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German Pages 394 [393] Year 2015
Pascal Goeke Transnationale Migrationen
Pascal Goeke (Dr. phil.) lehrt Geografie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtjMain. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Migrationsforschung und der Theoretischen Geografie.
PASCAL GoEKE
TRANSNATIONALE MIGRATIONEN
Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft
[transcript]
Die Arbeit wurde mit einem Graduiertenstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und einem Doktorandenstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Zug!. Osnabrück 2006: Transnationale Strukturen, Biografien und Identifikationen. Das Beispiel von Migrantinnen und Migranten mit Bezug zu Deutschland sowie Bosnien-Herzegowina, Kroatien oder Serbien-Montenegro. Dissertation im Fachbereich Geo- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück.
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommerciai-NoDerivatives 3.0 License.
Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Pascal Goeke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 97 8-3-8 994 2-66 5-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@ transcript-verlag.de
Inhalt
Einleitende Ordnungen
9
15 16 17 20 28 34 36 56 61
Theoretische Grundlagen Das transnationale Kritikpotenzial Globalisierung, Migration und Transnationalität - die Empirie Neue Migrationen- neue Theorien? Methodologischer Nationalismus - Methodenkritik Der wundersame Erfolg des Transnationalen-Eine Kritik an der Kritik Interdisziplinarität ohne Disziplinarität? Kritikappeal und doch keine gute Lösung- strukturelle Bedenken Die geografische Stimme im interdisziplinären Dialog Migration und Transnationalität in der Weltgesellschaft eine systemtheoretische Fassung , Theorie der Weltgesellschaft' statt ,Globalisierung'? Differenzierungsformen der Weltgesellschaft Integration und Assimilation- Standardthemen und Variationen InklusioniExklusion, Lebenslaufund strukturelle Kopplungen Identitäten, Identifikation und Hybridität Raum als Sinndimension
74 78 85 89 97 101 116
Migrationen zwischen Jugoslawien und DeutschlandTransnationalität avant Ia lettre? Literaturschwerpunkte zur deutsch-(post-)jugoslawischen Migration Produktionen der Belletristik: Alternative Deutungen des Kunstsystems Zahlendiskussionen und falsche Spuren Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsordnung und Flüchtlinge Migration und staatliche Anwerbeabkommen Wer von wo wohin wanderte Wirtschaftliche Disparitäten und des Migranten Schuld
121 122 125 127 129 132 134 137
Anwerbestopp und die Familie als System Bildungsentscheidungen in der Familie Der Zerfall Jugoslawiens und die Bedeutung für Migranten Jugoslawiens Ende Krieg, Flüchtlinge und Migration Der Westen und derBalkan-ein Projekt und kein Ort Die Kategorie ,Jugoslawe' und das Überraschungsmoment der Frage ,Wer waren die Jugoslawen?' Transnationale Strukturen in der Gegenwart Numerische Indizien zur Re- und Transmigration Rechtliche Grundlagen und Probleme Transnationaler Medienkonsum Lebenskontexte: Die Nürnberger Südstadt
138
142 145 145 147 152 157 159 159 166 167 169 173 175 178
Erkenntniswege- Grundlagen und pragmatische Umsetzungen Hermeneutische Grundlagen Geografie, Hermeneutik und Spurenlesen Zwischen Theorie und Empirie- über die Scheinalternative einer Relektüre Forschungsfragen und Forschung treiben Forschungsleitende Fragen Die Auswahl der Länder, der Personen und der Orte- mein Feld Das problemzentrierte Interview Auswertung und Interpretation- vom Vorwissen zum Wissen? Wer oder was muss interessant sein? Was ein Interview vermittelt und was verstanden werden kann Auswertung und Interpretation der Interviews
184 185 185 186 190 196 196 199 201
Transnationale Strukturen, Biografien und Identifikationen Ein Anfang - Wie Jugoslawien Jugoslawen in Deutschland integrierte Wie Willkür durch Grundsätze beschränkt werden konnte Willkür zwischen Konkretem und Abstraktem Wie die Willkür übersprang Resümee: Erlernte Unauffalligkeit als Grund der Nicht-Thematisierung Selbstintegration zwecks Remigration - Bildung und Immobilien Die ,modellhafte' Biografie von Tanja Srnka Bildung und Schule im Zeichen der Remigration Immobilien und sozialer Wandel Der Krieg- Planänderungen, Rechtfertigungen und Immobilien Entfremdende Demütigungen und territoriale Reduktionen Häusertausch zwischen Handeln und Erleben Hausverlust und Ordnungsversuche
205 207 210 211 215 220 222 223 226 247 259 261 265 270
Transnationalität in Familien Zwischen lieben und zahlen Kostspielige Mutter-Tochter-Liebe Lebenskontexte: Die Kroatische Mission Diaspora, Integration und Remigration unversöhnliche Missionen der Mission? Migrationsressource Familie oder rollt sich die Geschichte auf? Jelena Lajic als Vorposten der familiären Remigration Jasna Lajic- freie Migrantin in einem engen Familienfeld Transnationale Karrieren als Weg zur strukturellen Assimilation? Petar Klirrars reflektierende Jonglage Andrej Stojanovskis Biografie und die Präsentation des Zuf : zieht nach Novska
:
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1992
naal-za-greb _________________,.
