Tierpsychologisches Praktikum in Dialogform [Reprint 2022 ed.] 9783112682845


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Table of contents :
Inhalt
I. Teil: Wahrnehmung
1. Kurs: Einleitung
2. Kurs: Formrezeption
3. Kurs: Der homogene und heterogene Reiz
4. Kurs: Lichtfeld und Gegenstand (der quantitative Reiz)
5. Kurs: Die Gegenwelt
6. Kurs: Orientierung der Insekten
7. Kurs: Die Identitätstheorie
8. Kurs: Die spezifische Nervenenergie
9. Kurs: Die zentrale Lokalisation
10. Kurs: Das periphere Subjekt
II. Teil: Handlung
11. Kurs: Tropismen
12. Kurs: Methode des Versuchs und Irrtums
13. Kurs: Zweck und Zufall
14. Kurs: Lehre vom Erregungsausgleich
15. Kurs: Mono-, Bi- und Tripolarhypothese
16. Kurs: Die psychische Umstimmung
17. Kurs: Der Affekt
18. Kurs: Intellektuelle Bewertung der Instinkte
19. Kurs: Die verschiedenen Handlungstypen
20. Kurs: Synthese
III. Teil: Erfahrung
21. Kurs: Gewöhnung
22. Kurs: Theorien des Gedächtnisses
23. Kurs: Tierträume
24. Kurs: Spiele der jungen Tiere
25. Kurs: Spiele der alten Tiere (Ameisen und Vertebraten)
26. Kurs: Sogenannte Intelligenz bei Vertebraten
27. Kurs: Erfahrung
28. Kurs: Sprache der Tiere
29. Kurs: Objektive Psychologie
30. Kurs: Synthese: Die biologischen Schemen
31. Kurs: Synthese: Das allgemeine Schema
Literaturverzeichnis
Autorenregister
Sachregister
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Tierpsychologisches Praktikum in Dialogform [Reprint 2022 ed.]
 9783112682845

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Tierpsychologisches Praktikum in Dialogform Von

Karl Camillo Schneider a. o.

Professor

Mit

der Z o o l o g i e

139

an der

Figuren

im

Universität

Text

Leipzig V e r l a g v o n V e i t & Comp.

1912

Wien

Druck von Metzger S Wittig.

Inhalt I. T e i l :

Wahrnehmung

1. K u r s : E i n l e i t u n g

3

2. K u r s : Formrezeption

18

3 . K u r s : Der h o m o g e n e und h e t e r o g e n e R e i z 4 . K u r s : Lichtfeld u n d G e g e n s t a n d

(der q u a n t i t a t i v e R e i z )

44 .

.

.

.

5 . K u r s : Die G e g e n w e l t

67 99

6. K u r s : O r i e n t i e r u n g der I n s e k t e n

118

7 . K u r s : Die I d e n t i t ä t s t h e o r i e

141

8. K u r s : Die s p e z i f i s c h e N e r v e n e n e r g i e

161

9. K u r s : Die z e n t r a l e L o k a l i s a t i o n

182

1 0 . K u r s : Das p e r i p h e r e S u b j e k t II. T e i l :

204 Handlung

11. Kurs: Tropismen

227

1 2 . K u r s : M e t h o d e des V e r s u c h s u n d I r r t u m s

250

1 3 . K u r s : Z w e c k u n d Zufall

276

14. K u r s : Lehre vom

294

Erregungsausgleich

1 5 . K u r s : M o n o - , Bi- und T r i p o l a r h y p o t h e s e

319

1 6 . K u r s : Die p s y c h i s c h e U m s t i m m u n g

345

1 7 . K u r s : Der A f f e k t

366

18. K u r s : Intellektuelle Bewertung der Instinkte

387

1 9 . K u r s : Die v e r s c h i e d e n e n H a n d l u n g s t y p e n

407

20. K u r s : Synthese

429 III. T e i l :

Erfahrung

21. Kurs: Gewöhnung

453

22. Kurs: Theorien des Gedächtnisses

476

23. Kurs: Tierträume

497

24. K u r s : Spiele der j u n g e n Tiere 2 5 . K u r s : S p i e l e der a l t e n T i e r e ( A m e i s e n u n d V e r t e b r a t e n )

519 .

.

.

.

540

2 6 . K u r s : S o g e n a n n t e I n t e l l i g e n z bei V e r t e b r a t e n

562

27. Kurs: Erfahrung

584

28. K u r s : S p r a c h e der Tiere

606

29. K u r s : Objektive Psychologie

630

3 0 . K u r s : S y n t h e s e : Die b i o l o g i s c h e n S c h e m e n

651

31. K u r s : S y n t h e s e : Das allgemeine S c h e m a

673

Literaturverzeichnis

700

Autorenregister

708

Sachregister

712

I. T e i l

Wahrnehmung

Schneider,

Praktikum.

1. K u r s

Einleitung Widerstreit der Meinungen. Ausgangspunkt in der Analyse des menschlichen Tuns. 1. V e r s u c h : Die t y p i s c h e m e n s c h l i c h e H a n d l u n g . Glieder derselben: Rezeption, Assoziation, Reaktion. Die Konstitution. Das teleologische Glied und seine besondere Bedeutung. 2. V e r s u c h : Die r e f l e k t o r i s c h e H a n d l u n g . Teleologisches Glied auch hier gegeben. Also drei Hauptglieder: Das rezeptorisch-assoziative, das teleologische und das effektorische. Allseitige Stellungnahme zu dieser These und Programmentwurf. Psychologe. Wir wollen uns also, meine Herren, ein wenig mit Tierpsychologie beschäftigen. Monist. Ich bestreite, daß es eine spezielle Tierpsychologie gibt! Zwischen Mensch und Tier ist kein prinzipieller Unterschied. Vitalist. Das müssen Sie uns erst beweisen! Ich behaupte, es ist ein gewaltiger Unterschied. Physiologe. Kein Unterschied! Das kommt davon, wenn man immer mit der Psyche rechnet, die überhaupt keine Rolle spielt. Es gibt gar keine objektive Psychologie! Lamarckist. Wie, w a s ? Dann erklären Sie mir doch gefälligst, wie es kommt, daß Funktion den Körper gestaltet. Biologe. Tut sie gar nicht. Das Tier schafft sich seine Umwelt, nicht im geringsten schafft die Umwelt das Tier. Aber psychophysisch geschieht das nicht. l*

4

1.

KURS

Darwinist. Wo bleibt dann alle Anpassung? Ich verwerfe psychische Kausalität, aber Zweckmäßigkeit gibt's und kommt durch Milieuauslese zustande. Vitalist. Verschonen Sie uns gefälligst mit Auslese! Kein Mensch glaubt mehr daran. Physiologe. Teleologie ist ein veralteter Standpunkt! Biologe. Psychische Teleologie und Darwinistische: beides sind Kindermärchen. Teleologie ist ein biologisches Problem. Lamarckist. Darwinistische Teleologie ist eine Schmach für die Wissenschaft! Monist. Vom Psychischen kommt alles Verständnis! Darwinist. Alles Mißverständnis, wollen Sie sagen. Welch ein Aberwitz, Psychophysik! Monist. Behaupte ich denn die? Ich bin Panpsychist. Viialist. Das nützt uns gar nichts! Biologe. Ganz recht, das alles sind nur Phrasen! Lamarckist. Ohne den rationalen Faktor ist nichts zu wollen! Physiologe. Wer das sagt, dem scheint er zu fehlen! Psychologe. Gemach, gemach, meine Herren! So geht's nicht weiter. Lassen Sie mich eine Bedingung stellen, die für alle gültig ist, sonst können wir gar nicht anfangen. Wenn wir Tierpsychologie treiben — oder sagen wir harmloser: die tierischen Handlungen analysieren wollen —, so müssen wir uns ganz objektiv verhalten — Biologe. Ganz recht, nur nichts Subjektives! Psychologe. So meinte ich's nicht. Ich meinte, wir müssen die Ansichten der anderen respektieren, mindestens ruhig anhören, nicht aber apriorisch in Abrede stellen — Physiologe. Um Gottes willen, nur nichts Apriorisches! Psychologe. Wie wollen Sie ohne das arbeiten? Ich merkte eben, daß jeder von Ihnen eine bestimmte Meinung mitbringt; die ist jedenfalls doch für uns hier apriorisch, aber ich kann mir auch gar nicht vorstellen, daß es anders möglich wäre. Doch darum handelt es sich nicht. Wir wollen annehmen, daß unsere speziellen vorgefaßten Meinungen nur Anteile eines umfassenderen Apriorismus sind, in dem sie sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern ergänzen. Darum Respekt vor der Meinung

EINLEITUNG

5

des anderen, auch wenn sie in gewisser Hinsicht unzulänglich ist. Ein Quentchen Notwendigkeit ist in jeder. Und da haben wir auch gleich einen Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen. Meine Herren, analysieren wir zunächst einmal unser eignes Tun. Den Grundtypus unsrer eignen Handlungen. Um das Maß unsrer Erwartungen nicht zu eng zu setzen. Lamarckist. Ich bin's zufrieden. Vitalist. Ich auch. Der Vergleich mit „uns" wird sich doch immer aufdrängen. Physiologe. Meinetwegen — Biologe. Ich protestiere! Da haben wir sofort die ganze Psyche auf dem Halse. Von unten müssen wir beginnen. Darwinist. Unten und oben, s'ist alles eins! Monist. Der eine findet unten auch oben und der andere oben auch unten; man steht überall mitten drin. Physiologe. Das meine ich auch. Das Prinzip ist überall dasselbe, weshalb da nicht von oben beginnen? Wir werden das Psychische schon gebührend im Zaume halten. Psychologe. Sechs gegen einen! Entweder räumen wir Einem bedingungslos die Führerschaft ein oder die Majorität entscheidet. Biologe. Da bin ich schon lieber dafür, Sie. übernehmen die Führung und diktieren das Programm. Psychologe. Das will ich nicht. Die Sache selbst soll das Programm diktieren und soll auch unsere Schlüsse bestimmen. Lamarckist. 0 weh, damit wird's wohl hapern! Psychologe. Ich glaube doch, daß in der Sache selbst Beweiskraft genug liegt. Allerdings werden wir nicht gleich beim ersten Schritte uns einigen, denn so schnell lassen sich die Standpunkte nicht abwerten; erst nach und nach tritt aller Denkgehalt zutage. Und da werden wir wohl zunächst meist abstimmen müssen. Vitalist. Es fragt sich nur, ob alle folgen „wollen"! Da beweisen Abstimmungen gar nichts. Physiologe. Meinen Sie, Ihre Argumente wären u n s zu hoch? Um so schlimmer für die Argumente!

