Traditionen, Zäsuren, Dynamiken: 600 Jahre Universität Rostock. Im Auftrag des Rektors der Universität [1 ed.] 9783412516376, 9783412516352


118 84 22MB

German Pages [497] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Traditionen, Zäsuren, Dynamiken: 600 Jahre Universität Rostock. Im Auftrag des Rektors der Universität [1 ed.]
 9783412516376, 9783412516352

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Marc von der Höh herausgegeben im Auftrag des Rektors der Universität

Traditionen, Zäsuren, Dynamiken 600 Jahre Universität Rostock

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Stadtarchiv Rostock, 3.2. Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberumten alten See- und Hensestadt Rostock Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk, 1578–1586 (Ausschnitte). Korrektorat: Ute Wielandt, Baar-Ebenhausen Satz und Layout: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51637-6

Inhalt Grußwort der Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-­Vorpommern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9 Grußwort des Rektors der Universität Rostock  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11 Vorwort des Herausgebers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13 I. Gründung und Anfänge: Eine hohe Schule etabliert sich Marc von der Höh Personen, Traditionen und Insignien Die Anfänge der Universität Rostock  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  21 Anne Sowodniok Zwischen den Fronten  Selbstverständnis und Krisenmanagement der Universität Rostock von der Gründung bis zur Reform 1563 anhand ihrer Rektoratsmatrikel  .. . . . . . . . . . . .  61 Wolfgang Eric Wagner „ut moris est studentium“ Nachtschwärmen, Lärmen, Zechen, Zücken, Raufen und andere deviante Verhaltensmuster spätmittelalterlicher Rostocker Scholaren im Spiegel von Bittschreiben an den Papst  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  83 Ernst Münch Klagen auf hohem Niveau Die Visitation der Universität Rostock im Jahre 1599  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  117 Frank Rexroth Für immer Korporation? Der strukturelle Konservatismus der europäischen Universität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  143

5

Inhalt

II. Ausstrahlung und Provinzialisierung: Von der „Leuchte des Nordens“ zur Teilung der Universität Hillard von Thiessen Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung Die Universität Rostock vom 16. bis zum 18. Jahrhundert  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  167 Otfried Czaika Nicht nur Theologie Anmerkungen zum Beginn der schwedischen neulateinischen Dichtung im 16. Jahrhundert und ihrer kontextuellen Verortung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  183 Jan-­H endrik Hütten Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne Ein Beitrag zur Jubiläumstradition der Alma Mater Rostochiensis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  213 Hans-­U we Lammel „Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem Die Stadt Bützow und ihre Universität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  241

III. Konsolidierung und Aufbruch: Die Universität im langen 19. Jahrhundert Ulrike von Hirschhausen Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert  Politische Zäsuren – fachliche Differenzierung – internationale Dynamiken  . . . . . . .  273 Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack Spezialisierung und Professionalisierung  Die Herausbildung der modernen Medizin an der Universität Rostock unter besonderer Berücksichtigung der Psychiatrie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  287 Steffen Stuth Vom Markt zur Universität  Ein städtischer Platz im baulichen und funktionalen Wandel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  313

6

Inhalt

Gisela Boeck „Nach den von den Dozenten eingezogenen Erkundigungen […] haben die Hörerinnen besonderen Fleiss bewiesen“  Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  327

IV. Öffnung und Ideologisierung: Die Universität im 20. Jahrhundert Stefan Creuzberger Im Zeitalter der Ideologisierung  Die Universität in den Diktaturen des 20. ­Jahrhunderts. Einleitende Bemerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  359 Florian Detjens Die Universität Rostock im Nationalsozialismus  Eine Überblicksskizze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  365 Mario Niemann Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003  . . . . . .  389 Christopher Dietrich Unbequeme Aushängeschilder  Studentenkabaretts an der Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock zwischen Kritik, Anpassung und MfS-Verstrickung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  411 Kersten Krüger Von der „Forschungsbibliothek zur DDR-Geschichte“ 1995 zum „Doku­ mentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland“ 1998 Ein Zeitzeugenbericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  437

Epilog Oliver Plessow 600 Jahre Universität Rostock  Ein Jubiläum als erinnerungskulturelles Event  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  457

Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  491 Abbildungsnachweis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  493 7

Grußwort der Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-­Vorpommern Eine Universität und das Studium an einer solchen sind eng mit dem Begriff der Freiheit verbunden. Die Freiheit, den eigenen Geist frei zu entfalten, sich frei für eine Studienrichtung zu entscheiden und später frei über den eigenen Lebensweg zu bestimmen, bietet die Universität Rostock ihren Studierenden seit nunmehr 600 Jahren. Die Möglichkeiten, die die Uni ihren Studierenden bot, wuchsen über die Jahrzehnte und Jahrhunderte: Jura, Medizin, Philosophie, später Theologie und Schiffbau, noch später Gesellschaftswissenschaften und sogar Fernstudiengänge. Heute sind es mehr als 100 Studiengänge für rund 13.000 Studierende, die die Universität für die Menschen, die sie durchlaufen, zu einem zweiten Tor zur Welt in der Hansestadt machen. Für Rostock sind die Vielfalt und die Anziehungskraft seiner Uni ein großer Gewinn. Etwa 1.600 Studierende aus anderen Nationen lernen derzeit in Rostock. Sie bringen Weltoffenheit, wissenschaftliches Knowhow, Fremdsprachen, multiperspektivisches Denken und Verständnis in die Stadt. Manche Freiheiten gehörten seit jeher zum Studium dazu. Etwa die, sich eigenverantwortlich zu organisieren. Wie viel Zeit ein jeder und eine jede in den Vorlesungen und Seminaren verbrachte oder in den Bierstuben und später im Studentenkeller oder in den übrigen Clubs der Stadt, das ist bis heute Sache studentischer Individualität. Arbeit und Anwesenheit lassen sich seit jeher gut miteinander verbinden. Andere Freiheiten waren nicht immer selbstverständlich. So engagierten sich die Studenten in Rostock in der Reformbewegung, die 1849 in das Staatsgrundgesetz mündete. Sie machten sich stark für die Selbstverwaltung nach der Novemberrevolution und rangen mit um eine Universitätsverfassung. Sie mussten Rückschläge einstecken, wie die „Richtlinien zur Vereinheitlichung des Hochschulwesens“ im Nationalsozialismus und das obligatorische marxistisch-­leninistische Grundlagenstudium nebst gelegentlichem Ernteeinsatz zu Zeiten der DDR. Lange ließ in Rostock auch die Freiheit, Frauen für ein Studium zuzulassen, auf sich warten: Erst zum Wintersemester 1909/1910 öffnete sich die Universität auch für Studentinnen – als eine der letzten in Deutschland. Wenn die Universität heute besonders mit ihren Studienbedingungen punkten kann, dann hat auch das Geschichte: die Vereinbarkeit von Familie und Studium oder die von Leistungssport und Studium ist genauso ein wichtiges Anliegen der Uni wie die im Schnitt sehr gute Betreuungsrelation zwischen Professoren und Studierenden. 9

 

Die Liste der bekannten Persönlichkeiten, die die Universität Rostock hervorgebracht hat, liest sich interdisziplinär: Fritz Reuter, Otto Stern, Rudolf Steiner und Erich Kästner finden sich da. Von Letzterem stammt auch ein Satz, der als universelles Credo des freien Geistes taugt: „Mut beweist man nicht mit der Faust allein, man braucht den Kopf dazu.“

Bettina Martin Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-­Vorpommern

10

Grußwort des Rektors der Universität Rostock Vor mehr als 600 Jahren wandten sich sowohl die Geistlichkeit in Person des Bischofs von Schwerin als auch die eigentlichen Gründer und Stifter der Universität, die Herzöge ­Johann  IV. und Albrecht V. von Mecklenburg, sowie die Bürgermeister und Ratsherren der zu dem Zeitpunkt 200 Jahre alten Stadt Rostock zwecks der Gründung einer Universität an die Kurie. Am 13. Februar 1419 gewährte Papst Martin V. dann die Einrichtung eines Studium generale mit einer Artistischen, Juristischen und Medi­ zinischen Fakultät. Wenige Monate später, am 12. November, wurde die Universität Rostock in der St.-Marien-­Kirche eröffnet. Ihre Gründung verdankt die Universität Rostock nicht zuletzt auch der weitblickenden Initiative der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock im 15. Jahrhundert. Sie begründete die älteste Universität im Ostseeraum, auch „Leuchte des Nordens“ genannt. Den 600 Jahren des Bestehens der Universität Rostock hat sich die unter der fachkundigen Leitung von Professor Marc von der Höh initiierte Tagung „Traditionen – Zäsuren – Dynamiken. 600 Jahre Universität Rostock“ gewidmet. Sie läutete im Oktober 2018 auf sehr würdige Weise das 600. Jubiläumsjahr unserer Universität ein. Die Beiträge der Tagung, die in dieser Festschrift zusammengetragen worden sind, umreißen 600 Jahre Universitätsgeschichte, die von Kontinuitäten, Umbrüchen, Veränderungen und natürlich auch Diskontinuitäten geprägt waren. Zäsuren wurden dabei in das Zentrum gerückt. Bekanntermaßen sind Zäsuren nachträgliche Konstruktionen von begrenzter räumlicher, zeitlicher und sachlicher Reichweite. Anders als Pausen drücken Zäsuren jedoch Bewegung und Veränderung aus. Man kann hierbei also keinesfalls von Stillstand sprechen. Vielmehr wohnt den Zäsuren ein stark verbindendes Element inne, das das Gewesene und das Kommende miteinander in Beziehung setzt. Exemplarisch werden in den Beiträgen Zäsuren aufgegriffen, die sechs Jahrhunderte Rostocker Universitätsgeschichte, eingebettet in die Geschichte des nordeuropäischen Raums, vorangetrieben haben und damit das im Universitätslogo stehende „Traditio et Innovatio“ mit Leben erfüllen. Besonders wertvoll ist es, dass zum 600. Jubiläum ein wichtiger Schwerpunkt auf die jüngere Vergangenheit unserer Universität gelegt worden ist, denn diese wartet noch weitgehend auf ihre umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung. Erste Forschungsergebnisse sind nun in diesem Band zu finden.

11

 

Mit Dank an alle Referenten und Autoren wünsche ich dieser Festschrift viele interes­ sierte Leserinnen und Leser.

Professor Dr. Wolfgang Schareck Rektor der Universität Rostock

12

Vorwort des Herausgebers 600 Jahre Universität Rostock: Stolz und Freude über diese lange Geschichte akademischen Forschens, Lehrens und Lernens an der Warnow werden im Jubiläumsjahr in zahlreichen Veranstaltungen zum Ausdruck gebracht. Der vorliegende Band reiht sich in diese akademischen Feierlichkeiten ein. Versammelt sind hier die Beiträge einer im Oktober 2018 durch das Historische Insitut der Universität organisierten wissenschaftlichen Tagung zur Geschichte der Universität von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dem Charakter der Tagung entsprechend sind die folgenden Aufsätze jedoch nicht ausschließlich einem feierlichem Ton verpflichtet. Sie blicken aus ganz unterschiedlichen Richtungen, jedoch stets mit der kritischen Haltung des professionellen Historikers auf diese 600 Jahre. Versammelt sind hier bewährte Erträge und neue Einsichten, daneben aber auch frische und noch unerprobte Perspektiven auf die Rostocker Universitätsgeschichte. Der Band trägt so nicht das gesicherte Wissen über die Geschichte der Universität zusammen, Ziel ist vielmehr eine von der Gegenwart ausgehende Neuakzentuierung, sind anregende und nicht zuletzt auch kritische Blicke auf 600 Jahre Alma Mater Rostochiensis. Kann die Beschäftigung mit den vergangenen 600 Jahren für die Gegenwart produktiv gemacht werden oder sind das Festjahr und die feierliche Begehung der Wiederkehr des Gründungstags nur ein Element affirmativer universitärer Erinnerungskultur? Die Beschäftigung mit der Rostocker Universitätsgeschichte und mithin auch der vorliegende Band würde, träfe Letzteres zu, nur der Stabilisierung akademischer Identität dienen, die im besten Fall helfen könnte, Konfliktlinien und Spannungsfelder von heute zu überdecken. Mit dieser Funktion kann man sich aber nicht begnügen. Dass die letzten 100 Jahre, vor allem aber die Zeit seit 1989/90 unsere universitäre Gegenwart geprägt haben – dieser Einsicht, ja dieser Erfahrung kann auch der erst vor kurzem nach Rostock gekommene Neuberufene nicht entkommen. Die jüngere Geschichte hat bis heute die Zusammenarbeit in den Instituten geprägt, wie aber steht es um die weiter zurückliegenden Zeiten? An vielem zeigt sich das Jahrhunderte zurückreichende Gewordensein der Rostocker Universität: Das architektonische und administrative Herz der Universität, das Hauptgebäude, liegt bis heute im Zentrum der Stadt, sinnfälliger Ausdruck einer jahrhundertelangen, eng mit der Gründungszeit verbundenen Beziehung zwischen Stadt und Universität. Neben der topographischen Verortung sind es die Gebäude, aber auch die erhaltenen Objekte, die Zepter, die Siegel, nicht zuletzt die Bibliotheksbestände, die als materielle Konstanten, als Spuren institutioneller Kontinuität erlebbar sind. Damit ist mit den Traditionen bereits der erste von drei Begriffen berührt, die den Titel dieses Bands bilden und die auch als Leitfragen für die verschiedenen hier versammelten Beiträge dienen. Was ist das Verbindende der zurückliegenden 600 Jahre Universitäts13

Marc von der Höh

geschichte in Rostock? Gibt es überhaupt Kontinuitäten oder ist jenseits institutioneller und materieller Spuren die Universität immer wieder neu, wenn auch am alten Platz erfunden worden? Wie viel 1419 steckt noch in der Universität von 2019? Dieser Band soll nun keine Zusammenstellung akademischer Sternstunden und Erfolgsgeschichten der letzten 600 Jahre sein. Daher wird es auch um die Zäsuren, die Krisen und Diskontinuitäten gehen, die schweren und problematischen Perioden der Universitätsgeschichte. Dazu gehören die Krisen des ersten Jahrhunderts der Universität ebenso wie der schleichende Niedergang seit dem Dreißigjährigen Krieg, das Bützower Schisma, vor allem aber die Geschichte der Universität unter den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts. In den vergangenen 600 Jahren stand die Existenz der Rostocker Universität mehr als einmal gewissermaßen auf Messers Schneide – sie hat sich bis heute immer wieder als robust und überlebensfähig erwiesen. Nicht selten folgten den Krisenerfahrungen Phasen besonderer Dynamik. Das galt schon für die Phase nach der für den Fortbestand der Universität besonders bedrohlichen Reformationszeit, und natürlich galt dies auch für die Zeit nach den beiden Weltkriegen und schließlich wieder nach dem Ende der DDR. Eingefahrene Wege mussten in diesen Aufbruchs- und Aufbauphasen verlassen werden. Altes wurde entsorgt, Neues mehr oder weniger enthusiastisch aufgenommen und weiterentwickelt. Auch solche Phasen beschleunigter Veränderung und Erneuerung werden thematisiert werden. Bei der Auswahl der Themen wurde Universität in einem möglichst umfassenden Sinne verstanden. Die Institutionengeschichte der Universität ist zwar der Rahmen für fast alle Beiträge, nur selten wird sie aber explizit zum Thema. In wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive geht es um die Erfolge, aber auch die Irrwege in Rostock tätiger Wissenschaftler. Schließlich wird die Universität auch als Lebensraum und Lebensform zum Thema. In den Fokus treten Personen und Personengruppen, die die Universität von Anfang an ausgemacht und getragen haben: Nicht nur die Professoren und Magister, sondern auch die Studierenden, die von Beginn an wesentlicher Teil der Universität waren. Schließlich wird es um die Umwelt der Universität gehen, um die Stadt, in deren Mitte sie gegründet wurde und mit der sie bis heute topographisch und personell eng verbunden ist, sowie um den weiten Raum: Nordostdeutschland, den Hanseraum, die Ostsee, Nordeuropa. Ziel ist es, durch die unterschiedlichen Beiträge ein möglichst vielfältiges und facettenreiches Bild von 600 Jahren Universitätsgeschichte entstehen zu lassen. Vor allem aus praktischen Gründen – das sei abschließend noch erläutert – wurde die Tagung in vier im Wesentlichen chronologisch abgesetzte Panels untergliedert, die jeweils von den gegenwärtig amtierenden Lehrstuhlinhabern des Historischen Instituts geleitet wurden. Dieser Gliederung wurde der Vorzug vor einem systematischen Zugang gegeben, da so trotz der ganz unterschiedlichen Perspektiven der einzelnen Beiträge doch eine historische Entwicklung als roter Faden erkennbar wird. Diese Gliederung des Tagungsprogramms wurde auch für die vorliegende Druckfassung beibehalten. 14

Vorwort des Herausgebers

Bevor ich zu den überfälligen Danksagungen an die vielen Mitwirkenden komme, seien einige wenige Bemerkungen zur Entstehung dieses Bandes vorweggeschickt. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die Aufgabe, eine Tagung zum Universitätsjubiläum zu organisieren sowie den entsprechenden Tagungsband herauszugeben, ausgerechnet dem zuletzt an das Historische Institut der Universität Rostock gekommenen Kollegen übertragen wurde. Man mag in dem damit verbundenen frischen und hoffentlich unvoreingenommenen Blick auf die Geschichte der Universität einen Vorteil sehen. Der Nachteil liegt naturgemäß in dem sich aus dieser Entscheidung ergebenden äußerst engen Zeitplan. Die Tagung im Oktober 2018 konnte nur durch die an dieser Stelle hervorzuhebende Unterstützung der erfahrenen Rostocker Universitätshistoriker realisiert werden. Da der Tagungsband noch im Jubiläumsjahr erscheinen sollte, mussten sich alle, sowohl die Autoren wie auch das Herausgeberteam, einem strikten Zeitplan unterwerfen. Alle Autoren haben hier ihr Bestes gegeben, wofür ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Aufgrund des engen Zeitplans war es dann leider doch nicht möglich, alle Beiträge der Tagung rechtzeitig zur Drucklegung des Tagungsbandes aufzunehmen. Neben den Autoren gilt unser erster Dank dem Rektor der Universität Rostock, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schareck, der durch seine großzügige Unterstützung die Durchführung der Tagung und die Drucklegung dieses Bandes überhaupt erst möglich gemacht hat. Dank gebürt den Sprechern des Arbeitskreises Universitätsgeschichte an der Universität Rostock, Frau Dr. Gisela Boeck und Herrn Prof. Dr. Hans-­Uwe Lammel, die mir als Neuling wichtige Hinweise für die Gestaltung des Programms gaben und die zugleich mit wohltuender Geduld die nicht immer reibungslose Genese der Tagung begleitet haben. Ich danke zudem der Kollegin und den Kollegen am Historischen Institut, die mit ihren Themenvorschlägen dazu beigetragen haben, dass ein spannendes und anregendes Programm enstanden ist. Da der Band nicht zuletzt durch eine Vielzahl von Abbildungen bereichert worden ist, danken wir den verschiedenen Archiven, Museen, Bibliotheken und Privatpersonen für die in der Regel unkomplizierte und rasche Bereitstellung der Bildvorlagen. Ein besonderer Dank geht schließlich an das Team des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte: Nadine Holzmeier, Kea Junker, Anna Krey und Laura Tack, vor allem aber an Hanna Wichmann, die sich mit großem Engagement weit über das zu erwartende Maß für die Fertigstellung dieses Bandes eingesetzt hat. Marc von der Höh Rostock, im Juli 2019

15

Eidesformel und Schwurblatt aus der ältesten Statutenhandschrift (nach 1433). Beim Eintritt in die Universität musste den Statuten zufolge ein Eid abgelegt werden, durch den man sich unter anderem verpflichtete, dem Rektor gehorsam zu sein. An vielen spätmittelalterlichen Universitäten wurde dieser Eid auf die Matrikel abgelegt, in die man im Anschluss eingetragen („immatrikuliert“) wurde. In Rostock wurde dieser Eid jedoch direkt auf die Statutenhandschrift geleistet. Die dunkle Verfärbung auf der gedruckten und später in die Handschrift eingeklebten Kreuzigungsszene stammt von den zahllosen Fingern, die hier beim Sprechen der Eidesformel aufgelegt worden sind. Unter das Schwurblatt hatte man die ersten Verse des Johannes-­ Evangeliums geschrieben, auf dessen Rückseite die der drei übrigen Evangelien. Zukünftige Angehörige der universitären Korporation legten ihren Immatrikulations-­Eid somit zugleich auf die vier Evangelien ab. Im Jahr 1579 wurde zwischen das Schwurblatt und die Eidesformel eine weitere Lage eingebunden, so dass die beiden Seiten heute nicht mehr nebeneinanderstehen. Möglicherweise war in nachreformatorischer Zeit der Eid auf einer Darstellung des Gekreuzigten nicht mehr gewollt. Für diesen Sammelband wurde die originale Anordnung noch einmal nachgestellt.

18

I. G  ründung und Anfänge: Eine hohe Schule etabliert sich

Mit der Bulle vom 13. Februar 1419 erlaubte Papst Martin V. den Herzögen Albrecht und Johann von Mecklenburg, in ihrer Stadt Rostock ein Studium generale zu gründen.

Marc von der Höh

Personen, Traditionen und Insignien Die Anfänge der Universität Rostock

„In nomine domini amen. Anno domini millesimo quadringentesimo decimonono duodecima die mensis Novembris incepta est universitas Rozstokcensis.“

„Im Namen des Herren, Amen. Im 1419. Jahr des Herren, am 12. Tag des Monats November hat die Universität Rostock ihren Anfang genommen“. Diese Einleitungsworte der ältesten Rostocker Matrikel bringen das Ereignis, das die Jubiläumsfeiern des Jahres 2019 in Erinnerung rufen, in einer zugleich feierlichen wie lapidaren Form auf den Punkt.1 Mehr genannt als erzählt wird hier der Ursprung der Universität, deren Ange­ hörige in die folgende Matrikel eingetragen sind.2 Was vor der Universität war, wie es also zur Entstehung der jetzt in Aktion tretenden Korporation kam, wird komplett ausgeblendet, so dass der Anfang, der 12. November 1419, wie ein voraussetzungloser Nullpunkt wirkt. Da der Text nicht mit einer Fundationserzählung beginnt, wie sie von mittelalterlichen Gruppen regelmäßig entwickelt wurde, fehlt auch jeglicher Hinweis auf die in Frage kommenden Gründer. Dazu passt, dass der Text eben gerade nicht von einer Stiftung (fundatio) der Universität spricht. „Incepta est universitas“ – es ist auch die grammatische Konstruktion des lateinischen Texts, die das Ausblenden eines handelnden bzw. gründenden Subjektes in aller Deutlichkeit hervortreten lässt. Der Bericht scheint so geradezu die Perspektive der akademischen Korporation einzunehmen, die durch ihre Konstituierung an diesem Tag im November vor 600 Jahren überhaupt erst ins Leben getreten ist. Ein bemerkenswerter Befund, der für die noch aufzugreifende Frage nach den Stiftern und dem Selbstverständnis der frühen Universität von großer Bedeutung ist. Die Thematisierung des Ursprungs – der Welt oder auch einer Gruppe, einer Stadt oder eines Lands – gehört seit den frühesten Zeugnissen zu den zentralen Elementen von Geschichtserzählungen. In diesen Traditionszusammenhang wird man trotz ihrer Besonderheit auch die knappe Einleitung des Matrikelbuchs einordnen können. Doch nicht nur für vorwissenschaftliche Geschichtserzählungen, auch für die moderne Historiographie bleibt die Frage, wo und wie man eine Geschichte beginnen lässt, ein immer wieder erneut zu lösendes Problem.3 Das gilt auch für die im Jubiläumsjahr erneut zu schreibende Geschichte der Universität an der Warnow. Zwar rückt der Zusammenhang des Jubiläums zwangsläufig den punktuellen und innovativen Charakter der Universitätsgründung in den Vordergrund. An diesem Tag im November – dies implizieren die Jubiläumsfeiern – begann etwas vollkommen Neues, das sich grundsätzlich vom Vorherigen unterscheidet. 21

Marc von der Höh

Abb. 1: Universitätsmatrikel, S. 4. Prolog und erste Einträge, 1419.

22

Personen, Traditionen und Insignien

Fasst man die Ereignisse so auf, scheint die Frage obsolet, wo man eine universitätshistorische Erzählung beginnen lassen sollte. Man könnte sich die angesprochene Deutung der Matrikel zumindest teilweise zu eigen machen und einfach mit den Ereignissen im November 1419 beginnen. Die Forschung zur Rostocker Universitätsgründung hat jedoch schon seit Längerem genau diese Voraussetzungslosigkeit in Frage gestellt, indem sie auf die Traditionen und Kontinuitäten hingewiesen hat, in denen die junge Universität an der Warnow stand.4 Bei allen Problemen, die sich bei der Interpretation der Überlieferung der frühen Universitätsgeschichte in Rostock ergeben, tritt immer wieder zutage, dass das Verständnis von den Anfängen akademischen Lehrens und Lernens in Rostock limitiert bliebe, würde man sich nur auf den Gründungsakt oder die Ereignisse in seinem unmittelbaren Umfeld konzentrieren. Die Anfänge der Universität Rostock gehen gerade nicht vollkommen im lokalen Moment auf, sondern reichen weit in die Geschichte der Universitäten seit dem Hochmittelalter zurück. Entsprechend wird man die Zeit um den November 1419 wohl am besten als einen Moment der Verdichtung begreifen können, als Bündelung und Konzentration von Entwicklungen und Traditionen, die sich in der Entstehung der neuen Korporation verknüpfen und verzahnen. Dass die Gründung der Universität dabei ihrerseits Ausgangspunkt von Entwicklungen ist, die in die Zukunft weisen, werden die weiteren Beiträge dieses Bands zeigen. Auf den folgenden Seiten soll dieser Grundgedanke von der Universitätsgeschichte als Verflechtungsgeschichte auf zwei Ebenen und mit einem Querschnittsthema entfaltet werden. Auf einer ersten Ebene werden die personellen Verbindungen angesprochen, die die Gründung und die Frühphase der Rostocker Universität geprägt haben. Ohne die hier aufscheinenden biographischen Kontinuitäten ist die Frühgeschichte akademischen Lehrens und Lernens an der Warnow nicht zu verstehen. Auf einer zweiten Ebene soll gezeigt werden, dass es überaus produktiv ist, sich unter der Perspektive der Verflechtung eingehender mit der Text- und Objektüberlieferung aus der Frühzeit der Universität zu beschäftigen. Man begegnet hier immer wieder der Vorbildfunktion derjenigen Universitäten, die schon auf der Ebene der biographischen Verbindungen in Erscheinung getreten waren. Um diese Verflechtungseffekte aufzuzeigen, muss man nah an die Überlieferung, ihre Materialität und ihre sprachliche und – im Falle der Objekte – visuelle Gestalt herangehen. Textquellen und Objekte können, wenn sie als Medien historischer Kommunikationssituationen aufgefasst werden, wichtige Erkenntnisse über das Selbstverständnis der jungen Korporation liefern.5 Dieser einleitende Text bietet somit die Möglichkeit, zugleich noch einmal auf die Quellengrundlage unseres Wissens über die Frühgeschichte der Universität hinzuweisen. Quer zu diesen beiden Untersuchungsebenen wird die Frage nach den Stiftern bzw. Gründern der Universität aufgegriffen. Kein Aspekt der frühen Rostocker Universitätsgeschichte ist wohl in den vergangenen Jahren kontroverser diskutiert worden.6 Hier soll aber nicht noch einmal versucht werden, diese Frage abschließend zu beantworten. Vielmehr wird in der herangezogenen Überlieferung nach Hinweisen auf das Selbstverständnis der jungen Korporation gesucht. Es wird zu 23

Marc von der Höh

zeigen sein, dass die Universität selbst bzw. ihre führenden Repräsentanten eine durchaus klare Vorstellung davon hatten, wem sie ihre Existenz verdankten.

Personelle Verflechtungen Einen Anfang zu postulieren, bedeutet immer, gegebene Zusammenhänge künstlich zu zertrennen. Um die Geburt des Neuen plausibel zu machen, muss man das Vorher ausoder zumindest abblenden, muss man das Nachher aus diesem einen Punkt entspringen lassen. Ein solches Verfahren ließe sich auch für die Gründung der Rostocker Universität leicht umsetzen. Man könnte die Anfänge des akademischen Lebens an der Warnow als einen singulären, quasi revolutionären Akt darstellen, könnte die sich aus diesen Anfängen entwickelnde Universität als etwas Besonderes und Unvergleichliches auffassen. Für die Stärkung der universitären Identität wäre ein solches Vorgehen sicher zielführend. Dass dies aber gerade nicht die Aufgabe des Historikers ist, wird Oliver Plessow in seinem abschließenden Beitrag thematisieren. Das Folgende setzt bei der bereits angesprochenen Beobachtung an, dass jeder Anfang und damit auch der Anfang der Universität Rostock in ein Netz von historischen Bezügen eingebunden war, die es aufzudecken gilt. Bei der Gründung der Rostocker Universität kamen institutionelle Rahmungen, kulturelle und soziale Praktiken zusammen, die nicht am Ort und nicht im einen Moment ex novo geschaffen wurden, sondern die anderen Zeiten und anderen Orten ihre Entstehung verdankten. Am Anfang ihrer Geschichte standen so nicht die Stadt, nicht Bürgermeister und Rat von Rostock, auch nicht der Bischof von Schwerin oder die Mecklenburgischen Fürsten. Will man nicht gleich bis zur Entstehung der universitären Korporationen im Paris des 12. Jahrhunderts zurückgehen, so kann man den Faden der historischen Erzählung vielleicht an einem Ort aufgreifen, der in vielfacher Weise die junge Mecklenburgische Universität geprägt hat: in Prag.7 1348 gründete Karl IV. hier die erste Universität im Reich. Prag war so für lange Zeit der beliebteste Studienort junger Rostocker,8 so dass auch viele Akteure der Entstehungsphase hier studiert hatten. Genannt seien etwa Nikolaus Turkow,9 der vermutlich die Erteilung des päpstlichen Gründungsprivilegs in Rom betrieben hatte,10 oder der gleichfalls für die frühe Phase der Universität wichtige Prior der Kartause Marienehe, Heinrich Retzekow. Letzterer war 1388 in Prag Dekan der Artisten-­Fakultät, 1392 sogar Rektor der dortigen Universität.11 Unter seinem Priorat entwickelte sich die Kartause vor den Toren Rostocks zu einem Zentrum ehemaliger Prager Studenten und Lehrender.12 Doch nicht nur für die meisten Rostocker begann das akademische Leben in Prag, hier hatten auch viele der ersten Professoren, die nach 1419 an die Warnow kamen, ihre wissenschaftliche Ausbildung erhalten.13 Im weiteren Verlauf wird noch zu zeigen sein, dass diese Prager Vorgeschichte auch jenseits der personellen Kontinuitäten Spuren hinterlassen hat. Prag ist aber auch unter einer weiteren Perspektive für die Geschichte der Universitäten in Mittel- und Osteuropa und damit auch für Rostock von entscheidender Bedeutung. 24

Personen, Traditionen und Insignien

Die dortige Universität war nicht nur die älteste Gründung auf dem Boden des Reichs, hier nahm auch eine Entwicklung ihren Ausgang, die zur Ausbreitung der Universitäten im Osten und Norden des deutschsprachigen Raums führte. Das Kuttenberger Dekret König Wenzels von 1409, das die Mehrheitsverhältnisses innerhalb der universitären Gremien in Prag zugunsten der Böhmen verändert hatte 14, führte zum Auszug der deutschen Professoren und Studenten, die in die im selben Jahr neu gegründete Universität Leipzig 15 oder in die bereits seit 1392 bestehende Universität Erfurt abwanderten.16 Ähnlich wie die Einrichtung einer Universität in Prag wurden so auch die in Leipzig und Erfurt zu wichtigen Etappen in der Vorgeschichte der Rostocker Universitätsgründung. Beide Universitäten waren gewissermaßen Zwischenstationen auf dem Weg der Ausbreitung des Studiums von Süden nach Norden: Wie zuvor schon Prag, so hatte auch das Wirken an diesen beiden Exiluniversitäten die ersten Lehrenden in Rostock geprägt.17 Viele der frühen Rostocker Professoren hatten in Leipzig oder Erfurt studiert und gelehrt.18 Für Erfurt ist dabei insbesondere der erste gewählte Rektor Petrus Stenbeke zu nennen, der zunächst zwar in Prag studiert hatte, dann aber nicht in das neu gegründete Leipzig weiterzog, sondern nach Erfurt, wo er 1415/16 Rektor wurde.19 Andere später in Rostock belegte Akademiker verließen Prag und beendeten ihre Studien. Zu diesen gehörte der schon erwähnte Nikolaus Turkow. Er kehrte 1409 in seine Heimatstadt zurück und stellte dort sein juristisches Fachwissen zunächst in den Dienst des Stadtrats.20 Nicht nur seine Biographie belegt, dass es schon vor 1419 auch in Rostock Akademiker bzw. Universitätsabsolventen gegeben hatte. Wie in vielen spätmittelalterlichen Städten waren diese auch in Rostock in einem geistlichen Amt oder im Dienst der weltlichen Obrigkeiten tätig. Von Prag war auch Heinrich Retzekow nach Rostock zurückgekehrt. Erwähnt wurde oben bereits die Rolle der Kartause Marienehe, die schon vor der Gründung der Universität ein wichtiger Ort von Bildung und Wissenschaft vor den Toren der Stadt war. Insgesamt wird man die Bedeutung der Ordensgeistlichen für die Entwicklung des akademischen Rostock herausstellen müssen.21 Neben den Kartäusern sind hier vor allem die Angehörigen der beiden Bettelorden, die Franziskaner und Dominikaner, zu nennen, die zu den wichtigen Akteuren der spätmittelalterlichen Universitätsgeschichte gehörten. Schon vor der Universitätsgründung hatten etwa die Dominikaner in Rostock ein Ordensstudium betrieben.22 Auch an solche Kontinuitäten muss man denken, wenn man sich mit der Frühgeschichte der Universität beschäftigt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass das akademische Rostock eben nur in einem engeren Sinne mit der Gründung der Universität 1419 begann. Auf der Suche nach den Anfängen der Universität in Rostock darf man gerade das in der Stadt bereits vorhandene akademische Milieu nicht außer Acht lassen: Auf die Idee, eine Universität zu gründen, kamen entweder Personen, die selbst studiert hatten, oder solche, die Menschen kannten, die studiert hatten, und die deren Wert und Nutzen zu schätzen gelernt hatten. Das gilt sowohl für die Bürger und den Rat der Stadt wie für die Geistlichkeit und schließlich auch für die Landesherren.23 Ohne die Präsenz von Personen, die in 25

Marc von der Höh

Prag, Leipzig und Erfurt Universität kennengelernt hatten, wäre die Gründung einer Universität in Rostock wohl nur schwer vorstellbar.

Akteure der Universitätsgründung Zu den akademisch gebildeten Personen, die in Rostock schon vor der Gründung der Universität gewirkt hatten, gehörte auch der jetzt schon mehrfach erwähnte Nikolaus Turkow. Er stammte aus einer wohlhabenden Rostocker Familie, hatte in Prag die Rechte studiert und dort auch den Magister-­Titel erworben. Nach dem Auszug der deutschen Magister aus Prag 1409 kehrte er nach Rostock zurück und wurde zunächst Schreiber bzw. Protonotar des Stadtrats.24 Turkow war es vermutlich, der seit 1418 an der Kurie die Verhandlungen um die Erteilung des Universitäts-­Privilegs geführt hatte und der dann auch im Frühling 1419 das erwünschte Privileg Martins V. an die Warnow brachte.25 Im Jahr der Universitätsgründung wurde er Pfarrer von St. Marien und Offizial, also Vertreter des Bischofs im geistlichen Gericht der Stadt. Erwähnt wird Turkow in prominenter Rolle auch im zu Beginn schon anzitierten Prolog zur ältesten Matrikel der Universität (Abb. 1)26: „Im Namen des Herren, Amen. Im 1419. Jahr des Herren, am 12. Tag des Monats November hat die Universität Rostock ihren Anfang genommen, und zum Rektor dieser Universität wurde Petrus Stenbeke gewählt, Magister der freien Künste, Baccalaureus der heiligen Theologie. Gewählt wurde er durch den in Christo verehrungswürdigen Vater, den Herrn Heinrich, Bischof von Schwerin, den Herrn Hermann, Abt von Doberan, den Magister Johann Meynesti, Rostocker Archidiakon, den Herrn Nikolaus Turkow, Pfarrer von St. Marien in Rostock, und durch den Herrn Heinrich Katzow, Bürgermeister von Rostock.“

Einleitend wurde schon gezeigt, dass sich vor allem der erste Teil des Quellenzitats als Ausdruck des Selbstverständnisses der jungen akademischen Korporation lesen lässt. Auch der sich anschließende Bericht über die Wahl des Gründungsrektors kann entsprechend interpretiert werden. Genannt werden neben dem ersten Rektor Petrus Stenbeke vor allem dessen Wähler: die Spitzen der regionalen Geistlichkeit sowie – als einziger Laie – der Bürgermeister Heinrich Katzow. Die Forschung hat hier zurecht explizite Aussagen zu den Gründern bzw. Stiftern der Universität vermisst.27 Allenfalls der zuletzt genannte Rostocker Bürgermeister könnte als Vertreter der Stadt bei der Wahl des Rektors gedeutet werden. Betonen muss man jedoch, dass der Text die Frage der Stiftung und der mit dieser verbundenen Personen bzw. Gruppen offensichtlich bewusst ausspart. Der Prolog der Matrikel nennt den Gründungsrektor und die an dessen Wahl beteiligten Personen – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.28 Dieser Befund ist zunächst überraschend, da die im Vorfeld der Gründung der Universität in Erscheinung tretenden Akteure urkundlich gut fassbar sind.29 Die Mecklen26

Personen, Traditionen und Insignien

burgischen Herzöge hatten sich zusammen mit dem Rostocker Stadtrat und dem Bischof von Schwerin an der Kurie um ein Privileg bemüht, das die Gründung einer Universität in Rostock erlauben sollte. Die Stadt Rostock stellte die nötigen finanziellen und räumlichen Mittel zur Verfügung. Papst Martin V. erteilte nach üblichen Vorerkundigungen schließlich am 13. Februar 1419 das erwünschte Privileg (siehe Abb. auf S. 20). Ganze 14 Monate nachdem in der Sache die erste Eingabe an die Kurie gemacht worden war,30 konnte die junge Universität dann schon feierlich eröffnet werden – eine nicht zuletzt angesichts heutiger Antrags- und Bewilligungsverfahren beeindruckende Geschwindigkeit. Kontrovers wird bis heute in der Forschung diskutiert, wie man die Anteile der einzelnen Akteure gewichten muss. Im Zentrum der Diskussion steht dabei die Frage, wer denn die „eigentlichen“ Stifter der Rostocker Universität waren, denen damit der zeitgenössischen Praxis entsprechend auch das Patronatsrecht über die akademische Korporation zugestanden hätte.31 Diese Frage kann bereits auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken. Spätestens seit dem Ende des 15. Jahrhundert war die Geschichte der Universität durch die Konkurrenz zwischen Landesherrschaft und Stadt geprägt. Die entsprechenden Konflikte ergaben sich letztlich aus der auch für die Zeitgenossen ungeklärten Situation. Nachdem man sich mit der Formula Concordiae 1563 auf die Kompromissformel eines Kompatronats geeinigt hatte 32, wurde die Universität 1827 endgültig (und damit bis heute) unter die Kontrolle des Landes gestellt. Die bis dahin immer wieder aufflammende Diskussion wurde dadurch allerdings weniger gelöst als durch einen machtpolitischen Schlussstrich beendet. Hier soll nicht der Versuch unternommen werden, durch eine erneute Rekonstruktion der Vorgeschichte die Frage nach den Stiftern zu beantworten. Die Untersuchung einiger Schriftzeugnisse und Objekte aus der Frühzeit der Universität kann jedoch neues Licht auf das hinter dieser Frage stehende Problem des Patronats werfen. Diese Zeugnisse lassen nämlich erkennen, wie sich die junge Universität selbst in dieser Frage positioniert hat.

Zeugnisse der frühen Universität – die ältesten Statuten Das schon zitierte Matrikelbuch – der früheste Text, der aus der Perspektive der bestehenden Universität berichtet – vermittelt den Eindruck, als habe man die Frage nach dem Patronat innerhalb der Universität zunächst offengelassen. In eine andere Richtung deutet die wohl vor 1431 entstandene Präambel der ältesten Statuten der Universität.33 Sie fasst die Gründung der Universität in bemerkenswerter Weise zusammen (Abb. 2)34: „Wir halten zunächst fest, dass gemäß den apostolischen Privilegien, die der Herr Papst M ­ artin V. der Stadt Rostock gewährt hat, ebendort ein privilegiertes Universalstudium bestehen soll, mit den Fakultäten des kanonischen und des römischen Rechts, der Medizin, der Philosophie, der Freien Künste sowie anderer erlaubter Wissenschaften. Und sie sei eine Gemeinschaft 27

Marc von der Höh

(Universitas) und ein unteilbarer Körper, und habe nur ein Haupt, das Rektor der Universität genannt werden soll.“

Bemerkenswert ist vor allem der letzte Passus: die Universität sei ein unteilbarer Körper und habe nur ein Haupt, den Rektor. Diese Formulierung belegt auch für Rostock die Rezeption organologischer Vorstellungen von der Einheit der Universität, wie sie etwa der Kanonist Henricus de Segusio in seiner Summa formulierte.35 Dass die Rolle des Rektors hier derart hervorgehoben wird, erklärt sich wohl dadurch, dass es sich auch bei der erhaltenen ältesten Statutenhandschrift, die den entsprechenden Text überliefert, um das Exemplar im Besitz des jeweils amtierenden Rektors handelt.36 Im aktuellen Zusammenhang ist die Präambel vor allem interessant, da sie in einem zentralen Punkt dem Wortlaut des päpstlichen Privilegs widerspricht.37 Der Papst hatte die Erlaubnis zur Universitätsgründung gerade nicht der Stadt Rostock erteilt, – „opido Rozstokcensi concessa“ – wie es im lateinischen Original der Statuten heißt.38 Die Bulle, mit der Martin V. die Einrichtung einer Universität gestattete, erwähnt zwar Konsens und Unterstützung des Schweriner Bischofs und der Bürgermeister und des Rats von Rostock.39 Als die eigentlichen Empfänger des Privilegs werden jedoch ausschließlich die Herzöge Johann  IV. und Albrecht V. genannt.40 Eine Begründung für diese eindeutige Adressierung, die vor dem Hintergrund der Finanzierung der Universität durch die Stadt doch erklärungsbedürftig ist, liefert der Wortlaut der Urkunde, der darauf verweist, dass Rostock, „bekanntlich der weltlichen Herrschaft der Herzöge unterstellt ist“.41 Aus dem fernen Rom – und möglicherweise auch aufgrund der Einstellung der Kurie zu den Autonomiebestrebungen der Städte bzw. Kommunen des Kirchenstaats 42 – war es nur konsequent, dass das Privileg nicht der im Herrschaftsbereich der Herzöge befindlichen Stadt, sondern den Herzögen selbst erteilt wurde. Man kann nun versuchen, den Widerspruch zwischen dem Text des Gründungsprivilegs und der Präambel der Statuten aufzulösen. Hierzu muss man den Blick weiten und den Rostocker Text in größere Zusammenhänge einordnen. Die älteren Rostocker Statuten waren nämlich nur zu einem sehr geringen Teil eine Neuschöpfung. Vielmehr hatte man sich dazu entschlossen, bei nur sehr wenigen Änderungen die Statuten der Universität Erfurt zu übernehmen.43 Auf die vielfältigen personellen Beziehungen zwischen Erfurt und Rostock hatte ich schon verwiesen. Insbesondere der aus Erfurt kommende Gründungsrektor Petrus Stenbeke hat hier eine zentrale Rolle gespielt. Ein Vergleich zwischen den Statuten Erfurts und Rostocks deckt die Übernahmen, aber auch die Art der Überarbeitung in Rostock auf (hervorgehoben sind die Stellen, an denen die Rostocker Fassung von der Vorlage abweicht)44:

28

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 2: Die erste Seite der ältesten Statutenhandschrift, nach 1433.

29

Marc von der Höh

Erfurt (1395)

Rostock

„dass gemäß den apostolischen Privilegien, die von unserem Herrn Papst Urban VI., frommen Angedenkens, der Stadt Erfurt gewährt wurde, ebendort ein Generalstudium bestehen soll, mit den Fakultäten der Theologie, des kanonischen und des römischen Rechts, der Medizin, der Philosophie, der Freien Künste sowie anderer erlaubter Wissenschaften. Und sie sei eine Gemeinschaft (universitas) und ein unteilbarer Körper. Und diese Gemeinschaft soll einen Rektor haben, den die Universität wählen soll.“

„dass gemäß den apostolischen Privilegien, die der Herr Papst Martin V. der Stadt Rostock gewährt hat, ebendort ein privilegiertes Universalstudium bestehen soll, mit den Fakultäten des kanonischen und des römischen Rechts, der Medizin, der Philosopie, der Freien Künste sowie anderer erlaubter Wissenschaften. Und sie sei eine Gemeinschaft (universitas) und ein unteilbarer Körper, und habe nur ein Haupt, das Rektor der Universität genannt werden soll.“

Deutlich zutage treten zunächst die sprachlichen Übereinstimmungen. Man könnte daher vermuten, dass die Formulierung, das Gründungsprivileg sei der Stadt Rostock verliehen worden, auf einen Fehler des Bearbeiters zurückgeht. Dieser hätte bei der Bearbeitung – ohne über die inhaltliche Tragweite seiner Operation nachzudenken – schlicht „Erfurt“ durch „Rostock“ ersetzt.45 Die übrigen Abweichungen vom Text der Erfurter Statuten belegen jedoch einen durchaus bewussten Umgang mit der Vorlage – so wurde die im Falle Rostocks zunächst nicht erfolgte Erlaubnis zur Gründung einer theologischen Fakultät sorgfältig ausgelassen. Auch der Hinweis darauf, dass zur Zeit der Abfassung der Erfurter Statuten der das Privileg erteilende Papst bereits verstorbenen war („pie memorie“), wurde nicht übernommen – im Übrigen ein Datierungshinweis auf die Entstehung der Rostocker Statuten in ihrer ersten Fassung vor 1431, da Martin V. in diesem Jahr gestorben ist.46 Dass dem Bearbeiter hier einfach ein Fehler unterlaufen ist, erscheint so wenig plausibel. Wahrscheinlicher ist da schon, dass mit der entsprechenden Formulierung weniger auf den Text des Privilegs Bezug genommen wurde, sondern dass sich hier vielmehr die Deutung der jungen Universität bzw. ihrer Leitung niederschlägt, die auf der Ebene der praktischen Vollzüge der Gründung die Stadt Rostock als die eigentliche Triebkraft identifizierte. Für eine solche Interpretation gibt es gerade in den ältesten Statuten weitere Hinweise. So werden in der Prozessionsordnung der Universität, die ebenfalls in den Statuten enthalten ist, die Stadt Rostock bzw. deren Bürgermeister und Ratsherren als „Gründer/Stifter und Unterstützer der Universität“ bezeichnet.47 Deutlicher kann eine Positionierung der Universitätsleitung in dieser Frage wohl nicht sein. Hierzu passt auch der schon erwähnte Befund, dass der Bürgermeister Heinrich Katzow der einzige an der Wahl des Gründungsrektors beteiligte Laie war – vor ihm werden der Schweriner Bischof und die Spitzen der Rostocker Geistlichkeit genannt. Der oder die Bearbeiter der Rostocker Statuten haben die entsprechende Formulierung aus den Erfurter Statuten so wohl übernommen, da sie hierin auch den Geist der Universitätsgründung an der Warnow ausgedrückt sahen. Im Folgenden werden noch weitere Belege für eine solche Auffassung von den Gründungsvorgängen in der frühen Universität diskutiert werden. 30

Personen, Traditionen und Insignien

Das Gründungsprivileg Schon die kurze Analyse der Präambel der Statuten hat gezeigt, dass es produktiv ist, die lokalen Quellen vor dem Hintergrund größerer Zusammenhänge bzw. Traditionen zu interpretieren. Das gilt nun erst recht für das an der Kurie eingeworbene Gründungsprivileg (siehe Abb. auf S. 20). Hier ist nicht der Platz, eine ausführliche diplomatische Analyse des Stücks vorzunehmen, ein Punkt soll in diesem Zusammenhang aber angesprochen werden 48: Lange hat sich die Forschung mit der Frage beschäftigt, wieso Martin V. die theologische Fakultät aus dem Rostocker Gründungsbestand ausgeschlossen hatte.49 Gerade hier zeigt die Einordnung des Einzelstücks in einen größeren Kontext, dass die Frage gar nicht so drängend ist, wie man ausgehend von der lokalen Situation meinen könnte. Bis 1400 haben die Päpste insgesamt 46 Universitätsprivilegien ausgestellt. Immerhin 29 von ihnen schließen die Einrichtung einer theologischen Fakultät explizit aus. Das Fehlen der theologischen Fakultät ist somit der häufigere Fall, entsprechend wäre eher die Erlaubnis zu ihrer Einrichtung erklärungsbedürftig. Die Forschung erklärt diesen Befund mit dem Bestreben der Kurie, die theologische Ausbildung und Forschung zu konzentrieren, um sie damit zugleich auch besser kontrollieren zu können.50 Keineswegs hatte der ursprüngliche Ausschluss der theologischen Fakultät in Rostock mit der Angst vor der Ausbreitung der Lehre des Jan Hus zu tun, wie man in der Forschung häufiger lesen kann.51 Eine solche Deutung wäre auch nicht nachvollziehbar, da ja nicht zuletzt der Widerstand gegen die Lehre von Hus die Abwanderung der deutschen Professoren aus Prag ausgelöst hatte und so am Beginn der Gründungswelle neuer Universitäten in Mitteleuropa stand.52 Martin V. – der Aussteller des Rostocker Gründungsprivilegs – ließ übrigens bei seinen Universitätsgründungen keine einzige Theologische Fakultät zu.53 Auch er schloss die Theologie jedoch weniger aus Angst vor der Ausbreitung der Lehren des Jan Hus aus, sondern vielmehr, weil er berechtigterweise in den theologischen Fakultäten die größten Anhänger des Konziliarismus sah. Dieser stellte in der ersten Hälfte des 15. Jh. aus päpstlicher Sicht eine größere Bedrohung dar als böhmische oder sonstige Häretiker.54 Am Beispiel der Gründungsurkunde lässt sich jedoch nicht nur der Wert der chronologischen und geographischen Weitung des Blicks aufzeigen, sondern auch das heuristische Potential einer überlieferungsgeschichtlichen Auswertung der Quellen. Wie oben schon ausgeführt, kommt der Frage, wem Martin V. das Gründungsprivileg erteilte, große Bedeutung für die Frage nach den Stiftern und damit den Patronen der Universität zu. Die auf der Basis des Wortlauts der Urkunde durchaus zutreffende Feststellung, dass das Gründungsprivileg den Herzögen erteilt wurde, wird regelmäßig zusätzlich durch das Argument untermauert, dass die Urkunde auch in deren Archiv aufbewahrt worden sei.55 Archivgeschichtliche Untersuchungen konnten jedoch nachweisen, dass sich das einzige Exemplar der päpstlichen Gründungsbulle erst seit 1827 im herzoglichen Archiv 31

Marc von der Höh

in Schwerin befand.56 Im Zuge der endgültigen Entscheidung über die Zuständigkeit für die Universität ist die päpstliche Bulle in das Archiv der Herzöge übernommen worden. Zuvor lag sie im Archiv des Rostocker Stadtrats.57 Man könnte nun meinen, hiermit eine indirekte Bestätigung der oben diskutierten Formulierung im Prolog der Statuten gefunden zu haben. Leider ist der Überlieferungsgang jedoch wesentlich komplizierter. Das Ratsarchiv war nämlich ebenfalls nicht der ursprüngliche Aufbewahrungsort des Privilegs. Die Gründungsbulle wurde Ende Mai 1443 zusammen mit anderen Privilegien durch die Universität in die Obhut des Lübecker Rats übergeben. Ein Dokument im Lübecker Ratsarchiv bestätigt die Deponierung 58: „Wij borgermestere vnde radmanne der stad Lubke. Don witlik vnde opembar [sic!] […] dat wij van wegen vnde to behoff alsowol vnsser alse der ersamen heren des capittels bynnen vnsser stad vnde des rades der stad Wismar hebben in hude vnde guder vorwaringe enen bullen vnde besegelden breff pawes Mertens zeliger dechtnisse vppe de ordineringe vnde tolatinge des studii to Rostocke vnde vurder enen besegelden breff der vorscreuenen van Rostoke vppe achtehundert rinsche gulden jarliker rente, de se to behoff des vorscreuenen studii hadden getekent vnde vorsegelt.“

Die Hintergründe für die Deponierung der Urkunde in Lübeck, bei der es wohl um eine Sicherung der für die Universität wichtigen Privilegien ging, können hier nur kurz angedeutet werden. Die Universität hatte das unter Kirchenbann stehende Rostock 1436 Richtung Greifswald verlassen. Erst im März 1443 hatte man sich mit der Stadt auf die Konditionen für die Wiedereröffnung des Studiums in Rostock geeinigt (Abb. 3).59 Vermittelt hatten dabei unter anderem das Lübecker Domkapitel sowie Vertreter des Rats von Lübeck und Wismar – also genau die Akteure, die dann im Mai des gleichen Jahres die Aufbewahrung der Privilegien der Universität übernahmen. Hier tritt somit ein bislang ausgesparter Faktor der frühen Universitätsgeschichte zutage: Vor allem die wendischen Hansestädte zeigten großes Interesse an der Rostocker Universitätsgründung und fungierten spätestens seit 1443 auch als Garanten für deren Privilegien.60 Die Deponierung der Urkunden in Lübeck legt daher nahe, dass die Universität sie – und damit den rechtlichen Gehalt der Privilegien – auf diese Weise vor dem Zugriff nicht etwa des Landesherren, sondern des Rostocker Rats schützen wollte, in deren Mauern und damit in deren Zugriffsbereich sich die Universität befand. Die am Beginn stehende Förderung der Universität durch die Stadt hatte sich also bereits in dieser Zeit in eine Bedrohung der universitären Autonomie verwandelt.61 Die knapp skizzierte Überlieferungsgeschichte des Gründungsprivilegs liefert so einen weiteren Hinweis auf die Haltung der frühen Universität zu ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Stiftern. Die hier nur gestreiften ersten Spannungen zwischen Rat und Universität in den 1440er Jahren zeigen, dass von einer klaren und eindeutigen Unterordnung der Universität unter die Obrigkeit des Rats in dieser Zeit keine Rede sein 32

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 3: Urkunde des Rektors und des Konzils vom 17. März 1443. Universität und Rat schließen unter Vermittlung der Domkapitel von Hamburg und Lübeck sowie der Ratssendboten aus Hamburg, Lübeck und Wismar ein Abkommen bezüglich der Rückkehr der Universität in die Stadt. Die Universität verzichtet für die folgenden 200 Jahre auf die von der Stadt zugesagte Finanzierung in Höhe von jährlich 800 Rheinischen Gulden. An der Urkunde hängt der älteste erhaltene Abdruck des großen Universitätssiegels.

33

Marc von der Höh

kann. Mit Blick auf die Mecklenburgischen Fürsten ist jedoch festzuhalten, dass sie das von Martin V. explizit an sie adressierte Privileg nicht für so wichtig erachteten, dass sie es nicht in der Obhut der Universität belassen hätten. Die Indizien verdichten sich also, dass man die Rolle der Herzöge in diesem Zusammenhang nicht allzu hoch bewerten sollte.62 Leider kann nicht festgestellt werden, wer die Originalausfertigung des Gründungsprivilegs an die Universität übergeben hat. Da die Bulle wahrscheinlich durch den damaligen städtischen Protonotar Turkow nach Rostock gebracht worden ist 63 und für die feierliche Eröffnung eine Präsenz der Herzöge in Rostock nicht nachzuweisen ist,64 spricht doch einiges dafür, dass es der Stadtrat war, der die Übergabe der Urkunde an die neu geschaffene und jetzt durch den Gründungsrektor vertretene Korporation veranlasste.

Die Insignien der Universität Mit Abstand das größte Potential für zukünftige Forschungen zur Frühgeschichte der Universität Rostock haben sicherlich die nicht-­schriftlichen Zeugnisse aus dieser Zeit. Im Folgenden werden vor allem die als Insignien bezeichneten Objekte behandelt werden. An ihnen lässt sich wie schon an den Statuten der Vorbildcharakter der Universitäten Prag, Erfurt und Leipzig nachvollziehen. Insbesondere das am Ende der Ausführungen stehende große Universitätssiegel liefert zusätzlich einen weiteren wertvollen Hinweis auf das Selbstverständnis der frühen Universität. Den ältesten Statuten zufolge befand sich in der Obhut der Rektoren eine Kiste bzw. Truhe, in der der wichtigste Besitz der jungen Universität aufbewahrt wurde. In dieser als Fiscus bezeichneten Truhe – gewissermaßen dem bescheidenen Vorläufer von Universitätsarchiv und Kustodie – wurde unter anderem das noch vorzustellende große Universitätssiegel aufbewahrt. Sie war durch fünf Schlösser gesichert, die nur durch die Schlüssel des Rektors und der Dekane der vier Fakultäten geöffnet werden konnten.65 Neben der Kiste bewahrte der jeweils amtierende Rektor die Zepter der Universität auf, die Matrikelhandschrift, sein eigenes (Rektorats-)Siegel sowie eine als Registrum bezeichnete Handschrift.66 Ich werde mich im Folgenden auf die hier aufgeführten gegenständlichen Objekte konzentrieren.67 Noch heute bewahrt die Universität als einen ihrer größten Schätze zwei Zepter aus der Gründungszeit der Universität auf (Abb. 4). Diese sind sehr wahrscheinlich für die neue Universität angefertigt worden, stehen aber zugleich auch für Kontinuitäten bzw. Traditionen, die weit hinter das Gründungsdatum zurückreichen. Das lässt sich nicht zuletzt an ihrer Zahl festmachen: Die ältesten Rostocker Zepter wurden paarweise verwendet. Dieser auf den ersten Blick vielleicht unspektakuläre Befund ist dennoch erklärungsbedürftig. Andere Universitäten führten jeweils nur ein Zepter, oder sie verfügten gleich über einen umfangreichen Satz von Rektorats- und Fakultätszeptern.68 Dass es keineswegs selbstverständlich war, zwei Zepter zu führen, zeigt ein Quellenbeleg aus 34

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 4: Das kleine Zepterpaar der Universität, entstanden nach 1419.

35

Marc von der Höh

Köln. Dort beschließt man 1431 – und damit über 40 Jahre nach Gründung der dortigen Universität –, dass es „der Ehre der Universität förderlich“ sei, von nun an nicht mehr nur ein, sondern zwei Zepter zu führen.69 Zwar sagt die Kölner Quelle nicht, zu welcher Universität man hinsichtlich der Zahl der geführten Zepter aufschließen wollte. Sicher ist allerdings, dass zu dieser Zeit auch das für die Geschichte der Rostocker Universität so wichtige Erfurt bereits zwei Zepter führte. Auch dieses Zepterpaar ist bis heute erhalten. Im Sinne einer Universitätsgeschichte als Verflechtungsgeschichte ist noch zu ergänzen, dass das Erfurter Zepterpaar wohl ursprünglich für die Prager Universität bestimmt war.70 Damit ist zudem der nicht unwichtige Umstand belegt, dass auch in Prag bereits das Führen eines Zepter-­Paares üblich war. Über den Umweg Erfurt – und mit dem Gründungsrektor – ist wohl auch dieser Brauch aus Böhmen an die Ostseeküste gekommen. Kaum ein anderes Objekt kann so eindrücklich für die Kontinuität der Universität über die Jahrhunderte hinweg stehen wie das große Universitätssiegel, dessen Typar bis heute im Universitätsarchiv aufbewahrt wird (Abb. 5 und 6).71 Ebenso wie das Zepter war das Siegel schon für die Zeitgenossen neben seiner praktischen Funktion als Beglaubigungsmittel 72 ein Symbol für den Fortbestand der Institution über die jeweiligen Amtsträger hinaus.73 Es versinnbildlicht daneben aber auch die weit hinter das Gründungsdatum zurückführenden Traditionen, in die sich die neue akademische Korporation gestellt hat. Erwähnt wird das Siegel erstmals in den Statuten der Universität. Festgehalten wird hier, dass es ein großes Universitäts- und ein (kleineres) Rektoratssiegel geben solle.74 Während sich das Rektoratssiegel mit den Zeptern, der Matrikel und anderen Dingen in der Aufbewahrung und damit auch in der Verfügung des Rektors befand,75 lag das große Universitätssiegel in der als Fiscus bezeichneten Truhe, die nur durch die Schlüssel des Rektors und der Dekane der vier Fakultäten geöffnet werden konnte.76 Das große Siegel konnte also nur gemeinsam von Rektor und Dekanen der Universität verwendet werden.77 Es war feierlichen Beurkundungen vorbehalten, bei denen die Universität durch Rektor und Fakultäten, also durch ihr Haupt und ihre Glieder – wie es die oben schon zitierte Passage des Matrikelbuchs formuliert hatte – repräsentiert werden sollte.78 Im Gegensatz zum entsprechend auch deutlich stärker abgenutzten Rektoratssiegel (Abb. 7) war das große Universitätssiegel somit in erster Linie ein Repräsentationsobjekt, das als Symbol für die rechtliche Handlungsfähigkeit sowie die Einheit der Universität stand.79 Das Siegel ist jedoch nicht nur als die Zeiten überdauerndes Objekt aus der Gründungsphase von Interesse. Wie wenige andere Objekte erlauben Siegel einen spannenden Blick auf das Selbstverständnis der siegelführenden Korporation, in diesem Fall eben der Universität Rostock in ihrer Frühphase.80 Zunächst eine kurze Beschreibung des Siegels: Mit einem Durchmesser von 83 mm führte Rostock eines der größten Universitätssiegel der Zeit.81 Den Rand des Siegels bildet zunächst die Umschrift in gotischer Minuskelschrift: „Sigillum * vniuersitatis * studii * rozstokcensis *“. Das mit Rautenlinien und kleinen Kugeln besetzte innere Bildfeld zeigt zunächst eine aufwändige architektonische Gestaltung. Diese besteht aus einem großen zentralen Rundbogen in einem nach oben flach abschließenden 36

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 5: Ältester bekannter Abdruck des großen Universitätssiegels an der Urkunde vom 17. März 1443 (vgl. Abb. 3).

37

Marc von der Höh

Abb. 6: Typar des großen Universitätssiegels, nach 1419.

38

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 7: Typar des Rektor-­Siegels, nach 1419.

39

Marc von der Höh

rechteckigen Rahmen. Über dem Rundbogen erhebt sich zentral eine an einen Kirchenbau oder ein Tabernakel erinnernde Struktur, die aus drei überkuppelten Apsiden und einer diese überragenden, mit einem Kreuz besetzten Kuppel besteht. Links und rechts des Tabernakels befinden sich je drei Spitzbogenarkaden mit Maßwerk. Rechts und links des zentralen Bogens stehen symmetrisch zwei perspektivisch aufgefasste zweistöckige Maßwerkstrukturen. Im Inneren des Bogens sind eine stehende und eine kniende Figur abgebildet. Beide ragen nach unten in die Umschrift hinein und unterbrechen sie so am unteren Rand des Siegels. Links 82 steht ein bärtiger langhaariger Mann mit Kreuznimbus, der in seiner linken Hand eine Kreuz-­besetzte Sphaira („Reichsapfel“) hält und mit seiner rechten der neben ihm knienden Person ein aufgeschlagenes Buch überreicht.83 Die kniende Person ist durch ihre Kleidung als Akademiker gekennzeichnet.84 Von ihrem Kopf stehen blattartige Striche ab, die vielleicht als Haare oder als Lorbeerkranz interpretiert werden können. Die Figur nimmt das dargereichte Buch mit beiden Händen entgegen. Über beiden Figuren verläuft ein Textband, das über der stehenden Figur beginnt und einen aus Bibelzitaten zusammengesetzten Text trägt: „sc(ru)tami(ni) sc(ri)pturas . (et) . discite . a me . q(uia) . miti(s) su(m) (et) hu(m)ilis corde.“ Zu Füßen der Figurengruppe lehnt ein Wappenschild, der einen steigenden Greifen trägt. Das Rostocker Universitätssiegel schließt nun einerseits an Vorbilder älterer Universitätssiegel an, ist somit Ausdruck universitär-­akademischer Traditionen, die über die eigene Korporation hinausführen. Andererseits weist es einige bemerkenswerte Besonderheiten auf, die es als Ergebnis einer bewussten und wohldurchdachten Konzeption erweisen. Hinsichtlich der Ähnlichkeiten mit älteren Universitätssiegeln konzentriere ich mich auf die großen Siegel der Universitäten Paris, Prag, Heidelberg, Köln, Wien, Erfurt und Leipzig.85 Das älteste erhaltene Siegel einer Universität ist das der Universität Paris aus dem 13. Jahrhundert.86 Sieht man einmal von der runden Grundform und der Verteilung von Bild und Schrift ab, die beide nicht spezifisch für Universitätssiegel sind, so verbindet dieses mit dem späteren Rostocker Siegel eigentlich nur die Architekturrahmung. Im Beispiel Paris handelt es sich um eine Art Schnitt durch einen dreischiffigen Kirchenraum, dessen Mittelschiff zudem in zwei Register bzw. Etagen unterteilt ist.87 Dieses architektonische Grundmodell ist am deutlichsten wohl im Siegel der Universität Wien aufgegriffen.88 Bis auf das Prager Siegel übernehmen alle hier herangezogenen frühen Universitätssiegel in mehr oder weniger abgekürzter Form diese Architekturelemente, so dass man auf dieser Basis eine regelrechte Genealogie der Universitätssiegel entwickeln kann. Am weitesten entfernen sich vom Vorbild die untereinander wiederum große Ähnlichkeiten aufweisenden Siegel der beiden städtischen Gründungen Köln (Abb. 8) und Erfurt 89, bei denen vom Pariser Modell nur noch eine baldachinartige Kurzformel übrig bleibt. Die architektonische Rahmung des Rostocker Siegels lässt sich am ehesten mit dem 1419 zum ersten Mal erwähnten großen Universitätssiegel der 1409 gegründeten Leipziger Universität vergleichen (Abb. 9).90 Das Leipziger Siegel geht vermutlich seinerseits auf das Vorbild des Ende des 14. Jahrhunderts geschaffenen Heidelberger Siegels 40

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 8: Typar des großen Universitätssiegels der Universität zu Köln, nach 1388.

zurück (Abb. 10).91 Die noch recht schlichte dreischiffige Architektur des Pariser Siegels wird im Heidelberger Siegel von einem regelrechten Wald von Maßwerk und Fialen überwuchert. Das Heidelberger Vorbild aufgreifend geht dann im Leipziger Siegel die dreischiffige Struktur weitestgehend verloren: Übrig bleibt eine weite mittlere Bogenstellung, in der unter einem Baldachin die heiligen Laurentius und Johannes der Täufer stehen. Rechts und links von diesem Bogen schließen zwei Maßwerkstrukturen an, die ihres Raumcharakters jedoch weitgehend entleert sind. Die Leipziger Version wird dann im Rostocker Siegel noch einmal reduziert und dadurch noch weiter vom ursprünglichen dreischiffigen Vorbild weggeführt. Von den schon in Leipzig nur noch angedeuteten Seitenschiffen bleiben auf dem Rostocker Siegel nur noch schwer zu interpretierende Maßwerk-­Anbauten übrig. Auch die innerhalb des architektonischen Rahmens dargestellte Szene, auf die ich noch eingehender zurückkomme, lässt sich in Traditionslinien einfügen. Ausgehend vom Pariser Vorbild zeigen die meisten großen Universitätssiegel entweder die heiligen Patrone der jeweiligen Universität (Wien, Heidelberg, Köln, Leipzig) oder Lehrszenen (Erfurt). Nur in Wien sind wie im Pariser Vorbild heiliger Patron und Lehrszene kombiniert. Das Rostocker Beispiel greift nun keine der beiden Möglichkeiten auf. Vielmehr 41

Marc von der Höh

Abb. 9: Abdruck des ältesten großen Universitätssiegels der Universität Leipzig, vor 1419.

42

Personen, Traditionen und Insignien

Abb. 10: Abdruck des ältesten Siegels der Universität Heidelberg, nach 1386.

43

Marc von der Höh

ist hier, wenn auch mit einer entscheidenden Abweichung, die Figurenkonstellation des Prager Vorbildes aufgegriffen worden, das die Überreichung der Stiftungsurkunde durch Karl  IV. an den heiligen Wenzel darstellt.92 Dass die auf den ersten Blick vergleichbar erscheinende Szene in Rostock gänzlich anders aufgefasst ist, wird noch zu zeigen sein. Schließlich ist noch ein für die Interpretation des Siegels zentrales Element anzusprechen: das Wappen. Die drei königlich-­fürstlichen Gründungen Prag, Wien und Heidelberg weisen jeweils, wenn auch unterschiedlich prominent, zwei Wappen auf. Deutlich präsenter ist das Stadtwappen der städtischen Gründung Köln im Siegelfeld positioniert. Sieht man von der Schrägstellung ab, greift das Rostocker Beispiel am ehesten dieses Kölner Vorbild auf. In vergleichbar zentraler Position am unteren Rand des Siegelfelds lehnt hier das Greifenwappen der Stadt Rostock.93 Als Zwischenfazit kann man festhalten, dass sich die an Entwurf und Realisierung des Rostocker Universitätssiegels beteiligten Personen einerseits aus dem Fundus der Lösungen bedient haben, die bei den früheren Universitätssiegeln des deutschen Sprachraums gewählt wurden. Dabei ist im Falle des Siegels das ansonsten stark auf die Rostocker Gründung wirkende Vorbild Erfurt erstaunlicherweise überhaupt nicht rezipiert worden. Die für Rostock gefunden Lösung schließt formal vor allem an das Leipziger, mit Blick auf die Anordnung der handelnden Figuren – mit den noch zu diskutierenden Abweichungen – an das Prager Vorbild an. Beide Universitäten hatte ich schon zuvor in die Vorgeschichte der Rostocker Universität eingeordnet, ein Eindruck, der so auch durch das Siegel gestützt wird. Das Rostocker Siegel weist jedoch einige Eigenheiten auf, die es von der Gruppe der frühen Universitätssiegel unterscheidet. Das betrifft einmal die architektonische Rahmung der dargestellten Handlung. Diese folgt nicht dem in der Zeit üblichen gotischen Formenrepertoire. Schon der zentrale Rundbogen überrascht, findet allenfalls eine Parallele in den ebenfalls rund abschließenden Nischen des Heidelberger Siegels. Besonders markant und in dieser Form einzigartig ist jedoch der Tabernakel-­artige Aufbau über dem Bogen: Die Darstellung erinnert an eine Dreikonchen-­Anlage, also einen Chor mit drei kreuzweise angeordneten Apsiden, die von einer Vierungskuppel überragt werden. Wieso hat man sich in Rostock für diese auffällige Lösung entschieden? Naheliegender wäre ein Tabernakel in gotischen Formen gewesen, wie es etwa auch auf dem ältesten Rostocker Rektorensiegel abgebildet ist (Abb. 7). Angesichts der insgesamt aus der Gestaltung herausstechenden Form liegt der Gedanke nahe, dass damit ein konkreter Bezug intendiert war. Andrea Stieldorf, die sich zuletzt intensiver mit dem Rostocker Siegel beschäftigt hat, schlägt vor, hierin eine „Stadtabbreviatur“ zu sehen. Sie sieht darin entsprechend einen Verweis auf die „besondere Rolle der Stadt bei der Gründung der Universität“.94 Dagegen spricht allerdings, dass man in der dargestellten Architektur – insbesondere wenn man sie in die dargelegten Traditionszusammenhänge stellt – beim besten Willen keine ideale Stadtdarstellung sehen kann.95 44

Personen, Traditionen und Insignien

Denkbar wäre hingegen, dass mit der architektonischen Gestaltung, insbesondere mit dem Kuppelbau über der Szene, ein Bezug zu einem tatsächlich existierenden Bauwerk verbunden war. Dass dabei ein in Rostock zu Beginn des 15. Jahrhunderts stehendes (Kirchen-)Gebäude gemeint war, kann man wohl ausschließen. Angesichts der noch zu thematisierenden Bedeutung der Figurenszene liegt ein Christus-­Bezug nahe. Sicherheit wird man hier ohne intensive weitere Studien zwar nicht erreichen, denkbar ist jedoch, dass mit der Kuppelanlage ein wie auch immer vermittelter und gebrochener Bezug auf die Geburtskirche in Bethlehem angestrebt war. Deren Umgestaltung durch Justinian wird in der Architekturgeschichte als Vorbild für die ähnlich aufgebauten hochmittelalterlichen Dreikonchenanlagen herangezogen, etwa für die Kölner Stiftskirche St. Maria im Kapitol.96 Mehr als eine erste Spur zur Deutung der Kuppelanlage auf dem Siegel können diese wenigen Andeutungen nicht sein. Auf sichererem Boden steht man allerdings bei der Interpretation der Figurenszene. Die rechte Figur ist eindeutig als Christus anzusprechen. Reichsapfel, Haartracht und Heiligenschein lassen daran keinen Zweifel. Schwieriger ist da schon die Identifizierung der linken Figur: Die Kleidung markiert sie eindeutig als Akademiker.97 Oben wurde schon auf die eigenartige Kopfbedeckung oder Haartracht hingewiesen. Möglich ist, dass es sich um eine Darstellung des Rektors der Universität handelt. Zumindest die Kleidung entspricht vollkommen derjenigen auf dem ältesten Rostocker Rektoratssiegel (Abb. 7). Anders als auf diesem trägt die Figur hier jedoch keine kappenartige Kopfbedeckung und ist auch nicht durch weitere Insignien ausgezeichnet. Die Frage muss jedoch in diesem Fall gar nicht eindeutig beantwortet werden: sicher ist, dass die kniende Figur stellvertretend für die Universität Christus gegenübertritt. Anders als die analoge Darstellung Karls  IV. auf dem Prager Siegel überreicht die kniende Figur hier jedoch nicht etwas, sondern empfängt von Christus ein Buch. Diese Interpretation der Szene wird auch durch das von Christus ausgehende Textband gestützt. Dessen Text ist eine Kombination zweier Bibelzitate. In der Übersetzung lautet er: „Suchet in den Schriften und lernet von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig.“ Aufgefordert wird der dargestellte Vertreter der Universität, in den Schriften (also wohl vor allem in der Bibel) zu lesen und zu forschen.98 Nicht jedoch, um dadurch zu Wissen oder zu theologischen Erkenntnissen zu gelangen, sondern um sich am moralisch-­ethischen Vorbild Christi zu orientieren und Güte und Demut zu erlernen. Wie gesagt handelt es sich um einen aus zwei Bibelstellen zusammengesetzten Text. Konkret werden kombiniert Johannes 5,39 und Matthäus 11,29. Den jeweiligen Gesamtkontext in die Interpretation einzubeziehen, ist legitim, da man einerseits davon ausgehen darf, dass die hinter dem Entwurf stehenden Personen ebenso wie die Adressaten des Siegelbilds diesen biblischen Kontext kannten, andererseits, da sich daraus eine weitere Bedeutungsebene des Siegels ergibt. Die erste Hälfte des Zitats verweist im Kontext des Evangeliums auf die Bedeutung des Studiums des Alten Testaments: „Scrutamini scripturas quia vos putatis in ipsis vitam aeternam habere et illae sunt quae testimonium perhibent de me“ – „Ihr forscht in 45

Marc von der Höh

den Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu finden, dabei weisen gerade die Schriften auf mich hin“ (Joh 5,39). Ein Zitat, das als Ziel der Schriftlektüre die Erkenntnis Jesu Christi nennt. Das zweite Zitat formuliert im Ursprungskontext den Aufruf zur praktischen Christusnachfolge: „tollite iugum meum super vos et discite a me quia mitis sum et humilis corde et invenietis requiem animabus vestris“ – „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,29). Durch ein Leben in der Nachfolge Christi lerne man von diesem die angemessene ethisch-­moralische Haltung, die in einer sanften und gütigen sowie bescheidenen bzw. demütigen Haltung gegenüber seinen Mitmenschen bestehe, und die letztlich zur Seelenruhe bzw. Seligkeit führe. Deutlich wird, dass hier nicht etwa ein bloß mechanisches Zusammenbasteln zweier biblischer Textfragmente vorliegt. Die beiden Zitate beziehen sich in ihren Ursprungskontexten beide auf das gleiche Ziel: die Erkenntnis bzw. Erfahrung Christi als Ergebnis sowohl der Schriftlektüre als auch der praktischen Christus-­Nachfolge. Parallelisiert wird so durch die Zusammensetzung der beiden Ausschnitte das intellektuelle Suchen in der Schrift und das lebenspraktische „das Joch des Herrn auf sich nehmen“. Sowohl das explizite „discite a me“ als auch das ausgesparte, den Zeitgenossen aber bewusste „tollite iugum meum“ lassen sich in die Imitatio-­Christi-­Theologie der Zeit einordnen.99 Man muss hier gar nicht an die wohl erst später nach Rostock ausstrahlende Devotio moderna denken, erinnert sei hier nur an die für die Geschichte der Universität so wichtigen Fraterherren von St. Michael.100 Das frömmigkeits- und theologiegeschichtliche Motiv der Imitatio Christi reicht weiter zurück und war im späten Mittelalter allgemein verbreitet. Die Bedeutung der auf dem Rostocker Universitätssiegel dargestellte Szene ist somit eindeutig: auch der Gelehrte solle ein Nachfolger Christi sein. Konkret ist gerade der Text des Schriftbands vielleicht auch als Warnung vor akademischem Hochmut zu deuten. Ziel der Schriftlektüre und damit des Studiums sollen Demut und insgesamt die moralische Läuterung sein. Ein bemerkenswertes Zeugnis für das Selbstverständnis der frühen Rostocker Universität. Ein weiteres innovatives Element des Universitätssiegels ist das zu Füßen der beiden Figuren lehnende Wappen. Es trägt den Rostocker Greifen, der von der Stadt Rostock seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts im sogenannten Secret-­Siegel geführt wird und letztlich auf die Rostocker Fürsten des 13. Jahrhunderts zurückgeht.101 Geht man davon aus, dass die Siegel der Universitäten immer im Spannungsfeld zwischen korporativem Selbstverständnis und Stifterwillen zu verorten sind,102 dann ist die Aufnahme des Wappens natürlich auch eine Stellungnahme zur bereits diskutierten Frage, wen die frühe Universität eigentlich als ihren Stifter ansah.103 Die vorhandenen Wappen verweisen auf allen älteren Universitätssiegel auf die Stifter: das gilt schon für das früheste Beispiel Prag, gilt auch für die fürstlichen Gründungen Wien und Heidelberg, dann aber in besonders prominenter Weise auch für das Siegel der Universität Köln, der ersten städtischen Universitätsgründung im Reich. Aufgrund der hier erstmals vorkommenden zentrierten 46

Personen, Traditionen und Insignien

Position des Wappenschilds am unteren Rand der Siegels, der zugleich die Umschrift durchschneidet, kann man das Kölner Siegel in dieser Hinsicht als eines der Vorbilder der Rostocker Bildfindung bezeichnen.104 Die personell eng verbundenen Gründungen Leipzig und Erfurt (auch dieses eine städtische Gründung) zeigen bemerkenswerterweise überhaupt keine Wappen. Interessant ist nun vor allem, welches Wappenbild auf dem Siegel angebracht ist. Geht man von der Vorstellung eines schon in der Gründungsphase angedachten Kompatronats aus, dann würde man eigentlich sowohl Stierkopf als auch Greifen erwarten – Vorbilder für die Abbildung zweier Wappenschilde liegen mit Prag, Heidelberg und Wien ja durchaus vor. Das Rostocker Siegel zeigt aber ausschließlich den Greifenschild, so dass man hierin durchaus eine dezidierte Betonung der städtischen Rolle bei der Gründung der Universität sehen kann. Interessanterweise hat diese prominente Platzierung des Greifenschilds auf dem Siegel der Universität bei den mecklenburgischen Fürsten keinen Widerspruch provoziert. Auch hier drängt sich der Eindruck auf, dass diese zumindest in der Frühphase an ihrer vermeintlichen Stiftung nicht gerade viel Anteil genommen haben. Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich das Rostocker Universitätssiegel einerseits durch mehr oder weniger deutliche Anlehnungen in die Tradition universitärer Siegelgestaltung im deutschsprachigen Raum einreiht. Wer immer das Siegel gestaltet hat, kannte zumindest einige der älteren Vorbilder und hat dieses Wissen bei der Entwicklung einer Bildformel für die junge Universität eingesetzt.105 Zugleich erweist sich das Rostocker Beispiel, dessen künstlerische und handwerkliche Qualität nicht unbedingt an die älteren Vorbilder heranreicht, in der ikonographischen Konzeption überraschend durchdacht. Die Kombination aus Figurenszene und Text vermittelt ein innovatives und durchaus prägnantes Programm für die junge akademische Einrichtung. Vergleichbare komplexe Bildprogramme lassen sich bei den älteren hier herangezogenen Universitätssiegeln nicht erkennen. Als Quelle für das Selbstverständnis der ersten Professorengeneration müsste dieses Bildprogramm in einem weiteren Schritt einmal in einen größeren Rahmen eingeordnet werden. Wichtig für das Verständnis der Gründungsphase der Universität ist schließlich die zuletzt gemachte Beobachtung. Durch das abgebildete Wappen stellt das Siegel einen eindeutigen Bezug zur Stadt Rostock her, nicht etwa zu den mecklenburgischen Landesherren.

Zusammenfassung und Ausblick Die Geschichte der Universität Rostock beginnt nur in einem sehr eingeschränkten Sinne im November 1419. Ihre Frühgeschichte ist einerseits nur vor dem Hintergrund eines bereits vor der Universitätsgründung bestehenden akademischen Rostock zu verstehen. Andererseits muss Universitätsgeschichte insgesamt immer auch als eine Geschichte von Verflechtungen, von Prägung und Ausstrahlung verstanden werden. Das betrifft zunächst 47

Marc von der Höh

die angesprochenen akademischen Migrationen. Einige der Akteure der Universitätsgründung hatten zuvor an anderen Universitäten studiert. Immer wieder stößt man in diesem Zusammenhang auf Prag, Erfurt und Leipzig. Die ersten Generationen der Lehrenden in Rostock waren zuvor an diesen Universitäten tätig gewesen. Die personellen Netzwerke, die die drei Universitäten mit der Neugründung an der Warnow verbanden, waren aber nur ein Aspekt dieser Verflechtungsgeschichte. Nicht zuletzt konnte nachgewiesen werden, dass diese älteren Universitäten auch in der Rostocker Überlieferung direkte Spuren hinterlassen haben. Besonders deutlich ist dies im Fall der ältesten Rostocker Statuten, die weitgehend auf eine Erfurter Vorlage zurückgehen. Ähnliche Befunde traten aber auch bei der Untersuchung der Insignien zutage. Schon das von den Rektoren geführte Zepterpaar ist Ergebnis eines mehr oder weniger bewussten Anknüpfens an vorhandene akademische Traditionen, deren Wurzeln im konkreten Fall vermutlich in Prag und Erfurt lagen. Komplexer, aber nicht minder deutlich erkennbar waren solche Traditionslinien am Beispiel des zuletzt ausführlicher analysierten großen Universitätssiegels. Schon durch das Führen eines großen Siegels der gesamten Korporation stellt sich die junge Universität in die Tradition älterer Gründungen. Auf der Ebene der Formung dieses Siegels ließen sich dann verschiedene Bezüge nachweisen: Die Gestalter des Siegels haben sich im Fundus der älteren Universitätssiegel des deutschen Sprachraums bedient, wobei die Bezüge zu Leipzig (Architektur) und Prag (Figurenszene) besonders ausgeprägt sind. Das Beispiel des Siegels zeigt jedoch – in Übereinstimmung mit dem Motto der Universität – auch innovative Elemente. Das ikonographische Programm des Siegels mit seiner Betonung der Christus-­Nachfolge kann innerhalb der zeitgenössischen Siegelproduktion als herausragende Leistung bezeichnet werden. Spätestens hier – aber auch schon bei der nur gestreiften Bearbeitung der Erfurter Statuten in Rostock – zeigt sich, dass die Rostocker Universität natürlich keine bloße Kopie der älteren Universitäten war, sondern eine durch Traditionen und Innovationen geprägte Neuschöpfung. Ein zweiter Aspekt, der gewissermaßen quer zu dieser Perspektive verlief, war die Frage nach dem Selbstverständnis der frühen Universität. Insbesondere die Vorstellung von einem Stifter und damit Patron der Universität lässt sich anhand der frühen Zeugnisse vergleichsweise gut verfolgen. Das älteste Zeugnis der Matrikel glänzte hier zunächst durch eine bemerkenswerte Aussparung. Deren Prolog postuliert einen regelrecht voraussetzungslosen Ursprung der akademischen Korporation und blendet damit die als Stifter-­Patrone in Frage kommenden Akteure gänzlich aus. Die Statuten, das zweite Schriftzeugnis aus der Frühzeit der Universität, positionieren sich vergleichsweise eindeutig, indem sie die Stadt Rostock zum eigentlichen Empfänger des päpstlichen Gründungsprivilegs machen und von der Stadt zugleich als den „Stiftern und Unterstützern“ (fundatores et manutentores) sprechen. Eine Haltung, die – trotz der immer noch nicht gänzlich geklärten Überlieferungsgeschichte – teilweise auch durch die Aufbewahrung dieses Gründungsprivilegs gestützt wird, das nämlich im Gegensatz zur bisherigen Annahme nicht im Besitz der Mecklenburgischen Herzöge war, sondern von der Universität aufbewahrt wurde. Dass 48

Personen, Traditionen und Insignien

die junge Universität die Herzöge eben gerade nicht als ihre Stifter ansah, konnte dann auch der Blick auf das große Universitätssiegel belegen: Dieses zeigt mit dem Rostocker Greifen ein in dieser Zeit eindeutig als städtisch zu bezeichnendes Wappen. Vor dem Hintergrund der Rolle von Stifterwappen auf den frühen Universitätssiegeln ein eindeutiger Befund. Bewusst wurden hier zunächst Kontinuitäten und Traditionen herausgegriffen, die die Gründungsphase der Universität geprägt haben. Teil der 2019 zu erinnernden – und natürlich auch zu feiernden Geschichte – sind aber auch die hier nur gestreiften Krisen und Zäsuren, die die Universität in Rostock mehr als einmal an den Rand des Untergangs geführt haben. Genannt seien für den ersten Teil dieses Bands die innerstädtischen Krisen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aber auch die an dessen Ende stehende Domfehde. Ohne eine gewisse Beharrungskraft hätte sich das Studium in diesen krisenhaften Phasen durchaus auch dauerhaft in die zeitweiligen Exilstädte Greifswald, Wismar oder Lübeck verlagern können. Dass dies nicht geschehen ist, kann zumindest teilweise auf eine belastbare Verwurzelung in Rostock zurückgeführt werden. Eine Verwurzelung, die sicherlich auch ein Ergebnis der besonderen Gründungsgeschichte, der Verdichtung und Verschmelzung von überregionalen und lokalen Bedingungen, Impulsen und Traditionen ist, die hier eben doch etwas Besonderes, etwas Eigentümliches und Unvergleichbares entstehen ließen: die alma mater Rostochiensis.

49

Marc von der Höh

Anmerkungen

1 2 3 4

5

6 7 8 9

10 11

12 13

14 15 16 17

18 19

20

50

Vgl. zum gesamten Zitat die Ausführungen unten bei Anm. 23. Vgl. zur Matrikel ausführlich den Beitrag von Anne Sowodniok in diesem Band. Vgl. etwa Dücker 2001. Dezidiert Schnitzler 1974, die die Gründung der Universität bislang am deutlichsten mit einem vorhandenen akademischen Milieu in Verbindung gebracht hat, aber auch Wriedt 1983, 509 f. Die entsprechenden Beobachtungen verdanken sich letztlich auch einer erneuten Stärkung grundwissenschaftlicher Methodiken in der Folge des sogenannten Material Turn, vgl. für die Mediävistik etwa Keupp/Schmitz-­Esser 2015. Ein auf diese Frage ausgerichteter Forschungsüberblick bei Pluns 2007, 19 – 24. Die Prager Vorgeschichte bringt Kleineidam 1964, 86, auf den Punkt, wenn er formuliert „Es ist die alte sächsische Nation der Universität Prag, die hier ihre eigene Universität gründet.“ Zur Prager Gründung Rexroth 1991, 55 – 107. Eintrag „Nikolaus Turkow“ im Repertorium Academicum Germanicum (RAG) (RAG-ID: ngFV 7I072GX 84ubTzEY u4DrM), https://resource.database.rag-­online.org/ngFV 7I072G​ X84ubTzEYu4DrM (Zugriff am 10. 05. 2019), vgl. zu Turkow auch Wriedt 1983, 509; Pluns 2007, 38 f.; Irrgang 2002, 215. Pluns 2007, 38. Eintrag „Heinrich Reczekow“ (von Ribnitz) im RAG (RAG-ID: ngEU4P375EM1qtaSyEXtp​ CqL), https://resource.database.rag-­online.org/ngEU4P375EM1qtaSyEXtpCqL (Zugriff am 10. 05. 2019); vgl. auch schon Wriedt 1983, 509 f. Schlegel 2016, 975. Vgl. zu den frühen Rostocker Professoren und ihrer Verbindung zu Prag Kleineidam 1964, 86; vgl. auch die Einträge zu Hermann von Hamme, Johannes Holt und Borchard Plotze im Catalogus Professorum Rostochiensium http://cpr.uni-­rostock.de/ (Zugriff am 10. 05. 2019). Vgl. Nodl 2017. Zur Gründung Leipzigs Bünz/Rudersdorf/Döring 2009. Zur Geschichte der Universität Erfurt Gramsch 2012. In Leipzig hatten gewirkt Borchard Plotze, Johannes Vos (de Monasterio), Arnold Westphal; in Erfurt Bernhard Bodeker, Ludolphus Gruwel, Hermann von Hamme, Johannes Holt, Heinrich Netelhorst, Heinrich Schonenberch, Nicolaus Theoderici, Heinrich Toke, Arnoldus de Tricht, Johannes Vos, Dietrich Zukow, vgl. die entsprechenden Einträge im Catalogus Professorum Rostochiensium http://cpr.uni-­rostock.de/ (Zugriff am 10. 05. 2019). Zu den Biographien der frühen Rostocker Professoren auch Schnitzler 1979, 102 ff. und 117 ff., Wriedt 1983, 196 ff. Vgl. zu Rostock als „Tochter der Erfurter Hochschule“ Asche 2000, 27. Eintrag „Petrus Stenbeke“ im RAG (RAG-ID: ngUK8L577TM37jqkoVDj0Sgj5TX), https:// resource.database.rag-­online.org/ngUK8L577TM37jqkoVDj0Sgj5TX (Zugriff am 10. 05. 2019). Zu diesem Schmidt 2000. Eintrag „Nikolaus Turkow“ im Repertorium Academicum Germanicum (RAG) (RAG-ID: ngFV 7I072GX 84ubTzEY u4DrM), https://resource.database.rag-­online.org/ngFV 7I072G​ X84ubTzEYu4DrM (Zugriff am 10. 05. 2019), vgl. zu Turkow auch Pluns 2007, 38 f.; Irrgang 2002, 215.

Personen, Traditionen und Insignien

21 Vgl. dazu schon Schnitzler 1974, 20 ff.; Wriedt 1983, 508. 22 Zu den Dominikanern in Rostock Keipke/Mulsow/Stuth 2016. Vgl. zu diesem Studium Iohanneum und dessen Inkorporation in die Universität auch Schnitzler 1979, 91. 23 Allerdings ist gerade für die Mecklenburgischen Herzöge für die Zeit der Universitätsgründung noch kein Rückgriff auf akademisch geschulte (bürgerliche) Räte nachweisbar, vgl. Wriedt 1983, 509 f. 24 Eintrag „Nikolaus Turkow“ im Repertorium Academicum Germanicum (RAG) (RAG-ID: ngFV 7I072GX 84ubTzEY u4DrM), https://resource.database.rag-­online.org/ngFV 7I072G​ X84ubTzEYu4DrM (Zugriff am 10. 05. 2019), vgl. zu Turkow auch Pluns 2007, 38 f.; Irrgang 2002, 215. 25 Pluns 2007, 38 f. 26 „In nomine domini amen. Anno domini millesimo quadringentesimo decimonono duodecima die mensis Novembris incepta est universitas Rozstokcensis et electus est in rectorem universitatis eiusdem Petrus Stenbeke magister in artibus et sacre theoloye [sic!] baccalarius formatus per dominos reverendo videlicet per venerandum in Christo patrem et dominum dominum Hinricum episcopum Zwerinensem, dominum Hermanum abbatem de Dobran, magistrum Iohannem Meynesti archidiaconum Rozstokcensem, dominum Nicolaum Turchowen [sic!] plebanum ecclesiae beatae Mariae in Rozstok et dominum Hinricum Catzowem [korrigiert nach der Hs., MH] proconsulem“, Hofmeister 1889, 1. 27 Zuletzt Pluns 2007, 46 f. 28 Erklären lässt sich diese dezidierte Rektorats-­Perspektive wohl auch dadurch, dass die Matrikel ein Verwaltungsinstrument des Rektors war. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Anne Sowodniok in diesem Band. 29 Die vorhandenen Quellen sowie die älteren Interpretationsansätze lässt Revue passieren Pluns 2007, 31 – 52. 30 Erster sicherer Beleg ist das Schreiben der Herzöge an den Papst vom 8. September 1418, vgl. Pluns 2007, 34. 31 Einen detaillierten Überblick über die Positionen bietet Pluns 2007, 19 – 24, hier 31 – 47 auch noch einmal eine akribische Diskussion der einzelnen Quellen, die für diese frühe Phase der Universitätsgeschichte herangezogen werden können. 32 Vgl. zur Formula Concordiae Pluns 2007, 472 – 491. 33 Die bislang ausführlichste Untersuchung der ältesten Statutenhandschriften stammt von Elisabeth Schnitzler, Bezüglich der Datierung wird man der Verfasserin jedoch nicht zustimmen können. Sie nimmt an, dass die erhaltene Handschrift und damit der heute vorliegende Text spätestens „im Verlaufe des Jahres 1422“ entstanden ist, Schnitzler 1979, 58. Im Text der Handschrift sind jedoch Hinweise auf eine spätere Anlage zu finden. Festhalten muss man zunächst, dass der älteste Bestandteil der Handschrift, der die Rubriken I–XIX enthält, sicher in einem Zug angelegt bzw. geschrieben worden ist. Die paläographischen Befunde lassen hier keinen Zweifel zu, vgl. auch Schnitzler 1979, 57 f. Da der Text an mehreren zentralen Stellen die Existenz einer theologischen Fakultät voraussetzt, kann diese Fassung und damit die Anlage der gesamten Handschrift nicht vor der Genehmigung für die Gründung der Fakultät 1433 entstanden sein, vgl. dazu Schmidt 2002. Während man die Erwähnung von vier Fakultäten bzw. Dekanen in Rubrik I,6 noch mit dem Verweis auf die Vorlage, die Erfurter Statuten von 1412, erklären könnte (vgl. weiter unten im Text), setzt Rubrik II, in der es um 51

Marc von der Höh

die Wahl des Rektors geht, definitiv die Existenz der Theologischen Fakultät voraus. Anders wäre die Formulierung bezüglich des Orts der Rektorenwahl nicht sinnvoll: „locus electionis novi rectoris, si antiquus rector theologus, medicus vel artista existat, sit collegium theologorum et artistorum, alius sit collegium juristarum“, UAR, R I A 01, S. 7, Rubrik II,1 („der Ort der Wahl des neuen Rektors ist, wenn der alte Rektor Theologe, Mediziner oder Artist ist, das Kollegium der Theologen und Artisten, sonst das Kollegium der Juristen.“) Schnitzlers Argument, „das Fehlen der Theologischen Fakultät bis zum Jahr 1432 wird Rektor und Konzil nicht gehindert haben, sich Statuten genereller Art ausfertigen zu lassen“, Schnitzler 1979, 57, wird man nicht gelten lassen können, da es hier ja um konkret umzusetzende Regelungen geht. Man wird entsprechend schließen können, dass die heute noch erhaltene Handschrift sicher nach 1433 entstanden ist. Da der erste datierte Nachtrag in der Handschrift von 1452 stammt, kann man dieses Jahr mit Vorsicht als terminus ante quem werten, vgl. UAR, R I A 01, 33, der Eintrag unterzeichnet von dem Universitätsnotar Dieter Lukke, Schnitzler 1979, 56. Zu einer vergleichbaren Datierung waren bereits gekommen Krabbe 1884, 75 f. und Hofmeister 1889, VIII. Von der Datierung der heute vorliegenden Handschrift trennen muss man aber die Frage, ob es eine ältere (erste) Fassung der Statuten gegeben hat. Diese Fassung, aus der auch der Prolog unverändert übernommen zu sein scheint, ist vor 1431 entstanden. Beleg hierfür ist, dass der in der Erfurter Vorlage enthaltene Verweis auf den verstorbenen Papst vom Rostocker Bearbeiter entfernt worden ist, ein Eingriff, der wohl nur zu Lebzeiten des 1431 gestorbenen Martin V. sinnvoll war. 34 „De instauratione universitatis et statutorum eiusdem: Statuimus primo, ut iuxta privilegia apostolica, a domino Martino papa quinto opido Rozstokcensi concessa, inibi vigeat studium universale privilegiatum de facultatibus juris canonici, legum, medicine, phylosophie, artium liberalium et aliis scientiis licitis. Sit tantum una universitas et unum corpus indivisibile et eius tantum unum capud (sic!), quod vocetur rector universitatis“, UAR, R I A 01, 9. 35 Rexroth 2018, 429. 36 Schnitzler 1979, 39. 37 Hierzu schon Wriedt 1983, 501 ff. 38 Wie Anm. 34. 39 „Ad hoc venerabilis fratris nostri Hinricis Episcopi Suerinensis, ac dilectorum filiorum Proconsulum, et Consulum Oppidi Rostoccensis Suerinensis Dioecesis, quod temporali eorundem dominio Ducum subesse dinoscitur, concurrentibus auxilio et consens“, zitiert nach Aepinus 1754, Anhang 5, 7. 40 „… dilectorum filiorum nobilium Virorum Joannis et Alberti, Ducum Magnopolensium nobis nuper exhibita petitio“, Aepinus 1754, 7, vgl. auch Schmidt 2002, 29 f. 41 „quod temporali eorundem dominio Ducum subesse dinoscitur“, Aepinus 1754, 7. 42 Vgl. Carocci 2010, vor allem 99 – 160. 43 Schnitzler 1979, 61 – 65. 44 Schnitzler 1979, 62, Erfurt: „ut iuxta privilegia apostolica a domino nostro papa pie memorie Urbano sexto opido Erffordensi concessa inibi vigeat studium generale et de facultatibus theologie juris canonici et civilis medicine philosophie artium liberalium et aliis scientiis licitis. Sit una tantum universitas et unum corpus indivisibile. Item hec universitas rectorem habeat quem universitas eligat“; Rostock: „ut iuxta privilegia apostolica a domino Martino papa quinto opido Rozstokcensi concessa inibi vigeat studium universale privilegiatum de facultatibus juris canonici 52

Personen, Traditionen und Insignien

legum medicine philosophie artium liberalium et aliis scientiis licitis. Sit tantum una universitas et unum corpus indivisibile et eius tantum unum caput quod vocetur rector universitatis.“ 45 Erfurt war ja in der Tat eine städtische Gründung, vgl. Gramsch 2012, 75 – 92. 46 Vgl. die Ausführungen zur Datierung der Statuten in Anm. 33. 47 UAR, R I A 01, fol. 15v: „qui huius sunt universitatis fundatores et manutentores.“ Vgl. auch Pluns 2007, 53. 48 Die bislang ausführlichste Analyse der Urkunde bei Schnitzler 1974, 69 – 87. 49 Zuletzt wieder Pluns 2007, 39 f. 50 Brandt 1980, 203 ff. Vor allem Paris sollte als Zentrum theologischer Lehre gestärkt werden, ebd. 206. 51 Vgl. Asche 2000, 31 f., zuletzt Pluns 2007, 39 f. 52 Vgl. etwa Nodl 2009. 53 Zu den Gründungsprivilegien Martins V. Brandt 1980, 209. 54 Brandt 1980, 209 f. 55 Schmidt 2002, 29 f. 56 Hartwig 2010, 52 – 54. Seit den römischen Archivstudien von Tilmann Schmidt können wir sicher davon ausgehen, dass es nur eine Ausfertigung der Urkunde gegeben hat, mündliche Mitteilung Tilmann Schmidts, zitiert ebd., 53. Anders noch Schnitzler 1974, 82, die von vier Originalausfertigungen spricht. 57 Hartwig 2010, 53, Anm. 119 mit dem Hinweis auf eine entsprechende Akte im Stadtarchiv. 58 Urkunde vom 27. Mai 1443, UB Lübeck VIII, Nr. 130, 162. 59 Hierzu quellennah Pluns 2007, 67 ff. 60 Vgl. vor allem Wriedt 1983, Wriedt 1986; ein Forschungsüberblick zum Thema bei Pluns 2007, 14 ff. 61 Nach Rostock zurückgekehrt ist die Originalausfertigung dann übrigens wohl erst 1662, Archiv der Hansestadt Lübeck, Akten 1.1 – 3.1 Altes Senatsarchiv Externa, Deutsche Territorien, Nr. 1825 und 1849, Rückgabe der Urkunden am 5. Mai 1662. Ich danke Herrn Dr. Dominik Kuhn, AHL, für diese freundliche Auskunft. Pluns 2007, 69 Anm. 237 zitiert die Verzeichnung des zitierten Reverses des Lübecker Rats über die Entgegennahme der Privilegien vom 27. Mai 1443 in einem Urkundenverzeichnis des Universitätsarchivs von 1530, heute im LHAS. 62 So auch Pluns 2007, 51. 63 Wie oben Anm. 25. 64 Anders jedoch Krantz, der von einem feierlichen Einzug der Herzöge mit dem Privileg berichtet, aufgrund des großen zeitlichen Abstandes und des klar erkennbaren Interesses aber nicht wirklich verlässlich ist, vgl. Pluns 2007, 46. 65 „Item universitas habeat fiscum id est archam cum quinque clavibus pro reponendis rebus et clenodiis universitatis quarum clavibus unam habeat rector alias quatuor habeant decani quatuor facultatum.“ (Die Universität soll einen Kasten, also eine Truhe, mit fünf Schlüsseln haben, um darin die Kleinodien und sonstigen Dinge der Universität zu hinterlegen. Von diesen Schlüsseln soll einen der Rektor, die übrigen vier die Dekane der vier Fakultäten haben), UAR, R I A 01. Vergleichbare Regelungen gab es auch an anderen Universitäten, vgl. Stieldorf 2017. 66 Mit dem Registrum ist wohl ein Kopiar der Universitätsprivilegien gemeint. Bislang war es allerdings nicht möglich, den Verbleib dieses älteren Kopiars zu klären. Im UAR befindet sich heute nur noch ein Kopiar des 16. Jahrhunderts, UAR RIA5. 53

Marc von der Höh

67 Der nachfolgende Beitrag von Anne Sowodniok behandelt ausführlich die älteste Matrikel, die Statutenhandschrift wurde oben schon angesprochen. 68 Paatz 1979, 144 ff. bietet eine Übersicht über die belegten Zepter-­Paare. Paatz geht bereits davon aus, dass das Führen eines Zepter-­Paares ein Brauch ist, der von Mitteleuropa bzw. von den deutschen Universitäten ausging, ebd. 163. 69 Paatz 1953, 15. 70 Paatz 1953, 95 – 97. Die Erfurter Zepter wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Humboldt-­ Universität zu Berlin übertragen – ein spannendes Beispiel akademischer Traditionsbildung, vgl. Paatz 1979, 146. 71 Zum Typar und zur Auffindung durch die jetzige Leiterin des Universitätsarchivs, Dr. Angela Hartwig, Hartwig 2010, 55 f. Erstmals knapp zum Siegel Lisch 1869; katalogartiger Eintrag bei Gritzner 1906, 32; zum Siegel zuletzt Stieldorf 2010, 332 und 339 f. 72 Stieldorf 2010, 320 – 325. 73 Stieldorf 2010, 326. 74 „Item sint duo sigilla. Unum universitatis scilicet magnum et aliud rectoratus. Primum scilicet magnum stet sub fisco et clausuris seu clavibus antedictis.“ (Es soll zwei Siegel geben. Ein Universitäts- oder großes Siegel und ein Rektorats-­Siegel. Das erste, also das große, soll in der Kiste mit den vorerwähnten Schlössern bzw. Schlüsseln aufbewahrt werden), Schnitzler 1979, 62 f. 75 Vgl. Rubrik III,17 der Statuten: „Item rector archam, baculos, matricula, sigillum, registrum tum aliis rebus et clenodiis universitatis diligenter sine alienatione custodire debet […]“ (Der Rektor soll die Truhe, die Zepter, die Matrikel, das Siegel, das Registrum und die übrigen Kleinodien und Dinge sorgsam, und ohne Veränderungen daran vorzunehmen, bewahren), UAR, R I A 01, 13. 76 Wie oben Anm. 65. 77 Vgl. auch die Formulierung in der Urkunde vom 17. März 1443, an der der älteste Abdruck des Siegels erhalten ist: „Des to grotereme louen vnde meer tuchnisse heft […] Mester hinrik bekelin, doctor in deme ghestliken vnde werliken rechten, Rector der vorb(erurt)en Vniuersiteten, mit vulbord der mestere alle, der vniuersiteten groteste Ingeseghel […] gehenghet an dessen openen brieff“, LHAS 1.6 – 1 Urkunden der Universität Rostock, Nr. 5. 78 Oben bei Anm. 34. 79 Allgemein hierzu Rexroth 2007, vor allem 76 f. Vgl. zur Entstehung korporativer Siegel seit dem 12. Jh. Groten 2009. 80 Zu Universitätssiegeln als Quelle für das Selbstverständnis der Universitäten Stieldorf 2010, 318 f. 81 Gritzner 1906, 32 (Rostock), 44 (Prag, 60 mm), 16 (Heidelberg, 70 mm), 47 (Wien, 60 mm), 22 (Köln, 85 mm), 8 (Erfurt, 70 mm), 25 (ältestes Leipziger Typar, heute verloren, 78 mm). 82 Wie bei Siegelbeschreibungen üblich wird die Seitenangabe aus der Sicht des Siegels angegeben, vergleichbar der Beschreibung von Wappen. Ich beziehe mich bei meiner Beschreibung allerdings ohnehin auf das Negativ des Siegel-­Typars, so dass die Seitenangaben wieder mit dem Alltagsverständnis übereinstimmen. 83 Denkbar ist auch, dass die Bewegung umgekehrt interpretiert werden muss, dass also der Kniende das Buch überreicht. Die perspektivische Darstellung des Buches ist jedoch auf die Christus-­Figur ausgerichtet. Zur Interpretation weiter unten. 54

Personen, Traditionen und Insignien

84 85 86 87

Vgl. von Hülsen-­Esch 1998. Vgl. zu diesen die knappen Katalogeinträge bei Gritzner 1906. Zu diesem zuletzt Stieldorf 2010, 328 – 330. Damit stehen die Universitäts-­Siegel in der Tradition der Siegel geistlicher Institutionen, vgl. hierzu auch Stieldorf 2010, 331 f. Abbildung des Pariser Siegels unter https://geschichte. univie.ac.at/de/bilder/siegel-­der-­universitaet-­paris (Zugriff am 10. 05. 2019). 88 Abbildung unter https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/wappen-­siegel-­und-­fahnen (Zugriff am 10. 05. 2019). 89 Abbildung des Erfurter Siegels unter https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Siegel_Universit%C3 %A4t_Erfurt.jpg (allerdings hier auf dem Kopf stehend) (Zugriff am 10. 05. 2019). 90 Zu diesem Siegel Blecher 2007, 386 f. 91 Zu diesem Zinsmaier 1937. 92 Abbildung unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Charles-­University-­seal.jpg (Zugriff am 10. 05. 2019). 93 Vgl. zum Wappenschild im Siegel der Universität schon Pluns 2007, 68 f. 94 Stieldorf 2010, 332. 95 Man vgl. die Zusammenstellung von Stadtsiegeln mit Architektur-­Abbreviationen bei ­Diederich 1980, 36 – 43 (Mainz, Erfurt, Soest, Neuss, Stettin). 96 Vgl. etwa Kitschenberg 1990; kritisch dazu Beuckers 2009, 55. 97 Vgl. zu den Darstellungskonventionen von Akademikern bzw. Universitätsangehörigen in der spätmittelalterlichen Kunst von Hülsen-­Esch 1998. 98 Angesichts der Tatsache, dass zunächst gerade keine theologische Fakultät geplant war, mag dieses zentrale Motiv vielleicht überraschen, ist aber aufgrund des perspektivisch auf das Schriftverständnis ausgerichteten Studiums der Artes liberales durchaus passend. 99 Vgl. etwa Luz/Frank/Riches/Klimkeit 1993. 100 Zu diesen Krüger 1999, zuletzt Andermann 2017. 101 Überliefert etwa an der Stadtrechtsbestätigung Heinrich Borwins III. für Rostock von 1252, digital unter https://www.stadtarchiv-­rostock.findbuch.net/php/main.php?ar_id=3722&be_ kurz=312e302e312e&ve_vnum=2#312e302e312ex2 (Zugriff am 10. 5. 2019). 102 Stieldorf 2010, 327 und passim; zum Rostocker Beispiel konkret 332 und 339 f. 103 In diesem Sinne allgemein für die Universitätssiegel Rexroth 2007, 77. 104 Interessant ist, dass sich die Umschrift des Rostocker Siegels hinsichtlich der Rolle der Stadt nicht an die Kölner Formulierung anlehnt. Im Kölner Fall liegt ein expliziter Bezug zur Stadt vor: „sigillum universitatis studii sancte civitatis Coloniensis“, Gritzner 1906, 22. In Rostock wird die neutralere Form „sigillum universitatis studii rozstokcensis“ verwendet, die bei den meisten Universitätssiegeln der Zeit zu finden ist (Heidelberg, Leipzig, Erfurt, anders nur Wien). 105 Dass sich die Angehörigen der Universitäten bei der Wahl ihrer Siegel an der Praxis anderer Universitäten orientierten, konstatiert auch Rexroth 2007, 79 (für Heidelberg, das nach Köln blickte).

55

Marc von der Höh

Quellen- und Literaturverzeichnis

Aepinus, Angelius Johann Daniel (1754), Urkundliche Bestättigung der Herzoglich-­Mecklenburgischen hohen Gerechtsamen, über Dero Akademie und Rath zu Rostock, besonders in Absicht der zwischen beyden vorwaltenden Streitigkeiten, Rostock. Andermann, Kurt (2017), „Fraterherren und Humanismus? Die Konvente Deventer, Münster, Köln, Herford, Wesel und Rostock“, in: Westfälische Zeitschrift 167, 37–.7. Asche, Matthias (2000), Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der frühen Neuzeit (1500 – 1800) (Contubernium 52), Stuttgart. Beuckers, Klaus Gereon (2009), „Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol. Zum Baukonzept in seinem historischen Kontext“, in: Colonia Romanica 24, Köln, 49 – 70. Blecher, Jens (2007), „Die Siegel der Universität Leipzig. Bedeutung, Symbolik und Siegelführung vom 15. bis zum 20. Jahrhundert“, in: Archivalische Zeitschrift 89, 369 – 405. Brandt, Hans Jürgen (1980), „Excepta facultate theologica. Die Einheit von ‚imperium‘, ‚sacerdotium‘ und ‚studium‘ im Spätmittelalter“, in: Remigius Bäumer (Hg.), Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe Erwin Iserloh, Paderborn, 201 – 214. Bünz, Enno/Rudersdof, Manfred/Döring, Detlef (2009), Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009. Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409 – 1830/31, Leipzig. Carocci, Sandro (2010), Vassalli del papa: potere pontificio, aristocrazie e città nello Stato della Chiesa, XII–XV sec. (I libri di Viella 115), Rom. Diederich, Toni (1980), Die alten Siegel der Stadt Köln (Aus der Kölner Stadtgeschichte), Köln. Dücker, Burckhard (2001), „Ursprung“, in: Nicolas Pethes/Jens Ruchatz (Hg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek, 613 – 615. Frank, Karl Suso (1994), „Nachfolge Jesu. II. Alte Kirche und Mittelalter“, in: Gerhard Krause/ Gerhard Müller (Hgg.), Theologische Realenzyklopädie 23, Berlin, 686 – 691. Gramsch, Robert (2012), Erfurt – die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 9), Erfurt. Gritzner, Erich (1906), Die Siegel der deutschen Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Nürnberg. Groten, Manfred (2009), „Vom Bild zum Zeichen. Die Entstehung korporativer Siegel im Kontext der gesellschaftlichen und intellektuellen Entwicklungen des Hochmittelalters“, in: Markus Späth (Hg.), Die Bildlichkeit korporativer Siegel im Mittelalter. Kunstgeschichte und Geschichte im Gespräch (Sensus. Studien zur mittelalterlichen Kunst 1), Köln [u. a.], 65 – 88. Hamme, Hermann von, Eintrag „Hermann von Hamme“, in: CPR, http://purl.uni-­rostock. de/cpr/00003751 (Stand 16. 05. 2019). Hartwig, Angela (2010), Das Gedächtnis der Universität. Das Universitätsarchiv Rostock von 1870 bis 1990, Rostock. Hofmeister, Adolf (1889 – 1922), Die Matrikel der Universität Rostock. 1419 – 1831. Bd. 1 – 7, Rostock [u. a.]. Holt, Johannes, Eintrag „Johannes Holt“, in: CPR, http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00003759 (Stand 16. 05. 2019). 56

Personen, Traditionen und Insignien

Hülsen-­Esch, Andrea von (1998), „Kleider machen Leute. Zur Gruppenrepräsentation von Gelehrten im Spätmittelalter“, in: Otto Gerhard Oexle/Andrea von Hülsen-­Esch (Hgg.), Die Repräsentation der Gruppen, Göttingen, 225 – 257. Irrgang, Stephanie (2002), Peregrinatio academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald 4), Stuttgart. Keipke, Bodo/Mulsow, Rolf/Stuth, Steffen (2016), „Rostock. Kloster S. Johannes der Täufer, S. Johannes Evangelist (Ordo Fratrum Praedicatorum / Dominikaner)“, in: Wolfgang Huschner/ Ernst Münch/Cornelia Neustadt/Wolfgang Eric Wagner (Hgg.), Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommanden (10. – 16. Jahrhundert). Bd. 2, Rostock, 847 – 871. Keupp, Jan/Schmitz-­Esser, Romedio (Hg.) (2015), Neue alte Sachlichkeit. Studienbuch Materialität des Mittelalters, Ostfildern. Kitschenberg, Matthias (1990), Die Kleeblattanlage von St. Maria im Kapitol zu Köln. Ihr Verhältnis zu den kirchlichen Trikonchen des frühen Christentums und des Frühmittelalters sowie die Frage nach der Entstehung des allseitigen Umganges (Veröffentlichungen der Abteilung Architektur am Kunsthistorischen Institut der Universität Köln 36), Köln. Kleineidam, Erich (1964), Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392 – 1521. Bd. 1 (Erfurter theologische Studien 14 u. 22), Leipzig. Krabbe, Otto (1884), Die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert, Rostock. Krüger, Nilüfer (1999), Die Rostocker Brüder vom Gemeinsamen Leben zu Sankt Michael. Hommage zur baulichen Vollendung des ehemaligen Michaelisklosters im Herbst 1999 (Veröffentlichungen der Universität Rostock 127), Rostock. Lisch, Georg Christian Friedrich (1869), „Ueber das Siegel der Universität Rostock“, in: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 34, 249 – 250. Münch, Ernst (2013), „Rostocks Aufstieg zur Stadtkommune. Von den Anfängen bis 1265“, in: Karsten Schröder (Hg.), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock, 11 – 118. Münch, Ernst (2018), „Der Mythos der Stadtgründung Rostocks im Wandel der Jahrhunderte“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg B / NF 6), Lübeck, 53 – 70. Nodl, Martin (2009), „Auf dem Weg zum Kuttenberger Dekret. Von der Versöhnung der Nationen zum unversöhnlichen Nationalismus“, in: Bohemia 49, 52 – 75. Nodl, Martin (2017), Das Kuttenberger Dekret von 1409. Von der Eintracht zum Konflikt der Prager Universitätsnationen (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 51), Köln [u. a.]. Paatz, Walter (1953), Sceptrum universitatis. Die europäischen Universitätszepter (Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen N. F. 2), Heidelberg. Paatz, Walter (1979), Die akademischen Szepter und Stäbe in Europa. Systematische Untersuchungen zu ihrer Geschichte und Gestalt (Corpus Sceptrorum II) Heidelberg. Plotze, Borchard, Eintrag „Borchard Plotze“, in: CPR, http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00003755 (Stand 16. 05. 2019). Pluns, Marko Andrej (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 58), Köln [u. a.]. 57

Marc von der Höh

Rexroth, Frank (1991), Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 34), Köln [u. a.]. Rexroth, Frank (2007), „Die universitären Schwurgenossenschaften und das Recht, ein Siegel zu führen“, in: Gabriela Signori (Hg.), Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, Darmstadt, 75 – 80. Rexroth, Frank (2018), Die Fröhliche Scholastik. Die Wissensrevolution des Mittelalters, München. Reczekow, Heinrich, Eintrag „Heinrich Reczekow“ (von Ribnitz), in: RAG (RAG-ID: ngEU4P​ 375EM 1qtaSyEX tpCqL), https://resource.database.rag-­online.org/ng EU 4P375EM 1qtaSy​ EXtpCqL (Stand 10. 05. 2019). Schlegel, Gerhard (2016), „Rostock-­Marienehe. Kartause S. Maria (Ordo Cartusiensis / Kartäuser)“, in: Wolfgang Huschner/Ernst Münch/Cornelia Neustadt/Wolfgang Eric Wagner (Hgg.), Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommanden (10. – 16. Jahrhundert). Bd. 2, Rostock, 963 – 984. Schmidt, Tilmann (2002), „Die Anfänge der Theologischen Fakultät der Universität Rostock im Jahr 1433“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 117, 7 – 47. Schmidt, Tilmann (2000), „Petrus Stenbeke. Gründungsrektor 1419/20“, in: Angela Hartwig/ Tilmann Schmidt (Hgg.), Die Rektoren der Universität Rostock 1419 – 2000 (Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock 23), Rostock, 73. Schmidt, Tilmann (1995), „Die Gründung der Universität Rostock im Spiegel der Urkunden“, in: Peter Jakubowski (Hg.), Universität und Stadt. Wissenschaftliche Tagung anlässlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, Rostock, 9 – 16. Schnitzler, Elisabeth (1974), Die Gründung der Universität Rostock 1419. Aufsätze aus den Jahren 1954 – 1958 (Mitteldeutsche Forschungen 73), Köln. Schnitzler, Elisabeth (1979), Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock im 15. Jahrhundert (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 20), Leipzig. Stenbeke, Petrus Eintrag „Petrus Stenbeke“, in: RAG (RAG-ID: ngUK8L577TM37jqkoVDj0​ Sgj5TX), https://resource.database.rag-­online.org/ngUK8L577TM37jqkoVDj0Sgj5TX (Stand 10. 05. 2019). Stieldorf, Andrea (2010), „Heilige Patrone und weltliche Stifter. Zu Selbstdarstellung und Selbstdeutung mittelalterlicher Universitäten“, in: Archiv für Diplomatik 56, 317 – 361. Stieldorf, Andrea (2017), „Verschließen und zugänglich Machen als Ausdruck korporativen Selbstverständnisses: Zum Umgang mit Urkunden und Siegeln in den mitteleuropäischen Universitäten des Spätmittelalters“, in: Archiv für Diplomatik 63, 233 – 252. Turkow, Nikolaus, Eintrag „Nikolaus Turkow“, in: RAG (RAG-ID: ngFV7I072GX84ubTzEY​ u4DrM), https://resource.database.rag-­online.org/ngFV7I072GX84ubTzEYu4DrM (Stand 10. 05. 2019). Wriedt, Klaus (1986), „Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters“, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen, 487 – 525. Wriedt, Klaus (1983), „Stadtrat – Bürgertum – Universität am Beispiel norddeutscher Hansestädte“, in: Bernd Moeller u. Hans Patze u. Karl Stackmann (Hgg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1978 bis 1981 (Abhandlungen 58

Personen, Traditionen und Insignien

der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-­Historische Klasse. Folge 3. Nr. 137), Göttingen, 499 – 523. Zinsmaier, Paul (1937), „Die älteren Siegel der Universität Heidelberg“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 89 (50), 1 – 20.

59

Anne Sowodniok

Zwischen den Fronten Selbstverständnis und Krisenmanagement der Universität Rostock von der Gründung bis zur Reform 1563 anhand ihrer Rektoratsmatrikel

Die Editionen der Rektorats- oder Universitätsmatrikel gehören wohl zu den verdienstvollsten Leistungen auf dem Feld der Universitätsgeschichte. Sie sind zentrale Grundlage prosopographischer Untersuchungen der Universitätsbesucher, seriell ausgewertet können sie aber vor allem die Untersuchung langfristiger Trends auf eine sichere Basis stellen. Editions- und Erschließungsunternehmen wie das Repertorium Academicum Germanicum 1 oder auch die Matrikeldatenbank der Universität Rostock 2 generieren zudem neue Perspektiven und Fragestellungen, etwa nach den Konjunkturen des Universitätsbesuches, dem Einzugsbereich der Universität usw. Nichtsdestotrotz fällt auf, dass bei all diesen Ansätzen das materielle Objekt ‚Matrikelkodex‘ häufig unberücksichtigt bleibt. Mehr als eine kurze, für heutige Ansprüche zudem meist veraltete kodikologische Einordnung bieten die Editionen oft nicht. Detailinformationen zur Gestaltung, zum Layout und zu Benutzungsspuren werden unterschlagen bzw. teilweise im Sinne der Einheitlichkeit und Nutzbarkeit strukturell geschönt. So erwähnt Hermann Keussen in seiner Edition der Kölner Matrikel 3 beispielsweise chronikalische Einträge, ignoriert sie im editorischen Teil dann jedoch gänzlich. Dem heutigen Nutzer wird so nicht klar, dass diese sogenannten chronikalischen Einträge, gemeint sind die Protokolle des Konzils mit dessen zentralen Beschlüssen, beinahe ein Drittel der gesamten Handschrift der ältesten Matrikel ausmachen. Rektorenwechsel und andere Gliederungselemente werden in den Editionen zur besseren Übersichtlichkeit immer auf die gleiche Weise kenntlich gemacht, egal, ob diese so in der eigentlichen Matri­ kel überhaupt vorkommen oder nicht. Kontinuitäten oder Diskontinuitäten, die durch entsprechendes Layout kenntlich gemacht wurden, können so vom heutigen Benutzer nicht erfasst werden. Die Einstellung, die diesen editorischen Eingriffen zugrunde liegt, kommt in einem Zitat von Ingrid Matschinegg zum Ausdruck, welche Matrikel als „universitäre Massenquelle“ begreift: „Eine Matrikel ist kein Text zum Durchlesen, sondern vielmehr wird sie dafür verwendet, um darin nach Personen zu suchen“ 4. Nun sind sich Historikerinnen und Historiker aber nicht erst seit dem Material Turn 5 darüber im Klaren, dass gerade mittelalterliche Handschriften mehr sind als die in ihnen enthaltenen Texte, nämlich durchaus kostspielige Objekte, deren Anfertigung immer eine Intention innewohnt. Dies gilt natürlich auch für Handschriften aus dem Umfeld der Universität. Objekte wie die Matrikel oder auch die Statuten waren in zeremonielle Praktiken eingebunden, mit denen sich die mittelalterliche Universität identifizierte, über die sie 61

Anne Sowodniok

kommunizierte und durch die sie sich als akademische Körperschaft repräsentierte. Dies galt umso mehr, da sich die Universität in dem sozial und rechtlich anders gelagerten Umfeld der sie umgebenden Stadt stets als privilegierter Personenverband zu behaupten hatte.6 Von diesen Vorüberlegungen ausgehend wird der vorliegende Beitrag die wichtigsten Objekte der Frühphase der Universität in den Blick nehmen, insbesondere die ältesten Rektoratsmatrikel. Gefragt wird, welche Erkenntnisse deren Analyse für die Erforschung des Selbstbildes der frühen Universität ermöglicht. Bereits in den ersten 100 Jahren ihres Bestehens hatte die Universität erhebliche Schwierigkeiten zu meistern. In ein sehr komplexes Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht zwischen Landesherr, Kirche und Stadt eingebunden, galt es immer wieder zu entscheiden, wem sich die Universität stärker verpflichtet fühlte und wo es die eigenen Privilegien und Ansprüche zu verteidigen galt. Für die Universität Rostock ist ein gut strukturierter und durchdachter Gründungsvorgang überliefert. Die Bittschreiben, mit denen am Papsthof um die Genehmigung der Universitätsgründung nachgesucht wurde, zeigten bereits konkrete Pläne.7 Wie die Forschung herausgearbeitet hat, zeichnete sich während der etwa eineinhalb Jahre dauernden Gründungsphase eine eindeutige Rollenverteilung zwischen den beteiligten Akteuren ab. Die Landesherren treten als Gründer vor dem Papst auf – jedoch gemeinsam mit der Stadt – und erteilen die benötigten Privilegien.8 Der Bischof von Schwerin gab seine Zustimmung und Unterstützung und wurde im Gegenzug mit dem Amt des Kanzlers betraut.9 Die Feinabstimmung scheint hingegen eine Angelegenheit der Stadt Rostock gewesen zu sein, die die vom Papst geforderten finanziellen Sicherheiten 10 hinterlegte und das für sie Leistbare zur Infrastruktur beitrug.11 Zu dieser Gründungsausstattung gehörte auch die Bestellung einer in rotes Leder gebundenen Handschrift, in der die Einschreibungen verzeichnet werden sollten. Die hierauf bezogene Rechnung ist nur fragmentarisch überliefert und kann daher leider nicht genauer als in den Zeitraum zwischen dem 22. Februar 1419 und dem 22. Februar 1420 datiert werden.12 Das Phänomen Universitätsmatrikel stellt zu dieser Zeit eine Neuerung dar, welches, so vermutet die Forschung, seinen Ursprung in Prag hatte und sich allmählich mit den Magistern an den neuen Gründungen im Reich weiter verbreitete.13 Bedenkt man dies und dass die meisten der bei der Eröffnung eingeschriebenen Magister und Doktoren von den Universitäten Leipzig 14 und vor allem Erfurt 15 kamen – die beide von Beginn an eine Matrikel führten – kann man wohl die viel diskutierte Frage lösen, ob in Rostock Magister bereits den Gründungsprozess mit ihrer Erfahrung beratend begleitet haben. Diesem ersten Matrikelbuch verdanken wir auch den einzigen zeitgenössischen Bericht über die Eröffnung des Studiums (vgl. Abb. 1 im Beitrag von Marc von der Höh).16 Er ist sehr kurz, berichtet aber von einem außergewöhnlichen Umstand. Der folgenden Intitulationsliste lässt sich entnehmen, dass durchaus genug Magister und Doktoren anwesend gewesen wären, um in einem ersten Konzil den Rektor zu wählen. Gleichwohl wurde dem Beginn der Matrikel zufolge der erste Rektor von einem Gremium von fünf 62

Zwischen den Fronten

Würdenträgern gewählt. Zu diesen zählte der gerade frisch geweihte Bischof Heinrich III. Wangelin – der sich recht bald als kein großer Unterstützer der Universität herausstellen sollte –, sein Stellvertreter und Archidiakon Johannes Meyenesti und dessen städtischer Vertreter Nikolas Turkow, zugleich städtischer Protonotar und Pleban von St. Marien,17 der selbst in Prag Theologie studiert hatte.18 Hinzu kam noch der Abt des Zisterzienserklosters Doberan, Hermann Bokholt, und schließlich der Rostocker Bürgermeister Heinrich Katzow. Die Herzöge von Mecklenburg werden nicht erwähnt. Die Universität erscheint in diesem eigentlich ersten Akt ihrer Selbstverwaltung gänzlich im Abhängigkeitsverhältnis von Kirche und Stadt. Zum ersten Rektor wurde der Magister Petrus Stenbeke gewählt, der zuvor bereits in Erfurt das Amt des Rektors bekleidet hatte und somit Erfahrung mitbrachte.19 In der Handschrift folgt die erste Liste Neuimmatrikulierter geordnet nach Graden und Stand. Um der Schwurgemeinschaft Universität beizutreten, musste man neben der Entrichtung einer Gebühr einen Eid vor dem Rektor leisten. Die älteste uns erhaltene Fassung dieses Eides ist im Statutenbuch enthalten.20 Interessant ist die enge Bindung an die Stadt Rostock, die im Amtseid des Rektors aber auch in den anderen Statutenartikeln zum Ausdruck kommt.21 Zudem schreiben die Statuten die Stadt als Beschützerin und Gründerin des Rostocker Studiums fest 22, ein Umstand, der auch nicht im Rahmen späterer Auseinandersetzungen der Stadt mit den Landesherren verändert wurde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Universitätskonzil nur aus jenen Professoren bestehen sollte, welche in den von der Stadt besoldeten Kollegien untergekommen waren. Auch der Rektor durfte nur aus diesem Kreis gewählt werden.23 Zwar ließ sich daraus noch kein Besetzungsrecht für die Stadt ableiten. Spätere Zusätze für konkrete Besetzungsprobleme belegen jedoch, dass die Stadt durchaus Vorschläge gemacht hat.24 Es handelt sich hierbei also um eine Form direkter Kommunikation zwischen Stadt und Universität. Erhellend ist hier vielleicht der Vergleich mit der Universität Köln. Diese, eine der wenigen dezidiert städtischen Gründungen, richtete für diese Aufgaben extra ein Provisorengremium ein. Zusammengesetzt aus ehemaligen Ratsherren, die ihr Amt als einzige auf Lebenszeit verliehen bekamen, stellte dieses ein auf Dauer und Kontinuität gestelltes Bindeglied zwischen Stadt und Universität dar.25 In Rostock war der Einfluss der Stadt sehr viel unmittelbarer. Hier machte die Stadt sogar Eingaben in die lateinischen Statuten der Universität – auf Niederdeutsch.26 Ebenfalls verlangte die Stadt eine von Universität und Stadt besiegelte Ausfertigung der Statuten für jede Partei. Hier zeigt sich eine sehr ausgeprägte Abhängigkeit von der Stadt, die sich vermutlich durch den Umstand erklärt, dass die Universität in ihrer Anfangsphase mit jährlich 800 rheinischen Gulden gänzlich aus der Stadtkasse finanziert wurde.27 Die Statuten setzen für die Universität die Anschaffung zweier Siegel fest, eines großen Universitätssiegels und eines kleineren Rektoratssiegels.28 Beide sind uns in Abdrücken und Typaren überliefert. Das große Siegel wird auch heute noch von der Universität als Logo genutzt. Es zeigt uns die Übergabe des Buches der Weisheit durch Christus an einen 63

Anne Sowodniok

Scholaren im Zentrum, umgeben von dem Spruchband: „Scrutamini scripturas et discite a me quia mitis sum et humilis corde“. Zu den Füßen ist das Rostocker Stadtwappen, der steigende Greif, angebracht – auch hier wieder eine direkte Bezugnahme auf die Stadt.29 Dagegen fehlt ein Hinweis sowohl auf den landesherrlichen Gründer, wie er beispielsweise im Wiener Universitätssiegel 30 zu finden ist, als auch auf den bischöflichen Kanzler, wie im Falle der Universität Leipzig.31 Dass die Universität gegenüber den nichtstädtischen Einflussbereichen durchaus gewillt war, ihre Eigenständigkeit zu vertreten, zeigen beispielsweise Auseinandersetzungen mit dem Schweriner Bischof, ihrem Kanzler. Bereits 1423 erhält die Universität das Privileg für weitere Konservatoren vom Papst, da der Kanzler seiner Pflicht nicht sorgfältig nachkomme.32 1427 klagt die Universität erneut bei der Kurie, dass Bischof Heinrich III. Promotionen ohne Angabe von Gründen verschleppe oder gar ablehne und so den Betrieb der Universität gefährde. Daraufhin erhält sie das Recht, auch ohne den Kanzler Promotionen durchzuführen, sollte dies notwendig sein.33 Das Verhältnis zu ihrem Kanzler sollte sich erst mit Heinrichs Nachfolger Hermann III. Köppe wieder verbessern, welcher sich auch erfolgreich um die theologische Fakultät bemühte. Kirchenrechtliche Appellationen richtete die Universität von da an dennoch immer direkt an den Papst. Den Statuten zufolge war die Matrikel zusammen mit den anderen Kleinodien in einer Kiste aufzubewahren und dem neuen Rektor von seinem Vorgänger zu übergeben.34 Das bedeutet, dass die Matrikel in Rostock offiziell und von Beginn an zu den Amtsgeräten des Rektors zählte. Die Statuten schreiben auch deren Handhabung vor. So etwa, dass in den Kodex alle einzutragen sind, die zum Studieren nach Rostock gekommen sind, nachdem sie den Eid geleistet und die Gebühr entrichtet haben. Der gezahlte Betrag sei hinter dem Namen zu vermerken, falls Nachforderungen fällig werden oder um diese eben zu vermeiden, und es sei der Tag und Monat der Immatrikulation einzufügen.35 Genauso wurde es bereits ab dem zweiten Semester gehandhabt, im Gegensatz zu den ersten Intitulationen nach der Eröffnung, die noch gänzlich ohne Vermerke auskamen. Innerhalb von zwei Semestern hat sich so die übliche Form der Einträge in die Matrikel herausgebildet. Der Schriftraum der Matrikel wurde mit Tinte zweispaltig eingerichtet. Ein neues Rektorat wurde durch ein ausgezeichnetes Incipit markiert, das die Nennung des Wahltages und den Namen des neuen Rektors enthielt. Darauf folgten die Namenslisten, ab dem Juni 1420 nach Monaten gruppiert, und am Ende eines jeden Rektorates folgte die Summe der Neueinschreibungen. Es wurde keine weitere Erschließungsmethode eingefügt, wie sie aus anderen Matrikeln bekannt sind: keine Rektorenzählung, keine Blattbeschriftung mit dem jeweiligen Rektorat. Die Rostocker Matrikel scheint tatsächlich zunächst lediglich als Amtsinstrument angelegt worden zu sein, in dem sich nur der Rektor zurechtfinden musste. Nun ist dies für eine neu angelegte Matrikel nichts Ungewöhnliches. Selbst die bekanntesten und schillerndsten Exemplare beginnen meist als einfache Listen. Doch findet sich in Rostock über die Jahre abseits der Schriftentwicklung keine nennenswerte Modi64

Zwischen den Fronten

fikation der Einträge. Die Matrikel ist auf den ersten Blick bis 1563 ein Musterbeispiel an Kontinuität. Das bedeutet, die Rostocker Rektoren machten sich das ihnen ureigenste Amtszeichen nie für die individuelle Repräsentation zu Nutze, wie es beispielsweise in Erfurt oder Leipzig der Fall war.36 Einzige Verzierung der Einträge ist das Incipit, welches meist mit einer mehr oder minder aufwändigen Versalie versehen ist, jedoch noch nicht einmal rubriziert wurde. Betrachtet man die Schreiberhände, so fällt auf, dass die Einträge sehr einheitlich sind und sich die Tätigkeit der verschiedenen Schreiber über mehrere Rektorate erstreckte. Daher kann man davon ausgehen, dass die Rektoren am Ende ihrer Amtszeit die erfolgten Einschreibungen von anderer Hand eintragen ließen, etwa durch eigene Schreiber oder Notare, und die laufenden Einschreibungen zuvor anderweitig vermerkt wurden. Ziel war also offenbar eine einheitliche und ordentliche Eintragungspraxis, wodurch der offizielle Charakter der Handschrift nochmals hervorgehoben wird – im Gegensatz zu einem reinen Amtsbuch, in das fortlaufend und jeweils aktuell eingetragen wurde. Je gleichförmiger die Einträge jedoch insgesamt sind, umso deutlicher fallen kleine Abweichungen ins Auge. Eine solche Abweichung ist im Rahmen der ersten großen Bewährungsprobe der Universität 1434 entstanden, als die Stadt wegen innerer Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gemeinde nach der Reichsacht auch noch mit dem Kirchenbann belegt wurde.37 Dies bedeutete einen herben Schlag für die Universität, welche gerade erst mit einer theologischen Fakultät ausgestattet worden war.38 Gemäß ihrer eidlichen Verpflichtung gegenüber der Stadt hatte eine Gesandtschaft der Universität auf dem Baseler Konzil versucht, den Kirchenbann noch abzuwenden. Dies war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, so dass die Universität 1436 vom Konzil angewiesen wurde, sämtliche öffentliche Feiern und Prozessionen einzustellen, was besonders die Promotionen traf. Dieses Ereignis wurde vom amtierenden Rektor Helmolt Ultzen in der Matrikel verzeichnet (Abb. 1).39 Besonders auffällig ist der Eintrag auf den ersten Blick nicht. Er belegt jedoch, dass die Rektoren auch solche Vermerke in die Matrikel aufgenommen haben. Interessant ist der weitere Verlauf des Rektorates Ultzens und die damit zusammenhängenden Befunde in der Matrikel. Mittlerweile trug sich die Universität ernsthaft mit dem Gedanken aus der Stadt auszuziehen. Um ihre Aufgaben weiterhin ausführen zu können, bat die Universität das Baseler Konzil um die Erlaubnis zur Ortsverlegung.40 Zu allem Überfluss brach zu dieser Zeit auch noch eine Seuche in der Stadt aus. Diese ließ nicht nur die Immatrikulationszahlen einbrechen, sondern zwang Ultzen dazu, gegen die Statuten zu verstoßen und ein weiteres Semester zu amtieren, da sein Nachfolger an der Pest verstorben war.41 Dafür wird der Semesteranfang so unauffällig wie möglich verzeichnet, und die neuen Namen direkt angefügt. Erst im Nachhinein wird ein erklärender Vermerk zusammen mit einer Manicula an den Rand gesetzt. Vermutlich sollte dies den zwischen dem 14. März und 4. April 1436 tatsächlich erfolgten Auszug der Universität in das nahegelegene Greifswald rechtfertigen, den Ultzen zwischen diesen Tagen in seinem Rektorat vermerken lässt 42, und der später gleich mehrfach kenntlich gemacht wurde (Abb. 2). 65

Anne Sowodniok

Abb. 1: Universitätsmatrikel, S. 54. Rektor Helmolt Ultzen verzeichnet im Jahr 1436 die Unterlassung von öffentlichen Feiern und Promotionen.

66

Zwischen den Fronten

Abb. 2: Universitätsmatrikel, S. 55. Vermerk des Rektors bezüglich des Auszugs der Universität nach Greifswald.

67

Anne Sowodniok

In der Zeit des Greifswalder Exils rotierten die Rektorate nun in einem kleineren Personenkreis und die eintragenden Hände wechseln öfter als bisher. Bis kurz vor dem vorläufigen Ende des Lehrbetriebes wurde im Rektorat sogar semesterweise gewechselt, was die Probleme der Universität noch einmal unterstreicht. An der Eintragsform dagegen wurde nichts verändert. Sie wurde weder schlichter noch unregelmäßiger. Es scheint lediglich eine individuelle Ermessensfrage gewesen zu sein, ob ein Rektor in seinem Incipit vermerken ließ, ob man sich nach wie vor in Greifswald befand.43 Heinrich Bekelin, der letzte Rektor vor der kompletten Einstellung des Lehrbetriebes, scheint zu jenen gehört zu haben, welche keine Aufmerksamkeit auf das Exil lenken wollten. Er vermerkte weder in Greifswald den Ort der Einschreibungen, noch explizit die Rückkehr der Universität nach Rostock als er sein Rektorat nach den Jahren 1439 bis 1443 ohne Universitätsbetrieb nahtlos fortführt und in der Matrikel ebenso lückenlos eintragen lässt,44 möglicherweise um den desolaten Zustand des Studiums nicht noch zu betonen. Sein erneutes Rostocker Rektorat wird dann durch das in üblicher Weise gestaltete Incipit markiert. Dafür treten die 76 Neueinschreibungen am 04. Juni 1443 durch eine Klammer für den Datumseintrag umso mehr hervor (Abb. 3a und b). Die Überwindung der ersten großen Krise forderte einen hohen Preis. Die Stadt, die für die Beilegung des Streits an ihre Herzöge eine ordentliche Strafe zahlen musste, 45 fühlte sich offensichtlich von ihrer Universität verraten und war nur unter langen Verhandlungen und Fürsprache durch die übrigen wendischen Hansestädte bereit, die Universität wieder aufzunehmen. Diese Gelegenheit nutzte die Stadt, um die seit 25 Jahren fließenden Zuwendungen an die Universität zu streichen. Die Universität musste nominell für 200 Jahre auf diese Zuwendung verzichten. Die ihr im Gegenzug überlassenen gestifteten Einkünfte stellten nur einen Bruchteil der bisherigen Mittel dar.46 Nichtsdestotrotz verzeichnet die Universität in den folgenden Jahren stabile Einschreibungen und erhielt auch weitere Stiftungen, die meistens an Bedingungen gekoppelt waren, beispielsweise für Rechtsberatungen zur Verfügung zu stehen. Überhaupt scheint sich die Universität immer mehr über ihre rechtlichen Expertisen zu institutionalisieren.47 Und auch die Mecklenburgischen Herzöge entdeckten in dieser Zeit die Universität für sich. Herzog Heinrich IV. der Dicke erteilte der Universität für juristische Beratertätigkeiten das Privileg, im gesamten Herrschaftsgebiet Renten einwerben zu dürfen, wodurch sich die Universität neue Einkünfte erschließen konnte.48 Zudem wurde Heinrichs Sohn Balthasar, dem eine kirchliche Karriere bestimmt war, im Juli 1467 an der Universität Rostock eingeschrieben.49 Die Immatrikulation Balthasars erlaubt einen Blick auf den Umgang der Universität mit solch namenhaften Studenten, insbesondere deren Kennzeichnung in der Matrikel. Der Eintrag befindet sich auf S. 128 der Matrikel im Rektorat von Heinrich Schone. Es fällt zunächst auf, dass für den lediglich fünf Immatrikulationen umfassenden Monat keinerlei Tagesangaben vermerkt sind (Abb. 2). Entweder handelte es sich tatsächlich um eine Gruppenimmatrikulation, wie es der Vermerk unter den Namen vermuten lässt, 68

Zwischen den Fronten

oder aber man versuchte diesen Anschein zu erwecken, damit der junge Prinz seinem Rang gemäß an erster Stelle stehen konnte. Zudem erließ man der Gruppe ehrenhalber die Immatrikulationsgebühr. Neben dem Eintrag Balthasars wurde später ein Notabene angebracht. Bereits im nächsten Semester wurde er zum Rektor gewählt, wie die Forschung wohl zurecht vermutet, ehrenhalber.50 Aus der Matrikel wird ersichtlich, dass die Universität hier aus Rücksicht auf den Landesherren gleich zwei Mal gegen ihre Statuten verstieß. Diese befreiten ausdrücklich lediglich die Söhne Rostocker Bürger von der Immatrikulationsgebühr.51 Dagegen forderten sie explizit, dass gerade hohe Persönlichkeiten wie Grafensöhne ihrer Ehre gemäß mehr zahlen sollten als die festgelegte Taxe.52 Das nimmt auch die Mecklenburger nicht aus. Außerdem schließen die Statuten über den Wahlmodus aus, dass Rektorate ehrenhalber vergeben werden. Zwar durften bis zu zwei zusätzliche Kandidaten in das Konzil berufen werden, hierfür wurde jedoch ein akademischer Grad gefordert.53 Die Universität war offensichtlich bereit, sich für ihr Wohlergehen und Ansehen über die Statuten hinwegzusetzen. Im konkreten Fall war der Herzogssohn für ein Bischofsamt vorgesehen.54 Möglicherweise wollte sich die Universität frühzeitig einen mächtigen Verbündeten sichern. Allerdings folgte Balthasar diesen Plänen nicht, sondern wirkte stattdessen als Mitregent seines älteren Bruders Magnus II., der, wie der nächste Konflikt zeigen sollte, ganz eigene Bedingungen für eine friedliche und einträgliche Partnerschaft hatte. Magnus  II . wollte im Rahmen seiner finanziellen Konsolidierungspolitik und zur nachdrücklichen Durchsetzung seiner Landeshoheit die Kompetenzen der Universität nutzen. Jene stand nun aber treu zur Stadt und hielt sich diplomatisch im Hintergrund, bis sie ohne Zutun zum Instrument eines langwierigen Streits um Macht und Eigenständigkeit werden sollte. In der sogenannten Domfehde in den Jahren 1479 – 1494 geriet die Universität massiv zwischen die Fronten von Stadt und Herzögen.55 Die Umwandlung der Pfarre St. Jacobi in ein Kollegiatstift – ein finanzieller Coup und gleichzeitig ein machtpolitischer Hebel des Herzogs in der Stadt – war Auslöser der Streitigkeiten. Die Haltung der Universität zur Stadt brachte Magnus dazu, seine Ansprüche als Patron immer wieder zu betonen, was jedoch nur wenig Eindruck hinterließ. Letztendlich gab der Rat der Stadt nach, um schlimmere Konsequenzen zu verhindern, und am 12. Januar 1487 wurde das Stift geweiht. Dies erregte den Unmut der Stadtbevölkerung, die sich gegen den Rat wandte. Der entstehende Aufstand kostete nicht nur den neuen Stiftsprobst das Leben, sondern zwang den Herzog und sein Gefolge zur Flucht aus der Stadt. Letztere hatte in der Folge nicht nur mit einem erneuten Kirchenbann und dem Scheitern sämtlicher Schlichtungsversuche zu kämpfen, während der Belagerung durch die Herzöge eskalierte der innerstädtische Konflikt zwischen Stadt und Rat. Die Universität wurde in der Folge erneut angewiesen, den Betrieb einzustellen und den Umgang mit den Einwohnern der Stadt zu meiden. Zwar sicherte der Herzog der Universität freies Geleit und damit den Auszug aus der Stadt zu, allerdings mit der klaren Einschränkung, dass dies lediglich bis Wismar gelten solle 56 – ein klarer Versuch des Herzogs, „seiner“ Universität 69

Anne Sowodniok

Abb. 3a und b: Universitätsmatrikel, S. 60 f. Die Neueinschreibungen des 4. Juni 1443.

70

Zwischen den Fronten

71

Anne Sowodniok

Abb. 4: Universitätsmatrikel, S. 128. Eintrag Balthasars, Sohn Herzog Heinrichs IV., 1467.

72

Zwischen den Fronten

vorzuschreiben, wo sie unterzukommen habe, und damit eine klare Machtdemonstration gegenüber dem Konzil. Dieses Mal zeigt sich jedoch ein bestimmteres Vorgehen der Scholaren, denn sie baten den Rat um Erlaubnis die Stadt verlassen zu dürfen, was gewährt wurde.57 Die Universität zog zunächst – wie vorgegeben – nach Wismar. Innerhalb weniger Wochen verschifft die Universität jedoch ihr Hab und Gut und ihre Mitglieder nach Lübeck und entzog sich so dem direkten Machtbereich der Herzöge. Erneut musste die Universität im Exil um ihr Bestehen fürchten, denn einige Magister drohten mit der Abwanderung an andere Hochschulen. Aus diesem Grund wandte man sich an den Papst und die wendischen Hansestädte, um eine Rückkehr nach Rostock zu ermöglichen – erfolgreich.58 Die Unruhen sowohl innerstädtisch als auch mit den Herzögen sollten zwar noch weitere fünf Jahre anhalten, doch ist der ordentliche Betrieb schon für das Wintersemester 1488 in Rostock wieder nachweisbar.59 Eine erneute Krise, ein erneuter Auszug und ein geändertes Machtgefüge im Netzwerk der Universität: Wie schlägt sich diese Zäsur in der Matrikel nieder? Die kurze Antwort ist: gar nicht. Vielmehr wurde wieder die Kontinuität betont. Das Incipit des Rektors Arnold Bodense teilt schlicht mit, dass das Studium in Lübeck fortgeführt und dafür sein Rektorat bestätigt wurde.60 Auch sonst gibt es keinen Vermerk, keine Glosse, keinen sofort ersichtlichen Bruch, wie es für den Auszug nach Greifswald der Fall gewesen war. Die Universität ging dieses Mal nicht freiwillig und nur sehr ungern und kehrte so schnell wie möglich wieder zurück. Die Bindung an die Stadt scheint immer noch mehr gegolten zu haben als die sich nun allmählich intensivierenden Ansprüche der Herzöge. Ein erster wirklicher Bruch zeigt sich in der Matrikel um das Jahr 1513. So deutet die Lagenstruktur auf eine Neubindung hin.61 Auch wird nun die Tintenlinierung aufgegeben. Tendenzen dazu gab es bereits vorher, nun wurde dies aber konsequent umgesetzt.62 Die Neu- bzw. Anbindung fiel zeitlich zusammen mit Beschwerden des Rats über die schlechten Zustände an der Universität. Es zeigten sich in dieser Zeit deutliche Finanzprobleme. So waren etwa die Regentienmagister gezwungen, sich anderweitige Einkünfte zu erschließen, und kamen ihren Pflichten nicht wie gewünscht nach.63 In einem Vorlesungsverzeichnis von 1520, welches wohl die Herzöge angeregt hatten, äußerte man sich satirisch über die ach so sparsamen Patrone.64 Der Universität fehlte es nun immer deutlicher an materiellen Zuwendungen, vor allem im direkten Vergleich mit anderen Universitäten. Auch das könnte eine Erklärung dafür sein, warum es in Rostock keine kostspieligen Repräsentationsformen in der Matrikel gab, wie sie an anderen Universitäten – etwa Leipzig – mittlerweile gang und gäbe waren. Man versuchte zwar bei der Neubindung eine Aufwertung der Handschrift zu erreichen, so wurde etwa eine gedruckte und kolorierte Kreuzigungsszene als Vorsatz in die Handschrift eingebunden.65 Auf dem Folgeblatt befindet sich eine jüngere Version des Immatrikulationseides, ebenfalls gedruckt und auf ein Blatt eingeklebt. Allerdings wurde nicht die Matrikel als Schwurhandschrift für die Immatrikulation verwendet, wie das Fehlen von entsprechenden Nutzerspuren nahelegt, 73

Anne Sowodniok

sondern die Abschrift der Universitätsstatuten, die heute noch als ältestes Statutenbuch erhalten ist (siehe Abb. auf S. 16 und 17 sowie Abb. 2 im Beitrag von Marc von der Höh).66 Tatsächlich zeigte sich in den folgenden Jahren bezogen auf die Ausstattung der Matrikel eher ein Abwärtstrend. Von der Notarspraxis verabschiedet man sich und jeder Rektor trug nun die Immatrikulierten selbst ein (Abb. 5). Auch bewegte sich das Rektorenamt wieder in einem sehr begrenzten Kreis, teilweise aus lediglich zwei bis vier Männern. Dadurch entsteht beispielsweise eine kleine Lücke in den Aufzeichnungen, als der Rektor Bartold Möller verstirbt. Darauf folgt bis 1536 Nikolaus Leo mit elf Amtszeiten in Folge.67 Der nächste Bruch in der Handschrift erfolgte dann tatsächlich erst mit der Formula Concordiae.68 Die letzten beiden Blätter der letzten Lage wurden frei gelassen, ein Vorgehen, das es vorher in der Matrikel noch nie gegeben hatte. Der Neuanfang wurde sodann deutlich mit einer Neubindung und einem Incipit in neuem humanistischen Layout markiert, das jedoch ähnlich amtsbezogen war wie zur Eröffnung der Matrikel (Abb. 6).69 Ein ähnliches Bild bietet das Statutenbuch. So zeigt sich also der Zugriff der Rostocker Universität auf ihre Objekte und insbesondere die Matrikelhandschrift als weniger repräsentativ, als vielmehr kontinuierlich, also Institutionalisierung durch Tradition im einfachsten Sinne. Diesem Vorbild ist man noch lange gefolgt. Das Bemerkenswerteste der ältesten Matrikelhandschrift ist tatsächlich ihre schiere Laufzeit von fast 350 Jahren (1419 – 1760) und ihre Stärke von 87 Lagen mit 1119 Seiten. Die Rektoratsmatrikel ist damit das wohl markanteste Symbol der Kontinuität der Rostocker Alma Mater über alle Brüche und Wechselfälle der ersten Jahrhunderte ihrer Existenz.

74

Zwischen den Fronten

Abb. 5: Universitätsmatrikel, S. 285. Eigenhändige Eintragungen der Rektoren, 1525 – 1527.

75

Anne Sowodniok

Abb. 6: Universitätsmatrikel, S. 373. Beginn des Rektorats von David Chytraeus, 1563.