1989
---------------------------------------:.----:::.------------------~------------------~ 1. Versuch nach Sarajewo zu ziehen··-· scheitert aufgrund der politischen Lage
10
Ältere Schwester zieht
5
0 1981 Nürnberg Mietwohnung
Zagreb Mietwohnung
Novska Haus
Sarajewo
In Zagreb besucht sie eine Schule für Modedesign und beschreitet somit einen Ausbildungsweg, den sie in Deutschland kaum finanzieren könnte und der ihr zudem den Zugang zu einem Universitätsstudium in der gleichen Fachrichtung ebnet. In Nürnberg, das sie in diesem Zusammenhang als Gefangnis beschreibt, sind ihr solche Möglichkeiten verschlossen oder mit ungleich größeren Mühen, wie etwa dem Weg übers Abendgymnasium, verbunden. Weil Jasna allerdings lediglich im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis für Deutschland ist, kann sie nicht ohne weiteres das Land zur Ausbildungszwecken verlassen und anschließend zurückkommen. Würde sie sich offiziell abmelden, so verlöre sie ihren Status. Die deutsche Staatsbürgerschaft kann sie auch nicht beantragen, weil sie derzeit weder eine Arbeits- noch eine Ausbildungsstelle in Deutschland nachweisen kann. Aus Sicherheitsgründen ist sie weiterhin, aber eben illegal, mit ihrem Erstwohnsitz in Nürnberg gemeldet - ihre dort lebenden Eltern vereinfachen und decken diese Anmeldung. Wie ihre ältere Schwester ist Jasna darauf bedacht, nationale Rahmurrgen von sich zu weisen. Sicherlich hat sie starke emotionale Bindungen an Kroatien, möchte diese aber nicht mit dem überschwänglichen Nationalismus der 1990er
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Jahre in Verbindung bringen. In diesem Zusammenhang berichtet sie von Auseinandersetzungen in der Kroatischen Mission Nürnbergs. Mit dem dort anzutreffenden ideologischen Heimatbegriff möchte sie ebenso wenig assoziiert werden wie mit dem klerikalen Familienbegriff. Ihre Erzählungen deuten auf das in , Gastarbeitemarrationen' spannungsreiche Verhältnis von Armut und Heimat hin. Die Konstellation oder das eingefahrene Deutungsmuster verläuft in etwa so: Armut ist der große Metarahmen für die ,Gastarbeiterrnigration' in den 1960er und 1970er Jahren. Menschen verließen ihre Heimat schweren Herzens und konnten nicht zurückkehren, weil sich an der Armut nichts änderte. Und weil sich die wirtschaftliche Lage nicht besserte, kehren heute nur jene zurück, die ihre Heimat lieben und die Armut erdulden. Ein fürwahr krudes Bild, das näher ausgeführt werden soll. Ich selbst wurde an Vereinstheken, nach Gottesdienstbesuchen oder anderen Vargesprächen immer wieder auf die große Armut hingewiesen. Das Bild der Armut ist nicht ganz falsch, aber undifferenziert. Nun soll hier nicht aus einer post-materialistischen oder konsumfeindlichen Position argumentiert werden, aber die Tradierung der Armutserzählung verstellt den Blick auf die Chancen in den post-jugoslawischen Staaten. Die Armutserzählung soll hier auch nicht lächerlich gemacht werden, denn in einem bosnischen Dorf abseits der Touristenpfade sind die Entwicklungsmöglichkeiten sehr begrenzt, doch es gibt nicht nur bosnische Dörfer. Armut als den erklärenden Faktor für die Migration zu bemühen, hat aber eine wichtige Funktion. Er legitimiert das Verlassen der geliebten Heimat. Man wird im Einzelfall darüber streiten müssen, ob es sich um Unwissenheit, um eine Lebenslüge oder um eine sehr treffende Situationsbeschreibung handelt, wenn Armut als die Erklärung für das Fortgehen und vor allem das Fortbleiben herangezogen wird. Da sich das materielle Gefalle zwischen Deutschland und den jugoslawischen Nachfolgestaaten nicht flächendeckend reduziert hat, kann der erklärende Armutsfaktor aber in seiner Grobheit fortbestehen. Zudem ist Armut in der modernen Gesellschaft meist relativ und Besitz immer steigerungsfahig. Jasnas Mutter