132 13 6MB
German Pages [325] Year 2021
Tsingtau. Eine deutsche Kolonialstadt in China (1897–1914)
Helga Rathjen
ETHNOGRAPHIE DES ALLTAGS, BAND 8 Für das Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien herausgegeben von Brigitta Schmidt-Lauber und Alexa Färber
TSINGTAU. EINE DEUTSCHE KOLONIALSTADT IN CHINA (1897–1914)
Helga Rathjen
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Die vorliegende Arbeit wurde 2020 durch den Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen unter dem Titel „Hygiene-Utopie Tsingtau. Selbst- und Fremdrepräsentation in einer kolonialen Stadt“ als Dissertation approbiert. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Panorama von Tsingtau: BArch, Bild 137-035-494/o.Angabe © 2021 Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H & Co. KG, Zeltgasse 1/6a | A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Chris Zintzen, Wien Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien
ISBN 978-3-205-21266-9
Für Karla und Alexander
INHALT
EINLEITUNG 1.
11
COLONIALISM TAKES PLACE: KOLONIALE ORDNUNGEN UND ANORDNUNGEN 23
1.1 „Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert 1.1.2 Die Konstruktion von ‚Landschaft‘ 1.1.3 Land zu Ware: Die Überschreibung des chinesischen Raumes
23 37
46
1.2 „ein gleichsam vom Himmel herabgefallenes Stück Deutschland“: Selbstrepräsentation in der Europäerstadt 1.2.1 Die Erfindung des Zentrums: Die Konstruktion der Europäerstadt 1.2.2 Raumbilder – Traumbilder
55 70
1.3 „gewissermaßen eine dauernde Ausstellung für deutsche Leistungen“: Qingdao als Musterkoffer der Moderne 1.3.1 Qingdao als Utopie 1.3.2 Musterkoffer und Weltausstellung 1.3.3 Chinas Lehrmeister
89 89 94 98
2.
DIE STADT DER ANDEREN: DIE KONSTITUIERUNG DER CHINESENSTADT
2.1 Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt 2.1.1 Grenzziehungen durch Exklusion 2.1.2 Konstruktion der Peripherie 2.1.3 Eine Welt ohne Zwischenräume
53
103 104 105 109 113
7
2.2 Hybride Räume 2.2.1 Umstrittene Räume: Das Liyuan 2.2.2 Poröse Grenzen – liminale Zonen
3.
DER CHINESE ALS HYGIENISCHES PROBLEM: DIE KONSTRUKTION EINER DISKURSFIGUR
120 122 130
139
3.1 Die Medikalisierung des chinesischen Raumes 3.1.1 Schmutz. Die Genese einer diskursiven Figur 3.1.2 „landscapes of fear“ 3.1.3 Der Schmutz des Anderen 3.1.4 Diskurse der Problematisierung
140 143 145 147 150
3.2 „Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt 3.2.1 „homo hygienicus“ im Spiegel des Anderen 3.2.2 Im tödlichen Gestank der Städte: Die Hygienebewegung in Europa 3.2.3 Die Hygienisierung von Tsingtau
154 154
157 160
3.3 Die diskursive Konstruktion des Chinesen 3.3.1 Der Topos der „Rasse“ 3.3.2 Der Körper des Chinesen 3.3.3 Die Medikalisierung der Armen 3.3.4 Der Topos der „Rückständigkeit“
166 166 169 172 175
3.4 Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung 3.4.1 Die „Chinesenordnung“ 3.4.2 Rikschakulis und Prostituierte
180 180 187
4.
GESUND UND KRANK IN QINGDAO
4.1 Die medikale Geographie des Infektionsraums 4.1.1 Krankheit als kulturelles Konstrukt 4.1.2 Gesund und krank in Qingdao 4.1.3 Chinesische Indolenz: Der chinesische Körper als umstrittenes Feld
195 196 197 211
223
4.2 „Verpestet“: Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911 239 4.2.1 „… von allen Seiten auf Tsingtau zu“: Raumimaginationen 241 4.2.2 Die Geographie des verpesteten Raumes 250
8
Inhalt
4.2.3 Absperren – Aussperren – Einsperren: Die Konstruktion des wehrhaften Ortes 4.2.4 „Der Chinese scheut die Quarantäne und bleibt deshalb den abgesperrten Plätzen fern“ 4.2.5 Die Pest ist ein Netzwerk
259 267 275
5.
SCHLUSS
285
QUELLEN I – UNARCHIVIERTE QUELLEN
295
QUELLEN II – ZEITGENÖSSISCHE SCHRIFTEN AUS UND ÜBER TSINGTAU
299
LITERATURVERZEICHNIS
304
Inhalt
9
EINLEITUNG Um die Raumsicht des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren ist es nötig, immer wieder unsere heutigen Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen (Osterhammel 2013:143).
Was machen ein Grenzstein, ein Gullydeckel, eine Kanalröhre made in Germany in einem Museum für Stadtgeschichte in China? Es sind Museumsobjekte, museal unter Glas aufgebahrt, also sollen sie die Stadt repräsentieren (Abbildung 1). Was repräsentieren sie? Diese Frage begleitete mich auf meinen Wegen durch die historische Altstadt von Qingdao, der Stadt, die in dem vom Deutschen Reich okkupierten Pachtgebiet Kiautschou (1887–1914) in der chinesischen Provinz Shandong gegründet wurde. Ich war unterwegs auf der Suche nach einem Schlüssel zu einer Dissertation über die Kolonialbeziehungen zwischen Deutschen und Chinesen. Meine erste Unterkunft lag mitten in der alten deutschen Stadt Tsingtau, in der
Kanalröhre und Gullydeckel im Stadtmuseum Qingdao. (Foto: Lutz Drosdowsky)
Einleitung
11
es bis heute so irritierend deutsch aussieht wie in Göttingen oder Darmstadt. Ich bin schnell eingetaucht in diesen Raum voller Spuren. Erst später wurde mir klar, dass ich mir mein Thema ‚erwandert‘ habe: als Flaneurin, die begonnen hatte, in der Symbolik der Stadt zu lesen und Fragen zu formulieren. Die deut schen Gullydeckel und Zementröhren, die Grenzsteine waren die Zeichen, die mich leiteten. Ich beschloss, dass meine Recherchen von hier ausgehen sollten, von der gebauten Stadt, ihrer Anlage und ihrer Erscheinung. Denn was ich in der hochsymbolischen Choreographie dieser Stadt fand, war die Inszenierung eines eingezäunten Utopia des ‚Deutschtums‘ und der Moder nisierung inmitten eines Durcheinanders von Krieg (die sogenannten „Boxer unruhen“), sozialer Transformation und Transkulturalität in einem China des politischen und sozialen Umbruchs. Qingdao wurde nach einem Masterplan angelegt und gebaut als urbanes Zentrum einer winzig kleinen Kolonie so groß wie die Fläche von Hamburg für gerade einmal 5000 ‚Weiße‘ und 53.000 chi nesische Wanderarbeiter: eine Europäerstadt Tsingtau und eine Chinesenstadt. Ich setze Wörter wie diese kursiv, um graphisch zu verdeutlichen, dass es sich um diskursive Topoi handelt, das heißt, um Begriffe, die nicht deskriptiv, son dern als semiotische Zeichen zu verstehen sind und die ich als solche zitiere. So steht die Europäerstadt für die offene Stadt des internationalen (europäischen) Freihandels, wird aber als Synonym gebraucht für die Stadt der Weißen (die se Bezeichnung wird aus diplomatischen Gründen verschwiegen) und reprä sentiert eine Stadt des Deutschtums und der Privilegierung einer deutschen Kolonialelite, in der eine Ansiedlung für Chinesen bis 1912 verboten war. Die als Chinesenstadt kodierten Viertel sind von Tsingtau unterschieden; das einge deutschte Tsingtau wird im zeitgenössischen Sprachgebrauch als Synonym für diese „deutsche“ Stadt verwendet. Die Zweiteilung bildet die Grundstruktur der Inklusion und Exklusion in Qingdao.1 Diese dichotome Grundstruktur wird untermauert durch die Ord nungsmerkmale Sauberkeit/Gesundheit/Modernität und ihren komplementären Gegenpol Schmutz/Krankheit/Rückständigkeit, die in der stereotypen Selbst zuschreibung „der saubersten und gesündesten Stadt an der gesamten ostasi atischen Küste“ und der „Musterstadt der Moderne“ symbolisiert sind. Solche diskursiven Konstrukte der Selbstrepräsentation auf dem Hintergrund biome dizinischer Ordnungsvorstellungen des 19. Jahrhunderts erfüllen ihre Funkti on nicht nur für die Selbstkonstruktion, sondern auch in der Markierung des chinesischen Anderen. Damit werden sie maßgeblich für die biomedizinisch 1
12
Mit ‚Qingdao‘ – dem offiziellen Namen der heutigen chinesischen Großstadt – be zeichne ich hier die Gesamtheit der kolonialen Stadt, um deutlich zu machen, dass sie trotz der Segregation eine soziale Einheit bildete.
Einleitung
begründete Ethnisierung des kolonisierten Raumes und für die Regulierung von Zugehörigkeit und Ausschluss. Andererseits sind sie „handlungsleitende Fiktion“ (Stolberg-Rilinger 2005:14), die das Imaginäre von Macht und Herrschaft mit einer Aura von Notwendigkeit und einem hegemonialen Gestus zu verdecken suchen. Die Produktion eines urbanen Raumes der Inklusion und Exklusion ist von großer Aktualität und Bedeutung für die soziale Entwicklung der urbanen Agglomerate des 21. Jahrhunderts und eine zentrale Frage für Stadtplanung und Stadtentwicklung. Ethnonationalismus ist ein Schlüsselproblem in der Gestaltung des städtischen Lebens von heute, da er den Zugang zu den materiellen, kulturellen und symbolischen Ressourcen der Stadt kontrolliert. Der israelische Stadtplanungstheoretiker Oren Yiftachel führt die ethnische Dichotomisierung auf die historischen Kolonialstädte zurück und sieht in ihr das Wirken der „urban ethnocracy“, d.h. der ethnischen Gruppe, die den städtischen Apparat für ihre Vorherrschaft über andere ethnische Einwohnergruppen monopolisiert. Qingdao ist ein Fallbeispiel unter den vielen anderen Kolonialstädten, die an den Küstenlinien aller Kontinente emporwuchsen und die Grenzlinien ethnisierter Spaltung bis in die postkolonialen urbanen Migrationsgesellschaften hineinschrieben. In such settings, conspicuous tensions accompany the interaction between the city’s economic and ethnoterritorial logics, producing sites of conflict and instability, and essentializing group identities and ethnic geographies (Yiftachel 2003:673).
Qingdao wurde nach deutscher und japanischer Besetzung wieder in das chinesische Staatsgebiet eingegliedert. Aber selbst hier hat sich das koloniale Regime der Spaltung in die Stadt eingeschrieben. Der Rückblick auf die Geschichte der Stadtgründung bietet die Gelegenheit, exemplarisch die Genese einer solchen ethnisierten Stadtgeographie „ab urbe condita“ zu verfolgen. Meine Studie soll das koloniale Gebilde „Tsingtau“ lesbar machen als Konstrukt deutscher Selbstrepräsentation, das heißt, als ein komplexes Gewebe von Wirklichkeits-, Ordnungs- und Sinnkonstruktionen, von Projektionen und Identifikationen, die auf der komplementären Konstruktion des Anderen beruhen. Darin ist die kulturelle Sinnstiftung unauflöslich verquickt mit der Legitimierung, Durchsetzung und Verschleierung handfester materieller Privilegien und Machtinteressen. Die Ethnisierung dieses Gebildes bringt umstrittene Räume hervor. Es ist ein Kampf um Souveränität bzw. um kulturelle Selbstbestimmung und Identität, der Grenzziehungen herausfordert und unterläuft und der in Kontaktzonen und Gegenräumen des Widerstandes und der Verweigerung ausgetragen wird.
Einleitung
13
Um dieses Gebilde zu analysieren, möchte ich den Gründungsmythos dekonstruieren und auf seine Bedeutung für den Prozess kolonialer Raumkonstituierung untersuchen. In einer Querschnittanalyse fokussiere ich die Gründungsphase, in der die grundlegenden Prozesse der Aneignung, Anordnung und Platzierung ablaufen. Wie und warum die Diskursstränge ‚Gesundheit/ Krankheit‘ und ‚Hygiene‘ zusammen mit dem Modernisierungsdiskurs für die symbolische Aufladung der Räume wichtig sind, möchte ich im historischen Längsschnitt analysieren und die Wurzeln und Bedeutungen der Diskurse in der Geschichte der europäisch-deutschen Urbanisierung freilegen. Biomedizinische Diskurse sind geprägt durch naturwissenschaftliche Denkweisen und Methoden. Sie beanspruchen soziale Deutungsmacht und mit der Konstruktion medikaler – durch diese Deutungsmacht definierte – Räume auch Handlungsfelder biopolitischer Intervention. Wie das in Qingdao geschieht, ist Gegenstand einer weiteren Querschnittanalyse. Sie untersucht die Frage, wie biomedizinische Gesundheits- und Krankheitskonstrukte bipolare medikale Raumbilder erzeugen. Solche Raumbilder unterstützen die dichotomen Raumkonstrukte und werden handlungsleitend für das Hygieneregime in der Stadt. Diese Querschnittsuntersuchungen teilen meine Arbeit in zwei thematische Blöcke: Teil 1 der dieser Studie untersucht die Grenzziehungen und die Selbst- und Fremdrepräsentation in den stadtplanerischen Anordnungen und der architektonischen Gestaltung der deutschen Neugründung. Während die deutsche Stadt als Zentrum des kolonialen Konstrukts gebaut und markiert wird, entstehen die chinesischen Viertel als Peripherie. Die Gestaltung beider Einheiten ist kontrapunktisch aufeinander bezogen und stellt die ethnisierte Dichotomie her, die der symbolischen Ordnung zugrunde liegt. Ich stütze mich für die Analyse auf die „theoretische Vorstellung, wie Räume entstehen und reproduziert werden“ (op.cit:13), die Martina Löw in ihrer „Raumtheorie“ (2001) entwickelt hat. ‚Raum‘ benennt „Gebilde […], die sich durch die Verknüpfung verschiedener sozialer Güter bzw. Menschen miteinander herausbilden und die als solche Handeln strukturieren“ (Löw 2001:12). In der Verknüpfung entstehen sinnhafte und sinnstiftende Ensembles, in denen sich die symbolische Ordnung abbildet: Welche für die Kolonisatoren bedeutungsvollen Ensembles und Beziehungen zwischen sozialen Gruppen werden in der Neugründung hergestellt? Wie eignen sich die Akteure Raum an, welche Überschreibungen, Anordnungen, Grenzziehungen und Ausschlüsse nehmen sie vor, welche Regeln etablieren die symbolische Ordnung und wo und wie entstehen „Gegenräume“? Kapitel 1 geht diesen Fragen in der Rekonstruktion des „deutschen“ Raumes Tsingtau nach und sucht im Entwurf der Stadtanlage und der architektonischen Gestaltung nach Zeichen für die symbolische Ordnung: nach nationalen und bürgerlichen Identitätskonstruktionen sowie nach Strategien der Differenzkonstruktion im gebauten Ort. Kapitel 2 rekonstruiert in der Chine-
14
Einleitung
senstadt die Bausteine des „Othering“: der Markierung des Anderen als „anders“ und damit als nicht zugehörig. Die Chinesenstadt ist als Machtraum der Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung der chinesischen Bevölkerung konzipiert; tatsächlich ist dieser Raum der Ausgrenzung umstritten und umkämpft. Grenzen sind durchlässig, werden unterlaufen und ignoriert. Zonen des Kontakts zwischen Chinesen und Deutschen im chinesischen Viertel von Dabaodao entstehen. Neben hybriden Räumen des kolonialen Begehrens entstehen Gegenräume des Widerstands und der Verweigerung durch die Kolonisierten, die die Machträume anfechten und hegemoniale Allmachtsphantasien konterkarieren. Im Herrschaftsdiskurs sind sie die verschwiegenen und verleugneten Räume, die es hier sichtbar zu machen gilt. Poröse Grenzen gefährden die symbolische Ordnung der Exklusion: Dies verlangt nach stärkeren Zeichen der Grenzziehung. Als imaginäre Konstrukte sind Grenzen nur erkennbar durch Unterscheidung von Hier und Dort; deshalb ist die Herstellung sichtbarer Differenz ein Prozess, der unmittelbar an der Konstituierung der Räume von Inklusion und Exklusion beteiligt ist. Diesem Prozess gilt die Leitfrage des zweiten Teils meiner Studie: Warum, wie und mit welchen Folgen werden Räume und Menschen als anders stigmatisiert und daraufhin einem stigmatisierten Draußen zugewiesen? In der Verflechtung der Diskursstränge Reinlichkeit-Gesundheit-Sicherheit versus Schmutz-KrankheitKontamination wird eine Kausalkette konstruiert, die dem Chinesen Differenz unmittelbar in den Körper und auf die Haut schreibt. Diese Stränge werden in der Studie entflochten und problematisiert. Kapitel 3 untersucht die Konstruktion ethnisierter und rassisierter Differenz. Der Topos der hygienischen deutschen Musterstadt und die Diskursfigur vom schmutzigen Chinesen sind Konstrukte der Selbst- und der Fremdrepräsentation. Ich analysiere sie als Strategien der bürgerlichen und nationalen Identitätsbildung und Selbstvergewisserung gegenüber einer chinesischen Mehrheit, die scheinbar der absoluten deutschen Kontrollmacht unterworfen ist. Diskurse der Stigmatisierung und Ausgrenzung treten aggressiv auf und haben zugleich defensive Funktionen der Verteidigung von Selbstbildern und handfesten Kolonialprivilegien. Diese Funktionen werden besonders deutlich in Krisensituationen, die von übertragbaren Krankheiten ausgehen. Da ist vor allem die Angst vor Cholera und Typhus, und die wird besonders krisenhaft erlebt, als 1911 eine Pestpandemie in Nordchina ausbricht. In Kapitel 4 beschreibe ich, wie das biomedizinische Konstrukt von Krankheit/Gesundheit Räume der Angst schafft und für Strategien der Kontrolle durch biomedizinische Prävention nutzt. In der Abwehr der Pestpandemie 1911 bildet sich dieser Fragenkomplex besonders deutlich ab. Die Geschichtsschreibung über Qingdao ist in einem größeren Kontext zu sehen. In der Rezeption und Repräsentation deutscher und europäischer Kolo-
Einleitung
15
nialgeschichte in China und anderswo in der Welt dominierte lange das Bild eines rückständigen, reformunfähigen und korrupten kaiserlichen China, das dem Ansturm des modernen Imperialismus des Westens nichts mehr entgegen zu setzen hatte; deshalb sei es einer semikolonialen Fremdherrschaft ausgeliefert gewesen, auf die es nur mit xenophobischer Ablehnung der ‚fremden Teufel‘ (so ein gängiger westlicher Topos) reagieren konnte. Die deutsche Intervention erschien darin als befreiende Modernisierungsmission. Dieses Bild fügt sich ein in ein europäisches Großnarrativ, das in der gemeinsamen europäischen Aufklärungs- und Modernisierungsgeschichte entstanden ist. Es erzählt von der „zivilisatorischen Überlegenheit“ Europas und der „Rückständigkeit“ im „Rest der Welt“ und verbrämt damit die hegemonialen Ansprüche auf diesen „Rest“ als „Zivilisierungsmission“. Die Prägung durch den Modernisierungsdiskurs hat ihre Spuren in der populären Darstellung Tsingtaus und in der wissenschaftlichen Repräsentation der Stadtgeschichte bis in die jüngere Vergangenheit hinterlassen2. Demgegenüber ist die Kolonialhistoriographie immer deutlicher bestimmt von einer globalen Geschichtsperspektive, die die historischen Wurzeln gegenwärtiger Globalisierungsprozesse besonders in den imperialistischen und kolonialen Prozesse und Einzelgeschichten der europäischen Herrschaftsgebiete des 19. Jahrhunderts aufsucht und als vielfältig miteinander verbundene Entwicklung globaler Integration und auch Uniformierung interpretiert. Dies zeigt sich nicht nur im kulturwissenschaftlichen Fokus auf die Entstehung globaler Mobilitätsstrukturen technologischer und sozialer Art, d.h. besonders in den kolonial bedingten Migrationsbewegungen, sondern auch in der Herausbildung von Bürokratisierungs- und Zentralisierungsprozessen im staatlichen Handeln sowohl in den Metropolen wie im kolonialen Erbe der Nationalstaaten in der einstigen ‚Peripherie‘. Für Qingdao wird dies anschaulich in der biomedizinischen Konstruktion von Krankheit allgemein sowie „Eingeborenenkrankheiten“ und biopolitischer Intervention, die nicht nur parallel in allen deutschen, sondern auch in anderen europäischen Kolonien entwickelt wird. 2
16
Biener (2001) hat in ihrer sehr detailreichen Dissertation die Dichotomie von (chinesischer) Rückständigkeit („Tradition“) versus (deutscher) Fortschrittlichkeit nachgerade zum binären Strukturprinzip ihrer Darstellung erhoben; Studien zur Allgemein- und Alltagsgeschichte der Kolonie (Stichler 1989; Hinz/Hiery 1998 in einem Katalogband zur Ausstellung „100 Jahre Tsingtau“, Klein/Knirsch 1998; Matzat 1998b, 2000, 2001; Heise 2005) und Monographien zu Missionen (Gründer 1982 und 2004; Rivinius 1998; Gerber 2002), zu Stadtanlage, Architektur und Bodenrecht (Artelt 1984; Matzat 1985, 1998a; Friedrich 1992; Warner 1994, 1996; Lind 1998a, 1998b; Hennings 2005; Kaster 2009), zum Gesundheitswesen (Eckart 1989, 1997; Helm1994) bzw. zur Pest in Nordchina (Fahnemann 2008) bewegen sich mehr oder weniger dezidiert im Rahmen des Modernisierungsnarrativs.
Einleitung
Die gemeinsame Basis ist eine biomedizinische Wissensordnung, die sich als Ergebnis von akademischern Vernetzungen und schnellerer Kommunikationsmedien in Europa herausbildet. Sie legt die Grundlagen für eine biopolitische Bevölkerungskontrolle und -disziplinierung dort und in den Kolonien.3 Die global- und verflechtungsgeschichtlich begründete Neue Kolonialgeschichte wird in Deutschland prominent vertreten durch Jürgen Osterhammel, Sebastian Conrad, Jürgen Zimmerer, Rebekka Habermas, Andreas Eckert und andere. Sie haben neue Fragestellungen und Forschungsfelder entwickelt: So beispielsweise die Rückwirkungen kolonialer Prozesse auf das Deutsche Reich, postkoloniale Erinnerungskulturen oder die Verantwortung aus einer gemeinsamen postkolonialen Gegenwart, etwa für die Restitution von Kulturgütern oder für Reparationsverpflichtungen. Dieser Perspektivwechsel in der Historiographie seit den 1990er-Jahren macht es möglich, Kolonialgeschichte nicht mehr als eindimensionale Herrschaftsbeziehung der Metropolen über die Peripherien zu definieren, sondern die komplexen Wechselbeziehungen in der Entstehung dramatisch asymmetrischer, aber dennoch unauflösbar verknüpfter gemeinsamer Strukturen zu erkennen und die Verantwortung im Hinblick auf eine gemeinsame Geschichte zu erkennen und anzuerkennen. Die Abkehr von den eorpäischen Modernisierungsnarrativen geht auf eine Öffnung der Geschichtswissenschaft – wie auch der anderen sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen – für die Fragestellungen der postkolonialen Theorie zurück. Sie hat der hegemonialen Perspektive auf die ehemaligen Kolonien als Opfer westlicher Allmacht neue Perspektiven für die Analyse von Kolonisierung gegenübergestellt, insbesondere für die auf (rassistischen) Dichotomien beruhenden kolonialen Ordnungen (Said), die in Verfahren kultureller Repräsentation („Othering“) hergestellt werden (Bhabha, Spivak) und die Frage kolonialer „agency“ neu formuliert und damit die Handlungsmacht der Kolonisierten zum Thema gemacht. Auch das Grundlagenwerk des Sinologen Klaus Mühlhahn (2000) zur Machtgeschichte der „Musterkolonie Kiautschou“ betrachtet seinen Forschungsgegenstand aus postkolonialer Perspektive. Auf der Basis der Forschungen des Ostasiatischen Seminars der Freien Universität Berlin4 hat Mühlhahn die historischen Beziehungen zwischen China und Deutschland als Interaktionen im Kampf um Souveränität und Macht beschrieben und der hegemonialen Selbstrepräsentation eine kritische Sicht entgegengesetzt. Die Herausgabe 3 4
Vgl. z.B. Ali 2009, Ames 2005, Arnoldsen 1988 und 1999, Bauche 2017, Besser 2013, Cheng 2010, Conrad/Osterhammel 2004 und 2006, Eckart 1997, Gandy 2014. Gradmann 2005, Macleod 1988, Inhorn 2010, Rogaski 2014, Weindling 1989 und 1997. Kuo: 1986, 1987; Kuo/Leutner: 1987, 1991, 1994; Leutner/Mühlhahn: 1999; Leutner/ Mühlhahn 2001; Leutner/Steen: 2006; Mühlhahn 1998, 2000, 2005.
Einleitung
17
chinesischer Quellen in deutscher Übersetzung (Leutner/ Mühlhahn:1999) erleichtert den Zugang zu Informationen und Quellen, die die Rolle und Praktiken bzw. Strategien der chinesischen Akteure in diesen Interaktionen erschließen. Dafür schlagen auch die deutsch- und englischsprachigen Forschungen chinesischer Autoren seit Anfang der 2000er-Jahre eine Brücke zur chinesischen Sicht, obwohl auch hier oft eine identifikatorische Wiedergabe des historischen Modernisierungsnarrativs zu beobachten ist.5 Eine multiperspektivische Sicht auf die Kolonie erlauben auch die Studien von George Steinmetz (2002; 2007), der die Kolonialpolitik in Qingdao unter dem Aspekt symbolischer Kapitalbildung nach Bourdieu untersucht und die unterschiedlichen, auch konflikthaften deutsche Distinktionsstrategien gegenüber den Chinesen beschreibt. Sie verdeutlichen, welchen Einfluss Symbolpolitik auf die politischen Handlungen und Ereignisse ausübt. Noch deutlicher wird dies in einer Studie der Semiotikerin Lydia Liu (2004), deren Studie „The Invention of China in Modern World Making“ zeigt, welche Bedeutung und Tragweite das Ringen um Deutungshoheit und symbolische Repräsentation für die imperialistische Durchdringung der Welt hatte (und hat). Zur Erhebung und Interpretation meines Forschungsmaterials arbeite ich mit Methoden der Raum- und Diskursanalyse. Die Kombination dieser auf fachspezifische theoretische Konzepte zurückgehenden Methoden nutze ich zur Triangulation im Sinne eines multiperspektivischen Zugangs zu meinem Material. Raumtheoretisch ausgerichtete interdisziplinäre Forschungsansätze stellen methodische Werkzeuge für das Verstehen und Interpretieren von Raumanordnung und -reproduktion bereit. Die verschiedenen Raumtheorien gehen auf den „spatial turn“ zurück, der als wissenschaftliches Paradigma zuerst Eingang in die Kulturwissenschaften, die Ethnologie, die Literaturwissenschaften, die Sozialwissenschaften und die Architektur und Stadtplanung, schließlich auch in die Geographie und die Geschichtswissenschaft gefunden hat. Auch in a priori interdisziplinären Forschungsfeldern wie der Gender-Forschung, dem „Stadtraum“ der „urban studies“ und der „urban semiotics“, dem weiten Feld der Umweltforschung, in das auch die Naturwissenschaften und Technikwissenschaften involviert sind, ist der Raumbegriff zu einer zentralen Analysekategorie geworden, sodass unterschiedlich starke Impulse aus sehr vielen 5
18
Zhan Erpeng 2002; Liu Chong 2006; Lu Chuancheng, Gong Shengqi 2008; Wang Jianan 2013; Deng Ri 2013; zum Gesundheitswesen bzw. zur Pest 1911 (Fong Honam 2006; Gamsa 2006; Hu Cheng 2010); zum kolonialen deutschen Chinabild (Liu Jing 2003); zu den deutsch-chinesische Beziehungen in Qingdao (Huang Futhe 1999; Liu Weiqian 2004, 2007; Kim Chun-Shik 2004).
Einleitung
akademischen Disziplinen in die Raumtheorie eingeflossen sind und das Methodenspektrum stark erweitert haben. Wie ich diese Methoden einsetze, stelle ich im Detail im je konkreten Kontext meiner Forschungsfragen dar. Raum ist eine relationale Kategorie, über die sich Beziehungen und Verknüpfungen sichtbar machen lassen. Die Anordnung von sozialen Gütern und Akteuren im kolonisierten Raum organisieren die Beziehungen polarisierter Dichotomie und strukturieren so soziales Handeln, das wiederum Räume (re-) produziert – auch „Gegenräume“. Die Anordnungen werfen Fragen auf nach Grenzziehung und Grenzverschiebung, Grenzsicherung und Grenzüberschreitung, nach den Zuständen in liminalen Bereichen und Kontaktzonen. An diesen Punkten sind Raumfragen unmittelbar mit Diskursen verschränkt. Eine detaillierte Untersuchung der Sauberkeits-, Hygiene- und Gesundheits- bzw. Krankheitsdiskurse in Qingdao werde ich mit den Fragestellungen und Methoden der historischen Diskursanalyse vornehmen (siehe Landwehr 2003, 2010; Sarasin 2003; Eder 2006; Martschukat 2002). Dort wird mit einem erweiterten Diskursbegriff gearbeitet, der nicht nur sprachförmige diskursive Aussagenkomplexe, sondern im Anschluss an Foucault auch das zugehörige Dispositiv – also institutionelle und architektonische Systeme und symbolisch bedeutsame soziale Praktiken – in die Analyse einbezieht. Analysiert werden Formationsregeln und innere Diskursstrukturen. Daraus sollen Diskursstränge rekonstruiert und Interpretationen diskursiver Praktiken sowie Funktionsweisen des Dispositivs entwickelt werden. Meine Forschung basiert wesentlich auf textuellen und auf visuellen Quellen, auf Kartographie und Photographie, die ich als kulturelle „Texte“ untersuche. Alle diese Quellen unterziehe ich im hermeneutischen Verfahren einer interpretativen Analyse. Dabei gelten für die historische Rekonstruktion der Diskurse besondere Bedingungen: Das Feld der Forschung ist nicht mehr direkt zugänglich und die Vielstimmigkeit des Diskurses ist häufig genug unter einer Quellenlage begraben, die die subalternen Stimmen ausgelöscht und nur die hegemonialen Stimmen – weiß, männlich, bürgerlich und in meinem Fall explizit überwiegend Teil des Herrschaftsapparats – archiviert hat. Das verleitet zu einer distanzlosen Identifikation mit den deutschen Akteuren in Qingdao und einem Blick aus deutschnationaler Kolonialperspektive auf die chinesischen Akteure. Texte müssen zwar zunächst in ihrem manifesten Sinn verstanden werden, dann „gegen den Strich“ gelesen und analysiert werden. „Sprache“ ist nicht einfach ein Medium, das Wirklichkeit abbildet; Sprachakte produzieren Wirklichkeit in einem konkreten historischen und sozialen Zusammenhang. Als Repräsentationen von Ereignissen und Verhältnissen im Rahmen kulturell geprägter Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster steuern sie die Konstruktion von Wirklichkeit. Gekoppelt mit dem Faktor Macht entschei-
Einleitung
19
den sie über Zulassung oder den Ausschluss möglicher – sagbarer – Wirklichkeit. Diesen Konstrukten gilt es mit den Methoden der Diskursanalyse auf den Grund zu kommen, ich werde sie im Rahmen konkreter Fragestellungen im einzelnen explizieren. Das Zusammentreffen verschiedener Diskursstränge und Spezialdiskurse in der diskursiven Figur des Chinesen steht im Mittelpunkt meiner Diskursanalyse. Diskurse werden multivokal geführt und sind inkonsistent und widersprüchlich; Dies desavouiert auch den hegemonialen Anspruch und den Schein homogener Geschlossenheit, mit dem die biomedizinischen und die Modernisierungsdiskurse auftreten. Es kommt darauf an, das Ungesagte, Verschwiegene aufzudecken und ganz besonders die unterdrückten ‚subalternen‘ Stimmen (Spivak) hörbar zu machen. Der erweiterte Diskursbegriff eröffnet ein breites Spektrum von Quellen, aus denen ich mein Analysematerial gewonnen habe. Die kurze Zeit der Kolonialherrschaft in Tsingtau ist umfangreich dokumentiert (Martin 1994). Das umfangreiche Quellenmaterial besteht überwiegend aus Regierungsakten des Gouvernements, des vorgesetzten Reichsmarineamtes und in zweiter Linie des diplomatischen Dienstes (Auswärtiges Amt). Es sind Dokumente des Verwaltungshandelns wie Verordnungen und Proklamationen, die visuellen Zeugnisse sowie schließlich die gebaute Architektur und Stadtanlage selbst als Zeugen eines symbolisch bedeutsamen Realitätskonstrukts. Allerdings haben die Kolonialbeamten 1914 vor dem Fall von Tsingtau 85 Prozent der Dokumente vernichtet, um zu verhindern, dass sie bei der Einnahme der Stadt der japanischen Armee in die Hände fielen (Martin 1994:384). Durchschriften dieser Akten, die damals beim vorgesetzten Reichsmarineamt archiviert wurden, werden vom Bundesarchiv in Koblenz verwaltet (BArch) und sind als Teil des Reichsmarinearchivs in Freiburg gelagert. Alle Dokumente des Reichsmarinearchivs wurden vor einigen Jahren in digitalisierter Form und als Papierkopien der Stadt Qingdao übergeben und sind im Stadtarchiv (dangan guan) zugänglich. Dort habe ich während meines Forschungsaufenthalts 2011/12 eine Auswahl relevanter Dokumente eingesehen. Für die Quellennachweise habe ich die vom Archiv Qingdao verwendeten Signaturen (QDG) verwendet. Weitere Akten sind 1991 unter dem Staub eines Jahrhunderts auf dem Dachboden des von den Deutschen errichteten Bauamtes von Qingdao in der Da Xue Lu entdeckt worden, wo heute das Qingdao Urban Construction Bureau Archives seinen Sitz hat. Sie sind bis heute nicht inventarisiert, sondern werden formlos und unregistriert seit ein paar Jahren in den Räumen des Archivs
20
Einleitung
von Professor Xia Shuchen6 gesichtet und mit chinesischen Abstracts versehen. Da die deutsche Bauverwaltung eng mit dem Gouvernementsarzt (Amtsarzt) zusammenarbeitete, finden sich in diesem Bestand auch (wenngleich unsystematisch und unvollständig) Unterlagen zur Gesundheits- und Hygienepolitik, obwohl der Hauptbestand aus Katastereintragungen besteht. Eine Liste der von mir benutzten Akten und der darin enthaltenen Dokumente ist im Anhang dieses Buches einzusehen. Die amtlichen Dokumente spielen eine wichtige Rolle in der Formierung der Diskurse in Tsingtau. Die Propagandapolitik des Reichsmarineamtes, die jährlichen Rechenschaftsberichte der Kolonialverwaltung als aufwendig gedruckte und bebilderte „Denkschriften“ im Deutschen Reich und in der Kolonie zu veröffentlichen, sorgte für eine wirksame Homogenisierung der Außendarstellung. Die Darstellungen wurden oft gleichlautend in anderen Publikationen übernommen und von einer breiten kolonial gesinnten bürgerlichen Öffentlichkeit im Reich weiterverbreitet. Der herrschende Diskurs ist daher von einer auffallend stereotypen Uniformität. Das Publikum, das sich für Deutschlands koloniale Größe begeisterte, wurde mit einer großen Masse von Reiseberichten, Romanen, Erinnerungen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln bedient. Kolonialrevisionistische Propaganda und nostalgische Rückblicke auf die ‚gute alte Zeit in Tsingtau‘ hielten in der Weimarer Republik und unter der NS-Herrschaft die deutschen Kolonialträume am Leben. Diese Schriften sind ebenfalls im Freiburger Archiv bzw. im Bundesarchiv an unterschiedlichen Standorten sowie in den Beständen verschiedener Universitätsbibliotheken archiviert. Missionsschriften tragen den China-Diskurs mit. Sie wurden von der katholischen und den protestantischen Missionsgesellschaften, die in Tsingtau missionierten, in ihren Heimatgemeinden herausgegeben und hatten eine breite Leserschaft. Gerber (2002) hat dazu eine umfassende Auswertung dieser Literatur vorgelegt, die ich in meine Arbeit einbeziehen konnte, und auch Rivinius 1987 und 1998 dokumentiert für die katholische Mission. „Visual History“ hat einen festen Platz in der Geschichtsschreibung bekommen (Hamann 2006), und für meinen Forschungsansatz sind visuelle Medien – Fotografie und Kartographie – unverzichtbare Quellen der Rekonstruktion. Gut dokumentiert ist der Prozess der Stadtplanung: Hierzu liegt umfangreiches Kartenmaterial vor. Darüber hinaus existiert ein reichhaltiger Bestand an fotografischen Quellen, die beispielsweise den jährlichen Rechenschaftsberich6
Professor Xia ist emeritierter Germanist aus Qingdao, der nach seiner Lehrtätigkeit auch im Stadtarchiv die deutschen Dokumente für chinesische Leserinnen und Leser erschlossen hat. Ihm verdanke ich den Zugang zum und die Orientierung im Bauarchiv.
Einleitung
21
ten des Gouvernements beigefügt waren. Reisebeschreibungen und Kolonialpublizistik griffen auf Fototafeln oder Lithographien von Fototafeln zurück, um das Interesse der Leserschaft an „armchair travelling“ zu bedienen. Dieses Bildmaterial und die illustrierten Publikationen werden von der Bildstelle des Militärarchivs verwaltet. Eine große Sammlung von Fotografien besitzt auch die Bibliothek der Universität Frankfurt am Main, die den Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft verwahrt und im Internet digital veröffentlicht hat. Nicht zuletzt ist es die gebaute Stadt selbst, die als sinnlicher visueller und körperlicher Erfahrungsraum noch heute erlebbar ist und als ‚Text‘ lesbar gemacht und interpretiert werden kann. Diese Stadt steht nicht in Deutschland, sondern wie ein deutsches Ausrufezeichen in China. Aus dieser Verfremdung entsteht die Irritation, die dazu drängt, das Selbstverständliche in Frage zu stellen und in Zweifel zu ziehen: die Zonierung der Stadt, die Aufteilung und ungleiche Verteilung, die Trennung von bürgerlichen und proletarischen Schichten, die Auslagerung von Unterschichten an die Ränder. Der ethnographische Blick fragt nach Bedeutungen hinter dem Gesehenen und die Frage, „was dieses Ausrufezeichen ausruft“, ist der Ausgangspunkt meiner Untersuchung.
22
Einleitung
1. COLONIALISM TAKES PLACE: KOLONIALE ORDNUNGEN UND ANORDNUNGEN 1.1 „Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert Am 14. November 1897 geht der deutsche Traum von einem Platz an der Sonne im chinesischen Kaiserreich der Qing endlich in Erfüllung. Unter dem Vorwand einer „Sühneaktion“ für den Mord an zwei deutschen Missionaren in Shandong überfällt ein Landungstrupp des Ostasiatischen Geschwaders der Kaiserlichen Reichsmarine eine chinesische Festung in der chinesischen Küstenprovinz Shandong. Ein der chinesischen Qing-Regierung abgepresster Pachtvertrag über die Abtretung eines kleinen Küstenstreifens an der Jiaozhou-Bucht begründet die Errichtung eines kolonialen Schutzgebiets Kiautschou ( Jiozhou) unter der Führung von Großadmiral Tirpitz, Staatssekretär des Reichsmarineamts. Im Zentrum des kolonialen Vorhabens steht die zu gründende Stadt Tsingtau (Qingdao), ursprünglich geplant als Marinestützpunkt mit Kohlestation zur Versorgung der Dampfschiffe, schließlich ausgebaut zu einem vielschichtigen und mehrdeutigen Kolonialgebilde aus Projekten und Projektionen. Die minutiöse Berichterstattung der Kolonialverwaltung, dem Gouvernement von Kiautschou, die die Grundlage für die kontrollierenden und dirigierenden Eingriffe des vorgesetzten Reichsmarineamtes in Berlin in den Aufbau der Kolonie (vgl. Mühlhahn 2000) bildet, zeichnet das Bild von Akteuren, die mit Vernunft und Sachkenntnis die Lage vor Ort beurteilen und daraufhin entschlossen und kompetent die richtigen Entscheidungen treffen. Scheinbar voraussetzungslos orientieren sich die kolonisatorischen Handlungen an dem, ‚was ist‘. ‚Was ist‘, wird dem Gründungsnarrativ ein für allemal eingeschrieben; die Erzählung ragt bis in die populäre Repräsentation der Kolonie unserer Tage hinein (zum Beispiel bei Wikipedia). Die verbalen und nonverbalen Zeugnisse der deutschen Selbstrepräsentation in und über Qingdao treten also als objektive und wirklichkeitsgetreue („wahre“) Beschreibung der Bedingungen auf, die die Kolonisatoren an der chinesischen Küste vorfinden: den Chinesen nämlich und eine chinesische Wirklichkeit. Sie entwerfen ein Bild mit Folgen. Sie rechtfertigen nicht nur die Aneignung und Transformation des chinesischen Territoriums. Sie entwerfen beziehungsweise bestätigen auch ein ideologiegetränktes Selbstbild deutscher Handlungsmacht und deutscher Tugenden und in komplementärer Dichotomie ein Bild von dem fremden Anderen. Beide Bilder sind in dem Gründungsmythos fixiert, der seine Spuren in der kollektiven Erinnerung und Selbstwahrnehmung
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
23
in Deutschland hinterlassen hat. Spuren wie diese haben die Interpretation und Bewertung unserer Beziehungen zur Welt der Anderen geprägt. Die Analyse dieses kolonialen Narrativs versteht sich auch als Versuch, in der Entstehungsgeschichte unserer Bilder vom fremden Anderen und vom „Rest der Welt“ (Said) Perspektiven für eine kritische Reflexion unserer Beziehung zum Fremden zu finden und zum Dekolonisierungsdiskurs beizusteuern. Die Verräumlichung der symbolischen Ordnung in der kolonialen Stadt legt es nahe, die Wirklichkeitskonstruktionen in ihrer räumlichen Dimension zu analysieren. ‚Raum‘ bezieht sich nicht auf das eingegrenzte Territorium der Kolonie oder die Stadt als ‚Container‘, sondern ist ein handlungs- und prozessorientierter Begriff, den Martina Löw entwickelt hat, „um jene Gebilde benennen zu können, die sich durch die Verknüpfung verschiedener sozialer Güter bzw. Menschen miteinander herausbilden und die als solche Handeln strukturieren“ (Löw 2001:12). In der Rekonstruktion lässt sich zeigen, wie der koloniale Raum konstituiert wird: Die Konfrontation mit der Fremde löst einen Prozess der Raumaneignung aus, in dem die kolonialen Akteure eine für sie sinn- und bedeutungsvollen Ordnung dieses Raumes imaginieren, um sie dann hegemonial durchzusetzen. Das große Thema dieser Ordnung ist die Grenzziehung zwischen den dichotom konzipierten Polen, die in der Durchsetzung von Inklusion und Exklusion gegen Ambiguitäten und Grenzübertretungen gesichert werden soll. Daher ist die Konstruktion des kolonialen Raumes zuerst und vor allem Produktion von Merkmalen der Differenz und Grenzziehung. Die Aneignung des Raumes spielt sich in Maßnahmen der Differenz- und Grenzkonstruktionen und der Transformation des chinesischen Subsistenzlandes in „Landschaft“ und kapitalistisches Gut ab. Es zeigt sich darin, dass die Konstituierung von Räumen kein müßiges Spiel der Phantasien und Emotionen ist, sondern einen Machtraum herstellt, der als massiver und schmerzhafter Einbruch in die Lebensumstände der Kolonisierten spürbar und zum Austragungsort konflikthafter Aushandlungen wird. Unter der vielbeschriebenen und -gepriesenen technischen Leistung modernen Städtebaus bei der Errichtung von Qingdao liegen Begehren und Begehrlichkeit verborgen. Die deutsche Stadt Tsingtau ist Projektionsfläche für Sehnsüchte und Utopien. „…ein gleichsam vom Himmel herabgefallenes Stück Deutschland“: Diese Raumphantasie umreißt die Raum- und Traumbilder des kolonialen Begehrens. Sie vermischen sich mit der ehrgeizigen Wunschvorstellung, es der Welt zu zeigen und eine Musterstadt der Moderne zu errichten, die deutsche Weltgeltungssehnsucht befriedigen soll. Die vielschichtige symbolische Bedeutung, die der Stadt zugeschrieben wird, leitet nicht nur die Anordnungen, sondern auch ihre bauliche Gestaltung. Die utopischen Entwürfe, die sich in der baulichen Gestalt materialisieren, formen und strukturieren den Raum der sozialen Interaktion der Privilegierten untereinander und mit den
24
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Kolonisierten. Gleiches gilt für die baulichen Prinzipien der Chinesenstadt, die im zweiten Kapitel untersucht wird. Der Kolonialdiskurs kreiert seinen eigenen Mythos: Im Nichts eines öden Landstrichs und einer Ansammlung „elender chinesischer Fischerdörfer“ erwächst aus der Überlegenheit der weißen Rasse ein blühendes deutsches Gemeinwesen; Kiautschou bezeugt die zivilisatorische Kraft und Fortschrittlichkeit der deutschen Kulturnation. Dies ist das Leitmotiv, nach dem sich die Besatzer den Raum in Folge der militärischen Annexion anzueignen suchen, indem sie ihn definieren und mit Bedeutung aufladen, um Bezugspunkte für ihre Selbstverortung und einen Handlungsrahmen zu finden. Denn in dem ‚Nichts‘ aus Ödnis und Dörfern, das sie bei ihrer Landung an der Jiaozhou-Bucht empfinden, begegnet ihnen der Raum des abgründig Fremden als Feind. Wo das Eigene unkontrollierbar im Anderen zerläuft, sieht sich der Mensch dem Chaos ausgeliefert. Ohne erkennbare Begrenzung, ohne verständliche Strukturen und vertraute Haltepunkte dehnt sich eine unüberschaubare Leere vor ihm aus. An solchen Orten befällt ihn der horror vacui, das Entsetzen im Angesicht des Nichts. Die Erfahrung solcher „landscapes of fear“ (Tuan 1980) „ruft nach Maßnahmen und Methoden der Eindämmung, der Einschränkung und Ausschließung, kurz: nach Bewältigung“ (Waldenfels 1990: 60). Das Ich konstituiert einen Raum, der Orientierung und Anhaltspunkte verspricht. Den Ausgangspunkt bildet das Leibliche Ich, das sich durch seine eigenen Bewegungen eine Welt erschließt. Das situative Hier und Jetzt fungiert als Nullpunkt, von dem verschiedene Raumachsen ausgehen mit ihren Skalen von oben und unten, vorn und hinten, von rechts und links (Waldenfels 2009:19f.).
Ein solches „Hier-Jetzt-Ich-System“ (Karl Bühler) strukturiert den wüsten Raum und stellt Anhaltspunkte für die Selbstverortung zur Verfügung. Allerdings wird die Struktur nur in der Abgrenzung erkennbar: Dem einschließenden „Hier-Jetzt-Ich“ steht das ausgeschlossene „Dort-Jetzt-Du“ binär gegenüber. Eine „imaginative geography“ spaltet das Chaos des Fremden ab und gliedert den Raum auf: „a familiar space which is ‚ours‘ and an unfamiliar space which is ‚theirs‘“ (Said 2003:54). Die Selbstabgrenzung des Leibes, dem in der Haut eine eigentümliche Grenz- und Berührungsfläche zuwächst, führt zur Scheidung von Binnen- und Außenraum, von Drinnen und Draußen. Aufgrund der wechselnden Zugänglichkeit der Lebenswelt und der wechselnden Zugehörigkeit zu ihr sondert sich die Lebenswelt in ‚Heimwelt‘ und ‚Fremdwelt‘. Beide sind gleichursprünglich, da Eigenheit nur im Kontrast zur Fremdheit hervortritt (Waldenfels 2009:19f.).
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
25
Der Raum des Eigenen wird durch diskursive, visuelle und performative Markierungen vom Raum des Anderen abgesetzt und unverwechselbar gemacht. Der beunruhigend unbekannte Raum des Anderen wird in ein Bekanntes und damit Beherrschbares verwandelt. Durch Zuschreibungen in Stereotypen und Annahmen wird das Fremde benennbar. Meine Interpretation der deutschen Kolonisierung auf dem okkupierten Gebiet an der Jiaozhou-Bucht erfolgt aus der Perspektive der Raumkonstituierung als einem Prozess der Aneignung und Anverwandlung des fremden Raumes.
1.1.1 Grenzsteine. Die Konstruktion eines deutschen Territoriums China ist längst klassifiziert und einsortiert in die europäische Wissensordnung als ein Land, über das schon alles gewusst wird: als Land der „Barbaren“, in dem „von menschlicher Kultur […] noch wenig zu spüren“ ist (Franzius 1898: 103), als schier grenzenloses „Riesenreich“, „mit Dörfern dicht besät“ und mit Flüssen, „auf denen es wimmelt von Boten“, seine „Riesenbevölkerung“ „eine dicht gedrängte“ und „scheinbar endlose Menschenmenge“ (Navarra 1901:983). Es ist das Bild der Übermacht und der Ausdruck von Überwältigungsangst. Und ausgerechnet hier, auf gerade einmal 550 Quadratkilometern (einem Areal von der Größe Hamburgs um 1900), am äußersten Rand dieses Riesenreiches, soll „ein kleines Häuflein deutscher Soldaten inmitten der vielen Fremden“ (Detachement-Zeitung 26.1.1908) der Angst auslösenden Fremdheit standhalten. Es wird viel geredet in den Gründungserzählungen von Qingdao: Kolonialverwaltung, Reisende, Lokalpresse und Medien im Reich vermitteln das Bild von Sieg, Erfolg und deutscher Überlegenheit. Die Überwältigungsangst ist das Unsagbare, das darin keinen Platz hat. Die marginale Position des Pachtgebietes gegenüber dem überwältigenden ‚Riesenreich‘ wird diskursiv umgedeutet. Das ‚Riesenreich‘ erscheint als passives Objekt der ‚Erschließung‘ durch Deutschlands überlegene Wirtschaftsmacht. Die Eroberer sehen sich keineswegs am Rande, sondern ganz im Gegenteil „[a]n der Schwelle Chinas stehend“ (Tirpitz 1920:76), von wo aus sie nachdrücklich Einlass fordern. Diese Perspektive resultiert aus dem Selbstverständnis der deutschen Kolonialpolitik, die Qingdao in der ehrgeizigen „Logistik maritimer Machtentfaltung“1 ausersehen hat für „unseren Platz an der Sonne“.2 So entsteht ein klassisches koloniales Raumszenario: Tsingtau ist das 1 2
26
Tirpitz, Denkschrift zum Immediatvortrage 04.10.1900. In: BArch RM3/6782, Bl.80. Zit. nach Mühlhahn 2000:114. Dieses Bild, das zum Synonym für die deutsche Kolonialpolitik schlechthin geworden ist, wurde tatsächlich zur Verteidigung der Okkupation Qingdaos geprägt; Es entstammt der Reichstagsrede des Reichkanzlers von Bülow vom 06.02.1898. In:
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
deutsche „Einfallstor für den Handel in Schantung“ (Crusen 1912:817), durch das die „Aufschließung Chinas für den Welthandel“ (Tirpitz 1919:61) in kolonialer Eroberungssemantik in Angriff genommen werden kann. Das Hier ist der klassische Platz des Kolonisators an der fremden Küste, der Punkt der Zen tralperspektive, vom dem aus das europäische Subjekt die Welt betrachtet und beansprucht, von dem der begehrliche Blick über das Hinterland schweift, jenen magischen Ort, der so undurchschaubar unheimlich wie unwiderstehlich anzieht mit seinen (noch) nicht gehobenen Reichtümern und exotischen Reizen. Nur in der Blickrichtung des herrschenden Diskurses erscheint das Hinterland als natürliche Reihenfolge im Sinne einer Rangfolge. Hier und Dort, Vor und Hinter sind relationale Ortbestimmungen. Affektiv-identifikatorisch aufgeladen sind sie dazu bestimmt, nicht nur dichotome Räume zu konstruieren und sie binär gegenüberzustellen, sondern sie zugleich hierarchisch zu konnotieren. Das Dort ist Shandong, Chinas „ödeste, ärmste, vernachlässigste Provinz“ (Schrameier 1915:30). Für sie hat die deutsche Chinapolitik das Programm „einer wirtschaftlichen und kulturellen Durchdringung der Provinz durch deutsche Arbeit“ (Schrameier 1915:46) vorgesehen, um schließlich „mittelst der in dessen Inneres geplanten Eisenbahn“ (Richthofen 1898:299) nach Zentralchina einzudringen. Eisenbahnen sind in der Hochphase des Imperialismus ein zentraler Antrieb für eine „weltweite Erschließungsdynamik“ und für die „Transformation des Raumbewußtseins“, dem ‚Drang in die Welt‘.3 Die ‚Schantungbahn‘ ist die deutsche Trasse zur Erschließung des Inneren; gerade die Eisenbahn ist im kolonialen Kontext eine deutliche Metapher der Penetration, die im Gründungsnarrativ von Qingdao für den Einfall in das „jungfräuliche Land“ (Schrameier), das herrenlos „vernachlässigte Innere“ Chinas das Vehikel für die Durchdringung und „Durchtränkung der ganzen Provinz, des von Qingdao wirtschaftlich abhängigen Hinterlandes mit deutschem Wissen und deutschem Geist“ ist.4 In einer Epoche, die Aggression im Vordringen und Gewaltsamkeit im Erschließen geradezu kultivierte, braucht nicht allzu tief gegraben zu werden, um die psychologischen Strukturen der ‚Penetration‘ eines ‚jungfräulichen‘ Gebietes freizulegen (…) – das schien dem Leben einen schönen und männlichen Sinn zu geben (Laak 2004b:265).
3 4
Stenographische Berichte der Reichstagsversammlung. 160:892ff. Zitiert nach Müller 1901. Laak 2004:67. Zur Rolle von Richthofens für die ‚Erschließungs’konzepte Chinas durch die Eisenbahn: op.cit.: 94–100; Osterhammel 1987. Jacobsen an RMA, 27.01.1905, in: Mühlhahn 1997, Dokument 127, S. 244.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
27
Solche Erschließungsphantasien drängen aus dem geschützten ‚Hier‘ in einen ambivalenten Raum von Begierde und Angst. Sie stehen in einer Tradition kolonialer „master narratives“ aus dem 18. und 19. Jahrhundert, deren Metaphern der „Eroberungserotik“ (Zantop 1999:125) verraten, wie stark koloniale Inbesitznahme fremden Bodens – sei sie imaginiert oder tatsächlich vollzogen – in der männlichen Imagination einer „terra nullius“ sexuell aufgeladen ist:5 Jungfräuliches Land liegt wie Dornröschen herrenlos [sic] bereit zur Hingabe an den männlichen weißen Kulturhelden, der es in der Unterwerfung zu Fruchtbarkeit und Blüte erweckt. „In die Ökonomie des kolonialen Begehrens hat sich das sexuelle Begehren unauslöschlich eingeschrieben“ (Schwarz 2002:95), obwohl es alles daran setzt, sich hinter objektiv notwendigen und sachlichen Wirtschaftsund Überlebensinteressen unkenntlich zu machen. Dennoch – oder gerade deshalb – ist das Hier stets gefährdet. Die Selbstvergewisserung braucht gegen die Vermischung mit dem Draußen, dem Dort des essentialisierten chinesischen Fremden eine deutliche Abgrenzung eines Drinnen, in dem ein scheinbar homogenes, identitätsstiftendes Wir zuhause ist. Die Gefährdung wird akzentuiert durch die xenophobe Angst als Muster der Wahrnehmung. Sie ist nicht nur eine Folge der Selbstentfremdung des modernen Subjekts und des Näherrückens fremder Völker angesichts der scheinbar immer kleiner werdenden Welt des Kolonialismus. Koloniales Begehren lässt sich nur in gewalttätiger Ausbeutung und Unterdrückung befriedigen und gerät damit in Widerspruch zu dem Bedürfnis nach einem heimatlichen Innenraum auch in der Fremde. Die eigene Gewaltbereitschaft wird abgespalten und auf die Kolonisierten projiziert, denen diese Gewaltbereitschaft zugeschrieben wird. Das verleiht den kolonialen Raumkonstruktionen einen Anflug von Paranoia (Berman 1998b:87). Gleichzeitig lehren die Ereignisse, dass die Kolonisierten jederzeit zurückschlagen können, um sich von ihren Unterdrückern zu befreien. „Boxeraufstände“ gegen die imperiale europäisch-amerikanische Infiltration und eine untätige chinesische Regierung finden insbesondere in Shandong statt. „Umso unberechenbarer bleibt stets die Lage der Europäer“, wissen die Militärexperten ( Janson 1915:11). Auch das III Seebataillon von Qingdao ist in dem Feldzug der ‚Acht Mächte‘ zur Niederschlagung der Boxerbewegung eingesetzt. Gegenwehr gegen die Kolonisierung von „Kiautschou“ und einer 50 Kilometer breiten (zu Unrecht reklamierten) „deutschen Einflusszone“ wird gewaltsam unterdrückt.6 „Die fremdenfeindlichen Strömungen im Lande 5 6
28
Zur Analyse von gender-Diskursen in kolonialen Narrativen siehe v.a. Mills 1994; Blunt/Rose 1994; Low 1996; Berman 1998, Friedrichsmeyer 1998; Zantop 1999; Kundrus 2003; Dietrich 2004. Mühlhahn (1997, 2000) hat die Rolle der militärischen Gewalt durch die Qingdaoer Besatzungstruppen – die im Tsingtau-Narrativ unterschlagen wird – aus-
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
schwollen […] an“ und „die Kolonie machte sich auf das Schlimmste gefaßt“ (Wegener 1901:249, DKZ). Die deutschen Besatzer haben allen Grund zur Angst vor „einem großen Angriff auf Tsingtau“: Tag und Nacht liefen allerhand Alarmnachrichten ein, die sich allerdings vielfach als das Ergebniß nervöser Übertreibung herausstellten, denen meistens aber doch irgend eine beachtenswerte Thatsache zugrunde lag. Auf die deutsche Bevölkerung von Tsingtau blieben diese Verhältnisse nicht ohne Wirkung; es wurden Waffen ausgegeben; freiwillige Schießübungen fanden statt; die gesammte Garnison wurde häufig alarmirt und machte daran anschließend Übungen im Gelände, Verteidigungstellen wurden vorbereitet und ausgebaut, die in Tientsin befindlichen Truppen des Gouvernements Kiautschou wurden zurückberufen. (Denkschrift 1901:11)
Der „Boxeraufstand“ führt dazu, dass für Qingdao der Kriegszustand ausgerufen und erst am 10. 3. 1898 offiziell aufgehoben wird.7 Unter diesen Bedingungen wird Qingdao die Position nicht nur als „Zentralpunkt für alle deutschen Interessen … in Ostasien“ zugewiesen, sondern auch als „Schutzplatz“ „für den Schutz des gesamten Deutschtums dort draußen“ und als militärisch gesicherter „Ruhe- und Zufluchtsort, insbesondere auch bei irgendwelchen Wirren im Land“ (Bökemann 1913:88). Diese Rückschau eines Bauingenieurs aus Qingdao zeichnet das beruhigende Bild eines sicheren Bollwerks in feindlicher Umgebung, das durch eine sichere Grenze geschützt ist. Die Aufstände in China zwangen uns, den sogenannten Boxerschutz durchzuführen, die Umwallung des Stadtgebiets in einer Länge von 5 Kilometern von Wasser zu Wasser. So vermieden wir die unmittelbare Nachbarschaft mit China und beseitigten das Eindringen der Unruhen in unsere Nähe (Tirpitz 1920:68).8
Die ‚Umwallung‘ beschreibt keine geophysische Realität; sie ist eine Metapher für das Vertrauen der Deutschen in die Wirksamkeit ihrer Grenze: „Die Brandung der Revolution9 ist vollkommen zerschellt an den Grenzen des Schutzgebietes. Manchmal hat sie versucht, auch zu uns herüberzuspülen. Das ist mißlungen“ (Crusen 1912:877). Auch die Pest von 1911 hat die Kolonie nicht berührt,
7 8
9
führlich untersucht. Vgl. auch Hull (2005) über Gewalt in der deutschen Armee. Tagebuch Truppel III/IV 1898, BArch N224 Band 6. In den öffentlichen Diskursen über ‚Deutsch-China‘ wird die Bedeutung der Aufstände freilich heruntergespielt, da sie nicht in das Bild von Deutschland als Freund Chinas in ‚Tsingtau‘ passt, und dies, obwohl der „Boxerkrieg“ von 1900 – verharmlosend als „Zeit der Wirren“ etikettiert – ein herausragendes mediales Event darstellt. Gemeint ist der Sturz der Qing-Dynastie im Jahr 1911.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
29
„obwohl sie vor ihren Toren gewesen ist“ (ibid.). Selbst die „Boxerunruhen“ haben „keinen Einfluß ausgeübt“ auf die Aufbauarbeiten der Stadt (Neubaur 1901:83): Der Schutz, den die Maßnahmen der Marineverwaltung nicht nur den deutschen Ansiedlern, sondern auch der werkthätigen und friedliebenden einheimischen Bevölkerung gegen die unruhigen Elemente (…) gewähren, haben volles Vertrauen in die Sicherheit im Schutzgebiete erweckt. (Denkschrift 1902:1)
Der Gründungsdiskurs stiftet eine unauflösliche Verbindung von ‚Schutz‘ und ‚Sicherheit‘ mit den Grenzen, die gegen die Bedrohung von außen gezogen werden. Ein deutscher Grenzstein im Museum für Stadtgeschichte in Qingdao steht für die Festigkeit und die Bedeutung der Grenze. Zunächst hat der Stein eine indexikalische Aufgabe: ‚hier verläuft die Grenze‘. Wie wichtig er dem Gouvernement deswegen ist, legt die „Bekanntmachung, betreffend den Schutz der Vermessungszeichen“ vom 17. Oktober 1898 nahe. Dort wird „streng“ verordnet, „daß sämtliche von seiten der Vermessungsbeamten gesetzten Grenzpfähle, Grenzsteine und unterirdischen Markzeichen (Drainröhren) in ihrer Stellung völlig unversehrt bleiben“ (in Mohr 1911:166 – Hervorhebung H.R.). „Alle Grenzsteine sind unverrrückbar und unverletztlich. Ein Entfernen, Versetzen oder Beschädigen der Grenzsteine sowie jeder Versuch dazu wird streng bestraft“.10 Der Nachdruck, den die Verordnung auf den Schutz dieser Markierungen legt, verweist auf die Zeichenhaftigkeit der Steine. Sie stehen eben nicht nur als „Indexfinger“, sondern auch als Androhung unnachgiebiger Durchsetzung der gezogenen Grenzen und damit der deutschen Hoheit sichtbar in der Landschaft und die grenzvertiefenden Vorgänge der Vermessung, Parzellierung und Katastererfassung zeigen, dass sie ebenso Eigentumsansprüche verkörpern. Im Rang eines Museumsobjekts und dort seiner indexikalischen Funktion ledig, wird der Grenzstein in seiner symbolischen Dimension erkennbar als Dokument kolonialer Raumkonstitution. „Ich, der Chef des Kreuzgeschwaders, Kontre-Admiral v. Diederichs, mache hiermit bekannt, daß ich … die Kiautschou-Bucht … in den nachbezeichneten Grenzen besetzt habe…“. „Mit dieser Proklamation an die chinesische Bevölkerung wird der Grenzverlauf akribisch verzeichnet,11 doch damit ist sie 10 Proklamation ‚Grenzsteine, Steuern‘ o.D. und Autor (Entwurf von Jaeschke, März 1898, BA II). 11 Abgedruckt in: DKZ 1898: 345f.. Siehe auch „Militärgeographische Beschreibung der Grenzen des Gouvernements Kiautschou“, die als Anlage 4 der Denkschrift 1898 beigefügt war.
30
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
noch nicht von der Provinzregierung in Shandong und der betroffenen Bevölkerung akzeptiert. „Die Leute von Hsiaopaotao wollen nicht zugeben, dass auf den Feldern dort geziegelt wird; sie haben einige Ziegelhütten zerstört, sowie die Ziegler mit Schlägen bedroht. Es dürfte sich die schleunige Entsendung von Polizisten empfehlen … Ergebenst, Neitzel“, heißt es in einem Vermerk aus der Verwaltung vom 4. April 1899 an das zuständige Landamt.12 Die Kolonialverwaltung bringt die Bauern gegen sich auf, als sie mit ihrer Grenzziehung Landrechte und Kommunikationswege, Grabanlagen und Ahnenstätten durchschneiden. Eine chinesisch-deutsche Grenzkommission wird im Sommer 1898 eingesetzt, um ein Abkommen über den Grenzverlauf auszuhandeln; in den Augen der deutschen Verhandler ein Sieg, da die Grenze „nach unseren Wünschen abgesteckt und mit Grenzsteinen bezeichnet“ ist.13 Nach außen jedoch wird die Übereinkunft als Zeichen paritätisch-freundschaftlicher Übereinstimmung zwischen Deutschland und China ausgegeben.14 Um diesen Anschein aufrecht zu erhalten, soll „vermieden werden, daß die Nachricht über den Erwerb von 235 qkm durch die Grenzregulierung an die Öffentlichkeit gelangt“.15 Der Triumph über „einen wirtschaftlich sehr wertvollen Gebietszuwachs“,16 der der chinesischen Seite abgehandelt worden ist, wird im Stillen begangen. Der Streit um die Grenze ist der Streit um Hoheit.17 Die ‚Containerisierung‘, das heißt die Schließung des offenen Raumes durch eine ‚Staatsgrenze‘ besiegelt den Anspruch auf ein deutsches Territorium als Teil des deutschen Nationalstaates. ‚Territorium‘ ist unsichtbar, eine Fiktion. Ohne starke und weithin sichtbare Landmarken und Symbole läßt sich die Trennlinie zwischen Deutschen und Chinesen nicht behaupten und als ‚deutsches Hoheitsgebiet‘ markieren. Die Naturalisierung von Grenzen ist eine geläufige Konstruktion solcher Trennlinien: 12 BA II. 13 Monatsbericht 22.August 1898, 001–149–190 Bl. 5. 14 Demgegenüber sprechen chinesische Quellen mit Bitterkeit von „unersättlicher Gier“ der Deutschen: Vgl. dazu Mühlhahn 1997 (Dokumente 85, 87). Die Widersprüchlichkeit der deutschen China-Politik bis 1904 zwischen militärischer Gewalt und Unterdrückung einerseits und der Konstruktion Deutschlands als Sachwalter chinesischer Interessen und als „Freund Chinas“ andererseits kann hier nicht ausgeführt werden. Dazu Mühlhahn 1997, 2000. 15 QDG B0001-001-150-0QDG B0001:3. 16 QDG B0001-001-150-50:20. 17 Wie das Gouvernement die deutsche Hoheit im Pachtgebiet gegen den Gouverneur von Shandong, der diese Hoheit nie anerkannt hat, durchzusetzen sucht, beschreibt einer der aggressivsten Gegner der Kolonialverwaltung, Otto Corbach (1903a: 64ff.). Der Bericht vermittelt Eindrücke vom Kampf um die Souveränität mithilfe diplomatischer Symbolik während eines offiziellen Besuchs des Gouverneurs Zhu Fu in Qingdao. Dazu auch Mühlhahn 1997 (Dokumente 93 und 94).
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
31
Der Besitzteil am westlichen Vorsprung der Bucht ist durch die natürlichen Grenzen des Meeres ohne weiteres gekennzeichnet. Gegen das Hinterland wird es durch einen Kanal abgegrenzt (…). Die östliche Halbinsel grenzt sich gegen das Hinterland zum Teil durch einen Fluß, den Paischaho (…), zum Teil durch das Lauschangebirge ab, dessen Hauptkammlinie im großen und ganzen als Grenze zu betrachten ist. (Deutschlands Kolonien 1914:153)
Die Natur selbst tritt als Akteurin auf und „grenzt sich“ vom Hinterland ab; die Kartierung gibt vor, nur festzuhalten, was die Natur für die Kolonisierung bereithält. Sodann braucht der Raum eine erkennbare Ordnung, in der die Unterscheidung des Hier vom Dort ein für allemal in das Gelände eingeschrieben ist. Ein besonders wirksames, da im kollektiven Gedächtnis tief verankertes ikonisches Bild der Territorialisierung ist das Flaggenhissen. Das Hissen der Flagge des deutschen Kaiserreichs auf chinesischem Boden ist das Ritual der Eroberung, das die militärische Besetzung dramatisiert und das mit jeder weiteren Fahnenhissung reinszeniert wird, sodass auch Nichtbeteiligte an dem Akt teilhaben und sich als Teil der Gemeinschaft erleben können.18 Wo die Flagge des Reiches in der weiten Welt weht, da fließt von dem schwarzweiß-roten Banner ein heißer Strom deutscher Gesinnung und vaterländischen Blutes all jener, die die Heimat verlassen, um in der Fremde zu leben. Wo der deutsche Aar schirmend und dräuend in den Lüften schwebt, da fühlt jeder Deutsche auch fern der Heimat mit berechtigtem Stolze, daß er Angehöriger eines großen Reiches ist, daß er unter dem starken Schutze des deutschen Kaisers steht und daß auf den Welt ohne die deutsche Flagge nichts geschehen kann. (Detachement-Zeitung 26.1.1908)
Am 3. Dezember 1897 nun steigt feierlich die deutsche Fahne über dem Yamen, der Residenz und Kommandozentrale des chinesischen Generals und auf allen besetzten Inseln empor; auch die Toppen des Kreuzgeschwaders in der Bucht sind beflaggt. Einundzwanzig Salutschüsse unterstreichen unüberhörbar die Macht der Kanonen, die der Kolonie den militärischen Schutz geben, während die ‚neugierig zusammengelaufenen‘ Chinesen als sprachlose, passive Statisten des heroischen Aktes „das verständnislose Publikum dieser Besitzergreifung“ (Pacquet 1912:298) abzugeben haben. Das Aufziehen der Flaggen demonstriert die Dreieinigkeit von Kolonie, Militärmacht und Reich; die Achse aus der deutschen Besatzungsmacht in 18 Zu Parallelen in den afrikanischen Kolonien siehe Jäger 2010:174. Dazu auch Bilder des Flaggenhissens auf Reklamebildern der deutschen Kolonialzeit (Zeller 2008:45, 46).
32
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Qingdao, den Kriegsschiffen des Ostasiatischen Geschwaders in der „Tsingtau-Bucht“ und der symbolischen Repräsentanz des Reiches als fernem, aber machtvollem Dritten findet dann auch ihren Niederschlag in der symbolischen Gestalt der neuen Stadt. Nicht nur diese Visualisierungen, die gesamte Architektur und die Rituale der deutschen Gedenkkultur inszenieren und verkörpern das ‚Band‘ zwischen Kolonie und Heimat: Christuskirche am Tsingtaustrand Sei mit der deutschen Heimat ein Band…19
Militärische Umsicht, stadtplanerische Zweckrationalität und die wissenschaftliche Fundierung vernunftgeleiteter Weichenstellungen für die kolonialen Erfolge bestimmen das Bild, das die Akteure im Gouvernement vom Gründungsprozess der Kolonie entwerfen und weiterverbreiten. Rationalität ist das charakteristische abendländische Muster, bedrohliche Fremdheit durch Aneignung zu bewältigen (Waldenfels 1990:60). In ihren Raumkonstrukten schaffen die Besatzer Anhaltspunkte gegen den horror vacui, indem sie darangehen, sich den fremden Raum anzueignen, ihn sich als eigenen, vertrauten, handhabbaren anzuverwandeln und sinnstiftende Anordnungen und Ordnungen herzustellen, die das Hier befestigen und dem Wir einen Ort geben. Karten sind ein sicheres Instrument, Anhaltspunkte der Selbstverortung zu konstruieren: Das vertraute Gitternetz der Koordinaten, über die deutsche Eroberung geworfen, erzeugte eine Fülle von solchen Punkten, die im Wortsinn zu Eckpunkten der Raumkonstitution werden konnten. Folgerichtig entsendet das Reichsmarineamt schon im Mai 1898 großzügig ausgerüstete „Vermessungs-Detachements“; schon bald legen sie detaillierte Daten und eine Fülle von Karten vor. Um den Platz ‚Kiautschous‘ in der Welt zu markieren, benutzen die Vermessungsingenieure die in der Seefahrt gebräuchliche MercatorProjektion (Hafeneder 2008:158). Effekt und Funktion dieser Projektion ist die Positionierung Europas als perspektivisches Zentrum, gleichsam als Nabel der Welt. Die visuelle Überhöhung situiert die außereuropäischen Kontinente in perspektivisch verkürzten Randlagen und reflektiert so das imperialistische Selbstverständnis Europas (Black 1997:29ff.). Nicht zufällig wird der Nullmeridian, dieses Alpha und Omega der Weltkugel, in der Blütezeit der imperialistischen Weltaufteilung 1884 von der Internationalen Meridiankonferenz in Washington D.C., d.h., in einer Übereinkunft der imperialistischen Mächte, als bis heute dominante Projektionsperspektive etabliert. Das weltumspannende Gradnetz bettet die ‚deutsche Erwerbung in China’ in diesen Zusammen19 Gouverneur Truppel anlässlich der Einweihung der Kirche 1908 in: OAL 8.5.1908:862.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
33
hang ein. Die Wahrnehmung des Deutschen Reiches und der fernen Kolonie als Einheit ist überhaupt nur möglich, da das Denken in Territorien und in den abstrakten Zusammenhängen von Karten seit der Neuzeit in der europäischen Weltwahrnehmung fest verankert ist. Bilder und Metaphern der Kartensprache suggerieren auch visuell diese Einheit. Zu den Visualisierungen gehört auch die Überschreibung des chinesischen Areals auf den Landkarten durch deutsche Toponyme. Bereits eine erste Handskizze vom 15. 2. 189820 bemächtigt sich mit Namensgebungen wie „Diederichsberg“ und „Prinz-Heinrich-Berge“ der herausragenden Wahrzeichen des Geländes. Ein Name ist ein semantischer Code, der das Benannte in einen bestimmten, für die Adressaten erkennbaren Sinnzusammenhang stellt. Schon das Raumbild, das dadurch geschaffen wird, ist suggestiv: „der …Ort Tsingtau ist auf der Landseite von amphitheatralisch ansteigenden Höhen eingeschlossen, zunächst im Halbkreise von den Iltis-, Moltke- und Bismarck-Bergen“ ( Janson 1915:5). Wie in schützender Umarmung umstehen die Helden des Reiches den Ort. Namen verkörpern Identität und Zugehörigkeit, Haltungen und Weltbilder, Bilder von sich und von den anderen. Die Überschreibung der Welt mit europäischen oder assimilierten21 Namen ist die Konstruktion einer „terra nullius“, die im sprachlichen Akt die koloniale Aneignung und Markierung möglich macht. Die Eindeutschung des autochthonen Namens 青岛 („qing dao“: „grüne Insel“) und anderer Namen chinesischer Dörfer verdeckt den historischen Vorgang der Überschreibung und Verleugnung chinesischer Vorgeschichte dieser Orte und bestärkt das koloniale Narrativ vom leeren, erst von den Eroberern kultivierten Land. Die Namen sind Topoi des Kolonialdiskurses: Dies möchte ich auch typografisch akzentuieren, indem ich diese Topoi kursiv setze. In den Umbenennungen schreibt sich die deutsche Marine in Qingdao und die Jiaozhou-Bucht ein und erzählt ihre Version der Geschichte. Bismarck und Moltke, die „Sieger von Sedan“, begründen den Mythos des neuen Deutschen Reiches: Die Sieger von „Kiautschou“ stellen sich in ihre Tradition. Prinz Heinrich als Chef der Flotte und Diederich als Befehlshaber des Kreuzgeschwaders und des Landungstrupps stehen für die junge deutsche Kriegsmarine und ihren Beitrag zur Größe des Deutschen Reiches. Beide Narrative markieren die Kolonie als Teil des Deutschen Reiches. Sichtbare Territorialität bezeugt auch die Eindeutschung der anglisierten Toponyme der chinesischen Dörfer, die in die Seekarten der Zeit bereits eingetragen waren. 20 QDG B0001-001-149-97:1–4. 21 Durch die kaiserliche Verfügung zur Übernahme indigener Ortsnamen in den Kolonien werden überall autochthone Bezeichnungen für die deutsche Aussprache und Orthographie verfügbar gemacht.
34
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Die Karten von ‚Kiautschou’ definieren die Kolonie nach innen und außen als ‚deutsches Hoheitsgebiet‘.22 Die gestrichelte Linie mit der verdeutlichenden roten Schraffur zur Markierung von Staatsgrenzen, die auch für die Kolonialgrenzen verwendet wird, demonstriert den territorialen Anspruch der deutschen Nation auf ihre ‚Erwerbung‘ und stellen die Trennung zwischen Drinnen und Draußen, Freund und Feind, Wir und Die unmissverständlich klar. Eine überaus großzügige Linienführung bezieht auch Wasserflächen ( Jiaozhou-Bucht und Küstengewässer) in die Repräsentation ein. Solche Mittel werden eingesetzt, um die geringe Ausdehnung der Pachtfläche zu kompensieren; besonders die Einbeziehung der neutralen 50-km-Zone als deutsche „Interessen- und Einflusssphäre“ soll der Anschein erwecken, dass in diesem Gebiet Deutschland und China gemeinsame Hoheitsrechte ausüben würden. Solche Karten befriedigen nicht nur das Bedürfnis, als kolonialer Faktor wahrgenommen zu werden. Die rot schraffierte Grenze um das deutsche Pachtgebiet ist ein aggressives Statement des deutschen Willens zur Expansion „im Kampfe mit der Konkurrenz mächtiger Völker“ (Schrameier 1914:70). Es soll nicht nur in Peking und Jinan, der Hauptstadt von Shandong, gehört werden, sondern auch von den kolonialen Konkurrenten, allen voran England, das seine wirtschaftliche Vormachtstellung in Ostasien in Shanghai und Hongkong behauptet. Qingdao ist das wichtigste Asienprojekt für den kolonialen deutschen Nachzügler, um sich mit der Gründung „eines eigenen Hongkongs“ (Tirpitz 1920:67) als Machtfaktor auf den Weltmeeren und in Ostasien zu positionieren.23 Auch deshalb wird Qingdao in der kartografischen Repräsentation in enger Verbindung mit Europa, dem „Nabel der Welt“, gezeigt. Wie Nabelschnüre aus grünen, blauen, schwarzen und roten Linien24 führen auf den Kolonialatlanten von 1906 und 1914 die Linien sämtlicher Schiffsverbindungen, von bestehenden und projektierten Eisenbahnlinien, Telegraphen- und Telefonleitungen sowie Postdienstwege samt den dazugehörigen Stationen auf. Den Karten ist nicht anzusehen, dass das Reichsmarineamt den Reedereien Zuschüsse zahlte, damit sie trotz des unprofitablen Transportaufkommens Qingdao überhaupt anliefen (Warner 1996:266). Die Behauptung, dass die Kolonie „zu den am besten verbundenen Schutzgebieten“ (Dove 1911:70) gehöre, stellt die Hafenstadt als einen der Brückenköpfe Europas und Teil des globalen Netzes aus Handel und Kommunikation dar (Osterhammel 2013:383). Damit erhebt Qingdao 22 Vgl. „(Kleiner) deutscher Kolonialatlas“ der Deutschen Kolonialgesellschaft von 1899:8, 1901:8, 1906:8 und 1914:9. 23 Zur bestimmenden Rolle von Tirpitz in der Konzipierung und Ausstattung des kolonialen Projekts in China vgl. Mühlhahn 2012:38ff. 24 Kleiner deutscher Kolonialatlas 1906:8 und Deutscher Kolonialatlas 1914:9. Die akribische Auflistung sämtlicher Verbindungen in allen Denkschriften liefert die semantische Grundlage für diese Repräsentation.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
35
Anspruch auf einen Rang unter den „strategischen Schlüsselorten“ (Schlögel), auf Weltgeltung und eine Position im globalen Bedeutungsgeflecht. Deswegen muss der kartographische Ausschnitt von Qingdao im größeren Zusammenhang der Kolonial- und Weltverkehrskarten gesehen werden, die noch deutlicher ausdrücken, welche hohe Bedeutung dem Verkehr für die koloniale Mobilität und räumliche Expansion zugemessen wird.25 Die Deutung des Raumes, der zur Kolonialisierung ausersehen ist, die binäre Scheidung in den Raum des Eigenen und den Raum des Anderen, die Visualisierung der imaginären Grenzen und die Markierung der Zugehörigkeiten diesseits und jenseits sind gängige Praxis bei der Konstruktion kolonialer, nationalstaatlich konnotierter Territorien. Die Zeichen signalisieren Besitzansprüche und Machträume und werden von den imperialistischen Rivalen ebenso wie von den Unterworfenen verstanden, was nicht gleichbedeutend ist mit ihrer Anerkennung. Die imperialistische Markierung des eigenen Territoriums und Unterscheidbarkeit des Eigenen in der dichotomen Gegenüberstellung zum Anderen müssen ständig reproduziert, verdeutlicht und durchgesetzt werden. Für die Entwicklung der Kolonie bedeutet dies den kontinuierlichen Prozess des Aushandelns und Modifizierens, der im Verlauf dieser Studie herausgearbeitet werden soll. Es bedeutet aber auch, das Eigene nicht nur in der Negativ-Abgrenzung zu profilieren, sondern auch, es sich mit positiven Identifikationen anzueignen. Der fremde Raum wird dem Eigenen durch kulturelle Überschreibung anverwandelt, sodass ein wiedererkennbarer, vertrauter Ort entsteht, eine „deutsche Heimat“, die im imperialistischen Projekt auch als „Heimat des Deutschtums in der Welt“ fungieren kann. Solche Aneignungen geschehen nicht ohne Widersprüche und Brüche (auch innerhalb des eigenen Lagers) und dies erzeugt einen hohen Legitimationsdruck gegenüber den Gegnern einer deutschen Kolonialpolitik im Reichtag und in der deutschen Öffentlichkeit. Zwei Diskurse werden immer wieder aufeinanderstoßen: der koloniale, der die Wahl des umstrittenen Standortes einer umstrittenen Kolonie rechtfertigen muss und der kolonialkritische, der „das Drecksnest Kiautschou“26 als unverantwortliche Geldverschwendung bekämpft. Der Aufwand an Rhetorik zur Rechtfertigung der neuen ‚Erwerbung‘ ist beträchtlich. Und aufschlussreich. 25 Siehe zum Beispiel Gustav Droysens „Kolonial- und Weltverkehrskarte“ in seinem „Historischen Handatlas“ von 1886. Die imperialistische Implikation der Verkehrskarten, „that strong states, the ones who have the best traffic network, have a given natural right to overrule and dominate the ones with fewer infrastructures”, die auf Friedrich Ratzel zurückgeht, wird von Kathrin Maurer (2013) im Kapitel „Colonial Historical Maps“ detailliert analysiert. 26 So wird der Reichtagsabgeordnete Matthias Erzberger in TNN v. 25.12.1908 und OAL zitiert (nicht der von Michaelis beschuldigte Bebel, siehe Zitat S. 10). Quellennachweis siehe Eckart 1989:29, Fußnote 24.
36
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Abb. 2: Qingdao vor der Besetzung: (Richthofen 1898:242)
1.1.2 Die Konstruktion von ‚Landschaft‘ Am Horizont tauchten aus dem Blau grüne und gelbe Ränder auf: Land-- Tsingtau-- das heißt auf deutsch „die blaue Insel“ – wächst ins Bild herein; selten erlebt man eine solch prächtige Hafeneinfahrt. Bizarre Felslandschaften wechseln mit anmutig weichen und sanftgeschwungenen Hügeln der vorgelagerten Inseln. Wie ein zartes Gemälde taucht jetzt Tsingtau aus dem Meer (Semler 1939:Webseite).
Es lohnt sich, dem Blick der Kolonisatoren auf das eroberte Gelände zu folgen (Abbildung 2). „Der erste Anblick unserer Kolonie war kein erhebender. Das hügelige Land lag grau in grau da … ein farbloses immenses Wasserbecken ohne Horizont“ und „in dem grauen Einerlei einen ebenfalls in grau (dieser chinesischen Nationalfarbe) gehaltenen Ort …“ (Maercker 1902:7). Schon Georg Franzius hat von seiner Erkundungsfahrt im Auftrag des Reichsmarineamtes „kein zu günstiges Bild von der nächsten Umgebung“ (Franzius 1898:103) mitgebracht. Die Fotos von der unbebauten Küste von Qingdao zeigen kahle Berge aus dunkel verwittertem Gneisgranit mit schroffen, von Erosionsrinnen zerklüfteten Hängen und vegetationsarme Leere. An „eine unwirtliche Scholle“ erinnert sich Schrameier (1914:70), „nahezu völlig „Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
37
baumlos“ sei sie, berichtet die Kolonialverwaltung27. Die „Zerrissenheit des Geländes und seine bisherige Unwegsamkeit“ (Gerstenberg 1899: 128) wirkt alles andere als einladend. Da könnte nun zunächst auch dem größten Optimisten Angst werden, wenn er den Bericht des Geheimrat Franzius liest. Naturschönheiten sind nicht zu finden. Die Küste ist flach; (…) von Vegetation und menschlicher Kultur ist an der Landungsstelle wenig zu spüren. (…) Man kann sich denken, mit welchem Behagen Bebel diese ersten authentischen Schilderungen gelesen haben mag. Denn nun konnte er doch im Reichstage mit einem gewaltigen Schein von Recht von dem „Drecksnest Kiautschou“ sprechen, das auf Deutsch ‚Leimstadt‘ heiße … (Michaelis 1898:16)
„Ein trostloserer Aufenthaltsort läßt sich schwer denken“ (Hesse-Wartegg 1898:31). „Und so tröstet sich Franzius als guter Patriot bei seiner Landung damit, daß sein Auge sich an der wundervollen Farbenpracht erlaben konnte, in der die rotgrauen Berge und das bald tiefblau, bald grün erglänzende Wasser sich zeigten“ (Michaelis 1898:16). Dieser gefühlvoll aufgeladene Landschaftsdiskurs nimmt sich neben den nüchternen politischen Zielen der Koloniegründung seltsam aus. Diese Ziele werden im Kontext einer expansiven deutschen Flottenpolitik formuliert, die, forciert vom Reichsmarineamt unter Admiral von Tirpitz, zur Eroberung der Weltmeere einen Flottenstützpunkt mit angeschlossener Kohlestation im ostasiatischen Raum verlangt. Freilich: „Für einen Flottenstützpunkt hätten Befestigungen, eine Schiffsreparaturwerkstatt und Magazine genügt“ (Bökemann 1913:88). Auch die schon angesprochenen Ziele des Gouvernements in Qingdao, „in erster Linie seine Entwickelung als Handelskolonie als wichtiger Stützpunkt der deutschen Kaufmannschaft in Ostasien“ (Denkschrift 1898:3), lassen nicht eben ein besonderes Interesse an der umgebenden Landschaft erwarten. Was also verbirgt sich hinter dem Interesse an der geophysischen Gestalt des kolonisierten Gebiets? Die größte Aufmerksamkeit ziehen die Hügelketten entlang der Meeresküste und des Laoshan, einem Gebirge östlich dieser Hügel, auf sich. Sie werden in der Folgezeit die Wahrnehmung des Geländes von Qingdao beherrschen: „Die unmittelbare Nähe des Meeres bewirkt, daß beide Höhen [der Signalberg mit 100 Metern und der Gouvernementhügel mit 65 Metern] trotz ihrer geringen absoluten Erhebung einen immerhin stattlichen Eindruck machen“ (Wünsche/Hellgrewe [um1905].:4). Bei dem weltläufigen Journalisten löst „das wirklich herrliche Bild“ von „malerischen Klippen“ und „hohen, steil aus den Fluten aufstrebenden Felsen“ (Hesse-Wartegg 1898:21, 4) schwärmerische Be27 QDG B0001-001-149-107.
38
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
geisterung aus und der Militärpfarrer wird vor den „schroffen, kahlen Zacken“ der Prinz-Heinrich-Berge und dem „romantischen Gewirr haushoher Felsblöcke“ im Laoshan-Gebirge zu lyrischen Empfindungen inspiriert (Weicker 1908:69f.): „An der ganzen Nordküste Chinas gibt es nichts, was sich an landschaftlicher Schönheit … mit den Tälern des Lauschan, so wie sie jetzt schon sind, messen könnte“ (op.cit. 72). Auch der Gouverneur preist das Land als „ein überraschend schönes“ (Rosendahl 001-149-107 Bl. 22); den Leutnant reißt die „tiefblaue Lauschan-Bai mit den weißsandigen Ufern“ zu schwärmerischer Bewunderung hin (Bülow 1899: 401). In die Landschaft setzt der Blick pittoreske Versatzstücke und farbenfrohe exotische Einsprengsel: chinesische Dörfer mit ihren blumengeschmückten Gärten (Franzius 1898:103) und den „malerisch geschwungenen chinesischen Ziegeldächer[n]“ (Hesse-Wartegg 1898:22). Sie sind freilich nur in der Fernsicht „ein Bild des Friedens, so still und behaglich wie ein Dorf in der fernen deutschen Heimat“ (ibid.). Was sie aus der Nähe besehen in den deutschen Berichterstattern auslösen, steht auf einem anderen Blatt.28 Die semantische Massenproduktion von idyllischen und wildromantischen Landschaftsszenerien und die Stilisierung Qingdaos zu einer Palette von Landschaftsidealen verrät, „dass die Landschaft nicht in den Erscheinungen der Umwelt zu suchen ist, sondern in den Köpfen der Betrachter“ (Burckhardt 2011:33). „A landscape is a cultural image, a pictorial way of representing, structuring or symbolising surroundings“ (Daniels/Cosgrove 2007:1) und der schweifende Blick stellt eine Syntheseleistung dar, die topographische Elemente zu einem ästhetisch konnotierten Ganzen zusammenfasst. Durch die vermeintliche Trostlosigkeit der Gegend hindurch erschaut der koloniale Blick das Potential, das die Küste birgt. Nicht von ungefähr erblickt das betrachtende Subjekt die Schönheit von Tsingtau aus der Distanz. „Die Einfahrt [zur Jiaozhou-Bucht] bei der herrlichen Abendbeleuchtung war wunderschön“ (Bülow 1900: 368). „Im Hintergrund wird das Panorama abgeschlossen durch das braune, originell gezackte, imposante Lauschan-Gebirge und den Kaiserstuhl“ (op.cit.: 401). Auch der erhöhte Blick vom „Feldherrenhügel“ (Lorberg 2007:51 Fußnote), zu dessen Füßen sich stets ein ‚herrliches Panorama‘ ausbreitet, schafft den distanzierten Rundum- und Überblick. Von der Spitze des neugetauften Diederichsberges, der unmittelbar hinter Tsingtau emporsteigt, lag so ziemlich das ganze deutsche Gebiet (…) zu meinen Füßen, […] Von meinem hohen Standpunkte sah ich die ganze Bucht von Kiautschou bis an die fernen Berge ihrer Umgrenzung ausgebreitet, mit ihren Inseln, ihren vielen Einbuchtungen, malerischen Klippen, reichbebauten flachen Küstenstrecken und steilen Vorgebirgen, die sich dazwischenschieben (Hesse-Wartegg 1898:21). 28 Siehe 2.1 und Teil II dieser Arbeit.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
39
Selbst die Bismarck-Kaserne „liegt wunderschön auf einer Anhöhe am Strande mit herrlichem Blick auf die Bucht“ (Bülow 1900: 399). In der medialen Repräsentation Qingdaos nimmt der spektakuläre Rundblick über Qingdao einen herausragenden Platz ein. Am aufwendigsten sind die ausklappbaren Panoramafotografien in den Denkschriften des Reichsmarineamtes verbreitet: Hier kann das Publikum den Fotografen auf den ‚Diederichsberg‘ oder auf den ‚Signalberg‘ begleiten, um den panoramatischen Blick über Stadt und Bucht zu teilen. Dieser Blick ist von Bedeutung für die Konstituierung der ‚Landschaft‘ und des kolonialen Raumes (Abbildung 3). Der panoramatische Blick ist keine angeborene, ‚natürliche‘ Sehweise, sondern das Ergebnis eines kulturellen Perspektivwechsels, in dem sich „the modern gaze“ (Maurer 2013:37) herausbildet. „A panoramic perspective embodies a visual experience of a wide field of view aiming to represent an all-encompassing sight“ (Maurer 2013:30). Das Panorama ist der Ort, an dem der Blick erzogen wird als Vogelperspektive auf Gipfel und Türme und in der Illusion von Panoramen: Im 19. Jahrhundert sind Ausstellungen großformatiger Bilder zu unterschiedlichen Themen populär, die zu einem einzigen 360-Grad-Rundbild montiert wurden. Aus der Vogelperspektive der Betrachterplattform schweift der distanzierte allwissende Blick über die ‚Welt‘ aus Illusionsmalerei. „The panorama staged the self-perception of the bourgeois, in all its self-empowerment and emancipation (Maurer 2013:34). Es ist die Perspektive des allwissenden Auges Gottes, das aus unendlicher Ferne auf grenzenlosen Raum und die Ewigkeit schaut. Mit dem Haraway‘schen „God-trick of seeing everything from nowhere“ (Haraway 1991:18) übernimmt das bürgerliche Subjekt die übermenschliche Perspektive des Allsehenden, Allwissenden und befreit sich mit der eigenen Erkenntnisfähigkeit von der Unterwerfung unter die zentralperspektivische Weltordnung der Theologie und des Absolutismus. Zugleich wird es selbst als Ausgangspunkt des Sehens unkenntlich, sodass die eigene Perspektive als objektiver und universell gültiger Blick auf die ‚natürliche‘ Wirklichkeit erscheint. In dieser Wirkung ähnelt das Panorama dem Panoptikon, dem fünfzig Jahre zuvor von Jeremy Bentham entworfenen Gefängnismodell, wo ein 360-Grad-Blick sämtliche Zellentrakte erfassen kann, ohne für die Überwachten sichtbar zu sein. Der permanente Sichtbarkeitszustand ohne Gegenblick als asymmetrisches Prinzip der Überwachung und Kontrolle hat das Panoptikon zur Metapher für die Macht in der Moderne gemacht (Foucault). Die Omnipräsenz des unsichtbaren Allsehenden, Allwissenden im Panorama wie im Panoptikon wird das Sehmodell für die distanzierte Betrachtung der eigenen und der fernen Welt (Lorberg 2007:52). Das Panorama ist das Medium „that expands the European gaze to the South; makes far away countries connectable and suitable for a European aesthetics und worldview“ (Maurer 2013:168). Die Inszenierung in Panoramen ist besonders geeignet für die politische Propaganda des Kaiserreichs: Sie visualisiert natio-
40
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Abb. 3: Panorama von Tsingtau: BArch, Bild 137-035-494/o.Angabe
nale Geschichte‚ nationale Themen und die kolonisierte Welt aus der erhöhten Perspektive der Macht und Unterwerfung. Wie die anderen um die Jahrhundertwende schon einflussreichen Massenmedien für den „armchair traveller“ lädt sie auf den erhöhtern Feldherrenhügel ein zur endlos wiederholbaren symbolischen Reinszenierung der kolonialen Eroberung (Lorberg 2007:51). Gleichzeitig entschärft die vertraute Semantik bekannter Stereotype und Klischees über das Fremde/ die Fremden, die in den Panoramen ausgebreitet werden, das Bedrohliche in der Unendlichkeit des fremden Raumes. Seit dem 18. Jahrhundert formt die Ästhetik des Panoramas in der Malerei und in den Landschaftsparks auch die Wahrnehmung von „Landschaft“; ein Begriff von ‚Landschaft‘ als neues Verhältnis der Stadt zu ihrer Umgebung bildet sich aus. Er entsteht im Feldherrrnblick des Bürgers aus der Stadt heraus – von der „Beletage des Hochparterre“, wie Lorberg (ibid. Fußnote 84) es nennt – auf die umgebende Nicht-Stadt. In dem, was für die Bewohner der Umgebung agrarisches Nutzland und Subsistenz ist, sieht der Bürger „Landschaft“. Dieser „landschaftliche Blick“ negiert Zweck und Bedeutung des Landes, indem er es
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
41
ästhetisiert. Geschult an der Landschaftsmalerei und an den ‚Englischen‘ oder ‚Landschaftsgärten‘ der Aufklärung, eignet sich das wohlhabende Bürgertum im 18. und frühen 19. Jahrhundert das agrarische Land als ästhetisches Erlebnis an. In der Abstraktion – aus Weglassen und Zusammenfassen zum ‚Bild‘ (Burckhardt 2008:82) – wird ‚Landschaft‘ zur metaphorischen Selbstverortung des Bürgers und am Ende des 19. Jahrhunderts schließlich zur ästhetischen Gegenmacht zu industrieller Hässlichkeit und Entfremdung (Lorberg 2007: 57ff ). Das Malerische geht in das Idealbild der Stadt ein: „[D]ie Stadt am Hang entspricht nun den pittoresken Gestaltungsabsichten der Architekten und Städtebauer“ (Frey 2008:312). Die Natur übernimmt die Rolle „als pittoresker Hintergrund, als optischer Rahmen für die schöne Stadt“ (Frey 2008:312). Mit dem Lustwandeln in Schönheit wird „die Freude an der ‚reinen‘ Naturbeschreibung immer wieder zwangsläufig von einer Verdoppelung der „terranullius“-Doktrin des ‚herrenlosen Landes‘ überholt“ (Noyes 2002:132), indem die Geschichte des Ortes – der kulturelle Kontext, der dem Landstrich Bedeutung und Nutzung eingeschrieben hat – aus der pittoresken Szenerie vertrieben wird. Die Enthistorisierung ist die eine koloniale Wirkung der Landschaftskonstruktion. Die andere ist die Verschiebung des Land-Wertes. Nicht die landwirtschaftliche Eignung des Bodens und der Topographie, die für seine Bewohner ausschlaggebend ist, sondern seine ästhetischen Qualitäten, die im Urteil der Nicht-Bewohner entstehen, bestimmen nun maßgeblich den Wert des Landes. Diese Verfügungsmacht leugnet die ökonomischen und sozialen Fragen des ‚platten Landes‘; die ästhetisierte Landschaft wird zum ‚Wert an sich‘, wird nur als solche wertvoll. Der erklärte Ehrgeiz der deutschen Kolonisatoren, eine wertvolle Kolonie zu besitzen, begründet die Entschlossenheit zu ‚herrlicher Landschaft‘ als Kulisse für die repräsentativen Bedürfnisse der Kolonie. Erst ‚Landschaft‘ macht das Land an der Jiaozhou-Bucht begehrenswert. Die Transformation chinesischen Bauernlandes in ‚herrliche Landschaft‘ bewirkt eine folgenschwere Inwertsetzung, die sich in grundsätzlichen Entscheidungen über die Ordnung des kolonialen Raumes, d.h. in der Stadtanlage und den Bebauungsplänen, niederschlägt. Der ‚Wert an sich‘, der einer Landschaft eingeschrieben worden ist, wertet den auf, der darüber verfügt oder sich damit identifiziert. Ein hoher ästhetischer Reiz verschafft der Kolonie und ihren Protagonisten Anerkennung und Status. Auf diesen Besitz „eines Schatzes an landschaftlicher Schönheit“ (Deutsche Kolonien 1914:154) kann ein jeder stolz sein; nicht „Drecksnest“, sondern „ein freundliches, ein heimathliches Stück Erde“ (Goldmann 1898:31) ist dieses „Neu-Deutschland in China“. Und da es „sich gewaltig mit Dolomitencharakter“ erhebt (Deutsche Kolonien 1914:154) und „an ein Stück der deutschen Alpen“ erinnert, „hat [es] auch allen Anspruch darauf, ein deutsches Gebirge zu werden“ (Goldmann 1898:31).
42
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Diese semantische und symbolische Überschreibung der chinesischen Region verweist auf den doppelten Charakter der Aneignung des Fremden als Anverwandlung und als Inbesitznahme. Während das heimatliche Stück Erde den territorialen Anspruch auf „Neu-Deutschland in China“ untermauert, überscheibt die diskursive Repräsentation das fremde Land in der eigenen Bildersprache als ‚Landschaft‘, bis es für die deutschen Akteure kenntlich ist. „Unser Auge, unser Schönheitssinn ist nun einmal an dem Ideal der südeuropäischen Landschaft erzogen, und wo wir ihre vertrauten Züge wiederfinden, da erscheint uns das Antlitz der Erde schön“ (Doflein 1906: 46 über Hongkong). Gerade in der Stereotypisierung erscheint das normierte Landschaftsbild als ‚Normalität‘ und als Angebot, sich darin heimisch zu machen; in der als ‚heimatlich‘ codierten Landschaft liest das Subjekt seine (nationale) Identität und findet seinen Halt gegen die Verlorenheit im leeren Raum. Dass mit einer massenwirksamen Popularisierung von Ideallandschaft unter einem zahlungskräftigen und reisefreudigen bürgerlichen Mittelstand empfindsames Naturerleben in wenigen, ständig wiederholten touristischen Klischees der Überwältigungssemantik verronnen ist, tut dem ‚Landschaftserleben‘ in Tsingtau keinen Abbruch; die Beschreibungen im Superlativ-Jargon von Reiseprospekten steigern eher die Vertrautheit dieser sprachlich eingehegten Fremde und laden zur Identifikation auch die ein, die das Land nie gesehen haben. Als Heimat wird das koloniale Territorium an die nationalistischen Diskurse angeschlossen, in denen der imperialistische Konkurrenzkampf als nationales (Überlebens)Interesse stilisiert und legitimiert wird. Von deutscher Seite wird der Kampf vor allem und intensiv mit England ausgetragen; die etablierte und wirtschaftlich erfolgreiche Kronkolonie Hongkong ist Maß und Vorbild der deutschen Bestrebungen in Qingdao. Die Erwartung, „daß das Kiautschou-Gebiet in verhältnismäßig kurzer Zeit alle möglichen Ansiedelungen an den Küsten Chinas einschließlich Hongkongs in den Schatten stellen wird“, ist eine wesentliche Triebkraft für die Gestaltung der künftigen Stadt. Da Hongkong „eines der schönsten Landschaftsbilder der Welt“ (op.cit:45) verkörpert und für viele Europäer „ein Ersatz für Europa“ (op.cit.:47) ist, muss die Rivalin gerade in der Konkurrenz um Landschaft und ‚Heimat‘ herausgefordert werden. Im ‚landschaftlichen Blick‘ auf die Berge an der Jiaozhou-Bucht konstruieren die Akteure das Potential dafür. Angesichts der kahlen, unwirtlichen Region jedoch, die so gar nicht den Normen idealer Meeres- und Gebirgslandschaft entsprach, erweist sich die Schönheit ‚Tsingtaus‘ eher als Vorgriff auf eine Zukunft, in der deutsche Kultur und deutsche Tüchtigkeit alle Ansprüche an blühende Landschaften erfüllen würde. Auch England hat schließlich erst aus einer Landschaft „[o]eder als der Lauschan“ „auf Hongkong einen paradiesisch schönen Ort geschaffen“ (Richthofen
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
43
1898:265). Was England gelungen ist, werde deutscher kultureller Überlegenheit schon lange gelingen. Angesichts eines „gesünderen Klimas und eines sehr viel günstigeren Geländes“ (op.cit.:266) werde Qingdao Hongkong in wenigen Jahren übertrumpfen. In diesem Diskurs kommt der Aufwertung der natürlichen Voraussetzungen durch Landschafts- und Gesundheitskonstrukte eine wichtige Aufgabe zu, schon um den Gegnern der Kolonie in Deutschland die Grundlage für ihre höhnischen Kommentare zu entziehen. Dass Qingdao im künftigen Dreibund der deutschen Marinestädte mit Kiel und Wilhelmshaven auch noch einen interessanteren Küstenstandort beisteuern kann (Maercker 1902:23), kommt dem entgegen: „Gebirge, Wald und Meer. Wo hätten wir das in Deutschland zusammen?“ (Tsingtau-Führer 1906:12). Schon in diesem Kontext zeigt sich: Die Freude an der Landschaft ist nicht zu trennen von der Freude über die Landschaft. Koloniale Begehrlichkeit hat in der Schönheit nicht nur den ‚Wert an sich‘ entdeckt, sondern vor allem den ‚Wert für sich‘ und schließlich auch den ‚Wert für mich‘. Was wertvoll ist, ist auch exklusiv und teuer. Den Landschaften wohnen noch ganz andere Qualitäten inne. Die ‚malerischen‘ Hügel bergen ‚Südhänge mit Meerblick‘, in Gebirgsszenerien zeichnen sich die Konturen von ‚Kurheimen‘ und ‚Ausflugsorten‘ ab, in Sandbuchten liegen ungehobene Schätze von ‚Sommerfrischen‘ und ‚Seebädern‘. ‚Meerblick‘ und ‚Südhänge‘ erweisen sich hier als Synonyme für begehrenswertes, statusbildendes Wohnen, dessen Wert durch Badestrand und Freizeit-Hinterland noch steigerungsfähig ist. So wird nachvollziehbar, warum die „natürlichen Schönheiten der felsigen Höhenzüge“ unbedingt in das Stadtbild einbezogen werden sollen (Maercker 1902:23). Hier wird die ‚reine‘ Landschaft in eine Kulturlandschaft tranformiert, die als soziales Gut ihren wahren (Waren-)Wert entfaltet – nämlich als Bauland der Privilegierten. Der Topos der ‚herrlichen Landschaft‘ bleibt als Wertkriterium erhalten. In der ritualisierten Geselligkeit des Spazierengehens, der Ausritte, der Ausflüge und Picknicks, der Erholungsurlaube im Laoshan, der Strandpartien und der Sportereignisse vor der ‚herrlichen Kulisse‘ des „Iltisberges“ (Yüshan) und vor allem im Reden (Schreiben) darüber wird ‚die herrliche Landschaft‘ reproduziert und beglaubigt. In der Begründung der Standortwahl für die Europäerstadt gegenüber dem vorgesetzten Reichsmarineamt resp. der deutschen Öffentlichkeit wird das Interesse an prestigeträchtigen Wohnlagen allerdings verschwiegen. Offiziell sind bereits anderslautende Planungsvorgaben ergangen. Im Zuge seiner Erkundung 1897 hat Franzius Vorschläge für die Anlage eines geschützten Hafens in der Jiaozhou-Bucht entwickelt; Franzius legt nahe, dass sich die dazugehörige Siedlung direkt daran anschließen, d.h. nordöstlich der Berge in der Ebene gebaut werde. Das Reichsmarineamt übernimmt die Vorschläge und arbeitet entsprechende Pläne aus. Diese Version wird vom Gouvernement zurückgewiesen:
44
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
„Die Etablierung einer neuen geschlossenen Stadt an dem neuen Hafen … verbietet sich durch die Örtlichkeit“ (001-149-201 Bl 7).29 Landschaftliche Schönheit ist gewiss kein plausibles Standortkriterium für eine Marinegarnisons- und Hafenstadt. Denn „es sprachen … viele Gründe dafür, die Stadt hierzulegen“ (Maercker 1902:10 DKZ), d.h., auf „ein ausgedehntes, ziemlich ebenes, sandiges Gelände“ (ibid.) direkt an der Bucht, das als Bauland sehr viel billiger zu erschließen war als die felsigen und zerklüfteten Berghänge. Für die Verteidigung des neuen Standortes bedarf es daher einer gewichtigen Rechtfertigung: In der Ebene an der Bucht sei „wegen des Mangels jeden Schutzes gegen die nordwestlichen bis nordöstlichen Winterwinde und wegen des Fehlens der erfrischenden Seebrise aus Süden bis Südosten während der heißen Zeit ein angenehmes Wohnen für Europäer nicht möglich“, „sodaß kein Europäer dort wohnen wird, soweit er es nicht als Aufseher am Hafen pp. muss“ (Denkschrift 1898:13). Es wird sogar eine Handskizze der Windströme angefertigt, um das Argument visuell zu untermauern. Später werden dafür auch ‚wissenschaftlich‘ erhobene Klimadaten hinzugezogen (Denkschrift 1898:12). „Wohnstätten müssen also so angelegt werden, daß sie gegen Norden geschützt, gegen Süden den Seewinden geöffnet sind. Die Chinesen führen das scharf durch. Ihre Dörfer sind fast immer gegen Norden durch Höhen gedeckt“ (Maercker 1902:10 DKZ). So ergibt eine glückliche Fügung, daß der Schutz der Europäergesundheit zusammenfällt mit dem Verlangen nach Wohnlagen mit Meerblick: „Für die eigentliche Wohn- und Geschäftsstadt kommen nur die Südhänge der Berge nach der Tsintau-Bucht in Frage und dem entsprechend ist der Bebauungsplan für die neue Stadt aufgestellt worden“ (Denkschrift 1898:13). Diese Argumentationskette hat sich unauslöschlich in das diskursive Repertoire eingeschrieben: Keine Legitimationsgeschichte von Qingdao kommt ohne den Hinweis auf die klimatischen Exzesse aus, die die Gesundheit und das Überleben der Europäer bedrohen. So wird die Natur politisiert, zugleich aber auch die Politik naturalisiert: „Aus der eigenartigen Gestaltung des Geländes gab sich die Form der Lösung der ersten Aufgabe der Verwaltung: Unterkunft, Hafenbau für das Geschwader und den Handel, Verbindung mit dem Hinterlande, Landeskultur und Sicherung“ ( Janson 1915:6). Wenn die Natur selbst die Anordnungen im Raum vorgibt, dann ist die Politik, die den Vorgaben folgt, nichts weniger als objektiv vernünftig und unumgänglich. Die diskursive Verknüpfung der Ebene westlich der Höhenzüge mit einer Gesundheitsgefährdung aus ‚Mangel‘ und ‚Fehlen von …‘ verlagert einen Disput über diese Raumaufteilung weg von dem brisanten Thema des „Schöner-Wohnens“ auf das Feld der Gesundheit, das die Gesundheitsdiskurse von Qingdao bereits gut bestellt haben (siehe Teil II). Zwar legen Gegner der Tsingtau-Politik 29 QDG B0001-001-149-201.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
45
den Finger genau auf diese wunden Punkt (Corbach 1903: 478), aber an der negativen Konnotation der Ebene im Westen als unzumutbarem Wohnraum können sie ebenso wenig gerüttelt werden wie an der Exklusivität der Südhänge von Qingdao. Diese soziale Wertung ist bis auf den heutigen Tag in der 8-Millionen-Stadt Qingdao wirksam.30 Das Reichsmarineamt hatte keine Einwände gegen die Überschreibung seiner eigenen Planungen. Für Tirpitz als Chef des Ministeriums ist ein erfolgreiches und attraktives Qingdao die Möglichkeit, „im deutschen Vaterlande ungeheuer an Autorität und Prestige [zu] gewinnen“. Jede Aufwertung der Kolonie ist dienlich, kann sie doch „in das credit der Marine eingetragen werden und in ihren Folgen der Marine zu gute kommen“.31 Mit dem Landschaftsdiskurs gelingt es, chinesisches Bauernland, das überdies einer gefährlichen Unruheprovinz zugerechnet wird, in ein für die Kolonisatoren begehrenswertes Gut zu transformieren und die zu gründende Stadt in einem Sinnzusammenhang zu situieren. Dieser bemerkenswerte Vorgang ist deswegen erfolgreich, da der Diskurs der Topographie des Ortes eine im europäischen Denksystem wurzelnde Ästhetik einschreibt und damit für eine europäische Wertordnung verfügbar macht. Er löst damit das Versprechen der „imaginative geography“ ein und lässt den vom fremden Dort abgetrennten Raum des Eigenen erstehen, der als ‚wertvoll‘ codiert ist und zur Identifikation mit ‚Neu-Deutschland in China‘, sogar mit ‚Heimat‘ einlädt. Der Übergang chinesischen Bauernlandes in ein für Deutsche begehrenswertes soziales Gut wird realisiert durch die faktische Zwangsenteignung der Bevölkerung. Diese Transaktion leitet die Umwälzung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Subsistenzwirtschaft der Region und die Integration des Ortes in die imperialistische Weltwirtschaft ein. Wie diese Transformation verläuft und wie auch hier die Strategien der Exklusion die Dichotomie der kolonialen Gesellschaft fördern, wird in der Konzeption und Praxis der ‚Tsingtauer Landordnung‘ sichtbar.
1.1.3 Land zu Ware: Die Überschreibung des chinesischen Raumes Es war aber auch ein herrliches Gelände, das zum Verkauf stand (OAL vom 31.10.1898).
Am Beginn dieser Transformation steht die Landenteignung. Dieser koloniale Gewaltakt setzt jedoch die imperialistische deutsche Selbstdarstellung aufs Spiel. Deutschland bezieht sein noch schwaches Selbstwertgefühl als „zu spät 30 Siehe Kapitel 2. 31 BArch RM3/6699:1–11, zitiert nach Mühlhahn 1997:171.
46
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
gekommene“ Weltmacht aus der Fiktion moralischer und kultureller Überlegenheit über die bereits etablierten Kolonialrivalen. Nicht krude Ausbeutung, sondern der „Schutz der Eingeborenen“ in den Kolonien, die deswegen auch offiziell als „Schutzgebiete“ firmieren, leite den deutschen Zivilisierungsauftrag („die deutsche Kulturmission“) in der Welt. Dazu gehört auch die Fiktion einer harmonischen Übereinkunft mit China, im „Schutzgebiet Kiautschou“ deutsche ebenso wie chinesische Interessen zu wahren und zu fördern. Tatsächlich aber werden die ansässigen Bauern und Fischer durch ein ihnen aufgezwungenes Rechtsverhältnis von ihrem Grund und Boden vertrieben: durch den Kaufvertrag. Der Kauf basiert auf der Vorstellung, dass Land eine Ware ist, die durch Kauf in das Privateigentum ders Käufers übergeht – eine für die chinesische Sozialordnung völlig fremde Definition von Agrarland. Die Kolonialverwaltung erlässt deswegen eine „Landordnung“ und ein damit einhergehendes „Vorkaufsrecht“ des Gouvernements. Die Bestimmungen besagen, dass „für die Regierung das ausschließliche Kaufrecht in der Weise erworben worden [ist], dass sich die Besitzer (…) verpflichtet haben, der Regierung jeder Zeit ihr Land zu vereinbarten festgesetzten Preisen zu überlassen“.32 Die Kolonialverwaltung begründet dieses Monopol mit der Absicht, Bodenspekulation (wie in Shanghai und Hongkong) zu verhindern, und Baugrundstücke nur nach den Vorgaben der Bebauungspläne für Tsingtau an Investoren und Interessenten abzugeben. Der Baugrund wird in Auktionen verkauft, die Gewinnspannen und eine ‚Wertzuwachssteuer‘ bei Wiederverkauf fallen dem Gouvernement zu. An die Stelle der chinesischen Eigentumsverhältnisse treten damit Rechtsvorstellungen und -ordnungen, die den deutschen Interessen dienen und gleichzeitig dazu geeignet sind, der Expropriation der Chinesen einen legitimierenden Rahmen von Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit zu verleihen. Welche Ordnung mit den deutschen Rechtsnormen in das chinesische Leben eingezogen wird, klärt die Semantik der Expropriation. Zunächst zum Terminus des „Vor-Kaufs-Rechts“: • Das Kauf-Recht verwandelt das chinesische Subsistenzland in eine Ware. Die damals herrschende Naturalwirtschaft der chinesischen Bauern kennt praktisch keinen Landverkauf, sodass „eine eigene Preisbildung für Land durch Angebot und Nachfrage seither überhaupt nicht stattgefunden hat“ und die Menschen „mit dem vorgesehenen Silbergeld überhaupt nichts anfangen“ können.33 • Desungeachtet nehmen sich die Besatzer das Recht dazu, da diese „primitiven Verhältnisse“ (ibid.) überwunden werden müssen. Da „sein Land mit der Besitzergreifung zu Hafen- und Eisenbahnanlagen, zu Wohnungen und 32 QDG B0001-001-149-107. 33 Monatsbericht Januar 1898, BArch RM3/6697, abgedruckt in Mühlhahn 1997:186.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
47
zu Fabriken, kurz zu einer modernen Entwicklung im europäischen Sinne verwandt werden sollte“ (Schrameier 1914:5), wird dem chinesischen Bauern die Vernichtung seiner traditionellen Existenz als Fortschritt verkauft: durch die Integration in das kapitalistische Kolonialsystem wird er aus seiner ‚Rückständigkeit‘ und „Unterwürfigkeit“ gegenüber der „absolute[n] Autorität“ der chinesischen ‚Mandarine‘ und Magistratsbeamten befreit und aus seiner Armut erlöst.34 Sobald das Land gebraucht wird, werden Häuser, Warenlager und andere Anlagen dort entstehen, bei denen ihr als Handlanger oder Werkleute Beschäftigung finden und damit mehr Geld verdienen könnt als bisher als Bauern.35
• Das Vor-Recht des Landkaufs gilt dem Staat, d.h. der Kolonialverwaltung vor allen anderen Interessenten. Da das Gouvernement die (finanziellen) Interessen der „Gesammtheit der Gemeinde“ (Denkschrift 1898:5) repräsentiert, kommt die Monopolisierung allen Bodens in seiner Hand einem sozialpolitischen Akt gleich. • Ebenso gut lässt sich das Vor-Recht auch definieren als das Handeln vor dem Recht, das erst im Akt des Landraubs und als Recht des Stärkeren geschaffen wird. Die Ordnung des Landes ist als ganz große sozialpolitische Errungenschaft in die zeitgenössische Repräsentation der Kolonie eingegangen und nimmt bis heute36 einen breiten Raum in der Gründungsgeschichte von Qingdao ein. Dies wird möglich, da die Tatsache der Zwangsenteignung der chinesischen Bauern aus dem Diskurs gelöscht und die semantische Leerstelle, die das Verschweigen hinterlässt, mit der ‚Landordnung von Tsingtau‘ gefüllt ist. Die Rechtfertigung, damit „ungesunde Landspekulation, insbesondere das massenhafte Aufkaufen von Land zum Zwecke von Preistreibereien, zu hindern“ (Denkschrift 1899:7),37 wird in der Berichterstattung der ersten Jahre wiederholt mit der Bedrohung der Kolonie durch Spekulanten untermauert: 34 Diederichs BArch RM3/6697 Bl. 216ff. 35 Bekanntmachung vom 6. April 1898 an die Bewohner von Tapatau; zit. nach Schrameier 1914:8. 36 Ganz besonders bei Matzat 1998a und, von ihm herausgegeben, Friedrich 1992. Siehe auch Huang 1999:80: „Einmalig war die Landordnung im deutschen Schutzgebiet, die wirklich als gelungen betrachtet werden muß.“ 37 Das ‚Vorverkaufsrecht‘ wurde ergänzt durch eine ‚Wertzuwachssteuer‘, mit der die Verwaltung sich bei Wiederverkäufen eine Beteiligung an steigenden Grundstückspreisen sicherte. Sie spielt in der Verteidigung der ‚Landordnung‘ eine immense Rolle, ist für den Zusammenhang hier aber von untergeordneter Bedeutung.
48
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Einmal war unschwer vorauszusehen, daß die Chinesen selbst, deren kaufmännische Veranlagung bekannt ist, die Grundstückspreise rasch in die Höhe treiben würden. … [Dies hatte sich] alsbald erfüllt, indem die Grundbesitzer in den bestgelegenen Dörfern den Versuch machten, unter einander eine Art Ring zu bilden und unter Ausschluß jeder gegenseitigen Unterbietung ihre ursprünglichen Forderungen binnen kurzer Zeit auf etwa das Zehnfache zu steigern (Denkschrift 1898:4).
