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German Pages 431 [434] Year 2020
Astrid von Schlachta
Täufer
Von der Reformation ins 21. Jahrhundert
utb 5336
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Astrid von Schlachta ist Privatdozentin am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Regensburg und Leiterin der Mennonitischen Forschungsstelle in Weierhof.
Astrid von Schlachta
Täufer Von der Reformation ins 21. Jahrhundert
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
Umschlagabbildung: Die Zweite Zürcher Disputation vom 20. März 1525. Zeichnung um 1605 von Heinrich Thomann aus der Kopie von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte (Zentralbibliothek Zürich, Ms. B 316, Fol. 182v) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5336 ISBN 978-3-8252-5336-3 (Print) ISBN 978-3-8385-5336-8 (ePDF)
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Inhalt Einleitung
Eine 500-jährige Geschichte Eine Frage der Benennung und der Perspektive
1.
2.
3.
4.
Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
1.1. Die Reformation 1.2. Erste täuferische Ideen 1.3. Ausbreitung 1.4. Verfolgung 1.5. Rechtsnormen Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur
9 9 11 15 15 20 37 54 66 72 72
Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
73 73 76 90 95 106 111 112
Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
113 113 119 124 131 139 147 147
Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
149 149 154
2.1. Fremdbilder 2.2. Selbstbilder 2.3. Versammlungen. Vom verborgenen Leben 2.4. Am Ende der Zeiten 2.5. Gütergemeinschaft. Hutterisches Leben in Mähren Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur 3.1. Mystik 3.2. Rechtfertigung 3.3. Taufe 3.4. Politik 3.5. Bekenntnisse Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur
4.1. Namen. Von der Macht der Begriffe 4.2. Zuschreibungen. Die Gefahr der Täufer für die Gesellschaft
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Inhalt
4.3. Gewissensfreiheit. Forderungen nach Tolerierung 4.4. Privilegien. Politische Mittel der Tolerierung 4.5. Die Märtyrer. Zwischen Scheiterhaufen und „Märtyrer-Spiegel“ Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur 5.
Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
5.1. Migrationen 5.2. Preußisch-polnische Gebiete 5.3. Schweiz 5.4. Siebenbürgen 5.5. Nordamerika und Russland Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur 6.
Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung 6.2. Differenzen. Die Entstehung der Amischen 6.3. Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen 6.4. Erfolg. Das wirtschaftliche Leben von Mennoniten und Amischen 6.5. Politik. Glaubensprinzipien und Bürgerpflicht Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur 7.
156 163 168 172 173 175 175 177 180 185 187 190 190 193 193 202 205 223 228 235 235
Integration – Prozesse der Akkulturation 237 7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit 237 7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung 247 7.3. Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten 267 7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel 280 7.5. Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland 293 Fragen zur Reflexion 313 Weiterführende Literatur 314
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Inhalt
8.
9.
Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
8.1. Divers. Mennoniten weltweit 8.2. Diktatur. Mennoniten im Nationalsozialismus 8.3. Neuanfang. Zwischen West-Pazifismus und DDR-Regime 8.4. „Old Order“. Von der Herausforderung, das Richtige zu bewahren 8.5. Rückwanderung. Russlanddeutsche Gemeinden in der Bundesrepublik Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
9.1. Geschichtsschreibung aus täuferischer Perspektive 9.2. Die Täufer in der Geschichtsschreibung 9.3. Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick 9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst 9.5. Erinnerungsorte – Täuferspuren in Europa Fragen zur Reflexion Weiterführende Literatur
315 315 320 334 340 344 348 348 349 349 353 359 367 377 381 382
Was bleibt von den Täufern?
383
Anhang
389 389 391 391 409 411 413 423
Glossar Abkürzungen Quellen Liste der QR-Codes Abbildungsverzeichnis Personenregister Ortsregister
Eine 500-jährige Geschichte
Einleitung Viele Narrative gibt es über die Täufer und Täuferinnen der Frühen Neuzeit: arme Verfolgte, standhafte Gläubige, frühe Pazifisten, erste Friedenskirche und erste Freikirche, Nonkonformisten, Kämpfer für Freiheit und Toleranz, und manchmal erscheinen sie fast als Wegbereiter für die moderne Demokratie. Mit jedem dieser Narrative verbinden sich klare handlungsleitende Botschaften, die der Nachwelt „die“ Lehren aus der täuferischen Geschichte vermitteln sollen. Doch wer waren die historischen Täufer wirklich? Wie entwickelten sie sich im Kontext der Reformation und der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts? Und wie veränderten sich die Täufer über die Zeitspanne der vergangenen 500 Jahre, vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen? Welchen Wandel vollzogen die verfolgten und abgesonderten Gemeinden des 16. Jahrhunderts im Verlauf der Frühen Neuzeit und in der Moderne?
Eine 500-jährige Geschichte 2025 jährt sich die erste täuferische Glaubenstaufe zum 500. Mal. Am 21. Januar 1525 tauften sich Teilnehmer eines kleinen Konventikels, denen die Reformen Ulrich Zwinglis nicht konsequent genug waren, gegenseitig. Der nahen und fernen Auswirkungen dieses Ereignisses dürften sich diese Täufer gar nicht bewusst gewesen sein. Die Gruppe um die humanistisch gebildeten Züricher Bürger Felix Mantz und Konrad Grebel setzte mit ihrer Taufe ein deutliches Zeichen der Kritik an den gesellschaftlich-geistlichen Strukturen im Corpus Christianum. Sie griff eine Stimmung auf, die nicht nur in Zürich, sondern auch in anderen Teilen Europas der Reform von Kirche und Gesellschaft eine etwas andere Richtung geben wollte als Martin Luther und Ulrich Zwingli. Weitere Taufen folgten, so dass die neue Bewegung rasch Anhänger gewann. Der täuferische Weg bildete einen selbstbewussten Teil der Reformation – einen dritten Weg oder den „dritten Flügel der Reformation“. Mit ihren Lehren stellten die Täufer jahrhundertealte Prämissen des christlichen Lebens im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation infrage. Sie haben ganz massiv versucht, die Grenzen der Gesellschaft zu erweitern: durch die Ablehnung von Waffendienst und Eidesleistung, durch ihre Weigerung, sich den territorialstaatlichen Kirchen unterzuordnen, durch ihr gemeinsames
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Einleitung
Bibelstudium und die Auslegung der Bibel durch die Gemeinschaft der Gläubigen, nicht durch einen Geistlichen. Doch diese Vorstellungen waren mit den politischen Normen des 16. Jahrhunderts nicht vereinbar. Die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten bekämpften die Täufer von Anfang an. Auf ihr Bekenntnis stand die Todesstrafe. Trotz aller Verfolgungsmaßnahmen überlebten die Täufer, und in vielen Territorien des Alten Reichs und benachbarter Gebiete bildeten sich Gemeinden, die sich in Mennoniten und Hutterer unterteilten; später kamen die Amischen dazu. Das Recht und die regionalisierte Struktur des frühneuzeitlichen Alten Reichs halfen ihnen beim Überleben. Einladungspatente von Herrschern, die Untertanen gewinnen wollten, gewährten auch den Täufern Bleiberecht. Und spezielle Privilegien ermöglichten ein Leben nach den täuferischen Glaubensgrundsätzen. Was 1525 als Bewegung von Laien begonnen hatte, mündete in die Entstehung von Gemeinden, die in der zweiten und dritten Generation eine Konfessionsbildung durchliefen. Sie ging einher mit einer Hierarchisierung und der Etablierung geistlicher Autoritäten. Die Anfänge in der Schweiz wurden im 20. Jahrhundert lange als Idealbild gesehen, das die Ideen der Täuferbewegung am besten verkörperte – Gewissensfreiheit, Trennung von Staat und Kirche und die Freiwilligkeit der Religionsausübung. Alle anderen täuferischen Gruppen wurden am Schweizer Modell gemessen. Mittlerweile hat die Täuferforschung diese normative Phase hinter sich gelassen und die Diversität der gesamten Bewegung herausgearbeitet. So ist es auch gar nicht mehr so einfach zu sagen, wann die Täuferbewegung wirklich begann. 500 Jahre – das bedeutet, die Täufer über die Jahrhunderte in ihrer jeweiligen Zeit zu sehen und sie konsequent zu kontextualisieren. Die Rahmenbedingungen haben sich oft gewandelt; die Täufer haben sich oft geändert, was ihre Einstellung zur Gesellschaft betraf. Auch die Strukturen in den Gemeinden und deren geistliche Ausrichtung waren nie gleich. Die Interaktion mit anderen geistlichen Strömungen und Konfessionen brachte neue, manchmal aber auch wieder alte Ideen neu in die Gemeinden hinein. Die Integration in die Gesellschaft und die Akkulturation stellten alte Vorstellungen von der abgesonderten Gemeinde infrage. 500 Jahre Täufer – das ist eine Geschichte von Erneuerung und Erstarrung, von Traditionalisierung und Reformen und dem stetigen Wunsch nach geistlicher Neubelebung. Die Täuferbewegung und die aus ihr hervorgegangenen Gemeinden waren über die gesamten 500 Jahre von Diversität geprägt. So greift die Unterteilung in Mennoniten, Hutterer und Amische fast zu kurz, da auch in den Untergruppen
Eine Frage der Benennung und der Perspektive
Pluralität herrschte. Heutzutage gibt es ein breites Spektrum an Gemeinden, die sich auf die Täufer zurückführen – am bekanntesten, weil in den Medien besonders präsent, dürften die „old order“-Gruppen in Nord-, Mittel- und Südamerika sein. Doch das Bild ist wesentlich bunter und die „old order“-Gruppen bilden nur einen geringen Prozentsatz. Weltweit verbreitet sind die Mennoniten, die unter ihrem Dachverband, der Mennonitischen Weltkonferenz, 2,13 Millionen Mitglieder in 86 Ländern haben und besonders in Südostasien, Afrika und Südamerika stark wachsen. Darüber hinaus führen sich jedoch auch später entstandene Konfessionen, etwa die Baptisten, auf die täuferische Tradition zurück. Die Church of the Brethren wird ebenfalls zu den täuferischen Kirchen gezählt, ebenso die Meserete Kristos in Äthopien.
Eine Frage der Benennung und der Perspektive Wie vielfältig die Täufer waren, diese Wahrnehmung fehlte schon in anti-täuferischen Schriften des 16. Jahrhunderts nicht. Wenn der reformierte Theologe Heinrich Bullinger 1531 schreibt, die Täufer hätten unter sich selbst „mancherley secten“, dass sie „ein andren selbs dem Tüfel schenckend und verbannend“,1 dann greift er in der Überzeichnung die Tatsache auf, dass die verschiedenen täuferischen Gruppen sich manchmal ziemlich konfrontativ und ausgrenzend begegneten – und sich insgesamt nicht als eine Gemeinschaft verstanden. Diese Pluralität birgt das Problem der Namen und Benennungen. Der Begriff „Täuferbewegung“ beziehungsweise „Täufertum“ suggeriert eine Einheitlichkeit, die nicht vorhanden war. Doch Namen legen fest und definieren, und diese Funktion erfüllte der Begriff „Täufer“ beziehungsweise zeitgenössisch „Wiedertäufer“, der eine obrigkeitliche Zuschreibung war. Die Gläubigen selbst nannten sich „Bruder“ und „Schwester“. „Wiedertäufer“ dagegen diffamierte und kriminalisierte und trug schon bald die Konnotation des politischen Aufruhrs. Auch spätere Bezeichnungen, die sich in der Geschichtsforschung durchgesetzt haben – etwa „dritter Flügel der Reformation“, „linker Flügel der Reformation“ oder „radikale Reformation“ –, stellen zeitgebundene Klassifizierungen dar, die immer mal wieder hinterfragt werden sollten. Denn mit den Titulierungen „radikal“ und „links“ verbinden sich ganz bestimmte Vorstellungen, die von unserem heutigen politischen Verständnis geprägt sind, und die Bilder erzeugen, die im Denken des 21. Jahrhunderts verankert sind. „Radikal“ müsste 1
Bullinger, Von dem unverschamte frävel, VIII.
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Einleitung
zumindest erklärt werden, denn spiegelt sich hier nicht gerade ein Vorwurf wider, der den Täufern immer wieder das Bein gestellt hat, nämlich wie 1525 im Bauernkrieg gewaltsam für eine bessere Welt gekämpft zu haben? Die Täufer waren insofern radikal, als sie politisch-soziale Kategorien infrage stellten und in der Umsetzung ihrer Ideen sehr konsequent waren. Der Pastor der Mennonitengemeinde Emden, Abraham Fast, sprach in seinem Vortrag zum 400-jährigen Täufergedenken 1925 von den Täufern als „Radikale“, weil sie an die „Wurzel des Übels“ gingen.2 Auch beim Begriff „linker Flügel“ drängen sich gedanklich politische Kategorien auf, die sich erst im 19. Jahrhundert herausgebildet haben. „Rechts“ und „links“ waren Einordnungen für die Parteien im Frankfurter Paulskirchenparlament von 1848. „Links“ saßen die Sozialisten und Kommunisten; die Täufer des 16. Jahrhunderts in diese politische Ecke zu rücken, erscheint geschichtsklitternd. Die Bezeichnung „linker Flügel der Reformation“ geht eigentlich auf den amerikanischen Historiker Roland Bainton zurück. Charakteristikum der „Linken“ war für ihn, den Einfluss des Territorialstaates auf die Gemeinden zurückzuweisen.3 Heinold Fast, Historiker und Mennonitenpastor in Emden, übernahm den Begriff dann für den deutschen Sprachraum. Er verwendete den Begriff, um den Bruch mit der unmittelbaren Vergangenheit, mit dem Althergebrachten, zu unterstreichen, den die Täufer vollzogen – wie eben die linken Parteien von 1848. Begriffe können historische Realitäten also verzerren, wenn sie in einer anachronistischen Art und Weise auf frühere Zeiten übertragen werden. Rückblickende Betrachter pressen die Täufer so in Kategorien, die späteren Weltbildern entstammen und die historische Entwicklung schnell in ein falsches Licht rücken. Alles eine Frage der Perspektive – auch die Klassifizierung der Täufer als „konfessionelle Devianz“, also als Abweichung. Denn wer legt die Normen fest und definiert, was „normal“ ist? Im Fall der Täufer zeigt erst die weitere Geschichte der Frühen Neuzeit, wie auch die Betroffenen selbst allmählich die Normen im politischen Raum verändern konnten. Die täuferische Geschichte war lange eine von Männern geschriebene und jedenfalls nach außen eine von Männern dominierte. Dies spiegelt sich in den Quellen, den offiziellen Stellungnahmen und Korrespondenzen, in den theologischen Schriften und in den Beiträgen in den mennonitischen Zeitschriften, 2 3
Fast, Das Mennonitentum, S. 11. Bainton, Left Wing, S. 125.
Eine Frage der Benennung und der Perspektive
die im 19. Jahrhundert entstanden, wider. Die ersten Pastorinnen gab es in den deutschen Mennonitengemeiden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deshalb kann in der folgenden Darstellung – leider – oft auf eine gegenderte Form der Bezeichnungen verzichtet werden, da tatsächlich nur die Männer in Erscheinung traten. Wenn es jedoch um die Gemeinschaften, ihre Überzeugungen und Lebensweise geht, sind bei der Verwendung des Plurals die Frauen stets mitgemeint. Im Wesentlichen sind drei Monografien zu erwähnen, die die Täufer in umfassenderer Weise darstellen – George H. Williams „Radical Reformation“ (1962), Hans-Jürgen Goertz’ „Die Täufer“ (1980) und Diether Götz Lichdis „Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart“ (2004). Seit dem Erscheinen dieser Monografien ist einiges passiert. Die Historiografie hat sich einerseits von der Konzentration auf die täuferischen Führer und Prediger abgewandt, und gleichzeitig hat sich die Fokussierung auf das „revolutionäre“ Element der Täufer abgeschwächt. Die Täuferforschung hat Impulse aus der Neueren Kulturgeschichte aufgenommen. Der „gemeine Mann“ – und hinter diesem zeitgenössischen Begriff verbargen sich immer auch die Frauen – rückte ins Blickfeld. Begriffsgeschichtliche Analysen brachten neue Erkenntnisse über die politische Seite der Täufer. Zudem ist die „Erfolgsgeschichte Täufertum“, die im 20. Jahrhundert lange postuliert wurde, relativiert worden durch die Beschreibung von Brüchen und weniger gradlinigen Entwicklungen. Dies hat auch zu einem neuen Blick auf manchmal als „nicht-täuferisch“ deklarierte Gruppen geführt, etwa spiritualistisch ausgerichtete Gemeinden und die „Münsteraner“. Wenn der Blick auf die 500-jährige Geschichte der Täufer etwas deutlich macht, dann Folgendes: Wandel ist normal. Die Täufer waren stets Kinder ihrer Zeit. Ohne die Mennonitische Forschungsstelle Weierhof hätte dieses Buch nicht in dieser Form entstehen können. Nicht nur wegen des unermesslichen Schatzes an Literatur und Quellen, die dort vorhanden sind, sondern auch wegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ohne ihre meist ehrenamtliche Tätigkeit würde der Betrieb nicht laufen. Gewidmet ist dieses Buch jedoch dem Gedenken an PD Dr. Marion Kobelt-Groch († ), die eigentlich bei diesem Projekt hätte mit „an Bord“ sein sollen.
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1.1. Die Reformation
1.
Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
1.1.
Die Reformation
1.1.1. Reformen und Veränderungen um 1500
Als der spätere Täufer Jakob Huter um 1500 im kleinen Weiler Moos bei St. Lorenzen im Pustertal geboren wurde, lag Veränderung schon in der Luft. Die Devotio Moderna, eine Reformbewegung des 15. Jahrhunderts, hatte in der katholischen Kirche ihre Anhänger gefunden. Sie nahm Ideen vorweg, die dann in der Reformation zum Durchbruch gelangten. Jesus Christus und das Wort Gottes sollten im Mittelpunkt stehen und nicht die äußeren Formen, die Zeremonien und Rituale. Das Glaubensleben sollte durch eine tiefe innere Frömmigkeit geprägt sein. In Tirol war der Brixner Bischof Nikolaus von Kues (1401-1464) Anhänger der Devotio Moderna. Er versuchte, die Klöster zu reformieren, das Konkubinat einzuschränken und die Frömmigkeit zu stärken, und er predigte auf Deutsch. Gleichzeitig prangerte Nikolaus von Kues die Auswüchse im Wallfahrtswesen und in der Heiligenverehrung an. Gnade sollte nicht Devotio Moderna käuflich sein. Nikolaus von Kues war nicht der Einzige – überall gab es katholische Geistliche, die sich tiefgreifende Reformen auf die Fahnen geschrieben hatten. Doch trotz aller Anstöße waren die Missstände innerhalb der Kirche, die, so Helga Schnabel-Schüle, zu einer „unverhohlenen Kommerzialisierung aller Frömmigkeitsformen“ und zur „Selbstentzauberung der Kirche“ geführt hatten,1 weiterhin in den Tiroler Pfarreien offensichtlich. So heißt es, dass noch im frühen 16. Jahrhundert Pfarrstellen mit fremdsprachigen Geistlichen besetzt waren, die kein Deutsch sprachen, oder Pfarrer mehrere Gemeinden gleichzeitig betreuen mussten. Die geistliche Versorgung der Gläubigen war mehr als verbesserungswürdig. Die daraus erwachsende Unzufriedenheit machte die Menschen offen für die reformatorischen Bewegungen. Tirol gehörte politisch zur Habsburgermonarchie. Seit 1521 herrschte hier Erzherzog Ferdinand I., von dem die Chronik der Hutterer, das „Geschichtbuch“, berichtet, er habe 1536 bei der Verbrennung Jakob Huters auf dem Balkon des „Goldenen Dachls“ in Innsbruck gestanden und zugesehen. Um die ver1
Schnabel-Schüle, Voraussetzungen, S. 4.
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1. Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
schiedenen Erblande zu verwalten, saß in jeder Landeshauptstadt – für Tirol in Innsbruck – eine Regierung, die sich nach den Direktiven des Erzherzogs zu richten hatte. In der Verfolgung der Täufer nahm die Regierung eine sehr harte Haltung ein, während untergeordnete lokale Behörden die Täufer auch schützten. Hier, auf der lokalen Ebene, waren die personellen Verflechtungen viel enger, und es kam nicht selten vor, dass es in der Familie eines Amtsträgers Anhänger des täuferischen Glaubens gab. Der Blick auf Tirol führt beispielhaft vor Augen, mit welchen weltlichen und geistlichen Rahmenbedingungen die Täufer konfrontiert waren. Der Boden war durch spätmittelalterliche Reformideen und die frühe Reformation vorbereitet, so dass die täuferische Saat aufgehen konnte. Doch es war ein zartes Pflänzchen, das in seinem Wachstum durch harte rechtliche Schritte gleich wieder beschnitten wurde. Allerdings war die Rechtspraxis keineswegs überall gleich. Das Alte Reich, das sich unter Kaiser Maximilian I. politisch reformiert hatte und anfing, „frühmodern“ zu werden, war nicht sehr zentralistisch ausgerichtet, sondern eher ein Verband oder föderaler Zusammenschluss. So legten die Territorialfürsten die kaiserlichen Normen unterschiedlich aus – und nicht überall folgte für die Täufer gleich die Todesstrafe. Seit dem 19. Jahrhundert feierte die protestantisch geprägte Historiografie die Reformationszeit als eine Epoche des Aufbruchs. Doch, so der Reformationshistoriker Heiko A. Obermann, in Luthers Augen war seine Reform nicht der Beginn der Moderne, sondern der Beginn der Endzeit.2 Auch die Täufer wähnten sich am Ende der Zeiten, denn die im Nachhinein Aufbruch als Modernisierung eingestuften Veränderungen verunsicherten oder Endzeit? die Zeitgenossen erst einmal. Die Medienrevolution, die mit dem Buchdruck verbunden war, konfrontierte die Menschen schneller mit mehr Nachrichten. Neue, fremde Welten rückten näher. Die Entdeckung Amerikas hatte die geografischen Vorstellungen verändert, ebenso wie Nikolaus Kopernikus mit seinem heliozentrischen Weltbild alle Ideen von der Position der Erde im Planetensystem. Das Heranrücken der osmanischen Truppen, die 1453 Konstantinopel eingenommen hatten und 1529 Wien belagerten, sorgte für ein Gefühl der Bedrohung in Mitteleuropa. Ordnungsvorstellungen, die über Jahrhunderte das politisch-gesellschaftliche Gerüst gebildet hatten, gerieten ins Wanken. Seit dem späten Mittelalter wuchs die Kritik an der ständischen Ordnung und kanalisierte sich zunächst in einigen Bauernaufständen – der „Bund2
Oberman, Luther, S. 266 f.
1.1. Die Reformation
schuh“ ist sicherlich der bekannteste –, bis sie schließlich in die Bauernkriege der 1520er Jahre mündete. Bürger in den Städten solidarisierten sich mit den Bauern und forderten Reformen im System der Abgaben und Abhängigkeiten der unteren Stände von Adel und Kirche. Ebenfalls bereits im späten Mittelalter geäußerte Kritik an der Kirche griffen die Reformatoren auf, so dass auch in diesem Bereich alte Autoritäten infrage gestellt wurden. Die Einheit von Politik und Kirche im Corpus Christianum geriet unter Druck. 1.1.2. Verschiedene Wege der Reformation
Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablass brieflich an zwei Bischöfe schickte, stieß er eine Debatte an, die bald ihre Kreise zog. Möglicherweise erreichte Luther am 31. Oktober eine noch breitere Öffentlichkeit, indem er seine Thesen auch – wie üblich, wenn Bekanntmachungen veröffentlicht werden sollten – an die Kirchentür der 95 Thesen Wittenberger Schlosskirche anschlug. Nachweisen lässt sich dies Martin Luthers allerdings nicht. Neuere Forschungen haben herausgearbeitet, wie tief Martin Luther mit seinem Weltbild und seinen Glaubensvorstellungen im Mittelalter verankert war. So lässt sich seine Rechtfertigungslehre auf den Kirchenvater Augustin sowie auf die Mystiker Bernhard von Clairvaux und Johannes Tauler, aber auch auf die anonym erschienene „Theologia deutsch“ zurückführen; Letztere brachte Luther 1518 noch einmal in Druck. Auch die 95 Thesen verweisen auf Luthers spätmittelalterlich geprägte Frömmigkeit, die ein sehr tiefes Verständnis von Buße beinhaltete und von der Frömmigkeit seines Beichtvaters Johann von Staupitz geprägt war. Deshalb waren die 95 Thesen nicht nur eine Kritik am Ablass selbst und an der missbräuchlichen Verwendung des durch den Ablass eingenommenen Geldes. Dieses ging beispielsweise im Fall Albrecht von Brandenburgs, der Erzbischof von Magdeburg und gleichzeitig Bischof von Mainz war, geradewegs an die Fugger, die ihm Kredite zur Verfügung gestellt hatten, um den kirchlichen Dispens für seine Ämterkumulation bezahlen zu können. Luther zielte mit seiner Kritik auch auf eine intensivere, verinnerlichte Frömmigkeit, bei der Reue, Buße und Gnade im Mittelpunkt stehen sollten. Keine priesterliche Vermittlung oder im Nachhinein auferlegte Strafe dürften mit der Buße verbunden sein. Die 95 Thesen dienten Luther dazu,
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1. Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
„die Kirchenfürsten zum wahren Verständnis der Buße zurückzurufen“, so Volker Leppin 2016.3 Allerdings waren der Weg zur Reform und die Geschwindigkeit keineswegs klar. Während Luther selbst auf die Landesfürsten setzte und von ihnen eine Neuordnung des Religionswesens erwartete, erhoffte sich sein Wittenberger Professorenkollege Andreas Bodenstein von Karlstadt die nötigen Impulse für den Aufbruch von den Städten, wie 1521/22 in WittenGemeindeberg. Auch forderte er wesentlich schnellere Reformen als Luther, reformation der die „Schwachen“ mitnehmen wollte. Eine Hoffnung, die die Bauern aufgriffen, und mit der sie 1525 bei Frankenhausen untergingen. Und auch Ulrich Zwingli sah in den Städten und Gemeinden jene Einheiten, in denen die geistlichen Angelegenheiten verhandelt werden sollten. Die Täufer stimmten ebenfalls in den Ruf nach Reformen ein, doch ging ihnen der Reformwille eines Martin Luther und eines Ulrich Zwingli nicht weit genug. Besonders die enge Verzahnung von Politik und Religion entsprach nicht ihren Vorstellungen. Sie sonderten sich von den übrigen reformatorischen Strömungen ab und versuchten, eigene Gemeinden zu gründen. Oft scheiterten sie, denn zu massiv war ihr Bruch mit den hergebrachten Ordnungsvorstellungen. Es entstanden geheime Untergrundkirchen, auf deren Entdeckung Verfolgung und Tod standen; Migration wurde zum Kennzeichen täuferischer Existenz. Stand Luther am Anfang? Oftmals scheint es so, weil der Thesenanschlag wie die lautstarke Ouvertüre der Reformation wirkt. Doch es waren verschiedene Stränge der Reformen, die sich in den Kontakten zwischen den Akteuren, in den Diskursen, im Austausch von Schriften und im Transfer von Ideen zusammenführen lassen. Zwingli berichtet rückblickend, Ulrich Zwingli dass er 1516 begann, ganz der humanistischen Tradition folgend und geprägt von Erasmus von Rotterdam, sich in seinen Predigten stärker an der Bibel selbst zu orientieren – die am Morgen in der Messe gelesenen Bibelstellen „allein uß biblischer gschrifft“ auszulegen.4 Als Leutpriester am Großmünster in Zürich, wo er ab 1519 wirkte, brach er schließlich mit der altkirchlichen Perikopenordnung und legte das Matthäus-Evangelium fortlaufend aus. Unterstützung erhielt er von den Bürgern der Stadt und dem Stadtrat, die ihrerseits vor Augen hatten, sich vom geistlichen Oberherrn, dem Bischof von Konstanz, zu emanzipieren. 3 4
Leppin, Die fremde Reformation, S. 67. Zit. nach: Kaufmann, Erlöste und Verdammte, S. 144.
1.1. Die Reformation
Hintergrund Reformatorische Öffentlichkeit Der Begriff „reformatorische Öffentlichkeit“ beschreibt den Kommunikationsraum, in dem verschiedenste Kommunikationsmittel dazu beitrugen, die reformatorische Botschaft zu verbreiten. Da die Alphabetisierungsrate niedrig war, hatte die mündliche Vermittlung weiterhin eine wichtige Funktion. Sie wurde ergänzt durch Druckschriften, Flugschriften und Bilder, die durch den Einsatz der Druckerpresse massenhaft hergestellt werden konnten. Die Öffentlichkeit war aber auch geprägt von Diskussionen, Disputationen und Religionsgesprächen. Hinzu kamen Gesang und Schauspiel. In diesem Kommunikationsraum wurde das Evangelium verkündet und es fanden Diskussionen statt, die zur Meinungsbildung beitrugen.
Zwingli predigte zudem, wie schon an früheren Pfarrstellen, gegen Ablass und Heiligenverehrung sowie gegen das ausufernde Wallfahrtswesen. Die Kirche sollte sich am Vorbild der Urgemeinde in der Apostelgeschichte orientieren. Die „evangelische Freiheit“ wurde zum Schlagwort. In der Passionszeit des Jahres 1522 fand diese ihren sichtbaren Ausdruck im bekannten „Fastenbrechen“ im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer – einem wohl als Provokation gedachten Wurstessen. Am 23. März 1522 hatte Zwingli in einer Predigt mit dem Titel „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ gefordert: „Habend ouch angehebt die euangelisch leer und fryheit trülich umbfahen und zuo üch trucken, das üch, nachdem ir die suesse des himelischen brots, darinn der mensch lebt, versuocht und empfunden haben, dhein [sic!] andre spyß menschlicher leer fürhin hat wellen schmecken.“5 Die „reformatorische Öffentlichkeit“ brach sich über verschiedene Medien Bahn. 1520 erschienen drei große Schriften von Luther – „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und „De captivitate Babylonica“. Sie stehen beispielhaft für die Öffentlichkeitswirkung der reformatorischen Debatten. Luthers PublikatioReformatorische nen erreichten bis dahin nicht gekannte Auflagenstärken, auch die Öffentlichkeit Flugschriftenproduktion blühte. In Disputationen verhandelten
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Zit. nach: Egli / Finsler, Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, S. 89.
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1. Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
Gelehrte die Reformideen und die reformatorische Bewegung wurde immer breiter. Die Reformation war nicht regional begrenzt. Kontakte bestanden hie und da, der Ideentransfer überwand die territorialen Grenzen und der Gedanke, sich von bestehenden Autoritäten zu emanzipieren und den Aufbruch aus Strukturen zu wagen, die als überkommen wahrgenommen wurden, griff um sich. Jede Reform musste jedoch abgesichert werden, was zur Abgrenzung vom jeweils „Anderen“ führte. Luther verwahrte sich gegen die Bilderstürmer, die kämpfenden Bauern, die „Wiedertäufer“ und die „Schwärmer“. Zwingli versuchte ebenfalls, seine eigene Linie gegen die „abweichlerischen“ Täufer und die rebellierenden Bauern durchzusetzen. Und die Täufer meinten, mit ihrem „Schritt weiter“ auf dem einzig richtigen Weg zu sein. Jeder definierte Rechtgläubigkeit auf seine Weise. Luther sah seine Verbündeten in den Landesfürsten, die ab Mitte der 1520er Jahre als Notbischöfe fungierten und wichtige kirchliche Dinge regelten – eigentlich nur übergangsweise, dann jedoch verstetigt. Zwingli setzte auf den Stadtrat und auf Disputationen, bei denen Glauben verhandelt wurde. Und die Täufer beschritten den „engen Weg“, der nur den „wahrhaft Gläubigen“, abgesondert von der „Welt“, vorbehalten war.
1.2.
Erste täuferische Ideen
Heinbach bei Esslingen: Im Haus von Stefan Bemerlin versammelten sich 1527 regelmäßig Täufer. Seit Mitte des Jahres hielt sich auch der in der Schweiz zum Täufertum übergetretene ehemalige Leutpriester von Basel, Wilhelm Reublin, in der Stadt auf. Nicht nur Häuser in Esslingen selbst oder in umliegenden Dörfern dienten den Täufern als Versammlungsorte, sondern auch die Wälder boten Verstecke – beispielsweise der nahegelegene Katzenbühel, wo 1562 eine Versammlung ausgehoben wurde und für die Anwesenden im Gefängnis endete. Münichau in der Nähe von Kitzbühel: Im dortigen Schloss fand 1528 die Taufe der Adeligen Helena von Freyberg statt, die Anhängerin des täuferischen Glaubens geworden war. In den folgenden Monaten öffnete sie ihr Schloss für durchreisende Täufer, aber auch für täuferische Versammlungen – bis sie selbst unter den Druck der Obrigkeiten geriet und fliehen musste. Sie ging nach Augsburg, wo sie sich in den Kreisen um Pilgram Marpeck aufhielt und auch mit Caspar von Schwenckfeld korrespondierte.
1.2. Erste täuferische Ideen
Hintergrund Die Entwicklung der Bekenntnisgemeinschaften 1530 traten die „Protestanten“ mit dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) beim Reichstag in Augsburg auf. Zwingli starb früh, 1531 in der Schlacht bei Kappel. Danach übernahm Zwinglis Nachfolger am Großmünster in Zürich, Heinrich Bullinger, das reformatorische Werk, der 1536 auch federführend bei der Entstehung des Helvetischen Bekenntnisses war. Ein frühes täuferisches Bekenntnis waren die „Artikel von Schleitheim“ (1527).
Bild 1: Pieter Pietersz Bekjen, Darstellung aus dem „Märtyrer-Spiegel“
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1. Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
Berka in Thüringen: Auf einer Straße in der Nähe des kleinen Ortes Berka war der Bauer Fritz Erbe unterwegs, möglicherweise zurück zu seinem Bauernhof in Herda bei Gerstungen. Doch bevor er sein Ziel erreichte, wurde er von einer Frau angesprochen – eine gewisse Katharina, die mit ihm „mancherlei [ … ], vnder anderm der widdertauff “ redete. Fritz Erbe zeigte sich aufgeschlossen und wollte Näheres über diesen Glauben erfahren. Katharina verwies ihn an einen Täuferprediger, der in der Nähe Versammlungen abhielt und Taufen vornahm.6 Emden: In der Großen Kirche predigte 1530 Melchior Hoffman den täuferischen Glauben. Wohl über 300 Personen ließen sich taufen. Hoffman war bestimmt von einer besonderen Schau auf seine eigene Zeit, die er als die letzte aller Zeiten ansah. Für 1533 sagte er die Wiederkunft Jesu Christi voraus. Sie sollte in Straßburg stattfinden. Als das Jahr 1533 verging, ohne dass etwas passierte, änderte Hoffman seine Visionen. Nun erkor er Münster im Jahr 1534 zum „Himmlischen Jerusalem“. Auch Andreas Bodenstein von Karlstadt predigte in Ostfriesland; seine Spuren finden sich unter anderem in Oldersum, Wirdum und Esens. Regensburg: Viele unbekannte Häuser stehen in der heutigen Altstadt, die im 16. Jahrhundert die ersten täuferischen Gemeinden beherbergten. Irgendwo war des „Wisers Haus“, wo 1527 Barbara Würzlburgerin, die Frau des deutschen Schulmeisters Augustin Würzlburger, getauft wurde. 1528 muss sie sich diesbezüglich verantworten. Auch ihr Mann war festgenommen worden. Er war noch verdächtiger, da er durch die Gegend reiste und als Täufer das Evangelium predigte. Viele Orte und viele Aufbrüche des täuferischen Glaubens. „Die ‚Geburtsstunde‘ des Täufertums“, so schreibt Andrea Strübind 2003, „ist umstritten“.7 Zwar markiert die erste täuferische Glaubenstaufe am 21. Januar 1525 in Zürich einen Anfangspunkt, doch war diese nur das sichtbare Zeichen schon länger schwelender Diskussionen. Die Gruppe um jene Geburtsstunden Anhänger Ulrich Zwinglis, die später zu Täufern wurden, stand der Täufer in der Dynamik einer Zeit, die geprägt war vom Wunsch nach religiös-konfessioneller Erneuerung und von Forderungen nach einem gerechteren Ausgleich zwischen Adel, Kirche und Untertanen. Vieles war im politisch-sozialen Leben des frühen 16. Jahrhunderts miteinander verschränkt. 6 7
Wappler, Stellung Kursachsens, S. 138. Strübind, Eifriger als Zwingli, S. 121.
1.2. Erste täuferische Ideen
Bild 2: Verbreitung der Täufer im 16. Jahrhundert
Zwischen sozialreformerischen Ideen blitzten theologische Einsichten und Rechtfertigungen durch und geistliche Aufbrüche brachten ein neues Menschenbild hervor, das Muster der alten Ordnung infrage stellte. Religion und Politik waren im 16. Jahrhundert gar nicht in dem Maße zu trennen, wie dies in späteren Zeiten möglich war oder die historische Forschung dies nachträglich versuchte. In der ersten Hälfte der 1520er Jahre wurde die Unzufriedenheit in einer Gruppe von Zwingli-Anhängern in Zürich und Umgebung immer größer. Der Weg sollte anders verlaufen als Zwingli dies wollte. Diese Gruppe, die als „Proto-Täufer“ bezeichnet werden könnte, nahm die zeitgenössische Diskus-
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sion sehr wachsam wahr und vertiefte sich unter anderem in die Schriften von Andreas Bodenstein von Karlstadt, Jakob Strauß und Thomas Müntzer. Um den Weg jener Ideen nachzuverfolgen, die später die Täufer prägten, also die Kritik an der Kindertaufe und eine Ernsthaftigkeit im christlichen Leben, aber auch die Bedeutung des „gemeinen Nutzens“, muss der Blick bis zum Jahr 1520 zurückgehen, und er wird erst einmal in der Stadt Zwickau hängen bleiben müssen. 1.2.1. Thomas Müntzer und sein Einfluss auf die Täufer
In Zwickau tauchte 1520/21 eine Gruppe von Kirchenkritikern auf, die sich um den Tuchmacher Nikolaus Storch sammelte und später von außen polemisch als „Zwickauer Propheten“ bezeichnet wurde. Ihre klandestinen Versammlungen mit gemeinsamem Bibellesen und einer ausgeprägten Laienfrömmigkeit sowie ihre Kritik an der Kindertaufe und an der „Zwickauer Kirche lassen sie wie ein erstes Aufleuchten täuferischer GedanPropheten“ ken erscheinen. Auch die Diffamierung, die sich mit dem Namen „Zwickauer Propheten“ oder „Schwärmer“, so Luther, verband, scheint den Weg vorzuzeichnen, dem später die Täufer zu folgen hatten. Leider gewähren die Quellen keine tieferen Einblicke in das Leben dieser Gruppe, denn sie wird eigentlich erst aktenkundig, als ihre Mitglieder gegen die Abberufung Thomas Müntzers, der seit 1520 eine Predigtstelle an der Katharinenkirche in Zwickau innehatte, protestieren. Doch bringt ihre Kritik zum Vorschein, dass sie nicht nur an der Kindertaufe zweifelten, sondern die „gotlich schrifft“ auch als „vncrefftig“ ansahen, um die Menschen zu lehren. Der Mensch sollte allein „durch den gaist gelernet werden, den hette got den menschen mit geschrifft wollen gelernt haben, so hatte er vns vom himmel herab ein biblien gesant.“8 Ende Dezember 1521 tauchen Nikolaus Storch und Markus Stübner aus der Zwickauer Gruppe dann in Wittenberg auf, um mit Philipp Melanchthon in Kontakt zu treten. Offenkundig von der spiritualistischen und kritischen Einstellung der zwei Besucher gegenüber der Kindertaufe und dem Abendmahl verunsichert, wandte Melanchthon sich an den sächsischen Kurfürsten und bat ihn, den immer noch auf der Wartburg verweilenden Martin Luther nach Wittenberg zu schicken. Doch erst 1522 traf Luther mit Nikolaus Storch zusammen, was sein Urteil, er habe es mit „Propheten“ und „Schwärmern“ zu tun, festigte. 8
Zit. nach: Kolde, Ältester Bericht, S. 324.
1.2. Erste täuferische Ideen
In Luthers Aussagen wie auch in Bemerkungen von Melanchthon schwang bei der Einschätzung der Zwickauer bereits mit, sie trügen das Potential zu Aufruhr in sich. Nicht so bei Thomas Müntzer, der sich beeindruckt zeigte von der Frömmigkeit und der Glaubenspraxis im Umkreis von Nikolaus Storch. Nach seiner Entlassung in Zwickau kämpfte Müntzer weiter dafür, die Ordnung der Welt mit der Schöpfungsordnung Gottes in Einklang zu bringen. Seiner Auffassung zufolge ersticke das Streben nach den zeitlichen OrdnungsGütern die Gottesfurcht der Menschen. Ideen, die dem Kampf der vorstellungen Bauern für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit einen theologiMüntzers schen Unterboden geben. Es ging nicht vordergründig darum, für eine bessere soziale Ordnung zu streiten. Günter Vogler schrieb 2003, Thomas Müntzer sei es „nicht um Eigentum und Besitz der Reichen und deren Umverteilung“ gegangen, um „soziale Gerechtigkeit herzustellen“, sondern „um das Verhältnis der Menschen zu zeitlichen Gütern überhaupt“.9 Gleichzeitig war auch das Denken Thomas Müntzers stets von der Überzeugung geprägt, in der Endzeit zu leben. Er sah die Zeit des Gerichts über die Welt kommen und bezeichnete sich selbst als „Knecht der Auserwählten Gottes“, der die Zeichen der Zeit richtig erkennen und die Scheidung in Gläubige und Ungläubige begleiten sollte. Müntzer erwartete die Endzeit Sammlung der wahrhaft Gläubigen zunächst in Böhmen, da er der Spiritualität der Böhmischen Brüder eine hohe Bedeutung beimaß. Ob er bereits die Pestepidemie, die Zwickau 1520/21 traf, als ein wichtiges Ereignis der „letzten Tage“ interpretierte, ist nicht ganz klar. Doch gehörte für Müntzer, wie für andere Deuter der endzeitlichen Ereignisse, das Vorrücken der türkischen Truppen unter Sultan Süleyman nach Westen zu Gottes Plan. Die Truppen Süleymans eroberten im Sommer 1521 Belgrad, und man ging davon aus, sie würden nun rasch bis Mitteleuropa vorstoßen, durchaus zum Nutzen der „wahrhaft Gläubigen“. Denn die Türken seien eine Strafe Gottes, um die „Ungläubigen“ zu vernichten. Weder die „Zwickauer Propheten“ noch Thomas Müntzer waren „Täufer“. Doch ihre Kritik am Sakramentsverständnis der alten Kirche, an der Kindertaufe und ihre Ausrichtung auf eine von Laien geprägte Frömmigkeit stellen eine Brücke zu den späteren Täufern dar. Zumal der Kritik an der Kreis der Zwingli-Kritiker in Zürich in Kontakt mit Müntzer und Kindertaufe 9
Vogler, Thomas Müntzer und die Gesellschaft seiner Zeit, S. 24.
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Karlstadt trat. Aber auch spätere Täufer in anderen Regionen des Alten Reichs zogen wesentliche Impulse aus den geistlichen Bewegungen Mitteldeutschlands, etwa für ihre Kritik an der Kindertaufe, für die Betonung eines sich in der Praxis erweisenden Christenlebens, die „Nachfolge“, und für die Forderung, den „gemeinen Nutzen“ zu fördern, also eine gerechtere Verteilung der Güter anzustreben. Müntzer stellte die Kindertaufe ebenfalls infrage und verteidigte im Herbst 1524 die Glaubenstaufe: „Um deshalb dem ganzen, d. h. dem inneren und äusseren Menschen sozusagen gerecht zu werden, befahl Gott, man solle den, der bereits gläubig geworden sei, mit Wasser taufen.“10 Wohl im November 1523, als Reaktion auf die nicht nachlassende Kritik, veröffentlichte Müntzer seine „Protestation odder empietung [ … ] seine lere betreffend vnd zum anfang von dem rechten Christen glawben vnnd der taufe“. Sie führte den Lesern die Verfallenheit der Kirche und die Unterdrückung des „wahren Glaubens“ vor Augen. Es sei gerade die „Protestation“ Taufe, die nicht recht verstanden werde und deshalb als „eingang zur Christenheit zum vihischen affenspiel“ geworden sei. Denn die Getauften würden ein heuchlerisches Leben führen, man praktiziere in den Gottesdiensten „heidnische Ceremonien“ – die „rechte tauffe vorblumet mit der leydigen heuchlischenn gevatterschafft / so man viel gelobt / mit grossem geprenge / und helts wie den hundt an der wurst“. Man predige den „honigsüßen Christus“, so Müntzer. „Wer den bittern Christum nicht will haben, wirt sich am honig todfressen“. Worte, die auch Müntzers Verhaftetsein in der spätmittelalterlichen Mystik verdeutlichen. Müntzer bittet die „buchstabischen“ Gelehrten, ihm doch zu zeigen, wo in der Bibel auch nur ein einziges unmündiges Kind getauft worden sei, oder ihm zu beweisen, dass aus der Bibel herauszulesen sei, man solle die Kinder taufen wie es allgemein üblich sei.11 Es ist überliefert, dass die „Protestation“ im Kreis um Konrad Grebel gelesen wurde und es ist nachvollziehbar, warum Müntzer dort als „lieber mitbruder in Christo“ angesehen wurde. Müntzer hatte zu jener Zeit eine Pfarrstelle in Allstedt, einer kursächsischen Enklave, inne. Er hatte die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen geheiratet und zog mit seinen reformorientierten Gottesdiensten viele Besucher an, was ihm nicht nur Ruhm, sondern auch handfeste Probleme einbrachte. Allstedt Denn es kamen auch Untertanen aus den um Allstedt liegenden 10 11
Zit. nach: Leu / Scheidegger, Zürcher Täufer, S. 30. Müntzer, Protestation, Abschnitte: Zum Fünften, zum Sechsten, zum Siebenden, zum Dreizehnten.
1.2. Erste täuferische Ideen
Bild 3: Thomas Müntzer, Darstellung von Christoffel van Sichem, frühes 17. Jahrhundert
Gebieten, die zur Herrschaft des Grafen Ernst von Mansfeld auf Heldrungen gehörte, zu seinen Gottesdiensten – was der Adelige nicht begrüßte. Seine Kirchenkritik brachte Müntzer unter politischen Druck. Obwohl er durch den Allstedter Rat und den Schoßer Hans Zeiss geschützt wurde, zog sich die Schlin-
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Bild 4: Klaus Hottinger stürzt 1523 ein Kreuz in Stadelhofen
ge immer enger zusammen. Dabei forderte Müntzer gerade von den Fürsten, sich vor die „wahrhaft Gläubigen“ zu stellen und ihre von Gott auferlegten Pflichten zu erfüllen, nämlich die Frommen zu beschützen. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Haltung in der „Fürstenpredigt“, die Müntzer im Juli 1524 in Allstedt hielt und die anschließend veröffentlicht wurde. Er ruft die Fürsten auf, sich engagierter für das Evangelium einzusetzen, die „Auserwählten“ zu schützen und die „Gottlosen“ zu vernichten. Dabei beruft Müntzer sich auf den Traum des Königs Nebukadnezar im alttestamentlichen Buch Daniel, der für ihn prophetisch in die eigene Zeit weist. Das fünfte Weltreich sei angebrochen, in dem weltliche und geistliche Macht zu stark vermischt seien. Im Herbst 1524 hinterließ Thomas Müntzer seine Spuren dann in Mühlhausen. Dort war die Stadtführung nach einigen Bilderstürmen, Klosterplünderungen und der Weigerung der Bewohner, Abgaben und Zinsen zu leisten, in eine Krise geraten. Der Stadtrat hatte sich Vorwürfen zu stellen, er würde nicht dem Evangelium gemäß handeln, sondern vielmehr Mühlhausen die Anhänger des Evangeliums verfolgen und somit Gottes Wort verachten und „tyrannisch“ handeln. Thomas Müntzer und der ehemalige Zis-
1.2. Erste täuferische Ideen
Hintergrund Antiklerikalismus In der frühen Reformationszeit kam es zu antiklerikalen Aktionen, in denen sich der Unmut über die altkirchlichen Vertreter und Bräuche äußerte. Dazu gehörten lautstarke und kritische Zwischenrufe bei Predigten, die manchmal in Diskussionen mit den Predigern während des Gottesdienstes mündeten. Bilderstürmerei, Fastenbrüche oder Hostienschändung richteten sich ebenfalls gegen die Strukturen und Dogmen der alten Kirche. Auch von Täufern ist überliefert, dass sie sich an entsprechenden Aktionen beteiligten.
terziensermönch Heinrich Pfeiffer hatten ihrerseits konkrete Vorstellungen, wie evangelisches Leben aussehen sollte. Sie gründeten den „Ewigen Bund Gottes“, in dem sich die „Auserwählten“ zusammenschlossen. Zudem veröffentlichte Müntzer die „Elf Artikel“, in denen er den Rat der Stadt zu Gottesfurcht und zum gerechteren Handeln gemäß dem Wort Gottes aufrief. Er solle seine Arbeit darauf konzentrieren, den „gemeinen Nutzen“ zu fördern und „Eigennutz“ auszuräumen. Unter den Unterzeichnern des „Ewigen Bundes Gottes“ tauchen auch zwei Namen von späteren Täufern auf: Hans Hut und Hans Römer. In diese Ereignisse des Jahres 1524 und mit der Kenntnis der Veröffentlichungen von Müntzer und Karlstadt kamen die „Proto-Täufer“ in Zürich in Kontakt mit den Reformern in Sachsen. Es sind wohl vor allem zwei Personen, die die Verbindung herstellten und Informationen hin- und hertransportierten. Einerseits Hans Huiuf aus Halle / Saale, der dort als Brief der Züricher Goldschmied in den Diensten der Erzbischöfe von Magdeburg an Müntzer stand. Er war jedoch 1520 Bürger von Zürich geworden und hatte sich der Gruppe um Konrad Grebel angeschlossen. Huiuf ist unter den Autoren des Briefes an Müntzer; er selbst war kurz vorher in Sachsen gewesen, war dort mit Müntzer zusammengetroffen und hatte einige Schriften aus Sachsen nach Zürich mitgebracht. Ein zweiter Mann, der für die Verbindung konstituierend wurde, war Gerhard Westerburg, ein Schwager Karlstadts. Er reiste im Herbst 1524 im Auftrag Karlstadts in die Schweiz, um einerseits Kontakt mit dem Kreis um Grebel aufzunehmen, andererseits in Basel den Druck von Karlstadtschriften in Auftrag zu geben. Später taucht er dann unter den norddeutschen Täufern auf. Dass Westerburg sich auch im Umkreis der „Zwickauer Propheten“ aufhielt, zeigt die überregionalen Verbindungen und die ideellen, manchmal auch nur punktuellen Schnittpunkte der verschiedenen Gruppierungen.
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Die Verbindung zu Thomas Müntzer konkretisierte sich im Brief vom 5. September 1524, den unter anderem Konrad Grebel, Andreas Castelberger, Felix Mantz und Heinrich Aberli unterschrieben. Sie erwähnen, dass sie sich nach dem Lesen von Müntzers „Protestation oder Empietung“ gefreut hätten, einen „getrüwen und lieben mitbruder in Christo“ gefunden zu haben, jemanden, der eines „gmeinen christenlichen verstands“ mit ihnen sei.12 Er, Müntzer, sei ebenso wie Karlstadt der „reiniste ußkünder und prediger deß reinisten götlichen wortes“. Karlstadt hatte 1523 in Orlamünde auf die Durchführung der Kindertaufe verzichtet. Zudem rühmten sie Jakob Strauß. Der Brief formuliert noch einmal die grundlegende Kritik des Kreises um Grebel. Es sei eine Krankheit der Zeit, dass man hoffe, gläubig zu werden „on frücht deß gloubens“. Zudem bleibe man bei den alten Bräuchen, den alten Lastern sowie den „gmeinen ceremonischen endkristenlichen brüchen touff und nachtmal Christi“. Grebel und seine Mitunterzeichner bemängeln, dass viele Menschen den „gelerten hirten“ anhingen, die doch nur den „sündigen, süssen Christum“ predigen würden. Doch die Züricher ermahnen Müntzer auch. Seine Bemühungen, die Messe zu verdeutschen und neue deutsche Lieder zu dichten, halten sie für falsch, denn das Singen sei im Neuen Testament verboten, so ihre Argumentation unter Berufung auf Eph. 5 und Kol. 3. Man solle nur im Herzen singen, ansonsten andere in Psalmen und geistlichen Liedern lediglich „unterrichten“.13 Auch das Abendmahl spielte im Brief an Müntzer eine Rolle. Es sei als einfaches Gemeinschaftsmahl anzusehen, das die „wahren Gläubigen“ zusammenbringt, lediglich mit Brot und Wein zu feiern „on pfäffische kleidung und meßgwand, on gsang, on zusatz“. Beim Abendmahl sollte die Regel Christi nach Matth. 18, 15-18, angewendet werden, damit keine „falschbrüder“ mitfeiern. Prüfung des Gewissens vor dem Abendmahl und Kirchenzucht, damit die Gemeinde „rein“ und „ohne Flecken und Runzeln“ sei. Ein weiterer Punkt betrifft die Wehr- und Waffenlosigkeit sowie die Bereitschaft zum Leiden. Das Evangelium sollte nicht mit dem Schwert „beschirmt“ werden, denn Christen gebrauchen weder das weltliche Schwert noch ziehen sie in den Krieg. Vielmehr seien sie wie Schafe unter den Wölfen: Schafe der Schlachtung, die „in angst und nott, truebsal, ferfolgung, liden und sterben getoufft werden, in dem für probiert werden“ müssen. In der Tauffrage verweisen die Briefabsender auf die „Protesta12 13
TA Zürich, S. 13, 16. Ebd., S. 14, 17.
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tion“ von Müntzer, in der dieser die Kindertaufe infrage gestellt hatte. Es ist nicht klar, ob der Brief Müntzer überhaupt erreichte; eine Antwort blieb jedenfalls aus. 1.2.2. Diskussionen unter den Anhängern von Zwingli in Zürich
„Das Wort ist durch seine gelehrtesten Verkünder auf den Kopf gestellt worden.“ So der aus dem Züricher Patriziat stammende und humanistisch gebildete Konrad Grebel Mitte Dezember 1523 in einem Brief an seinen Schwager, den St. Galler Reformator Joachim Vadian. Und er fährt fort: „Wer denkt, glaubt oder spricht, Zwingli handle gemäß dem Hirtenamt, Kritik an Zwingli glaubt oder spricht gottlos.“14 Ab Herbst 1523 hatte sich die Kritik an Zwingli intensiviert, als eine Gruppe von Anhängern radikalere Schritte forderte und nicht auf die Umsetzung der Reformen durch den Rat der Stadt warten wollte. Zu ihnen gehörten unter anderem Konrad Grebel und der Höngger Pfarrer Simon Stumpf. Die wachsende Distanz wird deutlich, wenn man ein Gedicht von Grebel liest, das noch im August 1522 am Schluss von Zwinglis „Apologeticus Archeteles“ erschien. Darin pries er Zwingli als Lichtbringer, der die „reißenden Wölfe“, die Bischöfe und ihre Räte, besiegte. Unterschrieben mit: „Conrad Grebel in Dankbarkeit für das wiederhergestellte Evangelium“.15 Nun, im Herbst 1523, entzündete sich die Kritik an der Umsetzung der Reformen in der Frage der Bilderverehrung und der Messe. Beide Themen standen im Mittelpunkt der 2. Disputation, die in diesen Jahren in Zürich abgehalten wurde. Zwingli und Balthasar Hubmaier, damals noch Pfarrer von Waldshut, nahmen Seite an Seite teil. Unter den Kritikern traten Konrad Grebel, Simon Stumpf und Ludwig Hätzer hervor. In vielen inhaltlichen Fragen war man sich einig, etwa darüber, dass sowohl in den Kirchen als auch im privaten Bereich keine Bilder- und Heiligenverehrung geduldet werden sollte. Auch in der Reform der Messe stimmte man überein – in ihrer Abhaltung in der Landessprache, der Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, in der Abschaffung der liturgischen Gewänder. Uneinigkeit herrschte jedoch im Umsetzungsprozess. Während Konrad Grebel und seine Leute möglichst viele Veränderungen in der Praxis des geistlichen Lebens und des Gottesdienstes so schnell wie möglich angehen wollten und die geistliche Gemeinschaft in der Verantwortung sahen, setzte Zwingli auf den Rat der Stadt Zürich als Handelnden. 14 15
Brief vom 18. Dezember 1523, in: ebd., S. 8. Zit. nach: Yoder, Täufertum und Reformation, S. 14.
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Eingebettet in die Diskussion war die Kritik an der Abgabenpolitik. Zwingli unterstrich gerade in diesem Punkt die Legitimität des Stadtrates, entband ihn jedoch nicht von seiner Verpflichtung, sich allen Missbrauchs des Zehnten zu enthalten und dafür einzutreten, die Situation zu verbessern. Der Unmut über die Verteilung von Abgaben, Diensten und Zehnten hatte sich schnell die „evangelische Freiheit“ zum Argument genommen. Im September 1522 war es nach einer Predigt Simon Stumpfs, in der dieser betont hatte, man „sei keinen Zehnten schuldig“, zur ersten Zehntverweigerung im Raum Zürich gekommen.16 Neben zahlreichen Aktionen und Agitationen sticht eine Beschwerdeschrift an den Propst und das Kapitel des Großmünsterstifts vom Juni 1523 heraus, die die Gemeinden Zollikon, Riesbach, Fällanden, Hirslanden, Unterstraß und Witikon verfassten. Sie erklärten, die Einhebung des Zehnten entspreche nicht dem Evangelium. In Witikon war zu dieser Zeit bereits Wilhelm Reublin als Pfarrer tätig, der später im Kreis der Täufer zu finden sein wird. Er trat im April 1523 als erster Geistlicher im Züricher Gebiet in den Ehestand und schuf so auch diesbezüglich Fakten. Parallel zu all diesen Debatten hatten sich wohl bereits 1522 in Zürich und in St. Gallen „Lesekreise“ gebildet, in denen Laien theologische Themen diskutierten, gemeinsam in der Bibel lasen und im christlichen Glauben unterrichtet wurden. In Zürich versammelte sich der Kreis um den Buchhändler Andreas Castelberger, in St. Gallen um den Theologen Johannes Lesekreise Kessler. Diese Lesekreise hatten einen humanistischen Hintergrund; ihre Parallelität zu „Sodalitäten“, also Kreisen in den Universitätsstädten, in denen ein Gelehrter seine Schüler um sich versammelte, ist mehrfach betont worden. Sowohl Zwingli als auch Joachim Vadian und Konrad Grebel hatten an der Universität Wien studiert, wo es Sodalitäten gab. Man traf sich regelmäßig, studierte die Quellen, diskutierte über zeitgenössische Entwicklungen und führte gelehrte Gespräche. Seit 1520 hatte sich auch in Zürich eine Gruppe um Zwingli getroffen, zu der Konrad Grebel, Felix Mantz und Simon Stumpf gehörten. Die Entwicklungen in den Schweizer Städten sind somit typisch für die reformatorische Bewegung generell in den Städten, wo der Wunsch nach religiöser Erneuerung getragen wurde von einer humanistisch gebildeten Bürgerschaft, die sich als Gemeinschaft immer mehr emanzipieren und eigenständig organisieren wollte. Man bemühte sich selbst um die „religiöse Kost“ und behob so die Unterversorgung, die man der katholischen Kirche anlastete. Die finanziel-
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len Mittel für die Anstellung reformatorisch gesinnter Prediger kamen oft aus Stiftungen, die die Bürger eingerichtet hatten. In Zürich intensivierte sich nach der 2. Disputation das Vorgehen gegen zu radikale Aktionen. Am 27. Oktober 1523 erließ der Stadtrat ein Mandat gegen Bilderstürmerei, und Anfang November erhielt Simon Stumpf den Befehl, Höngg zu verlassen. Ende Dezember wird er generell aus Zürich ausgewiesen. Diese harte Politik des Züricher Stadtrates gab der Mandate gegen Entfremdung der späteren Täufer von Zwingli einen sehr unsanfdie Täufer ten Schub. In die Diskussion geriet schließlich auch die Tauffrage. Wilhelm Reublin, der im August 1524 im Gefängnis war, musste sich dort für kritische Äußerungen zur Kindertaufe verantworten, und in einem entsprechenden Beschluss des Rates der Stadt Zürich wird darauf verwiesen, dass all jene, die ungetaufte Kinder haben, diese taufen lassen sollten. Wer dies nicht täte, müsse 1 Mark Silber als Strafe zahlen. Doch die Züricher Zwingli-Kritiker suchten sich ihre Verbündeten und Ideengeber, wie gesehen, außerhalb des eigenen Territoriums und erwiesen sich als rege Teilnehmer des intellektuellen Diskurses. So ist überliefert, dass Konrad Grebel die Schrift des zunächst im tirolerischen Hall, dann in Eisenach tätigen reformatorischen Predigers Jakob Strauß, „Hauptstücke und Artikel christlicher Lehre wider den unchristlichen Wucher“, kannte. Auch einige Quellenarbeit 1 Schriften des humanistisch-reformatorischen Dichters Ulrich von Hutten hatte Grebel gelesen. Und 1524 war es besonders Felix Mantz, der sich darum bemühte, Karlstadts Schriften über das Abendmahl und seinen Dialog über die Taufe drucken zu lassen. Es ist die Frage gestellt worden, ob die Zwingli-Kritiker bereits bei der Disputation im Herbst 1523 im Sinn hatten, eine eigene Kirche zu gründen, oder ob sie ihre Hoffnung weiterhin auf eine Reform der Territorialkirche mit eigener Pfarrerwahl setzten. Möglicherweise gab es nicht nur diese zwei Alternativen, sondern auch einen Mittelweg. Die Äußerun- Eine eigene Kirche? gen der späteren Täufer lassen den Rückschluss zu, dass diese weiterhin auf eine Reform der Kirche hofften und auch entsprechend predigten. Allerdings war ihnen das Tempo der Reformen zu langsam, so dass sie sich auf kleinere Einheiten, auf Lesekreise und Hausversammlungen, konzentrierten, vielleicht mit der gemeinsamen Überzeugung, dass mehr momentan nicht möglich war. Irgendwann, und dafür mag gar kein Zeitpunkt festzulegen sein, wurde klar, dass ein christliches Leben nach eigenen Vorstellungen nur in neuen, eigenständigen und abgesonderten Gemeinden umsetzbar wäre. Die
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Ausformulierung der Vorstellung von eigenständigen Gemeinden findet sich dann 1527 in den „Artikeln von Schleitheim“. Zwingli berichtet Ende 1525 / Anfang 1526, Grebel, Mantz und Georg Blaurock seien immer wieder zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten „ein besonnder volck und kilchen“ aufzurichten und ein „christenlich volck darin“ zu haben, das „zum aller unschuldigisten lepte und ouch dem evangelio bickleib und anhengig weri, das ouch weder mit zinßen ald mit annderem wucher beladenn“ wäre.17 Es entspann sich auch hierüber eine historiografische Debatte, die fragte, ob es sich lediglich um Beschuldigungen Zwinglis im Nachhinein handelt, gespickt mit einer gehörigen Portion Polemik, oder ob sich hier wirklich der Wunsch der Täufer nach einer eigenen Kirche ausdrückt. Die erste täuferische Glaubenstaufe fand am 21. Januar 1525 in Zürich statt, im Haus von Felix Mantz’ Mutter. Zwei Tage später wiederholte sich die Handlung in Zollikon. Die Berichte über die ersten Taufen legen den Schluss nahe, dass diese sehr spontan und undogmatisch abliefen. So schreibt das hutterische „Geschichtbuch“ retrospektiv über die Taufe in Erste täuferische Zürich: „Nach dem Gebet ist der Geörg vom Haus Jakob aufgeGlaubenstaufen standen und hat um Gottes willen gebeten den Konrad Grebel, daß er ihn wöll taufen mit dem rechten christlichen Tauf auf seinen Glauben und Erkanntnis. Und da er niedergekniet mit solchem Bitt und Begehren, hat der Konrad ihn getauft, weil dazumal sonst kein verordneter Diener, solches Werk zu handlen, war. Wie nun das beschehen, haben die andern gleicherweis an den Geörgen begehrt, daß er sie taufen soll. Welches er auf ihr Begehren auch also tät; und haben sich also in hoher Furcht Gottes mit einander an den Namen des Herrn ergeben, einer den andern zum Dienst des Evangelii bestätet und angefangen, den Glauben zu lehren und halten.“18 Über die Taufe in Zollikon heißt es in den Akten, Mantz und Blaurock hätten nach dem Abendessen aus dem Neuen Testament vorgelesen: „Und under anderem, wie sy mit einanderen rettind und lang leßind, da stunde Hans Bruggbach von Zumingen uff, weinete und schrüyve, wie er ein großer Sünder were und das sy gott für inn bettind. Da fragte inn Blawrock, ob er der gnad gots begerte, spreche er ja. Da stunde Mantz uff und seiti: ‚Wer will mir weren, das ich den nit touffe?‘ Da antwurte Blawrock: ‚Niemandt!‘ Neme also ein getzi mit waßer und touffte inn
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TA Zürich, S. 120 f. Wolkan, Geschichtbuch, S. 35.
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im namen gott vatters, gott suns, gott helgen geists. Demnach stunde Jacob Hottinger uff, begerte des touffs. Den touffte Felix Mantz ouch.“19 1.2.3. Die Aufstände der Bauern und die Täufer
Am 15. Mai 1525 fand die Schlacht bei Frankenhausen statt. Damit geht der Blick wieder nach Thüringen und Sachsen, mitten hinein in den Höhepunkt der dortigen Bauernaufstände. Letztendlich brachte die Schlacht, bei der Thomas Müntzer als Anführer verschiedenste Bauernhaufen befehligte, für diese eine vernichtende Niederlage. Müntzer wurde auf der Schlacht bei Flucht gefangen genommen und vor den Toren der Stadt MühlFrankenhausen hausen zusammen mit Heinrich Pfeiffer hingerichtet. Er hatte die Schlacht unter endzeitliche Vorzeichen gestellt, sie als Kampf der Gerechten gegen eine gottlose und tyrannische Obrigkeit gesehen. Sich selbst hatte er als Kämpfer Gottes bezeichnet, beauftragt, die Ordnung Gottes wiederherzustellen. Ganz seinem Duktus entsprechend, sich für ein anderes Verhältnis des Menschen zu den zeitlichen Gütern einzusetzen, erklärte Müntzer die Niederlage der Bauern bei Frankenhausen mit deren Streben nach Eigennutz – deshalb hätte die Schlacht gar nicht siegreich beendet werden können. Die Schlacht bei Frankenhausen war nicht das Ende der Bauernaufstände. Weiter südlich, in Tirol, wählten die Bauern erst im Mai 1525 Michael Gaismair, den Schreiber des Tiroler Landeshauptmanns, zu ihrem Anführer. Es folgten Plünderungen von Klöstern und Burgen, mit dem Ziel, Herrschaft infrage zu stellen und Grundbücher, also die Aufzeichnungen Bauernaufstände über die Besitzverhältnisse, Abgaben und Zinsen, zu vernichten. in Tirol Allerdings versuchte man in Tirol, den Konflikt mit den Bauern anders zu regeln als in Thüringen, indem Bauern und Landesfürst sich auf einen gemeinsamen Landtag einigten. Um diesen Landtag vorzubereiten, trafen sich die bäuerlichen Vertreter der Gerichte, die in Tirol im Landtag saßen, in Meran und verfassten eine Forderungsschrift mit 20 Artikeln. Die kirchlichen Abgaben und Zinsen sollten aufgehoben werden, ebenso der Zehnt. Interessanterweise stand man jedoch weiterhin zu einer Zinsleistung an den Landesherrn und lehnte nur jene Zinsen ab, die man als zu viel ansah. Über die Ein- und Absetzung des Pfarrers sollte die Gemeinde vor Ort bestimmen. Der Landtag fand schließlich im Juni und Juli 1525 statt, brachte aber insofern kein Ergebnis, als 19
TA Zürich, S. 38, 40, 42.
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zwar eine „Landesordnung“ verabschiedet wurde, die den Bauern auch in einigen Punkten entgegenkam, grundsätzlich jedoch keine Einigkeit erzielt wurde. Somit eskalierte die Lage erneut, und der Versuch, die Konflikte mit den Bauern auf eine rechtliche Ebene zu heben, war gescheitert. Auch in Tirol führte eine Spur aus den Reihen der Anhänger Michael Gaismairs zu den Täufern. Beispielsweise über Matthias Messerschmidt, einen ehemaligen Chorherren, der dann wohl Prediger von Gaismair war. Über ihn heißt es, er selbst hätte nicht schreiben können, dafür aber seine Frau. Anfang 1526 wird im Haus von Matthias Messerschmidt ein Kreis aktenEvangelische kundig, der sich ähnlich wie in Zürich zum gemeinsamen BibelKonventikel studium traf. Möglicherweise fanden sich in solchen Kreisen jene wieder, die nach dem Scheitern der Bauernaufstände weiterhin „unerfüllte Hoffnungen und Ressentiments gegenüber der religiösen und weltlichen Obrigkeit“ hatten.20 Messerschmidt war 1525 kurzzeitig in Augsburg gewesen und hatte von dort evangelische Literatur mitgebracht. Die Quellen berichten von einem Büchlein, das den Kanon der Messe kritisierte und das im Kreis von Messerschmidt kursierte; wahrscheinlich handelte sich um eine Schrift von Zwingli oder Karlstadt. Über Peter Pinter aus Klausen sei es ins Pustertal gekommen und an vielen Orten gelesen worden, unter anderem in der Familie des Adligen Anton von Wolkenstein, dessen Frau Elisabeth Täuferin wurde. Als Georg Blaurock 1527 nach Tirol kam, suchte er den Kontakt zu den Kreisen um Matthias Messerschmidt. In den frühen evangelischen Kreisen Tirols wirkte als Prediger der Geißhirt Wölfl, der sich durch ein recht eigenständiges Denken auszeichnete. Von einem Schulmeister in Innsbruck hatte er lesen gelernt, damit er, wie er später in seinem Verhör aussagt, „das evangeli und wort gottes destpas lernen und wann ainer an ine khume, widerstand thun müge“.21 Zu dieDer Prediger Wölfl sem „widerstand“ gehörte reichlich Kirchenkritik, allerdings wohl noch nicht die Kritik an der Kindertaufe. In seinem Verhör im Januar 1527 in Brixen sagte Wölfl, Christus sei der alleinige „fürbitter“ und „sonst niemandt mer“. Man sei diesbezüglich „von Babst, munchen und phaffen verfuert worden“. Das „heilige Kreuz“ sei nicht mehr als „ain holz, wie ain knutl damit man die hundt wirfft oder ain prügl, damit man in ofn haitzt“, und die Sakramente verglich er mit einem Kramerladen: „ain kramer sperrt sein khram ein, damit er gelt daraus losen muege, also sperren die phaffen das sacrament ein, damit 20 Packull, Hutterer in Tirol, S. 203. 21 Schmelzer, Jacob Huters Wirken, S. 618.
1.3. Ausbreitung
sy gelt daraus losen muegen“.22 Jakob Huter wurde durch eine Predigt von Wölfl bewegt, sich ein eigenes Neues Testament zu kaufen. Dass Bauernkrieger später Täufer wurden, erstaunt nicht; zu anschlussfähig waren die Ideen. Die Vorstellung von einer gerechteren Gesellschaft, der frei verfügbaren göttlichen Gnade und der Aufwertung der Laien, aber auch die Idee vom nahen Weltende gaben den kämpfenden Bauern die Legitimation zum Handeln, lassen sich dann aber auch in den täuferischen Bewegungen finden, unter gewaltlosen Vorzeichen. Diese Verbindungen wurden allerdings zum Menetekel für die Täufer, denn sie ebneten den Weg zu Diffamierung und Kriminalisierung. Manchmal auf eine sehr pauschale Art und Weise, wie im Fall von Heinrich Bullinger, der behauptete, Grebel, Mantz und Blaurock seien in Grüningen unter den aufrührerischen Bauern aktiv gewesen, was nicht der Fall war. Allerdings tauchen andere Namen unter den Täufern auf, etwa jene von Hans Gyrenbader und Hans Vontobel, die Verhandlungsführer der Bauern in Grüningen gewesen waren. Viele andere Bauernkrieger, die später Täufer wurden, blieben namenlos.
1.3.
Ausbreitung
1.3.1. Regionen. Ideen breiten sich aus
Die täuferischen Ideen, die mit den ersten Glaubenstaufen in Zürich und in Zollikon ihren sichtbaren Ausdruck, nicht jedoch ihren tatsächlichen Ausgangspunkt gefunden hatten, breiteten sich in den folgenden Jahren in alle Regionen des Alten Reichs aus. Die rasch einsetzende Verfolgung tat ihr Übriges, denn sie sorgte dafür, dass die Prediger oft nicht lange an einem Ort bleiben konnten. So zog mit ihnen die täuferische Botschaft von Glaubenstaufe, unabhängigen Versammlungen, von Nächstenliebe, Nachfolge und Wehrlosigkeit durch die Lande. In Mitteldeutschland wurden Überlebende der Schlacht bei Frankenhausen zu Multiplikatoren der Ideen von Thomas Müntzer, die, nachdem sie ihre Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet hatten, bei den Täufern eine neue Heimat fanden. Die Lage war schwierig, da überall rasch Verfolgung einsetzte. Im März 1525 erschien ein Mandat in Zürich, das die Todesstrafe durch Ertränken für die Ausübung des täuferischen Glaubens festlegte. Ab April 1525 ergriff auch die Stadt St. Gallen schärfere Maßnahmen gegen die Täufer. Andere Regionen zogen nach mit ihren Maßnahmen. 22 Ebd., S. 616 f.
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Im Schweizer Raum verbreitete sich die täuferische Botschaft außerhalb von Zürich in das Gebiet von Schaffhausen sowie nach St. Gallen und schließlich in den Aargau. Richtung Norden zog sie nach Württemberg und in die südwestdeutschen Reichsstädte. Straßburg präsentierte sich in einer besonders toleranten Atmosphäre, so dass 1526 fast alle einflussreiSchweiz und chen täuferischen Prediger hier für eine längere oder kürzere Zeit Straßburg Station machten: Pilgram Marpeck, Melchior Hoffman, Balthasar Hubmaier, Wilhelm Reublin, Michael Sattler und Hans Denck. Heinrich Bullinger bezeichnete die Stadt später als Sammelplatz für „die ganze Hefe der schlechtesten Taugenichtse und Ketzer“.23 Weiter nördlich, in der Kurpfalz, traten täuferische Prediger wohl bereits 1525 auf, wobei sich erste Nachrichten in den Reichsstädten Landau und Worms finden lassen. Es trafen hier spiritualistisch geprägte Täufer wie Hans Denck mit schweizerisch geprägten wie Ludwig Hätzer und aus Mitteldeutschland hergezogenen wie Melchior Rinck zusammen. VielKurpfalz leicht einen der größten Täuferprozesse überhaupt sah 1528 die Stadt Alzey. Das hutterische „Geschichtbuch“ berichtet, es seien 350 Täufer hingerichtet worden – eine Zahl, die sich allerdings mit den offiziellen Quellen nicht bestätigen lässt. In einem Schreiben Kurfürst Ludwigs aus dem Jahr 1528 heißt es, in Alzey seien „dero etwa viel“ Täufer gefangen gesetzt worden.24 Wie auch immer die genauen Zahlen lauteten, so dürfte es sich in Alzey auf jeden Fall um einen größeren Prozess gehandelt haben; diejenigen, die ihren Glauben widerriefen, wurden des Landes verwiesen und an Stirn und Wange mit dem Zeichen des Kreuzes gebrandmarkt. Auf die Bedeutung des Prozesses in Alzey deutet auch hin, dass er verhältnismäßig viele Reaktionen von Juristen und Theologen hervorrief, unter anderem von Johann Odenbach, Pfarrer im kleinen Örtchen Obermoschel, der eine für die Zeit erstaunlich tolerante Meinung äußerte.
23 Zit. nach Fast, Bullinger und die Täufer, S. 43 f. 24 TA Baden und Pfalz, S. 135.
1.3. Ausbreitung
Quelle Johann Odenbach, evangelischer Pfarrer in Obermoschel (1528) Ir habt vil dieb, mörder und bößwicht barmherziglicher in gfängnüß sehen halten dann dise arme leut, die doch nit gestoln, nit gemördt, nit geraubt, nit gebrent, nit verraten oder eynig schädlich mißtat begangen, sonder den und allen zu wider, gott zu ehren und nimants zu leyd sich guter einfeltiger meynung und geringer irtumb taufen lassen und wo sie auß götlicher schrift bessers bericht ze weichen bekant haben. Und können oder mögen ir in euern eygen herzen finden, daz ir sprechen und bekennen sie darumb zu töten seien, handelten ir mit inen wie christlichen richtern gebürt und wißtet sie auß dem evangelio zu underweisen so würde es keins henkers bedörfen und sie on zweifel der warheit statt geben und weren alßdann mit der gefängniß gnug gestraft. [ … ] Und wolt gott ich solts uf den künftigen gerichts tag für allen menschen mit denselbigen blutzapfen beweisen, die sich auß fröden und herzen lust zu fuß, zu pferd, uf kärch und wägen gen Altzen fertigen zu sehen und trinken diser unschuldigen blut, zu glorieren und triumphieren wider gott und Christum unser heyl und trost.23
In den ehemals von Thomas Müntzer geprägten Regionen Mitteldeutschlands lagen Zentren täuferischer Präsenz in der Harzregion, in der Gegend um Eisenach und Berka sowie um Frankenhausen. Von Thüringen lässt sich über die Mobilität der Protagonisten eine Linie nach Franken ziehen, wo das Zentrum des täuferischen Glaubens um Königsberg festzuMitteldeutschland machen ist. Der einflussreichste Prediger war Hans Hut. Vom östlichen Hessen und Thüringen unterschieden sich die etwas Quellenarbeit 2 weiter westlich gelegenen Gebiete um Gießen und Marburg. Hier wirkte sich der Einfluss von Martin Bucer aus. Er schaffte es, im Auftrag des hessischen Landgrafen Philipp I. führende Täufer für die protestantische Kirche zurückzugewinnen, so dass nach 1538 ein deutlicher Rückgang der täuferischen Bewegung zu verzeichnen ist. Auch in fast allen Regionen Österreichs finden sich Täufer. Besonders stark war die Bewegung in Tirol, wo im Süden des Landes der unter Rutenschlägen der Stadt Zürich verwiesene Georg Blaurock wirkte, im Norden sich dagegen die Ideen von Hans Hut verbreiteten. In anderen Regionen der Habsburgischen Länder gab es oft nur vereinzelte, kleinere Versammlungen. In Oberösterreich 25
Ebd., S. 133.
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Bild 5: Hinrichtung der Täufer in Alzey, Darstellung aus dem „Märtyrer-Spiegel“
beispielsweise lassen sich Gemeinden in Linz, Steyr und Freistadt nachweisen, die von den Ideen Hans Huts beeinflusst waren, der im Sommer 1527 in der Gegend predigte und taufte. In Niederösterreich und Wien gab es ebenfalls täuferische Spuren, allerdings tauchen hier vor allem durchreisenÖsterreich de Täufer auf. Der Aufenthalt in einem Gasthaus in der Kärntner Straße wurde 1536 durchreisenden Hutterern zum Verhängnis, da sie als Täufer erkannt und gefangen genommen wurden. Auch von Hans Hut ist überliefert, dass er in der Kärntner Straße predigte und taufte. Erst für die 1540er und 1550er Jahre ist in Wien die Existenz einer kleinen Gemeinde überliefert, die zu den „Austerlitzer Brüdern“ gehörte und von Pilgram Marpeck geprägt war. Ebenfalls für die späteren Jahre berichten die Quellen von Täufern in Kärnten und in der Steiermark, die vor allem durch die Arbeit der hutterischen Missionare für den täuferischen Glauben gewonnen worden waren. Ein wesentlich bunteres Bild zeigt sich dagegen, wenn man Mähren betrachtet. Hier gab es am Anfang viele kleinere, manchmal sehr eigenständige Ge-
1.3. Ausbreitung
meinden, die sich in einem sehr toleranten Klima entwickeln konnten. Die Grundherren schafften es immer wieder, ihre recht eigenständige Politik gegenüber den Habsburgern in Wien zu verteidigen. So konnte BalMähren thasar Hubmaier, getragen vom Wohlwollen der Herren von Liechtenstein, in Nikolsburg seine Idee von einer täuferischen Kirchenorganisation umsetzen. Allerdings fand das Experiment 1528 ein jähes Ende, da die Familie von Liechtenstein Hubmaier nach Wien ausliefern musste. Der Blick in die westlichen und nordwestlichen Regionen des Alten Reichs führt dann eher schon in eine zweite Phase des Täufertums, nämlich in jene nach der Herrschaft der Täufer 1534/35 in Münster. Die Ereignisse in der Stadt wirken wie eine Wasserscheide für das Täufertum in Nordwestdeutschland, aber auch für alle anderen Täufer im Alten Reich Nordwest– der Generalverdacht gegenüber den Täufern, sie würden einen deutschland gewaltsamen Aufstand planen, hatte sich in Münster in den Augen der Obrigkeiten bewahrheitet. Geprägt war Nordwestdeutschland einerseits von Predigern aus den Niederlanden, die auch bis nach Königlich Preußen und ins Herzogtum Preußen wirkten. Andererseits sind in diesen Gebieten seit den frühen 1530er Jahren die Ideen von Melchior Hoffman bestimmend gewesen. Möchte man für die frühe Zeit eine Zäsur festlegen, so könnte diese 1527 sein. Mit Felix Mantz wurde am 5. Januar einer aus den Reihen der im Januar 1525 Getauften hingerichtet. Am 24. Februar 1527 verabschiedete eine Gruppe von täuferischen Predigern die „Sieben Artikel von Schleitheim“ (oder „Schleitheimer Bekenntnis“), um der zu diesem Zeitpunkt bereits „Artikel von recht bunten täuferischen Bewegung Richtung zu geben. Die Schleitheim“ „Artikel“ gehen vor allem auf den ehemaligen Benediktinermönch Michael Sattler zurück, der in Zürich zum Täufer geworden war. Er predigte im Süden Württembergs, wo auch Wilhelm Reublin unterwegs war. Der ehemalige Basler Leutpriester dürfte Co-Autor der „Artikel von Schleitheim“ gewesen sein. Sattler, seine Frau und weitere Täufer wurden im Mai 1527 gefangen genommen und kurze Zeit später in Rottenburg hingerichtet.
26 Yoder, Täufertum und Reformation, S. 98; Strübind, Eifriger als Zwingli, S. 566 f.
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Bild 6: Ausschnitt aus einer Darstellung der Stadt Znaim; im Vordergrund ein Täufer mit einem Buch in der Hand
Vom 20. bis 24. August 1527 schließlich fand in Augsburg ein Treffen von ungefähr 60 täuferischen Predigern statt, unter ihnen Hans Hut, Hans Denck, Ludwig Hätzer, Leonhard Schiemer, Hans Schlaffer und Eukarius Binder. Die Reichsstadt Augsburg, in der sich viele einflussreiche Täufer kürzer oder länger aufhielten, war ein „Schmelztiegel“, in dem verschiedene täuferische Auffassungen existierten und wohl auch ganz gut koexistierten. Die 1527 anwesenden Prediger teilten sich die Regionen Süddeutschlands auf, um dort Quellenarbeit 3 den täuferischen Glauben unter die Leute zu bringen. Das Treffen ging als „Augsburger Märtyrersynode“ in die Annalen ein, da viele Teilnehmer kurze Zeit später als Märtyrer für ihren täuferischen Glauben starben. 1.3.2. Unterwegs. Täuferische Prediger im Profil
Die Spur der Prediger durchzog das Alte Reich und die angrenzenden Gebiete. Sie soll nun an einigen Protagonisten nachgezeichnet werden.
1.3. Ausbreitung
Hintergrund „Artikel von Schleitheim“ (1527) Die sieben Artikel oder „Brüderliche vereynigung etzlicher kinder Gottes“ wurden im Februar 1527 bei einer Versammlung von Täuferpredigern im Schweizer Ort Schleitheim verabschiedet. Federführend war der aus dem Breisgau stammende Michael Sattler, ein ehemaliger Benediktinermönch. Die „Schleitheimer Artikel“ sollten der mittlerweile schon recht pluralen Täuferbewegung Richtung und Norm vorgeben. Sie behandeln die Taufe, den Bann, das Abendmahl, die Absonderung, den Hirtendienst, das Schwert und den Eid. Allerdings fällt die Einschätzung darüber, welche Bedeutung die „Artikel“ für die frühe Täuferbewegung tatsächlich hatten, sehr unterschiedlich aus. John H. Yoder bezeichnete Schleitheim als Versuch, „die Gestalt der gehorsamen Gemeinde“ festzulegen, bezüglich jener „Probleme, die sich zur Stunde stellten“. Schleitheim sei kein „‚Glaubensbekenntnis‘ im dogmatischen Sinne“ gewesen. Für Andrea Strübind brachten die „Artikel von Schleitheim“ „kaum grundlegend Neues in die täuferische Bewegung“ hinein. Vielmehr seien die meisten Punkte bereits in anderen Schriften der Zeit zu finden. Das Dokument von Schleitheim sei eine „Gelegenheitsschrift“ einer Gruppe von Täufern gewesen, die einen Konsens in strittigen Lehrfragen herstellen wollten.27
Georg Blaurock, eigentlich Georg Cajacob, als Priester geweiht und mit theologischer Universitätsausbildung, war unter den Teilnehmern der ersten Taufe in Zürich. Nach der Ausweisung aus der Stadt zog er nach Grüningen, wo sich im Herbst 1525 auch Konrad Grebel und Felix Mantz aufhielten. Doch erste Gefangennahmen ließen nicht lange auf sich warten. Georg Blaurock Grebel und Blaurock mussten im Oktober 1525 den Weg ins Gefängnis antreten. Dem ging eine vom Volk begeistert aufgenommene Predigt von Georg Blaurock in der Kirche von Hinwil voraus. Der dortige Pfarrer, Brennwald, ließ Blaurock einige Zeit gewähren. Dieser, so heißt es in den Quellen, habe oben auf der Kanzel gestanden, um das „gotßwort“ zu verkünden, als „gsenter vom fater“.27 So weit, so geduldet. Erst als Blaurock von der Taufe sprach, griff der Pfarrer ein. Daraufhin entstand in der Kirche, die wohl mit bis zu 200 Personen gefüllt war, ein Gemurmel und Geschrei. Der Pfarrer holte den Landvogt, der Blaurock gefangen nahm. Doch die Menge lief hinterher und 27
TA Zürich, S. 110.
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Blaurock, der auf dem Pferd des Landvogtknechts saß, begann zu singen. Auf dem Weg nach Grüningen kam man an einer zweiten Versammlung vorbei, bei der Mantz und Grebel predigten; Grebel wurde ebenfalls gefangen genommen, Mantz entkam. Blaurock wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Er konnte aus dem Gefängnis fliehen, wurde jedoch im Dezember 1526 erneut verhaftet und schließlich im Januar 1527 fast nackt, mit gebundenen Händen und unter Rutenschlägen aus der Stadt Zürich vertrieben. Blaurock ging zunächst nach Bern und Biel, bevor er sich über Graubünden auf den Weg ins südliche Tirol machte. Dort waren erste Zweifel an der Kindertaufe bereits in Versammlungen ehemaliger GaismairAnhänger geäußert worden. Blaurock fand Aufnahme in ihren Kreisen und predigte dort. Geht man nach den Quellen, so stießen die täuferischen Ideen auf ein großes Interesse; manche Historiker sprechen von einer Massenbewegung, die sich in Tirol entwickelte. Für den Herbst 1527 sind zahlreiche Versammlungen überliefert, so unter anderem auf dem Ritten, wo eine täuferische „synagoge“ abgehalten wurde, in Klausen sowie in Sterzing und im Gericht St. Michelsburg. Erste Gefangennahmen im Pustertal sind für März oder April 1529 überliefert. Im August 1529 traf es auch Georg Blaurock, der nach unermüdlichem Reisen und Predigen in den verschiedenen Gegenden des südlichen Tirols am Ritten gefangen genommen wurde. Im September 1529 fand er in Klausen den Tod auf dem Scheiterhaufen. Hans Hut war in der Schlacht bei Frankenhausen dabei gewesen und hatte diese, ebenso wie Thomas Müntzer, als letzten Kampf der Frommen gegen die Gottlosen gesehen. Nach der Niederlage und vermutlich auch dem Erwachen, was den „letzten Kampf “ angeht, näherte Hut sich täuferischen Ideen an und ließ sich 1526 von Hans Denck in Augsburg taufen. Hans Hut Hut wurde in Thüringen, Franken und im süddeutsch-österreichischen Raum zu einem der wichtigsten täuferischen Prediger in der frühen Zeit der Bewegung. Als Buchhändler war er zwischen Wittenberg und Süddeutschland unterwegs und bewegte nicht nur täuferische Literatur, sondern brachte das Wort Gottes auch mündlich unter die Leute. Er blieb von seiner Einstellung her sehr apokalyptisch ausgerichtet. Seiner Vorstellung nach sollte Jesus Christus Pfingsten 1528 wiederkommen. Hut sah sich als endzeitlichen Elias, der nach jüdischer Auffassung dem Messias den Weg bereiten sollte und sich vor dem Endgericht den Menschen zeigen würde. Hans Hut hielt sich recht lange in Augsburg auf, ging jedoch schließlich nach Nikolsburg, wo er versuchte, von Hubmaier unabhängige Versammlungen ein-
1.3. Ausbreitung
Bild 7: Hans Hut, anonyme Darstellung
zuberufen. Hubmaier seinerseits warf Hut vor, mit seinem Predigen für Aufruhr in der Stadt zu sorgen und falsche Lehren zu verbreiten. Inhaltlich ging es nicht nur um die Taufe oder eschatologische Visionen, sondern vor allem um die Einstellung zur Obrigkeit. Hut habe, so die Kritik von Hubmaier, in der Abwesenheit der Herren von Liechtenstein die Bewohner der Stadt zum Wegzug ermuntert. Zwischen Hubmaier und Hut entwickelten sich intensive Gespräche, deren Ergebnis Hubmaier in den sieben „Nikolsburger Artikeln“ festhielt. Schlussendlich griffen die Herren von Liechtenstein Hut auf und nahmen ihn in Gewahrsam, wohl mit der Absicht ihn an König Ferdinand auszuliefern. Hut konnte jedoch fliehen und zog nach Oberösterreich. Hier hatte er nachhaltigen Einfluss auf die täuferischen Gemeinden. Über die ebenfalls in Oberösterreich predigenden Hans Schlaffer und Leonhard Schiemer gelangte der täuferische Glauben Hut’scher Prägung auch nach Tirol, wo Schlaffer und Schiemer Anfang 1528 in Rattenberg beziehungsweise in Schwaz hingerichtet wurden.
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Hintergrund Sabbatismus In Nikolsburg entwickelte sich nach 1529 eine täuferische Richtung, die die Einhaltung des Sabbats forderte. Wesentliche Protagonisten waren Oswald Glaidt, ein enger Mitarbeiter von Hubmaier, der sich dann jedoch Hans Huts Ideen zuwandte, und Andreas Fischer. Glaidt vertrat zudem die Auffassung, dass die Übernahme obrigkeitlicher Ämter, die Todesstrafe und das Kriegführen erlaubt seien, und er sah den Dekalog als weiterhin gültig an. Vermutlich bildeten sich die Sabbater als Reaktion auf die Pfingsten 1528 nicht eingetretene Wiederkunft Jesu Christi. Gemeinden hielten sich in Südmähren bis in die 1580er Jahre, wobei das Glaubensbekenntnis der Sabbater (1535) einen starken Einfluss von Hubmaiers Theologie aufweist.
Hans Denck, von 1523 bis 1525 Rektor der Schule an der Pfarrkirche St. Sebald in Nürnberg, vertrat eine sehr mystisch geprägte Theologie. Er stand Kreisen nahe, die Luthers Abendmahlsverständnis kritisch betrachteten und deshalb durch den Rat der Stadt Nürnberg und den Prediger Andreas Osiander unter Druck gerieten. Im Januar 1525 wurde Denck der Hans Denck Stadt verwiesen. Einer seiner nächsten Aufenthaltsorte war St. Gallen, wo er sich für den täuferischen Glauben öffnete. Er ging schließlich nach Augsburg und nahm Kontakt zu Täufern auf, die von Ludwig Hätzer und Balthasar Hubmaier geprägt waren. Hubmaier warf Denck jedoch vor, das schriftliche Wort der Bibel zu gering zu schätzen und Allversöhnung zu predigen. Dencks Einfluss auf die Täuferbewegung zeigt sich unter anderem darin, dass er Hans Hut taufte. Denck verfügte über gute Kontakte in Kreise jüdischer Gelehrter. Nach einem kurzen Aufenthalt in Bergzabern und Landau ging er nach Worms, wo er 1527 mit Ludwig Hätzer die alttestamentlichen Propheten ins Deutsche übersetzte. Hier dürfte er auch Melchior Rinck, dessen Name sich 1524 ebenfalls auf der Liste des „Ewigen Bundes“ in Mühlhausen befunden hatte, für den täuferischen Glauben gewonnen haben. Es ist möglich, dass Denck und Rinck auf die „Sieben Artikel“ Einfluss hatten, die der Wormser Prediger Jakob Kautz während des Pfingstmarktes 1527, als viele Menschen in der Stadt waren, an die Kirchentür anschlug. Darin setzte Kautz sich unter anderem mit der Kindertaufe sowie mit den Sakramenten kritisch auseinander. Obwohl der Stadtrat daraufhin ein hartes Vorgehen gegen die Täufer an den Tag legte und diese gefangen nahm
1.3. Ausbreitung
Hintergrund Die „Wormser Propheten“ „Alle Propheten nach hebraischer sprache verteütschet“ – so der Titel einer Teilübersetzung der Bibel, die von Hans Denck und Ludwig Hätzer stammte. Es handelte sich um die erste evangelische Übersetzung der alttestamentlichen Propheten, die vermutlich gemeinsam mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Worms angefertigt wurde. 1529 wurden die „Propheten“ in die Wormser Vollbibel integriert, die Peter Schöffer herausbrachte.
oder der Stadt verwies, konnte sich in Worms eine kleine Gemeinde halten. Hans Denck nahm 1527 an der Augsburger Märtyrersynode teil, starb jedoch nicht als Märtyrer, sondern 1527 an der Pest in Basel. Nikolsburg sei wie das neutestamentliche Emmaus, so Balthasar Hubmaier in einer Schrift aus dem Jahr 1526. Nachdem Christus durch Martin Luther in Sachsen die Auferstehung gefeiert hätte, sei er nach Emmaus, das sei Nikolsburg, gewallfahrt und von seinen Dienern gebeten worden, dort zu bleiben, wenn es abend werde und die letzten Tage kommen. Balthasar Hubmaier Wie die zwei Jünger im Neuen Testament von Emmaus aus nach Jerusalem gingen, um dort vom lebendigen auferstandenen Jesus zu erzählen, sollte in Nikolsburg das „wort Christi friedlich vnnd freündlich verkündt“ werden. Jesus Christus war in Nikolsburg eingezogen und sein Jünger Balthasar Hubmaier wurde zum Prediger und Organisator einer beispiellosen städtischen täuferischen Reformation. Doch zunächst verlief Hubmaiers Leben in katholischen Bahnen. Nach dem Besuch der Lateinschule absolvierte er ein Studium an den Universitäten Freiburg und Ingolstadt. Sein Lehrer war Johannes Eck, später Gegner von Martin Luther. Hubmaier schlug zunächst den Weg eines katholischen Geistlichen ein und übernahm 1516 die Stelle des Dompredigers in Regensburg. In dieser Funktion war er 1519 maßgeblich an der Vertreibung der Juden aus Regensburg beteiligt und ließ an der Stelle der zerstörten Synagoge die neue Kapelle „Zur schönen Maria“ bauen, wo sich ein lebendiger Marienkult entwickelte. 1521 übernahm Hubmaier eine Pfarrstelle in Waldshut und begann, sich immer mehr für die reformatorischen Ideen zu interessieren. Er führte schließlich die Reformation in Waldshut ein und kam über Konrad Grebel in Kontakt mit
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den täuferischen Ideen. Ostern 1525 ließ Hubmaier sich taufen, was die Vertreibung aus Waldshut nach sich zog. Er wurde in Zürich gefangen genommen, leistete dort einen Widerruf, floh aus der Stadt und ging nach Mähren. Ab 1526 erlebte Nikolsburg dann unter seiner Ägide die täuferische Reformation; Hubmaier gestaltete den Gottesdienst in der Stadt nach täuferischem Muster um. Er führte Glaubenstaufen durch, organisierte den Gottesdienst neu und zog, glaubt man zeitgenössischen Berichten, mit seinem Taufunterricht Massen aus nah und fern an. Allerdings konnten die Herren von Liechtenstein Hubmaier nicht dauerhaft schützen. Die Habsburger forderten seine Auslieferung; 1528 wurde er in Wien auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Auch rechts des Rheins gab es in der frühen Zeit einige täuferische Zentren. Leimen bei Heidelberg sowie Nussloch und Walldorf tauchen beispielsweise immer wieder in den Quellen auf. Ein einflussreicher Prediger in dieser Gegend war der Weber Philipp Plener, der zwischen der Kurpfalz und Mähren hin- und herreiste und in Mähren eine Gemeinde grünPhilipp Plener dete. Philipp Plener stammte eigentlich aus Blienschwiller in der Nähe von Straßburg; seine Spuren lassen sich jedoch in Worms, Augsburg, Straßburg und Ulm, schließlich dann in der Gegend von Bad Wimpfen sowie in Nussloch, in Walldorf bei Heidelberg und in Bruchsal nachweisen. Kurzzeitig machte er auch in Fürfeld Station, wo er, so heißt es, gute Beziehungen zu den dortigen Adeligen unterhalten habe. 1529 ging Plener nach Mähren und schloss sich zunächst der Gemeinde von Gabriel Ascherham in Auspitz an, bevor er eine eigene Gemeinde aufbaute, die Flüchtlinge vor allem aus Schwaben, dem Rheinland und der Pfalz aufnahm. In seiner Gemeinde, Philipper genannt, gab es wohl schon recht früh verschiedene Ämter, die sich in Hirten, Lehrer, Prediger und Älteste unterteilten; generell jedoch, so heißt es in einer Aussage von Julius Lober, sollte es „kein ansehen der person“ geben. Gütergemeinschaft praktizierte man auf einer freiwilligen Basis, um dem Nächsten in Notlagen zu helfen, und der Obrigkeit leistete man Tribut und Zins; man schwor jedoch keinen Eid.28 Als sich die Verfolgung der Täufer 1535 in Mähren aufgrund der Ereignisse in Münster verschärfte, gingen viele Anhänger von Philipp Plener zurück in ihre alte Heimat. Eine Gruppe von ihnen wurde bei Passau gefangen genommen und ins Gefängnis gesteckt. Durch selbst gedichtete Lieder ermutigten sie sich
28 TA Bayern, I, S. 217, 238.
1.3. Ausbreitung
gegenseitig. Die Lieder wurden aufgeschrieben und bildeten den Grundstock für das heute noch in „old order“-Gemeinden gebräuchliche Gesangbuch „Ausbund“. Pilgram Marpeck stammte aus einer angesehenen Familie von Bergwerksunternehmern aus Rattenberg in Tirol und hatte das Amt eines Bergrichters inne, war also für die niedere Gerichtsbarkeit unter den Angehörigen der Bergwerke zuständig. Offenbar hatte er sich zunächst der evangelischen Bewegung in Rattenberg angeschlossen, die sich um den Pilgram Marpeck Prediger Stephan Kastenbauer sammelte. Ab wann Marpeck sich den Täufern zuwandte, ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall weigerte er sich im Januar 1528 im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Leonhard Schiemer, Täufer anzuzeigen, was zu seinem Amt gehört hätte. Marpeck verließ die Stadt und ging nach Böhmisch Krumau, wo er eine Täufergemeinde gründete, sowie nach Straßburg. Mit Wilhelm Reublin und Leupold Scharnschlager gehörte Marpeck zu den führenden Täufern der Stadt, musste diese jedoch 1532 aufgrund wachsenden Drucks verlassen. In den folgenden Jahren baute er ein Netzwerk von Gemeinden zwischen dem Elsass, Württemberg, Mähren und Wien auf, die sich selbst den Namen „Bundesgenossen“ gaben. Von 1544 bis 1556 lebte Marpeck in Augsburg und war im Auftrag der Stadt in der Baukommission für die Holz- und Wasserversorgung zuständig. Marpeck sticht aus den Reihen der täuferischen Prediger der frühen Generationen durch seine sehr umfangreichen Schriften heraus, die teilweise der theologischen Auseinandersetzung mit Caspar von Schwenckfeld und mit Vertretern der Schweizer Brüder geschuldet waren. Im Gegensatz zu anderen täuferischen Gemeinden sah Marpeck kein Problem darin, als (täuferischer) Christ einen Eid zu leisten, wenn dieser für das bürgerliche Leben notwendig sei. Mit Schwenckfeld debattierte er über dessen spiritualistische Ausrichtung und den Schweizer Brüdern warf er religiöse Strenge und Enge in geistlichen Dingen vor.
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Biografie Caspar von Schwenckfeld Schwenckfeld stammte aus Schlesien und lehnte die Kindertaufe ab, sah jedoch in der äußerlichen Glaubenstaufe keine Alternative. Er war der Auffassung, die innere Taufe durch den Heiligen Geist genüge. An den Täufern kritisierte Schwenckfeld ihr exklusives Gemeindeverständnis und ihre Konzentration auf die äußerliche Taufe. Auf Caspar von Schwenckfeld gehen die „Schwenckfelder“ zurück, deren Gemeinden vor allem in Schlesien und im Südwesten des Alten Reichs lagen. Bis heute gibt es in den USA die „Church of the Schwenkfelders“.
Im Herbst 1526 predigte im Hause von Caspar Huter, einem Hutmacher in Stegen bei Bruneck, der Geißhirt Wölfl. Anwesend war auch Jakob Huter, ein Cousin des Gastgebers. Caspar Huter sagte in seinem Verhör aus, Jakob habe die Predigten Wölfls begeistert aufgenommen und sich diesem „anhängig Jakob Huter gemacht“. Kurze Zeit später sei Jakob nach Bozen gegangen, um sich auf dem Markt ein Neues Testament zuzulegen. Daraus habe er ihm, Caspar, und dem ganzen Hausgesinde vorgelesen und gepredigt. 1529 gründete Jakob Huter dann eine Täufergemeinde in Welsberg, im hinteren Pustertal. Im gleichen Jahr lernte er in Austerlitz die dortigen Täufer kennen und erklärte sie mit ihrer Form der Gütergemeinschaft zur Modell- und Muttergemeinde für die Tiroler Täufer. Ein Leben in Gütergemeinschaft war Zielvorstellung, ließ sich in Tirol aufgrund der Verfolgungssituation jedoch nicht praktizieren. Nach und nach siedelte Huter nun Täufer aus seiner alten Heimat nach Mähren aus. Er selbst stieg innerhalb der gütergemeinschaftlich orientierten mährischen Täufer nach einigen anfänglichen Konflikten zum Führer auf, reiste jedoch weiterhin unermüdlich zwischen Mähren und Tirol hin und her. Er predigte in Tirol den täuferischen Glauben und siedelte die Neubekehrten nach Mähren um. Als im März 1535 in Mähren eine Verfolgung der Täufer einsetzte und Huter dem mährischen Landeshauptmann in einem polemischen Brief die „ewige Verdammnis“ androhte, war auch sein Leben nicht mehr sicher. Die Gemeinde schickte Huter nach Tirol, wo er jedoch im November 1535 gefangen genommen wurde. Anfang 1536 wurde Jakob Huter in Innsbruck vor dem „Goldenen Dachl“ verbrannt. Melchior Hoffman stammte eigentlich aus Schwäbisch Hall, war dann jedoch als reformatorischer Prediger zunächst im Baltikum und in StockMelchior Hoffman holm und fand schließlich in Kiel eine Anstellung als Diakon an
1.3. Ausbreitung
Hintergrund Schweizer Brüder Der Name „Schweizer Brüder“ lässt sich als Benennung für jene Täufer in den Quellen fassen, die vor allem im südwestdeutschen Raum lebten und weder Hutterer noch Anhänger von Pilgram Marpeck waren. Der Begriff tauchte Ende der 1530er oder Anfang der 1540er Jahre zunächst in hutterischen Quellen auf. Die Schweizer Brüder waren beispielsweise in der Kurpfalz die größte täuferische Gruppe; sie dürften deckungsgleich sein mit den „Oberländern“ oder „Hochdeutschen“, die niederländische Quellen erwähnen. Eine Charakterisierung in der frühen Zeit erschließt sich vor allem über Gegenschriften. Vorwürfe lauteten, die Schweizer Brüder hätten zu strenge Regeln und eine zu harte Bannpraxis, und sie würden ihre Ältesten ungerechtfertigterweise absetzen. In der historischen Forschung gibt es eine Debatte über die Entstehung der Gruppenbezeichnung, das genaue Verbreitungsgebiet und die theologische Ausrichtung der Schweizer Brüder.
der Nikolaikirche. Schon früh waren seine Predigten von einer starken Apokalyptik bestimmt; so sagte er für das Jahr 1533 das Ende der Welt und die Wiederkunft Jesu Christi in der Stadt Straßburg voraus. Zudem zog er wesentliche Impulse aus den Schriften von Karlstadt, was sich unter anderem im Abendmahlsverständnis und in seiner Kritik an der Bilderverehrung zeigte. Nachdem Hoffman den Norden hatte verlassen müssen, wandte er sich nach Straßburg, wo er Kontakt zu den von Visionen angetriebenen Täufern hatte. 1530 wurde Hoffman jedoch auch aus Straßburg verwiesen und ging nach Ostfriesland. In Emden taufte und ordinierte er den Holzschuhmacher Jan Volkertsz Trypmaker, den er für die Leitung der Gemeinde auserkor. Dieser wurde jedoch der Stadt verwiesen und ging nach Amsterdam, wo er zum Leiter der dortigen wachsenden Täufergemeinde wurde. Nachdem Hoffman 1531 auch in Amsterdam zahlreiche Personen getauft hatte, nahm dort die Verfolgung zu; unter anderem Jan Volkertsz fiel dieser zum Opfer. Melchior Hoffman gab daraufhin die Devise aus, Taufen bis zum Jahr 1533 auszusetzen, also bis zu der von ihm ausgerufenen Wiederkunft Christi und dem Beginn des göttlichen Gerichts. Hoffman sah sich selbst als den endzeitlichen Elias, der die Wiederkunft Jesu Christi ankündigte; er ging davon aus, dass die „Gottlosen“ vor dem Jüngsten Tag ausgerottet und die „Heiligen“ auf Erden herrschen würden, angeführt vom
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Propheten und dem weltlichen König. Hoffman sprach immer wieder vom Untergang der „gottlosen Tyrannen“, die die Gerechtigkeit Gottes treffen würde – das Blut derer, die Blut vergießen, also die Täufer verfolgen, würde ebenfalls vergossen werden. Auch wenn Hoffman die Legitimität von Gewalt nicht ganz verneinte, sondern diese dann als berechtigt ansah, wenn sie dazu diente, die wahre Gemeinde zu schützen, ging er von einem gewaltlosen Endkampf der Auserwählten aus. Nur Gebet sollte den Sieg bringen. Die Ideen Melchior Hoffmans beeinflussten die täuferischen Gruppen in den Niederlanden, in Friesland sowie in Ostfriesland, und sie wirkten sich sehr zentral in Münster aus. Der von Melchior Hoffman nach Münster gesandte Jan Matthijs taufte im November 1533 in Leiden den späteren König der westfälischen Stadt, Jan Beukels (van Leiden). Die von Melchior Hoffman vertretene Inkarnationslehre, die wohl auf die spätmittelalterliche französische Frömmigkeit zurückging und besagte, dass Jesus Christus in genetischer Hinsicht nicht von Maria abstamme, sondern eine Neuschöpfung in Maria sei, hielt sich lange unter den Täufern – bis in die Zeit von Menno Simons. Eine schillernde Figur unter den täuferischen Predigern war David Joris. Er wurde Anfang der 1530er Jahre von den Ideen Melchior Hoffmans beeinflusst und hatte der Hinrichtung einiger Täufer in Den Haag beigewohnt, unter ihnen der von Amsterdam dorthin gebrachte Jan Volkertsz Trypmaker. Erst im Winter 1534/35 trat er auch öffentlich als Täufer hervor. David Joris Von Obbe und Dirk Philipps wurde er zum Ältesten ordiniert. Vermutlich durch den Einfluss der Straßburger Täufer nahm der Glauben von David Joris eine spiritualistischere Form an. Ende der 1530er Jahre war er schließlich einer der führenden täuferischen Prediger im südwestdeutschen und westdeutschen Raum. Die innere geistliche Taufe sah er als bedeutender an als die äußere Wassertaufe; zudem erklärte er sich selbst, vor allem in frühen Jahren, zum dritten David, der das Werk des zweiten David, nämlich Jesus Christus, vollenden würde. Nachdem er 1539 auf dem Gut eines Adeligen in Antwerpen Zuflucht gefunden hatte, entzog er sich 1544 den sich intensivierenden Verfolgungsmaßnahmen, indem er nach Basel ging. Dort führte er unter dem Namen Johan van Brugge ein nikodemitisches Leben, dessen täuferische Ausrichtung erst nach seinem Tod ans Tageslicht kam. Joris war ins Basler Bürgertum integriert und pflegte einen Lebensstil, der Wohlstand ausdrückte. Er wurde zum Mäzen für Kunst und Kultur, äußerte sich jedoch auch kritisch zur Hinrichtung des Antitrinitariers Michael Servet 1553 in Genf. Joris veröffentlichte weiterhin Schriften
1.3. Ausbreitung
Hintergrund Antitrinitarier – Arianer Die Antitrinitarier – oder unter Verweis auf die gleichnamige antike Strömung auch Arianer genannt – sind eine recht vielfältige Bewegung, wobei vor allem die unitarische Richtung Kontakte zu Täufern hatte. Wesentliche Vertreter waren Michael Servet und Fausto Sozzini. Sie wandten sich gegen die Trinitäts- und Zwei-Naturen-Lehre und vertraten die Überzeugung, Jesus Christus habe lediglich eine menschliche Natur gehabt und sei Gott-Vater untergeordnet. Joh. 1, 14 – „Das Wort ward Fleisch“ – interpretierten die Antitrinitarier dahingehend, dass der Mensch Jesus das Wort des Vaters verkündet habe, dieses jedoch nicht seiner Substanz nach sei. Von Italien gelangten die antitrinitarischen Ideen nach Polen und Litauen, wo es einige Berührungen mit den Täufern gab. Ende der 1560er Jahre besuchten Vertreter der Polnischen Brüder, einer unitarischen Kirche in Rakow, die Hutterer in Mähren. Es kam zu Gesprächen über den Glauben, die jedoch ergebnislos endeten. Hinterher bezeichneten die Polnischen Brüder die Hutterer als äußerst materialistisch eingestellt und lediglich am wirtschaftlichen Erfolg interessiert. Die Gemeindeglieder würden wie Sklaven gehalten. In den 1580er Jahren gab es auch zu Mennoniten im Kreis Danzig Kontakte, wobei hier ebenfalls die Glaubensunterschiede überwogen.
und hatte Kontakt zum Spiritualisten Sebastian Castellio. Erst nach seinem – natürlichen – Tod im Jahr 1556 wurde seine täuferische Identität bekannt, so dass der Rat der Stadt Basel postum einen Prozess gegen ihn eröffnete, seinen toten Körper exhumieren und ihn zusammen mit von Joris verfassten Büchern öffentlich verbrennen ließ. Diese Episode gehört sicherlich zu den bizzareren in der täuferischen Geschichte. Sie ließ die Forschung allerdings auch die Frage stellen, ob die täuferische Orientierung von David Joris nicht trotz allen Nikodemismus’ bekannt war und ob der Stadtrat nach dem Tod von Joris nicht lediglich Schadensbegrenzung betrieb. Menno Simons stammte aus Westfriesland, aus Witmarsum. Wohl um das Jahr 1524 ließ er sich zum Priester weihen, spürte jedoch eigenen Angaben zufolge recht bald Zweifel an der Messe und Abendmahlspraxis der Katholischen Kirche. Erst als einige Täufer, darunter Menno Simons’ Bruder, 1535 das Oldekloster in Bolsward überfielen und daraufhin hingerichtet Menno Simons wurden, zog er Konsequenzen, sagte sich von der Katholischen
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1. Reformationszeit – Täufer und ihre vielfältigen Anfänge
Kirche los und schloss sich den Täufern an. Menno Simons’ Bedeutung für den niederländisch-westdeutschen Raum kann kaum überschätzt werden. Nach der Niederlage der Täufer in Münster wurde er zum einflussreichsten Prediger, der die Unruhe, die unter den Täufern herrschte, kanalisierte und dauerhafte Gemeinden gründete, die die Anwendung von Gewalt ablehnten. Gemeinsam mit Dirk Philipps trug Menno Simons entscheidend dazu bei, dass das apokalyptisch-spiritualistische Klima unter den Täufern sich abkühlte und diese sich mehr am Wort Gottes orientierten und weniger den Wirkungen des Heiligen Geistes nachgaben. In Abgrenzung zum politisch und nach den Normen des Alten Testaments verfassten Täufertum in Münster predigte Menno Simons ein christozentrisches Bibelverständnis, das ein geheiligtes, von der Welt abgewandtes und leidensbereites Leben vorsah. Er verwahrte sich in seinen Schriften immer wieder gegen die Gleichsetzung aller Täufer mit jenen von Münster und kritisierte den gottgleichen Anspruch, den Jan van Leiden vertreten habe. In den 1540er und 1550er Jahren war Menno Simons’ Leben bestimmt von Verfolgung und vielen Reisen, auf denen sein Aufenthaltsort stets geheim bleiben musste; 1542 hatte ein kaiserlicher Erlass ein Kopfgeld von 100 Gulden auf ihn ausgesetzt. Der Wirkungskreis von Menno Simons erstreckte sich von Köln bis ins Herzogtum Preußen. Ab 1554 fand er schließlich Zuflucht auf Gut Fresenburg bei Oldesloe in Holstein; in der heute als Museum zugänglichen „Menno-Kate“ hatte er angeblich seine Druckerei. Menno Simons starb 1561 eines natürlichen Todes.
1.4.
Verfolgung
1.4.1. Mandate und reformatorische Meinungen
1525 schrieb Zwingli, zwischen den Täufern und ihm herrsche kein „Zwiespalt hinsichtlich derjenigen Lehrpunkte [ … ], die den inneren Menschen betreffen“. Vielmehr ginge es um Fragen wie: „Sollen die Kinder getauft werden oder nicht? Soll man Erwachsene wiedertaufen?“ Und schließlich würden die Täufer „Verwirrung“ stiften in der Frage: „Kann ein ChristenPolitische mensch ein Obrigkeitsamt bekleiden?“29 Die GlaubensüberzeuArgumente gungen der Täufer entfalteten eine politisch-gesellschaftliche Spaltkraft. Denn sie stellten fundamentale Parameter der politischen Ordnung des frühen 16. Jahrhunderts infrage, unter anderem den Initiationsritus in die 29 Zwingli, Kommentar über die wahre und falsche Religion, hier zit. nach: Leu / Scheidegger, Zürcher Täufer, S. 29.
1.4. Verfolgung
geistliche und politische Gemeinschaft, nämlich die Taufe. Schon im Dezember 1524 klagte Felix Mantz in seiner „Protestation und Schutzschrift“ an den Rat der Stadt Zürich, er würde wegen seiner Auffassung, „das der kindertouff schlecht, falsch und auß dem endchrist, dem bapst und seinen anhengeren erwachsen und erdacht sey (als dan war ist)“, für einen „auffruerer und unman“ gehalten.30 Doch es geschehe ihm Unrecht, so Mantz in seiner Rechtfertigung. Er habe nicht im Sinn, „auffruor“ zu stiften, und die von ihm vertretene Lehre besage dies auch nicht. Der Überblick über die täuferische Geschichte zeigt, dass insbesondere jene täuferischen Glaubensüberzeugungen für Debatten sorgten, die politisch-gesellschaftlich relevant waren, also die Gewaltlosigkeit, die Eidesverweigerung und die Stellung zur Obrigkeit. Die Brisanz, die die Gewaltlosigkeit entwickelte, ist noch im späten 17. Jahrhundert in den reforDie politischen mierten Kantonen der Schweiz spürbar, als die Verfolgung der Artikel der Täufer Täufer mit deren Weigerung, im Kriegsfall zu den Waffen zu greifen, gerechtfertigt wird. Auch die Eidesverweigerung darf in ihrer gesellschaftlichen Wirkung nicht unterschätzt werden. Es sei das „starke Band“ des Eides, so der Züricher Antistes Heinrich Bullinger 1560 in seinem Werk „Von der Widertäufferen ursprung“, das die Menschen zusammenhalte und in die Gehorsamspflicht stelle. Jeder Landesfürst versicherte sich bei Herrschaftsantritt durch den zu leistenden Huldigungseid der Loyalität seiner Untertanen. Auch in den Städten kam dem Eid der Bürger eine stabilisierende Funktion zu. Würden die Täufer den Eid verweigern, schrieb Bullinger weiter, so lehnten sie sich gegen Gott auf und beleidigten ihn, da sie das im Eid begründete religiöse Bekenntnis nicht anerkannten und Gott nicht die Ehre erwiesen: „Man gibt unnd bewyßt ouch Gott sin eer mit dem Eyd. Dann wie Gott allein der hertzen erkündiger / helffer und straffer ist / allein wil angerufft und einig vereeret werden / also gebüt er uns / dass wir allein by sinem nammen schweerind. Der Eyd bewaret und behalt uns in einer religion.“31
30 TA Zürich, S. 23. 31 Bullinger, Der Widertöufferen ursprung, fol. 201 r.
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Bild 8: Hinrichtung von Felix Mantz durch Ertränken in der Limmat
Die Kritik an der Kindertaufe und die folgende Weigerung einiger Anhänger Zwinglis, ihre Kinder taufen zu lassen, zogen im Januar 1525 die ersten Mandate des Züricher Stadtrats nach sich. Wer seine Kinder nicht getauft habe, so ein Mandat vom 18. Januar 1525, solle dies innerhalb von acht Tagen nachholen. Wer sich weigere, solle der Stadt verwiesen werden. Mandate in Zürich Am 21. Januar, als abends im Haus von Felix Mantz die erste Glaubenstaufe vollzogen wurde, erließ der Züricher Stadtrat ein weiteres Mandat, das jegliche Kritik an der Kindertaufe unter Strafe stellte. Die Täufer durften sich nicht mehr versammeln, so heißt es weiter, und Wilhelm Reublin, Johannes Brötli, Ludwig Hätzer und Andreas Castelberger wurden, da sie keine Bürger der Stadt waren, ausgewiesen. Vielleicht war es eine Reaktion auf dieses Mandat, dass sich die im Haus von Felix Mantz Anwesenden gegenseitig tauften. Die Täufer bekamen die obrigkeitliche Härte mit voller Wucht zu spüren. Am 7. März 1526 erließ der Rat der Stadt Zürich ein Mandat, das die Täufer mit der Todesstrafe belegte. Interessanterweise zielte die Argumentation hier bereits sehr deutlich auf die allgemeine Ordnung, die durch die Täufer gestört würde. Die „verfuorten, irrigen wydertöffer“, die auf ihrem „irsall“ beharrten, würden
1.4. Verfolgung
gegen ihren geleisteten Eid handeln und damit dem „gmeinen regiment und oberkeit zuo nachteil und zerstörung gmeins nutzes und rechten cristenlichen wesens ungehorsam“ sein. Deshalb sollte jeder, der „wyter den andern touffte“, aufgegriffen werden und „on alle gnad ertrenckt“ werden.32 Ein paar Monate später, am 11. November des gleichen Jahres, wurde all jenen der Tod durch Ertränken angedroht, die sich „gfarlicher wiß zuosamen rotent und in wincklenn und besondern husernn und ortenn mit irem predigen, lerenn und irrigen weßenn groß versamlungen“ machen.33 Der Besuch täuferischer Versammlungen war lebensgefährlich geworden. Sanktionen wie in Zürich und die Einordnung der „Wiedertaufe“ als Bedrohung des „gemeinen Nutzens“ und der „guten policey“ wurden rasch zur Norm auch in anderen Territorien. Für die habsburgischen Länder erließ Ferdinand I. am 20. August 1527 das erste Mandat, das die täuferischen Lehren als „verfuerisch“ und „kätzerisch“ darstellte und diese noch in Mandate in einen Zusammenhang mit den Lehren Martin Luthers brachte. Österreich Die Glaubenstaufe und das Abendmahl seien eine „unverschampte gotslesterung“. Zudem zog Ferdinand I. eine Linie zum Bauernkrieg und stellte fest, dass die „winckhlen und haimlichen schulen und versammlungen“ der Täufer von Personen besucht würden, die am Bauernkrieg teilgenommen hätten und, da sie „nit ersettigt“, sich weiterhin „understeen“ würden, „ungehorsam und aufruer“ zu erwecken.34 Mit den Mandaten von Zürich und Wien war die Messlatte für die Verfolgung der Täufer gelegt und das bestimmende Narrativ vorgegeben. Auch ein Mandat des Kaisers vom 4. Januar 1528 forderte, in allen Territorien des Reichs hart und ernsthaft gegen die Täufer vorzugehen, um jeglichen Aufruhr von vornherein zu unterbinden. Das von allen Reichsständen verabMandat von schiedete Mandat von Speyer (1529), das bis ins 18. Jahrhundert Speyer 1529 zur Legitimation der Täuferverfolgung herangezogen wurde, griff ebenfalls die Gefährdung der politischen Ordnung auf. Die Täufer würden die „zerrüttung erbars wesens und policei“ anstreben und alle Obrigkeiten, das „gemain ruwig wesen, ordnungen und policei“ negieren und „verwüsten“ – Blutvergießen wäre die Folge.35 Noch der Reichsabschied von Augsburg von 1555 32 33 34 35
TA Zürich, S. 181. Ebd., S. 210. TA Österreich, I, S. 4-6, 9. Zit. nach: TA Württemberg, S. 1 f.
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wiederholte diese Vorwürfe. Die Täufer würden „zum Theil nach Bürgerlicher Ordnung / den Obrigkeiten nicht huldigen und schwehren / zum Theil gar keine Obrigkeit erkennen wollen“.36 Die Einordnung der täuferischen Lehre als politisch-gesellschaftliche Spaltkraft zeigte sich sehr deutlich in Tirol, wo der Täufer Leonhard Schiemer Anfang 1528 als „anfenger und principalursacher“ nach der „empörung ordnung“ hingerichtet wurde – einer Ordnung, die dazu dienen sollte, einen Aufruhr wie jenen der Bauern unter Michael Gaismair im Jahr „empörung 1525 frühzeitig zu erkennen und mit geeigneten Mitteln zu beordnung“ in Tirol kämpfen. Den übrigen Untertanen sollte so vor Augen geführt werden, was aus „dergleichen pösen, verfuerischen secten und ketzerischen leren und empörungen“ folge.37 Auch in der Landgrafschaft Hessen wurden bei der Klassifizierung der Täufer Erinnerungen an den Bauernkrieg wach gehalten, wie ein Erlass aus dem Jahr 1528 zeigt. Die Verfolgung begründet Landgraf Philipp mit den von den Täufern geäußerten Lehrmeinungen, dass ein Christ keine Obrigkeit haben, in Zeiten des Krieges nicht zu den Waffen greifen und nicht helfen soll, das „vaterland“ zu beschützen. Zudem würden die Täufer eine die allgemeine Ordnung zerstörende Gütergemeinschaft praktizieren, und sie hätten den Bauernkrieg unter Thomas Müntzer als „gotlich“ eingestuft. Was aus den täuferischen Ideen folge, sei „ufrur und blutvergiessen“.38 Allerdings setzte sich unter Landgraf Philipp dann ein moderateres Vorgehen durch. Der Landgraf argumentierte, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, jemanden, bei dem sonst keine „Verwirrung“ zu erkennen wäre, um des Glaubens willen mit dem Schwert hinzurichten. Sonst dürfte man auch keine Katholiken, „die Christum am höchsten blasphemieren“, oder Juden in Hessen dulden.39 Die Mandate zogen die gewünschten Konsequenzen nach sich. Schon im Mai 1525 werden in Schwyz Eberli Bolt und zwei Monate später in Luzern Hans Krüsi wegen ihres täuferischen Glaubens hingerichtet. Im Januar 1527 folgte Felix Mantz, ertränkt in der Limmat in Zürich. Auch in Österreich sprachen die Obrigkeiten erste Todesurteile aus, etwa über LeonMärtyrerzahlen hard Schiemer und Hans Schlaffer Anfang 1528 in Rattenberg 36 37 38 39
Zit. nach: Corvinus, Pantheon, S. 17. Noflatscher, Häresie und Empörung, S. 630. Franz, Urkundliche Quellen, S. 17. Zit. nach: Littell, Landgraf Philipp, S. 32.
1.4. Verfolgung
beziehungsweise in Schwaz. Im März desselben Jahres fanden Balthasar Hubmaier und seine Frau in Wien den Tod. Glaubt man den Zahlenangaben in den Quellen, so gab es auch größere Prozesse und Hinrichtungen. Für Kitzbühel ist die Hinrichtung von 12 Täufern im Mai 1528 überliefert und im kurpfälzischen Alzey waren es 1529, wie erwähnt, vielleicht sogar 350. Es ist nicht ganz leicht, verlässliche Gesamtzahlen für die Verfolgung der Täufer zu erhalten. Eine Aufstellung von Märtyrern, die das hutterische „Geschichtbuch“ überliefert, geht von knapp 1600 Märtyrern aus, die im Alten Reich zu beklagen waren, wobei allein auf die habsburgischen Erblande über 500 entfallen. Der letzte Märtyrer in Zürich war 1614 Hans Landis; in Bregenz wurde 1618 noch Christina Brennerin hingerichtet, und eine namentlich nicht bekannte Täuferin fand im Juli 1626 in Rheinfelden den Tod. Argumentiert wurde auch in diesem letzten bekannten Fall eines täuferischen Märtyrertodes mit dem Mandat von Speyer von 1529 und dem Reichsabschied von 1544. 1.4.2. Die anderen Reformatoren und die Täufer
Die eigene Reform absichern – so könnte kurz das harte Vorgehen der anderen Reformatoren gegen die Täufer zusammengefasst werden. Die Täufer waren das Störfeuer für die Reformvorstellungen eines Martin Luther und Ulrich Zwingli. Noch 1525 zeigte Letzterer sich in seiner Schrift „Von dem touff, vom widertouff unnd vom kindertouff “ versöhnlich. Man sollte sich nicht trennen aufgrund von Äußerlichkeiten, in denen keine „Abgöttery“ oder „Verfurnus“ erkennbar sei. Die Kindertaufe sei durchaus diskutierbar, sie jedoch als „Verfuernus“ zu bezeichnen, zeige, dass man sie falsch interpretiere. Man dürfe nicht in sie hineinprojizieren, dass Sünden vergeben oder der Mensch errettet würde. Vielmehr solle man hochhalten, was Frieden und Eintracht bringe, um das „widergruenend Gotteswort nit mit Zenggen widrumb“ zu verlieren.40 Einigkeit um der „Wiederentdeckung“ des Wortes Gottes willen. Doch dies blieb Wunschdenken. Grundlegend für die Argumentation gegen die Täufer war ein 1531 von Philipp Melanchthon verfasstes Gutachten für den sächsischen Kurfürsten – „Bedenken der Theologen zu Wittenberg: Ob man die Wiedertaeufer Philipp mit dem Schwert strafen moege“ –, in dem dieser die Täufer Melanchthon ebenfalls als Bedrohung für die geistliche und soziale Ordnung
40 Zit. nach: Leu / Scheidegger, Zürcher Täufer, S. 34.
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bezeichnete.41 Die Täufer seien auf die „Zerstörung der Kirchen“ aus und stellten einen „Aufruhr contra ecclesiasticum ordinem“ dar. „Aufrührisch Artikel“, die Melanchthon den Täufern zuschrieb und für die er die Todesstrafe forderte, waren unter anderem, dass die Obrigkeit als unchristlich bezeichnet, die Gütergemeinschaft praktiziert, kein Eid geschworen und die Meinung vertreten würde, alle „Gottlosen“ müssten umgebracht werden. Darüber hinaus teilte Melanchthon die Täufer in verschiedene „Klassen“ ein – von „Predigern“ und „Verführern“ bis hin zu „Verführten“. Diese Einteilung diente auch zur Festlegung der Bestrafung: Die „Anfänger“ sollten durch das Schwert sterben, ebenso wie die „Anhänger“, die öffentlich predigten und auf ihrem Glauben beharrten. Die „Einfältigen“ dagegen, bei denen noch Hoffnung auf „Besserung“ bestehe, sollten unterwiesen und zum Widerruf gebracht werden. Luther gab sein Placet zu diesem Gutachten Melanchthons: „Wiewohl es crudele anzusehen, daß man sie mit dem Schwert straft, so ist doch crudelis, daß sie ministerium verbi damniren, und keine gewisse Lehre treiben, und rechte Lehr unterdrucken, und dazu regna mundi zerstören wollen.“42 Ein solch hartes Urteil hätte Martin Luther noch zwei Jahre Martin Luther früher nicht abgegeben. In einer Schrift von 1528 – „Wiedertaufe zweier Pfarrherrn“ – hatte er eine wesentlich moderatere Position vertreten, derzufolge die Täufer zu tolerieren seien und man es dem göttlichen Gericht überlassen sollte, einen falschen Glauben zu strafen. Ab 1530 unterlag seine Position dann jedoch einem Wandel. Auch Luther formulierte genaue Kriterien, um den täuferischen Glauben als politisch unruhig und aufrührerisch klassifizieren zu können. Politisch gefährliche Ketzer seien daran zu erkennen, dass sie ihre Lehren öffentlich verbreiten und keine Obrigkeit dulden beziehungsweise davon überzeugt seien, dass kein Christ ein obrigkeitliches Amt übernehmen könne. Zudem würden sie Frau, Kind, Haus und Hof für ihren Glauben verlassen und Gütergemeinschaft predigen. Ein Kriterienkatalog, der auf viele Täufer passte. Der Wandel lag auch bei Luther darin begründet, dass er seine eigenen Reformvorstellungen legitimieren, seine Arbeit absichern und sich von den Täufern abgrenzen musste, um zu verhindern, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden.