verwendet diese Narration, um die Gemütslage der Mehrheit von Migranten in Deutschland zu beschreiben: Jagoda Lajic: [ ... ] Hm, die meisten Menschen sind aus einer bitteren Armut gekommen und irgendwann sind zu Geld gekommen und die haben immer Angst vor arm, dass sie wieder verarmen. Die sehen überhaupt nicht weit genug, entweder die haben jetzt Geld und der Haufen muss immer größer werden und mit dem Geld - habe ich Geld, daun bin ich wer. Die gehen sehr viel arbeiten, aber die verplempern auch ihr Geld und so ist es zum Beispiel auch, dass die Kinder total unnütze Sachen bekommen, die den Kindem auch nicht nützen, auf gar keine Art und Weise. Also ich werde meinem Kind nie zum 18. Geburtstag ein nagelneues Auto schenken, das würde mir nie im Traum einfallen. Und das machen aber unsere Leute und das sind die Leute, die selber wenig Ausbildung haben, die in einer bestimmten Gegend aufgewachsen sind, wo sagen wir einmal es große Armut gegeben hat.
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Wer nun in diesem groben Bild remigrieren möchte, dem wird schnell unterstellt, dass die Liebe = Heimat der Grund sein muss. Bei Heimat handelt es sich zunächst um einen gewöhnlichen Identifikationsmodus. Man erklärt sich etwa einer bestimmten Region oder einem bestimmten Milieu fiir zugehörig. Es ist dann eine offene Frage, ob andere diese Zugehörigkeitserklärung akzeptieren. Man kann auch von anderen auf eine Heimat reduziert werden und wird sich vielleicht dagegen wehren. Mit der Verwendung des Begriffs Heimat wird im Gegensatz zu Identifikationen wie etwa Musiker, Bauarbeiter, Wissenschaftler oder Mutter ein überdurchschnittliches Maß an Urwüchsigkeit und Verwurzelung ausgedrückt. Sich mit einer Heimat zu identifizieren, bedeutet zugleich sich mit etwas zu verbinden, das der eigenen Lebenszeit vorausgeht und noch nach dem Tod bestehen wird. Nicht zufällig stützen sich Heimatbeschreibungen aufNaturmetaphem. Kann es folglich sein, dass Heimat als ein Gefiihl imaginiert wird, welches sprachlich nicht auszudrücken ist. Heimat entfaltet ihre soziale Relevanz also nicht weil besondere Hormone ausgeschüttet werden, die sprachlich nicht zu fassen sind, sondern ihre Unbeschreibbarkeit ist Konstituens. Die Umschreibung mit Metaphern muss dann als Bedingung ihres Erfolges gelten. Köunte man Heimat genau fassen, verlöre sie augenblicklich ihre doch eigentlich unfassbare Magie. Dazu eine Passage von Jasnas Mutter über die Frage der Anpassung: Jagoda Lajic: [ ... ] Umändern, umändern will ich mich nicht. Weil ich habe mir durch diese ganze Lebensweise, ich habe mir nichts zu Schulde kommen lassen und daun frage ich mich: Wamm soll ich mich jetzt entwurzeln? Das tue ich nicht. Will ich nicht. Ich, sagen wir mal, ich tue mich gerne mit einem Baum eigentlich mit einem Baum vergleichen, und eine starke Krone kann nur bei einer starken Wurzel sein und in dem Moment, wo man einen entwurzelt, da nimmt man ihm irgendwie die Standfestigkeit, auch charakterlich aber auch psychisch. Da tun sich Leute, die ich beobachtet habe, die tun sich so Fantasiegeschichten und sagen wir mal Lügengeschichten äh, über die Augen bei uns sagt man. Ja also bei uns sagt man, ja Milch vor den Augen fließen lassen und dann siehst du einfach durch und das möchte ich nicht, das möchte ich nicht. Meine Wurzel aus Bosnien, also ich bin eine Kroatin aus Bosnien und trotzdem mit den ganzen Geschichten, ich schätze meine Ahnen und ich bin sehr liberal erzogen worden. Die Metapher des Baumes vermittelt natürliche Gesetzmäßigkeiten, die sich einem menschlichen Zugriff entziehen. Die Natur und die Heimat werden als transzendenter Sinn für das alltägliche Leben bestimmt. Der Verweis auf die Geschichten und die Ahnen in Bosnien-Herzegowina stützt dieses Bild. Selbstverständlich