Eine zweite, „nicht geringere Gefahr“ stellten „fremde Spekulanten“ (ibid.) durch „das Aufkaufen von Seiten größerer Kapitalisten bzw. Konsortien zu Spekulationszwecken“ dar. 38 Die Bedrohung kommt also von innen (durch die einheimische Bevölkerung) und von außen (durch fremde Spekulanten). Und beide wollen „die Preise zum Nachtheil aller Ansiedler in die Höhe schrauben“,39 sodass sie „es dem kleinen Anbieter unmöglich gemacht hätten, sich hier niederzulassen“.40 Das Anrecht der (deutschen) Käufer auf die Vorteile eines vorteilhaften Landkaufs steht ebenso wenig in Frage wie die Pflicht des Staates, dieses „Anrecht“ zu schützen. Mit dieser Argumentation begegnet das Gouvernement der massiven Kritik, die ihm besonders von den Kaufleuten in Qingdao und Shanghai und seitens der Kritiker im Reichstag entgegenschlägt, da diese sich in ihren Geschäften und ihren Freihandelsprinzipien eingeschränkt sehen. Die der Bodenreformbewegung entliehenen Begründungen stellen die Landreformfrage in einen fremden ökonomischen und politischen Kontext. Chinesische Kleinbauern und kapitalistische Investoren erscheinen ebenbürtig als Spekulanten und so als verbündete Widersacher des ‚kleinen Mannes‘ aus Deutschland, der sich um sein Recht auf eine bescheidene Existenz in der Kolonie gebracht sieht. Militärpfarrer Weicker lässt das Publikum in Deutschland „[d]en Pulsschlag der Gerechtigkeit in diesen Forderungen … herausfühlen“, der „auch dem kleinen Manne möglich [machte], auf eigener Scholle zu wohnen“ (Weicker 1908:106). Aber die Argumentationslinien zeitigen Wirkung, und die ‚Tsingtauer Landordnung‘ geht als Akt sozialer Gerechtigkeit in den Modernisierungsdiskurs ein.41 Gleichzeitig ist dem Gouvernement daran gelegen, seine exzellenten kolonisatorischen und friedensstiftenden Fähigkeiten herauszustellen, denn zu den 38 QDG B0001-001-150-50:6. 39 Ibid. – Hervorhebung H. R.). Das Drehen an der Preisschraube besorgten dann die zumeist deutschen Investoren, die mit ihrem Mietwohnungsbau Qingdao zur teuersten Hafenstadt Chinas machten (Ohlmer 1913:257f, zitiert nach Warner 1996:230). 40 QDG B0001-001-150-50:6. 41 Unterstützt wurde die Selbstdarstellung von den Kreisen der deutschen Bodenreformer um Adolf Damaschke. Dort wurde Qingdao als die modellhafte Verwirklichung ihres Programms herausgestellt (Matzat 1898:28).
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
49
Angriffen von Investoren auf die Grundstückspolitik im Pachtgebiet kommt massive Kritik aus Deutschland an der gewalttätigen ‚Befriedung‘ im ‚Hinterland‘ der Kolonie und an dem militärischen Einsatz der Qingdaoer Streitkräfte im ‚Boxerkrieg‘. In der Rechenschaftslegung wird daher stets der Nachweis harmonischer, freundschaftlicher Verhältnisse und des „Vertrauens“ der chinesischen Bevölkerung zur deutschen Regierung bemüht. Gerechtigkeit auch gegenüber den enteigneten Chinesen ist ein zweiter Topos der ‚Landfrage‘. Im Rahmen der bei der Besitzergreifung des Platzes aufgestellten Landpreise fanden die Entschädigungen in streng gerechter und liberaler Weise statt. Die gerechte und wohlwollende Bemessung der Entschädigungsansprüche der Landbesitzer hat nicht im wenigsten dazu beigetragen, das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung zum Gouvernement zu stärken (Denkschrift 1901:13).
Das Konstrukt der Freiwilligkeit untermauert die Rechtmäßigkeit. Es mußte einwandfreier und billiger erscheinen, jenen Rechtszustand [der Landübertragung – H.R.], soweit die jetzigen Landbesitzer in Betracht kommen, auf dem Vertragswege durch freie Verhandlungen mit denselben herbeizuführen.42
Ein „Vertrag“, geschlossen in angeblich freien Verhandlungen, weckt die Vorstellung der vertrauten und vertrauenswürdigen Praxis eines Rechtsgeschäfts zwischen gleichen und gleichberechtigten Vertragspartnern. Aufwendige Verhandlungen mit den Dörfern über die Höhe der Entschädigungen auf der Grundlage der chinesischen Steuerlisten sollen beweisen: „Die Steuerzahler haben sich mit den Vertragsbedingungen einverstanden erklärt“, „durch freiwilligen Verkauf“ ihr Land an das Gouvernement abzutreten.43 So wichtig ist das Gerechtigkeitskonstrukt, dass der „Abkauf“ des Landes sein gemaltes Abbild in einem Schulwandbild über ‚Kiautschou‘ findet: Dieses Unterrichtswandbild führt eine Verkaufsverhandlung zwischen einem deutschen und einem chinesischen Regierungsbeamten vor, was „in aller Form Rechtens“ von einem chinesischen Schreiber protokolliert wird und deswegen „nicht im geringsten den Charakter des gewaltsamen Annektierens“ hat (Wünsche/Hellgrewe [um 1905]:9). Auch in der Geschichtsschreibung hat sich diese Version gehalten: „Zwangsenteignungen wurden nicht durchgeführt“ (Warner 96:106). Dabei ist den Verantwortlichen völlig klar, was es mit der ‚Freiwilligkeit‘ auf sich hat: 42 Bemerkungen zur Behandlung der Landfrage in dem deutschen Gebiet an der Jiaozhou-Bucht. Bericht des Chefs des Kreuzgeschwaders in Ostasien, Diederichs (Ende Januar 1898). BArch. RM 3/6697, Bl.232–241. 43 QDG B0001-001-149-101:1.
50
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Die Landbesitzer wissen, daß sie auf ihr Land mit ihren notwendigen Lebensbedürfnissen angewiesen sind und sind dem Verkauf ihres Landes aus diesem Grunde abgeneigt. […] Eine Willigkeit zum Verkauf ist nicht vorhanden. Es muß dahingestellt bleiben, ob seitens der Landbesitzer nicht wie der Verkauf selbst, so auch die Höhe des angebotenen Kaufpreises gleichsam als einer höheren Notwendigkeit zugestimmt worden ist.44
Diese „höhere Notwendigkeit“ liegt in der „Expropriationsbefugnis“ (Schrameier 1914:10) des Gouvernements. Das „Tsingtau-Land“ wird „expropriiert durch Proklamation“,45 doch „die Eigenthümer weigern sich, bis jetzt das Kaufgeld abzuheben“ (ibid.), da sie die ‚Expropriation‘ nicht anerkennen. Auch das „TapautauLand“ wird keineswegs ‚verhandelt‘, sondern „durch Enteignung auf Grund einer Proklamation“ in Besitz gebracht,46 da „die Landbesitzer von Tapatau und Tsingtau übertriebene Forderungen stellen und trotz mehrfacher Ermahnungen bei denselben beharren“.47 Andere Ländereien werden „konfiscirt in Ausführung eines Strafbefehls“ (ibid.), auch „zwangsweise zu den angegebenen Preisen, wenn die Eigentümer nicht freiwillig zu annähernd denselben Preisen ihr Land verließen“, enteignet.48 So werden die chinesischen Familien eine nach der anderen „ausgekauft“49. Die am 10. Februar 189850 zwangsweise festgesetzten Kaufpreise von umgerechnet 2,7 bis 8,1 Pfennig/qm (ibid.) gelten als gerecht, da sie der Höhe der Entschädigungen zugunsten des chinesischen Garnisonsbaus vor der Besetzung entsprechen. Demgegenüber hat der auktionierte Grundstücksverkauf im Oktober 1898 „durchschnittlich 1–2 $ gebracht“ (OAL 31.10.1898:40), das sind 2–4 Mark/qm. Angesichts eines Ertrages von insgesamt 10.4245 $51 für den Kolonialfiskus kann die Zeitung „diese Behörden zu dem Ergebnis nur beglückwünschen“ (ibid.). Diese Zahlen werden als Erfolgsmeldungen öffentlich bekanntgegeben, ohne dass der Gerechtigkeitsdiskurs Anstoß daran nimmt: Für Chinesen gelten eben „chinesische“ Gerechtigkeitskriterien, die ‚naturgemäß‘ andere sind als für Deutsche und dies ungeachtet der Tatsache, dass die Besatzung alle Lebenshaltungskosten um ein Vielfaches in die Höhe getrieben hat. 44 45 46 47
Wie Anm.45. QDG B0001-001-149-97:1–4. QDG B0001-001-149-101:1. Bekanntmachung Kapitän z. See Carl Rosendahl 10. Februar 1898, zitiert nach Schrameier 1914: 6f. Auch die schillernden Konstrukte von „Wert des Landes“ und „Preis“ wären einer genauere Untersuchung wert. Diese würde den hier gesetzten Rahmen jedoch sprengen und soll deswegen unterbleiben. 48 QDG B0001-001-150-50:3. 49 QDG B0001-001-150-112. 50 QDG B0001-001-150-50:5. 51 QDG B0001-001-149-217.
„Kiautschou“: Eine Kolonie wird konstruiert
51
Auch eine weniger drastische koloniale Asymmetrie hätte den schwerwiegenden Einbruch der sozial-ökonomischen Verhältnisse nicht auffangen können, den die erzwungene Transformation chinesischen Subsistenzlandes in eine kapitalistische Ware für die etwa 3.500 chinesischen Bauern- und Fischerfamilien im Stadtbereich von Tsingtau bedeutet. Mit dem Verlust ihrer Existenzgrundlage werden die chinesischen Bauern schnell in eine Geldökonomie eingebunden. „[A]uch die Chinesen haben bereits den Wert des Geldes sehr schätzen gelernt“, heißt es im April 1898 in gedankenlosem Zynismus,52 weshalb auch sehr bald „jede gewünschte Zahl von Tagelöhnern ohne Mühe zu erhalten [ist]“,53 denn die hohen Preise zwingen sie, ihren Lebensunterhalt als Lohnarbeiter im Dienste der Deutschen zu sichern. Aus Bauern, deren Abfindungen nicht ausreichen für eine neue Existenz,54 werden lohnabhängige „Kulis“: Bauarbeiter im Haus-, Straßen- und Hafenbau, Hafenarbeiter, Lastenträger, Rikschafahrer und andere Diener, Händler, Gastwirte, Polizisten und Hauspersonal. Die Bedeutung der Landordnung und des damit verknüpften Vorkaufsrechtes liegt in der Rolle, die sie für die Konstituierung des kolonialen Raumes spielen. Sie schufen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ökonomie des Kolonialismus geschaffen: das Verfügungsrecht über den aus bäuerlichen Subsistenzverhältnissen herausgelösten Boden und die gezielte Freisetzung der enteigneten chinesischen Bauern55 als koloniale Lohnarbeiterklasse. Die Fiktion der auf Vertragsfreiheit gegründeten Transaktionen dient der Verschleierung des kolonialen Gewaltverhältnisses, das die Enteignungen ermöglicht. Gleichzeitig verweisen die Auseinandersetzungen der deutschen Konfliktparteien um die staatliche Monopolpolitik56 auf den Gegenstand der „Landordnung“: Grund und Boden. Das Bodenmonopol erlaubt dem Gouvernement den entscheidenden „Einfluß auf die Anlage der Stadt und die Entwicklung des Hafens“ (Schrameier 1914:14). Die Einflussnahme wird damit verteidigt, „dass Stadtgründung, Stadterweiterung und Ausgestaltung der Vororte nicht dem Zufall und privater Spekulation überlassen werden dürfe, sondern die eigentlichste Aufgabe öffentlicher Stellen bilden“ (ibid.). Die Kolonialverwaltung hat die Chancen erkannt, die die „tabula rasa“57 einer scheinbar voraussetzungs52 53 54 55
QDG B0001-001-149-107:13. Wie Anm.45. Huang 2999:97ff. Dies gilt sehr bald nicht mehr unmittelbar, denn die Masse der Lohnarbeiter wandert von Shandong ein. 56 Zu der heftigen (auch in der deutschen Presse geführten) Kritik an der Politik der Landvergabe vgl. Huang 19 99: 40ff. 57 Laak (2004b:263) weist darauf hin, dass die Gleichsetzung einer kolonialen tabula rasa mit einem ‚ungehinderten Wirkungsfeld‘ noch im Nationalsozialismus sehr lebendig war.
52
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
losen Neugründung bietet. Die „Machtvollkommenheit des Gouvernements“ (Denkschrift 1898/99:2) wird genutzt, um eigene Pläne durchzusetzen. Mit der Stadtplanung besitzt die Kolonialverwaltung ein einzigartiges Instrument der Macht über die Anordnungen im kolonialen Raum. Der Entwurf einer ‚Stadt aus einem Guss‘ in Bebauungsplänen, Bauordnungen und einer Fülle von Detailverordnungen soll diese Anordnungen fixieren und ihnen einen materiellen Ort geben. Dieser Umstand wirft die Frage auf, welche Vorstellungen sich mit dieser ‚Stadt aus einem Guss‘ verbinden, welche offiziellen Ziele und geheimen Begehren in den Entwurf einfließen und was im Prozess der Stadtgründung daraus entsteht.
1.2 „ein gleichsam vom Himmel herabgefallenes Stück Deutschland“: Selbstrepräsentation in der Europäerstadt Und ist es nicht erstaunlich, was in der kurzen Zeit seit 1897 schon geschaffen ist? Von Tsingtau, der leuchtenden Oase, wie man es fast wörtlich übersetzen kann, hat sich ein befruchtender Strom deutschen Wissens und Schaffens, deutscher Ordnung und Gerechtigkeit weit in das Land ergossen. Alles, was er berührt, bringt er zu ungeahnter Entwicklung und das große Gebiet, über das dieser Strom seine Arme ausbreitet, das den Segen erntet, ist nicht nur unser Schutzgebiet, sondern in weit höherem Maße noch das chinesische Reich selbst. (Behme o.D.: 164)
Der Masterplan von Qingdao ist eine Landkarte der symbolischen Ordnung, in die die gesellschaftlichen Beziehungen und Machtverhältnisse eingetragen sind (Abbildung 4). Jede (An-)Ordnung basiert auf Vorgängen des Unterscheidens, Sortierens, Aussortierens und Trennens. Die Ordnung von Räumen besteht in sozialer Klassifikation und Kategorisierung entlang bestehender – durchaus auch konkurrierender – kultureller Wertsysteme. Stadtplanung trifft solche Anordnungen gezielt und systematisch, indem sie sozialräumliche Differenzierungen vornimmt und die Platzierung von Dingen und Menschen im Raum vorgibt. Diese bestimmen den Rahmen, in dem die sozialen Beziehungen entwickelt werden. Vor allem organisieren sie Einschluss und Ausschluss, Zugehörigkeit im ‚Drinnen‘ und Abgrenzung gegenüber dem ‚Draußen‘, Zentrum und Peripherie sowie die Beziehungen zwischen diesen Kontrapunkten. An der kartographischen Vermessung, Parzellierung und Fixierung des Terrains und der Erstellung von Bebauungsplänen lassen sich die diskursiven Wirklichkeitskonstruktionen ablesen, die den Visionen und Projektionen der kolonialen Musterstadt zugrunde liegen. An ihnen lassen sich die komplexen Prozesse zeigen, in denen sich die koloniale Macht etabliert und den Raum
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
53
Abb. 4: Plan von Tsingtau und Tapautau. Quelle: Führer durch Tsingtau und Umgebung.
für das koloniale Begehren verfügbar macht. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, eine stabile Hierarchie unter der deutschen Bevölkerung zu reproduzieren und die Beziehungen zu den unterworfenen Kolonisierten festzuschreiben. „Die Macht kommt aus den Gewehrläufen“, aber sie hält sich nicht dadurch. Komplexe Raumkonstrukte, Aushandlungsprozesse zwischen widerstreitenden Akteuren und die ständige Re- oder Neuproduktion einmal getroffener Anordnungen organisieren sowohl die strukturelle Gewalt in den kolonialen Beziehungen als auch die Angebote der Teilhabe. Unter dieser Perspektive rückt das koloniale Qingdao als Konstrukt von Binäroppositionen und Grenzziehungen zwischen Europäerstadt und Chinesenvierteln in den Mittelpunkt meiner Betrachtung. Die Rahmenbedingungen dafür schafft die Stadtplanung. Die Bebauungspläne konstituieren Räume der Abgrenzung durch Differenz und definieren durch die Beziehung der Räume zueinander die sozialen Beziehungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten.
54
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
1.2.1 Die Erfindung des Zentrums: Die Konstruktion der Europäerstadt 1.2.1.1 „tabula rasa“: Die Leerung des chinesischen Raumes Die Region an der Jiaozhou-Bucht ist bis zur deutschen Okkupation ein bäuerliches Siedlungsgebiet und besitzt durch die Nachbarschaft mehrerer daoistischer Klöster auch spirituelle Bedeutung. Durch die chinesische Festung, die zum Schutz der Küste errichtet worden war, hat sich außerdem ein kleiner Handelsplatz entwickelt. Mit der geplanten „tabula rasa“-Gründung der neuen Stadt geht das Verschwinden des Chinesischen einher. Das Instrument dafür ist die Kartierung des Terrains. Zunächst wird systematisches kartographisches Wissen erhoben, das vom Kataster in eine deutsche Eigentumsordnung umgesetzt wird. Die Funktion „einer allen Anforderungen genügenden Karte“58 besteht „in der Übertragung der Bebauungspläne in das Gelände, in der Aufteilung des … aufgekauften Landes in Parzellen, in der Vermarkung der letzteren und der Beschaffung der Unterlagen für die Festsetzung ihres Verkaufswertes“ (Maercker 1902:16). In der Tat geht es um Fest-Setzung. Was durch Requirierung und Landordnung okkupiert wird, wird dem Areal eingeschrieben und fixiert. Die Kartierung beglaubigt die Rechtmäßigkeit und damit die Unveränderbarkeit der Besitzverhältnisse. Auf ihrer Grundlage werden auch die Anordnungen im Raum festgeschrieben, die sich während der Aneignung des Landes bereits herauskristallisiert haben. Wie dieses Konstrukt entstanden ist, bleibt unsichtbar, denn die Karte ‚dokumentiert‘ nur die ‚natürlichen Vorgaben‘ für die Aufteilung des Geländes. Als Kind des wissenschaftlichen Empirismus erhebt sie den Anspruch, „nach strengen mathematischen Methoden innerhalb eines einheitlichen Systems“ (Gast 1899:206) wissenschaftlich legitimiert, ein objektiver und wertfreier, maßstabsgetreu verkleinerter „mirror of the world“ (Harley 2011:277) zu sein. Dass sie tatsächlich eine „erfundene“, in der europäischen Kultur seit der Renaissance erlernte perspektivische Sehweise widerspiegelt und Kartographen ihre kulturell und zeithistorisch determinierte „selective perspective of the world“ (op.cit.:284) (re-)produzieren, ist eine wissenschaftliche Einsicht,59 die um 1900 noch nicht gedacht ist. Die Ordnung eines Territoriums durch die Geometrie der Koordinaten, unter der die physische und kulturelle Gestalt der Erde in der Abstraktion der Planquadrate verschwindet, gilt ja gerade als Errungenschaft der Moderne. 58 RMA, 1901b; S. 41. Zitiert nach Hafeneder 2008:158. 59 Zu den Implikationen der Kartographie als Konstrukt von sozialer Wirklichkeit stütze ich mich auf Harley 1992, 2007, 2011; Black 1997; Edgerton 2002; Kaufmann 2002; Dünne 2008; Döring/Thielmann 2008; Schlögel 2011; Edney 2011; Wood/Fels 2011.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
55
Das Gradnetz als Instrument des panoptischen Blicks ermöglicht genaueste Verortung und dient der Konstruktion eines „spatial panopticon“ (Harley 2011: 287) zur Zuteilung, Überwachung und Kontrolle des Besitzes. Denn das Auge dessen, der auf die Koordinaten schaut, markiert den Punkt der Zentralperspektive, von dem aus das gesamte Gelände überschaubar und transparent, jede Geländeformation verzeichnet, jeder beliebige Ort detailliert lokalisierbar ist. Sie „vermittelt ein Gefühl dafür, wie die Teile auf der Fläche zusammenhängen“ (Edgerton 2002:103). Die Rasterung des Geländes auf der Karte ist zugleicch die „radikale Negation der physisch-geographischen Gegebenheiten“ (Kaufmann 2002:92) und schafft genau die Leere, auf die die Vision der Neugestaltung projiziert werden kann. Wie ein Fangnetz legt sich das Koordinatengitter über das chinesische Land, die Abstraktion triumphiert über die Leibhaftigkeit und Präsenz des/der Fremden. Die teilweise Nivellierung des Geländes beim Bau der Stadt –bis zu fünf Meter hohe Aufschüttungen und Häuser „tief in den Felsen gegraben“ (Maercker 1902:28) – steht als Metapher für das programmatische Bestreben des Gouvernements, „eine nach einheitlichem Plane angelegte deutsche Stadt“ (Kronecker 1913:9) zu schaffen, indem ein widerspenstiges Gegenwärtiges der erdachten und durchgeplanten Zukunft unterworfen wird und nichts dem Zufall oder der „widerständigen“ Selbstbestimmung überlassen bleiben darf. Unter dem Gitternetz werden nicht nur die physischen Gegebenheiten zum Verschwinden gebracht. „The silent lines of the paper landscape foster the notion of socially empty space“ (Harley 2007:284). Die chinesische Welt und das Wissen der Chinesen über ihre umgebende Lebenswelt versinken in den „blind spots“. Wie andere Diskurse erweisen sich diese Karten als „eine Form sozialer Gewalt, die dem anderen das Wort abschneidet“ (Waldenfels 1998:107). Chinesische Wegenetze sind ausgelöscht oder mit einfachen Linien zu Pfaden degradiert60, nur die Verbindung mit der Kreisstadt Jimo, zu der die Dörfer in vorkolonialer Zeit gehörten, bleibt als anerkannte Straße erhalten. Im Schweigen über den chinesischen Raum lösen sich symbolisch die Äcker auf, von denen die Dörfler leben, die Strände, an denen sie Muscheln und Seetiere sammeln, die Landeplätze ihrer Fischerboote. Aus dem „geleerten Raum“ (Kaufmann 2002:92) verschwindet traditionelles Wissen61 über Pflanzen und Geheimnisse, verschwindet 60 Die chinesische Straße „spottet jeder Beschreibung“ (Bökemann 1913:132), also ist sie auch nicht der Rede oder Kenntnisnahme wert. Siehe Karte ‚Wegebau in Tsintau‘, abgedruckt in: Gerstenberg 1899/1900:128. 61 In die Leerstelle wird das deutsche Wissen eingesetzt, das auch sonst überall in der Kolonie Gültigkeit erlangt. Ein sehr sinnfälliges Beispiel bietet die Katalogisierung der Vegetation durch den Missionar Faber, die mit Stolz auch der Denkschrift von 1901 beigefügt ist. Mit lateinischer Nomenklatur versehen, wird die Vegetation in der europäischen Taxonomie neu bestimmt und zugeordnet. Besonderes Augen-
56
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
der spirituelle Raum des Gräber- und Ahnenkults, der Tempel, der chinesischen Geomantik, der Raum von Alltag, Beziehungen, Geburt und Tod. Symbolisch ausgelöscht sind 750 Bauernhöfe und die Heimat von 4.400 Bewohnern der Dörfer Qingdao und Dabaodao (1898) Xiaobaodao, Yangjiacun und Huiqian (1900), Xiaoniwa, Menjiagou und Saozhoutan (1902), Haipocun (1904).62 In den allerersten Bebauungsplänen sind Straßen und Häuser der projektierten Stadt quer über das Gelände eingezeichnet,63 Qingdao und Dabaodao werden sozusagen unter roter Schraffur „versenkt“. Es genügt nicht, die Dörfer einfach abzureißen: Sie sollen „vom Erdboden [vertilgt]“64 werden. In den folgenden Bebauungsplänen ist auch jeder Hinweis auf die Existenz der Orte verschwunden, als habe es dort niemals etwas anderes als eine deutsche Stadt gegeben. (Abbildung 5). In der Praxis entspricht der Federstrich im Bebauungsplan dem Requirieren und dem „Niederlegen“ der chinesischen Wohnungen. „Unzumutbare“ chinesische Wohnhäuser werden abgerissen, „alle verwendbaren Chinesenhäuser mit Beschlag belegt“ und „so gut oder vielmehr so schlecht, wie es geht“65 als provisorische Unterkünfte hergerichtet. Ein nachdrücklicher Diskurs über die angebliche Unerträglichkeit chinesischer Lebensweise durchzieht die monatlichen Rechenschaftsberichte der frühen Planungsphasen. Dieser Diskurs wird emotional aufgeladen durch die Rede über die Hygiene der Chinesen, mit der er von Anfang an untrennbar verschränkt wird. Der hohe Ton der (An-)Klage bildet einen merkwürdigen Widerspruch zum Register dieser Textsorte, deren amtlicher Charakter eher ein Bemühen um Nüchternheit und objektive Sachlichkeit, also eine Distanz seitens der bürokratisch geschulten militärischen Führungskräfte erwarten ließe. Der Diskurs über den schmutzigen Chinesen wird kontrapunktisch ergänzt durch den Diskurs von „einer planmäßigen, dem deutschen Sinn nach Ordnung und Reinlichkeit entsprechenden Neuanlage“ (Bökemann 1913:465) als Leitlinie für den Entwurf der Stadt. In der emotionalisierten Intensität der Diskurse äußert sich das koloniale Begehren nach einer privilegierten Idealstadt frei von störenden Elementen.
62 63 64 65
merk wird auf die medizinisch verwertbaren Pflanzen gerichtet, „damit auch unser ärztliches Wissen durch eine Untersuchung der Heilkräuter neue Fingerzeige erhalten kann“ (Maercker, DKZ 1902,1:2). Huang 1999:116. Karte Anhang (Bebauungsplan 1898 im Maßstab 1:6250, Anlage 2 zur Denkschrift 1899). QDG B0001-001-113-79:22. QDG B0001-001-150-50.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
57
Abb. 5: Überschreibung der chinesischen Siedlungen. Quelle: Denkschrift 1899: Anhang
1.2.1.2 Sozialräumliche Differenzierungen: Die Zonierung der Stadt Die zentrale Frage für die Planung der Stadt lautet: Wer darf oder soll wo hin – und wohin nicht? Diese Frage berührt die sozialräumliche Gliederung der Stadt der europäischen Moderne, die mit dem vormodernem Durcheinanderwohnen der verschiedenen Schichten aufräumt und jeden Menschen in den Stadtteil verweist, dem er aufgrund seines sozialen Status zugehört. Die Zonierung, die die Stadt sozial zergliedert und zertrennt, entspricht bis heute einer im Alltag wirksamen und unhinterfragten ‚natürlichen‘ hierarchischen Ordnung. Für Lind (1998:20) haben die Planer von Qingdao mit der „Zonung als grundlegendes Element des Stadtgrundrisses“ die zeitgenössischen städtebaulichen Bestrebungen in Deutschland „konsequent verwirklicht“. Nicht nur er versteht Qingdaos Stadtplanung als Sieg der Modernität.66 Als Erfolgsgeschichte hat auch die Kolonialadministration die Stadtplanung gesehen und propagiert. Liest man mit 66 Lind, Warner, Wang/Deng, Huang. Liu Chong spricht von „einem erstaunlich integren Grundriss einer deutschen Stadt – in China“ (2004:139).
58
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Stadtplan als „Grundriß der Gesellschaft“, wie es der Begründer der Volkskunde, Wilhelm Heinrich Riehl, schon im 19. Jahrhundert vorgeschlagen hat, nicht als technischen, sondern als kulturellen Text, gewährt die Anlage von Qingdao aufschlussreiche Einblicke in die soziale und symbolische Ordnung der Stadt. Mit den Instrumenten der Stadtplanung sichert sich das Gouvernement ein Kontrollmedium, durch das es „alle Möglichkeiten eines bunten Besitzerwechsels, Spekulierens, Bauens und wieder Niederreißens ausschließen“ kann (Paquet 1912:296f ). Im Amtsblatt wird verfügt, dass für alle Neubauten die „vorherige Genehmigung des Gouvernements in Tsingtau“ Voraussetzung sei; nicht genehmigte Bauten „werden abgerissen“; „bei Ankauf des Landes durch das Gouvernement gehen die Häuser ohne weiteres in das Eigentum des Fiskus über“.67 Damit wird der Masterplan als gültige Ordnung durchgesetzt und gegen multipolare, dynamische Prozesse und gegen soziale Mobilität abgeschlossen. Stadtgrundriss, Landordnung und die zeitgleich erlassene Bauordnung sind „in engem Zusammenhang zu sehen“, denn sie sind „von den selben Triebkräften motiviert“ und gehen „auf dieselben Ideen und Planer zurück“.68 Zur Intensivierung der Kontrolle beteiligt sich die Kolonialverwaltung sogar finanziell an dem privaten Bauunternehmen F. H. Schmidt: „Die Betheiligung des Gouvernements wird demselben einen erhöhten Einfluß auf die in sozialpolitisch und hygienischer Beziehung wünschenswerte Gestaltung der Wohnungsverhältnisse in Tsingtau sichern“ (Denkschrift 1899:27). So etwa legt das Gouvernement fest, dass sich die neuen Ortsanlagen um das vorgefundene Dorf Tsintau gruppieren müssten, dass westlich von demselben die eigentliche Geschäfts- und Beamtenstadt entsteht, östlich von dem Höhenzug bei dem Ost- und Artillerielager an der sogenannten Badebucht ein Villen-, Bade- und Sportviertel und schließlich an dem Hafen bei Woman’s Island das Hafenviertel.69 67 QDG B0001-001/0013/126. 68 Lind 1998:14. Für die Konkretisierung dieses Modells waren mehrere Akteure in Qingdao verantwortlich: Gromsch (Hafenbaudirektor), Knopf, (Hochbauamt), Nachfolger Strasser (Hochbauamt und Baupolizei), Sievert (Tiefbauamt). Weiterhin die Gouverneure Diederichs, Jaeschke und Rosendahl, Schrameier als Dolmetscher, ‚Zivilkommissar‘ und ab 1900 ‚Chinesenkommissar‘ in enger Zusammenarbeit mit örtlichen Bauunternehmern (Magens Regierungsbaumeister a.D. und als Beauftragter der Baufirma F. H. Schmidt Bevollmächtigter des „Industriesyndikats zur wirtschaftlichen Erschließung von Kiautschou und Hinterland“ (siehe Lind 1998:15, 25, 31). Sie wurden getragen von der Zustimmung des Reichsmarineamtes und der mit ihm ‚verbündeten‘ Kolonialpropagandisten. In den von ihnen gelegten diskursiven Bahnen folgten ihnen die staatstragende Presse und Autoren von Reiseberichten und Propagandaschriften. 69 QDG B0001-001-149-201.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
59
Daraus ergeben sich „vier verschiedene Stadtgebiete“ entlang einer Ost-WestKoordinate mit einer gegen Westen absteigenden Rangordnung und einem damit einhergehenden sozialen Gefälle: Tsingtau, die europäische Geschäftsstadt („Chinesen dürfen Läden und Geschäfte besitzen, aber nicht wohnen“); „die chinesische Geschäftsstadt Tapautau“ „steht Europäern und Chinesen zu Geschäften und als Wohnort gleichmäßig frei“ und ist „Wohnort der besseren Chinesen“. „Die europäische Villenstadt liegt am Osthang des Artillerie- und Bismarckberges“. Im westlichen Flachland liegen „Werft-, Hafen- und Speicherstadt“ mit dem „Industrieviertel“, an die sich Taitung, „die chinesische Arbeiterstadt“, anschließt (Maercker 1902:24). Damit sind Zentrum und Peripherie als Grundlage der symbolischen Ordnung von Inklusion und Exklusion festgelegt. Nach deutschem Vorbild entstehen in der Europäerstadt Tsingtau sozial differenzierte und abgegrenzte Quartiere. Sie sind so gestaltet, dass die einzelnen Stadtteile ein Binnengefühl sozialer Homogenität und Zugehörigkeit erzeugen sollen. Zugleich dienen die „sozialräumlichen Differenzierungen“ (Zhan 2002: 412) dazu, „die Voraussetzungen für die Beibehaltung der gewünschten gesellschaftlichen Strukturen zu liefern (Kronecker 19134:30f.), d.h., die aus allen sozialen Schichten zusammengewürfelte deutsche Bewohnerschaft in die geltende wilhelminische Klassenordnung einzugliedern. National eingefärbtes Gemeinschaftsversprechen und die Verheißung kolonialer Privilegierung und Teilhabe laden zur kollektiven Identifikation mit dem Raumkonstrukt als Heimat oder „Neu-Deutschland in China“ ein. Andererseits wird mit der Europäerstadt eine homogene Einheit „der“ Deutschen (in zweiter Linie: „der“ Europäer) konstruiert und „den“ Chinesen in der Chinesenstadt binär gegenübergestellt. Die Bezeichnung der deutschen Stadt als Europäerstadt symbolisiert die Einheit der Weißen in Abgrenzung zur Chinesenstadt der Gelben. Auf der ökonomisch-politischen Ebene signalisiert die Benennung die Einladung an die europäischen Kolonialmächte, Qingdao wie Shanghai, Hongkong oder Kanton als Freihafen und Stadt des Freihandels anzuerkennen und zu nutzen. Homogenität und Differenz werden in der baulichen und gestalterischen Inszenierung von Tsingtau inszeniert und durch die sozialen Praktiken von Zugehörigkeit und Abgrenzung, Einschluss und Ausschluss produziert bzw. reproduziert. Damit sichert sich die Macht (als Garant kolonialen Begehrens über alle internen und internationalen Rivalitäten hinweg) die Anerkennung der Ordnung, auf der die Machtausübung beruht. Wie die sozialen und symbolischen (An-)Ordnungen in Qingdao in stadtplanerischen, architektonischen und infrastrukturellen Bildprogrammen einerseits und andererseits in der sozialen Praxis entstehen und aufrecht erhalten werden, werde ich im Folgenden rekonstruieren und an einigen markanten Beispielen illustrieren.
60
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
1.2.1.3 Die Konstituierung des Machtzentrums Ordnendes Prinzip der räumlichen Anordnung innerhalb der Europäerstadt ist die sozialräumliche Differenzierung durch die bauliche Inszenierung von Nähe und Distanz. Nähe und Distanz drücken die Relationen zur Macht aus; der Macht wird auf einem axialen Stadtgrundriss ein lokalisierbares Zentrum geschaffen. In Europa bildet in der Regel ein mittelalterlicher Kern (Kirche, Burg, Markt) den organischen Mittelpunkt einer Stadt. Auf dem Gelände an der Tsingtau-Bucht wird der Mittelpunkt an einem aufschlussreichen Ort konstruiert: in der Nähe des Yamen, der als vormaliges militärisches Machtzentrum der Chinesen in die Hände der Deutschen übergegangen ist sowie in der Nähe eines traditionsreichen daoistischen Tempels in unmittelbarer Nachbarschaft des Yamen, der die symbolische Bedeutung des Ortes um eine spirituelle Dimension erweitert.70 An diesem Ort werden sukzessive das Gouvernementdienstgebäude, das den Yamen ersetzen soll, die Dienstvilla des Gouverneurs und die Kirche errichtet, für die die topographischen Gegebenheiten eine symbolträchtige Kulisse abgeben. „[D]er 100 Meter hohe, felsige Signalberg bildet einen recht wirkungsvollen Abschluss des Städtebildes“ (Maercker 1902:23). Auf ihn „wird im späteren Bebauungsplan die Symmetrieachse des Europäerviertels ausgerichtet“ (Warner 1996:113). Vor dem schroffen Hügel erhebt sich eine flachere, bebaubare Anhöhe. Dieser Gouvernementshügel ist für das Gouvernementdienstgebäude ausersehen. Von hier aus, aus der Feldherrenperspektive, fällt der Blick „hinunter bis an den Strand und in die blaue Tsingtau-Bucht hinaus“ (Weicker 1908:57). So erschaut der panoramatische Blick den städtischen Raum unter sich, erschaut über die Stadt hinaus auf den Weltmeeren die Große Weltordnung, in die die Weltgeltung des Deutschen Reiches eingebettet ist. Es ist die Zentralperspektive der Macht, die selbst unsichtbar bleibt, während sie die Stadt einer permanenten Sichtbarkeit, d.h. Überwachung und Kontrolle unterwirft. Diese Perspektive nimmt nach ihrer Fertigstellung auch die Gouverneursvilla auf der benachbarten Anhöhe ein. Auch der Signalturm auf der Spitze des Signalbergs (Diederichsberg) und die Feuertürme in der Stadt werden in den Dienst der Macht gestellt, und für „die größeren Gebäude (Kirche, Lazareth, Observatorium und dgl.) sind durch Höhe und Lage besonders ausgezeichnete und geeignete Punkte ausgewählt“ (Denkschrift 1899:14). Es ist diese Perspektive, die in aufwendig montierten Panoramafotografien in den jährlich publizierten Denkschriften (vgl. Abbildung 3), in unzähligen Fotografien, Buchillustrationen und Ansichtskarten verbreitet werden und jeden „vaterländisch“ gesinnten Deutschen zur Teilhabe an der Perspektive der Macht einladen. 70 Es ist bezeichnend, dass Yamen und Tempel nicht dem allgemeinen Abriss zum Opfer fallen, sondern in der Repräsentation der Stadt (Reiseführer, Besichtigungstouren) eine Sonderrolle einnehmen.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
61
„Dieses neue Dienstgebäude hebt sich durch seine Lage vor dem bewaldeten Gouverneurshügel hervor und sticht […] von seiner Umgebung wirkungsvoll ab“ (Bökemann 1913:472); die Wirkung wird verstärkt durch ein absolutes Bebauungsverbot oberhalb des Gebäudes. Denn so heimlich der panoptische Kontrollblick ist, so offen will sich die Macht zeigen. Deshalb ist das Dienstgebäude als Flucht- und Endpunkt einer markanten breiten, von Nord nach Süd verlaufenden Sichtachse platziert. Vom Ufer der Taiping(Tsingtau)-Bucht steigt die Straße hügelan und kreuzt im ‚Gouvernementsplatz‘ eine Ost-West-Achse. Seitlich laufen diagonale Fluchtlinien – hier allerdings nicht gerade, sondern ‚malerisch‘ geschwungen – auf den Platz. Wie ein Zitat sternförmig sich schneidender Wege des barocken Parks führt die Bewegung direkt auf das Dienstgebäude. Die Diagonalen bilden ein Dreieck mit der Prinz-Heinrich-Straße als Grundlinie – die ihrerseits mit den symmetrischen Baublöcken als ‚Säulen‘ sozusagen auf dem Kaiser-Wilhelm-Ufer ruht – und mit dem Dienstgebäude in der Spitze als ‚Kopf‘ des Ganzen. (Abbildung 6) Straßennamen konstituieren einen „Gedächtnisraum“ (Honold 2003:305), der sich auf dem Stadtplan von Qingdao geradezu als optische Umsetzung verdoppelt. Unterhalb dieses so sprechenden Machtdreiecks symbolisieren die Straßennamen den großen Zusammenhang, in dem das Dienstgebäude gelesen werden soll (vgl. Abbildung 4). Die Machtachse selbst ist als Wilhelmstraße der Majestät gewidmet. Sie beginnt am Kaiser-Wilhelm-Ufer. Der Eingang zur Wilhelmstraße wird flankiert von den beiden schon früh errichteten wichtigsten Repräsentationsbauten am Kaiser-Wilhelm-Ufer: dem Prinz-Heinrich-Hotel als dem Symbol des eleganten und exklusiven Seebades und der Deutsch-Asiatischen Bank als dem Träger der kapitalistischen „Erschließung“ Chinas für die deutschen Interessen (später kommen unter anderem der Sitz der Schantung-Bergbau-Gesellschaft und der Schantungs-Eisenbahn-Gesellschaft hinzu, die die wichtigsten Kolonialinvestoren repräsentieren). Zwischen ihnen steigt man zur nächsten Querachse empor, der Prinz-Heinrich-Straße, auch sie als repräsentative Geschäftsstraße vorgesehen, parallel dazu ehrt die Irenestraße noch einmal den royalen Schirmherrn der Kolonie. Dieser „Bezug zur deutschen Kolonialmacht“ wird ergänzt durch die „Namen bedeutender Fürstlichkeiten, die zum Zeitpunkt der Besitzergreifung Kiautschou regierten“ (DAW 22.3.1899:1). Auf der nach Südwest-Nordost verlaufenden Diagonale kommen mit Admiral Tirpitz der Chef des Reichsmarineamts und mit Geschwaderkommandeur Diederichs der Eroberer der erste Befehlshaber der Kolonie zu Ehren. „Eingerahmt“ wird dieses Machtkonglomerat vom ‚Eisernen Kanzler‘ im Osten und Albert (Prinz Adalbert), dem Begründer und ersten Oberbefehlshaber der Marine, im Westen.
62
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Abb. 6: Luftbild vom Regierungszentrum. BArch 146-1990-057-34b.
Etwas verlegen sieht man die emaillierten Straßenschilder, die samt ihrer Namen wie ‚Prinz Adalbertstraße‘ oder ‚Prinzessin-Luise-Ufer‘ fix und fertig aus der Heimat bezogen sind. Solche Kleinigkeiten zeigen, daß hier die militärische und die Beamtenkaste herrschend sind (Paquet 1912:299).
Aus solchen „Kleinigkeiten“ setzen sich die Markierungen des Raumes der Macht zusammen. Sie trumpfen auf als Symbole der Präsenz und des Bleibenwollens. Und sie stehen da als Gesslers Hut, vor dem sich die (deutschen!) Untertanen verbeugen, da sie hier draußen, als Kolonialherren und Herrenmenschen, sich mit der Macht identifizieren dürfen und teilhaben an ihr. Die Machtachse erhält ihre symbolische Bedeutung auch als Verbindungslinie zwischen Machtzentrum und Meer. Der Blick vom Dienstgebäude nach Süden und vom Meer aus nach Norden fällt im Fluchtpunkt auf einen Obelisken in einer halbkreisförmigen Bastion am Wasser. Er repräsentiert den im Dienst gestorbenen Marineoffizier und Gouverneur Jaeschke. Seine symbolische Anwesenheit fungiert als Bindeglied zwischen dem Sitz der Macht an Land und den Schiffen des Kreuzgeschwaders, die als Schutzmacht der Kolonie
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
63
Abb 7: Karte von der Besitzergreifung Quelle: Franzius (1898:136).
regelmäßig in der Außenreede der Tsingtau-Bucht ankern. In diesem Motiv wird nicht nur der koloniale Gestus des Besitzerstolzes und der Unterwerfung reproduziert, sondern hier zeigt sich auch, wie sich in der symbolischen Anlage der Stadt die szenische Inszenierung der Besetzung Qingdaos und des Yamen in dem Fahnenritual vom 3. Dezember 1897 wiederholt. Diese Interpretation wird gestützt von einer „Karte zur Besitzergreifung“, die 1898 bei Franzius publiziert ist (Abbildung 7). In die Karte der ‚Tsingtau-Bucht‘ sind die Kreuzer „SMS Kaiser“ und „SMS Prinzeß Wilhelm“ (beim Angriff dabei auch „SMS Irene“, „SMS Kaiserin Augusta“71) und die geplanten Linien für den Angriff auf den Yamen eingezeichnet. Diese spröde Karte wurde um 1900 von Eglau im Gemälde „Eroberung Tsingtaus 1897“ pompös und mit aggressiver Botschaft ins Bild gesetzt. Noch sieghafter wurde die Marine in „Ankunft Prinz Heinrich von Preußen in Tsingtau 1898“, auch um 1900, auf der Leinwand verewigt. Schiffsnamen und Straßennamen bilden eine propagandistische Einheit und der Stadtplan liest sich wie die Fortsetzungsgeschichte der Eroberung: Die deutsche Macht hat sich in Qingdao niedergelassen. Wie in dem Flaggenritual von 1897 symbolisieren die Schiffe als Repräsentanten der deutschen Flotte die Stärke und Kampfbereitschaft des deutschen Kaiserreichs und stellen die körperliche Verbindung der entlegenen Zwergkolonie mit dem machtvollen Deutschen Reich her, dessen sich die Bewohner bei ihrem Anblick jederzeit vergewissern können. Die vielen Bildrepräsentationen von Qingdao mit den auf Reede liegenden Schiffen des Kreuzgeschwaders rufen die Erinnerung an diesen Zusammenhang immer wieder auf.72 Das Kaiser-Wilhelm-Ufer stellt die Verbindung zwischen Land und Meer dar. Hier befindet sich bis zur Fertigstellung des Großen Hafens (1904) die 71 Die Namen werden zu Ehren der Ehefrau Wilhelms II, Kaiserin Auguste Viktoria, und Irenes, der Ehefrau des Prinzen Heinrich verliehen. 72 So z.B. Franzius 1898:24, 129, 138.
64
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Landungsbrücke, über die die ankommenden Passagiere die Dampfschiffe verlassen. Hier werden die Ehren- und Staatsgäste mit großem Zeremoniell empfangen und in die Stadt geleitet. Die Uferstraße wird als „erste Straße der Stadt“ mit großem technischen Aufwand in eine befestigte Allee verwandelt. In der Tradition der exklusiven europäischen Seebäder ist sie „als Luxusstraße gedacht“ (Maercker 1902:28) und wird als Prachtpromenade am Wasser entlang in die vornehmen Quartiere des Villenviertels und der Auguste-Viktoria-Bucht geführt. Sie beherbergt „die bedeutenden Gebäude“ der Stadt (Weicker 1908: 57). Als Ost-West-Achse verbindet sie zugleich die einzelnen Stadtteile.
1.2.1.4 Konfigurationen von Nähe und Distanz: Quartiere der Europäerstadt Konfigurationen von Nähe und Distanz regeln auch die Platzierung der Institutionen und Quartiere. Solche Konfigurationen sind von hoher symbolischer Bedeutung und geben deshalb Aufschluss über Beziehungen. Es sind, abgeleitet von der Reinheitsregel, räumliche Bestimmungen, die soziale Distanz zum Ausdruck bringen, und zwar einmal den Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite, und zweitens den räumlichen Abstand. Die Vorderseite ist allemal würdiger und respektabler als die Rückseite, ein beträchtlicher Abstand ist ein Ausdruck der Formalität, das enge Beieinander ein Ausdruck der Intimität. (Douglas 1986:109)
Deshalb drücken sie Status und Nähe resp. Entfernung zur Macht aus. Gleich neben dem Gouvernement-Dienstgebäude und auf gleicher Höhe steht das Bataillonshaus, Wohn- und Dienstsitz des Kommandeurs des III Seebataillons. In dieser Anordnung werden die hierarchischen Beziehungen zwischen den beiden ranghöchsten Befehlshabern der Kolonie zu einer räumlich-sinnlich erfahrbaren und weithin sichtbaren Tatsache. Auch die Amtswohnung des Kaiserlichen Richters liegt hier. Der Yamen, bis zur Fertigstellung des Dienstgebäudes 1906 Sitz der Kolonialverwaltung, bleibt Dienstort für einen Teil der Behörden und damit Teil des Machtzentrums. Um eine „malerische“ Wirkung zu erzeugen, sind um das Dienstgebäude herum in lockerer Anordnung Grundstücke für Häuser „im Landhausstil“ vorgesehen. Wohlhabende Geschäftsleute beziehen Villen am Diederichsweg oder an der Bismarckstraße. Im fließenden Übergang sind „an der nach Osten zu liegenden Augusta-Viktoria-Bucht mit ihrem schönen Badestrande die Villen der Europäer angelegt“ (Bökemann 1913:471). In dieser Übergangszone entsteht dann auch 1907 auf einem Hügel das Gouverneurswohnhaus. Die herrschaftlichen Villen thronen an den „Südhängen mit Meerblick“; der panoramatische Blick aus Beletage und Balkon oder vom herrschaftlichen Treppenaufgang herunter verspricht Teilhabe an und Identifikation der privilegierten deutschen
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
65
Bürger mit der kolonialen Ordnung ein. Nicht zufällig sind im äußersten Osten der bebauten Stadt die ranghöchsten Kolonialbeamten und Unternehmer situiert und stellen das soziale Zentrum der Macht dar. Damit verkörpert das Villenviertel den denkbar höchsten Gegensatz zur Welt der Arbeit und des Alltags am entgegengesetzten Ende von Qingdao, im äußersten Westen der Stadtanlage: „dort unten“ am Hafen, wo „fern von der reinlichen Europäerstadt“ „Lärm und Staub“ machende „Scharen Kulis“ ihr Zuhause haben (Paquet 1912:298). Der „Verkehr der Beamten, die in ihr Bureau oder wieder nach Hause fahren“ (ibid.), macht die soziale Distanz im Wortsinn er-fahrbar. Zwischen diesen beiden Polen organisiert die Ost-West-Achse die sozialräumliche Binnendifferenzierung, d.h. die Reproduktion der wilhelminischen Klassengesellschaft. Westlich der Machtachse entsteht die „europäische Geschäftsstadt“ (Maercker 1902:24). Der Charakter dieses Quartiers wird markiert durch die Straßennamen: Neben den Marinestandorten Kiel und Wilhelmshaven sind es vor allem die deutschen Hafenstädte, die als Namensgeber auf seine kaufmännische Daseinsbestimmung verweisen (DAW 22. März 1899:1). Es ist bezeichnend, dass sich das Bürgertum hier eher in den Namen aus vergangenen Glanzzeiten des deutschen Seehandels verewigt, während in Deutschland Industrie- und Finanzkapital den deutschen Kaufmann längst in eine gesellschaftliche Randrolle gedrängt haben. Geschäftsmäßige Nüchternheit und eine rationelle Verkehrsführung schlagen sich in der geometrischen Rechtwinkligkeit des Straßennetzes der „europäischen Geschäftsstadt“ nieder73. Die Friedrichstraße verbindet als Nord-Süd-Achse die europäische Geschäftsstadt mit der chinesischen (‚Tapautau‘) und die Uferpromenade mit dem Großen Hafen. Hier befinden sich „wichtige Einrichtungen mit öffentlichem oder teilweise öffentlichem Charakter“ (Liu 2004:143): Mit seinen Cafés, Hotels, Börse, Kino, Banken und Seemannsheim sowie Restaurants und Einzelhandelsgeschäften im nördlichen (‚chinesischen‘) Teil („Schantungstraße“) bildet sie das Vergnügungsviertel für das deutsche Publikum, zu dem auch der Rotlichtbezirk in Dabaodao zählt. Während das ‚Villenviertel‘ jahrelang vielbeklagte Leerflächen aufweist, da die Luxusbebauung nur sehr langsam vorankommt, entsteht um die Friedrichstraße herum schon früh eine bescheidene Verdichtung von Verwaltungs-, Wohn- und Geschäftseinheiten. Die maximal dreigeschossigen Bauten werden in offener oder geschlossener Bebauung als Mietobjekte errichtet, oft mit ebenerdigen Geschäftsräumen und Wohnungen in den oberen Stockwerken. 73 Anders als das Villenviertel findet sie in der Repräsentation der Stadt – zum Beispiel im „Führer durch Tsingtau“ (1906:63–68) oder einem deutsch-englischen Werbeprospekt von 1912 (001-125-158) sowie auf den zahllosen photographischen Stadtansichten – nur in der Bedeutung einzelner Architekturen wie Postamt, Handelshaus oder Warenhaus Beachtung.
66
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Wohlüberlegt werden Bahnhof und Gleisanlagen, Elektrizitätswerk und Schlachthof im äußersten Westen hinter den Hügelketten erbaut: „Als Vorteil dieses Industriestandortes wurde genannt, daß weder seine Abluft die Europäerstadt noch seine Abwässer die ihr vorgelagerten Strände verschmutzen würden“ (Warner 1996:142). Entsprechend berührt auch der Viehtransport zwischen Schlachthof und Bahnhof nicht die Wohnstadt. Das Hafengebiet (bis 1904 mit dem Kleinen Hafen, dann dem Großen Hafen) liegt nördlich davon und bildet das Zentrum des Industrie- und Gewerbequartiers. Hier, wo der Modernisierung durch Verkehr, Technologie und Infrastruktur ein „Denkmal“ gesetzt werden soll, sind „die Namen solcher Männer, die sich um die Kolonie besonders verdient gemacht haben“ (DAW 17, 22.3.1899, zitiert nach Lind 1998:17), der Tsingtauer Marinebauingenieure nämlich, verewigt. Und dass die Reichsmarine als machtvoller Schutzpatron über Hafen und Handel wacht, lässt sich in den Straßen rund um den Hafen an der Vergabe der Schiffsnamen des Kreuzgeschwaders ablesen. In ‚gebührendem‘ Abstand, aber in deutlicher Relation zu diesem europäischen Teil der Stadt liegen im äußersten Nordwesten die segregierten Zonen der Chinesenstadt. Welch hohe symbolische Bedeutung die Platzierung der protestantischen und der katholischen Kirche auf der Ost-West-Achse hat, macht der Konflikt um die Position der Kirchen für die christliche deutsche Gemeinde deutlich. In symmetrischem Abstand zum Dienstgebäude ist den beiden christlichen Kirchen als Abschluss des Zentrums jedas ein Platz am östlichen und westlichen Ende der Irenestraße zugewiesen. Auf subtile Weise wird mit der Anordnung noch einmal der „Kulturkampf“ von 1871 ausgetragen: Der designierte Platz der evangelischen Kirche liegt „auf einem der Hügel über der Stadt, der zwar vom Signalberge überragt wird, sonst aber einen schönen Rundblick über sanftgewölbte Hügel, über die Stadt mit ihrem frisch aufblühenden Leben, über die weite Meeresfläche bis zur grünen Arkonainsel gewährt“ (OAL 8.5.1908:882). Die Semantik bindet die Kirche in die Codierung des Ostens ein und markiert den privilegierten sozialen Ort der evangelischen Gemeinde. Eingebettet in einen öffentlichen Park und umgebende ‚vornehme Landhäuser‘ ist sie „in der Qualität der Umgebung massiv unterschieden“ (Warner 1996:140) von der Lage der katholischen Kirche. Der Steyler Bischof Anzer begreift mit einem guten Gespür für die Grenzen, die die Stadt teilen, sofort, dass mit der Platzierung seiner Kirche im Westen eine symbolische Herabsetzung des Katholizismus verbunden (und vielleicht beabsichtigt) ist: Aber es berührt mich doch schmerzlich, daß ich nach all dem [den vielen Opfern für die China-Mission, H.R.] aus der zu erbauenden Stadt gleichsam hinausgeworfen bin. Man hat anfänglich die schönsten Plätze innerhalb der zu erbauenden Europäerstadt für die protestantische und katholische Kirche bestimmt. Die
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
67
Protestanten, die doch für Schantung und speziell für Kiautschou noch gar kein Verdienst haben, […] durften ihren schönen Platz behalten. Ich [sic] dagegen wurde an das äußerste Ende der Stadt gedrängt, wo nach Ausspruch eines Gouvernementsbeamten die Plätze zum Wohnen untauglich seien.74
Nach dieser Intervention wird der katholischen Kirche zwar ein erhöhter Platz, jedoch außerhalb der symmetrischen Beziehung zum Dienstgebäude und am Rande der deutschen Wohnstadt zugewiesen.
1.2.1.5 Räumliche Kontinuität im modernen Qingdao Die sechzehn Jahre unserer Arbeit in Tsingtau (…) haben sich der fremden Erdhälfte unverwischbar eingeprägt (Tirpitz 1920:66).
Die von den Deutschen getroffenen Anordnungen in Qingdao haben sich tief in Entwicklung und soziale Codierung der modernen Stadtanlage eingeschrieben „Die Siedlungslage, d.h., die Lage der einzelnen Stadtviertel und die Funktionsverteilung in der Stadt im Rahmen der Stadtstruktur wurde dadurch entscheidend festgelegt“ (Zhan 2002:411).75 Auch nach der deutschen Kolonialzeit wird in den 1920er und 1930er -Jahren das Villenviertel entlang der Küste in östlicher Richtung fortgeschrieben: Der elegante und gepflegte Stadtteil Badaguan im deutschen/europäischen Baustil gilt heute als ein touristisches „Wahrzeichen“ der Stadt und stärkt „beachtlich das Image von Qingdao“ (Deng 2013:40). Historisierende deutsche Stilelemente in der Architektur werden in den 1970er und 1980er-Jahren als „Qingdao-Stil“ „zum charakteristischen Gestaltungsmittel in der Stadt“ (Warner 1994:14) in den „besseren“ Wohnlagen. Auch die rasante Ausdehnung der Stadt seit den 1990er-Jahren zeigt räumliche Kontinuität: Trotz der „Knappheit an kostbarem Küstenboden“ (Wang 2013: 123) wird die privilegierte nan shi, die Südstadt, nach Osten hin fortgeschrieben. Heute beherrscht ein „neues politisches, wirtschaftliches und kulturelles Stadtzentrum im Osten“ (Wang 2013: 70) mit Villen und luxuriösen Hotels, Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen (Deng 2013:149) die Machtgeographie der Millionenstadt, während der Westen nach wie vor unter den Folgen der sozialen Stigmatisierung leidet, die ich in Kapitel 2 eingehender untersuchen werde. 74 Bischof Anzer an Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst, 10. Nov.1898. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn. Bd. 6, zit. nach Rivinius 1987:499. 75 Rao Xiaojun (2012:10) hat nachgewiesen, wie stark bis heute die lokalen Zentren ausgeprägt sind, die auf die alten, von den Deutschen begründeten Stadtteile zurückgehen. Die Südstadt ist bis heute ein segregierter Stadtteil.
68
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Auch das Rathaus ist aus dem ehemaligen Gouvernementdienstgebäude in einen Neubau fünfzehn Kilometer ostwärts verlagert worden. Einem Werbefilm über Qingdao, der auf den Bildschirmen des Stadtarchivs gezeigt wurde, verdanke ich die Entdeckung, wie sehr die Anlage dieses neuen Machtzentrums dem historischen Vorbild ähnelt: Aus der Vogelperspektive wird das neue Rathaus vorgestellt. Vom Meer her steuert das Kameraauge eine ausladende Sichtachse in Nord-Süd-Ausrichtung an und fliegt auf ihr zum Rathaus. In dieser Bewegung ist die Verbindung von Meer und kolonialem Machtzentrum zu erkennen, die hier die Bedeutung von Hafen und Marine für die Stadt – auch dies eine postkolonial wirksame Einschreibung – symbolisiert. Am Nordende weitet sich die Achse zu einem runden Platz: Das neue Rathaus bildet das ‚Haupt‘, ein mächtiger halbrunder Bau, der den Platz quasi „umarmt“. Platz und Achse sind mit barockisierenden Grünanlagen gestaltet. Das Südende der Sichtachse wird analog zur kolonialen Machtachse von einem Denkmal begrenzt. Es ist der „Bewegung 4. Mai“ gewidmet, die 1919 als Protest gegen die fortgesetzte koloniale Besetzung Qingdaos – seit 1914 durch die Japaner – entstanden ist. So werden dem deutschen ‚Helden‘ der Kolonialisierung die Helden des antikolonialen Widerstands entgegengesetzt und in der Machtachse inszeniert sich die wiedergewonnene Souveränität Qingdaos. Dies jedoch ist meine persönliche Interpretation, die meinem Blick auf die koloniale Vergangenheit geschuldet ist. Ganz anders sieht Zhan Erpeng, ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamtes in Qingdao, die symbolische Bedeutung der neuen Anlage. Er sieht nicht einen Bezug zur deutschen Sichtachse, sondern im Einklang mit der linearen Zentralität hierarchisch strukturierter Raumfolgen76 und der strengen NordSüd-Ausrichtung chinesischer Stadtanlagen „Reminiszenzen an die imperiale chinesische Architektur“ und damit einen Ausdruck neuen nationalen Selbstbewusstseins des modernen China, das sich auf die eigenen – auch imperialen – Traditionen beruft. Der koloniale Stadtgrundriss ist ein Palimpsest, aus dem viele Einschreibungen herausgelesen werden können und die unterschiedliche Bedeutungen zulassen. Meine Analyse bezieht sich auf die Bedeutung des kolonialen Stadtgrundrisses für die symbolische Ordnung, die mit einem ganz bestimmten Stadtbild sichtbar werden soll. Das Stadtbild ist „eine Leistung der Imagination“ (Löw 2009:351) und „Träger des Charakteristischen und Spezifischen, das die Gewordenheit, aber auch die projizierte ‚Identität‘, das Ideal einer Form repräsentiert“ (ibid.). Die Planer setzen die Visualisierung von Macht und Rangordnung stra76 Vgl. Hassenpflug 2010. Das Gespräch mit Zhan Erpeng führte Heise 2005:70 (Fußnote 267). Ich hätte gern selbst mit ihm darüber gesprochen, aber sein Aufenthaltsort nach dem Ende seiner Tätigkeit im Stadtplanungsamt war nicht in Erfahrung zu bringen.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
69
tegisch und gekonnt ein, um den Anspruch auf Macht sowie soziale und kulturelle Überlegenheit bildhaft zu manifestieren und zu legitimieren. Bis heute zeigt das geographische Einkommensgefälle entlang der Ost-West-Achse, wie machtvoll Stadtplanung in die sozialen Differenzierungsprozesse einer Stadt eingreifen kann (vgl. Yiftachel 2000:418): Die Machtgeographie ist weithin determiniert von den Anordnungen, die die Kolonialverwaltung vor rund 120 Jahren durchgesetzt hat. Sie hat die Voraussetzungen für die Konstruktion von Differenz als Ordnungsprinzip des Raumes geschaffen. Gleichwohl beruht der bis heute nachwirkende Eindruck, die Stadt sei das perfekte Ergebnis eines perfekt erdachten und ausgeführten Masterplans, auf der Reduktion einer Wirklichkeit, die sehr viel komplexer ist, als es die Machthaber ihrem Publikum vermitteln wollen. Um die verborgene Ordnung der Stadt freizulegen, müssen andere Bausteine der Raumkonstruktion in die Analyse einbezogen werden. Gerade der Kolonialismus, der sich eine koloniale Gesellschaft als dichotomes Modell von grenzenlosem Privileg und ungehinderter Unterwerfung zusammenträumt, trägt immer auch einen ausgeprägten Zug des Phantastischen, des Maß- und Schrankenlosen (Zantop 1999, Kundrus 2003). Das „Entziffern der politischen Ordnung und gesellschaftlichen Struktur des entworfenen Gemeinwesens“ (Frey 2008:11) ist das Entziffern der Projektionen und utopischen Visionen, aus denen die deutsche Musterstadt Tsingtau gebaut ist. Die „mental maps“, die Raumbilder, auf denen die Orte der menschlichen Sehnsucht und des kolonialen Begehrens verzeichnet sind, sind Traumbilder. Das Design liefert der landschaftliche Blick auf die Stadt. Die prägenden Raumbildern von Tsingtau geben Aufschluss über die gesellschaftlichen und urbanen (Selbst-) Entwürfe, die dem Stadtentwurf zugrunde liegen.
1.2.2 Raumbilder – Traumbilder Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft. Wo immer eine Hieroglyphe irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar. (Siegfried Kracauer)
Die Bilder, in denen die Stadt sich nach außen und nach innen präsentiert, sind die Visualisierungen der eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Träume, Ausdruck des Selbst, das sich im Spiegel des Anderen erschafft und verortet. Tsingtau ist das Versprechen, das alles einlösen soll: die moderne Stadt, die gesunde Stadt, die Gartenstadt, die deutsche Stadt, das Seebad, der Kur- und Erholungsort. Mit „einem halben Dutzend in die freie Welt herausgetragenen Stubentheo rien, die (…) die Hirne mit Zukunftsbildern von der Bedeutung des Platzes
70
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
füllen“ (Paquet 1912:296f.), tritt die Stadt an als Gegenentwurf zum Bestehenden und als Utopie der idealen Stadt. Wie die Hieroglyphen, von denen Siegfried Krakauer in dem Eingangszitat zu diesem Abschnitt spricht, zu entziffern sind und welche gesellschaftliche Wirklichkeit die Traumbilder widerspiegeln, verrät die Inszenierung der Stadt. Wie entstehen solche Orte von Bedeutung und wie strukturiert ihre Bedeutung die Beziehungen der Menschen? Bedeutung entsteht als „Syntheseleistung“, das heißt, Dinge und die in ihnen handelnden Menschen werden „in der Zusammenschau einzelner ‚Inseln‘ zu Räumen“ (Löw 2001:131). Erst die Konstruktion eines sinnhaften Zusammenhangs zwischen den Elementen, aus denen sich ein Ort zusammensetzt, stiftet Ordnung. So wirkt der landschaftliche Blick, der Südhänge, Meerblick und Badestrand zu einem Ensemble von Idylle und exklusiver Wohnlage zusammengefasst hat. So werden die Anordnungen in der Anlage der Stadt als Relationen wahrgenommen und verstanden – als Beziehung von Zentrum und Peripherie, von Nähe und Distanz, von Macht und Unterordnung. „Mental maps“ kulturell und individuell geprägte Vorstellungen von dem, was und wie der Raum sein soll, steuern „die Konstruktionsleistung, die Räume bildet“ (op.cit.:132): Jedes Raumkonstrukt ist auch ein Gebilde der Phantasie.
1.2.2.1 Meereslust Die „mental maps“, die in Qingdao wirksam sind, werden zutiefst von kolonialem Begehren bestimmt. Das Bestreben, ein „Sammelpunkt der erholungsbedürftigen guten Gesellschaft hiesiger Küste“ zu werden77 ist getragen von dem Ehrgeiz, als „Platz an der Sonne“ sichtbar zu sein. Dafür tritt „Bad Tsingtau“ (Führer 1906) sowohl gegen das erfolgreiche englische Seebad Beidaihe an der Küste von Hebei als auch gegen „seine Rivalin Tschifu“ (Yantai in Nordshandong) an (Maercker 1902, DKZ:34). Das Seebad, das sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Europa herausgebildet hat, ist der Ort von Luxus und „leisure“ und eine Metapher für gesellschaftlichen Aufstieg. Die Transformation der Küste von Qingdao in eine „Auguste-Viktoria-Bucht“ ist eine raumbildende Syntheseleistung der deutschen Planer: „Auf die Idee, ein kahles Stück Sand zum Strand und zum Genussraum von Meereslust zu erklären, kam man in Europa überhaupt erst im späten 19. Jahrhundert“ (Osterhammel 2013:403). Erst dadurch wird der Mensch empfänglich für das Idylle-Potential der Küste von Qingdao. Auf der europäischen „mental map“ ist der imperialistische „Platz an der Sonne“ zugleich der traumhafte Ort, das Arkadien zeitloser Sehnsucht nach Harmonie mit der Natur, Unbeschwertheit und ewiger Jugend, auch nach Abenteuer und von störendem Fremden gereinigter Exotik. Das ist das Traum77 (Diederichs an RMA vom 15.02.1898, RMA 3(6697)
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
71
bild, das die zeitgenössischen Reiseführer, Zeitungsberichte, Fotos in immer neuer Auflage nach draußen tragen. „Der Badestrand mit den Iltisbergen im Hintergrund ist eigenartig schön gelegen“ (Führer 1906:81); „das weite Meer, glatt und blendend, wie ein Spiegel in der Sonne glitzernd“ (op.cit.:63); „der schöne Badestrand, verbunden mit der Nähe romantischer Berge“, „dazu die kühlende Südost-Brise“ (Bökemann 1913:469): „Berg, Wald und Meer“ (Schrameier 1915:54) und ewiger Sonnenschein bilden die Versatzstücke, aus denen die Idylle gemacht ist. Am Ende des Jahrhunderts ist die Seelenlandschaft der Romantik aus (wilder) See, (einsamem) Strand und (zerklüfteten) Bergen zu solch griffigen wie banalen Stereotypen schöner Landschaft verflacht, deren Rhetorik das Interesse an der kommerziellen und symbolischen Verwertbarkeit der Schönheit kaum noch verhüllt. Auf diese Weise konstruiert der synthetisierende Blick „ungefähr alles, was man von einem Seebade verlangt“ (Weicker 1908:132). Baumaßnahmen und Raumdiskurse werden eingesetzt, um die Idylle systematisch auszubauen. Umgehend wird die Aufforstung der vollkommen kahlen Abhänge der Iltisberge nördlich der Bucht in Angriff genommen; als „Forstgarten“ wird ein Landschaftspark angelegt. „Die sorgfältigen, bequemen Schmuckwege und breiten Straßen … boten den Badegästen eine willkommene Gelegenheit, nach einem erfrischenden Bad schöne Aussichtspunkte aufzusuchen“ (Denkschrift 1905:33). Im Stil der Ost- und Nordsee-Bäder entstehen Hotels, ein Musikpavillon und „malerische“ Badehäuschen. Selbst die Iltis-Kasernen sind in das Seebad-Konstrukt einbezogen. Der Bauplatz wird „insbesondere wegen der gesunden Lage, dann wegen der Nähe der Badeplätze“ (Denkschrift 1899:27) und „mit einem schönen Ausblick auf die See“ ausgewählt (op. cit.:37). Mit „seebadmäßig ausladenden Verandafronten“ (Lind 1998:62) werden die Militärkasernen, um die es sich hier schließlich handelt, stilistisch integriert. „Diese aufwendigen Ausführungen gehen bei weitem über die Standards des deutschen Kasernenbaus“ (ibid.) hinaus und illustrieren die Zielstrebigkeit, mit der „das Seebad“ in Szene gesetzt wird. Aus der Topographie der Meeresbucht – kahle schroffe Berge, sandiger Meeresrand, Wasser – entsteht überhaupt erst ein Raum der Meereslust und Landschaftsidylle, da hier eine Synthese vollzogen wird: indem dort Menschen „in schöner Landschaft“ am Meer spazierengehen, „an seebadmäßigen Veranden“ vorbeigehen, baden, im luxurösen Strandhotel wohnen, verbinden sie die Topographie mit ihren Bedürfnissen und ihren Aktivitäten. Es entsteht ein Ensemble der topographischen Gegebenheiten und subjektiver Befindlichkeit. Die Menschen nehmen dieses Ensemble als Urlauber*innen, Badende, Spazierengehende in Gebrauch und bewirken „die Institutionalisierung der Synthese und des Spacings“ (Löw 2001:164). So wird dieser Raum der Meereslust und Erholung zwischen Badebucht und Bergen als Ort exklusiver Freizeit und
72
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Freiheit codiert: „an dem weiten schönen Strand“ ein „dolce farniente“ (Fischer 1942:103). „Zeit haben und Zeit gestalten, nach eigenem Willen und eigenen Möglichkeiten, heißt: etwas erreicht haben“ (Schlör 1991:42), und das öffentlich vorgeführte quasi-adlige „Frei-Zeit“-Leben wirkt als Indikator für den erreichten Status. Eine eigene „Badekommission“ organisiert das Unterhaltungsprogramm (Führer 1906:82) am Meer: „hinaus zum Nachmittagskonzert am Badestrand, wo ein behagliches Leben eleganter Menschen sich abspielt vor dem Hintergrund der dunkelgrünen Hügel, die die Bucht umsäumen“ (Paquet 1912:296), in Liegestühlen und Strandsesseln, die zugleich als Symbole der Freizeit wahrgenommen werden. „Lauter Deutsche, einige wenige Ausländer und – keine Chinesen“ (Fischer 1942:103), bis auf die makellos weiß gekleidete amahs (chinesischen Kinderfrauen), die als hockende Randfiguren den Abstand zur Weißen Herrschaft verkörpern – dem Publikum schmeichelnder Reiseberichte und Fotografien bietet sich „das bunte Bild fröhlichen Lebens“ (Weicker 1908:132). Das Strandfest zum Abschluss der Herbstsaison – „allerdings nur für die oberen Zehntausend“, wie sich ein Seesoldat erinnert (Krüger 2001:113) – unterstreicht den exklusiven Charakter des Ortes.78 Das „Badeleben“ (Crusen 1912:818 DKZ) wird ergänzt durch ein ausgiebiges Angebot an ‚gehobenen‘ Freizeiteinrichtungen. Sportarten wie Segeln, Tennis, Golf, Kricket, Polo, Radfahren, sogar Automobilsport und das Reiten, „dieser schneidige Sport“ (Weicker 1908:), gelten als exklusiv und bezeugen Status. Die Rennbahn als öffentlicher Raum der Repräsentation der Kolonialelite ist auch Exerzier- und Paradeplatz, der öffentliche Raum der militärischen Repräsentation. „Promenaden“, „Landpartien“ und Picknicks, Ausritte, Pferderennen, Herbstjagden und Reiterfeste, Familienausflüge und Bootspartien drücken dem Areal den Stempel ‚Seebad‘ und ‚Erholungsort‘ auf. Für die diskursive Verwaltung des Alpenpanoramas im „wildromantischen“ Fushan und Laoshan und für alpine Bergtouren zeichnet der Deutsche Alpenverein verantwortlich, der selbstverständlich auch einen Zweig in Qingdao unterhält. Die Bewegung und die Routen, die sich so herausbilden, (re-)produzieren die beabsichtigte Bedeutung der Orte und machen sie als sinnlich-körperliche Erfahrung real: Bewegungen hinterlassen Spuren auf dem Gelände, von dem sie sich abstoßen, aber auch in dem flüssigen und luftigen Element, von dem sie getragen werden. So entstehen Bahnen und Wege, die den Bewegungsablauf überdauern und der wiederholten Nutzung offenstehen. (Waldenfels 2009: 29)
78 Den Seesoldaten und Unteroffizieren ist der Zugang zum Hauptstrand ohnehin untersagt; Ihnen ist ein eigener Badeplatz zugewiesen. (Matzat 1998b:108).
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
73
So konstituieren sie Räume der Öffentlichkeit. In den Räumen des Sehens und Gesehenwerdens wird Hierarchie visualisiert. Die Rituale der Anwesenheit symbolisieren die soziale Geschlossenheit und Zugehörigkeit und deuten stumm aber unmissverständlich auf die Ausgeschlossenen. Das „Strandhotel“ verbindet den Badeort mit dem repräsentativen Aspekt der Stadt. Es ist die Dependance des ‚ersten Hauses am Platz‘, das Prinz-Heinrich-Hotel, dem Ort, an dem hohe Gäste empfangen und bewirtet werden, Veranstaltungsort für die ‚hohe Kultur‘ und Treffpunkt für alles, was Rang und Namen hat. Auch das ‚Villenviertel‘ ist ein bewusst integriertes Element im Ensemble. „Der Strand gewinnt durch den weiteren Aufbau hübscher Villen mehr und mehr“ (Denkschrift 1905:33). Hotel, Villenviertel und Badeort bezeugen sich gegenseitig: die Nähe zu „leisure“ und eleganter, kostspieliger Freizeitgestaltung konnotiert die Wohnlage als luxuriös und unterstreicht einmal mehr die Distanz dieses Teils von Qingdao zur Arbeitswelt und denen, die darin eingeschlossen sind. Umgekehrt markiert die Rahmung dieser Bühne mit vornehmen Villengrundstücken die Exklusivität des Seebades.
1.2.2.2 Die Gartenstadt „Von vornherein hatte man in den maßgebenden Kreisen den festen Willen, Tsingtau nicht allein zu einer praktischen und gesunden, sondern auch zu einer schönen Stadt zu machen. Es sollte eine Gartenstadt werden“ (Maercker 1902:11) Die „mental maps“ von Qingdao sind auch von den Stadtplanern vorgezweichnet die in Deutschland die Ideen der Gartenstadtbewegung in den Städtebau einbeziehen. Der Gedanke, das idyllische Arkadien der Aufklärung auch in die Stadt zu holen, hat seit Mitte des 17. Jahrhunderts Einzug in die Städte gehalten. Landschaftsgärten der Stadtpaläste und der öffentlichen Parks des 18. Jahrhunderts sind „der antiurbane Reflex“ (Perotti 2008:205) auf den Verlust der ländlichen Natur, die „als idealer Ort der Natürlichkeit und Tugend“ (ibid.) gegen die moderne Stadt als Stätte allen Übels gesetzt wird. Diese Dämonisierung der Stadt trägt der Hygienediskurs seit dem 18. Jahrhundert in das urbane Selbstverständnis, von dem in Kapitel 3 ausführlich die Rede sein wird. Utopische Entwürfe der besseren Gegenwelt in der Literatur, in den Lebensreformbewegungen und projekten und auch der Entwurf der idealen Stadt sind immer auch hygienische Utopien, die die politische Utopie von der besseren Gesellschaft in biologische Kategorien übersetzen (Weindling 1989:77). Im 19. Jahrhundert ist England Vorreiter einer Gartenstadtbewegung in Europa, die „die Neuorganisation der urbanen Lebensform, im Sinne der Aufhebung der Stadt-Land-Dichotomie“ (Frey 2011:83) betreibt. Grüngürtel als symbolische Stadtbegrenzung treten an die Stelle obsolet gewordener Stadtmauern und machen die Stadt durchlässig für ‚Natur‘. Im Zusammenspiel mit der Bo-
74
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
denreformbewegung wird die Gartenstadt „als Teil eines neuartigen Siedlungsschemas“ (ibid.) institutionalisiert. Die Gartenstadt steht auch in einem engen Zusammenhang mit der Hygienebewegung, die im Zuge der Urbanisierung im 19. Jahrhundert umfassende sanitäre Maßnahmen gegen die dramatische Verschlechterung der Verhältnisse in den explosionsartig wachsenden Industriestädten einfordert: Grünflächen für alle und ein „green belt“, der einen schützenden Hygienegürtel um die Stadt legt. In Qingdao werden diese Konzepte und Konstrukte aufgegriffen. Darin finden sich „die überraschenden Parallelen“ zu Theodor Fritschs Konzept einer ‚Stadt der Zukunft‘, der die sanitäre Bedeutung der „green belts“ hervorhebt und als Diskurs von „Gesundheit, Reinlichkeit, Schönheit und Bequemlichkeit“ gegen den schmutzigen Materialismus“ industrieller Urbanität (Warner 1996:274) wendet. Damit knüpft der GartenstadtDiskurs an die semantische Umformung des Landschaftsbegriffs um 1900 an, mit der ‚Landschaft‘ als anti-modernes, anti-städtisches, anti-industrielles Gegenbild ontologisiert und als ästhetische Gegenmacht zur industriellen Hässlichkeit politisch verfügbar gemacht wird (Lorberg 2007:57). Als Metapher für die Natur umgibt das städtische Grün aber auch eine Aura von Abgeschiedenheit, Ruhe und Frieden, Harmonie. Das „im Grünen gelegene, raumgreifende, sozial homogene und funktional spezialisierte teure Villenviertel für Reiche“ (Bukow 2012:222) profitiert von dieser Aura. Die Lage im Grünen machte es möglich, den „arbeits- und armuts- ‚befreiten‘, sorgenfreien Lebensraum“ (ibid.) zu konstruieren, den die städtischen Eliten des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Auge haben. Das metaphorische Grün ist bis heute das Merkmal der privilegierten „‚Zitadellen‘ der gated communities“ (ibid.). In Qingdao stellt die Bauordnung den Gartencharakter ihrer „gated community“ durch eine „landhausmäßige Bebauung“ sicher.79 Höchstens zweigeschossige Bauten dürfen nicht mehr als dreißig Prozent der Grundstücksfläche bedecken und müssen einen Mindestabstand von vier Metern zu den Grundstücksgrenzen wahren. Großzügige Gärten symbolisieren die privilegierte Einheit mit der Natur. Die Weitläufigkeit erzeugt Affekte der Bewegungsfreiheit (Delitz 2012:257) und ins Auge fallende Differenz, die das ‚Landhaus- und Villenviertel‘ abgrenzt von allen anderen Quartieren. Auch Freiflächen, unbebaubare Ravinen und die größeren Straßen werden dort begrünt. Die ‚schöne Stadt‘ strebt an, „durch eine Bewaldung der innerhalb des Stadtgebietes von Tsingtau gelegenen Berge den landschaftlichen Charakter des Stadtbildes zu heben“ (Maercker 1902:71). Gartenstadtdiskurs und Landschaftsdiskurs konstruieren beide das Versprechen eines Materialität gewordenen Sehnsuchtsortes. Rund um die Stadt wird mit Baumimporten aus Deutschland und Japan 79 Vorläufige baupolizeiliche Vorschriften für die Stadtanlage im Gouvernement Kiautschou, erlassen vom Gouverneur. 11. Oktober 1898.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
75
aufgeforstet: „Aber es wird dort einmal hoher Wald wieder stehen, und diese Gewißheit rechtfertigt jede auf den Forst im Schutzgebiet verwandte Mühe“ (Weicker 1908:86). Der „Forstgarten“ mit botanisch-landwirtschaftlicher Versuchsanstalt und Försterei unterstreichen den zielstrebigen Ernst der Pflanzungen, für die bis 1914 insgesamt 2,3 Millionen Goldmark aufgewendet werden (Warner 1996:221). Der Aufwand wird mit funktionalen Begründungen – Erosionsschutz, Schutz des Grundwassers und Selbstversorgung der Kolonie mit Nutzholz – gerechtfertigt. Interessanter jedoch ist, das Konstrukt ‚Gartenstadt‘ auf die verborgenen Bedeutungen für das Konstrukt Tsingtau zu betrachten und zu fragen, wie der Wald als diskursiver Knotenpunkt in der symbolischen Ordnung von Qingdao wirksam ist.
1.2.2.3 Deutscher Wald Kaum ein deutsches Kollektivsymbol ist so nachhaltig mit Bedeutung aufgeladen wie der Wald. In den Nationaldiskursen des 19. Jahrhunderts stellt er den mythischen Ursprungsort der Deutschen dar. Der Bedarf des jungen Nationalstaates von 1871 an einigenden Identifikationssymbolen ist groß, denn es hat auch im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation eine gemeinsame Vergangenheit der Deutschen nie gegeben. Sie muss erst erfunden werden, um „anchor myths and symbols“ ( Jefferies:62) bereitzustellen, in denen sich ‚der deutsche Nationalcharakter‘ wiedererkennen kann. Im panoramatischen Blick „… von einem Luftschiffe … hernieder“ konstruiert der Mythos „[f ]ast nichts als dunkle Wälder“80 „Germaniens“ als imaginären Ursprung der Altvorderen „and hints at ‚Germany’s‘ geographical magnitude, beauty and vastness“ (Maurer 2013:150). Die Kontinuität der konstruierten deutschen Nation von ‚den Germanen‘ bis zum ‚Zweiten Reich‘ auf ‚heiligem deutschem‘ Boden wird verräumlicht und zur Legitimation preußisch-deutscher Nationalstaatlichkeit und Territorialität eingesetzt: „spatial imagination as a means of propagating a powerful image of the German nation based on bougeois space, territorial expansion, and environmentalism“ (op.cit.:152). Kollektive Symbole funktionieren „diskursiv nicht als Einzelelemente, sondern stets als eng zusammenhängendes Netz, als synchrones Netz“ (Gerhard/ Link 1991:18). Ein Netz von nationalistisch konnotierten Bildern und Symbolfiguren verbindet den ‚germanischen‘ Ursprungsmythos mit dem kriegerischen Anspruch des ‚Germanentums‘, der es erlaubt, ‚Deutschland‘ aus seinen angeblich zu engen Grenzen zu befreien und zu „entorten“: „Wo … der deutsche Aar seine Fänge in ein Land geschlagen hat, das Land ist deutsch und wird deutsch 80 Ferndinand Schmidt (1864): Preußens Geschichte in Wort und Bild: Ein Hausbuch für alle. Berlin: Franz Lobeck, Buch 1, zit. nach Maurer 2013:148.
76
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
bleiben“. Diese nationalistische „Entortung“ des Deutschen Reiches bezieht sich auf das chinesische Pachtgebiet. Der Reichsadler ist das Hoheitszeichen des Deutschen Kaiserreiches und symbolisiert in Anlehnung an das Kaisersymbol des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation die kaiserliche Amts- und Befehlsgewalt Wilhelms, die hier den kolonialen Charakter der ‚KiautschouMission‘ seines Bruders Heinrich 1897 begleiten soll81. Nachzulesen ist das Zitat in dem Franzius-Bericht über seine ‚Kiautschou-Expedition‘ von 1897 (Franzius 1898: hinterer Einband). Dort ist das Netz der nationalistisch konnotierten Symbole noch weiter ausgespannt: Das expansionistische Bild vom ‚deutschen Aar‘ ist als Wilhelms Handschriften-Faksimile auf einem Vorsatzblatt abgebildet. Ein zweites Vorsatzblatt enthält eine Zeichnung des heiligen Georg in eiserner Rüstung als drohend-sieghafter Wächter über die ‚deutsche‘ JiaozhouBucht: der Drachentöter verteidigt das ‚jungfräuliche‘Tsingtau gegen den (chinesischen) Drachen (Abbildung 8). Über ihm schwebt ‚der deutsche Aar‘, und was er im Schnabel trägt, ist nicht der Ölzweig, sondern das deutsche Eichenblatt. Auf Seite 143 wird das Bild ergänzt durch eine Zeichnung, auf der der deutsche Michel seinen Auftritt im Kostüm des romantisierten mittelalterlichen Ritters (d.h. Kreuzfahrers) in kampfbereiter Heldenpose hat– eine deutliche Illustration des imperialistischen Besitzanspruchs in China (Abbildung 9). Das darunter abgedruckte Zitat aus der berühmt-berüchtigten „Hunnenrede“ Wilhelms II. vom Dezember 1897 unterstreicht die imperialistische Botschaft. Inhaltlich stehen alle diese Bilder in enger Verbindung mit der Lithographie „Völker Europas wahret eure heiligsten Güter“ (Abbildung 10). Hier hatte der Maler Hermann Knackfuß schon zwei Jahre zuvor eine Skizze Wilhelms II. ausgeführt. Der Erzengel Michael, Drachentöter auch er, Glaubensverteidiger (des christlichen Abendlandes) und Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, als dessen Erbe sich das Deutsche Reich versteht, tritt an gegen den China symbolisierenden Buddha. In der allegorischen Darstellung der „Völker Europas“ – der französischen Marianne, Germania, Austria etc. – zeigt sich: Die deutsche Außenpolitik sieht sich durchaus als integraler Teil der verflochtenen Einheit der imperialistischen Großmächte, allerdings unter Führung der zu allem entschlossenen Germania mit schimmernder Rüstung und blankgezogenem Schwert. Noch einmal soll der Deutsche Wald auf seine symbolische Funktion für die Kolonialisierung chinesischen Territoriums betrachtet werden. Als Ursprungsmythos ist er eng verschränkt mit den Hygiene- und Urbanisierungsdiskursen des 19. Jahrhunderts, da er für ursprüngliche Reinheit und damit für die Quelle der Erneuerung steht. Seine moderne Gestalt findet er im grünen „cordon sani81 Das Zitat stammt aus der sog. Hunnenrede Wilhelms II. vor der Fahrt des deutschen Eroberungskorps nach China, in der er die Soldaten zur gewalttätigen Niederschlagung des sogenannten „Boxeraufstandes“ aufstachelt.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
77
Abb: 8: „Besitzergreifung!“ Eigenhändiges Bild Kaiser Wilhelms II. zur Besetzung des Bucht von Kiautschou. Quelle: Franzius 1898: Vorsatzblatt
Abb. 9: Der deutsche Michel als kampfbereiter Ritter. Quelle: Franzius 1898: Vorsatzblatt
taire“ um die Gartenstadt. Darin hat auch das Wild-Anarchische des romantischen Mittelalter-Wald-Mythos noch Platz, das der Qingdaoer Militärpfarrer Weicker in seiner Rechtfertigung der aufwendigen Aufforstungen evoziert: Wald ist Mittelalter, Wald ist der Rest des Naturzustandes, Wald ist deswegen in der privatwirtschaftlichen, kapitalistischen Welt in gewissem Sinne Luxus, aber ein Luxus, der höher und besser ist, als alle Verfeinerungen des Essens und der Kleidung. (…) auf eins verzichtet der Deutsche nur sehr schwer, auf den ‚Luxus‘ des Waldes (Weicker 1908:82).
„Der Wald allein lässt uns Kulturmenschen noch den Traum einer von Polizeiaufsicht unberührten persönlichen Freiheit genießen (Wilhelm Heinrich Riehl, 1854):82 Auch dies ist ein Echo von Montesquieus „berühmter Formel, wonach die Freiheit aus den Wäldern Germaniens stamme“ (Münkler 2010:155). 82 Zit. nach Dorn 2012:479.
78
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Abb. 10: Hermann Knackfuß „Völker Europas wahret Eure heiligsten Güter“, 1895 Federlithographie Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Buddha_in_1895_art,_from-_Voelker_Europas_(cropped).jpg#/media/File:Voelker_Europas.jpg
Allerlei semantische Verbindungen werden durch die Natursymbolik aufgerufen: der Wald sowie der Baum mit seinen Wurzeln sind Metaphern der Verwurzelung, des Bleibens und der Beständigkeit. Wem es um Dauer zu tun ist, pflanzt einen Baum. Überdies steht die Verwurzelung für Tiefe. Diese Metapher ist anschlussfähig an die stereotypen Merkmale „des deutschen ‚idealistischen‘ Nationalcharakters‘“ (Gerhard/Link 1991:35), die sich die Propagandisten des Deutschtums zuschreiben: Eigenschaften der Gründlichkeit und Schwere, der Standhaftigkeit und Verlässlichkeit, der inneren Tiefe und Innerlichkeit. Und eben diese Eigenschaften werden im ‚Waldspaziergang’ überhöht. Sonntagsspaziergang, Promenade, Wald-Wanderlust sind bürgerliche Rituale nicht nur des romantischen Naturerlebens, sondern auch der Erneuerung des Selbst im Bündnis mit dem nationalen Ursprungsort: „Aus allem Streit verworr’ner Zeit / Zum Frieden ‚edler Einsamkeit‘“ (Weicker 1908:71). Solche Alltagserfahrung stärkt die Selbstidentifikation mit den Kollektivsymbolen und trägt zur Stabilisierung und Reproduktion nationaler Identität bei (op.cit.:32). In meiner Deutung ist der Wald von Qingdao ein Symbol der Identifikation mit dem ‚Deutschtum‘, Bekenntnis und Kampfansage zugleich. Deshalb wird das Walderleben in Qingdao umsichtig inszeniert: Die Höhenzüge der ‚Iltisberge‘ „mit prachtvoller Aussicht“ (Maercker 1902:33) „laden
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
79
zur Anlage von Parks und Promenaden förmlich ein“ (op.cit.:11). Bänke zum Rasten, Reit- und Fahrwege, Aussichtspunkte und ‚Promenadenwege‘ (Führer 1906:77-83) als „Leitbahnen für die bewusste Rezeption der inszenierten Natur“ (Wolff 2010:26) lenken das Naturerleben. Der hierarchische panoramatische Blick, die Identitätserfahrung im Wald, das Aufgehobensein im Heimatlichen und die koloniale Privilegierung werden zu einem harmonischen Ganzen zusammengespannt. Der deutsche Charakter, der sich im Wald erfährt, sieht sich im denkbar größten Gegensatz zum chinesischen Charakter, der im frevelhaften Umgang mit dem Wald offenbar wird. „Chinesische Mißwirtschaft“ (Denkschrift 1899:28) wird einhellig für die „nahezu völlig entwaldeten Berge Tsingtaus“ (ibid.) verantwortlich gemacht. „Die Chinesen hatten den Wald bis auf den letzten Halm abgekratzt“ (Tirpitz 1920:69), aber „[d]ie Deutschen griffen das Übel an der Wurzel an, das heißt, man begann, Wald zu bauen“ ( Janson 1915:10). Misserfolge der deutschen Aufforstung werden den „waldgefährdenden chinesischen Gewohnheiten des Aberglaubens und der Ignoranz“ zur Last gelegt (Denkschriften 1903:38 und 1906:70). Auch das Sammeln von Brennholz in den Pflanzungen wird von den Deutschen als Diebstahl an deutschem Eigentum gesehen und schwer geahndet:83 „Trotz harter Strafen sind die Forstdiebstähle nicht geringer geworden“ (Denkschrift 1909:56. Dieser Waldfrevel ist ein Indiz dafür, dass die chinesische Bevölkerung die deutsche Verfügung über den Wald als öffentlichen Raum nicht anerkennt. Sie beharrt auf ihren Familiengräbern und Riten in den Forstgebieten ebenso wie auf der traditionellen chinesischen Bewirtschaftung von Bäumen,84 schon deswegen, da die Holzpreise für legal verkauftes Feuerholz für einen chinesischen Tagelöhner unerschwinglich sind. Die harten Strafen stigmatisieren die chinesische Kulturtechnik zweifach als primitiv und als Verbrechen. Die Vorschriften und Strafen behaupten die kulturelle Differenz zwischen Deutschen und Chinesen und die Unumgänglichkeit „einer sehr viel Geduld erfordernden Erziehungsarbeit an den Chinesen“ 83 Die Polizeiverordnungen vom 10.04.1898 ((QDG B0001-001-149-50), vom 31.05.1898 und 12.03.1903 (in Mohr 1911:151, 152) und vom 21.06.1900 zum Schutz der Bäume verhängen hohe Geldstrafen und Haft und für Chinesen zusätzlich bis zu 50 Hieben für den illegalen Verkauf und Beschnitt von Bäumen. 1903 erhöht die eigens geschaffene Forst- und Landschaftspolizei Geld- und Haftstrafen ein weiteres Mal (OAL 20.3.1903:482). 84 Für die Gewinnung von Brennmaterial werden in Qingdao Bäume im Herbst auf zwei bis drei Meter heruntergeschnitten, eine auch ökologisch sinnvolle Technik. Schadinsekten, die sich in den deutschen Pflanzungen ungehindert ausbreiten und jedes Jahr millionenfach mit der Hand abgesammelt werden müssen, werden in den von den Deutschen verachteten „Krüppelkiefern“ wirksam reduziert (Warner 1996:223).
80
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
(Denkschrift 1903:38), um diesen den richtigen Umgang mit deutschem Wald einzubläuen.
1.2.2.4 Die deutsche Stadt The city manifests humanity’s greatest aspirations toward perfect order and harmony in both its architectural setting and its social ties (Tuan Yifu).
Das Bild – das „image“ – Qingdaos wäre nicht aussagekräftig ohne seine Bauten und die Menschen, die sich in ihnen und zwischen ihnen bewegen. Die Repräsentation der deutschen Stadt erfüllt eine doppelte Funktion: die Inszenierung ‚nationaler‘ Identität und darin die Inszenierung von Differenz im Sinne sozialer Binnendifferenzierung und gegenüber der Chinesenstadt. Deswegen schreibt die Bauordnung vor, „daß die Gesamterscheinung des Gebäudes dem Charakter des betreffenden Stadtteiles sich anpassen muss.“85 Die Architektur bringt den spezifischen Charakter und die Funktionsbestimmung jedes einzelnen Stadtteils zum Ausdruck und visualisiert so die Differenz der Räume. Den deutschen Architekten und Ingenieuren bleibt es überlassen, diese Vorgabe umzusetzen. Sie sind fest genug in der deutschen Gründerzeit verankert, um die symbolische Ordnung von Tsingtau gestalterisch zu erfassen. Die Formensprache des deutschen Historismus drückt aus, was auch in Qingdao symbolisiert werden soll: Der bewusste Rückgriff auf die Stilelemente „neu-nürnberger Art mit stolzem Turm und Giebel“ (Paquet 1912:297) aus der deutschen Renaissancearchitektur zitiert die frühneuzeitlichen Glanzzeiten der Handels- und Hansestädte und konstruiert eine historische Kontinuität des Bürgertums, indem die Bürger ihren Besitzanspruch auf die Vergangenheit in Stein manifestieren ( Jeffries:101). Ein hybrider Stilmix aus Fachwerkfassaden, steilen Dächern, aus Gauben, Treppengiebeln, Risaliten und anderen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Elementen gilt als ‚altdeutsch‘. Damit soll die Europäerstadt nicht etwa das gemeinsame europäische Architekturerbe repräsentieren, das in Europa alle Nationalstaaten verwalten, sondern den „deutschen Beitrag zu einem architektonischen Völkerwettkampf“ der Kolonialmächte in China.86 Die beabsichtigte „ländlichkleinstädtische Wirkung, wie sie vor allem für die europäischen Wohngebiete, aber auch für die niedrige und flächige Bebauung der chinesischen Wohnund Arbeitsgebiete intendiert war“, ist als Gegenentwurf zu den „großstädti85 Bauordnung 1898: A §1. 86 Hermann Muthesius, Centralblatt der Bauverwaltung, Berlin. Sept. 1900, S. 429. Zit. nach (Warner 1994:13).
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
81
schen Häuserkonglomeraten oder Mietskasernenanhäufungen“ (Lind 1998:) moderner Städte in Deutschland. Man greift sich an den Kopf. Täuscht man sich denn? Wir sind in China, und doch ist da nichts von alledem, was wir in diesen Wochen und Monaten erlebten. Zwei rote spitze Kirchtürme sehen herüber, zierliche Häuser mit roten Ziegeldächern malerisch am Strand und an den Hängen verteilt; ein eigenartiges heimeliges Gefühl durchrieselt einen warm. Das ist nichts Chinesisches, was wir hier durchs Fernglas sehen. Das könnte Blankenese sein oder Friedrichshafen am Bodensee. Ein romantisches deutsches Städtchen scheint das hier, dürftig gebettet in Licht und Farbe (Semler 1939:Webseite).
Durch den Entwurf dieser vorindustriell-biedermeierlichen Kleinstadtidylle geistert „[d]as Gespenst des Mittelalters“ (Lampugnani 2011:14). Die nostalgische Verklärung eines ‚wahrhaft deutschen‘ Mittelalters als Projektionsfläche imaginiert ein romantisierendes Gegenbild zu den Irritationen der Gegenwart. Die rückwärts gewandte Utopie sucht eine „sozial geordnete Welt nationaler Prägung jenseits von existentiellen ökonomischen Umbrüchen und sozialen Konflikten“ ( Jüngst 1993:54), die den späten Eintritt Deutschlands in das Zeitalter der Industrialisierung und Urbanisierung begleiten. Der symbolische Bezug zur ‚heilen Welt‘ der mythischen Vergangenheit korrespondiert mit den Ambitionen, in Qingdao eine Idealstadt im Sinne eines anti-industriellen und anti-modernen bürgerlichen Selbstbildes zu entwerfen. Die rückwärtsgewandte Utopie sozialer Harmonie in der Kopie des biedermeierlichen Bürgerstädtchens steht in merkwürdigem Gegensatz zur programmatisch inszenierten Fortschrittlichkeit und Modernität der Stadt. Sie ist ein Spiegelbild der unsicheren Selbstverortung des deutschen Bürgertums am Ende des 19. Jahrhunderts, das zwar die ökonomische und kulturelle Führungsrolle im Reich übernehmen konnte, während die politische Macht noch immer bei Monarchie und Adel liegt. So demonstriert Tsingtau auch den politischen Geltungsanspruch des Bürgertums. Gerade die Marine, die nicht wie das Heer fest in der Hand des Adels ist, bietet Bürgerlichen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs und der Anerkennung (Wehler 1973:167) und Qingdao eignet sich als Schauplatz dafür. Der massige Baukörper des Gouvernement-Dienstgebäudes, ein „typischer Repräsentant ‚wilheminischer Protzarchitektur‘“ in Anlehnung an den barocken Schlossbau (Hennings 2005:48), die Dienstvilla ein „Gouverneurspalast“, der „in seiner herausfordernden Wucht an das Posener Kaiserschloß erinnert“ (Paquet 1912:297): Solche Bauten sind Monumente von Herrschaftsarchitektur, mit denen die bürgerliche Kolonialelite gegenüber dem noch immer mächtigen Adel auftrumpft. Auffallend ist die Verwendung von Granit, der im gründer-
82
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
zeitlichen Deutschland vor allem in repräsentativen Staatsbauten Verwendung findet. In rustizierten Sockeln, Eckbossierungen und Tür- und Fenstereinfassungen entfaltet er seine besondere Wirkung. „Natursteinverwendung als Symbolisierungsprozeß“ (Hard 1993:132) zu interpretieren führt in die tieferen Bedeutungsschichten der Stadt. Granit hat eine spezifische „kulturelle Semantik und Symbolik“ von Festigkeit und Dauer. Mit ihr lässt sich ein auf Ewigkeit angelegter Anspruch auf die Macht formulieren, der die (groß-)bürgerlichen Privathäuser einschließt. Die allgemeine „Versteinerung“ der europäischen Städte im 19. Jahrhundert – die „Stillstellung von Macht und die Fixierung von Städten“ (Osterhammel 2013: 358) – findet in den Kolonialstädten der Welt einen besonders augenfälligen Ausdruck. Stein triumphiert über Holz und Lehm, die ‚barbarischen‘ und vergänglichen Materialien der Indigenen. Letztlich ist die in Stein gebaute Dauerhaftigkeit nur ein Zeuge für den Verfall der alten Kolonialherrlichkeit (op.cit:359): Heute blättert an vielen Villen der Putz, künden die eleganten, nun drangvoll überbelegten Bauten von Wohnungsnot und Armut unter der chinesischen Bevölkerung.87 Auf mehreren Bedeutungsebenen stellt Tsingtau also weit mehr dar als „disneylandartige Phantasiekonstruktionen“ (op.cit.:423), obwohl sich die phantastische Dimension des kolonialen Konstrukts ‚neu-nürnbergischer Art‘ nicht von der Hand weisen lässt.
1.2.2.5 Der öffentliche Raum als Bühne: Rituale der Raumkonstruktion Die Architektur der Stadt ist nicht ein passives Abbild dieser Phantasien, sondern der Raum, der die Bewegungen und Motive der Menschen darin strukturiert. „Jede institutionelle Ordnung bedarf symbolisch-ritueller Verkörperungen und beruht auf gemeinsam geglaubten Fiktionen“ (Stollberg-Rilinger 2008:9). So, wie die deutsche Geschichte in einem mythologischen Germanien des Waldes verräumlicht und schließlich territorialisiert wird, wird in der Verräumlichung Geschichte konstruiert. Tsingtau hat nicht viel Zeit gehabt, eine ‚Vergangenheit‘ herauszubilden, umso wichtiger sind die historischen Ereignisse und deren Helden, die sich in nationalen Denkmälern symbolisieren und fixieren lassen. Die Zeremonien, die als Einweihungen und Gedenktage Erinnerungskultur in den öffentlichen Raum tragen, sind nicht weniger bedeutend als die Denkmäler selbst Die Erhabenheitssemantik des Gouverneursberichts 87 Dazu muss allerdings ergänzt werden, dass eine Stiftung zum Erhalt von Gebäuden deutscher Bauart in China mit Sitz in Berlin sich seit 2009 erfolgreich für den Bestandsschutz und die Sanierung der alten Bausubstanz engagiert. Das größte Projekt war bisher die Sanierung der evangelischen Christuskirche; die der katholischen St. Michaelskirche und des Gouverneurswohnhauses sind geplant. Vgl. http://www.qdde.de; Kaster 2009 und Stiftungsbroschüre 2010).
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
83
über die Einweihung des „Diederichsteins“, eines in den Fels des ‚Diederichberges‘ geschlagenen Reliefs zu Ehren des Eroberers der Kolonie, evoziert diese Bedeutung: Am 14. vorigen Monats [November 1898, H.R.], also am Jahrestage der Besitzergreifung des Kiautschou-Gebietes, fand die feierliche Enthüllung eines des Andenkens dieses Ereignisses gewidmeten Gedenksteines statt, im Beisein seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen Heinrich, sowie unter Beteiligung S.M.Schiffe, der Garnison und der österreichischen Korvette Frundsberg.88
Dazu gab es eine Fahnenübergabe an das III Seebataillon „in feierlicher Weise“ (op.cit.:4). Ähnlich weihevoll wird wenige Tage später in Shanghai ein „Iltis-Denkmal“ als Symbol für die soldatische „Treue bis in den Tod“ (Prinz Heinrich) enthüllt. Die „Iltis“, ein Schiff aus dem Ostasiatischen Kreuzgeschwader, war auf der Fahrt nach Qingdao gesunken – das Unglück wird in der Benennung von „Iltisberg“ und „Iltiskasernen“ erinnert und in einen symbolischen Zusammenhang mit dem Denkmal gestellt. Der „Beschluß eines würdigen Monuments“ – das ‚Jaeschke-Denkmal‘ am Kaiser-Wilhelm-Ufer – für den in „Pflichterfüllung“ (Denkschrift 1902:7) gestorbenen ersten Gouverneur der Kolonie ist der Auftakt zum Gedenkkult für die Tsingtau-Heroen; kurz darauf folgen Denkmäler auf dem Europäerfriedhof für den Offizier Christ und den Missionar Faber.89 Ritualisierte Inszenierungen im öffentlichen Leben von Qingdao konstituieren den Raum der Macht. Was Stollberg-Rilinger über die mittelalterliche Investitur schreibt, dass nämlich in „Handlungen, in denen das Reich sinnlich wahrnehmbar in Erscheinung trat“ (op.cit.:8), die gesellschaftliche Ordnung zusammengehalten wird, trifft nicht weniger für die ‚aufgeklärte‘ Gesellschaft der Moderne zu. Solche Inszenierungen finden sich in den Auftritten der fast immer berittenen Offiziere und in den militärischen Ritualen der Paraden, den von Militärkapellen angeführten Marschkolonnen und dem öffentlichen Exerzieren, mit dem militärische Präsenz, Geschlossenheit und Schlagkraft durch Disziplin und Unterordnung demonstriert werden. Subtiler und durchdringender wirken die Rituale der Souveränität und Autorität, die in Qingdao nicht anders ablaufen als im preußisch geprägten deutschen Kaiserreich. Rituale der Inklusion und der Exklusion (re-)produzieren die gesellschaftliche Rangordnung und markieren den Geltungsbereich der Macht. Dazu gehört natürlich auch das Tragen der 88 Monatsbericht vom 26.12.1898. (QDG B0001-001-150-13:5. 89 Die Heroisierung der ‚Helden von Tsingtau‘ während der japanischen Belagerung der Stadt kann dann nur noch in zahlreichen Nachkriegsdiskursen stattfinden, da alle Deutschen am 7. November 1914 aus der Stadt vertrieben werden.
84
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Uniform, die hier in den weißen Anzügen und Tropenhelmen der Offiziere doppelt wirkungsvoll die Zugehörigkeit zur kolonialen Elite zur Schau stellt. Statusbildende Besuche hoher Gäste in der Kolonie bilden eine Bühne für die Inszenierung öffentlicher und halböffentlicher gesellschaftlicher Rituale der Raumkonstruktion. Dem häufig anwesenden Prinzen Heinrich von Preußen in seiner Funktion als Schirmherrn der Marine kommt dabei eine tragende Rolle zu. Jeder Empfang am Hafen eine große Show: Alle „an der Laufbrücke versammelten Referenten, Bürgerschaftsvertreter, hervorragenderen Kaufleute, fremde Konsuln, Vertreter von Post, Seezoll und Missionen und chinesische Vertrauensleute“ sowie das Offizierskorps, Schiffsabordnungen und zahlreiche chinesische Kaufleute90 konstituieren und visualisieren die Nähe zur Macht. Dann folgt die obligatorische Stadtrundfahrt mit dem gastgebenden Gouverneur als Fremdenführer und die Besichtigung von Werkstätten und Einrichtungen: jede Vorführung stempelt die Objekte als vorführenswert, die Beachtung durch die hohen Gäste adelt sie, deren „Erstaunen über das bisher Geleistete“91 der Stadt wie ein Gütesiegel aufgedrückt wird. Es ist stimmig, dass, wenn das Gouvernement seine Maßnahmen rechtfertigt, gern (häufiger in den Denkschriften) die Formel verwendet wird‚ eine Aktion sei „vom Publikum sehr begrüßt“ worden: Politik als Bühne und im Parkett die Bürgerschaft als Zuschauer. Rituale wie „Landpartien“ und Ausflüge der Herren, ihre Besuche bei hohen chinesischen Würdenträgern der benachbarten Landkreise, Grundsteinlegungen und Einweihungen symbolhafter Gebäude, Baumpflanzungen wie der „Prinzen-Eichstatt“ für Heinrichs oder der „Erinnerungsbäume“ für den Deutschen Kolonialverein durch seinen Vorsitzenden, Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, an der nach ihm benannten Straße (1910) visualisieren die herausgehobene Teilhabe an der Rangordnung des Deutschen Reiches. Gesellschaftliche Ereignisse bilden die Klassenhierarchie der Kolonialgesellschaft ab. Für das Galadiner anlässlich von Kaisers Geburtstag „hatte ich zum Essen im Gouvernement eingeladen“, berichtet Gouverneur Rosendahl im Februar 1898. Das ist ein Forum für die sich gerade herausbildende koloniale Führungselite, die ihre Konturen vor allem durch die Exklusion der nicht Dazugehörenden erhält: Die „Festessen des Offizierskorps“ „fanden für sich statt“.92 Die Rituale der Sichtbarkeit sind immer auch Ereignisse von Einschluss und Ausschluss: in den halböffentlichen Galadiners im Prinz-Heinrich-Hotel, an denen „alle Herren…, die hier irgendwie eine bedeutende Rolle spielen“93 teil90 91 92 93
QDG B0001-001-126-001:1. QDG B0001-150-21:3. 001-149-190 Bl. 5. Geheimbericht vom 10.04.1899 über den Besuch Heinrichs in Qingdao (QDG B0001-001-150-150:96).
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
85
nehmen dürfen oder in den Empfängen und Bällen ‚bei Gouverneurs‘ wird offenbar, wer (nicht) dazugehört: Räume der Nähe zur Macht bezeugen Stellung und Prestige. Solche öffentlichen Rituale der Sichtbarkeit sind integrierende und homogenisierende Handlungen für die Deutschen in der Stadt, obwohl immer auch Teile der Bürgerschaft davon ausgeschlossen sind. Heimat und Stolz auf das Vaterland bildeten das einigende Band; mit Begeisterung wurden die deutschen Feste gefeiert, öffentliche Sammlungen zu einem vaterländischen Zweck fanden überall eine offene Hand; Schillers hundertjähriger Todestag vereinigte die ganze Gemeinde zu erhebendem Gedenken (Schrameier 1915:57).
Kaisers Geburtstag am 27. Januar ist ein im Reich wichtiges Datum und wird von Anfang an „in der in der Heimat üblichen Weise mit Festgottesdienst, Paraden, Mannschaftsfestlichkeiten und Illumination“ begangen.94 Unserm Kaiser zum 50. Geburtstage (…) Wir auch hier im Ost, am Gelben Meere Haben uns zum Festakt heut verbunden Als eín kleiner Teil vom deutschen Heere, Widmend dem Geburtsfest schöne Stunden Fern der Heimat, schwören wir auf neue Unsrem Kriegsherrn heut zum Jahrestage Unverbrüchlich Leben, Lieb und Treue Jubeltönig gleich dem Glockenschlage! (…) Gefr.Kg.95
In Abgrenzung zum Osten, am Gelben Meer, fern der Heimat ist der Kaiser und Kriegsherr die Integrationsfigur und die Verbindung mit dem deutschen Heer, und auch der Zivilbevölkerung bieten solche Zeremonien der Verbundenheit die Inklusion in den Raum kolonialer Privilegien. Es ist die Aufgabe dieser Feste, in deren Mittelpunkte nationale Symbole – Helden, Ereignisse – stehen, immer wieder die Identifikation der Individuen mit der Nation und der Gemeinschaft der Deutschen in der Fremde zu aktualisieren und die kleine Kolonie als Heimat kenntlich zu machen. 94 QDG B0001-001-150-21:6. 95 Soldaten des Tianjin-Detachements gemeinsam mit dem Musikkorps des III. Seebataillons. In: Detachement-Zeitung. Wochenblatt für die Angehörigen des Ostasiatischen Detachements, Tianjin 26.1.1908:1.
86
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Im Alltagshandeln der Bewohner96 entstehen die Routinen und Routen, die ein dichtes Netz aus Verbindungslinien und Knotenpunkten in den gebauten Raum einziehen. Im „Gesellschaftsleben“ (Führer 1906:42) sowie in den sozialen Praktiken setzen die Bewohner sich und ihre Häuser zueinander in Beziehung und versehen Orte mit Bestimmungen und Bedeutungen. Die einfachen Seesoldaten sind sozial markiert durch „proletarische“ Sportarten, besonders das Fußballspielen, durch Kneipen- und Bordellbesuche und Freizeit in der Obhut des christlichen Seemannsheims (Biener 2001:318f:). Das kultivierte Bürgertum97 trifft sich in den Cafés und Restaurants von Dabaodao und der europäischen Geschäftsstadt, besucht Konzerte, Theater- und Kinovorstellungen sowie Vorträge, ist Mitglied im elitären Tsingtau-Club, der nur Männern offensteht, bestreitet Laientheater, den „Verein für Kunst und Wissenschaft“, ‚Herrengesellschaften‘ und die Freiwillige Feuerwehr. Überhaupt: „das Vereinsleben ist sehr ausgebildet“ (Führer 1906:42). ‚Gesellschaftliche Verpflichtungen‘ wie Empfänge und Teenachmittage in den bürgerlichen Salons stiften Zugehörigkeit und werden absolviert, obwohl sie für die meisten Deutschen eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen. Weihnacht unterm Tannenbaum, „Abende in deutschen Familien; am Klavier singt eine klare Frauenstimme ein edles Schubertlied“ (Paquet 1912:296): Das verklärte Bild idyllischer Häuslichkeit entspricht genau dem bürgerlichen Familienideal, das in Qingdao mit seinem dramatischen Männerüberhang von Marineangehörigen und Geschäftsleuten besonders eindringlich wirken muss und den Mythos „Heimat in der Fremde“ unterfüttert, zugleich aber auch die sittliche und kulturelle Überlegenheit des Deutschtums gerade in der Ideologisierung familiärer Häuslichkeit dokumentieren soll. Es ist bezeichnend für die repräsentative Funktion der bürgerlichen Selbstinszenierung, dass die Selbstbezogenheit der Kolonialidylle auf zahlreichen Fotografien dokumentiert wird. Auf vielen Aufnahmen sind auch chinesische Personen zu sehen. Häufig wenden sie dem Betrachter/Fotografen den Rücken zu (Abbildung 11), was nicht nur das Klischee des bezopften Chinesen visualisiert, sondern sie auch als gesichtslose, sprachlose Randfiguren eines Geschehens repräsentiert, das von den Akteuren im Zentrum der Aufnahme beherrscht ist. Sie erscheinen lediglich als passive Zuschauer. Gleichzeitig ist das Bild ein Zeugnis des Gesehenwerdens und beglaubigt sowohl die „Sehens-Würdigkeit“ der Szene als auch den sozialen Abstand zwischen Schauenden und Gesehenen. Die Schauenden markieren die Grenze, die das Drinnen des kolonialen Gesellschaftslebens von dem chinesischen Draußen trennt. Und in ihrer Körperlich96 Ausführlichere Beschreibungen bei Biener 2001; Huang 1999; Matzat 1998b; Becker 2004; Heise 2004; Ballin 1998. 97 Dazu Heise 2005:81ff; Biener 2001:318ff.
Selbstrepräsentation in der Europäerstadt
87
Abb. 11: Chinesen als Betrachter. Quelle: BArch 116- 127-055 /o.Angabe.
keit nimmt das Draußen als Raum des Anderen sinnlich-sichtbare Gestalt an. Die stummen Gestalten werden so zu Zeugen der kolonialen Herrschaft gemacht. Während der Diskurs, die symbolische Ordnung rassistischer Isolation in der „gated community“ in der Europäerstadt aufrechthaltend, die Allgegenwart der Chinesen in der „Verbotenen Stadt“ der Deutschen ignoriert und im Verschweigen leugnet, treten die chinesischen Bediensteten gleichsam durch die Hintertür komplementärer Dichotomie in das Tableau ein und bringen als diejenigen, die mit ihrer Arbeitskraft koloniales Privileg und Luxus überhaupt erst erzeugen, die Unwirklichkeit kolonialer Selbstvollkommenheit zur Sprache. Wie alles in der Kolonie hat auch das gesellige Leben der gebildeten Stände eine mehrschichtige Bedeutung: Integrativ und zugleich sozial differenzierend in der Binnenwirkung, Differenz und Exklusion produzierend nach außen, dient es als öffentlich sichtbare Bühne, auf der der „hohe Entwicklungsstand“ der deutschen Kulturnation inszeniert wird. Wie auf allen Feldern der Repräsentation hat Qingdao als „ein geistiges und kulturelles Zentrum des Deutschtums im Osten“98 auch kulturell seine selbstgesetzte Mission als ‚Musterkolonie‘ zu erfüllen. 98 Schrameier 1915:68. Zu dem Konzept und den politischen Strategien der Umsetzung siehe Mühlhahn 2000:Kap.II.4.
88
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
In allen diesen Raumbildern verknüpfen sich kollektive nationale Selbstentwürfe und Selbstverortungen einer Gesellschaft, in der das politisch schwache Bürgertum ein Selbstverständnis als Kulturnation forciert, um damit seine kulturelle Führungsrolle nach innen und in der „deutschen Kulturmission“ auch nach außen anzumelden, mit den Machtansprüchen eines Staates, der sich als ‚deutsche Nation‘ und imperialistische Weltmacht erst noch erfinden muss, und diese wiederum mit dem vielschichtigen kolonialen Begehren der handelnden und aushandelnden Individuen. Das koloniale Projekt „Tsingtau“ ist Ausdruck und Austragungsort dieser Selbstrepräsentation: Die Stadt wird gebaut als Demonstration eines Modernisierungsmodells, mit dem das Deutsche Reich seinen Weltmachtanspruch und seine Führungsrolle in der Welt reklamiert.
1.3 „gewissermaßen eine dauernde Ausstellung für deutsche Leistungen“: Qingdao als Musterkoffer der Moderne 1.3.1 Qingdao als Utopie Aber die Früchte dieser Arbeit zeigten sich schon nach wenigen Monaten: Tsingtau war ein Muster von Sauberkeit, besaß Straßenbeleuchtung, Straßennamen, Häusernummern, gute Wege, Telephonverbindung, auf dem Truppelberg eine Signalstation und überall die schönste Ordnung (Hesse-Wartegg 1898).
Die Vorstellung, in Qingdao habe man die Grundlagen für die Realisierung der idealen Stadt gelegt, steht in einer langen Tradition von sozialen Utopien. Utopische Elemente des Sehnsuchtsortes erscheinen im Konstrukt der pittoresken Landschaft und der naturverbundenen Gartenstadt, im Rückzug aus der industriellen Hässlichkeit in die heimelige Schönheit vorindustrieller Kleinstadtidylle. Qingdao als Ort des Begehrens ist ein rückwärtsgewandtes Phantasiereich. Die Modernisierungserzählung aber richtet den Blick nach vorn, auf eine „Stadt der Zukunft“. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hat sich, geprägt von der Rhetorik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in den Metropolen des industrialisierten Europa ein mechanistisches Bild der perfekten Stadt etabliert: Ein Netz aus Telekommunikation, Eisenbahn, Straßen, Kanalisation, Wasser-, Gas- und Stromleitungen, aus dem sich die wirtschaftliche und mit ihr die soziale Entwicklung der (Industrie-)Stadt und der (Industrie-)Nation speist, wird als übergeordnete Struktur der Stadt verstanden. Von der Steuerung und Überwachung dieser Infrastruktur hängen Sicherheit und Ordnung der Stadt ab. Damit ist die Kommunalverwaltung aus Bürokratie, Ingenieurwesen sowie Hygienewesen an die Schalthebel der Macht gesetzt: sie ist zuständig
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
89
für die zentrale Kontrolle und Überwachung der Verkehrs- und Kommunikationswege, Versorgungs- und Verteilsysteme. Dieses funktionelle Verständnis der idealen „Stadt der Zukunft“ liegt dem Modernisierungsprogramm von Qingdao zugrunde. Gerade da die Stadt im Zentrum der kolonialen Entwicklungsbemühungen steht, eignet sich die Kolonie als ein ‚Laboratorium der Moderne‘. Mit politischer und finanzieller Unterstützung des Reichsmarineamtes betreibt das Gouvernement systematisch und gezielt die Konstruktion der „Musterkolonie Kiautschou“, der in der Selbstrepräsentation von Tsingtau eine zentrale Stellung zukommt. Sie ist ein urbanes Projekt (in dem das ländliche Umland keine Rolle spielt) und wird mit aufwendigen Baumaßnahmen in Angriff genommen. Sie verrät den Willen, „ohne die peinliche Rücksichtnahme auf die Kosten, etwas durchaus Vollkommenes und Erstklassiges zu schaffen“ (Maercker 1902:33) und eine Stadt zu errichten, die weit über den vorgegebenen Flotten- und Handelsstützpunkt Bedeutung haben soll: Von Anfang an haben die Akteure „eine größere allgemeinere Bedeutung des ‚deutschen Platzes an der Sonne‘ ins Auge gefaßt“ (Wertheimer 1913:92). Die enormen Ausgaben stehen permanent in der Kritik der freihändlerischen Gegner, die den ‚Nachtwächterstaat‘ nur zur Bereitstellung einer funktionierenden Infrastruktur für den Handel gebrauchen können. „Unsummen werden in Anlagen gesteckt, die lediglich repräsentativen und dekorativen Zwecken dienen, ohne ein wirtschaftliches Bedürfnis zu befriedigen“ (Corbach 1903b:478). Die Protagonisten des Projekts „Musterstadt“99 sind entschlossen, eine Vision zu verwirklichen. Es soll „eine moderne Stadt mit europäischen Prachtbauten, mit breiten Straßen, elektrischem Licht, Wasserleitung und Kanalisation“ (Maercker DKZ 1901:490) sein, „mit Straßen, (…) die nicht nur im Stadtgebiet ausgezeichnet sind (…), mit Kanalisation und Wasserwerk, mit ordentlicher Beleuchtung und Säuberung, mit Fürsorge für die Verkehrsmittel und für die Ordnung“ (Wertheimer 1913:96). Mit elektrischen Bogenlampen, „der um 1900 technisch modernsten, aber auch teuersten Beleuchtungstechnologie“ (Warner 1996:160), werden die Straßen der Europäerstadt in ein Lichtermeer verwandelt. Diese Lampen sind so teuer, dass man in den Seitenstraßen zur noch üblichen Petroleumbeleuchtung zurückkehrt. Ein „bedeutendes Elektrizitätswerk“ (Paquet 1912:297) versorgt auch die öffentlichen Gebäude und Privathaushalte, was in Deutschlands Häusern noch nicht selbstverständlich ist. Unter großem Aufwand – „sowohl beim Kanal- als auch beim Wegebau erschwert der felsige Boden die Arbeiten sehr“ (Denkschrift 1901:36) – werden das „erste östliche Entwässerungssystem“ (Denkschrift 1899: 25) sowie Wasserleitungen und Straßen in den felsigen Untergrund gesprengt. Mehrere Jahre lang unterhält die Stadt eine aufwendige Trennung von Regenwasser- und Abwasserkanalisati99 Zu den beteiligten Akteuren vgl. Fußnote 69.