76

Zwischen den Fronten

Anmerkungen

1 2 3 4 5

6 7

8 9 10 11 12

13 14 15 16 17

18 19

20 21

Schwinges/Hesse https://rag-­online.org/datenbank/abfrage (Zugriff 02. 03. 2019). http://matrikel.uni-­rostock.de/ (Zugriff 02. 03. 2019); Labahn/Brandt/Stephan 2011. Keussen/Universität Köln 1892 – 1981. Matschinegg 2004, 715. Siehe hierzu etwa die Arbeiten der Sonderforschungsbereiche 950 „Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa“ der Universität Hamburg oder 933 „Materiale Textkulturen“ der Universität Heidelberg. Eine gute allgemeine Einführung in die Bedeutung der Matrikelhandschriften in Europa bieten Schwinges 2000; Schuh 2018. Vgl. zu den Inhalten Schnitzler 1974, 2 – 4; eine detaillierte Interpretation auch hinsichtlich der ausführenden Personen bietet Schmidt 2010, 115 – 121; ebenso Pluns 2007, 31 – 36; Schmidt 1978, 88 f. Stadtarchiv Rostock, U 1 q, 1419 Sept 8, Urkunde der Herzöge Johann IV. und Albrecht V. von Mecklenburg sowie des Rostocker Rates, 08. 09. 1419. Schnitzler 1974, 4 – 6. Schnitzler 1974, 6 f. Schnitzler 1974, 10 – 14; ebenso Pluns 2007, 42 – 45; weitere Vermutungen zur Rolle von Herzögen und Stadt bei Wriedt 2005, 190. „It(em) iii mr vor permint vn(de) krotlasch to bindende vnd(e) to makende ij mr ij s vor dat buk dar de namen der studenten jnne stan  […]“ Stadtarchiv Rostock, U  1  p, 1419 – 1420, Abrechnung der Rostocker Pfundzollherren Ulrich Everdes und Albrecht Klingenberch, 22. 02. 1419 – 22. 02. 1420; abgedruckt bei Pluns 2007, 45 f. Anm. 150; ebenso bei Hofmeister/ Universität Rostock (Hg.) 1889 – 1922, X. Vgl. Schwinges 2000, passim., hier besonders 69. Erler/Universität Leipzig (Hg.) 1895 – 1902, passim.; Zur Gründung und Geschichte der Universität Leipzig siehe besonders Bünz 2009, passim. Weissenborn/Universität Erfurt (Hg.) 1881 – 1899; ND 1979, passim.; zur Geschichte vgl. u. a. Moraw 1995, passim. UAR , R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 4; abgedruckt bei Hofmeister/Universität Rostock 1889 – 1922, 1. Von Turkow wird vermutet, das Gründungsvorhaben vor dem Papst vertreten zu haben, vgl. Pluns 2007, 38 – 40.; Schmidt 1975, 266.; zur Interpretation des Turkow betreffenden Vermerks vgl. Schmidt 2010, 128 – 131. Vgl. Nikolaus Turkow (RAG-ID: ngFV7I072GX84ubTzEYu4DrM): rag-­online.de (Zugriff am 06. 03. 2019). Vgl. den Eintrag zu Peter Stenbeke im Repertorium Academicum Germanicum (RAG-ID: ngUK 8L577TM 37jqkoVD j0Sgj5TX ), https://resource.database.rag-­online.org/ngUK 8L577​ TM37jqkoVDj0Sgj5TX (Zugriff 09. 05. 2019). UAR, R I A 01, Rubrik IV 1 – 2, Statutenbuch 1419 – 1756; ediert bei Westphalen 2011. „Ego N. rector universitatis studii Rostochiensis promitto et iuro, dictam universitatem et statuta eius efficaciter exequendo, pro posse et nosse in iuribus et libertatibus suis conservare, ipsiusque universitatis et consulum communitatis oppidi Rostochiensis utilitatem, et honorem procurare, 77

Anne Sowodniok

durante officio mei rectoratus absque dolo et fraude.“ Statutenbuch 1419 – 1756, Universitätsarchiv Rostock, R I A 01, Rubrik II,1; zitiert nach Westphalen 2011, 8.; vgl. zur Bindung an die Stadt 1979, 50 – 52. 22 „Similiter si actibus scholasticis affuerint proconsules vel consules alicuius nominatæ civitatis et præcipue Rostochiensis, qui huius sunt universitatis fundatores ac manutentores […]“ Statutenbuch 1419 – 1756, Universitätsarchiv Rostock, R I A 01, Rubrik VII 4; zitiert nach Westphalen 2011, 27. 23 UAR, R I A 01, Rubrik II 3, Statutenbuch 1419 – 1756; Westphalen 2011, 5. 24 Vgl. besonders UAR, R I A 01, Rubrik XX 2, Statutenbuch 1419 – 1756; Westphalen 2011, 58. 25 Vgl. Keussen/Universität 1934, 95 – 103.; zu den dazugehörigen Quellen siehe auch Keussen 1890 und 1891. 26 UAR, R I A 01, Rubrik XX, Statutenbuch 1419 – 1756. 27 UAR, R I A 01, Privileg XX 1 – 2, Statutenbuch 1419 – 1756,; Westphalen 2011, 59 f. 28 UAR, R I A 01, Rubrik I 7, Statutenbuch 1419 – 1756; Westphalen 2011, 4; vgl. dazu auch Schnitzler 1974, 59 – 61. 29 Vgl. zum großen Universitätssiegel den Beitrag von Marc von der Höh in diesem Band. 30 Vgl. Rosenberg 2015. 31 Bünz 2009, 288 – 290. 32 „nonnulli […] occuparunt jura et jurisdictione“ Konservatorium Papst Martins V. für die Universität Rostock, Rom, 27. 03. 1423, Ausfertigung UAR, XXV 3; Vgl. Schnitzler 1974, 26. 33 Vgl. Schnitzler 1974, 50. 34 UAR, R I A 01, Rubrik III 17, Statutenbuch 1419 – 1756; Westphalen 2011, 10. 35 UAR, R I A 01, Rubrik IV 04–IV 11, Statutenbuch 1419 – 1756; Westphalen 2011, 12 – 14. 36 UAL, Rektor M 001, Matrikel 1409 – 1537; UAL, Rektor M 002, Matrikel 1409 – 1537. 37 Schmidt 2012; Pluns 2007, 62 – 63. 38 Schmidt 2002; Pluns 2007, 62; Schmidt 1978, 92. 39 „ […] Helmoldus de Vltzen […] in rectorem elt el(e)c(t)us […] jn cuius rectoratu vniuersitas ab actibus publicas est suspensa“ UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 54; ediert bei Hofmeister/Universität Rostock (Hg.) 1889 – 1922, 54. 40 Schmidt 2012, 47 – 51.; das Bittschreiben der Universität in Teilen abgedruckt bei Pluns 2007, 63 – 64 Anm. 215. 41 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 55.; gedruckt bei Hofmeister/Universität Rostock 1889 – 1922, 55. 42 Genaueres zu den Abläufen und der Frage, ob aus dem Exil die Universität Greifswald abgeleitet werden kann Schmidt 1978, 92 – 95. 43 Vgl. die Rektorate der Semester März 1437 bis September 1439: UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 55 – 60. 44 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 60.; Hofmeister/Universität Rostock 1889 – 1922, 63. 45 Olechnowitz 1969, 15. 46 Vgl. den detaillierten Ablauf bei Pluns 2007, 65 – 72. mit Abdruck der Verzichtsurkunde der Universität, Anm. 231 f.; Schmidt 2012, 54., jedoch hier mit dem Fehler, dass Rostock den Unterhalt weiterhin zahlen würde. 47 Pluns 2007, 71 – 78. 78

Zwischen den Fronten

48 UAR, R XXV 17, Urkunde Herzog Heinrichs IV. von Mecklenburg für die Universität Rostock, Güstrow, 07. 09. 1460. 49 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 128. 50 Pluns 2007, 74. 51 „Item filii incolarum oppidi Rostochiensis, nihil dabunt pro intitulatura, nisi cursoribus universitatis duntaxat.“ UAR, R I A 01, Rubrik IV 6, Statutenbuch 1419 – 1756; ed. bei Westphalen 2011, 12. 52 „Principes vero duces et comites abbates, episcopi et superiores solvant secundum quod suae congruit decentiae et honestati, ultra tamen summas praetaxatas.“ UAR, R I A 01, Rubrik IV 5, Statutenbuch 1419 – 1756; ed. bei Westphalen 2011, 12. 53 UAR, R I A 01, Rubrik II 2 – 3, Statutenbuch 1419 – 1756; ed. bei Westphalen 2011, 5 f. 54 Vgl. Pluns 2007, 74 Anm. 255. 55 Zur Vorgeschichte und dem Ablauf detailliert Pluns 2007, 78 – 131; auch Hergemöller 1988. 56 „vnszer vniuersiteten […] vth vnszer stadt Rosztock, beth jn vnsze stadt Wiszmere dorch vnsze gebide vnde lande […]“ UAR, R XXV 36, Geleitbrief der Herzöge Magnus II. und Balthasar von Mecklenburg für die Universität Rostock, Schwerin, 14. 02. 1487. 57 So teilt des der Rostocker Rat dem Rat zu Lübeck am 18. März 1488 mit; siehe dazu Pluns 2007, 111 Anm. 373. 58 Vgl. Pluns 2007, 117 Anm. 394. 59 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 189.; ed. bei Hofmeister/ Universität Rostock 1889 – 1922, 250. 60 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 188.; ed. bei Hofmeister/ Universität Rostock 1889 – 1922, 248. 61 In der entsprechenden Lage 11 wurden vor dem letzten Folio drei Doppelblätter eingebunden, ohne die Ordnung der Einträge zu beeinflussen, was ein deutliches Zeichen für den Mangel an Folgelagen darstellt. Eine Neubindung zur Ergänzung neuer Lagen war die Folge. 62 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 226. 63 Vgl. Pluns 2007, 136 – 138. 64 UB Rostock, MK-11568.2, Observantia lectionum, Rostock, 04. Mai 1520; siehe dazu Pluns 2007, 139 – 142. 65 Dieses wurde bei einer erneuten Bindung 1713 vermutlich herausgetrennt und auf dem neuen Vorsatz aufgeklebt. 66 UAR, R I A 01, Statutenbuch 1419 – 1756, fol. 1 – 2; das Schwurblatt mit Kreuzigungsszene wurde auch hier nachträglich eingeklebt. 67 Hofmeister/Universität Rostock (Hg.) 1889 – 1922, 90 – 96. 68 Zur Reformation der Universität 1563 vgl. u. a. Pluns 2007, 472 – 492. 69 UAR, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 373 f.

79

Anne Sowodniok

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bünz, Enno (2009), „Gründung und Entfaltung. Die spätmittelalterliche Universität Leipzig 1409 – 1539“, in: Enno Bünz/Manfred Rudersdorf/Detlef Döring (Hgg.), Geschichte der Universität Leipzig. Bd. 1, Leipzig, 21 – 330. Hergemöller, Bernd-­Ulrich (1984), „Die Rostocker Domfehde. Vorgeschichte und parallellaufende Ereignisse“, in: Bernd-­Ulrich Hergemöller (Hg.), „Pfaffenkriege“ im spätmittelalterlichen Hanseraum. Quellen und Studien zu Braunschweig, Osnabrück, Lüneburg und Rostock (Städteforschung C.2), Köln, 194 – 199. Keussen, Hermann (1890), „Die Stadt Köln als Patronin ihrer Hochschule von deren Gründung bis zum Ausgange des Mittelalters“, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 9, 344 – 404. Keussen, Hermann (1934), Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte. Festschrift zum Einzug in die neue Universität Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 10), Köln. Keussen, Hermann (Bearb.)/Universität Köln (1892 – 1981), Die Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bonn. Krüger, Kersten (Hg.), „Matrikelportal Rostock. Datenbankedition der Immatrikulationen an der Universität Rostock seit 1419“ http://matrikel.uni-­rostock.de/ (Zugriff 02. 03. 2019). Labahn, Karsten/Brandt, Doreen/Stephan, Robert (2011), „Studenten aus sechs Jahrhunderten. Das Rostocker Matrikelportal“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock, 99 – 102. Matschinegg, Ingrid (2004), „Universitäre Massenquellen (Matrikel, Akten)“, in: Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hgg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie. (16. – 18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 44), Wien/München, 714 – 724. Moraw, Peter (1995), „Die ältere Universität Erfurt im Rahmen der deutschen und europäischen Hochschulgeschichte“, in: Ulman Weiß (Hg.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 2), Weimar, 189 – 205. Olechnowitz, Karl-­Friedrich (1969), „Die Geschichte der Universität Rostock von ihrer Gründung 1419 bis zu Französischen Revolution 1789“, in: Günter Heidorn, Universität Rostock u. Forschungsgruppe Universitätsgeschichte (Hgg.), Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahr-­Feier der Universität, Berlin, 3 – 82. Pluns, Marko Andrej (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 58), Köln [et al.]. Rosenberg, Heidrun (2015), „Das Siegel der Weisheit. Hoheitszeichen der Universität Wien im 14. Jahrhundert“, in: Heidrun Rosenberg/Michael Viktor Schwarz (Hgg.), Wien 1365. Eine Universität entsteht, Wien, 118 – 137. Schmidt, Roderich (1975), „Die Kanzleivermerke auf der Stiftungsbulle für die Universität Rostock vom Jahre 1419“, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 21, 432 – 449. 80

Zwischen den Fronten

Schmidt, Roderich (1978), „Rostock und Greifswald. Die Errichtung von Universitäten im norddeutschen Hanseraum“, in: Peter Baumgart/ Notker Hammerstein (Hgg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit. Vorträge gehalten anläßlich des 3. Wolfenbütteler Symposions vom 12. bis 16. Oktober 1976 in der Herzog-­August-­Bibliothek (Wolfenbütteler Forschungen 4), Nendeln, 75 – 109. Schmidt, Tilmann (2002), „Die Anfänge der Theologischen Fakultät der Universität Rostock im Jahr 1433“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 117, 7 – 47. Schmidt, Tilman (2010), „Die Supplik für die päpstliche Gründungsurkunde der Universität Rostock“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 125, 115 – 140. Schmidt, Tilmann (2012), „Rostock in der Reichsacht und der Auszug der Universität nach Greifswald“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 127, 37 – 55. Schnitzler, Elisabeth (1974), Die Gründung der Universität Rostock 1419 (Mitteldeutsche Forschungen 73), Köln/Wien. Schnitzler, Elisabeth (1979), „Die ältesten Generalstatuten der Universität Rostock“, in: Elisabeth Schnitzler (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock im 15. Jahrhundert (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 20), Leipzig, 35 – 120. Schuh, Maximilian (2018), „Matrikeln“, in: Jan-­Hendryk de Boer/Marian Füssel/Maximilian Schuh (Hgg.), Universitäre Gelehrtenkultur vom 13. – 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, Stuttgart, 103 – 118. Schwinges, Rainer Christoph (2000), „Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum“, in: Mensch, Wissenschaft, Magie 20, 97 – 119. Schwinges, Rainer Christoph/Hesse, Christian, „Repertorium Academicum Germanicum“ https:// rag-­online.org/datenbank/abfrage (Zugriff 09. 05. 2019). Stadtarchiv Rostock, U 1 q, 1419 Sept 8, Urkunde der Herzöge Johann  IV. und Albrecht V. von Mecklenburg sowie des Rostocker Rates, 08. 09. 1419. Stadtarchiv Rostock U 1 p, 1419 – 1420, Abrechnung der Rostocker Pfundzollherren Ulrich Everdes und Albrecht Klingenberch, 22. 02. 1419 – 22. 02. 1420. Universitätsarchiv Leipzig, Rektor M 001, Matrikel 1409 – 1537, 1409 – 1537, https://www.archiv. uni-­leipzig.de/recherche/Dokument/anzeigen/763393 (Zugriff 09. 05. 2019). Universitätsarchiv Leipzig, Rektor M 002, Matrikel 1409 – 1537, 2, https://www.archiv.uni-­leipzig. de/recherche/Dokument/anzeigen/763394 (Zugriff 09. 05. 2019). Universitätsarchiv Rostock, R I A 01, Statutenbuch 1419 – 1756. Universitätsarchiv Rostock, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), Matrikel 1419 – 1760, 1419 – 1760, http://purl.uni-­rostock.de/rosdok/ppn63866263X (Zugriff 09. 05. 2019). Universitätsarchiv Rostock, XXV 3, Konservatorium Papst Martins V. für die Universität Rostock, Rom, 27. 03. 1423. Universitätsarchiv Rostock, R XXV 17, Urkunde Herzog Heinrichs IV. von Mecklenburg für die Universität Rostock, Güstrow, 07. 09. 1460. Universitätsarchiv Rostock, R XXV 36, Geleitbrief der Herzöge Magnus  II. und Balthasar von Mecklenburg für die Universität Rostock, Schwerin, 14. 02. 1487. Universitätsbibliothek Rostock, MK-11568.2, Observantia lectionum, Rostock, 04. Mai 1520. Westphalen, Ernst (2011), Die ersten Statuten der 1419 eröffneten Rostocker Akademie. Abgeschrieben aus dem rechtskräftigen Kodex, hg. von Hilde Michael, Rostock. 81

Anne Sowodniok

Wriedt, Klaus (2005), „Stadtrat – Bürgertum – Universität am Beispiel Norddeutscher Hansestädte“, in: Klaus Wriedt (Hg.), Schule und Universität. Bildungsverhältnisse in norddeutschen Städten des Spätmittelalters. Gesammelte Aufsätze (Education and society in the Middle Ages and Renaissance 23), Leiden [et al.], 181 – 211.

82

Wolfgang Eric Wagner

„ut moris est studentium“ Nachtschwärmen, Lärmen, Zechen, Zücken, Raufen und andere deviante Verhaltensmuster spätmittelalterlicher Rostocker Scholaren im Spiegel von Bittschreiben an den Papst

Als die Rostocker Universität im November 1419 feierlich eröffnet wurde, geschah dies nicht etwa durch einen einzigen festlichen Gründungsakt, sondern mit einer aufwändigen, wohldurchdachten Abfolge feierlicher, ritueller Handlungen.1 Die Zeitpunkte, Orte und handelnden Personen waren absichtsvoll gewählt und genau aufeinander abgestimmt. Dass der Termin für die feierliche Eröffnung bewusst festgelegt worden war, geht aus dem Geleitbrief der Herzöge von Mecklenburg Johann IV. (1395 – 1422) und Albrecht V. (1417 – 1423) für die Universitätsbesucher vom 8. September 1419 hervor, mit dem sie allen Christgläubigen kundtaten, dass Papst Martin V. (1417 – 1431) ihrer Bitte entsprochen, in ihrer Stadt Rostock ein Generalstudium mit verschiedenen Fakultäten errichtet und es mit ewigen Vorrechten ausgestattet habe. In diesem Studium werde es Magister und Scholaren geben, die akademischen Handlungen und die Lehrveranstaltungen begännen sofort nach dem Fest des Hl. Martin (11. November), das demnächst bevorstehe. Gemeinsam mit den Bürgermeistern und Räten ihrer Stadt Rostock sowie ihren anderen Beamten nahmen die Fürsten die An- und Abreisenden zum Studium samt ihren Gütern und Sachen unter ihren sicheren Schutz, versprachen, die allgemein üblichen kirchlichen und weltlichen universitären Privilegien, Immunitäten und Freiheiten zu bewahren, und baten alle, die Kenntnis von dieser Mitteilung erlangten, den Mitgliedern des Studiums ebenfalls wohlwollend und großzügig fördernden Rat und schützende Hilfe zu gewähren.2 Der Festtag des Hl. Martin könnte als Ehrerbietung gegenüber dem Papst ausgesucht worden sein, der das Privileg für die Gründung einer Universität in Rostock erteilt hatte.3 Martin V. (Oddo Colonna) war erst zwei Jahre zuvor, am 11. November 1417, auf dem Konzil in Konstanz gewählt worden und hatte als Papst den Namen des Tagesheiligen seines Wahltags angenommen.4 Mit der Erhebung Martins V. zum alleinigen Oberhaupt der westlichen Kirche hatte das seit 1378 bestehende Große Abendländische Schisma beendet werden können. Die Erinnerung an diesen Tag war mithin nicht nur für Martin V. bedeutungsvoll, sondern für die gesamte westliche Christenheit. Ein weiteres Motiv für die Terminwahl, das möglicherweise von Seiten der Universität her eine Rolle gespielt hat, könnte in der Bezugnahme auf den Festkalender der Prager Universität zu finden sein, der ältesten Universität im Reich, die personell und dadurch auch institutionell auf die Rostocker Gründung direkt und indirekt, über die Universitäten Erfurt und Leipzig, 83

Wolfgang Eric Wagner

Einfluss ausgeübt hatte.5 In Prag galt der 12. November, der Tag der Fünf Märtyrerbrüder, als hoher Festtag.6 Dem nahezu zeitgenössischen Bericht zufolge, der im Eingangsprotokoll des ersten Matrikeleintrags gegeben wird, hat die Rostocker Universität am 12. November 1419, also einen Tag nach dem Martinstag, ihren Betrieb aufgenommen. An diesem Sonntag sei der erste Rektor durch ehrwürdige Herren gewählt worden, und zwar durch den Bischof von Schwerin, den Abt des Klosters Doberan, den Archidiakon von Rostock, den Pfarrer der größten und reichsten Pfarrkirche der Stadt, Sankt Marien, und den Bürgermeister von Rostock. Vor diesen Herren habe der Gewählte seinen Rektoreid abgelegt.7 Nimmt man hierzu noch den weitaus jüngeren Bericht des einstigen Magisters und Dekans der Rostocker Artistenfakultät, des einstmaligen Rektors der Universität, Albert Krantz (um 1448 – 1517), hinzu, den dieser zwischen 1500 und 1509 in einem seiner Geschichtswerke, der „Saxonia“, abgegeben hat, so vervollständigt sich das Bild der rituellen Handlungsfolge.8 Danach führten die beiden regierenden Fürsten von Mecklenburg am Tag vor dem Fest des Heiligen Martin, also am 10. November, einem Freitag, die von ihnen erwirkte päpstliche Gründungsurkunde in einer feierlichen Prozession in die Stadt und versammelten die Gelehrten in der Kirche, wo der Bischof von Schwerin eine Messe zelebrierte. Im Anschluss daran wurde der Bischof zum Kanzler der Universität ernannt, der dann die päpstliche Erektionsbulle verlas und schließlich die Hohe Schule mit ihren Privilegien und Einkünften eröffnete.9 Auch wenn Krantz sich in seiner Darstellung mit dem Namen des Schweriner Bischofs vertut – er nennt ihn Johann, obwohl Heinrich III. von Wangelin (1419 – 1429) zum Zeitpunkt der Universitätseröffnung amtierte –, widersprechen weder seine zeitlichen noch seine sonstigen Angaben denen aus dem Matrikeleintrag, sondern scheinen diese vielmehr zu ergänzen.10 Indem die Rostocker Akteure die Konstituierung der universitas am 10. November 1419 mit der Einholung der päpstlichen Bulle und zwei Tage danach mit der ersten Rektorwahl fortsetzten, umrahmten sie den dazwischenliegenden Martinstag und bezogen ihn so in die Eröffnungshandlungen ein.11 Doch für wen war diese aufwändige mehrtägige Inszenierung bestimmt und welche symbolische Botschaft sollte das Schauspiel kommunizieren? Mit Blick auf den Ritual-­Charakter der universitären Eröffnungsfeiern ist bereits vor einigen Jahren deren Integrations- und Exklusionsleistung hervorgehoben worden. Demnach sollte der öffentlich gefeierte Initiationsritus zunächst innere Geschlossenheit und ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit bei der neu geschaffenen Gemeinschaft von Magistern und Scholaren erzeugen. Zugleich führte er den städtischen Beobachtern, die während der Prozession, der Messe und der Rektorwahl in die Rolle von Zuschauern gedrängt wurden, auf eingängige, aber auch eindrucksvolle Weise vor Augen, um was für eine neue Gemeinschaft es sich handelte. Diese liturgische oder doch quasiliturgische Qualität des Universitätsbeginns war für die erste Perzeption der Hochschule von erheblicher Bedeutung. Sie half, den Neuling ,Universität‘ in der Stadt an Vertrautes anzubinden, und entrückte ihn den Bürgern zugleich.12 84

„ut moris est studentium“

Schließlich machte die theatralische Vorführung sichtbar, welche Kräfte sich an deren Stiftung beteiligt hatten und diese auch weiterhin zu beschirmen beabsichtigten.13 Das Personenensemble, das die päpstliche Bulle einholte, die Messe feierte und die Wahl des ersten Rostocker Rektors vornahm, war, so gesehen, keineswegs zufällig zusammengesetzt. Es repräsentierte Fürsten, Kirche und Stadt, denn deren Schutz hatte die neue Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in ihrer städtischen Umgebung von Beginn an nötig. Zwar war es für europäische Städte seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches mehr, genossenschaftlich organisierte Gruppen wie Zünfte, Gesellengilden, Bruderschaften und Trinkstuben zu integrieren. Doch waren diese Gemeinschaften in Größe und Komplexität sowie im Grad ihres Autonomieanspruches nicht mit Universitäten zu vergleichen.14 Einzelne Kleingruppen von jugendlichen Handwerksburschen vermochte eine städtische Gemeinschaft wohl zu verkraften. Zweihundert meist noch pubertierende Scholaren aufzunehmen, stellte hingegen eine bedeutend größere Herausforderung dar,15 denn die 14- bis 25-jährigen Universitätsbesucher brachten eine weitere männliche Jugendkultur mit in die Stadt, die ähnlich der der Handwerksgesellen von einem hohen individuellen und kollektiven Ehrgefühl, durch Sauf- und Raufexzesse sowie Rituale der Gewalt gekennzeichnet war.16 Diese jugendspezifischen Verhaltensformen und Jungmännerrituale wurden von Stadt und Universität zu Recht als gefährliches und von den Normen abweichendes, also deviantes Verhalten empfunden, das den städtischen Frieden störte. Hier ging es neben individuellen Wettkämpfen auch um die Verteidigung ideeller und räumlicher Terrains, um Konkurrenz um die Jungfrauen, um Führungspositionen innerhalb der städtischen Jugend und letztlich auch um die symbolische Besetzung städtischer Räume.17 So sorgfältig die Gründungs-­Experten auch die innere Geschlossenheit und Außenwirkung ihrer neuen Alma Mater geplant hatten – „selbst der feierlichste Gründungsakt vermochte Konflikte zwischen städtischen und universitären Bürgern selbstverständlich nicht zuverlässig zu verhindern“.18 Bereits kurz nach der Eröffnung und bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts findet man einzelne derartige Auseinandersetzungen und andere Delikte von Studenten in der Rostocker Matrikel verzeichnet.19 Neuere Untersuchungen zur studentischen Devianz in der Frühen Neuzeit aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie und der kulturhistorischen Forschung haben verschiedene Deliktgruppen, die Anlass zu Konflikten boten, aus den Akten städtischer und akademischer Gerichte zutage gefördert und systematisch zusammengestellt.20 Dazu zählen: 1. Verstöße gegen die Ordnung des Gemeinwesens („gute Policey“): Nachtschwärmerei, Ruhestörung, Alkoholmissbrauch, Sachbeschädigung; 2. Sexualdelikte: Verstöße gegen das Zölibat, Prostitution, Vergewaltigung, uneheliche Geburten und damit verbundene Klagen auf Unterhalt und Entschädigung; 3. Finanzangelegenheiten: Kreditwesen, Glücksspiel, Eigentumsdelikte; 85

Wolfgang Eric Wagner

4. Beleidigungs- und Gewaltdelikte: Duelle und Raufereien zwischen Studenten untereinander oder mit anderen Gruppen wie Handwerkern und Soldaten.21 Dass derartige Delikte auch von den Universitätsbesuchern im spätmittelalterlichen Rostock begangen wurden, ließ sich bislang zwar aufgrund von normativen Quellen vermuten, vor allem aufgrund von Urkunden und Universitätsstatuten. Fortlaufende Akten mit Disziplinarangelegenheiten der Studenten sind im Rostocker Universitätsarchiv aber erst ab 1571 vorhanden.22 Für das 15. Jahrhundert sind lediglich einige Einzelfälle überliefert.23 Die zeitliche Lücke zwischen der Universitätsgründung und 1571 kann seit einigen Jahren durch eine Reihe von Zeugnissen aus dem vatikanischen Archiv wenigstens im Hinblick auf Gewaltdelikte etwas gefüllt werden.24 Es handelt sich um die Register der Pönitentiarie, des päpstlichen Buß-, Beicht- und Gnadenamts, der „Zentrale der Verwaltung des Gewissens“.25 Seit 1983 sind die Register der seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Behörde für die wissenschaftliche Öffentlichkeit zugänglich, und von 1991 bis 2018 wurden die darin enthaltenen deutschen Betreffe im Zeitraum von 1431 bis 1523 von Ludwig Schmugge im Repertorium Poenitentiariae Germanicum ediert.26 Unter den zahlreichen Betreffen findet sich ein gutes Dutzend von Totschlagsfällen oder von Körperverletzung, in die Rostocker Scholaren direkt oder indirekt involviert waren.27 Die Scholaren, die der geistlichen Gerichtsbarkeit unterstanden, hatten sich mit Bittschreiben (Suppliken) an den Papst gewandt, um von der Exkommunikation gelöst zu werden oder um eine Ehren- oder Unschuldserklärung (littera declaratoria) zu erhalten. Ein solches Gesuch war umfassend zu begründen, und daher enthält jede Supplik neben der intitulatio, die den Namen, die Herkunftsdiözese und gegebenenfalls Ämter und Würden des Bittstellers nennt, der petitio, in der um Absolution oder Unschuldserklärung gebeten wird, und der Signatur, die den Genehmigungsvermerk oder gegebenenfalls Anweisungen zur weiteren juristischen Prüfung enthielt, auch eine genauere Schilderung des Tathergangs, eine narratio. Diese „Erzählung“ verfolgte den Zweck, die Unschuld des Bittstellers zu belegen, und weist deshalb in ihrer Argumentation eine deutlich wahrnehmbare Tendenz auf. Stets geht es darum, den eigenen Schuldanteil als möglichst gering darzustellen. Dieses Bemühen um Entlastung ist bei den anschließenden Tatbeschreibungen unschwer zu bemerken. So führt ein Petent aus, dass er das Beil, mit dem ein Gegner verletzt und getötet wurde, nicht selbst gebraucht habe. Es sei ihm gewaltsam entrissen worden. Überhaupt habe er es nur zur Verteidigung, nicht um anzugreifen, bei sich gehabt.28 Ein anderer erklärt, dass das Schwert, mit dem auf einen Angreifer eingeschlagen wurde, noch in der Scheide gesteckt und diesen nicht verwundet habe (Abb. 1).29 Oder es habe sich lediglich um ein kleines Messer gehandelt, das man sonst zum Brotschneiden verwende.30 Das Messer des Gegners sei länger gewesen (Abb. 2).31 Aus der verursachten Wunde sei nicht sehr viel Blut ausgetreten, der Verletzte habe noch drei Tage gelebt und sei nur infolge mangelnder medizinischer Versorgung verstorben.32 Das Agieren des Widersachers wird demgegenüber als unkontrolliert rasend, gemein und besinnungslos geschildert. Er habe wie ein 86

„ut moris est studentium“

Abb. 1: Archäologische Fundstücke aus einer Latrine des Paedagogiums in der Paedagogienstraße. Drei Dolchmesser und ein Schwert italienischer Art, absichtlich unbrauchbar gemacht.

Abb. 2: Messer aus dem persönlichen Besitz von Studenten.

87

Wolfgang Eric Wagner

tollwütiger Hund angegriffen 33 oder sei ein bösartiger Mensch gewesen, der Frieden nur vortäuschte,34 oder eben stark betrunken.35 Im Folgenden geht es darum, die verharmlosenden Erzählungen der Bittsteller gegen den Strich zu lesen, d. h., ihre erkennbare Rechtfertigungsabsicht einzukalkulieren, und dahinter verborgene oder beiläufig erwähnte deviante Verhaltensformen der Scholaren zu dechiffrieren, die bislang erst für die Frühe Neuzeit als solche konstatiert worden sind. Für die untersuchende Darstellung werden sie folgendermaßen gruppiert: 1. Spazierengehen, Nachtschwärmerei, (Heim-)Begleiten, 2. Beleidigungs- und Gewaltdelikte: Raufereien mit Laien, darunter Bauernknechte und Seeleute, 3. Sexualdelikte, und 4. kollektive und individuelle Gewalt gegen universitäres und städtisches Wachpersonal.

Nachtschwärmerei, Spazierengehen, (Heim-)Begleiten Zu den beliebten kulturellen Praktiken frühneuzeitlicher Studenten, die bislang insbesondere in Freiburg im Breisgau beobachtet wurden, gehörte das Spazierengehen vor und nach dem Abendessen.36 Es diente dem Zeitvertreib und der Pflege der Geselligkeit in den späten Nachmittags- und Abendstunden und war zugleich geeignet, soziale Beziehungen zu festigen und den Gruppenzusammenhalt zu stärken. Vor allem durch diese Verhaltensform sonderten sich die Studenten von den städtischen Bürgern und anderen männlichen Jugendgruppen ab. Mit ihrem augenfälligen Müßiggang demonstrierten sie ihren privilegierten Status und provozierten diejenigen, die nicht in gleichem Maße über freie Zeit oder Gelegenheit zur Regeneration nach körperlicher Arbeit verfügten. Neid und Unwille waren die Folge. Eine besondere Form des studentischen Spazierengehens in der Frühen Neuzeit stellte das ziellose nächtliche Umherstreifen dar, das Vagieren oder nächtliche Schwärmen durch die städtischen Gassen. Die Häufigkeit, mit der das Spazierengehen in den Bittschreiben der Rostocker und zahlreicher anderer spätmittelalterlicher Scholaren an den Papst erwähnt wird, belegt, dass der Spaziergang nicht erst im ausgehenden 18. oder beginnenden 19. Jahrhundert zum Bestandteil bürgerlicher Freizeitkultur wurde,37 sich auch nicht erst in der Studentenkultur des 16. Jahrhunderts etablierte,38 sondern bereits im 15. Jahrhundert eine geläufige studentische Freizeitbeschäftigung war.39 Kennzeichnend dafür, dass es sich nicht um zielgerichtetes Gehen handelte, sondern eben um richtungsloses Umherwandeln, sind nicht nur die dafür typischen Verben der Fortbewegung wie ambulare oder perambulare,40 sondern auch die erläuternden Zusätze, dass man „züchtig und anständig“, „zur Erholung“ oder „zum Vergnügen“ durch die Gassen geschlendert sei.41 Die Gewalttaten, die sich dabei, oder besser: infolge dessen, ereigneten, fanden in der Regel „bei Sonnenuntergang“, „zu fortgeschrittener Stunde“, „abends“, „nachts“ oder „nachts, nach dem Mahl“ statt.42 Nach dem Läuten der Wächterglocke in der Stadt ohne Notwendigkeit oder einsichtigen Grund umherzulaufen, war indes laut den Statuten der Universität Rostock aus 88

„ut moris est studentium“

dem Anfang des 15. Jahrhunderts bei Strafe untersagt. Nur wer einen triftigen Grund hatte, durfte mit offenem Licht durch ziemliche und ehrenhafte Straßen gehen.43 Obwohl demnach das nächtliche Herumlaufen in der Stadt streng verboten war, findet es in den studentischen Schilderungen der Tathergänge in den Bittschreiben mehrfach Erwähnung. Allerdings wird es darin regelmäßig als harmlos dargestellt. So erklärt Frederik Svensson, ein Geistlicher aus der Diözese Schleswig, in der ersten Hälfte des Jahres 1461, dass er einst beim Studium in der Stadt Rostock mit einigen Scholaren „züchtig und anständig“ spazieren gegangen sei, als sich ihnen ein Laie genähert und einen von den Scholaren mit einem Stein schwer im Gesicht verwundet habe.44 Sieben Jahre später – offenbar hatte er auf seine Supplik hin nicht die gewünschte Unschuldserklärung erhalten – erklärt er dann in einem erneuten Gesuch in der gleichen Angelegenheit zeitlich und auch räumlich etwas präziser, dass er in der Nacht zusammen mit anderen Studenten „zur Zerstreuung“ durch die Hauptstraße gegangen sei, bis eben einer von ihnen durch den Steinwurf eines Laien schwer im Gesicht verletzt wurde.45 Der Steinwurf auf die Spazierengehenden wirkt seltsam unvermittelt, doch Vergleichbares berichtet, wohl im Frühjahr des Jahres 1476, Simon Bamens, ebenfalls Kleriker aus der Diözese Schleswig. Als er früher an der Universität Rostock studierte und in einer Nacht mit einigen Scholaren zum Vergnügen durch die Straßen der Stadt schlenderte, da seien ihnen „einige Laien begegnet und hätten, ohne von ihnen dazu veranlasst worden zu sein, verschiedene verletzende Ausdrücke gegen sie vorgebracht“. In der Folge sei es zu einem Totschlag gekommen.46 Die Plötzlichkeit, mit der jeweils aus einem einfachen Spaziergang eine blutige Auseinandersetzung wurde, ist, wie bereits erwähnt, eine Folge der beschönigenden Darstellung des Handlungsablaufs. Eigene provokative Äußerungen, Gesten und Gebärden wurden von den Berichtenden anscheinend bewusst ausgespart, um den Gegner als Verursacher der Auseinandersetzung erscheinen zu lassen. In ähnlicher Manier berichten drei adlige Kleriker aus der Diözese Kammin, wie sie während ihrer Studienzeit in Rostock, wohl im Frühjahr 1510, an einem Tag um Sonnenuntergang herum, zusammen mit dem Grafen Wolfgang von Naugard, „zur Erholung“ zu der Kirche des Armenhospitals St. Georg vor den Mauern der Stadt gegangen seien, wo der Graf „residierte“. Das Hospital St. Georg lag außerhalb der Stadtmauern, etwa dreihundert Meter vor dem Steintor.47 Als sie sich zurück nach Rostock wendeten, seien ihnen 16 Bauernknechte entgegengekommen, die sie freundlich gegrüßt hätten. Doch die Knechte hätten mit Schmähungen geantwortet und seien dann mit Waffen über sie hergefallen. Auch diese, durch einen vermeintlich harmlosen Spaziergang herbeigeführte Begegnung endete letztlich mit mindestens zwei Toten und mehreren Verletzten.48 Der in diesem Fall geschilderte Spazier-­Vorgang gehört zur studentischen Praktik des Begleitens oder, wie es im frühneuzeitlichen Freiburg hieß, des Heimbeleitens.49 Vom meist ziellosen Spazierengehen unterschied es sich durch seine deutliche Zielgerichtetheit, indem es einerseits darum ging, einen womöglich unbewaffneten Freund oder Gast im Anschluss an einen gemeinsam verbrachten Abend sicher nach Hause zu geleiten. Man 89

Wolfgang Eric Wagner

Abb. 3: Marienkirche und Wohnhaus von Heinrich Nienhusen. Rostock-­Ansicht Wenzel Hollars, 1624/25.

rechnete damit, in der Dunkelheit anderen Gruppen von Scholaren, Handwerksgesellen oder Wachleuten zu begegnen, woraus sich rasch handgreifliche Auseinandersetzungen ergeben konnten. Andererseits bot das Heimbegleiten Gelegenheit, den geselligen Abend noch etwas in die Länge zu ziehen. Einen Spezialfall des Heimbegleitens stellt in Rostock die tödlich endende Begegnung mit einem Scholaren dar, die der Priester Heinrich Nienhusen in seiner Supplik an den Papst schildert. Darin erklärt Nienhusen, dass er einst aufgrund der vorgerückten Stunde den Weg über den Friedhof von St. Marien zu Rostock nutzen wollte, um sein Haus rascher zu erreichen. Sein Wohnhaus befand sich gegenüber dem Chor der Marienkirche und war das letzte in der Reihe zum Neuen Markt hin (Abb. 3).50 Unterwegs habe sich ihm ein Scholar angeschlossen und das Haus mit ihm zusammen betreten. Obwohl er den Scholaren höflich, aber bestimmt gebeten habe, zu sich nach Hause zu gehen, habe der Berauschte und Volltrunkene seinen Mahnungen kaum Aufmerksamkeit geschenkt und sich nicht um das Gesagte geschert. Vielmehr habe ihn dieser, „von welchem Geist auch immer geführt“, angegriffen, zu Boden geworfen und ein Messer gezückt. Mit der 90

„ut moris est studentium“

anderen Hand habe der Scholar ihn auf den Rücken geworfen und an der Gurgel gepackt. Da er sich so überwältigt sah und keinen Weg wusste, wie er sich den Händen des Scholaren entwinden sollte, habe er, keine Strafe fürchtend, ein kleines Messer, das er lediglich zum Brotschneiden verwendete, gegen den mit ihm Balgenden geschwungen, ohne die Absicht, ihn zu treffen oder zu verletzen, sondern nur um die Gewalt durch Gewalt abzuwehren. Dabei habe er den Scholaren durch einen unglücklichen Stich an der Brust verletzt, so dass dieser aufgrund der Verletzung sein Leben beendete.51 Denkbar ist, dass sich der Scholar mit seinem üblen Scherz am nächsten Tag vor seinen Mitstudenten brüsten wollte. Seine unverlangte und daher als aufdringlich wahrgenommene Heimbegleitung bezahlte er jedoch mit seinem Leben. Darüber hinaus ist auch in Nienhusens Bericht das Bestreben deutlich erkennbar, den durch ihn verübten Totschlag als Notwehr erscheinen zu lassen, indem die eigenen Gewaltanwendungen als Abwehrhandlungen mit einem lächerlich kleinen Messer deklariert werden.

Beleidigungs- und Gewaltdelikte: Rauf- und Ehrenhändel mit Laien, darunter Bauernknechte und Seeleute Neben den Scholaren existierten in der Stadt oder in deren Umgebung weitere Jugendgruppen, die überwiegend aus ledigen jungen Männern bestanden und über ein ausgeprägtes Gruppenbewusstsein sowie ein hohes individuelles und kollektives Ehrgefühl verfügten. Das betraf vor allem die ebenfalls korporativ organisierten Handwerksgesellen und, etwas weniger ausgeprägt, auch Seeleute und Bauernknechte.52 Die permanente Rivalität zwischen diesen Gruppen sorgte für eine konfliktgeladene Atmosphäre und äußerte sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein in gegenseitigen Provokationen, Schlägereien und Zweikämpfen bis hin zu kollektiven Konfrontationen.53 Wurde dabei die Ehre des Einzelnen verletzt, so war hiermit zugleich die Gruppenehre berührt. Dadurch konnten individuelle Auseinandersetzungen leicht eskalieren und häufig in Massenschlägereien ausarten. Auch derartige Konfliktkonstellationen und ihre Hintergründe spiegeln die Bittschreiben der spätmittelalterlichen Rostocker Scholaren wider. So gehört der eben vorgestellte Fall der drei Kleriker aus der Diözese Kammin, die gemeinsam mit dem Grafen von Naugard mit 16 Bauernknechten aneinandergerieten, nicht nur zur studentischen Praktik des Spaziergangs, sondern auch in den Bereich der Ehrkonflikte, schon weil der Graf und die Kleriker adlige Studenten waren. Nach ihrer Aussage hätten sie die Entgegenkommenden freundlich gegrüßt, doch die Knechte, die bewaffnet daherkamen, hätten ihnen in der Art blödsinniger und betrunkener Bauern Schmähungen für den Segen zurückgegeben und seien mit Waffen über sie hergefallen. Da die Scholaren der Todesgefahr anders nicht entgehen vermochten, hätten sie die Gewalt mit Gewalt beantwortet, sich selbst verteidigt und einige der Knechte verletzt und verstümmelt sowie „etwa zwei“ erschlagen.54 91

Wolfgang Eric Wagner

Verbale Schmähungen wurden von den adligen Klerikern als Kränkung ihrer Ehre betrachtet. Dass sie umgekehrt die Bauernknechte als minderwertig einschätzten, brachten sie zum Ausdruck, indem sie gleich die gesamte Bauernschaft als „blödsinnig“ und „ständig betrunken“ charakterisierten sowie die genaue Zahl der bäuerlichen Todesopfer als nebensächlich erachteten. Der Graf Wolfgang von Eberstein-­Naugard (1483 – 1534) war erst im Frühling 1508 in Begleitung eines Magisters und zweier Familiaren von der Greifswalder an die Rostocker Universität gewechselt. In Greifswald hatte er das vorangehende Winter-­Rektorat 1507/08 als Ehrenrektor bekleidet, und als solcher hatte er auch in Rostock das Sommerrektorat 1509 inne. Dass er kurz zuvor noch der Exponent der akademischen Gerichtsbarkeit gewesen war, hinderte ihn folglich nicht daran, sich im Frühjahr 1510 selbst in eine handgreifliche Auseinandersetzung zu stürzen.55 Wie eine verbale Auseinandersetzung schrittweise bis hin zur körperlichen Gewaltanwendung mit Todesfolge eskalieren konnte, gibt die etwas detailliertere Schilderung des Klerikers Simon Bamens in seiner schon angesprochenen Supplik aus dem Frühjahr 1476 wieder. Als er einst an der Universität Rostock studierte und „in einer Nacht mit einigen Scholaren zum Vergnügen durch die Straßen der Stadt schlenderte“, seien ihnen einige Laien begegnet und hätten „ohne ihr Verschulden verschiedene verletzende Ausdrücke gegen sie vorgebracht“. Leider erwähnt Simon nicht, welche. Die Scholaren hätten sie dann gleichfalls mit Worten ermahnt, von derartigen Beleidigungen abzulassen. Nichtsdestotrotz hätten die Laien sich nicht zurückgehalten und sie zornig mit noch heftigeren und beleidigenden Worten belegt. Als er diese vernahm, habe ein Scholar mit einem Stein einen Laien derart getroffen, dass dieser sofort, „mit den Füßen scharrend“, zu Boden ging, und ein gewisser Otto, Simons Mitstudent und Gefährte, habe auf den vom Stein getroffenen Laien mit seinem Schwert, „das jedoch noch nicht aus der Scheide gezogen war“, ebenfalls eingeschlagen, ohne ihn aber zu verwunden. Als dies wiederum ein gewisser Wolder, ein Gefährte des geprügelten Laien, sah, habe er sein Schwert gezückt, den Scholaren Otto heftig angegriffen und ihn zu durchbohren sowie zu töten versucht. Doch Otto habe „die Gewalt mit Gewalt abgewehrt“ und bei seiner Verteidigung den Wolder derart getroffen und verwundet, dass er infolge dieser Schläge und Verletzungen sein Leben beendete. Weil der Wolder den Otto so, wie beschrieben, anging und Otto sich verteidigte, habe er, Simon, da er fürchtete, dass Wolder und seine Gefährten ihn ebenfalls angreifen könnten, sein Schwert ebenfalls gezückt, um die Laien einzuschüchtern und sich selbst zu verteidigen, habe aber niemanden damit geschlagen oder verletzt.56 Auch wenn Simons Darstellung wiederum einige Schutzbehauptungen aufweist, die seinen Schuldanteil mindern sollten, lässt sich an ihr eine allmähliche, nahezu regelhaft erscheinende Steigerung der Gewalt bis zu einem bestimmten „point of no return“, dem Umschlagen von verbaler in körperliche Gewalt, nachvollziehen, eine regelrechte „Liturgie der Gewalt“.57 92

„ut moris est studentium“

Abb. 4: Regentien am Hopfenmarkt, Ausschnitt aus der Vicke-­Schorler-­Rolle.

93

Wolfgang Eric Wagner

Von einer Auseinandersetzung mit Seeleuten berichtet um 1515 der Kleriker aus der Diözese Schleswig, Gottschalk Erici. Er sei zu nächtlicher Stunde mit einigen Gefährten zu einer Zusammenkunft von Scholaren zu einem (Studenten-)Haus, einer Regentie (Abb. 4), unterwegs gewesen, als ihm auf der Straße zwei betrunkene Seeleute entgegenkamen. Einer von seinen Gefährten habe zunächst ein Wortgefecht mit den Matrosen gehabt und dann einen Stein nach ihnen geworfen. Doch die Seeleute wären nicht über seinen Gefährten, sondern über ihn, Gottschalk, mit einem großen Knüppel hergefallen. Daraufhin habe er eine Klinge gezückt, „um die Gewalt mit Gewalt zu beantworten“ und sich zu verteidigen, und habe einem der Seeleute die linke Hand abgehauen. Da er sich aber mit ihm „freundschaftlich“ einigen konnte, bitte er um Lösung von der Exkommunikation sowie um Befreiung vom Weihehindernis.58 Angesichts der Schwere der Verletzung wirkt die Schnelligkeit, mit der die gütliche Verständigung darüber erzielt werden konnte, seltsam. Doch darauf, dass die plötzlichen Wendungen ein Charakteristikum in der Argumentationsweise der studentischen Bittgesuche darstellen, wurde ja bereits hingewiesen. Auch war das Tragen von Waffen laut den Statuten der Universität im Grunde genommen verboten.59 Diese beiden Eigentümlichkeiten lassen sich allerdings leicht aus der Person des Gewalttäters heraus erklären. Gottschalk Erici, oder auf Deutsch: Erichsen († 1544), war ebenfalls ein Adliger. Der spätere Sekretär und Kanzler des dänischen Königs Christian II. (1513 – 1523) und Rat Kaiser Karls V. (1520 – 1558) entstammte der schleswigschen Linie der dänischen Adelsfamilie Rosenkrantz.60 Einem Adligen konnte man das Waffentragen trotz statutarischem Verbot schwerlich untersagen. Zudem dürfte er über ausreichende materielle Mittel verfügt haben, um dem Seemann für den Verlust seiner linken Hand einen finanziellen Ausgleich zu verschaffen. Die Fälle verdeutlichen auch für Rostock eine hohe Sensibilität für Ehrverletzungen, die wahrscheinlich dort ebenso wie andernorts durch demonstratives Zur-­Schau-­Stellen von Waffen und den Austausch von Schimpfwörten bewusst instrumentalisiert wurden, um die Gegner zu Auseinandersetzungen zu provozieren.61

Drei Sexualdelikte: Vorehelicher ­Geschlechtsverkehr, Verletzung des Zölibats und Zwangsheirat Da mittelalterliche Universitätsbesucher der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterstanden und in Bursen und Kollegien eine geistliche Lebensweise pflegten, galten sie aus rechtlicher Perspektive als Kleriker. Spätestens mit ihrer Aufnahme in die Universität begaben sich die Scholaren unter die Obhut des kanonischen Rechts und mussten fortan das geistliche Gewand tragen. Aufgrund dessen nannte man sie Halfpapen, also „halbe Pfaffen“.62 Die eindeutige Zuordnung zum Rechtskreis der Kirche war ein Garant für das friedliche Zusammenleben mit den Bürgern der Stadt. Wurde diese Grenze durch Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht oder gar durch Heirat überschritten, drohten Probleme.63 94

„ut moris est studentium“

Diese Probleme waren einerseits finanzieller Natur, denn die wenigsten Universitätsbesucher konnten den Unterhalt einer Familie bestreiten. In diesem Fall wäre die Universität verpflichtet gewesen, für die Paare und deren Nachkommen Sorge zu tragen. Verstarb der Universitätsbesucher, waren Witwen und Waisen zu versorgen. Das hätte den Fiskus der Universität ebenfalls belastet, und auch über die rechtliche Zugehörigkeit der Familienangehörigen mussten dann Einigungen mit der Stadt erzielt werden. Andererseits wurden sexuelle Aktivitäten außerhalb der Ehe von der Kirche als Sünde veurteilt: „Erst nach einer gültig geschlossenen Ehe durfte sich ein anständiges Mädchen zum Geschlechtsverkehr bereit finden. Zumindest wird sie ein vor Zeugen abgelegtes Eheversprechen verlangt haben, bevor sie mit dem Mann ihrer Wahl ins Bett ging. Nicht wenige Frauen, die sich auf ein solches Versprechen verlassen hatten, mussten allerdings später erfahren, dass selbst der Schwur ihres stürmischen Liebhabers später vor Gericht, wenn er bestritt, jemals die Ehe versprochen zu haben, nichts mehr wert war.“ 64

Nicht nur für die Frau, sondern auch für ihre Familie galt dies als Schande, und dem Verursacher drohte, zur Wiedergutmachung des Schadens herangezogen zu werden. Derartige Konfliktpotentiale waren am einfachsten zu vermeiden, wenn die männlichen Universitätsangehörigen von vorne herein keinen Kontakt zum anderen Geschlecht aufnahmen und auch nicht heirateten. Eine Vielzahl von Doktoren und Scholaren waren zudem entweder bereits Inhaber kirchlicher Pfründen oder hofften, über ihr Studium welche zu erlangen. Zwar war an die niederen Weihen die Forderung nach dem Zölibat noch nicht geknüpft. Erst der Empfang der höheren Weihen, vom Subdiakon an, galt seit dem 2. Laterankonzil (1139) als trennendes Ehehindernis. Wer aber auf eine Pfründe aus war, der vermied es automatisch, in den Stand der Ehe zu treten. Man wird daher in den angedeuteten finanziellen und rechtlichen Problemlagen wichtige Gründe für die ablehnende Haltung der Universität in der Frage der Geschlechterbeziehungen sehen dürfen. Die Statuten mittelalterlicher Universitäten, Universitätskollegien und Bursen schrieben für ihre Bewohner die Ehelosigkeit vor und versuchten den Kontakt zum anderen Geschlecht so weit wie möglich einzuschränken. Die Rostocker Universitätsstatuten verboten den Mitgliedern ihrer Alma Mater, Tanzveranstaltungen der Bürger zu besuchen, ohne zuvor dazu eingeladen worden zu sein,65 Bürger, Nachbarn, Einwohner oder Einwohnerinnen mit Worten oder Taten zu belästigen, sie zu beschimpfen, herabzuwürdigen oder zu verspotten,66 zur Nachtzeit Übles zu treiben, etwa Frauen zu bedrängen 67 oder Bordelle zu besuchen.68 Durch diese Aufzählung sind bereits die meisten Möglichkeiten für Scholaren benannt, mit Frauen in Kontakt zu treten. Weitere Gelegenheiten boten sich im Hinblick auf das weibliche Personal, das in den Bursen und Kollegien als Köchin oder Aufwartefrau tätig war. Obwohl es vonseiten der Universität prinzipiell unerwünscht war, gab es auch im mittelalterlichen Rostock verheiratete Universitätsmitglieder 69 und ebenso massive Probleme, die aus den Beziehungen zu Frauen resultierten. Von letzteren berichtet auf zum 95

Wolfgang Eric Wagner

Teil abenteuerlich anmutende Weise Heinrich Bensedow, Priester der Diözese Lübeck, in seiner Supplik, die er wohl Ende April, Anfang Mai 1499 an den Papst richtete. Darin erklärt er, dass er wähend seiner Studienzeit, als er sich im dreizehnten Lebensjahr befand und bereits den niederen Weihegrad eines Akoluthen erreicht hatte, „durch eine gewisse verdorbene Frau verleitet und verführt worden“ sei, so dass er danach getrachtet habe, diese Frau „durch eine unzüchtige Handlung fleischlich zu erkennen“. Obwohl er sie, gehindert durch sein jugendliches Alter, „nicht wirklich erkannt habe“, sei er im Nachhinein „durch Gewalt und Furcht, die auch den Standhaften zu Fall bringen können“, gezwungen worden, diese Frau zu ehelichen. Auf Drängen ihres leiblichen Bruders nämlich habe er gemäß dem erforderlichen Brauch dieser Region zwar die laut Kirchenrecht entscheidenden verba de presenti gesprochen, aber entgegen dem durch den örtlichen Bischof erlassenen Verbot sei dies heimlich und ohne Feierlichkeit geschehen. Hierzu habe man ihn in der Nachtzeit außerhalb der genannten Diözese gebracht und dort festgehalten. Verwandte und Freunde der Frau hätten ihn in Gewahrsam genommen und gefangengehalten, damit er nicht von ihr floh. So gezwungen und misshandelt, habe er einige Zeit mit ihr zusammengewohnt und „ohne eheliches Einverständnis versucht, sie zu erkennen“. Doch habe er sie, wie schon erwähnt, „nicht tatsächlich erkannt“. Weil er die fleischliche Vereinigung nicht zustande brachte, sei die Frau von ihm „unerkannt und gänzlich unbesudelt“ geblieben. Schließlich sei es ihm aber noch im 13. Lebensjahr bei der ersten Gelegenheit gelungen, „mit vertauschter Tracht“, also in weltlicher Kleidung, aus der Haft und von der Frau zu entweichen und sich zu seinem Elternhaus zu begeben. Nun bitte er um eine Erklärung, „dass er mit der besagten Frau nicht durch das eheliche Band verknüpft“ sei, sondern „in seinen Weihen und in höheren Diensten dienen und Benefizien erhalten“ könne.70 Seinen Darlegungen zufolge hatte Hinrich Bensedow keine gültige Ehe mit der Frau geschlossen. Das entscheidende Argument hierfür bildete seine Angabe, dass er unter Zwang und Furcht (vi et metu) geheiratet habe. Damit nahm er Bezug auf eine Dekretale aus dem Liber Extra Papst Gregors IX. (1227 – 1241), nach der Ehen aus freiem Willen geschlossen werden mussten (X 4.1.29).71 Da die Pönitentiarie nur die formale Zulässigkeit der Supplik prüfte, nicht aber die Richtigkeit der darin enthaltenen Aussagen, genügte ihr Hinrichs Angabe, um ein formales Verfahren in Gang zu setzen. Sein Fall wurde zugelassen und hätte dann im Prinzip an das örtliche bischöfliche Gericht zurückverwiesen werden müssen. Weil Hinrich aber zuvor erklärt hatte, dass er nicht sicher nach Lübeck gelangen könne, wurden der Propst und der Dekan der Bremer Kirche mit der Überprüfung des Sachverhalts beauftragt. Erst wenn sie die Partei der Frau angehört und Zeugen zur Sache vernommen hatten und deren Aussagen mit Hinrichs übereinstimmten, mussten sie der Entscheidung der Pönitentiarie folgen und die Ehe, wie von ihm beantragt, für ungültig erklären.72 Hinrich Bensedow hatte schwer gesündigt: Er hatte sich des vorehelichen Geschlechtsverkehrs, der „fornicatio“, schuldig gemacht; zumindest hatte er nach eigener Aussage 96

„ut moris est studentium“

den Versuch dazu unternommen. Zwar hatte er zum Tatzeitpunkt erst den niederen Weihegrad eines Akoluthen inne, so dass er streng genommen noch nicht zum Zölibat verpflichtet war, doch empfahl er sich mit seiner Handlungsweise aus moralischer Sicht nicht gerade für höhere kirchliche Aufgaben. Darüber hinaus hatte er sich als Kleriker ein Eheversprechen abnötigen lassen. Nach eigener Angabe war Hinrich zum Tatzeitpunkt erst 13 Jahre alt. Ehemündigkeit setzte nach damaliger Rechtsauffassung bei Knaben erst mit 14 Jahren ein, konnte jedoch im Einzelfall ebenso darunter oder darüber liegen, wobei Volljährigkeit nach dem Spruch „Heirat macht mündig“ auch vorzeitig eintreten konnte. Die Kirche stellte hingegen auf das tatsächliche Eintreten der Geschlechtsreife ab.73 Dies wird der Hauptgrund dafür gewesen sein, dass Hinrich seine jugendliche Impotenz mehrfach betonte. Bei Hinrich Bensedow dürfte es sich um Heinrich Basedow aus Lübeck handeln, der sich im September 1484 in Rostock immatrikuliert hatte, 1499 Kanononiker in Dorpat und am 12. Februar 1501 Bischof von Kurland († 1523) wurde.74 1499, als er seine Supplik an der Kurie einreichte, stand er gerade am Beginn seiner kirchlichen Karriere. Den Prozess vor der Pönitentiarie wird er angestrengt haben, damit kein Schatten auf seine künftige Laufbahn fallen konnte.75 Wohl auch deshalb wollte er Lübeck unbedingt als Gerichtsort vermeiden, denn üble Nachrede mochte seiner Laufbahn nicht gerade zuträglich sein.

Kollektive und individuelle Gewalt gegen städtisches und universitäres Wachpersonal Die ritualisierten Verhaltensweisen der jugendlichen Studenten wie Nachtschwärmen, verbunden mit Lärmen, Jauchzen und Musizieren, in Gassen und Häusern über die festgelegten Sperrzeiten hinaus störten die Bedürfnisse der Bewohner von frühneuzeitlichen Universitätsstädten, so dass man sie als provokante Widersetzlichkeiten und Verstöße gegen die obrigkeitlichen Anordnungen, mit anderen Worten: als deviantes Verhalten, begriff. Regelmäßig führten sie zu Auseinandersetzungen mit Wachleuten, die für die Sicherheit der Stadt zur Nachtzeit verantwortlich waren.76 Zwei Bittgesuche der spätmittelalterlichen Rostocker Scholaren an die Pönitentiarie zeichnen ein ähnliches Bild und weisen zudem untereinander einige auffällige Gemeinsamkeiten auf. Um 1470 berichtet der Kleriker Johannes Bremer aus der Diözese Verden, dass er einst von einigen Scholaren in ein Rostocker Haus eingeladen worden sei, um einen Imbiss zu nehmen. Als er eintrat, hätten die Scholaren Streit und Zank mit Worten untereinander gehabt, so dass einige Wachleute der Universität gewaltsam in das Haus eindringen wollten. Um sich zu verteidigen, hätten sich die Scholaren ihnen entgegenstellt. Später habe er das Haus verlassen in der Annahme, dass der Zorn der Wachen verflogen sei. Da seien die Wachen „rachedurstig und ungestüm“ über ihn hergefallen und hätten wiederum versucht, in das Haus einzudringen und ihn und seine Gefährten 97

Wolfgang Eric Wagner

Abb. 5: Archäologische Fundstücke aus dem Paedagogium: Diverses Trink- und Schenkgeschirr.

zu überwältigen. „Von Angst getrieben“, habe er einen Stock aus den Händen eines der Eindringlinge gegriffen und auf sie eingeschlagen, um sich zu verteidigen. Später habe allerdings einer der Wachleute, der zuvor schon von einem Scholaren mit dem Schwert verwundet worden sei, sein Leben beendet. Er selbst sei an dessen Tod nicht anders schuld, als zuvor geschildert, und darüber zudem „überaus betrübt“. Nun begehre er Kleriker zu werden und alle Weihegrade zu erhalten. Von „einigen einfältigen Leuten“ werde allerdings behauptet, dass er aufgrund dieses Totschlags „Schuld auf sich geladen habe, den Makel der Rechtswidrigkeit trage und folglich nicht zu diesen Graden promoviert werden“ könne. Um diesen Reden entgegenzuwirken, bitte er um eine Ehren- oder Unschuldserklärung.77 Nur wenige Jahre später, um 1476, erklärt der Kleriker Detlev Luders aus der Diözese Bremen, dass er früher an der Rostocker Universität studiert habe und sich nach einer gewissen Zeit mit drei seiner Mitstudenten aus der Stadt und der Universität zurückzuziehen beabsichtigte. Ihre Abschiedsfeier, Valete oder Memoria genannt, wollten sie am Abend in einem bestimmten Haus zum Trost mit Frohsinn hinter sich bringen, so „wie es 98

„ut moris est studentium“

bei den Studenten Sitte sei“ (Abb. 5). Und als sie so in diesem Haus ausgelassen feierten, hätten einige Laien, Wächter der Stadt Rostock, die Flügel der Eingangstür gewaltsam geöffnet und versucht, in das Haus einzudringen und Detlev mit seinen Gefährten ohne deren Schuld gefangen zu nehmen. Doch mit vereinten Kräften hätten sie vermocht, die Eindringlinge aus dem Haus zu vertreiben, und nach einer kurzen Pause gemeinsam das Haus verlassen, um jeder für sich zu ihren Wohnungen zu gehen. Dabei hätten sie allerdings „die Hinterlist der Eindringlinge“ völlig außer Acht gelassen. Als sie nämlich durch die Straßen gingen, hätten die Eindringlinge, die sich an einer bestimmten Stelle des Wegs verborgen hatten, den Detlev und seine Gefährten entdeckt und seien „in feindseliger Absicht mit Waffen und Hieben“ über sie hergefallen. Weil sie fürchteten, „dass man ihnen nach dem Leben trachtete und sie dem Tod oder der Gefangennahme anders nicht entgehen könnten“, hätten sie „die Gewalt mit Gegengewalt beantwortet“ und sich so verteidigt, dass einige von den Anderen schwer verwundet worden seien und einer von den Angreifern derart geschlagen wurde, dass er sein Leben beendete.78 Beide Schilderungen nennen als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen mit den Wachleuten eine Feierlichkeit, bei der es hoch her ging. Man speiste und trank zusammen, und dabei wurde es recht laut. Die dadurch angelockten oder von Anwohnern herbeigerufenen Wachmänner versuchten, sich Zugang zu verschaffen, um dem ruhestörenden Lärm ein Ende zu bereiten. Dabei kam es in beiden Fällen zu einer ersten Rangelei, bei der die Scholaren jeweils die Oberhand behielten. Die auf Rache sinnenden Wachen warteten draußen und lauerten den Scholaren auf, bis diese nach Hause gingen. Schließlich kam es zu einer erneuten, noch heftiger geführten körperlichen Auseinandersetzung. Die frappierenden Übereinstimmungen zwischen den beiden Berichten lassen mindestens zwei Deutungen zu. Entweder sind die Ähnlichkeiten auf ein gemeinsames Argumentationsmuster zurückzuführen, das unter den Delinquenten weitergegeben wurde, weil es sich gegenüber der kirchlichen Gerichtsbarkeit erfolgreich bewährt hatte. Das erscheint aufgrund der zeitlichen Nähe der beiden Fälle und einer möglichen Bekanntschaft der beiden Täter, die überdies aus benachbarten Regionen stammten, durchaus denkbar. Oder es handelt sich auch hierbei um ein wiederkehrendes Handlungsmuster, das unter bekannten Parteiungen, die stets eine Rechnung miteinander offen hatten, ausgeführt wurde, aber verschieden ausgehen konnte. Für Letzteres scheint der Fall zu sprechen, den der Kleriker Lorenz Prory aus der Diözese Schwerin berichtet: Er habe sich am Festtag der Kinder (28. Dezember) des gegenwärtigen Jahres 1523 in der Stadt Rostock aufgehalten und sei dort von Einigen in das Collegium scolarium iuris oder iuristarum nahe dem Alten Markt dieser Stadt eingeladen worden (Abb. 6). Als er endlich zur Nachtzeit, nachdem das Mahl abgeschlossen war, das Haus durch die Tür verlassen wollte, da seien drei oder vier Bewaffnete, die der Erklärende aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen konnte, „von bösem Geist geführt“, mit gezückten Schwertern und Stöcken bewehrt, überraschend über ihn hergefallen und hätten ihm zahlreiche Verletzungen beigebracht. Da er sich „am Ende seines Leben wähnte“, 99

Wolfgang Eric Wagner

Abb. 6: Das Collegium scolarium iuris nahe dem Alten Markt, Ausschnitt aus der Vicke-­Schorler-­Rolle.

100

„ut moris est studentium“

habe er einem der Bewaffneten einen hölzernen Stock aus den Händen gewunden und, „um Gewalt mit Gewalt zu beantworten und sich zu verteidigen“, weil er der Lebensgefahr anders nicht entkommen konnte, einen der Angreifer, der, wie ihm erst später zur Kenntnis gelangte, Kilian Wickelantis gerufen wurde, mit einem Hieb auf den Kopf geschlagen und verletzt. Durch diesen Hieb oder seine schlechte Versorgung oder durch eine andere Erkrankung sei dieser Laie nach 12 bis 14 Tagen verstorben.79

Zusammenfassung Die Beispiele aus den Registern der römischen Pönitentiarie verdeutlichen, dass aus der Frühen Neuzeit bekannte deviante Verhaltensformen von Scholaren wie Nachtschwärmen, Lärmen, Zechen, Waffentragen, Zücken, Raufen sowie Ehrkonflikte mit konkurrierenden Gruppen auch schon im Spätmittelalter zum Repertoire der Rostocker Scholaren gehörten. Das konnte aufgrund normativer Quellenaussagen, wie sie Urkunden und Statuten enthalten, zwar bereits vermutet werden, war aber mangels Belegen für die Rechtswirklichkeit bislang nicht nachweisbar. Zugleich vermitteln die geschilderten Fälle anschaulich, welches Gefahrenpotential die Integration der Gemeinschaft von jugendlichen Universitätsbesuchern für den inneren Frieden der städtischen Gemeinde darstellte. Bei aller berechtigten Empörung über ihr Verhalten sollte man einerseits bedenken, was die Stadt und das Territorium durch die Aufnahme der universitas an gelehrtem Personal und an Einnahmen gewann. Andererseits könnte es hilfreich sein, die vorgeführten Verhaltensweisen als Elemente einer Jugendkultur zu begreifen, deren Angehörige ihren Platz in der ständischen Gesellschaft erst noch suchten. Geht man davon aus, dass ihr abweichendes Verhalten von den Jugendlichen untereinander subjektiv als sinnvoll erlernt und durch jugendspezifische Legimitationsmuster wie Respekt und Anerkennung begründet und verstärkt wurde, so ließen sich aus diesem Verständnis heraus noch heute Ansatzpunkte für einen sachgerechten und präventiven Umgang mit jugendlicher Gewaltkriminalität ableiten.

101

Wolfgang Eric Wagner

Anmerkungen

1 2

3 4 5 6

7

8 9

102

Vgl. Rexroth 1998, bes. 26 f. Wiechmann-­Kadow 1860, 446 – 447: „Quoniam sanctissimus in Christo pater et dominus dominus Martinus papa quintus nostris supplicationibus benigne inclinatus in nostro opido Rozstokcensi loco ad hoc utique plurimum et notorie habili et competenti instituit ordinavit creavit et perpetuis privilegiis dotavit studium generale diversarum facultatum, in quo siquidem studio doctores magistri et scholares erunt in predictis diversis facultatibus incipientes actus scholasticos et lecciones statim post festum beati Martini episcopi proxime futuri [Hervorhebung W. E. W.] accedentes et recedentes igitur iam dictum cum bonis et rebus suis studium una cum nostris proconsulibus et consulibus dicti nostri opidi Rozstokcensis atque alteris nostris officialibus sub tuta nostra proteccione habebimus fovebimus ac quantum in nobis ac nostris est secure defendemus, firmam fiduciam cum dictis nostris proconsulibus et consulibus eisdem promittentes, quod privilegia immuniates et libertates omnes et singulas quibus auctoritate apostolica et imperiali uti et gaudere in privilegiatis studiis sunt soliti omnibus et singulis illuc accedere volentibus inviolabiliter observabimus et inconcusse. Supplicantes omnibus et singulis ad quorum noticiam presentes nostre litere pervenerint quatinus predicti nostri studii membra ad gloriam omnipotentis dei et sacrosancte ecclesie exaltacionem benigno ac gracioso prosequantur affectu consiliis promotivis et auxiliis defensivis, premium a deo effectuali execucione locis ac temporibus se offerentibus opportunis.“ Zwei originale Ausfertigungen der Urkunde sind bislang bekannt: 1. Schwerin, Landeshauptarchiv, 1.6 – 1, Nr. 4 (daraus der hier wiedergegebene Text); 2. Archiv der Hansestadt Rostock, U 1q. Die einzige, unkommentierte Edition bietet bislang Wiechmann-­Kadow 1860. Zur Überlieferung und zum Inhalt vgl. Schnitzler 1974, 7 – 10; Schmidt 1995, 12; Pluns 2007, 43 f. So schon Krabbe 1854, 47. Zur Namenswahl Martins V. s. Hergemöller 1980, 147 f. Vgl. Seibt 1973; Bünz 2009ab; Bünz/Lang 2009. Vgl. Dittrich/Spirk [1847], XV, u. die November-­Tafel des Kalendariums im Dekanatsbuch der Prager Artistenfakultät: Liber Decanorum 1830, unmittelbar nach der Einleitung. Vgl. Rexroth 1998, 26. Hofmeister 1889, 1: „In nomine domini amen. Anno domini millesimo quadringentesimo decimonono duodecima die mensis nouembris incepta est universitas Rozstokcensis et electus est in rectorem universitatis eiusdem Petrus Stenbeke magister in artibus et sacre theoloye baccalarius formatus per dominos reverendos videlicet per venerandum in Christo patrem dominum dominum Hinricum episcopum Zwerinensis dominum Hermanum abbatem de Dobran magistrum Johannem Meynesti archidiaconum Rozstokcensem dominum Nicolaum Turchowen plebanum ecclesiae beatae Mariae in Rozstok et dominum Hinricum Catzowen proconsulem. Coram quibus praestitit iuramentum.“ Zu Albert Krantz s. Andermann 1999; Postel 2004. S. auch die in der folgenden Anm. genannte Literatur. Krantz 1520, XI 3: „In profesto diui Martini principes Iohannes & Albertus, literas papales solenni pompa inuexerunt in urbem, magistros collocauerunt, sacrum mysterium in ecclesia peregit Iohannes Zwerinensis episcopus. Quo peracto, ipse cancellarius factus, lectis literis apostolicis, solenniter exequutus easdem, instituit scholam publicam cum priuilegiis & doti-

„ut moris est studentium“

10 11

12 13 14 15

16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

28 29 30 31 32 33 34 35

bus. Mansiones idoneæ personis pręsidentibus eriguntur: publica lectionum & disputationum palladia construuntur, & omnium pro dignitate sua sumunt principia, constitutis stipendiis pro cuiusque ordine, quæ ab eius loci concilio soluerentur.“ Zu Abfassungszeit, Arbeitstechnik und Historischer Methode der historiographischen Werke von Albert Krantz s. Reincke 1933; Bollbuck 2006; Bollbuck 2013. Vgl. Schnitzler 1974, 34. Rexroth 1998, 23. Rexroth vermutet, dass man in Rostock sogar das für Prag charakteristische Ensemble des 10. bis 12. November (Ludmilla – Martin – Fünf Märtyrerbrüder) nachgebildet habe (ebd., 32 Anm. 58). Ebenso verweist er auf zeitliche Nähe bei der feierlichen Einholung der Gründungsbulle in Leipzig, die am 12. November 1409 vorgenommen wurde (ebd., 23). Rexroth 1998, 21. Rexroth 1998, 25. Rexroth 1998, 21. Vgl. Rexroth 1998, 99 – 105 u. 123 – 127 mit Bezug auf die Universitätsstädte Paris, Oxford, Orléans, Coimbra, Siena, Lucca, Perugia, Prag und Wien, sowie Schmidt 1995, 13: „Es ist insoweit bezeichnend, daß nicht etwa die wirtschaftlich weit potentere Hansestadt Lübeck sich eine Universität zugelegt hat, sondern Lübecks wohlhabende und auf innerstädtische Ruhe bedachte Führungsschicht eine Universität allenfalls aus der Ferne zu unterstützen bereit war.“ Vgl. Schindler 1992, 215 – 257; Krug-­Richter 2004a, 80 f.; Krug-­Richter 2004b, 26 – 52. Krug-­Richter 2004a, 103; Krug-­Richter 2004b, 51. Rexroth 1998, 28. Vgl. die Zusammenstellung von Hofmeister 1906, 21 – 23. Vgl. Brüdermann 1990; Brüdermann 1997; Siebenhüner 1999; Krug-­Richter 2004ab; Krug-­ Richter/Braun 2006; Füssel 2004; Füssel 2005abc; Zaunstöck 2006; Zaunstöck 2007. Füssel 2004. Universitätsarchiv Rostock, 1.02.0 – Rektorat 1419 – 1900, R C V 17: Disziplinarangelegenheiten gegen Studenten. Vgl. Hofmeister 1906, 21 – 23. Vgl. hierzu Schmugge 2003, 266 f.; Schmugge 2011; Esch 2012, 52 – 59, bes. 54; Wagner 2018. Schmugge/Hersperger/Wiggenhauser 1996b, X. Zur Pönitentiarie s. Göller 1907 – 1911; Schmugge/Hersperger/Wiggenhauser 1996, 1 – 21. Schmugge 1996a, Nr. 1798; Schmugge 1999, Nr. 835; Schmugge 2002, Nr. 1964, 2075, 2079, 2173; Schmugge 2005, Nr.  3232, 3590, 3591; Schmugge 2012, Nr.  3404; Schmugge 2014, Nr. 1824; Schmugge 2016, Nr. 570, 1073; Schmugge 2018, Nr. 615. Schmugge 1996a, Nr. 1798; Schmugge 2002, Nr. 2079. Schmugge 2005, Nr. 3590. Schmugge 2002, Nr. 2075. Schmugge 2002, Nr. 2075. Schmugge 2002, Nr. 1964. Schmugge 2016, Nr. 1073. Schmugge 1999, Nr. 835. Schmugge 2002, Nr. 2075.

103

Wolfgang Eric Wagner

36 Vgl. hierzu und zum Folgenden Schindler 1992; Siebenhüner 1999, 77 – 79; Krug-­Richter/ Braun 2006, 42 u. 47 f.; Braun/Liermann 2007, 144 – 149. Zu spätmittelalterlichen Wiener Studenten vgl. Weigl 2008. 37 So noch König 1996. 38 So Krug-­Richter/Braun 2006, 35 u. 47 f. 39 Vgl. Weigl 2008 und das Folgende. 40 Schmugge 1996a, Nr. 1798; Schmugge 2005, Nr. 3590 (s. die folgende Anm.). 41 Schmugge 1996a, Nr. 1798: „cum certis scolaribus licite et honeste ambularet“; ebd., Nr. 2079: „cum aliis studentibus per publicam plateam causa solatii transivit“; Schugge 2005, Nr. 3590: „quadam nocte cum quibusdam scolaribus dicte universitatis causa solatii per plateas dicti opidi perambulasset“. 42 Schmugge 2002, Nr. 2075: „occurente tempore“; ebd, Nr. 2079; Schmugge 2005, Nr. 3590; Schmugge 2016, Nr. 1073: „nocte“; Schmugge 2005, Nr. 3591: „de sero“; Schmugge 2014, Nr. 1824: „circa solis occasum“; Schmugge 2016, Nr. 570: „nocturno tempore“; ebd., Nr. 1449: „noctis tempore“; Schmugge 2018, Nr. 615: „nocturno tempore post cenam“. 43 Universitätsarchiv Rostock, R I A 1, 1r-33v. – Druck: Westphalen 1745, 1031: X, 5: „Item post signum campanæ vigilum, quæ dicitur Wæchterklockh, nullus scholarium absque necessicate et rationali causa vadat per plateas, et si causam rationabilem habuerit, vadat cum aperto lumine et per loca licita et honesta, sub pœna tertiæ partis floreni fisco Universitatis persolvendi.“ Zu Vorlagen und Datierung der Statuten vgl. noch immer grundlegend Schnitzler 1979. 44 Schmugge 1996a, Nr. 1798: „Fredericus Swensson cler. Sleswic. dioc. exponit, quod, cum aliquando ipse in studio privilegiato oppidi Rostocken. Zwerin. dioc. cum certis scolaribus licite et honeste ambularet, quidam laicus ad ipsos accessit et unum de dictis scolaribus cum uno lapide graviter in facie vulneravit. Qui scolaris sic vulneratus quoddam instrumentum ferreum, quod dictus exponens circa se habebat, violenter ab eo abstulit seu recepit et dictum laicum cum eodem instrumento in capite vulneravit, de quo vulnere idem laicus, sicut deo placuit, suum diem clausit extremum. Cum autem dictus exponens de morte dicti laici culpabilis non fuit, nonnulli tamen simplices asserere possent eundem exponentem ex premissis reatum homicidii commisisse, igitur ad obstruendum ora talium supplicat: de decl. ipsum nullum homicidii reatum nullamque irregularitatis sive inhabilitatis maculam sive notitiam contraxisse. Fiat ut infra, Ph. s. Laurentii in Lucina. Videat eam dominus Anconitanus, Ph. Committatur et, si vocatis vocandis premissa constiterint esse vera et quod non prestiterit consilium, auxilium vel favorem, sed recusaverit quantum potuit, ne acciperet, declaretur ut petitur. Rom 2. iun. 61 SP_9 255rs.“ Immatrikulation als „Fredericus Swentzen de Sleswik“ am 18. August 1457 in Rostock. Vgl. Hofmeister 1889, 114(a); Matrikelportal Rostock http:// purl.uni-­rostock.de/matrikel/100003666 (Zugriff 25.03. 2017). 45 Schmugge 2002, Nr. 2079: „Fridericus Swensi cler. Sleswic. [exponit], quod cum ipse esset scol. seu studens in quadam universitate et quadam nocte cum aliis studentibus per publ. plateam causa solatii transivit, quidam ex comitiva eorum vehementis lapidis ictu per quendam alium in platee angulo stantem in faciem iactatus et dire vulneratus fuit; ipse sic vulneratus cum suum offensorem sive vulneratorem celeriter currere cerneret, ipsum celeriter secutus est, quem et apprehendit ac percussit et ad terram prostravit exp. et aliis soc. retro manentibus; et sic prostratum paulisper dimisit et exp. ac alios studentes ad locum ubi dictus prostratus iacebat duxit; et iterato furiens ac seviens quandam securim, quam ipse exp. causa defen104

„ut moris est studentium“

sionis tantum et non offensionis secum deferebat, violenter de manibus dicti exp. accepit et dictum sic prostratum et lesum taliter in capite percussit et vulneravit, quod ex huiusmodi percussionibus et vulneribus diem suum clausit extremum; cum autem exp. in morte dicti interfecti in nullo machinatus fuerit nec ad id auxilium vel consilium prestiterit, immo rogavit interficientem ne eundem interficeret, dictus vero exp. cupit ad omnes ord. promoveri, dubitat tamen, ne ab aliquibus simplicibus et iur. ignaris asseratur ipsum propter premissa homicidii reatum incurrisse et irreg. maculam sive inhabilitatis notam contraxisse et propterea ad dictos ord. promoveri non posse, ad ora igitur talium obstruenda: supplicatur de decl. ipsum premissorum occasione nullum homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. maculam sive inhabilitatis notam contraxisse, sed ad dictos ord. licite promoveri posse ut in forma (f. u. i. Jo. s. Bernardi; videat eam dom. A. de Grassis, Jo.; comm. ordin., et si vocatis vocandis sibi constiterit quod exp. consilio, auxilio, favore, adhortatione vel aliter quam ut premittitur in morte prefati defuncti non consenserit sed quantum in eo fuit prohibuerit ut prefertur et de aliis expositis, declaret ut petitur) Rome apud s. Marcum 22. iul. 68 PA 16 162 r.“ 46 Schmugge 2005, Nr. 3590: „Simon Bamens acol. Sleswic. dioc.; [exponitur pro parte], quod cum ipse olim in universitate op. Rostockien. studeret et quadam nocte cum quibusdam scolaribus dicte universitatis causa solatii per plateas dicti op. perambulasset, quidam laici eidem exp. et dictis scol. obviam dederunt et non propter eorum culpam eis varia iniuriosa verba intulerunt, quos tunc dicti scol. similiter verbis ut ab eisdem iniuriis cessarent admonuerunt; nichilominus prefati laici hiis non contenti magis et furiose graviora et scandalosa verba eisdem irrogarunt, quod audiens unus dictorum scol. unum ex dictis laicis lapide taliter percussit, quod huc atque illuc pedibus strepitando se ad terram declinavit et quidam Otto scol. et socius ipsius exp., ipsum laic. sic lapide percussum gladio non tamen evaginato similiter percussit, non tamen ipsum lesit; quodque eum quidam Wolderus etiam laic. socius dicti laici percussi vidisset, gladium extraxit et dictum Ottonem acriter invasit ac ipsum percutere ac interficere conatus fuit; sed dictus Otto vim vi repellendo et se defendendo dictum Wolderum taliter percussit et vulneravit, quod ex huiusmodi percussione et vulnere diem suum clausit extremum; et licet cum dictus Wolderus eundem Ottonem sic ut premittitur invaserat et ipse Otto se defenderat, prefatus exp. timens, ne dictus Wolderus vel eius socii ipsum etiam invaderent, suum gladium ad terrorem eorum laicorum pro defensione sua etiam extraxit, sed neminem cum eodem percussit vel lesit; cum autem exp. de morte dicti laici culpabilis non fuerit, immo de ipsius morte valde doluerit prout dolet de pres., cupiatque ad alios ord. promoveri, ab aliquibus tamen simplicibus etc., ad ora igitur talium etc.: petit decl. ipsum premissorum occasione nullum homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. maculam seu inhabil. notam contraxisse, sed ad omnes ord. promoveri posse ut in forma (f. u. i. A. Lunen.; videat eam A. de Grassis, A.; comm. ordin. et si vocatis vocandis sibi constiterit, quod exp. vim vi repellendo et se defendendo gladium evaginavit ut preficitur et quod consilio, auxilio, favore adhortatione aut aliter quam ut premittitur in morte dicti Wolderi culpabilis non fuerit et de aliis expositis, declaret ut petitur) Rome apud s._Petrum 15. mart. 76 PA 24 161 r.“ Immatrikulation als „Symon Bennens de Hammis“ (Hamm in Westf.) am 12. Oktober 1469. Vgl. Hofmeister 1889, 162(b); Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/ matrikel/100010880 (Zugriff 25. 03. 2017). Vgl. hierzu auch unten, bei Anm. 56. 47 Keipke 2018, 231. Heute erinnern vor allem noch die Namen der St.-Georg-­Apotheke, St.Georg-­Grundschule und St.-Georg-­Straße an den ehemaligen Standort des Hospitals. 105

Wolfgang Eric Wagner

48 Schmugge 2014, Nr. 1824: „Cristianus Monnechow, Laurentius Parsow et Johannes Runghen, nob. cler. Camin. dioc. exponunt, quod cum alias ipsi quadam die circa solis occasum de op. Rostocen. Zwerin. dioc, ubi litt. studium viget gener. et in quo oratores litt. operam dantes residebant, ad quandam eccl. hospitalis pauperum s. Gregorii e. m. Rostocen. recreationis causa unacum nob. viro Wolfgango comite de Nengarden etiam inibi residenti ivissent et devenendo ad op. Rostocen. 16 famulis certorum rusticorum ut exp. credebant ebriis obviassent, ipse comes et oratores dictos famulos amicabiliter salutassent, dicti rusticorum famuli, qui armis muniti veniebant, more fatuorum et ebriorum rusticorum maledictionem pro benedictione eis redderent, in eosdem exp. cum armis irruerunt; oratores mortis periculum aliter evitare non valentes vim vi repellendo et seipsos defendendo aliquos ex dictis famulis vulnerarunt et mutilarunt et forsan duos occiderunt; et licet oratores in mortem eorum minime aspiraverunt, sed de hiis ab intimis doluerunt prout dolent de pres. premissaque pro eorum necessaria et licita defensione fecerunt et propterea minime homicide aut irreg. essent censendi, ab aliquibus [tamen simplicibus asseritur ipsos homicidium commisisse], ad ora igitur [talium obstruenda]: supplicatur, quod si vocatis vocandis canonice constiterit de assertis exp. minime homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. sive inhabil. maculam sive notam contraxisse, sed eos ad omnes ord. promoveri et benef. retinere posse declarari mandare dignemini [in margine legitur decl. iuris, supra Villareal proc, taxa 6 et 3] (f. i. f. M. regens; et comm. ep. Zwerin. vel eius offic. in spir. gener., fiat M.) Rome 16. apr. 1512 APA 57 249rs.“ Immatrikulation von Christian Münchow als „Christianus Monnichouw de Kosselijn“ (Köslin) am 3. Juni 1501. Vgl. Hofmeister 1891, 8a; Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100004964 (Zugriff 25. 03. 2017); Promotion zum Bakkalar von „Carstianus Monnechow“ im Winter-­ Rektorat 1504/05. Vgl. Hofmeister 1891, 21a; Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/ matrikel/400060203 (Zugriff 25. 3. 2017); Immatrikulation von Lorenz Parsow als „Laurentius Parsow [Parsow] de villa Parsow Caminensis dioc.“ (Passow) im April 1510. Vgl. Hofmeister 1891, 42a; Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100009573 (Zugriff 25. 3. 2017); Immatrikulation von Johannes Runne als „Iohannes vamme Runne de Osten“ am 24. April 1497. Vgl. Hofmeister 1891, 284a; Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock. de/matrikel/100033069 (Zugriff 25. 3. 2017); Immatrikulation von Wolfgang von Eberstein-­ Naugard als „Wulffgangus dei gratia comes de Euerstheen et terre Negardie dominus“ am 16. April 1508. Vgl. Hofmeister 1891, 34a; Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/ matrikel/100009132 (Zugriff 25. 3. 2017). Zu Letzterem s. auch unten, Anm. 55. 49 Vgl. hierzu und zum Folgenden Siebenhüner 1999, 77 – 79; Krug-­Richter/Braun 2006, 37 f.; Braun/Liermann 2007, 144 – 149. 50 Die Lage des Hauses (Grundregister Nr. 1034) des Heinrich Nienhusen hinter dem Chor der Marienkirche ergibt sich aus Archiv der Hansestadt Rostock, 1.1.3.1.43 Hausbuch, Bd. 3, fol. 41v (zu 1439), fol. 43v (zu 1441) und fol. 67v (zu 1453). Ich danke Herrn Prof. Dr. Ernst Münch (Rostock) herzlich für diese freundlich gewährte Auskunft. Vgl. hierzu künftig Ernst Münch (Hg.), Rekonstruktion des Rostocker Grundregisters (Kataster) auf der Grundlage der Hausbücher (14. – 16. Jahrhundert) (in Vorb.). 51 Schmugge 2002, Nr. 2075: „Henricus Nienhusen presb. Razeburg. dioc. [exponit], quod cum ipse quodam occurrente temp. causa cimiterium gloriosissime b. Marie Virginis op. Rostokken. accessisset et post aliquantulum morulam domum suam accedere vellet, quidam scol. se in itinere adiunxit et domum suam una cum eo intravit; et tunc dictus exp. sepedictum scol. ut 106

„ut moris est studentium“

52 53 54 55 56 57 58

59

ad domum suam iret amicabiliter instanter rogavit; qui quidem scol. ebrius et potu superatus verba admonitoria dicti exp. minime advertens neque curans in dictum exp. nescitur quo spiritu ductus irruit et eum in terram proiecit et quendam cultellum extraxit; alteram vero manuum gutturi exp. in supino iacens acriter tenuit; videns se sic suppressum et modum de dicti scol. manibus evadendi nesciens penitus et ignorans parvum cultellum, quem sibi ad panem scindendum adaptaverat, vaginando cum eo vibravit non animo ipsum ledendo vel offendendo, sed vim vi repellendo casu infortuitu dictum scol. in pectore vulneravit, de quo vulnere vitam finivit, de qua morte doluit nec aliter quam ut premittitur in ipsius morte culpabilis fuerit; ab aliquibus vero simplicibus asseritur ipsum premissorum occasione homicidii reatum incurrisse et irreg. maculam contraxisse nec in suis ord. ministrare posse, ad ora igitur talium obstruenda: supplicatur de decl. ipsum premissorum occasione nullum homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. maculam sive inhabilitatis notam contraxisse, sed in suis ord. libere ministrari posse ut in forma (f. u. i. Jo. s. Bernardi; videat eam dom. A. de Grassis, Jo.; comm. ordin., et si vocatis vocandis sibi constiterit quod exp. vim vi repellendo et se defendendo aliter fugere seu mortem evitare non valens percusserit ut prefertur et de aliis expositis, declaret ut petitur) Rome apud s. Marcum 6. iun. 68 PA 16 155 v.“ In Anbetracht der Besitzdaten für sein Haus (s. die vorige Anm.) handelt sich bei Heinrich Nienhusen wahrscheinlich um den am 20. September 1421 immatrikulierten „Hinricus Nyenhusen Rozstokcensis“, der, wenn nicht nur der Prozess, sondern auch die Tat 1468 erfolgte, bereits über 60 Jahre alt gewesen sein dürfte. Vgl. Hofmeister 1889, 10(b); Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100014555 (Zugriff 25. 3. 2017). Vgl. hierzu und zum Folgenden Siebenhüner 1999, 48 – 63; Krug-­Richter 2004b, 36 f.; Braun/ Liermann 2007, 43 – 63. Vgl. etwa Kohfeldt 1919; Münch 2002. Schmugge 2014, Nr. 1824: vgl. den Text in Anm. 48. Vgl. Friedländer 1893, 158 u. 163; Hofmeister 1891, 34(a) u. 38; Schwennicke 1998, Tafel 84. Schmugge 2005, Nr. 3590: Text s. o. Anm. 46. Schwerhoff 2006, 66. Schmugge 2016, Nr. 570: „Gotschalcus Erici, cler. Sleswic. dioc., exponit, quod ipse alias cum quibusdam sociis nocturno tempore quandam conventum studentium Rostoci Domum Regentium nuncupatum adiret et in via duobus nautis ebriis obviasset, quidam ex sociis eius quedam verba altercatoria cum ipsis nautis habuit et quendam lapidem adversus ipsos emisit, sed ipsi naute quadam magna clava in exponentem irruerunt; exponens ense extracto vim vi repellendo et se defendendo manum sinistram eiusdem naute amputavit; cum autem cum eo amicabiliter concordaverit cupiatque ad omnes ordines promoveri: supplicat de absol. ab excom. sent. et mutilationis reatu ad cautelam et de disp. super irregularitate [supra Contreras proc, taxa 22; in margine a mutilatione] (f. d. s. e. M. regens; comm. ep. Roschilden. vel eius vic. seu offic. generali, fiat M.) Rome 21. iun. 1515 APA 59 283rs.“ Gottschalk Erichsen ist zwar in der Rostocker Matrikel nicht zu identifizieren, aufgrund seines Magistertitels, den er später trug, ist aber anzunehmen, dass er sein Studium bereits in Rostock begonnen hat. Vgl. Anm. 60. Westphalen 1745, 1026 – 1027: „IX, 13: Item nullus graduatorum seu studentium sine dispensatione præsumat portare cultellum trusilem hic in civitate sub pœna amissionis ejusdem et quatuor solidorum fisco universitatis applicandorum totiens quotiens contraierit huic statuto.“ 107

Wolfgang Eric Wagner

60 Vgl. zu ihm Heise 1900; Bagge 1982. 61 Vgl. Siebenhüner 1999, 51 – 63; Krug-­Richter 2004b, 41; Braun/Liermann 2007, 46 – 63. 62 Dass „Halfpapen“ bereits in den mittelalterlichen Hansestädten als abwertende Bezeichnung für Studenten verwendet wurde, belegt der Lübecker Totentanz von 1489. Vgl. Baethcke 1876, 57; Schulte 1990, 80. 63 Vgl. Brüdermann 1990, 380 – 420, Siebenhüner 1999, 79 – 81 u. 104 – 120; Braun/Liermann 2007, 159 – 182; Wagner 2010. 64 Schmugge, 2008, 91. Zum Umgang mit Zwangsheiraten durch die Pönitentiarie und dem kirchenrechtlichen Hintergrund s. ebd., 91 – 101. 65 Westphalen 1745, 1031: „X, 6: Item nullus studentium ad choreas vadat civium, nisi ad illas specialiter absque præordinatione omni dolo cessante fuerit invitatus, quod suo docebit juramento, alias solvat totiens quotiens dimidium florenum fisco Universitatis applicandum.“ 66 Westphalen 1745, 1031: „X, 10: Item nullum membrum universitatis molestet aliquem, sive consocium, civem, vicinum aut sibi commorantem quemcunque oppidanum vel oppidanam Rostockensem facto vel verbo obloquendo, detrahendo, approbando vel aliquo modo injuriando sub pœna medii floreni aut majori secundum decretum rectoris oppositum facienti infligenda.“ 67 Westphalen 1745, 1031: „XVIII , 1: Si contingat aliquem de suppositis nostræ universitatis tempore nocturno malignari mulieres rapiendo aut furtum committendo, ostia frangendo vel quod omnibus his majus reputamus, vigiles verbo vel facto injuriose tractando, si in facto apprehendi poterit, ducatur ad domum rectoris, qui suo fungatur officio, de ejus custodia diligenter providebit juxta exigentiam juris cum ipso procedendo.“ 68 Westphalen 1745, 1043 – 1044: „XVIII, 2: Item si contingat aliquem post campanam vigilum in plateis sine causa ambulare aut in domibus meretricum deprehendi, etiamsi neminem offenderet, ducatur ad domum rectoris, qui suo fungatur officio circa ipsum.“ 69 So ließ sich der 1485 verstorbene Magister der Freien Künste, Johannes Wetmer, auf seiner Grabplatte im Rostocker Zisterzienserinnenkloster Heilig-­Kreuz als „verheirateter Kleriker“ verewigen und sowohl seinen als auch den Namen seiner 1480(?) verstorbenen Gemahlin Taleke (niederdeutsche Kurzform von Adelheid) vermerken. Vgl. Wagner et al. 2007, 98 – 101: „An(n)o d(omi)ni m cccc lxxx v in die vincula petri o(biit) Johan(n)es Wetmer m(a)g(iste)r in artib(us) et cle(r)icus co(n)iugatus / An(n)o d(omi)ni m cccc lxxx […………] taleke uxor eius or(ate).“ 70 Schmugge 2012, Nr. 3404: „Henricus Bensedow presb. Lubic. dioc. exponit, quod cum ipse alias in remotis partibus ageret et litt. studio insisteret et in 13. et. anno in acol. ord. constitutus et per quendam mul. corruptam allectus et inductus eandem mul. actu fornicario carn. cognoscere nixus est, licet iuventute seu etate prohibente illam vere non cognoverit, ac postmodum per vim et metum, qui cadere poterant in constantem, compulsus cum illa matrim. per verba de pres. contra interdictum per loci ordin. positum ad instantiam fratris carn. ipsius exp. clam et sine sollempnitate iuxta iuris dispositionem et partium illarum morem requisitus et nocturno tempore extra dictam dioc. deductus ac detentus absque aliquo consensu contraxit ac eidem mul. per consanguineos et amicos eiusdem, qui exp. in custodiam habebant et reclusum, ne ab eadem mul. aufugeret, per aliquod tempus compulsus et coactus eidem cohabitavit eamque citra aliquem matrim. consensum carn. cognoscere attemptavit, licet eandem vere non cognovit ut prefertur; mul. per exp. incognita et in nullo penitus polluta remansit nec 108

„ut moris est studentium“

71 72 73 74 75 76 77

una caro effici potuit; deinde vero exp. adhuc in 13. et. anno constitutus quamprimum potuit sub habitu transmutato et veste laicali a custodia et mul. prefata aufugit et ad paternam domum se contulit; cum autem explorati iuris sit, quod si furiosus cum corrupta aut duobus uxoribus contrahit cessante furore non impeditur, quo minus in ord. ministrare valeat, primo si errore ductus credens contrahere cum non sibi consanguinea cum consanguinea contrahet quamvis vidua bigamus non indicetur cum consensus non affuerit, et nil sit tam contrarium consensui quam error ipsaque animi divisio in plures et intentio cum opere subsecuto faciunt bigamum, et cum in matrimonialibus animus coactus aut voluntas coacta voluntas non sit neque consensus dici possit, et liber consensus in matrimonialibus requiratur alias matrim. irritum sit ipso iure nec matrim. esse noscitur, exp. vi et metu sic contractum matrim. nullo umquam tempore ratificaverit seu ad id consensum prebuerit cupiatque in suis ord. et in alt. ministerio ministrare et benef. recipere, a nonnullis tamen simplicibus asseritur ipsum prefate mul. vinculo matrim. astrictum fore et bigamie notam contraxisse, ad ora igitur talium obstruenda: supplicat de decl. ipsum dicte mul. vinculo matrim. astrictum non esse, sed in suis ord. et in alt. ministerio ministrare et benef. recipere posse (f. u. i. Jul. Brictonorien.; et comm. prep. et dec. eccl. Bremen., cum exp. ad Lubic. dioc. tutus non pateat accessus, fiat Jul.; videat eam D. de Jacobatiis, Jul.; comm. eisdem, ut vocatis vocandis constito de assertis declaret ut petitur) Rome 9. mai. 1499 PA 47 470vs.“ Vgl. Friedberg 1897, 672: „Libera matrimonia esse debeant.“ Vgl. Anm. 70. Vgl. Brauneder 1980; Ogris 1984; Olechowski 2016. Vgl. Eubel 1914, 141; Hertwich 2004. Vgl. hierzu Wolfgang Eric Wagner, Wer waren die schlimmsten Rabauken an der spätmittelalterlichen Rostocker Universität? (in Vorb.). Vgl. Siebenhüner 1999, 88 – 97; Krug-­Richter 2004b, 33 – 37; Braun/Liermann 2007, 44 f. Schmugge 2002, Nr. 2173: „Johannes Bremer cler. Verden. [exponit], quod cum olim in quadam domo op. Rostocken. Zwerin. dioc., ad quam a nonnullis scol. invitatus ad faciendum collationem accesserat, scol. prefati inter se contentiones et rixas verbales habuissent nonnullique homines vigiles universitatis dicti op. domum illam vi intrare vellent, scolares et exp. prefatis vigilibus se defendendo opposuerunt; postea vero exp. existimans horum vigilum furiam cessasse domum prefatam exivit, vigiles autem prefati de premissis non contenti in exp. impetuose irruerunt domum huiusmodi intrare et exp. et soc. offendere satagantes; quapropter exp. timore ductus baculum quendam de manibus unius ex hiis invasoribus arripuit et quos ex eis potuit se continue defendendo percussit; postea vero ex vigilibus unus ab aliis ipsius exp. soc. prius cum gladio vulneratus diem suum clausit extremum; cum autem exp. de morte eius aliter quam ut premittitur culpabilis non fuerit et de ea valde doluerit prout dolet de pres. cupiat cler. caractere uti et ad omnes ord. promoveri ac in eis postmodum licite ministrare posse, a nonnullis tamen simplicibus asseritur ipsum propter premissa homicidii reatum incurrisse et irreg. maculam contraxisse et ad dictos ord. promoveri non posse, ad ora igitur talium obstruenda: petit igitur dictus exp., quatenus ipsum premissorum occasione nullum homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. maculam sive inhabilitatis notam contraxisse sed premissis n. o. dicto cler. caractere uti et ad dictos ord. libere promoveri posse declari mandare dignemini ut in forma (f. u. i. Jo. Saonen.; videat eam dom. A. de Grassis, Jo.; comm. ordin., et si vocatis vocandis sibi constiterit quod exp. vim vi repellendo percussit ut 109

Wolfgang Eric Wagner

prefertur et de aliis expositis, declaret ut petitur) Rome apuigiles d s. Petrum 29. nov. 70 PA 18 130 v.“ Entweder handelt es sich bei ihm um „Iohannes Bremer“, der sich am 8. Oktober 1463 immatrikulierte; vgl. Hofmeister 1889, 98(b); Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­ rostock.de/matrikel/100001748 (Zugriff 25. 3. 2017); oder – wahrscheinlicher – um „Iohannes Bremer de Vordis“ (Bremerförde), der sich am 19. April 1467 immatrikulierte; vgl. Hofmeister 1889, 150(b); Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/400051017 (Zugriff 25. 3. 2017). 78 Schmugge 2005, Nr. 3591: „Detlevus Luders cler. Bremen. dioc.; [exponitur pro parte], quod ipse olim in studio universitatis op. Rostocken. Zwerin. dioc. studeret et quodam tempore ipse et quidam tres socii constudentes sui ab op. et universitate recedens ac in quadam domo de sero eorum valete sive memoriam ut moris est studentium [Hervorhebung W. E. W.] causa solatii cum letitia relinquere voluisset ipsis sic in eadem domo existentibus letantibus et gaudentibus, quidam laici custodes dicti op. fores sive ianuas dicte domus violenter aperuerunt et ipsum exp. ac eius socios absque eorum culpa capi et invadere nitebantur; sed exp. et eius socii viribus assumptis ipsos invasores a dicta domo repulerunt, et aliquantulum pausatis volentes unusquisque ire ad suam habitationem, domum unanimiter exierunt penitus ignorantes insidias dictorum invasorum; et cum per plateas irent, dictos invasores latentes in certo loco itineris eorum invenerunt ipsos exp. et eius socios exspectantes et in eos hostiliter irruentes armis et percutientes; quare dictus exp. et eius socii timentes eis mortem imminere et aliter evadere mortem seu dictam captivationem non posse, vim vi repulerunt et se defenderunt ita, quod aliqui ex eis graviter vulnerati fuerunt et unus dictorum invasorum laic. taliter percussus fuit, quod diem suum clausit extremum; cum autem exp. aliter quam ut premittitur de morte dicti laici culpabilis non fuerit, immo de ipsius morte valde doluerit prout dolet de pres., cupiatque ad omnes ord. promoveri, ab aliquibus tamen simplicibus etc., ad ora igitur talium etc.: petit decl. ipsum premissorum occasione nullum homicidii reatum incurrisse nullamque irreg. maculam seu inhabil. notam contraxisse, sed ad omnes ord. promoveri posse (f. u. i. A. Lunen.; et comm. ep. Zwerin., in cuius dioc. premissa facta fuerint; videat eam A. de Grassis, A.; comm. ordin. et si vocatis vocandis sibi constiterit, quod exp. vim vi repellendo et se defendendo aliter fugere seu mortem evadere non valens percussit ut prefertur una cum aliis et de aliis expositis, declaret ut petitur) Rome apud s._Petrum 6. apr. 76 PA 24 161v.“ Immatrikulation als „Detleuus Inders [Judeis?] de Hamborch“ am 24. Juni 1466. Vgl. Hofmeister 1889, 148(a); Matrikelportal Rostock http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100008536 (Zugriff 25. 3. 2017). 79 Schmugge 2018, Nr. 615: „Laurentius Prory cler. Zwerin. dioc. exponit, quod cum alias ipse videlicet die s. Innocentium presentis anni 1523 in oppido Rostocken existeret et ibidem a nonnullis ad quandam domum, collegium scolarium iuris sive iuristarum nuncupatum, prope antiquum forum universitatis studii eiusdem oppidi vocatus fuisset et tandem nocturno tempore post cenam peractam interius ostium dicte domus quadam alia clausura tabularum lignearum cum anteriori porta eiusdem domus circumdatum exivisset, tres vel quatuor armigeri, quos orator propter obscuritatem videre non poterat, spiritu maligno ducti gladiis evaginatis et fustibus muniti per primam portam ingressi in oratorem inopinate irruerunt et ipsum pluribus vulneribus affecerunt; unde orator se in discrimine vite constitutum percipiens quandam fustem ligneam a manibus unius ex armigeris abstulit et vim vi repellendo et se defendendo alias mortis periculum evadere non valens unum ex aggressoribus Kilianum 110

„ut moris est studentium“

Wickelantis nuncupatum, sicut postmodum ad sui notitiam devenit, unico ictu in capite percussit et vulneravit, ex quaquidem percussione seu suo malo regimine aut alia infirmitate idem laic. post 12 seu 14 dies ab hac luce migravit: supplicatur de decl., si vocatis vocandis constiterit de assertis, oratorem nullum homicidii reatum incurrisse nullamque inhabilitatis vel infamie maculam sive notam contraxisse, sed ad omnes ordines promoveri, in altaris ministerio ministrare et benef. recipere et retinere posse [supra Viacampis procurator, taxa 13; in margine decl. iuris homicidii] (f. i. f. M. ep. Bai. regens; committatur archidiac. Warmien. in eccl. Zwerin. in oppido Rostocken. ad presens residenti et decano eccl. Butzouwen. Zwerin. dioc. ac offic. Zwerin. et eorum cuilibet, qui assistant in forma, fiat M.) Rome apud s. Petrum 16. mai. 1523 APA 70 489rs.“ Lorenz Prory ist in der Rostocker Matrikel nicht zu identifizieren.

111

Wolfgang Eric Wagner

Quellen- und Literaturverzeichnis

Andermann, Ulrich/Krantz, Albert (1999), Wissenschaft und Historiographie um 1500, Weimar. Baethcke, Hermann (Hg.) (1876), Des Dodes Danz. Nach den Lübecker Drucken von 1489 und 1496, Tübingen. Bagge, Povl (1982), Art. „Gotskalk Eriksen Rosenkrantz“, in: Dansk Biografisk Leksikon, 3. Aufl., Bd. 12, København 1982. Bollbuck, Harald (2006), Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz (um 1448 – 1517) und David Chytraeus (1530 – 1600). Transformationen des historischen Diskurses im 16. Jahrhundert (Imaginatio borealis. Bilder des Nordens, Bd. 8), Frankfurt am Main [et al.] Bollbuck, Harald (2013), „Die Erfahrung der Peripherie. Antikenreferenz und empirisches Wissen in der norddeutschen Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts“, in: Johannes Helmrath/ Albert Schirmeister/Stefan Schlelein (Hgg.), Historiographie des Humanismus. Literarische Verfahren, soziale Praxis, geschichtliche Räume, Berlin, 275 – 299. Braun, Tina/Liermann, Elke (2007), Feinde, Freunde, Zechkumpane. Freiburger Studentenkultur in der Frühen Neuzeit (Münsteraner Schriften zur Volkskunde/Europäischen Ethnologie 12), Münster. Brauneder, Wilhelm (1980), Art. „Alter, 2. Volljährigkeit (Vogtbarkeit, Mundbarkeit)“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Zürich/München, Sp. 471. Brüdermann, Stefan (1990), Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert (Göttinger Universitätsschriften, Serie A, Bd. 15), Göttingen. Brüdermann, Stefan (1997), Der Göttinger Studentenauszug 1790. Handwerkerehre und akademische Freiheit (Lichtenberg-­Studien, Bd. VII), Göttingen. Bünz, Enno (2009a), „Gründung und Entfaltung. Die spätmittelalterliche Universität Leipzig 1409 – 1539“, in: Enno Bünz/Manfred Rudesdorf/Detlef Döring, Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009, Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409 – 1830/31, Leipzig, 17 – 325. Bünz, Enno (2009b), „Die Gründung der Universität Leipzig 1409“, in: Detlef Döring/Cecilie Hollberg (Hgg.), Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. Essays, Dresden, 24 – 35. Bünz, Enno/Lang, Thomas (2009), „Die Männer der ersten Stunde. Leipziger Magister und Studenten 1409“, in: Rektor der Universität Leipzig (Hg.), Jubiläen 2009. Personen – Ereignisse. Leipzig, 77 – 86. Dittrich, Anton/Spirk, Anton (Hgg.) (o. J.), Statuta Universitatis Pragensis (Monumenta Historica Universitatis Pragensis, Bd. 3) Prag. [1847] Esch, Arnold (2012), Wahre Geschichten aus dem Mittelalter. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst, München. Friedberg, Aemilius (Hg.) (1897), Corpus Iuris Canonici, Bd. 2, Graz. Friedländer, Ernst (Hg.) (1893), Ältere Universitätsmatrikeln II. Universität Greifswald, Bd. 1, Leipzig. Füssel, Marian (2004), „Devianz als Norm? Studentische Gewalt und akademische Freiheit in Köln im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Westfälische Forschungen 54, 145 – 166. Füssel, Marian (2005a), „Gewalt im Zeichen der Feder. Soziale Leitbilder in akademischen Initiationsriten der Frühen Neuzeit“, in: Claudia Ulbrich/Claudia Jarzebowski/Michaela Hohkamp (Hgg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD (Historische Forschungen 81), Berlin, 101 – 116. 112

„ut moris est studentium“

Füssel, Marian (2005b), „Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposition und des Pennalismus in der frühen Neuzeit“, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32,4, 605 – 648. Füssel, Marian (2005c), „Studentenkultur als Ort hegemonialer Männlichkeit? Überlegungen zum Wandel akademischer Habitusformen vom Ancien Regime zur Moderne“, in: Martin Dinges (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute (Geschichte und Geschlechter 49), Frankfurt am Main, 85 – 100. Göller, Emil (1907 – 1911) (Nachdruck: Turin 1980), Die Päpstliche Pönitentiarie. Von ihrem Ursprung bis zu ihrer Umgestaltung unter Pius V., 2 Bde. in 4 Teilen (Bibliothek des Kgl. Preussischen Instituts in Rom, 3, 4, 7, 8), Rom. Heise, A., Art. „Rosenkrantz, Gotskalk Eriksen“, in: Carl Frederik Bricka (Hg.), Dansk biografisk Lexikon, Bd. 14: Resen – Saxtrup, København 1900, 214 – 216. Hergemöller, Bernd-­Ulrich (1980), Die Geschichte der Papstnamen, Münster. Hertwich, Erwin (2004), „Das Kurländische Domkapitel bis 1561. Untersuchungen über die persönliche Zusammensetzung des Kapitels hinsichtlich der Herkunft und Laufbahn seiner Bischöfe und Domherren“, in: Radosław Biskup/Mario Glauert (Hgg.), Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preussen und Livland (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde des Ermlands. Beiheft 17), Münster, 147 – 267. Hofmeister, Adolph (Hg.) (1889), Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. 1, Rostock. Hofmeister, Adolph (Hg.) (1891), Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. 2, Rostock. Hofmeister, Adolph (1906), „Rostocker Studentenleben vom 15. bis ins 19. Jahrhundert“, in: Archiv für Kulturgeschichte 4, 1 – 50, 171 – 196, 310 – 348. Keipke, Bodo (2018), Art. „Hospital St. Georg“, in: Reno Stutz (Hg.), Rostock-­Lexikon. Alles über die Hanse- und Universitätsstadt, Rostock, 231. König, Gudrun (1996), Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780 – 1850, Wien/Köln/Weimar. Kohfeldt, Gustav (1919), Rostocker Professoren und Studenten im 18. Jahrhundert. Schilderungen nach den Akten und nach zeitgenössischen Berichten. Zur 500-Jahrfeier der Universität Rostock, Rostock. Krabbe, Otto (1854), Die Universität Rostock im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Theil 1, Rostock. Krantz, Albert (1520), Saxonia, Köln. Krug-­Richter, Barbara (2004a), „‚Du Bacchant, quid est Grammatica?‘ Konflikte zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg/Br. in der Frühen Neuzeit“, in: Ruth-­Elisabeth Mohrmann (Hg.), Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster, 79 – 104. Krug-­Richter, Barbara (2004b), „Von Messern, Mänteln und Männlichkeit. Aspekte studentischer Konfliktkultur im frühneuzeitlichen Freiburg im Breisgau“, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 1, 26 – 52. Krug-­Richter, Barbara, unter Mitarbeit von Tina Braun (2006), „‚Gassatum gehn“‘. Der Spaziergang in der studentischen Kultur der Frühen Neuzeit“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 35 – 50. Liber Decanorum Facultatis Philosophicae Universitatis Pragensis ab anno Christi 1367 usque ad annum 1585, Pars 1 (Monumenta Historica Universitatis Pragensis, Bd. 1,1), Prag 1830. Münch, Ernst (2002), „Eine studentische Parodie auf den 2. Psalm aus dem Jahre 1610. Zu den Streitigkeiten zwischen Studenten und Rostocker Bürgern in der Frühen Neuzeit“, in: 113

Wolfgang Eric Wagner

Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 25, 221 – 251. (erneut in: Martin Buchsteiner/Stefan Creuzberger/Antje Strahl/Reno Stutz/Hillard von Thiessen (2017) (Hgg.), Adel – Bürger – Bauern. Lebenswelten in Mecklenburg seit dem Mittelalter, Berlin, 167 – 186.) Mulsow, Ralf (2005), „Das Pädagogium Porta Coeli“, in: Hauke Jöns/Friedrich Lüth/Heiko Schäfer (Hgg.), Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-­ Vorpommern (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-­Vorpommerns 39), Schwerin, 427 – 432. Ogris, Werner (1984), Art. „Mündigkeit“, in: Adelbert Erler/Ekkehard Kaufmann (Hgg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Berlin, 738 – 742. Olechowski, Thomas (2016), Art. „Mündigkeit“, in: Albrecht Cordes et al. (Hgg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 2. Aufl., Bd. 3, Berlin, 1678 – 1680. Pluns, Marko A. (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten. (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. Neue Folge; Bd. LVIII), Köln/Weimar/Wien. Postel, Rainer (2004), Art. „Krantz, Albert“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 4, Rostock, 132 – 138. Reincke, Heinrich (1933), „Albert Krantz als Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber“, in: Festschrift der Hamburgischen Universität ihrem Ehrenrektor Herrn Bürgermeister Werner von Melle zum 80. Geburtstag am 18. Oktober 1933 dargebracht, Hamburg, 111 – 147. Rexroth, Frank (1998), „Wie sozialisiert man eine Hochschule? Die Eröffnungsfeiern der mittelalterlichen deutschen Universitäten und die Gründung der Erfurter Universität (28. April 1392)“, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1), 19 – 33. Schindler, Norbert (1992), „Nächtliche Ruhestörung. Zur Sozialgeschichte der Nacht in der frühen Neuzeit“, in: Norbert Schindler (Hg.), Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main, 215 – 257. Schmidt, Tilmann (1995), „Die Gründung der Universität Rostock im Spiegel der Urkunden“, in: Peter Jakubowski/Ernst Münch (Hgg.), Universität und Stadt. Wissenschaftliche Tagung anläßlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, Rostock, 9 – 16. Schmitz-­Kallenberg, Ludwig (Hg.) (1914), Konrad Eubel, Hierarchia catholica medii aevi bzw. medii et recentoris aevi, Bd. 2, Münster. Schmugge, Ludwig (Hg.) (1996), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 4: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Pius‘ II. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1458 – 1464), Tübingen. Schmugge, Ludwig/Hersperger, Patrick/Wiggenhauser, Beatrice (1996), Die Supplikenregister der päpstlichen Kurie aus der Zeit Pius II. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 84), Tübingen. Schmugge, Ludwig (Hg.) (1999), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 2: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Nikolaus‘ V. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1447 – 1455), Tübingen. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2002), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 5: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Pauls II. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1464 – 1471), Tübingen.

114

„ut moris est studentium“

Schmugge, Ludwig (2003), Über die Pönitentiarie zur Universität, in: Christian Hesse et al. (Hgg.), Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges zum 60. Geburtstag, Basel, 255 – 268. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2005), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 6: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Sixtus‘ IV. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1471 – 1484), Tübingen. Schmugge, Ludwig (2008), Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst, Berlin. Schmugge, Ludwig (2011), „Gelehrte und Studenten in Vatikanischen Registern des 15. Jahrhunderts“, in: Suse Andresen/Rainer Christoph Schwinges (Hgg.), Über Mobilität von Studenten und Gelehrten zwischen dem Reich und Italien (1400 – 1600) (RAG. Forschungen 1), Zürich, 69 – 80. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2012), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 8: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Alexanders VI. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1492 – 1503), Berlin/Boston. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2014), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 9: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Poenitentiarie Pius’ III. und Julius’ II. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1503 – 1513), Berlin/New York. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2016), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 10,1: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Leos X. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1513 – 1521), Berlin/New York. Schmugge, Ludwig (Hg.) (2018), Repertorium Poenitentiariae Germanicum, Bd. 11: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie Hadrians VI. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (1522 – 1523), Berlin/New York. Schnitzler, Elisabeth (1974): Die Gründung der Universität Rostock 1419 (Mitteldeutsche Forschung, Bd. 73), Köln/Wien. Schnitzler, Elisabeth (1979), „Die ältesten Generalstatuten der Universität Rostock“, in: Elisabeth Schnitzler (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, Bd. 20), Leipzig, 35 – 120. Schulte, Brigitte (1990), Die deutschsprachigen spätmittelalterlichen Totentänze. Unter besonderer Berücksichtigung der Inkunabel „Des dodes dantz“, Lübeck 1489, Köln/Wien. Schwennicke, Detlev (Bearb.) (1998), Europäische Stammtafeln, N. F. Bd.  XVII, Frankfurt am Main. Schwerhoff, Gerd (2006), „Gewaltkriminalität im Wandel (14. – 18. Jahrhundert). Ergebnisse und Perspektiven der Forschung“, in: Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte = Société suisse d’histoire économique et sociale 21, 55 – 72. Seibt, Ferdinand (1973), „Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa“, in: Helmut Beumann (Hg.), Festschrift für Walter Schlesinger, Bd. 1 (Mitteldeutsche Forschungen 74,1), Köln/Wien, 406 – 426. Siebenhüner, Kim (1999), „Zechen, Zücken, Lärmen“. Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561 – 1577 (Alltag & Provinz 9), Freiburg. Wagner, Wolfgang Eric et al. (2007), Die Grabplatten des Klosters „Zum Heiligen Kreuz“ in Rostock, Rostock.

115

Wolfgang Eric Wagner

Wagner, Wolfgang Eric (2010), Verheiratete Magister und Scholaren an der spätmittelalterlichen Universität, in: Frank Rexroth (Hg.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen, Bd. 73), Ostfildern, 71 – 100. Wagner, Wolfgang Eric (2018), „Problematische Nachbarschaft. Konflikte zwischen Studenten und Stadtbewohnern im spätmittelalterlichen Rostock“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B [N. F.], Bd. 6.), Lübeck, 135 – 156. Weigl, Herwig (2008), „Ambulans per plateam. Die Register der päpstlichen Pönitentiarie als Quellen zur Stadtgeschichte“, in: Pro Civitate Austriae N. F. 13, 101 – 124. Westphalen, Ernst Joachim von (Hg.) (1745), „Statuta prima Academiæ Rostochiensis Anno 1419. inchoatæ. Ex authentico codice membranaceo descripta“, in: Ernst Joachim von Westphalen. (Hg.): Monumenta inedita rerum Germanicarum præcipue Cimbricarum et Megapolensium […], Bd. IV, Leipzig, Nr. LXXI, Sp. 1008 – 1047. Wiechmann-­Kadow, C[arl] M[ichael] (1860), Zur Geschichte der Universität Rostock, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 7, Sp. 445 – 447. Zaunstöck, Holger (2006), „Die Brautnacht; oder die Fensterkanonade. Der permanente Konflikt zwischen Stadtbürgern und Studenten im 18. Jahrhundert“, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 4, 61 – 76. Zaunstöck, Holger (2006), „Denunziation und universitätsstädtische Lebenswelt. Überlegungen am Beispiel der Universität Halle um 1700“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 71 – 82.

116

Ernst Münch

Klagen auf hohem Niveau Die Visitation der Universität Rostock im Jahre 1599

Eine positive Entwicklung oder einen Erfolg zu sichern, fällt regelmäßig ungleich schwerer als ihn zu erreichen. Unzählige historische und aktuelle Beispiele aus den unterschiedlichsten Bereichen können diese Einsicht belegen. Fast schon gesetzmäßig drohen mit dem Beginn einer Blütezeit Stillstand und Stagnation, gefolgt von mehr oder weniger raschem Niedergang. Ein Höhepunkt wird auf diese Weise nicht selten zu einem Wendepunkt.1 Genauso alt wie diese ernüchternde Erkenntnis ist wohl die nur zu verständliche Suche nach Mitteln und Wegen, einer solchen zunächst vielleicht nur schleichenden Gefahr zu entgehen. In konkreten gesellschaftlichen Situationen begegnet man der angesprochenen Gefahr, indem man einerseits eine Analyse der Rahmenbedingungen und deren Veränderungen vornimmt, indem man andererseits aus der Analyse die notwendigen Konsequenzen zieht. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert lautete das typisch frühneuzeitliche Schlagwort für den zuletzt angesprochenen Vorgang besonders im Bereich der Kirchen-, Bildungs- und Schulgeschichte „Visitation“.2 Gegenstand des folgenden Beitrags soll die erste Visitation sein, die 1599 nach der erfolgreichen Neugestaltung der Universität Rostock zur protestantischen Hohen Schule bzw. „Academia“ durchgeführt wurde. Weil die Universitätsgeschichte generell nicht von der jeweiligen Stadtgeschichte zu trennen ist, hatte man um 1600 im Sinne des oben Gesagten nicht nur für die Alma Mater Rostochiensis, sondern ebenfalls für die gesamte Stadt das Bedürfnis, die sich damals seit einigen Jahrzehnten für beide entwickelnde Blütezeit zu stabilisieren und möglichst fortzusetzen.3 Die hierfür diskutierten Mittel und Wege waren durchaus unterschiedlich und fanden nicht überall Zustimmung. In beiden Fällen griff man jedoch zum Mittel der „Visitation“, so etwa auch zur Sicherung der Qualität des neben der Universität zweiten damaligen „Exportschlagers“ Rostocks, des Biers. Die Geschichte der Universität und die Geschichte des Rostocker Bierexports weisen zumindest vom 16. bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts hinein unverkennbare und auf den ersten Blick überraschende zeitliche Parallelen auf. Schon um 1600, auf dem beginnenden Höhepunkt des Rostocker Biersegens, machte sich die städtische Obrigkeit Gedanken, wie der tatsächlich oder angeblich drohenden und wachsenden Konkurrenz aus Stralsund und Wismar erfolgreich zu begegnen wäre. Ein bei den betroffenen ca. 250 damaligen Brauherren Rostocks sehr ungeliebtes, im Rat jedoch vorgeschlagenes Mittel war eine obrigkeitliche Bierprobe, also eine „Visitation“ der Bierqualität, nach Hamburger und Lübecker Vorbild.4 Den Rostocker Brauherren gelang es damals jedoch, die Einführung einer solchen Bierprobe noch 117

Ernst Münch

über Jahrzehnte hinweg zu verhindern. Das verwundert wenig, waren doch fast sämtliche Bürgermeister und Ratsherren sowie 40 Mitglieder des Hundertmännerkollegiums selbst Brauherren und stellten etwa ein Viertel aller Brauherren in Rostock.5 Die Bestrebungen zur Verbesserung oder zumindest Qualitätssicherung des Rostocker Biers durch eine Visitation gingen von einsichtigen Personen aus, die sich um einen stabilen Bierexport nach Skandinavien sorgten. In vergleichbarer Weise gingen auch die Pläne für die Visitation der Universität von Akteuren aus, die die Sicherung der Qualität der Rostocker Universität und deren überregionale Ausstrahlung im Blick hatten. Doch ging es dabei neben der Sorge um die Qualität der Universität auch – wie generell bei den Visitationen – um die Demonstration und damit die Sicherung bzw. sogar Stärkung der obrigkeitlichen Position gegenüber der zu visitierenden Einrichtung. Für die Universität Rostock lag seit der Neuordnung in Gestalt der Formula concordiae des Jahres 1563 in dieser Hinsicht eine nicht unkomplizierte Gemengelage vor.6 Denn nicht eine, sondern zwei Obrigkeiten waren und fühlten sich für die Universität zuständig, die mecklenburgische Landesherrschaft ebenso wie die Stadt Rostock. Wie der Ablauf der Visitation 1599 dann auch rasch zeigen sollte, gab es zusätzlich zu dieser geteilten obrigkeitlichen Zuständigkeit von herzoglichem Patronat und städtischem Kompatronat noch weitere Interessenlagen, die nicht selten zu tendenziell konfliktreichen Frontstellungen führten.7 Zwar gab es wenigstens im hier interessierenden Zeitraum keine Teilung der Landesherrschaft zwischen zwei, oft einander nicht wohlgesonnenen Herzogsbrüdern.8 Doch musste die Rostocker Ratsherrschaft seit 1583/84 eine Art Mitherrschaft des Hundertmännerkollegiums akzeptieren, aus der als eine Art engerer Ausschuss das Gremium der Sechzehner hervorgegangen war.9 Überdies waren die Mitglieder der Universität als Hauptgegenstand der Visitation kein monolithischer Block mit gemeinsamen, auf die akademische Freiheit und einen möglichst hohen Grad an Selbstverwaltung und Autonomie gerichteten Interessen. Vielmehr existierte neben dem Rektor das Konzil, zusammengesetzt aus dem herzoglichen und dem rätlichen Teil der Professorenschaft, als inneruniversitäre Obrigkeit. Nicht zu vergessen sind natürlich auch die übrigen, durchaus eigene Ziele verfolgenden Mitglieder und Gruppen, insbesondere die Studierenden als die größte Gruppe. Diese komplexe Situation führte selbstverständlich zu durchaus unterschiedlichen Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Befürchtungen hinsichtlich der bevorstehenden Visitation. Ohne in eine unangebrachte Hofhistoriographie verfallen zu wollen, die gerade im 100. Jahr nach dem Ende der Monarchie besonders anachronistisch erschiene, darf konstatiert werden, dass die Visitation des Jahres 1599 nicht nur aus formalen Gründen eng mit dem Wirken von Herzog Ulrich III. von Mecklenburg verbunden war.10 Als „Erneuerer“ der Universität im 16. Jahrhundert wirkte er bereits mit seinem älteren Bruder Johann Albrecht I. an der Universitätsreform des Jahres 1563 mit.11 Nicht von ungefähr zieren die Statuen beider Fürsten daher den Nordgiebel unseres Universitätshauptgebäudes (Abb. 1a und 1b).12 Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass ein Konterfei von Herzog Ulrich 118

Klagen auf hohem Niveau

Abb. 1a und b: Darstellungen Herzog Johann Albrechts I. (links) und Herzog Ulrichs III. (rechts) an der Nordfassade des Universitätshauptgebäudes.

heute den ältesten Bestandteil der Porträtsammlung der Universität bildet (Abb. 2). Unverkennbar war der bereits über Siebzigjährige in der auch für ihn absehbaren Endphase seiner Herrschaft bemüht, in einer Zeit relativer innerer und äußerer Ruhe die Verhältnisse in Mecklenburg zu ordnen. Wenig Erfolg hatte er in dieser Hinsicht allerdings bezüglich der Landstände, insbesondere der immer stärker werdenden Ritterschaft. Ein von ihm initiiertes Land- und Lehnrecht gedieh nicht über einen Entwurf hinaus. Doch erschien in seinem Todesjahr 1603 die revidierte mecklenburgische Kirchenordnung.13 Hier ordnen sich auch seine anhaltenden Bemühungen um die Universität Rostock ein, die sich dann nicht zuletzt in seiner persönlichen Teilnahme an und Leitung der Visitation im März 1599 in Rostock ausdrückten. Die Visitation kam erst in einem dritten Anlauf zustande. Ein für September 1597 anberaumter Termin wurde ebenso abgesagt wie ein zweiter Termin im September 1598. Ersterer wegen der damals in Rostock grassierenden Pest, Letzterer wegen der dortigen „Kinder Pocken“. Schließlich wurde der 19. März 1599 ins Auge gefasst.14 Dass es der Herzog 119

Ernst Münch

Abb. 2: Herzog Ulrich III. von Mecklenburg (1527 – 1603).

ernst mit dieser Angelegenheit meinte, zeigt u. a., dass er gegenüber dem Rostocker Rat als Ziel der Visitation eine „Reformation“ 15 der Universität nannte und er sich immerhin eine ganze (Arbeits)woche Zeit für seinen diesbezüglichen Aufenthalt in der Stadt nahm, von Montag (19. März) bis Sonnabend (24. März) 1599. Der Empfang der hohen Gäste in Rostock erfolgte mit dem bei solchen Gelegenheiten üblichen Aufwand.16 Die Bürgerschaft begrüßte den Herzog und dessen Gemahlin in Rüstung, auf dem Wall wurde aus neun Geschützen Salut abgefeuert, die Herzogin erhielt acht Schüsseln Konfekt sowie ein Fässchen venezianischen Malvasierweins, ihr Gemahl eine Last Bier, eine Last Hafer, ein Ohm Wein, 100 Hechte und 100 Brassen.17 Da die mecklenburgischen Landesherren damals seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr über einen Hof, geschweige denn eine Burg oder ein Schloss in Rostock verfügten,18 nahm Herzog Ulrich samt Gemahlin sein Quartier in einem der traditionell als Fürstenherbergen dienenden prächtigen Giebelhäuser am Neuen Markt. Dieses gehörte dem späteren Rostocker Ratsherrn Steffen Gerdes 19, heute beherbergt es u. a. das Historische Institut unserer Universität. Von seinem damaligen prachtvollen 120

Klagen auf hohem Niveau

Äußeren hat uns Vicke Schorler auf seiner großen Rostock-­Darstellung ein eindrucksvolles Abbild hinterlassen (Abb. 3). Dort fanden am 22. und 23. März auch die Unterhandlungen statt, bevor dann am 24. März in der sogenannten Schoßkammer des Rostocker Rathauses, also nur wenige Meter entfernt, der Visitationsabschied verkündet wurde. Schon diese äußeren Rahmenbedingungen lassen erkennen, dass die Visitation offenkundig keine Angelegenheit allein zwischen Herzog und Universität darstellte. Im Widerspruch hierzu ist in einer der wenigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen über diese Visitation fälschlich behauptet worden,20 dass sie nur die herzoglichen Professoren betroffen habe und dass die Verhandlungen lediglich im Professorenkollegium geführt worden seien.21 Ganz im Gegenteil: Bereits ein Blick auf den Text des Visitationsabschiedes vom 24. März 159922 zeigt, dass er vom Herzog unter Hinzuziehung des städtischen Rats für die ganze Universität erlassen wurde. Denn neben den vier adligen Landräten Johann Cramon auf Woserin, Dietrich Bevernest auf Lüsewitz, Dietrich Maltzahn auf Ulrichshusen, Balthasar von Schöneich auf Schönfeld und dem herzoglichen Kanzler Dr. Jacobus Bording, als Repräsentanten des Herzogs und der Landstände, bezeugten den Abschied auch der Rostocker Syndikus und Bürgermeister Dr. Friedrich Hein und drei weitere Ratsherren oder „Ratsverwandte“, Andreas Maeß, Dr. Heinrich Stallmeister und Bernhardus Scharffenberg. Letzterem, dem langjährigen Protonotar und späteren Bürgermeister, verdanken wir mit seinem Protokoll die Hauptquelle für die Visitation des Jahres 1599.23 Wie wichtig der Visitationsabschied auch aus städtischer Sicht war, zeigt die Tatsache, dass die Stadt nicht nur ein, sondern zwei Originalausfertigungen erhielt und bis heute aufbewahrt: Ein Original auf Pergament wurde mit dem großen herzoglichen, dem so genannten Majestätssiegel Ulrichs III. und dem großen, bereits seit dem 13. Jahrhundert verwendeten Stadtsiegel mit dem Stierkopf versehen (Abb. 4).24 Das zweite Original des Rostocker Ratsarchivs wurde auf Papier ausgefertigt und jeweils mit den kleinen, daumengroßen und daher auch so genannten Sekretsiegeln des Herzogs und der Stadt, diesmal mit dem Greifen als Bild, ausgestattet.25 Überhaupt ist die Überlieferung für die Visitation von 1599 und ihre unmittelbaren Folgen im städtischen Archiv wesentlich besser als im Universitätsarchiv.26 So gab es das – relativ detaillierte – Protokoll über die Visitationsverhandlungen zunächst lediglich im Archiv des Rats. Ein Kuriosum stellt die Tatsache dar, dass sich Rektor und Konzil der Universität 1783 dieses Protokoll beim Rat – also gewissermaßen bei der Gegenpartei – für einige Wochen ausbaten, da das „academische“ Archiv sich nicht in ihren Händen befand.27 Grund war die damalige Spaltung der Universität in Rostock und Bützow.28 Dass der Abschied 1599 für die Gesamtuniversität galt, lässt sich unter anderem dadurch belegen, dass sich der Bestallungseid des Rostocker Stadtphysikus, in Personalunion zugleich rätlicher Medizinprofessor, noch längere Zeit ausdrücklich auf die Festlegungen des Visitationsabschieds von 1599 bezog.29 Die Bedeutung der Visitation zeigt sich auch darin, dass die Besoldungsregelung für die herzoglichen Professoren noch bis weit in das 18. Jahrhundert Bestand hatte – auf Dauer gesehen je länger, desto mehr zum Leidwesen der Betroffenen.30 121

Ernst Münch

Abb. 3: Fürstenherberge an der Südwestseite des Neuen Marktes, Ausschnitt aus der Vicke-­Schorler-­Rolle.

Übrigens wussten die Nichtuniversitätsmitglieder unter den Teilnehmern des Abschieds durchaus, wovon sie sprachen. Unter ihnen waren drei promovierte Juristen (Bording, Hein und Stallmeister), von denen zwei (Bording und Hein) ehemals Professoren in Rostock gewesen waren.31 Mehrere der beteiligten Landräte (Bevernest und Maltzahn) sowie die beiden nichtpromovierten Ratsherren (Maeß und Scharffenberg) hatten in Rostock studiert.32 Das Studium der Landräte ist übrigens ein Indiz für die damals wachsende Präsenz des Adels an den Universitäten.33 Die Visitation und ihr Abschied als Schlussdokument waren keine interne Angelegenheit zwischen Herzog und Universität, sondern wurden sozusagen auf der höchsten im Lande denkbaren Ebene verhandelt. Richtig an der oben kritisierten Auffassung ist allerdings, dass der Herzog am 21. März zunächst die fürstlichen Professoren separat visitiert hatte – wogegen der Rat sofort protestierte 34 – ; auch stimmt es, dass sich David Chytraeus 35 als damals angesehenster Rostocker Professor am Vorabend der Visitation ablehnend gegen eine Zuziehung des städtischen Rats zur Visitation ausgesprochen hatte, wodurch er die Landräte verärgert hatte.36 Diese Vorverhandlungen waren wiederum von den Rostocker Bürgern – ohne Kenntnis des Inhalts – mit Argwohn beobachtet worden.37 Hier deuteten sich bereits jene Interessengegensätze in der bzw. um die Universität an, die auch im Verlaufe der 122

Klagen auf hohem Niveau

Abb. 4: Visitationsabschied vom 24. März 1599.

Verhandlungen immer wieder eine Rolle spielten und auch durch die Visitation des Jahres 1599 keineswegs ein Ende fanden. Sie bestanden mindestens bis zur Umwandlung der Universität in eine ausschließlich landesherrliche Einrichtung im Jahre 1827 mehr oder weniger ausgeprägt weiter. Nach der Visitation war also wieder vor der Visitation, so dass spätestens 1621 über eine neue Visitation verhandelt wurde, ebenso im Jahre 1686.38 In beiden Fällen kam sie nicht zustande, was im Nachhinein dem Vorgang von 1599 zusätzliche Bedeutung verlieh. Das auf den 22. März datierte Dokument über die „Visitatio specialis professorum Principis a Duce Udalrico“ vom 21. März 1599 zeigte selbstverständlich nur die Sichtweise des Herzogs und allein regierenden Vormunds seiner beiden noch minderjährigen 123

Ernst Münch

Großneffen (Adolf Friedrich und Johann Albrecht).39 Als Zeuge trat daher hier neben den bereits oben genannten vier adligen Landräten und dem fürstlichen Kanzler nur noch der adlige Senior des Schweriner Domkapitels Joachim Bassewitz auf Levetzow, zugleich Dobbertiner Klosterhauptmann, in Erscheinung.40 Anknüpfungspunkt für den Herzog war die in seinen Augen „ansehnliche“ finanzielle Ausstattung „unserer“ Universität durch die Landesherrschaft vom 13. November 1557.41 Nutznießer sei die studierende Jugend nicht nur der eigenen Fürstentümer, sondern auch anderer „Königreiche und Lande“ gewesen. Nunmehr sei eine Visitation zur „Abschaffung aller defect und mangel“ erforderlich, die sich durch menschliche Schwäche und Nachlässigkeit in guten, nützlichen „Stiftungen leichtlich einzuschleichen pflegen“.42 Hierzu waren die Dekane der Fakultäten sowie etliche Studierende befragt worden. Das Ergebnis dieser „Spezialvisitation“ der fürstlichen Professoren wurde in neun Punkten festgehalten. Sie umfassten hauptsächlich Bestimmungen gegen „unfleißige“ Professoren, zielten aber auch auf eine strengere Ordnung und sahen die Erhöhung der Anzahl der Professoren, die Verbesserung ihrer Besoldung verbunden mit weiteren Vergünstigungen vor.43 Künftig sollte das Kollegium der fürstlichen Professoren aus 14 anstelle von bis dahin neun Mitgliedern bestehen, davon jeweils vier Theologen, Juristen und Artisten sowie zwei Mediziner. Die normale Besoldung (das „Stipendium“) der Professoren betrug jeweils 200 Gulden. Nur der erste und zweite Theologe, der erste Mediziner sowie die ersten beiden Juristen erhielten mehr in einer Spanne von 400 bis 200 Gulden 16 Schilling. Für den „Oeconomus Academiae“ waren 100 Gulden, für den „Notarius“ und den „Cursor“ jeweils 50 Gulden vorgesehen. In mehreren der Punkte wurde den Professoren bei angedrohter Strafe eingeschärft, ihre Vorlesungen und andere „exercitia“ fleißig zu halten. Zur Kontrolle darüber sollten die fürstlichen Professoren jährlich visitiert und auch die „auditores“ befragt werden. Kontrollinstanz in Vertretung des Herzogs sollte der erste Theologe sein.44 Nach dreimaliger Ermahnung unfleißiger Professoren drohte ihnen ihre Entlassung und Ersetzung. Auch die Einsetzung eines Vertreters wurde – außer bei Krankheit – untersagt. Eine gewisse herzogliche Selbstkritik schwingt in der Bestimmung mit, dass wenigstens zwei der Juraprofessoren, die durch Tätigkeit am Hofgericht oder andere Legationen für den Landesherrn tätig waren, ihrer Arbeit an der Universität regelmäßig nachkommen sollten.45 Alte Professoren, die 30 Jahre lang kontinuierlich gelesen hätten, sollten als Emeriti ihre jährlichen Stipendien erhalten und höchstens noch freiwillig Vorlesungen halten. Bei der Bestallung neuer Professoren sowie eines Ökonomen behielt sich der Herzog das letzte Wort nach dem Vorschlag durch die Professoren vor. Dass das fürstliche Professorenkollegium seit der Neuordnung des Jahres 1563 nur ein Teil der Gesamtuniversität war, scheint auch in dieser Spezialvisitation an zwei Stellen auf. So sollte das fürstliche Professorenkollegium seine Einheit wahren, selbst wenn es (wieder einmal) zwei regierende Landesfürsten geben sollte, da, wie es in Punkt vier hieß, schon „das ganze Corpus Unserer Vniversitet“ aus zwei unterschiedlichen Kollegien bestehe.46 Wenig schmeichelhaft für den Stellenwert des Fachs Geschichte war die A ­ bsicht, 124

Klagen auf hohem Niveau

dass nach dem Tode des damaligen Fachvertreters die Geschichtsvorlesung durch den Juristen, der die Institutionen lehrte, mitübernommen werden sollte, da auch unter den Professoren des Rats ein Vertreter der Institutionen vorhanden war.47 Weisen diese beiden Aspekte schon darauf hin, dass das fürstliche Professorenkollegium eben nur bis zu einem gewissen Grade für sich allein existierte, so wurde dies bei der an den Folgetagen sich anschließenden Visitation der Gesamtuniversität selbstverständlich noch viel deutlicher. Das betraf nicht zuletzt auch die zehn Punkte des Visitationsabschieds vom 24. März 1599, die nicht mehr ausschließlich die Professorenschaft betrafen wie noch bei der Spezialvisitation vom 22. März. Nunmehr spielte auch das Verhältnis des Universitätskonzils zu den übrigen Mitgliedern der Universität ebenso eine Rolle wie das studentische Leben und Verhalten in Kollegien und Regentien sowie bei Nachtzeiten in der Stadt. Gleiches galt für die Verantwortlichkeit des Wacht- und Kerkermeisters.48 Es ging also, wie seit Gründung der Universität immer wieder, nicht zuletzt um das Verhältnis von Universität und Stadt. Naturgemäß stimmten die jeweiligen Interessen oft nicht überein, was auch aus entsprechenden Klagen und Forderungen ablesbar wurde, artikuliert von den unterschiedlichen Parteien u. a. im Umfeld der Visitation. Besonders distanziert gegenüber der Universität äußerten sich die vier Gewerke, sämtliche „Ämter“ sowie die „gemeine Bürgerschaft“ Rostocks in zwei Schreiben an Herzog Ulrich im März 1599 vor und auch noch während der Visitation.49 Den Rostocker Bürgern ging es nicht, wie Herzog Ulrich, um den Fleiß der Professoren, sondern primär um die Privilegierung der Universitätsmitglieder, deren Kreis nach der Meinung der Rostocker zu weit gezogen und deren umfangreiche Vergünstigungen missbraucht würden. Zwar erkannte man an, dass die Formula concordiae 1563 den Professoren, Predigern und Schullehrern Befreiung von „Unpflicht“ und Beschwerung bestätigt habe, doch komme es seit einiger Zeit diesbezüglich zu Missbräuchen. Die Privilegien seien aber ursprünglich vor mehr als 100 Jahren durch Nachgeben des Rats und der Bürgerschaft erreicht worden, als in der Stadt gute Zeiten ohne Teuerung herrschten. Nun aber befinde sich „E. f. g. underthenige Stadt“ Rostock in großen Schulden.50 In den genannten guten Zeiten habe es nur wenige Gelehrte gegeben, „da nuhn beinahe der dritte Teill von der Stadt von gelarten bewohnett wirdt.“ 51 Diese würden den „armen leuten“ sogar die Lebensmittel auf dem städtischen Markt wegkaufen bzw. dadurch verteuern.52 Das übliche Muster solcher Klagen ist hier gut erkennbar: Verherrlichung der angeblich guten alten Zeiten bei gleichzeitiger maßloser Übertreibungen der jeweils aktuellen Probleme. Was den Vergleich der Situation um 1600 und um 1500 betrifft, so wird der Historiker zu einer geradezu entgegengesetzten Einschätzung gelangen, dass nämlich Rostock um 1600 und nicht um 1500 eine Blütezeit erlebte. Um 1600 erreichte die eingangs bereits angesprochene exportorientierte Rostocker Bierproduktion in ca. 250 Brauhäusern, d. h. fast in jedem dritten oder vierten der Rostocker Giebelhäuser, ihren Höhepunkt (Abb. 5).53 Maßlos übertrieben war auch die kritisierte übergroße Zahl von Gelehrten in der Stadt. Selbst wenn man neben diesen die mitunter in der Literatur angegebene Zahl von ca. 1000 Studierenden um 1600 ein125

Ernst Münch

Abb. 5: Die Rostocker Brauhäuser um 1600.

bezöge,54 käme man noch lange nicht auf das behauptete Drittel der Stadtbewohnern, die damals eine Zahl von über 13.000 erreichten.55 Hatte die Bürgerschaft zu Beginn ihres Schreibens dem Herzog geschmeichelt, der ungeachtet seines hohen Alters sich „über Menschen leben denkwürdig“ um die Hebung der Universität kümmere, so bat sie ihn doch an späterer Stelle sehr nachdrücklich zu berücksichtigen, „daß e. f. g. vnd gemeine landtschafft von dieser e. f. g. Stadt Burgerschafft in Nohtfellen mehr zu hoffen alse von der vbermasse der gelarten so nur vmb der freiheit willen alhie sich auffhalten“, wobei mit Freiheit Abgaben- und Steuerfreiheit gemeint war. Die Bürger warnten diesbezüglich vor bösem Blut und sogar vor „liederlich emporung“ seitens der Rostocker.56 Neben der übermäßigen Freiheit der Professoren und Gelehrten sowie der – aus der Sicht der Bürger – unberechtigten Erweiterung des sich zu den Gelehrten zählenden Personenkreises bestand der zweite Hauptpunkt der städtebürgerlichen Klagen in der angeprangerten Lebensweise der Studierenden. Eine Mitschuld wurde wiederum zumindest in zwei Punkten der Professorenschaft angelastet. Erstens betreibe sie eine übermäßige Bierproduktion, die sie zu ihrem eigenen Vorteil über das ihnen zugestandene Maß für den eigenen Hausgebrauch erheblich ausweite und damit die studierende Jugend verderbe. Zweitens halte sie nicht genügend Aufsicht über die Kollegien und Regentien und die dort lebenden Studierenden. Aus beiden Missständen erwüchsen in letzter Konsequenz Mord und Totschlag. Die Hinweise der Rostocker Bürger auf die Bierproduktion der Professoren war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Immerhin zählten einzelne Univer126

Klagen auf hohem Niveau

sitätsmitglieder bzw. deren Witwen mitunter sogar zum exklusiven Kreis der Inhaber von Brauhäusern, die allein berechtigt waren, gewerblich Bier auch für den Export zu brauen, so etwa in der Blütezeit des Rostocker Biersegens unter den Professoren die Juristen Lorenz Kerkhof und Friedrich Hein, der Theologe Valentin Legdaeus und der Universitätsbuchdrucker Stefan Möhlmann.57 Bezüglich des Lebens der Studierenden waren die städtischen Klagen wohl etwas näher an der Lebenswirklichkeit als bei der übertrieben düsteren Schilderung der wirtschaftlichen Lage der Stadt. Tatsächlich befand sich um 1600 das Regentiensystem, also die zwangsweise und ausschließliche Beherbergung der Studierenden in den unter der Leitung eines oder mehrerer Professoren stehenden Gebäuden, seit geraumer Zeit in schnell voranschreitender Auflösung. Im Jahre 1595 lebten etwa 100 Studenten in ca. 50 Wohnungen außerhalb der Regentien.58 Hinzu kam, dass ungebührliches Verhalten von Studierenden, gerade auch zu Nachtzeiten, auf den Straßen und Gassen, in Herbergen und Bürgerhäusern, eher die Regel als die Ausnahme war, bis hin zu etwa ein bis zwei gewaltsamen Todesfällen jährlich. Schon im Folgemonat nach dem Visitationsabschied vom März 1599 musste der nächste entsprechende Todesfall beklagt werden.59 Hingegen behauptete die Stadt, dass in den 143 Jahren von der Gründung der Universität im Jahre 1419 bis zum Vorabend der Formula concordiae von 1563, als die Stadt allein die Gerichtsbarkeit in Kapitalfällen auch über die Universität ausgeübt hatte, kein einziger Student entleibt worden sei.60 Diese und ähnliche Bemerkungen machen zugleich auch immer wieder deutlich, dass sich die städtische Obrigkeit nach wie vor nur zähneknirschend mit der als Beschneidung ihrer Rechte gegenüber der Universität empfundenen Neuregelung des Jahres 1563 abzufinden vermochte. Als Zwischenfazit können wir also festhalten, dass sich die herzoglichen Kritikpunkte eher auf das Innenleben der Universität, insbesondere die Arbeit der Professoren, bezogen. Für die Stadt standen andere Fragen im Zentrum: Wer gehört zu den Mitgliedern der Universität? Worin bestehen ihre Freiheiten und deren Grenzen? Wie steht es um die Jurisdiktion über die Universitätsmitglieder, insbesondere über die Studierenden? Selbstverständlich waren die städtischerseits aufgeworfenen Fragen auch für die universitäre Haltung entscheidend, allerdings mit umgekehrter Stoßrichtung. Ergänzt wurde diese Gemengelage der Interessen – wie weiter oben bereits angedeutet – durch Spannungen, zumindest jedoch unterschiedliche Positionen innerhalb der Universität und ihrer Gruppen. Da diese Probleme bereits in der Formula concordiae 1563 und ihrer Erneuerung von 1577, die überdies von der an ihr nicht beteiligten Landesherrschaft nicht anerkannt worden war, nicht endgültig gelöst werden konnten, wird es nicht überraschen, dass auch der Visitationsabschied von 1599 nicht das letzte Wort in diesen Fragen darstellte. Die Unterredungen im Hause des Steffen Gerdes am 22. März 1599 begannen schon mit einem Misston, als die städtische Delegation die Nützlichkeit der zweiten Formula concordiae von 1577 für die Lösung vieler strittiger Fragen ins Spiel bringen wollte.61 Der Herzog lehnte dies ungeachtet mehrerer städtischer Einwände strikt ab: Lediglich 127

Ernst Münch

die Formula concordiae von 1563 sowie die Fundatio bzw. Bulla erectionis des Jahres 1419 sollten Grundlage der Besprechung bilden. So hielt es schließlich dann auch Punkt zehn des Visitationsabschieds für künftige Probleme fest. Offenbar erinnerte die zweite Formula concordiae von 1577 zu sehr an die erneute Verschlechterung der landesherrlichen Beziehung zur Stadt Rostock in der Zeit zwischen den beiden Rostocker Erbverträgen von 1573 und 1584.62 Überhaupt bildete – ähnlich wie im Falle der fürstlichen Propositionen als Grundlage der Diskussion auf den ständischen Landtagen – die herzogliche Partei den aktiven Part während der Visitation, zumal – im Unterschied zu den Landtagen – der Herzog hier in persona anwesend war.63 Die städtischen Delegierten übernahmen dagegen den reagierenden Part. Ihnen wurden während der Verhandlungen dann auch etliche Klagepunkte der Universität übergeben, die teils durch die zehn Punkte des Visitationsabschieds – wenn auch in etwas veränderter Reihenfolge – aufgegriffen wurden, teils aber – nunmehr erweitert auf 15 Klagepunkte – erst nach dem Ende der Verhandlungen durch den Rat beantwortet werden sollten. Auch dieses quälend langwierige Verfahren ähnelte sehr den Abläufen auf den Landtagen. Gleiches galt für die mehrfachen gesonderten Unterredungen der städtischen und der universitären Partei im Verlaufe der Verhandlungen. Kommen wir nunmehr kurz zu den Festlegungen des Abschieds vom 24. März 1599: Punkt eins des Abschieds zeigt in nicht zu überbietender Deutlichkeit, dass – wie eingangs festgehalten – Universitätsvisitationen keine mecklenburgische Besonderheit darstellten: Um zukünftig eine ordentlichere Arbeit der Professoren zu gewährleisten, sollte sich die Universität nach der Ordnung richten, die Kurfürst August von Sachsen mit seiner 1580 im Druck erschienenen Universitätsordnung für die Universitäten Leipzig und Wittenberg erlassen hatte.64 Hier wird das, was die heutige Geschichtswissenschaft gern Netzwerkarbeit nennt, am Beispiel protestantischer Fürsten und ihrer Universitäten mit Händen greifbar. Im Hintergrund standen familiäre Verbindungen. So war etwa der sächsische Kurfürst August einer der Vormünder des zeitweilig neben Herzog Ulrich mitregierenden und 1592 durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Herzogs Johann VII. von Mecklenburg.65 Zudem war das kurfürstliche Ehepaar mit dem mecklenburgischen fürstlichen Ehepaar eng befreundet.66 Auch die in ihrer Entstehung mit Rostock eng verbundene Universität Helmstedt konnte als Vorbild dienen.67 Zumindest enthält das städtische Rostocker Aktenmaterial eine Abschrift eines Visitationsabschieds für Helmstedt, eine Visitation, die durch den Herzog von Braunschweig-­Lüneburg und den Rat der Stadt Helmstedt im Jahr 1597 durchgeführt wurde.68 Sowohl für Leipzig und Wittenberg wie für Helmstedt wurden in diesem Zusammenhang Probleme thematisiert, die auch für Rostock relevant waren. Gleiches gilt für Visitationen der benachbarten Universität Greifswald in den Jahren 1568, 1571 sowie 1578,69 die jedoch in Rostock 1599 – aus welchen Gründen auch immer – zumindest in der schriftlichen Überlieferung unerwähnt blieben. Auffallend ist, dass in dem Visitationsabschied für Helmstedt 1597 wirtschaftliche und soziale Probleme eine deutlich größere Rolle spielten als im Rostocker Abschied von 1599, obwohl im 128

Klagen auf hohem Niveau

Umfeld der Rostocker Visitation beispielsweise die Frage des beklagenswerten Zustands der Rostocker Mensa durchaus thematisiert und erörtert wurde.70 Auch die folgenden Punkte des Abschieds von 1599 betrafen die innere Ordnung der Universität. Im Unterschied jedoch zu der Spezialvisitation der herzoglichen Professoren zwei Tage zuvor ging es jetzt nicht nur um deren Disziplinierung, sondern auch um die Stärkung ihrer Position gegenüber anderen Universitätsmitgliedern. So ging es etwa um das Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Lektionen, um die Disputationen, die Vorrangstellung von Professoren gegenüber anderen Graduierten und insgesamt um die Befugnisse des Konzils gegenüber den übrigen Universitätsmitgliedern. Die Punkte sieben bis zehn schließlich thematisierten – wiederum im Unterschied zur Spezialvisitation der herzoglichen Professoren – Probleme des Verhältnisses von Universität und Stadt, insbesondere bezüglich des Lebens der Studierenden. Hierbei wirkte Punkt sieben schon damals angesichts der realen Gegebenheiten recht antiquiert, wenn er nochmals das Leben der Studierenden in den Regentien vorschrieb. Immerhin eröffnete der Abschied in diesem Zusammenhang eine Hintertür, indem den Studierenden ein Quartier bei Professoren und Bürgern außerhalb der Regentien zugebilligt wurde, wenn es in Letzteren keine „bequeme“ Wohnung gebe.71 Punkt acht verbot den bewaffneten nächtlichen Aufenthalt der Studenten auf den Straßen. Sie sollten jedoch ihrerseits auch vor unbegründeten Überfällen geschützt werden. Bei der Besprechung dieses Punkts hatte der Herzog aus aktuellem Anlass darauf hingewiesen, dass die „studiosi“ am Abend des 21. März mit Hellebarden und Schlachtschwerten „armiret“ aufgetreten seien. Er habe aber bereits anno 1578 ein Mandat an den Rektor erlassen, das den Studenten verbot, mit „Gewehren und Federbusch“ auszugehen. Zwar – so nunmehr des Herzogs Meinung – müssten die „jungen Leute“ „etwas erquickung haben“ und könnten nicht eingesperrt werden. Doch solches könne auch ohne Wehren und Waffen geschehen.72 Punkt neun forderte die Vereidigung von Wachtmeister und Gefängniswärter auch durch Rektor und Konzil. Der abschließende und resümierende Punkt zehn sollte sich perspektivisch aus der Sicht von Landesherrschaft und Universität als besonders wichtig erweisen: Als Fundament und Basis für alle zukünftig eintretenden Streitsachen sollten lediglich die Fundatio bzw. die Bulla erectionis des Jahres 1419 sowie die Formula concordiae von 1563 gelten. Auf diese Festlegung kam man in der Universitätsgeschichte bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts immer wieder zurück. So richtig zufrieden wurde jedoch keine der beteiligten Parteien mit dem so lange vorbereiteten Abschied des Jahres 1599. Enthielt dieser Kompromiss in sich selbst schon wieder erhebliche Einschränkungen – am deutlichsten hinsichtlich der Wohnungen der Studierenden –, so galt dies auch für etliche Fragen, die – angeblich aus Zeitgründen – damals nicht gelöst werden konnten. Rektor und Konzil überreichten daher dem Rat fünfzehn Klagepunkte 73, auf die Letzterer binnen acht Wochen antworten sollte, was – man kann es unschwer erahnen – selbstverständlich nicht, jedenfalls nicht fristgemäß geschah. Der Rat stellte seinerseits sechs Klagepunkte zusammen. Ihm wurde durch den 129

Ernst Münch

Herzog zugestanden, dass man Regelungen durchaus akzeptieren könne, die die Stadt mit der Universität in der von der Landesherrschaft nicht anerkannten zweiten Formula concordiae von 1577 getroffen hatte, wenn sie der ersten Formula nicht widersprächen. Alles wurde offenbar dem auch aus heutigen diplomatischen Verhandlungen gut bekannten Willen untergeordnet, den so mühselig erarbeiteten Kompromiss zumindest formal erfolgreich mit einem gemeinsamen Abschlusspapier zu beenden. Für viele der fünfzehn noch im Raum stehenden Klagepunkte seitens der Universität und der sechs seitens des städtischen Rats hatte schon die inhaltlich und formal sehr ähnliche zweite Formula concordiae von 1577 Lösungen festgehalten, die jedoch nicht zuletzt wegen deren Nichtanerkennung durch den Landesherrn nicht umgesetzt worden waren. Die fünfzehn universitären Klagepunkte wehrten sich gegen den Missbrauch oder die Ausweitung von rätlichen Befugnissen gegenüber der Hohen Schule und ihren Mitgliedern. So ging es neben Fragen der Verteilung der Strafzahlungen bei schweren Delikten und der Zuständigkeit bei der Taxierung von Gerichtskosten um die „Besichtigung“ von Entleibten allein durch den Rat oder die Vorladung bzw. Inhaftierung von Studenten bei strafwürdigem Verhalten etwa im städtischen Weinkeller und dem benachbarten Barthschen Keller unter dem Rathaus ohne vorheriges Wissen des Rektors. Ein gesonderter Punkt behandelte die aus Sicht der Universität unhaltbaren Zustände im Finkenbauer als dem für die zu inhaftierenden Studenten vorgesehenen Gefängnis ebenfalls unter dem Rathaus, die zu Gefahren für Leib und Leben führen würden. Dagegen machte der Rat geltend, dass sich dieses 1471 errichtete Gefängnis in den vergangenen 128 Jahren sehr bewährt habe, und dass den Delinquenten etwas Strenge ohnehin nicht schaden würde.74 Einen dauernden Streitpunkt bildete ebenfalls die Besteuerung von Personen, die für sich akademische Freiheiten beanspruchten. Dabei ging es etwa um die Bewohner der Keller unter den Universitätsgebäuden, die etwa im Falle des Auditoriums und des Großen Kollegiums am Hopfenmarkt sehr zahlreich waren.75 Nach Auffassung des Rats wurden diese hauptsächlich von Handwerkern und Arbeitsleuten und daher nicht von Universitätsmitgliedern bewohnt. Ärger bereitete zudem immer wieder, dass der Rat einzelnen Gebäuden und Personen der Universität die Steuerfreiheit absprach, im Falle des Visitationsjahrs etwa dem Notar der Juristischen Fakultät Hermann Hartwich 76, den Häusern (und damit zugleich den Bewohnern) des Johannes Simonius und des Bernhard Quecus sowie des Universitätsbuchdruckers. Immerhin handelte es sich bei dem Haus des Simonius um das langjährige Fakultätshaus der Artisten (Philosophen) in der Kröpeliner Straße und bei dem des Quecus um die ehemalige Regentie Neues Haus am Hopfenmarkt.77 Das Haus des „Typographen“, steuertechnisch eigentlich eine Bude, befand sich seit der Zeit des Universitätsbuchdruckers Jacob Lucius ebenfalls am Hopfenmarkt neben dem Großen Kollegium an der Ecke zur Kröpeliner Straße. 78 Diesen Häusern bzw. ihren Inhabern wurde vorgeworfen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht universitär, sondern mit bürgerlicher Nahrung bestritten und daher der Stadt gegenüber steuerpflichtig tätig waren. Für Bernhard Quecus war dies wohl nicht völlig aus der 130

Klagen auf hohem Niveau

Luft gegriffen, da er nach seiner Promotion zum Dr. jur. im Jahre 159679 in den Quellen der Universität kaum noch in Erscheinung trat. Noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein pochte in diesem Sinne der Rat hartnäckig darauf, dass im Besitz der Universität befindliche Gebäude an die Stadt zurückzufallen hätten, falls sie nicht universitär genutzt würden oder gar die Universität gänzlich aufgehoben werden sollte.80 Die sechs Klagepunkte des Rats, der neben der eigenen Expertise auch auswärtigen juristischen Sachverstand beizog, wie etwa den Stettiner Ratssyndikus,81 betrafen primär die städtische Gerichtsbarkeit gegenüber der Universität, insbesondere bezüglich der Kriminal- und Kapitaldelikte.82 Nach Ansicht des Rats könnte eine vollständig von ihm ausgeübte Gerichtsbarkeit Mord, Totschlag und andere schwere Übeltaten verhüten. Weitere Probleme berührten den städtischen Umgang mit eingeschriebenen, aber nicht vereidigten sowie mit durch das Konzil relegierten Studierenden, schließlich die Gültigkeit der städtischen Kleiderordnung für die Universitätsangehörigen. In einem Einzelpunkt wurde nochmals die Universitätsmitgliedschaft einzelner Personen(gruppen) und damit deren Befreiung von bürgerlichen Lasten bestritten. Anderthalb Jahrhunderte später hat Angelius Johann Daniel Aepinus in seiner berühmt-­ berüchtigten Streitschrift über die herzoglichen Rechte gegenüber Universität und Stadt Rostock die Visitation des Jahres 1599, nach der Gründung der Universität 1419 sowie den Jahren 1530 und 1563 als nächste wichtige Zäsur in der Universitätsgeschichte Rostocks hervorgehoben.83 Einhundert Jahre nach Aepinus kam Otto Krabbe in seiner noch heute unentbehrlichen Darstellung zum gleichen Ergebnis.84 Aus heutiger Sicht darf an diesem sehr hoch veranschlagten Stellenwert der Jahre um 1600 durchaus gezweifelt werden. Auch der Visitationsabschied von 1599 hat den Konflikt zwischen Universität und Stadt nicht (und schon gar nicht endgültig) gelöst. Schon wenige Jahre später wurde dieser vor den Kaiser und das Reichskammergericht getragen, ohne dass auch dort eine Lösung gefunden worden wäre. Das tat aber der damaligen Blütezeit sowohl der Universität als auch der Stadt Rostock, die schon deutlich vor 1599 begonnen hatte und erst deutlich nach 1599 enden sollte, offenkundig keinerlei oder zumindest kaum einen Abbruch. Anders gesagt: Der seit der Universitätsgründung bis mindestens in das 19. Jahrhundert durchgängig köchelnde Konflikt zwischen Universität und Stadt ist eine Konstante und daher für sich genommen gerade nicht zäsurbildend für die Universitätsgeschichte. Die drei Dokumente von 1563, 1577 und 1599 stellten gewissermaßen eine dialektische Einheit der Übereinkünfte zwischen Landesherr, Stadt und Universität dar: Durch eine Art Negation der Negation kehrte man im Visitationsabschied des Jahres 1599 im Prinzip zur ersten Formula concordiae von 1563 zurück, da die spätere, zweite Formula concordiae von 1577, die nicht die Billigung des Landesherrn gefunden hatte, nunmehr verworfen wurde. Ungeachtet seiner unverkennbaren inneren Widersprüchlichkeit und aller sich fortsetzenden Spannungen zwischen Landesherr, Stadt und Universität bewährte sich dieser Kompromiss über die kommenden Jahrzehnte der Blüte und des Niedergangs der Universität hinweg,85 bis er durch Herzog Friedrich den Frommen 1760 in Gestalt der 131

Ernst Münch

durch ihn gegründeten eigenen Universität, die Fridericiana in Bützow 86, aufgehoben wurde. Friedrichs Nachfolger, Friedrich Franz I., kehrte jedoch 1788 wieder zum Kompromiss zurück,87 der dann nochmals bis zur Aufhebung des städtischen Kompatronats über die Universität Rostock im Jahre 1827 Bestand hatte. War die Visitation des Jahrs 1599 nun auch keine Zäsur, da sie die Probleme innerhalb der Universität und zwischen Universität und Stadt nicht gelöst hat, so war sie doch keineswegs ohne Bedeutung für die Universitätsgeschichte.88 Das ergab sich einerseits aus der langen Gültigkeit einiger ihrer Festlegungen bis weit in das 18. Jahrhundert hinein, andererseits aus der Erhöhung der Zahl der Professoren und ihrer Besoldung. Gerade der letzte Aspekt dürfte nicht unerheblich zum anhaltenden und sich in den Jahrzehnten nach 1600 noch intensivierenden Aufschwung der Universität beigetragen haben.