gibt es auch andere Möglichkeiten, Heimatverbundenheit darzustellen. Mal wird der Triglav als Herald der Heimat bezeichnet, eine andere Interviewpartnerin berichtet von rituell anmutenden Praktiken bei der Reise nach Kroatien. Maja Milojevic: [ ... ] Zagreb! [ ... ] Ich habe da halt die beste Zeit meines Lebens verbracht und das wird immer so bleiben. Also was ich alles erlebt habe, das und vor allem die Leute, die ich kennengelernt habe, das sind Freundschaften fiirs Leben und das ist der absolute Wahnsinn. Weil, also bei Zagreb ist es so, also wenn ich nach Zagreb fahre, dann schaue ich immer, dass ich nachts reinfahre. Die gelben Lichter, alles was
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ich früher immer so gehasst habe, finde ich jetzt so toll. Ich kann immer noch nicht verstehen, warum die gelbe Lichter haben, ekelhaft, das ist so kommmäßig- so: Hallo Kommunismus! Auf jeden Fall, das ist so das erste und dann sobald ich über die Grenze komme sofort kroatische Lieder, also einen Sender, dieser eine Sender, der nur kroatische Musik hat. So kroatische Lieder und die spielen auch alte Lieder. PG: Und wie heißt der? MM: Narodni Radio! Das ist so, das ist mein Ritual, auch so nach dem Grenzübergang: Halten! Eine Zigarette auf dem kroatischen Boden! Das ist so, ja das ist halt so ein Ritual, ja und das verbinde ich mit Zagreb und ja das ist meine Heimat und ich liebe die Stadt.
Selbstverständlich ist die Verbindung zwischen diesen Bildern Ergebnis meiner Interpretationen, doch es ist im Folgenden recht leicht zu erkennen, dass Jasna mit diesem oder einem ähnlich überhöhten Heimatbild zu kämpfen hat. Es bedarf daher zusätzlicher Anstrengungen, um sich zu beschreiben. Die folgende Passage schließt die Problematik auf. Jasna Lajic: [ ... ] Und ich war dann auch mal hier [in Kroatien], ein halbes Jahr. PG: Und was hast du da gemacht, vielleicht fangen wir mal mit dem halben Jahr an. JL: Ich war halt irgendwie, also ich war auf der FOS [Fachoberschule] in Deutschland, Gestaltung, und daun habe ich das abgebrochen. Und daun wusste ich nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Und daun bin ich eben mal hierher gegangen. //Lacht// So einfach! Nee, also es gibt bei mir keine großen Beweggründe, also es ist nicht so, dass ich jetzt ,ja Heimat' oder so, also das ist bei mir nicht, überhaupt nicht. Das ist bei mir überhaupt nicht so. [ ... ] Ja, ich weiß nicht, ich habe die Ausbildung [in Nürnberg] gemacht und dann wollte ich wieder hierher und hatte aber eine Beziehung und wollte wegen meinem Freund nicht hierher. Ja, so ganz dumme Gründe sind das eigentlich. Also bei mir war das nicht so, ja ich muss jetzt unbedingt hier her, weil meine Eltern hier geboren sind. Ich bin eher so ein praktischer Mensch! Es hat mir hier gefallen und daun bin ich einfach hierher gekommen. PG: Wenn du sagst, du bist nicht so ein Mensch, bei dem die Rückkehr so wichtig ist. Gibt es denn viele, die sagen, dass das wichtig ist? JL: Ja, ich denke schon, ich weiß es nicht. Ich war eigentlich, also in Deutschland war ich zwar mit Kroaten zusammen, aber das war eher so dieses in der Kroatischen Mission, aber so im Freundeskreis war ich nicht so mit Kroaten zusammen. Also ich war eher gemischt, deutsch und was weiß ich, alles mögliche und es hat mich nicht so interessiert, was die so reden. Die waren mir meistens zu, ich weiß nicht, die haben so eine Scheinvorstellung, oder so etwas und die leben noch so, ich weiß nicht, 1960 oder so. Keine Ahnung. PG: Was meinst du damit? JL: Ja irgendwie, die haben so eine Vorstellung, wie das hier abläuft und die wollen alle irgendwie zurück. Aber das ist alles so mit diesem, ja diesem, ja Heimat! Und bla und so diese Heimat und dieses so äh, Heimat und so. Weißt du was ich meine? PG: Ja, ungefähr.