90
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Abb. 12: Leere Stadt. Postkarte. Nachdruck einer historischen Ansichtskarte
on, bis diese aus Kostengründen durch das übliche Mischsystem ersetzt wird. Straßen werden chaussiert, d.h. mit einem festen Unterboden stabilisiert, viele asphaltiert oder mit Kopfsteinpflaster befestigt und Bürgersteige mit Granitbordsteinen angelegt. Erfolge werden minutiös in Kilometern, Kubikmetern, Kundenzahlen gemessen und als Daten in die koloniale Propagandamaschinerie eingespeist. In den wenigen Jahren bis zum Kriegsausbruch, die der deutschen Kolonie für den Ausbau der Stadt zur Verfügung stehen, bleibt die Bautätigkeit weit hinter den Reißbrettphantasien zurück: Besonders in der ersten Zeit erzeugt „der unfreundliche Anblick unbebauter Flächen innerhalb des Wohnviertels“ (Schrameier 1915:37) ein Gefühl von Stillstand und Leere (Abbildung 12). Es fehlt nur das rege, alles durchflutende, alles kräftig verbrauchende Leben von mindestens zehntausend Europäern. Wird einst der Sonntagsruhe Tsingtaus diesem beinahe idyllischen Jenseits von dem großen arbeitssamen Leben des erwachenden Ostasiens der große Strom der Menschen, der Güter und der Arbeit folgen, dem doch diese Stadt gebaut scheint? (Paquet 1912:297f )
Die Stadtplaner lassen sich nicht beirren, sondern setzen ihre Vision einer „den Anforderungen nicht nur der Gegenwart, sondern einer künftigen gesunden Entwicklung Rechnung tragende Stadtanlage“ (Denkschrift 1908:5) dagegen. Tsingtau ist ein Versprechen für die Zukunft. Die Konstruktion der idealen Stadt Tsingtau gehört in eine lange Tradition utopischer Entwürfe für eine bessere Welt. Utopien richteten sich in den
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
91
mythischen Vergangenheiten Goldener Zeitalter ein oder auch in den abgeschiedenen Paradiesen unbekannter Welten. Dieser Hauch berührt auch den Sehnsuchtsort Tsingtau, das rückwärtsgewandte Phantasiereich, das vor die industrielle Hässlichkeit des urbanen 19. Jahrhunderts eine Kulisse von vorindustrieller Kleinstadtidylle und Einheit des Menschen mit der Natur stellt. Daneben steht, ohne die Rückwärtsgewandtheit aufzuheben, die Zukunftsphantasie Tsingtau. Sie steht in der Tradition von literarischen Utopien, die seit dem 18. Jahrhundert ihre Visionen nicht mehr in der Vergangenheit oder an NichtOrten finden, sondern in die Zukunft einer immer besser werdenden Welt verlagern. Der aufklärerische Glaube an den unaufhaltsamen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt rückt die Utopie der idealen Stadt in eine greifbare, technisch machbare Zukunft (Gägni 2008:1164f.).100 Den Traum von einem guten Leben als Antwort auf die gesellschaftlichen Umbrüche und auf die Zuspitzung der sozialen Gegensätze durch den Kapitalismus und die industrielle Entwicklung träumen Aufklärer, Utilitaristen, Frühsozialisten und christliche Philanthropen: Visionen finden Eingang in die politischen und sozialen Gesellschaftsentwürfe und in eine Vielzahl reformerischer Städtebaukonzepte. „Die technische Durchdringung des öffentlichen Raums, die Technisierung öffentlicher Stadträume, die Industrialisierung von Raum und Zeit (…) wurden (…) zu einem Bedeutungsträger, Signal und Symbol für ein modernes urbanes Selbstverständnis“ (Wilding 1999:251). Wie ihre literarischen Vorgänger von Jules Verne bis H. G. Wells sind die utopischen Stadtentwürfe dem technisch-naturwissenschaftlichen Fortschrittsoptimismus verpflichtet. In der Modernität der technisch perfektionierten Stadt findet das menschliche Streben nach Glück und Sicherheit seine Erfüllung. Mit der Erweiterung der technischen Möglichkeiten um die Wende zum 20. Jahrhundert wird der visionäre Gesellschaftsentwurf auf ein funktionelles System verschiedener „Subsysteme wie Straßen, Straßenbahnen, Beleuchtung, Wasserversorgung und Verteilsysteme“ (Gägni 2008:1168) reduziert. Die kommunale Antwort des 19. Jahrhunderts auf die Krisen der Urbanisierung und die „Entformung der großen Städte“ (Osterhammel 2013:365) ist die Neukonzeption der „Stadt als Dienstleistungszentrum“ (Schott 1999:289), in der zunächst die Assanierung, dann die Beleuchtung und schließlich Elektrifizierung der Stadt und die Organisation der Kommunikations- und Verkehrswege als Aufgabe kommunaler Daseinsvorsorge gesehen und organisiert werden. Dadurch gewinnt die Planung der Städte an Bedeutung. Gerade Deutschland ist als „das Land der geordneten Stadtplanung und der ganzheitlich konzipierten kommunalen Stadtplanung“ von der Vorstellung „regulativer Stadtplanung“ (Osterhammel 2013:461) geprägt. 100 Vgl. auch Wilding 1999:245.
92
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Die „mechanistische Auffassung des funktionellen Organismus einer Stadt“ (Gägni 2008:1168) verlagert die Organisation von Sicherheit und Ordnung in der Stadt auf das Funktionieren dieses Mechanismus, also auf dessen Steuerung und Überwachung. Das setzt neue Leute an die Schalthebel der Macht, die technokratischen Experten dieses Regelwerks nämlich. In den neu entstehenden Kommunalverwaltungen der deutschen Städte übernimmt das wissenschaftlich-technisch spezialisierte Bürgertum aus Bürokraten, Ingenieuren und auch Hygienikern101 die Führung. Mit der Vorstellung der „Daseinsfürsorge“ entstehen neue staatliche Handlungsmuster und Interventionsinstrumente (ibid.) sowie ein erheblicher Machtzuwachs der Bürokratie, der auch in Qingdao zu beobachten ist: Es ist die überdurchschnittlich hohe Zahl von Verwaltungsbeamten des Gouvernements, Marinebauräten und Marineärzten,102 die an der Realisierung einer auf Fortschrittsrhetorik beruhenden Utopie der technisch perfektionierten Musterstadt der Zukunft mitwirken. Unsere Zeit erhält ihr charakteristisches Gepräge durch die Anwendung der Wissenschaft auf das tägliche Leben. Am augenfälligsten tritt uns Großstädtern das bei den technischen Wissenschaften zutage, die uns elektrische und Untergrundbahnen, Automobile, künstliche Beleuchtung und unzählige andere Dinge, ohne die der heutige Kulturmensch nicht glaubt auskommen zu können, geschenkt haben. Aber auch weit über den Rahmen der Großstädte hinaus beherrschen wissenschaftlich technische Anschauungen und Einrichtungen unser ganzes Leben (Bier 1910:67).
Der Einfluss des technischologischen Machbarkeitsdenkens auf die Stadtplanung in Qingdao zeigt sich auch in dieser Beschwörung der technischen Modernität, die der Autor des Zitats in einer Berliner Veranstaltung zur Einwerbung von Spenden für die – selbstverständlich ebenfalls wissenschaftlichtechnisch begründete – Hygienearbeit der Berliner Mission in Qingdao einsetzt. Was die regulative Stadtplanung und -entwicklung vom Reich unterscheidet – dort leisten gewachsene Strukturen und Verhaltensmuster radikalen Veränderungen oft Widerstand –, sind die kolonialen Bedingungen für politische Handlungsspielräume. Wie andere europäische Kolonien fungiert Qingdao als ‚Laboratorium der Moderne‘103. Die koloniale „tabula rasa“-Konstruktion und die Machtfülle des Militärregimes, das fernab parlamentarischer Kontrolle und un101 Vgl auch Hardy 2005. 102 Die Zahl der nicht in diesem Apparat beschäftigten Deutschen beträgt nicht mehr als 500. 103 Vgl. Laak 2004b.
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
93
ter den Fittichen des Reichsmarineamtes seine Pläne auch gegenüber widerstreitenden deutschen Interessengruppen per Dekret durchsetzt, bieten einen sehr viel größeren Handlungsspielraum als eine Stadt in Deutschland, wo existierende Strukturen und Raumordnungen sowie die ganze Bandbreite sozialer und politischer Konfliktlinien die Modernisierung von oben erschweren. So wird Qingdao das staatliche Experimentierfeld für die Erprobung von großzügig finanzierten neuesten Technologien und der funktionellen Strukturierung und Kontrolle der Stadt. Und der Anspruch auf Anerkennung des ‚in Tsingtau Geleisteten‘ ist auch der Anspruch auf Anerkennung der kulturellen Hegemonie des Bürgertums.
1.3.2 Musterkoffer und Weltausstellung Die Entwicklung eines Zukunftsmodells unter Laborbedingungen ist nicht der einzige Bedeutungsaspekt der modernen Stadt. Als Ort des rationalen, (natur-)wissenschaftlich begründeten technischen Fortschritts ist die Stadt per se selbst Sinnbild der Modernität und die demonstrative Materialität der Technik ihr visueller Ausdruck. Modernisierung ist die Metapher für Erfolg und Überlegenheit, für Fortschritt und den höchsten Stand der Zivilisation. In diesem Sinne ist sie eine zentrale Kategorie zur Klassifizierung der Welt. Der Stand der Wissenschaft und darauf basierend der Stand der Technik – Kategorien, die die aufklärerisch-rationale Wissensordnung Europas repräsentieren – stellen den Maßstab dar, an dem die Welt vermessen und geschieden wird in ihren zivilisierten (europäisch-nordamerikanischen) Teil und den noch nicht zivilisierten Rest, das heißt, die Welt der Kolonien und der imperialistischen Einflusssphären. Darin unterscheidet sich die deutsche Selbstrepräsentation nicht im Mindesten von der Fortschrittsinszenierung der anderen europäischen Großmächte. In der Annahme, dass die soziale und „rassische“ Entwicklung der Menschheit von unten nach oben verläuft, wird in Analogie zum darwinistischen Evolutionsmodell ein biologistisches Konstrukt der menschheitsgeschichtlichen Zivilisations- oder Kulturstufen entworfen: Auf der untersten Stufe die Primitiven oder Naturvölker, die in der zeitlichen Dimension das Kindheitsstadium der Menschheit oder die Steinzeit darstellen. Das markiert besonders anschaulich den kulturellen Abstand zu den Zivilisierten, die auf der höchsten Stufe der Entwicklung stehen, um von dort aus immer höher vorwärts zu schreiten zu immer größerer Vollkommenheit. Da die Steinzeitmenschen sich nur langsam oder nie selbst aus ihrem bewusstlosen Naturzustand herauslösen können, ergibt sich der Zivilisierungsauftrag an Europa quasi naturgemäß. Die dichotome Ordnung der Welt auf der Grundlage der europäischen Wissensordnung tritt mit dem Anspruch universeller Gültigkeit auf: Daraus legitimiert sich das ideologische Programm imperialistischer Weltbeherrschung.
94
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Um diesen Anspruch gegen den Widerstand der Kolonisierten durchzusetzen, muss er sich fortwährend und sichtbar beweisen. In diesem Kontext sind Kolonialstädte, genauer: Städte, die im kolonialen Herrschaftsbereich gegründet oder gestaltet werden, Statements. Sie beglaubigen die Hierarchie der Zivilisationen, indem sie die kulturelle Differenz zu den Kolonisierten durch Fortschritt und Modernität markieren. Qingdao ist nicht die einzige Kolonialstadt, die diese imperialistische Botschaft formuliert,104 aber ehrgeizig und laut. Sie will nichts weniger als eine „Musterstadtanlage“ sein (Schrameier 1915:68) und in einer „Musterausstellung deutscher Erzeugnisse … eine Reklame ersten Ranges“ (Tirpitz 1920:76): Tsingtau ist, ohne allen Zweifel, eine zwar mit beträchtlichen Mitteln erstellte, aber heute doch vorhandene Musterkolonie. Es ist heute eine Art großer, deutscher ständiger Ausstellung im Fernen Osten, ein Musterkoffer sozusagen, mit dem Deutschland in China, in der ganzen Welt schließlich, reist und Geschäfte machen will. Dieser Musterkoffer enthält eine ganze Stadtanlage mit allem, was dazugehört (Wertheimer 1913:95f.).
Die Kaufmannsrhetorik – sie soll den Kritikern in Deutschland die immensen Baukosten der Kolonie schmackhaft machen – speist anschauliche Bilder in die Kolonialpropaganda ein, um koloniale Absatzmärkte für die deutsche Industrie zu schaffen. Doch dies berührt nur die vordergründige Bedeutung der imperialen ‚Musterausstellung‘. Für das Deutsche Reich geht es um viel mehr: Der „Wert Tsingtaus“ besteht darin, dass er „einer Anmeldung deutscher Ansprüche gleichkommt“ (Wertheimer 1913:87). Es geht um Deutschlands „Weltgeltung“, und hier nun soll der „Platz an der Sonne“ in einem Konzert der imperialistischen Mächte Realität werden. Das Feld, in dem der Kampf um Anerkennung dieser Ansprüche ausgetragen wird, ist die Modernisierung, und die Arena ist die moderne Stadt. Qingdao ist dazu bestimmt, „Einblick in unsere eigenen wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen …“ zu geben (Tirpitz 1920:76). In diesem diskursiven Kontext ist die Stadt dann der in Stahl und Stein gemeißelte Beweis für die Modernität des Deutschen Reiches. Belegt wird das durch die „musterhaften technischen Anlagen“ (Paquet 1912:303) und die Organisation der modernen Infrastruktur. Eine ganze Stadt als Dauerausstellung, wo „alles vorhanden ist, alles im Betrieb gesehen werden kann“ (Paquet 1912:298), macht Qingdao zu einer „einzigartigen“ „Stätte lebendigen Anschauungsunterrichts“ (Schrameier 1915:92). Dass das Deutsche Reich mit solchen Ambitionen keineswegs allein dasteht, beweist schon der misstrauische und rivalisierende Blick, der stets auf die englischen Vertragshäfen gerichtet ist: neben Hongkong 104 Vgl. Osterhammel 2013: Teil IV.
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
95
vor allem auf Shanghai und Kanton, auf Peitaiho (Beidaihe), Weihaiwei (Weihai) und Tschifu (Yantai), Tientsin (Tianjin), Dairen (Dalian) und andere Kolonialstädte, aus Sorge, eine von ihnen könnte als bedeutender, erfolgreicher oder schöner gelten. Deswegen insistiert der Diskurs darauf, dass Technologie nicht nur verstanden wird als Überlegenheit der technischen Ausrüstung, sondern auch für „deutsche Leistungen“ (Denkschrift 1908:5) geltend gemacht wird: Diese sind „nicht nur wirtschaftlicher, sondern ebenso kultureller Natur“ (ibid. Hervorhebungen H.R.). Technologie weist über sich selbst hinaus auf ein größeres Ganzes hin: „Gerade Tsingtau, in dem jeder Stein, jedes Haus, jede Anlage und nicht zum mindesten die Verwaltung deutschen Geist, deutsche Gründlichkeit und deutsche Vorsorge atmet (…), wird der Inbegriff jeder Anschauung westlicher Kultur“ (Zur Verth 1910:94). Die Architektur, mit der die deutschen Baumeister „sich und der Baukunst ihres Landes ein Denkmal (…) setzen“ (Weicker 1908:52), die repräsentativen Straßen und die modernen infrastrukturellen Anlagen sind sozusagen ein multimedialer Diskurs über deutsche (Arbeits-) Tugenden, deutsche Ingenieurskunst und deutsche Wertarbeit. „Schon der erste deutsche Matrose an Land wirkt […] erzieherisch, indem er Ordnung, Sauberkeit und die deutsche Sprache verbreitet und durch handwerkliche Tätigkeit beeinflusst“ (Bökemann 1913:88). Wieviel nachhaltiger sind da der Kaufmann und der Techniker, die „in Ausübung ihres Berufes erzieherisch“ wirken, denn „sie führen deutsche Arbeitsmethoden und deutsche Werke als Vorbild ein“ (ibid.). Qingdao repräsentiert das Deutsche Reich als Kulturnation. Dass diese Repräsentation als Ausstellung für die ganze Welt verstanden wird, ist kein Zufall. Das Bild knüpft an die Symbolik der großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts an. Die Weltausstellungen sind technische Leistungsschauen. Dort tragen die europäischen Nationalstaaten ihren Kampf um die Vormachtstellung in der imperialistischen Weltordnung aus, dort rivalisieren sie um technologische und ökonomische Leistungsführerschaft. Die Teilnahme deutscher Unternehmen dokumentiert den Anspruch, als „global player“ im Welthandel und als politische Weltmacht anerkannt und respektiert zu werden. Daran schließt die Vorstellung von Qingdao als Ausstellung an. Die Herausforderung der imperialistischen Rivalen, die darin liegt, kompensiert das Gefühl des Zukurzkommens im imperialistischen Wettlauf um Bedeutung und Einfluss. Wie gezeigt, steht die Rivalität (vor allem mit England) bei der Gründung von Qingdao Pate und prägt das Verständnis von der Rolle der Stadt. Angesichts der verschwindend geringen Bedeutung der Kolonialwirtschaft für Deutschland – der Anteil aller Kolonien am deutschen Außenhandel liegt gerade einmal bei 0,6 Prozent (Laak 2004:275) – gewinnt das Streben nach Weltgeltung besondere Bedeutung für das Selbstwertgefühl der ganzen Nation. Die Symbolkraft der „Musterausstellung für die ganze Welt“ nährt die Imaginati-
96
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
on eines grandiosen, vorbildhaften deutschen Kolonialreichs, das die marginale weltpolitische Bedeutung des Reiches zu kompensieren hat. Gleichzeitig aber demonstriert die „Musterausstellung“ Zugehörigkeit zur westlich-europäischen Zivilisation bzw. Kultur. Auch das kommt in dem Bild von der Ausstellung zum Ausdruck. Denn die Weltausstellungen treten nicht nur als Leistungsschauen auf; als „expositions universelles“105 erst sind sie von einflussreicher symbolischer Bedeutung. Die Weltausstellung ist konzipiert als ein Panorama der Welt, das sich ungleich ‚authentischer‘ und spektakulärer darbietet als die gemalten 360-Grad-Panoramen, die das Publikum in den europäischen Städten zur kolonialen Weltsicht erziehen.106 50 Millionen Besucher lassen sich mit einem panoramatischen Blick auf die kolonisierte Welt auf „Le bilan d’un siècle“107 der Pariser Weltausstellung von 1900 ein. In Ausstellungen und Völkerschauen wird die materielle Kultur der Kolonisierten dem ‚Stand von Wissenschaft und Technik‘ in der kommerziellen, industriellen und technologischen Selbstdarstellung dichotom gegenübergestellt, um die kulturelle ‚Überlegenheit der zivilisierten‘ Länder zu dokumentieren. In diesen Anordnungen wird der universelle Geltungsanspruch der europäischen Wissensordnung visualisiert, wird das europäische Wissen über die Welt anschaulich und begreifbar, ist hier doch zu sehen und zu berühren, was der imperialistische Diskurs über die zivilisatorischen Unterschiede der Rassen und Kulturen und die geltende Weltordnung zu sagen hat. In der Ausgrenzung des kolonisierten Anderen aus der zivilisierten Welt der Weltausstellungen präsentieren sich die imperialistischen Rivalen als Gemeinschaft, die durch eine gemeinsame europäische Wissensordnung und Zivilisation geeint ist. Auch diese Botschaft macht sich Qingdao als Ausstellung für die Welt zunutze. „Was nutzt aber eine Ausstellung, die doch niemand sieht?“ (OAL 13.9.1912:232) Im deutschen Oszillieren zwischen konkurrenzhafter Überheblichkeit und Verbundenheit mit den Kolonialkonkurrenten durch die Zugehörigkeit zur ‚weißen Rasse‘ spielt das Streben nach Anerkennung eine zentrale Rolle. Das ganze Konstrukt der ‚Musterstadt‘ lebt davon, dass seine herausragende Stellung gesehen wird: im Deutschen Reich, von den europäischen Rivalen und in China. Die scheinbar so selbstbewusste Stadt wird wie eine Ware108 auf den Markt geworfen, auch auf den Jahrmarkt der Eitelkeiten. Je-
105 Exposition Universelle de 1900 ist Titel der Pariser Weltausstellung. 106 Siehe Kap. 1.1.2: Die Konstruktion von ‚Landschaft‘. 107 So lautete das Motto dieser Weltausstellung. 108 Entwurf einer deutsch- und englischsprachigen Werbebroschüre für Qingdao, QDG B001-125-158 vom 31.05.1912.
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
97
de Äußerung der „Bewunderung für das in Tsingtau Geleistete“109 zählt und wird gezählt. Rechenschaftsberichte und Presse halten jede „Begeisterung und Bewunderung über das in Tsingtau geschaffene Kulturwerk“ beim Gast aus Deutschland, beim diplomatischen Freundschaftsbesuch ausländischer Militärs fest.110 Um Qingdao als Reiseziel in der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit zu verankern und auswärtige Besucher in die Stadt zu bringen, subventioniert das Reichsmarineamt den Norddeutschen Lloyd und die HAPAG dafür, dass sie Qingdao regelmäßig anlaufen (Warner 1996:266). Ein „Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs und der Hamburg-Amerika-Linie“ organisiert die Beförderung von Besuchern in der Stadt; Kutschen, Rikschas und Träger stehen bei jeder Schiffsankunft bereit (Führer 1906:39). Die Behörden stellen ein Besichtigungsprogramm zusammen, das zu praktisch jedem Punkt – immerhin 57 Ziele in dieser kleinen Stadt – führt. Um die öffentliche Resonanz auf die „Musterstadt“ zu verstärken, erwägt das Gouvernement 1914 die Vorbereitung einer „großen Ausstellung in Düsseldorf“ über Qingdao (Warner 1996:274, Fußnote 291), doch zerschlagen sich diese Pläne bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
1.3.3 Chinas Lehrmeister Wie die Weltausstellungen operiert die deutsche „Musterausstellung“ auf einer weiteren Ebene der Selbstrepräsentation: Adressat der Botschaften ist nicht nur die koloniale Konkurrenz, Adressat ist auch China. Noch immer beherrscht „ein ungeheures, unermeßlich reiches Land (…) mit an fünfhundert Millionen … Bewohnern“ (Zur Verth 1910:89) den Traum von einem gigantischen Absatzmarkt. Die begrenzten Erfolge der deutschen Wirtschaft in China beflügeln aber nicht Kapitalanleger, deren Investitionsneigungen eher gering bleiben, sondern die deutsche Angst, wieder einmal zu spät zu kommen, wenn es um das Verteilen imperialistischer Einflusssphären geht. In diesem Klima gedeiht die Vorstellung vom „Erwachen“ (Wertheimer 1913:132) des Riesen China. Im Bild des Riesen fließen die Furcht vor der Übermacht eines rohen, ungeschlachten Wesens und die Assoziation einer vorzeitlichen Welt, in der der Riese seinen Ursprung hat zusammen – Metaphern für einen Diskurs, der Chinas Rückständigkeit proklamiert, aber eben auch das ökonomische Potential für deutsche Interessen sieht. „Ein starres unerschütterliches System hat diesen Riesen für Jahrhunderte abgesperrt von der übrigen Welt, in tiefen Schlaf versenkt“ (Zur Verth 1910:89). Schlafende Riesen können erwachen und gefährlich werden. Nicht aber dieser: 109 (QDG B001-125-41:2) 110 Aus einem Telegramm einer Reisegruppe an Wilhelm II., abgedruckt in OAL 14.2.1913:156ff.
98
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Wir sehen, wie er sich reckt, wie er aufwacht. (…) Wir sehen, wie er getrieben wird in neue Bahnen. (…) Er weiß sich nicht zu helfen. (…) Da ruft er nach hartem Kampfe mit sich selbst westliche Lehrmeister ins Land, mehr sein Sehnen ahnen lassend, als offen aussprechend. Er ruft die Engländer, die Amerikaner, die Franzosen, auch die Japaner, am meisten aber uns Deutsche … 111
Ohne einen Lehrmeister ist der ‚Riese China‘ hilflos wie ein Kind, das auf Führung und Anleitung angewiesen ist. Auch das Bild des Kindes geht auf Herder zurück, der auf den Lebensstufen der Menschheitsentwicklung China ‚im Knabenalter‘ positioniert. „Wer wird Chinas Lehrmeister sein?“ (Crusen 1912:817). Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist das Zivilisationsmodell der Deutschen. In Tsingtau findet der Chinese, dessen Verständnis dafür vorgebildet ist, (…) eine einzige Anschauung der militärischen Macht des Deutschen Reiches, der Ordnung seiner Verwaltung, der Bedeutung und des Wesens seiner Rechtspflege und außerdem vor allen Dingen die Wirksamkeit zivilisatorischer Technik (OAL v.13.9.1912:232).
Die „wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen“, die dort ausgestellt sind, schaffen „gesunde Vorbilder für Chinas Modernisierung“ (Schrameier 1915:49); Tsingtau ist der zivilisatorische Vorposten für „die friedliche Durchdringung Chinas im Zeichen der deutschen Maschine.“112 Als Vorbild und Modell des Fortschritts ist Qingdao ausersehen, die Führung des ‚Riesen‘ auf seinem Weg in die Modernisierung zu übernehmen. „In den chinesischen amtlichen und privaten Kreisen wird diese Bedeutung von Jahr zu Jahr mehr anerkannt“ (Denkschrift 1908:12). Die Behauptung, dass es als „Zentrale der friedlichen Bestrebungen jeder Art in Ostasien gedacht ist, und daß man dort diesen Bestrebungen im freundschaftlichen Einvernehmen mit den [chinesischen] Landesbehörden nachgeht“ (ibid.), bekräftigt die Darstellung des deutschen Kolonialismus als einer Art friedlichem und harmonischem Kooperationsprojekt zwischen ‚zwei alten Kulturnationen‘, von denen die hilfsbedürftige Seite – natürlich die chinesische – die freundschaftliche Unterstützung der erfolgreicheren deutschen erbittet und erfährt. Auf solchem Wege 111 Ibid. Die durchsichtige Rhetorik erklärt sich daraus, dass der Autor, ein Marinestabsarzt, in Berlin unterwegs ist, um Spenden für die ärztliche Tätigkeit der Berliner Mission in Qingdao einzuwerben. 112 Strewe (1914): Was wir wollen. In: Technisch-Wirtschaftliche Blätter. Monatsschrift des Chinesischen Verbandes Deutscher Ingenieure. H.1:1. Zit. nach Leutner 1986:423.
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
99
… wurde das Kiautschougebiet zu einem mächtigen Faktor in der Verbreitung deutschen Einflusses innerhalb des chinesischen Wirtschafts- und Geisteslebens der Provinz Schantung. Es entsprach damit dem Programm des Kiautschouvertrages [von 1898]“ (Schrameier 1915:53, 81).
Solche Rechtfertigungskonstrukte berufen sich auf die ambivalente Haltung Chinas gegenüber der Modernisierung. Die Fraktion der Selbststärkungsbewegung will die chinesische Monarchie aus einer innen- und außenpolitischen Krise führen, indem sie Elemente der Modernisierung von Staat und Gesellschaft nach westlichem Muster übernimmt. Ihre Gegner streben einen Sturz der Monarchie und eine chinesische Republik an, auch sie durch einen Anschluss an westliche Modernisierung. Das Interesse besonders des Führers der republikanischen Bewegung, Sun Yat Sen, am deutschen Bildungswesen in Qingdao ist für das Gouvernement der Beweis dafür den deutschen Einfluss auf die Zukunft Chinas.113 Demgegenüber vollziehen sich die chinesischen Reformbewegungen durchaus nicht unter kolonialer Anleitung. Chinesische Städte und Regionen auch abseits westlicher Einflusszonen suchen eigenständige Wege aus der Krise, beispielsweise durch eine ‚urbane Selbstverwestlichung‘, ohne sich damit an die Interventionsmächte zu binden (Osterhammel 2013:424). Narrative über die herausragende Rolle Tsingtaus in den Modernisierungsprozessen Chinas – oder doch mindestens Shandongs – halten sich beharrlich; Fast unangefochten weben sie an den Stoffen, aus dem die Mythen sind: Nachdem der Abwasserkanal im deutschen Konzessionsgebiet intensiv genutzt worden war, mussten einige Bauteile ersetzt werden. Aber die damalige Firma gab es nicht mehr. Auf der Suche nach den Ersatzteilen fand die städtische Bauverwaltung schließlich eine deutsche Firma, die ihnen mitteilte, dass nach den Baustandards deutscher Firmen im Umkreis von 3 Metern vom alten Bauteil eine kleine Kammer mit dem Ersatzteil zu finden sei. Die Bauverwaltung fand die kleine Kammer und darin, in ein Wachstuch eingewickelt, so gut erhalten wie ein neues, das Ersatzteil.114
Solche kennzeichnenden Geschichten über die deutsche Kolonialzeit werden bis heute von Chinesen über Qingdao kolportiert – mittlerweile auch im 113 Exemplarisch Wertheimer 1913:95f; Crusen 1912:846f, 877f. Zur Rolle Sun Yat Sens für die Modernisierung Chinas und die Beziehungen zu Deutschland vgl. Mühlhahn 2000:275ff; Felber 1991:83ff. 114 http://www.360doc.com/content/12/0724/15/5964710_226194707.shtml [Datum: 20.05.2013] (Übersetzung des chinesischen Originaltextes: privat.).
100
Colonialism takes place: Koloniale Ordnungen und Anordnungen
Hightech-Erzählmodus des Internet. Das Narrativ durchzieht auch die wissenschaftliche Sicht auf das historische Tsingtau: „Das grundlegende Charakteristikum dieser Darstellungen stellt die durchgängig nachzuweisende Modernisierungsperspektive dar.“115 Auch chinesische Autoren sprechen von der deutschen Musterkolonie ganz ohne Anführungszeichen und rühmen die „Leistungen der deutschen Verwaltung“ (Huang 1999:61), wenn auch nicht ohne Vorbehalte gegen das schwierige koloniale Erbe. Im Einklang mit einer unhinterfragten Moderne schreibt die ‚Technikerperspektive‘ den Fortschrittsdiskurs des 19. Jahrhunderts fort. Für Architekten und Stadtplaner stehen die technischen Dimensionen der kolonialen Anlage im Vordergrund. Ihre Perspektive ist möglicherweise von urbanem Selbstbewusstsein im Zuge des rasanten Modernisierungsprozesses beeinflusst, der die Urbanisierung des heutigen China prägt.116 Kritischere Bewertungen aus chinesischer Perspektive fokussieren beispielsweise die Selbstüberschätzung der ‚perfekten‘ Modellstadt, die ihren eigenen Anspruch verfehlt (Lü Yixu 2013) oder das Modernisierungsmodell von Qingdao als Beispiel „für das Scheitern des imperialistischen Modernisierungsmodells“, das an seiner inneren Logik der Gewalt gescheitert sei ( Jing Dexiang 1998).117 Die Fortschrittsperspektive blendet den imperialistischen Kontext der Stadtgründung und -entwicklung einfach aus. Dabei liegt der Modernisierung die gleiche vorandrängende Bewegung der Aneignung und erschließenden Durchdringung des Bestehenden zugrunde wie die koloniale ‚Erschließung‘ eines Landes. Beide wollen erobern und sind kompromisslos und ohne Schonung darauf aus, das Bestehende zu verdrängen oder gleich zu zerstören: „Stellte sich der erschließenden Bewegung dann in der Praxis etwas in den Weg, wurde dies leicht als Hindernis betrachtet, das es zu überwinden oder sogar zu vernichten galt“ (van Laak 2004b:265).
115 Leutner/Mühlhahn 1994:402. Besonders deutlich in allen Schriften von Matzat, bei Lind 1998; Biener 1989; Warner 1996, 1994. 116 Vgl. Deng 2013; Wang 2013; Liu 2004 und Liu 2007, der in der Kolonialzeit den Grundstein für die heutige Bedeutung Qingdaos sieht: Vgl. besonders S. 100ff. 117 Dieser interessante Gedanke kann im hier gesteckten Rahmen nicht weiterverfolgt werden.
Qingdao als Musterkoffer der Moderne
101
2. DIE STADT DER ANDEREN: DIE KONSTITUIERUNG DER CHINESENSTADT Diese räumliche, überlegte, konzentrierte Anordnung, die die Modellstadt ausmacht, die künstliche Stadt, die Stadt der utopischen Wirklichkeit […] Aufteilung, Sichtbarmachung der Individuen, Normierung der Verhaltensweisen: eine Art spontaner Polizeikontrolle, die so durch die räumliche Anordnung der Stadt elbst ausgeübt wird (Foucault 1993:64).
Während die Europäerstadt auf unterschiedlichen Ebenen und in vielen Facetten die deutsche Selbstdarstellung verkörpert, ist die Chinesenstadt in der symbolischen Ordnung der Stadt bedeutsam als Binäropposition. Die Konstruktion des chinesischen Raumes markiert die Grenze, die erst in der Differenz sichtbar wird. Und da Differenz das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen Hüben und Drüben ist, wird die Chinesenstadt von Qingdao als ‚chinesisch‘ codiert, obwohl sie ganz nach deutschen Maßstäben errichtet ist. Wie die – imaginierten – Grenzen durch die Konstruktion von Differenz visualisiert und am Leben erhalten werden, soll in der Rekonstruktion der Anlage und Gestaltung von Dabaodao (eingedeutscht: Tapautau), Taidong (Taitungtschen) und Taixi (Taitschitschen) an der westlichen und nördlichen Peripherie des deutschen Tsingtau konturiert werden. Beide, die Europäerstadt und die Chinesenstadt, sind in einer komplementären Beziehung zueinander konzipiert. Darin spiegelt sich die gleiche hierarchische Dichotomie wider, die auch in den urbanisierten Zentren Europas entsteht. Der europäische Hintergrund macht deutlich, dass die Binäroppositionen in Qingdao keineswegs nur rassistisch definierte sind, sondern auch als Klassengegensätze in der bürgerlichen Gesellschaft verstanden werden müssen. Die Gestaltung der Chinesenstadt, verordnet in den „Vorläufigen baupolizeilichen Vorschriften für die Stadtanlage im Gouvernement Kiautschou“, die am 11. Oktober 1898 vom Gouverneur erlassen werden, visualisiert beides. In der Rekonstruktion des Raumkonzepts wird anschaulich, wie Differenz zum inneren Strukturprinzip der Stadt wird: oben versus unten; vor dem Berg und hinter dem Berg; wohlhabende Eleganz hier, Schlichtbau dort; Weitläufigkeit gegenüber dichtem Gedränge; großzügige, von Gärten gesäumte Platanenalleen hier, dort zweistöckige Wohnblocks, errichtet an schmalen Straßen in rechtwinkliger Gitternetzdisziplin. Qingdao ist eine geteilte Stadt. Wie die Grenzziehung erfolgt, wie aus einem Wohnort Peripherie wird und Einfluss auf die horizontalen und vertikalen sozialen Beziehungen gewinnt, zeigt sich in der Strategie der Verdrängung der chinesischen Bevölkerung und in der deutschen Baupolitik, die Differenz planmäßig konstruiert und städtebaulich realisiert.
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
103
In der symbolischen Ordnung von Qingdao bildet die ‚Chinesenstadt‘ den dichotomen Bezugspunkt zum deutschen Tsingtau. Das deutsche Hier ist der imaginierte Zentralpunkt, die Perspektive, die die Position des chinesischen Teils der Stadt bestimmt. In der zeitlichen Dimension ist das alte, schnell beseitigte „elende Fischernest Tsingtau“ die Messlatte, an der „das in Tsingtau Erreichte“, die voranschreitende Modernisierung und ‚Höherentwicklung‘ in der nach deutschem Plan errichteten Chinesenstadt und damit der Stand der Zivilisierung der Chinesen abgelesen wird. Die Ausgrenzung der chinesischen Bevölkerung an der Peripherie gilt als Voraussetzung für diesen Erfolg. Aber nicht anders als in der Konstruktion der Außengrenzen des Pachtgebiets ist auch hier, auf dem engen Raum des Stadtgebiets, die Trennlinie unklar, kaum zu erkennen, genau genommen ganz unsichtbar. Die Grenze braucht klare, gut sichtbare Markierungen und muss immer aufs Neue verdeutlicht, erneuert, gegen Grenzübertretungen durchgesetzt werden. Durch die gebaute Differenz tritt die Grenze hervor, da sie das Hier vom Dort, das Drinnen vom Draußen unterscheidbar macht. Komplementär zur Selbstrepräsentation in der Europäerstadt entsteht in der Fremdrepräsentation die Chinesenstadt.
2.1 Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt Die Gründungsjahre von Qingdao sind ein beredtes Zeugnis dafür, wie aus einem bunten Durcheinander von chinesischen Wanderarbeitern und Geschäftsleuten, deutschen Soldaten und Beamten, deutschen und ausländischen Investoren, Kaufleuten und Missionaren eine Stadt der Apartheid wird und mit welchen Techniken der Macht die Segregation aufrecht erhalten wird, wie aber auch Grenzen verletzt und überschritten werden. Zentrum und Peripherie bedingen sich gegenseitig. Sie sind relationale Raumkonstrukte, die nur in Beziehung zueinander existieren. Die räumliche Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie konzipiert die Beziehung zwischen Drinnen/Innen und Draußen/Außen, Hier und Dort. Auf der „mental map“ des Kolonialismus markiert sie den Zusammenhang zwischen dem Zentrum Europa als dem Nabel der Welt auf dem Nullmeridian und seiner Peripherie, der Welt imperialistischer Interessen- und Einflusssphären. Das Zentrum steht für Modernisierung, für Innovation und Impulse, für den Motor von Fortschritt und Zivilisation. Die Peripherie ist der Raum der Intervention: passiv, empfangend, unter der Führung des Zentrums angeleitet, erzogen, gegebenenfalls diszipliniert. Ein Rückfluss, eine Gestaltungsmacht der Peripherie kommt in dieser Raumkonstruktion nicht vor, da sie undenkbar ist: für die eurozentrische Vorstellung des „diffusionism“ (Blaut 1993) geht alle Kultur vom Zentrum aus.
104
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
2.1.1 Grenzziehungen durch Exklusion Die wichtigste Aufgabe ist es, das „Zusammenhausen verschiedener Rassen“ (Schrameier 1915:61) schnell zu beenden und das Durcheinander in die geordneten Bahnen säuberlicher Trennung zu lenken. Dem dient die Chinesenstadt am Rande von Tsingtau. Für die deutschen Akteure der ersten Jahre ist die Errichtung einer Chinesenstadt der logische nächste Schritt zur Entwicklung der Vorzeigestadt. In den requirierten Dörfern herrschen Überfüllung und Wohnungsnot, innerhalb eines Jahres verdreifacht sich die Bewohnerschaft des Dorfes Qingdao (Huang 1999:115). Für die ehrgeizigen Bauprojekte der Kolonialverwaltung – Wohnungen, öffentliche Bauten, Kasernen, Straßen, Kanalisation, Eisenbahn und Hafen – werden verarmte bäuerliche Wanderarbeiter aus Shandong in großer Zahl gebraucht. Tausende folgen dem Ruf nach billiger kolonialer Arbeitskraft – als Einwohner*innen willkommen sind diese „unangenehmen, aber notwendigen Kulimassen“ (Maercker 1902:32) nicht. Die Erfahrung der ‚Zustände‘, die dadurch auf dem Gelände der künftigen Stadt entstehen, lösen bei den Besatzern Beunruhigung aus: Ein weiter Abstand scheint Sicherheit und Schutz vor der Fremdheit zu bieten. Das „Zusammenströmen dieser obdachlosen arbeitssuchenden Chinesen“ (op.cit.:31) und ein suspektes „Markttreiben“ entziehen sich der polizeilichen und ärztlichen Überwachung. Die ephemere Existenz der ihrer Arbeit hinterherziehenden Tagelöhner hält die chinesische Bevölkerung in Bewegung – eine Bewegung, die Besorgnis erregt, da die nomadische Existenz von „Obdachlosen“ und „Vagabundierenden“ bei sesshaften Besitzbürgern schon immer Misstrauen erregt hat und da sie die Trennlinie zwischen Deutschen und Chinesen ständig in Frage stellt. Dem provisorischen Charakter dieser „Wander-Arbeit“ entsprechen provisorische Unterkünfte an den Arbeitsstätten der Arbeiter: Vom Bankier bis zum Schlafstelleninhaber und zum Buchhändler war hier alles vertreten, was der chinesische Arbeiter brauchte. Tschiung han schy [qiong han shi – wörtlich „Markt der armen Söhne Hans“, H.R.] hatte der Volkswitz das luftige Gebilde von Matten- und Bierkistenbuden getauft. Die (…) Übelstände machten sich bald so bemerkbar, daß eine abermalige Verlegung notwendig wurde (Maercker 1902:32).
Zwar überspielt der hier angeschlagene Ton ironischer Amüsiertheit über die ‚Übelstände‘ die Bedrohlichkeit, doch verrät die Semantik den Schrecken im Angesicht der unkontrollierbaren Lebendigkeit der fremden Anderen. Phantasien über „berüchtigte chinesische Wirtschaften“ in der „unmittelbaren Nachbarschaft des Yamens“ (001-149-107:12 v. 23.4.1898) in dem Dorf Xiaoniwa,
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
105
deren „Wolfshöhlen“ berüchtigt und gefürchtet sind, geben dem Gefühl Ausdruck, dass der Feind bereits im Inneren ist und man seiner nicht habhaft wird. Daß sich in dem Hüttengewirr auch viel lichtscheues Gesindel zusammenfand, ist klar. Mehrere Verbrechen (darunter Morde) kamen zur Kenntnis der Behörde und konnten zum Theil gesühnt werden, eine große Anzahl ist wohl gar nicht bekannt geworden (ibid.).
Die Vermischung von Massen, Mobilität und Verbrechen zu einer einzigen Gefahr verrät die Angst vor einem Kontrollverlust. Die Überwältigungsangst im Angesicht des nicht fassbaren Bedrohlichen wird bewältigt mit einer Projektion: Es sei der Andere, der so bedrohlich ist: Die Feststellung seiner Disziplin- und Sittenlosigkeit macht ‚den Chinesen‘ dingfest; Man weiß, woran man mit ihm ist und kann die geeigneten Maßnahmen ergreifen. Schon hier wird erkennbar, wie ‚der Chinese‘ zum Problem gemacht wird. Durch diese Zuschreibung erscheint es plausibel, ja unausweichlich, dass ‚der problematische Chinese‘ „das Gouvernement zwang, die chinesische Bevölkerung nach Möglichkeit aus dem Weichbilde der Stadt zu entfernen“ (ibid.). In Yangjiacun (nahe dem künftigen Taidong) werden die Menschen „in einer solchen Entfernung von der Stadt wieder angesiedelt, daß sie in Zukunft unbehelligt bleiben können“.1 Ausschluss und Überwachung an der Peripherie sind die Maßnahmen, mit denen die Besatzer die Kontrolle zu erlangen suchen. Die spontanen Arbeiterunterkünfte werden gewaltsam geräumt, auch das chinesische Dorf Dabaodao wird „niedergelegt“: Dies war notwendig, einmal um die vielen noch dort wohnenden chinesischen Arbeiter aus der Nähe der Europäerstadt zu entfernen und nach Taitungtschen und nach Taitungtschi zu zwingen, und sodann, um der Entwickelung der neuen dort aufblühenden Geschäftsstadt auch nach dieser Richtung freie Bahn zu schaffen“.2
Die Unumgänglichkeit einer gewaltsamen Grenzziehung zwischen Deutschen und Chinesen wird von der öffentlichen Meinung ohne weitere Erklärung verstanden und geteilt. Es ist offenkundig, dass das Reden über chinesische „Kulis“ anschlussfähig ist an vertraute Diskurse, Diskurse über China, wie sie uns im Zusammenhang mit dem Modernisierungsdiskurs bereits begegnet sind, aber auch an Diskurse über die möglichen Bedrohungen durch einen unregierbaren proletarischen ‚Mob‘ in den industriellen Zentren Europas und Deutschlands.
1 2
106
QDG B0001-150.112:10. Gouverneur Jaeschke im November 1899. Zitiert nach DKZ 1900 Jg. 17, S. 95.
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
Die angestrengte Bauthätigkeit hatte, wie bereits in der Denkschrift für 1899 erwähnt, Tausende von chinesischen Arbeitern – Kulis – angelockt. Eine sorgfältige Überwachung derselben ist erforderlich, um nicht Gesundheit und Sicherheit der [deutschen – H.R.] Einwohner des Stadtkreises Tsingtau gefährden zu lassen. […] Die Sicherheitsverhältnisse ließen im Stadtkreise gegen Ende des Jahres 1899 zu wünschen übrig. Durch die seither durchgeführten Maßregeln repressiver und präventiver Natur ist eine wesentliche Besserung … erzielt worden (Denkschrift 1901:26).
Der Ausschluss ist nicht nur ein ‚Betreten Verboten‘; er unterwirft die Ausgeschlossenen „Maßregeln repressiver und präventiver Natur“ und stellt die Machtverhältnisse klar. Der neue Ort „ist von Tsingtau 3 km entfernt und durch den Zug des Bismarck- und Moltkeberges davon geschieden, sodaß thatsächlich eine völlige Trennung dieser unangenehmen, aber notwendigen Kulimassen von der Europäerstadt stattgefunden hat“ (Maercker 1902:32). Aus dem deutsch codierten Raum sind Chinesen fortan – zumindest dem Prinzip nach – ausgeschlossen. Auch die Ansiedlung von Chinesen außerhalb der Chinesenstadt gilt nun als illegal. „An der Stelle des niedergelegten Dorfes Hsiau-pau-tau an der Straße nach Taidong“ entdeckt der Generalarzt Dirksen auf seinen Inspektionsritten Häuser, die offensichtlich bewohnt sind, da er morgens um sieben Rauch und abends Frauen und Kinder erspäht. „Aus der Art und Weise, wie sich die Leute häuslich eingerichtet haben, schließe ich, daß sie beabsichtigen, dort zu wohnen und zu bleiben, was jedoch im Widerspruch mit der Niederlegung des früher an derselben Stelle gelegenen Dorfes Hsiau-pau-tau steht“. Die Antwort auf die Anfrage, „ob den Leuten die Niederlassung bzw. Ansiedlung gestattet worden ist“, ist negativ; Die Häuser „sind … zu entfernen“ und „die Leute müssen nach Taidong umziehen“.3 Die Jagd nach dem ‚lichtscheuen Gesindel‘ und dem ‚Verbrechen‘, die ‚Niederlegung‘ der Bauerndörfer, die Zwangsräumung der für illegal erklärten Spontansiedlungen, die Ansiedlung der Wanderarbeiter und expropriierten Bauern an den Rändern von Tsingtau schreiben der Chinesenstadt und ihren Bewohnern bedrohliche Randständigkeit ein. Die sukzessive Verdrängung der chinesischen Einwohner realisiert, was die Stadtplanung von Anfang an vorgesehen hat: die Platzierung an der Peripherie. Von der Europäerstadt aus definiert der panoramatische Blick die Ränder. Ohne Peripherie bliebe das Zentrum ein leeres Versprechen. Im Sinne dieser Bipolarität wird auf dem Reißbrett auch die ‚Chinesenstadt‘ angelegt. Sie wird als dichotomes Draußen an der Außengrenze des deutschen Drinnen entwor3
G2533 Dirksen an U und C vom 22.10.1908 und Vermerk No. 5523B an P.A. vom 19.10.1908 (Bauarchiv).
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
107
fen. Auf der absteigenden Hierarchie der Ost-West-Achse liegt das Draußen am äußersten westlichen Ende und stellt den binären Gegenpart zum Osten der kolonialen Privilegien von Luxus und „leisure“. Komplementär zu den herrlichen Südhängen verkörpert ‚die Chinesenstadt‘ den Norden und das Unten. Die Platzierung in jener Zone, die als ‚für Europäer unbewohnbar‘ codiert ist, signalisiert: „gut genug für Chinesen“. Was damit gemeint ist, verdeutlichen die Diskurse über den „chinesischen Körper“, die in Kapitel 3 untersucht werden. Zentrum und Peripherie, nichts weiter als Raumkonstrukte, die zwei Regionen in eine hierarchisch konnotierte Beziehung zueinander setzen, erscheinen im Gründungsnarrativ als Vorgaben der Topographie von Qingdao, die die Natur selbst bereitgestellt hat: „eine ganz scharfe Trennung der Europäerstadt von der Chinesenstadt“ (Maercker 1902:11). Signal- und Bismarckberg und die tiefen Einschnitte der Erosionsrinnen stellen eine ideale Grenze dar. Der „Berggrat“ (Bökemann 1913:484) übernimmt die Aufgabe einer „Wasserscheide“. Sie „stellte sicher, dass kein Oberflächenwasser – von den Marineärzten wegen seiner Verschmutzung als besonders gefährlich bezeichnet – aus der chinesischen Siedlung in das Europäerviertel floss“ (Kronecker 1913:8). Für die natürliche Ordnung kolonialer Segregation „fanden sich hier natürlich voneinander getrennte Ansiedelungsplätze, wie sie geeigneter kaum sein konnten“ (Uthemann 1911:10). Dem muss der Mensch nur noch wenig nachhelfen: Mit einem „Abschluß gegen die Chinesenstadt durch einen breiten Gartenstreifen“ „würde Tsingtau ganz in Grün gebettet, vom Chinesentum völlig getrennt und gewiß der sympathischste Wohnort Chinas sein“ (Maercker 1902:29). Die diskursive Bindung der imaginierten Grenzen an topographische Gegebenheiten bettet das abgegrenzte Territorium in eine von der Natur selbst vorgesehene Ordnung ein. In sie fügt sich die Ordnung der Menschen ganz natürlich ein: jeder Rasse den ihr gemäßen Platz. Diesseits der kolonialen Trennlinie erzieht diese Naturalisierung sozialer Konstrukte die Menschen dazu, Sinn und Legitimität von Abgrenzungen nicht in Frage zu stellen. Sie lehrt auch, Ungleichheit und Ausgrenzung als unabänderliche Gesetze der Natur zu sehen. Sie befestigt die Essentialisierung des Fremden, seine rassistisch determinierte Andersheit und das Denken in binären Kategorien. Um diese Abgrenzungen aufrecht zu halten, braucht es die kontinuierliche und sichtbare Unterscheidbarkeit des Anderen vom Selbst, und die Konstruktion von Differenz begleitet den Aufbau der Kolonie von Anfang an. Die angestrebten Grenzen existieren zunächst nur auf dem Reißbrett und in der Rhetorik: Die Wohnungsnot der Anfangszeit zwingt die Besatzer, „ebenerdige Chinesenhäuser mit Steinmauern, Papierfenstern und Strohdächern“ als Notquartiere zu beziehen. Um von den chinesischen Bewohnern unterscheidbar zu sein, setzen „fleißige Soldatenhände“ (Goldmann 1899:45) Zeichen: „In der Ortschaft zeigte sich schon zur Zeit meines Besuchs, etwa vier Monate
108
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
nach der Besetzung, deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit“; „der frische Anstrich, die neu eingesetzten Hausthüren und vor allem die große Reinlichkeit, die überall herrscht, zeigen, dass hier unmöglich Chinesen wohnen können“ (Hesse-Wartegg 1898:7). Unmissverständlich kennzeichnet „ein kleines schwarz-weiß-rotes Wappenschild“ jedes requirierte ‚Chinesenhaus`, „eine schwarz-weiß-rote Scheibe“ (op.cit.:9) markiert die Beamtenwohnungen. Die Überschreibung der chinesischen Siedlungen mit den ‚deutschen Farben‘ (der Reichsflagge), Hausnummern und Straßenbeleuchtung zeigt den Verlauf der Grenze quer durch die besetzten Dörfer an.
2.1.2 Konstruktion der Peripherie Während auf der ‚deutschen‘ Seite die Europäerstadt wächst, wird auf der ‚chinesischen‘ Seite der Raum der Differenz konstituiert. Die soziale Codierung dieses Raumes wird in ihrer baulichen Gestalt sehr bald auch für die Chinesen sinnlich und körperlich erfahrbar. Darin entfaltet das Konstrukt physische Macht über die Marginalisierten bis in die heutige Millionenstadt hinein. Die Peripherie ist nicht nur Metapher, sondern die Materialität der asymmetrischen sozialen Beziehungen in der Kolonie. Das soziale Konstrukt ‚chinesische Stadt‘ wird in der Bauordnung von 1898 und in der „Chinesenordnung“ von 1900 diskursiv produziert und in der ‚Chinesenstadt‘ materialisiert. Dabei wird auch innerhalb der chinesischen Bevölkerung eine soziale Differenzierung vorgenommen, die sich im Bau der chinesischen Stadtteile niederschlägt. Die chinesischen Viertel von Taidong und Taixi werden von vornherein als Arbeiterstädte geplant und angelegt, Dabaodao dagegen soll als Gewerbe- und Wohngebiet für chinesische Kaufleute, Handwerker und Händler das chinesische Pendant zur europäischen Geschäftsstadt sein (Abbildung 13). Diese Handels- und Chinesenstadt dicht am Hafen ist gewissermaßen der Mittelpunkt der ganzen Anlage; wie zwei Flügel setzten sich daran an Taitungtschen und Taitschitschen, wo die Tausende und Abertausende von Kulis, Bauarbeitern, Schauerleuten, Packträgern u.s.w. untergebracht wurden, die der Hafen- und Schiffsbetrieb, der Eisenbahn- und Handelsverkehr verlangten (Schrameier 1915: 38).
In der kolonialen Planung existiert die Chinesenstadt relational zur Europäerstadt und als Ort der Arbeitswelt. „[Die] weißgraue Chinesenstadt Tapautau“ in einem Ensemble aus Lagerschuppen ist leicht als Teil des Hafens auszumachen (Paquet 1912:296); Damit entspricht Dabaodao seiner Bestimmung. Wie in der Europäerstadt machen auch in Dabaodao die amtlich festgelegten Straßenna-
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
109
Abb. 13: Plan von Tsingtau und Umgebung. Universitätsbibliothek Kiel. urn:nbn:de:gbv:8:2-746294.
men Zugehörigkeiten kenntlich:4 Die Straßen der europäischen Geschäftsstadt tragen die Namen deutscher Handelsstädte, Straßen im Hafengebiet sind benannt nach den Schiffen des Kreuzgeschwaders. Die direkt benachbarten Straßen von Dabaodao dagegen sind als ‚chinesische‘ dadurch markiert, dass sie 4
110
QDG B0001-150-112:12.
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
nach den Dörfern des Pachtgebietes und Shandongs benannt und so dem chinesischen Draußen zugeordnet sind. Der Raum Dabaodao ist bestimmt als Stadtteil der ‚besseren Chinesen‘. Seine Zweckbestimmung macht eine gewisse Nähe zur deutschen Siedlung unumgänglich: „Es wurde also beschlossen, die Chinesen in ihrem unvermeidlichen Schmutz und Geruch in ein besonderes Viertel zu verweisen. Selbstverständlich durfte die in Aussicht genommene Trennung nicht so weit gehen, daß darunter der Handel und das in geschäftlicher Beziehung absolut notwendige Zusammenwirken beider Rassen litt“ (Maercker 1902:24). Daher ist Dabaodao ausersehen für „die Ansiedelung chinesischer Firmen – nur diese kommen bei Tapautau in Betracht, während die Kulibevölkerung sich in dem neugegründeten Flecken Taitungtschen niedergelassen hat“ (Denkschrift 1901:12). In dieser Hinsicht besitzt das Viertel eine Ausnahmestellung als transkultureller Raum, die sich auch darin ausdrückt, dass angesichts der Wohnungsnot Deutsche und Chinesen aller Schichten dort Quartier beziehen. Diese soziale Mischung – chinesische Kaufleute, Handwerker, illegal untergeschlüpfte Wanderarbeiter neben deutschen und europäischen Geschäftsleuten und Beamten – konterkariert die Bemühungen des Gouvernements, das „Zusammenhausen verschiedener Rassen“ zu unterbinden. Anders Taidong und Taixi. Sie sind die Kulistädte, in die die chinesischen Arbeiter eingewiesen werden. Von ihrer schieren Zahl und ihren Lebensverhältnissen in dramatischer Armut geht eine Bedrohung für die koloniale Herrschaft aus. Im sicheren Abstand hinter den Bergen und unter den wachsamen Augen der berittenen Einheiten Moltke-Kaserne nebenan scheint diese Gefahr gebannt: Die Stadt der Moderne weist sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie die Kontrolle über die urbanen Massen behält. Als ‚Arbeiterstädte‘ werden Taidong und Taxi also in gehörigem Abstand zu Dabaodao angelegt. Die Lage von Taidong jenseits des designierten Großen Hafens im äußersten Nordwesten der Stadt ist das unübersehbare Signal an die Bewohner, dass sie die Peripherie der Peripherie darstellen. Taixi, bis heute als „geographischer Endpunkt“ einer „von der Stadt verlassenen Elendsecke und einer sozialräumlichen Peripherie der Innenstadt“ (Zhan 2002:55) auf einer südwestlichen Landzunge gelegen, wird „durch einen natürlichen Graben und die dazwischen verlaufende Eisenbahn von der Europäerstadt scharf getrennt“ (op.cit.:49). Die Elendsquartiere beider Wohnviertel bilden eine funktionale und eine symbolische Einheit mit den Industrie- und Gewerbezonen des Hafens sowie im Westen mit Schlachthof, Kraftwerk, Fischerei und Werft und den dazugehörigen Arbeitsplätzen. Die „Arbeiterstadt“ als räumliche Einheit von Arbeit und „Arbeitermaterial“ (Weicker 1908:121) bringt semantisch und visuell zum Ausdruck, wie Menschen und Räume vom Räderwerk des kapitalistischen Verwertungssystems erfasst und der Funktionalität und Rationalität kapitalistischer Arbeitsorganisation
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
111
untergeordnet werden. So ist es nur folgerichtig, dass nicht nur die Menschen namenlos bleiben, sondern auch ihre Wohnstraßen lediglich nummeriert werden. Der hier konstituierte Raum transformiert das „Menschenmaterial“ (Maercker 1902:465) von zusammengewürfelten bäuerlichen Wanderarbeitern aus Shandong und anderswo in ein chinesisches Proletariat im Dienste der Kolonialwirtschaft. Die periphere Lage als Teil der Arbeitswelt, buchstäblich „hinter den Bergen“ und am äußersten Rand, zeigt ihnen ihren Platz auf der alleruntersten Stufe der kolonialen Ordnung an, in der sie die Ausgeschlossenen sind. Diese Anordnung folgt den seit den 1840er-Jahren herausgebildeten Mustern der europäischen Stadtentwicklung. Die „Methode Haußmann“ (Friedrich Engels) steht für die soziale Entmischung im Zuge einer radikalen Umgestaltung der noch mittelalterlich geprägten Stadtstrukturen für die Bedürfnisse der Urbanisierung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Mit der Schleifung der innerstädtischen Elendsquartiere werden die als bedrohlich empfundenen städtischen Proletariermassen aus der Stadt verdrängt. Im Zentrum und oft im Westen der Städte – den Industriebezirken mit ihrer dramatischen Luftverschmutzung vorgelagert – entstehen die weitläufigen bürgerlichen Viertel. Die Ausgrenzung der Arbeiterbevölkerung an die Ränder der Stadt hat sich tief in die soziale Entwicklung von Qingdao eingeschrieben. „Da die dort [in den Dörfern] vorhandene wirtschaftliche Struktur fast komplett verändert wurde, war der räumliche Zusammenhang von Wohnen und Arbeit an der Peripherie ein entscheidender Grund für die Konzentration der Hüttenviertel am Rande der [heutigen H .R.] Innenstadt“ (Zhan 2002:50). Das verweist darauf, dass die Elends- und Armenquartiere bis in das nachkoloniale Qingdao „kein rein städtebauliches Phänomen, sondern eine soziale Frage“ (Zhan 2002:415) darstellen. Anders als in vergleichbaren postkolonialen Ländern geht die Entwicklung auf die kolonialen deutschen Raumkonstrukte zurück und nicht auf spontanes „squatting“ (op.cit.:2): Erst der Abriss der chinesischen Dörfer im Zentrum und die periphere Ansiedlung (op.cit.:49) haben die Grundmuster für die nachfolgenden Siedlungsstrukturen vorgezeichnet, an deren Ende die weiträumige Verslumung des Qingdaoer Westens steht. Die gebaute Stadt ist die Gestalt, in der die Gesellschaft sich verräumlicht (Delitz 2009:93). Die Architektur verleiht ihr dauerhafte Sichtbarkeit und wird daher von allen als verkörperte Ordnung verstanden. Artefakte „handeln“: „Sie stabilisieren soziales Leben. Sie stehen nicht nur imposant herum, sondern werden zu Objekten der Interpretation und Erzählung, beeinflussen aber auch ihrerseits in ihrer materiellen Anwesenheit Handlungsabläufe“ (Löw 2009:349). Die Materialität der Stadt schreibt die Ordnung in die Körper ein: Sie schleift Bewegungen, Routen und Routinen ein und beeinflusst leiblich-sinnliche Raumerfahrungen. Architektur und Stadtanlage in Qingdao haben diese Wir-
112
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
kung. Die Gestaltung der chinesischen Arbeiterstadt als Peripherie gibt den Abstand zwischen dem kolonialen Machtzentrum und der chinesischen Bevölkerung vor. Damit fungiert sie als direkter Gegenpol zur „leisure“-konnotierten deutschen Wohnstadt. Die Erfahrungen, die dieser Raum verweigerter Nähe regelmäßig provoziert, sind die Erfahrungen von Ausgeschlossensein und verweigerter Teilhabe. In der körperlichen „Er-Fahrung“ wird die Ost-WestAchse mit ihren Polen ‚Europäerstadt‘ und ‚Chinesenstadt‘ zu einer sozialen Realität der Differenz. Die einen „er-fahren“ sie in der Kutsche oder Rikscha oder im Kavaliersblick vom Rücken ihres Reitpferdes nach unten; Für die Anderen wird ihre Randlage auf ihren langen Fußmärschen zwischen den Arbeitsorten und den peripheren Wohnstätten zu einer sozialen Realität der Marginalisierung und Unterprivilegierung. Wo sich der Kolonisator zu Pferde auf dieser Achse bewegt und mit panoramatischem Kavaliersblick auf das „ameisenartig fleißige Völkchen“ (Navarra) herunterblickt, das seiner schweren körperlichen Arbeit im kolonialen Lohnverhältnis nachgeht, da wird koloniale Hierarchie als sinnliches Erleben täglich neu produziert. Beim ersten Mal „berührt es zunächst etwas peinlich“ (Weicker 1908:46), doch nur zu schnell gewöhnt man sich daran, „die Kulis als reine Lasttiere zu betrachten“. So jedenfalls bringt der Direktor des Norddeutschen Lloyd, Philipp Heinecken (1911),5 den Übergang einer körperlichen Erfahrung in ein soziales Verhältnis auf den Begriff. Auf dem beschwerlichen Weg bergauf und bergab zur weißen Herrschaft fährt die koloniale Hierarchie den schwerbeladenen „RikschaKulis“ und Lastenträgern buchstäblich in die Beine. Es sind die kleinen Signale, die die koloniale Erfahrung einer Randexistenz stiften. Auch die sogenannten „Karrbahnen“ sind eine soziale Botschaft: Damit die Kulis den Herrschaften nicht in die Quere kommen, lässt die Kolonialverwaltung in der Europäerstadt eine Fahrrinne für die einrädrigen chinesischen Schiebkarren am rechten Fahrbahnrand anlegen. Die Mitte der Straße gehört der Macht.
2.1.3 Eine Welt ohne Zwischenräume Die Stadt der Kolonisierten … ist ein schlecht berufener Ort … Es ist eine Welt ohne Zwischenräume, die Menschen sitzen hier einer auf dem andern, die Hütten eine auf der andern (Frantz Fanon)
Nähe und Distanz als Erfahrung von Zentrum und Peripherie, Nähe und Distanz auch als Erfahrung innerhalb dieser Räume. Die sinnliche Wahrnehmung 5
Zitiert nach Kuckuck 2004:53.
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
113
von Weitläufigkeit in den europäischen Wohnanlagen ruft das Gefühl von luxuriöser Großzügigkeit hervor. Im Gegensatz dazu bestärken Enge und Verdichtung die tägliche Erfahrung, dass sich viele Weniges teilen müssen. Gegen die lockere Bebauung der ‚Europäerstadt‘ hebt sich die Wohnverdichtung in der ,Chinesenstadt‘ besonders deutlich ab. Solche Diskrepanz zwischen „Hütten und Palästen“ ist eine weitverbreitete und keineswegs auf Europa und europäische Kolonialstädte beschränkte Praxis der Visualisierung von Status und Macht. In Qingdao jedoch, wo die Diskrepanz in rassistischen Mustern abläuft, trägt sie zum Erleben von Macht und Ungleichheit als Ausdruck von Fremdherrschaft bei. In der Enge der ‚Chinesenstadt‘ bleibt der gut sichtbare Abstand zur aufgelockerten Großzügigkeit der privilegierten Viertel mit ihren breiten, kopfsteingepflasterten und baumbestandenen Straßen gewahrt. In den Städten des Deutschen Reiches regulieren Bauvorschriften mit abgestuften Vorgaben für die Bemessung von Straßenräumen die sozialräumliche Differenzierung. Diese Werte gelten auch für die ‚Europäerstadt‘ in Qingdao. Für die chinesischen Bezirke dagegen werden die in den vergleichbaren deutschen Stadtteilen vorgeschriebenen Maße halbiert. Selbst die Achse, die die ‚Tsingtau-Bucht‘ mit dem Hafen verbindet und als „Friedrichstraße“ die ‚deutsche Geschäftsstadt‘ und nördlich davon als „Schantungstraße“ die ‚chinesische Geschäftsstadt‘ durchquert, wird am Übergang vom deutschen in das chinesische Viertel von fünfundzwanzig auf zwanzig Meter verengt. Auch die vorgeschriebenen Baublöcke sind um die Hälfte kleiner als in den entsprechenden Stadtteilen in Deutschland: 45 mal 70 Meter in Dabaodao, 25 mal 50 Meter in Taidong. So entstehen kleinteilige Gitternetze schmaler Straßen aus gestampftem Lehm in den chinesischen Vierteln in einer Breite von zwölf Metern in Dabaodao und von acht Metern in Taidong. „Taitungtschen ist streng regelmäßig und mit sich rechtwinklig schneidenden Straßen und einem geräumigen Marktplatz erbaut“ (Maercker 1902:35 DKZ). „Wie ein vom Himmel gefallenes Schachbrett“ (Behme 1906:94) sind die Straßen des Quartiers in die Ebene gesetzt, nur kommt das disziplinierende Gitternetz nicht vom Himmel, sondern aus den gouvernementalen Verordnungen zur Formierung und Einzwängung dieses neuen Proletariats in ein vorgegebenes und leicht zu überwachendes Raster. In allen chinesischen Stadtteilen werden nach dem europäischen Prinzip des „système rayonnant“ Straßenblocks rechtwinklig auf einen rechtwinkligen Grundriss gelegt. Das „système rayonnant“, tragendes Element des neuen urbanen Diskurses von Ordnung und Kontrolle, das in der „Haussmannisierung“ von Paris perfektioniert worden ist, übernimmt das Prinzip des Bentham’schen Panoptikums der optimalen Überwachung auf die Stadtanlage von einem einzigen Punkt aus. Übertragen auf die Stadt, bildet jede Straßenkreuzung einen solchen panoptischen Punkt, von dem
114
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
aus die ungehinderte Sicht auf jede vier Straßenräume und auf die entlang der Baufluchtlinie aufgereihten Wohnblöcke und Hauseingänge möglich ist, die bei Bedarf auch militärisch kontrollierbar sind. Zusätzlich wird ein zentraler Platz geschaffen, der für das „alles sehende Auge“ steht (Perotti 2011:46–57). Es sind die gleichen Erwägungen, die in der Modernisierung der europäischen Städte zum Tragen kommen. Damit Durchmarsch und Durchblick nicht behindert werden, ist auch der in China übliche „fliegende Straßenhandel“ verboten (Mohr 1911:30). Stattdessen wird ein für Chinesen ungewohnter Marktplatz nach deutschem Vorbild als Mittelpunkt der Siedlung verordnet. In seiner Zentralität steht er für das „alles sehende Auge“. Konsequenterweise wird er in Taidong von einem Gebäude im Herrschaftsstil der Neorenaissance beherrscht. Es repräsentiert die Macht und beherbergt „als Rathaus die deutsche Polizeistation“ (Weicker 1908:67). Als einziges zweistöckiges Gebäude von Taidong überragt es das Meer der „steinernen Kleinhäuser einer ziemlich saubern, doch auch merkwürdig monotonen Stadt“ (Pacquet 1912:295). „Billige Kuliwohnungen“ (Schrameier 1914:127) dominieren das Bild: „Sehr langweilig, aber sehr zweckmäßig gebaut“ (Weicker 1908:67). Und noch eine Aufgabe erfüllt das „système rayonnant“: Das Ziel, das sich die Planer für die moderne Stadt des 19. Jahrhunderts gesetzt haben, ist eine durchlüftete Stadt (Perotti 2011:57). Wie die Durchlüftung von Berlin um 1860 zum Beispiel, wo durch breite Straßen und große Blocktiefen für Gärten und Alleen Räume geschaffen werden sollen, in denen Luft und Licht zirkulieren können und die ungesunden Dünste aus den Berliner Proletarierwohnungen vertreiben (Hardy 2009:247). In Qingdao gehen die Behörden „aus bauhygienischen Gründen“ (Lind 1998:19) noch einen Schritt weiter: Das rechtwinklige Blockraster wird aus der sonst bestimmenden Nord-Süd-Ausrichtung der Stadt herausgenommen und in Dabaodao um 10 Grad und in Taidong um 45 Grad so gedreht, dass verschattete Nordfassaden, an denen sich Feuchtigkeit sammeln kann, vermieden werden und die Straßen der Windrichtung folgen (Liang 2007:69). Der Wind kann so die Straßen ungehindert „sauberfegen“ (Lind 1998:19), was mit den im Winter vorherrschenden Nordwestwinden besonders durchdringend gelingt. Während unter den kultivierten Deutschen „im Winter bei den schneidenden nördlichen Winden“ […] mit seinen „unangenehmen Kältewirkungen […] Erkältungskrankheiten häufig sind“ (Uthemann 1911:23), beunruhigt die exponierte Platzierung der chinesischen Viertel niemanden, da doch den zähen und widerstandsfähigen Chinesen eine besonders robuste Gesundheit zugeschrieben wird. Nicht anders als im proletarischen Berlin des ausgehenden Jahrhunderts, wo aus Profitgründen dicht gestaffelte Hinterhäuser und überfüllte Wohnungen die licht- und luftdurchfluteten städtischen Räume zunichte machen, geht der hygienische Anspruch für die chinesischen Stadtteile in der renditeträchti-
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
115
gen Verdichtung der Wohngebiete verloren. Die Bauordnung von 1898 (Mohr 1911:209) lässt dort eine 75-prozentige Bebauung der Grundstücke zu, was für freie Außenräume und Frischluftzufuhr wenig Platz lässt. Dazu kommt die Verdichtung innerhalb der Häuser. „Alle Räume, welche zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, müssen eine Bodenfläche von mindestens 5 qm und eine lichte Höhe von mindestens 2,7 m haben“ (Bauordnung 1898: Abschnitt D-f ). Die ‚Chinesenordnung‘ von 1900 spezifiziert, was Chinesen in Kubikmetern an „Luftraum“ zusteht: für 1 über 10 Jahre alten Chinesen 25 cbm mit 6 qm Grundfläche, für 2 über 10 Jahre alte Chinesen je 20 cbm mit je 4 qm Grundfläche, für mehrere über 20 Jahre alte Chinesen je 16 ½ cbm mit je 4 qm Grundfläche; 2 Personen unter 10 Jahren sind einer Person über 10 Jahren gleich zu achten. In allen übrigen Distrikten sowie für Dienerräume in Tsingtau und Tapautau müssen die Wohnungen derart eingerichtet sein, dass auf jeden über 10 Jahre alten Chinesen ein Luftraum von 8 cbm bei 2 ½ qm Grundfläche entfällt (Chinesenordnung 1900: §10 in: Mohr 1911:24).
Diese „Verzwergung“ der Chinesen visualisiert ihre soziale Stellung im kolonialen Gefüge. Die nochmalige Halbierung diese Werte für die ‚Kulis‘ von Qingdao zieht eine soziale Grenze zwischen Dabaodao und Taidong/Taixi. Dazu passt, dass die ‚Kulihäuser‘ mit „Gebäuden untergeordneter Bedeutung“ gleichgesetzt sind: §1b Beim Neubau von Gebäuden untergeordneter Bedeutung, wie Stallgebäuden…, Schuppen, Gewächshäusern, Kegelbahnen, hallenartigen Gebäuden einfachster Konstruktion, sowie bei erheblichen Um- und Erweiterungsbauten dieser Art, für je 100 cbm Rauminhalt 1$, jedoch mindestens 10$. Die Wohnhäuser von T’ai tung tschen und T’ai hsi tschen fallen unter diese Bestimmung. Aus der Baupolizei-Gebühren-Ordnung (A.[mts]-Bl.[att] 1904 S. 103. In: Mohr 1911:210).
Ein Blick in die Anwesen der Europäerstadt zeigt, dass diese Gleichsetzung sich auch ästhetisch niederschlägt. Die „chinesische Bedienung“ bewohnt „ein besonderes kleines Nebengebäude“ bei den Stallungen und Remisen. Am äußersten und hintersten Rand des Grundstücks bilden sie ein gestalterisches Ensemble aus „Gebäuden untergeordneter Bedeutung“ von beklagenswerter Häßlichkeit: „die häßlichen kahlen Wandflächen infolge der Pultdächer“ lassen die „Schönheitsrücksichten“ vermissen, die der Baudirektor Bökemann gerne baupolizeilich „durchsetzen“ würde (Abbildung 14).6 Diener sind die einzigen Chinesen, denen das Wohnen in der deutschen Stadt gestattet ist – notgedrun6
116
Alle Zitate: Bökemann 1913:478 und 479.
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
Abb. 14: Dienerquartiere in der Europäerstadt
gen, da sie als Hauspersonal verfügbar sein sollen. Anders als in Deutschland, wo Hausangestellte „an den Rändern“ des Hauses unter dem Dach oder im Keller wohnen, ist für sie „im Haus kein Raum vorzusehen“. Auch wenn beklagt wird, dass die häßlichen Pultdächer ihrer schuppenähnlichen Behausungen die angestrebte Eleganz der Landsitze der ‚Herrschaft‘ beeinträchtigen, scheint die Einquartierung an den Peripherien der Villengrundstücke als Akt der Ausgrenzung unverzichtbar. Die Einrichtung der Hausdiener und Reitknechte und des Kochs ist so „armselig“ (Huang 1999:134) wie ihre vier Wände: „Dort haben sich sie sich nach ihrer Art selbst eingerichtet, schlafen in Decken auf ihren Holzpritschen …“ (Weicker 1908:120), denn es gibt nicht einmal Mobiliar und den beheizten Kang, der den Bewohnern üblicherweise in den kalten nordchinesischen Wintern als gemeinsamer Sitz- und Schlafplatz dient. Sind schon die behördlichen Bemessungsgrenzen chinesischen Wohnraums ein deutliches Symbol hierarchisch konstruierter Differenz, vertieft die völlige Überfüllung der chinesischen Stadtteile erst recht die soziale Kluft. Die Bemessungsgrenzen, die in deutschen Städten gelten, werden in Dabaodao „um das Doppelte und Dreifache überschritten7“ und lösen bei den um die Hygie 7
Rechteren, Gutachten über die Bevölkerungsdichte im Entwässerungsgebiet. o.D. (Oktober 1902) in: B.A.IV.
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
117
ne besorgten Beamten der Baubehörde Protest aus: „eine derartige Häufung von Menschen kann nur ausnahmsweise zugelassen werden und darf nicht […] zur Erzielung einer großen Rente geübt werden“.8 Diese „Bedenken gegen die Art der Bebauung in Tapautau“ werden auch vom Reichsmarineamt geteilt. „Die ungeheuer dichte Belegung der Chinesenhäuser kann hygienisch gefährlich werden“.9 Dem steht das Interesse der – mehrheitlich deutschen – Bauherren an der „Erzielung einer großen Rente“ für ihre Kapitalinvestitionen entgegen. Auch dem Gouvernement ist mehr daran gelegen, die chinesischen Arbeitskräfte daran zu hindern, in den kalten Wintermonaten „von hier wieder fortzuziehen“.10 Deswegen forciert es die Unterbringung der Vielen. Von anfänglich 5.000 Zuwanderern (1898) steigt die Zahl auf dreiunddreißigtausend in Dabaodao und zehn- bis fünfzehntausend in den ‚Arbeitervierteln‘ (1913) an. 1910 drängen sich in Dabaodao fast 25.000 Einwohner in dreißig Baublöcken.11 Zu dieser Zeit steht in Taidong und Taixi Wohnraum für offiziell 9.911 Menschen zur Verfügung, tatsächlich aber leben dort geschätzte 10.600 Menschen sowie 5.000 bis 7.000 Fabrikarbeiter.12 Die Wohnungsnot ist profitabel: Obwohl die ‚Landordnung‘ die Bodenpreise im Zaum halten soll, liegen die Mieten in Qingdao um dreißig bis fünfzig Prozent höher als etwa in Shanghai.13 Damit sich die Menschen diese Mieten überhaupt leisten können, müssen sie sich die Räume mit vielen anderen teilen. Anbauten und Zwischendecken in den Zimmern schaffen billige Schlafplätze. Die Armut zwingt die Menschen in solch beengte Unterkünfte und widerlegt die deutsche Propaganda, die behauptet, dass der staatlich vorgeschriebene Arbeiterlohn von 20, später 25 Cent für die chinesischen Bedürfnisse völlig ausreicht. Stattdessen werden die Maßnahmen zur Schaffung billigsten Wohnraums umgedeutet: Die kulturlose und geizgetriebene „Anspruchslosigkeit der Chinesen“ (Schrameier 1904:26) sei der Grund für die Überfüllung chinesischen Wohnraums. Leider versteht es der Sohn des himmlischen Reiches meisterlich, durch Anbringen von Hängeböden u.ä. Einbauten die ihm sündhaft geräumig vorkommenden Zimmer und Höfe gewinnbringender auszunutzen, sodass eine immerwährende Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden stattfinden muss (Kronecker 1913:12).
8 Ibid. 9 Schreiben RMA vom 05.09.1902. Betr.: Entwässerungsanlage. Bauarchiv. 10 Monatsbericht 12.11.1898 QDG B0001-149-217 11 Ibid.:49. Laut Amtsblatt vom 01.08.1913 sind in Taidong und Taixi 11200 und in Dabaodao 42000 Menschen registriert. 12 Berechnung der Zahlen bei Huang 1999:77; 119; 120, Matzat 1998b:106 und Warner 1996:233. 13 So Seezolldirektor Ohlmer laut Matzat 1998b:114.
118
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
Die – illegale – Überbelegung der Wohnungen ist verantwortlich für eine enorme Bevölkerungsverdichtung (Zhan 2002:51). Arme ‚Kulis‘ finden Unterschlupf „als Aftermieter“14 oder in „Hinterhofherbergen“, die für fünfzig bis einhundert Männer, aber auch schon mal für 200 Menschen errichtet werden (Matzat 1998b:114). Die Zahl der chinesischen Gasthäuser in Ta-pau-tau hat sich im Berichtszeitraum von 19 auf 42 vermehrt, Herbergen sind 170 vorhanden gegen 120 im Vorjahre. Fast alle davon sind überfüllt. So wurden beispielsweise bei einer unvermuteten Revision eines von Kulis bewohnten Häuserblocks 750 Personen nächtigend angetroffen, während die gesetzlich zulässige Zahl nur 100 beträgt.15
Dazu kommen – ebenfalls illegale – an die Siedlungen angedockte Squattersiedlungen. 1913 gibt es um die zwanzigtausend Squatterhütten auf dem Gelände von Taidong und Taixi sowie illegale Hütten auf Friedhöfen, Tempelgeländen und aufgelassenen Militär- und Industrieanlagen. Berüchtigt sind die „ma hu wo“, die „Wolfshütten“ in Taixi. Wassersquatter richten sich im ‚Chinesenhafen‘ auf über zweitausend Booten ein (Zhan 2002:51). Die „peng hu qu“ („Hüttenviertel“) sind die Keimzellen für die weiträumige Verslumung von Taixi im Südwesten bis nach Taidong im Norden; 1922 lebt die Hälfte der Bewohner von Qingdao in solchen Hüttenvierteln und Taixi bildet bis in die 1980erJahre „eines der größten Elendsviertel in Qingdao.“16 Die Befunde stehen in einem eklatanten Missverhältnis zu dem TsingtauNarrativ von der perfekten Kontrolle über den Raum. Weder der Erfolg einer abgegrenzten chinesischen Mittelklassestadt von ‚besseren Chinesen‘ in einer ‚chinesischen Geschäftsstadt‘ Dabaodao noch die Durchsetzung der perfekten deutschen Hygieneordnung lassen sich aufrechterhalten. Die „ungesunde Anhäufung und Überfüllung“ (Schrameier 1915:37) widerlegt die Version von „einer soliden, sauberen, polizeilich gut kontrollierten Stadt gegenüber anderen chinesischen Hafenstädten“ (Lind 1998:22), die das Bild von Tsingtau bis heute dominiert.
14 Gutachten vom Oktober 1902, BA IV. 15 Tätigkeitsbericht 1912 in: BArch, RM3/8619, zitiert nach Matzat 1998:114. 16 Alle Daten siehe Zhan 2002:49–53.
Ohne Peripherie kein Zentrum: Die Konstruktion der Chinesenstadt
119
2.2 Hybride Räume The colonial state was always an aspiration, a work-in-progress, an intention, a phantasm-to-be-made-real. Rarely was it ever a fully actualised accomplishment ( J.L. Comaroff ).
Tatsächlich gibt es viele Hinweise darauf, dass die deutsche Allmachtserzählung über Tsingtau ebenso in das Reich der Phantasie gehört wie jene über die Musterstadt. Qingdao ist ein Ort des Umbruchs, des einschneidenden sozialen Wandels in erster Linie für die chinesische Bevölkerung, die einen Prozess der Urbanisierung durchläuft. Aber auch die Besatzer, die den Chinesen Handlungsfähigkeit und Autonomie absprechen, finden sich mit Räumen konfrontiert, in denen etwas geschieht, das sie weder verordnet noch genehmigt haben. Die Errichtung und Institutionalisierung kolonialer Strukturen bringt neue soziale Akteure hervor, die gegen Vorschriften verstoßen, die ihnen entgegengebrachten Erwartungen enttäuschen oder einfach ignorieren, während sie neue Überlebensstrategien und Formen sozialen Handelns entwickeln. Die Interaktion der Chinesen mit den Deutschen oszilliert zwischen Widerstand und Anpassung. Die Kontaktzonen von Qingdao sind bunt, vielschichtig, vielstimmig und verbieten eine simple Binarität von dem Deutschen und dem Chinesen, von Kolonisator und Kolonisierten, von Macht und Ohnmacht. In Qingdao wie in anderen Kolonien bilden Ethnizität, Klasse,17 Geschlecht und Nationalität ein komplexes Gemisch, in dem sich Unterscheidungen zwischen Deutschen/,Weißen‘ und Chinesen/,Gelben‘ mitunter verwischen. Aufgrund gemeinsamer Interessenlagen oder Gefahrensituationen (beispielsweise dem Ausbruch der Lungenpest 1911), ähnlicher Erfahrungen oder Identifikationen kristallisieren sich neue Gruppenbildungen und Netzwerke heraus. Sie sind komplex, vielschichtig, durchaus widersprüchlich und pragmatisch. Das Bild des Kolonialismus im Pachtgebiet ist eine Facette der „multiple colonialisms“ (Goodman 2012:11), die zeitgleich auch anderswo und zugleich ganz spezifisch anders existieren. Die Chinesenstadt ist nicht nur Raum kolonialer Marginalisierung. Vor allem Dabaodao gibt es eine bunte Mischung multiethnischer, d.h. chinesischer und europäisch-deutscher Einwohnerschaft. Die Wohnungsnot und die hohen 17 Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf diese beiden Komponenten. Die wichtige und, soweit ich sehen kann, weitgehend unbearbeitete Komponente „Gender“ adäquat zu thematisieren sprengt den hier gesetzten Forschungsrahmen. Den Einfluss von Nationalität/chinesischem Nationalismus in Qingdao hat vor allem Klaus Mühlhahn erforscht.
120
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
Mieten in der Europäerstadt sind verantwortlich dafür, dass auch „Hunderte von Europäern“ (Maercker 1902:34) sich in Dabaodao einmieten und neben Wanderarbeitern leben, die als „Aftermieter“ in den überfüllten Liyuan und Herbergen eine Bleibe finden. „Das europäische Element spielt in Tapautau jetzt noch eine solche Rolle, daß man von einem chinesischen Charakter Tapautaus kaum reden kann“ (Maercker 1902:34). Die Hoffnung des Autors auf „Rückfluss zahlreicher Europäer nach Tsingtau“, wenn „die exorbitanten Wohnungspreise in Tsingtau gesunken sind“ (ibid.), erfüllt sich nicht. Zugleich sind die chinesischen Stadtteile Gegenräume der Verweigerung, der Grenzübertretung, der Subversion, der Widersetzlichkeit. Die Missachtung der kolonialen Ordnung, die in den zahllosen Regelverstößen seitens der chinesischen Einwohner zum Ausdruck kommt, zeigt, dass die Menschen nicht einfach passive Objekte kolonialer Repression und Disziplinierung sind. Sie sind Akteure in dem Transformationsprozess, den die Urbanisierung unter kolonialen Bedingungen ihnen aufzwingt, wenngleich als Benachteiligte der asymmetrischen Machtbeziehungen. Die ständige Herausforderung der Ordnung, die darin liegt, zwingt zu permanenter Aushandlung und Neuverhandlung der kolonialen Grenzziehungen. Machträume und Gegenräume stehen in einem konfliktreichen Verhältnis zueinander. Zwischen kolonialer Gewalt und Handlungsmacht der Chinesen spielt sich ein vielschichtiger und widersprüchlicher Prozess sozialen Wandels ab. Das ist besonders deutlich in Dabaodo zu beobachten, wo aus der Spannung zwischen Beharren und Anpassen Hybridität entsteht. Dabaodao ist eben nicht ein Bausatz der deutschen Kulturmission, es ist Kontaktzone, in der die Separation der Chinesen von den Deutschen immer schwieriger wird und die Grenzen immer mehr verschwimmen. Dabaodao ist der Hort der „ungovernable elements“: der Triebe, der Gier und des Überlebenswillens, der einflussreichen chinesischen Elite und der Kleinkriminellen. Es ist das Begehren selbst, das die Ordnung der Segregation und Ausgrenzung unterminiert. Im Vergnügungsviertel rund um die Schantungstraße mit seinen von Chinesen oder Europäern geführten Cafés und Restaurants, Varietés und Rotlichtbezirken finden die Europäer die Orte der Faszination, der Anziehung und Abstoßung, die aus den bürgerlichen Vierteln der Europäerstadt verbannt sind. Chinesen besuchen dort Hotels, Theater und den vornehmen „Chinesischen Klub“ der Chinesischen Handelskammer, Tee- und Opiumhäuser und Bordelle. Dabaodao ist Projektionsfläche: Anziehungspunkt für deutsches Distinktionsbegehren („the cross-identification with imagos of the colonized“. Steinmetz 2007:55), das im Umgang mit den chinesischen Eliten befriedigt wird. Es ist für die Kolonisatoren von so großer Bedeutung, dass sie sogar ihr Bollwerk der „gated community“ dafür aufgeben und das chinesische Ansiedlungsverbot für eine chinesische Elite aufheben, freilich nicht ohne den Blick fest auf das Potential ihres sagenhaften Reichtums für Investitionen zu richten.
Hybride Räume
121
Das Distinktionbegehren verschmilzt mit den Handelsinteressen der Kaufmannschaft und dem Streben nach politischem Einfluss des Gouvernements. Auf der politisch-ökonomischen Ebene zersetzen Kooperationsbeziehungen und Aushandlungen mit einer selbstbewussten und erfolgreichen chinesischen Kaufmannschaft die Fiktion der Kontrolle über die Kolonisierten. Aber auch die ‚kleinen Leute‘ sind nicht die sprachlosen Subalternen einer kolonialen Übermacht, als die sie die koloniale Repräsentation gern zeichnet. Das „Liyuan“ entwickelt sich in der widerständigen Raumaneignung durch seine Bewohnerinnen und Bewohner zu einem Raum von Hybridität.
2.2.1 Umstrittene Räume: Das Liyuan Aus dieser Perspektive möchte ich zunächst das „Liyuan“ untersuchen, jenen Wohngebäudetyp, der Dabaodao nicht nur als Stadtbild geprägt hat. Es ist zu klären, „how a building comes to have presence, how it is stitched into place by fragmented, multi-scaled and multi-sited networks of association?” ( Jacobs 2006:9), d. h., welche Bedeutungen ihm zugewiesen sind und was architektonische Form und sozialer Sinn in ihrem Zusammenspiel hervorbringen. Die hybride Architektur des Liyuan fügt sich ein in das koloniale Programm der Musterstadt, das für die Chinesenstadt klare Vorgaben einerseits zur Kontrolle und Überwachung und andererseits für die programmatische ‚Hebung‘ der Chinesen durch die deutsche ‚Kulturmission‘ macht. Die Gliederung von Dabaodao durch das oben beschriebene „système rayonnent“ erzeugt fünfundzwanzig kompakte rechteckige Baublöcke von dreißig bis fünfzig Metern Länge. Jeder Block ist aufgeteilt in vier bis acht miteinander verbundene Grundstücke (op.cit.:74), die von Investoren aufgekauft oder gepachtet werden, vor allem von deutschen Baufirmen mit Sitz in Shanghai, doch auch die Deutsch-Asiatische Bank, die katholische Steyler und die protestantischen Missionen sind beteiligt. Chinesische Kaufleute und Händler treten ebenfalls als Bauherren auf. Zum Bau von Mietwohnungen als Kapitalanlage wird „eine Reihe von Baublöcken mit einfachen chinesisch-europäischen Häusern besetzt“ (Denkschrift 1899:28). Damit sind „chinesische Wohngebäude im Shanghai-Stil“ (op.cit.:20) gemeint, zweistöckige Mietswohnblöcke, wie sie als billige Massenunterkünfte für die chinesische Bevölkerung in Shanghai errichtet werden „(lilong“-Häuser). Die mit dem Bau beauftragten deutschen Bauunternehmer aus Shanghai übernehmen diese Bauform für Dabaodao. Die Straßen werden wie im deutschen Mietskasernenbau ohne Vorplatz oder -garten in Blockrandbebauung besetzt. Die Gebäude werden aus Brandschutzgründen aus Ziegelstein errichtet und um einen rechteckigen Innenhof („li yuan“) angeordnet. Dieser Grundriss ist der Architektur des nordchinesischen Hofhauses („si he yuan“) entlehnt.
122
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
Das Liyuan unterscheidet sich von der Bebauung in ‚Chinesenvierteln‘ der anderen europäischen Niederlassungen darin, „dass diese Wohnform nicht spontan entstanden ist, sondern von der Kolonialregierung offiziell geplant“ wird (Deng 2013:36) und „die Bebauung weitgehend in der Hand deutscher Architekten und Bauingenieure“ liegt (Lind 1998:27). Um die Kontrolle über die Gestaltung der Chinesenstadt zu behalten, trifft die Kolonialverwaltung „eine Vereinbarung mit einer bewährten deutschen Firma, welche in Shanghai auf dem Gebiete der Bauthätigkeit eine leitende Stellung hat“; Das Hamburger Bauunternehmen „Snethlage & Siemssen“ erhält die beachtliche Zuwendung von einer Million Goldmark von der Kolonialverwaltung. Diese Firma wird auch im deutschen Schutzgebiete den Bau von Europäer- wie Chinesenhäusern in Angriff nehmen. […] Diese Betheiligung des Gouvernements wird demselben einen erhöhten Einfluss auf die in sozialpolitischer und hygienischer Beziehung wünschenswerthe Gestaltung der Wohnverhältnisse in Tsingtau sichern (Denkschrift 1899:27).
Welche Wohnverhältnisse, auf die hier so nachdrücklich eingewirkt wird, sind „wünschenswert“? The general planning of Qingdao conducted by the Germans reflected their consideration of combining the macro-scale urban function with natural topography. However, their final purpose of colonial exploitation and economic pillaging certainly made them care little for the local Chinese living conditions but to reduce the cost to the minimum. This decided that they must find a place out of their own living scope and then set up a compact district with a kind of compact building type to accommodate the maximum Chinese people. The position of Da-Baodao district, the street network and the building type of Li-courtyard house could jointly meet the Germans’ original objective (Liang 2007:109).
Die zweckorientierte Zielsetzung, schnell billige Massenunterkünfte bereitzustellen, um eine Abwanderung dringend benötigter Arbeitskräfte zu verhindern und gleichzeitig die Rahmenbedingungen für profitable Renditeobjekte der Investoren zu schaffen, ist das oberflächliche Motiv für diese massive Einflussnahme. Die tiefere Bedeutung der dafür entworfenen Architektur ist in der kolonialen Ordnung zu suchen. In den Händen des Gouvernements wirkt das Liyuan als Machtinstrument sozialer und kultureller Transformation der chinesischen Bevölkerung, das die Menschen an die Bedürfnisse des Kolonialismus anpasst. Seine Gestaltung bestimmt mit, wie dieser Prozess verlaufen wird. Denn die Materialität eines Gebäudes und seines Umfelds setzt den äußeren Rahmen für die Konstituierung von Räumen durch soziale Praktiken und Be-
Hybride Räume
123
ziehungen. Anders ausgedrückt: Soziale Praktiken lassen sich nicht ohne weiteres von einem Gebäude in ein anderes transferieren, da der architektonische Rahmen die Möglichkeiten der Aneignung einschränkt. Wie das Liyuan als Machtraum der Kolonialisierung wirkt, lässt sich daher an seiner Form ablesen. Aber nicht nur die Kolonisatoren erheben Anspruch auf die Konstituierung von Bedeutung in dem Raum. Wie sich die chinesischen Einwohner diesen Raum aneignen, wird im darauffolgenden Abschnitt zu untersuchen sein. Bis heute gilt das Liyuan nicht nur wegen seiner baulichen Qualitäten als Errungenschaft der deutschen Kolonialherrschaft. Chinesen werden nicht „in ihrer Art zu leben hier beengt“ (Weicker 1908:49). In dieser Lesart „zeigen die einzelnen Beispiele durchaus verschiedene Berücksichtigungen der chinesischen Lebensweise und Kultur“ und „ein ausreichendes Gespür für die Bedürfnisse der chinesischen Arbeiter“ in Taidong und Taixi (Warner 1996:239), namentlich sei „es den Bewohnern möglich, in Gebäuden mit einer ihnen bekannten Struktur sowohl die gewohnte Lebensweise, die Art zu kochen als auch die traditionelle Wohnform beizubehalten“ (op.cit.:237). Der Umstand, dass die chinesischen Viertel „die chinesischen Wohnbedürfnisse und ihre traditionelle Stadtanlage bis zu einem gewissen Grad berücksichtigte“ und Einschränkungen nur da macht, wo die „Sicherheitsbedürfnisse des Gouvernements“ berührt werden (Lind 1998:20), soll die kulturelle Sensibilität belegen, derer sich die deutsche Kulturmission gerne rühmt. Der vordergründige Vergleich von Stilelementen geht an der umfassenden Bedeutung eines Hauses und an der tiefen Spiritualität vorbei, die gerade das traditionelle chinesische Haus ausmacht. In der Gegenüberstellung der sozialen und der spirituellen Bedeutung der um 1900 dominierenden Haustypus und des Liyuan von Qingdao wird jedoch sichtbar, welch tiefgreifenden sozialen Umbruch die Einwohner der Stadt erleben und welchen Anteil das Liyuan daran besitzt. Das traditionelle Haus trägt seine Bedeutung schon im Namen: das „sihe yuan“ oder ein „sanheyuan“ bezeichnet die Anlage von vier („si“) oder drei („san“) ebenerdigen Gebäuden, die einen Innenhof („yuan“) umgeben („he“). Das Wort „he“(合)lässt sich nicht nur mit „(ab-)schließen“ übersetzen, sondern auch mit „zusammenschließen“/“vereinigen“. Es ruft das Bild des Abschottens nach Außen und des Zusammenschließens nach Innen auf. Alle Räume öffnen sich auf den Innenhof. „Outdoors and indoors flow together here to link the courtyard with the adjacent living-space, harmonizing the two and creating a private world for the residents” (Knapp 1990:2). Mauern und fensterlose Außenwände schotten das Privatleben der Bewohner vom öffentlichen Raum der Straße ab. Der weitläufige rechteckige Hof – oft vierzig Prozent des Geländes – bildet das wirtschaftliche und spirituelle Zentrum. Hier spielt
124
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
sich das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben der patrilokal als Haushalts- und Wirtschaftsverband organisierten Großfamilie ab. Zugleich ist das Anwesen ein spiritueller Ort, dessen kosmologische Ausrichtung die Muster der sozialen Beziehungen bestimmt und abbildet: „At its most elegant, Chinese architecture is a sculptured expression of the cosmos“ (Knapp 1986:1). Noch der ärmlichste Bauernhof, auf dem es nur zu einem einzigen Gebäude reicht, bindet Individuen, Familie und Gesellschaft in diesen kosmologischen Zusammenhang ein. Dieser Zusammenhang ist im „feng shui“ zusammengefasst, das ein Regelwerk für den Hausbaus darstellt, und dieses alte Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. „Acutely conscious of the natural environment, builders have sensitively adapted building forms to local requirements of site, available materials, and changing social circumstances” (Knapp 1990:2). In fast jeder Hinsicht unterscheidet sich das traditionelle Haus vom Liyuan. Schon Straßenraster und Massenwohnbau setzen sich über alle Regeln des „feng shui“ hinweg. Wohnraum in der Stadt ist ein knappes Gut und fünfzig bis siebzig Prozent teurer als etwa im sehr teuren Shanghai. Je mehr Räume in den Höfen und je mehr Höfe auf den einzelnen Baugrundstücken untergebracht werden, desto höher sind die Renditen aus dem Mietwohnungsbau. Die Schlichtbauten im „Shanghai-Stil“ mit schmucklosen Fassaden erweisen sich als die kostengünstigste Form zur maximalen Raumausnutzung. Deshalb wird zweistöckig gebaut: Für die Bewohner und Bewohnerinnen, die gewohnt sind, ebenerdig zu wohnen, bedeutet dies einen Bruch ihrer engen Beziehung zur Erde. Zwei bis vier Baublöcke mit jedas zwanzig bis vierzig eng bemessenen Räumen bilden einen stark reduzierten18 Innenhof („li yuan“). Auch durch die Blockrandbebauung können die Straßenblöcke maximal ausgenutzt werden. Mit dieser Bebauungspolitik geht die für chinesischen Städtebau so wichtige Orientierung an der Nord-Süd-Achse verloren. In der kosmologischen Orientierung spielen der Süden und die Nord-Süd-Achse eine herausragende Rolle; analog dazu ist auch das traditionelle Haus auf der Nord-Süd-Achse ausgerichtet, und das südlich gelegene Gebäude ist der Raum mit dem höchsten sozialen und spirituellen Wert. Die Wohnblöcke sind für zwanzig bis dreißig Familien ausgelegt. Die einzelnen Hofanlagen sind meist durch Trennwände voneinander geschieden. Die Räume, die an diese Wände grenzen, sind daher fensterlos und werden nur durch die Tür zum Hof belüftet und beleuchtet (Liang 2007:86). Sämtliche Räume sind ohne Verbindungstüren nebeneinander 18 Das Verhältnis von bebautem zum unbebautem Raum schwankt zwischen 3:1 und 5:1, also eine Bebauung von mehr als siebzig Prozent des Grundstücks. Dies ist im Unterschied zu den rund vierzig Prozent Hoffläche im si he yuan (Liang 2007:85) zu sehen.
Hybride Räume
125
angeordnet und öffnen sich auf den Hof, darin entsprechen sie den traditionellen Hofhäusern. Sie sind nur über einen schmalen, an allen Innenfronten entlanglaufenden Erschließungsgang („Veranda“) zugänglich, im Obergeschoss erfolgt der Zugang über einen umlaufenden Laubengang, zu dem eine Außentreppe vom Hof hochführt. Der Innenhof mit den Wohnungseingängen ist von der Straße über einen Hausdurchgang („damendong“: „großer Tor-Tunnel“) erreichbar. Im Erdgeschoss öffnen Ladenlokale das Gebäude zur Straße hin für den öffentlichen Raum, das Obergeschoss birgt die Wohnräume. Der Innenhof hat durch diese Konstruktion seinen geschlossenen, familienorientierten Privatcharakter verloren und ist ein offener Ort des Transits, ein Stauraum und Wäscheplatz, wo sich Bewohner Wasser (aus den Zapfstellen in den Straßen) und Toiletten (die obligatorischen „Hock-Klosetts“) teilen. Auch die schützende Außenmauer, „von jeher ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Architektur, (…) da die Grenze dazu beiträgt, dass man sich sicher und geborgen fühlt“ (Deng 2013:109), hat in dieser Anordnung keinen Platz, und anstelle der nach außen geschlossenen, fensterlosen Straßenfassade machen Torbögen, Fensterreihen und Ladeneingänge im Erdgeschoss die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum durchlässig. Wie in den europäischen Mietshäusern ist die Wohneinheit die Kleinfamilie. Die Ablösung des traditionellen Hofhauses im Familienbesitz durch die Mietskaserne verändert die Wohnform „eine Familie – ein Hof“ grundlegend (Liang 2007:111). Während die „si he yuan“ die chinesische Großfamilie repräsentieren und Sinnbild des ortsgebundenen zyklischen bäuerlichen/ländlichen Lebens sind, entspricht das Liyuan der entgrenzten und entfremdeten urbanen Lebenswelt als Teil der Arbeitswelt von Qingdao. Im Übergang von der familiären Privatsphäre als einer selbstbestimmten19 Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zur Wohneinheit nicht-verwandter Mieter und Untermieter ganz unterschiedlicher Herkunft drückt sich der Bruch des sozialen Gewebes am deutlichsten aus. Die leicht zugänglichen Innenhöfe, die außen angebrachten Treppen und Laubengänge machen das Liyuan durchlässig für die (behördliche und polizeiliche) Überwachung und Kontrolle der Räume und ihrer Bewohner aus „hygienischen und Sicherheitsgründen“. Die Mobilität und Flexibilität der unverbindlichen, bindungslosen Mietverhältnisse entspricht den unverbindlichen, bindungslosen Lohnarbeitsverhältnissen der Arbeiterbevölkerung: bedarfsorientiert, nicht ortsgebunden und jederzeit kündbar. In diesem Sinne erfüllt es eine Ordnungsfunktion und trägt zur Einübung in die neue soziale Struktur bei. Die Mietskaserne sieht Wohnraum nur für die vor, die in der kapitalisti19 „Selbstbestimmung“ meint hier die kulturelle Autonomie der Chinesen gegenüber der Kolonialmacht, nicht das individualistische Konzept von Selbstverwirklichung.
126
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
schen Ökonomie verwertbar sind: für den jungen arbeitsfähigen Tagelöhner, meistens männlich (vielleicht mit Frau und Kind), der als Wanderarbeiter den „nicht verwertbaren“ Teil seiner Großfamilie – Frauen, Kinder, Alte – im Dorf zurückgelassen hat und die er nun unterhalten muss. Diese Wohnform unterstützt die Entwicklung zur Kleinfamilie des Kompradors, Handwerkers oder Kleinhändlers, der das wirtschaftliche Rückgrat des Alltagslebens zu beiden Seiten der Trennlinie bildet. Der Wohnraum lässt sich flexibel anpassen: Man mietet einfach einen weiteren der Räume an, Umbauten sind dafür nicht erforderlich. Flexibilität herrscht auch in der Anpassung unterschiedlicher Wohnformen an die jedaigen wirtschaftlichen Interessen. Als Musterbeispiel gilt in der Kolonialverwaltung die Seidenspinnerei in der Ortschaft Cangkou, eines der wenigen industriell arbeitenden Unternehmen von Qingdao. Auf dem Gelände neben den Werkshallen steht „in weitem Abstande das große Wohnhaus für die europäischen Beamten der Gesellschaft, umgeben von Gartenanlagen. Noch weiter davon (…) befindet sich eine Reihe stattlicher Arbeiterwohnungen. Hier sind die unverheirateten Arbeiter, männliche und weibliche getrennt, kaserniert“ (Denkschrift 1904/05:12). Sie sollen dadurch „nicht ermüdet durch lange Märsche“ unnötig Energie verlieren, sondern „gesund und kräftig ihre tägliche Arbeit verrichten“ (ibid.) Je hundert Arbeiter sind „unter der Aufsicht chinesischer Hausväter oder Hausmütter, die für Ordnung und Reinlichkeit in ihren Häusern aufzukommen haben“ (op.cit.:13). Die Kasernen sollen durch „eine besondere Arbeiterkolonie“ (ibid.) ergänzt werden: „Diese Dorfanlage, die mit Straßen und freien Plätzen versehen und nach hygienischen Grundsätzen erbaut werden soll“ (ibid.), ist für verheiratete Arbeiter vorgesehen. Dieses Projekt kommt nicht mehr zur Ausführung, da das erfolglose Unternehmen den Betrieb einstellt. Das Gouvernement begründet Kasernierung und Ansiedlung von Familien mit dem Ziel, die chinesische Arbeiterschaft anzusiedeln und in einem festen Verbande zu organisieren. […] Nur eine solche Art der Ansiedelung, und zwar auf Grund fester Arbeitsverträge, gewährt die Möglichkeit allmählicher Schulung und berechtigt zu der Hoffnung, an den chinesischen Arbeiter das Maß an Forderungen zu stellen, […] auch den kaufmännischen Erfolg zu sichern (ibid.).
Nicht anders als in den europäischen und deutschen industriellen Zentren geht es darum, eine qualifizierte und loyale Stammbelegschaft dauerhaft an den Betrieb zu binden. Nur dann lohnt sich die Investition in die Qualifizierung, die für qualifizierte Tätigkeiten notwendig ist. Darum werden Arbeitern und ihren Familien attraktive Wohnbedingungen geboten, damit sie bleiben. Denn die „chinesische Arbeiterschaft (…) ermangelte noch der systematischen Schu-
Hybride Räume
127
lung. Lernbegierig und willig, muß sie fest diszipliniert werden, um in ihren Leistungen alle Ansprüche zu erfüllen“ (ibid.). In ähnlicher Weise erfüllt die Kasernierung von Lehrlingen der Schiffswerft von Qingdao die Doppelfunktion von Disziplinierung und Bindung. Die paternalistische Politik von „Zuckerbot und Peitsche“ hat auch in Deutschland aus den bäuerlichen Massen jene funktionierende Arbeiterschaft geschmiedet, die sich der Disziplin industrieller Arbeit und der kapitalistischen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft beugt und ihre Lebensweise den bürgerlichen Normen von familiärer Häuslichkeit, „Sittsamkeit“ und Arbeitsethik unterwirft. So jedenfalls dürfte die Erwartung gewesen sein.20. Dass die bäuerlich geprägten chinesischen Arbeiter für die industrielle Arbeitsdisziplin erst noch passend gemacht werden müssen, zeigt sich überall dort, wo die Wanderarbeiter noch in ihre dörflichen Strukturen eingebunden sind. So heißt es über die Erfahrungen im deutschen Kohlebergbau von Fangzi (Fang-tse), „daß der chinesische Arbeiter den Bergbau als Nebenbeschäftigung zu betrachten pflegt und die Zeche im Stich lässt, sobald dringende landwirtschaftliche Arbeiten vorliegen“ (op.cit.:17). In Fangzi trifft die deutsche Bergwerksgesellschaft auf zwar nebenberufliche, jedoch erfahrene Bergleute, die sich „wiederholt mit umfangreichen Streiks“ (ibid.) zur Wehr setzen, sodass sich das Unternehmen „zur Erzielung eines ständigen Arbeiterpersonals“ gezwungen sieht, diesem „Übelstand“ (ibid.) mit kostenlosen Wohnungen, höheren Löhnen und sozialen Maßnahmen abzuhelfen. Obwohl es den Bergleuten nicht gelingt, eine ihrer bäuerlichen Lebenssituation angepasste Regelung der Bergwerksarbeit gegen die industrielle Disziplin zu verteidigen, ist Fangzi ein Beispiel dafür, dass die kolonialen Begehrlichkeiten bei der chinesischen Bevölkerung auf Widerstand stoßen. Dort und anderswo ist der von der Kolonialmacht konstituierte und mit Macht ausgestattete Raum umstritten. Nicht nur die Deutschen, sondern auch die Chinesen eignen sich den Raum an und laden ihn mit Bedeutung auf: Dort müssen sie mit Praktiken der Alltagsbewältigung ihr Leben organisieren und die kollektiven kulturellen Muster der Alltagspraktiken helfen ihnen bei der Orientierung. Kulturelle Selbstbehauptung ist daher eine Überlebensfrage. In umstrittenen Räumen stoßen unvereinbare Praxen aufeinander und müssen verhandelt werden. Die materielle Fixierung des sozialen Raumes zwingt die chinesische Bevölkerung dazu, die kulturellen Muster ihres Alltagshandelns zu modifizieren und anzupassen. Unter den strukturellen und physischen Gewaltverhältnissen sind die Muster oft nicht alltagstauglich oder sie geraten in Kon20 Ein für Deutschland berühmtes Beispiel sind die Krupp’sche Margarethenhöhe in Essen und die Margarethensiedlung in Duisburg, die errichtet wurden, um eine entpolitisierte loyale Stammbelegschaft an den Betrieb zu binden.
128
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
flikt mit der kolonialen Ordnung und ihren Ordnungshütern. Die Kunst des Überlebens ist ein Wechselspiel von Beharrung und Anpassung, von Gewinnen und Verlieren. Der Verlust an kultureller Autonomie wird zum Ausgangspunkt für eine hybride soziale Praxis und kann in Gegenräume wiedergewonnener Handlungsmacht führen. Genau das geschieht im Liyuan. Die Konstituierung hybrider Räume ist ein kollektiver Prozess seiner Bewohnerinnen und Bewohner. An die Stelle der Introversion des Familienverbandes setzen sie die introvertierte Struktur der Nachbarschaftshöfe (Hassenpflug 2016). Wie im „si he yuan“ wird der Hof zum sozialen Zentrum der Kommunikation. Hier wird gearbeitet, gekocht, Wäsche gewaschen und getrocknet, hier kommen die Menschen in ihrer Freizeit zusammen, hier haben die Kinder und die alten Leute ihren Platz: Der Innenhof ist das „Wohnzimmer“ für alle Bewohner, in dem jede „Wohn-Gemeinschaft“ einen unverwechselbaren Charakter entwickelt (Liu Chong 2006:66). Die Aufstellung kleiner Tempel gibt dem Innenhof etwas von seiner spirituellen Bedeutung zurück. Eine Sichtschutzwand („zhaobi“) auf der Innenseite des Hausdurchgangs schirmt die Introversion des Hofes ab. Zugleich fungiert sie als „Geisterwand“, denn nach traditioneller Überzeugung können Schadensgeister nicht um Ecken gehen und daher durch Wände und Zickzack-Wege ferngehalten werden. Wie dieses typisch chinesische Bauelement unterstützt auch die Dekoration des Innenhofes im chinesischen Stil die „Identitätskonstruktionen der Nachbarschaft” (Hassenpflug 2016) und markiert den Unterschied zwischen dem Draußen der schmucklosen europäischen Fassaden und dem identitätsstiftenden chinesischen Drinnen. Buildings facing the streets have adopted a western style which is manifest in walls, roofs and patterns and decoration on the entrance doors. However, the interior decoration, which is totally different from the exterior decoration, has used Chinese colored drawing, wooden plaid and screen walls … carved beams and painted rafters (Shao 2013b:9)
So entsteht aus zufällig zusammengewürfelten Mietparteien ein enges soziales Netzwerk. Unter der aufgezwungenen Nähe und der gemeinsamen Erfahrung von Lebensverhältnissen im Umbruch wandelt sich der Mietsbau zu einem hybriden Raum neuer selbstbestimmter Solidaritäts- und Sozialstrukturen, die nachbarschaftliche Bindung kompensiert den Verlust des Familienverbands. Der Nachbarschaftsverband hält über Generationen. Der Innenhof ist Raum kollektiver Identitätsbildung und Ort des kollektiven Gedächtnisses. Dort, wo es noch Liyuan gibt, hält diese Struktur bis heute: people in the Liyuan share common interests and values in life. Valuing family and neighborhood relationships, they are sincere and friendly to their friends and
Hybride Räume
129
neighbors, but also exclusive to others. (…) The favorable space for communication created by their common life background and yard pattern has helped them to develop their working, living and communication networking” (Shao 2013b:9).
Es entbehrt nicht einer symbolischen Ironie, dass die Ordnungsmacht auf ihren Überwachungs- und Kontrollgängen beim Betreten des Liyuan als erstes vor einer Wand steht. Diese Wand, die Geisterwand, steht einem sturen Geradeausgehen zu bösen Zwecken im Weg: Die subversive Geschlossenheit der Nachbarschaft ist die Geisterwand, an der die Durchsetzung der deutschen Ordnung im Liyuan zum Stehen gebracht wird.
2.2.2 Poröse Grenzen – liminale Zonen In der Interaktion der Kolonisatoren mit der chinesischen Oberschicht von Qingdao stehen andere „Geisterwände“ im Weg. Ab 1901 entwickelt die chinesische Provinzregierung in Jinan eine aktive Wirtschaftspolitik, um eine chinesische Handelskonkurrenz zu den Europäern aufzubauen. Von der engen Kooperation mit Jinan werden die chinesischen Kaufleute in Qingdao begünstigt, Mühlhahn21 spricht von der erfolgreichen „Sinisierung“ des Qingdao-Handels auf Kosten der deutschen Kaufmannschaft. Gut organisiert in landsmannschaftlich gegründeten Gilden, erfolgreich und selbstbewusst, stellt diese Elite eine eigenständige Kraft im kolonialen Muskelspiel dar. Das Kräfteverhältnis zwischen Provinzregierung bzw. Elite und dem deutschen Gouvernement entfaltet eine Dynamik, die die deutschen Kolonialstrategien verändern (Mühlhahn 2012:43). Das deutsche Ziel, sich als imperialistische Macht in China Geltung zu verschaffen, lässt sich nur durch Kooperationsstrukturen erreichen. Wirtschaftlich haben die Handels- und Investitionsinteressen Qingdaos oberste Priorität. Darum es ist „im wohlverstandenen Interesse gerade auch der deutschen Kaufleute, daß ein lebensfähiger und kapitalkräftiger chinesischer Handelsstand sich dort entwickelt“ (Denkschrift 1902:2), der mit „einem überaus regen Zuzuge des chinesischen Elements, und zwar gerade auch des besitzenden Kaufmannsstandes in das deutsche Gebiet“ (op.cit.:5) erreicht werden soll. Chinesische Investitionen werden als Beweis für „die hohen Erwartungen“ angeführt, „welche die nüchternen und geschäftskundigen Chinesen in die Zukunft der deutschen Kolonie setzen“ (Denkschrift 1902:5). Der „comprador“, der chinesische Kaufmann, hat im deutschen Handelshaus an der Kieler oder Bre21 Mühlhahn 2000:349ff. Der Autor hat die chinesischen Wirtschaftserfolge in Qingdao und in Shandong als Ergebnis einer gezielten Politik „des wirtschaftlichen Widerstandes“ (Mühlhahn 2000:150) ausführlich analysiert.
130
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
mer Straße sein Kontor. Die Compradoren sind unverzichtbare Mittler; „die Heranziehung guter chinesischer Geschäftsleute erscheint als eine ganz wesentliche Vorbedingung für den wirtschaftlichen Aufschwung Tsingtaus“, ohne deren Mitwirkung „kein nachhaltiger Aufschwung“ möglich erscheint (Denkschrift 1899:10). Vor allem im Shandong-Handel sind sie gefragte Partner, da sie „Verbindungen mit dem Hinterlande gleich mitbringen, da sie über die Kreditwürdigkeit in Shandong unterrichtet sind … und in Folge dessen sicherer geschäftlich auftreten und verfügen…“22. Der „comprador“ ist der Beweis für die Abhängigkeit des deutschen Handels von der Zusammenarbeit. Und es ist vorhersehbar, dass ihre Anwesenheit in den deutschen Handelskontoren die räumlichen Anordnungen herausfordert, indem sie die neuralgische Grenze zwischen der ‚chinesischen Geschäftsstadt‘ und der ‚europäischen Handelsstadt‘ verwischt. Das bedeutet nicht automatisch, dass zwischen Compradoren und Deutschen freundschaftliche oder private Kontakte bestehen. Der Chinese bleibt gerade in Kaufmannskreisen eine stereotype Diskursfigur, die mit ressentimentgeladenen Topoi aufrecht erhalten wird. Die Verachtung gilt dem berüchtigten chinesischen „squeeze“, einem privaten Extraaufschlag des Vermittlers auf einen vereinbarten Kaufpreis, oder der „Korruption chinesischer Beamter“. Dennoch ist diese Diskursfigur höchst widersprüchlich konstruiert. Denn ebenso oft wird auch die Verlässlichkeit und Vertragstreue der chinesischen Kaufleuten gerühmt, „jene eigentümliche anständige Zuverlässigkeit, wie man sie (…) am chinesischen Kaufmann kennt, der zwar naturgemäß seinen geschäftlichen Vorteil verfolgt, aber ohne kleinliche Winkelzüge und untreue Machenschaften“ (Wegener 1901:250). Vor diesem Hintergrund fordert das Sprachrohr des deutschen Chinahandels, die Zeitung „Der Ostasiatische Lloyd“: „Die Zeit der Offiziere und des glänzenden Auftretens ist vorbei. ‚Kaufleute vor an die Front!‘ Deutsche und Chinesen“23. Welche Stereotype jeweils einen Diskurs untermauern sollen, entscheidet sich im diskursiven Kontext, also situativ und interessegeleitet und nicht etwa nach Logik oder Konsequenz. Die starke Stellung der Chinesen bleibt nicht auf das Wirtschaftsleben von Qingdao beschränkt. Da sie eine eigenständige Kraft entfalten und da sie als Mittler zwischen der chinesischen Bevölkerung und dem Kolonialregime auftreten, wächst auch ihr politischer Einfluss. Chinesische Honoratioren werden schon bald nach der Besetzung „zur Beratung des Gouvernements in chinesischen Angelegenheiten und zur Mitwirkung bei der Verwaltung der chinesischen Stadtgemeinde“ (Denkschrift 1902:23) herangezogen. Die politische Beteiligung fördert die von beiden Seiten erwünschten pragmatischen Kooperationsbeziehungen, erweist sich für das Kolonialregime jedoch als zweischneidi22 Kiautschou Post 24.04.1909. Zit. nach Biener 2QDG B0001:129f. 23 OAL v. 18.6.1909, zit. nach Mühlhahn 2000:160.