132

Klagen auf hohem Niveau

Anmerkungen

1 2 3

4

5 6 7 8 9 10 11 12

13

14

15 16

Vgl. am Beispiel der neuerdings wieder aktuellen Diskussion über die Blütezeit der Hanse Sarnowsky 2016. Speziell zu den Kirchenvisitationen in Mecklenburg Schmaltz 1936; Krüger 2000. Bezogen auf die Universität siehe auch Krabbe 1854, 750. Münch 2018. Diese Blütezeit wird regelmäßig mit der von Peter Linde(n)berg geprägten Formulierung „lumen Vandaliae“ bzw. mit der allerdings problematischen deutschen Übersetzung „Leuchte des Nordens“ bezeichnet. Münch 2018, 21; Asche 2018, 157 – 158. Für die Universität Rostock selbst zutreffender und exakter ist das nur wenig später in der Jubiläumsschrift zum 200. Jahrestag der Universitätsgründung im Jahre 1619 belegte Wort von der „Academia Balthica“, also der „Ostseeuniversität“, siehe Durfeld 1620, 487. Münch 1995b; Archiv der Hansestadt Rostock (AHR), 1.1.3.1.29, Ratsprotokolle 1596 – 1599 (20. Oktober 1598). Eine tatsächlich so genannte „Visitation“ des Biers und einen entsprechenden „Biervisitator“ gab es in Rostock spätesten seit Ende des 17. Jahrhunderts, siehe etwa AHR, 1.2.3.130, Brauerkompanie, Anstellung von Biervisitatoren. Siehe die Tabelle bei Münch 1995b, 100 – 102. Druck u. a. bei Aepinus 1754 Beylagen, Nr. 58, 89 – 98; Michael 2013, 201 – 215. Münch 1995a. Karge/Münch/Schmied 2011, 64 – 67. Schröder 2013, 72 – 75. Zu Teilaspekten siehe Pettke 2001. Pluns 2007, 477 – 492. Krüger/Münch 2016, 80 – 81. Dass auch Herzog Ulrich hier Berücksichtigung fand, geht wohl besonders auf Friedrich Lisch zurück, der das Bildprogramm für das Hauptgebäude entwarf und auf die Bedeutung Ulrichs für Kunst und Wissenschaft hinwies, siehe Lisch 1870. Bezogen auf die Universität tat dies vor Lisch bereits Krabbe 1854, 750 – 755. Zu Ulrichs genannten Leistungen siehe knapp Sellmer 1995b. Allerdings geht Sellmer nicht auf die Verdienste Ulrichs um die Universität ein, während er diejenigen von dessen Bruder Johann Albrecht I. ausdrücklich hervorhebt, siehe Sellmer 1995a, 136. Generell steht Ulrich auch in der landesgeschichtlichen Literatur häufig im Schatten seines älteren Bruders. Mit Recht hat demgegenüber Schnell 1900, 315, Anm. 1 und 318 mit Anm. 1, die geradezu abfällige Einschätzung Ulrichs in der wegen ihrer Materialfülle lange Zeit als Standardwerk geltenden Darstellung von Schirrmacher 1885 kritisiert. Auch bei Vitense 1912, 131, Anm. 1, figuriert nur Johann Albrecht I. „als zweiter Gründer (Erneuerer)“ der Universität Rostock. AHR, 1.1.3.14.13, Universität, Verhandlungen zwischen Rat, Universität und Herzog Ulrich über fünfzehn Streitpunkte wegen des Visitationsabschieds und des Protokolls (Güstrow, 31. Juli 1597, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock; Grabow, 5. September 1597, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock; Dargun, 10. Juli 1598, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock; Güstrow, 16. September 1598, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock; Güstrow, 8. Februar 1599, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock). AHR, 1.1.3.14.13 (31. Juli 1597, Güstrow, Herzog Ulrich an Bürgermeister und Rat von Rostock). Koppmann 1904. 133

Ernst Münch

17 18 19 20

Siehe die Auflistung in AHR, 1.1.3.1.29 Ratsprotokolle 1596 – 1599 (20. März 1599). Schröder 2013, 23 – 24. Münch 1998/99, 556. So findet die Visitation keine Erwähnung in den beiden neuesten Gesamtdarstellungen zur Universitätsgeschichte: Geschichte 1969; Lehrmeinungen 1994. Anders sah dies noch aus bei Aepinus 1754 und Krabbe 1854. Erwähnung der Visitation nur en passant bei Schnell 1900, 271 und bei Schmaltz 1936, 135. 21 Asche 2010, 61 mit Anm. 85 und 170. 22 Zu den beiden Originalen im Besitz der Stadt siehe unten (Anm. 24 und 25). Gedruckt ist der Abschied erstmals bei Aepinus 1754, Beylagen, Nr. 70, 127 – 130. 23 Enthalten in AHR, 1.1.3.14.13. Ein Druck erschien bei Eschenbach 1798, 186 – 189, 194 – 200, 201 – 206, 213 – 214. 24 AHR, Urkunden U 1q 1599 März 24. 25 Enthalten in AHR, 1.1.3.14.13. 26 Im Universitätsarchiv Rostock (UAR) handelt es sich hauptsächlich um R VI B 7 Herzogliche Visitationen 1599 – 1815, im Landeshauptarchiv Schwerin (LHAS) um 2.12 – 3/3 Universität Rostock Vol. L/3 Universität Rostock und deren Visitation 1591 – 1601. 27 AHR, 1.1.3.14.13 (Rostock, 22. Dezember 1783, Rektor und Konzil an Bürgermeister und Rat von Rostock). 28 Siehe hierzu auch den Beitrag von Hans-­Uwe Lammel in diesem Band. 29 Hierzu demnächst Münch 2019. 30 Asche 2010, 179. 31 Asche 2010, 455 und 477; zu Stallmeister Münch 2012b, 37 – 41. 32 Bill 1999, 54 und 129; Hofmeister 1891, 117b und 156a. 33 Münch 2012a, 48. 34 AHR, 1.1.3.1.29 Ratsprotokolle 1596 – 1599 (22. 3. 1599). 35 Zum Verhältnis zwischen David Chytraeus und Herzog Ulrich siehe Stuth 2000. 36 AHR, 1.1.3.14.13. Dazu auch Krabbe 1854, 751. 37 AHR, 1.1.3.1.29 Ratsprotokolle 1596 – 1599 (14. 3. 1599). 38 Hierzu UAR, R VI B7. – Aepinus 1754, 93 – 94 und 97. 39 Enthalten in AHR, 1.1.3.14.13. Siehe auch für die folgenden Zitate und Angaben. 40 Über Bassewitz als Propst des Schweriner Domkapitels siehe Röpcke 2016, 1029. 41 Näheres hierzu bei Pluns 2007, 435 – 446. 42 Wie Anm. 39. 43 Hierzu auch Krabbe 1854, 752; Schnell 1900, 271; Asche 2010, 170. 44 Dazu auch Krabbe 1854, 753; Schmaltz 1936, 197. 45 Zu ähnlichen Problemen etwa bei den Juristen in Helmstedt siehe Maaser 2010, 123. 46 Wie Anm. 39. 47 Diese Intention des Herzogs wurde nicht umgesetzt – im Gegenteil, die Professur für Geschichte wurde nach dem damaligen Inhaber Christoph Sturtz – mit einer Zwischenstufe – sogar an seinen Sohn Azarias Sturtz „vererbt“, siehe Asche 2010, 135 und 618. 48 Wie Anm. 39. 49 AHR, 1.1.3.14.13 (Rostock, 4. März 1599: Vier Gewerke und alle Amtsbrüder an Herzog Ulrich; Rostock, 24. März 1599: Bürgerschaft an Herzog Ulrich). 134

Klagen auf hohem Niveau

50 Wie Anm. 49 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Rostock war also wirklich, wie es ein alter hansischer Spruch sagte, ein bzw. das „Malzhaus“ unter den Hansestädten, Blanckenburg 2001, 110 mit Anm. 320. Pro Brauhaus und Jahr wurden damals bis zu 100 Säcke Malz versteuert, manchmal auch noch mehr. Ob die sich daraus ergebende, sehr hoch anmutende Biermenge von 250.000 Tonnen zutraf, sei dahingestellt. So behauptet von Linde(n)berg 1596, 43, und danach wiederholt in vielen Reisebeschreibungen Deutschlands, etwa Zeiller 1632, 373. 54 Heidorn, Günter/Heitz, Gerhard (Hgg.) 1969, 52. Eine ähnliche Zahl für das Universitätsjubiläumsjahr 1619 gibt an Quistorp 1620, 35. 55 Berechnung nach AHR, 1.1. 15. 2555 (Register des Hundertsten Pfennigs 1622/23). 56 Schreiben der Bürgerschaft an Herzog Ulrich, wie Anm. 49. 57 AHR, 1.1.15,1803 Brauerbuch 1575; 1.1. 15. 1832 Brauerbuch 1636. 58 Angaben nach AHR, 1.1. 15. 2554 (Register des Hundertsten Pfennigs 1594/95). 59 AHR, 1.1.3.29 Ratsprotokolle 1596 – 1599 (30. 4. 1599). 60 Zumindest in dieser Absolutheit scheint das nicht gestimmt zu haben, siehe zu dieser Proble­ matik auch den Beitrag von Wolfgang E. Wagner in diesem Band. 61 Druck bei Aepinus 1754, Beylagen, Nr. 67, 114 – 126. 62 Schröder 2013, 70 – 72. 63 Jacobs 2014, 294 – 296. 64 Zur Universitätsordnung von 1580 siehe Bünz/Rudersdorf/Döring 2009, 412 – 420. 65 Sellmer 2001, 112 – 113. 66 Neumann 2009, 32. 67 Maaser 2010. 68 AHR, 1.1.3.14.13 (Helmstedt, 11. 2. 1597). 69 Alvermann/Spiess (Hgg.) 2001, 207 – 132, 223 – 231 und 316 – 324. 70 Pettke 2001. 71 Ausnahmen von der Verpflichtung zum Leben in den Regentien kannten schon die ältesten Statuten der Universität, siehe hierzu Michael 2013, 256. 72 AHR, 1.1.3.14.13 (wie Anm. 23). 73 Abgedruckt bei Aepinus 1754, Beylagen, Nr. 71, 130 – 132. 74 Hierzu auch Wagner 2018, 141 – 143. 75 Münch 1998/99, 32. 76 Sein Domizil hatte er im Juristenkollegium am Alten Markt, siehe AHR, 1.1. 15. 1542 Schoßregister 1595. 77 Münch 2010, 189 – 190, 196 – 197; Münch 1998/99, 31, 35. 78 Papay 2018, 46; Münch 2010, 196; Münch 1998/99, 33. 79 Hofmeister 1891, 254b. 80 Münch 2013, 45. 81 AHR, 1.1.3.14.13. 82 AHR, 1.1.3.14.15 Strittige Verhandlungen über die Visitation der Universität, Bd. 1 (1599–Anfang 17. Jahrhundert). 83 Aepinus 1754, 64. 135

Ernst Münch

84 85 86 87

Krabbe 1854, XIII. Asche 2018. Hierzu auch der Beitrag von Hans-­Uwe Lammel in diesem Band. Der Rostocker Erbvertrag von 1788 legte eine Visitation der Universität im Abstand von jeweils fünf Jahren fest, siehe hierzu Gundlach 2013, 134. 88 So auch Asche 2010, 170.

136

Klagen auf hohem Niveau

Quellen- und Literaturverzeichnis

Aepinus, Angelius Johann Daniel (1754), Urkündliche Bestättigung der herzoglich- Mecklenburgischen hohen Gerechtsamen über Dero Academie und Rath zu Rostock …, Rostock. Alvermann, Dirk/Spiess, Karl-­Heinz (Hgg.) (2001), Quellen zur Verfassungsgeschichte der Universität Greifswald, Stuttgart. Asche, Matthias (2010), Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der frühen Neuzeit (1500 – 1800), Stuttgart. Asche, Matthias (2018), „Die Universität Rostock und die Ostsee. Überlegungen zu Raumbeziehungen und Identitäten vom 15. bis zum 18. Jahrhundert“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte, Lübeck, 157 – 172. Bill, Claus-­Heinrich (1999), Mecklenburgischer Adel in der frühen Neuzeit 1550 bis 1750, Sonderburg. Blanckenburg, Christine von (2001), Die Hanse und ihr Bier. Brauwesen und Bierhandel im hansischen Verkehrsgebiet, Köln/Weimar/Wien. Bünz, Enno/Rudersdorf, Manfred/Döring, Detlef (Hgg.) (2009), Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009, Bd. 1: Spätes Mittelalter und frühe Neuzeit 1409 – 1830/31, Leipzig. Durfeld, Sigismund (1620), „Buccinator Laudum“, in: Jubilaeum Academiae Rostochiensis …, Rostock, 486 – 500. Eschenbach, Johann Christian (1798), Annalen der Rostockschen Academie, Bd. 7, Rostock. Gundlach, Kathrin (2013), Die Rostocker Ratsverfassung im 18. Jahrhundert, Berlin. Heidorn, Günter/Heitz, Gerhard (Hgg.) (1969), Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahrfeier der Universität, Bd. 1, Berlin. Hofmeister, Adolph (Hg.) (1891), Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. 2, Rostock. Karge, Wolf/Münch, Ernst/Schmied, Hartmut (2011), Die Geschichte Mecklenburgs, Rostock. Jacobs, Silvio (2014), Familie, Stand und Vaterland. Der niedere Adel im frühneuzeitlichen Mecklenburg, Köln/Weimar/Wien. Koppmann, Karl (1904), „Landesherrliche Besuche in Rostock während des 17. Jahrhunderts“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 4 (1), 81 – 108. Krabbe, Otto (1854), Die Universität Rostock im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Rostock. Krüger, Kersten (2000), „Frühmoderner Staat und Konfessionalisierung. Visitationen in Mecklenburg nach der Reformation“, in: Helge Bei der Wieden (Hg.), Menschen in der Kirche. 450 Jahre seit Einführung der Reformation in Mecklenburg, Rostock, 65 – 86. Krüger, Kersten/Münch, Ernst (Hgg.) (2016), Das Hauptgebäude der Universität Rostock 1870 – 2016, Teilbd. 2, Rostock. Lau, Gerhard (2001), Denkmale der Hansestadt Rostock, Teil 1: Innerhalb der historischen Stadtgrenzen, Rostock. Linde(n)berg, Peter (1596), Chronicon Rostochiense, Rostock. Lisch, Christian Georg Friedrich (1870), „Über des Herzogs Ulrich von Mecklenburg-­Güstrow Bestrebungen für Kunst und Wissenschaft“, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 35, 3 – 44. Maaser, Michael (2010), Humanismus und Landesherrschaft. Herzog Julius (1528 – 1589) und die Universität Helmstedt, Stuttgart. 137

Ernst Münch

Michael, Susi-­Hilde (2013), Recht und Verfassung der Universität Rostock im Spiegel wesentlicher Rechtsquellen 1419 – 1563, Teil 1, Rostock. Münch, Ernst (1995a), „Bürger und Academici vor dem Hintergrund der Formula concordiae. Die Universität Rostock in den Augen der Stadt“, in: Peter Jakubowski/Ernst Münch (Hgg.), Universität und Stadt, Rostock, 69 – 82. Münch, Ernst (1995b), „Die Brauherren. Rostocks führende Schicht im Ausgang des 16. Jahrhunderts“, in: Ortwin Pelc (Hg.), 777 Jahre Rostock. Neue Beiträge zur Stadtgeschichte, Rostock, 95 – 102. Münch, Ernst (Hg.) (1998/99), Das Rostocker Grundregister (1600 – 1820), Rostock. Münch, Ernst (2010), „Die alten Rostocker Universitätsgebäude im Lichte der städtischen Quellen“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 125, 175 – 198. Münch, Ernst (2012a), „Adel in Mecklenburg. Hauptaspekte seiner geschichtlichen Entwicklung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit“, in: Wolf Karge (Hg.), Adel in Mecklenburg, Rostock 2012, 32 – 49. Münch, Ernst (2012b), „Rostocker Bürgermeister und das Alter. Chance, Bürde, Ausrede“, in: Matthias Manke/Ernst Münch (Hgg.), Alt werden in Mecklenburg im Wandel der Zeit, Lübeck, 31 – 48. Münch, Ernst (2013), „Der Stadt zur Zierde und dem Landesherrn zur Ehre. Zur Entstehung des Hauptgebäudes und zum Beziehungsgeflecht der Universität Rostock im 19. Jahrhundert“, in: Wolfgang Schareck/Andrea Bärnreuther (Hgg.), Auf dem Weg zum Doppeljubiläum, Petersberg, 29 – 49. Münch, Ernst (2018), „‚Urbs rosarum‘ und ‚Lumen Vandaliae‘. Rostocks Blüte als Stadt und Universität in der frühen Neuzeit“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 34/35, 9 – 24. Münch, Ernst (2019), „‚Gedoppeltes Amt‘ und ‚unverdiente Verurtheilung‘. Pflichten, Rechte und Probleme des Rostocker Stadtphysikus vom 16. bis zum 19. Jahrhundert“ (im Druck). Neumann, Carsten (2009), Die Renaissancekunst am Hofe Ulrichs zu Mecklenburg, Kiel. Papay, Gyula (2018), „Jakob Lucius der Ältere. Bedeutender Drucker, Formschneider und Zeichner der Reformationszeit“, in: Der Festungskurier 18, 39 – 75. Pettke, Sabine (2001), „Probleme der Rostocker Mensa um 1600“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 116, 105 – 115. Pluns, Marko A. (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Städten, Köln/Weimar/Wien. Quistorp, Johannes (1620), „Eine Predigt am 17. November 1619“, in: Jubilaeum Academiae Rostochiensis …, Rostock, 23 – 38. Rektor der Universität Rostock (Hg.) (1994), 575 Jahre Universität Rostock. Mögen viele Lehrmeinungen um die eine Wahrheit ringen. 575 Jahre Universität Rostock, Rostock. Röpcke, Andreas (2016), „Schwerin. Domstift S. Maria, S. Johannes Evangelist“, in: Wolfgang Huschner et al. (Hgg.), Mecklenburgisches Klosterbuch, Bd. 2, Rostock, 1020 – 1064. Sarnowsky, Jürgen (2016), „Das Ende der mittelalterlichen Hanse“, in: Sonja Birli et al. (Hgg.), „ene vruntlike tohopesate“. Beiträge zur Geschichte Pommerns, des Ostseeraums und der Hanse. Festschrift für Horst Wernicke zum 65. Geburtstag, Hamburg, 499 – 516. Schirrmacher, Friedrich Wilhelm (1885), Johann Albrecht I. von Mecklenburg, 2 Bde., Wismar. Schmaltz, Karl (1936), Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd. 2, Schwerin. 138

Klagen auf hohem Niveau

Schröder, Karsten (Hg.) (2013), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock. Schnell, Heinrich (1900), Mecklenburg im Zeitalter der Reformation 1503 – 1603, Berlin. Sellmer, Lutz (1995a), „Johann Albrecht I.“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 1, Rostock, 134 – 137. Sellmer, Lutz (1995b), „Ulrich III.“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 1, Rostock, 231 – 235. Sellmer, Lutz (2001), „Johann VII.“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 1, Rostock, 112 – 113. Stuth, Steffen (2000), „David Chytraeus und die mecklenburgischen Landesfürsten. Am Beispiel der Korrespondenz mit Herzog Ulrich“, in: Karl-­Heinz Gläser/Steffen Stuth (Hgg.), David Chytraeus (1530 – 1600). Norddeutscher Humanismus in Europa. Beiträge zum Wirken des Kraichgauer Gelehrten, Ubstadt-­Weiher, 73 – 94. Vitense, Otto (1912), Mecklenburgische Geschichte, Berlin und Leipzig. Wagner, Wolfgang Eric, „Problematische Nachbarschaft. Konflikte zwischen Studenten und Stadtbewohnern im spätmittelalterlichen Rostock“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte, Lübeck, 135 – 156. Zeiller, Martin (1632), Itinerarum Germaniae nov-­antiquae, Straßburg.

139

Die am Beginn der Matrikel-Handschrift stehende Tempera-­Malerei mit der Darstellung des Gekreuzigten (um 1420) wurde zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt auf eine jüngere Lage von Pergamentblättern aufgeklebt. Abriebspuren auf dem ebenfalls in der Matrikel eingeklebten Druck des Immatrikulationseides bezeugen jedoch, dass die Darstellung zuvor diesem Eid gegenüberlag. Man wird also auch diese Kreuzigungsdarstellung wie den Holzschnitt in der Statutenhandschrift (siehe auch Abb. auf S. 16 und 17) als ein Schwurblatt bezeichnen können. Obwohl die Darstellung vor allem am unteren Rand stark beschnitten ist, lässt die dunkle Verfärbung am Kreuzfuß vermuten, dass hier wie auf der anlogen Darstellung in der Statutenhandschrift Immatrikulierende ihren Finger zur Leistung des Eides aufgelegt haben.

142

Frank Rexroth

Für immer Korporation? Der strukturelle Konservatismus der europäischen Universität

Ein auffälliges Merkmal der gegenwärtigen deutschen Universitäten, das sich durch die wettbewerbsorientierten Reforminitiativen der vergangenen Jahre noch verstärkt hat, ist, dass sich die Hochschulen als Marken etablieren wollen.1 Internetauftritte werden standardisiert, Alma-­mater-­merchandising kommt in Umlauf, Vortragende versehen ihre Powerpoint-­Präsentationen mit dem Logo ihrer Universität. Mit Hilfe sorgsam ausgewählter Motti werben die Hochschulen für sich, bringen sich selbst auf eine Kurzformel und rücken damit gewisse Kernaussagen in den Vordergrund. In Freiburg etwa werden schon seit Langem mit einem Wort aus dem Johannesevangelium („Die Wahrheit wird euch frei machen“, Joh. 8,32) Glaubensbezug und wissenschaftliche Unabhängigkeit zugleich angesprochen.2 In Mainz erinnert man an die Ausrichtung der vielen universitären Aktivitäten auf das eine Ziel, was der Etymologie von universitas („Das auf ein Ziel Gewendete“) sehr nahe kommt: „Ut omnes unum sint“. In Dresden setzt man auf den kommunikativen Wert der Wissenschaft: „Wissen schafft Brücken“ – das Brücken-­ Emblem, das dazugehört, ist natürlich in Blau gehalten. Anderswo thematisiert man die Dialogik von Anciennität und Zukunftsverpflichtung, wie sie in der Universität angeblich zum Ausdruck kommt: in Heidelberg „Zukunft. Seit 1386.“; in Greifswald: „Wissen lockt. Seit 1456.“; letztlich in Rostock: „Traditio et innovatio“. Vor allem die drei zuletzt genannten Motti spielen absichtsvoll mit einem Paradox. Die Universität, jene Einrichtung, an der die Wissenschaft immer und immer wieder ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen beweisen soll, ist eine ausgesprochen betagte Organisationsform. Als 2008 die Verunsicherung in Deutschland groß war und die Menschen Bargelddepots anlegten, konnten sich die Hochschulen ihrer Sache recht sicher sein, standen sie bei der Politik doch im Ruf von Hoffnungsträgern für die erforderlichen Strukturanpassungen an die Zukunft, sie galten als Leitbilder in die Zeit nach dem Crash. Zugleich – und das ist es eben, was die besagten Motti paradox erscheinen lässt – merkte und merkt man der Universität ihr Alter an, und man soll es ihr auch anmerken. Daher die Wahlsprüche. Und nicht nur die Universität als solche ist Jahrhunderte alt, auch ihre Binnenstruktur würde von einem Zeitreisenden aus dem Mittelalter, der mit der Wells’schen Zeitmaschine in eine aktuelle Senatssitzung oder in eine unserer Promotionsfeiern geriete, einigermaßen leicht begriffen. Würde der Zeitreisende genauer hinschauen, dann begegnete er einer ihm vertrauten Struktur: An der Spitze steht – wie schon um 1250 an den bereits 143

Frank Rexroth

existierenden Hochschulen – ein Rektor oder Präsident. Es gibt einen Kanzler, das Innere der Universität füllen die Fakultäten aus. Deren Vielzahl würde ihn wohl verwundern; doch auf Nachfrage würde man unseren Reisenden sicher darüber aufklären, dass es bis vor recht kurzer Zeit noch in aller Regel nur vier Fakultäten gab: eine Philosophische, eine Medizinische, eine Juristische und eine Theologische. Das würde ihn dann an sein mittelalterliches Zuhause erinnern. Auch wäre ihm der Umstand vertraut, dass diese Fakultäten genau so strukturiert sind wie die Universität im Ganzen: An der Spitze steht hier ein Dekan, der wie die Rektorin regelmäßig von einem Rat gewählt wird. Neu wäre ihm, dass sich dieses Prinzip im Inneren der Fakultäten, auf der Ebene sogenannter Seminare oder Institute, noch einmal wiederholt. Aber leicht würde er sich verständlich machen, dass dies angesichts der schieren Größe der heutigen Universität naheliegt. Es liegt auf der Hand: Die Hochschulen, die sich derzeit gerne so ein schnittiges Image geben, sind eine mittelalterliche Organisationsform, und aus diesem Erbe machen sie auch kein Geheimnis. Ihre Gestalt entstand in Bologna, in Paris und Oxford um das Jahr 1200 herum, und von dort aus verbreitete sie sich zügig. Zu Luthers Zeiten waren es auf dem Boden des Reichs schon 17, sie rekrutierten ihre Scholaren aus Einzugsbereichen, die nicht gerade klein waren.3 In ihrem Kern waren und blieben sie coniurationes, genossenschaftlich verfasste Gruppen also, Schwureinungen entweder von Lehrenden oder von Studierenden, das heißt autonome und autokephale Verbände.4 Das bedeutet, dass es sich bei ihnen um Gruppen handelte (und im Prinzip auch immer noch handelt), die, um es in einer klassischen Formulierung aus Otto von Gierkes Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft zu sagen, „den letzten Grund ihres Verbundenseins im freien Willen der Verbundenen“ hatten. Offenbar hatten sich die Beteiligten in freier Einung miteinander verbunden, um gemeinsam Wissenschaft zu treiben. Es konnte, so beschrieb der 27jährige Gierke diesen Vorgang mit Blick auf die mittelalterlichen Genossenschaften mit spürbarem Pathos, unter den zuerst durch irgend eine Gemeinschaft des Kultus, des Interesses, der Geselligkeit, der Wohlthätigkeit näher und häufiger zusammengeführten Männern die Idee erwachen, sich durch Eid oder Gelöbnis gegenseitig zu verbinden, sich eng und dauernd als Genossen zu vereinen.5

Ähnlich wie andere Formen der freien Einung, also wie die Handwerker- und Händlerverbände oder die kommunal verfassten Städte, kamen die Universitäten jeweils durch Vertrag zustande. In einen solchen Kontrakt musste man sich dort, wo schon Universitäten bestanden, eingliedern, wenn man am Ort lernen oder lehren wollte. Sinnbild dieses genossenschaftlichen Prinzips sind die Eingangsseiten der frühen Universitätsmatrikeln. Die opulenten Matrikelbände beinhalten in ihrem Eingangsteil in der Regel eine Darstellung des Gekreuzigten oder ein anderes Christusbild, ergänzt durch das Initium des Johannesevangeliums und eine Eidesformel. Auf das Bild leisteten die Neuen ihren Eid ab. 144

Für immer Korporation?

Der verräterische Fettfleck, den man beispielsweise auf dem Kruzifix der Rostocker Matrikel deutlich erkennen kann, zeugt davon, dass sämtliche Immatrikulanten ihre Finger auflegten, während ihnen die Eidesformel vorgesprochen wurde (siehe Abb. auf S. 140).6 Hatten sie den Eid geschworen, waren sie Mitglieder der akademischen coniuratio geworden, zweifellos ein Anlass zur Freude. Ein Anlass zur Freude war die Immatrikulation auch deshalb, weil die Immatrikulierten damit in den Genuss von Privilegien gelangten. Denn schon früh hatten sich die Hochschulen zusätzlich Schutz bei geistlichen und weltlichen Herren gesucht, hatten sie sich von diesen gewisse Rechte verbriefen lassen. Sie wandten sich an den Magistrat ihrer Stadt oder, am häufigsten, an den Landesherren, durchweg auch an den Papst, mitunter an den Kaiser. Auch wenn sie im Inneren ihrer genossenschaftlichen Verfasstheit treu blieben, hielten sie es doch für ratsam, zusätzlich derartige Privilegienbriefe einzuholen, um für sich und ihre Angehörigen ein höheres Maß an Rechtssicherheit zu erlangen. Päpstliche Privilegien waren attraktiv, weil sie das ius ubique docendi beinhalteten, also das Privileg, nach ihrer Promotion ihre alma mater gegen eine andere einzutauschen und am neuen Ort ungehindert zu lehren.7 Die akademischen Grade, verstanden als abgestufte Lehrbefugnisse, sollten Gültigkeit im gesamten Gebiet der lateinischen Christenheit besitzen. Bis zur Privilegierung der neuen Universität in Frankfurt an der Oder im frühen 16. Jahrhundert kennt man europaweit 67 solcher fundierenden Papstprivilegien.8 Zum Vergleich: Die Kaiser erließen bis zur Gründung der Universität Bonn im Jahr 1784 insgesamt 58 große Privilegienbriefe.9 Bei den weltlichen Privilegien ging es ebenfalls um sehr praktische Dinge: um die Befreiung von Steuern und anderen Abgaben, um Rechtssicherheit am Ort, um Wegefreiheit und um die Begrenzung der Haftung, um die Bindung von Lebensmittelpreisen und Miete und nicht zuletzt um die Haftung für die Verbindlichkeiten anderer Universitätsangehöriger. Unter diesen Bedingungen waren Universitäten also privilegierte Verschwörungen – ein Paradox! Dass dies nicht so gesehen wurde, verdankten die Universitäten hauptsächlich den Kategorien des Rechts und der zeitgenössischen politischen Theorie, denn diese lösten den Widerspruch in der Rechtsfigur der Körperschaft auf. Körperschaften oder Korporationen vereinten die Eigenschaften der individuellen und der kollektiven Zugehörigkeit, der Rechtspersönlichkeit und der obrigkeitlichen Privilegierung, waren also genossenschaftlich-­herrschaftliche Mischwesen.10 So bezeichnete etwa in England der Begriff „incorporation“ den Vorgang, mit dem eine Gruppe, Assoziation, Händlerinnung etc. königlich privilegiert wurde. Jede der Londoner „livery companies“ etwa genoss in diesem Sinn das Privileg, „a chartered corporation“ zu sein.11 Wer im 18. Jahrhundert die „East India Company“ oder die „Bank of England“ als eine „corporation“ bezeichnete, implizierte das Vorhandensein nicht nur einer Rechtsperson, sondern auch eines prachtvoll ausgestatteten Pergaments, das zum Führen eines Siegels ermächtigte und dem Adressaten verbriefte, dass er klagen, aber auch verklagt werden konnte. Wer aber seit dem 18. Jahrhundert Universitäten als Korporationen ansah, also als fürstlich privilegierte, rechtspersönliche Professorenzünfte, der verband damit Bewertungen, 145

Frank Rexroth

die weiter gingen als die reine Beschreibung eines Rechtszustands. Denn Korporationen wurden seit dem 18. Jahrhundert auf der einen Seite massiv angefeindet, auf der anderen leidenschaftlich verteidigt. Die französischen Aufklärer etwa sahen in ihnen ein Ärgernis.12 Für Rousseau selber war die Existenz von Zünften der willkommene Beleg dafür, dass Sondergruppen, insbesondere privilegierte Sondergruppen als Träger von Sonderinteressen, der Durchsetzung des Gemeinwillens entgegenstanden und daher abgeschafft werden mussten. Diderot sah in den Zünften Fortschrittshindernisse, ihre „völlige und endgültige Abschaffung“ schien ihm ein Gebot der Zeit zu sein. In Adam Smiths Buch über den Wohlstand der Nationen (1776) konnte man lesen, dass Zünfte und Zunftordnungen Instrumente zum Erzielen hoher Preise und zur Einschnürung des freien Wettbewerbs seien. Und tatsächlich schaffte das revolutionäre Frankreich die Korporationen ab: „Il n’y a plus ni jurandes, ni corporations de professions, arts et métiers“, hieß es in der Verfassung von 1791.13 Das Negativurteil ließ sich nicht auf die Handwerker-­Einungen begrenzen. Hätte man damals schon wie heute ein Unwort des Jahres gewählt – einmal wäre sicher die „Korporation“ an der Reihe gewesen. Dies galt freilich nicht für alle Zeiten und auch nicht für alle Beteiligten am politischen Diskurs. Die Vertreter der politischen Romantik lehnten sich seit ca. 1800 gegen viele Radikalismen der aufklärerischen Agitation auf und sahen dabei in den Zünften, ja überhaupt in den Korporationen der Vormoderne die Zeugen einer Zeit, die harmonischer, geordneter, stabiler war als die Gegenwart – in Novalis‘ Fragment über Die Christenheit oder Europa (1799) übt die Zunft eine „wohlthätige Macht“.14 Die Aufhebung von Zunftverfassungen lehnten die Romantiker entschieden ab. Nicht zufällig etablierte sich in dieser Ära im Inneren der Universitäten in studentischen Verbindungen und Burschenschaften eine Kultur, die in ihren Gruppenaktivitäten, im brüderlichen Zusammenhalt, im scharfen Gegensatz zwischen Innen und Außen, Dazugehören und Nichtdazugehören eine angemessene Selbstpositionierung ihrer eigenen Zeit gegenüber sah. Ihre Begeisterung für Neogotisches, für Zinnkrüge und andere Utensilien, die man für irgendwie mittelalterlich hielt, gehörte zu dieser Kultur dazu. Die Universität sollte an ihre Gruppengestalt erinnern, an die starke Scheidung von ‚wir‘ und ‚die anderen‘, mittels derer sich die Hochschulangehörigen als ein Stand aus ihrer Umwelt hervorhoben. Diese beiden Positionen (‚Korporationen sind ein unerwünschtes Erbe, auf das man zum Wohl des Fortschritts verzichten sollte‘, und ‚Korporationen bewahren das Gute am Vormodernen für die Moderne und bieten Schutz vor deren falschen Fortschrittsverheißungen‘) standen sich diametral gegenüber. Da beide ihre Vertreter auch an den Universitäten selbst hatten, gab es im Inneren der Hochschulen fortan zwei ganz gegensätzliche Blickweisen auf die universitas: eine aufklärerisch-­kritische und eine romantisch-­ verklärende. Jeweils ein Vertreter soll zu Wort kommen, hier zunächst der Publizist Karl Heinrich Hermes im Jahr 1833: 146

Für immer Korporation?

Die deutschen Universitäten haben dasselbe Gebrechen, an dem so viele andere öffentliche Einrichtungen unserer Zeit leiden. In den düstersten Zeiten des Mittelalters entstanden, haben sie die Formen, die für jene Tage vollkommen passend waren, großentheils unverändert auf unsere Tage gebracht, für die sie nicht mehr passend sind.15

Die gegenteilige Meinung äußerte Wilhelm Heinrich Riehl 1861 in seinem Buch über Die Bürgerliche Gesellschaft: Die deutschen Universitäten sind eines der merkwürdigsten Denkmale historischer ‚Gliederung der Gesellschaft‘. In ihnen webt der alte Geist jenes deutschen Bürgerthumes, welches sich in dem engeren Banne der Corporation erst recht stark und frei weiß. Der Student, wenn er zur Hochschule kommt, hat nichts eiligeres zu thun, als sich nach streng geschiedenen Gruppen, in Burschenschaften, Landsmannschaften etc. zu sondern. Er thut dies nicht um irgend einer Reaction willen, sondern kraft seiner akademischen Freiheit und zur vollsten Ausbeutung derselben. Die Naivetät des jugendlichen Geistes sucht die sociale Gliederung auf, das abgelebte Alter zerfließt in der Allgemeinheit.16

Aus ähnlichen historischen Verortungen der Universität zogen die beiden Autoren folglich ganz unterschiedliche Schlüsse. Zugegebenermaßen sind diese Stimmen alles andere als aktuell, und man kann mit Recht bezweifeln, dass derlei Verortungen auch heute noch von Belang sind. Doch provozierte die Bezeichnung der vergangenen wie der gegenwärtigen Universitäten als Korporationen im Klima des 19. wie des 20. Jahrhunderts häufig entsprechende Stellungnahmen. Denn wo man sich Gedanken darüber machte, welches die essentiellen Veränderungen in den europäischen Gesellschaften auf dem Weg in die Moderne waren, dort betonte man früh, dass die alten und die neuen Formen der Vergesellschaftung besonders unterschiedlich waren, ja sein mussten.17 Wie konnte es dann sein, dass die Universität so vormodern blieb? War sie ein Anachronismus, oder war sie einer der letzten Zeugen einer besseren, vergangenen Welt? Die konträren Ansichten dazu, wie der korporative Charakter der Universitäten zu bewerten sei, sind eingeflossen und blieben dauerhaft spürbar in den Antworten zu der Frage, was die Universitäts-­Förmigkeit der Wissenschaft für den Fortschritt der Wissenschaft bedeutet hat und noch bedeutet. Welchen Einfluss nahm die Organisationsform der Universität auf die Wissensordnung der Wissenschaft, was hat die Hochschule der letzteren angetan? Diese Frage ist in der Vergangenheit vor allem von historisch denkenden Soziologen wie Rudolf Stichweh oder David Kaldewey ernst genommen worden, ernster jedenfalls als von den Historikern.18 Bei den Historikerinnen und Historikern haben sich – in der Verlängerung der konträren Einschätzung von Korporationen – zwei Metanarrative herausgebildet, die Antwort geben sollen. Sie sollen hier als die „heroische“ und die „kritische“ Meistererzählung von der Universität bezeichnet werden.19 147

Frank Rexroth

Die erstere, die heroische, führt die Positivbewertung der korporativen Universitäts-­ Förmigkeit in der Gegenwart fort. Sie hat seit dem Einsetzen einer vergleichenden Universitätengeschichtsschreibung am Ende des 18. Jahrhunderts immer ihre Anhänger gefunden, und sie wird beispielsweise regelmäßig zu den Jubiläen abgerufen – in Festschriften, Universitätsgeschichten und Sammelbänden jedweder Couleur. Diese Erzählung setzt an beim Akt der freien Einung, auf den die Gelehrtenkorporationen zurückgehen. Sie betont, dass es deren erste Angehörige mittels dieses mutigen Schritts geschafft hatten, sich eine entsprechende Verfassung zu geben und günstige Privilegien zu erwirken – und dies in einem Ambiente, das von Wissenschaft wenig wusste und den zahlreichen Neulingen auch nicht unbedingt freundlich gesonnen war! Inseln der Gelehrsamkeit entstanden so, und der gelehrte Geist konnte sich fortan frei entfalten. Die Universität als Körperschaft galt laut dieser Erzählung als eine Insel des Geistes in einem Meer an Profanität, in einer Welt aus Machtbeziehungen, von der sich große Geister eigentlich wenig Gutes erhoffen durften. Malte man den Kontext, in dem dieses sich ereignete, als ein Szenario der sozialen Desorganisation, dann betonte man die Versorgungsschwierigkeiten in vormodernen Städten, den Mangel an brauchbarem Wohnraum und die Engpässe, die mit der Ankunft von Scholaren entstanden. Die Einrichtung der Universität ließ sich unter diesen Voraussetzungen so verstehen, als hätten die Gelehrten einer von Grund auf wissenschaftsfernen Umwelt handelnd einen Schutzraum abgetrotzt, in dem es sich unbehelligt philosophieren, rechnen oder distinguieren ließ.20 Dies war in der Tat der Stoff für heroisierende Geschichtsschreibung. In ihren extremsten Ausprägungen ist die Geschichte der europäischen Universität fortan gleichbedeutend mit der Geschichte der Wissenschaft. Vor allem Jubliläumshistoriker erliegen ihr gerne und signalisieren: Wir Gelehrten haben es aus eigener Kraft geschafft, und wir haben den eigentlich schon immer liberalen Geist der Europäer mit einer ihm kongenialen Organisationsform versehen. Von ihr aus verbreitete sich der Geist der Wissenschaft und des Fortschritts. Dies ließ sich etwa dort, wo es um die Spezifik okzidentaler Gesellschaften ging, auf der Habenseite verbuchen: „Westliche“ Freiheit gab es auch wegen der „westlichen“ Wissenschaft, also der Universität, und umgekehrt galten Hochschulen und Wissenschaft ihrerseits als Kinder eines spezifisch okzidentalen Freiheitsdrangs. John W. Chapmans Schrift The Western University on Trial von 1983 mag für diese Lesart stehen: The modern Western university, devoted to science and scholarship, is an achievement of a liberal civilization. […] No other civilization – not the Chinese, Indian, or Islamic – invented an institution specialized for intellectual endeavor; this is unique to the West. Although it has Greek and medieval antecedents, the modern university is the culmination of an educational revolution that followed closely upon the Western political and economic revolutions. All these revolutions, as well as the earlier scientific revolution, have a common origin in the liberal unleashing of human rationality and individuality.21 148

Für immer Korporation?

Das war deutlich: Die Revolutionen von 1776, von 1789, ja sogar schon die „Scientific Revolution“ des 16. und 17. Jahrhunderts lagen in der Verlängerung jener ingeniösen Neuerung des Mittelalters, der europäischen Universität. Ähnlich äußert sich Alan ­Cobban, ein Kenner der englischen Universitäten: The formulation of the concept of academic freedom and the need to preserve it through eternal vigilance is perhaps one of the most precious features of the history of medieval universities. The urge to dominate free intellectual associations, whether under the authoritarian heel of the ecclesiastical or the secular power, is a central issue of university development in medieval Europe. […] The medieval university was essentially the indigenous product of western Europe, and it is clearly one of the most valuable and fructifying bequests of the middle ages to the modern world.22

Für Cobban rührt der liberale Wille der Europäer, sich gegen die Überherrschungsgelüste der Kirche und der weltlichen Fürsten zur Wehr zu setzen, vom Willen mittelalterlicher Gildegenossen her, ihre akademische Freiheit zu wahren und ihre „free intellectual associations“ zu schützen. Diese Aussage ist deshalb besonders instruktiv, weil die im ersten Satz angesprochene Notwendigkeit zur beständigen Wachsamkeit und zur Verteidigung der akademischen Freiheit den Kern des alten korporativen Gedankens ausmacht. Die Außengrenzen der Korporation waren die Verteidigungslinie der Wissenschaft schlechthin, so suggeriert Cobban hier. Das zweite, kritische Narrativ nimmt dagegen eine totale Umwertung desselben Gedankens vor und stützt sich dabei auf die aufklärerische Negativsicht auf Korporationen, die schon skizziert wurde. Sie betont die Hermetik und den Gruppengeist der Körperschaften, ihre vermeintliche Fortschritts-­Feindschaft und ihre Verpflichtung auf ein Gesellschaftsmodell, das sein Heil in der Bewahrung von Privilegien sieht, also von Sonderrechten. Dieser Meistererzählung zufolge ist die Universität nicht das Haus der Wissenschaft, sondern deren primäre Bedrohung. Die Wissenschaft selbst wird hier als etwas Fluides, auf ungehemmte Beweglichkeit Angewiesenes erachtet, das im Reich der Curricula und der Examina, der Scheidung von ordentlichen und außerordentlichen Vorlesungen, der internen Hierarchien aus Ordinarien und Extraordinarien nicht zu seiner optimalen Entfaltung kommen kann. Wer so denkt, betont gerne, dass die Geschichte der Universität seit der Frühen Neuzeit eine Geschichte des Nachdenkens über alternative Organisationsformen gewesen ist: Akademien und Ritterakademien, Spezialschulen für Chirurgie, Artillerie und Verwaltung, für den Bergbau, die Kameralwissenschaft, die orientalischen Sprachen und den Handel, die Priesterseminare und die niederländischen „illustren Schulen“, spanische Kloster-­Universitäten und theologische Institute.23 Die Vertreter dieser Sichtweise sagen gerne, dass der Erfolg der Universitäten darauf beruhe, über die Jahrhunderte weg hartnäckig ihr Monopol auf das Promotionsrecht verteidigt zu haben. Typisch Korporation, möchte man sagen. 149

Frank Rexroth

Im Streit des 19. und 20. Jahrhunderts um die Emanzipation der technischen Hochschulen und mithin im Rangstreit um die Präzedenz eines „Kulturmenschentums“ oder eines technokratischen „Fachmenschentums“ wird diese Sichtweise in die Gegenwart hinein weitertradiert.24 Auch erinnern die Anhänger des kritischen Narrativs daran, dass sich wissenschaftlicher Fortschritt in der Geschichte Europas auffallend häufig außerhalb der Universitäten ereignete: Vesalius, Galileo und Newton waren einmal Professoren gewesen, doch Kopernikus, Kepler, Francis Bacon, Descartes, Mersenne, Pascal, Boyle, Brahe oder Huygens niemals. Und auch die Innovationen der ersteren sind nicht wesentlich mit dem akademischen Betrieb in Verbindung zu bringen. Pascal, Boyle und Descartes haben nicht einmal einschlägige Universitätsstudien absolviert, sie waren allenfalls in Fächer inskribiert, die mit ihren bahnbrechenden Leistungen nichts zu tun hatten.25 Bedeutende Arbeiten zur neueren Wissenschaftsgeschichte wie Mario Biagiolis Buch über Galileo Galilei halten ähnliche Botschaften bereit: Galileis wissenschaftlicher Aufstieg war nicht mit einer Professur, sondern mit seinem Weggang von der Universität und dem Ende jeglicher Lehrverpflichtung verbunden. Und damit war er kein Einzelfall. Sowohl der Mathematiker Isaac Barrow als auch sein Nachfolger Isaac Newton verließen Cambridge, um dank einer besseren Ausstattung außerhalb einer Hochschule zu forschen. Vesalius verließ die Universität Padua, um dem kaiserlichen Haushalt anzugehören; der Astronom Gian Domenico Cassini I. ging von Bologna weg und arbeitete fortan an der neuen Académie Royale des Sciences in Paris.26 Auch schon für das Mittelalter haben Kenner wie Sir Richard Southern betont, dass wesentliche Erkenntnisse nicht im Schutzraum eines studium generale, sondern dem des Hofes oder Klosters erbracht wurden. Andere wie Johannes Fried haben pointierte Thesen dazu vorgetragen, dass die wissenschaftliche Innovation in thematischen Bereichen stattfand, die nicht diejenigen der Universität waren, etwa in der westlichen apokalyptischen Tradition.27 Beide Meistererzählungen, die heroische wie die kritische, finden bis heute ihre Advokaten. Nicht immer werden sie sauber voneinander geschieden, ja gerade in Denkschriften zur Hochschulreform hat man sie auch durchaus miteinander vermengt.28 Die deutsche sogenannte Exzellenzinititative beispielsweise ist in einem Ambiente ersonnen worden, das dem Gedanken der korporativen Universität zutiefst misstraute – an ihrem Anfang stand das Ökonomen-­Mantra „Die Stärken stärken“, was einer Absage an die Selbstverpflichtung auf das studium generale gleichkam. Doch in der Durchführung der Exzellenzinitiative zeigten die Akteure an den Hochschulen selbst dieser Logik von Unternehmensberatern die kalte Schulter und betonten selbstbewusst, „Volluniversitäten“ zu sein. Dies bedeutete eine klare Absage an das Motto „Die Stärken stärken“, ja wahrscheinlich war zuvor niemals so viel von „Volluniversitäten“ die Rede gewesen wie im Kontext der Exzellenzinitiative. Und in diesem Zusammenhang erinnerten sie auch daran, dass sie schon seit 1386 oder 1737 existierten.29 Welche der beiden Sichtweisen ist die richtige? Es ist sinnvoll, ihre Implikationen auszuloten und über den jeweiligen Grad ihrer Berechtigung zu befinden. Das setzt voraus, 150

Für immer Korporation?

dass man sie beide ernst nimmt, indem man sie ohne die schroffen Bewertungen handhabt, die gemeinhin mit ihnen verbunden werden. Im Kern geht es in ihrem Wettstreit um die Frage nach der Beziehung zwischen der Wissenschaft als einer epistemischen Ordnung und der Universität als einer Organisationsform. Damit ist die Frage aufgeworfen, wie die eine die andere bedingt, was die korporative Verfassung der Universität mithin für das Denken, das in ihr betrieben wird, bedeutet. Im Folgenden soll daher exemplarisch danach gefragt werden, wie sich die Ordnungen des Wissens und des sozialen Raums in der frühsten Ära der europäischen Universitätsgeschichte zueinander verhielten. Dabei wird deutlich werden, dass die korporative Universität tatsächlich von Anfang an massiven Einfluss auf die Weiterentwicklung der Wissensbestände genommen hat. Sie hat diese kanalisiert und wirkte restriktiv auf die Vermehrung von Wissensprovinzen. Doch, und das ist meine These, schützte sie die Wissenschaft auf diese Weise vor ihrer eigenen Komplexität. Sie dämmte Auflösungstendenzen ein, die von Anfang an mit wissenschaftlicher Betätigung einhergingen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem um 1200 die ersten Universitäten entstanden, gab es seit bereits ca. 130 Jahren eine Denkform, die man guten Gewissens als wissenschaftliches Denken bezeichnen kann.30 Gelehrtes Wissen war in dieser Ära, genauer: seit den 1070er Jahren zunehmend selbstreflexiv und autopoietisch geworden. Es rechnete mit Erweiterung aus sich selbst heraus, es schätzte den kritischen Widerspruch und maß die Vorbehalte der Jungen, die sich gegen das überlieferte Wissen der Alten aussprachen, nicht mehr an der Maxime der Richtigkeit (rectitudo), sondern der Wahrheit (veritas). „Richtigkeit“ hatte gerade im Ambiente der Klosterschulen bedeutet, Lehrerwissen als Norm zu akzeptieren und möglichst maßstabsgetreu weiterzugeben. Das neue Ideal der Wahrheit, das von der Dialektik ausging, also der zeitgenössischen Spielart philosophischer Logik, rechnete dagegen damit, dass tradiertes Wissen falsch sein könnte. Schon bald war das Sprichwort Amicus Plato, sed magis amica veritas in Umlauf: „Plato ist mein Freund, aber meine noch größere Freundin ist die Wahrheit“.31 Peter Abaelard, der berühmteste Vertreter dieses Schulenmilieus, mahnte seinen Sohn Astralabius: Kümmere dich nicht darum, wer etwas sagt, sondern darum, was die Worte wert sind […]. Vertraue den Worten deines Lehrers nicht aus Liebe zu ihm, und lasse nicht zu, dass ein Gelehrter einzig durch seine Liebe Einfluss auf dich nimmt. Nicht die Blätter der Bäume nähren uns, sondern die Frucht.32

Dieser Paradigmenwechsel von der Richtigkeit zur Wahrheit hatte selbstverständlich Auswirkungen auf die Ordnungen des Wissens im Ganzen. Dem Richtigkeits-­Ideal der Vergangenheit kongenial gewesen war die Ordnung der Wissenschaften in den sogenannten „Sieben freien Künsten“ (septem artes liberales). Doch deren Bestandteile lösten sich zu 151

Frank Rexroth

weiten Teilen auf und rekonfigurierten sich zu einer neuen Ordnung: der „Philosophie“ nach aristotelischem Vorbild. Die Klassifikationen änderten sich damit. An die Stelle von „Trivium“ und „Quadrivium“ (den Grundeinheiten der artes liberales) traten theoretische und praktische Philosophie – und damit Größen wie Naturphilosophie und Metaphysik. Im Inneren der praktischen Philosophie entstand ein Gebäude, das aus Ethik, Ökonomik und Politik aufgebaut war. Dies alles ereignete sich in den besagten 130 Jahren zwischen ca. 1070 und ca. 1200. Artes-­liberales-­Lehren wurden auch in dieser Zeit durchaus noch verfasst. Überhaupt starb die ältere Wissensordnung der Kloster- und Domschulen nicht einfach aus, und gerade bei konservativen Denkern behielt sie durchaus ihre Anhänger. Doch wo neues Wissen hinzukam, ordnete es sich der Philosophie zu, nicht den Artes liberales. Eine neue Wissensordnung wurde zur Konkurrentin der älteren.33 Dieses neue Paradigma, dasjenige der Philosophie, hatte freilich gegenüber dem älteren auch seine Nachteile, und diese betrafen vor allem seine soziale Bindungsfähigkeit. Denn während sich im Rahmen der Freien Künste recht starke, idealerweise lebenslange Schüler-­Lehrer-­Loyalitäten (und damit stabile Schulen) aufrechterhalten ließen, veranlasste die „Wissenschaft“ als Denkform die Besucher der Schulen stärker als jemals zuvor, Lehrer zu wechseln, auszuprobieren, kritisch zu bewerten und aus dieser Bewertung ihre Schlüsse zu ziehen. Der Referenzrahmen, innerhalb dessen man sich weiter ausbildete, war immer weniger die stabile soziale Gruppe, die schola, sondern die imaginierte Gesamtheit derer, die sich mit bestimmten Fragen beschäftigten, etwa spezifischen Problemen der Logik. Peter Abaelard, der studentische Heißsporn, der sich mit Lehrern meistens schnell überwarf und sein Heil in der Gründung einer eigenen Schule schon in jungen Jahren suchte, ist das beste Anschauungsobjekt, wenn man sich fragt, was sich damit änderte.34 Die stabilen Gruppenbeziehungen lösten sich auf, der Geist wurde mobil, ja flüchtig. Dies galt nicht nur für die Träger des Geistes, sondern auch für deren Wissen.35 Unter den neuen Voraussetzungen identifizierten die Gelehrten recht unbefangen neue Wissensprovinzen (leicht anachronistisch: „Fächer“) und wiesen ihnen eine Stelle im gedachten Kosmos der Philosophie zu. Einer der Denker, der kurze Zeit später großen Einfluss auf die Pariser Wissenschaftslandschaft gewinnen sollte, der Spanier Domingo Gundisalvo, sprach plötzlich von den Wissenschaften der Nigromantie, der Landwirtschaft, der Navigation, der Optik und der Alchemie.36 In diesem Klima wurde der Zuschnitt von Disziplinen und Fächern ein Problem. Erst jetzt traten beispielsweise Theologie und Kirchenrecht tatsächlich auseinander. Normen des Rechts und Normen des sittlich Guten – und gar Maximen der Nützlichkeit – wurden unterscheidbar, die Zeitgenossen lernten zu differenzieren zwischen den Jura, der Ethik und jenen neunmalklugen Ratschlägen, die man in rhetorischem Schrifttum vorfand. Der Unterschied zwischen dem Recht und der praktischen Philosophie wurde deutlich, schon allein dadurch, dass Juristen und Philosophen unterschiedliche Techniken der Stoffbearbeitung entwickelten. Reflexionen über die Ethik emanzipierten sich, und dies 152

Für immer Korporation?

Jahrzehnte, bevor die Nikomachische Ethik des Aristoteles in vollständiger lateinischer Übersetzung greifbar war. Dasselbe galt für die Politik: Interesse bestand daran bereits im 12. Jahrhundert, die Übersetzung der Politeia durch Wilhelm von Moerbeke heizte dieses dann weiter an. Naturphilosophisches Denken wurde so wichtig, dass Kenner wie Marie-­Dominique Chenu diesen Zeitraum als die Ära der „Entdeckung der Natur“ benannt haben. Andere sprachen vom „Erwachen der Metaphysik“ und meinten gleichfalls diesen Zeitraum.37 Gab man den ordnenden Rahmen der Artes liberales auf, so sehen wir, dann war schnell der Geist der Erweiterung, der Vermehrung, der Neukonfiguration aus der Flasche. Die Wissenschaft wurde beweglich, ja flüchtig. Um das Jahr 1200 war ein Optimum dieser Verbreiterungen und Dissoziationen erreicht. Den frühsten (überlieferten) Pariser Universitätsstatuten von 1215 merkt man nun aber an, dass sich hier eine Organisationsform namens Universität unter erheblichem Außendruck gegen Zerstreuung und Wildwuchs zur Wehr setzte – ob alle damit glücklich waren, ist eine andere Frage.38 Der Einführung von Curricula und sogar von Leseverboten folgte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine Binnengliederung nach Fakultäten – die klassische Vierzahl.39 Man könnte also glauben, dass nach über hundert Jahren heroischer Gelehrtenarbeit in der Atmosphäre einer „fröhlichen Scholastik“ die Kräfte der Reaktion den Sieg davongetragen haben. Keine Philosophische Fakultät wurde eingerichtet, sondern eine Artistenfakultät, ein Haus für die Sieben Freien Künste. Abermals: ein Zeitreisender aus der Karolingerzeit hätte sich an der jungen Pariser Universität sofort zurechtgefunden. Dem war aber nicht so. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die Fakultät zwar nach den Artes liberales benannt wurde, dass aber deren Besucher, sofern sie sich auf die Materie einließen, nicht der Logik der Artes, sondern derjenigen der Philosophie folgten – und dies durchaus unter dem Dach der Artistenfakultät. Sie übernahmen die Gliederung der Freien Künste, füllten die entsprechenden Vorlesungen aber bei Bedarf mit philosophischen Stoffen aus. Die frühen Einführungswerke in die Pariser Universitätsphilosophie machen es möglich, diese Technik detailliert nachzuvollziehen.40 Nicht die Artes waren dann der eigentliche Lehrgegenstand, sondern die theoretische und die praktische Philosophie, schon bald die Ethik, Ökonomik und Politik, und noch früher die Naturschriften des Aristoteles und die aristotelische Metaphysik. Offenbar herrschte ein erhebliches Maß an Ambiguitätstoleranz: Im Inneren einer von Anbeginn auf Stabilität, Dauerhaftigkeit und Traditionsbewusstsein beruhenden Organisationsform – und damit unter dem Schutz der Instanzen, die die Universität mittels Privilegien absicherten – entstanden Experimentierfelder des Wissens und der Disziplinen. Die universitären Teilorganisationen (Fakultäten, Curricula, Graduierungen etc.) deckten keineswegs die gesamten Aktivitäten unter dem Dach der Universität ab, halfen der agilen Wissenschaft aber, mit ihrer eigenen Komplexität zurechtzukommen, indem sie einen institutionellen Rahmen vorgaben.41 Bezeichnenderweise beschränkte sich noch die mutige Berliner Gründung zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf das tradierte Quartett der Fakultäten, ja noch viel 153

Frank Rexroth

länger wurden Physiker, Biologen und Mathematiker an Philosophischen Fakultäten promoviert. Und dennoch schloss dies im Inneren der Hochschulen eine Vermehrung der Gegenstände, die Veränderung der Fragen und Methoden keineswegs aus. Dies führte in der longue durée dazu, dass die universitas Teile integrierte, die sich unter ihrem Dach keineswegs funktional aufeinander bezogen, dass in ihrem Inneren die Jäger der philosophischen Wahrheit mit den angehenden Staatsdienern und den Technokraten zu kommunizieren gezwungen waren.42 Zwar wird in Universitäten unstrittig arbeitsteilig am Gesamtprojekt der Wissenschaft gearbeitet. Doch dies tut man nicht im selben Sinn, in dem in den Montagehallen einer Fabrik Teile gefertigt und dann zusammengesetzt werden, sondern vielmehr so, dass die Abteilungen ihre Aufgaben aus der überregionalen Diskursgemeinschaft ihrer jeweiligen Wissenschaft beziehen. Die primären Referenten ihrer Akteure, der Wissenschaftler, sind dann nicht so sehr die Kolleginnen und Kollegen an der Fakultät oder im örtlichen Professorium. Ob sich eine Forscherin an einer deutschen Universität mit ihren Publikationen durchsetzt, wird in der Gemeinschaft ihres Fachs entschieden, nicht an ihrem Institut.43 Die Wissenschaft, einer der beweglichsten, am stärksten auf Erneuerung und Veränderung angelegten Sektoren der Gesellschaft, vertraute sich der korporativ verfassten Universität an – und damit einer besonders stabilen Organisationsform, die in ihrem Kernbestand noch heute an ihren mittelalterlichen Grundzügen festhält. Aber dieses Paradox ist eben in Wirklichkeit gar keines. Nicht obwohl sie so fluide ist, bedarf die Wissenschaft einer derartigen Stabilisierung, sondern weil sie so beweglich ist. Die Leistung der Universität für die Wissenschaft ist es, ihr diesen Anker der Beständigkeit zu bieten, ohne in ihrem Inneren die zahlreichen Initiativen zur Weiterentwicklung, Umorientierung, ja gänzlichen Neuausrichtung zu verhindern. Ein ganz wesentliches Element für diese Kombination von organisatorischer Stabilität und wissenschaftlicher Beweglichkeit war und ist dabei die Lehre. Denn die Vorlesungen, Übungen, Kolloquien usw. sorgen durch ihre Verpflichtung auf Studienordnungen für jene Stabilität und zugleich für die Rückbindung der forschungsmäßigen Spezialprobleme an den Horizont der jeweiligen Disziplin.44 Auch ermöglicht die Lehre der spezialisierten Forscherin, die überregionale „epistemic community“ im eigenen Übungsraum zu simulieren. Im Hinblick auf die Lehre ist der konservierende Zweck der Universität daher auch besonders ernst zu nehmen. Nur weil sich die Namen von Studiengängen oder der Modus der Examinierung und der akademischen Grade nicht ständig ändern, kann die Wissenschaftlerin, die an ihr ausgebildet wird, in der außerwissenschaftlichen Umwelt darauf rechnen, dass ihr Vertrauen entgegengebracht wird. Es ist ein Irrglaube, die Universitäten dadurch zeitgemäßer erscheinen zu lassen, dass man ihre Bestandteile jeder aktuellen Bewegung in der Forschung oder gar dem aktuellen Informationsbedürfnis der sozialen Umwelt anpasst und mit der Verheißung maßgeschneiderter Problemlösungskompetenz aufwartet. Akademische Grade regeln die Kommunikation zwischen den Absolventen und ihrer Außenwelt, und es ist doch sehr wahrscheinlich, dass ein Masterabschluss 154

Für immer Korporation?

„History“ selbst in Großbritannien seine Trägerin besser verortet als der Abschluss in „West Midlands History“, wie er von der Universität Birmingham angeboten wird. Die Befürworter dieser in großer Zahl ins Kraut schießenden Studiengänge irren, indem sie der Organisation Universität zumuten, in ihren Gliederungen die forschende Wissenschaft abzubilden. Denn dies wäre genauso abwegig wie die Verwechslung der Kirchen mit der Religion, des Staates mit der Politik oder des Justizapparates mit dem Recht. „Traditio et innovatio“: Man darf, ja muss sie zusammendenken, und dies nicht nur in der Außendarstellung der Universität. Sie beziehen sich auf zwei verschiedene Dinge, aber sie standen und stehen dabei in einem Bedingungsverhältnis zueinander, und das ist auch gut so.

155

Frank Rexroth

Anmerkungen

1

Bis auf geringfügige Veränderungen handelt es sich hier um den Text, den ich am 25. Oktober 2018 in der Aula der Rostocker Universität vortrug. Die Literaturangaben bleiben auf das Wichtigste beschränkt. Für Hilfe und Kritik danke ich Matthias Büttner und Veit Groß, Göttingen. 2 Die politischen, aber auch die epistemologischen Kontexte des Freiburger Mottos sind aufgearbeitet von Kaiser 2003, 47 – 103. Zur Begriffsgeschichte Michaud-­Quantin 1970, v. a. 17 f. 3 Rexroth 2006; zur Geschichte und zur Überlieferung der Universitäten in Europa Rüegg (Hg.) 1993; de Boer/Füssel/Schuh (Hgg.) 2017; das Profil der Besucherschaft ist für die deutschen Hochschulen am besten erforscht. Grundlegend Schwinges 1986; das aktuell beste Forschungsinstrument ist die Datenbank des „Repertorium Academicum Germanicum“; https://rag-­online.org (Zugriff 15. 08. 2019). 4 Zu dieser Bestimmung und zur Verortung der Universitäten in der Systematik mittelalterlicher sozialer Gruppen Oexle 1998, v. a. 26; spezifischer zu den Universitäten Oexle 2011a. 5 Gierke 1868, 221 – 224, die Zitate 221 und 223. Zur Wortgeschichte Michaud-­Quantin 1970; Weijers 1987, 15 – 45; Kitzinger/Schütte/Rexroth 2017. 6 Vgl. etwa den parallelen Befund in der Matrikel der Ludwigs-­Maximilian-Universität IngolstadtLandshut-­München. Teil 1: Ingolstadt, Bd. 1: 1472 – 1600, hg. in Verbindung mit Georg Wolff v. Götz Frhr. v. Pölnitz. München 1937, Farbtafel I. 7 Kibre 1961; Post 2017; Rexroth 2017. 8 Rexroth 2017, 130. 9 Rexroth 2017, 130. 10 Krawietz 1976; Cordes 2016. 11 Baker 2002, 450. Geklagt wird gegen die Vielzahl der „chartered monopolies“ schon in den Parlamenten von 1597 und 1601; ebd., 451. 12 Die folgenden Ausführungen nach Oexle 2011b, 710 – 716. 13 Zitiert nach Riedel 1975, 763, Anm. 149. Dass es dabei um mehr geht als nur Handwerk und Handel, zeigt der unmittelbar vorausgehende Satz: „Il n’y a plus, pour aucune partie de la Nation, ni pour aucun individu, aucun privilège, ni exception au droit commun de tous les Français.“ 14 Novalis (1995), 526. 15 Hermes 1845, 148. 16 Riehl 1861, 269 f. 17 So Arlinghaus 2018, Kap. 2, v. a. 29. 18 Stichweh 1991; Stichweh 2007; Stichweh 2013; Kaldewey 2013. 19 Zu den historischen Metanarrativen allgemein Megill 1995; Jarausch/Sabrow (Hgg.) 2002; Rexroth (Hg.) 2007. 20 Ein solches Desorganisations-­Szenario unterliegt beispielsweise Stephen Ferruolos Schilderung der Anfänge der Pariser Universität; Ferruolo 1985; vgl. auch z. B. Cardini/Beonio-­Brocchieri 1991, 29. 21 Chapman 1983, 1 f. 22 Cobban 1975, 235. 23 Frijhoff 1996, 64 – 68; Hammerstein/Buck (Hgg.) 1996, v. a. Kap. IV–VI; Fritze 1989. 156

Für immer Korporation?

24 Mommsen 1993, 754 – 777; das Zitat von Max Weber, in dem von „Fachmenschen“ und „Kulturmenschen“ und dem „unaufhaltsame[n] Umsichgreifen der Bürokratisierung“ die Rede ist, dort auf 762. 25 Shapin 2008, 182 f. 26 Southern 1995, 38: Die Arbeit an Problemen der Medizin, der Astronomie, der Physiologie etc. „was best carried on by scholars working alone on the fringes of royal or aristocratic courts, or in monasteries or parsonages where individual scholars had freedom for observation and were not required to teach“. Die letzte Formulierung ist bemerkenswert; Biagioli 1999, v. a. 117 – 120; Shapin 2008, 182 – 184. Die Assoziation forschender Arbeit mit dem Professorendasein war „significant but tenuous and patchy during the early modern period“; ebd., 184. Die gelehrten Gesellschaften seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sahen sich als Konkurrenten zu den Universitäten, als Vertreter eines stärker an den Erfordernissen der Wissenschaft orientierten Prinzips ohne „school-­mastery, divisiveness, and inconsequentiality“, wie sie angeblich die Universitäten prägten. 27 Fried 2001. 28 Jürgen Mittelstraß hat seine universitäts-­skeptischen Gedanken meist auf anderweitige Einladung, manchmal aber durchaus auch vor universitärem Publikum vorgetragen. Mittelstraß 1989; Mittelstraß 1992; Mittelstraß 1998. 29 Nachweise bei Rexroth 2011, 19 – 21 mit Anm. 1 – 4. 30 Zum folgenden Rexroth 2018a. 31 Walther 1982, 157, Nr. 728; Tarán 1984; Guerlac 1978, 627 – 633; Das Sprichwort klingt an in der „Institutio“ Peter Abaelards für den Frauenkonvent zum Paraklet. Abaelard/Heloise, Letter Collection, 436, c. 72. 32 Abaelard, 107, 7 – 14: […] non a quo sed quid dicatur sit tibi cure: / auctori nomen dant bene dicta suo; / nec tibi dilecti iures in uerba magistri / nec te detineat doctor amore suo. / Fructu, non foliis pomorum quisque cibatur / et sensus uerbis anteferendus erit. / ornatis animos captet persuasio uerbis; / doctrine magis est debita planicies. 33 Rexroth 2018b, 23 – 49, 31 f., zu den Artes-­liberales-­Lehren dieser Ära. 34 Zu ihm neben den Kapiteln 5 und 6 in Rexroth 2018a, s. Clanchy 1997. 35 Die Belege zum Folgenden bei Rexroth 2018a, 312 – 315. 36 Dominicus Gundissalinus 1903, 345 f. Anm. 1. 37 Belege bei Rexroth 2018a, 429, Anm. 5 – 9. 38 Bianchi 1999, v. a. 99 – 103. Ältere Bewertungen bei Grabmann 1941. Eine Neubewertung in dem Sinn, der hier vorgetragen wird, bei Rexroth 2018a, 322 – 324, und ausführlicher bei Rexroth 2018b. 39 Weijers 1987, 52 – 55; Denifle 1885, 71 – 77. 40 Zu ihnen zuletzt Bubert/de Boer 2017, 337 – 355. Dort auch eine aktuelle quellenerschließende Bibliographie zum Thema. 41 Luhmann 2002, 56. 42 Rexroth 2009; Rexroth 2018a; Rexroth 2018b. 43 Kaube 2015, 87 f. 44 Kaube 2015, 88.

157

Frank Rexroth

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abaelard (1987), Carmen ad Astralabium, hg. v. Josepha M. A. Rubingh-­Bosscher, Groningen. Abaelard/Heloise (2013): Letter Collection, hg. v. David E. Luscombe/Betty Radice, Oxford. Arlinghaus, Franz-­Josef (2018), Inklusion – Exklusion. Funktion und Formen des Rechts in der spätmittelalterlichen Stadt. Das Beispiel Köln. (Norm und Struktur 48), Köln. Biagioli, Mario (1999), Galilei, der Höfling. Entdeckungen und Etikette. Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft, Frankfurt am Main. Bianchi, Luca (1999), Censure et liberté intellectuelle à l’Université de Paris. XIIIe–XIVe siècles. (L’âne d’or, 9), Paris. Baker, John Hamilton (2002), An Introduction into English Legal History, London. Boer, Jan-­Hendryk de/Füssel, Marian/Schuh, Maximilian (Hgg.) (2017), Universitäre Gelehrtenkultur vom 13. – 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, Stuttgart. Bubert, Marcel/Boer, Jan-­Hendryk de (2017), „Studienführer“, in: Jan-­Hendryk de Boer/ Marian Füssel/Maximilian Schuh (Hgg.), Universitäre Gelehrtenkultur vom 13. – 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, Stuttgart, 337 – 355. Cardini, Franco/Fumagalli Beonio-­Brocchieri, Mariateresa (1991), Universitäten im Mittelalter. Die europäischen Stätten des Wissens, München. Chapman, John W. (1983), „Introduction. The Western University on Trial“, in: ders., The Western University on Trial (International Conference of the International Council on the Future of the University 3), Berkeley/London/Los Angeles, 1 – 23. Clanchy, Michael T. (1997), Abelard. A Medieval Life, Oxford/Cambridge, Mass. Cobban, Alan B. (1975), The Medieval Universities. Their Development and Organization, London. Cordes, Albrecht (2016), Art. „Körperschaft“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 186 – 191. Denifle, Heinrich (1885), Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin. Dominicus Gundissalinus, De divisione philosophiae, hg. v. Ludwig Baur (Beiträge zur Geschichte und Philosophie des Mittelalters 4,2/3), Münster 1903. Ferruolo, Stephen C. (1985), The Origins of the University. The Schools of Paris and their Critics, 1100 – 1215, Stanford, Calif. Fried, Johannes (2001), Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München. Frijhoff, Willem (1996), „Grundlagen“, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. 2. Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500 – 1800), München, 53 – 102. Fritze, Ralf (1989), „Militärschulen als wissenschaftliche Ausbildungsstätten in Deutschland und Frankreich im 18. Jahrhundert. Skizze zu einer vergleichenden Untersuchung“, in: Francia 16, 213 – 232. Grabmann, Martin (1941), I divieti ecclesiastici di Aristotele sotto Innocenzo  III e Gregorio  IX. (Miscellanea Historiae Pontificiae 5), Rom. Gierke, Otto (1868), Das deutsche Genossenschaftsrecht. Bd. 1. Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin. Guerlac, Henry (1978), „Amicus Plato and Other Friends“, in: Journal of the History of Ideas 39, 627 – 633. 158

Für immer Korporation?

Hammerstein, Notker/Buck, August (Hgg.) (1996), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1. 15. – 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München. Hermes, Karl Heinrich (1845), Blicke aus der Zeit in die Zeit. Randbemerkungen zu der Tagesgeschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre. Bd. 1, Braunschweig. Jarausch, Konrad H./Sabrow, Martin (Hgg.) (2002), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen. Kaiser, Gerhard (2003), „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Die Freiburger Universitätsdevise – ein Glaubenswort als Provokation der Wissenschaft, in: Ludwig Wenzler (Hg.), Welche Wahrheit braucht der Mensch? Wahrheit des Wissens, des Handelns, des Glaubens, Freiburg i. Br., 47 – 103. Kaldewey, David (2013), Wahrheit und Nützlichkeit. Selbstbeschreibungen der Wissenschaft zwischen Autonomie und gesellschaftlicher Relevanz, Bielefeld. Kaube, Jürgen (2015), „Universität, Prestige, Organisation“, in: Jürgen Kaube (Hg.), Im Reformhaus. Zur Krise des Bildungssystems, Springe, 75 – 91. Kibre, Pearl (1961), Scholarly Privileges in the Middle Ages. The Rights, Privileges, and Immunities of Scholars and Universities at Bologna, Padua, Paris, and Oxford (Publication, The Mediaeval Academy of America), London. Kintzinger, Martin/Schütte, Jana Madlen/Rexroth, Frank (2017), Art. „Verwaltung“, in: Jan-­ Hendryk de Boer/Marian Füssel/Maximilian Schuh (Hgg.), Universitäre Gelehrtenkultur vom 13. – 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, Stuttgart, 19 – 37. Krawietz, Werner (1976), Art. „Körperschaft“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 4, 1101 – 1134. Luhmann, Niklas (2002), Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie (zuerst 1984), Darmstadt. Megill, Alan (1995), „Grand Narrative and the Discipline of History“, in: Frank Ankersmit/ Hans Kellner (Hgg.), A New Philosophy of History, Chicago, 151 – 173. Michaud-­Quantin, Pierre (1970), Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le Moyen-­Âge latin (L’Église et l’État au moyen-­âge 13), Paris. Mittelstraß, Jürgen (1989), Der Flug der Eule. Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie, Frankfurt am Main. Mittelstraß, Jürgen (1992), Leonardo-­Welt. Über Wissenschaft, Forschung und Verantwortung, Frankfurt am Main. Mittelstraß, Jürgen (1998), Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien, Frankfurt am Main. Mommsen, Wolfgang Justin (1993), Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850 bis 1890, Frankfurt am Main. Novalis (1995), Die Christenheit oder Europa. Ein Fragment (1799), in: Hans-­Joachim Mähl/ Richard Samuel (Hgg.), ders., Werke in einem Band, München, 525 – 544. Oexle, Otto Gerhard (1998), „Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft. Lebensformen des Mittelalters und ihre historischen Wirkungen“, in: Otto Gerhard Oexle/Andrea von Hülsen-­ Esch (Hgg.), Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte (Veröffentlichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 141), Göttingen, 9 – 44. 159

Frank Rexroth

Oexle, Otto Gerhard (2011a), „Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums. Universitäten, Gelehrte und Studierte“, in: Ders., Die Wirklichkeit und das Wissen. Mittelalterforschung – Historische Kulturwissenschaft – Geschichte und Theorie der historischen Erkenntnis, hg. v. Andrea von Hülsen-Esch/Bernhard Jussen/Frank Rexroth, Göttingen, 636 – 687. Oexle, Otto Gerhard (2011b), „Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem“ (zuerst 1982), in: Ders., Die Wirklichkeit und das Wissen. Mittelalterforschung – Historische Kulturwissenschaft – Geschichte und Theorie der historischen Erkenntnis, hg. v. Andrea von Hülsen-Esch/ Bernhard Jussen/Frank Rexroth, Göttingen, 691 – 742. Post, Gaines (2017), The Papacy and the Rise of the Universities (zuerst 1931). (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 54), Leiden, Boston. Rexroth, Frank (2006), „Die Weisheit und ihre 17 Häuser. Universitäten und Gelehrte im spätmittelalterlichen Reich“, in: Matthias Puhle/Claus-­Peter Hasse (Hgg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. Essays, Dresden, 424 – 437. Rexroth, Frank (Hg.) (2007), Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen (Historische Zeitschrift Beihefte, N. F., 46), München. Rexroth, Frank (2009), „Wie einmal zusammenwuchs, was nicht zusammengehörte. Ein Blick auf die Entstehung der europäischen Universitäten“, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 85 – 98. Rexroth, Frank (2011), „Die Einheit der Wissenschaft und der Eigensinn der Disziplinen. Zur Konkurrenz zweier Denkformen im 12. und 13. Jahrhundert“, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 67, 19 – 50. Rexroth, Frank (2017), Art. „Privilegien“, in: Jan-­Hendryk de Boer/Marian Füssel/Maximilian Schuh (Hgg.), Universitäre Gelehrtenkultur vom 13. – 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, Wiesbaden, 129 – 138. Rexroth, Frank (2018a), Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung), München. Rexroth, Frank (2018b), „Reformen gegen den disziplinären Eigensinn. Die Pariser Statuten von 1215 und der Konservatismus der frühen Universitätsgeschichte“, in: Martin Kintzinger/ Wolfgang Eric Wagner/Julia Crispin (Hgg.), Universität – Reform. Ein Spannungsverhältnis von langer Dauer (12. – 21. Jahrhundert) (Veröffentlichungen der Gesellschaft frühe Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 14), Basel 2018, 23 – 49. Riedel, Manfred (1975), Art. „Gesellschaft, bürgerliche“, in: Geschichtliche Grundbegriffe 2, 719 – 800. Riehl, Wilhelm Heinrich (1861), Die bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart. Rüegg, Walter (Hg.) (1993), Geschichte der Universität in Europa. 4 Bde. München 1993 – 2010. Schwinges, Rainer Christioph (1986), Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz – Abteilung Universalgeschichte 123), Stuttgart. Shapin, Steven (2008), „The Man of Science“, in: Katharine Park/Lorraine Daston (Hgg.), The Cambridge History of Science. Bd. 3. Early Modern Science, Cambridge, 179 – 191. Southern, Richard William (1995), Scholastic Humanism and the Unification of Europe. Bd. 1. Foundations, Oxford. 160

Für immer Korporation?

Stichweh, Rudolf (1991), Der frühmoderne Staat und die europäische Universität. Zur Interaktion von Politik und Erziehungssystem im Prozeß ihrer Ausdifferenzierung (16. – 18. Jahrhundert), Frankfurt am Main. Stichweh, Rudolf (2007), Einheit und Differenz im Wissenschaftssystem der Moderne, in: Jost Halfmann/Johannes Rohbeck (Hgg.), Zwei Kulturen der Wissenschaft – revisited, Weilerswist, 213 – 228. Stichweh, Rudolf (2013), Wissenschaft, Universität, Profession. Soziologische Analysen, Bielefeld. Tarán, Leonardo (1984), „Amicus Plato, sed magis amica veritas. From Plato and Aristotle to Cervantes“, in: Antike und Abendland 30, 93 – 124. Walther, Hans (1982), Carmina Medii Aevi Posterioris Latina. Bd. 2,7. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in alphabetischer Anordnung, Göttingen. Weijers, Olga (1987), Terminologie des universités au XIIIe siècle (Lessico intellettuale europeo), Rom.

161

Die Darstellung Rostocks durch Wenzel Hollar von 1624/25 zeigt Rostock in der Vogelschau von Norden und hebt markante Gebäude hervor.

II. A  usstrahlung und Provinzialisierung: Von der „Leuchte des Nordens“ zur Teilung der Universität

Hillard von Thiessen

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung Die Universität Rostock vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Die zweite Sektion dieses Bands befasst sich mit einem Zeitraum der Geschichte der Universität(en) an der Warnow, der ausgesprochen wechselhaft war. Die Rostocker Hochschule kann im späten 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts als führende Universität im Ostseeraum mit einer erheblichen Ausstrahlung bezeichnet werden. Von dieser herausragenden Stellung war schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur noch wenig übrig, und auch im 18. Jahrhundert sollte die mecklenburgische Universität keine sehr prominente Position in der Geschichte der Hochschulen einnehmen, sondern vielmehr durch ihre Teilung und den Auszug mehrerer Professoren nach Bützow noch weiter geschwächt werden. Derart markante Entwicklungen, welche die Größe, die finanzielle Basis, die Attrak­ tivität und Ausstrahlung der Universität auf Studenten wie Lehrende sowie die ihr zugedachten bzw. zugetrauten Aufgabengebiete und Funktionen veränderten, lassen die Fragen nach Zäsuren in der Universitätsgeschichte aufkommen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Abschnitt dieses Bands ist dabei kein markanter Bruch auszumachen, doch lässt sich – im Sinne einer Periodisierung aus der Vogelperspektive – eine grobe Zweiteilung der Geschichte der Universität erkennen. Die erste und die zweite Sektion dieses Bands sind demnach der vormodernen Phase der Rostocker Hochschule zuzuordnen, die dritte und vierte hingegen stellen die Universität in der Moderne dar. Inwieweit die Universitätsreformen der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg oder die europaweite, in unterschiedlicher Intensität vorgenommene Neuordnung universitärer Lehre im Zeichen der Bologna-­Reform möglicherweise einen zweiten Einschnitt markieren, muss hier offenbleiben.1 Zwischen beiden Phasen, um 1800, wechselte die Universität gewissermaßen ihren sozialen, institutionellen und wissensgeschichtlichen Aggregatszustand. In der vormodernen Phase stellte sie eine privilegierte Körperschaft dar, die einen eigenen Rechtsraum bildete und deren Angehörige einer separaten universitären Gerichtsbarkeit unterworfen waren.2 Sie war eine Stätte der Bewahrung und Vermittlung eines als endlich betrachteten Wissensbestands.3 Ihre Studenten grenzten sich habituell von der städtischen Gesellschaft ab und wussten den Umstand, dass sie nicht der kommunalen Gerichtsbarkeit unterstanden, auszunutzen.4 Die moderne Universität hingegen stellt zwar keinen eigenen Rechtsraum mehr dar – ihre Angehörigen genießen beispielsweise keine Befreiung vom Zugriff der staatlichen Justiz –, ist aber zumindest dem Anspruch nach eine Stätte freier Forschung und Lehre. 167

Hillard von Thiessen

Sie bildet einen selbstverwalteten und autonomen Handlungsraum mit eigenen, an den Anforderungen der Wissenschaft orientierten Regeln und Logiken. Doch ist sie es nur so lange, wie der Staat dies zulässt und nicht, wie vor allem die Diktaturen des 20. Jahrhunderts es taten, massiv in die Inhalte und Formen von Forschung und Lehre eingreift. Die Autonomie der Universität steht immer, auch und sogar wieder verstärkt in der Gegenwart, im Spannungsfeld von Wissenschaftsfreiheit und Autonomie einerseits und staatlicher Finanzierung und Lenkung der Lehr- und Forschungsinhalte andererseits. Viel stärker als die vormoderne Universität ist die der Moderne nach unterschiedlichen Disziplinen und Fächerkulturen organisiert und begreift Forschung als die potentiell unbegrenzte Erweiterung und Weiterentwicklung von Wissen. Der Umschlag zwischen diesen beiden Grundformen von Universität fand in einem langen, vom 18. bis weit in das 19. Jahrhundert andauernden Prozess statt.5 Eine derartige Grobeinteilung würde im Großen und Ganzen praktisch auf alle deutschen und viele europäische Universitäten zutreffen, jedenfalls auf die älteren, zu denen die Rostocker sich zählen darf. Auch im Übergang zur Neuzeit um 1500 wird häufig ein Wandel der Universitäts- und Gelehrtenkultur angenommen, der allerdings die institutionelle Grundstruktur der Universitäten relativ wenig berührte.6 Zum einen veränderte der Humanismus das Verständnis von Gelehrsamkeit, ihre Quellenbasis und die Lehrinhalte sowie ihre Vermittlungsformen an den Hochschulen.7 Zum anderen nahm bereits seit dem Großen Abendländischen Schisma (1378 – 1417) die Kontrolle des Papsttums über die Universitäten ab; die europäischen Hochschulen wurden zunehmend zu Territorial- und Landesuniversitäten, mithin zu Einrichtungen im Dienst ihrer Landesherren, in einigen Fällen auch der Kommune, in der sie sich befanden, bzw. des Rats der Stadt.8 Hinzu kam die konfessionelle Prägung der Universitäten nach der Reformation. Tendenzen der Abschottung zwischen den Konfessionen ergriffen auch die Universitäten. Viele Landesherren untersagten ihren Untertanen den Besuch fremdkonfessioneller Bildungsstätten – mit eingeschränktem Erfolg, denn vor allem Juristen und Mediziner hielten sich wenig an diese Verbote. Konfessionellen Profilierungen und Abgrenzungen von Universitäten und Gelehrten stand der überkonfessionelle Anspruch der res publica litteraria gegenüber.9 Blicken wir nun auf die Geschichte der Rostocker Hochschule, erkennt man auch dort die große Zäsur zwischen den beiden genannten Hauptphasen der europäischen Universitätsgeschichte. Auch in Rostock entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts nach und nach eine neue Form von Universität, auch hier lässt sich der Wandel von Gelehrtenkultur zur fachlich stark ausdifferenzierten Wissenschaft ausmachen.10 Doch auch innerhalb der vormodernen Epoche – ich beschränke mich im Folgenden auf die Frühe Neuzeit, lasse also die bereits im ersten Teil dieses Bands dargestellten ersten Jahrzehnte nach der Gründung aus – sind einige Phasen wachsender Dynamik und grundlegende Prozesse des Wandels zu erkennen. Diese stellten jedoch keinen derart grundlegenden Systemwandel dar, wie er im Übergang zur modernen Universität erfolgen sollte. Dabei ist zunächst der Humanismus zu nennen. Auch wenn die Universität an der Warnow nicht zu einem 168

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Schwerpunkt humanistischer Gelehrtenkultur wurde, wie dies etwa an den Hochschulen am Oberrhein der Fall war, so lassen sich doch Vertreter dieser Richtung auch in Rostock ausmachen. Der bekannteste und wohl auch erste ist der Theologe Albert Krantz (1448 – 1517). Er immatrikulierte sich 1463 an der Rostocker Alma Mater, war in den 1480er Jahren mehrfach Dekan der Artistenfakultät und 1482/83 auch Rektor, um dann 1486 als Syndikus nach Lübeck zu gehen. Mit ihm kam die humanistische Geschichtsschreibung nach Rostock, wobei seine im 16. Jahrhundert weit rezipierte Geschichte Skandinaviens (Chronica regnorum aquilonarium Daniae, Svetiae, Norvagiae) erst postum 1545 erschien. Humanistisch an diesem Werk ist vor allem die Orientierung an altem Quellenmaterial, in diesem Fall vor allem an der altnordischen Überlieferung. Mehrere seiner Schüler gelten als Vertreter des kirchlichen Humanismus; mit ihnen änderten sich auch die Lehrinhalte an der Hochschule. Neben einer Reihe von Professoren, die den humanistischen Ideen gegenüber aufgeschlossenen waren, traten auch wandernde Gelehrte als Multiplikatoren der neuen Richtung auf und hielten zum Teil öffentliche Vorlesungen.11 Indes blieb diese katholisch-­humanistische Phase eine nur wenige Jahrzehnte umfassende Episode. Sie fand mit der Reformation, die ab 1523 nach und nach Eingang in die Stadt fand, ihr Ende, was sich nicht zuletzt an den ab 1520 dramatisch sinkenden Immatrikulationszahlen zeigte. War die Rostocker Universität bis dahin mit etwa 200 Immatrikulationen im Jahr eine für die Zeit vergleichsweise große Hochschule gewesen, so ging diese Zahl nun auf etwa 60 zurück. Das lag einerseits an der ungesicherten finan­ziellen Basis der Universität; kirchliche Pfründen wurden nicht mehr oder nur noch unregelmäßig gezahlt. Wie andere Universitäten im Norden des Reichs stand auch die in Rostock für einige Zeit im Schatten von Wittenberg, der Reformationsuniversität schlechthin.12 Auf lange Sicht gingen allerdings auch Impulse der Wiederbelebung der Rostocker Universität von Wittenberg aus. 1542 wurde sie protestantisch, was in verschiedener Hinsicht einen erheblichen Einschnitt bedeutete.13 Zum einen galten Universitätsangehörige nun nicht mehr als dem Klerikerstand zugehörig. Zum anderen verstärkten Stadt und Landesherrschaft ihren Griff auf die Hochschule, was sich gerade bei den Berufungen von Professoren zeigte.14 Und schließlich wurden von den Theologen nun andere Lehrinhalte vertreten. Es galt, die eigenen, als wahr erachteten Lehren in Konkurrenz zu anderen Konfessionen zu konkretisieren und gegen Lehrabweichungen zu festigen. Denn die „Wiedergewinnung klarer theoretischer Vorstellungen“ war ein essentielles Anliegen der sich nach der Reformation festigenden Konfessionskirchen.15 Universitätstheologen hatten an dieser Festigung theologischer Lehrgebäude in Konkurrenz zueinander einen entscheidenden Anteil, und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sollten Theologen der Rostocker Hochschule auf diesem Gebiet mit erheblicher Wirksamkeit tätig sein. Besonders hervorzuheben ist David Chytraeus (1530 – 1600), einer unter mehreren Schülern Melanchthons, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts an die Warnow kamen und die theologische Lehre an der Universität wie auch die Seelsorge in der Stadt für Jahrzehnte 169

Hillard von Thiessen

prägten. Sie waren gewissermaßen Ableger der Wittenberger Theologie unter Melanchthon und – gegenüber ihrem Praeceptor durchaus nicht unkritische 16 – Multiplikatoren der dort gepflegten Verbindung von Humanismus und Protestantismus.17 Chytraeus kam 1551 nach Rostock und engagierte sich in der Reorganisation der Universität. Mit der Verbesserung der personellen Situation stiegen auch allmählich die Studentenzahlen wieder an.18 Auch wurden die Philologien gestärkt, denn eine Ausbildung in alten Sprachen einschließlich des Hebräischen war eine Grundvoraussetzung, um sich mit dem Ursprungstext der Heiligen Schrift auseinanderzusetzen.19 Der nachfolgende Aufstieg der Rostocker Universität ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es den mecklenburgischen Landesherren und der Stadt Rostock 1563 gelang, ihren Einfluss auf die Hochschule und deren Finanzierung einvernehmlich zu regeln. Die Formula Concordiae sollte für mehr als zweieinhalb Jahrhunderte – bis 1827 – das Kompatronat von Herzogtum und Stadt über die Rostocker Universität festschreiben und damit nicht zuletzt ihre Einnahmen absichern. Die sich spätestens seit den 1540er Jahren abzeichnende, aber von Konflikten und unklaren Rechtsverhältnissen beeinträchtigte Arbeitsteilung zwischen den beiden Patronen der Universität wurde damit in eine stabilere, wenn auch keineswegs spannungs- und krisenfreie Form gegossen.20 Gleichzeitig verlor die Universität einen Teil ihrer Autonomie, und zwar insbesondere bei den Berufungen der Professoren. Herzogliche und rätliche Professoren waren im Konzil paritätisch vertreten und wechselten sich bei der Ausübung des Rektoramts ab.21 Der Übereinkunft von 1563 wird oft, etwa im institutionsgeschichtlichen Entwurf einer Rostocker Universitätsgeschichte von Kersten Krüger, ein starker Zäsurcharakter zugesprochen.22 Die eigentliche Leistung der Konkordienformel besteht in der Stabilisierung der finanziellen und administrativen Basis der Universität, weniger in ihrer organisatorischen Neugestaltung.23 Letztlich schuf eine Reihe von ineinander greifenden Faktoren die Grundlagen für den Wiederaufstieg der Rostocker Alma Mater: Die Einführung und Festigung der Reformation, die Durchsetzung eines grundsätzlich am Wittenberger Modell orientierten Studienprogramms und die Schaffung einer für Jahrzehnte gesicherten finanziellen und administrativen Grundstruktur im Zeichen des Kompatronats. Dieser Wiederaufstieg mündete in eine längere Phase, in der die Rostocker Universität eine starke Ausstrahlung genoss und ihre Immatrikulationszahlen wieder die Höhe aus der Zeit vor der Reformation erreichten, ja phasenweise sogar darüber lagen. Auch der geographische Herkunftsbereich ihrer Studenten weitete sich aus. Die Jahrzehnte um 1600 wurden in Darstellungen ihrer Geschichte geradezu als goldenes Zeitalter verklärt. Das frei übersetzte Zitat der „Leuchte des Nordens“ (Vandaliae lumen) aus dem Jahr 1596 wird gerne in diesem Zusammenhang genannt. Gemeint hatte der Stadtchronist Peter Lindenberg mit dieser in einem Lobgedicht verwendeten Bezeichnung allerdings die Stadt Rostock, nicht die Universität.24 Man kann aber davon ausgehen, dass sich das Lobwort „Leuchte“ auch auf den Umstand bezog, dass die Stadt eine Universität aufwies. Und tatsächlich war diese um 1600 ausgesprochen vorzeigbar: An ihr lehrten auch überregional 170

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

bekannte Professoren, vor allem in der Theologie, und sie wurde von Studenten aus fast dem ganzen Ostseeraum und dem nördlichen Teil des Reichs frequentiert. Neben der Stabilisierung ihrer finanziellen Basis ist die Ursache ihres Erfolgs darin zu suchen, dass sie unterschiedliche Funktionen bediente, Erwartungen erfüllte und Bedarfe deckte; sie war eine multifunktionale Institution. Der Landesherrschaft diente die Universität Rostock als Ausbildungsstätte für ihr administratives und den landesherrlich organisierten Kirchen für ihr geistliches Personal. Auch die Professoren selbst bekleideten Ämter in der Kirche, im Herzogtum und in der Stadt. Landeskirchen (nicht nur im Reich) suchten in dogmatischen Fragen Rat bei den Rostocker Theologen wie dem genannten David Chytraeus oder bei Johannes Quistorp d. Ä. (1584 – 1648) und ließen von ihnen Kirchenordnungen erstellen. Auf diese Weise wirkten die Rostocker Theologen nicht nur in Mecklenburg und in der Stadt Rostock, sondern bis nach Skandinavien und in die österreichischen Erbländer.25 Nathan Chytraeus, der jüngere Bruder Davids, war beispielsweise neben seiner Universitätsprofessur auch als Rektor der Stadtschule tätig.26 Die Rostocker Theologie zeichnete sich durch eine besondere Praxisorientierung aus. Auch nach dem Abebben der Melanchthon-­Rezeption, im späten 16. und im 17. Jahrhundert, blieb diese Fakultät besonders an seelsorgerischer Praxis und Didaktik orientiert. Nach Chytraeus ging es den Rostocker Theologen aber mehr um die Bewahrung der Lehren Luthers – man spricht von der „lutherischen Orthodoxie“ – als um eine Weiterentwicklung der protestantischen Theologie.27 Dieser zunehmend konservierende Trend, verbunden mit der Abwehr von Konzepten, die mit dem Calvinismus assoziiert wurden, verengte allerdings schon im späten 16. Jahrhundert den Handlungsspielraum von Theologen an der Warnow. Nathan Chytraeus etwa wurden, nachdem er Werke von Hugenotten aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hatte, calvinistische Neigungen vorgeworfen, weshalb er Rostock 1592 verlassen musste.28 Die Rolle von Theologen als Wächter über die religiöse Disziplin in der Stadt brachte sie zudem wiederholt in Konflikt mit dem städtischen Rat.29 Die Theologie in Rostock mochte besonders zum Ruf der Universität beitragen, war aber keineswegs die einzige Fakultät, die in besonderer Weise Anforderungen, die von verschiedenen Seiten an die Universität herangetragen wurden, befriedigte. Absolventen der Juristischen Fakultät etwa waren nicht nur in landesherrlichen Verwaltungen und Gerichten zu finden, sondern auch in den nach wie vor wirtschaftlich florierenden Städten des Ostseeraums gefragt. Deren Syndici hatten oft in Rostock studiert. Rechtslehrer der Universität waren nicht selten in Nebentätigkeit auch in herzoglichen oder städtischen Diensten tätig.30 Gerichte in Mecklenburg, aber auch in anderen Landesherrschaften und städtische Gerichte des Ostseeraums griffen auf die Rostocker Juristenfakultät als Spruchinstanz zurück. Auch auf diesem Gebiet zeigt sich somit das überregionale Ansehen der Hochschule in dieser Phase.31 Ein weiteres Indiz für ihre Attraktivität ist, dass im 16. und frühen 17. Jahrhundert der skandinavische, vor allem der schwedische Adel zum Studium nach Rostock kam und die Stadt als Ausgangspunkt für die Grand Tour seines 171

Hillard von Thiessen

Nachwuchses nutzte. Deutlich wird an dieser Entwicklung auch, dass die Konkurrenz mit anderen Universitäten im Ostseeraum noch relativ gering war.32 Indes sollten sich die Umstände mit Beginn des 17. Jahrhunderts deutlich ändern. Die Konkurrenz durch neugegründete Universitäten im Ostseeraum und im nördlichen Teil des Reichs nahm zu, womit Rostock etwa als Anlaufstelle für den schwedischen Adel an Bedeutung verlor, zumal Stadt und Universität Greifswald nach dem Dreißigjährigen Krieg schwedisch wurden. Der Einzugsbereich der Universität wurde geographisch enger, und der drückende Kapitalmangel als Folge des Kriegs belastete ihre Finanzen. Die lutherische Theologie verlor vor allem zum Ende des 17. Jahrhunderts stark an Ausstrahlung und tendenziell auch an Relevanz, zumal sie sich neuen theologischen Strömungen nicht öffnete. Auch die Nachfrage nach juristischen Spruchgutachten von Gerichten außerhalb Mecklenburgs ging deutlich zurück. Die ausgeprägte Multifunktionalität und Ausstrahlung, welche die Rostocker Universität vor dem Dreißigjährigen Krieg ausgezeichnet hatte, gewann sie nicht wieder zurück. Sie blieb zwar Ausbildungsstätte für juristisch, medizinisch und theologisch gebildetes Personal, nun jedoch geographisch weitgehend beschränkt auf Mecklenburg und einige Städte der Umgebung. Die Universität wurde gewissermaßen auf ihre regionalen Kernfunktionen beschränkt, wobei sie zunehmend auch als Symbol der Eigenständigkeit Mecklenburgs gegenüber mächtigeren Nachbarn wahrgenommen wurde, und dies über die Frühe Neuzeit hinaus.33 Klassischerweise wird die Zeit vom Dreißigjährigen Krieg bis zum frühen 19. Jahrhundert als Phase des Niedergangs bewertet. Die im Vergleich zu anderen Universitäten auf ein sehr niedriges Niveau sinkenden Immatrikulationszahlen und das weitgehende Fehlen überregional bekannter Professoren sind zweifellos sehr deutliche Symptome einer Abwärtsentwicklung. Ein solcher Trend betraf jedoch, wenn auch nicht ganz so dramatisch wie in Rostock, im späten 17. und im 18. Jahrhundert die meisten Universitäten im Reich, ja in Europa.34 Die Mehrzahl der Universitäten beschränkte sich in dieser Zeit auf ihre Ausbildungsfunktion für akademisch geschultes Personal in Landesund Stadtverwaltungen – aus der Sicht des späteren Humboldtschen Universitätsideals backten die Hochschulen in dieser Zeit sehr kleine Brötchen. Tatsächlich fanden die großen wissensgeschichtlichen Entwicklungen überwiegend außerhalb der Universitäten statt – an Akademien, in gelehrten Zirkeln und Briefnetzwerken, in Salons und Sozietäten; allerdings waren in diesen Netzwerken und Institutionen auch Angehörige der Universitäten vertreten.35 Das Niedergangsparadigma der Universitäten hat sich wie ein Mühlstein auf die historische Forschung zum Hochschulwesen des späten 17. und des 18. Jahrhunderts im Alten Reich gelegt. Die Forschungsdichte zu dieser Periode ist sehr gering, die abwertenden Urteile über die kleinen „Familienuniversitäten“ sind verbreitet.36 Gemeint ist mit diesem Begriff, dass – gewissermaßen als Spätfolge der Entklerikalisierung der Universität, die ihrem Lehrpersonal die Heirat ermöglichte – Professuren regelrecht vom Vater auf den Sohn vererbt wurden, und dies mitunter über mehrere Generationen. Oft waren diese 172

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Professorenfamilien eng verflochten mit den im kommunalen oder landesherrlichen Verwaltungsdienst stehenden bürgerlichen Bildungsschichten bzw. sogar Teil von ihnen.37 Derartige familiäre Verflechtungen wurden bereits von den Zeitgenossen kritisiert, doch scheinen die Universitätshistoriker der Moderne an ihnen noch weit größeren Anstoß genommen zu haben. Zu bedenken ist, dass eine derartige Honoratioren-­Vernetzung, in der familiäre Bindungen mit Patronagebeziehungen kombiniert wurden, kein auf die Universitäten beschränktes Phänomen darstellte. Auch in Verwaltungen, Gerichten und Pfarreien folgten Söhne nicht selten ihren Vätern in Ämter oder wurden Posten über Patronage vermittelt. Das bedeutete nicht, dass systematisch untaugliches Personal re­ krutiert wurde, da auf diese Weise Personen, die in ein Amt gelangten, oft durch familiäre Sozialisation qualifiziert waren oder sich als Klienten bewähren mussten, um ihren Patron nicht zu düpieren. Für eine weiträumige Vernetzung von Gelehrten war diese auf lokale Kreise ausgerichtete Praxis allerdings weit weniger dienlich.38 Indes weist gerade die Rostocker Universitätsgeschichte – oder besser gesagt: wiesen die Universitäten an der Warnow – im 18. Jahrhundert eine Besonderheit auf. Zwar kann im Nordosten des Reichs keine Universität mit der Ausstrahlung der beiden Reformuniversitäten des späten 17. bzw. des frühen 18. Jahrhunderts mithalten, die in Halle an der Saale und Göttingen entstanden und Stätten der Vermittlung der Ideen der Aufklärung waren.39 Doch es gab auch in Mecklenburg ein interessantes, wenn auch gescheitertes Reformprojekt. 176040 zog nach einem Konflikt zwischen Stadt bzw. Universität und Landesherrschaft der herzogliche Teil der Universität Rostock aus und ließ sich warnowaufwärts in Bützow nieder.41 Herzog Friedrich „der Fromme“ (reg. 1756 – 1785) von Mecklenburg-­Schwerin wünschte mit der Bützower Hochschule eine Hochburg des Pietismus, dem er nahestand, zu errichten. In der Regel wird diese Teilung als absoluter Tiefpunkt der Geschichte dieser Universität gewertet – statt einer kleinen kompatronal organisierten Universität mit sehr bescheidenen Immatrikulationszahlen gab es nun zwei sehr kleine und hoffnungslos unterfinanzierte Hochschulen mit jeweils noch niedrigeren Einschreibezahlen.42 Von 1760 bis 1785 erfreute sich dabei die Universität Bützow mit mehr als 20 Immatrikulationen pro Jahr noch einer etwas größeren Einschreibefrequenz als Rostock, wo jährlich durchschnittlich nur etwa zehn Studenten ein Studium aufnahmen.43 Trotz ihrer Kurzlebigkeit ist die Bützower Ausgründung der näheren Betrachtung und weiteren Erforschung wert. Denn das stets utopisch bleibende, weil nie ausreichend mit Mitteln bedachte landesherrliche Vorhaben einer pietistischen Musteruniversität zog immerhin interessante und auch umstrittene Gelehrte an die Hochschule an der mittleren Warnow, und die Vernetzung einiger von ihnen in der Gelehrtenwelt gab der neuen Universität sogar einen gewissen Glanz. Bützow sollte in ihren Augen eine frommere Variante von Halle und Göttingen werden, die Pietismus und Aufklärung verband.44 Zu diesem Kreis von Professoren gehörte der Orientalist Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815), dessen mit etwa 4000 Stück umfangreicher Bestand von Briefen, die seinen Austausch mit Gelehrten in ganz Europa dokumentieren, gerade digitalisiert wurde und hoffentlich bald 173

Hillard von Thiessen

ediert werden kann.45 Zu nennen sind weiterhin der Ökonom Franz Christian Lorenz Karsten (1751 – 1829) und der Theologe, Naturrechtler und Professor der Beredsamkeit und Ästhetik, Samuel Simon Witte (1738 – 1802). Mit Karsten fand die in den 1760er Jahren aufkommende Kameralwissenschaft Eingang in Mecklenburg 46, während Witte vor allem durch den von ihm ausgelösten „Pyramidenstreit“ einen hohen Bekanntheitsgrad in gelehrten Kreisen erlangte. Er vertrat 1789 die anschließend kontrovers diskutierte These, dass die ägyptischen Pyramiden und die Ruinen von Persepolis vulkanischen Ursprungs seien.47 In Bützow wurde (wenn auch mit nachlassender Konsequenz) nicht nur versucht, bei den Neuberufungen das Prinzip der Familienuniversität zu durchbrechen, sondern hier konnten zum Beispiel auch Männer jüdischen Glaubens studieren und promovieren.48 Die Phase der Teilung in zwei Universitäten in Mecklenburg endete, vier Jahre nach dem Tod Herzog Friedrichs, mit der Wiederzusammenführung der Universitäten in Rostock im Jahr 1789. 1827 erfuhr die Hochschule dann eine organisatorische Neugestaltung. Doch die inte­ ressantesten und folgenreichsten Entwicklungen, die der Geschichte der Universitäten an der Warnow selbst in der Phase des vermeintlichen Tiefpunkts ihrer Geschichte eine überregionale Bedeutung gaben, liegen nicht in diesen administrativen Daten, sondern auf einem anderen Feld. Befasst man sich eingehender mit dem Innenleben kleinerer Universitäten in akteurszentrierter Perspektive, so wird deutlich, dass auch an kleinen Hochschulen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Aufklärung, die Gelehrtenwelt in Bewegung geriet und sich ihre Handlungs- und Denkrahmen veränderten – in Mecklenburg zunächst mehr in Bützow als in Rostock. In gelehrten Briefnetzwerken und über gelehrte Publikationsorgane wurde über Methoden, Theorien und Neuentdeckungen diskutiert, womit die Regeln des gelehrten Betriebs neu gesetzt, Grenzen eingerissen, aber auch neu aufgezogen wurden. Was sich dabei abzeichnete, ist die allmähliche Ausbildung von Fächerkulturen und Methoden, die einem neuen Bild vom Wissen entsprachen, das über die alte Vorstellung fester Wissensbestände hinausreichte.49 Aus der gelehrten Welt wurde allmählich die der Wissenschaft, und es wurde zwischen den werdenden Wissenschaftlern ausdiskutiert, „was als wissenschaftlich gelten“ sollte.50 Die schon wiederholt kritisierte Fixierung der deutschen Universitätsgeschichte auf das zweifellos bedeutende Humboldtsche Universitätsmodell 51 sollte nicht den Blick für die vielen kleinen, in ihrer Gesamtheit meines Erachtens unterschätzten, gewissermaßen dezentralen Dynamiken verstellen, anhand derer man den Wandel von der Gelehrtenkultur zur Welt der Wissenschaft nachvollziehen kann.

174

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Anmerkungen

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

33

Vgl. die Überlegungen in Fisch 2015, 114 ff. Fisch 2015, 13 ff; Müller 1996, 9 ff; Weber 2002, 16 ff. Gierl 2001, 64 f; Rexroth 2014, 23. Zur Standes- und Konfliktkultur von Studenten in der Vormoderne als Variante einer zwischen Normenwahrung und Devianz pendelnden maskulinen Jugendkultur Füssel 2004; Füssel/ Wagner (Hgg.) 2016; Krug-­Richter 2004; Liermann 2009; Shepard 2009; Siebenhüner 1999; Wagner 2018. Vgl. außerdem den Beitrag von Wolfgang Eric Wagner in diesem Band. Fisch 2015, 39 ff; Weber 2002, 154 ff. Weber 2002, 71. Rüegg 1996, 25 ff. Weber 2002, 71 f. Bosse 1997, 64; Hammerstein 1996, 107 ff. Vgl. den ähnlichen Befund, der die Zeit um 1800 als Phase des Übergangs betrachtet, bei Lammel/Boeck 2011, 5. Andermann 1999; Bollbuck 2013, 275 ff; die Vita von Krantz kurz zusammengefasst in Vandrey 2018. Asche 2010, 160 ff; Pluns 2007, 163 ff. Pluns 2007, 320 ff. Asche 2010, 51. Reinhard 1983, 263. Keller 1997. Kaufmann 1998; Rhein 1993; generell zur Verbreitung der Reformation über Netzwerke, die gezielte Entsendung von Schülern Luthers und Melanchthons sowie die Pflege von Briefkorrespondenzen Rublack 2003, 67 ff. Asche 2010, 51 ff. Lange 2016. Pluns 2007, 490. Asche 2010, 56; Kaufmann 1997, 132 ff. Krüger 2010, 44. Pluns 2007, 490. Asche 2011, 9 f. Czaika 2002; Krabbe 1870; Bengsch 2018. Kaufmann 1993, 114 f; Strom 1995. Stegmann 2018. Kaufmann 1993, 115 f; Pettke 1993. Strom 1993; Ders. 1994; v. Thiessen 2018. Asche 2010, 93 ff. Haalck 1958/59; Lorenz 1982/83. Giese 2009; zur Herkunft der Studenten der Universität Rostock in der Frühen Neuzeit siehe ausführlich Asche 2010. Zum Selbstverständnis der Universität in diesem Abschnitt ihrer Geschichte siehe den Beitrag von Jan-­Hendrik Hütten in diesem Band. Asche 2011, 15 ff. 175

Hillard von Thiessen

34 Asche 2010, 171 ff. 35 McClelland 1980, 27. 36 Schindling 1999, 24. Kritisch mit dem Niedergangsparadigma setzt sich auseinander Kümmerle 2008. 37 Zu den Familienuniversitäten und Professorendynastien am Beispiel Greifswalds: Alvermann 2006; Jörn 2007. 38 Brakensiek 2002; Kümmerle 2003. 39 Hammerstein 1983; McClelland 1980, 33 ff. 40 Das Jahr 1760 ist nach 1563 das zweite Zäsurjahr der Frühen Neuzeit in Kersten Krügers institutionsgeschichtlichem Entwurf einer Rostocker Universitätsgeschichte; vgl. Krüger 2010, 44. 41 Zur Geschichte der Bützower „Fridericiana“ und zum Versuch der Neubewertung ihrer Bedeutung siehe Asche 2006. 42 Münch 2013, 113 f. 43 Charles McClelland spricht von „impossibly low average enrollments“ an der Universität Rostock in den 1760er Jahren (McClelland 1980, 28). Vgl. die graphische Darstellung der Immatrikulationszahlen der Universitäten von Bützow und Rostock in Asche 2010, 183. 44 Hübner 2014, 445. 45 Zu Tychsen siehe Busch 2016; Klüßendorf 2001; Lammel/Busch 2017; Maksymiak 2016 sowie neuerdings den Sammelband Arnold et al. 2019. 46 Heitz 2001. 47 Hübner 2014. 48 Vgl. Hans-­Uwe Lammels Beitrag in diesem Band und Lammel 2018. 49 Ferrone 1996, 168; Müller 1996, 61. 50 Nach dem Titel des Sammelbands „Was als wissenschaftlich gelten darf“ (Mulsow/Rexroth 2014). 51 Paletschek 2001.

176

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Alvermann, Dirk (2006), „Die frühneuzeitliche ‚Familienuniversität‘ im Spiegel der Greifswalder Professorenporträts“, in: Dirk Alvermann/Birgit Dahlenberg (Hgg.), Greifswalder Köpfe. Gelehrtenporträts und Lebensbilder des 16. – 18. Jahrhunderts aus der pommerschen Landes­ universität, Rostock, 23 – 30. Andermann, Ulrich (1999), Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500, Weimar. Arnold, Rafael et al. (Hgg.) (2019), Der Rostocker Gelehrte Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815) und seine internationalen Netzwerke, Hannover. Asche, Matthias (2006), „Die mecklenburgische Hochschule Bützow (1760 – 1789) – nur ein Kuriosum der deutschen Universitätsgeschichte? Versuch einer historischen Neubewertung“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 133 – 147. Asche, Matthias (2010), Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500 – 1800). Zweite durchgesehene Auflage (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 70), Stuttgart. Asche, Matthias (2011), „Die Universität Rostock des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Zum Forschungsstand, zu Desideraten und Perspektiven“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock, 7 – 36. Bengsch, Jonathan (2018), „David Chytraeus. Rostock bedeutendster Theologe“, in: Robert Zepf (Hg.), Bücher und Bildung. Rostocks Exportschlager im 15. und 16. Jahrhundert. Ausstellung aus Anlass des 14. Bibliotheca Baltica Symposiums, Rostock, 4. – 5. 10. 2018, Rostock, 4. Bollbuck, Harald (2013), „Die Erfahrung der Peripherie. Antikenreferenz und empirisches Wissen in der norddeutschen Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts“, in: Johannes Helmrath/Albert Schirrmeister/Stefan Schlelein (Hgg.), Historiographie des Humanismus. Literarische Verfahren, soziale Praxis, geschichtliche Räume (Transformationen der Antike 12), Berlin/Boston, 275 – 300. Bosse, Heinrich (1997), „Die gelehrte Republik“, in: Hans-­Wolf Jäger (Hg.), „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert, Göttingen, 51 – 76. Brakensiek, Stefan (2002), „Juristen in frühneuzeitlichen Territorialstaaten. Familiale Strategien sozialen Aufstiegs und Statuserhalts“, in: Günther Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, München 2002, 269 – 289. Busch, Michael (2016), „Oluf Gerhard Tychsen und das jüdische Emanzipationsedikt von 1813 in Mecklenburg“, in: Gisela Boeck/Hans-­Uwe Lammel (Hgg.), Jüdische kulturelle Einflüsse auf die Stadt Rostock und ihre Universität (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 28), zweite Auflage, Rostock, 7 – 27. Czaika, Otfried (2002), David Chytraeus und die Universität Rostock in ihren Beziehungen zum schwedischen Reich, Helsinki. Ferrone, Vincenzo (1996), „Der Wissenschaftler“, in: Michel Vovelle (Hg.), Der Mensch der Aufklärung, Frankfurt am Main, 169 – 209. Fisch, Stefan (2015), Geschichte der europäischen Universität. Von Bologna nach Bologna, München. Füssel, Marian (2004), „Devianz als Norm? Studentische Gewalt und akademische Freiheit in Köln im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Westfälische Forschungen 54, 145 – 166. 177

Hillard von Thiessen

Füssel, Marian/Wagner, Wolfgang Eric (Hgg.) (2016), Studentenkulturen (Jahrbuch für Universitätsgeschichte 17, 2014), Stuttgart. Gierl, Martin (2001), „Kompilation und Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert“, in: Helmut Zedelmaier/Martin Mulsow (Hgg.), Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Tübingen, 63 – 94. Giese, Simone (2009), Studenten aus Mitternacht. Bildungsideal und „peregrinatio academica“ des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung, Stuttgart. Haalck, Jörgen (1958/59), „Die Rostocker Juristenfakultät als Spruchkollegium. Ein Beitrag zur Universitätsgeschichte“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschaftsund sprachwissenschaftliche Reihe 8, 401 – 418. Hammerstein, Notker (1983), „Die deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung“, in: Zeitschrift für historische Forschung 10, 73 – 89. Hammerstein, Notker (1996), „Die Hochschulträger“, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500 – 1800), München, 105 – 137. Heitz, Gerhard (2001), „Karsten, Franz Christian Lorenz“, in: Andreas Röpcke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg 3, Rostock, 114 – 118. Hübner, Marita (2014), „Samuel Simon Witte, Reiseberichte und wissenschaftliche Erklärungen von Persepolis und den Pyramiden um 1800“, in: Martin Mulsow/Frank Rexroth (Hgg.), Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne, Frankfurt am Main, 439 – 460. Jörn, Nils (2007), „Die Herkunft der Professorenschaft der Greifswalder Universität zwischen 1456 und 1815“, in: Dirk Alvermann et al. (Hgg.), Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraumes, Berlin, 155 – 190. Kaufmann, Thomas (1993), „Die Brüder David und Nathan Chytraeus in Rostock“, in: Karl-­ Heinz Glaser/Thomas Kaufmann/Hanno Lietz (Hgg.), David und Nathan Chytraeus. Huma­ nismus im konfessionellen Zeitalter, Ubstadt-­Weiher, 103 – 116. Kaufmann, Thomas (1997), Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 66), Gütersloh. Kaufmann, Thomas (1998), „Die Wittenberger Theologie in Rostock in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, in: Pietismus und Neuzeit 24, 65 – 87. Keller, Rudolf (1997), „David Chyträus. Melanchthons Geist im Luthertum“, in: Heinz Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern (Wolfenbütteler Forschungen 73), Wiesbaden, 361 – 371. Klüßendorf, Niklot (2001), „Tychsen, Oluf Gerhard“, in: Andreas Röpcke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg 6, Rostock, 276 – 280. Krabbe, Otto (1870), David Chytraeus, Rostock. Krüger, Kersten (2011), „Universitätsgeschichte. Plädoyer für eine Neufassung“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock, 37 – 46. Krug-­Richter, Barbara (2004), „Du Bacchant, quid est grammatica? Konflikte zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg/Br. in der Frühen Neuzeit“, in Barbara Krug-­Richter/Ruth-­E. Mohrmann (Hgg.), Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster, 79 – 104. 178

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Kümmerle, Julian (2003), „Profile lutherischer Gelehrtenfamilien. Vergleichende Überlegungen zu einer sozio-­konfessionellen und bildungsgeschichtlichen Formation der Frühen Neuzeit“, in: Acta Comeniana 17, 33 – 71. Kümmerle, Julian (2008), „‚Absinkendes Niveau, fehlende Kritik und geringe Leistung?‘ Familienuniversitäten und Universitätsfamilien im Alten Reich“, in: Daniela Siebe (Hg.), „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen deutschen Universitäten des Alten Reichs, Stuttgart, 143 – 157. Lammel, Hans-­Uwe (2018), „Die jüdischen Studenten des Berliner Collegium medico-chirurgi­ cum und die Universität in Bützow (1760 – 1789)“, in: Gerhard Aumüller/Irmtraud Sahmland (Hgg.), Karrierestrategien jüdischer Ärzte im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Symposium mit Rundtischgespräch zum 200. Todestag von Adalbert Friedrich Marcus (1753 – 1816), Frankfurt am Main, 147 – 173. Lammel, Hans-­Uwe/Boeck, Gisela (2011), „Vorbemerkung“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Wie schreibt man eine Rostocker Universitätsgeschichte? Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), 5 – 6. Lammel, Hans-­Uwe/Busch, Michael (2017), „Haskala, Pietismus und der Rostocker Orientalist Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815)“, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 27/1, 195 – 238. Lange, Melanie (2016), „Rostock lernt Hebräisch. Die Hebräisch-­Grammatik Elia Levitas (1469 – 1549) in der Übersetzung des christlichen Kosmographen und Hebraisten Sebastian Münster (1488 – 1552) aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Rostock“, in: Gisela Boeck/ Hans-­Uwe Lammel (Hgg.), Jüdische kulturelle Einflüsse auf die Stadt Rostock und ihre Universität (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 28), zweite Auflage, Rostock, 41 – 56. Liermann, Elke (2009), „Mit Mantel und Degen. Studentisches Fechten im frühneuzeitlichen Freiburg/Br.“, in: Barbara Krug-­Richter/Ruth-­E. Mohrmann (Hgg.), Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 65), Köln/Weimar/Wien, 31 – 51. Lorenz, Sönke (1982/83), Aktenversendung und Hexenprozess. Dargestellt am Beispiel der Juristenfakultäten Rostock und Greifswald (1570/82 – 1630), 2 Bde., Frankfurt am Main. Maksymiak, Maɫgorzata Anna (2016), „Korrespondenz – Macht – Verflechtung. O. G. Tychsen (1734 – 1815) und seine Sammlung der jiddischen und hebräischen Privatbriefe“, in: Gisela Boeck/Hans-­Uwe Lammel (Hgg.), Jüdische kulturelle Einflüsse auf die Stadt Rostock und ihre Universität (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 28), zweite Auflage, Rostock, 57 – 82. McClelland, Charles E. (1980), State, Society and University in Germany. 1700 – 1914, Cambridge. Müller, Rainer A. (1996), Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule, München. Münch, Ernst (2013), „Niedergang und Stagnation. 1648 bis 1806“, in: Karsten Schröder (Hg.), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock, 101 – 118. Mulsow, Martin/Rexroth, Frank (Hgg.) (2014), Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne, Frankfurt am Main. Paletschek, Sylvia (2001), „Verbreitete sich ein ‚Humboldt’sches Modell‘ an den deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert?“, in: Rainer Christoph Schwinges/Nicole Staub/Kathrin Jost (Hgg.), Humboldt international. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahrhundert, Basel, 75 – 104. 179

Hillard von Thiessen

Pettke, Sabine (1993), „Die Entlassung des Nathan Chytraeus aus Rostock. Zeitweise verschollene Akten des Geistlichen Ministeriums“, in: Karl-­Heinz Glaser/Hanno Lietz/Sabine Pettke (Hgg.), David und Nathan Chytraeus. Humanismus im konfessionellen Zeitalter, Ubstadt-­ Weiher, 165 – 170. Pluns, Marko A. (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Neue Folge 58), Köln/Weimar/Wien. Reinhard, Wolfgang (1983), „Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters“, in: Zeitschrift für historische Forschung 10, 257 – 277. Rexroth, Frank (2014), „Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Einige einleitende Bemerkungen“, in: Martin Mulsow/Frank Rexroth (Hgg.), Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne, Frankfurt am Main, 11 – 37. Rhein, Stefan (1993), „‚Die Ostseeküste braucht eine blühende Universität‘. Philipp Melanchthon und die Universität Rostock“, in: Karl-­Heinz Glaser/Hanno Lietz/Stefan Rhein (Hgg.), David und Nathan Chytraeus. Humanismus im konfessionellen Zeitalter, Ubstadt-­Weiher, 95 – 102. Rublack, Ulinka (2003), Die Reformation in Europa, Frankfurt am Main. Rüegg, Walter (1996), „Themen, Probleme, Erkenntnisse“, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500 – 1800), München, 21 – 52. Schindling, Anton (1999), Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650 – 1800, München. Shepard, Alexandra (2009), „Student Masculinity in Early Modern Cambridge, 1560 – 1640“, in: Barbara Krug-­Richter/Ruth-­E. Mohrmann (Hgg.), Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 65), Köln/Weimar/Wien, 53 – 74. Siebenhüner, Kim (1999), „Zechen, Zücken, Lärmen“. Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561 – 1577 (Alltag & Provinz 9), Freiburg. Stegmann, Andreas (2018), „Die Rostocker Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das Luthertum im Ostseeraum“, in: Heinrich Assel/Johann Anselm Steiger/ Axel E. Walter (Hgg.), Reformatio Baltica. Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums, Berlin/Boston, 375 – 384. Strom, Jonathan (1993), „Katalog der herrschenden Sünden in Rostock 1657“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 109, 95 – 105. Strom, Jonathan (1994), „Kirchenzucht und Obrigkeitskritik. Religiöse Reform in Rostock 1648 – 1675“, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 92, 125 – 138. Strom, Jonathan (1995), „Die Geistlichen Quistorp im Rostock des 17. Jahrhunderts“, in: Studienhefte zur mecklenburgischen Kirchengeschichte 8, 2 – 11. Thiessen, Hillard von (2018), „Reformation und Gemeinwohl. Die Wirkung der Reformation auf das Normengefüge norddeutscher Handelsstädte am Beispiel Lübecks und Rostocks“, in: Heinrich Assel/Johann Anselm Steiger/Axel E. Walter (Hgg.), Reformatio Baltica. Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums, Berlin/Boston, 261 – 273. Vandrey, Franz (2018), „Albert Krantz. Eine Persönlichkeit zwischen den Zeiten“, in: Robert Zepf (Hg.), Bücher und Bildung. Rostocks Exportschlager im 15. und 16. Jahrhundert. Ausstellung aus Anlass des 14. Bibliotheca Baltica Symposiums, Rostock, 4. – 5. 10. 2018, Rostock, 2. 180

Ausstrahlung, Provinzialisierung und Teilung

Wagner, Wolfgang Eric (2018), „Problematische Nachbarschaft. Konflikte zwischen Studenten und Stadtbewohnern im spätmittelalterlichen Rostock“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B 6), Lübeck, 135 – 156.

181

Otfried Czaika

Nicht nur Theologie Anmerkungen zum Beginn der schwedischen neulateinischen Dichtung im 16. Jahrhundert und ihrer kontextuellen Verortung

Zum skandinavischen Studienbesuch in Rostock im 15. und 16. Jahrhundert Im Rahmen meiner Dissertation befasste ich mich mit den schwedischen und finnischen Studenten in Rostock während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie mit der Bedeutung, die dem damals berühmtesten Vertreter der Rostocker hohen Schule, David Chytraeus, für die schwedische Kirchenpolitik zukam.1 Als ich vor etwa zwanzig Jahren die Arbeit an meiner Dissertation aufnahm, lag sowohl das Reformationsjubiläum 2017 als auch die Sechshundertjahrfeier der Gründung der Universität Rostock noch in weiter Ferne. Jubiläen sind jedoch Ereignisse, bei denen das kollektive Erinnern häufig einen summarischen Rückblick leistet. In den vergangenen Jahren habe ich – nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum – in verschiedenen Zusammenhängen bereits die Kontakte zwischen Mecklenburg und der Rostocker Universität einerseits sowie dem schwedischen Reich andererseits thematisiert und u. a. auf die prägende Kraft, die von Mecklenburg und Rostock nach Norden ausstrahlte, hingewiesen.2 Ich möchte deshalb versuchen, mich hier nicht zu wiederholen, sondern will zu Beginn nur knapp auf den skandinavischen Studienbesuch in Rostock während des 15. und 16. Jahrhunderts eingehen und sodann darauf verweisen, dass Rostock in vielerlei Hinsicht ein paradigmatischer Hauptort für den kulturellen Transfer nach Nordosteuropa war.3 Schließlich möchte ich ein Thema anschneiden, dass trotz der immer wieder festgestellten bedeutenden kulturellen, insbesondere theologischen Strahlkraft, die von Rostock in der Frühen Neuzeit ausging, bisher nur unzureichend beachtet worden ist: Rostock kam auch eine Schlüsselfunktion für die Anfänge einer von Verfassern aus dem schwedischen Reich geschaffenen neulateinischen Poesie zu. Doch zunächst einige Worte zu den Anfängen der Alma Mater in der Urbs Rosarum. Von 1364 bis 1389 war Herzog Albrecht III. von Mecklenburg (um 1338; † 1412) schwedischer König.4 Seine Regentschaft endete glücklos mit einer militärischen Niederlage und Gefangennahme, der Freilassung aus dänischer Gefangenschaft und der erzwungenen Übergabe der Regierungsgeschäfte an die dänische Königin Margarethe I. (1353 – 1412), die somit ganz Skandinavien in der sogenannten Kalmarer Union in Personalunion regierte.5 Nur wenige Jahre nach Albrechts Tod wurde am 12. 11. 1419 die Universität Rostock 183

Otfried Czaika

Abb. 1: Matrikel der Universität Rostock, S. 5, Einträge „Magnus de Zwecia“ und „Folko Petri“ vom 12. 11. 1419.

­gegründet.6 Die Stadt Rostock bekam in der Folgezeit eine prominente Funktion, nicht nur als Hafen- und Handelsstadt, sondern auch als Zentrum für Theologie und Bildung im Ostseeraum. Obwohl erst 1419 gegründet, war Rostock schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts „die von Skandinaviern mit Abstand meistbesuchte Universität“.7 Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts entfielen etwa 50 % der skandinavischen Immatrikulationen an ausländischen Lehranstalten auf die Universität in der Warnowstadt: „Nach Rostock reisten zwei von drei norwegischen Studenten, jeder zweite Däne, jeder dritte Schwede, jeder vierte Finne und auch die einzigen Isländer, die man aus mittelalterlichen Matrikeln identifizieren kann […].“ 8 Bereits 1419, im Jahr ihrer Gründung, lassen sich vier Studenten aus dem schwedischen Reich in Rostock in den Matrikeln identifizieren: Magnus de Zwecia, Folko Petri de Zwecia, Iacobus de Kalmarnia, Nicolaus de Kalmarnia – bzw. vulgo: Magnus aus Schweden, Folke Petterson aus Schweden, Jakob aus Kalmar und Nils aus Kalmar (Abb. 1).9 Alle vier kamen Ende 1419 nach Rostock und immatrikulierten sich am 12. 11. 1419, also dem Gründungstag, an der Universität. Wir wissen nicht, wie es dazu kam, dass sie sich zu diesem speziellen Datum immatrikulierten. Steuerten sie eigentlich eine andere Hohe Schule an, Leipzig, Wien, Prag, Paris oder Bologna? Landeten sie in Rostock, um eigentlich weiterzuziehen, und hielten es für eine günstige Gelegenheit, in der Stadt, in der sie zum ersten Mal deutschen Boden betraten, auch studieren zu können? Oder waren es die Verbindungen zu der Hohen Schule in Leipzig, die diese 184

Nicht nur Theologie

vier Schweden nach Rostock brachte? Nicolaus de Kalmarnia hatte sich nämlich bereits im Jahr 1414 in Leipzig immatrikuliert; vielleicht kam er von Leipzig nach Rostock und traf in der Warnowstadt mit seinen drei schwedischen Kommilitonen zusammen. Es ist aber ebenso möglich, dass er zwischenzeitlich nach Schweden zurückgekehrt war und von dort mit einer Reisegesellschaft in Rostock ankam oder mit den anderen Schweden erst hier zusammentraf.10 Rostock hatte ja durchaus einen Standortvorteil: Die Stadt war eben nicht nur Hafen-, sondern nun auch zugleich Universitätsstadt. Wer diese vier Herren waren und was aus ihnen später wurde, wissen wir nicht. Die personenhistorische Quellenlage im Skandinavien des Spätmittelalters und während der frühen Neuzeit ist oftmals extrem brüchig, Matrikelangaben wie diese aus dem Jahr 1419 sind oftmals das Einzige, was wir von einem skandinavischen Studenten wissen. Außer dem Namen und dem Matrikeleintrag an einer ausländischen Hochschule ist häufig nichts Weiteres bekannt; allerdings verbessert sich die Quellenlage langsam aber sukzessive bis in das 17. und 18. Jahrhundert hinein.11 Die skandinavischen Reiche selbst verfügten zu Beginn des 15. Jahrhunderts über keine eigenen höheren Bildungsstätten, die Universität in Uppsala wurde erst 1477 gegründet und diejenige in Kopenhagen zwei Jahre später. In einem gewissen Sinne bedurfte es auch keiner eigenen Universitäten, denn für die Ausbildung der Pfarrer sorgten bis weit in die Frühe Neuzeit hinein – auch noch nach der Reformation – die Domschulen der Bistümer und seit dem 17. Jahrhundert auch die akademischen Gymnasien im schwedischen Reich. Ein Studium an einer ausländischen hohen Schule war also ein Distinktionsmerkmal und mithin in den meisten Fällen ein Zeichen dafür, dass der sich Immatrikulierende Leitungsaufgaben innerhalb der kirchlichen Hierarchie anstrebte. Wenn wir die Immatrikulationen der schwedischen und finnischen Studenten in Rostock in dem ersten Jahrhundert nach ihrer Gründung durchgehen, lässt sich dieser Umstand exakt belegen: Sofern wir nicht – wie bei den ersten vier schwedischen Immatrikulationen – in einer personenhistorischen Sackgasse landen, sondern weitere Angaben zum späteren Lebensweg und den Karrieren der Rostocker Studenten besitzen, lässt sich unschwer erkennen, dass praktisch alle nach ihrer Rückkehr in die Heimat kirchliche Leitungsfunktionen bekleideten. Die künftige kirchliche Elite des schwedischen Reichs gab sich in Rostock die Klinke in die Hand. Spätere Bischöfe, Archidiakone oder Angehörige der Domkapitel studierten im 15. Jahrhundert in Rostock – der niedere Klerus glänzt unter den Studenten im Ausland praktisch vollständig mit Abwesenheit.12 Das Gros der skandinavischen kirchlichen Elite wurde also am Vorabend der Reformation in Rostock ausgebildet. Allerdings gibt es auch regelmäßig Ausnahmen von der Regel, wie z. B. den hochgebildeten Bischof von Strängnäs, Kort Rogge, der nach allem, was wir wissen, auf seiner akademischen Peregrination die Rostocker Universität nicht auf dem Reiseplan hatte, sondern seine akademische Bildung in Leipzig und Perugia erhielt.13 Hier brachte die Reformation nahezu keine Änderung: Auch nach der Reformation, insbesondere etwa ab 1550 bildet die Rostocker Universität weiterhin die Funktionseliten 185

Otfried Czaika

des schwedischen Reichs aus.14 Allerdings: Unter den Studenten treffen wir nun auch vermehrt adlige Personen, die Rostock im Zuge einer Grand tour besuchten und die später keine geistlichen, sondern weltliche Aufgaben im expandierenden schwedischen Staatswesen übernahmen.15 Doch zurück in das erste Jahrhundert nach der Gründung der Rostocker Universität. Bei den Studenten aus dem schwedischen Reich sind jene aus dem finnischen Reichsteil, d. h. dem Bistum Turku, eindeutig überrepräsentiert. Der im Verhältnis zur Bevölkerung des finnischen Reichsteils überdurchschnittliche Studienbesuch an ausländischen Universitäten ist ebenfalls eine Konstante zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit: Eine akademische Bildung indigener finnischer Kleriker sollte im Spätmittelalter die Besetzung kirchlicher Leitungspositionen im Bistum Turku durch Nichtfinnen erschweren. Dies gelang auch größtenteils. Nach der Reformation war dieser Aspekt zwar weitestgehend unbedeutend geworden, der relativ hohe Anteil finnischer Studenten im Ausland jedoch weiterhin ein Kontinuum.16

Rostock als Brückenkopf für den Kultur- und ­Theologietransfer nach Nordosteuropa Auch wenn die Universität Rostock – so wie zahlreiche andere Universitäten – zu Beginn des 16. Jahrhunderts als ein „Bollwerk des Althergebrachten“ 17 beschrieben werden kann, so war das geistige Umfeld in Rostock dennoch von guten Kontakten zu humanistischen Netzwerken gekennzeichnet: In den 1480er Jahren hielt sich Conrad Celtis (1459 – 1508) an der Universität der Warnowstadt auf.18 Hermann von dem Busche (1468 – 1534), der gleichzeitig mit Erasmus von Rotterdam (* um 1467, † 1536) die Schule in Deventer besucht hatte, führte während seiner Zeit als akademischer Lehrer in Rostock, 1501 bis 1502, Studien in klassischer Literatur in den Lehrplan ein. Von dem Busche war auch lebhaft an bibelwissenschaftlicher Arbeit interessiert, seine Vorlesungen wurden jedoch von der mehrheitlich konservativ eingestellten Alma Mater missbilligt. 1502 wurde er Lektor an der soeben gegründeten Leucorea in Wittenberg und kam später über Köln und Leipzig nach Marburg.19 Im Jahre 1509 hielt sich zudem Ulrich von Hutten (1488 – 1523) in Rostock auf. Zum intellektuellen Umfeld der Stadt an der Wende zum 16. Jahrhundert trugen auch die Brüder vom gemeinsamen Leben bei, die durch ihre im Michaeliskloster betriebene Druckerei eine wichtige Bedeutung für den Buchmarkt in Skandinavien erhielten.20 Skandinavische Studenten trafen also während eines Aufenthalts in Rostock nicht nur auf konservative Wissenschaftlichkeit, sondern kamen dort auch mit der devotio moderna und humanistischem Gedankengut in Berührung.21 An der Biographie des späteren Bischofs von Skara, Sveno Jacobi (* nach 1480, † 1554), der 1508 an der Hochschule der Warnowstadt immatrikuliert wurde, lässt sich paradigmatisch ablesen, dass die Rede von Rostock als „Bollwerk des Althergebrachten“ nicht überschätzt werden sollte. Die Kontakte zur spätmittelalterlichen Frömmigkeitskultur und zu ­humanistischen 186

Nicht nur Theologie

­ edanken schufen nämlich bei schwedischen Studenten wie Sveno Jacobi eine theoG logische Disposition, die sie mittel- und langfristig ins Lager der Reformation führen konnte.22 Studienbesuche Sveno Jacobis an anderen Lehranstalten in Zentraleuropa sind nicht nachzuweisen. In seiner Rostocker Studienzeit begann er bereits seine Bibliothek aufzubauen, die wir bis heute in großen Teilen rekonstruieren können.23 Erkennen kann man, dass Jacobi vermutlich aufgrund der eher konservativen Ausrichtung der Rostocker Lehranstalt zunächst relativ traditionelle Arbeiten als Studienliteratur anschaffte, recht bald nach seinem Studium jedoch auch humanistisch orientierte Werke, u. a. Quellenausgaben und zahlreiche reformatorische Schriften erwarb. Auch wenn die Majorität des Rostocker Lehrkörpers in den Jahrzehnten vor der Reformation eher dem Althergebrachten als der neuen humanistischen Gelehrsamkeit zugeneigt war, so war Rostock – wie Celtis, Hutten und von dem Busche belegen – eben keine von den theologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit isolierte Insel, sondern muss im Kontext der vielfältigen gelehrten Kontakte der res publica litteraria um 1500 betrachtet werden. Rostock kann also ganz folgerichtig auch als eine Art Brückenkopf beschrieben werden: Hier konnten skandinavische Studenten Kontakt zu den kulturellen und theologischen Milieus in Zentraleuropa etablieren und dort gewonnene Einsichten transformieren und in den europäischen Nordosten transferieren. In den 1520er und 1530er Jahren wurden die Gesangbücher 24 des Rostocker Pfarrers Joachim Slüter (* um 1490, † 1532) im dänischen wie auch im schwedischen Reich fleißig genutzt und dienten als Vorlage für die Schaffung eigener Kirchenlieder in dänischer oder schwedischer Sprache.25 Im nordischen Siebenjährigen Krieg liefen gegen Ende der 1560er Jahre viele diplomatische Fäden in Rostock und Mecklenburg zusammen und durch die Eheschließung von Herzog Christoph von Mecklenburg (1537 – 1592) und der schwedischen Prinzessin Elisabeth Wasa (1549 – 1597) in Stockholm wurden im Jahre 1581 auch dynastische Bande zwischen Mecklenburg und Schweden etabliert.26 Von Rostock gingen sowohl am Vorabend der Reformation – an die Brüder vom Gemeinsamen Leben und ihre Druckerei wurde bereits erinnert – als auch während des gesamten Reformationsjahrhunderts wichtige Impulse für die skandinavische Buch- und Druckgeschichte aus. Erwähnt sei hier nur der gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Rostock ansässige schwedische Übersetzer und Verleger Petrus Johannis Gothus (1536 – 1616) und der aus Rostock kommende und später in Kopenhagen und schließlich Stockholm tätige Buchdrucker Andreas Gutterwitz († 1610).27 Petrus Johannis Gothus in Rostock und Andreas Gutterwitz in Stockholm produzierten zwischen etwa 1580 und 1610 das Gros aller für den schwedischen Buchmarkt bestimmten Drucke. Als 1593 das schwedische Reich durch Reichstag und Synode in Uppsala ein eigenes Bekenntnis erhielt, war dies nicht nur Ergebnis der Rezeption der an der Confessio Augustana orientierten Theologie von David Chytraeus, sondern die schwedischen Reichsstände griffen auch das politischen Vorbild Mecklenburgs auf. Alle kirchlichen wie politischen Entscheidungsträger, die 1593 in Uppsala versammelt waren, hatten vormals in Rostock 187

Otfried Czaika

studiert oder waren zumindest in den Vorjahren in Briefkontakt mit David Chytraeus gestanden. In Mecklenburg waren es 1555 die Stände gewesen, die das Bekenntnis des Territoriums formulierten, ebenso wie es 1593 die schwedischen Reichsstände waren – und nicht etwa ein Fürst oder König –, die das schwedische Reich auf die vera doctrina lutherana festlegten.28 Der Beschluss von Synode und Reichtag, die Confessio fidei, wurde selbstverständlich im Jahre 1594 bei Gutterwitz in Stockholm gedruckt.29 Auch die Geschichte des schwedischen Leichenpredigt-­Drucks ist eng mit Rostock verwoben: Die in deutscher Sprache in Stockholm 1598 gehaltene, aber in Rostock gedruckte Leichenpredigt auf Elisabeth Wasa ist die ersten „schwedische“ Leichenpredigt:30 Sie wurde in Stockholm vom dortigen Hauptpfarrer der deutschen Gemeinde anläßlich des Begräbnisses der schwedischen Prinzessin Elisabeth gehalten, einer Tochter von Gustav Wasa (Abb. 2). Lucas Bacmeisters (1530 – 1608) Leichenpredigt über seinen Kollegen David Chytraeus wurde von Petrus Johannis Gothus umgehend, vermutlich noch in Chytraeus’ Todesjahr (1600), ins Schwedische übersetzt und in Rostock im Druck herausgegeben.31 Zusammen mit der ebenfalls von Gothus ins Schwedische übersetzten und ebenfalls 1600 in Rostock gedruckten Leichenpredigt, die Polycarp Leyser (1552 – 1610) über David Chytraeus’ Nichte Regina († 1599) gehalten hatte, ist Bacmeisters Leichenpredigt die erste in schwedischer Sprache gedruckte Leichenpredigt.32 Bei diesen kursorischen Verweisen auf die immense kulturelle Strahlkraft, die Rostock und nicht zuletzt die Universität der Warnowstadt in den Ostseeraum hatten, möchte ich es zunächst belassen. Auf die Bedeutung, die Rostock für die Entstehung einer von schwedischen Verfassern geschaffenen neulateinischen Dichtung zukam, wird später zurückzukommen sein. Mit den Hinweisen auf Sveno Jacobi und die nicht nur – aber eben auch – über Rostock als Brückenkopf vermittelte humanistische Gelehrsamkeit möchte ich den Fokus, der meist auf den von der Rostocker Universität ausgehenden theologischen Prägungen liegt, etwas verschieben, obwohl eine saubere Trennung zwischen Humanismus und Reformation bzw. Theologie in vieler Hinsicht weder sinnvoll noch möglich ist. Es sind aber eben nicht nur die niederdeutschen Varianten lutherischer Kirchenlieder, die durch Slüters Gesangbücher über Rostock nach Norden kommen, oder Chytraeus’ konfessionelle Deutung der lutherischen vera doctrina. Hinzu kommt ein Interesse für den Humanismus, seine Quellenarbeit und nicht zuletzt die humanistische amicitia und Gelegenheitsdichtung. Bereits während seines Rostocker Studienaufenthalts erwarb Sveno Jacobi ein Exemplar von Albert Krantz’ panegyrischer Grabrede auf Herzog Magnus von Mecklenburg (1441 – 1503) aus dem Jahre 1504 (Abb. 3).33 Und bereits hier ist darauf zu verweisen, dass eine humanistisch geprägte Rhetorik und Gelegenheitsdichtung zu Beginn des 16. Jahrhunderts im schwedischen Reich nicht existierte. In einem gewissen Sinne können wir sogar behaupten, dass es im schwedischen Reich bis weit in die Mitte des 16. Jahrhunderts überhaupt keine Humanisten gab. Personen, die ein humanistisch geprägtes Netzwerk mit einem entsprechend gelehrten Briefwechsel führten, existierten 188

Nicht nur Theologie

Abb. 2: Vitus Bornerus [Börners] Leichenpredigt auf Elisabeth Wasa, Rostock 1598.