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JL: Und bei mir ist das nicht so. Bei mir ist das einfach so okay. Ich finde es jetzt ganz gut und jetzt bin ich eben hier. Aber vielleicht bin ich in fünf Jahren in Neusee land, ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht so ein, so dieses nationale, diese Einstellung, das habe ich nicht. [ ... ] PG: Wie hat denn dein Umfeld reagiert, als du sagtest, du gehst jetzt nach Zagreh und machst deine Ausbildung hier? JL: Ja ich schätze mal. .. Also ich glaube, die haben gedacht, ich kann nicht ohne meine Eltern leben. Nein, Schmarrn. Nein, ich weiß nicht. Also ein Kommentar war: Man geht nicht von einem Pferd auf einen Esel! PG: Wer hat das gesagt? JL: Ja einer aus dem engeren Umfeld und ich will jetzt da keine Namen nennen. PG: Das ist okay. Und wie reagierst du dann? JL: Überhaupt nicht! PG: Du ignorierst das!? JL: Ja, so etwas berührt mich nicht. Ich weiß ja nicht. Kommt darauf an, wie das Pferd ist. Ja! Ich weiß nicht. Ich habe nie so auf die Meinung der anderen geachtet. Und ich meine in Nümberg war es ja auch ganz schlimm, dass ich ja irgendwie so mal mit Kroaten zusammen war und mal nicht und was weiß ich. Das war ja daun schon schlimm und auf einmal gehe gerade ich zurück!
Sie selbst beschreibt ihre Migration als eine ohne große Beweggründe. Ihre Motivation beschreibt sie gar als dumm. Der Horizont für diese Abwertung ist ein überhöhtes Bild von der Heimat beziehungsweise die Annahme, dass nur der Heimatliebe wegen migriert werden könnte. Die Zurückweisung dieses möglichen Migrationsmotivs wird durch die Schilderung der Kontakte in ihrer Kindheit und Jugend weiter unterstrichen. Damals sei sie nicht ausschließlich mit Kroaten zusammen gewesen. Die Vorstellung von der Heimat bewertet sie als Scheinvorstellung, die vielleicht noch aus den 1960er Jahren stamme. Wie es das Konzept der Heimat mit sich bringt, ist auch sie nicht in der Lage es auszubuchstabieren und ist erleichtert, dass ich wenigstens mit einem "Ja, ungefahr" auf ihre Verständnisfrage antworte. Sofort werden ihre Sätze wieder konkreter und sie erwähnt, dass sie in fünf Jahren vielleicht ganz woanders sein könnte. Diebegrenzte Beobachtungsgabe des Kommentars, dass man nicht von einem Pferd auf einen Esel steige, entlarvt sie, indem sie auf die kontextuelle Gebundenheit des Pferdes aufmerksam macht. Das Pferd oder der Esel, die der Kommentator pauschal für Deutschland und Kroatien verwendet, sind als nationale Kategorien nur eingeschränkt zur Erklärung von Migrationsprozessen geeignet. "Kommt darauf an, wie das Pferd ist", könnte in systemtheoretischer Diktion lauten, dass sie nicht von Deutschland oder Kroatien inkludiert werden möchte, sondern einen guten Ausbildungsplatz und die Nähe zu ihrer Schwester sucht. Dafür ist sie bereit, systemspezifische Anpassungsleistungen zu erbringen. Dumm ist ihre Entscheidung also nur vor einem bestimmten Hintergrund. Legt man jedoch den Maßstab der individuellen Entfaltung an, so ist ihre Migration ausgesprochen clever, weil sie durch ihre Migrationen einen sozialen Aufstieg vollzieht.