6

1. KURS

Vitalist. Fast möchte ich mit Hegel erwidern: Um so schlimmer für die Tatsachen! So wie Sie sie ansehen. Psychologe. Für solche Fälle gibt es Kompromisse. Oder wir lassen die Frage offen für ein andres Mal, wo sie gründlicher erledigt werden kann. Ich finde, auf diese Weise werden wir uns überhaupt am besten Programme verschaffen. Jeder soll Gelegenheit haben, bestimmte Untersuchungen zu leiten; er weist darauf hin und wir räumen ihm bei Gelegenheit die Führung ein. Sind Sie damit einverstanden? Vitalist. Sei's. Darwinist. Lassen wir's darauf ankommen. Physiologe. Der Gedanke ist annehmbar. Lamarckist. Ich habe nichts dagegen. Biologe. Ein modus procedendi muß doch sein. Monist. Wenn alle einwilligen, nur zu. Psychologe. Und für heute überlassen Sie vielleicht die Führung mir. Betrachten Sie mich als den Alterspräsidenten. Nun gut, so wollen wir beginnen. Und zwar mit uns selbst, mit der Analyse unsers Tuns. Nur in Hinsicht auf mögliche Richtlinien, nach denen bei den Tieren vorzugehen ist, nicht etwa irgendwie erschöpfend.

1. V e r s u c h . Die typische menschliche Handlung. Psychologe. Gemäß unsern ursprünglichen Abmachungen beginnen wir also mit einem Experiment. Es wird soeben mit uns angestellt. In der Ferne höre ich läuten. Ich sehe nach der Uhr, es ist Mittag. Wir haben uns etwas verspätet getroffen, ein andermal beginnen wir lieber früher. Ich ginge am liebsten Mittag speisen. Da haben Sie das Experiment! Mehr brauchen wir nicht, es steckt schon alles darin, was zum Verständnis unsers Tuns genügt. Physiologe. Viel ist das nicht, aber immerhin genug. Zunächst haben wir den Reiz: das Schlagen der Uhr, das allerwichtigste Glied im Ganzen.

EINLEITUNG

7

Psychologe. Das allerwichtigste? Nun, wir werden ja sehen. Was haben wir n o c h ? Monist. Die ganze Kette der Assoziationen, durch die der Reiz erst seine Bedeutung f ü r u n s gewinnt. Die Erinnerung, daß wir g e w o h n t sind, um 1 2 Uhr Mittag zu speisen; die Vorstellung, daß wir u n s hätten eher treffen sollen; die Vorstellung daß es b e s s e r wäre, abzubrechen — Lamarckist. Vergessen Sie nicht den rationalen Faktor! Die Überlegung, daß es trotzdem am zweckmäßigsten ist, hier zu bleiben. Vitalist. Von der Rationalität k ö n n e n wir wohl absehen, s o n s t wird die Sache gar zu kompliziert. Biologe. Nur scheinbar, es ist alles toute m ê m e chose. Darwinist. Die Reaktion ist die H a u p t s a c h e , auf die läuft doch das Ganze hinaus. Psychologe. Also schon die zweite H a u p t s a c h e ! Reiz und Reaktion. Ob d a s wohl s t i m m t ? Physiologe. In der Tat sind alle assoziativen Mitttelglieder n u r Erweiterungen des Reizes, so daß sie ihm zugerechnet werden können. Es gibt d a h e r nur zwei Hauptglieder: d a s rezeptorisch-assoziative u n d d a s effektorische; Reiz und Reaktion. Vitalist. Aber erlauben Sie, d a s ist doch eine völlige V e r k e n n u n g des T a t b e s t a n d e s . Sie vernachlässigen ganz das psychische Moment.

Lamarckist.

Und das rationale!

Vitalist. Lassen wir d a s letztere außer Betracht, da wir ja doch Vergleiche zu den Tieren suchen. Aber die Assoziation: wie k a n n man die einfach dem Reize z u o r d n e n , da sie doch psychischer Natur ist? Und sie wieder setzt E m p f i n d u n g voraus, d e n n an diese n u r k n ü p f t sie an. Derart ergeben sich aber zwei Hauptglieder g a n z a n d r e r Art, die zunächst unterschieden werden m ü s s e n : das physiologische und das psychische Glied. Monist. So dürfen Sie nicht urteilen. Die psychischen Glieder begleiten nur die p h y s i o l o g i s c h e n , E m p f i n d u n g u n d Assoziation d a s rezeptorische u n d Trieb d a s effektorische Glied. Folglich ist allein Gliederung in Reiz und Reaktion erlaubt, n a t ü r lich unter Einbeziehung des Psychischen.

8

1. KURS

Biologe. Lassen Sie das Psychische nur ruhig weg, setzen Sie aber dafür ein anderes Glied ein, das Sie ganz vergessen haben. Physiologe. Was soll denn das sein? Biologe. Die Konstitution! Psychologe. Es fehlt allerdings noch ein Glied und gerade das wichtigste; doch nenne ich's nicht Konstitution, obgleich es damit eine gewisse Verwandtschaft hat. Wir dürfen doch nicht den Zweck vergessen. Biologe. Das ist eben die Konstitution! Vitalist. Nein, Zweck ist die Entelechie! Lamarckist. Nein, Zweck ist die Vernunft! Psychologe. Meine Herren! das sind bereits Deutungen, die eine ausführliche Begründung verlangen, was uns heute viel zu weit ablenken würde. Wie sich der teleologische Faktor erklären läßt, soll uns nicht kümmern, darüber ein andermal; aber daß er da ist und eine wesentliche Rolle spielt, das haben wir festzuhalten. Physiologe.

Wo steckt er denn?

Ich kann ihn nirgends

entdecken.

Psychologe. Nun, welchen Zweck hat denn die Reaktion? Ich meine: in unserm Beispiele. Physiologe. Den Hunger zu stillen. Ich gebe zu, das klingt wie Zweck. Aber in Wahrheit haben wir doch nur eine Gruppe von Vorstellungen — ich will mich einmal psychologisch ausdrücken —, die die Reaktion antizipiert. Sie könnte fehlen und die Reaktion erfolgte doch. Darwinist. Ganz recht. Die Handlung als Ganzes ist zweckmäßig, einen besondern teleologischen Faktor kann ich nicht anerkennen. Meine Herren! wir müssen einen andern Weg einschlagen. Psychologe. Heute habe ich die Führung, gestatten Sie mir also die Direktion des Weges. Ich finde, Sie tragen alle zu viel Das deutete ich ja vorgefaßte Meinungen in unsre Analyse. schon früher an und finde es auch entschuldbar, ja unvermeidlich; aber lassen Sie uns den Sachverhalt doch erst einmal ganz unbefangen prüfen. Als erstes Glied ist uns der Reiz gegeben.

EINLEITUNG

9

Ihm folgt die E m p f i n d u n g , die dem Reize unmöglich v o r a u s gehen kann. Nun eine ganze Kette von Erinnerungen, wie wir bereits feststellten, die wieder Gehirnvorgängen — Zerebrationen — zugeordnet sind. Auch hier wollen wir a n n e h m e n , daß die Assoziationen den Zerebrationen folgen, obgleich das nicht ganz sicher ist. Physiologe. Daran ist doch kein Zweifel möglich! Psychologe. Das werden wir später sehen. Nach der Meinung der Herren folgt n u n die effektorische Hälfte des Vorg a n g s , sagen wir: Willensäußerung u n d Reaktion. Es geht dabei der Wille jedenfalls der Reaktion voraus. Lamarchist. Nun fehlt eben noch d a s teleologische Glied! Das gehört vor den Willensakt. Psychologe. Gehört es nicht ü b e r h a u p t vor die ganze Gliederreihe? Biologe. Das gebe ich zu, weil eben die Konstitution, in der d a s teleologische M o m e n t steckt, vor der H a n d l u n g gegeben ist. Darwinist. In anderem Sinne gebe ich es auch zu. Das teleologische M o m e n t steht g a n z außerhalb der Handlung, weil — Psychologe. Halt, d a s sind wieder viel zu spezialisierte Betrachtungen f ü r u n s . Bleiben wir ausschließlich bei u n s r e m Beispiel. Wenn ich n u n schon vor dem Glockenschlag 12 Hunger h a b e ? Monist. Da haben wir eben einen zweiten, den inneren Reiz, u n d den dürfen wir allerdings nicht außer acht lassen. Auch dieser Reiz weckt Assoziationen und alle z u s a m m e n sind f ü r das Teleologische von Bedeutung. Psychologe. Da gibt es i n d e s s e n ein Aber. Soviel ich ers e h e , sind die Herren alle der M e i n u n g , die Zweckvorstellung sei die Folge von Eindrücken. Meine Absicht also, speisen zu gehen, sei etwas Abgeleitetes. Aber Hunger hat doch a u c h das Kind gleich nach der Geburt, wenn es also noch gar nichts erfahren hat. Und weil es Hunger hat, so will es trinken. Monist. Daraus ersehen wir n u r , daß der innere Reiz die H a u p t s a c h e ist, keinesfalls aber daß d a s teleologische M o m e n t vorausgeht. Denn dieses k a n n doch n u r abgeleitet sein.

10

1. KURS

Psychologe. Eben das bestreite ich. Physiologe. Und ich bestreite das ganze teleologische Moment! Beim Kind haben wir den inneren Reiz und die Reaktion und bei uns ist es im wesentlichen dasselbe, wenn auch noch Auslösungen anderer Art dazu kommen. Prinzip ist immer: Reiz und Reaktion, also jede Handlung ein Reflex. Vitalist. Meine Herren, Sie haben bis jetzt gar nicht an das Gefühl gedacht. Ohne ein Unlustgefühl, ein Entbehren, würde die Handlung nie zustande kommen. Das Gefühl steht im Zentrum des Ganzen und ist das wahre Hauptglied. Psychologe. Wer weiß. Denn wenn auch Wille und Gefühl aus dem Reize entspringen, was gibt dem Willen denn die Richtung, wenn alle Erfahrung fehlt? Hier stehen wir vor dem Zentralproblem. Biologe. Richtung gibt eben die Organisation. Ich will nun auch einmal zu Worte kommen — Physiologe. Ach, Sie mit Ihrer Organisation! Nehmen wir die Amöbe: wo hat die denn eine Organisation? Nein, das ist alles nur Abgeleitetes, nur sekundäre Komplikation; an sich aber, reingewaschen von aller Spezifität, ist jede Handlung ein Reflex. Für das Saugen des Kindes springt das ja in die Augen. Psychologe. Wir können von dem Kinde allerdings nichts Bestimmtes aussagen, da wir eben keine Säuglinge mehr sind. Aber ich werde Ihnen anders begegnen. Da müssen wir jedoch noch einen zweiten Versuch anstellen.

