen B u n d u n d Ländern m i t dem herkömmlichen, g r u n d gesetzlich auf einem Trennsystem beruhenden I n s t r u m e n t a r i u m bislang p r a k tizierter horizontaler Koordinierung der Länder untereinander 2 7 übereinstimmen, so unverzichtbar werden i m Laufe der E n t w i c k l u n g neue, v e r fassungsnormativ abgesicherte Konzeptionen der vertikalen Zusammenarbeit, die den wachsenden Anforderungen moderner Bundesstaatlichkeit als einem „komplizierten u n d konsensbedürftigen Verflechtungssystem" (Albert Osswald) 28 nach: — gleichem Standard staatlicher Leistung, — inhaltlicher Harmonisierung der Aufgabenerfüllung u n d 20
Pilz, Einführung, S. 163. Lambrecht, S. 194. 22 Ebd. S. 195. 23 Bis 1975 w u r d e n 32 — von den Ländern mitgetragene — G G - Ä n d e r u n gen verabschiedet, die „zu evidenten Macht Verschiebungen zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten beigetragen" haben. Vgl. Pilz, Einführung, S. 164. 24 Vgl. 20. und 21. »Gesetz zur Änderung des GG' v o m 12.5.1969; sog. Finanzreformgesetz. 25 Lambrecht, S. 195. 26 Äußerer Anlaß dieser Reformen w a r die ökonomische Rezession von 1966/67, die theoretisch insbesondere durch das „Gutachten über die Finanzreform i n der Bundesrepublik Deutschland von 1966" der Kommission über die Finanzreform („Tröger-Gutachten") vorbereitet wurde. Vgl. Badura, Wirtschafts Verfassung, S. 55 ff. 27 Diese horizontale Koordinierung w u r d e schon recht f r ü h i n der Bundesrepublik praktiziert, ζ . B. i n F o r m von rechtlicher Selbstkoordinierung (Staatsverträge u n d Verwaltungsabkommen) u n d institutionalisierte K o operation, ζ . B. i n F o r m koordinierter Interessenvertretung gegenüber dem B u n d (Ministerpräsidenten-Konferenz). Vgl. i m Uberblick Walper, S. 43 ff. 28 Zit. n.: Pilz, Einführung, S. 163. 21
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Anhang D./E. Verfassungsgrundsätze
— langfristig planbarem, rationalem u n d effektivem Einsatz knapper Finanzmittel, gerecht zu werden versuchen. „ D i e Inkongruenz von Aufgaben u n d Ausgaben, der zunehmende Leistungsdruck des modernen Sozialstaates auf die Länder u n d der Zwang, i n die „soziale M a r k t w i r t s c h a f t " staatliche Steuermechanismen einer langfristigen Wirtschaftspolitik einzubauen, ließen sowohl den B u n d w i e die Länder die Gesetzgebungskompetenz unterlaufen. (...). Die sozioökonomischen Verhältnisse drängten also danach, den Bundesstaat durch neue Formen der Kooperation zu erhalten 2 9 ." Entscheidendes K r i t e r i u m dieser neuen, von der Tröger-Kommission (1964 bis 1966) i m Zusammenhang m i t der Finanzreform entwickelten Konzeption des „kooperativen Föderalismus" 3 0 ist, daß er „ein ausgewogenes u n d bewegliches System der Zusammenarbeit zwischen B u n d u n d Ländern u n d unter den Ländern ermöglicht" 3 1 . A l s zeitgemäße, zukunftsorientierte F o r m der Zusammenarbeit von B u n d u n d Ländern beansprucht die Konkretisierung des kooperativen Föderalismus daher, „die verfassungsmäßige Verteilung der Zuständigkeit zwischen B u n d u n d Ländern nicht als Z w a n g f ü r ein separiertes u n d isoliertes Handeln der verschiedenen Gewaltenträger" zu verstehen, „sondern unbeschadet der jeweiligen Zuständigkeiten die gemeinschaftliche Verantwortung für eine aufeinander abgestimmte Gesamtpolitik" zu erkennen 3 2 . M i t der Institutionalisierung des kooperativen Föderalismus w i r d jedoch zugleich ein komplexer Problembereich geschaffen, der — aus verfassungsrechtlicher Perspektive beurteilt — einen zunehmenden Substanzverlust des ursprünglich v