Hybride Räume
131
ges Schwert. Eine immer selbstbewusstere chinesische Elite in Qingdao übt mit Streiks und Boykotten sowie vermöge einer kritischen Presse Druck auf die Kolonialverwaltung aus. Dieser Widerstand muss im größeren Zusammenhang der Verteidigung chinesischer Souveränität gegen die imperialistische Einmischung in China gesehen werden (Mühlhahn 2012), die von unterschiedlichen Strömungen in der Qing-Elite wie auch von den Gouverneuren von Shandong getragen wird. Zugleich versteht sich die chinesische Elite von Qingdao als Schutzmacht und Interessenvertretung der chinesischen Einwohner. Kaufleute finanzieren das ‚Kuli-Krankenhaus‘ in Dabaodao, intervenieren gegen die grausame Behandlung von Arbeitern und Hauspersonal im Pachtgebiet, mobilisieren Widerstand beispielsweise gegen die Zerstörung des daoistischen Tianhou-Tempels oder gegen den Verkauf chinesischer Kontraktarbeiter in die deutsche Kolonie Samoa. Diese liminalen Zonen, in denen Grenzen sich aufgeweichen und klar definierte Räume der „Rassentrennung“ auflösen, werden dort unübersichtlicher, wo aufgrund der Wohnungsnot so viele Europäer in der Chinesenstadt Quartier nehmen. Der geteilte Raum entwickelt eine eigene hybride Dynamik der Grenzüberschreitungen. In der Faszination des Fremden, dem ambivalenten Reiz des Exotischen und des Tabubruchs findet das Begehren seine Objekte jenseits der Grenze. Mit seinen Restaurants und Cafés, mit Theater und Varieté, Opiumhöhlen, chinesischen „Sing-Song-Girls“ und mit dem Rotlichtviertel wird Dabaodao zum Vergnügungsviertel für die Europäer und ihre Besucher. Zusammen mit dem respektablen Amüsement wird die „Demi-monde“ in die chinesische Welt ausgelagert und die bürgerliche Respektabilität der Europäerstadt gewahrt. Das bringt Chinesen und Deutsche näher zusammen als der Kolonialverwaltung lieb ist, und zwar in wenn schon nicht gemeinsamen, so doch in interaktiven und überlappenden, respektive: umstrittenen, Räumen. Weitaus straffer [als in Taidong und Taixi – H .R.] mußte wegen der innigen Berührung mit europäischer Bevölkerung und Kultur die Verfassung für die im Stadtgebiete (Tapautau) lebende chinesische Bevölkerung (Kaufleute, Händler, Handwerker) sein (Schrameier 1915:60).
So sehr scheint die symbolische Ordnung gefährdet durch die „innige Berührung“ von Chinesen und Europäern, dass eine „weitaus straffere Verfassung“ notwendig ist, um sie zu schützen. Gemeint ist die Institutionalisierung der Überwachung und Kontrolle der Kolonisierten mit dem Instrument der Chinesenordnung, die ich in Kapitel 3 analysieren werde. In der Interaktion der kolonialen Führung mit den chinesischen Eliten in Qingdao und in Shandong werden die Grenzziehungen brüchig. 1912 wird das Ansiedlungsverbot für Chinesen für eine auserwählte Gruppe in der Europäerstadt aufgehoben und die Grenze der Europäerstadt wird neu festgelegt. Nur
132
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
noch das Landhaus- und das Villenviertel der Kolonialelite bleiben exklusive ‚weiße‘ Viertel. Diese Entscheidung des Gouvernements löst eine wütende Kontroverse unter der deutschen Bevölkerung aus: Die scheinbar so festgefügte symbolische Ordnung, die Identität der Stadt selbst steht auf dem Spiel. An der Oberfläche ist die Flexibilisierung der ethnischen Trennlinien rational und pragmatisch. 1911 wird die chinesische Qing-Regierung von nationalistischen Republikanern gestürzt. Die Qing-Elite sucht Schutz in den europäischen Vertragshäfen. Auch nach Qingdao flüchten hohe Regierungsmitglieder und Beamte, sodass „rund hundert wohlhabende und gebildete Chinesen und Familien“ (OAL 1.8.1913) eine Bleibe suchen. In der Kolonie ist man „in allen Kreisen recht erfreut darüber“ (ibid.) und hebt immer wieder hervor, dass darunter auch „zwei ehemalige Generalgouverneure und Erzieher des Kaisers, drei einstige Minister, drei ehemalige Generalgouverneure, ferner einige 30 höhere Beamte“ zu finden sind (OAL 1.8.1913). Die Neulinge sind „zum Teil sehr kapitalkräftig […] und geneigt, ihr Geld in wirtschaftliche Unternehmungen, die im Schutzgebiet ihren Sitz haben sollen, anzulegen“, wie das Gouvernement an das Reichsmarineamt meldet24 und gleich noch eine Liste der hohen Beamten in Qingdao und der Grundstücke, die sie gekauft haben, nachlegt.25 Um den entlassenen Eisenbahnminister Sheng bemühen sich alle möglichen Nationen. Alle anscheinend mit dem weiteren Gedanken, dass Scheng bald wieder in sein Amt eingesetzt und seinen Einfluss für sie geltend machen wird, aber auch wegen seines bedeutenden Geldeinflusses (vielfacher Millionär). [Daher] halte ich es für sehr zweckdienlich, wenn Scheng hier so lange wie möglich bleibt und ihm in jeder Beziehung entgegengekommen wird“.26
Dass Sheng und andere potente Investoren politisches Asyl in Qingdao suchen, wird als großer Erfolg für die wirtschaftlichen Interessen der Kolonie betrachtet. Das Gouvernement schreibt sich den Erfolg selbst zu: „diese Fortschritte sind Folge einer zielbewußten Verwaltung“. Während der chinesischen Revolution hat sich Tsingtau in chinesischen Kreisen den Ruf eines unbedingt sicheren Zufluchtsortes erworben“ und „deshalb den Vorzug vor allen anderen Küstenplätzen verdient. […] Die straffe Ordnung, die im Schutzgebiet trotz der in China herrschenden Wirren gehalten wurde, gab den Chinesen ein festes Zutrauen zu dem deutschen Schutzgebiet und seiner Verwaltung.27 24 25 26 27
QDG B0001-125-141:9–11. QDG B0001-125-135. QDG B0001-125-95. QDG B0001-125-141.
Hybride Räume
133
Die illustren Neubürger werden als Kronzeugen für die Überlegenheit der deutschen Kolonialführung „vor allen anderen Küstenplätzen“ angeführt, gemeint sind die Niederlassungen: Der hohe Status der kaiserlichen Beamtenelite stärkt das Gouvernement gegenüber seinen Kritikern.„Wenn wir wünschen, daß wohlhabende Chinesen ihr Kapital hier festlegen und sich dauernd hier niederlassen, so müssen wir ihnen auch entgegenkommen” (Amtsblatt 15.3.1912). Für Gouverneur Meyer-Waldeck steht außer Frage, dass diese hochrangigen Millionäre, die auch ihre Familien nachziehen sollen, nicht im sozialen Durcheinander des überfüllten Chinesenviertels von Dabaodao untergebracht werden können. Das Ansiedlungsverbot für Chinesen in der Europäerstadt wird folglich aufgehoben (ibid.). Diese Verordnung, die bei der Anlage der neuen Stadt zweifellos manche Berechtigung hatte, ist heute bei den völlig veränderten Verhältnissen nicht mehr aufrecht zu erhalten. Chinesen, die sich an der südlichen Seite der Stadt, der See zu, mit ihren Familien niederlassen wollen, stehen in kultureller Hinsicht höher, als die Handwerker, Krämer und Kulis, die sich in der sehr dicht bebauten sogenannten Chinesenstadt häuslich eingerichtet haben (OAL 22.3.1912).
Zwischen Hauptbahnhof und Gouvernementdienstgebäude am westlichen Ende der Europäerstadt, werden Grundstücke zum Verkauf an die chinesischen „Beamten a.D.“ freigegeben und bebaut. Unter dieser Bezeichnung markiert das Bauamt die Bauanträge der exklusiven Gruppe, der das Wohnrecht zugestanden wird. Dann allerdings kommt Streit um das so sorgfältig geplante deutsche Erscheinungsbild Tsingtaus auf. Auch für Mandarine kommt “selbstverständlich in dieser Gegend nur der Bau von Häusern im europäischen Stil in Frage“ (Amtsblatt 15.3.1912:106). „Daß das Wohnhaus kein aus Lehm zusammengekleistertes Schwalbennest wird, dafür sorgt die Obrigkeit“ (OAL 24.5.1912) – aber so einfach ist das nicht im Umgang mit Chinesen, die das Befehlen gewohnt sind. Um dennoch zu steuern, dass „sich das Haus auch würdig in das Stadtbild einfügt“ (ibid.), geriert sich das Amt als „Bauberatungsstelle“, die versucht, den ‚Charakter‘ des Stadtteils zumindest äußerlich, durch die Fassaden vor „der chinesischen Interpretation der Architektur“ und den „von chinesischen Bauunternehmern geschaffenen europäisch-chinesischen Stilkombinationen“ (Warner 1996:251) zu bewahren. Die Chinesen setzen sich „trotz Korrekturen der Fassaden durch die deutsche Baupolizei“ über die Stilkonkurrenz einfach hinweg und sorgen so für eine Hybridisierung der deutschen ‚Stadt aus einem Guss‘. Der Hybridisierung der Architektur folgt die Hybridisierung der Politik und Kultur, zumindest in Ansätzen. Die Beamten a.D. schließen sich in der „lüdao tongren gongsuo“ zusammen, der „Vertretung der in Qingdao ansässigen Ge-
134
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
nossen“ (Huang 1999:111), und werden an der Tätigkeit des Gouvernementsrates beteiligt, einem Beratungsgremium des Gouverneurs aus deutschen und chinesischen Honoratioren der Stadt. Auf Initiative des Missionars Richard Wilhelm gründet sich ein Kreis chinesischer Literaten – „die Alten von Tsingtau“ –, die sich die Aufgabe setzen, das konfuzianische und daoistische Kulturerbe zu schützen und Schriften der chinesischen Klassiker vor den radikalen Reformern des westlich orientierten ‚Jungen China‘ in Tsingtau in Sicherheit zu bringen. Für Reisende aus Deutschland, die lebensphilosophischen und lebensreformerischen Strömungen nahestehen, wird Qingdao ein spiritueller Pilgerort, „ein heiliger Boden des Verständnisses“ und „eine Heimat, ein Ort der Selbstbesinnung, der geistigen Arbeit, des Denkens im fernen Osten“ (Paquet 1912:304) als Möglichkeit einer west-östlichen philosophischen Synthese– spirituelle Hybridität als Lebensmodell für den Westen.28 Nicht nur diese in Deutschland beheimateten Lebensphilosophie-Touristen sind von der Exotik Chinas fasziniert. Besonders Missionare, aber auch andere Deutsche inszenieren sich gern als „Mandarine“ und posieren für Fotos in den Gewändern hoher chinesischer Beamter (Abbildung 15). Mitunter tragen sie einen echten Titel der chinesischen Beamtenhierarchie, der sie in der regulierten Rang- und Kleiderordnung des Kaiserreiches zum Tragen eines dazugehörigen Gewandes berechtigt. Der Steyler Bischof Anzer trägt den Titel und die Insignien des „Mandarin Erster Klasse“, lässt sich mit „Exzellenz“ titulieren und von zehn Trägern in einer grünen Sänfte tragen (Gründer 82:288). Der Dolmetscher und nachmalige Sinologe Otto Franke gehört der „Dritten Stufe der Zweiten Klasse des Doppelten Drachenordens“ an (Steinmetz 2007:63). Ehrenschirme, im chinesischen Staatsapparat für besondere Verdienste verliehen und bei öffentlichen Auftritten von Dienern vor dem Geehrten getragen, stehen auch unter den Deutschen hoch im Kurs und sind eine begehrte Trophäe.29 Im Ehrenschirm symbolisiert sich die Anerkennung durch die Chinesen, die auch in der deutschen Wert- und Rangordnung den eigenen Status erhöht. Die symbolische Aneignung von Status innerhalb einer chinesischen Rangordnung gerät in Widerspruch zur symbolischen Ordnung der Kolonie. Denn diese verlangt von ihren Angehörigen, alles zu meiden, was der „Verchinesung“30 28 Vgl. die Dissertation von Liu Weiqian (1998; 2007). 29 Wie hoch, das entnehme ich einem Briefwechsel aus dem Truppel-Nachlass, in dem sich Truppels Tochter in der frühen 1950er-Jahren beim Direktor des Bremer ÜberseeMuseums bitter beklagt. Der Ehrenschirm ihres Vaters, den die Familie der China-Ausstellung überlassen hatte, ist nicht mehr ausgestellt, sondern im Magazin verschwunden. Deswegen fordert sie die Rückgabe des solchermaßen missachteten Objekts. 30 So der Beijinger Diplomat Arthur v. Kemnitz in Anlehnung an die in den afrikanischen Kolonien gebräuchlichen Begriffe „Verkafferung“ oder „Verbuschung“ (zit. nach Steinmetz 2007:500).
Hybride Räume
135
Abb. 15: Bischof Anzer als chinesischer Mandarin Quelle: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Johann_baptist_anzer_as_mandarin.jpg
Vorschub leistet. „Going native“ in den Kolonien wird immer gleichgesetzt mit der Preisgabe der Zugehörigkeit zur überlegenen Rasse. Dass das Objekt des Begehrens jenseits der Grenze gesucht wird, bricht Tabus. Trotzdem wird es als statusbildend anerkannt. In seinen Studien über Distinktionsstrategien in den deutschen Kolonien, die er auf die Spiegeltheorie von Lacan stützt, erklärt George Steinmetz das Streben nach Anerkennung als „the colonizers‘ crossidentification with imagos of the colonized“ (2007:55). Die Imago des Colon – des Kolonisierten – hat vielfältige Erscheinungsformen. Überlebensgroß ragt aus der Geschichte der kolonialen Phantasiereiche der Edle Wilde hervor. Der Kaiser von China ist eine weitere Imago-Gestalt, die seit der europäischen Aufklärung noch im 19. Jahrhundert schillert, wenngleich mit Brechungen: Von seiner Überhöhung als staatsphilosophische Idealfigur des aufgeklärten Absolutismus durch Voltaire sind sinophile Mosaiksteine im europäischen Gedächtnis geblieben, die die Schmähung der orientalischen Despotie durch Montesquieu und die Sinophobie des 19. Jahrhunderts überdauern.31 Die Verklärung des Beamtengelehrten und einer chinesischen Meritokratie ist ein solcher Mosaikstein. Die Idealisierung bezieht sich auf die Organisation des konfuzianischen Staates, der bei jeder Vergabe von Posten ein strenges Ausleseverfahren durch staatliche Prüfungen anwendet. Das System zwingt aufstiegswillige Beamte zum lebenslangen Studium der konfuzianischen Klassiker; die Führungsschicht 31 Vgl. Steinmetz und Spence 1999.
136
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
des Reiches ist hochgebildet. Es ist daher nachvollziehbar, dass ein solches, den Wert von „Bildung“ hoch veranschlagendes Modell, den Wunschvorstellngen deutscher Bildungsbürger nahekommt. Gerade für die Deutschen bieten sich die chinesischen Eliten daher als Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte an. Es ist nicht allein die Kombination von Reichtum und Macht – jene Kombination, die dem deutschen Bürgertum des 19. Jahrhunderts versagt bleibt –,32 die zur Identifikation einlädt. Da großes Vermögen in China verbunden ist mit ‚Gelehrsamkeit‘, haftet ihm nicht der Geruch des „schnöden Mammon“ an, der den kapitalistischen Parvenü oder die Dekadenz hochadligen Verschwendungsreichtums kennzeichnet. Reichtum, erworben durch Bildung, Arbeit und Verdienst, steht ganz im Einklang mit den bürgerlichen Tugenden und die Möglichkeit der Aneignung von Status durch Bildung setzt gerade das bildungsbürgerliche Herz in Deutschland in Schwingungen. Die meisten der in Qingdao tätigen Deutschen stammen aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Milieus. Der Kolonialdienst, die Marinelaufbahn und die Mission bieten Möglichkeiten für einen gesellschaftlichen Aufstieg, die diesen Milieus in Deutschland verwehrt sind.33 „Unparteiische Besucher haben oft das Urteil geäußert, daß Tsingtau die sauberste Stadt des Ostens sei“ (Denkschrift 1909:35). Anerkennung von außerhalb, durch „unparteiische Besucher“ und speziell durch Besucher von hohem Rang ist das symbolische Kapital (Bourdieu), das zur Steigerung des eigenen Status benötigt wird. Diese Form der Kapitalsammlung ist in den vielen Fotografien zu besichtigen, die von den diplomatischen Begegnungen zwischen den deutschen Gouverneuren und chinesischen Machthabern üerliefert sind (Abbildung 16). Sie inszenieren die Ebenbürtigkeit der deutschen Offiziere einer verschwindend kleinen Kolonie von verschwindend geringer ökonomischer und im Grunde auch politischer Bedeutung „auf Augenhöhe“ mit den Mächtigen des QingReiches in Shandong. Die vielen Übertretungen der „Rassengrenzen“ zeigen, dass sich eine schroffe binäre Zweiteilung Qingdaos in Kolonisatoren und Kolonisierte, Deutsche und Chinesen, Täter und Opfer nicht halten lässt. Obwohl ethnisierte Differenz zum Träger der gesamten symbolischen Ordnung der Kolonie gemacht wird, zeigt sich in den sozialen Praktiken und deren Symbolisierungen, wie sehr die Binarität von „Rasse“ von der Binarität der „Klasse“ überlagert wird. Faktisch wird Differenz nicht in der Diskursfigur des Chinesen definiert, sondern in der Figur des Kulis. Gemeinsame Interessen verbinden die deutsche und die chinesische Elite in Zweckbündnissen; der ausgegrenzte Andere wird durch den Kuli 32 Zur Bedeutung des Bürgertums für die symbolische Ordnung von Qingdao wird in Kapitel 3 mehr zu sagen sein. 33 Vgl. Steinmetz 2007 und Bitter 2012.
Hybride Räume
137
Abb. 16: Auf Augenhöhe. Tsingtau-Besuch Gouverneur Chou Fu in Tsingtau 1903. Arch Bild134-92337/o.Angabe
repräsentiert. Weder die Konstruktion des Selbst und noch die des Anderen ist gradlinig oder konsistent. Das koloniale Projekt zerfällt in eine Vielzahl von Stimmen, Interessen und Rivalitäten (Mühlhahn 2012:43). Die Deutschen können sich offenkundig auf ihre eigenen Grenzziehungen nicht verlassen. Das ist gefährlich: Hybride Räume im Kolonialismus sind subversiv, entziehen sich der Kontrolle, können schnell zu Orten des stillen oder offenen Aufruhrs werden. Hybride Räume stellen den Machtraum in Frage. Um ihn zu behaupten, braucht es starke Bilder der Homogenisierung und der binären Polarisierung, die die porösen Grenzen immer wieder bestätigen und befestigen können: Bilder, die geeignet sind, Differenz zu visualisieren und zum Handeln zu zwingen. Die diskursive Repräsentation des kolonialen Projekts Tsingtau durch Sauberkeit und Gesundheit liefert diese starken Bilder. Der Hygienediskurs formuliert nicht nur die Quintessenz der Erfolgsstory Tsingtau. Als machtvoller Diskurs bildet die „Hygiene“ ein konstitutives Element der Raumkonstruktion, der die Aufgabe zukommt, den kolonialen Grenzen im alltäglichen Handeln immer wieder zu Sichtbarkeit und Geltung zu verhelfen.
138
Die Stadt der Anderen: Die Konstituierung der Chinesenstadt
3. DER CHINESE ALS HYGIENISCHES PROBLEM: DIE KONSTRUKTION EINER DISKURSFIGUR Der Satz von der „saubersten und gesündesten Stadt an der ganzen ostasiatischen Küste“ ist eines der am häufigsten angeführten Stereotype über Qingdao. Die stereotype Wiederholung dieser Attribute suggeriert die Beschreibung eines Zustandes. Im Topos der Sauberkeit und Gesundheit fließen Sinngebungen und Symbolisierungen zu einem ganzen Komplex von Bedeutungen zusammen. Hier tritt sie wieder ins Licht, die utopische Vision der Stadt der Moderne, die Vision einer Zukunft ohne Unrat und Krankheit, einer Stadt der Reinheit auf dem höchsten Stand der Zivilisation. Aber auch sie werden wieder ins Bild gerückt: die Abgrenzungen, die Ausgrenzungen und die unsichtbare Präsenz des binären Gegenüber. Indem der Superlativ die Unterschiede markiert und hierarchisiert, stellt er eine soziale und kulturelle Werteskala auf und positioniert das Subjekt des Diskurses auf der höchsten Stufe – unmissverständlich markiert als höchste Stufe der Zivilisation. Als Leuchttürme der Moderne stehen die Werte von „Sauberkeit“ und „Gesundheit“ für die Unterscheidung der Zivilisierten von den Barbaren. Die „sauberste und gesündeste Stadt“ ist die Metapher für die Grenzziehung zwischen dem Hier und dem Dort, dem Drinnen und Draußen, die machtvoll ist, da sie Differenz nicht nur in den (gebauten) Raum einschreibt, sondern auch in die Menschenkörper. Die „Hygiene“ übernimmt die Rolle des Leitdiskurses, der angrenzende Diskurse (namentlich Diskurse über Rasse und Klasse) in die Differenzkonstrukte einbindet, indem der Diskurs den chinesischen Anderen und seine Lebenswelt zum hygienischen Problem erklärt, für das die Hygiene die (einzige) Lösung ist. Der universelle Geltungsanspruch des Diskurses ist gegründet in der westlichen, naturwissenschaftlichen Medizin und den Hygienelehren des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die dominante Hygienebewegung hat sich längst von den Theorien eines Rudolf Virchow verabschiedet, der die Ursachen mangelnder Hygiene und Krankheitsausbrüche in dem sozialen Umfeld der städtischen Armen findet und die Lösung in sozialpolitischen Reformen sieht. Bodentheoretische Hygienevorstellungen und die neuere bakteriologische Labormedizin, die zunehmend unter dem Einfluss von Eugenik und Sozialdarwinismus steht, prägen die geltenden biologistischen Konzepte von Gesundheit und Krankheit und die Körperbilder, auf die sie zurückgehen. Auf sie stützt sich die Pathologisierung des Chinesen als Gegenentwurf zur Selbststilisierung des „homo hygienicus“. Mit der polarisierten Gegenüberstellung von zivilisiertem „homo hygienicus“ und defizitärem Chinesen wird die Hygiene zur zentralen Perspektive der Wahrnehmung und Interpretation von Wirklichkeit und der „Ordnung der
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
139
Dinge“ (Foucault). Sichtweisen, Interaktionen und Institutionalisierungen verknüpfen Akteure und soziale Güter aus der Perspektive von „Gesundheit versus Krankheit“, „Sauberkeit versus Schmutz“ zu bedeutungsvollen Ensembles, die als jedas „reine“ versus „pathogene“ Räume konnotiert sind. So entsteht eine medikale Landschaft. Bilder und Texte, Narrationen und Artefakte, Diskurse und diskursive Praktiken verleihen den medikalisierten Räumen Stabilität und dem Modernisierungskonstrukt, auf dem der Mythos „Tsingtau“ basiert, den unwiderleglichen naturwissenschaftlichen-medizinischen Unterbau des wissenschaftsgläubigen Zeitalters. Die Hygieneordnung greift per definitionem tief in die Selbstbestimmung der Kolonisierten ein. Zuschreibungen, Praktiken, Strukturen und Institutionalisierungen greifen ineinander und bilden ein machtvolles Hygienedispositiv, das die als schmutzig stigmatisierten chinesischen Menschen nicht aus seinen Fängen lassen will.
3.1 Die Medikalisierung des chinesischen Raumes Vor fast 13 Jahren begann mit der Besitzergreifung des Schutzgebietes Kiautschou der Kampf für die Gesunderhaltung der Kolonisten und die Gesundmachung der Kolonie. Die Hygiene stieg mit den Truppen an Land. Mühsam war der Weg, den sie dann zurücklegen mußte, und oft kam sie nur schrittweise vorwärts. Jetzt aber ist der Berg fast erklommen. Da darf der redliche Wanderer einen Augenblick rasten und auf die steinige Straße zurückschauen, die hinter ihm liegt. Nicht unbefriedigt ist dieser Rückblick. Freilich, der Weg muß noch an mancher Stelle ausgebaut werden, und wachsam muß die Hygiene von der Höhe des Berges ausschauen, um neue Feinde rechtzeitig zu entdecken und um neue Bollwerke gegen die alten Feinde aufzurichten, nachdem sie mit Überlegung die Angriffswaffen und Angriffswege ihnen abgelauscht hat (Uthemann 1911:5).
Dieses Bild der Hygiene leitet einen „kolonialhygienischen Rückblick auf die Entwicklung des deutschen Kiautschou-Gebietes“ – berichtet wird ausschließlich über das Stadtgebiet des deutschen Tsingtau – des Gouvernementsarztes Uthemann und des Marinestabsarztes Fürth aus dem Jahre 1911 ein. Die Schilderung ist die metaphorische Wiedergabe der Besetzung im November 1897, in der die allegorische Gestalt der „Hygiene“ einen prachtvollen Auftritt hat. Die farbige, metaphernreiche Allegorie in dem kurzen Artikel-Vorspann im Archiv für Schiffshygiene und Tropenmedizin ist ein Schlüssel zur symbolischen Bedeutung der Hygiene für das koloniale Konstrukt. Die Raummetaphern in dieser Erzählung bebildern die Eroberungsgeschichte, die Machtgeographie von Qingdao und die Selbstverortung der Hygienepo-
140
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
litik in dem deutschen Herrschaftsraum. Die Verkörperung der Hygiene in einer weiblichen Figur an der Seite des kämpfenden deutschen Seebataillons ruft eine naheliegende Assoziation auf: die gegürtete Germania, die bereits in der Zeichnung von Wilhelm II zum Kampf gegen China erscheint. Die Betrachter sollen verstehen: „Hygiene“ ist deutsch und kämpferisch. Ihr Kampf gilt der „Gesunderhaltung“ der „Kolonisten“. Das Ziel des Kampfes: „Gesunderhaltung“ und „Gesundmachung“. Die damit aufgestellte Behauptung besagt: Es kommen gesunde Menschen „an Land“, aber das Land, das sie betreten, muss erst gesund gemacht werden. Dieses Land ist ein Infektionsraum. Dieses Land bedroht die Gesundheit der Ankömmlinge. Es ist Feindesland. Deshalb ist der Weg dorthin ein mühsamer und quälend langsamer Anstieg auf „steiniger Straße“: wiederum ein Bild, das an eine sehr bekannte zeitgenössische Darstellung anknüpft: „Der breite und der schmale Weg“ ist eine bildliche Umsetzung eines Satzes aus dem Matthäus-Evangelium.1 Der Berg, spätestens seit Petrarca Metapher des mühevoll errungenen, aber triumphalen Erfolges (Francesco Petrarca: Besteigung des Mont Ventoux (Ventoux, 26.04.1336), erfährt dort eine christlichmoralische Überhöhung. Der richtige Weg dorthin führt über den schmalen Weg, die „steinige Straße“ der Hemmnisse, der Mühsal und der Entsagung. Es ist „redlich“, die Entsagung auf sich zu nehmen. Der panoramatische „Rückblick“ auf das in Tsingtau Erreichte belohnt die Anstrengung durch die Gewissheit: „Was getan ist, ist gut.“ Die christliche Konnotation des „schmalen Weges“ adelt „den redlichen Wanderer“ durch Sittlichkeit und seine moralische Überlegenheit. Wer mag da bezeifeln, dass der in aller Bescheidenheit daherkommende Wanderer einen weißen Arztkittel trägt. Wege verbinden. Die „schmalen Wege“, die die Hygiene sich hier ins Land bahnt, sind die Bahnen, in denen die Herrschaft des Arztes über die Kranken, die Herrschaft der Gesundheitspolizei über die chinesische Bevölkerung verläuft. Nicht von ungefähr ist der Berg auch der Feldherrenhügel, von dem aus der panoramatische Blick „von der Höhe des Berges“ über die Ebene schweift. Denn dort ist das Aufmarschgebiet „des Feindes“, der den Sieg der Hygiene zunichtemachen will. „Wachsamkeit“ ist gefordert, „Bollwerke“ werden errichtet, neue Wege blockieren den feindlichen Ansturm. Hygeia rüstet zum Kampf wie die Germania mit blankgezogenem Schwert. „Alte“ und „neue Feinde“ gilt es „zu entdecken“, indem man ihnen ihre „Angriffswaffen und Angriffswege ablauscht“: Dies ist eine metaphorische Kampfansage an China und die chinesische Bevölkerung mit den ‚Waffen‘ der Medizin, über die die ‚alten‘, miasmentheoretisch informierten Hygieniker und die Anhänger der neuen Bakteriologie und ihrer Forschungsmethoden und Präventionsstrategien gebieten. Die Wendung ins Martialische 1
Matthäus 7, 13–14. Die Ursprünge des Bildes gehen auf Charlotte Reihlen (1805– 1868) zurück, die Mitgründerin der Diakonissenanstalt Stuttgart.
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
141
schlägt einen Bogen zum Ende des Aufsatzes, das einen hygienischen Eroberungszug durch das gesamte chinesische Kaiserreich ankündigt. Uthemanns pathetische Allegorie macht anschaulich, dass Hygienepolitik auf Raumbildern basiert und Hygienestrategien sich auf die Kontrolle des Raumes richten. Was könnte daher geeigneter sein, die Prozesse der kolonialen Raumkonstitution zu unterstützen, als die Hygiene? Die Erzählung illustriert auch, was es heißt, Räume zu medikalisieren. Im Folgenden geht es darum, diesen Prozess nachzuzeichnen, die – sprachlichen wie außersprachlichen – diskursiven Mittel zu erkunden, die zum Einsatz kommen, um Identitäten zu konstruieren und durch Strukturen, Institutionen und Praktiken der Disziplinierung zu verfestigen. Historisch in der Hygienebewegung des 18. und 19. Jahrhunderts in Europa verwurzelt, gelangt der Hygienediskurs als Herrschaftsinstrument in die Kolonie. Er wird den Erfordernissen der Machtausübung angepasst und speist seinerseits Erfahrungen und Erkenntnisse in die biomedizinische Wissensordnung ein. Im Zusammenspiel mit angrenzenden Diskursen nimmt der Hygienediskurs essentialisierende Zuschreibungen von Körper, Rasse und Kultur des chinesischen Anderen vor und stellt sie der Selbstinszenierung des weißen „homo hygienicus“ gegenüber. So trägt der koloniale Hygienediskurs zur Identitätskonstruktion des bürgerlichen Subjekts bei. Fremd- und Selbstkonstruktion werden in der assanierten Europäerstadt von Qingdao inszeniert und in der Chinesenordnung der Kolonialverwaltung kodifiziert. Die staatliche Intervention in chinesische Körper- und Alltagspraktiken richtet sich vor allem auf die liminalen Zonen, in denen die räumliche Trennung zwischen Deutschen und Chinesen regelmäßig aufgehoben ist: Rikschafahrer und Prostituierte stehen hier exemplarisch für die permanente Reproduktion der von Aufweichung bedrohten kolonialen Hierarchien. In der rhetorischen Figur der chinesischen Indolenz drückt sich die Medikalisierung von Armut und Ausbeutung aus, doch sie verweist auch auf die chinesische Widerständigkeit gegen die hygienische Disziplinierung und unterminiert so die Erfolgsgeschichte vollständiger hygienischer Kontrolle.
142
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
3.1.1 Schmutz. Die Genese einer diskursiven Figur Bei der Besitzergreifung lagen die hygienischen Verhältnisse hier ebenso arg darnieder wie in der ganzen Provinz Schantung, ja wie in ganz China, soweit es nicht von Europäern bewohnt und verwaltet war2.
Die Diskursfigur vom chinesischen Schmutz stellt eine semantische Einheit der Konstruktionen von „Chinese“, „Kontamination“ und „Gefahr“ her, die sich unangreifbar macht, indem sie an diskursgesteuertes hygienisches Alltagswissen andockt. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise diese Einheit zustande kommt, worauf sie zurückgreifen kann und warum der Zusammenhang so bedeutungsvoll für die Gründungserzählung ist, dass er bis heute die historische Repräsentation Qingdaos weitgehend prägt. Mary Douglas (1988) hat darauf hingewiesen, wie schwierig es seit dem 19. Jahrhundert selbst für den kritischen Blick ist, Schmutz ohne Pathogenese und die Bekämpfung mittels der Hygiene zu denken. Auch die Selbstbeobachtung beim Nachdenken über Hygiene zeigt, wie tief diese Verbindung in uns selbst verankert ist, die wir in dieser sehr vertrauten Hygienekultur groß geworden sind. Sie (ver-)führt zur reflexhaften Identifikation mit hygienischen Setzungen und Normen und zur binären Aufteilung der Welt in die „Schmutzigen“ und die „Reinen“. Aber gerade diese dichotomisierende Reduktion ist es, die der Denk- und Wissensstruktur des Kolonialismus (und des Neokolonialismus) so gelegen kommt. Um diese Welt des scheinbar unüberbrückbaren Gegensatzes aufzubrechen, fasse ich „Schmutz“ nicht als medizinisch-hygienische Kategorie auf, sondern frage nach seiner Funktion als sozialer Ordnungskategorie. Anders als die zeitgenössischen deutschen Repräsentationen Qing daos suche ich daher den Schmutz nicht im Boden chinesischer Siedlungen (das heißt in der Tunnelperspektive des deutschen Kolonisators) sondern in den Bedingungen des kolonialen Wahrnehmens und Denkens. Was bedeutet schon „Schmutz“ in den Dörfern der Jiaozhou-Bucht? – Das bäuerliche Leben in enger Gemeinschaft von Mensch und Tier zu ebener Erde aus den Ressourcen der Umgebung, wie es zu dieser Zeit überall auf der Welt und auch in Deutschland geführt wird? Der Dunghaufen auf dem Hof ? Die unbefestigten Lehmwege? Nur wenige hingeworfene Markierungen in den deutschen Reiseberichten über die ersten Jahre in Qingdao reichen aus, um Bilder von chinesischem Schmutz heraufzubeschwören und Ekel und Abscheu zu erzeugen: Klischees wie Hütten – eng – niedrig – Lehm – verwahrlost – Ausdünstungen – Gestank – Fliegen sind so eindeutig wie eindringlich, dass sie noch in unserer Zeit genauso abstoßend 2
Führer durch Tsingtau 1906:43)
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
143
wirken. Wenn ich Schmutz im europäischen Hygiene-Diskurs verorte, dann, um den Tunnelblick aufzubrechen und die symbolische Bedeutung dieser Diskursfigur für die Repräsentation des Eigenen und des fremden Anderen zu erfassen. „Hygiene“ erscheint in dieser Perspektive nicht als ein medizinisch begründetes Projekt, sondern als Machtstrategie zur Exklusion und Marginalisierung der chinesischen Bevölkerung von Qingdao. Was diesen Raum bestimmt, ist nicht ein ‚Schock‘ über unhygienische Lebensverhältnisse in China, mit denen man ‚unerwartet‘ konfrontiert sei. So suggeriert es das Tsingtau-Narrativ und wirkt noch auf den Betrachter von heute plausibel, da es sich mit allen anderen europäischen Kolonialnarrativen deckt. Dieser medikalisierte Raum ist ein soziales Konstrukt, das in den popularisierten Epistemen des 19. Jahrhunderts wurzelt und die disziplinierenden kolonialen Praktiken leitet. „Wo es Schmutz gibt, gibt es auch ein System“ (Douglas 1988:52): Schmutz ist, was aus der Ordnung ausgeschlossen ist. Im Schmutz der Anderen erkenne ich die Ordnung der Reinheit, die mir Zusammenhang, Zusammenhalt und Zugehörigkeit bietet. Der Diskurs reguliert, was als Schmutz zu betrachten ist, was gegen die geltende Ordnung verstößt und diese in Frage stellt. Die ordnende Funktion von Schmutz und Sauberkeit etabliert Grenzen: Darin liegt der praktische und der symbolische Wert der Hygiene für die Ordnung der Ausgrenzung und Marginalisierung der Anderen. Das hat sich bewährt in der Neuordnung der urbanen Zentren Europas, die die Grenzen zwischen bürgerlicher Sauberkeit und dem Schmutz der Industrieproletarier zieht; diese Ordnung bewährt sich auch in Qingdao. Die Koppelung von Körper- und Rassediskursen mit einer kulturalistischen Essentialisierung des Chinesen untermauert das Differenzkonstrukt und erhebt es zu einer wissenschaftlich beglaubigten Tatsache. Gerade in der Gründungsphase Tsingtaus trägt die Diskursfigur des schmutzigen Chinesen unmittelbar zur Konstruktion des kolonisierten Raumes bei, da sie sich in besonderer Weise dafür eignet, Differenz zu markieren und die Grenze zu visualisieren. Sie organisiert die Vertreibung der chinesischen Bevölkerung aus der Europäerstadt. Durch Schmutz und den Mangel an Hygiene wird der Chinese als Problem konstruiert. Die Medikalisierung des kolonisierten Raumes verkehrt die drängende soziale Frage prekärer chinesischer Lebensbedingungen zu einer Kulifrage selbstverschuldeter Unsauberkeit und Krankheit und erhebt die koloniale Hygiene-Macht zur (einzig denkbaren) Lösung des Problems. Diesseits der Grenze, im privilegierten Hier der Europäerstadt, sorgt das Hygieneregime für die Rahmenbedingungen zivilisatorischer Überlegenheitsdemonstration. In der aufwendigen Infrastruktur der deutschen Stadt protzt die „Musterstadt der Moderne“. Dadurch entstehen die komfortablen Rahmenbedingungen für die Selbstinszenierung des bürgerlichen „homo hygienicus“, der seine körperliche und kulturelle Identität im Spiegel des schmutzigen An-
144
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
deren findet. Jenseits der Grenze beansprucht die Chinesenordnung die Herrschaft über chinesische Körper und Lebensweisen. Dieser Komplex aus Vorschriften und Sanktionen, die ausschließlich auf die chinesische Bevölkerung angewandt werden, transformiert den als „chinesisch“ kodierten Raum zum Infektionsraum und damit zum Raum staatlicher Intervention in die chinesische Autonomie. Die Chinesenordnung ist das Phantasma der totalen Kontrolle, so extrem, dass sie selbst im vorgesetzten Ministerium als undurchführbar kritisiert wird. Zwischen Diskurs und der Realität klafft immer der Abgrund enttäuschter Wunschvorstellungen. Auch in Qingdao macht die Widerständigkeit der kolonisierten Akteure dem Diskurs immer wieder Striche durch die Rechnung, indem sie ihn als Phantasma der Allmacht bloßstellt und die Kolonialmacht zu diskursiven Modifikationen und sozialen Kompromissen zwingt. Die als chinesische Indolenz und Rückständigkeit gegeißelten Alltagspraktiken in den Chinesenvierteln bezeugen den aktiven und passiven Widerstand, den die Bevölkerung den Übergriffen gegen ihre körperliche und kulturelle Selbstbestimmung entgegensetzt und so die ihnen gezogenen Grenzen unterläuft. Vor allem im Umgang mit den Rikscha-Kulis und den Prostituierten zeigt sich, dass die Disziplinierung am konsequentesten und schärfsten in den Zonen des direkten Kontakts da durchgesetzt wird, wo unmittelbar zutage tritt, wie durchlässig und verwischt die Grenzen tatsächlich sind: Koloniales Begehren unterminiert die Grenzen auch durch die eigenen Reihen, denn dieses findet seine Erfüllung immer nur jenseits der Grenze, beim Anderen.
3.1.2 „landscapes of fear“ 3 Die Konfrontation der deutschen Besatzer mit den Menschen des eroberten Gebietes ist geprägt von der Erfahrung der Fremdheit. Wie angsterregend die Landschaft ist, in die sie sich geworfen sehen und welche Mühen sie aufwenden, um sich mit ihr zu versöhnen, ist in Kapitel 1 dargelegt. Doch der kolonisierte Raum bleibt das Unheimliche: „as a ‚boundary aesthetic‘, with its spatiality rooted in anxieties of displacement and disorientation“ (Gandy 2014:49). Metaphern der Dichotomie ummanteln die Erfahrung des Unheimlichen, sie trennen es vom Vertrauten und ordnen die Landschaft der Angst in binäre Zonen: das Sichtbare und das Unsichtbare, das Rationale und das Irrationale, Norm und Abweichung – kurz: in den ‚chinesischen Schmutz‘ und in die ‚deutsche Reinlichkeit‘. Damit drücken sie den vorgefundenen Verhältnissen ihren Stempel auf und schaffen sich die Wirklichkeitskonstruktion, die ihnen Kontrolle und Handlungsmacht verspricht. Wie sehr die Landschaft der Hygiene hervor3
Tuan 1980
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
145
geht aus der Landschaft der Angst, dokumentiert ein umfassender Bericht von 1902.4 Mit dieser Schrift rechtfertigt sich Gouverneur Oskar von Truppel vor dem Reichsmarineamt für den Erlass der Rechtsordnung für die chinesische Bevölkerung – die sogenannte Chinesenordnung –, die im Reich unter massive Kritik geraten ist. Zwar lässt diese tendenziöse und überdramatisierte Verteidigungsschrift deutlich den Rechtfertigungsdruck erkennen, unter dem sie geschrieben ist. Doch der Stil verrät auch die intensiven Bedrohungsgefühle bei den Eroberern: Der Krieg, den das III Seebataillon von Qingdao gegen die Bevölkerung von Shandong führt, gibt allen Grund zur Furcht vor einer chinesischen Gegenwehr. Aber die Angst der Aggressoren vor der Rache ihrer Opfer trägt auch Züge von Paranoia: Die „Erwartung eines plötzlichen Angriffs auf die Kolonie“ löst „die wildesten Gerüchte“ und panische Militäraktionen zur „Durchsuchung ganzer Gemeinden nach Waffen aus“. „Belästigungen seitens Angehöriger der Polizei und des Militärs wuchsen ins Unerträgliche (op.cit.:9). Zu all dem macht sich eine „Bürgerwehr deutscher Siedler beritten und durchzog die friedliche Gegend“, wo „ihr plötzliches Erscheinen“ und „das gewalttätige Äußere“ Panik unter den Chinesen des Pachtgebiets schürt, ohne dass sich auch nur eines der Gerüchte bewahrheitet hätte (op.cit.:7). In den „bleichen Schrecken bei Kolonisten“ mischt sich die Angst vor Epidemien, da „schlimme Krankheitserscheinungen unter den Chinesen, Fleck-, Darmtyphus und dgl. gerade in der Zeit“ (op.cit.:3) auftreten und auch die deutschen Soldaten erfassen. Truppels Interpretation der „Schrecken des Flecktyphus als Folge der Ansammlung von Menschenmassen in den einzelnen Häusern“ (op.cit.:38) macht die Angst vor Überwältigung kenntlich. Nicht nur der Typhus, auch die „Ansammlung von Menschenmassen“ löst Schrecken aus. Wer kann angesichts der „aus den verschiedenen Gegenden herbeiströmenden Volksmenge, welche nicht immer aus den lautersten Elementen zusammengesetzt ist und in ihrer Ansammlung eine Gefahr für die Entwicklung bilden konnte und gebildet hat“ (ibid.), noch zwischen ‚lauteren‘ (also „harmlosen“) und „bedrohlichen“ Chinesen, also zwischen „Freund“ und „Feind“, unterscheiden? Die Chinesenordnung ist die Antwort auf die Angst. Zunächst wird versucht, eine erkennbare äußere Ordnung zu schaffen. Chinesische Subunternehmer deutscher Baufirmen werden beauftragt, bei Dabaodao „eine kleine Mattenstadt, deren Hütten der Winterkälte wegen zum Teil in den Erdboden versenkt waren“ (Maercker 1902:31), zu errichten. Solche ‚Mattenhütten‘ bestehen aus einer einen Meter tiefen, zweieinhalb Meter breiten und acht bis zehn Meter langen Grube, über der gebogene Bambusstangen ein gewölbtes Dach aus Strohmatten tragen. „Wenn diese Niederlassung auch mit geraden Straßen versehen 4
146
QDG B0001-113-79.
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
und so angelegt war, dass eine Überwachung möglich war, hatte die Polizei doch schwere Arbeit, der Unsauberkeit zu steuern und vor allem die Benutzung der angelegten Aborte zu erzwingen“ (op.cit.:31). Anderswo suchen die Menschen Unterschlupf in den in der Europäerstadt verlegten Kanalröhren, „in denen sie „sich da unten nach ihrer Art ganz behaglich eingerichtet hatten“ (op.cit.:54). Es ist typisch für die Konstruktion des rassistischen Chinesen-Diskurses, die Verbindung von Kuli-Art und Kanalröhren „da unten“ Assoziationsketten von chinesischem Schmutz und „Auswurfstoffen“ (op.cit.:55) in Gang setzt. Die katastrophalen hygienischen Verhältnisse in dieser Art der Unterkünfte liefern das Material, das den Topos der „schmutzigen chinesischen Arbeiterbevölkerung“ (Denkschrift 1899/1900:20f ) untermauert. Stereotypen über „die Chinesen mit ihrem unvermeidlichen Schmutz und Geruch“ (Maercker 1902:11) sind als gesichertes Wissen über den Chinesen akzeptiert und gehen als fester Bestandteil in das Tsingtau-Narrativ ein. Die chinesischen Dörfer werden als Gefahrenorte stigmatisiert, „da diese infolge der engen Bauart, des Schmutzes und der übermäßigen Besiedelung eine ständige Gefahr für die Gesundheit der Stadtbewohner bildeten“ (Uthemann 1911:15): Die in engen, schmutzigen Dorfstraßen gelegenen einstöckigen Häusern (…) waren für den Europäer keine verlockenden Unterkunftsräume. Meist waren die Wohnungen außerdem in einem solch verwahrlosten Zustand, daß sie gegen Unbilden der Witterung gerade zur Winterzeit nur wenig Schutz boten und so Ursache zahlreicher Erkrankungen wurden. Dazu kamen die üblen Gerüche nie entfernter Abfälle aller Art, der Ausdünstungen offener Kochherde und Kramhandlungen und insbesondere der spezifische, der Rasse eigene Geruch der eng zusammenlebenden Bevölkerung, der den Fremden äußerst unangenehm berührte (Uthemann 1911:9Schreibfehler im Original).
Schmutz erscheint als das herausragende Merkmal des chinesischen Raumes.
3.1.3 Der Schmutz des Anderen Die hygienischen Verhältnisse sind in Tsingtau ganz vorzüglich. Die Chinesenstadt Ta pau tau nebst Vorort Tai tung tschen liegt […] ganz von der Europäerstadt getrennt. (Führer durch Tsingtau 1906:43)
Was ist Schmutz? Mit ihrer „Definition von Schmutz als etwas, das fehl am Platz ist“, weist Mary Douglas (1988:52) Schmutz als Kategorie gesellschaftlicher Ordnung aus (op.cit.:53). Schmutz ist relativ, also ein Phänomen der kul-
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
147
turellen Perspektive. Schmutz, das ist in unseren Augen der Schuh auf dem Esstisch (Douglas), der Hundehaufen auf dem Gehweg, der Kaffeefleck auf der weißen Bluse. Schmutz ist der Indikator für die gültige Ordnung, denn Ordnung als „Komplex geordneter Beziehungen und eine Übertretung dieser Ordnung“ (op.cit.52) entscheidet über das, was als „dazugehörig“ betrachtet wird und was verworfen – ausgeschlossen – wird. „Unsauberes oder Schmutz ist das, was nicht dazugehören darf, wenn ein Muster Bestand haben soll“ (op. cit.:59). Daraus folgt: Nichts ist aus sich selbst heraus „schmutzig“. Was sozial als „Schmutz“ gilt, reguliert der Diskurs. „Schmutz“ ist die Kategorie der Unterscheidung, die als Instrument der Ab- und Ausgrenzung funktioniert. Die Markierung des fremden Anderen als „schmutzig“ stellt die Ordnung wieder her, indem sie die Trennlinie zwischen dem Eigenen und dem Fremden, zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung bezeichnet: „Schmutz“ liegt im Dort, im Hier befindet sich die „Sauberkeit“. In dieser Eigenschaft wird Schmutz in Qingdao wichtig. Solange die Besatzer Quartier nehmen müssen in den geschmähten schmutzigen Chinesenhäusern, ist die Unterscheidbarkeit von Wir und Ihr in Frage gestellt. Gegen diese Bedrohung der eigenen Identität setzen „fleißige Soldatenhände“ (Goldmann 1899:45) einen deutlich sichtbaren Anhaltspunkt: In der Ortschaft zeigte sich schon zur Zeit meines Besuchs, etwa vier Monate nach der Besetzung, deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit. […] der frische Anstrich, die neu eingesetzten Hausthüren und vor allem die große Reinlichkeit, die überall herrscht, zeigen, dass hier unmöglich Chinesen wohnen können (HesseWartegg 1898:7).
In der Atmosphäre der Unsicherheit und Bedrohung ist die Transformation des schmutzigen Chinesenhauses in „weißgestrichene deutsche Reinlichkeit“ ein trostreicher Wegweiser des geordneten Hier. Dennoch wird immer wieder die Unzumutbarkeit der Wohnungsverhältnisse hervorgehoben.“ Die Klage über „dürftige Unterkunft“5 durchzieht die Nachrichten aus Qingdao wie ein „basso continuo: Die „Unterbringungsverhältnisse im Ort […] [waren] naturgemäß sehr mangelhaft. […]. Es standen nur niedrige chinesische Hütten zur Verfügung, der Boden bestand nur aus gestampftem Lehm, die Fensteröffnungen waren nur aus Papier, die jeder Windstoß zerriss, unverschlossen, die schlecht schließenden Türen ohne Windfang […]“.6 5 6
148
QDG B0001-149-109:12. BA Gouvarzt G 1813 vom 19.10.1901.
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Damit wird klargestellt, dass die Quartiere „in nur erträglicher und den hygienischen Anforderungen nothdürftig genügender Weise“7 die Ansprüche der Besatzer erfüllen. Die wenigen „überhaupt erneuerbaren Chinesenhäuser“8 können „auf längere Zeit den Anforderungen der Hygiene nicht genügen“ (Uthemann 1911:13). Für Gouvernement und Ärzte steht „der schädliche Einfluß der schlechten Unterbringung der Mannschaften in den engen und feuchten Chinesenhäusern der Lager außer Zweifel“.9 Darin werden die Erklärungen für die periodischen Ausbrüche der Infektionskrankheiten in Qingdao gesucht: Für die verhältnismäßig große Verbreitung von Typhus und Ruhr müssen als Ursachen angesehen werden: 1. Bodenverunreinigung und dadurch bedingte mangelhafte Wasserversorgung Unzureichende Wohnungsverhältnisse. 2. Die Verunreinigung des Bodens ist durch die bisherige chinesische Mißwirtschaft herbeigeführt worden und hat in den letzten Jahren durch den gewaltigen Zuzug einer schmutzigen chinesischen Arbeiterbevölkerung, die sich zum größten Theil rings um Tsingtau ansiedelte, trotz strenger polizeilicher Maßnahmen nicht verhindert werden können. Die Chinesen haben bis jetzt nicht dazu gebracht werden können, ihre Angewohnheit aufzugeben, ihre Darmentleerungen überall auf dem ganzen Gelände zu besorgen, obwohl öffentliche Aborte in genügender Anzahl errichtet worden sind (Denkschrift 1899/1900:20f.).
Zur Begründung dieses Zusammenhangs verweist die Berichte darauf, dass … erfahrungsgemäß verunreinigtes Wasser bei Darmtyphusepidemien fast stets eine wichtige Rolle [spielt]. Daneben ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Erdarbeiten [gemeint ist die Freisetzung von ‚Ansteckungsstoffen‘ durch das Aufgraben des Bodens – H.R.] eine Anzahl von Darmtyphuserkrankungen ursächlich veranlaßt haben können“ (ibid.).
Die Verbreitung der Erreger wird den Wanderarbeitern zur Last gelegt, denn die deutschen Vorschriften, nur abgekochtes Wasser zu trinken und die Aborte zu benutzen, „wurden natürlich nicht eingehalten“ (Scheibert 1902:39) – als sei von Chinesen nichts anderes zu erwarten. Zudem seien „Flecktyphus und Rückfallfieber“
7 8 9
QDG B0001-149-107:3. QDG B0001-150-50:17. QDG B0001-149-190:5.
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
149
… aus der Provinz Schantung in das deutsche Gebiet eingeschleppt worden und haben bei der schmutzigen und dicht gedrängt zusammenlebenden armen Chinesenbevölkerung in dem improvisierten ,Mattendorfe‘ Tapautau einen günstigen Boden für ihre epidemische Ausbreitung gefunden (Denkschrift 1899/1900:20f ).
Der Diskurs legt auch die Verantwortung für die Verhältnisse fest: ‚Verunreinigung‘ unterstellt die Zerstörung eines ursprünglich intakten Zustandes, und verantwortlich dafür sei die„chinesische Misswirtschaft“. Danach werden die „ihre schlimme Wirkung ausübenden Verunreinigungen des Erdreichs seitens der Eingesessenen“ benannt „als Hauptursache der hohen Morbidität an Typhus abdom. und infektiösen Darmaffektationen“ (Kronecker 1913:19). Es „existiert kaum ein Land, in welchem das Wasser so vielen Verunreinigungen ausgesetzt ist als China“, da die landwirtschaftliche Verwendung menschlicher Fäkalien für die Düngung, „ferner nur oberflächlich eingescharrte Leichen auf den Feldern“ (op.cit.:13) den Boden verderben. „Enge kotige Gassen, angefüllt mit Haufen von Unrat aller Art, jauchige Pfützen und Tümpel überall. Die öffentlichen Aborte befinden sich in unsagbarem Zustande“10. „Für tote Tiere, Speisereste, Auswurfstoffe von Tier und Mensch, daneben Pfützen und Lumpen, für alles sind die belebten Straßen der Sammelplatz“ (Zur Verth 1910:83f.) „und sind deshalb die Ursache epidemischer Krankheiten […]“ (Rogge 1901:13). Das ist das Bild, das der deutsche (und europäische) „Schmutz“-Diskurs von chinesischen Dörfern und Städten verbreitet.11
3.1.4 Diskurse der Problematisierung Ein besonderer Verstoß gegen die hygienischen Normen ist die Verletzung der europäischen Schamgrenzen im Umgang mit Exkrementen: „Verlässt man Tsingtau in irgend einer Richtung, so verliert man nirgends den widerwärtigen Geruch nach menschlichem Koth, überall sieht man auf den Feldern hockende Chinesen ihre Nothdurft verrichten und an den Kothhaufen Schwärme von Fliegen sich niederlassen“.12 Überall findet man „die abscheulichsten Kübel mit Düngemitteln (Fäkalien) vor chinesischen Türen“ (Faber 1900:16). Es ist kein Zufall, „daß die Fäulnis häufig […] in die Nähe des Teuflischen gerückt wird“ (Corbin 1982:34): „Nachts im ‚Aegir-Hotel‘ … kriechen aus allen Ecken 10 Dr. Krause, „Der Stand der Heilkunst und die Ausübung der Heilkunst in China. In: OAL 20.3.1903:486. 11 Vgl. auch Navarra 1900, Hesse-Wartegg 1898. 12 Lerche an Gouvernement 04.07.1899. Tit, bei Biener 2001:266; auch die Literatur richtet ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf die ‚hockenden Chinesen‘.
150
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
die Fäulniß=Dünste heraus, und es wird ein teuflischer Gestank“ (Goldmann 1898:38) und „schreckliche Fäulniß=Dünste herrschen in diesen chinesischen Militär-Häusern“ des Yamen (op.cit.:53). Indikator der Fäulnis und der Nähe des Teuflischen ist „die in China besonders zudringliche Schar der Fliegen“ (Zur Verth 1910:83). Es gibt „zum Mindesten 1 Million Fliegen in Tsingtau“ (Goldmann 1898:53) und auch die Denkschriften machen „die unerträgliche Fliegen- und Moskitoplage“13 regelmäßig zum Gegenstand der Berichterstattung. Fliegen gelten als unhygienisch, aber sie sind auch tief verwurzelt in der christlichen Symbolik. Sie stellen die Verbindung her zwischen dem Geruch der Verwesung und dem biblischen Beelzebub, dem „Herrn der Fliegen“, der mit „pestilenzischem Gestank“ assoziiert wird. Ihnen wird in Qingdao „mit Saprol und Schieferöl“ (Uthemann 1911:30) zu Leibe gerückt, da die chinesische Bevölkerung unempfindlich sei gegen die Fliegen und nichts dagegen unternehme (ibid.). „Die Häuser entbehren vielfach des Lichtes, sind schmutzig, übermäßig mit Menschen belegt und bergen oft durch Wochen die Leichen Verstorbener […]“, „Menschen und Vieh teilen einen Raum“ (Zur Verth 1910:82). „Zur Schilderung all des Schmutzes und all der Torheit im Leben des niederen Chinesenvolkes würden Stunden nicht reichen“ (Zur Verth 1910:81): „Pestilenzialische Gerüche, wüster Lärm, unerträgliches Quieken der ungeschmierten einrädrigen Karren, Schreie der Verkäufer sind das Charakteristikum der chinesischen Straße“ (Zur Verth 1910:83). Für den Diskurs ist Schmutz ein schillerndes Phänomen, das nach allen möglichen Seiten Assoziationsketten stimuliert und die verschiedensten Diskurse zusammenbringt. Auch Lärm und „pestilenzische Gerüche“14 fallen darunter, Lichtmangel, Körperöffnungen und Ausscheidungen, Tod und Zerfall, Miasmen, Kräfte der Finsternis: Eine unheimliche Melange von Dunkelheiten. Was in einer hygienisierten Welt unterirdisch, hinter Mauern und Türen versteckt, verdeckt und abgespalten ist, liegt hier offen und für alle Welt sichtbar zutage. Dagegen wird die Erzählung von der zivilisatorischen Herkulesaufgabe des Ausmistens im chinesischen Augiasstall gesetzt: Das Einrichten der chinesischen Kasernen und Wohnhäuser, das Reinigen der Straßen und Plätze, die Verbesserung der Wege, Brücken, Dämme war eine Riesenaufgabe gewesen. Wohl wurden bezopfte Kulis herbeigezogen, um diese Mist13 QDG B0001-149-155:4. 14 Vgl. Thompson (2012:12) über die herrschenden Negativnarrative: „Noise is often experienced as destruction, disorder, dirt and pollution.”. Vgl. darüber hinaus Huang Xuelei (2016: 1122) über „the unruly phenomenon of stench“ im halbkolonialen Shanghai.
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
151
grube von Deutsch-China zu säubern, allein die Matrosen und Soldaten mußten doch wacker mithelfen (Hesse-Wartegg 1900).
Die Flut von minutiös ausgemalten Darstellungen schmutziger Menschen und fehlender Körperhygiene füllt Bücher, Zeitungen und Traktate. Die Repräsentationen des Chinesen auf diesem Niveau sind verkaufs- und ideologiefördernd. Sie bedienen die Erwartungshaltung der nationalistisch und kolonial gesinnten Leser- oder Zuhörerschaft und fördert die Spendenbereitschaft für die Missionen, was allerdings nicht bedeutet, dass die in Deutschland verfassten Broschüren die Haltung und Diskurse aller Missionare wiedergeben. Das Gouvernement ist sehr deutlich um diplomatische Zurückhaltung in der öffentlichen Repräsentation des Chinesen bemüht: Man will die Kommunikationskanäle zu den besseren Chinesen und den Machthabern in Jinan und Beijing nicht mit solchen Provokationen trüben. Das veröffentlichte Bild des Chinesen ist vielfältig und widersprüchlich. Sind nun alle Chinesen gleich schmutzig? Sind es eher die „niederen Chinesen“, deren „Wohnstätten, wo sie dicht zusammengepackt leben, bald „Herde von Unreinlichkeit und Krankheitskeimen“ werden, sobald die „sich ganz selbst überlassen sind“ (Richthofen1898:269)? Oder stimmt es, „daß die Dörfer hier durchweg civilisierter aussehen als die bäuerlichen Ansiedelungen sehr großer Teile Deutschlands“ (Wegener 1902:62), dass „große Bevölkerungsschichten Sinn und Mittel für Sauberkeit … haben“ (op.cit.:63) und „grausiges Elend, unerträglicher Schmutz und Gestank“ Erscheinungsformen der „Kuli-Misere“ in den großen Küstenstädten (ibid.) sind? Wächst mit „größerer Wohlhabenheit“ „auch ein gewisser Sinn für größere Reinlichkeit“, wie ihn die Denkschrift 1899 (Anlage 1) als ersten Erfolg der kolonialen Veränderungen zu finden meint? Und wie steht es bei den besseren Chinesen? Stereotypen und Klischees variieren nicht nur individuell, sondern auch im jeweiligen diskursiven Kontext. Geht es darum, die deutsche Auswahl des Kolonialgebiets in ein gutes Licht zu rücken, macht die chinesische Bevölkerung „einen guten und sauberen Eindruck“ (Heßler 1908:234). Wegeners Aussage über das Elend der großen Küstenstädte ist ein Seitenhieb gegen die chinesischen Behörden und die dort angesiedelten europäischen Konzessionen und ein propagandistischer Vorgriff auf die hygienisch ‚mustergültige‘ Küstenstadt unter deutscher Verwaltung. Die Missionspropaganda setzt chinesischen Schmutz mit moralischem Schmutz gleich und stellt ihm die christliche Einheit von „Monogamie, Wahrheitssinn, Reinlichkeit und Reinheit, Ehrlichkeit, Mitgefühl etc.“ entgegen (Faber 1900:65), die die christliche Lebensführung der moralisch überlegenen Missionare bestimmt. Den Stereotypisierungen ist gemeinsam, dass sie sich nicht gegenseitig aufheben oder in Frage stellen, sondern dass sie unterschiedlich gewichtet in unterschiedlichen Diskursgemeinschaften herangezogen werden oder auch in ihren Widersprüchen nebeneinander be-
152
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
stehen bleiben. Einigkeit herrscht lediglich in der Auffassung, dass ein Zusammenleben mit Chinesen nicht in Frage kommt. „Der Chinese mit seinen besonderen Angewohnheiten, mit seinen so andersartigen Begriffen von Reinlichkeit und Manieren fühlt sich wohler, wenn er unter sich bleibt, und wir – fühlen uns so auch wohler“ (Weicker 1908:49). In der vorgeblich einfühlsamen Sprache des Militärpfarrers von dem Chinesen, der lieber „unter sich“ [sic] bleibt, verrät sich nicht nur die Absurdität des essentialisierenden Singular, der aus Millionen Individuen das reduktionistische und homogenisierende einer wie alle macht. Sie bringt auch die hygienische Norm zum Vorschein, die der Weiße verkörpert und von der der Chinese mit seinen „besonderen Angewohnheiten“ und „andersartigen Begriffen“ abweicht. Der Chinese verkörpert die kulturelle Devianz, das Defizit. Der Chinese ist das Problem. Der Schmutzdiskurs pathologisiert Chinesen und deren Lebensumstände, indem er die Stereotype des Schmutzes als Markierung des „Chinesischen“ mit „Krankheit und Tod“ verschränkt und eine diskursive Einheit ChineseSchmutz-Kontamination-Krankheit-Tod konstruiert. Der Tod beglaubigt die Zwangsläufigkeit des Konstrukts und die gewissenhafte Auflistung der Epidemieopfer unter den Chinesen in den Monatsberichten und Denkschriften kann ebenso gelesen werden als befriedigte Bestätigung dessen wie als Tribut an den Statistikwahn des 19. Jahrhunderts. Als chinesische Indolenz geht sie in Haltungen und Handlungen der Ärzte ein, und in den journalistischen, touristischen und ethnographischen Repräsentationen Chinas beherrscht sie den Blick auf die Fremden. Dass dieser Diskurs in der Geschichtsschreibung über Qingdao so wenig in Zweifel gezogen worden ist, hängt auch zusammen mit einem Grundkonsens über hygienische „Selbstverständlichkeiten“ und Tabus, der noch heute wirksam ist. Der Hygienediskurs, der die biomedizinisch fundierte Wissensordnung der Moderne formuliert, reguliert das „Sagbare“ hygienischer Lebensführung als unhintergehbares Naturgesetz so wie auch das „Unsagbare“, das als Schmutz kodiert ist. Beides schreibt sich nicht nur als naturwissenschaftliche Wahrheit, sondern auch als ‚Selbstverständlichkeit‘ und ‚Scham‘ in das Subjekt ein. In dieser Perspektive ist der Hygienediskurs eine Frage der Moral, nicht der Körperpflege. Da er untrennbar verflochten ist mit den existentiellen Fragen (mit „Körper“, „Gesundheit“, „Verfall und Tod“), ist das hygienisch geprägte Denken in den tiefsten Schichten des kulturellen Selbstverständnisses des Subjekts verankert. Dies gilt auch für diejenigen, die über die Geschichte seines Wirkens schreiben. Es verpflichtet immer wieder dazu, die eigene Verwicklung in die Ordnung des „Sagbaren“ und des „Unsagbaren“ zu reflektieren und das scheinbar Selbstverständliche nicht hinzunehmen oder gar als Wertmaßstab in die Untersuchung einzubringen. Die Diskursanalyse ist eine Methode, die die Formationsregeln – das Gemachtsein – von ‚naturgesetzlichen Selbstverständlich-
Die Medikalisierung des chinesischen Raumes
153
keiten‘ rekonstruieren kann. Sie fragt danach, welches Wissen relevant ist für die Ordnung, was als legitimes Wissen autorisiert wird und was für ungültig und unsagbar – undenkbar – erklärt wird. Damit tritt hervor, was als ungültig in die Sphären des Verschwiegenen, Verborgenen abgedrängt wird. Die Diskursanalyse klärt, wie das gültige Wissen in einem diskursiven Feld organisiert wird, die geltende Ordnung nicht zu gefährden und macht deutlich, dass und wie der Diskurs die Machtordnung sichert. An den Rändern der Ordnung, in den Marginalisierten, den Ausgeschlossenen und das heißt in der Abweichung von der gültigen Ordnung wird das Denken in Selbstverständlichkeiten besonders deutlich in Frage gestellt (Foucault). Andererseits verweist die sozial geächtete Randständigkeit darauf, dass es viele Alternativen gibt, von denen die herrschende Ordnung nur eine darstellt: „eine andere Welt ist möglich“. Umso stärker vermitteln liminale Zonen, in denen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, diese Erfahrung von Möglichkeiten.
3.2 „Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt Es ist also sinnvoll, die Wissensordnung, die die Ordnung der Beziehungen zwischen Chinesen und Deutschen in Qingdao regulieren und legitimieren soll, im Kontext ihres Ursprungs und ihrer Entstehungsbedingungen zu betrachten und der symbolischen Bedeutung der Hygiene für den „guten Ruf Tsingtaus“ auf die Spur zu kommen. Dazu bietet sich an, die Einheit der Topoi Schmutz-Kontamination-Krankheit-Chinese zu entflechten und jeden Baustein des Diskurses auf seine Ursprünge zu untersuchen.
3.2.1 „homo hygienicus“ im Spiegel des Anderen Im 17. Jahrhundert entwickelt sich unter dem Einfluss der Naturwissenschaften ein neues Verständnis von Leben, Gesundheit und Heilung. ‚Gesundheit‘ wird zum „obersten Leitwert menschlicher Existenz“ (Sarasin 2001: 23) erhoben und im 18. Jahrhundert zum Ziel staatlicher Biopolitik gemacht. Hygienestrategien und -kodizes übersetzen diese Politik in Alltagshandeln; aus ihnen bezieht das Subjekt „die Anleitung zum sorgfältigen, aufmerksamen Umgang mit sich selbst“ (ibid.). In der Selbstregulierung und der körperlichen Selbstoptimierung des „homo hygienicus“ verwirklicht sich die Autonomie des Subjekts, der Körper ist das Produkt des eigenverantwortlichen Handelns. Zentrales Gebot der Selbstregulierung ist das rechte Maß, also die Mäßigung und die Selbstbeherrschung, d.h. die Triebkontrolle. Sie tritt an die Seite der bis dahin geltenden, religiös geforderten Tugend unter der Kontrolle der Kirche. In der symbolischen
154
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Ordnung gilt nun die „gesunde Lebensführung“, die der aufgeklärten Vernunft und den Erkenntnissen der (Natur-)Wissenschaft gehorcht. Trotz dieser rationalistischen Grundierung bleibt die christliche Tugend der Mäßigung und der Überwindung des Lasters im Konzept der hygienischen Lebensführung erhalten: „Reinlichkeit und Gottesfurcht“ (Pettenkofer) bilden eine Einheit (Labisch 1998:273). Als Lehre des rechten Maßes ist sie auch „ein veritables Mittelstandsprogramm für den Körper“ (op.cit:236). Sie korrespondiert darin mit der sozialen Selbstverortung des Bürgertums als Mittelschicht in der ‚Mitte der Gesellschaft‘, mit der es sich seit dem 18. Jahrhundert gleichermaßen von Adel und Proletariat absetzt. Reinlichkeit ist „auf eine Verstärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im heterogenen Bürgertum und gleichzeitig auf soziale Distinktion der Bürger gegen den Adel und gegen die ärmeren ungebildeten Teile der Bevölkerung gerichtet“ (Frey 1998:11). Sie ist die Manifestation von „normative[n] Tugenden wie Arbeitsamkeit, Ordnungsliebe, Fleiß und Sparsamkeit“ (ibid). Mit der mildtätigen Armenpflege dringen private Wohltätigkeitsvereine in das Leben der unteren Schichten ein; ihre „Tugendkontrolle“ ist auf „Arbeitsamkeit versus Faulheit, Reinlichkeit versus Schmutz, Dank-, Ehr- und Pflichtgefühl versus Frechheit, Frömmigkeit und Demut versus Heidentum beim Proletarier, also auf bürgerliche Sittsamkeit gerichtet“ (Sachße 1896:32). Auf diese Weise tragen Reinlichkeitsdiskurse zur „Herausbildung der bürgerlichen Hegemonialkultur“ (op.cit.:9) bei. Das strahlende Weiß der Leibwäsche (vgl. Vigarello 1992:77), die sich als Kragen und Manschette oder als Spitzensaum des Unterrocks der Öffentlichkeit präsentieren darf, symbolisiert den geschrubbten und gebadeten Körper. Darin liegt das Geheimnis der „schneeigen Reinheit“ (Waßmuth 2009:327) der makellos weißen Tropenuniformen, die auch in Qingdao getragen werden, obwohl dort alles andere als ein tropisches Klima herrscht und die Verteidigung des makellosen Weiß gegen den stets beklagten Staub in der Stadt ein scheinbar sinnloser Kraftakt ist. Aber eben nur scheinbar, wie auch weiße Arztkittel und Schwesterntrachten in der Kolonie (nicht anders als in Europa) ihre symbolische Bedeutung entfalten. „Peinliche Sauberkeit“ umreißt das bürgerliche Programm der popularisierten Hygiene des 19. Jahrhunderts. „Peinlich“ ist sie im doppelten Sinne: in der Pein, die der Körper während der Zurichtung zur Reinlichkeit erleidet sowie in der Peinlichkeit des ‚schmutzigen‘ Körpers, der in der Abgeschlossenheit von „Closett“ und Badekabinett von seinen ‚Verrichtungen‘ befreit wird. Exkremente spielen im miasmatisch geprägten Körperverständnis eine besondere Rolle. Die „Fäulnis der Gedärme“ (Corbin 1989:44) wird als Indikator für die Zerfallsprozesse gesehen, die sich im Inneren des Körpers abspielen. Exkremente sind das Symbol für die Allgegenwart von Tod und Verwesung. Als Peinlichkeit drängen sie sich immer wieder in den Alltag und werden in der Verschwiegenheit des häuslichen Badezimmers, das zur Privatisierung des Intimbereichs ein-
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
155
gerichtet wird, abgespalten (vgl. Frey 1998:13). Das solchermaßen Ausgeschlossene kehrt auf der anderen Seite, im Schmutz der ausgeschlossenen Anderen, zurück, wo es mit Ekel und Abscheu zurückgewiesen wird. Dass das gereinigte Subjekt des Diskurses eigenartig körperlos bleibt und die Körperlichkeit mit all den biologischen Funktionen der Ausscheidungen und des Verfalls bis hin zur endgültigen Zersetzung im Tode auf den Anderen projiziert wird, basiert auf dem dualistischen Denken vom modernen Menschen, das Geist und Körper dichotom gegenüberstellt und diese Dichotomie in den Körperräumen der Geschlechter verortet: „Aktivität und Passivität, Geist und Leib, Hirn und Herz, Kopf und Bauch, Individuum und Gattung, positiver und negativer Pol: Mann und Weib“.15 Die Bipolarität ist eine hierarchische: Die männliche Überlegenheit des Geistes, der die Körperlichkeit durch Disziplin überwunden hat, begründet den hegemonialen Anspruch über die in ihrer Körperlichkeit ‚haften gebliebene‘ Frau. „Untergründig schwingt im sozialen Reinlichkeitsdiskurs stets jener Grundton einer kulturellen Fremdheit mit, die sich immer wieder auf die alte Opposition von Anstand und Regel versus Ausleben und Bedürfnis zurückführen lässt“ (Kaschuba 1992:323). Der Dualismus von Körper und Geist scheidet die Welt des Selbst und des Anderen, des Eigenen und des Fremden. Das entkörperlichte Subjekt ist das unsichtbare Zentrum des Körperdiskurses, der um die Körper der Anderen kreist. Von den Rändern her bestimmt das Selbst seine Identität, für das es keine eigenen Worte hat, da es sich selbst nur im Anderen erkennen kann, in dem, was es nicht ist oder sein will. Im gesunden, männlichen (heterosexuellen), weißen und wohlsituierten bürgerlichen „homo hygienicus“ verkörpert sich die Norm von Gesundheit und „richtigem Leben“ und der Maßstab für den falschen, pathologischen, anomalen Körper, den Körper des Anderen, der Frauen, der Kranken und physisch Eingeschränkten, der „Farbigen“, der Deklassierten. Das bindet die Identität des Selbst quasi schicksalhaft an den Anderen. Die „Anderwelt“ präsentiert sich als Imagination proletarischer Körper in der „Unterwelt“ europäischer Arbeiterquartiere sowie in der Pathologie des Exotischen, des Monströsen: Elefantenmenschen live und in Wachs gegossene Syphilis, Irre und Verbrecher, ausgestopfte Hottentottenvenus, Menschenrassen, Eingeborene mit Nasenring und Lippenpflock in Gips und Daguerreotypie bevölkern die Horrorshow der weißen Phantasie. Museen und Wachsfigurenkabinette, Weltausstellungen und Völkerschauen, Jahrmarktbuden und die allgegenwärtigen alltagskulturellen Trivialbilder von „unseren Kolonialvölkern“ (die Galerie aller Ausgeschlossenen) setzen das Pathologische ins Bild.16 In den Monstren und in den Eingeborenen begegnet „homo hy15 Karl Schmidt, Die Anthropologie II, Dresden 1865:920. Zit. nach Löw 2001:119. 16 Vgl. Kosok/Jamin 1992.
156
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
gienicus“ den Gespenstern der ausgeschlossenen Körperlichkeit. Trotzdem – oder gerade darum – tritt dieses Körperbild hegemonial auf und bedient sich der evolutionistischen Kulturstufentheorien, um Hygiene für die rassistischen Konstruktionen von Minderwertigkeit zu instrumentalisieren. Der phantasmatische Diskurs produziert die Körper, die er braucht, um den „Normalen“, den „deutschen Kulturmenschen“ und das immer und überall beschworene „Deutschtum“, hervorzubringen.
3.2.2 Im tödlichen Gestank der Städte: Die Hygienebewegung in Europa Das Grauen hat seine Macht. Während der übelriechende Unrat die gesellschaftliche Ordnung bedroht, untermauert der beruhigende Sieg der Hygiene und des Wohlgeruchs ihre Stabilität (Corbin 1982:13).
Die Hygiene ist im 19. Jahrhundert eine machtvolle Bewegung, die Einfluss auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens ebenso ausübt wie auf die private Lebensführung der Menschen in Europa, denn sie hat die Deutungshoheit über die entscheidenden Fragen des Lebens gewonnen: „The hygienists formed the vanguard of a huge century-old movement which had already transformed the British system of health and which claimed to be spreading everywhere in order to act on all the causes of ill health“ (Latour 1988:21). Die Raumbilder, die der Hygienediskurs erzeugt, bleiben durch die sich wandelnden medizinischen und hygienischen Theorien hindurch bis ins 20. Jahrhundert lebendig. Eine neue Sensibilität für die Bedeutung von Umwelteinflüssen auf die Gesundheit, die auf die wiederentdeckten „sex res non naturales“ des antiken Galen zurückgehen (op.cit.:36–60), öffnet den Weg für Theorien über Faktoren von Gesundheit und Krankheit. Die Identifizierung von Krankheitsursachen und -mustern im „Miasma“, „Kontagion“ (Ansteckung durch „Keime“ oder „Ansteckungsstoffe“) oder Schmutz waren so unbestimmt wie allumfassend: „Too many causes can be found side by side to allow any definite position on the matter. […] If anything can cause illness, nothing can be ignored; it is necessary to be able to act everywhere and on everything at once“ (Latour 1988:20). Entsprechend allumfassend ist das Handlungsfeld, das die Hygieniker für sich reklamieren und in einer ungemein erfolgreichen Popularisierung als ‚Allgemeinwissen‘ mindestens unter den gebildeten Schichten Europas (vgl. Sarasin 2001:125ff ) verankeren: sie fühlen sich zuständig für Ernährungsfragen, Urbanisierung, Sexualität, Moral, Erziehung, die Armee, für Luft und Licht, Wasser und Boden (op.cit.:21). Im Fokus auf die Umweltfaktoren beherrschen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Miasmenlehren das Feld. Mal-aria-Theorien
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
157
(denen die Malaria ihren Namen verdankt) finden das krankmachende Miasma in schlechter Luft, in Ausdünstungen, Fäulnis und Verfall, angezeigt durch schlechte Gerüche, die der Natur, Orten und Körpern entströmen. Seit dem 18. Jahrhundert werden sie als unangenehm und gefährlich empfunden, lösen sie Abscheu und Ekel – emotionale Abwehr – aus. „Miasmen“ werden zunächst der nicht-kultivierten Natur, besonders Sümpfen und Feuchtgebieten, dann vor allem der Stadt zugeschrieben. Als Ort des Miasmas wird die Stadt zum Ort des Schreckens. „Built to rectify the apparent confusion and chaos of nature, the city itself becomes a disorienting physical environment“ (Tuan 1980:146), “a vast, disorderly labyrinth” (op.cit.:147). Dem 18. Jahrhundert begegnet der Schrecken in den dumpfen, modrigen, unheimlichen Ecken und Winkeln der noch in mittelalterliche Enge gezwängten Stadt, in den übervölkerten Häusern, den fäkalien- und abfallübersäten schlammigen Straßen. Das „Grauen vor der von Miasmen verpesten Luft“ (Corbin 1982:12) sucht seine Bilder in Anzeichen von Verwesung, Verfall und Gestank. Europas Wahrnehmung seiner Metropolen begründet die Dämonisierung der Stadt. Sie ist auf das engste verwoben mit den sozialen und ökonomischen Umwälzungen der europäischen Industrialisierung und Verbürgerlichung der Gesellschaft. Schmutz – das, was nicht am rechten Platz ist (Douglas) – steht als Synonym für den Zerfall der vorindustriellen Ordnung, die sich als erstes in den Städten bemerkbar macht. Der Zuzug von ländlicher Armut in die sich herausbildenden industriellen Metropolen bedroht das soziale Gefüge der Stadt und schreckt die städtischen Eliten auf. „Es war eine ganze Welt, deren alte Ordnung in Auflösung begriffen schien und deren Gestank nach einer Hygienisierung der Verhältnisse verlangte“ (Sarasin 2011:100). Mit dem Aufstieg der Hygiene setzt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Gegenbewegung ein: Stadtmauern fallen und in das mittelalterliche Straßengewirr werden Schneisen aus dominanten Verkehrsachsen geschlagen, „die gleichermaßen das Zirkulieren von Luft und Militär zuließen“ (Sarasin 2001:237). Das Hygiene-Narrativ verkündet „die Geschichte vom Aufstieg der modernen Zivilisation aus dem Morast des Ancien Régime und dem fäkalischen Schmutz der Städte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts“ (op.cit.:260). Der radikale Umbau im Namen der Hygiene, die Reorganisation städtischer Wohnmuster und die Assanierung der bürgerlichen Wohnviertel drücken der Stadt das Siegel der Moderne auf. Die Hygiene, der sich die Städte Europas und ihre Ärzte und Hygieniker, Ingenieure und Verwaltungsbeamten verpflichtet fühlen, ist kein homogenes Konzept: “The rhetoric of the hygienists […] has no central argument. It is made up of an accumulation of advice, precautions, recipes, opinions, statistics, remedies, regulations, anecdotes, case studies. It is, indeed, an accumulation“ (Latour 1988:20). Nicht weniger unscharf ist die Bestimmung, wer oder was ein „Hygieniker“ ist und mit Latour fasse ich darun-
158
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
ter alle, die sich selbst als solche bezeichnen oder als solche angesehen werden (op.cit.:219) zusammen. Während der Bekämpfung der Choleraepidemien der 1830er-Jahre in Deutschland ringen konkurrierende Episteme und Experten um die Definitionsmacht über „Gesundheit“ und „Hygiene“: Kontagionisten contra Antikontagionisten, Rudolf Virchow contra Pettenkofer und beide contra Robert Koch. In Deutschland beherrscht zunächst der Chemiker Max von Pettenkofer mit seiner naturwissenschaftlich-chemisch gegründeten MiasmenTheorie über Boden und Grundwasser das Feld: er leitet krankmachende „Keime“, etwa der Cholera, aus der Verseuchung des Bodens und Grundwassers durch Miasmen aus Zersetzungs- und Verwesungsprozessen ab. Auf dieser Grundlage sorgt er für eine systematische Assanierung Münchens, der andere deutsche Städte folgen. Die Hygienisierung des städtischen Alltags richtet sich gegen die Miasmen, nicht weniger jedoch gegen die Bedrohung, die die in Elend und Armut lebenden Unterschichten für die städtischen Eliten darstellen. „Die Reformatoren liebäugeln mit dem Gedanken, die Stadt nicht nur vom Dreck, sondern im gleichen Zug auch von Vagabunden und anderen Herumtreibern zu befreien, den Gestank des Unrats im gleichen Zuge loszuwerden wie die soziale Infektion!“ (Corbin 1982:126). Den Hygienevorstellungen und den daraus abgeleiteten Praktiken der Assanierung liegt das Konstrukt des reinen Raumes zugrunde, der von außen bedroht ist durch Miasma/Keime/gefährliche Stoffe und geschützt werden kann durch einen „cordon sanitaire“: einen Schutzmantel um das gefährdete Drinnen gegen die Bedrohung durch das Draußen, die Ein- oder Auskreisung der Gefahrenstoffe oder die Wiederherstellung des verunreinigten Raumes durch Rituale der Reinigung: Desinfektion, Verbrennen und Austrocknen sind seit den großen Pestepidemien des Mittelalters die Verfahren, die alles Schädliche ausmerzen. Um „alles Stinkende so gut wie möglich unter Kontrolle zu bringen“ (Corbin 1982:36), wird ein umfassendes Assanierungsprogramm in den Städten umgesetzt. „Die Furcht vor Ausdünstungen macht alles suspekt, was schlecht zusammengefügt ist: undichte Senkgruben, rissige Fußböden, Fugen im Straßenpflaster, unverschlossene Bottiche und Grabgewölbe“ (ibid.). Friedhöfe werden aus den Wohngebieten verlegt, die verschlammten Straßen drainiert, Abwässer und Fäkalien unterirdisch kanalisiert und – wie auch Abfälle – weit außerhalb der Stadt entsorgt. „Vor allem aber gilt das Pflaster als isolierender Schutz gegen den verseuchten Boden und die Fäulnis des Grundwassers“ (op.cit.:122). In der regelmäßigen Reinigung der gepflasterten oder asphaltierten Straßen in den bürgerlichen Vierteln sieht man eine ernste Pflicht städtischer Hygiene.
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
159
3.2.3 Die Hygienisierung von Tsingtau Dieses Verständnis von „hygiène publique“ ist das Fundament, auf dem „die gesündeste Stadt an der ganzen ostasiatischen Küste“ ruht. Wie es sich mit der neuen Wissensordnung der Bakteriologie verbündet, soll hier zunächst zurückgestellt werden, dieser Frage wende ich mich im folgenden Kapitel ausführlicher zu. Die Reaktion der deutschen Besatzer auf die chinesische Lebenswelt, dieses peinlich genaue Registrieren von Schmutz, Feuchtigkeit und Gestank ist ein Erbe der Miasma-Ängste. Bakteriologische und Bodentheorie gehen in der hygienischen Alltagspraxis noch am Ende des 19. Jahrhunderts eine pragmatische Allianz ein, in der die Hygieniker die Existenz der Mikroben akzeptieren und in den Ausdünstungen der Böden verorten. Daraus leiten sie die nach wie vor zentrale Rolle ihrer Disziplin ab und begründen ihre Aufgabe der Überwachung der Böden in dem für das deutsche Drinnen ausersehenen Raum. In der Renovierung der chinesischen Häuser, die nicht „niedergelegt“, sondern als Notlösung requiriert werden, ist das „Trennen, Abgrenzen, Herstellen von Reinheit und Bestrafen von Überschreitungen“ erkennbar, das „vor allem die Funktion hat, eine ihrem Wesen nach ungeordnete Erfahrung zu systematisieren“ (Douglas 1988:15). Den Yamenhäusern rückt man in der Tradition der Seuchenbekämpfung mit Kalklauge zu Leibe. Dann wird der Lehmboden in den Wohnhäusern buchstäblich ausgeschachtet und tief unten in den Erosionsrinnen entsorgt, sodann der „Fußboden aus doppelten und dreifachen Balken- und Cement-Lagen von dem feuchten Erdreich abgesondert“ (Goldmann 1898:42). Dramatischer lässt sich die Figur der „Verunreinigung chinesischen Bodens“ kaum in Szene setzen. Die Reinigung ist ein weithin sichtbarer Akt der Raumkonstruktion. Sie schafft Reinheit als einen Zufluchtsort vor der Unreinheit. Doch wie kann dieses so errungene Drinnen vor der Gefahr geschützt werden, die im Draußen lauert? Wie ist der Raum so zu verwalten, dass jedes – das Saubere und das Schmutzige – an seinem rechten Platz bleibt?
3.2.3.1 Ab-Orte: die Disziplinierung der Defäkation die Verunreinigung der Straßen, Plätze u.s.w. bei Strafe polizeilich streng verboten (Denkschrift 1899:21).
Von besonderer symbolischer Bedeutung ist die Frage nach dem angemessenen Ort für Exkremente (Rogaski 2014:177). Im Kulturkampf um die Aborte setzt ein vehementer Diskurs um Fäkalien und hygienische Gewohnheiten der chinesischen Bevölkerung auf dem Stadtgelände ein. Die Sprache des Ekels und Abscheus, die diese Frage erörtert, lässt die Schlussfolgerung zu, dass den Ex-
160
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
krementen der chinesischen Bevölkerung und ihren als „schamlos“ und „widerlich“ qualifizierten Praktiken weit mehr Bedeutung zukommt als die einer gesundheitsgefährdenden ‚Verunreinigung des Bodens‘. Das Exkrement zieht die zivilisatorische Grenze zwischen „auf den Feldern hockenden Chinesen“ und denen, die ihre Körperfunktionen in der diskreten Intimität der KörperpflegeKabinette in ihren Europäerhäusern erldigen. Die Defäkation wird kriminalisiert und mit ihr alles andere, das in der Öffentlichkeit vom menschlichen Körper abgesondert wird: „Wer auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, in Höfen, Gärten oder im Gelände den Boden verunreinigt, wird mit Geldstrafe bis zu 20 Dollars oder mit Haft bis zu einer Woche oder, falls der Schuldige Chinese ist, mit Prügelstrafe bis zu fünfundzwanzig Hieben bestraft.“17 So wird der Bevölkerung eingebläut, ihre Fäkalien als Teil ihrer kulturellen Minderwertigkeit zu verstehen. „In jedem Hause muß eine ausreichende Anzahl von Aborten vorhanden sein“, schreibt die „Polizeiverordnung, betreffend die Anlage von Aborten und das Verbot der Bodenverunreinigung“ vom 22. Dezember 1900 den Hausbesitzern in Tsingtau und in Dabaodao vor. „Abtrittsgruben“ sind verboten, stattdessen werden unter Androhung drakonischer Strafen genau spezifizierte Tonnen und deren tägliche Leerung vorgeschrieben. Es gehört zu den Paradoxien dieser Stadt, dass diese Fäkalientonnen jeden Tag aus dem Verborgenen hervorgeholt und von chinesischen Arbeitern zur Entsorgung weithin sichtbar durch die Stadt getragen werden. Der strafbewehrte Zwang zur Benutzung von Latrinen demonstriert die Herrschaft über den öffentlichen Raum und über die körperliche Intimität der Menschen. Für die Chinesen ist die Hygiene von Anfang an eine Äußerung des kolonialen Systems von Zwang, Polizeireglement, Gewalt und Entwürdigung. Die regelmäßige Aktualisierung der Polizeiverordnungen und die ebenso regelmäßigen Verstöße dagegen zeigen, dass die bäuerlich geprägte Arbeiterbevölkerung noch lange nicht bereit ist, sich diesen Eingriffen in ihre Lebensgewohnheiten zu unterwerfen. Die Trennung des Menschen von seinen „Auswurfstoffen“ (Zur Verth 1910:83) ist ein stets aktuelles Thema der sanitären Verwaltung der Kolonie. Mit dem Leeren und Abtransportieren der Fäkalientonnen werden chinesische Unternehmer beauftragt. Doch „die chinesischen Abfuhrunternehmer haben nicht das geleistet, was sie versprochen, sie machten sich der größten Unordnung und Unsauberkeit schuldig, und als sie deswegen schärfer unter Aufsicht genommen wurden, stellten sie einfach den Betrieb ein“ (Denkschrift 1901:31). Einfach den Betrieb einstellen – der Boykott ist ein in Qingdao häufiger eingesetzter Akt des chinesischen Widerstandes gegen das koloniale System „stren17 Polizeiverordnung, betreffend die Anlage von Aborten und das Verbot der Bodenverunreinigung. Vom 22. Dezember 1900 und Verordnung des Gouverneurs, betreffend Fäkalien- und Müllabfuhr. Vom 1.Mai1902. In Kolonialgesetze IV (1903).
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
161
ger Beaufsichtigung“ (Uthemann 1911:20), das heißt der Bevormundung und Überwachung durch die deutsche Gesundheitspolizei. Da sich die Chinesen „größter Unsauberkeit schuldig“ gemacht haben, sieht sich die Verwaltung veranlasst, die Abfuhr „ausschließlich durch die Firma Bernick & Pötter hier auszuführen“.18 Dass diese Firma ihre Müll- und Fäkalieneimer von chinesischen Strafgefangenen, die die Kolonialverwaltung vermietet, durch die Stadt karren lässt (Denkschrift 1900:26; 1902:22), ist eine verräterische Metapher für die Einheit von Hygiene und Zwang.19 Auch die Friedhofsbestimmungen20 zur Vorbeugung vor Bodenverseuchungen sind Eingriffe in den kulturellen Zusammenhalt der Chinesen. Die verordneten „Chinesenfriedhöfe“ verändern die familiären Strukturen, die an Ahnenverehrung und Traditionen des Grabkults gebunden sind. Ort dieser Traditionen ist der Boden der Familie, und deswegen liegen die Familiengräber üblicherweise auf den Feldern der Familie. Bestattungen und Grabkult werden aus dem familiären Kosmos verbannt, Friedhöfe werden „aus sanitären Gründen“ „weit außerhalb der Stadt“ (Uthemann 1913:33) angelegt. Das gilt im Übrigen auch für den „Europäerfriedhof‘“ der durch Bismarck- und Iltisberg von den Wohnvierteln getrennt, aber noch innerhalb der Europäerstadt gelegen ist und so noch im Tod die Unvereinbarkeit der ‚Weißen‘ und der ‚Chinesen‘ bekundet.
3.2.3.2 „Trennen, Abgrenzen, Herstellen von Reinheit“: Kanalisation und Wasserversorgung in der Europäerstadt Tsingtau hat als einzige Stadt an der chinesischen Küste eine vollkommen durchgeführte Kanalisation, es hat Wasserleitung und elektrische Beleuchtung, es hat sogar eine Markthalle und eine als Musteranstalt im ganzen Osten dienende Schlachthofanlage (Rohrbach 1908:47).
Jede Publikation über die Kolonie streicht heraus, dass die Voraussetzung für ‚vorzügliche hygienische Verhältnisse‘ in der Trennung zwischen Chinesen und Deutschen liegt. Damit unterschlägt der Diskurs, dass die traditionelle Trinkwasserversorgung der chinesischen Dorfbewohner mit der atemlosen Urbanisierung und Übervölkerung des Areals völlig überfordert wird. Aus der Perspektive der Bodentheorien erscheinen Probleme des Wasserschutzes als 18 QDG B0001-150-50:17) 19 Auf diesen Aspekt hat Rogaski 2014:177 in ihrer Beschreibung von chaingangs in der Straßenreinigung und Fäkalientransporten von Tianjin hingewiesen. 20 Verordnung des Gouverneurs, betreffend Chinesenfriedhof. Vom 12. November 1904.
162
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
biologische und kulturelle Determinanten chinesischer Körper und Lebensweisen. Deswegen wird mit einem umfassenden, in hohem Tempo und mit großem Anspruch betriebenen Assanierungsprogramm die Trennung des Schmutzigen vom Sauberen systematisiert. Da der Kampf gegen die Verunreinigung zu einer Aufgabe von höchster Dringlichkeit erklärt wird, ist es „eine der ersten Pflichten des Gouvernements […], für eine einwandfreie Wasserleitung Sorge zu tragen“.21 Im Bett des Haipo-Flusses wird sauberes Grundwasser ermittelt, auf den Trümmern des eigens dafür zerstörten Dorfes ein Wasserwerk errichtet. „Das nahe der Entnahmestelle gelegene Chinesendorf Hai-po wurde von der Regierung auf Abbruch erworben, um auf diese Weise der beständigen Gefahr der Verschmutzung des Wasserwerkes vorzubeugen“ (Kronecker 1913:14). 1901 ist die Stadt mit Grundwasserbrunnen und -zapfstellen versorgt. Bis 1909 entstehen siebzig Kilometer Wasserleitung, an die die Haushalte in der Europäerstadt angeschlossen sind. Der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch steigt daraufhin auf stolze 150 Liter22. „Reichliche Wasserzufuhr und reichlicher Wasserverbrauch mindert in einer Stadt gleichzeitig die Zahl der Kranken und die Zahl der moralischen Verirrungen“.23 Hygienebedingter Wasserbedarf gilt dem gutsituierten Bürgertum als Zeichen der Distinktion und der Abgrenzung (Frey 1998:18). Die Entsorgung von Brauchwasser ist die Kehrseite der Trinkwasserversorgung. Von vornherein besteht Einhelligkeit darüber, dass Kanalisation „für jede Stadt eine bedeutende Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege“ bedeutet und die „Bedeutung dieser Aufgabe wächst, je mehr […] Krankheitskeime zu entfernen sind“ (Peerenboom 1911:766f.); der Militärarzt aus Qingdao denkt dabei an die Chinesen. Die hygienische Zukunft der Europäerstadt liegt im Bau eines unterirdischen Kanalsystems, um sicherzustellen, dass die Dünste aus Verwesung und Zerfall unter die Erde verbannt werden. 1909 sind bereits vierunddreißig aufwendige Kilometer Kanalisation in den felsigen Untergrund gesprengt. Und durch die mit deutschen Hoheitszeichen versehenen Gullydeckel aus Stahl garantiert die Obrigkeit, dass ausgesperrt bleibt, was ausgesperrt gehört. 22 Grundstücke in der Europäerstadt sind an die Kanalisation angeschlossen und „die allgemeine Einführung von Spülklosetts in Tsingtau“ (Uthemann 1911:21) verwirklicht. Als besondere Errungenschaft gilt die 1900 fertiggestellte Trennung der Kanalisation für reines Regen- und schmutziges Abwasser. Es ist „streng untersagt“, Müll und Abfälle in die Regenwasserkanäle einzuleiten. 21 Das Gesundheitswesen im Schutzgebiet Kiautschou. Handschriftlicher Entwurf eines Rechenschaftsberichts o.D., BA III. 22 Heute liegt der deutsche Durchschnittsverbrauch bei 120 Litern. 23 Carl Reclam (1877), Lebensregeln. Ernstes und Heiteres aus der Gesundheitspflege. Zit. nach Labisch 1986:275.
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
163
Übertretungen der §§1 und 3 werden mit Geldstrafe bis zu 150 Mark Strafe oder mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft. Gegen Chinesen kann auf die Geldstrafe oder auf die Freiheitsstrafe oder auf Prügelstrafe bis zu fünfzig Hieben allein oder in Verbindung miteinander erkannt werden.24
Am Ende allerdings erweisen sich die getrennten Systeme als so aufwendig, dass sie „aus wirtschaftlichen Gründen“ (Bökemann 1913:485) aufgegeben werden. Als Errungenschaft wird vermerkt, dass die Wasserver- und -entsorgung in der Europäerstadt erfolgt, „ohne mit den anderen [chinesischen, _H.R.] Stadtteilen in Berührung zu kommen“ (Bökemann 1913:471). Ab 1911 wird die Schwemmkanalisation auch in Dabaodao gebaut. 1912 sind zwölf „öffentliche Wasserklosetts zu je 12 Sitzen“ für die chinesischen Bewohner eingerichtet (Uthemann 1911:21). Über die unterirdische Welt der ‚Auswurfstoffe‘ wird eine feste Decke aus Pflastersteinen und Teer gezogen, um den verseuchten chinesischen Boden auch sicher zu versiegeln. Aus drei Kilometern chaussierter Hauptverkehrsstraßen im Jahr 1900 ist zehn Jahre später ein befestigtes Straßennetz von fast sechzig Kilometern geworden, deren regelmäßige Sprengung gegen die Rückkehr der verseuchten Erde in Form von Straßenstaub ausdrücklich in den Denkschriften vermerkt wird: Die „Staubplage hat abgenommen“ (Denkschrift 1904:41). Trotz der umfassenden Versiegelung des Bodens bleibt noch viel zu tun. Vermerke der Gouvernementsärzte und der Bauverwaltung aus dem Bauarchiv von Qingdao belegen die hohe Aufmerksamkeit, die dem Abfall in den Ravinen und jeder Kuli-Latrine auf den europäischen Baustellen zuteil wird, jedem Tümpel und besonders den „Pfützen, Gräben und Teichen, an allen Ecken und Enden, welche zur Aufnahme all dessen dienen, was sonst im Wege ist und ihres widerwärtigen Aussehens und Gestankes halber Auge und Nase des Kulturmenschen in gleicher Weise beleidigen“ (Kronecker 1913:3). Und gegen die allgegenwärtige „Moskitoplage“ werden „Sumpfbildungen zu vermeiden gesucht und vorhandene Tümpel mit Petroleum begossen“ (Denkschrift 1901:31). Zu den Objekten hygienischer Errungenschaften zählen auch der Schlachthof zur Überwachung der (als hygienisch fragwürdig klassifierten) Fleischimporte aus Shandong, das bakteriologische Labor zur Überwachung von Lebensmitteln und Infektionskrankheiten, die Unterbringung der Soldaten „in einem modernen, hygienisch vollkommenen Kasernement“, dessen Vollkommenheit vor allem durch die Ausstattung mit Waschräumen, Spültoiletten und einer Wäscherei samt einzigartiger Desinfektionsanlage – einer „Anlage, die in großem Maßstabe in Ostasien hier zum ersten Male ausgeführt ist“ – belegt 24 Verordnung des Gouverneurs, betreffend Hausanschlüsse an die Regenwasserkanalisation. Vom 23. Januar 1902. In: Deutsche Kolonialgesetzgebung VI (1903).
164
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
wird (Uthemann 1913:13). Auch das Gouvernementlazarett mit seiner hochmodernen Ausstattung und seiner „parkähnlichen Gartenanlage“ (op.cit.:21) sowie das „Genesungsheim Mecklenburghaus“ im Laoshan, das zum „Höhenkurort“ stilisiert wird (op.cit.:24), sind als Zeugen der herausragenden hygienischen Leistungen aufgerufen. „Der gute Ruf Tsingtaus als der saubersten Stadt Ostasiens ist schon ein guter Beweis für die Wirksamkeit dieser Einrichtungen“ (op.cit.:31). Was Tsingtau mit der Zurschaustellung seiner hygienischen Modernisierung in die Welt ruft, kommuniziert ein ganzes Bündel von Botschaften: Die technische Leistungsschau hygienischer Infrastruktur ist neben der wirtschaftlichen das Herzstück des Musterkoffers der Moderne. Hier inszeniert sich die Stadt des Fortschritts mit ihrer Utopie größter Lebensqualität und Glückserfüllung, in der Tod und Verderben keinen Platz mehr haben. Mit Hilfe schier unbegrenzter Möglichkeiten der Technologie scheint sie in greifbare Nähe gerückt. Die „sauberste Stadt Ostasiens“, das ist die Botschaft, hat den Traum eigentlich schon fast verwirklicht. Das ehrgeizige Hygieneprojekt verhilft den Bewohnern der Europäerstadt zu einem demonstrativ hohen Standard hygienischer Einrichtungen und damit einem höchst komfortablen Lebensstandard. Das materielle Privileg macht es ihnen möglich, sich in der Intimität ihres „Closetts“ ihrer selbst und ihrer kultivierten Verfeinerung zu vergewissern und sich als Träger der allerhöchsten Zivilisation zu repräsentieren. Darin realisiert sich die metaphorische Bedeutung der Hygiene in Qingdao. Die sauberste und gesündeste Stadt ist gebaut als Manifestation „zivilisatorischer Überlegenheit“ und „sittlicher Reinheit“ der deutschen Kulturnation. In der Repräsentation des chinesischen Anderen vervollständigt der „homo hygienicus“ seine Selbstrepräsentation. Auch was die von moderner Zivilisation gar nicht zu trennende Hygiene angeht, gehen die Chinesen bei uns in Tsingtau in die Schule. In Tapautau erfahren sie am eigenen Leibe, daß Ordnung und Reinlichkeit auf der Straße, Sauberkeit in den Häusern und ein gesundes Trinkwasser doch eine gute Sache ist“ (Weicker 1908:180).
Der Hygienediskurs definiert durch die Konstruktion von Differenz, wer die Ausgeschlossenen sind, markiert sie und gibt die angemessenen Praktiken zur Aufrechterhaltung der Grenzziehung vor. Die Repräsentation des Chinesen als Problem schließt die Anordnungen im Raum gegen Veränderung ab und zielt darauf, die soziale Dynamik stillzustellen.
„Der gute Ruf Tsingtaus“. Die Hygienisierung der Europäerstadt
165
3.3 Die diskursive Konstruktion des Chinesen Es ist die Eigenschaft von Diskursen, dass sie die Wirklichkeit vor und jenseits persönlicher Erfahrung strukturieren und kommensurabel machen. Der Hygienediskurs in Qingdao trägt dazu bei, das Chaos der Fremdheitserfahrung zu ordnen und das unübersichtliche Geschehen der Okkupationszeit in einen nachvollziehbaren, sinnstiftenden Zusammenhang von „schmutzigen Chinesen“, „Gefährdung europäischer Gesundheit“ und ‚naturgemäßen‘ Gegenmaßnahmen der Besatzer darzustellen. Es ist kein Zufall, dass die Verteidigung der Chinesenordnung gegen die Kritik in Deutschland so eng mit dieser Erfahrung von Chaos und Bedrohung verflochten ist.25 Das beängstigende Chaos wird aus dem Hier in das Dort (die „schmutzigen Chinesendörfer“) verbannt. Die Bedrohung erhält einen Namen (die von den Chinesen eingeschleppten Seuchen) und eine Bewältigungsstrategie (die Eindämmung und Aussperrung der Chinesen). Gestützt und geschützt wird das Konstrukt des Hygienediskurses durch benachbarte Diskurse, die erklären, wie der Chinese ist. Diese Essentialisierung – die Behauptung der unabänderlichen oder schwer veränderbaren Natur des Chinesen – wird in vertrauten Kategorien buchstäblich „fest-gestellt“ und in Stereotypen sichtbar und handhabbar gemacht. Seine Macht bekommt der Diskurs, da er handlungsleitend ist für die Konstituierung des Hygieneregimes in Qingdao. Der schmutzige Chinese wird zur operationalisierbaren Größe und zum Auslöser einer scheinbar zwangsläufigen Kausalkette. Wie die diskursive Figur des schmutzigen Chinesen in Tsingtau entwickelt und in intertextuellen und interdiskursiven Narrativen situiert und abgesichert wird, ist Gegenstand meiner Diskursanalyse von unterschiedlichen Textsorten und visuellen Medien. Rechenschaftsberichte, Presse, Reiseschilderungen, Fotografien, Missionstraktate und unzählige „Land und Leute“-Schriften mit ethnographischem Anspruch speisen fortlaufend „Schmutz und Elend“-Geschichten über den Chinesen in den Diskursraum ein. Parallele Diskurse über Hygiene, über Körper, Rasse und Differenz bzw. Devianz, über Krankheit und Sexualität, über Eingeborene und den urbanen Mob authentifizieren und autorisieren das Konstrukt. Der Körper des Chinesen ist der Ort, an dem sie aufeinandertreffen und sich zu einem schwer entwirrbaren Ganzen verflechten.
3.3.1 Der Topos der „Rasse“ Der Diskurs schreibt den chinesischen Menschen die Differenz sozusagen „auf die Haut“. In China sind die Farbigen „gekennzeichnet [sic] durch gel25 Vgl. Abschnitt 3.1.2.
166
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
be Hautfarbe, grobes, schwarzes Haar, einen sehr schwachen Bartwuchs, hervorstehende Backenknochen“ (Navarra 1901:983); Der „spezifische, der mongolischen Rasse eigentümlicher Duft [nach Moschus], welcher den Weissen höchst unangenehm anmutet“ (Kronecker 1913:1), unterstreicht die negative Konnotation des rassistischen Klischees. Defizitär auch die kleine Gestalt und die „auffallend kleinen Hände“ (Navarra 1901:983), dazu „ein kugelrunder Kopf mit gelbem, meist kränklichem aussehenden Gesicht“ und „kurzer, platter Nase“ (Rogge 1901:103). Und „die Augen, fast immer mit dunkler Pupille, erscheinen infolge einer eigentümlichen Faltenbildung des oberen Augenlides enggeschlitzt und schiefstehend“ (Brockhaus 1892:194); Sie „müssen deshalb alles anders sehen als wir“ (Navarra 1901:IX). Der anatomische Schiefstand bringt „Sitten und Formen des täglichen Lebens hervor, die den unsrigen gerade entgegengesetzt sind“ (Wegener 1912:34): „China, die verkehrte Welt“, ist der Ort, der „in sehr vielen Stücken der unsrigen schnurstracks entgegen“ steht (Pieper 1900:12). Dort „wo alles ‚linkshändig‘ hergeht“ (Navarra 1901:352), also falsch läuft, löst sich das Menschliche in reine Abweichung vom rechten Hergang auf: „nicht die Frau […], sondern der Mann“, „nicht von vorn, sondern von hinten“, „links, nicht rechts“, „heiß, nicht kalt“, „nicht schwarz, sondern weiß“ (Wegener 1912:34). So „gekennzeichnet“ wird aus den chinesischen Menschen das, was sie für das Subjekt des Diskurses sein sollen: „unsere Gegenfüßler“ (Navarra 1901:IX). Der „Rasse“-Diskurs ist ein fester Bestandteil der europäischen Wissensordnung und tritt mit wissenschaftlichem Anspruch auf. Die Anthropologie des 19. Jahrhunderts kategorisiert und klassifiziert empirische Datensammlungen mit dem Ziel, naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und in eine Ordnung zu bringen. Abertausende von Körpermessdaten und Fotografien sollen den Nachweis von Rassen und ihren Merkmalen und Charaktereigenschaften bringen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzt eine systematische Erfassung der Menschheit und ihrer Klassifizierung als „Types of Mankind“ (Nott und Gliddon) ein, die als „l‘inégalité des races humaines“ (Gobineau) in eine hierarchische Menschheitsordnung überführt wird. Die Darwinschen Evolutionstheorien über die „Origin of Species“ und den „Descent of Man“ (Darwin) bilden die theoretische Basis von Theorien über „Primitive Culture“ (Edward B. Tyler) und begründen schließlich eine Werteskala der Kulturen und „Rassen“ von „primitiv“ bis „hochentwickelt“, die am Ende des Jahrhunderts als sozialdarwinistisches Naturgesetz des „Rassenkrieges“ ausformuliert wird. Im Kampf um ihr Überleben stehen die gesunden, daher stärkeren und „wertvollen“ gegen die „degenerierten“ resp. „primitiven“ Rassen, die zum „Untergang“ resp. zur „Unterwerfung“ unter die „höherstehenden“ verurteilt sind. Die Eugenik des ausgehenden 19. Jahrhunderts fügt dem Gedankengang die Bedrohung des „gesunden Volkskörpers“ durch die Vermischung mit den „minderwertigen“
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
167
Elementen hinzu. Danach geht die Bedrohung nicht nur von den „minderwertigen“ Rassen aus, sondern auch von den „minderwertigen“ Elementen der eigenen Rasse – den ‚Blöden‘ und Kranken, den Elenden und den ‚Verbrechern‘. Die Gefahr zwingt zur Selektion von positiven und negativen Faktoren und zum Schutz des „gesunden Volkskörpers“ durch die Ausgrenzung: Eugenik richtet sich gegen „the poor, the colonized, and the unpopular strangers“.26 Auch Chinesen werden in das Rassenschema eingeordnet. Als „mongolische Rasse“ sind sie „der mongolisch-turanischen Völkerfamilie“ (Brockhaus 1892) zugeordnet. Das klassifiziert sie als „Farbige“ und „Eingeborene“ und macht sie zu einer homogenen Masse von „Gelben“ und „Mongolen“. Die anthropologische Klassifizierung stellt sie nicht auf die Stufe der ‚Wilden‘ oder ‚Naturvölker‘ wie die Steinzeitmenschen in Afrika oder im pazifischen Raum, sondern gesteht ihnen die höhere Zivilisationsstufe der ‚Barbarei‘ zu. Dem Rassendiskurs ist das ziemlich gleichgültig: „Grattez le Chinois et vous trouverez le sauvage“ (Navarra 1901:239). Alltagssprachlich figurieren sie als „Barbaren“ von sprichwörtlich „barbarischer Grausamkeit“. In der kollektiven Erinnerung Europas haben die Mongolen ihren festen Platz. Unschwer assoziiert sie die deutsche Leserschaft mit Dschingis Khan und seinen Reiterheeren aus dem Fernen Osten. Als Gelbe Gefahr reüssieren sie Ende des 19. Jahrhunderts in der politischen Propaganda des Deutschen Reiches: „diese Gefahr ist größer geworden und wird noch mehr wachsen durch die wirtschaftliche Konkurrenz der Chinesen, als sie je ein Dschingiskan über das Abendland bringen konnte, der seine Horden von der Mündung des Amur bis zu den Quellen der Donau führte“ (Voskamp 1898:120). Der Rassediskurs ist ein Körperdiskurs. Navarra schließt seine tausendseitige Darstellung „der Chinesen“ (Navarra 1901:985) mit einer Tabelle des Vergleichs zwischen „Mongolen“ und „Kaukasiern“ (mit der das 19. Jahrhundert die „weiße Rasse“ meint). Ein Grundton diffamierenden Ressentiments kennzeichnet ‚den Mongolen/Gelben/Chinesen‘ als niederes Wesen der Abweichung und des Defizits. Schon die pejorativ aufgeladenen Details ‚mongolisch-chinesischer‘ Physiognomie reichen aus, um darin „ex negativo“ das Idealbild ‚des Weißen‘ abzulesen. Da steht ein „kurzer und dicker“ einem „langen schlanken, wohlgeformten Hals“ gegenüber, die „niedrige, zurücktretende“ einer „geraden, voll entwickelten Stirn“, drüben ist der Gesichtsausdruck „schwer, leblos und einförmig“, hüben „lebhaft, intelligent, sehr verschiedenen“. So erfasst die Aufzählung von Kopf bis Fuß den ganzen Körper und konstruiert im Sinne der zeitgenössischen Physiognomik aus physischen Merkmalen Charaktereigenschaften, die die „minderwertige“ sittliche und geistige Devianz des klassifizierten Objekts belegen sollen. Die chinesische ‚Schlitzäugigkeit‘ etwa verweist auf Verschlagenheit und Hinterlist, Lächeln auf eine Maske, die die wahren 26 Eric Hobsbawm 1987, Age of Empire:253. Zitiert nach Stoler 1997:23.
168
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Gefühle („Hass gegen die ‚fremden Teufel‘“, „Neid auf die Europäer“) verbirgt, zeremonielle Höflichkeit auf Verstellungssucht und äußere Unreinlichkeit auf innere Verkommenheit. Der europäische Blick macht den chinesischen Körper passend für das Rassenschema. Medizin und Hygiene beanspruchen einen entscheidenden Anteil daran, Wissen über den Chinesen zu generieren und zu kategorisieren und in die koloniale Ordnung einzuspeisen. Im Alltag wird der Körperdiskurs von vielen Stimmen geführt. Er mäandert durch die Themen und Handlungsfelder, ohne sich von Widersprüchen, Inkonsequenzen und Sprunghaftigkeiten irritieren zu lassen. Der rassistische Körperdiskurs differenziert nicht zwischen physischen ‚Rassemerkmalen‘, ‚Rasseeigenschaften‘ und soziokulturellen Praktiken. Stereotype aus jeder dieser Kategorien beglaubigen sich gegenseitig und machen den Diskurs anschlussfähig für alle möglichen weiteren Diskurse, die zur Verifizierung herangezogen werden können. Der Körper fungiert als Schnittpunkt von Diskursen und den Assoziationen und Projektionen, die sie hervorrufen. Der Körper ist die Visualisierung jener Wahrheit und Objektivität, die die deutschen Repräsentationen mit ihrem Gewebe aus Beobachtungen, Klischees und eurozentrischen Werturteilen für sich reklamieren.
3.3.2 Der Körper des Chinesen Der Rassediskurs schreibt dem chinesischen Körper „Rasseeigenschaften“ ein, der Schmutzdiskurs pathologisiert ihn und der Sozialdarwinismus liefert die Erklärung dafür, dass Chinesen „trotz – nicht infolge – aller fehlenden Hygiene“ (Weicker 1908:180) überleben. Vielleicht liegt das Geheimnis, weshalb diese in solchem Elend dahinlebende Bevölkerungsmasse nicht längst als Volk völlig verkommen ist, darin, daß eben durch den Mangel an sanitärer Fürsorge alle schwächlichen Elemente schon in der Kindheit zugrunde gehen und nur die widerstandsfähigen aufwachsen, daß also fortwährend eine natürliche Auslese der besten der Rasse stattfindet (Wegener 1904:50).
Das ist die reinigende Kraft des ‚Schmutzes‘, vor dem chinesische Eltern ihren Nachwuchs nicht bewahren. Sie hämmert ‚das Schwächliche‘ weg und bildet „jene zähe und genügsame Rasse heraus, wie die chinesische ist, von dicker Haut, gutem Magen und eisernen Nerven“ (Pieper 1900:264). ‚Das eherne Gesetz der Natur, das nur den Stärkeren überleben lässt‘, macht sie „zu einer vorzüglich gesunden Rasse, daher ihre Zähigkeit, ihre Ausdauer, ihre Genügsamkeit […]. Darwin würde sagen, die Chinesen haben sich zu einer zähen, widerstandsfähigen Rasse gezüchtet“ (Pieper 1900:264). Eine „sprichwört-
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
169
liche“ „Unempfindlichkeit und Gleichmut in der Ertragung von Schicksalsschlägen und Strapazen“ (Crusen 1913:7), weibliche „Entsagungsfähigkeit und Opferwilligkeit“ (Franzius 1898:109), ‚Anspruchslosigkeit‘ und „die Unempfindlichkeit“ des Chinesen beschreiben den Abgrund, durch den sich die weiße Rasse von der gelben getrennt fühlt. Der rassistische Diskurs, in dem diese Zuschreibungen erfolgen, lässt keinen Zweifel daran, dass keineswegs die Verherrlichung des starken und gesunden (männlichen) Körpers dieses TurnvaterJahn-Zeitalters beabsichtigt ist. Hier wird der Topos der chinesischen Indolenz, der die Krankheitsdiskurse beherrscht, im sozialdarwinistischen Biologismus verankert. Er zeichnet das Bild eines primitiven Stoizismus, der für „normale“ menschliche Reaktionen zu unempfindlich ist. Der überhebliche Blick ‚von der obersten Stufe der Zivilisationsleiter‘ sieht „ein fleißiges Völkchen“, das nun „im harten Kampf ums Dasein“ auf der untersten Stufe gelandet ist und sich vergeblich abgemüht hat, nicht zu unterliegen (Kronecker 1913:3). Sie werden ganz im Sinne des Sozialdarwinismus als Verlierer der Evolution betrachtet. Die Gegenüberstellung dessen, was ein Chinese und was ein Europäer zu ertragen imstande sei, unterscheidet den primitiven vom kultivierten Körper des Europäers: „Anstrengungen, die ein Europäer kaum zum dritten Teil aushalten würde, erträgt der Chinese mit Leichtigkeit“, auch „Hungerkuren“ (Pieper 1900:264). Das „Kranksein“ gehört „zu den Seltenheiten“; vor allem „allerhand neumodische Krankheiten“ kommen dort nicht vor (Pieper 1900:264). Das spielt auf die „Nervendiskurse“ an, mit denen das Bürgertum um die Jahrhundertwende beschäftigt ist: „Neurasthenie“ und deren weibliche Form der „Hysterie“ gelten als Krankheitsreaktion auf die Moderne und werden als Ausdruck höchster Empfindsamkeit und als Zeichen der Kultivierung, sogar der ‚Überzivilisiertheit‘ gewertet. Die Körperidentität um 1900 ist brüchig (Berg 2007:89) und sucht nach einem Halt. Den findet sie darin, dass sie den anderen Körper zum Bezugspunkt der eigenen Körperidentität macht. Der ‚farbige‘ Körper ist das, was der ‚weiße‘ Körper nicht ist. Und umgekehrt. Aber in der Repräsentation naturhafter Körperlichkeit kommt auch die Ambivalenz zum Ausdruck, die in der Selbstbespiegelung Europas in den ‚Primitiven‘ um die Wende zum 20. Jahrhundert liegt. Gerade in der „Neurasthenie“ kristallisiert sich – sei es als Krankheitssyndrom, sei es als Phänomen eines Zeitstils, die Zuordnung ist umstritten ( Joachim Radkau) – die Überforderung des Bürgertums durch die Moderne, die sich daher einen Ausweg in antimodernen ‚Ursprüngen‘ sucht, unter anderem auch im Primitivismus des frühen 20. Jahrhunderts. Demgegenüber misst der Rassediskurs am primitiven Körper den hohen Grad der zivilisatorischen Verfeinerung und Sensibilität des weißen Kulturmenschen. Die animalische Gesundheit des Eingeborenen ist eine Rasseeigenschaft und Anzeichen der „niedrigen“ Entwicklungsstufe dieses Volkes. Sie ist nicht vergleichbar mit der empfindlichen Konstitution des Europäer-
170
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
körpers, dessen Gesundheit in nimmermüder Selbstsorge, Hygiene und Körperertüchtigung erschaffen wird. Die Ambivalenz gegenüber dem chinesischen Körper wird nicht aufgelöst. Die Semantik des Körperdiskurses verrät die Spannung zwischen der Anziehungskraft der ‚primitiven‘ Körperlichkeit und der Verachtung für den Mangel an ‚Zivilisiertheit‘. So bewacht das koloniale Auge nicht nur den ,schmutzigen schlitzäugigen Chinesen‘, sondern ruht auch wohlgefällig auf einem „kräftigen, gut gebauten Menschenschlag“, oft „geradezu elegant gebaute Gestalten“ (Scheibert 1902:38), die „einen kräftigen Eindruck“ machen (op.cit.:27), auf Menschen, die „hoch und schlank gewachsen“ (Richthofen 1897:19) „groß und stattlich, gesetzt, mit sympathischer Gesichtsbildung“ (Crusen 1913:7) seien. „Aufrichtige Bewunderung“ „erregt der Chinese durch … die Gewandtheit seines schönen, athletisch gebauten Körpers, mit welchem er die schwersten Lasten spielend zu heben und zu tragen vermag“ (Kronecker 1913:12). Aus der erregten Bewunderung im Angesicht der Körper spricht kaum verhohlen das koloniale Begehren. Der „primitive“ Stoizismus, der den Chinesen zugeschrieben wird, stellt sie auf eine Stufe mit ‚primitiven Eingeborenen‘, die in hygienischer „Unkultur“ leben, „denn sie haben es nicht verstanden, sich die Naturkräfte dienstbar zu machen oder da, wo sie ihnen feindlich sind, den Kampf gegen sie erfolgreich aufzunehmen“ (Külz 1911:8). Was der Hygieniker als Unfähigkeit zum Fortschritt erklärt, heißt in der Sprache des Christen ‚Heidentum‘: „Der Chinese hat als Heide nicht die Kraft, die Versuchung zu überwinden, die Sünde zu beherrschen“.27 Diese Unfähigkeit ist die Ursache von Lust und Laster, zweifelsohne eine der stärksten ‚Naturkräfte‘, die zu bändigen sind: Der Chinese sei unkontrolliert triebhaft, lasterhaft und verkommen, unbeherrscht lärmend, unbeherrscht lachend. Ihm gehe es nur „um die Befriedigung seiner eigenen sinnlichen Triebe“ (Pieper 1900:253). „Das enge Beieinanderwohnen auf kleinem Raume, Schmutz, Ungeziefer, vor Allem aber die widerlichen geschlechtlichen Ausschweifungen, denen insbesondere der männliche Chinese fröhnt“, Sodomie,28 Kindesmissbrauch und Vergewaltigung (Kronecker 1913:11), ‚Vielweiberei‘ und die Laster des Glücksspiels und des Opiums sollen die Sitten27 Krone, Heinz Rudolf (1855): Was die Chinesen von Gott wußten und wissen. In: Berichte der Rheinischen Missionsgesellschaft. 1855. S. 65–75. Zit. nach Sun 2002:176. 28 Diese wird als ekelerregendes Detail geschildert. Es spricht für den Charakter des skandalisierenden Stereotyps, dass dieses Detail bis in die Wortwahl in einem Bericht im The New Yorker vom 24.03.2014 über „Berlin Nights“ im Berliner Club Berghain auftaucht (Übersetzung abgedruckt in: Süddeutsche Zeitung vom 25.03.2014). Stereotype sind ortlos, zeitlos und in jedem diffamierenden Kontext einsetzbar.