2. V e r s u c h . Die reflektorische Handlung. Psychologe. Passen Sie auf. (Er holt plötzlich zum Schlage aus und bewegt den Arm gegen das Gesicht des Physiologen hin. Dieser fährt zurück.) Nun, was war das für eine Handlung? Warum fahren Sie zurück? Physiologe. Ich dachte, Sie wollten mich schlagen. Das war ein Reflex, ein typischer Reflex. Bei Reflexen denkt man doch nicht! Lamarchist.

EINLEITUNG

11

Physiologe. Ich dachte auch eigentlich erst hinterher, als ich bereits zurückgefahren war. Psychologe. Sind Sie dessen so sicher? Da muß ich Ihnen einen Fall erzählen, der mir vor kurzem passiert ist. Ich ging über einen Platz, ganz in Gedanken versunken. Da flog nahe vor mir etwas auf, das ich zuerst nicht erkannte — es war ein Spatz, den ich aufgescheucht hatte. Plötzlich bildete ich mir die Vorstellung, es sei ein rikoschettierender Stein, und nun fuhr ich ebenso plötzlich zurück wie Sie, um mich zu sichern. Das vollzog sich alles blitzschnell, ganz wie bei einem echten Reflexe, aber ganz unverkennbar war hier die Vorstellung der Gefahr gegeben, auf die bezogen die Wahrnehmung erst ihre Bedeutung gewann. Hätte diese Vorstellung sofort bei Anblick des Steines interveniert, so wäre sie mir vermutlich gar nicht recht zu Bewußtsein gekommen und der ganze Vorgang wäre bedeutungslos für mich geblieben. So aber erkannte ich sofort das Besondere an ihm. Physiologe. Aber es gibt doch zahllose Reflexe, wo Sie keine Vorstellung der Gefahr, überhaupt keine Vorstellungen, ja nicht einmal Empfindungen haben! Die können Sie doch nicht bestreiten. Psychologe. Ich kann nur zugeben, daß mir nicht immer alle Faktoren zu Bewußtsein kommen, nicht aber daß die Faktoren nicht da sind. Biologe. Das hieße ja, mit unbewußten Vorstellungen rechnen! Monist. Und warum denn nicht? Lückenhaftigkeit der psychischen Kette kann es so wenig geben wie Lückenhaftigkeit der physiologischen. Biologe. Da hört sich denn doch alles auf! Monist. Ohne solche Annahme ist alle Psychologie geliefert. Ich will es Ihnen gleich beweisen — Psychologe. Das verschieben wir auch auf ein ander Mal, sonst werden wir niemals fertig. Was die Reflexe anlangt, so müssen wir uns eben an Beispiele halten, die genügend analysiert werden können, wie für mein Erlebnis gilt. Da erkennen wir deutlich die komplexe Natur und, was besonders wichtig: das Zugrundeliegen einer Vorstellung, die dem ganzen Vorgang

1. KURS

12

Bedeutung gibt. Gefühl kam nicht in Frage, denn den Schrecken spürte ich erst hinterher; aber die Vorstellung der Gefahr ging der Reaktion voraus, j a sie war auch vor der Wahrnehmung gegeben. Es war eben eine Erinnerungsvorstellung! Fährt nicht auch schon das Kind zurück, das noch gar keine Erfahrung gemacht hat? Zwar nicht das Neugeborene, aber gar nicht lange dauert es, so wird ein Kind schreckhaft, wenn auch weder eigne Erfahrung noch Belehrung interveniert. Bei meinem Knaben habe ich das deutlich genug beobachtet. Monist.

Psychologe.

Physiologe.

Da haben

sich

eben

neue

Bahnen

heraus-

gebildet.

Psychologe. Bahnen, die zwischen Auge und motorischen Organen vermitteln, gibt es doch schon viel früher, da auch das nicht erschreckende Kind bereits auf Sehreize hin sich bewegt. Nein, diese Erklärung versagt vollständig. Ohne Präexistenz von Vorstellungen begreifen wir hier gar nichts. Lamarckist. Das kann ich unmöglich zugeben. Wo sollten denn solche Vorstellungen herstammen? Monist. Nun, einfach ererbt. Mit der Struktur, die sich entwickelt, ist eben zugleich die Vorstellung von der Gefahr gegeben. Rein physiologisch kommen wir allerdings nicht aus. Darwinist. Wozu brauche ich, wenn die Struktur gegeben ist, die Vorstellung? Sie meinen doch eine bestimmte Struktur, die sich erst sekundär der direkten Bahn interkaliert? Monist.

Ganz recht.

Psychologe. Doch ich behaupte, die Struktur genügt nicht. Allein das ist Sache für sich und soll uns heute nicht kümmern. Was mir unanfechtbar festzustehen scheint, ist die Bedeutung des teleologischen Gliedes für die Handlung. Und zwar die dominierende Bedeutung. Ohne gegebene Zweckvorstellung ist eine Reaktion überhaupt nicht denkbar, denn erst das teleologische Glied verleiht den Eindrücken und den Erinnerungen irgendwelchen Wert. Lamarckist. Mit gewisser Einschränkung stimme ich bei. Ohne rationalen Faktor, ohne Vernunft ist überhaupt keine Handlung möglich.

EINLEITUNG

13

Psychologe. Nein, lassen wir die Vernunft! Wir wollen heute nichts zu erklären versuchen, sondern nur Tatsachen feststellen, nur die wirklich gegebenen Teilelemente einer Handlung ermitteln. Und nun ziehe ich das Fazit — Physiologe. Warten Sie noch ein bißchen. Jedenfalls möchte ich eines gern vorher wissen. Sind Sie der Ansicht, daß Psychisches ganz unabhängig vom Physischen existieren kann? Verstehen Sie mich recht: daß Vorstellungen ohne physiologische Grundlage möglich s i n d ? Ich bin darüber bei Ihnen nicht völlig ins klare gekommen. Also z. B. Ihre Zweckvorstellung: hat die einen physischen Untergrund oder nicht?

Psychologe.

Sie hat ihn.

Physiologe. Na, dann ist's gut. stens diskutieren.

Dann können wir wenig-

Psychologe. Aber das sind für uns heute vollkommen überflüssige Fragen. S o schalten die Herren doch einmal alle vorgefaßten Meinungen aus! Ob der Zweckvorstellung ein Vorg a n g an der Gehirnstruktur entspricht, das ist mir heute ganz gleichgültig, weil ich ihn doch nicht konstatieren kann. Nur auf das kommt es mir a n , w a s wir konstatieren können, und die Zweckvorstellung haben wir konstatiert, sicher bei der typischen Handlung, sicher auch beim genauer analysierten Reflex. Biologe. Was nennen Sie eigentlich Zweckvorstellung? Ganz klar ist mir das nicht geworden. Psychologe. Die Direktive der Handlung. Das kann der Reiz nicht sein, denn die Komplexität der Reaktion findet in ihm keinen zureichenden Grund. Das können aber auch die Erinnerungen nicht sein, denn solche können g a n z fehlen und es wird doch reagiert. Das Gefühl kann es nicht sein, weil es gleichfalls ganz zu fehlen vermag. Die Zweckvorstellung ist immer da und ist nichts anderes als die vorweg genommene Reaktion, weshalb sie eben die Reaktion auszulösen vermag. Ich behaupte gar nicht, daß sie so komplex zu sein braucht wie die Reaktion, denn zur näheren Illustration sind eben die Erfahrungen da; aber wäre keine Absicht von vornherein vorhanden, die durch die Reize nur ausgelöst wird, so würden alle rezeptorischen Elemente niemals eine Reaktion nach sich

14

1.

KURS

ziehen. Somit komme ich zum Schlüsse, daß jede Handlung notwendigerweise aus drei Gliedern besteht — wobei ich von physisch und psychisch ganz absehe —: aus dem rezeptorischen, dem teleologischen und dem effektorischen Gliede. Und von den dreien ist das teleologische besonders wichtig, weil es die eigentliche Ursache repräsentiert und weil es das eigentlich unterscheidende Moment der Handlungen vom anorganischen Geschehen darstellt. Wir haben nun meiner Ansicht nach den unentbehrlichen Ausgangspunkt für Beurteilung der tierischen Handlungen gewonnen. Doch, meine Herren, ich sehe es Ihnen an, daß Sie sämtlich irgendwelche Einwendungen zu machen haben. Das kommt von den vorgefaßten Meinungen her, die jeder von Ihnen mitgebracht hat. Mir würde es nun zweckmäßig erscheinen, wenn Sie diese Ihre grundlegenden Anschauungen kurz zum Ausdruck brächten, damit wir dann ein Programm für unsere künftigen Arbeitsstunden daraus ableiten könnten. Sind Sie damit einverstanden? Wenn ja, dann wollen wir einmal sehen, was für Probleme in Frage stehen. Lamarchist. Ich glaube, ich stehe Ihnen am nächsten. Auch ich halte die Unterscheidung der drei Glieder bei jeder Handlung für unvermeidlich und kann in den Reflexen, soweit man von solchen überhaupt reden darf, nur automatisierte Handlungen erkennen, muß also ihre Ursprünglichkeit in Abrede stellen. Psychologe. 0 da unterscheiden wir uns doch beträchtlich! Ich sehe schon, wir beurteilen den Zweck verschieden. Da haben wir gleich ein Programmthema. Lamarchist. Wenn Sie allerdings eine Weltvernunft annehmen —! Psychologe. Das tue ich allerdings. Wir werden bei den Instinkten aneinander geraten. Monist. Die Weltvernunft akzeptiere ich, trotzdem fühle ich mich Ihrem Standpunkt nicht sonderlich nahe. Denn daß Sie für psychophysische Kausalität eintreten, das glaube ich genügend gemerkt zu haben, und da kann ich keinesfalls mittun. Nichts ist tnir sicherer, als daß das Psychische nichts bewirken kann.

EINLEITUNG

15

Psychologe. Da hätten wir ein zweites Thema! Die Frage der psychophysischen Kausalität werden wir unter Ihrer Leitung in Angriff nehmen. Vitalist. Ich anerkenne eine besondere Kausalität der Handlungen und auch ein primäres Wissen und Wollen, aber psychisch darf man das alles nicht nennen. Dagegen muß ich mich verwahren, denn Bewußtsein ist subjektiv, mein Kausalitätsfaktor aber objektiv. Dieser Einwand ist ein prinzipieller. Meinetwegen ein Psychoid — denn psycheähnlich ist das alles gewiß — aber keine objektive Psyche.