o m Grundgesetz konstituierten föderativen Gemeinwesens indiziert u n d sowohl Änderungen i n der Organdsationsstruktur (ζ . B. Neuregelung der Kompetenzverteilungen i m Rahmen staatlicher Herrschaftsausübung) als auch Eingriffe i n die bestehende Verfassungsordnung nach sich zieht. Wolf gang Roters hat diesen Sachverhalt i m Hinblick auf gesellschaftsrelevante Maßnahmen u n d raumwirksame Planungen w i e folgt umrissen: „Durch Planungskompetenzen, Programmverwaltung, Gemeinschaftsaufgaben von B u n d u n d Ländern u. ä. ist eine Entmachtung der Landtage eingetreten, die sich n u r p u n k t u e l l i m Verfassungstext niederschlägt, ansonsten allein i m tatsächlichen Verfassungsleben zu registrieren ist. Diese durch Regelungen außerhalb einer Landesverfassung erfolgenden gravierenden Funktionsverschiebungen, die aber nicht eine i m Widerspruch zur Verfassung ohne Rechtsgrundlage gewachsene W i r k l i c h k e i t darstellt, w i r d i n die Bedeut u n g des Begriffs verfassungsmäßige Ordnung einbezogen werden müssen 3 3 ." Das allgemeine Kooperationsgebot zwischen B u n d u n d Ländern u n d den aus den Pflichten zu wechselseitiger A b s t i m m u n g u n d Koordination resultierenden Aufgaben der gegenseitigen Information, Rücksichtnahme u n d M i t w i r k u n g w i r d zwar auch i n der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes als eine „immanente Verfassungsnorm" vermutet. „Die Weite dieses 29
Lambrecht, S. 198. A l s Begriff aus der amerikanischen Verfassungspraxis der „free-cooperation" übernommen; vgl. Pilz, Einführung, S. 172. 31 Zit. n.: Lambrecht, S. 198. 32 E r k l ä r u n g der Bundesregierung 1969, zit. n.: Lambrecht, S. 198. 33 Roters, zit. n.: Maunz, et al., A r t . 28, Rdnr. 18. 30
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allgemeinen Gebots erfordert indessen äußerste Zurückhaltung i n seiner V e r wendung als Maßstab richterlicher Streitentscheidung 3 4 ." W i r d dieser Rückgriff dennoch erforderlich, „so sind die funktionell-rechtlichen Grenzen zu beachten, die i h m gezogen sind, w e n n anders die politischen Entscheidungen der Organe der politischen Willensbildung nicht mehr als notwendig durch die Entscheidungen vor Gerichten ersetzt werden sollen; diese sind ihrer Aufgabe u n d S t r u k t u r nach nicht berufen u n d nicht geeignet, solche E n t scheidungen zu treffen . . ," 3 5 . M i t dem — nach langjährig kontrovers i n Wissenschaft u n d P o l i t i k geführten Diskussionen — Konensus über die auf gegenseitige Ergänzung, Kooperation u n d Koordination von B u n d u n d Ländern u n d unter den Ländern angelegten Grundelemente der föderativen Organisationsstruktur ist jedoch das nach wie vor bestehende Spannungsverhältnis zwischen Sicherung u n d Respektierung bundesstaatlicher S t r u k t u r e n unter dem Gewaltenteilungsaspekt einerseits u n d der Regierungseffektivität zentraler Verfassungsorgane unter demokratisch-parlamentarischen Bedingungen andererseits keineswegs aufgelöst. Z w a r sind wesentliche funktionale u n d normative Elemente gegenwärtiger Bundesstaatlichkeit partiell i m Grundgesetz geregelt u n d wurden — w i e zuvor dargelegt — i n entscheidenden Bereichen reformiert (Finanzverfassung); sie bleiben jedoch angesichts der wissenschaftlich-technologischen, sozioökonomischen u n d sozialräumlichen Entwicklungsdynamik moderner Industriegesellschaften ihrerseits stets entwicklungs-, ergänzungs- und ausfüllungsbedürftige Postulate. I n den K o n t e x t der zuvor kurz umrissenen Problematik zum kooperativen Föderalismus, w i e er realiter i m