189

Otfried Czaika

nicht, auch keine Autoren, die sich durch ihre Schriften an die gelehrte humanistisch geprägte res publica litteraria wandten. Noch weniger gab es Humanisten oder Theologen, die irgendwie geartete Beiträge zur Erschließung antiker oder altkirchlicher Quellen leisteten. Zum guten Teil lässt sich dies aus dem Faktum erklären, dass sich die Universität Uppsala nicht recht entwickelt hatte und vermutlich bereits am Vorabend der Reformation, nämlich um das Jahr 1515, ihre Lehrtätigkeit eingestellt hatte. Dennoch kann auf der Haben-­Seite eindeutig verbucht werden, dass eine Vielzahl, möglicherweise sogar eine deutliche Mehrheit der theologisch Gebildeten in Schweden um 1520 und in den Jahrzehnten danach ein Interesse für die Anliegen des Humanismus besaß. Dies lässt sich quer durch alle theologischen Schattierungen feststellen: Die prominentesten Vertreter der altgläubigen Seite in Schweden, Bischof Hans Brask (1464 – 1538)34 in Linköping oder Olaus Magnus (1490 – 1557), der im römischen Exil eine schwedische Chronik verfasste und auch die Carta Marina drucken ließ,35 waren ebenso wie Sveno Jacobi, der langsam aber sicher aus dem Lager der Altgläubigen in die Reformation überglitt, oder aber die Reformatoren der ersten Stunde von der humanistischen Gelehrsamkeit ihrer Zeit beeinflusst. Nicht immer, aber eben immer wieder sehen wir zudem, dass Rostock hier eine Rolle spielte: Der schwedische Reformator Laurentius Andreae (* um 1479, † 1552) war etwa eine Generation älter als die in den 1490er Jahren geborenen Brüder Olaus (1493 – 1552) und Laurentius Petri (1499 – 1573). Andreae hatte selbstverständlich in Rostock studiert, ebenso wie der erste Reformator Finnlands, Peter Särkilahti († um 1529);36 die Brüder Petri hingegen hatten Wittenberg als Studienort gewählt. Laurentius Andreae steht auch als einer der führenden Köpfe hinter der ersten Übersetzung des Neuen Testaments ins Schwedische, die bereits 1526, nur vier Jahre nach Luthers Septembertestament, erschien.37 Wohl möglich, dass Andreae auch den Auftrag für die 1530 in Rostock gedruckte Auflage von Erasmus’ Novum Testamentum gegeben hatte – ein Teil der Auflage weist nämlich auf einem Vorsatzblatt das schwedische Reichswappen auf und war ganz offensichtlich für den schwedischen Markt bestimmt.38

Rostock und der Beginn der schwedischen neulateinischen Dichtung Nach dem markanten Einbruch der Studienzahlen in Mitteleuropa um 1525 konnte Rostock zunächst nicht an seine Bedeutung für die Auslandsstudien der Skandinavier anknüpfen. Nur zwanzig schwedische Studenten schrieben sich zwischen 1525 und 1550 in Rostock ein. Skandinavische Studenten reisten nun in erster Linie ad fontes, zu Luther und Melanchthon nach Wittenberg. Dies änderte sich freilich ziemlich schlagartig, nachdem 1551 David Chytraeus nach Rostock berufen worden war. David Chytraeus war bekanntlich selbst Schüler von Luther und Melanchthon gewesen und kam von der Leucorea an die Hohe Schule in Rostock. David Chytraeus’ Berufung nach Rostock erfolgte auf Betreiben des aus Breslau gebürtigen Johannes Aurifaber (1517 – 1568), der 190

Nicht nur Theologie

Abb. 3: Sveno Jacobis Exemplar von Albert Krantz´ Oratio Funebris auf Herzog Magnus von Mecklenburg, [Antwerpen] 1504.

191

Otfried Czaika

seinerseits in den 1530er Jahren in Wittenberg studiert hatte und seit 1550 als Professor in Rostock wirkte. Die Geschichte der Wittenberger Leucorea ist in vielfältiger Weise, nicht nur in personeller Hinsicht, mit der Rostocker Universität verwoben. Auch mit Hinblick auf den Kultur- und Theologietransfer erscheinen Wittenberg und Rostock als sich komplettierende Teile eines Ganzen. Wie bereits oben angemerkt war es das niederdeutsche Gesangbuchschaffen des Joachim Slüter, das eine immense Strahlkraft in den europäischen Nordosten entfaltete und nachhaltig die dänischen und schwedischen Gesangbücher des 16. Jahrhunderts prägte. Slüter vermittelte indes weitestgehend die Kirchenlieder, die von Luther oder anderen der Wittenberger Reformation zugeneigten Verfassern geschrieben worden waren. Auch das Genre der evangelischen Leichenpredigt ist selbstverständlich nicht in Rostock entstanden, sondern geht in erster Linie auf die von Martin Luther verfassten Leichenpredigten und das reformatorische Umfeld in Wittenberg zurück. Um das Jahr 1600 war es dann das akademische Milieu in der Warnowstadt, dem die entscheidende Gelenkfunktion bei der Transferierung der Leichenpredigt als Druckgattung ins schwedische Reich zukam. Das mag vielleicht gar nicht großartig überraschen: Die wichtigsten Studienorte skandinavischer Studenten bis 1550 waren Wittenberg und danach Rostock, das wieder an seine Geschichte im 15. Jahrhundert anschließen konnte. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass über die Kontakte der Studenten zu der Kultur, die sie an ihren Studienorten umgab, entsprechende kulturelle Eindrücke in ihre Heimatländer weitervermittelt wurden. Und es ist ebenso folgerichtig, dass Wittenberg und Rostock diesbezüglich nicht trennscharf auseinander dividiert werden können. Dies sehen wir übrigens auch an dem auf Melanchthons Wittenberger Kreis zurückgehenden studentischen Brauch, Stammbücher anzulegen: Nach etwa 1550 legten auch eine Reihe skandinavischer Studenten im Ausland Stammbücher an, die über ihre Besuche in Rostock, Wittenberg und anderorts Zeugnis ablegen und durch die wir heute noch Kontakte zu Professoren, Kommilitonen und sonstigen Bekannten rekonstruieren können.39 Die skandinavischen Studenten im Alten Reich waren also Teil der sie umgebenden akademischen Kultur und vermittelten diese in den Norden. Ein wichtiger Bestandteil der humanistischen amicitia waren nicht nur die Stammbücher, sondern auch – meist in lateinischer Sprache – verfasste Gelegenheitsgedichte. Insbesondere Melanchthon hatte seinen Studenten in seinen Vorlesungen und Schriften nicht nur die vera doctrina lutherana, sondern auch die antike Rhetorik und Poetik vermittelt. Melanchthon selbst schrieb eine größere Anzahl neulateinischer Gedichte.40 Im kollektiven Gedächtnis kommt der Gelegenheitsdichtung meist eine eher untergeordnete Rolle zu. Obwohl sie Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Studenten und anderen Universitätsangehörigen vermittelt, steht sie oft im Schatten der großen politischen und theologischen Auseinandersetzungen. Meist wird die neulateinische Dichtung nur wahrgenommen, wenn sie ausdrücklich politische Angelegenheiten adressiert, etwa im panegyrischen Herrscherlob, oder aber ein historisches Ereignis im Geschichtsdiskurs etabliert. Teilweise erklärt sich das geringe 192

Nicht nur Theologie

Interesse der (Kirchen-)Historiker an der Gelegenheitsdichtung auch durch die schlechte Überlieferungslage: Ephemere Schriften wie diese sind oft vollständig verloren gegangen, lassen sich manchmal nur durch sekundäre Angaben erschließen oder sind über zahllose Bibliotheken und Archive verstreut, was kostspielige Forschungsaufenthalte mit relativ geringem Resultat erfordert, sofern die verschiedenen Werke nicht mittlerweile digital zugänglich sind. Nicht zuletzt erschwert den Zugriff auf diese Textsorten ungemein, dass Gelegenheitsschriften und neulateinische Dichtung oftmals nur unzureichend oder überhaupt nicht katalogisiert sind. Das zumindest partielle Desinteresse der Forschung an solchen ephemeren Werken lässt sich nicht zuletzt an meinen eigenen Arbeiten zur schwedischen Kirchengeschichte und der Universität Rostock ablesen: Die Stammbücher waren durchaus eine wichtige Quelle für meine Dissertation und auch im Zuge meiner Studien zur schwedischen Leichenpredigt gerieten „sonstige Trauerschriften“ wie Epicedien oder programma exequalia in mein Blickfeld. Dass die Achse Wittenberg–Rostock jedoch auch entscheidend für den Beginn einer schwedischen neulateinischen Dichtung war,41 wurde mir erst im Herbst 2018 klar: Seit bald einem Jahrzehnt versuche ich in verschiedenen europäischen Bibliotheken bisher unbekannte schwedische Drucke des 16. Jahrhunderts zu identifizieren. In der Herzog-­August-­Bibliothek entdeckte ich zwei Gelegenheitsschriften, die in den 1570er Jahren in Rostock entstanden sind und nach nationalbibliographischen Maßgaben als „schwedische“ Drucke bezeichnet werden müssen:42 Der erste Druck ist ein sog. Propemticon, das von dem aus Dithmarschen stammenden Petrus Creisbachius (1548 – 1621) im Jahr 1574 verfasst wurde (Abb. 4). „Objekte“ bzw. Adressaten dieses Abschiedsgedichts sind drei Rostocker Studenten, Henricus Bullius (* um 1545, † nach 1595), Johannes Rodewalt sowie der Schwede Ericus Jacobi [Skinnerus], die auf ihrer peregrinatio academica die Warnowstadt verließen, um nach Köln weiterzureisen.43 Die zweite Gelegenheitsschrift ist ein von eben diesem Ericus Jacobi [Skinnerus] († 1597) im Jahr 1578 verfasstes Epicedion auf den in Rostock verstorbenen Studenten Benedikt Teuber († 1578), einen Sohn des Wittenberger Rechtsgelehrten Michael Teuber (1524 – 1586) (Abb. 5).44 Beide Werke wurden bei dem Rostocker Universitätsbuchdrucker Jacob Lucius aufgelegt. Bis in die 1550er Jahre existierte nach allem, was wir wissen, bis auf ein nur sekundär erschließbares Gedicht auf die Geburt des schwedischen Thronfolgers Erik (1533 – 1577)45 keine neulateinische Dichtung, die von einem Verfasser aus dem schwedischen Reich geschaffen worden war.46 In den 1550-er Jahren wurden sodann allerdings Wittenberg und Rostock auf vielfältige Art und Weise für Schweden der Ausgangspunkt einer neulateinischen Dichtung. Den Anfang machte in den 1550er Jahren der aus Witzenhausen in Hessen stammende Heinrich Möller (* um 1528, † 1567).47 Möller hatte seine Ausbildung u. a. an der Leucorea erhalten und war dort 1557 Mitglied der philosophischen Fakultät. Er nahm an Melanchthons Begräbnis teil und verfasste ein Trauergedicht auf den Praeceptor Germaniae. Als Praeceptor des schwedischen Adligen Åke Bengtsson Färla (* nach 1530, † 1578) bereiste Möller mehrmals Schweden, war Erzieher der schwedischen Prinzen Johann 193

Otfried Czaika

Abb. 4: Titelblatt von Petrus Creisbachius Propemticon, Rostock 1574.

Abb. 5: Titelblatt von Ericus Jacobi Skinnerus’ Epicedion, Rostock 1578.

(1537 – 1592) und Magnus (1542 – 1595) und wurde zudem von Gustav Wasa (1496 – 1560) als Hofpoet bestellt. Im Jahre 1555 hatte er ein panegyrisches Gedicht auf den schwedischen Reichsverweser Sten Sture (* um 1440, † 1503) herausgegeben, das in Rostock gedruckt wurde. Zwei Jahre später erschien sein Herrscherlob auf den schwedischen König Karl Knutsson Bonde (* 1408/1409, † 1470). Bis zur Mitte der 1560er Jahre publizierte er eine Reihe weiterer Gedichte auf Angehörige des schwedischen Hofs, u. a. anlässlich der Hochzeit von Prinz Johann mit der polnischen Prinzessin Catharina Jagiellonica (1526 – 1583). Die neulateinischen Dichtungen des Heinrich Möller wurden meist in Wittenberg und Königsberg gedruckt, seltener in Danzig, Rostock oder Stockholm. Ein in Königsberg 1553 gedrucktes Gedicht belegt, dass sich ausgehend von Wittenberg ein humanistisches Netzwerk neulateinischer Autoren zu etablieren begann: Möller brachte in diesem Jahr nämlich ein Gratulationsgedicht anlässlich von David Chytraeus’ Hochzeit heraus. Zu diesem Netzwerk gehörten nicht nur Philipp Melanchthon, David Chytraeus und Heinrich Möller, sondern auch Nathan Chytraeus (1543 – 1598), Davids Bruder, der nach Studien in Straßburg, Rostock und Tübingen im Jahre 1562 in Rostock zum magister artium promoviert worden war und 1564 dortselbst zum herzoglichen Professor für lateinische Sprache ernannt 194

Nicht nur Theologie

wurde. Gegen Ende der 1550er Jahre treffen wir in diesem Netzwerk auch auf schwedische Verfasser, die alle ausnahmslos in Wittenberg und/oder Rostock studiert hatten. Der spätere schwedische Erzbischof Laurentius Petri Gothus (1529 – 1579) beförderte im Jahre 1559 in Wittenberg ein an den schwedischen Thronfolger Erik gerichtetes Gedicht in den Druck, das die Kriegslist der Goten [Geten] gegen den persischen König Darius I. (549 – 486 v. Chr.) im sechsten vorchristlichen Jahrhundert schildert.48 Ein Jahr später verfasste der finnische Theologe und spätere Bischof von Viborg, Erik Härkäpää († 1578), ein handschriftlich überliefertes Epitaph in zwölf Distichen auf den verstorbenen König Gustav Wasa. Härkäpää wurde 1547 in Rostock immatrikuliert und 1550 in Wittenberg. „[A]uch er [hatte] seine Dichtkunst in Wittenberg, dem protestantischen Athen, gelernt.“ 49 Im Jahre 1561 erschienen sodann in Stockholm zwei weitere neulateinische poetische Werke aus der Feder von Laurentius Petri Gothus, ein Städtelob auf die Stadt Stockholm und eine Sammlung von Elegien.50 Als Laurentius Petri Gothus sich 1564 zum dritten Mal auf eine Studienreise ins Heilige Römische Reich begab, besuchte er Rostock und nicht Wittenberg.51 Was ihn zum dritten Mal nach Deutschland zog, wissen wir nicht – aber Rostock hatte für ihn sicherlich durch die Berufung von Nathan Chytraeus an Attraktivität gewonnen. Nachdem Philipp Melanchthon 1560 verstorben war, wird die seit etwa 1550 begonnene Umorientierung von Wittenberg nach Rostock bei der Wahl des Studienorts auch im neulateinischen Schrifttum greifbar: Rostock ersetzt nun ganz deutlich Wittenberg als Abfassungs- und Publikationsort neulateinischer Gedichte. Die Arbeiten von Heinrich Möller und auch die Gedichte von Erik Härkäpää und Laurentius Petri Gothus waren noch panegyrischer Art gewesen. Nach 1560 erschienen in Rostock nun auch die ersten neulateinischen Gedichte mit religiösem Inhalt sowie Personen- bzw. Gelegenheitschriften. In den Jahren 1561 und 1562 veröffentlichte Petrus Michaelis Ostrogothus († 1580) drei neulateinische Gedichte mit religiösem Inhalt, u. a. die Elegia in diem natalem.52 Bereits im Jahr seiner Promotion, also 1562, war Nathan Chytraeus Beiträger für ein Epicedion auf einen in Rostock verstorbenen schwedischen Studenten, Johannes Caroli († 1562) aus Uppsala; unter den weiteren Beiträgern finden sich auch Johannes Posselius (1528 – 1591) und ein schwedischer Student namens Andreas Jacobi Gothus.53 Ein Jahr später veröffentlichte Ericus Petri in Rostock ein Gratulationsgedicht anlässlich der Hochzeit des schwedischen Adligen Erik Gyllenstierna († 1586) mit Katharina Nicolai (1539 – 1596).54 Zu Beginn der 1560er Jahre erschienen – für die entsprechend begrenzten schwedischen Verhältnisse – eine relativ große Anzahl neulateinischer Dichtungen in der Warnowstadt.55 Es scheint ganz so, als habe sich mit David und Nathan Chytraeus und insbesondere nach Melanchthons Tod der Fokus neulateinischer Dichtkunst von Wittenberg nach Rostock verlagert. In Wittenberg sind erst wieder gegen Ende der 1570er und zu Beginn der 1580er Jahre neulateinische Werke nachweisbar,56 die von Verfassern aus dem schwedischen Reich geschrieben wurden. Bei alledem muss auch immer bedacht werden, dass die Überlieferungsverluste solcher ephemeren Werke immens sind, wodurch das Bild, 195

Otfried Czaika

das wir heute erhalten, verfälscht sein könnte. Nimmt man jedoch an, dass die Überlieferungsverluste in Rostock gedruckter Werke ebenso hoch sind wie von Arbeiten, die in Wittenberg aufgelegt wurden, lassen sich zwei Dinge feststellen: In Wittenberg erschien zwischen 1560 und 1580 nicht einmal ein Drittel der neulateinischen Werke mit schwedischer Beteiligung, die in Rostock publiziert wurden (Wittenberg: 3; Rostock: 10). Interessanterweise wurde die relativ hohe Publikationsfrequenz neulateinischer Werke der frühen 1560er Jahre bis 1580 nicht mehr erreicht. Nur sporadisch erschienen nun neulateinische Werke, sei es in Rostock 57 oder Wittenberg. Hauptgrund dafür dürfte der nordische Siebenjährige Krieg (auch Dreikronenkrieg; 1563 – 1570) gewesen sein, der massive Störungen nicht nur des Handels, sondern auch des Studienbesuchs in Rostock nach sich zog. Dass auch in Wittenberg erst wieder um 1580 neulateinische Dichtungen von schwedischen Verfassern erschienen, dürfte nicht zuletzt durch die auch aufgrund der philippistischen Auseinandersetzungen an der Leucorea bedingte niedrige Frequenz schwedischer und finnischer Studenten bedingt sein.58 Um die Mitte der 1580er Jahre kamen dann wieder eine größere Anzahl neulateinischer Werke in der Warnowstadt heraus.59 Ein panegyrisches Werk auf Herzog Karl von Södermanland, den späteren König Karl IX. (1550 – 1611), erschien in Lübeck 1579.60 In den folgenden Jahren lässt sich freilich beobachten, dass die neulateinische Dichtung nicht mehr wie zuvor in erster Linie mit Rostock 61 und Wittenberg 62 verbunden ist: Auch in Wien,63 Marburg,64 Jena,65 Helmstedt,66 Königsberg 67 sowie an den Jesuitenkollegien in Braunsberg und Wilna,68 die nun zahlreiche Studenten aus dem schwedischen Reich anzogen,69 wurden neulateinische Werke gedruckt, bei denen Personen aus dem schwedischen Reich als Verfasser beteiligt waren. Vereinzelt tritt auch Stockholm als Verlagsort neulateinischer Dichtung in Erscheinung. 70 Interessanterweise firmierte bei dem 1587 bei Gutterwitz in Stockholm verlegten Hochzeitsgedicht auf das schwedische Adelspaar Christian Horn (1544 – 1612) und Catharina Bielke (1563–?) nicht nur der finnische Adlige Theodoricus Petri Ruutha (* um 1560; † 1617) als Verfasser, sondern auch der Rostocker Theologieprofessor Johannes Freder(us) d. J. (1544 – 1604). Ruutha hatte sich 1581 in die Matrikel der Rostocker Universität eingetragen 71 und 1582 die Liedersammlung Piae Cantiones in Greifswald herausgegeben. Auch in diesem Fall eines in Stockholm gedruckten neulateinischen Werks lässt sich erneut ablesen, dass in dem Vierteljahrhundert nach etwa 1555 die persönlichen Kontakte ehemaliger schwedischer und finnischer Studenten zu ihren Universitäten, insbesondere die Leucorea und die Hohe Schule in Rostock, ausschlaggebend für die Entstehung eines neulateinischen Schrifttums waren. Ab etwa 1585 ist jedoch zu beobachten, dass nicht nur die Publikationsfrequenz neulateinischer Schriften von Verfassern aus dem schwedischen Reich massiv anstieg, sondern sich nun auch zahlreiche andere Druckorte als Rostock oder Wittenberg nachweisen lassen. Dies ist in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Studienbesuche schwedischer und finnischer Studenten auf mehr Studienorte verteilten. Neben anderen evangelischen Lehranstalten wie Marburg, Jena und Helmstedt wurden – wie bereits erwähnt – auch 196

Nicht nur Theologie

die nahegelegenen und daher leicht zu erreichenden Jesuitenkollegien in Wilna und Braunsberg von Studenten aus dem schwedischen Reich frequentiert.

Creisbachius’ Rostocker Propempticon 1574 und Skinnerus’ Rostocker Epicedion 1578 – Ein Beitrag zur Schwedischen Kirchengeschichte im 16. Jahrhundert Auf Ericus Jacobi Skinnerus, der in den beiden unlängst von mir in Wolfenbüttel entdeckten Rostocker Gelegenheitsschriften in Erscheinung tritt, soll hier näher eingegangen werden. Diese Werke können nämlich die biographischen Informationen über Skinnerus, der sich 1572 in Rostock immatrikuliert hatte, komplettieren. Skinnerus war Sohn eines Stockholmer Bürgers, sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Am 20. Juli 1570 hatte Skinnerus sich an der Universität Greifswald immatrikuliert, etwa zwei Jahre später, im Juni 1572, in Rostock. Bisher ist davon ausgegangen worden, dass Skinnerus 1578 nach Schweden zurückkehrte, um das Amt des Schulmeisters in Strängnäs zu bekleiden. Am 15. November 1578 unterschrieb er nämlich einen schriftlich formulierten Diensteid für das Amt in Strängnäs. Skinnerus wird der sogenannten „Rostockorthodoxie“ zugerechnet, einer relativ homogenen Gruppe von schwedischen Kirchenmännern, die dezidiert von der katholisierenden Liturgie des schwedischen Königs Johan III. Abstand nahmen. Ende der 1580er Jahre war Skinnerus Lehrer am Collegium Regium in Stockholm, einer von Johan III. etablierten Hohen Schule, die aber nur kurz bestand. Zwischen 1589 und 1591 wurde Skinnerus mehrmals wegen seines Widerstands gegen die Liturgie inhaftiert. Nach dem Tod von König Johan III. wurde Skinnerus jedoch für einige Jahre eine der bestimmenden Personen der schwedischen Kirchenpolitik. Zusammen mit Olaus Martini (1557 – 1609), dem späteren Erzbischof, war er Sekretär bei Synode und Reichstag in Uppsala, die das definitive Ende von Johans Kirchenpolitik markierten. Auf Skinnerus’ rhetorische Fähigkeiten wird immer wieder verwiesen; u. a. hielt er vor der offiziellen Eröffnung von Synode und Reichstag 1593 eine lateinische Rede, bei der er auf den Nutzen der Wissenschaften verwies. Im Zusammenhang mit Synode und Reichstag in Uppsala wurde auch die dortige Universität neu gegründet. Skinnerus wurde ihr erster Rektor nach der Neubelebung 1593. Er starb 1597 in Uppsala. Bisher war davon ausgegangen worden, dass sich Skinnerus von 1572 bis 1578 in Rostock aufhielt.72 Aus den Rostocker Universitätsakten konnte ich jedoch schon im Zusammenhang meiner Dissertation rekonstruieren, dass er noch 1579 in einem Rostocker Kollegium wohnte.73 Dieser Umstand erklärt übrigens, dass von Skinnerus ein schriftlicher Diensteid für das Amt des Schulmeisters in Strängnäs erhalten ist, was eher ungewöhnlich ist. Wegen Skinnerus’ fortgesetzten Aufenthalts in Rostock, der sich mindestens bis Anfang 1579 erstreckte, dürfte der Diensteid schriftlich niedergelegt und von Skinnerus nach Schweden gesandt worden sein. 197

Otfried Czaika

Die beiden Wolfenbütteler Gelegenheitsschriften liefern uns jedoch weitere Informationen über Skinnerus’ Biographie, vor allem über seinen Studienaufenthalt im Heiligen Römischen Reich. Aus Creisbachius’ Propemticon geht hervor, dass Skinnerus mit zwei Gefährten, dem aus Minden stammenden Rechtsgelehrten (I. V. Doctor)74 Heinrich Bulle(n) (geb. ca. 1545, gest. nach 1595), der von 1590 – 1593 oldenburgischer Kanzler war und als Jurist den „Ausbau des modernen Fürstenstaates“ 75 maßgeblich beförderte, sowie mit einem gewissen Johannes Rodewalt im Jahre 1574 die Warnowstadt verließ.76 Da Bulle(n) im Mai 1574 in den Rostocker Matrikeln nachzuweisen ist,77 ist Mai als terminus post quem dieser Reise festzuhalten. Die Reisegruppe steuerte Köln an. In den Matrikeln der Universität Köln ist Skinnerus allerdings nicht nachzuweisen. Unklar ist, ob es nur eine Bildungsreise ohne Immatrikulation und Studienaufenthalt war, oder ob Skinnerus nur einen Teil des Wegs seinen Gefährten folgte und Köln für ihn überhaupt nicht Endziel der Reise war. Immerhin: Creisbachius’ Propemticon belegt, dass es eine längere Unterbrechung bei Skinnerus’ Rostocker Studienaufenthalt in den 1570er Jahren gegeben haben muss. Aber noch etwas ist bemerkenswert: Das von Skinnerus im Jahr 1578 verfasste Epicedion auf Benedikt Teuber 78 belegt, dass er offensichtlich gerade mit deutschen Rechtsgelehrten gut vernetzt war. Benedikt Teuber war nämlich ein Sohn des Wittenberger Juristen Michael Teuber.79 Dass Skinnerus einen Nachruf auf Benedikt Teuber verfasste, wirft mehrere Fragen auf. Benedikt Teuber hatte sich im Mai 1577 in Rostock in die Matrikel als „Witebergensis“ eingetragen,80 er starb im März 1578, der Nachruf wurde noch im selben Jahr gedruckt. Es ist also zu vermuten, dass Skinnerus’ zwischen Mai 1577 und Frühjahr 1578 ein akademisches Freundschaftsverhältnis zu Benedikt Teuber entwickelt hatte, dessen Resultat das Epicedion ist. Dass es sich hierbei um den Sohn eines Wittenberger Juristen handelte, ist interessant: Skinnerus kannte also nicht nur Heinrich Bulle(n), sondern zumindest auch Benedikt Teuber, vielleicht aber auch seinen Vater, den Wittenberger Rechtsprofessor, persönlich. Ingun Montgomery, die den Artikel zu Skinnerus im Schwedischen Biographischen Lexikon (Svenskt biografiskt lexikon) verfasst hat,81 deutet die Möglichkeit an, dass Skinnerus auch Wittenberg besucht hat. Im Lichte des in Wolfenbüttel entdeckten Epicedions gewinnt diese Annahme durchaus an Plausibilität. Auch, wenn Skinnerus während seines auf die Jahre von 1570 – 1579 zu datierenden Studienaufenthalts in Deutschland nicht nach Wittenberg gekommen sein sollte (was nicht wahrscheinlich ist), so belegt der neulateinische Nachruf auf Benedikt Teuber dennoch, dass die Geschichte der Leucorea und der Rostocker Universität im 16. Jahrhundert in vielfältiger Weise miteinander verwoben und aufeinander bezogen war, u. a. auch mit Hinblick auf persönliche Beziehungen und Kontakte. Die beiden in der Herzog-­August-­Bibliothek entdeckten neulateinischen Gelegenheitsschriften ermöglichen es uns also, zusammen mit der von mir aufgefundenen Angabe zur Mietzahlung von Ericus Jacobi Skinnerus im Jahr 1579, die Biographie eines schwedischen Studenten in Rostock und zugleich eines wichtigen Akteurs im schwedischen Konfessionalisierungsprozess während der 1580er und 1590er Jahre mit folgenden Angaben zu 198

Nicht nur Theologie

ergänzen: Nach Mai 1574 reiste Skinnerus mit einer Reisegruppe Richtung Köln; ob er Köln erreichte, ist unklar. Spätestens 1577/1578 war er wieder in Rostock zurück und blieb dort bis 1579. Sein Lehramt in Schweden kann er folglich erst ab 1579 und nicht wie bisher angenommen schon ab 1578 bekleidet haben. Während seines Studienaufenthalts im Heiligen Römischen Reich hatte er engeren Kontakt zu deutschen Rechtsgelehrten bzw. zu deren Angehörigen. Wie auch schon oben in Bezug auf die neulateinische Dichtung aus schwedischer Feder festgehalten worden ist, so kann wiederum konstatiert werden, dass das zumindest im europäischen Vergleich recht dürftige Informationen sind. Mit Hinblick auf die nur höchst verhalten sprudelnden schwedischen Quellen im 16. Jahrhundert sind diese Angaben aber nicht nur neu, sondern erweitern unser Wissen um die Biographie von Ericus Jacobi Skinnerus markant und geben zudem Einblicke in die Rostocker Studienwirklichkeit in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts.

Ausblicke Zunächst einige Worte zu den in Wolfenbüttel entdeckten neulateinischen Drucken, die für die schwedische Geschichte im 16. Jahrhundert von Bedeutung sind: Zwar sind die Überlieferungsverluste derartiger ephemerer Texte immens. Wir müssen davon ausgehen, dass weit über 50 % der Ausgaben bis auf das letzte Exemplar verloren gegangen und somit gänzlich aus dem kollektiven Gedächtnis ausradiert worden sind.82 Die Wolfenbütteler Funde zeigen aber, dass diejenigen Ausgaben, von denen sich bis heute zumindest ein Exemplar erhalten hat, nur unzureichend bekannt und daher unerforscht sind. Ein Durchgang durch die Sammlungen mit Universitätsschriften der Frühen Neuzeit kann daher noch viel uns bisher Unbekanntes zu Tage fördern und die biographischen Angaben zu Akteuren des 16. Jahrhundert ergänzen und teilweise auch korrigieren. Gleichzeitig können neue Erkenntnisse über das neulateinische Gelegenheitsschriftum gewonnen werden, einer Textgattung, die in den historischen Wissenschaften eher ein Schattendasein führt. Nicht zuletzt kommentieren zahlreiche neulateinische Werke auch die politische und religiöse Lage – sie sind oftmals, aber eben nicht nur dem Personenschrifttum zuzurechnen, sondern dokumentieren die politischen Legitimationsstrategien und können somit politische Kommunikationsprozesse aufdecken.83 Schließlich ist bisher nicht thematisiert worden, dass Wittenberg und Rostock in den 1550er und 1560er Jahren eine Brückenfunktion für die Vermittlung neulateinischer Dichtkunst im schwedische Reich zukam und dass in Rostock in den Jahren um und nach 1560, also als Nathan Chytraeus dort seine Tätigkeit begann, ein für skandinavische Verhältnisse massiver Ausschlag nach oben in der Publikationsfrequenz neulateinischer Schriften zu beobachten ist. Dieser Ausschlag kann nach bisheriger Quellenlage nahezu als „Strohfeuer“ bezeichnet werden. Danach bleibt bis etwa 1580 die Publikationsfrequenz wieder sehr gering und steigt erst danach mit zahlreichen neuen Druckorten wieder an; 199

Otfried Czaika

Anfang der 1580er Jahre wird allerdings noch einmal eine größere Anzahl neulateinischer Werke in Rostock gedruckt. Nimmt man die neulateinische Dichtung in den Blick, tritt nicht nur die Umorientierung der akademischen Peregrinationen aus dem schwedischen Reich von Wittenberg nach Rostock klar zu Tage. Es wird zudem deutlich, dass nicht nur David Chytraeus eine wichtige Vermittlerfunktion für den Kultur- und Theologietransfer ins schwedische Reich zukam. Vergleichbares gilt für Nathan Chytraeus, der seit den 1560er Jahren sein Wissen über antike Dichtkunst auch an skandinavische Studenten weitergab und womöglich gar neben Philipp Melanchthon als der spiritus rector einer von Schweden verfassten neulateinischen Dichtung gelten kann. Dass wir es eben nicht nur mit David Chytraeus, sondern mit dem Doppelgestirn David und Nathan zu tun haben, hat übrigens schon vor gut einem Jahrzehnt mein Lundenser Kollege Erik Zillén nachgewiesen: 1603 gab Nicolaus Balk († nach 1610), der von 1563 – 1565 in Rostock studiert hatte, in Stockholm eine schwedische Ausgabe von Aesops Fabeln heraus – die erste schwedische Übersetzung dieses Werks überhaupt. Und ganz selbstverständlich benutzt Balk die Hundert Fabeln des Esopo als Vorlage, deren editio princeps 1571 erschienen war und deren Bearbeiter niemand Geringeres als Nathan Chytraeus war.84 Zillén verweist darauf, dass der schwedische Übersetzer sich sehr eng an Nathan Chytraeus’ Übersetzung orientierte und dessen konfessionelle Wertungen durchgängig an sein schwedischsprachiges Publikum weitergab. Zillén bezeichnet daher die schwedische Version von Aesops Fabeln aus dem Jahr 1603 mit Recht als „Konfessionalisierungsprojekt“. Im europäischen Vergleich wirkt die Produktion neulateinischer Texte mit schwedischer Beteiligung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wie bereits angemerkt verschwindend gering. Das ist richtig, aber wir haben zu bedenken, dass es aus dem gesamten 16. Jahrhundert nur etwa 600 Drucke gibt, die wir als „schwedisch“ bezeichnen können.85 Dass davon einige Dutzend Drucke neulateinische Dichtungen sind, die zu einem guten Teil entweder mit Wittenberg oder aber mit Rostock in Verbindung stehen, ist ein höchst interessanter Befund und unterstreicht die immense Bedeutung Rostocks und Mecklenburgs für den Kultur- und Theologietransfer in den europäischen Nordosten. Ein letzter Hinweis sei gestattet: Seit 1561 gehörte auch Estland zum schwedischen Reich. Aus Schwaan bei Rostock stammte der im Jahre 1609 geborene Reiner Brockmann († 1647).86 Dieser kam nach Studien in Wismar, Rostock und Hamburg als Schulrektor nach Reval (Tallinn), traf dort Paul Fleming (1609 – 1640) und Adam Olearius (1599 – 1671) und etablierte in Reval eine literarische Schäfergesellschaft. Später war Brockmann auch als Pfarrer auf dem Land tätig. Brockmann selbst trat als Dichter in Erscheinung, er verfasste drei Gedichte in griechischer, 21 in lateinischer, 16 in deutscher und fünf in estnischer Sprache. Estnisch hatte er als Autodidakt gelernt; neben Gedichten in estnischer Sprache übertrug er u. a. Kirchenlieder ins Estnische. Brockmann ist somit nicht nur der Begründer der estnischen Kunstlyrik, sondern auch einer der Väter der estnischen Schriftsprache. Als Brockmann in Rostock in den 1620er Jahren zur Schule ging und die 200

Nicht nur Theologie

Universität besuchte, war Nathan Chytraeus bereits tot, sein Wirken in Rostock endete bereits 1592. Leben und Werk des Reiner Brockmann dokumentieren, dass Rostock und Mecklenburg auch nach Nathan und David Chytraeus’ Wirkungszeit noch für Jahrzehnte eine prägende, wenn auch sukzessive sich vermindernde Funktion für Kirche und Kultur im Ostseeraum behielten.

201

Otfried Czaika

Anmerkungen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

202

Czaika 2002. Czaika 2019; Czaika 2017a; Czaika 2017b. Czaika/Holze 2012; Czaika 2012; Czaika 2018a. Fromm 1875; Tunberg 1918; Maybaum 1953. Etting, 2004; Larsson, 2003. Zur Gründung der Universität Rostock vgl. insbesondere Krabbe 1954, 28 – 73; Fleischhauer/ Guntau/Sens 1994, 9 – 29; Pluns 2007, 31 – 51. Czaika 2002, 73. Heininen 1981, 211. Übersetzung des Zitats aus dem Schwedischen durch den Verfasser. Vgl. auch: Czaika 2002, 75; Daae 1885. Callmer 1988, 7. Für den Umstand, dass nicht alle vier Studenten gemeinsam nach Rostock reisten, könnte der Fakt sprechen, dass ihre Namen nicht direkt hintereinander in der Matrikel verzeichnet sind. Magnus de Zwecias und Folko Petri de Zwecias Namen sind hintereinander eingetragen, die Einträge von Iacobus de Kalmarnia und Nicolaus de Kalmarnia finden sich erst auf der folgenden Seite, nach den Namen einer Reihe von Studenten aus dem Heiligen Römischen Reich. http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100002361 (Zugriff 15. 06. 2019). Callmer 1988; Callmer 1976. Zur Quellenproblematik der frühneuzeitlichen skandinavischen Geschichte siehe Czaika 2018b, 903 – 906. Callmer 1988, passim; Callmer 1976, passim. Schück 1998 – 2000. Callmer 1988, 19 – 31. Giese 2009, passim. Heininen 1980, 12; Nuorteva 1997, passim. Kaufmann 1997, 12. Krabbe 1954, 258; Rupprich 1957, 181 – 183. Trusen 1957, 61 – 62. Undorf 2014, 21 – 22, 76 – 77, 232 – 236 et al. Vgl. Lisch 1939; Lisch 1845; Reske 2007. Pluns 2007, 331. Czaika, 2013, insbes. 171 – 182; 301 – 306. Czaika 2013, 182 – 184. Slüter 1525; Slüter 1531. Liedgren 1926, passim; Ingebrand 1998, passim; Bohlin 2004; Czaika 2016a, 62 – 79, 84 – 96, 105 – 112. Vgl.: Swenske songer 1536. Czaika 2009. Czaika 2001; Czaika 2004a; Czaika 2004b. Czaika 2016b. Collijn 1927 – 1938, Band 3,169 – 174. Bornerus 1598. Bacmeister, 1600. Leyser, 1600. Zu den ersten gedruckten schwedischen Leichenpredigten siehe Czaika 2004c; Czaika 2005.

Nicht nur Theologie

33 34 35 36 37 38 39

40 41

42

43 44 45

46 47 48

49 50 51

Krantz 1504; siehe hierzu auch Czaika 2013, 189. Stobaeus 2009; Stobaeus 2010. Balzamo 2015. Lavery 2017, 61 – 62 et al. Collijn 1927 – 1938, Band 1, 331 – 339. Collijn 1927 – 1938, Band 2, 5 – 8. Zu den Stammbüchern schwedischer Studenten siehe: Czaika 2002, 153 – 163. Eine Liste der Stammbücher schwedischer Studenten im Ausland während des 16. und 17. Jahrhunderts bietet Giese 2009, 731 – 733; diese Liste basiert auf den Untersuchungen von Vello Helk. Hier sei nur auf die Studie von Thorsten Fuchs zu Melanchthons neulateinischer Dichtung verwiesen: Fuchs 2008. Unter schwedischer neulateinischer Dichtung verstehe ich Werke, die von Autoren aus dem schwedischen Reich verfasst wurden, oder Werke, die an Personen, die aus dem schwedischen Reich stammten, gerichtet waren. Den Maßgaben der Finnischen Nationalbibliographie (und cum grano salis auch denen der schwedischen Bibliographie von Collijn) zufolge werden als „schwedische“ Drucke alle jene bezeichnet, die a) eine im schwedischen Reich lebende oder aus dem schwedischen Reich stammende Person als Objekt haben oder die b) von einem im schwedischen Reich lebenden Autor verfasst wurden oder c) in einer der im schwedischen Reich gesprochenen Sprachen verfasst und gedruckt wurden. Laine/Nykvist 1996, 24 – 26. Der eine in Wolfenbüttel aufgefundene Druck hat Ericus Jacobi Skinnerus als Verfasser, bei dem anderen Druck ist Skinnerus einer der Adressaten, beide Drucke können somit als „schwedisch“ bezeichnet werden. Creisbachius 1574; Iacobi [Skinnerus] 1578. Creisbachius 1574, Titelblatt. Zu Michael Teuber siehe: Junghans 2005, 257, 262, 265 f.; Lieberwirth 2006, 46. Magni 1534. Die in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert gemachten Angaben zu diesem Druck sind allerdings offensichtlich unstimmig: Angeblich sei der Druck von Friedrich Milchthaler 1534 in Olmütz herausgebracht worden. Friedrich Milchthaler (geb. 1538 oder 1539), Sohn des Nürnberger Druckerehepaars Leonhard und Margarethe Milchthaler, wirkte freilich erst ab 1572 in Olmütz als Buchdrucker. Eine andere Olmützer Offizin kommt für den Druck wohl nicht in Frage, da dort erst ab 1538 mit Johann Olivetský eine Druckerei etabliert wurde. Auch Milchthalers Offizin in Nürnberg scheint als Druckort ausgeschlossen, da Leonhard Milchthaler bzw. seine Witwe dort nur in den Jahren 1538 – 1541 tätig waren. Nicolaus Magni verstarb in Marburg 1543, seinen Grabstein in Marburg weist eine Grabinschrift in elegischen Distichen auf, die von Johannes Draconites und Olof Larsson [Wolfgangus Laurentius] verfasst wurde. Die Grabinschrift ist ediert bei Stiernman 1751, A 4v. Zu Olof Larsson siehe: Svalenius 1992 – 1994. Zu Nicolaus Magni siehe: Odelman 1987 – 1989. Collijn 1927 – 1938, Band 1 & Band 2; Bergh 1973. Zu Heinrich Möller siehe Czaika 2015 sowie die dort angeführte Literatur und Quellen. Gothus 1559; Bergh 1973, 4 – 7. Von 1557 bis 1561 weilte Laurentius Petri Gothus bei seinem zweiten Studienaufenthalt in Wittenberg; bereits gut ein Jahrzehnt zuvor hatte er ebenfalls an der Leucorea studiert. Callmer 1976, 29. Heininen 1981, 62. Das Gedicht ist ediert in Heininen 1981, 97. Petri Gothus 1561a; Petri Gothus 1561b. Czaika 2002, 426. 203

Otfried Czaika

52 Michaelis Ostrogothus 1561a; Michaelis Ostrogothus 1561b; Michaelis Ostrogothus 1562. 53 Scripta In Fvnere 1562. Die Lebensdaten von Andreas Jacobi Gothus sind nicht bekannt. Soehe Callmer 1988, 21. 54 Petri 1563. 55 Auch: Epicedia 1564. 56 Elegia 1579; Forthelius 1580; Erici 1581. 57 Z. B. Memoriæ 1577. 58 Siehe hierzu: Ludwig 2009. 59 Botniensis/Petri Nylandensis/Erici Scarensis/Botniensis 1584; Martini/Petri/Erici Scarensis 1584; Erici 1584; Rwtha 1584; Iacobi 1585. 60 Gadolenus 1579. 61 So z. B. Paulinus Gothus/Medolerus 1591; Propemtica 1591. 62 In Wittenberg erscheint 1581 eine Trauerschrift auf einen dort verstorbenen schwedischen Studenten: In obitum 1581. 63 Falck 1582. 64 Goclenius/Kirchner/Chesnecopherus 1599. 65 Angermannus/Matthaei Gevaliensis 1591. 66 Kropelin 1592; Praetorius/Jacobi/Nicolai/Ruta 1592; Propemtica 1592. 67 Petri 1585; Petri 1586. 68 Collijn 1927 – 1938, Band 3, 145 – 280 gibt eine Reihe in Wilna und Braunsberg entstandene Gelegenheitsdrucke. 69 Siehe hierzu: Giese 2009, 374 – 379. 70 Rwtha 1587. 71 Rostocker Matrikelportal, http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100036609 (Zugriff 18. 04. 2019). 72 Montgomery 2003 – 2006, 440. 73 Czaika 2002, 435. 74 Creisbachius 1574, Titelblatt. 75 Friedl 1992, 102. 76 Creisbachius 1574, Titelblatt. 77 Rostocker Matrikelportal, http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100030737 (Zugriff 09. 05. 2019). 78 Iacobi [Skinnerus] 1578. 79 Junghans 2005, 257, 262, 265 f. 80 Rostocker Matrikelportal, http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/100033969 (Zugriff 09. 05. 2019). 81 Montgomery 2003 – 2006, 440. 82 Proot/Egge 2008. Proot 2016. Siehe hierzu insbesondere folgende Artikel in der von Andrew Pettegree und Flavia Bruni herausgegebenen Anthologie mit dem Titel Lost books: Eisermann 2016; Undorf 2016. 83 Hier sei nur auf die an der MF in Oslo im Entstehen begriffene Dissertation von Laura-­Marie Mork hingewiesen, die sich der politischen Kommunikation im schwedischen Reich zur Regierungszeit von Gustav Wasa widmet und u. a. auch auf derartige Textsorten Bezug nimmt. 84 Zillén 2005. 85 Collijn 1927 – 1938. 86 Siehe hierzu: Czaika 2004d sowie die dort aufgeführten Quellen und Literatur. 87 Druckort nach Collijn 1925. 204

Nicht nur Theologie

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen

Angermannus, Petrus Jonae/Matthaei Gevaliensis, Magnus (1591), Carmina gratulatoria in honorem […] Aaronis Synthi Angermanni cum ei […] Philosophiae gradus decerneretur, Jena: Donatus Richtzenhan. Bacmeister, Lucas Gothus, Petrus Johannis (1600), Lijkpredican. öffuer thens ährewerdiga / achtbara / och höglärda Herres Davidis Chytræi Begraaffning / Doctor i then heliga Scrifft / och förnemligaste Professor i thet Vniversitetet Rostock. Hwilkin i Herranom Christo saliga affsompnade then 25. junij / och wardt i een stoor församlings närwarelse / vthi S. Jacobs kyrkia hederliga begraffuin then 29. Junij / på Petri och Pauli dagh / Anno 1600, Hållin aff Doctore Luca Bacmeistero, Kyrkiornes Superintendens ther i Stadenom Rostock, Affsatt och vthgångin aff Petro Iohannis Gotho Norcopensi, Rostock: s. t. Bornerus, Vitus, Christliche Klagpredigt auß dem CXLVI. Psalm. Uber die Fürstliche Leich der Durchleuchtigen, hochgebornen Fürstin und Frawen, Frawen Elisabethen der Reiche Schweden, Gothen und Wenden gebornen Princessin, Herzogin zu Mecklenburg […] So den 19. Januarij dieses 1598. Jars, zu sampt der auch fürstlichen Leichen des Durchleuchtigen, hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Gustavi, Hertzogen zu Sachsen […]Von Stockholm nach Upsal gefüret und folgenden 22. hujus, als den dritten Sontag nach Epiphanias zu ihrer Fürstliche Lägerstadt seind gebracht worden. Zu Stockholm in der Deutschen Versammlung am gemelten Sontag gehalten. Rostock: Christoff Reuszner 1598. Botniensis, Nicolaus Olai/Petri Nylandensis, Theodoricus/Erici Scarensis, Petrus/Botniensis, Haquinius Andreae (1584), Propemticom […] Christiano Bartholdi […], Rostock: Stephan Möllemann. Creisbach(ius), Petrus (1574), Propempticon clarissimo et doctissimo viro Henrico Bullio Mindensi, I. V. Doctori, et ingenuis adolescentibus D. Erico Iacobi et Iohanni Rodewalt Rostochio feliciter Coloniam abeuntibus, amicitiae ergò scriptum, Rostock: Lucius, Jakob d. Ä. [= VD16 C 5760]. Elegia (1579), Elegia ad clarisiimum et prudentissimum virum Petrum Andreae consulem Sudercopensem, de obitu Christophori Petri filij eius charisimi iuvenis cum pij, tum etiam ingeniosi, docti, modesti ac summae spei, Witebergae, Anno Domini 1579. XXIII. Novemb. pie in Christo mortui, Wittenberg: Matthaeus Welack. Epicedia (1564), Epicedia Andreæ Beronis Westgothi, Præfecti Navis Svecicæ, in Portvm Rostochiensem, anno 1563. mense Decembrj delatæ, & anno 1564. die 11. Iulij, à Danicæ claßis capitaneo, tormentis æneis, ex terra & aliquot anavibus oppugnatæ: inqua, cum se Andreas Beronis acerrime ab ortu solis vsq[ue] admeridiem defendisset, tandem amißis plerisq[ue] socijs, nauim ipse incendit, & mortem sponte oppetere maluit, quam in hostis potestatem se & nauim dedere, [Rostock: Stephan Möllemann]. Erici, Jacobus (1581) Carmen gratulatorium, Wittenberg s. t. Erici, Petrus (1584), Carmen de obitu Catharinae reginae Svecorum […], Rostock: Stephan Möllemann. Falck, Ericus (1582), Panegyricus […] de victoria regis Sueciae contra Moschum  […], Wien: Stephanus Creuzerus. Forthelius, Laurentius (1580), Carmen in honorem […] Erici Skeperi […], Wittenberg: Mattheus Welack. 205

Otfried Czaika

Gadolenus, Sveno Nicolai (1579), Gratulatorium […] in Caroli ducis Sudermanlandiae […] aduentum […], Lübeck: Johan Balhorn. Goclenius, Rudolph/Kirchner, Hermann/Chesnecopherus, Nicolaus et al. (1599), Carmina Gratulatoria, in novas honorum dignitates, Dn. Johannis Schroderi Nicopiensis Suecu, cm ei in illustrissima […] Academia Marpurgenis summus in Philosophia gradus […], Marburg: Paul Egenolff [= VD 16 ZV 23354]. Iacobi [Skinnerus], Ericus (1578), Epicedion. Benedicto Tevbero Cl. V. Michaelis Tevberi I. V. D. F. in vrbe Rosarvm pie defvncto, Rostock: Jakob Lucius. Iacobi [Skinnerus], Ericus (1585), Nuptiis […] Epithalamion […] Johannis III […] et Gunillae Bielke conscriptum, Stockholm: Andreas Gutterwitz. In obitum (1581), In obitum pii ac docti iuvenis, D. Andreae Nicolai Bothniensis, sveci, qui pie in Christo obdormivit feria secunda Pentecostes, Anno M. D.XXCI, Wittenberg: Simon Gronenberg. Krantz, Albert (1504), Oratio funebris in commemoratione principis Magni Ducis Megapolensis habita Wismarie Jan. 16 Anno 1504, s. l. [Antwerpen],87 1504 (= OCLC-Nr. 169547668). Kropelin, Carolus (1592), Johanni Hane Sveco […] Helmsytadio Lipsiam dissecuro […] epistol[a], Helmstedt: Jacobus Lucius. Leyser, Polycarp (1600), Een Christelig Lijkpredikan om then Första och andra Döden, hållin öffuer thens dygdesamma Frws Reginae Chytraei begraffning, hwilkin affsompnade i Dresden then 16. Octobris om morgonen bittida, emellan 1. och 2. och wardt iordat i Wårfrukyrckian, then 18. Octobris. Anno Christi 1599 […]. Uthålkat aff Petro Iohan. Gotho Norcopensi, Rostock: Stefan Möllemann. Magni, Nicolaus (1534?), Carmen genethliacum, sei Oratio natalibus illustriss. Principis Sveciae Erici, Regis Gustavi filii, sacra, Olmütz [?]: Friedrich Milchthaler. Martini, Olaus (1579), Elegia […] de obitu Christopheri Petri […], Wittenberg: Mattheus Welcak. Martini, Olaus/Petri, Thomas/Erici Scarensis, Petrus (1584), Carmina gratulatoria in honorem Christiani Bartholdi ad gradum magisterii in Academia Rostochiana, Rostock: Stephan Möllemann. Memoriæ (1577), Memoriæ Honesti Et Pii Viri Pavli Petri Civis Svdercopensis in Christo Vita defuncti. À Filio suo dilecto Petro Pavli Gotho Conscriptæ […], Rostock: Augustin Ferber. Michaelis Ostrogothus, Petrus (1561a), Elegia in Festo Castorum Angelorum scripta quod in ecclesia dei solenniter III Calendas Octobris celebrari solet, Rostock: Stephan Möllemann. Michaelis Ostrogothus, Petrus (1561b), Elegia in diem natalem […] Jesu Christi, [Rostock: ­Stephan Möllemann]. Michaelis Ostrogothus, Petrus (1562a), Heroicus Domini et Salvatoris Nostru Iesv Christi Triumphus […], Rostock: Stephan Möllemann. Michaelis Ostrogothus, Petrus (1562b), Panegyricus Sive Xenivm Petri Michaelis Ad Viros […] Ericvm Falck & Svenonem Magni […], Rostock: Stephan Möllemann. Paulinus Gothus, Laurentius/Medolerus, Ericus (1591), Threnoi in obitum […] Johannis Eschilii, Rostock: Typis Ferberianis. Petri, Ericus (1563), Hymenaeus in honorem coniugii generosi et illustris domini D: Erici Guldenstern Westgotthi […] et generosae ac pvdicae virginis ipsius sponsae, Catharinae Nicolai […], Rostock: Stephanus Myliander.

206

Nicht nur Theologie

Petri Gothus, Laurentius (1559), Strategma Gothici Exercitus Adversus Darium, periucundum, carmine redditum elegiaco. Scriptvm ad illustrem Principem ac Dominmum, Dominum Ericum, Suecorum, Gothorum, Vandalorum, &c. electum Regem […], Wittenberg: Laurentius Schuuenck. Petri Gothus, Laurentius (1561a), Aliquot Elegiae, Stockholm: Amund Laurentsson. Petri Gothus, Laurentius (1561b), Urbs Stocholmia, Stockholm: Amund Laurentsson. Petri, Johannes (1585), De gratitudine oratio […], Königsberg: Georg Osterberg. Petri, Johannes (1586), De bona valetudine oratio […], Königsberg: Georg Osterberg. Praetorius, Laurentius/Jacobi, Ambernus/Nicolai, Petrus/Ruta, Peter (1592), Carmina Gratulatoria, in honorem Ornatissimi & doctissimi Iuvenis Dn. Laurentii Paulini Gothi […] Helmstedt: Jakob Lucius [= VD16 ZV 23353]. Propemptica […] Martino Nigrino […] in Sveciam migranti (1591), Rostock: Augustin Ferber. Propemptica […] Petro Nicolai Vadstenensi […] cum ex Helmsteti Julia in patriam discederet (1592), Helmstedt: Jacob Lucius. Rostocker Matrikelportal, http://matrikel.uni-­rostock.de (Zugriff 15. 06. 2019). Rwtha, Theodoricus Petri (1584), Epithalamion ad […] Martinum Toumannum […] et Annam Ruccheniam […], Rostock: Stephan Möllemann. Rwtha, Theodoricus Petri/Frederus, Johannes (1587), Epithalamion in honorem […] Christierni Horn […] et Catharinae Bielke, Stockholm: Andreas Gutterwitz. Scripta In Fvnere (1562), Scripta In Fvnere Ingeniosi Et Modesti iuuenis, Iohannis Caroli Vpsaliensis, qui placidißime in uera agnitione & inuocatione Filij Dei, Domini nostri Iesu Christi, ex hac uita deceßit. Rostochij, 26 Martij. proposita à M. Iohanne Posselio, Rostock: Stephanus Myliander. Slüter, Joachim (1525), Ein gantz schone vnde seer nutte gesangk boek, tho dagelyker oeuinge geystlyker gesenge vnde Psalmen, vth Christliker vnd Euangelischer schryfft, beuestyghet, beweret, vnd vp dat nyge Gemeret, Corrigert, vnnd jn Sassyscher sprake … verduedeschet […], Rostock: Ludwig Dietz [= VD16 E 1166)]. Slüter, Joachim (1531), Geystlyke leder vppt nye gebetert tho Wittenberch dorch D. Martin. Luther. (Gheystlyker gesenge vnde leder, wo ytzunndes, Gade tho laue, nicht allene yn duessen lauelicken Seesteden, suender ock yn hochduedeschen […] landen gesunghen werden ein wol geordent Boekelin […], Rostock: Ludwig Dietz [= VD16 G 930/S 6772)]. Stiernman, Anders Anton von (1751), „Företal“, in: Eric Jöransson Tegel, Konung Eriks den XIV: des Historia […], hg. von Anders Anton von Stiernman, Stockholm: Lorentz Grefing. Swenske songer (1536), Swenske songer eller wisor nw på nytt prentade, forökade, och vnder en annan skick än tilförenna vtsatte. (Stockholm: [Kungl. tryckeriet], 1536).

207

Otfried Czaika

Literatur

Adell, Arthur (1936), Nya testamentet på svenska 1526. Till frågan om dess tillkomst och karaktär: en kyrkohistorisk studie, Lund. Balzamo, Elena (2015), Den osynlige ärkebiskopen. Essäer om Olaus Magnus, Stockholm. Collijn, Isak (1927 – 1938), Sveriges bibliografi intill år 1600, Bd. 1 – 3, Uppsala. Bergh, Birger (1973), Laurentius Petri Gothus. En svensk latinpoet från 1500-talet. Textedition med inledning, översättning och kommentar, Stockholm. Bohlin, Folke (2004), „Die reformatorische Singbewegung im Ostseeraum“, in: Ekkehard Ochs/Walter Werbeck/Lutz Winkler (Hgg.), Das Geistliche Lied im Ostseeraum, Frankfurt am Main et al., 49 – 52. Callmer, Christian (1976), Svenska studenter i Wittenberg, Stockholm. Callmer, Christian (1988), Svenska studenter i Rostock 1419 – 1828, bearb. von Maj Callmer, Förord und Sten Carlsson, Stockholm. Czaika, Otfried (2001), „Petrus Johannis Gothus“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Teil 3, Rostock, 92 – 98. Czaika, Otfried (2002), David Chytræus und die Universität Rostock in ihren Beziehungen zum schwedischen Reich, Helsinki. Czaika, Otfried (2004a), „Reusner, Drucker-­Familie“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Teil 4, Rostock, 212 – 216. Czaika, Otfried (2004b), „Der Buchdrucker Andreas Gutterwitz. Ein Beitrag zur Geschichte des Buchdrucks in Mecklenburg und in Skandinavien“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock, Band 26, Rostock, 110 – 117. Czaika, Otfried (2004c), „Die Anfänge der gedruckten Leichenpredigt im schwedischen Reich“, in: Wolfgang Sommer (Hg.), Kommunikationsstrukturen im europäischen Luthertum der Frühen Neuzeit, Gütersloh, 135 – 152. Czaika, Otfried (2004d), „Reiner Brockmann“, in: Sabine Pettke (Hg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Teil 4, Rostock, 24 – 27. Czaika, Otfried (2005), „Den svenska likpredikningens början“, in: Släkt och Hävd 1/2004, Stockholm, 29 – 60. Czaika, Otfried (2009), Elisabet Vasa. En kvinna på 1500-talet och hennes böcker, Stockholm. Czaika, Otfried (2012) „Die Ausbreitung der Reformation im Ostseeraum ca. 1500 – 1700 als Kulturtransfer“, in: Otfried Czaika/Heinrich Holze (Hgg.), Migration und Kulturtransfer im Ostseeraum während der Frühneuzeit, Stockholm. Czaika, Otfried (2013), Sveno Jacobi. Boksamlaren, biskopen, teologen. En bok- och kyrkohistorisk studie, Helsinki/Skara/Stockholm. Czaika, Otfied (2015), „Heinrich Moller“, in: Wilhelm Kühlmann/Jan-­Dirk Müller/Johann Anselm Steiger et al. (Hgg.), Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/Boston, 443 – 452. Czaika, Otfried (2016a), Then Swenska Psalmeboken 1582. En utgåva med inledande kommentarer, Helsinki/Skara. Czaika, Otfried (2016b), „Uppsala möte. Schwedische Verfassungspolitik des 16. Jahrhunderts im Kontext“, in: Peter Brandt/Werner Daum/Mirjam Horn (Hgg.), Der skandinavische Weg in die Moderne. Beiträge zur Geschichte Norwegens und Schwedens vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin, 63 – 81. 208

Nicht nur Theologie

Czaika, Otfried (2017a), „Nordeuropa”, in: Das Netz des neuen Glaubens, Rostock. Czaika, Otfried (2017b), „Von Rostock in die Welt“, in: Das Netz des neuen Glaubens, Rostock. Czaika, Otfried (2018a), „Metropolen als Vermittler, Förderer und Akteure von Reformation und Konfessionalisierung in Skandinavien und insbesondere im schwedischen Reich“, in: Heinrich Assel/Johann Anselm Steiger/Axel E. Walter (Hgg.), Reformatio Baltica – Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums, Berlin/Boston, 721 – 734. Czaika, Otfried (2018b): „Prolegomena zur frühneuzeitlichen Geschichte Skandinaviens. Zur Periodisierungsdiskussion frühneuzeitlicher Geschichte und Quellenlage“, in: Heinrich Assel/ Johann Anselm Steiger/Axel E. Walter (Hgg.), Reformatio Baltica – Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums, Berlin/Boston, 881 – 906. Czaika, Otfried (2019), „Konfession und Politik in Mecklenburg und Schweden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, in: Heinrich Holze/Kristin Skottki (Hgg.), Wo das Wort wirkt, Göttingen [im Erscheinen]. Czaika, Otfried/Holze, Heinrich (2012), „Migration und Kulturtransfer im Ostseeraum während der Frühneuzeit: Vorbemerkungen der Herausgeber“, in: Otfried Czaika/Heinrich Holze (Hgg.), Migration und Kulturtransfer im Ostseeraum während der Frühneuzeit, Stockholm. Daae, Ludvig (1885), Matrikler over nordiske studerende ved fremmede universiteter, Christiania. Eisermann, Falk (2016), „The Gutenberg Galaxy’s Dark Matter. Lost Incunabula, and Ways to Retrieve Them“, in: Flavia Bruni/Andrew Pettegree (Hgg.), Lost books. Reconstructing the print world of pre-­industrial Europe, Leiden, 31 – 54. Etting, Vivian (2004), Queen Margrete I (1353 – 1412) and the Founding of the Nordic Union, Leiden/Boston. Fleischhauer, Elisabeth/Guntau, Martin/Sens, Ingo (1994), „Die Universität Rostock in ihrer Geschichte“, in: G. Maeß (Hg.), 575 Jahre Universität Rostock. Mögen viele Lehrmeinungen um die eine Wahrheit ringen, Rostock, 9 – 29. Fromm, Ludwig (1875), „Albrecht  III . (Herzog von Mecklenburg-­Schwerin)“, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Band 1, Leipzig, 273 – 276. Friedl, Hans (1992), „Bulle, Heinrich“, in: Hans Friedl (Hg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg, 101 – 102. Fuchs, Thomas (2000), „Chytraeus, Nathan“, in: Biographisch-­Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band 17, Herzberg, 241 – 242. Fuchs, Thomas (2008), Philipp Melanchthon als neulateinischer Dichter in der Zeit der Reformation, Tübingen. Giese, Simone (2009), Studenten aus Mitternacht. Bildungsideal und peregrinatio academica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung, Stuttgart. Heininen, Simo (1980), Die finnischen Studenten in Wittenberg 1531 – 1552, Helsinki. Heininen, Simo (1981), „Sammanfattning“, in: Studia Historica Jyväskyläensia 22, 1: XVIII Nordiska historikermötet Jyväskylä. Mötesrapport 1, Jyväskylä, 208 – 215. Heininen, Simo/Nuorteva, Jussi (1981), „Finland – Ur nordisk kulturhistoria. Universitetsbesöken i utlandet före 1660“, in: Studia Historica Jyväskyläensia 22, 1: XVIII Nordiska historikermötet Jyväskylä. Mötesrapport 1, Jyväskylä, 67 – 117. Ingebrand, Sven (1998), Swenske songer 1536. Vår första bevarade evangeliska psalmbok, Uppsala. Junghans, Helmar (2005), „Verzeichnis der Rektoren, Prorektoren, Dekane, Professoren und Schloßprediger der Leucorea. Vom Wintersemester 1536 bis zum Wintersemester 1574/75“, 209

Otfried Czaika

in: Irene Dingel/Günther Wartenberg (Hgg.), Georg Major (1502 – 1574). Ein Theologe der Wittenberger Reformation, Leipzig, 235 – 270. Kaufmann, Thomas (1997), Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675, Gütersloh. Krabbe, Otto (1954), Die Universität Rostock im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, Rostock. Laine, Tuija/Nyqvist, Rita (Hgg.) (1996), Suomen Kansallisbibliografia – Finlands Nationalbibliografi – Finnische Nationalbibliographie 1488 – 1700, Helsinki. Lavery Jason (2002), Germany’s Northern Challenge. The Holy Roman Empire and the Scandinavian Struggle for the Baltic, Boston/Leiden. Lavery, Jason (2017), Reforming Finland. The Diocese of Turku in the Age of Gustav Vasa 1523 – 1560, Leiden/Boston. Lieberwirth, Rolf (2006), Melchior Kling (1504 – 1571), Reformations- und Reformjurist, in: Heiner Lück & Heinrich de Wall (Hgg.), Wittenberg. Ein Zentrum europäischer Rechtsgeschichte und Rechtskultur, Köln/Weimar/Wien, 35 – 62. Liedgren, Emil (1926), Svensk psalm och andlig visa. Olaus Petri-­föreläsningar i Uppsala mars 1924, Stockholm. Lisch, Georg Christian Friedrich (1839), „Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg bis zum Jahre 1540“, in: Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde (Hg.), Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Bd. 4, Rostock, III–X, 1 – 281. Lisch, Georg Christian Friedrich (1845), „Novum Testamentum per Desiderium Erasmum Roterodamum 1530“, in: Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde (Hg.), Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Bd. 4, Rostock, 383 – 384. Ludwig, Ulrike (2009), Philippismus und orthodoxes Luthertum an der Universität Wittenberg. Die Rolle Jakob Andreäs im lutherischen Konfessionalisierungsprozeß Kursachsens (1576 – 1580), Münster. Lück, Heiner (2006), „Einführung: Die Universität Wittenberg und ihre Juristenfakultät“, in: Heiner Lück/Heinrich de Wall (Hgg.), Wittenberg. Ein Zentrum europäischer Rechtsgeschichte und Rechtskultur, Köln/Weimar/Wien, 13 – 35. Maybaum, Heinz (1953), „Albrecht  III.“, in: Neue Deutsche Biographie, Band 1, 167, Online-­ Version, verfügbar unter: http://www.deutsche-­biographie.de/ppn118647725.html (Zugriff 10. 03. 2015). Montgomery, Ingun (2003 – 2006), „Ericus Jacobi Skinnerus“, in: Svenskt biografiskt lexikon, Band 32, Stockholm, 440. Nuorteva, Jussi (1997), Suomalaisten ulkomainen opinkäynti ennen Turun akatemian perustamista 1640, Helsinki. Odelman, Eva (1987 – 1989), „Nicolaus Magni“, in: Svenskt biografiskt lexikon, Band 26, Stockholm, 606, Online-­Version, verfügbar unter: https://sok.riksarkivet.se/sbl/artikel/8879, 2019 – 01 – 12 (Zugriff 09. 05. 2019). Pettke, Sabine (1992), „Joachim Slüter“, in: Biographisch-­Bibliographisches Kirchenlexikon, Band X, Hamm, 639 – 641. 210

Nicht nur Theologie

Pluns, Marko A. (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten, Köln/Weimar/Wien. Proot, Goran (2016), „Survival factors of Seventeenth-­Century Hand-­Press Books Published in the Southern Netherlands. The Importance of Sheet Counts, Sammelbände and the Role of Institutional Collections“, in: Flavia Bruni/Andrew Pettegree (Hgg.), Lost books. Reconstructing the print world of pre-­industrial Europe, Leiden, 160 – 201. Proot Goran/Egge, Leo (2008), „Estimating editions on the basis of survivals. Printed programmes of Jesuit plays in the Provincia Flandro-­Belgica before 1773, with a note on the ‚Book Historical Law‘“, in: The Papers of the Bibliographical Society of America 102, 149 – 174. Reske, Christoph (2007), Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden. Rupprich, Hans (1957), „Celtis, Konrad“, in: Neue Deutsche Biographie, Band 3, 181 – 183, Online-­ Version, verfügbar unter: http://www.deutsche-­biographie.de/pnd118519891.html (Zugriff 29. 08. 2018). Schlyter, Herman (1973), „Die Bedeutung der Rostocker Reformation für die Reformation in Malmö“, in: Lutherjahrbuch 1973, 89 – 106. Schück, Herman (1998 – 2000), „Kort Rogge“, in: Svenskt biografiskt lexikon, Bd. 30, Stockholm, 283. Stobaeus, Per (2009), Hans Brask. En senmedeltida biskop och hans tankevärld, Skellefteå. Stobaeus, Per (2010) Från Biskop Brasks tid, Skellefteå. Svalenius, Ivan (1992 – 1994), „Olof Larsson“, in: Svenskt biografiskt lexikon, Band 28, Stockholm, 239. Trusen, Winfried (1957), „Busch, Hermann“, in: Neue Deutsche Biographie, Band 3, 61 – 62, Online-­Version, verfügbar unter: http://www.deutsche-­biographie.de/pnd118983741.html (Zugriff 29. 08. 2018). Tunberg, S[ven] (1918), „Albrekt“, in: Svenskt biografiskt lexikon, Band 1, Stockholm, 368. Undorf, Wolfgang (2014), From Gutenberg to Luther. Transnational Print Cultures in Scandinavia 1450 – 1525, Leiden/Boston. Undorf, Wolfgang (2016), „Lost Books, Lost Libraries, Lost Everything? A Scandinavian Early Modern Perspective“, in: Flavia Bruni/Andrew Pettegree (Hgg.), Lost books. Reconstructing the print world of pre-­industrial Europe, Leiden, 101 – 121. Zillén, Erik (2005), „Den första svenskspråkiga fabelsamlingen som konfessionaliseringsprojekt”, in: Samlaren 2005 (126), 5 – 50.

211

Jan-­Hendrik Hütten

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne Ein Beitrag zur Jubiläumstradition der Alma Mater Rostochiensis

Einleitung Dank der kulturhistorischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte besteht epochenübergreifend kein Zweifel mehr, dass die Fest- und Jubiläumskultur wie auch immer verfasster Gesellschaften sowie größerer und kleinerer Institutionen ein wichtiges Medium der Vergemeinschaftung, der Erinnerung und der Selbstvergewisserung ist.1 Gerade im Rahmen von Jubiläumsfeierlichkeiten werden Vergangenheit und Gegenwart verbunden, Traditionen und Eigengeschichten werden geschaffen und weitergetragen. Je nach Zeitkontext und Rahmenbedingungen kann die Gedächtnisarbeit dabei zwischen mythischer Erneuerung und historischer Erinnerung schwanken, wobei die Übergänge fließend sind.2 Aus funktionaler Sicht geht es bei Jubiläen vor allem um Selbstinszenierung mit dem Ziel, ein Wir-­Gefühl zu erzeugen, das der inneren Stabilisierung dient.3 Dabei ist zu beachten, dass das heute so verbreitete historische Jubiläum, das in unseren Breitengraden allerorten sowie in vielerlei Gestalt beobachtet werden kann und üblicherweise in einem zeitlichen Intervall von 25, 50, 75 und 100 Jahren begangen wird, seinerseits auf eine Entwicklung zurückgeht, bei der insbesondere die vormodernen Universitäten als Multiplikatoren eine zentrale Rolle spielten.4 Das historische Jubiläum gelangte erst im 19. und 20. Jahrhundert zur vollen Blüte und erfreut sich auch im 21. Jahrhundert einer nach wie vor großen Beliebtheit,5 kritische Stimmen sprechen gar von einer „Jubiläumitis“ 6. In eine wichtige Entwicklungsphase des historischen Jubiläums fallen dabei zwei der hier zu behandelnden Jubiläen der Universität Rostock. Ursprünglich stammen der Begriff und auch die Tradition des Jubiläums aus der Antike. Begriffsgeschichtlich wird dabei gemeinhin auf das Alte Testament, 3. Buch Mose, Leviticus 25,8 – 55 verwiesen. Analog zum wöchentlichen Shabbath wird jedes siebte Jahr als Shabbath-­Jahr bezeichnet. Auf sieben Zyklen des Shabbath-­Jahrs folgt nach 49 Jahren das fünfzigste Jahr als Jubeljahr, das mit dem Widderhorn, der Lärmposaune (jobel), angekündigt wurde. Im Jubeljahr sollte weder gesät noch geerntet, Schulden sollten erlassen und in Abhängigkeit Geratene wieder freigegeben werden.7 Weiterhin sind in der römischen Antike Säkularfeiern nachweisbar, die ebenso wie das alttestamentarische Jubeljahr kein historisches Gedenken zum Inhalt hatten.8 Dabei trafen das hebräische 213

Jan-­Hendrik Hütten

Wort jobel und das lateinische iubilum (Frohlocken) in der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, um 400 n. Chr. zusammen und verbanden sich zum jubilaeum.9 Die antiken Traditionen gerieten im Mittelalter nie völlig in Vergessenheit. Trotz einzelner Fälle, bei denen dem abgelaufenen Zeitintervall von 50 Jahren offensichtlich eine besondere Bedeutung zukam und nach Ablauf dieser Zeitspanne beispielsweise Heiligsprechungen oder Umbettungen von bedeutenden Klerikern vorgenommen wurden, besaß das Jubeljahr/Jubiläum im Früh- und Hochmittelalter nur eine untergeordnete Bedeutung und wurde, anders als heute, gemeinhin noch nicht als festlich begangener Jahrestag eines bestimmten Ereignisses verstanden.10 Statt verstärkt auf ein abgelaufenes Zeitintervall zu verweisen und/oder einen Jahrestag zu memorieren, interpretierten die mittelalterlichen Kleriker das alttestamentarische Jubeljahr vielmehr als „Erlassung“ oder „Freilassung“ und verbanden das Jubeljahr mit dem Ablassgedanken.11 „Für die mittelalterlichen Exegeten bot in der Regel nicht mehr das chronologische Jubiläum einen Anlass zur ,remissio‘, sondern es hieß umgekehrt, immer dann, wenn dem Gläubigen die Vergebung seiner Sünden zuteil werde, sei für ihn ein Jubelfest.“ 12 Wirkungsvoll belebt hat die antiken Traditionen schließlich Papst Bonifaz VIII., als er das Jahr 1300 zum Jubeljahr erklärte, damit einen Jubelablass für die nach Rom pilgernden Gläubigen verband und zugleich das periodisch eigentlich alle 100 Jahre stattfindende Heilige Jahr einführte.13 „Als Motivation hierfür gab Bonifaz VIII. in der Bulle ‚Antiquorum habet‘ vom 22. Februar 1300 seine Pflicht an, für das Seelenheil der Christgläubigen sorgen zu müssen […]“ 14, wobei sicherlich auch andere Beweggründe, etwa finanzielle Aspekte, eine Rolle gespielt haben dürften.15 Hierdurch wurde das alte jüdische Jubeljahr insgesamt in die christliche Ablasspraxis integriert „[…] und aus Sicht der mittelalterlichen Theologen […] zugleich qualitativ aufgewertet – statt der irdischen Schulden wurde nun die Schuld der Sünden erlassen, statt der irdischen himmlische Güter gewonnen.“ 16 Mit Einrichtung des Heiligen Jahrs war allerdings wiederum keine Form der historischen Erinnerung verbunden, die auf ein vergangenes Ereignis verwies oder gar auf eine Institution bezogen war. Relevant war das verstrichene Zeitintervall, nach dessen Ablauf schließlich der Ablass qua päpstlicher Autorität wartete.17 Die Nachfolger Petri verkürzten die Zeitspanne sukzessive, „[…] bald auf 50, später dann [auf ] (Christus-­symbolische) 33 […]“ 18 und letztlich auf 25 Jahre, so dass ab 1475 ein Rhythmus gefunden wurde, durch den fortan fast jede Generation in den Genuss des Heiligen Jahrs kam.19 Zugleich wurde damit ein zeitliches Intervall von einem Vierteljahrhundert etabliert, das auch heute noch seine Wirkmächtigkeit entfaltet.20 Schon seit der Zeit der frühen Kirche gehörte auch das Anniversarium als „[…] termingebundene, alljährliche Feier eines Ursprungsereignisses von persönlicher, kultureller oder gesellschaftlicher Bedeutung […]“ 21 zum rituellen Repertoire des Christentums, das seinerseits eng mit der Entstehung von historischen Jubiläen sowie öffentlichen Gedenktagen verbunden ist.22 Anfangs bezog sich das Anniversarium vornehmlich auf den Jahrtag des Tods und später beispielsweise auch der Bischofsweihe, der Papstwahl oder einer Kirchweihe. Im Rahmen des universitären Betriebs spielte das Jahrgedächtnis 214

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

ebenso eine Rolle.23 Für die Universität Löwen lässt sich dabei nachweisen, dass nicht nur die Todestage von Klerikern memoriert wurden, sondern auch die Gründung der hohen Schule am 7. September 1426 mittels eines Anniversariums begangen und sogar jährlich mit einer allgemeinen Prozession gefeiert werden sollte.24 Auch an den Universitäten in Köln und Leipzig ist ein Gründungsgedenken in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Jahrgedächtnis zumindest als wahrscheinlich anzunehmen.25 Mit dem Einzug des Renaissance-­Humanismus gelangten auch die antiken Säkularfeiern wieder verstärkt in das zeitgenössische Bewusstsein.26 Gerade an den Universitäten dürfte das Lehrpersonal sowohl Kenntnis von den antiken Praktiken als natürlich auch vom päpstlichen Jubeljahr gehabt haben, so dass an den hohen Schulen insgesamt – unter Einbeziehung der gelebten Anniversarien-­Tradition – ein idealer Nährboden für die Entstehung des uns so geläufigen historischen Jubiläums bereitet war.27 Der erste Hinweis auf ein explizites Jahrhundertbewusstsein, das die abgelaufene Zeitspanne von 100 Jahren seit der institutionellen Gründung als Besonderheit wahrnahm, stammt dabei aus dem Matrikelbuch der Universität Erfurt aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Als Johannes Kyll als Rektor der Hochschule amtierte, ließ er im Sommersemester 1492 in das Matrikelbuch der Universität eine ganzseitige Darstellung der heiligen Maria mit Bezügen zu seiner Herkunft und seinem bisherigen Wirken einfügen.28 Relevant im Kontext des historischen Jubiläums ist hier vor allem die gewählte Überschrift: „In secundo centenario primus monarcha“ – ‚Der erste Rektor im zweiten Jahrhundert‘.29 Obwohl in Erfurt keine offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten abgehalten wurden und auch keine Jubiläumsschriften nachweisbar sind, wurde das verstrichene Zeitintervall von 100 Jahren seit der Gründung offensichtlich als eindrucksvolles Ereignis wahrgenommen und besonders memoriert.30 Eine Jubiläumsfeier lässt sich ebenfalls früh an der Universität Krakau nachweisen. Diese wurde 1364 vom polnischen König Kasimir dem Großen ins Leben gerufen, fristete anfangs jedoch ein eher kümmerliches Dasein. Neuerliche dynastische Ambitionen im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts gaben der Universität neue Impulse, so dass das Jahr 1400 schließlich als zweite Gründung betrachtet wurde. Entsprechend hat man im Jahr 1500 den Gedanken des päpstlichen Jubeljahrs mit dem runden Alter der Universität von 100 Jahren zusammengebracht. 31 Ein „Jahrhundertbewusstsein“ lässt sich auch bei der 1409 gegründeten Leipziger Universität feststellen, wo der Rektor des Wintersemesters 1509, Paul Schwofheim, im Jubiläumsjahr eine Bilanz der seit Gründung 1409 vorgenommenen Immatrikulationen zog.32

Das erste Jubiläum der Universität Rostock im Jahre 1519/1520 Der nächste greifbare Reflex auf ein rundes Jubiläumsgedächtnis stammt aus der Universität Rostock, die ebenso an ihr 100jähriges Bestehen erinnerte. Allerdings um ein Jahr zeitversetzt und in besonderer Form, wie Wolfgang Eric Wagner dargelegt hat, der das 215

Jan-­Hendrik Hütten

Abb. 1: Ausschnitt der „Observantia lectionum in universitate Rostochiensi“ (1520).

216

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Abb. 2: Ausschnitt der „Observantia lectionum in universitate Rostochiensi“ (1520).

erste Jubiläum wieder in den Forschungsfokus rückte, nachdem die Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts ein Jubiläumsgedenken noch verneint hatten.33 Im 1520 gedruckten Vorlesungskatalog, der Observantia lectionum in universitate Rostochiensi (Abb. 1), nach bisherigem Kenntnisstand dem ersten gedruckten Lehrprogramm einer Universität im Alten Reich,34 heißt es am Ende (Abb. 2): Die obige Ordnung […], die in der Universität Rostock 100 Jahre zum größeren Teil beachtet worden ist, wird vermehrt und erhaben in diesem Jahr des einhundertjährigen Jubiläums allen Studenten würdevoll erklärt, um den Glanz der durch Kriege und Seuchen ein wenig geschwächten Universität umso mehr wiederherzustellen.35

Der Grund für den Druck des Vorlesungskatalogs ist im Jubiläum zu sehen, daher wurde der Vorlesungskatalog in den Folgejahren auch nicht erneut aufgelegt, weshalb ihm die Periodizität fehlt.36 In der Einleitung des wahrscheinlich für den Aushang bestimmten Einblattdrucks, bei dem eine Auflagenhöhe von circa 50 bis 100 Exemplaren anzunehmen ist,37 wird angeführt, dass sich die Studenten glücklich schätzen könnten, in ein Zeitalter der Wissenschaften hineingeboren zu sein, und die Universität Rostock sich freue, so großzügige Mäzene und Beschützer in den Herzögen von Mecklenburg gefunden zu haben.38 Mit der Observantia lectionum sollte „das angekratzte Ansehen der Rostocker Almer Mater“ wieder erhöht werden,39 da seit 1518 die Pest an der Warnow grassierte, was 217

Jan-­Hendrik Hütten

auch Auswirkungen auf die hohe Schule hatte. Die Immatrikulationszahlen brachen ein, Promotionen zum Bakkalar oder Magister fanden nicht mehr statt.40 Das Universitätsjubiläum von 1519 fiel nach unseren Maßstäben wenig glanzvoll aus, schließlich handelt es sich dabei „nur“ um die dargestellte kurze Erwähnung. Feste oder Prozessionen sind wie beim hundertjährigen Gründungsgedächtnis der anderen Universitäten auch an der Warnow nicht nachweisbar. Jedoch ist das erste Rostocker Universitätsjubiläum ein weiteres Zeugnis für eine sich seit dem Spätmittelalter verändernde Jubiläumskultur, die sich zunehmend aus der päpstlichen Sphäre löste und sich langsam profanierte.41 Die Art und Weise, wie die Rostocker Universität an die eigene Gründung erinnerte, ist dabei als Novum zu bezeichnen. Einerseits, weil man sich dabei eines Druckerzeugnisses, also eines zu Beginn des 16. Jahrhunderts relativ neuen Informationsträgers bediente, womit die Universität Rostock vermutlich die erste Hochschule im Alten Reich war, die ihre Gründung druckgraphisch memorierte und somit einer größeren Öffentlichkeit vermittelte. Andererseits lässt sich am Rostocker Jubiläumsgedenken von 1519/1520 ziemlich anschaulich darlegen, dass im Mittelpunkt eines Jubiläums nun nicht mehr nur das Seelenheil stand.42 Vielmehr kam der „runden Zahl“ immer mehr die Funktion zu, soziale Ordnungen in ihrer Dauerhaftigkeit und Stabilität zu bekräftigen. Einerseits vergewisserte sich die Hochschule dabei ihres 100jährigen Bestehens und verwies auf ihre Tradition,43 was unter vormodernen Bedingungen gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Andererseits wurden zugleich Brücken in die Zukunft geschlagen, denn der Vorlesungskatalog, der bis dahin kaum verändert worden war, spricht auch von einer Vermehrung, also einer Veränderung. Und hiermit sind vor allem die aufgeführten humanistisch orientierten Lehrveranstaltungen gemeint,44 die das Rostocker Veranstaltungsangebot attraktiver erscheinen ließen, den bis dahin im Mittelalter verhafteten Lehrkanon erweiterten und verstärkt Studenten nach Rostock locken sollten.45 Vor dem Hintergrund der um sich greifenden Pest wird dann auch verständlich, warum der Katalog erst 1520 in der Druckerei von Ludwig Dietz 46 aufgelegt wurde und nicht schon im Jubiläumsjahr.47 Ein ähnlicher Verzugsgrund lässt sich 1578 ebenso beim Tübinger Universitätsjubiläum feststellen.48 Festzuhalten bleibt, dass sich „der historische Sinn, ein hundertjähriges Gedenken von Geburts- und Todestagen wie von Gründungsdaten“ 49 oder anderen bedeutenden Ereignissen erst allmählich seit Mitte des 15. Jahrhunderts, und hier vor allem im Umfeld der Universitäten auszubilden begann, die insgesamt ihrer institutionellen Gründung vermehrt Aufmerksamkeit schenkten. Dabei griffen die Hochschulen, wie oben angerissen, auf vielfältige Formen zurück.50 Ein weiteres Beispiel für ein Jahrhundertbewusstsein auf dem Weg in die Frühe Neuzeit – und hier nicht nur in universitärer Perspektive – ist das 1541 in Mainz erschienene poetische Lob der Buchdruckerkunst, das knapp 100 Jahre nach Gutenbergs Erfindung natürlich im Druck veröffentlicht wurde.51 Richtungsweisende Impulse auf die Jubiläumskultur kamen aber auch im weiteren 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach wie vor aus den Universitäten.52 Für Rostock ist anzuführen, 218

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

dass der Professor Johannes Posselius bereits 1560 ein städtisches Jubiläum anregte, das aufgrund der sozio-­politisch angespannten Lage innerhalb der Stadt offensichtlich auf wenig Interesse stieß.53 Ein städtisches Gründungsjubiläum lässt sich bislang erstmals 1696 im erzgebirgischen Annaberg feststellen.54

Das zweite Jubiläum der Universität Rostock im Jahre 1619 Weitere Veränderungen der Jubiläumskultur lösten schließlich die Reformation und die sich daraufhin entwickelnden Konfessionskulturen aus,55 wobei die katholische Kirche insgesamt zurückhaltender agierte und vorerst weiter an der päpstlichen Tradition des Jubeljahrs festhielt, das im gesamten 16. Jahrhundert im 25-jährigen Turnus ausgerufen wurde.56 Die katholische bayrische Landesuniversität Ingolstadt beging beispielsweise ihr hundertjähriges Bestehen im Jahre 1572 lediglich allegorisch und zudem „versteckt“ in Form eines Bildprogramms auf der Rückseite eines neu installierten Altars in der Universitätskirche und folgte hier dem tridentinischen Bilderdekret, demzufolge „ […] nichts Profanes und nichts Anstößiges auf religiösen Gemälden“ 57 dargestellt werden sollte.58 Ein hundertjähriges Gründungsgedenken auf katholischer Seite lässt sich erst 1640 mit der Erinnerung an die Fundation des Jesuitenordens von 1540 fassen.59 Die reformierten Universitäten in Tübingen und Heidelberg hingegen feierten ihr Gründungsjubiläum bereits 1578 und 1587 in öffentlicher Form.60 Für die Lutheraner war vor allem die Universität in Wittenberg richtungsweisend, wo man sich schon sehr früh Gedanken um das lutherische Erbe und die darauf bezogene Erinnerungskultur gemacht hatte.61 Folgerichtig gedachte die Wittenberger Universität 1602 im Rahmen ihres ersten Gründungsjubiläums der Person Luthers überproportional, wodurch die Reformation regelrecht als zweites Gründungsereignis erschien.62 Ähnliches lässt sich für die Universität Leipzig feststellen, die 1609 auch ihr zweites Jubiläum feierte.63 Durchschlagenden Erfolg hatten dann die Jubiläumsfeierlichkeiten zum Thesenanschlag Martin Luthers, die 1617 im Reich vielfach begangen wurden, worauf die katholische Kirche ihrerseits mit einem außerordentlichen Jubeljahr antwortete.64 Auch in Mecklenburg war das Inte­ resse an einem offiziellen Gedächtnis der Reformation vorhanden. Jedoch konnten sich die beiden um die Landesherrschaft konkurrierenden Herzöge Adolf Friedrich I. und Johann Albrecht  II . nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, da letzterer schon seit Längerem dem Calvinismus zuneigte und 1618 sogar öffentlich konvertierte, so dass konfessionelle Spannungen zwischen den Brüdern hinzukamen.65 Allerdings ist die Feier des Reformationsjubiläums sowohl in Rostock (unter Schirmherrschaft der Universität in Verbindung mit dem Stadtrat) wie auch in Güstrow auf die Eigeninitiative der protestantischen Geistlichkeit zurückzuführen.66 In den Kontext der sich entwickelnden konfessionell geprägten Jubiläumskulturen ist auch das zwei Jahre später stattfindende zweihundertjährige Gründungsjubiläum der 219

Jan-­Hendrik Hütten

Abb. 3: Rektor und das Konzil der Universität danken Bürgermeister und Rat der Stadt Rostock für die Übernahme eines Teils der Kosten der Jubiläumsfeiern, Rostock, 10. Dezember 1619.

220

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Rostocker Universität von 1619 zu verorten. Zum einen standen das Rostocker Lehrpersonal und allen voran die Theologen in enger Verbindung mit anderen lutherischen Hochschulen.67 Zum anderen wird im Schreiben an die Patrone, mit dem die Akademie die Herzöge und die Stadt um Erlaubnis bat, das Jubiläum auszurichten, als Motivation genannt, dass man sich an Wittenberg und Leipzig orientiere.68 Die Initiative, das Jubiläum von 1619 auszurichten, ging dabei allein von der Universität aus, die erstmals am 28. Juli 1619 im Konzil darüber verhandelte.69 Impulse oder zu berücksichtigende Vorstellungen vonseiten der Patrone, wie sie bei anderen universitären Jubiläen anzutreffen sind, können nicht ausgemacht werden.70 In der Bitte um Ausrichtung kündigte man zugleich die ersten Festelemente an und informierte Stadt und Herzöge, dass feierliche Promotionen geplant seien. Zugleich wurde um finanzielle Unterstützung gebeten, was von beiden Patronen schließlich zugesichert wurde.71 Im Nachgang des Gründungsjubiläums musste die Universität allerdings die Herzöge mehrfach bitten, die Kosten auch tatsächlich zu übernehmen.72 Die Stadt hingegen kam ihrer Zusage bereits im Dezember des Jubiläumsjahrs nach und hatte die Universität schon zuvor durch Handwerker bei der Vorbereitung des Jubiläums unterstützt.73 Weitere Planungen wurden erst am 20. September im Konzil besprochen. Man legte fest, dass die Feierlichkeiten in der Woche ab dem 12. November ausgerichtet werden sollten.74 Die offiziellen Einladungen zu den Feierlichkeiten wurden schließlich am 27./28. Oktober, also knapp zweieinhalb Wochen vor Beginn des Ereignisses, an die Stadt und Herzöge verschickt.75 Das eigentliche Jubiläum begann wie schon angeführt am 12. November. Die Professoren hatten sich also für jenen Tag entschieden, an dem die Universität 200 Jahre zuvor feierlich ihren Betrieb aufgenommen hatte. Der erste Festakt sollte in der Marienkirche ausgerichtet werden, also an dem Ort, an dem die Gründungsfeierlichkeit von 1419 stattgefunden hatte.76 Wie bei der Eröffnungsfeier waren die Fürsten auch bei den Jubiläumsfeierlichkeiten nicht anwesend und ließen sich vertreten.77 Letzteres ist einerseits auf die intensiven Verhandlungen zur zweiten mecklenburgischen Hauptlandesteilung zurückzuführen, die schließlich 1621 endgültig vollzogen wurde,78 andererseits darauf, dass das Verhältnis von einigen Hochschullehrern zum calvinistischen Johann Albrecht II. problematisch war.79 Vor allem die Rostocker Theologieprofessoren verstanden sich als eifrige Verfechter des Luthertums und standen dem Calvinismus ablehnend gegenüber.80 Die Stadt Rostock als Kompatron war offiziell durch einen Bürgermeister und zwei Ratsherren bei der Feier vertreten. Im Vergleich zum Jubiläum von 1519, bei dem nur die Fürsten als Patrone erwähnt wurden, während die Stadt in der Observantia lectionum nicht vorkam, wurde 1619 schließlich auch die Kommune entsprechend ihrer 1563 im Rahmen der Formula concordiae endgültig festgeschriebenen Stellung gewürdigt.81 Zentrales Element des ersten Festtags war der Rektoratswechsel. Der Akt begann um 6 Uhr in der Marienkirche (Abb. 4) mit Musik. Im Anschluss hielt der Theologieprofessor Johannes Quistorp, zugleich zweiter Prediger an St. Marien, die Predigt. In der Kirche waren die Professoren, die geladenen Gäste, aber auch der gesamte Rat der Stadt Rostock 221

Jan-­Hendrik Hütten

Abb. 4: Darstellung der Marienkirche auf der Vicke-­Schorler-­Rolle (ca. 1586).

versammelt. Nach der Predigt zogen die Professoren gefolgt vom Rat von der Marienkirche zum Kollegium, dem damals größten Universitätsgebäude.82 Im Kollegium (Abb. 5) wurde schließlich der Rektoratswechsel vollzogen, das von Joachim Schönermark auf Thomas Lindemann überging.83 Dabei wurde in den Reden auch noch einmal auf den ersten Rektor, Peter Stenbeke, verwiesen, so dass die Universität im Rahmen des ersten Festtags ihre weit zurückreichende institutionelle Tradition und Kontinuität würdevoll versinnbildlichte.84 Die nächsten Tage wurden mit weiteren Reden und Gedichten zelebriert, die unter anderem die Gründer der Hochschule, also Herzöge und Stadt, rühmten.85 Rostock wurde dabei etwa als Kleinod Vandaliens apostrophiert,86 wobei die Geschichte der Stadt eng mit den Fürsten verknüpft, aber auch ihre Größe und Bedeutung nicht ausgespart wurde.87 Dem Anlass entsprechend wurden in den überlieferten Reden ausführlich die Geschichte und der Glanz der Universität dargelegt.88 Dabei finden auch die schwierigeren Zeiten der Universitätsgeschichte Erwähnung, etwa das Exil in Greifswald, die Domfehde oder überstandene Kriege und Seuchenzüge.89 Besonderes Augenmerk richteten die Redner auf die reformatorische Neueinrichtung, die mit Arnold Burenius begann, der die Artistenfakultät reorganisierte.90 Erwähnt wird vor allem die zweite nachreformatorische Generation der Hochschullehrer, besonders Lucas Bacmeister, Simon Pauli und natürlich David Chytraeus,91 der die nachreformatorische Neueinrichtung der Hochschule maßgeblich gestaltete und als spiritus rector der Universität am Beginn des 17. Jahrhunderts bezeichnet werden kann.92 Hinsichtlich der Fürsten ragen neben den 222

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Abb. 5: Darstellung des Kollegiums auf der Vicke-­Schorler-­Rolle (ca. 1586).

Gründern besonders Johann Albrecht I. und Ulrich heraus, die 1563 mit der Universität und der Stadt die Formula concordiae abschlossen, womit die Neueinrichtung der Hochschule nach der Reformation gesichert und das Patronat endgültig geregelt wurde.93 In diesem Kontext wird auch der Erbvertrag zwischen Stadt und Landesherren erwähnt, der das Verhältnis der beiden mitunter stark konkurrierenden Parteien seit 1573 regelte und insgesamt auf eine neue Grundlage stellte.94 Durch die Eintracht von Stadt und Fürsten sei die Universität nach der nachreformatorischen Neueinrichtung zu neuem Leben erwacht, womit ein neues Zeitalter angebrochen sei.95 Diese Einschätzung stimmt mit dem Urteil moderner Historiker überein, die die Reformation als fundamentale Existenzkrise der Rostocker Hochschule bezeichnet haben,96 und die gleichfalls mit der reformatorischen Neuausrichtung ab den 1560er Jahren eine Hochphase der Rostocker Universität anbrechen sehen. Das Jubiläum 1619 wurde also insgesamt unter guten Rahmenbedingungen ausgerichtet.97 Nicht nur das Lehrpersonal konnte damals einiges Renommee für sich verbuchen, sondern auch die Studenten kamen aus dem gesamten Ostseeraum, um in Rostock zu studieren.98 Die Stadt prosperierte ebenso, woran der Aufstieg der Universität sicherlich einen Anteil hatte.99 Am 15. und 16. November 1619 wurden feierliche Promotionen vorgenommen. Dabei wurden 18 Magister Artium in St. Jakobi promoviert und am 16. November ein Theologe sowie ein Mediziner in St. Marien.100 Im Anschluss an die Promotionsakte wurden feierliche Festmahle ausgerichtet (Abb. 3). Nachdem mit den Promotionen die akademische 223

Jan-­Hendrik Hütten

Leistungsfähigkeit dargestellt wurde, klang das Jubiläum an den folgenden Tagen mit weiteren festlichen Redebeiträgen aus. Die Jubiläumsfeierlichkeiten waren vor allem ein Ereignis der Universität als Korporation, auch wenn die Festivitäten sehr wahrscheinlich von den meisten Bürgern in Rostock bemerkt wurden, wie an den Ausführungen Vicke Schorlers deutlich wird, der dem Jubiläum im Vergleich zu anderen Ereignissen in seiner Chronik sogar verhältnismäßig viel Platz einräumt.101 Dabei wurde durch die Präsenz des Rats, der als Kompatron im Rahmen des Jubiläums eine zentrale Rolle spielte, symbolisch die Verbindung der Universität zur Stadt dargestellt. In der Stadt ging der Alltag während des Jubiläums aber fast gewöhnlich weiter, mit der Ausnahme, dass in der Festwoche keine Ratssitzungen stattfanden, was auf die Ratsteilnahme an den Jubiläumsfeierlichkeiten zurückzuführen ist.102 Hauptakteure des Gründungsjubiläums waren die Professoren, die die festlichen Akte geplant hatten und das Jubiläum durch ihre Handlungen und Reden strukturierten.103 Die Bürger aber waren mit Ausnahme der Ratsherren und vielleicht einiger weiterer Oberschichtsangehöriger, die möglicherweise an den feierlichen Promotionen teilnahmen, keine eigentlichen Festteilnehmer.104 Hinsichtlich der Studenten kann festgestellt werden, dass sie vor allem als Auditorium und Kandidaten im Rahmen der feierlichen Promotionen erscheinen, darüber hinaus aber keine größere aktive Rolle spielten.105 Was 1519 noch als Novum zu bezeichnen und besonders hervorzuheben war, wurde 1619 schon ganz selbstverständlich eingesetzt: Im Anschluss an die Jubiläumsfeierlichkeiten wurde nicht nur das gesamte Festprogramm gedruckt, das 1620 als 500-seitiger Quartband erschien (Abb. 6),106 sondern auch die Reden und Promotionsakte waren teilweise schon in Form von Aushängen innerhalb der Universität angekündigt worden.107 Nachweislich gingen je ein Exemplar der Jubiläumsfestschrift an die Herzöge sowie an die Stadt, die das erhaltene Monumentalwerk sorgsam archivierte und zusammen mit den Rechnungsbelegen bis heute aufbewahrt.108 In der Universitätsbibliothek haben sich ebenfalls Exemplare erhalten.109 Offensichtlich wurden aber nicht alle Drucke verteilt beziehungsweise verkauft. Denn 1625 wurde die Festschrift, allerdings mit einem neuen Titel versehen, abermals herausgegeben.110 Neben den Ankündigungen und dem umfangreichen gedruckten Festprogramm, wurde die institutionelle Kontinuität der Alma Mater Rostochiensis auch dadurch hervorgehoben, dass man die zentralen Rechtsdokumente der Hochschule wie die päpstliche Gründungsbulle und die Formula concordiae noch einmal im Druck vervielfältigte.111 In der Ausgestaltung ihres zweihundertjährigen Jubiläums war die Universität Rostock ganz Kind ihrer Zeit und orientierte sich an den führenden protestantischen Hochschulen und den dort ausgeführten Veranstaltungsformen, bestehend aus Gottesdienst, Prozession, Festveranstaltungen mit feierlichen Reden, Promotionen sowie gedruckten Festschriften.112 Damit wurde eine Form gefunden, die ihrerseits die nachfolgenden Universitätsjubiläen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts prägte. Zwar kamen weitere Erinnerungsmedien hinzu, wie etwa Gedenkmedaillen.113 Letztlich erscheinen jedoch die im 17. Jahrhundert entwickelten Inszenierungsformen des akademischen Jubiläums bis heute unverzichtbar.114 224

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Abb. 6: Titelblatt der Festschrift zum 200jährigen Jubiläum der Universität im November 1619, Rostock 1620.

225

Jan-­Hendrik Hütten

Im Rahmen ihres Gründungsgedenkens inszenierte sich die Rostocker Universität insgesamt als eine innerhalb der Stadt privilegierte Körperschaft.115 Sie verwies dabei sowohl auf ihre Geschichte und ihr langes Bestehen als auch auf ihre akademische Leistungsfähigkeit. Das eine wurde vor allem im feierlichen Rektoratswechsel augenscheinlich, das andere in den Promotionen und den gehaltenen Reden, wobei auch die obligatorischen Lobeshymnen auf Stadt und Herzöge nicht fehlten. Besonders eindrücklich hob dabei Johannes Quistorp in seiner Predigt in der Marienkirche die Bedeutung der Universität hervor, die er am ersten Festtag vor den herzoglichen Gesandten und dem Rat der Stadt Rostock hielt.116 Zuerst führt er aus, dass es die Pflicht der Obrigkeit sei – und hier sprach er die Fürsten und die Stadt direkt an – Schulen zu bauen und zu unterhalten. Er lobt die stete Unterstützung und attestiert den Fürsten und der Stadt, dass sie sich durch ihre Taten Ruhm erworben hätten.117 Auch kommt er auf den Nutzen der Akademie zu sprechen und legt dar, dass vor allem Rostock von der Universität profitiere, da sie Handel und Handwerk fördere und der gesamten Bürgerschaft nutze, was gerade vor dem Hintergrund des nicht immer einfachen Verhältnisses von Bürgern und Akademikern, allen voran den Studenten, besonders interessant ist.118 Hinsichtlich des Lands und der Stadt verweist er auf die zentrale Ausbildungsfunktion der Hochschule bezüglich der administrativen Elite.119 Auch die Vorteile der Universitätsmedizin benennt er.120 Insbesondere aber richtet Quistorp sein Augenmerk auf die Theologie und die Geistlichkeit und führt aus, dass der Bestand des Gemeinwesens elementar von der Universität abhänge. Ohne die Universität, so Quistorp, hätte der Teufel in allen Ständen leichtes Spiel: Woher wolte man / wan nicht Universiteten wehren / tüchtige Lehrer und Prediger nemmen / die andern könten GOttes Wort lehren / lauter und rein vortragen / die Sacrament vorrichten / denn weg zum Himmel zeigen / die betrübten Hertzen in ihrem anliegen trösten und auffrichten?121

Treffender kann man die Rolle einer Hochschule am Beginn des 17. Jahrhunderts kaum beschreiben. Durch den Hinweis auf die zwingende Notwendigkeit der Rostocker Universität sowohl in gesellschaftlicher als auch heilsgeschichtlicher Perspektive werden so die Patrone zur weiteren Förderung angemahnt.122 Gerade das heilsgeschichtliche Element, also die konfessionelle Orientierung, trat im Rahmen des zweihundertjährigen Jubiläums der Universität Rostock immer wieder deutlich hervor. Zum Teil unmissverständlich, wenn etwa Professor Affelmann darüber disputieren lässt, warum der Papst der Antichrist sei.123 Mit dem Verweis, im Jubiläum Wittenberg und Leipzig nachzufolgen, also den Zentren der lutherischen Konfessionskultur am Beginn des 17. Jahrhunderts, verortet sich die Universität Rostock schließlich gleichsam in der konfessionell geprägten Bildungslandschaft des Alten Reichs.124 Dieser konfessionellen Selbstvergewisserung kommt gerade am Beginn des 17. Jahrhunderts ein besonderer Stellenwert zu, da der Beginn des Jahrhunderts von den Zeitgenossen 226

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

konfessionsübergreifend als Krise wahrgenommen wurde und insgesamt Verunsicherung vorherrschte.125 Vor allem in lutherischer Perspektive empfanden viele Zeitgenossen die Ereignisse als besonders bedrohlich. Aus dem Trienter Konzil war die katholische Kirche gestärkt hervorgegangen und auch die Calvinisten erhielten weiteren Zulauf.126 Im Rahmen ihres Jubiläums positionierte sich die Universität Rostock eindeutig und richtete einen konfessionellen Orientierungspunkt auf.127 Dieser tritt noch deutlicher hervor, wenn man die Ausformungen der städtisch-­akademischen Erinnerungskultur aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts betrachtet. Denn Stadt und Universität gedachten 1617 nicht nur der Reformation, sondern 1623 auch der Stadtreformation, eines der frühen Zeugnisse für ein städtisches Reformationsjubiläum.128 1655 wird zudem der Abschluss des Augsburger Religionsfriedens gefeiert.129 Die vormoderne Universität Rostock war damit ein tatkräftiger Multiplikator historischer Jubiläen, die am Beginn des 17. Jahrhunderts als Elitenphänomen bereits etabliert waren und über die Universitäten weiter in andere Gesellschaftsschichten diffundierten, wobei der protestantischen Geistlichkeit eine maßgebliche Rolle zukam.130 Inwiefern die Universität Rostock durch ihre Ausbildungsfunktion für protestantische Theologen, die aus dem gesamten Ostseeraum zum Studium in die Warnowstadt kamen, bei der Verbreitung des historischen Jubiläums eine Rolle spielte, müsste dabei noch überprüft werden.

Das dritte Jubiläum der Universität Rostock im Jahre 1719 Nachdem der Dreißigjährige Krieg noch einmal ein Anschwellen der Immatrikulationen bedingte, da sich vor allem Studenten aus bereits vom Krieg heimgesuchten Regionen an der Universität Rostock einschrieben, hatte die Hochschule seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend an Strahlkraft verloren, so dass vorwiegend nur noch mecklenburgische Landeskinder die Universität besuchten.131 Innovationen in der Universitätslandschaft des Alten Reichs kamen nun vor allem aus den seit Ende des 17. Jahrhunderts gegründeten Reformuniversitäten mit ihrem (früh)aufklärerischen Lehrprogrammen, während die Rostocker Hochschule in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiter in der lutherischen Orthodoxie verharrte und neue Impulse gar nicht oder lediglich verspätet rezipierte.132 Zu den ohnehin ungünstigen Begebenheiten kam am Ende des 17. Jahrhunderts ein verheerender Stadtbrand hinzu.133 Streitigkeiten zwischen den Herzögen und den mecklenburgischen Landständen taten ein Übriges.134 Diese Konflikte erlebten 1713 mit der Regierungsübernahme von Carl Leopold eine neue Eskalationsstufe, der mit unerbittlicher Härte gegen seine Widersacher vorging, zu denen auch die Stadt Rostock als größte und wirtschaftlich bedeutendste Kommune Mecklenburgs zählte, die zwar durch die Erbverträge vom Ende des 16. Jahrhunderts die Oberhoheit der Landesherren anerkannte, aber dennoch weitreichende Autonomierechte besaß.135 Ende 1718 herrschten in Mecklenburg fast bürgerkriegsartige Zustände. Das Land befand 227

Jan-­Hendrik Hütten

sich in einer ­schwierigen Lage, zumal auch auswärtige Mächte wie Russland, das seine Vormachtstellung im Ostseeraum auszubauen versuchte, involviert waren.136 In dieser politisch heiklen Zeit wurde am 15. Februar 1719 im Konzil der Universität Rostock über das zu begehende dritte Gründungsjubiläum verhandelt.137 Der Lehrkörper sprach sich dabei für die Ausrichtung eines feierlichen Universitätsjubiläums aus und hatte schon einige Vorstellungen parat, wie die Feierlichkeiten zum dreihundertjährigen Jubiläum begangen werden könnten. Unter anderem wurde beraten, ob neues Mobiliar angeschafft werden sollte. Auch die Porträtierung der Professoren wurde angedacht.138 Wie schon 1619 wurde der Herzog als Patron der Landesuniversität auch 1719 förmlich gebeten, die Jubiläumsfestlichkeiten zu autorisieren.139 Carl Leopold, der noch 1717 beim zweihundertjährigen Reformationsjubiläum das Gedenken maßgeblich mitbestimmt hatte, verweigerte jedoch seine Zustimmung.140 Er führte als Grund die äußerst turbulenten Zeiten an und verfügte, dass das dreihundertjährige Universitätsjubiläum auf ruhigere Jahre verschoben werden sollte.141 Der weitere Fortgang des innermecklenburgischen Konflikts, bei dem der Herzog schließlich 1728 abgesetzt, Mecklenburg von kaiserlichen Exekutionstruppen besetzt und das Land in teils stürmischen Jahren bis 1747 kommissarisch verwaltet wurde,142 verhinderte allerdings eine Jubiläumsfeierlichkeit, so dass das nächste Universitätsjubiläum erst 1819 stattfand.143

228

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Anmerkungen

1 2 3

Bauer 2005, 11. Vgl. auch Johanek 1991, 525 – 540; Müller 2004, 1 – 76; Müller 2005, 29 – 44. Bauer 2005, 11. Vgl. hierzu insgesamt und zusammenfassend Siebe 2008, 102 f; Bauer/Gerber 2007, 119 – 123; Bauer/Hellmann/Müller 2005, 9 – 10; Bauer 2005, 11 – 14; Fischer-­Lichte 2012, 9 – 19; Müller 2004, 1 – 76; Müller 2005, 29 – 44; Rosseaux 2005, 93 – 111. 4 Vgl. hierzu zusammenfassend Müller 2004, 1 – 76; Müller 2005, 29 – 44; Wagner 2018a, 25 – 54. Das Gedächtnis in Zehnerschritten kam erst im 19. Jahrhundert auf und erfreut sich mittlerweile ebenso einer großen Beliebtheit. Vgl. hierzu Müller 2005, 32. Mit weiteren Beispielen auch Demantowsky 2018, https://www.freitag.de/autoren/der-­freitag/jubilaeumitis-­in-­sicht1989-global-­komplex (Zugriff 07. 01. 2019). Bis vor Kurzem wurde dabei vor allem auf die Rolle der Universitäten seit dem konfessionellen Zeitalter verwiesen, vgl. hierzu Flügel/Dornheim 2006, 51 – 70; Müller 2004, 1 – 76; Müller 2005, 29 – 44. Neuere Forschungen haben jedoch plausibel dargelegt, dass die „Erfindung“ des historischen Jubiläums schon an den spätmittelalterlichen Universitäten erfolgte, wobei auf ganz eigene, mittelalterliche Inszenierungsformen zurückgegriffen wurde. Vgl. hierzu Wagner 2018a, 25 – 54; Wagner 2011a, 137 – 152. Vgl. auch die Ausführungen weiter unten. 5 Müller 2004, 1 – 76; Müller 2005, 29 – 44. Vgl. zur kommunalen Jubiläumskultur Rosseaux 2005, 93 – 111. Vgl. zum Rostocker Doppeljubiläum die Einordnung von Manke 2018, 15 – 34. 6 Demantowsky 2014, https://public-­history-­weekly.degruyter.com/2 – 2014 – 11/vom-­jubilaeum-­ zur-­jubilaeumitis/ (Zugriff 07. 01. 2019). Vor allem wird der allzu sorglose Gebrauch des historischen Jubiläums kritisiert, der in der Öffentlichkeit nicht genügend wissenschaftlich kontextualisiert werde. Vgl. hierzu auch die Forderungen von Demantowsky 2018, https:// www.freitag.de/autoren/der-­freitag/jubilaeumitis-­in-­sicht-1989-global-­komplex (Zugriff 07. 01. 2019), sowie die Beobachtungen von Landwehr https://meinjahrmitluther.wordpress. com/ (Zugriff 07. 01. 2019) und Kaufmann 2010, 321 ff. 7 Müller 2004, 9 ff; Düchting 2010, 9 f. 8 Mitterauer 1997, 30 f; Düchting 2010, 9 f. Vgl. auch Flügel/Dornheim 2006, 52. 9 Müller 2004, 10; Dietrich https://gfds.de/woher-­stammt-­das-­wort-­jubilaeum/ (Zugriff 07. 01. 2019). 10 Dietrich https://gfds.de/woher-­stammt-­das-­wort-­jubilaeum/ (Zugriff 07. 01. 2019). 11 Wagner 2018a, 32. 12 Petersohn 1989, 33 f. 13 Müller 2004, 12 ff. 14 Wagner 2018a, 32. 15 Vgl. auch Müller 2004, 12 ff. 16 Müller 2005, 32. 17 Vgl. hierzu Müller 2004, 12 f; Müller 2005, 33. 18 Düchting 2010, 9. 19 Mitterauer 1997, 51. 20 Mitterauer 1997, 48. Seit ihrem fünfhundertjährigen Gründungsjubiläum im Jahr 1919 folgt auch die Universität Rostock diesem gängigen Zeitintervall und 1944, 1969 sowie 1994 wurde

229

Jan-­Hendrik Hütten

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 230

der Hochschulgründung unter je unterschiedlichen politischen Vorzeichen und in verschiedener Form gedacht. Vgl. hierzu Drüding 2014; Drüding 2018; Jakubowski/Münch 1995. Ignatzi 1996, 711 f. Wagner 2018a, 35. Vgl. auch Mitterauer 1997, 23 – 89. Wagner 2018a, 35. Wagner 2018a, 39. Wagner 2018a, 35 ff. Düchting 2010, 10; Müller 2005, 33. Müller 2005, 34. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Wagner 2018a, 25 – 54. Wagner 2018a, 41 f. Wagner 2011a, 143. Wagner 2011a, 143 f. Wagner 2018a, 46 f. Wagner 2018a, 42 f. Vgl. hierzu Kohfeldt 1919, 5 f; Wagner 2011a, 137 – 152. Wagner 2011b, 7. Wagner 2011b, 45. Wagner 2011a, 148. Wagner 2011b, 10. Wagner 2011b, 19. Wagner 2018a, 49. Wagner 2011a, 149. Vgl. zum Prozess der Profanierung auch Mitterauer 1997, 23 – 89. Vgl. auch Wagner 2018a, 48. Wagner 2011b, 45. Wagner 2011b, 39 ff. Wagner 2018a, 49. Wagner 2018a, 48. Wagner 2018a, 53. Wagner 2011a, 151. Düchting 2010, 10. Vgl. hierzu insgesamt Wagner 2018a, 25 – 54. Düchting 2010, 10. Vgl. zu den Buchdruckerjubiläen Flügel/Dornheim 2006, 59 ff. Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen, vor allem aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Flügel/Dornheim 2006, 51 – 70. Vgl. auch Ligniez 2012, 53 ff. Münch 2018a, 53 – 70. Das Jahr 1218 als Ausgangspunkt für die kommunalen Rostocker Jubi­ läumsfeierlichkeiten zu nehmen, lässt sich erst seit 1918 nachweisen. Rosseaux 2005, 94. Vgl. hierzu Fuchs 2012, 15 – 27; Flügel/Dornheim 2006, 51 – 70; Ligniez 2012, 53 ff. Vgl. auch Maurer 2010, 61 – 72. Flügel/Dornheim 2006, 59; Müller 2005, 39 f. Wagner 2011a, 146. Müller 2005, 35; Wagner 2011a, 145 f. Rosseaux 2005, 93.

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

60 Flügel/Dornheim 2006, 53. 61 Vgl. hierzu Töpfer 2012, 29 – 42; Fuchs 2012, 15 – 27; Flügel/Dornheim 2006, 51 – 70; Ligniez 2012, 53 – 66; Kaufmann 2010, 285 – 324. 62 Flügel/Dornheim 2006, 55; Ligniez 2012, 53 ff. 63 Müller 2005, 37 f. 64 Vgl. hierzu Hoyer 1994, 36 – 48; Müller 2005, 38 f; Kaufmann 2010, 285 – 324. 65 Duncker 1908, 251 ff. 66 Vgl. zu Rostock Archiv der Hansestadt Rostock (AHR), Bürgermeister und Rat: Kirchenwesen, Kirchen, Klöster, Provisorate, Nr. 290; Ehlers 2000, 69 ff. Vgl. zu Güstrow Kaufmann 1997, 587. 67 Vgl. hierzu allgemein Kaufmann 1997; Kaufmann 1998, 65 – 87. 68 Kohfeldt 1919, 6 f. 69 Universitätsarchiv Rostock (UAR), 10.02.0, R III A 018.2, Eintrag vom 28. Juli 1619. 70 In Jena beispielsweise ging die Initiative ebenso auf die Universität zurück, das erste Gründungsjubiläum 1648/1658 zu feiern. Allerdings hatten die Nutritoren ebenso Vorstellungen und Auffassungen bezüglich der Art und Weise des zu begehenden Jubiläums, die sie schließlich bei der Ausgestaltung berücksichtigt sehen wollten. Vgl. hierzu Bauer 2005, 14 ff. Die mecklenburgischen Landesherren und auch die Stadt Rostock hatten offensichtlich keine expliziten Wünsche. 71 Kohfeldt 1919, 6. 72 Kohfeldt 1919, 7. 73 Kohfeldt 1919, 7. Vgl. zu den Handwerkern die Abrechnungsbelege in AHR, Bürgermeister und Rat: Bildung und Kultur, Nr. 8. 74 UAR, 10.02.0, R III A 018.2, Eintrag vom 20. September 1619. 75 Kohfeldt 1919, 6 und AHR, Bürgermeister und Rat: Bildung und Kultur Nr. 8, Einladungsschreiben an die Stadt. 76 Vgl. zur Gründung der Universität Rostock Pluns 2007, 31 ff. Vgl. zu den Jubiläumsfeierlichkeiten von 1619 die Festschrift Iubilaeum Academiae Rostochiensis Festum, Hebdomade Sabbataria, centenarium eiusdem tertium incoante : Auctoritate & liberalitate Praecelsissimorum & Amplissimorum Dominorum Patronorum, praesentibus eorundem Legatis magnificis, Cum summa festivitate, Mense Novembri anni 1619. Celebratum, Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Mk-7759. 77 Pluns 2007, 47. Vgl. zu den offiziellen Teilnehmern der Stadt und den herzoglichen Gesandten die Widmung in der Festschrift Iubilaeum 1620, o. S. 78 Dabei näherten sich die Verhandlungen seit 1618 einem Abschluss und traten in die entscheidende Phase. Vgl. hierzu insgesamt Duncker 1908, 177 – 292. 79 Insbesondere Professor Johannes Affelmann ist hier zu nennen, der gegen den Calvinismus polemisierte und in eine theologische Auseinandersetzung mit dem calvinistischen Hofprediger Johann Albrechts verwickelt war. Vgl. hierzu Jähnig 1979, 47 f. Andererseits war der herzogliche Kanzler Ernst Cothmann zugleich Jurist an der Universität Rostock und vertrat den Johann Albrecht  II. im Rahmen der zweihundertjährigen Jubiläumsfeier. Vgl. hierzu Lorenz 1991, 440. Insgesamt ist die Ausgestaltung des Jubiläums von 1619 Johann Albrecht II. gegenüber allerdings als Affront zu sehen, da sich die Hochschule eindeutig als lutherische Universität positionierte. Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten. 231

Jan-­Hendrik Hütten

80 Vgl. hierzu Kaufmann 1997; Kaufmann 1998, 65 – 87; Asche 1999, 56 ff. 81 Vgl. hierzu allgemein Wagner 2011b. Vgl. zur Formula Concordiae insgesamt Pluns 2007, 472 – 491; Michael 2013; Münch 1994, 74 ff.; Münch 2018b, 9 – 24. 82 Ehlers 2000, 88. Vgl. hierzu auch die Reden von Johannes Quistorp in Iubilaeum 1620, 23 – 38; Joachim Schönermark ebd., 39 – 63; Thomas Lindemann ebd., 64 – 93. Vgl. zu den Universitätsgebäuden Münch 2010, 175 – 198. 83 Ehlers 2000, 88. 84 Vgl. hierzu Reden von Johannes Quistorp in Iubilaeum 1620, 23 – 38; Joachim Schönermark ebd., 39 – 63; Thomas Lindemann in Ebd., 64 – 93. 85 Vgl. zum Ablauf und zum Festprogramm auch die Auflistung Stieber 1721, 9 ff. 86 „O Rostochium, gemmula Vandaliae […]“ Azarias Sturtz in Iubilaeum 1620, 100. 87 Thomas Lindemann in Iubilaeum 1620, 65 f; Azarias Sturtz ebd., 93 – 124; Peter Sasse ebd., 195 – 205. Auch die Rosenmetapher, bei der der Name der Stadt Rostock mit den Rosengewächsen in Verbindung gebracht wird, erfährt einen Niederschlag. Vgl. hierzu beispielsweise Georg Dasenius ebd., 222. 88 Vgl. hierzu die Reden von Thomas Lindemann in Iubilaeum Academiae Rostochiensis (…), Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Mk-7759, 64 – 93; Azarias Sturtz ebd., 93 – 124. Vgl. auch die Rede von Johannes Husweddel, der die Rolle der Akademie bei der Fortpflanzung der Weisheit hervorhebt, ebd., 146 – 160. Vgl. auch die nachfolgenden Anmerkungen. 89 Azarias Sturtz in Iubilaeum 1620, 93 – 124. Vgl. auch die Ankündigung des Jubiläums Programma Rectoris et Senatus Academiae Rostochiensis ebd., 4 f; Thomas Lindemann ebd., 91 ff. 90 Thomas Lindemann in Iubilaeum 1620, 91 ff; Azarias Sturtz ebd., 119 ff; Paul Tarnow ebd., 180. Vgl. zu Burenius auch Asche 1999, 38 ff. 91 Thomas Lindemann in Iubilaeum 1620, 91 ff; Paul Tarnow ebd., 191 f. 92 Paul Tarnow in Iubilaeum 1620, 190 ff. Vgl. weiter zu den genannten Professoren Kaufmann 1998, 65 – 87; Asche 1999, 81 ff. 93 Vgl. zur Formula concordiae Pluns 2007, 121 f. Vgl. zu den Fürsten auch die Reden von Paul Tarnow in Iubilaeum 1620, 190 ff; Johannes Tarnow ebd., 273 – 280; Johannes Bacmeister ebd., 380. 94 Azarias Sturtz in Iubilaeum 1620, 119 ff. Vgl. zur befriedenden Wirkung des Erbvertrags Münch 2018b, 9 – 24. 95 Azarias Sturtz in Iubilaeum 1620, 115 ff; Paul Tarnow in Iubilaeum 1620, 182 f; Peter Sasse ebd., 195 – 205. Paul Tarnow ebd., 182 ff; Johannes Bacmeister ebd., 380. 96 Kaufmann 1997, 41. 97 Vgl. hierzu Münch 2018b, 9 – 24; Asche 1999, 56 ff. 98 Vgl. hierzu allgemein Asche 1999. 99 Münch 2018b, 9 – 24. 100 Ehlers 2000, 88. Der bedeutendste Rostocker Stadtchronist aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Vicke Schorler, bemerkt von Letzterem, dass es sich dabei um ein Stadtkind handelte, ebd. 101 Vgl. hierzu Ehlers 2000, 88. 102 Vgl. hierzu die Ratsprotokolle, die für die Dauer des Jubiläums schweigen AHR, Bürgermeister und Rat: Ratskollegium, Nr. 49. 232

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

103 Vgl. hierzu allgemein die Festschrift Iubilaeum 1620. Vgl. zu den Professoren die entsprechende Einträge im Catalogus Professorum Rostochiensium. http://cpr.uni-­rostock.de/ (Zugriff 07. 01. 2019). Die meisten der am Jubiläum beteiligten Hochschullehrer hatten bereits in Rostock studiert und waren maßgeblich von David Chyträus beeinflusst. 104 Vgl. zu den Verbindungen und Funktionen von Promotion, Gelage und Hochzeit in Rostock Wagner, 2010, 93 – 116. 105 Auch in Jena wurden die Studenten erst im 18. Jahrhundert beim zweiten Gründungsjubiläum der Universität verstärkt eingebunden, indem Festmarschälle gewählt wurden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Rostocker Ausgestaltung keineswegs unüblich war. In der Literatur zu den übrigen Universitätsjubiläen im 17. Jahrhundert finden die Studenten ebenfalls kaum einen Niederschlag. Vgl. hierzu Bauer 2005, 23. 106 Iubilaeum 1620. 107 Vgl. hierzu beispielsweise Hoc Tempore Decanus Caeterique Doctores Ac Professores Collegii Medici in Academia Rostochiensi, Ad Promotionis Novi Artis Medicae Doctoris Actum Solemnem, Illustriss. Principum, Et Ampliss. Senatus Legatos Digniss. Omnesque Alios Omnium Ordinum Academiae Cives Eorumque Fautores, Ea, Qua Par Est, Reverentia Invitant Cras Hora VIII. diei Novembris XVI, Universitätsbibliothek Rostock, Bücherspeicher, R. U.-med 1619 Fabricius, Jacob.2. 108 Vgl. hierzu die Bestände AHR, Bürgermeister und Rat: Bildung und Kultur, Nr. 8. 109 Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Mk-7759. 110 Corona Varno-­Balthico-­Rosea Hoc Est: Fasciculus Illustrium Dissertationum in Academia Rostochiensi, anni eius centenarii tertii qui erat Christi 1619. initio mense Novembri habitarum: In quibus celeberrimorum ex omnibus Facultatibus Professorum selectae quaestiones & discussiones, Rostock 1625, Universitätsbibliothek Rostock, Bücherspeicher, MK-7760.a.1. Die ältere Literatur überliefert hierzu die Anekdote, dass ein Rostocker Buchhändler die restlichen Bestände erwarb und schließlich veröffentlichte, vgl. Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen 1737, 30. 111 Vgl. hierzu Eigentlicher Abdruck / Formularum Concordiae: Deren die Erste / Anno 1563. den 11. Maii / Die Ander / Anno 1577. den 19. Octobris / zwischen einem Ehrwürdigen Concilio der Universitet zu Rostock / und einem Ehrbarn Rath daselbst getroffen, Rostock 1619, Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Kl-157(1).3a; Bulla Fundationis Academiae Rostochiensis, Rostock 1620, Universitätsbibliothek Rostock, Bücherspeicher, LB T 528.1. Dabei ist erstaunlich, dass sowohl das erste Vertragswerk abgedruckt wurde, als auch ein zweites von 1577, das die Fürsten allerdings nie ratifiziert hatten. 112 Flügel/Dornheim 2006, 56 f. 113 Vgl. für Jena Bauer 2005, 23. Für Heidelberg Düchting 2010, 9 – 23. 114 Wagner 2018, 25 ff. 115 Insbesondere Joachim Schönermark legt die privilegierte Stellung der Rostocker Universität dar, indem er in seiner Rede die Frage erläutert, ob die Universitätsangehörigen von den städtischen Lasten befreit seien, was er schließlich bejaht, Joachim Schönermark in Iubilaeum 1620, 41 ff. 116 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 24 – 38. 117 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 24 ff. 118 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 36 f. Vgl. zum mitunter ziemlich gespannten Verhältnis von Bürgern und Studenten in Mittelalter und Früher Neuzeit auch den Beitrag von Wolfgang 233

Jan-­Hendrik Hütten

Eric Wagner in diesem Band; Wagner 2018b, 135 – 156; Münch 1994, 69 – 82; Münch 2002, 221 – 251. 119 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 32 f. 120 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 37. 121 Johannes Quistorp, Iubilaeum 1620, 31 ff. 122 Vgl. hierzu auch Kaufmann 1997, 588 ff. 123 Vgl. hierzu Jähnig 1979, 39. 124 Joachim Schönermark in Iubilaeum 1620, 41. Vgl. hierzu auch die Ausführungen weiter oben und Töpfer 2012, 36; Reichelt 2012, 67 – 86. 125 Flügel/Dornheim 2006, 57. 126 Flügel/Dornheim 2006, 57. 127 Ähnlich inszenierte sich die Jenaer Universität im Rahmen ihres Gründungsgedächtnisses. Vgl. hierzu Bauer 2005, 12 ff. 128 Vgl. hierzu Grape 1707, 367 ff. Damit feierte die Stadt Rostock den frühestmöglichen Termin, indem auf Joachim Slüter Bezug genommen wurde, der 1523 zum Kaplan an St. Petri ernannt wurde und lutherisch predigte. Offiziell durchgesetzt wurde die Reformation freilich erst in den folgenden Jahren. Vgl. zu den Jubiläen die Auflistung von Rosseaux 2005, 96. 129 Grape, Zacharias (1707), Das evangelische Rostock, oder Kurtzer Bericht Von der Stadt Rostock Reformation und Bekehrung zur Evangelisch-­Lutherischen Lehre, als auch derselben Fortpflantzung, 373. Das Jubiläum der Augsburgischen Konfession wurde 1630 aufgrund der Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs nicht gefeiert. 130 Vgl. hierzu Flügel/Dornheim 2006, 51 – 70. 131 Vgl. hierzu Asche 1999, vor allem 65 ff. 132 Vgl. hierzu allgemein Asche 1999. 133 Vgl. hierzu Münch 2006, 30 – 55. 134 Vgl. hierzu Münch 2003, 97 ff. 135 Vgl. hierzu Münch 2003, 98 f. 136 Vgl. hierzu allgemein Wick 1963. 137 Da Gustav Kohfeld in seinem Beitrag über die Rostocker Universitätsjubiläen das Jubiläum von 1719 ausführlich behandelt, wird hier auf die Nennung der Quellen verzichtet und lediglich auf den Aufsatz von Kohfeldt 1919, 5 – 11 verwiesen. 138 Kohfeldt 1919, 8. 139 Kohfeldt 1919, 8. 140 Vgl. hierzu die Anweisungen, die auch der Rostocker Rat erhalten hatte, AHR, Bürgermeister und Rat: Kirchenwesen, Kirchen, Klöster, Provisorate, Nr. 290/1. 141 Kohfeldt 1919, 8. 142 Vgl. hierzu Münch 2003, 98 f. 143 Womöglich wurde aber aufgrund des ausgefallenen dreihundertjährigen Gründungsjubiläums das elf Jahre später stattfindende zweihundertjährige Jubiläum der Augsburgischen Konfession von der Universität und der Stadt besonders aufwendig gefeiert, indem eine Prozession sowie feierliche Promotionen ausgerichtet und neue Professoren berufen wurden. Vgl. hierzu AHR, Bürgermeister und Rat: Rostocker Sammelbände, Nr. 17/55.

234

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Quellen- und Literaturverzeichnis

Asche, Matthias (1999), Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der frühen Neuzeit (1500 – 1800) (Contubernium 52), Tübingen. Bauer, Joachim/Hellmann, Birgitt/Müller, Gerhard (2005), „Jenaer Jubiläen als Erinnerungsmedien“, in: Birgitt Müller (Hg.), Jubiläen in Jena (Dokumentation der Städtischen Museen Jena 16), Weimar/Jena, 9 – 10. Bauer, Joachim (2005), „Runde Jubiläen und Kulturelles Gedächtnis. Jenas universitäre Säkularfeiern in der Frühen Neuzeit, in: Birgitt Müller (Hg.), Jubiläen in Jena (Dokumentation der Städtischen Museen Jena 16), Weimar/Jena, 11 – 38. Bauer, Joachim/Gerber, Stefan (2007), „‚Gaudeamus igitur‘ – Universitäre Selbstdarstellung. Frankfurt an der Oder und Jena im Vergleich“, in: Ulrich Knefelkamp (Hg.), Universität und Stadt. Ringvorlesung zum 500. Jubiläum der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder) (Jahresbericht des Fördervereins zur Erforschung der Geschichte der Viadrina e. V. und der Forschungsstelle für Vergleichende Universitätsgeschichte, Sonderband), Berlin, 119 – 156. Demantowsky, Marko (2018), „Vom Jubiläum zur Jubiläumitis“, in: Public History Weekly (2) 11, https://public-­history-­weekly.degruyter.com/2-2014-11/vom-­jubilaeum-­zur-­jubilaeumitis/ (Zugriff 07. 01. 2019). Demantowsky, Marko (2014), „Jubiläumitis in Sicht. 1989 – global komplex“, https://www.freitag.de/autoren/der-­freitag/jubilaeumitis-­in-­sicht-1989-global-­komplex (Zugriff 07. 01. 2019). Dietrich, Margot, „Woher stammt das Wort Jubiläum?“, https://gfds.de/woher-­stammt-­das-­ wort-­jubilaeum/ (Zugriff 07. 01. 2019). Düchting, Reinhard (2010), „1587 und 1686. Die Anfänge der Heidelberger Universitätsjubiläen“, in: Frank Engehausen/Werner Moritz (Hgg.), Die Jubiläen der Universität Heidelberg 1587 – 1986 (Archiv und Museum der Universität Heidelberg 18), Heidelberg et al., 9 – 23. Drüding, Markus (2014), Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Universitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (Geschichtskultur und historisches Lernen 13), Berlin/Münster. Drüding, Markus (2018), „Warum feiern Universitäten Geschichte? Funktionen und Formen deutscher Universitätsjubiläen im späten 19. und 20. Jahrhundert“, in: Martin Kintzinger/ Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel (Hgg.), Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 15), Basel, 55 – 76. Duncker, Gustav (1908), „Die zweite mecklenburgische Hauptlandesteilung 1621“, in: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 73, 177 – 292. Ehlers, Ingrid (Hg.) (2000), Vicke Schorler Chronik 1584 – 1625 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe C: Quellen zur mecklenburgischen Geschichte 3), Rostock. Enghausen, Frank (2010), „Vier Jahrhunderte akademische Festkultur. Vergleichende Bemerkungen zu den Heidelberger Universitätsjubiläen“, in Frank Engehausen/Werner Moritz (Hgg.), Die Jubiläen der Universität Heidelberg 1587 – 1986 (Archiv und Museum der Universität Heidelberg 18), Heidelberg et al., 109 – 119. Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen (1737). Für gute Freunde, Rostock. 235

Jan-­Hendrik Hütten

Fischer-­Lichte, Erika (2012), „Einleitung: Theater und Fest in Europa. Perspektiven von Identität und Gemeinschaft“, in: Erika Fischer-­Lichte/Matthias Warstat/Anna Littmann (Hgg.), Theater und Fest in Europa. Perspektiven von Identität und Gemeinschaft (Theatralität 11), Tübingen, 9 – 19. Flügel, Wolfgang/Dornheim, Stefan (2006), „Die Universität als Jubiläumsmultiplikator in der Frühen Neuzeit. Akademiker und die Verbreitung des historischen Jubiläums“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9, 51 – 70. Fuchs, Thomas (2012), „Reformation als Erinnerungsrevolution. Erinnerungsstrategien der reformatorischen Bewegung“, in: Klaus Tanner (Hg.), Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – protestantische Historiographie (Leucorea-­Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 18), Leipzig, 15 – 27. Graf, Klaus (2003), „Schlachtengedenken im Spätmittelalter. Riten und Medien der Präsentation kollektiver Identität“, in: Detlev Altenburg/Jörg Janut/Hans-­Hugo Steinhoff (Hgg.), Feste und Feiern im Mittelalter (Symposion des Mediävistenverbandes 3), Sigmaringen, 63 – 69. Grape, Zacharias (1707), Das evangelische Rostock, oder Kurtzer Bericht Von der Stadt Rostock Reformation und Bekehrung zur Evangelisch-­Lutherischen Lehre, als auch derselben Fortpflantzung, Rostock/Leipzig. Hoyer, Siegfried (1994), „Reformationsjubiläen im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Katrin Keller (Hg.), Feste und Feiern. Zum Wandel städtischer Festkultur in Leipzig, Leipzig, 36 – 48. Ignatzi, Hans-­Joachim (19963), „Jahrgedächtnis“, in: Walter Kasper (Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 5, Freiburg et al., 711 – 712. Jähnig, Bernhart (1979), „Johannes Affelmann. Ein akademischer Lehrer der lutherischen Orthodoxie in Rostock“, in: Helge bei der Wieden (Hg.), Aus tausend Jahren mecklenburgischer Geschichte. Festschrift für Georg Tessin (Schriftenreihe Schriften zur mecklenburgischen Geschichte, Kultur und Landeskunde 4) Köln/Wien, 29 – 66. Johanek, Peter (1991), „Fest und Integration“, in: Detlev Altenburg/Jörg Janut/Hans-­Hugo Steinhoff (Hgg.), Feste und Feiern im Mittelalter (Symposion des Mediävistenverbandes 3), Sigmaringen, 525 – 540. Kaufmann, Thomas (1997), Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 66), Gütersloh. Kaufmann, Thomas (1998), „Die Wittenberger Theologie in Rostock in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, in: Pietismus und Neuzeit 24, 65 – 87. Kaufmann, Thomas (2010), „Reformationsgedenken in der Frühen Neuzeit. Bemerkungen zum 16. bis 18. Jahrhundert“, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 107 (3), 285 – 324. Kohfeldt, Gustav (1919), „Die früheren Jahrhundertfeiern der Rostocker Universität“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 11, 5 – 11. Landwehr, Achim, „Mein Jahr mit Luther. Unterwegs in der deutschen Geschichtskultur“, https://meinjahrmitluther.wordpress.com/ (Zugriff 07. 01. 2019). Lorenz, Sönke (1991), „Ernst Cothmann (1557 – 1624) aus Lemgo in Westfalen. Ein Iurisconsultus Rostochiensis in Sachen Hexenprozeß“, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Stürmer/Johannes Zahlten (Hgg.), Das Andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln/Weimar/Wien, 437 – 449. 236

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Ligniez, Annina (2012), „Legitimation durch Geschichte. Das erste Reformationsjubiläum 1617 in Wittenberg“, in: Klaus Tanner (Hg.), Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – protestantische Historiographie (Leucorea-­Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 18), Leipzig, 53 – 66. Manke, Matthias (2018), „Einleitung: Stadt-, Universitäts- und Doppeljubiläen in Rostock“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte. Beiträge zum Doppeljubiläum von Stadt und Universität ‚Rostock 800 – 600‘ 2018/19 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B Neue Folge: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte 6), Lübeck, 15 – 34. Maurer, Michael (2010), „Konfessionskulturen. Feste feiern katholisch – Feste feiern protestantisch“, in: Michael Maurer (Hg.), Festkulturen im Vergleich. Inszenierungen des Religiösen und Politischen, Köln/Weimar/Wien, 60 – 83. Mersiowsky, Mark (2015), „Medien der Erinnerung in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt“, in: Joachim Halbekann/Ellen Widder/Sabine von Heusinger (Hgg.), Stadt zwischen Erinnerungsbewahrung und Gedächtnisverlust (Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 39), Ostfildern, 193 – 254. Michael, Susi-­Hilde (2013), Recht und Verfassung der Universität Rostock im Spiegel wesentlicher Rechtsquellen. Teil 1: Darstellung (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 23), Norderstedt. Mitterauer, Michael (1997), „Anniversarium und Jubiläum. Zur Entstehung und Entwicklung öffentlicher Gedenktage“, in: Emil Brix/Hannes Stekl (Hgg.), Der Kampf um das Gedächtnis. Öffentliche Gedenktage in Mitteleuropa (Geschichte. Forschung und Wissenschaft 48), Wien/Köln/Weimar, 23 – 89. Müller, Winfried (2004), „Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion“, in: Winfried Müller et al. (Hgg.), Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus (Geschichte – Forschung und Wissenschaft 3), Münster, 1 – 76. Müller, Winfried (2005), „Vom ‚papistischen Jubeljahr‘ zum historischen Jubiläum“, in: Paul Münch (Hg.), Jubiläum, Jubiläum … Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen, 29 – 44. Münch, Ernst (1995), „Bürger und Academici vor dem Hintergrund der Formula concordiae. Die Universität Rostock in den Augen der Stadt“, in: Peter Jakubowski/Ernst Münch (Hgg.), Universität und Stadt. Wissenschaftliche Tagung anläßlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, November 1994, Rostock, 69 – 82. Münch, Ernst (2002), „Eine studentische Parodie auf den 2. Psalm aus dem Jahre 1610. Zu den Streitigkeiten zwischen Studenten und Rostocker Bürgern in der frühen Neuzeit“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 25, 221 – 251. Münch, Ernst (2003), „Niedergang und Stagnation. 1648 – 1806“, in: Karsten Schröder (Hg.), In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. Eine Geschichte der Stadt Rostock von ihren Ursprüngen bis zum Jahre 1990, Rostock, 93 – 108. Münch, Ernst (2006), „Mühseliger Neubeginn. Rostock nach dem Stadtbrand von 1677“, in: Der Festungskurier 6, 30 – 55. Münch, Ernst (2010), „Die alten Rostocker Universitätsgebäude im Lichte der städtischen Quellen“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 125, 175 – 198. 237

Jan-­Hendrik Hütten

Münch, Ernst (2018a), „Der Mythos der Stadtgründung Rostocks im Wandel der Jahrhunderte“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte. Beiträge zum Doppeljubiläum von Stadt und Universität ‚Rostock 800 – 600‘ 2018/19 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B Neue Folge: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte 6), Lübeck, 53 – 70. Münch, Ernst (2018b), „‚Urbs rosarum‘ und ‚Lumen Vandaliae‘. Rostocks Blüte als Stadt und Universität in der Frühen Neuzeit“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 34/35, 8 – 24. Petersohn, Jürgen (1989), „Jubiläumsfrömmigkeit vor dem Jubelablaß, Jubeljahr, Reliquientranslation und ‚remissio‘ in Bamberg (1189) und Canterbury (1220)“, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45, 31 – 53. Pluns, Marko Andrej (2007), Die Universität Rostock 1418 – 1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Neue Folge 58), Köln/Weimar/Wien. Reichelt, Silvio (2012), „Die Universität als Instrument der Konfessionalisierung. Die akademische Reformationsjubelfeier in Straßburg 1617“, in: Klaus Tanner (Hg.), Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – protestantische Historiographie (Leucorea-­Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 18), Leipzig, 67 – 87. Rosseaux, Ulrich (2005), „Das historische Jubiläum als kommunales Ereignis. Die Entstehung und Verbreitung städtischer Jubiläen in der Frühen Neuzeit“, in Ulrich Rosseaux/Wolfgang Flügel/Veit Damm (Hgg.), Zeitrhythmen und performative Akte in der städtischen Erinnerungs- und Repräsentationskultur zwischen Früher Neuzeit und Gegenwart (Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde 6), Dresden, 93 – 111. Siebe, Daniela (2008), „Universität Jena 450 Jahre – 1558 – 2008. Reminiszenzen an das Jubiläum der Universität Jena“, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte 18, 102 – 107. Stieber, Georg Friedrich (1721), Mecklenburgische Historie der Gelehrsamkeit / Worinn Von dem Zustand / Reformation und Aufnehmen der Literatur, besonders im Herzogthum Mecklenburg / Zur Zeit XVI. Saeculi gehandelt wird. Nebst einer Vorrede / Darinn von Stifftung der Universität Rostock Meldung geschieht, Güstrow/Leipzig. Töpfer, Thomas (2012), „Zwischen bildungskultureller Vorbildwirkung und politischer Legitimitätsstiftung. Die Universität Wittenberg in der lutherischen Bildungslandschaft der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, in: Klaus Tanner (Hg.), Konstruktion von Geschichte. Jubelrede – Predigt – protestantische Historiographie (Leucorea-­Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 18), Leipzig, 29 – 52. Wagner, Wolfgang Eric (2010), „Zwei Feste – ein Abwasch? Zum sozialen Sinn der Verbindung von Doktorpromotion und Hochzeit in der frühneuzeitlichen Universitätsstadt Rostock“, in: Ernst Münch/Mario Niemann/Wolfgang Eric Wagner (Hgg.), Land – Stadt – Universität. Historische Lebensräume von Ständen, Schichten und Personen (Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 14), Hamburg, 93 – 116. Wagner, Wolfgang Eric (2011a), „Ein entfallenes Jubiläum? Wie die Universität Rostock ihr einhundertjähriges Bestehen beging“, in: Bernd Kasten/Matthias Manke/Johann Peter Wurm (Hgg.), Leder ist Brot. Beiträge zur norddeutschen Landes- und Archivgeschichte (Festschrift für Andreas Röpcke), Schwerin, 137 – 152.

238

Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Wagner, Wolfgang Eric (Hg.) (2011b), Observantia lecionum in universitate Rostochiensi (1520). Das älteste gedruckte Vorlesungsprogramm der Universität Rostock (Neues Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen, für gute Freunde 2), Hamburg. Wagner, Wolfgang Eric (2018a), „Die Erfindung des Universitätsjubiläums im späten Mittelalter“, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel (Hgg.), Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 15), Basel, 25 – 54. Wagner, Wolfgang Eric (2018b), „Problematische Nachbarschaft. Konflikte zwischen Studenten und Stadtbewohnern im spätmittelalterlichen Rostock“, in: Matthias Manke (Hg.), Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte. Beiträge zum Doppeljubiläum von Stadt und Universität ‚Rostock 800 – 600‘ 2018/19 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B Neue Folge: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte 6), Lübeck, 135 – 156. Wick, Peter (1963), Versuche zur Errichtung des Absolutismus in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Berlin.

239

Hans-­Uwe Lammel

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem Die Stadt Bützow und ihre Universität

Nicht jedem Leser dieser Aufsatzsammlung wird es auf den ersten Blick einleuchten, warum in einer Veröffentlichung über die 600-jährige Geschichte der Universität Rostock einer weiteren Universität in einem gesonderten Beitrag gedacht wird, selbst wenn es sich ebenfalls um eine Mecklenburgische Hochschule handelt. Wie gerechtfertigt es ist, an dieser Stelle an die Fridericiana zu erinnern, zeigt schon das Faktum, dass ihrer Gründung im Jahre 1760 eine zugespitzte Situation an der Rostocker Alma Mater am Ende der 1750er Jahre vorausgegangen war, die geradezu Anlass und Voraussetzung für die Gründung der neuen Einrichtung bildete. Für 30 Jahre war die Bützower Hochschule von besonderer Bedeutung und entfaltete nicht zuletzt ihre Wirkung auf Mecklenburg.1 Zu ihrem Verhältnis zu der in Rostock verbliebenen Lehrstätte, aber auch zu den Gründen und der historischen Bewertung der Beendigung ihrer Lehrtätigkeit im Jahre 1789 und ihrer ‚Rückführung‘ nach Rostock gibt es recht unterschiedliche Auffassungen.2 Die Formulierung ‚Rückführung‘ unterstellt dabei, dass die Rostocker Universität 1760 lediglich ihren Standort verändert und es danach in Rostock weder akademischen Unterricht noch akademisches Leben gegeben hätte. Das ist nachweislich falsch. Vielmehr wurde unter Beibehaltung der Rostocker Einrichtung in Bützow eine zweite mecklenburgische Hochschule mit allen vier Fakultäten gegründet, wofür Herzog Friedrich von Mecklenburg-­Schwerin beim Kaiser in Wien viel Geld bezahlte (Abb. 1).3 Die geplante Auflösung der Rostocker Hochschule fand jedoch nicht statt, bis zur letzten Minute hatte der Fürst auf das kaiserliche Dekret zur Aufhebung gewartet, das nie eintraf.4 Von einer Rückführung kann angesichts der nicht erfolgten Auflösung der Universität Rostock natürlich nicht gesprochen werden. Zurückzuweisen ist auch eine zweite universitätshistoriographische Vorstellung, derzufolge die akademische Wirksamkeit und Ausstrahlung der Bützower Hochschule das Scheitern des herzoglichen Reformprojekts dokumentiere. 5 Für dieses vermeintliche Scheitern wird eine unterstellte pietistische Ausrichtung der Hochschule verantwortlich gemacht, die zu dieser Zeit, hätte sie wirklich stattgefunden, schon als recht anachronistisch gegolten haben dürfte.6 Beide hier zurückzuweisenden Einschätzungen basieren dabei gerade nicht auf der notwendigen vergleichenden Untersuchung Bützows mit der Entwicklung Rostocks in diesen dreißig Jahren.7 Insgesamt stand die Fortführung einer Reform des höheren Bildungswesens, wie sie von Herzog Christian Ludwig II. begonnen wurde, auch unter Friedrich auf der Tagungsordnung. Herzog Friedrich glaubte zunächst, 241

Hans-­Uwe Lammel

dieser Reform mit der Gründung von Bützow den notwendigen Schwung zu geben. So kam es etwa in Bützow zur Gründung eines Pädagogiums und eines Waisenhauses.8 Sein Nachfolger Friedrich Franz bemerkte bereits kurz nach dem Regierungsantritt, dass sich das Land auf Dauer zwei Hochschulen nicht leisten konnte, und wurde durch das Kompatronat der Stadt Rostock gezwungen, dem Standort Rostock seine vereinbarte Bedeutung wieder zurückzugeben. Nach 30 Jahren Lehrtätigkeit hatten sich die personellen und ökonomischen Möglichkeiten des Landes erschöpft, so dass schließlich nicht etwa Rostock, sondern Bützow unter Herzog Friedrich Franz geschlossen wurde. Ein Teil der Bützower Studenten wandte sich Rostock zu, so wie auch 1760 ein Teil der Rostocker Studenten ihren Hochschullehrern von der unteren Warnow an die obere Warnow gefolgt war. An diesen wenigen Details zeigt sich bereits, wie verschränkt beide mecklenburgischen Universitäten waren. Ohne auch nur den Anschein erwecken zu wollen, eine umfassende Darstellung der Geschichte der Bützower Hochschule leisten zu können, versucht der Beitrag eine neue Perspektive zu eröffnen, die davon ausgeht, dass die Universität Rostock der jüngeren Schwester in Bützow enorm viel zu verdanken hat und dass dieser intellektuelle und materielle Input nur durch die Schließung und den damit verbundenen Wechsel zahlreicher Gelehrter nach Rostock möglich wurde. Als Einstieg in meine Untersuchung habe ich mir einen recht unverdächtigen, allerdings nicht ganz neutralen Zeitgenossen herausgesucht, der aus der Außenperspektive beschreibt, wie man die Vorgänge nach der Schließung der Bützower Hochschule außerhalb des deutschen Sprachgebiets in der Gelehrtenwelt wahrnahm. Am Vorabend des Sturms auf die Pariser Bastille notierte der in Padua lehrende und auf orientalische Handschriften und arabische Münzen spezialisierte Simone Assemani (1752 – 1821) in einem Brief vom 2. April 1789 an den Bützower Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen: „Die Vereinigung der Akademie von Bützow mit der von Rostock wird großen Nutzen stiften für die Respublica litteraria dank der herausragenden Männer, die Teil von ihr sind, und mehr denn je wird der Ruhm der Insignien der ehrwürdigen Universität Rostock erstrahlen.“ 9 Assemani nimmt hier ein Verhältnis der beiden mecklenburgischen Hochschulen im Schließungsjahr der jüngeren Anstalt an, das auch zur Grundthese meiner Beschäftigung mit der Bützower Universität geworden ist. Das Eintreffen eines Teils der Bützower Gelehrten und Studenten in Rostock gab der Akademie an der unteren Warnow nicht nur das wichtige Promotionsrecht zurück, es brachte vor allem neue Fächer, Fachneuorientierungen und innovative Gelehrte, die diese Neuorientierungen vertraten, das erste Mal nach Rostock, wo sie dafür Sorgen tragen konnten, dass die Rostocker Alma Mater nun endlich reformiert werden konnte.10 30 Jahre hatte man die Rostocker Einrichtung in eine Art Koma gelegt – man wird dem Medizinhistoriker den Gebrauch dieser nicht ganz unzutreffenden und jedenfalls kaum eines Euphemismus verdächtigen Metapher nachsehen –, jedenfalls in einen Zustand gebracht, der ihre vollständige Handlungsfähigkeit 242

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Abb. 1: Herzog Friedrich von Mecklenburg-­ Schwerin, Gemälde von Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, 1782.

im Sinne der damals für Europa geltenden Spielräume akademischen Tuns kaum mehr zuließ. Nunmehr, 1789, wurden, nachdem die Finanzierung zweier Hochschulen auf dem kleinen Territorium Mecklenburg an ihre Grenzen gestoßen war und die Frage der Effizienz gestellt wurde, eine Reihe von inzwischen in Europa sehr angesehenen Gelehrten von Bützow nach Rostock versetzt, um dem temporären Schlaf ein Ende zu machen. Mit dieser These möchte ich einer Anschauung entgegentreten, die seit dem 19. Jahrhundert die Universitätsgeschichtsschreibung bestimmt und von Bützow als einem – wohlwollend formuliert – Sonderfall oder aber – drastischer formuliert – Verkehrsunfall in der Geschichte der europäischen Gelehrsamkeit spricht.11 Dem stelle ich die Deutung entgegen, dass Bützow der Ort war, wo jenseits von familiären Universitätsstrukturen und unter der Voraussetzung einer modernen religiösen Grundlage vorrangig junge Gelehrte zusammenkamen, die sich über die Neugestaltung eines der Zeit angemessenen und an Göttingen orientierten akademischen Unterrichts Gedanken machten und in diesem Sinne neue Ideen und Konzepte entwarfen und darangingen, für deren Umsetzung geeignete Institutionen zu schaffen. So geht man wohl nicht fehl zu behaupten, ohne 243

Hans-­Uwe Lammel

Abb. 2: Titelblatt des Bützower Matrikelbuchs: „Deus benedicat! Matricula interimistica Buetzoviensis“ (Mit Gottes Segen! Einstweilige Bützower Matrikel). Die Formulierung „interimistica“ drückt wohl die Hoffnung aus, dass man in Bützow zu einem späteren Zeitpunkt die ursprüngliche Rostocker Matrikel fortführen würde.

Abb. 3: Erste Seite des Bützower Matrikelbuchs.

den ‚Umweg‘ über Bützow wäre die Rostocker Universität recht bald noch weiter im Orkus der Bedeutungslosigkeit versunken. Auf den vorliegenden Band bezogen dürfte man – vielleicht etwas überpointiert – sagen, der kurzlebigen Universität Bützow verdanken wir die Gelegenheit des Zustandekommens dieser Sammlung von Aufsätzen, die sich zum Ziel gesetzt hat, über die Geschichte einer 600 Jahre in Rostock bestehenden akademischen Einrichtung zu unterrichten und Forschungspositionen auszutauschen.