41 Melanchthon, Bedenken der Theologen zu Wittenberg, Sp. 738 f. 42 Ebd., Sp. 740.
1.4. Verfolgung
Der reformatorische Theologe Urbanus Rhegius sprach sich 1536 ebenfalls für die Härte des Gesetzes aus. Wenn ein Ketzer sich nicht unterweisen lasse, halsstarrig bleibe und darüber hinaus gegen die Obrigkeit sei, also „kein erznei“ helfe, müsse man ihn mit dem Schwert strafen. Dann brauche die Obrigkeit nicht mehr zum geistlichen Schwert zu greifen, also zur Urbanus Rhegius Unterweisung und Belehrung, sondern müsse das weltliche nehmen, um weiteres Unheil und Unruhe zu verhindern. Denn Ketzerei sei immer mit Aufruhr und Zerstörung der Ordnung verbunden, wie ja auch Münster gezeigt habe. Die „unbußfertigen Widerteuffer“ habe man dort zu lange geduldet. Mit Verweis auf Augustinus und Luk. 14 schreibt Rhegius, man solle die Väter locken mit freundlichen Worten. Wo jedoch Worte nicht helfen, da müsse die Rute herhalten. Allerdings wendet Rhegius auch ein, dass man keinen Menschen zum Glauben zwingen könne. Man könne ihn jedoch dazu zwingen, Gottes Wort zu hören. Dann sei zu hoffen, dass Gott Gnade gebe und der Zuhörende zum Glauben bekehrt werde.43 Ein anderer Umgang mit den Täufern setzte sich dagegen in Hessen-Kassel sowie in Gebieten, die vom württembergischen Reformator Johannes Brenz geprägt waren, durch. Hier standen die Debatte mit den Täufern beziehungsweise die Unterweisung der „Abtrünnigen“ im „richtigen“ Glauben im Vordergrund. Der Glaube sollte aus der Bibel heraus widerlegt Johannes Brenz werden. Aufschlussreich sind zwei Passagen aus einem Ratschlag der Prediger für den Landgrafen Philipp von Hessen aus dem Jahr 1536. Jene Täufer, die keinen Aufruhr im Sinn hatten und „an irem leben kainen besondern tadel habn, sonder allein im glauben irren“, jedoch „alle di gemainen christlichen predigern vnd sacramenten lestern, die leut davon abziehen“, sollen wie folgt behandelt werden: „Dieweil nimand soll noch mag zum glauben gedrungen werden, sonder mus denselbigen aus dem gehor gottlichs worts, durch den h. gaist erleuchtet bekommen, will vonnoten sein, das man di arme leut lass frundlich berichten, vnd das vfs geflissnest, sovil immer moglich, uf das man sie dem Herrn gewinne“. Man solle, so heißt es weiter, „solhe irrige leut […] zu nutzlicher arbeit“ halten, aber immer aufpassen, dass sie niemanden verführen: „Das wer die christliche weise solcher leut halbn zu handln, di nit wolten lassen die gesunde lere vnd gemeinsam der kirchen zu verletzten, vnd doch nit so boshaftig scheinen, das sie nach Gottes gesatz zu toten weren.“44 43 Franz, Urkundliche Quellen, S. 106, 108. 44 TA Straßburg, III, S. 36.
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Einem Vorschlag des Rektors der Heidelberger Universität zufolge sollten Täufer ein halbes Jahr lang im Glauben unterwiesen werden. Während dieser Zeit sollte man sie mit Strafe verschonen. Würde die Unterweisung nichts helfen, sollte man ihnen befehlen, die Predigt zu besuchen – und ein Quellenarbeit 4 Jahr Geduld mit ihnen haben. Wenn sich ihre Einstellung dann nicht geändert hätte, würde eine Strafe von 1 fl. für jede versäumte Predigt fällig. Schlussendlich wäre das letzte Mittel, sie des Landes zu verweisen und ihnen ungefähr ein Viertel ihrer Güter mitzugeben. Kämen die Ausgewiesenen heimlich zurück, sollte man sie gefangen nehmen. Ein Fall aus der Praxis ist die Geschichte von Michel Honacker, Hans Braun und ihren Ehefrauen, die nach Mähren zu den Hutterern ausgewandert, jedoch in ihre alte Heimat, nach Rudersberg bei Schorndorf, zurückgekehrt waren. Im September 1559 wurden sie von Johannes Brenz verhört. Sie zeigten sich vom Leben der Hutterer enttäuscht und baten um Wiederaufnahme in ihrer alten Heimat und um Rückgabe ihrer beschlagnahmten Güter. Nach dem Verhör durch Brenz durften sie wieder in Württemberg wohnen, mussten aber ihre Irrtümer bekennen und sich schriftlich verpflichten, den Gottesdienst zu besuchen. Auf der Linie von Johannes Brenz lag auch der Superintendent von Göppingen, Jakob Andreä, der 1557 am reformatorisch-täuferischen Religionsgespräch in Pfeddersheim teilnahm und danach eine kurze Abhandlung verfasste. Darin greift er das Sendungsbewusstsein der Täufer auf und stellt nicht ohne Ironie deren Vorstellung von der Reinheit der Kirche infraJakob Andreä ge: „Kompt dann ein Widerteuffer an dich / und will dich bereden / du sollest dich von unser Gemein absöndern / darinn souil Sünder seien / so sprich du / er wölle ein Kirchen haben / darinn kein Vatter unser seie / dann da man das Vatter unser bettet / da müssen Sünder sein / die da bitten umb vergebung jrer Schuld / und glauben Ablaß der Sünden.“45 Auch bei weiteren „verführerischen“ Reden, etwa über die Kindertaufe, das obrigkeitliche Amt, die Verweigerung des Eides oder die Gütergemeinschaft gelte es, vorsichtig zu sein. In den Augen Andreäs waren die Täufer nicht unbedingt eine Gefahr für die Gesellschaft, aber er betrachtete sie als Konkurrenten auf dem religiösen Markt. Deshalb forderte er, sie ernst zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Todesstrafe sei dagegen nicht angemessen.
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Zit. nach: Slabaugh, Predigt, S. 34.
1.4. Verfolgung
Dass sich noch 1659 der Stuttgarter Probst Melchior Nicolai herausgefordert sah, in einer Kontroversschrift auf eine grundlegende konfessionelle Schrift der Hutterer, das „Schön lustig Büchlein“, zu antworten, verweist auf eine gewisse Nachhaltigkeit der täuferischen Ideen in der Region. Nicolai war in Markgröningen auf das Büchlein gestoßen; dieses habe, so vermutet er, wohl ein „Wiedertäufer“ dort gelassen, um die „einfältigen Seelen“ zu verwirren. So warnt Nicolai im üblichen Duktus am Schluss des Buches vor den Täufern, die stets nur Unruhe und Aufruhr im Sinn gehabt hätten. Möglicherweise hängt diese späte Reaktion auf den hutterischen Glauben mit der fortdauernden Präsenz der Hutterer in Mannheim zusammen. Sie unterhielten dort von 1655 bis 1684 einen Hof. Erfolgreich in der Rückgewinnung von Täuferpredigern war Martin Bucer, der zudem auf Austausch und Diskussion mit den Täufern setzte. Sowohl in Straßburg als auch in Hessen nutzte er die Dienste ehemaliger Täufer, um Täufer von ihrem Glauben abzubringen. Überliefert ist die Geschichte von Peter Tasch oder Tesch, der seinen täuferischen Glauben Martin Bucer hinter sich gelassen hatte und nun im Auftrag von Bucer angeblich in Hessen bis zu 200 Täufer zum Widerruf der Wiedertaufe brachte. In Straßburg wurden Tasch und ein weiterer ehemaliger Täufer, Johannes Eisenberg, unter dem Deckmantel, Täufer zu sein, 1539 auf den gefangenen Melchior Hoffman angesetzt. Im Gefängnis hielten sie mit ihm eine Unterredung über vier Punkte: die Taufe, die Menschwerdung Jesu Christi, die Absonderung und die Prophetie. Allerdings zeigte die Aktion offenkundig nicht den erhofften Erfolg, wie es im April 1540 in den Akten heißt. Peter Tasch und Johannes Eisenberg hätten zwar „gut redlich gschir wider die theuffer gemacht“, doch es habe, anders als erhofft, nicht nachhaltig gewirkt.46 Als Ulrich Zwingli 1531 starb, wurde Heinrich Bullinger sein Nachfolger als Antistes in Zürich. Heinold Fast bezeichnete ihn als „Mann der zweiten Generation“, der weniger „Erneuerer“, sondern „Bewahrer überkommenen Gutes“ war.47 Für das Bild der Täufer waren seine Schriften allerdings sehr prägend. Bullinger nahm bereits 1525 an den Disputationen Heinrich Bullinger mit den Täufern in Zürich teil und berichtete auch darüber. 1530 veröffentlichte er eine erste Schrift, „Von dem unverschämten Frevel, ergerlichen Verwirrungen und unwahrhaften Lehren der selbstgesandten Täufer“. 1535 46 TA Straßburg, III, S. 398. 47 Fast, Bullinger und die Täufer, S. 9.
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verfasste er dann ein Gutachten gegen die Täufer, das die Anwendung der Todesstrafe beim Straftatbestand der Ketzerei rechtfertigte. Hintergrund waren nicht nur die Ereignisse in Münster, sondern auch der enorme Erfolg der Täufer in einigen Regionen der Schweiz, etwa in Zürich oder in Solothurn, wo die Täufer Anfang der 1530er Jahre die Reformierten verdrängten. 1.4.3. Religionsgespräche. Wo Glauben verhandelt wird
Die verschiedenen Disputationen der Täufer in Zürich mit Zwingli und seinem Kreis sind bereits erwähnt worden. Auch in Basel und in anderen Städten der Schweiz wurde in Gesprächen über den täuferischen Glauben verhandelt, stets von Seiten der Obrigkeiten mit dem Ziel, diesen seiner Attraktivität zu berauben. Auf Augenhöhe fanden die Gespräche also nicht statt. 1532 und 1538 setzten die Obrigkeiten in Bern beziehungsweise in Zofingen mehrtägige Gespräche an, auf denen verschiedene Themen des täuferischen Glaubens verhandelt werden sollten, unter anderem die Schriftauslegung, das Wesen der Kirche, die Taufe und das Predigtamt sowie das Verhältnis zur Obrigkeit, die Eidesleistung und die Gewaltfrage. Doch die Gespräche endeten ohne Ergebnis. Weitere Religionsgespräche mit jeweils leicht unterschiedlicher thematischer Ausrichtung fanden 1538 in Marburg zwischen Martin Bucer und hessischen Täufern, 1543 mit Anhängern von David Joris in Emden, 1543 mit Menno Simons ebenfalls in Emden beziehungsweise 1554 in Wismar statt. 1557 kamen Schweizer Brüder mit Evangelischen, darunter Johannes Brenz, Jakob Andreä und Johannes Marbach, in Pfeddersheim bei Worms zusammen. Dieses Religionsgespräch ist deshalb besonders erwähnenswert, weil es eine breite publizistische Verarbeitung nach sich zog. Philipp Melanchthon, der nur wenige Tage später in Worms am ReligionsgePfeddersheim 1557 spräch der Evangelischen mit den Katholiken teilnahm, veröffentlichte noch im gleichen Jahr als Reaktion auf das Gespräch mit den Täufern das Büchlein „Process, wie es soll gehalten werden mit den wiedertäufern durch etliche gelehrten, so zu Worms versammelt gewesen, gestallt“, auch erschienen unter dem Titel „Bedenken der wiedertäufer halben“. Jakob Andreä schrieb ebenfalls eine kurze Abhandlung – „Contra Anabaptistarum opinionem. Widerlegung der artikel der Wiedertäufer“. Vermutlich nur kurze Zeit nach dem Erscheinen von Melanchthons „Process“ reagierten die Hutterer darauf mit ihrem „Handbüchlein wider den Prozeß, der zu Worms am Rhein wider die Brüder,
1.4. Verfolgung
so man die Hutterischen nennt, ausgegangen ist im 1557ten Jahr, den dann Philipp Melanchthon, Johannes Brenz und andere unterschrieben haben“. In Frankenthal diskutierten Ende Mai bis Mitte Juni 1571 Vertreter der kurpfälzischen Obrigkeiten, unter ihnen der Hofprediger Petrus Dathenus, mit ungefähr 15 Täufern, ebenfalls aus den Reihen der Schweizer Brüder aus der Kurpfalz und aus dem Elsass. Frankenthal war wohl gezielt als Ort für das Gespräch ausgesucht worden, weil dort viele Täufer wohnFrankenthal 1571 ten. Es waren weder Mennoniten noch Hutterer anwesend, obwohl auch das Thema Gütergemeinschaft auf die Agenda gesetzt worden war. Das Protokoll des Frankenthaler Gesprächs wurde publiziert; es umfasst über 700 Seiten. Ein sehr umfangreiches Protokoll ist auch vom Emder Religionsgespräch von 1578 überliefert. Auf Einladung Graf Johann von Ostfrieslands trafen Menso Alting, Prediger der reformierten Gemeinde in Emden und Präses des Coetus, der Vereinigung der ostfriesischen Pastoren, sowie weitere reformierte Theologen auf Vertreter der flämischen Mennoniten aus Emden 1578 allen Teilen der Niederlande und aus Emden. Diese hatten sich gerade in der Stadt befunden, um Gespräche mit den friesischen Mennoniten und den Waterländern zu führen. Allerdings lehnten sowohl die Mennoniten als auch die Waterländer ihre Teilnahme am Religionsgespräch ab, so dass die Flamen übrig blieben. Wortführer auf täuferischer Seite waren Peter van Collen und Brixius Gerrits. Ein Anlass für das Gespräch war wohl die Entwicklung in Ostfriesland, wo die Täufer sehr selbstbewusst auftraten und immer wieder neue Leute in die täuferischen Versammlungen kamen. Dies setzte Graf Johann und die reformierten Prediger unter Zugzwang. Von Ende Februar bis Mitte Mai verhandelte man über insgesamt 14 Themen, wobei man sich immer wieder auf das Protokoll des Gesprächs in Frankenthal bezog. Ein wichtiges Thema war 1578 die Inkarnationslehre, die vor allem über Melchior Hoffman in die täuferischen Gemeinden hineingekommen war, wenn auch zumindest in Ostfriesland diese Lehre schon vor Melchior Hoffman durch die Einflüsse der von der Devotio Moderna geprägten „Brüder vom gemeinsamen Leben“ verbreitet war. Streitpunkt war, ob JeInkarnationslehre sus Christus „menschlich Fleisch“ von Maria oder „himmlisch Fleisch“ von Gott sei und Maria quasi nur als Gefäß fungiert hätte, um Jesus Christus zur Welt zu bringen. Melchior Hoffman verwendete das Bild, Jesus sei durch Maria hindurchgegangen wie das Wasser durch ein Rohr. Hoffman be-
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schrieb diese Lehre das erste Mal 1530 in seiner „Außlegung der heimlichen Offenbarung Joannis“. Auch Menno Simons hatte die Inkarnationslehre von Hoffman übernommen. Er debattierte unter anderem mit dem ostfriesischen Superintendenten Johannes a Lasco darüber und schrieb 1554 an ihn: „Wäre der Mensch Christus Fleisch von Maria Fleisch gewesen, dann wäre ja Maria durch ihr eigenes Fleisch gerettet worden und Adam durch seinen eigenen Samen versöhnt worden; die Gerechtigkeit Gottes wäre zunichte gemacht und unsere Verdammnis, unser Fluch und Tod durch ein verdammtes, verfluchtes und todesschuldiges Fleisch behoben worden.“ Während die Bibel bezeuge, dass jeder Mensch „in Adam“ Sünder sei, so sei Jesus Christus „das Lamm ohne Makel“, das die Sünde nicht gekannt habe.48 Auch in Zürich wurden die Diskussionen in Ostfriesland wachsam und interessiert verfolgt. Heinrich Bullinger ließ sich von den Gesprächen a Lascos berichten, wobei auch für ihn vor allem die Frage der Christologie im Mittelpunkt stand.
1.5.
Rechtsnormen
1.5.1. Verhöre und Strafen
Um den Täufern auf die Schliche zu kommen und die Versammlungen auszuheben, entwickelten die Obrigkeiten ihre Taktiken. Sie waren besonders wachsam bei Mondschein und stellten den Täufern den einen oder anderen Hinterhalt, und sie infiltrierten die täuferische Szene mit Spionen, wie dies in Tirol der Fall war. War man der Täufer habhaft geworden, so folgten die Verhöre, die oftmals zunächst „gütlich“, das heißt ohne Folter, stattfanden. In einigen Territorien blieb es auch dabei, in anderen folgte auf eine nicht zufriedenstellende gütliche Befragung die „peinliche“ Befragung, also jene unter Folter. Mit dem Verhör verbunden war eine Belehrung der Täufer. Standen diese nicht von ihrem Glauben ab, so begann sich die ganze Härte der Gesetzgebung zu zeigen. Das Recht im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation kannte die Verbrechen der „Gotteslästerung“, worunter die Beleidigung Gottes „Gotteslästerung“ und der Heiligen verstanden wurde, sowie der „Ketzerei“, also die und „Ketzerei“ Abweichung von der Glaubenslehre der Kirche. Für Gottesläste48 Die Schriften des Menno Simons, S. 709, 703.
1.5. Rechtsnormen
rung sah das Reichsrecht nur in besonders schweren Fällen die Todesstrafe vor, während diese bei Ketzerei stets folgte. Seit der Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II., die sich im 13. Jahrhundert unter anderem gegen die Waldenser gerichtet hatte, wurde Ketzerei als Aufruhr gesehen, als ein Verbrechen gegen die politische Obrigkeit; sie wurde auch als Majestätsverbrechen bezeichnet. Dabei ging die Ketzerverfolgung bereits zurück auf die spätantiken Gesetze der Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius, die sich vor allem gegen die antitrinitarisch ausgerichteten Manichäer und Donatisten gerichtet hatten. Wie bereits angesprochen zeigte sich die territoriale Vielfalt im Alten Reich auch in der Rechtsprechung. So wurde in Württemberg nach 1534 keine Todesstrafe mehr verhängt, ebenso in Hessen. Auch für die Reichsstadt Regensburg heißt es, dass bis in die 1530er Jahre zwar immer wieder Versammlungen von Täufern entdeckt wurden, die Beteiligten jedoch nicht hingerichtet, sondern der Stadt verwiesen wurden. Im Fall von Hans Landis, der 1614 einer der letzten Hingerichteten war, argumentierten die Obrigkeiten in Zürich, dass dieser nicht durch Ertränken hingerichtet werden sollte, da dies die Strafe für Ketzerei sei, sondern durch das Schwert – als Strafe für Gehorsamsverweigerung. Leibesstrafen waren im Fall der Täufer ebenfalls nicht unüblich. So wurde Georg Blaurock in Zürich mit gebundenen Händen und nacktem Oberkörper mit Ruten ausgepeitscht, und Michael Sattler wurden vor der Hinrichtung die Zunge abgeschnitten beziehungsweise mit einer glühenden Zange Stücke aus dem Leib gerissen. Auch das Abhacken von Fingern Leibesstrafen als Strafe für das Ignorieren des Landesverweises ist überliefert sowie das Einbrennen von Zeichen auf der Wange als Zeichen für den verhängten Landesverweis. Bekannt ist zudem die Strafversetzung auf Galeeren, wie im Fall von 90 Hutterern, die 1540 von der Burg Falkenstein bei Nikolsburg nach Triest geschickt wurden; Bern verhängte noch 1717 die Galeerenstrafe. 1.5.2. Haftbedingungen
Die Bedingungen in den Gefängnissen waren alles andere als ersprießlich. Da gehörte die Beschwerde von Melchior Hoffman, er bekäme lediglich hartes Brot und stinkendes Wasser, noch zu den Klagen auf höherem Niveau. Eine besonders anschaulich-schauerliche Beschreibung eines Gefängnisaufenthalts überliefert das hutterische „Geschichtbuch“. Hans Kräl lag im Verlies von Schloss Taufers, im „finstern, tiefen Fäulturm“, wo er nur merkte, dass Nacht und Tag sich abwechselten, weil es nachts kühler und das „Loch“ tagsüber
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Bild 9: Balthasar Hubmaier (Christoffel van Sichem), oben rechts und links sind Hinrichtungsarten dargestellt
Bild 10: Messer aus hutterischer Produktion
„sehr dünstig oder warmdämpfig“ wurde. Die Kleider faulten ihm am Leib, er begann zu stinken, das Ungeziefer kroch um ihn herum und fraß ihm das Essen weg.49 Hans Kräls hutterischer Glaubensbruder Paul Glock dagegen verlebte im Gefängnis in Hohenwittlingen vergleichsweise gute Zeiten. Er wurde von der Familie des Burgvogts Klaus von Grafeneck, selbst ein Anhänger Caspar von Schwenckfelds, immer wieder zum Essen eingeladen. Eine gewisse Zeit lang durfte er sogar das Gefängnis verlassen, wenn er Paul Glock versprach, abends wieder zurück zu sein. Die Tür zu seiner Zelle war nachts sowieso nicht verschlossen. 1571 bat er den hutterischen Ältesten Peter Walpot in einem Brief, ihm Messer aus der hutterischen Produktion zu schicken, um sie dem Gefängniswärter zu schenken. So, hoffte er, würde seinen Glaubensgeschwistern eher erlaubt werden, ihn zu besuchen. Sie könnten zwar schon bisher zu ihm kommen, aber stets im Geheimen. Offenkundig funktio49 Wolkan, Geschichtbuch, S. 281 f.
1.5. Rechtsnormen
nierte die Übersendung der Messer, denn Glock berichtet nach Mähren: „Von den Messern. Wisse auch, du [Peter Walpot, v. S.] hast wohlgetan, indem du sie geschickt hast. Wir haben’s wohl angelegt.“50 Und Paul Glock erhielt weitere gute Nahrung aus Mähren, beispielsweise die von den Hutterern produzierte Latwerge, die ihm half, so manche Dürrezeit im Gefängnis zu überleben. Mit dem Blick auf endzeitliche Entwicklungen dagegen scheinen Täufer im Gefängnis allen widrigen Bedingungen freudiger begegnet zu sein. So wird von einer Gruppe von 40 Täufern berichtet, die im Gefängnis singen, was bei den Täufern generell nicht selten vorkam. Von den in Fulda Inhaftierten heißt es jedoch zudem, sie seien fröhlich und würden auf den nächsten Pfingsttag hoffen, an dem man was Neues erfahren werde. Vermutlich erwarteten sie für diesen Zeitpunkt die Wiederkunft Jesu Christi. Ihre Gefangennahme 1532 in einem Haus in Spahl im Amt Rockenstuhl hatte sich äußerst spektakulär gestaltet. Über die 13 anwesenden Frauen berichten die Quellen, sie hätten sich ganz besonders gewehrt,– „sich fast deufflischer dan die menner zu der wehr gestellt“. Sie hätten mit Kugeln, Steinen und zuletzt mit Käse geworfen. Der Abt von Fulda drückte in seinem Bericht Verwunderung darüber aus, dass in dem Haus so viele Vorräte gelagert waren – als ob die Täufer sich dort Jahr und Tag hätten aufhalten wollen.51 Nicht jeder Täufer erwies sich als geduldig genug, im Gefängnis auf seinen Märtyrertod zu warten. Ausbrüche waren keine Seltenheit, und die noch in Freiheit lebenden Glaubensgeschwister waren nicht untätig. Bernhard Löplin aus Öffingen etwa bekam nachts einen Mauerhammer und Seile ins Gefängnis, mit denen er sich befreien konnte. Seine Kleider, so Ausbrüche heißt es, ließ er zurück. Er schwamm nackt durch die Rems und lief davon. Es ist davon auszugehen, dass der eine oder andere Gefängniswärter einem Zubrot nicht abgeneigt war, das ihm half, auch mal ein Auge zuzudrücken. Eine besondere, aber wohl nicht allzu häufig angewandte Form der Gefangenschaft war das Anketten von Frauen in ihrem eigenen Haus. Diese Strafe wurde in Württemberg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ab und zu verhängt. Sie sollte gewährleisten, dass Frauen trotz einer Verurteilung als Täuferin weiterhin ihren Aufgaben in der Familie nachkommen Anketten konnten, gleichzeitig jedoch daran gehindert wurden, ihren Nachvon Frauen barn den täuferischen Glauben zu predigen. Allerdings hatte diese 50 Die Hutterischen Episteln, III, S. 309. 51 Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 337 f.
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Strafform ihr Manko. So berichten die Quellen etwa von Margarethe Hellwart in Beutelsbach bei Waiblingen, die es immer wieder schaffte, sich ihrer Kette zu entledigen. Auch Anna Lein war ihre Kette losgeworden und versuchte dies bei den regelmäßigen Besuchen des Schultheißen zu kaschieren, indem sie sich lediglich auf die Kette stellte. Offenbar waren es die Ehemänner, die Hand an die Ketten ihrer Frauen anlegten, denn letztendlich erstreckte sich das Tätigkeitsfeld der Frauen nicht nur auf das Haus und die Kette störte das familiäre Wirtschaften. 1.5.3. Landesverweis und Flucht
Landesverweis war eine häufige, manchmal jedoch nur schwer durchzusetzende und in der Durchführung noch schwerer zu kontrollierende Strafe. Denn manch ein Täufer weigerte sich standhaft, das Land zu verlassen. Beugehaft oder die Begleitung durch obrigkeitliche Personen bis zur Landesgrenze sollten dem nachhelfen. Ein weiteres Problem entstand, wenn des Landes verwiesene Täufer zurückkehrten, was nicht selten passierte. 1598 klagten die pfälzischen Obrigkeiten, dass man nun schon lange gegen die Täufer vorgehe und sie des Landes verwiesen habe, aber es würden immer mehr wieder zurückkommen. Die „wiederteuferische sect“ würde in der unteren Pfalz am Rhein und in den Nachbarschaften weiter „umb sich freßen und wachsen“.52 In Straßburg ergab sich 1540 die Frage, wie mit Täufern umzugehen sei, die nicht von ihrem Glauben abgebracht werden konnten. Ein Ratsbeschluss gab vor, dass diese der Stadt verwiesen werden und sie eine Urfehde auf Stadt und Obrigkeit schwören sollten. Wer nicht schwören wollte, durfte stattdessen „Ja“ antworten. Wer auch dies nicht tun wollte, musste damit rechnen, bei Leib und Leben gesstraft zu werden. Diejenigen, die nach der Ausweisung aus der Stadt wiederkamen, sollten vier Wochen bei Wasser und Brot im Gefängnis gehalten werden. Die Probleme zeigten sich in den Alltagssituationen, beispielsweise bei Veit Frick aus Gutenberg. Seine Geschichte wird 1563 aktenkundig. Er hing bereits seit einigen Jahren den täuferischen Ideen an, war jedoch gleichzeitig sehr arm. Deshalb bat er die Obrigkeiten, mit Frau und Kindern nach Mähren ziehen zu dürfen, was ihm jedoch verweigert wurde. Als man ihn wegen seines täuferischen Glaubens verhaften wollte, floh Frick ins nahe gelegene Wiesensteig. Frau und Kinder mussten nun aus dem Armenkasten versorgt werden. Schließlich 52
TA Baden und Pfalz, S. 225.
1.5. Rechtsnormen
wurde Frick ins Gefängnis gebracht, was die Probleme nicht löste, denn so mussten Frau und Kinder weiterhin unterstützt werden. Letztendlich wählte Frick die für die Obrigkeiten beste Lösung, er widerrief seinen Glauben und ging weiter seinem Beruf als Weber nach. Wohlhabendere Täufer, die des Landes verwiesen worden waren oder im Gefängnis saßen, hinterließen ihre Güter, wenn es ihnen nicht gelungen war, diese vorher – stillschweigend – zu Geld zu machen. In den meisten Fällen konfiszierten die Obrigkeiten die Güter, wobei davon auch die Kosten für den Gefängnisaufenthalt bestritten wurden. So sah Güter der dies unter anderem ein Mandat für Bern von 1533 vor. Die BeAuswanderer schlagnahmung der Güter wurde für die Obrigkeiten zum Problem, wenn die Ausgewiesenen oder Ausgewanderten nach einiger Zeit enttäuscht und reumütig in ihre alte Heimat zurückkehrten, weil ihnen beispielsweise das Leben in Mähren nicht gefallen hatte. Sie standen erst einmal mittellos da, sollten jedoch wirtschaftlich wieder Fuß fassen können, wenn sie zu ihrem alten Glauben zurückgekehrt waren. Es war stets ein Abwägen, wie man mit den Gütern der Ausgewanderten umgehen sollte. Überließ man die Güter Verwandten, so war man nicht sicher, ob diese die Güter tatsächlich behielten oder doch verkauften und das Geld nach Mähren schickten. Manchmal kamen auch die Kinder der Ausgewanderten zurück, gaben vor, auf ihrem alten Gut wieder wohnen zu wollen, verkauften den Besitz dann jedoch heimlich und verschwanden mit dem Verkaufserlös erneut nach Mähren. Württemberg ging in den späten 1550er Jahren dazu über, das täuferische Gut zwar zu beschlagnahmen, es jedoch erst einmal durch Pfleger verwalten zu lassen. Andere Territorien folgten. 1571 tauchte der Vorwurf auf, die Obrigkeiten würden sich an den täuferischen Gütern bereichern beziehungsweise die Täufer nur aus diesem Grund verfolgen. Zwei Jahre später kam eine Anordnung aus Stuttgart, dass verlassene Güter nur noch eine „gewisse“ Zeit, darunter verstand man drei Jahre, verwaltet werden sollten. Danach sollten sie verkauft werden, wenn die Besitzer bis dahin nicht aus Mähren zurückgekehrt waren. Beim Verkauf sollte man zuerst die Verwandten berücksichtigen und die Güter ihnen anbieten. Der Erlös des Verkaufs ging an die Kanzlei in Stuttgart. In Bern wurde 1659 die „Täuferkammer“ eingerichtet, eine Behörde, die die hinterlassenen und konfiszierten Güter der Täufer verwalten sollte. Ein weiteres Problem war, wie man aus einem anderen Territorium verwiesene Täufer erkannte und deren Ansiedlung verhinderte. 1537 legte der Stadtrat von Straßburg fest, dass jeder, der als Bürger aufgenommen werden wollte,
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einen Abschiedsschein seiner alten Herrschaft vorweisen musste. So hoffte man, ehemalige Bauernkrieger und Täufer zu erkennen. Ab den 1550er Jahren wurde der Landesverweis in einigen Territorien nur noch selten angeordnet.
Fragen zur Reflexion Wie würden Sie die Rolle der Täufer im Reformationsgeschehen charakterisieren? Wie verorteten sich die Täufer selber? Und wie sahen die anderen Reformatoren sie? Diskutieren Sie die Wechselwirkungen zwischen Bauernkrieg und Täufertum. Weshalb wurden die Täufer hart verfolgt? Beschreiben Sie die politisch-gesellschaftlichen Mechanismen, denen sie begegneten.
Weiterführende Literatur John S. Oyer, Lutheran Reformers Against Anabaptists. Luther, Melanchthon and Menius and the Anabaptists of Central Germany, The Hague 1964. Werner O. Packull, Die Hutterer in Tirol. Frühes Täufertum in der Schweiz, Tirol und Mähren (Schlern-Schriften, 312), Innsbruck 2000. James M. Stayer, Anabaptists and the Sword, 2. Aufl., Lawrence, Kan. 1976. Andrea Strübind, Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003. Eike Wolgast, Stellung der Obrigkeit zum Täufertum und Obrigkeitsverständnis der Täufer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Hans-Jürgen Goertz / James M. Stayer (Hg.), Radikalität und Dissent im 16. Jahrhundert (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 27), Berlin 2002, S. 89-120.
2.1. Fremdbilder
2.
Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
2.1.
Fremdbilder
Die politischen Reaktionen auf die täuferischen Anfänge und die Ereignisse in Erfurt oder Münster (s. Kap. 2. 4. 2. und 2. 4. 3.) verdecken, dass die Wahrnehmung der Täufer eigentlich äußerst vielfältig und nicht nur negativ war. So wurden ihre moralischen Vorstellungen, die Ernsthaftigkeit ihres Lebens als Christen, ihre Ablehnung von Festivitäten oder TrinkTäuferische Ethik spielen sowie der hohe Alphabetisierungsgrad durchaus positiv hervorgehoben. Dies zeigt beispielsweise der Fall des Gerbers Michael Zeller und seiner Frau, die 1545 in Innsbruck beschuldigt wurden, Täufer beherbergt und selbst größere Sympathien für den täuferischen Glauben entwickelt zu haben. Vehement verteidigt die Zellerin sich mit den Worten, sie selbst schelte und fluche und ihr Mann fülle sich mit Wein – sie könnten also beide gar keine Täufer sein. Ein ähnliches Bild überliefert Jörg Wickram, ein Schriftsteller des 16. Jahrhunderts. Er beschreibt in seinem Roman „Rollwagenbüchlein“ (1555), wie sich zwei Nachbarn in einem kleinen Dorf wegen einer Streitigkeit vor dem Bürgermeister wiederfinden. Als alle Anschuldigungen gegen den jeweils anderen ins Leere führen, bezichtigen sie sich gegenseitig „Wiedertäufer“ zu sein. Beide streiten dies sofort und vehement ab. Daraufhin antwortet der Bürgermeister: „Gond hin, lieben fründt, unnd vertragen eüch selbs mit einandern! Dann ich sihe wol an eüwerem schweren und neidigen nachburschaft, das ir beide kein widerteüffer sind; ich glaub nit, das eüwer einer so er an ein backen geschlagen wirdt, das er den andern auch darhielte.“1 Offenkundig war es auch immer wieder eine Bemerkung wert, dass Täufer lesen und schreiben konnten, wie 1556 in einem Bericht über Täufer, die im Amt Kreuznach im Gefängnis saßen. Sie könnten lesen und schreiben und „irer opinion genugsame scheinbare argumenta aus der schrift anzaigen“. Friedrich Christman hinterließ 1535 an der Wand seiner Gefängniszelle in Reichenau am Bodensee ein schriftliches Zeichen seiner täuferischen Überzeugung: „widertäufer früm lüt“. Und der St. Galler Theologe Johannes Kessler vermerkte in 1
Zit. nach: Kobelt-Groch, Nachbauren, S. 61.
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seiner Chronik, dass die Täufer „im reden und disputieren [ … ] grim und verbissen und so unnachgebig“ gewesen seien, das „sy ee willig begerten darüber zu sterben“.2 Der Blick auf die Täufer führte zu Reflexionen über die Unzulänglichkeiten der eigenen Konfession. Und insofern konnten die Täufer beispielhaft wirken für eine konsequentere Kirchenzucht. Bereits 1528 schrieb Jakob Otter, zu der Zeit Prediger in Neckarsteinach und später Reformator in Esslingen, eine Verurteilung der täuferischen Lehre, verband diese Täufer als Vorbild jedoch mit einer eindringlichen Mahnung an seine eigenen Glaufür Kirchenzucht bensgenossen. Wo die Evangelischen es an Gottgefälligkeit mangeln lassen, da würde der Teufel ansetzen und die Täufer stark machen. Die Täufer würden es schaffen, die Leute mit ihrer Lehre zu blenden – ihr Wandel habe einen „feinen schein“, der die „einfeltigen“ beeindrucke. Sie würden „nit schweren, kein vergeben wort reden, groß aufmerkung auf nochgültig kleidung haben, etlich handwerk oder hantierung nit under inen leyden, auf das sye ye nicht von dem buchstaben des newen testaments abweychen“.3 Der Historiker Hanspeter Jecker hat auch für die Schweiz herausgearbeitet, dass die Täufer in einem regionalen Raum tatsächlich Vorbildfunktion für die reformierte Konfessionalisierung und Disziplinierung hatten. 1588 hieß es in einem von Theologen in Aarau gestellten Gutachten, dass nicht die Täufer an sich bekämpft werden müssten, sondern die Symptome für ihre Existenz, nämlich Sittenlosigkeit und Lasterhaftigkeit der Bevölkerung und des geistlichen Standes. Diese bewege „fromme, gottesfürchtige Leute, die Christum von Herzen suchen, von der Kirche sich abzusöndern.“4 Sehr reale Auswirkungen hatte die täuferische Angelegenheit auf Diskussionen, die 1538 in die „Ziegenhainer Zuchtordnung“ beziehungsweise 1539 in die „Kasseler Konfirmationsordnung“ Martin Bucers mündeten. Sie werden als Reaktion auf die täuferische Idee von der Taufe eingestuft. 1533 hatte bereits Caspar von Schwenckfeld den Vorschlag vorgebracht, Konfirmation angesichts der Tatsache, sich nicht über die Abschaffung der Kindertaufe verständigen zu können, wenigstens eine Zeremonie einzuführen, durch die die getauften Kinder in einem späteren Alter noch einmal eine Weihe in ihrem Glauben erfahren würden. 2 3 4
TA Baden und Pfalz, S. 146, 475; Kessler, Sabbata, S. 148. TA Baden und Pfalz, S. 128. Zit. nach: Jecker, Ketzer, S. 83 f.
2.1. Fremdbilder
Quelle Katharina Zell, die Frau des Pfarrers im Straßburger Münster, verfasste 1557 einen Brief an den Ulmer Superintendenten Ludwig Rabus: „Nur die armen Täufer, über die Ihr so grimmig zornig seid und die Obrigkeit allenthalben auf sie hetzt wie ein Jäger die Hunde auf ein Wildschwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen im Hauptstück, darinnen wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nicht vergleichen können – soll man sie gleich darum verfolgen und Christum in ihnen, den sie mit Eifer bekennen und viele unter ihnen bis ins Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt Euch die Schuld, daß wir in Lehr und Leben Ursach sind, daß sie sich von uns trennen. Wer aber Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nicht zwingen und regieren, wie Ihr meint: er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nicht dem äußerlichen Menschen. [ … ] Straßburg ist noch nicht zum Exempel von Schand und Spott dem deutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, des Mitleidens, der Aufnahme der Elenden, ist auch noch nicht Münster geworden, Gott sei Lob! Ihr dagegen seid demnach mit kleinen Ehren draußen vor dem Tod, während mancher arme Christ, den Ihr gern vertrieben gesehen hättet, noch hier drinnen ist. So hat der alte Mattheus Zell nicht gehandelt, sondern die Schafe gesammelt, nicht zerstreut, hat auch in solches nie eingewilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Konvent der Prediger gesagt: ‚Ich nehme Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, daß ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.‘ Hat auch nach seinem Vermögen abgewandt, was ihm möglich gewesen. Gott behüte Straßburg fürbaß und Ulm auch, daß nicht Euer großes Geschrei den Zorn Gottes über sie bewege!“5
Doch es gab auch genügend negative Zuschreibungen. So wurde 1529 in Heilbronn saurer, erfrorener Wein als der „widerteuffer“ bezeichnet. Polemik gegen Als Martin Luther 1546 durch die stürmische und mit Eis bedeckdie Täufer te Saale an der Heimreise gehindert wurde, war die Naturgewalt für ihn die „große Wiedertäuferin“, die sich vor ihm aufgebäumt und ihm mit
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Zit. nach: Fast, Zell, S. 31 f.
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der Wiedertaufe gedroht habe.6 Die Täufer waren also zumindest in diesen Fällen schon sprichwörtlich geworden. Mit sehr drastischen und polemischen Worten und Beispielen wurden die Hutterer in den Kontroversschriften der beiden südmährischen katholischen Geistlichen Christoph Erhard und Christoph Andreas Fischer dargestellt. Sie porträtierten die Gemeinde als verkommen und ihren eigenen hehren Regeln stets zuwiderhandelnd. Die Hutterer seien überheblich und stolz, würden durch Luxus und Weltlichkeit auffallen und ihre engen und guten Kontakte zu den adeligen Grundherren nutzen, um sich Vorteile zu erkaufen. Weitere konkrete Vorwürfe reichen von Alkoholexzessen, besonders beim Abendmahl, bis hin zu Morden, die Bewohner der hutterischen Höfe begehen würden. Vergleicht man Erhards und Fischers Vorwürfe mit den hutterischen Gemeindeordnungen, so erweisen sich die beiden Jesuiten trotz aller Überspitzung als gute Kenner der hutterischen Gemeinden. Sie schildern Missstände und Widersprüche zwischen Leben und Lehre, die sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts tatsächlich im hutterischen Gemeinwesen einschlichen, überhöhten diese jedoch mit einer vernichtenden Polemik.
2.2.
Selbstbilder
2.2.1. „da verstunde ichs“7 – Die Theologie der „gemeinen Täufer“
Die „gemeinen“ Täufer – die „einfachen“ Gemeindeglieder. Was ist zu erfahren über ihren Glauben und ihr alltägliches Leben? Hans-Jürgen Goertz charakterisierte ihre Lebenswelt 2007 als Mischung aus „antiklerikaler Agitation“ und „kommunalen Traditionen“.8 Grunderfahrungen ihres Lebens korrespondierten mit ihrem „täuferisch sein“. So war im Dorf die gemeinschaftliche Nutzung bestimmter landwirtschaftlicher Flächen, der Allmende, Usus. In den Städten fand gemeinschaftliche Verwaltung über Bürgerausschüsse statt. Dies waren Lebenserfahrungen, über die Angehörige der Mittelschicht verfügten, aus der wohl die meisten Täufer entstammten. Der Wunsch nach mehr Gleichheit in der Gesellschaft fand im täuferischen Glauben einen Katalysator, der alle Vorstellungen am idealsten kombinierte. 6 7 8
Zit. nach: Kobelt-Groch, Nachbauren, S. 60. Zit. nach: Mattern, Leben im Abseits, S. 27. Goertz, Radikalität der Reformation, S. 368.
2.2. Selbstbilder
Bild 11: Titelkupfer der Schrift „Der Hutterischen Widertauffer Taubenkobel“ von Christoph Andreas Fischer (1607)
Der täuferische Glauben wurde unter den „gemeinen Täufern“ sehr praktisch verstanden und oftmals pragmatisch, teilweise äußerst polemisch argumentiert, was den „Sitz im Leben“ der täuferischen Theologie dokumentiert. Hier zeigte sich der Nachhall der Predigten – das, was ankam bei den Menschen und in die Lebenspraxis umgesetzt wurde. Das Predigen „Sitz im Leben“ der frühen Täufer, so hat Andrea Strübind festgestellt, konzentrierte sich nicht auf theologische Unterweisungen oder apologetische Reden über die richtige Taufe, sondern über den reformatorischen Glauben an sich. Zumal, wie Alejandro Zorzin herausgearbeitet hat, das Predigen in der frühen Zeit der Täufer die beste und einzige Möglichkeit der Glaubensvermittlung war, denn von den frühen Züricher Täufern gab es keine gedruckten Pamphlete.9 Diesen „Sitz im Leben“ bezeugen auch die Aussagen von gefangenen Täufern im Verhör. So erzählte Augustin Würzlburger aus Regensburg, ein früher täuferischer Prediger, den Behörden in seinem Verhör, er habe ein Schreiben von den 1527 in Augsburg versammelten Täuferpredigern bekommen, dass dort das Los auf ihn gefallen sei, als Apostel „das ewangeli zu predigen“. Er sei daraufhin nach Süßbach (heute Landkreis Mainburg) gezogen, wo er Bekannte 9
Strübind, Eifriger als Zwingli, S. 493 f.; Zorzin, Reformation Publishing, S. 504.
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
hatte. Interessierten las Würzlburger Kapitel aus dem Neuen Testament vor und forderte sie dann auf, „nach solchem Inhalt zu leben“. Ganz der Verfolgungszeit entsprechend bedeutete für Würzlburger „Christo nachfolgen“ die Bereitschaft, Verfolgung auf sich zu nehmen. Auf die Frage im Verhör, ob er ein „widerteufer“ sei, antwortete Würzlburger, er sei kein „widerteufer“. Schließlich sei ein „widerteufer“, wer „wider das wort gottes tauf; und er hab getauft nach dem bevelch gottes“.10 Im Juli 1562 werden 21 Täufer gefangen genommen, die sich am Katzenbühel bei Esslingen versammelt hatten. Unter ihnen ist Jörg Schnaitmann, ein Weingärtner aus Fellbach. Aus seinem Verhör ist folgender Wortwechsel überliefert: „Sagt, er sei getoft worden; wells nit sagen, wa; was will man davon wissen? Ists genug, das ers bekenn? Wels nit verraten. Was helfts, wan man schon wiß? Wan man kann mit götlicher schrift uberweisen, will er sich weisen lassen. Will nit sagen, wa er getoft sei; mecht inen eben alsbald leid sein als lieb; bringt kein besserung; geschehe us kainem guten firsatz, das man in frag.“11 Auch von einem Verhör in Lörrach im Jahr 1582 heißt es, die befragten Täufer würden auf einige Fragen keine richtigen Antworten geben wollen oder können. Sie würden entweder schweigen oder unpassende Dinge einwerfen, manchmal auch einen Bibelspruch, der gar nicht zum aktuellen Thema gehört. Genervte Obrigkeiten, die keine Antworten bekommen und sture Gefangene, die nichts aus sich herauspressen lassen wollen. Typische Verhöre? Die Verhöre der gefangenen Täufer waren meist nicht theologisch tiefschürfend, sondern auf die Glaubenspraxis bezogen. Doch es gilt, die Quellensorte an sich einzuschätzen, denn die Antworten der Täufer vermitteln den täuferischen Glauben durch die Brille der obrigkeitlichen Fragen. Den Obrigkeiten ging es vor allem darum, hinter die Fassade der Treffen und der einzelnen Gemeinden zu blicken und in die Strukturen der täuferischen Bewegung einzudringen. Man wollte Namen von Personen und Treffpunkte erfahren, keine theologischen Diskussionen abhalten. Oder am liebsten unter Druck einen Widerruf erreichen. Deshalb genügte es meist, wenn der Richter etwas über die Taufe, die Einstellung zur Obrigkeit und zum Eid sowie zum Abendmahl erfuhr. Auch der Predigtbesuch war oft Thema, verbunden mit der Nachfrage, warum man nicht zur „normalen“ Predigt ging. Einfach klingende Aussagen können also einerseits der generellen Situation im Verhör geschuldet sein, andererseits 10 11
TA Bayern, II, S. 38. TA Württemberg, S. 210 f.
2.2. Selbstbilder
verweisen sie aber auch auf das, was bei den „einfachen Täufern“ hängen blieb beziehungsweise, was den alltäglichen Glauben bestimmte. Manchmal sind in den Verhöraussagen regionale Schwerpunkte erkennbar. Beispielsweise wurde in Tirol oder in anderen österreichischen Ländern häufiger gegen die Sakramente polemisiert, was den katholischen Hintergrund widerspiegeln dürfte. Die Messe wird als nicht christlich deklariert und das Sakrament des Altars rundum abgelehnt. Setzt man Tirol Polemik beispielsweise Württemberg entgegen, so spielt hier das Abendmahl in den Aussagen gefangener Täufer eine viel untergeordnetere Rolle. Zwar wird häufig erwähnt, dass es abzulehnen sei, weil jeder hingehen dürfe, egal wie „heilig“ er sein Leben führe. Doch werden die Praxis und die dahinterstehende Theologie weniger kritisiert. Es fällt zudem auf, dass besonders die Täufer in Tirol in den Quellen durch äußerst polemische Antworten auffallen. Die Kirche sei lediglich ein „steinhauffen“ gehört noch zu den schwächeren Aussagen. Polemischer waren jene Antworten, die die Messe als „greil“ und „gestankh vor Got“ bezeichneten oder das Abendmahlssakrament als ein „götzl ausserhalb des prots“, als „ketzerey“ und „zauberey“. Die „pfaffen fressens von tag zu tag und werden doch nicht pesser davon“, so Paul Rumer 1533 in Michelsburg. Die Kindertaufe nannte Gertraud Pretz in Sterzing ein „sudlwesch“ und für Niclas Velder aus Silian war sie ein „zauberpad“. Auch die Pfarrer und Priester bekamen ihr Fett weg. Sie würden auf der Kanzel lügen, seien lediglich „plinten fuerer“ und die „grössten huerrer und eebrecher“.12 Zur Bedeutung von Maria und zur Funktion der Heiligen als Fürsprecher gibt es ebenfalls zahlreiche Aussagen. Meist wurde Maria als Frau angesehen, die in Ehren zu halten sei, der jedoch nicht mehr Ehre erwiesen werden sollte als Gott, so etwa Erhart Urscher 1533 in Sarnthein. Maria oder tote Heilige könnten vor allem keine Fürbitter sein. Auch die Beichte gegenMaria und über einem Priester bringe nichts. Dagegen wären die Heiligen im die Heiligen Himmel ihnen, den Täufern, gleich, denn sie hätten ebenso um des Wortes Gottes willen gelitten. Die „lebenden heiligen“, nämlich die Brüder und Schwestern in den täuferischen Gemeinden, könnten füreinander beten. Besonders in jenen Regionen, in denen Hans Hut und dann hutterische Sendboten aktiv waren, wird das gemeinschaftliche Leben thematisiert, beispielsweise in Tirol oder in Oberösterreich. Tatsächlich gab es dort bereits sehr 12
TA Tirol, S. 117, 126, 151, 158.
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früh einen Säckelmeister, der die gemeinsame Kasse verwaltete, in die jeder Täufling seinen oder ihren Obulus einzulegen hatte. Eine generelle Gelassenheit gegenüber Besitz prägte dagegen Aussagen in anderen Gebieten. So ist aus dem thüringischen Etzleben überliefert, dass Hans Römer gelehrt habe, nicht „girigk auf die narung“ zu sein, sondern Gott allein zu vertrauen. Und Adam Angersbach aus Unterhaun berichtete, von Melchior Rinck gelernt zu haben, „vor Gott ganz gelassen“ zu sein, auch „seines eigens lebens und sein herz nit ans zeitlich“ zu hängen.13 Den Glauben lernten die zukünftigen Täufer in den verschiedenen Versammlungen und durch persönliche Kontakte kennen. Anstad Kemmerer aus Halle hatte eigentlich nur seinen Bruder in Eisleben besuchen wollen, als er sich entschloss, mal wieder bei einem alten Bekannten, dem Schuster Nisius, vorbeizuschauen. Nisius bot ihm eine Übernachtungsmöglichkeit an, so dass sich noch eine abendliche Unterhaltung mit einem ebenfalls anwesenden Täufer ergab. Kemmerer berichtet später, ein „bleich, kurz mennelein“ mit einem „nidderlendisch parret, mit marder gefuttert“ und einem „schwarz gefuttert leiprocklein biß zu halben knie und ascherfarben hosen“ sei in der Stube hinund hergegangen. Schließlich habe der Mann sich hingesetzt und in einem Buch gelesen und Kemmerer gefragt, „was er von der taufe hielde“ – der Startschuss für das täuferische Leben von Anstad Kemmerer.14 Es war ein direkter Zugang zur Bibel und zum Glauben ohne die Vermittlung von Pfarrern und Priestern, der das Täufertum prägte. Die Erkenntnis – „da verstunde ichs“ – war meist begleitet von der Einsicht, das Leben ändern zu müssen. Anthoni Roggenacher, ein Kürschner aus Schwyz, sagte vor den Obrigkeiten aus, er habe Georg Blaurock von Samstag bis Montag bei sich zu Besuch gehabt, und dieser habe so viel von der Taufe erzählt, dass er sich am Montag von ihm habe taufen lassen. Viele Täufer distanzierten sich von dem Vorwurf, sie folgten einer „menschlichen Lehre“. Er folge gar keiner bestimmten Lehre, nicht eines Hans Hut, Ulrich Zwingli oder anderer, sondern dem „Wort Gottes“ nach „vermugen der heilligen geschrifft und der evangelien“, so Jörg Schöferl. Sigmund aus Kiens betonte, die Lehren von Luther, Zwingli und dem Papst seien lediglich „menschen
13 14
Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 286, 329, 259. Ebd., S. 259.
2.2. Selbstbilder
satzungen“. Dagegen hielten die Obrigkeiten die Aussage von Michel Honacker in Schorndorf fest, die Lehre der Hutterer und Luthers sei „nit fast vngleich“.15 Die Täufer verstanden sich als „Gemeinde Gottes“, eine Gemeinde von „Brüdern“ und „Schwestern“. Die Gruppennamen festigten sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. So handelt es sich um eine nicht untypische Aussage, wenn Michael Jungemann in Kürnbach feststellt, er gehöre zu keiner „Sekte“, sondern zur „Gemeinde Gottes“. „Dieselbig ir Gemeinde bruederschaft sei die cristenlich gemaindt oder die gemaindt Gottes und die andern ausserhalb irer bruederschafft seien die gotlosen“, so Täufer bei ihrem Verhör in Wien.16 Wichtig war, dass dieser Gemeinde nur jene angehörten, die ein „heiliges Leben“ führen wollten, um die Gemeinde ohne Flecken und Runzeln zu bilden. Das Abendmahl wurde nicht überall mit so viel Polemik übergossen wie in Tirol. Aber es wurde in seiner sakramentalen Bedeutung infrage gestellt. So ist in den Verhören zu lesen, Jesus Christus könne im Abendmahl gar nicht präsent sein, da er ja jetzt zur Rechten Gottes sitze. Die Witwe Geiger, die entsprechendes zu Protokoll gibt, führt weiter aus, Jesus Christus Abendmahl sei allein als ein Geist bei ihr. Und Veit Frick aus Gutenberg sagt aus, die Himmelfahrt Christi stehe der Präsenz im Abendmahl entgegen. Die wenig zeremonielle Sicht auf das Abendmahl offenbart eine Aussage von Anthoni Roggenacher aus Schwyz: Man habe gemeinschaftlich zusammengesessen und so viel von Gott geredet, dass sie am Schluss „des tisch gottes begertind“.17 Ebenso wurde die Taufe in ihrer Bedeutung reduziert. Die Wassertaufe achte er gering, so Jörg Scherer im württembergischen Kirchheim. Gott habe ihm Gnade und Offenbarung gegeben, dass er innerlich getauft sei. Auch Jörg Schöferl sagte aus, die Seligkeit komme nicht aus der Taufe, sondern aus einem „waren cristenlichen glauben“. Er stellte zudem das Taufe Wort „Wiedertaufe“ an sich infrage und meinte, er vertrete nicht die „widertauff “, sondern lediglich die eine Taufe nach „cristenlicher ordnung“. Leonhart Dorfbrunner antwortete hintergründig auf die Frage, ob er wiedergetauft sei, er könne sich nur an eine Taufe erinnern, nämlich jene, die er vergangene Pfingsten durch Hans Hut empfangen habe.18 15 16 17 18
TA Österreich, I, S. 18; TA Tirol S. 21; TA Württemberg, S. 186. TA Württemberg, S. 530; TA Österreich I, S. 42. TA Zürich, S. 60. TA Württemberg, S. 198; TA Österreich I, S. 18, 63.
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Immer wieder wird betont, dass der Täufling mit der Taufe die Aufnahme in die „bruederschaft“ fand beziehungsweise die Taufe ein Zeichen für das „verpundtnuß“ und das Bündnis zwischen Gott und Menschen sei. Allerdings habe die Taufe, so etwa Hans Wagner, nicht die Bedeutung einer Wiedergeburt. Vielmehr verpflichte man sich in der Taufe, so Ambrosius Spitelmeier 1527 in Ansbach, miteinander zu sein, aufeinander zu achten und sich gegenseitig „bruderlich“ zu unterweisen. Im Zusammenhang mit der Taufe wird meist nach der Bedeutung der Kindertaufe gefragt, über die die Obrigkeiten dann auf das Thema Erbsünde kamen. Kurz und knapp antworten beispielsweise die Brüder Rapp 1557 in Pforzheim, dass die Taufe bei Kindern nicht nötig sei, da für sie die Erbsünde unschädlich sei. Sie verweisen, wie viele weitere Täufer bei einer entsprechenden Frage, auf die neutestamentliche Stelle, in der Jesus sagt „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ (Matth. 19, 14). Wichtig waren ethische Aspekte. Eine Änderung des Lebens sollte sich mit dem „Täufer-Werden“ verbinden. Konrad Grebel wird von Arbogast Finsterbach aus Oberwinterthur gefragt, was man tun müsste, um getauft zu werden. Daraufhin antwortete Grebel, „einer mueßte zuovor von ebrechen, spillen, suffenn und vom wucherzins stan“.19 In anderen Aussagen kommt die Vorstellung zum Ausdruck, nach der Taufe sündlos zu leben. Andre Zimmermann etwa gab zu Prokoll, dass er seit seiner Taufe nicht mehr gesündig habe; er wisse, dass Christus ihm seine Sünden vergeben habe. Für Philipp Raup in Nussloch wiederum war die Taufe seiner eigenen Aussage zufolge nötig, da er von Sünden abstehen wolle. Dies wäre ihm unmöglich gewesen ohne die Wiedertaufe. In der Taufpraxis gab es jedoch so manche Grauzone. Beispielsweise taufte der lutherische Prediger Jakob Kautz aus Worms weiterhin Kinder, obwohl er bereits von der Unwirksamkeit der Kindertaufe überzeugt war. Die Kindertaufen dienten in seinem Fall dazu, die Eltern vor der Ausweisung aus der Stadt zu bewahren. Und eine sehr aufschlussreiche Antwort darauf, warum die täuferischen Versammlungen heimlich stattfinden, gaben gefangene Täufer, die sich 1527 in Steyr verantworten mussten. Man taufe deshalb nicht öffentlich, weil die Täufer eine noch zu kleine Gruppe seien. Wenn sie mehr seien, würden sie auch öffentlich taufen. Ziel sei es schließlich, viele Leute in ihre Gruppe zu bringen.
19
TA Zürich, S. 101.
2.2. Selbstbilder
Auch die „politischen Artikel“ wurden in den Verhören thematisiert, und die Antworten offenbaren eine große Vielfalt. Wehrlosigkeit konnte den persönlichen Bereich betreffen, wie bei Urban Bolz aus Kirchheim. Er sagte, es gäbe kein Kriegen mehr, sondern man müsse auch die andere Backe darbieten. Cleinhenn aus Lartenbach wiederum meinte, man sollte seinem Politische Artikel Herrn im Krieg nicht „beistand tun“, denn es stünde geschrieben, man solle niemanden verfolgen, und es sei auch nicht recht, dass ein Christ Blut vergieße. Er gab auch zu Protokoll, den Schöffeneid geleistet zu haben, den Huldigungseid jedoch nicht. Michael Jungemann aus Kürnbach blickte sogar noch ein wenig mehr über die Gemeindegrenzen hinaus, indem er meinte, Fürsten und Herren sollten sich ohne Blutvergießen miteinander vergleichen. Hans Grembser sagte 1533 in Brixen, die Täufer würden sich daran erkennen, dass sie keine Wehr trügen. Die Weigerung, einen Eid zu leisten, erklärte Hans Fischer 1548 in seinem Verhör in Zürich damit, dass es gegen die Bibel sei, „eidlich zu versprechen, zukünftige Dinge zu halten. Bei Christen soll die Rede, ja, ja und nein, nein sein.“ Etwas Geschehenes zu bezeugen sei jedoch in Ordnung.20 Ganz unterschiedliche Antworten findet man in den Verhören auch zur Rolle der Obrigkeit. Sie reichen von Aussagen, man solle der Quellenarbeit 5 Obrigkeit gehorchen, wenn diese fromm sei, bis zu jener, man solle gehorsam sein, egal, ob die Obrigkeit gut oder böse sei. Es sei ihr verordnet, das Schwert zu führen. Simon Kraußhaar gab in Neckargröningen zu Protokoll, er könne nicht erkennen, dass die Obrigkeit christlich sei. Zu seinem Hintergrund erfährt man, dass er in Mähren gewesen war und Anhänger von Hans Hut war. 2.2.2. Praktische Alltagsfragen
Während viele Täufer wahrscheinlich, im Verlauf des 16. Jahrhunderts zunehmend und je nach Region verschieden, relativ unbehelligt lebten, gehörte für andere Täufer Migration und Neuanfang dazu. Die täuferische Bewegung zeichnete sich durch eine hohe Mobilität aus. Nicht nur die Vertreibungen sorgten für eine dauerhafte Migration, auch die Prediger Wehrlosigkeit blieben selten länger an einem Ort. Doch Reisen bedeutete im 20 Zit. nach: Leu / Scheidegger, Schleitheimer Bekenntnis, S. 111; die anderen Zitate: TA Württemberg, S. 199, 530; TA Tirol, S. 137; Franz, Urkundliche Quellen, S. 264.
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16. Jahrhundert Gefahr, zumal die Täufer aufgrund ihrer Überzeugung, wehrund waffenlos leben zu wollen, eigentlich auf die übliche Ausrüstung eines Reisenden verzichten mussten, mit der bei einem Überfall Gegenwehr geleistet wurde. In den sächsichen Täuferquellen heißt es, die Täufer trügen bei ihren Reisen ein Stäblein in den Händen, sonst jedoch keine Wehr. Jakob Huter geriet durch einen Vermerk in den Quellen in die Fänge der rückblickenden täuferischen „correctness“. Die Quellen berichten nämlich, er habe ein „hackl“ am Arm getragen, also eine Hakenbüchse, in manchen Quellen ist direkt von einer „püchsen“ die Rede. Da weitere Informationen fehlen, ist jedweder Interpretation Tür und Tor geöffnet: Hatte sich Huter auf seinen Reisen tatsächlich bewaffnet, um Räuber abzuwehren, oder trug er lediglich einen Wanderstab bei sich? In diesem Fall bleiben die Quellen die Antwort schuldig. Überliefert ist jedenfalls, dass die Wehrlosigkeit bereits 1532 ein Thema für die Tiroler Täufer war. Aus diesem Jahr gibt es eine Aussage aus dem Mund des Sigmund aus Kiens, der zu Protokoll gibt, die Vorsteher würden sie anweisen, „keine andere Wehr als einen Stock zu tragen“. Wollte man sie gefangen nehmen, sollten sie sich nicht wehren.21 Johannes Kessler überliefert in der „Sabbata“, die Täufer würden auf ihren Reisen auf jegliche Bewaffnung verzichten und außer einem „abbrochen brotmesser“ weder Schwert noch Degen tragen.22 Sich als Täufer gesellschaftlichen Bräuchen des 16. Jahrhunderts zu entziehen, bekam den drei Hutterern Jeronimus Käls, Michael Bahaim und Hans Oberecker auf ihrer Reise 1536 in einem Wiener Wirtshaus nicht gut. Vielleicht war es das „Hasenhaus“ in der Kärntner Straße, wo sie sich weigerten, die üblichen Wirtshausspielchen wie das Zutrinken oder das Bescheidtrinken mitzumachen. Die Weigerung, an diesen „fröhlichen Bräuchen“, die in der Frühen Neuzeit bis zum „exitus“ durchgezogen wurden, teilzunehmen, identifizierte sie unweigerlich als Täufer, was dazu führte, dass die Trinkgesellschaft begann, die Täufer zu verlästern. Das den Täufern geziemende zurückhaltende und sich von Plätzen der Gesellschaft fernhaltende Leben brachte Hans Hut polemisch auf den Nenner, man könne das „geheimnuß götlicher weißheit“ nicht in „spelungken oder mördergrueben aller bueberey“ kennenlernen, weder in Wittenberg noch in Paris. Auch erfahre man es nicht an den Adelshöfen oder auf großen Pfründen. Die Evangelischen hätten zwar den Papst, die Mönche und die Pfaffen „aus 21 TA Tirol, S. 21. 22 Kessler, Sabbata, S. 147.
2.2. Selbstbilder
dem stuol“ gestoßen, doch nun würden sie selbst mit „Babilonia“ „huren“ und in Lust, Pracht, Ehre, Geiz, Neid und Hass ein „erger babstum“ aufrichten als vorher.23 In jenen Gegenden, wo im späten 16. Jahrhundert noch Täufer lebten, gab es immer mal wieder Klagen. So erhob beispielsweise die kurpfälzische Regierung um 1600 den „status quo“ in den verschiedenen Herrschaften und Gebieten. Die Erkundungen ergaben, dass es in einigen Gebieten ruhig war, in anderen Täufer wiederum noch aktiv seien. In zwei Orten, Rohrbach und Mehlingen, die den Herren von Wartenberg gehörten, hatte sich eine tolerante Politik durchgesetzt. So hatte Konrad Kolb von Wartenberg zwar zugesagt, nach dem Tod der in seinen Herrschaften noch wohnenden Täufer keine neuen mehr aufzunehmen; er hatte sich jedoch nicht daran gehalten. So würde in Rohrbach „in der Kolben Hof “ noch ein alter Müller wohnen, der mit seinen fünf Söhnen zu den täuferischen Versammlungen in Frankenstein gehe. Sie würden sich äußerlich freundlich und nachbarlich halten, aber andere Pfarrkinder, wie es heißt, verführen. Warum lokale Herrschaften Täufer duldeten, kann ein zweiter Fall aus der Kurpfalz verdeutlichen, der ebenfalls im Zusammenhang mit der Erhebung des „status quo“ um 1600 ans Tageslicht kam. In Oberingelheim wohnte 1603 Melchior Mader, ein Maurer, der für seine handwerkliche Kunst bekannt war. Er war zwar bereits schon einmal aus der Pfalz ausgewiesen worden, durfte dann aber auf Geheiß der Oberingelheimer wieder zurückkehren. Er erhielt sogar weitere Privilegien. Als dem Kurfürsten gehuldigt werden sollte, habe er mit Erlaubnis des Unterschultheiß zuhause bleiben dürfen. So gehörte Duldung bald zur täuferischen Erfahrung. Die Quellen legen den Rückschluss nahe, dass Täufer regional und lokal geduldet wurden und sich im Alltag nicht von ihren Nachbarn unterschieden. Die wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen im Dorf dürften vom „täuferisch Sein“ Einiger nicht berührt gewesen sein. So ist beispielsweise aus dem Bergischen Land überliefert, dass die täuferischen Nachbarn im 17. Jahrhundert im Dorf akzeptiert waren. Niemand beschwerte sich über sie, obwohl sie Waffendienste verweigerten. Schließlich entrichteten sie alle Abgaben und übernahmen die geforderten Dienste, etwa Spann- oder Botendienste. Aus Grenzach heißt es 1626: „Unnd ob sie auch gleichwohl säckhtisch, haben sie jedoch ohne ärgernus mänigliches ihren vermeintlichen Gottesdienst, inn solcher stillen zuegebracht, 23
Hans Hut, Anfang eines rechten christlichen Lebens, in: Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 170 f.
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
daß mann biß dahero allerklärten entübrigt und überhaben verblieben. Und haben sie biß dato auch anderer orthen, inn und außerhalb deß Röm. Reiches ihre unverweißliche Unterkunfft bey Christlichen Ständen erhalten.“24 Aus anderen Regionen, beispielsweise Württemberg, ist dagegen überliefert, dass Täufer sehr nikodemitisch lebten, also nach außen am Leben der Protestanten teilnahmen, im Inneren und Verborgenen jedoch täuferisch blieben. Es ist bis jetzt nicht systematisch untersucht, wie das manchmal zu beobachtende Wechselspiel von Duldung und Vertreibung zu erklären ist. Ab wann kippte die Stimmung? Eine Initialzündung genügte manchmal und das „täuferisch Sein“ wurde wieder zum Thema. Eine solche Entwicklung ist aus dem Kirchspiel Rensefeld bei Lübeck überliefert, wo ein Visitationsbericht im Jahr 1670 festhält, einige „Manisten“ würden sich „öffentlich“ in der Gegend aufhalten. Sie seien bisher „allezeit geduldet worden“, hätten in der Kirche auch ihren eigenen Stuhl und auf dem Kirchhof ihr „eigen Begräbnüß“ – was auf eine recht umfassende Integration hindeutet. Der Visitationsbericht fährt fort, es sei eine sehr große „Fahrlässigkeit“ gewesen, dass man „solche grobe Kezzer hat einnisteln lassen“ und ihnen „noch dazu eine Stelle auf dem Kirchhof vergönnet, welches nun schwerlich zuendern stehet“.25 2.2.3. … und die Frauen?
„In Christo ist weder Mann noch Weib“? Dieses aus Gal. 3 gezogene Postulat sollte besonders für die täuferische Bewegung gelten. Rühmten sich die Täufer doch, das Priestertum aller Gläubigen umzusetzen und eine Gesellschaft von Gleichen zu bilden. Geistlich gesehen war es auch so, denn Gnade, Rechtfertigung und Erlösung galten für Mann wie für Frau, und alle waren befugt, die Bibel zu lesen und auszulegen. Doch es gilt zu unterscheiden zwischen verschiedenen Phasen der täuferischen Geschichte. Die Gleichheit im Geistlichen verwischte sich sehr schnell, wenn Gemeinden sich etablierten und feste Strukturen aufbauten. In der Anfangszeit öffneten sich tatsächlich Aktionsräume für Frauen oder, wie Linda Huebert Hecht dies ausgedrückt hat, ein „window of „Window of opportunity“.26 Aus den Quellen ist ersichtlich, dass Frauen predigopportunity“ 24 Zit. nach: Jecker, Hinrichtung, S. 79. 25 Zit. nach: Dollinger, Mennoniten in Schleswig-Holstein, S. 3. 26 Huebert Hecht, Brief Moment in Time, S. 66.
2.2. Selbstbilder
ten und missionierten und bei Versammlungen vorlasen. Als Prophetinnen sagten sie endzeitliche Ereignisse vorher, etwa in Straßburg. Somit unterscheiden sich die Befähigungen und Aufgaben von Frauen nicht von jenen der Männer. Allerdings ist nicht bekannt, dass Frauen Taufen durchführten. Aus Straßburg ist die Geschichte von Margarethe Prüss überliefert, die dort eine Druckerei hatte und zahlreiche reformatorische Schriften auf den Markt brachte. Zudem waren Frauen das Rückgrat der täuferischen Bewegung, da sie Einladende zu Versammlungen waren und als Gastgeberinnen täuferische Zusammenkünfte beherbergten. Das Beispiel Helena von Freybergs, die ihr Schloss bei Kitzbühel durchreisenden Täufern und Versammlungen zur Verfügung stellte, ist bereits erwähnt worden. Nach ihrer Flucht aus Tirol hielt sie sich in Augsburg auf, wo sie in den Kreisen um Pilgram Marpeck verkehrte und in der Auseinandersetzung zwischen Marpeck und Schwenckfeld vermittelte. Die Quellen lassen vermuten, dass Helena von Freyberg als Täuferin ein ganz klein wenig besser und milder von den Obrigkeiten behandelt wurde, weil sie adeliger Herkunft war – was wiederum belegt, dass die Kategorie „Stand“ in der Frühen Neuzeit wichtiger war als die Kategorie „Geschlecht“ oder auch die konfessionelle Ausrichtung. Immer wieder gerne wird auf Margarethe Kochs hingewiesen, auch „die alt garköchin“ genannt. Sie war bereits eine betagte Witwe, als sie sich 1533 vor der Obrigkeit verantworten musste. Unter den Täufern halte sich „ein Weib, die Alt jar kochin von Hirsfeld genant“, auf, die „umb des willen, das sie sich hin vnd widder, solhen Hierthumb vnd ketzereyen zupredigen vnd jn das volck zubringen, hat offentlich vnderstanden“.27 Sie kam ins Gefängnis und saß dort einige Zeit zusammen mit Fritz Erbe, der lange im Gefängnis auf der Wartburg war und dessen Gebeine wohl 2006 gefunden wurden. Linda Huebert Hecht hat die Rolle von Frauen in der frühen täuferischen Bewegung als „informal leadership“ bezeichnet, um deutlich zu machen, dass diese viele Aktionen setzten sowie führend und leitend in der Verbreitung der täuferischen Botschaft waren, jedoch dies nicht offiziell taten. Und tatsächlich schloss sich das „window of opportunity“ dann wieder, als die Gemeinden anfingen, ihre Strukturen auszubilden und sich zu festigen. Das Bild der Frau in einer täuferischen Gemeinde lässt sich aufgrund der reichhaltigen Quellen besonders gut für die hutterische Gemeinde erFrauenrollen in der mitteln. Spätestens in der zweiten Generation waren die Zuschreisich festigenden bungen an Frauen festgelegt. Die „Rechenschaft“ mahnte, die Frau Gemeinde 27
Wappler, Stellung Kursachsens, S. 162.
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solle „ihr Aufsehen auf ihren Mann haben, ihn forschen, fragen und alles mit und nichts ohne seinen Rat handeln“. Wo sie dies nicht tue, verlasse sie „den Grad ihrer Ordnung, darein sie von Gott gestellet ist“, und „das Gebot ihres Schöpfers“.28 Weitere Zuschreibungen überliefern zwei Schriften, die vermutlich aus dem frühen 17. Jahrhundert stammten und der pädagogischen Unterweisung hutterischer Frauen dienten. Für hutterische Frauen sollte, ganz dem Ideal des gemeinschaftlichen Lebens verpflichtet, Arbeit an vorderster Stelle stehen. Arbeit, so die Aussage, sei den geistlichen Werten mindestens gleichbedeutend, wenn nicht sogar höherwertig. „O, mein liebes schwesterlein“, heißt es, „lass dich keiner Arbeit verdruessen dan wir seint darzue geboren, wie der fogl zum fliegen.“29 Die Gemeindeordnungen und Predigten, die sich innerhalb der hutterischen Gemeinde erhalten haben, gewähren einen detailreichen Einblick in die Struktur der Gemeinde. Die geistlichen Ämter waren allesamt in den Händen von Männern. Auch im wirtschaftlichen Bereich waren die „Vorsteher“ Männer, was die Hutterer nicht von ihren nicht-täuferischen GemeindeHandwerkskollegen unterschied. Allerdings sah die hutterische ordnungen für Ordnung spezielle Ämter für Frauen vor. So gab es die Haushalweibliche Ämter terin, die als ein „Mueter aller schwestern“ bezeichnet wird und die Oberaufsicht über alle Schwestern hatte. In der Anfangszeit gab es zudem eine Fürsteherin der Spinn- und Baumwollstuben, die den dort arbeitenden Huttererinnen vorstand. Sie werden in den Quellen interessanterweise immer wieder als hochmütig beschrieben und in einer Gemeindeordnung auch ermahnt, nicht zu prahlen. Ein Schmählied des ehemaligen Hutterers Johannes Eysvogel enthält ebenfalls eine wenig wohlwollende Strophe über die Schwestern in den Spinnstuben: „In ihren Stübelein / Inn Hoffart sie rein prangen / Vnd seynd gar höflich ziert / Mit lieblichem Gesange / Dieweil ist in nicht lange / Die andern all verirrt.“30 An weiteren Ämtern für Frauen nennen die Gemeindeordnungen die Köchin, die Beckin, die Wäscherin und die Essentragerin; Letztere war für die Versorgung der Kranken zuständig. Die Betterin dagegen sollte auf die Betten der Kranken und der Schulkinder sowie die Kleidung der Jungen und der ledigen jungen Brüder achten. Schulschwestern war aufgetragen, die Hygiene und Sauberkeit in den Schulen zu kontrollieren. Damit waren Frauen mit ihren 28 Riedemann, Rechenschaft, S. 96. 29 Zit. nach: Packull, We are born, S. 80, 86. 30 Erhard, Historia, S. 37.
2.2. Selbstbilder
Tätigkeiten eingebaut in das hutterische Gemeinwesen. Doch sie waren auch auswärts als Mädge in adeligen Haushalten und als Hebammen tätig, und es scheint in Südmähren im Verlauf des 16. Jahrhunderts Mode geworden zu sein, sich eine hutterische Hebamme zu nehmen. Doch es gab auch Zeiten in der hutterischen Gemeindegeschichte, in denen Frauen Tätigkeiten übernahmen, die eigentlich für Männer vorgesehen waren – allerdings lediglich im handwerklichen, nicht im geistlichen Bereich. Leider lassen die Quellen keinen Rückschluss zu, wie es dazu kam. Doch dass es aus Sicht der Ältesten nicht in Ordnung war, zeigen jene Gemeindeordnungen, in denen die Ältesten entsprechend regulierend eingriffen. So werden die Zimmerleute 1574 ermahnt, ihre Frauen nicht zum Geldeintreiben zu Geschäftspartnern zu schicken, und die Meier werden 1610 zurechtgewiesen, sie sollten „ihre Weiber nicht also Meister sein lassen“. 1612 heißt es in einer Ordnung ganz generell: „Ihre Weiber sollen sie [die Brüder, v. S.] nicht herrschen oder regieren lassen.“ Besonders eindringlich war die Ermahnung des Ältesten Andreas Ehrenpreis aus dem Jahr 1640: „Auch sollen wir unsere Weiber nicht selbst zu Ämtern oder an andern Orth verwenden, sondern wie andere auch im gehorsam sein.“31 Immer wieder entstanden unter den Täufern Diskussionen, wie man mit Ehescheidung oder Ehepartnern umgehen sollte, die im Bann standen. Auch die Frage, wie mit „ungläubigen“ Ehepartnern zu verfahren sei, wurde unterschiedlich beantwortet. Martin Weischenfelder fand in seinem Verhör eine eigene Antwort: „wenn sich ein weib nit wollt tauf lassen, Ehemeidung mocht er, der mann, sie weisen ader geen lassen“.32 Im 16. Jahrhundert war die Ehescheidung erst durch die Lehre Martin Luthers möglich geworden. Er hatte die Ehe zu einer weltlichen Angelegenheit erklärt und ihr keinen sakramentalen Charakter mehr zugesprochen, was die Scheidung erlaubte. Wie das „weib“ den „mann“ wies, davon zeugt die Geschichte von Petronella aus Holdenstedt. Ihr Ehemann Lukas konnte sich für den täuferischen Glauben seiner Frau gar nicht erwärmen, so dass Petronella beschloss, sich von ihrem Mann zu trennen. Sie wählte die „Ehemeidung“, die nach frühneuzeitlichem Recht bedeutete, dass die Ehe an sich noch Bestand hatte, der Mann aber berechtigt war, die Trennung über einen Prozess einzuklagen. 1535 erläuterte Petronella den Obrigkeiten in ihrem Verhör, Licht und Finsternis könnten keine Gemeinschaft haben. 31 32
Ehrenpreis, Auszug, S. 3, 45, 55. Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 239.
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2.3.
Versammlungen. Vom verborgenen Leben
2.3.1. Versteckte Versammlungen
Der bereits erwähnte Dichter Jörg Wickram schildert in seinem „Dialog von der Trunkenheit“ aus dem Jahr 1555, wie er nach reichlich Alkoholgenuss träumt, er käme bei einer Wanderung durch den Schwarzwald an eine alte Klause: „Ich docht: ‚Wer nur kein mörder drinnen, / Sunst kem ich ungletzt nit von hinnen.‘ / Ich blickt hinein und sah beim fewr / Jörg Wickram Ein mann, daucht mich nit ungehewr. / Er hat ein buch auff seiner schoß, / Das was nit sunderlichen groß, / Auß diesem er gantz ernstlich laß. / Ein holtzhawer so bey im saß. / Ich docht: ‚Diß sind zwen teuffer gwiß‘. / Und hielt mich gantz still in gheimniß.“33 Eine populäre Dichtung des 16. Jahrhunderts, die mit dem Sujet der sich im dunklen Wald, an einer entlegenen Stelle versammelnden Täufer spielt. Die Schilderung war nicht aus der Luft gegriffen, denn tatsächlich waren es der Wald und abgelegene Lichtungen oder Hütten, die Quellenarbeit 6 die Täufer besonders gern für ihre Versammlungen nutzten. In den Alpen waren Almen sehr beliebt, denn dort konnte man bereits von weitem erkennen, ob Büttel der Obrigkeiten unterwegs waren, um die Versammlung auszuheben. Nahm man längere Wege auf sich, so beraumte man die Zusammenkünfte gleich auf mehrere Tage an, wobei dies bei manchmal 100 oder mehr Teilnehmern eine gut organisierte Versorgung benötigte. Die Quellen berichten, dass Ochsen auf die Alm getrieben und Brot, Käse und Speck herbeigeschafft wurde. Doch die Obrigkeiten schliefen nicht, sondern wussten die Zeichen zu deuten. Wo verdächtige Bewegungen eine täuferische Versammlung vermuten ließen, war man zur Stelle. Neben Wäldern und Almen dienten abgelegene Mühlen oder Gasthäuser beziehungsweise Höfe außerhalb der Städte als Versammlungsorte. In den Städten selbst waren Markttage eine gute Zeit, denn durch den Betrieb, die Hektik und die zahlreichen Menschen, die zu den Märkten in die Städte gekommen waren, fielen die Täufer weniger auf. Treffen zu immer unterschiedlichen Zeiten oder des Nachts dienten der Verschleierung. Ein hessischer Täufer, der von Peter Riedemann getauft worden war, verpackte seine Antwort auf die Frage, warum sie sich nachts versammelt hätten, in das biblische Vorbild: Die Apostel seien tagsüber und nachts beieinander gewesen. Bei Mondschein waren die Täufer 33
Zit. nach: Kobelt-Groch, Nachbauren, S. 64.
2.3. Versammlungen. Vom verborgenen Leben
offenbar besonders aktiv, wie ein Befehl Ferdinands I. erahnen lässt, der den Pfleger zu Steinach anweist, man solle Täufern bei Mondschein auflauern und einen Hinterhalt bilden, um sie gefangen zu nehmen. Doch es konnte auch Hindernisse geben. So sagte die Huckerin aus Augsburg, sie wäre gerne zur nächtlichen Versammlung gegangen, die auch rechtzeitig angekündigt worden war, doch habe ihr Mann sie nachts nicht aus dem Haus gelassen. Über die täuferischen Versammlungen in Zürich berichtete Heini Hottinger, der Ort sei nicht vorherzusagen, denn man sei mal in dem einen Haus, mal in dem anderen. Andererseits gab es relativ regelmäßige Zusammenkünfte an festgelegten Orten, wie in Esslingen, wo die Versammlungen in einem nahe gelegenen Wald stattfanden; man traf sich ein Mal im Monat, Sonntag morgens. Beim Auseinandergehen wurde der Termin für die nächste Zusammenkunft bekanntgegeben. Andere Versammlungen wiederum waren durch eine große Spontanität gekennzeichnet. Sie fanden dann statt, wenn ein umherreisender Prediger in die Nähe kam. In Worms stieg 1528 der Augsburger Täufer Hans Leupold bei einem Fischer, „der Kraus“ genannt, ab. Der Fischer nutzte die Gelegenheit, um seine täuferischen Glaubensgeschwister zusammenzurufen; ungefähr 40 Personen kamen und Leupold verlas einen Trostbrief der Esslinger Gemeinde. Aus Straßburg ist eine schriftliche Einladung überliefert, in der es heißt, man treffe sich an einem bestimmten Tag, am nächsten Zinstag, in dem Haus „zunächst“ jenem, wo man davor zusammen war; also eine Ortsangabe, die nur Eingeweihte verstanden. Zudem werden die Eingeladenen aufgefordert, nicht so spät zu kommen wie beim letzten Treffen; und Jakob Kirßner solle noch den „alten mann zu Westhoffen“ einladen. Unterschrieben ist die Einladung mit „H. H.“.34 Die Fluktuation der Prediger hatte ihre schützende Seite. Viele gefangene Täufer sagten aus, sie wüssten gar nicht, wie der Prediger hieß, denn es käme jedes Mal ein anderer. Namen wurden so nicht verraten. 2.3.2. Ablauf der Versammlungen
Über die inhaltliche Ausgestaltung der Versammlungen enthalten die Quellen einige Informationen. Beispielsweise wurde gemeinsam gelesen, vornehmlich wohl aus dem Neuen Testament, und man ermahnte einander, von Lastern abzustehen. Bei anderen Treffen wiederum war es üblich, dass jeder sagte, was er 34 TA Straßburg, III, S. 301.
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über die gelesene Bibelstelle dachte; man sollte sich gegenseitig unterweisen und jeder sollte seine Meinung „entdecken“. Gebet gehörte zu den Versammlungen, unter anderem das Vaterunser, Psalmen wurden gesungen und Kollekten für Arme und die Täuferlehrer eingesammelt – und manchmal feierte man auch noch das Abendmahl. Eine etwas andere Praxis des Gottesdienstes oder des gemeinsamen Gebets pflegte offenbar eine täuferische Gemeinschaft, die gemeinsam im „Pfaffenhäuslein“ hinter dem Dom von Halberstadt wohnte. Zu ihr gehörte die bereits erwähnte Petronella, die sich von ihrem Mann trennte, da dieser vom täuferischen Glauben nichts wissen wollte. Im „Pfaffenhäuslein“ in Halberstadt fand ein reges geistliches Leben statt, wenn man nach den Berichten von Informanten der Obrigkeiten geht. So sei dort „mangerley volck“ zusammengekommen, „unbekande lichtferdige lude“, die keine Bürger der Stadt seien. Durch die verschlossenen Türen und Fenster habe man immer wieder Gemurmel gehört, das jedoch nicht zu verstehen gewesen sei. Allerdings seien die Männer wiederholt in den Hof herausgekommen, hätten sich dort niedergekniet und mit gefalteten Händen gebetet. Petronella sagte später in ihrem Verhör aus, sie hätten viermal am Tag gebetet und gesungen, vor und nach dem Essen sowie zweimal in der Nacht. Beim Abendmahl praktizierte man auch die Fußwaschung. Obwohl davon auszugehen ist, dass der Alphabetisierungsgrad unter den Täufern recht hoch war, gab es genügend Nicht-Lesekundige, die trotzdem zur Auslegung der Bibel befähigt werden sollten. Deshalb wurden in den Versammlungen die biblischen Texte vorgelesen, um sicherzustellen, dass jeder und jede hinterher über die Texte sprechen und die GemeinGemeinschaftliche de gemeinschaftlich die Bedeutung der Texte erarbeiten konnte. Bibelauslegung Hier fand die Idee vom Priestertum aller Gläubigen eine besonders konkrete Entsprechung. In einigen Gemeinden der Schweizer Brüder in der Kurpfalz brachte man die Gleichheit aller sogar in einer solchen Konsequenz zum Ausdruck, dass man meinte, gar keine Predigt zu brauchen – alle seien von Gott gelehrt. Hier war man auch der Auffassung, die Prediger sollten keine eigene Behausung und keine eigenen Güter haben, sondern in Armut herumreisen, „predigen und Zeichen tun“.35 Auch Frauen lasen in den Versammlungen, wie zahlreiche Quellen beschreiben. Sigmund aus Kiens sagte aus, die Frauen der Vorsteher würden ebenso 35
TA Baden und Pfalz, S. 255.
2.3. Versammlungen. Vom verborgenen Leben
lesen wie ihre Männer, und von einer Versammlung in Halle / Saale wird berichtet, vor der Taufe hätten einige Frauen Bücher in den Händen gehabt, daraus gelesen und gebetet und sich „dermaßen erzeigt, das inen hubsch und gotlich bedaucht“. 1527 wird berichtet, Thomas Tischers Frau aus Sangerhausen habe „des Thomas Munzers bücher in der hand gehapt und dorauß gebet“. Der Geißhirt Wölfl, von dessen Predigten Jakob Huter begeistert war, wiederum war von der „Landsbergerin“ in Hall / Tirol ermutigt worden, sich mit evangelischer Literatur zu beschäftigen. Das Leben von Valentin Fell aus Sarnthein hätte ebenfalls einen anderen Verlauf genommen, wenn er nicht die Ull Müllerin aus Klausen kennengelernt hätte, die ihm vom täuferischen Glauben erzählte. Ihre Lesefähigkeit brachte Margret Gompel aus dem hessischen Allendorf 1533 als Begründung vor, warum sie nicht in den offiziellen Gottesdienst gehe. Sie könne selbst lesen, deshalb bleibe sie daheim. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde das Vorlesen als „Amt“ institutionalisiert. Der aus Augsburg stammende Jörg Probst Rotenfelder, auch Jörg Maler genannt, Herausgeber des „Kunstbuches“, einer 1561 erschienenen Sammlung von täuferischen Texten, war wohl einer dieser „Leser“. Noch 1640 wird diese Praxis des Vorlesens und gemeinschaftlichen AusleLeseramt gens in einem Dokument aus der Gemeinde Emden beschrieben. Bei der Versammlung am Sonntagnachmittag in der Stube der Diener sollte einer, der gut lesen konnte, einige Kapitel aus der Bibel vortragen, und zwar nach einer bestimmten Reihenfolge – immer zwei aufeinanderfolgende Kapitel, so dass der Leser der nächsten Woche wusste, was er vorzulesen hatte und sich entsprechend vorbereiten konnte. Nach dem Vorlesen sollte der Leser die Zuhörer fragen, was sie aus dem gelesenen Text entnahmen. Am Ende gab dann der Leser seine Meinung zu dem biblischen Text ab. Die Zuhörer wurden ermahnt, nur nach Aufforderung sprechen. Sie sollten zudem gut zuhören, niemandem ins Wort fallen, anstößige „Expectorationen“ (= emotionale Ausbrüche) unterlassen und stets das suchen, was erbaut und voranbringt. Meinungsverschiedenheiten über nicht ganz eindeutige Stellen sollten nicht in eine ärgerliche Diskussion münden, sondern in aller Freundschaft verhandelt werden. Am Anfang und am Ende der Versammlung wurden jeweils ein oder zwei geistliche Lieder oder Psalmen gesungen.36 Allerdings gibt es auch Hinweise, dass bei einigen Versammlungen etwas stümperhaft vorgelesen wurde und Sorgen bestanden, dies könnte zu falschen 36 Mennonitische Blätter 46, 1899, S. 51 f.
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Auslegungen und Lehrmeinungen führen, beispielsweise überliefert für Esslingen im Jahr 1528. Wilhelm Reublin verbot den Täufern in Esslingen das Lesen der Bibel ohne rechte Leitung. Ein zentrales Anliegen war es für die Obrigkeiten nicht nur, von den verhörten Täufern Personennamen und Versammlungsorte zu erfahren, sondern auch hinter die Strukturen der Bewegung zu blicken. So ist eine regelmäßige Frage jene nach den Erkennungszeichen der Täufer. Man nahm an, sie würden sich wie die frühneuzeitlichen Räuberbanden über Grußformeln und geheime Zeichen verständigen. Nur selten waren die Aussagen Erkennungszeichen dazu jedoch so spektakulär wie erhofft. So verwendeten die Täufer in der endzeitlich geprägten Gruppe um Niklas W. Hofmann, die 1527/28 die Herrschaft in Erfurt übernehmen wollte, folgende Erkennungsworte: „Ist ir loßung gewest: Weß ist der rock? Er ist unser. Wer nu gesagt hette, der rock weher sein, den hetten sie durch stechen wollen, und also under disser loßung wollten sie alles erwurget und totgeschlagen haben.“37 Andere Erkenntnisse, die die Obrigkeiten in den Verhören gewannen, lassen auf weit weniger aufregende „Insider“-Grüße schließen. Man verabschiedete sich beispielsweise einfach mit „Die Gnade des Herrn sei mit uns“ oder mit „Der ewige vater beschirme dich mit seinem ewigen friede und sei mit dir“ beziehungsweise „Der Herr verlihe uns sterke und craft“.38 Ambrosius Spitelmeier überliefert aus den von Hans Hut geprägten Kreisen folgende Worte des Grußes und des gegenseitigen Erkennens. Wenn einer den anderen treffe, dann sage er „gruß dich got, du cristlicher bruder“. Und er sage weiter: „pistu ein cristlicher bruder, dopei ich dich erkennen kann, so sag mir, wen ist Cristus dir ins fleisch komen, oder wan hastu Cristum entpfangen?“ War das Gegenüber tatsächlich ein „christlicher Bruder“, so antwortete dieser – „do mir sein gottlicher will verkundiget ist worden, und mich dorein verwilliget hab“.39 Von einem ganz besonderen Erkennungszeichen erzählt Paul Rumer in seinem Verhör 1533 in Michelsburg. Für das Haus von Simon Pänntzl in Rattenberg, wo die Täufer Schutz fanden beziehungsweise Versammlungen abhalten konnten, wurde als Code der Hinweis auf die Flucht eines Eichhörnchens verwendet. Dieser bezog sich auf eine reale Geschichte. Pänntzl hatte tatsäch-
37 38 39
Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 278. TA Württemberg, S. 71; Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 377, 382. TA Bayern, S. 27.
2.4. Am Ende der Zeiten
lich ein Eichhörnchen gehabt, das durch ein versehentlich geöffnetes Fenster entkommen war.
2.4.
Am Ende der Zeiten
2.4.1. Zeichen der Endzeit
1522 heißt es in der „Zeitung aus Wittenberg“, einem anonymen, aber dem Dobiner Pfarrer Ambrosius Wilken zugeschriebenen Flugblatt, dass die Türken bald Deutschland einnehmen, alle Pfarrer erschlagen und damit das Ende der Welt einläuten würden. Eine Gerichtsankündigung, die der Verfasser des Flugblatts dem „Propheten“ aus Zwickau, Manfred Hübner, zuschreibt. Im gleichen Atemzug wird erwähnt, dieser habe die Kindertaufe als nutzlos bezeichnet. In einer Zeit, in der viele Zeichen auf das nahe Ende hindeuteten, war es nicht einfach, die Seriosität von Zeichendeutern einzuschätzen. Vor dieser Aufgabe stand 1521 auch Philipp Melanchthon, als Stübner und Storch nach Wittenberg kamen. Melanchthon fühlte sich mit der Einschätzung ihrer Aussagen überfordert und bat den sächsischen Kurfürsten, Luther von der Wartburg nach Wittenberg zu schicken, damit dieser helfen könnte, die Geister zu prüfen. Luther selbst reagierte in einem Brief an Melanchthon gelassen und empfahl, nach 5. Mose 13 und 1. Joh. 4 vorzugehen. Wenn der Geist nicht überprüfbar sei, solle man sich an den Rat des Gamaliel halten und nicht überstürzt handeln. Offenbar war es keine Seltenheit, dass einer der Theologen in Wittenberg sich mit persönlich überbrachten göttlichen Botschaften auseinandersetzen musste. Bei Luther im Hausgang wartete beispielsweise einmal ein Handwerker, der ihm von seiner Vision berichten wollte und ihm gleich noch den göttlichen Zorn androhte. Ganz real war auch die Bedrohung durch die osmanischen Truppen im frühen 16. Jahrhundert, nachdem diese 1453 Konstantinopel eingenommen hatten und immer mehr Richtung Westen vorgerückt waren. In der täuferischen Vorstellung waren die Türken allerdings weniger eine Bedrohung, sondern Helfer der „wahrhaft Gläubigen“. Als Strafe Gottes für die Türkengefahr Welt würden die Türken, so etwa Hans Hut und Melchior Hoffman, alle „Ungläubigen“ beseitigen – eine Idee, die seit dem späten Mittelalter ihren Platz im christlichen Denken hatte. Den sehr konkreten Vorstellungen unter den Anhängern Hans Huts zufolge würden die Türken die Christen angreifen und Herren und Fürsten vernichten. Die Täufer ihrerseits sollten jedoch weder Türken noch Obrigkeiten helfen, sondern auf Berge und in Wälder
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flüchten und abwarten, denn die Türken würden nur eine kurze Zeit herrschen. Dann bräche der Jüngste Tag an, die türkische Herrschaft würde vernichtet, und alle „Gottlosen“, die die türkische Herrschaft überlebt hätten, würden nun von den Täufern „totgeschlagen“. Hans Weischenfelder aus Uetzing in Franken sagte in seinem Verhör zudem aus, man würde dann Hans Hut zu einer „oberkeit uf erden“ machen.40 Schon die Zwickauer Propheten und Thomas Müntzer hatten den Türken eine Rolle im endzeitlichen Kampf zugeschrieben. 1521 warnte Müntzer, wer die Zeichen der Zeit nicht erkenne, den werde Gott „lassen durch den Turken ym czykunfftigen iar erslagen“.41 So gab es das eine oder andere endzeitliche Szenario, in dem die eigentlich gewaltlos eingestellten Täufer Gewalt als legitim betrachteten. Michael Sattler musste sich 1527 in seinem Verhör für folgende, von ihm angeblich getätigte Äußerung rechtfertigen: Wenn „der Türk ins land keme, solt man im kein widerstant tun, und wenn kriegen recht wär, wolt er [Sattler, v. S.] lieber wider die Christen ziehen dann wider die türken“. Sattlers Antwort ist als Beispiel täuferischer Wehrlosigkeit immer wieder zitiert worden: „Wen der Türk kompt, sol man im kein widerstand tun, dan geschriben stat, du solt nit töten. Wir sollen uns des Türken und anderer unser verfolger nit erweren, sonder mit strengem gebet gegen Gott anhalten, das er weer und widerstand tu.“ Und er fuhr mit einer Anklage gegen seine christlichen Opponenten fort: „Der Türke ist ein rechter Türke und weiß vom christlichen Glauben nichts; er ist ein Türke nach dem Fleische. Ihr dagegen wollt Christen sein, rühmt euch Christi, verfolgt aber die frommen Zeugen Christi und seid Türken nach dem Geist.“42 Die Zeichen der Zeit zu erkennen, dies schien im frühen 16. Jahrhundert unter Berufung auf einige Stellen im Neuen Testament nicht allzu schwer. So wird immer wieder auf Matth. 24, 4-8 hingewiesen: „Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin Matth. 24, 4-8 der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der 40 Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 280 f. 41 Entwurf zum Prager Manifest, zit. nach: Laubach, Türken, S. 417. 42 Zit. nach: Fast, Linker Flügel, S. 74 f.
2.4. Am Ende der Zeiten
Wehen.“ Viele Ereignisse der Zeit konnten in diese Prophetie Jesu eingepasst werden. Der Täufer Sigmund Bosch aus dem badischen Friesenheim, der aus dem Umfeld der Marpeck-Gemeinden stammte, legte noch 1548 in einem Brief an die Gemeinde in Austerlitz die „red Christi von der letsten zeit, Mat. 24, Luc. 21, Mar. 13“ aus. Kriege und Aufstände entstünden, die Versuchung käme über die ganze Welt – alles Zeichen, die zeigen, dass die „red des Herren und aller phrofeten so gwaltig erfult wirt“.43 Doch auch die Polemik blühte und jeder bezichtigte den jeweils anderen, der vorhergesagte „falsche Prophet“ oder der Antichrist zu sein. So warf beispielsweise Melchior Hoffman dem lutherischen Superintendenten in Magdeburg, Nikolaus von Amsdorf, vor, er sei ein „widder Christ“, auf den der Spruch aus Matth. 24 zutreffe: „Es werden viel kommen vnter meinem namen vn sagen / ich bin Christus / Da hoerstu narrenfex das Christus von den sagt / die sich fur Christum dar geben“.44 Bei Hans Hut heißt es am Anfang seiner Schrift „Anfang eines rechten christlichen Lebens“, dass die „letst und aller gfärlichist zeit dieser welt jetz auf uns lanngt“ sei. Man solle mit „sichtigen ougen sehen und erkennen, wie alles, das von anfanng durch die patriarchen, phrofeten und appostl geweissagt und verkundiget und geschechen hat sollen, jetzund widerum zum werckh greift“.45 2.4.2. Täuferischer Aufstand in Erfurt 1527/28
Bevor der Jüngste Tag anbrach, galt es, die Erde für die Wiederkunft des Herrn vorzubereiten und so waren einige Städte auserkoren, das „Himmlische Jerusalem“ zu sein. Bevor Straßburg diese Rolle zukam, stand erst einmal Erfurt im Blick. Ein Bürger der Stadt, Niklas W. Hofmann, von Beruf ein Schneider, plante gemeinsam mit Hans Römer und weiteren täuferischen Verbündeten als Rache für das Scheitern und den Tod Thomas Müntzers um den Jahreswechsel 1527/28 einen Aufstand in Erfurt. Während einer Predigt von Hans Römer vor der Stiftskirche St. Mariae am Neujahrstag sollten Christoph Peisker, Niklas W. Hofmann und ein Pfarrer aus Alperstedt in vier Pfarrhäusern auf dem Erfurter Petersberg Feuer legen. Römer hätte dies in seiner Predigt dann aufgreifen und 43 Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 140. 44 Zit. nach: Lundström, Polemik in den Schriften, 190. 45 Hans Hut, Ein Anfang eines rechten christlichen Lebens (Vom Geheimnis der Taufe), zit. nach: Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 166.
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die Erfurter Pfarrer beschuldigen wollen, das Feuer gelegt zu haben, um die Ausbreitung des Wortes Gottes zu verhindern. Vom Fischmarkt hätten die versammelten Täufer zum Rathaus gehen und die Herrschaft übernehmen sollen, gemeinsam mit weiteren Täufern, die bereits vor den Toren der Stadt gewartet hätten. Alle, die nicht bereit gewesen wären, sich taufen zu lassen, hätte man erstechen wollen. Doch der Plan flog auf, die Anführer wurden hingerichtet. Eine Sage verarbeitete die Ereignisse in Erfurt. Quelle Eine Sage über die Täufer in Erfurt „Anno 1528 war einer zu Erfurt, der stolze Nicol genannt, gevierteilt. Er hatte sich nebst seinem Weibe und Kindern von den Rottengeistern und Schwärmern anders taufen lassen, welche dergleichen Wiedertaufe hin und wieder verrichteten. Sie hatten eine gewisse Losung, und wer diese nicht wußte, den schlugen sie tot und nahmen ihm das Seinige. Dieses war die Losung: Ist der Rock dein? Sprach er: Ja, so stachen sie ihn tot; sprach er aber: Er ist unser, so war er mit im Bunde und blieb am Leben. Er hatte bei der Tortur bekannt, wie er die Stadt habe anstecken und unter dem Brande seinen Bundesgenossen die Tore eröffnen wollen, darum war er auch gevierteilt.“46
Besonders konkret in Datierung und Einordnung der letzten Zeit war Melchior Hoffman. In seiner Auslegung des alttestamentlichen Buches Daniel formulierte er vor allem unter Verweis auf das zwölfte Kapitel eine endzeitliche Schau, die die Wiederkehr Christi und das Endgericht in das Jahr 1533 legte. Nachdem 1533 im vorherbestimmten „Himmlischen Jerusalem“ Straßburg nichts passierte, intensivierte sich die Naherwartung in den Niederlanden und strahlte von dort nach Münster aus. Jan Matthijs stellte eine neue endzeitliche Berechnung auf, derzufolge sich die Wiederkunft Jesu nun Ostern 1534 in der westfälischen Stadt vollziehen sollte. Verschiedenste Himmelserscheinungen im Winter 1533/34 bestätigten die Münsteraner Täufer darin, genau am richtigen Ort zu sein.
46 Zit. nach: Kobelt-Groch, Sage aus Thüringen, S. 137.
2.4. Am Ende der Zeiten
2.4.3. Die Täufer in Münster 1534/35
Oftmals wird die Geschichte der Täufer auf die kurze Episode der Jahre 1534/35 in Münster reduziert – ob in Filmen, Dokumentationen oder im allgemeinen Wissen. Zumal bis heute mit den Käfigen am Turm der Lamberti-Kirche ein martialisch-mahnendes „Statement“ der damaligen Stadtobrigkeit hängt, das die Erinnerung an die täuferische Phase der Stadtgeschichte wach hält. Es ist auch ein Hinweis auf ein Rechtssystem, in dem es nicht darum ging, einen Menschen durch Strafe zu bessern, sondern Kriminalisierte als Abschreckung zur Schau zu stellen. Die Käfige – oder nach einer neueren Nomenklatura die „Körbe“ – erhöhen jedoch die Gefahr, die Geschichte der Münsteraner Täufer auf ihre Kriminalisierung und damit auf die Exzesse, die man den Täufern unterstellte und die die gegnerische Polemik zielgerichtet ausschmückte, zu reduzieren. Doch waren Gewalttätigkeit, Vielweiberei, Todesstrafe, Bücherverbrennung und die Vertreibung der Nicht-Täufer tatsächlich das Wesentliche jener anderthalb Jahre? Die erste Station auf dem Weg zur täuferischen Herrschaft in Münster war die Reformation in der Stadt. Sie bot, wie in vielen anderen Städten auch, den Münsteraner Bürgern eine Möglichkeit, sich vom Stadtherrn, im Münsteraner Fall dem Bischof, zu emanzipieren. Andererseits versuchten auch in Münster neue Schichten innerhalb der städtischen BevölkeReformation rung nach oben zu drängen, wozu ihnen die Reformation gelegen in Münster kam. Beide Entwicklungen hatten ihren Ursprung bereits im Spätmittelalter, doch sie wirkten weiter bis in die täuferische Episode. Führend war im damals ca. 10.000 Einwohner zählenden Münster der von der Reformation begeisterte und in der Kirche St. Mauritz, außerhalb der Stadtmauern, predigende Kaplan Bernhard Rothmann. Im Februar 1532 wechselte Rothmann dann an die innerhalb der Stadt liegende Lamberti-Kirche und wurde zum führenden Reformator Münsters. Die einflussreichen Gilden unterstützten ihn und mit dem Vertrag von Dülmen vom Februar 1533 musste Fürstbischof Franz von Waldeck die reformatorische Entwicklung Münsters anerkennen. Die zweite wichtige Etappe auf dem Weg in die täuferische Herrschaft stellte die Hinwendung Rothmanns zum täuferischen Glauben im Sommer 1533 dar. Sie wurde begleitet von Diskussionen über die Kindertaufe, über das Abendmahl sowie über „Kirche“, das heißt über die Form der geistlichen Täufertum Gemeinschaft. Gleichzeitig breiteten sich in der Stadt die endzeitin Münster lichen Ideen Melchior Hoffmans aus, die auf die letzten Tage
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wartende Gläubige anzogen. Ein sehr exklusives Selbstverständnis, das von der Überzeugung geprägt war, auserwählt zu sein, verbreitete sich. Auch Jan Matthijs, ein aus Haarlem stammender Bäcker, kam nach in die Stadt und präsentierte sich als zweiter endzeitlicher Zeuge neben Melchior Hoffman. Er forderte, Massentaufen durchzuführen, da die Wiederkunft Jesu unmittelbar bevorstünde und nur die Versiegelung mit dem „Tau“ die Auserwählten im Endkampf verschonen würde; biblische Belegstellen waren für ihn Hes. 9, 4-6, und Offb. 7, 3. Für Ostern 1534 war der „Tag des Herrn“ vorhergesagt. Dass die Stadt seit Februar 1534 von Truppen unter dem Oberbefehl des Bischofs belagert wurde, dürfte die Wahrnehmung, das Ende der Welt sei nahe, verstärkt haben. Die Solidarität der Bürger im Kampf gegen den Bischof intensivierte sich auf den Flügeln der apokalyptischen Weltsicht, denn jeder Kampf gegen den Bischof konnte als „Endkampf “ interpretiert werden – Gewalt war im „Endkampf “ Notwehr und nicht Rache. Hinzu kamen die politischen Entwicklungen. Die Ratswahlen im Februar 1534 brachten die Täufer an die politische Macht. Bernd Knipperdollinck und Gerd Kibbenbrock wurden zu Bürgermeistern gewählt; die Ratsherren waren fast allesamt täuferisch gesonnen. Die Täufer „waren“ nun Obrigkeit und „mussten“ politisch handeln, was der Situation in MünsTäufer werden ter ganz andere Rahmenbedingungen verschaffte als etwa in der politische Obrigkeit Schweiz, wo die Täufer sich von der Politik fernhielten und in die Absonderung gingen. Religiöse Gemeinschaft und politische Gemeinde kamen immer mehr in Deckungsgleichheit, was dann auch dazu führte, dass Nicht-Täufer die Stadt verließen beziehungsweise vertrieben wurden. Die neue bürgerlich-täuferische Regierung erklärte Jan Matthijs zum Propheten, der dann jedoch mit dem Problem konfrontiert war, dass die Wiederkunft Jesu nicht zum vorhergesagten Zeitpunkt stattfand. Wohl um der Schande der nicht erfüllten Prophetie zu entgehen, verließ er Ostern 1534 die Stadt und wurde von den bischöflichen Truppen, die den Belagerungsring schon längst enger gezogen hatten, umgebracht. Jan van Leiden, der von Jan Matthijs getauft und nach Münster geschickt worden war, um dort das „Himmlische Jerusalem“ zu finden, übernahm nun die Rolle des Propheten. Er verzichtete darauf, ein neues Datum für die Wiederkunft Jesu zu nennen, verkündete jedoch, dass das Heil der Welt von Münster ausgehen werde. Eine Folge davon war ein neues Missionsbewusstsein; die Täufer schickten Sendboten in die umliegenden Gegenden. Zudem wurde die Gesellschaft innerhalb der Stadt nach täuferischem Vorbild umgebaut.
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Die Verbindung der politischen (Stadt-)Gemeinde mit der religiösen Gemeinde ist für die Einordnung der Entwicklungen in Münster grundlegend. Denn letztendlich fand in Münster eine täuferische Konfessionalisierung statt, die Andersgläubige ebenso verbannte wie anderswo die Täufer verbannt wurden. Bernhard Rothmann rechtfertigte die Vertreibung mit der Bedrohung durch den Bischof. Man verfolgte also jene, die die Stadt möglicherweise nicht verteidigen würden – genau das gleiche Argument, das man sonst gegen die Täufer vorbrachte. Dagegen zogen jene nach Münster hinein, die in der Stadt weiterhin das „Himmlische Jerusalem“ suchten. 1534 kamen ungefähr 2500 Personen und 2000 gingen fort. Dieser Zuzug war wohl auch dafür verantwortlich, dass die Gütergemeinschaft eingeführt wurde, denn die Neuankömmlinge mussten unterstützt werden. Offenkundig bestand in Münster Verfassung zudem ein Überschuss an Frauen, was nach frühneuzeitlicher und Recht Ordnung bedeutete, dass diese versorgt und beschützt werden mussten. Beides dürfte ausschlaggebend gewesen sein, die Polygynie einzuführen; zumal diese ja auch mit dem Alten Testament legitimierbar war. Sie hat die Fantasien über die Münsteraner Täufer stets am meisten beflügelt. Ob die Ehen tatsächlich vollzogen wurden, ist fraglich. Von Jan van Leiden, der insgesamt 16 Frauen heiratete, heißt es, er habe in diesen Ehen möglicherweise asketisch gelebt. Trotzdem sorgte der Erlass innerhalb der Stadt für einige Unruhe; es kam zum Aufstand gegen Jan van Leiden und Bernd Knipperdollinck und zu rechtlichen Sanktionen gegen die Aufrührer. Münster wurde nach täuferischen Vorstellungen politisch und rechtlich umgestaltet. Statt des Bürgereids galt die Taufe als Aufnahmeritual in die Bürgerschaft. Jeder Getaufte erhielt eine DWWF-Kupfermünze („Das Wort ward Fleisch“). Die täuferische Gesellschaft orientierte sich an den Normen des Alten Testaments, insbesondere an den Zehn Ge- Das Alte Testament boten. Auch „Säuberungen“ und Reinigungen führte man durch, als Vorbild beispielsweise Verbrennungen von Büchern, Würfelspielen, Kartenspielen, Instrumenten und Noten. Bis zuletzt fanden auch Hinrichtungen statt, wobei diese Form der Bestrafung dem Rechtssystem des 16. Jahrhunderts entsprach. Insgesamt dürften wohl um die 80 Hinrichtungen in Münster durch Täufer vollzogen worden sein, vor allem gegen Verschwörer, Aufständische und „Gottlose“. Die Verfassungsstruktur der täuferischen Herrschaft orientierte sich ebenfalls am Alten Testament, so dass ein Gremium der „Zwölf Ältesten“, analog zu den
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zwölf Stämmen Israel, eingesetzt wurde. Diesen oblagen die Gerichtsbarkeit und die Verteidigung der Stadt. König war Jan van Leiden, der 1534 gekrönt wurde und der seine Repräsentation jener der weltlichen Könige anglich. Der niederländische Kupferstecher Heinrich Aldegrever bildete ihn mit Reichsapfel, Zepter, Krone und Schwert ab. Damit verband sich die Vorstellung, dass Jan van Leiden der einzig rechtmäßige König auf Erden sei. Sein Volk, die Bürger der Stadt Münster, wurden „Israeliten“ genannt. Auch Bernhard Rothmann legitimierte Jan van Leidens Königtum und sah den König als den neuen David, als „Prämessias“, der die alte Gottesordnung wiederherstellte, so Rothmann im Oktober 1534 in der „Restitution“. Die Täufer würden, wenn einmal der Belagerungsring des Bischofs gesprengt war, die Macht in der Welt übernehmen, was eine Verschiebung der Maßstäbe deutlich werden lässt, denn nun ging es nicht mehr um das „Himmlische Jerusalem“ in der Stadt, sondern um die Weltherrschaft. So rechtfertigten die Täufer auch die Anwendung von Gewalt, denn diese sollte helfen, den Belagerungsring zu sprengen und die Regierung der Täufer zu festigen. Rothmann sagte später aus, er hätte seine Glaubensgeschwister aufgefordert, sich durch die Niederlegung der Waffen selbst zu opfern. Das Täufertum in Münster stand für die „Freiheit“ der Stadt. Der Bischof sah dies naturgemäß anders. Sein Kampf um die Rückgewinnung seiner Herrschaft war eingebettet in die reichsweiten Konflikte im Gefolge der Reformation. 1534 sorgte auch die Rückkehr des 1519 aus seinem Land vertriebenen Herzogs von Württemberg für Aufsehen. Als der Bischof von Belagerung Münster Truppen anderer Reichsstände anwarb, überwog auf der Stadt katholischer Seite zunächst die Angst, Truppen, die in Münster nicht mehr gebraucht würden, könnten postwendend weiter Richtung Württemberg ziehen. Somit war es ein schwieriges Unterfangen, die Truppen gegen die Täufer zusammenzustellen. Dennoch war es am Ende erfolgreich. 1535 verschärften sich durch die Belagerung die Probleme in der Stadt. Hungersnöte waren an der Tagesordnung. Das Ende der Täufer in Münster läutete einer der ihren, Heinrich Gresbeck, ein, der im Mai 1535 aus der Stadt floh und den bischöflichen Truppen die Schwachstellen der Verteidigung verriet. Damit war das Schicksal der Täufer besiegelt. Im Januar 1536 fand der Prozess gegen die führenden Täufer, Jan van Leiden, Bernd Krechtinck und Bernd Knipperdollinck, statt, der mit ihrer Hinrichtung endete. Alles weitere ist bis heute am Turm der Lamberti-Kirche sichtbar.
2.4. Am Ende der Zeiten
Bild 12: Titelbild „Des Münsterischen Königsreichs und Widertauffs an und abgang“ (1536)
2.4.4. Die Nachwirkungen von Münster
Die täuferische Episode in Münster ist insofern von besonderem Interesse, als hier Täufer in einem auf Apokalyptik und Emanzipation aufgebauten Gemeinwesen Politik betreiben mussten und somit auch Antworten darauf finden mussten, wie Herrschaft nach biblisch-christlichen Normen organisiert und wie unter realpolitischen Bedingungen mit Gewalt umgegangen werden Quellenarbeit 7 muss. Der Bischof stand mit seinen Truppen vor den Toren der Stadt und die Alternativen waren Verteidigung und Angriff oder Untergang. Interessant sind die Geschehnisse von Münster auch hinsichtlich der personellen Konstellationen. Fürstbischof Franz von Waldeck war ein Neffe Philipp von Hessens und stand reformatorischen Ideen nicht nur ablehnend gegenüber. Johannes von der Wieck, der Syndicus von Münster, war selbst ein Advokat sehr weitreichender Widerstandstheorien, der auch dem Landvolk zugestand, sich wegen „falscher Lehren“ der Obrigkeit zu widersetzen. Aufschlussreich ist zudem der Blick über die Stadtmauern Münsters hinaus. In anderen Städten Westfalens gab es ebenfalls reformatorische Bewegungen, die
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nach der Macht in den Städten griffen. Sie wandelten sich zwar nicht zu einer täuferischen Herrschaft, wiesen aber immerhin in den Anfängen Parallelen zu Münster auf. So kam es beispielsweise 1534 in Lippstadt zu einer Wirtschaftssperre und zu einer Belagerung der Stadt durch den Herzog von Jülich und Kleve. Die Geschichte der Täufer in Münster kann nicht losgelöst von ihren Verbindungen in die Niederlande gesehen werden. Es fand ein sehr reger wechselseitiger Austausch statt, der über die von Münster ausgesandten Sendboten lief beziehungsweise sich an Personen wie Melchior Hoffman oder Jan Matthijs festmachen lässt. Sie stehen für eine verbindende Spiritualität Verbindungen in mit einer sehr konkreten apokalyptischen Schau, die sich nicht nur die Niederlande auf Münster beschränkte. Auch in Amsterdam liefen Täufer im Februar 1535 nachts nackt auf die Straße, um den „Gottlosen“ das Gericht Gottes anzudrohen. Unter dem Einfluss der Münsteraner Geschehnisse erstürmten sie schließlich mit dem Ruf „die God lieff heeft compt bij ons“47 im Mai 1535 das Rathaus. Der Bürgermeister fiel den Unruhen zum Opfer und die beteiligten Täufer wurden getötet beziehungsweise mit der Todesstrafe belegt. In Amsterdam könnten zu dieser Zeit 20 % der Bevölkerung täuferisch gewesen sein. Im Frühjahr 1535 sorgten zudem 300 bewaffnete Täufer in Bolsward, in Friesland, für Aufsehen, als sie sich weigerten, die österliche Kommunion zu nehmen. Sie sammelten sich im Oldekloster, wurden jedoch von habsburgischen Truppen belagert, die die Täufer gefangen nahmen und jene, die noch nicht im Kampf gestorben waren, hinrichteten. Die BelageOldekloser 1535 rung und Erstürmung des Oldeklosters wurden für Menno Simons zum einschneidenden Erlebnis; sein Bruder fand hier den Tod. Menno selbst waren sie Anstoß, um über die „wahre Buße“ nachzudenken und jeden vor dem „Münsterschen Greuel, als gegen König, Vielweiberei, Reich, Schwert etc. getreulich“ zu warnen, so schreibt er in seiner Autobiografie.48 Nach der Niederlage der Täufer in Münster spaltete sich die Bewegung auf. Einerseits überlebte eine Richtung, die sich auf Melchior Hoffman zurückführte, andererseits sammelten sich Täufer um Obbe Philipps. Er war von den Münsteraner Täufern unter Jan Matthijs dazu bestimmt worden, als Ältester in Leeuwarden zu wirken. Dort ordinierte er weitere Älteste, unter ihnen sein Bruder Dirk und Menno Simons, und gehörte zu der sehr spiritualistischen, auf Visionen und endzeitliche Zeichen ausgerichteten Bewegung. Die Quellen berichten von 47 Mellink, Documenta Anabaptistica Neerlandica, 5, S. 135. 48 Simons, Die vollständigen Werke, S. 10.
2.4. Am Ende der Zeiten
einer Zusammenkunft in ’t Zandt bei Groningen, ebenfalls im Januar 1535, wo Täufer angeworben werden sollten, um nach Münster zu ziehen. Dabei kam es zu ekstatischen Ereignissen. Nach der Niederlage der Täufer in Münster und zahlreichen Verhaftungen sagte sich Obbe Philipps, der ebenfalls inhaftiert worden war, von der täuferischen Bewegung los. 1538/40 schrieb er seine „Bekenntnisse“, in denen er mit der täuferischen, vor allem melchioritischen, Szene abrechnete. Doch Münster fand auch seine Nachahmer. So tauchte ein Jahr später, 1536, südlich von Den Haag ein Täufer namens Adriaen Adriaensz auf, der behauptete, der König von Israel zu sein. Der aus Gelderland stammende Täufer Jan van Batenburg versuchte mit seinen Anhängern auf gewaltsame Art und Weise, täuferische Ideen unter die Leute zu bringen und das Reich Gottes auf Erden zu errichten. Allerdings mischten sich in diesen Kampf ganz konkrete politische Ziele. Die täuferischen Ideen legitimierten den Widerstand van Batenburgs und seiner Leute, um gegen die habsburgischen Zentralisierungsbemühungen vorzugehen, unterstützt auch von lokalen Adeligen. Andererseits zeigte Münster rasch seine negativen Auswirkungen auf alle anderen täuferischen Gruppen. Sensibilisiert durch die Ereignisse in der westfälischen Stadt verschärften viele Obrigkeiten ihr Vorgehen gegen die Täufer. Mandate forderten mehr Ernsthaftigkeit in der Verfolgung der Täufer, und auch im eigentlich sehr wohlwollenden Mähren mussten die Hutterer alle sichtbaren Gemeinschaften aufgeben. Das hutterische „Geschichtbuch“ berichtet, dass die Mitglieder der Gemeinde 1535 auf der Heide lagerten. Jakob Huter schrieb daraufhin seinen harschen Brief an den mährischen Landeshauptmann, der letztendlich für seine Rückkehr nach Tirol verantwortlich war, wo er gefangen genommen und hingerichtet wurde. Gegen die Wahrnehmung, alle Täufer seien jenen in Münster gleich, ging Menno Simons zeitlebens vor. Er verfasste zahlreiche Verteidigungsschriften, in denen er die Täufer von allen Vorwürfen, die mit Münster zusammenhingen, freisprach, und den Blick auf Jesus Christus als einzigen König lenkte: „Sehr, so wahr Christus unser Meister und so wahr Er unser Richter ist, ebenso wahr ist Er unser König. Wo bleibt nun Jan van Leyden? O gräuliche Gotteslästerung für einen Menschen, sich einen fröhlichen König über alles zu nennen [ … ]“. Und etwas weiter: „Weil nun Christus unsere Freude geworden ist, so mag ein jeder überlegen, was für ein Gräuel es vor Gott ist, wenn ein Mensch das sein will, was unser Seligmacher Christus ist. Und ist es nicht auch ein Gräuel, an der heiligen Stätte zu stehen? Und was noch mehr ist, dieser Jan van Leyden begnügt sich nicht damit, dass er sich für einen fröhlichen König über alles, der der Elenden Freude geworden ist, ausgibt, sondern er rühmt sich auch, der
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
verheißene David, von welchem alle Propheten zeugen, zu sein, und will nicht zugeben, dass Christus unsere Verheißung ist.“49
2.5.
Gütergemeinschaft. Hutterisches Leben in Mähren
2.5.1. Mähren als Zufluchtsort der Täufer
Mähren war für die Täufer des 16. Jahrhunderts ein sicherer Hafen und gerade in den frühen Jahren ein Ort, an dem die täuferische Vielfalt auf engem Raum sichtbar wurde. In Nikolsburg führte Balthasar Hubmaier 1526 seine täuferische Reformation durch, geriet jedoch aufgrund seiner pragmatischen Haltung, was die Frage der Gewalt und das Verhältnis zu den Täufer in Obrigkeiten betraf, in Konflikt mit anderen Täufern. Er vertrat die Nikolsburg Auffassung, dass ein (täuferischer) Christ ein Amt in der Obrigkeit innehaben und auch das Schwert gebrauchen dürfe, um Gerechtigkeit in der Gesellschaft herzustellen. Eine andere Gruppe, die auf den Einfluss von Hans Hut zurückging und in Nikolsburg durch Jakob Wiedemann ein Sprachrohr fand, war der Überzeugung, dass ein (täuferischer) Christ strikt wehrlos leben müsse. Die von Wiedemann angeführten Täufer gingen in Nikolsburg nicht in die Kirchen, sondern hielten sich abgesondert – Hans Spittelmaier, ein Weggefährte Hubmaiers, verspottete sie in Anspielung auf ihre Gemeinschaft und Wehrlosigkeit als „häuffler und stäbler“.50 Offenkundig praktizierten sie auch schon eine umfassendere Form von Gütergemeinschaft. Im Frühjahr 1528 gerieten Wiedemann und seine Leute in Konflikt mit den Herren von Liechtenstein, woraufhin sie der Stadt verwiesen wurden. Ein paar Kilometer entfernt von Nikolsburg kam es zu jener denkwürdigen Szene, die als Gründungsmoment der hutterischen Gütergemeinschaft in die Geschichte einging. Wohl weitgehend mittellos der Stadt verwieEinführung der sen, legten Wiedemann und seine Begleiter auf der Straße zwiGütergemeinschaft schen Tannewitz und Muschau all ihre Habe zusammen. Die Flüchtlinge fanden schließlich Aufnahme auf den Gütern der Herren von Austerlitz. 1529 lernte der Tiroler Jakob Huter die Gemeinde in Austerlitz kennen und beschloss, verfolgte Täufer aus seiner alten Heimat hier anzusiedeln. Er stieg ab 1533, nach innergemeindlichen Konflikten, zur prägenden Figur der in Gütergemeinschaft lebenden mährischen Täufer auf, die schließlich auch 49 Die Schriften des Menno Simons, S. 86, 88. 50 Zit. nach: Packull, Hutterer in Tirol, S. 78.
2.5. Gütergemeinschaft. Hutterisches Leben in Mähren
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nach ihm benannt wurden. Zwischen 1528 und 1533 kamen vermutlich 400 bis 600 Täufer aus Tirol nach Mähren. Neben den Hutterern waren die Austerlitzer Brüder die bedeutendste Gemeinde in Mähren. Sie hatten ihren Ursprung in der Gemeinde des Cornelius Veh in Austerlitz, wurden dann jedoch vor allem von Pilgram Marpeck und Leupold Scharnschlager geprägt. Die Gemeinden der Austerlitzer Brüder bildeten ein überregional sehr weitgefächertes Netzwerk, Austerlitzer Brüder das sich vom Elsass über Augsburg bis nach Mähren zog. In Mähren gehörte zudem die Gemeinde in Böhmisch Krumau dazu. Hier lebten vor allem Täufer aus Oberösterreich und Tirol, die Anfang 1528 in den Silberbergwerken der Herren Rosenberg Arbeit gefunden hatten. Auch in Znaim gab es eine Gemeinde der Austerlitzer Brüder, die sehr wohlhabenden Kaufleuten und Handwerkern eine geistliche Heimat bot. Sie verstanden die Idee der Gütergemeinschaft nicht in dem umfassenden Sinne wie die Hutterer, sondern leisteten Hilfe, wenn jemand bedürftig war. 1541 scheiterte der Versuch, die Hutterer mit den Austerlitzer Brüdern zu vereinigen. 2.5.2. Das Leben auf den hutterischen Höfen
Das Leben der Hutterer auf den mährischen Bruderhöfen oder „Haushaben“ stellt eine Besonderheit auf der täuferischen Landkarte dar. Es ist davon auszugehen, dass bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ungefähr 20.000 bis 25.000 Hutterer in Südmähren lebten, was über 2,5 % der damaligen südmährischen Bevölkerung entsprechen würde. Auch wenn die Erhebung Die hutterischen von Zahlen für das 16. Jahrhundert sehr schwer ist und eventuell Haushaben sogar noch mehr Hutterer in Südmähren siedelten, ist von mindestens 57 Höfen auszugehen, die auf 25 Herrschaften lagen. Die Grundherren hatten die Täufer mit offenen Armen aufgenommen, da sie sich wirtschaftlichen Gewinn erhofften. Und die Hutterer hielten, was sie versprachen, denn bis zum frühen 17. Jahrhundert etablierten sie ein ökonomisch erfolgreiches und gut geregeltes Gemeinwesen. Hauptort war Neumühl, wo auch der Vorsteher der gesamten Gemeinde wohnte und wo die meisten Ältestenversammlungen stattfanden. Die meisten Höfe waren Vierkanthöfe, auf denen die Bewohner lebten und arbeiteten. So gehörten zu den Höfen verschiedenste Handwerksbetriebe, Schulen, gemeinschaftliche Häuser zum Wohnen und Essen sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen, Ställe und Lagerhäuser. Von diesen Höfen entfernt
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
lagen die sogenannten „Einöden“, wo Hutterer im Eigentum der Grundherren befindliche Mühlen, Meierhöfe oder Gärtnereien betrieben. Der Geograph Martin Zeiller, der im frühen 17. Jahrhundert Mähren bereiste, schrieb über das hutterische Haushaben in Eibenschitz, die Hutterer wüssten „mit dem Wein / Gartenwerck / Artzneyen / Baden vnnd dergleichen / wol umbzugehen“, und sie seien „gute Handwercker / als Schuster / Messerschmid / vnnd dergleichen“.51 Tatsächlich stieg die Reputation der von den Hutterern produzierten Ware in Nah und Fern. Besonders die Arbeiten der Schmiede und der Keramiker erlangten bleibenden Ruhm und finden sich bis heute in Museen. Die Hutterer verfügten über sehr ausdifferenzierte Handwerke, die entsprechend der jeweiligen Produktionsabläufe angeordnet waren. An einem Kutschwagen beispielsweise arbeiteten Schneider, Sattler, Schlosser und Schmiede sowie Wagner zusammen. Hutterische Bader wiederum fanden Anstellung bei verschiedenen Adeligen und bei Kaiser Rudolf II. in Prag. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts prosperierten die hutterischen Unternehmen und damit auch die Bruderhöfe. Der Reichtum der Hutterer wurde sprichwörtlich und fand seinen Niederschlag auch in regionalen Sagen. Quelle Eine Sage über die Hutterer in Mähren – Die goldenen Äpfel „Als sie (die Habaner) nemlich aus Mähren verwiesen wurden, sey niemand erlaubt worden, von seinen Habseligkeiten mehr mitzunehmen, als er fortzutragen im Stande war. Ueberdieß, habe man auf verschiedene Art gesucht zu verhindern, daß sie ihr Geld mitnehmen sollten. Um dieses dennoch bewerkstelligen zu können, baten sie sich die einzige Gnade aus, zur Zehrung auf der Reise einen Wagen voller Aepfel aus dem Willowitzer Brüder-Garten mitzunehmen, und als dieses zugestanden wurde, steckten sie in jeden Apfel ein Stück Geld, und zogen mit dem also verborgenen Schatz ab. Als sie nun über die March hinüber gesetzt waren, und der Fuhrmann Bezahlung forderte, gaben sie ihm statt derselben, ein paar Aepfel, als einen Theil von dem einzigen Gut, was man ihnen zugelassen hatte. Diese nahm der Mann, der sich überzeugt hatte, daß seine Schuldiger vom Gelde durchaus entblößt seyen, mit Murren an, fand jedoch des andern Tages, als er sie auseinanderschnitt, mit großer Verwunderung und Freude ein Paar Goldstücke darinn, die ihn für seine Mühe reichlich bezahlten.“52
51 52
Zeiller, Itinerarium Germaniae Nov-Antique, S. 186. Zit. nach: Mais, Wiedertäufer-Sagen, S. 150 f.