Gemeinwesen Bundesrepublik praktiziert wird, gehört abschließend der Hinweis auf den zwar ungeschriebenen, nach herrschender Lehre allerdings anerkannten „ j u s t i t i a b l e n " Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens 3 6 . „Danach sind B u n d u n d Länder zu gegenseitiger Rücksichtnahme u n d Unterstützung verpflichtet. I m einzelnen folgt aus dem Grundsatz der Bundestreue, daß B u n d u n d Länder bei der Ausübung ihrer Gesetzeskompetenz, beim Erlaß von Regierungs34 Hesse, Grundzüge, S. 109. Der A u t o r k r i t i s i e r t hier die diesem Grundsatz durch das B V e r f G unterstellte fundamentale Bedeutung f ü r die bundesstaatliche Ordnung des GG u n d bezweifelt, daß diesem Grundsatz „ i n dieser Bedeutung die Rolle eines fundamentalen Prinzips der verfassungsmäßigen Ordnung zukommt". Dies vor allem deshalb, w e i l es — so Hesse — fraglich erscheine, „ob der Grundsatz noch den gewandelten Voraussetzungen heutiger bundesstaatlicher Ordnung entspricht"; w e i t e r h i n begründe diese F u n k t i o n auch Bedenken deshalb, w e i l Streitigkeiten, die verfassungsgerichtlicher Streitentscheidung unterstellt würden, heute häufig „keine echten föderat i v e n Streitigkeiten, sondern Streitigkeiten zwischen politischen Richtungen innerhalb des Gesamtstaates sind, die i n der F o r m der bundesstaatlichen Streitigkeit verfassungsgerichtlich ausgetragen werden". Vgl. ebd., S. 108 f. Dies w i r d besonders deutlich bei den BVerfGE 8, 122 (138); (Volksbefragungsurteil) ; 12, 205 (254) (Fernsehurteil). 85
Ebd., S. 109. Uber die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten bzw. zur Bundestreue, die sowohl i m Verhältnis Bund—Länder als auch unter den L ä n d e r n gilt, vgl. grundlegend u n d i m Überblick B V e r f G (Hg.), A r t . 20 I I , „ D e r B u n d u n d die Länder — Allgemeines", insbes. die Abschnitte: „Rechtspflicht des Bundes zur Bundestreue"; „Rechtspflicht der Länder zur Bundestreue"? „Bundestreue der Länder untereinander", m i t zahlreichen Nachweisen zu entsprechenden BVerfGE. 36
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Anhang D./E. Verfassungsgrundsätze
u n d Verwaltungsakten sowie hinsichtlich von Verfahrensweisen auf die jeweiligen anderen Interessen Rücksicht zu nehmen haben 3 7 ." Z u r Ergänzung u n d Erweiterung dieses v o m Grundgesetz her geprägten u n d abgesicherten Verständnisses zur Bundesstaatlichkeit treten v o r allem aus dem Bereich der Föderalismustheorien mehr oder weniger verfassungsrechtlich abgesicherte Grundsätze u n d Normativbestimmungen hinzu, m i t sowohl reformfähigem als auch konkretisierungsbedürftigem Gehalt. Diese unterstreichen u. a. auch die Dringlichkeit der Erarbeitung einer allgemein akzeptierten, die Verfassungspraxis angemessen erfassenden Bundesstaatstheorie 3 8 , bei der vor allem auch die gesellschafts- u n d planungsrelevante Problematik i m Sinne ihrer praxeologischen Lösbarkeit u n d Veränderbarkeit einen zentralen Platz einnehmen muß. I n dieser Richtung verweisen die nachfolgend benannten, dem Grundgesetz u n d Verfassungsanspruch interpretatorisch zugeordneten Theoreme: 1. „Föderalismus als Betonung u n d Selbstverwaltung" 3 9 ;
landsmannschaftlicher
Selbstbestimmung