244

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Christian Albrecht Döderlein (1714 – 1789) und das pietistische Missverständnis Das langlebige Fehlurteil über Bützow tritt bereits mit dem Moment der Schließung in die Welt. Wie schon erwähnt, wichtig dabei wurde ein anachronistisch gewendetes Argument, das besagt, die Bützower Hochschule sei eine pietistische Gegengründung zu Rostock gewesen. Grundlage dieser These war, dass der Gründung der oben schon angedeutete Rostocker Streit über die Besetzung einer theologischen Professur mit einem Pietisten vorangegangen war. Die geringe Stichhaltigkeit dieses Arguments zeigt ein Blick in die Schlussphase der Bützower Hochschule. Der Nachfolger und Neffe des Begründers der Universität in Bützow Herzog Friedrich Franz entschloss sich nämlich bei der Auflösung der Hochschule 1789, den Theologen Johann Albrecht Döderlein nicht nach Rostock zu übernehmen. Nachdem Döderlein am 16. Februar 1789 um eine Erklärung gebeten hatte, formulierte das Antwortschreiben des Herzogs, er sei als Hochschullehrer nicht nur für die Gründung von Bützow verantwortlich, sondern auch „das Triebrad“ für den „gänzlichen Verfall“ Rostocks und Bützows gewesen.12 Döderlein habe dem Land und der herzoglichen Kasse einen „wesentlichen Verlust von vielen Tonnen Goldes“ zugefügt und sei für die „traurige Erfahrung“ verantwortlich, „dass die fremden Studenten aus so manchen Reichen und Staaten, wie auch aus den Reichsstädten“, da sie von der alten Universität Rostock „gleichsam vertrieben worden, keinen Reiz bei ihren Vorgesetzten oder Eltern gefunden“ hätten, „selbige nach Bützow zu recommandiren oder zu schicken“.13 Hier taucht die oben erläuterte, wirkmächtige Niedergangsthese das erste Mal auf, und sie wird interessanterweise nicht nur auf Bützow bezogen. Döderlein sollte auch für den Bedeutungsverlust von Rostock in der Zeit von 1760 bis 1789 einstehen. Aufschlussreich ist Döderleins Erwiderung und Verteidigung vom 2. April, in der er die fehlende „Blüthe“ von Bützow mit einer „Bosheit der Feinde“ der Akademie in Zusammenhang sah, die es fertig gebracht hätten, „durch ganz Deutschland Bützow in den Ruf einer pietistischen Universität“ zu bringen.14 Dieses Argument besitzt meiner Auffassung nach nicht nur ein besonderes Gewicht, weil es von einem Pietisten geäußert wird, der sich gegen den Vorwurf des Pietismus wehrt, sondern weil Döderlein auch einräumt und hinzufügt, dass es eine „Untüchtigkeit mancher ihrer Lehrer“ und eine „zu lax gehandhabte Disciplin“ gegeben habe, die neben der Denunziation als pietistische Einrichtung zu dem beklagenswerten Zustand beigetragen habe.15 Man fragt sich, warum die Historiographie des 19. Jahrhunderts trotz dieser klaren Aussage an dem Vorwurf einer unzeitgemäßen Neugründung festhielt. Der Vorwurf dokumentiert ein völliges Unverständnis für die Innovation des Herzogs, der eine Reform der akademischen Ausbildung durch eine Neugründung anstrebte und dabei den Streit mit der Rostocker Theologischen Fakultät um die Berufung Döderleins zum Anlass nahm, um eine von Rostocker städtischen Interessen unabhängige Hochschule nach seinen Vorstellungen zu schaffen und zu gestalten. Die Antwort auf die aufgeworfene Frage ist recht klar: In der 245

Hans-­Uwe Lammel

zeitgenössischen Universitätshistoriographie des 19. Jahrhunderts war man gerade dabei, das Humboldtsche Modell der Berliner Universität zu modellieren.16 Dabei störten alle alternativen Wege. Döderlein verstarb noch im November des Schließungsjahrs in Bützow; und er blieb nicht der einzige, der nicht nach Rostock übernommen wurde. Auch sein Kollege Friedrich Maximilian Mauritii (1724 – 1799) starb – nicht übernommen – 1799 in Bützow. Johannes Peter Andreas Müller (1744 – 1821) wurde 1794 Professor der Theologie in Wittenberg und trat 1797 die Stellung eines Superintendenten in Ostfriesland an. Dem Anatomen August Schaarschmidt (1720 – 1791) war es gleichfalls nicht vergönnt, nach Rostock zu wechseln, er verstarb 1791 in Bützow. Sein Kollege Peter Benedikt Christian Graumann (1752 – 1803) hatte mehr Glück. Zwar war auch ihm der Weg nach Rostock versperrt, doch blieb er als Kreisphysikus in Bützow und wurde später Leibmedikus des Herzogs.17 Im Folgenden wird in drei Schritten vorgegangen. Zunächst möchte ich einige Betrachtungen über die Selbststilisierung der Bützower Gelehrsamkeit als „Warnow-­Athen“ anstellen. Thematisiert werden das außerordentliche und überregional anerkannte Profil einiger Hochschullehrer und deren wissenschaftliche Errungenschaften (Hebammenschule, Sternwarte), die in Bützow ihren Ursprung hatten. Neben den gelehrten Initiativen und den Ausweisen von Gelehrsamkeit wird es auch um das Engagement der Professoren für eine Verbesserung der Bildung im Land gehen, womit die das 18. Jahrhundert bewegende Frage berührt ist, wie Wissenschaft auf das fürstliche Territorium bezogen werden kann. Im zweiten Teil soll die Stadt Bützow in meine Betrachtungen einbezogen werden. Dabei soll es vor allem um die Frage der stadtbürgerlichen Bereitschaft gehen, Herzog Friedrich bei seinem reformerischen Unternehmen zu unterstützen, obgleich von Anfang an klar war, dass weder alle Zusagen der Stadt noch die die Ausstattung der Einrichtung betreffenden Zusicherungen des Herzogs jemals eingelöst werden würden. Im dritten Teil werden einige Bemerkungen zum im Titel meines Beitrags genannten Stichwort ‚mecklenburgisches Jerusalem‘ folgen. In Bützow als einem Ort religiöser Vielfalt hat es neben den Lutheranern, einer deutschen reformierten und einer französisch-­ reformierten Gemeinde sowie einer kleinen katholischen Gemeinde auch eine jüdische Gemeinde gegeben. Die Anwesenheit von Juden in der Stadt und die gelehrte und sehr praktische Beschäftigung des in Bützow lehrenden Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen mit der Geschichte und der Gegenwart der Mecklenburgischen Juden spielten dabei eine bisher völlig unterschätzte Rolle. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen war die Existenz einer jüdischen Gemeinde bei der Bestimmung von Bützow als dem Ort für die Universität von Bedeutung, denn auch bei den beiden anderen ins Spiel gebrachten Städten Parchim und Güstrow als Sitz der neuen Universität waren jüdische Gemeinden sehr früh vorhanden und um 1750 dabei, sich wieder neu zu bilden, während in Rostock Indizien dafür gänzlich fehlten.18 Ich werde auf einige Beispiele der in Bützow gelebten religiösen Toleranz aufmerksam machen. 246

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Gelehrsamkeit in „Warnow-­Athen“ Die Privilegien der Akademie zu Bützow sahen 15 Professoren vor, 7 in der Philosophischen, 2 in der Medizinischen, 3 in der Theologischen und 3 in der Juristischen Fakultät.19 Doch waren es zu Beginn nur sieben Professoren, die ihre Arbeit aufnahmen. Sie unterrichteten 104 Studenten, 57 von ihnen kamen von der Rostocker Hohen Schule.20 In den 57 Semestern von 1760 bis 1789 schrieben sich 575 Personen in Bützow ein, 258 in Rostock.21 Wie diese Zahlen zeigen, blieb die Einrichtung bis zu ihrem Ende im April 1789 zwar klein, wenn man sie mit der Mehrheit der Universitäten in der europäischen akademischen Landschaft vergleicht, aber nicht unbedeutend für Mecklenburg. Die Gründung Bützows bekundet einen Willen zur Veränderung des höheren Unterrichts, zeitlich weit vor der Gründung der Berliner Universität. „Selbst sehen“ und eine methodisch gesicherte Empirie, wofür Halle und Göttingen standen,22 wurden auch in Bützow zu Wissenschaftshaltungen, die sich sowohl in den Philologien als auch in der Medizin Ansehen verschafften. Im Vergleich zu Rostock war die Philosophische Fakultät mit Professuren für Orientalistik, Mathematik, Logik und Metaphysik, Ökonomie und Kameralwissenschaft, Geschichte sowie Natur- und Völkerrecht modern nach dem Vorbild von Halle ausgestattet.23 Wenn man sich das Vorlesungsverzeichnis anschaut, bemerkt man recht bald, dass die Bützower Gelehrten nicht nur auf damals sehr avancierte Lehrbücher in ihrem Unterricht zurückgriffen. So nutzte Eobald Toze (1715 – 1789), der einen ordentlichen Lehrstuhl für Geschichte bekleidete, den es in Rostock nicht gab, für seine Vorlesungen die von Gottfried Achenwall (1719 – 1772) entwickelte historische Staatenlehre, in der Statistik und Regierungsformen zusammengedacht wurden und die damit einen wichtigen Schritt zur methodischen Verselbständigung von Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert geleistet hat.24 Der Mediziner Georg Christoph Detharding (1671 – 1784) kommentierte Friedrich Hoffmanns Medicus Politicus öffentlich und trug die Fundamenta Semeiologica nach dem Compendium seines Vaters vor. Darüber hinaus las er öffentlich Forensische Medizin nach der Medicina legalis von Teichmeyer und gab die Einführung in die klinische Medizin auf der Grundlage von C. Gottlieb Ludwigs Institutiones Medicinae Clinicae. Der Anatom August Schaarschmidt (1720 – 1791) machte die Studenten mit der Physiologica medica nach Albrecht Haller bekannt und erläuterte in seinem Collegium pathologico-­therapeuticum die Functiones corporis humani nach der Physiologie des Johann Ludwig Leberecht Loeseke und den physiologischen Institutiones, die sein Bruder für den Unterricht am Berliner Collegium medico-­chirurgicum entwickelt hatte.25 Daneben unterwies er in Osteologie und Syndesmologie nach seinen eigenen Tabellen. Der Professor für Logik und Metaphysik Johann Daniel Aepinus (1718 – 1784), der aus Rostock nach Bützow gekommen war, kommentierte in seinem Kolleg des Corvinus Logica und Baumgartens Metaphysik. Gleichfalls trug er die Historia Imperii Romani Germanici aus Pütters „Vollständiges Handbuch der Deutschen Reichsgeschichte“ vor. Der erste Lehrstuhlinhaber für die 247

Hans-­Uwe Lammel

neugeschaffene Ökonomieprofessur Daniel Gottfried Schreber (1709 – 1777) unterrichtete Kameralistik nach der „Einleitung in die allgemeine Haushaltung“ von Berchius aus Uppsala. Wie Matthias Asche schreibt, kann Bützow damit ein vergleichsweise frühes Beispiel für die Etablierung von Ökonomie und Kameralwissenschaften im Reich genannt werden; Schreber nahm indes aus Mangel an Zuhörern bereits 1764 einen Ruf an die Leipziger Universität an.26 Der in intensivem Austausch mit Leonhard Euler stehende Mathematiker Wenzeslaus Johann Gustav Karsten (1732 – 1787)27 trug die ersten Prinzipien der mathematischen Analytik einschließlich Trigonometria plana & sphaerica aus seinem mehrbändigen Werk Lehrbegriff der gesammten Mathematik, Greifswald 1767 und 1777, vor, während er seine optischen und astronomischen Vorlesungen nach Eberhard in den „Neuen Beyträgen zur Mathesi Applicata“ las.28 Wie die aus der Medizinischen und Philosophischen Fakultät herausgegriffenen Beispiele zeigen, kann also einerseits davon ausgegangen werden, dass der Unterricht auf den wichtigsten Lehrtexten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts basierte. Wie der Unterricht von Karsten und Schaarschmidt aber andererseits vor Augen führte, nahmen die Professoren auch den für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristischen hochschulpolitischen Trend auf, wenn sie versuchten, der eigenen Hochschule durch das Verfassen eigener Lehrbücher mehr Attraktivität zu geben.29 Diese Forderung war ausdrücklich im § 9 der Statuta Academiae generalia festlegt worden.30 Im Vorlesungsverzeichnis ist diese Veränderung in der akademischen Gelehrsamkeit gut dokumentiert und nachzuvollziehen. Eben erwähnter Toze fasste seine historiographischen Erkenntnisse in einem eigenen Werk zusammen.31 Johann Nikolaus Tetens, Professor der Physik, hatte wohl nur noch wenig Gelegenheit, seine 1775 erschienene Schrift „Über die allgemeine speculativische Philosophie“ in den Bützower Unterricht mit einzubeziehen, da er bereits ein Jahr später eine neue Position in Kiel erhielt. Indes hat er die oben angesprochene Frage der Empirie, aber auch das durch ihn bereits vor Kant untersuchte Problem, dass nämlich auch der Verstand als eines der höheren Erkenntnisvermögen dem Schein erliegen könne, zum Mittelpunkt seiner Überlegungen gemacht.32 Die Beispiele von Karsten und Schaarschmidt zeigen aber noch eine weitere Facette Bützows recht deutlich: eine praktische Komponente in einer ansonsten akademischen, am Buch orientierten Ausbildungsform, auf die die Professoren großen Wert legten trotz der sehr beengten Verhältnisse an der Universität. Die Anregung zur Gründung einer Hebammenschule geht auf den Medizinprofessor und Anatomen August Schaarschmidt (1720 – 1791) zurück, der über enge Kontakte zum Berliner Collegium medico-­chirurgicum verfügte, von wo er nach Bützow gekommen war.33 Der Hebammenunterricht war am Berliner Collegium medico-­chirurgicum recht früh eingerichtet worden.34 Schaarschmidt eröffnete 1776 die sechstälteste Hebammenschule in Deutschland. Auch wenn die Bützower Einrichtung nicht als repräsentativ gelten kann, so fällt doch der Ort des Unterrichts ins Auge. Schaarschmidt unterrichtete in seiner eigenen Wohnung vier Wochenstunden pro Semester. Ebenfalls im eigenen Haus richtete Karsten in der Pfaffenstraße 2 eine Sternwarte 248

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

für den Unterricht ein, indem er einen achteckigen Dachausbau realisieren ließ.35 Nach seinem Wechsel nach Halle übernahm 1775 Peter Johann Hecker (1747 – 1835) die Sternwarte und kaufte weitere Instrumente an mit dem Ziel der Verbesserung der geographischen Ortsbestimmung in Mecklenburg. Hecker wurde 1789 nach Rostock übernommen. Unter den beiden wichtigsten Instrumenten befand sich ein „Instrument de passage zu Astronomischen Beobachtungen“, das der von 1760 bis 1786 an der Berliner Akademie der Wissenschaften angestellte Mechaniker Johann Heinrich Ring (gest. 1793) angefertigt hatte.36 Noch einen Blick auf den anatomischen Unterricht, von dem behauptet wird, es habe ihn in Bützow nicht gegeben, da sich ein anatomisches Theater nicht nachweisen lässt. Schaarschmidt bezog verschiedentlich für die Ausstattung des anatomischen Unterrichts vom Herzog Geld.37 Der Herzog indes ließ ihm auch bei anderer Gelegenheit mitteilen, dass ihm zu Ohren gekommen sei, dass Schaarschmidt „oftmales um Versuche zu machen erbermlige Hunde seciret“ habe, und untersagte es ihm.38 Auch gibt es Hinweise darauf, wie man an menschliche Leichen für den Unterricht herankam. Die Privilegien sahen vor, dass die Fakultät den Anspruch auf Leichen von Selbstmördern, Vagabunden und Verbrechern (Cadavera punitorum) und „todt gefundene Körper Geringer und Unbekannter“ in der weiteren Umgebung (Ämter und Städte Rühn, Bützow, Doberan, Güstrow, Sternberg, Schwaan, Warin) haben sollte.39 Dass dies umgesetzt wurde, belegt eine Notiz aus dem Jahr 1763: „Nachdem sich auf der Stadt-­Vorburg eine reisende kranke Frauensperson angefunden hat: allenfalls daß dies Mensch sollte sterben, wird befohlen, daß solche in der Anatomie sollte abgeliefert werden.“ 40 Wenn man sich das Beispiel von Karsten noch einmal vor Augen führt und an Schaarschmidts Unterweisung der Hebammen denkt, liegt es nahe, davon auszugehen, dass auch die praktischen anatomischen Unterweisungen – wenigstens zum Teil – im eigenen Hause stattgefunden haben. Ähnliche Initiativen und Aktivitäten der Hochschullehrer lassen sich auch für den Botanischen Garten,41 das Naturalienkabinett 42 und die schon erwähnte Sammlung mathematischer und physikalischer Instrumente 43 nachweisen. Man versuchte auf diese Weise, den in den Privilegien intendierten Einrichtungen Leben einzuhauchen. Alle diese Institute dienten dem Zweck, mit der Vermittlung von Wissen auch bestimmte Praktiken seiner Anwendung zu demonstrieren und zu habitualisieren. Die Akademie in Bützow hat als Hochschule jedoch zudem eine zentrale Rolle in einer sehr speziellen, neuen Weise gespielt.44 Gemeint ist das Verhältnis von Wissenschaft und fürstlichem Territorium, wie es bereits bei Heckers Nutzung der von Karsten angelegten Sternwarte deutlich wurde. Wenn man die bereits angesprochenen kleinen Studentenzahlen anschaut, könnte man prima vista auf den Gedanken kommen, Bützow sei eine Bildungseinrichtung von Lehrern ohne Studenten gewesen, und man wäre bald wieder bei der Vorstellung von Niedergang und einer verfehlten Bestimmung. Das wäre indes allein schon in der Sache falsch, da in Bützow immerhin doppelt so viele Studenten studierten wie in Rostock. Die Situation in Bützow wirft jedoch wie gesagt die Frage 249

Hans-­Uwe Lammel

nach der Neubestimmung bzw. Erweiterung der Aufgaben eines Hochschullehrers auf.45 Dabei muss man die kurze Zeit des Bestehens der Einrichtung in Rechnung stellen. Nach den ersten 10 Jahren seit der Gründung der Bützower Hochschule, als klar war, dass sie fortbestehen würde, und man mit der Nachbesetzung der vakanten Lehrstühle begann,46 veränderte sich indes bereits ihr Charakter. Anders ausgedrückt, je klarer wurde, dass die Gründungsabsichten im Sinne der Schaffung einer potenten mecklenburgischen Hochschule nicht über erste Schritte hinauskommen würden, desto stärker veränderten sich die von den Professoren verfolgten Interessen, was sich besonders bei den Medizinern beobachten lässt, wie ich an anderer Stelle untersucht habe 47: Die Lehrer der Medizinischen Fakultät, an der sich in manchem Jahr kein Student immatrikulierte,48 bedienten die Debatte um eine medizinische Aufklärung in Mecklenburg mit kurzen, aber auch längeren Texten, besonders in den samstags ausgelieferten „Gelehrten Beyträgen“ der „Mecklenburg-­Schwerinschen Nachrichten, Fragen und Anzeigen“.49 Die insgesamt nicht ausreichend geforderten Professoren suchten nach anderen Feldern intellektueller Herausforderung für sich und ihre Karriere wie die Erörterung von Fragen einer guten Bildung und Ausbildung oder lieferten Modelle provokant-­exzentrischer Theoriebildungen im Bereich der Wissenschaft wie beispielsweise das Modell des vulkanischen Ursprungs der Pyramiden und die Vellaschen Fälschungen von sizilianischen Altertümern.50 Das soll nicht heißen, dass sie ihren akademischen Verpflichtungen nicht nachkamen oder sie vernachlässigten. Vielmehr nahmen die akademischen Pflichten mehr und mehr ab und wurden weniger bedeutsam und – auch finanziell – unattraktiver gegenüber den Anfangsjahren. Man suchte neue Betätigungsfelder. Vertreter anderer Fakultäten wandten ihrerseits neue Strategien an, wie etwa die Gründung einer aufgeklärten Zeitschrift. Adolf Friedrich Reinhard (1726 – 1783), Jurist und Theologe, gab das Journal Kritische Sammlungen zur neuesten Geschichte der Gelehrsamkeit seit 1775 heraus, das er als Gegenpart zum Berliner Rezensionsorgan Allgemeine Deutsche Bibliothek betrachtete.51 Für einige Jahre war der Kreis um den Bützower Konsistorialrat und Rechtsprofessor Reinhard überzeugt davon, das Zentrum des intellektuellen Deutschland zu sein, ein „Trutz-­Berlin“ 52 oder „Warn[ow] Athen“.53 Man stelle sich das vor, in einem Ort mit 1800 Einwohnern im Jahr 1788 versuchten zugezogene Professoren Formen gelehrten Lebens aufzubauen. Das galt auch für den Lehrer der Rechtswissenschaft Ernst Johann Friedrich Mantzel, der seinen noch 1759 in Rostock gemachten Versuch der Gründung einer gelehrten Gesellschaft in Bützow wiederholte.54 Übrigens ist es kein Zufall, dass diese Gesellschaft auch Studenten offen stehen sollte. Ergebnisse dieser gelehrten Arbeit erschienen in den von Mantzel herausgegebenen Bützower Ruhestunden, die zwischen 1761 und 1767 in 26 Teilen zu je 80 Seiten erschienen und die noch einer genaueren Untersuchung ebenso harren wie Reinhards Kritische Sammlung.55 Ich werfe am Schluss dieses Abschnitts noch einen kurzen Blick über die medizinische und philosophische Fakultät hinaus. Die Bedeutung der Juristischen Fakultät hat vor einigen Jahren Gunnar Roloff herausgearbeitet, als er nachweisen konnte, dass die 250

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Abb. 4: Krummes Haus, Sitz der Bibliothek in Bützow.

Bützower Spruchaktentätigkeit, für die Mantzel, Martini, Quistorp und Trendelenburg stellvertretend hier genannt werden sollen, die Rostocker Tätigkeit auf diesem Gebiet quantitativ weit übertraf.56 Nicht vergessen werden darf Tychsens Projekt der Schaffung einer öffentlichen Bibliothek in Bützow, die am Tag der Schließung 14134 Bände umfasste, davon 3005 Folianten, 3569 Quart- und 7560 Octavbände, sowie 198 Handschriften, davon 90 Folianten, 71 Quart- und 37 Octavbände.57

Der Standort Bützow „Wo die Fluten der Warnow das liebliche und nahrhafte Land der Obotriten, Welataben und Wagrier durchströmen“, schreibt Wilhelm Raabe in seiner Novelle „Die Gänse von Bützow“,58 liegt die Stadt Bützow. Seit dem 13. Jahrhundert als Residenz der Schweriner Bischöfe zu einer blühenden Stadt geworden,59 veränderte sich ihre Situation nach der Pest von 1581 und dem Dreißigjährigen Krieg. 1632 zählte Bützow kaum mehr als 1000 251

Hans-­Uwe Lammel

Einwohner. Zwar hatte der mecklenburgische Herzog Friedrich Wilhelm (1675 – 1713) in Anlehnung an das brandenburgische Edikt von Potsdam (1685) mit drei Privilegien (1698, 1699, 1703) für die Ansiedlung französisch-­reformierter Glaubensflüchtlinge in Bützow vor allem aus wirtschaftlichen Gründen Sorge tragen wollen.60 1703 war auch eine reformierte Gemeinde gegründet worden, und 1713 verlegte die Herzogswitwe ­Sophie Charlotte mit 56 Reformierten deutscher Sprache ihren Sitz nach Bützow.61 Doch unter­brach der große Stadtbrand von 1716 mit der Zerstörung von 143 Gebäuden diese Entwicklung erheblich; nur die Kirchen, die Schlossgebäude, das Ratsarmenhaus und wenige Wohnhäuser waren verschont geblieben. Diese Feuersbrunst – die dritte innerhalb von 200 Jahren – hatte zur Folge, dass unter Karl Leopolds Regierung eine neue Bauordnung verabschiedet wurde.62 Neben der Einsetzung von „Feuerherren“ wurde für den Neubau ein neuer Stadtplan entworfen, der die Verbreiterung der Straßen, die Verlegung der Scheunen vor das Rostocker Tor und die Trennung der Häuser durch Lücken (Tüschen) vorsah. Alle Häuser sollten zwei Stockwerke hoch sein und mit Ziegeldach gebaut werden. Wer diese Anordnung befolgte, erhielt von der Regierung Baumaterial und Baukostenzuschuss.63 1758 hatte Herzog Friedrich das kaiserliche Gründungsprivileg für die neue Universität erhalten. Anfangs war gar nicht sicher, wo die Universität ihren Standort haben würde. Das Privileg hielt fest, dass die neue Universität ihre Rechte nur habe „sine praejudicio vicinarum Universitatum“.64 Auf ein kaiserliches Dekret, das die Aufhebung der Rostocker Universität verfügte, wartete der Herzog wie schon erwähnt vergeblich. So blieb das kaiserliche Privileg zunächst nur einem kleinen Kreis bekannt, wozu sicher auch die Kriegssituation beitrug, unter der das Land litt. Geheimrat Johann Peter Schmidt (1708 – 1790), früher selbst Professor in Rostock und späterer Universitätskurator in Bützow, wurde mit den Planungen beauftragt, und zwar noch bevor der Kaiser zugestimmt hatte. Sein Pro Memoria stammt vom 24. September 1758.65 Die Kosten der ersten Einrichtung berechnete er mit etwa 6000 Taler, die Besoldung mit 9000 Taler. Auf äußere Pracht der für die Universität benötigten Gebäude wurde verzichtet. (Abb. 5) Es reiche, wenn Konzil und Anatomie zweckentsprechende Räume erhalten würden.66 Für Professoren und Studenten sollten annehmbare Wohnungen vorhanden sein. Sein Berufungsplan sah 3 Theologen, 3 Juristen, 2 Mediziner und 4 Philosophen vor. Die Qualität der Lehrer, nicht deren Zahl, sollte den Ruhm der neuen Einrichtung ausmachen.67 Aus Rostock sollten Döderlein, Mantzel, Detharding, Karsten, Aepinus und Carpov übernommen werden. Nach Ansicht Schmidts sollte die Inauguration der neuen Hochschule möglichst feierlich und im Beisein von Gelehrten aus ganz Deutschland stattfinden. Für diesen Zweck setzte er eine Summe von 2000 Talern an. Der Herzog akzeptierte diesen Vorschlag und sah sich nach geeigneten Standorten um. Die ihn erreichenden Vorschläge bezogen sich auf Güstrow, Parchim und Bützow. Döderlein, der am 20. Oktober 1757 seine Berufung nach Rostock als Professor und Superintendent angenommen hatte, wurde mit den Verhandlungen mit der Stadt Bützow 252

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Abb. 5: Schloss Bützow, Sitz der Universität.

betraut. Er ließ sich von dem „schlauen Bürgermeister Odewahn“ 68 über die wirkliche Eignung der Stadt täuschen. Döderlein fasste volles Vertrauen in den von der Stadt geäußerten Willen zum Ausbau der „fast ganz zu Grunde gerichteten Stiftsstadt Bützow“ durch „Verlegung“ der Universität, wie es in der Dankadresse des Bürgermeisters an den Herzog vom 21. Februar 1760 heißt.69 In seinem Dankschreiben führt Odewahn aus, dass die Stadt nach dem Tod der Herzogin Sophie Charlotte wirtschaftlich Probleme habe, die Einwohner seien außer Stande gewesen, „ihre Häuser im baulichen Zustande zu erhalten“. „Betrübte und kriegerische Jahre“ hätten alle Einwohner „zu armen Leuten gemacht“, so dass Handel und Erwerb darnieder lägen. Die Bürgerschaft sei jedoch überzeugt, dass „einige Hundert Studenten völlig Raum“ finden würden, der Herzog solle nur Holz und Steine auf zwei Jahre Kredit überlassen. Auch mangele es nicht an Wohnungen für die Professoren, „da schon jetzt viele Bürger sich offerirten, in den Gärten und wüsten Stellen binnen drei Monaten Häuser zu bauen“.70 Laut Hölscher und Camenz wurde der gewünschte Kredit sofort gewährt, nach kurzer Zeit stand eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen bereit, während an den neuen 253

Hans-­Uwe Lammel

Häusern und Etagen noch mit Eifer gebaut wurde.71 Indes war die Enttäuschung von Seiten der Stadt groß, als der Herzog das Kaufen von Häusern den Professoren überlassen musste. Da das geplante Pädagogium in das Schloss einziehen sollte, machte Döderlein darauf aufmerksam, dass der Bau eines neuen Universitätsgebäudes notwendig sei, wozu mindestens 24.000 Taler erforderlich seien.72 Die Regierungskommissare Schmidt und Aepinus, die auch angesichts des Rostocker Widerstands mit allen Mitteln bemüht waren, das Vorhaben in letzter Minute zu vereiteln,73 warfen Döderlein vor, nicht vorsichtig genug mit Bützow verhandelt zu haben. Nach der Besichtigung der Gebäude in Bützow notierte Aepinus: „Im ganzen Reiche giebt es keine elendere und unpassendere Stadt, wohin versetzt zu werden mir nichts anders als eine Verbannung erscheint.“ 74 Nachdem auch ein unparteiisches Gutachten von Mantzel sich als unbrauchbar erwiesen hatte, da Bürgermeister Odewahn dem 61-jährigen Theologieprofessor fast ausschließlich die schönen Kirchen Bützows gezeigt hatte, blieb dem Herzog nichts anderes übrig, als die Herrichtung des Rathaussaals für die Zwecke der Universität anzuordnen und einige Zimmer zu mieten. Sobald es die Kassen erlaubten, sollte mit den erforderlichen Bauten und Einrichtungen begonnen werden. Am 17. April 1760 wurde dem Rat der Stadt Rostock und den Rostocker Professoren mitgeteilt, der Herzog habe sich „aus bewegenden triftigen Ursachen“ bewogen gefühlt, „nach deshalb von Ihro Kaiserlichen Majestät Allergnädigst ertheilter Concession in der Stadt Bützow eine Universität zu errichten und die Rostocker Akademie aufzuheben.“ 75 Es folgte ein langer Rechtsstreit gegen den Herzog vor dem Kammergericht in Wetzlar, der damit endete, dass der Status quo festgeschrieben wurde und Friedrich sich „nicht mehr gegen die akademischen Handlungen in Rostock“ stellte.76 Die leeren Kassen hätten ihn dazu gezwungen, das Urteil zu akzeptieren. Noch 1784 sprach er, wenn er von Bützow redete, von der vormaligen Akademie Rostock. Als 1780 das Pädagogium seine Arbeit einstellte, wurden Räume im Schloss frei.77 Aber erst „nach längerem Sträuben“ gab der Herzog vier Zimmer her, „das eine für die Acten, das zweite für die mathematischen Instrumente, das dritte für den Secretär, das vierte ganz unbrauchbare, für Concilssitzungen.“ 78 Döderlein drängte trotz der denkbar schlechten Voraussetzungen – Statuten und Privilegien waren noch nicht fertig, viele Professoren noch fern – auf eine sofortige Inauguration.79 Vor dem Hintergrund der Kriegssituation 80 und den Tatsachen vor Ort fand am 20. Oktober 1760 in aller Stille – „minus sollemniter“ – und in Gegenwart der vier Dekane Döderlein, Mantzel, Detharding und Carpov sowie der Professoren Karsten, Aepinus und Schreber die Eröffnungsfeier statt. Die Einrichtung wurde nach dem Herzog Fridericiana benannt. Döderlein sprach in der Stiftskirche über das Thema, warum und wie die Reinheit der Lehre als das höchste Gut zu bewahren sei.81 Als die Preußen 1761/62 Bützow verließen und schwedische und mecklenburgische Truppen einmarschierten, war Bützow wiederum eine ausgeplünderte, arme Stadt. Nach Schließung der Universität besaß sie nicht mehr einen ausgesprochen ländlichen C ­ harakter. 254

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Viele frühere Beamte, Offiziere und ehemalige Gutsbesitzer waren in die Stadt gezogen wegen der „günstigen Lage, guter Wohnungen, gemäßigter Preise und verfeinerter Lebenshaltung“.82

Bützow – ein „mecklenburgisches Jerusalem“ Ich komme zur dritten Frage, der nach der gelebten religiösen Toleranz: Sophie Charlotte, Landgräfin von Hessen-­Kassel und Witwe des Herzogs Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-­Schwerin (Abb. 6), hatte seit 1713 in Bützow nicht nur für die Ansiedlung von französischen Hugenotten und Pfälzer Protestanten gesorgt, auch die im Vergleich zu Güstrow und Parchim frühe Wiederansiedlung von Juden ging auf sie zurück, nachdem Juden für 200 Jahre aus dem Land verbannt worden waren.83 Allerdings hatte die Stadt diesbezüglich Vorbehalte. Der Bürgermeister bat die Herzogin, den Juden die Aufnahme zu verweigern, da sie „es im Handel den Christen zuvorthun und eine Concurrenz gegen sie schwer zu bestehen“ sei, das Verbleiben der Juden in der Stadt würde deren Ruin nach sich ziehen.84 1738 stattete sie einen Rabbiner namens Jochen Gumperts, der spätere Chajim Friedberg, und einen Rabbiner Nathan Hersch oder Nathan Cohn und 1750 den Petschierstecher Ahron Ahrendt (Ahron Pach, Aaron Isaak) mit Freibriefen aus und ernannte sie zu ihren Hofjuden. Als Bützower Hofjuden hatten sie die Aufgabe, den Hof mit den notwendigen Waren und den erforderlichen Konsumartikeln zu versorgen. Bald erweiterte Sophie Charlotte jedoch deren Möglichkeiten und sagte ihnen zu, überall im Lande Handel zu treiben, „denn von den Krämern sei nicht zu bekommen, was man täglich braucht“.85 So wurden sie bald zu Rivalen der Hofjuden in Schwerin und bildeten mit ihren Familien eine kleine jüdische Gemeinde.86 Erst Jahrzehnte später erfolgte diese Wiederbegründung von Gemeinden in den anderen Landstädten durch den Zuzug von Schutzjuden. In Bützow erhielten allein in den Jahren von 1749 bis 1760 mindestens 11 Juden ein Privileg.87 Ohne diese funktionierende Gemeinde wäre ein Studium bzw. die Promotion von acht jüdischen Studenten in Bützow nicht zustande gekommen.88 Marcus Moses (um 1729 – 1789), der erste Bützower jüdische Medizinstudent, erhielt bei dem Petschierstecher und Galanteriewarenhändler Aaron Isaak (1730 – 1816), der später die erste jüdische Gemeinde Schwedens in Stockholm gründete, in Bützow nicht nur Aufnahme, Isaak kleidete ihn auch jeden Morgen nach der Mode der Zeit ein, bevor er auf die Universität ging,89 und sorgte dafür, dass er geeignete Lehrer fand, die bereit waren, ihn zu unterrichten. Für die jüdischen Studenten wurde ein eigens auf ihre Religion abgestimmter Promotionseid verfasst. Der wahrscheinlich von Graumann stammende Entwurf der Statuten der Medizinischen Fakultät von 1786 enthielt dazu einen eigenen Passus,90 der in den neuen Rostocker Statuten von 1797/99 nicht wieder auftauchte. Bützower Professoren wurden auf Veranstaltungen in der Synagoge gewürdigt wie der Medizinprofessor Detharding. So lobte beispielsweise Menahem Manisch in einer Predigt 255

Hans-­Uwe Lammel

von 1768 Detharding, da er sich armer Juden annehme und sie kostenfrei behandele.91 Detharding kümmerte sich in Rostock um die Jüdin Esther Levertoff aus Lübeck, die 1795 konvertierte.92 Junge Juden schrieben Tychsen an, wenn sie in Bützow studieren wollten, wie es das Beispiel des Joseph Kurland zeigt,93 oder nach Schweden oder nach Spanien auswandern wollten.94 Tychsen fertigte Übersetzungen von in Judendeutsch verfassten Schriften für den Herzog an und vermittelte in Rechtsstreitigkeiten zwischen jüdischer Gemeinde und Obrigkeit. Alle diese Beispiele zeigen, dass sowohl Herzog Christian Ludwig  II. als auch sein Sohn und Nachfolger Friedrich großen Wert auf die Anwesenheit von Juden legten, von denen sie sich eine Verbesserung des Handels über die Landesgrenzen hinaus erhofften.95 Ausdruck dieser besonderen Rolle von Juden in Mecklenburg ist auch die Durchführung des ersten von ihnen abgehaltenen Landtags in Malchin 1752,96 dem weitere folgten. Sein Zustandekommen war sicherlich nicht unerheblich für den § 377 des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs von 1755, der die bürgerliche und politische Stellung der mecklenburgischen Juden bis 1867 regelte. Dass ihnen dabei die Unterstützung von Seiten des Herzogs sicher war, demonstriert die von ihm vollzogene Berufung eines Landesrabbiners unter Heranziehung eines Vorschlags des Oberrabbiners der drei Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbeck. Jonathan Eibeschütz hatte bereits 1751 Jeremias Israel, dem Schwiegersohn des verstorbenen Schweriner Hofagenten Michel und Schwager seines Sohns, des Hofagenten Ruben Hinrichsen, die rabbinische Autorisation für Mecklenburg erteilt.97 Friedrich übertrug dem neuen Landesrabbiner die Gerichtsbarkeit, soweit sie sich auf Streitigkeiten von Juden untereinander erstreckte,98 informierte die Regierung darüber und wies die Behörden an, „die dortigen Schutzjuden, wenn sie nicht wirklich in Unsern Diensten stehen, in allen Civil- und besonders Schuldsachen lediglich nach dem dortigen Stadtrecht, gleich den andern Bürgern“, zu behandeln.99 Schließlich kam es auf dem jüdischen Landtag zu Schwaan im Februar 1764 zur Beratung eines aus 66 Artikeln bestehenden Gemeindestatuts, das trotz Opposition aus der Gruppe um G ­ umpertz vom Herzog genehmigt wurde.100 Nicht zu unterschätzen ist dabei die Rolle des aus Frankfurt an der Oder stammenden Brüderpaars Philipp und Nathan Aaron.101 Sie gewannen bereits großen Einfluss unter Christian Ludwig  II. am Hof in Schwerin und zeichneten sich, wie Leopold Donath schreibt, durch „Frömmigkeit, Gastfreundschaft und Protection der jüdischen Wissenschaft“ aus. Auch waren sie Mäzene von jüdischen Gelehrten. Nathan besaß eine große Bibliothek, unterhielt in seinem Haus den bekannten Talmudisten und nachmaligen mecklenburgischen Landesrabbiner Joshua Spira 102 und führte eine umfängliche Korrespondenz mit Tychsen.103 Dieses Brüderpaar darf man als die eigentlichen Gründer der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg betrachten.104

256

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Abb. 6: Herzogin Sophie Charlotte von Mecklenburg-­Schwerin, Gemälde von Georg David Matthieu, 1769.

Resümee Meine Untersuchung stellte den Versuch dar, die Betrachtung der Bützower Hochschule aus einem zu eng gewordenen Rahmen herauszulösen. Die Einbeziehung von Fragen nach den Lehrinhalten und den Wissenschaftsinnovationen, nach dem städtischen Umfeld der Fridericiana und nicht zuletzt nach dem Problem der Toleranz vermögen Bützow neue Facetten abzugewinnen, die zu einer modernen Geschichte unserer Hochschule dazugehören sollten. Ganz zweifelsfrei stellen die in vielfältiger Weise schlechten Gründungsvoraussetzungen der Bützower Hochschule eine Besonderheit des 18. Jahrhunderts dar. Wenn ein Landesherr unter derartig ungünstigen Voraussetzungen dennoch von seinem Projekt nicht abließ, so müssen dafür gewichtige Gründe eine Rolle gespielt haben. Und die von dem Universitätshistoriker Hofmeister als „Streich“ apostrophierte, vorbei an der Professorenschaft und der Universität Rostock vollzogene Besetzung eines theologischen Lehrstuhls scheint bestenfalls als Auslöser für die sich anschließenden Ereignisse und die Gründung gedient zu haben. Für das, was nach der fürstlichen Entscheidung für Bützow 257

Hans-­Uwe Lammel

geschah, reicht indes auch der Verweis auf einen Gegensatz der Absichten von Schmidt und Aepinus auf der einen und Döderlein auf der anderen Seite nicht aus. Schmidt versuchte, die Qualität der Lehre durch die Berufung ausgewiesener Hochschullehrer zu sichern, während Döderlein zusätzlich auf die entstehenden hohen Kosten aufmerksam machte und eine Verringerung des Etats durch den Einsatz von tüchtigen außerordentlichen Professoren vorschlug. Neben gründlicher Gelehrsamkeit, die unbedingt vermittelt werden sollte, war für ihn die „Pflanzung von Religion und Tugend in die Herzen der studirenden Jugend“ ein mindestens ebenso wichtiges Ziel.105 Man verweise und verbinde die „non theologos nicht mit gehörigem Nachdruck auf diesen letzten großen Endzweck“, man lasse Leute zum öffentlichen Lehramt, die „ein Skandal der protestantischen Kirche und Religion“ seien, und die „theils durch irreligiöse Diskurse oder wenigstens durch leichtsinnige und anstößige Scherze und Narrheiten im Vortrag oder durch ihr äußerliches Beispiel im Wandel die akademischen Jugend verderben“ würden, in der „unbegründeten Einbildung, als ob es wenigstens für den politischen Staat schon genug sei, wenn die Jugend nur zur Gelehrsamkeit angeführt werde, mit der Religion und Furcht Gottes möge es aussehen, wie es wolle.“ 106 Diese Kernpunkte seiner Kritik und damit eine neue Aufgabenbestimmung für den höheren Unterricht zielten allerdings in erster Linie auf eine Verbesserung der Ausbildung von Theologen. Döderlein stimmte jedoch in die allgemeine Hochschulkritik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die „Universitäten zu rechten Satansschulen und Seminariis nequitiae ausgeartet“ seien.107 Sein Hinweis auf die Schaffung der Möglichkeit des Einsatzes von außerordentlichen Professoren deutet die neue Richtung an. Es ging um die Frage, wie der Landesherr das Profil seiner Landesuniversität prägen konnte. Ein wichtiges Hindernis stellte dabei das Kompatronat mit der Stadt Rostock dar. Mit dem neuen Erbvertrag von 1788 war eine andere Situation entstanden. Von den 114 Paragraphen des zweiten Teils waren 67 der Universität gewidmet. § 184 des ersten Teils sprach die Verlegung nach Rostock mit allem Zubehör an. § 185 besagte, dass diese „translocirte Akademie von Bützow“ „alle ihre durch die Rostocker Stadtverfassung nicht alterirten und jetzt nicht abgeänderten Befugnisse der Privilegien“ behalten solle, sie solle die einzige im Lande sein und zu ewigen Zeiten in Rostock bleiben.108 Durch die „Wieder-­Einrichtung“ dieser Akademie in Rostock solle aber „nichts neues geschaffen“ werden,109 vielmehr solle dies die 1419 gestiftete Akademie bleiben – eine sehr komplexe Konstruktion, die Friedrich Franz anstrebte. Das Kompatronat wurde der Stadt bestätigt, doch musste sie das Recht des Landesherrn anerkennen, beliebig viele Professoren über die sonst übliche Neunzahl hinaus anzustellen. Gleichzeitig sollte die Stadt ebenfalls das Recht haben, mehr als neun Professoren zu alimentieren, dies jedoch nur unter vorheriger Anmeldung beim Herzog. Die bisherige Spaltung in zwei Professorenkollegien fiel weg und die Formula concordiae vom 11. Mai 1563 und vom 19. Oktober 1577 wurde außer Kraft gesetzt.110 Die dahinter stehende Frage nach der Effektivität einer Einrichtung war Ausdruck einer neuen fürstlichen Schul-, Universitäts- und Bildungspolitik. Die gefundene Lösung stellte einen Dammbruch in 258

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

der Autonomie der Hochschule dar, der bereits in den 1750er Jahren begonnen hatte, wo sich „korporative Beharrungskräfte und inneres Berechtigungssystem“ noch einmal durchgesetzt hatten.111 Damals hatten sowohl Herzog Christian Ludwig II. als auch sein Sohn Friedrich von der Rostocker Universität eine Veränderung des Stundenplans verlangt, der allen Studenten die Möglichkeit geben sollte, alle Vorlesungen besuchen zu können. Im Kern ging es um die philosophischen Kollegs, die alle hören sollten. Der Stundenplan sollte umgestellt werden, damit zu diesen Zeiten keine anderen Angebote gemacht werden sollten. Die Auseinandersetzung bezog sich vor allem auf die Professoren der Juristischen und Theologischen Fakultät der Rostocker Universität. Diese fürstliche Einflussnahme auf die Qualität der Lehre scheiterte an den Professoren, die dazu nicht bereit waren.112 Und es ist genau dieser Punkt, der in Bützow von Anfang an geregelt worden war. Der § 8 der Statuta Academiae Generalia legte fest: „Der Stundenplan soll so eingerichtet werden, daß die philosophischen Collegien, als die für alle Facultäten fundamentalen, nicht mit andern wichtigen Collegien zusammenfallen“.113

Anmerkungen

1 2

3

4

5

Und sie feiert inzwischen auch ihre eigenen Jubiläen. Siehe Camenz 2004. Allein über den Vorgang, der hinter der dissimulierenden Bezeichnung „Rückführung“ steht, könnte ein ganzes Buch geschrieben werden. Die Formulierung „Rückführung“ wird erstmals als „Translokation“ in einem Dokument von Herzog Friedrich Franz erwähnt. Im §184 des Neuen Grundgesetzlichen Erbvertrags mit Rostock vom 13. Mai 1788 heißt es, dass die „Universität nach Rostock translocirt“ werde. Cament, 2004, 48b. Der Fürst bezahlte für das kaiserliche Privileg den immensen Preis von 3036 ½ Goldgulden. Das Privileg für die Errichtung einer Volluniversität nach dem Muster Göttingens hatte der mecklenburgische Gesandte am Kaiserlichen Hof in Wien, Geheimrat von Ditmar, erwirkt. Gottfried Rudolf Ditmar, 1716 in Schlagsdorf bei Ratzeburg geboren, Sohn eines Predigers, trat 1740 in Karl Leopolds Dienste, wurde 1741 Geheimer Sekretär, 1745 Geheimer Kanzlei-­ Rath, 1747 Regierungs-­Rath, 1750 Kanzlei-­Vice-­Direktor, 1752 Wirklicher Geheimer Rat und auf des Herzogs Wunsch am 7. Januar 1754 von Kaiser Franz I. in den Reichsfreiherrnstand erhoben. Von 1752 bis 1762 übte er das Amt eines Gesandten in Wien aus. 1762 fiel er plötzlich in Ungnade. Erst Herzog Friedrich Franz zog ihn wieder an seinen Hof. Er starb am 17. Januar 1795 zu Schwerin. Auch der erneute Befehl an von Ditmar, mit allem Nachdruck die Aufhebung beim Kaiser zu betreiben, kam zu keinem Ergebnis. Das Diplom für Bützow enthält lediglich die Feststellung „sine praejudicio vicinarum Universitatum“. Hölscher 1885, 13. Hofmeister 1906, 109 – 110, macht ein verschwörungstheoretisches Szenario auf, wenn er von einem „Streich“, den der Herzog „in aller Stille“ vorbereitet habe, um die „unbotmäßige Stadt und den widerspenstigen Theil der Universität gleich schwer“ zu treffen, spricht. Die Lehranstalt in Bützow sei „auf keinen grünen Zweig“ gekommen, jene von Rostock habe ein „Schatten-­Dasein“ geführt. 259

Hans-­Uwe Lammel

6

7 8 9

10

11

12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

23 24

25 26

27 260

So wundert es kaum, dass der für Bützow wichtigste Historiograph des 19. Jahrhunderts Uvo Hölscher auf der ersten Seite seines entscheidenden Beitrags die mecklenburgischen Pietisten in karikierenden Zügen malt. Hölscher 1885. Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Matthias Asche. Camenz 2004, 16 – 38. „L’unione dell’Accademia du Butzou con quella di Rostock produrrà sommi vantaggio alla Repub.a Litteraria per gli Uomini illustri che la compongono, e risplenderà piucchemai la fama dell’insegne, ed antichissima Università di Rostock.“ Universitätsarchiv, Sondersammlungen, Mss. orient. 284 (3), fol. 202v. [Übersetzung vom Autor] Aber auch universitätspraktische Erfahrungen spielten eine Rolle. So besaß die Fridericiana beispielsweise keinen Karzer, was nicht nur eine pädagogische Neuerung war, sondern auch eine Einkommenseinbuße für die Pedelle bedeutete. Diese Besonderheiten Bützows müssen ebenso wie der Umgang mit vom Herzog eingesetzten Extraordinarien, die kein Mitspracherecht im Konzil hatten, und die Regelung des Privatdozentenwesens noch untersucht werden. Zwischen diesen Deutungshorizonten ist die bis heute maßgebliche Studie des Bützower Oberlehrers am Realgymnasium Uvo Hölscher hin- und hergerissen. Hölscher, 1885. Siehe dazu neuerdings Asche 2006. Camenz, 2004, 48b–49b. Camenz, 2004, 49b. Camenz 2004, 50b–51a. Camenz 2004, 51a. Bruch 1999. Zu ihm Lammel 2016, 95 – 97. Siehe dazu Katschke 2014. Hölscher 1885, 32, §28. Hofmeister 1906, 110. Asche 2000, 529 – 531, Tab. 1. Hofmeister (1906), 110, ging noch von 771 resp. 414 Studierenden aus. Zwei Universitäten, die ökonomisch abgesichert und damit weit weniger vom Kampf um die materiellen Berechtigungssysteme in Anspruch genommen waren, vgl. Rasche 2007. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich dem Mediävisten und Universitätshistoriker Wolfgang E. Wagner, Münster. Asche 2006, 141. Elenchus praelectionum 1763, wo es unter den Angeboten von Tozius in der Philosophischen Fakultät heißt: „Historia praecipuorum Europae regnorum & rerumpublicarum nach der neuesten Aufl. von Achenwall, Geschichte der vornehmsten Europäischen Staaten im Grundrisse“. Zu Achenwalls Stellung in der Historiographiegeschichte Pasquino 1986 und Valera 1986. Lammel 2018. Asche 2000, 147. Vergessen werden darf allerdings dabei nicht, dass bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erste Schließungspläne auf dem Tisch lagen. Die zunehmenden Klagen über den Verfall der gerade eben erst gegründeten Hochschule veranlassten den Herzog im Jahre 1764, den Kurator Johann Peter Schmidt mit einer eingehenden Prüfung zu betrauen. Schmidt erkannte alle Klagen als berechtigt an und schlug eine Schließung vor. Siehe dazu Hölscher 1885, 83. Engel 1985; Schmidt/Karsten, 1985.

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

28 Alle gemachten Angaben sind Stichproben und stammen aus den Vorlesungsverzeichnissen der Jahre 1763, 1764, 1767/68, 1769/70, 1770/71, 1771, 1771/72. 29 Siehe auch Lammel 2005, 267 – 301. 30 Hölscher 1885, 35. 31 Toze 1779. 32 Tetens 1775/2017, XXII. 33 Siehe dazu Lammel 2018. 34 Lammel 1990, 62 und 64, und Lammel 1992. 35 Hamel 2011. 36 Hamel 2011, 184. 37 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15994. 38 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15992, Schreiben an Graf Bassewitz vom 10. Februar 1768. 39 Hölscher 1885, 33. 40 Barnewitz 1930, 66b. 41 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26-1/1, 15995. 42 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15971 und 15993. 43 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15996 und 16044. Siehe auch Karsten/ Tetens 1766. 44 Asche 2006. 45 Diese Klage und Kritik sind auch von anderen Hochschulen bekannt. So wurde Kiel als „accademie ambulante“ charakterisiert, weil die Professoren stets unterwegs waren und keine Vorlesungen hielten. Brief Georg Christian Adlers an O. G. Tychsen, Altona den 6. September 1781, Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Mss. orient. 284 (1), Bl. 61. Zitiert nach Maksymiak/Busch 2017, 199. 46 Hölscher 1885, 83. 47 Lammel 2016 und Lammel 2018a. 48 Wie übrigens auch an der Philosophischen Fakultät, siehe Asche 2000, 221. 49 Lammel 2016 und Lammel 2018a. 50 So beispielhaft Tychsens Stellungnahmen zu den von Don Francisco Pérez Bayer in Valencia publizierten Münzprägungen des Bar-­Kochba-­Aufstands und den Vellaschen Fälschungen und Samuel Simon Wittes Konzept von der vulkanischen Pyramidenentstehung. Ilisch 2019 und Hübner 2014. 51 Hölscher 1884. 52 Zarncke 1898, 264. 53 Tychsen 1772/2004, 139b. 54 Offenbar war die Resonanz nicht zufriedenstellend, denn Mantzel wiederholte den Aufruf in Bützow und ließ den Text nochmals publizieren. Camenz 2004, 56b–60a. 55 In der Historiographie hält sich das Urteil, Bützow sei keine deutsche Hochschule des Pietismus gewesen. Das ist sicherlich richtig. Ob sie indes als akademische Institution pietistisch war, in keiner Weise und zu keiner Zeit, ist eine Frage, deren Klärung noch nicht abgeschlossen ist. Jährlich ca. 50 Studenten besuchten die Universität, aus dem ‚Ausland‘ eher sporadisch. Das lag reichsweit verglichen unter dem Durchschnitt. Der eben zitierte Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts, der Bützow gern als Unglücksfall der deutschen Universitätsgeschichte ge261

Hans-­Uwe Lammel

sehen hätte, spricht davon, dass „kaum anderswo eine gleiche Zuchtlosigkeit“ der Professoren und Studenten geherrscht habe. Sicherlich, 1767 schreibt der pietistische Theologe Christoph Albrecht Döderlein in einem Zirkular von „zügellose[r] Freiheit“, die zum „Verderben ausgeschlagen“ sei; die Universität sei „eine wahre Mördergrube geworden, wo gesittete junge Leute nach einem halben Jahr verdorben wären.“ Es gab keinen Karzer, nur Geldstrafen, die die Eltern beglichen, und „ungeheuerliche“ Preise für Lebensmittel und Wohnungen. Siehe Hölscher 1885, 78, 80 – 81. Asche 2000, 72. 56 Roloff 2003, 119 – 151. 57 Oluf Gerhard Tychsen, Geschichte der öffentlichen Universitäts-­Bibliothek und des Museum zu Rostock, Rostock 1790, 28 – 29, zitiert nach Camenz 2004, 107b. 58 Raabe 1981, 1. Zugrunde liegt der Gänsetumult aus dem Jahr 1794, dessen Zeugnisse der Autor in einem juristischen Sammelwerk des Jahres 1796 gefunden hatte. 59 Camenz 2004, 10. 60 Im dritten Text ist von 50 Familien und unbescholtenen Wollhandwerkern die Rede, Galle 1998, 40, 43. 61 Gerr 1979, 6b–9b, hier 8b. 62 Schlie 1901, 45. 63 Gerr 1979, 9a. 64 Hölscher 1885, 7. 65 Hölscher 1885, 14. 66 Camenz 2004, 13a, Hölscher 1885, 13 – 14. 67 Hölscher 1885, 14. 68 Cament 2004, 14a. 69 Camenz 2004, 14a. Hölscher 1885, 26. 70 Camenz 2004, 14a. Hölscher 1885, 26. 71 Hölscher 1885, 26 f. und Camenz 2004, 15a. 72 Hölscher 1885, 27. 73 Hölscher 1885, 27. 74 Hölscher 1885, 27. 75 Hölscher 1885, 20, Camenz 2004, 39a. 76 Hölscher 1885, 25. 77 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 16136. 78 Camenz 2004, 40b, Hölscher 1885, 39 f. 79 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15863, 15864, 15879, 14452. 80 Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15862: Schutzbrief für die Universität Bützow vom Prinzen von Württemberg und Oberst Belling, 1760 – 1762; 15979: Gesuch von Rektor und Konzil der Universität Bützow um Befreiung von der Einquartierung, 1761 – 1762. 81 Hölscher 1885, 28. 82 Gerr 1979, 9b. Vgl. auch die Beschreibung bei Hölscher 1880, 108 – 110. 83 Backhaus 1988. 84 Donath 1874/1993, 108. 85 Donath 1874/1993, 108. 86 Donath 1874/1993, 107 – 108, mit dem Text des Bestallungsdekrets der Herzogin vom 2. Mai 1738. 87 Internetquelle: www.juden-­in-­mecklenburg.de/Orte/Buetzow (Zugriff 1. 02. 2019). 262

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

88 Lammel/Busch 2017, 211 – 224. 89 Isaak 1994, 54 – 60. 90 Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Hilde Michael, Leipzig, die eine Edition der Bützower Statuten vorbereitet. 91 Universitätsbibliothek Rostock (künftig: UBR), Sondersammlungen, Mss. orient. 254, 561 – 564. Diesen Hinweis und auch die im Folgenden aufgeführten Belege verdanke ich Dr. Małgorzata Anna Maksymiak, Berlin, mit der ich gemeinsam eine Edition der Briefe Bützower jüdischer Studenten an Tychsen vorbereite. Ihr schulde ich auch Dank für die kritische Lektüre einer der ersten Versionen dieses Texts. 92 UBR, Sondersammlungen, den Brief in Mss. orient. 267 f., 133 – 135. 93 Maksymiak/Lammel 2019, 128 – 129. 94 Pieretz an Tychsen, UBR, Sondersammlungen, Mss. orient 267 e, 363 – 366; Siehe auch die Antwort Tychsens darauf: Mss. orient. 267 a, 323 – 324. 95 Siehe das Beispiel von Markus Issak bei Donath 1874/1993, 123 f. So auch die von Thomas Nugent wiedergegebene Einschätzung des Strelitzschen Geheimrats Reinhard. Siehe ebd., 138. 96 Donath 1874/1993, 116 – 117. Der Landtagbeschluss ist von Chaim Friedberg aus Bützow unterzeichnet. Ebd., 117. 97 Donath 1874/1993, 124 – 125. 98 Siehe das Reskript Friedrichs an Philipp Aaron und Ruben Michel vom 5. November 1763, abgedruckt bei Donath 1874/1993, 125 – 126. 99 Donath 1874/1993, 126 – 127. 100 Donath 1874/1993, 128 – 134, mit dem Wortlaut des Statuts und der Approbation durch Friedrich vom 12. Oktober 1764. 101 Philipp wurde auch Lippmann oder Elieser, Nathan auch Joseph Natha genannt. Donath 1874/1993, 112. 102 Donath 1874/1993, 112 – 113, zu seinen Veröffentlichungen ebd., 153 Anm. 138. 103 Einige Schriftstücke sind bei Donath 1874/1993, 318 – 321, abgedruckt. Der übergroße Teil dieser Korrespondenz befindet sich in der Rostocker Universitätsbibliothek und wird Bestandteil des Editionsprojekts der gesamten Korrespondenz von Tychsen sein, dessen Beantragung durch die von mir ins Leben gerufene Tychsen AG gegenwärtig zur Begutachtung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft liegt. 104 Donath 1874/1993, 115. 105 Hölscher 1885, 15. 106 Hölscher 1885, 15. 107 Hölscher 1885, 15. 108 Hofmeister 1906, 111 f.. 109 Hofmeister 1906, 111 f.. 110 Hofmeister 1906, 111 f.. 111 Rasche, 2007, 16 – 22. 112 Universitätsarchiv Rostock, RXA 12/1, Akademische Vorlesungen, 1581 – 1789, Die aus Veranlaßung der Herzoglichen Verordnung vom 16. September 1750 vorgenommene Abstimmungen über die für die Studierenden nützliche Einrichtung der Vorlesungen; Stellungnahme des Rektors vom 8. Oktober 1750; Stellungnahme Mantzels als Rektor von 1758 [alle Dokumente nicht foliiert]. Zur Interpretation dieser Vorgänge Rasche 2007. 113 Zitiert nach Hölscher 1880, 34.

263

Hans-­Uwe Lammel

Quellen- und Literaturverzeichnis

Asche, Matthias (2000), Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500 – 1800) (Contubernium 52), Stuttgart. Asche, Matthias (2006), „Die mecklenburgische Hochschule Bützow (1760 – 1789) – nur ein Kuriosum der deutschen Universitätsgeschichte? Versuch einer historischen Neubewertung“, in: Winfried Müller (Hg.): Die Universitäten des Alten Reiches in der Frühen Neuzeit. In memoriam Rainer A. Müller (Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9), Stuttgart, 133 – 147. Backhaus, Fritz (1988), „Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg“, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 39, 7 – 26. Barnewitz, Hans W. (1930), „Aus dem Bützower Studentenleben (1760 – 1789)“, in: Mecklenburgische Monatshefte 6, 65a–69b. Bruch, Rüdiger vom (1999), „Langsamer Abschied von Humboldt? Etappen deutscher Universitätsgeschichte 1810 – 1945“, in: Mitchell G. Ash (Hg.), Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten. Wien [et al.], 29 – 57. Camenz, Günter (2004), Die Herzoglichen. Friedrichs-­Universität und Pädagogium zu Bützow in Mecklenburg. 1760. 1789, Bützow. Donath, Leopold (1874/1993), Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874) auch eine Beitrag zur Kulturgeschichte Mecklenburgs. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen, Leipzig; ND, Vaduz. Elenchus praelectionum (1763), tam publicarum, quam privatarum, qvibus in Academica Fridericiana Buetzoviensi, omnium ordinum professores, post festum paschale a. MDCCLXIII . ad festum Michaelis ejusdam anni operam navabunt, Bützow. Engel, Wolfgang (1985), „Wenzeslaus Johann Gustav Karsten und Leonhard Euler“, in: Wolfgang Engel (Hg.): Festakt und Wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 200. Todestages von Leonhard Euler, Berlin, 135 – 138. Galle, Fritz (1998), Die mecklenburgischen Privilegien für französisch-­reformierte Glaubensflüchtlinge (Geschichtsblätter der Deutschen Hugenotten-­Gesellschaft e. V. 28), Bad Karlshafen. Gerr, Heidemarie (1979), „Unter Mitra und Krummstab. Ein Gang durch fünf Jahrhunderte Stadtgeschichte“, in: Wolfgang Schmidtbauer/Willi Winkelmann (Hgg.), 750 Jahre Bützow. Aus der Geschichte der Stadt, Schwerin, 6 – 9. Hamel, Jürgen (2011), „Die Universitätssternwarte Bützow – Geschichte, Baulichkeit, Instrumente und Personal“, in: Wolfgang R. Dick/Hilmar W. Duerbeck/Jürgen Hamel (Hgg.), Beiträge zur Astronomiegeschichte 11 (Acta Historica Astronomiae 43), Frankfurt am Main, 181 – 207. Hölscher, Uvo (1884), „Adolf Friedrich Reinhard (1726 – 1783). Studie“, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 49, 286 – 309. Hölscher, Uvo (1885), „Urkundliche Geschichte der Friedrichs-­Universität zu Bützow“, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 50, 1 – 110. Hofmeister, Adolph (1906), „Zur Geschichte der Landesuniversität“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 4 (3), 75 – 114. 264

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Hübner, Marita (2014), „Samuel Simon Witte, Reiseberichte und wissenschaftliche Erklärungen von Persepolis und den Pyramiden um 1800“, in: Martin Mulsow/Frank Rexroth (Hgg.): Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne (Campus Historische Studien 70), 439 – 460. Ilisch, Lutz (2019), „Die Sammlung orientalischer Münzen des Oluf Gerhard Tychsen“, in: ­Rafael Arnold/Michael Busch/Hans-­Uwe Lammel/Hillard von Thiessen (Hgg.): Der Rostocker Gelehrte Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815) und seine internationalen Netzwerke, Hannover, 205 – 228. Isaak, Aaron (1994), Lebenserinnerungen. Textfassung und Einleitung von Bettina Simon, hg. v. Marie u. Heinrich Simon, Berlin. Karsten, Wenzelslaus Johann Gustav/Tetens, Johann Nikolaus (1766), „Verzeichnis des, der Universitaet, zu Buetzow, zustaendigen Vorrats Mathematischer und Physikalischer Instrumenten“, in: Bützower Ruhestunden 4 (24), 66 – 70. Katschke, Steffi (2014), „Jüdische Studenten an der Universität Rostock im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur jüdischen Bildungs- und Sozialgeschichte“, in: Gisela Boeck/Hans-­Uwe Lammel (Hgg.), Jüdische kulturelle und religiöse Einflüsse auf die Stadt Rostock und ihre Universität (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 28), Rostock, 29 – 40. Lammel, Hans-­Uwe (1990), „Zur Stellung der Pensionärchirurgen an der Berliner Charité“, in: Georg Harig (Hg.), Chirurgische Ausbildung im 18. Jahrhundert (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 57), Husum, 59 – 68. Lammel, Hans-­Uwe (1992), „Johann Philipp Hagen (1734 – 1792). Anmerkungen zur Karriere eines Berliner Geburtshelfers und Hebammenlehrers“, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 86, 1202 – 1210. Lammel, Hans-­Uwe (2005), Klio und Hippokrates. Eine Liaison littéraire des 18. Jahrhunderts und die Folgen für die Wissenschaftskultur bis 1850 in Deutschland (Sudhoffs Archiv, Beih. 55), Stuttgart. Lammel, Hans-­Uwe (2016), „Leibarzt und Professor. Zum Verhältnis von Hofmedizin und Universitätsmedizin am Beispiel von Mecklenburg-­Schwerin, 1776 – 1800“, in: Mecklenburgische Jahrbücher 131, 75 – 102. Lammel, Hans-­Uwe (2018a), „Medizinische Aufklärung als literarische Strategie am Hof von Mecklenburg-­Schwerin“, in: Medizinhistorisches Journal 53 (3/4), 282 – 308. Lammel, Hans-­Uwe (2018b), „Die jüdischen Studenten des Berliner Collegium medico-chirurgi­ cum und die Universität in Bützow (1760 – 1789)“, in: Gerhard Aumüller/Irmtraud Sahmland (Hgg.), Karrierestrategien jüdischer Ärzte im 18. und frühen 19. Jahrhundert Symposium mit Rundtischgespräch zum 200. Todestag von Adalbert Friedrich Marcus (175 – 1816) (Beiträge zur Wissenschafts- und Medizingeschichte. Marburger Schriftenreihe 4), Berlin, 147 – 173. Lammel, Hans-­Uwe/Busch, Michael (2017), „Haskala, Pietismus und der Rostocker Orientalist Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815)“, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 27 (1), 195 – 238. Maksymiak, Małgorzata/Busch, Michael (2019): „Freundschaft und Feindschaft in Bützow 1762 bis 1806 – die Korrespondenzen Oluf Gerhard Tychsens mit Georg Christian Adler und Aaron Isaac“, in: Małgorzata Maksymiak/Michael Busch/Stefan Kroll (Hgg.): Hippokratische Grenzgänge. Ausflüge in kultur- und medizingeschichtliche Wissensfelder. Festschrift für Hans-­ Uwe Lammel (Schriften zur Kulturgeschichte 46), Hamburg, 193 – 215. 265

Hans-­Uwe Lammel

Maksymiak, Małgorzata/Lammel, Hans-­Uwe (2019), „Die Bützower jüdischen Doctores medicinae und der Orientalist O. G. Tychsen. Kontakte – Beziehungen – Netzwerke“, in: Rafael Arnold/ Michael Busch/Hans-­Uwe Lammel/Hillard von Thiessen (Hgg.): Der Rostocker Gelehrte Oluf Gerhard Tychsen (1734 – 1815) und seine internationalen Netzwerke, Hannover, 115 – 133. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15875, Manualakte des Geheimrats Aepinus über die Einrichtung der Statuten und Privilegien für die Bützower Universität, 1760 – 1762. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 16136, Herrichtung der Gebäude für die Universität und das Pädagogium in Bützow sowie deren Gebrauch, 1760 – 1771. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15863, Abstellung der Mängel an der Universität Bützow. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15864, Vorschläge zur Verbesserung verschiedener Einrichtungen der Universität Bützow, 1761. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15879: Statuten und Privilegien der Universität Bützow, 1762. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 14452, Beurlaubung der bei den Regimentern dienenden Tischlergesellen für Arbeiten an der Universität und dem Pädagogium in Bützow, 1760. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15862, Schutzbrief für die Universität Bützow vom Prinzen von Württemberg und Oberst Belling, 1760 – 1762. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.21 – 1, 15979, Gesuch von Rektor und Konzil der Universität Bützow um Befreiung von der Einquartierung, 1761 – 1762. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15994, Die Anschaffung d. Theatri anatomici, 1775, 1778. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15992, Betr. d. Anatomie, 1768. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15995, Die Anlegung eines botanischen Gartens, 1781, 1783. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15971, Tychsen. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15993, Ankauf des Hoppischen Kunstund Naturalienkabinetts. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 15996, Die Anschaffung von mathematischen und physikalischen Instrumenten, 1782, 1783. Mecklenburgisches Landesarchiv Schwerin, 2.26 – 1/1, 16044, Verzeichnis der zu Schiff von Rostock nach Bützow gebrachten physik. Instrumente und von Prof. Johann Nikolaus Tetens verfaßte Einladungsschrift für die Universität, 1761. Pasquino, Pasquale (1986), „Politisches und historisches Interesse. Statistik und historische Staatslehre bei Gottfried Achenwall (1719 – 1772)“, in: Hans Erich Bödeker et al. (Hgg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 81), Göttingen, 144 – 168. Raabe, Wilhelm (1981), Die Gänse von Bützow. Novelle, Berlin. Rasche, Ulrich (2007), „Die deutschen Universitäten zwischen Beharrung und Reform. Über universitätsinterne Berechtigungssysteme und herrschaftliche Finanzierungsstrategien des 16. bis 19. Jahrhunderts“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 10, 13 – 33.

266

„Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem

Roloff, Gunnar (2003), Die Spruchaktentätigkeit der Juristischen Fakultät der Universitäten Rostock und Bützow. Zwischen Sommersemester 1760 und Wintersemester 1789/90 (Rostocker Rechtsgeschichtliche Reihe 3), Aachen. Schlie, Friedrich (1901), Die Kunst- und Geschichts-­Denkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg-­ Schwerin, Bd. 4: Die Amtsgerichtsbezirke Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krakow, Goldberg, Parchim, Lübz und Plau, Schwerin. 41 – 74. Schmidt, Werner H./Karsten, Johannes (1985), „Leben und Werk von W. J. G. Karsten“, in: Rostocker Wissenschaftshistorische Manuskripte 12, 41 – 48. Tetens, Johann Nicolaus (1775/2017), Ueber die allgemeine speculativische Philosophie, Historisch-­ kritische Ausgabe, eingel. u. hg. von Alexei Nikolaevič Krouglov und Heinrich P. Delfosse (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abt. I: Texte zur Philosophie der deutschen Aufklärung 4), Stuttgart. Toze, Eobald (1779), Einleitung zur allgemeinen und besonderen Europäischen Staatenkunde, Bützow. Tychsen, Oluf Gerhard (1772/2004), Rede bey der Eröfnung der von dem Durchlauchtigsten Herzog und Herrn Herrn Friederich [!] auf hiesiger Friedrichs Universität zu Bützow gestifteten öffentlichen Bibliothek am siebenden November, 1772 (Ms.), abgedruckt in: Camenz, Günter: Die Herzoglichen. Friedrichs-­Universität und Paedagogium zu Bützow in Mecklenburg, Schwerin 2004, 127a–142b. Universitätsarchiv Rostock, Sondersammlungen, Mss. orient. 284 (3), fol., 201r–202v, Assemani an Tychsen, 2. April 1798. Valera, Gabriella (1986), „Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im 18. Jahrhundert“, in: Hans Erich Bödeker et al. (Hgg.), Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 81), Göttingen, 119 – 143. Zarncke, Friedrich (1898), „Bützow und die Academia Fridericiana“, in: Friedrich Zarncke, Aufsätze und Reden zur Cultur- und Zeitgeschichte, Bd. 2, Leipzig, 259 – 265.

267

Eintrag des Angelius Johann Daniel Aepinus aus dem Stammbuch des Rostocker Studenten Georg Hermann Richerz, datiert 18. November 1736. Richerz studierte von 1733 bis 1737 in Rostock und führte in dieser Zeit wie viele Studierende ein Stammbuch, in das sich seine Kommilitonen eintrugen. Bemerkenswert ist die hohe Qualität der den jeweiligen Einträgen gegenüberliegenden Malereien, die Szenen aus dem Studentenleben der Zeit darstellen. Die meisten der im Stammbuch enthaltenen Miniaturen stammen von einem von Richerz beauftragten Maler, der diese offenbar in Absprache mit den Eintragenden ausgeführt hat. Ausgewählt wurde hier der Eintrag von Angelius Johann Daniel Aepinus (1718 – 84), Sohn eines Rostocker Professors und selbst seit 1746 Professor erst in Rostock, seit 1760 dann in Bützow. Aepinus ist für die Universitätshistoriker nicht zuletzt deshalb kein Unbekannter, da er 1754 mit der „Urkundliche[n] Bestätigung der herzoglich-­mecklenburgischen hohen Gerecht­ same […]“ eine bis heute herangezogene Sammlung von Abschriften wichtiger Quellen, unter anderem des Gründungsprivilegs Martins V., veröffentlichte. ,Die Transkription der Textseite lautet: (Überschrift) „In seiner bekandten Melodey: Sic vivitur! Sic vivitur! in Aulis Principum!“ (Datierung und Motto) „Rostock, d. 18. November 1736. Symb. loco. Vivat amicitia inter eos, qui sunt ex sanguinibus nostris! Hoch!“ (Haupteintrag) „Diese vier hauptsächlichen Studenten-­Begebenheiten hat in beygefügtem Bilde einigermaßen vorzustellen, und zugleich dem Herrn Besitzer gegenwärtigen Stamm Buchs, seinem sonderlich geliebten und wehrtgeschätzten Herrn Bruder zur künfftigen, vielleicht nicht unangenehmen Errinnerung seiner Fatalitaeten Anlaß zu geben, auch seine fernere Freundschafft sich dabey auß zu bitten, sich bemühet, Angelius Johann Daniel Æpinus. aus Rostock. Der Weltweißheit Beflißner.“

III. K  onsolidierung und Aufbruch: Die Universität im langen 19. Jahrhundert

Ulrike von Hirschhausen

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert Politische Zäsuren – fachliche Differenzierung – internationale Dynamiken

An einem nebligen Mittwoch, dem 26. November 1919, begann die 500-Jahr Feier der Universität Rostock. Um zehn Uhr versammelten sich Dozenten und Studenten und das städtische Publikum im Stadttheater, wo der Rektor, Sprachwissenschaftler Gustav Herbig, die Jubiläumsrede hielt. Fünf Monate nach dem Friedensvertrag von Versailles und der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs klagte Herbig, […] dass die feindlichen Brüder, die Eroberungstrunkenen und die Spartacustollen, die Kriegswucherer und die Träumer vom ewigen Frieden in echt tragischer Verblendung die Rollen untereinander aufteilen […] und sich die Hände reichen, um in konzentrischer Treibjagd das edle deutsche Wild in die Spieße und Hirschfänger der feindlichen Jäger zu hetzen.1

Zum Schluss seiner etwa zweistündigen Rede rief Herbig die Anwesenden schließlich dazu auf, „[…] die Bastille des Friedens von Versailles und St.  Germains von Freiheitskämpfern aus allen Lagern zu stürmen.“ Während die Vertreter der demokratisch gewählten neuen Mecklenburger Landesregierung zögerten, sich zu erheben und dem Rektor Beifall zu spenden, applaudierten die Rostocker Studenten lauthals und forderten das übrige Publikum auf, es ihnen gleich zu tun. Um 8 Uhr am darauffolgenden Tag, dem 27. November 1919, formierten sich der Lehrkörper der Universität, die Studenten sowie die Vertreter der Regierung und der Stadt und zogen gemeinsam zur Marienkirche, in der Universitätsprediger Walther auf die Kanzel trat. Ebenso wie der Rektor nutzte auch der Universitätstheologe den Jubiläumsanlass, um seine Deutung des Weltkriegs zu vermitteln, in dem deutsche Soldaten […] ihre Brust dem mörderischen Feuer darboten, in der stolzen Gewissheit, dass niemand in unserem Volk den Krieg gewollt, dass niemand daran gedacht, andere Völker zu unterjochen, dass es sich einzig darum handelt, unser Vaterland vor dem Verderben zu bewahren.

Den Friedenschluss schließlich, in dessen Folge auch das Großherzogtum zum demokratisch verfassten Freistaat Mecklenburg wurde, kritisierte Walther abschließend „[…] als einen Frieden, der uns zu ohnmächtigen Sklaven mache“.2 273

Ulrike von Hirschhausen

Abb. 1: Der Festzug der Studenten zur Marienkirche, 27. 11. 1919.

Die verbalen Angriffe fast aller Festredner gegen die Vertreter der neuen demokratischen Regierung, nationalistisches Pathos und antisemitische Kundgebungen unter den Studenten ließen das 500jährige Jubiläum der Universität im Jahr 1919 zur Manifestation konservativer und nationalistischer, teils auch völkischer Hochschullehrer und Studenten werden. Das Organ der mecklenburgischen Sozialdemokratie, die „Mecklenburgische Volkszeitung“, schloss daraus, „[…] dass die heutige Studentenschaft gar nichts gemein hat mit dem studentischen Geist historischer Zeiten und dass zwischen dem Heute des Rektors und dem Morgen der Republik sich noch eine unüberbrückbare tiefe Kluft aufspaltet […]“ – und zog ihren Reporter von den Jubiläumsfeierlichkeiten ab.3 Die 500jährige Jubiläumsfeier der Universität im Jahr 1919 war eine Repräsentation des Nationalismus, des Konservativismus und teilweise des Antisemitismus. Ausnahmen wie die Ehrendoktorwürde an Albert Einstein und Max Planck ändern an diesem Befund nichts. Doch die nationalistische Selbststilisierung stellte keine Ausnahme in der Geschichte deutscher Universitäten dar, die mit den Wurzeln einer „konservativen“ Landesuniversität zu erklären wäre. Sie fand vergleichbar ebenso in anderen Universitätsjubiläen des frühen 20. Jahrhunderts statt, so beispielsweise in Jena 1908, in Berlin 1910 und später völkisch eingefärbt in Münster 1930.4 Die nationalistische Deutung eines „Siegfriedens“, den Professoren und Studenten der Universität Rostock wenige Monate nach dem Kriegsende konstruierten, war mithin typisch für den politischen und kulturellen Umgang der meisten deutschen Universitäten mit dem verlorenen Krieg, der Kapitulation und der neuen Republik. Denn genau der Staat, der den Rahmen für rapides Wachstum und enorme gesellschaftliche Anerkennung geliefert hatte, war 1918 274

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

untergegangen, und die Mehrheit aller Professoren und Studenten gingen nach seinem Zusammenbruch „auf Distanz zur ersten deutschen Demokratie“, wie Dieter Langewiesche es charakterisiert hat.5 Doch nicht nur in der politischen Haltung nach 1918, die das 500jährige Jubiläum der Universität Rostock besonders plastisch an den Tag brachte, auch in anderen politischen und gesellschaftlichen Zäsuren des 19. Jahrhunderts lagerten sich übergreifende nationale und internationale Dynamiken im Mikrokosmos der regionalen Bildungsinstitution ab und prägten Wirkung und Ausstrahlung. Während die Rostocker Universität im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als führende Universität des Ostseeraums nach Europa ausstrahlte, verlor sie diese herausragende Position im 18. Jahrhundert. Vor allem im 19. Jahrhundert haben Historiker sie aufgrund ihrer geringen Studentenzahlen, ihres sozialen Charakters als „Familienuniversität“, ihrer traditionellen Funktion als Ausbildungsinstanz für Landesbeamte, und der moderaten Entwicklung „forschender Lehre“ oft als rückständig und innovationsfeindlich gesehen.6 Doch hat die Tendenz der bisherigen Forschung, eher die Grenzen der „Landesuniversität“ zu betonen, vielleicht verdeckt, wie sich Dynamiken des Modernen auch hier regional manifestierten? Und muss es daher darum gehen, die Begrenzungen ebenso wie die Möglichkeiten zu rekonstruieren, welche der europaweite Aufschwung der Universitäten ebenso wie die Modernisierung und Globalisierung des deutschen Kaiserreichs im 19. Jahrhundert auch einer kleinen und geographisch abgelegenen Universität wie Rostock boten? Wie zum einen große politische Zäsuren, zum anderen die Formierung wissenschaftlicher Disziplinen, und schließlich internationale Dynamiken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf die Universität Rostock einwirkten und wie deren Mitglieder diese aufgriffen, lokal anpassten, umformten oder auch weitergaben, ist das Thema dieser Einführung. Sie verknüpft übergreifende Entwicklungen mit lokalen Bedingungen anhand konkreter Ereignisse, Strukturen oder Akteure und sucht dadurch auch die Beiträge dieses Abschnittes in übergreifende Kontexte einzuordnen.

Politische und gesellschaftliche Zäsuren Die Revolutionswellen zwischen 1847 und 1851 berührten auch die Universität Rostock, deren Mitglieder aktiv dazu beitrugen, die Region als Ort einer lokalen Revolution zu konstituieren.7 Seit Ende der 1830er Jahre hatte sich in Mecklenburg eine liberale, antiständische Opposition formiert, deren Sprachrohr, die „Mecklenburgischen Blätter“, von dem Historiker und Philologen Viktor Aimé Huber gegründet worden waren. Auch Georg Beseler, der 1837 in Rostock den ersten Lehrstuhl für deutsches Recht erhielt und 1842 nach Greifswald wechselte, ist repräsentativ für diese liberale Strömung, welche Verfassungen in den Einzelstaaten, Presse- und Versammlungsfreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichte und teils auch eine progressive Einkommenssteuer forderten. In seiner Rostocker Zeit hatte sich Beseler als Jurist für die Göttinger Sieben eingesetzt, später 275

Ulrike von Hirschhausen

entwarf er die Grundrechte der Frankfurter Reichsverfassung und saß im ersten deutschen Parlament. Demokratisch eingestellt war sein Freund und Nachfolger, der Jurist Carl Friedrich Türk (Abb. 2), der bereits für ein demokratisches Wahlrecht votierte und ein gesamtdeutsches Parlament forderte. Mithin grenzte auch in Rostock, ebenso wie in den übrigen deutschen Staaten, die Vorstellung, dass deutsche Einzelstaaten überhaupt für reformfähig gehalten wurden, Liberale von den Demokraten ab, die Reformen in den bestehenden Fürstenstaaten ablehnten.8 Zu den gemäßigten Demokraten zählte auch der Rektor der Universität selbst, Christian Wilbrandt, der Ästhetik und abendländische Sprachen lehrte. Ähnlich wie im nationalen Organ der deutschen Liberalen, der „Deutschen Zeitung“,9 fungierten auch auf regionaler Ebene Wissenschaftler wie Wilbrandt oder Türk Abb. 2: Carl Friedrich Türk (1800 – 1887). zunehmend gleichzeitig als Publizisten, um die klassischen Forderungen des vormärzlichen Liberalismus und die Erwartung eines deutschen Parlaments medial zu vermitteln. Was in der kleinen Stadt und der kleinen Universität aber anders verlief, war, dass die Distanz zwischen Demokraten und Liberalen, die in größeren Städten wie dann auch im Frankfurter Parlament fast unüberwindbar wurde, hier von der gemeinsamen Praxis überlagert wurde. Ob beim Publizieren in den „Mecklenburgischen Blättern“, beim Verfassen von Petitionen oder bei der Entsendung in das erste deutsche Parlament, in der sozialen Praxis überwanden die Rostocker Wissenschaftler meist die politischen Differenzen, was die Realität einer „Regionalisierung der Revolution“ auch für Rostock bestätigt.10 Doch nicht nur Einzelne zeigen dieses Gesicht der Rostocker Universität, auch die Universität als Korporation agierte 1848 weitaus fortschrittlicher, als ihre Vertreter es 1919 wahrhaben wollten. Am 12. März 1848 sandten Rektor und Konzil eine Petition an den Großherzog von Mecklenburg-­Schwerin und wurden damit als Korporation politisch aktiv. Ihre Forderung der Einführung einer Verfassung begründeten die Hochschullehrer folgendermaßen: „Schon in unserer wissenschaftlichen Stellung liegt für uns eine Aufforderung, die prinzipiellen Fragen des Staatslebens nicht theilnahmslos an uns vorübergehen zu lassen […] Es besteht ein Missverhältnis in der Betheiligung der Staatsbürger am öffentlichen Leben des Staates.“ 11

Die Universität Rostock war mit einem solchen offensiven Eintreten für revolutionäre Forderungen die dritte aller deutschen Universitäten, die auch als akademische Korporation aktiv wurde. Weder in den sonst so aktiven süddeutschen Universitäten wie Heidelberg oder Tübingen noch in Leipzig, Halle oder Marburg waren die Universitäten 276

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

so weit gegangen, sich im März 1848 als Korporation für das revolutionäre Ziel einer Verfassung einzusetzen.12 Erklären lässt sich dies wohl vor allem mit der zeitweiligen Dominanz liberaler Wissenschaftler an der Spitze der Universität. Diese saßen seit Oktober 1848 auch im verfassungsgebenden Landtag, was die enge Verflechtung von Universität und liberaler Landespolitik zeigt, die während der Revolutionswellen zwischen 1847 und 1851 möglich wurde. Obwohl diese liberalen Wissenschaftler, darunter auch Türk und Wilbrandt, wenige Jahre später vom Mecklenburgischen Großherzog entlassen wurden, „[…] da Ihr Euch an den Bewegungen der neueren Zeit in ihren revolutionären Beziehungen lebhaft beteiligt habt […] und der Jugend das verderblichste Beispiel gegeben habt […]“,13 verweist die revolutionäre Aktivität der Universität als Ganzes darauf, dass das etablierte Bild von der konservativen Landesuniversität so nicht haltbar ist. Juristen, Historiker, Philologen und Theologen auch einer kleinen Universität wie Rostock waren eng in das gesamtdeutsche Netz akademischen Austausches und politischer Kommunikation eingebunden und setzten übergreifende Forderungen des konstitutionellen Liberalismus vor Ort so um, wie es lokal möglich war. Ähnlich schlug sich auch die soziale und geschlechterrelevante Öffnung der deutschen Universitäten schrittweise in Rostock nieder. An allen deutschen Universitäten erwies sich die Verbindung von Forschung und Lehre für Gesellschaft und Staat als so nützlich, dass „[…] die Nachfrage nach den Leistungen der Universität geradezu explodierte […]“.14 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stagnierten die Studentenzahlen überall, wenn auch Rostock mit konstant 100 Studenten quantitativ das Schlusslicht bildete und damit nach Erlangen, Gießen oder Greifswald rangierte.15 Die enormen Steigerungsraten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland schlugen sich auch in Rostock moderater nieder, wo sich 1880 rund 350 Studenten einschrieben, 1900 rund 570 und 1913 dann 914 Studenten und Studentinnen immatrikuliert waren.16 Eine ähnliche Steigerung kennzeichnet beispielsweise auch die renommierte kleinere Landesuniversität Tübingen, die um 1870 etwa 800 Studenten besaß und diese Zahl vor dem Ersten Weltkrieg ebenfalls verdoppeln konnte.17 1920 hatte Rostock erstmals über 1000 eingeschriebene Studenten und Studentinnen.18 Mithin war die Anzahl der in Rostock studierenden Männer und Frauen zwar deutlich geringer als die anderer kleiner Universitäten wie Marburg, Gießen, Münster oder Freiburg. Der Rostocker Verlauf deckt sich hingegen durchweg mit der Kurve der Gesamtfrequenz aller deutschen Universitäten. Zwischen 1925 und 1931 stieg die Frequenz der Universität Rostock dann erstmals weit stärker an als der deutsche Durchschnittswert, nämlich um 68 %, womit Rostock zusammen mit Tübingen, Würzburg, Münster und Königsberg in der Spitzengruppe jener kleineren Universitäten lag, die gleichsam nachholend ihre Studentenzahlen nun massiv erhöhen konnten.19 Die Gründe für den allgemeinen Anstieg der Studentenzahlen zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik waren auch hier der steigende Wohlstand der städtischen wie teilweise auch der ländlichen Bevölkerung Mecklenburgs, die zunehmende Nachfrage nach akademisch 277

Ulrike von Hirschhausen

Gebildeten wie Ärzten, Lehrern, Rechtsanwälten, Volkswirten oder Chemikern sowie das steigende Sozialprestige von Bildung und akademischer Qualifikation. Die allgemeine Erfahrung einer ungeplanten Expansion von Studenten wirkte sich mithin auch in Rostock aus, was seit 1870 auch den Bau des neuen Universitätshauptgebäudes vorantrieb, den Steffen Stuth in seinem Beitrag zum baulichen Wandel des Universitätsplatzes in diesem Band beschreibt. Die Universitäten sahen sich indes nicht nur was ihre soziale Öffnung anging als Vordenker, sondern teilweise auch in geschlechterrelevanter Hinsicht. Offener als die Geisteswissenschaftler waren hier die Naturwissenschaftler, wie Gisela Boeck in ihrem Beitrag zum Frauenstudium in Rostock plastisch verdeutlicht. Bereits 1869 beurteilte der Rostocker Rektor eine entsprechende Bitte mit der Überlegung, „[…] die Zulassung der Frauen zum akademischen Studium […] scheint in unserer Zeit sehr wohl der Erwägung werth.“ 20 Und der Jurist Hermann Roeseler, der später nach Japan berufen wurde, argumentierte bereits 1869, dass auch das Collège de France in Paris eigene Abteilungen für Zuhörerinnen eingeführt habe. Wie Gisela Boeck ausführt, wurden 1895 erstmals Hörerinnen als Gäste zugelassen, womit Rostock der Berliner Universität um ein Jahr voraus war. Wie vernetzt die deutschen Universitäten im Kaiserreich waren, zeigt auch die enge zeitliche Dichte, in der fast alle deutschen Universitäten zwischen 1900 und 1914 Frauen zum Studium zuließen. Während die südwestdeutschen Universitäten im liberalen Großherzogtum Baden, wie Heidelberg oder Freiburg, damit schon 1900 begannen, erlaubte Preußen die Anmeldung weiblicher Studenten 1908 und Rostock folgte im Jahr darauf. Die nationalstaatliche Rahmung nach 1870 und der intensivierte Austausch von Professoren mit den Beamten in den Staatskanzleien ebenso wie der Aufstieg der Naturwissenschaften trieben die Angleichung in dieser Frage stärker voran, als dies vor 1870 der Fall gewesen war. Mithin gestaltete auch die Universität Rostock gesellschaftlichen Wandel aktiv mit, indem sie sich zunehmend gegenüber Studentinnen öffnete und als Universität auch in dieser Frage eine „ungeschriebene Verfassungsfunktion“ 21 übernahm, die der Freistaat Mecklenburg politisch erst 1918 umzusetzen imstande war.

Expansion und fachliche Differenzierung In seiner Rektoratsrede am 3. August 1896 feierte der Berliner Rektor „den Weltcharakter unserer Universität“, was den Zeitgenossen unmittelbar einleuchtete.22 Aus Kontinentaleuropa, England, den USA und Japan kamen Beobachter nach Deutschland, um den Typus der deutschen Universität kennenzulernen und gegebenenfalls zuhause zu rekonstru­ieren. Eine zentrale Grundlage dieses Erfolgs, der weltweit wahrgenommen wurde, war die Ausdifferenzierung aller Wissenschaftszweige, allen voran der Medizin und der Naturwissenschaften. Genau diese Spezialisierung wurde zunehmend auch Gegenstand der Kritik, da sie der Leitvorstellung von Wissenschaft als erkennbarer Ein278

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

heit, die Staat und Gesellschaft prägen könne, zunehmend wiedersprach. Was vielen als Fortschritt galt, beurteilte Gustav Rümelin, der Kanzler der Universität Tübingen, 1877 gar als „Rückschritt“: „Nur in den Sälen unserer Bibliotheken sind die Wissenschaften noch beisammen, nicht in den Köpfen der Menschen.“ 23 Der Ausdifferenzierung von Disziplinen lag ein verändertes Wissenschaftsverständnis zugrunde, das einen statischen Wissenschaftsbegriff – einen festen, vorgegeben Lehrbestand zu vermitteln – in einen dynamischen – ein offenes System neuer Fragen und Antworten – verwandelte.24 Dieser Wandel des Wissenschaftsverständnisses zog ebenso einen Wandel der Institution wie der Berufungspraxis nach sich. Forschende Lehre ließ sich am besten in Seminaren und Institutionen umsetzen, mit denen der dynamische Kanzler von Both seit den 1830er Jahren auch die Rostocker Universität zu modernisieren suchte.25 Ebenso veränderte sich dadurch der Lehrkörper der Universitäten, da an die Stelle enzyklopädisch gebildeter Gelehrter spezialisierte Wissenschaftler und Forscher traten, wie Kathleen Haack und Ekkehard Kumbier für die Rostocker Medizin zeigen. Das Muster, dem die Universitäten in ganz Deutschland folgten, war die strukturelle Ablösung der Familienuniversität durch die Forschungsuniversität. Nicht mehr aufgrund der Abstammung aus einer Akademikerfamilie oder der geographischen Herkunft als Landeskind erhielt man jetzt ein Ordinariat, vielmehr wurden die individuelle Leistung und die Anerkennung der Kollegen zum Maßstab der Berufung. Dieser Wandel der Berufungspraxis setzte sich in Rostock deutlich langsamer und später durch als an den meisten anderen deutschen Universitäten. Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe hatte zwischen 1815 und 1914 keine Ordinarienberufung von einer anderen Hochschule zu verzeichnen und stellte ebenso wie die juristische Fakultät im 19. Jahrhundert tendenziell einen „Wartesaal für durchreisende Gelehrte“ dar.26 Angesichts dieser Aussichten schrieb der Historiker und Bonner Privatdozent Reinhold Pauli kurz vor seiner Abreise nach Rostock nervös, er scheue sich „[…] einstweilen an die nahe Zukunft in Mecklenburg und die leeren Bänke zu Rostock zu denken.“ 27 Etwas anders sah es in den Naturwissenschaften aus, wo sich universitäre Investitionen und die Frequenz der Studenten seit den 1870er Jahren konstant erhöhten. Hier wurden Rostocker Naturwissenschaftler nach Kiel, Marburg, Bonn, Berlin und München berufen, wie auch die Berufung eines Ordinarius der Technischen Hochschule Hannover nach Rostock gelang, doch auch hier blieben die Berufungen stärker als anderswo „auf das Territorium ausgerichtet“.28

Internationale Dynamiken: Ein Rostocker ­Staatsrechtler als Co-­Autor der Verfassung Japans „Magnifico Rectori et Concilio reverendo erlaube ich mir andurch die gehorsamste Anzeige zu machen, dass ich einen Ruf an das Auswärtige Amt der Kaiserlichen Regierung von Japan 279

Ulrike von Hirschhausen

erhalten und, da der mir hierdurch eröffnete Wirkungskreis meinen Interessen und Neigungen entspricht, angenommen habe, so dass ich um die Entlassung aus meiner Professur an hiesiger Landes-­Universität mit dem Ablaufe des gegenwärtigen Monats eingekommen bin.“ 29

So verabschiedete sich Hermann Roesler, der siebzehn Jahren als Professor für Staatswissenschaft gelehrt hatte, am 8. 10. 1878 von seiner Universität. In Japan, wo er bis 1893 als Rechtsberater der Regierung und später als Professor an der Universität Tokyo tätig war, wurde er zum zentralen Autor der Meiji-­Verfassung, die Japan 1898 zur konstitutionellen Monarchie machte. Roeslers Verbindungen zwischen Deutschland und Japan sind ein exemplarisches Beispiel für die internationalen Netzwerke und Transfers, welche die Universität Rostock seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer mehr mit der Welt verbanden. Transnationale Netzwerke Rostocker Gelehrter rekonstruiert die Tychsen-­Forschung derzeit für die Frühe Neuzeit, während wir für das 19. und frühe 20. Jahrhundert darüber bislang weniger wissen. Doch auch in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in dem das deutsche Kaiserreich wirtschaftlich immer enger international verbunden war und zum viertgrößten Kolonialreich Europas nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden wurde, intensivierten sich die persönlichen Verbindungen, gegenseitigen Wahrnehmungen und wissenschaftlichen Transfers. Hermann Roeslers Anteil an der Verfassungsentwicklung Japans zeigt dies exemplarisch.30 Hermann Roesler (1834 – 1894) stammte aus Franken und hatte in Erlangen und München Rechts- und Staatswissenschaft studiert. 1861 berief ihn die Universität Rostock zum Professor der Staatswissenschaft. Während seiner Jahre in Rostock arbeitete er sich vor allem in die Volkswirtschaftslehre ein und verfasste – wohl auch durch den Mangel an Hörern – zügig mehrere Lehrbücher.31 Das Interessante an Roesler ist, dass er bereits früh und während seiner Rostocker Zeit, wohin er mit 27 Jahren berufen worden war, einen transnationalen Gesellschaftsbegriff entwickelte, der nicht auf die deutschen Verhältnisse beschränkt war: „Der Begriff der Gesellschaft ist nicht gebunden an nationale und territoriale Schranken; er durchbricht vielmehr dieselben und erfasst alle Menschen, soweit sie demselben Kulturverband angehören, als Glieder einer höheren universalen Einheit.“ 32 Dieser breite Horizont, mit dem er sich in Rostock manchmal isoliert fühlte, hatte auch zur Folge, dass er der staatlichen Entwicklung des Deutschen Kaiserreichs zunehmend kritischer gegenüber stand und die von Bismarck geschaffene Reichsverfassung öffentlich harsch kritisierte: „Wer die Politik und die gesamte Aktion des deutschen Reichs im Zusammenhang betrachtet, der erhält am meisten den Eindruck, dass es eine Militärmonarchie ist, deren wesentliches Leben in dem einer reinen Militärmacht aufgeht.“ 33 Roeslers Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts hatte die Aufmerksamkeit japanischer Experten geweckt, die seit den 1860er Jahren mit weitreichenden Reformen nach europäischem Muster begonnen hatten. 1878 folgte Roesler dem Ruf der japanischen Regierung und wurde in Tokyo zum wichtigsten Rechtsberater der Regierung. Der Kontakt zur japanischen Regierung und dem leitenden Fürsten Ito Hirobumi schien durch 280

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

den Großherzog von Mecklenburg, Friedrich Franz, zustande gekommen zu sein, der mit Roesler befreundet war. Die Verbindung zu seinen juristischen Kollegen in Rostock hielt Roesler ebenso aufrecht wie seine japanischen Kollegen in der Regierung und an der Universität durch ihn, der fünfzehn Jahre lang in Tokyo lebte, zunehmend auf die Universität Rostock aufmerksam wurden. Die Quellen geben keinen Beleg eines direkten Zusammenhangs, aber die Zahlen japanischer Studenten, die nach Rostock kamen, stiegen seit den 1880er Jahren sukzessive an. Im Jahr 1901, acht Jahre nachdem Roesler Japan verlassen hatte, studierten 26 Japaner an der Universität Rostock, die meisten von ihnen Medizin.34 An Roeslers juristischer Tätigkeit in Japan stechen vor allem drei Aspekte heraus: Sein Beitrag zur Abschaffung der „ungleichen Verträge“ mit westlichen Empires, sein Konzept eines japanischen Handelsrechts und vor allem seine Autorschaft der japanischen Verfassung von 1889. Direkt nach seiner Ankunft in Japan arbeitete sich der Rostocker Staatsrechtler in das Thema ein, das für die japanischen Eliten das wichtigste Ziel ihrer Außenpolitik war: die Beseitigung der sogenannten „ungleichen Verträge“ und die Zurückdrängung westlicher Kontrolle. Diese Verträge europäischer Empires mit Japan, allen voran mit Großbritannien, hatten westlichen Ausländern enorme Handelsvorteile, ausländische Gerichtsbarkeit und andere Dimensionen von Extraterritorialität gegeben, die in Japan als Verletzung nationaler Souveränität wahrgenommen wurden. Roesler sah die Aufgabe Japans darin, in einer globalisierten Welt einen angemessen Platz einzunehmen, und unterstützte die anti-­imperiale Politik der Regierung durch seine rechtliche Expertise. Sein Revisionsplan wurde in den Verhandlungen schrittweise durchgesetzt und kurz nachdem er Japan 1893 verließ, wurden im Vertrag mit Großbritannien alle Vorrechte der Ausländer aufgehoben. Die Modernisierung der japanischen Gesellschaft eröffnete Roesler auch die Möglichkeit, sein volkswirtschaftliches Wissen in die rechtliche Praxis zu übersetzen. Die Regierung beauftragte Roesler, der zunächst nur für das Auswärtige Amt gearbeitet hatte, mit dem Entwurf eines neuen Handelsrechts. Auch hier verfolgte Roesler das Ziel, die Rechtssouveränität Japans wieder herzustellen, indem weniger nationale als vielmehr international anerkannte Prinzipien hier verankert und Japans Stellung in der Welt dadurch gestärkt würde: Die Nothwendigkeit, den Handel der Japanischen Nation auf den Fuss der Gleichheit mit den übrigen Handelsvölkern zu bringen, tritt demnach auch in der Hinsicht des Rechts unabweisbar hervor […]. Der Handel hat überall die Tendenz, sich nach gleichen Grundsätzen zu entwickeln, und verlangt daher auch möglichst gleiche Rechtsnormen, unabhängig von nationalen Grenzen. Wenn nunmehr Japan das Handelsrecht der westlichen Handelsvölker im Wesentlichen zu adoptieren unternimmt – so ist dies ein Fortschritt und eine Notwendigkeit, der auch die westlichen Völker […] ihrerseits bereits sich unterworfen gesehen haben.35

281

Ulrike von Hirschhausen

Abb. 3: Die Meiji-­Verfassung von 1889.

Teile von Roeslers Entwurf scheiterten an der nationalen Opposition in Japan, doch das japanische Börsengesetz von 1887 und das Bankgesetz von 1890 stammten aus der Feder des Rostocker Staatsrechtlers. Den stärksten Einfluss auf die japanische Gesellschaft nahm Roesler als primärer Autor der ersten Verfassung Japans, der 1889 erlassenen Meiji-­Verfassung (Abb. 3). Für die japanischen Reformer war eine Verfassung nach europäischem Muster die stärkste Waffe im Kampf um die Anerkennung Japans als ebenbürtiger Partner. Roesler, der sich in Rostock mit der Bismarck’schen Reichsverfassung intensiv und kritisch auseinander gesetzt hatte, favorisierte die preußische Verfassung als Modell und arbeitete in den 1880er Jahren den Großteil der Entwürfe aus, war aber auch zu Kompromissen gezwungen, wie die symbolische Herrschaft des Tenno in seine Entwürfe einzubauen. Preußische, belgische und österreichische Rechtstraditionen, mit denen sich Roesler während seiner Rostocker Zeit auseinandergesetzt hatte, gingen damit direkt in die japanische Verfassung ein, die monarchischen Konstitutionalismus mit den Rechten des Volks und einer Betonung der sozialen Aufgaben des Staats verband. Die Autorschaft Roeslers wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts publik und von deutschen und japanischen Rechts282

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

historikern analysiert.36 Mit dem Erlass der japanischen Verfassung trug der Rostocker Jurist Hermann Roesler, der 1894 in Österreich starb, maßgeblich zur „Globalisierung des Rechts“ bei, die um 1900 einen Höhepunkt erreichte.37 Hermann Roesler war keineswegs der einzige Vertreter der Universität Rostock, der Verbindungen in die Welt unterhielt, Wissensbestände über große Distanzen transportierte und die Universität dadurch enger mit Europa und der Welt verband. Biographien wie der seinen nachzuspüren, könnte ein zukünftiger Weg sein, die transnationalen Verflechtungen der Universität, die auch in der Moderne keineswegs an den Landesgrenzen endeten, neu zu entdecken.

283

Ulrike von Hirschhausen

Anmerkungen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

32 33 34 35 36

37 284

Herbig 1920, 29 – 67; Buchsteiner/Strahl 2008, 60 f. Walthers Rede in Buchsteiner 2008, 122 ff. Buchsteiner/Strahl 2008, 61. Vgl. Drüding 2013; Langewiesche 2010. Langewiesche 1994, 324. Vgl. dazu kritisch Asche 2011. Vgl. dazu Mergel/Jansen 1998, 8 f. Vgl. Hirschhausen 1997, 122. Vgl. Hirschhausen 1997. Mergel/Jansen 1998, 8. Schnitzler 1995, 49. Schnitzler 1995, 50. Schnitzler 1995, 54. Langewiesche 1994, 316. Vgl. Paletschek 2001a, 73. Vgl. Heidorn 1969, 92, 185. Vgl. Paletschek 2001a, 66. Paletschek 2001a, 73. Paletschek 2001a, 68, Anm. 10. Schreiben vom 22. 6. 1869, zitiert nach Boeck 2019. Langewiesche 1994, 321. Adolph Wagner am 3. 8. 1896, zitiert nach Langewiesche 1994, 317. Gustav Rümelin, zitiert Langewiesche 1994, 323. Vgl. dazu Baumgarten 1997, 15 ff. Vgl. Wandt 1969. Zitiert nach Baumgarten 1997, 156. R. Pauli, Lebenserinnerungen, zitiert nach Baumgarten 1997, 206. Baumgarten 1997, 258. Hermann Roesler am 8. 10. 1878 an den Rektor, zitiert nach Becker 2001, 92. Vgl. grundlegend dazu Siemes 1975; Rauscher 1969. 1864 erschienen die „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. Ein Lehrbuch für Studierende und Gebildete aller Stände“, 1868 „Über die Grundlehren der von Adam Smith begründeten Volkswirtschaftstheorie“ sowie 1878 „Vorlesungen über Volkswirtschaft“, vgl. Becker 2001, 93. Zitiert nach Siemes 1975, 40. Hermann Roesler, Gedanken über den constitutionellen Werth der Deutschen Reichsverfassung, Rostock 1877, zitiert nach Siemes 1975, 37. Vgl. Becker 2001, S. 95. Entwurf eines Handels-­Gesetzbuches für Japan, Tokyo 1884, zitiert nach Siemes 1975, 52. Vgl. die japanische Sicht auf die Kooperation zwischen dem japanischen Minister Inoue und Roesler: „Inoue fragte um Roeslers Ansicht in allen möglichen Angelegenheiten. Es ist keine Übertreibung zu sagen, unsere Verfassung wurde entworfen, während Inoue mit einem Ohr auf Roesler lauschte“, zitiert nach Siemes 1975, 62. Vgl. Gammerl 2010, 285 ff.

Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

Quellen- und Literaturverzeichnis

Asche, Matthias (2011), „Die Universität Rostock des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Zum Forschungsstand, zu Desideraten und Perspektiven“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Referate und Materialien der Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock, 7 – 36. Baumgarten, Marita (1997), Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 121), Göttingen. Boeck, Gisela/Lammel, Hans-­Uwe (Hgg.) (2011), Wissen im Wandel. Disziplinengeschichte im 19. Jahrhundert. Referate der interdisziplinären Ringvorlesung des Arbeitskreises „Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ im Wintersemester 2007/08 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 12), Rostock. Becker, Bert (2009), „Der Staatsrechtler Hermann Roesler als Regierungsberater in Japan“, in: Martin Guntau (Hg.), Mecklenburger im Ausland, Historische Skizzen zum Leben und Wirken von Mecklenburgern in ihrer Heimat und in der Ferne, Rostock, 92 – 98. Buchsteiner, Martin/Strahl, Antje (2008), Zwischen Monarchie und Moderne. Die 500-Jahrfeier der Universität Rostock 1919, Rostock. Drüding, Markus (2013), Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Universitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (1919 – 1969) (Geschichtskultur und historisches Lernen 13), Berlin. Gammerl, Benno (2010), Untertanen, Staatsbürger und Andere. Der Umgang mit ethnischer Heterogenität im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 1867 – 1918 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 189), Göttingen. Guntau, Martin (Hg.) (1991), Zur Wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Rostocker wissenschaftshistorische Manuskripte 20), Rostock. Heidorn, Günter et al. (Hgg.) (1969), Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahr Feier der Universität. Bd. 1, Die Universität von 1419 – 1945, Rostock. Herbig, Gustav/Reincke-­Bloch, Hermann (1920), Die Fünfhundertjahrfeier der Universität Rostock. 1419 – 1919, Rostock. Hirschhausen, Ulrike von (1997), Liberalismus und Nation. Die Deutsche Zeitung 1847 – 1850 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 115), Düsseldorf. Kalkhoff, Alexander (2010), Romanische Philologie im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Institutionengeschichtliche Perspektiven (Romanica Monacensia 78), Regensburg. Lammel, Hans-­Uwe/Boeck, Gisela (Hgg.) (2011), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Referate und Materialien der Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock. Langewiesche, Dieter (1994), „Die Universität als Vordenker? Universität und Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert“, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 45 (2), 316 – 331. Langewiesche, Dieter (2010), „Die ‚Humboldtsche Universität‘ als nationaler Mythos. Zum Selbstbild der deutschen Universitäten in ihren Rektoratsreden im Kaiserreich und in der Weimarer Republik“, in: Historische Zeitschrift 290 (1), 53 – 91. 285

Ulrike von Hirschhausen

Mergel, Thomas /Jansen, Christian (1998), „Von ,der Revolution‘ zu ,den Revolutionen‘. Probleme einer Interpretation von 1848/49“, in: Thomas Mergel u. Christian Hansen (Hgg.), Die Revolutionen von 1848/49. Erfahrung – Verarbeitung – Deutung, Göttingen,7 – 13. Paletschek, Sylvia (2001a), Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 53), Stuttgart. Paletschek, Sylvia (2001b), „Verbreitete sich ein ‚Humboldt’sches Modell an den deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert?“, in: Rainer Schwinges (Hg.), Humboldt international. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahrhundert, 75 – 104. Paletschek, Sylvia (2011), „Stand und Perspektiven der neuen Universitätsgeschichte“, in: Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 19, 169 – 189. Rauscher, Anton (1969), Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens. Hermann Roesler und sein Beitrag zum Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft, München. Schwinges, Rainer Ch. (Hg.) (2001), Humboldt International. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19 und 20. Jahrhunderts, Basel. Schnitzler, Elisabeth (1995), „Die Universität Rostock im Jahre 1848“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 1, 47 – 58. Siemes, Johannes (1975), Die Gründung des modernen japanischen Staates und das deutsche Staatsrecht. Der Beitrag Hermann Roeslers (Schriften zur Verfassungsgeschichte 23), Berlin. Strahl, Antje (2007), Rostock im Ersten Weltkrieg. Bildung, Kultur und Alltag in einer Seestadt zwischen 1913 und 1918 (Kleine Stadtgeschichte 6), Berlin. Wandt, Bernhard (1969), Kanzler, Vizekanzler und Regierungsbevollmächtigte der Universität Rostock 1419 – 1870, Rostock.

286

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Spezialisierung und Professionalisierung Die Herausbildung der modernen Medizin an der Universität Rostock unter besonderer Berücksichtigung der Psychiatrie

Heute erscheint es uns selbstverständlich, bei gesundheitlichen Problemen einen Arzt aufzusuchen, der zudem auf bestimmte Bereiche spezialisiert ist. Dass das nicht immer so war, ist naheliegend. Wie aber kam es dazu? Im Folgenden wird zunächst allgemein auf die Spezialisierung und Professionalisierung in der Medizin eingegangen, dann auf die Entwicklung in Rostock, um schließlich am Beispiel der Rostocker Psychiatrie die bis heute andauernde Spezialisierung darzustellen.1 Die erfolgreiche Ausdifferenzierung als fundamentales Kriterium moderner Medizin beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert und ist durch mindestens fünf wesentliche Merkmale gekennzeichnet: Eine gemeinsam erworbene und von allen Beteiligten geteilte heilkundliche Wissensbasis, die der Spezialisierung vorangeht; die Einordnung eines neuen Berufsfelds und der damit verbundenen praktischen Betätigungen auf der gleichen Stufe wie bereits etablierte Wissens- und Tätigkeitsbereiche; die Möglichkeit zu einer weiteren Subspezialisierung und damit einem weiteren Ausbau des Felds; die freie Wahl, sich nach eigener Neigung und eigenen Fähigkeiten auf das ursprüngliche Gesamtfach oder die neue Spezialität zu konzentrieren; und schließlich die Möglichkeit für Spezialisten, neben ihrem Expertentum unter Rückgriff auf das theoretische Wissensfundament auch andere Kenntnisbereiche zu vertiefen bzw. sich andere Aktivitätsbereiche zu suchen.2 Eng verwoben mit der Frage nach der Spezialisierung ist das Konzept der Professionalisierung. Hierunter versteht man die Entwicklung einer Berufsgruppe, die durch ein mehr oder weniger homogenes Aufgabenfeld ausgewiesen ist, zu einer „Profession“ – d. h. zu einer Expertengruppe, die durch ein bestimmtes Maß an Autarkie in der Definition ihrer Arbeit und deren Standards charakterisiert ist. Dazu wiederum gehört auch die Bestimmung der Ausbildungsinhalte.3 Hinsichtlich des Grads an Autonomie, den einzelne medizinische Fächer im Zuge ihrer Spezialisierung und Professionalisierung zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben, lassen sich spezifische Indikatoren angeben wie die Gründung eigenständiger Fachgesellschaften und Publikationsorgane (Lehrbücher und Zeitschriften), die Vertretung als Fachabteilungen an städtischen Krankenhäusern oder Universitätskliniken und die Durchsetzung unabhängiger Ordinariate.4 In diesem Sinn ist auch die Äußerung von Hermann Aubert (1826 – 1892), dem ersten Ordinarius für Physiologie an der Universität Rostock, zu verstehen, der in seiner Rede am 28. Februar 1871 anlässlich des Geburtstags von Großherzog Friedrich Franz von 287

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Mecklenburg-­Schwerin sagte: „Unsere, der Professoren, Aufgabe muß es also sein, daß jeder in seiner Sphäre fortwährend strebt, seinen Wirkungskreis so zu begränzen [!], daß er für seine Spezialwissenschaft fördernd arbeiten kann […]“.5 Mit dieser Aussage wies er auf die Entwicklung der Medizin hin, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schnell voranschritt. Dabei war dieser bis heute anhaltende Prozess der Spezialisierung, Disziplinenbildung und Subdisziplinierung – wie es rückschauend erscheinen mag – keineswegs geradlinig vorgezeichnet. Ebenso war nicht zwingend absehbar, dass Ärzte die maßgebenden Sachverständigen innerhalb der heilkundlich Tätigen werden sollten. Schließlich spielten bis in das 19. Jahrhundert hinein neben akademisch ausgebildeten Ärzten handwerklich geschulte Wundärzte, Barbierchirurgen, Hebammen, Bader, Zahnbrecher u. a. m. eine wichtige Rolle bei der medizinischen Behandlung. Mit einem akademisch geschulten und nicht selten theoretisch ausgerichteten Arzt kamen nur wenige in Kontakt. Dass sich die Struktur des allgemeinen Gesundheitswesens im Verlauf des 19. Jahrhunderts schließlich radikal ändern sollte und mit ihr die Aufgaben der akademisch ausgebildeten und bald auch über ein praxisrelevantes Spezialwissen verfügenden Ärzte, zeichnete sich spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ab. Hatten Universitätsprofessoren schon zuvor spezielle Verpflichtungen innerhalb der Stadt als Stadtphysici übernommen – in Rostock im Zuge des städtischen Aufschwungs seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar – suchten sie schon bald ihren Einfluss im gesundheitsökonomischen Sektor zu stärken. Hintergrund war die sich im Zuge der Aufklärung durchsetzende Idee, die Gesundheit der Bevölkerung als ökonomische Notwendigkeit eines funktionierenden Staatsgefüges anzuerkennen; ein neuartiges obrigkeitliches Interesse, welches sich neben der Gesundheits- auch in der Armenfürsorge widerspiegelt und u. a. eine breit aufgestellte medizinische Versorgung erforderlich machte. Auch universitär geschulte Ärzte hatten ein Interesse, diese Versorgungslandschaft mitzugestalten.

Spezialisierungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rostock An der Universität Rostock zeichneten sich solche Tendenzen mit der ersten privaten medizinisch-­chirurgischen Klinikgründung durch Johann Wilhelm Josephi (1763 – 1845) im Jahr 1801 ab. Seine Person und seine Aktivitäten exemplifizieren die beginnende Differenzierung innerhalb der Medizin. Neben dem Unterricht am Krankenbett hatte sich Josephi bereits 1789 um einen geordneten anatomischen Unterricht bemüht. Schon 1790 konnte das „Zergliederungshaus“ am Alten Markt, das erste anatomische Institut an der Universität, eröffnet werden. In der 1793 in Rostock gegründeten Hebammenschule unterwies er angehende Hebammen. Auch Heinrich Spitta (1799 – 1860), Carl Friedrich Quittenbaum (1793 – 1852) und Johann Karl Friedrich Strempel (1800 – 1872) vermittelten in den von ihnen gegründeten Polikliniken 6 bzw. der eigenständigen medizinisch-­ chirurgischen Klinik 7 einen praxisnahen Unterricht für Studenten. Zudem wurde die 288

Spezialisierung und Professionalisierung

Chirurgie aufgewertet; sie floss vor dem Hintergrund der zunehmend als künstlich betrachteten Trennung innerer und äußerer Krankheiten in viel stärkerem Maß in den universitären Unterricht ein. In der Folge kam es zur Trennung von Anatomie und Chirurgie. In Rostock gilt Quittenbaum als der letzte chirurgische Anatom. Ebenso wie bei Josephi zeigt sich auch bei dem Chirurgen Strempel beispielhaft das Bemühen um einen differenzierten medizinischen Unterricht und in der Folge um eine verbesserte Krankenbehandlung. 1836 hatte auf seine Initiative hin das erste so genannte Gebärlokal in Rostock, in abgetrennten Räumlichkeiten seiner medizinisch-­chirurgischen Klinik, eröffnet werden können. Damit hatten Studierende und angehende Hebammen nun die Möglichkeit, auch praktisch unterwiesen zu werden.8 Strempel war es auch, der sich für den Bau des Stadtkrankenhauses einsetzte. Mit dessen Fertigstellung 1855 verfügte die Stadt über eine „Medicinische und Chirurgisch-­Ophthalmiatrische Klinik“ für die medizinische Fakultät und den praktischen Unterricht.9 In der Folge koppelten sich immer mehr medizinische Sachverständige ab, die neue Lehrstühle gründeten und etablie­ren konnten sowie den entsprechenden Raum zur Anwendung ihres praxisbezogenen Spezialwissens in Form von Klinikneubauten einforderten. Neben der Etablierung eigener Institute für die Grundlagenfächer (u. a. Anatomie, Physiologie, Hygiene, Pharmakologie, physiologische Chemie) entstand fortan eine Anzahl neuer Ordinariate und Kliniken. Mit der naturwissenschaftlich-­positivistischen Wende in der Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die medizinischen Grundlagenfächer an Bedeutung gewonnen. Unter dem Einfluss der Virchowschen Zellularpathologie und der an energetische Betrachtungsweisen angelehnten Physiologie von Hermann von Helmholtz (1821 – 1894) verlagerte sich die Sichtweise auf die Entstehung von Krankheiten mehr auf anatomische, chemische und physikalische Prozesse. Die zunehmenden Aufgaben konnten in den an der Rostocker Universität weit auseinanderliegenden und häufig unzweckmäßigen Gebäuden aber nicht mehr adäquat erfüllt werden, so dass im Oktober 1878 ein mehrere Institute umfassendes medizinisches Studiengebäude eingeweiht wurde, das „Neue Medicinische Institut“ in der Gertrudenstraße. Es bot den Instituten für Anatomie, Physiologie, Pathologie und Pharmakologie großzügige Räumlichkeiten und eine hervorragende Ausstattung.

Lehrstuhl- und Klinikgründungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Mit der Entstehung des Stadtkrankenhauses verbesserte sich die medizinische Versorgung auf den Gebieten der Inneren Medizin, der Chirurgie sowie der noch unter ihrem „Dach“ ansässigen Augenheilkunde und damit auch der praktische Unterricht. Auch die Vertreter der Geburtshilfe hatten mit der Eröffnung eines Geburtshauses – wenn auch zunächst innerhalb der medizinisch-­chirurgischen Privatklinik Strempels – begonnen, eine gewisse Eigenständigkeit zu erproben. Dem Engagement des ersten Lehrstuhlinhabers für 289

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Geburtshilfe in Rostock, Gustav von Veit (1824 – 1903), war es zu verdanken, dass 1858 ein Neubau in der Buchbinderstraße bezogen werden konnte.10 Veit hatte in Anlehnung an die Virchowsche Zellularpathologie als erster den Gebärmutterhalskrebs als „entartete Zelle“ beschrieben und damit die betroffenen Frauen vom Stigma des zügellosen Lebenswandels und sexueller Ausschweifungen „befreit“.11 Sein Nachfolger, Franz von Winckel (1837 – 1911), hatte vor allem die Bekämpfung der peripartalen Mortalität zum obersten Ziel erklärt, denn Mecklenburg wies im Vergleich zu anderen deutschen Staaten die höchste Müttersterblichkeit auf.12 In dieser Tradition lässt sich auch sein Nachfolger Friedrich Schatz (1841 – 1920) verorten. Für die Universität Rostock ist sein Wirken vor allem als Organisator des Klinikneubaus der Universitätsfrauenklinik von Interesse. Schatz hatte sich nach seiner Berufung 1872 zum ordentlichen Professor und Direktor der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie sowie der Landeshebammenanstalt bei der Landesregierung für den Neubau einer Anstalt für Frauenkrankheiten eingesetzt.13 Seine Forderung, für eine bestmögliche Ausbildung von Hebammen zu sorgen, ging von der fortschreitenden Entwicklung der Medizin, einer zunehmenden Spezialisierung und der damit verbundenen Notwendigkeit der Verknüpfung von Geburtshilfe und der Behandlung von Frauenkrankheiten aus.14 Schließlich stimmte der mecklenburgische Landtag einem Neubau zu. 1887 wurde die Frauenklinik eingeweiht, der erste große medizinische Neubau nach Errichtung des Stadtkrankenhauses in Rostock. Zugleich konnte Schatz sein Anliegen der Reorganisation des Hebammenwesens umsetzen, so dass in Mecklenburg die Sterblichkeit im Kindbett fortan stark zurückging. In unmittelbarer Nachbarschaft der Frauenklinik folgte der Neubau der Augenklinik, eingeweiht 1892, nachdem es bereits seit 1869 eine ordentliche Professur für Ophthalmologie, besetzt mit Karl Wilhelm von Zehender (1819 – 1916), gab.15 Noch heute befindet sich die Augenklinik an ihrem ursprünglichen Ort in der Doberaner Straße. Wohl über kaum eine Institution ist innerhalb der Rostocker medizinhistorischen Forschung so ausführlich reflektiert worden wie über die Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass es sich hierbei um die erste Fachklinik auf diesem Gebiet an einer deutschen Universität handelte und auch das erste Ordinariat für Ohren- und Kehlkopfheilkunde hier eingerichtet wurde.16 Vorlesungen über Erkrankungen des Ohrs sind an der Universität Rostock bereits im Wintersemester 1831 nachweisbar,17 erste Übungen zur Laryngoskopie wurden 1868 von dem Internisten und Pathologen Theodor Ackermann (1825 – 1896)18 angeboten. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Spezialisten für Ohren- bzw. Kehlkopfheilkunde im Deutschen Reich kontinuierlich an. Die Trennung der beiden Disziplinen überwand in Rostock der Internist und außerplanmäßige Professor für beide Fachrichtungen, Johann Christian Lemcke (1850 – 1894). Er richtete 1889 eine „Poliklinik für Kehlkopf- und Ohrenkranke“ ein.19 Sein Nachfolger Otto Körner (1858 – 1935) wurde 1901 zum ordentlichen Professor für Ohren- und Kehlkopfheilkunde ernannt, nachdem zuvor, 1899, die Klinik für Ohren- und Kehlkopfkrankheiten eingeweiht werden konnte.20 290

Spezialisierung und Professionalisierung

Abb. 1: Das ehemalige Kloster St. Katharinen.

Der Prozess der Spezialisierung, Disziplinenbildung und Subdisziplinierung hatte um die Jahrhundertwende gerade einmal Fahrt aufgenommen. Viele Projekte waren angestoßen, konnten aber noch nicht verwirklicht werden. So gab es bereits seit 1881 Überlegungen des Hygienikers Julius Uffelmann (1837 – 1894) zur Errichtung einer eigenständigen Kinderklinik. Deren räumliche Verselbständigung konnte erst 1918 in der Augustenstraße erfolgen, 20 Jahre später konnte ein Neubau verwirklicht werden. Auch die Orthopädie stand mit dem 1899 gefassten Beschluss der Einrichtung einer „Krüppelanstalt“ in Rostock bereits in den Startlöchern. Die ein Jahr später eröffnete „Landeskrüppelanstalt Elisabeth Heim“ wurde aber erst 1946 zur Orthopädischen Klinik.21 Insgesamt sollten an der medizinischen Fakultät Rostock im 20. Jahrhundert zahlreiche Ordinariate, Kliniken und Institute hinzukommen. Eine Sonderstellung nimmt die Entwicklung der Psychiatrie ein, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.

Die Anfänge einer akademischen Psychiatrie  Das Fachgebiet hatte sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Abgrenzung zur Philosophie und der sich herausbildenden Psychologie als Teil der Medizin etabliert.22 Hintergrund einer solchen Entwicklung bildete der sich zunehmend entfaltende „Erfahrungsraum“ der neu entstandenen psychiatrischen Anstalten. Im Verlauf des 19. Jahrhun291

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Abb. 2: Eine Krankenakte der St. Katharinen-­Stiftung.

derts kam es verstärkt zum Bau solcher Einrichtungen. Der erste Neubau einer psychia­ trischen Anstalt auf deutschem Boden war im Jahre 1830 der „Schweriner Sachsenberg“. In Rostock diente seit 1825 das ehemalige Katharinenkloster (Abb. 1 und 2) als städtische Irrenanstalt, noch immer in Verbindung mit dem Zucht-, Arbeits- und Waisenhaus der Stadt. Spätestens ab 1828 fanden Vorlesungen an der Universität Rostock zu Themen statt, die sich mit psychischen Abweichungen beschäftigten. Interessanterweise wurde die Lehrveranstaltung von dem Philosophen Carl Weinholtz angeboten. Es ging um die fachliche Kompetenz bei somatisch nicht nachweisbaren psychischen Abweichungen, die sowohl die Philosophen als auch die Ärzte für sich beanspruchten. Zwei Jahre später war es der Arzt und Philosoph, Georg Friedrich Most (1794 – 1845), der Psychiatrie anhand der Theorien führender medizinischer Fachvertreter, wie unter anderem Jean Étienne Dominique Esquirol (1772 – 1840) und Johann Christian August Heinroth (1773 – 1843),23 lehrte. Mit dem Praktiker und Hofmedikus Johann Schröder (1799 – 1879) war es endgültig ein Arzt, der an der Universität zu psychiatrischen Themen sowohl theoretisch dozierte als auch in St. Katharinen praktisch unterwies.24 Zwischen 1835 und 1865 leitete 292

Spezialisierung und Professionalisierung

Schröder die Städtische Irren-, Heil- und Bewahr-­Anstalt in der St.-Katharinen-­Stiftung und hielt bis zum Sommersemester 1868 regelmäßig Vorlesungen zur Pathologie und Therapie psychischer Erkrankungen. Der seit dem frühen 19. Jahrhundert aufgestellten Forderung, die sogenannten Geisteskranken als Kranke anzusehen und unter ärztliche Aufsicht zu stellen, kam man damit endlich auch in Rostock nach. Spätestens seit den 1860er-­Jahren wurde der Neubau einer psychiatrischen Klinik in der Nähe von Rostock geplant, ebenso die Einrichtung einer Professur für Psychiatrie an der Universität. Die Realisierung wurde jedoch immer wieder zurückgestellt. Erst als die Schweriner Anstalt trotz Erweiterungsbauten aufgrund der anhaltenden Überbelegung zu bersten drohte, wurde ein Neubau einer psychiatrischen Anstalt in Rostock wieder erwogen. Hinzu kam, dass die Studenten ab 1883 von der Universität verpflichtet wurden, bei medizinischen Prüfungen auch ihre Fähigkeiten zur Beurteilung von psychisch Kranken nachzuweisen.25 Die Wahl des Standorts fiel auf Gehlsdorf, ein wenig abgeschieden, preiswert beim Erwerb des Grundstücks und für die psychisch Kranken Ruhe versprechend. Nach der Fertigstellung 1896 verfügte die Rostocker Universität als eine der letzten im Deutschen Reich (neben Kiel und Königsberg) über eine psychiatrische Klinik. 1897 konnte eine Poliklinik für Nerven- und Gemütskranke im hinteren Teil des Universitätshauptgebäudes eingerichtet werden. Bereits 1895 war der neu begründete psychiatrische Lehrstuhl mit dem ehemaligen Direktor des Sachsenbergs, Fedor Schuchardt (1848 – 1913) (Abb. 3), besetzt worden, eine eher pragmatische Lösung. Auch wenn er sich als Praktiker in der Schweriner Anstalt große Verdienste erworben und an der Ausarbeitung der Baupläne für die Gehlsheimer Klinik maßgeblich beteiligt hatte, war er wissenschaftlich kaum hervorgetreten.26 Im Vergleich zu anderen Universitäten konnte Rostock in der Zeit der Einrichtung von psychiatrischen Lehrstühlen und der Neubauten universitärer Kliniken erst verspätet starten. Die Einrichtung einer Professur für Psychiatrie war an der Rostocker medizinischen Fakultät schon 1883 erörtert worden. Dieser Plan wurde aber immer wieder verworfen. In einem Reskript der Schweriner Landesregierung an die Landstände Mecklenburgs vom 10. November 1890 wurde dann die Einrichtung eines Lehrstuhls für Psychiatrie an der Landesuniversität erneut empfohlen, um die notwendige Voraussetzung für die klinisch-­praktische Lehre zu schaffen.27 Doch auch dieser Plan scheiterte. Führende Fachvertreter wie Otto Binswanger (1852 – 1929), seit 1891 ordentlicher Professor für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Jena, kritisierten diese Verzögerung und empfahlen dringend die Einrichtung eines Lehrstuhls für Psychiatrie an der Landesuniversität in Rostock.28 Dabei hatte die Entwicklung der akademischen Psychiatrie im deutschsprachigen Raum schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Einrichtung des ersten psychia­ trischen Lehrstuhls an der Leipziger Universität im Jahre 1811 begonnen.29 Auch wenn dieser zunächst noch keinen Bestand haben sollte und mit dem Tod von Johann ­Christian August Heinroth wieder „eingezogen“ wurde, folgten Mitte des 19. Jahrhunderts weitere psychiatrische Lehrstühle an den Universitäten in Würzburg (1863), München (1864), 293

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Abb. 3: Fedor Schuchardt (1848 – 1913).

Berlin (1865) und Göttingen (1866), deren Vertreter anders als noch in Leipzig als Ordinarien ernannt wurden. Damit verknüpft war zugleich die regelmäßige Durchführung des psychiatrischen Unterrichts an den jeweiligen medizinischen Fakultäten, die dem zunehmenden Bedürfnis nach Ausbildung in diesem Fachbereich Rechnung trug. Die Forderung, an den Universitäten „Irrenkliniken“ für die gezielte Ausbildung zu errichten, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts von bekannten Psychiatern wie Christian Friedrich Nasse (1778 – 1851) immer wieder gestellt worden.30 Die ersten neugebauten „Irrenkliniken“, die Universitäten angeschlossen waren, entstanden ab den 1860er-­Jahren, so dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der Großteil der deutschen Universitäten über eigene „Irrenkliniken“ verfügten.31 Damit änderte sich die Versorgung dahingehend, dass die als kurzfristig nicht therapierbar angesehenen psychisch Kranken meist in die ländlich gelegenen Anstalten gebracht, und die „frischen Fälle“ für den studentischen Unterricht in den Universitätskliniken behalten wurden. In diesem Kontext verlagerten sich die Forschungs- und Unterrichtsstätten in die Universitätskliniken.32 Noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich Anstaltsärzte wie Christian Friedrich 294

Spezialisierung und Professionalisierung

Wilhelm Roller (1802 – 1887), Heinrich Philipp August Damerow (1798 – 1866) oder der in Schwerin tätige Carl Friedrich Flemming (1799 – 1880) in der Forschung und für die ärztliche Ausbildung engagiert. Sie veröffentlichten psychiatrische Lehrbücher und gaben wissenschaftliche Zeitschriften wie die „Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-­gerichtliche Medicin“ (ab 1844) heraus.33 Der Nutzung der Irrenanstalten für studentische Zwecke standen sie allerdings zumeist ablehnend gegenüber. Weitere Meilensteine auf dem Weg der Psychiatrie zum selbständigen Fachgebiet waren auch die Gründung von wissenschaftlichen Fachgesellschaften wie der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und gerichtlichen Psychologie“ (1854), des „Deutsche(n) Verein(s) der Irrenärzte“ (1860) oder des von Fedor Schuchardt im Jahre 1899 mitbegründeten „Verein(s) norddeutscher Irrenärzte“, dessen dritte Tagung 1901 in Rostock stattfand.34

Der späte Start: Die Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim in Rostock 35 Die am 12. November 1896 auf dem Gelände des heutigen Zentrums für Nervenheilkunde der Universitätsmedizin Rostock eröffnete Großherzogliche Landesheil- und Pflegeanstalt Gehlsheim nahm eine Zwischenstellung ein. So diente sie von Anfang an sowohl der Therapie und Pflege psychisch Kranker wie auch der Ausbildung von Studenten und Ärzten. In Rostock war damit die auch andernorts bestehende Situation beendet worden, dass der Lehrauftrag einerseits nebenamtlich und andererseits ohne eigene Universitätsklinik ausgeübt wurde. Obwohl schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts über den Bau einer Klinik für „Geisteskranke“ diskutiert worden war, die der Landesuniversität Rostock angeschlossen werden sollte, kam es erst 1889 zum Beschluss. Die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen der großherzoglichen Regierung, den Landständen, dem Landtag und der Universität um die Finanzierung hatten einen Baubeginn immer wieder verzögert.36 Um die Kosten zu senken, entschloss man sich zum Kauf eines Grundstücks außerhalb der Stadt. Die Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim (Abb. 4 und 5) sah eine Belegung mit maximal 250 Patienten vor und war im Pavillonstil errichtet worden, eine Bauweise, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die bevorzugte war.37 Die dezentrale Struktur und funktionale Ausrichtung der einzelnen Gebäude sollten eine Therapie in kleinen Patientengruppen in einer parkähnlichen Umgebung ermöglichen. Der weitläufige Park der Gehlsheimer Anstalt wurde in der Zeit der Anstaltseröffnung angelegt und umfasst bis heute zahlreiche heimische, aber auch seltene ausländische Baumarten.38 Die psychiatrischen Anstalten, die sich wie in Rostock meist abseits des Stadtbetriebs in ruhiger Lage befanden, hatten bis Ende des 20. Jahrhunderts eine zentrale Stellung in der Behandlung psychisch kranker Menschen. Sie wurden aufgrund der Anordnung ihrer Gebäude und den umliegenden Parks als Therapeutikum verstanden, das den Kranken neben der Ruhe auch eine Beschäftigung im Freien bot.39 Wie in anderen Anstalten, die in dieser Zeit erbaut wurden, finden sich entlang der Mittelachse alle zentralen Gebäude 295

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Abb. 4: Die Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim.

Abb. 5: Postkarte mit Ansicht der Heil- und Pflegeanstalt in Gehlsheim.

296

Spezialisierung und Professionalisierung

(Verwaltungsgebäude mit der früheren Wohnung des Direktors und Wirtschafts- und Maschinengebäude). Beidseitig davon stehen, symmetrisch angeordnet, ein- und zweistöckige Pavillons, in denen die Patienten nach Geschlecht getrennt (Ost: Männer und West: Frauen) bzw. nach dem Krankheitszustand („Ruhige“ und „Unruhige“ bzw. „zur Beobachtung bedürftige Kranke“) untergebracht waren.40 Der erste Direktor Fedor Schuchardt war zugleich ordentlicher Professor der Psychia­ trie und gerichtlichen Medizin an der Universität Rostock und hielt ab dem Sommersemester 1896 regelmäßig Vorlesungen.41 Nach seinem Tod folgten als Direktoren die in der Psychiatriegeschichte noch heute bekannten Oswald Bumke (1877 – 1950), Karl Kleist (1879 – 1960) (Abb. 6) und Max Rosenfeld (1871 – 1956), die jeweils eigene Akzente in der Spezialisierung des Fachgebiets setzen konnten. Kleist verfasste wegweisende Beiträge zur Einteilung der psychischen Erkrankungen und prägte den Begriff der zykloiden Psychosen. Aufgrund seiner im Krieg gewonnenen Erkenntnisse über Hirnverletzungen und die daraus folgenden Störungen erarbeitete Kleist eine detaillierte Hirnkarte über die Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde auf architektonischer Grundlage. Sein umfangreiches Werk „Gehirnpathologie“ von 1934 beruhte auch auf seinen Untersuchungen in dem von ihm eingerichteten Hirnverletztenlazarett in Rostock-­Gehlsheim und war ein bedeutender Beitrag für die Lokalisationstheorie.42 Sein Nachfolger Rosenfeld beschäftigte sich überwiegend mit somatisch bedingten psychischen Störungen und vertrat wie schon zuvor Kleist die Neurologie auch in der Lehre. Für die studentische Lehre war neben der praxisnahen Ausbildung auch die zunehmend naturwissenschaftliche Ausrichtung der Psychiatrie mit einer Verschiebung in Richtung der Neuropathologie interessant, die mittlerweile fester Bestandteil des medizinischen Lehrplans geworden war. Nachdem Rosenfeld 1936 emeritiert worden war, folgte ihm Ernst Braun (1893 – 1963). Während dieser Zeit wurden auch Patienten der Rostocker Klinik Opfer der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik. Neben zahlreichen Zwangssterilisationen wurden sie in andere Anstalten verlegt und fielen den Tötungsmaßnahmen im Rahmen der sogenannten Euthanasie zum Opfer.43 23 Rostocker Patienten wurden am 29. September 1941 im Rahmen der Aktion T4 in die Zwischenanstalt Uchtspringe (Altmark) gebracht. Sie wurden jedoch nicht in die Tötungsanstalt nach Bernburg weiterverlegt, da die Aktion bereits im August 1941 gestoppt worden war. Dass die Zahl der zur Tötung Vorgesehenen im Vergleich zu den übrigen Anstalten in Mecklenburg relativ gering war, hatte zwei Gründe. Zum einen war es zwischen dem 4. und 7. September 1939 im Rahmen kriegsbedingter Maßnahmen 44 bereits zur Verlegung von 210 Patienten 45 aus der Rostocker Klinik nach Domjüch und zum Schweriner Sachsenberg gekommen, so dass viele der von dort nach Bernburg verlegten und getöteten Patienten ursprünglich Rostocker Patienten waren. Es ist davon auszugehen, dass die Ärzte der Psychiatrischen und Nervenklinik Rostock zu diesem Zeitpunkt (1939) noch nichts von den geplanten Patiententötungen wussten. Zum anderen hatte Braun mit der Begründung, es handele sich um einen „Fall von hohem wissenschaftlichen Interesse“, die Rückstellung einiger durch die Berliner T4-Zentrale 297

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Abb. 6: Karl Kleist (1879 – 1960).

selektierten Patienten vorgenommen.46 Wie viele Patienten es insgesamt waren, denen Braun damit das Leben – zumindest vorerst – gerettet hatte, lässt sich aufgrund der in der Mehrzahl fehlenden Krankenakten nicht mehr feststellen.47 Von den nach Uchtspringe verlegten Patienten verstarben 19 in der dortigen Anstalt. Es ist davon auszugehen, dass sie durch Morphiumspritzen, Tabletten und Nahrungsentzug getötet worden sind.48 Zwei wurden in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt, zwei weitere Patienten überlebten. Aber auch in der zweiten „Euthanasie“-Phase wurden Patienten aus der Gehlsheimer Klinik Opfer der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik. Auch wenn es in der Rostocker Klinik nachweislich nicht zu erhöhten Sterberaten kam,49 muss konstatiert werden, dass psychisch Kranke häufig weiterverlegt wurden, bis 1943 neben Schwerin auch nach Domjüch,50 danach nur noch zum Schweriner Sachsenberg, jener Anstalt, die als Schaltzentrale des regionalisierten Patientenmords in Mecklenburg fungierte. Es ist davon auszugehen, dass etwa 1.900 Patienten in Schwerin zwischen 193951 und 1945 ermordet worden sind,52 darunter ab 1941 etwa 400 Rostocker Patienten der Gehlsheimer Psychiatrischen und Nervenklinik.53 298

Spezialisierung und Professionalisierung

Abb. 7: Durch Bomben zerstörte Gebäude der Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim.

Die Universitätsnervenklinik Rostock nach 1945 Mit der Wiedereröffnung der medizinischen Fakultät im Herbst des Jahres 1946 erhielt die bisherige Psychiatrische und Nervenklinik Gehlsheim den Status einer Universitätsklinik. Die Situation war in der Folge des Kriegs aufgrund der personellen und materiellen Verluste desolat. So gab es 1946 an der Klinik lediglich drei Ärzte. 54 Hinzu kam, dass einzelne Gebäude nicht genutzt werden konnten, da diese durch Bombentreffer beschädigt worden waren und weitere Räumlichkeiten von der Infektionsabteilung der Medizinischen Klinik genutzt wurden (Abb. 7).55 Trotz der schwierigen Umstände hatte sich der kommissarische Leiter Hans Heygster (1905 – 1961) habilitieren können und wurde 1949 zum Professor mit vollem Lehrauftrag und zum Direktor der Universitätsnervenklinik ernannt. Nachdem sich Heygster 1952 einem Protest gegen die zweite Hochschulreform angeschlossen hatte, wurden ihm wie auch weiteren Hochschullehrern an der Universität öffentlich staatsfeindliche Handlungen vorgeworfen.56 Daraufhin verließ er 1953 die DDR.57 Nach seinem Weggang stand die Universität Rostock vor dem Problem, den psychiatrischen Lehrstuhl neu besetzen zu müssen, denn gerade an den medizinischen Fakultäten herrschte in der DDR ein ausgeprägter Mangel an geeigneten Hochschulmedizinern. Deshalb berief man schließlich am 1. September 1954 mit Franz Günther Ritter von Stockert (1899 – 1967) von der Frankfurter Universität einen westdeutschen Wissenschaftler. Doch von Stockert verkörperte das Gegenteil der propagierten „neuen sozialistischen Intelligenz“. Der Enkel des bekannten Wiener Psychiaters und Hirnforschers Theodor Meynert (1833 – 1892) beschäftigte sich vorwiegend mit kinderpsychiatrischen Themen.58 Von Anfang an kam 299

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

es zu Problemen, die vor allem auf gesellschaftspolitischer Ebene lagen.59 Dem Staatssekretariat für Hochschulwesen war der konservative Professor schon bald ein Dorn im Auge. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben. Denn Ende der 1950er-­Jahre führte die SED eine Säuberungskampagne mit dem Ziel durch, die Lehrkräfte an allen Fakultäten der Universitäten zur bedingungslosen Einhaltung der Parteilinie anzuhalten.60 Infolge der Vorbereitungen zur dritten Hochschulkonferenz (28.02. – 02. 03. 1958) nahmen die Repressalien gegen von Stockert zu. Er hatte sich wiederholt kritisch über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR geäußert. 1958 wurde er verhaftet und wegen Staatsverleumdung angeklagt.61 Wenngleich sich die Mehrzahl der Anklagepunkte bei der Verhandlung als nicht haltbar erwiesen, wurde von Stockert zu einem Jahr Gefängnis unter Auferlegung einer Bewährungsfrist von zwei Jahren verurteilt. Dem Druck in- und ausländischer Wissenschaftler war es zu verdanken, dass es zu keinem härteren Urteil kam.62 Noch im selben Jahr ging er zurück an die Universität Frankfurt am Main, wurde dort Leiter der kinderpsychiatrischen Abteilung und erhielt 1964 den außerordentlichen Lehrstuhl für Kinderpsychiatrie.63

Die Aufteilung des Rostocker Lehrstuhls für Psychiatrie und ­Neurologie: notwendige Fächerdifferenzierung oder politisches Kalkül? Im November 1958 übergab das Staatssekretariat für Hochschulwesen in (Ost)Berlin dem Rektor der Universität Rostock die Urkunden für die neu eingerichteten Lehrstühle für Psychiatrie, Kinderpsychiatrie und Neurologie. Damit waren in der DDR erstmals separate Lehrstühle für diese Fachgebiete entstanden. Doch die Entscheidung, den bisherigen Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie in drei eigenständige aufzuteilen, erfolgte weder einvernehmlich noch war sie primär an fachlichen Interessen ausgerichtet. Noch im Dezember 1957 hatte sich der Dekan der medizinischen Fakultät beschwert, dass die Fakultät hinsichtlich der Trennung des Lehrstuhls nicht befragt worden sei. 64 Ebenso hatten sich der Lehrstuhlinhaber und Direktor der Rostocker Universitätsnervenklinik, Franz Günther von Stockert, und weitere in der DDR tätige Ordinarii für Psychiatrie und Neurologie wie auch der Vorstand der DDR-Fachgesellschaft gegen die Trennung ihres Fachgebiets ausgesprochen. Die Teilung des Lehrstuhls hingegen war beschlossen und zeigt, wie gering die Einflussnahme von Institutionen oder gar einzelnen Personen vor dem Hintergrund der zentralistischen Hochschulpolitik der DDR war.65 Die Aufteilung in separate psychiatrische und neurologische Lehrstühle mit Bildung selbständiger Kliniken blieb an den Universitäten und Medizinischen Hochschulen der DDR zunächst eine Ausnahme.66 Für das Prinzip der Einheit des Fachgebiets stand exemplarisch die 1956 gegründete Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie der DDR. Auch wenn hier 1980 sogenannte Sektionen für Neurologie, Psychiatrie, Kinderneuro­ psychiatrie und medizinische Psychologie entstanden, die die eigenständige Entwicklung 300

Spezialisierung und Professionalisierung

der Neurologie und Kinderneuropsychiatrie widerspiegelten, wurde doch die Einheit des Fachgebiets nicht in Frage gestellt.67 In Rostock führte das Vorgehen gegen von Stockert aber dazu, dass es bereits 1958 zur Teilung des Lehrstuhls in drei eigenständige für Psychiatrie, Neurologie und Kinderpsychiatrie kam.68 Das Staatssekretariat ordnete am 5. Dezember 1957 an, eine selbständige Klinik für Neurologie unter der Leitung von Karl-­Heinz Elsaesser (1912 – 1975) und eine Klinik für Kinderpsychiatrie unter Leitung von Gerhard Göllnitz (1920 – 2003) zu bilden.69 Damit begannen Umstrukturierungen, am 1. März 1958 nahmen die Abteilungen für Neurologie und Kinderpsychiatrie ihre Arbeit auf, und schon kurze Zeit später wurden die entsprechenden Lehrstühle geschaffen.70 Im September 1958 hatte sich die medizinische Fakultät auf Drängen des Staatssekretariats einverstanden erklären müssen, den einzelnen Abteilungen entsprechend Lehrstühle für Psychiatrie, Neurologie und Kinderpsychiatrie einzurichten.71 Göllnitz wurde mit Wirkung vom 1. November 1958 als Vertreter für den Lehrstuhl für Kinderpsychiatrie benannt.72 Dass es sich bei der Aufteilung des Lehrstuhls und der Klinik um eine überstürzte Entscheidung statt einer vernünftigen Entwicklung handelte, zeigt der weitere Fortgang. Zwar hatte man neben einem separaten kinderpsychiatrischen auch einen neurologischen Lehrstuhl geschaffen. De facto bestand die Trennung jedoch nur auf dem Papier. Elsaesser war bereits nach kurzer Zeit wieder an die Universität Greifswald zurückgegangen, um dort die neu gegründete Abteilung für Neurohistopathologie und ab 1965 auch die Leitung der Universitätsnervenklinik zu übernehmen 73, und von Stockert war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Rostock, so dass Göllnitz alle drei Bereiche vertrat. Damit waren der psychiatrische und der neurologische Lehrstuhl vakant, denn es fanden sich zunächst keine geeigneten Kandidaten. Erst 1961 gelang es, den 37jährigen Johannes Sayk (1923 – 2005) aus Jena auf den neurologischen Lehrstuhl zu berufen. Für den psychiatrischen Lehrstuhl fand man erst zehn Jahre später mit Alphons Herbst (1918 – 1997) einen geeigneten Kandidaten. Die Weichen für eine notwendige Spezialisierung der Fächer Neurologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie waren – wenn auch zwangsweise und überstürzt – nichtsdestotrotz gestellt worden.

Die Spezialisierung schreitet voran: Neurologie und Kinderneuropsychiatrie auf dem Weg zur Eigenständigkeit Nachdem Sayk den neurologischen Lehrstuhl übernommen hatte, gelang es ihm, eine zeitgemäße klinische Neurologie mit den entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Verfahren zu etablieren. Zudem förderte er Spezialgebiete durch Schaffung klinischer und wissenschaftlicher Arbeitsgruppen. Dazu gehörten neben der Liquorologie 74 auch die Neuroimmunologie, Neuroradiologie und Neurophysiologie. Sayk war zunächst Professor mit vollem Lehrauftrag, dann Professor mit Lehrstuhl, und 1969 wurde er zum ordentlichen Professor für Neurologie berufen. 1989 ging Sayk in den Ruhestand und 301

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

starb am 4. Dezember 2005 in Rostock. Er hatte sich als Gründungsmitglied der CSF Research Group der World Federation of Neurology und der Arbeitsgemeinschaft (Sektion) für klinische Neurochemie und Liquorforschung in der Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie der DDR für die Eigenständigkeit seines Fachgebiets engagiert.75 Obwohl beide Fachgebiete, Psychiatrie und Neurologie, auch in der Rostocker Nervenklinik institutionell eng verbunden blieben, so war die Neurologie als Fachgebiet in Wissenschaft, Lehre und Krankenversorgung doch erkennbar vertreten. Folgerichtig wurde die bisherige Abteilung für Neurologie mit Bildung des Zentrums für Nervenheilkunde im Jahre 1995 dann auch in eine eigenständige Klinik für Neurologie umgewandelt. Die Bildung eines solchen Zentrums veranschaulicht das Fortschreiten der Spezialisierung und den Entwicklungsstand in der Mitte der 1990er-Jahre. Im Zuge dessen entstanden neben der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Klinik für Neurologie als weitere eigenständige Einheiten die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin und das Institut für Medizinische Psychologie; im Jahre 2001 folgte die neuerbaute Klinik für Forensische Psychiatrie. Neu entstand auch die Klinik für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und Psychotherapie. Bereits 1953 war eine kleine kinderpsychiatrische Abteilung eingerichtet worden, aus der 1958 eine selbständige Abteilung entstand, die in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut werden konnte.76 Den 1958 etablierten Lehrstuhl für Kinder(neuro)psychiatrie in der DDR hatte Göllnitz bis zu seiner Emeritierung 1985 inne. Die konsequente Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rostock war seinem Engagement, aber auch dem von Stockerts zu verdanken. Von Stockert gehörte zur Gründergeneration und zu den Wegbereitern der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland und Europa.77 Doch auch Göllnitz setzte sich zielstrebig für eine eigenständige Kinderneuropsychiatrie ein.78 Er wurde schließlich 1969 zum ordentlichen Professor für Kinderneuropsychiatrie berufen und vertrat die Einheit von Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters im Sinne einer Neuropsychiatrie.79 Diese Tradition, die auf den Einfluss der Psychiatrie und Neurologie zurückgeht, war in den ehemaligen sozialistischen Ländern einschließlich der DDR besonders stark ausgeprägt.80 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie hatte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer selbständigen Fachdisziplin entwickelt. Das zeigt die Entstehung eigener Lehrstühle und die Gründung wissenschaftlicher Zeitschriften und Fachgesellschaften in vielen europäischen Ländern. Ein wichtiger Schritt für die universitäre Kinderpsychiatrie in Deutschland war vor allem die Gründung der ersten Lehrstühle in den 1950er-Jahren, in der Bundesrepublik 1954 in Marburg, in der DDR 1958 in Rostock.81 In der Psychiatrie engagierten sich Herbst und sein Nachfolger Klaus Ernst (geb. 1936) vor allem im Bereich der biologisch orientierten Forschungsrichtung. Der wissenschaftliche Schwerpunkt von Ernst lag vor allem in der neurophysiologischen Erforschung von Ursachen bei psychischen Erkrankungen und der Anwendung von entsprechenden Untersuchungs- und Therapieverfahren.82 Im Bereich der psychiatrischen Therapie ging 302

Spezialisierung und Professionalisierung

die Differenzierung mit der allgemeinen Entwicklung des Fachgebiets einher und schloss neben der zunehmenden Anwendung der Psychopharmakotherapie auch sozial- und psychotherapeutische Verfahren ein. In den heute selbständigen Kliniken und Instituten des Zentrums für Nervenheilkunde der Universitätsmedizin Rostock gibt es alle Möglichkeiten, die für eine moderne Diagnostik und Therapie sowie für die studentische Lehre erforderlich sind. 2006 wurde ein neues Gebäude übergeben, in dem verschiedene Fachbereiche nach modernen Gesichtspunkten untergebracht sind. Das heutige Ensemble der Klinik stellt ein gelungenes Beispiel der architektonischen Begegnung von Altem und Neuem dar.

Zusammenfassung Die Herausbildung der modernen Medizin und die damit einhergehenden Prozesse der Spezialisierung und Professionalisierung mit der Verselbständigung einzelner Fachgebiete und der Etablierung von Spezialkliniken führten zum Aufstieg der medizinischen Fakultät. In Rostock steht für diesen Prozess – quasi als Aushängeschild und trotz oder gerade wegen der Verzögerungen in anderen Bereichen – die erste HNO-Klinik an einer deutschen Universität und die Einrichtung des ersten entsprechenden Ordinariats. Im Zuge dieser Ausdifferenzierungen entwickelte sich die medizinische Fakultät von der seit den Anfängen der Universität Rostock kleinsten zur größten und stetig wachsenden Fakultät. Die Entstehung neuer Kliniken, Laboratorien, Institute und Lehrstühle und der damit verbundenen vor allem fachspezifischen Lehre führte zu wachsenden Studierendenzahlen, und auch die Größe des medizinischen Lehrkörpers stieg seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stetig an. Insgesamt war die Aufbruchsstimmung im Kontext einer auf naturwissenschaftlichem Denken basierenden und vom rein „Spekulativen“ befreiten Medizin eine Triebfeder, die beinahe grenzenlose Fortschritte bei der Erforschung der Genese, Therapie und schließlich der Bekämpfung oder gar Eliminierung von Krankheiten versprach. Sowohl die Etablierung theoretischer Grundlagenfächer, wie etwa die ab 1865 in Rostock eigenständige, von der Anatomie abgekoppelte Physiologie, die Hygiene, die ab 1881 ein eigenes Institut aufweisen konnte, die Pharmakologie und die Physiologische Chemie, aber auch die klinischen Disziplinen Gynäkologie, Ophthalmologie, Pädiatrie, HNO, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Psychiatrie u. a. m. deuten auf ein verbessertes quantitatives und qualitativ-­spezialisiertes medizinisches Leistungsangebot hin.