2.5. Gütergemeinschaft. Hutterisches Leben in Mähren
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Ein sehr ausgefeiltes System an Ordnungen und Regeln gab dem hutterischen Gemeinwesen Struktur. Die hutterischen Gemeindeordnungen, die das tägliche Zusammenleben ebenso regelten wie die Arbeit der einzelnen Handwerke, die Dienste auf den Haushaben sowie die Versorgung der Gemeindeglieder mit Nahrung und allem Nötigen, sind bis heute erhalten. GemeindeDie Quellenvielfalt und -fülle, die im hutterischen Fall vorhanden ordnungen ist, gewährt viele Einblicke in das geistliche und soziale Leben. Allerdings überliefern die Ordnungen auch die Schwächen des hutterischen Systems. So hielten Gemeindeglieder privat Geld zurück, wirtschafteten in die eigene Tasche und verlangten nach ebenso luxuriösen Produkten wie die Gemeinde sie für die adeligen und bürgerlichen Kunden herstellte. Die Ältesten versuchten gegenzusteuern und Demut, Bescheidenheit und Ehrlichkeit zu predigen. Die Hutterer unterhielten auf ihren Höfen eigene Schulen, auf die selbst Nicht-Hutterer aus der näheren Umgebung ihre Kinder schickten. Für die Hutterer selbst bedeuteten die Schulen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung erhielten und die Mütter voll in den Arbeitsprozess auf den Höfen integriert werden konnten. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts bildete sich in der hutterischen Gemeinde eine strenge Hierarchie aus, die den Ältesten viel Autorität gab. So können die Haushaben mit frühneuzeitlichen Städten vergleichen werden, die über eine eigene Sozialdisziplinierung verfügten. 2.5.3. Die hutterische Missionstätigkeit
Hutterisch werden hieß im 16. Jahrhundert nach Mähren auszuwandern, denn für die Hutterer war die Gütergemeinschaft zum Dogma geworden und diesem gemäß konnte man nur im toleranten Klima Mährens leben. Um für diesen „schmalen Pfad“ zu werben, betrieben die Hutterer eine im Vergleich mit anderen täuferischen Gemeinden äußerst intensive Missionsarbeit. Sie wurde von den Ältesten kontrolliert; nicht jeder konnte reisen, der wollte. Quellenarbeit 8 Vielmehr musste jeder, der in einer bestimmten Region Mission betreiben wollte, bei den Ältesten vorstellig werden, die dann ihr Placet gaben oder nicht. Jedes Jahr im Frühjahr wurde darüber entschieden, wer wohin reiste. Und dabei leitete nicht nur die Weitläufigkeit des Alten Reichs, wo viele „Verlorene“ lebten, die Überlegungen, sondern auch wirtschaftliche Notlagen oder Verfolgung. 1574, als in Württemberg krisenhafte Zeiten herrschten, heißt es in einem Bericht des Abts von
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
Maulbronn: „Es schleichen jetzt Sendlinge der Wiedertäufer aus Mähren heftiger als je umher, halten Nacht- und Winkelpredigten in der Nähe und haben großen Zulauf.“ Auch die Schweiz scheint für hutterische Missionare besonders attraktiv geworden zu sein, als dort die Temperaturen sanken und heftige Niederschläge für Ernteausfälle sorgten. Missernten ließen offenkundig die Hoffnung auf eine geistliche Ernte wachsen. Für das Jahr 1585 überliefert die „Chronik“, dass „so vil volkhs“ aus der Schweiz kam, dass man „an etlichen orten die thor muest zuesperren“ und man gar nicht alle aufnehmen konnte.53 Die Quellen lassen darauf schließen, dass manche Auswanderung nach Mähren nicht nur von der Hoffnung auf ein erfülltes geistliches Leben motiviert war. Offenkundig nutzten einige hutterische Sendboten die notvollen Zeiten, um den Menschen das Paradies in Mähren vor Augen zu malen. So heißt es über die Predigten des Sendboten Peter Ehrenpreis im Zuwanderung württembergischen Ötisheim, er habe den Leuten stets „gute Tage“ versprochen; „niemand müsse für Essen und Trinken sorgen“.54 Von dem Versprechen auf eine gute Versorgung angetrieben erreichten immer mehr Menschen die hutterischen Höfe, die zwar wirtschaftlich bessere Zeiten herbeisehnten, aber am geistlichen Fundament des hutterischen Lebens in Mähren kein Interesse hatten. Aussagen enttäuschter Rückkehrer zeugen von der Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität. 1583 beschwerten sich aus Mähren zurückgekehrte Bewohner des Bregenzerwaldes, man habe sie in Mähren „so streng mit drinckhen vnd essen“ gehalten und mit „schwerer arbeit vberlad“, dass sie das ganze dortige Leben als „bethrug“ empfanden.55 Und auch Magdalena Pinterin aus Niedervintl im Pustertal war mit dem Bild vor Augen nach Mähren gereist, dort gäbe es ein Leben ohne Arbeit, aber mit Essen, Trinken und gutem Mut – auch sie wachte in der Realität eines strengen, arbeitsamen und frommen Lebens auf. Matthias Straub aus der Nähe von Maulbronn wiederum gab geradewegs zu Protokoll, aus Armut, Krankheit und Faulheit nach Mähren gegangen zu sein. Auch von Seiten der Hutterer scheint die Integration nicht immer positiv verlaufen zu sein. Eine Predigt, die während des Aussendungsgottesdienstes der Missionare, der jedes Jahr im Frühjahr stattfand, gehalten wurde, Integration überliefert, dass man den Neuankömmlingen manchmal mit Un53 54 55
TA Württemberg, S. 416; Beck, Geschichts-Bücher, S. 295. TA Württemberg, S. 689. Zit. nach: Gismann-Fiel, Täufertum in Vorarlberg, S. 77.
Fragen zur Reflexion
geduld und Unfreundlichkeit begegnete. Der Prediger mahnte seine Glaubensgeschwister, sie vielmehr „mit freunden an und aufnemen [und, v. S.] inen in allem gutden vorgeen, auch gedult und mit leiden mit inen tragen, sie fein werden weisen und lernen, mit aller beschätenhait und freundtligkait nit grob und nit schmal wardten, wan sy nur sehen oder arbeit nit bald versteen.“ Und es fehlte nicht an nationalen Stereotypen, mit denen man die Neuankömmlinge in Schubladen steckte. So hieß es in der Aussendungspredigt, man solle die Neuankömmlinge nicht „O du grober schweitzer, du spitzfindiger Rainstromer, und zorniger heß, und mit vilem andern vertrißlichen wordten, die nit zum aufbauen sondern zum abbrechen dienen“, beschimpfen.56 Quelle Johannes Eysvogel, Ein schön newes Lied (1586) „Der Oberst thut außschicken / Inn Landen hin vnd her / Brüder mit argen Tücken / Darzu auch falscher Lehr: / Den Leuten sie vor sagen / Wie sie es halten gmeyn / Haben auch gute Tage: / Merckt weytter / was ich sage / Seynd rechte Brüderlein. Weytter so thun sie sagen / Niemand mög selig seyn / Er thu dann zu ihn tragen / Sein Gütter groß vnd klein: / Ihr vil ihr Gut verkauffen / Vnd ziehen ins Mährerland / Sie mehren ihren Hauffen / Das Himmelreich zukauffen / Ist doch ein grosse Schand.“57
Fragen zur Reflexion Beschreiben Sie, welche kollektiven Vorstellungen von den Geschlechterrollen in der Täuferbewegung vorherrschten und wie sie sich verändert haben. Wie wirkten sich die apokalyptischen Bewegungen auf die täuferischen Gemeinden aus? Überlegen Sie, inwieweit sich der Alltag der Täufer vom Alltag ihrer Nachbarinnen und Nachbarn unterschieden hat.
56 Cod. III, 139, fol. 126r f., in: MFSt Weierhof. 57 Eysvogel, Ein schön newes Lied, Strophe 4.
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2. Brüder und Schwestern – Alltag zwischen Verfolgung und Tolerierung
Weiterführende Literatur Sigrun Haude, Gender Roles and Perspectives Among Anabaptist and Spiritualist Groups, in: John D. Roth / James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521-1700 (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 6), Leiden / Boston 2007, S. 425-465. Marion Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen (Geschichte und Geschlecht, 4), Frankfurt / New York 1993. Marlies Mattern, Leben im Abseits. Frauen und Männer im Täufertum (1525-1550). Eine Studie zur Alltagsgeschichte (Europäische Hochschulschriften, 791), Frankfurt / Main et al. 1998. Astrid von Schlachta, Hutterische Konfession und Tradition. Etabliertes Leben zwischen Ordnung und Ambivalenz (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Abteilung Religionsgeschichte, 198), Mainz 2003. Ralf Klötzer, Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 131), Münster 1992.
3.1. Mystik
3. 3.1.
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Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede Mystik
3.1.1. Die Innerlichkeit des Glaubens
Das Titelbild der Denck-Schrift „Vom Gsatz Gottes“ zeigt einen Gelehrten mit Narrenschuhen, der ein Buch wie ein Brett vor dem Kopf hat: der „Typus Antichrist“, wie vermerkt ist. Die Schlange, „Satanas“, auf seiner rechten Seite, und das Lamm auf dem Eckstein auf der linken Seite, „Christus“, stehen für die zwei Wege, die sich dem Gelehrten bieten. Offenkundig durch das „Wort“ vor dem Kopf blind geworden, steht er zwischen beiden Wegen, während ein nacktes Kind im Vordergrund mit dem Finger auf den richtigen Weg, jenen des Lammes Jesus, verweist. Die Gelehrten, die Verkehrten – eine Polemik, die aus täuferischem Munde immer wieder zu hören war, die aber eigentlich bereits auf die Mystik des 15. Jahrhunderts zurückgeht. Sie bildete sich heraus, als die mystische Erfahrung nicht mehr nur auf gelehrte Mönche in der Einfachheit eines Klosters beschränkt war, sondern für alle möglich wurde, die bereit waren, „arm im Geist“ zu werden. Wie stark Martin Luther und damit wesentliche Ideen der Reformation in der spätmittelalterlichen Mystik verhaftet waren, hat Volker Leppin kürzlich herausgearbeitet. Auch die Täufer haben dort eine Wurzel, wobei diese lange vernachlässigt wurde, da der mystisch-spiritualistische Weg nicht zur Norm zu passen schien, die die Historiker den Schweizer Luther und Täufern zuschrieben. Doch die Werke eines Meister Eckhardt und die Mystik Johannes Tauler oder die „Theologia deutsch“ wurden von den Täufern gerne gelesen. 1977 setzte Werner Packull mit seiner Studie „Mysticism and the Early South-German-Austrian Anabaptist Movement 1525-1531“ zur Rehabilitation von Hans Denck an und lenkte damit den Blick auf die Bedeutung eines mystisch geprägten Täufers für die ganze Bewegung. In der Forschung gibt es verschiedene Definitionen von „Mystik“, wobei diese dadurch erschwert werden, dass der Begriff sich erst seit dem 17. Jahrhundert durchsetzte. So näherte sich Kurt Ruh der Mystik vor allem über die literarische Gattung an. Er definierte „Mystik“ nicht inhaltlich über die mystische Erfahrung, sondern legte eine Tradition der Mystik und ihre Schriften von Mystikern fest. Als „religiöse Haltung“ bezeichnete Charakteristika
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Bild 13: Titelkupfer von Hans Denck „Vom Gsatz Gottes“
dagegen Volker Leppin die „Mystik“ und nahm eine am Phänomen der Mystik orientierte Definition vor. Mystik setze „eine Transzendenz Gottes gegenüber dem glaubenden Menschen als gemeinsame Erfahrungstatsache voraus“ und versuche, „diese Transzendenz schon im Diesseits punktuell zu überwinden.“1 Der mystischen Erfahrung werden bestimmte Charakteristika zugeordnet. Dazu gehören eine starke Sehnsucht nach Gott, die Gottesliebe oder die Suche nach der Gottesliebe, ein sehr intensives Gebetsleben und die „unio mystica“, eine auf das innerliche Erleben des Glaubens ausgerichtete Erfahrung, die auch als Vereinigung der Seele mit Gott oder Versenkung des Menschen in die Gemeinschaft mit Gott beschrieben wird. Manchmal wird diese Vereinigung als stufenweise Annäherung dargestellt. Sie zielt auf das Einswerden mit dem Willen Gottes und wird oftmals begleitet von einer Distanz zu allem „Weltlichen“, die auch als „Gelassenheit“ bezeichnet wird. Zudem ist die Mystik geprägt von einer starken Kirchenkritik und der Ablehnung eines auf äußerliche Formen fixierten Glaubens. Die Sprache der Mystik ist sehr bildreich und blumig. Die Gläubigen werden beispielsweise als Braut dargestellt, die auf ihren Bräutigam, Jesus Christus, wartet und sich geistlich zubereitet. Typische Formulie-
1
Ruh, Vorbemerkungen, S. 8-17; Leppin, Christliche Mystik, S. 9.
3.1. Mystik
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rungen sind zudem jene vom „süßen“ oder „bitteren Christus“, womit Gnade, Kreuzestod und Leidensbereitschaft umschrieben werden. 3.1.2 Einflüsse der Mystik in täuferischen Schriften
In den Texten der Mystiker wird dem Geist der Vorrang gegenüber dem geschriebenen Wort zugesprochen. So heißt es etwa bei Hans Denck, das freie, von der Welt unabhängige und vom Heiligen Geist getragene Der Geist steht Wort Gottes sei dem geschriebenen Wort in der Bibel überlegen. über dem geschrieWenn Gott selbst rede, tue er dies im Geist und nicht auf dem benen Wort Papier, weil der Geist ewig sei. Quelle „Widerruf“ von Hans Denck (1527) „Die heilige geschrift halt ich uber alle menschliche schätze, aber nitt so hoch alß das wort Gottes, das da lebendig, krefftig und ewig ist, welches aller elementen diser welt ledig und frei ist; dann so es Gott selbst ist, so ist es geyst und keyn buchstab, on fedder und papir geschriben, daß es nimmer außgetilgt werden mag. Darumb auch die seligkeyt an die geschrifft nit gebunden ist, wie nutz und gut sie immermehr darzu sein mag. Ursach: Es ist der geschrifft nitt möglich, eyn böß hertz zu bessern, ob es schon gelerter wirt. Eyn frommes hertz aber, das ist, do eyn rechter funck götlichs eifers ist, wirt durch alle ding gebessert. Also ist die heilige geschrifft den glaubigen zu gutem und zur seligkeyt, den unglaubigen aber zur verdamnuß, wie alle ding. Also mag eyn mensch, der von Gott erwelet ist, on predig und geschrifft selig werden. Nit das man darumb keyn predig hören, noch geschrifft lesen sol, sonder das sunst alle ungelerten nit selig werden möchten, darumb daß sie nit lesen kündten, und ettwa vil gantze stett und land, darumb daß sie nit prediger haben, die von Gott gesandt seind.“2
Eine Kritik am niedergeschriebenen biblischen Wort stammt auch aus der Feder des Hutterers Ulrich Stadler. Das, was man in Büchern lese, sei nicht das lebendige Wort Gottes, sondern lediglich ein „buechstaben und ein abconderfechtes zeichen oder zeuknus des inerlichen und ewigen oder lebentigen wortes“. Er erweiterte seine Kritik noch, indem er auch das Predigen lediglich als ein „zeuknus oder zaichen des warhaftigen“ darstellte. Wichtiger sei die innerliche 2
Fellmann, Denck, II, S. 106.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Begegnung mit dem „unentlichen“ Wort, das nicht geschrieben stehe, weder auf dem Papier noch auf Tafeln. Es könne weder gepredigt noch geredet werden, sondern müsse im „abgrund der seelen“ durch „vil trüebsal“ erfahren werden.3 Die zentrale mystische Erfahrung war die Vereinigung des Menschen mit Gott oder das Hineinversenken in Gott, die „unio mystica“, die sich ebenfalls in den Schriften verschiedener täuferischer Autoren wiederfindet. Für Hans Denck sind alle Christen, die den Heiligen Geist empfangen haben, in Gott mit Christus eins und Christus gleich. Die enge BeUnio mystica ziehung drückt sich in der Liebe aus, die Denck ganz generell als völlige Vereinigung zweier Menschen beschreibt, in der das Eigene in den Hintergrund tritt. Die vollkommene Liebe zeige sich in der Verbindung Gottes mit Jesus Christus. Eine Verbindung, die so eng war, dass ein Mitleiden möglich war. Gott sei „so völliglich in der liebe mit im [Jesus Christus, v. S.] vereyniget“ gewesen, dass „alles thun Gottes dises menschen thun were, und alles leiden dises menschen Gottes leiden geacht wurde“.4 Zudem meinte Denck, die Erkenntnis Gottes und die Liebe zu ihm könnten nur zu einem Rückzug aus der „Welt“ führen und zur Bereitschaft, alle Geschöpfe um seinetwillen aufzugeben. Für die täuferischen Autoren bedeutete dies jedoch, anders als im Fall der mittelalterlichen Mystiker, nicht den Gang ins Kloster. Christian Entfelder, ein Schüler von Hans Denck, der Prediger in der Gemeinde Eibenschitz beziehungsweise später in Straßburg war, verfasste 1530 den Text „Von wahrer Gottseligkeit“. Er beschreibt, wie der Mensch zur „Gottseligkeit“ oder zur „ru[o]“ gelangt, „die der geist Gotes im menschen wurckht durch Christum“. Er beginne, das Wort Gottes nicht nur „historischerweis“ zu glauben, sondern es „gentzlich an[zu]nemen, ouch mit verlierung“ seiner selbst. Entfelder entwirft eine sechsstufige Annäherung an Gott, die er als „geistlicher weis [ … ] widerum geborn“ zu werden bezeichnet und die letztendlich den Menschen zur „follguetig kraft Gotes“ führt. Der erste Schritt ist, dass Gott dem Menschen aus Gnade und Erbarmen seine Gunst und seinen guten Willen anbietet. In einem zweiten Schritt zeigt Gott dem Menschen seinen Willen. Der dritte Schritt ist die Erkenntnis des Menschen, dass er in der Welt nicht nach Gottes Willen leben kann. Entfelder nennt Beispiele von Menschen, die sich zurückzogen und ins Gebirge oder in die Einöde gingen. Im vierten Schritt kommt Gott dem Menschen in seiner Not an der „Welt“ zuhilfe. Der fünfte Schritt ist 3 4
Müller, Glaubenszeugnisse, I, S. 212. Fellmann, Denck, II., S. 76 f.
3.1. Mystik
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dann die Bereitschaft des Menschen, sich auf Gott einzulassen, um schlussendlich im sechsten Schritt die „follguetige kraft Gotes“, die den Menschen „mit den bannden der lieb“ umfängt, zu erfahren. Gott und Mensch werden eins durch „die vereinigung freyer glassenheit deß willen“. Gott kann durch den Menschen alles bewirken, was er will und dem Menschen sind alle Dinge möglich.5 Damit ist ein weiteres zentrales Motiv der Mystik angesprochen, die Gelassenheit. Andreas Bodenstein von Karlstadt, dessen Schriften unter den Täufern oft kursierten, bezeichnete die Gelassenheit 1523 in seiner Abhandlung „Wie gesagt ist: sich gelassen“ als eine Folge der Vermählung Gottes mit der gläubigen Seele. Dadurch solle der Mensch lernen, „alle ding geGelassenheit lassen“ zu sehen und sich „Got allain an[zu]hangen“. Die Liebe des Menschen zu Gott solle den eigenen Willen absterben lassen. Der Mensch mache sich „allerr creatur“ ledig und wende „all sein synn, gmuet und gedanckhen“ von „allem eusserlichen“ ab und kehre sich „genntzlichen“ Gott zu – „welcher got anhanget / der ist ain gaist mit got“ und merke, „das er seinen vater / muoter / hauß / hof / hab vnd güter vmb gotes willen gelassen soll“.6 Täuferische Autoren schlossen an diese Ideen an, etwa Hans Denck: „Wer mit Gott regieren will, muß von Gott regiert werden. Wer Gottes Willen tun will, der muß den seinen lassen.“ Für Christian Entfelder umfasste Gelassenheit, „all sein synn, gmuet und gedanckhen (von dem schönen und lustigen apfell diser welt)“ abzuwenden und sich von „vaterr, muoterr, b[rude]r, weib, kind, hauß, hof, wisenn, ackherr, guot, gelt, leib und leben“ sowie von „allem eusserlichen“ loszusagen.7 Ein wenig anders definierten die Hutterer Gelassenheit, indem sie diese zum Baustein für das Zusammenleben in ihrer gütergemeinschaftlich ausgerichteten Gemeinde erklärten. Der Mensch stand hier nicht nur als Individuum vor Gott, sondern als Teil einer Gemeinschaft von Gläubigen, deren gemeinschaftlich erkannter Wille als Weg Gottes respektiert werden sollte. Die Gütergemeinschaft, so etwa Ulrich Stadler, sei die wahre Gelassenheit. Sie ermögliche es am besten, sich Gott und seinem Volk mit freiem Willen zu ergeben „durch den geist der gnaden“. „Willig und berait, daz macht frei und ledig.“8 Oberstes Gebot sei es, nicht den eigenen Nutzen zu suchen, sondern den des anderen.
5 6 7 8
Zit. nach: Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 646, 649-651, 653. Karlstadt, Wie gesagt ist: sich gelassen, A iii. Zit. nach: Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 646. Müller, Glaubenszeugnisse I, S. 222.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Einflüsse mystischer Traditionen finden sich auch bei einem Täufer wie Balthasar Hubmaier, wenn man seine Ideen der Imago Dei hernimmt, die ebenfalls darauf zielten, die Vereinigung des Menschen mit Gott zu beschreiben. Hubmaier zufolge ist in jedem Menschen die „Bildung Gottes“ vorhanden, also ein Abbild Gottes, das Hubmaier auch „angeysImago Dei tüng“ oder „Anhauchung“ nennt. Vor dem Sündenfall sei dieses Abbild Gottes im Menschen „frei“ und „ledig“ gewesen; in dem „sündigen vnd vergifften leib“ nach dem Sündenfall sei es dann jedoch gefangen, wie ein „Feuerlein“ zugedeckt unter der Asche. Es rauche allerdings, wenn man ein wenig Wasser drauf gieße, und es leuchte und brenne, wenn man es anblase. Hubmaier definiert die „angeystüng“ noch etwas genauer; sie gebe dem Menschen nämlich sein Gewissen oder „Conscientz“ – allen, Christen wie Heiden und Juden. Am Ostertag sei das Feuerlein angeblasen worden durch Jesus Christus. Hubmaier verweist auf Joh. 20, wo Jesus zu den Jüngern sagt: Nehmt hin den Heiligen Geist. Deshalb werde die „Anhauchung“ erst durch die Wiedergeburt und durch den Heiligen Geist im Menschen entfacht. Die geistliche Wiedergeburt beschreibt auch der niederländische Täufer David Joris, dessen Ideen vor allem von der „Theologia deutsch“ geprägt waren. Mit der Wiedergeburt des Gläubigen, die im Herzen geschieht, gehe das Absterben des alten Adam einher, durch das der Gläubige den Tod Christi nachvollziehe. Joris schreibt, „die Überwindung nun oder Auferstehung im Geist und Wahrheit“ sei „keine äußerliche über Fleisch und Blut“, sondern geschehe „inwendig über den ungerechten und verkehrten Geist und alle Lügen, die nichts denn Böses, Tod und Dunkelheit durch die Feindschaft Gottes bringen und die hierdurch zu nichts werden müssen“.9 Bei David Joris sorgte die Konzentration auf die Wiedergeburt und das geistliche Leben für eine konsequente Abkehr von allen äußerlichen Zeremonien, auch der Gottesdienstbesuch trat in den Hintergrund. Für Hans Denck waren äußerliche Bräuche und Regeln des Gesetzes ebenfalls nur als Bekenntnis und Erinnerung wichtig. Wesentlich seien nicht die Zeremonien an sich, sondern der Sinn dahinter. Man solle sich daran erinnern, woraus und wozu man berufen sei, „nemlich auß der welt zu Gott“ – „auff das sie Gott ir leben lang in der heyligkeyt und gerechtigkeyt dieneten“.10
9 10
Zit. nach: Bainton, David Joris, S. 35. Müller, Glaubenszeugnisse, I, S. 81.
3.2. Rechtfertigung
119
Vor dem Hintergrund der harten Verfolgung, mit der die Täufer konfrontiert waren, gehörten zur Gotteserfahrung stets die Leidensbereitschaft und das Leiden dazu. Von Täufern wie Hans Hut wurde es als notwendige Erfahrung des Kreuzes bezeichnet; er verwendete den aus der spätmittelalterlichen Mystik entlehnten Begriff des „bitteren Christus“, dem der Mensch begegne. Jörg Volckmer aus dem fränkischen Königsberg erweiterte in seinem Verhör dieses Bild und meinte, der Mensch müsse erst das „Werk Gottes“ an sich erleiden, um dann die Vergebung durch den „süssen Christus“ zu erfahren.
3.2.
Rechtfertigung
3.2.1. Von der Gnade …
Vorstellungen der Täufer von der Rechtfertigung des Menschen sind bereits angeklungen. Ähnlich wie Hubmaier geht auch Hans Denck davon aus, dass Gott im Menschen sei. Damit sei auch alles im Menschen angelegt, was zu Gott gehöre, nämlich die Seligkeit, Allmächtigkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Dennoch, so Denck, sei es nicht genug, dass Gott Hans Denck im Menschen sei, sondern der Mensch müsse auch in Gott sein. „Warzu ists nutz, das du Gott hast und nit als Gott eerest? Was hilffts, das er dich im anfang durch sein wort erschaffen und sein kind gemacht hat, wenn du dich nicht haltest wie ain kind?“ Ohne eine gottgefällige Lebensführung gehe es nicht. Wer sich auf die Verdienste Christi verlasse und ein „fleyschliches, vihisches leben“ führe, der begegne Christus so wie früher die Heiden ihren Göttern, ohne Respekt und Achtung, was „gotslesterung“ sei.11 Für Denck gehören Herz, Mund und Tat zusammen. Alle Worte seien „eitel betriegerei“, wenn das Herz nicht „auffrichtig“ sei. Der Mensch ist also, so Denck, gerechtfertigt, immer aber aufgefordert, sein Leben auch entsprechend zu gestalten. Gott lasse dem Menschen, wenn dieser die „warheyt in Christo Jesu“ erkannt habe, weiterhin die Freiheit, seinem Weg zu folgen oder auch nicht. Gott zwinge niemanden, „in seinem dienst zu beleiben, den die lieb nit zwinget“. Gleichermaßen habe auch der Teufel keine Macht, jemanden, der die Wahrheit einmal erkannt habe, für sich in Anspruch zu nehmen.12 Bei Denck, wie bei anderen täuferischen Autoren, ist die Idee des „simul iustus et peccator“ erkennbar, die Luthers Theologie prägte – Gerechter und Sünder 11 12
Fellmann, Denck, II, S. 32, 106. Ebd., S. 107.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
zugleich. Die Gnade Gottes sei grundlegend für alles Tun des Menschen; kein Mensch könne sich das ewige Leben verdienen. Gott habe „bezahlt“ nach seiner Zusage, die er vorher gegeben habe. Dennoch beurteilt Gott den Menschen auch „nach seinen wercken“, dem „bösen“ ewige Strafe gebend, dem „gutten“ ewiges Leben, wie Denck schreibt. Gott sieht auf den Glauben und die guten Werke, die nicht aus dem Menschen heraus ihren Ursprung haben, und er beurteilt den Menschen danach, ob er die Gnade vergebens angenommen oder gar ausgeschlagen habe – „wol dem menschen, der die gaaben Gottes nit verachtet“.13 Hans Hut beschreibt in seinen Schriften drei Möglichkeiten, Gott zu erkennen – einerseits durch die Schöpfung, die Gottes Allmacht und Kraft „in allen Kreaturen“ zeige. Zum anderen durch Jesus Christus, der dem Menschen ein Beispiel gebe mit seinem „Ernst“ und seiner „Gerechtigkeit“. Zum Dritten durch den Heiligen Geist, durch den der Mensch „die ganz Evangelium völle göttliches wesens im menschen“ erkennen könne. Eine dieser aller Kreaturen Erkenntnisformen allein mache nicht fromm. Es gehöre alles zusammen – „ohne dise drei mag Gott nimermer erkennt werden“.14 Eine zentrale Idee ist in den Schriften Hans Huts das „Evangelium aller Kreaturen“, das er mit der Art, wie Jesus Christus sein Wort gelehrt habe, gleichsetzt. Jesus habe nicht auf Bücher hingewiesen, sondern durch Gleichnisse geredet, in denen er praktische Beispiele aus dem Leben Quellenarbeit 9 seiner Zuhörer wählte, etwa aus dem Bereich des Handwerks oder der Landwirtschaft. Einen Vers aus Kol. 1, 23 aufgreifend, wo es heißt, „das ewangelium, das euch bredigt ist inn allen creaturen“, stellt Hans Hut fest, dass das Evangelium erkannt werden kann durch Gleichnisse, die sich auf die Werke der Schöpfung beziehen. Es bedeute jedoch nicht, Hunden, Katzen, Kühen und Kälbern oder dem Laub und Gras zu predigen, womit er sich wohl von jeglichen Assoziationen mit Franz von Assisi distanzierte. Hut war der Überzeugung, Jesus Christus habe vornehmlich das „Evangelium aller Kreaturen“ gepredigt; die alten jüdischen Schriften hätte er nur hergenommen, wenn er zu den Schriftgelehrten sprach. Doch Hut bringt das „Evangelium aller Kreaturen“ auch mit dem Leiden in Verbindung. Wie die Schöpfung dem Menschen untergeordnet sei und auf ihre Erlösung warte, so müsse auch der Mensch bereit sein zu durchleiden, was Gott ihm auferlegt. Dieses Leiden diene jedoch einem Guten, denn der Mensch, den 13 14
Ebd., S. 108. Müller, Glaubenszeugnisse, I, S. 28, 33.
3.2. Rechtfertigung
Gott gebrauchen will, muss vorher gerechtfertigt und rein gemacht werden – von allen „lusten“ und allen „begirden“. Hut denkt das Evangelium in seiner Gesamtheit. Es dürfe „nit alein Christus das houpt“ gepredigt werden, sondern „der gantz Christus mit allen glidern“. Und dazu gehört für ihn die Bereitschaft zum Leiden.15 Das „Evangelium aller Kreaturen“ findet sich in verschiedenen Schriften und Aussagen von Täufern, die von Hut geprägt waren, beispielsweise bei Leonhard Schiemer oder Hans Schlaffer. Aber auch in hutterischen Schriften klingt es immer wieder an. So schreibt Peter Riedemann in der „Rechenschaft“, „alle Kreatur Gottes“ diene dem Menschen zur „Lehre und Anleitung“. „Gottes ewige Kraft und Gottheit“ könne „an den Werken von der Schöpfung der Welt an“ erkannt werden. Allerdings verbinden sich diese Aussagen bei Peter Riedemann nicht mit einer ausgeprägten Leidenstheologie.16 Die Spannung zwischen Glauben und der Bewährung durch das Leiden spiegelt auch ein Traktat aus dem Jahr 1527 wider, der offenbar bei einem in Freistadt gefangenen Täufer gefunden wurde; möglicherweise stammt er von Hans Schlaffer oder Jörg Schöferl. Der Autor streicht heraus, dass der Mensch aufgrund seiner eigenen Natur „ungeschickht“ sei zum „werkh Gottes“, denn er vermag „aus ainem frölichen gemuet und herzen“ nichts Rechtschaffenes nach Gottes Willen zu vollbringen. Ebenso wie alle Kreatur den Menschen brauche – ein Baum könne nicht besser werden ohne den Gärtner –, so könne der Mensch nur durch das „werkh Gottes, under welichem der mensch ain creatur Gottes ist und Got ain herr“, in das ihm von Gott bestimmte Wesen umgestaltet werden.17 Die Gnade Gottes sei die Grundvoraussetzung für die Rechtfertigung des Menschen. Doch nach dem Vorbild des gekreuzigten Christus, so der anonyme Traktatschreiber, müsse der Mensch auch leiden – anders könne er nicht selig werden. Durch Glauben werde der Mensch ein Kind Gottes, „wiewol es nit volkhomen ist und noch unbewert, so wirt es im doch zu der rechtverttigkait gerechnet, bis er gerechtvertigt und probiert wiert“.18 Ein Satz, der eine Spannung zwischen „schon gerechtfertigt“ und „noch nicht bewährt“ sein beinhaltet. Der Mensch, so heißt es, könne versichert sein, dass er von Gott als Kind angenommen sei, als Bruder oder Schwester Christi und als Glied der Gemeinde, auch wenn er noch nicht vollkommen sei und noch „unbewert“. Dennoch werde es 15 16 17 18
Zit. nach: Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 175, 184. Riedemann, Rechenschaft, S. 11. TA Österreich, I, S. 22. TA Österreich, I, S. 23.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
ihm quasi als Anzahlung auf die Rechtfertigung angerechnet, die dann vollkommen ist, wenn der Mensch sich im Glauben und Leiden bewährt hat. Möglicherweise lässt sich die hier aufgebaute Spannung angesichts der Verfolgungssituation im frühen 16. Jahrhundert gar nicht auflösen, da Rechtfertigung aus Gnade und Bewährung im Leiden viel zu sehr ineinander verschränkt waren: Rechtfertigung durch die Gnade Gottes; gleichwohl ist der Mensch noch nicht vollkommen, weil er das Leiden noch durchleben muss. 3.2.2. … und den Werken
Für Menno Simons stand die Erkenntnis des Glaubens aus dem schriftlichen Wort heraus wesentlich mehr im Vordergrund als bei den bisher zitierten Autoren. Im niedergeschriebenen Wort Gottes, so Menno Simons, Quellenarbeit 10 offenbare Gott „alle Werke des wahren Christentums“, die zum Glauben gehören, nämlich „Wiedergeburt, wahre Buße, Absterben der Sünden, neuer Wandel, Gerechtigkeit, Gehorsam, Seligkeit und das ewige Leben“. Der „aufrichtige und wahre Glaube“, der vor Gott gerecht mache, gehe aus der Schrift hervor und sei eine Gabe Gottes.19 Schon von seinen Zeitgenossen wurde der friesische Täufer auf einen sehr legalistischen, von Werken geprägten Glauben festgelegt, wovon er sich jedoch wiederholt distanzierte. Das „einzige Gnadenmittel“ sei das „unMenno Simons schuldige Fleisch und Blut“ Jesu Christi, das am Kreuz für die Sünder geopfert und vergossen sei. 1552 betonte Menno Simons im „Gründlichen und klaren Bekenntnis der armen und elenden Christen“, die Täufer suchten ihre „Seligkeit nicht in Werken, Worten oder Sacramenten, wie die Gelehrten tun, obwohl sie solches von uns sagen“, sondern „allein in Christo Jesu“. Gottes Gnade sei frei von Voraussetzungen. Gott gebe dem Menschen „seinen Geist, sein Erbe, sein Reich, seine Herrlichkeit, Freude und Leben“ nicht um seiner „Verdienste und Werke willen“, sonGnade und Werke dern „aus Gnade, durch Christum Jesum“.20 Im Glauben, durch das Werk Jesu Christi, seien die Sünden vergeben und dadurch empfange der Mensch Freude und Frieden, erhalte ein erneuertes Herz und werde verwandelt in einen neuen Menschen. 19 Simons, Die vollständigen Werke, I, S. 153, 167 f. 20 Simons, Die vollständigen Werke, II, S. 372 f.
3.2. Rechtfertigung
Gleichzeitig bleibt der Mensch jedoch Sünder, so Menno Simons weiter, womit sich auch hier deutliche Anklänge an das „simul iustus et peccator“ finden lassen. Für Menno Simons gilt, dass ein Mensch, der durch den Geist Gottes zu einem neuen Leben wiedergeboren sei, sich am Vorbild Jesu Christi zu orientieren habe. Obwohl dies beinhalte, ein „frommes und unsträfliches Leben vor allen Menschen“ zu führen und der Mensch auch durch die Taufe bezeugt habe, dass seine „Sünden in Christo Tod begraben“ seien, sei er keineswegs „vollkommen und ohne Sünde“. Er selbst, so Menno Simons, rühme sich dessen nicht. Er bekennt, dass sein Gebet manchmal mit Sünde und seine Gerechtigkeit mit Ungerechtigkeit vermengt sei. Durch die Gnade Gottes fühle er wohl, welches Fleisch er von Adam ererbt habe. „Ja, wenn Gott uns nach unserer Würdigkeit, Gerechtigkeit, unseren Werken und Verdiensten richten wollte, und nicht nach seiner großen Güte und Barmherzigkeit, so könnte [ … ] kein Mensch vor seinem Gerichte bestehen.“ Der Gläubige solle sich hüten, sich Gottes Gunst und Huld durch Mutwillen und Gottlosigkeit zu verscherzen.21 Quelle Menno Simons, Ein gründliches und klares Bekenntnis (1552) „Alle denn, welche dieses geschenkte Mittel der göttlichen Gnade, Christum Jesum, mit gläubigem Herzen annehmen und in ihrem Innern bewahren, glauben und bekennen, daß durch sein Opfer, seinen Tod und sein Blut ihre Sünden ihnen vergeben sind; daß Er ihnen in Ewigkeit nicht zürnen oder sie verdammen wird; daß Er sie als liebe Söhne und Töchter annimmt und ihnen das ewige Leben schenkt. Solche empfangen Friede und Freuden in ihrem Geist und danken Gott mit erneuertem Herzen, denn die Kraft des Glaubens rührt und verändert und verwandelt sie in neue Menschen, so daß sie, durch die Gabe und Gnade des heiligen Geistes, in der Kraft der neuen Geburt und nach dem Maß ihres Glaubens, in dem Gehorsam gegen ihren Gott, welcher ihnen eine so reiche Liebe erwiesen hat, wandeln. Sie hüten sich mit allem Fleiß, daß sie nicht durch Muthwillen und Gottlosigkeit Gottes Gunst und Huld verscherzen; [ … ].“22
Einen Einblick in die seelsorgerliche Handhabung des Themas „Rechtfertigung“ gibt ein Brief, den Menno Simons an eine Schwester im Glauben, Margaretha, die Frau des Reinhold Edes, schrieb. Sie war offenkundig darüber 21 Ebd., S. 373 f. 22 Ebd., S. 372 f.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
betrübt, nicht „in der Vollkommenheit“ zu wandeln, wie die Bibel sie vor Augen führe. Menno Simons tröstete Margaretha mit dem Hinweis auf mehrere Bibelstellen, die verdeutlichen, dass ein Mensch stets gerecht und gleichzeitig Sünder sei – beispielsweise Spr. 24, 16 („denn ein Gerechter fällt siebenmal und steht wieder auf.“) oder 1. Joh. 1, 8 („Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“). Er übermittelte ihr, sie könnte sich „versichert halten“, dass sie „ein Kind Gottes“ sei und „das Reich der Gnade in ewiger Freude mit allen Heiligen erwerben“ werde. Aber sie sollte auch bedenken, dass „wir alle, wie viel unser auch sind, [ … ] in Gedanken, Worten und Werken Sünder“ seien.23
3.3.
Taufe
3.3.1. Innere und äußere Taufe
Interessanterweise ist der Artikel zur Taufe in den „Artikeln von Schleitheim“ der kürzeste, was zur Vermutung führen könnte, dass die konkrete Auslegung und die Art der Durchführung vielleicht zu besonders kontroverQuellenarbeit 11 sen Diskussionen geführt hätte. Doch tatsächlich rief die Frage, ob die Taufe durch Begießen, Besprenkeln oder Untertauchen geschehen sollte, erst im späten 17. Jahrhundert Diskussionen hervor. Grundkonsens war für die Täufer, dass die Taufe von Kindern nutzlos sei, weil der Taufe das Bekenntnis des Glaubens vorausgehen sollte. Leonard Schiemer brachte dies bildlich auf einen Nenner, indem er schrieb, wer taufe und danach erst lehre, der schieße aus einer Büchse und frage erst anschließend, wo das Ziel sei – Kindertaufe also als Schuss ins Leere. Die Kritik an der Kindertaufe fand, wie bereits erwähnt, Vorbilder in den Schriften von Thomas Müntzer und Andreas Bodenstein von Karlstadt. Eine sehr frühe Aussage aus proto-täuferischem Munde stammt aus dem Brief des Grebel-Kreises an Thomas Müntzer (1524). Grebel und seine Kollegen entnehmen den Schriften von Thomas Müntzer, dass ohne Wassertaufe als Anwendung der „Regel Christi“, wie sie in Matth. 18, 15-18 beZeichen für die schrieben ist, niemand getauft werden solle. Die Taufe ist somit innere Taufe die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen, die ein Verständnis für Sünde haben. Für die Taufe, so der Grebel-Kreis, sei es notwendig, 23
Ebd., S. 328 f.
3.3. Taufe
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dass der Gläubige durch den Glauben und das „blut Christi“ der Sünde „abgestorben“ sei und bereits „in nüwe deß läbens und geists“ wandle. Der äußerlichen Taufe gehe die „innere touff “ voraus, die die Erkenntnis und die Bereitschaft bringe, den „glouben nach der bedütnuß“ zu leben. Die „Nachfolge Christi“ ist ein wesentliches Element des täuferischen Glaubens. In einem oft zitierten, von Hans Denck stammenden Satz ist sie so zentral, dass sogar die Erkenntnis Christi mit der Nachfolge einhergeht: „Das mittel aber ist Christus, welchen nyemandt mag warlich erkennen, es sey dann, das er im nachvolge mit dem leben.“24 Auch Balthasar Hubmaier verstand die Taufe als „offentliches bekantnüß vnd zeügnüß des inwendigen glaubens“, wie aus einer Schrift des Jahres 1525 hervorgeht, die kurz nach Zwinglis Schrift über die Taufe und die Wiedertaufe erschien. Ein Mensch, der durch Gottes Wort zur Erkenntnis der Sünde gelangt sei, Gott um Verzeihung seiner Sünden gebeten habe und nicht daran zweifle, dass Gott ihm seine Sünden vergeben habe, drücke in der Taufe seinen Wunsch aus, ein neues Leben nach dem „wort vnd beuelch Christi“ zu führen, in der Kraft des dreieinigen Gottes. Hubmaier verbindet mit diesem Sinneswandel auch die Idee der Gelassenheit. Der Mensch begebe sich mit der Taufe in die Gelassenheit, mit Christus zu leiden, zu sterben und begraben zu werden.25 In seiner „Kurzen Entschuldigung“, die 1526 in Nikolsburg publiziert wurde, spricht Hubmaier von einer dreifachen Taufe. Erstens von der inwendigen Taufe des Geistes, die im Glauben geschehe, zweitens von der Taufe des Wassers, die ein mündliches Bekenntnis zum Glauben sei, und drittens von der Taufe des Blutes, die im Martyrium oder auf dem Todesbett geschehe. Auch bei Leonhard Schiemer heißt es in seiner Epistel „von dreyerley Tauf “: Die Taufe des Wassers sei eine Bestätigung des Glaubens und des inneren Bundes mit Gott, wie die Versiegelung eines Briefes, den man verfasst hat. Die Taufe des Blutes bezeichnet Schiemer dagegen als „prob der Christen“.26 Die Aufgabe der Gemeinde bei der Taufe betonte noch einmal explizit der Hutterer Peter Riedemann in seiner „Rechenschaft“. Die Gemeinde habe die „völlige Gewalt des Schlüssels Christi“, also die Vollmacht, Menschen in die Gemeinde aufzunehmen, und dem Menschen werden in der TauPeter Riedemann fe die Sünden „nachgelassen und vergeben“. Deshalb solle die 24 TA Zürich, S. 17 f.; Fellmann, Denck, II, S. 45. 25 Westin / Bergsten, Hubmaier, S. 122, 487. 26 Ebd., S. 275; Müller, Glaubenszeugnisse, I, S. 78.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Taufe vor der Gemeinde vollzogen werden, die gemeinsam mit dem Täufer und dem Täufling niederknien soll. Wäre es jedoch nicht möglich, die Taufe in der Gemeinde durchzuführen, würde auch ein einzelner Täufer genügen.27 Noch eine andere Nuance im Taufverständnis findet sich bei Hans Hut. Er hebt einerseits den Bundesschluss der Gläubigen mit Gott und der Gemeinde hervor, der durch die Taufe geschehe – ein „pundt der verwilligung zu einer christlichen gmein“.28 Doch bedeutet für ihn die Taufe andererseits im Sinne seiner apokalyptischen Vorstellungen die Versieglung Hans Hut der „zerstreuten“ Gläubigen, die auf die Wiederkunft Jesu Christi warteten. In einer Konkordanz verwies Hans Hut unter dem Stichwort „gehaimnus des tauffs“ auf Offb. 7, 3, wo es um die Versiegelung der Gläubigen mit einem Zeichen auf der Stirn geht. Sehr rasch wurde die Glaubenstaufe als Kritik an der Gesellschaft gesehen. Sie provozierte den Vorwurf, Absonderung, politische Unruhe und Aufruhr stiften zu wollen. In seiner „Protestation“ vom Dezember 1524 verwahrte Felix Mantz sich dagegen, mit seinen Lehren auch nur irgendwie Aufruhr stiften zu wollen: „Es kann auch in Wahrheit niemals nachGlaubenstaufe als gewiesen und belegt werden, daß ich irgendwo Aufruhr gestiftet Zeichen für Aufruhr habe oder daß ich irgendwo irgendwen gelehrt oder zu ihm gesprochen habe, was Aufruhr gebracht hat oder bringen kann.“ Eine ausgefeilte Theologie zur Taufe legten die frühen Täufer in Zürich jedoch nicht vor, sondern es ging ihnen vor allem darum nachzuweisen, dass es neutestamentliche Praxis war, einen Menschen dann zu taufen, wenn er „bekehrt durch das Wort Gottes, seinen Sinn geändert hat und von jetzt an in Erneuerung des Lebens wandeln will“. Die Taufe zeige das Absterben des alten Lebens, so Felix Mantz.29 3.3.2. Taufe und Erbsünde
Mit der Verweigerung der Kindertaufe verband sich im 16. Jahrhundert die Frage nach der Einstellung der Täufer zur Erbsünde. Sehr schnell wird in diesem Punkt die pauschale Schlussfolgerung gezogen, die Täufer hätten die Lehre von der Erbsünde nicht vertreten, denn nur so hätten sie die Glaubenstaufe legitimieren können. Doch es ist nicht ganz so einfach mit der Antwort, 27 Riedemann, Rechenschaft, S. 75. 28 Fast / Seebaß, Briefe und Schriften, S. 188. 29 Fast, Der linke Flügel, S. 29, 32.
3.3. Taufe
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wie schon Peter Riedemann in der „Rechenschaft“ schrieb. Es erhebe sich über die Erbsünde „oft viel Zanks und sagt einer dies, der andre jenes, aus welchem Gezänke denn mehr Zerstörung und Abbrechen denn Besserung folget“. Die meisten täuferischen Autoren bekennen klar, dass die Sünde durch den Sündenfall in die Welt kam, allerdings nicht als Werk Gottes. Doch seien seit dem Sündenfall alle Menschen „Kinder des Zorns“ und von „sündlicher Art“, da sie aus dem „sündlichen Samen“ Adams geboren seien, wie Menno Simons dies beispielsweise festhielt. Der Mensch sei mit einer „sündlichen Natur“ geboren und neige zum Bösen und zum ewigen Tod.30 Nach hutterischer Auffassung war der Mensch „böse“ von Jugend an. Alles „Gute und Göttliche“ sei durch den Fall Adams verloren gegangen und werde durch die Erbsünde, die Riedemann als Trennung von Gott beschreibt, überstrahlt. Um das „Gute und Göttliche“ wiederzuerlangen, müsse der Mensch „von neuem geboren“ werden. „Also sind wir alle Peter Riedemann durch Adam sündig geworden und müssen wiederum durch Christum gerechtfertigt werden, wollen wir anders das Leben mit ihm haben.“ Die Entfernung von Gott werde überwunden durch die Erkenntnis der Sünde und die ehrliche Reue über die Sünden sowie Buße.31 Bei Balthasar Hubmaier ist die Frage der Erbsünde verschränkt in seine Überlegungen zum freien Willen des Menschen. Er entwickelt seine Gedanken in der im April 1527 in Nikolsburg verfassten Schrift „Von der Freiheit des Willens“, in der viel von seiner Anthropologie steckt. Der Mensch sei von Gott in seiner ganzen Kreatur gemacht – an Leib, Geist und Seele. Balthasar Hubmaier Der Leib sei das Fleisch, Staub von der Erde genommen; der Geist sei der lebendige Atem, die bereits erwähnte „Anblasung“ oder „Anhauchung“, und die Seele mache den Geist lebendig. Deshalb habe der Mensch auch drei Willen in sich: „Namlich den willen des fleischs (das da nit leiden will), den willen der seelen (die leyden will vnd wolt doch gern von wegen des fleischs nit leyden), vnd den willen des geysts (der da will begirig leyden).“32 Aufgrund des Sündenfalls werde der Mensch bei seiner ersten Geburt in Erbsünde geboren. Deshalb müsse er noch einmal neu geboren werden durch das Wort Gottes, das im Menschen lebendig gemacht wird durch den Geist Gottes, der dem Geist des Menschen helfe. 30 Riedemann, Rechenschaft, S. 50; Die Schriften des Menno Simons, S. 654. 31 Riedemann, Rechenschaft, S. 50-54. 32 Westin / Bergsten, Hubmaier, S. 383.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Die drei Bestandteile der menschlichen Kreatur sind nach Hubmaier vom Sündenfall unterschiedlich betroffen. Das Fleisch habe durch den Fall Adams seine „guotheit vnnd freyhait verloren vnwiderbringlich“. Der Geist, also die „Anhauchung“ oder Gottes Atem im Menschen, sei durch den Sündenfall „auffrichtig, gantz vnnd guot“ geblieben und habe mit dem Essen der verbotenen Frucht eigentlich nichts zu tun gehabt. Doch der Geist habe, wie ein Gefangener im Leib, gegen seinen Willen mitessen müssen, auch wenn er ganz unschuldig sei. Die Seele dagegen sei durch den Ungehorsam Adams „verwundt vnnd tödlich kranckh“ geworden. Sie habe das Wissen und die Urteilsfähigkeit über Gut und Böse verloren. Dennoch, so Hubmaier, sei der Fall der Seele „widerbringlich“ durch das Wort Gottes, das den Menschen wieder lehre, was Gut und Böse sei. Dem Verfall der Kreatur nach dem Sündenfall stellt Hubmaier die Bedeutung der Auferstehung Jesu oder den „widerbrachten fall“ entgegen. Zentrale Bedeutung haben für ihn einige Passagen aus Joh. 8 – „Die Wahrheit wird euch frei machen“ und „So euch nun der Son freymacht, so seyd ir recht frey“. Dadurch würde der Mensch wieder „rechte gsundhayt vnd freyhayt“ erlangen, die Seele sei nun frei, sich entweder für den Geist oder für das Fleisch zu entscheiden.33 Die täuferischen Antworten auf die Erbsünde provozierten Fragen danach, was mit nicht getauften Kindern geschehe, wenn diese sterben. Der Brief des Grebel-Kreises an Thomas Müntzer (1524) enthält hierzu die Aussage, dass alle Kinder, die „noch nit zu underscheid deß wüssens gutts und böß kummen sind und von dem baum deß wissens nach nit geessen Können Kinder habend, dass sy gwüß selig werdind durch daß liden Christi, deß selig werden? nüwen Adams, welcher inen daß verschimpft läben widergebracht hab.“34 Auch Menno Simons stellte unter Berufung auf Mark. 10, 13 f. fest, dass den Kindern das Himmelreich gehöre und sie „unter der Verheißung der Gnade Gottes“ stehen. „Und darum glauben wir wahrhaftig, daß sie selig, heilig und rein sind, Gott angenehm, in dem Bund und Haus Gottes, aber keineswegs durch irgend welches äußerliche Zeichen“. Dennoch könnten unmündige Kinder noch nicht „wiedergeboren werden“, denn dies heiße „Christum anziehen und heiligen Geist empfangen“, glauben und die Einstellung des Herzen ändern. Der Gläubige werde „gelehrt“ und „versichert“, wie „die Schrift lehret“. Da un-
33 Ebd., S. 385 f. 34 TA Zürich, S. 18.
3.3. Taufe
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mündige Kinder noch keine Ohren hätten, um das Wort Gottes zu hören, und keine Vernunft, um es zu verstehen, könnten sie nicht wiedergeboren werden.35 Menno Simons widerlegt zudem den Vorwurf, die Täufer würden die Taufe als Reinigung des Menschen von der Erbsünde ansehen. Der Mensch werde durch den „andern und himmlischen Adam, Christus, in der Gnade wieder hergestellt und gerechtfertigt“. Gnade und Vergebung der Sünden bei Gott, Erlösung und „Abwaschung der Erbsünde“ erlangen die Menschen „durch Christi Blut“ und nicht durch die Taufe.36 Quelle Menno Simons, Ein Fundament (1539/40) „Und wiewohl die Kinder weder Glauben noch Taufe haben, so denke man dennoch nicht, daß sie darum verdammt sind. Ach nein, sie sind selig; denn sie haben des Herrn eigene Verheißung zu dem Reich Gottes, nicht durch irgend welche Elemente, Ceremonien oder äußerliche Gebräuche, sondern allein aus der Gnade durch Jesum Christum. Math. 19, 13-15. Und darum glauben wir auch wahrhaftig, daß sie in Gnaden sind, ja daß sie Gott angenehm, rein, heilig, und Erbgenossen Gottes und des ewigen Lebens sind. Um dieser Verheißung willen, dürfen sich alle gläubigen Christen ihrer Kinder Seligkeit mit ruhigem Herzen freuen und trösten.“37
In den verschiedenen Religionsgesprächen stand das Thema „Erbsünde“ regelmäßig auf dem Programm. Es dürfte jedoch dem Charakter dieser Religionsgespräche geschuldet sein, dass die täuferischen Antworten manchmal sehr ambivalent erscheinen. Das Nacheinander von Wort und Widerwort und das manchmal sehr hintergründige Nachhaken der Erbsünde in den Religionsnicht-täuferischen Teilnehmer sowie die nicht vorhandene Systegesprächen matik der täuferischen Theologie brachten widersprüchliche Antworten hervor. So sagte Rauff Bisch beim Frankenthaler Religionsgespräch einerseits, der Mensch werde nicht durch Adams Sünde verdammt, sondern durch seine eigene. Er legte dann jedoch nach, dass den Kindern die „neigung“, also die „verderbte Natur“ nicht „verdamlich“ zugerechnet werde. Denn Jesus Christus sage 35 Simons, Die vollständigen Werke, I, S. 49 f. 36 Ebd., S. 46. 37 Ebd., S. 52.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
in Mark. 10, 15: „Warlich ich sage euch / wer das Reich Gottes nit empfahet alß ein Kind / der wirt nit hinein kommen. Darauß wir glauben / oder schließen / Wann ihnen ihre Natur unnd Neigung zur verdamnuß zugerechnet würde / Christus hett sie uns nit zum exempel dargestelt.“38 Beim Religionsgespräch in Emden wenige Jahre später stimmten der reformierte Prediger Menso Alting und die anwesenden flämischen Mennoniten überein, dass die Erbsünde allen Nachkommen Adams angeboren sei und die menschliche Natur verdorben hätte. Die Gnade Gottes stehe jedoch allen Menschen zur Verfügung, ergänzte der Täufer Peter van Collen. Die Täufer stellten zudem unter Berufung auf 1. Kor. 7 fest, dass die Kinder auch ohne Taufe Anteil an der Gnade Gottes und der Seligkeit hätten. Allerdings müssten alle Menschen, um gerechtfertigt zu sein, eine Wiedergeburt aus dem Geist Gottes heraus erleben, die jedoch nur im Erwachsenenalter möglich sei. Erst dann könne der Mensch durch das Wort Gottes ermahnt und befähigt werden, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und gute Werke aus der Gnade Gottes heraus zu tun. 3.3.3. Taufrituale
Der Vollzug der Taufe gestaltete sich in der frühen Zeit recht vielfältig. Über die erste Taufe in Zürich heißt es, man habe ein „getzi“ verwendet, also Wasser aus einer metallenen Schöpfkelle mit Stiel gegossen. Auch eine Darstellung von Taufen in Münster zeigt, dass der Täufling mit Wasser übergossen Wassertaufe wurde, das der Täufer vorher aus einem Eimer genommen hatte. Bei der ersten Taufe durch Balthasar Hubmaier in Waldshut diente ein Milchkübel, der mit Wasser gefüllt von einem Waldshuter Brunnen in die Kirche getragen und dort auf den Taufstein gestellt wurde, als Mittel zum Zweck. Katharina Kräuter wiederum gibt in Mühlhausen zu Protokoll, sie sei in einem Kübel getauft worden. Auch die Taufe von Wolfgang Ulimann, die Konrad Grebel vollzog, geschah wohl im Rhein durch Untertauchen, wenn man dem St. Galler Chronisten Johannes Kessler glaubt, auf ausdrücklichen Wunsch von Ulimann: „das er nit wolt mit ainer schüssel mit wasser allein begossen, sunder ganz nackend und bloß hinuss in dem Rhin von dem Grebel undergetruckt und bedeckt werden“.39 Eine etwas andere Praxis zeigt sich bei Hans Hut. 38 39
Protocoll. Das ist / Alle handlung, S. 208. Kessler, Sabbata, S. 144 f.
3.4. Politik
Er nahm eine kleine Schüssel mit Wasser, machte mit dem befeuchteten Finger drei Kreuze auf der Stirn des Täuflings – als Zeichen für die Dreieinigkeit; wohl verbunden mit einer entsprechenden Formel, die auf das Zeichen im Namen der Dreieinigkeit hinwies. Für die hutterischen Täufer und eine gemeindlich bereits gefestigte Situation gibt die „Rechenschaft“ von Peter Riedemann Einblicke in das Taufritual. Der Täufer rief zunächst zur Buße auf und führte den Anwesenden vor Augen, dass sie in Sünde lebten. Er verwies auf die Gnade Gottes und stellte fest, dass die Taufe eine Verbindung zu Gott sei. Wenn der Täufling die Taufe begehrte, musste er verschiedene Fragen beantworten: ob er „glaube in Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist“, ob er „der Welt, Sünde und Teufel absage“, ob er sich Gott „von ganzem Herzen und ganzer Seele mit all seinen Gliedern“ hingeben und ob er zukünftig nicht mehr sich selbst, sondern Gott und seiner Kirche leben wolle. Wenn der Täufling auf all diese Fragen positiv antwortete, seinen Glauben bekannte und dann noch versicherte, dass er all dies in seinem Herzen ganz sicher wisse und davon überzeugt sei, dass kein anderer Weg zum ewigen Leben führe als von Jesus Christus aufgezeigt, wurde er vom Täufer schließlich noch gefragt, ob er „begehre sich mit Gott zu verbinden und getauft zu werden“. Gab er auch dazu sein Einverständnis, kniete er sich nieder, was gleichzeitig ein Zeichen der Demut sein sollte, und wurde mit „reinem Wasser“, das der Täufer auf ihn goss, getauft. Der Täufer sprach in diesem Moment: „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, der dir nach deinem Glauben die Sünde vergeben und dich in sein Reich gezogen und angenommen hat; darum so sündige hinfort nicht mehr, auf daß dir nicht etwas ärgeres widerfahre.“40 Später gab es es bei den Hutterern spezielle Schriften und Predigten, die sich mit der Taufe beschäftigten, unter anderem den als „Taufreden“ bekannten „Codex ritualis“.
3.4.
Politik
3.4.1. Vorstellungen von der Ordnung der Gesellschaft
Ein sehr bemerkenswerter Text des frühen 16. Jahrhunderts, der sich mit Krieg und Frieden und der Verantwortung der Herrschenden beschäftigt, stammt aus der Feder von Erasmus von Rotterdam. In der „Klage des Friedens“, 1518 40 Riedemann, Rechenschaft, S. 75.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
erschienen, schrieb Erasmus, dass Krieg, Kirche und Jesus Christus eigentlich gar nicht zusammengingen. Eins sein in Christus hieße, jede nationale und menschliche Grenze zu überwinden, aber dennoch gäbe es gerade unter Christen viel Krieg und Streit. Doch jede Verkündigung Christi sei sinnlos, wenn sich Christen untereinander bekriegen. Zudem kritisiert Erasmus die Fürsten, die oft Kriege vom Zaun brächen, um ihre eigene Herrschaft zu festigen oder auszudehnen. Den Schaden hätte jedoch die Bevölkerung. Erasmus fordert die Fürsten auf, das Gemeinwohl im Blick zu haben und segensreich für ihr Volk zu wirken, was durch Kriegführen nicht erreicht würde. Erasmus von Rotterdam legte mit seiner „Klage des Friedens“ ein entschiedenes und kompaktes Plädoyer für die Friedensidee vor. Zwar ist der Einfluss von Erasmus auf die frühen Täufer immer wieder hervorgehoben worden, doch finden sich täuferische Bekenntnisse zu einer internationalen Friedensethik und zu einer über die Gemeinde hinausgehenden Verantwortung von Christen in der Gesellschaft und in Konflikten erst im 19. Jahrhundert. Vorher lenkte die Absonderung von der „Welt“ den Blick der Täufer vor allem auf die eigenen Gemeinden und es herrschte ein sehr dualistisches Weltbild vor, das die täuferischen Gemeinden nur bedingt als Teil der Gesellschaft sah. Obwohl es Differenzierungen in der politischen Theologie gab, blieb stets eine Ambivalenz zwischen der Anerkennung der Obrigkeit als von Gott eingesetzt, die somit auch aufgefordert sei, das Amt nach dem Willen Gottes auszufüllen, und der Erkenntnis, die „Welt“ würde nie den Normen genügen können, die die Täufer an ein christliches Leben anlegten. Gleichzeitig verband sich mit der täuferischen Auffassung von „Wehrlosigkeit“ im 16. Jahrhundert ein komplexes, ganzheitlich verstandenes Modell christlicher Lebensführung, das über die Ablehnung des Kriegsdienstes hinausging. Wehrlosigkeit sollte eine Lebenshaltung sein und nicht die Frage betreffen, ob man selbst Gewalt ausübte, sondern auch jene, ob man Gewalt mit Gewalt beantworten sollte. Die Täufer verwiesen in diesem Zusammenhang auf Matth. 5, 39, wo Jesus Christus sagt: „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dann lass auch den Mantel.“ Gegenwehr oder stillhalten? Gewalt erdulden? Für die Täufer konnten diese Fragen ganz konkret werden, wenn es darum ging, sich auf einer Reise zu bewaffnen, um gegen Überfälle gewappnet zu sein, oder wenn in Kriegszeiten Truppen Haus und Hof überfielen.
3.4. Politik
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3.4.2. Die Sicht auf die Obrigkeit
Die Grundlage für die täuferische Sicht auf die „Welt“ bildete die Bedeutung, die der Obrigkeit beigemessen wurde. Dieser wurde von den Täufern die Aufgabe zugeordnet, die Guten zu schützen und die Bösen zu strafen, womit die Obrigkeit in ihrer Legitimität anerkannt war, meist unter Verweis auf Röm. 13. Die „Artikel von Schleitheim“ waren sehr deutlich darin, den Täufern selbst keinen Platz in dieser Obrigkeit zuzubilligen. Sie trennten die zwei Reiche sehr klar – „das Regiment der Obrigkeit ist nach dem Fleisch, das der Christen nach dem Geist“.41 Deshalb könnte kein Christ ein Amt in der Obrigkeit übernehmen. Eine pragmatischere Haltung nahm Balthasar Hubmaier ein, der seine täuferische Reformation in Nikolsburg mit Rückendeckung der Herren von Liechtenstein durchführte. Er ging davon aus, dass die „Christen“ keineswegs so getrennt von der „Welt“ lebten, sondern verteidigte sich gegen zu strenge täuferische Lehren. Es „sagen etlich Brüder, das ein Balthasar Hubmaier Christ nit müg das schwert fieren, wann der Cristen reich sey nit von dieser welt.“ Hubmaier griff diese Position auf und antwortete: „So solch leüt die augen recht auff thetten, wurden und müstent sy vil anders sagen. Namlich da unser reych nit von dieser welt sein sollte. Aber laider, Gott sey es klag. Es seye von dieser welt, wie wir uns denn schuldig geben im Vaterunser, da wir betten: Vater, Dein Reich komme, denn wir seind in dem Reich der Welt.“42 Hubmaier war davon überzeugt, dass die Obrigkeit auch christlich sein könnte; allerdings legte er ganz konkrete Maßstäbe an ihre Vertreter an. Sie müssten zwar zum Schwert greifen, um Ordnung und Gerechtigkeit herQuellenarbeit 12 zustellen und letztendlich sei das Schwert auch eine „gute Rute und Geisel Gottes“, doch seien die Motive entscheidend. Das Schwert müsse eingesetzt werden, um Gerechtigkeit herzustellen, aber nicht aus „Zorn, Spottworten oder aus Verachtung“. Hubmaier zufolge sollte die Obrigkeit „nicht zanken, kriegen und fechten“. Abzulehnen sei zudem, wenn Expansionsdrang mit dem Schwert befriedigt würde. Auch Menno Simons gestand in seiner „Vermahnung an alle Obrigkeit“ aus dem „Fundamentbuch“ von 1540 einem Menschen zu, ein Amt in der Obrigkeit auch gottesfürchtig ausführen zu können. Die Regierenden 41 Zit. nach: Leu / Scheidegger, Schleitheimer Bekenntnis, S. 70. 42 Westin / Bergsten, Hubmaier, S. 436.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
sollten ihr Amt „mit aller Weisheit“ und „recht nach dem Willen Gottes“ verwalten, so seine Aufforderung.43 Quelle Gebet von Hans Schlaffer (Ende der 1520er Jahre) „Wir bitten dich auch für alle fürsten und obrigkait und herrn, du wöllest sie erleuchten mit deiner göttlichen warhait, damit sie den gwalt, den sie von dir empfangen haben, mögen brauchen den frommen zu einem schutz und den bösen zu einer straf und sich nit vergreifen an dem unschuldigen bluet.“44
Die Hutterer vertraten ebenfalls eine sehr scharfe Trennung der Reiche. Peter Riedemann ging in der „Rechenschaft“ davon aus, dass die Obrigkeit von Gott verordnet und eingesetzt sei, um Rache an den Feinden Gottes zu verüben. Sie sei ein „Bild, Zeichen und Erinnerung des Abkehrens“ des Menschen von Gott. Weil der Mensch sich von Gott abgewendet habe, Hutterer und brauche es überhaupt erst die Obrigkeit. Deshalb sei sie auch aus Obrigkeit „Ungnaden und Zorn“ gegeben.45 Dennoch müsse der Menschen dieser Obrigkeit untertan sein, denn Widerstand gegen die Obrigkeit sei Widerstand gegen Gott. Handle die Obrigkeit allerdings gegen Gott und belaste damit das Gewissen des Menschen, so müsse man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Interessanterweise führt Riedemann noch an, dass das Amt an sich bestehen bleibe und geehrt werden müsse, auch wenn die Obrigkeit gegen Gebote Gottes handelt. Zu der sehr interessanten Frage, wie eine Gesellschaft aussehe, die nur christlich-täuferisch sei und sich gegen Feinde verteidigen müsse, nahm der hutterische Älteste Peter Walpot Stellung. Er meinte, wenn alle Christen wären und somit niemand zum Schwert greifen würde, dann würde Gott den Feinden der Christen Widerstand leisten. Walpot verwarf auch die Zahlung von Kriegssteuern. Allerdings wurde es offenkundig gute Praxis, dass die Obrigkeiten sich „ihre“ Kriegssteuern geradewegs in Naturalien von hutterischen Höfen holten, wie das „Geschichtbuch“ überliefert: „In diesem 1605. Jahr hat man uns abermal
43 Simons, Die vollständigen Werke, S. 112, 114. 44 Müller, Glaubenszeugnisse, I, S. 97. 45 Riedemann, Rechenschaft, S. 102.
3.4. Politik
Bild 14: Überfall auf die täuferische Versammlung im Wald bei Alstetten und Gefangennahme der hutterischen Sendboten
für die Schätzung, so wir Gewissens halber nicht geben können, Vieh, Getreid, Wein und anders genommen, unangesehen.“46 Die drei hutterischen Missionare Ludwig Dörker, David Falk und Melchior Platzer hielten 1574 eine Versammlung in einem Wald zwischen Alstetten und Schlieren (bei Zürich) ab. Vier Mitglieder des Kleinen Rates und über 100 Büchsenschützen überfielen die Versammlung und nahmen die hutterischen Missionare gefangen. Das „Geschichtbuch“ berichtet über das Verhör der hutterischen Sendboten.
46 Wolkan, Geschichtbuch, S. 492.
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Quelle Hutterisches Geschichtbuch „Auch haben sie sonderlich verhöret und gefragt der Obrigkeit halben, warum sie nicht Christen sein mögen. Darauf ihnen Bruder Ludwig geantwort, wie daß Christus, da ihn das Volk zum König machen wollt, geflohen sei. Item, daß er nicht Erbteiler sein wollt oder Richter, da ihn einer aus dem Volk bat darzu. Also sollen seine Nachfolger auch tun. Denn welche er fürsehen hab, die hab er auch verordnet, daß sie gleichformig sein sollen dem Ebenbild seines Sohns und, das noch mehr ist, sage Christus zu den Seinen: ‚Die weltlichen Fürsten herrschen über die Völker, ihr aber nicht also.‘ Ja, sie sollen dem Uebel nicht widerstreben, wie die Alten zu tun Macht hätten nach dem Gesetz Mose. Und als seine Jünger Rach brauchen wollen, wie Elias, daß Feuer vom Himmel fiel, sprach er zu ihnen: ‚Wisset ihr nicht, welches Geists Kinder ihr seid?‘ Dieweil nun Christus kein weltlich Obrigkeit gehabt und nicht in äußerlichem Gewalt und Herrschung auf Erden gewesen ist, so könnt es auch noch kein Christ sein. Denn wer Christi Geist nicht hat, der sei nicht sein. Darum kein Christ ein weltlich Obrigkeit sein kann, aber ein Obrigkeit möge wohl ein Christ werden, so sie sich herablaß und die Obrigkeit flieh wie Christus und allein untertan sei zu guten Werken, wie die Apostel lehren.“47
3.4.3. Wehrlosigkeit und Gewalt
Sehr früh, bereits im Brief des Grebel-Kreises an Thomas Müntzer wurde die Ablehnung von Gewalt formuliert. Man solle das Evangelium und seine Anhänger oder sich selbst „nit schirmen mit dem Schwert“, denn „rechte gleubige Christen“ seien wie die Schafe mitten unter den Wölfen, wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden. Sie müssten in „angst Ablehnung und nott, trübsal, ferfolgung, liden und sterben“ getauft und in von Gewalt dem Feuer probiert werden. Doch das Töten sei bei ihnen „gar abgetan“.48 Felix Mantz äußerte 1525 in seinem Verhör, kein Christ solle zum Schwert greifen oder dem Bösen Widerstand leisten. Kurz und knapp hielten die „Artikel von Schleitheim“ fest: „Das Schwert ist eine Ordnung Gottes ausserhalb der Vollkommenheit Christi. Es straft den Bösen und schützt und schirmt den Guten. Im Gesetz wird das Schwert über die Bösen zur Strafe und 47 Ebd., S. 368. 48 TA Zürich, S. 17.
3.4. Politik
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zum Tode verordnet. Es zu gebrauchen, sind die weltlichen Obrigkeiten eingesetzt. In der Vollkommenheit Christi aber wird der Bann gebraucht allein zur Mahnung und Ausschliessung dessen, der gesündigt hat, nicht durch Tötung des Fleisches, sondern allein durch die Mahnung und den Befehl nicht mehr zu sündigen.“49 Eine viel zitierte Aussage von Hans Denck zur Gewaltlosigkeit von 1527 lautet: „Mit Gewalt verfahren und herrschen ist gar keinem Christen erlaubt, der sich seines Herrn rühmen will.“ Und es geht weiter: „Nicht, dass die Gewalt in sich selbst unrecht sei – mit Blick auf die böse Welt – denn sie dient Gott zu seiner Rache. Aber die Liebe lehrt alle ihre Kinder noch ein Besseres [ … ], nämlich jedermann zur Besserung [zu] dienen. Wer aber ein Hausvater ist, der handele mit Weib und Kind, Knecht und Magd, wie er will, dass Gott mit ihm handelt [ … ]. Und sofern es einer Obrigkeit möglich wäre, auch so zu handeln, so könnte sie wohl auch geistlich in ihrem Stand sein. Dieweil es aber seit je die Welt nicht leiden kann, so soll und kann ein Freund Gottes nicht in die Obrigkeit, sondern [muss] draußen wachsen, will er Christum für einen Herrn oder Meister halten.“50 Hans Denck beschäftigt sich in seiner Schrift mit der Frage, inwieweit ein Christ sich politisch-gesellschaftlich engagieren kann und darf. Seiner Auffassung nach sind diesem Engagement sehr rasch Grenzen gesetzt, wenn ein Christ seinem Gewissen verpflichtet bleiben möchte. Denn ein Christ könne dort nicht sein, wo mit Gewalt verfahren und mit Gewalt geherrscht wird. Und damit ist für ihn der politische Bereich tabu, denn es sei nun mal die Grundeinstellung politischer Führung, Gewalt zum Ausdruck ihres Handelns zu machen. Etwas andere Antworten finden sich in jenen Gruppen, die stark von apokalyptischen Ideen geprägt waren und sich auf das prophezeite Endgericht vorbereiteten. Hans Hut etwa distanzierte sich von der strengen Sicht in der Schweiz, dass ein Christ „kain wör tragen“ solle – solches sei „nit wider Got auch nit verpoten“. Wenn die Obrigkeit dies von einem Gewalt als Christen fordere, solle man sich dem nicht widersetzen. „Wa sy Gegenwehr aber solchs nit thun wolten, möchten sy verkaufen, was sy hetten, und weckziehen.“ Auch in Münster stellte sich die Frage der Gewalt noch einmal neu, als die Stadt ab Februar 1534 von bischöflichen Truppen belagert wurde. Folgt man den nachträglichen Aussagen Bernhard Rothmanns, so hätten 49 Zit. nach Leu / Scheidegger, Schleitheimer Bekenntnis, S. 69. 50 Denck, Vom Gesetz, S. 80 f.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
die Täufer dort mit Beginn der Taufen zunächst all ihr „Wehr und Waffen abgelegt“ und sich „zum Schlachtopfer“ bereitet, „weil wir meinten, es gezieme uns nicht, den Gottlosen Widerstand zu leisten, sondern wir müßten das Leiden, ja den Tod mit Geduld hinnehmen“.51 Auch Jan van Leiden sagte in seinem späteren Bekenntnis, dass er anfangs, im Gegensatz zu Jan Matthijs, noch nicht den Gebrauch von Schwert und Gewalt gegen die Obrigkeit gepredigt habe. Ob diese Aussagen lediglich der nachträglichen eigenen Rechtfertigung dienen sollten oder tatsächlich die Entwicklung einer theologischen Position widerspiegeln, bleibt der Interpretation überlassen. Interessanterweise gibt es auch von Menno Simons ambivalente Aussagen. Einerseits bezieht er sich auf die Worte der alttestamentlichen Propheten, dass „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Spieße zu Sicheln“ gemacht werden sollten und man sich zum „äußerlichen Streit und Krieg des Blutes nimmermehr rüsten noch begeben“ sollte. Andererseits, darauf lassen die „Artikel von Wismar“ von 1554 schließen, gestand Menno Simons einem Christen zu, sich auf der Reise zu bewaffnen beziehungsweise als Kriegsknecht tätig sein zu können. Aus der Zeit der Bauernkriege selbst sind sehr unterschiedliche Aktionen und Äußerungen von Täufern oder späteren Täufern überliefert. Während Hans Hut und Hans Römer in Frankenhausen mitkämpften, ist von den zwei Täufern Jakob Gross und Ulrich Teck aus Waldshut überliefert, dass sie sich 1525 geweigert hätten, den aufständischen Bauern bei der Belagerung der Stadt Radolfzell zu helfen. Daraufhin wurden sie aus ihrer Heimatstadt vertrieben. Jakob Gross gibt später zu Protokoll, er hätte sich lediglich geweigert, ein Schwert zu tragen, um andere damit zu töten. Jedoch wäre er bereit gewesen, Wachdienste zu übernehmen oder Schanzarbeiten zu verrichten. Volkmar Fischer, der von Hans Römer getauft worden war und der sich im Kampf um Erfurt 1527 außerhalb der Stadt bereit gehalten hatte, um die Truppenverstärkung anzuführen, ging nach dem Platzen aller Aufstandspläne nach Basel. Dort habe er, nach eigener Aussage, von den Täufern die Idee der Gewaltlosigkeit übernommen und würde nun weder Schwerter noch lange Messer tragen. Der gewaltbereite Glauben „wehr nicht der rechte weg“.52 Auch Hans Römer wurde nach den Ereignissen in Erfurt in der Schweiz zu einem friedfertigen Täufer.
51 52
Zit. nach: Seebaß, Müntzers Erbe, S. 520; Rothmann, zit. nach: Stupperich, Schriften Rothmann, S. 280. Wappler, Täuferbewegung in Thüringen, S. 46, 366 f., 372.
3.5. Bekenntnisse
3.5.
Bekenntnisse
3.5.1. Vielfalt der Täufer
Im Protokoll des täuferisch-reformierten Religionsgesprächs von Frankenthal, das 1571 stattfand, heißt es: „Denn daß ihr [die Schweizer Brüder] die Kirche sein solltet, werden die Hutterischen, die euch als Unchristen verbannen, nicht zugestehen. Die Mennoniter viel weniger, deren etlichen (denn auch sie unter sich vielfältig zerteilt sind) auch die wiedertaufen, so von euch getauft worden sind. So man den Titel der Kirche den Hutterischen geben wollte, das werdet ihr und die Mennoniten nicht leiden. Gleicher Gestalt werdet ihr und die Hutterischen nicht zugeben, daß die Mennoniter die Kirche Christi seien.“53 Ein Zeichen der Täuferbewegung nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch in späteren Zeiten, war die Diversität. Der französische Gelehrte der Aufklärung, Pierre Bayle, schrieb um 1700 in seinem „Dictionaire historique et critique“, die Tatsache, dass die Täufer sich im 16. Jahrhundert unter anderem in Täufer in der Schweiz, in Mähren und in Münster aufgespalten hätten, hätte ihnen sehr zum Nachteil gereicht. Vereint hätten sie sich viel besser gegen die Angriffe der Obrigkeiten wehren können. Die Vielfalt der Täufer führte immer wieder zu Auseinandersetzungen und Spaltungen. Aber sie war auch verantwortlich für eine Vielzahl an Bekenntnissen, die entweder dazu dienen sollten, sich von anderen abzugrenzen, oder eine Wiedervereinigung vorzubereiten. Kennzeichnend für die Täufer war jedenfalls, dass es nie ein von allen Gemeinden akzeptiertes Bekenntnis gab. Vorbehalte gegen die Verschriftlichung des Glaubens hielten sich in Nord- und Westdeutschland unter den Mennoniten bis ins 20. Jahrhundert. Es drückt sich darin der starke Kongregationalismus aus, der ebenfalls typisch für die täuferischen Gemeinden war. Die aus dem 16. Jahrhundert überlieferten Bekenntnisse waren zunächst Aussagen von Einzelnen oder einzelnen Gruppen, die entstanden, wenn die jeweiligen Akteure aufgefordert waren, sich für ihren Glauben zu verantworten, oftmals im Gefängnis. Hans-Jürgen Goertz hat darauf verwiesen, dass es im 16. Jahrhundert in den Quellen ganz verschiedene Begriffe für „Bekenntnis“ gab – „Bekenntnis“, „Rechenschaft“, „Zeugnis“, „Verantwortung“, „Unterrichtung“ oder „Artikel“.54 Erst ab dem 17. Jahrhundert wurden Bekenntnisse formuliert, die Vertreter mehrerer täuferischer Richtungen unterzeichneten und die somit eine breitere Gültigkeit und Verbindlichkeit beanspruchen konnten. 53 54
Protocoll. Das ist / Alle handlung, Vorrede, S. 8. Goertz, Zwischen Zwietracht und Eintracht, S. 21.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Hintergrund Bekenntnisbildung Ernst Walter Zeeden versteht unter „Konfessionsbildung“ die „an einem Bekenntnis orientierte Vergemeinschaftung“ und die „geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform“.55 In den täuferischen Gemeinden setzte mit der zweiten und dritten Generation die Bekenntnisbildung ein. Aufgrund der außerordentlich reichhaltigen Quellen lässt sich dieser Prozess besonders gut für die hutterische Gemeinde in Mähren nachvollziehen.
Das früheste täuferische Bekenntnis sind die „Artikel von Schleitheim“ (1527), die für den schweizerischen und süddeutschen Raum Bedeutung erlangten. Als weitere grundlegende Bekenntnisschriften kristallisierten sich im 16. Jahrhundert das den Kölner Obrigkeiten gegenüber formulierte Bekenntnis von Kempen (1545), die Artikel von Wismar (1554) sowie die Bekenntnisse „Confessio“ des 1558 in Köln hingerichteten Thomas von Imbroich heraus. Auch den süddeutsch-schweizerischen Gemeindeordnungen und der Eingabe der Grüninger Täufer an den Landtag von 1527 kam bekenntnisbildender Charakter zu. Für die meisten täuferischen Gemeinden bildete zudem das apostolische Glaubensbekenntnis die Basis. Es findet sich in verschiedenen hutterischen Schriften wieder, etwa in der „Rechenschaft“ von Peter Riedemann, wo es die Kapitelstruktur vorgibt, oder in der „Rechenschaft“ von Leonard Dax. Und noch 1660 preist Thieleman van Braght dieses Glaubensbekenntnis im „Märtyrer-Spiegel“ als das „älteste und einfachste“.56 3.5.2. Konferenzen und Diskussionen
Um die Lehrdifferenzen zu überwinden, fanden immer wieder Zusammenkünfte verschiedener täuferischer Prediger statt. So trafen sich 1536 ungefähr 25 Täufer, unter ihnen David Joris, Jan van Batenburg und Anhänger von Melchior Hoffman, in Bocholt. Ziel war es, die nach Münster durcheinandergewirbelte 55 Zeeden, Grundlagen und Wege, S. 251. 56 Van Braght, Märtyrer-Spiegel, S. 25.
3.5. Bekenntnisse
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täuferische Landschaft zu ordnen und eine Richtung in strittigen Fragen zu finden. Für Differenzen sorgten die Themen Wehrlosigkeit, Polygynie und das Reich Gottes auf Erden, alles „Erbschaften“ von Münster. Verbindend wirkten dagegen die Glaubenstaufe, das Abendmahl sowie die christologischen Ideen von Melchior Hoffman. Eine vermittelnde Funktion nahm David Joris ein. In den folgenden Jahren kristallisierte sich eine dem Spiritualismus eher kritisch gegenüberstehende Bewegung um Menno Simons als Hauptrichtung heraus. Menno Simons warf David Joris in seinen schriftlichen Werken vor, der Lebenspraxis zu wenig Beachtung zu schenken und nikodemitisch zu leben. Die äußerliche Konformität sei letztendlich Heuchelei; zudem vermeide er so das Leiden, das für Gläubige zum Leben gehöre. Eine weitere Debatte, die ebenfalls die Bruchlinien zwischen dem Spiritualismus und der stärkeren Orientierung am schriftlichen Wort offenbarte, war die Auseinandersetzung zwischen Pilgram Marpeck und Caspar von Schwenckfeld. Sie schlug sich in vielen publizistischen Werken und umfangreichen Schriften nieder. Bereits 1531 debattierten beide über die Bedeutung neutestamentlicher Ordnungen und Zeremonien, die Schwenckfeld aufgrund der Unstimmigkeit über die richtige Praxis aussetzen wollte. Marpeck verwahrte sich dagegen, Schwenckfeld wiederum ermahnte die Täufer, nicht so sehr auf die äußerliche Taufe zu setzen, sondern auf die innere Erfahrung des Geistes Gottes. Eine weitere Bruchlinie verlief zwischen den Schweizer Brüdern und den Hutterern. Die Auseinandersetzungen drehten sich vor allem um die Gütergemeinschaft, die Meidung von andersgläubigen Ehepartnern sowie die Behandlung jener, die die hutterische Gemeinde wieder verlassen Schweizer Brüder wollten. Zwei lange Briefe zeugen von den Auseinandersetzungen und Hutterer – die „Gegebne Antwortt von den Brüedern so mann die hüeterischen nennen thuet auff der Schweitzerischen Brüeder“ von 1567 und der „Sendbrieff von Peter Waalpot Ettlichen Schweitzer Brüedern am Reinstrom zugeschickt gen Modenbach“ von 1577. Das hutterische „Geschichtbuch“ schreibt, man habe den Schweizer Brüdern „ihre Irrtum und Fehl in solchen und andern Punkten angezeigt und erwiesen.“57 Hintergrund für die Briefe war jedoch auch das umtriebige Missionswesen der Hutterer, die unter den Schweizer Brüdern fleißig predigten und beispielsweise im kurpfälzischen Raum ganze Gemeinden von Schweizer Brüdern für sich gewannen. 1556 zog der Älteste Lorenz Huef mit seiner Gemeinde aus der Gegend um Kreuz57
Wolkan, Geschichtbuch, S. 324.
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
nach nach Mähren und 1564 folgte der Prediger der Schweizer Brüder, Farwendel, mit „vielen Brüdern und Schwestern“ aus seiner Gemeinde in Neustadt / Haardt. Vom Kölner Täufer Matthias Servaes ist eine Warnung vor der Umtriebigkeit der hutterischen Missionare überliefert. Er schrieb 1565 aus dem Gefängnis an seine Glaubensgeschwister: „Es laufe nun um euch, wer da will, gebt ihm keine Ohren; laß die Hutterischen (oder Mährischen) lästern, wie und was sie wollen; ich sage euch: Gott bewahre mich dafür, nämlich vor dem Treiben der Lehrer.“58 Diese Debatten, die Vertreter verschiedener Gemeinden führten, wurden begleitet von Spaltungen, die einzelne täuferische Gruppen erlebten. So verbindet sich mit dem Jahr 1557 zunächst die Entstehung der Waterländer, die unter den niederländischen Täufern vor allem in Fragen des Bannes und gemischtkonfessioneller Ehen eine weniger strikte EinWaterländer stellung hatten. Der Konflikt war ausgebrochen, nachdem Leenaart Bouwens eine Frau gebannt hatte, die weiterhin Kontakt zu ihrem von der Gemeide gebannten Mann hatte. Dirk Philipps und schließlich auch Menno Simons, der eigentlich eine etwas weniger strikte Bannpraxis favorisiert hatte, folgten Leenaart Bouwens und bannten Mitglieder der Gemeinde Franeker, die den strengen Bannvorschriften nicht folgen wollten. Sie bildeten den Grundstock für die Waterländer, die schließlich ca. 20 Prozent der niederländischen Täufer ausmachten und deren Gemeinden sich auf Friesland sowie die Gegend zwischen Alkmaar und Amsterdam konzentrierten. In der Eigenbezeichnung der Waterländer setzte sich bald nach dieser Trennung der Name „Doopsgezinde“ durch. Die Waterländer gaben sich 1568 die erste Gemeindeordnung und verfassten 1577 ein Bekenntnis. In den 1580er Jahren erlaubten sie ihren Mitgliedern, ein Amt in der Obrigkeit zu übernehmen, sofern damit nicht gerichtliche Entscheidungen über Leben und Tod verbunden waren. Schon im späten 16. Jahrhundert zeigte sich unter den Waterländern die Tendenz, die Gemeinschaft der Gläubigen nicht mehr nur an der eigenen Konfession festzumachen, sondern sie in der unsichtbaren Kirche zu sehen, die konfessionsübergreifend war. Einflussreich war der einem katholischen Hintergrund entstammende, aber mit vielen Gemeinden im Gespräch stehende Dirk Volkertsz Coornhert. Bei einer Zusammenkunft in Alkmaar stellten die Versammelten fest, alle jene sollten als Glaubensgeschwister angesehen werden, die ein christliches Leben führten und Gottes Willen beachteten, auch wenn sie in Fragen der Taufe, des Abendmahls oder des Gottesdienstes andere Ansichten vertraten. 58
Ebd., S. 321; Servaes, zit. nach: van Braght, Märtyrer-Spiegel, S. 251.
3.5. Bekenntnisse
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Erneut in Franeker spielte sich in den 1560er Jahren eine weitere Auseinandersetzung zwischen flämischen und friesischen Täufern ab, als diese über die Art und Weise der Predigerberufung uneins wurden. Ausgangspunkt war die nach 1550 im Süden der Niederlande sich wieder intensivierende Verfolgung, die zahlreiche flämische Täufer zur Flucht in den Flämische und Norden trieb. Diese flämischen Täufer waren strikter in ihrer friesische Täufer Glaubenspraxis als die Täufer im Norden. Der Konflikt brach über die Berufung eines flämischen Predigers aus, den die Friesen nicht mittragen wollten. Resultat war der gegenseitig ausgesprochene Bann; zudem erkannte man die jeweils andere Taufe nicht mehr an. Eine weitere Auseinandersetzung teilte 1589 die Friesischen Täufer. Auslöser waren erneut Unstimmigkeiten über gemischtkonfessionelle Ehen sowie das Verbot, mit flämischen Täufern Geschäfte zu machen, und die Wiedertaufe von flämischen Täufern, die in Gemeinden der friesischen Richtung Mitglied werden wollten. Es kam zur Trennung in die Alten Friesen und die Jungen Friesen – Letztere waren die progressivere Richtung, während einige Vertreter der Alten Friesen als Wahrer des Erbes von Menno Simons auftraten. 1639 verschriftlichten die Alten Friesen ihr Glaubensbekenntnis und legten unter anderem nieder, dass ihre Gemeindeglieder weder Alkohol noch Tabak konsumieren und auf ihren Schiffen keine Kanonen mitführen sollten. Allerdings schwächten sich diese Positionen im Verlauf des 17. Jahrhunderts allmählich ab. Doch die Spaltungen in Flamen und Friesen beziehungsweise in Alte und Junge Friesen brachten Untergruppen hervor, die bis ins späte 18. Jahrhundert die Gemeinden nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Westpreußen prägten und teilten. Einen Versuch, die verschiedenen Richtungen wieder zu vereinen, unternahmen friesische und hochdeutsche Täufer 1591 in Köln, wo sie unter der Leitung von Leonard Klock ein gemeinsames Dokument erarbeiteten, das als „Concept von Köln“ bekannt wurde. Die in Köln versammelten Täufer kamen vor allem aus Gemeinden am Niederrhein, aber „Concept wohl auch aus der Kurpfalz oder aus dem Elsass. Unter den von Köln“ „Hochdeutschen“ wurden in dieser Zeit Täufer vom Oberrhein verstanden, die entweder noch dort lebten oder von dort stammten und in die Niederlande geflohen waren. Im „Concept von Köln“ einigte man sich, bei der Anwendung des Bannes nach der „Regel Christi“ genannten Praxis in Matth. 18, 15-19 vorzugehen sowie eine nicht zu strenge Absonderung zu praktizieren, die Fußwaschung durchzuführen, Eide zu verweigern und auf Gewaltlosigkeit zu setzen. Darüber hinaus wollte man mehr „Demuth“ in wirtschaftlichen An-
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
gelegenheiten, in „Zeitlichen begierden“ und in der „kostbarkeit der äusserlichen Kleider“ an den Tag legen. Die in Köln versammelten Täufer erkannten zudem die Trinität an und entschieden sich in ebenfalls umstrittenen christologischen Fragen für die Position, Jesus Christus sei als „daß ewige Wort des Vaters Fleisch“ geworden.59 1601 kam es dann auf der Basis des „Concepts von Köln“ zum Zusammenschluss der Waterländer, der Jungen Friesen und der Hochdeutschen, was allerdings nur ein paar Jahre währte. Wesentlicher Konfliktpunkt zwischen Waterländern und Friesen blieben die gemischtkonfessionellen Ehen, bei denen die Waterländer einen wesentlich liberaleren Standpunkt vertraten. Zudem hatte Hans de Ries, ein Konvertit aus dem Calvinismus, einige Praktiken unter den Waterländern eingeführt, die für Konflikte sorgten – unter anderem betete er laut statt leise und teilte das Abendmahl vom Tisch aus anstatt Brot und Wein herumzugeben. Die Waterländer ihrerseits suchten 1613 eine Vereinigung mit englischen Puritanern, die in die Niederlande geflohen waren, den Brownisten, was ebenfalls Zündstoff barg. Grundlage für die Vereinigung war ein vermutlich 1610 von Hans de Ries verfasstes Bekenntnis – „Corte Belijdenisse des Geloofs ende der Vorrnaemster Stucken der Christenlijcke Leere“. Dass die Waterländer zudem offen für Kontakte zu den Remonstranten waren, diente gleichermaßen nicht der Befriedung der innertäuferischen Beziehungen. 1626 schließlich vereinigten sich die Jungen Friesen mit den Flamen, was vor allem ein Verdienst der unermüdlichen Bemühungen einiger Ältester der Amsterdamer Gemeinde war. Ausdruck dieser Vereinigung, die eigentlich auch noch die Alten Friesen hätte umfassen sollen, war ein 1627 verfasstes Bekenntnis, das Friedfertigkeit im Namen führend „Olijftacxken“ „Olijftacxken“ („Olivenzweig“) hieß. Die Ehemeidung wurde hier nicht mehr und Dordrecht thematisiert. Die Jungen Friesen und die Hochdeutschen wiederum dokumentierten ihre Einigung mit einem weiteren Bekenntnis, dem „Bekenntnis des Jan Cents“ aus Amsterdam, das 1630 erschien. Den Höhepunkt all dieser Verhandlungen und Versuche, Spaltungen zu überwinden, stellte schließlich das „Bekenntnis von Dordrecht“ dar, das 1632 von 51 Predigern der flämischen Richtung unterzeichnet wurde. Es ist das nachhaltigste und am weitesten verbreitete von allen täuferischen Bekenntnissen. 1660 übernahmen es Schweizer Täufer im Elsass, auch in der Schweiz und in Süddeutschland wurde es zur
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Zit. nach: Kobe, Concept von Cölln, S. 51 f.
3.5. Bekenntnisse
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Grundlage. 1664 erschien es das erste Mal auf Deutsch, herausgegeben von Tieleman Tielen van Sittert. 3.5.3. Von Visionen, Träumen und geisterfüllten Tänzen
Im Verlauf der täuferischen Geschichte gab es immer wieder Bewegungen, die aus dem Täufertum heraus entstanden oder mit diesem in Verbindung gebracht wurden, sich jedoch in eine besondere Richtung entwickelten. Dazu gehörten stark prophetisch ausgerichtete Gruppen oder einzelne Gläubige, die besondere Offenbarungen hatten und eine Gemeinde um sich sammelten. Einen großen Einfluss auf Melchior Hoffman, aber auch auf Täufer in den Niederlanden, hatten die „Straßburger Propheten“ um Barbara Rebstock und das Ehepaar Jost. Sie verbreiteten apokalyptisch ausgerichtete Visionen, die dem Klima der Naherwartung entstammten, wie es in Straßburg in den späten 1520er und frühen 1530er Jahren herrschte. Ursula Jost schrieb ihre Visionen auf, die von Hoffman unter dem Titel „Prophetische gesicht und Offenbarung / der götlichen würckung in diser letzten zeit“ veröffentlicht wurden. Sie bezogen sich auf die Endzeit und waren geprägt von einer Beschreibung des strahlenden Lichts und des Glanzes Gottes sowie von Himmelserscheinungen und Naturereignissen, die in die Schau der „Letzten Zeit“ eingebaut wurden. Von Barbara Rebstock dagegen stammt die Vision, Melchior Hoffman sei der endzeitliche „Elijah“; sie wurde auch „Älteste von Israel“ genannt. Als apokalyptischer König sah sich auch der Augsburger Täufer Augustin Bader, dem 1530 der Prozess gemacht wurde, nachdem er seine neue Macht mit Krone, Zepter und Schwert dargestellt hatte. Etwas ekstatischer ging es dagegen in den frühen Jahren in St. Gallen zu, wie der dortige Chronist Johannes Kessler berichtet. Ein Prediger, Goldschmied genannt, brachte die Sonderlehre unter die Täufer, man sollte werden wie die Kinder, wie Jesus Christus in Matth. 18 gesagt hatte. Die Anhänger des Goldschmieds nahmen dies sehr wörtlich und benahmen sich Ekstase in „kindesch“, sprangen herum und saßen nackt auf dem Boden – St. Gallen „wie iede sich mocht nach liblichen, torrichtigen geberden den kindern am glichformigsten stellen ie neher sy vermaint dem spruch Christi nachleben“. Die Frauen fingen zudem an, sich die Haare abzuschneiden, weil sie meinten, langes Haar sei hoffärtig. Und auch für diese Auffassung konnte ein Bibelvers gefunden werden: „Es ist ja war, Christus spricht: ergert dich din
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3. Täufer ist … – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
og, din hand etc., so wirf es von dir.“60 Offenkundig wurde Nacktheit in einigen Bewegungen, wie auch in St. Gallen, als besonders gottgefällig angesehen. In Amsterdam sorgten im Februar 1535 die „Nacktläufer“ für Aufsehen, die, nicht unbeeinflusst von den Ereignissen in Münster, so die „nackte Wahrheit“, also das reine Wort Gottes, verkünden wollten. Der Heilige Geist wehte in manchen Gruppen sehr frei, wie erneut aus St. Gallen berichtet wurde, wo Täufer unter Verweis auf die Worte „der buchstab tödt, der gaist macht lebend“ ihre Bibeln in brennende Öfen warfen oder sie zerrissen.61 Sehr wörtlich nahm auch eine Gruppe, die Anfang der 1550er Jahre in der Gegend von Eisenach unter Beobachtung der Blutsfreunde aus Obrigkeiten geriet, die Aussage „ein leib in Christo werden“. Die der Wiedertaufe „Blutsfreunde aus der Wiedertaufe“, die sich selbst so nannten, sammelten sich um den charismatischen Täufer Claus Ludwig. Er hatte die Taufe seines Sohnes verweigert, lag deshalb mit den Obrigkeiten im Streit und fiel auch durch antiklerikale Aktionen auf. Die „Blutsfreunde“ praktizierten als Ritual innerhalb ihrer Gruppe außerehelichen Geschlechtsverkehr, den sie „cristierunge“ nannten und dem sie sakramentalen Charakter zusprachen. Ein Bundesschluss, der auch spirituell gemeint war – sie würden so „ein leib in Christo“. 1530/31 wurde in Uttenreuth bei Erlangen eine Gruppe bekannt, die als „Träumer“ von Uttenreuth in die Annalen eingingen. Ihr Leiter war der örtliche Schmied, Hans Schmid, der von sich behauptete, „prophet von got“ zu sein. Durch Fasten und das Hören auf die Stimme Gottes wollten sie den Willen Gottes erkennen. Visionen und Träume gehörten zur Uttenreuther Glaubenserfahrung der Gruppe in Uttenreuth. In einer der Träumer Visionen erhielt Else Kern eines Tages den Auftrag, Hans Schmid zu heiraten. Die Gruppe nahm diese Vision als Ausgangspunkt für ein neues Eheverständnis, demzufolge zwar jeder Teilnehmer mit seinem bisherigen Ehepartner weiterhin zusammenwohnte, jedoch eine zweite Ehe auf Geheiß des Geistes Gottes einging.
60 Kessler, Sabbata, S. 152. 61 Ebd., S. 153.
Fragen zur Reflexion
Fragen zur Reflexion Welche theologische Aussage der Täufer halten Sie für die zentralste? Warum? Standen die Täufer den übrigen Reformatoren theologisch nahe? Diskutieren Sie pro und contra. Die Täufer hatten über die gesamten 500 Jahre kein gemeinsames Bekenntnis. Diskutieren Sie, ob ein Bekenntnis für eine Glaubensgemeinschaft notwendig ist.
Weiterführende Literatur Hans-Jürgen Goertz, Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 93), Göttingen 2007. Volker Leppin, Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016. Werner O. Packull, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1525-1531 (Studies in Anabaptist and Mennonite History, 19), Scottdale, PA / Kitchener, Ont. 1977. Katharina Reinholdt, Ein Leib in Christo werden. Ehe und Sexualität im Täufertum der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte, 227), Göttingen 2012. C. Arnold Snyder, Anabaptist History and Theology. An Introduction, Kitchener, Ont. 1995.
147
4.1. Namen. Von der Macht der Begriffe
4.
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Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
4.1.
Namen. Von der Macht der Begriffe
4.1.1. „Wiedertäufer“ und „Ketzer“
„Er hab keinen Namen, den Got, sein vater, hab auch keinen namen“ – ein offenkundig sehr kreativer Versuch eines Täufers 1543 in einem Verhör in Beyernaumburg, seine Identität zu verschleiern. Tatsächlich war es nicht so leicht mit den Namen für die Täufer, weder zeitgenössisch noch in der Historiografie. Lange war das Wort „Wiedertäufer“ gebräuchlich, das aus dem 16. Jahrhundert stammt und stets pejorativ und diffamierend gebraucht wurde. Unter Verweis auf angebliche spätantike Vorfahren findet man auch den Namen „Manichäer“ und „Donatisten“. Der Begriff „Catabaptisten“ dagegen geht auf den in Basel lebenden reformierten Theologen Johannes Oekolampad zurück und wurde von Bullinger in seinem Protokoll der Disputationen mit den Täufern verwendet. Doch auch die einfache Form „teüffer“ ist bereits im 16. Jahrhundert gebräuchlich, beispielsweise in Sebastian Francks „Chronica“ von 1531, wobei Franck die Täufer sowieso eher positiv darstellte und in ihnen keine Gefahr für die politische Ordnung sah. Dass schon im 16. Jahrhundert über die Verwendung des Begriffs „Wiedertäufer“ nachgedacht wurde, zeigt eine Diskussion in Württemberg, die im Vorfeld der neuen Wiedertäuferordnung Anfang der 1570er Jahre stattfand. 1571 verfassten die Deputierten Räte in Stuttgart ein „Bedenken und ordnung die widertaufer betreffend“. Unter dem Punkt „der ge„Wiedertäufer“ meinen widerteufer lehr“ beschäftigten sie sich mit der Schwierigkeit, wer angesichts der Vielfalt der Täufer als „Wiedertäufer“ bezeichnet werden sollte. Der an den Beratungen teilnehmende Abt zu Adelberg, Christoph Binder, meinte, unabhängig von der Vielzahl unterschiedlicher Täufergruppen sei doch das verbindende Merkmal die Ablehnung der Kindertaufe. Somit seien also jene Personen als Täufer anzusehen, die „ire kinder nit teufen lassen vnd also widerteufen“.1 Eine Formulierung, die eine recht interessante inhaltlich-praktische Spannung zwischen „Kinder nicht taufen lassen“ und folglich „Wiedertäufer sein“ in sich trägt. Kam eine „Wiedertaufe“, also die Wiederho1
TA Württemberg, S. 278, 296.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
lung der Taufe, ja eigentlich nur in der ersten Generation vor. Zudem konnte eine „Wiedertaufe“, inhaltlich bestimmt, nur dann stattfinden, wenn man die erste Taufe als gültig ansah, was die Täufer jedoch nicht taten. Die Definition, ein „Wiedertäufer“ sei jemand, der gegen die Kindertaufe sei, brachte zudem jene unter Druck, die zwar gegen die Kindertaufe, aber auch nicht für die Erwachsenentaufe waren, wie Caspar von Schwenckfeld. Weitere Klassifizierungen für die Täufer waren „Ketzer“, „Sectirer“ oder „Häretiker“. 1571 bezeichnete der Stuttgarter Hofprediger Wilhelm Bidembach die Täufer als „hereticus ex Christiano factus, qui est Erger denn ain haid“.2 Nach frühneuzeitlicher Auffassung war Ketzerei einerseits eine Mischung aus „superbia“ und „pertinacia“, also aus Hochmut und „Ketzer“ verstockter Hartnäckigkeit, und nur durch Strafe zu bekämpfen. Andererseits war die Überzeugung verbreitet, Ketzerei sei eine „Irrung“ und könne durch gute Argumente korrigiert werden. Als Begründung wurde stets das neutestamentliche Gleichnis vom Weizenfeld angeführt. Wie das Unkraut unter dem Weizen sollten „Irrende“ bis zur Zeit der Ernte unter den „Frommen“ wohnen bleiben. Unter anderem Sebastian Franck bezog dieses Gleichnis auf die Täufer und warnte davor, durch eine zu harte Verurteilung oder gar die Todesstrafe in Gottes Gericht einzugreifen. Allerdings unterschied auch Franck zwischen Täufern, die geduldet werden könnten, und solchen, die „schedlich“ seien, beispielsweise die Münsteraner Täufer. Erst um 1700 setzte sich unter dem Eindruck der „unpartheyischen“, also möglichst sachlichen Geschichtsschreibung allmählich eine positive Sicht auf die Täufer durch. Eine wesentliche Rolle spielte der pietistisch geprägte Theologe Gottfried Arnold, der auch den Begriff „Ketzer“ mit neuem Inhalt füllte. Er sei in der Antike nicht von Anfang an negativ besetzt gewesen, denn er leite sich von „Cathari“ oder „Gazari“ her, die „Reinen“ oder „guten Leute“. Diese seien „Zeugen der Wahrheit“ gewesen, die vom „Römischen Antichristen“ verfolgt wurden. Erst später sei der Begriff negativ gewendet worden, durch ein regelrechtes „kätzermachen“. Dabei, so Arnold, hätte oftmals gar nicht die „Ketzerei“ im Mittelpunkt gestanden, sondern es habe schon genügt, das Wort in den Mund zu nehmen, um jemanden zu diffamieren. „Unordentliche affecte“ wie Neid, Geiz, Missgunst, Herrschsucht und Hochmut würden die „lust im verkätzern“ speisen.3 2 3
Zit nach: Räisänen, Ketzer im Dorf, S. 113. Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, S. 12-14.
4.1. Namen. Von der Macht der Begriffe
151
4.1.2. Aus den „Wiedertäufern“ werden Mennoniten
Auch auf täuferischer Seite ist es nicht einfach mit den Bezeichnungen. Nachdem die Täufer sich in der frühen Zeit lediglich als „Bruder“ und „Schwester“ bezeichnet hatten, im Marpeck-Kreis wohl auch als „Mitgenosse“, entstanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts allmählich die Gruppennamen. Wie bei vielen konfessionellen Gruppen kann man Bruder, Schwester, auch bei den täuferischen Gemeinden davon ausgehen, dass dieMitgenosse se Namen von außen an die Gemeinden herangetragen wurden, oft zunächst in einer abwertenden Art und Weise. So heißt es beispielsweise in einer Supplikation der Täufer in Danzig aus dem Jahr 1582, diese sei verfasst von den „Untertanen, so man spottweise Widertäufer oder Mennoniten im Kleinen Werder nennet“. Auch die Hutterer verwenden ihren eigenen Gemeindenamen zunächst in einer etwas distanzierten Art und Weise und unterzeichnen ihre Briefe mit „die Brüder, die man die Hueterischen nennt“. Es ist nicht leicht zu bestimmen, ab wann Gruppennamen das erste Mal auftauchen beziehungsweise von den Namensträgern tatsächlich auch intern verwendet wurden. Die Bezeichnung „Menniten“, aus der sich später der Begriff „Mennoniten“ entwickelte, taucht wohl das erste Mal 1544 in Ostfriesland, in der Vorbereitung zu einer Policeyordnung der Menniten, Gräfin Anna von Ostfriesland auf. Die „Menniten“ wurden hier Mennisten unterschieden von den „Daviten“, den Anhängern von David Joris, und der „Batenborgischen secten“. Für das Jahr 1572 ist dann der Begriff „Mennonit“ in Preußen überliefert. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts versuchten täuferische Gemeinden immer mehr, sich von dem diffamierenden Begriff „Wiedertäufer“ zu distanzieren und sich selbst als „Mennoniten“ oder „Mennisten“ zu bezeichnen. Damit einher ging die Forderung, nun auch nicht mehr nach den Reichsgesetzen des 16. Jahrhunderts beurteilt zu werden, die sich gegen die „Wiedertäufer“ richteten. Die Wiedertäufer, so wurde argumentiert, hätten vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückgeschreckt, und mit diesen hätten die Mennoniten, die gehorsame Untertanen seien, nichts gemein. Diese Argumentation übernahmen auch Obrigkeiten, die Täufer duldeten und sich deshalb vor den Reichsgerichten verantworten mussten. So parierte die Stadt Hamburg in den 1670er Jahren Forderungen von kaiserlicher Seite, die Reichsgesetze und die Regularien des Westfälischen Friedens zu beachten und die Täufer der Stadt zu verweisen, mit dem Hinweis, die fraglichen Unter-
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
tanen seien keine „Wiedertäufer“, sondern „Mennoniten“ – und deshalb griffen die Reichsgesetze und -abschiede des 16. Jahrhunderts nicht. Die Mennoniten seien friedfertig, gehorsam, ruhig und handelstüchtig, so die Argumentation der Stadt Hamburg. Für die norddeutschen Täufer war diese Beweisführung nachvollziehbar, da die Gemeinden auf Menno Simons zurückzuführen waren. Im Fall der süddeutschen Gemeinden, die eigentlich mit Menno Simons keine Verbindung hatten, taucht der Name „Mennoniten“ wohl erst in der pfälzischen „Mennistenkonzession“ von 1664 auf. Im gleichen Jahr erschien das Dordrechter Bekenntnis auf Deutsch. Der Druck war Teil eines umfangreicheren Buches, das Tieleman van Sittert herausgab und in dem er sich ebenfalls über den Namen seiner Glaubensgeschwister Gedanken macht – er nannte sie „Taufgesinnte“ und sah sie in der Tradition des „waffen- und rachlosen Christentums“: Begrifflich„Taufgesinnte“ keiten, die darauf abzielten, die Täufer im christlichen Spektrum zu verankern und auf das „Exempel der Apostelen und ersten Christenkirchen“ zurückzuführen. Dem diente auch die Feststellung, Thomas Müntzer und die Münsteraner Täufer seien keineswegs aus den „Taufgesinnten“ hervorgegangen, was, so van Sittert, leider immer noch fälschlicherweise angenommen würde. Van Sittert behauptet sogar, die „Auffrührer und Geisstreiber“ in Münster seien eigentlich „aus der dicken finsternus des Pabstuhms“ gekommen und von „etlichen Luterschen predigern zum schwert führen überredet“ worden.4 Nur weil die Taufgesinnten und die Münsteraner gleichermaßen die Kindertaufe ablehnten, könnte man sie nicht in einen Topf werfen. Auch Gerrit Roosen, Ältester der Hamburger Mennonitengemeinde, sah die Täufer in seinem 1702 veröffentlichten Buch „Unschuld und Gegen-Bericht der Evangelischen Tauff-gesinnten Christen / so Mennonisten genandt werden“ in der Tradition der evangelischen Christen, wie bereits der Titel deutlich macht. Seine Argumentation unterscheidet sich ein klein wenig von jener van Sitterts. Roosen vertrat nämlich die Auffassung, man könne die Anhänger von Thomas Müntzer und die Münsteraner Täufer wohl als „Wiedertäufer“ beQuellenarbeit 13 zeichnen, evangelisch wie die Mennoniten seien sie jedoch nicht gewesen. Und er geht noch einen Schritt weiter: Münster stehe für einen „Lügen-Geist“, „fleischlichen Betrieb“, „Haß und Neid“, „Zank und Streit“ sowie „Empörung gegen die Obrigkeit“.5 Schon 4 5
Christliche Glaubens-Bekentnus, S. 129 f. Roosen, Unschuld und Gegen-Bericht, S. 7.
4.1. Namen. Von der Macht der Begriffe
153
allein deshalb könnten die Mennoniten keine „Wiedertäufer“ sein, denn sie würden die Obrigkeit anerkennen und hätten nie, wie die Münsteraner, in Gütergemeinschaft gelebt. Darüber hinaus impliziere der Begriff „Wiedertaufe“, dass jemand erneut getauft würde. Auch dies treffe auf die Mennoniten nicht zu, denn sie würden nur eine „evangelische Taufe bekennen“, jene nach Matth. 28, 19. Über den Namen seiner Gemeinde dachte auch der Herausgeber des „Märtyrer-Spiegels“, der Prediger der Dordrechter Mennonitengemeinde Thieleman van Braght nach. Er lehnte die Bezeichnung „taufgesinnt“ ab, denn diese sei den Täufern von außen gegeben worden. Zudem reduziere der Begriff die Mennoniten auf die Taufe und vernachlässige alle anderen Glaubensinhalte. Van Braght schlägt als Alternative „Christgesinnte, Apostolischgesinnte oder Evangelischgesinnte“ vor, was ebenfalls einiges Licht auf die gewünschte Zuordnung wirft.6 Selbst im späten 18. Jahrhundert fand noch ein Kampf um die Begriffe statt, wie ein Fall aus der amischen Geschichte zeigt. 1766 verstarb in Trippstadt im Pfälzer Wald Peter Maurer. Er hinterließ drei Kinder und eine Frau, die jedoch schon länger von ihm getrennt lebte. Peter Maurer war eigentlich Amischer, hatte sich jedoch auf dem Sterbebett zum KatholizisPeter Maurers mus bekehrt. Dort hatte er, so berichtete es der katholische PriesKinder ter, auch bestimmt, dass seine drei Kinder, die bei der Mutter lebten, im katholischen Glauben erzogen werden sollten. Die Mutter wehrte sich jedoch dagegen und floh mehrfach mit den Kindern vor den Obrigkeiten, bis diese ihrer schließlich habhaft werden konnten und die Kinder ins Mannheimer Waisenhaus steckten. Dort traten Peter Maurers Kinder zum katholischen Glauben über, wohl zwangsweise, denn mit ihrer Volljährigkeit und der Entlassung aus dem Waisenhaus gingen sie zurück zu ihrer Mutter. Sie begannen, so der behördliche Bericht, sich „auf wiedertäuferische Art“ zu kleiden und den „wiedertäuferischen Zusammenkünften“ der amischen Gemeinde Essingen bei Landau beizuwohnen. Der Älteste der Gemeinde, Hans Nafziger, nahm sie in die Gemeinde auf und taufte sie „wieder“. Die kurpfälzische Regierung startete daraufhin Untersuchungen, die dazu führten, dass die beiden Töchter nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt des Landes verwiesen wurden, weil sie erklärt hatten, amisch bleiben zu wollen. Weniger ausschlaggend in der Debatte war jedoch ihre Zugehörigkeit zu einer amischen Gemeinde an sich, sondern ihre „Wiedertaufe“, die im wahrsten Sinne des Wortes stattgefunden hatte. 6
Van Braght, Märtyrer-Spiegel, S. 14.
154
4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
Es folgte ein Rechtsstreit, der von verschiedenen Gutachten begleitet wurde. So zählte der Anwalt der Mutter die Amischen automatisch zu den „Mennonisten“ und argumentierte mit der Ethymologie des Wortes. Es führe sich nämlich auf Menno Simons zurück. Darüber hinaus würden die Mennoniten die „Wiedertaufe“ nicht „effectiv anwenden“, sondern ihre Kinder erst in „erwachsenen Jahren, wenn sie ihre vernunft brauchen können“, taufen und deshalb seien sie keine „Wiedertäufer“. Auch die Reichsgesetze des 16. Jahrhunderts, die sich auf die „Wiedertäufer“ bezogen, seien auf sie nicht mehr anwendbar. Die Mennoniten seien „Christen“, und eigentlich fast Reformierte, weil sie sich nur in der Tauffrage wesentlich von diesen unterschieden. Zudem könnten sie sich nicht nur auf die Mennistenkonzession von 1664 berufen, sondern hätten in einigen Städten sogar das „ius civitatis“, also das Bürgerrecht.7 Die kurpfälzischen Juristen aus Heidelberg hielten dagegen, dass die beiden Mädchen nicht zu den Mennoniten gezählt werden könnten, sondern doppelt getaufte „Wiedertäufer“ seien und deshalb den alten Gesetzen gegen die Wiedertäufer zu unterstellen seien. Dass sie sich der mennonitischen Gemeinde angeschlossen hätten, sei ein Abfall von der christlichen Religion, sie seien „meyneidig“ geworden, hätten Treue und Eid gebrochen und die Taufe wiederholt.
4.2.
Zuschreibungen. Die Gefahr der Täufer für die Gesellschaft
4.2.1. Das täuferische Potential zum Aufruhr
Über die gesamte Frühe Neuzeit war die Diffamierung, die Täufer hätten letztendlich nur Aufruhr und Zerstörung im Sinn und ihre Duldung stelle immer eine Gefahr für die allgemeine Ordnung dar, jederzeit reaktivierbar. Die Erinnerung an die Bauernunruhen unter Thomas Müntzer und der Verweis auf die Ereignisse in Münster genügten, um alle Täufer unter Generalverdacht zu stellen, ganz gleich, wie loyal sie selbst eingestellt waren. 1656 griff Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorp auf eine entsprechende Analogie zurück, um den Gutsherrn von Fresenburg, Johann von der Decken, aufzufordern, Täufer, die er auf seinen Gütern duldete, zu vertreiben. Die dieser „Secte Zugethane“ würden, „so baldt sie nur so viel Lufft und Gelegenheit erlangen, sich gegen ihre von Gott vorgesetzte Obrigkeit auflehnen, empöhren und ganze Länder in Aufruhr und 7
Christlicher Gemeinde-Kalender 36, 1927, S. 87 f., 99.
4.2. Zuschreibungen. Die Gefahr der Täufer für die Gesellschaft
155
Verderben bringen“, wie die Beispiele des vorangegangenen Jahrhunderts gezeigt hätten.8 Und noch einmal gut 100 Jahre später, 1763, reichte Egid Felix von Borié, Staatsrat unter Maria Theresia in Wien, der Hinweis auf Münster, um zu begründen, dass die Hutterer in Siebenbürgen von Anfang an bekämpft werden müssten, damit die Gemeinde nicht anwachse und zum Problem werde. Gegen die Täufer ins Feld geführt wurde auch immer wieder ihre Weigerung, die Landesfürsten in Kriegen zu unterstützen. Selbst ein Erlass des eigentlich den Täufern verhältnismäßig wohlgesonnenen Landgrafen Philipp I. von Hessen enthielt den Vorwurf, die Täufer würden in Zeiten des Krieges nicht zu Felde ziehen und nicht helfen, das „vatterland“ zu retten und zu schützen. Sehr oft taucht dieser Vorwurf im 17. Jahrhundert in der Schweiz auf. 1659 beziehungsweise erneut 1693 heißt es beispielsweise in einem Berner Mandat, es sei Pflicht aller Untertanen, das „vatterland, als unser aller mutter“ „zu schützen und zu schirmen, ja gut und blut darfür auffzusetzen“ – dies sei das „gesatz der natur“. Doch die Täufer würden ihrer „natürlichen von Gott gegebenen Oberkeit“ „Trew vnd Warheit“ verweigern, weshalb sie nicht als Untertanen angesehen werden könnten und des Landes verwiesen werden müssten. Die Härte des Berner Mandats erhält ihre Kontextualisierung durch einen Blick auf die Situation in der Eidgenossenschaft im 17. Jahrhundert. Ein stehendes Heer gab es nicht, sondern Truppen wurden erst im Verteidigungsfall ausgehoben, weshalb jeder Untertan gebraucht wurde. Darüber hinaus zählte die Aufstellung und „Vermietung“ von Söldnertruppen Wehrfähigkeit zu einer wichtigen Einnahmequelle der Kantone. Der Druck, den der Schweiz die reformierten Kantone durch ihre katholischen Nachbarkantone verspürten, verstärkte zudem das Gefühl, jederzeit kampfbereit sein zu müssen. Der niederländische Gesandte in der Schweiz, Petrus Valckenier, der als Diplomat in die Auswanderung der verfolgten Schweizer Täufer involviert war, erwähnt 1695 in einem Bericht, dass das Anwachsen der Täufer auf Seiten der Obrigkeiten für Ängste sorge, denn die bewaffnete Bevölkerung sei die „einzige Stärke“ der Schweiz. Schon 1669 hatte Johann Heinrich Ott in einem vermutlich an den holländischen Doopsgezinden Hans Vlamingh adressierten Brief geschrieben, von den Täufern gehe deshalb eine große Gefahr aus, weil sie in Grenzregionen wohnten und sich weigern würden, für das „Vatterland“ zu „wachen“ oder „zu schantzen oder Proviant den unserigen“ zu bringen.9 Und der 8 9
Zit. nach: Dollinger, Mennoniten in Schleswig-Holstein, S. 131 f. Bangs, Letters on Toleration, CD, S. 714.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
Züricher Bürgermeister Johann Heinrich Waser wies den niederländischen Gesandten Adolph de Vreede 1660 in einem Gespräch über die Täufer darauf hin, dass die Schweiz aufgrund ihrer Verfassung keine Wehrlosigkeit dulden könnte. 4.2.2. Sichtbarkeit des täuferischen Glaubens
Ein weiterer Vorwurf war die Sichtbarkeit des täuferischen Glaubenslebens. Diese Kritik stand in einer manchmal sehr widersprüchlichen Ambivalenz zur Warnung, man müsse aufpassen, dass die Täufer nicht im „Untergrund“ unkontrolliert und unbeobachtet anwachsen. Waren es in der frühen Zeit die täuferischen Prediger, deren öffentliche Werbungen für den täuferischen Glauben unterbunden werden sollten, so geriet in späteren Zeiten immer wieder die Gottesdienstfeier ins Blickfeld, die als Provokation aufgefasst wurde. In Ostfriesland taucht das Thema mehrfach in den Quellen auf. So beschwerten sich zunächst 1577 die Grafen Edzard und Johann über den häufigen öffentlichen Gottesdienst der Täufer in Emden. 1621 scheint es erneut Diskussionen gegeben zu haben, denn in diesem Jahr verweisen die Mennoniten in einer Bittschrift an den Bürgermeister von Emden darauf, dass sie sich nach einem neuen Gebäude für ihren Gottesdienst umsehen würden, in dem der Eingang hinter dem Haus liege. Gut zehn Jahre später verteidigten sie sich erneut gegen Vorwürfe, ihr Gottesdienst sei zu öffentlich. Die Mennoniten unterstrichen, ihre Zusammenkünfte würden hinter verschlossenen Türen, sonntags zwischen 7 und 9 Uhr sowie zwischen 13 und 14 Uhr stattfinden, wenn keine andere Kirche Gottesdienst feiere. Konkurrenz war auch Thema in Krefeld. Hier wurde 1657 festgelegt, dass die mennonitischen Versammlungen erst eine Stunde nach dem Gottesdienst der reformierten Kirche beginnen dürften.
4.3.
Gewissensfreiheit. Forderungen nach Tolerierung
4.3.1. Konfessionalisierung
Die politisch-gesellschaftliche Duldung der Täufer war bis zum frühen 19. Jahrhundert, als die ersten Verfassungen das gleiche Recht für alle Bürger und die allgemeinen Menschenrechte festschrieben, Gnadensache. Denn das frühneuzeitliche Reichsrecht sah keine Duldung für Untertanen vor, die nicht katholisch, lutherisch (CA) oder reformiert waren. Weder der Augsburger Religions-
4.3. Gewissensfreiheit. Forderungen nach Tolerierung
157
Hintergrund Konfessionalisierung Das Paradigma der Konfessionalisierung geht davon aus, dass in den drei großen Konfessionen in der Epoche nach dem Augsburger Religionsfrieden vergleichbare Prozesse der Kontrolle und Disziplinierung der Mitglieder abliefen. Durch die Bekenntnisbildung entstanden klare normative Vorgaben, die durch Bildung, Disziplinierung, die Herausbildung von Riten und die gezielte Verwendung der Sprache unter den Mitgliedern der einzelnen Konfessionen verbreitet wurden. So „erzog“ man sich, idealtypisch gesehen, „konfessionalisierte Untertanen“. Da geistliche und säkulare Obrigkeiten in diesem Prozess Hand in Hand arbeiteten, konnten sich, ebenfalls idealtypisch gesehen, konfessionell homogene Territorien herausbilden. Das Konfessionalisierungsparadigma geht vor allem auf Forschungen von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard zurück (s. Anhang). Kritik übte Heinrich Richard Schmidt an der dominanten Rolle des Staates im Konfessionalisierungsparadigma. Es sei nicht nur der Staat gewesen, der von oben seine Untertanen disziplinierte, sondern die Untertanen selbst hätten durch Supplikationen und Aufstände den Staat veranlasst, Ordnungen und Gesetze zu erlassen.
frieden von 1555 noch der Westfälische Frieden von 1648 bot den Täufern Rechtssicherheit. Die Ergebnisse des Augsburger Religionsfriedens werden meist knapp mit der Formel „cuius regio, eius religio“ zusammengefasst. Der Landesfürst bestimmt die Religion. Diese Kurzformel stammte zwar erst aus der Feder der Reichsjuristen um 1600, doch sie fasst prägnant zusammen, was in der historischen Forschung später mit dem Begriff der „Konfessionalisierung“ bezeichnet wurde: die enge Zusammenarbeit von Territorialstaat und Kirche, die darauf ausgerichtet war, konfessionell möglichst homogene Territorien zu schaffen. Die Sozialdisziplinierung half, das Leben der Untertanen im frühneuzeitlichen Staat zu normieren, etwa durch „Policeyordnungen“. Die Staatstheorie goss die Forderung nach konfessioneller Homogenität in handlungsleitende Worte. So gab beispielsweise ein vermutlich im Auftrag von Kaiser Ferdinand II. für seinen Sohn Ferdinand III. angefertigter Fürstenspiegel, „Princeps in compendio“, vor, der „gute Fürst“ solle seine AufKonfessionelle merksamkeit darauf richten, „den Kult und die Ehre Gottes zu Homogenität fördern“. Deshalb solle er „fleißig darauf achten, die katholische
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
Religion dort, wo sie vorhanden ist, unversehrt zu bewahren, mehr und mehr voranzubringen und nicht zu dulden, dass irgendwelche Häresien eindringen“. Würde der Fürst nämlich die „widerwärtige Religion“ tolerieren, so könne er von seinen Untertanen nicht den „vollkommenen Gehorsam“ erwarten. Wenn er ihnen etwas befehle, „was ihnen nicht schmeckt oder gefällt“, würden sie zu „ihrem großen Gewissen“ fliehen und die Bibel „mißbrauchen“, indem sie sich auf Apg. 5, 29 – „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ – berufen.10 Doch Theorie und Praxis waren zwei verschiedene Dinge. Das konfessionell homogene Territorium gab es in der Realität nie – zumal im Verlauf des 17. Jahrhunderts immer mehr politische Theoretiker eine gewisse Vielfalt akzeptierten, wenn auch noch mit Einschränkungen und Vorbehalten. So schrieb der niederländische Gesandte in der Schweiz, Petrus Valckenier, 1677 in seinem Werk „Das Verwirrte Europa“, für einen Staat sei es „wider die Vernunft“, mehr als eine Religion zu dulden. Einigkeit und Landeswohlfahrt müssten über eine gemeinsame Identität erreicht werden. Und dies ginge am besten, wenn man „Hertz und Gemüther“ der Untertanen in einem gemeinsamen Glauben vereinige, was nicht möglich sei, wenn die Untertanen in „verschiedene Secten“ unterteilt seien. Dennoch, räumte Valckenier ein, gäbe es genügend Beispiele, die auch das Gegenteil beweisen. Die „Freyheit des Gewissens / und der Religion“ ließen einen Staat „an Reichtum und Schätzen anwachsen und zunehmen“, wie etwa in England unter Cromwell sowie in Polen, in der Türkei und in den Niederlanden zu sehen sei.11 4.3.2. Gewissensfreiheit als Forderung
Die Geschichte der Täufer zeigt beispielhaft die Entwicklung der Toleranzidee. Und an deren frühneuzeitlichem Anfang steht zunächst erneut ein Problem der Begrifflichkeit, denn für das 16. Jahrhundert erweist es sich als äußerst schwierig, von „Toleranz“ zu reden. Erstens taucht der Begriff an sich Der „Toleranz“sehr selten auf und zweitens ist er noch nicht jener „begrifflich Begriff ausformulierte und rechtlich verankerte Ordnungsbegriff, der sprachlich benennt und normativ vorgibt“.12 Häufiger zu finden ist das Verb „tolerirn“, allerdings im Sinne von „leyden“, „gedulden“ und „zulassen“. Ein zeitgenössischer Begriff ist zudem „Gewissensfreiheit“, wobei hierunter von 10 11 12
Zit. nach: Redlich, Princeps in compendio, S. 9. Valckenier, Das Verwirrte Europa, S. 4, 9. Schreiner, Toleranz, S. 447, 495 f.