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
171
losigkeit des Chinesen bezeugen. Die Rede über den chinesischen Körper ist auch die Rede über Sexualität, wenn auch bei weitem nicht so ausgeprägt wie im Diskurs über „Wilde“ (besonders auf dem afrikanischen Kontinent). Wenn Schmutz und Sexualität in einen so unvermittelten Zusammenhang gestellt sind, dann zeigt das, dass Schmutz nicht ein abwaschbares Phänomen ist, sondern eine Frage der Sittlichkeit. „Reinlichkeit und Reinheit“ (Faber 1900:65) stellen ein untrennbares Paar dar. Hygiene ist eine Frage der Moral, nicht nur der Körperpflege. Das macht sie zu einem besonders wirksamen Instrument der Disziplinierung der Individuen, da sie die Disziplin nach innen, in das Gewissen des Subjekts, verlegt. Das gilt freilich nur für das Subjekt, das zu vernünftigem Handeln fähig ist –also für den verantwortungsvollen und aufgeklärten Bürger –, nicht aber für die unaufgeklärten Massen der europäischen Proletarier und der kolonialen Eingeborenen, die unter eine bürgerliche Hygiene- und Moral-Kuratel gestellt werden müssen.
3.3.3 Die Medikalisierung der Armen Mit den drastischen Schilderungen „eingeborenen Elends“ erfüllt der Hygienediskurs daher eine erzieherische Funktion. Die Repräsentation der Armut in China als hygienisches und moralisches „Elend“ soll Empathie verhindern und Abscheu und Widerwillen gegen die Folgen falscher und verantwortungsloser Lebensführung hervorrufen. Das bestärkt die Gültigkeit der bestehenden Normen und die Macht der Hygiene in der Durchsetzung dieser Normen. Denn da sowohl der Christenmensch wie der aufgeklärte Bürger felsenfest von der Willensfreiheit des Menschen überzeugt sind, kann Elend nur selbst verschuldet sein. „Energielosigkeit, Mangel an Tatkraft, an Willenskraft und an Begeisterung sind für den Chinesen charakteristisch“ (DZ v. 10.5.1908). Der ihnen zugeschriebene ‚Gleichmut‘ erscheint dann als Gleichgültigkeit und Stumpfsinn. Abstumpfung und Mitleidlosigkeit gegenüber Mitmenschen seien das Produkt einer Kultur, in der „das Leben sehr gering gewertet“ werde (Pieper 1900:228). Von der „Gefühllosigkeit gegen Mensch und Tier“ (OAL 17.6.1908:125) ist es nur ein kleiner Schritt zur „Grausamkeit“ der Chinesen, die mit zahllosen schreckenerregenden Details aus dem „Elendsleben“ in China ausgemalt wird. Die schlimmsten Orte findet der Diskurs im chinesischen Strafsystem, „dort, wo der Teufel sein Wesen treibt an den finsteren Stätten des Greuels“ (Pieper 1900:280), weswegen auch Menschen im Kang (der chinesischen Variante des Schandmals) und Enthauptungen beliebte Fotomotive sind, um den „Kampf der Zivilisationen“ zu illustrieren. Die Stilisierung des „Boxerkrieges“ zu einem epochalen Kampf zwischen „Zivilisation“ und „Barbarei“ (Lü 2011:50) hat ein Übriges getan, die Chinesen als Volk von ‚barbarischer‘ Grausamkeit zu dämonisieren (Liu 2004:45ff.).
172
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Der weiße Körper ist das unmarkierte Zentrum des Konstruktes, um das herum die Normabweichungen angeordnet sind. Es ist einer der zahllosen immanenten Widersprüche dieses Diskurses, dass auf eine unbestimmte Weise die stereotypen Körperbilder den Chinesen, d.h. unterschiedslos alle umfassen, tatsächlich aber einen blinden Fleck hinterlassen. Der Körperdiskurs hat die allgegenwärtige Erscheinung der chinesischen Schwerarbeiter im Blick und nicht den besseren Chinesen. Während die einen in ihrer ärmlichen Kleidung meist kaum verhüllt sind, scheinen die anderen in ihren aufwendigen Gewändern „körperlos“ zu sein. Der Diskurs findet seine Bilder vornehmlich dort, wo die Europäer ihr koloniales Wissen über die Eingeborenen sammeln: auf den Straßen der chinesischen Vertragshäfen an der Ostküste. Auch Zeitgenossen ist es gelegentlich aufgefallen, dass die Repräsentation des chinesischen Alltags in Form von „Klagen über grausiges Elend, unerträglichen Schmutz und Gestank“ „zum großen Teil nur die großen Städte der Küste und die Kuli-Misere“ im Auge habe (Wegener 1902:163). Die Küstenstädte erleben durch die aufgezwungene Öffnung des Landes für imperialistische Interessen soziale Verschiebungen, die vor allem von der europäischen Nachfrage nach billiger Arbeitskraft ausgelöst werden. Wie Qingdao erleben auch große Küstenstädte wie Kanton (Guangdong), Shanghai, Amoy (Xiamen) und das neugegründete Hongkong (Xianggang) einen ungeordneten Zuzug proletarisierter Bauern, die getrennt von den privilegierten europäischen Konzessionen in den überfüllten chinesischen Stadtkernen siedeln. Nicht nur die Generalisierung dieser selektiven Wahrnehmung wirkt an der Stereotypisierung des Chinesen als Problem mit. Rassistische Stereotype über Aussehen und Kleidung, Wohnverhältnisse und Essgewohnheiten, kulturelle, kultische und körperliche Praktiken und Topoi wie Rassekrankheiten und Rasseeigenschaften werden in den Körperdiskurs eingebunden. Sie biologisieren die Armut und den hygienischen Notstand in den verslumten Bezirken. Diese erscheinen nicht mehr als Folge der kolonialen Ausbeutung und der asymmetrischen Machtverhältnisse, sondern als Natur des Chinesen. Wie an der Entwicklung von Dabaodao, Taidong und Taixi in Qingdao gezeigt, erklärt der Elendsdiskurs die materielle Not zu einem hygienischen Problem, um zu verhindern, dass die soziale Frage, die der Kolonialismus in China (und anderswo) aufwirft, auf die Tagesordnung gerät. Die rassistische Biologisierung der Armut verschleiert die Frage nach der Verantwortung für die herrschenden Zustände. Stattdessen betreibt der Kolonialdiskurs ganz offen Propaganda für den „produktiven Körper“ des Körperarbeiters. Die Gegenüberstellung von „chinesischem Körperarbeiter“ und „europäischem Geistesarbeiter“ soll die angebliche zivilisatorische Differenz herausstreichen. Im internationalen Wettbewerb zwischen den europäischen Interventionsmächten dient das Konstrukt vom robusten primitiven Körper als Standortfaktor. Hier in Tsingtau ist die ‚bessere Rasse‘
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
173
von Chinesen zu finden: schöner, stärker, sympathischer als die kleinen, unruhigen und unzuverlässigen Südchinesen, also die Menschen im englischen und französischen Einflussgebiet. Selbst die „den Chinesen eigentümliche schräge Augenlidstellung ist bei ihnen weniger ausgeprägt“ (Heßler 1908:234). Bis hierhin wirkt noch das Nord-Süd-Klischee, das Europa in ‚nordische‘ und ‚mediterrane‘ Rassetypen spaltet. Die dergestalt „wertvolleren“ Chinesen aus Shandong stellen unter Beweis, mit wieviel Klugheit der Standort für die deutsche Kolonie gewählt ist: Der Shantung-Chinese ist nämlich für die industrielle Arbeit sehr geschickt. Die alten Industrien des Strohflechtens, der Glas- und Töpferwaren geben Zeugnis davon. Selbst Richthofen bemerkte: ‚Die Knaben sind intelligent und aufgeweckt und erscheinen geeignet, zu einer fortgeschrittenen Generation herangezogen zu werden.‘ Das hat sich durchaus bestätigt. Und ebenso trifft es zu, daß in Shantung eine übergroße Fülle billiger und intelligenter menschlicher Arbeitskraft vorhanden ist (Weicker 1908:147).
Und so fällt der koloniale Blick auch auf „ungefähr dreihundert Millionen Menschen mit ameisenartigem Fleiß (…), Menschen mit starken Muskeln, willigem Geiste und nicht geringer Geschicklichkeit“ (Navarra 1901:288): „China ist heutzutage sozusagen ein großes Reservoir physischer Kraft“ (op. cit.:289). Der Rassediskurs identifiziert diese Vorzüge als ‚Rasseeigenschaften‘, die evolutionstheoretisch beglaubigt seien. Zugeschriebene Eigenschaften der ‚Zähigkeit‘, ‚Anspruchslosigkeit‘, ‚Bedürfnislosigkeit‘ – „eine Hand voll Reis genügt ihm tatsächlich zum Leben“ (Bökemann 1913:92) – machen den chinesischen Körper so wertvoll. Die Natur selbst hat ihn geschaffen für die kolonialen Ziele der Deutschen: Der weithin gerühmte Fleiß der Chinesen, die Gewohnheit, „ohne Ruhetag von Sonnenaufgang bis Untergang mit geringen Pausen zu arbeiten“ (Scheibert 1902:28), die enormen Arbeitsleistungen etwa der „Karrenschieber, die mit bewundernswerter Kraft und Ausdauer ihre Lasten meilenweit durchs Land fortbewegen“ (Scheibert 1902:29) – 300kg über 20 Kilometer an einem Tag, wie Richthofen (1898:102) ermittelt hat – soll dokumentieren, welch wertvolles Arbeitermaterial hier zur Verfügung steht. Die Anspruchslosigkeit des Chinesen bei gleichzeitiger „Zufriedenheit mit dem ihm zufallenden Lose“ (Navarra 1901:288) „beweist daher zur Genüge, daß animalische Lebensmittel zur Verrichtung schwerer Arbeiten durchaus nicht notwendig sind“ (op. cit.:289). Es beweist, dass die für Qingdao amtlich festgesetzten Tageslöhne für Kulis von 20, später 25 Cent pro Tag, die kaum weiter reichen als für die „Handvoll Reis“, völlig in Ordnung sind. Aus dem Diskurs spricht die Ideologie der „Menschenökonomie“, die nur koloniales Verwertungsinteresse kennt. Ungerührt vermisst das koloniale Begehren den „ungeheuren“ „Wert dieses Fleck-
174
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
chens Erde“ (Maercker 1901:464) für die Deutschen: „in der Provinz, in ihrem Menschenmaterial und in ihren Produkten finden wir das, was uns zur Anlage von Tsingtau bewogen hat“. Der Diskurs der „Menschenökonomie“ ist dehumanisierend und erniedrigt die Menschen zu Arbeitstieren im Dienst kolonialer Ausbeutung. Man rühmt sich, im Besitz „einer arbeitsamen und genügsamen Bevölkerung“ (Heßler 1908:234) zu sein, die gutmütig, friedfertig und leicht lenkbar sei: „Es sind „fleißige, willige, verständige Arbeiter, mit denen man sich gut auskommen29 und die man leicht lenken kann“ (Hesse-Wartegg 1898:18), nur „muß stets ein Europäer bei ihnen sein“ (ibid.), da sie für Arbeiten nach deutschem Standard „nur in sehr beschränktem Maße verwendbar“ sind.30 Das Lob des so harmlosen und willfährigen Ideal-Kulis gilt dem Kolonisator, nicht dem Kolonisierten, denn es meint seine glückliche Hand bei der Wahl des Kolonialvolkes ebenso wie seine Fähigkeit, alles aus ihm herauszuholen. Der Diskurs der Menschenökonomie macht den Kolonisierten zu einem Rädchen im Getriebe des kolonialen Modernisierungsprogramms.
3.3.4 Der Topos der „Rückständigkeit“ China liegt am Boden. Die Mandschu sind verweichlicht, die Mandarine verrottet, die Gelehrten versteinert, die Soldaten feig, das Volk unwissend, der Pöbel versumpft und frech (Faber 1900:55).
Im Programm der Modernisierung Chinas durch „Fortschritt“ kommt der diskursiven Figur der „chinesischen Rückständigkeit“ eine besondere Bedeutung zu. Sie ist ein Kampfbegriff, der das Qing-Reich diskursiv für die koloniale Intervention aufbereitet. Im Respekt des späten 19. Jahrhunderts gegenüber der „Jahrtausende alten Kultur“ und gegenüber dem „hochentwickelte(n) und uralte(n) chinesische Kulturvolk“ (Kolonial-Zeitschrift 1903:377) hallt die China-Bewunderung nach, die für die Distinktionsstrategien der (Bildungs-)Bürger von Qingdao eine so große Rolle spielt. Die Anerkennung gilt der frühen zivilisatorischen Überlegenheit Chinas, die sich auf die Rangordnung des europäischen Kulturstufen-Konstrukts beruft. Darin stand das Land schon auf „einer hohen Stufe der Kultur“ (Navarra 1901:VII), „als wir noch auf den Bäumen saßen“, wie es eine „Old Chinahand“ (einer der Chinakaufleute der 1960er-Jahre) mir gegenüber einmal ausgedrückt hat. Das evolutionäre Konzept der konsekutiven 29 Fehler im Original 30 QDG B0001-149-227:10.
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
175
Kulturstufen, das diesem Topos zugrunde liegt, erkennt eine gemeinsame, aber zeitlich versetzte Menschheitsgeschichte an. Da für den deutschen Diskurs außer Frage steht, dass die deutsche Kulturnation seitdem die höchste Stufe der kulturellen Leiter erklommen habe, ist der Vergleich von „zwei alten Kulturvölkern“ auch politisch instrumentalisierbar. Auch das Deutsche Reich sieht sich als ‚uraltes Kulturvolk‘. Auf der Suche nach seiner historischen Legitimität proklamiert sich das noch blutjunge Deutsche Reich von 1871 als „Zweites Reich“ in der Nachfolge des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, das seinerseits das Erbe des Römischen Reiches und die Tradition des christlichen Abendlandes für sich beanspruchte. Die Beschwörung „zweier uralter Kulturvölker“, die in ‚Freundschaft und Kooperation‘ verbunden sind, behauptet die kulturelle Ebenbürtigkeit des jungen deutschen Staates mit der chinesischen Hochkultur. Wir bemühten uns, mit den Chinesenbehörden gut zu stehen; die Vernünftigen unter ihnen gelangten immer mehr zu der Überzeugung, dass die Besetzung Tsingtaus ein Segen für sie war. Die Chinesen haben uns anerkannt und sind zusehends mehr zu uns gekommen. Vielleicht da sie selbst ein altes Kulturvolk sind, haben sie begonnen, uns höher zu stellen als die Angelsachsen (Tirpitz 1920:69).
Selbst bei Autoren, denen sinophile Sympathien nicht nachgesagt werden können, lebt die Bewunderung für die alte Hochkultur als Hort großer Tugenden und der entwickelten Ethik des Konfuzianismus weiter. Der Missionar sieht, „daß noch eine ungeahnte geistige Kraft im Schoße dieses uralten Kulturvolkes schlummert“ (Pieper 1900:395) und der Mission „ein recht aussichtsvolles Kontingent für das Christentum“ (op.cit.:379) verspricht. Wo sonst gäbe es „ein Volk, das sich bewahrt hat vor mancherlei Greueln, die man sonst im Heidentum findet? Ein Volk, das die Liebe zu den Eltern so hoch hält, dem die Trunksucht verpönt ist, das die Genügsamkeit und Sittlichkeit ehrt“ (op.cit.:380). Selbst Missionar Voskamp (1898:118), der sonst den Schmutz- und Kulidiskursen reichlich Munition liefert, meint, ein „Volk von hoher Begabung, von großer Intelligenz, von starkem Lerntriebe“ vor sich zu haben, das „großer Dinge fähig“ sei. Der Pionier der China-Kolonialisierung, Ferdinand von Richthofen, findet „Gemeinsinn“ und „Familiensinn“ auf den Steinbänken eines Dorfplatzes in Shandong, auf dem pfeiferauchende alte Männer in der Abendsonne versammelt sind. Auch „Reinlichkeit und Ordnungsliebe“ hinterlassen „einen wohltuenden Eindruck“ von den ‚Schantung-Chinesen‘ (Richthofen 1897:19). In der Idealisierung Chinas begegnet Deutschland der Verklärung seiner eigenen Vergangenheit. China ist „Mittelalter“, „seit Jahrhunderten stehengeblieben […] – alles so wie bei uns vor 500 Jahren“ (Weicker 1908:175). So friert der Diskurs das Chinabild auf der imaginären Kulturstufenleiter ein. An ihr ranken
176
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
sich pittoreske Assoziationen empor: Mit einer Mischung aus Belustigung und Wehmut über die „heile Welt“ der vorindustriellen Biedermeieridylle imaginiert die Pittoreske „eine Art klassischen Hauch über dem Lande“ (Wegener 1912:34) und versetzt den Betrachter „wohlvertraut und behaglich“ „in Zustände unserer eigenen Vergangenheit zurück“ (Wegener 1902:164). Es ist die Wehmut über die „heile Welt“ der vorindustriellen, vormodernen Agrargesellschaft, die an den Fortschritt verloren wurde. Sie findet ihren Halt in der rückwärtsgewandten ländlichen Idylle, für die die „Chinoiserien“ des Rokoko Pate stehen: idealisierte Bilder eines verklärten Kaisers von China, platziert in einer paradiesischen Phantasielandschaft von exotischer Harmonie, die die Paläste und dann (in trivialisierter Form) die Stuben des Bürgertums zieren. Die nostalgische Imagination eines uralten, mittelalterlichen China ist so ambivalent wie die Rezeption des Mittelalters in Europa, die zwischen „finsterstem Mittelalter“ und „Ritteridylle“ oszilliert. Tatsächlich hat schon seit der Spätaufklärung die sinophobe Feindseligkeit Einzug in die Chinadiskurse gehalten, die das 19. Jahrhundert prägen. Aufklärer wie Montesquieu und Johann Gottfried Herder sehen China als Manifestation der absolutistischen Despotie. In diesem Diskursstrang ist Chinas kulturelle Blüte seit vielen Jahrhunderten vergangen und „dies Volk, wie so manche andere Nation des Erdkreises, mitten in seiner Erziehung, gleichsam im Knabenalter, stehengeblieben“ (Herder 1790:25). Die gemeinsame Geschichte verbindet die Menschheit nicht, sondern spaltet sie nach ‚Fortschrittstempo‘ auf. Ein intensiver Rückständigkeitsdiskurs setzt der sinophilen Begeisterung ein Ende. „China ist seit Jahrhunderten stehen geblieben“ (Weicker 1908:175). Der Umschwung von der aristokratischen China-Schwärmerei zur bürgerlichen China-Verachtung wird mit starken Bildern unterlegt. Metaphern von Stagnation, Fäulnis und Tod dominieren das Bild, Herders „einbalsamierte Mumie“ China stinkt nach Verwesung. „Das Reich ist eine balsamierte Mumie, mit Hieroglyphen bemalt und mit Seide umwunden; ihr innerer Kreislauf ist wie das Leben der schlafenden Wintertiere“ (Herder 1790:20f ). Der Rückständigkeitsdiskurs greift diese Metaphorik auf: Hier wie dort Miasmen und faulige Zersetzung; hier wie dort Metaphern für den bürgerlichen Kampf gegen europäischen Absolutismus und alles, was der Durchsetzung bürgerlicher Fortschrittseuphorie und bürgerlicher Wirtschaftsinteressen im Wege steht. Demnach führte China denn „Jahrhunderte lang ein Stillleben, ein Leben der Untätigkeit, der faulen Ruhe, der Versumpfung“, am schlimmsten durch seine Beamten, „die faulen Glieder des chinesischen Volkskörpers“ (DZ 17.5.1908). In der christlichen Metaphorik erscheint „Chinas Verfall“ (Voskamp 1898:117) in „Stätten der schwarzen Sorge und des tiefsten Elends“ (Pieper 1900:225), „dort wo der Teufel sein Wesen treibt an den finsteren Stätten des Greuels“ (op.cit.:230), des Aberglaubens und der Sünde. Dort tobt der „Kampf, Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gott und
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
177
Satan, […] ein Kampf auf Leben und Tod“ (Voskamp 1898:9), ein „Kampf zwischen der gelben und der weißen Rasse“ (op.cit.:210). „Das Banner des Drachen und das Zeichen des Kreuzes sind die beiden Feldzeichen in diesem Kampf“ (op.cit.:10), denn „sie haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in das Bild eines scheußlichen Wurms“ (op.cit.:11) verwandelt: „Der Drache verkörpert also die ganze religiöse Verfinsterung dieses Volkes“ (ibid.). Topoi der Dekadenz untermauern den Diskurs, den Herder (1790:19) schon vorgedacht hat, als er den „Mangel an männlicher Kraft und Ehre“ (op.cit.:18) feststellt: „Der kriegerische sowohl als der denkende Geist sind fern von einer Nation, die auf warmen Öfen schläft und vom Morgen bis zum Abende warm Wasser trinkt“ (ibid.). Die Turnvater-Jahn-Generation teilt das Verdikt und konstatiert: „An Männern von Tatkraft fehlt es fast gänzlich“, „Energie losigkeit, Mangel an Tatkraft, an Willenskraft und an Begeisterung sind für den Chinesen charakteristisch“ (DZ 10.5.1908). Die unsoldatische Erscheinung der Armee korrespondiert mit der femininen Erscheinung – Zöpfe, lange Kleider, Bartlosigkeit. Etikettiert als „Orientale“ (Navarra 1901:986), wird der feminisierte Chinese auch noch vom Orientalismus-Diskurs geschluckt. Einen anderen Akzent setzt der Diskurs mit dem Bild der Versteinerung. „Es ist das Starre, das Unbewegliche, das Absonderliche. Unnahbar und unbeeinflußbar, wie dieser erratische Block der Menschheit dem Kulturforscher sich darbietet“ (Rogge 1901:141): China erscheint hier als unzugängliches Fossil. An diese vermeintliche Unzugänglichkeit schließt sich der Topos der Abschließungssucht an, der im Diskurs eine große Rolle spielt: der „tiefeingewurzelte Hang der Chinesen, von der Außenwelt abgeschlossen zu leben“ (Navarra 1901:287). Auch hier hatte Herder zuvor die Erklärung für diesen Zustand der einbalsamierten Mumie gegeben: „Daher die Absonderung, Behorchung und Verhinderung jedes Fremden; daher der Stolz der Nation, die sich nur mit sich selbst vergleicht und das Auswärtige weder kennt noch liebt“ (Herder 1790:21), sondern hasst. Auf „Stolz und Eigendünkel“ (ibid.) sei Chinas „Abschließungssucht“ (OAL 28.2.1908) zurückzuführen, der sich herleite aus einer längst vergangenen, jahrtausendealten Vorherrschaft Chinas in Ostasien. „Dieses Bewusstsein der Ueberlegenheit über die Nachbarvölker steigerte den Hochmut ins Maßlose, hatte auch die Abschließung gegen die Außenwelt zur Folge, von der man nichts zu lernen hoffte, im Gegenteil nur das Eindringen von Barbarensitten fürchtete“ (DZ 17.5.1908). Die Folge ist „Verachtung, die der Chinese für alles Fremde hegte; er sah in den Ausländer[n] minderwertige rothaarige Barbaren und fremde Teufel“ (OAL 13.3.1908:490). „Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Fremdenhass in China in den letzten Jahren ganz außerordentlich zugenommen hat“ (ibid.). Gegen „die bekannte Sucht der Chinesen, sich möglichst rasch vom Auslande unabhängig zu machen und sich selbst alles zuzutrauen“ (OAL 28.2.1908),
178
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
gehen die vor, die durch diese „Sucht“ etwas zu verlieren haben: „Dieser Glaube an die eigene Unfehlbarkeit hemmt das Vordringen westlicher Kultur ganz außerordentlich“ (Navarra 1901:287). Er steht der Erschließung des Riesenreiches für einen immensen Absatzmarkt für europäische Produkte und Kapitalinvestitionen im Wege, wenn sich die Chinesen ‚alles selbst zutrauen‘. In ihrer Arbeit über die Erfindung Chinas durch den europäischen (vor allem britischen) Imperialismus hat Lydia Liu die Genese eines semiotischen „Superzeichens“ (2004:31) bis in die 1850er-Jahre zurückverfolgt. Im Konflikt zwischen China und England geht es um die Übersetzungs- und damit die Deutungshoheit über das chinesische Schriftzeichen „yi“,31 dem eine absichtliche Beleidigung des britischen Königreiches zugeschrieben wird, da es als Synonym für die aggressive Überheblichkeit und Abschottung Chinas interpretiert wird. Diese Geschichte steht auch hinter dem deutschen Topos von den fremden Teufeln. Liu hat den Streit um Worte analysiert: „The condemnation of Chinese arrogance towards foreigners became a counteroffensive against the imperial prohibition of the opium trade” (Liu Lydia 2004:48). Der Topos vom chinesischen Fremdenhass drückt die Frustration über Chinas Abwehr des Freihandels aus und behält auch im Zeitalter der imperialistischen Infiltration seine Bedeutung als Kampfbegriff gegen Chinas Behauptung seiner Souveränität. In der „Versteinerung“ visualisiert sich die Enttäuschung über die „Wirkungslosigkeit deutschen Einflusses […] gegenüber einer solchen starren Einheitlichkeit und Festigkeit einer Kultur“ (Wegener 1902:166). Doch die Erzählung von der chinesischen Abschließungssucht wird als koloniale Erfolgsgeschichte erzählt: “In neuester Zeit haben die kulturkräftigen, mächtigen Europäervölker die hochmütigen in allen Kulturformen erstarrten Chinesen aus dem Schlaf geweckt“ (DZ 17.5.1908). Denn: „Das energische Eingreifen der Mächte hat der Abgeschlossenheit ein für alle mal ein Ende gemacht, und es wird der scheinbar in Trägheit hoffnungslos versunkenen Riesenmasse neues Blut und neues Leben zugeführt werden“ (Navarra 1901:XI). Das Bild ist der Eugenik entlehnt: Der „krankhafte Zustand“ (Navarra 1902:287), die ‚Degeneration des Volkes‘ muss beendet werden, indem ihm das ‚frische Blut‘ einer durch physische und moralische Gesundheit ausgezeichneten und daher überlegenen Nation zugeführt wird. Es ist der sozialdarwinistische Kampf der Völker, in dem das schwächere eben unterliegt. China ist das Land der Erstarrung, der Beraubung, der Ungerechtigkeit, der Verschmutzung, der Dummheit, des Hochmuts, des Egoismus, der Lüge, der Grausamkeit, der Feigheit, kurz, des Verfalls in jeder Beziehung, aber man könnte auch 31 Das Zeichen, das im Chinesischen angeblich konnotiert ist mit bösen Geistern und Dämonen, (ibid.) wird durch die Übersetzung mit barbarian zum Konfliktpunkt.
Die diskursive Konstruktion des Chinesen
179
– und das ist das merkwürdige – wieder viele Eigenschaften aufzählen, die ein glänzendes Kehrbild abgeben würden. Im Volke stecken sehr viele gute Eigenschaften, doch es ist eine ganz hoffnungslose Sache zu glauben, daß diese hinreichen, aus sich heraus China zu einem Staatengebilde zu reformieren, mit dem ein modus vivendi für die Kulturstaaten möglich wäre. Wir vermögen diesen Verfall mit seinen Folgen nicht länger zu ertragen, wir vermögen ihn aber auch nicht aufzuhalten und die Hauptschuld der Chinesen besteht darin, ihn nicht selbst aufhalten zu können. China war wie ein Mensch, der unter Kuratel gestellt werden m u ß t e ; wenn nichts anderes, so haben uns die furchtbaren Vorgänge in Peking über diese Notwendigkeit belehrt (Hamburger Nachrichten 1900, zit. bei Warneck 1900:8).
Es ist an der Zeit, die Maßnahmen in Augenschein zu nehmen, die das Volk unter Kuratel stellen sollen, um den „Verfall“ aufzuhalten.
3.4 Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung 3.4.1 Die „Chinesenordnung“ Die Chinesenordnung stellt den ersten und vorläufig wichtigsten Schritt zur Organisation der chinesischen Bevölkerung im Schutzgebiet dar. […]. [Sie] ist fundamental für die Behandlung der Chinesen im Schutzgebiet, sie enthält alles, was in strenger Ausübung der Oberhoheit im Interesse der Ordnung, Sicherheit und Gesundheitspflege, die von den Chinesen verlangt werden muss, wo sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Europäern leben.
Mit dieser Begründung übersendet Gouverneur Jaeschke dem Reichsmarineamt am 16.6.1900 den Entwurf der Chinesenordnung. Das Zitat fasst die ganze Bedeutung dieser Verordnung zusammen, die „die Chinesen“ künftig ordnen soll. Wie in den Gründungsnarrativen gezeigt, stellt die Chinesenordnung nicht den ersten Schritt dar. Diskurse und soziale Praxis haben bereits vorbereitet, was die Chinesenordnung jetzt für geltendes Recht erklärt. Die Verordnung soll die Chinesen (genauer wohl: die „Behandlung“ der Chinesen) organisieren; dass Chinesen ‚behandelt‘ werden müssen, liegt in der Sache selbst begründet: im Chinese-Sein. Sie ist „fundamental“, versteht sich also als Fundament der kolonialen Beziehungen. Schon deshalb muss auf ihre Bedeutung für das koloniale Konstrukt hin befragt werden, aber auch auf die Unabdingbarkeit, die darin ausgedrückt ist. Sie dient „der Ordnung, Sicherheit und Gesundheitspflege“, deshalb ist sie das Instrument „strenger Ausübung der Oberhoheit“. Sie ist ein Machtinstrument der Hegemonie und „verlangt“ von den Chinesen besondere
180
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Disziplin, da „sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Europäern leben“. Auch der Geltungsbereich, der damit umrissen wird, verdient Aufmerksamkeit.32 Als Verordnung des Gouverneurs hat die Chinesenordnung Gesetzeskraft. Diese Chinesenordnung wird flankiert und konkretisiert durch eine Fülle von Verordnungen. Die wichtigsten sind die Verordnung zum Polizeiwesen33 und die Verordnung zu den Rechtsverhältnissen der chinesischen Einwohnerschaft.34 Dazu kommen Einzelverordnungen des Gouvernements und der Polizei vor allem zu Sanitär- und Hygieneregelungen, aber auch zur Arbeitsordnung, zur Gewerbeordnung sowie zur Gebührenordnung. Selbst der Erlass des „Erbbaurechts“ (Schrameier 1914:26) steht im Dienst der Disziplinierung: Damit behält sich die Verwaltung „zur Erzwingung einer gewissen Sauberkeit und Ordnung“ (ibid.) die Enteignung des nur verpachteten Baugrunds in den Arbeitersiedlungen vor. Das institutionalisierte Hygieneregime sorgt dafür, dass aus den Vorgaben soziale Praxis wird. Doch die „unausgesetzt scharfe Kontrolle“ zur Durchsetzung dieser Bestimmungen provoziert immer auch Protest und Widerstand und zwingt zu Modifikationen im Vorgehen gegen die Bevölkerung: Diese Revisionen [Polizeikontrollen – H.R.] stellen an die Beamten ganz besondere Anforderungen, da bei aller Gründlichkeit der Eigenart der Chinesen in vieler Beziehung Rechnung getragen und daher ein erhebliches Maß von Kenntnis chinesischer Verhältnisse und Taktgefühl vorausgesetzt werden muss (Denkschrift 1908–1909:34).
Am Gewaltverhältnis selbst ändert sich nichts. Aus heutiger Sicht wirkt die Rede von der „Behandlung“ der Chinesen – respektive von ihrer „Sonderbehandlung“, wie es die erste Denkschrift (1899:10) formuliert – provozierend. Seinen Platz im Wörterbuch des Unmenschen (Sternberger 1962) hat der Begriff erhalten, da er die massenhafte Verfolgung, Verschleppung und Ermordung von ausgegrenzten Gruppen (vor allem Juden durch das NS-Regime) verharmlost und verschleiert: [D]ie Sprache verrät stets ebensoviel, als sie verbirgt. So sieht der teuflische Pferdefuß der anmaßlichen Selbsterhebung des Menschenbehandlers eben aus dem Wort selbst hervor: Wer Menschen behandeln will, Menschen schlechthin, wer sich in 32 QDG B0001-110-114:1. 33 Verordnung betr. die Ordnung des Polizeiwesens in Tsingtau von 1898. In: Mohr 1911:106. 34 Allerhöchste Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Kiautschou vom 15.04.1899. In: Kolonialgesetzgebung, Band IV.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
181
der Menschenbehandlung üben will, der setzt sich selber über die Menschen (op. cit.:90).
Zwar geht es nicht an, den Begriff hier mit der Bedeutung aufzuladen, die er in der NS-Terminologie erfahren hat. Doch dieses Verhältnis des „Menschenbehandlers“ zu den „behandelten“ Menschen reicht weiter zurück, zurück in die hier untersuchte Zeit, die die Machtverhältnisse systematisch auf der Basis von Differenzkonstrukten geordnet hat. Diese „Unter-Ordnung“ der Chinesen als Objekte deutscher „Be-Handlung“ ist das Fundament der Chinesenordnung. Entsprechend bedingungslos tritt die Macht auf, wenn sie beschreibt, was „konsequent durchgeführt“ wird (Crusen 913:52), „unter allen Umständen gefordert werden“ muss (Denkschrift 2901:27f.), um durch „eine unausgesetzte scharfe Kontrolle“ (Denkschrift 1909:35) eine „sorgfältige Überwachung“ der Bevölkerung (Denkschrift 1901:27) „durchzusetzen“. Sie inszeniert sich in der Chinesenordnung als strenger, aber gerechter „Übervater“, der „unerbittlich auf peinliche Durchführung aller Anordnungen der Verwaltung achtet“ und „Widerspruch und Auflehnung einzelner“ „an der strengen Sachlichkeit der Regierung“ scheitern lässt (Schrameier 1915:62). Die semantische Einheit von „Gesundheit und Sicherheit der Europäer des Stadtkreises Tsingtau“ (Denkschrift 1901:26) ist ein Produkt der „landscapes of fear“, die ich in Abschnitt 3.1.2 skizziert habe und dockt unmittelbar an die diskursive Einheit von Chinese-Schmutz-Kontamination-Krankheit an. „Als Drohmittel in außergewöhnlichen Zeiten“ und Ausdruck der „strengen Gerechtigkeit“ der Verwaltung rechtfertigt sie der maßgebliche Verfasser dieser Ordnung posthum nach dem Ende der deutschen Kolonie (Schrameier 1915:62). Die deutschen Soldaten und Bürgerwehren unter Waffen, die Panik, der Typhus, die Massen, der Schmutz, dieses ganze Konglomerat der Angst hat die Sicherheit ein für allemal mit der Gesundheit verkoppelt. In den „Maßregeln repressiver und präventiver Natur“ (Denkschrift 1901:26) wird diese Einheit kodifiziert. Die „Maß-Regeln“ zur Ordnung „der Chinesen“ bestehen aus einer Fülle von strafbewehrten Verboten und Überwachungsbestimmungen. Welches ist das Maß, das hier an „die Chinesen“ angelegt wird? Und was regelt es? Ist der Täter Chinese, so kann auf die Geldstrafe oder auf Freiheitsstrafe bis zu […] oder auf eine Prügelstrafe bis zu […] Hieben allein oder in Verbindung miteinander erkannt werden.35
35 Allerhöchste Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Kiautschou vom 15.04.1899. In: Kolonialgesetzgebung, Band IV.
182
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
So lautet die Standardformulierung der Verordnung zu den Rechtsverhältnissen. Es gibt Delikte, die nur Chinesen oder Chinesinnen begehen können. Der „Chinesendiskurs“ regelt die Identifizierung des Chinesen und verordnet dem „chinesischen Körper“ ein genau definiertes Maß. Es gibt auch Delikte und Strafen, zu denen nur Chinesen oder Chinesinnen der Unterschicht verurteilt werden wie zum Beispiel die „Prügelstrafe (nur bei Chinesen)“.36 Die Beurteilung von Delikten und Strafen ist abhängig vom „Bildungsstand des Verurteilten“ (Crusen 1913:47). Für die besseren Chinesen oder gar die Beamten a.D. gelten andere Regeln oder Strafen, sie werden nach anderem Maß befunden und bemessen. Auch die Chinesenordnung ist ein Element der Klassengesellschaft, die zweierlei Maß anlegt. Sie hat die Ordnung der chinesischen Unterschichten im Sinn, der Arbeiter und Kulis, der ‚kleinen Leute‘. Wogegen kann jemand verstoßen, wenn er oder sie Chinese oder Chinesin ist? Die Bestimmungen sind so vage und so weit gefasst, dass sie auf jeder Ebene der Ordnungsinstanzen nach Gutdünken ausgelegt werden können. Was genau ein Vergehen ist und welche Strafe es nach sich zieht, bleibt im Unklaren und ist Ermessenssache des Richtenden (Mühlhahn 2012:41). Die Willkür, mit der die Maßregeln einem Chinesen zugemessen werden, hat System. Der Polizist auf der Straße darf auf der Stelle „zehn Hieben“ verhängen. Der Polizeichef darf Geldstrafen von unter 10 Dollar und Prügelstrafen von 25 Hieben verhängen und sofort vollstrecken. Der Bezirksamtmann darf Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten, Prügelstrafen und Geldstrafen bis zu 500 Dollar in Verbindung mit einer Ausweisung aus dem Pachtgebiet verhängen. Die Strafen werden nicht dokumentiert, und es gibt keinen Rechtsweg, um sie anzufechten. Einen Richter sehen der Delinquent, die Delinquentin nur im Ausnahmefall, dann nämlich, wenn ein Europäer in den Rechtsfall involviert ist oder die Schwere der Tat ein Todesurteil erwarten lässt. Es gibt keine schriftliche Begründung des Urteils (Crusen 1913:6). Ein Berufungsrecht besteht erst ab einer Strafe von 250 Dollar bzw. ab einer sechswöchigen Haft. Der Richter hat die „völlige Freiheit der Wahl von Strafen und Strafrahmen und eine „große Formfreiheit des Verfahrens“: Er urteilt „nach freiem Ermessen“ (ibid.), ob nach chinesischem Gewohnheitsrecht oder deutschem Recht geurteilt wird. Freiheitsstrafen sind mit Arbeitszwang im Weg- und Ackerbau bzw. mit Einsatz im Transportwesen verbunden, sollen jedoch „mit Rücksicht auf den Bildungsstand der Verurteilten“ (op.cit.:47) bemessen werden. Auch Prügelstrafen werden nur gegen männlichen Angehörigen der unteren Klassen exekutiert, die besseren Chinesen erhalten Geldstrafen. 36 Verordnung betr. die Ordnung des Polizeiwesens in Tsingtau von 1898, §3. In: Mohr 1911:106.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
183
Die Exekutive genehmigt (oder untersagt), überwacht und straft in einer Instanz. Herrscher über die Maßregelung der Bevölkerung ist der „Kommissar für chinesische Angelegenheiten“, der „Chinesenkommissar“ Schrameier, der als Dolmetscher ohne juristische Ausbildung aus Shanghai berufen worden ist. Die 1899 geregelte Rechtsstellung der Chinesen37 besagt, dass Chinesen einer dreifachen Rechts- und Strafordnung unterworfen sind: allen Verordnungen des Gouverneurs und den damit angedrohten Strafen, den Gesetzen des Deutschen Reiches und schlielich den Strafgesetzen des chinesischen Reiches (§5): §6. Die zulässigen Strafen sind: 1. Prügelstrafe bis zu 100 Schlägen, 2. Geldstrafen bis zu $ 5000, 3. zeitige Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren, 4. lebenslängliche Freiheitsstrafe, 5. Todesstrafe.38 Auf sie kann allein oder in Verbindung miteinander oder mit Ausweisung aus dem Schutzgebiet erkannt werden.39 […] §10. Die Freiheitsstrafe kann mit Zwangsarbeit verbunden werden. […] Widerspenstige Personen dürfen bei der Arbeit gefesselt werden (ibid.).
Der Geltungsbereich der Rechtsordnung erlischt da, wo kein Interesse des Gouvernements an Chinesen und chinesischen Angelegenheiten besteht.40 Die Chinesenordnung erfüllt ihre Aufgabe als Machtinstrument der Grenzsicherung, denn „sie hat auch dem Chinesen den Weg gezeigt, wie er sich mit den Europäern abzufinden habe, und genau die Grenzen der Forderungen gezogen, die bei einem Zusammenleben mit den Europäern an ihn gestellt werden konnten und mussten“.41 Die Zonen des Zusammenlebens sind die Kontaktzonen, in denen die Gefahr allzu großer Nähe zu den Chinesen die koloniale Segregation bedroht. Misstrauisch beäugt der panoptische Blick die Bewegungen der chinesischen Bevölkerung: den Mann, der nachts auf den unbeleuchteten Straßen der Chinesenstadt unterwegs ist, sichtbar nur durch den Schein der La-
37 Allerhöchste Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Kiautschou vom 27.04.1898. In: Kolonialgesetzgebung, Band IV. 38 Die Todesstrafe durch Enthauptung wird mit den chinesischen Bräuchen erklärt. 39 Verordnung, betr. die Rechtsverhältnisse der Chinesen. Vom 15.04.1899. In: Kolonialgesetzgebung, Band IV, 167. 40 Um zivile Konflikte der chinesischen Gemeinden haben sich die vom Gouverneur ernannten und rechenschaftspflichtigen chinesischen „Vorsteher“ zu kümmern. Sie sollen an die Stelle der in Qingdao fehlenden patriarchalen Autorität der chinesischen Familie treten (§3) und in Zivilsachen nach chinesischem Gewohnheitsrecht richten; nur wenn sie einen Zivilstreit nicht lösen können, entscheidet der Bezirksamtmann. 41 QDG B0001-113-79:42.
184
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
terne, die er zu diesem Zweck „vor sich her“ (§5)42 zu tragen hat, die Versammlung (§7), die sich zu einer Zusammenrottung der Massen auswachsen könnte, den typischen chinesischen Umzug, der bei feierlichen Anlässen mit Lärm und Gepränge durch die Straßen führt (§8) und nicht zuletzt das Mobilisierungspotential der stets kritischen chinesischen Presse und der chinesischen Theater, denen „unanständige oder politisch aufreizende Aufführungen […] nicht gestattet“ werden.43 Eine Zensur findet statt (§6). Die Herbergen unterstehen der strengsten Kontrolle. Sie sind die verdächtigen „Nicht-Orte“ (Augé) des Transits, des flüchtigen Aufenthalts, aufgesucht von Reisenden, Durchziehenden. Sie sind das Symbol „der geringen Sesshaftigkeit der unteren chinesischen Bevölkerung, die sich gerade dort aufhält, wo sie Arbeit findet“,44 und die daher nicht zu fassen ist. Herbergen unterliegen der Genehmigungspflicht (§25). Sie sind Objekte ständiger Überwachung und Disziplinierung: den Polizeikontrollen, den Razzien „zu jeder Zeit, Tag und Nacht“ (§28), auch in Privatwohnungen, die der illegalen Beherbergung verdächtigt werden, der „Luftraumberechnung“, die einem Herbergsgast die ihm zustehende Raumluft zuteilt (§30,)45. Man durchkämmt die Räume nach Vermietungen „zur Unsittlichkeit“ (§32) und an „Verbrecher“ (ibid.). Mit diesen Bestimmungen sind dem Gouvernement „alle Mittel in die Hand gegeben, in sanitärer und ordnungspolizeilicher Hinsicht leicht eine Kontrolle über eine aus den verschiedensten Elementen sich zusammensetzende Bevölkerung auszuüben“,46 und das „auf lange Zeit hinaus“ (op.cit.:45). Jeder Herbergsbesitzer ist verpflichtet, alle Gäste zu melden, auch die chinesischen Hausbesitzer müssen ihre Mieter (§23) registrieren lassen. Es ist „selbstverständlich“, dass „nur von Chinesen bewohnte Häuser der Registrierung unterworfen“ werden (op.cit.:33). Mit der Chinesenordnung wird die Mobilität der chinesischen Bevölkerung dem allgegenwärtigen Auge der Macht „unterworfen“. Dieses Auge ist auch auf die ‚gesundheitsgefährdenden Verhältnisse‘ gerichtet. Die Chinesenordnung sieht einen wahren Exorzismus von chinesischem Schmutz vor:
42 Alle Paragraphen beziehen sich auf die Chinesenordnung von 1901 (QDG (QDG B0001-110-121). 43 Polizei-Verordnung, betreffend den Verkehr von Fahrzeugen, den Betrieb von Schank- und Hotelwirtschaften, chinesischen Theatern und Konzerthäusern und Pfandhäusern im Schutzgebiet Kiautschou“. Vom 10.06.1902. (Amtsblatt 1902:86ff.). In: Kolonialgesetzgebung, Band IV, 71. 44 QDG B0001-110-160:11. 45 Vgl. Abschnitt 2.1.3. 46 QDG B0002-113-79:41.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
185
Der Hauseigentümer ist verpflichtet, auf Ruhe und Ordnung im Haus zu halten, die Abfuhr von Schmutzwasser und dergl. täglich vornehmen zu lassen, sämtliche Fußböden und Treppen täglich auszukehren und alle drei Tage zu scheuern, mindestens 2 Stunden lang täglich außer bei schlechter Witterung und Anwesenheit Kranker im Hause die Stuben zu lüften und mindestens einmal im Januar die Wände mit Kalkmilch zu weißen (§ 33).
„…wie soll so etwas kontrolliert werden“, kommentiert das Reichsmarineamt am Rand des Verordnungstexts.47 Eine solche Detailliertheit der „Ordnung, die fundamental sein soll, heißt dieselbe mit Gewalt auf ein kleinliches Niveau herabdrücken in ihrer Bedeutung herabdrücken“.48 Der Kommentar moniert, dass die Registrierungspflicht „weder in Bezug auf Ruhe und Ordnung noch in Bezug auf Ergreifbarkeit durch die Polizeiorgane das Geringste nützt“ (op. cit.:11). Das Herbergsreglement lese sich wie die Hausordnung von Krankenhaus oder Kaserne, einzelne Bestimmungen gingen „weit über das hinaus, was notwendig erscheinen mag“ (op.cit.:13). Durch Vorschriften, die nicht durchsetzbar sind, „würde der chinesische Bewohner nur daran gewöhnt werden, die Verordnungen außer Acht zu lassen“ (op.cit.:15) und damit die deutsche Autorität untergraben: Um glaubwürdig zu sein, muss ein Verbot realistisch sein. Unter dem nüchternen Blick der vorgesetzten Behörde verstärkt sich der Eindruck, dass Kontrollwahn und totalitäres Phantasma die Feder bei der Abfassung der Chinesenordnung geführt haben. In der semantischen Umgebung der „Durchführung“49 und „Durchsetzung“, in die die Verordnung sprachlich eingebettet ist, bekommt die kleinliche Überregulierung chinesischen Lebens den Geschmack verbissener Entschlossenheit, den Anderen unbedingt unter Kontrolle zu bringen. Dabei kann von einer erfolgreichen Umsetzung der Chinesenordnung keine Rede sein. Verstöße gegen die Vorschriften und die dafür verhängten Strafen sprechen eine deutliche Sprache. Und in den chinesischen Stadtgebieten greift die Kolonialverwaltung ohnehin nur da ein, wo sie eigene Interessen berührt sieht. Als Machtinstrument der Grenzsicherung zielt die Chinesenordnung auf die Gebiete, in denen Chinesen „in unmittelbarer Nachbarschaft von Europäern leben“.50 In diesen Räumen des Kontakts geht es um Performanz des kolonialen Herrschaftsraumes mit dem Instrumentarium der Chinesenordnung, 47 QDG B0001-110-121:14. 48 Im Auftrag von Tirpitz: „An das Gouvernement von Kiautschou. Auf den Bericht vom 16.06.1900. Seitens Seiner Exzellenz“ (QDG B0001-110-160:15). Durchgestrichen im Original. 49 Vgl. Sternberger 1962:31f. 50 QDG B0001-110-114:1.
186
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
das heißt: Die koloniale Macht inszeniert unablässig Situationen der Unterwerfung, in denen sich die symbolische Ordnung der Exklusion und Marginalisierung des Anderen immer wieder erneuert und bestätigt. Der Diskurs aus Worten und Zeichen vermittelt ein Bild von Härte und Konsequenz des bürokratischen Apparats und damit die Illusion vollkommener Kontrolle über die Kolonisierten. Doch der Verstoß gegen die Vorschriften, die Ausweichmanöver, der passive Widerstand, das „foot-dragging“ (der schleppende und widerwillige Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, der im Englischen so anschaulich ins Bild gesetzt ist) – solche Verweigerungsakte legen offen, wie widersprüchlich und mehrschichtig die Beziehung ist, die durch die Disziplinierung entsteht. Die reibungslose Unterordnung der chinesischen Bevölkerung unter das Hygieneregime misslingt, da zwei Ordnungen (die deutsche und die chinesische) trotz des Machtgefälles in Konkurrenz zueinander existieren und die Mehrheit der Bevölkerung unter den kolonialen Bedingungen sozialer Transformation ihre eigenen, von chinesischen kulturellen Mustern geprägten Alltagsstrategien entwickelt. An zwei Beispielen möchte ich die Interaktion von Chinesen und Deutschen unter dem Regime der Chinesenordnung konkretisieren: an den Rikschakulis und den Prostituierten. Rikschas und Bordelle sind Zonen des Kontakts. Auf je eigene Weise stehen diese Zonen für kaum kontrollierbare Mobilität und den Verlust von Distanz. Das macht sie so brisant. Deswegen ist es stimmig, dass die Disziplinierung am konsequentesten und schärfsten in diesen Kontaktzonen durchgesetzt wird, da, wo unmittelbar zutage tritt, wie durchlässig und verwischt die Grenzen zwischen Hier und Dort tatsächlich sind.
3.4.2 Rikschakulis und Prostituierte Es ist wenig überliefert über die Menschen, die Europäer und wohlhabende Chinesen durch die Stadt zogen. Für Europäer sind sie chinesisches Lokalkolorit; so „kann man sich eine Rikscha ohne den schlitzäugigen und bezopften Kuli garnicht denken“ (OAL 2.2.1908). Beim ersten Mal „berührt es zunächst etwas peinlich, daß ein Mensch als Zugtier vor einem trabt […]. Aber bald gewöhnt man sich daran […] und feuert dann später selber auch recht energisch mit ‚quai quai‘ ‚schnell schnell‘ die säumigen braunen Waden an“ (Weicker 1908:46). Vor seinen Augen hat der weiße Fahrgast den stereotypen bezopften Rücken und braune Waden „in demselben Trab und mit derselben stoischen Ruhe“ (OAL 2.2.1908). Doch mit seiner ganzen physischen Präsenz, die der Fahrgast für die Dauer einer Fahrt unmittelbar vor Augen hat, hebt der Rikschakuli die Distanz auf, die ihn gewöhnlich von den Europäern trennt. Und diese wissen sehr wohl, dass das „Zugtier“ kein Tier ist. Die europäischen Beschreibungen des Chinesen
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
187
verraten (Abschnitt 3.3), wie genau der Fahrgast die maskuline Körperlichkeit des Kulis wahrnimmt: In der Nähe des exotischen Anderen schwankt er (oder sie) zwischen Abscheu und Anziehung. So schafft die körperliche Nähe eine Verbindung zu dem Menschen vor ihm, die sich nicht mit seiner Degradierung zum Zugtier verleugnen lässt. Und tatsächlich scheint, wenn vom Rikschakuli die Rede ist, auch immer wieder eine gewisse Anteilnahme an dem Menschen durch, der von Armut und so harter, gesundheitsgefährdender Arbeit gezeichnet ist: „traurig, aber: das ist das Leben“ (ibid.). Letztlich bleibt der Rikschakuli ein Stereotyp. Im „Chinesendiskurs“ ist er vor allem eine Gefahr. Denn die Transportarbeiter – auch Lastträger und Schubkarrenfahrer – haben Zutritt zur Europäerstadt, sind solcherart allgegenwärtige und flüchtige Grenzgänger zwischen zwei Welten. Diese Mobilität macht sie verdächtig. Sie sind daher Gegenstand einer ganz besonders rigiden Überwachung und Disziplinierung durch das ‚Auge des Gesetzes‘. Der Rahmen dafür wird von der Chinesenordnung gesetzt und in Polizeiverordnungen explizit gemacht. Seit 1898 werden sämtliche Fahrzeuge – Rikschas, Lastenfahrzeuge und „Sampans“ (kleine, chinesische Boote für den lokalen Transport zu Wasser) vermessen, klassifiziert, nummeriert und registriert. Und „Lastwagen haben Schilder mit Namen und Nummer sichtbar zu führen“. „Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 50$, körperlichen Züchtigungen und Einziehung des Fahrzeugs bestraft“.51 Auch „kreischende Schubkarren“ sind in der Europäerstadt und in Dabaodao verboten (nicht in den chinesischen Vierteln52), wer dagegen verstößt, verliert Gefährt und Ladung. Die Gewerbeordnung legt die Bedingungen und Gebühren für die Zulassung des Gewerbes fest: Wer seine Gebühren nicht bezahlt oder keinen Gewerbeschein vorweisen kann, wird bestraft. „Fahrzeuge (Boote, Rikschas, Fahrräder u.s.w.) können bis zur Zahlung hinterzogener Gebühr und verwirkter Strafe in polizeiliche Verwahrung genommen werden“.53 In den Polizeiverordnungen werden Fahrvorschriften sowie eine detaillierte Gebührenordnung für Rikschafahrten erlassen. §5 sieht „besondere Bestimmungen für Rikschas“ vor: „nur kräftige und gesunde über 18 Jahre alte Leute“ dürfen eingestellt werden“. „Ihre Anzüge sollen sauber sein“. „Jede Belästigung des Publikums durch Anrufen und Anrennen von Passanten oder dergleichen ist verboten“.54 §6 verbietet alles, was den 51 52 53 54
188
Verordnung betr. die Fahrzeuge der Chinesen vom 07.07.1898. In: Mor 1911: 129. Verordnung betr. kreischende Schubkarren. Amtsblatt 1901/251. In: Mohr 1911:130. Verordnung, betr. Gewerbescheine. Amtsblatt 1904:251. In: Mohr 2911:142. §5 und §6 der „Polizei-Verordnung, betreffend den Verkehr von Fahrzeugen, den Betrieb von Schank- und Hotelwirtschaften, chinesischen Theatern und Konzerthäusern und Pfandhäusern sowie der Veranstaltung von Lotterien und Ausspielungen im Schutzgebiet Kiautschou“ vom 01.11.1904 (Amtsblatt 1904). In: Deutsche Kolonialgesetzgebung, Band 42.
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Überwachungsorganen zur ‚Aufrechterhaltung der Ordnung‘ geraten erscheint: „Den Anordnungen, welche die Polizei zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit des Verkehrs auf den öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen trifft, ist unbedingte Folge zu leisten“. Dazu zählen auch Vergehen wie das Knoblauchessen oder fleckige Bezüge in der Rikscha. Kodifiziert ist diese Polizeigewalt in der Polizeiverordnung von 1898: „Der Polizeioffizier ist befugt, gegen Chinesen bei Übertretungen und Zuwiderhandlungen gegen Verordnungen des Gouvernements […] eine sofort zu vollstreckende Strafe bis zu 25 Hieben zu verhängen“.55 Es gibt zwischen 1.200 bis 2.000 Rikschafahrer in Qingdao und damit zahllose Gelegenheiten für Disziplinierungen (Huang 1999:124). Die drakonischen Strafen – von der Demütigung durch extensive Prügel bis zum Verlust der Existenzgrundlage – müssen nicht einmal ausgeführt werden, ihre Wirkung liegt liegt vor allem in der Androhung des omnipräsenten, willkürlichen „Überwachens und Strafens“. Einen „Höhepunkt“ (im Wortsinn) erreicht die panoptische Überwachung, als die Kolonialverwaltung 1909 ein „Rikscha-Depot“ errichtet. Es liegt zu Füßen der Polizeistation. Dieses „in neu-nürnbergischer Art mit stolzem Turm und Giebel hingesetzte Gebäude, die Behausung des Gerichts, der Polizeistation, des Gefängnisses und des Rikaschadepots“ (Paquet 1913:297), stellt selbst ein Panoptikum dar. Ein sechsgeschossiger Turm, hoch über den umliegenden zweigeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern, im Stil der deutschen Neorenaissance und ein sehr hohes, sehr steiles Dach unterstreichen den wehrhaften Charakter des Gebäudes. Wie ein Grenzposten steht es genau auf der Grenze zwischen Europäerstadt und Dabaodao. Hier nun wird, östlich der Polizeistation, das Rikscha-Depot angelegt, ein weitläufiges Gelände, das Küche und Speiseräume, Badezimmer, eine Wäscherei und Werkstätten beherbergt. Vier Gemeinschaftswohn- und -schlafräume sind für jeweils 200 Menschen vorgesehen. Die Kosten für Bau und Unterhaltung des Depots werden vom Gouvernement subventioniert, damit die Mieten in den Kuli-Herbergen unterboten werden können. Auf diese Weise werden den chinesischen Herbergen die Kunden abgeworben. Das Ziel der Maßnahme ist „eine Kasernierung der Rikschakulis“ (Denkschrift 1908/09:35) unter der direkten Aufsicht der Polizei. Deswegen werden die Fahrer hart bedrängt, der Einquartierung zu folgen und sich den Bestimmungen der Kasernierung zu unterwerfen. „Die Einrichtung, der erste Versuch dieser Art in Ostasien, hat sich gut bewährt und großen Anklang im Publikum gefunden“ (ibid.). Die „Musteranstalt“ wird als „als vorbildliches Werk auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge“ gelobt (OAL 3.11.1911) und als leuchtendes Vorbild für die Zivilisierung „schmutzstarrender“ Fahrer, Fahrzeuge und Unterkünfte hingestellt. 55 Verordnung betr. die Ordnung des Polizeiwesens in Tsingtau von 1898, §5. In: Mohr 1911:106.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
189
Die Kasernierung ist ein probates Mittel der Überwachung und der Kontrolle des chinesischen Raumes. Sie bestätigt die Autorität der Macht, sie schränkt die Mobilität riskanter Gruppen ein und stellt die soziale Distanz wieder her, die in der Intimität des Umgangs im hybriden Raum verloren zu gehen droht. In Kapitel 2 wurde die Kasernierung von Arbeitern und Lehrlingen vorgestellt, die „Deutsch-chinesische Hochschule“ und die Missionsschulen mit ihren Internaten sind ähnliche „Kasernierungs“-Projekte. Schließlich wird auch jene Bevölkerungsgruppe „kaserniert“ (zumindest der Absicht nach), deren Körperlichkeit und Nähe die größte Bedrohung in den Kontaktzonen darstellt: die Prostituierten von Qingdao. Gefahr droht nicht nur von den wilden Prostituierten. Bei dem gewaltigen Zuzug männlicher, meist unverheirateter Arbeiterbevölkerung und dem guten Verdienste mußte mit Notwendigkeit bald ein Dirnentum gefährlichster Sorte auftreten, gegen das trotz strenger Verbote und Überwachung ein sicherer Schutz sich nicht ermöglichen ließ (Uthemann 1911:25).
Es ist bemerkenswert, mit welcher Gelassenheit das Gouvernement die Feststellung einer „nicht geringen Anzahl venerischer Erkrankungen“56 unter den Marinesoldaten trifft, obwohl die Verbreitung von Syphilis um ein Vielfaches höher ist als die von Darmtyphus, der doch im Schmutzdiskurs eine so wichtige Rolle spielt. Während des „Boxerkrieges“ zum Beispiel leiden 90 Prozent der erkrankten Soldaten in den Feldlazaretten an Syphilis (Eckart 1989:33). Moralische Bedenken löst dies nicht aus. Prostitution ist ‚normal‘, wenn auch nicht ohne Risiko. Seesoldat Krüger erinnert sich an seine Militärzeit im II Seebataillon in Qingdao: Doch das, was jeder junge Mann in der Heimat haben konnte, nämlich sich eine Freundin anschaffen […], das hatten wir nicht. […] Und diejenigen von uns, die ganz und gar der Ansicht waren, nicht auf den intimen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht verzichten zu können, fanden in gewissen Häusern, die abseits der Chinesenstadt Tapautau lagen, das, was sie suchten. Dort haben sie sich dann „die Krankheit weggeholt“ (Krüger 2001:110).
In der Männerkolonie an der Jiaozhou-Bucht wird die Ventilfunktion der Prostitution (nicht anders als in Deutschland) stillschweigend anerkannt. Die Prostitution selbst wird ausschließlich als ein Problem der Syphilis repräsentiert: „Um einer größeren Verbreitung der Geschlechtskrankheiten wirksam entgegenzutreten, wurde die Prostitution polizeilich überwacht; auch wurden die 56 QDG B0001-149-107:7.
190
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
geschlechtskranken Dirnen entsprechender Behandlung unterworfen“ (Denkschrift 1901:29). Der Grund für die Verbreitung: die „flammende Prostitution“ aus der Zeit des chinesischen Forts, deswegen sind „unter den Mannschaften des Kreuzgeschwaders häufige Ansteckungen vorgekommen“.57 Damit ist autoritativ eine Kausalität konstruiert. Die daraus abgeleitete Deutung erscheint rational und zwingend: Die Prostituierten sind „geschlechtskrank“ und „stecken die Soldaten an“. Deswegen müssen sie als Objekt der „Behandlung“ „unterworfen“ werden. Die Deutung besagt also: Prostituierte sind verantwortlich für die Syphilis-Erkrankung von Männern die sich ihre Dienste kaufen; Männer ‚holen sich die Krankheit weg‘, die sie zuvor nicht hatten. Der Umstand, dass diese Frauen zuvor von Männern „angesteckt“ wurden, bleibt ausgeblendet. Es ist ein auch medizinisch widersinniges Konstrukt. Gerade die Marineärzte wissen am besten, dass „die große Gefahr geschlechtlicher Ansteckung in den ausländischen Hafenplätzen, welche Sie auf Ihrer Ausreise anlegen“, besteht. Ärzte, die in den Kolonialdienst eintreten, werden besonders vor den großen Hafenstädten der imperialistischen Schifffahrtsrouten gewarnt, die zu den „am stärksten verseuchten Plätzen der Erde“ gehören (Plehn 1902:188f.). Und gerade das Militär ist Vorreiter bei der Einführung der Zwangsprävention durch Reihenuntersuchungen ( Jütte 1998:24). Dies kann als ein stillschweigende Anerkennung der Tatsache gewertet werden, dass Männer infiziert sind und „die Ansteckung“ überall hintragen. Der Widersinn des Konstrukts wird aufgelöst durch die Behauptung, Syphilis sei eine ‚erbbiologische‘ Krankheit der Proletarier, der ‚Entarteten‘ und der ‚Eingeborenen‘. Deswegen ist sie in China eine ‚Chinesenkrankheit‘.58 „Geschlechtskrankheiten sind, wie überall in China, auch hier sehr verbreitet und zeichnen sich durch eigenartige Schwere aus“,59 deshalb gilt „eine Kontrolle und ärztliche Überwachung der sich prostituierenden Frauenspersonen als erforderlich“.60 Auch „dass ich eine größere Anzahl von chinesischen Prostituierten, welche […] sich der Kontrolle zu entziehen wußten […], habe ausweisen lassen“, habe die Lage verbessert,61 lässt der Gouverneur wissen. Die Verbesserung ist wohl eher der monatlichen Untersuchung des gesamten Marinepersonals und der Zwangsbehandlung mit Silbernitrat (Eckart 1997:480) geschuldet. Allerdings kennt die Berichterstattung über Syphiliserkrankungen nur „Leute“. „Leute“, das sind die Unterschichten im Kaiserreich und die Mannschaftsgrade des III See-Bataillons. 57 58 59 60 61
QDG B0001-149-02:5. Vgl. Weindling 1989:182; Watts 1997:161ff; Corbin 1993:125ff;, Ulrich 1989:28ff. QDG B0001-149-02:5. QDG B0001-114-78:1. QDG B0001-149-155:8.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
191
Doch die Untersuchungen der Deutschen spielen im Diskurs über Prostitution und Syphilis keine Rolle. Es geht ausschließlich um die „Überwachung und Untersuchung der Prostituirten“ (Denkschrift 1901:21). Andererseits wird die Prostitution in Qingdao für die Öffentlichkeit gezielt heruntergespielt, um den ‚guten Ruf‘ der reinen Musterstadt nicht zu beschädigen. Eine Information der Öffentlichkeit über die Maßnahmen der Kolonialverwaltung „hätte nur unnötigerweise die Aufmerksamkeit auf das Prostituiertenunwesen in der Kolonie gelenkt und zu unerwünschten Erörterungen in der Presse Anlass geben können“.62 Syphilis gilt als ‚die Lustseuche‘ und stigmatisiert Prostituierte und erkrankte Männer, denn sie ist der biologische Beweis einer stigmatisierten Interaktion: „Contagion, in short, charts social interactions that are often not otherwise visible“ (Wald 2008:37). Syphilis macht den Charakter der sozialen Interaktion transparent, auf die sie zurückgeht. Sie verrät den Tabubruch, der in der Befriedigung des sexuellen Begehrens auf der anderen Seite der Grenze, beim verabscheuten und begehrten Anderen, liegt und stellt die bürgerliche Doppelmoral männlicher Promiskuität bloß. Prostituierte und Syphilis schreiben die koloniale Landkarte des Begehrens, der Gewalt und der Sexualität als Ware. Die Doppelmoral ist dazu da, das Begehren des Mannes zu befriedigen und trotzdem das bürgerliche Frauenbild und die moralische Ordnung zu bewahren. Das gefallene Mädchen ist die aus der Tugendordnung ausgegrenzte Triebhaftigkeit, die der männlichen Kontrolle „unterworfen“ wird, zumal wenn es ein Mädchen einer Rasse ist, die als besonders schmutzig und verkommen gekannt wird. Hier tritt die sexuelle Ebene des Schmutz-Diskurses besonders deutlich zutage. Und es wird deutlich, dass es im kolonialen Begehren immer um das Eine geht: um Unterwerfung. Die Syphilis ist das Stigma der Prostituierten. Um es für alle sichtbar zu machen, müssen alle Frauen, auch die gesunden, „sich regelmäßig ärztlicher Kontrolle unterwerfen“ (Kronecker 1913:16). Es gilt die Polizeiliche Anordnung für Prostituierte vom 19.1.1899: Nach §361 StGB wird mit Haft bestraft eine Weibsperson, welche wg. gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.63
Das pünktliche Erscheinen der Frauen „jeden Sonnabend Nachmittag um 3 Uhr“ in der „Anstalt des Polizeiamtes zur Erhaltung der Gesundheit und zur 62 QDG B0001-114-78:1. 63 QDG B0001-114-178:3.
192
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
Abwendung dem Publikum drohender Gefahren“ (ibid.) erneuert das Stigma der Prostituierten. Die regelmäßige Untersuchung „auf ihren Gesundheitszustand“ gegen eine Gebühr – Chinesinnen $1, Nichtchinesinnen $3 – und mit Kontrollbuch (ein „amtlich gestempeltes Kontrollbuch“ ist jederzeit mitzuführen – macht die Unterwerfung ihres Körpers unter den Mann – den Polizisten, den Arzt, den Befehlshaber – zu einer institutionalisierten physischen Realität. Er verfügt, dass „für krank befundene Personen“ „in besondere Räume“ (ibid.) zwangseingewiesen werden. Dort werden „die geschlechtskranken Dirnen entsprechender Behandlung unterworfen“ (Denkschrift 1900–1901:29). Zur besseren Absonderung wird 1906 ein eigenes „Prostituierten-Krankenhaus“ errichtet, das mit Räumen für die wöchentlichen Untersuchungen und 60 Krankenbetten die Infrastruktur der Verfügungsgewalt darstelt, das „von der Bevölkerung jedoch nur in geringen Umfang angenommen“ wird: Durchschnittlich sind dort nicht mehr als zehn Kranke, meist Japanerinnen und Chinesinnen, untergebracht (Uthemann 1911:25). Im Koordinatensystem von Überwachung, Untersuchung und Behandlung werden die Frauen zum Objekt männlichen Handelns und in einem System der Einschließung in ein Milieu gefangen, dem sie nicht entkommen können. Ihre „Kasernierung“ im „Prostituierten-Krankenhaus“ ist Teil des Systems. Auch das Bordell gehört zum System: „Die Häuser, in welchen öffentliche Frauenzimmer sind“,64 liegen im Rotlichtviertel von Dabaodao, ganz im Norden am Rande des Stadtteils und „unterstehen […] einer scharfen polizeilichen Aufsicht, und die Insassen einer regelmäßigen Untersuchung“ (Uthemann 1911:25). Die „Kasernierungs“bemühungen sind allerdings nur mäßig erfolgreich: Die Nachforschungen haben ergeben, daß ein großer Teil der Leute sich bei umherstreifenden, der Prostitution ergebenen Frauenzimmern angesteckt hat. Die Polizei hat Anweisung erhalten, durch regelmäßige Streifzüge diese Frauenzimmer zu vertreiben.65
Was schon 1905 beklagt wird, ist bis 1913 nicht gelöst, obwohl „der Geschlechtsverkehr mit den im Forstgebiet sich herumtreibenden wilden Prostituierten verboten [ist]. Das Polizeiamt wurde gebeten, öfters Razzien auf diese Dirnen abzuhalten“.66 Die Verfolgung gilt der wilden Prostituierten, die sich der männlichen Autorität und Aufsicht entzieht: der „Weibsperson“, „welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt“ und deswe-
64 QDG B0001-149–69:3. 65 BArch RM 3/6744–6767. Zit. nach Biener 2001:283. 66 Ibid.
Unter Kuratel: Instrumente der kolonialen Disziplinierung
193
gen „[n]ach §361 StGB mit Haft bestraft“ wird.67 Auch das „Chinesengefängnis“ in Licun ist Teil des Kasernierungssystems, das ihre Bewegung beschränkt. Gefahr droht nicht nur von „wilden Prostituierten“, sondern auch von den „chinesischen Bordellen“. So werden die Bordelle genannt, in denen chinesische Männer verkehren. Eine ärztliche Kontrolle dieser Häuser wird als „zu schwierig und nutzlos“ (Uthemann 1911:25) befunden, weshalb man darauf verzichtet und stattdessen die Segregation der Sexualität verordnet, indem „für Militärpersonen das Verbot des Betretens der von Chinesen besuchten Bordelle“, erlassen wird. Schließlich werden die ‚Chinesenbordelle‘ „den Europäern gänzlich verboten“ (Kronecker 1913:16). Die Verantwortung für die Einhaltung des Verbots liegt bei „den Inhabern der von Chinesen besuchten Bordelle bei hoher Strafe“ (ibid.). Die verbotenen Häuser werden durch blaue Kreuze gekennzeichnet.68 „Europäer-Bordelle“ „unterstehen dagegen einer scharfen polizeilichen Aufsicht, und die Insassen einer regelmäßigen Untersuchung“ (Uthemann 1911:25); „Den Besuch von Chinesen dürfen sie bei Androhung schwerer Strafe nicht empfangen“ (Kronecker 1913:16). Die Verordnungen und Überwachungsmaßnahmen räumen der nicht-integrierten – außerehelichen – männlichen Sexualität einen Freiraum innerhalb der Moralordnung der bürgerlichen Gesellschaft ein. Indem der Raum nicht definiert wird durch Sexualität, sondern als medikaler Raum der Infektion, unterliegt er der sanitätspolizeilichen Überwachung und Kontrolle. So wird die Gültigkeit der Moralordnung nicht in Frage gestellt, die Eingehung des medikalen Raums in die Machtordnung sichergestellt und die grenzverletzende intime Begegnung von „Weißen“ und „Farbigen“ aus dem Diskurs verdrängt. Die Prostituierten finden sich ausgegrenzt aus der Ordnung im medizinischen und im strafrechtlichen Raum „entsprechender Behandlung“ und Kasernierung wieder. Die Medikalisierung der Prostitution mit Hilfe der Präventionsstrategien gegen Syphilis ist eingebettet in eine medikale Ordnung, die auf dem biomedizinischen Konstrukt Krankheit und im Besonderen auf dem Konstrukt Epidemie basiert. Beide Konstrukte entwickeln sich im Rahmen der bakteriologischen Forschungen, die gerade in den Kolonien und getragen von den kolonialen Machtstrukturen vorangetrieben werden und neue Erkenntnisse und Interpretationen von Gesundheit und Krankheit hervorbringen. Die Bakteriologie trägt neue Deutungen in die urbanen Raumbilder sowohl in den Metropolen als auch in den kolonisierten Peripheren. So geschieht es auch in Tsingtau.
67 QDG B0001-114–178:3. 68 QDG B0001-149-69:2.
194
Der Chinese als hygienisches Problem: Die Konstruktion einer Diskursfigur
4. GESUND UND KRANK IN QINGDAO Im Hygienediskurs steht der Topos von der gesündesten Stadt als Metapher kolonisatorischen Erfolgs. Die sanitäre Oase der gereinigten Europäerstadt ist die ‚Wirklichkeit‘ gewordene Modernisierungsutopie. Der Sieg über chinesische Rückständigkeit und die Stabilität der trennenden Grenzen verdankt sich der deutschen Kontrolle über die Stadt und ihre chinesische Bevölkerung und stellt die kolonisierende Kraft der jungen Weltmacht unter Beweis. Doch diese Phantasie wird regelmäßig unterminiert. Periodisch auftretende Infektionskrankheiten, allen voran Typhus und Ruhr, aber auch die latente Gefahr von Cholera- und Pestausbrüchen, setzen das Sicherheitsversprechen des hygienisierten Raumes in den privilegierten Stadtvierteln außer Kraft. Die Kolonisten sehen sich mit einer ganz anderen Raumerfahrung konfrontiert. Vor der Realität offenbar unausrottbarer gefährlicher Krankheiten löst sich die imaginäre Mauer um das sanitäre Paradies in Luft auf und gibt den Blick frei auf das Bild einer verschwindend kleinen Menge Privilegierter inmitten einer überwältigenden Mehrheit von Fremden, die als gefährlich eingestuft werden. Epidemien überschreiten Grenzen. Sie bedrohen auch das Leben der deutschen Bürger. Infektionskrankheiten zerstören die Fiktion des geschützten Raumes. Infektionskrankheiten machen machtlos. Sie brechen unvorhersehbar und unkontrolliert aus. Sie bedrohen die Sicherheit und die geltende Ordnung. Die Beobachtung der gefährlichsten Epidemien (Cholera in Indien 1817–1821, Cholera in Hamburg 1893, Pest in Hongkong 1894) und der als allgegenwärtig erachteten Malariagefahr rückt diese Bedrohung in das Bewusstsein der Behörden sowohl in Deutschland als auch in den Kolonien. Sie entwickeln Präventionskonzepte, die die Gefahrenkontrolle und den Schutz der Bevölkerung versprechen. Der Präventionsgedanke beruht auf Vorstellungen von Krankheit und besonders von Infektionskrankheiten, die die biomedizinische Forschung des 19. Jahrhunderts entwickelt. Mit der Erforschung von Infektionskrankheiten gelangt die Bakteriologie zu Einfluss und gesellschaftlicher Autorität. Bakteriologen verändern den bis dahin geltenden Hygienediskurs. Dies hat Auswirkungen auf die medikalen Raumbilder der Hygiene. Bakteriologisch geprägte Raumbilder werden bestimmend für die Präventions- und Interventionsstrategien des Staates. Der Kampf gegen epidemische Krankheiten in Qingdao ist von diesen Raumbildern geprägt. Die Klassifizierung von Typhus und Ruhr als Chinesenkrankheiten bekommt eine besondere Bedeutung für die kolonialen Raumanordnungen. Sie sind eine Folge der schlechten hygienischen Lebensverhältnisse in den chinesischen Stadtteilen von Qingdao. Doch das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, wie der Hy-
Gesund und krank in Qingdao
195
gienediskurs von diesem sozioökonomischen Zusammenhang ablenkt und die Lebensbedingungen ethnisiert und medikalisiert. Erkrankungen erscheinen dadurch als Folge von chinesischem Schmutz: Infektionskrankheiten sind in eben jenen Diskurs integriert, der den Bau der segregierten Stadt und die Ausgrenzung der chinesischen Bevölkerung aus dem hygienisierten „Paradies“ der Europäerstadt begründet. Deshalb werden Chinesenkrankheiten konstruiert und dramatisiert, während Krankheiten unter der deutschen und europäischen Bevölkerung bagatellisiert und beschönigt werden. Die Frage von „Gesundheit und Krankheit“ erweist sich auch hier als eine eminent politische. Das Gefahren-Narrativ erhebt die Seuchenprävention und die staatliche Intervention zur obersten Priorität und integriert sie als medikalen Ordnungsfaktor in das Hygieneregime. Auf der praktisch-politischen Ebene bietet sich das Präventionsregime des Gesundheitswesens als das technokratisch-rationelle Modell an, das für sich die (einzige) Lösungskompetenz für die sozialen Probleme der kolonialen Stadt reklamiert. Im Namen der Prävention wird die Disziplinierung der chinesischen Mehrheit in der Stadt mit Hilfe von staatlichen Interventionen in die unmittelbare körperliche und kulturelle Selbstbestimmung der Menschen legitimiert und ausgeübt. Die kolonialen Machträume, die deutsche Kulturmission, die „Musterstadt“ als ihre bauliche Manifestation und die deutsche Gemeinde, die sich über die Mechanismen der Epidemie-Prävention ihrer Zugehörigkeit zur gesunden und zivilisierten „Normgesellschaft“ vergewissern darf, werden in der Dauerkrise immer wieder (re-)produziert und täuschen über die Grenzen und Schwächen der medikalen Ordnung hinweg. Sie eliminiert allerdings weder die Krankheitsursachen, die in dem dramatischen sozialen Ungleichgewicht zwischen den Kolonisatoren und der Bevölkerungsmehrheit zu suchen sind, noch den Widerstand der Kolonisierten gegen die Disziplinierung.
4.1 Die medikale Geographie des Infektionsraums Infektionskrankheiten zwingen zu einer Neuorientierung im Raum und zur Anpassung von Handlungsstrategien. Der Kampf gegen die Seuchen leitet sich ab aus Erkenntnissen, die die neu entstandene Bakteriologie in die Hygienediskurse einbringt. Ihrem Aufstieg zur medizinischen Leitwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts verdankt sich eine Neubestimmung von Krankheit und Gesundheit. Die Kausalitätskonstrukte, mit denen Krankheitsursachen und -ausbrüche beschrieben werden, beruhen auf einer technisch-naturwissenschaftlichen Reduktion von Komplexität, die die hygienischen Raumbilder verändert. Ausschließlich als Krankheitserreger anerkannt, werden Bakterien zu Todfeinden der Menschheit und zu Gegnern erklärt, die es mit Hilfe der technologischen Errungenschaften der Moderne auszurotten gilt.
196
Gesund und krank in Qingdao
Dieses Kriegsszenario hat weitreichende Folgen, wo immer die bakteriologisch dominierte Medizin als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor wirksam ist. Meine Untersuchung richtet sich auf diese Rolle der Bakteriologie in der kolonialen Raumkonstruktion und analysiert, wie dazu das Konzept des „Infektionsraums“ entwickelt wird. Sie lässt in diesem Kontext die hygienischen Erfolge im privilegierten Binnenraum der Europäerstadt außer acht, die nicht in Abrede gestellt werden. Meine Perspektive ist geleitet von der Frage, wie das bakteriologisch geprägte Raumverständnis die dichotome Ordnung von Qingdao mitbestimmt, also wie bakteriologische Diskurse und diskursive Handlungsstrategien machtvoll werden. Die Rekonstruktion solcher Diskurse in Qingdao gilt dem Mythos der „gesündesten Stadt in Ostasien“. Wie in allen kolonialen Selbstrepräsentationen sind auch hier die Allmachtsphantasien in der Selbstdarstellung der Diskursgemeinschaft abzutragen, um darunter die verschwiegenen Stimmen zu Gehör zu bringen, denen keine Stimme zugestanden wird.
4.1.1 Krankheit als kulturelles Konstrukt Es hätte doch sein können, dass das Aufeinandertreffen von westlicher und östlicher Medizin in der deutschen Kolonie zu einer gegenseitigen Befruchtung und zu bahnbrechenden Erkenntnissen geführt hätte – ähnlich wie abseits des Herrschaftsapparates Ansätze „östlicher Weisheitslehren“ Eingang in die deutsche Literatur gefunden und das Wirken etwa des deutschen Missionars Richard Wilhelm in Qingdao so nachhaltig geprägt haben (Liu Weijian 2007). Weit entfernt davon, chinesische Medizinlehren und -praktiken überhaupt als „Medizin“ anzuerkennen, hat sich die Biomedizin in China mit demselben massiven Nachdruck als alleingültige Wissensordnung eingeführt wie überall in Europa. Eine praktische oder theoretische Kooperation mit chinesischer Medizin ist für sie undenkbar. Der Alleinvertretungsanspruch der modernen Medizin ist hergeleitet aus der Überzeugung, als naturwissenschaftliche Disziplin den endgültigen Schlüssel zur Erkennung der ‚wahren Natur‘ gefunden zu haben. Die medizinische Theoriebildung sieht „Krankheit“ in der engen Begrifflichkeit der Biologie als Veränderung der biologischen Funktion und die medizinische Intervention als die Wiederherstellung des „Normalzustands“ (Kleinman 1988:5). Damit verbindet sich die Erwartung, dass letztendlich alle Krankheiten bekämpft und sogar ausgerottet werden können. Denn die Erkenntnis biologischer Ursachen von Krankheit können informiertes Handeln in richtige Bahnen lenken. Die wissenschaftliche Erforschung dieser Ursachen ist Aufgabe der Biomedizin. Widersprüchliche Befunde und Interpretationen lassen sich durch eine Verbesse-
Die medikale Geographie des Infektionsraums
197
rung der Analyseinstrumente – der Methoden und Technologien – optimieren. Das hermeneutische Prinzip ist der Kern des medizinischen Fortschrittsgedankens. Da sie natürliche Prozesse empirisch erfasst und mit naturwissenschaftlichen Methoden interpretiert, versteht sich die Medizin selbst als objektiv und wertneutral. Ihre Kritiker haben deswegen den Begriff „Biomedizin“ geprägt. Die Kritik an einem reduktionistischen biologischen Krankheitsbegriff wird vor allem in der Medizinanthropologie vertreten und hat auch Eingang in die medizinhistorische Forschung und die Alternativmedizin heute gefunden. Krankheit ist nicht nur ein körperliches Ereignis, Krankheit ist ein komplexes Phänomen. Was in einer Gesellschaft als „Krankheit“ und „Erkrankung“ gilt, ist abhängig von lokalen Praktiken, die aus lokalen Bedingungen hervorgehen (Lock/Nguyen 2010:33). Das heißt, dass Vorstellungen von „Leben und Tod“, „Gesundheit und Krankheit“, „Normalität und Abweichung“ in ihren jedaig zeitgebundenen kulturellen Kontexten wurzeln. „Körper“ und „Krankheit“ sind kulturelle Konstrukte. Kulturell bestimmte Denkweisen (Denkstile) und Vorannahmen schaffen konkrete Gründe, bestimmte Fragen zu formulieren und Wissen darüber zu generieren. Welche Fragen die europäische Medizin des 19. Jahrhunderts stellt, wonach sie sucht und welche Methoden sie dafür entwickelt, welche Ergebnisse sie erwartet und was sie infolgedessen findet (und noch wichtiger: was sie nicht findet, da sie keinen Blick dafür hat): All dies ist zeitgebunden eingebettet in die Modernisierungsprozesse des Industriekapitalismus. Die Komplexität des Krankheitskonstrukts verweist auf die Notwendigkeit eines interdisziplinären Blickwinkels, um die Gesundheitsstrategien und Krankheitskonzepte, die in Qingdao wirksam sind, zu untersuchen, und diese Interdisziplinarität vertritt die Medizinanthropologie. „Medical anthropology theory is a blend of social science, epidemiological, and biological perspectives on disease” ( Joralemon 2009:28). Gerade diese interdisziplinäre Sicht erweist sich für mein Thema als fruchtbar, da sie einen breiteren, inklusiven Zugang bewahrt und geeignet ist, die unterschiedlichen Facetten von Krankheitserfahrung und Krankheitskonstruktion zu erfassen. Entsprechend sei hier die Mahnung von Joralemons Aviso zitiert: “(…) it is useful to keep in mind that medical anthropology is shaped as much as any field of inquiry by the constraints of the societies that support it” (op.cit.:29). Das gilt besonders für die Beschränkungen, die sich daraus ergeben, dass sich mein europäischer Blick auf die Erfahrung und die symbolische und soziale Dimension epidemischer Krankheit unter der chinesischen Bevölkerung von Qingdao richtet. Nicht nur ein interdisziplinärer Ansatz, auch eine interkulturelle Kooperation ist wünschenswert, um dieses Feld angemessen zu bearbeiten.
198
Gesund und krank in Qingdao
4.1.1.1 Krieg den Bakterien Auf, Kollegen, zum fröhlichen Krieg!1
Die Angst vor (Infektions-)Krankheiten ist ein konstitutives Element im Gründungsnarrativ von Tsingtau und zieht sich, wie ein Rückblick des Gouvernementsarztes zeigt, wie ein roter Faden durch die kurze Geschichte der Kolonie. „Vor fast 13 Jahren begann mit der Besitzergreifung des Schutzgebietes Kiautschou der Kampf für die Gesunderhaltung der Kolonisten und die Gesundmachung der Kolonie. (…) Jetzt aber ist der Berg fast erklommen“ (Uthemann 1911:5). Die Hygienisierung der Europäerstadt und die Zurückdrängung der Infektionskrankheiten der ersten Besatzungsjahre täuscht die Ärzte nicht über die Tatsache hinweg, dass die auf den Boden und anderen Schmutz gerichteten Anstrengungen zur „Gesundmachung und Gesunderhaltung“ nicht ausreichen, um die Kolonie vor Krankheiten zu schützen. Nicht unbefriedigt ist dieser Rückblick. Freilich, der Weg muß noch an mancher Stelle ausgebaut werden, und wachsam muß die Hygiene von der Höhe des Berges ausschauen, um neue Feinde rechtzeitig zu entdecken und um neue Bollwerke gegen die alten Feinde aufzurichten, nachdem sie mit Überlegung die Angriffswaffen und Angriffswege ihnen abgelauscht hat (ibid.).
Dieser Wechsel ins bellizistische Register zeigt an, dass hier die Bakteriologie das Wort ergreift. Was hier zum Angriff auf die Bergeshöhen des hygienischmedizinischen Fortschritts bläst, sind die zu „Feinden“ erklärten Infektionskrankheiten, die Qingdao trotz aller hygienischen Anstrengungen nach wie vor bedrohen. Die „Bollwerke“, die es zu errichten gilt, liefert die bakteriologische Laborforschung, die den gefährlichen Feinden, den Bakterien, die „Angriffswege und Angriffswaffen“ ablauscht, um sie mit Hilfe des neugewonnenen Wissens mit geeigneten Gegenmitteln zu schlagen. Das ist die Kriegserklärung der neu entstandenen Labormedizin, der bakteriologischen Forschung, an ihren „Todfeind“ (Robert Koch): die Bakterien. Das martialische Szenario der Verteidigung des errungenen und zivilisierten, da hygienisierten Terrains gegen den Ansturm einer tödlichen Gewalt visualisiert die Ausschließlichkeit und Unversöhnlichkeit von zwei Polen: des gesunden Raumes des „homo hygienicus“ mit einem verseuchten Infektionsraum. Neu ist, dass die beiden Räume nicht mehr durch eine „Mauer“ aus hygienischen Schutzmaßnahmen voneinander getrennt sind, sondern in einer feindseligen Beziehung miteinander agieren. Die Einschleppung von Krankheiten stellt eine 1
Gradmann 1995.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
199
dynamische Beziehung zwischen den beiden Polen her. „Von zwei Angriffsflächen wird das Schutzgebiet bedroht, einerseits von der See-, andererseits von der Landseite“ und prädestiniert die Stadt nachgerade für „das Eindringen ansteckender Krankheiten“ (Entwurf zur Denkschrift 1907/07). Die Anwesenheit von ‚Krankheitskeimen‘ ist „geradezu eine Lebensfrage für die Kolonie“ (Peerenboom 1911:766). Die Erklärung für den Bellizismus der Rhetorik ist nicht in China oder Qingdao zu finden, sondern in den bakteriologischen Labors des 19. Jahrhunderts. Von dort aus werden Raumbilder in den Diskurs um Gesundheit und Hygiene getragen, die zur Grundlage für die Handlungsstrategien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten gemacht werden. Mit den bakteriologischen Entdeckungen und dem Aufspüren von ‚Krankheitsherden‘ und Verbreitungswegen von Epidemien bringt das Hygienewesen eine neue „medikale Geographie“ (Wald 2008:119) hervor. Die Raumbilder, die als Einschleppung aus einem Infektionsraum gefasst werden, haben Auswirkungen auf die Konzeptualisierung des Machtraums „Qingdao“. Die Qualifizierung von Bakterien als tödliche Invasoren schreibt das Bakterium als Erreger fest und definiert sein Eindringen in den menschlichen Körper als Auslöser für einen Abwehrkampf des Körpers. Der Erreger ist Ursache der Krankheit. Die Gleichsetzung „Bakterien = Infektion“ und „Infektion = Krankheit“ konstruiert simple lineare Kausalitätsbeziehungen zwischen Bakterien und Menschen. Der Begriff der Infektionskrankheit. Ihm liegen die Vorstellungen vom Organismus als einer in sich abgeschlossenen Einheit und vom eindringenden feindlichen Erreger zu Grunde. Der Erreger produziere eine böse Wirkung (Angriff ), der Organismus antworte darauf mit einer Reaktion (Verteidigung). So entstehe ein Kampf, der das Wesen der Krankheit bilde. Solche primitiven Kampfbilder durchtränken die ganze Immunitätswissenschaft (Fleck 1992 [1935]:79).
Die Kritik, die der österreichische Immunologe und Wissenschafttheoretiker Ludwig Fleck bereits 1935 formuliert, richtet sich gegen ein reduktionistisches Verständnis des Körpers. „For members of Western societies the body is a discrete entity, a thing, an ,it‘, machine-like and objective, separate from thought and emotion“ (Kleinman 1988:11). In diesem Körperbild manifestiert sich die Vorstellung einer autonomen, in sich und aus sich selbst heraus existierenden Entität. Sie beruht auf Verfahren der Standardisierung von Menschen mit Mitteln der Biologie. Durch Vermessung und Klassifizierung will die Biologie dem Wesen der Arten und des Lebens auf den Grund kommen. Auch das Körperbild ist das Resultat der Vermessung und statistischen Erfassung von zahllosen Daten von physiologischen Erscheinungsformen (Gottweis 2004:69). Mit Hilfe der Gauß’schen Normalverteilungskurve entsteht so die Vorstellung
200
Gesund und krank in Qingdao
eines gesunden Mittels, und dieser „Durchschnittskörper“ wird als normativer Maßstab für die Ermittlung von Abweichungen gesetzt: was als „normal“ ausgegeben wird, ist in Wirklichkeit lediglich ein statistischer Mittelwert. Statistische Daten definieren ein Körperideal und pathologisieren körperliche Unterschiede als Abweichung (Lock/Ngu 2010:44). Diese Enthistorisierung von Körpern konstruiert „bodies-out-of-context“ (op.cit.:30), idealtypische und ontologische Abstraktionen, die aus Zeit und Raum herausgelöst sind. In ähnlich abstrahierender Weise werden Bakterien aus ihrem Lebenszusammenhang isoliert und für die Analysen im Labor kultiviert. Der Mikroorganismus erscheint wie der menschliche Körper als universale Entität: Bakterien werden verstanden als simple universelle biologische Agentien (op.cit.:43). Die in den Petrischalen der frühen bakteriologischen Labors gewachsene eindimensionale Vorstellung von „Krankheit“ beruht auf der Gegenüberstellung dieser beiden Entitäten. Der Mikroorganismus wird zur alleinigen Ursache für die Krankheit und daher zum Todfeind erklärt. Sein Eindringen in den Körper wird interpretiert als Grenzverletzung und Auslöser des Abwehrkampfes durch den Körper. Fleck sieht in dem bakteriellen Konstrukt Elemente vormoderner, magischer Krankheitsvorstellungen am Werk: Diese [immunologische – H. R.] Auffassung entstammt dem alten Mythus von Krankheitsdämonen, die den Menschen überfallen. Der Dämon wurde zum Erreger, es blieben der Kampf und die Überwindung, oder das Unterliegen der ‚Ursache‘ der Krankheit (Fleck 1992:79).
Das Bemühen, Infektionskrankheiten anschaulich zu machen, unterwandert den eigenen Anspruch der Bakteriologie, wissenschaftlich, das heißt „objektiv“ und empirisch vorzugehen. In der Symbolisierung von „Krankheit“ wird die Dämonisierung nicht überwunden; „religiöse sowie explizit magische Wissensbestände“ (Dinges 1995:11) sind noch im 19 Jahrhundert virulent, nur werden sie einer Art „Vernaturwissenschaftlichung traditioneller Seuchenvorstellungen“ (Gradmann 2005:345) unterzogen. Das hilft zu verstehen, warum auch die Medizin hinter dem Rücken naturwissenschaftlicher Rationalität auf die traditionellen kulturellen Bewältigungsmuster epidemischer Krisen zurückgreift (Lindenbaum 2001:364). Deswegen wird dem Bakterium der Krieg erklärt. Nichts Geringeres als die Zivilisation steht auf dem Spiel. Finstere Mächte sind am Werk. Ein Unsichtbares, Unheimliches ist ins Licht (des Lichtmikroskops) zu holen, wenn die Menschheit nicht an den Bakterien zugrunde gehen soll. Der Bakteriologe ist fortan der Vorkämpfer gegen Aberglauben, Krankheit und Tod. In order to public and professional image of bacteriology, Koch described how hordes of alien parasites invaded the body (…) Bacteriology was glamourized with
Die medikale Geographie des Infektionsraums
201
the comparison of laboratory researchers to soldiers in a battle against disease. (…) The German doctor was portrayed as slaying the alien beast of quackery, ignorance and evil (Weindling 1989:167).
Die „schöne Einfachheit einer Lehre“ (Hüntelmann 2008:355) löst eine „Kaskade der Vereinfachung“ aus (Schlich 1995:145), zum einen in den Laborverfahren, zum anderen im Krankheitsverständnis und den daraus abgeleiteten, mechanistischen Handlungskonzepten. Das Augenmerk allein auf das Messbare, Nachweisbare stößt an die Beschränkungen, die die vor über hundert Jahren entwickelten technologischen Untersuchungsmöglichkeiten setzen, aber auch an die Grenzen kultureller Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster derer, die ihren Funden Sinn und Bedeutung zuschreiben. „Innerhalb eines solchen Denkens verkümmert all das, was nicht messbar, aber doch von entscheidender Bedeutung ist“ (Maio 2012:388). Die beteiligten Wissenschaftler jedoch sehen in der „Fiktion der Geschlossenheit und Unfehlbarkeit des naturwissenschaftlichen Empirismus“ (Gottweis 2004:34) die Wirklichkeit und begründen mit ‚der Wirklichkeit‘ den autoritativen Anspruch ihrer Wissenschaft. Ihre Überzeugungen werden kanonisiert und in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Wissensordnung verankert, sodass sie scheinbar nicht mehr hinterfragbar sind (Schlich 1995:145). Das gilt auch für die Techniken der Gesundheitsregulierung, die aus der wissenschaftlichen Beweisführung abgeleitet werden. Der reduktionistische Krankheitsbegriff der Biomedizin steht schon lange in der Kritik. Die mikrobiologische Forschung hat das Konstrukt „Krankheit selbst mittlerweile außer Kraft gesetzt: Die Tatsache, dass die meisten Organismen einschließlich des Menschen autarke Einzelwesen sind, ist für uns eine Selbstverständlichkeit – und zwar nicht nur für wissenschaftliche Laien. (…) In letzter Zeit mehren sich jedoch die Zeichen, dass diese unsere Sicht auf die belebte Welt und uns selbst falsch oder zumindest in grober Weise unvollständig ist (Kegel 2015:13).
Wie sehr die Symbiose von Mensch und Mikroben in ihrer Bedeutung für die Gesundheit von Körper und Psyche bisher verkannt worden ist, dringt erst allmählich nicht nur ins Bewusstsein von Fachwelt und Öffentlichkeit. Deswegen hat die Forschung ihre bisherigen Erkenntnisse 2007 zum „Human Microbiome Project“ zusammengeschlossen und die Disziplinen der Bio- und Lebenswissenschaften aufgerufen, ihre Theorien über das Leben grundlegend zu überdenken. Der Kern der Erkenntnis besagt: „Wir leben nicht allein.“ Alle Organismen, auch menschliche, sind keine Einzelwesen, sondern existieren nur als eine Gemeinschaft von Körperzellen und Mikroorganismen – als „Symbionten“. „Ein Drittel der in unserem Blut zirkulierenden Stoffwechselverbin-
202
Gesund und krank in Qingdao
dungen ist nicht-menschlichen Ursprungs. Sie stammen zum großen Teil von Körperbakterien“ (Kegel 2015:17). Bakterien und andere Mikroorganismen haben einen so hohen Anteil in diesem körpereigenen Ökosystem – Schätzungen gehen von einem Verhältnis menschlicher Körperzellen:Mikroben von 1:10 aus –, dass Wissenschaftler sie als gleichrangig mit einem menschlichen Organ ansehen. Es ist interessant zu beobachten, wie sich auch die visuelle Repräsentation des Menschen radikal verändert: An die Stelle des durch die Haut klar von der Umwelt geschiedenen Körpers, der damit eine geschlossene Entität suggeriert, tritt ein Bild, in dem eine diffuse ‚Schicht‘ von Mikroben die Körperkontur gegenüber dem Außen auflöst.2 Mikrobiome – die Gesamtheit interagierender Mikroorganismen – sind demnach alles andere als Fremdkörper, die es als „das Böse“ zu vernichten gilt. Nicht nur sind lediglich rund 200 von etlichen Millionen Bakterienarten, die mit dem menschlichen Körper interagieren, als pathogen identifiziert worden. Die Infektion selbst wird als „Dysbiose“ (als Störung der Symbiose) aufgefasst und das Immunsystem als ein „Mikrobenmanagementsystem“ (Kegel 1016) zur Erhaltung der Symbiose. Dieses System umfasst auch die Interaktion der Mikrobiome mit der Umwelt. Erste Forschungsergebnisse nähren sogar die Vermutung, dass Krankheiten auch ohne jedes Pathogen auf eine (umweltbedingte) Schädigung eines Mikrobioms zurückgehen können, d. h., dass der ‚Kampf‘ gegen Bakterien selbst der Auslöser einer Krankheit werden kann. Wenn die frühe Bakteriologie den Erreger für verantwortlich für den Ausbruch von „Krankheit“ erklärt, dann ist das logische Ziel der Krankheitsbekämpfung seine Vernichtung, eine Art „debugging of the system“ mit technischen Mitteln (Gottweis 2004:34 Fußnote). Die Kontrolle des Erregers verspricht die Kontrolle der Krankheit. Diese Reduktion von Komplexität ist populär, da Laien wie Fachleuten die Kontrolle im Zusammenspiel mit tradierten hygienischen Verhaltensmustern alltagspraktikabel erscheint: Ein desinfizierter Alltag hält alle Krankheit fern. Das knüpft an die vertraute hygienische Ordnung an und bestätigt die bekannten Dichotomien. „Gesund“ ist „bakterienfrei“ ist „hygienisch rein“, ist das „Normale“ und das Ideal. „Krank“ ist „infiziert“ ist „unhygienisch“ ist „unsauber“, ist die „Abweichung“. Daraus lassen sich geradlinige Strategien ableiten. Im linearen „Ursache-Wirkung“-Konstrukt ist die Handlungsanleitung schon enthalten: Wer den Erreger vernichtet, hat die Krankheit besiegt. Epidemiologisch-evolutionäre Theorien sehen Krankheiten im ökologischen Kontext und als Problem der Adaptation. Krankheiten, auch Epidemien, ent2
Vortrag Kegel vom 17.11.2016. Eine in der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft gezeigte Abbildung war mir nur über ein kurzes Zeitfenster im Internet zugänglich und nicht für eine Reproduktion (digitale Kopie) verfügbar.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
203
stehen im Zusammentreffen unterschiedlicher sozialer und materieller Prozesse, die miteinander agieren. Die komplexen Beziehungen, in denen der Mensch als Teil des Ökosystems steht, sind immer interaktiv. Jeder Wandel löst Veränderungen in diesem System aus, durch die neue Anpassungsprozesse in Gang gesetzt werden. Krankheit lässt sich daher als zeitweilig gestörte Anpassung zwischen Mensch und Umwelt definieren, die von einer Vielzahl von Variablen abhängt. Auf diese Weise halten Krankheiten der Gesellschaft einen Spiegel vor: Als Anzeichen von abrupten, einschneidenden oder dauerhaften Störungen der sozioökonomischen und ökologischen Balance – oft von allen zusammen – sind sie Ausdruck ihrer Krisen (Inhorn 2000:238f.).3 Sie drücken sich aus in Verschiebungen im Raum, die neue ökologische Nischen entstehen lassen und die Beziehungen zwischen Mensch und Tier verändern. Erklärungsmodelle, die die Austausch- und Anpassungsprozesse zwischen Mensch und Umwelt fokussieren, heben die überkommene Spaltung von Natur- und Kulturwissenschaften nicht wirklich auf. Aus medizinethnologischer Sicht ist es unabdingbar, die natur- und kulturwissenschaftlichen Ansätze zur Erforschung von „Krankheit“ und besonders von Epidemien zusammenzudenken und für ein komplexes Verständnis des komplexen Phänomens fruchtbar zu machen. Dies bedeutet, kulturelle, sozio-ökonomische und politische Konstellationen in ihrer Verschränkung mit ‚lokalen Biologien‘ zu analysieren. Große Transformationsprozesse wie die industriekapitalistische Transformation Europas verändern auch die Interaktionen in dem biologisch-soziokulturell-ökonomisch-politischen Netzwerk „Krankheit“. Das 19. Jahrhundert ist auch ein Jahrhundert der Pandemien. Es ist genau dieser Kontext, in dem ich die Frage von „Gesundheit und Krankheit“ bzw. „Seuche“ in Qingdao analysieren möchte. Das medizinanthropologische Verständnis von „Krankheit und Gesundheit“ sowie der interdisziplinäre Zugang zu dieser Frage bieten das Instrumentarium, um hinter die hermetischen Krankheitsnarrative der Biomedizin in der Kolonie zu blicken und ihre Wissenspraxis und Handlungsstrategien zu re- und dekonstruieren. Eine wesentliche Quelle der ökonomischen und sozialen Transformationen ist die Mobilität, die unter dem Einfluss imperialistischer Expansion und gleichzeitiger Industrialisierung der Fortbewegung (Eisenbahn, Dampfschiff ) einen gewaltigen (und oft gewaltsamen) Schub erlebt und zuvor isolierte oder 3
204
In diesem Kontext erscheint mir bemerkenswert, dass unter den Chinesen in Qingdao die Meinung kursiert, die Epidemien seien eine Konsequenz aus den Baumaßnahmen, die anzeigten, dass der Himmel nicht auf Seiten des deutschen Gouvernements sei (Gerber 2002:111, Fußnote 20). Die Tasache, dass also die epidemischen Ausbrüche für die Störung der kosmologischen Harmonie, d.h. des Gleichgewichts von yin und yang, verantwortlich gemacht werden, ist eine interessante, nichtmoderne Symbolisierung sehr realer Prozesse.
Gesund und krank in Qingdao
weit auseinanderliegende Regionen und Ökosysteme der Erde zusammenbringt. Gewalt ist eine ständige Begleiterin dieser Mobilität. Koloniale Invasions- und Eroberungskriege oder die erzwungene Mobilität von Millionen kolonialer Arbeitskräfte aus aller Welt in alle Welt sind ihre Erscheinungsformen. Die Verschiebung indischer Kontraktarbeiter innerhalb des gesamten britischen Kolonialreichs ist das bekannteste Beispiel solcher Ströme im 19. Jahrhundert, der als Menschenhandel gebrandmarkte „Export“ chinesischer Arbeiter in den pazifischen und südostasiatischen Raum ein weniger bekanntes. Der Ausbruch von Lungenpest, der 1911 Nordostchina erschüttert und auch das deutsche Pachtgebiet bedroht, ist eine Illustration par excellence für diese Zusammenhänge und soll daher im zweiten Teil dieses Kapitels ausführlich untersucht werden. Im ersten Teil kläre ich die konzeptuellen und materiellen Voraussetzungen der deutschen Seuchenpolitik in China.
4.1.1.2 Der Topos der „Einschleppung“ Tsingtau selbst darf als durchaus gesund gelten. Die dort vorkommenden ansteckenden Krankheiten werden nur von See oder aus dem Hinterlande eingeschleppt (Denkschrift 1904:30).
Die Bakteriologie der Wende zum 20. Jahrhundert zieht aus ihren reduktionistischen Annahmen rigorose Konsequenzen. Dass die bakterielle Infektion als Invasion von außen und Grenzverletzung durch einen feindlichen Eindringling konzipiert wird, erzeugt eine neue medikale Geographie („microbial geography“, Wald 2008:119). Das Kampffeld verlagert sich vom verseuchten Ort in den Körper des Menschen und die Konstruktion von „Risikogruppen“ (Nations 2000). Das Körperbild, auf dem die bakteriologischen Theorien basieren, erklärt den menschlichen Körper selbst als Austragungsort dieses Krieges. Eingebettet in eugenische und sozialdarwinistische Körper- und Rassediskurse, die die Erhaltung und Optimierung nicht mehr des Individuums, sondern der ‚Volksgesundheit‘ zum Ziel staatlichen Handelns erklären, wird der Kampf gegen Krankheit dem Dunstkreis der Ideologie vom Schutz des ‚gesunden Volkskörpers‘ im ‚Kampf der Völker und Nationen ums Dasein‘ übergeben. Die weitreichende Intervention des Staates in die körperliche Selbstbestimmung seiner Bürger erstreckt sich auch auf seine „Kolonialvölker“: Der Körper wird – in den Worten von David Arnold (1993:7) – „a site of colonizing power and of contestation between the colonized and the colonizers“. Die Entstehungsgeschichte des Seuchendiskurses erklärt nicht nur den Bellizismus der Sprache und der Ausrottungsphantasien gegenüber Bakterien, sondern auch die symbolische Bedeutung von Epidemien im kolonialen Kontext.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
205
Medizinhistorische Rekonstruktionen haben die militanten Invasionsbilder der frühen Bakteriologie auf die kulturellen Wahrnehmungsmuster oder „Denkstile“ (Fleck) der Forscher zurückgeführt. Philipp Sarasin4 hat vor allem anhand der Schriften von Robert Koch untersucht, wie das kulturelle Umfeld in die scheinbar wertfreie und objektive wissenschaftliche Neutralität des Labors eingedrungen ist und den Blick durch das Mikroskop auf die Krankheitserreger gefärbt und gelenkt hat. Die anilingefärbten Bakterien auf dem Objektträger werden als körperfremde Abweichung von der umgebenden körpereigenen Substanz wahrgenommen und als Differenz kenntlich gemacht. Diese Sicht bringt eine ganz bestimmte Interpretation der Vorgänge einer bakteriellen Infektion im Körper hervor. Um diese Sicht begrifflich zu fassen und zu kommunizieren, bedienen sich die Autoren alltagssprachlicher, kulturell als „wahr“ und aussagefähig akzeptierter Bilder, die ihre Interpretation ausdrücken und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Laienöffentlichkeit übersetzen. Doch Metaphern rufen – dazu sind sie ja gemacht – Assoziationen auf, durch die das metaphorisch Bezeichnete auch in einem anderen Kontext ‚wahr‘ wird. Die Metaphern, die benutzt werden, um eine bestimmte Wirklichkeit im Labor zu beschreiben, entstammen den kulturellen Bildern und Assoziationen, mit denen die seit den 1830er-Jahren in Deutschland und Europa immer wieder ausbrechenden Cholera-Epidemien kodiert sind. Da Migranten aus Polen und Russland erkranken und Bewohner in den Grenzregionen sich infizieren, erscheint den Zeitgenossen die Cholera als ‚Gefahr aus dem Osten‘, die als ‚Eindringling‘ ins eigene Land ‚eingeschleppt‘ wird. Die bakteriologische Polarisierung von Innen und Außen verbindet sich auf diesem Wege mit der nationalistischen Propaganda von der kriegerischen Invasion durch den Osten – eine Verkettung, die in der Konstruktion der medikalen Geographie Chinas ein eigenes Gewicht erhält. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts intensiviert sich die rassistische Ablehnung unwillkommener Einwanderergruppen. Es sind Polen, Russen, von Pogromen vertriebene osteuropäische Juden, Wanderarbeiter und immer schon verdächtige Nichtsesshafte aus dem Osten, die mit der Armutsmigration in das Deutsche Reich gelangen (Sarasin 2004). Der diskursive Zusammenhang von Bakterien, Migration und tödlicher Seuche zeigt sich deutlich, als 1892 während eines Choleraausbruchs in Hamburg osteuropäische Amerika-Auswanderer, die im Transit nach Bremerhaven und Hamburg Deutschland durchqueren, durch gewaltsame Quarantänemaßnahmen zu Sündenböcken der Epidemie gemacht werden (Leidinger 2000). Indem er detailliert analysiert, wie Robert Koch und andere nach Worten – Metaphern! – suchen, um wiederzugeben, was sie bei der Laboruntersuchung von Bakterien sehen, stellt Sarasin 4
206
Sarasin 2004. Zum militärischen Kontext der bakteriologischen Forschung Hüntelmann 2008.
Gesund und krank in Qingdao
(2004) fest, wie sehr die Wissenschaftler auf Sprachbilder zurückgreifen, die den zeitgenössischen Diskursen über unerwünschte Migrationen aus dem Osten entstammen. „Bakterien“ erscheinen so als „Invasoren“, die in den Augen des früheren Militärarztes Koch „bekämpft“ werden müssen. Die Repräsentation von Infektionsursachen und Epidemien mit der Rhetorik von Migration und Krieg ist so tief in das Verständnis von Krankheit eingegangen, dass sie bis heute unser Alltagswissen und -handeln dominiert. Mit der medizinischen Forschung in den Kolonien, etwa der Choleraforschung Robert Kochs in Indien und der deutschen Kolonie Ostafrika, kommt auch der Kolonisierte als Metapher für den Invasoren ins Bild. Bakterien infizieren den Körper wie „die Sudanesen“: „penetrant comme des soudaniens dans l’organism“.5 Für Sarasin zeigt sich darin, dass „Metaphern in dem Maße, wie Bakteriologen nach Worten suchten, um die vermutete Kausalbeziehung zwischen Mikroorganismus und Krankheitsvorgängen im Körper zu signifizieren, ein konstitutiver Teil jenes wissenschaftlichen Konstruktionsprozesses waren, der Bakterien als ‚epistemische Dinge‘ hervorbrachte“ (op.cit.:270). In eben diesem Sinne entfaltet die enge Verbindung, die die Metaphorik zwischen Mikrobe und Migration herstellt, ihre ganze Brisanz in den Kolonien; dort wird sie zur Legitimation für die Exklusion und Verfolgung von ‚feindlichen Tropenkrankheiten‘ und ihren ‚Trägern‘, den kolonisierten Völkern, herangezogen. In den Kolonien wird bakteriologisches Wissen generiert, modifiziert, angewandt und in ein globales Wissensnetzwerk der ‚westlichen‘ Medizin eingespeist. Qingdao ist ein Teil dieses Netzes und trägt seinen Teil bei zur Erhebung von Wissen und zur Entwicklung und Erprobung von Abwehrstrategien. Die Entdeckung von infektiösen Mikroorganismen verortet Krankheitsursachen in der pathogenen Landschaft neu. Der Fokus biomedizinischer Aufmerksamkeit verlagert sich vom Boden und allen möglichen Quellen von Verschmutzung hin zum Körper als Ort der Verseuchung. Damit stellt sich das Problem der Kontrolle neu, denn der Körper gehört einem mobilen Wesen, das die Infektion überall verbreiten kann. Das Bakterium ist unsichtbar und durch die Übertragung ubiquitär, entörtlicht und entgrenzt unterwegs in einem unbestimmten Raum. Um diesen Raum bestimmbar zu machen, produziert der Diskurs Bilder vom Infektionsraum. Die Metapher von der feindlichen Invasion des gesunden Raumes durch gefährliche Fremde kennzeichnet ihn als den Raum des Anderen. Dort wird das Bakterium gesucht, dort werden die Übertragungswege erkundet und die Überträger ausgespäht. 5
Aus „Le journal médical quotidien“ (1885 No. 61, S. 3) bei Rudolf Virchow, Kampf den Zellen und den Bakterien. In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin 101 (1885), S. 1–13, S. 8f. Zitiert nach: Sarasin 2004:268.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
207
Das bellizistische Szenario ist ein vertrautes, denn es passt genau in das sozialdarwinistische Tableau vom Kampf der Völker und Nationen ums Dasein.6 Der Darwinsche „Kampf ums Dasein“ tobt „im Mikrokosmos der Bakterien“ nicht weniger dramatisch: „die Geißeln der Menschheit – die ‚kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts‘ – zu bezwingen und auszurotten“, wie es bei Koch heißt (Hüntelmann 2008:273), ist der moralische Auftrag des „bellum contra morbum“. Die Kriegserklärung in Uthemanns „kolonialhygienischem Rückblick“ ist ein beredtes Zeugnis dafür, dass sich das Gesundheitsregime in Qingdao diesem Auftrag verpflichtet sieht. Der Einschleppungsdiskurs, um den herum sich Diskurse zur Identifizierung von Übertragungswegen und Überträgern gruppieren, die Institutionen der Krankenfürsorge resp. –ausgrenzung: Dieses weiträumige, über die Grenzen der Kolonie ausgreifende Überwachungssystem epidemischer Ausbrüche und das Netz der Kontrolle und gesundheitspolizeilichen Intervention in der Stadt zeigen, was der „bellum contra morbum“ für den Umgang mit der bereits als unhygienisch stigmatisierten chinesischen Bevölkerung bedeutet. Die „nur noch sporadisch vorkommenden Krankheiten erwiesen sich als ausnahmslos von der See oder dem Hinterlande hereingeschleppt“ (Kronecker 1913:21). Die medikale Geographie der Einschleppung, die der Diskurs in Qingdao entwirft, hebt die dichotome Raumkonstruktion des Hygienediskurses nicht auf. Die Gegenüberstellung von gesäubertem deutschen und schmutzigem chinesischen Raum bleibt als Polarität von gesundem und infektiösem Raum erhalten. Die bakteriologische Rhetorik integriert den Schmutz der Hygienediskurse als „Brutstätte“ oder „Nährboden“ für „Keime“ in den Diskurs über die gefährlichen Infektionen. Die ortsgebundenen Boden- und Schmutzdiskurse werden jedoch entortet und verflüchtigen sich in der Unbestimmbarkeit des Infektionsraumes. „Krankheit“ wird zum Marker, der diesen Infektionsraum als Gegenraum kennzeichnet und von der ‚Zivilisation der Gesunden‘ abgrenzt. Der Topos der Einschleppung fixiert die Beziehung zwischen beiden Räumen als eine feindselige. Damit „schreiben“ die Gesundheitsberichte der Ärzte die Bevölkerung Chinas buchstäblich „krank“. Die stereotype Rede von den Chinesenkrankheiten ver-körpert Krankheit in den Chinesen: „Geißel der Chinesen“, „wandelnde Ansteckungsherde“, „nur unter den Chinesen“, „endemisch“, „vorwiegend unter den Chinesen epidemischen Charakter“, „unter Chinesen weit verbreitet“, „in einzelnen, nur Chinesen betreffenden Fällen bemerkbar“, „nur Chinesen er6
208
Im Zusammenhang mit der Pest von 1911 werde ich näher auf die damit eng verbundenen Einkreisungsphantasien eingehen, die in dieser Zeit das bürgerliche Lebensgefühl beeinflussen.