303

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Anmerkungen

1 2 3 4 5 6

Vgl. auch Kumbier/Karenberg 2019. Gelfand 1976, 518 – 520. Mieg 2005, 242 – 243. Guntau/Laitko 1985. Aubert 1878, 3. Die Poliklinik Spittas befand sich in dem zwischen 1805 und 1846 interimistisch betriebenen Krankenhaus in der Nähe des Kuhtors, die von Quittenbaum bestand aus einigen Zimmern eines in der Kleinen Mönchenstraße gelegenen Wirts- und Bäckerhauses, zeitweise auch aus leerstehenden Zimmern im Anatomischen Institut am Alten Markt. Die Medizinisch-­Chirurgische Klinik Strempels befand sich in der Pädagogienstraße. Vgl. Uffelmann 1889, 138. Lorenz hingegen erwähnt die Strempelsche Klinik in der parallel verlaufenden Apostelstraße. Vgl. Lorenz 1919. 7 Strempel erhielt dabei die Unterstützung der Großherzoglichen Regierung. Vgl. Lorenz 1919. 8 Es wurden je zwei Studenten und acht Hebammenschülerinnen je vier Monate lang unterrichtet. Vgl. Brummerstaedt 1865. 9 Vgl. Amhausend 2003; Imberh/Krause 2019. 10 Vgl. Brummerstaedt 1865. 11 Vgl. Veit 1856 sowie Nolte 2002, 51. 12 Vgl. Kollhoff 1987, 34 f. 13 Vgl. Kollhoff 1987. 14 Schatz, zit. nach Kollhoff 1987, 44 f. Nachweislich hatte schon Johann Ernst Schaper (1668 – 1721) 1721 über Frauenkrankheiten an der Universität gelesen. Vgl. http://rosdok.uni-­rostock.de/ data/Preview-­PuV/PDF/1721_IL.pdf (Zugriff 21. 06. 2018). 15 Den äußerst schwierigen Weg bis zur endgültigen Umsetzung des Bauvorhabens der Augenklinik zeichnet Sophie Große in ihrem Beitrag „Man könne nicht allen Wünschen entsprechen“ nach. Vgl. Große 2019. 16 Insbesondere Professor Burkhard Kramp hat sich um die Anfänge der otorhinolaryngologischen Fachklinik in Rostock verdient gemacht und zahlreiche wissenschaftshistorische Beiträge zum Thema geschrieben oder initiiert. An dieser Stelle sei nur auf eine Auswahl seiner Publikationen verwiesen: Kramp 1999/2001/2010 sowie Rektor der Universität 2001. 17 Hier kündigte der praktische Arzt und Privatdozent, Carl Hanmann (1806 – 1846), an, „doctrinam de morbis aurium“ durchzuführen. Vgl. http://rosdok.uni-­rostock.de/data/Preview-­PuV/ PDF/1831_WS_IL.pdf (Zugriff 09. 05. 2019) und folgende Jahrgänge. 18 http://rosdok.uni-­rostock.de/data/Preview-­PuV/PDF/1868_SS_IL.pdf (Zugriff 09. 05. 2019). 19 http://rosdok.uni-­rostock.de/data/Preview-­PuV/PDF/1891_SS_VV.pdf (Zugriff 09. 05. 2019). Die von Fleischer und Naumann erwähnte 1881 gegründete Poliklinik für Ohrenkranke unter der Leitung von Adolf Barth (1852 – 1936) lässt sich anhand der Institutsverzeichnisse nicht nachweisen. Vgl. Deutsche Gesellschaft 1996, 263. 20 Vgl. UAR, Lehrstuhl für Ohren- und Kehlkopfheilkunde – Berufungen, Nr. 0254, 1901, 1928. 21 Vgl. Heller 2009. 22 Der in Halle wirkende Mediziner Johann Christian Reil (1759 – 1813) hatte 1808 das neue medizinische Fachgebiet als „Psychiaterie“ (!) bezeichnet und in seinen 1803 erschienenen „Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethoden auf Geisteszerrüttungen“ 304

Spezialisierung und Professionalisierung

die Aufgaben des Fachs dargestellt, vgl. Marneros/Pillmann 2005. Eine Übersicht über die Entwicklung als medizinisches Spezialfach an den Universitäten des deutschen Sprachgebiets findet sich in Eulner 1970. 23 Vgl. http://rosdok.uni-­rostock.de/data/Preview-­PuV/PDF/1830_WS_IL.pdf (Zugriff 09. 05. 2019). 24 Vgl. Tott 1856, 266. 25 Eulner hat darauf hingewiesen, dass die „Irrenheilkunde“ in Deutschland sogar erst 1906 als Plicht- und Prüfungsfach anerkannt wurde, da erst in diesem Jahr die ärztliche Approbationsordnung von 1901 in Kraft trat; vgl. Eulner 1970. 26 Zu Schuchardt vgl. Wilhelmi 1901. 27 Vgl. Galleck 1996. 28 Binswanger 1892. 29 Zur Entstehungsgeschichte und seinem ersten Vertreter Johann Christian August Heinroth (1773 – 1843), der diese als außerordentliche Professur für „psychische Therapie“ innehatte, vgl. Steinberg 2004. 30 Vgl. Carius/Angermeyer/Steinberg 2003. 31 Jetter 1981. 32 Der Philosoph und Psychiater Karl Jaspers (1883 – 1969) prägte in diesem Zusammenhang die Bezeichnungen der „Anstaltspsychiatrie“ und der „Universitätspsychiatrie“, Jaspers 1913. 33 Engstrom/Roelcke 2003. 34 Schläfke/Weigel/Häßler/Ernst 2004. 35 Zur Errichtung eines Lehrstuhls für Psychiatrie an der Universität Rostock und des Baus der Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim vgl. auch Miesch 1996. 36 Vgl. Galleck 1996. 37 Vgl. Kohl 2001a; Kohl 2001b. 38 Vgl. Henning 1984. 39 Vgl. Vanja 2011. 40 Vgl. Galleck 1996. 41 http://rosdok.uni-­rostock.de/data/Preview-­PuV/PDF/1896_SS_PV.pdf (Zugriff 23. 02. 2019). 42 Kleist 1934, 344. 43 Vgl. Haack/Häßler/Kumbier 2013; Haack/Kumbier 2014. 44 Die psychiatrischen Betten wurden für ein Reservelazarett sowie den zivilen Luftschutz zweckentfremdet. 45 UAR Jahresbericht Datierung: 1903 – 1942, Bl. 105. 46 Krankenblattarchiv Zentrum für Nervenheilkunde, UMR. 47 Leider sind die Mehrzahl der Krankenakten der Gehlsheimer Klinik aus der Zeit des Nationalsozialismus in den 1970er-­Jahren kassiert worden. Immerhin konnte in vier von insgesamt 391 erhalten gebliebenen Akten ein solcher Vermerk gefunden werden. 48 Synder 2001, 73 – 95; vgl. auch Haack 2019. 49 Die Auswertung der Diagnosekarten ergab eine Mortalitätsrate von etwa 5 %. Das entspricht der Vorkriegs- und auch Vor-­NS-Zeit. Erst die katastrophalen Verhältnisse nach dem Krieg hatten zwischen 1946 und 1948 eine erhöhte Sterberate zwischen 15 und 20 % zur Folge. Vgl. Haack/Kumbier/Herpertz 2009. 50 Am 26. März 1943 kam für Domjüch das endgültige Aus als psychiatrische Einrichtung. Der Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Mecklen305

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

51

52 53

54 55 56

57 58 59 60

61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 306

burg, Friedrich Hildebrandt (1898 – 1948), verfügte, die Anstalt aufzulösen und „[…] die dort befindlichen Geistes- und Nervenkranken in die Anstalten Sachsenberg und Gehlsheim“ zu verlegen (LHAS 5.12 – 7/11 Nr. 10566). Fortan fungierte die Einrichtung als Tuberkulosekrankenhaus. Am 11. April und 17. Mai 1943 wurden insgesamt 95 Frauen und 89 Männer zum Sachsenberg gebracht (LHAS 5.12 – 7/11, Nr. 375). Schon vor Beginn der „Aktion T4“ und später parallel dazu soll der Arzt Alfred Leu (1900 – 1975) in der Schweriner Anstalt mit Medikamenten gemordet haben. Vgl. Rüter-­Ehlermann/Fuchs/ Rüter 1974. Vgl. Haack/Kasten/Pink 2016. Nach Auswertung der von Kathleen Haack im Landeshauptarchiv Schwerin aufgenommenen Krankenakten sowie der Zu- und Abgangsbücher der Anstalt Schwerin-­Sachsenberg während der NS-Zeit. BA Berlin DQ1 – 0146, Bl. 358. Vgl. Miesch 1996. Im März 1952 protestierten 58 Hochschullehrer der Universität Rostock in einem Schreiben an das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR gegen die Neuregelungen der Hochschulreform und waren in der Folge den Angriffen der SED ausgesetzt; vgl. Ammer 1969; Jakubowski/Urbschat 1994. Vgl. zu den näheren Umständen und zunehmenden Repressalien Kumbier u. Haack 2011. Zu Biografie und Werk von Stockert vgl. Kumbier 2007. Vgl. dazu Kumbier et al. 2009 und zum Generationswechsel an den Universitätsnervenkliniken in der SBZ und DDR vgl. Kumbier/Haack 2015. Diese Kampagne gegen Hochschullehrer in der DDR zwischen 1957 und 1959 hatte zum Ziel, die in der Folge des XX. Parteitages der KPdSU einsetzende Entstalinisierung zu begrenzen und Tendenzen eines „demokratischen Sozialismus“ entgegen zu wirken. Die Folge waren politisch-­ideologische Disziplinierungsmaßnahmen; vgl. Laitko 2002. BStU, Archiv der Außenstelle Rostock; AU 44/58 BA Band 2. Vgl. Kumbier et al. 2009. UA Frankfurt, Abt. 4, Nr. 203, Stockert, Franz Günther Ritter von (Rektoratsakte) und Kurator Abt. 13, Nr. 194, Med. Fak., Kinderpsychiatrie, Besetzung von Lehrstühlen. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Abt. Kinder-­Neuro-­Psychiatrie 1957 – 1977: 1682. Vgl. Kumbier et al. 2009. Vgl. Schmiedebach 1999; Kumbier/Karenberg 2019. Vgl. Kumbier 2009. Vgl. Kumbier 2019. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957 – 1959: 1685. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957 – 1959: 1685. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957 – 1959: 1685. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957 – 1959: 1685. Vgl. Schmiedebach 1999. Dahlmann/Zettl/Kumbier 2017. Zur Entwicklung der Neurologie an der Universität Rostock vgl. Kumbier/Karenberg 2019 und Meyer-­Rienecker 1983. Kumbier/Häßler 2010.

Spezialisierung und Professionalisierung

77 Vgl. Castell et al. 2003. 78 Die biografischen Angaben einschließlich der beruflichen Entwicklung entstammen der Personalakte der Universität Rostock (UA Rostock, PA Prof. Göllnitz, Gerhard: Teil I bis III). 79 Göllnitz 1978. 80 Vgl. hierzu Remschmidt 2008. 81 Kumbier 2010. 82 Vgl. Kumbier/Wandschneider/Thome 2016.

307

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Quellen- und Literaturverzeichnis

Amhausend, Astrid (2003), „Chaos“ und „unendliche Verhandlungen“. Die Gründungsphase des Rostocker Stadtkrankenhauses 1794 – 1865, Rostock. Ammer, Thomas (1969 [Reprint 1990]), Universität zwischen Demokratie und Diktatur. Ein Beitrag zur Nachkriegsgeschichte der Universität Rostock, Köln. Aubert, Hermann (1878), Bausteine zu einem Medicinischen Institut. Rede bei der Eröffnung des Neuen Medicinischen Instituts an der Universität Rostock im Auftrage der Medicinischen Fakultät, Rostock. Brummerstaedt, Wilhelm (1865), Bericht aus der Grossherzoglichen Central-­Hebammen-­Lehranstalt in Rostock nebst einer statistischen Zusammenstellung aus 135 theils veröffentlichten, theils noch unbekannten Fällen von Eclampsie, Rostock. Bundesarchiv Berlin DQ1 – 0146. Bundesarchiv Berlin DR3 – 11122. Bundesarchiv Berlin DR3 1. Schicht–0158. Bundesarchiv Berlin DR3 1. Schicht–5154. Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) 1006/65, „Schneider“ I. Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Archiv der Außenstelle Rostock; AU 44/58 BA Band 2. Binswanger, Otto (1892), „Ueber die Irrenfürsorge in Mecklenburg“, in: Deutsche Medicinische Wochenschrift 26, 618 – 619. Carius, Dirk/Angermeyer, Matthias C./Steinberg, Holger (2003), „Narrenhaus, Irrenanstalt, Heil- und Pflegeanstalt, Fachkrankenhaus. Zur Entwicklung der Bezeichnungen für psychiatrische Kliniken in Deutschland bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts“, in: Psychiatrische Praxis 30, 438 – 443. Castell, Rolf/Nedoschill, Jan/Rupps, Madeleine/Bussiek, Dagmar (2003), Geschichte der Kinderund Jugendpsychiatrie in Deutschland in den Jahren 1937 bis 1961, Göttingen. Dahlmann, Nathalie/Zettl, Uwe K./Kumbier, Ekkehardt (2017), „The Development of Sayk’s Cell Sedimentation Chamber. A Historical View on Clinical Cerebrospinal Fluid Diagnostics“, in: European Neurology 77, 162 – 167. Deutsche Gesellschaft für Hals-­Nasen-­Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-­Chirurgie (Hgg.) (1996), Akademische Lehrstätten und Lehrer der Oto-­Rhino-­Laryngologie in Deutschland im 20. Jahrhundert, Berlin. Engstrom, Eric J./Roelcke, Volker (Hgg.) (2003), Psychiatrie im 19. Jahrhundert. Forschungen zur Geschichte von psychiatrischen Institutionen, Debatten und Praktiken im deutschen Sprachraum (Medizinische Forschung, Band 13), Basel. Eulner, Hans-­Heinz (1970), Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes, Stuttgart. Galleck, Kristin Friederike (1996), „Psychiatrie im Großherzogtum Mecklenburg vor 100 Jahren. Ein Beitrag zur Gründungsgeschichte der Rostocker Nervenklinik“, in: Krankenhauspsychia­ trie 7, 170 – 175. Gelfand, Toby (1976), „The origins of a modern concept of medical specialization. John Morgan’s discourse of 1765“, in: Bulletin of the History of Medicine 50, 511 – 535. 308

Spezialisierung und Professionalisierung

Göllnitz, Gerhard (1978), „Warum Kinderneuropsychiatrie?“, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 30, 270 – 276. Große, Sophie (2019), „‚Man könne nicht allen Wünschen entsprechen‘ oder: von den Schwierigkeiten, in Rostock eine Klinik zu gründen“, in: Reisinger, Emil C./Haack, Kathleen (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen, Köln/ Wien/Weimar, 109 – 126. Guntau, Martin/Laitko, Hubert (1987), Der Ursprung der modernen Wissenschaften. Studien zur Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen, Berlin. Haack, Kathleen/Kumbier, Ekkehardt/Herpertz, Sabine C. (2009), „Erinnern – Betrauern – Wachrütteln: Zum Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisationen und ‚Euthanasie‘ in der Zeit des Nationalsozialismus in Rostock“, in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Nervenheilkunde 15, 215 – 228. Haack, Kathleen/Häßler, Frank/Kumbier, Ekkehardt (2013), „Lebensunwert? Menschen mit Behinderungen im Wandel der Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Rostocker Verhältnisse im Nationalsozialismus“, in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 19, 399 – 418. Haack, Kathleen/Kumbier, Ekkehardt (2014), „Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten in Mecklenburg während der NS-Zeit“, in: Trauma & Gewalt 8, 272 – 284. Haack, Kathleen/Kasten, Bernd/Pink, Jörg (2016), Die Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg-­ Lewenberg 1939 – 1945, Schwerin. Haack, Kathleen (2019), „Veränderung des Blickwinkels. Opfer von Zwangssterilisationen und ‚Euthanasie‘ an der Universität Rostock“, in: Reisinger, Emil C./Haack, Kathleen (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen, Köln/ Wien/Weimar, 346 – 356. Heller, Paul (2009), Von der Landeskrüppelanstalt zur Orthopädischen Universitätsklinik. Das ‚Elisabethheim‘ in Rostock (Rostocker Schriften zur Regionalgeschichte 4), Berlin/Münster/Wien. Henning, Doris (1984), Der Baumbestand der Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock unter besonderer Berücksichtigung des Parkes der Nervenklinik Gehlsheim. Diplomarbeit, Wilhelm-­Pieck-­ Universität Rostock, Sektion Biologie. Imberh, Anastasie/Krause, Bernd (2019), „Architektur des Rostocker Stadtkrankenhauses. Vom Stadtkrankenhaus zum Großherzoglichen Universitäts-­Krankenhaus“, in: Reisinger, Emil C./Haack, Kathleen (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen, Köln/Wien/Weimar, 99 – 108. Jaspers, Karl (1913), Allgemeine Psychopathologie. Berlin. Jakubowski, Peter/Urbschat, Kerstin (1994), „Die Universität Rostock in den Jahren 1945 bis 1952. Versuch und Grenzen eines demokratischen Neuanfangs“, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock 19, Rostock, 9 – 31. Jetter, Dieter (1981), Grundzüge der Geschichte des Irrenhauses, Darmstadt. Kleist, Karl (1934), Gehirnpathologie vornehmlich auf Grund der Kriegserfahrungen, Leipzig. Kohl, Franz (2001a), „Die relativ verbundene Heil- und Pflegeanstalt in Halle-­Nietleben. Eine konzeptionsgeschichtlich interessante Modellanstalt für einen neuen psychiatrischen Versorgungstyp in Deutschland. Teil 1: Der Anstaltstypus der ‚relativ verbundenen Heil- und Pflegeanstalt‘ in seiner Entwicklung und zeitgeschichtlichen Bedeutung“, in: Krankenhauspsychiatrie 12, 121 – 124. 309

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Kohl, Franz (2001b), „Grundlinien der psychiatrischen Krankenhaus- und Institutionsgeschichte in Deutschland. Teil 2: Von der Begründung der Universitätskliniken zur Entwicklung der heutigen ‚Versorgungslandschaft‘“, in: Psychiatrische Pflege Heute 7, 16 – 21. Kollhoff, Hans-­Werner (1987), Der Neubau der Universitätsfrauenklinik Rostock von 1885 bis 1887 im historischen Zusammenhang der politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse jener Zeit. Univ. Diss. Rostock. Kramp, Burkhard (Hg.) (1999), 100 Jahre Universitäts-­HNO-Klinik. Die erste HNO-Fachklinik im gesamtdeutschen und nordeuropäischen Raum, Roggentin. Kramp, Burkhard/Pau, Hans (Hgg.) (2001), Rostocker Medizinische Beiträge 10. Kramp, Burkhard/Jerecinski, Antje (2010), Otto Körner, Arzt, Hochschullehrer und Forscher; erster deutscher Ordinarius für Ohren- und Kehlkopfkrankheiten und Gründer der ersten HNO-Fachklinik Nord- und Mitteleuropas, Roggentin. Krankenblattarchiv, Zentrum für Nervenheilkunde, Universitätsmedizin Rostock. Kumbier, Ekkehardt (Hg.) (2007), Wirken und Leben von Franz Günther Ritter von Stockert. Beiträge zum Frankfurter Symposium 2006, Rostock. Kumbier, Ekkehardt/Haack, Kathleen/Herpertz, Sabine C. (2009), „Franz Günther von Stockert im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft. Ein Beitrag zur Geschichte der Nervenheilkunde in der DDR“, in: Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 77, 285 – 288. Kumbier, Ekkehardt/Häßler, Frank (2010), „50 Jahre universitäre Kinderneuropsychiatrie in Rostock“, in: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 38, 155 – 160. Kumbier, Ekkehardt (2010), „Die Entstehungsgeschichte der Kinderneuropsychiatrie an den Universitäten der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Universität Rostock“, in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 16, 353 – 371. Kumbier, Ekkehardt/Haack, Kathleen (2011), „Sozialistische Hochschulpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das Beispiel Hans Heygster an der Universitäts-­Nervenklinik Rostock“, in: Würzburger Medizinhistorische Mitteilung 30, 139 – 162. Kumbier, Ekkehardt/Haack, Kathleen (2015), „Hochschullehrer in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR bis 1961. Der akademische Generationswechsel an den Universitätsnervenkliniken“, in: Der Nervenarzt 86, 624 – 634. Kumbier, Ekkehardt/Wandschneider, Roland/Thome, Johannes (2016), „Psychiatrie zwischen Neuro- und Sozialwissenschaften“, in: Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 84, 59 – 60. Kumbier, Ekkehardt (2019), „Die Aufteilung des psychiatrischen Lehrstuhls 1958: notwendige ­Fächerdifferenzierung oder politisches Kalkül?“, in: Reisinger, Emil C./Haack, ­Kathleen (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen, Köln/ Wien/Weimar, 357 – 368. Kumbier, Ekkehardt/Karenberg, Axel (2019), „Herausbildung der modernen Medizin. Die schwierige Disziplingenese der Neurologie zwischen Innerer Medizin und Psychiatrie“, in: Reisinger, Emil C./Haack, Kathleen (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen, Köln/Wien/Weimar, 145 – 159. Laitko, Hubert (2002), „Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsverständnis in der DDR. Facetten der fünfziger Jahre“, in: Clemens Burrichter/Gerald Diesener (Hgg.): Auf dem Weg zur „Produktivkraft Wissenschaft“, Leipzig, 107 – 139. Landeshauptarchiv Schwerin 5.12 – 7/11 Nr. 10566. Landeshauptarchiv Schwerin 5.12 – 7/11, Nr. 375. 310

Spezialisierung und Professionalisierung

Lorenz, Adolf Friedrich (1919), Die Universitätsgebäude zu Rostock und ihre Geschichte, Rostock. Marneros, Andreas/Pillmann, Frank (2005), Das Wort Psychiatrie … wurde in Halle geboren. Von den Anfängen der deutschen Psychiatrie, Stuttgart. Meyer-­Rienecker, Hans-­Joachim (1983), „Zur Entwicklung der Neurologischen Abteilung in Rostock. Ein Beitrag zur Spezialisierung des Fachgebietes Neurologie“, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 35, 513 – 523. Mieg, Harald A. (2005), „Professionalisierung“, in: Felix Rauner (Hg.), Handbuch der Berufsbildungsforschung, Bielefeld, 342 – 349. Nolte, Karen (2009), „Vom Verschwinden der Laienperspektive aus der Krankengeschichte. Medizinische Fallberichte im 19. Jahrhundert“, in: Sibylle Brändli/Barbara Lüthi/Gregor Spuhler (Hgg.), Zum Fall machen, zum Fall werden. Wissensproduktion und Patientenerfahrung in Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York, 33 – 61. Remschmidt, Helmut (2008), „Psychiatrie und Pädiatrie. Meilensteine in der Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie als selbständige Disziplin“, in: Hanfried Helmchen (Hg.), Psychiater und Zeitgeist. Zur Geschichte der Psychiatrie in Berlin, Lengerich, 128 – 145. Rüter-­Ehlermann, Adelheid L./Fuchs, H. H./Rüter, Christiaan F. (1974), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945 – 1966 (Vol. 12), Amsterdam. Schläfke, Detlef/Weigel, Holger/Häßler, Frank/Ernst, Klaus (2004), „Geschichte der Rostocker Psychiatrie“, in: Hanns Hippius (Hg.), Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Bd. 2, Darmstadt, 37 – 50. Schmiedebach, Heinz-­Peter (1999), „Die Herausbildung der Neurologie in Greifswald. Anmerkungen zur Fächerdifferenzierung in der Medizin“, in: Wolfgang Fischer/Heinz-­Peter Schmiedebach (Hgg.), Die Greifswalder Universitäts-­Nervenklinik unter dem Direktorat von Hanns Schwarz 1946 – 1965. Symposium zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von Hanns Schwarz am 3. 7. 1998, Greifswald, 98 – 114. Synder, Krimhild (2001), „Die Landesheilanstalt Uchtspringe und ihre Verstrickung in nationalsozialistische Verbrechen“, in: Ute Hoffmann (Hg.), Psychiatrie des Todes. NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“ im Freistaat Anhalt und in der Provinz Sachsen, Magdeburg, 73 – 95. Steinberg, Holger (2004), „Die Errichtung des ersten psychiatrischen Lehrstuhls. Johann Christian August Heinroth in Leipzig“, in: Der Nervenarzt 75, 303 – 307. Tott, CA (1856), „Die Pflege der Heilkunde durch die medizinische Fakultät zu Rostock vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“, in: Adolph Henke’s Zeitschrift für die Staatsarzneikunde 36, 205 – 270. UA Frankfurt, Abt. 4, Nr. 203, Stockert, Franz Günther Ritter von (Rektoratsakte). UA Frankfurt, Kurator Abt. 13, Nr. 194, Med. Fak., Kinderpsychiatrie, Besetzung von Lehrstühlen. UA Rostock, Jahresbericht Datierung: 1903 – 1942, Bl. 105. UA Rostock, Lehrstuhl für Ohren- und Kehlkopfheilkunde – Berufungen, Nr. 0254, 1901, 1928. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik – Besetzung des Lehrstuhls für Neurologie und Psychia­ trie 1948 – 1954: 1679. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Abt. Kinder-­Neuro-­Psychiatrie 1957 – 1977: 1682. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Besetzung der Lehrstühle für Neurologie und Psychiatrie 1958 – 1960: 1683. UA Rostock, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957 – 1959: 1685. UA Rostock, PA Prof. Göllnitz, Gerhard: Teil I bis III. 311

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack

Uffelmann, Julius (1889), Hygienische Topographie der Stadt Rostock. Mit einer Karte und zwei Skizzen, Rostock. Universität Rostock, Medizinische Fakultät, Zentrum für Nervenheilkunde (Hg.) (1996), Die Heil- und Pflegeanstalt Gehlsheim. Von den Anfängen bis 1946, Rostock. Vanja, Christina (2011), „Architektur für Heilbare und Unheilbare. Die Damerowsche Anstalt im Spiegel der Psychiatriegeschichte“, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte, Halle, 75 – 94. Veit, Gustav (1856), „Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. Puerperalkrankheiten“, in: R. Virchow (Hg.), Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, Bd. 6, Erlangen, 414 – 435. Wilhelmi, Axel (1901), Die Mecklenburgischen Aerzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Schwerin, 194.

312

Steffen Stuth

Vom Markt zur Universität Ein städtischer Platz im baulichen und funktionalen Wandel

Bewegt sich ein nicht tiefer mit der Rostocker Stadtgeschichte vertrauter Betrachter, sei es ein Gast oder ein Einwohner der Stadt, über den Universitätsplatz im Zentrum der heutigen Hanse- und Universitätsstadt, sieht er vor sich einen lebendigen, quirligen, aber auch reichlich unübersichtlichen Platz, der von zahlreichen Personen genutzt wird. Durch seine Lebendigkeit unterscheidet sich der Universitätsplatz von anderen Plätzen im Rostocker Zentrum. Drei Merkmale sind es zudem, die ihn von anderen Plätzen der Stadt abheben. Erstens unterscheidet er sich bereits durch seine dreieckige Form von anderen Straßenzügen und Plätzen Rostocks. Einen dreieckigen Platz gab es sonst nur noch zwei Mal innerhalb der Stadtmauern. Der Wendländer Schilde mit dem an seinem östlichen Ende befindlichen mittelalterlichen Lohmarkt im Gebiet um die St. Nikolaikirche sowie der heute nicht mehr vorhandene Platz Am Schilde in der Mittelstadt weisen ebenfalls eine dreieckige Form auf. Von diesen beiden genannten Platzräumen ist heute nur noch der Wendländer Schilde erlebbar. Der Platz Am Schilde wurde durch die Einwirkungen des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt und im Rahmen des Wiederaufbaus der Rostocker Innenstadt bis heute noch nicht wieder aufgebaut.1 Auch durch seine Bebauung unterscheidet sich der Universitätsplatz deutlich von anderen in Rostocks Zentrum. Während an seiner Südseite historische Bauten landesfürstlicher Prägung hervorstechen, besteht die Nordseite aus verhältnismäßig modernen Gebäuden der 1980er Jahre. Die genannten landesfürstlichen Bauten werden seit dem 20. Jahrhundert von der Universität genutzt, deren Hauptgebäude die Westseite des Platzes und seine Gesamtansicht dominiert. Auch einen dritten Unterschied wird der Betrachter bemerken: Der Platz ist anders als die übrigen Rostocker Plätze heute begrünt. Große Linden und Rasenflächen nehmen die Mehrheit seiner Fläche ein. Unter den Bäumen versteckt liegt ein Denkmal. Vergleicht man diese Ansicht mit anderen Plätzen des ehemaligen mittelalterlichen Zentrums, beispielsweise mit dem Neuen Markt, wird der Unterschied der Begrünung deutlich. Die Kröpeliner Straße durchläuft den Platz heute von Ost nach West. Auf den Platz münden die Breite Straße, die Schwaansche Straße, die Pädagogienstraße sowie der Klosterhof. Historisch gesehen endete die Kröpeliner Straße jedoch mit ihrer westlichen Einmündung auf den Platz. Im Osten endete die Blutstraße, vom Neuen Markt kommend, an dem Punkt, an dem sie den Platz erreicht.2 Die historischen Begrenzungen des Platzes sind die Straßenflucht von der Ecke der Pädagogienstraße bis zur Faulen Grube im Norden, 313

Steffen Stuth

das Grundstück der Universität und der Klosterhof im Westen sowie die Flucht vom Klosterhof bis zur Buchbinderstraße im Süden. Mehr als bei anderen Plätzen hat sich die Funktion und Rolle des Universitätsplatzes, früher als Hopfenmarkt bezeichnet, innerhalb der Stadt gewandelt. Die über siebenhundertfünfzigjährige Geschichte des Platzes zeichnet sich durch seine Entwicklung von einem städtischen Markt über einen Konzentrationsort für die 1419 gegründete Universität bis hin zu einem durch landesfürstliche Bauten geprägten Standort aus. Heute wiederum ist der Platz in eine Fußgängerzone eingebettet, die von den Rostockerinnen und Rostockern vor allem für Einkäufe genutzt wird, so dass der Universitätsplatz heute als Mittelpunkt der Kröpeliner Straße wahrgenommen wird.

Vom Markt der Neustadt zum Hopfenmarkt Historisch war der heutige Universitätsplatz neben dem Alten und dem Neuen Markt einer der drei Rostocker Marktplätze. Ursprünglich war er das Zentrum der Neustadt, der jüngsten, um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Rostocker Teilstadt.3 Gemeinsam mit dem Hafen und dem Strand waren diese zentralen Orte Schauplatz des Handels und des Lebens in der mittelalterlichen Stadt. Neben den drei Hauptplätzen, dem Alten Markt, dem Neuen Markt (Markt der Mittelstadt und Hauptmarkt) und dem Hopfenmarkt gab es im mittelalterlichen Rostock noch zwei weitere kleinere Plätze mit einer vergleichbaren Funktion: den Lohmarkt bei St. Nikolai und den Ziegenmarkt bei St. Marien.4 1258/59 wurde der Platz als „forum“ erstmals erwähnt. Er war damit zugleich der erste der drei Märkte der Stadt, dem diese Funktionsbeschreibung urkundlich belegt zugemessen wurde.5 Als Markt der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Rostocker Neustadt kamen ihm zentrale Funktionen zu. Analog zum Alten Markt der Altstadt und dem Neuen Markt der Mittelstadt lag hier das Rathaus der neuen Stadtgemeinde.6 Als 1262/65 die drei Rostocker Teilstädte zusammengeschlossen wurden, wurde der Markt der Mittelstadt zum Hauptmarkt und damit zum neuen Zentrum. Hier lagen nun das Rathaus mit dem Sitz des Rats, der Hauptmarkt und die Rats- und Hauptpfarrkirche St. Marien.7 Für den Hopfenmarkt war mit dieser Entwicklung ein Bedeutungsverlust verbunden. Das Rathaus auf dem Platz verlor seine Rolle und blieb zunächst funktionslos zurück. Der Markt selbst blieb jedoch der zweitwichtigste Marktplatz der Stadt.8 Die Westseite des Platzes wurde von dem um 1270 gegründeten Kloster zum Heiligen Kreuz dominiert. Gleichfalls an der Westseite des Platzes ist ein Hof des Bischofs von Schwerin belegt, während die Südseite von bürgerlichen Grundstücken und Flächen des Klosters zum Heiligen Kreuz eingenommen wurde.9 Schon im 13. Jahrhundert hatte sich die Bezeichnung „forum humuli“ (Hopfenmarkt) als Ausdruck für die Bedeutung der Bierproduktion für die städtische Wirtschaft eingebürgert. Spätestens seit 1348 sind am Platz einzelne Brauhäuser nachzuweisen.10 314

Vom Markt zur Universität

Vom Handelsplatz zum Lateinischen Markt Mit der Gründung der Universität Rostock im Jahre 1419 folgte ein zweiter, und mit der Zeit immer tiefer greifender Bedeutungs- und Funktionswandel des Platzes.11 Am Markt der Neustadt konzentrierten sich mit der Zeit zahlreiche wichtige Gebäude der neu gegründeten Universität. Der Rat übergab das frei auf dem Platz stehende Rathaus der Neustadt in die Nutzung der jungen Hochschule, behielt sich aber bis zum Abbruch des damals bereits stark veränderten Gebäudes im Jahre 1819 weiterhin das Eigentum an diesem vor und trug die Kosten für die Unterhaltung.12 Aus dem Rathaus wurde das Große Auditorium bzw. Lectorium der Universität (Abb. 1).13 Dieses nutzte die neu entstandene Bildungseinrichtung als Ort für Vorlesungen und Prüfungen, die Disputationen. Daneben war es, wie alle anderen Universitätsgebäude auch, Wohnhaus für Lehrer und Studenten. Im Inneren gab es einen großen Saal, mehrere Stuben und Kellerwohnungen. Auch die Westseite des Platzes erlebte nun allmählich einen tiefgreifenden Wandel. Mit der Gründung der Hochschule kam der Hof des Bischofs von Schwerin in die Verfügung der Universität. Er wurde Ort des Großen Collegiums der Fakultät der Artisten.14 1566/67 entstand an seiner Stelle als Neubau das 1565 abgebrannte Große Collegium oder Collegium philosophicum (Abb. 5 im Beitrag von Jan-­Hendrik Hütten). Das Gebäude diente vor allem dem Lehrbetrieb der Theologischen und der Philosophischen Fakultät und wurde ab dem 17. Jahrhundert aufgrund seines Erscheinungsbilds als sogenanntes Weißes Kolleg bezeichnet (Abb. 2).15 Ab 1569 fand hier auch die Bibliothek ihren Platz.16 Neben dem Weißen Kolleg an der Ecke zur Kröpeliner Straße lag seit dem 16. Jahrhundert mit dem Haus des Universitätsbuchdruckers ein weiteres Gebäude mit direktem Zusammenhang zur Hochschule. Als Jacob Lucius d. Ä. 1564 das Amt des Universitätsbuchdruckers übernahm, war dieses Gebäude wahrscheinlich bereits seit einigen Jahren Sitz eines universitären Buchdruckers gewesen. Lucius zog 1579 von Rostock nach Helmstedt, wahrscheinlich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit der Universität.17 Ihm folgte Augustin Ferber d. Ä., welcher bis 1581 an demselben Standort seine Druckerei betrieb.18 Stark geprägt von Gebäuden der Universität wurde nun auch die Südseite des Platzes zwischen dem Kloster zum Heiligen Kreuz und der Schwaanschen Straße. Hier lagen nebeneinander vier Regentien, das heißt Häuser, in denen Studenten unter der Regie eines Professors nach strengen Regeln lebten und lernten (siehe Abb. 5 im Beitrag von Wolfgang-­Eric Wagner). Von Ost nach West waren das die Regentien Roter Löwe (1471 erstmals erwähnt), zum Einhorn (1455), Wilder Mann oder Neues Haus (spätestens 1562 bestehend) und Adlerburg (1475). Zwischen den Regentien lag seit 1509 das Haus der Theologen, das Collegiengebäude der Theologischen Fakultät.19 Die Regentie Einhorn ist seit 1455 belegt. Sie diente zeitweilig als Auditorium der Mediziner. Der Rostocker Krämer Vicke Schorler berichtet in seiner Chronik, dass dort ein Dr. Johann Burmeister vor zahlreichen Studenten und anderen Leuten die Leiche eines hingerichteten Schäferknechts seziert habe.20 315

Steffen Stuth

Abb. 1: Das Lectorium (Auditorium magnum), Ausschnitt aus der Vicke-­Schorler-­Rolle.

316

Vom Markt zur Universität

Abb. 2: Das Weiße Kolleg an der Westseite des damaligen Blücherplatzes, Fotografie von Franz Heinrich Dethleff um 1860.

Die Regentie Roter Löwe ist seit 1477 belegt. 1563 war sie verfallen, doch fand sich in diesem Jahr ein Spender, auf dessen Kosten unter der Verantwortung des Theologieprofessors David Chytraeus Stuben und Kammer für zwölf bedürftige, aber fleißige Studenten eingerichtet wurden. 1569 zog Magnus Pegel in diese Regentie ein.21 Westlich davon folgten die Regentien Zur Adlersburg und Neues Haus sowie die Regentie der Theologen.22 Auch an der Nordseite des Platzes, der mit dieser außergewöhnlich hohen Konzentration von universitären Gebäuden immer mehr den Charakter eines „Lateinischen Markts“ erhielt, lagen Gebäude mit universitärem Bezug. Hier stand unter anderem seit 1493 ein Giebelhaus der Universität, welches Angestellten der Universitätsverwaltung als Unterkunft diente: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wohnte hier der „Cursor“ (Bote) und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts der Sekretär der Universität.23 Ende des 18. Jahrhunderts lebte hier der Orientalist Oluff Gerhard Tychsen.24 Im 16. Jahrhundert hatte sich so das bauliche Schwergewicht am Platz gewandelt. Nun war eine Mehrheit der Grundstücke um den westlichen Teil des Platzes zwischen der Breiten Straße und der Pädagogienstraße in der Verfügung der Universität. Diese Situation stellt der Rostocker Krämer Vicke Schorler auf seiner Bildrolle Mitte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert dar. Bis auf den Zugang zum Kloster zum Heiligen 317

Steffen Stuth

Kreuz in der Südwestecke des Platzes war dieser nun umgeben von Universitätsgebäuden, wobei in der Platzmitte das Große Auditorium der Universität stand.

Von Lateinischen Markt zum Blücherplatz Anfang des 18. Jahrhunderts begann die nächste Phase der Geschichte des Platzes. Sie ist eng verbunden mit dem verstärkten Eingreifen der landesherrlichen Macht in der Stadt Rostock. Etliche Kriege und der Stadtbrand im Jahr 1677 hatten die Ressourcen der Stadt erschöpft.25 Am Ende der Auseinandersetzungen mit dem Landesfürsten stand 1788 ein Erbvertrag, der die Einbindung Rostocks in die Herrschaft des Fürsten besiegelte, zugleich aber die Sonderrechte der größten Stadt Mecklenburgs noch einmal bestätigte.26 Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-­Schwerin hatte 1701 den Versuch unternommen, seine Residenz nach Rostock zu verlegen. Zur Unterbringung der Regierungskollegien und des herzoglichen Konsistoriums griff der Landesfürst auf Gebäude der Universität am Hopfenmarkt, vor allem das Weiße Kolleg, zurück und verdrängte dabei Einrichtungen der Universität.27 Nachdem sein Plan zum Bau eines neuen Residenzschlosses in Rostock aufgegeben worden war, entstand auf ehemals von Regentien der Universität bebauten Grundstücken an der Südseite des Hopfenmarkts 1714 ein Palais als Residenz des Herzogs.28 Damit schuf der Landesfürst nicht nur die Möglichkeit einer standesgemäßen Unterkunft während seiner Aufenthalte in Rostock, sondern setzte in den Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit der Stadt um die Herrschaft in Rostock ein deutliches Zeichen. 1750 wurde das Palais um einen Saalbau erweitert.29 Auf den übrigen Grundstücken entstanden in den Jahren nach 1820 landesfürstliche Bauten. 1823 war dies die von dorischen Säulen dominierte Neue Wache neben der seit 1714 bestehenden landesfürstlichen Kommandantur. Kurz darauf war die Reihe mit dem Bau des Oberappellationsgerichtes komplett.30 Bis in das 20. Jahrhundert blieben inmitten dieser neuen Gebäude die Reste einer Regentie erhalten (Abb. 3).31 Diese Reste der Regentie Zur Adlerburg wurden 1912 abgebrochen.32 1714 hatte der mecklenburgische Herzog die Grundstücke der Regentie für eigene Gebäude erworben. In diesem Zusammenhang wurde die Regentie zum Haus des Stadtkommandanten. Zum Zeitpunkt des Abbruchs gehörte es aber bereits wieder zu den Universitätsgebäuden und beinhaltete den Durchgang zum Physikalischen Institut.33 In den Jahren nach 1800 begann der Wandel der Universität. 1827 schied die Stadt Rostock aus der Verantwortung für die Hochschule aus.34 Seit 1834 war sie Landesuniversität und wurde demnach vom Staat Mecklenburg-­Schwerin getragen. Gleichzeitig endete die Gerichtshoheit des Rektors über die Studenten. Der vom Großherzog entsandte Carl Friedrich von Both machte den Weg für eine effektive staatliche Förderung frei.35 Hatte die Vereinigung mit der Bützower Universität neue Impulse bedeutet, veränderten sich Lehre und Forschung nun in rasantem Tempo.36 Nach 1830 entwickelten sich die Naturwissen318

Vom Markt zur Universität

Abb. 3: Die Regentie Adlersburg am Blücherplatz um 1911.

schaften an der Philosophischen Fakultät.37 Neue Fächer und Institute etablierten sich und die Studentenzahlen stiegen. Der Platz in den bestehenden Gebäuden wurde knapp. Zunächst in einem Saal im Obergeschoss des Weißen Kollegs untergebracht, entstand 1827 an der Rückseite des Collegiums entlang des Kleinen Katthagens ein Anbau für die Bibliothek, der erstmals Hörsäle enthielt. 1844 errichtete man südlich davon, damals noch durch die Straße Kleiner Katthagen von ihm getrennt, das sogenannte Neue Museum. Hier waren seit 1844 die Naturwissenschaftlichen Sammlungen und die dazugehörigen Räume für Vorlesungen untergebracht. 1833/34 wurde hinter dem Weißen Kolleg ein Chemisches Labor errichtet. Initiiert vom Vizekanzler der Universität Carl Friedrich von Both und entworfen von Georg Adolf Demmler war es als Südflügel eines größeren Gebäudekomplexes an der Stelle des Weißen Kollegs geplant.38 Der fertiggestellte Südflügel nahm nun das Chemische Laboratorium, das Mathemisch-­Physikalische Kabinett und die zoologische Sammlung auf. Hörsäle und Sammlungen boten neue Rahmenbedingungen für die Lehre. Der Landesherr übergab im Jahr 1879 das Gericht an die Universität zur Aufnahme der Zoologischen Sammlung, die bisher im benachbarten Neuen Museum untergebracht war.39 319

Steffen Stuth

Abb. 4: Bauskizze der Collegien Gebäude, 1832.

Das Weiße Kolleg wurde 1864 wegen Baufälligkeit und da es den Anforderungen nicht mehr genügen konnte, abgerissen. An seinem Standort wurde von 1864 bis 1870 das noch heute vorhandene prachtvolle neue Hauptgebäude errichtet. In seinem rechten Flügel beherbergte der Bau die moderne Universitätsbibliothek mit ihrem Bücherspeicher. Darüber hinaus gab es Arbeits- und Leseräume.40 In der Mitte war die neue Aula entstanden und im linken Flügel lagen die Räume des Konzils.41 Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist das Hauptgebäude auch der Sitz des Rektors und damit das Zentrum der Universität. Im Jahr 1870 hatte sich somit die Ansicht der Westseite des Blücherplatzes vollständig gewandelt. Der Neubau war dringend nötig gewesen: Die Entwicklung der Naturwissenschaften hatte neue Institute entstehen lassen, neue Studenten kamen nach Rostock und auch die Bibliothek war seit dem Beginn des Jahrhunderts stark gewachsen. 42 Auf die Gestaltung der Fassade des Hauptgebäudes wurde großes Augenmerk gelegt. Hier sollte sich die Universität mit ihrer langen Geschichte bestens präsentieren. In der Mitte, links und rechts vom Fenster der Aula, wurden die Figuren der fürstlichen Gründer 320

Vom Markt zur Universität

Abb. 5: Das Hauptgebäude der Universität Rostock in den 1870er Jahren.

Johann  IV. und Albrecht V. von Mecklenburg aufgestellt.43 Über dem Eingangsportal thront die Figur des Bischofs von Schwerin, der gleichzeitig auch der erste Kanzler war. An den beiden Flügeln stehen Allegorien der vier Fakultäten, während in einem Band unter den Fenstern wichtige Gelehrte angeordnet sind. Die Fassade zur Kröpeliner Straße wird von Johann Albrecht I. und Ulrich III. von Mecklenburg dominiert. Sie hatten die Reform der Hochschule im 16. Jahrhundert vorangetrieben.44 1819 hatte sich auch die Platzmitte stark gewandelt. Hier wurde ein Denkmal für Gebhard Leberecht von Blücher errichtet.45 Den Entwurf für die Figur lieferte der Berliner Bildhauer Gottfried Schadow. Das Denkmal wurde auf dem Hopfenmarkt vor dem Palais des mecklenburgischen Großherzogs aufgestellt und am 29. August 1819 mit einem großen Fest eingeweiht. Der 1742 in Rostock geborene Blücher zählte zu den populärsten und meistverehrten Feldherren der Befreiungskriege.46 Der als „Marschall Vorwärts“ bekannt gewordene Feldmarschall war an den entscheidenden Schlachten gegen die napoleonischen Truppen bei Leipzig und Waterloo maßgeblich beteiligt. Schon 1816 hatte ihn seine Heimatstadt zu ihrem ersten Ehrenbürger ernannt.47 Diesen Anlass der Errichtung des Denkmals 1819 nutzte man, um den Platz umzugestalten. Das ehemalige Große Auditorium der Universität wurde abgerissen, die Platzmitte mit Rasen und Bäumen begrünt. 321

Steffen Stuth

Abb. 6: Tabakdose mit der Darstellung der Einweihung des Rostocker Blücher-­Denkmals am 29. August 1819.

So hatte sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts der ehemalige Marktplatz endgültig gewandelt. Die Übergabe des ehemaligen großherzoglichen Palais an die Universität nach dem Ende der Monarchie in Deutschland 1918 tat sein Übriges. Nun befanden sich zwei Seiten des Platzes wieder in der Verfügung der Universität, so wie es bereits im 16. und 17. Jahrhundert einmal gewesen war. Die Umbenennung des Blücherplatzes, wie der Hopfenmarkt seit 1819 hieß, vollzieht diese Entwicklung nach. Die hier nachgezeichnete rund siebenhundertfünfzigjährige Geschichte des Universitätsplatzes ist ein Spiegel der historischen Entwicklung der Stadt Rostock. Beginnend als Handels- und Wirtschaftsstandort mit kurzzeitig administrativen Funktionen, wandelte sich sein Erscheinungsbild mit der Gründung der Universität Rostock im Jahr 1419 entscheidend. In der Folge wurde er Schauplatz und architektonisch-­urbanistisches Symbol der nicht immer spannungsfreien Kooperation zwischen Mecklenburgischen Landesherren, Stadt und Universität. Als Sitz der zentralen akademischen Einrichtungen bleibt der Universitätsplatz wohl auch zukünftig das Herz der Rostocker Alma Mater.

322

Vom Markt zur Universität

Anmerkungen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Bezüglich der Zerstörung Rostocks im Zweiten Weltkrieg vgl. Bohl/Keipke/Schröder 1995, hier 189 f. Münch/Mulsow 2006, 31. Münch 2013, 21 – 24. Münch/Mulsow 2006, 38 – 42. Münch/Mulsow 2006, 30. Münch/Mulsow 2006, 30. Münch 2013, 28. Münch 2013, 28. Lorenz 1919, 3 f. Münch/Mulsow 2006, 30. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 11. Lorenz 1919, 11. Münch/Mulsow 2006, 30. Lorenz 191, 3 f. Münch/Mulsow 2006, 30. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 12 f. https://www.deutsche-­biographie.de/sfz54574.html (Zugriff 13. 04. 2019). https://data.cerl.org/thesaurus/cni00025427 (Zugriff 13. 04. 2019). Hierzu und im weiteren Lorenz 1919, 21 f. und Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 29. Bezüglich der Chronik von Vicke Schorler vgl. Ehlers 2000. http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00001101 (Zugriff 13. 04. 2019). Lorenz 1919, 21 f. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 21. Lorenz 1919, 21 f. Münch 2013, 101 – 105. Münch 2013, 114 – 116. Münch 2013, 103 f. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 21. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 25. Münch 2013, 135. Münch/Mulsow 2006, 32. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 21. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 24. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 21. https://www.deutsche-­biographie.de/sfz5410.html (Zugriff 14. 04. 2019). Vgl. zu Bützow den Beitrag von Hans-­Uwe Lammel in diesem Band. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 22 – 25. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 19 – 20. Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 22. Hartwig 2018, 63. Genauer: Münch 2016, 119 – 140; Krüger 2016, 141 – 184. 323

Steffen Stuth

42 43 44 45 46 47

324

Boeck/Lammel/Münch/Wagner 2010, 22 – 25. Münch 2013, 52. Münch 2013, 66 – 70. Münch/Mulsow 2006, 31. Schröder 2018, 65 – 69. Münch 2013, 125 – 128.

Vom Markt zur Universität

Quellen- und Literaturverzeichnis

Boeck, Gisela/Lammel, Hans-­Uwe/Münch, Ernst/Wagner, Wolfgang Eric (2010), Vom Collegium zum Campus. Orte Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Rostock. Bohl, Hans-­Werner/Keipke, Bodo/Schröder, Karsten (Hgg.) (1995), Bomben auf Rostock. Krieg und Kriegsende in Berichten, Dokumenten, Erinnerungen und Fotos 1940 – 1945, Rostock. Eintrag „Magnus Pegel“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, URL: http://purl.uni-­rostock. de/cpr/00001101 (Zugriff 14. 04. 2019). Hartwig, Angela (2018), „Auf Rundgang durch das Universitätshauptgebäude nach der umfassenden Erneuerung“, in: Klaus Armbröster/Joachim Lehmann/Thomas Cardinal von Widdern (Hgg.), 800 Jahre Rostock. Elf historische Rundgänge zum Stadtjubiläum, Rostock, 61 – 64. Krüger, Kersten (2016), „Pläne und Raumprogramme für das Hauptgebäude 1833 – 1989“, in: Kersten Krüger/Ernst Münch (Hgg.), Das Hauptgebäude der Universität Rostock 1870 – 2016, Teilband 1 Aufsätze (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 30), Rostock, 141 – 184. Lorenz, Adolf Friedrich (1919), Die Universitäts-­Gebäude zu Rostock und ihre Geschichte, Rostock. Lülfing, Hans (1987), „Lucius, Jakob“, in: Neue Deutsche Biographie 15, 279 f. Mejer, [Otto] (1876), „Both, Karl Friedrich von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 3, 195 – 196. Münch, Ernst (2016), „Ehre des Landesherrn und Zierde der Stadt. Die Entstehung des Universitätshauptgebäudes im politischen Kräftespiel“, in: Kersten Krüger/Ernst Münch (Hgg.), Das Hauptgebäude der Universität Rostock 1870 – 2016, Teilband 1 Aufsätze (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 30), Rostock, 119 – 140. Münch, Ernst (2013), Rostocks Aufstieg zur Stadtkommune. Von den Anfängen bis 1265, in: Karsten Schröder (Hg.), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock, 11 – 30. Münch, Ernst (2013), Niedergang und Stagnation. 1648 bis 1806, in: Karsten Schröder (Hg.), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock, 101 – 118. Münch, Ernst/Mulsow, Ralf (2006), Das alte Rostock und seine Straßen, Rostock. Schröder, Karsten (2018), „Gebhard Leberecht von Blücher“, in: Klaus Armbröster/Joachim Lehmann/Thomas Cardinal von Widdern (Hgg.), 800 Jahre Rostock. Elf historische Rundgänge zum Stadtjubiläum, Rostock, 65 – 69.

325

Gisela Boeck

„Nach den von den Dozenten eingezogenen Erkundigungen […] haben die Hörerinnen besonderen Fleiss bewiesen“ Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Einleitung Mit der im Titel zitierten Einschätzung 1 schaltete sich der Rostocker Chemiker August Michaelis (1847 – 1916) in seiner Rektoratszeit 1906/07 in die Diskussion um die Zulassung von Frauen als Hörerinnen und zum regulären Studium ein. Die Alma Mater Rostochiensis öffnete erst 1909 den Frauen ihre Türen für ein offizielles Studium. Der folgende Beitrag soll die Entwicklung des Frauenstudiums an der Universität Rostock bis in die 1940er-­Jahre nachzeichnen, wobei der Schwerpunkt auf Mathematik und Naturwissenschaften gelegt wird.

Studium und Promotion für Frauen – die Anfänge in Deutschland Da eine umfassende Darstellung der Entwicklung des Frauenstudiums in Deutschland den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werden im Folgenden nur einige Gedanken zusammengefasst, um die später dargestellte Entwicklung in Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Rostock besser einordnen zu können. Mit Dorothea Christiane Erxleben (1715 – 1762) erfolgte 1755 in Halle (Saale) die erste Promotion einer Frau in Deutschland, sie erhielt den Titel Dr. med. Dabei handelte es sich jedoch um eine Ausnahmesituation. Ihr Wissen basierte vor allem auf den Erfahrungen, die sie in der ärztlichen Praxis ihres Vaters gesammelt hatte.2 1787 wurde an der Universität Göttingen die von ihrem Vater unterrichtete und geförderte Dorothea Schlözer (1770 – 1825) nach einer mündlichen Prüfung zum Dr. phil. promoviert. Regina Josepha von Siebold (1771 – 1849) durfte mit einer Ausnahmegenehmigung hinter einem Vorhang in Würzburg Vorlesungen zur Geburtshilfe hören. Praktische Erfahrungen musste sie in der Praxis des Ehemanns sammeln. Ihr Wirken wurde 1815 von der Universität Gießen mit der Doktorwürde der Entbindungskunst ehrenhalber gewürdigt. Ihre ebenfalls in der Geburtshilfe tätige Tochter Charlotte Heidenreich von Siebold (1788 – 1859) wurde 327

Gisela Boeck

1817 in Gießen zum Dr. med. promoviert.3 1827 verlieh die Universität Marburg die philosophische Ehrendoktorwürde an die literarisch aktive Daniel Jeanne Wyttenbach (1773 – 1830)4. Doch keine der genannten Frauen hatte ein reguläres Studium absolviert. Selbst noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten studierwillige deutsche Frauen ins Ausland gehen, denn andere Länder waren Deutschland weit voraus. In den USA konnten sich Frauen ab 1833 an Colleges bilden, in Frankreich und in der Schweiz konnten sie ab den 1860er-­Jahren regulär studieren. In England waren 1869 Frauencolleges eingerichtet und 1874 die Medical School of Women in London gegründet worden. Studienmöglichkeiten bestanden in Schweden ab 1870, in Finnland und Dänemark ab 1875 und ab 1878 in Holland. In Russland etablierten sich in den 1870er-­Jahren private Höhere Frauenkurse, die aber erst 1911 den Universitäten rechtlich gleichgestellt wurden.5 Die meisten Frauen aus Deutschland entschlossen sich zu einem Studium in der Schweiz. Bei dieser Entscheidung spielte nicht nur die Sprache eine Rolle, sondern auch die Tatsache, dass die Schweizer Universitäten keine Reifeprüfung, sondern nur Vorstudien verlangten. Als erste deutsche Frau studierte Emilie Lehmus (1841 – 1932) ab 1870 in Zürich Medizin und konnte dort 1875 promoviert werden.6 Im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften wurden in Deutschland die ersten Frauen im Jahr 1874 in Göttingen zum Dr. phil. promoviert.7 Das waren die Russinnen Sof ’ja Kovalevskaja (1850 – 1891) und Julia Lermontova (1846 – 1919).8 Doch auch sie hatten nur als Hörerinnen Vorlesungen besuchen dürfen. Das gilt auch für andere früh promovierte Frauen: die US-Amerikanerin Margaret Maltby (1860 – 1944), promoviert 1895 auf dem Gebiet der physikalischen Chemie in Göttingen, Elsa Neumann (1872 – 1902), promoviert auf dem Gebiet der Physik 1899 in Berlin, und Clara Immerwahr (1870 – 1915), promoviert auf dem Gebiet der Chemie 1900 in Breslau. Im Zusammenhang mit den Diskussionen um die reguläre Zulassung von Frauen zur Universität hatte der Schriftsteller Arthur Kirchhoff (1871 – 1921)9 in den Jahren 1895/96 126 Stellungnahmen zum Frauenstudium, davon 15 von Mathematikern bzw. Naturwissenschaftlern eingeholt.10 Unter ihnen waren vier Mathematiker, zwei Physiker, fünf Astronomen und vier Chemiker. Sie sprachen sich häufiger als die Geisteswissenschaftler für ein Frauenstudium aus, blieben aber meistens auf der Position, dass es sich dabei um Ausnahmen handeln müsse, was mit Problemen bei der Berufsausübung, den Fähigkeiten der Frauen, aber auch mit Konkurrenzdenken begründet wurde.11 Ab 1900 bestanden recht gute Chancen für eine Berufstätigkeit der im Bereich der Mathematik und der Naturwissenschaften akademisch gebildeten Frauen. Es wurden Lehrerinnen gebraucht, Biologinnen konnten an staatlichen Instituten, in Museen und Gärten, Mathematikerinnen bei Versicherungen, Chemikerinnen in Analyselaboratorien arbeiten. Nach der Öffnung der Universitäten ermunterte Eugenie von Soden (1858 – 1930) mit ihrem 1913 herausgegebenen „Frauenbuch“ zu einem Studium im mathematisch-­ naturwissenschaftlichen Bereich.12 In dieser Veröffentlichung stellten Gertrud ­Woker 328

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

(1878 – 1968) die Arbeitsmöglichkeiten für Chemikerinnen und Rhoda Erdmann (1870 – 1935) die für Zoologinnen, Botanikerinnen, Mathematikerinnen und Physikerinnen vor.13 Zu diesem Zeitpunkt hatten alle deutschen Universitäten ihre Pforten für Frauen geöffnet, nachdem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland der Ruf nach Zulassung von Frauen zum universitären Studium immer lauter geworden war. Parallel dazu kämpften die Frauen um die Möglichkeit, die höhere Mädchenschulbildung zu etablieren, damit auch sie die Hochschulreife erlangen konnten. 1896 wurden Frauen an preußischen Universitäten schließlich als Gasthörerinnen zugelassen, sie mussten sich also nicht mehr beim Unterrichtsministerium um eine Genehmigung bemühen. Die Erlaubnis des jeweiligen Hochschullehrers war jedoch nach wie vor unerlässlich.

Situation an der Universität Rostock Die Frage der vollberechtigten Zulassung von Frauen zu universitärer Bildung und zu akademischen Berufen war im Mai 1869 erstmals an das Konzil der Rostocker Universität herangetragen worden. Der bis heute wenig untersuchte „Allgemeine Verein für Volkserziehung und Verbesserung des Frauenloses in Wien und Stuttgart“ hatte sich an den Rektor der Universität, Theodor Thierfelder (1824 – 1904), mit der Bitte gewandt, Frauen für Studien zuzulassen, und empfahl vor allem die folgenden Fächer: Pädagogik, Naturwissenschaften, speziell Chemie und Botanik, Medizin, Pharmazie, Veterinärkunde und Philologie.14 Die Gestaltung des Lehrplans würde dem akademischen Senat überlassen, der Verein bat aber um die Berücksichtigung folgender Regeln bei der Aufnahme und während der Studienzeit der Elevinnen (Abb. 1): 1. Dem Centralvorstand zur weiteren Verbreitung die Mittheilung zu machen, mit welchen Kenntnissen ausgerüstet die Elevinnen zu erscheinen haben und welche Atteste sie mitbringen müssen. 2. Sollte den Elevinnen beim Antritt der Universitätsstudien jede auffällige Kleidung und aller Kleiderluxus untersagt werden. Im engen Zusammenhang damit sollte ihnen eingeschärft werden, 3. keine Bekanntschaft mit jungen Männern während der Studierzeit anzuknüpfen. 4. Bei den medizinischen Studien sollte bei ihnen mehr auf die Frauen- und Kinderkrankheiten Rücksicht genommen, und bei den Sezierungen der Leichen sollten sie nur zu den weiblichen Kadavern und Kinderleichen zugelassen werden. 5. In den Hörsälen sollte womöglich eine Scheidewand zwischen den männlichen und weiblichen Studierenden gezogen werden, damit sie nicht in unmittelbare Berührung kommen. Ebenso sollten für beide Geschlechter separate Eingänge zu den Hörsälen gemacht werden. 6. Ein von unserem Verein zu organisierendes Frauencomité aus respektabeln Frauen Ihrer Stadt nimmt sich der jungen Damen während der Studierzeit an und sorgt dafür, daß dieselben bei ehrbaren Familien untergebracht werden. 329

Gisela Boeck

7. Eine vom academischen Senat zu bestellende Pedellin übernimmt die spezielle Aufsicht über die jungen Damen und hält sie unter strenger Controlle.15

Diese Empfehlungen zeigen sehr deutlich, dass der Verein zwar Zugang zur Universität forderte, jedoch in keiner Weise unter gleichberechtigten Bedingungen. Rektor Thierfelder meinte: „Die Zulassung der Frauen zum akademischen Studium oder wenigstens zu gewissen Fächern derselben [scheint] in unserer Zeit sehr wohl der Erwägung werth.“ 16 Er forderte die Konzilsmitglieder auf, über eine Antwort an den Zentralvorstand zu diskutieren. Der Botaniker Johann Roeper (1801 – 1885) schrieb, dass man einem Vorstand, der aus lauter Damen bestünde, höflich antworten müsse, aber dem männlichen Vorstand sei mitzuteilen: Aus 1, 2, 3, 4, 5 und 7 ersähen wir, daß der von ihm angeregte Gegenstand in seinem Kopfe den wünschenwerten Grad der Reife zu erreichen noch nicht vermerkt habe, wir aber letzter in Geduld abzuwarten gesonnen seien.17

Andere, wie der Staatswissenschaftler Hermann Roesler (1834 – 1894), wiesen darauf hin, dass offenbar gerade deutsche Universitäten ein Problem mit solchen Änderungen hätten. Es wurde angeführt, dass es am Collège de France in Paris schon seit Jahren eigene Abteilungen und Hörsäle für Zuhörerinnen gäbe, über die nichts Nachteiliges berichtet werden könne.18 Andere forderten dazu auf, die Angelegenheit ad acta zu legen. Da ein Rektoratswechsel erfolgte und der Nachfolger Otto Krabbe (1805 – 1873) kein Interesse hatte, das Thema zu diskutieren, blieb der Brief des Zentralvorstands schließlich unbeantwortet liegen.19 Entscheidungen sollten erst getroffen werden, wenn tatsächlich eine Frau um Zulassung bitte. Doch die meisten Petitionen waren wenig erfolgreich. Schon im August 1873 hatten russische Frauen, die Zürich aufgrund politischer Veränderungen verlassen mussten, versucht, ihre in der Schweiz begonnen Studien in Rostock fortzusetzen. Die Konzilsmitglieder lehnten ab. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mehrten sich die Anfragen gebildeter Frauen an Konzil, Rektor und Unterrichtsministerium, ob sie begonnene Studien in Rostock fortsetzen bzw. wenigstens als Hörerinnen an den Lehrveranstaltungen teilnehmen dürften. Am 17. Mai 1892 hatte z. B. Mathilde Hagen geb. Zastrow den Antrag auf Zulassung zur akademischen Vorlesung bei Friedrich Blochmann (1858 – 1931), Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie, gestellt.20 Sie hob hervor, dass Blochmann bereits in Heidelberg weibliche Zuhörer befürwortet habe. Außerdem wollten die Frauen beweisen, dass in keiner Weise der Ernst der Studien durch weibliche Zuhörer beeinträchtigt würde. Der Antrag war an den Rektor gerichtet. Dieser teilte in seiner Antwort mit, dass er darüber nicht entscheiden könne.21 Andere Professoren räumten den Frauen in Einzelabsprachen und separaten Kollegs die Möglichkeiten der Weiterbildung ein. Einige 330

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Abb. 1: Brief vom 20. Mai 1869. Der „Allgemeine Verein für Volkserziehung und Verbesserung des Frauenloses in Wien und Stuttgart“ bittet den akademischen Senat der Universität Frauen für Studien zuzulassen.

331

Gisela Boeck

spärliche Informationen darüber sind in den Akten des Universitätsarchivs zum Frauenstudium zu finden. Denn erst am 22. Januar 1895 wurde an der Universität Rostock die Anmeldung und die Registrierung von Hörern offiziell eingeführt. 18 Frauen nutzten im Wintersemester 1895/96 diese Möglichkeit, da die Universitätsstatuten bis dato keine Einschränkung hinsichtlich des Geschlechts vorsahen.22 Der Status der Hörerin an der Universität Rostock wurde 1896 zwar legalisiert, aber mit vielen Bedingungen verknüpft und auf den Zugang zur philosophischen Fakultät beschränkt. Es heißt im entsprechenden Schreiben des Justizministeriums, daß zwar die Universität eine ausschließlich für Männer bestimmte wissenschaftliche Anstalt ist; und die Vorschrift in § 103 ihrer Statuten (Landesherrliches Rescript vom 20. März 1843) auf dieser Grundlage die Berechtigung zum Hören der Vorlesungen ordnet; daß das unterzeichnete Ministerium aber bis auf weiteres keine Bedenken gegen die Theilnahme von Zuhörerinnen an den Vorlesungen im Bereich der philosophischen Fakultät […] hat.23

Die Professoren mussten regelmäßig darüber berichten, welche Hörerinnen ihre Veranstaltungen besuchten. Diese Quelle ermöglicht einen Hinweis auf das fachliche Interesse der Frauen. Für das Rektoratsjahr 1895/96 wurden folgende Anzahlen von Hörerinnen registriert.24 Tabelle 1: Hörerinnen im Rektoratsjahr 1895/96 Titel der Veranstaltung

Dozent

Anzahl der Hörerinnen

Deutsche Geschichte

Prof. Schirrmacher

Mathematische Geographie und populäre Astronomie

Prof. Matthiessen

1 2

Germanistisches Seminar

Prof. Golther

3

Dantes „divina commedia“

Prof. Lindner

4

Englische Lautlehre

Prof. Lindner

4

Geschichte

Dr. Thierfelder

4

Der Professor für Physik Ludwig Matthiessen (1830 – 1906) konkretisierte seine Information, indem er mitteilte: An meiner Vorlesung über Mathematische Geographie und populäre Astronomie nahmen zwei Lehrerinnen theil neben 4 Herren, die Schulamtscandidaten sind. Es liegt in den gemeinsamen Berufsstudien begründet, dass Unzuträglichkeiten nicht vorkommen können.25

Konkrete Angaben zu den Hörerinnen bleiben in den Archivalien spärlich. Im Mai 1905 finden sich unter den neun Hörerinnen zwei Frauen, die bei dem Mathematiker Otto Staude (1857 – 1928) bzw. dem Botaniker Paul Falkenberg (1848 – 1925) hören. Im November 1905 hören sieben Frauen bei Geisteswissenschaftlern. Auch im Bericht vom 332

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Juni 1906 werden nur Hörerinnen in den Geisteswissenschaften registriert. Im Dezember 1906 werden 9 Hörerinnen gemeldet, darunter „Frl. Ortmann“ bei Falkenberg und dem Chemiker Richard Stoermer (1870 – 1940) und „Frl. Ahlers“ bei Staude.26 Trotz der Beschränkung der Hörerinnen auf die Philosophische Fakultät sind Beispiele bekannt, dass auch Anfragen an die Medizinische Fakultät erfolgten. Dabei stand primär die naturwissenschaftliche Bildung zur Debatte. 1905 bat z. B. die Lehrerin Wiese um „die Erlaubnis zu den allgemeine naturwissenschaftliche Bildung bezweckenden Vorlesungen der Dozenten der medizinischen Fakultät zu Rostock als Hörerin zugelassen zu werden“, da sie Lehrerin der Naturwissenschaften sei und „ihre Fachbildung“ fördern wolle.27 Im Verzeichnis der Hörerinnen aus dem Sommer 190528 wird der Name Wiese als Hörerin bei Oskar Langendorff (1853 – 1908), Professor für Medizin und Physiologie, genannt. In der analogen Liste aus dem Sommersemester 1907 wird Gertrud von Brunn, die Tochter des Anatomen Albert von Brunn (1849 – 1895), als Hörerin der Toxikologie bei Rudolf Kobert (1854 – 1918) aufgeführt. Kobert, der Pharmakologie, Physiologische Chemie sowie Geschichte der Medizin und Pharmazie lehrte, machte selbst eine entsprechende Mitteilung, dass von Brunn schon fünf Jahre lang Lehrerin gewesen sei und nun das Abitur machen wolle, um damit das Oberlehrerexamen für Zoologie, Botanik sowie Geographie absolvieren zu können. Er schrieb: „Frln. v. Brunn nimmt am Unterricht mit großem Interesse Anteil und ist recht gut vorgebildet.“ 29 Für Hörer sind Einschätzungen über ihre Aktivität nicht bekannt, sie mussten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht erstellt werden.

Erste Studentinnen Hinsichtlich der regulären Immatrikulation von Frauen war schließlich Baden das erste Land im Deutschen Reich, das diese 1900 ermöglichte. 1903 folgte Bayern, 1906 Sachsen, 1907 Thüringen und 1908 Hessen und Elsass-­Lothringen. Im gleichen Jahr erlaubte auch Preußen die Immatrikulation von Frauen an Universitäten, an Technischen Hochschulen jedoch erst 1909. Schließlich wurden 1909 auch für Mecklenburg die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, die Frauen eine vollberechtigte Immatrikulation erlaubten. Dazu wurden die Disziplinarvorschriften für die Studierenden dahingehend geändert, dass ein gesonderter Abschnitt „Vom Frauenstudium“ hinzugefügt wurde (Paragraphen 57 bis 59). § 57 besagte, dass Frauen die akademischen Bürgerrechte erwerben und die große Matrikel empfangen können. Als Voraussetzung dafür wurde der erfolgreiche Abschluss eines einheimischen oder eines in Deutschland befindlichen Gymnasiums, eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule festgelegt. § 59 schloss Ehefrauen von der Immatrikulation aus.30 Im Wintersemester 1909/10 immatrikulierten sich an der Rostocker Universität drei Frauen: Elisabeth Bernhöft (1880 – 1964) und Fri(e)da Ortmann (1885–1986)31 an der 333

Gisela Boeck

Philo­sophischen Fakultät für geisteswissenschaftliche Disziplinen sowie Sophie Jourdan (1875–nach 1944) an der Medizinischen Fakultät.32 Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, beschränken sich die folgenden Betrachtungen auf Studentinnen und Doktorinnen der Philosophischen Fakultät, die Mathe­ matik und/oder Naturwissenschaften studierten oder in diesen Gebieten promovierten.

Studentinnen der Mathematik und Naturwissenschaften Mithilfe des Matrikelportals der Universität Rostock ist es möglich, einen Überblick über die Immatrikulationen von Frauen zu erhalten. Bei der Auswertung der Daten ist zu bedenken, dass durch Wechsel der Universität Mehrfachimmatrikulationen erfolgten. Außerdem fand die Zuordnung zum Geschlecht nicht durch Eigenangabe, sondern durch Zuordnung der Bearbeiter*innen des Portals statt. Deshalb können geringe Abweichungen von den tatsächlichen Zahlen nicht ausgeschlossen werden. Die Tabelle 2 zeigt den Frauenanteil bei den Immatrikulationen für mathematisch-­ naturwissenschaftliche Fächer in zwei Zeitabschnitten, die durch die Organisation des Matrikelportals bedingt sind. Dieser Anteil bleibt nur in Botanik gleich, in allen anderen Bereichen steigt er an. Hoch ist die Anzahl der Immatrikulationen von Frauen im ersten Zeitabschnitt in Chemie, Mathematik, Naturwissenschaften und Pharmazie. Eine Imma­trikulation für Naturwissenschaften wurde häufig von angehenden Lehrerinnen und Lehrern vorgenommen, da sie sich nicht nur für ein Fach spezialisieren wollten. Ab 1933 ist dafür keine Immatrikulation mehr möglich. Vergleicht man für die Jahre 1909 bis 1933 die Immatrikulationszahlen mit denen für Medizin, stellt man fest, dass sie dort deutlich höher lagen. Der Frauenanteil lag bei rund 15 %.33

334

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Botanik

1928 (Ursula Herbig)

Chemie

1913 (Anna Müller)

Anteil Frauen in % 1933 – 1945

Gesamtzahl der Immatri­ku­ lationen 1933 – 1945

Anzahl der Immatrikulationen von Frauen 1933 – 1945

Anteil Frauen in % 1909 – 1933

Gesamtzahl der Immatri­ kulationen 1909 – 1933

Anzahl der Immatrikulationen von Frauen 1909 – 1933

Fach

Erste Immatrikulation einer Frau (Jahr und Name)

Tabelle 2: Immatrikulation von Frauen im mathematisch-­naturwissenschaftlichen Bereich von 1909 bis 194534

2

6

33,3

1

3

33,3

61

599

10,2

73

230

31,7

46

74

62,1

Geographie

1918 (Käte Schulz)

3

19

15,8

Geologie

1932 (Käte Müller)

1

3

33,3

Mathematik

1912 (Käthe Techel, Olga Holz)

64

600

10,7

10

68

14,7

Mineralogie



0

1

0

0

2

0

Naturwissenschaften

1914 (Käthe Techel)

91

468

19,4

1910 (Annemarie Thurau)

92

568

16,2

Pharmazie

im MPR nicht aufgeführt

im MPR nicht aufgeführt 63

196

32,1

Physik

1918 (Käte Schulz)

3

77

3,9

9

54

16,67

Zoologie

1925 (Lidia Hertwig)

1

5

20

9

20

45

Die Übersicht enthält auch die Namen der jeweils ersten Frauen in den genannten Studienrichtungen. Deren Lebenswege nachzuzeichnen, ist in den seltensten Fällen möglich. Von Anna Müller, der ersten offiziell immatrikulierten Chemiestudentin, wissen wir nur, dass sie 1913 nach Rostock kam, nachdem sie die Universitäten in Bonn, Freiburg und Paris besucht hatte.35 Sie verließ die Universität jedoch im Frühjahr 1914 wieder und hat offenbar weder in Rostock noch an einer anderen Universität den Abschluss in Chemie gemacht, der zu jener Zeit über die Verbandsexamina 36 nachgewiesen wurde.37 Die erste Chemiestudentin, die diesen regulären Abschluss erlangte, war Else Hirschberg (1892 – 1942). Sie war jedoch nie offiziell immatrikuliert worden, da sie kein Abitur nachweisen konnte.38 Ihr tragischer Lebensweg wird weiter unten dargestellt. Frauen, die sich für eine Promotion entschieden, lassen sich insgesamt leichter biographisch verfolgen. (Abb. 2 und 3)

335

Gisela Boeck

Abb. 2: August Michaelis im Kreise seiner Studenten und Mitarbeiter im Jahr 1903.

Abb. 3: Richard Stoermer im Kreise seiner StudentInnen und MitarbeiterInnen in den 1930er-Jahren.

336

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Promotionen Mit der regulären Zulassung zum Studium konnten sich die Frauen nun auch einer Promotion zuwenden. Oben wurden schon einige sehr frühe Promotionen von Frauen in Deutschland aufgezählt. Eine erste Zusammenstellung hat Elisabeth Boedeker (1893 – 1980) vorgenommen, die jedoch erst Arbeiten ab 1908 erfasste.39 Für die Chemie können anhand der vom Verband der Laboratoriums-­Vorstände herausgegebenen Berichte auch Promotionen vor 1908 ermittelt werden. In den anderen Fachgebieten ist die Zusammenstellung vor 1908 kompliziert, da es keine entsprechenden deutschlandweiten Übersichten gibt. Die Angaben der einzelnen Universitäten müssten zusammengeführt werden, was jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Für Berlin stellte Annette Vogt Daten zusammen. Sie konnte zwischen 1899 und 1908 22 Promotionen von Frauen an der Philosophischen Fakultät feststellen, die mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt wurden. 1899 promovierte Elsa Neumann in Physik, ihr folgten Ina A. Milroy (1869-?) und Amalie Hertz (beide Chemie)40, 1905 promovierte eine Frau in Botanik und 1906 eine in Geographie. Die meisten Frauen hatten sich jedoch für ein geisteswissenschaftliches Gebiet entschieden.41 Von 1909 bis 1918 kann eine Verschiebung zugunsten der Naturwissenschaften festgestellt werden. Den 46 Promotionen in mathematisch-­ naturwissenschaftlichen Fächern standen 49 in den Geisteswissenschaften gegenüber. Die Berliner Promotionen erfolgten in den Fächern Chemie (27), Physik (6), Zoologie (5), Botanik (3), Mineralogie (3), Geologie (1) und Geographie (1), 14 der promovierten Frauen schlugen zumindest zeitweilig eine Karriere als Wissenschaftlerin ein.42 Für Rostock konnten für den Zeitraum 1909 – 1945 rund 100 Promotionen von Frauen an der Philosophischen Fakultät nachgewiesen werden. 20 % davon sind dem mathematisch-­ naturwissenschaftlichen Bereich zuzuordnen. Eine detaillierte Analyse steht noch aus. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand gab es an der Universität Rostock vor 1909 keine Promotionen von Frauen. Im ersten Jahr der Etablierung des Frauenstudiums, also 1909, erwarben zwei Frauen an der Philosophischen Fakultät den Doktortitel: Erna Grawi (1885 – 1943)43 und Elisabeth Bernhöft (1880 – 1964), Tochter des Juristen und Universitätsprofessors Franz Bernhöft.44 Sie promovierten aber beide mit einem geisteswissenschaftlichen Thema. An der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock begann die Geschichte der Promotionen von Frauen 1913. Die erste reguläre Medizinstudentin Sophie Jourdan wurde als eine der ersten beiden Frauen an der medizinischen Fakultät am 17. Juni 1913 mit der Gesamtnote cum laude promoviert. Die erste in der Medizin promovierte Frau war jedoch Eva Büntgen (1884 – 1966). Leider ist keine Promotionsurkunde überliefert. Aber aus dem in der Promotionsakte vorhandenen Schreiben der Abteilung für Unterrichtsangelegenheiten aus Schwerin, das die Genehmigung zur Durchführung der Promotion erteilte, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass die Urkunde das Datum 14. März 1913 trägt.45 Das eigentliche Verfahren hatte bereits im Frühjahr 1911 337

Gisela Boeck

stattgefunden. Dass die Urkunde später ausgestellt wurde, könnte mit einer noch fehlenden Approbation erklärt werden. Die dritte Promotion einer Frau an der Medizinischen Fakultät ist von dem Chemiker August Michaelis begleitet worden. Johanna Gräfin von Koenigsmarck geb. von Fromm (1875 – 1931) hat sich erst spät für ein Studium der Medizin entschieden. Sie hatte 1909 nach privater Vorbereitung die Reifeprüfung bestanden und in Bern ein Medizinstudium begonnen. 1913 kam sie nach Rostock und fertigte unter Rudolf Kobert ihre Dissertationsschrift an, in der sie sich mit der Wirkung von para- und ortho-­Arsenobenzoesäure auf verschiedene Tiere beschäftigte. Inwieweit sie an der Synthese dieser sehr giftigen Substanzen beteiligt gewesen war, geht nicht zweifelsfrei aus der Arbeit hervor. Die Arbeit zeugt jedoch von einer engen Zusammenarbeit des Pharmakologen Kobert mit dem Chemiker Michaelis, der sich mit dieser Verbindungsklasse intensiv beschäftigte, denn Arsenverbindungen versprachen Verwendung als Chemotherapeutika.46 Unter Michaelis wollte sich auch Else Hirschberg promovieren. Sie hatte das Studium erfolgreich mit dem Verbandsexamen beendet und eine größere Arbeit über Pyrazolone angefertigt. Mit dieser wollte sie den Doktorgrad erlangen. Das zeigen Unterlagen aus ihrer Personalakte wie z. B. ein Schreiben vom 1. August 1913, in dem die Zulassung zur Promotion ohne Reifezeugnis erbeten wird.47 Bereits am 19. August 1913 teilte das Ministerium mit, dass der Dispens von der Vorschrift des § 2 Absatz 2a der Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät vom 11. Januar 1913 nicht erteilt werden könne. Wie die Tabelle 3 zeigt, hat sie den Kampf um die Promotionszulassung nicht aufgegeben, ist aber erst 1928 nach der Absolvierung einer dem Abitur äquivalenten Prüfung zugelassen worden. Im mathematisch-­naturwissenschaftlichen  48 Bereich der Philosophischen Fakultät ist die erste Promotion einer Frau erst 1917 zu finden, wie eine Auswertung der Liste der an der Universität Rostock veröffentlichten Hochschulschriften 49, der Promotionsübersichten der Philosophischen Fakultät und der Berichte der Laboratoriumsvorstände zeigt 50.

338

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Tabelle 3: Erste Promotionen im mathematisch-­naturwissenschaftlichen Bereich von 1920 bis 1935 Name

Datum der Promotion

Fachgebiet

Titel der Arbeit

Hedwig Wilhelmi

02. 08. 1917

Biologie

Zur Analyse der Entwicklungskorrelationen bei der Skeletbildung der fußlosen Holothurien

Mathilde Klosmann

24. 03. 1920

Chemie

Neutralsalzverbindungen der Aminosäuren

Johanna Lappenbusch

31. 05. 1922

Chemie

Anilid- und Amidbildung durch ultraviolettes Licht: Veresterung des Glyzerins durch ultraviolettes Licht

Johanna Lommatzsch

08. 12. 1922

Geographie

Die Hauptverkehrswege (Schnellzuglinien) des ostelbischen Norddeutschen Tieflands in ihrer Abhängigkeit von geographischen Faktoren

Ruth Beutler

02. 03. 1923

Biologie

Experimentelle Untersuchungen über die Verdauung bei Hydra

Waldtraut Eilers

02. 05. 1925

Biologie

Somatische Kernteilungen bei Coleopteren

Lotte Roudolf

10. 05. 1926

Chemie

Tetrachloräthylen als Lösungsmittel in der Ebullioskopie

Ariada Dimitrowa

29. 11. 1926

Biologie

Untersuchungen über die Beziehung zwischen Tracheen und Aderverlauf im Hymenopterenflügel

Ilse Schmidt

24. 06. 1927

Geographie

Die Häfen der dänischen Inseln in ihrer ­geographischen Bedingtheit

Henriette Meyer

30. 06. 1927

Chemie

Trichloressigsäure als Lösungsmittel in der Kryoskopie

Else Hirschberg

17. 03. 1928

Chemie

Beiträge zur Kenntnis der Pharmakologie von Convallaria majalis

Magdalene Ruser

25. 08. 1933

Biologie

Beiträge zur Kenntnis des Chitins und der Muskulatur der Zecken

Carola Linke

17. 11. 1934

Mathematik

Beiträge zur Topologie der dreidimensionalen polyedralen Gebilde verschiedener Metrik

Ursula Helm

22. 12. 1934

Biologie

Über die gesetzmässige Lage der Gemini im Kernraum

Elisabeth Frankenberg

17. 04. 1935

Geographie

Rostock: Ein Beitrag zur Stadtgeographie

Die ersten promovierten Chemikerinnen in Rostock Wie oben schon festgestellt, begann die Geschichte der Promotionen von Frauen in der Chemie in Deutschland mit der Russin Julia Lermontova. Ihr folgten die Amerikanerin Margaret Maltby und die Deutsche Clara Immerwahr. 1903 bzw. 1904 wurden in Berlin Ina A. Milroy (1869–?) und Amalie Hertz promoviert, 1904 bzw. 1905 in Gießen Wera Krilitschewsky(verh. Tubandt, 1881 – 1944) und Ottilie Jakowkina sowie 1906 in Breslau Anna Hamburger (1873 – 1942).51

339

Gisela Boeck

Abb. 4: Mathilde Klosmann, vermutlich am Tag ihrer Promotion, 24. März 1920.

In Rostock ist die erste Promotion einer Frau in Chemie erst 1920 erfolgt, da der Antrag von Else Hirschberg, wie bereits festgestellt, im Jahr 1913 abgelehnt worden war. Der Lebensweg dieser ersten Doktorin kann heute recht gut nachgezeichnet werden.52 Mathilde Klosmann geb. Haß (1896 – 1965) stammte aus Duisburg. Nach dem Erwerb des Reifezeugnisses immatrikulierte sie sich am 1. Mai 1915 an der Universität Rostock im Studienfach Chemie 53, sie legte 1919 als zweite Frau am Chemischen Laboratorium in Rostock das Verbandsexamen ab. Im Februar 1920 bestand sie die Hauptprüfung für Nahrungsmittelchemiker mit dem Prädikat sehr gut. Im März 1920 wurde sie mit dem Prädikat magna cum laude noch unter dem Referat von Paul Pfeiffer (1875 – 1951) mit ihrer Dissertation zum Thema Neutralsalzverbindungen der Aminosäuren zum Doktor der Philosophie promoviert. Damit war sie die zweite Frau überhaupt in der Geschichte der Universität Rostock, die im mathematisch-­naturwissenschaftlichen Bereich promoviert wurde. Nach der Promotion arbeitete Mathilde Klosmann noch einige Zeit am hiesigen Botanischen Institut, wurde dann aber Hausfrau. Die Familie, zu der ab 1921 ein Sohn und ab 1932 eine Tochter gehörten, siedelte nach Halberstadt um. Dort wurde Mathildes Ehemann Johannes Klosmann (1886 – 1962), der ebenfalls in Rostock Chemie studiert 340

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

hatte 54 und bei August Michaelis promoviert wurde, Vorsteher des chemischen Untersuchungsamts der Stadt. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Mathilde Klosmann zeitweilig auch am chemischen Untersuchungsamt. Nach 1945 führte sie für einige Jahre im Wohnhaus ein Privatlaboratorium, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Die Familie siedelte vor 1961 in die Bundesrepublik Deutschland über (Abb. 4). Bei den Promotionen in Chemie folgten Mathilde Klosmann bis 1945 nur fünf weitere Frauen: Johanna Lappenbusch (1890 – 1979) bei Richard Stoermer, Lotte Roudolf (1899 – 1976) bei Paul Walden (1863 – 1957), Henriette Meyer (1900 – 1960) ebenfalls bei Walden, Else Hirschberg bei Stoermer sowie Brigitte Sarry (1920 – 2017) bei Günther Rienäcker (1904 – 1989). Johanna Lappenbusch wurde Lehrerin im Volksschuldienst in Essen, später in Mettmann. Ihren Namen findet man nur Abb. 5: Lotte Roudolf (1899 – 1976). noch mit einer Schrift über die sogenannte Rassenfrage.55 Lotte Roudolf hatte sich schon während ihres Studiums an der Technischen Universität in Berlin sowie an den Universitäten Marburg und Rostock neben Chemie für Experimentalphysik, allgemeine Mineralogie und Kristallographie, aber auch für Handelspolitik und Neuere Geschichte interessiert. Über ihre Tätigkeit direkt im Anschluss an die Promotion 1926 ist nichts bekannt. Im Sommer 1938 lässt sie sich bei der Schering AG in Berlin nachweisen, wo sie in der Patentbearbeitung beschäftigt wurde. Im Labor war sie nicht mehr wissenschaftlich tätig, doch noch viele Jahre an chemischen Fragestellungen interessiert. Im August 1945 verließ sie das Unternehmen und ging an das Robert-­Koch-­Institut. Dort übernahm sie trotz fehlender bibliothekarischer Ausbildung die Verantwortung für die Bibliothek. Sie veröffentlichte Arbeiten zur Instituts- und Bibliotheksgeschichte, Artikel zur Zeitschriftendokumentation und zu institutsgeschichtlichen Themen.56 Der Lebensweg von Henriette Meyer ließ sich leider nicht rekonstruieren. Sehr genau ist hingegen inzwischen der Lebenslauf von Else Hirschberg bekannt, der hier kurz wiedergegeben werden soll. Else Hirschberg wurde am 11. Februar 1892 in Berlin in einer jüdischen Familie geboren.57 Um 1908 kam sie nach Rostock und besuchte dort eine private höhere Mädchenschule, beendete die Schulausbildung aber ohne Abitur.58 Aus diesem Grund und der noch nicht erfolgten Öffnung der Universität Rostock für Frauen konnte sie nur als Gasthörerin im Hauptfach Chemie studieren. Sie absolvierte das Verbandsexamen, ihr Antrag auf Zulassung zur Promotion wurde jedoch abgelehnt, da eine Ausnahme von der Forderung eines Reifezeugnisses nicht bewilligt worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Else Hirschberg bereits eine zweite wissenschaftliche Arbeit zum Nachweis von Glucose abgeschlossen, die im Jahr 1913 veröffentlicht wurde. Auf diesem Thema bauen spätere 341

Gisela Boeck

Arbeiten auf, in denen sie sich immer stärker medizinischen und pharmakologischen Problemen zuwandte. Bis 1917 hat sich Else Hirschberg unter dem Pharmakologen Kobert mit Untersuchungen zu den Inhaltsstoffen des Maiglöckchens beschäftigt. Sie hatte verschiedene Pflanzenteile des Maiglöckchens sowohl in getrockneten als auch in frischen Präparaten untersucht und Vergleichsuntersuchungen mit käuflichen Drogen gemacht. Zwischen 1917 und 1919 entstanden in Kooperation mit dem Physiologen Hans Winterstein (1879 – 1963) eine Reihe weiterer Arbeiten. Die Angaben zum Anstellungsverhältnis in jenen Jahren sind etwas widersprüchlich. Es ist davon auszugehen, dass Else Hirschberg als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Physiologischen Institut der Universität Rostock angestellt war. Nach 1919 war sie kurzzeitig in der Industrie bzw. für eine pharmazeutische Fabrik tätig. Später wurde sie wieder als technische Assistentin, ab 1927 jedoch definitiv nur als Hilfskraft – immer für ein Semester befristet – am Rostocker Physiologischen Institut beschäftigt. Zu den Arbeitsaufgaben der Hilfskraft Else Hirschberg gehörten u. a. die Mitarbeit an Vorlesungen und Kursen, die Führung der Bibliothek, die sie neu geordnet hatte, die Registrierung des Inventars und der Rechnungen sowie die Herstellung von chemischen Lösungen für Vorlesungen und Kurse. Insbesondere war sie an der Neuordnung des physiologisch-­chemischen Laboratoriums beteiligt. Die wissenschaftliche Tätigkeit hielt in diesen Jahren trotz der ständigen Sorge um ein Einkommen, der enormen Arbeitsbelastung und zunehmender Repressalien gegen jüdische Menschen an. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde am 7. April 1933 erlassen, doch schon am 6. April 1933 hatte man Else Hirschberg mitgeteilt, dass sie sich auf Veranlassung des Führers der Rostocker Studentenschaft, Werner Trumpf (1910 – 1971), vom Institut fernhalten solle. Else Hirschberg wurde zum 1. Juli 1933 unter Fortgewährung der Bezüge bis zum 30. September 1933 entlassen, bis zu diesem Termin war sie beurlaubt. Wie Else Hirschberg nach der Entlassung aus der Universität ihren Lebensunterhalt absicherte, ist unbekannt. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1936 verließ sie Rostock und trat eine Stelle als Leiterin des Labors am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg an.59 Wissenschaftlich konnte sie dort nicht mehr arbeiten. Sie musste sich darauf beschränken, klinisch-­chemische Untersuchungen auszuführen und die Ausbildung von Laborantinnen zu übernehmen.60 Else Hirschberg versuchte einen Weg zu finden, um Deutschland zu verlassen. Sie bat die American Association of University Women, die zur International Federation of University Women gehört, um Unterstützung.61 Ihre Hoffnung war, mithilfe einer Bürgschaft eines amerikanischen Kollegen nicht auf die offizielle Quotenregelung angewiesen zu sein. Sie fragte nach Möglichkeiten bei der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland und erwog zudem, ein Rockefeller-­Stipendium zu beantragen. Doch die Ausreise gelang nicht. In den Deportationslisten der Hamburger Gestapo findet sich ihr Name für den 11. Juli 1942.62 Der an diesem Tag durchgeführte Transport ging direkt nach Auschwitz.63 Ob Else Hirschberg bereits auf dem Transport oder erst in den Gaskammern von Auschwitz umgekommen ist, wissen wir nicht (Abb. 6). 342

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Abb. 6: „Denksteine“ für die Hirschberg-­Schwestern in Rostock.

343

Gisela Boeck

Abb. 7: Brigitte Sarry (1920 – 2017).

Brigitte Sarry ist die einzige der bis 1945 in Rostock auf dem Gebiet der Chemie promovierten Frauen, die ihre akademische Laufbahn vollenden konnte. In Allenstein geboren schloss sie 1939 in Göttingen ihre Schulausbildung mit dem Abitur ab und begann im gleichen Jahr nach Ableistung des Pflichtarbeitsdiensts das Studium der Chemie an der Universität Göttingen. Dort wurde sie Schülerin von Rienäcker und arbeitete als Hilfsassistentin am Allgemeinen Chemischen Laboratorium. Mit ihrem Lehrer kam sie 1942 nach Rostock und beendete hier das Studium mit der Diplom-­Chemiker-­Hauptprüfung, die das Verbandsexamen abgelöst hatte. Sie erhielt eine Assistentenstelle und führte Untersuchungen zur Para-­Wasserstoff-­Umwandlung an Kupfer-­Platin-­Legierungen durch, mit denen sie dann 1945 promoviert wurde. Neben ihrer Forschungsarbeit war Brigitte Sarry in die Lehre einbezogen. Sie hielt unter anderem Vorlesungen für Studentinnen und Studenten der Medizin. 1954 habilitierte sie sich und wurde zur Dozentin für Anorganische Chemie ernannt. Einen Ruf an die neu gegründete Technische Hochschule Leuna-­Merseburg lehnte sie ab. Während des Sommersemesters 1955 absolvierte sie einen Studienaufenthalt an der Technischen Hochschule Stuttgart und wurde dann Dozentin für Anorganische Chemie an der Universität in Halle. Obwohl sie ein Angebot für ein Extraordinariat in Jena erhalten hatte, ging sie im Herbst 1958 nach Westberlin. Durch ein Sonderprogramm 344

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

erhielt sie nach anfänglich schwierigsten Umständen schließlich eine Stelle an der dortigen Technischen Universität, wo sie zunächst wissenschaftliche Rätin, dann außerplanmäßige Professorin wurde. Im März 1969 wurde Brigitte Sarry zur ordentlichen Professorin berufen. Sie arbeitete am Institut für Anorganische und Analytische Chemie der TU auf dem Gebiet der metallorganischen Verbindungen der Übergangselemente, dadurch gab sie wichtige Anstöße zur Entwicklung der homoleptischen Metallorganyle (Abb. 7).64

Die ersten Doktorinnen in Geographie, ­Biowissenschaften, Mathematik und Physik Für die anderen mathematisch-­naturwissenschaftlichen Wissensgebiete werden nun die jeweils ersten Doktorinnen näher vorgestellt. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Im Jahr 1922 wurde die 1898 in Dresden geborene Johanna Lommatzsch promoviert, die von dem Geographen Wilhelm Ule (1861 – 1941) betreut worden war. Sie hatte eine Arbeit mit dem Thema „Die Hauptverkehrswege (Schnellzuglinien) des ostelbischen Norddeutschen Tieflands in ihrer Abhängigkeit von geographischen Faktoren“ eingereicht. Aus dem Lebenslauf in ihrer Promotionsakte geht hervor, dass sie Lehrerin werden wollte und deshalb schon an der Technischen Hochschule in Dresden und dann auch in Rostock Physik, Geographie, Pädagogik und Mathematik studiert hatte.65 Im Bereich der Biowissenschaften war Hedwig Wilhelmi (1889 – 1940) die erste Frau, die erfolgreich promoviert hat. Über ihr Leben ist noch wenig bekannt. Mehr wissen wir über Ruth Beutler (1897 – 1959), die als zweite auf diesem Gebiet promoviert hat. Ihr wissenschaftliches Leben ist eng mit Karl von Frisch (1886 – 1982) verbunden. Nach dem Besuch einer privaten höheren Mädchenschule hatte Ruth Beutler 1917 an der Städtischen Studieranstalt in Chemnitz das Abitur abgelegt. Sie begann im gleichen Jahr in Halle ein Studium der Landwirtschaft, wechselte 1919 aber nach Jena, um Naturwissenschaften zu studieren. Zwei Semester absolvierte sie in Leipzig und ging dann nach München. Dort traf sie von Frisch und begann mit Untersuchungen zur Verdauungsphysiologie niederer Tiere. Sie folgte ihrem Mentor nach Rostock, wo sie sich immatrikulierte 66 und ihre Promotion abschließen konnte. Zu der Arbeit stellte von Frisch fest, dass Ruth Beutler methodisches Geschick und wissenschaftlichen Geist bewiesen habe.67 Ruth Beutler verließ wie auch ihr Lehrer Rostock sehr schnell wieder. Sie arbeitete am physiologisch-­ chemischen Institut der Universität in Leipzig und absolvierte einen Forschungsaufenthalt in den Zoologischen Stationen in Helgoland und Neapel. 1925 erhielt sie am Zoologischen Institut in München die Stelle einer Laborantin. Sie setzte trotzdem ihre wissenschaftlichen Arbeiten fort, die sich Fragen der Bienenforschung widmeten, und beantragte 1930 die Zulassung zur Habilitation. In der Habilitationsschrift hatte sie sich mit Fragen des Blütennektars auseinandergesetzt. Sie war in München die zweite Frau, die sich habilitierte. Auch als Privatdozentin erhielt sie nur das Gehalt einer Laborantin. 345

Gisela Boeck

Mittel zu Untersuchungen auf dem Gebiet der Bienenzucht erhielt sie von 1934 bis 1939 von der Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft. In diesem Rahmen sind auch eigenständige Arbeiten zur Bienensprache entstanden, deren Ergebnisse sie aber Karl von Frisch überließ. Später beschäftigte sie sich intensiv mit der Untersuchung von Bienenseuchen. Nachdem Karl von Frisch nach Ende des Zweiten Weltkriegs einem Ruf nach Graz gefolgt war, widmete sich Ruth Beutler als Lehrstuhlvertreterin voll und ganz dem Wiederaufbau des Instituts. Karl von Frisch kam jedoch schon 1950 nach München zurück, woraufhin Ruth Beutler sich mit einer Konservatorenstelle begnügen musste.68 Die erste Frau, die in Rostock auf dem Gebiet der Mathematik promoviert wurde, war Carola Linke. Sie stammte aus Peisterwitz (heute Bystrzyca) in Schlesien, wo ihr Vater eine Mühle besaß. 1924 beendete sie mit dem Abitur das Realgymnasium in Breslau. Sie studierte in Würzburg, Breslau, Innsbruck und schließlich in Rostock.69 Hier war sie im Sommersemester 1926 für Mathematik und Naturwissenschaften, im Sommersemester 1928 und im Wintersemester 1930 nur für Mathematik immatrikuliert. In ihrem den Promotionsunterlagen beigefügten Lebenslauf gab sie an, im Wintersemester 1927/28 in Rom hospitiert zu haben. Von Ostern 1929 an war sie ein Jahr lang als Hilfsassistentin am mathematischen Seminar angestellt und legte im Wintersemester 1930/31 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab. Danach wurde sie Studienreferendarin in Berlin. Nachdem ein erstes Verfahren zur Promotion gescheitert war, da Carola Linke die Prüfung bei Christian Füchtbauer (1877 – 1959) in Physik nicht bestanden hatte, war sie in der zweiten Prüfung am 10. Juli 1933 bei Robert Furch (1894 – 1967), Füchtbauer und Pascual Jordan (1902 – 1980) erfolgreich. Ihre schriftliche Arbeit hatte sich mit Beiträgen zur Topologie der dreidimensionalen polyedralen Gebilde verschiedener Metrik beschäftigt. Diese war von Furch begutachtet und mit gut bewertet worden. Wie sich die berufliche Tätigkeit von Carola Linke nach der Promotion weiter gestaltet hat, konnte bis heute noch nicht im Detail geklärt werden. In einem Schlussbericht der Staatspolizei-­Dienststelle Berlin aus dem Jahre 1942 wird RD, vermutlich Regierungs­ direktor, angegeben. In der 8. Auflage von Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie wird unter den Mitarbeitern eine „Carola Schwelien-­Linke †“ angegeben.70 Sie gehörte aber nicht zu den ständigen Mitarbeitern. Sie hat wahrscheinlich später eher auf physikalischem oder chemischem Gebiet gearbeitet.71 Das deutet sich auch schon in einer Feststellung von Furch im Protokoll der mündlichen Prüfung aus dem Jahre 1933 an, in dem er feststellt, dass sich Fräulein Linke ganz auf die Physik gelegt habe. Recherchen von Andreas Herbst von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin ergaben, dass Carola Linke zu den entschiedenen Gegnern des NS -Regimes gehörte. Sie und ihr späterer Mann Hans-­Joachim Schwelien (1942 – 1978), der schon 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt worden war und sich bis 1938 in Haft in Luckau und dann in Schutzhaft befunden hatte, standen in Kontakt zur Widerstandsgruppe Rote Kapelle, besonders zu dem Journalisten Wilhelm Guddorf (1902 – 1943), dem sie 1942 bei seiner Flucht Unterkunft gewährt hatten. Daraufhin kam es zu Vernehmungen, doch 346

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Carola Linke wurde nicht festgenommen. Sie verstarb 1943 – vermutlich infolge von Schwangerschaftskomplikationen – im Universitätsklinikum Breslau.72 Die erste Promotion einer Frau in Physik erfolgte erst nach dem hier untersuchten Zeitraum, nämlich im Jahr 1948. Die in Rostock 1923 geborene Lieselotte Hohl, verh. Knacke, war die Tochter des Rostocker Universitätsprofessors Dr. Ernst Hohl und seiner Ehefrau Lotte, geb. Sohm. Sie hatte in Rostock ab 1940 Physik, Chemie, Mineralogie und Mathematik studiert.73 Das Wintersemester 1941/42 war sie in Leipzig immatrikuliert. Die Diplomprüfung bestand sie 1943 und erhielt daraufhin eine Assistentenstelle. Mit der Arbeit Über die von J. Stark behauptete Wirkung inhomogener elektromagnetischer Felder auf Licht wurde sie promoviert. Nach einer Station in Berlin arbeitete sie als Lehrerin in München.74

Abb. 8: Ingeburg Schaacke (1919 – 1966).

Zusammenfassung Bis 1945 wurden nach jetzigem Kenntnisstand an der Universität Rostock 17 Frauen auf dem Gebiet der Biowissenschaften, sechs Frauen in Chemie, drei Frauen in Geographie und eine Frau in Mathematik promoviert. Die Lebensläufe zeigen, dass unter den bis heute untersuchten ersten Doktorinnen Frauen waren, die ihr Leben der Wissenschaft bzw. dem Beruf widmeten, bei anderen beendeten politische Bedingungen die Karriere, noch andere wandten sich ausschließlich familiären Aufgaben zu. Eine Professorin ist bis 1945 im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften nicht zu finden. Die erste Dozentin und später auch Professorin in diesem Bereich war Ingeburg Schaacke (1919 – 1966). Sie hatte in Leipzig und Kiel Chemie, Mathematik und Physik studiert. In Kiel wurde sie 1937 auf dem Gebiet der Mineralogie promoviert und habilitierte sich 1942. Im Oktober 1945 wurde sie in Rostock zur Dozentin berufen, zeitweilig war sie Professorin an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam, ab 1954 hatte sie die Professur für Mineralogie in Rostock inne (Abb. 8). Doch sie blieb bis zu ihrem Tod und darüber hinaus lange Zeit die einzige Professorin an der 1951 gegründeten Mathematisch-­Naturwissenschaftlichen Fakultät, obwohl bei den Studienanfängern in diesem Bereich der Anteil der weiblichen Studierenden schon in den 1950er-­Jahren hoch war. Die erste ordentliche Professur erhielt eine Frau in den Biowissenschaften 1992, in Physik 2012 und in Mathematik 2017. Wie Tabelle 4 zeigt, promovierten in den letzten Jahren viele Frauen erfolgreich. 347

Gisela Boeck

Tabelle 4: Geschlechterverteilung bei den Promotionen an der Mathematisch-­Naturwissenschaftlichen Fakultät 2007 und 2017 im Vergleich 75 Gesamtanzahl Promotionen Jahr

Promotionen von Frauen

Prozentualer Anteil Frauen

Gesamtanzahl Promotionen

2007

Promotionen von Frauen

Prozentualer Anteil Frauen

2017

Biologie

15

10

66,7

27

17

63

Chemie

11

 6

54,5

36

15

41,7

Mathematik

 1

 0

 4

 1

25

Physik

14

 1

 7,1

13

 5

38,5

Summe

41

17

41,5

80

38

47,5

Für den Zeitraum 2007 – 2017 kann für die Mathematisch-­Naturwissenschaftliche Fakultät überdies festgestellt werden, dass sich die Gesamtzahl der Promotionen etwa verdoppelt, der Frauenanteil sich jedoch nicht signifikant verändert hat. Bezüglich der Habilitationen, deren Gesamtzahl ohnehin gering ist, muss festgestellt werden, dass der Frauenanteil noch geringer ist. 2007 habilitierte sich eine Frau, 2017 jedoch keine. Auch bundesweit erreichen diese Karrierestufe überwiegend Männer. Für den Zeitraum 2007 – 2017 wurden 239 Habilitationen im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften deutschlandweit gemeldet, nur rund 21 % entfielen dabei auf Frauen. Dank verschiedener Förderprogramme und der besseren Vereinbarkeit von Familie und Karriere steigt die Anzahl der Professorinnen auch an der Mathematisch-­Naturwissenschaftlichen Fakultät. Heute forschen und lehren an dieser Fakultät zehn Professorinnen. Anmerkungen

1

348

Universitätsarchiv Rostock (UAR): Kurator K 125 – 0221, Frauenstudium 1892 – 1918, Schreiben vom 12. Dezember 1905. 2 Schmiedgen 2006, 50 – 52. 3 Kaiser 1996, 173. 4 Bickert/Nail 2000. 5 Roussanova 2003, 18 f. 6 Burchardt 1995, 22. 7 Bis auf die Universität Tübingen gehörten Mathematik und Naturwissenschaften zur Philosophischen Fakultät, so auch in Rostock. 8 Für Chemie war in der Schweiz ein halbes Jahr vor Lermontova bereits die Finnin Lydia Sesemann (1845 – 1925) mit einer Arbeit über Dibenzylessigsäure promoviert worden. Vgl. Eugster 2008, 84. 9 Diese lange Zeit unbekannten Lebensdaten basieren auf der Angabe im Katalog der DNB: http://d-­nb.info/gnd/116182490 (Zugriff 24. 02. 2019). 10 Kirchhoff 1897 und Vogt 2007, 37. 11 Vogt 2007, 42. 12 Soden 1913.

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

13 14 15 16 17

Vgl. Boeck 2019. UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Brief vom 20. Mai 1869. UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Brief vom 20. Mai 1869. UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Schreiben vom 22. Juni 1869. UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Ergänzung von Roeper im Anschreiben

vom 22. Juni 1869. 18 UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Ergänzung von Roesler im Anschreiben vom 22. Juni 1869. 19 UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Ergänzung von Krabbe im Anschreiben vom 22. Juni 1869. 20 UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Antrag vom 17. Mai 1892. 21 UAR, R 11 B 12/ 1, Frauenstudium, 1869 bis 1910, Antrag vom 17. Mai 1892, Mitteilung vom 28. Mai 1892. 22 UAR, Kurator K 125 – 0221, Frauenstudium 1892 – 1918, Abschrift eines Berichtes zum Frauenstudium vom 21. Januar 1896. Es heißt im § 103 der Universitätsstatuten von 1843: Zum Hören waren alle gebildeten Personen, welche der Immatrikulation nicht fähig sind, berechtigt. Die juristische Fakultät interpretierte es dann so, dass man ohnehin nur an Männer gedacht hatte. Deshalb musste noch die Präzisierung vorgenommen werden. 23 UAR, R 11 B12.1 Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Schreiben Justizministerium vom 9. Oktober 1896. 24 UAR, R 11 B12.1 Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Berichtsentwurf. 25 UAR, R 11 B12.1 Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Zusatz auf dem Circular vom 16. November 1895. 26 UAR, R 11 B12.1 Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Angaben zu den Hörerinnen. 27 UAR, Kurator K 125 – 0221, Frauenstudium 1892 – 1918, Abschrift eines Briefs vom Justizministerium vom 1. April 1905. 28 UAR, R 11 B12.1 Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Verzeichnis vom 23. 5. 1905. 29 UAR, Kurator K 125 – 0221, Frauenstudium 1892 – 1918, Schreiben von Kobert an das Vizekanzellariat von April 07. 30 UAR, R 11 B 12.1, Frauenstudium Band 1, 1869 – 1910, Disziplinarvorschriften für die Studierenden der Universität Rostock, 7. Abschnitt: Vom Frauenstudium, § 57 – 59. Sie wurden erst 1914 gedruckt! 31 Frieda Antonie Ida Johanna wurde am 1. Oktober 1885 in Schependorf / Mecklenburg-­Schwerin als Tochter des Rittergutsbesitzers Christian Friedrich Wilhelm Ortmann und seiner Frau Maria Ulrike Ida geb. Runge geboren. Am 18. April 1911 heiratete sie August Theodor Wilhelm Vocke (1886 – 1973), der ebenfalls in Rostock studiert hatte, Matrikelportal (MPR): http:// purl.uni-­rostock.de/matrikel/200005065 (Zugriff 22. 02. 2019), bei dieser und allen folgenden Angaben wird jeweils die erste Nennung im Portal mitgeteilt, weil von dieser Seite aus weitere Immatrikulationen erschlossen werden können. Kirchenbuchabschriften evangelischer und katholischer Gemeinden Mecklenburgs. 10.72 – 4. Landeshauptarchiv Schwerin, Schwerin https://www.ancestry.de/ (Zugriff 22. 02. 2019). 32 Vgl. MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200010049, http://purl.uni-­rostock.de/matri​ ­kel/200010102 und http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200010060 (Zugriff 22. 02. 2019). 33 Boeck/Peppel 2019. 34 Die Daten basieren auf Angaben des Matrikelportals der Universität Rostock http://matrikel. uni-­rostock.de (Zugriff 15. 06. 2019).

349

Gisela Boeck

350

35 Vergleiche http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200012383 (Zugriff 22. 02. 2019). 36 Der Verband der Laboratoriums-­Vorstände hatte nach langen Diskussionen um einen geregelten Studienabschluss – auch im Vergleich mit den Technischen Hochschulen – 1898 eine Prüfung eingeführt, mit der praktische und theoretische Grundkenntnisse in anorganischer und organischer Chemie nachgewiesen wurden. Nur nach erfolgreichem Bestehen der Prüfung konnte man zur Promotion zugelassen werden. Damit verbunden war auch der Gedanke einer Qualitätsverbesserung bei den in hoher Zahl durchgeführten Promotionen in Chemie (vgl. Zott 2002). 37 So immatrikulierte sich die genannte Anna Müller nochmals an der Universität Rostock, und zwar am 3. November 1931, nun als Änne Klatt geb. Müller im Studienfach Staatswissenschaften. Am 10. Oktober 1933 verzichtete sie auf ihre Rechte und wurde dementsprechend exmatrikuliert. 38 Peppel/Boeck 2018 und Boeck/Peppel 2018. 39 Boedeker 1935. 40 Vergleiche dazu mit den Angaben in der Datenbank des Vereins für Computergenealogie bzw. mit den dort genannten Quellen: http://des.genealogy.net/search/show/13578570 (Zugriff 15. 06. 2019) und http://des.genealogy.net/search/show/13681860 (Zugriff 24. 02. 2019). 41 Vogt 2007, 70 – 77. 42 Vogt 2007, 82 – 83. 43 Die 1885 in Hannover geborene Gertrud Erna Grawi, Tochter eines jüdischen Möbelhändlers, hatte seit Sommersemester 1907 an der Universität Rostock Vorlesungen gehört. Bereits am 24. April 1907 hatte sie einen ersten Antrag auf Promotion gestellt. Die Prüfung in Französisch, Englisch und Philosophie fand am 30. Juli 1909 statt. Die Urkunde trägt das Datum 3. August 1909. Ihr Mentor Rudolf Zenker (1862 – 1941) sprach von ihr als einer „sehr begabten und strebsamen jungen Dame“. Andere Fakultätsmitglieder äußerten Unbehagen hinsichtlich der Promotionszulassung, gaben dafür aber keine nähere Erklärung an. Vergleiche dazu: UAR. Promotionsakte Erna Grawi. Sie wurde vermutlich später in Berlin Sprachlehrerin (Fernsprechbuch 1939, 386). 1939 könnte sie aber diesen Beruf nur noch an einer jüdischen Schule ausgeübt haben. Ernas Schwester, die Schauspielerin Irma (1890–?), lebte in Berlin in „Mischehe“ mit dem Kammersänger Karl August Neumann (1897 – 1947). 1942/43 versuchte Irma ihre Schwester vor Deportation zu retten und versteckte sie in einem kleinen Zimmer bei einer Arbeiterin. Dort erkrankte Erna im Februar 1943 an Bronchitis. Eine Aufnahme im Krankenhaus war nicht möglich, weswegen Erna in ihrem Versteck verstarb. Siehe dazu: Kaplan 2003, 294 und Theuer/ Florath 2007, 19. Für Hinweise zur Familiengeschichte danke ich Claudia Whiteus Roelke. 44 Beese 1999, 4 – 7. 45 UAR, Promotionsakte Eva Büntgen. 46 Teller/Teller 1984, 29 – 31 sowie Boeck/Peppel 2017. 47 Wie Akten zeigen, war auch 1913 eine Promotion von Immaturi nicht völlig ausgeschlossen, auch wenn die Universität Rostock die Anforderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich verschärft hatte. Vergleiche dazu: UAR, Promotionen der Immaturi 1893 – 1928 Phil. Fak 75. 48 Landwirtschaftlich orientierte Arbeiten wurden nicht berücksichtigt. 49 Jahresverzeichnisse der an den deutschen Universitäten erschienen Schriften 1887 – 1913, 1914 – 1925, 1926 – 1936. Für die entsprechende Recherche danke ich Claudia Hahn. 50 http://des.genealogy.net/chemiker/search/index (Zugriff 15. 06. 2019) 51 Vergleiche dazu die online verfügbaren Daten aus den Berichten des Verbandes der Laboratoriumsvorstände: http://wiki-­de.genealogy.net/Berichte_des_Verbandes_der_Laboratoriumsvorst%C3 %A4nde (Zugriff 22. 02. 2019).

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

52 53 54 55 56 57

Peppel 2019. MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200013109 (Zugriff 22. 02. 2019). MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200028706 (Zugriff 22. 02. 2019).

Lappenbusch 1936. Senst 2014, 32 – 34. Die biografischen Daten zu den Familien Hirschberg und Kroner basieren auf Eintragungen in Standesämtern und Adressverzeichnissen, die über https://www.ancestry.de (Zugriff 15. 06. 2019) zugänglich sind. Zu Else Hirschberg findet man im UAR die Personal- und Promotionsakte. Außerdem ist sie in folgenden Archivalien der UAR erwähnt: UAR, Med. Fak. 309, Angestellte des Physiologischen Instituts 1879 – 1944; Med. Fak. 310, Assistenten am Physiologischen Institut 1902 – 1939; Med. Fak. 1872, Jahresberichte des Instituts für Pharmakologie und Physiologische Chemie 1883 – 1946; Kurator K 024 – 054, Das Physiologische Institut Vol.  II 1927 – 1945; Kurator K024 – 055, Assistenten 1919 – 1938 sowie Kurator, K023 – 1174.1, Jahresberichte des Instituts für Pharmakologie und Physiologische Chemie 1883 – 1946. Unterlagen zu ihrer Prüfung für die Zulassung zum Universitätsstudium finden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium Va, Sekt 1, Tit. VIII, Nr. 81a Bd. 2, Prüfungsstelle für die Zulassung zum Universitätsstudium ohne Reifezeugnis Nr. A 976. Erste Erwähnung fand ihr Schicksal in Forschungsgruppe Universitätsgeschichte 1969, 249; Beese 1999, 21 – 28; Kleinschmidt 2010, 58 (Plakat 8); Deinert 2012, 168. 58 Für weitere Details der Familiengeschichte siehe: Peppel/Boeck 2018. 59 Jenss et al. 2016. 60 Vergleiche dazu American Philosophical Society (APS), Mss. B. B445 Max Bergmann Papers, Hirschberg, Else, Folder 25, Zeugnis von Walter Griesbach vom 11. Dezember 1938. 61 Zum Einsatz des IFUW bei der Flüchtlingshilfe siehe: Oertzen 2012, 245 – 332. 62 Senat 1965, 48. 63 Sielemann 2009. 64 Vergleiche dazu den Nachruf https://www.chemie.tu-­berlin.de/menue/institut_fuer_chemie/ wichtigetermineweiteres_seiten_teilweise/nachruf_brigitte_sarry/ (Zugriff 15. 06. 2019) 65 Das stimmt nicht mit den Angaben im MPR überein, dort werden Mathematik und Philosophie angegeben. Siehe: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200016473 (Zugriff 22. 02. 2019). 66 MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200017510 (Zugriff 22. 02. 2019). 67 Vergleiche UAR, Promotionsakte Ruth Beutler. 68 Nagler-­Springmann 1997. 69 MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/200019769 (Zugriff 22. 02. 2019). 70 Gmelin Institut für Anorganische Chemie und Grenzgebiete in der Max-­Planck-­Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (Hg.) 1949. 71 Persönliche Mitteilung von Jürgen Rutkowsky, dem Sohn einer Freundin von Carola Linke. 72 Mitteilung von Andreas Herbst: Bundesarchiv alte Sign. IML, ZPA, V, 1/11, Bd. XI, Bl. 151 – 173, neue Signatur SgY 4/IV 1/11. 73 MPR: http://purl.uni-­rostock.de/matrikel/300006365 (Zugriff 09. 05. 2019). 74 Für diese Informationen danke ich Herrn Priv-­Doz. Dr. Reinhard Mahnke. 75 Angaben von Controlling Universität Rostock, HQE.

351

Gisela Boeck

Quellen- und Literaturverzeichnis

Beese, Marianne (1999), „Frauenstudium an der Universität Rostock von 1909/10 bis 1945“, in: Rosina Neumann (Hg.), Geschichte des Frauenstudiums in Rostock. Von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Rostock, 1 – 40. Bickert, Hans Günther/Nail, Norbert (2000), Daniel Jeanne Wyttenbach, Marburgs erste Ehrendoktorin (1827) (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 98), Marburg. Boeck, Gisela (2019), „Gertrud Johanna Woker (1878 – 1968) and Tetraethyl lead“, in: Annette Lykknes u. Brigitte van Tiggelen (Hgg.), Women in their Element (im Druck). Boeck, Gisela/Peppel, Tim/Selent, Detlef/Schulz, Axel (2017), „Der Phosphorchemiker August Michaelis in Rostock“, in: Nachrichten aus der Chemie 65 (10), 1030 – 1033. Boeck, Gisela/Peppel, Tim (2018), „Die erste Rostocker Absolventin der Chemie“, in: Nachrichten aus der Chemie 66 (5), 542 – 544. Boeck, Gisela/Peppel, Tim (2019), „Erste Frauen an der medizinischen Fakultät Rostock“, in: Festschrift der Universitätsmedizin (im Druck). Boedeker, Elisabeth (1935), 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland, Hanover. Burchardt, Anja (1995), „Die Durchsetzung des medizinischen Frauenstudiums in Deutschland“, in: Eva Brinkschulte (Hg.), Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland, Berlin, 10 – 23. Deinert, Juliane (2012), „Die Studierenden der Rostocker Universität in der Zeit des Nationalsozialismus“, in: Gisela Boeck/Hans-­Uwe Lammel (Hgg.): Die Universität Rostock in den Jahren 1933 – 1945 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 21), Rostock, 163 – 183. Eugster, Conrad Hans (2008), „150 Years of Chemistry at the University of Zurich“, in: Chimia 62 (3), 75 – 102. Fernsprechbuch (1939), Amtliches Fernsprechbuch für den Bezirk der Reichspostdirektion Berlin. Forschungsgruppe Universitätsgeschichte (Hg.) (1969), Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Bd. 1, Berlin. Gmelin Institut für Anorganische Chemie und Grenzgebiete in der Max-­Planck-­Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (Hg.) (1949): Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie Antimon B, System-­Numer 18., Clausthal-­Zellerfeld. Jenss, Harro/Jahn, Marcus/Layer, Peter/Zornig Carsten (Hgg.) (2016), Israelitisches Krankenhaus in Hamburg. 175 Jahre, Berlin. Kaiser, Gisela (1996), „Über die Zulassung von Frauen zum Studium der Medizin am Beispiel der Universität Würzburg“, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 14, 173 – 184. Kaplan, Marion (2003), Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen und ihre Familien in Nazideutschland, Berlin. Kirchhoff, Arthur (Hg.) (1897), Die akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Berufe, Berlin. Kleinschmidt, Bettina (2010), „Ausstellung zur Geschichte des Frauenstudiums an der Universität Rostock“, in: Kersten Krüger (Hg.): Frauenstudium in Rostock. Berichte von und über Akademikerinnen (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 9), Rostock, 43 – 67. Lappenbusch, Johanna (1936), Gudrun und wir. Ein Beitrag zur Rassenfrage, Leipzig. 352

Erste Hörerinnen, Studentinnen und Doktorinnen in Mathematik und Naturwissenschaften

Nagler-­Springmann, Sibylle (1997), „‚Ihr Leben hat sie der Wissenschaft verschrieben‘. Ruth Beutler, Professorin im Schatten ihres Lehrers (1897– 1959)“, in: Hiltrud Häntzschel u. Hadumod Bußmann (Hgg.), Bedrohlich gescheit, München, 255 – 259. Oertzen, Christine von (2012), Strategie Verständigung. Zur transnationalen Vernetzung von Akademikerinnen 1917 – 1955, Göttingen. Peppel, Tim/Boeck, Gisela (2018), „Else Hirschberg (1892 – 1942). The rediscovery of the private and professional life of the first female chemistry graduate at Rostock University in a digitised world“, in: The Journal of Genealogy and Family History 2, 1 – 19. Peppel, Tim (2019), „Das Chemikerehepaar Mathilde und Johannes Klosmann“, in: Arbeitsgruppe Geschichte der Mathematisch-­Naturwissenschaftlichen Fakultät im Auftrag des Dekans (Hg.), Kaleidoskop der Mathematik und Naturwissenschaften, Rostock, 160 – 161. Roussanova, Elena (2003), Julia Lermontowa (1846 – 1919), die erste promovierte Chemikerin, Norderstedt. Schmiedgen, Ursula (2006), „Dorothea Christiana Leporin, verheiratete Erxleben (1715 – 1762). Pfarrfrau und streitbare Ärztin in Quedlinburg“, in: Eva Brinkschulte u. Eva Labouvie (Hgg.), Dorothea Christiana Erxleben. Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert (Studien zur Landesgeschichte 18), Halle (Saale), 32 – 54. Senat der Stadt Hamburg (Hg.) (1965), Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg, Hamburg. Senst, Henriette (2014), „Das Tor zur Welt war wieder aufgestoßen“. Die Bibliothek des Robert Koch-­Instituts zwischen 1947 und 1952. Ein Beitrag zur bibliothekarischen Zeitgeschichte (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft 376), Berlin. Sielemann, Jürgen (2009), „Der Zielort des Hamburger Deportationstransports vom 11. Juli 1942“, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 95, 91 – 110. Soden, Eugenie von (Hg.) (1913), Das Frauenbuch. Eine allgemeinverständliche Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens in der Gegenwart, Stuttgart. Teller, Joachim/Teller, Marianne (1984), „Zur wissenschaftlichen Leistung und gesellschaftlichen Position von August Michaelis (1847 – 1916) unter besonderer Berücksichtigung seiner Rostocker Schaffensperiode“, in: Beiträge zur Geschichte der (Wilhelm-­Pieck-)Universität Rostock 6, 27 – 41. Theuer, Werner/Florath, Bernd (Hgg.) (2007), Robert Havemann. Bibliographie. Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass, Berlin. Vogt, Annette (2007), Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, Stuttgart. Zott, Regine (Hg.) (2002), Gelehrte im Für und Wider. Briefwechsel zwischen Adolf v. Baeyer und Wilhelm Ostwald (mit Briefen von und an Victor Meyer) sowie Briefwechsel zwischen Wilhelm Ostwald und Richard Abegg (mit Briefen oder Briefausschnitten von Fritz Haber und Clara Immerwahr sowie an Svante Arrhenius), Münster.

353

Die Medaille zum 400. Jubiläum der Universität Rostock im Jahr 1819 wurde von Großherzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-­Schwerin in Auftrag gegeben und von Abraham Aaron sowie dessen Sohn Joseph Abraham Aaron erstellt. Sie ist aus Silber gefertigt und besitzt einen Durchmesser von 47 mm. Auf der Vorderseite zeigt sie das Brustbild des Großherzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-­Schwerin in einer Generalsuniform. Im Abschnitt steht „FRIDERICUS FRANCISCUS ACADEMIAE ROSTOCHIENSIS / INSTAURATOR – MDCCLXXXIX“ (Friedrich Franz Wiederbegründer der Rostocker Universität 1789), unten ist dreizeilig auf das Jubiläum ­hingewiesen: „IN SACRIS /SECULARIBUS / 12. NOVEMBR. 1819“. Die Rückseite zeigt die beiden Brustbilder der Stifter der Universität Rostock: Albrecht V. und Johann IV. mit Fürstenhut und Krone. Auch hier wird im Abschnitt auf die dargestellten Personen und ihre Verdienste um die Universität Rostock verwiesen: „ALBERTUS & IHOANNES ACADEMIAE ROSTOCHIENSIS CONDITORES MCCCCXIX“ (Albrecht & Johann Gründer der Rostocker Universität 1419). Die Medailleure haben ihre Namen auf beiden Seiten im Armabschnitt, direkt unter den dargestellten Persönlichkeiten, verzeichnet. Interessant ist, dass die ersten zehn Medaillen erst im September 1821 fertiggestellt wurden. Ein Grund war der langandauernde Fertigungsprozess des Stempelschnitts der dargestellten Porträts.

IV. Ö  ffnung und Ideologisierung: Die Universität im 20. Jahrhundert

Stefan Creuzberger

Im Zeitalter der Ideologisierung Die Universität in den Diktaturen des 20. ­Jahrhunderts. Einleitende Bemerkungen

Universitäten gehören zweifellos zu den langlebigsten Institutionen der Geschichte. Das gilt auch für die Universität Rostock, die nun auf 600 Jahre zurückblicken kann. Teil dieser Geschichte ist das von starken ideologischen Gegensätzen geprägte lange 20. Jahrhundert. Die Rostocker Universität durchlebte dabei sowohl eine rechte als auch eine linke Diktatur. Für Diktaturen gleich welcher politischer Couleur besitzen Hochschulen mehrere Funktionen: Sie können Träger und Multiplikatoren der jeweiligen Ideologie sein, sie sind Ausbildungsstätte künftiger Funktionseliten und sie liefern nicht zuletzt mit ihrem Forschungspotenzial Grundlagen, die für die verschiedenen politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und militärischen Ziele des Regimes relevant sein können. Zwischen den diktatorischen Funktionseliten und den Repräsentanten der akademischen Welt kommt es dabei in einem ganz zentralen Punkt immer wieder zum Dissens: der Freiheit der Wissenschaft. Für die Universität ist sie ein unerlässliches Lebenselixier, für Diktaturen bedeutet Wissenschaftsfreiheit hingegen eine mitunter schwer kalkulierbare Herausforderung, was bei ihnen meist Widerstände provoziert. Doch trotz aller Beschneidung von akademischer Autonomie ist es den Universitäten – neben den Kirchen – auch in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts gelungen, eine gewisse Eigenständigkeit zu wahren, denn die Regime brauchten sie allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz. Erstaunlich ist dabei, wie wenig eigenen Widerstand die Universitäten im 20. Jahrhundert oft den Diktaturen von rechts wie links entgegengesetzt haben. In verschiedenen Abstufungen lief es stets auf eine zumindest partielle Mitarbeit am neuen System hinaus. Dafür spielten verschiedene Motive eine Rolle, die von Opportunismus bis Überzeugung reichen konnten. Zentrale Merkmale, die – selbstverständlich in unterschiedlicher Varianz und Ausprägung je nach Diktatur – den politischen Gleichschaltungsprozess der akademischen Lebenswelten ausmachen, lassen sich – in Anlehnung an Michael Grüttner 1 – für folgende Bereiche festhalten: Da ist zunächst die Ausrichtung von Lehre und Forschung im Sinne der Machthaber, d. h. die Schaffung neuer Wissenschaftsbereiche und zugleich der erhöhte Legitimationsdruck auf die bestehenden Universitätseinrichtungen. Hinzu kommt die Säuberung von Lehrkörper und Studentenschaft nach ideologischen Kriterien, die bisweilen akademischen Gesichtspunkten vorgezogen werden. Zu nennen ist sodann eine politische Kontrolle des Zugangs zum Studium. Die diktatorische Durchdringung 359

Stefan Creuzberger

ist schließlich gekennzeichnet durch Einschränkungen bis hin zur Beseitigung der universitären Selbstverwaltung und zieht zumeist schließlich die Beschneidung der internationalen Universitäts-­Kontakte nach sich. Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang zwischen rechter und linker Diktatur zu differenzieren, wenn es etwa darum geht, die Ausprägung der soeben genannten Merkmale zu hierarchisieren. Ein weiteres Spannungsfeld zwischen ideologischem Anspruch und praktischen Anforderungen der diktatorischen Systeme, in denen sich Universitäten bewegt haben, sei kurz genannt: Auf Dauer schadeten Bemühungen, die Personal- und Wissenschaftspolitik vornehmlich an ideologischen Kriterien auszurichten, der Leistungsfähigkeit von Institutionen. Politische Loyalität zu erzwingen und gleichzeitig Funktionseliten zu gewinnen, erforderte ein Austarieren der Verhältnisse. Widerstand kam zumeist von Individuen, während die Institution Universität eher zur Anpassung neigte. Das wiederum hat sicherlich auch damit zu tun, dass die zentrale Finanzierungsquelle der Universitäten der Staat war. Systematische Renitenz hätte daher zumeist das Aus für die staatliche Finanzierung der Universität bedeutet. Ein weiterer Gedanke sei in diesem Zusammenhang kurz angerissen: In den deutschen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts lässt sich immer wieder beobachten, dass es Hochschullehrern mitunter gelang, ihre professionellen Interessen teilweise zu verteidigen; man sollte sich hier allerdings vor gar zu eilfertigen Schlussfolgerungen hüten und daraus sogleich politischen Widerstand gegen das Regime ableiten. Der Preis, den Akademiker dafür bezahlten, den Machthabern Zugeständnisse abzuringen, bestand oft darin, die Nützlichkeit ihrer Forschungen für die politisch-­weltanschaulichen Ziele des Systems zu betonen. Und gerade damit wurden Universitäten zwangsläufig auch zu aktiven Trägern der Diktatur. Dieser durch den amerikanischen Historiker Mitchell Ash 2002 beschriebene Austausch von „Politik und Wissenschaft als Ressourcen für einander“ darf allerdings nicht außer Acht lassen,2 dass ebenso ideologische Grundhaltungen und nicht allein das Interesse an der Sicherung der Forschungsförderung Wissenschaftler dazu brachte, sich in den Dienst des jeweiligen Regimes zu stellen. Damit waren in der Regel auch persönliche Vorteile verbunden, wie etwa der Potsdamer Zeithistoriker Rüdiger Hachtmann 2008 am Beispiel der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft im „Dritten Reich“ überzeugend darzustellen vermochte.3 Universitäten sind also mitnichten bloß passive Objekte diktatorischer Bestrebungen, sondern sehr wohl auch aktiv Handelnde. Gerade die Verteidigung professioneller Interessen und die Wahrung einer gewissen Selbständigkeit können dabei auch als eine Begrenzung diktatorischer Macht gelten. Universitäten in den Diktaturen des Zeitalters der Ideologien kam eine ambivalente Rolle zu. Sie waren einerseits Opfer diktatorischer Regime – etwa durch die Zerstörung traditioneller Strukturen infolge von Personalsäuberung und dem Verlust der Hochschulautonomie. Andererseits gehörten sie aber auch zu den Nutznießern und Stützen des jeweiligen Regimes. 360

Im Zeitalter der Ideologisierung

Das gilt für die Rostocker Universität wie auch für die anderen ostdeutschen Universitäten in zweifacher Hinsicht. Sie alle durchlebten die nationalsozialistische und sozialistische Diktatur in gleicher Weise, mit einer Ausnahme: In Rostock begann die Zeit der NS-Herrschaft bereits im Sommer 1932, als die NSDAP die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl in Mecklenburg-­Schwerin gewann. Von da an prägten eklatante Brüche, tiefe Phasen des Wandels und der Transformation die Geschichte der Rostocker Alma Mater im langen 20. Jahrhundert. Dass sich das 600-jährige Universitätsjubiläum am 12. November 2019 und der im selben Jahr bevorstehende 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November nur knapp verfehlen, mag als zufälliger Hinweis auf die enge Verbindung zwischen der Universität und dem sie umgebenen politischen System gelten. Mit dem Mauerfall 1989 folgte an der ältesten Universität des Ostseeraums bereits die vierte Zäsur im vergangenen Jahrhundert: Nach dem Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik sowie der doppelten Diktaturerfahrung mit dem NS- und SED-Regime folgte der Weg in die bundesdeutsche Demokratie. Für nicht wenige war dieser erneute Bruch, unabhängig von den jeweiligen politischen Präferenzen, ein tiefer persönlicher Einschnitt. Manch einer der heute noch Lehrenden erinnert sich wohl noch an die bewegte Übergangszeit – ein Anlass, noch einmal das Potenzial von Zeitzeugen als einer speziellen Quellengattung der Zeitgeschichtsforschung in Erinnerung zu rufen. Das wirft Fragen auf, die den Wissensstand über die Geschichte der Rostocker Hochschule berühren. Zumindest für das 20. Jahrhundert gilt der Befund: Die Forschung zur Universität Rostock gleicht einer weißen Wand mit bunten Flecken. Gerade größere Darstellungen, die längere Entwicklungen und Zusammenhänge in den Blick nehmen oder den Mikrokosmos Universität mit den Rahmenbedingungen der ihn umgebenen Gesellschaftsordnungen verbinden, sind in vielen Fällen nach wie vor Forschungsdesiderate. Das gilt umso mehr, als Universitätsgeschichtsforschung vielfältige Erkenntnisse bietet, die weit über das enge Feld reiner Wissenschafts- und Institutionengeschichte hinausreichen können. Denn Universitäten nahmen vielfältige Aufgaben wahr, was sie – bezogen auf die speziellen Verhältnisse in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts – für das jeweilige politische Regime unentbehrlich machte. Die vielfältige Verflechtung der damaligen universitären Akteure etwa mit denen der lokalen wie überregionalen Politiksphären kann – in Rückkoppelung – zum besseren Verständnis des Funktionierens totalitärer Systeme auf nachgeordneter regionaler Ebene beitragen. Die letzten größeren Studien zur Universität Rostock im vergangenen Jahrhundert liegen allerdings schon lange zurück. Sie erschienen allesamt 1969 im Umfeld des 550-jährigen Jubiläums. Sie verfolgten überdies eine klare politische Zielsetzung, wie nicht zuletzt das Vorwort der damaligen zweibändigen Festschrift verdeutlicht, wenn es gar heißt: „[…] die letzten zwei Jahrzehnte [haben] größere Veränderungen und Fortschritte gebracht […] als die davor liegende Zeitspanne von 530 Jahren.“ 4 Dabei wurde die ideologische Inter361

Stefan Creuzberger

pretation seinerzeit keinesfalls verhehlt, sondern gipfelte in dem Anspruch „[…] eine marxistisch-­leninistische Gesamtdarstellung zur Geschichte der Universität Rostock [sein zu wollen …], um die mit der 400-Jahr-­Feier der Friedrich-­Schiller-­Universität Jena im Jahre 1958 begründete Tradition fortzusetzen“.5 Diesem klaren Bekenntnis lag ein politisches Legitimationsbedürfnis zugrunde. Es ließ sich bereits unschwer daran erkennen, dass den Epochen von 1419 bis 1945 allein der erste Band und der kurzen 24-jährigen Zeitspanne vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die späten 1960er-­Jahre der gesamte zweite Band gewidmet wurde. Zeitgeschichtsforschung in der einstigen DDR krankte dabei vornehmlich daran, dass sie „[…] durchweg dem parteiamtlichen Interpretationsmuster [der SED]“ folgen musste, sie sich also vom „Themenzuschnitt, [von der] Gegenstandsauswahl, [vom] Quellenzugang, [von der] Quellenauswertung und [von der] Interpretation [… allein] dem Deutungsraster der Parteiideologie und den Legitimationsbedürfnissen der S[ozialistischen Einheitspartei] unterzuordnen“ hatten.6 Das Wissenschaftsgenre Universitätsgeschichtsschreibung war davon nicht ausgenommen, wie etwa die im Rahmen des damaligen 550-jährigen Rostocker Jubiläums entstandenen Dissertationen zur Mecklenburgischen Landesuniversität in der NS-Zeit überaus anschaulich verdeutlichen. Vor diesem Hintergrund ist es heutzutage notwendig und zugleich ein lohnenswertes Unterfangen, sich unter zeitgeschichtlichen Fragestellungen der jüngeren Vergangenheit der Rostocker Universität zu widmen. Das gilt etwa für die Zeit nach der „Dritten Hochschulreform“ in der DDR 1969, das gilt aber ebenso für den langwierigen und vielfach schmerzhaften Transformationsprozess, den die einstige „Wilhelm-­Pieck-­Universität“ mit der Wiedervereinigung durchlief. Hierüber liegen bislang so gut wie keine größeren geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen vor. Gewiss wäre es verfehlt zu behaupten, in den vergangenen drei Jahrzehnten seit dem Ende der DDR sei auf diesem Feld nichts geleistet worden. Erinnert sei hier beispielsweise an die von Kersten Krüger herausgegebenen „Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte“. Erwähnt werden muss aber auch das Wirken des „Arbeitskreises Rostocker Universitätsund Wissenschaftsgeschichte“ 7 unter Leitung von Hans-­Uwe Lammel und Gisela Boeck sowie manche Dissertationsschrift 8 oder aber einzelne Aufsätze für die Festschrift zum 575-Universitätsjubiläum 9 im Jahre 1994. Mit dem Catalogus Professorum Rostochiensium 10 und dem „Matrikelportal“ 11 sowie mit den ebenfalls von Kersten Krüger angeregten zahlreichen Zeitzeugeninterviews liegen mehr als genug Materialien und kleinere Einzelstudien vor, die unter Hinzuziehung von Akten des Rostocker Universitätsarchivs zu weitergehender zeitgeschichtlicher Grundlagenforschung inspirieren. An Themen jedenfalls mangelt es nicht; das trifft vor allem aus Perspektive der Diktaturforschung zu. Hier anzusetzen, könnte eine Aufgabe für eine künftige regionale Zeitgeschichtsforschung sein. Denn schließlich lässt sich auch an regionalen Beispielen die Wirkungsmacht großer und globaler historischer Entwicklungsprozesse verdeutlichen. 362

Im Zeitalter der Ideologisierung

Anmerkungen

1 2 3 4

Grüttner 2003, 265 – 276, hier 256 – 266. Ash 2002, 32 – 51. Hachtmann 2008, 19 – 52. Zit. nach Forschungsgruppe Universitätsgeschichte unter der Leitung von Heidorn/Heitz/ Kalisch/Olechnowitz/Seemann 1969, XIII. 5 Zit. nach Forschungsgruppe Universitätsgeschichte unter der Leitung von Heidorn/Heitz/ Kalisch/Olechnowitz/Seemann 1969, XI. 6 Jessen 1999, 18 – 19. 7 https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/gremien/ arbeitskreis-­rostocker-­universitaets-­und-­wissenschaftsgeschichte/ (Zugriff 28.  02.  2019). 8 Deinert 2010; Handschuck 2003. 9 Jakubowski 1994, 255 – 265; Müller 1994, 267 – 285. 10 http://cpr.uni-­rostock.de/ (Zugriff 28. 02. 2019). 11 http://matrikel.uni-­rostock.de/ (Zugriff 28. 02. 2019).

363

Stefan Creuzberger

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ash, Mitchell (2002), „Wissenschaft und Politik als Ressource für einander“, in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahme zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart, 32 – 51. Deinert, Juliane (2010), Studierende der Universität Rostock im Dritten Reich, Rostock. Forschungsgruppe Universitätsgeschichte (Hg.) (1969), Die Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahr-­Feier der Universität. Im Auftrage des Rektors und des Wissenschaftlichen Rates verfaßt und herausgegeben von der Forschungsgruppe Universitätsgeschichte unter der Leitung von Günter Heidorn/Gerhard Heitz/Johannes Kalisch/ Karl-­Friedrich Olechnowitz/Ulrich Seemann, Bd. I: Die Universität von 1419 – 1945, Rostock. Grüttner, Michael (2003), „Schlußüberlegungen: Universität und Diktatur“, in: John Connelly/ Michael Grüttner (Hgg.), Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn et al., 265 – 276. Hachtmann, Rüdiger (2008), „Die Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft 1933 bis 1945. Politik und Selbstverständnis einer Großforschungseinrichtung“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 56. Jg., H. 1, 19 – 52. Handschuck, Martin (2003), Auf dem Weg zur sozialistischen Hochschule. Die Universität Rostock in den Jahren 1945 bis 1955, Bremen. Jakubowski, Peter (1994), „Die Universität Rostock und Wirtschaft im ‘Dritten Reich‘. Das Beispiel der Heinkel-­Werke“, in: Peter Jakubowski/Ernst Münch (Hgg.), Wissenschaftliche Tagung Universität und Stadt anläßlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, Rostock, 255 – 265. Jessen, Ralph (1999), Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-­Ära, Göttingen, 18 – 19. Müller, Werner (1994), „Die Anfänge ‚sozialistischer Umgestaltung‘ der Universität in der Nachkriegszeit“, in: Peter Jakubowski/Ernst Münch (Hgg.), Wissenschaftliche Tagung Universität und Stadt anläßlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, Rostock, 267 – 285. Online-­Ressourcen

https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/gremien/arbeits­​ kreis-rostocker-­universitaets-­und-­wissenschaftsgeschichte/ (Zugriff 28.  02.  2019). http://cpr.uni-­rostock.de/ (Zugriff 28. 02. 2019). http://matrikel.uni-­rostock.de/ (Zugriff 28. 02. 2019).

364

Florian Detjens

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus Eine Überblicksskizze

Einführung 1 Ich pflege immer unsere altehrwürdige fast 600-jährige alma mater Rostochiensis mit einer alten Eiche zu vergleichen, die schon so manchen Sturm siegreich überstanden hat. Wenn ich nun dieser alten Eiche in diesen Kriegsjahren in Gestalt der Landwirtschaftlichen Fakultät ein neues Reis aufgepfropft habe, so bin ich der festen Überzeugung, daß aus ihm dieser alten Eiche neue Kraft und heute noch ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten erwachsen werden zum Ruhme deutscher Wissenschaft. Besonders aber wird unsere alte Universität für die Völker des Nordens, die einst in den vergangenen Jahrhunderten in erster Linie die Studierenden für die Universität Rostock gestellt haben, durch die Errichtung der Landwirtschaftlichen Fakultät neue Anziehungskraft gewinnen.2

Im Alter seiner Landesuniversität mag sich der Mecklenburgische Staatsminister F ­ riedrich Scharf 1943 zwar geirrt haben. Doch was er hier einem Berliner Professor, der nach Rostock kommen sollte, sonst zu verstehen gab, zeigt viel von dem, was die Universität Rostock in den Jahren seit dem Ende des Ersten Weltkriegs beeinflusst hatte und welches Selbstverständnis vorherrschte.

Langsamer Übergang von Weimarer ­Demokratie zur NS-Diktatur, 1932/33 1919 feierte die Mecklenburgische Landesuniversität ihr fünfhundertjähriges Bestehen zu einer denkbar schweren Zeit: „Alle unsere Jubeljahre sind von Blut und Mord umwittert“,3 konstatierte der damalige Rektor Gustav Herbig in einer seiner Ansprachen. Die Redner auf den Festveranstaltungen waren einhellig der Meinung, dass die Zeiten nun besser werden würden und die Universität Rostock dazu einen Teil beitragen könnte und sollte. Doch schon bald machten sich erste gravierende Finanzprobleme des Lands bemerkbar. Daher blieb manches im Zuge des Jubiläums angeschobene Projekt zum Ausbau der am unteren Ende der deutschen Hochschullandschaft rangierenden Landesuniversität auf der Strecke.4 Schon Zeitgenossen sprachen daher von Rostock als einer „Sprungbrettuniversität“ 5 oder einem „Durchgangsposten für begabte Anfänger“.6 365

Florian Detjens

Zu den Gründen zählte neben den erheblichen finanziellen Schwierigkeiten des Lands Mecklenburg-­Schwerin,7 die sich eben in der oftmals eher bescheidenen Ausstattung der Universität niederschlugen, auch die deutlich schlechtere Bezahlung der Professoren. In Schwerin wusste man um dieses Problem, doch eine Lösung war kaum möglich. Erst als 1928 eine neue Besoldungsordnung eingeführt wurde, näherte sich die Bezahlung der Professoren an die der Kollegen in Preußen zumindest an. Bezeichnend ist hier die Feststellung der Landesregierung, wonach man mit der Neuregelung „die Berufung tüchtiger Kräfte an die Universität Rostock nicht unmöglich“ machen wollte.8 Zu den unangenehmen Erfahrungen Rostocker Rektoren in der Weimarer Republik gehörte auch, sich mehrfach mit Plänen zur Schließung der Universität konfrontiert zu sehen. Diese im Grunde nur als Gedankenspiele zu verstehenden Überlegungen tauchten wiederholt in der regionalen wie überregionalen Presse auf und sorgten in Rostock für Verstimmung und Verunsicherung. Letztlich wollte die Landesregierung die einzige Universität des Lands nicht aufgeben. Selbst als die Weltwirtschaftskrise zu massiven Einsparungen zwang, hielt man am Fortbestand der Universität fest. Denn ohne Universität, so der langjährige Hochschulreferent Otto Dehns, „wäre Rostock ein bedeutungsloses Dorf“,9 außerdem stünden Einsparpotential und Schaden durch die Universitätsschließung in keinem Verhältnis.10 Die Situation in Rostock war ziemlich ambivalent. Auf der einen Seite standen die beständigen Finanzprobleme des Lands mit all ihren negativen Folgen für die Universität. Auf der anderen Seite gab es einen erheblichen Aufwärtstrend bei den Immatrikulationszahlen, die während der Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichten. Tabelle 1: Entwicklung der Immatrikulations- und Lehrendenzahlen (Auswahl). Universität11 Berlin

Immatrikulationen 1921

Immatrikulationen 1932

Prof., PD 1921

Prof., PD 1932

11.807

12.552

516

716

München

9659

8458

312

381

Hamburg

3433

3777

162

262

Kiel

2032

3095

140

186

Rostock

1352

2686

89

116

Erlangen

1800

2314

90

112

Gießen

2112

2137

117

163

Greifswald

1576

1977

100

143

Mit 2686 Studierenden im Sommersemester 1932 wurden so viele Immatrikulationen verzeichnet wie noch nie. Damit gelang es sogar, von der kleinsten zur immerhin nur noch viertkleinsten Universität des Deutschen Reichs aufzusteigen. Unter diesen Bedingungen warf nun der Nationalsozialismus seine Schatten v­ oraus. Als nämlich die NSDAP die absolute Mehrheit bei den Wahlen zum Landtag von 366

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Mecklenburg-­Schwerin im Sommer 1932 gewann, übernahm die Partei in alleiniger Verantwortung erstmals auch eine Hochschule,12 obwohl sie über keinerlei hochschul- oder wissenschaftspolitisches Konzept verfügte.13

Erste krisenhafte Jahre im „Dritten Reich“, 1932 – 1936/37 Zu den ersten hochschulpolitischen Maßnahmen der NSDAP-Regierung in Schwerin gehörte der Versuch, eine Professur für „Geistesurgeschichte“ in Rostock zu etablieren. Das Vorhaben, der Universität dafür den völkischen Phantasten Hermann Wirth aufzudrängen, scheiterte aber zunächst am Widerstand der Philosophischen Fakultät und schlussendlich auch am fehlenden Geld.14 Die bereits seit dem Frühjahr 1932 in Rostock abgehaltene wehrwissenschaftliche Vorlesung sollte auf Wunsch der neuen Landesregierung fortgesetzt und ab 1933 sogar ausgebaut werden. So forderte die Schweriner NS-Regierung, dass die eigene Landesuniversität, „getragen von einer mehr als 500jährigen Geschichte, Mittel und Wege finden wird, die in ihr lebendigen Kräfte zur wirksamsten Arbeit im Dienste der nationalen Erneuerung unseres Volkes zu aktivieren.“ 15 Erkennbar wird, wie die lange Tradition der Universität instrumentalisiert wurde, um ihre Bedeutung für den NS-Staat herausstellen zu können – eine Vorgehensweise, die sich auch noch in späteren Jahren wiederholen sollte. Am Ende zerschlug sich allerdings das Vorhaben, die Wehrwissenschaften als Lehr- und Forschungsdisziplin an der Universität zu verankern. Das lag vor allem daran, dass sich niemand so richtig etwas unter dem diffusen Begriff der „Wehrwissenschaft“ vorstellen konnte.16 Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass entsprechende wehrwissenschaftliche Lehrinhalte sehr wohl in einer ganzen Reihe von Fächern schlichtweg als Teil des regulären Curriculums vermittelt wurden.17 Das Jahr 1933 brachte dann erhebliche Einschnitte für die deutschen Universitäten mit sich. Das NS-Regime beschnitt massiv die Autonomie der Hochschulen, Berufungen wurden zunehmend nach politischen Gesichtspunkten durchgeführt, die bisweilen gegenüber fachlichen Kriterien de facto ausschlaggebend waren. Verschiedenste Personengruppen wurden verfolgt und aus der Universität verdrängt, der Zugang zum Studium und zur Hochschullehrerlaufbahn wurde stark eingeschränkt und von der richtigen Gesinnung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie abhängig gemacht. Doch in Rostock machten sich manche dieser Maßnahmen nur wenig bemerkbar. Mit dem Berufsbeamtengesetz vom April 1933 stand ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem erstmals offen der Antisemitismus Einzug in die Gesetzgebung des NS-Staats hielt. Auf dieser Grundlage wurden in Rostock einige Verdrängungen aus dem Amt durchgeführt. Der jüdische Psychologe David Katz war durch den Frontkämpferparagraphen eigentlich vor einer Entlassung geschützt. Er emigrierte 1933 und wurde entlassen, weil 367

Florian Detjens

Abb. 1: Sogenannter „Schandpfahl“ zur Anheftung unerwünschter Schriften vor dem Universitätshauptgebäude, Foto vom Mai 1933 aus dem Rostocker Anzeiger.

das Land seinen Lehrstuhl einsparen wollte. Der jüdische Zahnmediziner Hans Moral beging im August 1933 Selbstmord. Der Klassische Philologe Kurt von Fritz wurde 1934 wegen seiner Weigerung, den Führer-­Eid zu leisten, in den Ruhestand versetzt. Der Theologe Helmuth Schreiner und der Innere Mediziner Georg Ganter wurden beide 1937 in den Ruhestand versetzt. Drei weitere Professoren (der Internist Hans Curschmann, der Jurist Rudolf Henle und der Historiker Hans Spangenberg), die als „jüdische Mischlinge“ galten, wurden aus Alters- bzw. Gesundheitsgründen emeritiert.18 Die Zahl der Entlassungen war in Rostock vergleichsweise gering, nur in Tübingen lag die Entlassungsquote noch niedriger. 368

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Tabelle 2: Amtsverdrängungen durch das NS-Regime (Auswahl). Universität 19

Lehrkörper (1932/33)

Entlassungen

Entlassungsquote

746

242

32,4 %

Frankfurt/Main 21

334

108

32,3 %

Hamburg

302

56

18,5 %

Kiel

207

25

12,1 % 9,7 %

Berlin 

20

Greifswald

144

14

Erlangen

115

8

7,0 %

Rostock

120

5

4,2 %

Tübingen 22

185

3

1,6 %

Nennenswerte Widerstandshandlungen gegen diese Maßnahme gab es in Rostock ebenso wenig wie an den meisten anderen Universitäten. Gleiches gilt etwa für die Einführung des „Führer-­Prinzips“, also die Entmachtung der bisherigen Entscheidungsstrukturen der Universitäten. Ebenso waren nun Mitgliedschaften in der NSDAP und anderen NS-Organisationen eine Selbstverständlichkeit. Insgesamt waren 51,3 % (97) der Rostocker Professoren NSDAP-Mitglied; reichsweit waren es etwa 40 %. Von den Professoren waren 10 schon vor 1933 beigetreten (davon war zum Beitrittszeitpunkt allerdings noch keiner Professor in Rostock), 24 traten 1933 ein; weitere 51 nach Aufhebung der Aufnahmesperre 1937 (obwohl der Druck zum Beitritt längst geringer und Berufungen wieder stärker an fachlichen Kriterien orientiert waren), die letzten 12 Beitritte erfolgten bis 1941/42. 60 der insgesamt 189 Hochschullehrer waren zudem Mitglied der SA, 12 der SS.23 Auffällig ist allerdings, dass es trotz zahlreicher freier Lehrstühle kaum rein politische Berufungen gab. Eine der wenigen Ausnahmen war die Berufung des aus Sicht der Nationalsozialisten vielversprechenden Mediävisten Heinz Maybaum auf das Ordinariat für Mittlere und Neuere Geschichte. Dessen Berufung wurde gegen erheblichen Widerstand der Philosophischen Fakultät, deren Dekan Maybaum bald nach seiner Berufung wurde, auf Betreiben Gauleiter Friedrich Hildebrandts durchgesetzt.24 Große Schwierigkeiten bereitete der Landesuniversität auch unter den neuen Machthabern der zunächst anhaltende Geldmangel 25.

Von der Krise zum Ausbau der Universität, 1937 – 1945 In eine tiefe Krise geriet die Mecklenburgische Landesuniversität schließlich durch eine Kombination aus massivem Rückgang der Studierendenzahlen, dem Verlust des zugkräftigen Pharmaziestudiengangs und den immer wieder kursierenden Überlegungen, den einen oder anderen Hochschulstandort zu schließen.26

369

Florian Detjens

Abb. 2: Titelblatt von Heinz Maybaums Universitäts-­Rede „Das Erste Reich und wir“, gehalten am 18. Juni 1938.