4.3. Gewissensfreiheit. Forderungen nach Tolerierung
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lutherischer Seite vor allem die Freiheit von den Werken und vom Gesetz verstanden wurde. Und die Gewissensfreiheit hatte ihre Grenzen, nämlich dort, wo die Ordnung in Gefahr schien. Angesichts der Tatsache, dass die Täufer rasch zu einer Angelegenheit der „policey“ erklärt wurden, war es für sie schwierig, sich auf die „Freiheit des Gewissens“ zu berufen. Dennoch stechen einige zeitgenössische Forderungen nach Tolerierung heraus, wie bereits im Zusammenhang mit den übrigen Reformatoren erwähnt. So plädierten reformierte Prädikanten in einem nicht eindeutig zu datierenden Täufergespräch im Bernischen Aarwangen dafür, dass niemand zu seinem Glauben gezwungen werden könnte. Denn man müsse zwischen einem innerlichen Glauben, den keine Obrigkeit vorgeben könne, weil er eine „frye gab gottes“ sei, und der äußerlichen Ausübung der Religion unterscheiden. Letztere könne man kontrollieren und gegebenenfalls als „falsche irrige lehren“ verbieten.13 Auch aus der Pfalz kam eine solche Stimme, nämlich jene des Pfarrers in Obermoschel, Johann Odenbach, der eine äußerst bemerkenswerte Abhandlung über den Umgang mit den Täufern verfasste. Sie steht in Verbindung zum Prozess gegen die Täufer in Alzey Ende der 1520er Jahre. Odenbach sieht Unschuldige sterben, die „vor got und der welt“ unJohann Odenbach sträflich seien. Er stellt klar, dass Gott der Richter sei und nicht die katholische Geistlichkeit, die in seinen Augen ungelehrt und unfähig sei, mit den Täufern zu sprechen. Die Geistlichen seien der Bibel nicht kundig und eigentlich gäbe es „keyn irriger, ketzerischer, böser und strafwidriger volk under der sonnen“. Aufgrund ihres eigenen Unvermögens hätten sie sich an die Juristen gewandt. Doch die täuferische Angelegenheit, so Odenbach, sei nichts für Juristen, sondern es „wil mit göttlicher warheyt hierin gehandelt sein“. Wenn man es verstünde, die Täufer im Evangelium zu unterweisen, bräuchte man keinen Henker.14 Auch aus täuferischem Munde kamen zahlreiche Plädoyers für Gewissenfreiheit und Tolerierung. Oft zitiert wird die Verantwortung Leupold Scharnschlagers vor dem Rat der Stadt Straßburg vom Juni 1534. Scharnschlager fordert die Ratsherren auf, in Glaubensfragen nicht mit zweierlei Maß zu messen. Jeder einzelne von ihnen, so Scharnschlager, würde doch wohl, wenn Leupold „er die Wahrheit“ liebe, darauf hoffen, „einen freien Zugang zu Scharnschlager Gott zu haben, aus eigenem Willen“, um einen „freiwilligen Dienst 13 14
Zit. nach: TA Schweiz, III, S. 285. TA Baden und Pfalz, S. 131, 133.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
für Gott zu tun, nicht genötigt, ungezwungen“. Würde man ihm dagegen einen Glauben aufzwingen, den er von seinem Gewissen her nicht gutheißen könne, so würde er sich sicher wehren, wie die Täufer dies auch tun würden. Quelle Leupold Scharnschlager, Aufruf zur Toleranz an den Straßburger Rat (1534) „Meine lieben Herren, Ihr sagt und treibt uns, wir sollten unserm Glauben absagen und Eurem Glauben zufallen. Das ist genauso, wie wenn der Kaiser zu Euch sagte, Ihr solltet Eurem Glauben absagen und dem seinigen zufallen. Nun spreche ich Euer Gewissen an: Meint Ihr, daß es Gott recht ist, daß Ihr dem Kaiser darin gehorcht? Nun, dann dürft Ihr auch wohl sagen, daß es auch recht ist, wenn wir Euch in solchem Fall gehorchen. Dann müßt Ihr es aber auch für recht erklären, daß ihr alle Abgötterei und päpstlichen Klöster, auch die Messe und anderes wiedereinzuführen schuldig seid. Meint Ihr aber, daß es vor Gott nicht recht ist, daß Ihr dem Kaiser darin gehorcht, so bitte und ermahne ich armer Christ Euch um Gottes und Eurer Seelen Heil willen: Bitte geht Eurem Gewissen hierin nach, erbarmt Euch uns armseliger Menschen und laßt Uns Euch befohlen sein. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß Ihr wißt, daß der Glaube und das Gewissen des Glaubens ohne Tyrannei, frei und ungezwungen sein sollen (Wohlgemerkt, meine Herren, ich rede nicht von der Freiheit des Fleisches und der Bosheit, sondern von der des Geistes und des Glaubens an Jesus Christus!).“15
Die Plädoyers für Gewissensfreiheit verhallten nicht ganz ungehört, aber es brauchte seine Zeit, bis konfessionelle Devianz ihren Platz in der Gesellschaft erhielt. Praktisch wurde die Tolerierung sehr früh in den NiederDirk Volkertsz landen umgesetzt, wo der Frieden von Utrecht (1581) eine ScheideCoornhert linie markiert. Von dort kamen auch Stimmen, die die Täufer als positives Argument in der allgemeinen Debatte über die Tolerierung anderskonfessioneller Untertanen verwendeten. BeispielsQuellenarbeit 14 weise Dirk Volkertsz Coornhert, ein spiritualistisch ausgerichteter Theologe und Kritiker äußerer Zeremonien, der den Täufern eigentlich etwas zwiegespalten gegenüberstand. Einerseits merkte er kritisch an, sie würden sich lediglich auf die eigene Errettung konzentrieren und „gewinnsüchtig“ sein. Andererseits nahm er sie als unpar15
Zit. nach: Fast, Der linke Flügel, S. 123 f.
4.3. Gewissensfreiheit. Forderungen nach Tolerierung
161
teiisch und unbefangen wahr und begegnete ihnen deshalb mit besonderer Sympathie. In einem seiner Bücher entwickelte er eine fiktive Debatte, in der er selbst, der Gelehrte Justus Lipsius und zwei Advokaten über die Bedeutung und den Nutzen konfessioneller Devianz diskutierten. Lipsius wurde in dem Dialog die verbreitete Kritik an den Täufern in den Mund gelegt, diese würden „Gewohnheiten und Bräuche ihrer Länder“ stören und gegen die „politischen Institutionen sowie den allgemeinen Frieden“ handeln. Es entwickelte sich daraus eine recht interessante Diskussion über den Begriff „stören“, der darin inhaltlich nicht nur mit „Gefährdung der allgemeinen Ordnung durch Aufruhr und Gewalt“ gefüllt wurde, sondern auch mit „Unruhestiftung durch Worte der Wahrheit“. Setze man diese Messlatte an, so Coornhert, hätten selbst Jesus Christus sowie die Propheten und Märtyrer verurteilt werden müssen, denn sie hätten den Frieden durch „berechtigte Kritik an falscher Religion“ gestört. Die wesentliche Botschaft von Coornherts Buch war die Aussage, dass der Glauben ein Geschenk Gottes sei und es deshalb keinem Menschen zustehe, jemanden zu bestrafen, der einen devianten oder gar keinen Glauben habe.16 Johannes Crellius, ein aus Franken stammender, jedoch im polnischen Rakow lebender Sozinianer, prangerte 1632 in seiner Schrift „De la Tolérance dans la Religion ou de la Liberté de Conscience“ die Übertragung des Attributs „Ketzer“ auf Leute an, die gar nicht wissen, dass sie „Ketzer“ seien. All diese vermeintlichen „Ketzer“ seien Christen, die niemanJohannes Crellius dem Unrecht tun, nach Frieden und einem geregelten Zusammenleben streben und den Namen Gottes nicht in den Mund nehmen, um zu lügen oder unheilig daherzureden. Deshalb könne eine Gesellschaft mehrere Konfessionen tolerieren, und schlussendlich sei ja jeder aufgerufen, andere so zu behandeln, wie er selbst behandelt werden möchte. Crellius verfügte über zahlreiche Kontakte zu Mennoniten und Hutterern, wobei ihn besonders deren gemeinschaftliche Lebensweise interessierte. Für die täuferische Angelegenheit wesentlich war Philipp von Zesen, der als Rat in Fürstlich-Anhaltinischen Diensten stand, nach 1662 in Amsterdam lebte und in barocken Sprachgesellschaften aktiv war. Seine beiden Werke „Des Geistlichen Standes Urteile wider den Gewissenszwang“ und „Des Weltlichen Standes Handlungen und Urteile wider den GePhilipp von Zesen wissenszwang“ schrieb Zesen 1665 als Mahnung, um der Welt einen „offentlichen Gewissensspiegel“ vorzuhalten und „vielen bedrängten 16
Vgl. Voogt, Constraint on Trial, S. 70, 110, 129, 182.
162
4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
Hertzen einige ruhe“ zu verschaffen. Er sah den täuferischen Glauben zwar als „Irrtum“ an, jedoch als geistlichen Irrtum, der durch das weltliche Schwert nicht verfolgt werden dürfte. Und er relativierte die so gefürchtete Gütergemeinschaft der Täufer, indem er darauf hinwies, dass Mönche und Nonnen ebenfalls so lebten – und diese halte man gemeinhin für „gelehrt / heilig / from / und volkommene Kristen“.17 In diese allgemeinen Überlegungen zur Tolerierung Andersgläubiger mischten sich immer mehr Stimmen, die die Täufer nicht nur von ihrer Stellung innerhalb der konfessionellen Landschaft, sondern auch von ihrem Beitrag zum bürgerlichen und gesellschaftlichen Miteinander her beurteilten. Der französische Gelehrte Pierre Bayle etwa bezeichnete sie in Pierre Bayle seinem für die Aufklärung wesentlichen „Dictionaire historique et critique“ unter Verweis auf Mitteilungen aus den Niederlanden als ruhige Untertanen, die sich von den übrigen Menschen, die mit List und unerlaubten Mitteln arbeiteten, unterschieden. Die „Anabaptistes“ lebten ohne großen Luxus und Verschwendung und würden die Künste und den Handel fördern. Vor einer „Secte“, die predige, ein Mensch dürfe keine Waffen tragen, müsse man sich wahrlich nicht fürchten. Die Täufer würden alle Abgaben leisten; auch ihre Weigerung, den Eid zu schwören, störe überhaupt nicht, denn die Täufer fühlten sich an ihr Wort ebenso gebunden wie an einen Eid. In die gleiche argumentative Kerbe schlug ein Brief der Stadt Rotterdam an die Stadt Bern aus dem Jahr 1660. Für eine Republik sei es keineswegs schädlich, so der Stadtrat von Rotterdam, wenn sich eine Gruppe von Untertanen, wie die Täufer, aus „einer sonderlichen Gottesfurcht“ heraus des Eides enthalte. In den Niederlanden würden sich die Täufer der Obrigkeit verpflichtet wissen und gehorsam sein, auch wenn sie keinen Eid leisteten. Sie würden ihr Wort „aus zwang ihres Gewissens“ halten. Würden sie „ihre nakte erklährung“ brechen, so gelte dies als Meineid und der Meineidige würde sich der Strafe willig unterwerfen.18
17 18
Zesen in einem Brief an Johann Heinrich Ott, in: Forster, Dichterbriefe aus dem Barock, S. 398 f. Bayle, Art. „Anabaptistes“, in: Dictionaire historique et critique, S. 200 f.; der Brief der Stadt Rotterdam in: Zesen, Des Weltlichen Standes Urteile, S. 285 f.
4.4. Privilegien. Politische Mittel der Tolerierung
163
Quelle Wilhelm Crichton, Prediger am preußischen Hof in Königsberg, „Geschichte der Mennoniten“ (1786) „Ist es vernunftwidrig, die Missethäter, die immer schädlich sind, vertreiben zu wollen: was kann man denn von der Verjagung vermeintlich oder auch wahrhaftig Irrender halten, die doch einen grossen Theil nach gute und nützliche Menschen, Bürger und Unterthanen sind? – Wir bemitleiden den Geist der vorigen, auch schon gebessert seynwollenden Jahrhunderte: […]. Irrthümer können fromm, und doch schädlich sein. – Kan der, der nicht von der herrschenwollenden Religionsparthey ist, als ein Störer der bürgerlichen Wohlfahrt angesehen werden, wenn er an einträglichen Arbeiten und Gewerben Antheil nimmt? Sollte man nie geurtheilet und gehandelt haben, als wenn man jene Frage ohne Bedenken bejahen könnte? – – Man kennt die Menschheit und ihre Rechte nicht, wenn man sich verpflichtet hält, eine Einigkeit im Religionsbekenntnis einzuführen, die noch zur Zeit weder physisch, noch moralisch möglich, und offenbar wider den Plan des weisen Weltregierers ist. – Duldung war, wie Unterdrückung, oft nur das Werk des Eigennutzes, den der Verfolgte durch Geschenke und Aufopferungen zu gewinnen suchte. […] Gewaltthätigkeit der kirchlichen Herrschaft hat die Menschheit erniedriget, und das Bekenntnis des Evangelii ohne sein Verschulden in bösen Verruf gebracht. – Die eingebildete alleinige und allein seligmachende Rechtgläubigkeit wird immer traurige Wirkungen hervorbringen. Der Geist der Zwietracht und der Verdammung ist nicht der Geist Jesu.“19
4.4.
Privilegien. Politische Mittel der Tolerierung
4.4.1. Die Religionsfrieden
Der Augsburger Religionsfrieden spielte eine wichtige Rolle für die Territorialisierung im Alten Reich. Durch das „ius reformandi“ erhielten die Reichsstände das Recht, in ihrem Territorium die Konfession zu bestimmen. Anderskonfessionelle Untertanen, die sich der vorgegebenen Konfession nicht fügen wollten, erhielten mit dem „ius emigrandi“ das Recht Augsburger auszuwandern. Ein Problem war jedoch, dass das „ius reformanReligionsfrieden di“-Prinzip eine territoriale Einheit voraussetzte, die im 16. Jahr19
19
Wilhelm Crichton, Geschichte der Mennoniten, Vorrede.
164
4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
hundert gar nicht vorhanden war. Die konfessionellen und die territorialen Grenzen, die deckungsgleich hätten sein müssen, waren nicht eindeutig gezogen. Zahlreiche Konflikte mit anderskonfessionellen Untertanen landeten vor den Reichsgerichten und zeugen von den Schwierigkeiten, die Bestimmungen von 1555 auszulegen. Auch bei der Umsetzung des „ius emigrandi“-Prinzips gab es Unsicherheiten. Es umfasste eigentlich ein Recht auf Emigration, allerdings nur für die Untertanen der zwei anerkannten Konfessionen, der Katholiken und der Lutheraner. Sie durften frei abziehen und erhielten auch eine gewisse Frist, um Hab und Gut verkaufen zu können. Alle anderen Untertanen, die emigrieren wollten, mussten dies illegal und ohne einen geregelten Verkauf ihres Besitzes tun. Doch auch im Fall der katholischen beziehungsweise lutherischen Untertanen war nicht klar, ob das „ius emigrandi“ die Pflicht zur Auswanderung bedeutete oder ob es lediglich freiwillig in Anspruch genommen werden konnte. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 erhielten dann auch die Reformierten die reichsrechtliche Anerkennung, was ihnen ein Existenzrecht gab beziehungsweise ein Recht auf Auswanderung zusprach. Der Westfälische Frieden sah drei verschiedene Formen des religiösen Kultes vor – das „exercitium religionis publicum“, das „exercitium religionis privaWestfälischer tum“ und die Hausandacht. Letztere sollte jenen katholischen oder Frieden protestantischen Untertanen gewährt werden, die im Normaljahr 1624, das festgelegt worden war, um einen konfessionellen Status Quo festzuschreiben, weder die öffentliche noch die private Religionsausübung hatten. Wo jedoch in der Praxis genau der Unterschied zwischen der Hausandacht und dem privaten Religionsexercitium lag, war nicht ganz klar. Fraglich war beispielsweise, ob bei der Hausandacht ein Geistlicher anwesend sein durfte und ob sie auch Untertanen gewährt werden konnte, die keiner der drei anerkannten Konfessionen angehörten. 4.4.2. Duldung durch Einladungspatente
Dass einige Bestimmungen interpretationsbedürftig waren, zeigt auch ein Rechtsgutachten des Grafen Ernst-Casimir von Ysenburg-Büdingen. Er war wegen seines 1712 erlassenen Toleranzedikts, das „iedermann […] vollkommene Gewissens-Freyheit“ zusprach, vor dem Reichskammergericht angeklagt wor-
4.4. Privilegien. Politische Mittel der Tolerierung
165
den.20 Das in diesem Zusammenhang erstellte Gutachten des gräflichen Rates in Berleburg, Constantin Hofmann, kam zu dem Ergebnis, dass die Hausandacht auch Untertanen gewährt werden dürfte, deren Konfession 1648 im Westfälischen Frieden nicht genannt ist beziehungsweise die im Normaljahr 1624 über keinen Besitz verfügten. Die entsprechenden Artikel im Westfälischen Frieden, so das Gutachten, schlössen eine Duldungsbefugnis nicht aus. Zudem verwies Hofmann auf Präzedenzfälle, in denen anderskonfessionelle Untertanen bereits geduldet würden. Präzendenzfälle waren in der Frühen Neuzeit wichtige Bezugspunkte für politische und rechtliche Entscheidungen. So berief sich beispielsweise auch der niederländische Mennonit Peter Ackermann, der 1782 in Kopenhagen das Bürgerrecht beantragte, jedoch keinen Eid leisten wollte, auf die Freiheiten der Mennoniten in Altona. Er erhielt Unterstützung von der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen, die seiner Argumentation folgte. Einladungspatente und Privilegien wie die im Fall Graf Ernst-Casimir von Ysenburg-Büdingens erwähnten waren wichige politische Instrumente zur Tolerierung konfessionell devianter Untertanen. Schon sehr früh, 1601, erlaubten die Grafen von Schauenburg den Mennoniten die Gründung einer Gemeinde in Altona auf der „Großen Freiheit“. Als Altona Altona und 1640 an den dänischen König fiel, wurden die Freiheiten der Friedrichstadt / Eider Mennoniten bestätigt. 1623 gründete Herzog Friedrich II. von Schleswig-Holstein-Gottorp Friedrichstadt an der Eider und lud ebenfalls Siedler mit unterschiedlichem konfessionellen Hintergrund, unter anderem Mennoniten, ein. Er gewährte ihnen, keinen Eid leisten und kein „gemeines Amt“ übernehmen zu müssen und befreite sie von „Wacht und Defension, die mit Wehr und Waffen geschieht“. Bedingung war jedoch, weder öffentlich noch heimlich Ärgernis zu erregen.21 Am Anfang gab es in Friedrichstadt wohl drei mennonitische Gemeinden, eine „Hochdeutsche“, eine „Friesische“ und eine Gemeinde der Flaminger. Ebenso wie in Friedrichstadt erhielten 1662 auch in das neugegründete Neuwied Zugezogene umfassende Privilegien. Gewissensfreiheit und „ungehinderte“ Religionsausübung gehörten zu den Anreizen, die unter anderem Mennoniten in die Stadt führten. Die Kurpfalz benötigte zur gleichen Neuwied und Zeit ebenfalls neue Untertanen, um durch den Dreißigjährigen die Kurpfalz Krieg entvölkerte Gebiete wieder zu besiedeln. Die „Mennisten20 Zit. nach: Schneider, Konfessionalität und Toleranz, S. 87. 21 Zit. nach: Schnoor, Die rechtliche Organisation, S. 189.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
konzession“ von 1664 richtete sich gezielt an Mennoniten. Allerdings war die Duldung auch hier an bestimmte Bedingungen geknüpft. So durfte Gottesdienst nur in Dörfern gefeiert werden, in denen fünf oder mehr Häuser Mennoniten gehörten. Die Personenzahl war beschränkt; es durften nicht beliebig viele Besucher zu Versammlungen kommen. Die Mennoniten durften nicht missionieren und keine Proselyten machen, und sie sollten sich politisch ruhig verhalten, das heißt den Obrigkeiten nicht gotteslästerlich oder aufrührerisch begegnen. Für die Befreiung vom Dienst an der Waffe mussten sie ein Schutzgeld bezahlen, das sogenannte „Menisten-Recognitionsgeld“ – 6 Gulden pro Person. In der ostfriesischen Herrlichkeit Goedens erlaubten Eindeichungsmaßnahmen Mitte des 16. Jahrhunderts die Entstehung einer neuen Stadt – Neustadtgödens. Die Familie Frydag, Besitzer der Herrlichkeit, warb neue Siedler an und gewährte ihnen weitreichende Rechte. So kamen zahlreiche Mennoniten nach Neustadtgödens, aber auch Lutheraner, KathoNeustadtgödens liken und Juden. Auch der aus Münster geflohene Heinrich Krechtinck, der unter Jan van Leiden Kanzler gewesen war, fand in der Stadt unweit der Nordsee eine neue Heimat. So schutzgebend die Einladungen der verschiedenen Landesherren waren, so wichtig war es, die Spielregeln zu beachten. Die Privilegien eröffneten zwar eine Existenzmöglichkeit und sie sprachen Untertanen wie den Mennoniten die Befreiung von Militärdienst und Eidesleistung zu. Dennoch waren die Mennoniten weiterhin stets von der Gnade des jeweiligen Territoriale Herrschers abhängig, da die Privilegien immer nur eine Duldung Bestimmungen auf Zeit bedeuteten. Sie mussten nach dem Tod des Herrschers vom Nachfolger verlängert werden. Die Geschichte der Täufer und ihrer Duldung eröffnet Einblicke in die föderale Struktur des frühneuzeitlichen Reichs, die in den einzelnen Territorien für unterschiedliche Rahmenbedingungen sorgte. Sie verdeutQuellenarbeit 15 licht auch, wie Duldung nach wirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährt wurde und ein Herrscher selbst in seinem eigenen Territorium unterschiedliche Maßstäbe anlegte. Im Hinblick auf die Mennoniten in Krefeld stellte der preußische König Friedrich Wilhelm I. 1738 fest, diese seien „keine rechten Mennoniten, sondern Bastarde, aber gute Christen und brave Leute“. Wie für ihn offenbar „rechte Mennoniten“ aussahen, zeigt sein etwas anders klingendes Urteil über Mennoniten in Preußisch-Litauen aus dem Jahr 1718: „ich will von das geschmeiße nit – Ihre kinder werden nit soldahten – Ist guht solche leutte vor Particulier, aber nit vor
4.4. Privilegien. Politische Mittel der Tolerierung
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groß herren.“ In Krefeld war die Weigerung zur Waffe zu greifen dagegen offenkundig hinnehmbar, wie eine weitere Äußerung zeigt: „Die Mennonisten in Krefeld wollen zwar nicht in den Krieg gehen, ich muss aber auch Leute haben, die mir Geld schaffen.“22 Die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung und die Erwartung eines monetären Gewinns lenkte den Blick auf die Täufer. Auch unter dem Vorzeichen ihrer Erfolge in der Landwirtschaft wurden Mennoniten und Amische ab dem späten 18. Jahrhundert zu gesuchten Untertanen. So lernte Kaiser Joseph II. auf einer Reise an den Rhein Mennoniten und Einladungen ihre „gute Cultur“ kennen, wie eine mennonitische Quelle es ausfür innovative drückte. 1784 stellte er ein Einladungspatent für Mennoniten aus, Landwirte um diese nach Galizien zu holen. Auch die Landgräfin Karoline Henriette, Frau des Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, erließ 1771 eine Verordnung, dass die landgräflichen Höfe vorwiegend an Mennoniten verpachtet werden sollten. Eine größere Einwanderungswelle ging im frühen 19. Jahrhundert in Richtung Bayern, nachdem Kurfürst Maximilian Joseph am 6. März 1802 eine Ausschreibung veröffentlicht hatte, um die Kultivierung der Moosgebiete Oberbayerns, beispielsweise um Ingolstadt und München, voranzutreiben. Ein Nachtrag vom 8. März wandte sich noch einmal gezielt an die Mennoniten und Amischen: „Diejenigen rheinpfälzischen und überrheinischen Unterthanen, welche sich in den churfürstlichen oberen Erblanden als Kolonisten ansäßig“ machen möchten, sollten „für sich, ihre mitwandernden“ und im Land selbst bereits geborenen Kinder, „und zwar für die erste Generation“, die Freiheit erhalten, „von aller und jeder Militärpflichtigkeit entbunden“ zu sein. Ein Passus, der für den Beginn der mennonitischen und amischen Geschichte Bayerns steht.23
22 Zit. nach: Nieper, Die ersten deutschen Auswanderer, S. 36. 23 Churpfalz-baierisches Regierungs-Blatt, München 1802, S. 186.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
4.5.
Die Märtyrer. Zwischen Scheiterhaufen und „MärtyrerSpiegel“
4.5.1. Hinrichtungen als Zeugnis des Glaubens
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verloren die Täufer also allmählich ihr Image als aufrührerische und ketzerische Untertanen. Doch das gute Leben brachte in den Augen einiger täuferischer Autoren nicht unbedingt gute Mennoniten, Amische und Hutterer hervor. Deshalb fiel der Blick in den sich bessernden Zeiten vermehrt auf die Geschichte der eigenen Gemeinde und blieb insbesondere an der Verfolgung und dem Schicksal der Märtyrer hängen. Die Gesamtzahl hingerichteter Täufer ist schwer zu ermitteln. Das „Geschichtbuch“ der Hutterer listet für das gesamte Alte Reich 1580 auf, Claus-Peter Clasen ermittelte in einer Studie 715 Hinrichtungen für die Jahre 1525 bis 1618. Allerdings berücksichtigte er nur die Schweiz, Mittel- und Süddeutschland, Österreich, Böhmen und Mähren; es fehlen Zahlen für Norddeutschland, die Niederlande und Preußen beziehungsweise Polen. Dem täuferischen Verständnis nach vollzogen die Märtyrer nicht nur das Leiden Christi am eigenen Leib nach und erlebten die Bewährung ihres Glaubens durch das Leiden, sondern gingen auch mit Jesus Christus in die Herrlichkeit ein. Sie errangen im Tod den Sieg über die Welt. Wie die Feier dieses Sieges klingt mancher Bericht über die letzten Minuten der Verurteilten. Viele Lieder über die Märtyrer, aber auch Briefe aus der Zeit berichten, wie die zur Richtstätte Geführten freudig sangen und den Zuschauern predigten und sie zur Buße aufriefen – weshalb man Verurteilten gerne vorher die Zunge herausschnitt. Dieses Zeugnis „bis zuletzt“ blieb nicht ohne Wirkung. Von Menno Simons ist überliefert, dass er Täufer wurde, nachdem sein Bruder für den Glauben hingerichtet worden war. Jörg Rack, gemeinsam mit Hans Mändel und Eustachius Kotter in Innsbruck gefangen und dort 1561 hingerichtet, erwähnt in seinem Glaubensbekenntnis, dass er, bevor er gläubig geworden sei und sich habe taufen lassen, von den Märtyrern gehört habe. Jakob Huter, Ulrich Mullner und Mair zu Steinach seien ihm ein lebendiges Zeugnis für den Glauben gewesen, weil sie, obwohl sie treu waren und keinem Menschen etwas getan hatten, sterben mussten. „Das alles habe er zum höchsten beherzigt und bedacht, es müsse eine gewaltige Gnade und Kraft bei ihnen sein, daß sie so beständig bis in den Tod in ihrem Glauben verharren.“24 24 Zit. nach: Die Hutterischen Episteln, II, S. 279.
4.5. Die Märtyrer. Zwischen Scheiterhaufen und „Märtyrer-Spiegel“
Welch ein Dilemma die Hinrichtungen sein konnten, führt der Tod des Hutterers Onofrius Griesinger 1538 in Brixen vor Augen. Einerseits schien es geboten, Täufer in aller Öffentlichkeit hinzurichten, um die abschreckende Wirkung zu erzielen, die das frühneuzeitliche Strafwesen gerade der Hinrichtung beimaß. Andererseits war jede öffentliche Hinrichtung ein Ereignis, zu dem viele Zuschauer kamen, was den Täufern eine letzte Bühne bot. Sie konnten für ihren täuferischen Glauben werben und für die Obrigkeiten bestand immer die Gefahr, dass Mitleid mit den Hinzurichtenden entstand, wie im Fall von Griesinger. Als er zur Richtstätte geführt und das Feuer bereits entzündet worden war, setzte starker Regen ein. Dieser verlängerte die Todesqualen des Hutterers, zumal sich die Obrigkeiten nicht dazu durchringen konnten, Griesinger durch Köpfen von seinen Leiden zu erlösen. Der lange Todeskampf führte viele Umstehende, so ein späterer Bericht nach Innsbruck, zur Erkenntnis, bei Griesinger müsse es sich um einen wahrhaft frommen Mann handeln. Vom verantwortlichen Hauptmann, Stoffl von Villach, heißt es, er sei später selbst Täufer geworden. Der Neckarsteinacher Prediger Jakob Otter befasste sich 1528 in seiner Warnung vor den Täufern auch mit deren Bereitschaft als Märtyrer zu sterben und der Gefahr, die daraus entstünde. Er greift die verbreitete Hochachtung und Bewunderung vor dem Martyrium der Täufer auf und meint, das Leiden mache die Lehre nicht gerecht, aber eine rechtschaffene Lehre mache das Leiden löblich. 4.5.2. Rezeption der Märtyrer
Die täuferische Geschichtsschreibung und Martyriologie machte aus den Toten leuchtende Beispiele eines bis zuletzt standhaft gelebten Glaubens, Quellenarbeit 16 die das Erbe der frühkirchlichen und mittelalterlichen Märtyrer antraten – womit sich die Täufer nicht von anderen Konfessionen unterschieden, die dieses Erbe ebenfalls für sich in Anspruch nahmen. Die Märtyrer waren Beweis dafür, dass die eigene Gemeinde von Gott besonders beauftragt und gesegnet war. Die „standhaften Zeugen der Wahrheit“ und die „Boten Gottes“ seien, so das hutterische „Geschichtbuch“, Gott wert gewesen, für ihren Glauben zu leiden und wehrlos ihr „unschuldiges Blut“ zu vergießen. Unter Verweis auf die Offenbarung heißt es weiter, „die groß
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
Babylon, ein Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden, ist trunken vom Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu“.25 Die Märtyrer fanden ihre Verewigung nicht nur im hutterischen „Geschichtbuch“, sondern auch in den Briefsammlungen, die in den hutterischen Schreibstuben angefertigt wurden. Um die Briefe von Märtyrern langfristig zur Verfügung zu haben und noch den Nachkommen deren Geschichten überliefern zu können, versuchten die Hutterer, alle Briefe in der Gemeinde zu sammeln. Zu diesem Zweck wurden auch Briefe, die sich in einem Gefängnis gemeinsam gefangene Hutterer untereinander zusendeten, und Briefe, die von der Gemeinde ins Gefängnis gesandt worden waren, wieder an die Gemeinde in Mähren zurückgeschickt. Zudem überliefern zahlreiche Lieder, die in hutterischen Liederbüchern oder im „Ausbund“ gesammelt sind, die Märtyrergeschichten. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden Martyriologien, beispielsweise das holländische „Het Offer des Heeren“ (1562), die „Historie der Martelyren“ (1615) oder der „Bloedig tooneel, of Martelaers spiegel der Liederbücher und doops-gesinde of weereloose christenen“, der 1660 das erste Mal Martyriologien erschien und im deutschen Sprachraum als „Märtyrer-Spiegel“ bekannt wurde. Autor war Thieleman van Braght, Täufer aus Dordrecht. Es ist kein Zufall, dass die Zusammenstellung von Märtyrergeschichten dann einen Aufschwung nahm, als die Nachfahren der Märtyrer kaum noch mit Verfolgung konfrontiert waren. Die Geschichten der Märtyrer und die oftmals glorifizierenden Kommentare der späteren Herausgeber waren Handlungsanleitung und geistliches Modell für die späteren Generationen. Aus dem Vorwort des „Märtyrer-Spiegels“ geht hervor, wo Thieleman van Braght die Gefahren für seine Generation sah. Er ruft seine Glaubensgeschwister auf, in diesen „trüben Zeiten“, die sogar noch gefährlicher seien als die Zeit der Märtyrer, standhaft im Glauben zu bleiben. Denn der „Satan“ käme nicht mehr „öffentlich durch seine Diener, ja am hellen Tage „Märtyrer-Spiegel“ als ein grimmer Löwe“, sondern „wie ein Wolf, der Schafskleider an hat“. Die Welt offenbare sich „gegenwärtig sehr schön und herrlich, mehr als in irgend einer früheren Zeit, mit einer dreifach lieblichen Gestalt der Fleischeslust, der Augenlust und des hoffärigen Lebens“. Da gelte es, sich der „gottesfürchtigen Helden und Ritter Christi gewahr“ zu werden, die „beherzt voranschritten und dem Leiden und Tode entgegengingen“.26 25 Wolkan, Geschichtbuch, S. 30. 26 Van Braght, Märtyrer-Spiegel, S. 5, 7.
4.5. Die Märtyrer. Zwischen Scheiterhaufen und „Märtyrer-Spiegel“
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Hintergrund Märtyrer-Spiegel Der „Märtyrer-Spiegel“ erschien 1660 zunächst in holländischer Sprache. 1685 kam eine zweite Auflage auf den Markt, die Kupferstiche von Jan Luyken enthielt und die Märtyrergeschichten so noch lebendiger werden ließ. Erst im 18. Jahrhundert wurde der „Märtyrer-Spiegel“ ins Deutsche übersetzt. Eine erste Version erschien 1748 in Nordamerika, herausgegeben vom Kloster Ephrata in Pennsylvania. Eine zweite Auflage wurde 1780 in Pirmasens gedruckt; auch hier waren wieder die Kupferstiche von Jan Luyken enthalten. Sie ging auf eine Initiative des amischen Ältesten Hans Nafziger aus Essingen zurück.
In Zeiten, in denen keine Täufer mehr für ihren Glauben starben, zeigte sich die Leidensbereitschaft in einer anderen Art und Weise, was dann zum Martyrium stilisiert werden konnte. Dies soll an zwei Geschichten illustriert werden. Als Dragoner eines preußischen Regiments im Jahr 1723 mennonitische Siedlungen in Preußisch-Litauen überfielen, nahmen sie Misshandlungen 16 junge Männer mit, um sie für die Armee zwangszurekrutieren. im preußischen Die Ältesten der betroffenen Gemeinden sandten sofort eine Militär Supplikation an das Militär, woraufhin 14 junge Männer wieder freigelassen wurden. Zwei wurden jedoch nach Potsdam gebracht, wo sie den Berichten zufolge in den Kasernen grausamen Misshandlungen, unter anderem dem Spießrutenlaufen, ausgesetzt waren. Leiden, das zwar nicht im Tod endete, aber für die Mennoniten der Zeit würdig war, die Misshandelten zu Märtyrern zu erklären. Ein offenbar im Nachhinein verfasster anonymer Bericht eines der Gefangenen bringt am Schluss dessen vorbildhafte Leidensbereitschaft zum Ausdruck: „Freunde, es ist mir unaussprechlich, wie ich In meinen hertz freüdig bin, dz mich der liebe himmlische Vatter solche grosse gnade erzeigt, dass die verächter sich nicht rühmen können, so bin ich bewogen noch hertzlich zu Gott zu flehen für die andern brüdern dz ihnen doch der aller liebste Gott wolle beystehen, in drangsalen, damit sie unbeweglich für Gott befunden werden.“27 Aufschlussreich ist auch ein Beitrag, der 1907 in den „Mennonitischen Blättern“ erschien und ganz im Duktus des „Märtyrer-Spiegel“-Vorworts die gegenwärtige Generation von Mennoniten aufrief, das wohlige Leben nicht länger zu 27
Gemeentearchief Amsterdam, P. A. 565 C, 713, 5r.
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4. Abseits des „mainstream“ – Vom Umgang mit den Täufern
genießen, sondern sich das Schicksal des „Märtyrers“ Menno Simons vor Augen zu führen. Wobei daran zu erinnern ist, dass Menno Simons einer der wenigen einflussreichen frühen Täufer war, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Doch Menno Simons, so der Verfasser, hätte alles für seine Überzeugungen hergegeben und eine „opferfreudige Hingabe“ an den Tag gelegt.28 Quelle H. Bakels, Gedanken am Mennostein zu Wüstenfelde (1907) „Aber jeder von uns, ihr Mennoniten von heute, ruhige, behäbige, sicherwohnende und wohlhabende Mennoniten, Bürger, Beamte oder Landleute oder wer sonst, jeder von uns, der für seine religiöse Ueberzeugung nicht so besonders viel übrig hat, und wer dafür nicht zu verlassen bereit ist Haus und Hof und Amt, seinen Salon, seinen Hausrat und seine stilvolle Ausstattung, seine Geselligkeit, sein Glas Wein oder seine Zigarre, also wir Alle, der dies schreibt und der dies liest, wir Durchschnittsmenschen, gewöhnliche, konventionelle, schlaffe Männer des 20. Jahrhunderts, die wir im Vergleich gegen den Märtyrer Menno, der Haus und Amt und ruhiges Leben tatsächlich verlassen hat und in Armut und Gebrechlichkeit erschöpft in der Fremde gestorben ist, nur kleine Menschen uns nennen dürfen, wir sollten uns nicht einmal, sondern hundertmal schämen, daß wir jemals gleichgültig uns zu sagen erlaubt haben: Menno – ach, das war nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, durchaus kein großer Mann!“29
Fragen zur Reflexion Fassen Sie die frühneuzeitliche Diskussion über Gewissensfreiheit und Tolerierung zusammen. Weshalb war Duldung im 17. Jahrhundert allmählich möglich? Wie lief die Identitätsbildung in den täuferischen Gemeinden ab? Skizzieren Sie wesentliche Entwicklungen. Was sagt die Geschichte der Täufer über die politische Kultur und die politisch-gesellschaftlichen Bedingungen im Alten Reich aus?
28 Mennonitische Blätter 54, 1907, S. 88. 29 Ebd., S. 87.
Weiterführende Literatur
Weiterführende Literatur Rainer Forst, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1682), Frankfurt / Main 2003. Brad S. Gregory, Anabaptist Martydom: Imperatives, Experience, and Memorialization, in: John D. Roth / James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521-1700 (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 6), Leiden / Boston 2007, S. 467-506. Astrid von Schlachta, Gefahr oder Segen? Die Täufer in der politischen Kommunikation (Schriften zur politischen Kommunikaiton 5), Göttingen 2009. Klaus Schreiner, „Toleranz“, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 524-604. Joachim Whaley, Tolerantia – Toleranz, in: Stephan Wendehorst / Siegrid Westphal (Hgg.), Lesebuch Altes Reich (bibliothek altes Reich, 1), München 2006, S. 216-221.
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5.1. Migrationen
5. 5.1.
Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen Migrationen
5.1.1. Motive und Interessen
War die täuferische Landkarte schon im 16. Jahrhundert sehr weitläufig, so erweiterte sich der Radius täuferischer Besiedlung im 17. Jahrhundert noch einmal. Die Hutterer mussten Mähren 1622 verlassen und gingen nach Siebenbürgen. Erste Mennoniten zogen 1683 nach Nordamerika. Größere und kleinere, manchmal regional begrenzte Verfolgungswellen sorgten weiter für eine nicht immer gesicherte Existenz der Täufer. Die massivste Verfolgung traf die Täufer in den reformierten Kantonen der Schweiz. Sie dauerte bis ins 18. Jahrhundert an und war Auslöser für die Ansiedlung von Schweizer Täufern in der Kurpfalz. Doch auch ins Elsass und in den Kraichgau sowie in die Niederlande oder nach Nordamerika führte der Weg der Schweizer. Vom Kraichgau aus gingen Mennoniten dann im frühen 18. Jahrhundert Richtung Franken, unter anderem in die Gegend von Schweinfurt, wo die Reichsritter ihnen Güter verpachteten. Ab 1803 bot auch die Gegend um Würzburg neue Siedlungsmöglichkeiten. Das Herzogtum Nassau-Usingen zog ebenfalls Täufer an, wobei sich dort vor allem Mennoniten aus der Pfalz niederließen. Große Auswanderungswellen gingen nach Nordamerika und ab dem späten 18. Jahrhundert nach Südrussland. In den preußischen Gebieten an der Ostsee gab es immer wieder Abwanderungen und Neuansiedlungen von Täufern, die eher kleinräumig waren. Manchmal konnten die Weggezogenen nach einiger Zeit wieder in ihre alte Heimat zurückkehren. Mit Druck waren die Täufer in den Städten konfrontiert, wo ihr zunehmender wirtschaftlicher Erfolg für Konflikte mit den Zünften sorgte. 5.1.2. Entscheidungen
In der Migrationsforschung spricht man von Push- und Pull-Faktoren, die Auslöser für Wanderungsbewegungen waren. Wie generell bei der Erklärung historischer Phänomene war auch eine Entscheidung, die alte Heimat zu verlassen, nie monokausal motiviert. Die täuferischen Wanderungen pauschal als
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
„Konfessionsmigration“1 zu klassifizieren, würde deshalb zu kurz greifen. Nicht zuletzt die Quellen in Württemberg zeigen für das späte 16. Jahrhundert, dass wirtschaftliche Notlagen für einen Anstieg der Auswanderung Push- und nach Mähren sorgten. Auch dürfte nicht auszuschließen sein, dass Pull-Faktoren manch ein verfolgter Täufer nicht abgeneigt war, in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Die Motive der Landesherren, die Täufer aufzunehmen, lagen meist in einer Peuplierungspolitik, die wirtschaftliche Interessen auf den Fahnen führte. Bereits die Einladung der Hutterer nach Siebenbürgen galt Untertanen, die sich mit ihren handwerklichen Fertigkeiten empfohlen hatten. Auch die Deportation der Schweizer Täufer 1710 war begleitet von politischen Verhandlungen, die Verfolgten neue Perspektiven eröffnen sollten. Das taufgesinnte Hilfskomitee in Amsterdam wandte sich an Großbritannien, Dänemark und Preußen, um abzuklären, ob Interesse an einer Aufnahme der Schweizer bestand. Friedrich I. von Preußen erklärte sich dazu bereit, Kolonialisationsgebiete in der Mark Brandenburg und in Litauen zur Verfügung zu stellen. Dies kam jedoch letztendlich nicht zum Tragen. In der Schweiz kam nach 1614, als sich die Verfolgung allmählich wieder verstärkte, eine Diskussion auf, die sich um die Frage drehte, ob man in der Verfolgung leiden oder sich dem Leiden durch Emigration entziehen sollte. War das Auswandern ein Zeichen für die Bereitschaft, als Fremder in der Welt die bekannte Heimat hinter sich zu lassen, oder offenbarte das Fortziehen einen Mangel an Glauben, weil man dem göttlichen Willen auswich? In einem Zusatz zu den Straßburger Ordnungsbriefen von 1568/1607 hieß es: „Wen jemand Truebsal halber wegziehen wolte, daß ihnen nicht gestattet werden, ohne göttliche Ursache.“2 Noch für das Jahr 1681 überliefert ein Brief von Berner Täufern an die Mennoniten in den Niederlanden Zweifel und Leidensbereitschaft. Unter Berufung auf das Neue Testament äußern die Berner, nicht über die Obrigkeit klagen zu wollen, denn in Matth. 10 stünde: „sy werden euch überantworten für Ihre rathshüser und werdend euch geißlen In Ihren Versammlungen und man wirt euch für fürsten und künig führen und meinetwillen zur zeügnuß über sy und über die Heiden.“ Leiden, so die Aussage, erhöhe die Leidenden, Leiden sei Zeugnis nach außen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die in dem Brief ebenfalls geäußerte Bitte der Berner Täufer, die Obrigkeiten in Bern „nit unrüüwig“ zu machen, „wäder In wort noch brief umb dieser stücken wilen, die 1 2
Schilling, Die niederländischen Exulanten. Straßburger Ordnungsbriefe, zit. nach: Jecker, Dordrechter Bekenntnis, S. 98.
5.2. Preußisch-polnische Gebiete
Bild 15: Siedlungsgebiete der Mennoniten in der Danziger Bucht
Ihr gemäldet habet.“ Trotz aller Zweifel setzte sich jedoch allmählich die Ansicht durch, dass eine Auswanderung nicht gegen die Fundamente des Glaubens verstoße. Spätestens das Bekenntnis von Dordrecht und seine 1664 in deutscher Sprache erschienene Ausgabe legitimierten dann das Wegziehen in Art. 14, der sich eigentlich mit der Rache und Notwehr beschäftigte: „wenn es die Not“ erfordere, sei es richtig, „um des Herrn willen zu fliehen von der einen Stadt oder Land ins andere, ja auch Beraubung der Güter zu leiden“, so die Verfasser.3
5.2.
Preußisch-polnische Gebiete
5.2.1. Siedlungsbedingungen
In Königlich Preußen, im Herzogtum Preußen und in Preußisch-Litauen siedelten Täufer seit dem 16. Jahrhundert, sowohl in preußischen Gebieten als auch in den drei Woiwodschaften Pomerellen, Kulm und Marienburg, die unter der 3
Brief von 1681, zit. nach: Müller, Bernische Täufer, S. 193; Dordrechter Bekenntnis, zit. nach: Ernsthafte Christenpflicht, S. 205 f.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
Oberhoheit des polnischen Königs standen, sowie im Fürstbistum Ermland, das dem Herzogtum Preußen eingelagert war. 1525 war Albrecht von Brandenburg vom polnischen König mit dem Herzogtum Preußen belehnt worden; erst 1657 erlangten die preußischen Herzöge die Souveränität in dem Gebiet. Die Städte Danzig, Elbing und Thorn unterstanden der polnischen Krone, waren aber mit weitreichenden Selbstverwaltungsrechten ausgestattet. Es war also eine sehr verschachtelte politische Lage in der Ostseeregion, auf die die Täufer trafen. Doch sie bot ihnen gute Bedingungen zur Ansiedlung und im Notfall auch die Möglichkeit, eine Herrschaft gegen die andere auszuspielen. Die Täufer kamen durch eine gezielte Kolonisationspolitik in die Region an der Ostsee. Zunächst erreichten vor allem Täufer aus den Niederlanden das Mündungsgebiet von Weichsel und Nogat, wo sie sich um die Kultivierung des wasserdurchzogenen Landes verdient machten. Auch in den Städten Danzig und Elbing ließen sie sich nieder und gelangten bald Täufer in zu einigem wirtschaftlichen Erfolg. In Danzig etwa waren die den Städten Mennoniten als Krämer, Branntweinbrenner und Bortenwirker, aber auch im Bauwesen tätig. Zu den bis heute bekannten Produkten aus mennonitischer Fabrikation gehörten das „Danziger Goldwasser“ der 1598 durch einen Mennoniten aus Brabant gegründeten Firma „Der Lachs“ sowie der Wacholderschnaps „Machandl“ von Stobbe. Die Städte boten natürliche Schutzräume, da die Stadträte nicht selten versuchten, durch Instrumentalisierung der Täufer mehr Unabhängigkeit zu erlangen. Spätestens Anfang des 17. Jahrhunderts war die Duldung der Mennoniten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Potenz gesichert. Sie galten als unverzichtbar für die Ökonomie der StädQuellenarbeit 17 te; auch wenn dies auf der anderen Seite immer wieder Diskussionen provozierte, die Mennoniten seien wirtschaftlich zu erfolgreich und müssten eingebremst werden. Zudem war die rechtliche Situation zumindest in Danzig bis zum Jahr 1800 nicht eindeutig geklärt, da Mennoniten erst dann, unter preußischer Herrschaft, das Bürgerrecht erlangen konnten. In Elbing dagegen wurde Mennoniten bereits 1585 das Bürgerrecht gewährt. 5.2.2. Konflikte
Reibungen blieben nicht aus, beispielsweise mit den etablierten Kirchen. 1570 forderte der Danziger Stadtrat von den Täufern, regelmäßig die Lutherische Kirche zu besuchen und die neugeborenen Kinder spätestens nach zwei Tagen
5.2. Preußisch-polnische Gebiete
taufen zu lassen – Hintergrund war offenbar die klamme finanzielle Situation der Kirchspiele, die auch in der großen Zahl der keine Stolgebühren zahlenden Täufer begründet lag. 1602 wiederum verbot der Stadtrat den Täufern die Ausübung ihres Glaubens. Dieses Mal standen die Danziger Handwerker hinter den Maßnahmen, da diese die Konkurrenz der Täufer eindämmen wollten. Obwohl den Täufern in diesem Fall die Möglichkeit eröffnet wurde, ein Schutzgeld zu zahlen, um in der Stadt zu bleiben, übersiedelten einige ins benachbarte Marienburger Werder, das der polnischen Krone unterstand. Auch in den 1660er Jahren sorgten wirtschaftliche Neuregelungen für die Abwanderung von Mennoniten aus Danzig ins Marienburger Werder. 1664 brachten die Danziger Destillierer die Beschwerde vor, die Mennoniten würden in „allerley Wollust und Üppigkeit leben, welches alles wir Distillirer insgesambt nicht einem Mennoniten gleich thun können“. Den Druck, der durch den Zusammenhalt der Gemeinde entstand, illustriert der dann folgende Satz: „Deshalb ihr auffnehmen [= Wachstum, v. S.] eigentlich daher kommt, weil eine solche Menge alß fest aneinander hält, daß Sie von keinem, alß unter sich kauffen und verkauffen.“ Auch die benötigten Zutaten würden die Mennoniten bei Schiffsleuten beziehen, „wovon der mehrerste Teil Mennonisten sey, welche ihnen auch den Zucker, Anniß unndt dergleichen aus Holland umb den besten preiß“ verkaufen.4 Auch in Elbing wehte der wirtschaftliche Wind in den 1680er Jahren wieder etwas schärfer, als der Stadtrat ebenfalls Maßnahmen gegen die Täufer ergriff. Mennoniten mussten ein Schutzgeld zahlen und beim Eidschwur, den sie mit „Ja“ und „Nein“ leisten durften, die Hand auf die Brust legen, was als Verletzung der Gewissensfreiheit aufgefasst wurde. Die Duldung der Mennoniten war politisch also nicht immer erwünscht, wirtschaftlich jedoch von Nutzen – was insbesondere in Danzig für zweifelhafte Konstellationen sorgte, die nicht ohne Wagnis waren. Mennoniten erwarben Grundbesitz, was rechtlich jedoch nicht abgesichert war. Sie feierten Gottesdienst, jedoch in Kirchen, die nicht wie Kirchen aussahen, und der Gottesdienst durfte nicht „öffentlich“ stattfinden. Diese Ambivalenz drückt ein Mandat Kurfürst Friedrich Wilhelms aus dem Jahr 1679 aus: „Die Arrianer und Mennonisten anreichende, da sie umb des Handels undt Wandels willen dieses Land besucheten, sollen sie zwar aus Faveur und Freyheit der Commercien zu solchem Behueff in gewisser Maaß gelitten werden, dass sie nemlichen Summenweiß mit den einheimischen Bürgern und Kaufleuten verkehren mögen, 4
Penner, Westpreußen, S. 65.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
daraus aber allhier weder auf dem Lande noch in den Städten, Vorstädten und Freyheiten, sich häuslich niederlassen oder Bürgerliche Nahrung treiben, sondern nach dem so gethanen als verstatteten Dingen im Handel an ihre bleibende Orthe zurückkehren sollen.“5 In Ostpreußen beziehungsweise in Preußisch-Litauen begann die täuferische Besiedlung, nachdem im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts viele Regionen durch eine Pestwelle entvölkert worden waren und die Regierung neue Siedler benötigte. 1713 kamen die ersten Mennoniten aus dem Bistum Kulm. Doch die Siedlungsbedingungen waren nicht einTäufer in fach, wie der Bericht einer Delegation aus der Danziger MennoOstpreußen und nitengemeinde schildert, die im Juni 1714 nach Preußisch-LitauPreußisch-Litauen en reiste: „Sie haben schöne Ländereien, allein, viele Plätze sind unbebaut und die meisten müssen die Wohnhäuser bauen; es sind allesamt arme Leute, die wenig oder nichts haben, so daß wir viele Familien vorfanden, die in einer alten Scheune lebten, viele auf dem Feld in kleinen Hüttchen.“6 1724 verließen viele Mennoniten Preußisch-Litauen wieder, als Konflikte über den Militärdienst entstanden; sie fanden Zuflucht in Westpreußen. In Königsberg lebten ab 1716 Mennoniten; der Branntweinbrenner Peter Sprunk durfte sich dort ansiedeln und sein Gewerbe betreiben, da es in Königsberg, wie es hieß, niemanden gab, der den Branntwein nach „Danziger Art“ destillieren konnte.
5.3.
Schweiz
5.3.1. Ein Diskurs über die Tolerierung der Täufer
Für die Täufer in den reformierten eidgenössischen Kantonen der Schweiz verschärfte sich die Situation in der Mitte des 17. Jahrhunderts sehr maßgeblich. Die Inhaftierungen nahmen zu, und in den Gefängnissen mussten sich die Täufer Glaubensunterweisungen unterziehen, die ihre Konversion zum Reformierten Glauben zum Ziel hatten. Die Zahl der Auswanderungen ins Elsass, nach Württemberg, Jülich und Berg sowie in die Kurpfalz und nach Neuwied stieg an. Dies veranlasste den Züricher Stadtrat 1652, ein Mandat zu verabschieden, das Auswanderungen ohne obrigkeitliche Bewilligung verbot. Auch nach Bern zogen verfolgte Züricher Täufer, was in der Stadt an der Aare wiederum für 5 6
Zit. nach: Randt, Mennoniten in Ostpreußen, S. 5. Zit. nach: Wittenberg / Janz, Geschichte, S. 76.
5.3. Schweiz
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wachsenden Druck und ein härteres Durchgreifen der Obrigkeiten sorgte. Verglichen mit Zürich gewährten die Berner Obrigkeiten den Täufern jedoch immerhin, ihren Besitz bei der Auswanderung mitnehmen zu dürfen. Doch die Rahmenbedingungen der Verfolgung waren nun im späten 17. Jahrhundert andere als im vorangehenden Jahrhundert. Denn Gelehrte, Theologen und Staatswissenschaftler hatten bereits angefangen, intensiver über Tolerierung zu debattieren. So brachte die Situation der Täufer in der Schweiz einen Diskurs hervor, in dem sich Fürsprecher und Politische Gegner der Täufer die Argumente zuspielten. Es wurde klar, dass Kommunikation sich Normen im politisch-gesellschaftlichen Raum verändert hatten und die Täufer selbst mittlerweile Partizipierende in der politischen Kommunikation waren. Im Zentrum stand der Älteste der Wallonisch-Reformierten Kirche in Amsterdam, Isaak Hattavier, der 1614 die Hinrichtung des Täufers Hans Landis miterlebt hatte und dadurch zum Advokaten der Verfolgten geworden war. Nach Hattaviers Tod im Jahr 1657 übernahm der holländische Mennonit Hans Vlamingh die führende Rolle. Beide unterhielten Kontakte zu verschiedenen Theologen in Bern und Zürich sowie zu Mitgliedern der politischen Obrigkeiten, um Fürsprache für die Verfolgten einzulegen. Viele Akteure kannten sich persönlich, weil sie entweder gemeinsam studiert hatten oder bereits über gelehrte Diskurse verbunden waren. Als Hans Vlamingh den Berner Professor für Theologie Christoph Lüthardt bat, ein Mitglied der einflussreichen Berner Patrizierfamilie Dachselhofer „zum mitleiden“ für die Täufer zu bewegen, versprach er, die Unterstützung für die Täufer sei ein „werck der Barmhertzigkeit“, dem „himlische frewd und säligkeit“ verheißen sei.7 Ganz wichtig für die Schweizer Täufer war auch die gute Vernetzung der niederländischen Doopsgezinden in die politische Welt ihrer Heimat. Unter den Vertretern der säkularen und geistlichen Obrigkeit konnten einflussreiche Fürsprecher gewonnen werden. So traten unter anderem die Generalstaaten, verschiedene Städte sowie Gesandte verschiedener Mächte in Aktion. Sie konnten auf die gelungene Integration der Doopsgezinden verweisen, die wirtschaftlich erfolgreich waren und sich als ruhige und zuverlässige Untertanen erwiesen, die „freijheit der Conscientz“ vorausgesetzt. So lautete der Tenor der vielfachen „fründlichen intercession schreiben“ aus den Niederlanden, dass
7
Bangs, Letters on Toleration, CD, S. 581.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
man die Täufer guten Gewissens dulden könnte, da sie die politische Ordnung nicht gefährden.8 Die eidgenössischen Obrigkeiten sahen dies ein wenig anders. Sie unterstrichen die Unzuverlässigkeit der Täufer und verwiesen auf das 16. Jahrhundert, auf die Täuferherrschaft in Münster und den Bauernkrieg von 1525, aber auch jenen von 1653 in der Schweiz. Wie bereits erwähnt, waren die Täufer für die reformierten Kantone, die durch ihre katholischen Nachbarn bedroht wurden, eine Gefahr; zumal die Täufer oftmals an den Grenzen der Kantone wohnten. Aus den Niederlanden wiederum kamen Vorwürfe, die Schweizer Obrigkeiten würden die Täufer eigentlich wegen ihres Glaubens nicht dulden wollen, dies jedoch kaschieren, indem sie ihnen politische Illoyalität vorwarfen. Dass diese Vorwürfe nicht ganz aus der Luft gegriffen waren, zeigt der generelle Diskurs über die Verfolgung der Täufer, und auch in Bern war die Quellenarbeit 18 „policey“ ein gutes Argument gegen die Täufer, wie ein Gutachten der geistlichen Kommission 1659 nahelegt. Die Kommission schlug zwar vor, die Täufer nicht mit dem Tod zu bestrafen, weil sie von ihren Grundlagen her mit der reformierten Religion eins seien. Doch dann hieß es: „wo die theologischen Gründ [ … ] nüt verfangen“, sollte man „politice procedieren“.9 5.3.2. Ein Netzwerk der Hilfsleistung
Die repressiven Maßnahmen ließen die Zahl der Auswanderer ansteigen und damit geriet die Frage, wie den oft mittellosen Migranten geholfen werden könnte, auf die Tagesordnung. Einerseits funktionierte offenbar das nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Netzwerk in der Schweiz recht gut, wie das Beispiel des Dorfes Schleitheim zeigt. Die DorfHilfen für die bewohner versorgten die Täufer mit Essen, boten ihnen UnterAuswanderer schlupf und versuchten sogar, ihre Verhaftung durch Widerstand zu verhindern. Andererseits trat nun ein überregionales Netzwerk von Helfern in Aktion, die die Migranten auf ihrer Reise begleiteten, die Ansiedlung an neuen Orten vorbereiteten und Geld zur Verfügung stellten. Getragen wurde es, vor allem in finanzieller Hinsicht, von den niederländischen Doopsgezinden.
8 9
Lowry, Documents, S. 200. Zit. nach: Müller, Bernische Täufer, S. 171.
5.3. Schweiz
183
Hintergrund Die Täufer in der politischen Kommunikation Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurde immer intensiver über die Inklusion konfessionell Andersdenkender in politische Räume diskutiert. Das Schicksal der Täufer bot diesen Diskursen regelmäßig Anlass, Normen zu verhandeln. Gelehrte, Theologen, Gesandte und Politiker griffen das täuferische Schicksal auf, um ihrerseits für veränderte Rahmenbedingungen, Mehrkonfessionalität und Toleranz zu kämpfen. Mit ihrer Präsenz, ihren Bittschriften an die Obrigkeiten und ihrer generellen Korrespondenz trugen die Täufer auch selbst dazu bei, Normen zu verändern. Inklusion in einem politischen Raum wurde für Täufer allmählich immer mehr möglich.
Dabei hatte es zunächst einige Zeit gedauert, bis die niederländischen Doopsgezinden tatsächlich bereit waren, den Schweizern zu helfen. Mehrere Briefe gingen von den Mennonitengemeinden in Obersülzen, Kriegsheim und Krefeld an die Doopsgezinden, um die Dringlichkeit der Hilfeleistung zu untermauern. Doch in den Niederlanden war man sich nicht so ganz klar darüber, wer helfen sollte. Die Waterländer wollten dies zwar tun, fühlten sich aber nicht in theologischer Übereinstimmung mit den Schweizern. Eigentlich, so die Auffassung, müssten eher Gemeinden der flamischen Richtung in Preußen helfen – Vorbehalte, die eine Glaubensüberprüfung nötig machten. Doch die Vorbehalte waren wechselseitig, wie eine Bemerkung des Schweizer Täufers Jakob Guth aus dem Jahr 1660 zeigt: Die Taufgesinnten in den Niederlanden seien zwar gelehrter, hätten aber auch mehr Irrtümer unter sich. Letztendlich lief die Hilfswelle für die Schweizer Täufer jedoch an, und ein eigener Fonds stellte die finanziellen Mittel zur Verfügung – der „Fonds voor buitenlandsche Nooden“. Er speiste sich aus großzügigen Kollekten, die in den niederländischen Gemeinden gesammelt wurden. Regionen, in denen die verfolgten Schweizer Aufnahme fanden, waren der Fonds voor Kraichgau und die Kurpfalz, auch schon vor der Mennistenkonbuitenlandsche zession von 1664. Eine der ersten Siedlungen in der Kurpfalz war Nooden Ibersheim bei Worms, wo Täufer aus dem Emmental um 1660 das Gut als Erbbestand von der kurpfälzischen Hofkammer kauften. Viele Flüchtlinge blieben allerdings zunächst auch im Elsass, wo sie offenbar abwarteten, ob sich die Situation in ihrer alten Heimat wieder bessern würde und eine Rückkehr möglich wäre.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
Wer den Weg bis in die Pfalz geschafft hatte, konnte auf Starthilfe von niederländischer Seite hoffen. Immer wieder schickten die Niederländer Brüder in die Pfalz, um ganz praktisch Hilfe zu leisten und die Ansiedlung der Neuankömmlinge zu organisieren. Auch der Mennonit Valentin Huetwohl aus dem pfälzischen Kriegsheim reiste durch die Pfalz und erstellte Listen mit den Namen der Bedürftigen, den vorhandenen Geldmitteln und Dingen des alltäglichen Bedarfs und notierte all das, was benötigt wurde. Damit die Flüchtlinge so bald wie möglich auf eigenen Füßen stehen konnten, mietete man Höfe für sie an und forderte sie auf, schnell im Handwerk oder im Handel tätig zu werden. Insgesamt dürften in den 1670er Jahren ungefähr 700 Täufer die eidgenössischen Gebiete verlassen haben, so jedenfalls die Überlieferung im „Märtyrer-Spiegel“. Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung, die alte Heimat zu verlassen, für viele Täufer gar nicht so einfach war. Viele von ihnen waren mittlerweile mit reformierten Ehepartnern verheiratet. Manche Flüchtlinge zogen auch zunächst ohne ihre Ehepartner los, die die heimatlichen Höfe weiterhin bewirtschafteten. Der Älteste der Obersülzener Täufergemeinde, Jakob Everling, beschreibt 1671 die Emotionen, die mit der Auswanderung verbunden waren. Einigen Täufern seien „die Tränen über die Backen [geflossen, v. S.], insbesondere den alten, unvermögenden Leuten, die in ihrem hohen Alter im Elende herumwandern und fremde Länder betreten mußten“.10 1710 sorgte eine weitere Verfolgungswelle in Bern für Aufsehen und Diskussionen. Ungefähr 60 Täufer sollten nach Nordamerika verschickt werden. Um den freien Durchzug durch die Niederlande zu garantieren, schalteten die Berner Obrigkeiten ihren Gesandten in Holland, François Louis Pesme, Seigneur de Saint-Saphorin, ein. Doch die geplante DeDeportation 1710 portation sorgte dort für einige Aufregung. Die Doopsgezinden aktivierten erneut ihre Kanäle in die Politik und Saint-Saphorin Quellenarbeit 19 erhielt letztendlich zur Antwort, dass die Täufer nach niederländischem Recht Gewissensfreiheit hätten. Deshalb könnte man auch nicht zusichern, sie als Gefangene durch die Niederlande durchziehen zu lassen. Sobald sie niederländischen Boden beträten, so Baron Fagel, Kanzler der Generalstaaten, seien sie freie Leute, denn man könnte die Täufer nicht zwingen, sich gegen ihren Willen als Gefangene in den Niederlanden zu bewegen. Außerdem merkte Caspar Fagel kritisch an, in Bern müsste wohl ein anderer Glauben herrschen als in den 10
Brief vom 2. 11. 1671, zit. nach: van Braght, Märtyrer-Spiegel, S. 619.
5.4. Siebenbürgen
Niederlanden, denn in seinem Heimatland gelte der Grundsatz, dem Gewissen eines anderen keine Gewalt anzutun. Tatsächlich trat auch 1710 ein gut organisiertes Netzwerk praktisch in Aktion, das Nachrichtenposten an verschiedenen Stellen am Rhein positionierte, um regelmäßige Berichte über die durchziehenden Täufer zu verschicken. Politische Verhandlungen mit möglichen Aufnahmeländern ergänzten die Hilfsleistungen. So wäre Preußen bereit gewesen, die Schweizer aufzunehmen. Letztendlich verteilten diese sich jedoch: Einige blieben in den Niederlanden, andere fanden Aufnahme in Mannheim und wieder andere zogen weiter in die englischen Kolonien in Nordamerika. Auch Amische waren bei der Auswanderung dabei, von denen einige in den Niederlanden blieben.
5.4.
Siebenbürgen
5.4.1. Die Hutterer zwischen Siebenbürgen und Oberungarn
Mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges verschärfte sich in den habsburgischen Ländern die konfessionelle Situation. Dies traf einerseits die Hutterer, die in Mähren nicht mehr geduldet wurden, andererseits aber auch die zahlreichen Protestanten, die besonders in östlichen Ländern der Habsburger stark vertreten waren und ebenfalls des Landes verwiesen wurden. Im hutterischen Fall gehen Schätzungen davon aus, dass rund ein Drittel der Gemeindeglieder Mähren verließ, die übrigen zurückblieben und sich in die mährische Gesellschaft integrierten. Die Auswanderer fanden einerseits neue Siedlungsmöglichkeiten in Siebenbürgen, wo die Höfe Alwinz und Bodok entstanden, andererseits blieben einige Höfe in Oberungarn bestehen. Nach Siebenbürgen kamen die Hutterer aufgrund einer Einladung des Fürsten Gábor Bethlen, der von der wirtschaftlichen Potenz der Hutterer zu profitieren hoffte. Die räumliche Entfernung zwischen Siebenbürgen und Oberungarn erwies sich für die Organisation der hutterischen Gesamtgemeinde in den folgenden Jahrzehnten als nicht allzu glücklich, da die Gemeinden sich konfessionell recht eigenständig entwickelten. Insgesamt verlief das Leben der Hutterer im 17. und 18. Jahrhundert in oft eher unruhigen Bahnen. Immer wieder bedrohten Kriege die Bruderhöfe; das Leid und die Not lassen sich im „Geschichtbuch“ nachlesen. Auch intern gerieten die Hutterer in schwierige Fahrwasser. Die Gemeinde durchlebte Phasen der Traditionalisierung und geistlichen Erstarrung und Zeiten, in denen wesentliche Glaubensgrundlagen, vor allem die Gütergemeinschaft, infrage gestellt wurden.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
Doch es gab immer wieder Versuche, das erstarrte System mit neuem Leben zu füllen. So forderten einige Hutterer 1629 in Vel’ké Leváre ein intensiveres Gebetsleben ein, und 1645 trat Benjamin Kengel mit dem Anliegen an die Öffentlichkeit, mehr auf den Heiligen Geist zu hören und nicht so viel Gewicht auf äußerliche Regelungen und Zeremonien zu legen. In Erneuerungsden 1780er Jahren dann trat Matthias Hofer mit dem Wunsch an versuche die Ältesten heran, die alte Tradition, nur ein Mal am Tag zum Gebet zusammenzukommen, aufzugeben und mehrere Gebetstreffen abzuhalten. Eigenen Aussagen zufolge war Hofer beeinflusst von den Quäkern. Hofer wollte zudem mehr Absonderung von den „Ungläubigen“; man sollte vor der Obrigkeit nicht mehr den Hut ziehen und für die „Ungläubigen“ nicht im Lohn arbeiten. 1784 forderte zudem ein gewisser Johannes Hofer, die Hutterer sollten nicht so viel Zeit auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten verwenden, sondern sich mehr auf das innerliche Leben konzentrieren, Mission betreiben und danach streben, die Gemeinde wieder so strahlend aufzubauen wie sie im 16. Jahrhundert war. Symptomatisch für das hutterische Leben der Zeit ist, dass alle Versuche zur Erneuerung von den Ältesten abgewehrt und die „Neuerer“ aus der Gemeinde ausgeschlossen wurden beziehungsweise diese von selbst verließen. 5.4.2. Krisen und Migration
Das Auf und Ab des hutterischen Gemeindelebens mündete um 1700 in die Aufgabe der Gütergemeinschaft und die Einführung der Kindertaufe. Quellenarbeit 20 Bevor sich in den 1750er Jahren aus Kärnten und der Steiermark vertriebene Kryptoprotestanten den Hutterern anschlossen und mit Elan und dann auch mit Erfolg versuchten, das alte System zu neuem Leben zu erwecken, befand sich die hutterische Gemeinde in einer veritablen Krise. Vermutlich hätte es für die Hutterer keine Zukunft gegeben, wenn nicht tatsächlich durch die ehemaligen Protestanten eine Neuorganisation stattgefunden hätte. Einer dieser ehemaligen Kryptoprotestanten, Johannes Waldner, übernahm 1794 das Ältestenamt. Er zeigte sich offen für tiefere spirituelle Erfahrungen und pflegte gute Beziehungen zur Herrnhuter Brüdergemeine, blieb jedoch insgesamt sehr traditionell, was die überlieferten Ordnungen und Traditionen anging. Der Anschluss der Kryptoprotestanten brachte zwar eine innere und äußere Erneuerung des hutterischen Gemeinwesens, bedeutete jedoch auch das Ende der Hutterer in Siebenbürgen. Denn die Konversion der Protestanten zum
5.5. Nordamerika und Russland
hutterischen Glauben lief den Privilegien zuwider, die den Hutterern bei der Ansiedlung gegeben worden waren. Zudem war der konfessionelle Druck gewachsen, nachdem Maria Theresia sowohl in Siebenbürgen als Migrationen auch in Oberungarn Jesuitenmissionen eingesetzt hatte. Auch einige interne Konflikte unter den Hutterern lieferten den Obrigkeiten Argumente gegen die Gemeinde, so dass Ende der 1760er Jahre nur die Auswanderung blieb. Die Hutterer fanden Zuflucht in der Walachei, auf den Gütern des Grafen Peter Rumjanzew-Sadunaisky in Wischenky, an den Ufern des Flusses Desna. 1802 zogen sie dann weiter nach Radičeva; zu dieser Zeit bestand die Gemeinde aus 205 Personen. Allerdings sorgten auch hier interne Auseinandersetzungen für eine schwierige Situation, die in eine Spaltung mündete. Eine Notiz des Herrnhuters Johann Wiegand aus dem Jahr 1802 überliefert eine Charakterisierung der Hutterer. Wiegand attestierte der Gemeinde eine „allzuweit getriebene, überspannte, mithin schädliche Entfernung von allem Neuen und Zeitüblichen“.11 Der Älteste Johannes Waldner würde zwar immer wieder versuchen, neues Leben in die Gemeinde zu bringen, doch würde diese jede Neuerung argwöhnisch beäugen. 1842 schließlich ging es für die Hutterer weiter Richtung Süden, in die Schwarzmeerregion, wo man in den von den Mennoniten bereits aufgebauten Kolonien eine neue Heimat fand.
5.5.
Nordamerika und Russland
5.5.1. Einwanderung nach Nordamerika
Das Jahr 1683 läutete die Auswanderung von Täufern aus dem Alten Reich nach Nordamerika ein. Eine Gruppe aus Krefeld, angeworben durch den Quäker William Penn, ging Richtung Pennsylvania, darunter mindestens ein Mennonit beziehungsweise einige ehemalige Mennoniten, die zum Quäkertum konvertiert waren. Neue Heimat boten die Counties Buck, Montgomery und Lancaster, nördlich beziehungsweise östlich von Germantown. Die Stadt, die heute zu Philadelphia gehört, war die erste deutsche Siedlung auf nordamerikanischem Boden überhaupt und bot Quäkern, Mennoniten, Reformierten und Pietisten eine neue Heimat. Gegründet von Franz Daniel Pistorius gewährte sie den Neuankömmlingen Religionsfreiheit und Selbstverwaltungsrechte.
11
Authentische Nachricht, S. 140.
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
Dieser ersten Gruppe folgten im späten 17. und im 18. Jahrhundert weitere Auswanderer. Mennoniten aus der Pfalz kamen ab den 1710er Jahren, gemeinsam mit Täufern aus der Schweiz, und siedelten sich in Lancaster County an. Amische aus der Gegend von Zweibrücken emigrierten in den 1730er Jahren, unter anderem ein Jakob Dettweiler vom Stuppacherhof bei Hornbach sowie Mitglieder der Familien Beiler, Berkey (Bürky), Hershberger, Joder, Mast und Hochstettler. Grund für die Migration war meist der Wunsch nach neuem Land. Typisch für die frühe Einwanderung und die Migration um 1800 war, dass die Mennoniten und Amischen nicht abgesonderte Plätze suchten, sondern innerhalb bestehender Gemeinden wohnten und sich somit ganz natürlich Kontakte zu ihren anderskonfessionellen Nachbarn ergaben. Ab 1786 zogen Mennoniten dann von Pennsylvania nach Kanada, nach Ontario. In den USA ging der Weg weiter Richtung Westen, im späten 18. Jahrhundert nach Ohio und im 19. Jahrhundert nach Iowa, Illinois, Indiana und Kansas. Dass Mennoniten bei der Einwanderung nach Nordamerika Land der „Native Americans“ beziehungsweise in Kanada der „First Nations“ einnahmen, wird erst in den letzten Jahren tiefgehender thematisiert. Über das gesamte 19. Jahrhundert erreichten weitere Auswanderer die mennonitischen und amischen Siedlungen in den USA und in Kanada. Besonders in den Krisenjahren nach 1815, als nicht nur die Nachwehen der Napoleonischen Kriege zu spüren waren, sondern auch das Klima durch den Ausbruch des Vulkans Tambora auf Java in vielen Regionen Europas durcheinandergeriet. Missernten waren die Folge, was die Bereitschaft zur Auswanderung ansteigen ließ. In den 1830er und 40er Jahren wanderten Mennoniten und Amische aus dem Donaumoos nach Nordamerika aus; sie gingen vor allem nach Iowa, nach Lee County. Von dort zogen die Immigranten recht bald weiter nach Illinois. Die Amischen hatten ihren Ausgangspunkt vor allem in Mittel- und Westpennsylvania, in Big Valley, Glades und Garrett County – von hier aus gingen viele Amische im 19. Jahrhundert ebenfalls Richtung Westen. Grundsätzlich hoch blieben die Auswandererzahlen auch in der Pfalz, was auf die landwirtschaftliche und rechtliche Situation zurückzuführen ist. Viele Briefe der Auswanderer geben Zeugnis von den Strapazen der Überfahrt und den oft nicht einfachen Anfängen auf nordamerikanischem Boden. Einen sehr ausführlichen Bericht seiner Auswanderung und seines Lebens in den USA hat Christian Krehbiel verfasst, der später zum langjährigen Vorsitzenden der „General Conference“ wurde, des größten Zusammenschlusses mennonitischer Gemeinden. 1832 auf dem pfälzischen Weierhof geboren, ging er 1844 mit seinen
5.5. Nordamerika und Russland
Eltern zunächst nach Bayern. Sieben Jahre später entschloss sich die Familie jedoch, in die USA auszuwandern, da sich die wirtschaftliche Lage im Donaumoos als sehr schwierig erwies. Die Familie gründete zusammen mit anderen Mennoniten aus der Pfalz den Ort Donnelson in Iowa. Überall auf der Reise wurden sie von bereits vorher ausgewanderten Verwandten oder Glaubensgeschwistern begrüßt. Christian Krehbiel zog mit seiner Familie dann jedoch weiter nach Illinois. In den frühen Jahren gab es viele Kontakte zwischen den verschiedenen konfessionellen Gruppierungen. Zentrum für den Buchdruck wurde das Kloster Ephrata in Pennsylvania, das auf die Schwarzenauer Neutäufer unter Johann Conrad Beissel zurückging. Dort wurden im frühen 18. Jahrhundert die englische Übersetzung der „Goldenen Äpfel in Silbernen Schalen“, aber auch der „Märtyrer-Spiegel“ und das Gebetsbuch „Ernsthafte Christenpflicht“ gedruckt. Peter Miller, seit 1743 Abt in Ephrata, übersetzte den „Märtyrer-Spiegel“ vom Holländischen ins Deutsche. Es gibt auch Hinweise, dass einige Mennoniten Mitglied in Ephrata wurden; zumindest ist bekannt, dass Conrad Beissel 1725 Mennoniten in der neu gegründeten Dunker-Gemeinde in Conestoga taufte. 5.5.2. Einwanderung nach Russland
Die Schwarzmeerregion in Südrussland nahm im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Mennoniten aus Preußen auf. Aufgrund der Polnischen Teilungen hatte sich die Lage in Preußen grundlegend geändert. 1772 fiel das Weichseldelta an Preußen und mit der zweiten polnischen Teilung 1793 kam schließlich auch Danzig unter preußische Herrschaft, so dass nun alle Mennoniten von Danzig bis Thorn preußisch waren. Für die bisher unter der Krone Polens wohnenden Mennoniten setzte ein stärker zentralisierter preußischer Staat neue Bedingungen. 1789 regelte ein Edikt Friedrich Wilhelms II., dass die Mennoniten ihren Glauben frei leben und ihre Gewerbe frei ausüben durften, jedoch erschwerte der König den Erwerb von Grundstücken, um zu verhindern, dass noch mehr Land im Besitz von Untertanen war, die keinen Waffendienst leisteten. Zudem verpflichtete er die Mennoniten, Stolgebühren an die protestantische Kirche zu zahlen. Durch die Gebietsveränderungen war für die Mennoniten auch die Möglichkeit verloren gegangen, durch kleinräumige Migrationen bei sich verschlechternden Siedlungsbedingungen in eine andere Herrschaft auszuweichen. Neue Siedlungsmöglichkeiten eröffneten sich für die preußischen Mennoniten in Russland. 1784 war ein Einladungspatent der Zarin Katharina der Großen
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5. Die täuferische Landkarte – Migration und ihre gesellschaftlichen Ursachen
erschienen, das neuen Siedlern die freie Glaubensausübung, Selbstverwaltung und ein eigenes Schulwesen versprach. Nachdem zwei mennonitische Delegierte das Land in Südrussland inspiziert und mit dem Vertrauten der Zarin, Grigorij Potemkin, verhandelt hatten, begann die Auswanderung von ca. 200 Mennonitenfamilien, vornehmlich aus flämischen Gemeinden Westpreußens, beispielsweise aus Heubuden und Danzig. Sie durften sich über großzügige Starthilfen freuen, über ausreichendes Wohn- und Ackerland, Baumaterial, Steuererleichterungen und Geldanleihen. Die zugesicherte Glaubensfreiheit umfasste die Befreiung von Wehrdienst und Eidesleistung. Die erste Kolonie der Mennoniten war Chortitza, 1804 kam die Molotchna dazu. Weitere Kolonien, in denen Mennoniten siedelten, folgten: Am Trakt und Alexanderthal. Mit 57 Dörfern war die Molotchna die größte Kolonie. Erhebungen gehen davon aus, dass in den 1860er Jahren ungefährt 3700 Mennonitenfamilien in der Molotchna wohnten. Zwar nahm Friedrich Wilhelm III. einige Auflagen, die den Mennoniten in Preußen gemacht worden waren, wieder zurück, nachdem die Zahl der Auswanderer stark angestiegen war, doch konnte dies die Besiedlung der Schwarzmeerregion nicht mehr stoppen. Nachdem Zar Paul I. 1800 seinen neuen Siedlern zudem eine Gnadeurkunde ausgestellt und ihnen damit attestiert hatte, vorbildliche Landwirte zu sein, setzte 1803 eine neue Welle der Auswanderung ein.
Fragen zur Reflexion Diskutieren Sie die verschiedenen Existenzbedingungen der Täufer in den einzelnen politischen Räumen. Wie wirkten sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf das Leben der Täufer aus? Inwiefern waren die Täufer der Frühen Neuzeit politisch? Diskutieren Sie, welche positiven und negativen Folgen Migration für die Migrierenden und für die Gesellschaft haben kann.
Weiterführende Literatur Hanspeter Jecker, Ketzer, Rebellen, Heilige. Das Basler Täufertum von 1580-1700, Liestal 1998. Peter J. Klassen, Mennonites in Early Modern Poland & Prussia, Baltimore 2009. Richard K. MacMaster, Land, Piety, Peoplehood. The Establishment of Mennonite Communities in America 1683–1790 (The Mennonite Experience in America, 1), Scottdale, PA. / Kitchener, Ont. 1985.
Weiterführende Literatur
Ulrich Niggemann, Glaubensflucht als Migrationstyp? Charakteristika konfessionsbedingter Migration in der Frühen Neuzeit, in: Historisches Jahrbuch 135, 2015, S. 46-68. Philipp Wälchi / Urs B. Leu et al. (Hgg.), Täufer und Reformierte im Disput. Texte des 17. Jahrhunderts über Verfolgung und Toleranz aus Zürich und Amsterdam, Zug 2010.
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6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
6.
Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
6.1.
Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
6.1.1. Ausdifferenzierungen
Auch wenn es immer wieder Verfolgungswellen wie in der Schweiz oder in Österreich gab, wuchs die Bereitschaft im Verlauf der Frühen Neuzeit, die Täufer zu tolerieren. Viele Gemeinden erhielten Privilegien, die ihnen ein Leben nach ihren Glaubensgrundlagen ermöglichten und auch den Bau von Kirchen erlaubten, die die Versammlungen in den Privathäusern ablösten. Angestoßen durch Entwicklungen in den Niederlanden differenzierte sich das mennonitische Leben seit dem späten 17. Jahrhundert aus. Es bildeten sich progressive Gruppen, die gesellschaftlich immer mehr integriert waren und keine Berührungsängste gegenüber anderen Konfessionen hatten. Eine Taufpredigt aus Krefeld aus dem Jahr 1716 benennt als Themen, über die unter den Mennoniten „Verschiedenheit“ herrschte, Fragen der Wehrlosigkeit, des Eidschwörens, der Taufe, des Abendmahls und der kirchlichen Zucht.1 Den Rahmen bis ins frühe 19. Jahrundert steckt eine ebenfalls die wesentlichen Glaubenspunkte wertende Einschätzung des ehemaligen großherzoglich-hessischen Beamten Abraham Hunzinger ab. Er hielt 1830 fest: „Die Hauptstücke, worin die Mennoniten von Katholiken, Lutheranern und Calvinisten wesentlich abweichen, und wodurch jene jetzt noch einen besonderen Theil der protestantischen Kirche bilden, [ … ] sind: 1. die Taufe; 2. der Eidschwur; 3. die Ehescheidung; 4. das Kriegführen; 5. die Bekleidung obrigkeitlicher Ämter; 6. die Verheirathung mit andern Religionsverwandten. Die abweichenden Meinungen in diesen Punkten wurden bisher, mehr oder weniger streng consequent, befolgt, und namentlich die drei letzteren, in neueren Zeiten, bei den niederländischen Mennoniten, gänzlich aufgehoben, bei den übrigen aber (die Rheingegend zum Theil ausgenommen) meines Wissens, fast überall noch beobachtet. Die ersteren drei blieben aber bisher bei allen Mennoniten in hohem Ansehen stehen, weil sie den Haupttheil ihres symbolischen Glaubens ausmachen.“2
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Christlicher Gemeinde-Kalender 44, 1935, S. 67. Hunzinger, Schulwesen, S. 108.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
1743 erschien Simon Friedrich Rues Buch „Aufrichtige Nachrichten von dem Gegenwärtigen Zustande der Mennoniten oder Taufgesinnten“. Rues, Professor unter anderem für Geschichte an der Universität Tübingen, wollte mit diesem Werk einen Beitrag zur „unpartheiischen Geschichtsschreibung“ leisten, indem er sich bei der Recherche nicht nur auf Berichte über die Taufgesinnten stützte, sondern die Gottesdienste auch selbst miterlebte. Rues’ Schilderungen lassen ein Sittengemälde der verschiedenen taufgesinnten beziehungsweise mennonitischen Richtungen entstehen, das illustrative Einblicke in ihr Leben und in ihren Glauben im 18. Jahrhundert erlaubt. Rues stellt zwei Richtungen der Taufgesinnten gegenüber, die „Feinen“ und die „Groben“. Zu Ersteren zählt er die Alten Flaminger, die Danziger und die Gröninger, zu den Letzteren die Flaminger, die Friesen und die Waterländer. Die Charakterisierungen und Beschreibungen der Lebensstile und der konfessionellen Bräuche offenbaren die Vielfalt täuferischen „Feine Lebens. Rues bezeichnet die „Feinen“ als die strengere Richtung. Taufgesinnte“ Sie lehnten Ämter in der Obrigkeit, den Eid und den Waffendienst strikt ab, wozu auch gehörte, dass sie Waren nicht auf Schiffen transportieren ließen, die mit Kanonen bewaffnet waren. Sie verfolgten den Bann sehr konsequent und praktizierten die Fußwaschung. Die Danziger in Preußen bezeichnete Rues als besonders streng. Sie verzichteten auf Knöpfe an der Kleidung sowie auf Schnallen an den Schuhen, sahen das Tragen von Perücken als Sünde an und waren in der Ausübung des Bannes noch mal konsequenter. Die Gröninger trugen, so Rues, schwarze Kleidung und lange Bärte, waren aber nicht ganz so streng, was Eheschließungen mit Gliedern anderer Gemeinden betraf. Man würde diese nicht billigen, aber auch nicht strafen. Generell hielt man sich fern von überkonfessionellen Kontakten und schickte die Kinder nicht auf die Schulen der Kollegianten. In den Gottesdiensten predigte der Prediger im Sitzen, die Gemeinde betete kniend und still, nie gemeinschaftlich. Doch es gab ein Gebet für die Obrigkeit und den Frieden. Die Taufe fand durch Begießen mit Wasser aus einem Krug statt. Die „Groben Taufgesinnten“ waren laut Rues durch eine größere Offenheit gegenüber anderen Konfessionen und durch die Nähe zu den Remonstranten gekennzeichnet. Zumindest die Waterländer lehnten Glaubensbekenntnisse ab. Sie erkannten die Taufe anderer Gemeinden an, standen der Übernahme obrigkeitlicher Ämter ebenso wenig kritisch gegenüber „Grobe wie der Wissenschaft und der Bildung. Manche von ihnen waren Taufgesinnte“ Bürgermeister. Die „Groben“ gehörten zu den „angesehensten“
6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
und reichsten Leuten im Land, die sich zunehmend auch Gedanken über ihren Gruppennamen machten. So weigerten sie sich, weiterhin als „wehrlose Christen“ bezeichnet zu werden und bevorzugten den Namen „wraklose Christen“. Sie seien nämlich nicht „wehrlos“, sondern würden lediglich Rache und Gewalt als Angriff ablehnen. Kein Problem hatten sie damit, wenn unrechtmäßige Gewalt mit Gegengewalt beantwortet würde, wie sie auch ihre Schiffe mit Waffen ausrüsteten. Sie sahen ihre eigenen Gemeinden auch nicht mehr als Gemeinden von Heiligen, sondern anerkannten, dass sich in anderen Kirchen ebenfalls Kinder Gottes versammelten. Nichtsdestotrotz bezeichneten sie ihre eigene Taufgesinnte Gemeinde als die beste von allen. Über die Gottesdienstpraxis schreibt Rues, dass die Prediger sich den jeweiligen Predigttext selbst aussuchten, was wohl bedeutete, dass sie nicht auf vorformulierte Predigten der Vorfahren zurückgriffen. Zudem fand in manchen Kirchen nach dem Gottesdienst eine Glaubensunterweisung für die jungen Leute statt. Auch Schweizer Taufgesinnte, die in den Niederlanden lebten und sich als aus der Schweiz beziehungsweise dem Elsass ausgewanderte Amische identifizieren lassen, beschreibt Rues. Sie seien von der Kleidung und vom Wesen her „sehr streng und rauh“, hätten kaum Kontakt zu anderen Gemeinden, deren Taufe sie auch nicht anerkannten. Wollte sich jemand ihnen anschließen, tauften sie diese Person erneut. Allerdings waren nur wenige Schweizer Auswanderer in den Niederlanden geblieben; die meisten seien Richtung Nordamerika weitergezogen. Das Glaubensleben und Erscheinungsbild der Täufer war also äußerst divers. Die Vielfalt drückte sich auch in den verschiedenen Sprachen aus. In den Gemeinden in Preußen königlichen Anteils war bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts Niederländisch die bestimmende Sprache. Die Gemeinde in Danzig, die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts enge Kontakte in die Niederlande pflegte und aus deren Reihen die Söhne dorthin geschickt wurden, um eine gute Ausbildung zu erhalten, änderte die Gottesdienstsprache erst in den 1770er Jahren – dann wurde das erste Mal auf Deutsch gepredigt. Der letzte Älteste, der noch Niederländisch predigte, Hans van Steen, wird von Lorenz Friedenreich, Mennonit in Neuwied, als ein „wohlgelehrter Mennoniste Ortodox“ bezeichnet, der wohl mit der Zusendung von Tersteegen-Schriften keine Freude hätte.3 Die Gemeinde in Krefeld stieg erst nach der Franzosenzeit auf Deutsch um.
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Christlicher Gemeinde-Kalender 36, 1927, S. 58 f. (Brief vom 14. 3. 1773).
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
6.1.2. Gemeindeleben
Ein Briefwechsel, der sich in den späten 1760er Jahren zwischen westpreußischen und südwestdeutschen Mennoniten entwickelte, gewährt weitere Einblicke in das Leben der verschiedenen Gemeinden. Der Briefwechsel ist auch insofern von großer Bedeutung, als er der erste seit langem war und zeigt, dass die Gemeinden sich gar nicht kannten. Aus den Briefen erfährt man, dass die Gemeinden in Westpreußen sehr groß waren – Danzig hatte bis zu 500 Teilnehmer am Abendmahl, in Heubuden und im Werder waren es bis zu 1600. Seit kurzem fanden die Gottesdienste in eigenen Kirchen statt; vorher habe man sich in den Häusern und Scheunen versammelt. Jakob Hirschler aus Gerolsheim berichtet dagegen über die Situation in der Kurpfalz, dass die dortigen Gemeinden zahlenmäßig eher abnahmen, da viele Mennoniten nach Amerika auswanderten. Für Mannheim berichtet Martin Möllinger, dass sich ungefähr 20 Haushalte in einer „Versammlungs-Vermahnstube“ trafen. Man habe dort die Freiheit, Taufen, Abendmahl und Hochzeiten zu feiern; und interessanterweise kamen immer auch Nicht-Mennoniten in den Gottesdienst, so dass die Stube voll wurde. In Neuwied umfasste die Gemeinde 69 Glieder und 39 Kinder, wobei hier, so heißt es, in letzter Zeit neue Leute aus der Pfalz hinzugekommen seien. Im Kraichgau dagegen, so Abraham Zeisset, verteilten sich die Gemeinden auf einer Fläche von „20 Stunden lang und breit“. An 12 oder 13 Orten werde Gottesdienst gehalten, jeweils in den Wohnhäusern. In Westpreußen fand der Gottesdienst immer am Vormittag statt, in Süddeutschland auch mal am Nachmittag. Die Gesangbücher stammten entweder aus Holland, wie zum Beispiel in Danzig, oder aus anderen konfessionellen Traditionen. So sang man in Süddeutschland aus reformierten Büchern. Die Schriften von Menno Simons, so heißt es, würden fleißig gelesen.4 Auch wenn die Ämter, unter anderem jenes des Predigers, in den meisten Mennonitengemeinden bis ins frühe 19. Jahrhundert in Laienhand blieben, durften doch nur gewählte Prediger dem Gottesdienst vorstehen. In keiner der korrespondierenden Gemeinden gab es professionelle Prediger. Doch wie diese ins Amt kamen, wurde unterschiedlich gehandPrediger und Ämter habt. So durfte in der Pfalz jedes Gemeindeglied seine „Diener“ wählen, auch die Frauen stimmten mit. Wer die Wahl nicht annehmen wollte, konnte das Los befragen, das dann zwischen dem Gewählten und dem nächst4
Christlicher Gemeinde-Kalender 44, 1935, S. 117 f.
6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
platzierten Kandidaten geworfen wurde. Die Ordination nahmen im Badischen, wo die Diener „bestätigte Diener“ hießen, alle Ältesten vor. In Westpreußen dagegen war nur ein Ältester aktiv; hier wählten auch nur die Männer. Zudem galt die Praxis, dass ein Lehrer immer durch einen Diakon und ein Ältester durch einen Lehrer zu ersetzen sei. In zwei Punkten unterschieden sich die Westpreußen sehr deutlich von den Südwestdeutschen. Einerseits in der Fußwaschung, die in Südwestdeutschland nur von den Amischen praktiziert wurde, in Westpreußen jedoch jedes Mal vollzogen wurde, wenn ein Ältester eine andere Gemeinde besuchte. Vor dem Schlafengehen wuschen die Gastgeber dem Gast die Füße, und man betete gemeinsam. Andererseits in der Kirchenzucht, die in Westpreußen wesentlich strenger gehandhabt wurde. Aus kritischen Äußerungen des frühen 19. Jahrhunderts geht hervor, dass die Ältesten und Prediger im Verlauf der Frühen Neuzeit immer mehr Macht erhalten hatten und eine oftmals sehr strenge Kontrolle ausübten. Meist hatten die Gemeinden mehrere Prediger, doch es konnte auch vorkommen, dass kein Gottesdienst stattfinden konnte, weil keine Prediger mehr da waren. So heißt es in den Erinnerungen des ersten bezahlten Predigers in der Gemeinde Weierhof, Hermann Reeder, dass man nach 1813, als einige Prediger an einer im Krieg ausgebrochenen Seuche gestorben waren, den Gottesdienst aussetzen musste, wenn kein Prediger aus einer anderen Gemeinde diesen übernahm. Vom Priestertum aller Gläubigen war da nicht mehr viel übrig geblieben. Einige wenige Gemeinden fingen bereits im 18. Jahrhundert an, ihre Prediger zu bezahlen, bekannt sind Hamburg und Krefeld. In der niederrheinischen Stadt ermöglichte es in den 1760er Jahren die Stiftung der Familie von der Leyen, das Ende der Laienprediger einzuläuten. Wopko Molenaar und Zino van Abbema waren die ersten ausgebildeten Prediger. In Hamburg gab es auch im Diakonenamt Veränderungen; ab 1728 wurde es nicht mehr auf Lebenszeit ausgeführt, sondern lediglich für eine Periode von sieben Jahren, allerdings mit der Möglichkeit der Wiederwahl. Ab 1723 verfügte Hamburg zudem über eine gemeindeeigene Schule. Die Mennonitengemeinden waren also im 18. Jahrhundert nicht nur geografisch voneinander entfernt, sondern auch strukturell. Selbst auf einem engeren regionalen Raum wie in Westpreußen, wo verschiedene Gemeinderichtungen nebeneinander existierten, gab es zwischen den einzelnen Gemeinderichtungen bis ins späte 18. Jahrhundert nicht viele Kontakte. Heinrich Donner erwähnt in seiner Chronik, dass 1798 das erste Mal ein flämischer Ältester, nämlich
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
Cornelius Warkentin, in der Gemeinde Orlofferfelde, die friesisch geprägt war, predigte. Taufen wurden meist durchgeführt, indem man das Haupt der Täuflinge mit Wasser übergoss. In Hamburg, und wohl auch kurzzeitig in Leeuwarden, wurde im späten 17. beziehungsweise frühen 18. Jahrhundert die Untertauchtaufe praktiziert. In Krefeld propagierten die Mennonitenprediger Jan Crous und Gosen Goyen in den 1720er Jahren, angeregt durch den Taufe Kontakt mit den Dompelaars, ebenfalls die Taufe durch Untertauchen. Gosen Goyen selbst tauchte 1724 im Rhein unter. Aufschlussreich von ihrer Argumentation her ist eine Taufpredigt, die Jan Crous 1716 in Krefeld hielt. Sowohl die Bibel als auch die Kirchengeschichte würden zeigen, dass die ersten Christen durch Untertauchen getauft hätten. Allerdings sei nicht nachweisbar, dass sie dies immer getan hätten. Vielmehr sei irgendwann auch das „Besprengen“ üblich gewesen. Daraus folgerte Crous, dass die äußere Form nicht wichtig und das „Wesen des Gottesdienstes“ sei, sondern lediglich ein Bild für etwas Größeres. Die Taufe wasche nicht die Sünden ab, weder durch Besprengen noch durch Untertauchen im Jordan. Ein Argument für das Besprengen war für Crous jedoch schlagend: Gerade in kalten Ländern könnte das Taufen durch Untertauchen dem Leib schädlich sein.5 Weitere Einblicke in das geistliche Leben der täuferischen Gemeinden liefern Konflikte, die aufbrachen, beispielsweise immer wieder über die Form des Gebets. So hatte in den Niederlanden der vom Calvinismus zum Täuferischen konvertierte Hans de Ries eingeführt, laut und nicht mehr leise zu beten. Zudem teilte er das Abendmahl von einem Tisch aus und Formen des Gebets reichte es nicht herum. Er sammelte die Kollekte öffentlich ein und sang Psalmen. All dies führte zu Diskussionen. In der Waterländer Gemeinde in Emden eskalierte in den 1690er Jahren ein Quellenarbeit 21 ähnlicher Konflikt über das Gebet. Der neu berufene Prediger Mindelt van der Stork war dazu übergegangen, sowohl das Gebet vor als auch jenes nach der Predigt laut zu verrichten; üblicherweise wurde vor der Predigt nur still gebetet. Eine Lösung des Konflikts konnte nicht gefunden werden, so dass sich die Gemeinde spaltete und jene Partei, die auf dem leisen Beten bestand, sinnigerweise die „Schweiger“ genannt wurde. Erst vierzig Jahre später wurde die Trennung überwunden.
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Ebd., S. 64-68.
6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
Bei den Hutterern gab es 1780 eine Debatte über die Häufigkeit von Versammlungen und deren Ablauf. Die Ältesten um Joseph Kuhr forschten daraufhin in den alten Schriften, um die traditionelle hutterische Praxis zu ergründen, und entschieden sich schließlich für das Zusammenkommen einmal am Tag. Zudem legten sie fest, dass diese Versammlung mit einer Vorrede, also einer kurzen Predigt, beginnen sollte; danach sollte gemeinsam gebetet werden, und mit einer Lesung und einem Lied sollte die Zusammenkunft beendet werden. Doch nicht immer konnte alles nach Plan verlaufen. So ist für einen Sonntag des Jahres 1734 überliefert, dass man in der Krefelder Gemeinde vergessen hatte, wer predigen sollte. Daraufhin fiel die Predigt aus, und erst am Nachmittag las Leonard Ewald Hebr. 12 vor. Ebenfalls in Krefeld führten die Prediger 1756, dem Vorbild der Reformierten und Lutheraner folgend, ein, dass sie die Gemeindeglieder vor dem Abendmahl besuchten. Die Gebrüder ter Meer kommentieren diese Neuerung in ihrem Tagebuch: „Doch dieser Eifer ist schnell verflogen und es ist bei diesem Anfang geblieben.“6 Diese „Umfrage“ genannte Praxis war jedoch in den süddeutschen Gemeinden noch länger üblich; die Prediger besuchten immer vor dem Abendmahl die Gemeindeglieder, um sich über den Zustand der Gemeinde und die jeweiligen Befindlichkeiten zu erkundigen. 6.1.3. Erscheinungsbild
In den meisten Beschreibungen der Täufer wird deren schlichte Kleidung hervorgehoben. Heinrich Ludolph Benthem schrieb 1698, besonders in Friesland und Groningen seien die Mennoniten „schlecht“ gekleidet, während Amsterdamer Taufgesinnte Perücken trugen und sich „im übrigen galant genug“ aufführten.7 Der Gesandtschaftssekretär Charles Ogier beschrieb die flamisch geprägten Mennoniten in Danzig 1636 als „stille, bescheidene, sehr geschickte Handwerker“ in einer „gediegenen, unauffälligen, meist dunklen Tracht“. Die Frauen verzichteten auf „Borten oder Zierrat an ihren Kleidern aus feinen gewählten Tuchsorten (Camelot und Turquie)“.8 Eine Gemeindeordnung der Hutterer, die nach der Ansiedlung in Wischenky gültig wurde, enthält die Aufforderung, zukünftig schwarze, möglichst einheitliche Kleidung zu tragen. Der Briefwechsel der südwestdeutschen Mennoniten mit Westpreußen überliefert 6 7 8
Tagebuch der Brüder Claes und Abraham ter Meer, S. 267. Benthem, Kirch- und Schulen-Staat, S. 835. Zit. nach: Schottmüller, Reiseeindrücke, S. 220.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
Bild 16: Täuferisches Paar aus dem Elsass (um 1800)
für das späte 18. Jahrhundert, dass man in der Kurpfalz versuchte, sich auch in der Kleidung nicht der Welt gleichzustellen. Im Kraichgau sei fast überall noch die Schweizer Tracht üblich. Von den Mennoniten in Rheinhessen heißt es dagegen in einem Bericht der hessischen Behörden aus dem frühen 19. Jahrhundert, sie seien von der „einfachen Sitte ihrer Väter abgewichen“, würden an Tanzveranstaltungen teilnehmen und sich nach der Mode kleiden.9 Zumindest für die Pfalz und die großen Städte ist wohl davon auszugehen, dass die Mennoniten sich im frühen 19. Jahrhundert von ihrem Erscheinungsbild her nicht mehr von ihren Nachbarn unterschieden. Erst jene Bewegung, die zur „alten Ordnung“ zurück wollte, legte wieder mehr Wert auf dezente Kleidung. 9
Christlicher Gemeinde-Kalender 44, 1935, S. 119; Fast, Gemeindeleben, S. 54.
6.1. Einblicke. Gemeindeleben und Gemeindeordnung
Doch Modefragen erwiesen sich stets als ein umkämpftes Feld – und in Westpreußen wurde im späten 18. Jahrhundert eine Perücke zum Katalysator für einen Richtungsstreit, in dem sich Traditionalisten und Neuerer gegenüberstanden. Es entsprach dem Schönheitsideal der Zeit, sich in der Öffentlichkeit mit Perücke zu zeigen, die zugleich ein Statussymbol war. Die Mennoniten blieben von dieser Mode nicht verschont, was jedoch in den Gemeinden Danzig und Markushof (Thiensdorf-Markushof ) zu einer heftigen Auseinandersetzung führte. Angestoßen wurde sie durch den Sohn und den Schwiegersohn des Danziger Bankiers Jan van Hoek, die nach einem Aufenthalt in Amsterdam in ihre Heimatgemeinden zurückgekehrt waren und nicht nur eine gute Ausbildung mit nach Hause brachten, sondern auch die neueste Mode, nämlich das Tragen von Perücken. Der Älteste der Gemeinde, Heinrich van Dühren, widersetzte sich diesem Trend und erkannte im gleichen Atemzug auch die Taufe der aus Holland Zurückgekehrten nicht an. Das Tragen der Perücken sei gegen die „alte gewohnte“ und eine „neuerung“, weshalb der Älteste die Perückenträger gleich auch noch vom Abendmahl ausschloss. Darüber hinaus sei es den Mennoniten geboten, so van Dühren, nicht aufzufallen – und dies sei mit Perücke nun mal nicht möglich. Es gäbe immer genug Leute, die „wünschen, dass wir aus dem Land wären“. Somit sei man nie gefeit vor Verleumdungen und müsste alles tun, um – auch äußerlich – möglichst unauffällig zu bleiben. Selbst die Fürsten und großen Herren im Land würden keine Perücken aufsetzen, obwohl sie alt seien und „fast keine haar auf dem haubte“ hätten – so ein weiteres Argument. „Ist dieses gezeugnüs gutt, dass haben wir uns ohne Perücken tragen bey unserer Obrigkeit (so zusagen feinde wegenst unser bekäntnus) verdienet, darumb wollen wir auch nichts verändern, dass wir nicht verlieren, was erworben ist.“10 Als die vom Abendmahl Ausgeschlossenen den Stadtrat von Danzig und den Bürgermeister einschalteten, um gegen die – in ihren Augen – unrechtmäßige Gemeindezucht vorzugehen, erreichte der Streit eine neue Dimension. Der Stadtrat entschied nämlich im Sinne der Perückenträger und stellte van Dühren unter Hausarrest. Die Auseinandersetzung verlagerte sich nun auf die Frage, ob Mennoniten bei gemeindeinternen Streitigkeiten die politischen Obrigkeiten einbeziehen sollten. Die Gruppe um van Dühren argumentierte, man hätte „unter allen hohen Obrigkeiten“ stets die Freiheit gehabt, „unverhindert nach unser erkäntnus“ zu handeln, und diese Freiheit sei nun teilweise aufgegeben 10
Gemeentearchief Amsterdam Amsterdam, P. A. 1120, 1013, 2644.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
worden. Der Konflikt wurde letztendlich durch Vermittlung eines niederländischen Predigers, den beide Seiten akzeptierten, befriedet.
6.2.
Differenzen. Die Entstehung der Amischen
6.2.1. Die Spaltung
Eine Erneuerungsbewegung, die auf die Rückkehr zu „täuferischen“ Wurzeln und zum „engen Pfad“ der Vergangenheit abzielte, entstand im späten 17. Jahrhundert unter den Täufern in der Schweiz und im Elsass. Sie sorgte für eine Kontroverse und mündete schließlich in eine Spaltung, in deren Mittelpunkt Jakob Ammann stand, der der neuen Richtung später Jakob Ammann auch ihren Namen gab – die Amischen. Ammann war im reformierten Glauben aufgewachsen und hatte sich den Täufern in seiner Heimat Erlenbach im Simmental angeschlossen. Um 1693 ging er ins Elsass, nach Markirch, wo seine Ideen zur Reform der Täufer immer deutlicher hervortraten. Er forderte seine Glaubensgeschwister auf, sich konsequenter von der „Welt“ abzusondern, sich von protestantischen Kirchen fernzuhalten, das Abendmahl häufiger zu feiern und eine strengere Bannpraxis an den Tag zu legen. Doch der Ruf nach mehr Absonderung und Kirchenzucht traf nicht überall auf offene Ohren. 1693, bei einer Reise in die Schweiz, wo Ammann und seine Anhänger für ihre Reformagenda werben wollten, kam es zu Auseinandersetzungen. Unter Berufung auf das Bekenntnis von Dordrecht und dessen Art. 16 und 17 bannte Ammann eine Gruppe von Schweizer Täufern unter ihrem Ältesten Hans Reist, da diese seiner Auffassung nach nicht den rechten Weg verfolgten. Wahrscheinlich richtete sich Ammanns Mahnung, von überkonfessionellen Kontakten fernzubleiben, auch gegen die Bereitschaft der Schweizer Täufer, ihre Versammlungen für sogenannte „Halbtäufer“ zu öffnen. Darunter sind Reformierte zu verstehen, die den täuferischen Glauben attraktiv fanden und die täuferischen Versammlungen besuchten, sich jedoch nicht noch einmal taufen lassen wollten. Auf einen entsprechenden Zusammenhang weisen drei Forderungen, die Ammann in seinem Brief vom 22. November 1693 an die Ältesten in der Pfalz vorbrachte. Die Gebannten, also die Reist-Leute, seien zu meiden, die „Lügner“ aus der Gemeinde auszuschließen, und außerhalb des Wortes Gottes könne niemand selig werden – wobei es Ammann für sich in Anspruch nahm festzulegen, was das Wort Gottes besage.
6.2. Differenzen. Die Entstehung der Amischen
Bild 17: Täuferin aus der Schweiz (um 1820)
Auch wenn Ammann ein paar Jahre später noch einmal einen – erfolglosen – Versuch unternahm, eine Versöhnung mit der Gruppe um Hans Reist zu erreichen, war die Abspaltung besiegelt. Das Siedlungsgebiet der Amischen konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf das Elsass. Als sich dort 1712 die Lage verschärfte, da der französische König härtere Maßnahmen gegen die Täufer ergriff, versuchten die Amischen dennoch, im Elsass wohnen zu bleiben, übersiedelten jedoch in Gebiete, die nicht der französischen Herrschaft unterstanden, etwa die Grafschaft Salm oder die von Württemberg regierte Grafschaft Mömpelgard. Jakob Ammann selbst verstarb 1730 in Zellwiller im Elsass. 1710
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
taucht übrigens im Zusammenhang mit der Deportation der Schweizer die Bezeichnung „Ammanische Gemeinden“ auf. 6.2.2. Die Verbreitung der Amischen
In den 1730er Jahren gingen viele Amische dann nach Nordamerika. Zwischen 1736 und 1770 kamen ungefähr 500 Amische nach Pennsylvania und in einer zweiten Welle zwischen 1815 und 1860 noch einmal ca. 3000. 1766 Quellenarbeit 22 wanderte beispielsweise Nicholas Stoltzfus aus dem Raum Zweibrücken nach Pennsylvania aus; der Stammvater der heute sehr verzweigten amischen Familie Stoltzfus. Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Amischen in den USA sehr zerstreut; eine Siedlungsweise, die den Zusammenhalt erschwerte und für den Verlust von Gemeindegliedern verantwortlich war. Erst im 19. Jahrhundert formierte sich dann die „old order“-Gruppe der Amischen. Im Alten Reich verteilten sich die amischen Siedlungen und Höfe im 18. Jahrhundert auf verschiedene Regionen Hessens, beispielsweise rund um Marburg, auf nassauische Gebiete um St. Goarshausen und Idstein, auf die Gegend zwischen Koblenz und Neuwied, die Kurpfalz, das Siegerland sowie Zweibrücken und das Elsass. Ein besonderer Problemfall blieben die amischen Gemeinden in den Niederlanden, die nach den Auswanderungen von 1710 dort entstanden waren. Der Älteste Hans Nafziger aus Essingen bei Landau hielt sich mit anderen amischen Predigern mehrfach in Holland auf, um die Gemeinden unter die amische Ordnung der Taufe, der Dienerwahl und -bestätigung sowie der Eheschließung zu bringen. Doch diese Bemühungen blieben recht erfolglos, vielleicht weil die Amischen auch dort zu weit entfernt voneinander wohnten. Ende der 1780er Jahre heißt es, man hätte schon fünf Jahre kein Abendmahl mehr abgehalten, woraufhin Nafziger zu der Einschätzung kam, dass „die Schweitzer Gemeinden“ in Holland in der Gefahr stünden, zu „verfallen oder ab[zu]gehen“.11 Dass amische Gemeinden in Predigerverzeichnissen Aufnahme fanden, die niederländische Doopsgezinde im 18. Jahrhundert anfertigten, zeugt trotz aller inner-täuferischer Auseinandersetzungen von einem gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl. Und das Leben der Amischen blieb auch im Alten Reich nicht verschont von Veränderungen. Drei Ältestenversammlungen, 1752 in Steinselz sowie 1759 und 11
Zit. nach: Kuby, Johannes Nafziger, S. 107.
6.3. Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen
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1779 in Essingen, zeigen, wie die Normen nachjustiert wurden. Leben und Wandel sollten wieder demütiger werden und weniger hoffärtig sein. Ehen sollten nur unter Glaubensgeschwistern geschlossen und jeder sollte gemieden werden, der die Gemeinden verließ. Zudem lassen Versammlungen in die Ergebnisse der Versammlungen erspüren, wie die Ältesten Essingen die Kontrolle in den Gemeinden zu intensivieren versuchten. Sie sollten die Gemeinden visitieren und Unzulänglichkeiten melden, bei der Pacht von Land oder dem Bau von Gebäuden um Rat gefragt werden und gegenseitige Hilfe leisten, wenn eine Gemeinde gerade keinen Prediger hatte. Zudem sollte jeder, der Kritik an der Gemeinde übte, diese zuerst den Ältesten mitteilen. Äußerlichkeiten betrafen das Verbot, die Haare zu scheren und den Bart abzunehmen beziehungsweise Tabak zu rauchen oder zu schnupfen. Im wirtschaftlichen Bereich entwickelten sich die Amischen jedoch im Verlauf des 18. Jahrhunderts ebenso wie die Mennoniten zu Vorzeigelandwirten. Sie arbeiteten nach innovativen landwirtschaftlichen Methoden und stiegen dadurch zu gesuchten Untertanen auf.
6.3.
Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen
6.3.1. Geistliche Einflüsse durch Kollegianten und Quäker
Der Ruf nach Erneuerung kam nicht nur von Jakob Ammann und seinen Anhängern, sondern auch von jenen, die den geistlichen Aufbrüchen in den protestantischen Kirchen nahestanden. Schon im 17. Jahrhundert hatten die Doopsgezinden in den Niederlanden Kontakte zu spiritualistisch ausgerichteten Bewegungen. Sie brachten eine kulturelle OffenKontakte zu heit, die Bereitschaft zu überkonfessionellen Begegnungen und Kollegianten den Wunsch nach einer tieferen, manchmal mystisch geprägten Spiritualität. Wichtige Ideengeber waren einerseits frühaufklärerische Gelehrte wie Baruch de Spinoza, aber auch Remonstranten und Kollegianten. Ihr Einfluss auf Kreise der Doopsgezinde führte um 1650 in den sogenannten „Lammerenkrijgh“. Die Doopsgezinden in Amsterdam spalteten sich in die Lamisten, die ein freieres, offeneres und spiritualistisches Glaubensverständnis hatten, und in die Sonnisten, die dogmatisch enger waren und schriftlichen Bekenntnissen mehr Bedeutung beimaßen. Der Name „Lamisten“ war entstanden, weil die Kirche der Gemeinde neben der Brauerei „Zum Lamm“ lag; die Sonnisten nannten sich nach ihrem Versammlungshaus „Bei der Sonne“ („De Zon“). Aus-
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
löser der Konflikte waren Kontakte zu den Kollegianten, einer Erneuerungsbewegung innerhalb der Reformierten Kirche, die überkonfessionell orientiert war. Die Kollegianten lehnten unter anderem die Niederschrift von Bekenntnissen als Grundlage für den Glauben ab, da sie der Auffassung waren, die Bibel sei Maßstab genug. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand der Mennonit Galenus Abrahamsz de Haan, der enge Beziehungen zu den Kollegianten unterhielt und 1648 zum Prediger in der Amsterdamer Mennonitenkirche „Bij‘ t Lam“ berufen worden war. Die Diskussionen und Spaltungen in den Niederlanden fanden ihren Nachhall auch in der Hamburger Mennonitengemeinde, die sich unter ihrem Prediger Gerrit Roosen den Sonnisten anschloss. Dieser Schritt war seinerseits die Reaktion auf eine Erneuerungsbewegung, die unter dem Namen „Dompelaars“ (von nl. „dompelen“ = „untertauchen“) aus der Dompelaars Mennonitengemeinde Hamburg heraus entstanden war. Ihre Anhänger sahen die Taufe durch Untertauchen als die rechtmäßige an und maßen Abendmahl und Fußwaschung eine zentrale Bedeutung bei. Prediger der Dompelaars waren unter anderem der frühpietistische Separatist Christian Hoburg, der auch die Schriften Caspar von Schwenckfelds begeistert las, sowie Jakob Denner, der aus einer mennonitischen Familie stammte, jedoch bereits in der Dompelaar-Gemeinde aufgewachsen war. Die Gemeinde wurde zum Anziehungspunkt für Gläubige verschiedener Richtungen. Es ist überliefert, dass auch die Frau des königlich-dänischen Statthalters in Altona, Gräfin Benedikte Margarethe von Reventlow, an den Predigten Jakob Denners teilnahm. In der Gemeindepolitik Gerrit Roosens spielte nicht nur der Einfluss der Dompelaars eine Rolle, sondern auch die wachsende Aktivität der Quäker. Denn diese betrieben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine sehr intensive Mission, die besonders in den Mennonitengemeinden in der Pfalz, in Krefeld, aber eben auch in Hamburg für Unruhe Quäker sorgte. Es war wohl kein Zufall, dass die Quäker bevorzugt dort Gemeinden gründeten, wo bereits Mennoniten wohnten. Und es dürfte vom Wunsch nach Erneuerung zeugen, der unter den Mennoniten wach geworden war, dass die quäkerischen Aktivitäten bei Mennoniten auf Interesse stießen. Die Quellen berichten von einigen Konversionen. Um die quäkerischen Einflüsse abzuwehren, veröffentlichte Roosen eine Abhandlung gegen die Quäker, er formulierte ein Glaubensbekenntnis und verfasste einen Katechismus. Diese konfessionellen Schriften wurden in verschiedenen Gemeinden bis ins 19. Jahrhundert zur Glaubensunterweisung verwendet. Das bekannteste Werk von
6.3. Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen
Hintergrund Quäker Die Quäker gehen zurück auf George Fox und waren bis 1688 eine eher lose Bewegung unter dem Namen „Society of Friends“. Sie waren sehr missionarisch ausgerichtet und boten Frauen viele Aktionsmöglichkeiten, unter anderem durften diese predigen. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts gründeten quäkerische Missionare in einigen Orten und Städten des Alten Reichs Gemeinden, besonders gern im Umfeld mennonitischer Gemeinden, beispielsweise in Kriegsheim bei Worms, in Krefeld, in Friedrichstadt / Eider, in Danzig, Emden und Hamburg. Mennoniten zeigten sich offen für die quäkerische Spiritualität und konvertierten. Die Quäker predigten Erweckung und die Hinwendung zum „inneren Licht“ sowie die Wiedergeburt oder den „Day of visitation“. Zu den bekanntesten Quäkern gehört William Penn, der 1681 vom englischen König als Ausgleich für Schulden ein Stück Land westlich des Flusses Delaware erhalten hatte. Er warb Siedler für das neue, Pennsylvania genannte Land an und stattete sie mit weitreichenden Rechten aus, unter anderem Religionsfreiheit.
Gerrit Roosen ist der „Unschuld und Gegen-Bericht der Evangelischen Tauff-gesinnten Christen“ von 1702, mit dem der Hamburger Prediger auch ein Bekenntnis zum Namen „Evangelische Taufgesinnte“ ablegte. Es liegt in der Entwicklung der Hamburger Mennoniten begründet, dass Roosen mit seinen Schriften zugleich in die politische Landschaft hineinsprach. Er unterstützte dezidiert den Senat der Stadt, der zu jener Zeit gerade mit den Zünften in einen Konflikt geraten war. So äußerte sich Roosen nicht nur als „Mennonit“, sondern auch als Bürger, der den Rat der Stadt Hamburg seiner Loyalität versicherte. Umso wichtiger war es für ihn, sich von der quäkerischen Mission abzugrenzen, da die Gefahr bestand, dass die Mennoniten von außen mit den Quäkern in einen Topf geworfen wurden. Damit hätte sich der Wind der Tolerierung ganz schnell drehen können, wie das Beispiel der Pfalz zeigte. Dort waren die Mennoniten wegen der generellen Weigerung der Quäker, Geld als Ersatzleistung für die Befreiung vom Kriegs- und Waffendienst zu zahlen, in einen Konflikt mit den Obrigkeiten hineingezogen worden.
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6.3.2. Kontakte zu pietistischen Bewegungen
Der Wunsch nach Erneuerung erhielt dann Nahrung unter dem Einfluss des Pietismus. Mennoniten nahmen die Ideen von Erweckung, Bekehrung und verinnerlichter Frömmigkeit auf und verbreiteten diese unter den eigenen Glaubensgeschwistern. Dabei fiel die Bestandsaufnahme über den Zustand der Gemeinden meist vernichtend aus, wie ein Brief aus Kritik an Amsterdam aus dem Jahr 1759 an Mennoniten in der Pfalz zeigt: den eigenen „Die Finsternis ist groß und das Evangelium unbekannt; hier ist Gemeinden wohl keine Verfolgung wie bei Euch, aber wir haben auch niemand, der dazu gewürdigt werden kann; sie sind reich und vermögend und haben an keinem Ding Mangel; man spricht zu den Zuhörern als zu Gläubigen; niemand fühlt sein von Gott abgewendetes Herz, da ist kein Mangel; man hat keinen Heiland nötig, da man doch Tugend übt; die Seligkeit steht fest, ein rechter Zustand um die Gemeinde in den Tod zu stürzen.“ Ein paar Monate später schob man nach: „Und mein l. Br. der Zustand der Mennisten hierzulande und sonderlich in unserer Gemeinde ist gewiß so jämmerlich und arg als es bei Euch nicht sein kann. Denn sie tun manchmal eine ganze Predigt ohne den Namen des Heilandes darin zu nennen, leugnen die Erbsünde und lehren etliche sogar, der Heiland sei nur gestorben und habe gelitten um seine Lehre zu befestigen und predigen eine Sittenlehre, die nicht weiter geht als die heidnische und dabei man auch im Aeußerlichen der Welt ganz gleichförmig bleiben kann.“12 Harsche Kritik wurde vor allem an den Predigern geäußert, denen man vorwarf, ihren Gemeinden nur leere Tradition, nicht aber das nötige innere Feuer zu vermitteln. Der Pfälzer Mennonit Peter Weber hielt 1761 fest, die Kinder würden in einer großen Unwissenheit aufwachsen, was die Glaubenslehre angeht, weil die Prediger nicht geeignet seien. Man erKritik an den wähle solche, die „so wohl zum Predigen sich schicken als ein Predigern Ochse zum Orgelschlagen“. Was sich noch dahinter verbarg, macht ein Zitat von Ulrich Schowalter vom Geisberg deutlich, der meinte, die Lehrer würden „noch meinen, es sei so gut, wann man das Wort nur so daher plaudert wie es in der Schrift steht“. Doch die Schrift „nur so auswendig herplaudern“ sei zu wenig.13 Eine Polemik, die das sehr traditionell gewordene und an moralischen Regeln orientierte Gemeindeleben aufgreift, aber auch deutlich 12 13
Zit. nach: Christlicher Gemeinde-Kalender 39, 1930, S. 69 f. Ebd., S. 72.
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Hintergrund Pietismus Der Pietismus ist eine Reformbewegung innerhalb der Protestantischen Kirchen, die das Priestertum aller Gläubigen betonte, ein intensives Bibelstudium forderte und Nachdruck auf ein authenthisches Leben nach christlichen Normen legte. Der Pietismus eröffnete Frauen viele Aktionsräume und förderte die allgemeine Bildung; beispielhaft steht das Engagement von August Hermann Francke, der in Glaucha und Halle / Saale Waisenhäuser und Schulen ins Leben rief. Als Programmschrift für den Pietismus wird Philipp Jakob Speners „Pia desideria“ (1675) gesehen. Auf sie gehen die „collegia pietatis“ zurück, kleine Konventikel, in denen die Gläubigen gemeinsam in der Bibel lasen und diese auslegten. Theologisch zielte der Pietismus auf die innerliche Erneuerung des Menschen durch Wiedergeburt. Der Pietismus umfasst ein sehr breites Spektrum an Bewegungen und Gemeinden. Wesentliche Akteure waren Spener, Francke und Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. In Gruppierungen des „Radikalen Pietismus“ dominierten manchmal apokalyptische Vorstellungen, und es kam zu ekstatischen Erscheinungen.
macht, dass die Wahl von Laienpredigern gewisse Standards, die erwartet wurden, nicht mehr garantieren konnte. Auch die Bemerkung von Pieter Verbeck aus Holland, der sich den Herrnhutern anschloss und rückblickend seine Zeit in der Glaubensunterweisung der Mennoniten beschrieb, geht in diese Richtung: „Nachdem ich mein Glaubensbekenntnis abgelegt, welches ich sehr umständlich auf 144 Seiten in Quart aufgesetzt hatte. Dieser Aufsatz bestand aus Lehrsätzen Lehrsätze ohne nach dem System, ohne daß das eigene Herz dabey interessiert Herz war. Von der Wahrheit: ‚Er hat sein Blut vergossen für mich armes Würmelein‘ war nichts darin zu finden.“14 Geistliche Nahrung suchte man nun außerhalb der eigenen Gemeinde, wobei das missionarische Anliegen, das dem Pietismus innewohnte, die „erweckten“ Mennoniten stets wieder zu ihren alten Glaubensgeschwistern zurückbrachte. Erweckungsversammlungen machten
14
Zit. nach: Kröger, Mennonitisches in Lebensläufen von Herrnhutern, S. 15.
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den traditionellen Gottesdiensten Konkurrenz, so dass Konflikte mit den Ältesten und Predigern vorprogrammiert waren. Der Blick, der über die Gemeinden hinausging, blieb hängen an der Frömmigkeit erweckter Kreise, insbesondere der sehr gemeinschaftlich ausgerichteten Herrnhuter Brüdergemeine. Es entwickelten sich zahlreiche Kontakte, beispielsweise zwischen Nikolaus von Zinzendorf und dem Amsterdamer Mennoniten Johannes Deknatel. Der ebenfalls aus Amsterdam stammende Mennonit Cornelis Schellinger stellte den Herrnhutern Geld zur Verfügung, um die Herrschaft Zeist zu kaufen, wo schließlich eine Herrnhuter Siedlung entstand. Schellinger schloss sich später selbst den Herrnhutern an, wie andere Mennoniten auch. Doch auch andere Konfessionen waren attraktiv. Als sich Jacob Gysbert und Hinrich van der Smissen, zwei wohlhabende Mennoniten aus Hamburg, in den Jahren 1766 bis 1768, ganz nach der Mode der Zeit, auf eine Kavalierstour durch verschiedene europäische Länder begaben, lernten sie Prediger mit baptistischem, presbyterianischem und methodistischem Hintergrund kennen. Besonders beeindruckt waren sie vom methodistischen Erweckungsprediger George Whitefield. Sie pflegten auf der Reise nicht nur den persönlichen Austausch mit den unterschiedlichen Gläubigen, sondern die Tagebücher der Reise überliefern auch Einblicke in Zeiten der innerlichen Erbauung, die man sich nahm. So schreibt Hinrich van der Smissen: „Diesen Tag hat mir der liebe Gott recht an meine Seele gesegnet, ich habe hier auf dem Lande in der Stille mich öfters mit meinem lieben Gott besprechen können, und so habe ich in der Einsamkeit ein recht inniges Vergnügen gehabt. Besonders bat ich den lieben Gott, Er möchte mir doch meine rechte herzliche Liebe zu meinem Erlöser geben, daß mir seine Ehre über alles am Herzen lege.“15 Ein wichtiger Protagonist in den mennonitisch-pietistischen Kontakten war Johannes Deknatel, geboren im ostfriesischen Norden, jedoch seit dem Studium am „Seminarie der Remonstranten“ in Amsterdam beheimatet. 1720 wurde Deknatel zum Prediger der Gemeinde „Bij’t Lam“ ernannt. Er unterhielt Korrespondenz mit den Herrhutern Nikolaus von ZinJohannes Deknatel zendorf, David Nitschmann, Friedrich Christoph Steinhofer und Leonhard Dober. Deknatel war, ebenso wie Zinzendorf, Anhänger der Philadelphischen Bewegung, die auf die englische Mystikerin des 17. Jahrhunderts Jane Leade zurückging. Die Philadelphische Bewegung sammelte über alle 15
Zit. nach: Rauert / Kümpers-Greve, Van der Smissen, S. 190.
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Hintergrund Die Herrnhuter Brüdergemeine Nikolaus Ludwig von Zinzendorf ist Begründer verschiedener Siedlungen der „Herrnhuter Brüdergemeine“. Er war Schüler August Hermann Franckes; ab 1722 nahm er auf seinen Gütern in der Oberlausitz aus den Böhmischen Ländern vertriebene Glaubensflüchtlinge auf. Dies war der Start für das Siedlungsprojekt in Herrnhut, in dem die Gläubigen gemeinschaftlich wohnten und arbeiteten, ihr Leben anhand von Gemeindeordnungen organisierten und ein sehr lebendiges geistliches Leben entwickelten. Die Herrnhuter betrieben eine sehr intensive Mission, die unter anderem zur Gründung von weiteren Brüdergemeinen führte: Herrnhaag in der Grafschaft Ysenburg-Büdingen (1738), Zeist in den Niederlanden (1745) und Christiansfeld in Dänemark (1773). Missionsreisen führten Herrnhuter zudem schon im 18. Jahrhundert bis nach Mittelamerika, Grönland, Südamerika und Südafrika.
konfessionellen Grenzen hinweg die wahrhaft Gläubigen und vereinte sie in „Bruderliebe“, auf der Basis von Offb. 3 und dem Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia. Seine diesbezüglichen Gedanken brachte Deknatel in den 1730er Jahren wie folgt zu Papier: „Ich habe Liebe gegen alle Menschen und glaube an eine allgemeine christliche Kirche. Dennoch muss ich bezeugen, daß ich mein taufgesinntes Volk auf dem Herzen trage und vor allem meine eigene Gemeinde, unter der ich von Jugend auf Glied und Lehrer gewesen bin und deren Seligkeit ich gleich meiner eigenen zu fördern trachte.“16 Die Kontakte zwischen Mennoniten und Herrnhutern fanden auf vielfältige Weise Ausdruck. Deknatel und Zinzendorf beispielsweise trafen sich regelmäßig, feierten zusammen Gottesdienst und Abendmahl. Zudem übersetzte Deknatel Herrnhuter Lieder ins Niederländische. Im Deknatel und ostfriesischen Norden bestanden ebenfalls Verbindungen zwiZinzendorf schen dem dortigen Mennonitenprediger Markus Arisz und den lokalen Herrnhutern; man dachte sogar an eine Vereinigung beider Gemeinden. Sowohl Johannes Deknatel als auch Markus Arisz waren darüber hinaus mit Herrnhuter Frauen verheiratet. Aus Danzig wiederum ist überliefert, dass durchreisende Herrnhuter regelmäßig Besuche in mennonitischen Haushalten 16
Mennonitisches Lexikon, Bd. 1, S. 399.
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machten. Ehemalige Mennoniten, die sich während ihres Aufenthalts in Holland den Herrnhutern angeschlossen hatten, brachten bei ihren Heimatbesuchen ebenfalls pietistische Ideen in ihre alten Gemeinden hinein. In der Pfalz liefen die Verbindungen über den Leinenweber Peter Weber. Er war ordinierter Prediger der Mennonitengemeinde Höningen und Mittelpunkt eines Netzwerks von Erweckten, das sich von Holland bis in den Kraichgau erstreckte. Webers Reisen führten ihn durch die pfälzischen und Zweibrücker Mennonitengemeinden, wo er ErbauungsversammPeter Weber lungen abhielt und Erweckung predigte. Auch Krefeld und Amsterdam standen auf seinem Reiseplan. Ein Überblick über die Protagonisten in Webers mennonitischem Umfeld ergibt ein breites Netzwerk. Es gehörten dazu Adam Krehbiel vom Weierhof, Jakob Hirschler vom Spitalhof, Johannes Remkes in Krefeld und Johannes Deknatel beziehungsweise dessen Sohn Jan in den Niederlanden. Mit dem Neuwieder Prediger Lorenz Friedenreich pflegte Peter Weber einen besonders intensiven Austausch. Die Beziehungen reichten zudem bis ins Kraichgau, wo Jörg Bechtel (Zuzenhausen) und Abraham Bechtel (Grombach), Jost Glücki aus Berwangen (bei Heilbronn) und Jost Krehbiel (ebenfalls Berwangen) zu den Erweckten gehörten. In Krefeld bestanden aus den Reihen der dortigen Mennoniten viele Kontakte zum Mülheimer Mystiker Gerhard Tersteegen, mit dem auch der Weierhöfer Prediger Adam Krehbiel korrespondierte. Für das Jahr 1751 ist ein Besuch Tersteegens in der Krefelder Mennonitenkirche überliefert, wo dieser auch predigte. Tersteegen berichtet später selbst, wie die Prediger aus Gerhard Tersteegen Krefeld zu ihm kamen und ihn baten, „einen Tag zu bestimmen, wann ich in der Kirche predigen wollte, denn sie wußten, daß ich nicht über Sonntag bleiben wollte. Dieses Ersuchen kam mir, wie Quellenarbeit 23 Ihr denken könnt, fremd vor; gleichviel resolvierte ich mich in Gottes Namen, es als einen Wink von seiner Hand anzunehmen.“ Als er schließlich in der Kirche ankam, war diese „gepfropft voll, von allerlei Religionen, doch meistens Reformierten und Mennoniten, und Gott gab mir zu reden über 2. Petrus 3, 11.“ Tersteegen berichtet, die Menschen seien „sehr gerührt“ gewesen, „einige so stark, daß es haften bleiben wird“.17 Auch der Spiritualist Ernst Christoph Hochmann von Hochenau predigte zwischen 1705 und 1718 mehrfach in der Krefelder Mennonitenkirche. Intensi17
Zit. nach: Cattepoel, Das religiöse Leben, S. 16 f.