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Transnationale Karrieren als Weg zur strukturellen Assimilation? In Jelenas und Jasnas Biografien deutete sich neben der großen Bedeutung der Familie auch die Prominenz von Bildungschancen bei Migrationsentscheidungen an, denn sie beide absolvierten oder absolvieren Teile ihrer Bildungskarrieren in Zagreb. Das Thema Bildungsprozesse ist hier aus zwei Gründen eine Vertiefung wert. Erstens kommt es in diesem Zusammenhang zu interessanten Migrationsbiografien. Und zweitens kann der theoretische Streit zwischen Assimilationisten, Transnationalisten und Systemtheoretikern mit empirischen Argumenten fortgeführt werden. Die Beobachtungsspur greift sinngemäß die Aussage von Esser auf, dass transnationale Mehrfachinklusionen unwahrscheinlich seien und ein Ausmaß an Lernaktivitäten und -gelegenheiten erfordern würden, das den meisten Migranten verschlossen sei (Esser 2001: 99). Die Verschlossenheit von Lerngelegenheiten wird als Faktum nicht bestritten, aber es wird sich die Frage aufdrängen, ob die Alternativlosigkeit von Assimilation an einem Ort so gegeben ist. Und es drängt sich die Frage auf, wer seine Strukturen wie zu ändern hat. Die folgenden Biografien von Petar Klinar, Andrej Stojanovski, Vesna Babic und anderen zeigen in unterschiedlichen Nuancen, welche sozialen Aufstiegsoder Entfaltungsmöglichkeiten sich durch transnationale Aktivitäten ergaben. Bei Andrej und Vesna kann sogar argumentiert werden, dass ihnen die soziale Mobilität nur aufgrund der Transnationalisierung ihrer Lebensführung gelang, weil ihnen vergleichbare Karrierepfade in Deutschland verschlossen waren oder nur mit ungleich größeren Mühen und Kosten zu beschreiten gewesen wären. Damit demonstrieren die Migranten durch ihre Aktivitäten, dass bei ihnen genau das Gegenteil dessen eintritt, was in der Assimilationstheorie befürchtet wird. Nicht Marginalisierung ist das Ergebnis einer transnationalen Orientierung, sondern, in den Worten und mit den Indizes der Assimilationstheorie, eine strukturelle Assimilation. Denn in einer nationalen Statistik werden sie aufgrund ihrer formalen Abschlüsse und zum Teil aufgrund ihrer Einkommen in einer überdurchschnittlich hohen Position erscheinen. Sie müssten folglich als assimiliert gelten, weil die Unterschiede zu Deutschen gering sind und sie müssten eigentlich auch als integriert gelten, weil die sozialstatistischen Indikatoren angeblich genau darauf hinweisen. Erneut ist zu erkennen, wie unscharf der verwendete Integrationsbegriff ist, denn sie sind gerade nicht integriert, sondern frei. Insgesamt handelt sich die Assimilationstheorie ein ernsthaftes Problem ein, das nicht einfach als (unwahrscheinliche) Residualkategorie abgetan werden darf. Einige Vorbemerkungen sollen die Einordnung der Fälle erleichtern. Bei Petar Klinar wird eher von Mobilität gesprochen, weil seine Umzüge so fließend sind, dass sie von ihm selbst kaum mehr als Migration bezeichnet werden. Bei Andrej und Vesna wird hingegen von Migration und nicht von (Studierenden-)mobilität gesprochen. Denn siebeidezogen nach Kroatien, um in das dortige Bildungssystem inkludiert zu werden. Bei Studierenden, die beispielsweise
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I TRANSNATIONALE MIGRATIONEN
im Rahmen des europäischen Erasmusprogramms ins Ausland gehen, ist die Inklusion in ein Bildungssystem oder gerrauer die formale Mitgliedschaft in einer Universität die Voraussetzung für den HochschulwechseL Etwas Distanz wird auch zu Deutungen gehalten, welche die Auslandsaufenthalte vermutlich als ,Rites de Passage' verstehen würden (vgl. King/Ruiz-Gelices 2003; Balaz/Williams 2004). Eine solche Deutung mag für die internationale oder europäische Studierendenmobilität zutreffen, doch bei den hier rekonstruierten Biografien wurde ein viel zu langer Zeitraum im Ausland verbracht, als dass noch von einer Passage gesprochen werden könnte. Es geht also nicht wie bei Passageriten um Eintritte in neue Lebensabschnitte, sondern um den Lebensabschnitt an sich. Und dieser Lebensabschnitt ist zugleich als sehr relevantes Merkmal für zukünftige Inklusionen auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen. Weil die Migrationsforschung schon lange weiß, dass Ungleichheiten zwar eine entscheidende Voraussetzung für Migrationen sind, aber nicht automatisch dazu führen, reicht es nicht aus, den vermeintlich diskreten Akt der Wanderungsentscheidung zu betrachten. Vielmehr muss der jeweilige Kontext Beachtung finden. Dabei wird sich abermals die Bedeutung der Familie, hier insbesondere die Bedeutung von familiären Immobilien, zeigen, denn sie und andere Faktoren tragen ihren Teil dazu bei, dass Migrationen mit weniger Friktionen einhergehen. Zuletzt muss für Kroatien bedacht werden, dass die 1990er Jahre die Zeit eines überschwänglichen kroatischen Nationalismus waren. Dabei wurde auch die Bedeutung der kroatischen Diaspora betont. Zwar zielte die Integration dieser Diaspora in die nationale Identität hauptsächlich auf die in Bosnien-Herzegowina lebenden Kroaten, weil hier noch um territoriale Ansprüche gefochten wurde, doch die Rhetorik erfasste auch Migranten in Nord-, Mittel-, und Westeuropa sowie in Überseestaaten. Sogenannten Heimkehrern wurde eine besondere Wertschätzung zuteil, die sich beispielsweise in staatlichen Stipendien für heimkehrende Studierende äußerte.