370

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Tabelle 3: Entwicklung der Immatrikulationen 1932 bis 1939. Semester 27

Studierende insgesamt

Veränderung zu 1932

Studierende Rostock

Veränderung zu 1932

2686

Anteil Rostocks

SoSe 1932

98.852

SoSe 1933

88.930

– 10,0 %

2686



2,7 % 3,0 %

SoSe 1934

71.889

– 27,3 %

2212

– 17,6 %

3,0 %

SoSe 1935

57.001

– 42,3 %

1372

– 48,9 %

2,4 %

SoSe 1936

52.581

– 46,8 %

1243

– 53,7 %

2,4 %

SoSe 1937

44.468

– 55,0 %

1015

– 62,2 %

2,3 %

SoSe 1938

41.069

– 58,5 %

851

– 63,8 %

2,1 %

SoSe 1939

40.716

– 58,8 %

613

– 77,2 %

1,5 %

In Rostock und Schwerin fürchtete man, im Zuge der geplanten Übertragung der Universitäten aus dem Zuständigkeitsbereich der Länder in den des Reichs die Landesuniversität zu verlieren. Schließlich gab es noch die beiden deutlich besser finanzierten Preußischen Universitäten Kiel und Greifswald sowie die weitaus größere Universität Hamburg in der Nähe.28 Ab 1936 kam es auf Reichsebene in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik zwar zu Veränderungen, professionelle Interessen standen wieder verstärkt im Vordergrund. In Rostock ging dies aber langsamer vonstatten. Mit dem sogenannten Vier-­Jahres-­Plan hatte Adolf Hitler im Herbst 1936 die Kriegsvorbereitungen eingeläutet. Diesem dezidiert wirtschaftlichen Vorhaben wurde eine wissenschaftliche Komponente beigefügt, denn die für das Streben nach Autarkie und Rüstung notwendigen Maßnahmen bedurften auch einer Flankierung durch entsprechende Forschung.29 Von der allgemeinen Krise der Hochschulen in den 1930er-­Jahren war die Mecklenburgische Landesuniversität besonders schwer betroffen. Die weiter sinkenden Studierendenzahlen veranlassten die Schweriner Kultusabteilung Ende 1938 zu folgender Feststellung: „Die Universität Rostock befindet sich zur Zeit in einer gefährlichen Krise.“ 30 Einzig die Medizinische Fakultät habe noch eine gewisse Zugkraft, die anderen Fakultäten hätten dagegen schwer zu kämpfen. Dieser Entwicklung wollte man nun aktiv entgegenwirken. Eine der Maßnahmen, mit der die Krisensituation überwunden werden sollte, war die enge Kooperation mit der lokalen Flugzeugindustrie. Mit der Ende 1938 gegründeten Ernst-­Heinkel-­Stiftung für Angewandte Mathematik war dafür bereits der Grundstein gelegt. Doch damit nicht genug: Der Philosophischen Fakultät etwa liege „ein weiterer Ausbau ihrer wehrwissenschaftlichen Arbeit am Herzen“, wie es Dekan Kurt Maurer ausdrückte.31 Hier zeigt sich exemplarisch, wie ausgeprägt die Bereitschaft Rostocker Wissenschaftler war, sich dem NS-Regime anzudienen. Doch so einfach war dieser Ausbau nicht, auch wenn sich durch die in Mecklenburg vorangetriebene (Rüstungs-)Industrialisierung der finanzielle Spielraum des Lands erweitert hatte 32. Staatsminister Scharf war im Frühjahr 1939 nach Berlin ins Reichs371

Florian Detjens

erziehungsministerium gereist, um seine Vorstellungen für die weitere Profilierung der Landesuniversität zu skizzieren. Zwar stießen seine Pläne dort auf Wohlwollen,33 doch der Kriegsausbruch mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 bedeutete ein jähes Ende aller Ausbaupläne. Von nun an kennzeichneten drei Herausforderungen die Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Erstens sanken die Studierendenzahlen zunächst weiter ab, was aber eine generelle Entwicklung in Deutschland war. In Rostock trat allerdings ein reichsweit zu beobachtendes Phänomen besonders stark auf, nämlich das zunehmende Übergewicht der Medizinischen Fakultät, die zeitweise deutlich mehr als die Hälfte aller Immatrikulationen auf sich vereinte. Dadurch gerieten freilich die anderen Fakultäten unter Druck.34 Tabelle 4: Immatrikulationen in Rostock nach Fakultäten. Semester 35

Immatrikulationen

Medizin

Theologie

Philosophie

Rechtswissenschaft

Anteil Medizin

SoSe 1928 SoSe 1930

1489

546

107

447

389

36,7 %

2196

1038

187

610

412

47,3 %

SoSe 1932

2686

1391

225

627

442

51,8 %

SoSe 1934

2212

1302

211

424

274

58,9 %

SoSe 1936

1243

728

131

220

164

58,7 %

SoSe 1938

851

597

50

118

86

70,2 %

SoSe 1939

613

415

29

95

74

67,7 %

2. Trim. 1940

488

321

5

107

55

65,8 %

WiSe 1943/44

638

518

0

78

38

81,2 %

Zweitens waren, wie an allen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, nicht wenige Dozierende und Wissenschaftler zum Wehrdienst eingezogen worden. Die Freistellung der Wissenschaftler kam nur schleppend voran, sodass der geregelte Forschungs- und Lehrbetrieb in Rostock und anderswo beeinträchtigt war. Dadurch, dass ständig Professoren zu Wehrdienstzwecken abwesend waren, konnte beispielsweise die Gründung einer Naturwissenschaftlichen Fakultät nicht vollzogen werden 36. Die dritte und bei Weitem wohl gewichtigste Herausforderung bestand schon seit 1940 darin, die Universität für die Zeit nach dem Krieg aufzustellen. Hintergrund war, dass angesichts des zunächst günstigen Kampfverlaufs mit einem baldigen Ende des Kriegs gerechnet wurde. Da die Mecklenburgische Landesuniversität mit Hamburg, Kiel und Greifswald von drei anderen konkurrierenden Hochschulen umgeben war, befürchtete man in Rostock in diesem Wettstreit am Ende auf der Strecke zu bleiben und schlimmstenfalls gar geschlossen zu werden. Das galt umso mehr, als schon während des Kriegs im Reichskultusministerium mehrfach versucht wurde, die Hochschulen gänzlich aus dem Kompetenzbereich der Länder zu lösen und diese damit direkt der Reichszentrale zu unterstellen. Entsprechende Vorstöße wurden immer dann unternommen, wenn Hitler 372

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Abb. 3: Studentenaufmarsch vor dem Universitätshauptgebäude im Dezember 1938.

Einsparungserlasse dekretierte. Letztlich scheiterten aber die Pläne von Reichskultusminister Bernhard Rust endgültig im März 1942, als Adolf Hitler eine Entscheidung darüber auf die Zeit nach dem Krieg vertagte. Zuvor hatten mehrfache Interventionen des einflussreichen Preußischen Finanzministers Johannes Popitz beim Multifunktionär Hermann Göring, der auch Preußischer Ministerpräsident war, eine Umsetzung der Verreichlichungspläne des Reichskultusministeriums verhindert.37 Um eine möglichst gute Ausgangslage für die Zeit nach dem erwarteten Kriegsende zu schaffen, sollte rasch mit dem Ausbau und der Profilierung der Universität begonnen werden. Zentrales Element dieses Ausbaus war zunächst einmal etwas Grundlegendes, die notwendige Verbesserung der räumlichen Situation. Doch derlei Pläne fielen alsbald den Kriegsbedingungen zum Opfer. Als nämlich im April 1942 Rostock über mehrere Nächte hinweg schwersten Bombardierungen ausgesetzt war 38, wurden die Bauvorhaben auf Eis gelegt. Personelle und materielle Ressourcen wurden schlichtweg anderweitig benötigt.39 Mitten in den Bombenkrieg mitsamt seinen negativen unmittelbaren Auswirkungen fiel der größte Coup, der der Landesregierung in Bezug auf ihre Universität gelungen war: die Gründung der – eingangs erwähnten – Landwirtschaftlichen Fakultät. Staatsminister Scharf hatte die neue Fakultät zur Chefsache erklärt und sich daher selbst um die Verhandlungen mit den zuständigen Berliner Stellen gekümmert. Dies war ein eher 373

Florian Detjens

ungewöhnlicher Vorgang, der die Dringlichkeit der Angelegenheit verdeutlichte. Zunächst war es gelungen, die Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, eine der wichtigsten Wissenschaftsorganisationen des ‚Dritten Reichs‘, für das Vorhaben zu gewinnen. Die Gesellschaft hatte seit der Gründung des Kaiser-­Wilhelm-­Instituts für Tierzuchtforschung in der Nähe von Rostock großes Interesse an einer Kooperation mit der Universität. Durch diese Unterstützung gelang es, wichtige Kanäle in die Berliner Ministerialbürokratie zu öffnen.40 Zugleich erhielt Schwerin Zuspruch für das bereits seit Jahrzehnten verfolgte Projekt von höchsten Kreisen der NSDAP, namentlich von Martin Bormann. Bormann war Leiter der NSDAP-Partei-­Kanzlei, Hitlers Privatsekretär und de facto der wohl zweitmächtigste Mann des ‚Dritten Reichs‘.41 Eine Landwirtschaftliche Fakultät im von der Propaganda gerne so betitelten „Agrargau“ Mecklenburg war sowohl in ideologischer wie praktischer Hinsicht wichtig.42 Schließlich war landwirtschaftliche Forschung ein zentrales Element für die vom NS-Regime angestrebte Nahrungsmittel-­Autarkie.43 Und dabei wollten Rostocker Wissenschaftler den NS-Staat unterstützen. Der Ausbau sollte sich allerdings als schwierig erweisen. Anfänglich mit drei Professuren gestartet, stellte man bald fest, dass es doch mindestens fünf sein müssten. Trotz grundsätzlich entgegenstehender Rechtslage 44 gelang es, noch Weihnachten 1944 eine Ausnahmegenehmigung für die zwei zusätzlichen Lehrstühle zu bekommen. Dies war ein klares Indiz für die Bedeutung, die man der neu zu gründenden Fakultät auf Reichsebene zuwies.45 Selbst die Besetzung einiger der Professuren gelang.46 Doch der weitere Ausbau der Fakultät geriet ins Stocken. Pläne für neue Räumlichkeiten wurden nur schleppend realisiert. Die Laboreinrichtungen wurden beispielsweise bei einem erneuten Bombardement Rostocks zerstört.47 Trotz dieses großen Schritts hinsichtlich der Standortprofilierung fehlte es im praktischen Alltag an allen Ecken und Enden. Darüber konnten auch die erfolgreichen Drittmitteleinwerbungen und Ausbauten etwa am Chemischen Institut oder eine nebulöse Kooperation mit dem Heereswaffenamt nicht hinwegtäuschen. Anlässlich des 1944 im bescheidenen Rahmen gefeierten 525-jährigen Universitätsjubiläums wurde der Ausbau der seit Jahrzehnten vernachlässigten Geisteswissenschaften als nächstes Ziel verkündet. Schließlich sollte die Universität Rostock zugkräftig sein und dafür bedurfte es einer attraktiven Volluniversität.48 Dies gewann umso mehr an Bedeutung, als die Universität sich kurz zuvor wieder einmal gegen ihre Schließung hatte wehren müssen und längst über Ausweichquartiere nachdachte, um den Lehr- und Forschungsbetrieb aufrechterhalten zu können.49 Nicht weniger als 300.000 RM wollte Staatsminister Friedrich Scharf in Form einer Stiftung zur Förderung der geisteswissenschaftlichen Fächer bereitstellen.50 Indes, das Kriegsende verhinderte diesen Plan. Abschließend ist noch die Frage zu diskutieren, was es mit der „Universität für die Völker des Nordens“ aus dem Eingangszitat auf sich hatte. 374

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Abb. 4: Werbebroschüre der Universität, Ende der 1930er Jahre.

Angespielt wurde damit auf ein Narrativ, das in verschiedenen Zusammenhängen auftauchte – wie etwa bei dieser oben abgebildeten Werbebroschüre – und dafür genutzt wurde, die Besonderheit der Mecklenburgischen Landesuniversität herauszustellen. Hier wurde die Tradition der ersten und ältesten Universität des Ostseeraums ins Feld geführt, aus der nun im Sinne der Standortprofilierung eine Funktion der Landesuniversität abgeleitet wurde: nämlich als Schnittstelle zu den auch ideologisch bedeutsamen Staaten Skandinaviens unter nationalsozialistischen Vorzeichen zu fungieren 51. Doch auch dies zerschlug sich schließlich mit dem Kriegsende, das bekanntlich anders ausfiel, als man es erhofft hatte.

375

Florian Detjens

Abschließende Bemerkungen Den Akteuren an der Universität Rostock und in der Landesregierung in Schwerin gelang es im Laufe der Jahre, eine der ältesten deutschen Universitäten durch die schwierigen Zeiten der Weimarer Republik zu manövrieren. Während der nationalsozialistischen Diktatur setzten sich die Probleme zunächst fort. Erst langsam wurden Strategien entwickelt, mit denen man stärker die Rahmenbedingungen des NS-Staats für die Universität nutzen konnte. Wie die Gründung der Landwirtschaftlichen Fakultät exemplarisch zeigt, waren solche Vorhaben durchaus von Erfolg gekrönt. Selbstverständlich gab es auch Misserfolge. Es war gar nicht immer so einfach, sich in den Dienst des neuen Regimes zu stellen oder sich ihm anzuschließen. Auffällig ist dabei vor allem, dass nur selten versucht wurde, gänzlich neue Ideen unter der NS-Herrschaft zu verwirklichen. Häufig blieb man eher bemüht, ältere Vorhaben umzusetzen, die etwa bereits im Zuge des 500-jährigen Jubiläums 1919 schon angedacht gewesen waren. Der Blick auf die nachfolgende Tabelle mit der Entwicklung der Anzahl der besetzten Lehrstühle zeigt dabei, dass es trotz aller Widrigkeiten gelang, wieder das Niveau aus den frühen 1930er-­Jahren zu erreichen. Die Verschiebung von Ordinarien zu den kostengünstigeren Extraordinarien ist dabei vor allem der Berufungspolitik des Lands Mecklenburg geschuldet. Tabelle 5: Anzahl der besetzen Professuren an der Universität Rostock. Jahr 52

Ordinariate

Extraordinariate

Gesamt

1932

52

3

55

1937

40

6

46

1939

40

9

49

1945

47

11

58

Zudem wurden eine Reihe neuer Einrichtungen geschaffen, darunter etwa: das Institut für Wirtschaftliche Raumforschung 1934 die Ernst-­Heinkel-­Stiftung 1938 (Angewandte Mathematik, Luftfahrtwissenschaft) ein Extraordinariat für Vorgeschichte 1939 ein Extraordinariat für Physikalische Chemie 1942 die Landwirtschaftliche Fakultät 1942/44 (3 Ordinariate, 2 Extraordinariate) und schließlich •• das Institut für Mikrobiologie 1943 (zusammen mit dem Heereswaffenamt)

•• •• •• •• ••

Der Preis für diesen Aufschwung, der ausgerechnet mitten im Zweiten Weltkrieg einsetzte, war allerdings hoch. Die Rostocker Universität reihte sich – auch gestützt auf ihre 500-jährige Tradition – bereitwillig in den NS-Staat ein. Somit wurden die Wissenschaftler zur Stütze des nationalsozialistischen Regimes, sei es, dass sie neue Funktionseliten aus376

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

bildeten oder dass sie mit den erzielten wissenschaftlichen Ergebnissen Mosaiksteine für verschiedene rüstungs- und kriegsrelevante Maßnahmen lieferten. Der Einschnitt, den die Errichtung der NS-Diktatur darstellte, wurde dabei ohne Weiteres hingenommen. Es dauerte aus verschiedenen Gründen zwar einige Zeit, sich an die neuen Dynamiken des NS-Staates anzupassen und insbesondere die sich verändernden Anforderungen an die Wissenschaft produktiv aufzugreifen. Dann aber gelang es, die Chancen, die auch der Nationalsozialismus der Wissenschaft ließ, zu nutzen. Festzuhalten bleibt dabei, dass die universitären Akteure nahezu einhellig aus eigenem Antrieb handelten. Ob dies nun aus blanken Opportunismus, patriotischer Gesinnung oder fanatischer Überzeugung geschah, lässt sich in den wenigsten Fällen klar beantworten. Vermutlich wird es oft etwas dazwischen gewesen sein.

377

Abb. 5: Rektor Paul Schulze, Ölgemälde (Originalfassung). Schulze war von 1933 bis 1936 Rektor der Universität Rostock. Auf seinem Rektorengemälde wurden nachträgliche Veränderungen des Hintergrunds vorgenommen. Die Darstellung der Kröpeliner Straße mit Hakenkreuzfahnen im Hintergrund wurde mit einer Darstellung der Universitätskirche übermalt.

Abb. 6: Das Rektorengemälde von Paul Schulze in heutigem Zustand.

Florian Detjens

Anmerkungen

1

Die Überblicksskizze basiert auf einer umfangreichen Dissertation des Verfassers, die im Rahmen des 600-jährigen Jubiläums der Universität Rostock entsteht und Ende 2019 erscheinen wird. 2 Archiv-­ M PG, II. Abt. Rep. 1 A, Personalakte Jonas Schmidt, Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister an Herrn Prof. Dr. Schmidt, 15. 11. 1943. 3 Herbig/Reincke-­Bloch 1920, 64. 4 Vgl. Baumgarten 1997, 12, 18, 205 f., 257 f., 272 – 275; Heidorn et al. 1969a, 85 – 229; Heiber 1991, 265. 5 Zit. Langfeld 1930, 222. 6 Zit. nach Zimmermann 2012, 81 – 97, hier 84 f. 7 1924 war das Land Mecklenburg-­Schwerin mit 9,99 Millionen RM verschuldet. 1927 waren es bereits 36,52 Millionen RM, also ein Schuldenanstieg um den Faktor 3,65 binnen drei Jahren. Als die NSDAP im Sommer 1932 die Landtagswahlen gewann, lag die Verschuldung sogar schon bei fast 71 Millionen RM. Unter anderem waren die Einnahmen aus der Forst- und Domänenverwaltung stark zurückgegangen. Die Weltwirtschaftskrise verschlechterte die Situation dann weiter. Vgl. Buddrus/Fritzlar 2011, 46; Gutachten Reichssparkommissar 1930, 16 – 23. 8 UAR 1.03.0, Akte R 08 C 20.1, Bl. 79, 94, Mecklenburg-­Schwerin, 5. Ordentlicher Landtag 1927, Drucksache Nr. 84, Mecklenburg-­Schwerinsches Staatsministerium, Entwurf eines Gesetzes über die Besoldung der unmittelbaren Staatsbeamten, 09. 12. 1927. 9 UAR 1.03.0, Akte R 02 C 04, Bl. 9 f., Vermerk betr. Aufhebung der Universität Rostock (Dementi in den Zeitungen), Besprechung mit Herrn MR Dehns im Ministerium am 21. 12. 1931, 22. 12. 1931. 10 Vgl. Deinert 2010, 39; LHAS 05.12.07/01, Akte 631, Bl. 16 – 21, 24, 26, 28, 30 – 34, 37 f., 57 – 63, 73 – 79; UAR 1.03.0, Akte R 02 C 03, Bl. 101 f.; UAR 1.03.0, Akte R 02 C 04, Bl. 3 – 10; Stellungnahme des Mecklenburg-­Schwerinschen Staatsministeriums, Teil I, 1930, 76; Stellungnahme des Mecklenburg-­Schwerinschen Staatsministerium, Teil II, 1930, 197, 199 f.; Grüttner 2003a, 71 f.; Eberle 2002, 157 f.; Moraw 1982, 23*–75*, hier 40*f., 58*f.; Hammerstein 1989, 31 – 37. 11 Vgl. Grüttner 2012, 575. 12 In Thüringen stellte seit 1930 die NSDAP in einer Koalitionsregierung mit Wilhelm Frick den ersten Minister in der Parteigeschichte, wovon auch die Universität Jena betroffen war. Ab Mai 1932 gab es in Anhalt den ersten NSDAP-Ministerpräsidenten, aber in Mecklenburg-­ Schwerin war die Partei das erste Mal ohne einen Koalitionspartner auch für eine Hochschule zuständig. Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 7. Zur Universität Jena unter einer Landesregierung mit NSDAP-Beteiligung siehe: Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert 2009, 410 – 416, 421 – 423, 428 – 434. 13 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2012, 38; Buddrus/Fritzlar 2007, 7; Grüttner 2003a, 67 – 100, hier 94 – 96; Pätzold/Weißbecker 2009, 44 – 64, das Programm ist abgedruckt auf den Seiten 46 – 48. Darin heißt es in Punkt 20 denkbar allgemein gehalten: „ […] Die Lehrpläne aller Bildungsanstalten sind den Erfordernissen des praktischen Lebens anzupassen […] “; Buddrus/Fritzlar 2012, 379 f. 14 Vgl. dazu demnächst die Dissertation des Vf. 15 UAR 1.07.0, Akte K 066 – 0820.2, Bl. 167, Mecklenburg-­Schwerinsches Ministerium für Unterricht an Rektor und Senat der Universität Rostock, 22. 05. 1933. 380

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

16 Ausführlich zur Wehrwissenschaft siehe: Reichherzer 2012, passim. 17 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 1198, Bl. 261, 280, 298, 397; LHAS 05.12.07/01, Akte 1199, Bl. 131 f.; UAR 1.07.0, Akte K 089 – 0948.1, Bl. 70; UAR 2.04.1, Akte 242, Bl. 4 – 29. 18 Buddrus/Fritzlar 2007, 20 f, 112 – 114, 138 – 142, 148 f., 185 f., 217 – 219, 363 – 365, 390. 19 Vgl. Hartshorne 1937, 94. 20 Grüttner 2012, 295 – 310, 325 – 403. 21 Hammerstein 1989, 191 – 196, 219 – 244. 22 Zu den Entlassungen durch die nationalsozialistischen Machthaber in Tübingen siehe: Grün 2009, 171 – 192, hier 178 – 181. 23 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 15 – 23, 26 f., 37, 49 – 51, 62 – 65, 112. Die Bezeichnung „Professor“ schließt bei Buddrus neben Ordinarien und Extraordinarien auch außerplanmäßige Professoren und Honorarprofessoren ein. Heidorn et al. 1969a, 238 f., 253; Deinert 2010, 158 – 165; Grüttner 2003a, 67 – 77, 80 – 85; Grüttner 2003b, 265 – 276, hier 268 f.; Heiber 1991, 156 – 175; Maier 2010, 25 – 45, hier 32. 24 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 14, 20 – 22, 26 f., 35 – 39; Heidorn et al. 1969a, 253 – 257; Klüßendorf 2010, 69 – 83. 25 Als die NSDAP im Sommer 1932 die Regierungsgeschäfte in Schwerin übernahm, lag die Verschuldung des Lands bei 70,98 Millionen RM. Bis 1935 stieg die Schuldenlast auf mehr als 88 Millionen RM an und fiel anschließend bis 1939 auf 76,76 Millionen RM ab. Vgl. Buddrus/Fritzlar 2011, 46. 26 Vgl. Detjens 2019; BArch R 4901, Akte 2130, Bl. 160 – 162., Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an Parteigenossen Wacker, 12. 08. 1937; Deinert 2010, 22 – 27, 33; Eberle 2002, 166; Heiber 1992, 148 – 154; Jarausch 1984, 176 – 187; Nagel 2012, 109 f., 115, 215 – 244, 255 – 286. 27 Buddrus/Fritzlar 2007, 497, sowie eigene Berechnungen. 28 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 612, Bl. 275, undatierte Zusammenstellung in der Handakte von MR Dehns, dem Überlieferungszusammenhang nach aus den Jahr 1938/39; UAR 1.07.0, Akte K 199 – 1133, Bl. 66, Zusammenstellung der Mehr- und Weniger-­Forderungen zum Haushaltsplan 1938 (ordentlicher Haushalt), Kap.  IV, 3; Zu den Studierendenzahlen siehe: Buddrus/ Fritzlar 2007, 497, 500; Eberle 2015, 278 f.; Göllnitz 2018, 638; Krause/Huber/Fischer (Hgg.) 1991, 1492 f. 29 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 24 – 27; Eberle 2015, 208 f.; Flachowsky 2008, 217 – 259, 277 f., 374 – 386; Grüttner 2003a, 81 f., 84 – 86; Grüttner 2003b, 267 f., 272 f.; Grüttner 2000, 557 – 585, hier 577; Hachtmann 2007, 195 – 203, 218 – 225, 281 – 283, 286 – 304, 312 – 315, 571 – 576, 745 – 754, 1247 – 1249, 1264 f., 1276 – 1284; Maier 2007, 359 – 474, 599 – 603, 623 – 625; Maier 2007, 967, 969 – 971, 999 – 1002; Maier 2010, 28 – 30, 36 – 40, 45; Nagel 2012, 228 – 255, 281 – 295; Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert 2009, 480 – 482, 527 f. 30 LHAS 05.12.07/01, Akte 632, Bl. 28, Mecklenburgisches Staatsministerium, Abt. Unterricht, an die Abt. Finanzen, 29. 12. 1938. 31 UAR 1.07.0, Akte K 082 – 0299, Bl. 26, Philosophische Fakultät der Universität Rostock an den Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 06. 12. 1939. 32 Der Landeshaushalt stieg von 61,71 Millionen RM 1935 auf 64,32 Millionen RM im Jahr 1937 an, fiel dann 1938 wieder auf 63,39 Millionen RM ab und sollte 1939 eine deutliche Erhöhung 381

Florian Detjens

auf 74,14 Millionen erfahren. Vgl. BArch R 2, Akte 10932, Bl. 45, Bemerkungen zum Haushaltsplanentwurf 1939 des Lands Mecklenburg, 08. 05. 1939. 1938 hatte die Universität, ohne Kliniken, Ausgaben von 1.628.310 RM getätigt, 1939 lagen die Ausgaben bei 1.836.380 RM. Darin enthalten waren aber auch Baumaßnahmen wie etwa 50.000 RM für den Neubau des Universitätssportplatzes. Die Universitätskliniken gaben weitere 3.187.380 RM aus, wobei hier immerhin 2.319.330 RM aus Einnahmen entgegenstanden. Insgesamt belief sich der Landeszuschuss für Universität und Universitätskliniken 1939 auf 2.365.070 RM (1.497.140 RM für die Universität und 867.930 RM für die Kliniken). Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 289, Haushalt des Mecklenburgischen Staatsministeriums, Abt. Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten für das Rechnungsjahr 1939, Einzelplan IV, 24, 39, 203; Buddrus/ Fritzlar 2011, 46. 33 Helmut Heiber berichtet ebenfalls über diese Begegnung. Vgl. Heiber 1994, 136; Vgl. BArch R 4901, Akte 2130, Bl. 204 f., 234, 245, 249, 252, 254. 34 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 29 – 33; Deinert 2010, 389 – 394; Nagel 2012, 286 f., 293 – 295, 333. Ein hoher Anteil an Studierenden der Medizin war in Rostock nicht unbekannt. Allerdings verschoben sich die Verhältnisse hier dramatisch. Waren 1928 noch 36,7 % aller Immatrikulationen an der Medizinischen Fakultät verzeichnet, waren es schon 1932 51,8 %, bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtzahl der Studierenden. Bei den anschließend wieder fallenden Studierendenzahlen nahm der Anteil der Mediziner aber weiter bis auf 70 Prozent 1938 zu. 1939 und 1940 waren zwei von drei Studierenden in der Medizin, 1943/44 sogar über 80 Prozent aller Studierenden in Rostock in der Medizin immatrikuliert. Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 498 f.; Deinert 2010, 389 – 394; UAR 1.03.0, Akte R 04 C 08.3, Bl. 239, 303. 35 Buddrus/Fritzlar 2007, 498 – 499; UAR 1.03.0, Akte R 04 C 08.3, Bl. 239, 303. 36 Vgl. BArch R 4901, Akte 2135, Bl. 4, Kuratorium der Universität Rostock an das Mecklenburgische Staatsministerium, Abt. Unterricht, 30. 01. 1940; Ebd., Bl. 7, Vermerk der Registratur, 03. 02. 1943. Der Vorgang wurde in Schwerin letztmalig am 8. Januar 1945 wieder vorgelegt und dann zur Wiedervorlage ein Jahr später versehen, was auch geschah. Siehe: LHAS 05.12.07/01, Akte 1198, Bl. 399 f., Kuratorium der Universität Rostock an das Mecklenburgische Staatsministerium, Abt. Unterricht, 30. 01. 1940. 37 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 632, Bl. 41, Mecklenburgisches Staatsministerium, Abt. Unterricht an den Herrn Reichsminister der Finanzen, 24. 03. 1941; UAR 1.07.0, Akte K 003 – 0912, Bl. 442, Kuratorium an das Staatsministerium, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 18. 11. 1941; Grüttner 2007a, 179; Nagel 2012, 94 – 98, 317 – 329. 38 Vgl. Bohl/Keipke/Schröder 1995, 33 – 126; Buddrus/Fritzlar 2009, 29 f., 34 f. Ausführlich zu den Auswirkungen der Bombenangriffe 1942 auf Rostock und Hildebrandts Katastrophenmanagement siehe ebd., 282 – 474; für Erinnerungen von Zeitgenossen an die Ereignisse siehe außerdem: Schade/Redieck 2012, passim; Urbschat 2013, 274 – 280. 39 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 568, Bl. 209, MR Dehns an Herrn MD Dr. Bergholter in Berlin, REM, 06. 02. 1941; Ebd., Bl. 228, Staatsministerium, Abt. Finanzen (Hochbau), an Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 19. 11. 1941; Ebd., Bl. 230, Mecklenburgisches Staatsministerium, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an das Kuratorium, 27. 01. 1942; Ebd., Bl. 234 RS, 243, 244; Ebd., Bl. 242, Mecklenburgisches Staatsministerium, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Abt. Hochbauwesen und die Abt. Finanzen, 28. 02. 1942; UAR 1.07.0, Akte K 003 – 0912, Bl. 272 – 276, Kuratorium an das Mecklen382

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

burgische Staatsministerium, Abt. Unterricht, 08. 01. 1941; Ebd., Bl. 298, Dehns an den Herrn Rektor, 04. 02. 1941; Ebd., Bl. 404, Hochbauabteilung Rostock an das Kuratorium, 05. 11. 1941; Ebd., Bl. 277, 298, 308 f., 348 f., 370, 374 – 376, 388; UAR 1.07.0, Akte K 003 – 0912, Bl. 398 f., Niederschrift, 03. 11. 1941. Die Besprechung selbst hatte am 22. 10. 1941 stattgefunden; Ebd., Bl. 399, Dehns an den Herrn Oberbürgermeister, 03. 11. 1941; Ebd., 406 – 419, Hans Mester, Regierungsbaurat Hochbauabteilung Rostock, 28. 10. 1941; Ebd., Bl. 438 – 442, Kuratorium an das Staatsministerium, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 18. 11. 1941. 40 Vgl. Archiv-­M PG , I. Abt. Rep. 1 A, Akte 2859, Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an den Herrn Generaldirektor Dr. Telschow, Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, 07. 02. 1941; Ebd., Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an Herrn Generaldirektor Dr. Telschow, Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, 16. 09. 1941; Ebd., Dr. Telschow an Herrn Staatsminister Dr. Scharf, 04. 02. 1941; Ebd., Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an Herrn Generaldirektor Dr. Telschow, Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, 16. 09. 1941; Ebd., Dr. Telschow an Herrn Staatsminister Scharf persönlich, 20. 01. 1942; BArch R 4901, Akte 2130, Bl. 204 f., Amtschef W, Vermerk Herrn ORR Albermann, 05. 04. 1939; LHAS 05.12.07/01, Akte 1657, Bl. 328 f., 337, 444 f., 454, 457, 466 – 468, 476 f., 488 – 490; Hachtmann 2007, 205, 219 f., 293 f., 700, 719 – 724, 728 f., 746 – 750; Hachtmann 2008, 43 – 46 – insbesondere Heim 2003, 16 f., 23 – 124; Stutz 2014, 26 – 41; Viereck 2002, 152 f., 161 – 192. 41 Vgl. Archiv-­M PG , I. Abt. Rep. 1 A, Akte 2859, Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an Herrn Reichsleiter Bormann, 16. 09. 1941; BArch R 4901, Akte 2136, Bl. 2 f., NSDAP-Parteikanzlei, Der Leiter der Parteikanzlei an den Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 08. 10. 1941; Ebd., Bl. 4, MR Dehns an Herrn ORR Demmel, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 05. 11. 1941; ebd., Bl. 5 f., NSDAP Parteikanzlei, Der Leiter der Parteikanzlei an den Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 10. 12. 1941; Ebd., Bl. 8, Vermerk, 03. 01. 1942; Zu Bormann siehe: Görtemaker 2011, 247 f.; Lang 1990, 7 – 9, 169 – 173, 213 – 215, 228 – 230; Longerich 1992, 150 – 157, 161, 165 – 167, 177 – 179. 42 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2011, 31. 43 Vgl. Corni 1994, 17 – 57; Hachtmann 2008, 21 f.; Hachtmann 2007, 205, 218 – 220; Heim 2003, 7 – 11, 14 – 17, 33 – 124; Viereck 2002, 156 – 161. 44 Bei dem Stop-­Erlass des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 17. 02. 1943 handelt es sich um eines der wohl effektivsten Instrumente gegen das weitere Anwachsen von Ämtern, die Ausweitung von Stellenplänen und Beförderungen. Mit ihm wurden für die Dauer des Kriegs die Änderung der Reichsbesoldungsordnung sowie Abweichungen von den Reichsgrundsätzen über Einstellungen und Beförderungen von Beamten untersagt. Ebenso wurde die Ausweitung von Stellenplänen oder auch die Hebung sowie Ausbringung neuer Planstellen und das Anfordern von Zusatzstellen verboten. Ausnahmen – wie im Falle der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Rostock – konnten ausschließlich vom Reichsfinanzminister beantragt werden und bedurften der Zustimmung des Dreier-­Ausschusses. Vgl. Rebentisch 1989, 486 – 488. 45 Vgl. BA rch R 43-II , Akte 656/a, Bl. 182, Der Reichsminister der Finanzen an den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 16. 11. 1944; Ebd., Bl. 184, Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei an den Herrn Chef des Oberkommandos der Wehrmacht und an den Leiter der Partei-­Kanzlei, 24. 11. 1944; Ebd., Bl. 186, NSDAP Partei-­Kanzlei, Der Leiter der 383

Florian Detjens

Partei-­Kanzlei an den Chef der Reichskanzlei, 28. 11. 1944; Ebd., Bl. 187, Vermerk, 19. 12. 1944; Ebd., Bl. 187, Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei an den Herrn Reichsminister der Finanzen, 21. 12. 1944; LHAS 05.12.07/01, Akte 1529, Bl. 118, Der Reichsminister der Finanzen an den Herrn Mecklenburgischen Staatsminister, Abt. Finanzen, 20. 01. 1945; Ebd., Bl. 119, Der Mecklenburgische Staatsminister, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Abt. Finanzen, 31. 01. 1945. 46 Vgl. Buddrus/Fritzlar 2007, 293 – 295, 306 – 309, 359 f., 377 f., 485, 495. 47 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 1529, Bl. 109, Mecklenburgischer Staatsminister, Abt. Innere Verwaltung als Feststellungsbehörde I. Rechtsstufe in Kriegsschädensachen an die Abt. Hochbauwesen, 04. 07. 1944; UAR 2.05.1, Akte 56, Bl. 17, Mecklenburgisches Staatsministerium, Abt Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Herrn Rektor, 06. 05. 1944; UAR 2.05.1, Akte 483, Bl. 19, Niederschrift, 21. 04. 1944; Ebd., Bl. 22, Der Landrat des Kreises Rostock, Hochbauabteilung C an den Bauhof Mecklenburg, 24. 05. 1944; Ebd., Bl. 23, Der Landrat des Kreises Rostock, Hochbauabteilung C, an die Firma Albert Dargatz, 01. 02. 1944; Ebd., Bl. 25 f., Der Mecklenburgische Staatsminister, Abt. Hochbauwesen, an den Mecklenburgischen Landrat des Kreises Rostock, Hochbauabteilung C, 22. 01. 1945. 48 Vgl. Universität Rostock 1945, 1, 6 – 7; Deinert 2010, 199, 214, 223, 280. 49 Vgl. BArch R 4901, Akte 13992, Dr. Friedrich Scharf, Mecklenburgischer Staatsminister, an Herrn Reichsminister Rust, 31. 03. 1944; Ebd., Vermerk zu WJ 559/44, 23. 04. 1944; Ebd., Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an das Mecklenburgische Staatsministerium, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 23. 05. 1944; UAR 1.03.0, Akte R 03 A 08, Bl. 191, Sitzungsprotokoll Senatssitzung, 19. 07. 1944; Ebd., Bl. 197, Besprechung mit Herrn Staatsminister Dr. Scharf, 16. 08. 1944; Ebd., Bl. 199, Besprechung mit dem stellvertretenden Kurator Lobedanz, 01. 08. 1944; Ebd., Bl. 201, Besprechung mit Herrn Staatsminister Dr. Scharf, 08. 09. 1944; Ebd., Bl. 209, Sitzung des Rektors mit den Dekanen, 23. 01. 1945; UAR 1.07.0, Akte K 003 – 0912, Bl. 635, Der Mecklenburgische Staatsminister, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, an das Kuratorium, 13. 02. 1945; Ebd., Bl. 639, Direktor des Chemischen Instituts an das Kuratorium, 01. 03. 1945; Ebd., Bl. 641, Physikalisches Institut an das Kuratorium, 26. 03. 1945; Deinert 2010, 214, 220 f., 224. 50 Vgl. LHAS 05.12.07/01, Akte 292, Der Mecklenburgische Staatsminister, Abt. Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie Abt. Finanzen, an den Herrn Reichsminister der Finanzen, 31. 01. 1945. 51 Zwischen 1933 und 1945 waren in Rostock insgesamt 77 Studierende aus Skandinavien eingeschrieben, darunter 57 in der Zahnmedizin und 14 in der Medizin (6 aus Schweden von 1933 bis 1939, davon 5 in Zahnmedizin und einer in Mathematik und Physik; 50 aus Norwegen von 1933 bis 1945, davon 41 in Zahnmedizin, 5 in Medizin, 2 in Chemie und jeweils einer in Philologie, Kulturwissenschaft und allgemein Naturwissenschaft; 21 aus Dänemark, davon 11 für Zahnmedizin, 9 für Medizin und einer für Rechtswissenschaft). Insgesamt waren zwischen 1933 und 1945 263 Studierende aus dem Ausland in Rostock immatrikuliert (aus Skandinavien waren es 29,28 Prozent), dies entspricht 3,4 Prozent der insgesamt 7746 Studierenden. Vgl. Deinert 2010, 266 – 277, 399 sowie Zahlen aus eigener Zählung nach Staatsangehörigkeit anhand des Matrikelportals http://matrikel.uni-­rostock.de/ (Zugriff 22. 10. 2018). 52 Buddrus/Fritzlar 2007, 500 f.

384

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archiv der Max-­Planck-­Gesellschaft (Archiv-­MPG)

Generalverwaltung der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, Abt. I Rep. 1 A: 2859 Generalverwaltung der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft, Abt.  II Rep. 1 A: Gustav Frölich, Jonas Schmidt Bundesarchiv (BArch)

Reichsfinanzministerium R 2: 10932 Reichskanzlei R 43-II: 656/a Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 4901: 2130, 2135, 2136, 13992 Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Schwerin (LHAS)

Mecklenburg-­Schwerinsches Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinal­ angelegenheiten 05.12.07/01: 289, 292, 568, 612, 631, 632, 1198, 1199, 1529, 1657 Universitätsarchiv Rostock (UAR)

Rektorat 1.03.0: R 02 C 03, R 02 C 04, R 03 A 08, R 04 C 08.3, R 08 C 20.1 Kurator 1.07.0: K 003 – 0912, K 066 – 0820.2, K 082 – 0299, K 089 – 0948.1, K 199 – 1133 Medizinische Fakultät 2.04.1: 242 Landwirtschaftliche Fakultät 2.05.1: 56, 483 Gedruckte Quellen

Buddrus, Michael (2009), Mecklenburg im Zweiten Weltkrieg. Die Tagung des Gauleiters Friedrich Hildebrandt mit den NS-Führungsgremien des Gaues Mecklenburg 1939 – 1945. Eine Edition der Sitzungsprotokolle. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-­Berlin eingeleitet und kommentiert von Michael Buddrus unter Mitarbeit von Sigrid Fritzlar und Karsten Schröder (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-­Vorpommerns 10), Bremen. Gutachten des Reichssparkommissars über die Landesverwaltung Mecklenburg-­Schwerin (1930), Berlin. Herbig, Gustav/Reincke-­Bloch, Hermann (1920), Die Fünfhundertjahrfeier der Universität Rostock 1419 – 1919. Amtlicher Bericht im Auftrage des Lehrkörpers erstattet von Gustav Herbig und Hermann Reincke-­Bloch, Rostock. Stellungnahme des Mecklenburg-­Schwerinschen Staatsministeriums zum Gutachten des Herrn Reichssparkommissars im Hauptausschuss des Mecklenburg-­Schwerinschen Landtages (Dezember 1930), Teil I: Justizministerium, Ministerium für Unterricht, Ministerium des Innern (Stenographische Berichte). Stellungnahme des Mecklenburgischen Staatsministeriums zum Gutachten des Herrn Reichssparkommissars im Hauptausschuss des Mecklenburg-­Schwerinschen Landtages (Dezember 1930), Teil II: Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Finanzministerium 385

Florian Detjens

mit Hochbauabteilung, Organisation der Ministerien, Staatsministerium und Landtag. Allgemeine Erörterung (Stenographische Berichte). Universität Rostock (Hg.) (1945), Die Feier des fünfhundertfünfundzwanzigjährigen Bestehens der Universität Rostock, Rostock. Literatur

Baumgarten, Marita (1997), Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 121), Göttingen. Bohl, Hans-­Werner/Keipke, Bodo/Schröder, Karsten (Hg.) (1995), Bomben auf Rostock. Krieg und Kriegsende in Berichten, Dokumenten, Erinnerungen und Fotos 1940 – 1945, Rostock. Buddrus, Michael/Fritzlar, Sigrid (2007), Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte 16), München. Buddrus, Michael/Fritzlar, Sigrid (2011), Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich. Ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren, Bremen. Buddrus, Michael/Fritzlar, Sigrid (2012), Landesregierungen und Minister in Mecklenburg 1871 – 1952. Ein biographisches Lexikon, Bremen. Corni, Gustavo/Gies, Horst (1994), „Blut und Boden“. Rassenideologie und Agrarpolitik im Staat Hitlers (Historisches Seminar, Neue Folge 5), Idstein. Deinert, Juliane (2010), Die Studierenden der Universität Rostock im Dritten Reich (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 11), Rostock. Detjens, Florian (2019), „Die Existenz der Universität in Gefahr? Die Abwicklung des Pharmaziestudiengangs an der Universität Rostock 1938“, in: Emil C. Reisinger/Kathleen Haack (Hgg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Rostock. 600 Jahre im Dienst der Menschen 1419 – 2019, Wien, Köln, Weimar, 285 – 300. Eberle, Henrik (2002) Die Martin-­Luther-­Universität in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945, Halle. Eberle, Henrik (2015), „Ein wertvolles Instrument“. Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus, Köln et al. Flachowsky, Sören (2008), Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg (Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3), Stuttgart. Göllnitz, Martin (2018), Der Student als Führer? Handlungsmöglichkeiten eines jungakademischen Funktionärskorps am Beispiel der Universität Kiel (1927 – 1945) (Kieler Historische Studien 44), Ostfildern. Görtemaker, Heike B. (2011), Eva Braun. Leben mit Hitler, aktualisierte Taschenbuchausgabe, München. Grün, Bernd (2009), „Der politische Faktor in der Personalpolitik an der Universität Tübingen nach 1933 und nach 1945 im Vergleich“, in: Sabine Schleiermacher/Udo Schagen (Hgg.), Wissenschaft macht Politik. Hochschulen in den politischen Systembrüchen 1933 und 1945 (Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 3), Stuttgart, 171 – 192.

386

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Grüttner, Michael (2000), „Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus“, in: Doris Kaufmann (Hg.), Geschichte der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Bd. 2 (Geschichte der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft im Nationalsozialismus), Göttingen, 557 – 585. Grüttner, Michael (2003a), „Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz“, in: John Connelly/Michael Grüttner (Hgg.), Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn, 67 – 100. Grüttner, Michael (2003b), „Schlussüberlegungen. Universität und Diktatur“, in: John Connelly/Michael Grüttner (Hgg.), Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn, 265 – 276. Grüttner, Michael (2007a), „Hochschulpolitik zwischen Gau und Reich“, in: Jürgen John/ Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hgg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, München, 177 – 193. Grüttner, Michael (2007b), „Wissenschaft“, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Herausgegeben von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, 5. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart, 143 – 165. Grüttner, Michael (2012), Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen 1918 – 1945, Bd. 2 (Geschichte der Universität Unter den Linden 1810 – 2010), Berlin. Hachtmann, Rüdiger (2008), „Die Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft 1933 bis 1945. Politik und Selbstverständnis einer Großforschungseinrichtung“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (1), 19 – 52. Hachtmann, Rüdiger (2007), Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaf, Bd. 15/1 – 2 (Geschichte der Kaiser-­Wilhelm-­ Gesellschaft im Nationalsozialismus), Göttingen. Hammerstein, Notker (1989), Die Johann Wolfgang Goethe-­Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Bd. I: 1914 bis 1950, Neuwied. Hartshorne, Edward Yarnell (1937), The German Universities and National Socialism, London. Heiber, Helmut (1991), Universität unterm Hakenkreuz. Teil 1: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz, München et al. Heiber, Helmut (1992), Universität unterm Hakenkreuz. Teil  II , Bd. 1: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, München et al. Heiber, Helmut (1994), Universität unterm Hakenkreuz. Teil  II, Bd. 2: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, München et al. Heidorn, Günter et al. (Hgg.) (1969a), Die Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahr-­Feier der Universität. Im Auftrage des Rektors und des Wissenschaftlichen Rates verfaßt und herausgegeben von der Forschungsgruppe Universitätsgeschichte unter der Leitung von Günter Heidorn, Gerhard Heitz, Johannes Kalisch, Karl-­Friedrich Olechnowitz, Ulrich Seemann. Bd. I: Die Universität von 1419 – 1945, Rostock. Heidorn, Günter et al. (Hgg.) (1969b), Die Geschichte der Universität Rostock 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfüfnzig-­Jahr-­Feier der Universität. Im Auftrage des Rektors und des Wissenschaftlichen Rates verfaßt und herausgegeben von der Forschungsgruppe Universitätsgeschichte unter der Leitung von Günter Heidorn, Gerhard Heitz, Johannes Kalisch, Karl-­Friedrich Olechnowitz, Ulrich Seemann. Bd. II: Die Universität 1945 – 1969, Rostock. 387

Florian Detjens

Heim, Susanne (2003), Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-­Wilhelm-­Instituten 1933 – 1945, Bd. 5, (Geschichte der Kaiser-­Wilhelm-­ Gesellschaft im Nationalsozialismus), Göttingen. Jarausch, Konrad H. (1984), Deutsche Studenten 1800 – 1970 (Edition Suhrkamp 1258), Frankfurt am Main. Klüßendorf, Niklot (2010), „Der Historiker Heinz Maybaum (1896 – 1955). Ein Leben mit Prägespuren von fünf politischen Systemen“, in: Hans-­Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.), Tochter oder Schwester – die Universität Greifswald aus Rostocker Sicht. Referate der interdisziplinären Ringvorlesung des Arbeitskreises „Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ im Wintersemester 2006/07 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 8), Rostock, 69 – 83. Krause, Eckart/Huber, Ludwig/Fischer, Holger (Hgg.) (1991), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933 – 1945, Teil III: Mathematisch-­Naturwissenschaftliche Fakultät, Medizinische Fakultät, Ausblick, Anhang, Bd. 3/III, (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte), Berlin et al. Lang, Jochen von (1990), Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte, korrigierte Ausgabe auf Grundlage der 3. Neuauflage, Frankfurt/Main et al. Longerich, Peter (1992), Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Partei-­Kanzlei Bormann, München et al. Maier, Helmut (2007), Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft und das Kaiser-­Wilhelm-­Institut für Metallforschung 1900 – 1945/48, Bd. 16/1 – 2 (Geschichte der Kaiser-­Wilhelm-­Gesellschaft im Nationalsozialismus), Göttingen. Maier, Helmut (2010), „Forschung für den ‚autarken Wehrstaat‘. Technische Hochschulen im ‚Dritten Reich‘“, in: Noyan Dinçkal/Christof Dipper/Detlev Mares (Hgg.), Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im „Dritten Reich“, Darmstadt, 25 – 45. Moraw, Peter (1982), „Organisation und Lehrkörper der Ludwigs-­Universität Gießen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts“, in: Hans Georg Gundel/Peter Moraw/Volker Press (Hgg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Bd. 1(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 35), Marburg, 23*–75*. Nagel, Anne C. (2012), Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934 – 1945, Frankfurt/Main. Pätzold, Kurt/Weißbecker, Manfred (2009), Die Geschichte der NSDAP 1920 bis 1945, 3., verbesserte und ergänzte Auflage, Köln. Rebentisch, Dieter (1989), Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939 – 1945 (Frankfurter Historische Abhandlungen 29), Stuttgart. Reichherzer, Frank (2012), „Alles ist Front!“. Wehrwissenschaften in Deutschland und die Bellifizierung der Gesellschaft vom Ersten Weltkrieg bis in den Kalten Krieg (Krieg in der Geschichte 68), Paderborn et al. Schade, Achim/Redieck, Matthias (Hgg.) (2012), Rostock im Feuersturm. Das Vier-­Tage-­ Bombardement vom 24.4. bis 27. 4. 1942, Rostock. Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert (Hg.) (2009), Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850 – 1995. Herausgegeben von der Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert, Köln et al. 388

Die Universität Rostock im Nationalsozialismus

Stutz, Reno (2014), Forschungen zum Wohle von Mensch und Tier. 75 Jahre Nutztierbiologie in Dummerstorf, Rostock. Urbschat, Kerstin (2013), „NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg in Rostock“, in: Karsten Schröder (Hg.), Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Rostock, 237 – 280. Viereck, Gunther (2002), Die Rostocker Thünenforschung zwischen 1900 und 1960. Eine historische Analyse, Rostock, Univ., Diss. Zimmermann, Konrad (2012), „Gottfried von Lücken. Rostocker Hochschullehrer in drei Systemen“, in: Gisela Boeck/Hans-­Uwe Lammel (Hgg.), Rostocker gelehrte Köpfe. Referate der interdisziplinären Ringvorlesung des Arbeitskreises „Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ im Wintersemester 2009/2010 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 20), Rostock, 81 – 97.

389

Mario Niemann

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 1990 Die Rostocker Agrargeschichte ist untrennbar mit dem Wissenschaftler Gerhard Heitz 1 verbunden, „eine[m] der Begründer und der Protagonisten der Agrargeschichtsforschung in der DDR.“ 2 Sein wissenschaftlicher Werdegang soll daher zunächst kurz vorgestellt werden. Von 1946 bis 1950 studierte er Geschichte und Germanistik an der Universität Leipzig und der Humboldt-­Universität zu Berlin. Anschließend wurde er wissenschaftlicher Assistent und ab August 1954 Oberassistent für Landesgeschichte am Institut für Deutsche Geschichte in Leipzig. 1953 promovierte er mit einer Arbeit über die ländliche Leinenproduktion in Sachsen am Ende des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.3 Im August 1959 wurde Gerhard Heitz zum Wahrnehmungsdozenten für Landesgeschichte am Historischen Institut der Universität Rostock berufen. 1960 habilitierte er sich in Leipzig mit einer Arbeit zur Agrar- und Sozialstruktur Mecklenburgs im 18. Jahrhundert.4 Ab Mai 1961 Professor mit Lehrauftrag, wurde er zwei Jahre später Professor mit vollem Lehrauftrag, 1966 Professor mit Lehrstuhl und schließlich am 1. September 1969 Ordentlicher Professor. Gerhard Heitz hat das Historische Institut und die Universität Rostock bis zu seiner Emeritierung 1990 drei Jahrzehnte lang maßgebend geprägt. Von 1961 bis 1976 war er Direktor des Historischen Instituts bzw., wie es ab 1968 hieß, der Sektion Geschichte. Zusätzlich hatte er von 1963 bis 1967 die Funktion des Prorektors für wissenschaftlichen Nachwuchs und von 1981 bis 1986 die des Prorektors für Gesellschaftswissenschaften übernommen. In den sechziger Jahren begründete Gerhard Heitz am Historischen Institut den Forschungsschwerpunkt Agrargeschichte als Teil der Geschichtswissenschaften und als DDR-weites Alleinstellungsmerkmal der Universität Rostock. Er baute die Forschungsgruppe „Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“, die sich vor allem sozial­ strukturellen Untersuchungen widmete, auf und übernahm ihre Leitung. Sie zeichnete sich besonders durch eine Kombination von agrar-, wirtschafts-, sozial- und regionalgeschichtlichen Forschungsansätzen aus. Zentrale Forschungsthemen stellten der unter wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragestellungen untersuchte agrarische Dualismus zwischen der ostelbischen Gutsherrschaft und der westelbischen Grundherrschaft, die frühneuzeitliche Gutsherrschaft und Gutswirtschaft vor allem in Mecklenburg und die soziale und ökonomische Lage der Bauernschaft dar.5 Die von den adligen Land391

Mario Niemann

ständen gegenüber der Landesherrschaft durchgesetzte rechtliche Verschlechterung der Bauernschaft im 16. und 17. Jahrhundert, von der marxistischen Geschichtswissenschaft als zweite Leibeigenschaft bezeichnet, die dadurch ermöglichte Vergrößerung der gutsherrlichen Eigenwirtschaften sowie die sich daraufhin entwickelnden, als Klassenkämpfe interpretierten bäuerlichen Protestformen waren Gegenstand der in Rostock betriebenen Forschungen. Der sich im Klassenkampf mit dem Großgrundbesitz aufreibende Bauer galt dabei „als zentrale Figur der gestaltenden sozialen Masse in der ‚longe durée‘, der sich in der permanenten Auseinandersetzung mit den Eliten sein Existenz- und sein Lebensrecht immer und immer wieder erstreiten muß.“ 6 Neben der Forschungsgruppe um Gerhard Heitz existierte seit 1960 am Historischen Institut auch das Forschungsseminar „Agrargeschichte der neuesten Zeit“, das sich der Agrargeschichte und Agrarpolitik des 20. Jahrhunderts widmete und Abb. 1: Gerhard Heitz. 1965 den Sammelband „20 Jahre demokratische Bodenreform“ herausgab.7 Als Heft 2/3 der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Universität Rostock erschien aus Anlass des 50. Jahrestags der Novemberrevolution 1968 ein Sammelband zum Thema „Von der Novemberrevolution zur demokratischen Bodenreform. Beiträge zur deutschen Agrargeschichte von 1917 bis 1945“. Die Redaktion hatten Martin Polzin, Professor für Deutsche Geschichte der neuen und neuesten Zeit, und Horst Witt inne. Die Verfasser der 25 Beiträge gehörten zumeist dem Forschungsseminar an. Auch polnische Autoren aus Toruń und Szczecin waren vertreten.8 Die Rostocker Agrargeschichte übernahm bald nach ihrer Konstituierung die Funktion einer DDR-weiten „Forschungsleiteinrichtung“ für die Thematik „Die Rolle der Bauern in den Klassenauseinandersetzungen von Feudalismus und Kapitalismus (bis 1945)“. Ihre Aufgabe war es, „Schritt für Schritt durch Sammelbände und monographische Arbeiten die Voraussetzungen für Überblicksdarstellungen zu schaffen, die wiederum weitere Forschungen anregen.“ 9 Die Forschungsgruppe Agrargeschichte leistete eine umfangreiche Forschungsarbeit. Davon zeugen eine hohe Zahl an agrarhistorischen Qualifikationsschriften und die vielen Beiträge in der Rostocker Zeitschrift „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“, auf die weiter unten näher eingegangen wird. Die Rostocker Agrargeschichte zeichnete sich durch eine intensive interdisziplinäre und internationale Kooperation aus. Als Mitte der sechziger Jahre der Berliner Agrarhistoriker Rudolf Berthold an der Landwirtschaftlichen Fakultät eine Professur für Landwirtschaftsgeschichte und damit verbunden auch die Leitung des Thünen-­Archivs übernahm, gab es für einige Jahre sogar zwei agrargeschichtliche Lehrstühle an der Universität Rostock, bis Berthold als Leiter des Bereichs Agrargeschichte an das Akademieinstitut für Wirt392

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Abb. 2: Das Gebäude der Sektion Geschichte am Wilhelm-­Külz-­Platz (rechts).

schaftsgeschichte nach Berlin berufen wurde. Die Verbindungen zur Landwirtschaftlichen Fakultät blieben jedoch bestehen, da die agrar- und wirtschaftshistorische Ausbildung der Studenten von den Historikern geleistet wurde, die entsprechende Vorlesungen an den agrarwissenschaftlichen Sektionen und darüber hinaus an der Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft hielten.10 Seit den neunziger Jahren ist dies jedoch nicht mehr Bestandteil der Studienpläne an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät. Zur auch internationalen Sichtbarkeit der Rostocker Agrargeschichte trugen viele Vorträge auf internationalen Tagungen bei, so unter anderem in Bochum, Budapest, Bukarest, Debrecen, Kopenhagen, Leningrad, München, Stockholm und Wien.11 Eine intensive Zusammenarbeit ergab sich mit Agrarhistorikern der Lajos-­Kossuth-­Universität in Debrecen. Hier entstand eine Tradition gemeinsamer Kolloquien, deren Ergebnisse in der Zeitschrift „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ publiziert wurden.12 Im Mai 1988 konnten schließlich mit Werner Rösener (Göttingen) und Gustavo Corni (Venedig) zwei namhafte Agrarhistoriker aus der Bundesrepublik und Italien an der Sektion Geschichte Vorträge halten und sich mit der Forschungsgruppe Agrargeschichte austauschen.13 Auch die Rostocker Zeitschrift „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ spiegelt die internationale Zusammenarbeit wider. Hier wurden Auf393

Mario Niemann

sätze von Wissenschaftlern der Universitäten Riga (Lettland), Jyväskyla (Finnland) und Debrecen (Ungarn) und der Akademie der Wissenschaften in Tallinn (Estland), Szczecin und Warschau (Polen) veröffentlicht und damit zur Diskussion gestellt. Auch die von Heitz ab Ende der siebziger Jahre wiederbelebten Forschungen zu Johann Heinrich von Thünen, vor allem zu den bislang oft vernachlässigten geschichtlichen Aspekten seines Wirkens, erhielten internationale Beachtung. Im Jahr 1983 fand in Rostock ein internationales Symposium statt. Durch die Herausgabe einer Bibliographie mit Schriften Thünens und die kommentierte Neuausgabe seines Hauptwerks „Der isolierte Staat“ 14 konnte die undifferenzierte Sichtweise der fünfziger Jahre überwunden und Johann Heinrich von Thünen in der DDR allmählich rehabilitiert werden. Er wurde nun nicht mehr als Junker diffamiert, sondern als Pionier des landwirtschaftlichen Fortschritts gewürdigt.15 Im September 1986 konstituierte sich an der Sektion Geschichte die Forschungsgruppe „Geschichte Mecklenburgs“, die ebenfalls von Gerhard Heitz geleitet wurde und die ein von ihm intensiv bearbeitetes Forschungsfeld, nämlich die Landesgeschichte Mecklenburgs, widerspiegelte. Die Gründung dieser Forschungsgruppe stand in engem Zusammenhang mit der Hinwendung der Geschichtswissenschaft in der DDR zu Gesamtdarstellungen der historischen Gebiete, die zur DDR gehörten. Ein Hauptanliegen dieser marxistischen Forschungen zur Regionalgeschichte bestand darin, „zur Ausbildung eines sozialistischen Traditions- und Heimatverständnisses bei breiten Teilen der Bevölkerung entscheidend beizutragen.“ 16 Die Untersuchung „grundlegender Strukturen der wirtschafts- und sozial­geschichtlichen Entwicklung Mecklenburgs vom entfalteten Feudalismus bis in die Epoche der bürgerlichen Umwälzung und deren Verknüpfung mit der politischen Geschichte des Territoriums“ dienten dabei als „wichtige Vorarbeiten zur Darstellung der Landesgeschichte Mecklenburgs aus marxistisch-­leninistischer Sicht“.17

Politische Indienstnahme und Aufgaben der Agrargeschichte Die DDR war ein planwirtschaftlicher Staat, und dies zeigte sich auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften. Die Forschung wurde zentral geplant. Zu ihrer Koordinierung gab es einen zentralen Forschungsplan, der die jeweiligen Themenschwerpunkte und Verantwortlichkeiten festlegte. Es war damit, wie der Zeitzeuge und Heitz-­Schüler Georg Moll formulierte, „also nicht der Universität Rostock überlassen, ob sie beispielsweise Agrargeschichte oder etwas gänzlich anderes macht. Sondern ein solcher Schwerpunkt, ein solches Programm wurde von oben her festgelegt.“ 18 Das betonte auch Gerhard Heitz, als er 1972 die Zeitschrift „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ aus der Taufe hob: „Bei der Erforschung und Darstellung der Agrargeschichte des Feudalismus und Kapitalismus kommt der Geschichte der Bauern, ihrer Lage unter feudalen bzw. kapitalistischen Bedingungen, ihrem Kampf gegen Ausbeutung 394

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

und Unterdrückung, ihrer Rolle und Stellung in den politischen, ökonomischen und ideologischen Klassenauseinandersetzungen besondere Bedeutung zu. An der Sektion Geschichte der Universität Rostock werden Probleme der Geschichte der Bauern auf der Grundlage des langfristigen Forschungsplans bearbeitet“.19 Die Rostocker Agrargeschichte als Forschungseinrichtung in der DDR folgte dabei der marxistisch-­leninistischen Geschichtsauffassung, der zufolge Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen darstellt. Die marxistische Formationstheorie konstruierte „eine weitgehend lineare Abfolge von Ur- und Sklavenhaltergesellschaft über den Feudalismus und Kapitalismus zum Sozialismus und Kommunismus“.20 Die Arbeiten der Rostocker Wissenschaftler sind daher in theoretisch-­methodischer Hinsicht dem Historischen Materialismus verpflichtete Klassen- und Sozialstrukturanalysen aus marxistisch-­leninistischer Sicht. „Gutsherrschaft“, so der Historiker Peter Blickle, gehört zum Ensemble der historischen Erscheinungen, mit denen der Marxismus sein Konzept des Feudalismus konturierte. Insofern galt sie auch lange als Operationsfeld zur Analyse des Klassenkonflikts und der Klassenkämpfe zwischen Adel und Bauern. Neben der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Frühbürgerlichen Revolution war die Erforschung der Gutsherrschaft der dritte Schwerpunkt der marxistischen Forschung, domiziliert an der Universität Rostock und konzeptualisiert durch Gerhard Heitz.21

Die Agrarhistoriker hatten damit auch politisch-­gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen, etwa „der gesellschaftlichen Forderung, Geschichte als Geschichte der Volksmassen, ihrer produktiven Leistungen wie ihres Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, zu begreifen.“ 22 Im Vorwort zum ersten Heft der Schriftenreihe „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ machte Heitz unter Verwendung eines Zitats von Kurt Hager, dem damaligen Leiter der Ideologischen Kommission des Politbüros, deren Zielstellung deutlich. Die Beiträge seien erste Bausteine, die in weiterer Arbeit zu größerer Darstellung sich zusammenfügen sollen, die als Beitrag gedacht sind zu dem umfassenden Auftrag der Historiker der DDR, „sachkundig zu beweisen, warum alles große Humanistische und Fortschrittliche der deutschen Arbeiterklasse in der DDR lebendige Wirklichkeit wird und in die weitere gesellschaftliche Vorwärtsentwicklung eingeht.“ 23

Im Vorwort zum 1977 erschienenen Teil VII der Reihe wird die politische Funktion der Agrargeschichte erneut betont. Das Heft ordnet sich ein in die laufende Reihe der seit dem VIII. Parteitag der SED veröffentlichten Beiträge. Es soll in dem von Gen. Kurt Hager formulierten Sinne dazu beitragen, die Erforschung von Grundlagen der marxistisch-­leninistischen Agrargeschichte zu verbinden mit der 395

Mario Niemann

offensiven Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie. Die Beiträge verstehen sich dementsprechend als Versuche, die Geschichte der Lage, der Struktur und des Kampfes der Bauern, des wichtigsten Bündnispartners der Arbeiterklasse, an ausgewählten Beispielen zu untersuchen. Damit soll in der vom Forschungsplan der Gesellschaftswissenschaften gewiesenen Richtung das Geschichtsbild der entwickelten sozialistischen Gesellschaft weiter bereichert werden.24

Bis zum Ende der DDR war der Marxismus-­Leninismus Richtschnur der Geschichtswissenschaft in der DDR. Noch im März 1990 wurde Gerhard Heitz von seinen Schülern attestiert, er sei in der Lage gewesen, „den Studenten ein marxistisch-­leninistisches Geschichtsbild parteilich zu vermitteln.“ 25 Georg Moll bilanzierte im gleichen Jahr, dass die in Rostock betriebene agrarwissenschaftliche Forschung „keineswegs frei war von Einflüssen und Auswirkungen der bis zum Herbst 1989 geübten Instrumentalisierung der DDR-Geschichtsschreibung – ohne, daß wir uns dem prinzipiell zu widersetzen versucht hätten.“ 26 Der Einfluss der Politik zielte dabei nicht auf die Verfälschung empirischer Forschungsergebnisse, wohl aber wirkte indirekter Einfluß auf Auswahl von Untersuchungsgegenständen bzw. -räumen wie auf spezielle Fragestellungen ein. Vor allem aber schränkte die Tabuisierung bestimmter Themen und Sphären die wissenschaftliche Entscheidungsfreiheit auch auf diesem Felde ein.27

Generell ist jedoch auch zu sagen, dass die agrargeschichtlichen Forschungen in den achtziger Jahren die Vorgaben der „marxistisch-­leninistischen Traditionsstiftung zumindest partiell zugunsten einer differenzierteren gesellschaftsgeschichtlichen Analyse zu überwinden“ vermochten.28

Agrargeschichte 1990 bis 2003 Die Emeritierung von Gerhard Heitz im Frühjahr 1990 fiel zusammen mit dem Beginn der Umgestaltung der Hochschullandschaft in der DDR bzw. den neuen Bundesländern. Auch die Universität Rostock und das Historische Institut wurden in den neunziger Jahren umstrukturiert. Für eine parteilich vorgegebene Geschichtsauffassung und für zentrale Forschungspläne war kein Platz mehr. Neue Wissenschaftler wurden an das Institut berufen, neue Forschungsschwerpunkte gebildet. Die Forschungsgruppe „Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ zerfiel. Die Agrargeschichte konnte sich jedoch in verändertem Rahmen behaupten. Ilona Buchsteiner, eine Schülerin von Gerhard Heitz, übernahm den Staffelstab und setzte die Agrargeschichte in Forschung und Lehre in Rostock fort. Einige Angaben sollen ihren wissenschaftlichen Werdegang illustrieren. Ilona Buchsteiner studierte von 1968 bis 1973 Germanistik und Geschichte in Rostock und übernahm 1973 eine wissenschaftliche Aspirantur in der Forschungsgruppe „Agrar396

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

geschichte“ unter der Leitung von Gerhard Heitz. 1977 wurde sie mit einer Arbeit zur Sozialstruktur und Produktionsentwicklung in der deutschen Landwirtschaft von 1871 bis 1914 promoviert und war anschließend wissenschaftliche Assistentin am Historischen Institut. 1988 legte sie eine Habilitationsschrift über den pommerschen Großgrundbesitz im Deutschen Kaiserreich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor.29 1989 erhielt Ilona Buchsteiner die Lehrbefähigung für die deutsche Geschichte der Neuzeit. Ende der neunziger Jahre zur außerplanmäßigen Professorin ernannt, leitete sie die Thünenforschungsstelle am Historischen Institut und betrieb umfangreiche Untersuchungen zu Problemen der Agrargeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Besonders hervorzuheben sind dabei ihre quantitativ-­sozialwissenschaftlichen Forschungen zum ostelbischen Adel als dem Träger der Gutsherrschaften von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1945. Ihre Untersuchungen zu seiner sozialen Struktur, ökonomischen Situation und politischen Rolle korrigierten das bis dahin verbreitete Stereotyp des adligen, generell fortschrittsfeindlichen „Junkers“ und boten eine differenzierte Analyse dieser sozialen Gruppe. Hervorgerufen durch den Konkurrenzdruck bürgerlicher Gutsbesitzer und die Herausforderungen des Weltmarkts war auch der Adel gezwungen, seine Agrarproduktion auf den Gütern zu intensivieren. Der adlige Großgrundbesitz differenzierte sich. Einem Teil gelang es, die Betriebe zu modernisieren und so mit den bürgerlichen Landwirten Schritt zu halten.30 Die Entwicklung der Landwirtschaft nach 1945 war ebenfalls Gegenstand der Forschungen von Ilona Buchsteiner. Für die vom Landtag Mecklenburg-­Vorpommern eingerichtete Enquete-­Kommission „Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung“ steuerte sie eine Expertise zur Bodenreform und Agrarwirtschaft in der DDR bei.31 Besonders hervorzuheben sind schließlich ihre Forschungen zu Johann Heinrich von Thünen (1783 – 1850), einem der Klassiker der Nationalökonomie, die sie in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit der agrarwissenschaftlichen und der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät sowie in enger Kooperation mit der Thünen-­Gesellschaft betrieb.32 Ihr Schüler Gunther Viereck promovierte im Jahr 2002 über die Rostocker Thünenforschung zwischen 1900 und 1960.33 Im gleichen Jahr gelang in Zusammenarbeit mit Professor Wolf D. Gruner die Einwerbung von Projektmitteln bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur kritischen Edition der Briefe Thünens als einer sehr wertvollen Quelle für die Agrar- und Wirtschaftswissenschaften und generell für das 19. Jahrhundert als Epoche des Wandels von der ständisch geprägten Agrargesellschaft hin zur bürgerlichen Industriegesellschaft.34 Die Ergebnisse dieses Projekts konnten im Jahr 2011 in einem tausendseitigen Buch der Öffentlichkeit präsentiert werden.35 Ilona Buchsteiner wirkte bis zu ihrem Tod im Dezember 2003 über Rostock hinaus als Mitherausgeberin der Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, sowie durch wissenschaftliche Tagungen wie dem zum 50. Jahrestag des Beginns der Kollektivierung in der DDR im Jahr 2002 veranstalteten Kolloquium zu den Agrargenossenschaften in Vergangenheit und Gegenwart 36 und durch vielfältige Kontakte und wissenschaftlichen Austausch mit polnischen Agrarhistorikern, vor allem an der Universität Szczecin.37 Ihre 397

Mario Niemann

Bedeutung für die Rostocker Agrargeschichte spiegelt sich in folgender Einschätzung adäquat wider: „Es ist unzweifelhaft wesentlich ihr Verdienst, dass die national wie international anerkannte Agrargeschichte an der Universität Rostock weiter bestehen und unter methodischer Innovation fortgeführt werden konnte.“ 38

Agrargeschichtliche Dissertationen und Habilitationen 1960 bis 2002 und Beiträge der Reihe „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ 1972 bis 1995 Abschließend soll ein Überblick über die am Historischen Institut der Universität Rostock entstandenen agrargeschichtlichen Dissertationen und Habilitationen sowie über Beiträge der Reihe „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ gegeben werden. Es handelt sich um eine Auswahl, da bei manchen Arbeiten aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzungen eine Zuordnung zur Agrargeschichte fraglich ist. Hierbei muss festgehalten werden, dass neben Gerhard Heitz auch andere Dozenten des Instituts agrarhistorische Arbeiten betreut haben. Dies trifft insbesondere auf die Qualifikationsschriften zu, die sich thematisch dem 20. Jahrhundert zuwendeten.39 Zunächst zu den sechziger Jahren. Peter Blickle stellt der Agrargeschichte in dieser Zeit ein Armutszeugnis aus: „Die Agrargeschichte zählte in den sechziger Jahren nicht zu den strahlenden Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft. Ernsthaft wurde sie an keinem Historischen Institut in Deutschland betrieben.“ 40 Diese Einschätzung trifft für Rostock indes überhaupt nicht zu, stehen hier doch insgesamt 23 erfolgreich abgeschlossene agrarhistorische Promotionsverfahren und drei Habilitationsschriften zu Buche. Obwohl sich der Leiter des Forschungsschwerpunkts Agrargeschichte Gerhard Heitz selbst vor allem Problemen der Frühen Neuzeit, nach marxistischer Ansicht also dem „Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus“, zugewendet hat, sind nur wenige Dissertationen und keine Habilitation zum Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit entstanden. Die meisten agrarhistorischen Qualifikationsschriften widmen sich Problemen und Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. So verwundert es auch nicht, dass Martin Polzin, von 1963 bis 1966 Professor mit Lehrauftrag für Neuere und Neueste Geschichte und anschließend bis 1972 Professor mit vollem Lehrauftrag für Deutsche Geschichte der neuen und neuesten Zeit am Historischen Institut, 15 dieser Arbeiten begutachtet hat, Gerhard Heitz hingegen elf. Rudolf Berthold, 1965 bis 1971 Professor mit Lehrauftrag für Landwirtschaftsgeschichte an der Landwirtschaftlichen Fakultät, gutachtete zehn Mal. Diese erstaunlich hohe Anzahl agrargeschichtlicher Qualifikationsschriften konnte in den folgenden Jahrzehnten nicht wieder erreicht worden. In den siebziger Jahren entstanden zehn Dissertationen und drei Habilitationen mit agrarhistorischen Fragestellungen. Das bedeutet eine Halbierung im Vergleich zum vorhergehenden Dezennium. Möglicherweise ist der quantitative Rückgang auch auf den Weggang von Rudolf 398

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Berthold und Martin Polzin, die bis dahin viele agrarhistorische Arbeiten betreut hatten, zurückzuführen. Berthold leitete ab 1971 die Abteilung Agrare Produktivkräfte am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin, Polzin wechselte 1972 zur Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde-­Wustrow.41 Es zeigt sich ansonsten das gleiche Bild, Arbeiten zum 19. und vor allem 20. Jahrhundert dominieren, lediglich die Habilitationsschriften von Hanna Haack und Helga Schultz nehmen auch frühere Epochen in den Blick. Gerhard Heitz begutachtete ebenso wie Rudolf Berthold sechs Arbeiten, Lothar Elsner, Professor und Leiter der Forschungsgruppe „Migration und Ausländerpolitik im 19. und 20. Jahrhundert“, vier. Jan Peters konstatiert für die DDR, dass sich „in den 80er Jahren der wissenschaftliche Nachwuchs für Sozialstruktur- und Klassenkampfgeschichte nicht mehr so recht enthusiasmieren“ ließ.42 Das mag sein, ist quantitativ für Rostock allerdings nicht festzustellen. Die Zahl der agrarhistorischen Qualifikationsschriften nahm mit 13 Dissertationen und immerhin vier Habilitationsschriften gegenüber den siebziger Jahren wieder etwas zu. Die Anzahl der Arbeiten, die Entwicklungen vor 1800 untersuchen, stieg auf sechs und ihr Anteil damit auf rund ein Drittel an. Es fällt allerdings auf, dass nur noch zwei Doktorarbeiten (Bluhm und Wendt) die sozialistische Landwirtschaft in den Blick nahmen. Arbeiten also, die der Legitimation der SED-Agrarpolitik dienten, spielten nur noch eine untergeordnete Rolle. Vielleicht drückten sich darin die von Peters festgestellten Ermüdungserscheinungen aus. Die neunziger Jahre brachten das Ende der Arbeitsgruppe Agrargeschichte, aber nicht das Ende agrarhistorischer Forschungen in Rostock. Allerdings schlossen, nunmehr frei von politischer Bevormundung und zentralen Planvorgaben, bis 2002 nur noch sieben Doktoranden ihre agrarhistorische Promotion ab. Zwei von ihnen (Rudert und Stutz) waren noch Schüler von Gerhard Heitz. In den gut vier Jahrzehnten von 1961 bis 2002 sind damit am Historischen Institut insgesamt 53 agrarhistorische Dissertationen und zehn Habilitationen entstanden – eine quantitativ wahrlich imponierende Bilanz. Die Rostocker Agrargeschichte wird nach wie vor in erster Linie mit dem Wissenschaftler Gerhard Heitz verbunden, dessen eigene Forschungen sich thematisch in der Frühen Neuzeit bewegten. Insofern ist der Befund etwas überraschend, dass etwa drei Viertel der Qualifikationsschriften Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts untersuchten. Die Zeitschrift „Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus“ unterstreicht die Dominanz der agrarhistorischen Forschungen zu diesem Zeitabschnitt in Rostock. In den 25 zwischen 1972 und 1995 erschienenen Heften finden sich über 180 Aufsätze von Historikern und Volkskundlern. Über die Hälfte von ihnen widmet sich der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Mittelalter und die beginnende Frühe Neuzeit bis einschließlich des 16. Jahrhunderts hat nur etwa jeder sechste Beitrag zum Gegenstand. Die in Form von Aufsätzen und Monographien publizierten vielfältigen Ergebnisse der Rostocker Agrargeschichte sind nicht nur wissenschaftshistorisch von Interesse. Auch 399

Mario Niemann

wenn insbesondere viele vor 1990 abgeschlossene „Arbeiten zur Agrargeschichte der neuesten Zeit bzw. zur Agrargeschichte der DDR“ einem „wissenschaftlichen Anspruch nicht standhalten“ 43, bieten sie nach wie vor Anregungen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte des ländlichen Raumes.

400

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Anhang: Am Historischen Institut der Universität Rostock entstandene und betreute ­agrargeschichtliche Dissertationen und Habilitationen (Diss. B) 1960 bis 1969:

Cordshagen, Christa: Amt Neustadt. Untersuchungen zur Agrargeschichte Mecklenburgs im 15. und 16. Jahrhundert, phil. Diss., Rostock 1966. Cordshagen, Hugo: Geschichte der Küstenschutzbestrebungen in Mecklenburg. Von ihren Anfängen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, phil. Diss., Rostock 1963. Dillwitz, Sigrid: Jugendbewegung und Jugendarbeitsschutz auf dem Lande. Eine historisch-­ soziologische Studie zur Landjugendpolitik der FDJ in den Jahren 1946 bis 1950, phil. Diss., Rostock 1969. Dittmar, Gerhardt: Zur Theorie und Praxis der sozialdemokratischen Landagitation unter den deutschen Kleinbauern in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts, phil. Diss., Rostock 1964. Elsner, Lothar: Die ausländischen Arbeiter in der Landwirtschaft der östlichen und mittleren Gebiete des Deutschen Reiches während des 1. Weltkrieges. Ein Beitrag zur Geschichte der preußisch-­deutschen Politik, phil. Diss., Rostock 1961. Graffunder, Siegfried: Die Rolle der Parteien im System der staatsmonopolistischen Beherrschung der westdeutschen Landwirtschaft und die Grundfragen einer demokratischen Agrarpolitik der westdeutschen Arbeiterklasse, Diss. B, Rostock 1968. Groß, Rainer: Die bürgerliche Agrarreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Problem des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, phil. Diss., Rostock 1964. Haack, Hanna: Die sozialökonomische Struktur mecklenburgischer Feudalkomplexe im 16. und 17. Jahrhundert. Untersucht am Beispiel der Eigentumskomplexe der Familie Hahn und der Domanialämter Güstrow, Ivenack und Stavenhagen, phil. Diss., Rostock 1968. Harnisch, Hartmut: Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen über die Herausbildung von Gutswirtschaft und Gutsherrschaft vom 14. – 18. Jahrhundert und die betriebswirtschaftliche Struktur ländlicher Gebiete der Mark Brandenburg im Spätfeudalismus, phil. Diss., Rostock 1964. Hartmann, Peter: Die annexionistische Agrarsiedlungspolitik des deutschen Faschismus in den sogenannten „Eingegliederten Ostgebieten“ 1939 – 1945, phil. Diss., Rostock 1969. Hildebrandt, Horst: Die Rolle der sogenannten „wirtschaftsfriedlichen“ Landarbeiterbewegung in Ostelbien während der Weimarer Republik, phil. Diss., Rostock 1969. Hönig, Alois: Ernst Putz, ein kommunistischer Bauernführer, phil. Diss., Rostock 1969. Hube, Rolf: Auswirkungen des sich in Deutschland entwickelnden staatsmonopolistischen Kapitalismus auf den mecklenburgischen Großgrundbesitz zwischen 1918 und 1945. Dargestellt an Beispielen aus den Kreisen Güstrow und Malchin, phil. Diss., Rostock 1969. Kowarsch, Karl-­Heinz: Der revolutionäre Prozeß des Übergangs von der einzelbäuerlichen zur genossenschaftlichen sozialistischen Landwirtschaft in der DDR, dargestellt am Beispiel des Bezirkes Schwerin (1950 bis 1955), phil. Diss., Rostock 1964.

401

Mario Niemann

Melzer, Rolf: Studien zur Agrarpolitik der faschistischen deutschen Imperialisten in Deutschland im System der Kriegsplanung und Kriegsführung 1933 bis 1941, phil. Diss., Rostock 1966. Moll, Georg: Die kapitalistische Bauernbefreiung im Klosteramt Dobbertin (Mecklenburg). Zum „preußischen Weg“ der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft, phil. Diss., Rostock 1963. Polzin, Martin: Der Kampf des mecklenburgischen Landproletariats gegen Junkertum und Militarismus während des Kapp-­Putsches 1920. Ein Beitrag zur Geschichte der Landarbeiterbewegung, Diss. B, Rostock 1962. Prehn, Helmut: Das Wesen der auf der Grundlage des Reichssiedlungsgesetzes 1919 betriebenen Siedlungspolitik der herrschenden Klasse in der Zeit der Weimarer Republik, phil. Diss., Rostock 1969. Sandner, Gunter: Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft und die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in Ilberstadt, Kreis Bernburg (1952 – 1960), phil. Diss., Rostock 1969. Scholze, Johann: Die kapitalistische Klassendifferenzierung der Lausitzischen Bauernschaft. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 2. Weltkrieges, Diss. B, Rostock 1967. Schuldt, Hermann: Bernhard Quandts Anteil am Kampf gegen Junkertum und Faschismus, für die Befreiung der Landarbeiter und werktätigen Bauern in Mecklenburg (1929 bis Ende 1945), phil. Diss., Rostock 1967. Slawinski, Helmut: Studien zur sozialökonomischen und politischen Entwicklung im Gebiet der LPG „Bergland“ Papenhusen, vornehmlich in der Zeit von 1890 – 1914, phil. Diss., Rostock 1964. Voß, Eberhard: Revolutionäre Ereignisse und Probleme des Klassenkampfes zwischen Landarbeitern und Gutsbesitzern in den Jahren 1921 bis 1923 in Deutschland, phil. Diss., Rostock 1964. Winzer, Helmut: Zu einigen Problemen des Übergangs von der einzelbäuerlichen zur genossenschaftlich-sozialistischen Produktionsweise in der Gemeinde Beyern, Kreis Herzberg (1952 – 1964), phil. Diss., Rostock 1969. Witt, Horst: Die Entwicklung und Rolle der Raiffeisengenossenschaften in den Jahren 1918 – 1945 unter besonderer Berücksichtigung des Raiffeisenverbandes Mecklenburg, phil. Diss., Rostock 1966. Woderich, Rudolf: Zu den Anfängen der Demokratisierung des Dorfes in Ost-­Mecklenburg von 1945 bis Ende 1947, dargestellt vornehmlich am Beispiel des Kreises Neubrandenburg, phil. Diss., Rostock 1965. 1970 bis 1979:

Ballwanz, Ilona: Sozialstruktur und Produktionsentwicklung in der deutschen Landwirtschaft von 1871 bis 1914, phil. Diss., Rostock 1977. Haack, Hanna: Ländliche Siedlungen im 18. und 19. Jahrhundert. Studien zu gesellschaftlichen und natürlichen Einflüssen auf die Entwicklung und Analyse der Siedlungsverhältnisse in Mecklenburg-­Schwerin, Diss. B, Rostock 1979. Harnisch, Hartmut: Kapitalistische Agrarreformen und industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen den kapitalistischen Agrarreformen und 402

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

der Herausbildung des inneren Marktes als Voraussetzung für die Industrielle Revolution, Diss. B, Rostock 1978. Hecht, Otto: Die Tätigkeit der FDJ zur Erhöhung des Produktionsniveaus in den LPG des Bezirkes Neubrandenburg unter besonderer Berücksichtigung der Beeinflussung dieses Prozesses durch die Arbeiterjugend (1963 – 1968), phil. Diss., Rostock 1971. Krellenberg, Hans-­Ulrich: Die Eingliederung der Umsiedler in das gesellschaftliche und politische Leben in Mecklenburg 1945 – 1949, dargestellt an den Kreisen Parchim und Malchin, phil. Diss., Rostock 1971. Kuntsche, Siegfried: Die „Gemeinwirtschaft“ der Neubauern. Probleme der Auflösung des Gutsbetriebes und des Aufbaus der Neubauernwirtschaften bei der demokratischen Bodenreform in Mecklenburg, phil. Diss., Rostock 1970. Lehmann, Joachim: Untersuchungen zur Agrarpolitik und Landwirtschaft im faschistischen Deutschland während des zweiten Weltkrieges (1942 – 1945), phil. Diss., Rostock 1977. Mewes, Klaus: Untersuchungen zur Landarbeiter- und Bauernpolitik der deutschen Arbeiterbewegung von 1869 – 1875, phil. Diss., Rostock 1978. Neumann, Kurt: Die Rolle des Reichslandbundes bei der Vorbereitung und Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland (1928 – 1933), phil. Diss., Rostock 1977. Pfahl, Robert: Landarbeiterlöhne und ihre Bewegung vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. Eine Studie zur Lage kontraktgebundener Landarbeiter auf den domanialen Pachthöfen des Großherzogtums Mecklenburg-­Schwerin, phil. Diss., Rostock 1971. Schultz, Helga: Das Landhandwerk in der Epoche des Übergangs zum Kapitalismus (Vergleichende Studie und regionale Untersuchung Mecklenburg-­Schwerin), Diss. B, Rostock 1978. Strasen, Gustav-­Adolf: Zur ökonomischen und politischen Rolle des Großgrundbesitzes in Mecklenburg-­Strelitz während der Weimarer Republik, phil. Diss., Rostock 1970. Wilhelm, Hans-­Georg: Der Übergang zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und die Festigung des genossenschaftlich-­sozialistischen Sektors in der Landwirtschaft des Bezirks Neubrandenburg von 1952 bis 1960, phil. Diss., Rostock 1970. 1980 bis 1989:

Bluhm, Manfred: Untersuchungen zur ökonomischen Entwicklung der bezirksgeleiteten VEG des Bezirkes Rostock im Zeitraum der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft (1952 – 1962), oec. Diss., Rostock 1984. Buchsteiner, Ilona: Soziale Struktur, ökonomische Situation und politische Rolle des Großgrundbesitzes 1871 – 1914 am Beispiel der Provinz Pommern, Diss. B, Rostock 1988. Jatzlauk, Manfred: Untersuchungen zur sozialökonomischen Struktur der deutschen Landwirtschaft zwischen 1919 und 1939, phil. Diss., Rostock 1983. Kobrow, Hartmut: Untersuchungen zur Sozialstruktur der mecklenburgischen Ämter Doberan und Schwaan im 16. und 17. Jahrhundert, phil. Diss., Rostock 1985. Lehmann, Joachim: Ausländerbeschäftigung und Fremdarbeiterpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus 1933 bis 1939, Diss. B, Rostock 1985.

403

Mario Niemann

Moll, Georg: „Preußischer Weg“ und bürgerliche Umwälzung in Deutschland, Diss. B, Rostock 1981. Münch, Ernst: Studien zu den bäuerlich-­feudalherrlichen Beziehungen und ihrer Entwicklung in der Epoche der vollen Entfaltung des Feudalismus insbesondere im südostdeutschen Raum (12. – 14. Jahrhundert), phil. Diss., Rostock 1980. Münch, Ernst: Studien zur Agrargeschichte Mecklenburgs im 12. – 14. Jahrhundert, Diss. B, Rostock 1987. Neumerkel, Andreas: Der antifeudale Kampf der ländlichen Volksmassen im Großherzogtum Sachsen-­Weimar-­Eisenach während der bürgerlich-­demokratischen Revolution von 1848/49, phil. Diss., Rostock 1988. Nörenberg, Lutz: Zur Entwicklung des mecklenburg-­schweriner Landschulwesens in der revolutionären Nachkriegskrise (1919 – 1923), phil. Diss., Rostock 1986. Schilling, Renate: Schwedisch-­Pommern um 1700. Studien zur Agrarstruktur eines Territoriums extremer Gutsherrschaft, phil. Diss., Rostock 1981. Schmidt, Kerstin: Die Stellung Georg Friedrich Knapps in der vorimperialistischen bürgerlichen deutschen Agrarreformgeschichtsschreibung, phil. Diss., Rostock 1985. Schmied, Hartmut: Die Schäfer im spätfeudalen Mecklenburg. Eine sozialgeschichtliche Studie, phil. Diss., Rostock 1989. Seemann, Jürgen: Untersuchungen zur ländlichen Sozialstruktur im 16. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel des Herzogtums Mecklenburg unter Berücksichtigung der Siedlungs- und Herrschaftsstruktur, phil. Diss., Rostock 1987. Sternkiker, Edwin: Die Rentenbanken in Preußen. Zu ihrer Geschichte, Organisation und Rolle im Prozeß der kapitalistischen Bauernbefreiung, phil. Diss., Rostock 1988. Wendt, Manfred: Der Beitrag der FDJ zur Gestaltung der sozialistischen Landwirtschaft in der DDR, vom Frühjahr 1960 bis zum VIII. Parteitag der SED 1971, phil. Diss., Rostock 1984. Werner, Lutz: Politik und Agrarpolitik im Lebenswerk von Johann Heinrich von Thünen (1783 – 1850). Studien zu seinem agrarpolitischen Wirken in Mecklenburg, phil. Diss. Rostock 1984. 1990 bis 2002:

Clement, Annette: Produktionsbedingungen und Produktionsgestaltung in den bäuerlichen Wirtschaften Mecklenburgs zur Zeit der Bodenreform 1945 bis 1949. Eine Untersuchung für die Kreise Hagenow, Güstrow und Neubrandenburg, agr. Diss., Rostock 1992. Koeller, Hans Wolf von: Entwicklung und Leistung der Pommerschen Landwirtschaftskammer. Von ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges unter besonderer Berücksichtigung des produktionstechnischen Fortschrittes und der Arbeiterfrage, phil. Diss., Rostock 1998. Niemann, Mario: Mecklenburgischer Großgrundbesitz im Dritten Reich. Soziale Struktur, wirtschaftliche Stellung, politische Rolle, phil. Diss., Rostock 1999. Ruchhöft, Fred: Die Entwicklung der Kulturlandschaft im Raum Plau–Goldberg vom frühen Mittelalter bis um 1600, phil. Diss., Rostock 1999.

404

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Rudert, Thomas: Der ländliche Bereich Mecklenburgs am Beginn des 18. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Agrarstruktur eines gutsherrschaftlich geprägten Territoriums unter Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen feudalherrlichen Eigenwirtschaften und bäuerlichen Wirtschaften, phil. Diss., Rostock 1991. Stutz, Reno: Landwirtschaft und ausländische Arbeitskräfte im Großherzogtum Mecklenburg-­ Schwerin zwischen 1850 und 1914. (Vom mecklenburgischen Saisonarbeiter zum polnischen Schnitter), phil. Diss., Rostock 1991. Viereck, Gunther: Die Rostocker Thünenforschung zwischen 1900 und 1960. Eine historische Analyse, phil. Diss., Rostock 2002.

405

Mario Niemann

Anmerkungen

1

Zur wissenschaftlichen Biographie vgl. u. a. Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 7 – 16 und Moll 2010, 9 – 18. 2 Moll 2010, 15. 3 Heitz 1961. 4 Heitz 1960. 5 Buchsteiner 2001, 83. 6 Schattkowsky 2015, 393. 7 Bodenreform 1965. Nachweis ist im Literaturverzeichnis unter „Bodenreform“ zu finden. 8 Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, H. 2/3, 1968. 9 Elsner/Heitz 1981, 43. 10 Elsner/Heitz 1981, 35 und Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 8. 11 Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 12; Heitz 1984, 4; Nerius 1985, 7. 12 Vgl. die Teile XII bis XV, XVII und XVIII der Zeitschrift. 13 Probleme 1989, 4, 5 – 14 (Rösener) und 66 – 80 (Corni). 14 Thünen 1990. 15 Viereck 2001, 137 f. und Haack/Moll/Münch/Schultz 2010, 12. 16 Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 14. 17 Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 13. 18 Moll 2007, 268. Georg Moll war seit den sechziger Jahren am Historischen Institut bzw. der Sektion Geschichte der Universität Rostock tätig, zuletzt von 1987 bis 1991 als ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte der Neuzeit. 19 Heitz 1972, 3. 20 Bauerkämper 2004, 64. 21 Blickle 1998, 27. 22 Harnisch/Heitz 1986, 9. 23 Heitz 1972, 4. Kurt Hager wird hier nur verkürzt wiedergegeben. Das vollständige Zitat lautet: „Es ist eine Aufgabe der Gesellschaftswissenschaftler, besonders der Historiker, bei jeder sich bietenden Gelegenheit erneut sachkundig zu beweisen, warum alles große Humanistische und Fortschrittliche der deutschen Geschichte allein unter den Bedingungen der Macht der Arbeiterklasse in der DDR lebendige Wirklichkeit wird und in die weitere gesellschaftliche Vorwärtsentwicklung eingeht.“ Hager 1971, 48. 24 Heitz 1977, 5. 25 Buchsteiner/Münch/Werner 1990, 7. 26 Moll 1990, 8. 27 Ebd. 28 Bauerkämper 2004, 68. 29 Die Arbeit konnte erst 1993 veröffentlicht werden: Buchsteiner 1993. 30 Zimmermann 1998, 150 f. 31 Buchsteiner 1997, 9 – 61. 32 Etwa Buchsteiner 1999. 33 Viereck 2006. 34 Viereck 2004, 32. 406

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

35 36 37 38 39

40 41 42 43

Thünen 2011. Buchsteiner/Kuntsche 2004. Gruner 2004, 7 – 10; Heitz 2004, 47 – 53; Stepinski 2004, 79 – 86. Krüger 2004, 15. Verzeichnis 2010, 301 – 305. Der Auflistung ist nicht zu entnehmen, welche Qualifikationsarbeiten Heitz direkt betreut hat. Vgl. weiter Promotionen und Habilitationen/Dissertationen A und B am Historischen Institut bzw. an der Sektion Geschichte in der Zeit vom 1. 9. 1956 bis 31. 12. 1980, in: Elsner/Heitz 1981, 57 – 71. Die Zusammenstellung nennt keine Betreuer, sondern die Gutachter in der Reihenfolge, wie sie den Promotionsakten entnommen wurden. Es ist davon auszugehen, dass der an erster Stelle genannte Gutachter auch der Betreuer ist. Vgl. schließlich Agrarhistorische Forschungen 1990; Krüger 2001, 13 – 35; Gruner 2001, 37 – 82. Blickle 1998, 32. Mertens 2006, 132 f. (Berthold) und 489 (Polzin). Peters 1995, 12. Moll 1990, 8.

407

Mario Niemann

Quellen- und Literaturverzeichnis

Agrarhistorische Forschungen (1990), Agrarhistorische Forschungen in der DDR 1980 – 1990. Analysen und Berichte zur Agrargeschichtsschreibung des Feudalismus und Kapitalismus (Agrargeschichte 22), Rostock. Bauerkämper, Arnd (2004), „Von der Polithistorie zur Sozialgeschichte. Die Historiografie zur Agrarwirtschaft und ländlichen Gesellschaft in der SBZ/DDR“, in: Ernst Bruckmüller/ Ernst Langthaler/Josef Redl (Hgg.), Agrargeschichte schreiben. Traditionen und Innovationen im internationalen Vergleich (Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2004), Innsbruck, 63 – 77. Blickle, Peter (1998), „Deutsche Agrargeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, in: Werner Troßbach, Clemens Zimmermann (Hgg.), Agrargeschichte. Positionen und Perspektiven, Stuttgart, 7 – 32. Bodenreform (1965), Martin Polzin et al (Hgg.), 20 Jahre demokratische Bodenreform in Mecklenburg, Rostock. Buchsteiner, Ilona/Münch, Ernst/Werner, Lutz (1990), „Gerhard Heitz als Hochschullehrer, Agrar- und Regionalgeschichtsforscher“, in: Agrarische, soziale und regionale Aspekte der Geschichte. Gerhard Heitz zum 65. Geburtstag (Agrargeschichte 21), Rostock, 7 – 16. Buchsteiner, Ilona (1993), Großgrundbesitz in Pommern 1871 – 1914. Ökonomische, soziale und politische Transformation der Großgrundbesitzer, Berlin. Buchsteiner, Ilona (1997), „Bodenreform und Agrarwirtschaft der DDR“, in: Landtag Mecklenburg-Vorpommern (Hg.), Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung. Zur Arbeit der Enquetekommission. Band V: Bodenreform und Agrarwirtschaft der DDR, Schwerin, 9 – 61. Buchsteiner, Ilona (Hg.) (1999), Thünen und das Jahr 1848, Rostock. Buchsteiner, Ilona (2001), „Mecklenburgischer Adel im Umbruch“, in: Ilona Buchsteiner (Hg.), Rostocker Landes- und agrarhistorische Forschungen nach 1990. Bilanz – Einblick – Ausblick, Rostock, 83 – 95. Buchsteiner, Ilona/Kuntsche, Siegfried (Hgg.) (2004), Agrargenossenschaften in Vergangenheit und Gegenwart. 50 Jahre nach der Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR, Rostock. Elsner, Lothar/Heitz, Gerhard (1981), 25 Jahre Historisches Institut/Sektion Geschichte der Wilhelm-­ Pieck-­Universität Rostock 1956 – 1981. Zur Entwicklung von Lehre, Studium und Forschung auf geschichtswissenschaftlichem Gebiet, Rostock. Gruner, Wolf D. (2001), „Studien zur Geschichte Mecklenburgs und zur allgemeinen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert am Historischen Institut der Universität Rostock seit 1993 und die Perspektiven für künftige Forschungen“, in: Ilona Buchsteiner (Hg.), Rostocker Landesund agrarhistorische Forschungen nach 1990. Bilanz – Einblick – Ausblick, Rostock, 37 – 82. Gruner, Wolf D. (2004), „Ansprache zur Eröffnung des Gedenkkolloquiums“, in: Wolf D. Gruner/Gunther Viereck (Hgg.), Kolloquium zum Gedenken an Prof. Dr. phil. habil. Ilona Buchsteiner (Rostocker Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 13), Rostock, 7 – 10. Haack, Hanna/Moll, Georg/Münch, Ernst/Schultz, Helga (2010), „Gerhard Heitz als Lehrer und Forscher“, in: Hanna Haack et al. (Hgg.), Gerhard Heitz. Studien zur mecklenburgischen Agrargeschichte in der Frühen Neuzeit, Berlin, 9 – 14. 408

Zur Etablierung und Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003

Hager, Kurt (1971), Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem VIII. Parteitag der SED. Referat auf der Tagung der Gesellschaftswissenschaftler am 14. Oktober 1971 in Berlin, Berlin (Ost). Harnisch, Hartmut/Heitz, Gerhard (1986), „Einleitung. Die Erforschung der Agrargeschichte der Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus“, in: Hartmut Harnisch/ Gerhard Heitz (Hgg.), Deutsche Agrargeschichte des Spätfeudalismus, Berlin (Ost), 9 – 36. Heitz, Gerhard (1960), Sozialstruktur und Klassenkampf in Mecklenburg im 18. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der ostelbischen Bauern in der Periode der zweiten Leibeigenschaft, Ms., Leipzig. Heitz, Gerhard (1961), Ländliche Leinenproduktion in Sachsen (1470 – 1555), Berlin (Ost). Heitz, Gerhard (1972), „Vorwort“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Gesell­ schafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 1, Rostock, 3 f. Heitz, Gerhard (1977), „Vorwort“, in: Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus, Teil VII, Rostock, 5. Heitz, Gerhard (1984), „Vorwort“, in: Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus, Teil XV, Rostock, 4 f. Heitz, Gerhard (2004), „Agrargeschichte als Forschungsansatz“, in: Wolf D. Gruner/Gunther Viereck (Hgg.), Kolloquium zum Gedenken an Prof. Dr. phil. habil. Ilona Buchsteiner (Rostocker Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 13), Rostock, 47 – 53. Krüger, Kersten (2001), „Forschungen zur Regionalgeschichte am Historischen Institut der Universität Rostock 1991 – 2000“, in: Ilona Buchsteiner (Hg.), Rostocker Landes- und agrarhistorische Forschungen nach 1990. Bilanz – Einblick – Ausblick, Rostock, 13 – 35. Krüger, Kersten (2004), „Begegnungen in einem fernen Land, Begegnungen in der Wissenschaft. Erinnerungen an Ilona Buchsteiner“, in: Wolf D. Gruner/Gunther Viereck (Hgg.), Kolloquium zum Gedenken an Prof. Dr. phil. habil. Ilona Buchsteiner (Rostocker Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 13), Rostock, 11 – 15. Mertens, Lothar (2006), Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik, München. Moll, Georg (1990), „Laudatio“, in: Mecklenburg und das Reich in feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Agrargeschichte – Sozialgeschichte – Regionalgeschichte, Teil 1 (Agrargeschichte 23), Rostock, 5 – 10. Moll, Georg (2007), „Zeitzeugenbericht am 22. Dezember 2006“, in: Kersten Krüger (Hg.), Die Universität Rostock zwischen Sozialismus und Hochschulerneuerung. Zeitzeugen berichten, Teil 1, Rostock, 260 – 285. Moll, Georg (2010), „Über den Jubilar Gerhard Heitz“, in: Ernst Münch/Mario Niemann/ Wolfgang E. Wagner (Hgg.), Land – Stadt – Universität. Historische Lebensräume von Ständen, Schichten und Personen, Hamburg, 9 – 18. Nerius, Dieter (1985), „Laudatio“, in: Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus, Teil XVI, Rostock, 6 – 8. Peters, Jan (1995), „Agrargeschichte im Abstieg?“, in: Geschichte im Spiegel agrarischer, sozialer und regionaler Entwicklungen. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums vom 29. März 1995 anläßlich des 70. Geburtstages von Herrn Prof. em. Dr. phil. habil. Dr. h. c. Gerhard Heitz (Agrargeschichte 25), Rostock, 11 – 17. Probleme (1989), Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und des Kapitalismus, Teil  XX, Rostock. 409

Mario Niemann

Schattkowsky, Ralph (2015), „Gerhard Heitz zum 90sten Geburtstag. Eine Würdigung“, in: Mecklenburgische Jahrbücher, Bd. 130, Schwerin, 389 – 396. Stepinski, Wlodzimierz (2004), „Zur Rolle von Prof. Dr. Ilona Buchsteiner im deutsch-­polnischen Diskurs zur Agrargeschichte“, in: Wolf D. Gruner/Gunther Viereck (Hgg.), Kolloquium zum Gedenken an Prof. Dr. phil. habil. Ilona Buchsteiner (Rostocker Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 13), Rostock, 79 – 86. Thünen, Johann Heinrich von (1990): Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, hg. und unter Benutzung unveröff. Ms. kommentiert von Hermann Lehmann in Zusammenarbeit mit Lutz Werner, Berlin (Ost). Thünen, Johann Heinrich von (2011), Briefe. Zusammengestellt und bearbeitet von Gunther Viereck, Marburg. Verzeichnis (2010), Verzeichnis der betreuten und begutachteten Dissertationen und Habilitationen von Gerhard Heitz, in: Hanna Haack et al. (Hgg.), Gerhard Heitz. Studien zur mecklenburgischen Agrargeschichte in der Frühen Neuzeit, Berlin, 301 – 305. Viereck, Gunther (2001), „Zu den Auseinandersetzungen um die Rostocker Thünenforschung in den 1950er Jahren. ein Forschungsbericht“, in: Ilona Buchsteiner (Hg.), Rostocker Landesund agrarhistorische Forschungen nach 1990. Bilanz – Einblick – Ausblick, Rostock, 131 – 138. Viereck, Gunther (2004), „Das DFG -Projekt zur ‚Erschließung und kritischen Edition des Briefwechsels von Johann Heinrich von Thünen (1783 – 1850)‘“, in: Wolf D. Gruner/Gunther Viereck (Hgg.), Kolloquium zum Gedenken an Prof. Dr. phil. habil. Ilona Buchsteiner (Rostocker Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 13), Rostock, 23 – 32. Viereck, Gunther (2006), Johann Heinrich von Thünen. Ein Klassiker der Nationalökonomie im Spiegel der Forschung, Hamburg. Wissenschaftliche Zeitschrift (1968), Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, H. 2/3, Rostock. Zimmermann, Clemens (1998), „Ländliche Gesellschaft und Agrarwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Transformationsprozesse als Thema der Agrargeschichte“, in: Werner Troßbach/ Clemens Zimmermann (Hgg.), Agrargeschichte. Positionen und Perspektiven, Stuttgart, 137 – 163.

410

Christopher Dietrich

Unbequeme Aushängeschilder Studentenkabaretts an der Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock zwischen Kritik, Anpassung und MfS-Verstrickung

An der damaligen Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock hatten zwei Amateurkabaretts ihre Wurzeln, die republikweite Anerkennung und großen Publikumserfolg erlangten.1 Das 1970 gegründete FDJ-Studentenkabarett ROhrSTOCK war in den Studentenclubs der DDR als besonders bissige Gruppe bekannt und erhielt zugleich zahlreiche Auszeichnungen wie etwa den Kunstpreis der FDJ.2 Das Kabarett Schrot & Korn, dessen Kern das 1968 an der Universität Rostock gegründete Kabarett Die Scholaren war, galt der Kulturpolitik sogar als eines der Vorbilder für das Amateurkabarett insgesamt.3 Diese Anerkennung ‚von oben‘ änderte nichts an der hohen Kartennachfrage für Auftritte von Schrot & Korn.4 Die Gruppen wurden von der Universität sowie der FDJ (ROhrSTOCK) bzw. dem Forschungszentrum Rostock-­Dummerstorf der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (Schrot & Korn) unterstützt und waren damit Musterbeispiele für die Förderung des ‚künstlerischen Volksschaffens‘ in der DDR. Anhand beider Kabaretts wird aber auch die Gratwanderung zwischen der Förderung eigenständiger künstlerischer Aktivitäten und ihrer politischen Kontrolle deutlich: Trotz der großen Anerkennung gerieten beide Gruppen unvorhergesehen in erhebliche Konflikte mit der SED, die sie nur mühsam befrieden konnten. Sowohl ROhrSTOCK als auch Schrot & Korn standen zudem im Fokus der Staatssicherheit. Während das eher punktuelle Vorgehen des MfS gegenüber Schrot & Korn ein typisches Handlungsmuster der Staatssicherheit im Bereich des Kabaretts darstellte, muss die Überwachung des Studentenkabaretts ROhrSTOCK als Sonderfall bezeichnet werden. Kein anderes Kabarett, mit Ausnahme des ältesten und bekanntesten Berufskabaretts Die Distel aus Berlin, verzeichnete so viele inoffizielle MfS-Mitarbeiter wie der ROhrSTOCK.5 Kulturelles Interesse und künstlerische Betätigung der Bevölkerung galten in der DDR als wesentliches Element der von der SED postulierten allseitig gebildeten Persönlichkeiten im Sozialismus.6 Viele Betriebe, Hochschulen, staatliche Organe wie die Polizei oder die NVA und andere Institutionen fungierten als Träger für sogenannte Volkskunstkollektive. Das Spektrum der künstlerischen Genres, die die Kulturpolitik unter dem folkloristisch anmutenden Begriff der Volkskunst zusammenfasste, wurde im Laufe der Jahrzehnte immer größer. Es gehörten unter anderem Volkstanzgruppen, Arbeitertheater und Chöre dazu, aber auch Musikgruppen aller in der DDR gängigen Stile, Zirkel für künstlerisches 411

Christopher Dietrich

Schreiben, Fotografie und Bildende Kunst und schließlich sogar Schallplattenunterhalter, wie Discjockeys in der DDR offiziell genannt wurden. Die Trägerinstitutionen stellten zum Beispiel Probenräume zur Verfügung, finanzierten künstlerische Leiter und Materialien, kümmerten sich um Arbeitsfreistellungen oder unterstützten Auftrittsreisen.7 Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), über dessen Kulturfonds viele Aktivitäten in den Betrieben finanziert wurden.8 Auf der anderen Seite durften künstlerische Laiengruppen nur öffentlich auftreten, wenn sie einen solchen Träger vorweisen konnten, denn mit der Trägerschaft war auch die politische Verantwortung für die Gruppen verbunden.9 Diese Verantwortung war natürlich bei einer Volkstanzgruppe leichter zu handhaben als bei einem Kabarett. Daneben wurde eine eigene Verwaltungsstruktur zur Unterstützung und politisch-­ ideologischen Anleitung der Laienkunst in der DDR aufgebaut. Zu den kommunalen Kulturabteilungen gehörende Stadt-, Kreis- und Bezirkskabinette für Kulturarbeit und das Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig, eine nachgeordnete Einrichtung des Ministeriums für Kultur, waren neben fachlicher Beratung und der Organisation von Veranstaltungen auch für die Durchführung sogenannter „Einstufungen“ verantwortlich. Wollten Gruppen öffentlich auftreten, mussten sie sich mindestens alle drei Jahre einem Vorspielen vor einer Fachjury unterziehen, die die Programme unter politischen und künstlerischen Aspekten bewertete.10 Die Künstler wurden dabei in Qualitätsstufen (Grundstufe, Mittelstufe, Oberstufe) eingeteilt, erhielten sie gar keine Einstufung, kam das einem Auftrittsverbot gleich.11 Auch an der Universität Rostock gab es vielfältige kulturelle Aktivitäten, zum Beispiel eine populäre Studententheaterbühne, die Singegruppe „Viktor Jara“ und den Mensa-­ Filmclub. Auf dem Gebiet des Kabaretts waren nicht nur Die Scholaren/Schrot & Korn und ROhrSTOCK tätig, sondern es gründeten sich immer wieder Gruppen mit kürzerer Lebensdauer wie Ructus und Die Ku(h)lturistiker von der Sektion Tierproduktion oder Die Drittplatzierten von der Sektion Geschichte. Wie viele andere Institutionen entwickelte die Universität für jedes Studienjahr einen „Maßnahmeplan für die Entwicklung des geistig-­kulturellen Lebens an der Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock“.12 Kabarett war nicht die einzige Kunstform im Amateurbereich, die politisch brisant sein konnte. Auch Singeclubs oder Studententheater gerieten bisweilen in politische Konfrontationen, wie etwa der Skandal um die Uraufführung des Stückes „Die Umsiedlerin“ von Heiner Müller durch das Studententheater der Berliner Hochschule für Ökonomie im Jahr 1961 gezeigt hatte.13 Jene Kabaretts, denen durch die Leitungen ihrer Träger Freiräume ermöglicht wurden und die zugleich eine gewisse Qualität aufwiesen, erreichten jedoch bald große Zuschauerkreise, was den Umgang mit ihnen umso schwieriger machte. Für Die Scholaren/Schrot & Korn und ROhrSTOCK galt dies im besonderen Maße, denn in den drei Nordbezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg existierte kein Berufskabarett, während mit Ausnahme von Suhl und Cottbus alle anderen Bezirke bis Mitte 412

Unbequeme Aushängeschilder

der 1980er Jahre mindestens ein professionelles Kabarett eröffneten.14 Der Fokus lag damit im Norden auf den Amateurgruppen und hier vor allem auf den beiden Gruppen der Universität Rostock und dem Stralsunder Kabarett Die Seeigel. Die Kabarettnachfrage war auch im Bezirk Rostock enorm. Seit Beginn der 1970er hatte das Interesse für Kabarettaufführungen republikweit sprunghaft zugenommen, was vermutlich Folge einer weniger streng agierenden Zensur war. Man hatte erkannt, dass zu rigide Eingriffe in die Kabarettprogramme die Zuschauer vergraulten und eher für Frustration beim Publikum sorgten. Bei den Laienkabaretts hatte die SED schon Anfang der 1960er Jahre entnervt den Versuch aufgegeben, die satirischen Kabaretts in reine Agitpropgruppen umzuwandeln. Selbst Funktionäre beschwerten sich nach Leistungsvergleichen, man habe stundenlang nichts zu lachen gehabt.15 Die Zensurverfahren wurden seit den 1970er Jahren kooperativer, wovon auch ROhrSTOCK und Die Scholaren/Schrot & Korn profitierten. War es bis dahin durchaus noch üblich, dass Textbücher eingereicht und ohne große Diskussion mit Streichungen zurückgegeben wurden, entwickelten sich nun Aushandlungsprozesse. Kulturfunktionäre der Partei und des Staats sahen sich die Programme in der Regel vor der Premiere an und diskutierten mit den Kabarettisten über notwendige Änderungen. Formal hatten die Funktionäre am Ende das letzte Wort, aber Ausmaß und Form der Zensur waren von Ort zu Ort, ja von Kabarett zu Kabarett bisweilen extrem unterschiedlich. Dies hing von politischen Begleitumständen ab, vor allem aber von den individuellen Einstellungen der Funktionäre, denn praxistaugliche zentrale Vorgaben gab es nicht. Bei einer Umfrage im Jahr 1974 gaben 13 Prozent der Werktätigen an, gern ins Kabarett zu gehen – das wären hochgerechnet rund eine Million Menschen. Bei Schülern und Studenten zählte sogar fast ein Viertel der Befragten Kabarettbesuche zu den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen.16 Dieser Bedarf konnte durch die professionellen Häuser allein nicht gedeckt werden. Ende der 1980er Jahre gab es insgesamt zwölf Berufskabaretts, die rund 500.000 Zuschauer pro Jahr verzeichneten, und mehrere hundert Amateurgruppen, die noch einmal ungefähr 1,5 Millionen Menschen erreichten.17 Eine Spitze von 20 bis 30 Laienensembles absolvierte bis zu 100 Auftritte pro Jahr und war bereits eher einem semiprofessionellen Bereich zuzuordnen.18 In manchen Fällen, wie bei den Studentenkabaretts academixer aus Leipzig und Lachkartenstanzer aus Karl-­Marx-­Stadt, wechselten die Gruppen irgendwann offiziell ins Profifach. Auch für ROhrSTOCK wurde dies Mitte der 1970er Jahre diskutiert. Die Weiterentwicklung scheiterte aber an der Intervention Hanns Anselm Pertens, Intendant am Volkstheater Rostock und Mitglied der SED-Bezirksleitung, der mit den Umweltschützern ein eigenes Berufskabarett innerhalb des Theaters gründen wollte, das Anfang der 1980er Jahre nach mäßigem Erfolg wieder eingestellt wurde.19 Die Universität profitierte von ihren erfolgreichen Kabaretts in mehrfacher Weise. Ein gutes und beliebtes kulturelles Angebot wirkte sich positiv auf die Atmosphäre an der Universität aus, die sich damit auch als Ort eines gewissen gedanklichen Freiraums 413

Christopher Dietrich

Abb. 1: Gruppenbild zum „5. Programm des ROhrSTOCK der Sektion Sprach- und Literaturwissenschaft“ aus dem Jahr 1974.

414

Unbequeme Aushängeschilder

Abb. 2: Das Ensemble im Jahr 1976 mit einem Transparent mit der Aufschrift „ALMA MARTER“.

präsentieren konnte. Nach außen bewies man damit eine erfolgreiche kulturelle Förderpolitik. Hier gab es nicht nur einen Wettbewerb zwischen den einzelnen Institutionen, sondern auch zwischen den Kreisen und Bezirken. Dabei spielte eine Rolle, wie viele eigene Gruppen der verschiedenen Volkskunstgenres in die höchste Leistungsstufe (Oberstufe) eingeordnet und über regionale und überregionale Leistungsvergleiche zu den zweijährlich stattfindenden Arbeiterfestspielen delegiert und dort im besten Fall sogar mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurden. Das Abschneiden der Bezirke bei den Arbeiterfestspielen war eine Art Politikum, viele Bezirke förderten einzelne Gruppen gezielt, um ihre Chancen auf eine Goldmedaille zu erhöhen.20 Träger eines der wenigen Amateurkabaretts zu sein, das zu den Arbeiterfestspielen delegiert wurde, war daher ein besonderes Aushängeschild. Dies zeigte sich auch in der Reaktion auf die Weigerung des Kabaretts RO hrSTOCK , einer Delegierung zum Zentralen Leistungsvergleich der Amateurkabaretts und zu den Arbeiterfestspielen im Jahr 1982 nachzukommen. Der Verzicht, den das Studentenkabarett mit dem erheblichen Zeit- und Vorbereitungsaufwand begründet hatte, wurde im Bezirk als Affront aufgefasst. Plötzlich kritisierte der FDGB-Bezirksvorstand das für die Delegierung vorgesehene Programm „Widerstehen macht Freu(n)de“ scharf. In einigen Szenen würde keine klare politische Haltung vertreten, so der Vorwurf. Der Bezirksvorstand des FDGB und der Rat des Bezirks müssten die Hochschulleitung der Wilhelm-­Pieck-­Universität und die Parteileitung an ihre Ver415

Christopher Dietrich

Abb. 3: Auftritt des ROhrSTOCK-­Kabaretts am 1. Mai 1982 in der Aula des Hauptgebäudes.

antwortung für das Kabarett erinnern und das Folgeprogramm strenger kontrollieren.21 Ab 1984 nahm ROhrSTOCK dann an den Arbeiterfestspielen teil. Die Scholaren waren ebenso wie ROhrSTOCK ab 1974 Kabarett der Oberstufe und durften 1978 erstmals bei den Arbeiterfestspielen auftreten.22 Unter dem neuen Namen Schrot & Korn wurden sie bei insgesamt vier Arbeiterfestspielen mit der begehrten Goldmedaille ausgezeichnet. Beide Gruppen waren damit zweifellos Vorzeigeensembles für ihre Träger. Dabei unterschieden sich Die Scholaren/Schrot & Korn und ROhrSTOCK in Struktur und Stil deutlich. ROhrSTOCK, 1970 an der Sektion für germanistische Sprach- und Literaturwissenschaft noch unter dem Namen K-70 gegründet, blieb immer Studentenkabarett. Wer sein Studium beendet hatte, verließ die Gruppe in der Regel und neue Mitglieder wurden aufgenommen. Nur der künstlerische Leiter blieb dauerhaft in der 416

Unbequeme Aushängeschilder

Gruppe. Träger des Kabaretts war nicht die Universität selbst, sondern die FDJ-Hochschulgruppenleitung der Universität Rostock. Die Mitglieder der Scholaren, die sich schon 1968 an der Fakultät für Landwirtschaftswissenschaften zusammenfanden, alterten hingegen mit ihrem Kabarett. Das heißt, ein fester Stamm blieb auch über das Studienende hinaus dabei. Aus der Studentengruppe wurde mit der Zeit ein Doktorandenkabarett. Nach Abschluss ihrer Promotion wechselten vier Hauptakteure der Gruppe an das Forschungszentrum für Tierproduktion der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR in Rostock-­Dummerstorf und benannten das Kabarett in Schrot & Korn um. Der methodische Ansatz war bei RO hrSTOCK und den Scholaren/Schrot & Korn wiederum ähnlich: Sie schrieben ihre eigenen Texte – im Amateurkabarett und selbst im Berufskabarett keine Selbstverständlichkeit – und entwickelten damit einen markanten eigenen Stil. Diese Texte spielten vorwiegend im Bereich des Universitäts- und Wissenschaftsbetriebs sowie im konkreten Lebensalltag von Studierenden bzw. Wissenschaftlern, was FDJ- und Parteiversammlungen ebenso einschloss wie Mangelwirtschaft oder Wohnungsprobleme. Dies war typisch für die Amateurkabaretts in der DDR, denn die Gruppen wurden immer wieder dazu gedrängt, ihre Kabarettprogramme aus der Perspektive ihrer spezifischen Erfahrung als Arbeiter eines Betriebs, Angehörige der Polizei oder eben Studierende einer Hochschule zu gestalten. Damit sollte nicht zuletzt die kulturpolitische Vorstellung eines sozialistischen Kabaretts durchgesetzt werden, das nicht den Staat selbst und seine führenden Repräsentanten, sondern nur Mängel in bestimmten begrenzten Bereichen aufgreifen und überwinden helfen sollte. Durch diese Begrenzung waren für die Kabaretts wiederum direktere und schärfere Spitzen gegen die vermeintlichen Einzelfälle möglich. Das kam bei den Zuschauern, die die konkreten Missstände kannten, natürlich besonders gut an. Zugleich konnten entsprechende Szenen aber immer auch als Metaphern für das große Ganze rezipiert werden. Ein Lied des ROhrSTOCK zur Melodie „Der Mond ist aufgegangen“ über das eintönige, frustrierende Grundstudium des Marxismus-­Leninismus (ML) – das Studenten aller Fachrichtungen absolvieren mussten – wurde 1987/88 auch als Bild für mangelnde Akzeptanz des Marxismus-­Leninismus als Weltanschauung insgesamt gedeutet: Die Saat Die Saat ist aufgegangen und in den Köpfen prangen Leersätze überall. M/L steht da und schweiget und seine Ohnmacht zeigt, das ganze große Jammertal.

417

Christopher Dietrich

Im Seminar ist Stille – die rosarote Brille ist jedem aufgesetzt. Die Praxis vor den Augen sieht man dann, was uns taugen, das Seminar und sein Geschwätz. Es bröckeln die Fassaden, M/L geht langsam baden, und schließlich wird es Nacht. Kein Marx ist aufgegangen und keine Engels prangen, die ham sich aus dem Staub gemacht. So trägt bei fahlem Lichte der Rektor die Geschichte in sein Notizbuch ein. Die Saat ist aufgegangen, M/L ist draufgegangen und keiner will’s gewesen sein!23

Immer wieder wurde die fehlende Praxistauglichkeit des Studiums kritisiert. Auch die hohlen Rituale von Partei- und FDJ-Versammlungen waren häufig Zielscheibe der Satire und standen damit nicht zuletzt als Sinnbild für Volkskammersitzungen und SED-Parteitage. Legendär ist etwa die ROhrSTOCK-Szene „Das Band“, in der eine FDJ-Gruppe für eine Wahlversammlung mit Rechenschaftsbericht wegen des immer gleichen Prozederes einfach ein Playback verwendet, wobei sich diesmal ein Gast des FDJ-Zentralrats angekündigt hat. Natürlich geht mit dem Tonband alles schief, die Studenten müssen Leiertöne und doppelte Bandgeschwindigkeiten überspielen. Die Pointe: Statt der gefürchteten Standpauke durch den Zentralratsvertreter sind seine Dankesworte ebenfalls schon als Playback aufgenommen, zu dem er nur seine Lippen bewegt.24 Das Beispiel der an der FDJ -Arbeit weitgehend desinteressierten Studenten zeigt, dass das Kabarett durchaus die kulturpolitische Forderung aufnahm, die individuellen Hemmfaktoren Einzelner für die Verwirklichung des Sozialismus in den Blick zu nehmen und als eine Art Erziehungsmaßnahme satirisch zu entlarven. Allerdings wurden auch die Ursachen für dieses Desinteresse durch das Kabarett in den Blick genommen und unter anderem die FDJ -Führung als mitverantwortlich ausgemacht. So wird in der Soloszene „FDJ-Kocher“ in Form einer Kochshow vorgeführt, wie man aus einem frischgebackenen Abiturienten „einen einfachen FDJ-Studenten“ macht. Zutaten: das FDJ-Statut (Auszüge), einige wichtige Beschlüsse sowie ein Pfund Mehl. „MEHL: Marx, 418

Unbequeme Aushängeschilder

Engels, Honecker, Lenin. Lenin allerdings nur gekürzt. Denn: wir wollen ja nur einen einfachen FDJ-Studenten. […] Wir fördern ja unseren FDJ-Studenten. Nicht nur so gut wie wir können, nein, auch so durchschnittlich wie wir sollen!“ 25 Die klassischen „Westnummern“, also Szenen gegen den Klassenfeind, kamen auch bei ROhrSTOCK vor. Sie sollten gemäß der Ende der 1950er Jahre formulierten Vorstellungen der SED-Kulturpolitik den eigentlichen Kern des sozialistischen Kabaretts bilden. Der Umfang entsprechender Programmpassagen nahm bei den meisten Kabaretts aber kontinuierlich ab, in den 1980er Jahren blieb vielfach nur noch eine obligatorische und oft ungeliebte „Westnummer“ übrig. Das lag zumeist nicht daran, dass die Kabaretts keine kritische Haltung zum Westen und zum Kapitalismus einnahmen, sondern an der mangelnden Zuschauerresonanz auf diese Szenen. Das Publikum kam gerade nicht ins Kabarett, um Kritik am Klassenfeind zu hören – dafür gab es in der DDR genug andere Gelegenheiten. Auch bei den ROhrSTOCK-Mitgliedern gehörten diese Nummern nicht zu den beliebtesten, dennoch waren in fast allen Programmen mehrere Westszenen enthalten, womit man sich auch die eine oder andere schärfere Kritik an anderer Stelle erkaufte. Insgesamt zeichnete sich ROhrSTOCK durch eine Mischung aus bissiger Satire, originellen Szenenideen und einem gewissen Hang zu Albernheiten aus. Entscheidend für die Qualität waren zudem die künstlerische Anleitung und die oft starken und charakteristischen Darsteller. Die hohe Produktivität von einem neuen Programm pro Jahr und die konsequente „Kaderentwicklung“, wie es bei ROhrSTOCK selbst hieß, unterschied die Rostocker Gruppe von den meisten anderen Studentenkabaretts in der DDR. Mitglied bei ROhrSTOCK zu sein, war keine lockere Freizeitaktivität, sondern eine arbeitsintensive Aufgabe, die zum Teil schwer mit dem Studium vereinbar war. Im Gegenzug winkten für DDR -Verhältnisse außergewöhnliche Erlebnisse auf Gastspielreisen innerhalb der DDR und zum Teil auch mit Auftritten im sozialistischen Ausland, zum Beispiel an der Erdgastrasse. Die Scholaren/Schrot & Korn unterschieden sich stilistisch im Laufe ihrer Entwicklung immer stärker von ROhrSTOCK, was auch mit dem steigenden Alter der Protagonisten zu tun gehabt haben dürfte. Agierten die Studenten des ROhrSTOCK besonders dynamisch, bisweilen ungestüm und mit viel Situationskomik auf der Bühne, stand bei den Scholaren/Schrot & Korn die intellektuelle Auseinandersetzung stärker im Vordergrund. Die Probleme wurden inhaltlich intensiver durchdrungen. Traten Figuren in inhaltliche Auseinandersetzungen – ein Grundmuster kabarettistischer Szenen –, so vertraten sie ihre Auffassungen mit gewichtigeren Argumenten, als dies etwa bei ROhrSTOCK üblich war. Das Spiel war insgesamt zurückhaltender, es dominierte der Wortwitz. Leitthema vieler Programme war der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in unterschiedlichster Gestalt – zwischen universitärer Lehre und Berufsleben (Programm „Wenn im Hammer der Holzwurm ißt“, 1970er Jahre), zwischen Plänen der Betriebsführung und tatsächlicher Arbeit („Zu unserem Leitwesen“, 1977), zwischen agrarwissenschaftlicher Forschung und landwirtschaftlicher Praxis („Forscher voran“, 1980; „Erst mal sä(eh)en“, 419

Christopher Dietrich

Abb. 4: Das Kabarett ROhrSTOCK demonstriert unter der Losung „Der NATO-Doppelbeschluss ist ein NATO-Doppelbeschiss“ auf einer Kundgebung am 1. Mai 1983.

1984; „Leuchte der Wissenschaft“, 1985), zwischen Idealen der sozialistischen Gesellschaft und realer Hausgemeinschaft („Überdachtes“, 1988). Von den Funktionären der Amateurkabarettbewegung wurden sie wiederum auch deshalb geschätzt, weil sie „Westnummern“ und bekenntnishafte Szenen, zum Beispiel zur Deutsch-­Sowjetischen Freundschaft, mit einiger Qualität auf die Bühne brachten.26 An der grundsätzlichen politischen Haltung dieses Kabaretts bestand ohnehin kein Zweifel, die wichtigsten Akteure waren SED-Genossen, während der ROhrSTOCK-Gründer und langjähriger Leiter als NDPD-Mitglied und streitbarer Charakter öfter unter dem Verdacht mangelnder Zuverlässigkeit stand. Doch auch bei Schrot & Korn machte sich spätestens im Jahr 1988 die Resignation bemerkbar: In der Szene „Kuchen“ aus dem Programm „Überdachtes“ (1988) erinnern sich etwa die Mitglieder einer Hausgemeinschaft beim Kuchenessen an ihren abwesenden Nachbarn Schorsch, einen alten Genossen, dessen Frau im KZ Sachsenhausen umgekommen war und dessen Brigade am 17. Juni 1953 nicht gestreikt hatte. Die keineswegs ironisierte Überhöhung dieser sozialistischen Vorbildfigur wurde zugleich für eine kritische Pointe genutzt: „Trotz dreier Parteistrafen konnte man ihn nicht erziehen – er lebt weiter nach dem Statut der Partei.“ 27 Am Ende der Szene bemerken die Akteure, dass 420

Unbequeme Aushängeschilder

sie für den Veteranen keinen Kuchen übrig gelassen haben. Im darauf folgenden Lied nahm das Kabarett die Figur noch einmal auf: Er hat aus Ruinen Betriebe gemacht Und hat über Saboteure gelacht. […] Hat sein Letztes zusammen geklaubt. Denn er hat an die Sache geglaubt. Jetzt fehlt ihm die Kraft, nur nicht, die er uns gab. Er trug viel zu viele Ideale zu Grab. Und jedes Mal auch ein Stück Revolution. Das ließ ihn altern – nicht die kleine Pension. Sein Rücken ist krumm und sein Haupt ist ergraut. Jetzt sind wir’s, an die er fest glaubt.28

Schließlich hieß es auch im Finale des Programms: „Nicht jede Wunde, die wir tragen / Hat der Klassenfeind geschlagen.“ 29 Die Hoffnung auf Veränderungen nach dem Vorbild Gorbatschows wurde unaufgeregt, aber unmissverständlich artikuliert: „Laßt uns nochmal vieles neu und klug durchdenken / Laßt uns unsern Schritt auf neue Wege lenken.“ Unabhängig von der politischen Einstellung der Kabarettisten galt für das DDR-Kabarett insgesamt: Das seltene Recht, öffentlich Kritik an bestehenden Verhältnissen zu üben, ging einher mit fortwährenden Bekundungen zum Sozialismus und zur SED, zum Teil auf der Bühne, vor allem aber in Dokumenten und öffentlichen Verlautbarungen. Auf den zweijährlichen Werkstatttagen der Berufskabaretts richteten alle Berufskabarettisten stets ein unterwürfiges Grußwort an den „verehrte[n] Genossen Erich Honecker“, dem sie ihre Unterstützung bei der Verwirklichung der Ziele der SED versicherten.30 Das gleiche taten die Amateurkabarettisten auf den Zentralen Leistungsvergleichen der Amateurkabaretts – nur, dass sich ihr Grußwort zuständigkeitshalber an Politbüromitglied und FDGB-Chef Harry Tisch richtete.31 Gängige Methode war es auch, in vorher einzureichenden Programmkonzeptionen, auf bestimmte Ziele der SED bzw. der FDJ , auf Parteitagsdokumente oder Zitate von Marx, Engels und Lenin zu rekurrieren. Die Rostocker Gruppen beherrschten diese Praxis ebenfalls gut. In einem Interview gefragt, woher die Themen kämen, lautete die Antwort eines Schrot & Korn-­Mitglieds: „Zuallererst aus unserem eigenen Arbeits- und Lebensbereich. In der konzeptionellen Arbeitsphase fragen wir zielbewußt unsere Kollegen und beraten uns mit Freunden im Betrieb, im Bezirksvorstand des FDGB , […] bei der Bezirksleitung der SED .“ 32 Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass sich Amateurkabarettisten mit der höchsten Institution des Bezirks über ihre Texte und geeignete Themen berieten. 421

Christopher Dietrich

Wie nahezu alle Kabarettgruppen in der DDR unterlagen auch Die Scholaren/Schrot & Korn und ROhrSTOCK Zensurverfahren, wenngleich eine Zensur in der DDR offiziell nicht existierte. Schrot & Korn verwies die Annahme einer solchen Zensur sogar in den Bereich der westdeutschen Propaganda: Dann war da noch ein anderer Herr mit Programm, aber der hat mich gefragt, ob unsere Texte zensiert sind. Sie waren das ja? Ja, sie haben ihren Audi 100 nicht unauffällig im Parkverbot stehen?! Ja, unsere Texte sind alle zensiert. Wir bringen heute nur Texte mit der Note gut oder sehr gut. Das ist das 80-iger Schnittmaß.33

Tatsächlich war es auch an der Universität Rostock und beim Forschungszentrum in Rostock-­Dummerstorf üblich, dass Programme im Rahmen einer Voraufführung abgenommen wurden und im Vorfeld Programmkonzeptionen einzureichen waren. Bei ROhrSTOCK fanden diese Abnahmen, die so nicht genannt werden durften, etwa vier Wochen vor der Premiere statt. Anwesend waren neben Vertretern der FDJ-Hochschulgruppenleitung und der Universitätsparteileitung auch Mitglieder der Kulturarbeitsgruppe bzw. Kulturkommission der Universität sowie der Gewerkschaft. Das Kabarett konnte außerdem weitere Gäste einladen, zum Beispiel ehemalige Mitglieder oder Vertreter anderer Kabaretts, und nutzte dies, um einerseits eine Publikumsatmosphäre zu erzeugen und andererseits bei Bedarf auch ein Gegenwicht zur Funktionärsmeinung vor Ort zu haben.34 Andere Amateur- und Berufskabaretts luden bisweilen Patenbrigaden aus der Arbeiterklasse zu Abnahmeproben ein.35 Der Vorstellung des neuen Programmes schloss sich eine Diskussion an, in deren Folge die Funktionäre „Empfehlungen“ aussprachen, die Textänderungen oder im Einzelfall komplette Szenenstreichungen bedeuten konnten.36 Auch in Rostock handelte es sich also um Aushandlungsprozesse zwischen Künstlern und Funktionären, die der bekannteste Kabarettautor der DDR , Peter Ensikat, einmal „Kuhhandel, Gefeilsche um jedes Wort“ 37 nannte. Dazu gehörte allerdings, dass bestimmte Themen schon vorher der Selbstzensur unterlagen. So blieb es bis zum Ende der DDR tabu, die Grundlagen des Sozialismus, die Staats- und Parteiführung oder Organe wie die Staatssicherheit zu kritisieren. Kulturverantwortliche und Kabarettisten hatten bei den Zensurverfahren durchaus gemeinsame Interessen, denn beide wollten die Aufführung eines bereits angekündigten Programms. Zwar hatten die Funktionäre am Ende das letzte Wort, doch Kompromisse waren nicht selten möglich. Dies hing von politischen Begleitumständen und den individuellen Einstellungen der Funktionäre ab. RO hrSTOCK suchte darum den engen Schulterschluss mit den Verantwortlichen, zum Beispiel mit dem SED-Parteisekretär der Universität, der früh und betont freundschaftlich in die Programm­erarbeitung einbezogen wurde und seine schützende Hand über die Gruppe hielt. Andere Studentenkabaretts, die RO hrSTOCK um manche Freiheit beneideten, sahen diese enge Kooperation teilweise kritisch. 422

Unbequeme Aushängeschilder

Am Forschungszentrum in Rostock-­Dummerstorf erfolgte die Programmkontrolle für Schrot & Korn in einem dreistufigen Verfahren. Zunächst hatten die Laienkabarettisten eine Konzeption des Programms beim Kulturverantwortlichen des Trägers einzureichen. Etwa drei bis vier Monate nach Probenbeginn erfolgte eine Teilabnahme des bisherigen Arbeitsergebnisses durch die Kreiskulturkommission und die Leitung des Forschungszentrums. Die endgültige Abnahme wurde schließlich wenige Wochen vor der Premiere durchgeführt.38 Programmverbote kamen sowohl im Berufs- als auch im Amateurkabarett vor, blieben aber die Ausnahme, denn solche Absetzungen waren nicht zu verheimlichen und führten immer zu negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit. Wollte der SED-Staat mit der Förderung von Kabaretts eine gewisse Offenheit zeigen, wurde diese Strategie mit jedem Verbot untergraben. So fanden Verbote fast immer Widerhall in der westdeutschen und teilweise sogar internationalen Presse und wurden spätestens darüber auch DDR-weit bekannt. Eine genauere Analyse der verbotenen Programme und ihrer Begleitumstände zeigt zudem, dass die Sanktionen ihre Ursachen meist nicht in den Programminhalten hatten. Oft waren verbotene Produktionen nicht brisanter als vorherige oder nachfolgende Programme. Vielmehr gingen Verbote in den meisten Fällen auf Umstände zurück, die die Aushandlungsprozesse zwischen Kulturfunktionären und Künstler störten. Dies konnte ein neuer unerfahrener Funktionär sein oder eine Intervention höherer Stellen, zum Beispiel vom ZK der SED oder bei Amateurgruppen von regionalen SED-Leitungen. Besonders wichtig waren die politischen Rahmenbedingungen. So erfolgten die meisten rigiden Eingriffe in Phasen politischer Verunsicherung: zwischen Ungarn-­Aufstand und Mauerbau (1957 bis 1961), zwischen Biermann-­Ausbürgerung und den Streiks in Polen (1976 bis 1980) sowie 1988/1989.39 In diesen Zeitabschnitten funktionierten die üblichen Kommunikationsprozesse schlechter, man behalf sich vorsichtshalber mit strengeren Maßnahmen, zumal es auch vorkam, dass Funktionäre wegen „mangelnder revolutionärer Wachsamkeit“ im Zusammenhang mit Kabaretts Parteistrafen erhielten.40 Charakteristisch für das Kabarett in der DDR war mithin nicht die dauernde Drohung des Verbots, sondern die Rechtsunsicherheit und nahezu willkürliche Handhabung dieses Mittels. In einer solchen Phase der kulturpolitischen Verunsicherung gerieten auch ROhrSTOCK und Schrot & Korn 1979/80 unabhängig voneinander in erhebliche Schwierigkeiten. Im Oktober 1979 wurde ein Mitglied des ROhrSTOCK unter dem Vorwurf der staatsfeindlichen Hetze verhaftet.41 Der Student war erst acht Monate vorher ins Ensemble aufgenommen worden, spielte aber schon die Hauptrolle in einem Sonderprogramm zu Ehren Wilhelm Buschs. Das MfS ermittelte gegen ihn nicht wegen seiner Kabaretttätigkeit, sondern unter anderem wegen des Verdachts rechtsradikaler Äußerungen. Das öffentliche Podium, das der Student durch das Kabarett besaß, beschleunigte und intensivierte aber die MfS-Ermittlungen. Die Verhaftung sollte in jedem Fall vor der geplanten Teilnahme der Gruppe beim Nationalen Jugendfestival in Berlin im Juni 1979 erfolgen. Die eigene Untersuchungsabteilung IX des MfS sah die Beweislage aber wenige Wochen vorher 423

Christopher Dietrich

als zu dürftig an, so dass kurzfristig noch mehr belastendes Material von inoffiziellen Quellen benötigt wurde. Auch der künstlerische Leiter des Kabaretts, seit 1975 als IM „Detlef Hofer“ 42 für das MfS tätig, trug belastende Informationen bei. Dennoch schadeten die Verhaftung und spätere Verurteilung zu viereinhalb Jahren Gefängnis wegen mehrfacher staatsfeindlicher Hetze auch dem politischen Ruf des Kabaretts.43 Fast zeitgleich zur Anklageerhebung wurde ein Rostocker Künstler verhaftet, der unter anderem für RO hrSTOCK die Programmhefte gestaltete. Auch bei ihm standen die Ermittlungen wegen staatsfeindlicher Hetze nicht im direkten Zusammenhang mit dem Kabarett, aber „Detlef Hofer“ wurde dennoch zur Berichterstattung auf ihn angesetzt. Sollte die IM-Tätigkeit in diesen Fällen in der Hoffnung geschehen sein, das eigene Kabarett zu schützen, so schlug dies zunächst fehl. Nur zwei Wochen nach Anklageerhebung gegen den Studenten nutzte man einen ROhrSTOCK-Auftritt vor dem Sekretariat der Rostocker SED-Bezirksleitung, um sich massiv bei der Universität über das Kabarett zu beschweren. Eine Woche später verweigerte eine Fachjury dem RO hrSTOCK eine neue Einstufung, womit gewissermaßen ein Auftrittsverbot drohte. Gerüchte um eine Auflösung machten die Runde. Erst die Unterstützung des FDJ -Zentralrats half die Wogen zu glätten.44 Das MfS sah bei dieser Entwicklung nur zu. Einige Monate später war dieser existenzielle Konflikt bereits wieder vergessen, anlässlich des 10. Jubiläums des Kabaretts im Januar 1980 gingen von allen relevanten Institutionen herzliche Glückwunschschreiben ein. Das Kabarett Schrot & Korn, dessen Hauptakteure ein Jahr zuvor von der Universität an das Forschungszentrum in Rostock-­Dummerstorf gewechselt waren, bekamen 1980 Probleme. Der musikalische Leiter des Kabaretts hatte den Austritt aus der SED beantragt. Das MfS hatte schon früh von diesen Plänen erfahren und war alarmiert, denn ein Auftritt des Kabaretts bei den Arbeiterfestspielen, die in diesem Jahr auch noch im Bezirk Rostock stattfanden, stand bevor. Ähnlich wie beim verhafteten ROhrSTOCK-Mitglied fürchtete die Staatssicherheit demonstrative Handlungen auf offener Bühne und leitete Postkontrollen und eine Telefonüberwachung ein.45 Die Texte des für die Arbeiterfestspiele vorgesehenen Kabarettprogramms wurden auf „Vorliegen pol[itisch]-neg[ativer] Aussagen mit strafrechtlich relev[anten] Aspekten“ geprüft und Handschriftproben der Zielperson besorgt, um gegebenenfalls brisantes Material zuordnen zu können.46 Über eine inoffizielle Quelle im Kabarett verfügte das MfS zu diesem Zeitpunkt nicht. Interne Informationen erhielt die Staatssicherheit nur über einen Freund einer Kabarettistin, der diese regelmäßig ohne ihr Wissen abschöpfte. Da das MfS dringend weitere Informationen brauchte, führte man eine „legendierte Aussprache“ mit dem künstlerischen Leiter des Kabaretts. In dem Gespräch attestierte dieser dem musikalischen Leiter, so verstand es zumindest der MfS-Offizier, „zu Fragen des Kunst- und Kulturschaffens politisch-­ideologische Unklarheiten“. Der Musiker ordne sich aber den Festlegungen des Kabaretts nach entsprechenden Diskussionen unter.47 Da man ihn jedoch als „Unsicherheitsfaktor“ betrachte, dürfe dieser nicht mehr als Sprecher auftreten, sondern das 424

Unbequeme Aushängeschilder

Programm nur noch musikalisch begleiten. Die Staatssicherheit zeigte sich vorerst beruhigt und verhinderte nicht den Auftritt bei den Arbeiterfestspielen, für den die Gruppe mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Stattdessen wurde der künstlerische Leiter des Kabaretts beauftragt, die „op[erative] Kontrolle“ des Verdächtigen zu übernehmen und bei spontanen „Demonstrativhandlungen“ einzugreifen.48 Trotz der renommierten Auszeichnung mit der Goldmedaille schwelte der Konflikt auf offizieller Ebene weiter. Zunächst hatte die zuständige SED-Parteiorganisation des Forschungszentrums dem Antrag des Musikers „auf Beendigung der Mitgliedschaft in der SED durch Streichung“ noch zugestimmt.49 Drei Monate später wandelte die SED-Kreisparteikontrollkommission Rostock-­Land die Streichung der SED-Mitgliedschaft jedoch wegen parteifeindlichen Verhaltens in einen Ausschluss um. Nachdem der Vizepräsident der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften in Berlin von dem Parteiausschluss erfahren hatte, sagte er einen geplanten Auftritt des Kabaretts an der Akademie ab. Dass die Gruppe in der übergeordneten Institution ihres eigenen Trägers nicht auftreten durfte, musste Folgen haben. Parteileitung, Betriebsgewerkschaftsleitung und der Direktor des Forschungszentrums fassten kurz darauf den Beschluss, den musikalischen Leiter langfristig aus seiner Forschungsstelle und kurzfristig aus dem Kabarett herauszulösen. Laut einem Mitarbeiter der Kaderabteilung geschah dies auf direkte Anweisung des damaligen Vizepräsidenten der Akademie. Dem künstlerischen Leiter wurde am 27. November 1980 mitgeteilt, dass der Musiker bis Ende 1980 aus der Gruppe ausgeschlossen werden müsse und der Parteieinfluss durch den Parteieintritt eines weiteren Kabarettmitglieds zu stärken sei. Der künstlerische Leiter entgegnete, dass Schrot & Korn durch eine so kurzfristige Maßnahme nicht mehr arbeitsfähig wäre. Erst nach der Drohung des zuständigen Sekretärs der SED-Grundorganisation und des Kulturverantwortlichen der Betriebsgewerkschaftsleitung, dem Kabarett die materielle Unterstützung zu streichen, sagte der Leiter schließlich eine Trennung vom Musiker zu. Die Sekretäre der Abteilungsparteiorganisationen im Forschungszentrum beschlossen kurz zuvor in einer Beratung ebenfalls, dass der musikalische Leiter „unbedingt aus dem Kabarett zu entfernen“ sei, während „[d]er weitere Schritt, das Kabarett ganz aufzulösen, […] vorläufig noch keine Zustimmung der Beratung“ fand.50 Dass die Zerschlagung eines immerhin republikweit hoch anerkannten Kabaretts bereits Gegenstand der Beratung war, zeigt die unsichere Existenzgrundlage der Kabarettgruppen in der DDR. Der aus dem Kabarett entlassene Musiker wurde durch die Staatssicherheit in einem sogenannten Operativen Vorgang (OV „Forscher“) geführt und intensiv überwacht. Nun verdächtigte man ihn, eine grüne Partei in der DDR gründen zu wollen und öffentliche Auftritte nutzen zu wollen, um „feindliche Kräfte zu sammeln und sie aufzuwiegeln, Widerstand gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu leisten.“ 51 Beweisen konnte das MfS dies alles nicht, aber man sorgte durch Einschüchterung der übrigen Beteiligten dafür, dass geplante kulturelle Initiativen, wie die Aufführung satirischer Puppenstücke, nicht zustande kamen. 425

Christopher Dietrich

Auch das Kabarett Schrot & Korn nahm die Staatssicherheit in den Folgejahren stärker in den Blick. Mit dem neuen musikalischen Leiter stand dem MfS erstmals eine inoffizielle Quelle innerhalb des Kabaretts zur Verfügung. Dabei handelte es sich allerdings um einen glücklichen Zufall für die Staatssicherheit und nicht um eine bewusste Einschleusung. IM „Günther Fischer“ berichtete regelmäßig über das Kabarett, mit seinem Tod im Jahr 1984 endete aber das Interesse des MfS an Schrot & Korn weitgehend.52 Die Scholaren/Schrot & Korn waren damit ein typischer Fall für die MfS-Tätigkeit im Bereich des Kabaretts.53 So war zwar in vielen Amateurkabaretts mit größerem Wirkungskreis mindestens ein inoffizieller Mitarbeiter verankert, eine dauerhafte und systematische Überwachung fand aber in der Regel nicht statt. Das galt ebenso für manche Berufskabaretts: Bei der Dresdner Herkuleskeule verfügte die Staatssicherheit bis in die 1980er Jahre über keine kontinuierlich berichtende inoffizielle Quelle, auch bei der Leipziger Pfeffermühle gab es nur einen relativ unzuverlässigen inoffiziellen Mitarbeiter. Bei den Leipziger academixern war die Informationslage noch schlechter. Natürlich gab es auch andere Wege der Informationsbeschaffung, etwa durch inoffizielle Mitarbeiter im Umfeld oder im Publikum sowie durch technische Mittel, doch auch diese wurden nur bei besonderen Anlässen eingesetzt. So erhielt die Staatssicherheit nur für einen Teil der Berufsensembles über einen längeren Zeitraum relevante interne Informationen, unter anderem zur Berliner Distel, den Magdeburger Kugelblitzen und den Oderhähnen aus Frankfurt/Oder. Teilweise scheiterte die Staatssicherheit bei der Anwerbung von Quellen, wie etwa mehrfach bei der Leipziger Pfeffermühle; teilweise waren die zuständigen MfS-Mitarbeiter überfordert, zum Beispiel bei den Lachkartenstanzern aus Karl-­Marx-­ Stadt. In den meisten Bezirken hatte die Überwachung der Kabaretts im kulturellen Bereich aber nicht die höchste Priorität. Schriftsteller und bildende Künstler standen in der Regel deutlich stärker im Fokus. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, betrachteten die MfS-Bezirksverwaltungen die Kabaretts nicht als besonders problematisch. Man akzeptierte die Rolle und die Freiräume, die ihnen die SED -Kulturpolitik eingeräumt hatte, und verfolgte keine eigene Agenda. Auch im Amateurbereich galt die Mitgliedschaft in einem Kabarett dem MfS eher als positives Merkmal einer Person denn als Warnsignal. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass sich die Kabaretts bei aller Kritik in den Programmen fast immer deutlich zum Sozialismus bekannten und es in den Programmen selten unklare Bedeutungsdimensionen gab. In Wirklichkeit war die Verschlüsselungstechnik im DDR -Kabarett ja so konzipiert, dass das berühmte „Zwischen-­ den-­Zeilen-­lesen“ bei allen Zuschauern gleichzeitig im Moment der Pointe gelang. Die Verschlüsselung war die Brücke, die die Kabarettisten den Kulturverantwortlichen und Zensoren baute, nicht die Fallgrube. Den komplexen Werken der Schriftsteller und dem Milieu, dem man viele von ihnen zurechnete, misstraute die Staatssicherheit viel mehr, zumal hier die Wirkung beim Rezipienten schwieriger zu erfassen war und immer auch eine Veröffentlichung im Westen drohte. 426

Unbequeme Aushängeschilder

Die Programminhalte der Kabaretts waren für die Staatssicherheit eher zweitrangig, diese Verantwortung lag bei der Kulturpolitik. Aufgabe des MfS war es hingegen – so legt es die Analyse zahlreicher Vorgänge nahe – Gefährdungen der Aushandlungsprozesse zwischen Kabaretts und Kulturverantwortlichen zu verhindern. Eine solche Gefährdung konnte eintreten, wenn die Autorität der Kabarettleitungen innerhalb des Ensembles in Frage gestellt wurde oder wenn sich die Kabarettisten nicht an die Zensurvorgaben hielten und damit einen Eklat bei der Premiere in Anwesenheit des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung provozierten. Kam es zu solchen Zwischenfällen oder traten besondere Ereignisse ein, etwa ein Programmverbot aufgrund einer Intervention aus Berlin wie im Fall der Leipziger Pfeffermühle, dann versuchte die Staatssicherheit Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Zügig wurden neue IM-Anwerbungen geplant, strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, Postkontrollen durchgeführt und Telefone abgehört. In der Regel endeten solche Phasen intensiver Überwachungstätigkeit – ähnlich wie beim Kabarett Schrot & Korn – nach zwei bis drei Jahren ohne rechtliche Folgen. Tatsächliche Interventionen wie Programmverbote, Absetzungen von Kabarettdirektoren oder Entlassungen aus dem Ensemble gingen jedoch in nahezu allen Fällen von der SED aus, so auch beim Kabarett Schrot & Korn. Anders war es lediglich bei Kabarettgruppen, die außerhalb der offiziellen Berufs- oder Amateurkabarettszene standen, wie kirchliche Kabaretts, nichtkirchliche Kabaretts unter dem Dach der Kirche oder informelle Gruppen mit Aufführungen in Privaträumen. Hier lag die politische Kontrolle vor allem bei der Staatssicherheit, die ungewollte Gruppen gegebenenfalls auch mit diversen Zersetzungsmethoden zerschlug oder es – wie beim ehemaligen musikalischen Leiter von Schrot & Korn – gar nicht erst zu eigenen Initiativen kommen ließ.54 Das Studentenkabarett RO hrSTOCK bildete angesichts der starken Überwachung durch das MfS eine bemerkenswerte Ausnahme im Bereich des Kabaretts. In den knapp 20 Jahren zwischen Kabarettgründung und dem Ende des MfS waren mindestens neun Ensemblemitglieder inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Eine derart hohe Anzahl gab es nur noch bei der schon 1953 gegründeten Berliner Distel, dem bekanntesten Berufskabarett der DDR, das seit den 1970er Jahren über zwei Spielstätten verfügte und einen großen Mitarbeiterstab hatte. Wie konnte es geschehen, dass ein Rostocker Studentenkabarett derart im Visier der Staatssicherheit stand? Eine einzelne Ursache gab es hierfür nicht, sondern vielmehr ein Ursachenbündel. Die ersten drei Jahre agierte ROhrSTOCK weitgehend unbeachtet von der Staatssicherheit. Dies änderte sich mit der Republikflucht eines Gruppenmitglieds unmittelbar vor Beginn der Weltfestspiele 1973 in Berlin. Die Rostocker MfS-Bezirksverwaltung sah beim Kabarett nun dringenden Aufklärungsbedarf und warb zwei Mitglieder als IM an.55 Dabei ging es auch um die Frage, ob einzelne Kabarettisten noch Kontakt zum ehemaligen Mitspieler im Westen hatten. Beide Quellen erwiesen sich als nicht sehr produktiv, so dass sich 427

Christopher Dietrich

Abb. 5: Szene aus dem 19. Programm des Studentenkabaretts ROhrSTOCK 1985.

die Staatssicherheit schließlich zur Anwerbung des Kabarettgründers und künstlerischen Leiters als IM „Detlef Hofer“ entschloss.56 Zwar handelte es sich bei „Detlef Hofer“ um einen eigenwilligen und bisweilen schwierig zu führenden IM, dennoch entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit, die bis 1989 währte und nicht auf die Berichterstattung über Mitglieder des Kabaretts beschränkt war. Innerhalb des ROhrSTOCK lag sein Aufgabenschwerpunkt auf der sogenannten „Wer-­ist-­wer-­Aufklärung“, gerade aufgrund des schnellen Darstellerwechsels wollte das MfS über die ROhrSTOCK-Mitglieder informiert sein. Die meisten von ihnen wurden daher durch den IM eingeschätzt. Für zahlreiche Personen gab das MfS zudem detailliertere Einzelberichte in Auftrag, die neben der Arbeit im Kabarett auch Charakterfragen, die politische Einstellung, den Familien- und Freundeskreis und weitere Informationen aus dem Privatleben behandeln sollten. Die Berichte fielen oftmals positiv aus und der Kabarettleiter dürfte dabei viele potenziell belastende Informationen verschwiegen haben, in einer Reihe von Einzelfällen gab er dennoch problematische Details preis. Die künstlerische Arbeit blieb hingegen ein Randthema. Zwar sollte „Detlef Hofer“ gelegentlich Texte, Programm-­Konzeptionen sowie inhaltliche Einschätzungen der ROhrSTOCK-Arbeit vorlegen, jedoch wurde er nur in Ausnahmefällen aufgefordert, zu konkreten Textpassagen Stellung zu nehmen. „Detlef Hofer“ allein vertraute die Staatssicherheit jedoch nicht und suchte daher wenigstens eine weitere Quelle zur Kontrolle des Leiters, der zu diesem Zeitpunkt auch der 428

Unbequeme Aushängeschilder

wichtigste Texter der Gruppe war. Zwei geplante Anwerbungen scheiterten, ehe sich ein weiteres Kabarettmitglied 1977 als IM „Walter Schmidt“ verpflichtete.57 Seine Aufgabe war es nicht nur, „die ideologische Wirksamkeit der Studentenkabaretts ROhrSTOCK einzuschätzen und rechtzeitig negative Tendenzen zu erkennen und zu verhindern“, sondern auch den künstlerischen Leiter hinsichtlich seiner politischen Zuverlässigkeit zu überprüfen.58 Im Jahr 1979 wurden zwei weitere Gruppenmitglieder als inoffizielle Mitarbeiter angeworben, in einem Fall geschah dies allerdings durch die für Auslandsspionage verantwortliche Abteilung XV der MfS-Bezirksverwaltung Rostock.59 Berichte zu ROhrSTOCK wurden dabei wohl nur sporadisch angefordert – die Akte ist, wie ein Großteil der Akten der Auslandsspionage, bis auf wenige Fragmente vernichtet. Bis 1982 hatten alle IM mit Ausnahme von „Detlef Hofer“ das Kabarett wieder verlassen. Es war für die zuständige Abteilung XX der Bezirksverwaltung Rostock daher ein günstiger Zufall, dass ein Student ins Kabarett aufgenommen wurde, der bereits in jungen Jahren unter dem Decknamen „Willi Ruby“ für die Staatssicherheit in seinem Heimatkreis angeworben worden war und nun übernommen werden konnte.60 „Willi Ruby“ entwickelte sich zum zweiten Hauptautor des Kabaretts und übernahm bald ebenfalls Leitungsfunktionen. Seine Hauptaufgabe als IM war die „op[erative] Kontrolle und Aufklärung der Mitglieder des Kabaretts ROhrSTOCK“, einschließlich des Leiters.61 Neben dem künstlerischen Leiter und seinem potenziellen Nachfolger verfügte das MfS in den 1980er Jahren noch über eine dritte Quelle im Kabarett: IM/GMS „Dieter Schneider“ 62, der mit fast 500 Auftritten zwischen 1980 und 1987 zu den aktivsten Mitgliedern zählte. Auch er war eigentlich für eine spätere Tätigkeit bei der Auslandsspionage angeworben worden, seine Berichte über das Kabarett dienten zunächst nur zur Überprüfung der Ehrlichkeit und Fähigkeiten des IM. Schließlich zerschlug sich diese Perspektive. Als kulturpolitischer Mitarbeiter der FDJ-Hochschulgruppenleitung wurde er schließlich von der auch für ROhrSTOCK zuständigen Abteilung XX der MfS-Bezirksverwaltung Rostock übernommen. Die ebenfalls geplante Anwerbung des musikalischen Leiters der Gruppe, der auch viele kritische Liedtexte beitrug, scheiterte hingegen.63 Auch im Umfeld des Kabaretts wurden immer wieder IM zur Berichterstattung über ROhrSTOCK eingesetzt: Hochschuldozenten bewerteten einzelne Texte unter politisch-­ ideologischen Aspekten, ein Mitarbeiter des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit berichtete über Einstufungsveranstaltungen, der befreundete Leiter des Rostocker Jugendkabaretts Klabauterschüler informierte über Gespräche mit dem ROhrSTOCK-Leiter, Studenten besuchten Auftritte und schätzten für die Staatssicherheit die Programme und vor allem die Publikumswirkung ein.64 Wie kam es zu dieser starken Überwachungstätigkeit gegenüber ROhrSTOCK? Anders als bei Laienkabaretts üblich war für ROhrSTOCK nicht die lokale MfS-Kreisdienststelle, sondern die Bezirksverwaltung zuständig, die sich im Kulturbereich ansonsten um größere Institutionen wie das Volkstheater kümmerte und über höhere personelle Ressourcen verfügte. Damit konnte auch die Kontrolle des Studentenkabaretts intensiver erfolgen, 429

Christopher Dietrich

das hier offensichtlich die Stelle des fehlenden Berufskabaretts einnahm. Zwar gab es auch bei anderen Amateurkabaretts inoffizielle Mitarbeiter unter den künstlerischen Leitern, doch die Kombination aus großer Bekanntheit, problematischen Vorkommnissen (Republikflucht, Verhaftung), starker Mitgliederfluktuation und einer politisch nicht zweifelsfrei zuverlässigen Leitungspersönlichkeit (IM „Detlef Hofer“) trat nicht sehr häufig auf. Bei den Scholaren gab es bis Ende der 1970er Jahre weder dieses auslösende Moment noch die gewisse Skepsis gegenüber der politischen Einstellung der Akteure. Auch Schrot & Korn hatte die unter anderem für Kultur zuständige Abteilung XX kaum im Blick, die Vorgänge um den musikalischen Leiter bearbeitete die Abteilung XVIII, die für den Schutz der DDR-Volkswirtschaft und damit auch für das Forschungszentrum in Rostock-­Dummerstorf verantwortlich war. Dies führte zu wichtigen Informationsverlusten. So bekam die Abteilung XVIII, die nach den Problemen um den musikalischen Leiter einen inoffiziellen Mitarbeiter für das Kabarett suchte, zunächst gar nicht mit, dass der neue musikalische Leiter bereits als IM für die Abteilung XX tätig war. Das Interesse an der Verankerung inoffizieller Mitarbeiter bei ROhrSTOCK hatte aber noch einen anderen wichtigen Grund. IM hatten in diesem Bereich zumeist nicht nur ein einziges Aufgabenfeld, sondern berichteten auch über andere Vorgänge. Die Mitglieder des ROhrSTOCK, insbesondere die Leiter, waren hervorragend vernetzt und verfügten über die fachliche Kompetenz, andere Kabaretts, Theateraufführungen und Kulturgruppen künstlerisch und politisch einzuschätzen. Das MfS nutzte sogar bewusst den Ruf der Kabarettisten als eher unbequeme Kritiker und verband damit die Hoffnung, dass sich Personen mit kritischer Haltung diesen IM eher öffneten. Offen linientreue Studenten waren aus Sicht des MfS hingegen eher uninteressant.65 Damit wurden das Kabarett und seine Akteure zugleich überwacht und instrumentalisiert. Hinzu kam schließlich, dass die Rostocker MfS-Bezirksverwaltung das Kabarett als Genre kritischer betrachtete, als das in vielen anderen Bezirken der Fall war. So geriet die Rostocker Bezirksverwaltung noch am 16. Oktober 1989 wegen einiger harmloser Scherze eines Stralsunder Betriebskabaretts über Erich Honecker in helle Aufregung. Man wollte sofort alles in Bewegung setzen, um weitere Auftritte dieser Gruppe zu verhindern.66 Zwei Tage später trat Honecker zurück. Kabarett in der DDR war keine widerständische Kunstform, das galt auch für Die Scholaren/ Schrot & Korn und für ROhrSTOCK. Trotz gewisser Freiräume lehnten viele DDR-Bürger eine durch Konzeptionen, Selbstzensur und Abnahmen gezähmte Satire ab und mieden das Kabarett. Doch auch die vorhandenen Möglichkeiten der kabarettistischen Kritik ergaben sich nicht von selbst, es bedurfte der Kabarettisten und Autoren, die Freiräume beanspruchten und die Grenzen des Erlaubten damit nach und nach verschoben. Gerade im Amateurbereich gab es viele Gruppen, die diesen Anspruch nicht hatten und sich bis zum Schluss in erster Linie als humorvolle Propagandisten der Partei verstanden. Andere Kabaretts versuchten ihre Möglichkeiten beständig zu erweitern. Das sorgte mit dafür, 430

Unbequeme Aushängeschilder

dass aus den kulturpolitischen Vorstellungen eines sozialistischen Kabaretts als Waffe gegen den Klassenfeind und Erzieher der eigenen Bürger ein Genre wurde, in dem trotz aller Tabugrenzen immer öfter grundsätzlichere Fragen gestellt wurden: zu Schwächen der Planwirtschaft, zur fehlenden Reisefreiheit, zur Medienpolitik – selbst das Wahlsystem wurde in den 1980er Jahren zum Teil kritisch hinterfragt. Die Kompromisse, die die Kabaretts dafür eingehen mussten, waren sehr unterschiedlich. ROhrSTOCK gehörte mehr noch als Die Scholaren/Schrot & Korn zu jenen Gruppen, die in den Programmen zu Grenzüberschreitungen bereit waren. Der Preis dafür war in diesem Fall eine starke Kooperation mit der SED und dem MfS. Ob die notwendigen inhaltlichen Zugeständnisse ohne eine solche Zusammenarbeit größer gewesen wären, bleibt spekulativ. Insbesondere die MfS-Zuarbeit war mit Blick auf das Genre insgesamt allerdings keine Voraussetzung, um kritisches Kabarett machen zu dürfen. Das Kabarett ROhrSTOCK hat den Übergang in die Bundesrepublik auch wegen seines guten Rufes aus DDR-Zeiten gemeistert und ist heute neben dem Magdeburger Prolästerrat für Studienungelegenheiten das einzige Studentenkabarett aus der DDR, das noch existiert – allerdings völlig unabhängig von der Universität Rostock. Schrot & Korn stellten ihre Auftrittstätigkeit Ende der 1990er Jahre endgültig ein.