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vere Kontakte ergaben sich zu jener Gruppe der Schwarzenauer Neutäufer, die sich nach ihrer Vertreibung aus der Grafschaft Marienborn kurzzeitig in Krefeld niederließen. Sie gewannen unter den Mennoniten einige Konvertiten und lösten die erwähnten Diskussionen über die Form der Taufe aus. 6.3.3. Auswirkungen der pietistischen Einflüsse unter den Mennoniten
Dass Johannes Deknatel seinen „Kleinen Menno“, eine Auswahl an Werken von Menno Simons, 1758 gerade mit folgendem Zitat aus dem „Klaren Bericht und Schriftanweisung über die Exkommunikation“ von 1550 eröffnete, dürfte kein Zufall sein: „Meine lieben Brüder und Schwestern in dem HErrn! Ich bitte euch / durch die blutige Wunden meines „Der kleine HERRN und Seligmachers JEsu Christi, daß ihr euch aus dem Menno“ Grund eurer Seelen hüten möget für allem Zanck und Zwitracht, und daß ihr meinen nützlichen Dienst mit liebreichem Herzen wollet empfangen. Dann aus reiner Christlicher Zuneigung und Liebe habe ich zu eurem Dienste geschrieben, recht als vor GOTT in Christo JESU.“ Die Begriffe, die Menno Simons in der kurzen Passage verwendete, trafen die Sprache, die sich im Pietismus entwickelte, sehr genau. Oft ist von den „blutigen Wunden“, vom seligmachenden Werk Jesu Christi oder vom „Heiland“ die Rede. Zudem finden sich viele Begriffsbildungen mit „Herz“, und die bereits aus der Mystik des späten Mittelalters bekannten Formulierungen „süßer“ und „bitterer Jesus“ tauchen nun ebenfalls wieder auf. Kennzeichnend für die Sprache des Pietismus ist zudem die Gefühlsbetontheit und eine gewisse Blumigkeit beziehungsweise Schwülstigkeit, was in dem von Deknatel gewählten Zitat ebenfalls erkennbar ist.
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Quelle Deknatel, Kurzer Auszug von Menno Simons Schrifften, Vorrede: „Es ist wahr, ich will niemand zu einem Menschen weisen, wer er auch sey, um an ihn zu glauben; sondern zu JEsu Christo allein, gleichwie Johannes thäte, da er zu seinen Jüngern sagte: Siehe, das ist GOttes Lamm, welches der Welt Sünde trägt! JEsus allein ist unser Meister und Patron. [ … ] Fürs übrige so muß die Wahrheit selbsten sich an denen Gewissen ofenbahren. Um Sentimenten, Begriffe und Meynungen zu pflanzen, ist es uns nicht zu thun; um diese wollte ich keine Feder ansetzen. Eben so wenig streite ich für die Orthodoxie, wiewohl es nothwendig ist um Rechtgläubig zu seyn. Was kan dieses alles helfen, wan das Herze nicht bekehret, und JEsus Christus nicht unser Leben wird? [ … ] Mein Zweck ist in diesem ganzen Wercke nichts anders, als die Beförderung der seligmachenden Gnade GOttes in unseren Herzen, durch den Glauben an JEsum.“18
Die Bücher von Johannes Deknatel, die Sammlungen von Herrnhuter Liedern sowie der Katechismus, den er ebenfalls verfasste, waren unter den Mennoniten sehr einflussreich und beispielsweise in der Pfalz und in Rheinhessen noch im 19. Jahrhundert in Gebrauch. Der Pietismus griff eine bereits im späten 17. Jahrhundert spürbare Distanz zu Riten und äußerlichen Glaubensformen auf. Beispielhaft sei ein Brief vom Juli 1761 zitiert, in dem ein Mennonit aus Monsheim schreibt, „seeliche Cermonnialische von menschen aufgerichtete“ Bräuche würden „keinen Christen machen“. Das „todte werck, Cermonischwesen“ sei Distanz zu Riten das, was die „Welt“ für ihren Christus halte. Schon 1666 hatte sich der Rotterdamer Prediger Bastiaan van Weenigem gegen eine Überhöhung von Riten ausgesprochen. Taufe, Fußwaschung und Abendmahl seien lediglich symbolische Riten und ihre Form sei deshalb weniger wichtig als die dahinterstehende Bedeutung. Diese Bräuche seien nicht wesentlich für die Errettung eines Menschen und deshalb seien sie auch nicht wert, dass man darüber streite.19 Unter dem Einfluss des Pietismus entstanden nun auch aus mennonitischer Feder Bekehrungsgeschichten. Sie folgten, wie viele dieser Erzählungen, bei18 19
Deknatel, Kurzer Auszug, Vorrede. Briefe Lorentz Friedenreich, Bd. 1 (Briefe 7. 6.-12. 7. 61).
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spielsweise der wohl bekanntesten, dem „Pilgrim’s Progress“ von John Bunyan, bestimmten Mustern. Bekehrung und Wiedergeburt wurden zu wichtigen Themen, wobei in der Forschung auch die Meinung vertreten Bekehrungsgewird, die Pietisten hätten den Begriff und das Konzept der schichten „Wiedergeburt“ eigentlich von den Täufern des 16. Jahrhunderts übernommen. Die Bekehrungsgeschichten der Mennoniten hatten meist ein „ante“ und ein „post“ und erzählten von Sünden- und Bußkämpfen, von Bekehrungen, denen jedoch wieder Zweifel an der Errettung folgten. Es sind wiederkehrende Elemente in diesen Geschichten – von der Suche des Menschen nach „Friede mit Gott“, vom Ringen um das Heil, manchmal befördert durch einen Engel, die Schau Gottes, Gebets- und Bußkämpfe oder die Flucht in die Einsamkeit und Stille. Typisch sind jedoch auch das Erschrecken über die eigene Sündhaftigkeit und das letztendliche Durchringen zur endgültigen Heilsgewissheit. Eine dieser Erzählungen stammte aus der Feder von Isaak van Dühren, einem 1725 geborenen Färber und Tuchmacher in Danzig.20 Er wurde 1775 zum Prediger gewählt. Seine Geschichte beginnt mit der Schilderung seiner Suche nach der Liebe Gottes. Unter einem Wallnussbaum sitzend überfiel ihn einmal ein heftiges Weinen, weil er erkannte, Gott gerne näher sein zu wollen, jedoch nicht wusste, wie er dies anstellen sollte. Doch Gott, so van Dühren, erhörte sein Gebet und schickte ihm einen Engel in der Person eines Gesellen, der sich als frommer, bekehrter Mann entpuppte. Er sei stets ein wenig anders gewesen als die anderen; man habe ihn für einen „Quäker und Pietisten“ gehalten. Dieser „Engel“ nun gab Isaak van Dühren den Rat, wie David dreimal täglich im Gebet niederzufallen und Gott um Gnade zu bitten. Gesagt – getan. Doch empfand Isaak van Dühren diese regelmäßigen Gebete bald als fromme Übung aus eigener Kraft, die letztendlich ins Leere führte und die Frage nach der eigenen Seligkeit nicht beantwortete. Isaak fand einfach keine Annäherung an Gott und der Friede im Herzen blieb aus. Entmutigt entsagte er dem Bußkampf und gab sich, wie er schreibt, dem „Trieb der Natur“ hin; er beging Sünden, die er vorher nicht für möglich gehalten hätte. Doch die Angst vor dem Tod – und was dann mit ihm passieren würde – ließ ihn ein Gebet vor Gott formulieren, in dem er seine eigene Hilflosigkeit eingestand und Hilfe von Gott erbat – „daß ich mit Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit Dein Eigenthum sein und nach allem Deinem Willen leben will“. Tat20 Mennonitische Blätter, 2, 1855, S. 5 f., 16.
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sächlich fühlte er neue Kraft in sich und erlebte eine Bekehrung. Doch wie viele Bekehrungsgeschichten ging auch Isaaks Geschichte noch weiter. Es traten bei ihm nämlich Zweifel auf, ob die Bekehrung ernsthaft gewesen und ob er wirklich Gottes Kind sei, ob Gott ihm gnädig sei und ob Gott ihm seine Sünden vergeben hätte, wie er schreibt. Es folgte ein Auf und Ab der Gewissheit, den Frieden mit Gott gefunden zu haben, und der Zweifel, ob der eigenen Sündhaftigkeit wirklich vor Gott gerecht zu sein. Isaak van Dühren kam schließlich zur Überzeugung, dass es sein Ziel sein müsste, das eigene Herz von der Welt abzusondern, es rein zu halten und aus dieser Erfahrung heraus den eigenen Glauben auch anderen zu bezeugen, andere „mit großer Inbrunst zur Bekehrung“ zu „reizen“. Die Einflüsse von pietistischer Seite sowie die Erbauungsversammlungen riefen innerhalb der mennonitischen Gemeinden nicht nur Freude hervor. Einerseits kam der Vorwurf von den Ältesten, dass die Erbauungsversammlungen ohne ihre Erlaubnis und ohne Anfrage bei den Obrigkeiten stattfinden würden. Hintergrund dieses Vorwurfs war die besondere DuldungssiKonflikte mit den tuation der Mennoniten, die ihnen beispielsweise in der Pfalz die Ältesten Ausübung ihres Kultes in streng regulierter Form erlaubte. Da bei den Versammlungen auch immer wieder neue Besucher anwesend waren, konnte dies als Proselytenmacherei ausgelegt werden, was den Mennoniten verboten war. Peter Weber musste deshalb 1774 sogar für kurze Zeit ins Gefängnis. Zum zweiten verstießen die Erbauungsversammlungen gegen die mennonitische Ordnung, denn die Erweckten predigten nicht nur in jenen Gemeinden, in denen sie ordiniert und zum Predigtdienst berufen worden waren, sondern auch in anderen Gemeinden – ohne Zustimmung der dortigen Ältesten. Peter Weber beispielsweise wurde vorgeworfen, eine „aparte“ Gemeindebildung voranzutreiben, also letztendlich von den übrigen Mennonitengemeinden abgesonderte Versammlungen ins Leben rufen zu wollen. Und zum Dritten scheinen die einzelnen Bekehrungsgeschichten manchmal etwas zu plakativ vorgebracht worden zu sein, und die Neubekehrten redeten lieber von Bekehrung, ohne mit dem Leben davon zu zeugen. Von Jan van Koomen aus Deventer ist die Bemerkung überliefert, dass zu viele behaupten würden, sie seien bekehrt und wiedergeboren, die nicht bereit waren, „to ‚renounce their own flesh, the world, nor their love of material things‘“.21 Für einige der pietistisch orientierten Doopsgezinden in den Niederlanden wurden in dieser Zeit die Amischen mit ihrer einfachen Lebensweise zum Vorbild. 21
Zit. nach: Visser, Some Unnoticed, S. 105.
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Die Konflikte über die erwecklichen Versammlungen eskalierten vor allem in der Pfalz, Vermittlungsversuche von Schweizer Seite misslangen. Die Ältesten verlangten von den Erweckten ein Bekenntnis zur „Ordnung“ der Mennoniten, was die Erweckten unter Verweis auf ihren Glauben verweigerten. Ein Brief von Jost Glücki vom August 1766 macht die Konfliktlinien sichtbar: „Wir sind schon etlichemal gefordert worden, vor die bestätigten Diener und Aeltesten und sind viel Worte gewechselt worden zwischen uns und ihnen und wir sind auch noch zu keiner Einigkeit kommen, denn sie wollen immer eine Bekenntnis von uns haben.“ Und weiter schreibt er: „Sie wollen von uns haben, wir sollen uns zu ihrer Ordnung bekennen und wir haben ihnen zur Antwort gegeben, wir bekennen uns zu Gottes Wort und damit wollen sie nicht zufrieden sein.“22 Peter Weber wurde 1758 verboten zu predigen, ebenso Adam Krehbiel vom Weierhof. Die Abendmahlsgemeinschaft wurde ihnen in verschiedenen Gemeiden aufgekündigt. Im Kraichgau wurden ebenfalls vier Prediger gebannt. 6.3.4. Schwarzenauer Neutäufer
In den Schwarzenauer Neutäufern kamen die täuferische und pietistische Tradition zusammen. Sie waren einerseits geprägt vom Spiritualisten Ernst Christoph Hochmann von Hochenau, der seine Lehre von der Glaubenstaufe aus den Schriften von Menno Simons gezogen hatte, sowie andererseits von Alexander Mack, einem aus dem Odenwälder Ort Schriesheim stammenden Müller. In Schriesheim versammelte sich um Hochmann und Mack ein pietistisches Konventikel, das auch über zahlreiche Kontakte zu Mennoniten in der Region verfügte. Als das Konventikel 1706 von den Obrigkeiten verboten wurde, fanden Hochmann und seine Leute Zuflucht beim Mennoniten Hans Bechtoldt. Zudem gehörten zu den frühen Neutäufern Andreas Boni aus Frenkendorf, südlich von Basel, der sich in seinem Verhör 1706 auch gegen den Eidschwur und das Tragen von Waffen ausgesprochen hatte, und der aus Württemberg stammende Johann Kipping. Dieser hatte sich 1706 geweigert, sein neugeborenes Kind taufen zu lassen, und verwies in seinem Verhör auf ein „alt widertäufferisches Buch“, das er im Haushalt eines Lehrers gefunden hätte. Es hätte ihn in seiner Überzeugung befestigt, dass die Kindertaufe nicht von Nutzen sei. Allerdings prägte auch ein
22 Brief an Peter Weber, 5. 8. 1766, in: MFSt, C.26., Nachlass Christian Neff, Karton 19, Ordner 138.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
apokalyptischer Zug die Gruppe; Boni und Hochmann erwarteten die baldige Wiederkunft Christi und den Anbruch des Tausendjährigen Reichs. 1708 begründeten Alexander Mack, Johann Konrad Dippel, Andreas Boni, Johann Kipping sowie weitere Anhänger die neutäuferische Richtung, indem sie sich in Schwarzenau bei Berleburg in der Eder tauften. Die Neutäufer konnten sich zunächst unter dem Schutz des Grafen von Ysenburg-Büdingen versammeln, wurden dann jedoch ausgewiesen und kamen für eine kurze Zeit nach Krefeld. Sie wanderten Anfang der 1720er Jahre nach Pennsylvania aus, wo sie als „Tunker“ bekannt wurden. 1728 kam es zu einem Bruch, als sich eine Gruppe um Conrad Beissel abspaltete, die den Sabbat feiern wollte und ein zölibatäres Leben favorisierte. Sie gründeten kurze Zeit später das Kloster Ephrata in Pennsylvania. Heute sind die Nachfahren der Schwarzenauer Neutäufer als „Church of the Brethren“ bekannt; mittlerweile gibt es die Kirche auch in Nigeria unter dem Namen „Ekklesiyar Yan’uwa“. Mit radikal-pietistischen Gruppen in der Grafschaft Ysenburg-Büdingen hing auch das 1702 anonym erschienene Buch „Güldene Aepffel in silbern Schalen“ zusammen, das wesentliche täuferische Schriften des 16. Jahrhunderts neu veröffentlichte. Unter anderem enthielt es Schriften von Michael Sattler, das Bekenntnis Thomas von Imbroichs sowie Glau„Güldene Aepffel bensbekenntnisse und weitere Briefe der frühen Täufer. Das Anin silbern Schalen“ liegen des Autors war die geistliche Neubelebung der eigenen Glaubensgeschwister, wie aus dem Vorwort hervorgeht. Die „Güldenen Aepffel“ enthalten viel Kritik an den Mennoniten der Zeit. Diese sollten nicht länger die „Hintersten im Hinaufzug des geistlichen Israel ins Land der Verheissung“ sein, sondern die „Fordersten“. Eine Gefahr, die der Autor offenkundig als sehr real wahrnahm, da er die Mennoniten als „lau, verdrossen, und dem Fleisch nach, fett und satt“ und der „Welt angewachsen“ bezeichnete. Die gelebte Nachfolge Christi und die über die Jahrhunderte erlittene Verfolgung, die sich in den publizierten Schriften widerspiegelte, sollten beispielgebend wirken und dazu ermutigen, nicht nur ein „Mund-Bekäntnuß“ abzugeben, sondern einen „in der Liebe würcksamen wahren Hertzens-Glauben“ zu leben, der von „rechtschaffener Nachfolge“ begleitet werde. Der Tenor des Vorworts zeigt den Autor als verankert in apokalyptisch geprägten Strömungen. Das „Thier“ und der „falsche Profete“ würden die „Heiligen GOttes“ ein letztes Mal bekämpfen, dann würde das „Blut des Lams“ den „herrlichen Sieg“ davontragen. Aufschlussreich ist aber auch das Bekenntnis zur konfessionsübergrei-
6.3. Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen
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fenden Gemeinschaft. Das Reich Christi sei „heut zu Tag“ nicht mehr auf eine Gemeinde festgelegt, sondern „unter allen Sprachen und Völckern“ zu finden. 6.3.5. Mennoniten, Hutterer und Herrnhuter
Unter der Prämisse, Gläubige in allen möglichen Gemeinden zu sammeln, gerieten auch die Hutterer ins Blickfeld von Herrnhutern und Mennoniten. Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts gab es Begegnungen zwischen Herrnhutern und Hutterern, nachdem ein Herrnhuter Bruder die Höfe in Oberungarn besucht hatte. Ein Brief, den Herrnhuter 1727 nach Oberungarn schrieben, wies die Hutterer auf das Anliegen der Brüdergemeine hin, nämlich die „unsichtbare Gemeine Jesu Christi im Geiste“ sammeln zu wollen.23 Allerdings stand dem im hutterischen Fall wohl die Bedeutung entgegen, die die Hutterer der Gütergemeinschaft beimaßen, denn diese konnte man in Herrnhut nicht teilen. Um das Jahr 1750 scheint Johannes Deknatel noch einmal einen Anlauf unternommen zu haben, um die Hutterer in das geistliche Netzwerk mit einzubeziehen, was jedoch ebenfalls nicht glückte, obwohl auch von hutterischer Seite das Interesse bestand, gleichgesinnte Glaubensgeschwister zu finden. So erkundigte sich der Älteste Hans Kleinsasser beispielsweise, ob die Brüdergemeine eine „rechte gemeinschafftliche kirchen“ sei oder nicht.24 Zeitweise dachte man sogar an einen Anschluss an die Herrnhuter, was sich jedoch nicht realisieren ließ. In den 1770er Jahren versuchte dann der Kreis um Peter Weber und Lorenz Friedenreich, Neuigkeiten über das Schicksal der Hutterer zu erlangen, denn man hatte gehört, die „ungarischen Brüder“ seien in Schwierigkeiten geraten. Von der Gemeinde in Sabatisch hieß es, alle Glieder seien zwangsweise zum katholischen Glauben konvertiert. Zudem war man neugierig, inwieweit Mennoniten und Hutterer in ihrer Lehre übereinstimmen würden. Um Näheres herauszufinden, bat Lorenz Friedenreich jeden Reisenden, der sich nach Oberungarn aufmachte, Erkundungen einzuziehen, was offenbar auch von Erfolg gekrönt war, denn Mennoniten und Hutterer stellten in den folgenden Jahren nähere Kontakte her. Die Gerüchte über die Hutterer waren nicht aus der Luft gegriffen, sondern die Gemeinde erlebte in dieser Phase tatsächlich Verfolgung in eine neuerliche Verfolgung durch eine Jesuitenmission in OberOberungarn 23 Müller, „Berührungen“, S. 213. 24 Archiv der Brüderunität Herrnhut, R 12. A.a Nr. 55, Brief vom 13. 6. 1774, S. 1 (eigene Paginierung).
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
ungarn, in Sabatisch und Vel’ké Leváre. Die Ältesten wurden zur Umerziehung in Klöster gesteckt, und wer konnte, floh Richtung Wischenky, wo die Gemeinde unter dem Schutz und der Tolerierung des Grafen Rumjanzew-Sadunaisky lebte. Hutterer aus Wischenky reisten mehrfach nach Oberungarn, um ihren Glaubensgeschwistern zu helfen. Doch einige der oberungarischen Hutterer flohen auch Richtung Norden zu den Mennoniten in Westpreußen. Deshalb entschieden sich die beiden hutterischen Brüder Joseph Müller und Christian Hofer auf einer Reise im Jahr 1783, einen Abstecher dorthin zu machen. Sie wollten nicht nur ihre Glaubensgeschwister treffen, sondern besuchten viele mennonitische Gemeinden, führten Gespräche über den Glauben und predigten in verschiedenen Gottesdiensten. Offenbar machten sie dabei gute Werbung für ihr gemeinschaftliches Leben, denn auf der Rückreise gingen auch einige Mennoniten mit den Hutterern nach Südrussland. Ein Jahr später kam aus Ellerwald die Nachricht, dass erneut Flüchtlinge aus Oberungarn angekommen seien, woraufhin sich Johannes Waldner und Jacob Walther auf den Weg Richtung Norden machten. Es gab erneut intensive Gespräche, wobei es große lehrmäßige Unstimmigkeiten in der Frage der Gemeinschaft gab. Die Hutterer verstanden diese als für Besuche bei Christen verpflichtende Gütergemeinschaft, während die MennoMennoniten niten meinten, „gemeinschaftlich leben“ sei auch dann umgesetzt, wenn man Bedürftigen helfe. In einem Brief, den Johannes Waldner, Joseph Müller und Joseph Kuhr 1785 an den Mennoniten Gerhard Wiebe sandten, werden die Gräben, die sich zwischen den Hutterern und den Mennoniten aufgetan hatten, noch einmal thematisiert. Und die Hutterer fuhren schwere rhetorische Geschütze auf: „Hoffart, Eigennutz wucher u. übernutz, kaufen u. verkaufen“ würden eine engere Gemeinschaft mit den Mennoniten verhindern – „gerechtigkeit“ könne keine Gemeinschaft mit „ungerechtigkeit“ haben, von der sich bei den Mennoniten viel finde. Diese stünden, so das Resümee der Hutterer, „nicht vollkommen“ in der „lehre Christi“ und außerdem in der Gefahr, letztendlich auch vor Gott nicht bestehen zu können. All diese Verdammungen hindern die drei Hutterer jedoch nicht daran zu betonen, dass „gar keine Feindschaft bey uns oder zwischen uns seyn“ soll, sondern man wolle mit „reitzung der liebe und gutten Werke bey euch anhalten“ und hoffen, die Mennoniten würden sich doch noch entschließen, „der volkommenheit nachzujagen“.25 25
Brief an Gerhard Wiebe, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 19, Ordner 138.
6.3. Interaktionen. Kontakte zu anderen Konfessionen
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Möglicherweise sind in diesen Brief auch die Erfahrungen eingeflossen, die die Hutterer mit jenen Mennoniten machten, die bei der ersten Reise mit nach Wischenky gezogen waren. Ihr Versuch, sich in das hutterische Leben einzufinden, scheiterte, wie das „Klein-Geschichtsbuch“ der Hutterer festhält. Sie hätten sich nicht in die Gemeinde „schicken“ können, hätten viel zu tadeln und große Probleme mit der Gütergemeinschaft gehabt.26 Wie die Mennoniten die Hutterer wahrgenommen haben, darauf deuten Bemerkungen von Gerhard Wiebe hin, die er 1786 an Lorenz Friedenreich in Neuwied schrieb. Joseph Müller habe zwar „erbaulich“ gepredigt, doch Johannes Waldner und Jacob Walther seien „etwas vertragsamer“ gewesen als Müller und Hofer. Man habe gut miteinander geredet, sei jedoch insbesondere über die Gütergemeinschaft uneins gewesen. Wiebe meinte, wenn diese aus Liebe praktiziert werde, sei es in Ordnung. Doch nicht, wenn die Liebe fehle. Wiebe merkte zudem an, dass die Hutterer in ihren Gemeinden nicht dulden, dass Handel getrieben werde, sondern lediglich Handwerker und Landwirte seien. Wiebe schließt, man sei „nicht völlig als Brüder“ auseinander gegangen, aber als „liebe Freunde“.27 In dieser Zeit kamen die Hutterer auch wieder in näheren Kontakt mit den Herrnhutern. Auf einer der Reisen nach Westpreußen hatten die Hutterer einen Halt in Gnadenfeld, einer Herrnhuter Siedlung in Oberschlesien, eingelegen müssen, weil Johannes Waldner krank wurde. Die sich daraufhin entwickelnde Korrespondenz zwischen Johannes Waldner und Kontakte zu dem Herrnhuter Bruder Johann Wiegand aus der Niederlassung Herrnhut in Sarepta, heute Wolgograd, war der intensivste aller Kontakte. Man sandte Briefe sowie Bücher und Gemeindeschriften hin und her, versuchte den jeweils anderen Glauben zu verstehen und diskutierte strittige Punkte, erwähnt werden die Taufe, das Abendmahl, die Wehrlosigkeit und das Eidschwören. In seinen Briefen hebt Johannes Waldner immer wieder seine Begeisterung für die Herrnhuter Schriften hervor. Die „Idea Fidei Fratrum“ von August Gottlieb Spangenberg habe er „mit völigen beyfall“ gelesen, schreibt er. Generell war er von einer „älteren und näheren Verwandtschaft“ mit der Brüderunität überzeugt, während er gleichzeitig einen Vergleich der Hutterer mit den Mennoniten zurückwies.28
26 Zieglschmid, Klein-Geschichtsbuch, S. 375. 27 Briefe Lorentz Friedenreich, Bd. 4, S. 45 (Brief vom 16. 2. 1786 an Lorenz Friedenreich). 28 Brief vom 6. 3. 1804, in: Authentische Nachricht, S. 147.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
Bild 18: Die von Adam Wiebe konstruierte Seilbahn in Danzig
Die brieflichen Begegnungen zwischen Johannes Waldner und Johann Wiegand zogen sich über mehrere Jahre hin, und es scheint, als ob sich Waldners Begeisterung für Herrnhut auch auf seine Sprache ausgewirkt hätte. Sein „Glaubensbekenntnis“, das er um 1797 schrieb, offenbart einen sehr pietistisch anmutenden Wortschatz. Er spricht von der „geängstigten und bekümmerten Seele“ und vom „gnadenvollen, holdseligen Heylande“.29 Die Seele, so Waldner weiter, könne ihren eigenen verlorenen Zustand vor Gott durch ein gläubiges und gehorsames Herz verlassen, von Neuem geboren werden und sich zu Gott bekehren. Johann Wiegands Einschätzung der Hutterer wiederum war wesentlich pessimistischer. Er beschrieb sie als eine sehr isolierte täuferische Gemeinschaft, die keinen Kontakt zu anderen Gläubigen unterhalte. Dies könnte sich für die Hutterer fatal auswirken, weil sie in der Gefahr stünden, in dieser isolierten Lage vom rechten Pfad abzukommen und unterzugehen. Ihre „Kraft“ und „Gemütsstimmung“ sei in der langen Verfolgungszeit verloren gegangen, so Wiegands Resümee. Nur Johannes Waldner könnte als sehr offen für Ratschläge der Herrnhuter bezeichnet werden; er wäre „wesentlich liberaler“ als seine Gemeinde.30 29 Archiv der Brüderunität Herrnhut, R 12. A.a Nr. 55, S. 10 f. 30 Ebd.; Einige Nachrichten, S. 15 (eigene Paginierung).
6.4. Erfolg. Das wirtschaftliche Leben von Mennoniten und Amischen
6.4.
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Erfolg. Das wirtschaftliche Leben von Mennoniten und Amischen
6.4.1. Der wirtschaftliche Aufstieg der Mennoniten
Die „Wiedertäufer“ würden in keinem Land häufiger anzutreffen sein als in den Niederlanden, so der lutherische Theologe Heinrich Ludolph Benthem 1698 in seinem „Holländischen Kirchen- und Schulstaat“. Auch er teilt darin die Überzeugung, man brauche sich nicht vor ihnen zu fürchten, denn sie hätten mit den Münsteraner Täufern nichts mehr gemeinsam. Vielmehr Quellenarbeit 24 schätze man sie und bezeichne sie wegen ihres großen Fleißes und ihrer Sparsamkeit auch als „Honig-Bienen der Republicken“. Man könne viel Gutes von ihnen lernen, nämlich Demut, Zufriedenheit, Mäßigkeit sowie „thätige Liebe gegen die Nothdürftigen“.31 Die Doopsgezinden in den Niederlanden waren seit dem späten 16. Jahrhundert wirtschaftlich immer erfolgreicher geworden. Die politische Situation hatte sich mit der Einsetzung Wilhelm von Oranjes als Statthalter und der Entstehung der Republik gebessert, der Handel in Amsterdam und anderen Städten florierte und der Frieden von Utrecht (1581) hatte religiöse Freiheit gebracht. 1602 wurde die Ostindien-Kompanie (VOC) gegründet – eine jener Handelsgesellschaften der Frühen Neuzeit, die weltweit operierten und durch die Ausgabe von Aktien finanziert wurden. Auch die Doopsgezinden steckten Kapital in die Gesellschaft. In Amsterdam, Haarlem und Leiden waren Doopsgezinde Besitzer von gut gehenden Leinen- und Seidenmühlen. In Friesland gehörten sie zu den führenden Salzhändlern und waren Produzenten von Fliesen und Dachziegeln. Im Alten Reich traten Mennoniten im Verlauf des 18. Jahrhunderts als erfolgreiche Unternehmer hervor: ebenfalls in der Seiden- und Leinenproduktion in Krefeld, als Reeder und Walfänger in Hamburg und als Bortenwirker und Branntweinbrenner in Danzig und Elbing. In Danzig waren Mennoniten auch im städtischen Bauwesen erfolgreich und hinterErfolgreiche ließen ihre Handschrift im Stadtbild. Auf Adam Wiebe geht eine Unternehmer Schwebeseilbahn zurück, die weltweit die erste gewesen sein dürfte. Sie führte 1644 auf die Vorstädtische Bastion, um Baumaterial zum Ausbau der Festungsanlagen zu transportieren. Wiebe erfüllte weitere Aufträge für die Stadt Danzig, beispielsweise verbesserte er das Wasserleitungssystem. Der Men31
Benthem, Kirch- und Schulen-Staat, S. 823, 834.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
nonit Peter Willer war ebenfalls als Baumeister tätig; von ihm stammen zudem Stiche von Gebäuden in Danzig sowie ein Stadtplan aus dem Jahr 1687. Wie ein roter Faden zieht sich seit der hutterischen Erfolgsgeschichte in Mähren die Attraktivität der Täufer als Untertanen durch, die Innovation und wirtschaftlichen Erfolg versprachen. Dies motivierte den siebenbürgischen Fürsten Gábor Bethlen, die Hutterer nach ihrer Vertreibung aus Mähren in seine Herrschaftsgebiete einzuladen. Und dies zeigt sich in der Geschichte Krefelds und Hamburgs beziehungsweise Altonas und endet mit den landwirtschaftlichen Erfolgen der Mennoniten und Amischen in der Pfalz, in Zweibrücken und in Bayern. Einige ihrer Höfe wurden zu Musterlandwirtschaften, wo man innovative landwirtschaftliche Methoden studieren konnte. In Hamburg gehörten die Mennoniten, unter anderem die Familien van der Smissen und Roosen, zu den führenden Unternehmern in der Grönlandfahrt und im Walfang; ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfügten sie über etwa ein Drittel bis die Hälfte der Walfangschiffe. In Krefeld war vermutlich 1610 mit der Famile op den Graeff die erste mennonitische Familie zugewandert, die im Tuch- und Leinenhandel tätig war. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts folgten weitere Mennoniten aus Gladbach und Rheydt, die dort bereits in der Seidenindustrie tätig gewesen waren. Im 18. Jahrhundert verdankte Krefeld dann seinen Aufstieg zur führenden Stadt in der Leinen- und Seidenindustrie diesen mennonitischen Familien. Hierzu gehörte die Firma Friedrich & Heinrich von der Leyen, die innerhalb der Stadtmauern die größte Manufaktur betrieb. Hinzu kamen die Firmen Cornelius & Johannes Floh und Gerhard Lingen & Co, in die auch Vertreter der Familie Beckerath einstiegen. Die Krefelder Mennoniten verfügten über gute Beziehungen zu den Doopsgezinden in den Niederlanden, wo beispielsweise über das Handelshaus von Jan Isaak de Neufville ein Großteil des Krefelder Leinens vertrieben wurde. Die Rohseide wiederum bezogen die Brüder von der Leyen ebenfalls vornehmlich von niederländischen Doopsgezinden. Immer wieder, so hat die Forschung betont, waren es die verwandtschaftlichen Netzwerke und der Gruppenzusammenhalt in den Gemeinden, die für eine effektive, ressourcenschonende und nachhaltige Produktion sorgten. Doch man machte sich gegenseitig auch Konkurrenz. In Krefeld Krefeld entwickelten sich innerhalb der Mennonitengemeinde einige Konflikte, die ihren Ausgang im wirtschaftlichen Wettkampf der führenden Firmen hatten. Sie zeigen, wie der wirtschaftliche Erfolg über gemeinsame Glaubensgrundlagen gestellt wurde. Das von der Leyen’sche Unvon der Leyen ternehmen dominierte den Markt bald derart, dass die mennoni-
6.4. Erfolg. Das wirtschaftliche Leben von Mennoniten und Amischen
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tischen Mitbewerber unter Druck gerieten. Streitigkeiten um Marktanteile, die Abwerbung von Arbeitern und die Produktionsbedingungen landeten regelmäßig bei den Behörden. Brisant an diesen Auseinandersetzungen waren nicht nur die Verbundenheit der Kontrahenten in einer Gemeinde, sondern auch die vielfältigen verwandtschaftlichen Verflechtungen, die zwischen den Firmen bestanden. In Neuwied stieg die Mennonitenfamilie Kinzing zu den führenden Produzenten von Uhren auf. Gemeinsam mit der von Herrnhutern geführten Firma Roentgen, die sich auf die Herstellung von kunstvollen Möbeln spezialisiert hatte, belieferte man viele adelige Haushalte mit Schreibtischen, Bodenstanduhren, Kabinettschränken und Spieluhren. Zu den Kinzing – Neuwied Kunden gehörten die russische Zarin Katharina II. und die französische Königin Marie-Antoinette. In Neustadt / Weinstraße betrieb auch Jakob Möllinger ein Uhrenhandwerk. Seine Uhren finden sich in verschiedenen Kirchen und Türmen, beispielsweise im Altpörtel in Speyer. Die wirtschaftliche Integration veränderte die Normen in Glaubensfragen. So waren Mischehen in Krefeld ab der Mitte des 18. Jahrhunderts üblich und auch die Einstellung zum Militärdienst änderte sich. Kulturell integrierte man sich und war Teil des gesellschaftlichen Lebens, was sich unter anderem in der Einstellung zum Tanzen, zu Musik und zu Festen sowie im äußeren Erscheinungsbild widerspiegelte. Der mit einer Krefelder Mennonitin verheiratete Engelbert vom Bruck schreibt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über die Veränderungen im Lebensstil: „Jünglinge, die die Welt von mehrern Seiten ansahen, wagten es, von der gewohnten Steifheit abzugehen, die Haare in runde Locken zu legen, Schuhschnallen zu tragen und blaue Röcke nach modischem Schnitte, aber Weste und Hose muste noch schwarz sein. Auch das junge Frauenzimmer wollte nicht mehr an die Modestie der Alten glauben. Die Mützen wurden Häubger, diese zierlicher und bandreicher, der Katun lebhafter und großblumichter, überhaupt die Kleidung netter. Nur der sonntägliche Anzug zur Kirche erhielt sich noch lange braun und schwarz.“32
32
Risler, Engelberg vom Bruck, S. 144.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
6.4.2. Landwirtschaftliche Musterhöfe
Im landwirtschaftlichen Bereich gelangten die ehemals verfolgten Täufer ebenfalls zu einigem Ansehen. David Möllinger, der Bruder des Neustädter Uhrenmachers, und Valentin Dahlem betrieben in Monsheim beziehungsweise bei Wiesbaden jeweils eine Musterlandwirtschaft, auf denen Neues ausprobiert wurde. Die Versuche halfen, die Viehzucht und die David Möllinger Düngemethoden zu verbessern. Die mennonitischen Landwirte setzten Klee und Esparsette als Futter ein und gingen dazu über, das Vieh auch im Sommer im Stall zu füttern. Dies brachte nicht nur in der Aufzucht und in der Mast bessere Ergebnisse, sondern führte auch dazu, dass die Jauche gezielter eingesetzt werden konnte. Der Dung wurde gesammelt, zur Gärung gebracht und schließlich auf die Felder ausgebracht. Darüber hinaus setzten die Mennoniten Kalk zum Düngen der Felder ein, was deren Fruchtbarkeit steigerte. Die Nutzung der natürlichen Wiesen wiederum verbesserten die täuferischen Landwirte durch eine gezielte Bewässerung. All diese Veränderungen machten die traditionelle Dreifelderwirtschaft überflüssig, bei der immer ein Feld brachlag. Zudem probierte man den Anbau neuer Pflanzen aus, etwa Flachs, Kartoffeln und Rüben. Die mennonitischen, aber auch die amischen Höfe, die vor allem im Raum Zweibrücken lagen, zeichneten sich darüber hinaus durch eine weitreichende Vernetzung der einzelnen Produktionszweige aus, die durch die verwandtschaftlichen beziehungsweise konfessionellen Beziehungen befördert wurde. Vom zweibrückischen Hof Monbijou ist beispielAmische in weise überliefert, dass der dortige Pächter Josef Stalter für seine Zweibrücken Branntweinherstellung Zwetschgen von anderen Mennoniten erhielt, diesen dafür Branntwein und Kalk zum Düngen überließ. Ein französischer Marquis schrieb über seinen Besuch auf dem Möllinger’schen Gut, dort greife wie in einem Uhrwerk „immer ein Rad ins andere“.33 Beispielsweise verwendete Möllinger die bei der Branntweinherstellung anfallende Schlempe als Futtermittel und zur Mast der Tiere. Er betrieb neben der Branntweinbrennerei eine Essigfabrik, in der die weniger brauchbaren Früchte verwendet werden konnten. Zudem braute Möllinger eigenes Bier, dessen Abfälle wiederum für die Viehmast genutzt wurden.
33
Zit. nach: Correll, Das schweizerische Täufermennonitentum, S. 126.
6.4. Erfolg. Das wirtschaftliche Leben von Mennoniten und Amischen
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In der Wirtschaftspublizistik des späten 18. Jahrhunderts wurden die Mennoniten und Amischen immer wieder als vorbildhaft dargestellt. Waren sie doch nicht nur innovativ, sondern auch Einwanderer, was für die kameralistische Wirtschaftspolitik ein weiteres Argument darstellte. Denn Ziel war es, dass alle Unternehmungen dem Fürsten und dem Aufbau seiTäufer und nes Territoriums dienen sollten; dazu gehörte auch die Ansiedlung Kameralismus neuer Untertanen. Diese war erwünscht, was auch Staatswissenschaftler, wie etwa Johann Heinrich Justi, festhielten. Ein Staat könne es sich gar nicht mehr leisten, Untertanen auswandern zu lassen, die wirtschaftlichen Gewinn versprachen. Die Vergrößerung der Bevölkerungszahl bedeute Wachstum. Auch der vom Pietismus beeinflusste Schriftsteller und Gelehrte Johann Heinrich Jung-Stilling beschäftigte sich sowohl in seinen biografischen als auch in seinen kameralistischen Schriften mit den Mennoniten. Jung-Stilling war als Professor für Kameralwirtschaft an der Hohen Schule in Lautern (Kaiserslautern) tätig, und so wurden die landwirtschaftlichen Leistungen der verschiedenen täuferischen Gemeinschaften für ihn im Rahmen dieser Anstellung zum Studienobjekt. Jung-Stilling wies 1778 auf den Nutzen hin, den ein Fürst aus der Verpachtung seiner Kameralgüter an landwirtschaftlich innovative Bauern ziehen konnte. „Davon“, so Jung-Stilling, „haben wir an den schweizerischen Mennoniten ein treffliches Beispiel. Diese Leute sind in der Schweiz – besonders in den Gebirgen – von jeher dazu abgerichtet worden, auch die allerödesten Gegenden zu benutzen und sich auf einem kleinen dürren Flecke zu nähren.“34 Der Ruf der Mennoniten, vorbildliche Landwirte zu sein, verbreitete sich auch in andere Regionen des Alten Reichs. Der preußische Reformer und Aufklärer Christian Wilhelm Dohm schrieb 1778, die Pfälzer Mennoniten seien die „vollkommensten Landbauern in Deutschland“. Sie würden schon seit „verschiedenen Generazionen“ Methoden anwenden, die in anderen Ländern erst noch untersucht oder nur theoretisch verhandelt würden.35 Und Johann Nepomuk Hubert von Schwerz pries in seinem 1816 erschienenen Werk über den „Ackerbau der Pfälzer“ die Errungenschaften der mennonitischen Landwirtschaft: „Der Strahl des Lichts war zu schimmernd, als daß man ihn nicht in der ganzen Pfalz wahrgenommen hätte. Es sollte eine allgemeine Umwälzung des Feldsystems daraus hervorgehen. […] Und dieses alles verdankt die Pfalz einem einzigen Manne, einem Mennonisten!“36 34 Jung-Stilling, Oeffentlicher Anschlag, S. 22 f. 35 Dohm, Einige Nachrichten, S. 101. 36 Schwerz, Beobachtungen über den Ackerbau, S. 176.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
6.5.
Politik. Glaubensprinzipien und Bürgerpflicht
6.5.1. Täufer, Politik und Obrigkeit
Die anfängliche Distanz der Täufer zur Politik und zur politischen Obrigkeit verlor sich mit der Zeit. Besonders in den Städten, wo die Mennoniten wirtschaftlich erfolgreich waren, wurde der Wunsch wach, auch die politischen Rahmenbedingungen mitzugestalten. Allerdings waren die rechtlichen Voraussetzungen überall unterschiedlich. Während in ElMennoniten in bing mit Jost van Kampen der erste Mennonit bereits 1585 das politischen Ämtern Bürgerrecht erhielt, waren die Mennoniten in Danzig den anderen Bürgern erst im Jahr 1800 gleichgestellt. Bereits für das frühe 17. Jahrhundert ist überliefert, dass Mennoniten in den Dörfern im Werder die Schulzen stellten – womit sie nun obrigkeitliche Ämter innehatten. In Krefeld bekamen die Mennoniten 1678 das Bürgerrecht zugesprochen, seit den 1760er Jahren gehörten regelmäßig Mennoniten den Deputierten, einem Gremium der Stadtverwaltung, an. Bereits 1711 hatte es in Friedrichstadt / Eider mit Niclas Ovens der erste Mennonit auf den Posten des Bürgermeisters geschafft. Er machte seine Wahl allerdings von der EidesBeziehungen zum und Waffenfreiheit abhängig. Besonders unter französischer Herrpreußischen schaft waren dann in Krefeld, aber auch in Rheinhessen Mennoniten im Bürgermeisteramt. David Möllinger aus Pfeddersheim bei Worms wurde 1795 Präsident des Kantons Pfeddersheim und David Kägy aus Offstein hatte den Posten des Bürger-Agenten inne. In den Niederlanden waren Doopsgezinde Abgeordnete im Parlament der Batavischen Republik, unter anderem Jacob Hendrik Floh. Für Krefeld ist eine besondere Nähe der dortigen Mennoniten, insbesondere der Familie von der Leyen, zum preußischen Königshaus überliefert. In der Mennonitenkirche wurden Bittgottesdienste abgehalten und beim Herrschaftsantritt Friedrichs II. sprachen Mennoniten das Treuegelöbnis mit. Sie bekräftigten dieses jedoch nicht durch das Erheben von zwei Fingern. 1755 zeichnete der preußische König Friedrich und Heinrich von der Leyen mit dem Titel „Kommerzienrat“ aus. Bereits der Vater von Friedrich II., Friedrich Wilhelm I., war 1738 mit seinen Söhnen bei einem Krefeldbesuch im Haus Friedrich von der Leyens zu Gast gewesen. Die westpreußischen Mennoniten sprachen 1772 das Treuegelöbnis im Rahmen der Huldigung auf Friedrich II., als die Gebiete nach der Polnischen Teilung an Preußen fielen.
6.5. Politik. Glaubensprinzipien und Bürgerpflicht
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Dass ein zu enges Verhältnis zu den politischen Stellen jedoch stets umstritten war, zeigt der „Perückenstreit“ (s. Kap. 6. 1. 3.). Und noch in den 1840er Jahren äußerte sich Unmut, als die Gemeinde Ibersheim ein Ansuchen stellte, dass der Staat das Predigergehalt bezahlen sollte. Aus anderen Gemeinden hieß es, damit würde die „goldene und mit vielem Blut besiegelte Freiheit der Mennoniten zu Grabe“ getragen.37 6.5.2. Wehrlosigkeit als Privileg
Als Privilegien die Duldung von Mennoniten absicherten, verlor die Wehrlosigkeit ihre Rolle als Prüfstein des Glaubens, denn gegenüber der Obrigkeit musste kein Mennonit sich mehr rechtfertigen. Die Privilegien sicherten den Mennoniten die Befreiung vom Wehrdienst, meist gegen Zahlung einer Geldsumme oder Stellung eines Ersatzmannes. Doch Wehrlosigkeit blieb eine Gewissensfrage, denn sie konnte umfassender gedacht werden. Bemerkenswert ist eine Definition Johannes Deknatels aus seinem 1746 verfassten Katechismus: „Dass die Mennonisten die Wehrlosigkeit oder das Nichtwiderstehen dem Bösen, für ein wesentliches Theil ihres Christenthums gehalten haben, ist nicht darum, daß sie wußten, daß die Rache nicht erlaubt ist (denn das bekennen alle Religionen und alle redlichen Menschen), sondern darum, weil das Leiden mit Christo zu der wahren Nachfolge Jesu gehört.“38 Wehrlos zu sein hieß, dem Bösen nicht zu widerstehen und Leidensbereitschaft zu zeigen, ging also bei Deknatel über die Weigerung eine Waffe zu tragen hinaus. Und der wirtschaftliche Erfolg brachte noch mal neue Entscheidungen mit sich. Ob Waren auf Schiffen transportiert werden sollten, die mit Kanonen ausgerüstet waren, beantworteten Mennoniten unterschiedlich. Für einige Kaufleute in Hamburg stellte es offenkundig kein Problem mehr dar, nicht nur mit Salpeter, einem Stoff zur Herstellung von Munition, Wehrhaftigkeit Geschäfte zu machen, sondern wohl auch direkt mit der Schießpulverproduktion. Auch in anderen Stadtgemeinden, in denen die Mennoniten durch ihre wirtschaftlichen Unternehmungen zur gehobenen Schicht gehörten, erfolgte ein Umdenken. Für Krefeld ist überliefert, dass ein Mennonit 1763 das erste Mal Waffen trug, allerdings in diesem Fall nur in einer Ehrengarde beim 37 38
Christlicher Gemeinde-Kalender 27, 1918, S. 108. Deknatel, Anleitung zum Christlichen Glauben, S. 111.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
Besuch Friedrichs II. Als Reaktion auf die in Preußen nach dem Herrschaftsantritt Friedrich Wilhelms II. erlassenen Regelungen der 1780er Jahre, wonach Mennoniten, die keinen Wehrdienst leisteten, ihren Besitz nicht erweitern durften, versicherten die Krefelder Mennoniten, Mitglieder ihrer Gemeinde würden freiwillig Kriegsdienste leisten und die Gemeinde würde diese dann nicht exkommunizieren. Und sie distanzierten sich auch von ihren westpreußischen und litauischen Glaubensgeschwistern, die sie als solche nicht unbedingt anerkannten: „ … was es nun aber mit den Ost=Westpreußischen und Lithauischen Mennoniten für ein Bewandtniß habe, ob dieselben zum Flor des Commerciums und überhaupt zur Cultur des Staates auch beytragen oder nicht, darin sind wir unkundig, wir stehen mit denselben in keiner kirchlichen Verbindung, gehen vielmehr in manchen Glaubenslehren von ihnen ab, und kennen sie übrigens nur dem Namen nach.“39 So offen manche mennonitische Kreise waren, umso mehr Mahnungen kamen aus anderen Kreisen, nicht zu sehr aufzufallen und sich still zu verhalten – wie unter anderem die Äußerung Heinrich van Dührens im Zusammenhang mit dem „Perückenstreit“ deutlich macht. Auch ein Brief aus Groningen forderte die Mennoniten auf, „so vorbildlich, still, und unterworffen“ zu leben, dass es der „Erkäntnus des Glaubens nicht nachtheilig“ sei und andere „dadurch gebeserth“ würden. Dazu würden das „besondere bekäntnuß als wehrlose Menonisten“ sowie das „algmeine Bekentnuß als Christen“ verpflichten. Die regierenden Obrigkeiten sollten durch dieses Verhalten angereizt werden, für noch mehr „christliche Freiheit“ zu sorgen. Sie sollten also sehen, dass es nicht gefährlich ist, anderskonfessionellen Untertanen Freiheit zu gewähren.40 An der Wende zum 19. Jahrhundert änderten sich die Rahmenbedingungen, als nicht nur Napoleon in den von Frankreich beherrschten Gebieten den Wehrdienst einführte, sondern auf der regionalen Ebene manchmal eine andere Politik betrieben wurde als in Privilegien festgeschrieben. Die Reaktion von mennonitischer Seite war vielfältig, wie ein Bericht Napoleonische Zeit des Ältesten der Gemeinde Orlofferfelde, Heinrich Donner, aus dem Jahr 1802 zeigt.
39 Zit. nach: Froese, Weltflucht, S. 109. 40 Briefe Lorentz Friedenreich, Bd. 2, S. 171 (Brief vom 28. 7. 1767).
6.5. Politik. Glaubensprinzipien und Bürgerpflicht
Quelle Auszug aus der Chronik von Heinrich Donner (1772-1804) „Elend ist der Zustand, weil die Aeltesten allesamt sich vereinigen, nur bloß, um natürl[iche] Freyheit das mehreste und um Religionsfreyheit nur so im Vorbeygehen zu wirken. Sie wollen nicht zustimmen, das wir dem Könige es deutl[ich] machen, das wir um die beyden Glaubensartikel des Eydes und der Rache [willen] nicht das Schwerd führen können. Sie wollen nur sagen: Das Kriegeswesen ist einem wesentl[ichen] Artikel unseres Glaubens entgegen. Ich habe besondre Gedanken von einigen Aeltesten darüber gehört, als: - Der eine sagt, wir müsten erst zu den beyden Artikel zur Erklärung aufgefordert werden. Als wenn die Declaration nicht schon Aufforderung wäre! - Der andere sagte, es würde das Ansehen haben, als wenn wir dem Könige lehren wollten. - Der dritte sagte, der Artikel von der Rache laut unserm Bekänntnis zu erklären, würde dem Könige anstösig seyn. - Der vierte sagte, es würde uns viele Gegensätze darinn gemacht werden. - Der fünfte sagte, wenn wir nur dabey würden bleiben können! So schämt man sich des Evangeliums Jesu, und ich belebe jetzt denselben Zustand, den ich in dem Streit mit der Taufe erlebt habe. Gott wolle sich erbarmen!“41
In den preußischen Gebieten an der Ostsee blieben die Mennoniten zwar vom Wehrdienst befreit, doch sollten sie 1813 zur Landwehr eingezogen werden, was sie durch eine Bittschrift an Friedrich Wilhelm III. und eine entsprechende Zusage vom König jedoch abwehren konnten. Stattdessen galt es, die Befreiung durch die Bezahlung von bestimmten Geldsummen zu kompensieren. In Ostfriesland, das 1813 an Preußen fiel, erreichten die Mennoniten nach einigen Verhandlungen mit den zuständigen Stellen, dass sie eine Summe von 15.000 Reichstalern zahlten. Ein Blick nach Westpreußen zeigt jedoch, wie schwierig es war, Zusagen, die in einem königlichen Privileg gemacht worden waren, auf der regionalen Ebene in Anspruch nehmen zu können und wie wenig sich die unteren Obrigkeiten in ihrer Not, Soldaten stellen zu müssen, um ein Privileg scherten. Dies wird nicht nur darin deutlich, dass Väter von wehrfähigen Mennoniten gefangen gesetzt wurden, wenn sie sich weigerten, ihre Söhne zur Musterung zu schicken, son41
Zit. nach: Kizik, Chronik Heinrich Donners, S. 53.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
dern auch in den Klagen in einigen Bezirken, dass man gar nicht die verlangte Zahl von Soldaten ausheben könnte, weil dort viele Mennoniten wohnten. 6.5.3. Aufklärung
Die Ideen der Aufklärung gingen an gesellschaftlich und politisch interessierten Mennoniten nicht vorbei. Es wuchs allmählich das Interesse an Bildung. Doopsgezinde gründeten bedeutende Lesegesellschaften, etwa die „Teylers Stichting“, die 1784 ein Museum für Kunst und Wissenschaft in Haarlem ins Leben rief. In Krefeld gehörten drei der neun Männer, die 1788 die erste Interesse an Freimaurerloge der Stadt, „Zur vollkommenen Gleichheit“, gründeBildung ten, zur Mennonitengemeinde. Volksaufklärerisch wirkten vor allem Mennoniten in Landgemeinden. So richtete Jakob Ellenberger in Friedelsheim bei Neustadt eine Leihbibliothek für seine Gemeinde ein. Er hatte im Pfarrhaus verschiedene Zeitschriften und Volksschriften, die er seiner Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung stellte. Damit lag er im Trend, denn auch in anderen Regionen waren an die Pfarrhäuser Leihbibliotheken angegliedert. In Krefeld fing Abraham ter Meer eine Leihbibliothek an, aus der dann eine Buchhandlung entstand. Allerdings blieb die Aufklärung unter den Mennoniten stark religiös verhaftet. Eine Predigt von Hiddo Wibius van der Ploeg aus dem Jahr 1794 gibt Einblick in ein aufgeklärtes Denken, das ein positives Verhältnis zur Gesellschaft und zum Staat hatte, jegliche Offenheit für national geprägte Freiheitsbewegungen jedoch ablehnte. Van der Ploeg stand als Prediger der Mennonitengemeinde Krefeld in der Tradition der Lammisten, die die Bibel über Bekenntnisse stellten, und kritisierte Glaubensregeln und Priesterzwang. Dagegen fand er ein positives Verhältnis zu den Pflichten eines Bürgers im Staat; jeder müsse seine Pflichten und Aufgaben erfüllen. Allerdings zeigte sich auch eine für die Mennoniten nicht untypische Distanz zu einem politischen Nationalismus, der ausgrenzt. Der christliche Glauben sollte nicht instrumentalisiert werden, um vaterländische Tugenden zu predigen, denn für Christen seien alle Menschen Brüder und die ganze Erde sei das Vaterland der Christen. Eine Predigt sollte auch nur dann politisch sein, wenn die Politik die „christliche Sittenlehre“ betrifft. Einige Jahre später nahm van der Ploegs Frömmigkeit erwecktere Züge an; dann äußerte er sich kritisch über die Volksaufklärung, die er als Ursache für mangelnde Frömmigkeit und Gottesfurcht ansah.42 42 Driedger, „Een Woord op zyn tyd“, S. 122, 135.
6.5. Politik. Glaubensprinzipien und Bürgerpflicht
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Für die meisten Mennonitengemeinden im Alten Reich wurde ab dem 18. Jahrhundert das Glaubensbekenntnis von Cornelis Ris, das 1766 auf Niederländisch erschien und 1776 ins Deutsche übersetzt wurde, zur Grundlage. Anklänge an pantheistische Ideen zeigt die Aussage, Gott könne durch die Natur erkannt werden, wobei Ris einschränkt, die tieBekenntnis von fere Offenbarung des Willens Gottes, seine Werke und seine VollCornelis Ris kommenheit seien nur in der Bibel zu finden. Diese übertreffe stets das Gesetz der Natur, widerspreche ihm aber auch nicht.43 Darüber hinaus schrieb Ris, das „Licht der Vernunft und des Gewissens“ sei im Menschen trotz des Sündenfalls „nicht ganz erloschen“. Zur „Natur eines vernünftig handelnden Wesens“ gehöre Freiheit. Allerdings schränkte Ris auch hier ein, dass die geistliche Freiheit nicht mit jener Freiheit verwechselt werden dürfte, die lediglich „gewöhnliche Regungen zum Guten“, von der Vernunft angestoßen, hervorbringe. Ohne „Gottes zuvorkommende Gnade“ könne das Gute nicht gesucht, erwählt oder ergriffen werden. Ris grenzt sich zudem von einer lediglich „geschichtlichen Kenntnis der Wahrheit“ ab, der man beipflichtet, ohne jedoch ein „tiefgreifendes Um- und Aufsehen“ auf Gott zu haben. Es brauche eine aufrichtige Besserung und Erneuerung des Lebens und die Erkenntnis der Sünde. Dann erst erfahre der Mensch durch die Bekehrung und die Wiedergeburt die wahre Rechtfertigung, die allein aus dem Glauben kommt. Interessante Aussagen trifft Ris auch zur Taufe und zum Amt in der Obrigkeit. Die Taufe ist für ihn, wenn sie „gottesfürchtig“ empfangen wird, ein geistliches „Heil- und Erhaltungsmittel“, das jedoch nicht durch das Wasser vermittelt wird, sondern allein durch den Heiligen Geist und durch den wahren Glauben. Ris erkennt die Wassertaufe durch Ein- oder Untertauchen ebenso an wie die Taufe durch Besprenkeln. Eine etwas unterschwellig spürbare Offenheit zeigt Ris in Bezug auf Ämter in der Obrigkeit. Er schreibt nämlich, dass es eine „überaus schwierige Sache“ sei, ein solches Amt „gläubig zu verwalten“. Doch, so Ris weiter, man sei froh, von obrigkeitlichen Ämtern „verschont“ zu bleiben, danke für den Schutz, den man durch die Obrigkeiten erfahre und nehme sich vor, „ruhig und still“ im Lande zu wohnen.44 Das Glaubensbekenntnis von Cornelis Ris fügt sich in eine Reihe von Glaubensbekenntnissen ein, die seit der Frühen Neuzeit aus der Feder von Mennoniten hervorgegangen sind. Allerdings war keines dieser Glaubensbekenntnisse 43 Diese Aussage und die folgenden in: Ris, Glaubenslehre, S. 3 f., 12 f. 44 Ris, Glaubenslehre, S. 48.
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6. Wendungen – Täuferisches Gemeindeleben zwischen Verfestigung und Erneuerung
verpflichtend für alle Mennoniten. Auch im Fall der Schrift von Ris meint Johannes van der Smissen 1856 in den „Mennonitischen Blättern“, es wäre in den Gemeinden „am meisten verbreitet und in Ansehen“, doch für alle gelte es eben nicht.45 Die Diskussion über ein gemeinsames Bekenntnis intensivierte sich dann im 20. Jahrhundert unter dem Druck des Nationalsozialismus. Immer wieder lassen sich in den Quellen Hinweise finden, dass Mennoniten auch die neuen Ideen der Theosophie rezipierten beziehungsweise neugierig prüften. So las man im Kreis um Peter Weber Werke von Emanuel Swedenborg, doch war man letztendlich nicht davon überzeugt. Ende des 18. Jahrhunderts hatte offenbar auch der Theosoph Johannes SchönKontakte zu herr Anhänger unter den Mennoniten Westpreußens, weshalb Theosophen man ihn zu einer Diskussion in Orlofferfelde einlud, bei der viele Älteste und Prediger anwesend waren. Sie dauerte von mittags bis zum darauffolgenden Morgen. Vor allem Schönherrs Begründung, mit seinen mystischen Ideen der „neuen Aufklärung und Freidenkerei entgegenwirken“ zu können und den Beweis anzutreten, dass die christliche Religion doch mit der menschlichen Vernunft harmonisiere, faszinierte viele der anwesenden Mennoniten. Ein Zuhörer stellte voller Bewunderung fest, wenn Jesus Christus jemals wiederkomme, müsse es dieser Mann sein. Das Aussehen Schönherrs schien diese Überzeugung zu befestigen. Er hatte nämlich lange blonde Haare und einen langen Bart, womit er offensichtlich ganz bewusst die Ähnlichkeit mit Jesus Christus betonte. Beides, so erklärte er, habe er sich wachsen lassen, weil Gott ihn so erschaffen habe und dies „die wahre Gestalt des Mannes sei“. Darüber hinaus sei er überzeugt davon, dass er sich mit dem Haareschneiden und der Bartschur „die Geisteskräfte und die höhere Weisheit abschneiden würde“. Nicht nur Johann Donner, der über die Begegnung berichtet, äußerte sich letztendlich kritisch über Schönherrs Ideen, weil dieser nicht an die Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart Gottes glaube. Auch andere Anwesende verließen die Debatte frühzeitig, weil sie das Gefühl hatten, nicht klüger geworden zu sein.46
45 Mennonitische Blätter 3, 1856, S. 79. 46 Christlicher Gemeinde-Kalender 41, 1932, 95 f.
Fragen zur Reflexion
Fragen zur Reflexion Wie sah das geistliche Leben in den täuferischen Gemeinden in der Frühen Neuzeit aus? Skizzieren Sie einige Charakteristika und Entwicklungen. Welche Auswirkungen hatten die überkonfessionellen Kontakte der verschiedenen täuferischen Akteure auf die Gemeinden? Haben menschliche Vergemeinschaftungen in regelmäßigen Abständen Erneuerung nötig? Begründen Sie Ihre Antwort.
Weiterführende Literatur Michael D. Driedger, Obedient Heretic. Mennonite Identities in Lutheran Hamburg and Altona during the confessional age, Aldershot et al. 2002. Andrew Fix, Mennonites and Rationalism in the seventeenth century, in: Alastair Hamilton / Sjouke Voolstra / Piet Visser (Hgg.), From martyr to muppy. A historical introduction to cultural assimilation processes of a religious minority in the Netherlands: the Mennonites, Amsterdam 1994, S. 159-174. Peter Kriedte, Taufgesinnte und großes Kapital. Die niederrheinisch-bergischen Mennoniten und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 223), Göttingen 2007. Astrid von Schlachta, Anabaptists and Pietists. Influences, Contacts, and Relations, in: Douglas H. Shantz (Hg.), A Companion to German Pietism, 1660-1800 (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 55), Leiden / Boston 2015, S. 116-138. Mary Sprunger, Waterlanders and the Dutch Golden Age: A case study on Mennonite involvement in seventeenth-century Dutch trade and industry as one of the earliest examples of socio-economic assimiliation, in: Alastair Hamilton / Sjouke Voolstra / Piet Visser (Hgg.), From martyr to muppy. A historical introduction to cultural assimilation processes of a religious minority in the Netherlands: the Mennonites, Amsterdam 1994, S. 133-148.
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7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
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Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
7.1.1. Meinungen
1830 forderte der ehemalige Großherzoglich hessische Landgerichts-Actuar Abraham Hunzinger aus Wimpfen, gebürtiger Mennonit, eine „zweckmäßige Reform“ und Veränderungsbereitschaft von den Mennoniten. All das, was vor 50 Jahren mal gut war, müsste vor dem Hintergrund der aktuellen Situation überprüft werden. Er ruft nach einer besseren Ausbildung Abraham sowie einer Anpassung an „Zeit, Lebensart und Sitten“. Ganz im Hunzinger Duktus früherer aufklärerischer Gedanken fordert er die „religiöse und sittliche Vervollkommnung der deutschen Mennoniten“ – Liebe, Wahrheit, Treue und Aufrichtigkeit. Gleichzeitig attestiert er seinen Glaubensgeschwistern, sich in einem „bedauernswürdigen“ Zustand zu befinden. „Gleichgültigkeit in der erhabenen, beseligenden Religion Jesu“ und „Schlaffheit im moralischen Leben“ lautet seine Diagnose. Hunzingers Schrift entfaltete ihre Wirkung innerhalb der Gemeinden. Johannes Risser in Sembach erhoffte sich von ihr eine Belebung, den „Wiederaufbau unserer Gemeinden, die dem Verfall allerdings sehr nahe sein dürften“, wie er im November 1830 schreibt.1 Das Subskribentenverzeichnis des Buches zeigt, dass auch viele Nicht-Mennoniten zur Leserschaft gehörten. 1858 stimmte Carl Harder, zu der Zeit Prediger in Neuwied, in den „Mennonitischen Blättern“ einen trüben Tonfall an, als er über die Zukunft seiner Glaubensgemeinschaft nachdachte. Zwar nähme diese in Russland und in der Pfalz noch zu, doch sei anderswo nur Niedergang zu beobachten. Allerdings begründet seine feste Überzeugung, das Wort Gottes könne nicht Carl Harder untergehen, die Hoffnung auf ein Fortbestehen der Mennoniten. Formen würden sich verändern, doch die Gemeinschaft an sich würde Bestand haben. Problem war jedoch, dass Gemeindeglieder, die entfernter wohnten, geistlich nicht gut versorgt waren und sich deshalb häufig einer anderen Kirche anschlossen. Harder forderte gut ausgebildete Prediger, Kirchenneubauten und Reiseprediger, damit jeder einen „gehörig schriftmäßigen Unterricht“ erhalte.2 1 2
Hunzinger, Schulwesen, S. 145, 148; Risser: Brief vom 22. 11. 1830, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 20, Ordner 145. Mennonitische Blätter 5, 1858, S. 60.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
1854 hatte auch Jakob Mannhardt in der ersten Nummer der „Mennonitischen Blätter“ die Hoffnung ausgesprochen, die nun regelmäßig erscheinende Publikation könnte als „Schwerdt“ des Geistes Gottes gegen „all das todte, faule, selbstgerechte Wesen“ und das „so ungläubige Christenthum unter uns“ wirken. Allen möglichen Vorwürfen, die neue Jakob Mannhardt Zeitschrift würde „dem Bekenntnis und der Verfassung unserer Kirchengemeinschaft zu nahe treten“ und „Aufregung, Unruhe und Streit“ hervorrufen, begegnet er mit dem Hinweis auf Matth. 10, 34: Streit sei gut gegen Lauheit im Glaubensleben, denn Jesus Christus sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert – was Mannhardt auf die rhetorische Auseinandersetzung bezogen wissen wollte.3 7.1.2. Entwicklungen
Die Distanz zu den althergebrachten Traditionen, die sich verringernde Absonderung und die zunehmende Integration in die Gesellschaft, die sich im 18. Jahrhundert abzeichneten, beschleunigten sich im 19. Jahrhundert. Äußerlich unterschieden Mennonitinnen und Mennoniten sich nicht mehr unbedingt von ihren Mitbürgern, die Reserviertheit gegenüber höherer Bildung Emanzipation verschwand und die Offenheit für Begegnungen mit der „Welt“ und anderen Konfessionen nahm zu. Mennoniten durchliefen einen der jüdischen Emanzipation vergleichbaren Prozess, der zu einer Neupositionierung gegenüber der eigenen Glaubensgemeinschaft führte. Wegbereiter dafür waren die in den Beziehungen zu pietistisch geprägten Kreisen gewachsene generelle Offenheit, das Interesse an Bildung, die Ideen der Aufklärung und die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Assimilation in den Städten. Diese Emanzipationsbewegung stieß jedoch auch auf Widerstand und sorgte für Diskussionen und Polarisierungen. Denn nicht alle Gemeinden gingen diesen Weg mit, so dass eine Gegenbewegung entstand, die nach der Wahrung von Tradition und „alter Ordnung“ rief. Das wachsende Interesse am Zeitgeschehen und an der eigenen Geschichte zeigte sich in einer zunehmenden Publikationstätigkeit. Mennonitische Autorinnen und Autoren reflektierten die Geschichte und die aktuelle Situation ihrer Gemeinden, etwa Abraham Hunzinger im „Religions-, Kirchen- und Schulwesen“ (1830), Berend Carl Roosen, der sich mit Publikationen der Geschichte der Mennoniten in Hamburg (1886) beschäftigte, 3
Mennonitische Blätter 1, 1854, S. 2.
7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
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Hintergrund Bürgertum im 19. Jahrhundert Das Bürgertum gewann im 19. Jahrhundert an Einfluss und Bedeutung, befördert durch die Urbanisierung. Seit dem 18. Jahrhundert war zudem der Aufstieg durch Bildung möglich geworden. Allerdings handelte es sich beim Bürgertum um eine sehr heterogene Gruppe, zu der unter anderem Unternehmer, Kaufleute, Bankiers und Verwaltungsbeamte gehörten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts versuchten die oberen Schichten, sich dem Adel anzunähern, indem sie einen entsprechenden Lebensstil entwickelten, und sich so nach unten hin abzugrenzen. Im Bürgertum war ein starker Wunsch nach Bildung und politischer Partizipation vorhanden; das Interesse richtete sich auch auf die Kultur und Wissenschaft.
sowie Antje Brons, die das Buch „Ursprung, Entwicklung und Schicksale der Taufgesinnten oder Mennoniten“ (1884) verfasste. Es stellt eine gewisse Ironie der Geschichte dar, dass es mit der Emder Mennonitin Antje Brons ausgerechnet eine Frau war, die aus den eigenen Reihen heraus die erste umfassende Geschichte der Täufer schrieb. In den Niederlanden waren in den 1870er Jahren historische Studien des Amsterdamer Mennonitenpredigers Jacob Gijsberg de Hoop Scheffer erschienen, und seit 1861 gab es die überhaupt erste historische Zeitschrift, die holländischen „Doopsgezinde Bijdragen“. Deutsche Zeitschriften, die über das Zeitgeschehen informierten und die Gemeinden vernetzten, waren nach 1854 die „Mennonitischen Blätter“ beziehungsweise nach 1870 das „Gemeindeblatt“. Zwei Jahre lang, 1847 und 1848, war zudem die von Carl Harder in Königsberg verantwortete „Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten“ auf dem Markt, die ab Juni 1848 „Mittheilungen aus dem religiösen Leben“ hieß. 1892 schließlich kam die erste Nummer des „Christlichen Gemeinde-Kalenders“ heraus. Die Zeitschriften steigerten die gegenseitige Wahrnehmung der Gemeinden und stimulierten die Diskussionskultur. Verankert war die Emanzipation im Bürgertum der Stadtgemeinden, das sich in den Familien Brons in Emden, Beckerath oder von der Leyen in Krefeld beziehungsweise Mannhardt in Friedrichstadt / Eider und Danzig widerspiegelte. Vertreter dieser Familien setzten auf Bildung und engagierten gelehrte lutherische Privatlehrer für ihre Söhne, die später ein Studium aufnahmen. Bürgertum in den Der Danziger Mennonitenprediger Jakob Mannhardt beispielsweise Städten war Sohn eines Lutheraners und einer Mennonitin. Er studierte in
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Bild 19: Krefelder Bürger im Karneval, darunter auch Mennoniten (1884)
Tübingen und Bonn, wurde 1836 Pastor in Danzig; sein Sohn Wilhelm gehörte zu den ersten promovierten Mennoniten. Jakobs Neffe, Hermann Gottlieb Mannhardt, ging einen ähnlichen Weg. Er widmete sich in Straßburg der Theologie und wurde schließlich ebenfalls zum Ältesten und Prediger der Danziger Mennonitengemeinde. Auch der aus Königsberg stammende Carl Harder war ein Vertreter des bürgerlichen Mennonitentums und mit seinen Vorträgen zu Themen der Zeit in der städtischen Gesellschaft präsent. In Neuwied übernahm er zudem den Unterricht für Prinzessin Elisabeth zu Wied, die spätere Königin von Rumänien, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva auch Karriere als Schriftstellerin und Dichterin machte. Aus diesen städtischen bürgerlichen Familien heraus entwickelten sich politische Karrieren. Isaak Brons war ab 1837 im Bürgervorsteherkollegium der Stadt Emden und, ebenso wie Hermann von Beckerath, 1848 im Paulskirchenparlament in Frankfurt sowie kurzzeitig auch Reichsfinanzminister. Brons und Beckerath waren Vertreter der Fraktion des rechten Politische Karrieren Zentrums und liberal eingestellt. Dass Isaak Brons 1848 im Ausschuss für die Marine saß und ab 1861 Präsident des Ostfriesischen Flottenvereins war, der die Gründung einer deutschen Flotte unter Führung Preußens vorantrieb, mag vor dem Hintergrund der mennonitischen Geschichte zunächst einmal absurd klingen. Es erklärt sich jedoch aus den speziellen regionalen Be-
7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
dürfnissen der Stadt Emden und Ostfrieslands, die Brons zu seinem Anliegen gemacht hatte. Auch Hermann von Beckerath betrieb 1848 den Aufbau der deutschen Flotte. Entwicklungen, die einiges Licht auf die Integrationsbereitschaft der Mennoniten, aber auch auf den Wandel in der Gesellschaft werfen. Auch im kulturellen Leben der Städte engagierten sich die führenden mennonitischen Familien. So hielt sich beispielsweise Johannes Brahms regelmäßig auf Einladung Rudolf von der Leyens in Krefeld auf. Von weiteren Mennoniten, etwa Alfred Molenaar oder Johannes Schmidt, heißt es ebenfalls, dass sie aktiv am Musikleben in Krefeld teilnahmen. All diese Entwicklungen brachten eine Neubewertung der eigenen Glaubensgrundlagen mit sich, wobei die Konsequenzen, die daraus gezogen wurden, sehr unterschiedlich ausfielen. Reflexionen über den geistlichen und moralischen Zustand der Mennoniten führten zum Ruf nach Erneuerung, zumal sich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen entscheidend veränderten. Quelle Abraham Hunzinger, Das Religions-, Kirchen- und Schulwesen der Mennoniten oder Taufgesinnten (1830) „Wenn wir nun, wie wir verpflichtet sind, mit Hrn. Ris, die Obrigkeit als eine göttliche Anordnung, und Gottes Dienerin erkennen; so müssen wir auch bei den unzweideutigen Ausdrücken der beiden Apostel und des Menno Simonis, die Bekleidung eines obrigkeitlichen Amtes, für christlich erlaubt halten. Denn es würde sehr sonderbar lauten, wenn wir ersteres zugeben, letzteres aber läugnen wollten. Keine Obrigkeit kann ohne Verwaltung, und keine Verwaltung ohne Person gedacht werden. Soll also ein obrigkeitliches Amt bestehen; so ist absolut Jemand erforderlich, der dasselbe verwaltet. Es ist mithin ein großer Widerspruch, wenn wir eine göttliche Verordnung zwar anerkennen und preisen; deren Vollzug aber für unchristlich halten wollten. Jesus lehrte zwar Liebe und Frieden und hatte die unverkennbare Absicht diese Haupt-Pfeiler des Christenthums überall zu begründen; und billig sollte jeder Christ diese göttliche Lehre befolgen. Da dieses aber leider! wie die Erfahrung lehrt, nicht überall der Fall ist, und nicht jeder sogenannte Christ so handelt, wie er handeln sollte und mithin alle Christen so betrachtet werden müssen, wie sie wirklich sind, und nicht, wie sie seyn sollten; so ist eine weltliche Obrigkeit auch unter den Christen höchst nöthig, und die Verwaltung derselben gewiß nicht unchristlich.“4 4
Hunzinger, Schulwesen S. 136.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
7.1.3. Die „Gleichheit aller“ als Herausforderung
Im frühen 19. Jahrhundert sahen sich die täuferischen Gemeinschaften mit einer politischen Landschaft konfrontiert, die sich von jener der Frühen Neuzeit unterschied. Die Ideen von der demokratischen Verfasstheit der Gesellschaft, der Gleichheit aller Menschen und der staatsbürgerlichen Rechte veränderten die rechtliche Stellung der Mennoniten. Die Privilegien, die einer Bevölkerungsgruppe in der Frühen Neuzeit spezielle Rechte zugestanden und von denen auch die täuferischen Gemeinden profitiert hatten, wurden abgelöst von Verfassungen, die allen Menschen gleiche Rechte versprachen – und somit die Privilegierung einer Gruppe ausschlossen. So hieß es beispielsweise in der ersten Verfassung für das Großherzogtum Baden von 1818, „die staatsbürgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht“. Und Art. 16 der Bundesakte von 1815 hielt fest, dass die „Verschiedenheit der christlichen Religionen“ in den Ländern des Deutschen Bundes „keinen Unterschied in der Wahrnehmung der bürgerlichen und politischen Rechte begründen“ dürfte. Die Mennoniten gerieten in eine Zwickmühle. Denn einerseits fand die Vorstellung, dass alle Menschen gleich seien, Zustimmung. Stimulierte sie doch das Gefühl, allmählich in einer Gesellschaft „anzukommen“, die eine konfessionelle Minderheit toleriert und akzeptiert. Dies beförderte den Prozess der Emanzipation von alten Gemeindestrukturen und den Wunsch, nicht mehr „anders“ sein zu wollen als die übrigen Staatsbürger. Doch der Wandel hatte seine Untiefen. Staatsbürgerschaft bot zwar Gleichheit und Schutz, bedeutete andererseits aber auch, Pflichten zu übernehmen. Dazu gehörte der Wehrdienst, der nun zum Prüfstein für die Mennoniten wurde. Zudem zeigte sich recht schnell, dass „gleich“ nicht „gleich“ heißen musste, denn die Umsetzung der Verfassungsbestimmungen war kein Automatismus. Dass auch Mennoniten eine „christliche Religionsgemeinschaft“ waren, bedurfte der Argumentation. Beispielhaft steht der Kampf der ostfriesischen Mennoniten für das aktive und passive Wahlrecht und für die Berechtigung, als Delegierte zu Ständeversammlungen entsandt zu werden. Zwar war den Mennoniten in Ostfriesland 1822 durch ein königliches Schreiben die Teilnahme an der städtischen Administration zugesagt worden, doch die Wahl in ständische Organe stand noch einmal auf einem anderen Blatt. Zumal Gutachten besagten, dass die Mennoniten sich nicht auf Art. 16 der Bundesakte beziehen könnten, weil sie als „Sekte“ und nicht als vom Staat anerkannte Religionsgemeinschaft anzusehen seien. Bereits 1827 war ein menno-
7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
Hintergrund Restauration Nach den Friedensschlüssen des Wiener Kongresses 1815 begann in den Territorien des Deutschen Bundes eine Phase der Restauration. Sie steht für den Versuch der Monarchen, den wachsenden Einfluss von liberalen und demokratischen Ideen auszubremsen, um ihre Herrschaft zu sichern. Zwar erließen die Herrscher Verfassungen, begrenzten jedoch den Handlungsspielraum der Parlamente, Landtage und Regierungen. Die Forschung spricht für diese Zeit auch vom „monarchischen Konstitutionalismus“.
nitischer Deputierter von der Ständeversammlung in Aurich wieder ausgeladen worden. Dem Emder Mennoniten Isaak Brons wurde 1838 und noch 1857 trotz der Entsendung durch die Stadt Emden in die Zweite Kammer der Hannoverschen Ständeversammlung die Bestätigung durch den König versagt. Der Kampf der ostfriesischen Mennoniten um die völlige Gleichstellung mit den anerkannten Konfessionen konnte bis zum Ersten Weltkrieg nicht entschieden werden, obwohl sich viele politisch kontroverse Punkte abschliffen. So unterstrichen die Vertreter der ostfriesischen Mennoniten unter anderem, Krieg sei unvermeidbar, solange der Mensch nicht einen idealen Punkt seiner sittlichen und bürgerlichen Ausrichtung erlangt habe. Einen Rückschlag mussten 1826 auch die Mennoniten in Krefeld hinnehmen, als die Regierung in Düsseldorf ihnen das passive Wahlrecht für die Ergänzungswahlen zum Handelsgericht entzog. Hintergrund war ihre Weigerung, einen Eid zu leisten, was auf eine ganz grundsätzliche Diskussion in der Gemeinde zurückging. Der neue Prediger Isaak Molenaar verfolgte einen konservativen Kurs und forderte die Ablehnung von Wehrdienst und Eidesleistung. Eine Mehrheit in der Gemeinde wollte jedoch ihre liberale Haltung nicht aufgeben und stand dem soldatischen Dienst weiterhin offen gegenüber. Erst nach einer Eingabe an den preußischen König wurde den Mennoniten zugestanden, den Eid in einer ihrem Glauben gemäßen Form zu leisten. Solche Ausnahmeregelungen setzten sich im 19. Jahrhundert in vielen Territorien durch. Anstelle des Eides durften Mennoniten ein Gelübde leisten, etwa mit den Worten „so wahr ich ein ehrlicher Mann bin“.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
7.1.4. Die Zersplitterung der mennonitischen Landschaft
Die mennonitischen Gemeinden waren traditionell sehr kongregationalistisch ausgerichtet und jede Gemeinde achtete darauf, ihre Eigenständigkeit zu behalten. Nichtsdestotrotz war im frühen 19. Jahrhundert ein im Vergleich mit den vorhergehenden Jahrhunderten verstärkter Wunsch zu spüren, untereinander mehr Kontakt zu haben. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, bessere Reisemöglichkeiten und eine schnellere Post verbesserten die Kenntnis voneinander und ließen auch das Gefühl von Gemeinsamkeit und Einheit wachsen. Dass man wenig voneinander wusste, verdeutlicht der Briefwechsel, den die westpreußischen Mennoniten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den Pfälzern geführt hatten. Die darin geäußerte Bemerkung, man habe bis dahin im „weit entfernten Preußenlande“ nur gelegentlich davon gehört, dass in der Kurpfalz, in Wittgenstein, im Elsass sowie an Pfälzischweiteren Orten Deutschlands „noch viele von unseren Glaubenswestpreußische genossen sollen wohnen“, beschreibt die Distanz. Es heißt weiter, Begegnungen ein durch Westpreußen reisender Mennonit aus dem Wittgensteiner Land habe über die entfernten Glaubensgeschwister berichtet, und eigentlich habe man sich schon längst mal eingehender erkundigen wollen, doch hätte man nicht gewusst, an welche Adresse man sich wenden sollte. Erst nachdem niederländische Mennoniten ein Verzeichnis mit den verschiedenen Gemeinden und ihren Predigern herausgegeben hatten, wurden die westpreußischen Gemeinden aktiv. Der Danziger Prediger Hans van Steen schlug dem Pfälzer Martin Möllinger vor, einen Briefwechsel zu beginnen und mindestens einmal im Jahr Informationen auszutauschen, was auch getan wurde. Voller Freude verfasste Möllinger ein Gedicht über die Glaubensgeschwister im Nordosten: „Sollt ich mich nicht herzlich freuen. / Ich bin alt und hör’ von Neuem, / Sieben Tausend und noch mehr / Halten fest an Christi Lehr.“5 Doch das „Festhalten an Christi Lehr“ konnte ganz unterschiedlich interpretiert werden. Pluralität war ein beständiges Kennzeichen der Mennoniten. In Westpreußen rieben sich die Stadtgemeinden theologisch-sozial mit den Landgemeinden. In Süddeutschland zeigte man Distanz zur Offenheit der norddeutschen Stadtgemeinden. Und im Kraichgau Pfälzisch-badische fürchtete man das Eindringen von „Lastern“ und „Sünden“ aus Distanz den pfälzischen Gemeinden, wie eine kurze Begebenheit rund um 5
Zit. nach: Christlicher Gemeinde-Kalender 44, 1935, S. 114.
7.1. Verschiedenheit. Vom Umgang mit einer neuen Zeit
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die „Ibersheimer Beschlüsse“ verdeutlichen soll. 1803 hatten sich Prediger der linksrheinischen Mennoniten im kleinen Ort nördlich von Worms getroffen, um über die Stoßrichtung der Gemeindepolitik zu beraten. Nach der Versammlung beschwerten sich die Kraichgauer Gemeinden, nicht eingeladen worden zu sein. In einem sich aus diesem Unmut heraus entwickelnden Briefwechsel trat auch zutage, dass die linksrheinischen Mennoniten den Kraichgauern vorwarfen, seit vielen Jahren „eine gänzliche Abneigung, die biß zur Kälte und Verachtung stieg, gegen uns bewiesen“ zu haben. Denn Letztere hätten ihre linksrheinischen Glaubensgeschwister darin kritisiert, „Laster und Sünden ohne Strafe“ geduldet und so auf die Gläubigen im Kraichgau ausgestrahlt zu haben, woraufhin diese „sehr widerspenstig“ geworden seien.6 Tatsächlich gestaltete sich das Gemeindeleben sehr unterschiedlich, was nicht in der Äußerung von Kritik endete, sondern zu immer lauteren Rufen nach mehr Vernetzung führte. Allein die Bedingungen für die Zulassung zum Abendmahl und die Normen, die der Kirchenzucht zugrunde gelegt wurden, differierten gehörig. Bei einer Versammlung des MissiRuf nach mehr onsvereins 1826 im rheinbayerischen Friedelsheim wurde kritisch Einheit angemerkt, dass eine fehlende gemeinsame normative Basis „Willkür und Leichtfertigkeit“ Tür und Tor öffne. Es bräuchte eine bessere Verbindung der Gemeinden, ein gemeinsames Band, damit überall nach den gleichen Grundsätzen verfahren werde. Bei der Predigerkonferenz 1830 auf dem Weierhof hieß es zum Status Quo in den Gemeinden, dass die Kirchenzucht unterschiedlich gehandhabt würde, weil jeder Prediger eine andere Auffassung darüber habe beziehungsweise sich über die Zeit die Vorstellungen geändert hätten, was geahndet werden sollte. Auch die übergemeindliche Kontrolle war ein Problem, denn es kam vor, dass jemand, der in einer Gemeinde vom Abendmahl ausgeschlossen worden war, einfach in eine andere Gemeinde wechselte. Die Versammlung 1830 beschloss, dass zukünftig nur am Abendmahl einer anderen Gemeinde teilnehmen dürfe, wer einen „Entlassungsschein“ oder ein Zeugnis des alten Vorstands vorweisen konnte. Jeder Schein sollte zudem von der Gemeinde gesiegelt sein, um Missbrauch zu vermeiden. Um mehr Einheit zu erreichen, schlug man verschiedene Wege ein. Einerseits setzte man auf gemeinsame Versammlungen. Andererseits versuchte man, den Gemeinden durch Formularbücher Liturgien und Gebete für verFormularbücher schiedene geistliche Handlungen zur Verfügung zu stellen. Dies 6
Schowalter, Ibersheimer Beschlüsse, S. 38.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
war einerseits eine Hilfestellung, andererseits wirkte es normierend auf das geistliche Leben. Darüber hinaus berief man Reiseprediger, die den Kontakt zu entfernter wohnenden Gläubigen herstellen sollten. Angespornt zu mehr Einheit wurden die Mennoniten auch von außen. Der Baptist Carl Christian Tauchnitz, der mit seinem Verlag in Leipzig viele mennonitische Bücher druckte und selbst immer wieder durch die mennonitischen Gemeinden reiste, schrieb 1835 an Philipp Glück in Wiesloch, er „halte es für wünschenswert, daß die sämtlichen Mennoniten-Gemeinden auf beiden Seiten des Rheins in nahe Verbindung treten, um sich dann und wann über ihr geistiges Wohl gemeinschaftlich zu beraten“.7 Die Baptisten begleiteten die mennonitischen Gemeinden in dieser Zeit generell sehr eng. In der Pfalz nahm man einen Vorschlag auf, einmal im Jahr eine Versammlung abzuhalten, zu der alle Gemeinden Delegierte entsenden sollten. Sie sollte zusammen mit der Missionsversammlung abgehalten werden. Eine erste Konferenz der pfälzischen und rheinhessischen Gemeinden fand 1824 auf dem Spitalhof statt, 1830 folgte eine weitere auf dem Weierhof. Man zurrte zwar einige Punkte fest, realisierte jedoch auch, dass nicht alle Gemeinden einen gemeinsamen Weg mitgehen wollten. Eine Gruppe um David Kägy und Johannes Galle aus den Gemeinden Offstein und Monzernheim sah die Zukunft der Gemeinden nicht im Aufbruch, sondern im Zurück zu alten Traditionen. Somit wurde das Zusammenwachsen zu einer langwierigen Angelegenheit. Noch 1861 beklagte der Sembacher Mennonitenprediger Johannes Risser anlässlich der „Mennofeier“, die an den 300. Todestag von Menno Simons erinnerte, dass es schon in der Pfalz, die durch eine relativ große räumliche Nähe der Gemeinden geprägt war, schwierig sei, mehr Einheit in „Leben und Wirken“ zu erreichen. Zwar würden Prediger und Vorsteher einen recht engen Kontakt untereinander pflegen, doch stünde der Wunsch einiger Gemeinden nach Eigenständigkeit einer übergeordneten Organisation entgegen.8 Und dann blieb noch die internationale Dimension, die jedoch durch das sich entwickelnde Zeitschriftenwesen immer besser überbrückt wurde. Im Eröffnungsartikel zur ersten Nummer der „Mennonitischen Blätter“ gab Jakob Mannhardt die Linie vor. Er wolle in den Spalt der Zersplitterung treten, um eine „nähere, engere Gemeinschaft“ zwischen den Gemeinden zu vermitteln und um das „Bewußtsein unserer Zusammengehörigkeit, unserer Gemein7 8
Mennonitische Blätter 84, 1937, S. 69. Mennonitische Blätter 8, 1861, S. 31.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
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schaft in einem Glaubens- und Lebensgrunde zu wecken oder zu beleben“. Tatsächlich ging seine Strategie insofern auf, als die Beiträge und Leserbriefe der zukünftigen Nummern den ideellen Austausch über alle Grenzen hinweg beförderten. So schrieb ein Mennonit mit Namen Ewert aus der Gemeinde Alexanderthal in Samara an der Wolga, einer 1859 neu gegründeten Siedlung der Mennoniten, man habe angefangen, die „Mennonitischen Blätter“ zu beziehen. Nun schätze man sich glücklich, sich so wieder mit allen anderen Glaubensgeschwistern „zwar nur schriftlich, aber doch auch im Geiste“ verbunden zu fühlen.9 Einen Schritt zu noch mehr Einheit ging man mit der Gründung regionaler Verbände und der reichsweiten „Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich“ im Jahr 1886. Allerdings war die „Vereinigung“ zunächst ein sehr loser Verband, der keine Gemeindeunion oder Kirchengemeinschaft im umfassenden Sinne darstellte. Ihr Ziel war es, bei „Vereinigung“ und der Ausbildung der Prediger, der Verbesserung des PublikationsKonferenzen wesens und der Versorgung der Prediger im Ruhestand beziehungsweise ihrer Witwen zusammenzuarbeiten. Ein paar Jahre später wurden weitere, regional ausgerichtete Bünde gegründet: 1886/87 die „Conferenz badisch-pfälzischer Mennoniten“, aus der der „Badisch-württembergisch-bayerische Gemeindeverband“ hervorging – eine Bezeichnung, die zwischen 1875 und 1888 eingeführt wurde. Gemeinsame Ältesten- und Predigerversammlungen hatten bereits seit den 1840er Jahren stattgefunden; seit 1866 gab es ein Protokollbuch dieser Versammlungen. In Westpreußen vereinigten sich 1859 die friesischen und flämischen Gemeinden.
7.2.
Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
7.2.1. Adjustierungen und Normbildung
Verbürgerlichte Mennonitenfamilien, die in der städtischen Gesellschaft präsent waren, am kulturellen Leben teilnahmen und für die Bildungsidee offen waren, stehen für den Blick über die eigenen mennonitischen Grenzen hinaus. Vorbereitet wurde diese Öffnung durch die Erweckungsbewegungen, die ein überkonfessionelles Miteinander und den Wunsch nach Bildung beförderten. Diese Entwicklungen blieben nicht auf die Stadtgemeinden begrenzt. Auch in 9
Mennonitische Blätter 14, 1867, S. 55.
248
7. Integration – Prozesse der Akkulturation
handwerklich oder agrarisch geprägten Gemeinden wie Ibersheim, Monsheim, Sembach oder Weierhof waren Öffnung und Abkehr von den Traditionen Programm. Diese kulturelle Integration blieb jedoch, wie erwähnt, nicht ohne eine Gegenreaktion, die sich die Rückkehr zu „alten Stukturen“ und zur „alten Ordnung“ auf die Fahnen schrieb. Sie steht für die Historisierung mennonitischer Konfessionalität. Der politisch-gesellschaftliche Wandel verstärkte eine generelle Wahrnehmung, dass Althergebrachtes wankte, die Ordnung in den Gemeinden „verfallen“ sei und „Unordnung und Laster“ einrissen. Die Reaktion war ein Zurück zur „alten Ordnung der Kirche“. Aus diesem Grund versammelten sich Prediger aller mennonitischen Gemeinden der linksrheini„Ibersheimer schen Gebiete 1803 in Ibersheim, diskutierten aktuelle Tendenzen Beschlüsse“ und legten Normen für das gemeindliche Leben fest. Einerseits wurde der Taufunterricht geregelt und die Heirat mit Anhängern anderer Konfessionen verboten. In der Frage der Wehrlosigkeit fuhr man ebenfalls einen sehr klaren Kurs. Das Gewehr zu tragen sei gegen die Lehre Jesu und das mennonitische Bekenntnis. Alle, die freiwillig in den Dienst als Soldat treten, sollten unter die Kirchenstrafe fallen, und man sollte keine geistliche Gemeinschaft mit ihnen haben. Andererseits ging es um die kulturellen Veränderungen. So wurde geregelt, dass der Bann strenger gehandhabt werden sollte – unter anderem bei „äußerlichen Lastern“ wie dem Besuch von Tanz und „Comedien“, also Theater und Singspielen. Karten-, Kegel- und Würfelspiele waren ebenfalls verpönt, und wer sich an entsprechenden Spielen beteiligte, sollte vom Abendmahl ausgeschlossen werden. Aber auch Fluchen und Schwören sollten verboten werden. Ein Artikel betraf den „übertriebenen Schmuck an dem Haupte der Weibs Persohnen“ sowie das Erscheinen von Frauen ohne Kopfbedeckung im Gottesdienst und beim Abendmahl, was „ausdrücklich untersagt und verbotten sein“ sollte.10 Die „Ibersheimer Beschlüsse“ zeigen den Versuch, auf Veränderungen der Zeit zu reagieren, indem man das Leben in den verschiedenen Gemeinden normierte. Die festgezurrten Normen legten die Basis für die konservative Reaktion, die dann in den 1830er Jahren besonders deutlich hervortrat. In Westpreußen beschloss 1805 eine Predigerversammlung ebenfalls, dass Tanzen, Trunkenheit oder „andere ausschweifende Laster“ bei wiederholtem Verstoß zum Gemeindeausschluss führen sollten. In den Häusern mennonitischer Gast10
Schowalter, Ibersheimer Beschlüsse, S. 35; Mennonitische Blätter 54, 1907, S. 52.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
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wirte sollte keine Musik gespielt werden. 1798 hatte die Hochzeitsfeier einer Tochter von Adam Funk aus Tiegenhagen diesbezüglich für Unmut gesorgt. Die mennonitischen und lutherischen Gäste hatten zum Violinespiel eines Sohns von Franz Penner getanzt, was eine Abbitte beim Ältesten nötig machte. 1805 trafen sich die Pfälzer Prediger erneut in Ibersheim und behandelten nun auch die Frage des obrigkeitlichen Amtes. Man hielt fest, dass es den „Brüdern des Vorstandes“ nicht mehr erlaubt sein sollte, ein „weltliches obrigkeitliches Amt“ zu übernehmen, da dies gegen die „Glaubens Gründe“ sei. Die Prediger beschlossen darüber hinaus, einen „allgemeinen Buß-Fast- und BätTag“ in allen Gemeinden links und rechts des Rheins einzuführen, als Fürbitte für ein Entgegenkommen der Regierungen in der Militärfrage. Einem Brief von Valentin Dahlem vom Oktober 1803 zufolge zeigten die „Ibersheimer Beschlüsse“ Wirkung. Er schrieb, man höre bereits von einigen Gemeinden, dass „die Tänzer murren, die Wohllüstlinge lachen“ und all jene, „welchen es ihre Laster verbietet und bestraft“, zeigen ihre „Unzufriedenheit“, dass sie „von ihrem sündlichen Leben ab und zu der wahren Gottseligkeit geführt werden sollen“. Allerdings legt die weitere Entwicklung in den Gemeinden nahe, dass die Freude Valentin Dahlems etwas verfrüht gewesen sein dürfte. Als sehr nachhaltig erwies sich die Wirkung der Beschlüsse von 1803 und 1805 auf lange Frist gesehen nicht, was vielleicht auch ein Zeichen der Zeit war. Ein späterer, recht diplomatischer Kommentar ist von Johannes Risser, dem Prediger der Mennoniten im pfälzischen Sembach, überliefert. Er meinte 1855: „Man mag die Frage, ob es heutzutage noch thunlich und fruchtbringend sei, die Durchführung so ernster, so tief in die Sitten eingreifender Beschlüsse zu verlangen, verschieden beantworten.“11 7.2.2. Zurück zur „alten Ordnung“
Eine besonders deutlich zu identifizierende konservative Bewegung, die die „alte Ordnung“ hochhalten wollte, formierte sich Ende der 1830er Jahre in der Pfalz und in Rheinhessen. Der Offsteiner Mennonit David Kägy und der Monzernheimer Johannes Galle sowie fünf Gemeinden, Konservative nämlich Obersülzen, Gerolsheim, Heppenheim a. d. Wiese, KühReaktion im börncheshof und teilweise Uffhofen, schrieben es sich auf die Südwesten 11
Schowalter, Ibersheimer Beschlüsse, S. 40, 430; Bemerkung von Johannes Risser in: Mennonitische Blätter 2, 1855, S. 38.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Fahnen, die Entwicklungen der Zeit aufzuhalten. Die Auseinandersetzung drehte sich um das richtige Bewahren des mennonitischen Erbes und den Umgang mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Galle, zu der Zeit schon ein älterer Mann von knapp 70 Jahren, sprach von den mit ihm verbündeten Gemeinden als den „noch rechtgesinnten Mennoniten-Gemeinden“ und beklagte die „falschen Propheten“, die unter den Gemeinden „umherschleichen“ und schon fast alle großen Gemeinden „unter sich gebracht“ hätten.12 Wen er damit meinte, soll gleich deutlich werden. Der andere Wortführer, David Kägy, war um 1800 eigentlich noch recht fortschrittlich unterwegs gewesen. Er hatte nicht nur 1795, in der französischen Zeit, das Amt eines Bürger-Agenten übernommen, sondern war auch gemeinsam mit seinen Verwandten, der Familie Möllinger, in der Landwirtschaft innovativ tätig gewesen. Auch pflegte er die Bekanntschaft David Kägy über seine mennonitischen Kreise hinaus. Offenbar huldigte David Kägy zudem der nationalen Bewegung. Dieser Offenheit in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht stehen seine späteren Vorstellungen einer mennonitischen Glaubenspraxis entgegen, die Vergangenes konservieren wollten. Möglicherweise traten sie auch erst gegen Ende seines Lebens besonders deutlich hervor. Jegliche Neuerungen lehnte Kägy nun Quellenarbeit 25 ab, unter anderem einen neuen Katechismus und ein neues Gesangbuch, und er beklagte den zunehmenden baptistischen und lutherischen Einfluss in den mennonitischen Gemeinden. Er griff also die Unkenrufe gegen die „umherschleichenden Propheten“ seines Gesinnungsgenossen Galle auf und erklärte den Erfolg der Baptisten und Lutheraner mit der geistlichen Lauheit der Mennoniten: Wenn man in den Gemeinden keine „energische geistliche Gegenwehr“ leiste, würden die baptistischen Prediger spüren, dass sie ein „leichtes Spiel“ haben.13 Die Konflikte eskalierten, als Überlegungen angestellt wurden, einen neuen Katechismus und ein neues Gesangbuch auf den Markt zu bringen. 1827 machte Johannes Risser den Vorschlag, das bisher verwendete „GOtt-geheiligte Harfen-Spiel der Kinder Zion“, das aus den Kreisen um Gerhard Tersteegen stammte, durch ein mennonitisches Gesangbuch zu Katechismus und ersetzen. Drei Jahre später präsentierte Leonhard Weydmann aus Gesangbuch
12 13
Mennonitische Blätter 54, 1907, S. 90. Mennonitische Blätter 40, 1893, S. 95.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
Hintergrund Nationalismus Die nationale Bewegung in Deutschland kann in verschiedene Phasen unterteilt werden. Man spricht beispielsweise von der Idee einer „Kulturnation“ und einer „Staatsnation“. Im frühen 19. Jahrhundert wurde die nationale Bewegung von liberalen und demokratischen Kreisen getragen, die auf mehr Partizipation aus waren und in Opposition zur Restauration, in der das monarchische Prinzip eine Renaissance erlebte, standen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Nationalismus aggressivere und radikalere Formen an und zielte auch zunehmend auf die Ausgrenzung ethnischer und religiöser Minderheiten. Im Deutschen Bund setzte sich letztendlich die vom protestantischen Preußen angeführte Partei durch, was 1871 zur Gründung des Deutschen Reichs führte. Das Konzept des Nationalismus geht von der Kongruenz von Staatsgebiet und Volk aus. Dem Volk werden bestimmte nationale Charaktereigenschaften zugeschrieben, die in die kollektive Identität einfließen. Nationen sind konstruierte Gebilde oder „imagined communities“, wie Benedict Anderson dies bezeichnet hat.
Monsheim ein Manuskript, das von einer übergemeindlichen Versammlung auf dem Weierhof im gleichen Jahr angenommen wurde. Auch der Katechismus sollte überarbeitet werden, um jenen von Johannes Deknatel und die „Catechismus-Lehre“ oder kurz die „35 Fragen“ von Gerrit Roosen abzulösen. Kritik kam von den Gemeinden um David Kägy und Johannes Galle, die bei einem Treffen im November 1835 in Offstein beschlossen, den neuen Katechismus nicht anzunehmen, da dieser sich vom Glauben der Vorfahren entferne. Sie bemängelten unter anderem, dass das Thema „Kirchenzucht“ fehlte und außerdem die Predigerwahl sowie Heiraten und Wehrlosigkeit anders geregelt seien als üblich. Es war eine äußerst polemische Diskussion, die sich entwickelte, wobei das rote Tuch in der Korrespondenz immer wieder die Gemeinde Weierhof war, von der viele Impulse zur Erneuerung ausgingen. So schrieb Johannes Galle, den „aufgeklärten Männern“ auf dem Weierhof gefalle die „reine Wahrheit“ des Glaubens wohl nicht. Einigkeit könne nur erreicht werden, wenn die Weierhöfer den neuen Katechimismus wegschmeißen. Der Weierhöfer Christian Krehbiel reagierte mit der spitzen Bemerkung, dies klinge so, als ob nur derjenige ein
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
„rechter und fester Mennonit“ sein könnte, der bei den „35 Fragen“ bleibe. Doch auch Leonhard Weydmann musste reichlich Kritik einstecken. Er habe, so Galle, alle Glaubensgrundlagen über Bord geworfen, die die Mennoniten noch von den „Evangelischen Glaubensgenossen“ unterschieden.14 1836 nahm eine Versammlung der Gemeinden Monsheim, Ibersheim, Friedelsheim, Sembach und Weierhof schließlich das neue Werk zur Glaubensvermittlung an. Galle und Kägy ließen dagegen den alten Katechismus von Johannes Deknatel noch mehrfach drucken und fanden auch dafür Abnehmer, unter anderem in der Schweiz. Auf Verständnis stieß man in Kreisen in Nordamerika, die sich ebenfalls aufmachten, die „old order“ hochzuhalten. Gegenüber seinem Korrespondenzpartner John Lapp in New York pries Galle die „rechtgesinnte“ Einstellung der Mennoniten in den USA, die auf den alten Pfaden wandeln und immer noch die Märtyrerlieder und -geschichten neu drucken lassen würden. In der Pfalz gäbe es nur noch vier Mennonitengemeinden, „wo man überzeugt ist daß noch Mennoniten sind.“15 Das neue Gesangbuch war ebenfalls in die Schusslinie geraten. Johannes Galle verurteilte es als völlig unzulänglich, da „alle Lieder von Kreuz und Trübsal und vom schmalen Weg“ weggelassen worden seien. Dabei entstand jedoch noch ein ganz genereller Streit, der über die „richtige Ordnung“ hinausging und die Nomenklatura aufgriff. Für den Titel des 1832 schließlich publizierten neuen Gesangbuchs wählte man das Wort „Taufgesinnte“. Für einige progressive Mennoniten schwang in diesem Begriff zu sehr das alte „Wiedertäufer“ mit. Deshalb erschienen schließlich zwei Versionen; eine verwendete das Wort „Taufgesinnte“ im Titel und die zweite Variante trug den Titel „evangelische Mennoniten-Gemeinden“. Ein Titel, der ebenfalls nicht unumstritten war, denn ob die Mennoniten „evangelisch“ seien, bedurfte auch erst noch der Diskussion. Die Neubauten verschiedener Kirchen sorgten ebenfalls für Debatten. Für Johannes Galle fügte sich der Wunsch nach dem Bau neuer Kirchen, wie beispielsweise 1836 in Ibersheim und im darauffolgenden Jahr auf dem Weierhof, in das immer stolzere und angepasstere Leben der Mennoniten ein, das jegliche Demut vermissen ließ. Die Weierhöfer, so komNeubau von mentierte er, hätten nun einen bezahlten Pastor und bräuchten Kirchen auch gleich noch eine neue große Kirche dazu, die zudem nur 14 15
Briefe vom 9. 4. 1835 und vom 29. 3. 1835, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 20, Ordner 145. Mennonitische Blätter 54, 1907, S. 90.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
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durch das Hinaufsteigen von 42 Treppenstufen zu erreichen sei. Er brachte den Bau der „neuen und prächtigen Kirchen“ in Analogie zur Klage im Buch des Propheten Hosea, in der es heißt, Israel habe seinen Schöpfer vergessen, als es anfing, einen Tempel zu bauen.16 Das „Bleiben in der alten Ordnung“ wurde im frühen 19. Jahrhundert für einige Mennoniten zum Schlagwort. Signifikanterweise bestimmte David Kägy in seinem Testament, dass ein bestimmter Betrag seines Vermögens an arme und bedürftige Mennoniten ausgezahlt werden sollte, wenn diese „in dem Glaubensbekenntnis“ und in der „kirchlichen Ordnung“ bleiben, die sich „heute vorfindet“.17 7.2.3. Vorstellungen von Erneuerung
Es waren also unterschiedliche Wege, mit denen die Gemeinden den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im 19. Jahrhundert begegnen wollten. Während einige meinten, ein Zurück zu den alten Traditionen würde die Gemeinde stärken, sahen andere wiederum in der Betonung äußerer Formen und Traditionen erst recht das Tor zum Untergang. So stellte Abraham Hunzinger 1830 fest, eine Erneuerung der Mennoniten dürfe nicht aus einer Buchstabentreue heraus geschehen, sondern aus dem Geist – so sei dies schon bei Menno Simons gewesen. Seine Lehre bestehe nicht aus gesetzlichen Vorschriften und sei nicht „alleinrichtig“, sondern ohne „Zwang und Ruthe“. Es komme nicht auf die äußere „Form“ des Glaubens an, sondern auf sein „Wesen“.18 Sehr entschieden wandte Hunzinger sich gegen die Praxis, jemanden wegen falscher Kleidung vom Abendmahl auszuschließen; dies wäre ein „durchaus falscher Schluß“, ja „sogar Sünde“. Beim Abendmahl käme es auf den „Zustand des innern Menschen und auf seine Selbstprüfung“ an, keineswegs jedoch auf seine Kleidung, „und es ist rein einerlei, ob, grün, Abraham weiß oder schwarz der Hut des Mennoniten sei.“ Niemand könne Hunzinger in das „Innere des Menschen“ schauen und „daher darf man sich auch nicht anmaßen, nur allein von der äußeren Bedeckung des Körpers auf den Zustand der Seele zu schließen. Denn der äußerliche Schein trügt oft, und
16 17 18
Ebd., S. 97. Christlicher Gemeinde-Kalender 34, 1925, S. 62. Hunzinger, Schulwesen, S. 150.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
der leinene Kittel kann eben so gut, wie der seidene Mantel den Schurken bedecken.“19 Auch der Königsberger Mennonit Carl Harder stimmte 1847 mit einem kurzen Aufsatz zum Thema „Fortschritt“ in die Diskussion ein. Er vertrat die Überzeugung, dass es der Wirkung des Geistes abträglich sei, an „alten Formen“ festzuhalten. Jede Zeit müsse sich ihre eigenen Formen schaffen. Zum „Fortschritt“, so Harder, gehöre zwar, zum Ursprung zurückCarl Harder zugehen; allerdings nicht zu den Formen, sondern zum Geist. Dies bedeute, den „morschen Grund“ fortzuräumen und Menschen von „allen todten Kenntnissen“ und „gedankenlosen Gebräuchen“ zu befreien. Fortschritt könne beim Menschen stets nur von innen nach außen geschehen. Er sprach sich zudem dafür aus, alte Hierarchien in den Gemeinden aufzubrechen, die Ältesten zu entmachten und dem Priestertum aller Gläubigen wieder mehr Gewicht zu geben. Alle Gemeindeglieder sollten gleiche Rechte haben. Der Vorstand habe lediglich eine dienende Funktion, und in Gemeindeangelegenheiten sollte er die gesamte Gemeinde zur Beratung hinzuziehen. Harder kritisierte, dass es auch in Mennonitengemeinden den „Sauerteig der Pharisäer“ und die „Herrschaft der Priester“ gäbe.20 Sehr traditionalistisch eingestellt waren über das gesamte 19. Jahrhundert die ländlichen Gemeinden in Westpreußen, während die städtischen Gemeinden in Danzig und Elbing oder auch im ostpreußischen Königsberg offener waren. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte von den westpreußischen Gemeinden lediglich Danzig einen angestellten und bezahlten Prediger. Wilhelm Mannhardt, ein Sohn von Jakob Mannhardt, attestierte den westpreußischen Gemeinden 1869, von einer „kastenartigen Absperrung“ gegenüber der Außenwelt geprägt gewesen zu sein und ängstlich und unreflektiert an überlieferten Verhaltensformen festgehalten zu haben.21 Zu dieser Charakterisierung der Gemeinden passt, dass Taufe und Abendmahl in Westpreußen Ende der 1850er Jahre als „heilige Stiftungen des Herrn“ und als „Sacramente“ bezeichnet wurden; das Abendmahl sah man zudem als „oft zu wiederholende Bestätigung des Taufbundes“. Offenbar hatte sich hier ein sehr rituell-sakramentarisches Verständnis von Taufe und Abendmahl durchgesetzt.
19 Ebd., S. 104. 20 Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten, Mai 1847, S. 10-14. 21 Mennonitische Blätter 16, 1869, S. 38.
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Bild 20: Carl Harder
Dass die sehr ritualisierten und traditionell ausgerichteten Landgemeinden mit den Stadtgemeinden in Konflikt gerieten, scheint auf der Hand zu liegen. In einem dieser Konflikte, der die Bruchlinien deutlich zum Vorschein treten ließ, stand Carl Harder im Mittelpunkt. Besonders intensiv bekam die Gemeinde Elbing die Veränderungen der Zeit zu spüren, da diese Konflikte in Elbinggeteilt war in eine Gemeinde Elbing-Stadt und eine ländlich geEllerwald prägte Gemeinde Elbing-Ellerwald, ein paar Kilometer westlich von Elbing. Beide Gemeinden waren vereint und unterstanden einem Ältesten, waren aber von ihrer Ausrichtung her sehr unterschiedlich. In Elbing-Stadt, wo die Mennoniten sich bis zum Jahr 1900 in der bereits 1590 erbauten Kirche in der Wihelmstraße versammelten, ließen sich im frühen 19. Jahrhundert Verbote wie jenes, nicht am Tanz oder anderen Vergnügungen teilzunehmen und kein Theater zu besuchen, nicht durchhalten, während Ellerwald moralisch eine andere Messlatte anlegte. Auch hinsichtlich des Militärdienstes und der Teilnahme an militärischen Festen bestanden unterschiedliche Auffassungen. Problem für Elbing war zudem der Umstand, dass auf dem Land ungefähr drei mal so viele Gemeindeglieder wohnten wie in der Stadt. Bei Debatten in der Gemeinde hatte somit die Landbevölkerung mehr Stimmen und gab den Mennoniten in der Stadt die Normen vor. In der Frage des Religionsunterrichts für
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die Kinder und der Anstellung eines Predigers brach der Konflikt auf. Bereits seit den 1840er Jahren kam von Seiten der Stadtbewohner immer wieder Kritik am Unterweisungsunterricht ihrer Kinder. Sie empfanden die Lehrmethoden der Ältesten als mangelhaft, denn die Kinder hätten lediglich, so heißt es später in der Gemeindegeschichte, ein paar Mal „mechanisch gelernte Antworten auf bestimmte wenig verstandene Fragen“ aufsagen müssen.22 Der Ruf nach Reform erscholl und einen Weg dahin sah man in der Anstellung eines ausgebildeten Predigers, wobei man an Carl Harder dachte. Der Vorstand der Gemeinde lehnte diesen Wunsch jedoch ab, so dass sich einige Gemeindeglieder nun Richtung evangelischer Kirche orientierten beziehungsweise ihre Kinder in den Unterweisungsunterricht der Danziger Mennonitengemeinde schickten. Nachdem Carl Harder dann 1845 die Predigerstelle in Königsberg übernommen hatte, baten acht Familien aus Elbing um Aufnahme in die Königsberger Gemeinde. Es wurde jedoch zunächst ein Kompromiss geschlossen. Die Familien blieben in der Gemeinde Elbing, erhielten aber die Erlaubnis, Carl Harder zu regelmäßigen Privatversammlungen nach Elbing einzuladen. So geschah es auch. Die Versammlungen fanden allerdings einen solchen Anklang, dass die erste Dependance zu klein wurde und man in eine größere Kirche ausweichen musste. Es handelte sich allerdings nur um eine Lösung von kurzer Dauer, denn 1852 entschlossen sich 24 Familien aus der Gemeinde Elbing, doch Mitglied in Königsberg zu werden. Sie blieben in Elbing wohnen und bildeten nun mit Gottesdiensten in einer neu gebauten Kirche eine Filialgemeinde von Königsberg. Die Kirche wurde mit einer Orgel ausgestattet und Carl Harder kam alle 14 Tage von Königsberg nach Elbing, um Gottesdienst zu halten und den Jugendlichen Religionsunterricht zu erteilen. Doch weitere Konflikte ließen nicht lange auf sich warten. Zudem erhielt die Geschichte noch eine weitere Facette, als Älteste aus Elbing-Ellerwald, Thiensdorf und Markushof eine Beschwerde über Harder beim Königsberger Konsistorium einreichten. Unter anderem warfen sie ihm vor, die Göttlichkeit Jesu Christi zu leugnen und den „Lichtfreunden“, einer in Beschwerde beim Preußen verbotenen protestantischen Richtung, nahezustehen. Konsistorium Hintergrund war jedoch auch die Befürchtung, Harder könnte mit seinen als freigeistig wahrgenommenen Überzeugungen die Position der mennonitischen Gemeinden generell gefährden. Schlussendlich beugte Harder sich bei einer Predigerversammlung der Allgemeinheit. Er erklärte sich bereit, auf 22 Kurzgefaßte Geschichte der Elbinger Mennonitengemeinde, S. 10.
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das Austeilen des Abendmahls zu verzichten und keine Trauungen mehr vorzunehmen; seine Predigten wurden von zwei Ältesten kontrolliert. Diese Entwicklungen dürften die Bereitschaft Carl Harders, 1857 nach Neuwied zu gehen, beflügelt haben. Die neue Elbinger Gemeinde holte sich daraufhin zunächst Jakob Mannhardt und Johann Jakob van Kampen aus Danzig, schloss sich jedoch bald vollständig der Danziger Gemeinde an. Nachdem van Kampen 1868 verstorben war, löste die Danziger Gemeinde den Zusammenschluss mit Elbing, woraufhin die Elbinger entschieden, nun eine eigenständige Gemeinde zu bilden. Man fragte Carl Harder in Neuwied an, ob er sich vorstellen könnte, wieder nach Elbing zu kommen. Dieser stimmte zu, wenn die Gemeinde den Grundsätzen des Offenthaler Glaubensbekenntnisses von 1867 beipflichten könnte, einer Vereinbarung von Mennoniten und Amischen, die unter anderem Mischehen zugelassen und den Wehrdienst dem Gewissen jedes Einzelnen überlassen hatte. 1869 wechselte Harder schließlich wieder nach Elbing. Seine Ideen, die ihn bei der Neugründung der Elbinger Gemeinde gelenkt hatten, legte Carl Harder im Nachhinein in einer Predigt zum 25-Jahr-Jubiläum der Gemeinde dar. Er betonte, die Liebe Gottes in den Mittelpunkt gestellt zu haben und nicht „Theologie“ und „Dogmatismus“. Und er wiederholte seine kritische Einstellung gegenüber äußeren Formen und Ideen Carl Harders Ritualen. Gebräuche und Sitten hätten sich der Zeit anzupassen, damit die Gemeinde nicht erstarre und innerlich verfalle. Dies sei ein „Zeichen des wirklichen Lebens und der inneren schöpferischen Kraft“. Aus den Erfahrungen vor der Gemeindegründung lernend gab man in der neuen Elbinger Gemeinde der Unterrichtung der Kinder Priorität. Sie sollten von früh an lernen, „in religiösen Dingen selbst nach[zu]denken“ und zu prüfen, „was das Beste sei“, um sich dem Glauben zu nähern. Die Kinder sollten nicht „gedankenlos“ einfach nur Bibelverse auswendig lernen oder in einem Aberglauben trainiert werden.23
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Ebd., S. 3, 6 f.
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Quelle „Grundsätze der mennonitischen Gemeinden“ (lt. Carl Harder, Auszug) 1. Unbedingter Gehorsam unter das Gewissen oder: unter das göttliche Gesetz oder: unter den Geist des Erlösers. [ … ] 2. Christus sagt uns: alle Menschen haben vor Gott gleiche Rechte, wir sind Brüder und Gott ist unser Vater. [ … ] 3. Das Gewissen sagt uns: wir erfüllen die Forderungen des göttlichen Gesetzes nicht, wir sind Sünder. [ … ] 4. Wer der Stimme des Erlösers unbedingt folgt, der allein ist ein Christ. […] 5. Der unbedingte Gehorsam unter das göttliche Gesetz führt den Menschen zur Freiheit der Kinder Gottes. [ … ] 6. Die Freiheit der Kinder Gottes enthält die Seligkeit in sich oder: das ewige Leben oder: den Frieden. [ … ] 7. Sobald Freiheit und Frieden in den Herzen wohnt, muss auch ein allgemeiner Völkerfrieden die Erde beglücken und das Reich Gottes zu uns gekommen sein. [ … ] 8. Das Reich Gottes darf nicht in der Zukunft erwartet, es soll sogleich unter uns aufgerichtet werden, indem wir mit unerschütterlicher Treue alle Forderungen unsres Gewissens erfüllen. [ … ]24
Zum Ende des Jahrhunderts trafen auch die mennonitischen Gemeinden Landflucht und Abwanderung junger Leute, die wegen ungünstiger Erbrechte in ihrer alten Heimat keine Zukunft mehr sahen. Die Arbeitsmigration führte sie in die Städte oder in andere Regionen, wo es leichter war, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen. Da in den ZuzugsBinnenmigration gebieten oftmals keine mennonitischen Gemeinden bestanden und die Neuankömmlinge nicht in anderen Kirchen aufgehen Quellenarbeit 26 sollten, erwuchs die Idee, regulierend in die Binnenwanderung einzugreifen und arbeitssuchende junge Mennoniten vor allem in jene Städte und Regionen zu vermitteln, wo es Mennonitengemeinden gab. Doch die Binnenmigration führte auch zur Neugründung von Gemeinden, wie jener in Berlin. Sie fand 1887 statt und ist das Ergebnis des Zuzugs von Mennoniten in die Hauptstadt des neu gegründeten Deutschen Reichs. Bereits 24 Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten, Dezember 1846, S. 10-15.
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1886 hatte in der Stadt die konstituierende Sitzung der „Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich“ stattgefunden, aus deren Reihen auch der Wunsch geäußert wurde, in Berlin müsse eine eigene GeGemeinde Berlin meinde entstehen. Zu den führenden Personen der Berliner Gemeinde zählten Willy Molenaar, der in Berlin im Versicherungswesen tätig war, und Bernhard Brons, der Sohn von Isaak und Antje Brons aus Emden. Die Ausrichtung dieser Stadtgemeinde war von vornherein offen und weltzugewandt, wie ein Artikel von Molenaar 1896 in den „Mennonitischen Blättern“ zeigt. Die Pflicht jedes Staatsbürgers sei es, am öffentlichen Leben teilzunehmen, seit, so Molenaar, der „Staat“ in der neuen Verfassungsform das Volk selbst sei.25 Auch der Sohn von Carl Harder, Ernst, war unter den Gründungsmitgliedern der Berliner Mennonitengemeinde und lange Jahre in deren Vorstand. Er war wissenschaftlich tätig und zunächst Lehrer für Spanisch und Portugiesisch, bevor er sich arabischen Sprachen zuwandte. 1915 gab er eine Auswahl an Suren aus dem Koran heraus, wobei er im Nachwort die Gemeinsamkeiten von Christentum und Islam hervorhob. Unter anderem verwies er auf falsche Interpretation der Suren, die den „Heiligen Krieg“ betreffen. Diese würden nämlich eigentlich davor warnen, Gewalt als Aktion einzusetzen – „Gott liebt nicht die Angreifenden“, so Harder im Jahr 1915, als viele Feldzüge „im Namen Gottes“ stattfanden und auch das Osmanische Reich vom Kriegsgeschehen erschüttert wurde.26 7.2.4. Professionalisierung der Schulen und der Predigerausbildung
Nicht nur in Elbing war einiges nicht mehr zeitgemäß, was und wie die Kinder im Unterricht lernten. Auch die Ausbildung der Prediger rief nach Reform und nach einer Professionalisierung. Wie bereits erwähnt, waren lediglich Hamburg und Krefeld bereits im 18. Jahrhundert dazu übergegangen, einen besoldeten und studierten Prediger anzustellen. In allen anderen Gemeinden wurden die Ältesten und damit auch die Prediger aus den Reihen aller männlicher Gemeindeglieder gewählt, die somit auch nicht über eine spezielle Ausbildung verfügten. Diese Wahlen fanden entweder durch Losentscheid oder, in Westpreußen, durch „Kugelung“ statt. Letzteres bedeutete, jeder Kandidat hatte zwei Kugeln, eine weiße und eine schwarze. Die weißen Kugeln wurden als Zustimmung in 25 Mennonitische Blätter 43, 1896, S. 17 f. 26 Harder, Koran, S. 72.
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eine weiße Urne gelegt, schwarze Kugeln galten als Ablehnung und wurden in eine schwarze Urne gelegt. Bei Stimmengleichheit entschied das Los. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte sich in immer mehr Gemeinden, dass dieses alte System nicht mehr zufriedenstellend war. Bei der Konferenz der pfälzischen Mennonitengemeinden auf dem Weierhof im Jahr 1830 wurden die Knackpunkte offen angesprochen: Überforderung, Desinteresse und Scheu. Einige der gewählten Prediger trauten Missstände im sich nicht, öffentlich zu reden. Andere empfanden die ErwartunPredigerwesen gen, die an sie gestellt wurden, als zu hoch; beispielsweise wenn es um die erste Predigt ging, die traditionellerweise aus einem freien Vortrag bestehen musste. Wiederum andere hatten keine Zeit, sich auf das Predigtamt einzulassen, da sie die ganze Woche ihrem Broterwerb nachgehen mussten. Und in einigen Gemeinden wurden Prediger gewählt, die zwar finanziell abgesichert waren, jedoch sich selbst eingestanden, nicht über die nötigen Gaben zu verfügen. Auslöser für die Debatten waren dann Fälle, in denen ins Amt gewählte Prediger ihren Dienst einfach nicht antraten oder den Predigtdienst auf die Prediger der umliegenden Gemeinden verteilten – was auf Dauer nicht funktionierte. 1826 hatten die Ältesten bereits versucht, etwas gegenzusteuern und den Druck von den aus den eigenen Reihen berufenen Predigern zu nehmen. So brauchten sie zukünftig am Anfang ihrer Tätigkeit nicht mehr zu predigen, sondern konnten sich darauf beschränken, etwas vorzulesen, beispielsweise eine gedruckte Predigt oder „sonst etwas Erbauliches“. VerbesserungsErst wenn sich ihre Menschenfurcht gelegt hatte, sollten sie prevorschläge digen.27 Darüber hinaus regte man an, die neuen Prediger besser mit schriftlichem Material zu versorgen. Es war üblich, dass die Prediger sich Bücher selbst kaufen mussten. Nun ging man dazu über, jede Gemeinde nach und nach mit geistlichen Büchern auszustatten, die dann von Prediger zu Prediger weitergegeben werden konnten. Als geeignete Bücher sah man Johann Arndts „Wahres Christentum“, Gerhard Tersteegens „Geistliche Brosamen“ sowie Johannes Gossners „Geist des Lebens und der Lehre Jesu Christi im Neuen Testament“ an. Doch es gab schon früh auch weitergehende Vorschläge. Der 1820 aus Krefeld nach Monsheim berufene Prediger Leonhard Weydmann forderte, dass jeder Pastor die biblischen Sprachen erlernen sollte. Auch Abraham Hunzinger 27
Mennonitische Blätter 41, 1894, S. 43 f.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
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vertrat den Standpunkt, man bräuchte fest angestellte, bezahlte und wissenschaftlich ausgebildete Prediger, um die Mennoniten zu „verbessern“ und die Bildung zu heben. Er forderte darüber hinaus ein generelles Umdenken in der Erziehung und Bildung der Jugend, und zwar ohne „ängstlich“ auf irgendwelche Kirchenordnungen zu schauen und ohne Hochmut, der um sich gegriffen habe, weil man besser sein wolle als alle anderen und damit den Splitter im eigenen Auge nicht sehe. Vor allem nimmt Hunzinger die staatlichen Stellen in die Pflicht, denn schulische Ausbildung funktioniere nicht ohne deren Unterstützung. Kritik kam erneut von konservativer Seite. Christian Eymann aus Kindenheim erschien der Wunsch nach ausgebildeten Predigern, die vielleicht sogar noch antike Sprachen beherrschten, arrogant. Auch die Gruppe um David Kägy und Johannes Galle äußerte sich kritisch. Galle argumentierte, die täuferischen Märtyrer hätten ihr Leben nicht für Geld oder Stolz Kritik von gegeben, sondern für den Glauben. Man sollte Gott anbeten und konservativer Seite nicht die schönen Worte eines Mannes, der Griechisch könnte. Der Rappenauer Mennonit Christian Schmutz sah Anfang der 1860er Jahre in der Anstellung von ausgebildeten Predigern ebenfalls den Tod der Gemeinden nahen. Studierte Prediger würden die Gemeindeglieder automatisch in den Hintergrund treten lassen, was dem allgemeinen Priestertum ein Ende bereiten würde – die Gemeinde verliere ihren „apostolischen Charakter“.28 Tatsächlich gingen jedoch bis zur Jahrhundertmitte immer mehr Gemeinden dazu über, bezahlte Prediger anzustellen. In Danzig wurden seit 1826 Prediger von auswärts berufen, die neben ihrem geistlichen Beruf keiner anderen Beschäftigung nachgingen. Außerdem verlangte man eine wissenschaftliche Ausbildung. In den übrigen westpreußischen GemeinAnstellung der den blieb die alte Regelung bestehen, auch wenn im Laufe des 19. Prediger Jahrhunderts Nachjustierungen vorgenommen wurden. So heißt es 1859, dass nur jene in ein Amt gewählt werden dürften, die sich dies auch leisten könnten. Das Ehrenamt dürfte die Existenz der Familie nicht gefährden. Was auf den ersten Blick sinnvoll klingt, lässt auf den zweiten Blick erkennen, dass so nur Bessergestellte Prediger werden konnten. In der Pfalz wurde 1818 der erste fest angestellte Prediger nach Monsheim berufen. Die Gemeinde Weierhof folgte 1835.