Psychologe. Ein dritter Stoff! Und ein sehr wichtiger! Wir werden von Objekt und Subjekt einmal gründlich handeln müssen und da können Sie die Führung übernehmen. Biologe. Ich werde da Hand in Hand mit dem Herrn gehen, wenigstens eine Strecke weit. Auch ich halte die subjektive Betrachtungsweise für durchaus verderblich, doch sind mir Psychoide auch hinreichend verdächtig, daß ich mich ablehnend dagegen verhalten muß. Nur das teleologische Moment gebe ich zu, weil kein Mensch es in Abrede stellen kann; aber warum soll ich mich abplagen, herauszukriegen worauf es beruht? Mir genügt es zu wissen, das ist so; und von wievielem wissen wir noch gar nicht, wie es ist! Psychologe. Das ist sehr agnostisch gesprochen! Biologe. Ihr Gnostizismus erscheint mir mindestens ver-

früht. Wir bohren doch immer nur in unserer eignen psychischen Schale herum und kommen nicht hinaus, für das Verständnis der anderen Schalen nützt uns das gar nichts. Wenn wir dagegen den Organismus an sich betrachten, da haben wir etwas Objektives und können daraus auf die Welt, in der er haust, schließen. Mir sagt ein Muskel- und Nervenpräparat mehr über die Welt des betreffenden Tieres, ja über die ganze Welt, als alle psychologische Phantasmagorie.

Psychologe.

Ein interessanter Gesichtspunkt, der uns zu

einem vierten Stoffe verhilft. Bedeutung der Organisation zukommt.

Wir werden untersuchen, welche zum Verständnis des Handelns

16

1. KURS

Darwinist. Ich möchte einmal betreffs des Teleologischen hier manchem gründlich den Star stechen. Physiologe. Und ich betreffs des Psychischen! Und wegen so manches anderen noch! Vom Psychischen, von Psychoiden, von Zwecken, von Entelechien müssen wir gründlich abstrahieren, denn es ist vollkommen überflüssig. Darwinist. Es ist nicht nur überflüssig, nein, es geht gegen die wissenschaftlichen Grundsätze. Principia non sunt multiplicanda praeter necessitatem, das ist erste Bedingung exakter Wissenschaft. Mit der geringsten Zahl von Voraussetzungen ist auszukommen. Lamarckist. Dann wäre ein Idiot der beste Wissenschaftler! Darwinist. Nun, manchmal ist mir Idiotie lieber als Denkhypertrophie. Diese Gegensätze liegen oft merkwürdig eng nebeneinander. Physiologe. Es ist was Ungesundes, diese Vorliebe fürs Psychische, die keinerlei positive Grundlage hat. Psychologe. Das wäre also wieder ein Stoff! Und sicher derjenige, den wir zu allererst in Angriff nehmen müssen. Es muß erwiesen werden, ob das Psychische eine Sonderbedeutung hat, die ihm Existenzberechtigung neben dem Physischen einräumt. Darwinist. Stützen Sie sich dabei nur ja nicht auf Teleologisches, denn da würden Sie kläglich Fiasko machen. Psychologe. Das wäre jedenfalls wieder ein Thema für sich. Nun ich denke, meine Herren, mit dem Verhältnis des Psychischen zum Physischen beschäftigen wir uns gleich das nächste Mal. Da wird natürlich auch die psychophysische Kausalität mit zur Sprache kommen. Monist. Natürlich. Psychologe. So hätten wir denn eine Anzahl Themen gewonnen, an die sich weitere ganz von selbst anknüpfen werden. Nun lassen Sie mich noch eines zum Schlüsse erwähnen. Vergessen wir nicht, daß wir praktische Tierpsychologie treiben wollen, daß also der Versuch unser Hauptlernmittel ist. Jedes Problem knüpfe an Experimente an, so daß wir immer mit Erfahrung zu tun haben und nicht blind im Blauen herumschwatzen.

17

EINLEITUNG

Für das nächste Mal werden die Herren Sorge tragen, die gegen die Psyche, bzw. gegen die psychophysische Kausalität, sind. Womit nicht gesagt sein soll, daß nicht jeder andere auch ein Experiment, das zur Sache gehört, vorbereiten kann. Ich denke, das wird ganz anregend werden, selbst wenn wir zu einer Einigung in den Anschauungen nicht gelangen sollten. Vitalist.

Das werden wir g a n z gewiß nicht!

Psychologe. Aber lernen werden wir doch. Und das ist die Hauptsache dabei. Da schlägt es eins. Meine Herren, ich führe unser erstes Experiment zu Ende und gehe speisen. Adieu!

Schneider,

Praktikum.

2

2. K u r s

Formrezeption Der D a r w i n i s t über die Wichtigkeit der Form für die Tierpsychologie. Gegenstandsempfindlichkeit. 3. V e r s u c h : F o r m w a h r n e h m u n g der R e g e n w ü r m e r . 4. V e r s u c h : Formw a h r n e h m u n g d e r S p i n n e n . Beutefang der Epeira sclopetaria. Liebestanz des Attus arcuatus. Mechanische Deutung der Befunde. Zentrale Konfiguration als Mittel zur Verwertung bestimmter Formreize. Beschränkte Leistungfähigkeit dieses Apparates. Zweideutigkeit der Befunde. Entgegnungen: a) Wesen und Bedeutung des echten Kausalversuches. Würdigung der optischen Fähigkeiten des Arthropodenauges. b) Begriff des Einfachen in der Tierpsychologie. Spezielle Einwände gegen die mechanische Deutung der Regenwurmbefunde, c) Reizsummation und Empfindungsassoziation. Fundamentaler Unterschied von Gehirn und Psyche: Summations- und Assoziationsorgan. Unentbehrlichkeit der Psyche.

Psychologe. Heute wird uns also der Herr Darwinist seine Einwände gegen die Berechtigung einer Tierpsychologie im allgemeinen darlegen. Darwinist. Ich bin bereit und habe zwei Versuche vorgesehen. Diese Versuche werden Ihnen vielleicht zuerst sonderbar erscheinen. Es könnte sie nämlich auch einer für sich verwerten — und Sie werden das ganz gewiß tun! — der die Unentbehrlichkeit des psychischen Faktors erweisen will. Aber ich getraue mir, zu zeigen, daß auch ohne Inanspruchnahme des Bewußtseins die betreffenden Vorgänge deutbar sind. — Sage ich's kurz heraus: ich wählte diese Versuche, um Ihnen zuvor-

FORMREZEPTION

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zukommen, meine Herren! Einfachere Beispiele gibt es genug, aber Sie wären mir dann mit den komplizierteren gekommen und ich hätte doppelte Mühe gehabt. Monist. Was wollen Sie uns denn vorführen? Darwinist. Formwahrnehmung beim Regenwurm und bei Spinnen. Vitalist. Man konnte sich's denken! Bekannt sind mir die Fälle, doch gesehen habe ich beides noch nicht. Es ist sehr interessant. Lamarckist. Warum wählten Sie gerade die Formwahrnehmung? Darwinist. Das ist doch leicht begreiflich. Das ganze psychische Problem ist in erster Linie ein Formproblem. Auf Sinnesqualitäten sich berufen zu wollen, das würde dem Psychologen wenig nützen, denn da ist die Beziehung zum Reiz unmittelbar sich aufdrängend. Aber das Formale kommt zu den Empfindungselementen hinzu, man weiß nicht wie, bzw. man durchschaut sein Zustandekommen nicht ohne weiteres, und so wird es immer die Hauptstütze der Psychologie sein. Biologe. Das ist zweifellos richtig und da ich meine Erklärung dafür habe, so bin ich auf die Ihre gespannt. Physiologe. Ich wette, das wird eine sehr geschraubte Beweisführung! Man könnte das viel einfacher erledigen. Monist. Das sage ich auch, doch lassen wir's über uns ergehen. Psychologe. Die Herren haben das nächste Mal die Führung. Beginnen wir nun. Darwinist. Ich will zunächst das Problem noch weiter präzisieren. Mein Apriorismus kommt hier ins Spiel. Für mich stellt die Annahme eines psychischen Faktors eine Belastung des Weltbildes dar. Es wäre einfacher, wenn auf die zweifellos vorhandenen Geschehensgründe der anorganischen Natur auch der gesamte Inhalt der Tierpsychologie zurückgeführt werden könnte. Darum zwingt uns das Prinzip der Sparsamkeit, die Existenz eines besonderen psychischen Faktors bis zum Beweis des Gegenteils zu bestreiten. Ich habe mich hier nicht mit der Unmöglichkeit einer psychophysischen 2*

20

2.

KURS

Kausalität zu befassen, denn die Beweislast fällt anderen Herren zu; der Weg, den ich einschlage, macht aber eigentlich diesen Beweis überflüssig, denn wenn ich darzulegen vermag, daß das Psychische gar keine Vorteile gewährt, dann brauche ich mich auch nicht darum zu scheren, ob es eventuell auf das Physische Einfluß nehmen kann. Worin könnte nun der Vorteil bestehen, den das Psychische zu bieten v e r m a g ? Indem ich ganz absehe von Gedächtnis und Intelligenz, den komplizierteren psychischen Phänomenen, die wir erst ganz nach Erledigung einfacherer Erscheinungen würdigen können, möchte ich als den elementarsten Gewinst: die Reaktionsfähigkeit der Tiere auf hochzusammengesetzte Eigenschaftskomplexe der Außenwelt, auf Körper oder Gegenstände, bezeichnen. Das Wesentliche an den Körpern aber ist ihre Form, die eben aus einer S u m m e von Reizinhalten erst einen Körper macht. Also ist die Formwahrnehmung jenes Phänomen, bei dem zum ersten Mal die Psyche Bedeutung gewinnen könnte — wenn sie eben dieses Anspruches nicht entkleidet wird! Bedenken Sie, daß Formempfindlichkeit wirklich einen großen Vorteil repräsentiert. Auf den Anorganismus wirkt nur die rohe Masse der Umgebungsinhalte, nur ihr Energiegehalt, dessen Einförmigkeit sich überall und immer wiederholt. Dieser Energiegehalt wirkt auch auf den Organismus, jedoch in Reize umgewandelt, w a s einen wichtigen, wenn auch nicht prinzipiellen Unterschied bedeutet. Der eigentliche Vorteil der Reizwirkung liegt, wie ich glaube, darin, daß die Ursache in zahlreiche winzige Komponenten aufgelöst wird, entsprechend der zellulären oder sonstigen Gliederung des Sinnesorgans. Im Auge haben Sie das Prototyp eines Mosaikorgans, dem ein Mosaik von Ursachen entspricht. Indem nun die erst einheitliche Ursache derart zerlegt wird, kann es zur gegenseitigen Einflußnahme der Einzelkomponenten aufeinander kommen, und dahaben Sie das Wesen und die Bedeutung der Form. Dies Bezogensein der Teile aufeinander in einer wirkenden M a s s e , wozu das Sinnesorgan verhilft, macht aus der Masse einen Gegenstand, nämlich eine in Teilen sich äußernde Einheit. Ich muß gestehen,

FORMREZEPTION

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daß ich in dieser Differenzierung des Milieus durch die Organismen ein Hauptwunder der Entwicklung erblicke. Biologe. Das haben Sie uns sehr gut dargelegt und ich bin ganz mit Ihnen einverstanden. Ohne die Organismen gäbe es eben überhaupt kein Milieu. Lamarckist. Und Sie glauben, dies Wunder der Milieusetzung rein mechanistisch erklären zu können? Darwinist. Ich muß es glauben, denn die Ökonomie des Denkens zwingt mich dazu. Nun will ich Ihnen die zwei Versuche vorführen, die die Rezeptionsfähigkeit der Organismen für Körper erweisen. Wie ich Ihnen bereits sagte, sind diese Versuche auch psychisch ausdeutbar und von direkten Beweisen für meine Auffassung kann nicht die Rede sein. Mir kommt es nur darauf an zu zeigen, daß die mechanische Ausdeutung möglich ist und demgemäß, weil einer Grundforderung des Verstandes entsprechend, bevorzugt werden muß.