2. „Föderalismus als regionale Selbstbestimmung u n d Selbstverwaltung u n d damit als Element einer Demokratie i n kleinen Einheiten ( Ü b e r s c h a u b a r keit, Problemnähe)" 4 0 — oder allgemein: Föderalismus als Grundlage zur Förderung der D e m o k r a t i e 4 1 ; 3. „Föderalismus als System pluraler Entscheidungszentren, das eine K o n kurrenz des Willens u n d der Lösungsmöglichkeiten repräsentiert" 4 2 — oder allgemein: Föderalismus als Element zur Stärkung der Experimentierfreudigkeit u n d der Fähigkeit zur I n n o v a t i o n 4 3 ; 4. „Föderalismus als System geteilter Machtausübung u n d K o n t r o l l e " 4 4 — oder allgemein: Föderalismus als förderndes Instrument zur Gewaltentrennung u n d zur Intensivierung der Rechtsstaatlichkeit 4 5 ; 5. Föderalismus als System zur Realisierung von Vielfalt i n Einheit; 6. Föderalismus als Stabilisierungselement 4 6 . 37
Schnapp, A r t . 20, Rdnr. 9. I. d. S. äußert sich ζ . B. Lambrecht, S. 199, indem sie betont, daß es trotz eines Mindeststandards von bundesstaatlichen Legitimations- u n d Funktionsschemata der Staatsrechtslehre bis heute nicht gelungen ist, eine adäquate Bundesstaatstheorie zu entwickeln, die der „Demontage des Bundesstaates" entgegenzuwirken und dem Föderalismus auch i m Bewußtsein der Bevölker u n g N o r m a t i v i t ä t zu verleihen vermag. 39 Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), S. 14. 40 Ebd., S. 14. 41 Sinngemäß zitiert i n A n l e h n u n g an: Wittkämper, Begründung, S. 8; hier werden ebenfalls einige jener Argumentationsmuster angeführt, die stets aufs neue gegen den föderativen Staatsaufbau vorgebracht werden, so ζ . B. „Föderalismus beeinträchtigt den Gleichheitsgrundsatz"; Föderalismus sei „teuer"; Föderalismus mache politische Entscheidungen „schwerfällig"; vgl. auch: Informationen zur Politischen B i l d u n g 169/1976; Föderalismus: Die Bundesrepublik als Bundesstaat, S. 8 f. 42 Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), S. 14. 43 Vgl. Wittkämper, Begründung, S. 8. 44 Friedrich-Naumann-Stiftung (Hg.), S. 14. 45 Vgl. Wittkämper, Begründung, S. 8. 46 Ebd. 38
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easprinzip
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Wollte man diese Theoreme befriedigend operationalisieren und/oder normativ-empirisch konkretisieren, so müßte dies i m Wege der beiden interdependenten Positionen der wissenschaftstheoretischen Durchdringung u n d Aufbereitung der Materie einerseits u n d der praxisorientierten Analyse der real existierenden S t r u k t u r e n der Problemfelder andererseits geschehen. So unverzichtbar prinzipiell die Analyse der politikwissenschaftlichen Diskussion unter Einbeziehung bestehender Theorien zum Föderalismus ist, so wenig ist dieser Schritt u n d Anspruch i m Rahmen der gesetzten Prioritäten dieser A r b e i t leistbar. So sollen die abschließenden Hinweise genügen, daß z . B . i m Raumordnungsgesetz u n d der durch dieses rechtlich verfaßten, übergeordneten u n d überörtlichen Raumplanung/Raumordnung rechtsverbindliche Konkretisierungsversuche dieser Grundsätze auffindbar sind. U n d zwar sind es nicht n u r durchgängig die zuvor skizzierten, verfassungsimmanenten Einzelmerkmale des Föderalismus — w i e jene der Zweistufigkeit des Staatsaufbaues; der Abgrenzung, Zuständigkeit u n d allseitigen Verbindlichkeit von raumbedeutsamen Bundes- u n d Landesmaßnahmen, der Bundestreue etc. — sondern es sind auch die mittelbare u n d unmittelbare Konkretisierung der Theoreme, so z.B.: die Betonung der landsmannschaftlichen Selbstbestimmung u n d Selbstverwaltung i n § 2 Abs. 1 Nr. 8 ROG; die Forderung nach Ausgestaltung regionaler Selbstbestimmung u n d Selbstverwaltung i n §5 Abs. 3 ROG; die Gewährleistung u n d B i l d u n g pluraler Entscheidungszentren i n den §§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Abs. 5 ROG.
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