Gesund und krank in Qingdao
griff“, „zahlreiche Opfer“, lauter „Fälle (…), die Chinesen betrafen und sämtlich tödlich endeten“ und „ohne daß hierbei Europäer erkrankt wären“. Denn: „Europäer blieben gänzlich verschont“, behauptet der Diskurs. Krankheiten sind vor allem „Kulikrankheiten“, die Krankheiten der Anderen, während sie „bei den Europäern aber sämtlich leicht“ verlaufen. Regelmäßig veröffentliche Statistiken zum Verlauf von Epidemien in der deutschen Bevölkerung beglaubigen die „Objektivität“ des Befundes. Dass dafür die wahre Wahrheit auch mal ein bisschen zurechtgefeilt wird, zeigt der Umgang mit den Syphilisstatistiken über das III. Seebataillon, oder es wird schon einmal eine Korrektur an einer unbefriedigenden Repräsentation der ‚Euopäergesundheit‘ vorgenommen: „Gesundheitsverhältnisse im allgemeinen gut“ heißt es im Entwurf zur Denkschrift: Der Durchstrich im Original sorgt dafür, dass nur „gute Gesundheitsverhältnisse“ die veröffentlichte Version schmücken. Die Dämonisierung der Chinesenkrankheiten, die die unablässige ‚Wachsamkeit gegenüber den Feinden‘ fordert und so ein permanentes Bedrohungsbewusstsein schafft, produziert Angst. Die Einschleppungsgefahr ist der Diskurs, der die Dämonisierung der Epidemien in wissenschaftlich-rationale Erklärungen übersetzt und so eine Deutung von bakterieller Bedrohungen festschreibt: Den Bazillus kann der Mensch nicht ein für alle Mal mit Säuberungsmaßnahmen ausrotten, da dieser ja immer wieder neu „eingeschleppt“ wird. Die Mobilität des Erregers stellt die für den Schutz der Volksgesundheit verantwortlichen staatlichen Organe vor eine schwierige Aufgabe. Das Bakterium, das gewaltsam die Grenze überschreitet und in den gesunden Körper eindringt, ist nicht greifbar. Erst, wenn die Krankheit ausbricht, wird es sichtbar. Aber dann ist es schon zu spät. Wie also können die Gesunden von den Kranken unterscheidbar werden? Die Verborgenheit des Bakteriums in der Inkubationszeit macht im Prinzip jeden verdächtig, sein Wirt zu sein. Eine neue Kategorie im hygienischen System löst das Problem; es gibt nicht nur die Rubrik ‚erkrankt‘, sondern auch: „auf Ansteckung verdächtig“.7 So werden aus Menschen „wandelnde Ansteckungsherde“ (Kronecker 1913:25) gemacht. Soweit also der Diskurs. In einer metonymischen Verschiebung wird die Bedrohung verlagert: Die Gefahr geht nicht vom Erreger aus, sondern von dem Menschen, der ihn in sich trägt (Dew 1999: 390), die Angst vor der Seuche richtet sich gegen den Bazillenträger. Die dehumanisierende Gleichsetzung von Mensch und Bakterium macht den Kranken selbst zum Infektionsraum. 1907 erregt eine beunruhigende Entdeckung die internationale (westliche) Wissenschaftlergemeinde. Typhoid Mary wird zum ikonographischen Symbol dieser Entdeckung. Die irische USA-Einwanderin Mary Mallone wird 7
Protokoll einer Besprechung Uthemann, Fürth und Baudirektor im Lehrlingswohnheim der Werft vom 29.05.1909 (Bauarchiv).
Die medikale Geographie des Infektionsraums
209
als hochinfektiöse Trägerin von Typhusbakterien identifiziert und schließlich zeitlebens interniert, obwohl sie zu keiner Zeit irgendein Zeichen der Krankheit zeigt. Ein infizierter Mensch kann trotzdem gesund sein. Diese Erkenntnis macht die Epidemieprophylaxe auch in Qingdao noch schwieriger: „Gleich den Bazillenträgern, deren Existenz und Gefährlichkeit für ihre Umgebung bei Cholera asiatica, Typhus abdo., Diphteritis und Bazillenruhr schon lange bekannt war, gibt es auch Amöbenträger, d.h. Individuen, welche nach Überstehen der Amöbenruhr (…) die Ursache gefährlicher Ruhrepidemien werden können“, denn sie fühlen sich „subjektiv durchaus wohl und bewegen sich deshalb auch frei und ungeniert unter ihren Kameraden, welche sie durch ihre Dejekta aufs schwerste gefährden“ (ibid.). Damit stellen Bazillenträger ein unkalkulierbares Infektionspotential und -risiko dar und erfordern ein besonderes Augenmerk, wie Robert Koch in seiner Strategie der Typhusbekämpfung darlegt (Hüntelmann 2008:276). Diese Strategie sieht als ersten Schritt vor, die Personen zu identifizieren, die als „Infektionsträger“ die „Volksgesundheit“ schädigen, in einem zweiten Schritt alle verdächtigen Personen auf Typhuserreger zu untersuchen und ihre Namen und Adressen zu registrieren, um sie bei einem erneuten Typhusausbruch sofort „einer Behandlung zuzuführen“ (op. cit.:279f.). Wie aber lassen sich die Gesunden von den Kranken unterscheiden, wenn der Bazillus sich bis zum tödlichen Angriff verbirgt? Weder die Infizierten selbst noch ihre Mitmenschen können ihren Gesundheitszustand beurteilen, denn erst das Lichtmikroskop oder der Ausbruch der Krankheit bringen es an den Tag. Uthemanns Hygeia-Allegorie lässt keinen Zweifel daran, dass vom ersten Gründungstag der Kolonie die Ärzte die Deutungshoheit über Gesundheit und Krankheit, Gesunde und Kranke, gesunde und kranke Räume beanspruchen und diese Macht nutzen. Die Verantwortung für die Klassifizierung der Verdächtigen liegt in den Händen der Ärzte. Sie sind die Wissenden, die einzigen, die den Bazillus kennen und identifizieren können; sie sind es, die die Lokalisierung des Bazillenträgers und seine Vernichtung im gesundheitspolizeilichen Apparat der Kolonialverwaltung organisieren. Am einfachsten lässt sich immer noch der Generalverdacht verwalten: „The identification of a healthy carrier relied primarily on narrative evidence: the creation of a compelling story about the etiology of a disease outbreak“ (Wald 2008:70). Die Ausgrenzung des stigmatisierten Infektionsraums aus der europäischen Zivilisation macht es einfach, den Bazillenträger dort, im Raum des Anderen, zu verorten: nämlich „daß das nach Tsingtau zuwandernde, dort wohnende und in der Umgebung eingesessene Bedienungs- und Kulipersonal vielfach als Träger von Infektionsstoffen angesehen werden muss“ (Peerenboom 1911:766). Bazillenträger sind die fremden Anderen, und es steht im Einklang mit dem Hygienediskurs, dass diese Anderen die ausgegrenzten Schichten der Armen
210
Gesund und krank in Qingdao
sind. Keineswegs nur in Qingdao, auch unter den marginalisierten Gruppen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, in der Organisation der Auswanderertransfers quer durch Europa zu den Auswandererhäfen an der Nordsee, in den Einwanderungskontrollen in die USA und anderswo, in der Verwaltung von Kolonien und Konzessionen weltweit sortiert die moderne Biomedizin prophylaktisch und bei akuten Epidemien anhand der ethnosozialen Merkmale (Berg:2007). Es sind genau die Merkmale, die die europäische Wissensordnung unter Führung des Hygienediskurses aufgestellt hat, um „Kranke“ von „Gesunden“, „Abweichende“ von „Normalen“, „Fremde“ vom „Eigenen“ zu unterscheiden und auszusondern.
4.1.2 Gesund und krank in Qingdao Die neuen Chinesendörfer Taitungtschen und Taitschitschen liegen von den europäischen Wohnstätten weit entfernt und unterstehen zur Vorbeugung der Entwicklung von Seuchen gesundheitspolizeilicher Aufsicht (Denkschrift 1907:30).
Wissen verleiht Macht. Welche Abweichungen sollen als „Krankheit“ gelten? Welche Normen werden einer solchen Unterscheidung zugrunde gelegt? Und wer ist berechtigt, die „Schädlinge“ zu identifizieren und die „Volksgesundheit“ vor ihnen zu schützen? Die Präzisierung der „Volksgesundheit“ und die Definition von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ ist durch die staatliche Verfasstheit des Gesundheitswesens unter Aufsicht des Kaiserlichen Gesundheitsamtes des Deutschen Reiches längst reguliert.8 Diese Struktur wird in die koloniale Ordnung des Pachtgebiets übernommen. Die Handlungsfelder, die spezifisch durch die Abwehr der Seuchen konstruiert werden, besetzen vor allem die Marineärzte und die ihnen unterstellte Gesundheitspolizei. Machtfülle, die Rivalität um Einkommensquellen und Distinktion und die Selbstdarstellung eines altruistischen Menschheitsdienstes an den Chinesen sind die Koordinaten, in denen sie sich im kolonialen Raum positionieren und in Übereinstimmung mit den Zielen des Gouvernements die Ausformung des biomedizinischen Diskurses betreiben. Überall da, wo die koloniale Realität die medizinischen Allmachtsphantasien überholt, wird das Schlagwort von der chinesischen Indolenz eingesetzt, ein Narrativ, das einer genaueren Untersuchung bedarf, da sich darin ein unterdrückter Gegenraum konturiert, der ein wichtiges Element in der kulturellen Konstruktion von „Krankheit“ ist. 8
Zu den Hintergründen vgl. Hüntelmanns Analyse des Reichsgesundheitsamtes und der Entstehung des biomedizinischen Interventionsapparates (Hüntelmann 2008).
Die medikale Geographie des Infektionsraums
211
4.1.2.1 Die Macht der Ärzte „Krankheit“ und mehr noch die „Seuche“ ist „Unordnung“ und birgt die Gefahr sozialer Unruhen durch die, die die ersten Opfer epidemischer Ausbrüche sind: die unteren Klassen. Angesichts der Epidemien, die sich vor allem immer wieder in den dichtbesiedelten Armenvierteln Europas verbreiten, wird die Seuchenforschung und -prävention ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gezielt ausgeweitet (Hess 2009:169). Mit der Präventivmedizin nimmt auch der politische und soziale Einfluss der Mediziner zu. Die Definitionshoheit des Arztes über Gesundheit und Krankheit ist gesellschaftlich anerkannt und in hegemonialen biomedizinischen Diskursen verankert (Huerkamp 1989). Die Urteilskompetenz geht vom Kranken ganz auf den Arzt über, der die alleinige Autorität und Entscheidungsgewalt über den Patienten beansprucht. Diese Machtposition wird getragen und sanktioniert vom staatlich organisierten „Gesundheitswesen“. Das eugenische Verständnis vom Daseinskampf des Volkes legitimiert eine neue Machtfülle für die Präventivmedizin (Weindling 1989:184). Zur Verteidigung der „Volksgesundheit“ gegen Epidemien wird das Kaiserliche Gesundheitsamt mit seinen lokalen Untergliederungen („Kreisarzt“) geschaffen und mit weitreichenden Kompetenzen staatlicher Intervention gleichermaßen in die öffentliche und die private Gesundheitsvor- und -fürsorge ausgestattet. Das Recht des Staates, „im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege in die Privatrechte der Einzelnen einzugreifen“,9 wird politisch festgeschrieben (Hüntelmann 2008). Das erste Handlungsfeld ist die Prävention durch Überwachung und Kon trolle der Gesundheit. Sie umfasst ärztliche Untersuchungen in Verdachtsfällen, Einweisungen in Krankenhäuser und Isolierstationen, Reihenuntersuchungen und (heftig umstrittene) gesetzlich vorgeschriebene Impfungen (Pocken) unter Zwang, das heißt auch, unter Einsatz von Polizeigewalt. Dazu kommt eine mit hohen Strafen bewehrte Meldepflicht von Infektionsfällen. Dieses System staatlichen Gesundheits-Interventionismus gilt auch in Qingdao. Die Kolonialverwaltung und die Ärzteschaft haben ein persönliches Interesse, das Gefahren-Narrativ am Leben zu erhalten. Sie profitieren von ihrem Status als ‚Retter der Menschheit‘, der ihnen eine üppige personelle und materielle Ausstattung des Gesundheitsapparates beschert. „Die von dem Gouvernement aufgestellte Ordnung des Sanitätsdienstes“ vom 5. April 1902 sieht die „Einrichtung des Sanitätsdienstbetriebes“ auf der Grundlage der Marinesanitätsordnung und des preußischen Kreisarztgesetzes vor.10 Der Marinearzt in Qingdao tritt den Einwohnern der Europäerstadt vor allem in seiner Eigen9
Verhandlungen des Bundesrates des Deutschen Reiches; Session 1872, Drucksache Nr.40:5. Zit. nach Hüntelmann 2008:300. 10 Mitteilung. Der Gouverneur vom 01.01.1904 (Bauarchiv).
212
Gesund und krank in Qingdao
schaft als Amtsträger gegenüber. Die Zugehörigkeit zum Staatsapparat – hier in der Marine – verleiht Titel, Status, Ämter, Aufstiegschancen, Wohlstand und Distinktion. Vor allem verleiht sie Macht. Daraus leitet sich sein Auftrag zur „Gesundmachung und Gesunderhaltung der Kolonie“ ab. Ein „mustergültiges Gesundheitswesen“, eine aufwendige Infrastruktur der Prävention und der ärztlichen Versorgung der Weißen Bevölkerung im Gouvernement-Lazarett und als wichtigste Aufgabe die gesundheitliche Kontrolle und Überwachung der chinesischen Bevölkerung setzen diesen Auftrag in die Tat um. Kolonialverwaltung und Reichsmarineamt scheuen keine Kosten, um der deutschen Zivilbevölkerung und der Besatzungstruppe „mustergültige Einrichtungen“ ärztlicher Dienste zu bieten, dazu „medizinische Versorgungsleistungen, wie sie nicht einmal jede Kleinstadt des Reichsgebietes aufzuweisen hatte“ (Eckart 1989:44). Die erste Sorge der medizinischen Betreuung gilt der Gesundheit der Besatzungstruppen, dann den deutschen und europäischen Bewohnern der Kolonie. Typhus zählt zu den gefürchteten Kriegskrankheiten, denn sie schadet der Einsatzfähigkeit der Soldaten. Für das III. Seebataillon in Qingdao stehen die Sicherung der Eroberung und der Einsatz im „Boxerkrieg“ 1900–1901 auf dem Spiel und das nicht nur wegen gefährlicher Darmerkrankungen, sondern auch wegen der verbreiteten Syphilis. 1904 wird ein neuerbautes Lazarett in Betrieb genommen, das sich „zu einer umfangreichen Anlage entwickelt, die in jeder Hinsicht auf der Höhe moderner Anforderungen steht“.11 Angeschlossen ist ein bakteriologisches Labor. Den ausschließlich weißen Patienten stehen 265 Betten zur Verfügung. Ein Chefarzt, vier ordinierende, drei assistierende Marineärzte (gleichzeitig Truppenärzte), zwei Nahrungsmittelchemiker als Apotheker und Hilfsapotheker, zwei Inspektoren, sechs Krankenschwestern und Sanitätspersonal (Uthemann 1911:23) bilden den Stab einer ungewöhnlich großzügigen Arzt-Patienten-Relation, sodass in Deutschland das Wort von der „Ärztekolonie“ umgeht (Weicker 1908:103). Die Anlage selbst ist ein Renommierstück: In ganz geschützter Lage, rings von grünen Höhen umgeben, mit dem Blick auf die See und einlaufende und auslaufende Schiffe, mit seinen einzelnen, weit auseinanderliegenden im Pavillonstil erbauten Häusern liegt es prachtvoll zwischen seinen schon parkartig zu stattlicher Höhe herangewachsenen Akaziengruppen, hinter den langen, die Straße begleitenden Eisengitter, das grünes Schlinggewächs und bunte Winden freundlich überranken (op.cit.:59).
Ähnlich wird auch das „Genesungsheim Mecklenburghaus“ (1904) im Lao shan-Gebirge als ‚Höhenkurort‘ überhöht. Die aufwendige baulichen Reprä11
Entwurf zur Denkschrift 1906/07 –BAIII.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
213
sentation des Gesundheitswesens im Laoshan vermehrt das Ansehen ihrer Schöpfer und der Kolonie. Der Topos der Einschleppung aus den chinesischen Infektionsräumen ist von Anfang an bestimmend für den biomedizinischen Diskurs in der Kolonie: Er erklärt alles – oder „alles Mögliche“. Er begründet auch den so kostpieligen Unterhalt des Gesundheitsapparates. Zwar ist die Europäerstadt wiederholt zur „gesündesten“ erklärt worden: „Die Gesundheitsverhältnisse sind die besten an der ganzen ostasiatischen Küste geblieben“.12 Aber das macht den Apparat nicht überflüssig, es werden „dennoch wichtige Aufgaben (…) erfüllt“, um „dem Einschleppen neuer Krankheiten in geeigneter Weise vorzubeugen“ (ibid.). Kranke und Verdächtige sind aufzuspüren und „einer Behandlung zuzuführen“ (Koch). Ziel ist es, einer Epidemie den Weg in die Kolonie bzw. in die Europäerstadt abzuschneiden und sie „auf ihren ursprünglichen Herd“13 zu beschränken. Dies erfordert ein intensives gesundheitspolizeiliches Überwachungssystem in der ganzen Kolonie, aber auch weit über ihre Grenzen hinaus: „Die Thätigkeit des Polizeiamts war bei der ständigen Zunahme der europäischen wie der chinesischen Bevölkerung sowohl in sicherheits- als auch gesundheitspolizeilicher Hinsicht ziemlich umfangreich“ (Denkschrift 1901:23). Verantwortlich ist der Gouvernementsarzt, der hier als Amtsarzt fungiert. Die Gesundheitspolizei aus deutschen Sanitätern und chinesischen Hilfskräften ist einem Polizeiarzt aus den Reihen der Marineärzte unterstellt. Im ländlichen Teil der Kolonie ist ein Bezirksamtsarzt zuständig. Dieser gibt ein anschauliches Bild von seinen Erkundungsritten durch die Dörfer entlang der Grenze der Kolonie, um zu verfolgen, wie eine Diphterieepidemie „vom Kreise Tsimo her auf das Schutzgebiet übergegriffen hat“, wie also die Verbreitungswege der Einschleppung verlaufen. Innerhalb der Europäerstadt gilt eine Meldepflicht für ansteckende Krank heiten,14 „ungesäumt – spätestens aber 24 Stunden nach Erkennung der Krankheit“ müssen Ärzte, Pflegepersonen, „Haushaltungsvorstände“ und Arbeitgeber dieser Pflicht nachkommen (§2). Aufschlussreich ist §3 der Verordnung: „Bei Erkrankung eines Chinesen an einer der in §1 genannten Krankheiten sind die in §2 aufgeführten Personen zur Anzeige nur verpflichtet, wenn der Chinese bei Eintritt der Krankheit in der Hauswirtschaft oder in dem Arbeits- oder Geschäftsbetriebe eines Europäers beschäftigt war“. Für die Kolonialverwaltung 12 Ibid. 13 Bericht an Gouvernementsarzt aus Litsun (Licun) vom 08.05.1909 (Bauarchiv). 14 Polizeiverordnung, betreffend die Anzeigenpflicht bei ansteckenden Krankheiten. Vom 15.07.1900. Betrifft Cholera, Darmtyphus, Beulenpest, schwarze Blattern, Fleck- und Rückfallfieber, Gelbfieber, Lepra, Diphterie, Granulose (bei Europäern), Tollwut und Rotz (§1). Meldepflichten gelten in gleicher Weise im Deutschen Reich. QDA 001-110-102:1.
214
Gesund und krank in Qingdao
sind Infektionserkrankungen unter Chinesen nicht zu deren Heilung oder ihrem Schutz von Interesse, sondern nur im Rahmen ihrer Präventionsstrategie der Überwachung, um rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch im Umland gelten die Gesundheitskontrollen nicht dem Schutz der kranken und gesunden Chinesen, sondern dem der deutschen Bevölkerung.15 In dem ländlichen Raum und über die Kolonie hinaus in Shandong wird ein Frühwarnsystem für jeden Ausbruch einer Infektionskrankheit eingerichtet. Die Knotenpunkte dieses Informationsnetzes sind die deutschen Konsulate der Hafenstädte an der chinesischen Küste und vor allem die Missionsstationen in Shandong mit ihren Polikliniken, deren Warnmeldungen an die Hafenquarantänestation in Qingdao gesandt werden. Die Missionsstationen und ihre Gesundheitseinrichtungen für die chinesische Bevölkerung gelten „gewissermaßen als Vorposten gegen andringende Seuchen“ (Denkschrift 1909:48). Deswegen ist es für das Gouvernement „von großer Wichtigkeit“, dass Polikliniken im ‚Hinterland’, also den ländlichen Regionen von ‚Kiautschou‘ und in Shandong, errichtet werden. Es (…) bietet sich so den Ärzten Gelegenheit, durch den Verkehr mit den Eingeborenen ihre Hauptaufgabe zu erfüllen, die dahin geht, Sorge zu tragen, daß die Kolonie vor unvermuteten Ausbrüchen ansteckender Krankheiten behütet wird (Denkschrift 1905:32f.).
Ein wichtiger seuchenhygienischer „Vorposten“ zum Schutz der Stadt ist die Poliklinik des Marktortes Licun (1904) unweit von Qingdao. Der Wert, den diese Einrichtung für die frühzeitige Erkundung von Infektionskrankheiten hat, ist offensichtlich, wenn man bedenkt, daß an den Markttagen bis zu 20000 Menschen aus der näheren und weiteren Umgebung in Litsun zusammenströmen (Uthemann 1911:27).
Der Wert dieser Ambulanz liegt also in der ‚frühzeitigen Erkundung von Infektionskrankheiten‘: „gerade dadurch, daß die aus den entfernteren Dörfern kommenden Chinesen in Litsun die Hilfe des Detachementsarztes aufsuchen, ermöglichen sie es diesem, sich über die an der Grenze etwa auftauchenden ansteckenden Krankheiten rechtzeitig zu unterrichten“ (Denkschrift 1906:47). Den Ortschaften im Schutzgebiet und innerhalb der 50-Meilen-Interessensphäre von Shandong kommt daher eine wichtige Aufgabe i einem seuchenpolitischen Frühwarnsystem zu: 15
Siehe Kapitel 4.1.3.1 zum Fall Jimo.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
215
Ferner war im gesundheitlichen Interesse unserer Kolonie geboten, genaue Einsicht in die unter den Chinesen vorkommenden Krankheiten zu gewinnen. Denn nur dann war es möglich, rechtzeitig die bei dem regen Verkehr mit der Chinesenbevölkerung notwendig werdenden Abwehrmaßnahmen einleiten zu können. In diesem Punkt liegt vornehmlich die Bedeutung auch der außerhalb des Schutzgebietes eingerichteten Polikliniken begründet (Uthemann 1911:26).
Es gibt verschiedene Probleme, die ‚genaue Einsicht‘ erfordern. Jahrelang wird „die Hauptarbeit auf die Frage verwendet, welche Ursache die hier immer noch endemisch auftretenden Ruhrfälle ihre Entstehung verdanken“.16 Das Forschungsinteresse konzentriert sich auf Ursachen, Übertragungswege und Verbreitungsmuster von Infektionen, allen voran den Darminfektionskrankheiten. „Ihre Übertragungsweisen und damit ihre Verhütung zu erforschen, wird die wesentlichste Aufgabe der nächsten Zeit sein“ (Denkschrift 1908:52). Besonders wichtig ist es, „die Verbreitung und namentlich den Weg, auf welchem die Krankheiten nach der Küste übertragen werden“ zu analysieren.17 Die Forschung dient nicht nur dem unmittelbaren Schutz, sondern der Erhebung und Erweiterung medizinisch-bakteriologischen Wissens allgemein. Die ärztliche Untersuchung der Patienten ermöglicht den direkten Zugang zu noch unbekannten Mikroben oder Varietäten: „Nicht zuletzt war das reichhaltige, für westländische Ärzte zum großen Teil seltene Krankenmaterial eine willkommene Gelegenheit zu interessanten Studien und wertvollen Erweiterungen der Kenntnisse“ (ibid.). Auch auf Forschungsreisen der Marineärzte zu Epidemien in Shandong wird solch „seltenes Krankenmaterial“ sichergestellt. Leprakranke aus dem Umland werden überredet, in die Lepraabteilung des Faberhospitals überzusiedeln, damit sie für mikroskopische Untersuchungen verfügbar sind: „Um eine wirksame Isolierung der Leprakranken herbeizuführen, wurde im Faberhospital mit Unterstützung des Gouvernements eine Leprabaracke gebaut. Die nötigen bakteriologischen und mikroskopischen Untersuchungen wurden von zwei Marineärzten durchgeführt (…)“ (Denkschrift 1904:33). Später wird in Yintao eine Leprastation errichtet, wo „planmäßig nach dieser Krankheit geforscht“ wird (Denkschrift 1905:33). Der Chefarzt des Lazaretts, Professor Martini, publiziert seine bakteriologischen Forschungen über Ruhr und Lepra, über Rotz und mit dem Nachweis von Amöben in der Ruhr. In den Dörfern der Kolonie experimentiert der zuständige Arzt mit Diphterieimpfungen, indem er Kindern Blut von erkrankten Chinesen aus Shandong injiziert und „über den Ausfall [das Ergebnis – H.R.] der Serumsimpfung“ nach Qingdao berichtet.18 16 Entwurf zur Denkschrift 1903/04. 17 Geheimer Bericht Koenig vom 3. August 1903, B 0001 001 00122. 18 Bericht Bezirksamtsarzt aus Litsun vom 05.05.1909 (Bauarchiv).
216
Gesund und krank in Qingdao
Das Netz unentgeltlicher „Eingeborenenkliniken“ in den Dörfern der Kolonie und der Missionskrankenhäuser in Shandong wird vom Gouvernement „durch regelmäßige Besuche der Detachementsärzte unterstützt“.19 „Meldungen über ausgebrochene Krankheiten und Präparate zu mikroskopischen Untersuchungen“ werden regelmäßig nach Qingdao geschickt, „sodaß das Gouvernement dauernd über die Krankheitszustände im Innern der Provinz unterrichtet war und Maßregeln zum Schutze rechtzeitig treffen konnte“ (Denkschrift 1905:33). Menschen als „Krankenmaterial“, das die Erforschung von Chinesenkrankheiten ermöglicht, wissenschaftlicher Ehrgeiz und Distinktionsbegehren: Diese Ziele gelten keineswegs als verwerflich, sondern stehen im höheren Dienst der Wissenschaft und der Menschheit. Nicht trotzdem, sondern deswegen stehen sie auch nicht im Widerspruch zu dem Bekunden, mit medizinischen Diensten „manche Noth zu lindern und der Bevölkerung neben der Furcht vor den deutschen Waffen auch wieder Zutrauen einzuflößen“ (Denkschrift 1900:26). Denn schließlich diene „die ärztliche Tätigkeit schon an und für sich in hohem Grade der Förderung friedlicher civilisatorischer Arbeit“ (Kronecker 1913:17). In dem „Vertrauen der Chinesen zur Deutschen Verwaltung“ (Denkschrift 1905:32f.) verbirgt sich die Erwartung, die chinesische Bevölkerung werde sich der höheren Weisheit des „für-sorgenden“ Staates und der Überlegenheit der westlichen Zivilisation und Erkenntnis freiwillig fügen. Und so werde „von Tsingtau aus die Hygiene des Westens ihren Eroberungszug durch das uralte Kulturland des Ostens antreten können“ (Uthemann 1911:39). Trotz der Wichtigkeit, die dieser ärztlichen Kulturmission zugemessen wird, bleibt die Behandlung von kranken Chinesen ganz den Kliniken der christlichen Missionsstationen überlassen: Die Kolonialverwaltung ist bestrebt, die Kosten für eine medizinische Versorgung von Chinesen auf die Missionen abzuwälzen. Für die Missionen ist die Krankenbehandlung ein wichtiges Feld für die Rekrutierung von neuen Gemeindemitgliedern, indem sich „der Wert einer Religion, die solche Früchte zu Tage fördert, dem Chinesen sich sehr deutlich einprägt“.20 Ist es doch nicht der Zweck der ärztlichen Tätigkeit, Bekehrungen hervorzurufen, so ist es doch eine willkommene Frucht der Arbeit des Missionsarztes, wenn das Vertrauen zur fremden Lehre [des Christentums] durch seine Erfolge gewonnen wird und wächst (ibid.).
19 Entwurf zur Denkschrift 1905/06 (Bauarchiv). 20 S. Knak, Krankenbehandlung und Aberglaube in China. In: Mitteilungen des Berliner Vereins für Ärztliche Mission und seiner Zweigvereine. 3 (1910) 6, S. 5–8. Zitiert nach Eckart 1997:502.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
217
Im christlichen Diskurs steht die humanitäre Mission der Medizin für den Auftrag christlicher Barmherzigkeit und Nächstenliebe: Eine sanitäre „Erlösung“ der „Heiden“ ist für sie durchaus möglich. In der Selbstrepräsentation ärztlicher Missionstätigkeit steht „das menschenfreundliche Licht ihrer Wissenschaft und ihrer Kunst“, das die Ärzte in die chinesische Finsternis des Aberglaubens tragen (Weicker 1908:178) und damit die „erziehliche Bedeutung der ärztlichen Mission“21 im Vordergrund. Keineswegs im Widerspruch dazu wird der Missionsarzt als „ein wichtiger Kulturträger“22 verstanden, der seine Aufgabe im Kontext der kolonialen deutschen ‚Kulturmission‘ sieht und „deutsche Gedanken ins Volk“ (Zur Verth 1910:95) der Chinesen trägt. So ist es für viele Missionsvereine kein Widerspruch, „[g]esundheitliche Volkshilfe als Mittel deutscher Kulturarbeit in China“ auch als missionarisches Anliegen zu verstehen und andererseits das Humanitäre zugunsten des Nationalen auch einmal zurückzustellen: „[…] hier handelt es sich denn doch außer um rein humanitäre Bestrebungen, die wir nicht überschätzen wollen, um etwas ganz anderes: Dort im fernen Osten beginnt ein gewaltiges Reich seine Grenzen der europäischen Kultur zu öffnen. Unendliche Schätze sind dort zu haben“.23 Wie es um die Menschenfreundlichkeit ärztlicher – missionarischer wie säkularer – Dienste an der chinesischen Bevölkerung bestellt ist, lässt sich recht gut am Umgang mit den epidemischen Krankheitsausbrüchen in der Kolonie ablesen.
4.1.2.2 Aussperren, einsperren und vertilgen: Exklusion als Präventionsstrategie Ihre Erfahrungen lehren die Ärzte, dass bei allen Präventionsanstrengungen das epidemische Auftreten von Infektionskrankheiten in der Europäerstadt nicht verhindert werden kann. Das gilt besonders für die periodisch auftretende Ruhr. Eine Antwort auf die Frage, wie die Ausbreitung einer bereits ausgebrochenen Epidemie gestoppt werden kann, ist in der häufig verwendeten Metapher vom ‚Krankheits- oder Ansteckungsherd‘ zu finden. Die Analogie von „Krankheit“ und „Feuer“ macht den Grundgedanken deutlich: Feuer verlischt, indem es sich verzehrt oder erstickt wird. Auch der Krankheitsherd kann verlöschen. Dazu muss dem „Feuer“ der Krankheit die Zufuhr abgeschnitten werden, um Infektions21 Kind, Ausdehnung und erziehliche Bedeutung der ärztlichen Mission. In: Verhandlungen des deutschen Kolonialkongresses 1902. Berlin 1903. S. 459–66. 22 Josef Kammerer. In: Ärztliche Rundschau. Wochenschrift für die gesamten Interessen der Heilkunde 14 (1904), S. 505–508. Zit. nach Eckart 1989:7. 23 So der Geheime Medizinalrat Prof. Bier in einem Spendenaufruf zugunsten des Faber-Hospitals in Qingdao (Bier 1910:70). Zu den Interessenten der „Schätze“ zählen im Übrigen auch die deutsche Pharmaindustrie (Fong 2006:123) und die Hersteller von Hygieneapparaturen, medizinischem Gerät und Arzneien (Huang 1999:187; Eckart 1989:167).
218
Gesund und krank in Qingdao
krankheiten „im Entstehen zu ersticken,“24 sodass eine Krankheit „auf ihren Herd beschränkt“ bleibt (Denkschrift 1909:49). Das Aussterben des Erregers ist der einzige Weg, eine Epidemie zu kontrollieren. Dafür ist es wichtig, den Weg der Bakterien zum nächsten Vektor (Wirt) zu unterbrechen, indem ihr Träger sofort von allen anderen Menschen entfernt wird. „Besonders wichtig für die Einschleppung ansteckender Krankheiten ist es, den ersten Fall schnell zu erkennen und zu isolieren“ (ibid.). Derart ausgesperrt, soll sich der Erreger verzehren, bis sein Wirt gestorben ist oder den Abwehrkampf des Körpers gewinnt. Diese Vorstellung der „Krankheitsbekämpfung als Aussperrung“ findet seine Entsprechung im Umgang mit den anderen unerwünschten Elementen, von denen in dieser Arbeit die Rede gewesen ist. „Durch die nötigen Absperrmaßregeln, namentlich das Betreten der und Abschluss der kranken Kulis vom Außenverkehr, wurde ein Übergreifen (…) verhindert“.25 Der Übergriff – die Grenzverletzung, die feindliche Invasion – löst die Angst und den Abschottungsreflex aus. Der sicherste Weg, mit dieser Störung der Ordnung fertig zu werden, ist die Beseitigung derer, die man für die Störung verantwortlich macht (Ali-Keil 2009:234). Das Aussperren der Kranken oder Verdächtigen aus dem gesunden Raum ist der Kern der Krankheitsbekämpfung, daran hat sich seit der Erfindung der Quarantäne gegen die Pestepidemien des 14. Jahrhunderts nichts geändert. Auch die Schiffsquarantäne wird seitdem überall auf der Welt routinemäßig verhängt. Quarantäne, ob auf dem Schiff oder auf der Isolierstation und dem Seuchenlazarett, bedeutet nicht nur ein „Aussperren,“ sondern gleichermaßen ein „Einsperren“ so lange, bis sich das Problem ‚von selbst‘ löst: durch „Ausbrennen“ des Ansteckungsherds. Eingesperrt aber ist nicht nur das zum Todfeind erklärte Bakterium, sondern der mit ihm gleichgesetzte Krankheitsträger. Die Stigmatisierung der Epidemien, die in Qingdao grassieren, als Chinesenkrankheiten und der panoramatische Blick auf das ‚Große Ganze‘ der „Volksgesundheit“, der sich nicht mit Individuen aufhalten kann, haben Entlastungsfunktion. Sie bewahren die Verantwortlichen und die Privilegierten vor einer individualisierten Sicht auf einzelne hilf- und wehrlose Menschen, die ihrem Schicksal überlassen werden und deren einzige Schuld darin besteht, krank zu werden oder zum Kreis der „üblichen Verdächtigen“ zu gehören. Die Rituale des „Aussperrens der Krankheit“ signalisieren, man habe die Krankheit unter Kontrolle. Unter kolonialen Bedingungen, in denen der Anspruch auf die deutsche Vorherrschaft über eine überwältigende chinesische Bevölkerungsmehrheit immer wieder neu inszeniert werden muss, fällt dieses Zeichen besonders stark aus. 24 Entwurf zur Denkschrift 1906/07. Bauarchiv. 25 Entwurf zur Denkschrift 1902/03. Durchgestrichen im Original: So genau braucht die deutsche Leserschaft der Denkschriften denn doch nicht zu wissen, wie das Gouvernement mit den Schutzbefohlenen seines „Schutzgebietes“ verfährt.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
219
Neben der seit 1904 existierenden Isolierstation im ‚Chinesenkrankenhaus‘ werden 1908 provisorisch Quarantänestation und Seuchenlazarett im alten Höhenlager nördlich von Taixi eingerichtet. „Die Station wird unschwer nach außenhin abzuschließen, durch die Arkonabrücke von See aus zu erreichen sein und notdürftigen Ansprüchen genügen“ (Denkschrift 1909:49). 1910 wird ein festes Quarantänelager aus Holzbaracken mit einer Aufnahmekapazität von 120 Kranken und „verdächtigen Personen“ eingerichtet sowie Steinhäuser für die Ärzte gebaut. Das Lager ist ausschließlich für Chinesen vorgesehen, für erkrankte Europäer gibt es einen dezent in die Lazarettanlage integrierten Isolierpavillon. „Der Platz ist durch einen hohen Erdwall und einen Lattenzaun mit Stacheldraht abgeschlossen. Er liegt fern von menschlichen Ansiedelungen dicht an der Kiautschoubucht, so daß er von hier ankernden Schiffen aus leicht zu erreichen ist“ (Uthemann 1911:30). Die Anlage sieht nicht nur aus wie ein Gefängnis, sie ist auch eines, Zielort der „Überführung“ von Menschen, Stätte der Zwangseinweisung. Wie beim Zuchthaus demonstrieren die vier Symbole der Aus- und Einschließung – Wall, Zaun, Stacheldraht und die Lage jenseits des besiedelten Raumes – die gefährliche Andersartigkeit der Eingesperrten. Die Quarantäne ist das Symbol der Nichtzugehörigkeit, der schuldhaften Abweichung von der Norm. Sodann wird der Kampf gegen den Todfeind geführt. Die Desinfektion verfolgt das Ziel der Ausrottung des Bakteriums und wird prophylaktisch wie akut vorgenommen. Der Einsatz von scharfen Chemikalien wie Chlordämpfen, Chlorwasser und Chlorkalk sowie Karbolsäure (Hardy:338) und Quecksilber gilt allen Materialien, die Träger der Infektion sein könnten. So werden die Wohnräume im Lehrlingsheim der Qingdaoer Werft nach einem Ausbruch von Cholera jährlich geweißt, und für die „Aborträume“ ist ein wöchentlicher desinfizierender Kalkanstrich vorgesehen.26 Der Desinfektionszwang erstreckt sich auch auf Menschen, etwa auf ‚verdächtige‘ Schiffsreisende, die aus Pestund Cholera-Gebieten kommen.27 Die Gefahr, die von den Bakterien ausgeht, hat Priorität gegenüber Gesundheitsrisiken der Bekämpfung. Ätzende Laugen werden auch zur Zwangsreinigung von Gefahrenherden verwendet.28 Bei Ruhr wird der Darm in einer Rosskur aus Quecksilberchlorid und Rizinus „von den infektiösen Massen gründlich gesäubert“ (Kronecker 1913:21). Die eminente Bedeutung von Desinfektionsmaßnahmen geht aus behördlichen Dokumenten hervor: Das Polizeiamt bildet eine Desinfektionskolonne, die, bestehend aus einem ausgebildeten Desinfektor („Obersanitätsgast“), Sa26 Uthemann 30.05.1909 und Gouv 254 v. 27.05.1909 (Protokoll im Bauarchiv). 27 Verordnung, betr. die gesundheitspolizeiliche Kontrolle der den Hafen von Tsingtau anlaufenden Schiffe 1904 in: Mohr 1911:195. 28 In Deutschland üblicherweise gegen Dienstboten, Industriearbeiter und Landbevölkerung bei Hautkrankheiten wie Krätze eingesetzt (Frey 1998:18).
220
Gesund und krank in Qingdao
nitäter und chinesischen Polizisten als Helfern, dem Polizeiarzt unterstellt ist. 1908 wird außerdem „ein allen Ansprüchen genügender Desinfektionsapparat“ in Betrieb genommen (Denkschrift 1909:49), der mit Dampf arbeitet. Der Vernichtungsgedanke, der der Desinfektion zugrunde liegt, tritt besonders deutlich im „planmäßigen Vertilgungskampf (…) gegen die Schädlinge und gefährlichen Insekten“ zutage. Der Chefarzt des Gouvernementslazaretts, Professor Erich Martini höchstpersönlich, durchkämmt auf der Suche nach „Brutstätten“ systematisch Feindesland. Da „eine einzige Fliege“ zu so ‚gewaltiger Vermehrung‘ in der Lage ist, dass „Mensch und Vieh sich ihrer kaum noch erwehren können“, bedarf es der umfassenden und gründlichen Aufklärung darüber, wie sie „unschädlich gemacht werden“, durch die Ausarbeitung eines detaillierten Verfahrens zum Sammeln, Töten und zur metertiefen Beerdigung aller kontaminierten Abfälle von Tsingtau sowie der Vorschrift einer Vollzugsmeldung darüber, „dass die oben angeführten Maßregeln strengstens durchgeführt worden sind“.29 Die emotionale Energie, mit der die ranghohen militärischen Medizinalbeamten zum Ausrottungskampf gegen „Mücken, Fliegen und Geschmeiss jeder Art“ (Entwurf zur Denkschrift 1906/07) blasen, ist beeindruckend. Die Kriegserklärung soll „mancher Ansteckungsgefahr vorbeugen“, da sie „sicherlich (…) auch als Infektionsträger eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen“ (Uthemann 1911:30). Alles ist verdächtig, Vektor (Wirt) für die gefährlichen Bakterien zu sein. Einige Vektoren sind bereits bekannt, wie der des Pestbakteriums, der Rattenfloh (pulis cheopis). So geraten auch Hausratten in die Vernichtungsaktionen. Für Ratten von Schiffen wird eine Abgabepflicht an das bakteriologische Labor erlassen (Bekanntmachung. In: Mohr 1911:199). In Zeiten von Pestausbrüchen werden Prämien auf die Kadaver der Qingdaoer Hausratten („in Chinesenhäusern“) gezahlt. Die Vertilgung wird industriemäßig und mit Generatorgas organisiert. 1908 wird ein transportabler „Rattenvertilgungsapparat zum Vernichten dieser Nager in Chinesenhäusern, Dschunken und kleinen Dampfern“ (Denkschrift 1908:51) eingesetzt. „Vertilgung, die“: Die Assoziationsketten, die von den Synonymen-Ketten der „Duden“-Definition in Gang gesetzt werden, öffnen Abgründe. Vergasen: durch Giftgase töten; durch Giftgase vertilgen. Ausrotten von veraltet rotten: völlig vernichten, vollständig, bis zum letzten Exemplar vernichten. Vernichten: völlig zerstören, gänzlich zunichtemachen. Ausmerzen: ausrotten, vertilgen, aussondern, (als fehlerhaft, unerwünscht o. Ä.) tilgen, beseitigen, eliminieren, (emotional) töten. Ungeziefer, Unkraut Ungeziefer, Unkraut [mit Stumpf und Stiel] ausrotten, ein Übel, eine Unsitte ausrotten.30 29 Alle Zitate: Denkschrift zur „Bekämpfung der Fliegenplage“ vom 20.10.1907 (Bauarchiv). 30 Alle Synonyme aus dem Duden online zu „Vertilgung“. http://www.duden.de [Datum 11.12.2016].
Die medikale Geographie des Infektionsraums
221
Es sind diese totalitären, hassgeladenen Implikationen in der Sprache des Vertilgungskampfes, die beunruhigen, da unsere heutige Wahrnehmung und unsere Assoziationsketten geprägt sind von der NS-Vernichtungsideologie. Dass wir Nachgeborenen auf diese Sprache mit dem Wissen über ihre grauenvollste Anwendung in der Geschichte blicken, belastet die Diskursanalyse. Weindling (1989), der über den Einfluss von Rassismus und Eugenik auf autoritäre Strömungen in der wissenschaftlichen Medizin in Deutschland geforscht hat, weist nachdrücklich darauf hin, dass der deutsche Weg vom eugenisch und sozialdarwinistisch beeinflussten Vernichtungsdenken in den deutschen Faschismus keinesfalls zwangsläufig war (Weindling 1989:6). Ich teile diese Ablehnung eines enthistorisierten Geschichtsfatalismus. Aber es gibt diese gemeinsame Basis des Denkens, das sich der Nationalsozialismus angeeignet und bis zu furchtbarsten Konsequenz zu Ende gedacht hat; auch Robert Koch hat geahnt und sofort von sich gewiesen, wohin dieses Zuendedenken führt: Und trotzdem muss ich gestehen, daß wir [die Isolierung sämtlicher Kranker] doch nicht völlig vernachlässigen sollen, […] wenn auch nicht alle so doch so viele Tuberkulöse wie möglich durch Isolierung, erlauben Sie mir den harten Ausdruck, unschädlich machen. Ich verstehe darunter nicht, daß man den Kranken ganz beseitigt, sondern nur, daß man ihn unter solche Verhältnisse bringt, daß er nicht mehr schädlich ist, daß er andere nicht mehr infizieren kann., Schutzmaßregeln gegen Infektion mit Tuberkulose.31
Dennoch verbietet es sich, den Bakteriologen und Hygienikern der vorigen Jahrhundertwende die nationalsozialistische Konnotation von Ausrottung in den Mund zu legen. Welche Bedeutung die Topoi der Krankheitsbekämpfung für diese Wissenschaftler und die zeitgenössische Bevölkerung hatten, erschließt sich nicht „post festum“, sondern aus der Rekonstruktion von Diskursen vor dem historischen Hintergrund ihrer Entstehung. Im Licht des Machbarkeitsoptimismus des naturwissenschaftlichen Jahrhunderts erscheint die „Ausrottung“ unerwünschter Krankheiten (und Erbanlagen) als „Königsweg“ zu einer politischen Utopie auf biologischer Grundlage.32 Die hygienischen Erfolge, mit denen sich Qingdao brüstet, scheinen das biologistische 31 In: Koch, Gesammelte Werke 1, S. 620–622, S. 621. Zit. nach Sarasin 2004: 272. 32 Vgl. Weindling 1989:77 und 6. An diesem Knotenpunkt treffen die lebensreformerischen Utopien von Gartenstadtbewegung, Bodenreformern und Gesundheitsreform aufeinander, die auch an der Entwicklung der utopischen Musterstadt Tsingtau mitwirken.
222
Gesund und krank in Qingdao
Definitionsmonopol zu bestätigen. Der eindimensionale Fokus auf das Bakterium schreibt diese Erfolge auf das Konto der Bakteriologie. Die Aggressivität des Diskurses, das legt die metonymische Verschiebung von den gefährlichen Bakterien hin zu den gefährlichen Bakterienträgern nahe, erstreckt sich auch auf die chinesische Bevölkerung. „Das stete Anwachsen der ausschließlich von Chinesen bewohnten Stadtteile, besonders Tapautau und Taitungtschen, in denen sich auch ein erheblich größerer Zuzug von Familien bemerkbar macht, erfordert eine unausgesetzte scharfe Kontrolle“ in Form von „sanitätspolizeilichen Revisionen“ von „Organen des Polizeiamtes“ (Denkschrift 1909:35). Diese Aggressivität verleiht der Sprache des Diskurses einen Unterton von Unbeugsamkeit und Totalität, der demonstrieren soll, dass die „Überwachung des Gesundheitszustandes der chinesischen Bevölkerung auf das strengste gehandhabt“ (Denkschrift 1902:24) wird. Man begnügt sich nicht mit Absperrungen gegen ‚eingeschleppte‘ Krankheiten, sondern ergreift „energische“ oder „strenge Absperrmaßregeln“; Kranke werden nicht „isoliert“, sondern „vollständig isoliert“, indem sie der „Überführung“ ins Hospital unterworfen werden, Wohnungen nicht nur gesäubert, sondern „sogleich“ und „gründlich gesäubert“, es wird nicht ‚kontrolliert‘, sondern ‚Kontrolle ausgeübt‘. Es ist die Semantik der Durchsetzung und Überwachung, die behauptet, dass die Mächtigen ‚alles im Griff haben‘ und dem „Bösen“ keine Schlupflöcher lassen. Die sauberste und gesündeste Stadt ist auch ein Symbol ärztlicher Kontrolle und Allmacht.
4.1.3 Chinesische Indolenz: Der chinesische Körper als umstrittenes Feld Um machtvoll zu sein, sind Diskurse der Macht immer bestrebt, die Bedeutung von Topoi zu fixieren, das heißt, gegen abweichende Bedeutungszuweisungen abzuschotten. Dass das im kolonialen Diskurs regelmäßig misslingt (Bhaba), liegt darin begründet, dass die Widerlegung der eigenen Erzählung immanent ist. Um von der eigenen kulturellen und wissenschaftlichen Überlegenheit zu überzeugen, braucht die Diskursgemeinschaft das defizitäre Gegenüber. Dessen kulturelle Unzulänglichkeit wird anhand seiner Widersetzlichkeit gegen die Segnungen der normativen Kultur dokumentiert. Eingeborene Widerspenstigkeit bringt die unterschlagene Sprache der Kolonisierten dann doch zu Gehör. Im medizinischen Diskurs ist der Schlüsselbegriff für die verschwiegene Handlungsmacht des Anderen die Indolenz.
4.1.3.1 Medikale Intervention und kulturelle Selbstbestimmung Zur Legitimation ärztlicher Macht strickt der Diskurs am Mythos des „selbstlosen ärztlichen Menschheitsretters“, dessen Auftrag es ist, „das Ver-
Die medikale Geographie des Infektionsraums
223
trauen der Chinesen zur Deutschen Verwaltung“ (Denkschrift 1905:32f.) zu gewinnen. Die weiteren Schichten des Volkes zu gewinnen, dazu trägt nichts so bei, als die liebevolle und erfolgreiche Behandlung seiner Leiden. Wer durch deutsche Hilfe Genesung gefunden, der wird zum Verbreiter einer Gesinnung, die deutschen Dingen die denkbar größte Sympathie entgegenbringt (Zur Verth 1910:95).
Um das Ausmaß chinesischen Vertrauens in die deutsche Medizin zu dokumentieren, veröffentlicht das Reichsmarineamt die in Qingdao erhobenen Gesundheitsstatistiken. „Die Statistik lässt den zufriedenstellenden Zustand der Anstalt … deutlich erkennen“.33 Der „zufriedenstellende Zustand“ wird quantitativ, in Behandlungszahlen, bewertet. Zahlen messen Leistung. Je mehr Behandlungen, desto größer das „Vertrauen“, das sich darin ausdrückt: „Die chinesische Bevölkerung kommt, wie die Zahlen zeigen, dem Hospital mit großem Vertrauen entgegen; dasselbe hat einem vorhandenen starken Bedürfniß abgeholfen“ (Denkschrift 1901:27). Und über die Missionsstation in Jimo: „Die kleine Poliklinik in Tsimo wird von der chinesischen Bevölkerung dauernd rege in Anspruch genommen. Die chinesischen Notabeln des Kreises erkennen die Tätigkeit der Klinik besonders dankbar an und stehen zu den Missionaren in einem freundschaftlichen Verhältnis“.34 Nicht etwa Heilungserfolge, sondern ‚Vertrauen, Bedürfnis, Dankbarkeit‘ seitens der chinesischen Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Kolonie beglaubigen „die segensreiche Wirksamkeit deutscher Ärzte“ (Weicker 1908:178). Die „segensreiche Wirksamkeit deutscher Ärzte“ erstreckt sich nicht auf den Gesundheitszustand der Chinesen.35 Ohnehin hat das überragende Interesse an der Diagnostik um 1900 nur sehr bescheidene Erfolge der europäischen Medizin für die Therapie von Krankheiten und ganz besonders von Infektionskrankheiten gezeitigt. Die Ärzte im Pachtgebiet sind vor allem interessiert an „der Art des poliklinischen Materials, welches sich fast nur aus der arbeitenden Klasse rekrutiert“.36 Damit sind die chinesischen Patienten gemeint, die die Chinesenkrankenhäuser und Polikliniken aufsuchen und als „Krankenmaterial“ „ein besonders dankbares und erfolgreiches Feld für die ärztliche Betätigung [bieten]“ 33 Dr. Podestà, Entwurf des ärztlichen Jahresberichts zum Chinesenkrankenhaus der Katholischen [Steyler] Mission vom 17.03.1909. 34 Denkschrift 1908:47. Die angebliche Freundschaft ist kein Hindernis für den Missionar Lutschewitz, den Mandarin von Jimo als Repräsentanten primitivsten Aberglaubens vorzuführen (Gerber 2002:410). 35 Zu diesem Ergebnis kommt auch Eckart 1989:54. Eines der Anzeichen dafür ist, dass trotz der auch in Qingdao allgegenwärtigen Statistik keine Daten über den Gesundheitszustand der chinesischen Bevölkerung erhoben werden (op.cit.:35). 36 Podesta, Ärztlicher Jahresbericht, 17.03.1909.
224
Gesund und krank in Qingdao
(ibid.). Der Fokus auf diagnosefähiges „Krankenmaterial“, der hier deutlich wird, ist eine Folge des mechanistischen Denkens in der Medizin. Darin ist wenig Platz für die Wahrnehmung chinesischer Kranker als Patienten. Das schlägt sich auch in der Sicht der Ärzte auf die Kranken und ihren Umgang mit ihnen nieder. Anders als die Beschwörung des großen Vertrauens chinesischer Patienten in „die liebevolle und erfolgreiche Behandlung seiner Leiden“ erwarten lässt, findet ein Kampf um das Verfügungsrecht über den Körper des Kranken statt. Ein typischer Vorfall illustriert, wo die Konfliktlinien verlaufen. Am 23.4.1909 meldet der Missionar Lutschewitz aus der Kreisstadt Jimo – diese ist außerhalb der Kolonie, aber innerhalb der von Deutschland beanspruchten 50-Meilen-Interessensphäre gelegen – gemäß seiner Rolle als „seuchenpolitischem Vorposten“ eine nicht identifizierte Epidemie: „Wir machen nur diese Mitteilung, um eventuelle Vorbeugemaßregeln gegen Verschleppung dieser Krankheit nach Tsingtau, wenn es nötig sein sollte, treffen zu können“.37 „Zum Zwecke der Erforschung“ der Krankheit wird der Marinearzt Fürth nach Jimo abkommandiert,38 um „die Ausbreitung der Krankheit und deren Art festzustellen. Insbesondere galt es zu ermitteln, ob es sich bei der Seuche um Beulenpest handle“.39 Der Gouverneur fordert die Mission auf, ihren Einfluss in Jimo geltend zu machen, um Dr. Fürth „bei der Beschaffung von Krankenmaterial, Duldung der eventuell notwendigen Eingriffe (Punktionen)“ zu unterstützen. Dennoch bekommt der Marinearzt „Kranke nicht zu Gesicht, wohl in Folge der den Chinesen eigenen Abneigung, sich bei akuten inneren Krankheiten von Europäern behandeln zu lassen, ihnen ist der Eintritt von Fremden in ihr Haus unsympathisch“ (ibid.). Der ‚Kreismandarin‘ hat „Anweisung über die Behandlung der Seuche erlassen und scheute sich anscheinend, dem fremden Arzt Einblick in dieselben zu gewähren“, verweigert dem Arzt also eine Zusammenarbeit (ibid.). Zum einen entziehen sich die betroffenen Familien also der fremden Intervention und bewahren ihre familiäre und medizinische Selbstbestimmung: der deutsche Arzt ist weder im chinesischen Haus noch als Behandler willkommen. Zum anderen verteidigt der Kreismandarin von Jimo, dem als oberstem Beamten des Kreises die Fürsorge für die ihnen untergebene Bevölkerung obliegt, seine Souveränität. Außerhalb des kolonialen Machtbereichs und der Geltung der Seuchengesetzgebung im Pachtgebiet sind die Instrumente der deutschen Überwachung stumpf, und der Arzt ist statt auf ‚strengste Abwehrmaßregeln‘ auf Aushandlungen angewiesen. Innerhalb des Pachtgebiets wird dieser Kampf mit der 37 Schreiben Lutschewitz vom 23.04.1909 an Gouvernement (Bauarchiv). 38 Verfügung des Gouverneurs zum Befehl vom 24.04.1909 (Bauarchiv). 39 Bericht Fürth vom 02.05.1909 (Bauarchiv).
Die medikale Geographie des Infektionsraums
225
Macht des Gouvernements – hier der ihm angehörenden Ärzteschaft – mit aller Schärfe ausgetragen. Der Kampfbegriff heißt Indolenz und ist ein semantischer Schlüssel im Gesundheitsdiskurs. Wörtlich bezeichnet „Indolenz“ eine Unempfindlichkeit gegen Schmerzen, doch im Diskurs der letzten Jahrhundertwende ist der Begriff fast ausschließlich negativ konnotiert mit Attributen wie „Gleichgültigkeit“, „Unfähigkeit“, „Sichgehenlassen“, „Ignoranz“ und „moralische Verkommenheit“.40 Zwischen 1790 und 1910 hat der Begriff Hochkonjunktur,41 denn der Topos bündelt ein ganzes Spektrum von Binäroppositionen zum moralisch aufgeladenen bürgerlichen Selbstsorge- und Verantwortungsethos. Chinesische Indolenz bildet den Knotenpunkt, der den Krankheitsdiskurs mit den verschiedenen Aspekten des Chinesendiskurses verbindet. Affektiv aufgeladen mit moralischer Empörung, dient er im Hygiene- und Krankheitsdiskurs als Kampfbegriff: Die oft unglaubliche Indolenz des Chinesen bei inneren Krankheiten die ihn nur bei schwersten Erscheinungen veranlaßt, eine Behandlung einzuleiten oder das Krankenlager aufzusuchen, macht die Bevölkerung, unter der die Ruhr epidemisch herrscht, zu einer ständigen schweren Gefahr für die Gesundheit aller, die gezwungen sind, mit ihr in nähere Berührung zu kommen, eine Gefahr, gegen die es keine andere Bekämpfung gibt als die daß man sie gänzlich meidet (Uthemann 1911:35).
Krankheiten sind demnach „eine Folge außerordentlicher Indolenz“42 der Chinesen. Da Chinesen gleichgültig sind gegenüber ihrer Gesundheit, verhalten sie sich verantwortungslos gegenüber sich selbst und, schlimmer noch, gegenüber der (Volks-)Gemeinschaft. Diese Interpretation wurzelt in der ärztlichen Stigmatisierung der Armut und der Armen: Danach sind Krankheit und Tod die zwangsläufige – und gerechte – Folge eines pathologischen, unangemessenen Lebenswandels43, und beweisen die Rückständigkeit, Fortschrittsfeindlichkeit und Unwissenheit der unteren Klassen daheim und der Eingeborenen in der Welt, wie die Untersuchung der Schmutzdiskurse in Kapitel 3 gezeigt 40 Vgl. Korpusbelege des DWDS: http://zwei.dwds.de/r?q=Indolenz&corpus =dta&date-start=1880&date-end=1914&genre=Wissenschaft&genre=Gebrauchslit eratur&genre=Zeitung&format=full&sort=date_asc&limit=50 [Datum 04.01.2017] sowie des Deutschen Textarchivs http://www.deutschestextarchiv.de/search/ddc/se arch?fmt=html&corpus=ready&ctx=8&q=Indolenz+%23greater_by_date&limit=10 [Datum 05.01.2017]. 41 Vgl. http://www.deutschestextarchiv.de/search/plot/?query=Indolenz%20%23greater_by_date%20 [Datum 05.01.2017]. 42 Podestà 1907, Entwurf zum Jahresbericht (Bauarchiv). 43 Vgl. Kapitel 3.3.
226
Gesund und krank in Qingdao
hat. „Auch beweisen diese Erkrankungen, auf wie niedriger Stufe therapeutischer Einsicht und Handeln bei den Chinesen noch stehen“44 und wie sehr sie der energischen Führung durch deutsche Ärzte bedürfen. Die Verlagerung der Krankheitsursachen in den defizitären chinesischen Charakter, die chinesische Indolenz, entschuldigt das Versagen ärztlicher Allmacht. Gleichzeitig ist das Konstrukt Indolenz der semantische Schlüssel zu einem verschwiegenen Aspekt dieses Arzt-Patien-Verhältnisses. Indolenz im ärztlichen Sprachgebrauch bedeutet die verweigerte Zusammenarbeit in der Behandlung. Nicht chinesischer Charakter und Lebenswandel sind verantwortlich für das Krankwerden, sondern die Entscheidung kranker Chinesen – oder ihrer Familien -, sich nicht von deutschen Ärzten behandeln zu lassen. Das wird zu Recht als passiver Widerstand gedeutet und von diesen deutschen Ärzten als Missachtung ärztlicher Autoritäten bekämpft, die beauftragt sind, über die Einhaltung der Gesundheitsnormen zum Wohl ‚des Volkes‘ zu wachen. Die ärztliche Empörung gilt der Eigenmächtigkeit der Chinesen. Mit anderen Worten: Es geht um die Macht des Arztes über die gesunde und kranke Bevölkerung. „Als Arzt habe ich immer den Kampf bis auf Messer mit allem, was Chinesenart und Brauch ist, es geht nicht anders. Hier giebt’s nur Zwang und Gehorsam, das gute Resultat allein mag versöhnen […]; Compromisse sind absolut ausgeschlossen“.45 Diese recht eigenwillige Interpretation des vertrauensvollen Verhältnisses des chinesischen Patienten zu seinem deutschen Missionsarzt verrät die aggressive Energie im Kampf um die ärztliche Deutungs- und Handlungsmacht. In dieser „Schlachtordnung“ stehen sich der Auftrag, den Todfeind in der Bazille aufzuspüren und zu vernichten, den Bazillenträger zu entlarven, unschädlich zu machen und „Chinesentum und Brauch“ (also chinesische Indolenz und chinesischen Schmutz ) unversöhnlich gegenüber. „Compromisse“, also Raum für die Achtung und Einbeziehung der persönlichen und kulturellen Integrität der Patienten, lässt dieses Konstrukt nicht zu. Aus der ‚Compromisslosigkeit‘ spricht die „heroische Subjektivitätsethik“ (Göckenjan) des modernen Arztes, der sich nur dem ‚Fall‘ verpflichtet weiß und kein Mitleid und keine Nächstenliebe kennt, sondern nur ‚das Beste‘ will.46 Das gilt sowohl bei den niedergelassenen Ärzten wie für den Klinikbetrieb und ganz besonders in der Seuchenbekämpfung. Während der Choleraepidemien der 1830er-Jahre und in der Folgezeit brechen Ärzte in Deutschland „pietätlos, rücksichtslos, rigoros“ in intime Lebensbereiche ein,47 nehmen Zwangseinwei44 Podestà 1907, Entwurf zum Jahresbericht (Bauarchiv). 45 ADOAM VII 1,94,1, Dipper an Zentralvorstand vom 27.08.1902. Zitiert nach Eckart 1989:121. 46 Schwenninger (1909), Der Arzt, S. 10f. Zit. nach Göckenjan 1989:98. 47 Hess 2009: 89. Anschauliche Darstellungen ärztlichen Rigorismus aus der Perspek-
Die medikale Geographie des Infektionsraums
227
sung von Seuchenverdächtigen vor, die der „Gefangennahme der Kranken“ (op. cit.:167) gleichen, führen in den Kliniken und Quarantänestationen ein militärisches Regiment, das den Patienten der Macht des Arztes unterwirft. Überhaupt ist das Krankenhaus in den Augen der Ärzte „nicht nur eine Stätte der Heilung, sondern auch der Erziehung und Gewöhnung an eine rationelle Lebensweise“,48 und zwar von oben herab mit der ganzen Verachtung des (bürgerlichen) Hygienikers für die Lebensgewohnheiten des Proletariats, dem unbedingter Gehorsam abverlangt wird. Die Disziplinierung trifft die Armen, die zunächst dem Arzt in Armenhäusern und Gefängnissen und gegen Ende des Jahrhunderts der Macht der Kassenärzte und der mit der Überwachung der ‚Volksgesundheit‘ betrauten Amtsärzte ausgeliefert sind.49 Auch in Deutschland wird die biomedizinische Intervention mit der Indolenz der Unterschichten gerechtfertigt (Dettke 1998:281). Der Kampf ist aber auch deshalb so kompromisslos, da die Ärzte in den Chinesenkrankenhäusern und Polikliniken die Erfahrung machen, dass ihre Patienten in ihrer kulturellen und sozialen Ordnung verankert sind und die ärztliche Allgewalt keineswegs einfach hinnehmen, sondern pragmatisch mit den medizinischen Diensten umgehen. Die arme Bevölkerung ist vielfach auf sie angewiesen, denn sie werden kostenlos oder besonders billig angeboten. Die Behandlungsfälle in den Kliniken geben Hinweise darauf, dass viele Patienten selbst entscheiden, welche Heilung sie den deutschen Ärzten zutrauen und welche nicht. Am ehesten ziehen sie bei äußeren Erkrankungen und Verletzungen einen westlichen Arzt hinzu (Gerber 2002:398): „Die unter der niederen Bevölkerung außerordentlich häufigen Augenerkrankungen bieten ein besonders dankbares und erfolgreiches Feld für die ärztliche Betätigung. (…) Die große Menge der Verletzungen erklärt sich aus der Art des poliklinischen Materials, welches sich fast nur aus der arbeitenden Klasse rekrutiert“.50 Die Patienten lassen sich dennoch nicht als ‚poliklinisches Material‘ vereinnahmen, sondern widersetzen sich (offen oder durch Unterlaufen ärztlicher Anweisungen und Maßnahmen): „Der erfolgreichen, aber langsamen Behandlung (…) entziehen sich leider die Patienten nur zu bald, da sie mit einer geringen augenblicklichen Besserung schon zufrieden sind“.51 Besonders stark ist die Verweigerung, tive der unteren Schichten sind in der Schilderung der Hamburger Choleraepidemie von 1893 (Evans 1991) zu lesen. 48 Wilmans, Krankenkassen und Krankenhäuser größerer Betriebe, Berlin 1901, S. 50. Zit. nach Huerkamp 1989:69. 49 Vgl. die Entwicklung der Biomedizin und parallel den Aufstieg der Ärzteschaft bei Hüntelmann (2008). Vom Widerstand gegen die militärische Disziplin in Krankenhäusern in Deutschland berichtet Weindling (1989:166) anlässlich eines PatientenBoykotts der Berliner Charité 1893. 50 Podesta, Ärztlicher Jahresbericht 17.03.1909. 51 Podestà 1907, Entwurf zum Jahresbericht (Bauarchiv).
228
Gesund und krank in Qingdao
wenn Opfer der Infektionskrankheiten zwangseingewiesen und zwangsbehandelt werden sollen: Kranke und Angehörige geben sich größte Mühe, die Symptome zu verbergen, um der Isolierung zu entgehen – ein Verhalten, das in dem Pestausbruch von 1911 eine Rolle spielt. Der größte Widerstand der „messerscheuen Eingeborenen“52 im Pachtgebiet richtet sich gegen Operationen, Amputationen und Obduktionen: Besonders wichtig für die Einschleppung ansteckender Krankheiten ist es, den ersten Fall schnell zu erkennen und zu isolieren. Deshalb wurde grundsätzlich jede an unbekannter Ursache verstorbene Person zur Feststellung der Todesursache obduziert. Wenn auch die Chinesen sich gegen dieses ihnen zunächst unerhört erscheinende Verlangen widerspenstig verhielten, so sahen sie doch allmählich seine Zweckmäßigkeit ein, den verantwortlichen Ärzten die zutreffende Diagnose zu stellen und Schritte gegen die Weiterverbreitung der Krankheit zu tun (ibid.)
Dass die Ärzte, denen das chinesische „Geschrei ob der Materialentnahme“53 auf die Nerven geht, auf die ‚Einsicht‘ der ‚widerspenstigen Chinesen‘ warten, darf bezweifelt werden. Die Mediziner nehmen sich das unbeschränkte Verfügungsrecht über Leichen im Namen der Wissenschaft für ihre anatomischen und bakteriologischen Studien und für die medizinische Ausbildung von chinesischem Personal. Um dem ‚Geschrei‘ aus dem Weg zu gehen, wird das Sezieren heimlich im ehemaligen Pferdestall und häufig an gestohlenen Leichenteilen vorgenommen (Eckart 1989:172). „Eine Besserung der Verhältnisse trat erst ein, als dem nebendienstlich tätigen und einzigen Anatomie-Dozenten, Marinestabsarzt Dr. Wendt, vom Infektionskrankenhaus Höhenlager das ‚nötige Leichenmaterial‘ zur Verfügung gestellt wurde“ (ibid.). Die „Besserung“, die der Chronist der Qingdaoer Medizingeschichte hier ohne jede Ironie feststellt, liegt in dem Umstand, dass die Ärzte im Quarantänelager unkontrolliert über Seuchenopfer verfügen können. Besondere Bedeutung kommt einem Aspekt zu, der auch im christlichen Abendland seit der Neuzeit im Brennpunkt von Seuchenausbrüchen steht: „ein angemessenes Begräbnis“ für die Opfer ist ein Konfliktpunkt, der alle Epidemien begleitet (Dinges 1995b:78). Es ist die bis heute kaum aufgelöste Spannung zwischen dem Schutz der Lebenden vor infektiösen Toten und der immensen kulturellen Bedeutung, die jede menschliche Gemeinschaft dem Umgang mit ihren Verstorbenen zuerkennt.54 In China bleiben die Toten als „Ahnen“ wei52 Entwurf zur Denkschrift Oktober 1906–07 (Bauarchiv). 53 QDG B0001-001-351-181:10. 54 Auch in Deutschland begleitet die Angst vor einer unwürdigen Behandlung der Unterschichten und ganz besonders vor einer unwürdigen Beerdigung ihrer Toten
Die medikale Geographie des Infektionsraums
229
terhin Mitglieder der Familie. Die Genealogie ist das Rückgrat der familialen Ordnung. Deswegen haben Beerdigungsriten und Grabkult eine tragende soziale Funktion. Eine Störung der Kulte greift besonders tief in die soziale und symbolische Ordnung ein. Kulturelle Systeme stellen das Skript für den Umgang einer Gemeinschaft mit dem Leiden und Sterben eines Kranken bereit: Sie leiten die Wahrnehmung und Interpretation von Krankheit und geben ihr in der symbolischen Ordnung einen Sinn und Trost spendenden Platz. Mit der Medikalisierung geht die kulturelle Autorität auf die Ärzte über, die das Leiden als einen mechanischen Ausfall betrachten und diesen mit einer technischen Lösung kompensieren wollen (Kleinman 1988:26,28). Diese Reduktion enteignet die Kranken und ihre Gemeinschaft. Die Symbole, in denen die Krankheiten ausgedrückt und in Handlungen der Heilung übersetzt werden, sind Formen von Handlungsmacht in der Krise. Die Medikalisierung denunziert sie als „Aberglaube und Rückständigkeit“, mithin als „Schuld am eigenen Schicksal“. Passiver Widerstand durch Verweigerung der biomedizinischen „Be-Handlung“ als Objekt fremden Handelns wird zur Überlebensstrategie gerade in solch prekären Phasen des Lebens (Nations 2000:470). „Non-compliance becomes a silent revolt against the injustices of everyday life” (op.cit.:473). „Non-compliance“, die mangelnde Kooperationsbereitschaft oder „Krankheitseinsicht“ von Patienten, wird bis heute als eine Form von Widerstand gegen ärztliche Anweisungen und Methoden (gerade im Diskurs um die biomedizinische Behandlung von marginalisierten Gruppen oder indigenen Völkern) verhandelt. Auf dieser Agenda steht nicht die Frage, was ‚gut ist‘ für die Patientin oder für den Patienten, sondern wer bestimmt und nach welchen/wessen Maßstäben. Der Einwand der Ärzte, dass solch riskantes Verhalten unterbunden gehört, ist unzureichend angesichts der Komplexität dessen, was „Krankheit“ eigentlich ist, was sie auslöst und was sie heilt. Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass es für die Entwicklung wirksamer Präventions- und Kontrollstrategien im Hinblick auf ‚neue‘ Epidemien notwendig ist, ein anderes Verständnis von „Non-compliance“, zu entwickeln: sie soll als symbolische Handlung und als gelebte Erfahrung („lived experience“, Kleinman) im Rahmen lokaler kultureller Repräsentationen und Sinnsysteme wahrgenommen und in die medizinischen Strategien einbezogen werden.55 Demgegenüber diskreditiert der Diskurs über chinesische den Ausbruch von Epidemien. Das gilt insbesondere für die gefährlichen Pest- und Choleraepidemien. Vgl. Dinges 1995; Dettke 1995:285,287; Hess 2009:167, 189. 55 Nations 2000:473. Vgl auch Universität Lancaster (2015) im FutureLearn OnlineProgramm Ebola: Symptoms, History and Origins [https://www.futurelearn.com/ courses/ebola/1, Download 2015]. Vgl. auch [www.futurelearn.com/courses/ebola-in context, Datum xx.01.2015].
230
Gesund und krank in Qingdao
Indolenz das Ringen um kulturelle und soziale Selbstbestimmung als irrationale und fortschrittsfeindliche Missachtung der ärztlichen Vernunft und fügt die vorgebliche „Humanität“ ärztlichen Engagements nahtlos in die binäre Gegenüberstellung von Fortschritt und Rückständigkeit ein. Bei aller Aggression des Diskurses wird jedoch deutlich, dass die Souveränität der chinesischen Bevölkerung von Qingdao nur sehr bedingt eingeschränkt werden kann. Die Einschränkung trifft einmal mehr in erster Linie die als Kulis stigmatisierten Armen. Als Bazillenträger sind sie die ersten, die der Einschleppung von Krankheiten verdächtigt werden und am leichtesten zu Opfern gesundheitspolizeilicher Willkür und ärztlicher Zwangseinweisungen werden. Als marginalisierte Unterschicht sind sie zudem in der strukturellen Gewalt ihrer armseligen Arbeits- und Lebensbedingungen gefangen, die krank machen, die Ausbreitung von Epidemien begünstigen und hohe Unfallrisiken bergen. Ihre Armut hält sie in Abhängigkeit von den kostenlosen medizinischen Diensten der Deutschen, erweist sich doch „der größte Teil der Bewohnerschaft des Chinesengettos Tapautau schlicht als zahlungsunfähig“ (Eckart 1989:120). Selbst hier jedoch schafft sich die Bevölkerung ihre Handlungsspielräume. Die chinesische Indolenz ist ein möglicher Handlungsraum, andere liegen in den als chinesische Heimlichkeit gegeißelten Ausweichtaktiken, wenn etwa Familien Erkrankungen vor einer möglichen Zwangsquarantäne verbergen. Und alle Chinesen, die nicht gerade am Existenzminimum leben, können die überall in Qingdao praktizierenden Ärzte der Traditionellen Chinesischen Medizin in Anspruch nehmen.
4.1.3.2 Von Quacksalbern und Kurpfuschern: Traditionelle Chinesische Medizin und chinesische Souveränität Die ganze Heilwissenschaft der Chinesen beruht auf einer völlig falschen Grundlage, weshalb sie ohne allen Wert ist (Navarra 1901:924)
Weil sie Konkurrenten um ärztliche Macht sind, betrachten die deutschen Ärzte die chinesische Medizin als ihren größten Widersacher im ‚Kampf bis aufs Messer gegen Chinesenart und Brauch‘. Gegen die Konkurrenz muss sich die westliche Medizin behaupten und bietet die Behandlung in den deutschen Polikliniken vor allem aus diesem Grund kostenlos an (Huang 1999:219). Das „weisheng zhi dao“, die chinesische Gesundheitslehre zur Bewahrung des Lebens, wurzelt in der chinesischen Kosmologie und hat spezifische Gesundheitspraktiken zum Inhalt, die den Alltag durchdringen. Viele Chinesen in der Kolonie suchen lieber chinesische Ärzte auf, ganz besonders bei inneren Leiden. Da Chinesen von den Deutschen nicht als Ärzte anerkannt werden, brauchen
Die medikale Geographie des Infektionsraums
231
sie keine besondere Zulassung, auch Apotheken müssen nur einen Gewerbeschein kaufen (Huang 1999:215). Deswegen gelingt es ihnen, unterhalb des Radarschirms der deutschen Bürokratie zu praktizieren. es zeigt aber auch, wie wenig sich die Kolonialverwaltung, die Gesundheit als zentrale Aufgabe staatlicher Fürsorge betrachtet, für die Gesundheit der chinesischen Bevölkerung interessiert (op.cit.: 216). Es gibt viele Ärzte und Heiler in Qingdao. Gegen ihr Wirken ist der Kurpfuscher-Diskurs gerichtet. Auch er ist ein Diskurs, der den Aufstieg der akademischen Medizin in Deutschland begleitet. Dort ist es den Ärzten mit gezielter Propaganda und im Zusammenspiel mit der staatlich regulierten Körperpolitik gelungen, Stereotypen eines Ärzteideals in der Gesellschaft zu verankern, die sie einerseits als Heiler und andererseits als seriöse Mitglieder der akademischen Gemeinde der Naturwissenschaftler ausweisen sollen. Damit, dass die moderne Medizin ihre Legitimation aus ihrer Wissenschaftlichkeit zieht, grenzt sie sich von den vormodernen Praktiken der Krankenbehandlung ab und drängt alle anderen Heilberufe in die Grauzonen ‚unseriöser‘, da ‚unwissenschaftlicher‘ Praxis ab (Göckenjan 1989:92). In Deutschland wird die Konkurrenz um das ärztliche Behandlungsmonopol mit harten Attacken gegen handwerkliche Gesundheitsberufe wie Bader, Wundärzte, Feldschere, Hebammen und gegen Selbstmedikation und häusliche Krankenpflege – in der Regel durch die Frauen der Familie – ausgetragen. Als Kampfbegriff etabliert sich der Kurpfuscher erst Ende des 19. Jahrhunderts (Spree 1989:103ff.). Die diffamierende Semantik steigert sich im Diskurs über chinesische Ärzte noch beträchtlich, denn die Rivalen sind ein geachteter Teil der chinesischen Gesellschaft und blicken auf eine sehr lange Tradition wirksamer Heiltheorien und -techniken zurück. Um sie zu diskreditieren, greift der KurpfuscherDiskurs in China auf den Rückständigkeitsdiskurs zurück. Überdies darf sich im „Quacksalber „comme il faut“, dem „bezopften Doktor Eisenbart“ (Navarra 1901:924) die ärztliche deutsche Tugend „selbstlosen Wirkens“ (Zur Verth 1910:92) spiegeln. Missionsärzte „dienen dem Leiden armer Chinesen“, indem sie unermüdlich „Hilfe und Trost“ „spendeten“ (Zur Verth 1910:91, kursiv von H.R.), was für chinesische Ärzte „ganz undenkbar“ ist, denn diese müssen angeblich „dabei etwas für sich herausschlagen“ (Weicker 1908:195). „Die Zopfträger sind (…) reine Utilitarier, stets bereit, alles dem augenblicklichen Vorteil zu opfern“ (Navarra 1901:922)– ein Unterschied von übergeordneter kultureller Bedeutung: „Einer der Prüfsteine für Kultur ist es, ob ein Mensch eine Sache um ihrer selbst willen tun kann“. Diesen Zivilisationstest besteht nur der deutsche Arzt, da nur er in „werktätiger Nächstenliebe“ seinen Patienten „ohne Ansehen der Person und unentgeltlich geholfen“ (Weicker 1908:195) und damit „ein kulturelles und vaterländisches Werk“ (op.cit.:196) vollbracht hat.
232
Gesund und krank in Qingdao
Warum „diese ‚Doktoren‘“ (ibid.) – denen die Anführungszeichen von vornherein die Existenzberechtigung absprechen – eine Gefahr für die Menschheit darstellen, entfaltet der Diskurs mit einer Reihe von Topoi und semantischen Verfahren, die aus den Hygienediskursen stammen und auf die angeblichen ärztlichen Praktiken in China zugeschnitten werden. ‚Quacksalbertum‘ und ‚Torheit‘ stehen für die ‚Unwissenheit‘ der nicht akademisch Ausgebildeten, die „teils geradezu frevelhaft leichtsinnigen, verworrenen Untersuchungsverfahren“ (Zur Verth 1910:76) und „ekelhafte(n) Mittel“ (op.cit.:77) sollen gefährliche Inkompetenz und Irrationalität beweisen. „Gänzliche Unwissenheit, schauerlicher Aberglauben, verblendeter Dünkel und schamlose Gewinnsucht treiben da vereint ihr Spiel mit Menschenleben. In diese Finsternis tragen unsere Ärzte jetzt das menschenfreundliche Licht ihrer Wissenschaft und Kunst“ (Weicker 1908:178). Ein Beispiel für rhetorische Verfahren in Kolonialdiskursen liefert ein Spendenaufruf für die Arbeit des Evangelischen Missionsvereins in Qingdao. Die Rede des Marinestabsarztes Zur Verth unterstellt, ohne die Verantwortung für seine Unterstellung zu übernehmen. Ob der Vorwurf des Kannibalismus, der den Chinesen einiger Gegenden besonders zuzeiten von Teuerung gemacht wird, berechtigt ist, wage ich nicht zu beurteilen. Zweifelsfrei jedoch sind leicht und schwer erreichbare Bestandteile des menschlichen Körpers als Arznei in hohem Ansehen (Zur Verth 1910:78).
Der Redner behauptet nicht, dass Chinesen Kannibalen seien und begegnet so im Voraus möglichem Widerspruch gegen diese (in ihrer tabubrechenden Ungeheuerlichkeit eher unglaubwürdige) Unterstellung. Aber die Unterstellung steht im Raum, wirkt vielleicht plausibel angesichts der nachfolgenden, dann nicht mehr relativierten Tatsachenbehauptung, dass menschliche Körperteile zu Medizin verarbeitet werden. Eine skandalisierende Aufzählung von ‚widerlichen‘, ‚ekelhaften‘ und ‚absonderlichen‘ Zusammensetzungen stellt chinesische Medikamente in Zusammenhang mit den Schmutzdiskursen über Chinesen. „Der chinesische ‚Pillendreher‘ ist ein würdiger Kollege des eingeborenen Arztes. Beide sind Kurpfuscher ersten Ranges“ (Navarra 1901:293). Seine Medikamente enthielten lauter „ekelerregende Substanzen“, „auch welche ganz unglaublich widernatürlicher und ekelerregender Art“ (Navarra 1901:927). Die Darstellungen von Akkupunktur und Moxibustion nehmen das Publikum mit auf eine Phantasiereise in körperliche Qualen: Die Moxibustion „kann sich bis zu empfindlich brennender Hitze, ja bis zu schweren und tiefen Verbrennungen steigern“, und Akkupunktur bedeutet das Erleiden ‚großer Nadeln‘, „die senkrecht unter langsamer Drehung bis zum Griff in den Körper eingestoßen werden“ (Zur Verth 1910:76), wo der „Charlatan“ „sie erbarmungslos um und um [dreht]“ (Navarra
Die medikale Geographie des Infektionsraums
233
1901:292). Die Drastik, derer sich Zur Verth hier bedient, verfolgt vordergründig den Zweck, Spenden für die – auch medizinische – Arbeit der Mission zu mobilisieren. Sie steht aber auch beispielhaft für die Methoden kolonialer Rhetorik über den Fremden. Die Erregung von Ekel, Abscheu und Verachtung in der emotionalisierten Bildersprache zielen auf die tieferen, unbewussten Schichten der Psyche und suchen damit die Botschaften der kritischen Überprüfung zu entziehen. Als das „Krankhafte“ steht die chinesische Medizin für das abweichende Andere und „Abnorme“. Vor den Bildern von „Torheit“ und „Finsternis“ dieser „absurden, oft krankhaft bizarren Disziplin“ (Zur Verth 1910:79), die sich in die unreflektierten Urteile der Zuhörerschaft einschreiben, erstrahlt der „Glanz europäischen Wissens“ (op.cit.:91) dann umso heller. Um die verhassten Ärzte und ihre medizinischen Traditionen zu verdrängen, lassen die Marine- und Missionsärzte nichts unversucht, diese nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei den chinesischen Eliten zu diskreditieren. Beliebt sind Behauptungen wie die, „daß Kranke aller Art durch die mangelnden Kenntnisse der nach alter chinesischer Methode arbeitenden Doktoren und durch die von ihnen oft völlig sinnlos und leichtfertig angewandten Mittel schwer in ihrer Gesundheit geschädigt worden sind“ und nur durch die Intervention der deutschen Ärzte gerettet werden.56 Hinter dieser Strategie steht das Bemühen der Ärzte, Einfluss auf die chinesischen Beamten und Notabeln zu gewinnen – in Qingdao wie in der Provinz Shandong. Für dieses Unterfangen haben sie die tätige Unterstützung der Kolonialverwaltung und des Reichsmarineamtes. Die Aussichten scheinen nicht schlecht zu stehen, denn überall in China, vor allem in den Vertragshäfen, in denen die wohlhabenden Schichten schon lange mit den Interventionsmächten in ihren Konzessionen kooperieren, mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich Teile der Oberschicht für die Vorteile der 西药 („xi yao“), der westlichen Medizin, öffnen.57 In einigen Orten innerhalb der deutschen Interessensphäre sammeln lokale Notabeln Gelder für die Eröffnung von Krankenhäusern oder Polikliniken nach westlichem Vorbild. In Qingdao unternimmt die chinesische Kaufmannschaft mehrere Initiativen, mit eigenen Spendengeldern ein modernes Krankenhaus für die Oberschicht zu errichten, das sie (nicht wie im Faber-Hospital) mit dem chinesischen Proletariat teilen müssen. In Kooperation mit Missionsstationen innerhalb und außerhalb des Pachtgebietes entstehen in Taidong und Licun, in Gaomi und Jimo sowie in Jinan Krankenhäuser bzw. Polikliniken für Chinesen. Die Leitung dieser chinesisch 56 Bericht Kautzsch an seine Exzellenz den Gouverneur Yang. In: Helm:142, Dokument 3, BArch RM3 7010-7011. 57 Ruth Rogaski (2014) hat ihre Studie der transkulturellen Transformation der chinesischen Gesundheitsvorstellungen gewidmet und nachgezeichnet, wie biomedizinische Standards Einzug in das chinesische „weisheng“-Konzept halten.
234
Gesund und krank in Qingdao
finanzierten Projekte wird Chinesen übertragen, die eine Ausbildung in moderner Medizin in China oder im Ausland absolviert haben. In einigen Kliniken wird eine Koexistenz westlicher und chinesischer Medizin praktiziert. Beides, die Stellung der chinesischen Ärzte und die teilweise praktizierte Gleichberechtigung beider Wissensordnungen, löst unter den deutschen Ärzten die heftigsten Konkurrenzkämpfe aus, die in schneidender Rhetorik und Diskreditierung der Rivalen ausgetragen werden. Marineoberassistenzarzt Wiens etwa schwärzt den Leiter des Krankenhauses in Gaomi, den von der US-amerikanischen Presbyterianer-Mission ausgebildeten Li Benjing, beim Gouvernementsarzt in Qingdao an, da ihm angeblich „jedes Verständnis von Reinlichkeit fehlt“, ebenso sei „jedes Verständnis zur Beurteilung von Krankheitsfällen“ zu vermissen: “Seine Kenntnisse beruhen lediglich auf roher Empirie“. Das Ziel, das der Deutsche damit verfolgt: „das chinesische Unterpersonal so anstellen zu dürfen, wie es im Interesse eines geordneten und sauberen Hospitalbetriebs notwendig ist“58 – gemeint ist, dem Chinesen die Leitung des Krankenhauses abzusprechen und Kommandofunktionen selbst zu übernehmen. Auch die dem Faber-Hospital zugeordnete Poliklinik in Taidong wird von einem ‚modernen‘ chinesischen Arzt, Li Schan Tsing, geleitet, jedoch von Marineärzten kontrolliert (Huang 1999:214). Noch deutlicher tritt der energische Kampf um die Vorherrschaft in Jinan zutage. Die Klinik entsteht auf Initiative des Gouverneurs von Shandong, Zhou Fu. Das Gouvernement in Qingdao entspricht seiner Bitte und kommandiert im höchsteigenen Interesse einen der Marineärzte, den Augenarzt Kamprath, ab mit der ausdrücklichen Instruktion, 1. einen weiteren Einblick zu gewinnen in die Krankheits- und Seuchenlehre der Hauptstadt (…), 2. dem Gouverneur von Schantung (…) einen zuverlässigen Berater oder Leiter dieser Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, 3. durch Ihre ärztliche Tätigkeit das Vertrauen der chinesischen Beamten und Bevölkerung zu den Deutschen und damit den deutschen Einfluß zu stärken.59
Die beigefügte Maßgabe, „taktvolle Rücksichtnahme auf die Interessen der europäischen und chinesischen Ärzte zu nehmen“ (ibid.), stößt bei dem Mari58 Wiens an Koenig vom 08.09.1904. Abschrift in DOAM Akte 94/1, Blatt 227–229. Zit. nach Gerber 2002:229f. 59 „Instruktion für Marinestabsarzt Kamprath betreffend Kommando nach Tsinanfu“. O.D. (April 1904). Zit. nach Huang 1999:223. Es ist derselbe Posten, der in der Kolonialpropaganda (Verth 1910:91) als „die Stellung des einsamen Vorkämpfers auf dem weit vorgeschobenen Außenposten“ heroisiert wird.
Die medikale Geographie des Infektionsraums
235
nearzt auf wenig Resonanz. Deutsche Darstellungen erwecken oft den Eindruck, dass das Krankenhaus unter deutscher Leitung steht, doch bleibt dies eine Machtphantasie, die trotz des heftig ausgetragenen Konkurrenzkampfes auch vom Kamprath-Nachfolger Kautzsch nicht durchsetzbar ist: „Eine Beeinflussung der (…) Hospitalorganisation in einem die ausländischen Anschauungen bevorzugenden Sinne (…) nicht (…) erreicht“. Die zuständigen Beamten haben „niemals die Absicht gezeigt, (…) dem fremden Arzt einen leitenden Einfluß einzuräumen“, stattdessen ist „der in Amerika ausgebildete Dr. Yü (…) von vornherein mit der Nebenabsicht eingestellt worden, den fremden Arzt womöglich überflüssig zu machen“. Dementsprechend lehnt die chinesische Klinikleitung es ab, dass er „als mein Assistent tätig sein“ soll. Auch das Personal „verträgt (…) keinerlei Hineinreden oder gar schärferen Verweis von Seiten eines anderen, auch nicht von Seiten des Arztes“. Für Kautzsch wird „deutlich, (…) daß er [Yü – H.R.] (…) die Leitung (…) allein in die Hand bekommen wollte“, sodass „dadurch meine persönliche Stellung sowie der deutsche Einfluß gegenüber dem amerikanischen schwer gefährdet ist“. Das einzige, was da noch „durchgesetzt“ werden kann, ist die schon lange angestrebte Teilung der Klinik, „gewissermaßen eine deutsche Abteilung mit getrennten Räumlichkeiten, getrenntem Personal und besonderer Apotheke“,60 also eine Segregation nach bekanntem Muster. Man könnte denken, dass dieser Verdrängungswettbewerb im Widerspruch zu der Politik von Tirpitz steht. Diese ist darauf ausgerichtet, die Eliten Chinas mit Hilfe einer modernen Medizin und der Unterstützung durch ‚westlich‘ ausgebildete chinesische Ärzte in eine politische Strategie der Kooperation mit Deutschland einzubinden (Mühlhahn 2000:236ff.). Deswegen wird mit deutschen Geldern zuerst eine Medizinhochschule in Shanghai und später die Deutsch-Chinesische Hochschule in Qingdao errichtet, in denen chinesische Studenten zu Ärzten nach deutschem Vorbild ausgebildet werden. Auch das Ringen um Einfluss im Wettbewerb mit rivalisierenden Kolonialmächten, vor allem mit den USA und Großbritannien sowie Japan, spielt eine Rolle (Eckart 1989:166). Eine Führungsrolle chinesischer Ärzte, Lehrer und Beamter in der angestrebten Hochschulkooperation ist, wie die Gründungsgeschichte der Hochschule zeigt, jedoch nicht vorgesehen: Auch hier bleibt die Aushandlung von Souveränitätsrechten ein umstrittenes Feld. In der Kolonie selbst gibt es Befürworter, aber auch große Vorbehalte gegen die Gründung der Hochschule, besonders seitens des Gouverneurs, der schließlich abgesetzt wird. Die rassistisch definierten Räume gelten auch hier. Selbst akademisch ausgebildeten 60 Alle Zitate: „Bericht des Marinestabsarztes Kautzsch über seine Stellung und weiteren Ziele bezüglich ärztlicher Tätigkeit in Tsinanfu“ an das Gouvernement in Qingdao vom 18.03.1907. In: Helm:19, Dokument 38. BArch RM3 7010-7011.
236
Gesund und krank in Qingdao
Chinesen gesteht ‚man‘ allenfalls einen untergeordneten Status zu, „war man sich doch bewußt, dass in der kurzen Studienzeit aus chinesischen Medizinstudenten keine europäischen oder gar deutschen Ärzte gemacht werden könnten; sie würden Chinesen bleiben“.61 1908 beantragt das Chinesenkomitee, ein inoffizielles Beratergremium von chinesischen Honoratioren, bei der Kolonialverwaltung die Genehmigung zum Bau eines eigenen Krankenhauses.62 „Das Chinesenkomitee beabsichtigt, ein Seuchenlazarett zu gründen; im Falle von Epidemien sollen notwendige Internierungen von Chinesen ausschließlich dort erfolgen“. Das Lazarett soll von chinesischen Ärzten geführt werden und „auch in epidemieloser Zeit als solches dienen“. In der Stellungnahme, die der Gouvernementsarzt Dirksen dazu abgibt, scheint noch einmal das ganze ärztliche Ressentiment gegen die unliebsame Konkurrenz auf. Es erscheint vollkommen ausgeschlossen, [… dass – H.R.] die Behandlung an Kranken und damit zugleich die Bestimmung, wer als unverdächtig bzw. geheilt entlassen werden kann und welche Leichen wegtransportiert werden dürfen, in die Hände chinesischer Ärzte gelegt werden können. Gerade in einem Seuchenlazarett muss die denkbar straffste Aufsicht unbestechlicher Europäer herrschen, sonst entwickelt sich dasselbe leicht zum Ausgangspunkt und gefährlichen Herde von Epidemien.63
Die Methode, mit wenigen Worten Chinesen zu „Ärzten zweiter Klasse“ zu degradieren, ihnen nicht nur Unfähigkeit, sondern auch zweifelhafte Moral und Verantwortungslosigkeit zu unterstellen, sich selbst als unbestechlichen Wächter dagegenzusetzen und das Ganze zu einer Frage von Leben und Tod aufzublähen, ist wirkungsvoll, da die wenigen Worte prall gefüllt sind mit Bedeutungen, die sich aus dem Diskursgeflecht über den Chinesen speisen. Die persönlichen Motive liegen auf der Hand: Chinesische Ärzte sind Rivalen gerade im Kampf um eine umworbene Klientel, die die Deutschen den chinesischen Kollegen nicht kampflos überlassen wollen. Schon die Konkurrenz unter den deutschen Ärzten (und speziell zwischen Marineärzten und Missionsärzten) führt zu anhaltenden Streitigkeiten: Wer darf die ‚Chinesentruppe‘ 61 Fischer (1915), Die Deutsche Medizinschule für Chinesen in Shanghai. In: Deutsche medizinische Wochenschrift, 41 (1915), S. 443–45 und 774–75. S. 474. Zit. nach Eckart 1989:152. 62 Einer der Gründe ist Interesse an einer Quarantäne, die ihnen im Falle einer Epidemie den Zwangsaufenthalt in einer deutschen Seuchenstation unter der Kontrolle der deutschen Marineärzte erspart (Gerber 2002:227). 63 Alle Zitate aus einem Schriftwechsel zwischen Landesverwaltung, Chinesenkommissar Schrameier und Gouvernementsarzt Dirksen zwischen 10. und 20.08.1908. Reg.Nr.4152B (Bauarchiv).
Die medikale Geographie des Infektionsraums
237
am Strandlager und die Insassen im chinesischen Gefängnis von Licun behandeln? Wer sichert sich die Verträge mit den deutschen Unternehmen in Qingdao, namentlich mit der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft, den Bergwerken sowie der Deutsch-Asiatischen Bank über die Behandlung ihrer chinesischen Angestellten? Es geht um „Liquidationen“ (Privathonorare) und Einfluss. Die Missionen werfen dem Gouvernementsarzt Koenig vor, er habe seine Privatpraxis in einem Bordell eröffnet (Eckart 1997:492 und 1989:123f.). Die katholische und die protestantische Missionskliniken konkurrieren um chinesische Patienten (op.cit.:131), in allererster Linie um die „Chinesen der besseren Stände“. Auch hier geht es neben der „Liquidation“ um Distinktion: „[D]iesem erhebenden Kapitel selbstlosen Wirkens“ (Zur Verth 1910:92) deutscher Ärzte unter der chinesischen Oberschicht wird gern viel Platz in der Selbstdarstellung der Erfolge eingeräumt. Es ist ja im Wortsinn erhebend, hier einen Ehrenschirm für die Arbeit in der Poliklinik in Jiaozhou,64 da eine „feierliche Überreichung von Ehrentafeln von Seiten dankbarer Patienten und sonstiger Freunde“ zu erhalten, denn es ist „ein Ereignis, das schon für einen Chinesen, weit mehr noch für einen Europäer hohe Anerkennung bedeutet“ (Zur Verth 1910:92). Das gilt in besonderem Maße für die „Erfolge der ärztlichen Tätigkeit, die auch von den höherstehenden Chinesen in fortschreitender Weise anerkannt und gewürdigt wurden (…)“ (Uthemann 1911:28). Die Rivalität unter den Ärzten gehört zu den Distinktionsstrategien in Qingdao ebenso wie ihre Profilierung als Teil der nationalen und internationalen Wissenschaftsgemeinde der „Tropenmediziner“ durch Beiträge zur ‚Seuchenforschung‘. Sie erklärt nicht nur die Heftigkeit, mit der um Definitionshoheit in allen medizinischen Fragen und Feldern gerungen wird. Aus heutiger Sicht und aus den Erfahrungen mit Traditioneller Chinesischer Medizin erscheint die Kompromisslosigkeit, mit der die Militärärzte im Verein mit der Verwaltung die biomedizinische Wissensordnung in der Kolonie durchsetzen und die Möglichkeit einer transkulturellen Weiterentwicklung der Medizin von vornherein ausgeschalten, befremdlich und unverständlich. Ihre Haltung gegenüber der chinesischen Medizin und ihren Repräsentanten korrespondiert mit der Haltung gegenüber der chinesischen Bevölkerung insgesamt, der chinesischen Kultur und dem Menschenrecht auf Selbstbestimmung, das Patienten und Patientinnen umso eindeutiger verweigert wird, wenn sie Chinesen sind. Es geht nicht um Gesundheit, um Heilung, um Kranke. Es geht um die Macht – um die Deutungshoheit, die Macht über den Körper, die Macht über den Anderen. 64 Entwurf zur Denkschrift 1903/04 (Bauarchiv). „Die Erfolge der ärztlichen Tätigkeit, die auch von den höherstehenden Chinesen in fortschreitender Weise anerkannt und gewürdigt wurden“ (Uthemann 1911:28).
238
Gesund und krank in Qingdao
„Wo ist der Mensch in der Biomedizin?“ Diese Frage spitzt sich dramatisch zu, als der Ausbruch von Lungenpest in Nordostchina die Kolonie zu erfassen droht. Auf der praktisch-politischen Ebene bietet sich das Präventionsregime des Gesundheitswesens als das technokratisch-rationelle Modell an, das die sozialen Probleme in der kolonialen Stadt medikalisiert, das heißt, Hygienemaßnahmen als (einzige) Lösung durchsetzt. Im Namen der Prävention wird die Disziplinierung der chinesischen Mehrheit in der Stadt mit Hilfe von staatlichen Interventionen in die unmittelbare körperliche und kulturelle Selbstbestimmung der Menschen legitimiert und ausgeübt. Die kolonialen Machträume, die deutsche Kulturmission, die ‚Musterstadt‘ als ihre Visualisierung und die deutsche Gemeinde, die sich über die Mechanismen der Epidemie-Prävention ihrer Zugehörigkeit zur gesunden und zivilisierten Normgesellschaft sicher sein darf, werden in der Dauerkrise (re-)produziert und täuschen über die Grenzen und Schwächen der medikalen Ordnung hinweg. Diese löst weder die Krankheitsursachen, die in der sozialen Lage der chinesischen Bevölkerungsmehrheit zu suchen sind, noch den Widerstand der Kolonisierten gegen die Disziplinierung, der die rigide Gesundheitsordnung in der sozialen Praxis immer wieder herausfordert und zu neuen Aushandlungen zwingt. Alle Schwächen der medikalen Ordnung in der Kolonie werden auf eklatante Weise bloßgelegt, als 1911 der Ernstfall eintritt und eine Epidemie von Lungenpest auf die Kolonie zukommt. Wie die Krankheit „unter die Haut geht“ (Niewöhner 2008) und die bakteriologischen Raumbilder zum Schicksal von Menschen werden, lässt sich an diesem Extrembeispiel besonders deutlich zeigen, obwohl die Epidemie Qingdao nicht einmal erreichte. Im Angesicht einer tödlichen Bedrohung werden das biomedizinische Krankheitskonstrukt und die daraus abgeleiteten Handlungsstrategien all ihrer Ideologie entkleidet und auf ihre ursprünglichste Funktion reduziert: auf die Theorie und Praxis der radikalen Ausgrenzung depravierter und stigmatisierter Bevölkerungen zum Vorteil des eigenen geschützten Raumes und seiner privilegierten Bewohner. Die biomedizinische Prävention hat nur eine einzige ‚Lösung‘ für die Bewältigung der Epidemie zu bieten: die radikalste und rücksichtsloseste Exklusion von Chinesen aus der sanitären Oase der Deutschen.
4.2 „Verpestet“: Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911 Gefährliche Infektionskrankheiten konfrontieren die Gesellschaft mit der Erfahrung, dass der Tod nicht kontrollierbar ist, weder der eigene noch der von anderen. Gerade tödliche Seuchen, die die physische und psychische Integrität des Menschen sichtbar zersetzen, stellen eine extreme Bedrohung der gesell-
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
239
schaftlichen Ordnung dar. Die symbolische Bedeutung solcher Krankheiten wiegt nicht weniger schwer als die Angst der Menschen vor ihnen. Das gilt auch die Lungenpest-Pandemie 1911 in Nordostchina, die bis nach Shandong vordringt und damit auch die deutsche Kolonie in Gefahr bringt. Die verheerenden Auswirkungen der Pandemie auf die Bevölkerung und Gesellschaft in Nordchina kann ich in dem Rahmen meiner Arbeit nicht erfassen, zu komplex ist ein solches Ereignis und zu traumatisierend das Schicksal der Betroffenen.65 Wie komplex und wie traumatisierend, das ließ sich nachvollziehen in einer reflektierten Berichterstattung über eine mehrjährige Ebola-Pandemie in Westafrika, die aus der Perspektive der Betroffenen vorgenommenen wurde. Ich beschränke mich hier darauf, den biomedizinischen Diskurs rekonstruieren und zu analysieren, wie er auf die Pandemie reagiert und versucht, die Macht der Lungenpest in das hygienische Tsingtau-Narrativ zu integrieren, um die Machtarchitektur der Kolonie zu schützen. Während das Hygieneregime in Qingdao sich als Erfolgsgeschichte der medikalen Modernisierung schreibt und Infektionskrankheiten zum Differenzmerkmal zwischen deutschem Selbst und chinesischem Anderen macht, stellt der Ausbruch der Pest 1910/11 in Nordchina dieses Konstrukt in fundamentaler Weise in Frage. Die Ausbreitung von der Mandschurei aus in die südlicheren Provinzen, auch nach Shandong, stellt nicht nur eine Gefahr für Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner dar, sondern sie ist auch eine existentielle Bedrohung der bipolaren biomedizinischen Fundamente, auf denen das Konstrukt Tsingtau errichtet ist. Die vermeintliche Sicherheit des hygienisierten Raumes in der Stadt hinter den Mauern der Segregation und hygienischen Disziplinierung löst sich in dem Maße auf, wie mit der Pandemie der Sicherheitsabstand zwischen der Pest ‚hoch oben im Norden‘ und der Kolonie schwindet. Die Pest ist grenzüberschreitend und unkontrollierbar. Vor ihr schützen weder Bauvorschriften noch die Reinigung von Straßen, Aborten und chinesischen Rikschas. Mit der Ordnung ist auch das deutsche „Musterstadt“Programm bedroht. Die Überwindung der Infektionskrankheiten in der Europäerstadt und die Vision einer Zukunft, in der mit entsprechender Kontrolle über die Chinesen die Erreger ganz ausgerottet sein würden, ist eine Säule des Modernisierungsprojekts und der deutschen kulturellen Überlegenheit über die verseuchten Vertragshäfen ebenso wie über ‚das eigentliche Land der endemischen und epidemischen Seuchen‘. Diese Vision droht sich unter dem Ansturm durch die neue Seuche aufzulösen. Die Kolonialverwaltung antwortet auf die Bedrohung mit einem Ausschluss von Chinesen aus dem Pachtgebiet. Einrei65 Eine solche Komplexität wahrende historische Rekonstruktion hat Richard Evans (1991) in seiner differenzierten Studie über die Cholera der 1830er-Jahre in Hamburg vorgelegt.
240
Gesund und krank in Qingdao
sende, die „krankheitsverdächtig“ sind, werden an den schwer bewachten Grenzen abgewiesen, Gesunde werden im Quarantänelager außerhalb der Europäerstadt interniert. Parallel zur Aussperrung der Pestträger zieht der Pestdiskurs einen rhetorischen „cordon sanitaire“ um Qingdao und lagert die Gefahr aus dem deutschen Gemeinwesen aus, indem er den verpesteten Infektionsraum im Anderen verortet.
4.2.1 „… von allen Seiten auf Tsingtau zu“: Raumimaginationen In den Januartagen 1911 ist ganz China auf den Beinen: Am 30. Januar wird das chinesische Frühlingsfest gefeiert. Es ist das wichtigste Fest des Jahres und verlangt von jedem Chinesen und von jeder Chinesin, die Festtage mit der Familie zu verbringen. Überall im Land sind die Wanderarbeiter auf dem Weg in ihre Heimatorte. Das gilt auch für 80.000 Wanderarbeiter, die aus Shandong stammen und in der Mandschurei, dem Nordosten Chinas, in der Landwirtschaft und im Bergbau beschäftigt sind und nun per Bahn und Schiff in den Süden unterwegs sind. Entlang der Bahnstrecke breitet sich, in hoher Geschwindigkeit eine Lungenpest-Epidemie unter den Wanderarbeitern aus, deren Ausgangspunkt in der Mandschurei geortet wird. In Shandong werden die möglicherweise infizierten Wanderarbeiter mit Arbeitern aus Qingdao zusammentreffen. Die Angst vor der Einschleppung der Seuche in die Kolonie löst dort eine Panik aus und zwingt die Kolonialverwaltung zum sofortigen Handeln. Was bis dahin als gesicherte Raumordnung galt, ist im Begriff, sich in Zeit und Raum aufzulösen. Das bedeutet, die Beziehungen zwischen Drinnen und Draußen, die das bakteriologische Raumbild definiert hat, müssen noch einmal verhandelt und organisiert werden. Das Gouvernement greift auf die bewährten Instrumente der Infektionskontrolle zurück. Das koloniale Konstrukt der hygienischen Ordnung steht in einer extremen Belastungsprobe. Dieser „Lackmustest“ hebt die symbolische Bedeutung und Funktionsweise der Ordnung besonders plastisch hervor und wirft ein Schlaglicht auf die Beschränktheit eines Wirklichkeitskonstrukts, dessen Aufrechterhaltung auf eine einzige Handlungsoption hinausläuft: die radikale, wenn auch inkonsequente, Exklusion der Kolonisierten.
4.2.1.1 Die Semantik des Distanzverlusts Gegen die erschreckende Grenzenlosigkeit der Krankheit wird eine Art diskursives „containment“ eingesetzt. Denn was die Berichterstatter erleben, ist der unaufhaltsame Zerfall der Grenzen zwischen Drinnen und Draußen und der fein austarierten Beziehung von Nähe und Distanz, die die kolonialen Raum
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
241
anordnungen schützen sollen. Die Semantik des Distanzverlustes verrät Entsetzen und Hilflosigkeit: Die Seuche ist am Vormarsch,66 sie wandert, mit unheimlicher Schnelligkeit, wandert weiter, „da sich niemand um sie kümmerte“, unaufhaltsam fortschreitend ist sie bedenklich näher gerückt, kommt sie näher und verbreitet sich, pflanzt sich fort. Erschreckend „ihre plötzliche große Ausdehnung und ihr influenzaartiges Umsichgreifen, sie erinnere an die Zeiten des Schwarzen Todes im Mittelalter“ Ihr ungebremstes Vorrücken wird „kaum noch lange ferngehalten werden können“. So dringt sie an, langt an, hat Orte erreicht, dringt ein, greift über auf Siedlungen, ist auf der Suche nach einem Einfallstor, sucht heim und wütet. Sie wird eingeschleppt, eindringende Pestfälle werden weitergeschleppt, und die Schlepper sind namhaft. Man hat den anrückenden Feind identifiziert. Es ist das chinesische Element: eine Flut von Mandschu-Gängern. Das sind die „Sachsengänger, die Bringer der Pestgefahr auf jedem nur möglichen Weg in die Heimat“, eine Völkerwanderung von heimkehrenden SchantungKulis, die „sich über das Land ausbreiten und es weiter verpesten“. Der Exodus solcher Menschenmassen aus einem hochgradig verseuchten Gebiet führt dazu, dass „mit den Kulis die Pest der Bahn entlang verschleppt wurde“. Unter allen Umständen muss diese Annäherung aufgehalten werden: „Mit allen Mitteln [war] das vollständige Fernhalten der Seuche anzustreben“. Der gute Ruf Tsingtaus steht auf dem Spiel. Aber wie? „Jeder Fußbreit der Schutzgebietsgrenze an der See- wie an der Landseite kann zur Eingangspforte für die Pest werden“. Das Meer ist eine offene Flanke: Wie „sind Dschunken, die an jeden Strand hin gelangen können, zu beaufsichtigen. (…) Fraglos ist die Pest jetzt oder schon früher auf dem Meer eingeschleppt worden“. Die Eisenbahnen „werden zur Gefahr“, denn sie sind es, die die „Ausbreitung der Pest an Bahnlinien nach Süden“ möglich machen, da Chinesen in Personenzügen und Güterwaggons von der Mandschurei nach Süden fahren oder sich als blinde Passagiere einschmuggeln. So werden „solche Menschenmassen aus einem hochgradig verseuchten Gebiet“, die „ohne Kontrolle in die Nachbarprovinz durchgelassen“ werden, zu einer tödlichen Gefahr. Dazu kommen, so die panischen Berichte aus dem Norden, all die aus den Quarantänestationen der nordchinesischen Städte Ausgebrochenen, um die sich keiner kümmert. Und „die Bettler usw. können (…) frei ein- und ausgehen, d.h. man darf sie nicht absperren“. 66 Alle Zitate auf dieser und der folgenden Seite zusammengestellt und zusammengefasst folgenden Quellen: QDG B0001-005-57-119; QDG B0001-005-57-65; QDG B0001-001-351-21; QDG B0001-001-351/0151; QDG B0001-001-351-0155; QDG B0001-001-351-0181; QDG B0001-001-352-03; QDG B0001-001-352-04; QDG B0001-001-352-61; QDG B0001-001-352-32; QDG B0001-001-352-98; QDG B0001-001-352-143; QDG B0001-001-353-171; QDG B0001-001-357-111.
242
Gesund und krank in Qingdao
Die Seuche zieht mit den heimkehrenden Schantung-Kulis von Dalni über Tschifu nach Tsingtau. „Das Schutzgebiet ist von allen Seiten bedroht“. Die „Hauptgefahr“ kommt „von Tschifu über Land, denn Tschifu ist der Pestherd, der am spätesten gelöscht wurde“, kommt „sowohl überland via Tientsin-Techou als auch auf dem Wasserweg über Tschifu“, das nur „fünfzig Minuten Fahrt von Tsingtau entfernt“ ist, sie bricht 81 Kilometer vor Tsingtau in Lantsun aus, taucht auf in Kiautschou und an der Lauschan-Grenze. Die Deutschen sind „von allen Seiten gefährdet“: Das Gefühl, eingekreist zu sein, beherrscht die Wahrnehmung der Lage nicht nur in Qingdao. In Tschifu ist die Fremdenniederlassung „dicht von der Chinesenstadt umschlossen. Den Verkehr mit letzterer können wir, es sei denn dass uns von einer starken und zuverlässigen bewaffneten Macht der Rücken gedeckt wird, weder sperren noch beaufsichtigen“. Wie also sich zur Wehr setzen „gegen den anrückenden Feind“, um “die Seuche am Vormarsch zu hindern“? Die Panik, die in den Berichten Worte findet, ist mehr als begründet. Seit Oktober 1910 ist bekannt, dass in dem sibirischen Gebiet Transbaikalien die Pest ausgebrochen ist, die sich aus einer Beulenpest in eine Lungenpest gewandelt hat. Sie wird erst wirklich zur Kenntnis genommen, als die Wanderarbeiter zum Neujahrsfest auf der Heimreise sind. In den überfüllten Bahnwaggons und den Bahnstationen, in denen die Reisenden übernachten, überträgt sich die hochinfektiöse Lungenpest mit großer Geschwindigkeit auf Mitreisende. Bis Ende Januar 1911 werden 3.200 Todesfälle gezählt, wobei „nur die in der Nähe der Eisenbahn bekannt“ werden. Die chinesischen Behörden werden von der Entwicklung überrollt, in den Bahnknotenpunkten Harbin, Shenyang (Mukden) und in der Hafenstadt Dalian (Dalny) breitet sich die Epidemie in südlicher Richtung in den Provinzen Zhili und Shandong aus. Die Verdichtung, die ich mit der Zusammenstellung von Zitaten vorgenommen habe, entspricht durchaus der atemlosen Darstellung der Gefahr im Schriftverkehr der Behörden in Qingdao und der Konsulate der deutschen Niederlassungen in nordchinesischen Städten. Unter den Deutschen in den ausländischen Niederlassungen in Shandong und in Qingdao bricht Panik aus, als sich die Züge und Schiffe mit den Wanderarbeitern auf Shandong zubewegen und der dringende Aufruf an die mandschurischen Behörden (desgleichen an Russen und Japaner), den Zug nach Süden endlich aufzuhalten, wirkungslos verhallt. Der deutsche Konsul Lenz in Zhifu (Tschifu), Konsul Knipping in Tianjin (Tientsin) und Konsul Betz in der Hauptstadt von Shandong fühlen sich den Chinesen (und damit der Pestgefahr) am meisten ausgeliefert. Dies bringt einen katastrophischen Ton in ihre Berichterstattung und schlägt sich in unverhüllt rassistischer, aggressiver Semantik des Schriftverkehrs nieder, der eigentlich nur der Datensammlung für den Entwurf von Abwehrstrategien dienen soll. Das gilt auch für die Lagebewertungen des deutschen Botschafters in
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
243
Japan, v. Mumm, des Generalkonsuls in Shanghai und des Botschafters in Peking. Das Gouvernement in Qingdao ist an dieser Wissensproduktion beteiligt, bedient sich aber deutlich eines Registers, das Stärke und Überlegenheit signalisieren soll und die Botschaft aussendet, man sei vollkommen Herr der Lage.
4.2.1.2 Die Pest in der medikalen Landschaft des Infektionsraumes Wenn man schon keinen Einfluss auf die Entwicklung im Norden hat, muss man wenigstens den Gegner kennen, seine Größe, seine Orte und sein Verhalten studieren, um ihm den Weg nach Qingdao abzuschneiden. Die Auflistung böser Pestherde, hochgradig verseuchter Gebiete und verpesteter Gegenden markiert Regionen als Infektionsräume. Verortet „im Transbaikalgebiet“, von dort „nach Mandschuria“, entlang der Bahnlinien, in Häfen, „hier jedoch nur in den von den Chinesen bewohnten Stadtteilen,67 in Mukden, Dalny und im „Chinesenviertel von Harbin“,68 „entlang der Straße Tschifu-Weihsin, wohin die Pest über See eingeschleppt worden ist“, im „Pest-Hospital und Obdachlosenasyl“ von Tschifu (ibid.), in chinesischen Ortschaften und im Hinterlande, wird der verpestete Raum kenntlich als Draußen: das Draußen der Chinesen, der Russen und Japaner. Wie es dort aussieht, suggerieren die deutschen Berichte über die betroffenen Städte. Sie stellen eine aggressionsgeladene Repräsentation des Infektionsraums der Anderen dar: Die russische Eisenbahn sperre Chinesen zwar aus den Personenzügen aus, transportiere sie aber aus Profitsucht in Güterwaggons, sodass die Infizierten die Seuche in die Niederlassungen entlang der Bahnstrecken tragen und diese Orte „bei dem absoluten Mangel aller hygienischen Vorkehrungen, bei der Unwissenheit und dem Schmutz der auf engem Raum zusammengedrängten chinesischen Bevölkerung zu wahren Brutstätten der Krankheit“69 werden könnten. Vermutlich sei „ein Zehntel der Bevölkerung“ der Pest schon zum Opfer gefallen. Ein Blick nach Harbin soll zeigen, welch tödliche Gefahr von dem Chinesen ausgehe: „Schon die Europäerstadt ist der gottverlassenste Winkel dieser Erde und der Schmutz der Straßen wird nur durch den in den verschiedenen ‚Etablissements‘ gebotenen moralischen Schmutz übertroffen“ (ibid.). In der Chinesenstadt von Harbin seien die Hospitäler wenig mehr als Schuppen, die die Ärzte nicht mehr betreten. „Irgendwelche Pflege oder Fürsorge wurde den Kranken nicht zuteil; es war ja auch nicht nötig, denn sie hatten doch höchstens noch 48 Stunden zu leben“ (ibid.). Lebende und Tote liegen Seite an Seite, der Schmutz türme sich, und die Kulis, die die Toten wegzufah67 QDG B0001-001-357-111. 68 QDG B0001-001-352-32:2. 69 QDG B0001-005-57-65.
244
Gesund und krank in Qingdao
ren haben, werden der Lage nicht mehr Herr. Und niemand hielte die „wilde Flucht der Chinesen“ aus der Stadt auf. Die deutschen Lageberichte kennen Chinesen in den russischen und japanisch kontrollierten Gebieten nur noch als Pestleichen, von der Straße aufgelesene, auf Karren davongefahrene, unbeerdigte Leichen; Hunden und Vögeln zum Fraß überlassene, übereinandergeworfene, steifgefrorene Körper; Leichenberge, Leichenmassen. Im Nachlass von Gouverneur Truppel finden sich Fotos des hoffnungslosen Grauens, die die Sprache mitleidlosen Abscheus in der Berichterstattung nur verstärken.70 Arbeiter in der trüben Winterdämmerung der Mandschurei sind darauf zu sehen, Arbeiter mit Leichenkarren, Arbeiter, die vergeblich versuchen, dem gefrorenen Boden Löcher für Gräber abzuringen, Arbeiter, die Tote in Bodensenken kippen. Es sind Bilder des Schreckens und der Vergeblichkeit, so entsetzlich, dass es scheint, die Angst habe vor der Übermacht der Seuche kapituliert. Die Darstellung der Ereignisse in der Semantik von „Bewegung“, ausgedrückt in räumlichen Metaphern, zeigt an, dass sich hier ein die Deutschen erschreckender Wandel im Verhältnis zwischen der Kolonie und China anbahnt. Die Überzeugung, dass der kolonisierte Raum erfolgreich befestigt sei und Qingdao seiner Bestimmung als Einfallstor nach China in einer Aura benevolenter Dominanz souverän erfüllt habe, gerät plötzlich ins Wanken. Dinge sind in Bewegung geraten. Das Einfallstor nach China droht zu einem Einfallstor für China zu werden. Als Infektionsraum wird China nicht mehr als passives Objekt der Zivilisierung wahrgenommen, sondern als Raum einer Dynamik, die den Zusammenbruch der kolonialen Raumordnung ankündigt. Die Raummetaphern, in denen dieser Vorgang dargestellt wird, verdichten sich zu drei Bildern der Bewegung: 1. der Pest als eigenmächtiger Akteurin, 2. der Einschleppung und 3. der Einkreisung der Kolonie von allen Seiten. Sie alle drücken Bewegung aus und den Verlust der rettenden Distanz zwischen verpestetem Raum und deutscher Stadt. Die Pest tritt auf als verstörend eigenmächtige Akteurin von apokalyptischer Energie und Handlungsmacht. Die Semantik der Bewegung erzeugt das Bild überwältigender Schnelligkeit und unaufhaltsamer Ausbreitung sowie dramatische Bilder der Übermacht und des Kontrollverlusts im Angesicht des heranrasenden Todes. Es ist der Apokalyptische Reiter selbst, der über die nordchinesische Erde dahinstürmt. In der anthropomorphen Symbolisierung der Epidemie steckt noch die religiöse Wurzel der kollektiven Erinnerung an den „Schwarzen Tod des Mittelalters“.71 Die Pest als „Geißel Gottes“: So hat das Mittelalter sie erlebt, so gilt sie noch dem 17. Jahrhundert als göttliche Heimsuchung, und 70 QDG B0001-005-67. 71 QDG B0001-001-351-21.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
245
diese religiöse Konnotation einer unüberwindlichen Schicksalsmacht schwingt auch im Zeitalter naturwissenschaftlicher Rationalität mit. Es ist ein makabres Zitat aus der Pestgeschichte, wenn, wie in Qingdao kolportiert wird,72 die Europäer in den Niederlassungen in Tianjin und Beijing der Macht der Seuche auf Maskenbällen zu trotzen meinen. Die Pest ist „als schillernde Katastrophen-Metapher, die einen ganzen Komplex von Deutungs- und Wahrnehmungsmustern bündelt“ (Kessel 2005:267), in das kollektive Gedächtnis Europas eingelagert. Im Schwarzen Tod sind die traumatischen Erfahrungen des 14. Jahrhunderts verdichtet, als die Beulenpest Millionen Opfer forderte, ganze Regionen entvölkerte und tiefgreifende soziale Umbrüche auslöste. Die Pestilenz geht als Synonym für die katastrophischen Krankheiten und Ereignisse des Lebens überhaupt in die europäischen Sprachen ein. Hoch affektiv aufgeladen, symbolisiert sie das Trauma, die Angst des Menschen vor der zerstörerischen Gewalt der Natur. Gegen die Pest gibt es auch 1911 keine Therapie, kein Medikament, keine Impfung. An der (Lungen-)Pest stirbt man.73 So desavouiert sie die moderne Dichotomie von Natur und Kultur, die in der hygienischen Stadt den Sieg über die ungebändigte Natur verwirklicht glaubte. Die von ihr selbst konstruierte Grenze zwischen verpestet und pestfrei bezeichnet die Grenze der modernen Medizin von 1911.