3. V e r s u c h . Formwahrnehmung der Regenwürmer. Der erste Versuch betrifft die Regenwürmer, für die, wie Ihnen wohl bekannt sein dürfte, Darwin ein hochentwickeltes Wahrnehmungsvermögen für Formen nachgewiesen hat. Das Auffallende ist der völlige Mangel echter Augen, an deren Stelle sich nur einzeln verstreute Lichtsinneszellen in der Haut vorfinden. Zur Formperzeption sind diese ganz unzureichend, hier kommt nur der Tastsinn in Betracht. In diesem Kasten mit Erde, auf welcher Blätter, Kiefernadeln und Papierstückchen verstreut liegen, befindet sich eine Anzahl Regenwürmer in ihren Röhren, deren Mündungen Sie hier und hier — und hier — erkennen. Viele Mündungen sind von den Exkrementen der Tiere, d. h. von der aus dem Darm wieder ausgestoßenen Erde, in Form von kleinen Häufchen umgeben; aus anderen ragen Teile von Blättern, Blattstielen und von Papierstückchen hervor (Fig. 1), die nur unvollkommen eingezogen wurden und mit denen die Würmer ihre Röhren auskleiden

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2.

KURS

und verstopfen. Das ist, wie Darwin sagte, einer ihrer stärksten Instinkte. Viele Blätter werden aber auch gefressen. Vitalist. Wie fassen die Tiere denn eigentlich an den Blättern an? Darwinist. Mit ihrem Schlundkopf saugen sie sich fest. Sie berühren das Blatt mit den Lippen, schieben den Schlundkopf vor, daß er anzufassen und anzukleben vermag, wobei sich das Vorderende stark verdickt, ziehen ihn dann zurück, so daß unter dem Blatte ein luftleerer Raum entsteht, und haben nun das Blatt in ihrer Gewalt. Lamarckist. Kann man das nicht mal sehen?

Fig. 1. Gemeiner

Regenwurm.

Aus Pokorny-Latzel, Tierkunde.

Darwinist. Die Tiere arbeiten nur nachts, leider kann ich es Ihnen also nicht demonstrieren. Doch ist es für uns auch nicht wichtig. Monist. Was ist nun das für uns Wichtige an detn ganzen Prozesse? Darwinist. Bedenken Sie folgendes. Würde das Tier sich an der Mitte, z. B. einer Kiefernadel, ansaugen, wie brächte es die dann in seine Röhre hinein? Lamarckist. Es wird jedenfalls so lange probieren, bis es den richtigen Angriffspunkt gefunden hat! Darwinist. Das sollte man erwarten. Aber so ist es ganz und gar nicht, und das hat schon das Staunen Darwins erregt. Beachten wir die Blätter: Sie sehen, daß nur Blattstiele aus den Mündungen herausragen, höchstens noch ein dickes gefaltetes Hinterende. Ich ziehe nun solche Blätter heraus. Würden die Tiere blindlings angreifen, so müßte der Blattrand an verschie-

FORMREZEPTION denen Stellen

mit S c h l e i m

zerknittert sein.

23

und Schmutz

beschmiert

D a s ist aber nicht der Fall.

u n d stark

Bitte nur n a c h z u -

s e h e n , wir w o l l e n auch die Papierstücke u n d die N a d e l n prüfen. Nur an einer b e s t i m m t e n S t e l l e f a s s e n die W ü r m e r an.

Wird

d a s Blatt oder d a s Papierstück auch im g a n z e n z u s a m m e n g e r o l l t , s o sind und

doch

die nach

außen

g e w e n d e t e n Teile relativ s a u b e r

unzerknittert.

Vitalist. a m Stiel

Hier ist e s d o c h der Fall!

erfaßt

eingezogen

und

konnte

D i e s Blatt w u r d e n a h e

deshalb auch

nicht in die R ö h r e

werden.

Fig. 2.

Objekte, die von den Regenwürmern in die Röhren gezogen werden. A Lindenblatt, B Rhododendronblatt, C Kiefernadeln. A aus C. K. Schneider, Dendrologie; B und C aus Pokorny-Latzel, Botanik.

Darwinist.

Ja, m a n c h m a l v e r s a g t der M e c h a n i s m u s .

hat darüber g e n a u e M i t t e i l u n g e n hat e s n a c h g e p r ü f t . belästigen, selten

sind.

nur

gemacht

und

Hanel

Ich will S i e mit d e n s p e z i e l l e n Zahlen nicht

s o viel

Mindestens

verraten, zwei

d a ß die F e h l v e r s u c h e

Drittel

der Blätter

wird

eingezogen, s o wie e s am zweckmäßigsten erscheinen

Biologe. V o n Darwinist. Ich

Darwin

Fräulein

einem Mechanismus sprechen

relativ richtig

muß.

Sie?

halte e s für e i n e n M e c h a n i s m u s , d o c h darüber

w e r d e n wir später reden. T a t s ä c h l i c h e m e r g e b e n hat.

Stellen wir z u s a m m e n ,

w a s sich an

Bei d e n Lindenblättern (Fig. 2 )

ist

e s i m m e r d a s s p i t z e V o r d e r e n d e , d a s b e v o r z u g t wird, bei R h o d o dendronblättern d a g e g e n , die s i c h a n der B a s i s leicht z u s a m m e n rollen u n d

d a n n hier s c h m ä l e r

sind als vorn,

wird a m Blatt-

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2.

KURS

stiel angefaßt. Bei den Kiefernadeln werden die freien Spitzen stets vermieden, dagegen die gemeinsame Basis benutzt. Bei Papierstiicken endlich ist es immer der spitzeste Winkel, an dem, oder dicht neben dem, angegriffen wird. Ja, meine Herren, hier erweist sich der Wurm sogar dem Menschen an Formbeurteilung überlegen. Denn er unterscheidet das spitzeste Ende sogar noch, wenn wir es nur durch genaue Messung feststellen können. Fräulein Hanel schreibt, daß sie oft, um ganz sicher zu gehen, die Kanten der Dreiecke mit dem Lineal nachmessen mußte; die Würmer aber trafen die Unterscheidung ohne Lineal. Monist. Das ist in der Tat erstaunlich. Physiologe. Bei den Kiefernadeln ist die Basis harzig, die Spitzen aber nicht. Sollte da nicht ein chemischer Reiz alles erklären? Darwinist. Sehen Sie diese Nadel hier! Sie ist mit den Spitzen voran eingezogen, die ich zusammengebunden hatte. Sobald die Nadeln nicht mehr spreizen, werden beide Enden beliebig gewählt, somit versagt die Hypothese vom chemischen Reiz, an die ich auch erst dachte. Vitalist. Angesichts der Papierstücke kommt sie doch gar nicht in Betracht. Darwinist. Bei den Blättern erscheint sie aber nicht unberechtigt. Denn schneidet man die Lindenblätter so zu, daß sie vorn breiter sind als hinten, so wird doch die Blattspitze bevorzugt. Psychologe. Das steht in Widerspruch zu den Befunden an Rhododendronblättern! Darwinist. Mag sein, aber es ist so. Und das gibt zu denken. Die Blattspitze könnte doch einen chemischen Reiz ausüben, der am Blattende und Blattstiel fehlt. Physiologe. Na sehen Sie, es läuft doch auf einen chemischen Reiz hinaus. Darwinist. Wir sammeln Materialien zur Beurteilung und da darf kein Befund vernachlässigt werden. Aber die weitaus meisten Befunde lassen keinen Zweifel an einer Formwahrnehmung bestehen. Lamarchist. Und wie erklären Sie nun die?

FORMREZEPTION

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Darwinist:

Ich möchte Ihnen erst noch den zweiten Versuch v o r f ü h r e n , d a n n wollen wir in die Diskussion des Theoretischen eintreten. Kommen Sie mit. 4. V e r s u c h .

Formwahrnehmung der Spinnen.

Darwinist. Hier in diesen beiden Schachteln halte ich zwei Spinnenarten, über deren sog. psychische Fähigkeiten u n s Dahl, Peckham u n d andere Forscher unterrichtet haben. Die eine Schachtel enthält E p e i r a s c l o p e t a r i a (Fig. 3 ) , die andre A t t u s a r c u a t u s . Während die erstere zu den Radnetzs p i n n e n gehört — Sie kennen diese Netze ja alle von der Kreuzspinne her, die m a n im Freien häufig g e n u g a n trifft —, weben die Attiden kein F a n g netz und erhaschen ihre Beute im Sprunge. Wir wollen n u n die Epeira mit verschiedenen Insekten füttern, bei fig" l fre"zsPinnej

»,,

,.

.

'

Aus Brehm, Tierleben.

dem Attus aber wollen wir das Verhalten der Geschlechter zu einander studieren — notabene wenn die Tiere so liebenswürdig s i n d , u n s ihre Zärtlichkeiten vorzuführen! Physiologe. Das heißt, sich gegenseitig a u f z u f r e s s e n ! Das Weibchen das M ä n n c h e n ! Darwinist. W e n n das M ä n n c h e n seine Pflicht getan hat! Sollten wir kein Glück h a b e n , so m u ß ich Ihnen die Beobacht u n g e n a n d r e r und meine eignen einfach mitteilen. Aber P a a r u n g s zeit ist jetzt u n d darum die Möglichkeit direkter Beobachtung gegeben. Beginnen wir mit der Epeira. Sie sehen das s c h ö n e Netz und sehen auch die S p i n n e , die in einem Verstecke über dem Netze lauert. Ich h a b e hier in den kleinen, mit Gaze überdeckten Tuben verschiedene Insekten, mit denen wir f ü t t e r n wollen. Z u n ä c h s t Stubenfliegen. Passen Sie n u n genau auf. Die Fliege zappelt im Netz und sofort eilt die Spinne herbei. Sie hat seit gestern nichts gefressen. Ohne weiteres beißt

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2.