28 Mennonitische Blätter 7, 1860, S. 52, Beilage, S. 1.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Die Debatten über die Professionalisierung des Predigerwesens brachten automatisch auch den Wunsch nach der Ausbildung der Prediger in eigenen mennonitischen Schulen auf die Tagesordnung. Darüber hinaus erweiterte sich die Debatte auf eine vorbereitende höhere Bildung ganz generell, die über die elementare Schulausbildung hinausgehen sollte. Vorreiter in der Bildungsfrage waren erneut die Niederlande gewesen, wo bereits im späten 17. Jahrhundert der Wunsch nach eigenen taufgesinnten Ausbildungsstätten wach geworden war. Bis dahin waren junge Taufgesinnte ans „Seminarie der Remonstranten“ gegangen, das die Amsterdamer Mennonitenkirche „Bij’t Lam“, die dem konfessionell eher liberalen Zweig der niederländischen Mennoniten angehörte, mitfinanzierte. 1680 erhielt Galenus Abrahamsz von der Gemeinde „Bij’t Lam“ dann den Auftrag, eine Ausbildung für Mennoniten zu beginnen. Erst 1735 wurde jedoch ein richtiges Seminar eröffnet, auf dem die Studenten drei oder vier Jahre unterrichtet wurden. In Deutschland dachten Mennoniten seit Anfang des 19. Jahrhunderts über eigene Schulen nach. Zunächst entstand unter dem Einfluss des Baptisten Carl Christian Tauchnitz, der eine enge Verbindung zu Mennoniten pflegte, die Idee, ein Gut in der Pfalz zu kaufen, um dort junge Mennoniten sowohl in der Landwirtschaft als auch in theologischen Fächern auszubilden. So glaubte man, den landwirtschaftlich geprägten Gemeinden Prediger vermitteln zu können. Doch diese Pläne wurden nie umgesetzt. In Westpreußen gab es seit 1826 eine Schule in Rodlofferhuben beziehungsweise in Bröskerfelde, die bis Ende der 1870er Jahre existierte. Hinter ihr standen die Gemeinden Danzig und Heubuden. Es war auch angedacht, sie zum Predigerseminar umzubauen, was jedoch nicht realisiert wurde. Die Lehrer, Jakob van der Smissen und Johannes Claassen, hatten Schule in eine Universitätsausbildung durchlaufen. Letzterer wandte sich Rodlofferhuben jedoch, nachdem er die Schule wieder verlassen hatte, der Theound Bröskerfelde sophie zu. In der Pfalz rief 1868 der Prediger Michael Löwenberg zur Gründung einer eigenen, von den Mennoniten getragenen „Lehr- und Erziehungsanstalt“ auf, die auch höhere Bildung vermitteln und sich durch Pensions- und Schulgelder selbst tragen sollte. Er plädierte für eine eigene Schule nicht nur aus dem Grund, dann eine am mennonitischen Glauben orientierte Ausbildung anbieten zu können, sondern auch, um die eigenen jungen Leute
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
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nicht in Schulen schicken zu müssen, die „von dem Nationalismus jämmerlich zerfressen sind“.29 Anfang Dezember 1867 hatte Michael Löwenberg bereits in einem angemieteten Gebäude auf dem Weierhof eine Schule eröffnet. Allerdings erwies sich das Gebäude bald als zu klein, da die Schülerzahl rasch zunahm. Im April 1869 wurde der Grundstein für ein neues Schulgebäude gelegt, das 1869 bezogen werden konnte. Ein „Frauen- und Jungfrauenverein“ Schule auf dem unter der Leitung von Babette Krehbiel vom Weierhof unterstützWeierhof te die Schulgründung finanziell; weitere zum Teil namhafte Spenden kamen aus anderen Mennonitengemeinden. Die Schule startete mit einer breit gefächerten Ausbildung, die Religion, Mathematik, Deutsche Sprache, naturkundliche und geografische Fächer sowie Buchführung und Landwirtschaft, aber auch Zeichnen und Gesang umfasste. Bis 1936 blieb die Schule in mennonitischer Trägerschaft, dann wurde sie verstaatlicht. Die Diskussionen über höhere Bildung liefen erneut sehr kontrovers ab. Zwar waren sich alle einig, dass etwas passieren müsste, weil es „schlecht“ stünde um die „Zukunft des Mennonitenthums“, wie Michael Löwenberg dies 1868 formulierte.30 Doch wie gehandelt werden sollte, war umstritten. Vor allem aus Süddeutschland, aus Baden und aus Bayern, kamen kritische Stimmen. Der Kraichgauer Mennonit Christian Schmutz führte seinen Glaubensgeschwistern in den 1860er Jahren in mehreren Artikeln in den „Mennonitischen Blättern“ vor Augen, dass Ausbildung nötig sei, jedoch nur in begrenztem Maße. Er setzte sich vor allem für die Gründung einer Predigerschule ein, die einer mennonitischen Missionsgesellschaft zugeordnet werden sollte, die ebenfalls zu gründen sei. Die Notwendigkeit dazu unterstrich er mit dem auch seiner Meinung nach kurz bevorstehenden Niedergang der Mennonitengemeinden und der daraus resultierenden „Notwendigkeit der Neubelebung und Auferbauung“. Christian Schmutz vertrat die Auffassung, das Ziel der Ausbildung müsste sein, Prediger heranzubilden, die durch den Ruf zur Bekehrung und Taufe „wahre Gottesgemeinden pflanzen, mit der ganzen Zucht und Ordnung, wie es der Herr befohlen hat und seine Apostel gelehrt und gethan haben“.31 Aus den bayerischen Gemeinden kam Unterstützung. Auch hier herrschte die Meinung vor, Ausbildung sei gut, jedoch nur so, dass es für den Predigtdienst reichte. Vor allem 29 Mennonitische Blätter 15, 1868, S. 19. 30 Mennonitische Blätter 15, 1868, S. 13. 31 Mennonitische Blätter 14, 1867, S. 15.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
sollten die Prediger nie vollzeitlich angestellt werden, sondern nebenbei stets ihrem angestammten Beruf nachgehen. 7.2.5. Das Ende der Amischen in Deutschland
Bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es in Deutschland immer noch amische Gemeinden, trotz reger Auswanderung nach Nordamerika. Im 19. Jahrhundert präsentierten sich die amischen Gemeinden ebenfalls in einer Situation zwischen Absonderung und Öffnung. Im Elsass, in Lothringen und in Zweibrücken distanzierten sie sich von allzu strengen Kleidungsvorschriften und suchten den Anschluss an die Konferenz der Süddeutschen Mennonitengemeinden. Zudem waren Amische politisch aktiv, etwa Johannes Maurer von 1830 bis 1845 als Bürgermeister im pfälzischen Mehlingen. In der Pfalz wohnten Amische sehr verstreut, wobei sich Zentren um Kaiserslautern und Zweibrücken sowie um den Münsterhof bei Kirchheimbolanden ergaben. Für die 1830er Jahre erlauben zwei Berichte hessischer Behörden einen Einblick in das Leben amischer Gemeinden rund um Marburg, die weniger weltoffen waren.32 Die Gemeinden setzten sich zusammen aus den Familien der Besitzer oder Pächter verschiedener Höfe. 1860 erhielten zwei amische Prediger – Christian Brennemann aus Bürgeln und Jacob Amische in Hessen Gingerich aus Etzgerode bei Neustadt – die staatliche Anerkennung, was gesetzlich nötig war, um ihr Amt als Prediger ausüben und kirchliche Handlungen vornehmen zu können. Den Berichten zufolge fand der Gottesdienst der Amischen alle 14 Tage auf einem anderen Hof statt. Er bestand aus Gesang, einer Predigt mit Vermahnung und dem Gebet, bei dem jeder kniete. Das Abendmahl hielten die Amischen zwei Mal im Jahr ab, wobei dieses vier bis fünf Stunden dauern konnte. Die Gemeinden lebten sehr abgesondert, hatten zu anderen Konfessionen keinen Kontakt, nannten sich untereinander „Vetter“ und „Base“, und die Männer ließen sich unter Verweis auf 3. Mose 19, 27, den Bart wachsen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts öffneten sich immer mehr amische Gemeinden. Beispielsweise zeigten sie Interesse, an den gemeinsamen Versammlungen und Konferenzen der Mennonitengemeinden teilzunehmen. Ende 1867 fand eine Zusammenkunft von Amischen und Mennoniten Gespräche in aus Hessen, der Kurpfalz, Neuwied und dem ehemaligen HerzogOffenthal 32
Die folgenden Informationen nach: Fast, Gemeindeleben.
7.2. Kultur. Die „alte“ und die „neue“ Ordnung
Hintergrund Hahn’sche Mennoniten, Fröhlichianer und Templer Unter den süddeutschen und Schweizer Mennoniten sorgten die Lehren des aus dem Pietismus stammenden Johann Michael Hahn (1758-1819) und des Schweizer reformierten Erweckungspredigers Samuel Fröhlich (1803-1857) für Aufbrüche, aber auch für Unruhe. Viele Mennoniten sahen eine Chance auf die Erneuerung ihres eigenen Glaubens und schlossen sich den eher spiritualistisch beziehungsweise neutäuferisch ausgerichteten Gemeinden der „Hahn’schen“ und der „Fröhlichianer“ an. Es kam zu Spaltungen, so dass sich selbständige „Hahnische Mennonitengemeinden“ bildeten. Unter anderem die Frage der Kindertaufe sorgte für Debatten. Typisch für die Hahn’schen und die Fröhlichianer waren die „Stunden“, also nachmittägliche Erbauungsversammlungen. Einen anderen Weg nahmen Mennoniten, die sich der aus dem württembergischen Pietismus hervorgegangenen Tempelgesellschaft anschlossen und auch tatsächlich nach Palästina gingen. Die Templer hatten eigentlich das Ziel verfolgt, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen, um das Gesetz des Mose zu erfüllen. Als sich dies als utopisch herausstellte, gründete man einige Kolonien in Palästina, unter anderem in Haifa und Jaffa. Unter den Siedlern in Palästina befanden sich auch einige Mennoniten. Anhängerin der Templer war beispielsweise die Rappenauer Mennonitin Christine Schmutz. Sie beklagte immer wieder den Niedergang der Mennoniten ihrer Zeit, rief nach Erneuerung und fand letztendlich bei ihren alten Glaubensgeschwistern keine Heimat mehr.
tum Nassau in Offenthal bei St. Goarshausen statt, um Punkte, die die Amischen seit 1693 von den Mennoniten trennten, zu besprechen.33 Unter anderem waren Johannes Risser aus Sembach und Carl Harder aus Neuwied dabei. Zunächst stellte man sich auf die Grundlage des apostolischen Glaubensbekenntnisses, das nicht nur Mennoniten und Amische, sondern alle „evangelisch-christlichen Konfessionen“ verband, wie es im Protokoll hieß. Unstrittige Punkte waren die Dienerwahl, die Taufe und das Abendmahl. Doch auch hinsichtlich strittiger Punkte fand man Übereinstimmungen, die in einer gemeinsamen „Vereinbarung“ festgehalten wurden. Die Fußwaschung, 33
Die festgehaltenen Ergebnisse sind abgedruckt in: Mennonitische Blätter 14, 1867, S. 38-40.
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wurde niedergeschrieben, sollte jede Gemeinde so handhaben beziehungsweise verstehen, wie sie wollte – entweder praktisch durchgeführt oder lediglich als „Denk- und Erinnerungszeichen“ geistlich aufgefasst. Auch in der Frage der Wehr- und Waffenlosigkeit sollte es jedem jungen Mann anheim gestellt sein, wie er seinem Gewissen folge. Gleichwohl betonte man, die Wehrlosigkeit sei ein wesentlicher Teil des Evangeliums. In der ebenfalls umstrittenen Frage der gemischtkonfessionellen Ehen fand man insofern zur Einigkeit, als diese nicht mehr unter kirchliche Strafe gestellt werden sollten. Ein weiterer Punkt betraf die Wiederaufnahme von aus der Gemeinde Ausgeschlossenen. Man kam überein, dass reumütige Gemeindeglieder von den Predigern und Vorstehern „jederzeit“ wieder zum Abendmahl zugelassen werden sollten. In einem Nachtrag zum Protokoll wurde vermerkt, dass sich die französischen amischen Gemeinden in allen Punkten ebenfalls einverstanden erklären, lediglich in der Frage der Eheschließungen nicht mitgehen konnten. Mit der Publikation der Ergebnisse von Offenthal in den „Mennonitischen Blättern“ wollte man zur Diskussion anregen. Diese erfolgte auch, nämlich durch einen ablehnenden Beitrag der west- und ostpreußischen und litauischen Mennoniten, die in den Punkten Wehrlosigkeit, gemischtkonfessionelle Ehen und Wiederzulassung zum Abendmahl nicht zustimmen konnten. Zudem wiesen sie darauf hin, dass in ihren Gemeinden das Bekenntnis von Cornelis Ris Grundlage sei und man nun nicht noch ein weiteres einführen wolle. Interessanterweise hatte ja Carl Harder seinen Wechel 1869 nach Elbing von der Anerkennung der Offenthaler Beschlüsse abhängig gemacht. Zum Thema der gemischtkonfessionellen Ehen schickte Johannes Risser 1868 noch eine Erklärung nach, die Bezug nahm zum Sinneswandel unter den Amischen. Ihre Praxis, gemischtkonfessionelle Ehepartner zu bannen und ihnen jegliche Option auf eine Rückkehr in die kirchliche Gemeinschaft zu verwehren, habe in der Vergangenheit für zahlreiche Misshelligkeiten in den Gemeinden gesorgt. Es wurden wohl oftmals gerade sehr angesehene Gemeindeglieder gebannt. Deshalb sei auf amischer Seite allmählich der Wunsch entstanden, zu einer milderen Form der Kirchenzucht überzugehen, was die Gespräche in Offenthal ermöglicht hätte. Damit zeigten sich die Amischen offenkundig moderner als manche Mennonitengemeinde. Dieser generelle Sinneswandel, der schließlich zu Übertritten in mennonitische und evangelische Gemeinden führte, und die weiterhin stetige Auswanderung hatten zur Folge, dass im frühen 20. Jahrhundert nur zwei amische Gemeinden in Deutschland übrig geblieben waren – Zweibrücken und Regens-
7.3. Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten
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burg. Letzere verabschiedete sich 1908 mit der Anstellung eines besoldeten Predigers beziehungsweise 1910 mit der letzten Fußwaschung und 1911 mit der Übernahme des mennonitischen Gesangbuchs von ihren amischen Wurzeln. 1908 wurde die Gemeinde Regensburg zudem als einzige Gemeinde in Süddeutschland Mitglied der „Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden“. 1937 verschwand dann mit der Gemeinde Zweibrücken die letzte in Deutschland – auch sie vereinigte sich mit der lokalen Mennonitengemeinde.
7.3.
Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten
7.3.1. Bibel- und Missionsgesellschaften
Die Kontakte der Mennoniten zu anderen Konfessionen intensivierten sich über die Zusammenarbeit in den Bibel- und Missionsgesellschaften. Getragen wurde der Aufbruch, der zu einem neuen Missionsbewusstsein führte und der die protestantische Welt um 1800 erfasste, von Erweckungsbewegungen, die auf dem „Evangelicalism“ in England und dem „Réveil“ in Frankreich aufbauten. Ziel war es unter anderem, den Christen und dem Christentum eine größere Präsenz in der Öffentlichkeit zu verschaffen und helfend und karitativ in die als entchristlicht und kaputt wahrgenommene Gesellschaft hineinzuwirken. Es bildeten sich beispielsweise Vereine, die armen Familien bei der Erziehung ihrer Kinder unter die Arme griffen, wobei mit dem Unterricht stets auch die Vermittlung des christlichen Glaubens verbunden war. Auch sonst versuchte man zu helfen, wo die Not am größten war. Da die Erweckungsbewegung zunächst getragen war von Dissenter-Gruppen, etwa den Baptisten, ist es nicht erstaunlich, dass diese politisch dem frühen Liberalismus nahestanden und sich für religiöse Toleranz einsetzten. Das „Réveil“ in Genf wiederum, das zeitgleich mit den Aufbrüchen in England die christliche Welt veränderte, nahm unter anderem Ideen der Herrnhuter Brüdergemeine auf, da wesentliche Protagonisten in Neuwied auf die Schule der Herrnhuter gegangen waren. Ebenso in den Niederlanden, wo zudem die Ideen von Johann Heinrich Jung-Stilling prägend waren. Mennonitische Gemeinden gehörten zu den frühen Unterstützern der sich aus der Erweckungsbewegung heraus bildenden Bibelgesellschaften, die nicht nur die Bibel verbreiteten, sondern auch zu einer Annäherung der Protestanten untereinander führen sollten. Die Gemeinde Hamburg sowie die westpreußischen Gemeinden beteiligten sich bereits 1817 an der Bibelgesellschaften Hamburgisch-Altonaischen Bibelgesellschaft, die drei Jahre vor-
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Bild 21: Missionsbüchse des ersten Missionsfestes auf dem Spitalhof 1824
her gegründet worden war. Vertreter der Familien Roosen und van der Smissen waren von Anfang an in die Verhandlungen über die Bibelgesellschaft involviert gewesen. In Westpreußen war der aus der Pfalz stammende Prediger Jakob Bergthold, der in Orlofferfelde wohnte, die Kontaktperson; von hier aus floss ein regelmäßiger Beitrag aller Gemeinden nach Hamburg. Zudem bezogen viele Gemeinden die „Neuesten Nachrichten aus dem Reiche Gottes“, das Korrespondenzblatt der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft. Auch die Graudenzer und Kulmer Gemeinden gehörten zu den Förderern der Bibelgesellschaften. In Missionsangelegenheiten unterstützten die Mennonitengemeinden zunächst baptistische und protestantische Gesellschaften, beispielsweise die Baptist Missionary Society oder Missionsgesellschaften in Basel und in Berlin, die vor allem von württembergischen beziehungsweise Berliner Pietisten getragen wurden. Sie griffen zwar zurück auf die MissionsMissionsarbeit des 18. Jahrhunderts, etwa der Herrnhuter Brüdergemeine gesellschaften oder der Basler Christentumsgesellschaft, stießen nun im frühen 19. Jahrhundert jedoch auf ein wesentlich breiteres Interesse. Motor waren einerseits die neuen Erweckungsbewegungen, andererseits die wachsende Kritik an der aufstrebenden Wirtschaft in den Kolonien, die als rücksichtslos gegenüber den Einheimischen wahrgenommen wurde. Somit waren die ersten Länder, in denen Missionare wirkten, Indien, Ghana, Südafrika, Hongkong und Südchina. Man versuchte, den Menschen, die Opfer der Industrialisierung ge-
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Hintergrund Innere und Äußere Mission Die Innere Mission umfasste im 19. Jahrhundert karitative Tätigkeiten, die sich Armen und Bedürftigen zuwandten. Es handelte sich bei ihnen meist um die Verlierer der Industrialisierung und Urbanisierung. Prägend für die Arbeit war der Theologe Johann Hinrich Wichern, der in Hamburg das „Rauhe Haus“ ins Leben rief, in dem Kinder aus armen Familien Hilfe und Ausbildung erhielten. Auch die Kaiserswerther Anstalten von Theodor Fliedner, die sich der Ausbildung von Diakonissen widmeten, waren Teil der wachsenden karitativen Arbeit. Auf diesen Arbeiten aufbauend gründeten sich im Zuge der Inneren Mission zahlreiche Schulen für Kinder aus armen Verhältnissen, oftmals mit einer gezielten Bildung für Mädchen, und es entstand eine Arbeit in den Gefängnissen. Der Begriff Äußere Mission dagegen bezeichnete die schon länger bestehende Entsendung von Missionaren ins Ausland, wo diese das Evangelium predigten und gleichzeitig ebenfalls karitativ tätig waren.
worden waren, oder, wie es hieß, durch die Kolonialisierung zu Maschinen und Sklaven gemacht worden waren, zu helfen. 1815 wurde die Basler Mission gegründet, die auch ein Seminar hatte, um Missionare auszubilden, 1824 folgten die Berliner Mission und 1836 die Norddeutsche Missiongesellschaft in Hamburg. In mennonitischen Gemeinden war es im frühen 19. Jahrhundert vor allem der Baptistenprediger William Henry Angas, der in der Pfalz sowie in Rheinhessen und Westpreußen für die Mission warb. Er regte gleichzeitig das Interesse für Bildung an, wie im Fall des jungen Jakob Ellenberger, dem späteren Prediger der Gemeinde Friedelsheim. Ihm vermittelte Angas ein Stipendium für die Ausbildung in der Armenschullehreranstalt von Christian Heinrich Zeller in Beuggen am Rhein. Zeller, im Pietismus verwurzelt und von den pädagogischen Ideen Pestalozzis geprägt, war einer der Begründer der Inneren Mission, stand aber auch in gutem Kontakt zu Mennonitenfamilien im Raum Basel. Ellenberger nahm das Anliegen der missionarischen Bewegung von Beuggen mit in seine alte Heimat. Dort sollte das Engangement der Gemeinden für Mission aber auch einen Selbstzweck erfüllen, wie aus Worten des Weierhöfer Predigers Hermann Reeder hervorgeht. Denn man hoffte, über das gemeinsame Interesse für die Mission zu mehr Einheit zu gelangen.
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1824 riefen die Mennonitengemeinden der Pfalz einen Missionsverein ins Leben, der im gleichen und im darauffolgenden Jahr Versammlungen auf dem Spitalhof abhielt. 1830 folgte ein Missionsfest auch im westpreußischen Heubuden. Zunächst stand die Unterstützung der baptistischen Missionen im Mittelpunkt, bis sich schließlich 1847 die „Amsterdamer Missionsvereine Taufgesinnten-Missionsgesellschaft“ gründete. Ein Grund war wohl die Wahrnehmung, dass die baptistischen Missionsgesellschaften zu wenig in den niederländischen Kolonien taten. Nun sammelte man in den deutschen Mennonitengemeinden für die eigene Mission, die eine Missionsstation auf Java unterhielt. Als erster Missionar ging 1851 Pieter Jansz dorthin, ein Lehrer, der es sich auch zur Aufgabe gemacht hatte, die Kinder der Einheimischen zu unterrichten. Da er des Javanischen mächtig war, übersetzte er Literatur, unter anderem die Bibel. 1871 errichtete die holländische Missionsgesellschaft noch eine Missionsstation in Sumatra. In der Heimat versuchte man, die Missionare und ihre Arbeit so gut es ging zu unterstützen. Dazu dienten Beiträge, die in den Gemeinden gesammelt wurden sowie regelmäßig stattfindende Missionsfeste. Diese hatten einerseits den Zweck, über die Arbeit zu informieren, andererseits Gelder für die Mission einzuwerben; berühmt sind die Missionsbüchsen, in denen das Geld gesammelt wurde. Und schlussendlich genoss man die Ansprachen und die Gemeinschaft, die den eigenen Glauben stärkten. Als 1848 das erste Missionsfest in Rheinhessen, in Iggelheim, stattfand, waren auch zahlreiche Mennoniten anwesend. Hermann Reeder und Jakob Ellenberger predigten im Hof des Pfarrhauses, wo eine zweite Versammlung stattfand, weil die örtliche Kirche sich als zu klein für die anwesenden Menschenmassen erwiesen hatte. David Galle aus Uffhofen schrieb begeistert über das Missionsfest, dass es selbst im „so festreichen Rheinhessen, wo sich die Feste jagen, wo sie sich drängen und ihre Zahl Legion ist“, herausstach. Er lobte die eindrucksvollen Reden und die Kraft des Glaubens, die sich darin ausdrückte. „Wehe dem Unglauben“, prophezeite er.34 Doch es gab auch kritische Stimmen zur Missionsbewegung, beispielsweise aus den Reihen der Anhänger der „alten Ordnung“ um Johannes Galle aus Monzernheim. Für sie stellte die neue Bewegung die Abkehr vom Weg der Vorväter dar, schließlich war sie ja auch geprägt von „fremden“ Einflüssen der Baptisten. Galle und Kägy kritisierten die MissionsKritische Stimmen bestrebungen immer wieder; sie seien gegen die traditionelle 34 Briefsammlung Galle, in: MFSt, Brief vom 31. 8. 1848.
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Ordnung und würden das Christentum einfach an die neue Zeit anpassen und „massentauglich“ machen. 1838 schreibt Galle in einem Brief, die „Missionsgesellschaft“ wolle die Mennoniten übernehmen, was er auch den Evangelischen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des neuen Katechismus vorgeworfen hatte. Evangelische Pfarrer hätten den Mennoniten geholfen, damit alle Unterschiede zwischen den Konfessionen verschwinden und beide verschmelzen könnten.35 Auch Carl Harder berichtet 1847 von Vorbehalten unter den Mennoniten gegenüber jenen Glaubensgeschwistern, die Missionsfeste besuchten oder in Missionsvereinen engagiert waren. Allerdings fügt er dem Thema noch eine eigene, aufklärerische Nuance hinzu. Harder bekräftigte die Notwendigkeit, Menschen in anderen Ländern, die immer noch durch „Menschen- und Thieropfer“ eine Gottheit verehrten, mit dem Christentum, der „höchsten Sittlichkeit“ überhaupt, zu erreichen. Er kritisierte jedoch die mangelhafte Nachhaltigkeit der missionarischen Aktivitäten. Oftmals würden den sowieso schon vorhandenen „Scheinchristen“ nur neue hinzugefügt. Denn es würde den Missionaren oft nur darum gehen, Zahlen von Getauften zu präsentieren, anstatt die Menschen wirklich zu einer „Sittlichkeit“ des Lebens zu bringen. Letztendlich würden an die Stelle der alten Götter nur drei neue Götter gesetzt – Gott, Christus und Heiliger Geist. Außerdem sieht Harder einen Missstand darin, dass viele Missionshäuser ihre Missionare „allein“ auf das Glaubensbekenntnis ihrer Kirche verpflichteten, was eine Exklusivität hervorbrachte, die auch den Getauften vermittelt würde. Diese würden somit gleich einen „Hass gegen Andersgläubige“ mit auf ihren neuen christlichen Weg bekommen.36 Offenkundig hatte Harder seine Meinung zehn Jahre später, als er seine Pastorenstelle in Neuwied angetreten hatte, geändert. In einer Mitteilung, in der er über seine Amtseinführung berichtet, schildert er auch, wie er das Missionsfest in Andernach wahrgenommen hatte. Er hebt die Freude der Anwesenden hervor, die bereits auf der Fahrt nach Andernach „Missionsgesänge“ anstimmten. Die Predigt des Bonner Professors Wolters habe sich nicht mit „ermüdenden“ Einzelheiten aufgehalten, sondern das Missionswerk als einen „Kampf des christlichen Geistes mit der Finsternis“ dargestellt, an dem „jeder Christ thätigen Antheil nehmen“ müsse.37 35 Mennonitische Blätter 54, 1907, S. 97. 36 Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten 2, 1847, S. 15. 37 Mennonitische Blätter 4, 1857, S. 44.
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7.3.2. Erweckungen unter Mennoniten
Es gab einige Gemeinden, die durch größere Erweckungsbewegungen geprägt waren, unter anderem die Gemeinde Brenkenhofswalde in Brandenburg. Bereits 1764 waren Mennoniten aus der Region Schwetz nach Brenkenhofswalde gekommen, nachdem Friedrich II. im Zuge der Urbarmachung und Trockenlegung der Sümpfe die Besiedlung im Netzebruch Brenkenhofswalde vorangetrieben hatte. Er lud zehn Mennonitenfamilien ein und stattete sie mit Privilegien aus. Die Gemeinde baute in den folgenden Jahren eine Schule auf, die sich einer breiten Unterstützung, unter anderem der Mennoniten in Altona sowie der niederländischen Doopsgezinden um Johannes Deknatel, erfreute. 1790 kam der lutherische Schullehrer Wilhelm Lange zu den Mennoniten, nachdem die Regierung ihm die Erlaubnis erteilt hatte, Mitglied der mennonitischen Gemeinde zu werden. Seine Predigten erfreuten sich eines regen Zulaufs, auch von Nicht-Mennoniten, wie die Quellen berichten. Die Gemeinde wuchs in dieser Zeit ordentlich. 1835 stand auch für Brenkenhofswalde die Auswanderung in die Molotchna an, wo man sich im Dorf Gnadenfeld niederließ. Die Gemeinde behielt ihre erwecklichen Praktiken bei, organisierte regelmäßige Missionsversammlungen, lud lutherische Prediger aus benachbarten Gemeinden zur Predigt ein, etablierte gute ökumenische Kontakte und erwies sich insgesamt als anziehend für ihre Umgebung. Die Gemeinde verzeichnete ein stetes Wachstum an Gemeindegliedern, was offenkundig nicht nur auf Gegenliebe in der Nachbarschaft stieß. Es kursierten verschiedene Namen für die Gnadenfelder, die nicht unbedingt positiv gemeint waren – „lutherische Monnisten“, „Herrnhöder“, „Mucker“, „Schwärmer“ oder diffamierend „Fromme“. Die Erweckungsbewegung erreichte auch die im frühen 19. Jahrhundert aus der Pfalz und Zweibrücken ins Donaumoos bei Ingolstadt eingewanderten Mennoniten. Hier wirkte in den 1830er Jahren der evangelische Pfarrer Johann Evangelist Georg Lutz, der in Karlshuld einen erwecklichen Glauben predigte und Andachtsstunden abhielt. Lutz war eigentlich Donaumoos katholisch gewesen und vom Mystiker Martin Boos beeinflusst. Auch Mennoniten kamen zu den Andachtsstunden, unter anderem Barbara Hauser, die vom Haftelhof bei Bergzabern stammte und ein neues Zuhause auf den Doferhof, am nordwestlichen Rand des Donaumooses gefunden hatte. Sie konvertierte schließlich zur evangelischen Kirche.
7.3. Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten
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In Friedrichstadt an der Eider kam es dagegen unter Carl Justus van der Smissen, der ab 1837 dort Prediger war, zu einer Erweckung, die auf die Ideen von Johannes Gossner zurückging. Er war ebenfalls von Martin Boos, aber auch von Johann Michael Sailer und der Herrnhuter Brüdergemeine geprägt. Van der Smissen war auch Mitarbeiter der „Mennoniti- Friedrichstadt / Eider schen Blätter“ und gab das Glaubensbekenntnis von Cornelis Ris neu heraus. Weiter südlich hatte bereits in den 1860er Jahren Christian Schmutz zur Gründung einer eigenen Missionsanstalt der Mennoniten aufgerufen, der eine Predigerschule angehängt werden sollte. Er versuchte zudem, dem geistlichen Leben seiner Glaubensgeschwister mehr Tiefe zu geben, indem er 1865 ein „Christliches Lehrbüchlein“ verfasste, das zur Unterweisung im Taufunterricht sowie in den Schulen und generell als Katechismus verwendet werden sollte. 1876 schließlich wurde der „Leitfaden zum Gebrauch bei gottesdienstlichen Handlungen“ herausgegeben. Interessanterweise wurden die süddeutschen Mennoniten von außen als wenig offen für die missionarische Bewegung wahrgenommen. 1872 erschien im „Gemeindeblatt“ ein Brief eines Johannes Loh aus Dierdorf, der das Defizit der Mennoniten auf dem Gebiet der Mission bemängelte. Viele außerhalb der Landeskirche stehende Freikirchen seien Teil der missionarischen Bewegung, nur die „lieben Mennoniten“, so Loh, „liegen brach“. Er hoffe, dass die Gemeinden sich „doch recht bald vom HErrn erwecken lassen“.38 Allerdings muss in Erinnerung gerufen werden, dass „Mission“ für die Mennoniten eigentlich kein einfaches Thema war, denn die Privilegien der Frühen Neuzeit enthielten stets den Passus, dass man nur geduldet würde, wenn man keine Mission betreibe. Jeder Konvertit in den eigenen Reihen konnte Schwierigkeiten mit den Obrigkeiten nach sich ziehen, und wie gesehen, wurden schon die Erbauungsstunden eines Peter Weber als Widerstand gegen obrigkeitliche Bestimmungen eingestuft. 7.3.3. Kontakte zur Evangelischen Allianz
1846 wurde in London die Evangelische Allianz gegründet, mit dem Ziel, alle Evangelischen zu einigen, um gemeinsam gegen anti-kirchliche und anti-evangelische Tendenzen vorzugehen. Ein erster Höhepunkt der Allianzbewegung in 38
Gemeindeblatt 3, 1872, S. 20.
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Deutschland war eine Versammlung 1857 in Berlin. Unter den über 1200 Teilnehmern befanden sich auch acht Mennoniten, unter anderem Johannes Molenaar aus Monsheim, Johannes Risser aus Sembach, David Epp aus Heubuden und Jakob Mannhardt aus Danzig. In den „Mennonitischen BlätAllianztern“ erschien ein sehr ausführlicher Bericht, der das Interesse und versammlung die Freude der mennonitischen Besucher in Berlin widerspiegelt. Berlin 1857 Möglicher Kritik, das Anliegen der Evangelischen Allianz könnte sich nicht mit dem mennonitischen Bekenntnis vertragen, war Mannhardt bereits ein paar Nummern vorher entgegengetreten. Er betonte, die Evangelische Allianz wolle „keine Vermengung, Abschwächung oder gar Aufhebung“ der einzelnen konfessionellen Bekenntnisse, sondern strebe danach, das alle „wahren Christen“ Verbindende, die Gemeinschaft in Christus, hochzuhalten.39 Besonders interessant sind in dem Bericht über die Allianz-Versammlung die Wahrnehmungen der mennonitischen Besucher. So heben sie aus einem Vortrag über das Laienpriestertum die Unterscheidung zwischen Namenschristen und „gläubigen Christen“ hervor. Letztere seien zwar zahlenmäßig wesentlich geringer als die statistisch höhere Zahl der Namenschristen, doch seien sie die „lebendigen Glieder“ und die „wahre, schlechthin einige Kirche“. Sie ziehen Analogien zu ihrer eigenen Geschichte und verweisen darauf, dass schon die täuferischen Vorväter die wahre Kirche in den „geheiligten, lebendigen Gliedern“ gesehen hätten, was Mannhardt und seine Begleiter jedoch keineswegs exklusiv verstanden. Es gelte sich auf die Gemeinsamkeiten aller Christen zu besinnen. Am 14. September hielt auch Johannes Molenaar aus Monsheim eine Begrüßungsrede bei der Versammlung und wandte sich an die „in dem Herrn geliebten Brüder“. Er sprach im Namen der Mennoniten, einer Gemeinschaft, wie er betonte, die „wenig bekannt und wenig genannt“ sei, aber dennoch „inmitten der evangelischen Allianz steht“. Molenaar Johannes fuhr fort und schilderte einen Traum, in dem er Martin Luther, Molenaar Philipp Melanchthon, Jean Calvin und Menno Simons zu Füßen Jesu Christi sitzen sah – in der „allerinnigsten herzlichsten Allianz“. Ein schönes, verbindendes Bild. Bei der Niederschrift der Reden im stenografischen Bericht passierte dann jedoch ein Fauxpas, der Molenaar und seine mennonitischen Kollegen etwas verwirrte. Der Bericht hatte nämlich aus „Menno Symons“ die „Männer Zions“ gemacht, so dass das schöne Bild Molenaars eine 39
Mennonitische Blätter 4, 1857, S. 36.
7.3. Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten
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ganz andere Aussage bekam. Der Schreiber des Berichts in den „Mennonitischen Blättern“ spekulierte daraufhin, ob lediglich ein Fehler beim Hören passiert und Menno Simons so unbekannt sei, dass „selbst sein Name“ den vielen Professoren, Doktoren und Pastoren „wie ein völlig fremdes unverständliches Wort erklungen ist, mit dem sie nichts anzufangen wussten“. Oder deute all dies doch auf ihre Abneigung hin, neben Luther und Calvin nicht Menno Simons sehen zu können?40 Auf jeden Fall betonte Molenaar in seiner Rede auch noch, dass einige der anwesenden Mennoniten bei evangelischen Professoren studiert Quellenarbeit 27 hätten. Dies sei „Allianz“, ebenso wie das neue mennonitische Gesangbuch, das auch evangelische Lieder enthalte. Von mennonitischer Seite blieb das Interesse an der Evangelischen Allianz erhalten. 7.3.4. Karitative Vereine und bürgerschaftliches Engagement
Frauen werden im 19. Jahrhundert vor allem in den bürgerlichen Kreisen der Mennoniten sichtbar. Viele waren karitativ tätig, meist zusammen mit evangelischen Frauen. Es war generell das bürgerliche und karitative Engagement in den verschiedensten Vereinen, das Frauen in einem Jahrhundert, in dem diese noch nicht wählen durften und in rechtlichen Frauenvereine Dingen von ihren Ehemännern abhängig waren, Freiräume der politischen und sozialen Tätigkeit eröffnete. In Emden war Antje Brons in der gemeinnützigen Gesellschaft „tot nut van’t algemeen“ sowie im lokalen Frauenverein tätig, der sich der Unterstützung der verwundeten Soldaten im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 widmete. Zudem kümmerte sie sich um die Einrichtung einer Suppenküche für die Armen in der Stadt. Eines ihrer Hauptanliegen war jedoch die Antje Brons in Erziehung der Jugend, was sich auch im Vorwort ihrer GeschichEmden te der Täufer widerspiegelt. Sie setzte sich für die mennonitische Schule auf dem Weierhof ein und gehörte 1892 als erste Frau dem Erziehungsund Bildungsverein Weierhof an, der sich erst zwei Jahre vorher überhaupt für eine Mitgliedschaft von Frauen geöffnet hatte. In Emden engagierte sie sich für die Töchterschule und einen Kindergarten.
40 Mennonitische Blätter 5, 1858, S. 4, 8.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Bild 22: Antje Brons (1810-1902)
Eine Runde von mennonitischen und evangelischen Frauen in Krefeld, zu der Luise von der Leyen, evangelisch, jedoch mit dem Mennoniten Konrad Wilhelm von der Leyen verheiratet, und Charlotte von Beckerath gehörten, fand ihr Betätigungsfeld im Rahmen der Inneren Mission der Kaiserswerther Diakonie, die von Theodor Fliedner ins Leben gerufen worden Schulen für arme war. Die Damen gründeten in Krefeld eine Kleinkinderschule für Kinder arme und oft verwahrloste Kinder, bei denen es sich wohl vornehmlich um Kinder aus Familien der Industriearbeiter gehandelt haben dürfte. Die Frauen organisierten Mittagessen für die Kinder und stellten Kleidung bereit. Ganz bewusst öffneten sie die Schulen auch für katholische Kinder, was in Zeiten des beginnenden Kulturkampfes keine Selbstverständlichkeit war. 1849 entstand im Kreis um Luise von der Leyen zudem die Idee, eine Diakonisse aus Kaiserswerth nach Krefeld zu holen und noch eine gezielte Arbeit unter Mädchen zu beginnen, deren Eltern in den Textilfabriken arbeiteten und die
7.3. Offenheit. Mennoniten in überkonfessionellen Kontakten
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deshalb kaum Chancen auf eine Ausbildung hatten. Die Mädchen sollten eine Schulbildung erhalten sowie Stricken und Nähen lernen. Tatsächlich schickte Fliedner eine Diakonisse, allerdings unter der Bedingung, dass diese sich vornehmlich um evangelische Mädchen kümmerte, womit sich die gemischt-konfessionell ausgerichteten Damen der Krefelder Gesellschaft einverstanden erklärten. 1851 erweiterte man die Arbeit noch auf die Armen- und Krankenpflege. Hintergrund Kulturkampf Im Deutschen Reich, das nach seiner Gründung 1871 protestantisch dominiert war, entwickelte sich in den 1870er Jahren eine Konfrontation der konfessionellen Lager, die zur Mobilisierung auf allen Seiten führte. Von katholischer Seite versuchte man den schwindenden Einfluss, der auch aufgrund der Durchsetzung der neuen Ideen von Liberalismus und Demokratie spürbar war, zu erneuern. Es entstand eine äußerst polemische Debatte, in der Katholiken gegen Liberale auftraten und Protestanten gegen „Papisten“ und „Ultramontane“ agierten. Als „Ultramontanismus“ bezeichnete man den rom- und papsttreuen Katholizismus. Die Auseinandersetzung fokussierte sich auf die Personen Papst Pius’ IX. und Otto von Bismarcks. Letzterer versuchte vor allem gegen die Zentrumspartei vorzugehen, die sich als Sammelbecken für Katholiken gegründet hatte. Als Zeit des Kulturkampfes werden die Jahre 1871-1887 angesehen.
7.3.5. Evangelisch ja oder nein?
1855 erschien in den „Mennonitischen Blättern“ ein Brief „An die Taufgesinnten (Mennoniten) Deutscher Zunge, meine Brüder und Schwestern im Glauben“, geschrieben vom Mennonitenprediger Ackeringa in Workum, Friesland. Er rief seine Glaubensgeschwister zu Glaubenstreue auf und warnte sie vor der überall um sich greifenden Verführung.41 Die Mennoniten Konfessionelle müssten zu Taufe, Wehrlosigkeit und Eidesverweigerung stehen. Offenheit Interessanter als der Aufruf an sich sind die Worte, mit denen Jakob Mannhardt als Herausgeber der „Mennonitischen Blätter“ eine Passage 41
Mennonitische Blätter 2, 1855, S. 19-21.
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aus dem Brief von Ackeringa kommentierte. Ackeringa hatte geschrieben: „Weil wir nicht stehen auf dem Grunde der Augsburgischen, Helvetischen oder Heidelbergischen Confession oder Catechismen, sondern allein auf Christo, unserm Herrn.“ Für Mannhardt bargen diese Worte ein viel zu exklusives Selbstverständnis, das er für die deutschen Mennoniten nicht gelten lassen wollte. Diese genössen nämlich „Achtung und Anerkennung“ und würden als „ein Zweig der evangelischen Kirche“ gesehen. Ihre Glieder stünden in „freundschaftlicher Gemeinschaft mit den Gliedern der andern protestantischen Kirchen sowohl was die bürgerlichen Verhältnisse betrifft, als namentlich in allen Werken christlicher Liebe“. Auch in der Äußeren und Inneren Mission reiche man sich die Hand, was sich unter anderem darin zeige, dass Mennoniten, wenigstens in Danzig, Mitglied des Gustav-Adolf-Vereins seien. Das Selbstverständnis, als Mennoniten gleichzeitig Teil des Protestantismus zu sein, war Botschaft vieler öffentlicher Äußerungen und setzte eine Linie fort, die sich von der Distanzierung, „Wiedertäufer“ zu sein, im 17. Jahrhundert über die Kontakte zu pietistischen Kreisen bis hin ins 19. Jahrhundert zog. Man fühlte sich den evangelischen Geschwistern verbunden, sprach Martin Luther zu, Freiheit gebracht zu haben, und sah sich in einer großen, konfessionsübergreifenden Bewegung. Interessanterweise traf dieses Selbstverständnis nicht nur auf Gemeinden in den großen Städten zu, sondern fand sich auch schon am Ende des 18. Jahrhunderts in der Pfalz, wie der Bericht des lutherischen Hauslehrers einer mennonitischen Familie aus Altona zeigt, der eine Reise nach Friedelsheim und Ibersheim unternahm. Er schildert die dortigen Mennoniten als äußerst weltoffen. In Friedelsheim etwa traf er Abraham Risser, der kundtat, Gottes Gnade gelte nicht nur für die Mennoniten. Und in Ibersheim erzählte ihm der älteste Prediger, mit Familiennamen Stauffer, die Wahrheit könne nicht in einem der protestantischen Lager allein festgemacht werden. Hier erfuhr der Besucher aus Hamburg von seinen Gastgebern auch, dass diese hofften, ihre Kinder würden sich mit Lutheranern und Reformierten verheiraten. Sehr ausführlich begründete 1847 der Königsberger Mennonitenprediger Carl Harder, warum die Mennoniten sich „evangelische Mennoniten“ nennen sollten. „Evangelisch“ seien alle, „deren Ueberzeugungen und Grundsätze nach ihrem besten Wissen und Gewissen mit der h. Schrift in Uebereinstimmung stehen“. Deshalb hätten die Mennoniten auch Gemeinschaft Evangelische mit all jenen, die das „volle Christenthum allein in dem freien geMennoniten sunden Geist“ der Bibel finden. Dennoch dürfe die Gemeinschaft nicht so weit führen, dass das „Eigenthümliche“ der Mennoniten aufgegeben
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werde – „Mennoniten wollen wir sein und bleiben.“ Das Wort „evangelisch“ weise auf den „göttlichen Ursprung,“ „mennonitisch“ auf den „menschlichen Stifter“ der Gemeinden.42 Hinter Harders Argumentation dürfte letztendlich ein politisches Moment gestanden haben. Er betonte nämlich auch, dass die Mennoniten keine „Sekte“ sein könnten, weil sie evangelisch seien. Die Frage, inwieweit die Mennoniten den Protestanten ähnlich seien und inwiefern man gemeinsame Wurzeln habe, wurde im 19. Jahrhundert auch regelmäßig anlässlich der verschiedenen konfessionellen Jubiläen aufgegriffen. Der Blick auf die Lutheraner und Martin Luther fiel dabei sehr wohlwollend aus. Zudem verwiesen viele Schreiber auf die Verwandtschaft der Mennoniten mit den Baptisten, und es wurde aktiv für den Evangelischen Bund oder die Evangelische Allianz geworben. Doch das konfessionelle Selbstverständnis brachte auch ganz praktische, alltägliche Fragen auf die Tagesordnung, etwa die Position der Mennoniten zu gemischt-konfessionellen Ehen. Die „Ibersheimer Beschlüsse“ sprachen diesbezüglich ein klares „Nein“ aus. Abraham Hunzinger zufolge waren sie auch in Preußen, in Württemberg und in Baden verboGemischtten, überall dort, wo die „35 Fragen“ noch als Lehrbuch verwendet konfessionelle Ehen wurden. Hunzinger meinte, wichtiger als die konfessionelle Übereinstimmung sei es, dass sich zwei Personen verheiraten, die eine tiefe Beziehung auf einer christlichen und gottesfürchtigen Basis eingingen. Auch die 1867 verabschiedeten Artikel der mennonitisch-amischen Versammlung in Offenthal bei St. Goarshausen standen gemischt-konfessionellen Ehen positiv gegenüber. Die Schwierigkeit brachte jedoch der jeweilige Einzelfall mit sich. Beispielsweise jener einer Frau in Friedelsheim, die von ihrem mennonitischen Ehemann geschieden war und nun einen Katholiken heiraten wollte. Johannes Molenaar empfahl 1830, dass dies erlaubt werden könnte, wenn die Frau sich den „kirchlichen Vorschriften“ der Mennoniten füge.43 Auch in einem weiteren Fall wurde der konfessionsübergreifende Kontakt ganz konkret. In Friesenheim / Rheinhessen nutzten Mennoniten und Reformierte die Kirche ab 1807 gemeinsam. Die Mennoniten durften von 8 bis 10 Uhr, die Reformierten ab 10 Uhr Gottesdienst feiern. Im Gegenzug für das Recht, die Kirche mitbenutzen zu dürfen, hatten sich die Mennoniten finanziell 42 Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten, August 1847, S. 4-6. 43 Hunzinger, Schulwesen, S. 138 140; MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 20, Ordner 145 (Brief 22. 11. 1830).
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
am Bau der Kirche beteiligt. Die Reparaturen sollten von beiden Gemeinden getragen werden.
7.4.
Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
7.4.1. Mennoniten im Militär
In der 1936 neu formulierten Verfassung der „Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden“ warfen die Verantwortlichen im Vorwort unter dem Titel „Erläuterungen zur Geschichte“ einen Blick auf die Veränderungen im mennonitischen Glaubensleben. Als um 1800, so heißt es, die Gewissensfreiheit „Allgemeingut“ wurde, „fühlten die deutschen MennoniVerfassung der ten auch wieder Verantwortung und Pflicht gegen Volk und Staat, „Vereinigung“ in denen sie lebten. Zuerst im Westen und auch teilweise im Süden, dann im Norden und Osten des werdenden Deutschen Reichs verzichteten sie, die ihre christliche Friedensgesinnung insbesondere durch den Grundsatz der Wehrlosigkeit zu bezeugen sich bestrebt hatten, mit dem Vordringen der allgemeinen Wehrpflicht nach und nach auf die ihnen eingeräumte Befreiung vom Waffendienst.“44 Eine nachträgliche Legitimation für eine Konformität mit der Gesellschaft, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hatte. Bis diese Äußerungen der „Vereinigung“ niedergeschrieben waren, pflasterten viele Diskussionen und kontroverse Ansichten den Weg der mennonitischen Überlegungen, wie man in konkreten Fragen zum Wandel der politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen im 19. Jahrhundert stehen sollte. Es ist bereits erwähnt worden, dass Mennoniten schon im Patriotische 18. Jahrhundert keine Scheu mehr zeigten, zur Waffe zu greifen Bewegungen oder sich in Uniform zu präsentieren. Die Kriege, die seit den 1780er Jahren unter dem Vorzeichen von Patriotismus, Freiheit und der Neuordnung Europas geführt wurden, übten ihre Anziehungskraft aus. 1785 und 1787 beteiligten sich Mennoniten an der Patriotischen Bewegung in Nordholland, einige von ihnen auch als Offiziere. Die Amsterdamer Gemeinde „Zur Sonne“ missbilligte dies zwar und schloss alle, die zur Waffe griffen, aus der Gemeinde aus. Doch eine generelle Linie war vorgezeichnet. Auch in den Napoleonischen Kriegen kämpfen mennonitische Soldaten. Aus der Mennoniten44 Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, Verfassung vom 11. Juni 1934, Elbing 1936, S. 5.
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
Bild 23: Zeichnung auf einem Brief von Heinrich Krehbiel von 1805
gemeinde Weierhof war 1805 Heinrich Krehbiel in Diensten der Napoleonischen Truppen und schrieb fleißig Briefe nach Hause, teilweise versehen mit Zeichnungen. Er verstarb im Krieg. 1801 klagte der Neuwieder Älteste Peter Weber in einem Brief an den Ältesten von Elbing, Anton Woelke, dass junge Männer aus der Gemeinde in Uniform, „mit dem Schwert umgürtet“, dem Landesherrn entgegenritten.45 In Krefeld wurde, nachdem die Stadt 1802 an Frankreich gefallen war, die Wehrpflicht eingeführt; auf der Liste der Deserteure findet sich signifikanterweise kein einziger mennonitischer Name. Junge Mennoniten zogen in den Krieg, und von 1805 bis 1814 war Gottschalk Floh „Maire“, das heißt Bürgermeister der Stadt, und gleichzeitig Offizier der Bürgerwache. Kontroverse Diskussionen entwickelten 45
Chronik von Heinrich Donner, S. 78.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
sich dann, wie erwähnt, nach 1818, als Isaak Molenaar zum Prediger berufen worden war. Er wollte an der Wehrlosigkeit festhalten, was nicht zuletzt auf Widerstand bei jenen Mennoniten stieß, die zu dieser Zeit bereits im Stehenden Heer dienten. Auch an den weiteren Kriegen des 19. Jahrhunderts, insbesondere an jenen, die zur Reichseinigung führten, nahmen Mennoniten teil. Beispielsweise Philipp Hege vom Oberbiegelhof bei Sinsheim, dessen Briefe im „Gemeindeblatt“ veröffentlicht wurden, oder Thomas Löwenberg vom Weierhof. Beide zogen 1870 in den Deutsch-Französischen Krieg. Löwenberg war Mitglied des 6. Bayerischen Jägerbataillons und bis Januar 1871 bei der Belagerung von Paris dabei. In einigen Briefen reflektiert er im Nachhinein über seine Zeit im Militär und stellt fest, dass es zwar eine „äußere schöne Seite des Militairstands“ gäbe, der Krieg an sich jedoch eine „schwere Zeit“ gewesen sei. Allerdings habe Gott ihn davor bewahrt, auch nur ein einziges Mal zu schießen. Manche Erfahrungen, so Löwenberg, seien wichtig und „nicht vergeblich“ gewesen, doch würde er „nicht noch einmal einen solchen Krieg mitmachen“ wollen.46 Obwohl in vielen Territorien des Deutschen Bundes in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, gab es immer noch Ausweichmöglichkeiten. So konnte man seinen Dienst beispielsweise im Train oder im Sanitätswesen ableisten, oder man stellte einen Ersatzmann, für den es zu zahlen galt. Eine kurze BemerErsatzdienst kung in einem Brief des Mennoniten David Galle aus dem Jahr 1860 zeigt jedoch, welche Belastung gerade die Ersatzzahlung für Bauern bedeutete. Sein Sohn Jakob war wehrpflichtig, doch wollte man ihn bei der Hofarbeit nicht entbehren. Deshalb leistete er eine Zahlung an die Militärvertretungskasse: Viel Geld, so schreibt Galle, für das man viel Wein verkaufen müsse. Doch die Möglichkeit, einen Ersatzdienst abzuleisten, verhinderte generell, dass Mennoniten zu intensiv über Auswanderung nachdachten. Christian Unzicker aus Kassel warf in den 1860er Jahren, als die Debatte über die Wehrlosigkeit sehr rege verlief, die Frage auf, ob es eigentlich recht sei, einen anderen das tun zu lassen, was einem selbst das Gewissen verbiete. Er beantwortete die Frage mit einem klaren „Ja“, denn schließlich dürften nur jene Männer als Ersatz benannt werden, die auch wirklich dienen wollten und die bereits gedient hätten. Man bezahle einen Mann also nur für etwas, das dieser sowieso tun wolle. Ansonsten, so die weitere Folgerung, müsste man generell 46 Müller, Kriegstagebuch, S. 211 f.
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
Bild 24: Thomas Löwenberg
die Zahlung von Steuern verweigern, denn ein Teil davon fließe ins Militär.47 Dennoch blieb immer das finanzielle Problem für einzelne Mennoniten. Unzicker schlug deshalb vor, die Loskaufung über die Gemeinden zu regeln, um die finanziellen Lasten besser zu verteilen. Denn es kam auch vor, dass Mennoniten gerade deshalb ins Militär gehen mussten, weil Geldnot sie dazu zwang. 7.4.2. Die Diskussion über Wehrlosigkeit in Preußen
Auch für die preußischen Mennoniten gab es nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Einrichtung der Landwehr 1813 Ausnahmeregelungen. So erhielten sie zugesichert, nicht eingezogen zu werden, wenn sie eine Geldzahlung leisteten oder dem Militär eine gewisse Anzahl an Pferden lieferten. So gut diese Regelungen für das Gewissen der Mennoniten waren, so 47 Mennonitische Blätter 14, 1867, S. 45.
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missbilligend reagierten andere und nahmen diese als ungerechte Behandlung wahr. 1859 brachte die „Neue Preußische Zeitung“ einen Bericht über eine Petition von Bürgern aus Montau, die hintergründig erklärten, sie würden den Wehrdienst umso „freudiger“ tun, wenn ihre mennonitischen Mitbürger, „welche die schönsten Marschgegenden Westpreußens besitzen“, dies auch tun würden.48 Doch auch aus den Reihen der Mennoniten kamen Stimmen, die sich angesichts veränderter Zeiten für die Aufhebung jeglicher Sonderrechte einsetzten. „Jene Exemtion“ der Mennoniten sei eine „Abnormität“ und „in keiner Weise mehr zu halten“, seit Preußen die Wehrpflicht für alle waffenfähigen Männer eingeführt habe, so der Krefelder Hermann von Beckerath 1848 in der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskriche. Durch die Ausnahmeregelungen für die Mennoniten würden die „Rechte anderer Staatsbürger“ verletzt, was in früheren Zeiten nicht der Fall gewesen sei, da keine allgemeine Wehrpflicht bestand. Wenn nun, 1848, „ein freier Staat gegründet werden soll, ein Staat dessen Kraft darauf beruht, daß alle Bürger in Rechten und Pflichten gleichstehen“, könne es keine Begünstigung mehr für Mennoniten geben.49 Die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche hatte das Thema Wehrpflicht in ihrer Grundrechtdebatte auf die Tagesordnung gesetzt. „Die Wehrpflicht ist für alle gleich“, hieß es in einer Vorlage für die Sitzung Anfang August 1848. Während einige Abgeordnete sich für die fortdauernde Wahrung von Minderheitenrechten aussprachen, um damit auch die steigende Zahl an Auswanderungen einzudämmen, setzte Hermann von Beckerath, wie zitiert, das „allgemeine Wohl des Vaterlandes“ über jegliche „Ausnahmen in der Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten“.50 Sekundiert wurde ihm ideell von Carl Harder, der in seiner „Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten“ 1848 begründete, dem Griff zur Waffe dürfte nichts im Wege stehen, wenn es darum ginge, die „Ordnung in der Welt aufrecht zu erhalten und durch die Gewalt der Waffen ein großes Unglück zu verhüten“. Die Wehrlosigkeit sei einer jener Grundsätze, der von Zeit zu Zeit überprüft werden müsste. Zumal sich mindestens in den Schriften von Menno Simons keine Stelle finden ließe, die beweise, dass man Waffen zu „einem guten Zweck“ nicht gebrauchen dürfe. Interessant ist in diesem Zusammenhang Harders Interpretation zweier oft im Zusammenhang mit der Wehrlosigkeit verwendeter Bibelstellen. „Liebet eure Feinde“ sage 48 Zit. nach: Mennonitische Blätter 6, 1859, S. 21 (Mai-Nummer, da falsche Seitenzählung). 49 Zit. nach: Crous, Beckerath, S. 18. 50 Zit. nach: Muhs, „Das schöne Erbe“, S. 89.
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
aus, dass „wir auch gegen die, welche wir bekämpfen müssen, Liebe empfinden und nicht mit einem gehässigen Herzen, sondern um der Ordnung willen sie mit Gewalt zurückweisen sollen“. Und die Aufforderung Jesu Christi an Petrus „stecke dein Schwert in die Scheide“ bedeutete für Harder, dass „man sich den Dienern der Obrigkeit nicht widersetzen solle, auch wenn diese Unrecht tun“.51 Diesen Auffassungen nicht zustimmen konnten viele westpreußische und badische Mennoniten, die Petitionen gegen die Entwürfe der Grundrechte-Charta an das Paulskirchenparlament schickten. Die Eingabe aus Baden betonte die Unverrückbarkeit der mennonitischen Glaubensgrundsätze. Den Mennoniten seien diese als Privilegien bisher stets zugesichert worden, was keinem Staat zum Schaden gereicht hätte. Auch viele mennonitische Vertreter aus Preußen kämpften für die Beibehaltung der Wehrlosigkeit. Für sie geriet die Frage wieder ganz oben auf die Tagesordnung, als König Friedrich Wilhelm IV. am 31. Januar 1850 eine neue Verfassung erließ, die in Art. 34 bestimmte, dass alle Preußen wehrpflichtig seien. Und Art. 12 besagte, den „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten“ dürfte durch „Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen“. Ein argumentativer Kampf um die Wehrlosigkeit war eröffnet, nach innen und nach außen. Denn viele Mennoniten sahen sich nun vor die Alternative gestellt, den „Gewissenzwang“ zu erdulden oder doch intensiver mit dem Gedanken an eine Auswanderung zu spielen, so Wilhelm Mannhardt 1863.52 Trotz aller Bereitschaft, auf Gesellschaft und Staat zuzugehen und sich zu integrieren, war die Entscheidung, die Wehrlosigkeit vollkommen aufzugeben, noch einmal ein weiterer Schritt. So plädierte auch Jakob Mannhardt, der Herausgeber der „Mennonitischen Blätter“, in zahlreichen Beiträgen dafür, der Idee der Wehrlosigkeit treu zu bleiben, selbst wenn der äußere Druck wachse. In seiner Gedächtnisrede zum 300. Todestag von Menno Simons im Jahr 1861 forderte er ein entsprechendes Bekenntnis; allerdings ermahnte er seine Glaubensgeschwister auch, Wehrlosigkeit umfassender zu verstehen. Es könne nämlich nicht darum gehen, für die Befreiung von Waffendiensten zu kämpfen und gleichzeitig das „Schwert im Herzen“ zu behalten – also seinem Nächsten mit Zorn, Neid, Hass, Hader, Streit, Engherzigkeit, Eigensinn, Eigenwillen, Geiz oder Selbstsucht zu begegnen.53 1867 sprach sich auch Christian Unzicker in dem bereits erwähnten, sehr differenzierten Beitrag für die Wehrlosigkeit aus. Er wollte jedoch gleich51 52 53
Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten, Mai 1848, S. 15. Mannhardt, Wehrfreiheit, III. Mennonitische Blätter 8, 1861, S. 7.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
zeitig die Bedürfnisse des Staates berücksichtigt wissen. Es müsse, so Unzicker, ein Weg gefunden werden, der das Gewissen der Mennoniten nicht belaste, jedoch auch den Anforderungen des Staates Genüge tue. Bereits 1863 hatte Wilhelm Mannhardt, eigentlich Ethnologe in Berlin, dann Privatgelehrter in Danzig, im Auftrag der Danziger Mennoniten eine umfangreiche und quellengesättigte Publikation mit dem Titel „Die Wehrfreiheit der Altpreußischen Mennoniten“ verfasst. Es handelte sich um eine historiografisch sehr detaillierte Studie, die alle relevanten Artikel „Die Wehrfreiheit aus den Bekenntnissen sowie die obrigkeitlichen Dokumente und der Altpreußischen Privilegien zusammenfasste, um der aktuellen Diskussion ArguMennoniten“ mente zu liefern. Allerdings war Mannhardt aufgefordert worden, Neutralität zu wahren, sich jeglicher Kritik an der augenblicklichen Situation zu enthalten und keine Urteile über eine mögliche Lösung zu fällen. Bereits im Vorwort deutete Mannhardt an, dass seine eigene Meinung sich nicht in der Studie wiederfinde. Tatsächlich gehörte er in den folgenden Jahren zu den vehementen Befürwortern des Militärdienstes. Politische Betriebsamkeit brachte dann das „Gesetz betreffend die Kriegspflicht“, das der Norddeutsche Bund am 9. November 1867 verabschiedete. „Jeder Norddeutsche ist wehrpflichtig“, hieß es. Ausnahmen gab es nur für Mitglieder regierender beziehungsweise ehemals reichsständiger Häuser. Der König von Preußen, als Oberhaupt des Norddeutschen Bundes, hatte das Gesetz unterzeichnet. Unter dem Druck der Entscheidungen im Norddeutschen Bund nahm nun beispielsweise auch Baden die Privilegien für die Mennoniten zurück. Auf mennonitischer Seite setzte ein emsiges Verhandeln ein. Eine Abordnung westpreußischer Ältester reiste nach Berlin, um in persönlichen Audienzen für die Sache der Mennoniten zu werben. Unter anderem sprachen sie mit Kriegsminister von Roon sowie mit weiteren Ministern, die jedoch jeweils nur ihr Bedauern darüber ausdrückten, den Mennoniten keine Ausnahmeregelungen gewähren zu können. Eine Audienz bei König Wilhelm I. und dem Kronprinzen, dem späteren Friedrich III., brachte ebenfalls keine Ergebnisse. Beide hätten sich, so die mennonitischen Berichte, zwar sehr freundlich mit der Abordnung aus Westpreußen unterhalten und sich interessiert gezeigt am mennonitischen Leben, jedoch betont, dass sie nicht über dem Gesetz stünden und in der Sache keine Zugeständnisse machen könnten. Folgt man dem mennonitischen Bericht, so diskutierte man mit von Roon auch darüber, ob ein Kriegsminister überhaupt selig werden könnte. Auf die entsprechende Frage von Roons antwortete der Älteste Peter BarGespräch mit Roon tel mit einem Verweis auf die Rede des Apostels Paulus über das
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
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Essen von Götzenopferfleisch im 1. Korinther-Brief: „[ … ] wir haben die Anschauung aus dem Worte Gottes gewonnen, daß das Kriegführen Sünde ist. Folglich ist es uns Gewissenssache geworden, und wenn wir nun doch Waffendienst tun, gereicht es uns zur Sünde. Eure Exzellenz aber und Ihresgleichen haben wieder das Gegenteil gleich mit der Muttermilch eingenommen und sind dahin unterrichtet worden, daß das Kriegführen eine Vaterlandsverteidigung und eine heilige Pflicht sei, mithin es Ihnen nicht Götzenopfer ist und folglich Sr. Exzellenz und Genossen nicht gleich wie uns zur Sünde gereicht.“54 Auch wenn die Gespräche in Berlin nicht zum Ziel führten, gab es doch später Ergebnisse. So billigte eine Kabinettsordre des Königs den Mennoniten 1868 erneut zu, statt des Dienstes an der Waffe ins Sanitätswesen, in die militärische Verwaltung oder in den Train gehen zu können. 1870 folgte auch für Baden eine entsprechende Ausnahmeregelung. Allerdings blieb Die Kabinettsordre auch dieser Ersatzdienst umstritten, denn im Train- oder Sanitäts1868 dienst war das Tragen einer Waffe ebenfalls vorgeschrieben. So fielen die Reaktionen von mennonitischer Seite unterschiedlich aus. Während einige eine Dankadresse an König Wilhelm I. schickten, sahen andere die Lösung weiterhin nur in der Auswanderung. Die westpreußischen Stadtgemeinden Danzig und Elbing beschlossen 1870, ihren Männern keine Vorgaben mehr zu machen, sondern es dem Gewissen jedes Einzelnen zu überlassen, wie er mit dem Militärdienst umging. Das Glaubensbekenntnis der Mennoniten in Preußen formulierte 1895 in einer sehr abgeschwächten Form, man solle sich des Waffendienstes und des Krieges enthalten, „so viel an uns ist“.55 Einer anderen Auffassung war der Älteste von Heubuden, Gerhard Penner, der weiter für die Befreiung vom Wehrdienst eintrat. Er sah die Auswanderung als einzigen Ausweg und taufte zeitweise die jungen Leute in seiner Gemeinde nur unter der Prämisse, dass diese auswandern würden – was jedoch zu einer Spaltung in der Gemeinde führte. 7.4.3. Nationalismus und Reichseinigung
Die Debatten über die Wehrlosigkeit und über die Konformität in der Gesellschaft fielen in eine Zeit, in der die nationale Bewegung im Deutschen Bund sich radikalisierte und sich nun aggressiv gegen „Feinde“ der Nation richtete. Diese Entwicklungen sorgten auch unter den Mennoniten für eine Politisierung, die ein bewussteres 54 55
Zit. nach: Jugendwarte 2, 1922, S. 105. Glaubensbekenntnis der Mennoniten in Preußen, S. 14.
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Bekenntnis zur deutschen Nation hervorbrachte. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg ausbrach und der preußische König Wilhelm I. sich im Januar 1871 in Schloss Versailles zum Deutschen Kaiser proklamieren ließ, erreichte Quellenarbeit 28 die nationale Begeisterung einen ersten Höhepunkt. Die Mennoniten ließen sich mitnehmen in diese Dynamik, die auch ein generelleres Umdenken in der Wehrfrage beschleunigte. Während des Deutsch-Französischen Krieges, von dem ja gerade auch die Pfalz und das Elsass, wo viele Mennoniten wohnten, betroffen waren, brachten die mennonitischen Zeitschriften zahlreiche Beiträge, die sich mit dem Krieg beschäftigten. Die Autoren sahen diesen durchwegs positiv, wobei sie auch mit nationalen StereoAntifranzösische typen nicht sparten, die dem französischen Gegner von deutscher Polemiken Seite aus zugeschrieben wurden. Jakob Mannhardt sprach vom „fränkischen frechen Uebermuth“ und der „ungerechten frivolen Anmaßung“ sowie der „leichtsinnigen Verblendung“ der Franzosen über ihre eigenen Kräfte. Und auch im süddeutschen „Gemeindeblatt“ erschien ein Artikel mit dem Titel „Ein deutsches Wort an’s deutsche Volk“. Er war aus der württembergischen evangelischen Zeitschrift „Christenbote“ übernommen worden und transportierte viele nationale Stereotype. Frankreich sei schon immer die „Brutstätte aller Gottlosigkeit, alles Unglaubens, aller unzüchtigen Moden und Sitten“ gewesen und erweise sich nun zudem als Hort eines „wilden fanatischen Nationalismus“.56 Die verschiedenen mennonitischen Autoren bekannten sich zur Reichseinigung unter protestantischen Vorzeichen und preußischer Führung, also zur kleindeutschen Lösung, die das (katholische) Österreich außen vor ließ. Auf der Welle der nationalen Begeisterung wurde das „Vaterland“ in immer engeren Grenzen gedacht. Die Befürwortung des Dienstes an der Waffe war nun offiziell salonfähig geworden und als Dienst für die nationale Sache legitimiert, auch wenn nicht alle mitziehen wollten, wie ein Brief von Heinrich August Neufeldt überliefert. Neufeldt war seit 1869 Prediger in Friedrichstadt und schrieb an Antje Brons in Emden, die er dafür lobte, sich erfreut über die Entscheidung ihres Sohnes gezeigt zu haben, freiwillig in den Krieg zu ziehen – „Wie große Unterschiede gibt es doch zwischen den Müttern.“ Und die Unterschiede gab es nicht nur bei den Müttern, sondern generell in den Gemeinden. Die ostfrie56 Mennonitische Blätter 17, 1870, S. 41; Gemeindeblatt 3, 1872, Beilage zur Dezember-Nummer.
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
sischen Mennoniten, so Neufeldt, würden sich beschweren, wenn ein Prediger nicht „deutsch genug“ sei. Seine eigene Gemeinde in Friedrichstadt dagegen wollte keine Predigt hören, die eine „Anspielung auf die Zeitbegebenheiten“ enthielt.57 Dem Brief legte Neufeldt ein Gedicht über den Dienst der Soldaten, die Liebe Gottes für Kämpfende, Heimgekehrte, Gefallene und Hinterbliebene sowie für die Opfer fürs „Vaterland“ bei. Neufeldt hatte das Gedicht, so erklärt er, bei der Feier der aus dem Feld Zurückgekehrten in Friedrichstadt vorgetragen. Quelle Heinrich August Neufeldt, Festgedicht zur Rückkehr der Krieger (1871) „Ihr kehret heim – mit Euch war Gottes Segen, / Euch schützte kräftig seiner Allmacht Hand; / Ob Euern Häuptern war im Kugelregen / Ein festes Dach – nur unsichtbar – gespannt. / Die Seuche nicht, auf ihren finstern Wegen / Schleichend den Weg zu Euren Herzen fand; / Ihr kehret heim, vom Schöpfer treu geborgen, / Zu Heimathsfreuden und zu Heimathssorgen. Nicht alle kehrten mit – in langen Reihen / Zieht sich im fernen Frankreich Grab an Grab. / O daß es zu des Vaterlands Gedeihen / So schwerer Opfer ein Bedürfnis gab! / Kein Wälscher müsse je die Statt entweihen, / Wo diese hingelegt den Wanderstab! / Die noch vermißt sind weithin in der Runde – / Herr, sende bald den Ihren sichre Kunde! Ihr kehret alle! Die beglückten Euern / Und wir sind eins in heißem Dankgebet; / Doch weithin Viele unter Thränen feiern, / Ein leises Schluchzen durch ganz Deutschland geht. / Wem nicht zurückgekehrt die Lieben, Theuern, / Durch dessen Seele zwiefach Stürmen weht: / Ein Freundensturm ob neuem Reicheslenze, / Ein Thränensturm ob all der Todtenkränze. Die ihr die Gattin hier zurückgelassen, / Ihr blieb der Mann, der Trost vom Kreuz her giebt! / Die ihr die Kindlein nicht mehr könnt umfassen / Es ist ein Gott, der mehr als Väter lieb! / Die um die Eltern sorgten beim Erblassen, / Gott sorgt! Drum auch im Tode unbetrübt! / Ihr stillen Schläfer, all’ in langen Reihen, / Euch wollen wir dies stille Glas jetzt weihen!“58
Gottes Segen lag nach Meinung der mennonitischen Zeitgenossen auf dem Handeln der Herrscher, insbesondere der preußischen Könige. Bereits 1830 hatte der im Beamtentum verwurzelte Abraham Hunzinger die „humanen 57 58
Zit. nach: Neufeld, Festgedicht, S. 70, Anm. 4. Zit. nach: Ebd., S. 67 f.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
und frommen deutschen Fürsten“ gepriesen. 1867 lobte Christian Unzicker aus Kassel König Wilhelm I. für seine „weisen“ Entschlüsse, und er dehnte seine Begeisterung auch auf Wilhelms Vorfahren aus, die stets Ausnahmeregelungen für Mennoniten gefunden hätten – was hier natürlich noch als Option auf die erst ein Jahr später erlassene Kabinettsordre gedacht war.59 Seine Unterstützung für den preußischen König Wilhelm IV. hatte auch Johannes Molenaar im Frühjahr 1849 in einem Gedicht zum Ausdruck gebracht, in dem er den König aufforderte, die angebotene Kaiserkrone doch anzunehmen – was Wilhelm IV. bekanntlich verweigerte. Und es waren die politisch aktiven und liberal ausgerichteten Mennoniten wie Hermann von Beckerath, die sich für einen konstitutionell ausgerichteten deutschen Bundesstaat unter der Führung des preußischen Königs einsetzten. Im Deutsch-Französischen Krieg freuten sich auch die süddeutschen Mennoniten trotz aller Gräuel, die der Krieg mit sich brachte, über den Schub zur Reichseinigung, der mit der Auseinandersetzung verbunden war. Ein Artikel im „Gemeindeblatt“, der anlässlich des Kriegsausbruchs erschien, hob besonders hervor, dass sowohl Wilhelm I. als auch der badische Großherzog den Krieg im Vertrauen auf die Hilfe Gottes führten. Richtig Fahrt nahmen die rhetorischen Treuebekundungen dann mit dem Sieg Deutschlands über Frankreich auf. Im Januar 1871 hielt Johannes van der Smissen eine „Friedensdankfeier“ in Sembach, die den gewählten Bibelvers aus 1. Kor. 15, 57 – „Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.“ – sehr anlassbezogen ausDer Sieg über legte, nämlich auf den Sieg im Krieg hin. Gott sei mit den deutFrankreich 1871 schen Truppen gewesen, was sich schon allein darin zeige, dass in den Kriegsberichten der Gegner kaum auf Gott hingewiesen werde. Danken für den Frieden wolle man, so van der Smissen, doch „der Friede möchte uns weniger dankenswerth erscheinen, wenn nicht der Sieg vorhergegangen wäre“. Der Triumph des Sieges, den der Sembacher Prediger seinen Zuhörern vor Augen führt, hindert ihn nicht daran, am Ende dazu aufzurufen, nun das „Band des Friedens“ auch mit den Franzosen zu halten, wie es einem Christen gezieme. Der „Nationalhaß“ solle aufhören und das Wort „Erbfeind“ solle nie mehr gegen Menschen oder andere Christen gebraucht werden.60
59 Hunzinger, Schulwesen, S. 146; Mennonitische Blätter 14, 1867, S. 44 f. 60 Mennonitische Blätter 18, 1871, S. 19 f.
7.4. Wehrlosigkeit. Ein Glaubensprinzip im gesellschaftlichen Wandel
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7.4.4. Martin Luther als nationaler Charakter
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts widmeten sich mennonitische Autoren der Person und dem Wirken Martin Luthers. 1850 erschien eine recht umfangreiche Luther-Biografie von Leonhard Weydmann. Der Krefelder Prediger feierte Luther darin als Prototypen des Deutschen und als Inbegriff der „ächt deutschen Natur“. In ihm sei die „Blüthe des germanischen Volksthums“ zum Ausbruch gekommen. Der Lobpreis auf Luther ist verbunden mit Angriffen auf den Katholizismus, womit Weydmann die in seiner Zeit verbreitete protestantische Kritik am Ultramontanismus aufgriff, die bald in den Kulturkampf führte. Luthers Charakter, den Weydmann als arglos, grob und ehrlich darstellt – für ihn typische positive Elemente des „deutschen Volkscharakters“ –, habe die „Klugheit“ und „Arglist“ der „ultramontanen Feinde“ entlarvt und im 16. Jahrhundert Freiheit vom Katholizismus und dessen „unfreiem Handeln“ und „formellem Gehorsam“ gebracht. Mit seinem „freien, schriftgemäßen Glauben“ habe Luther Licht in die „kirchliche Verdunkelung“ gebracht.61 Der Lobpreis auf Martin Luther, der zugleich das Bekenntnis zur deutschen Nation umfasste, wiederholte sich bis ins frühe 20. Jahrhundert immer wieder. Anlass waren entweder die Menno-Simons- oder die Reformationsjubiläen. So erschien beispielsweise 1883, zum 400. Geburtstag von Luther, in den „Mennonitischen Blättern“ ein Artikel, der betonte, die Mennoniten seien Luther zwar nicht zu Dank verpflichtet, wenn man an die Verfolgung denke. Auch könne man seiner Lehre nicht voll zustimmen, doch man habe aus seinen Bemühungen um die evangelische Lehre auch Gewinn ziehen können. Drei Dinge seien am Verhalten Luthers hervorzuheben: der Protest des evangelischen Gewissens gegen alles, was nicht den Namen Jesu verdient; die unerschrockene Art und Weise, wie Luther seinen Glauben gegen Kaiser und Reich verteidigt hätte, und die Übersetzung der Bibel in die Muttersprache. 7.4.5. Das Weltbürgertum der Christen
Doch es gab auch eine andere Strömung, die sich zumindest bis ins frühe 20. Jahrhundert unter den deutschen Mennoniten hielt und sich mit der Frage beschäftigte, ob und wie die nationale Bewegung Gegen das irdische mit dem christlich-mennonitischen Glauben vereinbar sei. Ihre Vaterland 61
Weydmann, Luther, S. 65, 166.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Anfänge reichten zurück in jene Zeit, als die nationale Bewegung liberal und demokratisch ausgerichtet war und auch Mennoniten davon überzeugt waren, dass jeder Christ eigentlich Weltbürger sei. So hatte es Wibius van der Ploeg 1794 in seiner Predigt formuliert. Das Christentum wirke weltüberspannend und könne irdische „Vaterländer“ nicht dulden. Ein gutes halbes Jahrhundert später schlug Carl Harder in die gleiche Kerbe, indem er herausstellte, dass für Christen alle Menschen „Brüder und Kinder Gottes“ seien und sich eine Nation deshalb nicht über die andere erheben dürfte. Hass predigen gegen andere sei ein Unding. Man könnte zwar die Verfassung eines Staates „tadeln oder verabscheuen“, aber die Bürger selbst hätten Anspruch auf Liebe. Carl Harder ging noch ein wenig weiter und schrieb der Wehrlosigkeit eine positive Wirkung für die Gesellschaft zu, um Frieden zwischen den Menschen und den Völkern zu stiften. Er war davon überzeugt, dass ein „allgemeiner Völkerfrieden“ eintreten würde, wenn die Menschen erst Frieden im Herzen hätten. Allerdings stellte Harder auch klar, dass jede Nation ihre Berechtigung habe und „Kraft und Eigenthümlichkeit“ eines jeden Volks nicht vernichtet werden dürften. Er geht von der „natürlichen“ Zusammensetzung eines Staates aus, das heißt, jedes Volk definiere sich durch seine Herkunft, seine gemeinsame Sprache und seinen Charakter.62 Um diese Äußerungen ideell fortzuführen, sei noch auf einen Beitrag verwiesen, der aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt. Er richtete sich als mahnende Stimme an die mennonitische Welt und kam aus den USA, von John Horsch. Er war 1867 in Giebelstadt bei Würzburg geboren, jedoch 1887 in die USA ausgewandert, um dem Militärdienst zu entgehen. John Horschs 1920 verfasste er eine längere Abhandlung, „Die biblische Lehre Wehrlosigkeit von der Wehrlosigkeit“, die eine Kritik am Patriotismus der Zeit enthielt. Dieser sei nur dann als „christlich“ zu bezeichnen, wenn er auch anderen Nationen Vaterlandsliebe zugestehe. Auch John Horsch verweist darauf, dass das Christentum eigentlich einen übernationalen Charakter habe. In einem Kapitel beschäftigte sich John Horsch auch mit dem Pazifismus, der sich in seiner Zeit gerade als Idee herausgebildet hatte, und verglich ihn mit der täuferischen Wehrlosigkeit. Er trennte Letztere scharf vom Pazifismus und warf dessen Vertretern vor, im Vorfeld des Ersten Weltkrieges völlig versagt zu haben. Es fehle dem Pazifismus der ideelle, christliche Unterbau, so dass er ledig62 Monatsschrift für die evangelischen Mennoniten, Dezember 1846, S. 14; Evangelische Monatsschrift 1848, Heft 4, S. 47.
7.5. Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland
lich auf eine „allgemeine Weltverbesserung“ und „Verbrüderung der Nationen“ herauslaufe. Mit einem stark antimodernistisch geprägten Impetus setzt Horsch dagegen auf die biblische Wehrlosigkeit, die bei Jesus Christus als „Friedefürst und Friedebringer“ anfange. Sie helfe, die Selbstsucht der Menschen zu überwinden, nicht so jedoch der Pazifismus. Dieser gehe von der falschen Annahme aus, der Mensch oder die Menschheit sei von Natur aus gut. Der Weltkrieg habe gezeigt, dass dies nicht so sei.63 Quelle John Horsch, Die biblische Lehre von der Wehrlosigkeit (1920) „Patriotismus oder Vaterlandsliebe ist ebenso christlich wie die Liebe zu der eigenen Familie. Unchristlich ist wenn ich aus vorgeblicher Liebe zu meiner Familie andere Familien verachte und ihnen mit Unliebe begegne. Dieses würde nur zeigen daß meine Liebe zu meiner eigenen Familie nicht rechter Art ist. Ebenso verhält es sich mit der Vaterlandsliebe. Christliche Vaterlandsliebe erkennt stets an daß ausländische Leute auch ein Vaterland haben und daß sie dasselbe Recht haben, ihr Vaterland zu lieben. Das Christentum ist durchaus übernationalen Charakters. Die Leugnung dieser Tatsache beruht entweder auf Blindheit oder auf Heuchelei. Der Krieg ist die völlige Leugnung der Uebernationalität des Christentums.“64
7.5.
Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland
7.5.1. Neue Siedlungsgebiete
Mennoniten, Amische und Hutterer waren Teil der großen Migrationsbewegungen im 19. Jahrhundert. Wachsender Bevölkerungsdruck, ungünstige Erbrechte und fehlende Arbeitsmöglichkeiten, aber auch Missernten sowie der Wunsch, die Welt zu entdecken, sorgten für steigende Auswanderungszahlen in den täuferischen Gemeinden. Besonders aus Südwestdeutschland zogen viele Mennoniten nach Russland und nach Nordamerika. Spitzenwerte erreichten die Zahlen in den Jahren 1846-1857 und 1864-1873. Es handelte sich weitgehend
63 John Horsch, Die biblische Lehre, S. 10, 75. 64 Ebd., S. 74.
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
um eine wirtschaftlich motivierte Migration, wenn man von jenen Mennoniten absieht, die wegen der Wehrlosigkeit wegzogen. Für die täuferischen Gruppen vergrößerte sich der Migrationsradius nun noch mehr. So sind einzelne Mennoniten bekannt, die bereits nach Südamerika gingen, etwa Jakob Berg, der 1857 aus der Nähe von Landau / Pfalz nach Chile zog und sich dort „Diego“ nannte. In einem Brief in die alte Heimat beschreibt er die Landschaft: „Nicht ein Strauch nicht ein Grashalm ist weit und breit zu entdecken. Nur Sand und Steine so weit das Auge reicht. Der einzige Nahrungszweig in dieser Einöde, sind die reichen Kupfer u Silber Bergwerke, welche diese kahlen Berge in sich schließen; ein unerschöpflicher Reichthum liegt hier noch todt und eingeschlossen, und erwartet blos den Bergmann um sich in alle Welt zu verbreiten.“65 Jakob / Diego sollte an der Grenze zu Bolivien eine kleine Grenzstation aufbauen. Schwerpunkte der über Europa hinausgehenden täuferischen Siedlungen lagen jedoch in Nordamerika und in Russland. 7.5.2. Neue Wege in Nordamerika
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts bewegten sich die nordamerikanischen Mennoniten und Amischen allmählich von Pennsylvania aus weiter westwärts. Zudem erreichten über das gesamte Jahrhundert immer wieder Auswanderer aus Deutschland Nordamerika und in den 1870er Jahren kamen dann Mennoniten und Hutterer aus Südrussland. Währenddessen liefen gemeindeintern in Nordamerika ganz ähnliche Entwicklungen ab wie in Deutschland. Findungsprozesse und unterschiedliche Ansätze zur Identitätsbildung offenbaren die Suche nach einem Weg in einer sich wandelnden Zeit. Die Erweckungsbewegungen brachten neue Methoden und Möglichkeiten der Glaubensvermittlung und veränderten Strukturen in den Gemeinden. Eine bessere Bildung, die politische Integration und Partizipation, die Anpassung in Fragen der Kleidung und des Lebensstils sowie der überkonfessionelle Kontakt waren Themen, die auch in Nordamerika Spaltkraft entwickelten. Progressive Strömungen sahen sich mit Rufen nach Beibehaltung der „alten Ordnung“ konfrontiert – auch die inhaltliche Ausrichtung der Diskussionen ähnelte jener in Deutschland. Ein Unterschied war jedoch, dass sich die in Nordamerika entstehenden „old order“-Gruppen dauerhaft halten konnten. Während die Amischen sich bis in die 1830er Jahre erst neu organisierten beziehungsweise ihre bis dahin wenig vorhandenen kirchlichen Strukturen 65 Zit. nach: Hege-Bettac, „Dem Muthigen“, S. 184.
7.5. Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland
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Bild 25: Szene mennonitischen Lebens in Nordamerika (um 1900)
stärkten, waren die Mennoniten bereits gemeinschaftlicher unterwegs und teilweise ganz gut in die Gesellschaft der britischen Kolonien integriert. Eine zentrale Figur war im 18. Jahrhundert der Bischof Heinrich Funck Heinrich Funck, wohl im frühen 18. Jahrhundert aus der Pfalz eingewandert. Er war ein ambitionierter Autor, der für seine eigene Generation die alte Leidens- und Martyriumstheologie hochhalten wollte. Was nicht so einfach war, da die Mennoniten seiner Zeit in einer toleranten Umgebung lebten und von Erfolg und Wohlstand geprägt waren. Funck kritisierte diese Tendenzen und forderte, weniger Kompromisse mit der „Welt“ zu machen und auf Luxus und Statusdenken zu verzichten. Stattdessen sollten Demut, Bescheidenheit und Absonderung im Vordergrund stehen. Das geistliche Leben der Mennoniten zeigte sich um 1800 in den USA sehr rege und von verschiedenen Einflüssen geprägt. Dies illustriert ein 1804 erschienenes und äußerst erfolgreiches Buch, die „Nützliche und Erbauliche Anrede an die Jugend von der Wahren Buße“ von Christian Burkholder, Bischof in Lancaster County. Es war wohl als Reaktion auf das Wirken Christian methodistischer Erweckungsprediger geschrieben und integrierte Burkholder typische Themen der Erweckungsbewegung in das mennonitische Selbstverständnis. Wiedergeburt, Bekehrung, Heiligung und Hingabe an Jesus
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Christus bildeten für Burkholder die Basis eines christlichen Lebens, das er zudem durch eine bußfertige Seele und Demut im Herzen charakterisiert wissen wollte. Die erweckten Mennoniten schrieben nun auch in Nordamerika ihre Bekehrungserlebnisse nieder, wie etwa Christian Newcomer aus Lancaster County. Bei der Arbeit auf dem Feld kamen ihm immer wieder die Worte „Verloren, Verloren!“ in den Sinn, so dass er den Pflug fallen ließ, auf die Knie ging und Gott bat, ihn zu retten.66 Newcomer schloss sich später den „United Brethren“ an und wurde dort Bischof. Wie der richtige Weg der Nachfolge Jesu Christi auszusehen habe, wurde allerdings auch in Nordamerika ganz verschieden beantwortet. Zahlreiche Spaltungen, die jenseits des Atlantiks, anders als in Europa, sich manchmal voneinander sehr scharf abgrenzende Gemeinden und Gemeindebünde hervorbrachten, zeugen von den Kontroversen. Wer den rechten Weg der Mennoniten oder Amischen beschritt, war stets Definitionssache. Die Frage war immer nur, wer die Deutungshoheit behielt. Sich neu bildende Gruppen wurden meist nach den Predigern oder den Distrikten benannt, in denen sie sich trafen; so entstanden etwa die Groffdale Mennoniten oder die Holderman Church. Doch es waren nicht nur neue Formen des geistlichen Lebens und verschiedene Frömmigkeitsstile, die unter den Mennoniten und Amischen für Debatten sorgten, sondern ebenso wichtig wurden kulturelle Fragen oder die Stellung zu Freizeitaktivitäten. Es ging um Baseball, Pferderennen, Croquet oder auch Geburtstagsparties, Musikinstrumente und das PickFragen der Kultur nick in der Sonntagsschule. Konservative Gemeinden lehnten diese Aktivitäten strikt ab, weil sie der Auffassung waren, Kirche dürfe nicht zur Unterhaltung werden. Diskussionen wie jene bei Joseph Funk und seinem Sohn stehen beispielhaft, ebenso wie der erzielte Kompromiss. Funks Sohn verspürte Lust, Geige zu spielen. Dies wurde ihm letztendlich auch erlaubt, aber mit der Einschränkung, nur geistliche Stücke zu spielen. Wesentliche Akteure, die neue Formen des geistlichen Lebens förderten, waren bei den Mennoniten im 19. Jahrhundert Prediger wie Daniel Hoch aus der Region um Niagara Falls oder Daniel Brenneman aus Indiana. Sie hielten Gebetstreffen ab, bei denen auch Frauen sprachen, Erweckung und und veranstalteten „Camp meetings“, also ErweckungsversammHeiligungslungen unter freiem Himmel. Die Erweckungsbewegung um bewegung 66 Zit. nach: Schlabach, Peace, Faith, S. 28.
7.5. Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland
Hoch und Brenneman, die 1883 in die Gründung der „Mennonite Brethren in Christ“ mündete, zielte auf Bekehrung und innere Glaubenserfahrungen; die Betonung äußerlicher Formen lehnte man ab. Zudem lassen sich Impulse aus der Heiligungsbewegung nachweisen. Vorläufer war eine ebenfalls progressiv ausgerichtete Strömung, die mit dem Namen von John H. Oberholtzer verbunden ist, der Daniel Hoch auch ordiniert hatte. Oberholtzer vertrat die Auffassung, Prediger müssten nicht nur ein vorbildliches Leben führen, sondern auch reden können, was ebenfalls das Anliegen offenbar werden lässt, das Predigerwesen zu professionalisieren. Zudem kritisierte er, dass Taufen einfach routinemäßig durchgeführt würden und die zu Taufenden keine spezielle Unterweisung erhielten. Trotz dieser progressiven Einstellung war Oberholtzer für ein einfaches Leben und Verzicht auf zu viel Amüsement. Allerdings sprach er sich gleichzeitig gegen eine zu strenge Absonderung aus. 1847 wurde Oberholtzer von der „Franconia Conference“ ausgeschlossen und gründete die „East Pennsylvania Conference“. Ihm war vorgeworfen worden, nicht den Mantel eines Predigers getragen und seine eigene Kirchenverfassung niedergeschrieben zu haben. Zudem hatte er sich dafür eingesetzt, Protokolle von Besprechungen anzufertigen, was ihm ebenfalls als Abkehr vom „alten Weg“ angekreidet wurde. Oberholtzer forderte darüber hinaus, Streitfälle vor einem Gericht austragen zu dürfen und gemischt-konfessionelle Eheschließungen zu erlauben. Auf Oberholtzer und seine Leute geht der Neudruck vieler deutscher mennonitischer Werke zurück. Dazu gehörten Abraham Hunzingers Buch, das 1862 in Amerika herauskam, und der „Elbinger Katechismus“ von 1792, der auf den damaligen Ältesten von Elbing-Ellerwald, Gerhard Wiebe, zurückgeht und 1848 und 1861 folgte. Auch den Nachdruck von Gottfried Arnolds „Theologia Experimentalis“ nahm sich die Gruppe vor. In Nordamerika ist es aufgrund der Vielfalt der Überzeugungen oft noch schwieriger als in Europa, eindeutige Klassifizierungen für die geistlichen Richtungen zu finden. So war beispielsweise John M. Brenneman aus Ohio zwar für ein äußerlich einfaches Leben, verneinte jedoch, dass dieses für das christliche Leben essentiell wäre. Sein 1867 erschienenes Buch „Hoffart und Demut“ gab zwar einerseits Richtlinien für ein Leben ohne „unnötigen Zierat und Kleiderpracht“ vor. Andererseits stellte er jedoch fest, dass „die Mennoniten in der Tat sehr zu bedauern“ seien, wenn sie „all ihr Christentum nur in ihren Kleidern“ trügen. Wenn „sie kein anderes Christentum hätten, so hätten sie im Grunde genommen gar keines. Aber ferne sei es davon, das ein wahrer Mennonit glauben sollte, das Christentum könne durch die einfache Kleidertracht erlangt
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werden.“67 Brenneman war als Prediger unermüdlich unterwegs, besuchte viele der zerstreut lebenden Mennoniten und sprach sich unter anderem für die Einrichtung der Sonntagsschule aus. Bildung stand auch in Nordamerika auf dem Programm progressiver Mennoniten. Die erste Schule der „General Conference“ eröffnete 1868 in Wadsworth, Ohio, wo unter anderem Carl Justus van der Smissen unterrichtete, Sohn des Danziger Predigers Jakob van der Smissen. Allerdings kam reichlich Gegenwind von konservativer Seite. So warf man ihm Schulen vor, dass er ein akademisches Habit trug und seinen Studenten zu moderne Kleidung erlaubte. Den kulturellen „Clash“, der in manchen Familien und Gemeinden stattfand, zeigt die Schilderung, wie der Student Samuel F. Sprunger aus Berne, Indiana, Ostern bei einem Heimatbesuch für Erstaunen sorgte: Er trug eine Bibel unter dem Arm, hatte einen modernen Rock an mit einem steifen Halskragen sowie ein Hemd mit einem schwarzen Streifen. Zudem stand er in der Kirche auf, als er gebeten wurde, ein paar Worte zu sagen, und er sprach Deutsch anstelle von Pennsylvania Dutch. Die Wiederbelebung der Gemeinden durch bessere Bildung und die Verbreitung von Schriften machten sich Prediger wie John F. Funk, John M. Brenneman und John S. Coffman zum Anliegen. Funk, ein Enkel von Heinrich Funck, erlebte bei einer presbyterianischen Erweckungsversammlung eine Bekehrung und wurde zu einem der einflussreichsten MenJohn F. Funk noniten in den USA. In Elkart gründete er ein Verlagshaus, das unter anderem den „Herald of Truth“ herausgab. Zudem publizierte er zahlreiche Bücher, kümmerte sich um die Übersetzung des „Märtyrer-Spiegels“ ins Englische und fertigte eine Übersetzung der Werke von Menno Simons an, die 1871 in seinem Verlag erschien. Wenige Jahre später publizierte er auch die vollständige deutsche Ausgabe der Menno-Simons-Schriften. John F. Funk lebte weltoffen, blieb jedoch ein strikter Verfechter der Wehrlosigkeit. 1878 erschien von ihm das Buch „The Mennonite Church and her accusers: a vindication“, in dem er sich mit den „Reformed Mennonites“ um John Herr und Daniel Musser auseinandersetzte, die ein sehr exklusives Gemeindeverständnis an den Tag legten. Frühe Zusammenschlüsse mennonitischer Gemeinden waren die „Franconia Conference“ (1769) und die „East Pennsylvania Conference“ Vereinigungen und (1847). Die erste überregionale Vereinigung war die 1860 gegrünZusammenschlüsse 67 Brenneman, Hoffart und Demut, S. 20 f.
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dete „General Conference of Mennonites in North America“, die Gemeinden aus Ohio, Pennsylvania, Illinois und Kanada zusammenbrachte. Ihr Anspruch war sehr bemerkenswert, denn er zielte darauf, Gemeinden auch über Unterschiede im Glaubensleben hinaus zu vereinigen – Einheit im Wesentlichen, Unterschiede im weniger Wesentlichen. Es engagierten sich von Anfang sehr viele neu Eingewanderte in der „General Conference“, unter anderem Mennoniten aus Bayern, die sich in Lee County, Iowa, angesiedelt hatten. Christian Krehbiel, geboren auf dem Weierhof in der Pfalz, wurde 1872 Leiter der „General Conference“. Die „General Conference“ setzte einige neue Prinzipien um, die sich in ihrer ersten Verfassung widerspiegeln: Entscheidungen sollten von der gesamten Gemeinde getroffen werden, äußere Formen sollten weniger wichtig sein und über die Berufung von Predigern sollte nicht mehr per Los entschieden werden. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts folgten weitere Zusammenschlüsse, beispielsweise 1898 die „Old Mennonite Church“, die eine Dachorganisation für Gemeinden mit schweizerischem Hintergrund bildete. Interessanterweise gehörten sowohl mennonitische als auch amische Gemeinden dazu. Der Kontakt zwischen der alten Heimat und Nordamerika blieb sehr eng, was sich in einer Vielzahl von Briefen niederschlägt, die hin- und hergeschrieben wurden. Doch nicht nur der schriftliche Austausch funktionierte, sondern auch der personelle, wie im Fall des Lehrers van der Smissen. Auch sonst holte man sich Rat, beispielsweise als in den USA das Interesse an Mission wuchs. Alte Bekanntschaften wurden reaktiviert. So nahmen Ende der 1850er Jahre Mennoniten aus West Point, Lee County, Iowa, also ehemalige Auswanderer aus Bayern, Kontakt zu Berend Carl Roosen in Hamburg auf, um zu fragen, wie man die Mission unterstützen könnte. Roosen gab ihnen den Rat, regelmäßig Geld an die Missionsgesellschaft der Mennoniten in den Niederlanden zu senden. 7.5.3. Amische Gemeinden
Unter den Amischen kam es in den 1850er und 1860er Jahren zu einer größeren Spaltung über die Frage der Taufform und die Kompetenzen der Diakone. Immer wieder für Diskussionen sorgte auch der Wunsch, dauerhafte Kirchengebäude zu haben – bei den Amischen war es eigentlich üblich, sich sonntags abwechselnd in den verschiedenen Scheunen zu versammeln. Die Einführung der Sonntagsschule wurde ebenfalls kontrovers gesehen.
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In den Debatten über die richtige Taufform standen auf der einen Seite der progressive Amische Shem Zook und der Bischof eines Distrikts in Mifflin County, Solomon Beiler. Sie befürworteten die Taufe durch Untertauchen. Shem Zook hatte seiner Auffassung bereits in einer 1849 von ihm herausgegebenen Ausgabe des „Märtyrer-Spiegels“ Ausdruck gegeben, Die Debatte über indem er ein Bild von der Taufe Jesu Christi beifügte, auf dem die Taufe dieser bis zur Hüfte im Wasser stand. Auf der anderen Seite des Konflikts stand ein weiterer Bischof aus Mifflin County, Abraham Peachy, der die Untertauchtaufe ablehnte. Die Debatte griff auch auf andere Distrikte in Pennsylvania und Ohio über, in denen Amische lebten. Die erste Untertauchtaufe hatte vermutlich im Frühling 1848 in Wayne County in Ohio stattgefunden. Interessanterweise sah auch der zur Streitschlichtung nach Mifflin County entsandte Bischof von Lancaster County, David Beiler, die Untertauchtaufe nicht unbedingt negativ. In seinem Buch „Wahres Christentum“ stellte er die Taufe durch Untertauchen zumindest jener durch Übergießen gleich, was jedoch den Konflikt nicht löste. Aus David Beilers Feder stammt allerdings folgende bemerkenswerte Einschätzung: „If any person is burdened in his heart and feeling, and feels firmly in his heart that it [stream baptism] is nearest to the divine order and wants to follow it in lowliness and meeness as he feels is the example given by Jesus Christ I do not want to make that person weak, for where there is no law there can be no transgression. I for my part am content if it can bring peace, but for me the old order is preferable.“68 Zur Tauffrage hinzu kam ein Streit über die Aufgaben der Diakone. Solomon Beiler hatte seinem Schwiegersohn, Samuel Yoder, als Diakon sehr weitreichende Befugnisse zugestanden, unter anderem durfte dieser predigen. Bei Bischof Peachy stieß auch dies auf Ablehnung, so dass es vermutlich 1862 zum Bruch der Amisch-Gemeinden in Mifflin County kam; andere amische Gemeinden folgten. Zumal auch noch ganz generelle Fragen der kulturellen Ausrichtung in die Auseinandersetzung mit einflossen. Shem Zook etwa war politisch und publizistisch sehr aktiv und wirtschaftlich äußerst erfolgreich – er war wohl am Ausbau der Eisenbahn in Pennsylvania beteiligt. Für jene Amischen, die sich Shem Zooks und Solomon Beilers Positionen anschlossen und fast die Hälfte aller Gemeindeglieder ausmachten, setzte sich nach 1865 der Name „Amish Mennonites“ durch, die anderen waren die „old order Amish“. Letztendlich gingen die progressiven Amischen in den Mennonitengemeinden auf. 68 Zit. nach: Yoder, Tradition & Transition, S. 125 f.
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Eine weitere Spaltung, die einiges Licht auf die geistlichen Diskussionen wirft, verantwortete der Bischof Henry Egly aus Adams County (Indiana). Er hatte während einer Krankheit ein Heilungserlebnis und übertrug seine Erfahrung anschließend auf seine Gemeinde. Er rief zu einem intensiveren Glaubensleben auf und verlangte von allen Täuflingen ein persönliches Egly Amish Bekehrungserlebnis. Aus den Reihen der „Egly Amish“ kam in den 1890er Jahren Joseph Ramseyer, der sich selbst noch einmal durch Untertauchen wiedergetauft hatte und besonderen Nachdruck auf die Heiligung des Lebens legte. In seinen Versammlungen kam es zu recht unkontrollierten Gefühlsausbrüchen, bei denen die Leute unter dem Eindruck des religiösen Erlebnisses umfielen. Die Gruppe um Henry Egly wurde als „Egly Amish“ beziehungsweise nach dem Tod Eglys als „Defenseless Mennonite Church“ bekannt. 7.5.4. Die „old order“-Gruppen
Die bis heute vielfach das Bild der Mennoniten und Amischen prägenden „old order“-Gruppen sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie stehen für eine „invention of tradition“ mit einem oft idealisierten Blick in die Vergangenheit, der eine kollektive Identität stiften sollte, und sahen sich selbst als Bewahrer des eigentlichen täuferischen Erbes. Ihr Kirchenverständnis war sehr exklusiv. Die Gemeinde sollte als solche nach außen hin sichtbar sein. Überkonfessionelle Kontakte waren verpönt. Bevor die „old order“-Bewegung sich fand, gab es bereits einige Gruppen, die sich für ein einfaches Leben einsetzten. Protagonisten waren John Herr und Abraham Landis aus der Nähe von Straßburg in Lancaster County, die 1812 die „Reformed Mennonites“ ins Leben riefen. Sie hatten ein ebenfalls schon sehr exklusives Selbstverständnis, erkannten andere GeFür ein einfaches meinden nicht als „wahre Christen“ an und verfolgten eine sehr Leben strenge Bannpraxis. Karten spielen, Pferderennen, Messen und Gasthäuser besuchen sowie Tanzen und Musikinstrumente – all dies hielten sie für unangemessen. Zudem kritisierten sie, wenn Prediger Alkohol tranken. Ihren mennonitischen Zeitgenossen warfen sie vor, zu sehr auf den wirtschaftlichen Erfolg fokussiert zu sein und keine rechte Ethik an den Tag zu legen – einer würde den anderen übers Ohr hauen. Daniel Musser, dessen Buch über die Wehrlosigkeit angeblich Leo Tolstoi gelesen hatte, gehörte ebenfalls zu den „Reformed Mennonites“.
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Eine frühe „old order“-Gemeinde war jene um Jacob Stauffer aus Groffdale, unter dessen Führung sich 1845 eine Gruppe von den Mennoniten in Lancaster County abspaltete. 1855 erschien Stauffers Buch „Eine Chronik oder Geschicht-Büchlein“, in dem er nicht nur die Spaltung aus seiner Perspektive darstellte, sondern auch seine Interpretation der menJacob Stauffer nonitischen Geschichte vorlegte. Der Blick auf die Vergangenheit war geprägt von den Themen Absonderung, Buße, Wehrlosigkeit und Märtyrerdasein und nahm seinen Anfang in der „Zeit der Märtyrer“ im Jahr 1660 – als eigentlich kein Täufer mehr für seinen Glauben starb. Für Stauffer waren die Märtyrer jedoch jene Vorbilder, die strahlend in die eigene Zeit hineinleuchten sollten. So konstruierte er das Bild einer idealen Vergangenheit, die er in Kontrast setzte zur Gegenwart: „O geliebter Leser, betrachte einmal den standhaften Glauben, den wahren Ernst und großen Trieb des Geistes der Nachfolger Jesu zu derselben Zeit, gegen den verfallenen Zustand des sogenannten Christenthums zu unseren Zeiten.“ Auch die ersten Jahrzehnte in den USA erscheinen in Stauffers Darstellung als paradiesischer Urzustand. Die Mennoniten standen zu ihren Glaubensüberzeugungen, der Wehrlosigkeit und der Absonderung. „Sie führten einen reinen aufrichtigen und von der Welt abgesonderten Lebenswandel.“ Ab 1800 habe der „Satan“ dann jedoch „die schöne blühende Gemeinde in den Verfall“ gebracht. Die Mennoniten hätten sich nicht mehr auf das Vorbild der Märtyrer besonnen, die „göttliche Liebe“ sei „erkaltet“ und die „weltliche Liebe sammt der Ungerechtigkeit und Streitigkeit“ habe zugenommen. Reichtum und wirtschaftlicher Erfolg hätten um sich gegriffen. Noch an der Tür zur sonntäglichen Versammlung habe man über wirtschaftliche Geschäfte gesprochen. Mennoniten gingen wählen, trugen ihre Streitigkeiten vor Gerichten aus und schlossen Versicherungen ab. Stauffer fordert von den Mennoniten seiner Zeit Absonderung, strengere Kirchenzucht, Wehrlosigkeit und weniger Kontakte zur Welt, auch zu Gerichten und Behörden. Die Übernahme politischer Ämter und Christsein ging für ihn nicht zusammen.69 1872 folgte eine weitere Spaltung in Elkart County unter Jacob Wisler, der ordinierter Bischof war und mit Daniel Brenneman und John F. Funk in Konflikt geriet. Er warf ihnen vor, zu progressiv zu sein, ihre Häuser zu modisch auszugestalten und selbst zu modische Kleidung zu tragen. Auch das neuartige mehrstimmige Singen und die Einführung der Sonntagsschule sorgten für 69 Stauffer’s Geschicht-Büchlein, S. 120, 123, 128 f., 131, 137 f.
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Zündstoff. Es kam zur Spaltung und die Gruppe unter Jacob Wisler wurde als „old order-Mennoniten“ bekannt. Für all diese sich neu bildenden „old order“-Gruppen wurde das Wort „Ordnung“ zu einem Schlüsselbegriff. Bei den Debatten ging es immer wieder um ähnliche Fragen. Einerseits waren es Neuerungen im kirchlichen Leben wie das mehrstimmige Singen, die Verwendung der englischen Sprache im Gottesdienst, die Sonntagsschule oder abendliche VersammDie „richtige lungen, die als „außerhalb der Ordnung“ angesehen wurden. Ordnung“ Meist verbarg sich dahinter die Angst, diese Versammlungen könnten von Ältestenseite nicht ausreichend kontrolliert werden. Zudem kam immer wieder der Vorwurf, in der Sonntagsschule würden Frauen sowie nicht ordinierte Männer und Nicht-Mennoniten unterrichten, und es würden andere Bücher als nur die Bibel gelesen. In Lancaster County wurde auch die Kanzel zum Thema, denn einige Mennoniten waren dazu übergegangen, in ihren Kirchen eine Kanzel zu installieren; wogegen andere opponierten, da sie diese als Zeichen für die Höherstellung des Predigers ansahen. Andererseits erhielten die Ältesten relativ viel Macht; sie nahmen die Rolle von Wächtern über die Einhaltung der Regeln ein, „watchmen of Zion“, wie es in John M. Brennemans Buch „Hoffart und Demut“ von 1867 heißt. Sie sollten auf die richtige „Ordnung“ und auf das angemessene äußere Erscheinungsbild der „Leute Gottes“ achten. 1882 vertrat eine Kon- Macht der Ältesten ferenz von Mennoniten im Südwesten von Pennsylvania die Auffassung, schon die Bibel mache deutlich, dass Gottes Leute von Anfang an schlichte, einfache und demütige Leute gewesen seien. 1864 stellte die Indiana-Konferenz fest, für einen Christen sei es wichtig, sich möglichst schlicht und zurückhaltend zu kleiden. Verzichten sollte man auf unnötige Ornamente, Bänder und Bordüren, Riemen, Schnüre, Schmuck oder künstliche Blumen. Unter den Amischen kam es zu ähnlich gelagerten Konflikten, die zu Spaltungen in „Amische Mennoniten“ und „old order Amische“ führten. Die Debatte über die richtige Taufform ist bereits erwähnt worden. Von weiteren Auseinandersetzungen zeugen die Protokolle der Dienerversammlungen, die die Amischen seit 1862 einberiefen und auf Old order Amish denen sich die Versammelten mit Fragen der Ethik und verschiedenen Aspekten des konkreten christlichen Handelns beschäftigten. Einflussreich unter den Amischen war David Beiler, der 1857 das Buch „Das Wahre Christentum, eine christliche Betrachtung nach den Lehren der Heiligen Schrift“ verfasste, in dem er die „Ordnung“ hochhielt, aber, wie geschildert, in
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
der Tauffrage ausgewogen war. In seinen Memoiren von 1862 malte er seinen Lesern ein amisches Leben aus, das früher, nämlich in David Beilers Jugend, viel bescheidener und besser gewesen sei als später. Der Pflug sei noch aus Holz, nicht aus Metall gewesen, es habe keine Maschinen für die Verarbeitung von Produkten gegeben und die Häuser und Scheunen seien nicht so prunkvoll gewesen. Die Leute seien barfuß herumgelaufen und Bildung sei nur für die grundlegenden Dinge wesentlich gewesen. Deshalb seien die jungen Leute damals auch zuhause geblieben, während die „Gebildeten“ nun in die Welt hinauszögen. Beiler warnte seine Zeitgenossen, man könne nicht Gott und dem Mammon dienen. Die „old order“-Gruppen konservierten ihre Traditionen und kulturellen Prägungen des 19. Jahrhunderts und versuchten auch im 20. Jahrhundert, dieser konstruierten Historizität treu zu bleiben. Sie hielten ihre Gottesdienste weiterhin in Deutsch ab, während die anderen Gemeinden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich ins Englische überwechselten. Allerdings waren auch die „old order“-Gemeinden durch stetige Einflüsse von außen in den verschiedensten Bereichen vor immer neue Herausforderungen gestellt. 7.5.5. Politische Fragen
Im frühen Pennsylvania hatten Mennoniten und Amische keine Berührungsängste gezeigt, zu Wahlen zu gehen, auf der regionalen Ebene politische Ämter zu übernehmen oder sich im Unabhängigkeitskrieg für die Truppen zu verpflichten. Allerdings stellte jeder Krieg eine neue Herausforderung für jene Mennoniten dar, die nicht eingezogen werden wollten. Im Unabhängigkeitskrieg wurden die täuferischen Gemeinden wegen ihrer Wehrlosigkeit generell verdächtigt, pro-britisch zu sein. Sie verloren daraufhin das Wahlrecht, erhielten es jedoch recht bald nach dem Ende des Krieges wieder zurück. In Kanada kämpften die Mennoniten in den Auseinandersetzungen, mit denen die Napoleonischen Kriege auch auf den nordamerikanischen Kontinent ausstrahlten, um ihre Rechte. Sie kulminierten im „War of 1812“ zwischen den USA und England, der sich vor allem an der kanadischen Grenze und damit in den zentralen Siedlungsgebieten der kanadischen War of 1812 Mennoniten rund um Niagara Falls, Waterloo und Markham abspielte. Einerseits tauchen Mennoniten auf den Militärlisten auf, kämpften selbst mit oder unterstützten die Truppen in einer anderen Art und Weise. Andererseits war eine Petition erfolgreich gewesen, die 1810 eingereicht worden
7.5. Grenzüberschreitung. Täuferische Gemeinden in Nordamerika und Russland
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war. Diese gewährte minderjährigen und noch ungetauften Männern, die noch nicht Mitglied der Kirche waren und somit eingezogen werden konnten, keinen Kriegsdienst leisten zu müssen, wenn ihre Väter Mennoniten waren. Im frühen 19. Jahrhundert waren die meisten Mennoniten Anhänger der Republikaner, besonders in Lancaster County; einige wenige hielten sich zu den Demokraten. Kristallisationspunkt war dann der Civil War (1861-1865). Es gab keine generellen Regelungen, was die Wehrdienstverweigerung betraf, doch bestand die Möglichkeit, sich durch die Leistung eiCivil War ner bestimmten Geldsumme oder der Stellung von Ersatzleuten von der Musterung und vom Militär freizukaufen. Als Abraham Lincoln 1862 eine Order erließ, derzufolge der Militärdienst verpflichtend war, setzte auf Seiten der Mennoniten eine emsige Betriebsamkeit ein. Man überwies Spenden für militärische Zwecke, bat um Befreiung und verwies auf die niederländischen Mennoniten, die den Krieg gegen Spanien mit 750.000 Gulden unterstützt und dafür alle Freiheiten bekommen hatten. John M. Brenneman schrieb zudem eine Petition an den amerikanischen Präsidenten, dass Mennoniten zwar loyal seien, aber nicht kämpfen würden. Daniel Musser, aus den Reihen der „Reformed Mennonites“, verfasste das Buch „Nonresistance Asserted“, das angeblich auch von Leo Tolstoi begeistert gelesen wurde. Reaktionen auf den Bürgerkrieg waren zudem einige Schriften über die Wehrlosigkeit, beispielsweise jene von John M. Brenneman und John F. Funk im Jahr 1863. Die Eingaben und Petitionen waren erfolgreich, so dass Mennoniten und Amische besonders in Pennsylvania wenig zu befürchten hatten. Doch die mennonitische und amische Gesellschaft zeigte sich vielfältig. Während Mennoniten in Germantown im März 1865 ein Statement verfassten, dass jeder Christ hinter der Regierung stehen müsste, für die Soldaten gebetet werden sollte und man Lincoln generell das Vertrauen aussprach, waren Leute wie John F. Funk in Chicago gegen solche Aktionen. Darüber hinaus gab es zahlreiche Mennoniten und Amische, die für die Nordstaaten in den Krieg zogen. Auch auf Seiten der konföderierten Truppen der Südstaaten, wo Mennoniten im Shenandoah Valley in Virginia lebten, traten einige in militärische Dienste. Manche von ihnen verweigerten jedoch auch den Dienst und nahmen Strafen in Kauf oder flohen vor ihrer Einziehung in Richtung Norden. Sie nutzten Kanäle und Anlaufstationen entlang der „Underground Railroad“, die zur selben Zeit von mennonitischen und quäkerischen Haushalten aufgebaut wurden, um geflohene Glaubensbrüder versteckt und sicher aus den USA nach Kanada zu bringen. Schon 1688 hatte eine Gruppe von
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7. Integration – Prozesse der Akkulturation
Einwanderern um den aus Krefeld stammenden Abraham Isacks op den Graeff und Franz Daniel Pistorius Protest gegen die Sklaverei erhoben. Traurige Berühmtheit erlangten während des Ersten Weltkriegs vier Hutterer, die in Alcatraz und in Fort Leavenworth in Kansas inhaftiert waren. Hutterische CO’s Sie verweigerten auch den Ersatzdienst als „Conscientious Objectors“ (CO), der unter anderem im Sanitätsdienst hätte abgeleistet werden können. Zwei von ihnen starben aufgrund wiederholter Misshandlungen. 7.5.6. Neuanfang in Südrussland
Das zweite große Auswanderungsgebiet der Mennoniten war im 19. Jahrhundert Russland. Die täuferischen Gruppen reihten sich ein in eine Welle von Auswanderungen, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts ca. 25.000 Menschen in die Wolgaregion und 125.000 nach Südrussland führte. Bis zum frühen 20. Jahrhundert siedelten etwa 2 Millionen Deutsche in Russland, davon ungefähr 120.000 Mennoniten. Die Ansiedlung fand in Kolonien statt, was meist rein deutsche Dörfer entstehen ließ. Durch die Gründung von Tochtersiedlungen breiteten sich die Kolonisten bis nach Sibirien und Mittelasien aus. Kennzeichen der deutschen Gemeinden war eine enge Verbindung von Kultur und Religion, die Parallelgesellschaften schuf. Die Kolonisten waren rechtlich abgesichert durch die Privilegien, die ihnen eine umfassende kulturelle Autonomie zusicherten, zu der beispielsweise der Unterricht der eigenen Kinder in der Muttersprache gehörte. Auch politisch verKolonien fügten die Kolonisten über eine ausgeprägte Selbstverwaltung, über der das Fürsorgekomitee in Odessa stand, das die Oberaufsicht über die Ansiedlung der Kolonisten hatte. Die ersten Jahre der neuen, aus Westpreußen nach Südrussland eingewanderten Siedler in den Kolonien Chortitza und Molotchna gestalteten sich nicht einfach. Von der russischen Regierung versprochene Hilfeleistungen setzten nicht so prompt ein wie erwartet und erhofft. Auch intern, im Gemeindeleben und in ihrer sozialen Zuordnung mussten sich die Mennoniten erst finden. Die unterschiedlichen Traditionen in Westpreußen entstammenden Kolonisten hatten einige Mühe, die Ämter- und Führungsstrukturen in ihren kirchlichen Gemeinden zu ordnen. Letztendlich wurden Konflikte aus Westpreußen nur nach Südrussland mitgenommen – all die Fragen über die Ausgestaltung des christlichen Lebens, über die Offenheit gegenüber der Gesellschaft, über die Kirchenzucht sowie die Unterschiede zwischen verschiedenen Gemeinderich-
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tungen und -ausprägungen. Die weitgehenden Selbstverwaltungsrechte der Kolonien brachten es mit sich, dass Mennoniten als Schulzen und Oberschulzen oder im Kreisamt poltische Ämter übernehmen mussten, was ebenfalls nicht friktionsfrei verlief. Die Schulzen und Oberschulzen verfügten über die weltliche Gerichtsbarkeit, waren jedoch der russischen Regierung verantwortlich. Ein früher Konflikt entstand zwischen Klaas Reimer, der einer konservativen Gruppe in der Kolonie Molotchna als Ältester vorstand, und Jakob Enns, der liberaler eingestellt war und weniger Vorbehalte gegen die Einbeziehung der politischen Obrigkeiten und die Übernahme politischer Ämter hatte. Das Problem in Südrussland war unter anderem, dass die Kongruenz von Kleine Gemeinde geistlicher und politischer Gemeinde rasch zu Spannungen führte. Die Ältesten übten zwar innerhalb ihrer geistlichen Gemeinschaft Zucht und Bann aus, jedoch wurden immer häufiger das Gebietsamt und andere Obrigkeiten als nächste Instanz eingeschaltet. So konnte es vorkommen, dass jemand von der Gemeinde gebannt wurde, jedoch in der politischen Gemeinde wohnen blieb und Zuchtmaßnahmen nicht griffen. Die „reine Gemeinde“, die vielen südrussischen Kolonisten vorschwebte, war aufgrund dieser Konstellationen nur schwer zu erreichen. 1807 und 1812 eskalierten die Auseinandersetzungen über die Frage, ob unter den Kolonisten Beiträge für den Krieg gegen die Franzosen eingesammelt werden sollten. Klaas Reimer verneinte dies, Jakob Enns hatte keine Vorbehalte. Daraufhin spaltete sich eine Gruppe unter Reimer ab, fing an, separate Gottesdienste abzuhalten und bannte die übrige Gemeinde: die Geburtsstunde der „Kleinen Gemeinde“, die sich als Hüter der traditionellen mennonitischen Werte verstand und vermutlich schon damals gegen eine zu große Offenheit gegenüber anderen protestantischen Strömungen war. Klaas Reimer wurde der erste Älteste. Zwischen 1818 und 1820 kam erneut ein Schwung Zuwanderer nach Südrussland, insgesamt 240 Familien, vor allem aus den friesischen Gemeinden Stuhm, Marienburg und Marienwerder. Ihre durch die preußische Reformpolitik nach 1807 sowie die 1808 in Danzig vollzogene Vereinigung der friesischen und flämischen Gemeinden geprägte Grundeinstellung stieß Kontakte zur nun in Südrussland auf Kolonisten, die vor allem in der Molotchna Bibelgesellschaft noch sehr traditionell lebten, was neues Konfliktpotential barg. Denn die Neuankömmlinge hatten umfassende Reformen im Blick, unter anderem im Bildungswesen und in der Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen. So war es in ihren Gemeinden beispielsweise üblich, dass die Prediger selbst geschriebene Predigten hielten und nicht nur Predigten der „Vorväter“ vorlasen. Zudem hielten sie abendliche Gebetsstunden und Missionsversammlungen ab
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und warben für die höhere Bildung. Sie riefen die erste „Vereinsschule“ in Ohrloff ins Leben, die der ebenfalls aus Preußen, aus Brenkenhofswalde, zugewanderte Tobias Voth führte. Auf ihn geht auch die Gründung eines „Lesevereins“ zurück. Als der Älteste Franz Görz vorschlug, sich in Südrussland der Russischen Bibelgesellschaft anzuschließen, unter anderem mit dem Ziel, die Gemeinsamkeiten unter den Gemeinden zu fördern, eskalierten die Auseinandersetzungen. Für einen Teil der Gemeinde bedeuteten die Pläne eine zu große Öffnung nach außen, und es wurden bekannte Befürchtungen geäußert, dass der Einfluss vor allem von Evangelischen und Quäkern zunehmen könnte. Als die Ältesten 1821 tatsächlich eine Filiale der Russischen Bibelgesellschaft in der Molotchna gründeten, ordinierten die Kritiker als Reaktion darauf einen eigenen Ältesten, Jakob Warkentin. Ein Reformer der Mennoniten in Südrussland war Johann Cornies. Er gehörte der progressiven Gemeinde in Ohrloff an und leitete den „Landwirtschaflichen Verein“, der direkt dem Fürsorgekomitee in Odessa unterstellt war. Cornies versuchte, in den Kolonien eine möglichst innovative Landwirtschaft zu betreiben und aus den mennonitischen Bauern Musterlandwirte Johann Cornies zu machen. Seine Reformen betrafen viele Gebiete. So führte er in den 1830er Jahren die Schwarzbrache und die Vierfelderwirtschaft ein. Er forcierte die Anpflanzung von Bäumen, sei es entlang der Felder oder in den Gärten, wo Obstbäume dominieren sollten. Ganze Wälder entstanden unter seiner Federführung in den Steppen Südrusslands. Doch auch im Schulwesen sah Johann Cornies seine Aufgabe, die er durch den 1818 gegründeten „Christlichen Schulverein“ umsetzen wollte – Ziel war eine bessere Bildung mit möglichst überall gleichen Standards. 1846 richete er dann die Zentralschulen in Ohrloff und Chortitza ein, die über die Vermittlung elementarer Bildung hinausgingen. Der umfassende Einfluss, den Cornies auf das Leben der Kolonisten hatte, blieb nicht unwidersprochen. So entwickelten sich bald Kompetenzstreitigkeiten, unter anderem mit dem Ältesten Jakob Warkentin, und Kritik am autoritäten Vorgehen des Reformers wurde laut. Zumal Cornies stets auch Repräsentant des Staates war. So stieß sein Versuch, die Schulpflicht einzuführen, auf Widerstand, da die Bauern ihre Kinder bei der Arbeit benötigten. Ein Aufforstungsprojekt, das Cornies vorantrieb, hintertrieben die Kolonisten, indem sie die Setzlinge mit den Wurzln nach oben in den Boden steckten. Als Heinrich Wiens, der Älteste von Margenau-Schönsee und ein weiterer großer Kritiker von Cornies, 1847 vom Fürsorgekomitee seines Amtes enthoben wurde und nach Preußen zurückkehren musste, erlangte Wiens in den Augen aller Kritiker von Cornies den Status eines Märtyrers.
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7.5.7. Erweckung in Russland
Russland tauchte in Schriften chiliastisch geprägter Separatisten in der Protestantischen Kirche des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts immer wieder auf. Man sah das Land im Osten als eine Region, wo sich in Zeiten des Abfalls, die der Wiederkunft Jesu Christi vorausgingen, der Glauben bewahren würde. Johann Heinrich Jung-Stilling verbreitete entsprechenErwartung der de Ideen, die vor allem auch unter den Mennoniten ihre AnhänLetzten Tage ger fanden. 1816 predigte der Mennonit David Epp, Zar Alexander sei der angekündigte König der letzten Tage und die Wiederkunft Jesu würde in Russland stattfinden. Auch der württembergische Theologe Johann Albrecht Bengel, der in einer apokalyptischen Schau den Anbruch des Tausendjährigen Reichs auf das Jahr 1836 festgelegt hatte, fand seine Anhänger. Die verschiedenen Vorhersagen einer nahen Wiederkunft Christi veranlassten zahlreiche Gläubige, sich auf den Weg in den Osten zu machen. So zogen beispielsweise 1400 Familien 1817 aus Württemberg in den Kaukasus, um sich dort auf die Letzten Tage vorzubereiten. Auch die Templer waren im Kaukasus aktiv, gründeten dort Gemeinden und fanden unter Mennoniten Anhänger. 1877 veröffentlichte der Mennonit Claas Epp seine Auslegung der biblischen Bücher Daniel und Offenbarung, die prophezeite, die Wiederkunft Jesu Christi würde 1889 in Mittelasien stattfinden. Er konnte einige seiner Glaubensgeschwister davon überzeugen in den Osten zu ziehen, wo die Gruppe in Ak-Mechet, im heutigen Usbekistan, eine Bleibe fand. Doch weder Claas Epp die vorhergesagte Wiederkunft des Herrn noch die zwischenzeitlich ebenfalls proklamierte Himmelfahrt Claas Epps fanden statt. 1845 kam der württembergische evangelische Pfarrer Eduard Wüst nach Südrussland, um Prediger der Separierten Württembergischen Evangelischen Brüdergemeinde Neuhoffnung zu werden. Wüst entstammte dem württembergischen Pietismus und vertrat eine auf innere Glaubenserlebnisse und die Ablehnung äußerer Formen zielende Frömmigkeit. Auf ihn gehen Eduard Wüst die nachmittäglichen Erbauungsstunden zurück, die nun auch in mennonitischen Gemeinden, zunächst in der Stadt Berdjansk, abgehalten wurden. Zudem war er ein Vertreter der Enthaltsamkeitsbewegung. Über Wüst, aber auch über den Kontakt zu Johann Gerhard Oncken, Gründer des deutschen Baptismus, und durch das Lesen der Schriften von Ludwig Hofacker gingen immer mehr Mennoniten auf Distanz zu ihren als traditionell
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und starr wahrgenommenen eigenen Gemeinden. Beispielsweise befand sich während der Reisen Onckens in Südrussland stets der ehemalige Mennonit Johann Wieler, der zu den Baptisten konvertiert war, in Onckens Umfeld. Unter den erweckten Mennoniten in Russland zeigten sich die gleichen Veränderungen im Glaubensleben wie in deutschen Landen. Sie suchten eine tiefere Frömmigkeit, betrieben ein intensiveres Bibelstudium, lehnten äußerliche Formen und Riten ab und setzten sich für eine bessere Bildung ein. Bewusste Bekehrungserlebnisse wurden zum Standard der Frömmigkeit, wie aus dem Bericht von Aron Lepp, Ältester der Mennonitengemeinde in Andreasfeld (Einlage) deutlich wird: „Meine Bekehrung fällt in das Jahr 1857 u. 58. Ich fing an, ein sittliches Leben zu führen. Den Anstoß dazu erhielt ich von den lieben Freunden David und Heinrich Görz. Da ich keine Gemeinschaft christlicher Freunde pflegen konnte, so benutzte ich zu unserer Erbauung Friedrich Starkes Handbuch, Bekehrungsund nach dessen Anleitung suchte ich mein Leben zu bessern, doch erlebnisse fand ich kein Genüge darin. Im Jahre 1857 besuchte ich die damals schon in Chortitza befindlichen Brüder Peter Friesen, Joh. Löwen und Cornelius Hiebert und hörte die ihre Bekehrungsgeschichte erzählen. Da ging mir ein Licht auf. Von dann strebte ich nach Erkenntnis und Errettung meiner Seele und flehte darum zu Gott. Und so gefiel es dem lieben Herrn, durch Vermittlung von Hofackers Predigten die neue Schöpfung in mir zustande zu bringen. ‚O selige Stunden, die Jesus uns schenkt, da man nur der Wunden des Lammes gedenkt!‘ Es war 1858, als die große Umänderung meines Herzens geschah. Ich war überglücklich, bis ich das sechste Kapitel an die Römer las; da fand ich, daß mir noch etwas fehlte, was nicht zu erlangen war. Ich teilte solches auch den Brüdern mit, die mich zu trösten suchten mit der Geistestaufe. So vergingen etwa drei Jahre, bis 1861 die Nachricht von der Molotschna kam, daß die Brüder tauften.“70 Die erweckten Kreise unter den Mennoniten äußerten immer mehr Kritik am geistlichen Leben ihrer Gemeinden, wobei die Bewegung vor allem von der Gemeinde Gnadenfeld ausging, ehemals im brandenburgischen Brenkenhofswalde beheimatet. Unmut machte sich breit über die Entstehung der Macht der Ältesten, über das bloße Ablesen von bereits früher Mennonitenverfassten Predigten in den Gottesdiensten und über die nur Brüdergemeinde selten stattfindenden Versammlungen, die sich auf Gottesdienste beschränkten. Zudem vermissten die Erweckten eine lebendige Gebetskultur 70 Zit. nach: Friesen, Geschichte der Alt-Evangelischen, S. 240.
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und beschwerten sich über den übermäßigen Genuss von Alkohol. Sie sprachen vom „Verfall der Kirche“ und separierten sich von den „Ungläubigen“, indem sie ein getrenntes Abendmahl abhielten.71 Dies sorgte für einiges Aufsehen und für Diskussionen darüber, wer nun als rechte Kirche anzusehen sei. Am 6. Januar 1860 unterschrieben Mennoniten aus acht Gemeinden ein Dokument, in dem sie ihre Trennung von den übrigen Gemeinden erklärten. Darin legten sie auch ihr Taufverständnis dar, in dem sich die ganze Kritik an der „Mennoniten-Bruderschaft“ bündelte. Man bekenne die Taufe „auf den Glauben, als Siegel des Glaubens, nicht aber auf einen auswendig gelernten Glauben, wie man’s jetzt treibt“. Die Taufe sei „nicht die Wiedergeburt selbst, wie die Unbekehrten sagen, sondern dient nur als Zeichen dem Täufling, daß er wirklich wiedergeboren ist“.72 Auf jeden Fall praktizierten die „Mennoniten-Brüdergemeinden“ die Taufe durch Untertauchen, was die baptistischen Einflüsse deutlich macht. In Chortitza war der Älteste Abraham Unger die führende Persönlichkeit unter den sich nun bildenden „Mennoniten-Brüdergemeinden“; er stand schon länger in brieflichem Kontakt zu Johann Gerhard Oncken. Bis zur offiziellen Anerkennung der neuen Mennoniten-Brüdergemeinde durch das Gebietsamt dauerte es allerdings noch ein paar Jahre. Die Mennoniten-Brüdergemeinden fanden jedoch immer mehr Anhänger und zeigten sich auch sehr offen, was die Gestaltung ihrer Gottesdienst anging. So hatten sie keine Bedenken, schon früh Musikinstrumente wie Schlagzeug, Orgel, Flöte, Violine, Gitarre oder Triangel einzusetzen. 1902 verfassten die Mennoniten-Brüdergemeinden ein eigenes Glaubensbekenntnis und bis 1924 unterhielten sie eine eigene Bibelschule auf der Krim. 7.5.8. Die Hutterer in Südrussland
Die Hutterer waren 1842 mit ungefähr 50 Familien in die Molotchna eingewandert, nachdem sie auf ihrem Hof in Radičeva schwierige Zeiten durchlebt hatten – 1818 hatten sie die Gütergemeinschaft aufgegeben. In der Molotchna gründeten die Zuwanderer das Dorf Hutterthal in der Nähe von Melitopol, später folgten weitere Dörfer. Von Anfang an wurden die Mennoniten und insbesondere Johann Cornies zu unverzichtbaren Partnern und Helfern der Hutterer. Dennoch brachen nach wenigen Jahren in der Hutterischen Gemeinde 71 72
Zit. nach: Unruh, Mennoniten-Brüdergemeinde, S. 46. Zit. nach: ebd., S. 52.