Petar Klinars reflektierende Jonglage Petar Klinar fand bereits Beachtung, als es um die Problematik des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts ging. Er hatte sich erstaunt gezeigt, dass er als Kind einmal den Besuch habe abbrechen wollen. Erstaunt deshalb, weil ich ihn mit einer Aussage seiner Mutter konfrontiert hatte, die er zwar nicht bestritt, doch deren Einfügung in sein Selbstbild ihn einen Augenblick der Mühe kostete. Die Besonderheit des Gespräches mit Petarbestand in seinem auffallend hohen und elaborierten Reflexionsniveau. Petar glich einem Augur, schien gelegentlich meine Interpretationen zu antizipieren, um sie dann mit seinem nächsten Satz zu zerstören. Die folgende Passage ist so ein Beispiel, in der einer ihm eventuell nicht genehmen Interpretation vorausschauend der Boden entzogen wurde. Es geht um die Frage, wie präsent Migration in seiner Lebenswelt gewesen ist.
TRANSNATIONALE STRUKTUREN , BIOGRAFIEN , IDENTIFIKATIONEN
1311
Abbildung 21: Biografische Skizze von Petar Klinar Biografische Skizze von Petar Klinar
Alter Jahr
2003 35_
Wohnortvon Mutter und Schwester
Aktueller Arbeitsplatz/ Wochenpendler
Regelmäßige Kontakte
30_
Wohnort von Frau und Sohn
Magisterarbeit in Kroatien, Betreuung in Erlangen
25_ 1991
Promotion in Kroatien, Betreuung in München
J
20_ Kontinuierlicher Austausch; z. B. Schulbesuche in Kroatien, wenn die ~ deutschen Ferien in kroatische Schulzeiten fielen
15
~-
1980 Tod des Vaters
10_
Einschulung 5_ Wächst bei seinen Großeltern in Dalmatien auf
0 J966 Gelsenkirchen
Nürnberg Haus
Podgora Haus
München Wohnung
Göttingen Wohnung
Petar Klinar: Ja! Also ich kenne jetzt, also ich kenne überhaupt keine einzige kroatische Familie muss ich sagen, wenn ich jetzt wirklich darüber nachdenke, keine einzige Familie, die nicht irgendjemanden irgendwo hat. Und meistens sogar mehrere. Also, wir haben nns ja vorher kurz beim Essen drüber nnterhalten, es ist eben so, die Juden nnd die Iren nnd die Kroaten haben eben die größte Diaspora nnd insofern ist das glaube ich, ja etwas was man als normal in Anfiihrnngszeichen einfach mit integriert hat, ja nnd äh ich weiß nicht dieses schlechte Gewissen [wenn man sein Land verlässt], ich denke jetzt so darüber nach: Anfang der 90er Jahre während dieses Krieges, also ich war während meiner Magisterarbeit war ich auch nnten in den Semesterferien nnd dann auch eben dieses halbe Jahr was einem fiir die Magisterarbeit gegeben ist. Und das war gerade in
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der Zeit, wo diese Bombenangriffe waren, das heißt, ich habe die mitbekommen, ich habe den Krieg da mitgekriegt ... PG: Das war 91 dann?