431

Christopher Dietrich

Anmerkungen

1

Der Artikel verbindet Forschungsergebnisse zu den Rostocker Kabaretts (Dietrich 2006 und 2013) mit Erkenntnissen zum Kabarett in der DDR insgesamt (Dietrich 2016). 2 Vgl. Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, Rk/C/36 (Bestand ROhrSTOCK). 3 Vgl. Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, Rk/C/46 (Bestand Schrot & Korn). 4 Vgl. Landesarchiv Greifswald, Rep. 200, 8.4.1, Nr. 25, Bezirkskabinett für Kulturarbeit Rostock: Konzeption zur Durchführung der 25. Veranstaltung „Amateurkabarett im Kleinen Haus des Volkstheaters Rostock“, o. D. [1985]. 5 Vgl. zur Distel: Dietrich 2016, 130 – 159. 6 Vgl. Kulturpolitisches Wörterbuch 1970, 560 – 562. 7 Vgl. Buchwald 1984. 8 Vgl. Kulturpolitisches Wörterbuch 1970, 288 – 291. 9 Es gab auch immer wieder Gruppen, die diese Vorgabe nicht erfüllten und dennoch auftreten konnten. Im Bereich des Laienkabaretts war dies auf wenige Ausnahmen beschränkt, bei Musikbands nahm der Anteil der Gruppen ohne Träger insbesondere in den 1980er Jahren immer mehr zu, weil viele Veranstalter in Kulturhäusern und ähnlichen Auftrittsorten die entsprechende Bestimmung ignorierten. Effektive Kontrollmechanismen gab es außerhalb der größeren Städte kaum (vgl. zum Beispiel: Landesarchiv Greifswald, Rep. 200, 8.4.1, 24, Rat des Bezirkes Rostock: Einschätzung der Wirksamkeit der Stadt- und Kreiskabinette für Kulturarbeit im Bezirk Rostock, 28. 12. 1988). 10 Vgl. Landesarchiv Greifswald (Rep. 200, 8.4.1, 11), Amateurkabarett, Zentralhaus für Kulturarbeit: Methodische Hinweise für die Arbeitsweise der Jurys bei der Durchführung von Leistungsvergleichen auf dem Gebiet des Amateurkabaretts, o. D. [1981]. 11 Vgl. Anordnung über die Anerkennung der künstlerischen Qualität und Einstufung der Volkskunstkollektive und Solisten [vom 25. Mai 1971], in: Gesetzblatt der DDR  II, Nr. 48, 365; Anordnung Nr. 2 über die Anerkennung der künstlerischen Qualität und Einstufung der Volkskunstkollektive und Solisten [vom 21. Juni 1979], in: Gesetzblatt der DDR I, Nr. 20, 189. 12 Vgl. zum Beispiel Universitätsarchiv Rostock, R 733, Abteilung für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit: Maßnahmeplan für die Entwicklung des geistig-­kulturellen Lebens an der Wilhelm-­Pieck-­Universität Rostock im Studienjahr 1977/78. 13 Vgl. Braun 1996. 14 Es handelte sich um folgende Ensembles, die mit Ausnahme der Kneifzange über eigene Spielstätten verfügten: Die Distel (Berlin), Leipziger Pfeffermühle, Die Herkuleskeule (Dresden), Kneifzange (Kabarett der Nationalen Volksarmee, Berlin), Die Kiebitzensteiner (Halle), Fettnäppchen (Gera), academixer (Leipzig), Kugelblitze (Magdeburg), Die Oderhähne (Frankfurt an der Oder), Kabarett am Obelisk (Potsdam), Arche (Erfurt) und Lachkartenstanzer (Karl-­Marx-­Stadt). 15 Vgl. SAPMO-BArch, DY 34, Nr. 1623, FDGB-Bundesvorstand: Forum anläßlich der Ausscheide der Agit-­Prop-­Gruppen, der polit.-satir. Kabaretts, der Rezitatoren und Interpreten von Songs und Chansons, 14. 12. 1958, 25. 16 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30, IV/B/2/9.06/85, Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Helmut Hanke: Unterhaltung im Sozialismus, Dezember 1977. 432

Unbequeme Aushängeschilder

17 Vgl. Archiv der Akademie der Künste Berlin, VT 1117, Verband der Theaterschaffenden: Jahresanalyse und Statistik. Kabarett 1984; Landesarchiv Greifswald, Rep. 200, 8.4.1, Nr. 11, Heinz Billhardt: Referat der Fachberatung „Amateurkabarett der DDR“ am 11. und 12. Dezember 1987, 10. 18 Vgl. Archiv der Akademie der Künste Berlin, ZfK 486, Zentralhaus für Kultur: Problemspiegel für die Beratung des Stellv. des Ministers für Kultur mit der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Amateurkabarett am 13. 4. 1984 in Leipzig, 14. 3. 1984. 19 Vgl. Dalk/Ruschke 2000, 30; Otto/Rösler 1981, 388. 20 Vgl. zum Beispiel Landesarchiv Greifswald, Rep. 200 II, 8.4, Nr. 89, FDGB-Bezirksvorstand Rostock: Bericht über die politisch-­ideologische und künstlerisch-­organisatorische Vorbereitung des bezirklichen Beitrags zu den 21. Arbeiterfestspielen der DDR 1986 im Bezirk Magdeburg, 14. 4. 1986. 21 Vgl. Dietrich 2006, 51 f. 22 Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, Rk/H/2,5, Beratergruppe Kabarett (Beate Herrmann, Heinz Billhardt): Festspieleinschätzung „Die Scholaren“, o. D. [1978]. 23 Kabarett ROhrSTOCK: Die Saat, zitiert nach: Dietrich 2006, 38. 24 Kabarett ROhrSTOCK: Das Band, zitiert nach: Dalk/Ruschke 2000, 23 – 26. 25 Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, AV-H1, Nr. 0007, Kabarett ROhrSTOCK: FDJ-Kocher, (Videoaufnahme). 26 Vgl. Kesting 1982, 22 f. 27 Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, AV-H1, Nr. 0006, Kabarett Schrot & Korn: Kuchen (Videoaufnahme). 28 Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, AV-H1, Nr. 0006, Kabarett Schrot & Korn: Schorschlied (Videoaufnahme). 29 Deutsches Kabarettarchiv, Außenstelle Bernburg, AV-H1, Nr. 0006, Kabarett Schrot & Korn: Ausgang (Videoaufnahme). 30 SAPMO-BA rch, DY 30, Nr. 18582, Grußadresse der Teilnehmer der 2. Werkstatttage der Berufskabaretts an Erich Honecker, o. D. [1981], S. 2. – Die Grußadresse wurde laut einem entsprechenden Vermerk vom gesamten Politbüro zur Kenntnis genommen. 31 Vgl. SAPMO-BArch, DY 34, Nr. 11667, Amateurkabarettisten, Teilnehmer und Gäste des 3. Zentralen Leistungsvergleiches: An den Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB, Kollegen Harry Tisch, Januar/Februar 1980, 3. – Das Sekretariat betonte gegenüber Tisch ausdrücklich, dass alle teilnehmenden Kabaretts unterschrieben hatten. 32 Buske 1987, 64. 33 Landesarchiv Greifswald, Rep. 200, 8.4.1, Nr. 10, Kabarett Schrot & Korn: Vorrede – Nachrede. 34 Vgl. Dietrich 2006, 44 – 46. 35 Vgl. Zeitzeugengespräch mit Dr. Gisela Oechelhaeuser am 21. Mai 2010. 36 Vgl.: Dalk/Ruschke 2000, 26. 37 Ensikat 2007, 75. 38 Vgl. Landesarchiv Greifswald, Rep. 200, 8.4.1, Nr. 10, Kabarett Schrot & Korn: Programmkonzeption des Kabaretts „Schrot und Korn“ des FZ Tierproduktion Dummerstorf-­Rostock, Kreis Rostock-­Land für 1983/84, [o. D.]. 39 Vgl. Dietrich 2016, 22 – 24. 40 Vgl. Klammer 2005, 66; Zeitzeugengespräch mit Dr. Gisela Oechelhaeuser am 21. Mai 2010. 433

Christopher Dietrich

41 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AOP 1966/79. 42 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AIM 4264/90. 43 Vgl. Dietrich 2009, 99 – 111. Der Betroffene kam nach siebenmonatiger Haft aufgrund einer Amnestie vorzeitig frei. Das Landgericht Rostock hob das Urteil 1992 als rechtsstaatswidrig auf. 44 Vgl. Dietrich 2006, 46 – 48. 45 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 46 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 47 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 48 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 49 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 50 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 51 BStU, MfS (Rostock), AOP 204/86. 52 BStU, MfS (Rostock), AIM 60/85. 53 Vgl. zusammenfassend zur MfS-Überwachung des DDR-Kabaretts: Dietrich 2016, 674 – 687. 54 Vgl. Dietrich 2016, 637 – 671. 55 BStU, MfS (Rostock), AIM 2890/76; BStU, MfS (Rostock), AIM 918/80. 56 BStU, MfS (Rostock), AIM 4264/90. 57 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AIM 1561/90. 58 BStU, MfS (Rostock), AIM 1561/90. 59 BStU, MfS (Rostock), Reg.-Nr. I/543/79. 60 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AIM 4086/90. 61 BStU, MfS (Rostock), AIM 4086/90. 62 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AGMS 4026/90. 63 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AIM 1906/87. 64 Vgl. Dietrich 2006, 55 – 71. 65 Vgl. BStU, MfS (Rostock), AIM 1611/89. 66 Vgl. BStU, MfS (Rostock), Abt. XX, Nr. 421.

434

Unbequeme Aushängeschilder

Quellen- und Literaturverzeichnis

Braun, Matthias (1996), Drama um eine Komödie. Das Ensemble von SED und Staatssicherheit, FDJ und Ministerium für Kultur gegen Heiner Müllers „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ im Oktober 1961, Berlin. Buchwald, Sabine (1984), „Welche Aufgaben und Verantwortung hat ein Trägerbetrieb?“, in: Zentralhaus für Kulturarbeit: Argumentationen – Meinungen – Standpunkte zur Diskussion in Vorbereitung der IV. Volkskunstkonferenz der DDR, Leipzig, 7 – 10. Bühl, Harald et al. (Hgg.) (1970), Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin. Buske, Peter (1987), „Scharfschüsse von ‚Schrot & Korn‘. Porträtversuch in drei Abteilungen“, in: Ernst Günther/Wolfgang Lange/Walter Rösler (Hgg.): Kassette 10. Ein Almanach für Rock, Pop, Schlager, Revue, Zirkus, Kabarett, Magie, Berlin (Ost), 60 – 68. Dalk, Wolfgang/Ruschke, Michael (2000), 30 Jahre Kabarett ROhrSTOCK, Rostock. Dietrich, Christopher (2006), Schild, Schwert und Satire. Das Kabarett ROhrSTOCK und die Staatssicherheit, Rostock. Dietrich, Christopher (2013), „Der doppelte Boden der Satire. Ein Studentenkabarett im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit“, in: Jan Cölln, Franz-­Josef Holznagel (Hgg.): Positionen der Germanistik in der DDR. Personen – Forschungsfelder – Organisationsformen, Berlin et al., 608 – 632. Dietrich, Christopher (2016), Kontrollierte Freiräume. Das Kabarett in der DDR zwischen MfS und SED, Berlin. Ensikat, Peter (2007), „Gedanken zur Geschichte und Wirkung des Kabaretts in der DDR“, in: Tobias Glodek/Christian Haberecht et al. (Hgg.), Politisches Kabarett und Satire, Berlin, 74 – 79. Kesting, Ulrich (1982), „Kabarett ‚Schrot & Korn‘ zum Thema DSF. Der lange Weg zur ‚Inte­ gration‘“, in: Szene 3, 22 f. Klammer, Jürgen (2005), Woll’n wir doch mal ehrlich sein. Die Kabarett-­Biografie von Edgar Külow, Berlin. Otto, Rainer/Rösler, Walter (1981²), Kabarettgeschichte. Abriß des deutschsprachigen Kabaretts, Berlin (Ost).

435

Kersten Krüger

Von der „Forschungsbibliothek zur DDR-Geschichte“ 1995 zum „Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland“ 1998 Ein Zeitzeugenbericht

Als im Januar 1990 Studenten aus Rostock zu mir nach Hamburg in das Historische Seminar der Universität kamen, um mich für Rostock anzuwerben, wurde mir klar, dass bei einer Erneuerung des Fachs Geschichte dort die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR einen wichtigen Platz einnehmen müsse. Die später folgende Hochschulerneuerung durch die Gründungskommission für das Fach Geschichte in Rostock blieb davon weit entfernt. Die Mindestausstattung des Fachbereichs Geschichte – später Historisches Institut – bestand aus vier Professuren in chronologischer Abfolge: Mittelalter, Neuzeit (1500 – 1800), Neueste Zeit (nach 1800) und Zeitgeschichte. So war es ein Glücksfall, dass 1995 mit der Berufung von Werner Müller 1 auf die Professur für Zeitgeschichte nach 1945 ein motivierter Historiker der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus – aus der Schule von Hermann Weber in Mannheim – gewonnen wurde, der wissenschaftlich wie auch persönlich an der Geschichte der DDR großes Interesse hatte. Werner Müller und ich waren sogleich einig in der Verfolgung unserer Ziele und stellten bereits im Juli 1995 einen Antrag an den Rektor der Universität Rostock auf „Einrichtung einer Landesforschungsstelle für die Geschichte der DDR“.2 Die im Antrag vom 22. Juni 1995 aufgelisteten dringlichen Forschungsfelder haben bis heute nicht an Relevanz verloren: •• Zweierlei Gründung: Die Bildung des Lands 1945 und 1990 im Vergleich •• Die Geschichte der Staatssicherheit •• Die Agrargeschichte Mecklenburg-­Vorpommerns •• Vorgeschichte und Geschichte der Wende in Mecklenburg-­Vorpommern •• Alltag, Leben und Lebensverhältnisse in der DDR •• Kirchen und theologische Fakultäten/Sektionen in Mecklenburg und Vorpommern •• Justiz in der DDR •• Geschichte der Hochschulen und der Wissenschaftsentwicklung Diese Forschungen haben in der Zwischenzeit – von 1999 bis 2018 – zu 22 abgeschlossenen Dissertationen in den entsprechenden Themenbereichen geführt. Einige stehen noch aus. 3 Den Antrag billigte der Akademische Senat im Oktober 1995,4 leider ohne Ressourcen bereitstellen zu können. Wir waren angesichts der desolaten Finanzlage der Universität 437

Kersten Krüger

wie des Lands ganz mutig, fast möchte man sagen leichtsinnig, einen solchen Antrag zu stellen. Doch gelang uns mit Geduld und Kraft allmählich die Verwirklichung in zwei Stufen: 1. Einrichtung einer Forschungsbibliothek, darauf aufbauend, 2. Gründung der Forschungsstelle als Dokumentationszentrum.

Die Forschungsbibliothek Wir begannen als Jäger und Sammler, Überreste der DDR zu retten, die überall weggeworfen wurden: Bücher, „graue“ Literatur, also nicht veröffentlichte gedruckte Schriftquellen, Zeitungen (etwa das „Neue Deutschland“ und den kompletten „Demokrat“), Sachüberreste wie Schallplatten, Schulungsfilme und Tonbänder mit entsprechenden Abspielgeräten, Bilder und Plakate. Die Universität unterstützte uns durch Bereitstellung von Räumen für die Forschungsbibliothek, und zwar in massiven Baracken in Lich­ tenhagen, die ursprünglich als Unterkünfte für Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg, danach als Studentenwohnheime der 1992 abgewickelten Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde/Wustrow gedient hatten (Abb. 1).5 Alle Räume waren leer, Regale bekamen wir von der Universitätsbibliothek, Möbel beschafften wir uns aus der ehemaligen Bezirksparteischule in Lichtenhagen, die eine Zeit lang als Kongresshotel gedient hatte und für wenige Tage der Universität gehörte.6 In dieser kurzen Zeitspanne fuhren wir mit dem noch vorhandenen Kleinlastwagen der Universität (einem IFA-Robur) vor und entnahmen – in Absprache mit der Beschaffungsstelle der Universität (Frau Wenk) und mit Hilfe des Hausmeisters Hüttig – alle nützlichen Möbelstücke und verbrachten sie in die Forschungsbibliothek. Für diese Aktionen zog ich meinen Blaumann an, und als der Soziologe Peter Voigt mich einmal darin sah, bemerkte er anerkennend: „Sie kommen ja dem Ideal der allseits entwickelten sozialistischen Persönlichkeit sehr nahe!“ Als eine Art Vorlauf veranstaltete die Forschungsstelle am 22. April 1996 eine Tagung in der Aula zum Thema „50 Jahre SED“,7 auf der sich eine lebhafte Diskussion mit Rolf Badstübner 8 über die freiwillige oder erzwungene Vereinigung von SPD und KPD 1946 entspann. „Zwangsvereinigung ist mit mir nicht zu machen“, resümierte Badstübner. Die Eröffnung der Forschungsbibliothek fand am 4. Oktober 1996 in Anwesenheit der Kultusministerin, Regine Marquardt,9 und Vertretern der Universität statt. Der Justizminister ließ durch seinen Staatssekretär, Achim Babendreyer, seine Unterstützung für das Projekt erklären (Abb. 2 – 4).10 Wir hatten in dieser Bibliothek inzwischen rund 10.000 Einheiten versammelt, 1998 waren es bereits 45.000. In die Bibliothek wurden integriert:

438

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Abb. 1: Massive Baracken wie das Gebäude „Zum Laakkanal 11“ wurden für die Forschungsbibliothek der DDR-Geschichte genutzt.

•• die Privatbibliothek von Roland Bude aus Swisttal-­Buschhoven, •• die Bibliothek des ehemaligen Bereichs DDR-Geschichte am Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung (ergänzt durch Geschenke von Mitarbeitern), •• die Bibliothek der Heimvolkshochschule der Friedrich-­Ebert-­Stiftung Würzburg, •• Doubletten der ehemaligen Bibliothek des DGB, •• Teilbestände der ehemaligen Bibliothek für Marxismus/Leninismus der Universität Rostock. Im März 1997 hielten wir in der Bibliothek eine Tagung mit Zeitzeugen der DDR ab. Die Tonbandprotokolle sind transkribiert und zum Teil veröffentlicht.11

439

Kersten Krüger

Abb. 2: Die Eröffnung der Forschungsbibliothek am 4. Oktober 1996 begleiteten unter anderem die Kultusministerin Regine Marquardt, der Kanzler der Universität Rostock Joachim Wittern (links) sowie der Dekan Dieter Nerius (ganz rechts).

Abb. 3: Werner Müller (stehend), Stefan Kroll (links) und Ulrich Bongertmann (rechts) bei der Eröffnung der Forschungsbibliothek am 4. Oktober 1996. Abb. 4: Zur Eröffnung der Forschungsbibliothek präsentiert Kersten Krüger ein Plakat eines Trabis mit der Aufschrift: „Er läßt fast alles mit sich machen“.

440

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Das Dokumentationszentrum des Lands Mecklenburg-­ Vorpommern für die Opfer der Diktaturen in Deutschland Der nächste Schritt bestand in der Gründung des Dokumentationszentrums. Als Vorbereitung dürfen in gewissem Sinne die Aktivitäten der 1995 vom Landtag eingesetzten Enquète-­Kommission gelten: „Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung“.12 Hier berichteten Zeitzeugen über ihre Erfahrungen, zu einer befriedigenden Aufarbeitung kam es jedoch nicht. Häufig gerieten die Aussagen in den Streit der Parteien. Im Interesse einer längerfristigen Aufarbeitung legten im gleichen Jahr die Regierungsparteien CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung für die zweite Legislaturperiode ab 1995 als Ziel fest: „Einrichtung eines Dokumentationszentrums zur Zeitgeschichte im ehemaligen Stasi-­Gefängnis am Demmlerplatz in Schwerin“. Von Rostock war noch keine Rede, obwohl auch hier ein authentisches Gebäude der Unterdrückung durch die Staatssicherheit existierte: das Untersuchungsgefängnis in der Hermannstraße 34b, gebaut 1958 – 1960, in dem die Erfahrungen der Gefangenen durch die Atmosphäre des Gebäudes besonders eingängig nachempfunden werden konnten. Das Rostocker Gefängnis hatte die Justiz 1992 geräumt und dem Grundbuchamt überlassen. Als dieses 1994 in einen Neubau zog, wollte die Justiz das Gebäude abbrechen und in einem Neubau Sitzungssäle einrichten. Das haben wir in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz verhindert. Zusammen mit der damaligen Amtsleiterin des Rostocker Denkmalschutzes, Frau Dr. Michaela Selling,13 betrachtete ich aus der sechsten Etage der August-­Bebel-­Straße 28 den Gefängniskomplex: Wachturm, Mauer, Schranke mit Wachhäuschen und Peitschenleuchte und vor allem das Gefängnis. „Das gesamte Ensemble muss unter Denkmalschutz!“ „Dazu brauche ich den Antrag eines Bürgers.“ „Der Antrag ist hiermit gestellt.“ Am Tag darauf wurde ihm entsprochen. Der Abriss fand nicht statt. Auf der Ebene der Universität hatten wir mit der Einrichtung der Forschungsbibliothek das Mögliche erreicht. Ein besserer, das heißt zentraler Standort ließ sich nur auf höherer Ebene des Lands – Regierung und Landtag – erlangen. Daher verhandelten wir im Herbst und Winter 1996/97 mit den beteiligten Ministerien (Kultus und Justiz) sowie allen Fraktionen des Landtags (CDU , SPD , PDS ) über die Einrichtung der von uns gewünschten Forschungsstelle am Standort des ehemaligen Gefängnisses in Rostock.14 Insbesondere der Landtagspräsident, Rainer Prachtl,15 war begeistert. Allerdings hatte er, wie alle anderen, kein Geld für das Projekt. Auf der Regierungsebene kamen wir weiter. In einem persönlichen Gespräch meinte der Wirtschaftsminister, Harald Ringstorff, der spätere Ministerpräsident:16 „Wenn ihr zwei Stellen braucht, dann gibt die Regine [Marquardt, Kultusministerin] eine, und der Rolf [Eggert, Justizminister]17 gibt eine – dann haben wir es doch.“ So leicht ging es freilich nicht. 441

Kersten Krüger

Abb. 5: Die Schweriner Volkszeitung thematisiert die Standort-­Debatte in einem Artikel vom 6. Dezember 1997.

Das Justizministerium erklärte sich zwar bereit, das Rostocker ehemalige Gefängnis – für die Justiz war es nicht mehr verwendbar – an das Kultusministerium zu übertragen, aber weitergehende Zusagen waren ausgeschlossen. Das Kultusministerium gab das Gebäude gleich weiter an die Universität Rostock als Standort für das geplante Dokumentationszentrum, offen blieb dabei jedoch die Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln. Gleichzeitig kam es aufgrund von gegenstimmigen Pressekampagnen zu Komplikationen in der Umsetzung der Standortfrage (Abb. 5). Die Regierung entschied sich für einen Kompromiss. Sie gab ihre Entscheidung in einer „Unterrichtung des Landtages“ bekannt, womit das „Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-­Vorpommern für die Opfer der Diktaturen in Deutschland“ mit zwei Standorten gegründet wurde: Schwerin (Demmlerplatz) und Rostock (Hermannstraße 34 b), beide unter der Leitung der Universität Rostock, konkret der Professur für die Zeitgeschichte nach 1945. Sachmittel und zwei Personalstellen wurden in Aussicht gestellt. Nun ist die Universität primär 442

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

eine Einrichtung der Forschung und Lehre, weniger hingegen der Ausstellungen und musealer Präsentationen, die im authentischen Gebäude der Staatssicherheit ihren Platz finden sollten und auch fanden. Für diesen Bereich konnte durch Fürsprache von Ingo Richter, einem der Erstbesetzer des Gefängnisses der Staatssicherheit am 4. Dezember 1989,18 Joachim Gauck gewonnen werden,19 damals der „Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ (BStU), kurz der Chef der sogenannten Gauck-­Behörde. Er sagte zu, die Ausstellung seiner Behörde vom Standort Waldeck nach Rostock zu verlagern und personell betreuen zu lassen. Die Präsentation wurde ein großer Erfolg mit jährlich bis zu 20.000 Besuchern, darunter ca. 2000 Schüler in Projekttagen und Führungen, und intensiver Betreuung von Opfern sowie vielen (nicht gezählten) öffentlichen Veranstaltungen. Die feierliche Eröffnung des Dokumentationszentrums fand am 16. September 1998 statt,20 in Anwesenheit der Kultusministerin, Regine Marquardt, des Justizministers, Rolf Eggert, des Bundesbeauftragten, Joachim Gauck, des Oberbürgermeisters der Hansestadt Rostock, Arno Pöker,21 der Leiterin des Denkmalschutzes, Dr. Michaela Selling, des Bildhauers Axel Peters 22 sowie als Vertretern der Universität des Prorektors, Wolfgang Riedel,23 des Kanzlers der Universität, Joachim Wittern,24 des Dekans der Philosophischen Fakultät, Hans Jürgen Wendel,25 und des Prodekans, Dieter Nerius (Abb. 6 – 9).26 Auch die Fachvertreter Werner Müller und Kersten Krüger waren vor Ort. Wie von der Kultusministerin in ihrer Eröffnungsrede versprochen, wurde die Frage der Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln „geklärt“. Die beiden Standorte Rostock und Schwerin erhielten zusammen 20.000 Mark Sachmittel jährlich und zwei Personalstellen, die erste durch Versetzung der persönlichen Referentin der Ministerin, Anke Prinzler, aus dem Kultusministerium in Schwerin, die zweite zur freien Besetzung in Rostock. Stelleninhaber in Rostock wurde Fred Mrotzek. Ein Beirat, bestehend aus 17, später 11 Mitgliedern, begleitete die Arbeit des Dokumentationszentrums. Die Protokolle der 12 Sitzungen von 1998 bis 2008 liegen vor; eine weitere Sitzung fand 2009 statt.27 Selbst wenn der bauliche Zustand des ehemaligen Gefängnisses noch zu wünschen übrig ließ, deuteten alle Zeichen auf eine erfolgreiche Zukunft des Dokumentationszentrums, die sich in Kooperation mit dem Bundesbeauftragten auch einstellte. Die Forschungsbibliothek zog ein. Sie wuchs vor allem durch Schenkungen, von denen – außer den schon erwähnten – die der „Sozialdemokratischen Bücherei“ hervorzuheben ist, die Helmut Schmidt 28 am 20. Februar 2002 in einer Feierstunde in der Aula symbolisch übergab (Abb. 10).29 Es war die in der Öffentlichkeit und den Medien am stärksten beachtete Veranstaltung des Dokumentationszentrums. Etwa 300 Zuhörer nahmen daran teil. Die Bücherei entstand mit Unterstützung der Albert-­Schulz-­Stiftung, die der Universität und dem Dokumentationszentrum umfangreiche Bücherspenden zukommen ließ. Dabei handelt es sich vor allem um Literatur, die während des Bestehens der DDR nicht angeschafft werden konnte.30 443

Kersten Krüger

Abb. 6: Einladung zur Eröffnung des Dokumentationszentrums am 16. September 1998.

Abb. 7: Der Eröffnung des Dokumentationszentrums am 16. September 1998 wohnen unter anderem Kultusministerin Regine Marquardt, der Bundesbeauftragte Joachim Gauck, Oberbürgermeister Arno Pöker und der Dekan Hans Jürgen Wendel bei (von links nach rechts).

444

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Abb. 8: Die Ausstellung „Alfred Eberlein“ im ehemaligen Gefängnis.

Abb. 9: Die zweite und dritte Etage des ehemaligen Gefängnisses.

445

Kersten Krüger

Abb. 10: Die Übergabe der „Sozialdemokratischen Bücherei“ am 20. Februar 2002 in der Aula wohnten unter anderem Loki Schmidt, Helmut Schmidt und Rektor Günter Wildenhain bei (von links nach rechts).

Im Laufe der Zeit stellten sich zunehmend Dissonanzen im Verhältnis zum Standort Schwerin ein, weshalb im Jahr 2005 die Standorte einvernehmlich getrennt wurden.31 Rostock verblieb bei der Universität, während der Standort Schwerin seither von der Landeszentrale für politische Bildung geleitet wird.32 Nachteile ergaben sich für Rostock daraus nicht. Das Dokumentationszentrum florierte und konnte mit Erfolg die Bereitstellung von Bundes- wie Landesmitteln für die fällige Sanierung des ehemaligen Gefängnisses anregen. Diese hat entsprechend der Konzeption des Dokumentationszentrums gerade begonnen. Das bedeutet zwar eine Unterbrechung der räumlichen Ausstattung, aber wir hoffen auf einen baldigen Wiedereinzug als größeres Arno-­Esch-­Zentrum, welches die gegenwärtige Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat (Abb. 11).

446

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Abb. 11: Die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der Hermannstr. 34 b vor der Sanierung 2018.

447

Kersten Krüger

Anlage: Dissertationen am ­Dokumentationszentrum für die Opfer deutscher Diktaturen 33

448

Name

Vorname

Thema

Abschluss

Brüning

Holger Horst

Die Konfliktkommissionen in der DDR

2016

Cammin

Franziska

Geschichte der Deutschen Seereederei

2013

Dietrich

Christopher

Kontrollierte Freiräume. Das Kabarett in der DDR zwischen MfS und SED

2014

Hall

Christian

Gegenprivilegierende Bildungspolitik in der SBZ/DDR am Beispiel der Vorstudienschule und Arbeiter-­und-­Bauern-­Fakultät der Universität Rostock 1946 bis 1963. Eine Bildungsinstitution zwischen sozialer Gerechtigkeit und politischer Zweckmäßigkeit.

201834

Handschuck

Martin

„Es gibt keinen Fortschritt an der Universität, an dem die Parteiorganisation nicht wesentlichen Anteil hat.“ Zur Geschichte der Universität in den Jahren 1945 bis 1955

2001

Heinz

Michael

Industrialisierung der DDR-Landwirtschaft am Beispiel der Nordbezirke

2008

Kawai

Nobuharu

Die „Freizeitpolitik“ der SED und der Bevölkerungsalltag in der DDR der sechziger und siebziger Jahre. Zur Funktion der Freizeit in der DDR

2011

Krätzner

Anita

Der Mauerbau und die Universitäten der DDR

2012

Kruse

Michael

Politik und deutsch-­deutsche Wirtschafts­beziehungen von 1945 bis 1989

2005

Langer

Kai

„Ihr sollt wissen, daß der Norden nicht schläft!“. Zur Vorgeschichte und Ge­schichte der „Wende“ in den drei Nordbezirken der DDR

1999

Lanz

Juliane

Die deutschen Olympia­mannschaften von 1952 bis 1972

2008

Michels

Marko

Einheitszwang oder Einheitsdrang?! Der Vereinigungsprozeß von KPD und SPD zwischen 1945 und 1950 in Mecklenburg-­Vorpommern

1999

Ostrop

Florian

Einheimische und Fremde 1939 – 1945. Zwangsarbeit in der mecklenburgischen Seestadt Wismar

2005

Roslova

Galina

Parteinahe ostdeutsche und sowjetische Presse und Auflösung der DDR. Die Widerspiegelung von Niedergang und Zusammenbruch der DDR im „Neuen Deutschland“ und einigen Bezirkszeitungen sowie in den sowjetischen „Prawda“ und „Izwestija“ (September 1989 – März 1990)

2017

Salomon

Ralf

Friedrich Hildebrandt. NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter in Mecklenburg. Sozialrevolutionär und Kriegsverbrecher

2016

Scheunemann

Jan

Gegenwartsbezogenheit und Parteinahme für den Sozialismus. Geschichts­politik und regionale Museums­arbeit in der SBZ/DDR 1945 – 1971

2008

Schmidt

Heike

Frauenpolitik in der DDR. Gestaltungsräume und Grenzen einer Diktatur

2007

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Name

Vorname

Thema

Abschluss

Seils

Mirjam

Die fremde Hälfte. Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Mecklenburg nach 1945

2009

Simowitsch

Solveig

„… Werden als Wortbrüchige in die Geschichte der SPD eingehen…“. Sozialdemokratische Konvertiten. Wilhelm Höcker, Carl Moltmann, Otto Buchwitz und Heinrich Hoffmann

2005

Soldwisch

Ines

Die Geschichte der Liberal-­Demokratischen Partei in Mecklenburg von 1946 bis 1952

2004

Werum

Stefan Paul

Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) zwischen 1947 und dem Beginn der 1950er Jahre. Die Gewerkschaften in der SBZ/DDR zwischen Interessenvertretung und Transmission

2002

Zeller

Johannes

Geschichte der LDP in Sachsen-­Anhalt 1948 – 1950

2013

449

Kersten Krüger

Anmerkungen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 450

http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00001679 (Zugriff 06. 02. 2019). Vgl. die Konzeption für die Landesforschungsstelle vom 8. Februar 1996. Universitätsarchiv Rostock (künftig UAR), Nachlass Kersten Krüger, 99.99.271. Siehe Anlage: Dissertationen am Dokumentationszentrum für die Opfer deutscher Diktaturen. Die Liste stellte Mario Niemann zur Verfügung, wofür auch an dieser Stelle gedankt sei. Antrag an den Akademischen Senat vom 4. Oktober 1995. UAR, 99.99.271. Die Baracken standen in Rostock-­Lichtenhagen, Zum Laakkanal 20. Verzeichnisse der Möbel aus dem Kongresshotel für die Forschungsbibliothek vom 11. und 12. April 1996. UAR, 99.99.271. Verzeichnis der Fotos des Medienzentrums der Universität Rostock von dieser Veranstaltung vom 22. Mai 1996. UAR, 99.99.271. https://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Badstübner (Zugriff 07. 02. 2019). Regine Marquardt, Kultusministerin 1994 – 1998. https://de.wikipedia.org/wiki/Regine_Marquardt (Zugriff 07. 02. 2019). Erklärung des Justizministers zur Finanzierung vom 4. Oktober 1996. UAR 99.99.271. Müller/Pätzold 1998. Teilnehmer und Tonbandprotokolle vom 04. 03. 1997. UAR 99.99.271. Landtag Mecklenburg-­Vorpommern 1996 – 1998. https://www.rostock.de/kultur-­sport/museen-­ausstellungen/amt-­fuer-­kultur-­und-­denk​mal​ pflege.html (Zugriff 07. 02. 2019). Briefe an alle Fraktionen des Landtages vom 22. Dezember 1995, UAR, 99.99.271. https://www.landtag-­mv.de/landtag/abgeordnete/ehemalige-­abgeordnete/1-wahlperiode/prachtl-­​ rainer.html (Zugriff 07. 02. 2019). https://www.regierung-­mv.de/Landesregierung/stk/Ministerpraesidentin/Ministerpräsidenten-­ seit-1990/Dr.-Harald-­Ringstorff/ (Zugriff 09. 05. 2019). https://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Eggert (Zugriff 07. 02. 2019). http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00001655 (Zugriff 06. 02. 2019). http://www.bundespraesident.de/DE/Die-­Bundespraesidenten/Joachim-­Gauck/Joachim-­Gauck-­ node.html (Zugriff 07. 02. 2019). Müller 1999. https://www.munzinger.de/search/go/document.jsp?id=00000021557 (Zugriff 07. 02. 2019). https://de.wikipedia.org/wiki/Axel_Peters (Zugriff 07. 02. 2019). http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00001928 (Zugriff 07. 02. 2019). http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00000001 (Zugriff 07. 02. 2019). http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00000841 (Zugriff 07. 02. 2019). http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00001555 (Zugriff 07. 02. 2019). Die Protokolle der Sitzungen befinden sich im Privatarchiv Fred Mrotzek (Rostock). https://www.hdg.de/lemo/biografie/helmut-­schmidt.html (Zugriff 07. 02. 2019). Mrotzek 2002. Müller/Mrotzek 2002, 4. Siehe auch Mrotzek 2002. Siehe die Konzeption für beide Standorte von Werner Müller, Kersten Krüger und Fred Mrotzek vom 19. 01. 2005. UAR, 99.99.271. Kaminsky 2016, vgl für Rostock 211 f., vgl. für Schwerin 319 – 321.

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

33 Die Dokumentation erstellte Mario Niemann. 34 Promotion an der Universität Leipzig, alle anderen Universität Rostock.

451

Kersten Krüger

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bundespräsidialamt, „Joachim Gauck“, http://www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundes​praesi​ denten/Joachim-­Gauck/Joachim-­Gauck-­node.html (Zugriff 07.  02.  2019). Hanse- und Universitätsstadt Rostock, „Dr. Michaela Selling“, https://www.rostock.de/kultur-­ sport/museen-­ausstellungen/amt-­fuer-­kultur-­und-­denkmalpflege.html (Zugriff 07.  02.  2019). Internationales Biographisches Archiv, Eintrag „Arno Pöker“, in: Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger.de/document/00000021557 (Zugriff 07. 02. 2019). Kaminsky, Anna (Hg.) (2016³), Orte des Erinnerns. Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR (Schriftenreihe Bundeszentrale für Politische Bildung 1699), Berlin. Landesregierung Mecklenburg-­Vorpommern, Eintrag „Dr. Harald Ringstorff“, https://www. regierung-­mv.de/Landesregierung/stk/Ministerpraesidentin/Ministerpräsidenten-­seit-1990/ Dr.-Harald-­Ringstorff/ (Zugriff 09. 05. 2019). Landtag Mecklenburg-­Vorpommern (1996 – 1998), Leben in der DDR. Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung. Bde. 1 – 10, Schwerin. Landtag MV , „‚Rainer Prachtl‘ im Landtag Mecklenburg-­Vorpommern“, https://www.landtag-­mv.de/landtag/abgeordnete/ehemalige-­abgeordnete/1-wahlperiode/prachtl-­rainer.html (Zugriff 07. 02. 2019). Mrotzek, Fred (Hg.) (2002), Eröffnung der „Sozialdemokratischen Bücherei“ in der Fachbibliothek Geschichte (Beiträge des Dokumentationszentrums des Landes für die Opfer deutscher Diktaturen), Rostock. Müller, Werner, Eintrag „Werner Müller“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http://purl. uni-­rostock.de/cpr/00001679 (Zugriff 06. 02. 2019). Müller, Werner (1999), Eröffnung des Dokumentationszentrums des Landes für die Opfer deutscher Diktaturen. Reden zur Eröffnung am 16. September 1998 in Rostock (Rostocker Universitätsreden Neue Folge Heft 2), Rostock. Müller, Werner/Mrotzek, Fred (2002), Tätigkeitsbericht 2002. Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer deutscher Diktaturen. Standort Rostock, UAR, 99.99.271. Müller, Werner/Pätzold, Horst (Hgg.) (1998), Lebensläufe im Schatten der Macht. Zeitzeugeninterviews aus dem Norden der DDR, Schwerin. – Teilnehmer und Tonbandprotokolle vom 04. 03. 1997. UA. Nerius, Dieter, Eintrag „Dieter Nerius“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http://purl. uni-­rostock.de/cpr/00001555 (Zugriff 07. 02. 2019). Peters, Axel, Eintrag „Axel Peters“, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Axel_Peters (Zugriff 07. 02. 2019). Richter, Ingo, Eintrag „Ingo Richter“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http://purl. uni-­rostock.de/cpr/00001655 (Zugriff 06. 02. 2019). Riedel, Wolfgang, Eintrag „Wolfgang Riedel“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http:// purl.uni-­rostock.de/cpr/00001928 (Zugriff 07. 02. 2019). Weber, Hermann (20064), Die DDR 1945 – 1990, München. Wendel, Hans Jürgen, Eintrag „Hans Jürgen Wendel“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http://purl.uni-­rostock.de/cpr/00000841 (Zugriff 07. 02. 2019). 452

Von der Forschungsbibliothek zum Dokumentationszentrum

Wittern, Joachim, Eintrag „Joachim Wittern“, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http:// purl.uni-­rostock.de/cpr/00000001 (Zugriff 07. 02. 2019). Zündorf, Irmgard/Eimermacher, Stefanie, „Biografie Helmut Schmidt“, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, https://www.hdg.de/lemo/biografie/helmut-­schmidt.html (Zugriff 07. 02. 2019).

453

Epilog

Oliver Plessow

600 Jahre Universität Rostock Ein Jubiläum als erinnerungskulturelles Event

Wenn Universitäten Jubiläen feiern, werden die an ihnen tätigen Historikerinnen und Historiker regelmäßig in die Pflicht genommen. Zu diesen Anlässen sind sie als Geschichtsschreiberinnen und -schreiber ihrer eigenen Institutionen gefordert. Diese Aufgabe hat allerdings ihre Tücken, denn von Berufs wegen ist die Geschichtswissenschaft nicht nur damit befasst, aus den Quellen schlüssige und plausible ‚Geschichten‘, also Repräsentationen vergangener Zustände und Geschehnisse, zu produzieren. Sie reflektiert darüber hinaus, welche Rolle die Rekurse auf die Vergangenheit in einer Gesellschaft jeweils spielten und spielen. Während die Historiker also einerseits wie dafür geschaffen scheinen, zu Jubiläen als Historiographen tätig zu werden, obliegt es ihnen zugleich, als Erinnerungsanthropologen und -soziologen das Feiern von Jubiläen zu kontextualisieren, kritisch zu kommentieren und sich mit den „in der Inszenierung der Vergangenheit sichtbar werdenden zeittypischen Motiven und Bewusstseinslagen“ 1 zu befassen. Dabei ist die universitäre Festkultur inzwischen ein etabliertes Forschungsfeld, und zwar spätestens, seitdem Rituale, Praktiken und symbolische Kommunikationsformen zu einem bedeutenden Gegenstand historischer Forschung mit entsprechenden theoretischen Ansätzen geworden sind.2 Die Geschichtswissenschaft insgesamt bedenkt also stets auch die Bedeutung des Bezugs auf die Vergangenheit für die jeweilige Gegenwart. Systematisch untersucht dies als historische Teildisziplin die Geschichtsdidaktik. Sie erforscht dazu die Rolle des Geschichtsbewusstseins in Kollektiven, Institutionen, Milieus und Gesellschaften im Ganzen.3 Im Zuge der Beschäftigung mit geschichtskulturellen Phänomenen befasst sie sich dabei insbesondere mit der lebensweltlichen Bedeutung von Bezugnahmen auf Früheres und der damit immer stärker einhergehenden Tendenz, diese zum ‚Event‘ zu machen.4 Was läge somit näher, als den institutseigenen Geschichtsdidaktiker am Ende eines Bands zum Jubiläum der Universität einen Blick auf die erinnerungskulturellen Eigentümlichkeiten der aktuellen Jubiläumsfeierlichkeiten werfen zu lassen. Als Ausformung des kulturellen Gedächtnisses bilden Jubiläen eine wiederkehrende und auf Wiederkehr angelegte Gelegenheit, die latent stets flüchtige Erinnerung anzuregen, zu stabilisieren und sie damit für eine Gruppe in der jeweiligen Gegenwart aktuell zu halten.5 „Jahrestage bieten“, so Aleida Assmann, „entscheidende Anlässe für die Reaktivierung und Erneuerung von Erinnerung durch performative Ereignisse.“ 6 Sie stehen aber aus demselben Grund ebenso im Verruf, entleerte, nur dem Zufall der runden Jahreszahl 457

Oliver Plessow

geschuldete Rituale der Bejahung zu bilden.7 Die Beitragenden dieses Bands sind sich dieses Spannungsfelds von Selbstbesinnung und Selbstaffirmation bewusst, wie an verschiedenen Stellen deutlich wird.8 Angemessen zu berücksichtigen sein wird es auch bei der nachfolgenden Betrachtung des aktuellen Feiergeschehens sowie der Feierformen. Wie kann nun resümierend erfasst werden, welche erinnerungskulturellen Formen die Jubiläumsaktivitäten in Rostock auszeichnen und welchen Bogen sie von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft schlagen? Es gibt eingeführte Konzeptionen, nach denen sich die Funktionen, welche die Vergangenheit für die Gegenwart erfüllt, beschreiben, kategorisieren und analysieren lassen. Am bekanntesten ist sicherlich Friedrich Nietzsches Unterscheidung zwischen einer „monumentalischen“, einer „antiquarischen“ und einer „kritischen“ „Historie“ – also zwischen dem Streben nach Wiedererweckung vergangener Größe, dem Sicheinreihen in das seit ehedem Gewohnte und Geschätzte und der Abkehr von dem als negativ Erfahrenen.9 In diesen Zusammenhang gehört auch Jörn Rüsens Typisierung historischer Sinnbildungsformen, die er nach einem traditionalen (sich auf die Vergangenheit berufenden), einem exemplarischen (die Vergangenheit nach Lebensregeln durchforstenden), einem kritischen (gängige Vorstellungen zurückweisenden) und einem genetischen (Wandlungen erfassenden) Typ differenziert.10 Etabliert sind zudem Ansätze, die geschichtskulturelle (und damit auch erinnerungskulturelle) Phänomene dimensionieren, so etwa bei Jörn Rüsen („kognitiv“, „politisch“, „ästhetisch“)11 oder – Rüsen um eine wissenssoziologische Perspektive erweiternd – bei Bernd Schönemann (Institutionen, Professionen, Medien, Publika)12. Es existiert also ein bewährtes Instrumentarium an Beschreibungskategorien, um erinnerungskulturelle Eigentümlichkeiten zu fassen, wie sie auch im Zuge der gegenwärtigen Rostocker Jubiläumsfeierlichkeiten zum Tragen kamen und kommen. Auf dieses Instrumentarium wird im Folgenden immer wieder zurückgegriffen, wobei es besonders lohnt, die Reflexion über die jeweilige Wahl der Zugriffsweisen auf die Vergangenheit mit der Frage zu verschränken, welche Öffentlichkeiten jeweils konstituiert beziehungsweise angesprochen werden.13

Vorbilder und Traditionslinien In ihrem Logo führt die Universität Rostock das Motto Traditio et Innovatio, das auch als Name des universitätseigenen Magazins fungiert. Es mag kaum überraschen, dass die Jubiläumsfeierlichkeiten an entscheidenden Stellen dem ersten Bestandteil dieses Mottos verpflichtet sind. Ob nun im Kontext der Universitätskultur im Allgemeinen oder mit Blick auf Rostocker Vorbilder: Allein schon mit der Organisation eines wissenschaftlichen Kolloquiums im Oktober 2018, mit der Produktion einer auf Nachwirkung zielenden Jubiläumsschrift und mit den Planungen mehrtägiger „Akademischer Festtage“ im November 2019 schrieb und schreibt sich die Universität in eine weit zurückreichende Tradition ein. 458

600 Jahre Universität Rostock

Universitäten gehörten an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit zu den frühesten Institutionen, welche die vordem vornehmlich in spirituellen Kontexten etablierte zyklische Hervorhebung eines begründenden Akts in 100-, 50- oder 25-Jahr-­Schritten für sich entdeckten.14 Am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts begannen einige protestantische Universitäten im Reich, diese Gelegenheiten für prachtvoll aus dem Alltag herausgehobene Feierlichkeiten zu nutzen.15 Damit einher ging die Ausbildung entsprechender Schriftlichkeitsformen: Als sich die Universität Rostock 1619 beispielsweise daran machte, die zweihundertste Wiederkehr ihrer Gründung zu feiern, wurden die entsprechenden Proklamationen, Reden und Predigten zur Festwoche in einem über 500 Seiten starken Werk vereint.16 Es fasziniert, wie sich die Institution Universität über einen Wechsel der Epochen, Staatsformen und politischen Systeme hinweg immer wieder aufgerufen fühlte, aus Anlass von Jubiläen feierlich ihre altehrwürdige Dignität zu zelebrieren und dabei den Konventionen akademischer mündlicher wie schriftlicher Kommunikation Genüge zu tun. Für Rostock lässt sich das gut anhand der vier Jubiläen des an Wandlungen nicht armen 20. Jahrhunderts nachvollziehen: 1919 war die Rostocker nach der Bonner die erste Universität im Reich, die unter dem Eindruck des verlorenen Weltkriegs, der veränderten politischen Bedingungen und der schwierigen Versorgungslage einen runden Geburtstag zu würdigen hatte – den 500sten.17 Das 525jährige Jubiläum fiel in die Endphase von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg,18 das 550jährige fand unter den Bedingungen von Teilung und ‚real existierendem Sozialismus‘ statt,19 und die 575-Jahr-­ Feier 1994 stand wiederum unter dem Zeichen der Wiedervereinigung und der mit ihr einhergehenden Umstrukturierung der ostdeutschen Universitäten. Bereits die Feierlichkeiten von 1919 und ihr Vorlauf lassen erinnerungskulturelle Muster erkennen, die sich ähnlich bei den späteren und auch bei den aktuellen Feierlichkeiten wiederfinden: Erstens wurde dem Feiergeschehen schon Jahre zuvor eine so hohe symbolische Bedeutung zugeschrieben, dass zu einem sehr frühen Zeitpunkt erste Schritte der Organisation und Vorbereitung unternommen wurden. Zweitens war der Zeitpunkt allerdings so früh gewählt, dass sich das, was im Endeffekt realisiert wurde, von den ursprünglichen (und gerne ausufernden) Planungen stark abhob, sodass zahlreiche Projekte im Sande verliefen – nicht nur wegen der Fährnisse der Zeitläufte, sondern weil auch das Personal in der Zwischenzeit wechselte. Und drittens war dieser frühe Beginn mit der (sich auch aus dem Vergleich zu konkurrierenden Universitäten speisenden) Selbstverpflichtung verbunden, zu diesem Anlass vielfältige Forschungen zur Geschichte der eigenen Einrichtung zu initiieren und diese entsprechend zu publizieren. Die ersten Überlegungen zur Ausgestaltung der Feierlichkeiten von 1919 gingen immerhin schon auf das Jahr 1899 zurück.20 Sogleich wurde erwogen, zu diesem Anlass eine neue, umfangreiche Universitätsgeschichte vorzulegen; über die Jahre änderten sich die Pläne über deren Ausgestaltung immer wieder, ausgiebig wurden die finanziellen Möglichkeiten und Grenzen diskutiert, wenige von den ursprünglich als Kernstücken 459

Oliver Plessow

Abb. 1: Der Festumzug anlässlich des 500. Universitätsjubiläums im Jahr 1919.

des Schrifttums gedachten Werken wurden realisiert und schließlich wurden stattdessen allerlei im Umfeld entstandene historische Schriften dem Jubiläum herausgeberisch zugeordnet.21 Zudem präsentierte der Verein für Rostocks Altertümer einen kleinen Sammelband mit „Beiträgen zur Geschichte der Universität Rostock“.22 Die dreitägigen Feierlichkeiten selbst konnten die Kluft zwischen den politischen und weltanschaulichen Positionen der Zeit kaum überdecken, vielmehr präsentierte hier ein vergangenheitsverklärendes, militaristisches und vorwiegend antirepublikanisches akademisches Milieu seine Frustration (Abb. 1).23 Deutlich kleiner waren die mit Volksgemeinschaftssemantik und Durchhalteparolen durchsetzten Feierlichkeiten 1944 dimensioniert, die vergleichsweise kurzfristig angesetzt wurden und kaum über einen Festakt hinausgingen.24 Immerhin hätten die Reden noch gedruckt werden sollen; erhalten hat sich eine Druckfahne aus dem Jahr 1945.25 Die Feierlichkeiten 1969 standen dann erneut im Zeichen jahrelanger Vorbereitung – diesmal begann man 1959, also zehn Jahre vorher.26 Abermals starteten die Vorbereitungen mit großen Forschungsaufträgen und Publikationsideen, die dann mit dem Nahen des unverrückbaren Termins an das Machbare angepasst wurden.27 Ergebnis war schließlich neben einer Chronik unter anderem ein zweibändiger, ebenfalls über 500 Seiten starker Sammelband, der zwar den Geschichtsvorstellungen der Zeit 460

600 Jahre Universität Rostock

Abb. 2: Rektor Gerhard Maeß, Kanzler Joachim Wittern und die Prorektoren Ekkehard Münzberger, Wolfgang Nieke und Cornelius Prittwitz beim Festumzug des Jahres 1994 durch die Rostocker Innenstadt.

ergeben folgt, aber gleichwohl treu der Gattung ‚Jubiläumsschrift‘ verpflichtet ist.28 Dass die Festtage im November 1969 ebenfalls das antifaschistische Arbeiter-­und-­Bauern-­ Staatsverständnis der Zeit spiegelten, bedarf keiner Erläuterung, markant ist indes der abermalige Rückgriff auf etablierte, auf Innen- wie Außenwirkung bedachte Feierrituale während der nun neuntägigen Festzeit.29 Bemerkenswert ist zudem, dass die in der Zeit der Teilung hervorragend organisierten Universitäts-­Exilantinnen und -Exilanten in der BRD im Mai 1969 eine konkurrierende Feier organisierten, zu deren Gelegenheit eine ‚Gegengeschichte‘ der Entwicklung der Universität Rostock seit 1945 vorgelegt wurde.30 461

Oliver Plessow

Trotz der geänderten Bedingungen griffen 1994 die eingeführten Muster, obwohl ein weiterer Systemwechsel vorausgegangen war und die Universität nach 1989/90 eine massive Veränderung in Organisation, Personal und Gremienstruktur erlebt hatte. Dass gerade in einer solchen Umbruchsphase der Rekurs auf die Vergangenheit Stabilisierungssehnsüchte bediente, ist offensichtlich, und so wurden ab 1992 Anstrengungen unternommen, auch die 575. Wiederkehr der Gründung zu würdigen.31 Ein weiteres Mal kam es zu gebündelten, diesmal nur zweitägigen Festaktivitäten (Abb. 2), und ein weiteres Mal entstanden einschlägige Schriften, darunter zum einen eine repräsentative Geschichte der Universität und ihrer Fakultäten 32 und zum anderen ein aus dem damaligen Fachbereich Geschichte hervorgegangener einfacherer, einen stärkeren Forschungsbezug aufweisender Sammelband.33 Letzterer ging aus einem Kolloquium im November 1994 hervor, welches dem im Oktober 2018 strukturell und thematisch ähnelt.

Organisationale Kontinuität: Rückgriffe auf e ­ ingeführte Elemente und Verfahren im Vorfeld An markanten Stellen offenbaren sich Kontinuitätslinien zwischen der Ausgestaltung früherer Jubiläen und den aktuellen Feierlichkeiten. Dies betrifft zunächst vor allem die oben erwähnten wiederkehrenden erinnerungskulturellen Elemente und Verfahren, während es den wechselnden politischen Zeitumständen entsprechend immense Unterschiede hinsichtlich der Gegenwartsdeutungen und Zukunftserwartungen gibt.34 Gerade anhand der von der Universität Rostock in Vorbereitung des anstehenden Jubiläums unternommenen Schritte lässt sich das gut demonstrieren. Wie schon bei vorherigen Jubelfeiern fällt der zeitige Beginn der Vorbereitungen auf, der ausreichend Zeit für Planungen wie für allerlei Umplanungen ließ. Markus Drüding, der eine auch Rostock berücksichtigende Doktorarbeit zu Universitätsjubiläen vorgelegt hat, sprach jüngst im Zusammenhang der jetzigen Rostocker Vorbereitungen von einer „geradezu generalstabsmäßig[en]“ Vorbereitung und hob insbesondere die umfassende Berichterstattung im Vorfeld hervor. Das heraufziehende Jubiläum stand schon früh auf der Agenda der Universitätsleitung, die wie weiland ihre Vorgänger die Impulse setzte. Alle universitären Untergliederungen wurden über die Chance und Notwendigkeit, hier tätig zu werden, informiert, entsprechende Sondergremien eingesetzt (Kuratorium, Koordinierungsgruppe, Arbeitsgruppen) und besonders die universitätseigenen Expertinnen und Experten für die Beschäftigung mit der Vergangenheit angesprochen. Bereits 2004 wurde der Frühneuzeithistoriker Kersten Krüger zu seiner Emeritierung zum Beauftragten für die Jubiläumsfeierlichkeiten ernannt.35 2011 kamen zahlreiche Expertinnen und Experten für die Geschichte der Universität zu einer Tagung „Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte?“ zusammen; darunter befanden sich auch mehrere, die im vorliegenden Band veröffentlichen.36 All dies erfolgte zu einer Zeit, als noch keine 462

600 Jahre Universität Rostock

der Universitätsprofessuren des Instituts mit den Personen besetzt war, die sie heute – und damit im unmittelbaren Zeitraum vor den Feierlichkeiten – innehaben. Wie bei manch früherem Jubiläum gingen die jahrelangen Vorbereitungen mit Umstellungen in Personal und Organisationsweise einher. Es mag symptomatisch sein, dass nach vielen Vorüberlegungen letztlich doch nur ein Vorlauf von einem Jahr genügen musste, um das diesem Band vorausgehende Kolloquium auf den Weg zu bringen. Am Ende fiel es dem dienstjüngsten Professor am Historischen Institut gleichsam als erste Amtshandlung zu, das Kolloquium, die Jubiläumsschrift und die Jubiläumsaktivitäten der Philosophischen Fakultät zu koordinieren. Die Jubiläumsforschung weist nachdrücklich darauf hin, dass Jubiläen Gelegenheit bieten, im Vorfeld für die Finanzierung größerer Projekte zu werben.37 So konnte bis 2013 das vor Traditionssymbolik nur so strotzende, bereits zu seiner Errichtungszeit historisierende Hauptgebäude von 1870 (Teile von 1844) samt der darin zentral situierten prunkvollen Aula aufwändig saniert werden, wobei überwiegend der Stand des 19. Jahrhunderts rekonstruiert wurde.38 Nicht von ungefähr wurden Sanierung und Wiedereröffnung unter dem Motto „12.11.13 – sechs vor 600“ in den Kontext des nahenden runden (Doppel-)Jubiläums gestellt.39 Die hochwertig gestaltete und qualitätvoll bebilderte Begleitschrift (Titel: „Auf dem Weg zum Doppeljubiläum“) zeigt passend auf dem Titel das auf der Grundlage dieses Mottos gestaltete Plakat. Dass die mit im nietzscheschen Sinne ‚monumentalisierender‘ Vergangenheitsbildlichkeit aufgeladene Aula als Ort des vorbereitenden wissenschaftlichen Kolloquiums 2018 gewählt wurde, erscheint da gerade­ z­­u selbstverständlich. Auch manch andere Beobachtung zur Vorbereitungsphase erinnert an Vorbilder vergangener Jubiläen. Die Tendenz, den Anlass zu nutzen, um mit Elan unterschiedliche Einzelaspekte der Universitätsgeschichte zu ergründen, findet nicht nur in den sich über fünfzehn Jahre erstreckenden Tätigkeiten Kersten Krügers und der Universitätsarchivarin und -kustodin Angela Hartwig ihren Ausdruck (Professorenkatalog, Matrikelportal, Betreuung der Reihe „Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte“, Einrichtung einer Forschungsstelle zur Universitätsgeschichte),40 sondern etwa auch in einem vom Rektorat geförderten Forschungsprojekt zur Geschichte der Universität in der Zeit des Nationalsozialismus.41 Nicht zuletzt wegen des absehbar hohen Förderbedarfs konkretisierte sich wie im Vorlauf früherer Jubelfeiern eine ursprünglich angedachte buchförmige Universitätsgesamtgeschichte nicht.42 Wiedererkennen lässt sich ferner der Wille weiterer historischer Akteure im Umfeld, anlässlich des Jubiläums ihre Aufmerksamkeit gezielt auf Einschlägiges zu richten. So veranstaltete die Historische Kommission für Mecklenburg e. V. bereits im März 2018 anlässlich des städtisch-­universitären Doppeljubiläums ein Kolloquium „Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte“.43 Universitätsjubiläen sind hochkonventionalisierte Veranstaltungen mit klaren Erwartungen, was die zu produzierende Schriftlichkeit angeht. Überdeutlich wird die Anknüpfung an eingeführte Formate unter anderem bei einem Blick auf die vorliegende 463

Oliver Plessow

Festschrift, die sich medial in eine Linie mit ihren Vorgängerinnen stellen lässt. In ihr sind als Autorinnen und Autoren die Mitarbeitenden des Instituts ebenso vertreten wie historisch Forschende aus dessen Umfeld, von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen der Universität Rostock und schließlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von auswärts mit Rostockbezug. Strukturell analog war die Autorenschaft der Kolloquiumsschrift von 1994/95 zusammengesetzt, und auch die Bandbreite der Themen ist vergleichbar.44 Jubiläumsfestschriften mit Sammelbandcharakter bringen jene, die unter dem Dach der Universität hauptamtlich Geschichte erforschen – und die die Geschichte der eigenen Institution eher ausnahmsweise in den Mittelpunkt ihrer Forschungen stellen – mit jenen zusammen, die vertieftes Expertenwissen zur Vergangenheit ebendieser Einrichtung einbringen. Letztlich entsteht durch diese Vernetzung in einem Zyklus, der etwa eine Berufsgeneration umfasst, eine Forschendengemeinschaft, die in einem zentralen Moment der akademischen Selbstrepräsentation die Rolle eines Spezialistenteams übernimmt, dem die Verantwortung für die anlassbezogene Vergegenwärtigung der Geschichte der Institution übertragen wird. Historische Jubiläen können als „öffentlich geäußertes Geschichtsbewusstsein“ betrachtet werden.45 Welche Schritte im Vorfeld von Jubiläumsfeierlichkeiten unternommen werden und für welche Medialisierungen und performativen Feierakte man sich entscheidet, ist dementsprechend mit Blick auf die angesprochenen Rezipienten zu betrachten. Es bedarf daher jeweils eines Kommentars zu den Öffentlichkeiten, die durch die einzelnen Komponenten der Feierlichkeiten konstituiert werden. Das Kolloquium und die Festschrift heben sich hier ab von jenen Elementen, die gleich noch zur Sprache kommen werden, und zwar vor allem von den Musealisierungen, den Feierakten und den Medien der Breitenkommunikation. Die Aula, die das Kolloquium im Oktober 2018 beherbergte, verfügt über etwa 150 Sitzplätze; das Potenzial für das Zusammenkommen einer Erinnerungsgemeinschaft ist dort kleiner als etwa im Rostocker Ostseestadion mit seinen über 25.000 Plätzen, wo Fußballfans von Hansa Rostock zweiwöchentlich die Gelegenheit nutzen, eine ebensolche zu bilden – an erinnerungskulturellen Elementen („Hansa“!) mangelt es der Fußballwelt bekanntlich nicht. Während des zweitägigen Kolloquiums schwankte die Teilnehmerzahl zwischen 35 und 150. Lässt sich da überhaupt von Öffentlichkeit sprechen? Ja – wenn es sich auch um hochspezialisierte Sonderöffentlichkeiten handelt. Das Zusammenfinden des ephemeren, momentgebundenen Netzwerks der Beitragenden selbst ist schon Ausdruck einer Öffentlichkeit, die zuvor nicht existierte. Über die genannten Universitätsangehörigen und Spezialistinnen und Spezialisten der Universitätsgeschichte sowie einige interessierte Studierende hinaus kamen vor allem Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Gruppen und Einrichtungen, die sich vor Ort und in der Region institutionalisiert oder teilinstitutionalisiert mit Vergangenheit beschäftigen: in den Archiven und Museen, in der Rostocker Geschichtswerkstatt, im Verein für Rostocker Geschichte oder bei der Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der 464

600 Jahre Universität Rostock

ehemaligen DDR (BStU). Versammelt waren die lokalen Geschichtsnetzwerke, die sich vielfach personell überlappen und ein Bindeglied zwischen Universität und Stadt darstellen, was angesichts des gleich noch anzusprechenden Zusammenlegens der städtischen und universitären Jubelfeiern Erwähnung verdient. Eine größere Reichweite als das vorbereitende Kolloquium wird – neben den fünf Akademischen Festtagen im November 2019, die ein sehr viel breiteres Publikum erwarten lassen – sicherlich diese Jubiläumsschrift erzielen.46 Dennoch sollte nicht erwartet werden, dass ein solches Werk zum Bestseller wird. Das ist aber auch nicht seine erinnerungskulturelle Funktion. Sicherlich treibt eine derartige Festschrift als genretreues Medium, das den Regeln der Wissenschaft verpflichtet ist, den Fachdiskurs einer kleinen Gruppe von Expertinnen und Experten voran. Mindestens ebenso bedeutsam ist indes der kommunikative Akt Dritten gegenüber: Unabhängig davon, wie gut ein Jubiläumskolloquium besucht und wie intensiv die Festschrift gelesen wird, kann die wissenschaftliche Institution Universität nach innen und außen demonstrieren, dass sie sich unter den Augen der Öffentlichkeit mit ihrer eigenen Vergangenheit beschäftigt. Eine Festschrift wie die vorliegende eignet sich zudem als Gabe für Gäste und Neuberufene, so wie es in den letzten Jahren schon mit der „6 vor 600“-Schrift geschah.

Ostentativer Traditionalismus Die bislang gemachten Beobachtungen sind in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Sie bilden einen Teil eines erinnerungskulturellen Gefüges, das an der Universität Rostock eine Präferenz für eine bejahende Orientierung am Überlieferten aufscheinen lässt. Dies ist das Ergebnis von Entscheidungen. So ist die altehrwürdige und mitnichten rostockspezifische Kombination aus Kolloquium und Jubiläumsschrift in Zeiten von Web 3.0 alles andere als alternativlos. Weder gab es eine Liveschaltung des Kolloquiums ins Internet noch einen begleitenden Blog oder einen Geschichtstalk im Netz, um nur einige Popularisierungsformen zu nennen, wie sie die Erinnerungskulturforschung am Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts kennt und wie sie auch im Zuge von Universitätsjubiläen realisiert werden.47 Ob sich hierfür entsprechende Publika gefunden hätten, steht auf einem anderen Blatt, doch kann man feststellen, dass im Vorfeld des Rostocker Universitätsjubiläums 2019 dezidiert kein Innovationsgestus gewählt wurde. Der Begriff ‚struktureller Konservativismus‘, den Frank Rexroth in seinem Beitrag im weiteren Zusammenhang anführte, erfasst diese Tendenz nur zum Teil.48 Ein Konservativismus tendiert dazu, Bestehendes für die Zukunft bewahren zu wollen, das ist hier aber nur eine Seite der Medaille. Ganz gemäß dem zweiten Teil des Universitätsmottos (et innovatio) werden im Zuge des Jubiläums ebenso Wandelbarkeit und Innovationsfreude als Leitlinien des eigenen Tuns betont. Dem demonstrativen Aufgreifen von Traditionslinien, wofür das Kolloquium und die Festschrift nur zwei Beispiele bieten, fällt in diesem 465

Oliver Plessow

Spannungsfeld von Tradition und Innovation die Aufgabe einer episodischen retrospektiven Selbstvergewisserung zu, der es vornehmlich um Sichtbarkeit in der Gegenwart geht. Es lässt sich also von einem ‚ostentativen Traditionalismus‘ sprechen, weil hier in der Verständigung mit anderen wie untereinander zu ausgemachten Gelegenheiten ein Verweis auf den hohen Eigenwert der weit in die Vergangenheit zurückreichenden eigenen Geschichte dominiert. Kontinuität erscheint vornehmlich als „Dauer im Wandel“, ganz so wie es nach Jörn Rüsen für einen traditionalen Sinnbildungsmodus kennzeichnend ist.49 Dieser Wesenszug wird ganz besonders dort deutlich, wo sich die Universität nach außen präsentiert. Das gilt für die Ausgestaltung des Hauptgebäudes und der jubiläumsgebundenen Schriftlichkeit genauso wie für die zeremoniellen Praktiken. Wenn der amtierende Rektor der Universität Gäste wie den auswärtigen Keynote-­Referenten in der Aula offiziell begrüßt, ist der Zeitpunkt gekommen, auf die Rektor-­Vignetten seiner Vorgänger oben an den Wänden oder auch auf das Motto Doctrina multiplex veritas una über dem Portal des Hauptgebäudes zu deuten.50 Hier ist der Verweis auf das die Lebenszeit jedes und jeder Hochschulangehörigen um ein Vielfaches überschreitende Alter der Institution geeignet, um eine Aura von Autorität und Größe zu konstruieren.51 Dies alles vollzieht sich vor dem Hintergrund einer Rostocker Universitätskultur, deren Praktiken und Symbolpräferenzen heute vielfach auf das Mittelalter, die Frühe Neuzeit und das 19. Jahrhundert verweisen und die ihre akademischen Rituale weiterleben oder gar wieder aufleben lässt.52 Ob feierliche Immatrikulation in der Marienkirche oder feierliche Übergabe der Promotionsurkunden – wer in der westdeutschen Universitätslandschaft des letzten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts akademisch sozialisiert worden ist, dem mag manches, was in Rostock wie in anderen ostdeutschen Universitäten der Nachwendezeit wieder aufgegriffen wurde,53 irritierend rückwärtsgewandt, nostalgisierend und eine Spur zu wenig selbstironisch anmuten, zumal in Zeiten der DDR – etwa bei der Rostocker 550-Jahr-­Feier 1969 – Abstand von den traditionellen Ritualen und Distinktionszeichen genommen wurde.54 Unübersehbar fügen sich die Rostocker Feierpraktiken und Rituale in eine akademische Festkultur ein, der Marian Füssel ein Abzielen auf die „Inszenierung von Würde und Autorität“ und eine „spezifische ästhetische Gravität“ attestiert.55 In Rostock werden im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts neuberufene Professorinnen und Professoren zum Begrüßungsempfang als Erstes in die aus Anlass von Jubiläum und Wiedereröffnung des Hauptgebäudes eingerichtete Schatzkammer geführt; dort werden ihnen die jahrhundertealten Zepter, Siegel und Gründungsurkunden – bzw. ihre Faksimiles – gezeigt, zudem wird aus dem Archiv die älteste, mit der Gründung 1419 einsetzende Matrikel ausgehoben. So kann kein Zweifel aufkommen, dass man in eine altehrwürdige Einrichtung eingetreten ist, wie man ihresgleichen in der Region suchen muss – und ein wenig weiter östlich bei der 1456 gegründeten Rivalin, der Universität Greifswald, finden kann 56. Für Universitäten des deutschsprachigen Raums keinesfalls selbstverständlich sind ferner der verbreitete Gebrauch der lateinischen Anreden ‚Magnifizenz‘ und ‚Spectabilis‘ sowie die Präsenz der Talare insbesondere bei den Aufzügen und 466

600 Jahre Universität Rostock

Feierstunden. Selbst wenn sie in Rostock in der Nachfolge früherer Praktiken stehen, sind diese Traditionen nicht ungebrochen, sondern in Teilen wiederbelebt. So ist ihre jüngste Bedeutungserhöhung exakt mit der letzten großen Zäsur von 1989/90 verbunden, wobei sie dezidiert als Ausdruck einer wiedergewonnenen Wissenschaftsfreiheit gedeutet werden.57 Freilich sind all diese Traditionalismen nicht nur Gelegenheiten zur Selbstvergewisserung und Selbstverortung, sondern auch Mittel sozialer Distinktion, welche die Welt der Universität von ihrer – auch städtischen! – Umgebung abheben.58 Selten wird dabei bedacht, dass die Rückgriffe auf mutmaßlich weit zurückreichende Praktiken eine Stabilität der Symboliken und Rituale unterstellt, die auch in den Zeiten, auf die man sich bezieht, kaum je gegeben war. Dies zeigt sich etwa am Tragen von Talaren, die nicht nur in der Zeit der späten DDR, sondern beispielsweise auch im 18. und 19. Jahrhundert schon vielfache Ablehnung erfuhren.59 Vor diesem Hintergrund vollziehen sich auch die Planungen für die akademische Festwoche im November 2019, also für die erinnerungskulturell am stärksten hervorgehobene Phase der gesamten Feierperiode. Als Höhepunkt des universitären Jubelfeierjahrs werden die Festtage vom 8. bis 12. November 2019 vorzügliche Gelegenheiten bieten, die traditionalen Symbollinien wieder aufzugreifen und zur Schau zu stellen. Für den 12. November, auf den Tag 600 Jahre nach der feierlichen Eröffnung 1419, sind der Festumzug vom Hauptgebäude zur Marienkirche und der Akademische Festakt ebenda vorgesehen.60 Die entsprechende Seite im Webauftritt der Universität zeigt im März 2019 als Illustration in Voraussicht auf das Kommende das Bild eines früheren Umzugs, im Hintergrund das Hauptgebäude, im Vordergrund das Banner der Universität – eine Replik angefertigt anlässlich des Jubiläums 199461 –, dahinter der Rektor in vollem Ornat mit Talar, Barett und Kette, gefolgt von den Dekanen in Talaren mit Aufschlägen in den Farben ihrer jeweiligen Fakultät. Hier zeigt sich die Liebe zum historischen – und historisierenden – Detail, die in diesen herausgehobenen ostentativen Momenten waltet. Analog zu früheren Jubelfeiern, in Anlehnung aber auch an die jährlich wiederkehrenden Umzüge ist dem feierlichen Festumzug ein fester Platz im Programm zugewiesen.62 Doch die Charakterisierung der aktuellen universitären Erinnerungskultur als ‚ostentativer Traditionalismus‘ bezieht sich auf eine Tendenz und bestimmt nicht das gesamte Feiergeschehen. Sie gilt zuallererst für die demonstrativen Praktiken der universitätsinternen und -externen Kommunikation, die in andere Zugriffsweisen auf die Vergangenheit eingebettet sind. Die Planungen für die anstehenden Festtage wie das Feierjahr insgesamt enthalten zwar auch jenseits der altehrwürdigen und neu-­altehrwürdigen Rituale die typischen Strukturelemente, wie sie von der Erinnerungskulturforschung für derartige Veranstaltungen herausgestellt werden (Festakte, Umzüge, Kulturveranstaltungen, wissenschaftliche und religiöse Veranstaltungen).63 Doch bleibt es nicht dabei, wenn man sich die gesamte Breite der Aktivitäten anschaut. Mehrere universitäre Einrichtungen haben sich beispielsweise derzeit zu einem Filmprojekt zusammengeschlossen, das unter Beteiligung von Studierenden die unterschiedlichen historischen Sammlungen der Universität in den 467

Oliver Plessow

Mittelpunkt rückt.64 Dabei werden durchaus andere historische Sinnbildungsformen realisiert als nur traditionale. Ähnliches lässt sich an der vorliegenden Festschrift zeigen. Sind in ihrem Fall das Format, die Entstehungsumstände und einige der voraussichtlichen Verwendungskontexte der Tradition verpflichtet, so vergegenwärtigen die Beiträge selbst die Vergangenheit nach anderen Sinnbildungstypen. Zwar gehen sie vorwiegend nicht so weit, im Sinne einer ‚kritischen‘ Sinnbildung 65 eine markante Umdeutung dieser oder jener Phase der Entwicklung der Rostocker Universität zu propagieren.66 Dafür belegt jedoch schon der Titel des Jubiläumskolloquiums und dieses Bands selbst, „Traditionen. Zäsuren. Dynamiken.“, dass dabei ein wissenschaftsadäquater ‚genetischer‘ Geschichts-­Sinnbildungsmodus (im rüsenschen Sinne) im Vordergrund steht. Die Gegenwart wird hier als Ergebnis einer Dialektik aus Beharrung und zahlreichen Wandlungsprozessen begriffen. Den Beitragenden geht es um die Entwicklung, wozu sie vornehmlich einzelne bedeutende Etappen auf diesem keinesfalls geradlinig und teleologisch verstandenen Weg zur heutigen Universität beleuchten. Ganz in diesem Sinne beließ es auch der Rektor in seinem Grußwort zum Kolloquium nicht beim Einschreiben in die Tradition, sondern rückte gleichfalls ein solches „Wie wir – auch über Brüche hinweg – geworden sind, was wir sind“ in den Vordergrund. Hinzu kommt ein Weiteres: Die anlässlich des Jubiläums hervorgebrachte wissenschaftliche Geschichtsschreibung folgt den Modi genetischer und im geringeren Maße auch kritischer historischer Sinnbildung, sie tritt aber an mehreren Stellen zudem aus dieser hinaus, um gleichsam aus der Vogelperspektive die erinnerungskulturellen Mechanismen zu betrachten, die am Werk sind. Es ist eben etwas anderes, ob eine akademische Tradition nur ‚mit Leben erfüllt‘ wird und althergebrachte Praktiken aktualisiert werden oder ob akademisch über die Vergangenheit und darüber, wie sie zelebriert wird, nachgedacht wird.67 Zwar steht der vorliegende Band in einer langen Tradition und partizipiert in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit durch seine schiere Existenz am Subtext der Gesamtfeierlichkeiten: dass die Universität eine sehr alte Einrichtung ist, sie sich dieses Alters wie auch der Wandlungen bewusst ist, dass es aber eine Selbstverständlichkeit ist – oder sein sollte – dass es sie auch noch in Zukunft geben wird.68 Doch ist der Band gleichzeitig Ausdruck einer wissenschaftlich-­distanzierten Haltung, die sich gezielt mit den Einschnitten und Herausforderungen der Vergangenheit befasst und dabei aus einer Gegenwartsperspektive heraus manch kritischen Blick auf sie wirft.

Ein Doppeljubiläum als erinnerungskultureller Schulterschluss von Universität und Stadt Obwohl oben mit dem Verweis auf den Distinktionscharakter der akademischen Feierkultur von einer symbolischen Absetzung der Universität von ihrem städtischen Umfeld 468

600 Jahre Universität Rostock

gesprochen wurde, ist die enge Verflechtung von Stadt und Universität seit ihrer Gründung vielfach zu greifen. Das enge Miteinander sich überlappender Lebensbereiche spiegelt sich schon in der Topographie, gehört Rostock doch zu jenem mitteleuropäischen Typus von Universitäten, die sich anfangs auf vorhandenen Baubestand stützten und über den Stadtraum verteilten.69 Das Ritual des am Hauptgebäude startenden Festzugs – letztlich eine Prozession – macht die vitale akademische Gemeinschaft für die Stadtbevölkerung sichtbar und durchdringt das Herz des städtischen Raums, zumal die Kirchen der Stadt wie die Marienkirche oder die Nikolaikirche seit 1990 aufs Neue zum sakralen Zielort dieser Umzüge bestimmt wurden.70 Immer wieder wurde und wird zudem daran erinnert, welch bedeutende Rolle die Initiative der Stadt bei der Gründung der Universität spielte und über welch einen langen Zeitraum ihre Unterstützung den Fortbestand der akademischen Einrichtung ermöglichte.71 Dass gerade auch die früheren Jubiläen genutzt wurde, dieses enge Verhältnis geschichtswissenschaftlich zu beleuchten, ist oben deutlich geworden, etwa beim Kolloquium „Universität und Stadt“, das 1994 gemeinsam vom damaligen Fachbereich Geschichtswissenschaften und dem Archiv und den Museen der Hansestadt veranstaltet wurde,72 oder schon 1919 in Gestalt der Festgabe des Vereins für Rostocks Altertümer.73 „Auf dem Weg zum Doppeljubiläum“, die Publikation zur Eröffnung des Hauptgebäudes 2013 (siehe oben), steht ebenfalls unter dem Zeichen der gegenseitigen Durchdringung.74 Ebenso wurde beim Kolloquium im Oktober 2018 die selbst für Universitätsstädte exzeptionelle – wenn auch gerade angesichts eines anscheinend epochenübergreifend stabilen studentisch-­devianten Verhaltens nicht immer konfliktfreie 75 – Nähe oftmals artikuliert, was sich auch in den in diesem Band verschriftlichten Aufsätzen niederschlägt. Im Vorfeld des aktuellen Jubiläums ging man nun noch einen Schritt weiter. Angesichts des Umstands, dass sich 2018 zum 800. Mal die Verleihung der Stadtrechtsurkunde jährte und somit ebenfalls ein runder Geburtstag anstand, kam der Gedanke auf, die beiden Jubiläen zu einem Doppeljubiläum zu verbinden und damit den symbolischen und organisatorischen Schulterschluss zwischen Stadt und Universität hervorzuheben. Im Juni 2012 fasste die Rostocker Bürgerschaft einstimmig einen entsprechenden Beschluss.76 Das Zusammengehen nahm die Form einer manchmal engeren und manchmal lockereren Kooperation an. „Gemeinsam“ heißt hier zunächst, dass die jeweiligen Planungen in engem ständigem Austausch vorgenommen und miteinander abgestimmt werden. Selbstverständlich haben Stadt und Universität dabei ihre jeweiligen Aufgaben, Interessen und Zielgruppen vor Augen, die bei der Stadt notwendigerweise vielfältiger, vielstimmiger sind,

schrieb die damalige universitäre Projektleiterin 2013.77 Immerhin wurden miteinander verzahnte Strukturen geschaffen: Die Stadt richtete ein sechsköpfiges Projektbüro Doppeljubiläum ein, das sein Pendant in einem dreiköpfigen Team auf Seiten der Universität 469

Oliver Plessow

Abb. 3a: Logo des Doppeljubiläums anlässlich des 800. Stadt- sowie des 600. Universitätsjubiläums.

Abb. 3b: Postkarte mit Hinweis auf das Doppeljubiläum.

470

600 Jahre Universität Rostock

hatte.78 Ein nach längeren Diskussionen eigens entworfenes, oft monochrom begegnendes, aber in der farbigen Fassung mecklenburgisch blau-­gold-­rot auf grünem Grund gehaltenes Logo „800600“ visualisierte das Miteinander im ahistorisch-­modernen Design (Abb. 3). Obgleich die Stadtgeschichtsforschung darauf hinweist, dass die Stadtrechtsbestätigung 1218 viel weniger als singulärer und damit jubiläumsfähiger Gründungsakt aufzufassen ist als die Vorgänge des Jahrs 1419:79 Die beiden parallelisierten runden Jahreszahlen führen demonstrativ die Verschränkung und Verbundenheit vor Augen.

Das Museum als vermittelnde Instanz Es ist deutlich geworden, dass Jubiläen Universitäten Anlass bieten, ihr Selbstverständnis und ihr Wirken nach außen zu kommunizieren; dies ist Teil ihrer Zweckbestimmung. Ebenso hat sich gezeigt, dass sie als akademische Einrichtungen, die sich auch institutionell der Erforschung der Geschichte verschrieben haben, nicht nur traditionale Sinngebungen und Ritualerwartungen bedienen, sondern nach Wegen suchen, ein Nachdenken über die Vergangenheit auf der Grundlage wissenschaftlich abgesicherter Geschichtsnarrationen mit Wahrheitsanspruch anzustoßen oder zu befördern. Zwar bieten akademische Jubiläumsaktivitäten für beides eingeführte Medien, Formate und Foren; im Hinblick auf die reflexive Erforschung der Vergangenheit erreichen diese jedoch meist nur eine beschränkte Fachöffentlichkeit. Welche Wege gibt es nun, um auch der Reflektivität zu einer größeren Öffentlichkeit zu verhelfen? Eine Möglichkeit, ein breiteres Publikum anzusprechen, als es eine wissenschaftliche Tagung samt der zugehörigen Publikation vermag, bietet die Musealisierung. Museen sind professionalisierte Einrichtungen des kulturellen Gedächtnisses und von ihrer gesamten Anlage her darauf ausgerichtet, Vermittlungsarbeit zu leisten. Besondere Fachkompetenz besitzen sie gerade darin, der Gegenwart einen Ausschnitt aus der Vergangenheit näherzubringen und historische Ausstellungen zu kuratieren, wie sie seit Jahrzehnten vielerorts größere Besuchermengen anziehen.80 Gerade Jubiläen bieten dazu einen willkommenen Anlass und taten dies auch schon früher.81 Wichtig ist es allerdings, sich im Kontext der Reflexion des Öffentlichkeitsbezugs zu vergegenwärtigen, dass Besucherinnen und Besucher namentlich von (kultur)historischen Museen in Bezug etwa auf Altersstruktur und Bildungsstand keinen repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft darstellen.82 Auch hier hat also trotz aller Heterogenität und Zufälligkeit des Besuchs typischerweise nur ein Teilspektrum der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an der Kollektivierung einer spezifischen Geschichtsnarration teil. In Rostock entwickelten sich im Zuge des Doppeljubiläums 2018/2019 mehrere einschlägige Initiativen zur Musealisierung der Geschichte von Universität und Stadt. Dies beginnt bei einer musealen Kleinform wie beispielsweise einer Auswahl von Fotografien früherer Jubiläen, die das Universitätsarchiv 2019 im Universitätshauptgebäude präsentierte. Zum Stadtjubiläum initiierte die Geschichtswerkstatt Rostock im Verein mit weite471

Oliver Plessow

Abb. 4: Ausstellung „Rostock. Jetzt 800“, Kulturhistorisches Museum Rostock.

472

600 Jahre Universität Rostock

ren lokalen geschichtskulturellen Akteuren das partizipative erinnerungskulturelle Projekt „Rostock. Meine Geschichte“; die daraus erwachsene Ausstellung (04.06. – 28. 10. 2018) zeigte im Kröpeliner Tor von den Bürgern eingebrachte Objekte, die für eine mit der Stadt verbundene Geschichte standen. Das Projekt war dem Universitätsjubiläum institutionell und thematisch erst einmal nicht sonderlich verbunden, doch zeigt sich bei der Kuratierung ebenso wie bei den in Ausstellung und Katalog namentlich identifizierten Leihgeberinnen und Leihgebern eine markante Präsenz der oben genannten universitär-­ städtischen Geschichtsnetzwerke.83 Vor allem aber das städtische Kulturhistorische Museum hat die Herausforderung des Doppeljubiläums insofern angenommen, als es sich für jedes der beiden Jubiläumsjahre 2018 und 2019 die Kuratierung je einer auf die jeweils zu feiernde Instanz bezogenen Ausstellung vornahm. 2018 war dies die stadtgeschichtliche, weitgehend der Chronologie folgende Ausstellung „Rostock. Jetzt 800“ (14.06. – 04. 11. 2018, vgl. Abb. 4). Die Ausstellung präsentierte auf 1200 m2 800 Objekte, nutzte dabei die gegenwärtig von der Museologie favorisierten Konzeptionen und Vermittlungstechniken und konnte immerhin rund 55.000 Besucherinnen und Besucher begrüßen.84 2019 soll die in Kooperation mit der Universität entstehende Ausstellung „Menschen.Wissen.Lebenswege“ (20.06. – 30. 11. 2019) ebenfalls im Kloster zum Heiligen Kreuz auf voraussichtlich 800 m2 „600 ereignisreiche Jahre Rostocker Universitätsgeschichte in einem würdevollen und ansprechenden Rahmen“ präsentieren.85 Erinnerungskulturell bemerkenswert ist, dass die Universität parallel in Kooperation mit der Stadt und der Kunsthalle Rostock mittels einer Ausstellung „Experiment Zukunft“ den Blick nach vorne lenken möchte.86 An dieser Stelle manifestiert sich abermals die innige Verflechtung der Erinnerungsspezialistinnen und -spezialisten unterschiedlicher Institutionen anlässlich des Jubiläums. Beim Kolloquium des Historischen Instituts 2018 sprach auch der Leiter des Kulturhistorischen Museums. Hier zeigt sich, dass in die besagten lokal-­regionalen Geschichtsforschungsnetzwerke Eingebundene in unterschiedlichen Funktionen in Erscheinung treten können, denn Steffen Stuth machte nicht etwa die von ihm repräsentierte historische Vermittlungsinstitution zum Gegenstand, sondern thematisierte in fachhistorischer Perspektive die räumliche Integration von Stadt und Universität im Laufe der Jahrhunderte. 87 Über den Vortrag hinaus bot er zudem eine Sonderführung durch die Stadtjubiläumsausstellung im von ihm geleiteten Haus an, bei der – wie in solchen Fällen üblich – auch deren Machart diskutiert wurde. Damit bot sich den Teilnehmenden der Tagung die Gelegenheit zu einer diskursiven Reflexion der musealen Didaktisierung des Forschungsstands wie der potenziellen erinnerungskulturellen Wirkung auf die Besuchenden. All dies steht für Momente erinnerungskultureller Selbstreflexion ebenjener anlassbedingten Forschendengemeinschaft, von der oben die Rede war. Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung dieses Beitrags befindet sich die Ausstellung des Kulturhistorischen Museums zum Universitätsjubiläum gerade in Vorbereitung. Dass sich dabei Museum und Universität, die auch über die vorbereitende gemeinsame Arbeits473

Oliver Plessow

gruppe 88 hinaus in personeller und kooperativer Beziehung stehen, sehr bewusst sind, welche erinnerungskulturelle Funktion diese erfüllt und welche Vermittlungschancen an einen breiteren Kreis von Interessierten sich hier bieten, zeigt sich an ein paar Leitlinien der Planungen: Abermals soll eine moderne, unterschiedliche Besuchergruppen ansprechende Gestaltung die Rezeption erleichtern – auch eine Kinderebene ist wie schon bei der Ausstellung zum Stadtjubiläum 2018 vorgesehen. Thematisiert wird gerade auch die Vernetzung von Stadt und Universität, was an einzelnen Personen exemplarisch gezeigt werden soll. Überdies wird die akademische Erinnerungskultur selbst Gegenstand der Musealisierung sein, darunter auch einzelne frühere Jubiläen.89 Wie die momentgebundene Kommunikation der Tagung und ihre auf eine längerfristige Rezeption zielende Dokumentation in Form des vorliegenden Bands folgt auch die professionell kuratierte und stärker in die Breite wirkende historische Ausstellung bei aller Individualität der jeweils gefundenen Lösungen den Spielregeln wissenschaftlicher Kommunikation. Wie diese gehorcht sie genre- und institutionenspezifischen Konventionen, die die erinnerungskulturelle Wirkung lenken. Historische Ausstellungen zielen darauf ab, mithilfe ausgesuchter Objekte Geschichte (oder genauer: Geschichtsnarrationen) sichtbar zu machen, Einsichten zu befördern und Reflexionsangebote zu machen. Wenn dabei im Vordergrund steht, das Spannungsverhältnis von Kontinuität und Wandel bewusst zu machen, wie sich das für die beiden Jubiläumsausstellungen des Kulturhistorischen Museums 2018 und 2019 geltend machen lässt, so liegt hier jeweils eine genetische historische Sinnbildung im Sinne der genannten rüsenschen Typen vor.90 Werden Auffassungen von identitätsbildender Kontinuität infrage gestellt – in den Jubiläumsausstellungen, noch mehr aber vielleicht in diesem Band – ist von einer kritischen historischen Sinnbildung zu sprechen (abermals im Sinne Jörn Rüsens). Dabei bieten Ausstellungen – stärker als das eine wissenschaftliche Tagung oder eine Jubiläumsschrift vermag – zudem ein Identifikationsangebot, indem sie denjenigen, die sich mit der Stadt verbunden fühlen, eine Vergangenheit vorführen, die sie als ihre eigene Vorgeschichte konstruieren können. Wenn Besuchende sich daher trotz aller (Selbst-)Reflexionsanstöße und Verweise auf Wandelbarkeit am Ende als Teil einer Gemeinschaft begreifen, deren Alter ihr – und damit ihnen – Würde verleiht, sind doch wieder traditionale Sinnbildungsformen am Werk.

Breitenwirksamkeit und Kommerzialisierung Tagungen und Jubiläumsbände, aber auch öffentlich finanzierte Ausstellungen sind – wenn auch nicht in gleichem Maße – den Anforderungen an Wissenschaft unterworfen. Von dieser wird erwartet, dass sie die Vergangenheit nicht allein durch symbolisch-­rituelle Wiederholung in die Gegenwart trägt, sondern sich ihr zudem forschend-­reflexiv nähert. Weitgehend davon losgelöst existiert allerdings noch eine weitere, erinnerungskulturell 474

600 Jahre Universität Rostock

weit weniger mit einem Informations-, Aufklärungs- und Bildungsauftrag versehene Jubiläums-­Kommunikation, mit der deutlich breitere Öffentlichkeiten erreicht werden. In Rostock lässt eine solche auf Breitenwirkung zielende Jubiläums-­Kommunikation das Bedürfnis erkennen, mithilfe des Verweises auf das ehrwürdige Alter und die weit zurückreichende Kontinuität die Vorzüge des Standorts zu betonen, für die Ostseestadt als Wohn-, Arbeits- und Studienort zu werben und nach außen eine harmonische Einträchtigkeit von Universität und städtischem Umfeld zu demonstrieren, ja zu inszenieren. Mit zu bedenken ist dabei, dass Feierlichkeiten wie diese für Universitäten regelmäßig in einem Kontext stehen, in dem es darum geht, die eigene Existenz und die Notwendigkeit politischer und ökonomischer Unterstützung durch den Staat beziehungsweise durch Dritte als selbstverständlich und unverzichtbar darzustellen.91 Wie kommt die unspezifische Allgemeinheit, in deren Bewusstsein das Ereignis und die sich feiernde Institution gebracht werden sollen, mit den Jubiläumsaktivitäten in Berührung, wenn sie weder den Jubiläumsband erwirbt noch den Weg ins Museum beschreitet? Und welche erinnerungskulturellen Mechanismen wirken hier? Zunächst zu erwähnen sind die eingeführten, anlassgebundenen Formen der Medialisierung: die Pressemitteilungen, die Einladung der Medien zu den einschlägigen Anlässen, die entsprechenden Nachrichten auf den Internetseiten. Die übergreifende Website www.rostock800600.de schafft einen Rahmen für die Öffentlichkeitsarbeit. Die Universität hat in ihrem Webauftritt indes parallel nochmals einen separaten Jubiläums-­Bereich geschaffen.92 Darüber hinaus ist für eine starke Symbolpräsenz im öffentlichen Raum gesorgt, die sich besonders im Gegenständlichen niederschlägt. Hier dominiert das Zeichen des städtisch-­universitären Doppeljubiläums (Abb. 3), obwohl die Universität in ihrer eigenen Jubiläumskommunikation meist das Logo aus ihrem angestammten Corporate Design verwendet, dem eine Fahne „600 Jahre“ beigegeben ist (Abb. 5).93 Nur ein paar Beispiele: Glühweinbecher auf dem Rostocker Weihnachtsmarkt im Dezember 2018, die mit nostalgisierenden Bildern einen bisher nicht erwähnten Gründungsakt würdigten („Rostocker Weihnachtsmarkt“ – „Tradition seit 1949“), waren zusätzlich mit dem Doppeljubiläumslogo versehen (Abb. 6). Ebenso zierte das „800600Rostock“-Logo in den beiden Jubiläumsjahren Tassen und Gläser, wie sie etwa unter die Souvenirs in der Rostocker Touristeninformation am Universitätsplatz gemengt sind. Das Logo prangt auf Baumwollbeuteln, Kugelschreibern, Schlüsselbändern oder Traubenzuckerboxen. Diese gängigen Werbematerialien (die auch den Unterlagen für die Teilnehmenden der wissenschaftlichen Tagung beigegeben waren, vgl. Abb. 7) erzählen keine Geschichte, sondern verweisen nur auf sie. Als narrationslose symbolische Marker sorgen sie für eine größere Sichtbarkeit in einem Raum, der von solchen Markern durchdrungen ist – gerade in Rostock mit seiner allgegenwärtigen und flächendeckenden Hansa-­Rostock-„Streetart“, die ja ebenfalls eine Ausprägung historischer Sinnbildung darstellt.94 Aleida Assmann hat im Zusammenhang mit der Bedeutung von Jahrestagen auf eine allgemeine Entwicklung vom 19. bis zum 21. Jahrhundert hingewiesen: Das kulturelle 475

Oliver Plessow

Abb. 5: Jubiläumslogo der Universität. Abb. 6: Glühweinbecher mit Logo des Doppeljubiläums. Abb. 7: Eine Auswahl der Werbematerialien des Rostocker Doppeljubiläums.

476

600 Jahre Universität Rostock

Gedächtnis stütze sich mittlerweile deutlich stärker auf „Markt und Medien“ als auf die alten Institutionen „Familie, Schule“ – man möchte hinzufügen ‚Universität‘ – und „Nationalstaat“.95 Tatsächlich ordnen die Merchandising-­Produkte und das Branding mithilfe des Logos die Doppeljubiläumsaktivitäten dort, wo der Brückenschlag der sich feiernden Institutionen zur breiteren Allgemeinheit erfolgt, in die Sphäre der Ökonomie ein. Selbst wenn einzuräumen ist, dass schon für das Universitätsjubiläum 1969 – also zu realsozialistischen, kapitalismusfeindlichen Zeiten – dem Merchandising vergleichbare Aktivitäten bezeugt sind,96 steht der aktuelle Weg der Stärkung der visuellen Präsenz unter dem Zeichen einer Kommerzialisierung. Ein Paradebeispiel dafür bot die Initiative des städtischen Jubiläumsbüros, eine lokale Großbäckerei zur (Neu!-)Entwicklung eines speziellen „Jubiläumsbrots“ zu animieren, das selbst keinerlei historische Semantik aufwies, aber in besonderen Tüten verkauft wurde, die „ausführliche Informationen zur Gründungsgeschichte, zu den Festivitäten und die wichtigsten Termine im [städtischen!] Jubiläumsjahr“ enthielten.97 Die erste öffentliche Präsentation des Jubiläumsbrots erfolgte unter Beteiligung des Rostocker Oberbürgermeisters und des Rektors der Universität, was die Universität mit einer eigenen Pressemeldung würdigte.98 Wie die Stadt hat auch die Universität ein Interesse an guten Beziehungen zur lokalen Wirtschaft, von daher ist es nicht verwunderlich, dass sie die Kampagnen des städtischen Jubiläumsbüros, dem Logo und damit der Präsenz des Doppeljubiläums eine möglichst große Verbreitung zu verschaffen, in alle Richtungen mitträgt. Begünstigt dabei die Reduktion auf einen einfachen Marker mit Wiedererkennungswert ohnedies traditionale Sinnbildungsmuster, wird dieser Effekt noch verstärkt, wo Unternehmen der Lebensmittelbranche zu Partnern werden. Dies gilt nicht nur für Bäckereien, sondern insbesondere auch für das Brauwesen und seine typische traditionale Markenkons­truktion gerade dort, wo eine Verwurzelung in der Region bekundet werden soll. Dies lässt sich zum Abschluss dieses Beitrags vorzüglich an einem Bierdeckel der Rostocker Brauerei GmbH demonstrieren, der im Jubiläumsjahr 2018 im Zusammenhang mit der Kreation eines besonderen Jubiläumsbiers in den Vertrieb kam und mit einer sechsstelligen Auflage zu den zahlenstärksten Trägern der Jubiläumsbildlichkeit zählt (Abb. 8a und b). Grundlage der Motivik auf der Vorderseite bildet der seit 2012 eingeführte Markenauftritt.99 Dieser setzt sich aus mehreren auf die Geschichte der Stadt und des lokalen Braugewerbes verweisenden Elementen zusammen: der siebentürmigen, blau unterlegten Silhouette des Rostocker Rathauses in Rot samt einem stilisierten Greifenwappen sowie den Schriftzügen „Rostocker“ und „Seit 1878“ in Weiß (Blau-­Weiß-­Rot sind die Farben Rostocks). Auf der Vorderseite der Jubiläumsvariante des Deckels hat nun zusätzlich das städtisch-­universitäre Jubiläumslogo „800600 Rostock“ seinen Platz gefunden. Auf der in Weiß belassenen Rückseite verschränkt ein Schriftzug vor einem blau-­rot geteilten stilisierten Treppengiebel die Zahlen „760“ und „800“ mit den Worten „Jahre“, „Bier“ und „Stadt“. Mittig darunter wird in goldener Kursivschrift das Brauerei-­Jubiläum „140 Jahre Hanseatische Brauerei Rostock 2018“ hervorgehoben, ein kreisrunder blauer Rahmen 477

Oliver Plessow

Abb. 8a–c: Spezielle Bierdeckel der Rostocker Brauerei anlässlich des Doppeljubiläums.

wiederholt noch einmal das Thema der engen Verbindung von Stadt und Brauwesen, indem es in den Ring oben den Schriftzug „800 Jahre Rostock“ und unten „760 Jahre Rostocker Bier“ integriert. Spielerisch wird hier in der Jubiläumsvariante des Bierdeckels auf das gänzlich traditionale Fundament der Verweis auf das eigene Alter wie auf diverse mehrhundertjährige Altehrwürdigkeiten aufgesetzt. Der Universität kommt in dieser Jubiläumshäufungs-­Bildlichkeit zwar nur eine untergeordnete Rolle zu, angesichts der großen Verbreitung sollte ihre Berücksichtigung aber nicht unterschätzt werden. Wie der Brauerei und der Stadt geht es eben auch der Universität um eine Markenpräsenz, und wie die anderen und mit ihnen zusammen hat sie sich dazu entschlossen, hierfür historische Sinnbildungen zu nutzen. Ein Platz für eine wissenschaftlich-­kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ein solcher Bierdeckel sicher nicht – auch wenn seiner Konzeption historische Recherchen vorausgingen! –, aber immerhin sorgen in diesem Fall die hyperbolische Fülle von Jubiläumssymboliken auf engstem Raum und das Hinzufügen von sonst eher nicht ‚jubiläumswürdigen‘ Jahreszahlen für eine sanfte ironische Brechung, was dann doch wieder einen Ansatzpunkt für Reflexivität bietet.100

Nachgedanke: 800 – 600 – 25 oder das Erinnerungstriennium 2017 – 2018 – 2019 Nicht erst 2018 oder 2019, schon 2017 war für Rostock aufgrund eines sich jährenden Ereignisses ganz eigener Art ein erinnerungskulturell aufgeladenes und aus dem Zeitkontinuum herausgehobenes Jahr: Zum fünfundzwanzigsten Mal jährten sich die gewalttätigen, pogromartigen Ausschreitungen von Rostock-­Lichtenhagen im August 1992. Über die Grenzen Deutschlands hinaus verbinden viele Menschen den Namen Rostock noch immer eher mit diesem Geschehen als mit der jahrhundertealten Universität oder – trotz des Namens des lokalen Fußballclubs – mit der mittelalterlichen Geschichte der Stadt.101 Nach langen Diskussionen in den städtischen Gremien, wie der Ereignisse in L ­ ichtenhagen 478

600 Jahre Universität Rostock

angemessen gedacht werden könne, entschied sich die Rostocker Bürgerschaft 2015 für ein Konzept dezentralen Gedenkens.102 Plastisches und bleibendes Ergebnis davon ist ein Denkmalensemble aus zunächst fünf und seit 2018 sechs Stelen, die an verschiedenen Stellen in der Stadt das damalige Handeln einzelner Akteure versinnbildlichen und zum mahnenden Gedenken auffordern.103 Performativ wurde die Enthüllung der einzelnen Mahnmale von einer Gedenkwoche mit unterschiedlichen Veranstaltungen umrahmt. Die Universität würdigte das Geschehen mit einer Vorlesungsreihe, zudem hielten das Institut für Politikwissenschaften und das Historische Institut ein gemeinsames erinnerungskulturelles Seminar ab. Die beiden Veranstaltenden wurden überdies von der Universität in die städtische Arbeitsgemeinschaft Gedenken delegiert, was ein weiteres Mal die Verflechtung von Universität und Stadt belegt.104 Wer in diesen Monaten vor dem Rostocker Rathaus steht, einem der erinnerungskulturell am stärksten markierten Orte im Rostocker Stadtraum, wird in eigentümlicher Weise auf beide Erinnerungskomplexe zugleich aufmerksam gemacht. Links von der ikonischen Fassade verweisen sieben große Fahnen mit dem „800600“-Logo auf das Doppeljubiläum, rechts erinnert die meterhohe Marmorstele „Tränen“ an 1992. Abstrus erschiene der Gedanke, alles in ein Dreifachjubiläum 800 Jahre Rostock, 600 Jahre Universität und 25 Jahre Ausschreitungen in Lichtenhagen einzubinden. Eine symbolische Verknüpfung „80060025“ am selben Ort oder vor dem Universitätshauptgebäude wäre höchstens als künstlerische Provokation denkbar. Die wortwörtliche ‚Un-­Vereinbarkeit‘ des einen mit dem anderen beziehungsweise den beiden anderen liegt angesichts des unterschiedlichen funktionalen Charakters der Vergegenwärtigungsformen – Feier hier, Gedenken dort – auf der Hand. Dass in Bezug auf einige Aspekte die erinnerungskulturelle Distanz dazwischen dennoch geringer ist, als man auf den ersten Blick meinen könnte, zeigen schon die gerade genannten Ähnlichkeiten im Symbolrepertoire, den kollektiven Erinnerungspraktiken und den vorausgehenden Verfahren zu ihrer jeweiligen Initiierung. Auch in der erinnerungskulturellen Forschung werden Gedenk- und Jubeltage in einen Zusammenhang gestellt.105 In erinnerungskultureller Perspektive findet sich bei dem Gedenken an 1992 noch manch anderes wieder, was auch für die universitären Jubiläumsfeiern festgehalten wurde: die mehrjährige, 2012 beginnende und manche Windung nehmende Vorbereitung, das Ansinnen einer medialen Verstetigung,106 die Enttäuschung, dass manche der öffentlichen Veranstaltungen zahlenmäßig nicht die erhoffte Resonanz erzielten. Prägnanterweise wurden die Aktivitäten zum Doppeljubiläum wie zum Lichtenhagen-­Gedenken auf Seiten von Stadt und Universität teilweise von denselben historisch interessierten und geschichtskulturell engagierten Akteuren und Netzwerken getragen. Für viele der Erinnerungsspezialistinnen und -spezialisten, die sowohl zu den Jubiläumsfeierlichkeiten 2018/2019 wie zu den Gedenkaktivitäten 2017 beitrugen, steht die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Kern ihrer beruflichen Tätigkeit. Es kann folglich nicht überraschen, dass sie die Kompetenz mitbringen, in mehreren erinnerungskulturellen Zusammenhängen 479

Oliver Plessow

zu agieren, dabei jedoch über unterschiedliche Register und Werkzeuge verfügen, die sie je nach Anlass und Funktionszusammenhang zielgerecht einsetzen können. Gerade diese Beobachtung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Gedenken an 1992 und in Erinnerung an die mehrhundertjährige Existenz von Universität und Stadt ist geeignet, am Ende dieses Beitrags noch einmal einige Eigentümlichkeiten der aktuellen universitären, im Rahmen des Doppeljubiläums in einen Konnex mit der Stadt gestellten Jubelfeier zu benennen. Was im Rahmen des aktuellen Jubiläums beziehungsweise Doppeljubiläums als Form der Erinnerung symbolisch und performativ angemessen erscheint und was nicht, ist nicht organisch aus einer Vergangenheit erwachsen, die uns ihre Erinnerungsformate aufzwingt. Geschichte erzählt sich nicht selbst, auch nicht zu Jubiläumszeiten, vielmehr entscheiden sich die Akteure, in welcher Weise sie und ob sie überhaupt bestimmte Aspekte der Vergangenheit für die Gegenwart für bedeutsam erklären. Trotz der Anlehnung an einen Naturzyklus ist es nicht naturgegeben, nach einem nur im metrischen System auffälligen Faktor die jährliche Wiederkehr eines Geschehenskomplexes auf bestimmte Weise erinnernd, feiernd oder gedenkend zu würdigen. „Mit Jubiläen erfinden Universitäten sich jeweils ein Stück weit neu bzw. nutzen die Gelegenheit, sich im gesellschaftlichen und internationalen Rampenlicht stehend Bedeutung zu geben; zugleich sind sie Ausdruck ihrer jeweiligen Zeit und gesellschaftlichen Verfasstheit“, schrieb Brigitta Schmidt-­Lauber jüngst.107 Obwohl die Rostocker Feierlichkeiten zum 600jährigen Bestehen der Universität sich durch die Besonderheit auszeichnen, dass sie an die Feierlichkeiten zum 800. Geburtstag der Stadt gekoppelt wurden, lässt sich diese Allgemeinaussage gut auf sie übertragen. Insgesamt ist nochmals festzuhalten, dass die Universität ihre weit in die Vergangenheit zurückreichende Existenz für die Gegenwart auf unterschiedliche Weise mit Sinn versieht. Über weite Strecken sind die Formate, Feierelemente und Symbolverwendungen stark traditional geprägt, affirmativ und geneigt, aus dem Alter eine Altehrwürdigkeit und damit eine Unbedingtheit der eigenen Existenz und Fortexistenz zu konstruieren. Während man sich der Wandelbarkeit der Zeitläufte bewusst ist, sind die Feierlichkeiten von der Vorstellung geprägt, dass Alter Autorität verleiht und dass dieses somit zu den Aktivposten einer Universität gehört, die in Konkurrenz zu anderen steht. Das ist zwar für die akademische Festkultur der Gegenwart nicht untypisch, seit einem halben Jahrhundert (in Ost- wie in Westdeutschland) aber keinesfalls selbstverständlich. Zum Tragen kommt diese Tendenz vor allem dort, wo die Universitätsöffentlichkeit oder noch mehr die breite Öffentlichkeit angesprochen wird. Besonders greifbar ist dies in den performativen Akten mit Eventcharakter, wie den Umzügen in der Stadt. Diese Haltung ist nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung von Wandel zu verwechseln. Der hier als ‚ostentativer Traditionalismus‘ bezeichnete Modus zielt vielmehr wie erläutert auf den öffentlichkeitswirksamen Charakter der Demonstration von Altehrwürdigkeit. Daneben geben die Jubiläumsfeierlichkeiten aber auch anderen Bezugsrahmen und Bezugnahmen auf die Vergangenheit Gelegenheit zur Entfaltung: Gerade dort, wo die 480

600 Jahre Universität Rostock

institutionellen Vergangenheitsexpertinnen und -experten mit einer Rückschau beauftragt und aktiv werden, rücken der affirmationsfreie Blick auf vergangene Entwicklungen, deren kritische Würdigung und ein Nachdenken über die Bedingungen des Erinnerns in den Mittelpunkt. Diese stärker reflexive Auseinandersetzung, wie sie in einer Institution, die Vergangenheit wissenschaftlich erforscht, unverzichtbar ist, erreicht unter Rückgriff auf nun wiederum traditionale Formen wissenschaftlicher Jubiläumskommunikation zunächst zwar nur ein recht kleines Fachpublikum, dort aber immerhin neben den Universitätsakademikerinnen und -akademikern auch die lokalen und regionalen Erinnerungsnetzwerke. Sowohl die vorliegende „Festschrift“ als auch die Musealisierungen des Jubiläums erreichen schließlich eine breitere Öffentlichkeit, die damit zumindest die Möglichkeit bekommt, an den stärker reflexiven Annäherungen an die Vergangenheit der Universität Rostock und der Hansestadt teilzunehmen. Ob dabei die Ausstellung zum Universitätsjubiläum im Kulturhistorischen Museum 2019 dieselbe positive Resonanz beim Publikum finden wird wie die stadthistorische Ausstellung 2018, wird erst der weitere Verlauf des Jubiläumsjahrs zeigen.

481

Oliver Plessow

Anmerkungen

1

2 3 4

5 6 7

8 9 10 11 12 13 14 15

16 17

18 19 20 21 22 23 24 482

Müller 2004, 3. Ein engagierter Appell an Historikerinnen und Historiker, anlässlich von Jubiläen eine distanziert-­kommentierende Haltung einzunehmen, auch bei Demantowsky 2014. Für einen Überblick über den Forschungsstand siehe etwa Füssel 2019 und Drüding 2019, insb. 55 – 60, sowie Kollmann 2014, insb. 14 – 17, mit zahlreichen Literaturhinweisen. Siehe dazu die mittlerweile kanonische Definition der Geschichtsdidaktik als Wissenschaft vom „Geschichtsbewußtsein in der Gesellschaft“ bei Jeismann 1977, 12. Pandel 2013, 167 – 172. In Anlehnung an Ronald Hitzler führt Pandel für ein ‚Event‘ die Herausgehobenheit aus dem Alltag, die raumzeitliche Verdichtung, die Performativität und die große Zahl der Beteiligten an, ebd. 169 f. Assmann 2003, 309 – 311. Assmann 2003, 311. Mehrere kritische Blicke auf Jubiläen zitiert bei Assmann 2003, 311 – 314. Der von ihr ebd. 311 zitierte Heinz Schlaffer geht gar so weit, angesichts der „Grundlosigkeit des Gedenkens“ von einem „Gedenken ohne Gedächtnis“ zu sprechen, das authentische Erinnerung verhindere. Vgl. die markante Position bei Demantowsky 2014 (dazu auch Drüding 2019, 75). Siehe auch die Einführung von Marc von der Höh. Nietzsche 1988, 258 – 270. Hierhin gehört auch die von Frank Rexroth oben angeführte Dialektik von heroischer und kritischer Geschichtsauffassung. Vielfach publiziert, z. B. bei Rüsen 1989, 39 – 61; ders., 1990, 153 – 230; ders. 2008, 25 – 29; für die Analyse historischer Jubiläen auch genutzt bei Kollmann 2014, insb. 39 – 42. Rüsen 1994, 11 – 21; ders. 1995, 514 – 519; ders. 2008, 242 – 253. Schönemann 2000, 50 – 55; für die Analyse historischer Jubiläen auch genutzt bei Drüding 2014, 29 – 33. Vgl. Drüding 2019, 57 f. Vgl. Müller 2004, 20 – 22. Vgl. Müller 2018, 80 – 82; Müller 2004, 22 f.; Müller 2005, 37 (Müller nennt Tübingen 1578, Heidelberg 1587, Wittenberg 1602 und Leipzig 1609). Wagner 2019, 29 f. und 40 – 53, sieht zuletzt Wurzeln des Jubiläumsgedankens schon im Spätmittelalter. Iubilaeum academiae Rostochiensis festum (1620). Siehe auch den Beitrag von Jan-­Hendrik Hütten in diesem Band. Ausführlich dazu Buchsteiner/Strahl 2008; Drüding 2014, 48 – 74; siehe auch Heine 2009, 10 – 12, der zwar (wie es dem Anforderungsniveau für eine B. A.-Arbeit entspricht) weitgehend aus der existierenden Fachliteratur schöpft, aber auch manche eigenen Einschätzungen und Beobachtungen bringt. Vgl. Drüding 2014, 152 – 157; siehe ferner Heine 2009, 13 – 14. Ausführlich dazu Drüding 2014, 249 – 282; siehe ferner Heine 2009, 14 – 20. Vgl. Buchsteiner/Strahl 2008, 7; Drüding 2014, 48. Vgl. Buchsteiner/Strahl 2008, 23 – 35; siehe auch Drüding 2014, 52 – 60. Verein für Rostocks Altertümer 1919. Vgl. Drüding 2014, 60 – 70. Vgl. Drüding 2014, 153 – 156.

600 Jahre Universität Rostock

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

41

42 43

44 45 46

47

48 49 50 51 52

Universität Rostock 1945, siehe auch Drüding 2014, 154 f. Vgl. Drüding 2014, 250 f. Siehe auch Krüger 2011, 37. Vgl. Drüding 2014, 256. Heidorn 1969. Siehe dazu auch Krüger 2011, 37 – 42. Zu den Feierlichkeiten vgl. Drüding 2014, 264 – 275. Siehe Wockenfuß 1994, insb. 122 f. Vgl. Beckmann 1995, 14; siehe auch Heine 2009, 21 – 23. Maeß 1994. Jakubwoski/Münch 1995. Vgl. hierzu auch das Fazit bei Drüding 2014, 292 – 296, der Rostock in einen Vergleich mehrerer Universitätsjubiläen des 20. Jahrhunderts einbezieht. Auskunft Kersten Krüger 02. 03. 2019. Die Beiträge sind publiziert in Lammel/Boeck 2011. Vgl. etwa Drüding 2019, 63 – 65. Sander 2013. Bärnreuther 2013, 89 f. Auskunft Kersten Krüger 02. 03. 2019. Siehe auch die Webpräsenz unter http://www.zlwwg. uni-­rostock.de/forschung/uebersicht/sammlung-­archivierung-­und-­bewahrung-­von-­wissen/ universitaetsgeschichte/ (Zugriff 04. 03. 2019). Das vom Rostocker Zeithistoriker Stefan Creuzberger und Florian Detjens im Rahmen seiner Dissertation bearbeitete Projekt ist bei der Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes Mecklenburg-­Vorpommern zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland angesiedelt. Siehe dazu auch den Beitrag von Florian Detjens in diesem Band. Auskunft Kersten Krüger 02. 03. 2019. Siehe auch ders. 2011. Historische Kommission für Mecklenburg: „Rostock und seine Nachbarn in der Geschichte – Wissenschaftliche Tagung der Historischen Kommission für Mecklenburg e. V. am 16. und 17. März 2018 in Rostock“, Programm unter http://www.vrg-­rostock.de/uploads/media/​​Jubi​ laeumstagung_Programm.pdf (Zugriff 03. 03. 2019). Das ergibt schon ein Blick auf deren Inhaltsverzeichnis (Jakubowski/Münch 1995). Kollmann 2014, 34 f. Siehe die Ankündigungen im WWW-Auftritt der Universität Rostock unter https://www. uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/veranstaltungen/high​ lights-2019/ (Zugriff 05. 02. 2019). Vgl. Müller 2018, 92. Zu denken ist beispielsweise an Formate, wie sie in der Onlinezeitschrift Public History Weekly oder beim LISA-Gesprächstalk im Super 7000 inzwischen entwickelt wurden. Zu einem Filmprojekt anlässlich des Rostocker Universitätsjubiläums siehe unten bei Anm. 64. Vgl. den Beitrag von Frank Rexroth in diesem Band. Rüsen 1989, 43 – 45; ders. 1990, 179 – 181. Der Schreibende nimmt sich hier gar nicht aus: Auch für die Einladungen zu meiner Antrittsvorlesung im Juli 2017 habe ich das Motiv des Portals mit seiner lateinischen Inschrift gewählt. Vgl. Erdle 2018, 69 f. Für diesen allgemeinen, nicht auf Rostock beschränkten Zug der jüngeren akademischen Feierkultur Füssel 2019, 2, mit weiterer Literatur. 483

Oliver Plessow

53 54 55 56

57

58 59 60

61 62 63 64 65 66

67

68 69 70

484

Vgl. für die ostdeutschen Universitäten insgesamt Bretschneider/Pasternack 1999, 9 f. Strahl/Hartwig 2014, 20 f. Siehe auch Drüding 2014, 268. Füssel 2019, 22. Zur ganz ähnlich ritualisierten akademischen Feierkultur der Universität Greifswald vgl. Oberdörfer/Binder 2005, 73 – 77 (bezeichnenderweise in der Festgabe zur 550-Jahr-­Feier der Universität). Strahl/Hartwig 2014, 21, mit Hinweisen auf die Wiedereinführung von Talaren und Baretten 1990 und der späteren Wahl eines roten statt eines schwarzen Baretts durch Rektor Hans-­ Jürgen Wendel. Siehe auch Beckmann 1995, 34 (zum Festumzug 1994): „Das gab ein herrliches Bild! Wer nicht schon in festlicher Stimmung zum Treffpunkt am Universitätshauptgebäude erschienen war, der geriet spätestens beim Anblick der Professoren in ihren ehrwürdigen Talaren, deren verschiedenfarbige, samtene Aufschläge die einzelnen Fakultäten repräsentieren, in eine solche. Die Talare der Professoren mußten in der sozialistischen Ära der Universität in den Schränken bleiben. Erst 1990 wurde diese alte Tradition wieder neu belebt.“ Vgl. Füssel 2019, 1, 9 u. ö. Vgl. Füssel 2009, 265 – 268; zum beständigen ‚Kommen und Gehen‘ der Talare vgl. ders. 2019, 9. Das 26-seitige Jubiläumsprogramm 2019 ist über die Internetseiten der Universität abrufbar, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/ (Zugriff 07. 03. 2019). Vgl. Beckmann 1995, 116 f. Universität Rostock, „Das Jubiläumsjahr 2019“, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­ gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/veranstaltungen/highlights-2019/ (Zugriff 05.  03.  2019). Siehe die entsprechende Aufstellung typischer Formen bei Drüding 2019, 68 f., sowie Schmidt-­ Lauber 2018, 101 f. Universität Rostock: „Filme“, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/ jubilaeum-2019/veranstaltungen/filmeunirostock/ (Zugriff 05. 03. 2019). Vgl. Rüsen 1989, 49 – 52; ders. 1990, 184 – 187. Müller 2018, 89 – 91, verweist darauf, dass Jubiläen heute Anlass zur „kritischen Geschichtsrevision“ böten, und nennt dabei die Aspekte der Gendergerechtigkeit und des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Siehe auch Schmidt-­Lauber 2018, 110 f. Auch in Rostock ist es selbst schon wieder Tradition, anlässlich von Jubiläen über die Feierpraktiken vorangegangener Jubiläumsfeiern nachzudenken. Für Müller, 2005, 29, markiert dies gar den Beginn der Universitätsgeschichtsschreibung, und zwar schon im ausgehenden 16. Jahrhundert. Für Rostock lässt sich schon der kleine Beitrag von Krey 1818 als ein frühes Beispiel einer ganzen Kette von einschlägigen Beiträgen betrachten. Auf die Aufgabe von Universitätsjubiläen, Universitäten in vitaler Funktionstüchtigkeit zu demonstrieren, verweist zuletzt Füssel 2019, 23. Siehe ähnlich auch bei Erdle 2018, 72 f. Vgl. Kuhrau 2013, 67 f. Zu diesem Typ vgl. auch Füssel 2019, 15 f. Siehe ferner die Beiträge von Ernst Münch und Steffen Stuth in diesem Band. Üblicherweise ist die Marienkirche wieder Zielpunkt der Umzüge, beim Jubiläumsumzug 1994 war es ausnahmsweise die Nikolaikirche, vgl. Strahl/Hartwig 2014, 20 – 22; Beckmann 1994, 35 f. Zur Bedeutung von Prozessionen und Umzügen für die akademische Feierkultur allgemein namentlich auch in Beziehung zu den die Universitäten beherbergenden Städten

600 Jahre Universität Rostock

71 72 73 74 75 76 77 78

79 80 81

82 83

84 85 86 87 88

89 90 91 92 93

vgl. Füssel 2019, 16 f. („eine mögliche Form der Ausübung kultureller Hegemonie“, 16), und Drüding 2019, 69. Stellvertretend für viele Beiträge etwa bei Jakubowski/Münch 1995, 7 f., oder Münch 2013, 42. Jakubowski/Münch 1995, 7. Verein für Rostocks Altertümer 1919. Siehe vor allem darin auch die Beiträge von Münch 2013 und Kuhrau 2013. Siehe dazu auch den Beitrag von Wolfgang Eric Wagner in diesem Band. Bärnreuther 2013, 89. Bärnreuther 2013, 89. Stadt Rostock, „Projektbüro Doppeljubiläum“, https://www.rostock800600.de/projektbuero-­ stadtjubilaeum/ (Zugriff 07. 03. 2019); Universität Rostock, „Sie kontaktieren uns“, https:// www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/kontakt/ (Zugriff 20. 03. 2019). Siehe hierfür auch den Beitrag von Marc von der Höh, der genau dies thematisiert. Vgl. etwa Große Burlage 2005, 283 – 289. Zum „Doppeljubiläum“ 575 Jahre Universität und 425 Jahre Universitätsbibliothek Rostock zeigten Universität und Städtische Museen im Kloster zum Heiligen Kreuz die Jubiläumsausstellung „Gelehrte an der Universität Rostock und ihre Werke“ (28.09. – 20. 11. 1994), vgl. Beckmann 1995, 106 – 109. Vgl. z. B. Wegner 2011, 139 – 150. Siehe den Katalog Strahl/Paschen 2018 und hier insbesondere die Einführung 11 – 13. Antje Strahl, eine der Betreuerinnen der Ausstellung, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Rostocker Universitätsarchivs. Auskunft Steffen Stuth, 08. 03. 2019. Vorankündigung auf der Internetseite des Kulturhistorischen Museums, http://www.kultur​ historisches-­museum-­rostock.de/sonderausstellungen/vorschau.html (Zugriff 08. 03. 2019). Universität Rostock, „Ausstellung ‚Experiment Zukunft‘“ (Zugriff 08. 03. 2019). Der Beitrag hat entsprechend in diesem Band Aufnahme gefunden. Universität Rostock, „Arbeitsgruppe ‚Ausstellung Menschen  – Wissen  – Lebenswege‘“, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/gremien/ arbeitsgruppe-­ausstellung-­menschen-­wissen-­lebenswege/ (Zugriff 08.  03.  2019). Auskunft Steffen Stuth, 08. 03. 2019. Vgl. Rüsen 1989, 52 – 55; ders. 1990, 187 – 191. Vgl. Drüding 2019, 63 – 65 für den Kontext der Sicherung staatlicher Unterstützung. Universität Rostock, „600 Jahre Universität Rostock“, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum-2019/ (Zugriff 08.  03.  2019). Siehe etwa die Gestaltung des Jubiläumsprogramms, Universität Rostock, „Das Jubiläumsjahr 2019“, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/jubilaeum2019/­veranstaltungen/highlights-2019/ (Zugriff 05. 03. 2019) und der Begrüßungsseite im universitären Webauftritt, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/uni-­gestern-­und-­heute/ jubilaeum-2019/ (Zugriff 20. 03. 2019), wo jeweils auf das Doppeljubiläumslogo verzichtet wird. Anders als dieses bedient sich das Universitätslogo durch die Verwendung des mittelalterlichen Siegels einer dezidiert historisierenden Bildlichkeit. 485

Oliver Plessow

94 Faszination Fankurve, „Meck-­Pomm flächendeckend mit Hansa Streetart überzogen“, 15. 10. 2015, http://www.faszination-­fankurve.de/index.php?head=Meck-­Pomm-­flaechendeckend-­mit-­Hansa-­ Streetart-­ueberzogen (Zugriff 10. 03. 2019). 95 Assmann 2003, 313 f. 96 Drüding 2014, 259 f., nennt unter anderem Bierdeckel, Manschettenknöpfe, Plaketten und Armbänder. 97 Bäckerei Sparre präsentiert das „Jubiläumsbrot“, Pressemitteilung zur ersten Verkostung des Jubiläumsbrots, ohne Datum, https://www.rostock800600.de/baeckerei-­sparre-­praesentiert-­ das-­jubilaeumsbrot/ (Zugriff 06. 01. 2019). 98 Universität Rostock, „Würzig, kross und vollmundig – so schmeckt das Rostocker Doppeljubiläum“, 13. 02. 2018, https://www.uni-­rostock.de/universitaet/aktuelles/pressemeldungen/detail​ ansicht/n/wuerzig-­kross-­und-­vollmundig-­so-­schmeckt-­das-­rostocker-­doppeljubilaeum-24591/ (Zugriff 08. 03. 2019). 99 Achim Schaffrinna, Rostocker mit neuem Markenauftritt, https://www.designtagebuch.de/ rostocker-­mit-­neuem-­markenauftritt/ (Zugriff 06.  01.  2019). 100 Alle Auskünfte Alexander Koethe, Brand Manager der Rostocker Brauerei GmbH, 06. 02. 2019. 101 Wer in einer Suchmaschinenanfrage „Rostock“ mit „remember“, „remembrance“, „memory“ und dergleichen verknüpft, erhält als Ergebnis neben Verweisen auf die Stasi-­UHaft-­Gedenkstätte vor allem Reflexionen über die Geschehnisse in Lichtenhagen aus den Jahren 2012 und 2017 – unter anderem bei AlJazeera und der BBC. 102 Heinrich 2018, 304 f. 103 Endlich 2017. 104 Es handelt sich um Gudrun Heinrich von der Arbeitsstelle Fachdidaktik Sozialkunde – Politische Bildung und den Verfasser. Das Projektseminar fand im Sommersemester 2017 statt. 105 Siehe etwa Hahn 2018, 22, Kollmann 2014, 24 – 29, und auch schon bei Assmann 2003. 106 Die Medialisierung erfolgte hier allerdings nicht in Form einer Schrift, sondern durch die Einrichtung eines Medienarchivs und einer dazugehörigen Website www.rostock-­lichten​ hagen-1992.de. 107 Schmidt-­Lauber 2018, 99.

486

600 Jahre Universität Rostock

Quellen- und Literaturverzeichnis

Assmann, Aleida (2003), „Jahrestage – Denkmäler in der Zeit“, in: Paul Münch (Hg.), Jubiläum, Jubiläum … Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen, 305 – 314. Bärnreuther, Andrea (2013), „Auf dem Weg zum Doppeljubiläum. Das Jubiläum als Schrittmacher nachhaltiger Entwicklung“, in: Wolfgang Schareck/Andrea Bärnreuther (Hgg.), Auf dem Weg zum Doppeljubiläum. Bd. 1. 6 vor 600. Zur Wiedereröffnung des Hauptgebäudes des Universität Rostock, Petersberg, 89 – 93. Beckmann, Ingrid (Red.) (1995), 575 Jahre Universität Rostock. Rückblick auf die Jubiläumsfeierlichkeiten 1994 (Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock 21), Rostock. Bretschneider, Falk/Pasternack, Peer (1999), „Rituale der Akademiker“, in: Falk Bretschneider/ Peer Pasternack (Hgg.), Akademische Rituale. Symbolische Praxis an Hochschulen (hochschule ost 3 – 4), Leipzig, 9 – 46. Buchsteiner, Martin/Strahl, Antje (2008), Zwischen Monarchie und Moderne. Die 500-Jahrfeier der Universität Rostock 1919 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 4), Rostock. Demantowsky, Marko (2014), „Vom Jubiläum zur Jubiläumitis“, in: Public History Weekly 2, (11), http://public-­history-­weekly.oldenbourg-­verlag.de/2  –  2014  –  11/vom-­jubilaeum-­zur-­ jubilaeumitis/ (Zugriff 8. 03. 2018). Drüding, Markus (2014), Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Universitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (1919 – 1969) (Geschichtskultur und historisches Lernen 13), Münster. Drüding, Markus (2019), „Warum feiern Universitäten Geschichte? Funktionen und Formen deutscher Universitätsjubiläen im späten 19. und 20. Jahrhundert“, in: Martin Kintzinger/ Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel (Hgg.), Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsgeschichte 15), Basel, 55 – 76. Endlich, Stefanie (2017), „Rostock-­Lichtenhagen 1992. Kunstwettbewerb ‚Erinnern und Mahnen‘“, in: Kunststadt Stadt Kunst. Informationsdienst des bbk Berlin 64, 16 – 19. Erdle, Birgit R. (2018), „Die Jahre der Universität sind gezählt. Zur Zeitlichkeitsfigur des Jubiläums“, in: Franz Eybl/Stephan Müller/Annegret Pelz (Hgg.), Jubiläum. Literatur- und kultur­ wissenschaftliche Annäherungen (Schriften der Wiener Germanistik 6), Göttingen, 69 – 76. Füssel, Marian (2009), „Talar und Doktorhut. Die akademische Kleiderordnung als Medium sozialer Distinktion“, in: Barbara Krug-­Richter/Ruth Mohrmann (Hgg.), Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa, Köln, 245 – 271. Füssel, Marian (2019), „Universität und Festkultur. Praktiken – Räume – Medien“, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel (Hgg.), Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsgeschichte 15), Basel, 1 – 24. Große Burlage, Martin (2005), Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland 1960 – 2000 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis 15), Münster. Hahn, Alois (2018), „Jubiläum und Gedenken im Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessen“, in: Franz Eybl/Stephan Müller/Annegret Pelz (Hgg.), Jubiläum. Literatur- und kulturwissenschaftliche Annäherungen (Schriften der Wiener Germanistik 6), Göttingen, 11 – 25. 487

Oliver Plessow

Heidorn, Günter (Hg.) (1969), Geschichte der Universität Rostock. 1419 – 1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-­Jahr-­Feier der Universität, 2 Bde., Berlin. Heine, Thomas (2009), Politik und Jubiläen an der Universität Rostock. B. A.-Arbeit Rostock. Heinrich, Gudrun (2018), „Rostock Lichtenhagen 1992 – 2017. Aufarbeitung und Erinnerung als Prozess der lokalen politischen Kultur. Ein Essay“, in: Martin Koschkar/Clara Ruvituso (Hgg.), Politische Führung im Spiegel regionaler politischer Kultur, Wiesbaden, 293 – 310. Iubilaeum academiae Rostochiensis festum (1620), Iubilaeum academiae Rostochiensis festum, hebdomade Sabbataria, centenarium eiusdem tertium incöante, auctoritate & liberalitate praecelsissimorum & amplissimorum dominorum patronorum, praesentibus eorundem legatis magnificis, cum summa festivitate, mense Novembri anni 1619 celebratum, Rostock. Jakubowski, Peter/Münch, Ernst (Hgg.) (1995), Wissenschaftliche Tagung Universität und Stadt anläßlich des 575. Jubiläums der Eröffnung der Universität Rostock, Rostock. Jeismann, Karl-­Ernst (1977), „Didaktik der Geschichte. Die Wissenschaft von Zustand, Funktion und Veränderung geschichtlicher Vorstellungen im Selbstverständnis der Gegenwart“, in: Erich Kosthorst (Hg.), Geschichtswissenschaft. Didaktik, Forschung, Theorie, Göttingen, 9 – 33. Kollmann, Catrin B. (2014), Historische Jubiläen als kollektive Identitätskonstruktion. Ein Planungsund Analyseraster. Überprüft am Beispiel der historischen Jubiläen zur Schlacht bei Höchstädt vom 13. August 1704, Stuttgart. Kuhrau, Sven (2013), „Die Universität und die Stadt. Ein Plädoyer aus Anlass der Wiedereröffnung des Hauptgebäudes der Universität Rostock“, in: Wolfgang Schareck/Andrea Bärnreuther (Hgg.), Auf dem Weg zum Doppeljubiläum. Bd. 1. 6 vor 600. Zur Wiedereröffnung des Hauptgebäudes des Universität Rostock, Petersberg, 65 – 75. Krey, Johann Bernhard (1818), „Die Jubelfeste der Universität Rostock“, in: Johann Bernhard Krey, Beiträge zur Mecklenburgischen Kirchen- und Gelehrtengeschichte, Bd. 1, Rostock, 134 – 135, 246. Krüger, Kersten (2011), „Universitätsgeschichte? – Plädoyer für eine Neufassung“, in: Hans-­ Uwe Lammel/Gisela Boeck (Hgg.) (2011), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Referate und Materialien der Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock, 37 – 46. Lammel, Hans-­Uwe/Boeck, Gisela (Hgg.) (2011), Wie schreibt man Rostocker Universitätsgeschichte? Referate und Materialien der Tagung am 31. Januar 2010 in Rostock (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 18), Rostock. Maeß, Gerhard (Hg.) (1994), 575 Jahre Universität Rostock. Mögen viele Lehrmeinungen um die eine Wahrheit ringen, Rostock. Müller, Winfried (2004), „Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion“, in: Winfried Müller (Hg.), Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster, 1 – 75. Müller, Winfried (2005), „Vom ‚papistischen Jubeljahr‘ zum historischen Jubiläum“, in: Paul Münch (Hg.), Jubiläum, Jubiläum … Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen, 29 – 44. Müller, Winfried (2018), „Die inszenierte Universität. Historische und aktuelle Perspektiven von Universitätsjubiläen“, in: Franz Eybl/Stephan Müller/Annegret Pelz (Hgg.), Jubiläum. Literatur- und kulturwissenschaftliche Annäherungen (Schriften der Wiener Germanistik 6), Göttingen, 77 – 97. 488

600 Jahre Universität Rostock

Münch, Ernst (2013), „Der Stadt zur Zierde und dem Landesherrn zur Ehre. Zur Entstehung des Hauptgebäudes und zum Beziehungsgeflecht der Universität Rostock im 19. Jahrhundert“, in: Wolfgang Schareck/Andrea Bärnreuther (Hgg.), Auf dem Weg zum Doppeljubiläum. Bd. 1. 6 vor 600. Zur Wiedereröffnung des Hauptgebäudes des Universität Rostock, Petersberg, 28 – 59. Nietzsche, Friedrich (1988), „Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“, in: Giorgio Colli/Mazzino Montinari (Hgg.), Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I–IV. Nachgelassene Schriften 1870 – 1873 (Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe 1), München, 243 – 334. Oberdörfer, Eckhard/Binder, Peter (2005), Die Universität Greifswald. Eine Festgabe zur 550-Jahr-­ Feier, Greifswald. Pandel, Hans-­Jürgen (2013), Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis (Forum Historisches Lernen), Schwalbach/Ts. Rüsen, Jörn (1989), Lebendige Geschichte, Göttingen. Rüsen, Jörn (1990), Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt am Main. Rüsen, Jörn (1994), „Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken“, in: Klaus Füßmann/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen (Hgg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln/Weimar/Wien, 3 – 26. Rüsen, Jörn (1995), „Geschichtskultur“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46.9, 513 – 521. Rüsen, Jörn (2008), Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden (Forum historisches Lernen), 2. Aufl. Schwalbach/Ts. Sander, Uwe (2013), „Geschichte und Baumaßnahme des Hauptgebäudes der Universität Rostock“, in: Wolfgang Schareck/Andrea Bärnreuther (Hgg.), Auf dem Weg zum Doppeljubiläum. Bd. 1. 6 vor 600. Zur Wiedereröffnung des Hauptgebäudes des Universität Rostock, Petersberg, 60 – 63. Schmidt-­Lauber, Brigitta (2018), „Die (sich) feiernde Universität. Bedeutungsstiftung durch Jubiläen“, in: Franz Eybl/Stephan Müller/Annegret Pelz (Hgg.), Jubiläum. Literatur- und kulturwissenschaftliche Annäherungen (Schriften der Wiener Germanistik 6), Göttingen, 99 – 114. Schönemann, Bernd (2000), „Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur“, in: Bernd Mütter/ Bernd Schönemann/Uwe Uffelmann, (Hgg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim, 26 – 58. Strahl, Antje/Hartwig, Angela (2014), Die feierliche Aufnahme in die Universität – eine lebendige Rostocker Tradition! 2. Aufl. (Kleine Schriften des Universitätsarchivs Rostock 1), Rostock. Strahl, Antje/Paschen, Anne (2018), Rostock. Meine Geschichte. Katalog zur Ausstellung, Rostock. Universität Rostock (1945), Die Feier des fünfhundertfünfundzwanzigjährigen Bestehens der Universität Rostock, Rostock (Druckfahne im Archiv der Universität Rostock, Digitalisat: http:// purl.uni-­rostock.de/rosdok/ppn657041254, (Zugriff 06. 06. 2019). Wagner, Wolfgang Eric (2019), „Die Erfindung des Universitätsjubiläums im späten Mittelalter“, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel (Hgg.), Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsgeschichte 15), Basel, 25 – 54. Verein für Rostocks Altertümer (1919), Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock. Aus Anlaß der 500-Jahr-­Feier herausgegeben und der Universität dargebracht (Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 11), Rostock. 489

Oliver Plessow

Wegner, Nora (2010), „Besucherforschung und Evaluation in Museen. Forschungsstand, Befunde und Perspektiven“, in: Patrick Glogner/Patrick Föhl (Hgg.), Das Kulturpublikum. Fragestellung und Befunde der empirischen Forschung, 2. Aufl. Wiesbaden, 97 – 152. Wockenfuß, Karl (1994), „Ein Jubiläum – zwei Feiern. Die Feier zum 550-jährigen Jubiläum der Universität Rostock in Kiel 1969“, in: Maeß, Gerhard (Hg.), Die Universität Rostock 1945 – 1969. Ergänzende Beiträge zur Universitätsgeschichte (Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock 19), 119 – 137.

490

Abkürzungsverzeichnis AHR Archiv der Hansestadt Rostock AHL Archiv der Hansestadt Lübeck BArch Bundesarchiv BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik CPR Catalogus Professorum Rostochiensium LHAS Landeshauptarchiv Schwerin MPR Matrikelportal Universität Rostock SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv RAG Repertorium Academicum Germanicum UA Universitätsarchiv UAL Universitätsarchiv Leipzig UAR Universitätsarchiv Rostock UB Universitätsbibliothek UBR Universitätsbibliothek Rostock UMR Universitätsmedizin Rostock

491

Abbildungsnachweise Marc von der Höh: Personen, Traditionen und Insignien Abb. 1:

Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 4. Abb. 2: Universitätsarchiv Rostock, Statutenbuch 1419 – 1756, R I A 01, fol. 1. Abb. 3: Landeshauptarchiv Schwerin, 1.6 – 1 Urkunden Universität Rostock, Nr. 5. Abb. 4: Universitätsarchiv Rostock. Abb. 5: Landeshauptarchiv Schwerin,1.6 – 1 Urkunden Universität Rostock, Nr. 5 (wie Abb. 3) Abb. 6: Universitätsarchiv Rostock. tAbb. 7: Universitätsarchiv Rostock. Abb. 8: Kölnisches Stadtmuseum, Inv.-Nr. KSM S 8, Rheinisches Bildarchiv Köln, Fotograf Wolfgang F. Meier, rba_d014771. Abb. 9: Universitätsarchiv Leipzig, UAL_Urkunde_R_06_01516_04 (Großes Universitätssiegel). Abb. 10: Universitätsarchiv Heidelberg, SG 5, Foto: BA Dig 00088 (Gabriel Meyer/Universitätsarchiv Heidelberg).

Anne Sowodniok: Zwischen den Fronten Abb. 1:

Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 54. Abb. 2: Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 55. Abb. 3a und 3b: Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 60 – 61. Abb. 4: Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 128. Abb. 5: Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 285. Abb. 6: Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 373.

Wolfgang Eric Wagner: „ut moris est studentium“

Abb. 1, 2, 5: Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-­Vorpommern. Für die schnelle und freundliche Bereitstellung der Abbildungen danken wir Herrn Dr. Detlef Jantzen. Abb. 3: Wikicommons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ b4/Hollar-­Rostock.jpg (Stand 15. 07. 2019). Abb. 4, 6: Stadtarchiv Rostock, 3.2, Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberumten alten See- und Hensestadt Rostock Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk, 1578 – 1586. 493

Abbildungsnachweis

Ernst Münch: Klagen auf hohem Niveau

Abb. 1a und 1b: Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung. Abb. 2: Universitätsarchiv Rostock, Porträtsammlung. Abb. 3: Stadtarchiv Rostock, 3.2, Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberumten alten See- und Hensestadt Rostock Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk, 1578 – 1586. Abb. 4: Stadtarchiv Rostock, U 1q, 1599 März 24. Abb. 5: Entwurf: Friedrich Niemeyer.

Otfried Czaika: Nicht nur Theologie Abb. 1:

Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5:

Universitätsarchiv Rostock, Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 5. Königliche Bibliothek zu Stockholm, F 1700 3207a, Reproduktion: Lina Löfström Baker. Königliche Bibliothek zu Stockholm, F 1700 125 C17a, Reproduktion: Lina Löfström Baker. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 39.11 Poet. (14). Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 39.11 Poet. (27).

Jan-­Hendrik Hütten: Die Gründungsjubiläen der Universität Rostock in der Vormoderne

Abb. 1, 2: Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, MK-11568.2. Abb. 3: Stadtarchiv Rostock, 1.1.3.14.8v. (#Registratursignatur: 0165 s 3) Abb. 4, 5: Stadtarchiv Rostock, 3.2, Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberumten alten See- und Hensestadt Rostock Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk, 1578 – 1586. Abb. 6: Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen, Mk-7759.

Hans-­Uwe Lammel: „Warnow-­Athen“ und mecklenburgisches Jerusalem Abb. 1:

Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. G 1068. Für die großzügige Unterstützung bei der Beschaffung der Druckvorlage danken wir Herrn PD Dr. Torsten Fried. Abb. 2, 3: Universitätsarchiv Rostock, Matrikelbuch der Universität Bützow, 13.1.1. Abb. 4, 5: Fotos: Laura Tack. Abb. 6: Stiftung Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Inv.-Nr. G 191. Für die großzügige Unterstützung bei der Beschaffung der Druckvorlage danken wir Herrn PD Dr. Torsten Fried.

Ulrike von Hirschhausen: Die Universität Rostock im 19. und frühen 20. Jahrhundert Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: 494

Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung. Wikicommons, gemeinfrei, https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_T%C3 %BC rk_ (Rechtshistoriker)#/media/Datei:Carl_T%C3 %BCrk.jpg (Stand 15. 07. 2019). Wikicommons, gemeinfrei, https://de.wikipedia.org/wiki/Meiji-­Verfassung#/media/ Datei:Meiji_Kenpo03.jpg (Stand 15. 07. 2019).

Abbildungsnachweis

Ekkehardt Kumbier und Kathleen Haack: Spezialisierung und Professionalisierung

Abb. 1: Stadtarchiv Rostock, Fotosammlung. Abb. 2: Krankenblattarchiv, Zentrum für Nervenheilkunde, Universitätsmedizin Rostock. Abb. 3: Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung. Abb. 4: Krankenblattarchiv, Zentrum für Nervenheilkunde, Universitätsmedizin Rostock. Abb. 5: Privatarchiv Ekkehardt Kumbier. Abb. 6, 7: Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung.

Steffen Stuth: Vom Markt zur Universität Abb. 1:

Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6:

Stadtarchiv Rostock, 3.2, Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberumten alten See- und Hensestadt Rostock Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk, 1578 – 1586. Universitätsbibliothek Rostock, K-10691/12. Kulturhistorisches Museum, 1970-685-413 (Dauerleihgabe Altonaer Museum). Stadtarchiv Rostock, 3.4.-2.4.4. 155-1. Kulturhistorisches Museum Rostock, 1970-685-409 (Dauerleihgabe Altonaer Museum). Kulturhistorisches Museum, N 1372.

Gisela Boeck: „Nach den von den Dozenten eingezogenen ­Erkundigungen […] haben die Hörerinnen besonderen Fleiss bewiesen“ Abb. 1:

Universitätsarchiv Rostock, R 11 B 12/ 1: Frauenstudium, 1869 bis 1910, Brief vom 20. Mai 1869. Abb. 2, 3: Universitätsarchiv, Fotosammlung. Abb. 4: Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Fotosammlung. Abb. 5: Robert Koch-­Institut, Berlin. Für die Bereitstellung der Abbildung danken wir Frau Henriette Senst. Abb. 6: Medienzentrum der Universität Rostock. Abb. 7: Archiv der Technischen Universität Berlin (Urheber unbekannt). Abb. 8: Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung.

Florian Detjens: Die Universität Rostock im Nationalsozialismus Abb. 1:

Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6:

Kulturhistorisches Museum Rostock. Für die freundliche Bereitstellung danken wir Herrn Dr. Steffen Stuth und Herrn Ullrich Klein. Universitätsarchiv Rostock, R4C7 3. Universitätsarchiv Rostock, Rostocker Anzeiger, Wirtschaftsblatt für Mecklenburg, Vorpommern und Prignitz, 58. Jahrgang, Nr. 295, Erstes Beiblatt vom 17. 12. 1938. Universitätsarchiv Rostock, R17 A1, Blatt 399. Universitätsarchiv Rostock, Rostocker Universitätszeitung, Nr. 4, 19. 02. 1934. Universitätsarchiv Rostock, Porträtsammlung.

495

Abbildungsnachweis

Mario Niemann: Zur Etablierung und ­Entwicklung der Agrargeschichte 1960 bis 2003 Abb. 1: Abb. 2:

Universitätsarchiv. Fotosammlung. Stadtarchiv Rostock. Fotosammlung.

Christopher Dietrich: Unbequeme Aushängeschilder Abb. 1 – 5: Universitätsarchiv Rostock. Fotosammlung.

Kersten Krüger: Von der „Forschungsbibliothek zur DDR-Geschichte“ 1995 zum „Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland“ 1998

Abb. 1: Privatarchiv Angela Hartwig. Abb. 2 – 6: Privatarchiv Fred Mrotzek. Abb. 7 – 10: Medienzentrum der Universität Rostock. Abb. 11: Foto von Rainer Henkel, Wikicommons, CC-BY-SA 3.0, unverändert.

Oliver Plessow: 600 Jahre Universität Rostock Abb. 1, 2: Universitätsarchiv Rostock, Fotosammlung. Abb. 3a und b: Hanse- und Universitätsstadt Rostock. Abb. 4: Kulturhistorisches Museum Rostock. Abb. 5: Universität Rostock, Pressestelle. Abb. 6 – 8: Fotos: Marc von der Höh.

Weitere Abbildungen

Abb. A1 und A2 (S. 16 – 17): Universitätsarchiv Rostock, Statutenbuch 1419 – 1756, R I A 01. Abb. B (S. 20): Landeshauptarchiv Schwerin, 1.6-1 Urkunden Universität Rostock, Nr. 3 Abb. C1 und C2 (S. 140 – 41): Universitätsarchiv Rostock. Matrikel 1419 – 1760, R XII A 1 a, (neu: 1.08.0 Matrikelbücher), 1, 3. Abb. C (S.  162 – 63): Wikicommons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/­ commons/b/b4/Hollar-­Rostock.jpg (Stand 15. 07. 2019). Abb. D (S. 268 – 69): Kunstbibliothek Berlin, Lipperheidesche Kostümbibliothek, Lipp OZ 73. Abb. E (S. 354 – 55): Stiftung Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern, Münzkabinett. Ein besonderer Dank geht an Herrn PD Dr. Fried für die Bereitstellung der Medaille.

496