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erneut Konflikte auf. Sie hingen einerseits mit der Macht zusammen, die den Schulzen im System der Kolonieverwaltung zukam. Andererseits gab es Auseinandersetzungen über die Wiedereinführung der Gütergemeinschaft. Zunächst jedoch sorgte die Einbeziehung in die politische Verwaltung der Kolonien für Dissenz. Auch die Hutterer waren verpflichtet, Schulzen zu stellen, was für die Gemeinde eine völlig neue Herausforderung war. Anders als die Mennoniten, die bereits in Westpreußen politische Ämter innegehabt hatten, war das hutterische Leben stets sehr abgesondert gewesen. So entstanden nun Streitigkeiten darüber, wer Regelverstöße von hutterischen Gemeindegliedern sanktionieren dürfte – die Ältesten, denen dies traditionellerweise zustand, oder die Schulzen. Zum anderen verspürte ein Teil der Hutterer den Wunsch, die Gütergemeinschaft wieder einzuführen, was jedoch auf Widerstand bei den verantwortlichen Behörden, beim Fürsorgekomitee, und bei Johann Cornies stieß. Nach dem Tod von Cornies im Jahr 1848 setzte eine Gruppe ihren Wunsch jedoch in die Tat um; das neu gegründete Dorf Hutterdorf wurde zur Wiederaufnahme Heimat der gütergemeinschaftlich lebenden Hutterer. Die übrigen der Gütergemeinblieben in Hutterthal. Die Siedlungsweise der Hutterer in Südrussschaft land sorgte für einen Differenzierungsprozess unter den Hutterern, der nach der Auswanderung in die USA bis heute sichtbar ist. Denn sie teilten sich in Dörfer auf, wo die Bewohner im Privateigentum wohnten, und in Dörfer, in denen die Gütergemeinschaft praktiziert wurde. 7.5.9. Russifizierung, Wehrpflicht und Auswanderung
Hutterer wie Mennoniten waren ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom wachsenden Druck durch nationale Bewegungen in Russland sowie von der Bestrebung, die allgemeine Wehrpflicht umzusetzen, betroffen. Nach der Niederlage im Krimkrieg 1855 begann Zar Alexander II., Reformen durchzuführen, die unter anderem eine allmähliche Gleichstellung der Kolonisten mit den übrigen Kronsbauern vorsahen. 1870 wurden die Privilegien der Mennoniten aufgehoben, das Fürsorgekomitee wurde aufgelöst und die deutschen Siedler in die russische Verwaltung integriert. Wie in anderen Ländern bereits üblich, stand auch in Russland Anfang der 1870er Jahre die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auf der Tagesordnung. 1874 erhielten die Mennoniten dann jedoch die Erlaubnis, einen Ersatzdienst zu leisten, der, anders als in Deutschland, sehr den MennoForsteidienst niten entgegenkommend organisiert war. So unterstand er nicht
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Bild 26: Männer im Forsteidienst
dem Kriegsministerium, sondern dem Ministerium für Landwirtschaft und konnte in nichtmilitärischen Einrichtungen, vornehmlich im Forsteiwesen, absolviert werden. Junge Mennoniten pflanzten Bäume in der südukrainischen Steppe und legten Baumschulen an, aus denen sich die einheimische Bevölkerung versorgen konnte. Seelsorgerlich durften die Forsteidienst leistenden Mennoniten von einem eigenen Prediger betreut werden. Zudem erlaubten die Behörden den jungen Männern, den Ersatzdienst gruppenweise abzuleisten, womit sie die Möglichkeit hatten, Gottesdienste zu feiern. Trotz dieser sehr weitreichenden Zugeständnisse wichen viele Mennoniten und Hutterer dem Druck aus und machten sich an die Planung der Auswanderung. Zwischen den 1870er und den 1900er Jahren kam mindestens 12.000 Mennoniten aus Russland in die USA, vor allem nach Minnesota, South Dakota, Nebraska und Kansas. In Kanada fanden die Auswanderer eine neue Heimat in Manitoba. Mitglieder der „Kleinen Gemeinde“ gründeten beispielsweise den Ort Steinbach, südlich von Winnipeg. Auch die Auswanderung in Hutterer schlossen sich der Auswanderung an; sie gingen nach die USA South Dakota und bildeten dort die bis heute bekannten Untergruppen. Der Schmied Michel Waldner führte eine Gruppe, die in South Da-
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kota auf dem Hof „Bon Homme“ die „Schmiedeleut“ bildeten. Unter dem Ältesten Darius Walther zog eine zweite Gruppe von Hutterern auf den Hof „Wolf Creek“, ebenfalls in South Dakota, aus denen die „Dariusleut“ hervorgingen. Und der Lehrer Jakob Wipf brachte eine dritte Gruppe auf den Hof „Old Elmspring“, auf dem die „Lehrerleut“ entstanden. Jene Hutterer, die in Nordamerika nicht in Gütergemeinschaft leben wollten, bildeten die „Prairie Leut“. In der schwierigen Anfangszeit erhielten die Hutterer Unterstützung, vor allem auch finanziell, durch die „Harmony Society“, einer im württembergischen Pietismus entstandenen Erneuerungsbewegung, die sich auf Johann Georg Rapp zurückführt. Rapp war 1803 mit seinen Anhängern nach Pennsylvania ausgewandert.
Fragen zur Reflexion Vergleichen Sie das 19. Jahrhundert mit der Frühen Neuzeit im Hinblick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für täuferisches Leben. Wo sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennbar? Wie entwickelte sich die kollektive Identität der Mennoniten und der Hutterer in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert? Wo sind Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Offenkundig hatte die „old order“-Bewegung in Nordamerika mehr Chancen auf eine dauerhafte Existenz als in Deutschland. Überlegen Sie, was die Gründe sein könnten.
Weiterführende Literatur Wolfgang Froese, Weltflucht und Weltzuwendung. Die Aufgabe des Prinzips der Gewaltlosigkeit in der Krefelder Mennonitengemeinde im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: MGB 47/48, 1990/91, S. 104-125. Mark Jantzen, Mennonite German Soldiers. Nation, Religion, and Family in the Prussian East, 1772-1880, Notre Dame, Ind. 2010. Royden F. Loewen, Family, Church, and Market. A Mennonite Community in the Old and the New Worlds, 1850-1930, Urbana / Chicago 1993. Theron F. Schlabach, Peace, Faith, Nation. Mennonites and Amish in Nineteenth-Century America (The Mennonite Experience in America, 2), Scottdale, PA 1988. John R. Staples, Cross-Cultural Encounters on the Ukrainian Steppe. Settling the Molochna Basin, 1783-1861, Toronto et al. 2003.
8.1. Divers. Mennoniten weltweit
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Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert Divers. Mennoniten weltweit
8.1.1. Die Landkarte wird bunter
Im frühen 20. Jahrhundert erweiterten sich die Siedlungsgebiete der verschiedenen täuferischen Gruppen noch einmal. Die größte Migrationsbewegung löste die Not der Mennoniten in Südrussland aus, die nordamerikanische und deutsche Hilfsaktionen mobilisierte. Nun kam auch Paraguay auf die mennonitische Landkarte, wo spezielle Privilegien den ZuSüdamerika wanderern die freie Ausübung ihres Glaubens, die Befreiung vom Militärdienst und das Recht, eigene Schulen mit Unterricht in Deutsch zu betreiben, zusicherten. Mennoniten aus Südrussland fanden hier Zuflucht. Das 1920 gegründete „Mennonite Central Committee“ (MCC) war federführend in der Betreuung der Flüchtlinge. Zwischen 1930 und 1932 erreichten ungefähr 2000 Mennoniten Paraguay, die zunächst die Kolonie Fernheim, dann Friesland gründeten. Vorher waren bereits Mennoniten aus Kanada nach Paraguay eingewandert, die Reformen im Schulwesen ausweichen wollten. Sie gründeten die Kolonie Menno. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein neuer Schwung an Siedlern, die nun die Kolonien Neuland und Volendam aufbauten. Zudem zogen immer wieder konservative Gemeinden aus Kanada und Mexiko nach Paraguay. Nach 1945 fingen Mennoniten an, auch Uruguay zu besiedeln. Das Land hatte sich bereit erklärt, Flüchtlinge aus Westpreußen aufzunehmen, die nach dem Vorrücken der russischen Front 1945 zunächst in dänischen und norddeutschen Flüchtlinglagern gelandet waren. Nach 1945 war es erneut das MCC, das sehr schnell in Deutschland aktiv wurde, um die Flüchtlinge zu sammeln, zu betreuen und Auswanderungsmöglichkeiten für jene auszuhandeln, die sich auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland nicht einstellen wollten. Alle Hoffnungen hatten sich zunächst auf die USA und Kanada gerichtet, doch blieben dort die Türen bis 1947 verschlossen und auch danach galten harte Bedingungen für eine Einreise – nach Nutzen und Bedarf, oft mit Altersgrenze. Als Ausweichziel boten sich südamerikanische Länder, vor allem Paraguay und Uruguay, an. Insgesamt gingen bis 1948 ca. 4700 Mennoniten nach Paraguay, 1000 nach Uruguay; ca. 5000 Personen fanden schließlich doch Aufnahme in Nordamerika, davon allein ca. 4900 in Kanada. Auch in weiteren süd- und mit-
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
telamerikanischen Ländern wie Bolivien, Mexiko und Belize siedelten sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts einzelne mennonitische und amische Gemeinden an, meist auf der Suche nach mehr Absonderung von der „Welt“. 8.1.2. Russifizierung und Verfolgung in der Sowjetunion
Die in Russland verbliebenen Mennoniten gerieten als deutsche Minderheit unter dem Druck des wachsenden Nationalismus in eine zunehmende Konfrontation mit dem russischen beziehungsweise nach 1926 sowjetischen System. Im Ersten Weltkrieg nahmen die Angriffe gegen die deutschen Kolonisten generell zu, auch wenn diese oft auf der Seite Russlands standen und auf den Sieg der russischen Waffen hofften. Die in Forsteidiensten arbeitenden Mennoniten beispielsweise meldeten sich fast alle zum Sanitätsdienst, der nun den Dienst im Militär bedeutete. Sie fühlten sich als russische Untertanen, was sie jedoch nicht davor bewahrte, als Deutsche wahrgenommen zu werden. Die strikte Politik der Russifizierung ging einher mit dem Verbot, die deutsche Sprache zu benutzen. Zudem wurden deutsche Ortsnamen umbenannt und ab 1915 erschienen Erlässe, auf deren Basis der Landbesitz der Deutschen konfisziert werden konnte. Forderungen nach Umsiedlung der Deutschen wurden ebenfalls erhoben. Die Gründung von Kulturvereinen war ein Versuch der deutschen Minderheit, für den Erhalt ihrer bisherigen kulturellen Autonomie zu kämpfen. Unter Lenin, der 1917 die Regierung übernahm, sowie unter Stalin, der auf Lenin folgte, verstärkte sich in der kommunistischen Zeit zudem die Gottlosen-Bewegung, die einen Kulturkampf gegen alle Konfessionen des ehemaligen Zarenreichs bestritt. Der Kampf tobte auf vielen Feldern. Es kam zu Agitationen gegen Geistliche, die sich unter Stalin steigerten und zur Schließung von Kirchen, zu Verhaftungen, Deportationen in Arbeitslager und zur Umsiedlung führten. Zwar garantierten in der frühen Sowjetunion die Verfassung und verschiedene Dekrete, dass Minderheiten geschützt, die Gewissensfreiheit gesichert sowie die Gleichheit und Souveränität aller Völker festgeschrieben waren, doch nahm der Druck auf Kirchen und christliche Gemeinden immer mehr zu. Zudem gerieten durch die voranschreitende Kollektivierung die „Kulaken“, das heißt die Großbauern, in die Schusslinie, wovon besonders die deutschen Kolonien und die Mennoniten betroffen waren, die wirtschaftlich zu einigem Erfolg gelangt waren. Sie wurden als „konterrevolutionäre Elemente“ angesehen und auch wegen ihrer Beziehungen zu ihren Glaubensgeschwistern in Deutschland und in Nordamerika kritisch beäugt. Mit der Machtergreifung
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Lenins hatten die Mennoniten bereits die Selbstverwaltung verloren; Boden war enteignet worden. Berechnungen gehen davon aus, dass zu dieser Zeit etwa 75.000 Mennoniten im südlichen Russland lebten. Anfang der 1920er Jahre traf zudem der Bürgerkrieg die mennonitischen Dörfer. In der Ukraine sorgten Freischärler unter dem Anarchisten Nestor Machno für eine große Not, so dass die Wehrlosigkeit zur Gewissensfrage wurde. Schon 1917 hatten sich die in Ohrloff, in der Molotchna, beim Ersten Allgemeinen Mennonitischen Kongress versammelten VerBürgerkrieg und treter dafür ausgesprochen, dass man nicht kategorisch an der Selbstschutz Wehrlosigkeit festhalten dürfte. Denn es könnten Umstände eintreten, wo „Wehrlosigkeit zum Verbrechen“ würde.1 Zudem wurden Forderungen laut, sich von einer passiven Form der Wehrlosigkeit zu trennen und sich aktiv am Zustandekommen eines Friedens zu beteiligen. Die Umstände, in denen „Wehrlosigkeit zum Verbrechen“ wurde, traten offenkundig mit den Kämpfen im Bürgerkrieg ein, so dass die Mennoniten in ihren Kolonien nun einen bewaffneten Selbstschutz organisierten, dessen Kampfeinheiten die Kolonien verteidigen sollten. Dennoch hatten viele Orte zahlreiche Opfer zu beklagen. Quelle Bericht über die Lage in Russland (Juli 1920) „Als die Deutschen anfangs Dezember 1918 Süd-Rußland endgültig räumten, erfüllten bange Sorgen die Herzen, schlimme Ahnungen die Seele der Kolonisten. Nachrichten von den Schreckenstagen der Banditen [um Nestor Machno, v. S.] steigerten ihre Angst und Sorge. Im Alexandrowsker Kreis (Gouv. Jekaterinoslaw), im Schönfelder Bezirk, wurden mennonitische Männer, Frauen und Kinder auf die grausamste Art zu Tode gemartert, vergewaltigt oder erschossen. Die Schreckenstage, die Halbstadt im Februar 1918 vor dem Einrücken der Deutschen erlebt hatte, waren noch allen im Gedächtnis, und es beschloß die Mehrheit der Mennoniten, zur Notwehr zu greifen. Das geschah nicht ohne schwere religiöse Kämpfe und Konflikte, deren Folgen sich heute noch nicht abschätzen lassen. Die mennonitische Jungmannschaft folgte mehr einem elementaren Drang, die Mütter, die Schwestern zu schützen, und sehr oft stellten sie sich ohne den Willen ihrer Eltern in Reih und Glied, diese damit vor die vollendete Tatsache stellend und sie zwingend, für ihre Söhne an der Front zu beten. Und 1
Zit. nach: Hildebrandt, Wehrlosigkeit der Mennoniten, S. 120.
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diese Gebete sind nicht vergeblich gewesen! 4 Monate lang wehrten sich die Kolonisten – Lutheraner, Katholiken und Mennoniten – gegen die Banditen. Die Überfälle wurden in diesen Monaten immer häufiger, immer schrecklicher und grausamer die Mordtaten.“2
8.1.3. Migration und die Gründung von Hilfsorganisationen
Die Kriege und eine durch Dürre hervorgerufene Hungersnot sowie das allgemeine Leid ließen die Auswanderungszahlen ansteigen. Zwischen 1923 und 1930 verließen ca. 23.000 Mennoniten Russland und gingen entweder nach Deutschland, Kanada oder Paraguay. Das „Rote Tor“ an der Grenze zu Lettland war ein Zeichen der Erlösung, dass man die Flucht Gründung des geschafft hatte. Die Situation in Russland beziehungsweise in der MCC Sowjetunion ließ eine vorbildliche Hilfsaktion anlaufen, die weltweit Unterstützung fand. Teilweise bis heute aktive Organisationen wurden im Zusammenhang mit der Not in den 1920er Jahren gegründet – das „Mennonite Central Committee“ (MCC), das von den USA aus operierte, das „Mennonitische Hilfswerk Christenpflicht“ (MHC) in Deutschland, die „Mennonitische Flüchtlingsfürsorge“ (MFF) und das „International Committee Quellenarbeit 29 for Russian Relief “ (ICRR). Die Hilfswerke entsandten Vertreter nach Russland, die die Gemeinden besuchten und Hilfslieferungen vorbereiteten. Benötigte Dinge für den alltäglichen Bedarf sowie Gerätschaften für den Ackerbau wurden nach Russland geschickt, und man leistete Unterstützung bei Flucht und Ausreise. Es entstanden Notunterkünfte und Flüchtlingslager, etwa in Konstantinopel oder Lager Lechfeld bei Augsburg. Unter den deutschen Mennoniten war Benjamin H. Unruh, der selbst aus Russland stammte, besonders aktiv, um Gelder und Mittel für die Auswanderung der Mennoniten zu organisieren. Die Lage verschärfte sich noch einmal signifikant unter Stalin. Am 9. April 1929 erließ dieser die Verordnung „Über die religiösen Vereinigungen“, die eine Registrierungspflicht religiöser Gemeinschaften beim jeweiligen örtlichen Sowjet vorsah. Gottesdienste durfte nur noch innerhalb eines Gebäudes stattfinden, karitative Tätigkeiten und die Verbreitung religiöser Literatur wurden verboten. Die Schwelle zur Schließung von Gemeindehäusern durch die Behörden war sehr niedrig. Repressionen trafen Gemeindeleiter und Geistliche, die verhaftet 2
Mennonitische Blätter 67, 1920, S. 51.
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Bild 27: Zug mit Flüchtlingen aus Russland
und als Konterrevolutionäre, Saboteure oder Spione verurteilt wurden. Es folgten Deportationen und Umsiedlungen sowie Inhaftierungen in Arbeitslagern und in den GULags. Die stalinistischen Säuberungsaktionen kosteten Millionen Menschen das Leben. Besonders tragisch war, dass die Auswanderung aufgrund geschlossener Grenzen bald kaum noch möglich war. Deshalb zogen 1929 ungefähr 5000 Personen, vor allem Mennoniten aus Sibirien, nach Moskau, in der Hoffnung, dort ihre Ausreise nach Kanada und in die USA erwirken zu können. Lediglich jene, die bereits über ein Ausreisevisum verFlucht über China fügten, durften das Land verlassen. Allen anderen blieb nur die illegale Flucht. So auch einigen Mennoniten, die versuchten, in östlicher Richtung über China zu entkommen. Sie trafen kurz vor der Grenze auf Glaubensgeschwister, die sich ein paar Jahre zuvor in einem Gebiet östlich des Baikalsees angesiedelt hatten. Doch die Repressionen des sowjetischen Staates, die Kollektivierungen und der Druck auf die Prediger sowie antideutsche Aktionen bewegten auch sie zur Flucht. Im Dezember 1930 flohen alle Bewohner des mennonitischen Dorfs Schumanowka über den nahegelegenen Fluss Amur nach China. Weitere Mennoniten folgten und nutzten die zugefrorenen Flüsse, um
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zur chinesischen Grenze zu gelangen. Sie alle fanden zunächst Aufnahme in den grenznahen chinesischen Dörfern. In den Quellen wird berichtet, dass die Bewohner horrende Preise für die Unterkünfte verlangten und die Flüchtlinge recht schnell ihrer sowieso dürftigen Habe beraubt wurden. Für sie ging es dann weiter nach Harbin und von dort mit Hilfe des MCC nach Paraguay.
8.2.
Diktatur. Mennoniten im Nationalsozialismus
8.2.1. Positionierungen
Ebenso wie in anderen Freikirchen sind die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft bei den Mennoniten gekennzeichnet von einer Offenheit und Bereitschaft, sich auf die neue Regierung einzulassen. Die Quellen überliefern das Selbstverständnis, zum Neuen etwas beitragen zu wollen. Aufbruchstimmung allerorten und ein um sich greifendes Gefühl, im Staat angekommen und akzeptiert zu sein. Dass dieser mit seiner nationalsozialistischen Ideologie im Innersten christlich sei, davon zeigten sich mennonitische Stellungnahmen überzeugt. Sie konnten sich dabei auf offizielle Dokumente berufen. So stand beispielsweise in Art. 24 des NSDAP-Parteiprogramms von 1920 am Ende eine Formulierung, die wie ein täuferisches Bekenntnis wirkte: „Gemeinnutz vor Eigennutz“. Und im gleichen Artikel hieß es zudem: „Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen.“ Gerade auch die Person Adolf Hitlers galt als Garant für die christliche Verantwortung des Staates. Von NSDAP-Seite wurden die Mennoniten dagegen als „ideale Deutsche“ wahrgenommen. Aufgrund ihrer langen Geschichte mit einer mehr oder weniger streng praktizierten Absonderung galten sie als besonders „rein“, was die „Rasse“ betraf. Die Migrationen hatten sie darüber hinaus zu einer weltweiten „deutschen“ Gemeinschaft gemacht, die das „Deutsche“ weiterhin pflegte. Dass Mennoniten in der Sowjetunion auch unter dem Druck der „Bolschewisten“ zu leiden hatten, legte noch „ein Schäuferl drauf “, was ihre Attraktivität für den Nationalsozialismus betraf. Mennoniten wurden als „kleine Weltmacht“ gesehen, als Volksdeutsche, die weltweit verstreut waren und auf die man bei der Sammlung aller Deutschen zurückgreifen wollte. Führende Vertreter mennonitischer Verbände gaben in Gesprächen mit NS-Stellen ihrerseits entsprechende
8.2. Diktatur. Mennoniten im Nationalsozialismus
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Signale: Die überwiegende Mehrheit der weltweiten Mennoniten wäre bereit, sich „heim ins Reich“ führen zu lassen.3 Der Antibolschewismus blieb in mennonitischen Publikationen eine dauerhafte Botschaft. Da Berichte über das Schicksal der eigenen Glaubensgeschwister in Russland regelmäßig in den mennonitischen Zeitschriften erschienen, konnte alle antibolschewistische Propaganda der Nationalsozialisten auf fruchtbaren Boden fallen. Einige mennonitische Stel- Antibolschewismus lungnahmen waren durch einen sehr radikalen Antibolschewismus geprägt, beispielsweise bei Benjamin H. Unruh, seit den 1920er Jahren wesentlicher Protagonist auf mennonitischer Seite bei dem Bemühen, mit amerikanischer Unterstützung und mit der Hilfe der deutschen Regierung Mennoniten aus Russland herauszuholen. In seinen Augen war der Bolschewismus der Gipfel der „Gottlosigkeit“, ein „Gift“, gottlos und prinzipienlos, den selbstbezogenen, bestechlichen Menschen schaffend und damit die größte Gefahr für das Christentum. In einer sehr polemischen Art und Weise schrieb er 1933 in einem Brief an Christian Hege, dass die „Volksseele Deutschlands“ der Wellenbrecher für „die rote Flut im Osten“ sei, ebenso wie die Grenzen Schlesiens dies im 13. Jahrhundert für die „Mongolenflut“ gewesen seien. „Hier wird vom deutschen Volk durch Gottes weltgeschichtliches Regiment eine letztenendes der ganzen Welt zugute kommende historische Mission erfüllt.“4 Auch hinsichtlich ihrer Abstammung hatten mennonitische Autoren passende Argumente bereit. So widmete sich der für die NSDAP aktive Mennonit Heinrich H. Schröder 1936 in seinem Buch „Rußlanddeutsche Friesen“ der Herkunft der Mennoniten in Russland. Seiner Argumentation zufolge waren diese friesischer Abstammung und nicht holländiAbstammung scher, wie immer wieder behauptet würde. Schröder untermauerte dies mit Untersuchungen, die 1930 an Flüchtlingen aus Russland gemacht worden seien, und deutete unter anderem die Körpergröße als Zeichen für die Herkunft aus friesischen Marschgegenden. Zudem, so Schröder, würden die friesischen Mennoniten den „ältesten und vornehmsten deutschen Stamm“ bilden.5 Im Zuge der allgemeinen Suche nach der eigenen, möglichst arischen Vergangenheit blühte bei den Mennoniten in den 1930er und 1940er Jahren die 3 4 5
Zit. nach: Goossen in: „Eine kleine Weltmacht“, S. 72 f. Mennonitische Blätter 79, 1932, S. 80 f.; Jugendwarte 1937, S. 8; Brief Benjamin Unruh an Christian Hege vom 28. 7. 1933, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 7, Ordner 45. Schröder, Rußlanddeutsche Friesen, S. 25 f.
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Ahnen- und Familienforschung, wovon nicht zuletzt die „Mitteilungen des Sippenverbandes der Danziger Mennoniten-Familien“ zeugen, die von Kurt Kauenhoven herausgegeben wurden. Besonders eindeutige Worte äußerte der Krefelder Mennonitenpastor Gustav Kraemer, der sich auch theologisch der neuen Zeit anpasste, indem er massive Kritik am Alten Testament übte. In einer Predigt 1942 in Heubuden betonte er, dass er die Bibel nur insofern gutheißen könne, als sie von Jesus Christus zeuge, was für das Alte Testament nicht gelte. Es sei nicht Kritik am Alten nachvollziehbar, dieses überhaupt noch zu drucken, wo doch Testament bekannt sei, dass die Schriften des Alten Testaments Christen „nichts“ angehen, „garnichts“. Mose sei „allein dem jüdischen Volk gegeben“; das Alte Testament sei ein „jüdisches Buch“, „von und für Juden geschrieben“ und in Teilen „unterchristlich, ja widerchristlich“.6 Die Mennoniten präsentierten sich in den 1930er Jahren offen für Staat und Gesellschaft und drückten ihre Sympathie für die neuen Machthaber in zahlreichen Beiträgen aus. Bereits Anfang 1933 stellte der Pastor der Danziger Mennonitengemeinde, Erich Göttner, fest, Hitler habe in „Mein Kampf “ recht, wenn er die Erhaltung von Volk und Rasse als Auftrag Gottes bezeichne. Diese zu zerstören, hieße Gottes Ordnung zu zerstören. So sahen die Mennoniten ihre Mission im Nationalsozialismus darin, als kleine Kirche mit einem eigenen Profil zur weiteren Stärkung des Staates in seiner christlichen Ausrichtung beizutragen. Selbst aus dem fernen Paraguay, wo sich eine „deutsch-völkische Bewegung“ bildete, kam ein entsprechendes Bekenntnis. 1933 Quellenarbeit 30 schickten die dortigen Mennoniten eine Grußadresse an die deutsche Reichsregierung: „Mit besonderer Anteilnahme hören wir auch davon, daß es die jetzige Reichsregierung mit der Verwirklichung der christlichen Grundsätze im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ernst nimmt und den Schutz der Familie, als der Grundlage der gesamten Volksgemeinschaft und des Staats, besonders betont.“7
6 7
Kraemer, Predigt, S. 3, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 24, Ordner 191. Zit. nach: Neufeld, Nikolai Siemens, S. 47.
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8.2.2. Wehrlosigkeit und Eid
Wie bereits erwähnt, war die Frage der Wehrlosigkeit in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg für die Mennoniten nicht mehr relevant. Die „Vereinigung“ hatte es in ihrer Verfassung von 1934 dem Gewissen jedes einzelnen Mennoniten überlassen, wie er sich zu dieser Frage stellen würde. Von Seiten führender Mennoniten gehörte es zum stets wiederkehrenden Bekenntnis, dass die Mennoniten keine „Verfechter der Wehrlosigkeit“ seien, so etwa Erich Göttner. Dirk Cattepoel schrieb 1937: „Wir müssen als Christen und Mennoniten die Waffe tragen, nicht, weil uns eine böse Obrigkeit dazu zwingt oder sich aus Mangel an Mut oder um des lieben Friedens willen leider nicht viel dagegen machen läßt, sondern weil wir als diesseitsbejahende Christen unser Volk lieben, ihm dienen und für seinen Fortbestand und glückliche Entwicklung sei es auch mit dem Leben einstehen wollen. ‚Heldische Tugenden sind die Erhaltungskraft unseres Volkes‘ sagt Adolf Hitler.“8 In der Frage der Ableistung des Eides gab es dagegen Verhandlungen über Ausnahmen für die Mennoniten, die auch erfolgreich waren. So mussten Mennoniten nicht Gott anrufen und nicht die Worte „Eid“ oder „schwören“ verwenden. Umstrittene Frage blieb jedoch bis 1945 die Eidesleistung beim Beitritt zur NSDAP. Die Partei ließ kein Gelöbnis anstelle eines Eides zu, was jedoch die meisten Mennoniten nicht hinderte, der NSDAP beizutreten. Einzelne Fälle sind jedoch überliefert, in denen Mennoniten sich vor Gaugerichten verantworten mussten, weil sie den Eid beim Eintritt in die Partei verweigert hatten. 8.2.3. Zwischen „Sekte“ und „Kirche“
So wohlwollend und offen sich viele Vertreter des offiziellen Mennonitentums und einzelne Gemeindeglieder zeigten, so schwierig blieb die Lage für die Mennoniten, was die Klassifizierung ihrer gemeindlichen Verfasstheit betraf. Da die Mennoniten eine relativ kleine Glaubensgemeinschaft waren, galt es zu verhindern, dass der Verdacht entstand, man würde irgendUnter „Sekten“welche „Sonderlehren“ vertreten und somit als „Sekte“ verdächtig Verdacht sein. Zumal die Mennoniten auch nicht zur „Vereinigung evangelischer Freikirchen“ gehörten. Wie labil die generelle Lage war, verdeutlicht ein Bericht des Mennoniten Daniel Dettweiler von September 1937. Dettweiler, seit 8
Göttner, in: Mennonitische Blätter 84, 1937, S. 57; Cattepoel, in: ebd., S. 42, 44.
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1920 Mitglied der NSDAP, war Verbindungsmann der Mennoniten zum „Braunen Haus“, der NSPAP-Zentrale in München. Bei einer Besprechung dort, so Dettweiler, habe er beim Vorlesen der Akte „Mennoniten“ feststellen müssen, dass man jene Kreise der Mennoniten beobachte, die „immer noch glauben, Mennoniten sein zu dürfen, die sich nach anderen nicht zu richten haben bzw. glauben, dass sich alle anderen nach ihrer Auffassung zu richten haben“.9 Zudem sei den „maßgebenden Stellen sehr sonderbar“ vorgekommen, dass der Baden-Württembergisch-Bayerische Gemeindeverband „ausserhalb der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden steht“. Umso wichtiger war es in einer Diktatur wie dem Nationalsozialismus, die die freie Meinungsäußerung unterdrückte, abweichende Meinungen sanktionierte und die Publikationsorgane kritisch beobachtete, welche Meinungen und Bilder über die Gemeinde nach außen transportiert wurden. Wie schnell man in die „Sekten“-Schublade gesteckt werden konnte, zeigte 1940 eine Broschüre über das „Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten“. Der Autor Werner Haugg, leitender Landgerichtsrat im Ministerium, führte die Mennoniten darin nicht unter den „Freikirchen“ auf, sondern unter den „Sekten“ und definierte diese wie folgt: „Unter einer Sekte versteht man religiöse Sondergemeinschaften, die in grundsätzlicher Absonderung vom Staats- und Landeskirchentum, ja vom Kirchentum überhaupt, mehr oder weniger eigenartige religiöse Sondervorstellungen (auch nichtreligiösen Inhalts) pflegen. Ungeachtet der in Deutschland bestehenden absoluten Glaubens- und Gewissensfreiheit können Religionsgesellschaften doch dann kein Lebensrecht für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre ‚religiösen‘ Lehren in Wirklichkeit volks- oder staatsgefährdenden Charakter haben.“ So seien verschiedenste Sekten verboten worden, etwa die Darbysten oder die Pfingstgemeinschaft: „Andere Gruppen, die sich mit ihrer Sonderlehre auf das religiöse Gebiet beschränken, können ungehindert fortbestehen, z. B. die Heilsarmee, die Mennoniten, die Quäker, die Adventisten [ … ].“10 Vorsicht war also stets geboten, was sich auch im Fall zweier Ereignisse gezeigt hatte, die sich in den 1930er Jahren zugetragen hatten: die Veröffentlichung des Films „Friesennot“ 1935 und die Ausweisung der Rhönbruderhöfer 1937. Im Film „Friesennot“ geht es um ein kleines Dorf in Russland, das aus Friesland ausgewanderte Deutsche bewohnen. Sie sind sehr „Friesennot“ religiös und halten die Wehrlosigkeit hoch. Als das Dorf von Rus9 10
Schreiben vom 3. 9. 1937, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 24, Ordner 194. Haugg, Das Reichsministerium, S. 30.
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sen überfallen wird, kommt es zu Konflikten innerhalb der Gemeinschaft, ob man weiterhin wehrlos bleiben solle. Schlussendlich entscheiden sich die Dorfbewohner, zur Notwehr zu greifen und sich zu verteidigen. Als der Film 1941 noch einmal in den Kinos lief, hatte er den noch sprechenderen Titel „Dorf im roten Sturm“. Das Problem nun war, dass Filmrezensionen in Zeitungen und Zeitschriften die Dorfbewohner sofort als Mennoniten identifizierten, obwohl weder der Film noch die Romanvorlage von Werner Kortwig die Mennoniten namentlich nannten. Der Sektenvorwurf folgte oftmals gleich hinterher. Völlig vergeblich und lächerlich, so etwa das Urteil eines Rezensenten, hätten die Dorfbewohner einer „Sekte“ gleich an ihrer Wehrlosigkeit festgehalten. Von mennonitischer Seite entbrannte eine regelrechte Verteidigungsschlacht gegen die Auffassung, in „Friesennot“ würden Mennoniten porträtiert. Christian Neff schrieb Anfang 1936 eine Gegendarstellung, in der er sich beschwerte, dass die „konfessionelle Presse“ den Film zum Anlass genommen habe, „abfällige BemerQuellenarbeit 31 kungen“ über die Mennoniten zu machen. „Man nannte uns Sektierer, die nicht als Vertreter des rechten Christentums gelten können, und schlappe Christen.“ Dabei seien, so Neff, „nahezu 400 deutsche Mennoniten, d. i. 2 % den Heldentod gestorben“.11 Ein medial ähnlich gelagerter Fall trat 1937 mit der Ausweisung der Rhönbruderhöfer ein, einer in Gütergemeinschaft lebenden und strikt pazifistisch ausgerichteten Kommunität. Sie war aus der Jugendbewegung der 1920er Jahre hervorgegangen und pflegte intensive Kontakte zu den Hutterern. Ihr bereits verstorbener Leiter Eberhard Arnold war 1930 von Ausweisung der kanadischen Hutterern zum Ältesten ordiniert worden. Die Rhönbruderhöfer Rhönbruderhöfer standen dem Nationalsozialismus äußerst kritisch gegenüber, scheuten sich auch nicht, dies zum Ausdruck zu bringen, und verweigerten die Einberufung zum Militär. Über die nordamerikanischen Hutterer versuchte man, Druck bei den deutschen Behörden zu machen, um die jungen Leute der Rhönbruderhöfer unter Verweis auf die jahrhundertelange Befreiung der Täufer vom Wehrdienst vor der Einberufung zu bewahren. Die Rhönbruderhöfer standen nicht nur mit den Hutterern in regelmäßigem Kontakt, sondern auch mit den Mennoniten, vor allem als sich ihre Situation durch den Druck der Behörden immer mehr verschärfte. Der amerikanische Mennonit Harold S. Bender hatte sich ihre Not zum Anliegen gemacht; Michael Horsch 11
Mennonitische Blätter 83, 1936, S. 22.
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vom „Hilfswerk Christenpflicht“ besuchte die Gruppe und half mit finanzieller Unterstützung. Nach längeren Ermittlungen und einigen Razzien erhielt die Gruppe im März 1937 ein Schreiben von der Gestapo, dass der Bruderhof Neuhof bei Fulda aufgelöst und konfisziert werden sollte. Schon seit einiger Zeit hatten die Rhönbruderhöfer begonnen, ihre Kinder ins sichere Liechtenstein zu schicken. Mitte April kam dann die Gestapo auf den Hof und nahm drei leitende Brüder gefangen. Brisanterweise hielten sich genau zu diesem Zeitpunkt drei Hutterer aus Nordamerika auf dem Hof auf, die detaillierte Berichte über die Ereignisse verfassten. Wenige Tage später wurden die Rhönbruderhöfer offiziell ausgewiesen. Als Grund nannte man wirtschaftliche Schwierigkeiten und Überschuldung. Auch Michael Horsch hatte entsprechende Missstände in einem Gutachten für die offiziellen Stellen bestätigt, was die Ausweisung befördert haben dürfte. Die Quellenlage lässt leider keine Rückschlüsse auf den Hintergrund von Michael Horschs im Gutachten vorgebrachter Argumentation zu. Die Vorgänge an sich waren schon dramatisch genug, doch für die mennonitische Welt erwies sich erneut das Presseecho als noch dramatischer. Die theologische und historische Nähe der Rhönbruderhöfer zu den Mennoniten sorgte für Verwechslungen, so dass die „Basler Nachrichten“ die Meldung brachten, „Mennoniten“ seien aus Deutschland ausgewiesen worden. Eine Falschmeldung, die eine emsige Betriebsamkeit auf Seiten der „Vereinigung“ und des „Verbandes“ hervorrief, um sich von den Rhönbruderhöfern zu distanzieren. Dabei hatte beispielsweise Emil Händiges im Vorstand dafür plädiert, den unter Druck Geratenen zu helfen. Aber, wie Händiges schreibt, es wollte wohl niemand „seinen Namen dabei riskieren“, aus Angst, „es könnte uns etwas passieren“.12 Die mennonitischen Zeitschriften brachten offizielle Stellungnahmen, die verbreiteten, dass „keine Mennoniten aus Deutschland ausgewiesen worden“ seien. „Die Mennoniten erfreuen sich des Schutzes des Deutschen Reiches und können ungehindert ihres Glaubens leben.“13 Zudem versuchten sie nachzuweisen, dass Mennoniten und Rhönbruderhöfer beziehungsweise Hutterer keine wie auch immer gearteten historischen Verbindungen hätten. Das Argument „Geschichte“ wurde sehr strapaziert, selbst in einer Darstellung aus der Feder des Historikers Christian Neff. Er berief sich auf die aggressive Mission der 12 13
Schreiben an Neff / Unruh / Crous / Braun, 10. 5. 1937, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 22, Ordner 163. Mennonitische Blätter 84, 1937, S. 47.
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Hutterer im 16. Jahrhundert unter den anderen täuferischen Gemeinden und interpretierte diese als Zeichen, dass schon in der Geschichte keine Gemeinsamkeiten da gewesen seien. Und, so Neff, auch die Verfasser des hutterischen „Geschichtbuchs“ hätten die Mennoniten sehr klar von den Hutterern getrennt. 8.2.4. Kritik und Widerstand
Auch wenn es auf mennonitischer Seite keinen großflächigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab, stechen doch einige Akteure heraus, die mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg hielten. So wurde der Elsässer Mennonitenpastor Emile Krémer 1942 von der Gestapo verhaftet und in eine psychiatrische Anstalt gesteckt; auch sein Sohn Jean-Paul ging auf KonEmile und Jeanfrontationskurs zum NS-Regime. Er weigerte sich, vor deutschen Paul Krémer Offizieren den Treueeid zu leisten und landete zunächst im Konzentrationslager Struthof im Elsass, dann in Buchenwald. Die mennonitische Pastorin Lenie Leignes Bakhoven wiederum gehörte einer Gruppe von niederländischen Mennoniten an, die in verschiedenen Konferenzzentren, Jugendcamps und in einzelnen Familien jüdische Kinder versteckte. Bakhoven wurde dafür im Jahr 2000 in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ in Yad Vashem aufgenommen. Auch vom westpreußischen Mennoniten Hermann Epp heißt es, er habe sich in Kreisen kritischer Intellektueller aufgehalten. Aufgrund von Bemerkungen, Hitler sei nicht fähig Deutschland zu führen, wurde er verhaftet, zunächst ins KZ Stutthof bei Danzig gebracht, dann jedoch in einem Prozess vor dem Volksgerichtshof freigesprochen, da ihm entsprechende Äußerungen nicht eindeutig nachgewiesen werden konnten. Andere Mennoniten wiederum äußerten ihre Kritik am Nationalsozialismus in den öffentlichen Publikationsorganen. „Du sollst nicht töten!“ So war ein Kommentar des Elbinger Mennonitenpredigers Heinrich Pauls überschrieben, der 1933 in der Juli / August-Ausgabe der „Mennonitischen Blätter“ erschien.14 Pauls nahm darin Bezug zum gerade getroffenen Du sollst nicht Beschluss des Kuratoriums der „Vereinigung der Mennonitentöten! gemeinden im Deutschen Reich“, die Ableistung der Wehrpflicht nicht grundsätzlich abzulehnen, sondern sie dem Gewissen jedes Einzelnen zu überlassen. Er kritisierte, mit dem Beschluss würde eine „mennonitische Besonderheit“ aufgegeben. Zwar könne er alle Gründe nachvollziehen, die für ein 14
Mennonitische Blätter 80, 1933, S. 77. Alle folgenden Zitate dort.
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Ableisten der Wehrpflicht sprächen, doch erinnerte er daran, dass die Mennoniten seit dem 19. Jahrhundert die Möglichkeit gehabt hätten, als Ersatz Sanitätsdienst zu leisten. Dies sei zwar auch schon ein Kompromiss gewesen, doch hätte man auf diese Weise die mennonitischen Vorbehalte gegenüber dem Wehrdienst zum Ausdruck bringen und ein Zeichen setzen können. Die „ganze Christenheit“ sei so aufgefordert gewesen, „über diese schwierigen Fragen nachzudenken und Krieg und Wehrpflicht nicht einfach gedankenlos mitzumachen“. In der aktuellen Zeit seien die Mennoniten ebenfalls verpflichtet, ihr „Licht leuchten zu lassen“ und „Salz der Erde“ zu sein. Doch, so Pauls’ vernichtendes Urteil über seine eigene Glaubensgemeinschaft: „Womit soll man salzen, wenn das Salz dumm wird?“ Auch der Weierhöfer Prediger Christian Neff rief mehrfach dazu auf, die Wehrlosigkeit nicht ganz zu Grabe zu tragen. Am brisantesten dürfte wohl ein Artikel im „Gemeindeblatt“ gewesen sein, den Neff im Januar 1941 veröffentlichte. Unter dem Titel „Weihnachtsausklang“ beschäftigte er sich mit der Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“ und den „Greueln“ des Krieges. Er schließt mit den Worten, Gott könne „kein Wohlgefallen“ haben, „wenn die Menschen sich bekriegen“, in „unseligem Haß auf gegenseitige Vernichtung sinnen“ und „seine Ehre schänden durch gottloses Tun und Treiben“.15 In der mündlichen Überlieferung heißt es, der Artikel habe Christian Neff Publikationsverbot eingebracht; schriftlich nachweisen lässt sich dies bisher nicht. Wirft man einen Blick in seine Predigten, von denen sich sehr viele erhalten haben, Quellenarbeit 32 so blieb Neff ein ständiger Mahner. Silvester 1943 etwa predigte er: „Wir stehen im furchtbarsten Würgen und Morden des Krieges. Oft kommt einem der Gedanke: So kann es nicht weitergehen, es muß das einmal ein Ende nehmen! Die deutsche Wissenschaft arbeitet fieberhaft an der Vervollkommnung der Mordinstrumente und Waffen. Wenn das so weitergeht, kommt es zur völligen Vernichtung der Menschen und Völker. Das ist das Ende der Welt.“16
15 16
Gemeindeblatt 71, 1941, S. 1 f. Predigt über Offb. 22, 20, in: MFSt, C.26, Nachlass Christian Neff, Karton 17, Ordner 119, S. 3.
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Biografie Christian Neff Christian Neff wurde 1863 geboren, studierte Theologie und hörte in Berlin auch einige Vorlesungen zur Geschichte, unter anderem bei Heinrich von Treitschke. 1887 übernahm er das Pastorenamt der Gemeinde Weierhof und hatte dieses bis zu seinem Tod 1946 inne. Neff war deutschlandweit in vielen mennonitischen Gremien aktiv, unter anderem als Gründungsmitglied der „Vereinigung“, Vorsitzender der Pfälzisch-hessischen Predigerkonferenz, der Badisch-pfälzischen Konferenz und der Süddeutschen Konferenz. In den 1920er Jahren war er federführend an den Hilfsaktionen für die Mennoniten in Russland beteiligt, und 1925 organisierte er das 400-jährige Jubiläum der Täufer. Gleichzeitig gehörte er zu den Herausgebern des vierbändigen „Mennonitischen Lexikons“ und verfasste zahlreiche Arbeiten zur täuferischen Geschichte.
8.2.5. Gleichschaltung und Bestrebungen zu mehr Einheit
Ein Aufmerken ist aus den mennonitischen Quellen ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre herauszulesen, als der Druck durch die Gleichschaltung immer spürbarer wurde. Von den „Deutschen Christen“, der nationalsozialistisch beeinflussten Strömung in der Evangelischen Kirche, konnten sich die Mennoniten ganz gut fernhalten. So hatte beispielsweise die Autonomie der Versammlung der West- und Ostpreußischen und Danziger GeGemeinden meinden beschlossen, ein Mennonit könne nicht Mitglied der „Deutschen Christen“ und der Mennoniten zugleich sein. Doch nahm man eine generell zunehmende Tendenz zur Zentralisierung wahr, was unter den traditionell kongregationalistisch eingestellten Mennoniten für ein Nachdenken sorgte. Insbesondere versuchte man, der Gleichschaltung in der Jugendarbeit eigene Initiativen entgegenzusetzen. Christian Neff schrieb 1938, das „Grundprinzip unserer Gemeinschaft“ sei „die Autonomie und Independenz der Gemeinde, völlige Unabhängigkeit und Selbständigkeit.“ Und Walter Fellmann bezeichnete als „Hauptsorge“ für die Gemeinden die Erziehung der Jugend, wo der „totale Anspruch des Staates [ … ] am stärksten fühlbar“ sei. Er fragte: „Wird das christliche Gemeindeleben unserer Kreise sich stark genug erweisen, unsere Jugend der Familie und Gemeinde zu erhalten und damit dem Evangelium in der Ausprägung, wie es uns von unseren Vätern überkommen ist?“ Der west-
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
Bild 28: Emil Händiges mit Frau Martha (1950er Jahre)
preußische Mennonit Hermann Epp erwähnt retrospektiv nach 1945, dass man auch in Westpreußen versucht habe, die jüngere Generation „dem politischen Einfluss zu entziehen“. Man hätte Jugend-Bibelstunden eingerichtet und durch die Wahl Aron Mäkelborgers zum Jugendwart „ein starkes Gegengewicht zur Politisierung der Jugend“ geschaffen.17 Eine Gegenreaktion zur Gleichschaltung waren auch Bemühungen, unter den Mennoniten selbst für mehr Einheit zu sorgen. Alte Diskussionen, ob man ein gemeinsames Bekenntnis verfassen sollte, wurden nun mit dem Ziel wiederbelebt, durch mehr Gemeinsamkeit stärker zu sein. Vor allem die preußischen Gemeinden griffen diese Diskussionen auf, denn sie Ein gemeinsames erhofften sich von einer deutschlandweiten Vereinigung eine besBekenntnis? sere Verhandlungsposition in ihren Bemühungen, sich von Steuern, die sie an die lutherische Kirche abführen mussten, zu befreien. Entsprechende Verhandlungen mit Stellen vor Ort waren bereits so weit fortgeschritten, 17
Mennonitische Blätter 85, 1938, S. 83; Christlicher Gemeinde-Kalender 44, 1935, S. 132 f.; Epp, Die westpreußischen Gemeinden, S. 5.
8.2. Diktatur. Mennoniten im Nationalsozialismus
dass ein Erfolg greifbar war, wenn die Gemeinden den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts erlangen würden. Wegen der komplizierten Lage der westpreußischen Gemeinden – auf Danziger, polnischem und deutschem Gebiet – benötigten sie dazu jedoch den Rückhalt der reichsweiten Mennoniten. Doch alle Versuche, Mennoniten unter dem Dach eines gemeinsamen Bekenntnisses zu sammeln, scheiterten. Es kamen ganz grundsätzliche Vorbehalte zum Vorschein, mit denen man sich untereinander begegnete. Von süddeutscher Seite warf man den Norddeutschen vor, nicht recht im Glauben zu stehen; man könne mit den liberalen Mennoniten im Norden eigentlich nicht „am gleichen Joch ziehen“. Auf einer Sitzung des Ältesten- und Predigerverbandes im Juni 1934 berichtete Michael Horsch aus Hellmannsberg, dass er bei einem Besuch in Berlin Ernst Crous getroffen habe, der viel zu liberal sei und nicht für wahr halten könne, was in der Bibel stehe. In der Frage des gemeinsamen Bekenntnisses standen sich also geistliche Vorbehalte gegenüber, aber es ging auch um die ganz generelle Einstellung zu einem Bekenntnis überhaupt. Die Stadtgemeinden in Krefeld und Emden sowie die nordwestdeutschen Mennoniten waren äußerst skeptisch, was das Ausformulieren eines Bekenntnisses betraf. Die süddeutschen Mennoniten wollten dagegen ein möglichst klar formuliertes Bekenntnis, das wenig Interpretationsspielraum ließ. So sorgte beispielsweise die vorgeschlagene Formulierung, „das Bekenntnis der Vereinigung der Deutschen altevangel. Mennonitengemeinden“ ruhe „auf der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments, dem Worte Gottes, als der alleinigen Grundlage christlichen Glaubens, Lehrens und Lebens“, für Ablehnung in Krefeld und Emden. Während Michael Horsch zur Position der Süddeutschen festhielt, die Anerkennung der „ganzen Heiligen Schrift als Gottes Wort“ sei wichtig, bemerkte Abraham Fast in Emden, dass Freiheit das wesentliche Moment sein sollte: „Freiheit vom Wort, vom Buchstaben, von der theologischen Zeitmode oder Altmodigkeit; Freiheit, d. h. Freiheit für den Sinn des Wortes, für das Geheimnis des Buchstabens, für den göttlichen Geist.“ Fast merkte auch an, ein Glaubensbekenntnis sei eine viel zu strenge Richtschnur, mit der „Ketzer“ geschaffen würden. Es mache zudem alle gleich wie in „militärischer Disziplin und Dressur“, und dies sei nicht die Eigenart der mennonitischen Gemeinden.18 18
Gemeindeblatt 65, 1934, S. 22; MFSt, C.11, Nachlass Glück, Kart. 13, Ordner 115, Nr. 1, Brief Fast vom 24. 1. 1934, Unterstreichungen im Original; MFSt, C.11, Nachlass Glück, Karton 13, Ordner 115, Nr. 1.
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
Die Debatte wurde noch grundsätzlicher, als sich aus den USA John Horsch einschaltete und einen 1933 von der Gemeinde Emden in den „Mennonitischen Blättern“ veröffentlichten Beschluss kommentierte. Abraham Fast hatte dort die Identität seiner Gemeinde in fünf Punkten zusammengefasst. Erstens habe die Gemeinde immer unter dem speziellen Schutz der Abraham Fasts deutschen Fürsten und Regierungen gestanden, beispielsweise freies Christentum unter jenem Friedrichs II. von Preußen, was ein positives Verhältnis zum Staat begründe. Zweitens verfolge die Gemeinde eine „buchstabenfreie Haltung gegenüber der Bibel und anderen christlichen Bekenntnisgrundlagen“ und strebe nach einem „geistbetonten Christentum“. Man verbinde somit den Geist der deutschen Mystik mit jenem des deutschen Pietismus und des deutschen religiösen Idealismus eines Schiller, Goethe und Arndt. Drittens würden die Kinder der Gemeinde auch am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Im eigenen Taufunterricht dagegen beginne man mit dem Glauben der germanischen Vorfahren. Viertens sehe man den „mächtigen Willen“ im Volk nach „nationaler und sozialer Selbstbesinnung“ als Weg, um die „gottgewollte Volksgemeinschaft im Staate“ herzustellen. Die Gemeinde Emden begrüße dies „freudig“ als „Durchbruch des Geistes“ und „Fortschritt religiöser Entwicklung“. Fünftens schließlich sehe die Gemeinde Emden es als „Selbstverständlichkeit“ an, sich in den „Neubau einer lebendigen volkskirchlichen Gesamtorganisation des Deutschen Reiches“ einzugliedern.19 Für John Horsch bedeuteten diese Stellungnahmen den selbstverschuldeten Ausschluss aus der mennonitischen Welt. Sie würden eine völlige Unkenntnis der mennonitischen Geschichte offenbaren, in der stets das Autonomieprinzip der Gemeinden hochgehalten und der Staat außen vor gelassen wurde. Horsch ging zu einem grundsätzlichen Angriff auf die deutsche mennonitische Landschaft über, indem er bereits den Zusammenschluss der Gemeinden in der „Vereinigung“ als „Sieg des Liberalismus“ und „Niederlage des Christusglaubens“ darstellte, da man dem Staat schon viel zu viel Einmischung in die Gemeinde gestatte. Er empfahl den Mennoniten, sich lieber auf die Seite der Bekennenden Kirche zu schlagen, anstatt sich in vorauseilendem Gehorsam quasi selbst gleichzuschalten. 1935 veröffentlichten Emil Händiges sowie Christian Neff und Erich Göttner Stellungnahmen zu den Aussagen von John Horsch und distanzierten sich darin von Fasts Auffassungen. Händiges kritisierte, Fast würde Jesus Christus lediglich als „Märtyrer seiner Lehre“ sehen, nicht jedoch als „Mittler 19
Mennonitische Blätter 80, 1933, S. 68.
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und Seligmacher“, und er setze „religionsgeschichtliche außerchristliche Stoffe“ auf eine Stufe mit der christlichen Botschaft. Neff und Göttner schrieben, Fast vertrete eine Freiheit, die „Willkür und schrankenlosem Individualismus“ Tür und Tor öffne und den Menschen an die Stelle Gottes setze. Darüber hinaus verwahrten sie sich dagegen, die biblische Botschaft lediglich als „Sinnbild der Wahrheit“ zu sehen; sie sei Wahrheit selbst.20 Der Hintergrund von Abraham Fast und seiner Mennonitengemeinde in Emden ist im frühen 20. Jahrhundert ein sehr interessanter. Fast stammte eigentlich aus der Molotchna, hatte an der Predigerschule Basel sowie an den Universitäten Basel und Heidelberg studiert und war dann zurück in die Molotchna gegangen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges Die Mennonitenhielt er sich in Deutschland auf, weshalb ihm die Rückkehr nach gemeinde Emden Südrussland verwehrt war und er sich entschloss, die Stelle des Predigers der Mennonitengemeinde Emden zu übernehmen. Diese wurde unter Fast in den 1920er Jahren zur Anlaufstelle vieler Freireligiöser, die ihre Kinder in den Religionsunterricht der Mennoniten schickten. Auch die ostfriesische Schriftstellerin Wilhelmine Siefkes war begeistert von der Mennonitengemeinde. Abrahm Fast war davon überzeugt, dass eine christliche Gemeinde das Evangelium nicht nur den eigenen Mitgliedern verkünden sollte, sondern in erster Linie den „Verlorenen im Hause Gottes“, den „Entchristlichten“ und „Verweltlichten“. Fasts Berichten zufolge fingen die Mennoniten, die „früher nicht mit ‚Kreti und Pleti zusammen auf einer Kirchenbank hatten sitzen mögen‘“, an, für die Gottesdienste einzuladen, und die Kirchenbänke füllten sich. Fast distanzierte sich von jeglichen parteipolitischen Einflüssen auf die Gemeindearbeit. Praktisches Christentum oder religiöser Sozialismus seien dann gut, wenn sie nicht auf Parteipolitik herausliefen, sondern das Evangelium Jesu Christi in den Mittelpunkt stellen. Gleichzeitig stand er aber auch der Idee der Wehrlosigkeit kritisch gegenüber, da er meinte, man Das Gewissen des würde so eine Entscheidung darüber fällen, welches Gewissen Soldaten gottgefälliger sei, jenes des Soldaten, „der sein Leben für die Brüder hergibt“, oder das Gewissen des Wehrdienstverweigerers. Fast schreibt, er habe nie eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen gefunden. Er suche auch nicht ein „konfessionelles“, sondern ein „‚freies‘ Christentum, aus der Gesinnung der Gotteskindschaft heraus.21 20 Der Bote, 5. 6. 1935; Mennonitische Blätter 82, 1935, S. 75 f. 21 Fast, Aus unserem Leben, S. 20-22.
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
8.3.
Neuanfang. Zwischen West-Pazifismus und DDR-Regime
8.3.1. Neuanfang in Westdeutschland
Das Jahr 1945 brachte nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern beendete auch die jahrhundertelange Besiedlung der Ostgebiete durch Mennoniten. In West- und Ostpreußen schlossen sich Mennoniten den Flüchtlingstrecks Richtung Westen an, und wer Glück hatte, überlebte die Tortur der Flucht. In der Sowjetunion verblieben Mennoniten, Zusammenbruch die in den folgenden Jahren weiteren Repressionen ausgesetzt waren. Das in Besatzungszonen aufgeteilte Deutschland nahm 1945 die Flüchtlinge aus dem Osten auf, allerdings manchmal nicht ganz freiwillig, selbst in den Mennonitengemeinden – trotz aller verwandtschaftlicher Beziehungen und geistlicher „Geschwisterschaft“. Der starke Zuwachs durch Flüchtlinge sorgte beispielsweise in der Gemeinde Hamburg für einige FlüchtlingsprobleAuseinandersetzungen, da auf einmal die „Westpreußen“ domimatik nierten. Für andere Gemeinden wiederum bedeuteten die Flüchtlinge eine Neubelebung, etwa für Neuwied. 1948 hielt der mennonitische Prediger Paul Schowalter (Weierhof / Pfalz) einen Vortrag, in dem er die tiefen Gräben thematisierte, die Einheimische und Flüchtlinge trennten. Die Flüchtlinge würden oft als „Menschen zweiter Klasse“ angesehen. Doch, so Schowalter mahnend, gerade die mennonitische Geschichte sollte zur Einsicht treiben, denn schließlich seien die Mennoniten stets ein „Völklein der Wanderschaft“ gewesen. Und zudem hätten Christen generell nur eine „Gastrolle“ auf Erden.22 Die Betreuung der Flüchtlinge stellte für die Mennoniten eine große Herausforderung dar. Aufgrund der weltweiten Vernetzung konnten sie jedoch auf sehr weitreichende Hilfeleistungen der eigenen Glaubensgeschwister in den USA und in Kanada zurückgreifen. Die amerikanischen und kanadischen Mennoniten starteten ihre Hilfsarbeit in Europa schon Arbeit des MCC während des Krieges, wobei sie von England aus agierten. Einen Monat nach der Kapitulation kamen dann die ersten Mitarbeiter nach Deutschland. Träger der Arbeit war das „Mennonite Central Committee“ (MCC), für das unter anderem Cornelius F. Klassen, Peter J. Dyck und Robert S. Kreider aktiv waren. Zunächst ging es darum, Mennoniten in Deutschland, die Not litten, zu versorgen, die Flüchtlinge ausfindig zu machen und ihre Unterbrin22 MFSt, C.32, Nachlass Paul Schowalter, Karton 8, Ordner 87.
8.3. Neuanfang. Zwischen West-Pazifismus und DDR-Regime
gung beziehungsweise die Weiterreise zu organisieren. Das Ziel der MCC-Arbeit war es, die Flüchtlinge zu sammeln, zu erfassen und möglichst geordnet weiterzuschicken. Deshalb wurden Karteien angelegt; die Zentralkartei wurde im Lager Gronau geführt. Sobald ein Flüchtling erfasst war, war er ein Kandidat für die Auswanderung. Es ist ganz typisch für die frühe Phase der Hilfe, dass die chaotischen Verhältnisse manchmal nur „Zufallsfunde“ ermöglichten. Häufig erfuhren die MCC-Mitarbeiter per Mundpropaganda von „eventuellen“ mennonitischen Flüchtlingen. Sie machten sich dann auf den Weg zu ihnen, um ihre Identität zu überprüfen und gegebenenfalls Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Peter J. Dyck erzählt in seinen Memoiren, wie er aus einem Artikel in einer niederländischen Zeitung von einer Flüchtlingsgruppe erfuhr, die in Maastricht angekommen war. Sie hätten behauptet, so der Artikel, Vorfahren zu haben, die im 16. Jahrhundert aus den Niederlanden ausgewandert und nach Preußen, dann nach Russland gegangen seien. Den Einwanderungsbehörden hätten die Flüchtlinge zudem erzählt, sie fühlten sich nun wie „nach Hause gekommen“. Ein extra zu den Flüchtlingen gesandter Sprachwissenschaftler kam zu dem Ergebnis, ihre Sprache sei sowohl dem Deutschen als auch dem Holländischen verwandt. Den Behörden, aber offenkundig auch den Journalisten, erschien all dies so merkwürdig, dass es einen Artikel in der Zeitung wert war – was wiederum Peter Dyck und seine Mitarbeiter elektrisierte. Sie setzten sich ins Auto und fuhren nach Maastricht. Als Dyck die Leute im Flüchtlingslager traf, flüsterte er seinem Begleiter zu: „Die sehen wie richtige Rußlandmennoniten aus.“ Und tatsächlich, nach einem kurzen Moment der Unsicherheit auf Seiten der Flüchtlinge brach das Eis, als Dyck sie auf Plattdütsch begrüßte. Dyck schreibt: „Bis heute bedauere ich, daß niemand sie gefilmt hat, um die Veränderung bei ihnen festzuhalten, als ich das sagte.“23 Die Gruppe ist in die Geschichte eingegangen als die erste Gruppe von Russlandmennoniten, die 1945 die Niederlande erreicht hat. Sie bestand aus 33 Mennoniten, was tragisch genug ist, denn 614 Personen hatten 1943 Russland verlassen. Robert Kreider dagegen berichtet, wie er sich am Berliner Viktoria-Luise-Platz auf die Suche nach einer Wohnung machte, von der es hieß, dass dort mennonitische Flüchtlinge untergekommen seien. Eine Frau, die in einem der Häuser wohnte, führte ihn zur entsprechenden Wohnung, „down the dingy, dark hall. It exuded gloom: creaky stairs, a damp chill, a musty odor, a tattered elegance of the past. It felt ominous, an atmosphere of dread and lurking danger. 23
Dyck, Auferstanden aus Ruinen, S. 59.
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
The Hausfrau knocked on a door and shouted that an American visitor had come. The door opened a crack and an elderly woman peeked out. She said that Mr. Kroeker was not there and closed the door. The Hausfrau knocked again. I added, ‚Ich bin Mennonit.‘ The woman opened the door wide. I stepped into the darkness and saw about me a dozen people, mostly women and children.“24 Unter der Führung des MCC, das ab 1946 im Rahmen von CRALOG arbeitete, zu dem Hilfswerke verschiedenster Denominationen gehörten, entstanden größere Lager, vor allem in Gronau, Backnang und Hannover-Buchholz, um die Flüchtlinge zu betreuen. Dazu gehörten Speisungen und Kleiderausgaben, aber auch geistliche Angebote, etwa Bibelstunden Flüchtlingslager und Gottesdienste. Vor allem die geistliche Unterweisung und die schulische Ausbildung der Kinder standen im Vordergrund, um durch die Flucht entstandene Defizite wettzumachen. Die Mitarbeiter versuchten zudem, die Flüchtlingsgemeinde hierarchisch zu strukturieren, um diese besser betreuen und gezielter arbeiten zu können. Es gab zwei ehrenamtliche Positionen: „Vertrauensmänner“ (jeweils für die einzelnen Zonen) und „Gruppenmänner“ (jeweils für die einzelnen Gemeinden). Die Gruppenmänner wurden von den Flüchtlingen eines Bezirkes bestimmt; sie waren die Verbindungsleute zwischen dem Vertrauensmann in den einzelnen Zonen und der Gruppe von Flüchtlingen. Anmeldungen zur Auswanderung mussten bei den Gruppen- oder Vertrauensmännern eingereicht werden. Um die Kommunikation unter den Flüchtlingen zu verbessern, riefen die Mennoniten 1947 eine eigene Zeitung ins Leben – „Unser Blatt“. Ziel war es, die Identität der Flüchtlingsgemeinschaft zu stärken: „Bindeglied zwischen den zerstreuten Fremdlingen und Pilgrimmen“ zu sein, so die Formulierung in der ersten Ausgabe der Zeitung. Deshalb brachte „Unser „Unser Blatt“ Blatt“ Berichte über das Leben in den Lagern, Suchanzeigen von Familienangehörigen sowie Informationen über Meldepflichten, Möglichkeiten zur Auswanderung und Ratschläge für das konkrete Vorgehen, wenn der Wunsch zur Auswanderung vorhanden war. Diesbezüglich hatten sich alle Hoffnungen zunächst auf die USA und Kanada gerichtet, wo die Türen jedoch bis 1947 verschlossen blieben. Wie erwähnt, gingen Schiffe dann nach Paraguay und Uruguay ab. Insgesamt waren 35.000 mennonitische Flüchtlinge aus Russland Richtung Westen gezogen. Dazu kamen noch einmal 6000 bis 7000
24 Kreider, My Early Years, S. 416.
8.3. Neuanfang. Zwischen West-Pazifismus und DDR-Regime
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Flüchtlinge aus Westpreußen, die zunächst meist in Lagern in Dänemark untergekommen waren. Die Vorläufigkeit eines Lebens in Deutschland wandelte sich für viele Flüchtlinge schließlich in einen dauerhaften Aufenthalt. Das MCC versuchte, die Wohnungsnot durch spezielle Bauprogramme zu überwinden und baute neue Siedlungen für die Flüchtlinge in Espelkamp, Enkenbach, Neuwied und Backnang. Hier entstanden geschlossene mennonitische Bauprogramme Siedlungen mit Wohnhäusern, Gemeindehäusern, manchmal und Pax Boys auch Altenheimen. Ein spezielles Programm sorgte für Unterstützung durch junge Amerikaner, die als „Pax Boys“ einen Freiwilligendienst in Deutschland ableisten konnten. Geistlich nahmen die Mennoniten nach 1945 eine entscheidende Wende. Aus der Erfahrung der nationalsozialistischen Zeit heraus und unter dem Einfluss nordamerikanischer Mennoniten wuchs in den deutschen Gemeinden das Interesse an einer pazifistischen Ausrichtung – die ehemaligen Täufer erlernten wieder die Wehrlosigkeit. Schon in der ersten NachPazifismus kriegsnummer der neu ins Leben gerufenen Zeitschrift „Der Mennonit“ erschienen Artikel zur Wehrlosigkeit, unter anderem von Harold S. Bender. Im Juni 1949 fand eine Tagung zur Wehrlosigkeit statt, vor allem unter amerikanischer Beteiligung und Anleitung, die als Ergebnis die „Thomashöfer Entschließung“ verabschiedete. Die Anwesenden verpflichteten sich, den Friedensgedanken und „dessen praktische Verwirklichung in allen Lebenslagen“ wieder mehr zu fördern. Allen Gemeindegliedern, die den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern wollten, sollte Hilfestellung angeboten werden. Ein Jahr später folgte die „Heilbronner Entschließung“ als Ergebnis der „Internationalen mennonitischen Wehrlosigkeitskonferenz“, an der auch Harold S. Bender teilnahm. 1956, also ein Jahr nach der Wiederbewaffnung, wurde das „Deutsche Mennonitische Friedenskomitee“ gegründet, das Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende gegenüber den staatlichen Stellen vertreten sollte. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ging langsam voran. Noch in den 1970er Jahren sorgten erste Publikationen zur Geschichte der Mennoniten im Nationalsozialismus für zahlreiche Diskussionen. 1995 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG), der Dachverband der Mennoniten in Deutschland, eine Erklärung zu Aufarbeitung der „50 Jahre nach Kriegsende“. Darin bedauerten die VerantwortliVergangenheit chen einerseits, dass die „meisten Mennoniten in Deutschland“
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
das Friedenszeugnis im Nationalsozialismus aufgegeben hätten. Andererseits wurde auch kritisch angemerkt, dass die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus so lange „aus Angst vor Auseinandersetzungen und weil viele deutsche Mennoniten vom Krieg selbst hart betroffen waren“, unterblieben sei.25 8.3.2. Mennoniten in der DDR
Nicht alle Flüchtlinge gingen in den Westen, sondern einige blieben auch in Ostdeutschland hängen. Sie bildeten den Grundstock für die Mennonitengemeinde in der DDR, die bis 1990 bestand, jedoch nur lose organisiert war und von der Berliner Gemeinde aus betreut wurde. Anfänglich lebten wohl um die 1000 Mennoniten in der DDR, bis 1990 umfasste die Gemeinde nur noch 244 Glieder. Eine wesentliche Funktion für die Mennoniten in der DDR hatte Berlin, wo die Gemeinde seit den 1950er Jahren über ein Haus in Lichterfelde verfügte, das zur Anlaufstelle für DDR-Bürger wurde. Das Haus, das bis heute unter dem Namen „Menno-Heim“ zur Gemeinde gehört, wurde ab Mai 1952 mit der Unterstützung des MCC gemietet; einige Jahre später kaufte es die Gemeinde mit der Hilfe verschiedenster Geldgeber. Im Menno-Heim konnten die DDR-Bewohner sich körperlich und geistlich stärken und Hilfsgüter übernehmen. Am Anfang gab es den Plan, jedes Gemeindeglied aus dem Osten ein- bis zweimal im Jahr für ein verlängertes Wochenende nach Berlin einzuladen. Ein Plan, der 1961 mit dem Mauerbau obsolet wurde. Es sorgte für einige Aufregung, dass Menno-Heim gerade in der Zeit, als die Mauer hochgezogen wurde, eine Gruppe von Kindern aus der DDR im Menno-Heim war. Nach 1961 wurde das Menno-Heim umfunktioniert zum Zentrum für die Versendung der Hilfspakete, die in die DDR gingen. Auch die geistliche Betreuung der Gläubigen, die unter anderem in Halle / Saale, Döbeln, Schwerin und Rostock wohnten, wurde weiterhin von Berlin aus organisiert. Seit 1949 war der Reiseprediger Bruno Götzke zuständig, dann Walter Jantzen, der eigentlich im Vorstand der Berliner Gemeinde war, jedoch in Ost-Berlin wohnte und deshalb 1961 von seiner Gemeinde abgetrennt worden war. Unterstützt wurde er durch MCC-Mitarbeiter aus Nordamerika, für die es einfacher war, in die DDR einzureisen als für West-Deutsche.
25
Brücke 10, 1995, S. 112.
8.3. Neuanfang. Zwischen West-Pazifismus und DDR-Regime
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Bild 29: Menno-Heim in Berlin
Doch die Fluchtbewegung aus der DDR in den Westen hielt an, und darunter waren auch zahlreiche Mennoniten. Anfang der 1950er Jahre wurden diese Versuche als so überhandnehmend wahrgenommen, dass vor allem auf Betreiben der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei ein Verfahren angestrebt wurde, die Mennoniten als Religionsgemeinschaft zu Republikflucht verbieten. Argumentiert wurde einerseits mit den illegalen Ausreisen, andererseits mit der Unterstützung durch amerikanische Hilfsorganisationen, die die Flüchtlinge angeblich für die „Ziele der anglo-amerikanischen Kriegstreiber missbrauchten“.26 Das avisierte Verbot wurde in verschiedenen Stellen diskutiert, blieb jedoch umstritten und wurde letztendlich nicht ausgesprochen. Einerseits führte man an, dass die Mennoniten seit 1922 das Recht hätten, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu bilden, und andererseits sorgte gerade die weltweite Bedeutung der Mennoniten für Vorbehalte.
26 Zit. nach: Baumann, Verbot der Mennoniten, S. 65.
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
Die Quellen, die im Fall der mennonitischen Geschichte in der DDR noch sehr der Aufarbeitung harren, legen nahe, dass sich die in der DDR verbleibenden Mennoniten mit dem Regime einigermaßen arrangierten. Die Wehrlosigkeit spielte spätestens seit 1963 keine Rolle mehr, da junge Männer dann die Möglichkeit hatten, ihren Wehrdienst ohne Waffen als „Bausoldaten“ abzuleisten. Zudem trafen Mennoniten und DDR-Ideologie sich im Punkt „Frieden“, wie unter anderem die „Erklärung der Mennoniten-Gemeinde in der DDR aus Anlaß des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus“ vom April 1975 ausdrückt, die von Walter Jantzen unterzeichnet war. Es heißt dort: „Indem wir Mitglieder der Mennoniten-Gemeinde in der DDR unabläßlich an der weiteren Vervollkommnung unserer sozialistischen Ordnung mitwirken und unseren Beitrag zur Unterstützung ihrer Friedenspolitik leisten, wollen wir auch im 450 (.) Jubiläumsjahr der Täufer nach der Erkenntnis handeln: Wer als Christ Frieden stiften und das Wohl seines Nächsten fördern will, hat dazu als Bürger eines sozialistischen Staates wie des unseren gute Voraussetzungen“.27
8.4.
„Old Order“. Von der Herausforderung, das Richtige zu bewahren
8.4.1. Auf der Suche nach Absonderung
Im allgemeinen Gedächtnis der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts sind Mennoniten und Amische vor allem als „old order people“ präsent. Diese dominieren das Bild, das auch durch die Medien von den Nachfahren der Täufer vermittelt wird. Der Lebensstil der „old order“-Gruppen wird als anders, besonders und fremd empfunden Klischees und und lässt sich einerseits gut in alle romantisierenden VorstellunStereotype gen gestresster Städter vom „einfachen Leben“ einpassen. Andererseits schreibt die Fantasie der Medien und Filmemacher gerade den „old order“-Gruppen alles Bizarre und Skurrile zu, was aus einem „veralteten“ und abgesonderten Leben mit hohen ethischen Ansprüchen entstehen kann. Mit Stereotypen und Klischees gespickt werden verschwiegene Regelbrüche und Kriminalität, die verborgene Lust am Unerlaubten oder gar Missbrauch wie Inzest dargestellt. Das verbindet die „old order“-Gruppen mit dem Bild, das auch heute noch von der kurzen täuferischen Episode Münsters in den Jahren 27
Zit. nach: www.mennlex.de, Deutsche Demokratische Republik.
8.4. „Old Order“. Von der Herausforderung, das Richtige zu bewahren
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1534/35 gezeichnet wird. Filme wie „Der einzige Zeuge“ oder „Wohin mit den Millionen?“ stehen beispielhaft für das Spiel mit den Klischees. Allerdings sorgt auch so manche Selbstdarstellung der „old order“-Gruppen zum Zweck der Geldabschöpfung bei neugierigen Touristen – etwa im salopp „Amish Disney Land“ genannten Lancaster County – dafür, dass sich bekannte Stereotype in den Köpfen der Besucherinnen und Besucher noch mehr festigen können. Doch jegliche populäre und medienwirksame Ausschlachtung mennonitischer und amischer Eigenheiten der „old order“-Ausprägung verdeckt, dass die betreffenden Gemeinden im 21. Jahrhundert keine „Museumsstücke“ sind, die eine Tradition ein für alle Mal konserviert haben, sondern vielen Veränderungen und Anpassungsprozessen ausgesetzt waren und sind. Die „old order“-Gemeinden stellen heute ungefähr 10 Prozent aller Mennoniten in den USA. Sie sind äußerst zersplittert und geprägt durch viele kleine Gruppen und Gemeinden. So fehlt eine übergeordnete Vergemeinschaftung, etwa in Gemeindebünden oder kirchlichen Zusammenschlüssen. Zu den „old order“-Gemeinden werden die traditionellen täuferischen Gruppen Amische, Mennoniten und Hutterer gezählt, aber auch Brethren, German Baptist Brethren und Doukhebours sowie weitere kleinere Kirchen. Durch internes Wachstum und eine recht hohe Bereitschaft der nachfolgenden Generationen, in den Gemeinden der Eltern zu bleiben, wachsen die „old order“-Gruppen sehr schnell. Für die Amischen ist bekannt, dass 85 Prozent der Kinder Mitglied der angestammten Kirche werden. Dies befördert eine ständige Suche nach neuem Land und damit auch die Suche nach neuem Migration. Allerdings treibt auch der Wunsch nach mehr AbsonLand derung die „old order“-Gruppen weiter, wenn die „Welt“ zu stark an die Gemeinschaften herangewächst. Dies passierte beispielsweise im 20. Jahrhundert, als sich Großstädte in den traditionellen Siedlungsgebieten Pennsylvania, Ontario und Ohio immer mehr in Richtung der Gemeinden ausdehnten. Eine sehr migrationsbereite Gruppe sind die Old Colony Mennonites oder Altkolonier, die auf die Einwanderer von 1874 aus Russland zurückgehen. Sie hatten sich zunächst in Manitoba niedergelassen, zogen jedoch später, als die Besiedlung mit ihren technischen Errungenschaften immer dichter wurde, nach Saskatchewan beziehungsweise nach Mexiko, Belize und Bolivien weiter. Die Altkolonier hatten viele Elemente des russischen Lebens in ihre nordamerikanische Kultur hinübergerettet. So versuchten sie auch nach der Einwanderung nach Manitoba, die religiöse und die politische Gemeinde zur Deckungsgleich-
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
heit zu bringen. Zudem gab es noch das Amt des „Schult“, und der Älteste wurde „Ohm“ genannt. Die Suche nach neuem Land brachte die „old order“-Gruppen im Verlauf des 20. und frühen 21. Jahrhunderts nicht nur nach Süd- und Mittelamerika, sondern erschloss auch auf dem nordamerikanischen Kontinent neue Räume. 2017 sorgten „old order“-Mennoniten aus der dicht besiedelten Region um Kitchener / Waterloo für Aufsehen, als sie zum ersten Mal Küstenregionen erreichten und nach New Brunswick und Prince Edward Island zogen, da dort die Preise für Land noch verhältnismäßig niedrig sind. 8.4.2. „Invention of tradition“
Die Tradition der „old order“-Gruppen geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als das Bedürfnis entstand, einen Zustand zu konservieren, um Einflüsse der Moderne fernzuhalten. Es setzte eine „invention of tradition“ ein, die kulturellen Ausprägungen eine hohe Symbolik für die kollektive Identität beimaß: Tracht, Sprache, Ausstattung im Haus, Gerätschaften bei der Arbeit. Immer wieder verhandelten die Gruppen intern ihren Standard und ihre Bereitschaft, sich der Umwelt anzupassen. Manchmal blieb es bei der kompletten Verweigerung, Neues zu übernehmen, manchmal wurden Kompromisse erreicht. Einige „old order“-Gruppen der Mennoniten erlaubten Autos, die jedoch schwarz sein mussten. Und in einigen Gemeinden wurden Telefone im Haus geduldet, wenn diese ebenfalls schwarz waren und nicht über einen Anrufbeantworter verfügten. Die Hutterer sind heutzutage am offensten, was technische Maschinen, Computer und Handys betrifft, allerdings nur im wirtschaflichen Bereich. So haben sich die einzelnen „old order“-Gruppen im 20. Jahrhundert unterschiedlich entwickelt. Veränderungen vollzogen sich auch im wirtschaftlichen Bereich. Waren „old order“-Gruppen lange durch Landwirtschaft und kleine Handwerke geprägt, sind mindestens viele Amische im 21. Jahrhundert entweder selber Inhaber kleiner Unternehmen, oder sie arbeiten in größeren Unternehmen mit. Auch einige hutterische Gemeinden bauten neben der Landwirtschaft eigene Firmen auf den Bruderhöfen auf. Auch solche Veränderungsprozesse verliefen nie ohne größere Debatten. Donald B. Kraybill und Carl F. Bowman haben drei Faktoren genannt, die halfen, dass die „old order“-Gruppen überlebten: die gemeinsame Geschichte, die oftmals auf die Geschichte der Verfolgung und der Märtyrer fokussiert ist, die Beziehungen der „old order“-Gruppen untereinander und die Entwicklung von Praktiken mit hoher symbolischer Bedeutung, die Gemeinsamkeit schaffen. Der
8.4. „Old Order“. Von der Herausforderung, das Richtige zu bewahren
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Bild 30: Amische Kinder
Verzicht auf Elektrizität beispielsweise lässt all jene Leute als Gruppe erkennbar werden, die nur Petroliumlampen und Dieselgeneratoren verwenden. Die Sichtbarkeit der „Horses“ und „Buggys“ erzeugt ebenfalls eine kollektive Identität. Eigene Schulen richteten die Amischen erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein, vorher besuchten die Kinder öffentliche Schulen. Massive Auseinandersetzungen mit den Schulverwaltungen in den USA gingen der Einrichtung eigener amischer Schulen voraus. In den hutterischen Schulen dagegen, die auf den Bruderhöfe liegen, unterrichten „englische Lehrer und LehrerinBildung nen“, also Lehrer, die von außen kommen. Allerdings ist dem nach staatlichem Lehrplan organisierten Unterricht stets eine Stunde „Deutsche Schule“ vorgeschaltet, die ein Hutterer abhält. Mittlerweile bilden einige hutterische Höfe ihre jungen Leute nach der Elementarschule an Universitäten aus. In den Schulen der Amischen und „old order“-Mennoiten dauert der Unterricht, der meist in Ein-Raum-Klassenzimmern stattfindet, bis zu „Grade Eight“. Eine dieser Schulen, in Nickel Mines in Pennsylvania, erlangte 2006 traurige Berühmtheit, als ein bewaffneter Mann amische Kinder kidnappte, fünf von
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ihnen erschoss und sich dann selbst hinrichtete. Die Öffentlichkeit war jedoch fasziniert von der Reaktion der betroffenen amischen Familien. Hass und Vergeltungssucht schienen ihnen fern zu sein. Vielmehr gingen sie auf die Familie des Täters zu und streckten die Hand zur Versöhnung aus. Sie gründeten sogar einen Unterstützungsfonds für die nach dem Tod des Mannes mit drei Kindern zurückgebliebene Frau des Attentäters. Ein Blogger feierte die Reaktion als „the Power of pacifism“.28 Solche Reaktionen von „old order“-Gruppen wie in Nickel Mines brechen ein verbreitetes Bild, das Amische, Mennoniten und Hutterer lediglich als „Museumsstücke“ aus dem 19. Jahrhundert darstellt. Es werden ethische „the way we Normen sichtbar und Ideen hinter der äußeren Fassade. Sie gehen dress“ tiefer als die oft zitierte Antwort auf die Frage „Why do you dress the way you dress“, die lautet: „Because that’s just the way we dress“.
8.5.
Rückwanderung. Russlanddeutsche Gemeinden in der Bundesrepublik
8.5.1. Zwischen registrierter Gemeinde und Untergrundkirche
In der Kriegszeit hatte der Druck auf die kleineren Kirchen und Gemeinden ein wenig nachgelassen, da Stalin jeden für den Krieg brauchte. Allerdings mussten die „Deutschen“ immer mit Umsiedlungen und Deportationen nach Sibirien und Kasachstan rechnen; viele von ihnen flohen mit dem Zurückrücken der deutschen Front Richtung Westen. Wer allerdings 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone hängen blieb, musste damit rechnen „repatriiert“ zu werden, das heißt nach Russland zurückgeschickt zu werden. Flüchtlinge erzählten den Beamten deshalb, sie stammten aus Holland – was allen vorherigen, NS-genehmen Abhandlungen zur mennonitischen Abstammung zum Trotz ja auch stimmte. Auch das MCC versuchte, alle Mennoniten aus Russland so gut wie möglich vor den durch die Lager ziehenden russischen Suchtrupps zu schützen. Die Zahlen der Repatriierten sind dennoch nicht gering. 23.000 russische Mennoniten wurden nach Russland zurückgeschickt und meist warteten dort Haft und Arbeitslager auf sie. Das Jahr 1944 markierte einen wesentlichen Einschnitt, was die Organisation der Gemeinden anging. Auf Druck aus den USA hin erlaubte die Sowjetunion 28 http://benwitherington.blogspot.de/2006/10/lessons-from-amish-power-of-pacifism. html [abgerufen am 15. 12. 2019].
8.5. Rückwanderung. Russlanddeutsche Gemeinden in der Bundesrepublik
die Gründung der Evangeliumschristen-Baptisten, zu denen neben den Evangeliums-Christen, die dem Stundismus des 19. Jahrhunderts entstammten, Baptisten, Mennoniten und Pfingstler gehörten. Die EvangeliumsEvangeliumschristen-Baptisten stellten von 1944 an über zwei christen-Baptisten Jahrzehnte lang den einzigen Weg für Freikirchen dar, ihren Glauben legal auszuüben; auf die illegale Ausübung des Glaubens standen bis zu 25 Jahre Haft. Allerdings bemühten sich nur zwei Drittel der Gemeinden um eine staatliche Anerkennung, die sie auch erhielten; ein Drittel ließ sich nicht registrieren – auf diese Gläubigen blieb der Druck hoch. Franz Ediger aus der Mennoniten-Brüdergemeinde in Karaganda berichtet im Nachhinein über diese Zeit: „Als ich 1948 nach Karaganda zu meiner Familie durfte, war hier eine kleine russische Baptistengemeinde. […] Hier fanden geistliche Speise auch manche hungrigen Seelen aus den Deutschen, die diese für die einzige Möglichkeit sahen, unter das Wort Gottes zu kommen. Zudem (es sei wohl gemerkt!) wurde diese Gemeinde von der Regierung nicht verfolgt. […] Die Ansprachen wurden nur in russischer Sprache gehalten, sogar Lieder wurden fast nur russisch gesungen. In den Regierungsvorschriften drängte man darauf, möglichst wenig Jugend und Kinder zur Versammlung zuzulassen. Nur wenige durften predigen, und zwar mußte man vorher den Inhalt der Predigt zur Durchsicht vorlegen.“29 Bei den registrierten Evangeliumschristen-Baptisten handelte es sich also um streng kontrollierte Gemeinden, die nach genauen staatlichen Vorgaben zu funktionieren hatten. Die russische Sprache war Pflicht, die Predigt wurde zensiert und eine wie auch immer geartete missionarische Arbeit durfte nicht stattfinden. Und es sollte offenkundig eine Gemeinde für ältere Menschen sein. Diese Kontrolle durch die Regierung und das als angepasst wahrgenommene Christenleben führten schließlich zu Unmut unter einigen evangelischen beziehungsweise täuferischen Christen. Um noch einmal Franz Ediger zu zitieren: „Auch der Presbyter Jewstratenko ließ die deutschen Geschwister oft fühlen, daß sie unter dem russischen Stiefel gehalten werden müßten. Manche seiner Handlungsweisen riefen in uns immer mehr den Verdacht wach, er habe den Kopf mit der ‚Partei‘ unter einer Decke oder sei gar selbst Mitglied der kommunistischen (atheistischen) Partei. […] In dieser Zeit lernten die deutschen Gläubigen alle Gelegenheiten ausnutzen, um eigene Versammlungen durchzuführen. Sich in Privathäusern zu versammeln, war strengstens verboten. Nun wurden dazu die Familienveranstaltungen benutzt. Hatte jemand Geburtstag, dann kamen recht 29 Zit. nach: Wölk / Wölk, Mennoniten-Brüdergemeinde, S. 105.
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viele ‚Gäste‘. Hielt der Tod die Ernte, dann gab es eine sehr große Begräbnisfeier, der gewöhnlich auch noch eine Trauerversammlung am Abend in demselben Hause folgte. Bei diesen Gelegenheiten wurde deutsch gepredigt und gesungen.“30 Diese verbotenen und geheimen Versammlungen mündeten in die Entstehung der „Initiativgruppe zur Einberufung eines außerordentlichen Allunionskongressess der Evangeliums-Christen-Baptisten-Gemeinden“. Ihre Mitglieder beschuldigten die Evangeliumschristen-Baptisten, sich dem Druck des Staates gebeugt und das selbständige Handeln der Gemeinde Initiativgruppe Jesu Christi preisgegeben zu haben. Im September 1965 spaltete sich die „radikalere“ Richtung ab und gründete einen Bund unabhängiger Gemeinden der Evangeliumschristen-Baptisten („Rat der Kirchen der Evangeliumschristen-Baptisten“). Diese neuen Gemeinden waren starken Repressionen ausgesetzt, konnten nur im Untergrund bestehen und entwickelten Strategien zur Erhaltung des religiösen und gemeindlichen Lebens, wie sie für Untergrundkirchen typisch sind. Man gründete einen Geheimverlag, schmuggelte religiöse Schriften und versuchte, den Glauben im Geheimen weiterzugeben. Dies produzierte wieder Märtyrer, da der staatliche Druck hoch blieb. Neben den Evangeliumschristen-Baptisten gab es in der Sowjetunion auch noch die kirchlichen Mennoniten und die Mennoniten-Brüdergemeinden. 1956 hatte sich als erste Mennoniten-Brüdergemeinde die Gemeinde in Karaganda in Kasachstan gebildet, wo seit den frühen 1930er Jahren vor allem Deportierte hingebracht worden waren. 1958 versuchte die GeKirchliche Mennomeinde, bei der Regierung in Alma-Ata die Registrierung zu erniten langen, was ihr jedoch verwehrt wurde. Es gründeten sich jedoch weitere Mennoniten-Brüdergemeinden, beispielsweise in Nowo-Pawlowka (Kirgisien) und in Orenburg. In der Ära unter Chruschtschow, nach 1958, erschienen immer wieder Vertreter der Regierung zu den Versammlungen der Gemeinde. Namen, Anschriften und Arbeitsplätze der Besucher wurden aufgeschrieben und Strafmaßnahmen angedroht. Die Versammlungshäuser wurden geschlossen und die Folge war, dass die Gemeinden wieder stärker in den Untergrund gingen und ihre Versammlungen in Privathäusern abhielten. 1962 wurden Prediger der Gemeinde Ssaranj verhaftet, unter ihnen Otto Wiebe, der im Gefängnis verstarb. Eine Anekdote aus dieser Bewegung verdeutlicht sehr schön die Konzentration des Glaubens auf die eigene Familie und das Haus. Mit der Botschaft 30 Zit. nach: ebd., S. 105 f.
8.5. Rückwanderung. Russlanddeutsche Gemeinden in der Bundesrepublik
„Gott ist tot“ kommt der Sohn aus der Schule nach Hause. „Nein, Gott ist nicht tot“, antwortet die Mutter. „Hier im Haus lebt er.“ Im eigenen Haus fanden die Andachten und die Gebetsstunden statt, hier redete man anders als draußen. Erst 1967 erhielt die Gemeinde in Karaganda ihre Registrierung; ein Jahr später begann man mit dem Bau eines eigenen Gemeindehauses. 1977 wurden unter anderem die Gemeinden im kirgisischen Nowo-Pawlowka und in Orenburg registriert. 8.5.2. Auswanderung und Aussiedlung
Mitte der 1960er Jahre änderte sich die Politik gegenüber den Gemeinden und in den 70er Jahren wurden viele Gemeinden vom Staat legalisiert. Da hatte bereits die Aussiedlung nach Deutschland eingesetzt, die in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. 1955 hatte der Deutsche Bundestag die deutsche Staatsbürgerschaft der Russlanddeutschen anerkannt, die diese während des Zweiten Weltkriegs erhalten hatten. Nach dem Grundgesetz, Art. 116, war die Einbürgerung nach deutschem Recht sowieso schon möglich. Quelle Grundgesetz, Art. 116: (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.
Der Kontakt in den Westen nahm immer mehr zu, was dem Regime Bauchschmerzen bereitete. Ein Maßnahmenplan der Kommunistischen Partei in Kasachstan aus dem Jahr 1977 sah vor: „Innerhalb eines Monats – Erarbeitung von wissenschaftlich argumentierenden Materialien für Vorträge und Vorlesungen mit dem Ziel der Entlarvung der Wühltätigkeit der ausländischen,
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8. Weltweit – Täuferische Gemeinden im 20. Jahrhundert
antisowjetischen idelogischen Zentren sowie der politisch schädlichen Handlungen der [sowjet-]deutschen Extremisten. Besondere Aufmerksamkeit ist der Entlarvung der aufhetzenden Tätigkeit der westdeutschen Wühlzentren sowie mit diesen verbundenen ideologischen Organe der BRD zu widmen, die sich auf die Entfachung nationalistischer und emigrationsmäßiger Stimmungen unter der deutschen Bevölkerung der Republik richten.“31 Erhebungen gehen davon aus, dass bis 1996 ungefähr 100.000-125.000 Mennonitinnen und Mennoniten aus der Sowjetunion nach Deutschland kamen. Sie veränderten die mennonitische Landschaft sehr entscheidend, da sie die Vielfalt vergrößerten. Es entstanden zahlreiche Gemeinden, die oftmals sehr konservativ ausgerichtet waren, was wieder neue Debatten eröffnete.
Fragen zur Reflexion Wie würden Sie die politische Einstellung der Mennoniten in der NS-Zeit charakterisieren? Überlegen Sie, welche Elemente des täuferischen Glaubens in der NS-Zeit überlebt haben und welche nicht. Welchen Einfluss hatte das politische System der Diktatur darauf? Diskutieren Sie, welche Auswirkungen Verfolgungszeiten auf menschliche Gemeinschaften haben.
Weiterführende Literatur Imanuel Baumann, Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war. Bemerkungen zu einem Fund staatlicher Dokumente aus den Jahren 1951 und 1952, in: MGB 73, 2016, S. 61-79. Victor Dönninghaus et al., Unter dem wachsamen Auge des Staates. Religiöser Dissens der Russlanddeutschen in der Breschnew-Ära, Wiesbaden 2019. Benjamin W. Goossen, Chosen Nation. Mennnonites and Germany in a Global Era, Princeton 2017. Marion Kobelt-Groch / Astrid von Schlachta (Hgg.), Mennoniten in der NS-Zeit. Stimmen, Lebenssituationen, Erfahrungen (Schriftenreihe des Mennonitischen Geschichtsvereins, 10), Bolanden-Weierhof 2017. Donald B. Kraybill / Carl F. Bowman, On the Backroad to Heaven. Old Order Hutterites, Mennonites, Amish, and Brethren, Baltimore / London 2001. 31
Dalos, Geschichte der Russlanddeutschen, S. 251.
9.1. Geschichtsschreibung aus täuferischer Perspektive
9.
Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
9.1.
Geschichtsschreibung aus täuferischer Perspektive
9.1.1. Die ideale Gemeinde im Rückblick
Die Geschichtsschreibung der täuferischen Gruppen war lange sehr konfessionell ausgerichtet und intentional. Der Blick zurück geschah mit einer normativen Ausrichtung. Das Vorbild der Vorfahren wurde zum Ideal und im heilsgeschichtlichen Plan Gottes gaben die Autoren – ab dem 19. Jahrhundert auch Autorinnen – den Täufern stets einen prominenten Platz. Dies war schon im 16. Jahrhundert so, als mit den ersten Chroniken und dem „Geschichtbuch“ innerhalb der Hutterischen Gemeinde die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit begann. Das „Geschichtbuch“ verband die chronikalischen Ereignisse mit reflektierenden und pädagogischen Bemerkungen, die einer späteren Generation das Idealbild der frühen Hutterer vor Augen führte, das in Kontrast gesetzt wurde zu Missständen der aktuellen Zeit. So schrieb Kaspar Braitmichel, der erste Chronist der Hutterer, im Vorwort des „Geschichtbuchs“: „Denn nach meiner Erkanntnis acht ich es dafür, dieses Schreiben werd viel Gottglaubigen ein schöner Spiegel sein, sich darinnen zu besehen, vor aller Zertrennung, Irrtum und was nicht zu der Ehr Gottes dienet sich zu hüten.“ Es sei geschrieben, damit man es mit „Aufmerken in Gottesforcht lese, nicht zum Anstoß, sondern zur Besserung und Erbauung ihm selbst und seinem Nächsten.“1 Zu den historiografischen Werken kamen ab dem späten 16. Jahrhundert Martyriologien, deren monumentale Ausgestaltung und Vervollkommnung der „Märtyrer-Spiegel“ von 1660 darstellt. Auch sein Herausgeber Thieleman van Braght zielte mit dem Werk darauf, seiner eigenen Generation von Taufgesinnten, die in einer toleranten Umgebung lebten und zu Wohlstand gelangt waren, die Leidensbereitschaft der Vorfahren idealbildlich vor Augen zu führen. Von ihrem Geschichtsverständnis her sahen sich die Täufer im Erbe der spätantiken und mittelalterlichen Märtyrer beziehungsweise der oft als „Ketzer“ verdammten Bewegungen des Mittelalters. In ihrem Gemeindeideal gingen sie jedoch noch weiter zurück zur Urgemeinde der Apostelgeschichte. In der Forschung wurde die Debatte darüber geführt, ob die Täufer sich als Reformation der mittelalterlichen Kirche verstanden oder ob sie das Ziel hatten, die Apostelge1
Wolkan, Geschichtbuch, S. XL f.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
meinde wiederherzustellen, sich also als „restitutio“ der Urkirche sahen. Zuletzt hat Geoffrey Dipple festgestellt, dass Letzteres für die zweite Generation der Täufer galt, wenn man nach den historiografischen Werken geht, beispielsweise dem hutterischen „Geschichtbuch“. Dort lässt sich eine ausgefeilte Ekklesiologie finden, die mit dem Modell der Apostelgemeinde begründet wird. Im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit diente die Geschichtsschreibung den Täufern dazu, ihre eigenen Gemeinden vom Ruch zu befreien, von den „Wiedertäufern“ in Münster beziehungsweise von Thomas Müntzer und den Bauernkriegen abzustammen. Beispielhaft hierfür stehen das bereits erwähnte Werk von Tieleman Tielen van Sittert, das „Christliche Glaubens-Bekentnus der waffenlosen [ … ] Christen“ (1664), und Gerrit Roosens „Unschuld und Gegen-Bericht“ (1702). Zudem richtete sich der Blick in den mennonitischen Gemeinden verstärkt auf Menno Simons, wovon der Auszug aus den Menno-Simons-Werken von Johannes Deknatel zeugt. Das Buch – der „Kleine Menno“ genannt – erschien 1753 auf Holländisch und 1758 auf Deutsch. In der hutterischen Gemeinde wurde unter dem Einfluss der Kärntner Transmigranten das „Geschichtbuch“ mit dem „Klein-Geschichtsbuch“ fortgeführt. Auch im mennonitischen Bereich entstanden einzelne Chroniken, etwa jene von Heinrich Donner (1772-1804) beziehungsweise Johann Donner (1804-1830). Ebenso wie in der übrigen Gesellschaft wuchs unter den Täufern im 19. Jahrhundert, der Zeit des Historismus, das Interesse an Geschichte, wobei der Blick weiterhin vom Anspruch der „historia magistra vitae“ gelenkt war. Es erschienen erneut Biografien über Menno Simons, 1846 von Carl Harder und 1848 von Berend Carl Roosen. Zudem verfasste Roosen eine Studie zur Geschichte der Mennonitengemeinde Hamburg (1886) und Harder widmete sich 1883 der Geschichte der Gemeinde Elbing. 1919 erschien dann eine Geschichte der Danziger Mennonitengemeinde aus der Feder von Hermann Gottlieb Mannhardt. Mit Engagement und Interesse dürfte Antje Brons 1884 ihre Gesamtdarstellung zur Geschichte der Täufer verfasst haben. Sie wollte die Geschichte der aktuellen Jugend als Vorbild präsentieren und pries im Vorwort die „glaubensmuthigen Vorfahren unter grausamen Verfolgungen um ihrer Religion willen“.2 Mit ihrer Erkenntnis, die frühen Täufer seien undogmatische Glaubenshelden gewesen, geriet sie jedoch in einen Konflikt mit Ulrich Hege, dem Herausgeber des „Gemeindeblattes“. Er lobte zwar die Gesamtdarstellung, kritisierte jedoch manch theologische Auffassung von Antje Brons. 2
Brons, Ursprung, S. 12.
9.1. Geschichtsschreibung aus täuferischer Perspektive
In Nordamerika erschien mit „Stauffers Geschichtsbüchlein“ ebenfalls eine Darstellung der täuferischen Geschichte, die einer sich für die Gesellschaft immer weiter öffnenden Mennonitenschaft die ideale Vergangenheit als Spiegel vorhielt. Es war der Versuch, eine vermeintlich ideale Vergangenheit zu konservieren und Strukturen früherer täuferischer Gemeinden überzeitliche Gültigkeit zuzuschreiben. Anlässlich der Menno-Simons-Feierlichkeiten 1861 sprachen sich auch die Ältesten Schmutz und Toews dafür aus, die ewige Wahrheit, die Menno Simons wieder freigelegt hatte, festzuhalten. Andere Autoren der Zeit hielten dagegen, unter anderem Carl Harder, aber auch Berend Carl Roosen. Letzterer verwies auf die „unaufhebbare Differenz der Zeiten“. Man könne nicht einfach das, was Menno Simons „unter anderen Verhältnissen lehrte und einrichtete“, auf spätere Zeiten übertragen.3 Ein Mammutprojekt stellte Anfang des 20. Jahrhunderts die Erstellung des vierbändigen „Mennonitischen Lexikons“ dar, das von Christian Neff und Christian Hege herausgegeben wurde. Beide produzierten zudem jeweils eine Vielzahl an Veröffentlichungen zur täuferischen Geschichte. Um das Interesse an der Geschichte zu befördern und die eigene Geschichte besser in die mennonitischen Gemeinden hineinzubringen, veranstaltete die „Vereinigung“ 1905 ein Preisausschreiben. Als preiswürdig empfanden die Herren von der „Vereinigung“ ein kleines Büchlein der Frankfurter Mennonitin Christine Hege, „Kurze Geschichte der Mennoniten“. Es gewann den 1. Preis und verfolgte ebenfalls noch den Anspruch, sich die „Glaubenstaten der Väter [ … ] vorbildlich ins Gedächtnis zu rufen“ und „an ihrer Glaubenskraft, an ihrer Demut und Treue das eigene Leben, dann aber auch das der Gemeinschaft prüfend zu messen.“4 9.1.2. Der Einfluss der „Anabaptist Vision“
Der normative und konfessionell dominierte Blick auf die täuferische Geschichte hielt sich auch im 20. Jahrhundert noch recht lange. 1941 verfasste der nordamerikanische Historiker Harold S. Bender die „Anabaptist Vision“. Sein Interesse an der Geschichte verdeutlichte er gleich am Anfang: „There can be no question but that the great principles of freedom of conscience, separation of church and state, and voluntarism in religion, so basic in American Protestantism and so essential to democracy, ultimately are derived from the Anabaptists 3 4
Zit. nach: Froese, Denkmal, S. 68. Hege, Geschichte, S. 122.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
of the Reformation period, who for the first time clearly enunciated them and challenged the Christian world to follow them in practice. The line of descent through the centuries since that time may not always be clear, and may have passed through other intermediate movements and groups, but the debt to original Anabaptism is unquestioned.“ Bender hob drei wesentliche Identitätsmerkmale der Täufer hervor: die Gemeinde von Freiwilligen, Nachfolge Jesu Christi und Wehrlosigkeit – sie fügten sich zusammen zu einem Idealbild einer täuferischen Gemeinde, wie Bender sie in Zürich festmachen zu können glaubte. Er schrieb, es sei nötig „to draw a line of demarcation between original evangelical and constructive Anabaptism, on the one hand, which was born in the bosom of Zwinglianism in Zurich, Switzerland, in 1525, and established in the Low Countries in 1533, and the various mystical, spiritualistic, revolutionary, or even antinomian related and unrelated groups on the other hand, which came and went like flowers of the field in those days of the great renovation“.5 Diese Grenzen, die Bender zog, wurden nach 1945 prägend für die Täuferforschung. 1952 versuchte er selbst nachzuweisen, dass zwischen den Zwickauer Propheten, Thomas Müntzer und den Täufern keine wie auch immer gearteten Beziehungen bestanden. Im mennonitischen Bereich folgte Heinold Fast dieser Trennung, die er in seinem „Linken Flügel der Reformation“ (1962) festschrieb. Er unterschied zwischen Täufern, Spiritualisten, Schwärmern und Antitrinitariern. Die Forschung der folgenden Jahrzehnte hat diese Grenzen wieder aufgehoben. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienen viele Autobiografien und Fluchtberichte von osteuropäischen Mennoniten. Sie sind teilweise in Selbstverlagen publiziert worden; ihre Auswertung dürfte interessante Erkenntnisse zur sozialen und geistlichen Situation der Mennoniten in der Sowjetunion zu Tage fördern. Unter den Hutterern begannen im 21. Jahrhundert einige jüngere Leute, die aus eher progressiven Gemeinden kamen und studiert hatten, sich mit der Geschichte zu beschäftigen. Die erste Darstellung zur hutterischen Geschichte aus Sicht eines mennonitischen Historikers war die 1931 erschienene Studie von John Horsch, die den sprechenden Titel trug: „The Hutterian Brethren 1528-1931. A Story of Martyrdom and Loyalty“.
5
Bender, Anabaptist Vision, S. 4, 11.
9.2. Die Täufer in der Geschichtsschreibung
9.2.
Die Täufer in der Geschichtsschreibung
9.2.1. Die „unpartheyische“ Geschichtsschreibung
Lange war der Blick von außen auf die Täufer des 16. Jahrhunderts von Polemik und Diffamierung geprägt. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts, als mit Gottfried Arnold bereits eine „unpartheyische“ Sicht auf die konfessionelle Geschichte eingesetzt hatte, erschien ein Werk, das Täufer, Pietisten und Quäker gleichermaßen als „Sektierer“ und „Schwärmer“ diffamierte. 1702 veröffentlichte Johann Friedrich Corvinus, der der lutherischen Orthodoxie zuzuordnen ist, sein „Anabaptisticum et Enthusiasticum Pantheon“. Er schrieb an gegen die „Quacker und neue Frey-Geister“, die die Kirche schon immer „verunruhiget und bestuermet“ hätte, und publizierte gleich die Reichsabschiede von 1529 bis 1555 mit, um auf die geltende Todesstrafe für die Täufer hinzuweisen. Die erste positive Auseinandersetzung mit der täuferischen Geschichte lag schon drei Jahre vorher vor. 1699 veröffentlichte der lutherische Theologe Gottfried Arnold seine „Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie“, die für eine neue Form der konfessionellen Geschichtsschreibung steht. Arnold verfolgte die Idee, seine Historiografie „unpartheyisch“ zu betreiben, das heißt, keiner konfessionellen Gruppe („parthey“) den Vorzug vor der anderen zu geben, keine Dokumente oder Lehrmeinungen auszulassen, die zum „gantzen begriff der historischen warheit“ dienten, und nichts „zu bemänteln, zu verdrehen oder zu verkehren“. Die Geschichtsschreibung sollte nicht durch „affecte“ beeinflusst werden und nur die „blosse lautere warheit“ darstellen.6 Im 18. Jahrhundert erschienen weitere Schriften über die täuferischen Gemeinden, die den gleichen Anspruch stellten, beispielsweise Johann Christian Jehrings „Gruendliche Historie von Denen Begebenheiten, Streitigkeiten [ … ] biß auf das Jahr 1615“ (1720) und Simon Friedrich Rues’ „Aufrichtige Nachrichten von dem Gegenwärtigen Zustande der Mennoniten oder Taufgesinnten“ (1743). Diese Werke setzten sich auch mit den Vorwürfen auseinander, die man den Täufern in der Vergangenheit gemacht hatte. Dabei trennten sie die Täufer konsequent von Thomas Müntzer, den Bauern und den Münsteranern. Die Täufer, so etwa Gottfried Arnold, hätten sich politisch ruhig verhalten und seien „fromme, gottsfürchtige leute“ gewesen, die „Christum von hertzen suchen, sich ärgern an unser kirchen, trennen und absondern“.7 6 7
Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, Vorrede, Punkte 13, 14, 20-22. Ebd., 729, 731,
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Es ist kein Zufall, dass diese frühen Auseinandersetzungen mit der täuferischen Geschichte vor allem von pietistischen Autoren stammten, die in den Täufern Kritiker der Kirche sahen, wie sie selbst es waren. Doch auch im Aufklärungsdiskurs finden sich immer wieder positive Blicke auf die Täufer, etwa bei Pierre Bayle (s. Kap. 4. 3. 2.) und bei Voltaire: „Les anabaptistes commencèrent par la barbarie, et ont fini par la douceur et la sagesse.“8 9.2.2. Das Interesse der frühen Geschichtswissenschaft
Im 19. Jahrhundert richtete sich der Blick der Historiker auf die nationale täuferische Geschichte, etwa in den Werken von Jacob de Hoop Scheffer zur frühen täuferisch-sakramentarischen Bewegung in den Niederlanden (1873) oder in Arbeiten zu den Täufern in Österreich. Es entstanden eine Quellenarbeit 33 Vielzahl von Studien zu regionalen täuferischen Bewegungen in Tirol (Johann von Kripp und Hartmann Ammann), sowie zu den Hutterern in Mähren (Gregor Wolny und Johann Loserth). Doch auch die Täufer in Münster standen im Fokus, beispielsweise in den Schriften von Carl A. Cornelius, der 1853 die „Berichte der Augenzeugen über das Münsterische Täuferreich“ publizierte. Der Historismus weckte zudem das Interesse an den Biografien der Protagonisten des 16. Jahrhunderts. So erschien ein Buch von Ludwig Keller, Archivar in Münster, zu Hans Denck (1882). Josef von Beck brachte 1883 die „Geschichts-Bücher der Wiedertäufer in Österreich-Ungarn“ heraus, zu einer Zeit, als in Europa gar nicht mehr bekannt war, dass die Hutterer überhaupt noch existierten. Der Wiener Literaturhistoriker Rudolf Wolkan, der 1903 eine Studie zu den „Liedern der Wiedertäufer“ veröffentlicht hatte, erfuhr erst anschließend aus Amerika, dass dort noch Nachfahren seiner Studienobjekte lebten. Daraufhin nahm Wolkan die Edition des hutterischen „Großen Geschichtbuches“ in Angriff, die 1923 erschien. Zwanzig Jahre später brachte der nordamerikanische Germanistikprofessor A. J. F. Zieglschmid eine sprachwissenschaftlich genaue diplomatische Edition des Werks auf den Markt. Den Arbeiten im frühen 20. Jahrhundert verdankt die Täuferforschung eine Reihe wertvoller Quelleneditionen, die für alle weiteren Studien unverzichtbar wurden. Um 1900 enthielten Editionen zur niederländischen Reformationsgeschichte, die Samuel Cramer herausgab, auch Dokumente der Täufer. Ab 1930 veröffentlichte der „Verein für Reformationsgeschichte“ seine nach Ländern und 8
Zit. nach: Pocock, Barbarism and Religion, S. 140 f.
9.2. Die Täufer in der Geschichtsschreibung
Bundesländern geordneten Aktenbände zur täuferischen Geschichte. Ergänzt wurden diese durch oftmals detailreiche Studien beispielsweise einer Grete Mecenseffy zu Österreich, eines Walther Köhler zu den frühen Täufern in Zürich und eines Robert Friedmann, dessen besonderes Interesse den Hutterern galt. 9.2.3. Die kulturwissenschaftliche Forschung
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelt die Täuferforschung die historiografischen Wellen, die kultur- und sozialhistorischen „turns“, wider, die die Geschichtsforschung allgemein prägten. Jede neue Generation blickte mit der ihr eigenen Brille auf die Geschichte zurück und schrieb mehr oder weniger deutlich gegen die vorangehende Generation an, zeigte Defizite in der Darstellung auf und fand eigene Wege. Historiker aus der DDR wie Gerhard Zschäbitz griffen die „kommunistischen“ Traditionen der Täufer auf, während die sozialhistorische Forschung versuchte, sich von den alles überspannenden theologischen Prämissen zu lösen. Eine revisionistische Täuferforschung wandte sich in den 1980er Jahren gegen die zu strikte Fokussierung auf die Theologie der Schweizer Täufer. Herausstechend ist ein Satz des kanadischen Historikers Werner O. Packull, der 1986 im „Sixteenth Century Journal“ meinte, es sei nicht länger möglich, das Auftreten der Täufer als ein „rein religiöses Phänomen“ zu bezeichnen, das keine Verbindung hätte zu den sozio-politisch motivierten Aufständen des Jahres 1525.9 Ergebnis war die polygenetische Sicht auf die Herausbildung der Täufer, die 1975 von James Stayer, Werner O. Packull und Klaus Deppermann in einem Aufsatz beschrieben wurde. 1980 stellte Hans-Jürgen Goertz in seinem Buch „Die Täufer. Geschichte und Deutung“ fest, dass häufig verzerrte, idealisierte Bilder entstehen, wenn die Geschichte sich nach den Bedürfnissen der Theologie richten muss. Das Täufertum müsse wieder „rehistorisiert“ werden. Es entstanden Studien zum Verhältnis von Täufertum und Bauernkrieg, beispielsweise von James Stayer (1972), oder Untersuchungen zur sozialhistorischen Geschichte der Täufer, etwa von Claus-Peter Clasen (1972). Aus der sozialhistorischen Forschung entwickelte sich auch die Frauenforschung, zu der Marion Kobelt-Groch und Linda Huebert Hecht entscheidende Beiträge lieferten. Sie zeigten, wie „erwartungsfroh, politisiert und radikal denkend“ Frauen sich für den täuferischen Glauben einsetzten, und veränderten damit den Blick auf die frühe Täuferbewegung.10 9 10
Packull, In Search of the „Common Man“, S. 51 f. Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes, S. 164.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Dass das Pendel ab den 1980er Jahren vielleicht etwas zu stark auf die sozio-politische Seite ausschlug, mag eine natürliche Reaktion auf das vorangehende Übergewicht der theologisch bestimmten Interpretation der Täufer gewesen sein. Die „Revision des Revisionismus“ löste eine Debatte über die Anfänge der Täufer in Zürich aus. Sie drehte sich vor allem um die Ekklesiologie, also um das Gemeinde- beziehungsweise Kirchenverständnis der Täufer. Historiker wie James Stayer, Arnold Snyder und Hans-Jürgen Goertz gingen von einem zweiphasigen Modell zur Entwicklung der Täufer in Zürich und Umgebung aus. Sie meinten, erst mit den „Artikeln von Schleitheim“ 1527 hätten sich die Täufer gezielt von der „Welt“ abgewandt und ihre eigene Kirche konstituiert. Die „Artikel von Schleitheim“ seien quasi ein Zeichen der Resignation, weil man nicht mehr auf eine Veränderung der politisch-sozialen Lage hoffen konnte. Dagegen standen die Interpretationen von Andrea Strübind in ihrer Dissertation „Eifriger als Zwingli“ aus dem Jahr 2003. Sie bezog sich vor allem auf die Gespräche der späteren Täufer mit Ulrich Zwingli, wie sie in den Akten um den ersten Täuferprozess 1525 und durch die Aussagen Zwinglis überliefert sind. So beschuldigte Zwingli seine ehemaligen Gefolgsleute, ihn immer wieder zur Aufrichtung einer neuen Kirche gedrängt zu haben, bereits seit Sommer oder Frühsommer 1523. Andrea Strübind plädierte zudem dafür, den Trennungsstrich zwischen den Radikalen in Zürich-Stadt und im Umland von Zürich nicht so scharf zu ziehen, wie dies bei Goertz und Stayer der Fall war. Sie argumentierte, dass Akteure in beiden Räumen aktiv waren, Anliegen und Aktionen eher deckungsgleich und nicht unterschiedlich waren. So unterschrieben den Brief an Thomas Müntzer 1524 Vertreter der Proto-Täufer aus der Stadt Zürich und aus dem Umland. Die theologische Ausrichtung der Täufer geriet wieder stärker in den Fokus. So stellte Ellen Yutzy Glebe 2009 fest, Packulls Essay über das Konzept des „gemeinen Mannes“ bei den Täufern hätte versäumt, die Anziehungskraft des Religiösen für den „gemeinen Mann“ darzustellen. Allerdings, so Yutzy Glebe, habe die religiöse Anziehungskraft des täuferischen Glaubens auf den „gemeinen Mann“ nicht in Disputen über die richtige Lehre gelegen, die die täuferischen Prediger führten. Vielmehr seien im alltäglichen Leben der einfachen Leute religiöse und soziale Motive so verwoben gewesen, dass sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden könnten.11 Von der kulturhistorischen Forschung und den Ansätzen zur „Politischen Kommunikation“ geleitet, untersuchte Astrid von Schlachta 2009 die Täufer 11
Yutzy Glebe, Use of Problematic Case Studies, S. 79.
9.2. Die Täufer in der Geschichtsschreibung
über die gesamte Frühe Neuzeit mit ihren Auswirkungen auf politische Diskurse und Veränderungen der Normen im politischen Raum. Dabei zeigte sich, wie engagiert die Täufer allmählich ihre Absonderung verließen und nicht nur zur politischen Kommunikation beitrugen, sondern auch zu politischen Akteuren wurden. Auch das Konfessionalisierungsparadigma hat die Täuferforschung aufgegriffen und Prozesse der Konfessionsbildung, die in den Gemeinden abliefen, mit jenen in den territorialstaatlichen Kirchen verglichen. Hans-Jürgen Goertz hat diesbezüglich 1994 für die mennonitischen Gemeinden herausgearbeitet, dass deren Kirchenzucht in der Phase der inneren Festigung der Gemeinden in eine „binnengeleitete Sozialdisziplinierung“ überging. Die Gemeinden hätten auf ihre Mitglieder Druck ausgeübt, um „Lehr- und Verhaltenskonformität in den eigenen Reihen zu erreichen“. Goertz bezeichnete die täuferische Kirchenzucht sogar als „vorauseilenden Gehorsam“ gegenüber den Erwartungen der Obrigkeiten an die Disziplinierung, um den „Stand der Gemeinden in Staat und Gesellschaft zu festigen“.12 Astrid von Schlachta hat sich dem Prozess der Konfessionalisierung innerhalb der hutterischen Gemeinde gewidmet, wo sich dieser durch den reichhaltigen Fundus an Gemeindeordnungen besonders gut nachzeichnen lässt. Auch dort nahmen die Entwicklungen einen ganz ähnlichen Verlauf wie in den territorialstaatlich gebundenen Konfessionen, zwar auf einem wesentlich engeren Raum, aber von den Phänomenen her vergleichbar. Sie zeigen sich in der Entstehung von Bekenntnisschriften, in der einsetzenden Traditionalisierung, im Brauchtum und in der Verfestigung der Gemeindetheologie sowie der Gottesdienstformen und der Gemeideorganisation. All dies ging einher mit einer zunehmenden Akzeptanz bei den Obrigkeiten. 9.2.4. Theologische Abgrenzungen
Immer wieder beschäftigte sich die Forschung mit möglichen Trennlinien zwischen den Täufern und den übrigen Reformatoren. Karl Holl trennte 1923 alle „Schwärmer“ und „Mystiker“, zu denen er Thomas Müntzer und in dessen Erbe die Täufer zählte, strikt von den Ideen Martin Luthers. Max Weber und Ernst Troeltsch ordneten die Täufer in ihre Konstruktion von „Idealtypen“ ein. So sah Max Weber sie unter dem ökonomischen Blick als „Träger des asketischen Protestantismus“. Die Täufer hätten in Distanz zur „Kirche“ gestanden, 12
Goertz, Kleruskritik, Kirchenzucht, S. 192.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
die „Gerechte und Ungerechte“ aufnahm, und sich als „Gemeinschaft der persönlich Gläubigen und Wiedergeborenen“, als „sichtbare“, aber abgesonderte „Gemeinschaft der Heiligen“ verstanden. Diese abgesonderte und asketische Lebensweise wurde für Weber modellbildend für das Berufsethos im Kapitalismus.13 Auch Troeltsch nahm eine entsprechende Klassifizierung vor, allerdings weniger stark ökonomisch geprägt. Die Frage, inwieweit die Täufer Teil der Reformation waren, wurde auch am täuferischen und lutherischen Verständnis von der Rechtfertigung des Menschen festgemacht. So meinte John Howard Yoder 1968, dass die Täufer „keine der Grundlehren der Reformation in Frage“ stellten. „In bezug auf die Rechtfertigung und die sonstigen evangelischen Grundwahrheiten blieben die Täufer durchgehend mit den Reformatoren einig“. Hans-Georg Tanneberger bestritt dagegen 1999 vehement, dass die Täufer auch nur irgendwie auf dem Boden von Luthers Rechtfertigungslehre stünden, weil nach „gemeintäuferischer Überzeugung“ nicht die Sündenvergebung „im Mittelpunkt des Evangeliums“ stehe, sondern „das neue Leben nach dem Vorbild Christi“. Berndt Hamm wiederum sah gerade die Rechtfertigungslehre als Gemeinsamkeit der verschiedenen reformatorischen Richtungen, ob sie nun lutherisch, reformiert oder täuferisch seien. Hans-Jürgen Goertz vertrat 1988 die Auffassung, die „Absicht der Täufer“ lasse sich „nicht mit dem Schema von Rechtfertigung oder Heiligung erfassen“. Die „Besserung des Lebens“ habe nach täuferischer Lehre sowohl die Rechtfertigung als auch die Heiligung umfasst.14 Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, wie sehr der Schwerpunkt der Täuferforschung im 16. Jahrhundert lag und auch weiterhin liegt. Leider ist das Spektrum an Studien zu späteren Jahrhunderten wesentlich weniger breit. Aus der Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts fanden vor allem immer wieder die Auswanderungen aus der Schweiz beziehungsweise die Emigration nach Nordamerika Interesse. Auch Darstellungen zur Entwicklung der mennonitischen Gemeinden in West- und Ostpreußen sind erschienen. Hinzu kommen Studien zur Wirtschaftsgeschichte von Mennoniten und Amischen im 18. Jahrhundert, die sich besonders der Pfalz und dem Zweibrücker Raum widmen. Die Forschung zu den Hutterern ist ebenfalls sehr auf das 16. und 17. Jahrhundert fixiert. Zur späteren Zeit existieren jedoch vor allem Arbeiten zur Habanerke13 14
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 721 f. Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, S. 3; Tanneberger, Vorstellung der Täufer, S. 247; Hamm, Reformationstheorien, S. 101; Goertz, Die Täufer, S. 67.
9.3. Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick
ramik beziehungsweise zur Geschichte der Kärntner Transmigranten und der Hutterer in Siebenbürgen. Es ist vor allem dem Historiker Robert Friedmann zu verdanken, dass sich der Blick auch auf die Beziehungen der Täufer zum Pietismus richtete. In seiner Monografie „Mennonite Piety Through the Centuries“, die 1949 erschien, vertrat Friedmann die Auffassung, dass der Einfluss des Pietismus die Täufer von ihrer früheren „idealen“ und „reinen“ Form weggebracht habe. Friedmanns Thesen standen ganz in der Tradition von Harold S. Benders „Anabaptist Vision“ und zogen eine besonders scharfe Trennlinie zwischen den Täufern und den übrigen reformatorischen Kirchen. Nach Friedmann haben sich Theron F. Schlabach, John D. Roth, Hanspeter Jecker und Astrid von Schlachta mit den Beziehungen von Täufern und Pietisten beschäftigt und die kritische Sicht auf die Einflüsse des Pietismus revidiert. Der 2007 erschienene „Companion“ sah die Täufer ebenfalls wieder stärker in ihrer Verbindung zum Spiritualismus. Als die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Mennoniten emotionsloser vor sich gehen konnte, weil Protagonisten der Zeit nicht mehr lebten, begann eine recht rege Publikationstätigkeit im 21. Jahrhundert. Die Arbeiten von HansJürgen Goertz und Diether Götz Lichdi hatten in den 1970er Jahren noch für reichlich kontroverse Debatten gesorgt. 2010 erschien Mark Jantzens „Mennonite German Soldiers“, das die Akkulturation der Mennoniten seit dem 19. Jahrhundert zeigte. Benjamin Goossen schloss sich mit seiner Dissertation, die 2017 unter dem Titel „Chosen Nation“ publiziert wurde, an. Ebenfalls 2017 fasste der Sammelband „Mennoniten in der NS-Zeit“ von Marion Kobelt-Groch und Astrid von Schlachta die Ergebnisse einer sehr breit aufgestellten Tagung zusammen. Wendet man den Blick auf die außereuropäische Geschichte der täuferischen Gemeinden, so liegt zu Nord- und Südamerika eine wachsende Fülle von Publikationen vor. Die Aufarbeitung der Geschichte der Mennoniten in der Sowjetunion hat allerdings erst nach 1990 eingesetzt und hängt stets davon ab, wie zugänglich die Archive in Russland sind.
9.3.
Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick
9.3.1. Ein „schwieriger Namenspatron“?
Es ist bezeichnend für die täuferischen Kirchen, dass ihre Gründergestalten in der Identitätsbildung und Historiografie der ersten Jahrhunderte keine zentrale Rolle gespielt haben, weder Jakob Huter noch Menno Simons. Der Historiker
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
James Stayer hat Menno Simons 2011 als „schwierigen Namenspatron“ bezeichnet, weil dieser nicht der Begründer der täuferischen Bewegung war, nicht als Märtyrer starb und sich schon während seiner Lebenszeit zahlreiche Täufer von ihm abgewandt hatten.15 Es waren vor allem immer wieder seine strengen Vorstellungen über den Bann und seine christologischen Überzeugungen, die Menno Simons zu einem „sperrigen“ und „fernen“ Namenspatron machten. Doch Menno Simons war im kollektiven Gedächtnis der Mennoniten stets präsent, umso mehr, je vielfältiger die Medienlandschaft wurde. Signifikanterweise starteten die „Mennonitischen Blätter“ in ihrer ersten Ausgabe 1854 mit einem Auszug aus seinen Schriften. Immer wieder erschienen auch Gedichte, die ihn heroisierten oder in den Kulturkampf einbauten, etwa 1860 im Gedicht „Zum Mennostift“ von Jakob Ellenberger aus Friedelsheim: Quelle „Zum Mennostift“, Jakob Ellenberger (1860) „Und felsenfest ging er mit männlichem Muth, / Das göttliche Licht zu verbreiten; / Gab Ruhe zum Opfer, Gesundheit und Gut, / Um Menschen zur Wahrheit zu leiten, / Rang mächtig um Freiheit für Kirche und Schrift / Von menschlicher Satzung und römischem Gift, / Um Gottes Gerechtigkeitssonne / Zu zeigen in all ihrer Wonne. [ … ] Wir setzen ein Denkmal dem streitbaren Held, / Ein Denkmal dem lieben Getreuen, / Ein Denkmal dem Dulder, wie Gott es gefällt, / Wir unsre Gemeinschaft erneuen. / So schallt jetzt der Ruf vieler Brüder in’s Land, / Hat Beifall, macht Freude in jeglichem Stand, / Schon rüsten sich Herzen und Händen / Vom Segen ein Scherflein zu spenden.“16
In den 1870er Jahren wurde in den mennonitischen Zeitschriften sehr intensiv über den Umgang mit dem Bethaus in Witmarsum sowie über ein mögliches Denkmal für Menno Simons diskutiert. Während die Herausgeber der „Mennonitischen Blätter“ zu Spenden aufriefen, äußerte sich insbesondere auch hier wieder Christian Schmutz in einer kritischen Art und Weise. Ein Denkmal verweise nur auf Äußerlichkeiten, überdecke die „innere Leere“, die in den Gemeinden herrsche. Es sei „Götzendienst“, habe keinen Nutzen und koste viel Geld, das woanders besser eingesetzt werden könnte. Auch der Verweis auf das 15 16
Stayer, Menno Simons, S. 7. Mennonitische Blätter 7, 1860, S. 70.
9.3. Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick
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Luther-Denkmal in Worms fehlte nicht – nun wollten auch die Mennoniten ein solches Denkmal und würden somit „Frevel“ an Menno Simons begehen.17 So ist der Blick auf die Menno-Jubiläen stets ein Blick tief in das Innenleben täuferischer Gemeinden. Dabei war bis ins 20. Jahrhundert gar nicht klar, wann man ihn feiern sollte, da das Todesjahr zwischen 1559 und 1561 wechselte. Erst der niederländische Historiker Karel Vos wies 1914 das Jahr 1561 als korrektes Todesdatum nach, was sich jedoch erst allmählich durchsetzte. Dies führte beispielsweise zur etwas skurrilen Situation, dass 1959 in evangelischen und weltlichen Blättern bereits Erinnerungen an Menno Simons erschienen, die Mennoniten jedoch erst 1961 ihres Vorfahren gedachten. Da Jubiläumsfeiern stets mehr über die Feiernden als über das zu Feiernde aussagen, lassen sie weitere Einblicke in das Innenleben der Gemeinden zu. Aleida Assmann hat drei Funktionen von Jahrestagen beschrieben. Erstens die Interaktion und Partizipation, die zur Herausbildung einer neuen gemeinsamen Erfahrung beitrage und die das Vergangene für die gerade lebende Generation vergegenwärtige. Zweitens ermöglicht ein Jahrestag eine „Wir-Inszenierung“, bei der die kollektive Identität dargestellt und wahrgenommen werden kann. Und drittens gibt der Jahrestag Anstöße zur Reflexion, das heißt die historischen Ereignisse werden neu gedeutet.18 So zeigen sich auch in den Debatten über die „Menno-Feiern“ die verschiedenen Interessen. 9.3.2. Menno-Feiern im 19. Jahrhundert
Der 300. Todestag von Menno Simons war das erste Jubiläum, das medial auf ein größeres Echo stieß. Es entstand der Wunsch, etwas Dauerhaftes zu schaffen, das Einheit stiften, aber auch Hilfe für Bedürftige bringen könnte. So veröffentlichte der Prediger im rheinhessischen Ibersheim, Heinrich Neufeldt, einen „Aufruf an sämmtliche Mennoniten-Gemeinden in der alten Menno-Simonsund neuen Welt“, in dem er an den bevorstehenden „wichtigsten Stiftung 1861 Tage für unsere kirchliche Gemeinschaft“ erinnerte. Er schlug vor, eine Stiftung ins Leben zu rufen, um Witwen von Predigern und mennonitische Theologiestudenten zu unterstützen.19 Über diesen Vorschlag und das generelle Anliegen, Menno Simons zu feiern, entstand eine äußerst kontroverse Debatte. 17 18 19
Mennonitische Blätter 25, 1878, S. 55 f. Assmann, Jahrestage. Mennonitische Blätter 6, 1859, S. 19 f. (Mai-Ausgabe, Seitenzählung offenbar falsch).