4.1.2.3 Kontrolle durch medizinische Deutungsmacht Eine solche Schlussfolgerung stellt das Raumkonstrukt, das das Projekt „Tsingtau“ trägt, existentiell in Frage. Das ein für alle Mal fixiert geglaubte Verhältnis zwischen Drinnen und Draußen beginnt, sich bedrohlich zu verschieben, wenn die Sicherheit des gesäuberten und durch ein striktes Hygieneregime geschützten Drinnen nicht mehr garantiert werden kann, da das infizierte Draußen jederzeit, überall und heimlich Einfallstore für eine Einschleppung findet und die Machtlosigkeit der überlegenen Kultur der Moderne bloßstellt. Deswegen geht es um die Deutungshoheit über die Epidemie, um die Kon trolle der Bilder, die dem kolonialen Raumkonstrukt Sichtbarkeit verleihen. Die medizinische Deutung der Ereignisse und ihrer Ursachen integriert die Bedrohung Qingdaos in die symbolische Ordnung, die auf Vernunft, Natur72 QDG B0001-005-57-65:14. 73 Auch heute noch gilt: “The plague bacillus causes a rapidly progressing, serious illness that in its bubonic form is likely to be fatal (40%–70% mortality). Without prompt antibiotic treatment, pneumonic and septicaemic plague are virtually always fatal. For these reasons Y. pestis is considered one of the most pathogenic bacteria for humans” (Stenseth NC et.al. 2008).
246
Gesund und krank in Qingdao
beherrschung und Fortschritt gegründet ist und bestätigt die Handlungsmacht ihrer Protagonisten. Die Unmöglichkeit, an Pest Erkrankte zu heilen oder auch nur die Ausbreitung der Infektionen zu stoppen, darf den Allmachtanspruch der westlichen Medizin und Hygiene nicht in Frage stellen. Die Bakteriologie stellt ihre Wissensmodelle bereit, in die die Ereignisse eingeordnet werden, und reguliert dadurch die Definition und Interpretation der Seuche sowie die Regeln, die in diesem medikalen Machtraum gelten sollen. Nach einer „regelrechten Invasion von Experten“ (Kessel 2005:268) in indische Pestgebiete gibt es in den 1890er-Jahren einen Erkenntnisschub über den Pest-Erreger, seitdem ist ihm ein wissenschaftlich beglaubigter Platz im medizinisch-bakteriologischen Diskurs zugewiesen. Der Ruhm seiner Entdeckung wird zwischen Alexander Yersin (einem Schweizer und Schüler Pasteurs, der 1894 in Hongkong das nach ihm benannte Bakterium entdeckt) und dem (in Japan forschenden74) Robert Koch-Schüler Kitasato Shibasaburo geteilt. Auf diese Entdeckung ist alle Aufmerksamkeit gerichtet: unter dem Mikroskop, in den Vektoren, auf seinen Verbreitungswegen. P. Haffkine (Odessa) entwickelt 1897 einen – wirkungslosen – Impfstoff. 1898 stellt der Franzose Paul Simond in Indien eine von dem deutschen Bakteriologen Georg Sticker bestrittene „Seuchenformel Ratte-Floh-Mensch“ auf; als wichtigster Vektor der Bubonenpest wird der Pestfloh (Xenopsylla cheopsis) ausgemacht. Mit diesem Wissen übernehmen die Bakteriologen als Experten die Deutungsmacht über die Krankheit. In dem mandschurischen Ausbruch erscheint die Pest „in ihrer bösartigsten Form“ (Schreyer 23.3.11), als sekundäre Form der Lungenpest. Wenn das Bakterium über die Blutbahn in die Lunge gerät, braucht es keinen Vektor mehr, um die Krankheit auszulösen, während es in der primären Infektion durch einen Flohbiss in den menschlichen Körper übertragen wird und sich in den Bubonen (Lymphdrüsen) festsetzt. Die Lungenpest hingegen wird durch Tröpfcheninfektion verbreitet, sodass „Husten, ja der Hauch des gesprochenen Wortes, in die Atmungsorgane gelangt, zur Übertragung genügt“.75 Während der Inkubationszeit ist keine Infektion möglich. Symptome einer Lungenentzündung, dann blutiger und schaumiger Auswurf oder ein Blutsturz zeigen nach fünf Tagen den Ausbruch der Krankheit an. Um 1900 beträgt die Mortalitätsrate fast hundert Prozent: Ohne jede Behandlungsmöglichkeit tritt der Tod nach zwölf bis zwanzig Stunden („auf keinen Fall mehr“ – ibid.) ein. Versuche vorbeugender Impfung mit einem „Pestserum“ (auf dem Markt sind damals das Haffkine’sche und das Yersin’sche) für Ärzte und Krankenwärter sind erfolglos; von den zahlreichen Geimpften ist „kein Fall am Leben geblieben“ (Schreyer:5). Der Arzt, der hier als Augenzeuge über das Grauen berichtet, zieht sich 74 Yersin entdeckt den eigentlichen Erreger (vgl. Summers 2012:8). 75 QDG B0001-005-57-65:14.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
247
und die Leserschaft in einen paralysierenden Sog der Ausweglosigkeit. Sein medizinischer Blick richtet sich ausschließlich auf den bereits infizierten Körper, für den es keine Hilfe mehr gibt, und den darin lauernden Feind. Diese eindimensionale Perspektive lässt eine einzige Handlungsoption zu: „nur die energische Prophylaxe“ (op.cit.:6), indem man der Microbe und ihren Trägern „den Weg abschneidet“ (Pasteur). Aber wie wird man eines Objektes habhaft, das unsichtbar bleibt? Der verpestete Raum ist aggressive, feindliche Dynamik, körperlos, ubiquitär und nicht zu greifen. Der Diskurs übernimmt die Aufgabe, das Unsichtbare zum Vorschein zu bringen und für alle sichtbar zu kennzeichnen. Der Bakteriologe wird zum Experten der Visualisierung. Was er in der Abgeschiedenheit des Labors über das Bakterium erfährt, trägt er in seinen Metaphern nach außen: Landkarten, Tabellen, Statistiken und Schaubilder über Erkrankungen, Mortalitätsraten und Verbreitungswege zeichnen den Weg nach, den das Unsichtbare nimmt. Und so bringt das „mapping“ der Krankheit eine eigene Geographie des Infektionsraumes hervor.76 Auch die Rückverfolgung des Erregers in den infizierten Menschen bis in die Mandschurei und von da zum Pestherd im Transbaikalgebiet und der Mongolei entwirft eine solche Infektionsgeographie: „ungeheure Steppen und Ebenen“ und die „Wüste Gobi“ (Zur Verth 1910:86) bilden die Kulisse für die Geschichte, die erzählt wird – „jene großen eintönigen Strecken ohne Gebirge und Tal, ohne Wald und Wiese, ohne Sumpf und Heide (…) in welchen nur nackte Hügelrücken und seichte Salzseen mit der Sand- und Geröllebene wechseln“. Es ist der Entwurf einer urzeitlichen, geschichtslosen, stillstehenden Öde, Habitat von Dämonen und bösen Geistern. In dieses Bild zeitloser, menschenleerer Ewigkeit werden dann schreckliche Geheimnisse projiziert. In diese Welt, in der „unterirdische Tiere ihr heimliches Dasein führen“ (ibid.), bricht nun „der pelz- und fleischlüsterne Mensch“ ein (op.cit.:87). Er ist auf der Jagd nach dem Tabargan, dem mongolischen Murmeltier, einer so possierlichen wie tückischtrügerischen Beute. Denn dem Murmeltier „wohnt nun die Fähigkeit zu einer entsetzlichen Rache inne“. Das Tarbargan ist der Träger von „Yersinia pestis“. Hier ist der ‚Wilde Westen‘ Chinas (Summer 2012:112). Hier ist ein Raum von trostloser Lebensfeindlichkeit jenseits jeder Kultur oder Kultivierbarkeit entworfen. Hier ringen nur Tungusen und andere primitive Jägerstämme, selbst Teil der Natur, den Gesetzen der Natur ihr Leben ab. Unbeweglich und aus der Zeit gefallen, bildet dieser Raum ein natürliches Pendant zur unbeweglichen und aus der Zeit gefallenen Rückständigkeit des kaiserlichen China. Dass in dieser apokalyptischen Landschaft die Geißel des Menschen ausgebrütet wird, legt eine 76 Vgl. z.B. die popularisierte Darstellung von Rudolf Pöch zur geographischen Verbreitung der Pest in Petermanns Mitteilungen von 1911.
248
Gesund und krank in Qingdao
apokalyptische Schlacht zwischen der Menschheit und der Mikrobe nahe, die sich einfügt in den sozialdarwinistischen „Kampf ums Dasein“. Denn die eigentliche Gefahr […] sind die Wege der Pest […]. Die letzten Jahre deckten uns endlich ihre geheimnisvollen Pfade auf. […]. Von den chinesischen Gebirgen und Steppen aus zieht die Pest in die unbewehrte Nachbarschaft, stets auch uns Europäer mit ihrer furchtbaren Geißel bedrohend (Zur Verth 1910:88).
In dieser feindlichen Umwelt schlägt eine anthropomorph stilisierte Natur mit dem Willen zur Rache und quasi bakterieller Handlungsmacht zurück – ein Topos, der sich bis in die ökologischen Diskurse unserer Tage zieht. Es ist die koloniale Erzählung von der Rache der unberührten Natur für die Störung oder Zerstörung durch den Weißen Mann, und sie legt den Verdacht nahe, dass sich hier die Angst vor der rächenden Natur mit der Angst vor der Rache der expropriierten Kolonisierten zu einem bedrohlichen Gemenge vereint hat. Die diskursive Konstruktion der endemischen Welt der Pest ist nicht ein einzelnes Narrativ. Sie ist Teil einer größeren Erzählung, an der alle imperialistischen Mächte weben und die tiefe Spuren in der Wahrnehmung und den Praktiken heutiger Infektionskrankheiten hinterlassen hat. Der Infektionsraum ist der globale Gegenort der Zivilisation, ein primitiv-geheimnisvoller Ursprungsort, der meistes einem zeitlosen, ewig und überall gleichen Afrikaasien zugeschrieben ist (Wald 2012:44ff.). Die Beziehung zwischen beiden Polen ist durch das dynamische Moment der Einschleppung definiert. Die Pest-Geographie impliziert eine eindeutige Grenze zwischen dem Infektionsraum und dem gesunden Raum, und die Grenzüberschreitung erfolgt immer in einer Richtung: aus den Infektionslandschaften des Draußen in das keimfreie Drinnen der Metropolen. Die kolonisierte Peripherie ist der Raum, von dem aus sich eine linear theoretisierte Kausalkette „Bakterium-Wirt-Mensch“ gegen die Metropolen in Bewegung setzt. Und immer kommt sie als kriegerischer Angreifer. In diesem Szenario erscheint der Kampf zwischen Mensch und Mikrobe als der Kampf um das Überleben der Menschheit. Auch deswegen besitzen „die faszinierenden tropischen Parasitenkrankheiten“ gegenüber „den ‚biederen‘ europäischen Bakterienkrankheiten“ (Robert Koch77) eine solche Anziehungskraft für die Forscher. Als „Tropenkrankheiten“ sind sie den „Tropen“ zugeordnet. In der Identifikation der tropischen Zonen mit den Krankheitserregern wird das Bild festgeschrieben, das bis in die Tage von SARS, Ebola oder Zika-Virus im ‚globalen Süden‘ die öffentliche Wahrnehmung prägt: „Die Tropen“, das heißt, die kolonisierte Peripherien sind pathogen: „Auf diese Weise wurden die Tropen 77 1903. Zit. nach Besser 2013:165.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
249
als Infektionsraum vom Rest der Welt epistemisch, diskursiv und geographisch abgegrenzt“ (ibid.). Strenggenommen bezeichnen sie die äquatornahen Regionen der Welt, im Diskurs der „Tropenkrankheit“ aber fungieren sie auch als Synonym für die exotischen Welten der imperialistischen Interessensphären, zu denen sich selbst noch das ganz untropische Kiautschou zählen lässt. Der Diskurs über die „tropischen Parasitenkrankheiten“ nährt auch das Narrativ über die mandschurische Pest.
4.2.2 Die Geographie des verpesteten Raumes 4.2.2.1 Der Osten Der Terminus, unter dem der Pestausbruch in Sibirien und dann im Nordosten Chinas in die Geschichte eingegangen ist: „the Great Manchurian Plague“, weist darauf hin, wo der Pestraum verortet ist: Im mittleren Asien, in „Transbaikalien“ und der Mongolei hat die Seuche „ihren dauernden Herd“; „nächst Indien ist China für sie das bevorzugte Land“, nämlich „zwischen der Tienschankette und dem Altai“ (Zur Verth 1910:86) und in Yunnan, während „der andere Herd“ – als gäbe es nur diese zwei – bekanntlich „im Hinterland von Deutsch-Ostafrika“ beheimatet ist (op.cit.:88). China, das ist die Botschaft, ist Infektionsraum. Von hier geht die tödliche Gefahr der Einschleppung aus. Dieses Narrativ bestimmt die Darstellung der Pest in Nordchina. Während der Mukdenkonferenz 191178 wird dieses Narrativ über die Pest festgeschrieben. Die „Geographie des verpesteten Raumes“ hat eine lange Geschichte. Auf der europäischen, zumal auf der deutschen „mental map“ ist er unweigerlich im Osten verzeichnet. Der Unterausschuss für Pest des Reichs-Gesundheitsrates, der auf seiner Sitzung vom 14. Februar 1911 den Pestausbruch in Nordchina analysiert und kommentiert,79 zählt die Gebiete auf, in denen er die Pest als endemisch lokalisiert: Japan, Siam, Britisch-Ostindien, Persischer Golf, Ägypten, Osmanisches Reich,80 – und natürlich China. Diese Zuordnung kommt nicht von ungefähr. Der Osten, das ist jenes schillernde Gebilde aus europäischen Projektionen und Feindbildern, das seit Jahrhunderten mit der Pest konnotiert 78 In Mukden (Shenyang) beraten im April 1911 auf Einladung und unter der Regie der Qing-Regierung die in China engagierten imperialistischen Mächte über die notwendigen Konsequenzen aus der Epidemie von 1910/11. 79 QDG B0001-001-351-111. 80 Dass vor dem Ersten Weltkrieg vom „kranken Mann am Bosporus“ die Rede ist, wenn der Machtzerfall des Osmanischen Reiches gemeint ist, zeigt die Stärke der Krankheitsmetapher auch im politischen Kontext.
250
Gesund und krank in Qingdao
ist. Dieser Topos ist das Produkt europäischer Imaginationen über einen mythischen Raum unbestimmter Gestalt und unbestimmter Geographie. Je nach Kontext ist er verortet in Russland und Sibirien, in Asien mit oder ohne Orient und mit oder ohne Fernost. Vielfältige sich gegenseitig verifizierende Erzählstränge und Imaginationen verschränken sich im Osten zu einem diskursiven Geflecht, das ein unendliches Feld für Assoziationen und Projektionen darstellt. Entsprechend vielseitig sind auch die Feindbilder: Das westliche Europa stellt den Osten in den Dienst einer Abgrenzungsideologie, aus der der Kontinent seine Identität der Modernität konstruiert. Da dieses Europa tatsächlich gegen den Osten über keine topographisch nachvollziehbare Grenze verfügt, fällt die Abgrenzung im Zuge der Nationalstaatsentwicklung umso schärfer und nationalistischer aus. Besonders in Deutschland (vor allem durch Preußen) wird der Kampf um eine klare Grenze in Regionen mit unübersichtlicher ethnischer Heterogenität der Bevölkerung zu einem Element nationalstaatlicher und nationalkultureller Identitätskonstruktion. Dem Wilden Osten, Pendant des US-amerikanischen Wilden Westens, hängt der Nimbus einer zivilisatorischen „frontier“ an (Blackbourne 2008:358) und ist konnotiert mit dem Einfall der mongolischen Reiterhorden und dem Treiben ubiquitärer – staatenloser – Reitervölker seit der Goldenen Horde der Tartaren im mittelalterlichen Russland (Küster 2009:83). Diese kollektive Erinnerung hallt wider in der Phantasmagorie der „Tiefe des östlich-asiatischen Raumes“, der in der deutschen „imaginative geography“ als Ort der Ortlosigkeit, Formlosigkeit, Bodenlosigkeit, Entwurzelung, nichtsesshafter Bindungslosigkeit und Beweglichkeit, der Ubiquität und Grenzenlosigkeit als Hort der Fremde/des Fremden schlechthin gilt (Schlögel 2011:54). Auch die Diskursfigur des (ewigen) Juden ist in diese Assoziationskette der Ortlosigkeit eingebunden und untermauert als diskursiver Gegenpol den identitätsstiftenden deutschen „Heimat-Komplex“ (Schlögel). Hier wird ein Diskursknoten erkennbar, der Diskursstränge über ‚Migration‘, ‚Seuche‘ und „Osten“ integriert. Gemeint ist die Mobilität, die die Industrialisierung im westlichen Europa auch im Osten ausgelöst hat, das heißt die Migrationsbewegungen osteuropäischer Wanderarbeiter auf dem Weg nach Westen zu einem besseren oder doch gesicherten Leben. Die Angst vor der ‚andrängenden Fluth heranstürmender asiatischer Horden‘ in Deutschland (Nietzel 2010:28) lässt nicht zu, diesen Zusammenhang von Mobilität und Kapitalismus zu akzeptieren oder wahrzunehmen, sondern stellt die noch älteren kollektiven Angstfiguren in den Dienst des nationalistischen Ressentiments. Diese Angstfiguren sind ihrerseits verknüpft mit der Seuche, die aus dem Osten kommt. Der Mongolensturm bringt den Schwarzen Tod, der von Caffa her81 Europa mit Verderben überzieht, die Türkenheere schleppen die Pest vor die 81 Vgl. Karlen 1996.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
251
Tore Österreich-Ungarns – das Bild der Pest in Europa ist das Bild von der feindlichen Einschleppung aus dem Osten.82 Auf diese Weise wächst dem „cordon sanitaire“, mit dem sich die Habsburgermonarchie im 17. und 18. Jahrhundert vor den wiederholten Pestausbrüchen im Osmanischen Reich zu schützen sucht, auch die Bedeutung einer ‚Zivilisationsgrenze‘ zu, indem er „zu einer dauerhaften Einrichtung wurde und gleichzeitig eine politische, kulturelle und konfessionelle Außengrenze des sich auch in dieser Grenzziehung definierenden Kontinents markiert“ (Dinges 2005:306). Er wird zur Demarkationslinie, zu einer ideologischen Bruchstelle (Watts 1997:25) zwischen dem „sauberen und gesunden“, christlichen Westen und dem „verseuchten“, muslimischen Osten – eine Bruchstelle, die bis heute Gültigkeit hat, wenngleich der Diskurs sich zeitgemäßere Topoi wie den „clash of cultures“ oder Islamismus übergestreift hat. Für lange Zeit fungiert das diskursive Amalgam aus Osten – Pest im Dienst einer Abgrenzungsideologie zur Definition der Grenzen Europas. Diese historischen Angstfiguren, die den verseuchten Osten repräsentieren, werden aktualisiert, als in den 1830er-Jahren in verschiedenen Städten Europas die Cholera ausbricht, zuerst im Osten, sich dann nach Westen ausbreitend. Ahnlich wie die Pest wird die Cholera als plötzlich und unerklärlich hereinbrechendes Desaster empfunden, und so nimmt sie im 19. Jahrhundert den Platz der Pest als metaphorischer ‚Leitkrankheit‘ ein (Kessel 2005:), was der Volksmund emblematisch in der Pest-und-Cholera-Metapher für alles Schlechte bündelt. Wie die Pest wird die Cholera diskursiv fest im Osten verankert: „verheerender als das Schwert der Dschingischane und Tamerlane, in ihren Folgen heilloser als selbst die Völkerstämme des beginnenden Mittelalters, den gleichen Lauf mit jenen politischen Revolutionen von Osten nach West nehmend“.83 Für die europäischen Regierungen bilden die Pesterfahrungen vergangener Jahrhunderte die Blaupause für die Wahrnehmung, Verarbeitung und Abwehrstrategien der Cholera-Epidemien: „Sie bliesen den Staub von den gut ein Jahrhundert alten Akten über die Pest und ordneten noch einmal die Maßnahmen an, die man schon zuvor gegen die großen Epidemien der frühen Neuzeit ergriffen hatten“ (Evans 1990:601). Das gilt auch für die Erklärungsmuster der Pest als Katastrophe aus dem Osten. Seit ihrem ersten Auftreten werden die periodischen Ausbrüche der Cholera in der zeitgenössischen Wahrnehmung und Interpretation in einen kausalen Zusammenhang mit den zeitgleichen ost82 Auch das Fleckfieber wird „als eine fremde Bedrohung aus dem primitiven Osten betrachtet“ (Weindling 1997:338) und die Konzeption Russlands als eines „Reservoir[s] für bedrohliche Tropenkrankheiten“ setzt im Ersten Weltkrieg eine „Entlausungsorgie“ rigoroser Desinfektion von russischen und polnischen Kriegsgefangene in Gang (op.cit.:327). 83 Ernst Reinfeldt, Bemerkungen übe die epidemische Cholera. In: Archiv für medicinische Erfahrung. Jg. 1830, II, S. 943–975, S. 943. Zit. nach Dettke 1995:269.
252
Gesund und krank in Qingdao
europäischen Migrationsbewegungen gestellt. Und die ‚Behandlung‘, der osteuropäische Wanderarbeiter, jüdische Pogromflüchtlinge aus Russland, und die osteuropäischen Amerika-Auswanderer ausgesetzt werden, die Ende des Jahrhunderts das deutsche Staatsgebiet auf dem Wege zu den Auswandererhäfen von Bremerhaven und Hamburg durchqueren, während das Deutsche Reich angesichts des Cholera-Ausbruchs in Hamburg 1893 in Panik gerät, lesen sich wie ein Maßnahmenkatalog zur ‚Behandlung‘ chinesischer Kulis auf ihrer Zugfahrt aus der Mandschurei.84 In der diskursiven Gleichsetzung von polnischen und oberschlesischen Wanderarbeitern in Deutschland und chinesischen Wanderarbeitern als „Sachsengänger“ wird die Stigmatisierung der einen als Choleraträger auf die anderen als Pestträger übertragen. Der Bazillenträger ist der diskursive Knotenpunkt, an den weitere Diskurse andocken, die für die Deutung des Geschehens und der chinesischen Pestträger hilfreich und handlungsleitend sind. In der semantischen Verknüpfung Pest-Cholera-Osten-Migrant erfüllt der Diskurs über die Zeiten großer Seuchengefahr seine Funktion als sinnstiftende Interpretation der Ereignisse in Qingdao und als Handlungsanweisung: die Migranten sind die Gefahr aus dem Osten. So ist es möglich, dass die Chinesen als Eindringlinge in ihrer eigenen Heimat erscheinen und die Rückkehr in ihre eigenen Familien mit verantwortungsloser Einschleppung gleichgesetzt wird. Das Schutzgebiet sieht sich „von allen Seiten bedroht“.85 „Dass solche Menschenmassen aus einem hochgradig verseuchten Gebiet ohne jede Kontrolle in die Nachbarprovinz durchgelassen werden“,86 löst unter den Deutschen nicht nur Ängste aus, sondern auch Empörung: „Der Einfluss des chinesischen Generalgouverneurs in Mukden in Verbindung mit dem der Japaner in Dalni, welche beide dasselbe Interesse haben, diese Lasten auf Schantung abzuwälzen, ist ausschlaggebend gewesen“.87 „Von seiten der Japaner wird vermutlich darauf abgezirkelt, die vielen ihnen unbequemen Chinesen in Dalni und innerhalb ihrer Eisenbahnzone nach Tschifu abzustossen, was an Rücksichtslosigkeit allerdings nichts zu wünschen übrig ließe“.88 Das sei nichts anderes als „die Benutzung des Vertragshafens [von Tschifu] als allgemeine Ablagerungsstätte und Ausflussrohr für die Kulis der gesamten Provinz“. Nicht weniger rücksichtslos gegenüber den deutschen Sicherheitsinteressen seien die 84 Eine eindrucksvolle Schilderung ist bei Leidinger (2000) zu lesen, die die Zwangskontrollen und Zwangsquarantänen in den Bremer Krankenanstalten 1893 untersucht hat, denen die Auswanderer auf ihrem Weg nach Bremerhaven unterworfen werden. 85 QDG B0001-005-57-119:5. 86 QDG B0001-001-351-0181:1. 87 QDG B0001-001-352-0003:12. 88 QDG B0001-001-352-0003-0004 – im Original vertikal angestrichen.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
253
Russen. Wie einer Bekanntmachung in der Tageszeitung „Dalny Wostock“ zu entnehmen sei, sei den „Schwarzarbeitern der gelben Rasse […] das Betreten des Priamurgebiets verboten worden“.89 Russland und der chinesische Generalgouverneur für die Mandschurei wollen die Einwanderung von Chinesen verbieten, da man befürchte, dass die arbeitslosen Wanderarbeiter ‚Vagabunden‘ würden.90 Und Sun Pau tschi, der Gouverneur von Shandong, wolle 80.000 Kulis aus Schantung in die Mandschurei abschieben, da er Unruhen in der Provinz befürchte; für Tsingtau stelle das eine „große Gefahr“ (ibid.) dar. Das Gefühl der Bedrohung „von allen Seiten“, das unter den Deutschen herrscht, berührt eine sehr deutsche Gefühlslage aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Auf der „mental map“ vor allem des nationalistischen Bürgertums ist Deutschland ein europäischer Staat der „Mittellage“, umgeben von neidvollen Feinden, ‚umzingelt‘ von Mächten, die Deutschland hindern, den ihm gebührenden Platz unter den Großen Europas einzunehmen, die Nation wie einen Paria behandeln (Buschmann 2003:182). Das Einkreisungsmotiv in den nationalen deutschen Diskursen ist so ausgeprägt, dass es als „ein zentrales Konstruktionselement für das Selbstbild der deutschen Nation“ gesehen wird (Buschmann 2003:190). Das Gefühl wird gespeist von einer immer größeren Produktion von Feindbildern über die europäischen Nachbarn. Deutschland steht nicht allein damit: Überall sind solche Feindbilder und nationalistischen Stereotype konstitutiv für die Profilierung der sich herausbildenden europäischen Nationalstaaten; erst in der Abgrenzung vom nationalen Anderen konturiert sich die eigene nationale Identität. In dem noch jungen Deutschen Reich freilich werden die Abgrenzungen mit besonderer Militanz vertreten. Bedrohungsszenarien beschwören die ‚Gefahr von außen‘ durch die ‚lauernden und gierigen Fremden‘, dem die Qualität des Dämonischen zugeschrieben wird (Münkler 1994:33). Ein apokalyptisches Feindbild kann in der Hand der Macht zu einem furchtbaren Instrument von Vernichtungs- und Auslöschungsstrategien werden, ganz besonders dann, wenn sie noch ethisch überhöht einem ‚Größeren Ganzen‘ geweiht werden (ibid.). Das sprichwörtlich gewordene „deutsche Säbelrasseln“ ist die Begleitmusik für die Sprache der Ehre, der Stärke und der Kampfbereitschaft, sich ganz allein aus der Einkreisung ‚herauszuhauen‘: instabile Gruppenidentität wird kompensiert durch Gewaltbereitschaft und Ressentiment. In der Wahrnehmung der Pest klingt das Gefühl der Einkreisung durch ‚lauernde und gierige Fremde‘ wieder an. Die Feinde Deutschlands in der mandschurischen Epidemie sind schnell ausgemacht. Die Sündenböcke der Seuche sind überall. 89 QDG B0001-001-352-56:3. 90 QDG B0001-001-352-00201:2.
254
Gesund und krank in Qingdao
4.2.2.2 Sündenböcke: Chinesische Indolenz und Pestträger Die Geschwindigkeit, mit der „Yersinia pestis“ über das Eisenbahnnetz verbreitet wird, stellt die staatlichen Organe vor eine gewaltige Aufgabe. Die Behörden in Qingdao sehen sich einer Bedrohung gegenüber, die nicht zu greifen ist, denn wenn sich die Existenz des Bakteriums als Krankheitsgeschehen manifestiert, ist es schon zu spät. Daher wird die Unterscheidbarkeit der Gesunden von den Kranken zu einer lebenswichtigen Frage. Die Verborgenheit des Bakteriums – erst das Lichtmikroskop bringt es an den Tag – macht jeden verdächtig, Pestträger zu sein: In der metonymischen Verschiebung verschmelzen Bakterium und Bakterienträger zu einer einzigen Gefahr der Verheimlichung.91 Deswegen sind Pestträger nicht – bzw. erst viel zu spät – zu erkennen an den Symptomen der Infektion. Allerdings sind sie erkennbar an den Merkmalen, die für die gesundheitliche und die kulturelle Ordnung Geltung haben. Es sind dieselben ethno-sozialen Merkmale, die die europäische Wissensordnung unter Führung der Hygiene aufgestellt hat, um Kranke von Gesunden, Abweichende von Normalen, Fremde vom Selbst zu unterscheiden und voneinander zu trennen. Pestträger ist der Chinese. Das ist wie immer im Chinesendiskurs zweideutig-eindeutig, denn er meint nicht nur „Rasse“, sondern auch „Klasse“, denn die besseren Chinesen sind auch hier von der Stigmatisierung ausgenommen. Die Pest ist Kulikram, das beweisen schon die Opfer der Epidemie, „welche fast ausschließlich unter den ärmsten Klassen der Bevölkerung vorkamen“;92 es werden „fast nur Leute aus den unteren Volksschichten, Arme und Verwahrloste, ergriffen“.93 Denn auch in der bakteriologischen Lehre gelten Schmutz und Enge als „Brutstätten“ der Erreger, die überall – in Staub, Boden, Wasser und Luft – zu finden sind. Es heißt auch hier, dass die Pesterkrankung auf eine falsche Lebensweise und unverantwortliche hygienische Praktiken der Kranken zurückzuführen sei, auch wenn der Gouvernementsarzt vor der „unsinnigen“ Behauptung des Gouverneurs und anderer warnt, „von der Pest als einer Kulikrankheit zu sprechen, gegen welche Reinlichkeit und europäische Abstammung feien“.94 Schmutz, fehlende Hygiene, Elend, Massen, Indolenz haben ihre Bedeutung als Manifestationen der Pestträger. Sie setzen die semantischen Landmarken, die die Grenze zwischen dem Raum der Chinesen und dem Raum der Hygiene bezeichnen. Als semantische Netzpunkte stellen sie den Zusammenhang her zwischen dem defizitären Chinesen und dem pesttragenden Schantung-Kuli und be91 92 93 94
Vgl. 4.1.1.2. QDG B0001-001-352-0004. QDG B0001-001-351-151. QDG B0001-005-57-65:14.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
255
glaubigen die vom Pestdiskurs konstruierten Kausalitätszusammenhänge. Auf diese Weise wird es möglich, die Pest aus dem Drinnen herauszudefinieren und dem Draußen, dem chinesischen – dem proletarischen – Anderen zuzuschlagen. Auch damit lassen sich die Grenzen der Katastrophe bestimmen. Auf die semantische Abgrenzung folgt die praktische: die rigide Einteilung und Markierung der Pestträger und Gesunden. „Die Bekämpfung der Lungenpest ist am Anfang bei vereinzelten Fällen nicht schwierig. Strengste Isolierung der Kranken, strengste Absperrung der Häuser, in denen Pestfälle vorkommen und strengste Isolierung der Kontakt- und Suspektpersonen“, diagnostiert Dr. Schreyer, Arzt in der deutschen Niederlassung in Tianjin, in seinem Exposé über die Lungenpest vom 23.3.1911.95 Schutzmasken und Schutzanzüge für Ärzte haben sich „als absolut sicher gegen eine Infektion erwiesen“ (op.cit.:8). Dank dieser Ausrüstung sei es „leicht gelungen, eine Ausbreitung zu verhindern“ (ibid.). Warum ist das nicht geschehen? Auch hier machen die offziellen Darstellungen die chinesischen Wanderarbeiter verantwortlich: „Infolge des Stumpfsinns des Chinesen, der sich durchaus gleichgültig gegen Seuchen verhält, obwohl er ihre Gefahren genau kennt, und infolge unerhörter Nachlässigkeit der russischen Behörden unterblieb der Versuch, die Seuche auf ihren Herd zu beschränken“ (QDG B0001-001-351-155:1). Stattdessen werde „die Pest mit großer Wahrscheinlichkeit von den ‚Sachsengängern‘ aus Schantung weitergeschleppt“ (op.cit.:7). Nicht genug damit, dass die Wanderarbeiter sich für das chinesische Neujahrsfest überhaupt auf den Weg in ihre Heimatdörfer machten. Während sie früher langsam zu Fuß oder mit Booten gekommen seien, reisten sie nun auch noch in den Eisenbahnen. „Die wurden dadurch zur Gefahr“.96 Die hochinfektiöse Lungenpest übertrage sich in der Enge der Bahnen und Stationsgebäude, sodass sie „bei dem absoluten Mangel aller hygienischen Vorkehrungen, bei der Unwissenheit und dem Schmutz der auf engem Raum zusammengedrängten chinesischen Bevölkerung zu wahren Brutstätten der Krankheit“ würden.97 Erst ab Mitte Januar verhängen die Küstenstädte Quarantänen und schränken den Bahnverkehr ein. Dass der Zug der Wanderarbeiter nach Süden nicht aufgehalten werde, sondern im Gegenteil „dieser Exodus noch durch Einstellung von Extrazügen begünstigt werden sollte, ist ein Beweis für die trostlosen Zustände, die in dieser Hinsicht noch immer in China herrschen“.98 Die Verantwortung liege bei den chinesischen Behörden, aber das sei „bei der jede 95 96 97 98
256
QDG B0001-001-352-143-2-15:14. QDG B0001-001-352-41:7. QDG B0001-005-57-65. QDG B0001-001-351-181-2.
Gesund und krank in Qingdao
Beschreibung spottenden chinesischen Mißwirtschaft, Indolenz und Torheit“ (ibid.) nicht überraschend, denn die Beamtenschaft „hat für die Bedeutung vorbeugender Maßnahmen nicht das geringste Verständnis“ (ibid.). Deswegen sei die Quarantäne überall wirkungslos. In Dalny breche die Mehrzahl der Kulis, die dort interniert seien, aus oder kaufe sich frei, sodass der Magistrat die Letzten selbst gehen lasse, das Ganze aber vor den Europäern zu verheimlichen suche. Maßnahmen zur Pestabwehr „waren sehr mangelhaft“ bzw. blieben „nur auf dem Papier“.99 Chinesische Soldaten, die dafür eingesetzt würden, seien kein Schutz, sondern eher die Gefahr selbst.100 „Auf die dringenden Vorschläge hin, wenigstens die verseuchten Häuser abzusperren, ist tatsächlich so gut wie nichts geschehen“,101 denn die Beamten hätten die übliche „Scheu vor Verantwortung“ und seien „von chinesischen Anschauungen erfüllt“,102 unterdrückten Nachrichten, und wenn sie etwas täten, dann werde es „mangelhaft ausgeführt“.103 Gegen die „modernen Maßregeln“ einer „energischen Pestbekämpfung“ (ibid.) leisteten sie „passiven Widerstand,“104 da sie diese „als unchinesisch“ ansähen, ein weiterer Beweis ihres rückwärtsgewandten Hochmuts und ihrer Ignoranz gegenüber dem Fortschritt. Der Gouverneur von Shandong lasse sich von dieser „Ansicht der Notabeln und der Bevölkerung“ „hemmen“. „Die Zahl der Aufgeklärten ist in Schantung noch zu gering“.105 Das wird auch und besonders über die chinesische Medizin verbreitet. Alle Stereotype chinesischer Rückständigkeit, die sich auf den medizinischen Bereich beziehen, werden angeführt. Die Ärzte, die zur Bekämpfung der Pest bestellt werden, taugten nichts. Ein Shanghaier Arzt in Zhifu, sogar europäisch ausgebildet, „erweist sich als gänzlich nutzlos und unwissend“ und treibe sich auch noch „in schlechten Wirtschaften“ herum.106 Ein anderer, der aus Shanghai sogar „ohne Zopf, in europäischer Kleidung kam und ---- schon wieder gehen will“.107 In Laiyang propagiere der Magistrat ein obskures Pulver als Pestheilmittel, das Sanitätsamt in Beijing empfehle als „absolut sicheres Mittel“ Katzenurin.108 Einer habe ein Mittel gegen die Pest „entdeckt“, das so wirkungsvoll sei wie die Feuerwerkskörper an Neujahr, und selbst „erleuchtete Chinesen“ glaubten „halbwegs“ an solchen Unsinn. Niemand unter der deut99 100 101 102 103 104 105 106 107 108
QDG B0001-001-351-155:7. QDG B0001-001-352-0003-14. QDG B0001-001-351-155:23. QDG B0001-001-352-134:2. QDG B0001-001-352-71-8:10. QDG B0001-001-352-189-7. QDG B0001-001-351-155:23. QDG B0001-001-352-151:3. QDG B0001-001-352-03:10. QDG B0001-005-57-65:10.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
257
schen Leserschaft, der nicht die Bürde des Amtes im Angesicht von so viel Dummheit und Aberglauben verstünde. Indolenz und Unwissenheit auch auf der Seite des Volkes: Der Chinese selbst sieht seine Lage sehr ruhig an. Mit Gemütsruhe antwortet der chinesische Diener auf die Frage nach seiner Meinung: ‚Bu yau djin, dschungguo je tau do‘. Schadet nichts. Es gibt zu viel Chinesen. In dieser Gleichgültigkeit einem unsichtbaren und nicht unmittelbar drohenden Feinde gegenüber liegt auch eigentlich die einzige Gefahr für den nicht beruflich auf vielen Chinesenverkehr angewiesenen Europäer (op.cit.:14).
Es seien die chinesischen Dienstboten, von denen diese Gefahr ausgehe, denn sie sind für viele Europäer die einzigen Kontakte zur Bevölkerung. Wir verbieten zwar unseren Dienern, in die Chinesenstadt zu gehen – aber seit wann gehorcht ein Chinese? Man kann ihn so wenig von seinen Wegen und Gewohnheiten abbringen wie irgendein unvernünftiges Tier, was bei dem chinesischen Charakter der gerade treffende Vergleich ist.109
Diese stumpfsinnige Gleichgültigkeit unterminiert auch die Abwehrmaßnahmen in den von der Epidemie betroffenen Gebieten. „Die chinesischen Behörden (Tautai) fangen an, den Ernst der Lage zu begreifen, sind übrigens ziemlich machtlos“. Denn: „Das Volk kümmert sich nicht viel, meldet Erkrankungen nicht an, lässt (…) die Polizisten und Sanitätsbeamten nicht in seine Häuser“, beerdigt die Pesttoten nicht vorschriftsmäßig und weigert sich, verseuchte Häuser abzureißen (ibid.). „Jeder Chinese versucht zunächst jeden Pestfall in seinem Hause zu verheimlichen“. Die Kranken würden versteckt, die Toten nachts heimlich begraben. „Die Verwandten leugnen auf Befragen. Das ist alles die Furcht vor den Pestgeistern, die sich sonst rächen würden“.110 Und „da die Chinesen Alles verheimlichen und Niemand in ihre Häuser lassen“ (ibid.), sind sie allesamt verdächtig.
109 QDG B0001-001352-3:10. 110 QDG B0001-001-351-155:8.
258
Gesund und krank in Qingdao
4.2.3 Absperren – Aussperren – Einsperren: Die Konstruktion des wehrhaften Ortes 4.2.3.1 „zuverlässige Absperrungsmaßnahmen gegen Kranke und Verdächtige“.111 „Cordon sanitaire“ und Quarantäne in Qingdao In der Heimlichkeit der Pestträger nimmt das Unheimliche Gestalt an. Damit die unsichtbare Grenze zwischen verpestetem und reinem Raum erkennbar bleibt, trägt ein dichtes Kommunikationsnetz aus deutschen Missionsstationen, deutschen Konsularvertretungen in den Handelsniederlassungen und Botschaften in Beijing und in Tokio sowie Delegationen, die Krisenzonen erkunden, Daten über Ausgangspunkte, Ausbruchsorte, Verbreitungsrouten, Opferzahlen zusammen. Ziel der minutiösen Kartierung des Pestverlaufs ist es, die Epidemie möglichst weit vor den Grenzen des Pachtgebiets zum Stillstand zu bringen, indem deutsche Stellen versuchen, Einfluss auf die jeweils zuständigen Behörden zu nehmen, um den chinesischen Wanderarbeitern alle Routen nach Süden abzuschneiden. Während Lageberichte aus der Mandschurei penibel registrieren, was die dortigen Interventionsmächte tun und unterlassen, bereitet die Kolonialverwaltung in Qingdao „zuverlässige Absperrmaßnahmen gegen Kranke und Verdächtige“112 vor. Als „musterhaft“113 gilt „die Strenge der von den Japanern getroffene Vorkehrungen“. Die Deutschen setzen ihr Vertrauen in die „durchgreifende Gründlichkeit“ des japanischen Arztes und Robert-Koch-Schülers Kitasato. Er führt in der japanisch besetzten Mandschurei ein Pestregiment „nach Koch’schen Grundsätzen“, deren Vorzug darin liegt, „vor allen Dingen mit der äußersten Strenge darauf zu dringen, dass Pestkranke ausfindig gemacht und unverzüglich in ärztliche Behandlung genommen, auch deren Angehörige sofort streng abgesondert werden“. So lässt er im stark betroffenen Harbin einen Sanitätskordon ziehen und in Dalian drei Tage nach Auftreten der Pest „alle Chinesen konzentriert“ in einigen „compounds“ des Chinesenviertels einsperren.114 Als das Nachrichtennetz am 27. Januar 1911 in einer Ortschaft 57 Kilometer vor Qingdao Pestfälle registriert, wird „die Absperrung von Tsingtau angeordnet“. Mit der „Einsetzung des gesamten Militärs durch eine dichte Postensper111 112 113 114
QDG B0001-001-352-61:3. QDG B0001-001-352-6:3. QDG B0001-005-57-0015:7. Alle Zitate: Der deutsche Gesandte v. Mumm in Tokio vom 5.3.11 (QDG B0001001-352-32:4,7 und 11). Dieses „konzentriert“ ist schon wieder ein Hinweis darauf, wie früh die biomedizinischen Sprachbilder und das ihr zugrunde liegende Denken geprägt worden sind, auf die die spätere NS-Rhetorik zurückgreift.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
259
re nach dem Landgebiet und längs des gesamten Strandes“115 und einem Stacheldrahtzaun wird ein Sicherheitsgürtel um die Stadt gezogen. Wie ernst es dem Gouvernement mit der Absperrung ist, wird aus dem Postenbefehl an die Soldaten vom 28. Januar ersichtlich, „mit aller Strenge, jedoch möglichst ohne Waffengebrauch ihren Anordnungen Nachdruck zu verleihen. Wird Waffengebrauch erforderlich, geschieht dieser mit aufgepflanztem Seitengewehr, unter dem Gesichtspunkt, sich den Mann vom Leibe zu halten“.116 Dieser „cordon sanitaire“ wird am 4. Februar durch eine zweite Linie von Freiwilligen aus der deutschen Einwohnerschaft verstärkt. „Sie stehen an der Paisha ho Grenze und lassen niemanden vom Hinterland herein“.117 Matrosen sperren die TsingtauBucht für den Schiffsverkehr und versuchen, das Anlanden chinesischer Sampans zu unterbinden. Am 14. Januar verhängt der Gouverneur eine Quarantäne für Schiffe zunächst aus Dalian (Dalny), dann aus weiteren Häfen. Dschunken aus dem Norden werden seit dem 21. Januar täglich kontrolliert und „bis zu 10 Tagen in Quarantäne gelegt“; „Kulis war die Landung ohne Quarantäne untersagt“ (op.cit.:7). Jeden Tag kommen Reisende mit der Eisenbahn von außerhalb – aus dem Infektionsraum – in die Stadt. Jeder Tag erneuert die Gefahr der Einschleppung der Pest. Ausgerechnet die Deutsche Schantungsbahn, das stolze „Vehikel für die Durchdringung und Durchtränkung der ganzen Provinz, des von Qingdao wirtschaftlich abhängigen Hinterlandes mit deutschem Wissen und deutschem Geist‘“ droht zum Einfallstor der Katastrophe zu werden. Zur Abwendung der Gefahr kontrollieren Polizei und Ärzte den Zugverkehr zwischen Jinan und Qingdao. Quarantäneärzte in Jinan und in Fangzi haben „sämtliche nach Tsingtau gehende Züge streng zu revidieren“ und „kranke und krankheitsverdächtige Passagiere“ „zurückzuweisen“, damit diese die Züge gar nicht erst benützen. Die Züge führen Waggons der III. Klasse – der Holzklasse für die Unterschichten – nur bis Jiaozhou, das außerhalb der Grenzen des Pachtgebiets liegt. Dieser Umstand sei „sehr wertvoll, da sich die Überwachung dadurch leichter einspielen ließ“. Für alle anderen Passagiere – die „aus den von den Polizeistationen kontrollierten Orten“118 – ist Endstation in Sifang, einer Bahnstation knapp außerhalb der Grenze zum Stadtgebiet. „Vorteil ist die entfernte Lage und dabei die Nähe des Bahnhofs“. Eine Quarantänebaracke steht für die „Aufnahme krankheitsverdächtiger Personen“ bereit. „Alle Passagiere verlassen den Zug und kommen in die Anstalt“. Dort durchlaufen sie die Gesundheitsprüfung. Die Ärzte überprüfen dreimal täglich bis zu 1.500 Personen. „Jeder ir115 116 117 118
260
QDA B0001-005-57-8:3. BArch 7013. Zit. nach Eckart 1989:90. Fußnote 332. Die folgenden Zitate: QDG B-0001-005-57-119: 10-14:22.
Gesund und krank in Qingdao
gendwie verdächtig erscheinende wurde abgesondert und genauer untersucht“. Allein im Lager Syfang sind an einzelnen Tagen bis zu 1.400 Chinesen interniert – fast 6.000 schon Mitte März 1911.119 Der „cordon sanitaire“ mit seiner Quarantänebaracke ist der sichtbar gemachte Raum der Dichotomie von reinem versus verpestetem Raum. Vor dem Hintergrund der emotionalisierten Diskurse über Bedrohung und Einkreisung wird die Dramatik dieses Symbols nachvollziehbar. Auf dieser Bühne löst der Kampf des Drinnen gegen das Draußen das Versprechen von Schutz und Sicherheit ein. Stacheldrahtverhau + bewaffnete Posten sind die konnotierten Landmarken der Grenze und der Aussperrung. Sie bilden die Kulisse für das Ritual der medizinischen Untersuchung und Verschleppung ins Quarantänelager, mit dem die absolute Kontrolle über die Grenze täglich und tausendfach inszeniert wird. Auch deswegen richtet sich der „cordon“ pauschal gegen den Chinesen als Pestträger und kenntlichen Verdächtigen. Denn für die einreisenden Europäer, die „bisher nicht dieselbe Gefahr für Pesterkrankungen und Seuchenverschleppung bildeten wie Chinesen“,120 gilt eine vermeintlich „gerechtfertigte“ Sonderregelung: Es beruht dies auf dem Unterschied der westlichen und östlichen äußerlichen Kultur und müssen sich die Chinesen in dieser Beziehung einer durchaus naturgemäßen unterschiedlichen Behandlung gegenüber Europäern gefallen lassen, wenigstens auf deutschem Gebiet (ibid.).
Die Ethnisierung und Kulturalisierung der Epidemie beruhigt durch ihre Eindeutigkeit: Jeder kann sehen, wo sich die Pest aufhält und wo nicht. So entsteht neben dem Sanitätskordon um die Stadt herum ein zweiter, symbolischer. Der Generalverdacht zieht einen unsichtbaren „cordon“ um jeden Chinesen, der sich in der Stadt aufhält. Der Rat, „sich möglichst von unbekannten Chinesen fernzuhalten“121 und Dabaodao gänzlich zu meiden, ist amtlich. Da, wo das Fernhalten nicht möglich ist, etwa im Haushalt, wird geraten, sich vor chinesischer Atemluft zu schützen und das chinesische Hauspersonal anzuhalten, Körper und Kleidung peinlich sauber zu halten und den Besuch Tapautaus möglichst einzuschränken“.122 Aus Zhifu, vom dortigen Konsul, kommt der Rat, Gesichtsmasken „in Kanzleien und Kontoren, in denen Berührung mit Chinesen unvermeidlich ist“,123 zu benutzen. 119 120 121 122 123
QDG B0001-005-0057-90. QDG B0001-001-352-61:13. Gouvernementsrat von Qingdao am 28.Januar 1911 (QDG B0001-005-57-8:3). QDG B0001-005-57-8:3. QDG B0001-001-352-110:3.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
261
Draußen in der Stadt gelten für die Dauer des Ausnahmezustandes die tägliche Herbergskontrolle und eine verschärfte „Anzeigenpflicht jedes Einzelnen“: Es sei besser, den Arzt „ein Dutzend mal zu früh als einmal zu spät“ heranzuziehen“,124 Die elektrischen Straßenlampen, die aus Sparsamkeit wieder durch Petroleumlampen ersetzt worden waren, werden wieder in Betrieb genommen, „um der Polizei eine bessere Kontrolle in den Straßen zu ermöglichen“.125 Um „Erkrankte nach den Lazaretten zu schaffen“ (ibid.), wird eine Transportkolonne im Höhenlager stationiert, denn „jeder auf der Straße oder in den Herbergen gefundene Kranke wurde zunächst als ‚verdächtig‘ dort hingeschafft“.126 Das bedeutet, dass für die Zwangseinweisung in die Quarantäne Symptome irgendeiner Krankheit und der Verdacht – „auch auf die Gefahr hin, sich einmal zu täuschen“ (Plehn 1902:115) genügen. Diese Gefahr ist erheblich, denn es gibt kein Pestsymptom, das sich ausschließlich der Pest zuzuordnen lässt (Twigg 1984:19). Auch in Shandong weiß man, dass unter die ‚Pestfälle‘ „eventuell auch Influenza. und andere Erkrankte (…) gezählt werden“.127 Die Forderung, einen Verdächtigen „nicht aus den Augen zu lassen, sondern sofort zu isolieren, wenn irgend welcher Verdacht auf Flucht vorliegt, ihn rücksichtslos einzusperren“,128 entspricht den seuchenpolitischen Standards, die auf der Grundlage der Koch’schen Typhus-Regeln „mit specieller Berücksichtigung der deutschen Kolonien“ (Plehn) entwickelt worden sind. „Dasselbe gilt von den Leuten, welcher in der letzten Zeit mit dem Kranken in Berührung gestanden haben“ (ibid.), also alle Kontaktpersonen, derer man habhaft werden kann. In erster Linie sind dies Angehörige und Mitbewohner der Erkrankten. Sie alle werden ‚rücksichtslos eingesperrt‘. „Bricht bei ihnen in der That die Krankheit aus, so werden sie sofort nach der Krankenabteilung herübergeschafft, andernfalls und wenn auch sonst ein Krankheitsfall im Quarantäneraum inzwischen nicht vorgekommen ist, werden sie nach 10 Tagen wieder in Freiheit gesetzt“ (op.cit.:116). Alle sind verdächtig und alle Verdächtigen fallen unter das Gesetz der „Aussperrung durch Einsperren“. Aber „alle“ sind nicht alle. Der „cordon sanitaire“ hat viele Schlupflöcher. Zwar glauben die Behörden, mit der Einstellung des Eisenbahn-Verkehrs für die III. Klasse hätten sie „die Zuwanderung von Chinesen der untersten Klasse für die ersten Tage verhin124 125 126 127 128
262
QDG B0001-005-57-8:3). Amtsblatt. (QDG B0001-005-57-8:4). QDG B0001-005-576-119). QDG B0001-001-351-151:3). Ibid. Im Pesthospital von Zhifu (Tschifu) werden wohl auch Influenza- und andere Erkrankte erfasst (QDG B0001-001-351-0151:3).
Gesund und krank in Qingdao
dert“. Doch die Chinesen, die nach den Neujahrstagen in die Stadt zurück möchten oder müssen, unterlaufen diese Maßnahme einfach. Sie wechseln in die zweite Klasse, und als auch das unterbunden wird, beobachten die Behörden die „Abwanderung in die I. Klasse und dadurch eine „Gefährdung der IKlasse-Passagiere“. Erst als sich der Mangel an chinesischen Arbeitskräften in der Stadt dramatisch zuspitzt, sieht sich das Gouvernement gezwungen, die Einreisesperre für Kulis wieder aufzuheben. ‚Selbstverständlich‘ muss auch der Exporthandel weitergehen, und die Güterzüge aus den verpesteten Gebieten rollen wie zuvor in den Bahnhof der Europäerstadt ein. Immerhin wird das – chinesische – Zugpersonal ausgetauscht und die Züge desinfiziert, bevor sie die Grenze passieren. Für die Großzügigkeit, mit der hier sehr gezielt die Sicherheitsvorkehrungen außer Kraft gesetzt werden, ist der massive Druck verantwortlich, der von der deutschen Kaufmannschaft auf die Politik in Qingdao ausgeübt wird. Einbußen im Exporthandel werden nicht hingenommen: Es „wird befürchtet“, dass „das mühselig nach Tsingtau gezogene Importgeschäft“ wieder nach Shanghai fließt und den Handelsstandort Qingdao schwächt.129 Damit wird die Gefahr in Kauf genommen, dass mit den Exporten der Pestfloh, der Vektor für die Pestbakterien, nach Deutschland eingeführt wird. Denn es ist bereits bekannt, dass beide Organismen in organischen Materialien wie im Haar chinesischer Frauen, das für die deutsche Perückenherstellung verschifft wird, lange überlebensfähig sind – eine Gefahr, die auch den Reichsgesundheitsrat in Berlin umtreibt.130 Handelsinteressen bestimmen auch die Sonderregelung, die für die besseren Chinesen von Qingdao (das heißt, für die Geschäftspartner) getroffen wird. Sie werden gebraucht. Und ebenso dringend werden die Geschäftspartner in Shandong gebraucht, auf deren Zuarbeit der ganze Warenverkehr für den deutschen Außenhandel beruht. „Ich [der Gouverneur- H.R.] hatte angeordnet, dass bessere und in geeigneter Weise legitimierte Chinesen durch die Quarantäne gelassen würden, wenn ärztlicherseits nichts im Wege stand“ (ibid.). Gegen eine Bürgschaft und einen Polizeistempel gibt es Passierscheine für sie. „Europäer und bessere Chinesen, die sich ausweisen können und unverdächtig sind, dürfen nach genauer Prüfung dieser Verhältnisse ausnahmsweise nach Tsingtau weiterfahren“. Dafür steht ein aufwendig isolierter und desinfizierter Pendelzug bereit. Eine zweite „Einlasstelle“ gibt es „nur bei Taitungtschen unter ärztlicher Kontrolle, nur noch gegen Passierschein“.131 Hier „durften nur Europäer herein und Chinesen mit Passierschein.“132 Ihnen bleibt das Quarantänelager erspart, 129 130 131 132
QDG B0001-001-352-61:11. Sitzung des RGR vom 14.2.11 (QDG B0001-001-357/11:13ff.). Alle Zitate: QDG B0001-001-351-0155:14. Alle Zitate: QDG B0001-005-576-119:13.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
263
sie dürfen die Quarantäne – verkürzt auf fünf Tage – in ihrer eigenen Wohnung verbringen.
4.2.3.2 „seuchenfrei“: Die Sprache der Macht, des Krieges und des Erfolgs „Tsingtau ist zurzeit dank schärfster Gegenmaßregeln nach Land- und Wasserseite seuchenfrei“133.
Trotz der vielen Zugeständnisse an die kolonialen Interessengruppen, die den Grenzwall durchlässig machen, – oder gerade deswegen – wird das Pestregiment mit machtvoller Rhetorik unterlegt. In bekannter bellizistischer Tonart wird „Kriegsbereitschaft“ bekundet. Der „Kampf mit der Pest“ als Schlacht „gegen den anrückenden Feind“ präsentiert, ist man „auf den Kampf vorbereitet“, „vorwärtsverteidigend“ leistet man der „Angriffsfläche der Seuche“ Widerstand, bis ein „unsichtbarer Feind“ „unschädlich gemacht“134 ist. Der Kampf wird „mit allen Mitteln“ ausgetragen, alles Handeln ist „energisch“, „kurz und durchgreifend“, die Überwachung“ und „Ausübung“ „scharf“, die „Durchführung“ „streng“. Überhaupt die Durchführung. Atmet „die Zähigkeit, die Unbeirrbarkeit, sogar die Härte der Führenden gegen sich selbst oder gegenüber den Geführten“. Signalisiert „weniger das ‚Ausführen‘ als das ‚Durchgreifen‘ der oft bemühten eisernen Faust“ und gibt dem Wort“ etwas Klirrendes“, das zu Waffenrock und Stiefel passt. Die von Gerhard Storz (1962:31, 33) im Wörterbuch des Unmenschen skizzierte Metaphorik der „Durchdringung“ im Sprachgebrauch des Dritten Reiches trifft auch auf seine Vorläufer im kolonialen und kriegerisch inszenierten Kontext zu, wo er sich die Sprachlandschaft teilt mit unterworfen, hermetisch, erforderlich, unbefugt, bestraft und anderen Metaphern der totalen – totalitären – Kontrolle und bürokratischen Machtvollkommenheit. Besonders schneidige Töne kommen aus Jinan. Der dort beschäftigte Marinearzt Kautzsch ist nicht nur bemüht, die Ausbreitung der Pest durch Absperrungen großen Stils durch den chinesischen Gouverneur Sun in Shandong zum Halten zu bringen, sondern auch die Gunst der Stunde zu nutzen, um eine „Stärkung des deutschen Einflusses auf den Gouverneur“ zu erreichen. Eine Koordinierungsstelle „Pestbureau“, die die chinesische Provinzverwaltung mit Unterstützung des deutschen Gouvernements einrichtet, um die Epidemie in Shandong unter Kontrolle zu bringen, scheint eine Chance dafür zu bieten. „Es liegt eventuell die Möglichkeit vor, den in Tsinanfu kommandierten Marinearzt bei dieser Gelegenheit [des ‚Pestbureaus‘] dauernd diese Stellung als 133 QDG B0001-001-352-32:6. 134 QDG B001-005-57-119.
264
Gesund und krank in Qingdao
amtlicher ärztlicher Berater und Leiter beim dortigen Gouverneur zu sichern (…)“.135 Obwohl Kautzsch – wie schon zuvor im chinesischen Provinzhospital136 – sich bereits jetzt als Leiter geriert, gelingt es ihm nicht, die chinesische Souveränität in dem Gremium und in der Pestpolitik zu erschüttern und eine biomedizinische Oberhoheit der Deutschen in Jinan durchzusetzen. Eine aggressive Selbstrepräsentation der deutschen Tätigkeit während der Pest soll verdecken, dass die chinesische Verwaltung von Jinan ihre Handlungsmacht auch in der existentiellen Krise verteidigt.137 Konsequent mündet das Narrativ des Kampfes in das Narrativ des Erfolgs. „Wir könnten es als ein glückliches Ereignis betrachten“, dass die Pest vor Tsingtau Halt gemacht habe, „ein Umstand, der nicht zum mindesten unseren Abwehrmaßnahmen zuzuschreiben sei“.138 Auch in den ländlichen Regionen des Pachtgebiets haben Bezirksamtmann und Arzt eine Überwachung „aufs Schärfste“ vorgenommen, sodass ihnen „kein Krankheitsfall entgangen“139 ist. Alle Berichterstatter heben sich als Urheber erfolgreicher Aktionen hervor, meistens als Sieger über den Widerstand einer trägen und widerspenstigen chinesischen Bevölkerung und Beamtenschaft. Als Kronzeugen werden Außenstehende zitiert, die als ‚unvoreingenommen‘ gelten, da sie nicht dem Gebot der Bescheidenheit unterliegen. Gouverneur Truppel zitiert den Chef des Ostasiatischen Kreuzgeschwaders mit der Aussage, dass die in Tsingtau getroffenen Maßnahmen in Hongkong und Shanghai allgemein als zweckentsprechend und mustergültig anerkannt [werden – H.R.]. Generalconsul von Buri in Shanghai wird bei Beratungen in zweifelhaften Fällen stets befragt, welche Massregeln für den betreffenden Fall in Tsingtau getroffen worden seien.140
Wertvoll ist auch ein privater Brief eines Missionars der amerikanisch-presbyterianischen Mission in Qingdao, der voll des Lobes ist: „no plague case has yet been able to harm the colony”. Seine Begeisterung über die mannigfachen Vorzüge des Quarantänelagers von Sifang stützt die Verwaltung gegen die chi135 Truppel am 25.03.1911 (QDG B0001-001-352-8:2). 136 Vgl. Kapitel 4.1.3.2. 137 Vgl. besonders den Erlass des Provinzgouverneurs Sun Paoqi vom 04.02.1911, der die Bedingungen der Kooperation formuliert (QDG B0001-001-352-189:10). Zum Kampf um die Souveränität im Vorgehen gegen die Epidemie in Nordostchina vgl. auch Gamsa (2006), Cheng Hu (2010) und Summers (2012:80ff ). 138 Wiedergabe einer Rede Truppels in der Sitzung des Gouvernementsrats vom 24. März 1911. Veröffentlicht im Amtsblatt 12, Jg. 21:2 (QDG B0001-005-57-80:2). 139 QDG B0001-005-57-119:12. 140 QDG B0001-001-352-122:2.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
265
nesische Kritik an der Quarantäne, zumal der Missionar sich auf die christliche Elite der chinesischen Kaufmannschaft beruft, die mit ihm zusammen das Lager besichtigt hat: From my own inquiries and from the testimony of these gentlemen I think that the Chinese of every class feel safe here, under your careful regime I am sure there is an increased feeling of gratitude among them. […] Dr Uthemann and his corps of physicians are faithfully and ably serving them.141
Für Jinan wird der Einsatz des Marinearztes Kautzsch hervorgehoben, der als „Seuchenvorposten“ schon immer von großem Wert gewesen sei und sich in der Pestgefahr ganz besonders „bewährt“ habe.142 Auch die „Sanierung des verseuchten Hinterlandes“, die ja „eigentlich“ Aufgabe der chinesischen Regierung gewesen sei, sei „aber in 1. Linie ausgeführt [worden] von europäischen Ärzten und unter diesen standen wieder die deutschen Ärzte in der vordersten Reihe“ (op.cit.:19). Das ist in den Augen des Gouvernements der Beweis für die „Bevorzugung des Deutschtums“ bei der Pestbekämpfung, die von der Provinzregierung „als Beweis der Fürsorge der deutschen Behörden für die chinesische Bevölkerung angenommen wurde“.143 Die Anerkennung durch die besseren Chinesen sei daher besonders wertvoll: Mit unvergesslicher Dankbarkeit werde ich immer daran denken, wie Eure Exzellenz beim Ausbruch der Pest in den Maßnahmen zur Abwehr der Seuche mit Rat und Tat durch Entsendung von Ärzten mich unterstützt hat und durch so zweckmässige Vorkehrungen vielen das Leben gewahrt wurde.144
Dieses Dankesschreiben des Gouverneurs von Shandong begleitet die Verleihung eines chinesischen Ehrenschirms für Gouverneur Truppel, eine Auszeichnung, die unter den Deutschen besonders hoch im Kurs steht. Auch Ehrenschirme, die von den Ortsältesten von Licun, Cangkou, Nüku, Shacikou und anderen Ortschaften des Landgebietes verliehen werden,145 gehen in das Erfolgsnarrativ ein.
141 Originalbrief an Truppel. E. Scott, Secretary of the American Presbyterian Mission Tsingtao (QDG B0001-005-00057-4:1). 142 QDG B0001-005-57-119:20. 143 QDG B0001-001-352-94:2–3. 144 Sun Paoqi vom 09.04.1911 (QDG B0001-001-125-004-6. 145 Übersetzt von Mohr 05.05.1911.
266
Gesund und krank in Qingdao
4.2.4 „Der Chinese scheut die Quarantäne und bleibt deshalb den abgesperrten Plätzen fern“ 146 4.2.4.1 Ausgesperrt – eingesperrt: Chinesen in der Quarantäne Ihr seid hier eingeliefert worden, um kontrolliert zu werden, ob ihr gesund oder pestkrank seid. Soweit wie möglich, sollen alle eure Wünsche erfüllt werden, wenn etwas nicht gewährt wird, so geschieht das zu eurem Besten. Anweisung für die Quarantänierten. gez. Wendt
Dass das drakonische Pestregime unmittelbar in der Krise dazu beigetragen hat, dass es in der Stadt keine Epidemie gegeben hat, soll nicht in Abrede gestellt werden. Was jedoch im Umgang mit einem lebensbedrohlichen und extrem dynamischen Epidemie-Geschehen als Erfolg zu werten wäre, ist nicht leicht zu entscheiden. Die Antwort liegt sicher nicht auf dem Feldherrnhügel, wo am Ende der Schlacht die Opfer gezählt und die Siege bilanziert werden. Der panoramatische Blick erfasst nur die Ferne: im „Über-Blick“ des Strategen über das Große Ganze erscheint nur „die höhere Aufgabe“. Er über-sieht das kleine Einzelne, den Nahbereich da, wo der einzelne lebendige Mensch sich bewegt. Über dem Auftrag, „mit allen Mitteln das vollständige Fernhalten der Seuche anzustreben“,147 wird der individuelle Mensch zum Pestfall. Seine Logiken des Überlebens stehen dem Auftrag im Weg. Sie beiseite zu schaffen, sind „(d)ie schärfsten, rücksichtslosesten Mittel (…) zur möglichst baldigen Ausrottung der Seuche gerechtfertigt“.148 Der Tod ist denn auch der wichtigste Verbündete der Krieger gegen die Pest. Mit seiner Hilfe bleiben die Verdächtigen im Wortsinn auf der Strecke, denn die besondere Giftigkeit des Erregers (…) hatte also das Gute, dass Erkrankte nicht allzu-weit gelangen und dass sehr viele über Land die Schantungbahn, die sie weiterbringen sollte, nicht mehr erreichten und nur so wenige über die Linie hinübergelangten.149
In den abgelegenen Dörfern erledigt sich der Ausbruch sozusagen „von selbst“, denn dort „wird das Aussterben ganzer Familien durch die chinesischen Volksanschauungen stark begünstigt, die es der Familie zur Pflicht machen, bei einem kranken Mitglied bis zu seinem Ende auszuharren (…)“.150 146 147 148 149 150
QDG B0001-001-352-61:7. QDG B0001-005-57-199:7. Von Mumm am 05.03.1911 über die Japaner (QDG B0001-001-352-32:7). QDG B0001-005-57-119:6. QDG B0001-001-352-61:7.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
267
Die „schärfsten, rücksichtslosesten Mittel“ bestimmen die Haltung, mit der die Ärzte in Qingdao im Einklang mit der Kolonialverwaltung die Bewahrung Qingdaos vor der Pest orchestrieren. Ohne Empathie registrieren sie das Schicksal der chinesischen Wanderarbeiter, die zwischen der Mandschurei und den südlicheren Provinzen als Kranke und Verdächtige in Zwangsquarantänen der russischen und der japanischen Militärverwaltung enden und sterben. Besonders die japanischen Zwangsmaßnahmen gelten als vorbildlich, denn sie basieren auf dem von Robert Koch entwickelten Präventionsprogramm, das ich in Abschnitt 4.1.2.2 skizziert habe. Auf dieser gleichen Grundlage beurteilen und planen auch die Ärzte in Qingdao die Pestabwehr für die Kolonie: in der Quarantäne liegt die einzige Rettung. In der Pestbaracke, im abgeriegelten Chinesenviertel einer Stadt, im sich selbst überlassenen isolierten Dorf, im Aussterben der Bewohnerinnen und Bewohner, verzehrt sich der Pestherd dann selbst und erlischt. Es ist das Eingeständnis ärztlicher Grenzen: „Soviel Sie thun können, um den Ausbruch einer Pestepidemie zu verhüten, so machtlos stehen wir dem einzelnen Krankheitsfall gegenüber“ (Plehn 1902:119). Das erleichtert die Organisation der Quarantäne: „Irgendwelche Pflege oder Fürsorge wurde den Kranken nicht zuteil; es war ja auch nicht nötig, denn sie hatten doch höchstens noch 48 Stunden zu leben“.151 Fürsorge für die Kranken und Verdächtigen ist in dem Konzept deshalb nicht vorgesehen. Die Quarantäne ist einzig ausgerichtet auf das Einsperren und Ausrotten des Erregers. Auch in Qingdao werden die Menschen in Quarantäne als gefährliche Einschlepper von der Außenwelt isoliert und in getrennten Baracken von Absperrzäunen „eingedrahtet“152. Überwachungsgänge in den Baracken erlauben nur eine „Augenverbindung“ des „Wartepersonals“ zu den Zellen und schließen den körperlichen Kontakt mit den Insassen aus. Ohnehin sind diese – chinesischen – Wachmannschaften sowie die Aufsicht führenden Ärzte in ihren überdimensionierten Schutzanzügen aus Ölzeug und hinter getränkten ‚Atemfiltern‘153 vor Kontakt zwar geschützt, doch völlig unnahbar und nicht einmal als menschliche Wesen erkennbar. Schutzimpfungen, wie sie Uthemann vorsorglich in viel zu großen Mengen154 für die europäische Bevölkerung bestellt hat, sind für die Internierten nicht vorgesehen: es ist zu wenig Impfstoff vorhanden, als dass Impfungen „auch auf Chinesen ausgedehnt werden könnte. Was bedeutet hier draussen aber den Meisten auch das Leben eines Chinesen“.155 „Hier draußen“ 151 QDG B0001-005-57-65. 152 Alle Zitate: QDG B0001-001-351-0155:12. 153 Die Anzüge werden in Jiaozhou – also außerhalb des Pachtgebiets – an chinesischen Totengräbern getestet und erst dann in Qingdao eingeführt. 154 Uthemann wird sich hierfür später umständlich rechtfertigen müssen. 155 QDG B0001-005-57-119.
268
Gesund und krank in Qingdao
– jenseits der medikalisierten Zivilisation – gelten andere Maßstäbe für die Bewertung von Menschenleben: Zu viele Menschen, zu viel Schmutz und Indolenz: eine Flut, der nicht zu helfen ist. Im Kontext der rassistischen ChinesenDiskurse, an denen auch Uthemann aktiv beteiligt ist, halte ich diese Deutung seiner Aussage für plausibel. In der Resignation, die darin auch aufscheint, finde ich auch keine ärztliche Empathie mit den Schutzlosen. Aus ihr spricht die Verlorenheit des Arztes, der heraustreten muss aus dem deutschen Schutzraum in das hoffnungslose „Hier draußen“, um seine Pflicht zu tun und dem Todfeind Paroli zu bieten. Die „schärfsten, rücksichtslosesten Mittel“ im Kampf gegen die Pest bestimmen das Auftreten gegenüber den chinesischen Menschen. Sie finden sich auch in den Organisationsplänen zur Quarantäne. Pflege und Versorgung soll den mit eingeschlossenen Angehörigen: („Müttern oder Ehefrauen“) überlassen bleiben. Wer und was nach Ablauf der Quarantänefrist das Lager verlassen kann, wird vorher einer Reinigung mit schärfsten Desinfektionsmitteln unterzogen. In den dringenden Ratschlägen, die Professor Martini, der Chef des Marinelazaretts, dem Provinzgouverneur von Shandong zur Umsetzung vorlegt156, finden sich radikale Zwangsmaßnahmen auch gegen die Angehörigen von Pesttoten: ihre Verteibung aus dem Wohnhaus, das unbewohnbar gemacht wird, das Verbrennen von Betten und Kleidern und das tiefe Vergraben von festen Särgen. Diese Vorgehensweisen gelten als die sichersten Mittel zur Ausrottung des Erregers und werden in der Mandschurei zur der Zeit schon flächendeckend praktiziert. Die Japaner hätten es vorgemacht, als sie mit dem „Niederbrennen ganzer Stadtviertel am Sungari (…) eingegriffen“157 haben, und der deutsche Konsul in Jinan fordert solche „Säuberungsaktionen“ durch die deutsche Infanterie, „um den Rayon der Schantungbahn und das unmittelbare Hinterland Tsingtaus pestfrei zu bekommen“.158
4.2.4.2 Gerüchte – die Waffe der Schwachen Das Echo auf eine Seuchenbekämpfung, die auf das Aussperren und Aussterben setzt und die Schwächsten der chinesischen Bevölkerung ihrem Schicksal überlässt, ist das Gerücht. Große Erregung rief das in chinesischen Zeitungen verbreitete Gerücht hervor, die Japaner versuchten durch Brunnenvergiftungen das Umsichgreifen der Seuche zu beschleunigen, ein lediglich der Verhetzung dienendes Gerücht, böswillig gestreut 156 QDG B00001-005-57-04. 157 QDG B0001-001-352-32:4. 158 QDG B0001-011-352-85-6.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
269
unter gänzlicher Verkennung der medizinischen Tatsache, dass Lungenpest überhaupt nicht durch Trinkwasser übertragbar ist.159
Dieses Gerücht erreicht auch Shandong und das Pachtgebiet. „Noch lange wird man in China hören, dass Fremde ein weißes Pulver, Gift, in die Brunnen geschüttet haben, und noch lange werden Einzelne als Opfer chinesischen Aberglaubens oder des nationalen Fanatismus fallen“.160 In den russischen Einflusszonen der Nord-Mandschurei geht das Gerücht um, dass die Russen ihre Patienten töten, um daraus Medizin für sich zu machen, weshalb sie die Epidemie überleben. Gleichzeitig ist dort die allgemeine Auffassung verbreitet, dass die Krankheit gar keine Epidemie, sondern eine Behauptung der Ausländer sei, die sich unter Berufung auf die Pest chinesisches Land aneignen wolle (Gamsa 2006:156f.). Auch über das aus allen Nähten platzende Quarantänelager in Sifang verbreiten sich schnell Geschichten: Denn „im Hinterland bis nach Tsinanfu hin“ redet man über die „Quarantänestation, über die die widersinnigsten Gerüchte in Umlauf waren. Es dauerte lange, bis diese Furcht sich gelegt hatte“.161 Es sind vor allem Geschichten über „die Behandlung in Syfang, hungers gestorben, Unterbringung in dunklen Kellern, 3maliges Abschrubben des ganzen Körpers mit kaltem Wasser“,162 die die Menschen aufbringen. Die Absperrungen in Qingdao erklären sich die Menschen damit, dass ein Krieg mit Japan bevorstehe (ibid.). Das Gerücht ist – unabhängig von seinem Inhalt – ein zeitloses Phänomen; immer schon und überall begleitet es Krisen, die den Betroffenen die Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten rauben. Gerüchte und Verschwörungstheorien sind „weapons of the weak“ (Paul Farmer). Die wissenschaftliche Untersuchung von epidemiologischem Krisenmanagement aus einer sozialanthropologischen Perspektive hat viel dazu beigetragen, Gerüchte in Krisenzeiten ernst zu nehmen. In dieser Perspektive wird das Gerücht gedeutet als subversiver Gegendiskurs, mit dem sich Marginalisierte gegen die Herrschenden wenden (Nations 2000:445), gerade in marginalisierten Gruppen in den armen Ländern des globalen Südens, die in epidemischen Krisen unter staatlichen Exklusionsstrategien leiden, während ihnen Aufklärung und Hilfe versagt wird. Imaginationen der Auslöschung sind Metaphern für Krisenerfahrungen. In den Gerüchten wird die Stimme derer hörbar, die kein Forum haben für ihre Not. Die Wanderarbeiter in Nordchina oder Qingdao, ihre Angehörigen in Shandong erleben nicht nur die Angst angesichts des Massensterbens. In her159 160 161 162
270
QDG B0001-001-352-32:4. QDG B0001-005-57-65:14. QDG B0001-005-57-119:22. QDG B0001-005-57-90:7.
Gesund und krank in Qingdao
absetzenden Diskursen und erniedrigender Behandlung erfahren sie ihre Stigmatisierung als Sündenböcke der Epidemie – ein zerstörerischer Angriff auf ihre Identität und ihre Würde gerade in einer Zeit, da sie am verwundbarsten sind. In der Mandschurei sind sie die ersten Opfer des Massensterbens, „welche fast ausschließlich unter den ärmsten Klassen der Bevölkerung vorkamen“, denn es werden „fast nur Leute aus den unteren Volksschichten, Arme und Verwahrloste, ergriffen”.163 „Soweit bekannt, sind auch in Schantung bisher nur Angehörige der ärmeren Volksklassen […] von der Pest befallen worden“.164 Ohne die familiäre und heimatliche Verwurzelung sind sie, allein in der Fremde, extrem verletzlich. Die katastrophalen Verhältnisse, unter denen sie in ihren Wanderarbeiterquartieren hausen, sind Folge ihrer extremen Armut. Die Mehrheit der Wanderarbeiter wird durch niedrige Löhne und gesundheitsgefährdende Versorgungs- und Wohnbedingungen ausgebeutet, aber sie nehmen dieses Leben auf sich, damit sie ihre verarmten Familien in der Heimat unterhalten können. „chiku nailao“, „ein bitteres Leben führen und aushalten“, gilt als Kardinaltugend der Aufopferung für die Familie (Gamsa 2006:156). In überfüllten Waggons unterwegs nach Shandong und in primitiven Unterkünften entlang der Bahnstrecke zusammengepfercht, eingesperrt in Quarantänelager und Sperrgebiete, sind sie für die Pest ein leichtes Opfer. Die Not wird größer. In der nördlichen Mandschurei entlässt die russische Eisenbahngesellschaft sämtliche chinesischen Arbeiter. Auch andernorts bringen die Absperrungen Einbrüche in das Wirtschaftsleben, werden Menschen arbeitslos, stockt die Grundversorgung. Und wieder sind es die Ärmsten, die der Pest schutzlos ausgeliefert sind, da sie lediglich als Träger der Totenbahren, bei den Leichenverbrennungen und Hausdesinfektionen, als Totengräber oder in den Pestlazaretten Beschäftigung und Lohn finden. Andere halten sich mit dem Handel von Kleidern Pesttoter oder mit den Prämien für bei den Verwaltungen abgelieferten Ratten über Wasser. Es sind die Armen, die in der Epidemie sterben. So erlebt die Bevölkerung von Nordchina die Katastrophe. Gerüchte und Verschwörungstheorien antworten darauf. In dieser kritischen Phase dringt die Obrigkeit, am rigidesten die der Ausländer165, mit gewaltsamen und gewalttätigen Eingriffen in das Leben der Armen ein und setzt ihre Überlebensstrategien außer Kraft. Gerade in der Krise stabilisieren die Logiken des Alltags und die ritualisierten kulturellen Muster der Bewältigung von Krankheit, Tod und Notlagen die Handlungsfähigkeit der 163 QDG B0001-001-352-0004. 164 QDG B0001-001-352-61:7. 165 Diese üben ihre Macht in den ausländischen Handelsniederlassungen aus, um die chinesischen Stadtverwaltungen unter Druck zu setzen.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
271
Menschen. Wie während der europäischen Ausbrüche von Pest und von Cholera sind auch in den chinesischen Pestgebieten die Praktiken zur Eindämmung der Pest mit den schmerzhaftesten Einbrüchen in den Totenkult verbunden. Eine an Anatomie und Chirurgie geschulte Medizin wie die westliche sieht in den Pesttoten lediglich ein gefährliches logistisches Problem. „Leichen machen Sie am sichersten unschädlich“ (Plehn 1902:117) durch Vernichtung: Namenlos in Massengräbern mit Ätzkalk übergossen und verscharrt oder in Flüsse gekippt, bergeweise verbrannt, und ohne Abschied entsorgt. Die unwürdigen Begräbnisse ohne die Rituale der Sterbebegleitung und der im chinesischen Ahnenkult so wichtigen Rückführung der Toten an die Stätte ihrer Ahnen sind ein tiefgreifender Affront gegen die Gefühle und die kulturelle Identität der Angehörigen. Medizinischer Ehrgeiz der westlichen Ärzte, auch der aus Qingdao, löst immer wieder Konflikte um Leichensektionen und medizinische Experimente an Kranken aus. Proben zum Nachweis von „Pestbeulen“ im bakteriologischen Labor von Qingdao sind begehrt, aber schwierig, wie der Betriebsarzt im Bergwerk von Fangzi, Prieur, beklagt: „Ich konnte auch Material entnehmen, jedoch nur aus der Mundhöhle, da sich beim Anblick des Messers großes Geschrei erhob, sodass ich von einer weiteren Entnahme absehen musste“.166 Auch der Reichsgesundheitsrat in Berlin bedauert die verpassten Möglichkeiten, da „in China große Abneigung gegen Leichenöffnungen behufs Vornahme von Sektionen“ besteht. Auch die „Erprobung neuer Heilmethoden“ sei unter chinesischen Verhältnissen nicht zu erwarten.167 Die Pietätlosigkeit, mit der die Privilegierten und ihre Obrigkeiten sich über kulturelle Rücksichten hinwegsetzen, bleibt den Menschen nicht verborgen. Es ist dieselbe Indifferenz, mit der sie die Massen aus den Sicherheitszonen aussperren und ihrem Schicksal überlassen. Selbsthilfe, gegenseitige Unterstützung, der Zusammenhalt der Lebenden und der Toten und die Verteidigung des Familienbesitzes als Existenzgrundlage gegen die staatlichen Konfiskationen zwecks Verbrennung waren auch in der Vergangenheit europäischer Epidemien immer wichtiger als ein abstraktes und von der Obrigkeit diktiertes Gemeinwohl, für das die Menschen ihre Handlungsfähigkeit abgeben sollen (Dinges 1995b:87). Schon für die Pestepidemie des frühneuzeitlichen Europa gilt die kollektive Solidarität, das heißt, in der Regel blieben die Familien zusammen, denn es gab noch andere starke Gefühle und Gefühlshaltungen außer der Angst. Zuneigung, Pflichtgefühl und Aufeinander-Angewiesen-Sein bewirkten in diesem Fall, dass die eigene Angst im Zaum gehalten wurde (Ulbricht 2005:108). 166 QDG B0001-001-351-181:10. 167 RGR 14.02.1911 (QDG B0001-001-357-11).
272
Gesund und krank in Qingdao
Auch deswegen ist die Angst vor den aussperrenden, einsperrenden Machthabern oft größer als vor der Pest selbst, und die Gerüchte sind ein Symbol des Dissens, ein Anzeichen dafür, dass die Menschen bereit sind, sich ihre Handlungsmacht wie auch immer zurückholen. Auch in Qingdao, das von der Pest verschont ist. Der Boykott der Pestvorschriften, die Verheimlichung von Krankheiten, die Flucht vor der Quarantäne, der Ausbruch aus Lagern, selbst die Leugnung der Epidemie, all das sind Formen des – passiven – Widerstandes und der Versuch, eine eigene Realität, Sinngebung und Handlungsfähigkeit gegen den Angriff von außen zu verteidigen. Für die ausländischen Peststrategen sind diese Manöver Warnzeichen eines offenen Widerstandes, die sorgfältig registriert werden. In Changchun in der Mandschurei brechen Unruhen aus; die Behörden sind „gegen die durch die Strenge der sanitären Maßnahmen hervorgerufenen Widersetzlichkeiten und Ausschreitungen der Bevölkerung machtlos“.168 Aus dem benachbarten Zhifu kommen beunruhigende Meldungen. Kulis, die aus Dalni kommend vor der Stadt interniert worden sind, sind aus dem Lager ausgebrochen. Die Krise spitzt sich zu: „Stillstand Handel und Schiffahrt, Aermere Bevölkerung brotlos. Unruhen in Aussicht. Sofortige abwechselnde Stationierung fremder Kriegsschiffe draussen auf Rhede notwendig. Chinesische Truppen oder Kriegsschiffe nicht hier und durchaus unzuverlässig“ (ibid.). Eine Woche später: „An den Verhältnissen hat sich nichts geändert; wir müssen Unruhen entgegen sehen und uns dagegen vorbereiten“, deswegen wird die Mobilisierung des Kreuzgeschwaders „nach Tsingtau und dringenden Falls nach Tschifu“ angefordert.169 Die Gerüchte, die über Qingdao kursieren, deuten darauf hin, dass sich die Behörden mit ihrem drakonischen Pestregime Probleme einhandeln. Chinesische Händler und Lieferanten kommen „aus Scheu vor der Unbequemlichkeit der Quarantäne“, von der sie „übertriebene Vorstellungen“170 haben, nicht mehr nach Qingdao, und auch die Wanderarbeiter verhalten sich abwartend. Statt der erhofften Rückkehr nach dem Frühlingsfest gibt es eine „starke Abwanderung von Kleinhändlern und Kulis“ aus der Stadt, auch da die Absperrungen „eine plötzliche Steigerung der Lebensmittel-Preise für Chinesen“ zur Folge haben. So macht sich ein empfindlicher Mangel an chinesischen Arbeitskräften bemerkbar, vor allem in den staatlichen Betrieben, aber auch beim Bau und Transportwesens, sehr zum Nachteil der „Kreise (…), die auf Arbeiterzufuhr aus dem Hinterlande angewiesen“ sind, was die Geschäftstätigkeit „sicher sehr verzögert“ hat.171 Dass die Arbeiter etwa in den Bergwerken von Fangzi und 168 169 170 171
QDG B0001-001-352-0004:2. QDG B0001-001-352-0004:2. QDG B0001-001-352-61:11. QDG B0001-005-57-119.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
273
Hongshan angesichts der Lebensmittelteuerungen versuchen, höhere Löhne zu fordern, ist ein weiterer Grund, die Situation durch ein Entgegenkommen zu entspannen. Der Boykott der Quarantäne, abfällig genug als „die nun einmal vorhandene Karantänescheu der Chinesen“ qualifiziert,172 zwingt das Gouvernement zu Aushandlungen mit den verachteten Kulis. Die Verwaltung richtet eine „Arbeiter-Sammelstelle“ ein. „Batou“, die Anführer von Arbeitskolonnen, „sammelten Arbeiter im Hinterlande und führten sie dieser Sammelstelle geschlossen zu“. Von hier aus werden sie „in besonderen Arbeiterzügen nach Syfang gebracht“ (ibid.). Um ihnen die erzwungene Quarantäne in der Baracke von Sifang schmackhaft zu machen, erhalten die mittellosen Arbeiter im Lager freie Verpflegung. Die Kosten werden von den deutschen Kaufleuten und den besseren Chinesen später „wieder eingezogen“ (op.cit.:8). In den chinesischen Vierteln wird der Reis zum Einkaufspreis „an kleine Leute“ abgegeben.173 Die Verwaltung veranlasst die „Verpflichtung einer chinesischen Großfirma zur Zufuhr von Lebensmitteln zu vom Gouvernement festgesetzten Preisen“ (ibid.). Jetzt erst, da die Stadt unter dem Arbeitskräfteausfall leidet, ist das Gouvernement bereit, die Bevölkerung durch „Aufklärung“ in Artikeln der chinesischen Presse in Qingdao und in Jinan in ihre Abwehrmaßnahmen einzubeziehen. Im ‚Gesundheitsbeirat‘ des Gouverneurs, in dem auch drei chinesische Honoratioren vertreten sind, wird eine Aufklärungskampagne beschlossen. Mit Unterstützung chinesischer „Vertrauensleute“ und von Angehörigen der Missionen sowie Ortsältesten des Landgebietes, „denen die Quarantänestation Syfang eingehend erklärt wurde“, soll den Gerüchten über die deutsche Quarantäne „durch Bekanntmachungen“ „der Boden entzogen“ werden. Ende Februar 1911 wird am chinesischen Hafen eine große Versammlung abgehalten. Gestern Nachmittag 3 Uhr bestiegen am kleinen Hafen mehrere Herren der Tsingtauer Beamtenschaft sowie von der deutschen und chinesischen Handelskammer die Rednertribüne und verbreiteten sich vor zahlreichem Publikum über Mittel und Wege zur Abwehr der Pestgefahr.174
Chao Tai Xing (Tschau Tay Hsing), Vorstandsmitglied der chinesischen Handelskammer, erklärt der Zuhörerschaft die herrschende Lage der Pestabwehr. Der deutsche Dolmetscher Michelsen erklärt die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen:
172 QDG B0001-005-57-8:4. 173 QDG B0001-005-57-90:7. 174 (QDG B0001-001-352-0001:1)
274
Gesund und krank in Qingdao
Das Nächste bei der Pestbekämpfung sei, die Krankheitsträger fernzuhalten. Wo diese hinkämen, da könne die Seuche ausbrechen Man hätte auf diese Einrichtungen viele Mühe verwendet, und wo es sich um die öffentliche Wohlfahrt handele, da scheue die Regierung keine Kosten. […]. Wenn Freunde und Verwandte nach Tsingtau kommen möchten, so sollten sie nur schleunigst herbeirufen. Den haltlosen Gerüchten dürfe man absolut keinen Glauben schenke. Alle Zuhörer klatschten in die Hände und riefen Beifall175.
Trotz Aufklärung und Armenfürsorge finden sich die Wanderarbeiter erst allmählich im Laufe des März wieder ein.
4.2.5 Die Pest ist ein Netzwerk 4.2.5.1 „Tsingtau des Handels und des deutschen Ansehens wegen seuchenfrei zu halten“ Oberstes Ziel der deutschen Peststrategie ist es, „das ganze Schutzgebiet überhaupt freizuhalten“ und daher „mit allen Mitteln das vollständige Fernhalten der Seuche anzustreben“.176 Dies sei „die höhere Aufgabe“ und dem Schutz Einzelner übergeordnet. Mit dieser Argumentation sucht der Gouvernementsarzt Uthemann die Politik der Absperrung gegen die massive Kritik deutscher Kaufleute in China und im Reich zu verteidigen, die sich gegen die Einschränkungen des Handels wehren. Es sei gerade im Interesse dieser gewesen, „Tsingtau des Handels und des deutschen Ansehens wegen seuchenfrei zu halten“. „Denn es würde sicher bei der Jugend des anstrebenden Konkurrenten [Qingdao – H.R.] den älteren Häfen des Ostens [Hongkong – H.R.] eine gewisse Genugtuung gewesen sein, ihm durch gegen ihn verhängte Quarantänen Schwierigkeiten zu machen (…)“. „Das gesteckte Ziel wurde erreicht“ und besiegelt den Triumph über die alten Rivalen: das britische Hongkong, das es nicht geschafft hat, die Beulenpest aus der Kolonie (1894) fernzuhalten, das von den Briten dominierte Shanghai, wo „viel geredet aber wenig gehandelt worden ist“ und das daher „so gut wie gar nicht vorbereitet“ ist auf die ersten mandschurischen Pestfälle von 1910.177 Aber nicht Partikularinteressen, sondern auch „das deutsche Ansehen“, kurz: das gesamte Projekt „Musterstadt“ steht auf dem Spiel: Aus der übergeordneten Warte des Strategen beherrscht „die höhere Aufgabe“ die Pestpolitik des 175 Alle Zitate: QDG B0001-001-352-0001:1 und 3. 176 Alle Zitate: QDG B0001-005-57-119:7. 177 QDG B0001-001-351-0155:1.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
275
Gouvernements. Es geht um den Erfolg des biomedizinischen Regimes, die Bewährungsprobe der überlegenen deutschen Kulturmission in der Krise. Die Bedeutung dieser Erzählung liegt weder darin, dass Qingdao von der Pandemie verschont bleibt, noch in der Behauptung, dass dieser Umstand ausschließlich dem deutschen Pestregime zu verdanken sei, wie sie beharrlich noch bis in die neuere Geschichtsschreibung über Qingdao (Fahnemann 2008) fortgeschrieben worden ist. Sondern die Bedeutung liegt in dem panoramatischen Blick, der nicht das Nahegelegene, das Einzelne erfasst, den kranken, den sterbenden Menschen, sondern über ‚das Große Ganze‘ der Schlachtaufstellung schweift. Die „höhere Aufgabe“ bedeutet: die Stadt gegen „den anrückenden Feind“178 zu verteidigen, gegen diese ungeheuren Menschenmassen, diese Flut von Pestträgern und Verdächtigen im Sturm auf die Insel der Gesunden. Die Entindividualisierung der Kranken und Sterbenden bereitet den Boden für die Dehumanisierung, die in dem Programm kulminiert, „den Feind“ „unschädlich [zu] machen“ (op.cit.:6). Mit der Entindividualisierung der Kranken geht paradoxerweise die Individualisierung der Epidemie einher, wenn die Ursachen für den Ausbruch mit dem defizitären Wesen und der falschen Lebensweise des Chinesen erklärt werden. So erscheinen Ansteckung und Erkrankung als persönliches schuldhaftes Versagen des Chinesen, für das die Krankheit die Strafe sei. Die Willkür dieses Konstrukts ist beachtenswert, denn über die Umstände des Pestausbruchs und die Verbreitungsmuster sind viele Daten bekannt. Dieses Wissen ist in die Abwehrkonzepte eingegangen, aber nicht in das Kausalitätskonstrukt. Im Widerspruch zu dem Wissen über die Pest lässt der Diskurs keine Schlussfolgerungen zu, die am reduktionistischen Krankheitskonstrukt und der medikalen Geographie der Pest rütteln könnten. Dabei ist diese chinesische Pandemie bestens geeignet, alle biomedizinischen Mythen über Epidemien und die ihnen zugeschriebenen Kausalzusammenhänge zu widerlegen.
4.2.5.2 Der Flügelschlag des Schmetterlings: Imperialistische Mobilität und Epidemie Die Pestepidemie breitet sich nicht aus, da „indolente Pestträger“ sie überall „einschleppen“ und alle „anstecken“ und „rückständige Beamte“ unfähig sind, sie daran zu hindern. Sie breitet sich aus als Folge der ökonomisch und politisch motivierten imperialistischen Intervention in China, die auf allen Ebenen krisenhafte Veränderungen auslöst. Ihre innere Triebkraft ist die entgrenzte Mobilität, die den Krankheiten den Weg ebnet. In den Adern der kolonialen Ausbeutung, den Eisenbahnen, fließt die Pest übers Land. 178 QDG B0001-005-57-119:6.
276
Gesund und krank in Qingdao
Eisenbahnen repräsentieren reale ökonomische Macht: Sie transportieren Rohstoffe – in der Mandschurei vor allem Kohle und landwirtschaftliche Produkte – und die Arbeitskräfte, die zur Rohstoffgewinnung gebraucht werden. Über die Vertragshäfen an der Ostküste sind sie eingebunden in den globalen Seehandelsverkehr. Auf chinesischem Hoheitsgebiet kontrollieren die Interventionsmächte entlang der Eisenbahntrassen militärische und politische Einflusszonen. Das Eisenbahnnetz ist die Kartographie des kolonialen Begehrens. Die Verbindungslinien zwischen allen Kontinenten schaffen das Netzwerk der Moderne aus Eisenbahn- und Schiffsverkehr, das der Imperialismus im Namen von „Fortschritt und Entwicklung“ um die Welt spannt und das alles mit allem zusammenbringt. Auch die Krankheiten. Indem sie Distanzen aufheben, vernetzen sie lokale Ökologien an weit auseinanderliegenden Punkten der Erde und greifen disruptiv in lokale Biologien ein. Die Pandemie in Nordchina ist ein Lehrbeispiel dafür. China ist erst spät in das Eisenbahnzeitalter eingetreten. Li Hongzhang, führender Außenpolitiker des Reiches, begründet 1891 „The Imperial Railways of China“. Das chinesische Unternehmen soll den Anschluss Chinas an die Moderne bewirken und seine Selbststärkungspolitik unterstützen. In welchem Ausmaß der Bau der Bahnlinien in jeder Hinsicht alte – natürliche, territoriale und sozio-ökonomische – Grenzen einreißt und dem andringenden Imperialismus das Land noch weiter öffnet, wird schnell deutlich. Die Mandschurei wird zum Schauplatz rivalisierender russischer und japanischer Expansionsinteressen. 1899 nimmt Russland die „Transsibirische Eisenbahn“ bis Chita in Sibirien in Betrieb (1915 fertiggestellt bis Wladiwostok). Um seinen kolonialen Expansionsanspruch auf die Mandschurei zu untermauern und eine kürzere Verbindung zum Pazifik zu schaffen, wird die „Chinese Eastern Railway“ (CER, fertiggestellt 1903) quer durch den nördlichen Teil der Mandschurei gebaut. Von Harbin zweigt eine Trasse über Changchun und Shenyang (Mukden) nach Süden ab. In Shenyang führt die eine Linie nach Dalian (Dalni/Dairen), das Russland als eisfreien Hafen beansprucht. Dieser Schritt ruft Japan auf den Plan, das seinerseits Anspruch auf die Mandschurei erhebt und diesen im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 weitgehend durchsetzen kann. Die Südverbindung von Changchun bis Dalian wird als „South Manchurian Railway“ (SMR) vollständig, d.h. ohne chinesische oder andere Beteiligung von Japan, in Besitz genommen und 1911 mit der Eisenbahn des damals japanisch okkupierten Korea verbunden. Die zweite Linie führt von Shenyang nach Tianjin (Tientsin); von Tianjin führt eine Linie weiter nach Beijing (Peking), die englischdeutsche „Tientsin-Pukou-Bahn“ verbindet den Norden mit dem Jangtsekiang in Mittelchina. In Jinan, der Hauptstadt von Shandong, trifft die „TientsinPukou-Bahn“ auf die deutsche „Schantung-Bahn“, die in Qingdao endet. Ein Netzwerk der Expansion und ‚Erschließung‘, der Penetration für die imperia-
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
277
listischen Interessen ist entstanden. In diesem Netzwerk entgrenzter Mobilität reist die Pest ungehindert mit. Unmittelbarer Auslöser der Epidemie ist die Kommerzialisierung der Pelztierjagd im großen Stil. Sibirische Pelze sind in Europa ein begehrter Luxusartikel, und ein kaufkräftiges Bürgertum schafft eine wachsende Nachfrage. Der lukrative Pelzhandel heizt die Pelztierjagd an. Etwa 10.000 chinesische Wanderarbeiter aus Shandong sind im Transbaikalgebiet als vergleichsweise gut bezahlte Jäger und in der Pelzindustrie beschäftigt. 1910 beschließt ein russischer Unternehmer, im großen Stil die Jagd auf sibirische Murmeltiere aufzuziehen, deren Fell („Tarbaganer“) dem teuren Zobel ähnelt. Das sibirische Murmeltier („marmota sibirica“, mongolisch: „Tarbagan“) ist das Objekt des Begehrens. Mit Hilfe von in Deutschland entwickelten und produzierten Anilinfarben gelingt es, aus billigeren Tarbaganfellen Imitationen von Luxuspelzen herzustellen. Damit werden neue Käuferschichten für den florierenden Pelzmarkt in England, Russland, Deutschland und den USA erschlossen.179 Das Tarbagan ist der Wirt für den Pestfloh, den Vektor für das Pestbakterium „Yersinia Pestis“. Die erfahrenen tungusischen Jäger Sibiriens, die das Tier traditionell bejagen und auch als Fleischlieferanten nutzen, wissen um die Übertragung des Erregers und wie man sich davor schützt. Dieses Wissen wird in ritualisierten kulturellen Praktiken überliefert.180 Die zugewanderten chinesischen Jäger haben keinen Anteil daran. Durch ihren unbedarften Umgang mit den erlegten Tarbagan infizieren sie sich mit Yersinia pestis. Die Kommerzialisierung der Jagd hebt die Grenze zwischen den einsamen Jagdregionen und den dichtbesiedelten Handelszentren auf – mit fatalen Folgen, denn damit gelangt die Bubonenpest (Beulenpest) in die mandschurischen Städte, wo sie sich schnell in Lungenpest umwandelt und verbreitet. Die europäische Nachfrage nach unechten Zobelmänteln ist einer der „Schmetterlinge“, die den „Wirbelsturm“ am anderen Ende der Welt auslösen. Jeder ökonomische und infrastrukturelle Wandel ist mit der Verschiebung großer Bevölkerungsgruppen verbunden. Diese wird heute als der wichtigste Einzelfaktor für die Verbreitung von Infektionskrankheiten betrachtet (Inhorn 2000:41). Jede Bevölkerungsbewegung löst Verschiebungen des ökologischen Gleichgewichts aus. Epidemien haben immer schon Wanderungsbewegungen, Kriege, Eroberungen und Handel begleitet. Aber erst der Imperialismus und Kolonialismus des 19. Jahrhunderts ist verantwortlich dafür, dass die Mobilität von Gütern und Menschen – auch durch den globalen Export von Zwangsund Wanderarbeitern für den globalen Bedarf an Arbeitskräften – die weltweit 179 Allein auf dem Londoner Pelzmarkt werden 1905–06 1,6 Millionen Felle umgesetzt (Summers 2012:119). 180 Das ist schon 1890 in „Brehms Tierleben“ nachzulesen.
278
Gesund und krank in Qingdao
verstreuten „disease pools“ (McNeill) im globalen Maßstab zusammenführt. Schiffe und Hafenstädte sind schon lange berüchtigte Knotenpunkte in diesem Netz. Doch die modernen Transportmittel zu Wasser und zu Land hat diesen Kontaktschluss enorm beschleunigt. Über die Bahnlinien des 19. Jahrhunderts treten die Epidemien in den Austausch mit dem Inneren der Länder und Kontinente, je weiter die ‚Erschließung‘ wirtschaftlicher Interessenzonen voranschreitet. Heute sind „Tigermücke“ und „Ebola“ die Metaphern für das weltumspannende Netzwerk der Epidemien, das seitdem immer enger geknüpft ist. Diesen Zusammenhang verschleiert der Pestdiskurs, der nicht nur in Berlin und Qingdao, sondern auch in internationalen Konferenzen geführt wird181. Obwohl die Verantwortlichen die Bedeutung der Eisenbahn für die Ausbreitung der Pest klar erkennen, wird sie in den Erklärungen über die Kausalzusammenhänge unterschlagen. Denn Maßnahmen gegen die Pest dürfen den Eisenbahnverkehr auf keinen Fall einschränken. Der Druck kommt von Seiten des Handels, der sich durch die „Möglichkeit einer schweren Schädigung der Handelsinteressen in Schantung und Tsingtau“182 bedroht sieht: Es „wird befürchtet“, dass „das mühselig nach Tsingtau gezogene Importgeschäft“ wieder an Shanghai „zurückfällt“.183 Die deutschen Kaufleute und Konsuln in den Niederlassungen der Vertragshäfen sowie die deutsche Schantungbahn kämpfen für die Aufrechterhaltung des Bahnverkehrs. Allerdings immer im Rahmen ihrer nationalen Kolonialinteressen; deutsche Forderungen nach Einschränkung der Mobilität für die Dauer der Epidemie richten sich immer nur an die Adresse der Konkurrenz: die russischen, die japanischen und die englischen Bahnlinien. Die nationale Konkurrenz verhindert internationales Handeln gegen die über alle Grenzen reichende Gefahr.184 Daraus ergeben sich Konsequenzen für die deutsche Präventionsstrategie: Der „Eisenbahnverkehr sei möglichst aufrecht zu erhalten, nur scharf zu kontrollieren und längs der Bahn zuverlässige Absperrmaßnahmen gegen Kranke und Verdächtige einzurichten“.185 Der Preis für die Mobilität des Handels ist die Exklusion der Wanderarbeiter, die ihrem Schicksal überlassen bleiben. Die Rechtfertigung dafür liefert der Reichsgesundheitsrat in Berlin: Die chinesische Kultur sei einfach noch nicht in der Moderne angekommen und versage 181 Dieser Diskurs prägt die Auseinandersetzungen in Qingdao um die Beschränkungen des Handels, die Sitzungen des Reichsgesundheitsrates in Berlin und die internationale Pestkonferenz in Mukden. 182 QDG B0001-351-181:5. 183 QDG B0001-001-352-61:11. 184 Erst im Nachhinein versucht die Internationale Pestkonferenz in Mukden, zu der die chinesische Regierung einlädt, durch einheitliche Standards den nationalen Egoismen ein gemeinsames Handeln entgegenzusetzen. 185 QDG B0001-001-352-6:3.
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
279
gegenüber den Anforderungen, die moderne Technologien wie Eisenbahnen an die Menschen stellten; die Rückständigkeit Chinas sei deshalb verantwortlich für die Ausbreitung der Pest über das Eisenbahnnetz. „Die schwere Form, unter der die Pest in der Mandschurei auftrete, sei auf die schlechten sanitären Zustände, insbesondere auf die mißlichen Wohnungs-Verhältnisse daselbst zurückzuführen“,186 sodass die auf engem Raum zusammengedrängte „Eingeborenen“ sterben. Viereinhalb Millionen Tote in Indien während der Pest 1901/02, in den europäischen Truppen dagegen „so gut wie keine Pestfälle“: All dies zeige, „was man durch verständige Maßnahmen zu erreichen vermöge“. Diese auf Sündenbock-Stereotypen beruhende Interpretation reduziert die Komplexität der Pest auf die eine Ursache „schuldhafter“ Lebensführung. Damit rückt sie noch einmal zurecht, was die Kausalitätskonstruktionen des Pestdiskurses in Frage stellen könnte, damit niemand aus einer kritischen Beobachtung der Pandemie unerwünschte Schlussfolgerungen ziehen und Gegendiskursen Argumente liefern möge. Die ökologischen Verschiebungen im Gefolge der modernen Mobilität stellen nur eine Ursache im komplexen Ereignis „Epidemie“ dar. Auch die soziale und kulturelle Dimension von „Krankheit“ bzw. „Krankheitsursache“ wird durch die Pest-Pandemien deutlich. Die Entwertung von lokalen Wissensordnungen über Krankheit durch die Verdrängung der indigenen sibirischen Jägergesellschaften aus der Pelztierjagd zeigt, wie sehr die Dimensionen ineinandergreifen. Auch das Phänomen „Wanderarbeit“ gehört in diesen Kontext. Die imperialistische Intervention der Jahrhundertwende hat die schon früher ausgelöste politische und ökonomische Krise Chinas verschärft. Die Wanderarbeit ist die Folge der Intervention. Bauern verlieren in der Krise die landwirtschaftlichen Subsistenz und sind auf das Angebot von Lohnarbeit angewiesen, das die kapitalistische Wirtschaft ins Land bringt. Wanderarbeit wird durch die Nachfrage nach Arbeitskräften im dünn besiedelten Nordosten Chinas ausgelöst und konzentriert Menschen in großem Stil weit entfernt von ihren Heimatprovinzen. In ihrem Gefolge wird der soziale Umbruch vertieft. Wanderarbeiter sind extrem verwundbare Gruppen. Entwurzelt und abgeschnitten von ihren familiären Solidaritätsnetzen, leiden sie am stärksten unter den Ausbeutungsbedingungen von Armut, Abhängigkeit und härtester körperlicher Arbeit unter prekären Wohn- und Lebensverhältnissen. Das macht sie außerordentlich anfällig für Krankheit. Ausgerechnet sie werden für die Pest verantwortlich gemacht. Die Stigmatisierung und die soziale Isolierung, die damit einhergehen, sind zerstörerisch. Sie greift die Identität und die Selbstachtung der Individuen an und damit die Resilienz, also die zur Krisenbewältigung nötigen physischen und psychischen Ressourcen. Deshalb sind die Wanderar186 Reichsgesundheitsrat am 14.02.1911 (QDG B00001-001-357-11:28).
280
Gesund und krank in Qingdao
beiter regelmäßig die ersten und die am schlimmsten getroffenen Opfer der Epidemie. Das biomedizinische System der Pestabwehr bietet ihnen nicht nur keine Hilfe, sondern versagt ihnen den elementarsten Schutz vor der Katastrophe. Die monströsen Gesichtsmasken und Schutzanzüge, in denen westliche Ärzte und Hilfskräfte an den Kontrollposten entlang des Eisenbahnnetzes der Mandschurei und Nordchinas den Bahnreisenden gegenübertreten, symbolisieren die Funktion dieses Personals: unnahbare und mitleidlose Vollzugskräfte einer kalten Selektion nach ethnischen Kriterien und der Absonderung derer, die pauschal und doppelt – als Chinesen und als Arme – verdächtig sind, feindliche Pestträger zu sein.
4.2.5.3 „Wo bleibt der Mensch?“ Die biowissenschaftlichen Prinzipien der Pestabwehr ähneln einander in allen Einflusszonen der europäischen und japanischen Interventionsmächte. Die militärisch gesicherte Überwachung der Mobilität der Wanderarbeiter und die Kontrolle der unter den Generalverdacht gestellten Einwohner nehmen den Menschen ihre Autonomie und Selbstbestimmung gerade in der Zeit der Not, in der sie auf ihre Alltagslogiken und ihre kulturellen Muster und die sozialen Strukturen der Krisenbewältigung angewiesen sind. Die Konflikte, die ausbrechen, wo chinesische Menschen die Maßnahmen der Kolonialverwaltungen in allen europäisch kontrollierten Vertragshäfen zu unterlaufen suchen, deuten auf das Ringen der Menschen um ihre Autonomie und die Würde der Kranken und der Gesunden hin. Auch die deutsche Präventionspolitik ist geprägt von dem ethischen Grundproblem, das die Biomedizin mit dem Kranken hat. Erst 100 Jahre später, im Jahr 2003, hat die Forderung, Gesundheit als allgemeines Menschenrecht zu verankern, offizielle Anerkennung durch die WHO (die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen) gefunden. Diese Forderung basiert auf der Anerkennung der Autonomie des Menschen und seiner grundlegenden Freiheitsrechte. Zwar stellt der Ausbruch einer so bedrohlichen Infektionskrankheit wie der Lungenpest eine Ausnahmesituation dar, die Einschnitte in diese Rechte unerlässlich macht, aber die in Qingdao verfolgten Präventionsstrategien entspringen nicht der Panik des Augenblicks – die gibt es auch in der Stadt –, sondern den biomedizinischen Strukturen, die mit dem biomedizinischen Gesundheitswesen im Deutschen Reich korrelieren. Die Pandemie wird als Bewährungsprobe dieser Strukturen angesehen. In der konzentrierten Mobilisierung aller präventiven Ressourcen ist gut erkennbar, auf welchen Prinzipien das biomedizinische Regime beruht (siehe Kapitel 4.1). Im Gegensatz zu einer holistischen Auffassung vom gesamten Organismus, vom Zusammenwirken von Körperzellen und Mikroorganismen, von physischen und psychischen Prozessen und der Interaktion des Organismus mit der Um-
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
281
welt tritt der Mensch in der naturwissenschaftlichen Reduktion des Lebens auf messbare, sichtbare, objektivierbare physikalische Vorgänge nurmehr als „Träger objektivierbarer Zeichen“ (Maio 2012:113) in Erscheinung. In einem Krankheitsausbruch verschiebt sich die ärztliche Aufmerksamkeit vom Menschen auf die messbare Ursache: auf die Erreger. Das ganze komplexe Ereignis Krankheit und die Selbstheilungsmöglichkeiten und -strategien der Patienten – und ihrer pflegenden Angehörigen – sind so aus dem ärztlichen Handeln ausgeblendet. Das gilt in besonderem Maße für die frühe Bakteriologie. Eine medizinische Heilung pestinfizierter Menschen ist 1911 ausgeschlossen. Damit scheiden die chinesischen Unterschichten als Patienten von vornherein aus; eine ärztliche Betreuung oder Begleitung von möglichen Erkrankten während der Quarantäne ist nicht beabsichtigt, wie die Quarantänelager und -regeln zeigen. Die ärztliche Aufgabe wird ausschließlich im Schutz der Gesunden vor den Kranken gesehen. Für die Einweisung in die Quarantänelager in Qingdao verläuft die Identifizierung der Kranken und der Gesunden in den diskursiv und infrastrukturell eingefahrenen Bahnen: verdächtige Chinesen und „Verpestete“ versus gesunde „Weiße“, denen auch die besseren Chinesen zugeschlagen werden. Das biomedizinische Krankheitskonstrukt, die Stigmatisierung der Chinesen und die Dämonisierung des chinesischen Raumes wirken zusammen und verhindern die Suche nach alternativen Wegen für die Bewältigung der Krise. Stattdessen soll die ärztliche Deutungsmacht selbst über das Pachtgebiet hinaus kompromisslos durchgesetzt werden. Das betrifft nicht nur die biomedizinische Wissensordnung, die gegen die traditionelle chinesische Medizin und ihre Ärzte in Stellung gebracht wird. Da der biomedizinische Blick den Zugang zur Komplexität von Krankheit versperrt, werden auch die humanitären Möglichkeiten eines komplexen Umgangs selbst mit hochinfektiösen Krankheiten nicht erkannt. Dass es diese Möglichkeiten gibt, lehren die Erfahrungen der Ebola-Pandemie, die zwischen 2013 und 2016 in Sierra Leone, Liberia und Guinea herrschte. Die Gefahr, die von Ebola ausgeht, ist vergleichbar mit der der Lungenpest. Doch die Krisenstrategien zeigen, dass sich ein Perspektivwechsel vollzogen hat. Zwar wird auch dieser Ausbruch von stereotypen Diskursen der Stigmatisierung der Menschen, der Dämonisierung des Pathogens und seines Ursprungs ‚im afrikanischen Busch‘ und der Abschottung der Metropolen begleitet. Erschwerend kommen die strukturellen Bedingungen hinzu, unter denen sich die Epidemie ausbreiten und festsetzen kann: Die Lebensbedingungen der schwächsten, anfälligsten Bevölkerungsgruppen, unzureichende Infrastrukturen und im Besonderen fehlende medizinische Schutz- und Versorgungsstrukturen, lassen sich während der Krise nicht ändern. Doch die medizinanthropologischen Erkenntnisse über die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes auch der Kranken und der lokalen kulturellen Formen von Krisenbewältigung
282
Gesund und krank in Qingdao
und Selbststärkung auch bei lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten haben einen Perspektivwechsel und einen humanitären Umgang mit Patienten eingeleitet. Der ethische Anspruch der ärztlichen Fürsorge hat nicht nur die Eindämmung der Epidemie im Auge, sondern nimmt die Sorge um die Erkrankten in den Quarantänelagern und den Schutz der vulnerablen Bevölkerungen in den betroffenen Regionen ebenso wichtig. Eine humanitäre und kultursensible Sicht stellt die Menschen in den Mittelpunkt. Sie ebnet den Weg für eine Beteiligung der Opfer und der Gefährdeten am Kranksein und an der Heilung. Sie erkennt, dass eine komplexe Antwort auf das komplexe Krankheitsgeschehen darin besteht, die Menschen, die lokalen Wissensordnungen und die lokalen sozialen und kulturellen Systeme der Krisenbewältigung in die ärztlichen Maßnahmen einzubeziehen. In den Ebola-Gebieten war das Bemühen um Transparenz in den Quarantänelagern einer der Schritte in Richtung Teilhabe der Betroffenen; Transparenz der Vorgänge hinter Zäunen und Zeltwänden und unter den undurchschaubaren Schutzkleidern des medizinischen Personals sollte den Angehörigen und lokalen Gemeinschaften die Ängste nehmen und grassierenden Verschwörungstheorien den Boden entziehen. Angehörigen wurde ein geschützter Zugang zu den Insassen der Quarantäne geschaffen, damit sie die Heilung – oder das Sterben – begleiten konnten187. Und dann gibt es noch die Ebola-Ambassadors: Sie sind Überlebende, die von ihren Gemeinschaften als „Überträger“ oder sogar als „böswillige Übeltäter“ stigmatisiert oder ausgeschlossen wurden und in Graswurzel-Reintegrationsprogrammen zu Symbolen des Empowerment aufgebaut werden. Die Botschaft lautete: „Der Mensch ist stärker als Ebola, er kann die Krankheit überwinden. „ Diese Maßnahmen gehen im Idealfall über die stereotypen Forderungen nach ‚Aufklärung der ignoranten Eingeborenen‘ weit hinaus. Sie bedeuten „Empowerment“, das heißt: die Stärkung von „Selbstermächtigung“ und „Handlungsfähigkeit“ der Schwachen sowie der durch Armut und Ausschluss von Ressourcen und Chancen Marginalisierten in den marginalisierten Peripherien der Welt. Ein Vergleich der Pest 1911 und Ebola 2016 wäre unsinnig – der damalige medizinische Handlungsspielraum lässt sich mit den heutigen Möglichkeiten und Erkenntnissen nicht vergleichen. Eine Frage jedoch werfen beide Ereignisse auf, die Frage, die seit langem an die Biomedizin und an die biomedozinisch verwaltete Gesellschaft gerichtet wird: „Wo bleibt der Mensch?“
187 Vgl. FutureLearn Online-Programme Ebola (2015).
Diskurse und Raumbilder über die nordchinesische Lungenpest-Pandemie von 1911
283
284
5. SCHLUSS Die Pest hat die Kolonie nicht erreicht. Doch wie ein Brennglas bündeln die wenigen Wochen der Krise das, was die symbolische Ordnung von Tsingtau ausmacht. In der Mobilisierung sämtlicher Ressourcen für die Abwehr der Pandemie – der militärischen und institutionellen wie der ideologischen – treten die kolonialen Raumkonstruktionen und die biomedizinischen Machttechnologien zu ihrer Erhaltung besonders deutlich in Erscheinung. Das Gouvernement schreibt den glücklichen Ausgang der Krise sich selbst zu. Die Verantwortlichen betrachten ihn als Ergebnis ihrer Strategie und Maßnahmen, und so ist er in die Geschichtsschreibung über die Kolonie eingegangen: als Erfolg des deutschen Abwehrkampfes, als Sieg über chinesische Indolenz und Rückständigkeit, als Bewährungsprobe kolonialer und hygienepolitischer Handlungsmacht. Die Raumkonstrukte und Kausalitätsannahmen der Bakteriologie mit ihren Feindbildern und dem kriegerischen Szenario scheinen bestätigt. Das Erfolgsnarrativ soll verhindern, dass diese Konstrukte in Zweifel gezogen werden. Die Vorstellung „urbaner Inseln der Reinheit und Hygiene“ in einem „chinesischen Meer der Verpestung und Verseuchung“ ist eine für die diskriminierte Mehrheitsgesellschaft fatale Fiktion, die das Gouvernement mit den anderen Interventionsmächten in China teilt. Das vielschichtige Zusammenwirken sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Dimensionen dessen, was Leben und Sterben ausmacht, das Zusammenwirken physischer und psychischer Faktoren von Resilienz und Vulnerabilität, die Frage, was Krankheit eigentlich sei: All das bleibt in den Reflexionen über die Pandemie ausgeblendet. Dabei wird gerade über die Lungenpest in der Mandschurei unablässig Wissen produziert. Doch es wird von vornherein in den Dienst des bakteriologischen Kausalitätsmodells gestellt, sodass das Konstrukt „Infektionsraum“ durch die erhobenen Daten nicht erschüttert wird. Obwohl die Migrationsbewegung und die Rolle der Eisenbahnen für die Verbreitung der Pandemie im Zentrum der Überwachung und Beurteilung stehen, werden sie nicht als Faktoren im System „Krankheit“ gesehen, da sie weder ins bakteriologische Krankheitsmodell noch in die Interessenpolitik imperialistischer Intervention in China passen. Doch ist es die imperialistische Intervention selbst, die die schrankenlose globalisierte Mobilität in das Land trägt und die Strukturen von Entgrenzung, Entörtlichung und Vernetzung schafft, die der Pandemie den Weg bereiten. In der Arbeitsmigration tritt diese Mobilität am deutlichsten in Erscheinung. Die Adern der Mobilität, die Schiffsrouten und Eisenbahnlinien, setzen Menschen, Orte, Tiere, Güter aus allen Kontinenten miteinander in Beziehung. Auch Städte sind Elemente globalisierter Strukturen der Interaktion, besonders aktive Elemente überdies, und widerlegen das Konstrukt hygienischer Autarkie.