KURS

sie die Fliege tot und spinnt sie ein — Sie sehen wie sie die Beute mit Fäden geradezu bombardiert. Ich nehme die Fliege nun weg, damit wir weitere Versuche anstellen können. Die Spinne zieht sich dabei selbstverständlich in ihr Versteck zurück. Nehmen wir nun eine Biene — es ist eine Andrena labialis (Fig. 4 A ) — und setzen sie ins Netz. Ich bin selbst neugierig, wie sich die Spinne verhalten wird. Sie kommt wieder herbei — aber — dicht vor der Biene hält sie inne! Vitalist. Sie läuft wieder fort! Darwinist. In der Tat. Das hätte ich nicht erwartet, bzw. es war nicht bestimmt vorauszusagen. Darum kann's ein Zufall sein. A B

Fig. 4.

Biene (Andrena

labialis)

A und nachahmende

Fliege

(Helophilus)

B.

Aus Brehm, Tierleben.

Lamarckist. Geben wir wieder eine Fliege! Darwinist. Das wollte ich gerade. Aber eine Fliege, die der Andrena ähnlich ist, eine Helophilus (Fig. 4 5 ) .

Vitalist.

0 das ist interessant!

Ein Mimikryversuch.

Darwinist. Die Biene ist frei und die Helophilus sitzt im Neste. Da ist auch die Spinne schon wieder.

Physiologe.

Sie faßt wieder nicht zu! Darwinist. Ganz so wie es Dahl angegeben hat. Vitalist. Nun aber schnell eine gewöhnliche Fliege! sie die packt, so ist die Mimikry erwiesen.

Darwinist. Da sitzt sie schon.

Vitalist. Interesse.

Wirklich,

Physiologe. Lamarckist.

hier zweifelhaft?

sie

faßt

Wenn

Und in der Tat — zu! Das ist von größtem

Wenn's nicht Zufall ist! Ach, Ihnen ist alles Zufall!

Was bleibt denn

FORMREZEPTION

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Darwinist. Gar manches bleibt hier zweifelhaft. Denken Sie nur ja nicht, daß das immer so klappt; ich habe eine ganze Anzahl Gegenbefunde gemacht. Wenn auch nicht sehr viel, so habe ich doch immerhin nicht wenige derartige Versuche angestellt und bin zu der Ansicht gekommen, daß hier vermutlich überhaupt von optischer Wahrnehmung nicht die Rede sein kann. Physiologe.

Na, also.

Psychologe. Wollen wir nicht erst die Attiden studieren, bevor wir mit der Analyse beginnen? Physiologe. Ich würde eher beantragen, wir wiederholen den Versuch, damit man doch weiß, w a s von der Sache zu halten ist. Psychologe. Aus einem bestimmten Grunde bin ich dagegen. Es steht allerdings zu erwarten, daß neue Versuche widersprechende Ergebnisse bieten werden. Und doch würden sie das gewonnene Resultat nicht widerlegen. Die Bedingungen wären eben g a n z andere, und da wir nur bestätigt haben, w a s andere Forscher schon ermittelten, da ferner das Versuchsobjekt frisch war und Fehler beim Versuche nicht begangen wurden, so handelt es sich um ein einwandfreies Resultat, das übrigens zugleich ein selbstverständliches ist, da alle Wahrscheinlichkeit dafür sprach. Darwinist.

W a s sprach denn dafür?

Psychologe. Darauf werde ich später noch zurückkommen. Wollen wir abstimmen, ob zu wiederholen oder fortzufahren sei? Vitalist. Ich bin für die Fortsetzung. Monist. Ich desgleichen, denn ernstliche Bedenken liegen nicht vor. Lamarckist. Jedem mußte der Versuch völlig beweisend dünken, der nicht um jeden Preis protestieren will. Biologe. Da man Unterscheidungsvermögen bei so hoch stehenden Tieren doch unmöglich ableugnen kann, so sehe ich nicht ein, w a s negative Befunde für Einfluß auf unsere Meinung haben könnten, und bitte fortzufahren. Darwinist. Auch ich bestreite ein Unterscheidungsvermögen nicht durchaus, wie Sie sogleich sehen werden. Bei den Attiden habe ich mich selbst von echter Bildempfindlichkeit sicher

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2.

KURS

überzeugt. Sehen wir erst zu, ob mein geplantes Experiment zufälligerweise gelingt. Ich setze zu dem weiblichen Attus arcuatus in dieser Schachtel hier einen männlichen, und zwar auf ziemlich weite Distanz, etwa 20 cm weit. Es wurde bereits vorhin angegeben, daß diese Tiere sich nicht vertragen, wie vielfach die Geschlechter bei den Spinnen. Vitalist. Die Attiden sind ja berühmt wegen der außerordentlichen Bewerbungen des Männchens um das Weibchen! A

Fig. 5.

Liebestänze von Attiden. Stellungen des Männchens bei Bewerbung um das Weibchen. Nach Peckham aus Hesse, Tierbau.

Lamarckist. Sie sind das Paradepferd der Theorie von der geschlechtlichen Zuchtwahl! . Biologe. Ich würde diese Liebestänze des Männchens doch ganz gern einmal sehen. Darwinist. Vorderhand bemerken sich die Tiere noch nicht. Doch jetzt —! Schauen Sie nur her! Vitalist. Ist das nun Kampfstellung oder Liebestanz? Monist. Das sind ja die bekannten sonderbaren Tanzstellungen! (Fig. 5.) Biologe. Wahrhaftig, sie tanzen! Was beweist das nun? Lamarckist. Ich denke doch, daß sie sich sehen und erkennen. Physiologe. Sie könnten sich doch auch riechen!

FORMREZEPTION

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Darwinist. Da müßten wir sie in eine Lage bringen, daß sie sich nicht sehen können! Spüren sie einander trotzdem, so vermittelt der chemische Sinn. Peckham setzte die Tiere Rücken an Rücken. Monist. Das wird so leicht nicht gehen bei solch unruhigen Tieren. Darwinist. Ich habe schon vorgesorgt und einem liebestollen Männchen gestern die Augen gefirnißt. Es ist an den Lack bereits gewöhnt. Ich setze es in den Kasten und nun wollen wir sehen, wie es sich verhält. Ganz einwandfrei ist ja der Versuch nicht, denn das Firnissen wirkt jedenfalls deprimierend auf das Tier. Das Weibchen hat es schon bemerkt. Lamarckist. Das Männchen aber rührt sich nicht! Auch jetzt nicht, wo das Weibchen ganz nahe ist. Monist. Wie zu erwarten stand! Denn daß der Geruch so weit wirken sollte, hielt ich von Anfang an für unwahrscheinlich. Ich halte mehr vom Kontaktgeruchssinn bei Spinnen. Darwinist. Setzen wir noch eine Fliege zu, der die Flügel fehlen. Vitalist. Da haben wir die Kampfstellung beim Weibchen Das Männchen rührt sich nicht. Monist. Es stürzt sich auf die Fliege — ich meine das Weibchen! Vitalist. Das ist doch sicher ein einwandfreies Ergebnis. Darwinist. Wie ich schon sagte: an Bildempfindlichkeit ist bei diesen Tieren nicht zu zweifeln. Denn es werden auch ruhende leblose Objekte beschlichen. Aber soviel erwartete ich denn doch nicht. Lamarckist. Da wird Ihnen wohl bange um Ihre mechanische Deutung? Darwinist. 0 nein. Wenn ich einfache Fälle, wenn ich das Prinzip mechanisch bewältigen kann, dann fürchte ich auch nicht für die Erklärung des Komplizierten. Lamarckist. Na, so schießen Sie doch mal los. alle solche Versuche für aussichtslos. Darwinist. Sie machen sich's eben bequem.

Ich halte

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2.

KURS

Biologe. Mir scheint eine mechanische Erklärung durchaus möglich! Psychologe. Treten wir nun darüber in Diskussion ein, wenn's Ihnen recht ist, meine Herren. Zunächst möchte ich in aller Namen dem Herrn Darwinisten danken, denn er hat uns mit wirklich interessanten Tatsachen bekannt gemacht. Gehört hatten wir wohl alle schon davon, aber die eigne Anschauung wirkt doch ganz anders. Ein Psychologe sollte ohne Experimente niemals arbeiten. Wie aber müssen wir das alles deuten? Erweist es den psychischen Faktor oder bleiben Bedenken bestehen? Darwinist. Meiner Ansicht nach kann von einem einwandfreien Beweise zugunsten des Psychischen keine Rede sein. Um mit den Regenwürmern zu beginnen, so ist deren Verhalten durchaus physiologisch auflösbar. Das hat schon Fräulein Hanel versucht, im Gegensatz zu Darwin, der allerdings glaubte von Intelligenz reden zu müssen. Nun, diesen Anthropomorphismus zu widerlegen, darf ich mir wohl ersparen. Psychologe. Das würde uns allerdings wohl viel zu weit abführen. Für uns kommt nur die Frage in Betracht, wie die Regenwürmer — und Spinnen — Formen zu unterscheiden vermögen. Dies Thema ist gerade kompliziert genug. Darwinist. Ich schließe mich Fräulein Hanel in der Hauptsache an, wenn sie in folgender Weise argumentiert. Die Berührung des Vorderendes des Regenwurms mit dem Blatt, mit der Nadel oder mit dem Papierschnitzel — sagen wir einfach: mit dem Gegenstand — repräsentiert einen Reiz. Nun haben wir zunächst zwei Arten solcher Berührungsreize zu unterscheiden: den Spitzenreiz und den Kantenreiz. Diese Unterscheidung ist selbstverständlich: es ist dem Tier ja auch nicht gleichgültig, ob es Steine oder Blätter oder Papier berührt. Wir wissen ferner, daß Reize sich summieren, und es muß daher eine durch längere Zeit wiederholte Berührung einen anderen Reiz liefern, als eine Berührung, die kürzere Zeit dauert. Das Tier wird derart lange Kanten anders empfinden als kurze. Es wird aber auch die Kombination: lange Kante — Spitze — lange Kante anders empfinden als die Kombination: lange Kante-