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Einerseits sahen viele in der gemeinsamen Erinnerung an Menno Simons und der Einrichtung einer Stiftung die Möglichkeit, die Einheit unter den Mennoniten vorantreiben zu können. So schlug der Prediger von Friedrichstadt an der Eider, Carl Justus van der Smissen, vor, einen Verein zu gründen, der nach dem Vorbild des Gustav-Adolf-Vereins Mittel bereitstellen sollte, um Kirchen und Schulen zu bauen. Van der Smissen setzte seinen Vorschlag auch gleich in die Praxis um und trat 1860 mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, bei ihnen in der Gemeinde gäbe es bereits seit zwei Jahren eine solche Stiftung. Sein „Töchterchen“ gehe jeden Samstag mit der Menno-Büchse von Haus zu Haus, um Geld zu sammeln. Der Prediger Johannes Molenaar aus Monsheim nahm die Idee ebenfalls auf und fügte an, man könnte aus einer Stiftung auch die Anstellung theologisch ausgebildeter Prediger finanzieren. Allerdings gab er zu bedenken, dass gerade in der Pfalz die Mennoniten sehr weit voneinander entfernt wohnen würden, und es deshalb besser sei, wenn jede Gemeinde ihre eigene Stiftung hätte. Kritische Gegenstimmen, die aufs Grundsätzliche zielten, ließen nicht lange auf sich warten. Johann Toews aus Bröskerfelde mahnte, man solle Gott und nicht dem Menschen gedenken. Menno Simons habe schließlich aus der Bibel geschöpft, sei also quasi nur Sprachrohr des göttlichen Wortes gewesen. Toews schlug vor, Menno ein Denkmal im Herzen zu setzen und den „Kleinen Menno“ von Johannes Deknatel wieder aufzulegen. Massive Kritik äußerte Christian Schmutz aus Rappenau, der sowohl die Menno-Stiftung als auch das angedachte Fest als nicht „dem Wort und Willen“ Gottes entsprechend bezeichnete. Es handle sich nämlich um die „Nachahmung der nationalen und kirchlichen Feste und Denkmalerrichtungen“, die eher eine „Verehrung des Menschengeistes und Huldigung des Zeitgeistes“ seien. Es würde nur noch fehlen, dass man an ein Menno-Denkmal denke – ein Unkenruf, der seine Erfüllung mit den Diskussionen über das Menno-Denkmal in Witarsum wenige Jahre später fand. Einen Glaubensstifter zu verehren, so Schmutz weiter in seiner Kritik, sei „schriftwidriges Predigerwesen“, wie es Paulus schon in der Gemeinde zu Korinth kritisiert hätte. 20 Schmutz schlug in diesem Zusammenhang vor, über eine von Mennoniten betriebene „wahrhaft biblisch-christliche Predigerschule“ nachzudenken, um die Erneuerung von innen heraus zu befördern. Zudem stellte er infrage, ob überhaupt alle mennonitischen Gemeinden ein Menno-Fest würden mitfeiern können, da einige von ihnen „von dem schriftgemäßen Bekenntniß und der 20 Mennonitische Blätter 7, 1860, S. 52, Beilage, S. 1.
9.3. Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick
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apostolischen Zucht und Ordnung Menno’s fast so weit abgewichen sind, daß Menno, wenn er heute noch lebte, dieselben schwerlich für ächte Gemeinden anerkennen, noch gottesdienstliche Gemeinschaft mit ihnen machen würde“. Andere Gemeinden wiederum, die zwar noch äußerlich an der „Väter-Ordnung“ festhielten, würden des inneren geistlichen Lebens ermangeln. Dass der 31. Januar 1861 sang- und klanglos vorübergehen sollte, wollte aber auch Christian Schmutz nicht. Seiner Auffassung nach wäre es angemessen, diesen Tag zu begehen, indem man „sich beuge und demuthige vor dem Herrn, und in Sack und Asche Buße“ tue.21 Geht man nach den Berichten, so fanden die Gedenkfeiern vom Januar 1861 weniger „in Sack und Asche“ statt, sondern reflektierten die täuferische Geschichte mit ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Aufschlussreich ist, welche Schwerpunkte die einzelnen Prediger legten. So nahm sich Jakob Mannhardt bei der Feier in der Danziger Mennonitenkirche die MennoThemen Wehrlosigkeit und Eidesleistung vor. Die Mennoniten, Gedenkfeier 1861 so Mannhardt, sollten sich als „Gottgeheiligtes Volk“ erweisen, das Christus in „demüthiger, waffenloser Gelassenheit“ nachfolge. Wobei er unter Wehrlosigkeit, wie bereits zitiert, auch das „Schwert im Herzen“ verstand. Gleichermaßen verpflichtete Mannhardt seine mennonitischen Glaubensgeschwister auf eine weitreichende Bedeutung des Eidschwurs. Er meinte, es ginge nicht nur darum, in Gerichtsverhandlungen keinen Schwur zu leisten, sondern in Alltagssituationen keine Falschheit und Zweideutigkeit an den Tag zu legen und die Wahrheit nicht zu verdrehen oder zu verstecken. In den pfälzischen Gemeinden standen der Ruf nach mehr Einheit sowie nach der Bewahrung des eigenen apostolischen Gemeindeverständnisses im Mittelpunkt. Verwiesen wurde auf die aktuellen Zeiten, in denen das Staatskirchentum immer mehr unter Druck geriet. Besonders nahmen sich die Prediger die Stelle in Hebr. 13, 7 vor; sie forderten auf, den Geist von Menno Simons in die Gegenwart zu tragen. Der Weierhöfer Prediger Löwenberg nahm dagegen 2. Kor. 5, 17 als Grundlage für seine Predigt, die Mennos Lehre von der Sünde und Rechtfertigung in den Mittelpunkt stellte. Auch in der oberhessischen Mennonitengemeinde wurde gefeiert – trotz Schnee und Kälte und obwohl die Gemeindeglieder bis zu 25 Stunden voneinander entfernt wohnten, wie es im nachträglichen Bericht heißt. Der Prediger Christian Unzicker rief in seiner Predigt zu Buße, Umkehr und zum „Besser21
Mennonitische Blätter 7, 1860, S. 54 f.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
werden“ auf. Er beklagte, dass viele Gemeindeglieder die „Werke der ersten Liebe“ verlassen hätten. Am Anfang der Feier hatte man „Ein feste Burg ist unser Gott“, dies „ächt protestantische Lied“, mit allen Strophen gesungen.22 Standen also in den 1860er Jahren die Frage nach mehr Einheit und gerade heiß diskutierte Themen wie die Wehrlosigkeit und die Erneuerung der Gemeinden im Vordergrund, so wurde 1892, zum 400. Geburtstag von Menno Simons, über die Zuordnung der Mennoniten zur Reformation nachgedacht. In einer Festschrift, die in jenem Jahr erschien, Menno-Feier 1892 schrieb Hermann Gottlieb Mannhardt den Hauptaufsatz. Den Jubiläumsfeierlichkeiten maß Mannhardt die Bedeutung zu, die Mennoniten an den alten Geist der Freiheit erinnern zu können, der sich in Glaubenssachen keine Vorschriften machen lasse. Doch er forderte auch, sich einzugestehen, dass die Gemeinden sich verändert hätten, was normal sei. Absonderung sei nicht mehr üblich und das Reich Gottes werde nicht mehr außerQuellenarbeit 34 halb der Welt gesucht, sondern in der Welt gebaut. Zudem gäbe es mittlerweile ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der evangelischen Christenheit. Vor allem deshalb, weil andere Kirchen täuferische Grundsätze übernommen hätten. Mannhardt sparte nicht mit Kritik an Menno Simons. Man würde heute nicht mehr den Fehler von Menno Simons machen, sich auf die „Unsitte der Zeit“ einzulassen und mit anderen über Lehrmeinungen zu disputieren. Neben Menno Simons trat Martin Luther in den Fokus der Feierlichkeiten, explizit der „deutsche“ Martin Luther. Sein Verdienst liege darin, dass das „deutsche Volk“ in seinem Wesen seine eigenen Charakterzüge erkannt habe – innige Frömmigkeit, herzliche Fröhlichkeit, Glaubenskraft, Wahrheitsmut, aber auch „gelegentliche Rechthaberei und Starrköpfigkeit“. Luther sei ein „Held deutschen Geistes und deutschen Lebens“ gewesen. Er habe, so Mannhardt, eigentlich gut angefangen, indem er die Freiheit des Christenmenschen einforderte. Dass er schließlich ein Staatskirchensystem aufgerichtet habe, sei nicht allein Luthers Schuld gewesen, sondern die „schlimmen politischen und socialen Verhältnisse“ in Deutschland hätten sich zu „mächtig“ ausgewirkt.23
22 Mennonitische Blätter 8, 1861, S. 32 f. 23 Mannhardt, Festschrift, S. 7 f., 43, 48, 54-56.
9.3. Menno Simons. Eine Gründergestalt im Rückblick
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9.3.3. Gedenkfeiern im 20. Jahrhundert
1925 griff Hermann Gottlieb Mannhardt bei einer Festpredigt, die er in Heubuden anlässlich des Jubiläums der ersten täuferischen Glaubenstaufe hielt, die Beziehungen zum Protestantismus wieder auf. Mennoniten seien Christen. Deshalb stehe über all dem, was Männer wie Luther, Zwingli, Calvin und Menno getrennt hätte, nun das, was sie mit Gott verbunden Täufergedenken habe, nämlich Jesus Christus. Allerdings trat die Person Menno 1925 Simons’ in den Hintergrund, denn beim 400-jährigen Jubiläum der Täuferbewegung lag der Fokus auf den Anfängen in der Schweiz. Die Feiern in Basel, die gleichzeitig die erste Mennonitische Weltkonferenz waren, offenbaren die gute Vernetzung der Mennoniten in der konfessionellen Landschaft. Auch Abraham Fast trat anlässlich des Jubiläums, das er „Reformationsjubiläum der Taufgesinnten oder Mennoniten“ nannte, mit seinen Gedanken zur Geschichte an die Öffentlichkeit. Er sah im Täufer-, aber auch im Luthertum Religionen der Freiheit, des Geistes und der Wahrheit. Fast bezog sich explizit auch auf Martin Luther, den er ideell ganz nah bei den Täufern sah, der dann jedoch in seinem „Kampf für die reine Lehre“ in die Arme der Fürsten getrieben worden sei. Für das Ziel der Fürsten, Einheit und Einheitlichkeit herzustellen, habe Luther viele reformatorische Prinzipien aufgegeben. Sein Verdienst blieb es jedoch, darauf hingewiesen zu haben, dass Glauben allein zähle und der Mensch Freiheit und Selbstbestimmung in Fragen des Glaubens habe. Die Täufer hätten ernst gemacht mit dem, was Luther in seinen programmatischen Hauptschriften entwickelt hatte. Fast hielt fest: Die Geschichte zeige, der Geist mache lebendig, nicht eine Konfession oder Weltanschauung. Wo der Geist der Wahrheit sei, da sei Freiheit. Und schlussendlich gelte es, das alte Täufergut in ein neues Gewand zu kleiden, in die Ideen von Toleranz, Demokratie, Pazifismus, Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Völker sowie in die Modelle des Sozialismus und des Völkerbundes.24 1936 erinnerte dann die Weltkonferenz an 400 Jahre „Menno Simons’ Ausgang aus dem Papsttum“. Der niederländische Historiker Nanne van der Zijpp fragte, ob die Mennoniten sich „noch als eine Bruderschaft von Menno Simons“ wahrnehmen würden. Er meinte, dies verneinen zu können, denn einerseits sei der gegenwärtigen Generation von Mennoniten „viel Gedenken 1936 aus dem inneren und äußeren Leben Mennos“ fremd. Anderer24 Fast, Mennonitentum, S. 11, 15.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
seits wüssten viele einfach gar nicht mehr, was Menno Simons überhaupt geschrieben habe.25 Einen bunten Reigen an Jubiläumsveranstaltungen sah dann das Jahr 1961, das an den 400. Todestag von Menno Simons erinnerte. Cornelius Krahn, Historiker am Bethel College (Newton, Kansas), war aus Anlass der Feierlichkeiten in Europa unterwegs. Unter anderem besuchte er die Niederlande und schrieb im Nachhinein seine Eindrücke nieder. So berichtet Gedenken 1961 er von der zentralen Feier in der „überfüllten Singel-Kerk“ in Amsterdam. Hier hielt Johannes A. Oosterbaan, Professor für systematische Theologie in Amsterdam, einen Vortrag. Seine Botschaft an die versammelte Festgemeinde: Menno Simons habe eine Theologie gehabt, was lange bestritten wurde, und diese Theologie weise einige Gemeinsamkeiten mit der modernen Theologie, beispielsweise eines Karl Barth, auf. Einen zweiten Vortrag hielt Cornelius Krahn selbst, wobei auch er feststellte, dass die grundlegenden theologischen Gedanken Menno Simons’ wenig bekannt seien, weil viele Mennoniten gar nicht die Schriften von Menno Simons lesen würden. Dem Bericht von Cornelius Krahn zufolge fanden die Vorträge ebenso viel Aufmerksamkeit wie die offenkundig für die Mennoniten recht neue Medialität der Jubiläumsfeierlichkeiten. Denn, so schreibt er, „Dutzende von Kabeln waren von der Strasse in die Kirche verlegt worden“, und viele Kameras liefen während der Vorträge. Einige Teilnehmer hätten sich denn auch beschwert, dass der Kabelsalat in der altehrwürdigen Kirche nichts verloren habe. Doch, so Cornelius Krahn resümierend: „Wenn man heute einen Menno verlebendigen will, muss man Mittel wie Presse, Radio und Fernsehen nützen, und diese Mittel wurden voll und ganz ausgenützt.“26 Auch in Deutschland wurde Menno Simons’ 1961 gedacht. So fand am 31. Januar 1961, am Todestag, eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung an der Menno-Kate statt. Eine weitere Gedenkfeier, erneut in Bad Oldesloe, wurde am 28. Mai 1961 abgehalten.
25 Neff, Der Allgemeine Kongress, S. 26 f. 26 Mennonit 14, 1961, S. 37 f.
9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
9.4.
Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
9.4.1. Täuferische Kunst?
Das vorliegende Kapitel kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn die Täufer als Kunst- und Literaturschaffende und als Dargestellte in Kunst und Literatur sind unüberschaubar. Der Stoff war und ist beliebt – ob es um Porträts ging, um Sittengemälde, die die Widersprüche des täuferischen Lebens aufzeigten, oder um Auswanderergeschichten. Immer bot der Stoff auch die Möglichkeit, die Abgründe zu zeigen, die sich ergaben, wenn Menschen aus einem geregelten und abgesonderten Leben ausbrachen. Abweichung und Kriminalität lauerten überall. In diesem Zusammenhang gerieten vor allem die Ereignisse in Münster auf die Theaterbühnen, in die Fernsehzimmer und Kinosäle und auf die Opernbühne, wenn man an Giacomo Meyerbeers „Le Prophete“ denkt. Von den Theaterstücken dürfte Dürrenmatts „Die Wiedertäufer“ zu den bekanntesten gehören, das 1967 in Zürich uraufgeführt wurde. Stellt man ganz grundsätzliche Fragen nach der täuferischen Produktion von Kunst an sich, so müsste diskutiert werden, ob es überhaupt eine täuferische, mennonitische, hutterische oder amische Kunst gibt. Wäre diese eine Kunstrichtung, die sich mit dem täuferischen Leben und seinen Aspekten auseinandersetzt und theologische Themen künstlerisch umsetzt? Oder Kunst, die von Täufern, Mennoniten, Hutterern und Amischen geschaffen wurde? Es stellen sich viele Fragen, die angesichts der Tatsache, dass die Werke täuferischer Kunstschaffender kaum systematisch untersucht sind, offen bleiben müssen. 1958 meinte der Historiker Robert Friedmann noch, ein puritanisch geprägtes Christentum und Kunst würden eigentlich gar nicht zusammenpassen. Doch der Blick zurück widerlegt diese Zweifel ganz schnell. Künstlerisch tätige Täufer werden schon recht früh greifbar. So waren im 17. Jahrhundert Stadtbaumeister und Architekten in Danzig mennonitisch, beispielsweise Issak van den Blocke oder der bereits erwähnte Adam Wiebe. Insbesondere in den Niederlanden blühten die Malerei und Porträtkunst unter den Taufgesinnten ebenfalls schon im 17. Jahrhundert. Hier entstanden schon erste Karikaturen, die sich über die Moralvorstellungen der Mennoniten mokierten, beispielsweise die „Mennistenschwester“ als Inbegriff der Scheinheiligkeit. Auch die Attribute „unzuverlässig“ und „geldgierig“ schrieb man den Taufgesinnten zu. Eine frömmelnde Gesellschaft, die nach außen ein Bild aufrechterhielt, das sich auflöste, wenn man hinter die Kulissen schaute.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Als literarisch Schaffende treten Täufer zunächst in der Liederdichtung hervor, mit zahlreichen Märtyrerliedern, die im 16. und 17. Jahrhundert entstehen. Doch auch lyrische Zeugnisse täuferischen Denkens tauchen immer wieder auf. Im frühen 19. Jahrhundert erschien mit Christian Borkholders „Stunden der Erholung“ (1814) ein Gedichtband, der der inneren Erbauung und Läuterung dienen sollte. Borkholder beschäftigte sich darin auch mit der Frage der Wehrlosigkeit und rief die Fürsten zum Frieden auf. Zeugnisse lyrischer Schaffenskraft sind fester Bestandteil der mennonitischen Zeitschriften im 19. und 20. Jahrhundert. Einen mennonitischen Hintergrund hatte auch der Dichter Hermann Sudermann, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zahlreiche Theaterstücke, aber auch Romane und Novellen verfasste. Seine Geschichte ist insofern interessant, als sein Vater die Gemeinde Elbing-Ellerwald verlassen musste, weil er eine evangelische Frau geheiratet hatte. 9.4.2. Sittengemälde
Täufer waren interessant wegen ihrer Andersartigkeit und des Geheimnisses, das sie umgab, wie schon im Roman von Jörg Wickram im 16. Jahrhundert zu erkennen war. Verborgen im Wald hielten sie ihre Versammlungen ab. Mit der Öffnung der Gemeinden nach außen war es mit dem Zauber des Geheimnisvollen vorbei und Täufer wurden attraktiv für junge bildungshungrige Weltreisende. Wie sich das Bild der Täufer ins Positive wandelte, verdeutlicht der bekannteste Bildungsroman des 17. Jahrhunderts, der 1669 erschienene „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. Der abenteuer- und bildungssuchende, neugierig durch die Gesellschaft des 17. Jahrhunderts reisende Simplicius stieß bei Grimmelshausen, seinen Studien über die Theologie auf die „ungarischen Wieder„Simplicissimus“ täufer“. Bei ihnen sah er die Theologie praktisch wirken, indem sie den Menschen dazu anleitete, Gott zu lieben und zu dienen; ein Leben in „lieblicher Harmonia“. Grimmelshausen entwirft das Bild einer perfekt organisierten, fast utopisch-idealen Gesellschaft, in der die Menschen sittsam, geduldig, fleißig und ohne Fluchen und Ärger zusammenleben. In den Werkstätten arbeiten Männer, die ordentlich ihr Handwerk verrichten; jeder weiß, was er zu tun hat. Die Frauen spinnen in den Spinnstuben fleißig vor sich hin. Die Menschen leben streng getrennt nach Geschlechtern, und die Kleinkinder werden in eigenen Stuben betreut, damit die Frauen auf dem Hof mitarbeiten können.
9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
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Quelle Christoffel von Grimmelshausen, „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ „[ … ] wann sich nämlich eine Gesellschaft zusammenthäte, beides von verehlichten und ledigen so Manns- als Weibspersonen, die auf Manier der Wiedertäufer allein sich beflissen, unter einem verständigen Vorsteher durch ihrer Hand Arbeit ihren leiblichen Unterhalt zu gewinnen und sich die übrige Zeiten mit dem Lob und Dienst Gottes und ihrer Seelen Seligkeit zu bemühen; [ … ] Sie hatten erstlich große Schätze und überflüssige Nahrung, die sie aber keineswegs verschwendeten; kein Fluch, Murmelung noch Ungeduld wurde bei ihnen gespürt ja man hörete kein unnützes Wort; da sahe ich die Handwerker in ihren Werkstätten arbeiten, als wann sie es verdingt hätten; […] Da war eine ein Wäscherin, die ander eine Bettmacherin, die dritte Viehmagd, die vierte Schüsselwäscherin, die fünfte Kellerin die sechste hatte das weiß Zeug zu verwalten und also auch die übrige alle, wuste ein jedwedere, was sie thun sollte; und gleichwie die Aemter unter dem weiblichen Geschlecht ordentlich ausgetheilet waren, also wuste auch unter den Männern und Jünglingen jeder sein Geschäfte.“27
Es ist unklar, welche Quellen Grimmelshausen für seine Schilderung verwendete. Da er seinen Roman Mitte des 17. Jahrhunderts schrieb, als das Leben der Hutterer in Siebenbürgen und Oberungarn schon in einige Untiefen geraten war, ist zweifelhaft, ob er die dortigen Höfe selbst kennengelernt hat. Möglicherweise bezog er sich auf Quellen oder Erzählungen. Allerdings könnte er auch den hutterischen Bruderhof in Mannheim besucht haben, der nach einer Einladung Kurfürst Karl Ludwigs aus dem Jahr 1652 an „alle ehrlichen Leute von allen Nationen“, die Stadt zu besiedeln, entstanden war. Der Hof hielt sich bis 1684, als der letzte noch verbliebene Hutterer zum reformierten Glauben übertrat. Die Täufer boten auch dem französischen Aufklärer Voltaire Stoff für seine Überlegungen und seinen Roman „Candide“. Voltaire zufolge hätten die Täufer zwar als „Wilde“ und Enthusiasten angefangen, womit er sich vor allem auf die Bauernkrieger und die Täufer in Münster bezog. Doch diese „Wilden“ hätten mittlerweile einen Wandel vollzogen und gehörten Voltaire, „Candide“ nun zu den ruhigsten und friedlichsten Menschen, die sich auf das Arbeiten konzentrierten. In seinem Bildungsroman „Candide“ lässt Voltaire einen „mildtätigen Wiedertäufer“ auftreten, der sich um Candide kümmerte, 27
Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 149 f.
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nachdem dieser im Zuge einer etwas heftigeren Auseinandersetzung mit einem vollen Latrineneimer überschüttet worden war: „Ein Mann, der nicht getauft war, ein guter Wiedertäufer namens Jacques, sah die grausame und schändliche Art, mit der man einen seiner Brüder, ein zweibeiniges, ungefiedertes Wesen, das eine Seele besaß, behandelte; er nahm ihn nach Hause mit, säuberte ihn, gab ihm Brot und Wein, schenkte ihm zwei Gulden und wollte ihm sogar die Arbeit in seinen Manufakturen für persische Stoffe, die man in Holland herstellt, beibringen. Candide, der ihm fast zu Füßen fiel, rief: ‚Meister Pangloss hatte es mir immer gesagt, daß in dieser Welt alles zum besten stünde, denn ich bin von Eurer außerordentlichen Großzügigkeit unendlich tiefer angerührt als von der Härte jenes Herrn im schwarzen Mantel und seiner Frau Gemahlin.‘“28 Von Emil Jacobsen, einem Mitglied der Berliner Mennonitengemeinde, ist bekannt, dass er Pate stand für die Figur des Dr. Havelmüller in Seidels „Leberecht Hühnchen“, der Geschichte einer Familie, die im wachsenden Berlin vor der Jahrhundertwende ihren Alltag bewältigt. Jacobsen selbst ist schon als historische Person interessant genug, da er Kontakte in Heinrich Seidel, literarische Kreise Berlins pflegte, unter anderem zum Dichter „Leberecht Julius Stinde. Ende der 1880er Jahre gründete er den Allgemeinen Hühnchen“ Deutschen Reimverein. 9.4.3. Auswanderergeschichten
Der 1891 erschienene Roman „Quitt“ von Theodor Fontane führt auf der Spur des nach einer Bluttat über den Atlantik flüchtenden Protagonisten Lehnert Menz hinein in die Indianermission der Mennoniten. Lehnert findet Aufnahme im Territorium südlich von Kansas, in der mennonitischen Siedlung „Nogat-Ehre“, wo er sich in die Tochter des Ältesten Obadja Theodor Fontane, Hornbostel verliebt und auch der Mennonitengemeinde beitritt. „Quitt“ Im Roman „Quitt“ tauchen zahlreiche andere Mennoniten auf, deren Namen auf Einwanderer aus der Schweiz, der Pfalz und Preußen schließen lassen: Bartels, Nickel, Stauffer und Penner. Zudem kommt der Mennonitenprediger Krähbiel vor, bei dem es sich um Christian Krehbiel, den bereits erwähnten Auswanderer handeln dürfte, der vom pfälzischen Weierhof stammte und in den USA lange Vorsitzender der „General Conference“ war. Er betrieb tatsächlich eine christliche Arbeit unter den Natives und baute unter anderem 28 Voltaire, Candide oder der Optimismus, S. 18.
9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
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auf seiner Farm in Halstead, Kansas, eine Schule für Kinder der Natives auf, wo diese eine grundlegende Ausbildung erhielten und die Landwirtschaft erlernten. Ins frühe Pennsylvania entführt dagegen der 2014 erschienene Roman „Die Küste der Freiheit“ von Maria W. Peter. Die Protagonistin, die junge Mennonitin Anna Hochstetter, wird von ihrer Gemeinde bei Kassel verstoßen, nachdem sie einen Soldaten gepflegt hatte. Ihre Flucht folgt dem Weg vieler ihrer Glaubensgeschwister nach Nordamerika, wo sie sich in Maria W. Peter, Zeiten des Unabhängigkeitskrieges durchkämpft und alle Unge„Die Küste der rechtigkeiten und Grausamkeiten der Sklavengesellschaft erlebt. Freiheit“ Am Ende wird sie Teil der „Underground Railroad“ und trifft den Soldaten wieder, den sie in ihrer alten Heimat gepflegt hat – und heiratet ihn. 9.4.4. Skandale
Noch interessanter als die Sittengemälde sind Konflikte, die sich über Kunst und Literatur entzündeten und wiederum Aufschluss geben über das Selbstverständnis und die normative Basis der Täufer in der jeweiligen Situation. Dies soll jeweils ein Beispiel aus dem Bereich der Malerei und der Literatur illustrieren. In der Gemeinde Danzig kam es 1685 zu einer Konfrontation zwischen den Ältesten und dem Maler Ennoch Seemann. Dieser war innerhalb der Stadt Danzig zu einigem Ansehen im handwerklich-künstlerischen Bereich gelangt und hatte vom Stadtrat die Freimeisterschaft als Privileg verliehen bekommen. Da Mennoniten kein Bürgerrecht hatten und auch Ennoch Seemann nicht Mitglied der Zünfte werden durften, entstanden ihnen einige Nachteile in geschäftlichen Dingen. Doch die verliehene Freimeisterschaft ermöglichte es Seemann, als Stadtmaler tätig zu werden. Er gestaltete öffentliche Gebäude, Türme und Tore und bemalte Botentaschen und Wetterfahnen mit Wappen und Emblemen. Allerdings fertigte er auch Porträts an und hatte sich, was bereits zu einem Zerwürfnis mit seiner Heimatgemeinde Elbing-Ellerwald geführt hatte, während seiner Ausbildung mit Aktmalerei beschäftigt – was in jener Zeit zur Ausbildung gehörte. 1685 nun musste Seemann vor den Ältesten der Danziger Gemeinde erscheinen und sich für seine Kunst verantworten. Aus den Quellen geht nicht eindeutig hervor, ob sich die Kritik gegen Malerei ganz generell richtete oder ob die Ältesten lediglich die Porträt- beziehungsweise Aktmalerei verbieten wollten. Ganz nach dem Grundsatz „Du sollst Dir kein Bild machen“ hielten es die Ältesten der Mennonitengemeinde auf jeden Fall für nicht angebracht, sich
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
porträtieren zu lassen. Schlussendlich kamen sie sogar zu dem Entschluss, auch Landschaftsmalerei sei zu verpönen, da die Landschaft ebenfalls „Geschöpf Gottes“ sei. Während der Debatten kam die Sprache auch auf die in der Stadt üblichen Ladenschilder. Darauf waren Porträts, Tiere oder sonstige Symbole abgebildet, die für das jeweilige Geschäft standen. Diese Ladenschilder offenbarten, wie in der Diskussion mit zweierlei Maß gemessen wurde. Seemann hielt den Ältesten der Gemeinde nämlich vor, auch sie würden an ihren eigenen Läden Schilder mit Darstellungen aus der Natur haben, beispielsweise war beim Laden eines der Diakone auf dem Schild ein Rabe abgebildet. Seemann wurde vom Abendmahl und der Versammlung der Brüder ausgeschlossen; am Gottesdienst durfte er weiterhin teilnehmen. Gegen diesen Bann reichte er beim Stadtrat eine Bittschrift ein, der sich des Falls auch annahm. Er verlangte von der Gemeinde die Rücknahme des Banns, da dieser in die Rechtsprechung der Stadt Danzig eingreife. Auf die Weigerung der Ältesten hin, dieser Aufforderung zu entsprechen, antwortete Seemann mit Quellenarbeit 35 einem Pamphlet gegen den Ältesten Georg Hansen. In der Folge kehrte er Danzig den Rücken und ging zunächst ins polnische Hoflager König Augusts II. von Sachsen. Später zog er jedoch nach Danzig zurück, wo er sich vornehmlich auf Landschaftsmalerei verlegte. In seiner Werkstatt bildete er einen weiteren Mennoniten aus – Balthasar Denner, der sich seinen Lebensunterhalt durch Porträtmalerei verdiente. Der lutherische Geistliche Simon Rues beschrieb 1743 in seinen „Aufrichtigen Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der Mennoniten oder Taufgesinnten“ die strenge Haltung der Danziger Mennoniten in Sachen Kunst. Sie würden es als Sünde ansehen, wenn man „Gemälde wollte an den Wänden hängend haben, oder Kasten und Stände mit Porcellan und köstlichen Gläsern schmükken, und in seinen Zimmern aufstellen; ja, wenn man gar auf die Thorheit geriethe, wie sie sagen, um sich selbsten abmahlen zu lassen; wenn man [ … ] vor die Obrigkeit gienge, um vor derselben Klage zu führen.“29 Das Theaterstück „Der Mennonit“ von Ernst von Wildenbruch sorgte im späten 19. Jahrhundert für einige Diskussionen unter den Mennoniten. 1877 erschienen und 1881 zum ersten Mal im Frankfurter Schauspielhaus aufgeführt, erregte das Bild, das Wildenbruch von den MenErnst von noniten malte, nur Ärgernis. Der Berliner Dichter beschrieb die Wildenbruch Mennoniten als gefangen zwischen einer wachsenden Weltoffen29 Rues, Aufrichtige Nachrichten, S. 15.
9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
heit und dem Festhalten an alten Traditionen und Regeln, zwischen der Macht der Ältesten, die zu Regeltreue aufriefen, und der Bereitschaft der Jüngeren, sich dem Militär anzuschließen – und selbst einem Duell nicht aus dem Weg zu gehen. Die Handlung spielt in den Napoleonischen Kriegen, 1809, als der junge Mennonit Reinhold sich den Truppen anschließt, um die Liebe der Mennonitin Maria zu gewinnen. Sein Schritt ins Militär wird von den Ältesten seiner Gemeinde sanktioniert; Reinhold wird aus der Gemeinde ausgeschlossen. Hintergrund war für Wildenbruch ein realer Fall aus dem Jahr 1813. Wildenbruchs Darstellung rief Empörung hervor; zu offenkundig wurden die mennonitischen Glaubensgrundsätze als nicht mehr zeitgemäß und der Umgang mit ihnen als heuchlerisch entlarvt. Anlässlich einer geplanten Aufführung in Berlin im Jahr 1888 wandte sich der Vorstand der Gemeinde Danzig direkt an Ernst von Wildenbruch und beschwerte sich, er hätte das „Andenken unserer Väter“ erniedrigt und „unseren ehrlichen Namen der öffentlichen Verachtung“ preisgegeben. Es sei richtig, dass die Mennoniten in der dargestellten Zeit versucht hätten, sowohl ihren Gewissensüberzeugungen zu folgen als auch dem wachsenden Patriotismus zu huldigen. Doch wäre das Theaterstück insofern überzeichnet, als die „Gesammtheit einer religiösen Gemeinschaft, die ganze Mennoniten-Gemeinde“, als ein „Verein von Menschen“ dargestellt würde, „welche eben durch ihre religiösen Grundsätze jedes hohe und edle menschliche Gefühl eingebüßt haben“.30 9.4.5. Identitätsfragen
Die von außen wahrgenommenen Konflikte über den zeitgemäßen Umgang mit den Glaubensgrundlagen, die in der Zuschreibung oft im Vorwurf der Heuchelei gipfelten, wurden intern, von täuferischen Autorinnen und Autoren, als Suche nach Identität verarbeitet. Dieses Ringen um die eigene Identität führt hinein in eine kurze Betrachtung zur Literatur aus der Feder von Mennoniten und Mennonitinnen. In Nordamerika und in Russland brachte die Akkulturation beziehungsweise die Verfolgung Werke hervor, in denen verschiedene Identitäten aufeinanderprallten und konkurrierten. Zu den Kritikern der traditionalistischen Ausrichtung vieler mennonitischer Gemeinden gehörte Christine Schmutz aus Rappenau. In ihren Schriften äußert sie ihren Unmut, der schließlich auch dazu führte, dass sie sich den Templern 30 Mennonitische Blätter 35, 1888, S. 62.
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zuwandte. 1879 erschien ihr Buch „Samenkörner der Wahrheit, ausgestreut für wahrheitsliebende Herzen“, eine Sammlung von Gedichten und Geschichten. Christine Schmutz beklagte darin die Missstände in den christlichen Gemeinden, die sich als Zusammenfassung ihrer Kritik an ihren mennonitischen Geschwistern lesen lassen. Sie geißelt die „Gleißnerei und Heuchelei unter den Frommen“, das „heuchlerische Übertünchen und Zudecken“, das den „Krebsschaden immer tiefer treibt“, und das „kleinliche, engherzige Stubenchristenthum“. Sie fordert den Aufbau des „inwendigen“ Reichs Gottes sowie die „unsichtbare“ Kirche.31 Christine Schmutz wollte aktiv das Reich Gottes auf Erden bauen und dazu bot ihr die Tempelgesellschaft die Möglichkeit. Zudem vertrat sie sehr konfessionsverbindende Gedanken, die sich unter anderem in einem Gedicht offenbarten, das in den „Samenkörnern“ erschien: „Ahnungsvolle Blicke in die selige Ewigkeit“. Sie beschreibt die „Zeugen“ des Christine Schmutz Glaubens und sieht neben den biblischen Gestalten Abraham, Mose, den Propheten und den Königen auch Menno Simons und Martin Luther in der Ewigkeit nebeneinander gehen. Dem Reigen in der „seligen Ewigkeit“ schließen sich weitere Theologen und Denker wie Nikolaus von Zinzendorf, Johann Michael Hahn, Johann Heinrich Jung-Stilling und Albrecht Bengel an. Christine Schmutz geriet mit ihren Ideen in die Kritik ihrer mennonitischen Zeitgenossen. Ulrich Hege schrieb in einer Buchanzeige im „Gemeindeblatt“, man weise gerne auf das Werk hin, aber nicht, um es zu empfehlen, sondern um auf die „darin enthaltenen von der heil. Schrift abweichenden Lehren und Irrthümer aufmerksam zu machen“.32 Eine spezielle Auseinandersetzung mit Tradition und steifen Ritualen beziehungsweise einer als inhaltsleer empfundenen und lediglich als Ritual gelebten Religiosität findet in Werken von nordamerikanischen Autorinnen und Autoren ihren Platz. Die Mennoniten werden in ihren Vorbehalten gegenüber Fortschritt und Moderne dargestellt, mit hierarNordamerika chisch-patriarchalen Strukturen in der Gemeinde, mit denen jene in Konflikt geraten, die „raus“ wollen aus den alten Bahnen. Freiheit und Leben passen nicht zu den überkommenen Strukturen der Mennoniten. Meist werden diese Emanzipationsprozesse geschildert am Zerfall von Familien, in denen oft auch noch Missbrauch und Exzesse an die Oberfläche kommen. Verschiedene 31 32
Schmutz, Samenkörner der Wahrheit, S. 97 f., 100, 112. Gemeindeblatt 11, 1880, S. 23.
9.4. Kultur. Die Täufer in Literatur und Kunst
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Identitäten werden zudem deutlich in den verschiedenen Sprachen, die benutzt werden – „Plautdütsch“ für das Mennonitische, das Englische für die „freie“ Außenwelt. Akkulturation wird veranschaulicht am Sprachproblem. Dies ist etwa typisch für Werke von Rudy Wiebe, Sandra Birdsell und Miriam Toews. Letztere hat 2018 im Roman „Die Aussprache“ sexuellen Missbrauch innerhalb mennonitischer Gemeinden in Bolivien aufgegriffen. 9.4.6. Porträts und Selbstdarstellungen
Der bereits erwähnte Balthasar Denner malte Porträts zahlreicher Fürsten und Adeliger, darunter König Friedrich IV. von Dänemark, August II. von Sachsen, Zar Peter III. von Russland, aber auch Herzog Christian August von Balthasar Denner Schleswig-Holstein-Gottorp. Porträtmaler war auch Dominicus van der Smissen aus Hamburg, ein Schüler von Balthasar Denner. Von Menno Simons gibt es einige Porträts, doch keines ist zeitgenössisch. Alle Porträts sind im Nachhinein erstellt, nach den wenigen überlieferten Beschreibungen, die es zu seiner Person gibt. So sagte Jan Neulen aus Visschersweert im Jahr 1550 aus, Menno Simons sei ein dicker, fetter, schwerer Mann mit einem braunen Bart, der Schwierigkeiten beim Ein Bild von Menno Gehen hätte. Menno selbst unterschrieb Briefe in späten Jahren mit „der Krüppel“. Einige Bilder zeigen ihn deshalb auch mit einem Stock. Lange glaubte man, ein Bild, das in der Taufgesinnten-Gemeinde Utrecht 1849 entdeckt wurde, zeige Menno Simons, da es auf die zitierten Schilderungen seiner Person passte. Doch dann ergaben Nachforschungen, dass ein katholischer Gegner der Täufer abgebildet sei. Eines der frühesten Bilder von Menno Simons stammt, wie Bilder von anderen Täufern auch, von Christoffel van Sichem, aus dem Jahr 1607. Danach folgt das Porträt von Jan van de Velde, das um das Jahr 1625 entstand. Aus dem 17. Jahrhundert sind schließlich noch zwei Porträts des sitzenden Menno Simons überliefert – eines von Abraham de Cooge (ca. 1650) und eines von Jan Luyken (1681). Dem Typus dieser frühen Porträts folgen viele spätere DarQuellenarbeit 36 stellungen. 1683 entstand ein Porträt des sitzenden Menno Simons, das Jacob Burghart anfertigte und das Christian Neff als das „schönste und ansprechendste Bild“ bezeichnete. Ein neues, einen hageren Menno Simons darstellendes Porträt entstand 1936, zum Gedenken an 400 Jahre „Ausgang aus dem Papsttum“; gemalt von Alexander Harder.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Das vermutlich bekannteste und wertvollste Bild, das eine Verbindung zur mennonitischen Gemeinschaft hat, ist das Rembrandt-Bild, das den Mennonitenprediger Cornelis Claesz Anslo aus Amsterdam und seine Frau zeigt. Anslo hatte mehrere Porträts bei Rembrandt in Auftrag gegeben, was von seinem Selbstverständnis als Bürger der Stadt Amsterdam Der Mennonitenzeugt. Rembrandt seinerseits pflegte enge Kontakte zu den Amsprediger Anslo terdamer Mennoniten. Bei der Weltkonferenz in Karlsruhe 1952 wurde das Gemälde als Nachdruck angeboten, weshalb es im 20. Jahrhundert in vielen mennonitischen Haushalten hing. Das Original befindet sich heute in der Gemäldegalerie in Berlin. 9.4.7. Alltagskunst
Die hutterische Handwerkskunst ist besonders durch die Habanerkeramik bekannt, die mittlerweile den Rang begehrter Sammelobjekte erlangt hat. Die hutterischen Keramiker fertigten Stücke für den mährischen Markt an und hatten sich mit der Gestaltung nach den Wünschen ihrer Auftraggeber und damit auch nach der aktuellen Mode zu richten. Doch dies Habanerkeramik brachte bald Konflikte für die Gemeindeordnung mit sich, da auch auf Seiten der Hutterer Begehrlichkeiten nach den schönen Objekten wach wurden. Somit fertigten die Keramikwerkstätten auch für die eigenen Glaubensgeschwister Stücke nach der neuesten Mode an. 1612 werden die Hafner ermahnt, keine neumodischen und seltsamen Formen anzufertigen, die „mehr der Hoffart denn zur Notdurft dienen“. Auch sollte kein Trinkgeschirr hergestellt werden, das wie ein Buch, ein Stiefel oder dergleichen aussah, und generell sollten auf den Gefäßen keine Bildnisse, Vögel oder andere Tiere gemalt werden.33 Zum Kunsthandwerk sind die Stücke der Kinzing-Werkstätten in Neuwied zu zählen, die von 1738 bis 1838 existierten. Ab den 1770er Jahren entstanden in Zusammenarbeit mit der Schreinerwerkstatt der Familie Roentgen, einer in Neuwied anässigen Herrnhuter Familie, kunstvoll gearbeitete und wertvolle Uhren. Sie waren in verschiedensten adeligen Häusern Uhrmacher in zu finden, unter anderem in Schloss Wilhelmshöhe, dem Schloss Neuwied der hessischen Landgrafen, oder im Schloss Katharinas II. von Russland. Sie nannte ein mechanisches Schreibpult ihr eigen, das sich heute in restauriertem Zustand in der Eremitage in St. Petersburg befindet. Für die fran33
Ehrenpreis, Auszug, S. 90, 99 f.
9.5. Erinnerungsorte – Täuferspuren in Europa
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zösische Königin Marie-Antoinette entwarfen Kinzing / Roentgen in den 1780er Jahren einen Spielautomaten mit einer Zimbalspielerin auf einem Tisch. Für den Frankfurter Advokaten und anhaltinischen Hofrat Wilhelm Friedrich Hüsgen fertigte die Neuwieder Werkstatt 1746 eine astronomische Uhr an, die Sonnen- und Mondstand, die Tierkreiszeichen und die Länge von Tag und Nacht anzeigte. Sie steht heute noch im Goethehaus in Frankfurt / Main und fand auch Erwähnung in Johann Wolfgang von Goethes „Dichtung und Wahrheit“: „Mein Timonischer Mentor war auch Mathematiker; aber seine praktische Natur trieb ihn zur Mechanik, ob er gleich nicht selbst arbeitete. Eine für damalige Zeiten wenigstens wundersame Uhr, welche neben den Stunden und Tagen auch die Bewegungen von Sonne und Mond anzeigte, ließ er nach seiner Angabe verfertigen. Sonntags früh um Zehn zog er sie jedesmal selbst auf, welches er um so gewisser tun konnte, als er niemals in die Kirche ging.“34
9.5.
Erinnerungsorte – Täuferspuren in Europa
Es gibt eine Vielzahl an Erinnerungsorten, die von der Geschichte der Täufer zeugen und auf vergangenes, oftmals nicht mehr sichtbares Leben aufmerksam machen. Dazu gehören einerseits die Kirchen. Die älteste steht in Elbing, seit 1590. Im 17. Jahrhundert kamen dann die Kirchen der Friesischen Gemeinde in Danzig (1638) und der Mennoniten in Altona (1650) dazu. Krefeld hatte seit 1693 eine eigene Kirche; dort erklang 1768 das erste Mal eine Orgel. Im 18. Jahrhundert entstanden weitere Mennonitenkirchen, unter Kirchen anderem 1728 in Thiensdorf, 1754 in Rosenort und 1768 in Neuwied, genau gegenüber dem gräflichen Schloss. Im gleichen Jahr erhielt die Gemeinde im westpreußischen Heubuden die Erlaubnis, eine Holzkirche zu bauen. 1769 folgte der Bau der Kirche in Emden, 1777 in Sembach, 1779 in Eppstein bei Frankenthal. Im Südwesten des Alten Reichs fanden bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts Gottesdienste vornehmlich in Privathäusern oder in Scheunen statt. Hier gab es einen Schub an Kirchenbauten im frühen 19. Jahrhundert: 1820 in Monsheim, 1836 in Ibersheim und 1837 auf dem Weierhof. Viele dieser Kirchen stehen heutzutage noch und werden entweder weiterhin als Kirchen oder, wie in Neuwied, als Kunstgalerie genutzt. 34 Goethe, Dichtung und Wahrheit, S. 182.
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9. Spuren – Die Täufer in Kultur und Erinnerung
Bild 31: Habanerkeramik
Schon sehr früh verfügten die Gemeinden Friedrichstadt / Eider und Hamburg-Altona über einen eigenen Friedhof. Letztere zunächst in der Großen Roosenstraße, seit 1873 am Bahrenfelder Holstenkamp. Dort befindet sich auch ein Denkmal aus Grabsteinen des alten Friedhofs, das der Toten der Vergangenheit gedenkt. Westpreußische Mennonitengemeinden hatten ebenfalls eigene Friedhöfe. Allerdings sind viele nach 1945 verfallen; lediglich einige Grabsteine wurden in letzter Zeit restauriert. Auch in der Pfalz sind mennonitische und Friedhöfe amische Friedhöfe zwar weiterhin vorhanden, werden aber nicht mehr gepflegt. Sie liegen oft nahe bei den Höfen, die von Mennoniten oder Amischen bewirtschaftet wurden, und sind teilweise durch schöne Mauern eingefasst. Andere Friedhöfe wiederum, die zu noch bestehenden Gemeinden gehören, etwa in Branchweilerhof bei Neustadt / Weinstraße, Ibersheim oder Weierhof, werden weiterhin genutzt. Im Donaumoos liegt der Forsthof, der ab 1827 von den Amischen Christian Sutor aus Probfeld und seinem Schwiegersohn Christian Esch (Ösch) betrieben wurde. Da die Eigentümer des Forsthofes ihre Toten nicht auf dem Friedhof des nahen Ortes Ried beerdigen durften, legten sie 200 Meter südöstlich des
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Forsthofes einen eigenen Friedhof an. Letzte Grabsteine sind noch erkennbar. Ein Grabstein trägt die Inschrift: „Ruhestätte der Familien Oesch / Besitzer des Forsthofes von 1827-1889“. In einem restaurierten Zustand befindet sich dagegen der Dorster Friedhof bei Waldhouse in Lothringen. In der Menno-Kate in Bad Oldesloe soll sich die Druckerei von Menno Simons befunden haben. Sie beherbergt heute ein kleines Museum, das sich mit der Geschichte der Täufer und Mennoniten beschäftigt. Die Kate ist jedoch auch Begegnungsort und Zeichen für die Ökumene, in der sich die Mennoniten heutzutage engagieren. Im Garten der Kate und Menno-Denkmäler im Luthergarten in Wittenberg stehen zwei Buchen, die die Verbindung der beiden Kirchen symbolisieren. Ebenfalls im Garten wurde 1902 ein Gedenkstein aufgestellt, um den sich verschiedene, in den Boden eingelassene Platten gruppieren. Sie wurden von mennonitischen Gemeinden gestiftet und erinnern beispielsweise an das Schicksal der Mennoniten in Russland. Das Dorf Wüstenfelde, wo Menno Simons in seinen letzten Lebensjahren unterkam, wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Ein Stück der Gemarkung heißt heute noch Mennoberg; seit 1906 steht dort ein Gedenkstein. Das Menno-Denkmal in Witmarsum wurde im September 1879 eingeweiht und rief sehr emotionale Diskussionen hervor. Aus dem Ausland, wo die niederländischen Doopsgezinden um Spenden baten, kamen nicht nur zustimmende Reaktionen. So sprach sich ein anonymer, sich als „einfacher Bauer“ bezeichnender Mennonit dagegen aus, Geld nach Holland zu schicken, weil das Denkmal ein „steinerner Götze“ sei. Und Leonhard Sudermann schrieb: „Da hat man vor einigen Jahren dem Luther in Worms ein Denkmal gestellt, er mag es wollen oder nicht, ‚der kann schon nicht anders‘, jetzt kommt man noch auf den Gedanken, unserm lieben Menno einen ähnlichen Frevel anzuthun.“35 Der Nickelstein, der auf dem Grundstück der westpreußischen Mennonitengemeinde Schönsee steht und 1911 errichtet wurde, erinnert an Abraham Nickel, der dem preußischen Königspaar 1806 eine freiwillige Steuer der Mennoniten in Höhe von 30.000 Reichstalern überreichte. Seit 2008 gibt es im Museumsdorf Niedersulz in NiederösterTäufermuseen reich ein Täufermuseum. Es befindet sich in einem historischen Kleinhäuslerhaus und enthält Exponate und Informationen zu den historischen Täufern, aber auch zu den heutigen Hutterern.
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Mennonitische Blätter 25, 1878, S. 60.
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Bild 32: Mennonitenkirche in Danzig (spätes 19. Jahrhundert)
Von der südöstlich von Nikolsburg gelegenen Burg Falkenstein aus mussten 1539 gefangene Hutterer ihren Weg nach Triest antreten, um ihre Strafe auf den Galeeren abzubüßen. Heute beherbergt die Burg ein Museum zur täuferischen Geschichte sowie den Nachbau einer Galeere. 2015 wurde in Innsbruck eine Gedenkstätte für die Täufer errichtet. Sie besteht aus zwölf Steinen, die in einem Kreis angeordnet sind und Gemeinschaft symbolisieren. Der Spruch aus dem alttestamentlichen Buch Sacharja „Denn Steine an Gottes Diadem sind sie, die über seinem Land funkeln“ (Sach. 9, 16) erinnert an die verfolgten Tiroler Täufer. Die Lage der Huttererpark in Gedenkstätte am Inn weist darauf hin, dass viele Täufer den Inn Innsbruck hinunterfuhren, um in Mähren auf den Höfen der Hutterer ein Leben nach ihrem Glauben zu führen. Der Name der Gedenkstätte „Übrige Brocken“ leitet sich aus einer wichtigen konfessionellen Schrift der Hutterer ab, die „Übrige Brocken“ genannt wurde. Im schweizerischen Schleitheim, wo 1527 die „Sieben Artikel von Schleitheim“ verabschiedet wurden, informiert ebenfalls ein „Täuferzimmer“ über die täuferische Geschichte. Im Schweizer Jura und in Bäretswil (Kanton Zürich) befinden sich Höhlen, in denen die Täufer wohl ihre Versammlungen abgehalten haben. Auch eine sehr interessante Felsformation im Wald bei Walkersbach (Baden-Württemberg) soll Täufern als Versammlungsort gedient haben. Der Flurname „Wiedertäuferkirche“ bei Obergimpern im Kraichgau dürfVersammlungsorte te ebenfalls auf einen täuferischen Versammlungsort hindeuten.
Fragen zur Reflexion
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Das „Wiedertäuferloch“, ein Teich bei Liebenrode im Harz, dagegen erhielt seinen Namen, nachdem dort Täufer ertränkt worden waren. Gegenüber von Schloss Reinhardsbrunn in Friedrichroda erinnert eine Stele an sechs Täufer, die 1530 im Schloss gefangen waren und schließlich hingerichtet wurden. Auch am „Goldenen Dachl“ in Innsbruck macht eine Hinrichtungsorte Tafel sichtbar, dass Jakob Huter auf dem Platz vor der Residenz für seinen Glauben auf dem Scheiterhaufen starb. Ebenso in Wien, am Stubentor, wo Balthasar Hubmaier hingerichtet wurde. Mittlerweile gibt es einige Wege, die täuferische Erinnerungsorte miteinander verbinden. Beispielsweise den Täuferweg im Jura, der von Sonceboz-Sombeval bis nach Chasseral beziehungsweise Courtelary führt. Im Elsass informiert ebenfalls ein Rundweg bei Schloss Salm über die Geschichte der dortigen Täufer (Sentier de patrimoine mennonite). Auch in Bern ist die täuferische Geschichte auf einem eigenen Stationenweg erlebbar. In Nord- und Südtirol sind Tafeln an verschiedensten täuferischen Orten angebracht. Beispielsweise in Rattenberg, am Haus in der heutigen Südtirolerstraße 28, wo der Bergrichter Pilgram Marpeck wohnte. Seine Familie hatte mehrere Generationen lang verantwortungsvolle Posten in der Stadt inne. Auch das Geburtshaus von Jakob Huter in Moos bei St. Lorenzen ist durch eine entsprechende Tafel markiert. Seit 2014 schildert das Projekt „Täuferspuren“ Orte mit einer täuferischen Vergangenheit im Kraichgau und in Rheinland-Pfalz aus, unter anderem ehemalige Gemeinden, Versammlungsplätze sowie mennonitische und amische Höfe.
Fragen zur Reflexion Welche Geschichtsbilder entwickelten sich unter den Täufern? Nehmen Sie für Ihre Antwort auch den entsprechenden Artikel in „mennlex“ zu Hilfe: www.mennlex.de/doku.php?id=top:geschichte Diskutieren Sie die Frage, ob es eine täuferische beziehungsweise mennonitische Kunst gab. Formulieren Sie fünf Merksätze zur inneren und äußeren Entwicklung der täuferischen Gemeinden vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.
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Weiterführende Literatur Hans-Jürgen Goertz, Geschichte, in: mennlex, Band 3 [http://www.mennlex.de/doku. php?id=top:geschichte, Zugriff: 15. 1. 2020]. Hans Rudolf Lavater, Der Danziger Maler Enoch I Seemann, die Danziger Mennoniten und die Kunst, in: Mennonitica Helvetica 36, 2013, S. 11-97. Al Reimer, Mennonite Literary Voices. Past and Present, North Newton 1993. James M. Stayer, Menno Simons – ein unbequemer Namenspatron, in: MGB 68, 2011, S. 7-18. Piet Visser, Aspects of social criticism and cultural assimilation: The Mennonite image in literature and self-criticism of literary Mennonites, in: Alastair Hamilton / Sjouke Voolstra / Piet Visser (Hgg.), From martyr to muppy. A historical introduction to cultural assimilation processes of a religious minority in the Netherlands: the Mennonites, Amsterdam 1994, S. 67-82.
Weiterführende Literatur
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Was bleibt von den Täufern? „Es war der Wille Gottes gewesen, in dem großen Werke der Reformation der verweltlichten, verderbten Kirche auch einem Menno Simons ein Stück Arbeit zuzuweisen.“1 So der Sembacher Mennonitenprediger Johannes Risser 1857, nachdem er an der Versammlung der Evangelischen Allianz in Berlin teilgenommen hatte. Die „kleine Heerde“ der Mennoniten Ein Teil der hätte überlebt und sei nun Teil einer größeren Gemeinschaft, Reformation nämlich „aller Bekenner des Namens Christi“, so das Bekenntnis eines mennonitischen Predigers zur Allianz der evangelischen Kirchen. Eine Aussage, die Offenheit andeutet und nicht mehr den Geist von Absonderung und Exklusivität atmet. Wie sah das Stückchen Arbeit an dem „Werke der Reformation“ für Menno Simons und seine täuferischen Kollegen und Kolleginnen im 16. Jahrhundert aus? Die Täufer waren rege und wachsame Zeitgenossen, die mit ihren Gedanken über Reformen Teil der reformatorischen Öffentlichkeit waren. Das „Alte“, das war die katholische Kirche, die mit Amtsmissbrauch, Ämterkauf, einer Verweltlichung der religiösen Praxis und der Entfremdung der Kirche von den Gläubigen in Verbindung gebracht wurde. Das „Neue“ dachte jeder der Reformatoren dagegen ein wenig anders. Reformation bedeutete Vielfalt. Die Täufer bewegten sich in einem Sammelbecken verschiedener Diskurse, die sich mit den Entwicklungen der jeweiligen Zeit auseinandersetzten. Bekannte spätere Täufer wie Felix Mantz, Konrad Grebel, Balthasar Hubmaier, Hans Hut oder Hans Denck, aber auch die oftmals namenlosen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Bibelstunden und Konventikeln fanden sich wieder in Ideen, die im Umfeld von Müntzer, Zwingli und Luther diskutiert wurden. Davon zeugen die vielfältigen Kontakte – man korrespondierte, las die veröffentlichten Schriften und disputierte über den Glauben. In diesen Diskursen entwickelten die Täufer schließlich ihre eigenen Vorstellungen, die politisch nicht konform waren. Mit ihren Ideen von der Taufe auf das Bekenntnis hin, von Gemeinden, die unabhängig von städtischen oder territorialen Obrigkeiten ihre Geschicke regeln sollten, und von einem christlichen Leben, das Wehrlosigkeit umsetzt und keine Eide kennt, stießen die Täufer an die Grenzen der politisch-gesellschaftlichen Normen des 16. Jahrhunderts. 1
Mennonitische Blätter 5, 1858, S. 33.
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Die daraus resultierende Verfolgung machte täuferisches Leben im politischen Raum unmöglich und verlagerte es in den „Untergrund“, also an abgelegene Orte. Erst als die Täufer in einigen Regionen geduldet wurden, verstetigten sich Versammlungen zu Gemeinden. Die Reformation war ein Kampf um die theologisch richtige Linie, der argumentativ-sachlich, polemisch, aber auch auf „Leben und Tod“ ausgetragen wurde. Am Ende waren es nicht die Täufer, die die Deutungshoheit über „die“ Reformation des 16. Jahrhunderts erlangten. Die Debatte wurde einerseits auf der politischen Ebene geführt und gipfelte im VorEin Kampf um wurf, die Täufer hätten letztendlich nur Aufruhr und Rebellion im Deutungshoheit Sinn. Politische Argumente wiesen der Verfolgung den Weg. Andererseits entbrannte eine theologische Diskussion, die sich um Themen wie Taufe, Erbsünde, Inkarnation Jesu Christi, aber auch Rechtfertigung, Gnade und Werke drehte. Schon im 16. Jahrhundert entstand die Frage, ob die Täufer das gleiche Rechtfertigungsverständnis hätten wie die Protestanten. Gnade allein? Oder legten die Täufer den Schwerpunkt auf den gelebten Glauben, predigten gar Werkgerechtigkeit? Die Tatsache, dass viele täuferische Texte nicht frei sind von einer Spannung zwischen Gnade und Werken, gab den protestantischen Gegnern Nahrung. Die Täufer ihrerseits polemisierten im 16. Jahrhundert gegen die Lutheraner, indem sie diese beschuldigten, die „billige Gnade“ zu vertreten. Solche Vorwürfe überdecken, dass die Täufer und die übrigen Reformatoren in den grundlegenden Fragen des Glaubens wohl viel näher beisammen waren, als der polemisch geführte Kampf glauben machen wollte. Die Frage, wie „lutherisch“ das täuferische Verständnis von Rechtfertigung war, sorgte auch in späteren Zeiten für emotionsgeladene Debatten. So manche historiografische Arbeit war bemüht, die Trennlinien zwischen Täufern und Lutheranern gerade in der Rechtfertigungslehre ganz besonders scharf zu ziehen – was jedoch stets mehr Licht auf das konfessionelle Selbstverständnis jener Zeiten wirft, in denen die Arbeiten verfasst wurden, als auf die Situation im 16. Jahrhundert. Waren die Täufer „Evangelische“ und „Protestanten“? Folgt man der ursprünglichen Bedeutung der Begriffe, so lässt sich Letzteres ausschließen. Denn „Protestanten“ waren jene evangelischen Reichsstände, die 1529 auf dem Reichstag zu Speyer mit einer „Protestation“ Beschwerde gegen die Rücknahme von Zugeständnissen in der Religionsfrage durch den Kaiser einlegten – genau auf jenem Reichstag, auf dem alle Reichsstände einmütig die Todesstrafe für die Täufer beschlossen. Als „evangelisch“ verstanden sich
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die Täufer dagegen in dem Sinne, dass sie den Normen des Evangeliums entsprechend lebten. Der Name „Täufer“ verschleiert, dass alle Gemeinden zwar die namensgebende Erwachsenen- oder Glaubenstaufe praktizierten, jedoch darüber hinaus immer wieder Diskussionen über die praktischen Konsequenzen führten, die sich im Alltag aus den Glaubensartikeln ergaben. Die Täufer der Frühen Neuzeit bildeten eine äußerst heterogene Gesellschaft. Pluralität der Täufer Ihre Vielfalt führte nicht zu einer Einheit in der Vielfalt, sondern zu immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen und gegenseitigen Verunglimpfungen. Spaltungen und die Herausbildung neuer Gemeinden waren die Folge. Die Pluralität zeigte sich auch in der Theologie. Es entstanden weder „die“ täuferische Theologie noch „die“ täuferische Dogmatik, sondern es gab Nuancen und manchmal auch größere Unterschiede in der theologischen Aussage. Übereinstimmungen im Grundsätzlichen standen Auseinandersetzungen über die Auslegung von Bibelstellen und unterschiedliche Modelle, wie die Theologie in Glaubenspraxis umzusetzen sei, gegenüber. Berndt Hamm stellte 2014 fest, dass sich die Ideen der frühen Täufer „gegen jede Systematisierung sperren“.2 Dies betraf auch die heute oft als wesentliches täuferisches Merkmal bezeichnete Wehrlosigkeit. In den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen und vor dem Hintergrund unterschiedlichster Rahmenbedingungen fanden die Täufer in ihrer Geschichte – und bis heute – individuelle Antworten. Mit ihrem Leben und ihren Äußerungen wirkten die Täufer in die Gesellschaft hinein. Ihr Schicksal initiierte Diskurse über Gewissensfreiheit und Tolerierung. Sie selbst versuchten Normen im politischen Raum zu verändern und sich Existenzmöglichkeiten zu sichern, ab dem 17. Jahrhundert auch aktiv in politischen Ämtern. Dem alten Vorwurf, als „Wie- Täufer als politische dertäufer“ eine Gefahr für die politische Ordnung zu sein, setzten Akteure die Täufer ab dem 17. Jahrhundert entgegen, dass sie als „Mennisten“ oder „Mennoniten“ nichts mit den „Wiedertäufern“ gemein hätten. Täufer und Obrigkeiten bewegten sich argumentativ und vom praktischen Handeln her allmählich aufeinander zu. Dem täuferischen Wunsch nach Integration und Partizipation korrespondierte eine wachsende Kompromissbereitschaft auf obrigkeitlicher Seite. Eide mit speziellen Formeln, die nur an das Gewissen und das gesprochene Wort gebun2
Hamm, Das reformatorische Profil, S. 153.
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den waren, aber Gott nicht anriefen, waren möglich. Anstelle des Waffendienstes konnte ein Ersatzmann gestellt und Schutzgeld gezahlt werden. Die Privilegien der Frühen Neuzeit nahmen den „politischen Artikeln“ der Täufer allmählich ihre Brisanz. In immer mehr Territorien wurden die Täufer geduldet, da konfessionelle Vielfalt als akzeptabel angesehen wurde, wenn „abweichender“ Glauben nicht zu Aufruhr führe. Und die Täufer wurden allmählich zu guten Untertanen. Allerdings erwies und erweist sich der Vorwurf des politischen Aufruhrs bis heute oft als besonders schlagkräftig, wenn es gilt, Andersdenkende zu bekämpfen. Immer wieder zogen Obrigkeiten oder Behörden, die grundsätzliche Vorbehalte gegen konfessionell deviante Untertanen hatten, das Schwert des Wortes aus der Scheide, um politische Konsequenzen Sprache ist einzufordern. Der Vorwurf, die Täufer hätten lediglich Aufruhr wirkmächtig im Sinn, konnte bis ins späte 18. Jahrhundert jederzeit reaktiviert werden. Sprache grenzt aus. Sprache muss jedoch auch kontextualisiert werden. Lange Zeit zog man aus der täuferischen Geschichte, mal mehr, mal weniger reflektiert, Normen, denen eine überzeitliche Gültigkeit zugesprochen wurde. Manche historiografische Darstellung lässt die Distanz zur Geschichte vermissen, indem sie die Täufer in Kategorien presst, die nicht jenen der Frühen Neuzeit entsprechen. Geschichte wurde auf diese Weise zu einem glorifizierten Vorbild für eine als unzulänglich empfundene Gegenwart. Doch die Täufer waren stets Kinder ihrer Zeit, nicht Propheten einer Befreiungs-, Freikirchen-, Erweckungs- oder Friedenstheologie, auch wenn nachträgliche Klassifizierungen sie zu solchen erklärten. Die 500-jährige Geschichte der Täufer erzählt vom Aufbruch und vom Willen zur Veränderung – Erneuerung als Kontinuum. Aber sie berichtet auch von starken Kräften der Beharrung und dem manchmal sehr starren Festhalten an alten Traditionen. Nicht immer erwiesen sich die täuferischen Gemeinden als bereit, etwas neu anzupacken und Veränderung zu Erneuerung ist wagen. Hierarchisierung, eine Fokussierung der Macht auf die notwendig Ältesten und eine Traditionalisierung des religiösen Lebens ließen die von Laien geprägten Anfänge in manchen Phasen der Geschichte in Vergessenheit geraten. Auch die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen unterlagen einem stetigen Wandel. Nach der harten Verfolgungszeit im 16. Jahrhundert eröffneten sich in einigen Territorien Räume für die Existenz der Täufer, oftmals rechtlich abgesichert durch Einladungspatente und Privilegien. Es waren Gnadenakte, stets zeitlich begrenzt und gebunden an bestimmte Konditionen. Jedoch
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garantierten sie den Täufern Duldung auf der Grundlage von Wehrlosigkeit, Eidesverweigerung und der Eigenständigkeit der Gemeinden. Der historische Kontext veränderte täuferisches Leben. Vor dem Hintergrund der Privilegien, aber manchmal auch in einer Situation, in der Duldung rechtlich nicht abgesichert war, stiegen die ehemals Verfolgten zu integralen Bestandteilen der Gesellschaft auf – ob als Handwerker, Kaufleute, Händler oder Unternehmer in den Städten oder als Musterlandwirte. Bis ins 18. Jahrhundert richteten es sich die Täufer in dieser Privilegiengesellschaft ganz gut ein. Die Akkulturation setzte sich im 19. Jahrhundert fort, als viele Täufer sich in ihrem Erscheinungsbild und ihrer bürgerlichen Attitüde nicht mehr von ihrer Umgebung unterschieden. Aus den Reihen der Täufer kamen nun Ideen zur Gestaltung der Gesellschaft, sofern sie sich nicht mit dem Ruf nach der Bewahrung der „alten Ordnung“ wieder zurückzogen. Die Anerkennung, die die Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts den ehemals Verfolgten gewährte, ließ die Offenheit für den Nationalismus und schließlich den Nationalsozialismus wachsen. Kultur ist wandelbar und so zeigt die 500-jährige Geschichte täuferisches Leben in unterschiedlichen Ausprägungen. Was „täuferisch“ oder „mennonitisch“ war, verstand jede Generation immer ein wenig anders. Die täuferischen Gemeinden des 21. Jahrhunderts sind aufmerksame und aktive Bürger des demokratischen Staates, die auch politisch partizipieren. Sie sind zu einem lebendigen Bestandteil der ökumenischen Bewegung geworden. Dennoch halten sie Prinzipien der historischen Täufer hoch. Sie vertreten ein sehr kongregationalistisches Gemeindemodell, verwirklichen das Priestertum aller Gläubigen, legen einen Schwerpunkt auf das Friedenszeugnis und setzen sich für Gerechtigkeit und Versöhnung in der Gesellschaft ein. Seit 1989 führen Mennoniten und Lutherische Kirchen Dialoge über das gegenseitige Verständnis und über Versöhnung. Die Initialzündung lieferte das Confessio-Augustana-Jubiläum 1980, als die Mennoniten kritisch darauf hinwiesen, dass die „Confessio Augustana“ bis heute die Verdammung der Täufer enthält und darüber nicht reflektiert wird. Seit Interkonfessioneller 2002 sprachen Mennonitische Weltkonferenz und Lutherischer Dialog Weltbund, von 2006 bis 2009 Reformierte und Mennoniten in der Schweiz und seit 2012 findet ein trilateraler Dialog mit Lutheranern und Katholiken statt. Es sind Beispiele eines versöhnlichen Umgangs miteinander, der nicht unter den Tisch kehrt, dass konfessionelle Verschiedenheiten vorhanden sind. Diese werden jedoch nicht als trennend, sondern als bereichernd empfunden – Ökumene als anregendes Miteinander in der Vielfalt.
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Was ist also der Kern des Täuferischen und was bleibt von der 500-jährigen Geschichte? Ist es das Authentische, das immer wieder durchscheint? Der Mut, immer wieder etwas Neues zu wagen und aus überkommenen Strukturen auszubrechen? Das Bewusstsein, in der eigenen Tradition und Geschichte zu finden, was bewahrt werden kann, aber immer auch offen zu sein für das Andere? Die Erkenntnis, Altes nicht kopieren zu können, sondern in jeder Generation neu darum zu ringen, was es heißt, täuferisch zu sein? Täuferisches Leben heißt, sich mündig, frei und souverän mit diesen Fragen auseinanderzusetzen – stets aufs Neue.
Glossar
Anhang Glossar Abendmahl unter beiderlei Gestalt (sub utraque): Im Gegensatz zur katholischen Auffassung, dass die Gläubigen beim Abendmahl lediglich die Hostie einnehmen, wurde in protestantischen Kirchen Brot und Wein ausgeteilt; auch als „Laienkelch“ bezeichnet. Antistes: Vorsteher der reformierten Pfarrsynode und Pastor der Hauptkirche. Zwingli hatte dieses Amt inne; ihm folgte Heinrich Bullinger. Bausoldaten: Ab 1964, zwei Jahre nach der Einführung der Wehrpflicht in der DDR, gab es die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern und in Baueinheiten der Nationalen Volksarmee zu dienen. Corpus Christianum: Der Begriff geht auf die im Mittelalter verbreitete Idee zurück, das geistliche und das säkulare Reich bildeten eine politische Einheit. CRALOG: Das „Council of Relief Agencies Licensed to Operate in Germany“ fasste nach 1945 elf Hilfsorganisationen zusammen, die in Deutschland tätig waren, darunter das „Mennonite Central Committee“ (MCC) und das Rote Kreuz. Dekalog: Die Zehn Gebote, die auf das 2. beziehungsweise 5. Buch Mose zurückgehen. Dissenter: Unter Dissentern werden konfessionell von der Anglikanischen Kirche „abweichende“ Gruppen wie die Quäker verstanden. Edikt: In der Frühen Neuzeit ein kaiserliches oder landesfürstliches Gesetz. Gustav-Adolf-Verein: Erinnert an den schwedischen König Gustav Adolf, der 1632 im Dreißigjährigen Krieg fiel und als Beschützer der Protestanten galt. Der Verein wurde 1832 gegründet und hatte das Ziel, Protestanten in der Diaspora zu unterstützen. Kameralismus: Wirtschaftslehre des späten 17. und 18. Jahrhunderts, bezeichnet die landesfürstliche Förderung der Wirtschaft durch den Aufbau von Manufakturen und eine gezielte Ansiedlungspolitik. Konventikel: Religiöse Versammlung, die nicht in einer Kirche stattfindet; in den frühen täuferischen und pietistischen Bewegungen waren dies Zusammenkünfte in Privathäusern oder an abgelegenen Orten. Kryptoprotestantismus: Bis ins 18. Jahrhundert überlebte in den habsburgischen Ländern der Protestantismus trotz Verbots im Geheimen. Unter Karl VI. und Maria Theresia kam es zu Verfolgungen der Kryptoprotestanten, die entweder auswandern mussten oder nach Siebenbürgen umgesiedelt wurden. Mandat: In der Frühen Neuzeit ein Rechtsmittel zur Regelung des öffentlichen Lebens. Mit dem Mandat wurden Befehle oder Aufträge erteilt.
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Mission, Äußere: Die Äußere Mission bezeichnet die Einsätze von Missionaren im Ausland, die dort neben dem Predigen des Evangeliums und dem Aufbau von Gemeinden auch karitative und medizinische Hilfe leisten. Mission, Innere: Die Innere Mission konzentriert sich auf die Gläubigen in den eigenen, inländischen Kirchen; ihr Ziel war es, deren Glauben neu zu beleben beziehungsweise zu vertiefen. Normaljahr: Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde das Jahr 1624 als „Normaljahr“ festgeschrieben. Aller Besitz und alle Rechte, die die drei anerkannten Konfessionen in diesem Jahr hatten, wurden als gültig und weiterhin geltend angesehen. Privileg: Herrschaftsakt, durch den Gruppen oder Personen besondere Rechte zugesprochen werden konnten. Im täuferischen Fall waren es meist Landesherren, die die Privilegien aussprachen. Puritanismus: Erneuerungsbewegung innerhalb der anglikanischen Kirche im 17. Jahrhundert. Sakramente: Äußere Zeichen, die heilsvermittelnd wirken. In der Katholischen Kirche gibt es seit dem Mittelalter sieben Sakramente: Taufe, Eucharistie, Buße, Firmung, Priesterweihe, Ehe und Krankensalbung. Im Protestantismus werden die Sakramente als glaubensweckend und -stärkend angesehen; hier gelten nur die Taufe und das Abendmahl als Sakrament. Spiritualismus: Im christlichen Glauben wird die starke Betonung der Wirkungen des Heiligen Geistes als Spiritualismus bezeichnet. Theosophie: Die Theosophie kombinierte die mystische Erfahrung mit der Lehre, Gott könne in der Natur erkannt werden. Train: Transport- und Versorgungswesen im Militär. Urfehde: Im mittelalterlichen Recht die eidliche Versicherung, keine Fehde zu führen beziehungsweise sich nicht zu rächen. In der Frühen Neuzeit wurde die Urfehde bei der Entlassung aus der Haft geschworen. Die entlassene Person versprach dabei, sich nicht an den Obrigkeiten zu rächen; manchmal war auch der Landesverweis mit der Urfehde verbunden. Zehnt: Der Zehnt war seit dem Mittelalter die verpflichtende Abgabe (der zehnte Teil) der Untertanen an die weltliche oder geistliche Herrschaft.
Abkürzungen
Abkürzungen MFSt
Mennonitische Forschungsstelle Weierhof
MGB
Mennonitische Geschichtsblätter
MQR
The Mennonite Quarterly Review
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Internetressourcen Mennonitisches Lexikon (MennLex). Im Auftrag des Mennonitischen Geschichtsvereins, herausgegeben von Hans-Jürgen Goertz. www.mennlex.de Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online (GAMEO). www.gameo.org
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Liste der QR-Codes Quellenarbeit 1: Wie Felix Mantz seinen Glauben rechtfertigt. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit01.pdf Quellenarbeit 2: Vom Umgang mit den Täufern. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit02.pdf Quellenarbeit 3: Täuferische Positionen: Verhöre gefangener Täufer. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit03.pdf Quellenarbeit 4: Verfolgung der Täufer – Die Argumentation der Theologen. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit04.pdf Quellenarbeit 5: Täuferische Positionen: Vom Amt der Obrigkeit. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit05.pdf Quellenarbeit 6: Reflexionen einer Täuferin. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit06.pdf Quellenarbeit 7: Die Täufer in Münster. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit07.pdf Quellenarbeit 8: Gütergemeinschaft und Leben der Hutterer in Mähren. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit08.pdf Quellenarbeit 9: Hans Hut und das Evangelium aller Kreaturen. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit09.pdf Quellenarbeit 10: Täuferische Positionen: Rechtfertigung und Werke. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit10.pdf Quellenarbeit 11: Täuferische Positionen: Von der Taufe. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit11.pdf Quellenarbeit 12: Täuferische Positionen: Vom Gebrauch des Schwertes. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit12.pdf Quellenarbeit 13: Die Erinnerung an die Verfolgung. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit13.pdf Quellenarbeit 14: Gewissensfreiheit und Tolerierung. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit14.pdf Quellenarbeit 15: Tolerierung als Gnadensache. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit15.pdf Quellenarbeit 16: Märtyrergeschichten. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit16.pdf Quellenarbeit 17: Stimmen zu den Mennoniten. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit17.pdf Quellenarbeit 18: Debatten über die Verfolgung der Schweizer Täufer. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit18.pdf Quellenarbeit 19: Die Täufer als Vorbild für die Sozialdisziplinierung. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit19.pdf
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Quellenarbeit 20: Reflexionen: Ein Rückblick auf die hutterische Geschichte. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit20.pdf Quellenarbeit 21: Taufe im 18. Jahrhundert. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit21.pdf Quellenarbeit 22: Entstehung der Amischen. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit22.pdf Quellenarbeit 23: Erweckung und Erneuerung in den Mennonitengemeinden. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit23.pdf Quellenarbeit 24: Vom Nutzen der Mennoniten. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit24.pdf Quellenarbeit 25: Die „richtige“ Ordnung. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit25.pdf Quellenarbeit 26: Politische Ideen im 19. Jahrhundert. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit26.pdf Quellenarbeit 27: Kontakte zu anderen Konfessionen. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit27.pdf Quellenarbeit 28: Debatten über die Wehrlosigkeit im 19. Jahrhundert. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit28.pdf Quellenarbeit 29: Verfolgung in Russland. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit29.pdf Quellenarbeit 30: Mennonitische Positionen in der NS-Zeit. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit30.pdf Quellenarbeit 31: Der Film „Friesennot“ und die Mennoniten. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit31.pdf Quellenarbeit 32: Wehrlosigkeit und Gewalt im NS-Staat. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit32.pdf Quellenarbeit 33: „Unpartheyische“ Geschichtsschreibung. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit33.pdf Quellenarbeit 34: Das Menno-Simons-Jubiläum 1860/61. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit34.pdf Quellenarbeit 35: Der Streit um das Bildnis. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit35.pdf Quellenarbeit 36: Bilder von Menno und ihre Aussagen. https://www.utb.de/fileadmin/user_upload/Material/9783825253363/Quellenarbeit36.pdf
BildnachweisBild 01:Liste der QR-Codes
Abbildungsverzeichnis Bild 1: Pieter Pietersz Bekjen, Darstellung aus dem „Märtyrer-Spiegel“ (Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Sign. I72. 1780, Der blutige Schau-Platz oder Märtyrer-Spiegel der Taufs-Gesinnten oder Wehrlosen Christen, Pirmasens 1780, S. 392) Bild 2: Maximilian Dörrbecker: Verbreitung der Täuferbewegung 1525-1550 (https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Spread_of_the_Anabaptists_1525-1550.png) Bild 3: Thomas Müntzer(Christoffel van Sichem, Kupferstich/Einzelblatt, frühes 17. Jahrhundert, Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 4: Klaus Hottinger stürzt 1523 ein Kreuz in Stadelhofen (Heinrich Bullinger: Kopienband zur zürcherischen Kirchen- und Reformationsgeschichte. Zürich, 1605-1606. Zentralbibliothek Zürich, Ms B 316, https://doi.org/10.7891/emanuscripta-18901 / Public Domain Mark) Bild 5: Hinrichtung der Täufer in Alzey, Darstellung aus dem „Märtyrer-Spiegel“ (Mennonitische Forschungsstelle, Sign. I/2. 1780, Der blutige Schau-Platz oder Märtyrer-Spiegel der Taufs-Gesinnten oder Wehrlosen Christen, Pirmasens 1780, S. 44) Bild 6: Ausschnitt aus einer Darstellung der Stadt Znaim; im Vordergrund ein Täufer mit einem Buch in der Hand (Georg Hoefnagel, kolorierter Kupferstich, Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 7: Hans Hut, anonyme Darstellung (Kupferstich / Einzelblatt, Privatbesitz StuderMaeder, Biel) Bild 8: Hinrichtung von Felix Mantz durch Ertränken in der Limmat (Heinrich Bullinger: Kopienband zur zürcherischen Kirchen- und Reformationsgeschichte. Zürich, 1605-1606. Zentralbibliothek Zürich, Ms B 316, https://doi.org/10.7891/emanuscripta-18901 / Public Domain Mark) Bild 9: Balthasar Hubmaier, oben rechts und links sind Hinrichtungsarten dargestellt (Christoffel van Sichem, Kupferstich / Einzelblatt, Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 10: Messer aus hutterischer Produktion (Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 11: Titelkupfer der Schrift „Der Hutterischen Widertauffer Taubenkobel“ von Christoph Andreas Fischer (1607) (Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Sign. V/E. 1.4) Bild 12: Titelbild „Des Münsterischen Königreichs und Widertauffs an und abgang“ (1536) (Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Res/4 H.ref. 804, 10) Bild 13: Titelkupfer der Schrift „Vom Gsatz Gottes“ von Hans Denck (1526) (Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Res/4 Mor. 580, 13) Bild 14: Überfall auf die täuferische Versammlung im Wald bei Alstetten und Gefangennahme der hutterischen Sendboten (Zentralbibliothek Zürich, MS F 23, Johann
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Jakob Wick, Sammlungen von Nachrichten zur Zeitgeschichte aus den Jahren 15601587, Bd. 12, Zürich 1574) Bild 15: Siedlungsgebiete der Mennoniten in der Danziger Bucht (Mediengestaltung Matthias P. Bartel, Hamburg) Bild 16: Täuferisches Paar aus dem Elsass (um 1800) (kolorierte Lithografie / Einzelblatt, Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 17: Täuferin aus der Schweiz (um 1820) (kolorierter Kupferstich / Einzelblatt, Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 18: Die von Adam Wiebe konstruierte Seilbahn in Danzig (Gravur von Wilhelm Hondius [1644], Sammlung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Biblioteka Gdańska) Bild 19: Krefelder Bürger im Karneval, darunter auch Mennoniten (1884) (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 20: Carl Harder (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 21: Missionsbüchse des ersten Missionsfestes auf dem Spitalhof 1824 (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 22: Antje Brons (1810-1902) (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 23: Zeichnung auf einem Brief von Heinrich Krehbiel von 1805 (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 24: Thomas Löwenberg (Privatbesitz Hartmut Müller, Alzey) Bild 25: Szene mennonitischen Lebens in Nordamerika (um 1900) (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 26: Männer im Forsteidienst (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 27: Zug mit Flüchtlingen aus Russland (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 28: Emil Händiges mit Frau Martha (1950er Jahre) (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 29: Menno-Heim in Berlin (Der Mennonit 8, 1955, S. 57; Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 30: Amische Kinder (Der Mennonit 7, 1954, S. 183; Mennonitische Forschungsstelle Weierhof) Bild 31: Habanerkeramik (Privatbesitz Studer-Maeder, Biel) Bild 32: Mennonitenkirche in Danzig (spätes 19. Jahrhundert) (Fotosammlung Mennonitische Forschungsstelle Weierhof)
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Personenregister Abbema, Zino van 197 Aberli, Heinrich 30 Abrahamsz, Galenus 262 Ackeringa, Prediger in Friesland 277 f. Ackermann, Peter 165 Adriaensz, Adriaen 105 Albrecht, Erzbischof von Magdeburg 17 Albrecht, Markgraf von Brandenburg 178 Aldegrever, Heinrich 102 Alexander II., Zar von Russland 312 Alexander I., Zar von Russland 309 Alting, Menso 65, 130 Ammann, Hartmann 354 Ammann, Jakob 202 f., 205 Amsdorf, Nikolaus von 97 Anderson, Benedict 250 Andreä, Jakob 62, 64 Angas, William Henry 269 Angersbach, Adam 80 Anna, Gräfin von Ostfriesland 151 Anslo, Cornelis Claesz 376 Arisz, Markus 211 Arndt, Ernst Moritz 332 Arndt, Johann 260 Arnold, Eberhard 325 Arnold, Gottfried 150, 297, 353 Ascherham, Gabriel 48 Assisi, Franz von 120 Assmann, Aleida 361 August II., König von Sachsen 372, 375 Bader, Augustin 145 Bahaim, Michael 84 Bainton, Roland 12 Bakels, H. 172 Bartel, Peter 286 Barth, Karl 366
Batenburg, Jan van 105, 140 Bayle, Pierre 139, 162, 354 Bechtel, Abraham 212 Bechtel, Jörg 212 Bechtoldt, Hans 217 Beckerath, Charlotte von 276 Beckerath, Familie 224, 239 Beckerath, Hermann von 240 f., 284, 290 Beck, Josef von 354 Beiler, David 300, 303 f. Beiler, Solomon 300 Beissel, Johann Conrad 189, 218 Bemerlin, Stefan 20 Bender, Harold S. 325, 337, 351 f., 359 Benedikte Margarethe, Gräfin von Reventlow 206 Bengel, Johann Albrecht 309, 374 Benthem, Heinrich Ludolph 199, 223 Berg, Jakob (Diego) 294 Bergthold. Jakob 268 Bethlen, Gábor 185, 224 Bidembach, Wilhelm 150 Binder, Christoph 149 Binder, Eukarius 42 Birdsell, Sandra 375 Bisch, Rauff 129 Bismarck, Otto von 277 Blaurock, Georg 34, 36 f., 39, 43 f., 67, 80 Blocke, Isaak van den 367 Bolt, Eberli 58 Bolz, Urban 83 Boni, Andreas 217 f. Boos, Martin 272 f. Borié, Egid Felix von 155 Borkholder, Christian 368 Bosch, Sigmund 97 Bouwens, Leenaart 142
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Bowman, Carl F. 342 Braght, Thieleman van 140, 153, 170, 349 Brahms, Johannes 241 Braitmichel, Kaspar 349 Braun, Hans 62 Brenneman, Daniel 296, 302 Brenneman, John M. 297 f., 303, 305 Brennemann, Christian 264 Brennerin, Christina 59 Brennwald, Hans 43 Brenz, Johannes 61 f., 64 f. Brons, Antje 239, 259, 275, 288, 350 Brons, Bernhard 259 Brons, Familie 239 Brons, Isaak 240, 243, 259 Brötli, Johannes 56 Bruck, Engelbert vom 225 Bruggbach, Hans 34 Bucer, Martin 39, 63 f., 74 Bullinger, Heinrich 11, 20, 37 f., 55, 63, 66, 149 Bunyan, John 215 Burghart, Jacob 375 Burkholder, Christian 295 Bürky, Familie 188 Calvin, Jean 274 f., 365 Castelberger, Andreas 30, 32, 56 Castellio, Sebastian 53 Cattepoel, Dirk 323 Christian August, Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorp 375 Christman, Friedrich 73 Chruschtschow, Nikita 346 Claassen, Johannes 262 Clairvaux, Bernhard von 17 Clasen, Claus-Peter 168, 355 Coffman, John F. 298 Collen, Peter van 65, 130 Cooge, Abrahahm de 375 Coornhert, Dirk Volkertsz 142, 160 f.
Cornelius, Carl A. 354 Cornies, Johann 308, 311 Corvinus, Johann Friedrich 353 Cramer, Samuel 354 Crellius, Johannes 161 Crichton, Wilhelm 163 Cromwell, Oliver 158 Crous, Ernst 331 Crous, Jan 198 Dachselhofer, Familie 181 Dahlem, Valentin 226, 249 Dathenus, Petrus 65 Dax, Leonard 140 Decken, Johann von 154 Deknatel, Jan 212 Deknatel, Johannes 210–214, 219, 229, 251 f., 272, 350, 362 Denck, Hans 38, 42, 44, 46 f., 113, 115–120, 125, 137, 354, 383 Denner, Balthasar 372, 375 Denner, Jakob 206 Deppermann, Klaus 355 Dettweiler, Daniel 323 Dettweiler, Jakob 188 Dipple, Geoffrey 350 Dober, Leonhard 210 Dohm, Christian Wilhelm 227 Donner, Heinrich 197, 230 f., 350 Donner, Johann 234, 350 Dorfbrunner, Leonhart 81 Dörker, Ludwig 135 f. Dühren, Heinrich van 201, 230 Dühren, Isaak van 215 f. Dürrenmatt, Friedrich 367 Dyck, Peter J. 334 f. Eckhardt, Meister 113 Eck, Johannes 47 Edes, Margaretha 123 Edes, Reinhold 123 Ediger, Franz 345
Personenregister
Edzard, Graf von Ostfriesland 156 Egly, Henry 301 Ehrenpreis, Andreas 89 Ehrenpreis, Peter 110 Eisenberg, Johannes 63 Elisabeth, Prinzessin zu Wied (Carmen Sylva) 240 Ellenberger, Jakob 232, 269 f., 360 Enns, Jakob 307 Entfelder, Christian 116 f. Epp, Claas 309 Epp, David 274, 309 Epp, Hermann 327, 330 Erbe, Fritz 22, 87 Erhard, Christoph 76 Ernst-Casimir, Graf von Ysenburg-Büdingen 164 f. Esch (Ösch), Christian 378 Everling, Jakob 184 Ewald, Leonard 199 Ewert, Familie 247 Eymann, Christian 261 Eysvogel, Johannes 88, 111 Fagel, Caspar 184 Falk, David 135 Farwendel 142 Fast, Abraham 12, 331 ff., 365 Fast, Heinold 12, 63, 352 Fellmann, Walter 329 Fell, Valentin 93 Ferdinand I., Erzherzog 15, 57, 91 Ferdinand III., Kaiser 157 Ferdinand II., Kaiser 157 Finsterbach, Arbogast 82 Fischer, Andreas 46 Fischer, Christoph Andreas 76 Fischer, Hans 83 Fischer, Volkmar 138 Fliedner, Theodor 268, 276 f. Floh, Gottschalk 281
Floh, Jacob Hendrik 228 Fontane, Theodor 370 Fox, George 206 Francke, August Hermann 208, 210 Franck, Sebastian 149 f. Freyberg, Helena von 20, 87 Frick, Veit 70, 81 Friedenreich, Lorenz 195, 212, 219, 221 Friedmann, Robert 355, 359, 367 Friedrich II., Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorp 165 Friedrich III., Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorp 154 Friedrich III., König von Preußen 154, 286 Friedrich II., Kaiser 67 Friedrich II., König von Preußen 228, 230, 272, 332 Friedrich I., König in Preußen 176 Friedrich IV. König von Dänemark 375 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 190, 231 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 189, 230 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 166, 228 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 285 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 179 Fröhlich, Samuel 264 Froschauer, Christoph 19 Frydag, Familie 166 Fugger, Familie 17 Funck, Heinrich 295, 298 Funck, John F. 298, 302, 305 Funk, Adam 249 Funk, Joseph 296 Gaismair, Michael 35 f., 44, 58 Galle, David 270, 282
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Galle, Jakob 282 Galle, Johannes 246, 249–252, 261, 270 f. Gerrits, Brixius 65 Gersen, Ottilie von 26 Gingerich, Jacob 264 Glaidt, Oswald 46 Glock, Paul 68 f. Glücki, Jost 212, 217 Glück, Philipp 246 Goertz, Hans-Jürgen 13, 76, 139, 355–359 Goethe, Johann Wolfgang von 332, 377 Goldschmied, Prediger 145 Gompel, Margret 93 Goossen, Benjamin 359 Görz, Franz 308 Gossner, Johannes 260, 273 Göttner, Erich 322 f., 332 Götzke, Bruno 338 Goyen, Gosen 198 Graeff, Abraham Isacks op den 306 Graeff, op den, Familie 224 Grafeneck, Klaus von 68 Gratian, Kaiser 67 Grebel, Konrad 9, 26, 29–34, 37, 43 f., 47, 82, 124, 128, 130, 136, 383 Grembser, Hans 83 Griesinger, Onofrius 169 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 368 f. Gross, Jakob 138 Guth, Jakob 183 Gyrenbader, Hans 37 Haan, Galenus Abrahamsz de 206 Habsburg von, Familie 48 Hahn, Johann Michael 264, 374 Hamm, Berndt 358, 385 Händiges, Emil 326, 332 Hansen, Georg 372 Harder, Alexander 375
Harder, Carl 237, 239 f., 254–259, 265 f., 271, 278 f., 284 f., 292, 350 f. Harder, Ernst 259 Hattavier, Isaak 181 Hätzer, Ludwig 31, 38, 42, 46, 56 Haugg, Werner 324 Hauser, Barbara 272 Hege, Christian 321, 351 Hege, Christine 351 Hege, Philipp 282 Hege, Ulrich 350, 374 Hellwart, Margarethe 70 Herr, John 298, 301 Hershberger, Familie 188 Hirschler, Jakob 196, 212 Hitler, Adolf 320, 322 f., 327 Hoburg, Christian 206 Hoch, Daniel 296 f. Hochmann von Hochenau, Ernst Christoph 212, 217 f. Hochstettler, Familie 188 Hoek, Jan van 201 Hofacker, Ludwig 309 Hofer, Christian 220 f. Hofer, Johannes 186 Hofer, Matthias 186 Hoffman, Melchior 22, 38, 41, 50 ff., 63, 65 ff., 95, 97–100, 104, 140 f., 145 Hofmann, Constantin 165 Hofmann, Niklas W. 94, 97 f. Holl, Karl 357 Honacker, Michel 62, 81 Hoop Scheffer, Jacob Gijsberg de 239, 354 Horsch, John 292 f., 332, 352 Horsch, Michael 325 f., 331 Hottinger, Heini 91 Hottinger, Jakob 35 Hubmaier, Balthasar 31, 38, 41, 44–48, 59, 106, 118 f., 125, 127 f., 130, 133, 381, 383
Personenregister
Hübner, Manfred 95 Huckerin, aus Augsburg 91 Huebert Hecht, Linda 86 f., 355 Huef, Lorenz 141 Huetwohl, Valentin 184 Huiuf, Hans 29 Hunzinger, Abraham 193, 237 f., 241, 253, 260, 279 Hüsgen, Friedrich Wilhelm 377 Huter, Caspar 50 Huter, Jakob 15, 37, 50, 84, 93, 105 f., 168, 359, 381 Hut, Hans 29, 39 f., 42, 44 ff., 79 ff., 83 f., 94–97, 106, 119 ff., 126, 130, 137 f., 186, 383 Hutten, Ulrich von 33 Imbroich, Thomas von 140, 218 Jacobsen, Emil 370 Jansz, Pieter 270 Jantzen, Mark 359 Jantzen, Walter 338, 340 Jecker, Hanspeter 74, 359 Jehring, Johann Christian 353 Joder, Familie 188 Johann, Graf von Ostfriesland 65, 156 Joris, David 52 f., 64, 118, 140 f., 151 Joseph II., Kaiser 167 Jost, Ursula 145 Jungemann, Michael 81, 83 Jung-Stilling, Johann Heinrich 227, 267, 309, 374 Justi, Johann Heinrich 227 Kägy, David 228, 246, 249–253, 261, 270 Käls, Jeronimus 84 Kampen, Johann Jakob van 257 Kampen, Jost van 228 Karl Ludwig, Kurfürst der Pfalz 369 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 18, 22, 24, 26, 29 f., 33, 36, 51, 117, 124
Karoline Henriette, Landgräfin von Hessen-Darmstadt 167 Kastenbauer, Stephan 49 Katharina (Berka) 22 Katharina II., die Große, Zarin von Russland 189, 225, 376 Kauenhoven, Kurt 322 Kautz, Jakob 46, 82 Keller, Ludwig 354 Kemmerer, Anstad 80 Kengel, Benjamin 186 Kern, Else 146 Kessler, Johannes 32, 73, 84, 130, 145 Kibbenbrock, Gerd 100 Kinzing, Familie 225, 376 Kipping, Johann 217 f. Kirßner, Jakob 91 Klassen, Cornelius F. 334 Kleinsasser, Hans 219 Klock, Leonard 143 Knipperdollinck, Bernd 100 ff. Kobelt-Groch, Marion 13, 355, 359 Kochs, Margarethe 87 Köhler, Walther 355 Koomen, Jan van 216 Kopernikus, Nikolaus 16 Kortwig, Werner 325 Kotter, Eustachius 168 Kraemer, Gustav 322 Krahn, Cornelius 366 Kräl, Hans 67 f. Kraußhaar, Simon 83 Kräuter, Katharina 130 Kraybill, Donald B. 342 Krechtinck, Bernd 102 Krechtinck, Heinrich 166 Krehbiel, Adam 212, 217 Krehbiel, Babette 263 Krehbiel, Christian 188 f., 251, 299, 370 Krehbiel, Heinrich 281
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Anhang
Krehbiel, Jost 212 Kreider, Robert S. 334 f. Krémer, Emile 327 Krémer, Jean-Paul 327 Kripp, Johann von 354 Kroeker, J. J. 336 Krüsi, Hans 58 Kues, Nikolaus von 15 Kuhr, Joseph 199, 220 Landis, Abraham 301 Landis, Hans 59, 67, 181 Lange, Wilhelm 272 Lapp, John 252 Lasco, Johannes a 66 Leade, Jane 210 Leiden, Jan van 52, 54, 100 ff., 105, 138, 166 Leignes Bakhoven, Lenie 327 Lein, Anna 70 Lenin, Wladimir Iljitsch 316 f. Lepp, Aron 310 Leppin, Volker 18, 113 f. Leupold, Hans 91 Leyen, Friedrich von der 224, 228 Leyen, Konrad Wilhelm von der 276 Leyen, Luise von der 276 Leyen, Rudolf von der 241 Leyen, von der, Familie 197, 224, 228, 239 Lichdi, Diether Götz 13, 359 Liechtenstein, von, Familie 41, 45, 48, 106, 133 Lincoln, Abraham 305 Lipsius, Justus 161 Lober, Julius 48 Loh, Johannes 273 Löplin, Bernhard 69 Loserth, Johann 354 Löwenberg, Michael 262 f., 363 Löwenberg, Thomas 282 Ludwig, Claus 146
Ludwig IX., Landgraf von Hessen-Darmstadt 167 Ludwig, Kurfürst der Pfalz 38 Lüthardt, Christoph 181 Luther, Martin 9, 16–20, 24 f., 46 f., 57, 59 f., 75, 81, 89, 95, 113, 119, 274 f., 278 f., 291, 357 f., 361, 364 f., 374, 379, 383 Lutz, Johann Evangelist Georg 272 Luyken, Jan 171, 375 Machno, Nestor 317 Mack, Alexander 217 f. Mader, Melchior 85 Mair, aus Steinach 168 Mäkelborger, Aron 330 Maler, Jörg Probst Rotenfelder, gen. 93 Mändel, Hans 168 Mannhardt, Hermann Gottlieb 240, 350, 364 f. Mannhardt, Jakob 238 f., 246, 254, 257, 274, 277 f., 285, 288, 363 Mannhardt, Wilhelm 240, 254, 285 f. Mansfeld, Ernst von 27 Mantz, Felix 9, 30, 32–35, 37, 41, 43 f., 55 f., 58, 126, 136, 383 Marbach, Johannes 64 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 155, 187 Marie-Antoinette, Königin von Frankreich 225, 377 Marpeck, Pilgram 20, 38, 40, 49 f., 87, 97, 107, 141, 151, 381 Mast, Familie 188 Matthijs, Jan 52, 98, 100, 104, 138 Maurer, Johannes 264 Maurer, Peter 153 Maximilian I., Kaiser 16 Maximilian Joseph, Kurfürst von Bayern 167 Mecenseffy, Grete 355 Meer, Abraham ter 232
Personenregister
Melanchthon, Philipp 24 f., 59 f., 64 f., 95, 274 Messerschmidt, Matthias 36 Meyerbeer, Giacomo 367 Miller, Peter 189 Molenaar, Alfred 241 Molenaar, Isaak 243, 282 Molenaar, Johannes 274 f., 279, 290, 362 Molenaar, Willy 259 Molenaar, Wopko 197 Möllinger, David 226, 228 Möllinger, Familie 250 Möllinger, Jakob 225 Möllinger, Martin 196, 244 Müllerin, Ull 93 Müller, Joseph 220 f. Mullner, Ulrich 168 Müntzer, Thomas 24 ff., 28–31, 35, 37, 39, 44, 58, 93, 96 f., 124, 128, 136, 152, 154, 350, 352 f., 356 f., 383 Musser, Daniel 298, 301, 305 Nafziger, Hans 153, 171, 204 Napoleon, Kaiser von Frankreich 230 Neff, Christian 325 f., 328 f., 332, 351, 375 Neufeldt, Heinrich August 288 f., 361 Neulen, Jan 375 Newcomer, Christian 296 Nickel, Abraham 379 Nicolai, Melchior 63 Nisius, Schuster 80 Nitschmann, David 210 Oberecker, Hans 84 Oberholtzer, John H. 297 Obermann, Heiko A. 16 Odenbach, Johann 38 f., 159 Oekolampad, Johannes 149 Ogier, Charles 199 Oncken, Johann Gerhard 309, 311 Oosterbaan, Johannes A. 366 Oranje, Wilhelm von, Statthalter 223
Osiander, Andreas 46 Otter, Jakob 74, 169 Ott, Johann Heinrich 155 Ovens, Niclas 228 Packull, Werner O. 113, 355 f. Pänntzl, Simon 94 Paul I., Zar von Russland 190 Pauls, Heinrich 327 f. Peachy, Abraham 300 Peisker, Christoph 97 Penner, Franz 249 Penner, Gerhard 287 Penn, William 187, 206 Pestalozzi, Johann Heinrich 269 Peter III., Zar von Russland 375 Peter, Maria W. 371 Petronella, aus Holdenstedt 89, 92 Pfeiffer, Heinrich 29, 35 Philipp I., Landgraf von Hessen-Kassel 39, 58, 61, 103, 155 Philipps, Dirk 52, 54, 104, 142 Philipps, Obbe 52, 104 f. Pinterin, Magdalena 110 Pinter, Peter 36 Pistorius, Franz Daniel 187, 306 Pius IX., Papst 277 Platzer, Melchior 135 Plener, Philipp 48 Ploeg, Hiddo Wibius van der 232, 292 Potemkin, Grigorij 190 Pretz, Gertraud 79 Prüss, Margarethe 87 Rabus, Ludwig 75 Rack, Jörg 168 Ramseyer, Joseph 301 Rapp, Brüder 82 Rapp, Johann Georg 313 Raup, Philipp 82 Rebstock, Barbara 145 Reeder, Hermann 197, 269 f.
419
420
Anhang
Reimer, Klaas 307 Reinhard, Wolfgang 156 Reist, Hans 202 f. Rembrandt, Rembrandt Harmenszoon van Rijn 376 Remkes, Johannes 212 Reublin, Wilhelm 20, 32 f., 38, 41, 49, 56, 94 Rhegius, Urbanus 61 Riedemann, Peter 90, 121, 125, 127, 131, 134, 140 Ries, Hans de 144, 198 Rinck, Melchior 38, 46, 80 Ris, Cornelis 233 f., 241, 266, 273 Risser, Abraham 278 Risser, Johannes 237, 246, 249 f., 265 f., 274, 383 Roentgen, Familie 376 Roggenacher, Anthoni 80 f. Römer, Hans 29, 80, 97, 138 Roon, Albrecht von 286 Roosen, Berend Carl 238, 299, 350 f. Roosen, Familie 224, 268 Roosen, Gerrit 152, 206 f., 251, 350 Rosenberg, Herren von 107 Roth, John D. 359 Rothmann, Bernhard 99, 101 f., 137 Rotterdam, Erasmus von 18, 131 f. Rudolf II., Kaiser 108 Rues, Simon Friedrich 194 f., 353, 372 Ruh, Kurt 113 Rumer, Paul 79, 94 Rumjanzew-Sadunaisky, Peter 187, 220 Sailer, Johann Michael 273 Saint-Saphorin, François Louis Pesme de 184 Sattler, Michael 38, 41 f., 67, 96, 218 Schaitmann, Jörg 78 Scharnschlager, Leupold 49, 107, 159 f. Schauenburg, Grafen von 165
Schellinger, Cornelis 210 Scherer, Jörg 81 Schiemer, Leonhard 42, 45, 49, 58, 121, 124 f. Schiller, Friedrich 332 Schilling, Heinz 156 Schlabach, Theron F. 359 Schlachta, Astrid von 356 f., 359 Schlaffer, Hans 42, 45, 58, 121, 134 Schmid, Hans 146 Schmidt, Heinrich Richard 156 Schmidt, Johannes 241 Schmutz, Christian 261, 263, 273, 351, 360, 362 f. Schmutz, Christine 264, 373 f. Schnabel-Schüle, Helga 15 Schöferl, Jörg 80 f., 121 Schönherr, Johannes 234 Schowalter, Paul 334 Schowalter, Ulrich 208 Schröder, Heinrich H. 321 Schwenckfeld, Caspar von 20, 49 f., 68, 74, 87, 141, 150, 206 Schwerz, Johann Nepomuk Hubert von 227 Seemann, Ennoch 371 f. Seidel, Heinrich 370 Servaes, Matthias 142 Servet, Michael 52 Sichem, Christoffel van 375 Siefkes, Wilhelmine 333 Simons, Menno 52 ff., 64, 66, 104 f., 122 ff., 127 ff., 133, 138, 141 ff., 152, 154, 168, 172, 196, 213 f., 217, 246, 253, 274 f., 284 f., 291, 298, 350 f., 359–366, 374 f., 379, 383 Sittert, Tieleman Tielen van 145, 152, 350 Smissen, Carl Justus van der 273, 298 f., 362 Smissen, Dominicus van der 375
Personenregister
Smissen, Hinrich van der 210 Smissen, Jacob Gysbert van der 210 Smissen, Jakob van der 262, 298 Smissen, Johannes van der 234, 290 Smissen, van der, Familie 224, 268 Snyder, C. Arnold 356 Sozzini, Fausto 52 Spangenberg, August Gottlieb 221 Spener, Philipp Jakob 208 Spinoza, Baruch de 205 Spitelmeier, Ambrosius 82, 94 Spittelmaier, Hans 106 Sprunger, Samuel F. 298 Sprunk, Peter 180 Stadler, Ulrich 115, 117 Stalin, Josef 316, 318, 344 Stalter, Josef 226 Stauffer, Familie 278 Stauffer, Jacob 302, 351 Staupitz, Johann von 17 Stayer, James M. 355 f., 360 Steen, Hans van 195, 244 Steinhofer, Friedrich Christoph 210 Stinde, Julius 370 Stobbe, Familie 178 Stoffl, von Villach 169 Stoltzfus, Nicholas 204 Storch, Nikolaus 24 f., 95 Stork, Mindelt van der 198 Straub, Matthias 110 Strauß, Jakob 24, 30, 33 Strübind, Andrea 22, 42, 77, 356 Stübner, Markus 24, 95 Stumpf, Simon 31 ff. Sudermann, Hermann 368 Sudermann, Leonhard 379 Süleyman, Sultan 25 Swedenborg, Emanuel 234 Tanneberger, Hans-Georg 358 Tasch, Peter 63
Tauchnitz, Carl Christian 246, 262 Tauler, Johannes 17, 113 Teck, Ulrich 138 Tersteegen, Gerhard 195, 212, 250, 260 Theodosius, Kaiser 67 Toews, Johann 351, 362 Toews, Miriam 375 Tolstoi, Leo 301, 305 Treitschke, Heinrich von 329 Troeltsch, Ernst 357 Ulimann, Wolfgang 130 Ulrich, Herzog von Württemberg 102 Unger, Abraham 310 Unruh, Benjamin H. 318, 321 Unzicker, Christian 282 f., 285, 290, 363 Urscher, Erhart 79 Vadian, Joachim 31 f. Valckenier, Petrus 155, 158 Valentinian, Kaiser 67 Veh, Cornelius 107 Velde, Jan van de 375 Velder, Niclas 79 Verbeck, Pieter 209 Vlamingh, Hans 155, 181 Vogler, Günter 25 Volckmer, Jörg 119 Volkertsz Trypmaker, Jan 51 f. Voltaire 354, 369 Vontobel, Hans 37 Vos, Karel 361 Voth, Tobias 308 Vreede, Adolph de 156 Wagner, Hans 82 Waldeck, Franz von, Fürstbischof von Münster 99, 102 f. Waldner, Johannes 186 f., 220 ff. Waldner, Michel 313 Walpot, Peter 68 f., 134, 141 Walther, Darius 313 Walther, Jacob 220 f.
421
422
Anhang
Warkentin, Cornelius 198 Warkentin, Jakob 308 Wartenberg, Konrad Kolb von 85 Waser, Johann Heinrich 156 Weber, Max 357 f. Weber, Peter 208, 212, 216 f., 219, 234, 273, 281 Weenigem, Bastiaan van 214 Weischenfelder, Hans 96 Weischenfelder, Martin 89 Westerburg, Gerhard 29 Weydmann, Leonhard 250, 252, 260, 291 Whitefield, George 210 Wichern, Johann Hinrich 268 Wickram, Jörg 73, 90, 368 Wiebe, Adam 223, 367 Wiebe, Gerhard 220 f., 297 Wiebe, Otto 346 Wiebe, Rudy 375 Wieck, Johannes von der 103 Wiedemann, Jakob 106 Wiegand, Johann 187, 221 f. Wieler, Johann 310 Wiens, Heinrich 308 Wildenbruch, Ernst von 372 f. Wilhelm I., König von Preußen 286 ff., 290 Wilhelm IV., König von Preußen 290 Wilken, Ambrosius 95 Willer, Peter 224 Williams, George Hunston 13 Wipf, Jacob 313 Wisler, Jacob 302 f. Woelke, Anton 281 Wölfl 36 f., 50, 93 Wolkan, Rudolf 354 Wolkenstein, Anton von 36 Wolkenstein, Elisabeth von 36 Wolny, Gregor 354 Würzlburger, Augustin 22, 77 f.
Würzlburgerin, Barbara 22 Wüst, Eduard 309 Yoder, John Howard 42, 358 Yoder, Samuel 300 Yutzy Glebe, Ellen 356 Zeeden, Ernst Walter 140 Zeiller, Martin 108 Zeisset, Abraham 196 Zeiss, Hans 27 Zeller, Christian Heinrich 269 Zeller, Michael 73 Zell, Katharina 75 Zell, Matthias 75 Zesen, Philipp von 161 Zieglschmid, A.J.F. 354 Zijpp, Nanne van der 365 Zimmermann, Andre 82 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 208, 210 f., 374 Zook, Shem 300 Zorzin, Alejandro 77 Zschäbitz, Gerhard 355 Zwingli, Ulrich 9, 18 ff., 22 f., 25, 31–34, 36, 54, 56, 59, 63 f., 80, 125, 356, 365, 383
A
423
Ortsregister Aarau 74 Aargau 38 Adams, County 301 Adelberg 149 Afrika 11 Ak-Mechet 309 Alexanderthal 190, 247 Alexandrowsk 317 Alkmaar 142 Allendorf 93 Allstedt 26 ff. Alma-Ata 346 Alperstedt 97 Alstetten 135 Altona 165, 206, 272, 278, 377 f. Alwinz 185 Alzey 38, 59, 159 Amerika 16 Ammann 202 Amsterdam 51 f., 104, 142, 144, 146, 161, 176, 181, 199, 201, 205 f., 208, 210, 212, 223, 239, 262, 270, 280, 366, 376 Am Trakt 190 Andernach 271 Andreasfeld 310 Ansbach 82 Antwerpen 52 Äthopien 11 Augsburg 20, 36, 42, 44, 46–49, 57, 77, 87, 91, 93, 107, 145, 318 Aurich 243 Auspitz 48 Austerlitz 50, 97, 106 f. B
Backnang 336 f. Baden 242, 263, 279, 286 f. Bad Wimpfen 48, 237
Bäretswil 380 Basel 20, 29, 41, 47, 52 f., 64, 138, 149, 217, 268 f., 326, 333 Bayern 167, 189, 224, 263, 299 Belize 316, 341 Berdjansk 309 Berg, Herzogtum 180 Bergisches Land 85 Bergzabern 46, 272 Berka 22, 39 Berleburg 165, 218 Berlin 258 f., 268 f., 274, 286 f., 329, 331, 335, 338, 370, 372 f., 376, 383 Bern 44, 64, 67, 71, 155, 162, 176, 180 ff., 184, 381 Berne 298 Berwangen 212 Beuggen 269 Beutelsbach 70 Beyernaumburg 149 Biel 44 Big Valley, County 188 Blienschwiller 48 Bocholt 140 Bodok 185 Böhmen 25, 168 Böhmisch Krumau 49, 107 Bolivien 294, 316, 341, 375 Bolsward 53, 104 Bonn 240, 271 Bozen 50 Branchweilerhof 378 Bregenz 59 Brenkenhofswalde 272, 308, 310 Brixen 15, 36, 83, 169 Bröskerfelde 262, 362 Bruchsal 48
424
Anhang
Bruneck 50 Buchenwald 327 Buck, County 187 Bürgeln 264 C
Chasseral 381 Chicago 305 Chile 294 China 268, 319 Chortitza 190, 306, 308, 310 Christiansfeld 210 Conestoga 189 D
Dänemark 165, 176, 206, 210, 315, 337 Danzig 52, 151, 178 ff., 189 f., 194 ff., 199, 201, 206, 211, 215, 223 f., 228, 239 f., 244, 254, 256 f., 261 f., 274, 278, 286 f., 298, 307, 322, 327, 329, 331, 350, 363, 367, 371 ff., 377 Den Haag 52, 105 Deutsche Demokratische Republik 338 ff., 355 Deutschland 315 f., 318, 321, 324, 333 f., 337, 347 f. Deventer 216 Dierdorf 273 Döbeln 338 Donaumoos 188 f., 272, 378 Donnelson 189 Dordrecht 144, 153, 170, 177, 202 Düsseldorf 243 E
Eibenschitz 108, 116 Einlage 310 Eisenach 33, 39, 146 Eisleben 80 Elbing 178 f., 223, 228, 254–257, 259, 266, 281, 287, 297, 327, 350, 368, 371, 377 Elkart, County 302 Ellerwald 220, 255 f., 297, 368, 371
Elsass 49, 65, 107, 143 f., 175, 180, 183, 195, 202 ff., 244, 264, 288, 327, 381 Emden 12, 22, 51, 64 f., 93, 130, 156, 198, 206, 239 f., 243, 259, 275, 288, 331 ff., 377 Emmental 183 England 144, 176, 185, 206, 267, 303 f. Enkenbach 337 Ephrata 171, 189, 218 Eppstein 377 Erfurt 73, 94, 97 f., 138 Erlangen 146 Erlenbach 202 Ermland 178 Esens 22 Espelkamp 337 Essingen 153, 171, 204 f. Esslingen 20, 74, 78, 91, 94 Etzgerode 264 Etzleben 80
F
Falkenstein, Burg 67, 380 Fällanden 32 Fellbach 78 Ferdinand I., Erzherzog 45 Fernheim 315 Flandern 65, 130, 143 f., 247 Forsthof 378 Franeker 142 f. Franken 39, 44, 96, 161, 175 Frankenhausen 18, 35, 37, 39, 44, 138 Frankenstein 85 Frankenthal 65, 129, 139, 377 FrankfurtMain 12, 240, 284, 351, 372, 377 Frankreich 52, 139, 162, 203, 230, 267, 281, 288 ff., 354 Freiburg 47 Freistadt 40, 121 Frenkendorf 217 Fresenburg 54, 154
Ortsregister
Friedelsheim 232, 245, 252, 269, 278 f., 360 Friedrichroda 381 FriedrichstadtEider 165, 206, 228, 239, 273, 288 f., 362, 378 Friesenheim 97, 279 Friesland 52, 65, 104, 142 f., 199, 223, 277, 321, 324 Friesland, Kolonie 315 Fulda 69, 326 Fürfeld 48 G
Galizien 167 Garrett, County 188 Gelderland 105 Genf 52, 267 Germantown 187, 305 Gerolsheim 196, 249 Gerstungen 22 Ghana 268 Giebelstadt 292 Gießen 39 Gladbach 224 Glades, County 188 Glaucha 208 Gnadenfeld 221, 272, 310 Graubünden 44 Graudenz 268 Grenzach 85 Gronau 335 f. Groningen 105, 199, 230 Grönland 210, 224 Grüningen 37, 43 f., 140 Gutenberg 70, 81 H
Haarlem 100, 223, 232 Haftelhof 272 Haifa 264 Halberstadt 92 Halbstadt 317
Hall 33, 93 HalleSaale 29, 80, 93, 208, 338 Halstead 371 Hamburg 151 f., 197 f., 206 f., 210, 223 f., 229, 238, 259, 267 ff., 278, 299, 334, 350, 375, 378 Hannover 243 Hannover-Buchholz 336 Harbin 320 Heidelberg 48, 62, 154, 333 Heilbronn 75, 212 Heinbach 20 Heldrungen 27 Hellmannsberg 331 Heppenheim a. d. Wiese 249 Herda 22 Herrnhaag 210 Herrnhut 210, 219, 221 f. Hersfeld 87 Hessen 39, 58, 61, 63 f., 67, 90, 93, 111, 193, 200, 204, 264, 329, 363, 376 Heubuden 190, 196, 262, 270, 274, 287, 322, 365, 377 Hinwil 43 Hirslanden 32 Holdenstedt 89 Holland 179, 184, 196, 201, 204, 209, 212, 280, 321, 344, 370, 379 Holstein 54 Höngg 31, 33 Hongkong 268 Höningen 212 Hornbach 188 Hutterdorf 311 Hutterthal 311
I
Ibersheim 183, 229, 245, 248 f., 252, 278 f., 361, 377 f. Idstein 204 Iggelheim 270
425
426
Anhang
Illinois 188 f., 299 Indiana 188, 296, 298, 301 Indien 268 Ingolstadt 47, 167, 272 Innsbruck 15, 36, 50, 73, 168 f., 380 f. Iowa 188 f., 299 Italien 52 J
Jaffa 264 Java 188, 270 Jerusalem 47, 264 Jülich 104, 180 Jura 380 f. K
Kaiserslautern 227, 264 Kaiserswerth 268, 276 Kanada 188, 299, 304 f., 312, 315, 318 f., 334, 336 Kansas 188, 306, 312, 366, 370 f. Kappel 20 Karaganda 345 ff. Karlshuld 272 Karlsruhe 376 Kärnten 40, 186, 350, 359 Kasachstan 344, 346 f. Kassel 61, 282, 290, 371 Kaukasus 309 Kiel 50 Kiens 80, 84, 92 Kindenheim 261 Kirchheim 81, 83 Kirchheimbolanden 264 Kitchener 342 Kitzbühel 20, 59, 87 Klausen 36, 44, 93 Koblenz 204 Köln 54, 140, 142 ff. Königlich Preußen 41, 177 KönigsbergFranken 39, 119
KönigsbergOstpreußen 163, 180, 239 f., 254, 256 Konstantinopel 16, 95, 318 Konstanz 18 Kopenhagen 165 Kraichgau 175, 183, 196, 200, 212, 217, 244 f., 263, 380 f. Krefeld 156, 166 f., 183, 187, 193, 195, 197 ff., 206, 212, 218, 223 ff., 228 ff., 232, 239, 241, 243, 259 f., 276 f., 281, 284, 291, 306, 322, 331, 377 Kreuznach 73, 142 Kriegsheim 183 f., 206 Kühbörncheshof 249 Kulm 177, 180, 268 Kürnbach 81, 83
L
Lancaster, County 187 f., 295 f., 300–303, 305, 341 Landau 38, 46, 153, 204, 294 Lartenbach 83 Lee, County 188, 299 Leeuwarden 104, 198 Leiden 52, 223 Leimen 48 Leipzig 246 Lettland 318 Liebenrode 381 Liechtenstein 326 Linz 40 Lippstadt 104 Litauen 52, 171, 176 f., 180 Lörrach 78 Lothringen 264, 379 Lübeck 86 Luzern 58 M
Maastricht 335 Magdeburg 17, 29, 97
Ortsregister
Mähren 40, 46, 48 ff., 52, 62, 69, 71, 83, 89, 105–110, 139 f., 142, 168, 170, 175 f., 185, 224, 354, 376, 380 Mainburg 77 Mainz 17 Manitoba 312, 341 Mannheim 63, 153, 185, 196, 369 Marburg 39, 64, 204, 264 Margenau-Schönsee 308 Marienborn 213 Marienburg 177, 307 Marienburger Werder 179, 196 Marienwerder 307 Mark Brandenburg 176 Markgröningen 63 Markham 304 Markirch 202 Markushof 256 Maulbronn 110 Mehlingen 85, 264 Melitopol 311 Menno, Kolonie 315 Meran 35 Mexiko 315 f., 341 Mifflin, County 300 Minnesota 312 Mittelamerika 11, 210, 342 Mitteldeutschland 26, 37 ff. Modenbach 141 Molotchna 190, 272, 306 ff., 311, 317, 333 Mömpelgard 203 Monbijou 226 Monsheim 214, 226, 248, 251 f., 260 f., 274, 362, 377 Montgomery, County 187 Monzernheim 246, 249, 270 Moos 15, 381 Moskau 319 Mühlhausen 28, 35, 46, 130 Mülheim 212
München 167, 324 Münichau 20 Münster 13, 22, 41, 48, 52, 54, 61, 64, 73, 75, 98–105, 130, 137, 139 f., 146, 150, 152 ff., 166, 182, 223, 341, 350, 353 f., 367, 369 Münsterhof 264 Muschau 106
N
Nassau-Usingen 175 Nebraska 312 Neckargröningen 83 Neckarsteinach 74 Neuhoffnung 309 Neuland, Kolonie 315 Neumühl 107 Neustadt 264 NeustadtHaardt 142 NeustadtWeinstraße 225 f., 232, 378 Neustadtgödens 166 Neuwied 165, 180, 195 f., 204, 221, 225, 237, 240, 257, 264 f., 267, 271, 334, 337, 376 f. New Brunswick 342 Newton 366 Niagara Falls 296, 304 Nickel Mines 343 f. Niederlande 41, 50, 52, 65, 98, 102, 104, 118, 142–145, 155 f., 158, 160, 162, 165, 168, 171, 175 f., 178, 181–185, 193, 195, 198, 202, 204 ff., 210, 212, 216, 223 f., 228, 239, 244, 262, 267, 270, 272, 299, 305, 327, 335, 352, 354, 361, 365 ff., 379 Niederösterreich 40, 379 Niedersulz 379 Niedervintl 110 Nigeria 218 Nikolsburg 41, 44, 46 ff., 67, 106, 125, 127, 133, 380
427
428
Anhang
Nordamerika 11, 171, 175, 184 f., 187 f., 195, 204, 252, 264, 293 f., 296–299, 313, 315 f., 325 f., 337 f., 342, 351, 354, 358, 371, 373 f. Norden 210 f. Nürnberg 46 Nussloch 48, 82 O
Oberbiegelhof 282 Obergimpern 380 Oberingelheim 85 Oberlausitz 210 Obermoschel 38 f., 159 Oberösterreich 39, 45, 79, 107 Obersülzen 183 f., 249 Oberungarn 185, 187, 219 f., 369 Oberwinterthur 82 Odessa 306, 308 Offenthal 264 ff., 279 Öffingen 69 Offstein 228, 246, 249, 251 Ohio 188, 297–300, 341 Ohrloff 308, 317 Oldersum 22 Oldesloe 54, 366, 379 Ontario 188, 341 Orenburg 346 f. Orlofferfelde 198, 230, 234, 268 Österreich 39, 44, 58, 79, 168, 193, 288, 354 f. Ostfriesland 22, 51 f., 65 f., 151, 156, 166, 210 f., 231, 240, 242 f., 289, 333 Ostpreußen 180, 230, 266, 329, 334, 358 Ötisheim 110 P
Palästina 264 Paraguay 315, 318, 320, 322, 336 Paris 84, 282 Passau 48 Pennsylvania 171, 187 ff., 204, 206, 218, 294, 299 f., 303 ff., 313, 341, 343, 371
Pfalz 38, 48, 50, 65, 70, 85, 92, 143, 153, 159, 165, 175, 180, 183 f., 188, 196, 200, 202, 204, 206 ff., 212, 214, 216 f., 224, 227, 237, 244, 246, 249, 252, 261 f., 264, 268 ff., 272, 278, 288, 294 f., 299, 334, 358, 362 f., 370, 378 Pfeddersheim 62, 64, 228 Pforzheim 82 Philadelphia 187, 211 Pirmasens 171 Polen 52, 158, 161, 168, 178 f., 189 Pomerellen 177 Potsdam 171 Preußen 151, 163, 166, 168, 171, 175–178, 183, 185, 189 f., 194 f., 227 f., 230 f., 240, 243, 250, 256, 279, 283 ff., 287–290, 307 f., 330, 335, 370, 379 Preußen, Herzogtum 41, 54, 177 f. Preußisch-Litauen 166, 180, 230, 266 Prince Edward Island 342 Probfeld 378 Pustertal 15, 36, 44, 50, 110 R
Radičeva 187, 311 Radolfzell 138 Rakow 52, 161 Rappenau 261, 264, 362, 373 Rattenberg 45, 49, 58, 94, 381 Regensburg 22, 47, 67, 77, 267 Reichenau 73 Reinhardsbrunn 381 Rensefeld 86 Rheinfelden 59 Rheinhessen 200, 214, 228, 249, 269 f., 279 Rheinland 48, 111 Rheydt 224 Ried 378 Riesbach 32 Ritten 44
Ortsregister
Rockenstuhl 69 Rodlofferhuben 262 Rohrbach 85 Rosenort 377 Rostock 338 Rottenburg 41 Rotterdam 131 f., 162, 214 Rudersberg 62 Rumänien 240 Russland 175, 187, 189 f., 220, 237, 293 f., 306–310, 312, 315–318, 321, 324, 329, 333, 335 f., 341, 344 f., 359, 373, 379 S
Sabatisch 219 f. Sachsen 24, 29, 35, 47, 59, 95 Salm 203, 381 Samara 247 Sangerhausen 93 Sarepta 221 Sarnthein 79, 93 Saskatchewan 341 Schleitheim 20, 34, 41 f., 124, 133, 136, 140, 182, 356, 380 Schlesien 50, 321 Schlieren 135 Schönsee 379 Schorndorf 62, 81 Schriesheim 217 Schumanowka 319 Schwaben 48 Schwäbisch Hall 50 Schwarzenau 218 Schwaz 45, 59 Schweinfurt 175 Schweiz 10, 20, 29, 32, 38, 42, 55, 64 f., 74, 100, 110 f., 113, 137 ff., 144, 155, 158, 168, 175 f., 180–183, 185, 188, 193, 195, 202, 204, 217, 227, 252, 264, 355, 358, 365, 370, 380, 387 Schwerin 338
Schwetz 272 Schwyz 58, 80 f. Sembach 237, 246, 248 f., 252, 265, 274, 290, 377, 383 Shenandoah Valley 305 Sibirien 306, 319, 344 Siebenbürgen 155, 175 f., 185 ff., 359, 369 Siegerland 204 Silian 79 Simmental 202 Sinsheim 282 Solothurn 64 Sonceboz-Sombeval 381 South Dakota 312 f. Sowjetunion 316, 318 ff., 334, 344, 346, 348, 352, 359 Spahl 69 Speyer 57, 59, 225, 384 Spitalhof 212, 246, 270 Ssaranj 346 Stegen 50 Steiermark 40, 186 Steinach 91, 168 Steinbach 312 Steinselz 204 Sterzing 44, 79 Steyr 40, 82 St. Gallen 31 f., 37 f., 46, 73, 130, 145 f. St. Goarshausen 204, 265, 279 St. Lorenzen 15, 381 St. Michelsburg 44, 79, 94 Stockholm 50 St. Petersburg 376 Straßburg 22, 38, 48 f., 51 f., 63, 70 f., 75, 87, 91, 97 f., 116, 145, 159 f., 176, 240, 301 Struthof 327 Stuhm 307 Stuppacherhof 188 Stuttgart 63, 71, 149 f. Stutthof 327
429
430
Anhang
Südafrika 210, 268 Südamerika 11, 210, 294, 315, 342, 359 Südostasien 11 Sumatra 270 Süßbach 77 T
Tannewitz 106 Taufers, Schloss 67 Thiensdorf 201, 256, 377 Thiensdorf-Markushof 201 Thomashof 337 Thorn 178, 189 Thüringen 22, 35, 39, 44, 80 Tiegenhagen 249 Tirol 15 f., 35 f., 39, 44 f., 49 f., 58, 66, 79, 81, 84, 87, 105 ff., 354, 380 f. Triest 67, 380 Trippstadt 153 Tübingen 194, 240 ’t Zandt 105 U
Uetzing 96 Uffhofen 249, 270 Ukraine 317 Ulm 48, 75 Unterhaun 80 Unterstraß 32 Uruguay 315, 336 Usbekistan 309 Utrecht 160, 375 Uttenreuth 146 V
Vel’ké Leváre 186, 220 Vereinigte Staaten von Amerika 50, 188 f., 204, 252, 292, 295, 297 ff., 302, 304 f., 312, 315, 318 f., 332, 334, 336, 341, 343 f., 370 Virginia 305 Visschersweert 375 Volendam, Kolonie 315
W
Waiblingen 70 Waldhouse 379 Waldshut 31, 47 f., 130, 138 Walkersbach 380 Walldorf 48 Wartburg 24, 87, 95 Waterland 65, 142, 144, 183, 194, 198 Waterloo 304, 342 Wayne, County 300 Weierhof 13, 188, 197, 212, 217, 245 f., 248, 251 f., 260 f., 263, 269, 275, 281 f., 299, 328 f., 334, 363, 370, 377 f. Welsberg 50 Westfalen 52, 98, 105 Westhofen 91 West Point 299 Westpreußen 143, 180, 190, 196 f., 199, 201, 220 f., 228, 230 f., 234, 244, 247 f., 254, 259, 261 f., 266 f., 269 f., 284–287, 306, 311, 315, 327, 329 ff., 334, 337, 358, 377 ff. Wien 16, 32, 40 f., 48 f., 57, 59, 81, 84, 155, 242, 354, 381 Wiesbaden 226 Wiesloch 246 Willowitz 108 Winnipeg 312 Wirdum 22 Wischenky 187, 199, 220 f. Wismar 64, 138, 140 Witarsum 362 Witikon 32 Witmarsum 53, 360, 379 Wittenberg 17 f., 24, 44, 59, 84, 95, 379 Wolgograd 221 Worms 38, 46, 48, 64, 82, 91, 183, 206, 228, 245, 361, 379
Ortsregister
Württemberg 38, 49, 61 f., 67, 69, 71, 79, 81, 86, 102, 109 f., 149, 176, 180, 203, 217, 264, 268, 279, 288, 309, 313 Würzburg 175, 292 Wüstenfelde 172, 379 Y
Ysenburg-Büdingen 210, 218 Z
Zeist 210 Zellwiller 203 Ziegenhain 74 Znaim 107 Zofingen 64 Zollikon 32, 37 Zumingen 34 Zürich 9, 18, 20, 22 f., 25, 29–34, 36–39, 41, 43 f., 48, 55–59, 63 f., 66 f., 77, 83, 91, 126, 130, 135, 156, 180 f., 352, 355 f., 367, 380 Zweibrück 358 Zweibrücken 188, 204, 224, 226, 264, 266, 272 Zwickau 24 f., 29, 95 f., 352
431
Theologie | Geschichte
Die Täufer sind neben den Lutheranern und den Reformierten die dritte große Strömung innerhalb der Reformationsbewegung des 16. Jahrhunderts. Sie zeichneten sich von Beginn an durch große Diversität aus, teilten jedoch einige zentrale Glaubensvorstellungen, derentwegen sie rasch unter Verfolgung gerieten: etwa Wehrlosigkeit, Eidesverweigerung und die Trennung von „Staat“ und Kirche. Das Buch stellt die Entwicklung der ersten Täufer und der aus ihnen hervorgegangenen Mennoniten, Hutterer und Amischen vor. Phasen der Traditionalisierung und der Absonderung wechselten mit Phasen der Erneuerung und der Öffnung. Die Vielfalt ihrer Lebensweisen und ihrer Differenzierungen in den Glaubenslehren blieb stets charakteristisch für die Täufer, deren wechselvolle Geschichte auf dem aktuellen Forschungsstand hier neu erzählt wird.
Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.
ISBN 978-3-8252-5336-3
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