Schluss
285
Qingdao ist das beste Beispiel dafür, wie die Stadt in lokale und überregionale Netze integriert ist. Aus dem chinesischen Umland wird die Stadt mit Lebensmitteln versorgt, die Wasserversorgung wird dem Haipo-Fluss entnommen, die Wanderarbeiter verbinden die Dörfer der Provinz mit dem Pachtgebiet, die Hafen- und Handelsstadt ist über das Eisenbahnnetz und die globalen Schiffsrouten mit entfernten Lokalitäten und der Welt vernetzt. Für die Ökologie der Epidemie ist es von entscheidender Bedeutung, dass Mensch, Tier und Pathogen Elemente in diesem Netzwerk sind und Mobilität ihre Beziehungen untereinander bestimmt. Die Wirkungsweisen des Netzwerks, in dem sie zusammenhängen, sind nicht beherrschbar und in vieler Hinsicht zerstörerisch, denn jede Bewegung löst Veränderungen in den komplexen Beziehungen innerhalb des Netzwerks aus. Die Pandemie ist ein Symbol für diese Zerstörungskraft. In der Epidemie bildet sich die Interaktion von ökologischern politisch-ökonomischen und sozial-kulturellen Prozessen unmittelbar ab. Der Seuchendiskurs der noch jungen Bakteriologie biologisiert diese Zerstörungskraft als apokalyptische Gewalt einer ‚indifferenten Natur‘ (Wald 2008:41), in der es nur um den Kampf ums Dasein geht. Diese Reduktion der Ursachen von Krankheiten und epidemischen Katastrophen reduziert die Handlungsmöglichkeiten auf eine einzige Option: die Beherrschung der Natur und Naturgewalten durch die Naturwissenschaften und die von ihnen entwickelten Instrumentarien. Die Epidemie wird zu einem Problem technischen Managements gemacht. Die Krankheit selbst und der Mensch darin sind in diesem Konstrukt nicht repräsentiert. Stattdessen richtet sich die Energie von Verwaltung und Gesundheitswesen auf die Vernichtung des Bakteriums. Aber es gibt kaum ein Mittel, „Yersinia pestis“, das Pestbakterium, direkt zu bekämpfen: Weder Medikamente noch Impfstoffe, allenfalls allgemeine Mittel zur Desinfektion. Nur dann ist das Bakterium vernichtet, wenn der Wirt, der kranke Patient, stirbt und die Bakterien keinen neuen Wirt finden können. Man muss ihnen also ‚den Weg abschneiden‘. Das ist die bakteriologische Perspektive auf die Pandemie. Dem Bakterium kann man den Weg nicht abschneiden, aber ihren Wirten, den Pestträgern und Verdächtigen. Eine gnadenlose Aussperrung von Zehntausenden chinesischer Wanderarbeiter aus den hygienischen Inseln der Sicherheit, denen der Weg in ihre Heimatdörfer ‚abgeschnitten‘ wird, damit sie das Land nicht ‚verpesten‘ können, die Einsperrung tausender von Verdächtigen in Quarantänelager, die Einschließung von chinesischen Siedlungen mit Pesterkrankten – das ist die Strategie zur Vernichtung des Bakteriums, mit der die europäisch-japanischen Interventionsmächte in ihrem Einflussbereich und weit darüber hinaus in Nordchina die biomedizinische Intervention gegen die Pandemie durchzusetzen versuchen. Die deutsche Präventionsstrategie im Pachtgebiet baut auf den gleichen – von Robert Koch für den Umgang mit Cholera-Epidemien aufgestellten – Grundsätzen auf. Die Arbei-
286
Schluss
ter werden zunächst aus der Stadt und vom Eisenbahnverkehr ausgesperrt, und als sie der Wirtschaft als Arbeitskräfte fehlen, in die Quarantäne gesperrt. Über 500 Jahre nach dem Hochziehen der Zugbrücken in Europa gegen die Pest hat die bakteriologische Biomedizin noch keine andere Handlungsmöglichkeit entwickelt als das der Aussperrung all der bereits stigmatisierten Verdächtigen und der Einsperrung in die Quarantäne. Das wirft viele Fragen auf. Sie werden nicht gestellt, da die Reduktion auf das Erregermodell einfach ist. Außerdem klärt es die Schuldfrage, die in der emotionalen Bewältigung einer Katastrophe immer eine zentrale Rolle spielt: wer ist verantwortlich (zu machen) für das Schreckliche? Der biomedizinische Hygienediskurs behält sich die Antwort auf diese Frage vor. Das martialische Krankheitskonstrukt des feindlichen Einfalls wird auf die medikale Geographie der Umwelt übertragen. Danach gibt es einen per se gesunden Raum. Das ist das Reich der Hygiene. Und es gibt den Infektionsraum, das Herrschaftsgebiet der Keime und Bazillen. Die Beziehung zwischen gesundem Raum und Infektionsraum ist definiert als unversöhnliche Binarität und feindselige Grenzüberschreitung: die Infiltration des Abweichenden zur Zersetzung des Normalen. Die Mediziner können den gesunden Raum daher nur durch eine entschiedene Grenzziehung und ‚Kampf mit allen Mitteln‘ vor dem Angriff retten. Das geschieht in den Präventionsstrategien gegen die Pest und andere gefährliche Infektionskrankheiten wie der Cholera oder des in Qingdao grassierenden Darmtyphus; das geschieht durch ‚strengste Maßregeln‘ zur Durchsetzung von hygienischen Standards im Machtbereich der Biomedizin. Die Grenzziehung setzt voraus, dass beide Räume erkennbar und unterscheidbar sind und der Grenzverlauf sichtbar wird. Die Visualisierung der Differenz markiert die Räume als binäre Gegenpole. Diskurse schreiben den gesunden Raum den am höchsten entwickelten Kulturen, d.h. den Europäern zu. Sie sind vertreten durch die sauberste und gesündeste Stadt in ganz Ostasien: Tsingtau, die Europäerstadt von Qingdao. Der Infektionsraum ist der endemische Raum des Anderen. Die Anderen, das sind die ‚da draußen‘: die Migranten, die chinesischen Wanderarbeiter aus der Mandschurei, die Wanderarbeiter in den Chinesenvierteln von Qingdao, die Kulis aus Shandong. Wie das Bakterium dringen sie von draußen in den gesunden (Volks-)Körper ein und schleppen die Krankheit ein. Die Chinesen sind die Bazillenträger, gefährlicher noch: Verdächtige, in deren Körpern sich die Bazillen unerkannt verbergen. Verdächtig sind sie alle. Der Krieg, der gegen das Bakterium geführt wird, ist der Krieg gegen den Bazillenträger. Man muss seiner habhaft werden, um ihn aus dem ‚sicheren‘ Raum auszuschließen und dann in der Quarantäne einzuschließen. Aussperrung und Einsperrung sind der Kern der biomedizinischen Seuchenpolitik. Dem Hygienediskurs ist die Aufgabe zugewiesen, die Verdächtigen zu identifizieren. Europäische Hygienediskurse, die in Schmutz- und Urbanisie-
Schluss
287
rungsdiskursen des 18. Jahrhunderts wurzeln und im naturwissenschaftlichen 19. Jahrhundert mit biomedizinischen Körper- und Krankheitsdiskursen verflochten werden, konstruieren die Merkmale der Unterscheidung zwischen den Gesunden und den Kranken, dem gesunden Raum und dem Infektionsraum – der Reinheit und des Schmutzes. Die Diskursfigur des schmutzigen Chinesen soll die unüberbrückbare Differenz der Angehörigen der niederen Rassen und Kulturen markieren, die ihn vom hochstehenden Kulturmenschen trennt. Der defizitäre Andere ist der Spiegel, in dem „homo hygienicus“ sich selbst als Gegenteil und Mitglied der überlegenen Rasse und Kultur erkennt und abgrenzt. Mehrere miteinander verschränkte Diskursstränge schreiben dem chinesischen Volk eine ‚Rasseeigenschaft‘ evolutionärer, sozialer und kultureller, geistiger und materieller, politischer und ökonomischer Rückständigkeit zu. Die Zuschreibung begründet, wer und wie der Chinese sei und warum er unbedingt und auf unabsehbare Zeit dem biomedizinischen Hygieneregime der deutschen Kolonie unterworfen werden müsse. Das macht die Hygiene nicht nur als Machttechnologie bedeutsam; die chinesische Bevölkerung wird auch zum medizinischen Experimentierfeld gemacht. Krankheiten und vor allem exotische Infektionskrankheiten sind nützlich für die medizinische Wissensgenerierung. Sie tragen den Ärzten sowie dem Deutschen Reich wissenschaftlichen Ruhm ein, und dienen der Ausarbeitung und Verfeinerung von Präventionsstrategien, die auch in Deutschland zur Anwendung kommen. Die Hauptaufgabe, die den Ärzten zugewiesen wird, ist nicht die Krankenfürsorge, sondern der Schutz der Kolonie vor Einschleppung von Krankheiten durch die Chinesen. Ein überproportional großer Stab von Militärärzten in der ‚Ärztekolonie Kiautschou‘, wie sie deswegen auch genannt wird, repräsentiert im Dreiklang von Hygienikern, Kolonialadministration und Ingenieuren in Qingdao das Hygieneregime aus hygienischer Infrastruktur, institutionalisierter Gesundheitsüberwachung in der Europäerstadt und der Verfolgung ‚unhygienischer Lebensführung und -verhältnisse‘ unter den Chinesen. Ein Regelwerk aus Verfolgungs- und Disziplinarbehörden, regierungsamtliche Verordnungen und Strafrechtsbestimmungen und die Institutionalisierung von Kontrolle, Überwachung und Bestrafung machen die Hygiene zum Instrument der Disziplinierung der chinesischen Bevölkerung in der Hand der Macht. Der Hygienediskurs untermauert die segregierte Ordnung durch die Kategorie Schmutz als Merkmal der Differenz. Schmutz trennt: das Richtige vom Falschen, das Dazugehörige vom Devianten – das Eine: die Reinlichkeit und Reinheit des Zivilisierten, vom Anderen, dem kulturell defizitären Chinesen. Schmutz ist die symbolische Kategorie, die Ordnung schafft. Indem er die chinesische Bevölkerung als Quelle von Schmutz, Krankheit und Einschleppung und als Objekt kolonialer Kontrolle und Disziplinierung diskursiv festschreibt, lässt der Hygienediskurs nur eine einzige Handlungs-
288
Schluss
möglichkeit zu: die Exklusion der Chinesen durch eine physische Grenzziehung zwischen beiden Bevölkerungsteilen. Außer ein paar zu Bedeutung aufgeblähten Geländeformationen auf dem Areal der Stadt gibt es keine topographischen Merkmale, die einen Grenzverlauf anzeigen könnten. Aus ideologischen Gründen wird auf Mauern verzichtet: Die Gestaltung von Tsingtau als einer „musterhaften“ Stadt der Moderne fordert eine Stadt im Grünen und die Einheit mit der umgebenden Natur, mit Licht und Luft; das verbietet, sie in (‚mittelalterliche‘) Mauern einzuzwängen. Die Grenzen der Stadt sind symbolisch und werden durch Anordnungen im kolonisierten Raum hergestellt. Die Räume werden mit Bedeutung aufgeladen, die sich in Symbolen und symbolisch bedeutsamen sozialen Praktiken visualisiert und reproduziert. Die Teilung der Stadt in einen als ‚chinesisch‘ kodierten und einen als weiß, deutsch, westlichabendländisch-europäisch kodierten Raum ist der Versuch, kulturalisierte und ethnisierte, rassistisch und biologistisch begründete Differenz als Grundprinzip der Raumkonstruktion durchzusetzen. Planung und Bau der segregierten Stadt Tsingtau konstituieren gezielt und planmäßig einen Raum deutscher Selbstrepräsentation. Eine sorgfältig und aufwendig gestaltete Europäerstadt Tsingtau symbolisiert den Anspruch des Deutschen Reiches auf Macht und ‚Weltgeltung‘. Die Stadt wird gebaut als Vorbild für Fortschritt und Modernisierung, als Ausweis der zivilisatorischen und kolonisatorischen Überlegenheit der deutschen Kulturnation. Herausgekommen ist eine luxuriös ausgestattete Oase hygienischer und technologischer Infrastruktur und moderner Stadtgestaltung. Koloniale Privilegien sichern den deutschen Bewohnern die Befriedigung kolonialen Begehrens und die Selbstrepräsentation nationaler deutscher Identität und Zugehörigkeit inmitten einer übermächtigen – aber ausgesperrten – Fremde zu. Im binären Gegenüber wird die Chinesenstadt konstituiert. Sie wird gebaut als Ort der Kontrolle und Überwachung der „classes dangereuses“, nicht der Daseinsfürsorge, die doch der Staat des 19. Jahrhunderts als seine Hoheitsaufgabe reklamiert. Faktisch ist die angestrebte und behauptete Überwachung der zehntausenden Chinesen in überfüllten Wohnquartieren und ‚illegalen‘ Siedlungen unmöglich. Nur in den Zonen des Kontakts, wo Grenzen überschritten werden und die Distanz zwischen Deutschen und Chinesen regelmäßig aufgehoben ist, regieren Razzien und Inspektionen. Das trifft vor allem das Hauspersonal, dessen Überwachung und Disziplinierung den Privathaushalten überlassen ist, und Gruppen wie Rikschafahrer und Prostituierte. Im übrigen ist die Bevölkerung sich selbst und der Armut, dem Mangel und der drangvollen Enge in den marginalisierten Peripherien überlassen. Die sanitäre und hygienische Ausstattung ist rudimentär und primitiv und zielt nur auf Seuchenprävention. Die Gesundheitsversorgung der Chinesen ruht auf den christlichen Missionen und auf der internen sozialen und medizinischen Infrastruktur der chinesischen Gemeinde, zu der auch die chinesische Oberschicht von Qing-
Schluss
289
dao beiträgt. Die Kolonialverwaltung fühlt sich für den chinesischen Teil der Bevölkerung nicht verantwortlich. Die Soziale Frage, die Ursache der Verelendung, wird ausgeblendet beziehungsweise ethnisiert. In der diskursiven Repräsentation wird der Chinese zum hygienischen und rassisch-kulturellen Problem erklärt und aus der Komfortzone verbannt. Doch Selbst- und Fremdrepräsentation, die das Tsingtau-Narrativ bestimmen, sind Fiktionen. Eine Ökonomie des kolonialen Begehrens bindet den Kolonisierenden an den Kolonisierten als Ziel von Sehnsucht: an den besseren Chinesen als unverzichtbaren Handelspartner oder schwerreichen Investor, an die statusbildende Aufmerksamkeit durch die Qing-Elite des Reiches, an die Prostituierte (oder ‚Konkubine‘) und die allgegenwärtigen dienstbaren Geister von Kulis und Hausboys, die die koloniale Verfügungsmasse für die Bedürfnisbefriedigung sind. Das schlägt Breschen in die Mauern kolonialer Abschottung, die die „gated community“ schützen sollen, und öffnet in den transkulturellen Kontaktzonen hybride Räume der Grenzüberschreitung und kulturellen Vermischung. Dort und in den unterschiedlichen Gegenräumen von passivem und aktivem Widerstand, von Verweigerung, von unterlaufener Macht, von Selbstbehauptung eigener kultureller Identität und Praxis und von pragmatischer Aneignung kolonisierter Räume versammelt sich die chinesische Bevölkerung von Qingdao. In den Räumen kultureller Selbstbehauptung entzieht sie sich immer wieder der kolonialen Dominanz und stellt den deutschen Diskurs von Allmacht und totaler Kontrolle als Phantasma bloß. Wer die Anordnungen im Raum kontrolliert, übt Macht über Beziehungen und soziale Prozesse aus. Aber der bis heute wirkende Eindruck, das koloniale Qingdao sei das perfekt geratene Ergebnis eines außergewöhnlich guten Masterplans, beruht auf den Selbst- und Fremdrepräsentationen des TsingtauNarrativs. In den Raumkonstruktionen erkennen wir auch heute noch problemlos Anordnungen des Eigenen und des Anderen wieder. So erscheinen sie ‚natürlich‘ oder ‚selbstverständlich‘ und nicht hinterfragbar. Denn nach wie vor prägt ein dichotomes Weltbild die herrschenden Raumbilder: „Drinnen“ und „Draußen“, „Wir“ und „Die“, „Metropole“ und „Peripherie“, „Nord“ und „Süd“, „The West and The Rest“ sind geläufige Binaritäten, die benutzt werden, um Konfliktlinien zu definieren, Unvereinbarkeiten zu behaupten und Machtasymmetrien zu rechtfertigen. Während meiner Forschungsarbeit haben zwei Ereignisse Aufsehen erregt, in denen ich die Schlüsselthemen meiner historischen Analyse gefunden habe. Beide Ereignisse haben ein tiefes Erschrecken in Europa ausgelöst und wochenlang die Öffentlichkeit und die Medien beschäftigt; offenkundig berühren sie einen Nerv unserer Zeit. Das eine ist eine Ebola-Pandemie in Sierra Leone, Guinea und Liberia zwischen 2013 und 2016, das andere ist die „Flüchtlingskrise“ von 2015, der Exodus von Zehntausenden von Menschen auf der Flucht
290
Schluss
aus Krisen- und Kriegsgebieten. Bilder von Menschen, die im meterhohen Natodraht von Gibraltar hängen, um Einlass in die Festung Europa zu erzwingen, Bilder von überfüllten Booten Flüchtender auf dem Mittelmeer, Bilder von überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland und Italien: Die „Flüchtlingskrise“ wird zuerst als südeuropäische Katastrophe wahrgenommen, dann als „Flüchtlingswelle auf der Balkanroute“. Ohne die lokalen, zeitlichen und thematischen Spezifika der deutschen Koloniegründung in China, des EbolaAusbruchs in Westafrika und der Massenflucht nach Europa zu verwischen, sehe ich in der Auflösung sicher geglaubter Grenzen zwischen Metropolen und sogenannter „Peripherie“ strukturelle Gemeinsamkeiten. Migration und Pandemien sind, das hat die Geschichte der Kolonialstadt gezeigt, zentrale Felder, auf denen sich diese Auflösungen abspielen. Das koloniale Tsingtau als Insel von Wohlstand und Sicherheit hat seine Entsprechung in der Festung Europa von heute, beide verteidigt gegen einen ‚Ansturm‘ von außerhalb der europäischen Grenzen – das kann die Migrationsbewegung sein, aber auch die Pandemie – und beide getragen von der diskursiven Konstruktion eines Innen/Drinnen versus eines Außen/Draußen. Das Drinnen-Draußen-Konstrukt antwortet auf die zentrale Frage nach der Selbstverortung des Subjekts im Raum, sucht nach dem „Ich/Hier“ und „Du/ Dort“. Aber das Konstrukt ist nicht inklusiv, etwa durch die anerkennende Klärung einer zwischenmenschlichen Beziehung und einer Verständigung über die Ordnung und Aneignung gemeinsam beanspruchter Räume, nicht einmal durch Respektierung einer vielleicht unwillkommenen, aber faktischen wechselseitigen Abhängigkeit. Drinnen/Draußen ist konzipiert als Binäropposition. Aus ihr folgt ‚alternativlos‘ die Grenzziehung und die Sicherung des Eigenen, des Drinnen durch Ausschluss des Anderen, der das Draußen bevölkert. Feindselige Dichotomie ist das Ordnungsprinzip privilegierter Enklaven gegen den Rest der Welt. Es geht um Ansprüche auf und Zugang zu Ressourcen, um einen Verteilungskampf. Die Europäerstadt Tsingtau, die „gated community“ in der transkulturellen Metropole von heute, die Festung Europa (oder: Nordamerika) und die Stadt als Festung1 sind die Raumkonstruktionen, in denen sich die Privilegierten abschließen gegen die Ansprüche der Marginalisierten an den globalen Peripherien. Die Verteilungsgerechtigkeit als einer Kernfrage der globalen Beziehungen wird immer dringlicher. Als Antwort werden die symbolischen, physischen und institutionellen Mauern, die zur Verteidigung der Privilegien und der Machtverhältnisse in den Metropolen gebaut worden sind, immer höher gezogen und mit immer gewaltsameren Einsätzen verteidigt. Die Schutzsuchenden werden ausgesperrt, deportiert oder in Lager eingesperrt, ihre Fluchtwege blockiert, neue Grenzen vorverlegt, um die Menschen von den ei1
Die Stadt als Festung. In: Süddeutsche Zeitung 04.08.2017.
Schluss
291
genen Grenzen fernzuhalten, ausgelagert in andere Länder: An die Südküsten des Mittelmeers oder gleich in die libysche Wüste und das türkische Hinterland, die Überwachung und Zurückweisung von Flüchtenden und Infizierten nicht erst an europäischen Flughäfen, sondern schon bei der Ausreise, wie geschehen in den Ebola-betroffenen Ländern. Diese Abschottung gegen Menschen aus Krisengebieten und der Rückzug auf die eigene Insel der Sicherheit und des Wohlstands erinnert sehr an die Aussperrung der chinesischen Bevölkerung aus dem deutschen Tsingtau der Privilegien und an die drakonischen Krisenreaktionen während der Pestepidemie. Die Aussperrung von marginalisierten Menschen der Peripherien verweigert jede Verantwortung für alles, was sich draußen abspielt. Sie leugnet die globalen Interdependenzen und Interaktionen, mehr noch: die Verantwortung für die ökonomischen und militärischen Interventionen der „global players“ in den zu Peripherien des Imperialismus gemachten Regionen der Welt. Der globale Führungsanspruch der ‚westlichen Welt‘ als Trägerin der „Zivilisierungsmission“ – modern gewandet als „unsere westlichen Werte“ – hat sich selbst unterminiert. Und auch dies wendet sich gegen unsere eigene gesellschaftliche Ordnung: Mauern und Zäune um die „gated communities“ der Privilegierten bedeuten nicht nur die Absperrung gegen die Peripherie. Sie ist zugleich ein Akt der Selbsteinschließung in einen selbst geschaffenen Belagerungszustand. Der eingezäunte Raum wird zur „fearscape“ (Tulumello), einer raumgewordenen Verdichtung von Furcht2. Meterhohe reale oder symbolische Mauern, Stacheldrahtzäune und Barrikaden signalisieren Gefahr – Gefahr, die draußen lauert. Der Belagerungszustand nährt die Furcht: Es gibt Verdachtsmomente, also Grund zur Besorgnis. In den „fearscapes“ verdichtet sich das Gefühl: „Die oder Wir.“ Wer dazugehört und drinnen ist und wer die sind, die ausgeschlossenen Anderen da draußen, wird zu einem zentralen Sicherheitsthema und Anlass für immer mehr und immer schärfere und umfassendere Überwachungsmaßnahmen. Das eint die koloniale Musterstadt der Sauberkeit und Gesundheit und die Metropolen von heute. Wird der Traum von Allmacht durch Allwissenheit in Qingdao noch mit dem panoptischen Auge „sanitätspolizeilicher Revisionen“ verfolgt, scheint er als „dream of technological omniscience” (Graham 2011:XI) durch digitale Totalüberwachung heute schon wahr geworden. Die Verunsicherung in den „fearscapes“ verstärkt das Bedürfnis nach Erkennbarkeit der Bedrohung, nach einfachen Erklärungen. In der Europäerstadt von Qingdao 2
292
„Die Stadt als Festung“. In: Süddeutsche Zeitung 4.8.2017. Der Artikel zitiert Simone Tulumello (2017) mit seiner Studie Fear, Space and Urban Planning: A Critical Perspective from Southern Europe, Springer eBook Collection: Social Sciences. Springer International Publishing.
Schluss
leisten das die rassistischen Chinesendiskurse und die Hygienepolitik. Heute markiert die aufgeheizte Rede von Flüchtlingsströmen und islamistischem Terror den bedrohlichen Anderen. Selbst die Einschleppung der Gefahr durch heimliche, unerkannte Bazillenträger und Verdächtige kehrt in der Gestalt von heimlichen, unerkannten Gefährdern und Schläfern wieder. In die Dämonisierung der Ankömmlinge aus einem dämonisierten Draußen fügt sich die Angst vor dämonischen („heimtückischen“)3 Infektionskrankheiten aus dem Dunklen Kontinent nahtlos ein. Die Ebola-Pandemie in Sierra Leone, Liberia und Gambia ‚hat die Welt aufgeschreckt‘, wie eine Standardformulierung der Presse lautete. Plötzlich ist Westafrika ganz nah und führt uns vor Augen, wie verwundbar auch die scheinbar sicheren Zonen des Wohlstands und funktionierender Gesundheitssysteme sind. Die Erkenntnis, die der Ebola-Ausbruch den Gesundheitsminister Gröhe lehrt, „dass Gesundheit global gedacht werden muss“, enthält auch einen Subtext: die tödlichen Gefahren lauern im Draußen, können jederzeit eingeschleppt werden. Diese Botschaft senden auch die blauen Latexhandschuhe und Mundschutzmasken aus, die die Grenzbeamten, FrontexBesatzungen und Helfer tragen, wenn sie die Geflüchteten an den deutschen und europäischen Grenzen oder bei Rettungsaktionen auf dem Meer in Empfang nehmen: „Ihr schleppt die Gefahr zu uns ein; ihr seid nicht bedroht, sondern die Bedrohung.“ Die Bedrohung muss nicht manifest sein, im Gegenteil: Je mehr sie sich verborgen hält, desto überzeugender ist ihr Gefahrenpotential. Der Diskurs über den Anderen ist die Stimme des Ressentiments, die eine umso stärkere Abschottung und Ausgrenzung einfordert, je mehr das Bedrohungsgefühl sich intensiviert: ein Teufelskreis aus Verunsicherung und Aufrüstung der Metropolen. Die Stadt als Festung ist der Versuch, die Machtverhältnisse globaler und regionaler Asymmetrien zwischen Metropolen/privilegierten Zonen und Peripherien/Zonen der Ausgrenzung zu zementieren und abzuschließen gegen die transnationale globale Dynamik der Entgrenzung, die ein Produkt dieser Machtverhältnisse selbst ist. In Qingdao wird sie als Triumph der Moderne über chinesische Hütten aus Granit und Ziegel gebaut, für die Ewigkeit, in den heutigen Metropolen als „weaponized architecture,4 „Architektur als Waffe“ gegen die Marginalisierten, das sind die Betonbunker der Polizeistationen in den französischen Banlieus ebenso wie die armierten Bauten in den privilegierten Militärenklaven der internationalen Besatzer in Afghanistan oder dem Irak (ibid.). Sie gleichen sich. Sie sind das Symbol der Festung Stadt von heute. 3 4
Verkannt und heimtückisch – die ungebrochene Macht der Seuchen lautet der Titel eines Buches von Claudia Eberhard-Metzger (Basel: Birkhäuser 1996). Der Pariser Architekt Léopold Lambert in seinem Artikel „Die Stadt als Festung“, in: Süddeutsche Zeitung, 04.08.2017.
Schluss
293
Die Abschottung der Stadt der Privilegierten schließt offene Räume und verstößt damit gegen die Forderung nach „Öffentlichkeit als Vereinbarungsgrundlage des Urbanen überhaupt“.5 „Öffentlichkeit“ ist das Prinzip der Stadt und besonders der Stadt der Moderne. Sie bedeutet Bewegungsfreiheit und damit das Recht auf Zugang zu Ressourcen, auch den kulturellen und sozialen. Öffentlichkeit ist die Voraussetzung für die Partizipation handelnder Subjekte an den sozialen und politischen Prozessen des Gemeinwesens und also eine Grundfrage der Demokratie. Die Schließung öffentlicher Räume ist gleichbedeutend mit dem Ausschluss derer, denen diese Teilhabe an Entwicklungen und an Ressourcen verweigert wird. Einschluss und Ausschluss spalten die Stadtbewohner. Das gilt explizit und visualisiert durch Grenzzäune und „Security checks“ für die „gated communities“, als Zonen ausgelebten Reichtums und Luxus‘ in jeder Metropole der Welt errichtet, und im übertragenen Sinn für die Festung Europa und andere Inseln des Wohlstands. Das gilt aber auch für die unsichtbaren und symbolischen Grenzen, die die Stigmatisierten aus den öffentlichen Räumen fernhalten und an ihre Ghettos immer neu produzierter Chancenlosigkeit und ‚falscher Adressen‘ ketten. Die Stadt als Ort politischer Emanzipation und der freien Bürger ist seit Jahrhunderten ein Versprechen der Moderne. This observation illustrates the promise of the city and its potential to provide enabling geographical-political sites for the dissolution of hierarchical ethnic and class boundaries. Liberalism, which provides a conceptual basis for equal civil society (and hence for the possibility of alleviating ethnic discrimination) requires an open, porous residential space” (Yiftachel 2003:675).
Das Donnern der zuschlagenden Tore vor den gebauten und den symbolischen „gated communities“ dieser Welt ist der Hall des kolonialen Erbes, das dem 20. und 21. Jahrhundert von dem Projekt Tsingtau und den vielen anderen kolonisierten Räumen der ethnisierten Differenz und der rassistischen Exklusion hinterlassen worden ist. Und jedes zugeschlagene Tor nimmt dem offenen urbanen Raum ein weiteres Stück demokratischer Teilhabe.
5
294
So der Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann in seinem Artikel „Von der Wiederkehr der Verbotenen Stadt“, in: Süddeutsche Zeitung, 10.02.2014.
Schluss
QUELLEN I – UNARCHIVIERTE QUELLEN Quellen aus dem Archiv des Bauamtes Qingdao.
Zur Vorgeschichte dieses Materials: Die Akten der deutschen Gouvernements-Verwaltung sind nur unvollständig erhalten, denn der überwiegende Teil wurde 1914 vor der Kapitulation und Übergabe der Stadt an die japanische Armee von den Beamten vernichtet, um eine Übernahme durch Japan zu verhindern. Der Rest – ungefähr 15 Prozent des Bestandes – wurde nach Japan transportiert. Eine unbestimmte Anzahl von Akten entging der deutschen und der japanischen Aufmerksamkeit und wurde auf dem Dachboden des ehemals deutschen, dann chinesischen Bauamtes in der Daxue Lu, Qingdao, gefunden. Die Akten sind nicht registriert. Deshalb im Folgenden ein Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Quellen. Datum 01.01.1908– 30.06.1909
05.10.1906 10.10.1906 21.03.1908 21.03.1908 24.03.1908 25.03.1908 28.03.1908 31.03.1908 11.04.1908 13.04.1908 16.04.1908
Autor Bauarchiv (BA I) Gouvernement Kiautschou Akta betr. Sanitäre Angelegenheiten unter den Chinesen. der Fall Dschang-yüdschi Gouv Gouv’arzt, Koenig Podesta, IIISB Kommando 2/IIISB Kommando IIISB Timmermann Podesta IIISB Kommando IIISB Garnisonsverwaltg BehrensWeinl Gouv’arzt Martini Pinder Hochbaudir Straßer
Register Inhalt Ressort G, gelesen Jan. 2012 Abschnitt III. Nr. 11 Bo.2
5358 J 3235
1638 1682 2371 850 679
Abschrift Konflikt Ravinen Gutachten (Entfernung Ravinen) Eingabe Dschang-yü-dschi Keine sanitären Bedenken Verweis auf Martinis Ablehnung u entsprVerordng Schwere hygien. Bedenken Schließt sich an Festes Haus nein, Bude ja Härte
Quellen I – Unarchivierte Quellen
295
Datum oD 29.04.1908 01.05.1908
Autor Chinesenkomm Schrameier Gouv’arzt Martini Gouv – Klett
15.04.1908
Allgemeines Dr. Podesta
22.10.1908
Dirksen
29.10.1908 28.07.1908 10.08.1908 20.08.1908 26.04.1909
Verfügung Polizeiarzt Landesverwaltung Dirksen Wunsch
17.03.1909
Dr. Podesta
23.04.1909
Lutschewitz und weitere Vorgänge Gouv. 254 Gouv 689
27.05.1909 20.03.1908 Ab 01.05.1904
17.10.1898
Bauarchiv II Landesverwaltung Akta Steuersachen, Allgemeines Denkschrift über Steuerwesen Amtliche Bekanntmachung Amtliche Bekanntmachung Bekanntmachung Gouv
04.04.1899
Neitzel
oD 02.09.1898
Proklamation Verordnung Rosendahl
01.05.1904 22.09.1898 10.10.1898
296
Quellen I – Unarchivierte Quellen
Register 1996 1013 3024 Auch abgedruckt in: TNN 29.4.1908 G2533 5523B Br 1345 4152
Fach 8 Nr.33
Inhalt Festes Haus nein, provisorische Bude ja Bedingungen f Ort Genehmigung m Sonderbeding. Ärztlicher Jahresbericht für das Krankenhaus der Katholischen Mission in Tsingtau. Illegale Siedlung Hsian-pautau entfernen Choleraverdacht Lazarettgründung Keine Chinesenärzte! Cholera- und Typhus-Material Ärztlicher Jahresbericht für das Krankenhaus der Katholischen Mission in Tsingtau. Diphterieausbruch Tsimo Typhusverdacht Werft Bericht Faber-Hospital: Bauzustand
Landerwerb
Entwurf
Funktionsbestimmung Straßen Grenzpfähle, Proklamation Grenzsteine Chi. Widerstand gegen Ziegelei Grenzverlauf Vorkaufsrecht
Datum 19.09.1898 31.05.1898 01.07.1904– 30.06.1909 01.01.1904 oD oD
oD 01.08.1901– 31.12.1901
29.08.1901 15.10.1901 1.Juli 1904– 30.06.1909
30.10.1907
Autor G.K. Sonderkorrespondenz Verordnung Rosendahl Bauarchiv III Akta betr. Gouvernementsarzt G Allg. I RMA
Register OAL
Ärztliche Untersuchung Schiffsbesatzungen
Abschrift
Entwurf zur Denkschrift Kap.5 Entwurf zur Denkschrift Kap.5 Staatssekretär RMA 11/2739 Das Gesundheitswesen im Schutzgebiet Kiautschau, oA Bauarchiv IV Akta Garnisonsarzt Attest=Rapport=und Berichtwesen Ärztlicher Dienst 1901 IVa1 Bericht Peerenbohm Siebert Memorandum Bauarchiv V Bestimmungen über öffentliche Gesundheitspflege und Maßnahmen gegen Seuchen G Allgemein III1 TNN: Die Fliegen- und Mückenplage und ihre Bekämpfung
Inhalt Aufteilung der Stadt
Organisation und Kommandostruktur des Sanitätswesens Oktober 1902–1903 Oktober 1903–1904 Zurückweisung: namentliche Nennung von Autoren der Denkschriften hygienische Verhältnisse und Maßnahmen Atteste, Berichte, Todesfälle Gelesen Feb. 2012
Malaria-Ursachen Zusammenhang von Klima und Seuchen Akte nicht richtig geführt (nur ein paar Drucksachen) Gelesen Feb. 2012
3 Seiten ausgeschnitten und aufgeklebt
Quellen I – Unarchivierte Quellen
297
Datum 21.12.1906
Autor Register RMA, Allg. Ausführungsbestimmungen betr.: die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten v. 28.08.1905 (Ministerium f. geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten)
29.10.1907
04.06.1902
GArzt No. 3589 (Martini) Bekämpfung d. Fliegenplage Bauarchiv VI Akta Öffentliches Gesundheitswesen, Stadtbau, Abfuhr, Abwässerung GIIIb AIII (RMA) 1538 Zur Ableitung der Schmutzwässer durch die Regenwasserkanalisation U an G (Dr. Martin)
05.06.1902
G1351 an B
folgt
BVII (Bauverwaltung)
01.01.– 23.10.1902
30.04.1902
05.09.1902
AIII 3012 BIX an Gouverneur o.D. (Okto- 2422: Antwort Gouverber 1902) neur an AIII 26.10.1902 Dazu: Kommentar G Gutachterliche Äußerung zu dem Bericht des Gouvernments vom 10. Apr. 02 Br. 1297 BD betreffend Bevölkerungsdichte im Entwässerungsgebiet Rechtern (Geheim). Admiralitätsrat zu AIII 3021 BIX
298
Quellen I – Unarchivierte Quellen
Inhalt Hektographiertes Rundschreiben von RMA als Dienstanweisung am Kaiserliche Kommando-/Marinebehörden: Meldepflicht Zahlenstatistiken wöchentlich an Marinebehörde und Ortspolizei
Stellungnahme Regenwasserkanalisation und Pfütze Regenwasserkanalisation und Pfütze Schriftwechsel zu Pfützen in Straßen des Europäerviertels
QUELLEN II – ZEITGENÖSSISCHE SCHRIFTEN AUS UND ÜBER TSINGTAU Admiralstab der Marine (1903), Die kaiserliche Marine während der Wirren in China. 1900–1901. Berlin: Mittler u. Sohn. TsingtauTsingtau Asiaticus (1900), Die Kämpfe in China. In militärischer und politischer Beziehung. Berlin: Richard Schröder. Behme, Friedrich/Max Krieger (1906), Führer durch Tsingtau und Umgebung. Wolfenbüttel: Heckners Verlag. Berensmann, Wilhelm (1904), Wirtschaftsgeographie Schantungs unter besonderer Berücksichtigung des Kiautschougebiets“. In: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft 6 (8), S. 570–667. Berg, Anton (o. D.), Die preussische Expedition nach Ostasien; nach amtlichen Quellen. Berlin: Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei (R. V. Decker). TeilNachdruck durch den Ostasiatischen Verein Bremen. Betz, Heinrich (1911), Die wirtschaftliche Entwicklung Schantungs seit der Eröffnung Tsingtaus (1898–1910). Tsingtau. Bier, A. (1910). Gesundheitliche Volkshilfe als Mittel der Kulturarbeit in China. In: P. Rohrbach [Hrsg.], Deutsche Kulturaufgaben in China. Beiträge zur Erkenntnis nationaler Verantwortung. Berlin: Buchverlag der „Hilfe“. S. 67–70. Bökemann, Karl (Marinebaurat) (1913), Die Stadtanlage von Kiautschou. In: Koloniale Monatsblätter. Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft. 15. Jahrg. Berlin: Verlag der Deutschen Kolonialgesellschaft. S. 465–487. Bökemann, Karl (Marinebaurat) (1913), Über Wirtschaft und Verkehr in der Provinz Schantung. In: Koloniale Monatsblätter. Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft. Berlin: Verlag der Deutschen Kolonialgesellschaft, Jg. 15, S. 87–98, S. 126–144. Corbach, Otto (1903), Ein chinesischer Besuch in Tsingtau und seine Lehren. In: Koloniale Zeitschrift, Jg. 4, S. 64–68. Corbach, Otto (1904). Ein deutscher Marineoffizier über Tsingtau. In: Koloniale Zeitschrift, Jg. 5, S. 6–7. Crusen, Georg (1912). Tsingtau als deutsches Kulturzentrum. Vortrag vor der Vorstandssitzung der Deutschen Kolonialgesellschaft. Abgedruckt in: Deutsche Kolonial Zeitung, Jg. 29, H. 50, S. 817. Crusen, Georg (1913). Die rechtliche Stellung der Chinesen in Kiautschou. In: Zeitschrift für Kolonialrecht. Berlin: Verlag der Deutschen Kolonialgesellschaft, Jg. 15, S 4–17 und 47–57. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1898 bis Oktober 1899 (1899). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1900 bis Oktober 1901 (1902). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1902 bis Oktober 1903 (1904). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1903 bis Oktober 1904 (1905). Berlin: Reichsdruckerei.
Quellen II – Zeitgenössische Schriften aus und über Tsingtau
299
Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1904 bis Oktober 1905 (1906). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1905 bis Oktober 1906 (1907). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1906 bis Oktober 1907 (1908). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1907 bis Oktober 1908 (1909). Berlin: Reichsdruckerei. Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschou-Gebiets in der Zeit vom Okt. 1908 bis Oktober 1909 (1910). Berlin: Reichsdruckerei. Deutsche Kolonialgesellschaft [Hrsg.] (1899), Kleiner deutscher Kolonialatlas. Berlin: Reimer. Nachdruck 2003. Augsburg: Weltbildverlag. Deutsche Kolonialgesellschaft [Hrsg.] (1901), Kleiner deutscher Kolonialatlas. Berlin: Reimer. Deutsche Kolonialgesellschaft [Hrsg.] (1906), Deutscher Kolonialatlas. Berlin: Reimer. Deutsche Kolonialgesellschaft [Hrsg.] (1914), Deutscher Kolonialatlas mit illustriertem Jahrbuch 1914. Berlin: Reimer. Deutschland in China 1900–1901 (1902), Bearbeitet von Teilnehmern an der Expedition, illustriert von Schlachtenmaler Rocholl. Mit Beiträgen von Adolf Obst und Anderen. Düsseldorf: August Bagel. Die Deutsche Kolonialgesetzgebung. Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister / auf Grund amtlicher Quellen hrsg. von Gerstmeyer, Dr. Köbner. Berlin: Mittler, 1893–1910. 1.1892(1893)–13.1909(1910). Doflein, Franz (1906), Ostasienfahrt. Erlebnisse und Beobachtungen eines Naturforschers in China, Japan und Ceylon. Leipzig/Berlin: Teubner. Dove, Karl (1911), Die Deutschen Kolonien. Teil 2. Das Südseegebiet u. Kiautschou. Leipzig: Göschen. Eine Reise durch die deutschen Kolonien Band „Kiautschou“ (2008/1913). Reprint der Ausgabe von 1913. Kolonie und Heimat: Berlin. Nachdr.: Wolfenbüttel: Melchior-Verlag 2008. Faber, Ernst (1900), China in historischer Beleuchtung. Eine Denkschrift zu seinem 30jährigen Dienstjubiläum als Missionar in China. Berlin: Haack. (Flugschrift des Allgemeinen evangelisch-protestantischen Missionsvereins.) Fischer-Sallstein, Conrad (o.J. – nach 1900), Prinz Heinrich in Kiautschau; Reisen zu Wasser und zu Lande des Prinz-Admiral in Indien, China, Japan (1898–1900); Der reiferen Jugend erzählt. Berlin: Globus. Franke, Otto (1910), Wandlung im chinesischen Geistesleben, in: Rohrbach, Paul, Deutsche Kulturaufgaben in China. Beiträge zur Erkenntnis nationaler Verantwortlichkeit. Berlin, S. 34–53. Franzius, Georg (1898), Kiautschou. Deutschlands Erwerbung in Ostasien. Berlin: Schall und Grund. Fritsch, Theodor (1896), Die Stadt der Zukunft. In: Magnago Lampugnani, Vittorio (2014), Anthologie zum Städtebau. Bd. 2. Berlin: Mann. S. 215–221. Gast, P. (1900), Die Vermessungen in den Kolonien. In: Beiträge zu Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft. [Hrsg.] Deutsche Kolonialgesellschaft Berlin. Jg. I (1899/1900), S. 205–207.
300
Quellen II – Zeitgenössische Schriften aus und über Tsingtau
Gerstenberg, Hans (1900), Die Wegebauten in Tsintau. In: Beiträge zu Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft. [Hrsg.] Deutsche Kolonialgesellschaft Berlin. Jg. I (1899/1900), S. 128. Goldmann, Paul (1899), Ein Sommer in China. Reisebilder, Bd. 2. Frankfurt a. M.: Rütten & Loening. Hesse-Wartegg, Ernst v. (1898), Schantung und Deutsch-China. Von Kiautschou ins Heilige Land von China und vom Jangtsekiang nach Peking im Jahre 1898. Leipzig.: Weber. Hesse-Wartegg, Ernst v. (1900), China und Japan. Erlebnisse, Studien, Beobachtungen. Leipzig: Weber. Heßler, Carl (1908), Die deutschen Kolonien: Beschreibung von Land und Leuten unserer auswärtigen Besitzungen; nach den neuesten und besten Quellen bearbeitet. Leipzig: Lang. Hutter, Franz (1911), Das Überseeische Deutschland: die deutschen Kolonien in Wort und Bild; nach dem neuesten Stand der Kenntnis, Bd. 1. Stuttgart: Union Deutsche Verlagsges. Jahrbuch über die deutschen Kolonien. Essen: Baedeker, 1908–1914. Janson, August v. (1915), Tsingtau. Berlin: Mittler. Kaiserliches Gouvernement in Tsingtau [Hrsg.], Amtsblatt für das Schutzgebiet Kiautschou. Tsingtau. Bd. 1 (1900) bis 15(1914). Knak, Siegfried (1910), Die nationale Bedeutung von Missionsärzten in China. In: Mitteilungen des Berliner Vereins für ärztliche Mission und seiner Zweigvereine. 3. Jg. H. 5, S. 4–11. Knak, Siegfried (1910), Krankenbehandlung und Aberglaube in China. In: Mitteilungen des Berliner Vereins für ärztliche Mission und seiner Zweigvereine. 3. Jg, H. 6, S 5–9. Kraft, Heinrich (1960), Ostasiatischer Verein Hamburg-Bremen zum 60jährigen Bestehen. Ostasiatischer Verein Hamburg-Bremen e.V. Kronecker, Franz (1913), Fünfzehn Jahre Kiautschou. Eine kolonialmedizinische Studie. Berlin: Sonderdruck Deutsche Medizinische Presse. Krüger, Karl (2001), Von Potsdam nach Tsingtau. Erinnerungen an meine Jugendjahre in Uniform 1904–1920. Hrsg. v. Jürgen Krüger (Norderstedt) Hagener Weg 11. 27572 Bremerhaven (Books on Demand). Maercker, Georg (1898), Die Entwicklung des Kiautschou-Gebietes. Abdruck aus der Deutschen Kolonialzeitung. Berlin: Reimer. Maercker, Georg (1901), Die Entwicklung des Kiautschou-Gebietes. In: Deutsche Kolonialzeitung, Jg. 47, S. 464–465; 490; 503. Manteufel, Paul (1911), Beobachtungen bei einer Pestepidemie in Deutsch-Ostafrika. In: Archiv für Tropenmedizin. Heft IV, S. 114–120. Martin, Bernd, „Gouvernement Jiaozhou“ –Forschungsstand und Archivbestände zum deutschen Pachtgebiet Qingdao (Tsingtau) 1897–1914. Sonderdrucke aus der Albert-LudwigsUniversität Freiburg. https://freidok.uni-freiburg.de/data/2014 [Datum: 26.06.2012]. Martini, Erich (1911), Über eine chronische rotzartige Erkrankung beim Menschen und ihren Erreger. In: Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, Bd. 15, Jg. 1911, Heft 7, S. 205– 219. Michaelis, Georg (1898), Was ist Kiautschou wert? Vortrag, gehalten in Arnsberg vor dem ‚Wissenschaftlichen Verein‘ daselbst am 8. Juni 1898. Berlin: Reimer. Michelsen, Erich (1910), Ein Rückblick auf Tsingtaus Entwicklung. Vortrag. Abteilung Tsingtau der Deutschen Kolonialgesellschaft, 11.6.1910. Tsingtau: Adolf Haupt. Mohr, F. W. (1911), Handbuch für das Schutzgebiet Kiautschou. Tsingtau: Walter Schmidt.
Quellen II – Zeitgenössische Schriften aus und über Tsingtau
301
Mohr, F. W. (1928), Fremde und deutsche Kulturbetätigung in China. Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung. Müller, Alfred von (1901), Die Wirren in China und die Kämpfe der verbündeten Truppen. Teil III. Berlin: Liebelsche Buchhandlung. Navarra, Bruno (1901), China und die Chinesen. Aufgrund eines 20-jährigen Aufenthalts im Land der Mitte (Shanghai). Bremen: Nössler. Neubaur, Paul (1901), Betrachtungen zur Denkschrift 1899. In: DKZ, S. 83. Peerenboom, Oskar. Bemerkungen zum Beiheft 4, 1911, Kolonialhistorischer Rückblick über Tsingtau. In: Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, Bd. 15, Jg. 1911. Heft 23, S. 765– 767. Pieper, Richard (1900), Unkraut, Knospen und Blüten aus dem „blumigen Reiche der Mitte“. Gepflückt und zusammengebunden von R. Pieper, Missionar in Südschantung. Steyl: Missionsdruckerei. Plan von Tsingtau und Umgebung (1910), Tsingtau: Verlag Adolf Haupt. http://dibiki. ub.uni-kiel.de/viewer/image/PPN688145795/4/ [Datum: 25.03.2013]. Plehn, Friedrich (1902), Tropenhygiene: Mit specieller Berücksichtigung der deutschen Kolonien; ärztliche Ratschläge für Kolonialbeamte, Offiziere … 20 Vorträge. Jena: Fischer. Plüschow, Gunther (2008/1927), Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau. Neu-Isenburg: Wunderkammer-Verlag. Pöch, Rudolf (1911), Die geographische Verbreitung der Pest um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Petermanns Mitteilungen, 1911, Nr. 4. Richthofen, Ferdinand von (1898), Schantung und seine Eingangspforte Kiautschou. Berlin: D. Reimer. Rogge, Wilhelm (1901), China. Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg; Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik, hrsg. v. Joseph Kürschner. Leipzig: Hermann Zieger. Rohrbach, Paul (1910), Was steht für Deutschland in China auf dem Spiel? In: Rohrbach, Paul, Deutsche Kulturaufgaben in China. Beiträge zur Erkenntnis nationaler Verantwortlichkeit. Berlin: Buchverlag der Hilfe, S. 32–66. Rohrbach, Paul (1953), Um des Teufels Handschrift. Zwei Menschenalter erlebter Weltgeschichte. Hamburg. Scheel, Willy (1914), Deutschlands Kolonien in 80 farbenphotographischen Abbildungen Berlin: Weller. Scheibert, Justus (1903), Der Krieg in China 1900–1901 nebst einer Beschreibung der Sitten, Gebräuche und Geschichte des Landes. Bd. II. Berlin: Verlag A. Schröder. Schrameier, Wilhelm (1898), Denkschrift über eine Land- und Steuerordnung für Tsingtau, entworfen von dem Zivilkommissar Dr. Wilhelm Schrameier ( Juli 1898). Abgedruckt in: Matzat, Wilhelm (1998a), Neue Materialien zu den Aktivitäten des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier in Tsingtau. Zum 100jährigen Jubiläum der Tsingtauer Land- und Steuerordnung am 2.9.1998. Bonn: Eigenverlag, S. 8–14. Schrameier, Wilhelm (1914), Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer und Zollpolitik des Kiautschou-Gebietes. Jena: Fischer. Schrameier, Wilhelm (1915), Kiautschou, seine Entwicklung und Bedeutung: Ein Rückblick. Berlin: Curtius. Schumacher, Robert (1898), Kiautschou und die Ostasiatische Frage. Erlebnisse aus China und der japanischen Gefechtsfront. Berlin: Fußingers Buchhandlung. Schwabe, Kurd/Paul Leutwein (Hrsg.), Die deutschen Kolonien (1910), Bd. 2. Deutsch-
302
Quellen II – Zeitgenössische Schriften aus und über Tsingtau
Ostafrika – Kaiser-Wilhelmsland und die Inselwelt im Stillen Ozean – Samoa – Kiautschou. Berlin: Carl Weller. Seidel A. (1909), Deutschlands Kolonien: Koloniales Lesebuch für Schule und Haus. Berlin: Heymann. Semler, Rudolf (1939), Deutsche Stadt im Reich der Mitte. In: Wessel, Inge/C. R. Dietz, [Hrsg.], Deutsches Land in fernen Zonen. Ein Kolonialbuch für Jungen und Mädel. Leipzig: Abel und Müller. Tsingtau, Ende 1898. Vedute (1899), Digitale Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00039194-2 [Datum: 25.03.2013]. Uthemann, Walther/Karl Fürth (1911), Tsingtau, ein kolonialhygienischer Rückblick auf die Entwicklung des deutschen Kiautschou-Gebietes. In: Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, Bd. 15, Jg. 1911, Beiheft 4, S. 99–140. Verordnung des Gouverneurs von Kiautschou, Jaeschke, betreffend Chinesenordnung für das Stadtgebiet. (14.6.1900), In: Leutner, Mechthild/Klaus Mühlhahn [Hrsg.] (1997), „Musterkolonie Kiautschou“: Die Expansion des Deutschen Reiches in China. Deutsch-chinesische Beziehungen 1897 bis 1914. Eine Quellensammlung. Berlin: Akademie-Verlag. Verordnung des Gouverneurs von Kiautschou, Jaeschke, betreffend die Rechtsverhältnisse der Chinesen (15.4.1899), Anhang zum Marineverordnungsblatt 1899, S. XXV. In: Leutner, Mechthild/Klaus Mühlhahn [Hrsg.] (1997), „Musterkolonie Kiautschou“: die Expansion des Deutschen Reiches in China. Deutsch-chinesische Beziehungen 1897 bis 1914. Eine Quellensammlung. Berlin: Akademie-Verlag. Voskamp, Carl Johannes (1898), Unter dem Banner des Drachen und im Zeichen des Kreuzes. Berlin: Buchhandlung der Berliner Evangelischen Missionsgesellschaft. Warneck, Gustav (1900), Die chinesische Mission im Gerichte der deutschen Zeitungspresse. Berlin: Warneck. Wegener, Georg (1902), Zur Kriegszeit durch China: 1900/1901. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur. Wegener, Georg (1910), Das Kiautschou-Gebiet. In: Meier, Hans [Hrsg.], Das deutsche Kolonialreich, Bd. 2. Leipzig/Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts. S. 499–542. Weicker, Hans (1908), Kiautschou, das deutsche Schutzgebiet in Ostasien. Berlin: Schall. Wertheimer, Fritz (1913), Deutsche Leistungen und deutsche Aufgaben in China. Berlin: Springer. Wünsche, Alwin/Rudolf Hellgewe (um 1905), Tsingtau. Stadt und Hafen. Reihe: Land und Leben. Geographische Wandbilder in künstlerischer Ausführung. Serie Kolonialwandbilder Nr. 6. Zabel, Rudolf (2018/1902), Die deutsche China-Expedition von 1897. Reprint der Ausgabe von 1902. Bremen: EHVerlag. Zur Verth, Max (1910), Gesundheitliche Volkshilfe als Mittel der Kulturarbeit in China. In: P. Rohrbach [Hrsg]. Deutsche Kulturaufgaben in China. Beiträge zur Erkenntnis nationaler Verantwortung. Berlin: Buchverlag der „Hilfe“. S. 71–97.
Quellen II – Zeitgenössische Schriften aus und über Tsingtau
303
LITERATURVERZEICHNIS Ali, S. Harris/Roger Keil (2009), Networked Disease. Emerging Infections in the Global City. Blackwell Publishing. [Datum: 30.7.2016.] Ames, Eric [Hrsg.] (2005), Germany’s Colonial Pasts. Lincoln and London: University of Nebraska Press. Arnold, David (2002), Colonizing the Body. State Medicine and Epidemic Disease in Nineteenth-Century India. Berkeley: University of California Press. Artelt, Jork (1984), Tsingtau. Deutsche Stadt und Festung in China. Düsseldorf: Droste. Bächer, Max et al. (1989), Das Lilong-Haus – Massenwohnungsbau in Shanghai, RC. In: Baumeister Bd. 86, 8, S. 44–49. Ballin, Ursula, Protestantische Chinamission und Alltagsleben deutscher Missionare in Qingdao (Tsingtau), 1897–1914. In: Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin, S. 86–113. Barth, Boris/Jürgen Osterhammel (2005), Vorwort. Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert. Konstanz: UVK, S. 7–12. Bauriedl, Sybille (2007), Räume lesen lernen: Methoden zur Raumanalyse in der Diskursforschung. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, Bd. 8 (2), Art. 13, https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/236 [Datum: 25.1.2012]. Bauriedl, Sybille (2009), Impulse der geographischen Raumtheorie für eine raum- und maßstabskritische Diskursforschung. In: Glasze, Georg/Annika Mattissek [Hrsg.] (2009), Handbuch Diskurs und Raum. Bielefeld: transcript Verlag, S. 219–231. Becker, Frank (2004), Rassenmischehen – Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich. Stuttgart: Steiner. Becker, Frank (2005), Begriff und Bedeutung des politischen Mythos. In: Stollberg-Rilinger, Barbara [Hrsg.] (2005), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin: Duncker und Humblot, S. 129–147. Berg, Jens-Rainer (2007), Dunkel, klein, krank, dreckig – ‚New Immigrants‘ und die Produktion ‚anderer Körper‘ im US-amerikanischen Diskurs um 1900. In: Junge, Torsten/ Imke Schmincke [Hrsg.] (2007), Marginalisierte Körper. Beiträge zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers. Münster: Unrast Verlag. Bergdolt, Klaus (2003), Der schwarze Tod in Europa. München: Beck’sche Reihe. Berman, Nina (1998), Orientalism, Imperialism, and Nationalism. In: Friedrichsmeyer, Sara, The imperialist imagination: German colonialism and its legacy. Ann Arbor, Mich: Univ. of Michigan Press, S. 51–68. Berman, Russell (1998), Enlightenment or empire. cColonial discourse in German culture. Lincoln: Univ. of Nebraska Press. Berman, Russell (2003), Deutschlands sekundärer Kolonialismus. In: Kundrus, Birthe (2003), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt a. M.: Campus. S. 19–32. Biener, Annette S. (2001), Das deutsche Pachtgebiet Tsingtau in Schantung, 1897–1914: institutioneller Wandel durch Kolonialisierung. Bonn: W. Matzat Eigenverlag. Bittner, Dirk (2012), Große illustrierte Geschichte von Kiautschou. Wolfenbüttel: Melchior. Black, Jeremy (1997), Maps and Politics. Chicago: The University of Chicago Press.
304
Literaturverzeichnis
Blackbourn, David (2008), Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München: Pantheon. Blaut, J. M. (1993), The Colonizer’s Model of the World. Geographical Diffusion and Eurocentric History. New York/London: The Guilford Press. Bluhm, Gesa (2010), Diskursiver Wandel und der Raum des Politischen. In: Landwehr, Achim [Hrsg.] (2010), Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 177–212. Blunt, Alison/Gillian Rose (1994), Writing Women and Space. Colonial and Postcolonial Geographies. New York: The Guilford Press. Böckelmann, Frank (1998), Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen. Frankfurt a. M.: Eichborn. Breuer, Stefan (1986), Sozialdisziplinierung. Probleme und Problemverlagerungen eines Konzepts bei Max Weber, Gerhard Oestreich und Michel Foucault. In: Sachße, Christoph [Hrsg.] (1986), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung: Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 45–72. Bruns, Claudia (2006), Wissen – Macht – Subjekte. Dimensionen historischer Diskursanalyse am Beispiel des Männerbunddiskurses im Wilhelminischen Kaiserreich. In: Eder, Franz X. [Hrsg.] (2006), Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 189–204. Bührmann, Andrea D./Werner Schneider (2007), Mehr als nur diskursive Praxis? – Konzeptionelle Grundlagen und methodische Aspekte der Dispositivanalyse. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 8 (2), Art. 28, https:// www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/237 [Datum: 25.01.2012]. Bukow Wolf-Dietrich (2012), Was heißt hier ethnische Gemeinschaftsbildung? Zur nachhaltigen Marginalisierung gemeinschaftsorientierter Bindungen. In: Harald A. Mieg/Astrid O. Sundsboe/Majken Bieniok [Hrsg.] (2012), Georg Simmel und die aktuelle Stadtforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 213–242. Burckhardt, Lucius (2011), Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Berlin: Martin Schmitz. Burmeister, Helmut/Veronika Jäher [Hrsg.] (2000), China 1900. Der Boxeraufstand, der Maler Theodor Rocholl und das ‚alte China‘. Hofgeismar: Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. von 1834 und Museum Hofgeismar. Buschmann, Nikolaus (2003), Einkreisung und Waffenbruderschaft. Die öffentliche Deutung von Krieg und Nation in Deutschland 1850–1871. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Butz, Herbert (1998), Kniefall und Geschenke: Die Sühnemission des Prinzen Chun in Deutschland. In: Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897–1914. Berlin (Deutsches Historisches Museum), S. 173–180. Chang, Jui-te (2010), Technology Transfer in Modern China. The Case of Railway Enterprises in Central China and Manchuria. In: Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M.E. Sharpe, S. 105–122. Chang, Yü-fa (1998), Erziehungswesen in Qingdao in der Ära der deutschen Besetzung: Ansichten eines chinesischen Wissenschaftlers. In: Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987– 1914. Berlin (Deutsches Historisches Museum. Ausstellungskatalog), S. 210–233. Cheng, Hu (2010), Quarantine Sovereignty during the Pneumonic Plague in Northeast
Literaturverzeichnis
305
Chinas (November 1010–April 1911), In: Frontiers of History in China 2010, Bd. 5,2, S. 294–339. Christoph Hamann [Hrsg.] (2006), Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Comaroff, John L. und Jean (2013), Hausgemachte Hegemonie. In: Conrad, Sebastian/ Shalini Randeria/Regina Römhild [Hrsg.] (2013), Jenseits des Ethnozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Campus, S. 267–300. Conrad, Sebastian (2012), Deutsche Kolonialgeschichte. München: Beck. Conrad, Sebastian/Dominic Sachsenmaier [Hrsg.] (2007), Competing visions of World Order: Global Moments and Movements. 1880s–1930s. New York: Palgrave Macmillan. Conrad, Sebastian/Jürgen Osterhammel [Hrsg.] (2004), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Conrad, Sebastian/Shalini Randeria/Regina Römhild [Hrsg.] (2013), Jenseits des Ethnozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Campus. Corbin, Alain (1984), Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs. Berlin: Wagenbach. Corbin, Alain (1999), Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste. Frankfurt a. M.: Fischer. Cosgrove, Denis (1984), Social Formation and Symbolic Landscape. London: Croom Helm. Daniel, Ute (2005), Einkreisung und Kaiserdämmerung. Ein Versuch der Kulturgeschichte der Politik vor dem Ersten Weltkrieg auf die Spur zu kommen. In: Stollberg-Rilinger, Barbara [Hrsg.] (2005), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin: Duncker und Humblot, S. 279–328. Daniels, Stephen/Denis Cosgrove [Hrsg.] (2007), The iconography of landscape. Essays on the symbolic representation, design and use of past environments. Cambridge: University Press. Dartmann, Christoph/Marian Füssel/Stefanie Rüther (2004), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Münster: Rhema. Delitz, Heike (2012), Soziologie der gebauten „Haut“ der Gesellschaft: Georg Simmels Architektursoziologie. In: Harald A. Mieg/Astrid O. Sundsboe/Majken Bieniok [Hrsg.] (2012), Georg Simmel und die aktuelle Stadtforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 245–267. Demand, Thomas/Udo Kittelmann [Hrsg.] (2011), Nationalgalerie. How German is it? Berlin: Suhrkamp. Demgenski, Philipp (2015), Seeking a Future for the Past: Negotiating Inner City Redevelopment and Heritage in Qingdao, China. Dissertation. Manuskript. The Chinese University of Hong Kong. Deng, Ri (2013), Wohnungsbauentwicklung in Qingdao. Eine historische, soziale und wohnungsbauliche Analyse zur Verbesserung der Wohnungsbauentwicklung. Städtebau-Institut Universität Stuttgart. http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2013/8368/pdf/01_ Ribbeck_2013_Deng_Ri_2013_05_28.pdf [Datum: 16.10.2013]. Dettke, Barbara (1995), Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien. Berlin [u.a.]: de Gruyter. Dew, Kevin (1999), Epidemics, Panic and Power: Representations of Measles and Meas-
306
Literaturverzeichnis
les Vaccines. In: Health (London) Bd. 3 (1999), S. 379–398. https://journals.sagepub. com/doi/abs/10.1177/136345939900300403 [Datum: 22.02.2013]. Diaz-Bone, Rainer (2006), Kritische Diskursanalyse: Zur Ausarbeitung einer problembezogenen Diskursanalyse im Anschluss an Foucault. Siegfried Jäger im Gespräch mit Rainer Diaz-Bone. In: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 7, 3 (2006), https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/ view/148 [Datum: 25.01.2012]. Die Vogelschaupläne von Tsingtau 1898 bis 1912 (2017), hrsg. von Gert Kaster/Stadtarchiv Qingdao. Kiel: Verlag Ludwig. Dießenbacher, Hartmut (1986), Der Armenbesucher: Missionar im eigenen Land. Armenfürsorge und Familie in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Sachße, Christoph [Hrsg.] (1986), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung: Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 209–244. Dietrich, Anette (2004), Konzepte von „Rasse“ und „Geschlecht“ im Kontext des deutschen Kolonialismus, in: Engel, Gisela [Hrsg.] (2004), Kolonisierungen und Kolonisationen. Berlin: Trafo-Verlag, S. 43–67. Dinges, Martin (1995), Neue Wege in der Seuchengeschichte? In: Dinges, Martin/Thomas Schlich, Neue Wege in der Seuchengeschichte. Stuttgart: Steiner, S. 7–24. Dinges, Martin (1995), Pest und Staat. Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion? In: In: Dinges, Martin/Thomas Schlich, Neue Wege in der Seuchengeschichte. Stuttgart: Steiner, S. 71–104. Döring, Jörg/Tristan Thielmann (2008), Was lesen wir im Raum? Einleitung zu: Döring, Jörg, Tristan Thielmann [Hrsg.] (2009), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, S. 7–48. Dorn, Thea/Richard Wagner (2012), Die deutsche Seele. München: Knaur. Douglas, Mary (1986), Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. Frankfurt a. M.: Fischer. Douglas, Mary (1988), Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Dünne, Jörg (2008), Die Karte als Operations- und Imaginationsmatrix. Zur Geschichte eines Raummediums. In: Döring, Jörg/Tristan Thielmann [Hrsg.] (2008), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, S. 49–70. Eberhard-Metzger, Claudia/Renate Ries (1996), Verkannt und heimtückisch – Die ungebrochene Macht der Seuchen, Basel: Birkhäuser. Eckart, Wolfgang Uwe (1989), Deutsche Ärzte in China 1897–1914. Medizin als Kulturmission im Zweiten Deutschen Kaiserreich. Stuttgart/New York: G. Fischer. Eckart, Wolfgang Uwe (1997), Medizin und Kolonialimperialismus: Deutschland 1884–1945. Paderborn: Schöningh. Edney, Matthew H. (2011), Cartography Without ‘Progress’: Reinterpreting the Nature and Historical Development of Map Making. In: Dodge, Martin [Hrsg.] (2011), Classics in Cartography. Reflections on Influential Articles from Catographica. Oxford: Wiley, S. 305–342. Elleman, Bruce A./Elisabeth Köll/Y. Tak Matsuksaka (2010), Introduction. In: Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M.E. Sharpe, S. 3–10.
Literaturverzeichnis
307
Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M.E. Sharpe. Eschenbruch, Nicholas/Dagmar Hänel/Alois Unterkircher [Hrsg.] (2010), Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit. Bielefeld: transcript Verlag. Evans, Richard J. (1991), Tod in Hamburg: Stadt, Gesellschaft und Politik in den CholeraJahren 1830. Reinbek: Rowohlt. Fahnemann, Stephan (2008), Die Pest in der Mandschurei in den Jahren 1910 bis 1914 und der Vergleich zu der SARS-Epidemie in China beginnend im Jahr 2002. Dissertation. Universität Würzburg. http://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2009/3278/pdf/ Dissertation_Druck [Datum: 16.12.2011]. Fanon, Franz (1981), Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Farmer, Paul (2000), Ethnography, Social Analysis, and the Prevention of Sexually Transmitted HIV Infection Among Poor Women in Haiti. In: Marcia Inhorn, Peter Brown [Hrsg.], The Anthropology of Infectious Diseases. International Health Perspectives. Amsterdam: OPA (Gordon and Breach Publishers), S. 413–438. Farmer, Paul (2002), Infection and Inequalities: The Modern Plague. In the Wake of the Plague – The Black Death and the World it made. London: Harper Perennial. Feichtinger, Josef (2012), Orientalismus und Nationalismus. Abgrenzungskonzepte in der späten Habsburgermonarchie und in der Republik Österreich. In: Lamprecht, Gerald/ Ursula Mindler/Heidrun Zettelbauer [Hrsg.] (2012), Zonen der Begrenzung. Aspekte kultureller und räumlicher Grenzen in der Moderne. Bielefeld: transcript Verlag, S. 187–202. Felber, Roland (1991), Zur Deutschland-Rezeption Sun Yatsens. In: Kuo Heng-yue/ Mechthild Leutner [Hrsg.] (1991), Deutsch-chinesische Beziehungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Beiträge des internationalen Symposiums in Berlin. München: Ed. Minerva, S. 83–96. Fischer-Tiné, Harald/Susanne Gehrmann [Hrsg.] (2009), Empires and Boundaries. Rethinking Race, Class, and Gender in Colonial Settings. New York, London: Routledge. Fleck, Ludwig (2012), Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Flick, Uwe et al. [Hrsg.] (2009a), Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt. Flick, Uwe (2009b), Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Reinbek: Rowohlt. Fong, Ho-nam (2006), A comparison of the colonial medical systems in British Hong Kong (1841–1914) and German Qingdao (1897–1914), http://sunzi.lib.hku.hk/hkuto/view/ B35051073/ab.pdf [Datum: 15.01.2012]. Foucault, Michel (1976), Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Foucault, Michel (1977a), Sexualität und Wahrheit. Band I: Der Wille zum Wissen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Foucault, Michel (1977b), Das Spiel des Michel Foucault. In: Ornicar? Bulletin périodique du champ freudien No.10, Juli 1977, S. 62–93. In: Geometrie des Verfahrens (2009), S. 215–220. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Foucault, Michel (2011), Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Frankfurt a. M.: Fischer. Frank, Michael C. (2004), Kolonialismus und Diskurs: Michel Foucaults „Archäologie“ in der postkolonialen Theorie. In: Susanne Kollmann [Hrsg.] (2004), PostModerne De-
308
Literaturverzeichnis
Konstruktionen: Ethik, Politik und Kultur am Ende einer Epoche. Münster: LIT Verlag, S. 139–155. Frey, Katia (2008), Architektur und Monument. Die Stadt als ästhetisches und historisches Artefakt. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katja Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters. Berlin: Gebrüder Mann, Bd. 1.1, S. 303–316. Frey, Katia (2008), Ideale Stadtkonzepte. Permanenz und Wandel der Vorbilder, Motive und Ideen. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katja Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters. Berlin: Gebrüder Mann, Bd. 1.1, S. 7–21. Frey, Katia (2011), Der grüne Ring um die Stadt. Vorläuferkonzepte des „greenbelt“ und Gedanken zu den Grünanlagen in den Städtebau- und Stadterweiterungstheorien des 19. Jahrhunderts. In: Lampugnani, Vittorio/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2011), Stadt und Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Gebrüder Mann. S. 80–98. Frey, Manuel (1998), „Bürger riechen nicht“. Die Hygienisierung des bürgerlichen Alltags durch Wasser und Seife im achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert. In: Roeßiger, Susanne/Heidrun Merk [Hrsg.] (1998), Hauptsache gesund! Gesundheitsaufklärung zwischen Disziplinierung und Emanzipation. Marburg: Jonas Verla, S. 9–21. Friedrich, Elisabeth Ina (1992), Die Steuer als Instrument der deutschen Bodenpolitik in Tsingtau (1898–1914): Triebkräfte, Ziele, Ergebnisse. In: Studien und Quellen zur Geschichte Schantungs und Tsingtaus, hrsg. von W. Matzat, Bonn (Eigenverlag). Friedrichsmeyer, Sara (1998), The Imperialist Imagination: German Colonialism and its Legacy. Ann Arbor, Michigan.: Univ. of Michigan Press. Füssel, Marian/Stefanie Rüther [Hrsg.] (2004), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Münster: Rhema, S. 9–18 und S. 175–197. FutureLearn Online-Programme Ebola: Symptoms, History and Origins. Lancaster University. (https://www.futurelearn.com/courses/ebola/1) [Datum: 11.02.2015) und (2015), Ebola in Context. Understanding Transmission, Response and Control. London School of Hygiene & Tropical Medicine. www.futurelearn.com/courses/ebola-in context [Datum: Januar 2015.] Gamsa, Mark (2006), The Epidemic of Pneumonic Plague in Manchuria 1910–1911. In: Past & Present, 190, S. 147–184. Gandy, Matthew (2014), The Fabric of Space. Water, Modernity, and the Urban imagination. Cambridge, Mass: The MIT Press. Gebhard, Gunter/Oliver Geisler/Steffen Schröter [Hrsg.] (2010), Das Prinzip „Osten“. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums. Bielefeld: transcript Verlag. Gerber, Lydia (2002), Von Voskamps ‘heidnischem Treiben’ und Wilhelms ‘höherem China’: die Berichterstattung deutscher protestantischer Missionare aus dem deutschen Pachtgebiet Kiautschou 1898–1914. Hamburg: Hamburger Sinologische Gesellschaft e.V. Gerhard, Ute/Jürgen Link (1991), Zum Anteil der Kollektivsymbolik an den Nationalstereotypen. In: Link, Jürgen/Wulf Wülfing [Hrsg.] (1991), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 16–52. Gilman, Sander Lawrence (1992), Rasse, Sexualität und Seuche: Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag.
Literaturverzeichnis
309
Glasze, Georg/Annika Mattissek [Hrsg.] (2009), Handbuch Diskurs und Raum. Bielefeld: transcript Verlag. Gnägi, Thomas (2008), Fortschritt als Ideologie. Die technisierte Stadt der Zukunft. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters, Bd. I.2. Berlin: Gebrüder Mann, S. 1081–1092. Göckenjan, Gerd (1986), Medizin und Ärzte als Faktor der Disziplinierung der Unterschichten: der Kassenarzt. In: Sachße, Christoph [Hrsg.] (1986), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung: Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 286–303. Goerke, Heinz (1969), Wohnhygiene im 19. Jahrhundert. In: Städte-, Wohnungs- und Kleiderhygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt a. M. Stuttgart: Ferdinand Enke, S. 52–69. Goh, L. G./Ho, T. M/Phua, K. H. (1987), Wisdom and Western Science: The Work of Dr. Wu Lien-The. In: Asia-Pacific Journal of Public Health 198, S. 1–99. http://aph.sagepub.com/content/1/1/99.citation [Datum: 29.01.2013]. Göhler, Gerhard (2005), Symbolische Politik – Symbolische Praxis. Zum Symbolverständnis in der deutschen Politikwissenschaft. In: Stollberg-Rilinger, Barbara [Hrsg.] (2005), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin: Duncker und Humblot, S. 57– 69. Gollwitzer, Heinz (1962), Die gelbe Gefahr: Geschichte eines Schlagworts; Studien zum imperialistischen Denken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Goodman, Bryna und David (2012), Twentieth Century Colonialism and China. Localities, the Everyday and the World. London-New York: Routledge. Gradmann, Christoph (1995), „Auf Kollegen zum fröhlichen Krieg“. Popularisierte Bakteriologie im Wilhelminischen Zeitalter. In: Medizin in Geschichte und Gegenwart, 13, S. 35–54. Gradmann, Christoph (1996), Krankheit und Krieg. Bakteriologie und politische Sprache im deutschen Kaiserreich. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 19, S. 81–94. Gradmann, Christoph (2004), Strategien der Kausalität: Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert. Pfaffendaer: Centaurus-Verl.-Ges. Gradmann, Christoph (2005), Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Göttingen: Wallstein Verlag. Graham, Stephen (2011), Cities Under Siege. The New Military Urbanism. London-New York: Verso. https://libcom.org/files/Graham,%20Stephen%20-%20Cities%20Under%20Siege.%20The%20New%20Military%20Urbanism_0.pdf [Datum: 04.08.2017]. Graichen, Gisela/Horst Gründer (2005), Deutsche Kolonien: Traum und Trauma. Berlin: Ullstein. Gründer, Horst (1982), Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit – 1884–1914 – unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas. Paderborn: Schöningh. Gründer, Horst [Hrsg.] (1999), „…da und dort ein junges Deutschland gründen“: Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München: DTV. Günzel, Stefan (2008), Spatial Turn – Topographical Turn – Topological Turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen. In: Döring, Jörg/Tristan Thielmann [Hrsg.] (2008), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, S. 219–240.
310
Literaturverzeichnis
Günzel, Stephan, Jörg Dünne [Hrsg.] (2006), Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Hafeneder, Rudolf (2008), Deutsche Kolonialkartographie 1884–1919. Neubiberg, Universität der Bundeswehr München. Diss. OnlineRessource: http://ub.unibw-muenchen. de/dissertationen/ediss/hafeneder-rudolf/meta.html [Datum: 15.09.2013]. Hänel, Dagmar/Alois Unterkircher (2010), Die Verräumlichung des Medikalen. Zur Einführung in den Band. In: Eschenbruch, Nicholas/Dagmar Hänel/Alois Unterkircher [Hrsg.] (2010), Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit. Bielefeld: transcript Verlag, S. 7–20. Haraway, Donna (1991), Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. London: Free Association Books. Hard, Gerhard (1993), Zur Imagination und Realität der Gesteine. In: Jüngst, Peter/Oskar Meder [Hrsg.] (1993), Zur psychosozialen Konstitution des Territoriums. Verzerrte Wirklichkeit oder Wirklichkeit als Zerrbild. urbs et regio Bd. 61. Kassel: GHK, S. 104–155. Hardtwig, Wolfgang (2009), Performanz und Öffentlichkeit in der krisenhaften Moderne: Visualisierungen des Politischen in Deutschland 1900 bis 1936. In: Münkler, Herfried/Jens Hacke [Hrsg.] (2009), Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation. Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 71–92. Hardy, Anne I. (2005), Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit: medizinische Theorien in der Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Campus. Harley, J.B. (2011), Deconstructing the Map. In: Dodge, Martin [Hrsg.] Classics in Cartography. Reflections on Influential Articles from Catographica. Oxford: Wiley, S. 273–294. Hassenpflug, Dieter (2010), The urban code of China. Basel: Birkhäuser. Hassenpflug, Dieter (2016), Der Körper des Drachen. Chinas Megastädte aus interkultureller Perspektive. Vortrag der Reihe „Mensch, Technik, Umwelt“ der Daimler-und-BenzStiftung. Bremen 01.03.2016. Online-Video https://www.daimler-benz-stiftung.de/ cms/veranstaltungen/mensch-umwelt-technik-mut.html [Datum: 07.04.2016]. Heise, Katja (2005), Deutsche Frauen in Tsingtau 1898–1920. Bonn: Matzat (Eigenverlag), Magisterarbeit. Helm, Hans-Georg (1994), Deutsche Marineärzte in Tsinanfu: eine kommentierte Quellenedition zur Geschichte des deutschen Marinesanitätswesens im Marinepachtgebiet Kiautschou 1904 bis 1914. Hannover, Med. Hochsch., Diss. Hennings, Anne Christin (2005), Das Deutsche Rathaus von Tsingtau (Qingdao), Ein Symbol wechselnder Herrschaften. Bonn: Matzat (Eigenverlag), Magisterarbeit. Herold, Heiko (2006), Deutsche Kolonial- und Wirtschaftspolitik in China 1840 bis 1914: Unter besonderer Berücksichtigung der Marinekolonie Kiautschou. Köln: Ozeanverlag Herold. Hess, Bärbel-Jutta (2009), Seuchengesetzgebung in den deutschen Staaten und im Kaiserreich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900. Dissertation. Universität Heidelberg. https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/10458/ [Datum: 02.02.2012]. Heyden, Ulrich van der (2005), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“: Berlin und der deutsche Kolonialismus. Münster: Unrast Verlag. Hiery, Hermann Joseph/Hans-Martin Hinz [Hrsg.] (1999), Alltagsleben und Kulturaustausch: Deutsche und Chinesen in Tsingtau 1897–1914, hrsg. von der Universität Bayreuth und dem Deutschem Historischem Museum, Berlin. Wolfratshausen: Ed. Minerva. Hight, Eleanor M./Gary D. Sampson, [Hrsg.] (2004), Colonialist Photography. Imag(in) ing race and place, London: Routledge.
Literaturverzeichnis
311
Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau: ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum (Ausstellungskatalog). Eurasburg: Ed. Minerva. Hödl, Klaus (2007), Der ‚jüdische Körper‘ in seiner Differenz. Textuelle und performative Konstruktionen. In: Junge, Torsten/Imke Schmincke [Hrsg.] (2007), Marginalisierte Körper. Zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers. Münster: Unrast Verlag, S. 63–75. Hoffmann, Wiebke (2009), Auswandern und Zurückkehren, Kaufmannsfamilien zwischen Bremen und Übersee. Eine Mikrostudie 1860–1930. Münster: Waxmann. Honold, Alexander (2003), Afrikanisches Viertel. Straßennamen als kolonialer Gedächtnisraum. In: Kundrus Birthe (2003), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt a. M.: Campus, S. 305–321. Hu, Cheng (2010), Quarantine sovereignty during the pneumonic plague in Northeast China (November 1910–April 1911), In: Frontiers of History in China, vol. 5, no. 2, S. 294–339. Huang Fu-teh (1998), Chinesen unter deutscher Herrschaft: Arbeiter (Kulis) und Dienstboten. In: Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin, S. 139–151. Huang, Fu-Teh (1999), Chinesen unter deutscher Herrschaft 1897–1914. Bochum: ProjektVerlag. Huang, Xuelei (2016), Deodorizing China: Odour, ordure, and colonial (dis)order in Shanghai, 1840s–1940s. In: Modern Asian Studies 50,3 (2016), S. 1092–1122. Cambridge: Cambridge University Press. Huerkamp, Claudia (1989), Ärzte und Patienten. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: Psychiatrie-Verlag, S. 57–74. Huffschmid, Anne/Kathrin Wildner (2009), Räume sprechen, Diskurse verorten? Überlegungen zu einer transdisziplinären Ethnografie. Forum Qualitative Sozialforschung/ Forum: Qualitative Social Research 10 (3), Art. 25, https://www.qualitative-research.net/ index.php/fqs/article/view/1224 [Datum: 06.01.2012]. Hüntelmann, Axel C. (2008), Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876–1933. Göttingen: Wallstein Verlag. Inhorn, Marcia, Peter Brown (2000,) Introduction. In: Marcia Inhorn/Peter Brown [Hrsg.]. The Anthropology of Infectious Diseases. International Health Perspectives. Amsterdam: OPA (Gordon and Breach Publishers), S. 3–30. Inhorn, Marcia/Peter Brown [Hrsg.] (2000), The Anthropology of Infectious Disease. In: Marcia Inhorn/Peter Brown [Hrsg.] (2000), The Anthropology of Infectious Diseases. International Health Perspectives. Amsterdam: OPA (Gordon and Breach Publishers), S. 31–70. Jacobs, Jane M. (2006), A geography of big things. In: Cultural Geographies 2006 13:1. http://cgj.sagepub.com/content/13/1/1 [Datum: 14.11.2014]. Jäger Siegfried/Margarete Jäger (2004), Das Dispositiv des Institutionellen Rassismus. Eine diskurstheoretische Annäherung. In: Jäger, Margarete/Heiko Kauffmann [Hrsg.] (2004), Leben unter Vorbehalt. Institutioneller Rassismus in Deutschland. Münster: Unrast Verlag. Jäger, Jens (2010), Plätze an der Sonne? Visualisierungen kolonialer Realitäten um 1900. In: Kraft, Claudia/Alf Lüdtke/Jürgen Martschukat [Hrsg.] (2010), Kolonialgeschichten. Perspektiven auf ein globales Phänomen. Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 163–184.
312
Literaturverzeichnis
Jäger, Siegfried (1997), Bemerkungen zur Durchführung von Diskursanalysen. Vortrag auf der Tagung „‚Das große Wuchern des Diskurses‘. Der Diskurs als unberechenbares Ereignis“ am 3. und 4.7.1997 in der Universität GH Paderborn. http://www.dissduisburg.de/1997/08/bemerkungen-zur-durchfuhrung-von-diskursanalysen [Datum: 25.01.2012]. Jäger, Siegfried (2000), Analyse eines Diskursstrangs der Print-Medien. Unveröffentlichte Handreichung für Studierende und ProjektmitarbeiterInnen (SS 2000), http://www. diss-duisburg.de/2000/07/analyse-eines-diskursstrangs-der-print-medien [Datum: 25.01.2012]. Jäger, Siegfried (2006), Diskursive Vergegenkunft. Rassismus und Antisemitismus als Effekte der aktuellen und historischen Diskursverschränkung. In: Eder, Franz X. [Hrsg.] (2006), Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 239–252. Jüngst, Peter (1993), Psychodynamik und sozialräumliche Segregation. Überlegungen zur Territorialität und präsentativen Symbolik in den Städten der industriellen Revolution. In: Jüngst, Peter/Oskar Meder [Hrsg.] (1993), Zur psychosozialen Konstitution des Territoriums. Verzerrte Wirklichkeit oder Wirklichkeit als Zerrbild. urbs et regio, Bd. 61. Kassel: GH; S. 29–66. Jureit, Ulrike (2012), Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg: Hamburger Edition. Jütte, Robert (1998), „Wer keine Nachricht erhält, darf sich als gesund betrachten.“ In: Roeßiger, Susanne/Heidrun Merk [Hrsg.] (1998), Hauptsache gesund! Gesundheitsaufklärung zwischen Disziplinierung und Emanzipation. Marburg: Jonas Verlag, S. 22–33. Karlen, Arno (1996), Die fliegenden Leichen von Kaffa. Eine Kulturgeschichte der Plagen und Seuchen. Berlin: Verlag Volk und Welt. Kaster, Gerhard (2009), Abschlussbericht über die Bestandserfassung der Baudenkmale in Qingdao im Jahr 2009. Hrsg. von der Stiftung zum Erhalt von Gebäuden deutscher Bauart in China. Qingdao. Kaufmann, Stefan (2002), Landschaften beschriften. Zur Logik des American Grid System. In: Kaufmann, Stefan, Ordnungen der Landschaft. Natur und Raum technisch und symbolisch entwerfen. Würzburg: Ergon. Keller, Reiner (2006), Wissen oder Sprache? Für eine wissensanalytische Profilierung der Diskursforschung. In: Eder, Franz X. [Hrsg.] (2006), Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 51–70. Kim, Michael (2010), Die Erfahrung der Stadt und die Konstruktion kolonialer Subjektivität. Alltagsleben in Seoul 1910–1945. In: Kraft, Claudia/Alf Lüdtke/Jürgen Martschukat [Hrsg.] (2010), Kolonialgeschichten. Perspektiven auf ein globales Phänomen. Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 282–302. Klein, Thoralf (2010), Die Hunnenrede (1900), In: Kein Platz an der Sonne: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt a. M.: Campus S. 164–176. Klein, Thoralf/Stefan Knirsch (1999), Die deutschen Schulen für Chinesen im Pachtgebiet Qingdao, in: Hermann Hiery/Hans-Martin Hinz, Alltagsleben und Kulturaustausch. Deutsche und Chinesen in Tsingtau 1897–1914. Wolfrathshausen: Edition Minerva, S. 161–197. Kleinman, Arthur (1988), The Illness Narratives. Suffering, Healing, and the Human Condition. New York: Basic Books Publishers.
Literaturverzeichnis
313
Klemm, Jana/Georg Glasze (2004), Methodische Probleme Foucault-inspirierter Diskursanalysen in den Sozialwissenschaften. Tagungsbericht: „Praxis-Workshop Diskursanalyse“. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 6(2), Art. 24. https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/496 [Datum: 25.01.2012]. Klöppel, Ulrike (2007), Problematische Körper. Überlegungen zur Historiographie von Problematisierungsweisen in Anschluss an Foucault. In: Torsten Junge/Imke Schmincke [Hrsg.]. Marginalisierte Körper. Beiträge zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers. Münster: Unrast Verlag. Klöppel, Ulrike (2010), Foucaults Konzept der Problematisierungsweise und die Analyse diskursiver Transformationen. In: Landwehr, Achim [Hrsg.] (2010), Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 255–264. Knapp, Ronald G. (1990), China’s Traditional Rural Architecture. A Cultural Geography of the Common House. Honolulu: University of Hawaii Press. Knapp, Ronald G. (1990), The Chinese House. Craft, Symbol, and the Folk Tradition. Hongkong: Oxford University Press. Knoll, Arthur J., Hermann Joseph Hiery (2010), The German Colonial Experience: Select Documents on German Rule in Africa, China, and the Pacific 1884–1914. Lanham, Md: Univ. Press of America. Köll, Elisabeth (2010), Chinese Railroads, Local Society, and Foreign Presence: The Tianjin-Pukou Line in pre-1949 Shandong. In: Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M.E. Sharpe, S. 123–148. Koppitz, Ulrich (2000), Räumliche Organisation preußischer Städte im 19. Jahrhundert zwecks Funktionalität und Gesundheit. In: Vögele, Jörg/Wolfgang Woelk [Hrsg.] (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), Berlin: Duncker und Humblot, S. 259–274. Köster, Barbara (1998), „‚Geschlechtskrankheiten drohen!‘ Kontinuitäten und Brüche der Aufklärung über die ‚Lustseuche‘“. In: Roeßiger, Susanne/Heidrun Merk [Hrsg.] (1998), Hauptsache gesund! Gesundheitsaufklärung zwischen Disziplinierung und Emanzipation. Marburg: Jonas Verlag, S. 77–92. Kraft, Claudia/Alf Lüdtke/Jürgen Martschukat [Hrsg.] (2010), Kolonialgeschichten. Perspektiven auf ein globales Phänomen. Frankfurt a. M.: Campus. Krüger, Karl (2001), Von Potsdam nach Tsingtau. Erinnerungen an meine Jugendjahre in Uniform 1904–1920. Norderstedt, Hagener Weg 11 (Books on Demand). Kukuck, Peter [Hrsg.] (2004), Passagen nach Fernost. Menschen zwischen Bremen und Ostasien. Bremen: Edition Temmen. Kundrus Birthe [Hrsg.] (2003), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt a. M.: Campus. Kuo Heng-yue (1986), Von der Kolonialpolitik zur Kooperation. Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. München: Minerva. Kuo Heng-yue/Mechthild Leutner [Hrsg.] (1991), Deutsch-chinesische Beziehungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Beiträge des internationalen Symposiums in Berlin. München: Minerva. Küster, Hansjörg (2009), Schöne Aussichten. Kleine Geschichte der Landschaft. München: C.H. Beck.
314
Literaturverzeichnis
Laak, Dirk van (2004a), Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880–1960. Paderborn: Schöningh. Laak, Dirk van (2004b), Kolonien als „Laboratorien der Moderne“? In: Conrad, Sebastian/Jürgen Osterhammel [Hrsg.] (2004), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 257–279. Labisch, Alfons (1986), ‚Hygiene ist Moral – Moral ist Hygiene‘ – soziale Disziplinierung durch Ärzte und Medizin. In: Sachße, Christoph/Florian Tennstedt [Hrsg.] (1986), Soziale Sicherung und soziale Disziplinierung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 265–285. Labisch, Alfons (1989), Gesundheitskonzepte und Medizin im Prozeß der Zivilisation. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: Psychiatrie-Verlag, S. 15–36. Lamprecht, Gerald (2012), Zonen der Begrenzung: Aspekte kultureller und räumlicher Grenzen in der Moderne. Bielefeld: transcript Verlag. Lampugnani, Vittorio (2011), Städte erschreiben, Städte entwerfen. In: Lampugnani, Vittorio/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2011), Stadt und Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Gebrüder Mann. Lampugnani, Vittorio/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2011), Stadt und Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Gebrüder Mann. Landwehr, Achim (2003), Diskurs – Macht – Wissen: Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen. In: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 85, S. 71–117. Landwehr, Achim [Hrsg.] (2010), Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Langbehn, Volker (2010), Picturing Race: Visuality and German Colonialism. In: Langbehn, Volker [Hrsg.] (2010), German Colonialism and Modern Memory. New York/ London: Routledge, S. 1–33. Leidinger, Barbara (2000), Auswanderergeschäft und Gesundheitspolitik. Auswandererkontrollen in der Allgemeinen Krankenanstalt Bremen um 1900. In: Vögele, Jörg/ Wolfgang Woelk [Hrsg.] (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), Berlin: Duncker und Humblot, S. 382–398. Leutner, Mechthild/Klaus Mühlhahn [Hrsg.] (2001), Deutsch-chinesische Beziehungen im 19. Jahrhundert. Mission und Wirtschaft in interkultureller Perspektive. Hamburg: LIT Verlag. Leutner, Mechthild/Andreas Steen (2006), Deutsch-chinesische Beziehungen 1911–1927. Vom Kolonialismus zur „Gleichberechtigung“. Eine Quellensammlung. Berlin: Akademie Verlag. Leutner, Mechthild/Klaus Mühlhahn [Hrsg.] (1999), „Musterkolonie Kiautschou“: die Expansion des Deutschen Reiches in China; deutsch-chinesische Beziehungen 1897 bis 1914; eine Quellensammlung. Berlin: Akademie Verlag. Lewerenz, Susanne (2007), Völkerschauen und die Konstituierung rassifizierter Körper. In: Junge, Torsten/Imke Schmincke [Hrsg.] (2007), Marginalisierte Körper. Zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers. Münster: Unrast Verlag, S. 135–154. Liang, Changqing (2007), Morphological transformation of urban districts. A Case Study of Da Baodao in Qingdao. The University of Hong Kong: Masterarbeit. Lind, Christoph (1998a), Die architektonische Gestaltung der Kolonialstadt Tsingtau 1897– 1914. Berlin: Technische Universität. Berlin: Dissertation/Mikrofiche.
Literaturverzeichnis
315
Lind, Christoph (1998b), Heimatliches Idyll und kolonialer Herrschaftsanspruch: Architektur in Tsingtau. In: Hinz, Hans-Martin [Hrsg.] (1998), Tsingtau: ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897–1914. Eurasburg: Ed. Minerva, S. 96–202. Lindenbaum, Shirley (2001): Kuru, Prions and Human Affairs: Thinking about Epidemics. In: Annual Review of Anthropology 30, S. 363–385. Link, Jürgen/Wulf Wülfing [Hrsg.] (1991), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart: Klett-Cotta. Lips, Julius (1983), Der Weiße im Spiegel des Farbigen. Leipzig: VEB E. A. Seemann. Liu, Chong (2004), Von der Friedrichstrasse zum Platz des 4. Mai. Öffentlicher Raum in Qingdao. In: Hassenpflug, Dieter [Hrsg.] (2004), Die aufgeschlossene Stadt. Weimar: Verlag und Datenbank der Geisteswissenschaften, S. 134–155. Liu, Chong (2007), The Contemporary Development of Qingdao’s Urban Space. The Perspective of Civil Society’s Participation in Chinese Urban Planning. Weimar: Dissertation. http://hdl.handle.net/10722/50255 [Datum: 25.03.2013]. Liu, Jing (2003), Wahrnehmung des Fremden: China in deutschen und Deutschland in chinesischen Reiseberichten vom Opiumkrieg bis zum Ersten Weltkrieg. Freiburg: Dissertation. http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?idn=969740506&dok_var=d1&dok_ ext=pdf&filename=969740506.pdf [Datum: 12.05.2010]. Liu, Lydia He (2006), The clash of empires: the invention of China in modern world making. Cambridge, Mass: Harvard Univ. Press. Liu, Weijian (2004), Von der „Gelben Gefahr“ zur Eroberung Chinas. In: Honold, Alexander/Scherpe, Klaus R. [Hrsg.] (2004), Mit Deutschland um die Welt: eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart: Metzler, S. 247–253. Liu, Weijian (2007) Kulturelle Exklusion und Identitätsentgrenzung: zur Darstellung Chinas in der deutschen Literatur 1870–1930. Bern: Peter Lang. Lock, Margaret/Vinh-Kim Nguyen (2010), An Anthropology of Biomedicine. Malden, MA: Wiley-Blackwell. Loomba, Ania (2005), Colonialism/Postcolonialism. London/New York: Routledge. Lorberg, Frank (2007), Metaphern und Metamorphosen der Landschaft – die Funktion von Leitbildern in der Landespflege. Universität Kassel: Dissertation Lossau, Julia (2002), Die Politik der Verortung: eine postkoloniale Reise zu einer anderen Geographie der Welt. Bielefeld: transcript Verlag. Lotz-Heumann, Ute (2010), Wie kommt der Wandel in den Diskurs? Der Kurort und der Wandel der Landschaftswahrnehmung in der Sattelzeit. In: Landwehr, Achim [Hrsg.] (2010), Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 281–310. Low, Gail Ching-Liang (1996), White skins, black masks: representation and colonialism. New York, London: Routledge. Löw, Martina (2001), Raumsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Lu Chuancheng und Gong Shengqi (2009), Dialogue with Architecture. Looking into the Museum of the Former German Governor’s House in Qingdao. Qingdao: Shandong Friendship Publishing House. Lü, Yixu (2008), Germany’s War in China: Media Coverage and Political Myth. In: German Life and Letters, Volume 61, Number 2, April, S. 202–214 Lü, Yixu (2010), Tsingtau. In: Kein Platz an der Sonne: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt a. M.: Campus, S. 208–227.
316
Literaturverzeichnis
Luo, Xiaowei (1999), Die Lilong-Häuser von Shanghai. In: Bauwelt, Bd. 90, 24. S. 1378– 1381. Macleod, Roy (1988), Introduction. In: Macleod, Roy/Milton Lewis [Hrsg.] (1988), Disease, Medicine, and Empire. Perspectives on Western Medicine and the Experience of European Expansion. London/New York: Routledge, S. 1–18. Maio, Giovanni (2012), Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin. Stuttgart: Schattauer. Marks, Shula/Neil Andersson (1988), Typhus and Social Control. In: Macleod, Roy/ Milton Lewis [Hrsg.] (1988), Disease, Medicine, and Empire. Perspectives on Western Medicine and the Experience of European Expansion. London/New York: Routledge, S. 257–283. Martin, Bernd (1994), ‚Gouvernement Jiaozhou‘ – Forschungsstand und Archivbestände zum deutschen Pachtgebiet Qingdao (Tsingtau) 1897–1914, in: Kuo, Heng-yü/Leutner, Mechthild [Hrsg.] (1994): Deutschland und China, München: Ed. Minerva, S. 363–389. Martschukat, Jürgen (2002), Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt a. M.: Campus. Matsuksaka, Y. Tak (2010), Japan’s South Manchurian Railway Company in Northeast China, 1906–34. In: The Chinese Eastern Railway from the first Sino-Japanese War until der Russo-Japanese War. In: Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M.E. Sharpe, S. 37–58. Matzat, Wilhelm (1998b), Alltagsleben im Schutzgebiet: Zivilisten und Militärs, Chinesen und Deutsche. In: Hinz, Hans-Martin [Hrsg.] (1998), Tsingtau: ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897–1914. Eurasburg: Ed. Minerva, S. 106–120. Matzat, Wilhelm (1985), Die Tsingtauer Landordnung des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier. Bonn (Eigenverlag). Matzat, Wilhelm (1998a), Neue Materialien zu den Aktivitäten des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier in Tsingtau. Zum 100jährigen Jubiläum der Tsingtauer Land- und Steuerordnung am 2.9.1998. Bonn (Eigenverlag). Matzat, Wilhelm (2001), Kurzgefaßte Chronik der Deutschen Schule Tsingtau 1924. Bonn, Am Römerlager 1 (Eigenverlag). Matzat, Wilhelm. Emil Krebs (1867–1930), Das Sprachwunder. Dolmetscher in Peking und Tsingtau, in: Mitteilungsblatt der Deutschen China_Gesellschaft 1/2000, S. 31–47. Maurer, Kathrin (2013): Visualizing the Past. The Power of the Image in German Historicism. Berlin/Boston: De Gruyter. Mayring, Philipp (2000), Qualitative Inhaltsanalyse. Forum Qualitative Sozialforschung/ Forum: Qualitative Social Research, 1(2), Art. 20, https://www.qualitative-research.net/ index.php/fqs/article/view/1089 [Datum: 25.01.2012]. McNeill, William H. (1998/1976), Plagues and peoples. Garden City, New York: Anchor Books. Meier, Mischa [Hrsg.] (2005), Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Stuttgart: Klett-Cotta. Mendelsohn, John Andrew (1999), Von der „Ausrottung“ zum Gleichgewicht: Wie Epidemien nach dem Ersten Weltkrieg komplex wurden. In: Gradmann, Christoph/Thomas Schlich [Hrsg.] (1999), Strategien der Kausalität. Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert. Pfaffendaer: Centaurus, S. 227–271. Mills, Sara (1994), Knowledge, Gender, and Empire. In: Blunt, Alison, Gillian Rose, Writing Women and Space. New York/London: The Guilford Press, S. 29–50. Mitchell, Timothy (2013), Die Welt als Ausstellung. In: Conrad, Sebastian/Shalini
Literaturverzeichnis
317
Randeria/Regina Römhild [Hrsg.] (2013), Jenseits des Ethnozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Campus, S. 438–465. Mönkemeyer, Klaus (1990), Schmutz und Sauberkeit. Figurationen eines Diskurses im Deutschen Kaiserreich. In: Behnken, Imbke [Hrsg.] (1990), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozess der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Opladen: Leske u. Budrich. S. 61–76. Mühlhahn, Klaus (1998), Qingdao (Tsingtau) – Ein Zentrum deutscher Kultur in China? In: Hinz, Hans-Martin [Hrsg.] (1998), Tsingtau: ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897–1914. Eurasburg: Ed. Minerva, S. 121–132. Mühlhahn, Klaus (2000), Herrschaft und Widerstand in der „Musterkolonie“ Kiautschou: Interaktionen zwischen China und Deutschland, 1897–1914. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Mühlhahn, Klaus (2012), Negotiating the Nation: German Colonialism and Chinese Nationalism in Qingdao, 1897–1914. In: Goodman, Bryna und David S. Goodman [Hrsg.] (2012), Twentieth Century Colonialism and China. London-New York: Routledge, S. 37–56. Mühlhahn, Klaus/Sebastian Conrad (2007), In: Conrad, Sebastian; Dominic Sachsenmaier [Hrsg]. Competing visions of world order: global moments and movements, 1880s– 1930s. New York: Palgrave Macmillan. Münkler, Herfried (2010), Die Deutschen und ihre Mythen, Reinbek: Rowohlt. Münkler, Herfried/Jens Hacke [Hrsg.] (2009), Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation. Frankfurt a. M./ New York: Campus. Nations, Marilyn/Cristina Monte (2010), “I’m Not Dog, No!” Cries of Resistance Against Cholera Control Campaigns in Brazil. In: Marcia Inhorn, Peter Brown [Hrsg.] (2010), The Anthropology of Infectious Diseases. International Health Perspectives. Amsterdam: OPA (Gordon and Breach Publishers), S. 439–482. Nietzel, Benno (2010), Der ‚Osten‘ im deutschen Blick vom 19. Jahrhundert bis 1945. In: Gebhard, Gunter/Oliver Geisler/Steffen Schröter [Hrsg.] (2010), Das Prinzip „Osten“. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums. Bielefeld: transcript Verlag. S. 21–50. Niewöhner, Jörg/Christoph Kehl/Stefan Beck (2008), Wie geht Kultur unter die Haut und wie kann man das beobachtbar machen? In: Niewöhner, Jörg/Christoph Kehl/ Stefan Beck (2008), Wie kommt Kultur unter die Haut? Emergente Praxen an der Schnittstelle von Medizin-, Lebens- und Sozialanthropologie. Bielefeld: transcript Verlag, S. 9–30. Noyes, John K. (2002), Landschaftsschilderung, Kultur und Geographie. Von den Aporien der poetischen Sprache im Zeitalter der politischen Geographie. In: Honold, Alexander/Oliver Simons [Hrsg.] (2002), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden. Tübingen-Basel: Francke, S. 127–142. Osterhammel, Jürgen (1989), China und die Weltgesellschaft. Vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit. München: C.H. Beck. Osterhammel, Jürgen (2005), “The Great Work of Uplifting Mankind”. Zivilisierungsmission und Moderne. In: Barth, Boris/Jürgen Osterhammel [Hrsg.] (2005), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert. Konstanz: UVK, S. 363–426. Osterhammel, Jürgen (2006), Gesellschaftsgeschichte und Historische Soziologie. In:
318
Literaturverzeichnis
Osterhammel, Jürgen/Dieter Langewiesche/Paul Nolte. [Hrsg.] (2006), Wege der Gesellschaftsgeschichte. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, S. 81–102. Osterhammel, Jürgen (2006), Kolonialismus. Geschichte. Formen. Folgen. München: C.H. Beck. Osterhammel, Jürgen (2009), Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: C.H. Beck. Paine, S. C. M. (2010), The Chinese Eastern Railway from the first Sino-Japanese War until the Russo-Japanese War. In: Elleman, Bruce A./Stephen Kotkin [Hrsg.] (2010), Manchurian Railways and the Opening of China. An International History. Armonk, NY: M. E. Sharpe, S. 13–36. Perotti, Eliana (2008), Der antiurbane Reflex. Alternative Siedlungsmodelle und die Verlandschaftung der Stadt. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters, Bd. I.1. Berlin: Gebrüder Mann, S. 205–216. Perotti, Eliana (2008), Kritik der industrialisierten Stadt. Themen, Analysen, Interventionen. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters, Bd. I.2. Berlin: Gebrüder Mann, S. 687–702. Perotti, Eliana (2008), Politisierung des Städtebaudiskurses. Wohnungsfrage und Arbeiterstadt. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2008), Anthologie zum Städtebau. Von der Stadt der Aufklärung zur Metropole des industriellen Zeitalters, Bd. I.2. Berlin: Gebrüder Mann, S. 809–821. Perotti, Eliana (2011), Vom workhouse zur company town. Der britische Diskurs über Städtebau, Sozialpolitik und Arbeit im Zeitalter der Industrialisierung. In: Lampugnani, Vittorio Magnago/Katia Frey/Eliana Perotti [Hrsg.] (2011), Stadt und Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Gebrüder Mann, S. 46–65. Piltz, Eric (2008), „Trägheit des Raums“. Fernand Braudel und die Spatial Stories der Geschichtswissenschaft. In: Döring, Jörg/Tristan Thielmann [Hrsg.] (2008), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, S. 75–102. Portis-Winner, Irene (2011), The City: Whose City? In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011. http://www.inst.at/trans/18Nr/II-1/portis-winner18. htm [Datum: 14.11.2011]. Promitzer, Christian (2012), Grenzen der Bewegungsfreiheit. Die Diskussion um Quarantänen am Beispiel des Osmanischen Reichs und Bulgariens vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu den Balkankriegen (1912/13), In: Lamprecht, Gerald/Ursula Mindler/Heidrun Zettelbauer [Hrsg.]. Zonen der Begrenzung. Aspekte kultureller und räumlicher Grenzen in der Moderne. Bielefeld: transcript Verlag, S. 35–50. Pross, Harry (1991), Ritualisierung des Nationalen. In: Link, Jürgen/Wulf Wülfing [Hrsg.] (1991), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 16–52. Qingdao Cultural Relics Bureau [Hrsg.] (2007), Badaguan. A Union of the Diversified. Beijing: Cultural Relics Press. Renggli, Cornelia (2007), Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen: Eine Analyse von Sag- und Sichtbarkeitsverhältnissen nach Foucault. In: Forum Qualitative Sozi-
Literaturverzeichnis
319
alforschung/Forum: Qualitative Social Research, 8(2), Art. 23, https://www.qualitativeresearch.net/index.php/fqs/article/view/245 [Datum: 25.01.2012]. Richter, Wolfgang/Jürgen Zänker (1988), Der Bürgertraum vom Adelsschloss. Aristokratische Bauformen im 19. und 20. Jahrhundert. Reinbek: Rowohlt. Rivinius, Karl Josef (1987), Weltlicher Schutz und Mission. Das deutsche Protektorat über die katholische Mission von Süd-Shantung. Köln: Böhlau. Rivinius, Karl Josef (1998), Die katholische Mission im Alltagsleben von Tsingtau, in: Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin, S. 74–85. Roeßiger, Susanne/Heidrun Merk [Hrsg.] (1998), Hauptsache gesund! Gesundheitsaufklärung zwischen Disziplinierung und Emanzipation. Marburg: Jonas Verlag, S. 59–76. Rogaski, Ruth (2014), Hygienic Modernity. Meanings of Health and Disease in Treaty-Port China. Berkeley: University of California Press. Rudolph, Enno (2009), Symbol, Metapher, Mythos: Komplemente oder Konkurrenten sprachlicher Visualisierung? In: Münkler, Herfried/Jens Hacke [Hrsg.] (2009), Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation. Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 11–22. Sarasin, Philipp (2001), Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765–1914. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Sarasin, Philipp (2003), Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Sarasin, Philipp (2004), Die Visualisierung des Feindes. Über metaphorische Technologien der frühen Bakteriologie. In: Geschichte und Gesellschaft 30. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 250–276. Sarasin, Philipp (2011), Die moderne Stadt als hygienisches Projekt. Zum Konzept der „Assanierung“ der Städte im Europa des 19. Jahrhunderts. In: Lampugnani, Vittorio Magnago, Katia Frey, Eliana Perotti [Hrsg.] (2011), Stadt und Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert. Berlin: Gebr. Mann, S. 99–112. Schäfer, Lothar/Thomas Schnelle (2012): Ludwik Flecks Begründung der sozilogischen Betrachtungsweise in der Wissenschaftstheorie. In: Ludwik Fleck [Hrsg.] (2012), Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. VII–XLIX. Schauz, Désirée (2010), Diskursiver Wandel am Beispiel der Disziplinarmacht. Geschichtstheoretische Implikationen der Dispositivanalyse. In: Landwehr, Achim [Hrsg.] (2010), Diskursiver Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 89–114. Scheper-Hughes, Nancy/Margaret M. Lock (1987), The Mindful Body. Prolegomenon to Future Work in Medical Anthropology. In: Medical Anthropology Quarterly, Bd. 1,1 (März 1987), American Anthropological Association, S. 6–41. Schlich, Thomas (1995), „Wichtiger als der Gegenstand selbst“ – Die Bedeutung des fotografischen Bildes in der Begründung der bakteriologischen Krankheitsauffassung durch Robert Koch. In: Dinges, Martin/Thomas Schlich [Hrsg.] (1995), Neue Wege in der Seuchengeschichte. Stuttgart: Steiner, S. 143–174. Schlögel, Karl (2011), Im Raume Lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt a. M.: Fischer.
320
Literaturverzeichnis
Schlögl, Rudolf (2005), Interaktion und Herrschaft. Probleme der politischen Kommunikation in der Stadt. In: Stollberg-Rilinger, Barbara [Hrsg.] (2005), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin: Duncker und Humblot, S. 115–128. Schroer, Marcus (2008), Bringing Space back in – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie. In: Döring, Jörg/Tristan Thielmann [Hrsg.] (2008), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, S. 125–148. Schuster, Ingrid (1988), Vorbilder und Zerrbilder. China u. Japan im Spiegel der deutschen Literatur 1773–1890. Bern: Lang. Schwarz, Thomas (2002), Die Kultivierung des kolonialen Begehrens – ein deutscher Sonderweg? In: Honold, Alexander/Oliver Simons [Hrsg.] (2002), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden. Tübingen-Basel: Francke, S. 85–104. Schwarz, Thomas (2010), Colonial Disgust: The Colonial Master’s Emotion of Superiority. In: Langbehn, Volker [Hrsg.] (2010), German Colonialism and Modern Memory. New York/London: Routledge, S. 182–196. Shao, Limin (2013a), Planning Requirements for the Sustainable Conservation of Landscape Features in Qingdao Historical and Cultural Protected Area from Considering the Existing Liyuan Blocks, China (Abstract), http://www.jsps.go.jp/english/e-ronpaku/data/data_ fellows/FY2012/03_CSC-10821.pdf [Datum: 27.11.2014]. Shao, Limin/Hiroyuki Kanekiyo (2013b), Research into Liyuan Buildings, the Spatial Composition of Liyuan Blocks and Liyuan Residents’ Lifestyles in Qingdao, China. In: Art and Design Review 2013, 1,1, S. 6–9. Spence, Jonathan D. (1999), The Chan’s Great Continent. China in Western Minds. New York/London: Norton. Spree, Reinhard (1981), Kurpfuscherei-Bekämpfung und ihre sozialen Funktionen. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: Psychiatrie-Verlag, S. 103–122. Steinmetz, George (2002), Precoloniality and colonial subjectivity: ethnographic discourse and native policy in German overseas imperialism, 1780s–1914. In: Political Power and Social Theory Bd. 15, S. 135–228. Steinmetz, George (2007), The Devil’s Handwriting: Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa. Chicago: University of Chicago Press. Stenseth NC et.al. (2008) Plague: Past, Present, and Future. In: PLoS Med 5(1): e3. doi:10.1371/journal.pmed.0050003 [Datum: 16.01.2016]. Stiftung zum Erhalt von Gebäuden deutscher Bauart in China (2010), Broschüre. Berlin. Stingelin, Martin (2003), Biopolitik und Rassismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Stolberg, Michael (2000), Gewerblich-industrielle Luftverschmutzung und Stadthygiene im 19. Jahrhundert. In: Vögele, Jörg/Wolfgang Woelk [Hrsg.] (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert). Berlin: Duncker und Humblot, S. 275–291. Stoler, Ann Laura (2013), Foucaults ‚Geschichte der Sexualität‘ und die koloniale Ordnung der Dinge. In: Conrad, Sebastian/Shalini Randeria/Regina Römhild [Hrsg.] (2013), Jenseits des Ethnozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Campus, S. 301–321.
Literaturverzeichnis
321
Stoler, Laura Anne (2004), Race and the Education of Desire. Foucault’s History of sexuality and the colonial order of things. Durham: Duke University Press. Stollberg-Rilinger, Barbara [Hrsg.] (2005), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin: Duncker und Humblot. Struck, Wolfgang. (2010), Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik. Göttingen: V&R unipress. Teters, Daina (2011), The Semiotics of Paths, Roads, and Streets. In: TRANS. InternetZeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18(2011). http://www.inst.at/trans/18/ccks-staedte-kulturen-wissensgesellschaften-cities-cultures-knowledge-societies/ii-1/dainateters-the-semiotics-of-paths-roads-and-streets/ [Datum: 14.11.2011]. Thompson, Marie (2012), Productive Parasites. Thinking of Noise as Affect. In: Cultural Studies Review. Bd. 18,3, 2012. S. 13–35. Thoralf Klein (2010), Die Hunnenrede (1900), In: Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt a. M.: Campus, S. 164–176. Tuan, Yi-Fu (1980), Landscapes of Fear. Oxford: Blackwell. Ulrich, Anita (1989), Ärzte und Sexualität – am Beispiel der Prostitution. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: PsychiatrieVerlag, S. 223–236. Vasold, Manfred (2008), Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa. Stuttgart: Steiner. Vigarello, Georges/Linda Gränz/Wolfgang Kaschuba [Hrsg.] (1992), Wasser und Seife, Puder und Parfüm: Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter. Frankfurt a. M.: Campus. Vögele, Jörg (2000), Die Entwicklung der Gesundheitsverhältnisse in deutschen Städten während der Industrialisierung. In: Vögele, Jörg/Wolfgang Woelk [Hrsg.] (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), Berlin: Duncker und Humblot, S. 99–114. Vögele, Jörg, Wolfgang Woelk (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition. Eine Einführung. In: Vögele, Jörg/Wolfgang Woelk [Hrsg.] (2000), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert). Berlin: Duncker und Humblot, S. 11–34. Waldenfels, Bernhard (1990), Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Waldenfels, Bernhard (2009), Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen. Modi leibhaftiger Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Waldschmidt, Anne (2007), Behinderte Körper. Stigmatheorie, Diskurstheorie und Disability Studies im Vergleich. In: Junge, Torsten/Imke Schmincke [Hrsg.] (2007), Marginalisierte Körper. Zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers. Münster: Unrast Verlag, S. 27–44. Wang, Jianan (2013), Städtebauentwicklung in Qingdao (Tsingtau), Eine historische, soziale und städtebauliche Analyse zur Verbesserung der Städtebauentwicklung. Städtebau-Institut. Universität Stuttgart. Warner, Thorsten (1994), Deutsche Architektur in China. Architekturtransfer. Berlin: Ernst und Sohn. Warner, Torsten (1996), Die Planung und Entwicklung der deutschen Stadtgründung Qingdao (Tsingtau) in China. Der Umgang mit dem Fremden. Hamburg-Harburg: Techn. Univ.
322
Literaturverzeichnis
Warnke, Ingo H. (2009), Deutsche Sprache und Kolonialismus. Umrisse eines Forschungsfeldes. In: Warnke, Ingo H. [Hrsg.] (2009), Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884–1919. Berlin: Walter de Gruyter, S. 3–64. Warnke, Ingo H. [Hrsg.] (2009), Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884–1919. Berlin: Walter de Gruyter. Watts, Sheldon (1997), Epidemics and History. Disease, Power and Imperialism. New Haven: Yale University Press. Weindling, Paul (1989a), Health, race and German politics between national unification and Nazism, 1870–1945. Cambridge: University Press. Weindling, Paul (1989b), Hygienepolitik als sozialintegrative Strategie im späten Deutschen Kaiserreich. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts. Bonn: Psychiatrie-Verlag, S. 38–56. Weindling, Paul (1997), Die deutsche Wahrnehmung des Fleckfiebers als Bedrohung aus dem Osten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. In: Hubenstorf, Michael Hrsg.] (1997), Medizingeschichte und Gesellschaftskritik. Festschrift für Gerhard Baader. Husum: Matthiesen, S. 324–339. Wietschorke, Jens (2010), „Go down to the East End“. Zur symbolischen Topographie des urbanen Ostens um 1900. In: Gebhard, Gunter/Oliver Geisler/Steffen Schröter [Hrsg.] (2010), Das Prinzip „Osten“. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums. Bielefeld: transcript Verlag, S. 77–102. Wilding, Peter (1999), Technik und Urbanität. Der Ausbau der technischen Infrastruktur als Leitmotiv städtischer Modernisierung in Wien und Graz um 1900. In: Uhl, Heidemarie [Hrsg.] (1999), Kultur – Urbanität – Moderne. Differenzierungen der Moderne in Zentraleuropa um 1900. Wien: Passagen-Verlag, S. 243–286. Wippermann, Dorothea, Klaus Hirsch (2007), Interkulturalität im frühen 20. Jahrhundert. Richard Wilhelm: Theologe, Missionar und Sinologe. Frankfurt a. M.: Iko-Verlag. Withalm, Gloria/Anna Spohn (2011), Section report: Signs and/in/on the City. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011. http://www.inst.at/ trans/18Nr/II-/sectionreport.htm [Datum: 14.11.2011]. Wolff, Eberhard (2010), Medikale Landschaften. Das Sanatorium als gedachte und gelebte Gesundheitsgeographie. In: Eschenbruch, Nicholas/Dagmar Hänel/Alois Unterkircher [Hrsg.] (2010), Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit. Bielefeld: transcript Verlag, S. 21–42. Wood, Denis/John Fels (2011), Designs on Signs/Myth and Meaning in Maps. In: Dodge, Martin [Hrsg.] (2011), Classics in Cartography. Reflections on Influential Articles from Cartographica. Oxford: Wiley, S. 209–260. Xu, Jian (1998), Die deutsche Kulturpolitik in China und ihre Auswirkungen in den Jahren 1897–1914. In: Hinz. Hans-Martin, Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin, S. 152–160. Yiftachel, Oren (2000), Social Control, Urban Planning and Ethno-Class Relations: Mizrahi Jews in Israel’s ‘Development Towns’. In: International Journal of Urban and Regional Research, Bd. 24,2, S. 418–438. Yiftachel, Oren, Haim Yacobi (2003), Urban ethnocracy. Ethnicization and the Production of Space in an Israeli ‘Mixed City’. In: Environment and Planning D: Society and Space (2003), Bd. 21, S. 673–693.
Literaturverzeichnis
323
Zantop, Susanne M. (1999), Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770–1870), Berlin: Erich Schmidt. Zeller, Joachim (2008), Bilderschule der Herrenmenschen. Koloniale Reklamesammelbilder. Berlin: Links Verlag. Zhan, Erpeng (2002), Entstehung, Wandlung und Sanierung der „Hüttenviertel“ in Qingdao (Tsingtau): Siedlungsbau und Veränderung der Stadtstruktur als soziales Problem in den Küstenstädten der VR China. Berlin: Logos-Verlag. Zhao, Chunlan (2004), From Dhikumen to new-style: A rereading of lilong housing in modern Shanghai. In: The Journal of Architecture, 9 (2004), S. 49–76. Zhu, Maoduo (1998), Deutsche Wirtschaft und Herrschaft in Qingdao 1897–1914. In: Hinz, Hans-Martin/Christoph Lind [Hrsg.] (1998), Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1987–1914. Berlin: Deutsches Historisches Museum Berlin, S. 274–293. Ziethen, Gabriele (2011), Die Stadt in Deutschland als Raum der Identitätsfindung – ein Essay. In: TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften No. 18/2011. http:// www.inst.at/trans/18/ccks-staedte-kulturen-wissensgesellschaften-cities-culturesknowledge-societies/ii-4/gabriele-ziethen-die-stadt-in-deutschland-als-raum-deridentitaetsfindung/ [Datum: 14.11.2011]. Zimmerer, Jürgen (2013), Kein Platz an der Sonne: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt a. M.: Campus.
324
Literaturverzeichnis