PK: Ja, 91! Und, da gab es dann einige und das habe ich auch mitbekommen, die eben aus der Diaspora, daun eben das Bedürfnis verspürt haben, ja sich jetzt als besonders gute Kroaten wie sie meinten zu zeigen und sich dann freiwillig gemeldet haben in dieser Nationalgarde, hieß das zunächst oder. .. und später in der kroatischen Armee. Und da hatte ich bei manchen, mit denen ich mich unterhalten habe, schon das Gefühl, dass es ein schlechtes Gewissen ist. Also es war fiir mich zum Beispiel war das keine Option, also ich bin zwar gemustert worden und äh, ich war in dieser Zivilverteidigung, da bin ich dann eingeteilt worden, aber mir wäre es nicht eingefallen, also hätten die jetzt unser Dorf da angegriffen, hätte ich mich schon gewehrt, ganz klar, also hätte ich bestimmt getan, aber irgendwo anders hinzugehen, äh zu kämpfen und so etwas, das wäre mir jetzt nicht eingefallen. Und da in manchem Gespräch hatte ich eben das Gefiihl, das hat zu tun mit einem schlechten Gewissen, fiel mir doch so auf. Wie angedeutet, bereiten die vorhergehenden Aussagen das Terrain vor. Doch wie anders wäre es gewesen, wenn er mir nur erzählt hätte, dass er sich für die Zivilverteidigung habe mustern lassen. Denn dafür bestand keine Notwendigkeit. Er hätte einfach nur das Land verlassen müssen. Ich hätte sicherlich seine Bereitschaft zur nationalen Verteidigung herausgestellt, obwohl er doch höchstens seine dörfliche Lebenswelt verteidigen wollte. Allerdings, und an dieser Stelle wird die viel zitierte These von konstruierten und im Fluss befindlichen Identitäten wichtig, ist es im Moment des Interviews, in dem er sich so und nicht anders darstellt. Neben dem Augurenlächeln ist zu bemerken, dass seine Aussagen zwischen dem ernsthaften Bemühen sich an die Tage und Emotionen seiner Kindheit, Jugend und Adoleszenz zu erinnern und den Deutungen, die er ihnen seit seinem Studium und mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gab, changierten. Er verstand es wie nur wenige andere, einen transnationalen Schwebezustand zu vermitteln. Dazu hatte ich bereits grundsätzlich das Bild eines Jongleurs bemüht. Wenn Petar Wissen und Emotionen aus seiner Lebenswelt vermitteln möchte, hält er alle Orte, mit denen er sich verbunden fiihlt, in der Luft, ohne sich zu sehr auf einen festzulegen. Mit dieser schwebenden Präsentationsform versucht er, seine persönlichen Erfahrungen adäquat zu vermitteln und diese zeichnen sich durch hohe Freiheitsgrade aus, lassen sich also etwa in der Raumdimension nicht auf einen Ort festlegen. Diese Erfahrung begleitet ihn seit der frühesten Kindheit, als er eine Sensibilität für die unterschiedlichen Bedeutungen von Dalmatien, Kroatien, Jugoslawien, Nümberg, Deutschland oder anderen Raumeinheiten entwickelte. Selbst kleine biografische Arabesken integriert er sinnhaft in seine Lebensgeschichte, so zum Beispiel als ich seine Thematisierung von regionaler Identität aufgreife und ihn auf seinen Geburtsort Gelsenkirchen anspreche, in dem er 1966 als erstes Kind einer Deutschen und eines Kroaten geboren wurde.
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PG: Und wenn du sagst, diese regionale Identität war sehr wichtig, also Dalmatien, gab es dann auch noch etwas Deutsches, was da reingespielt hat? Deine Mutter sagte, du wurdest in Gelsenkirchen geboren ... Petar Klinar: Ja, da bin ich geboren, aber das war mehr ein Versehen! PG: Ein Versehen, genau ... PK: Ja vielleicht insofern auch ein ganz guter Zufall, weil es eben so im Ruhrgebiet eines der typischen Gastarbeiterstädte war und insofern das Gastarbeiterschicksal weun man so will versinnbildlicht in diesem Ort, in dem ich aber nie war. Also ich habe damit nichts zu tun gehabt, nee es spielte da ansonsten keine so große Rolle. Ja, also fiir mich jetzt persönlich prägend war die Zeit, wo ich bei meinen Großeltern eben, also bei den Eltern meines Vaters, also in Dalmatien und eben ohne die Eltern dann auch war. Das heißt also, bevor ich in die Schule gekommen bin, also denke ich eine sehr prägende Zeit wahrscheinlich. Wo meine Mutter, ich weiß nicht, ob sie das erzählt hat, mit Erschrecken dann eben, ja feststellen musste, als ich dann eben runterkam, dass ich dann eben fast schon Deutsch verlernt hatte. Da kounte ich eben dann kaum mehr Deutsch und musste es eben neu lernen, aber das ging dann doch. [ ... ] Dalmatien, also ich, eines der ersten Sprichwörter, die ich als Kind weiß ist, da unten gewesen ist: ,Steck einen Finger ins Meer und dann bist du mit der ganzen Welt verbunden!' Also, das ist so ein Sprichwort, also das heißt, es war absolut klar, Leben an der Küste, das war immer Austausch.
Selbst ein Versehen, ein zufalliges Weilen an einem zuf