FORMREZEPTION

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Spitze — kurze Kante. Das alles unterliegt wohl keinem Zweifel, denn neben der Reizsummation gibt es auch eine Reizkombination, derart, daß differente Reize, in unserm Falle also Spitzenund Kantenreiz, sich beeinflussen, umstimmend aufeinander wirken müssen. Nun bedarf es aber noch einer Voraussetzung. Die Reizunterscheidung genügt nicht allein, es muß auch eine Zuordnung differenter Reize zu differenten Reaktionen geben. Kurz, es müssen Reflexbahnen existieren, die für bestimmte Reize gelten, für andere aber nicht. Wenn also das Tier die Reizkombination: lange Kante — Spitze — lange Kante empfindet, so wirkt das als Auslösung der Reflextätigkeit, des Festsaugens und des Einziehens des Blattes in die Röhre, während dagegen der Reiz: lange Kante — Spitze — kurze Kante, oder umgekehrt, unbeachtet bleibt oder zur Fortsetzung des Tastens führt. Das ist meine Analyse des Regenwurmverhaltens, soweit sie sich mit der des Fräulein Hanel deckt. Biologe. Da möchte ich aber doch bemerken — Psychologe. Verzeihen Sie: wär's nicht besser, wir ließen den Herrn zuerst auch seine Theorie betreffs des Verhaltens der Spinnen vortragen? So sehr verschieden wird diese Analyse von der bereits gehörten nicht ausfallen und wir können dann die Erwiderungen kombinieren. Biologe. Nun gut, ich komme noch früh genug. Darwinist. Ich kann mir fast denken, worauf Sie zielen. Das wird jetzt bei den Spinnen zur Sprache kommen. Es kann sein, daß auch für die Regenwürmer noch ein weiteres Moment in Betracht kommt, das ich unberücksichtigt ließ: ich denke an eine bestimmte Disposition im Nervensystem, sei es im Sinnesorgan oder Zentrum. Biologe. Ganz recht! Darwinist. Es muß — wenigstens bei den Spinnen — eine besondere räumliche Anordnung der rezeptorischen Elemente vorliegen, auf die die wechselnden Reize bezogen werden können. Ich möchte von einem bestimmten Konfigurationsverhältnis im Zentrum, von der Existenz von Beziehungsbahnen zwischen bestimmten Zellen reden. So werden zentrale Einheiten ge-

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2.

KURS

schaffen, auf die die Reizkomplexe des Auges sich einstellen. Solche Konfigurationen könnte man nötigenfalls auch für das Nervensystem des Regenwurms annehmen. Der äußeren Breite, d. h. der Mannigfaltigkeit im Gegenstand, würde dann eine innere Breite, eine Vielheit im Zentrum, entsprechen und zur Reaktion käme es nur, wenn beide Konfigurationen sich decken. Wenn also im Sehzentrum der Spinne eine Konfiguration existiert, die dem durchschnittlichen Habitus der Beute entspricht, so läßt sich begreifen, daß die Spinne überhaupt bestimmte Objekte zu unterscheiden vermag. Allerdings könnte es sich hier nur um ein recht bescheidenes Unterscheidungsvermögen handeln! Mehr braucht man aber auch nicht zu fordern, denn sicher festgestellt ist bis jetzt nur die Wahrnehmung einer Form im allgemeinen, eben des Beuteschemas wie ich mich ausdrücken will. Ich halte weder die Dahlschen, noch die Peckhamschen Angaben für genügend beweisend. Meine eigenen Untersuchungen zeigten mir, daß es durchaus nicht immer so schön klappt, wie wir es heute beobachteten. Die Spinnen attackieren gar nicht selten auch stechende Hymenopteren und lassen anderseits Fliegen unberührt, trotzdem sie sich ihnen annähern. Von Unterscheidung der meiner Ansicht nach mäßigen Bienenähnlichkeit des fielophilus kann keine Rede sein. Und was das Verhalten der Attiden anlangt, so stehen den Peckhamschen Angaben solche von Montgomery über Pardosa nigropalpis, von Wagner über Trochosa und von Heymons über Galeodes gegenüber, die keinen Zweifel lassen, daß hier die Geschlechter sich nur durch Geruch erkennen. Bis nicht eine umfangreiche Versuchsreihe vorliegt, halte ich an der Unentbehrlichkeit des Geruchssinnes fest. Physiologe. Ganz meine Meinung! Darwinist. Doch selbst wenn Dahl und Peckham recht behielten, würde das der physiologischen Deutung keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten. Zwar ausmalen könnte ich Ihnen nicht im einzelnen, wie die notwendigen Systeme von Wechselbeziehungen im Nervensystem, die unentbehrlichen zentralen Konfigurationen, beschaffen sein dürften; aber wo läge denn die Grenze, jenseits der die Kompliziertheit des Bildes zu

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groß würde, um seine Rezeption mit Hilfe physiologischer Reizverknüpfungen, wie sie bei einfachen Bildern erwiesenermaßen sich denken läßt, auszuschließen? Es gibt keine solche Grenze. Physiologe. Selbstverständlich gibt es die nicht! Aber ich stelle mir die Sache doch noch einfacher vor. Monist. Nur einfach, immer einfach! Oft wird das Einfachste zum Allerunverständlichsten. Lamarckist. Ja, oft handelt es sich nicht um Vereinfachung des Problems, sondern um Versimpelung des Verstandes. Biologe. Ich schließe mich dem Herrn Vortragenden an, möchte aber seine Gedanken noch weiter spezialisieren. Vitalist. Es gibt eine ganze Reihe von Einwänden — Psychologe. Wie wär's, wenn wir u n s alle der Reihe nach kritisch aussprächen? J a , ich möchte noch einen Vorschlag machen. Wenn wir heute nur Prinzipielles darlegten, das nächste Mal aber zur Erhärtung unsrer Ansichten weitere Versuche anstellten? Die Wichtigkeit des Themas scheint mir eine gründliche Analyse zu erfordern. Physiologe. Ich möchte dann erst das nächste Mal reden, da ich Ihnen einige schlagende Versuche von größter Einfachheit vorführen will. Monist. Mich interessiert das Thema nur als spezieller Fall eines weit umfassenderen, darum habe ich heute kein Bedürfnis zu diskutieren. Jedenfalls lasse ich anderen gern den Vortritt. Biologe. Ich auch. Um so mehr als ich ja in der Hauptsache zustimme und erst abwarten möchte, was von psychologischer Seite vorgebracht wird. Vitalist. Es gibt auch Einwände nicht-psychologischer Natur! Mit einem solchen möchte ich mich beschäftigen. Lamarckist. Nun gut, behandeln wir heute nur Allgemeines. Ich habe psychologische Bedenken, die schwer genug wiegen. Psychologe. Ich desgleichen. Es scheint, mein Vorschlag ist akzeptiert? — Vitalist. So werde ich beginnen. Ich frage ganz allgemein: was macht ein Experiment zu einem entscheidenden? Wir haben eben gesehen, daß einige von uns Wiederholung des Epeiraversuches wünschten, die anderen ihn aber für genügend Schneider,

Praktikum.

3

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2.

KURS

beweisend hielten. Mir scheint, das wäre ganz ausgeschlossen, wenn wir unsre Fragestellungen immer so präzis als möglich faßten. So gerade in unserm Beispiele. Wer Versuche anstellt — ich meine echte Kausalversuche, nicht bloß reine Zufallsversuche, wie sie ja allerdings oft auf Grund ungenügender Kenntnis nicht zu vermeiden sind —, der sollte zunächst alle gegebene Erfahrung genügend in Betracht ziehen. Er sollte nicht nur fragen: was wird das Tier unter den und den Umständen tun, sondern für was für Umstände ist das Tier geschaffen? Biologe. Ganz richtig! Ganz ausgezeichnet! Vitalist. Er sollte einerseits den Bau des Tieres, anderseits den Bau des Milieus ausgiebig in Rechnung ziehen. Biologe. Das ist schließlich ein und dasselbe. Vitalist. Ich glaube doch, nicht immer. Hier z. B. gibt uns die Umgebung offenkundige Winke. Augen hat das Tier, das sehen wir, und die Annäherung meines Bleistifts — der ja gewiß nicht riecht! — wird sofort in geringer Entfernung bemerkt. Nun gibt es aber bei den Beuteobjekten, die für das Tier in erster Linie in Betracht kommen, eine Mimikry genannte Erscheinung, die doch ohne allen Zweifel einen Sinn haben muß. Die Spinne fängt in ihrem Netz vor allem Fliegen, die für sie wehrlose Opfer sind; wenn nun Fliegen Bienen nachahmen, so kann man wohl mit Recht schließen, daß sie das ganz besonders in Rücksicht auf die Spinnen tun, zu deren Milieu sie gehören. Darwinist. Warum denn nicht in Hinsicht auf die Vögel? Vitalist. Das kommt auch in Betracht, aber kein andrer Feind dürfte Fliegen gefährlicher sein als die Spinnen, deren Netze ja oft damit ganz austapeziert sind. Ich folgere also aus Organisation und Milieu, daß die Spinne höchstwahrscheinlicherweise. Unterscheidungsvermögen haben muß, da mein Verstand mich zwingt, allen Erscheinungen eine kausale Bedeutung unterzulegen. Dadurch erhält aber unser Versuchsresultat viel größere Bedeutung als bei einem gewöhnlichen Probieren. Denn wenn das Resultat ein gefordertes ist, wenn die Prämissen nicht frei stehen, nicht durch den Versuch quasi erst mitgeschaffen werden müssen — was, ich wiederhole es: oft nicht vermieden werden

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kann — , so genügt ein einziges Experiment, wo sonst Hunderte erforderlich wären. Die neunundneunzig überzähligen Versuche ersetzt eine Operation des Verstandes; dazu ist eben der Verstand da, daß er Arbeit erspart. Ihr Sparsamkeitsprinzip, Herr Darwinist! Ich komme zum Schlüsse, daß mir der eine Versuch — für Attus möchte ich übrigens auch auf das Tanzen hinweisen! Wozu tanzt das Männchen, wenn das Weibchen es nicht sollte sehen können? Zum Schlüsse komme ich, daß Berücksichtigung des passiven und aktiven Verhaltens, sowie das Gegebensein von Augen bei den Spinnen, vollkommen zum Beweise der Formwahrnehmung genügt. Physiologe. Ich finde das ganz verkehrt. Wer beweist uns denn die Mimikry? Um nur einen Einwand anzuführen. Psychologe. Darüber dächte ich, wäre das nächste Mal Gelegenheit sich auszusprechen, wenn Sie uns Ihre einfachen Experimente vorführen werden. Ich muß gestehen, was der Herr sagte, schien mir selbst ein Versuch zu sein. Ein Versuch zum Nachweis von Intelligenz! Wir werden später einmal darauf zurückzukommen haben. Jetzt aber lassen Sie uns unsre Angriffe fortsetzen. Herr Lamarckist — ? Lamarckist. Wenn der Herr Vorredner fertig ist? Vitalist. Ich will auch Ihnen Einiges überlassen! Darwinist. Aber ich möchte sofort darauf erwidern! Ich anerkenne das Geistvolle des Gedankens, den der Herr Vitalist vortrug, aber mir scheint er ward sich selbst nicht völlig gerecht. Ist der Herr denn über den Bau der Spinnenaugen genügend unterrichtet? Die Existenz von Augen allein genügt nicht, ihr Bildsehen zu erweisen — Vitalist. Das erweist eben die Mimikry! Darwinist. Mich dünkt, das ist eine etwas voreilige Folgerung. Denn wenn ich zeigen kann, daß eine Epeira gar nicht imstande ist, Körper deutlich zu sehen — Lamarckist. Wie wollen Sie das erweisen? Darwinist. 0 wir wissen genug über die Arthropodenaugen, um hier von vornherein ausschließen zu können. Für Attus will ich Bildwahrnehmung zugeben, denn nach Petrunkewitsch bedeckt bei der verwandten Hüpfspinne Phidippus das Bild eines 3*

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2.

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Quadratzentimeters auf 10 cm Entfernung im mittleren Frontauge 1450 Rezeptionseinheiten. Sie sind doch alle über den Bau der Augen (Fig. 6) genügend orientiert und wissen, w a s Rezeptionseinheit hier bedeutet. Beim Menschen trifft d a s gleiche Bild noch in 30 cm Entfernung 1 3 0 0 0 Einheiten. Nun hat aber Lycosa, die ebenfalls zu den großäugigen Spinnen (Fig.7) zählt, nur 36 Elemente an Stelle der 1450 bei Phidippus und gar Epeira — dürfte vielleicht nur 6 oder 10 haben. W a s folgt daraus? Von einem Bildsehen kann hier gar nicht die Rede sein,

Fig. 6. Ausschnitt aus einem typischen Fazettenauge mit sehr vielen Rezeptionseinheiten (Ommatidien). Jedes Ommatidium besteht aus 1 Cornealinse, 2 Kegel, 3 Hauptpigmentzelle (zugleich Corneagenzelle), 4 Nebenpigmentzellen, 5 Kern einer Sehzelle, 6 Rhabdom (Sehstäbchen). Aus Hesse, Tierbau.

einfach weil das Tier nicht „kann"! Weil sein Auge dazu nicht taugt. Da bleibt also alles Kokettieren mit der Mimikry bedeutungslos. Vitalist. Die Folgerung fechte ich an! Haben Sie Exner nicht studiert? Das Buch über die Physiologie der facettierten Augen? Darwinist. Natürlich kenne ich das; was soll's damit? Vitalist. Nun, entsinnen Sie sich da nicht des mikrophotographischen Netzhautbildes vom Auge von Lampyris noctiluca? Dies Bild gibt ein mehr als 2 m entferntes Fensterkreuz, ein auf das Fenster geklebtes R mit 5 cm breiten Grundstrichen und einen 135 Schritt dahinter gelegenen Kirchturm in

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ziemlicher Schärfe wieder. Der optische Apparat g e n ü g t hier, d a s wiederzugeben, und doch enthält er im g a n z e n n u r 2500 Rezeptionseinheiten!

Darwinist. Das ist doch u n g e h e u e r viel bei Epeira!

Vitalist.

Sie

mehr

als

müssen

es auf die gleiche Objektgröße und Distanz u m rechnen! Sehr viel wird

Fig. 7.

Spinnenauge (hintere

Ozelle

im

Medianschnitt

von

Lycosa).

1 Epidermis, 2 Kutikula, 3 Linse, 4 Corneagenzellen,

5

Kerne

der

Sehzellen,

6 deren rezipierende Elemente und / d e r e n N e r v e n f o r t s ä t z e (Sehnerv),

8 Tapetum.

Nach Widmann aus Hesse, Tierbau.

Fig. 8. Mikrophotographie des aufrechten Netzhautbildes im Augenhintergrunde des Leuchtkäferchens (Lampyris spldl). Vergrößerungl20. Aufgenommen mit Objektiv C von Zeiß. Nach E x n e r ; etwas deutlicher gehalten als im Original.

da an Rezeptionseinheiten nicht h e r a u s k o m m e n , w a s aber leistet d a s Tier d a m i t ? Auch Exner war überrascht. Ziehen wir d a s M ä n n c h e n von Solenopsis fugax in Betracht, d a s nur 400 Facetten hat, so beobachten wir, wie es trotzdem d a s Weibchen hoch in die Luft verfolgt, es also unterscheiden muß. Entflügelte Motten

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2. KURS

werden von den Weibchen nicht mehr z u g e l a s s e n , und zwar nur dann, wenn diese des Gesichts nicht beraubt waren. Das ist von M a y e r - S o u l e festgestellt worden. Was erwarten Sie überhaupt von der S p i n n e ? Es genügt, daß sie auf 2 cm Entfernung g e w i s s e charakteristische Kurven — Umrißkurven — erkennt — Psychologe. Man sollte auch bedenken, daß das S p i n n e n auge, auf Grund der einheitlichen Linse, worin es sich von dem echten Facettenauge scharf unterscheidet und dem Wirbeltierund Zephalopodenauge annähert, daß es deshalb zur Formunterscheidung begünstigt erscheint. Haben die Lycosiden, wie Hesse angibt, doch sogar eine Akkommodation! So erscheint das Spinnenauge gegenüber dem des Leuchtkäfers in gewisser Hinsicht im Vorteil. Monist. Ich will noch darauf hinweisen, daß alle Stemmata, also die Punktaugen mit einfacher Linse, den Insekten zum Formsehen in der Nähe dienen. Buttel-Reepen tritt dafür ein und wie ich glaube mit Recht. Also gerade die einfachen Augen unterscheiden Formen und nur über die Sehdistanz läßt sich streiten. Biologe. Die Natur ist oft wunderlich verschwenderisch. Wozu braucht Lampyris Formunterscheidung? Wenn das Männchen den Lichtfleck des Weibchens im Grase erkennt, s o genügt ihm das. Psychologe. Ganz recht. Und ich möchte ganz im allgemeinen s a g e n , daß wir aus der Qualität des Auges noch lange nicht auf die Qualität des S e h e n s zu schließen berechtigt sind. H ö c h s t e n s kann man s a g e n , daß mit einem guten Auge besser g e s e h e n werden „kann" als mit einem schlechten, nicht aber daß das immer sein „muß". Darwinist. Das ist denn doch eine kühne Behauptung! Psychologe. Keineswegs. Denn die Angaben der Autoren lauten gar zu widersprechend betreffs Auge und Sehvermögen. Hier muß es noch Differenzen g e b e n , die wir vorderhand nicht abschätzen können. Doch lassen wir das. Eben weil wir, meiner Ansicht nach, das Verhältnis v o n S e h v e r m ö g e n und Augenbeschaffenheit zurzeit nicht voll beurteilen können, scheint

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es mir besser, wir brechen die Diskussion über diesen Gegenstand ab. Ich halte hier nichts für bewiesen und nichts für widerlegt. Die Möglichkeit besteht, daß Spinnenaugen Bilder entwerfen können — das beweist das Lampyrisauge — und schließlich: wenn Epeira die verschiedene Beute an der Belastung der Netzfäden unterschiede, wie behauptet worden ist, wozu nähert sie sich dann der Biene an? Aber eine andere Frage ist's, ob immer die optische Fähigkeit zum Sehen nützt. Das müssen wir offen lassen. Ich dächte nun, wir geben dem Herrn Lamarckisten das Wort. Lamarckist. Mein Einwand paßt gut hierher. Er schließt eng an den vorigen an. Es wurde gesagt: man solle jede Frage an den Organismus zunächst gehörig determinieren, um den Wert der Antworten zu erhöhen. Nun gut, das ist auch meine Meinung. Ich handle in diesem Sinne, wenn ich die prinzipielle Frage aufwerfe: was ist einfach bei den Tieren? Ich meine in Hinsicht auf deren Reaktionen. Gewöhnlich glaubt man bei den Tieren einfachere Ursachen voraussetzen zu dürfen als bei uns. Da wird von Summation der Reize geredet, als wenn man so gewiß wüßte, daß das Tier überhaupt Reize zum Summieren hat! Als wenn jeder Druck, jede Gesichtswahrnehmung durch Addition der Erregungen einzelner Zellen zustande kommen und aus diesen begriffen werden müßte! Ich meine ganz im Gegenteil: diese von uns vorgenommene Vereinfachung der Eindrücke ist prinzipiell verfehlt. Sie hat einen Sinn für den analysierenden Menschen, der das Komplizierte in seine Elemente auflöst und derart allgemeinen Folgerungen zugänglich macht; aber forschend, vergleichend und verallgemeinernd verhält sich doch kein Tier. Ihm liegt nichts am Element, sondern alles am Ganzen. Was uns kompliziert erscheint, ist ihm einfach, weil es nur seiner bedarf, gar nicht des Einzelnen, das erst ein hochentwickeltes Abstraktionsvermögen auszusondern vermag. Vitalist. Ein vorzüglicher Gesichtspunkt! Lamarckist. Sie sprachen vom Kausalversuch, indem Sie betonten, daß der Forscher kausal-analytisch vorzugehen hat. Ich möchte vom Finalversuch reden, nämlich in spezieller Berück-

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sichtigung des Tieres, dem allein wichtig ist, was es bedarf; das ein Sklave bestimmter Lebensbedürfnisse ist und über diese gar nicht hinausschaut. Biologe. Allerdings ohne teleologische Fragestellung ist nichts zu erreichen! Lamarckist. Speziell knüpfe ich an den Regenwurmversuch an. Da sahen wir ein Tier kunstgerecht Blätter in enge Röhren einziehen, und mußten von Reizsummation hören, die einfach sein sollte und so kompliziert war, daß selbst, wie betont wurde, der Mensch sie nicht fertig bekommt. Darwinist. Weil er den Reflex nicht hat! Lamarckist. Ich würde eher sagen: weil er die scharfe Formwahrnehmung nicht hat! Wenn das neugeborene Hühnchen viel sicherer pickt, als ein erwachsener Mensch, so heißt das doch, daß es eben viel besser räumlich anzuschauen vermag als wir. Warum nicht auch der Regenwurm? Sie sagen: weil's eine verschwenderische Annahme wäre; ihr Sparsamkeitsgesetz gebietet Einfachheit der Voraussetzungen. Das gebietet nur ihr mechanistisches Vorurteil. Darwinist. An dem ich bis auf weiteres festhalten werde! Bis Sie die Unentbehrlichkeit der Psyche dargetan haben werden. Physiologe. Bis Sie uns den psychophysischen Energieumsatz erweisen! Lamarckist. Das onus probandi fällt Ihnen zur Last. Ich will nur zeigen, daß alle Addition von Millionen von Berührungsreizen keine Form ergibt. Schopenhauer hat das längst erwiesen. Ziehen wir nur die Kiefernadeln in Betracht. Sie sagen: das Tier summiert die drei Reizgruppen: Seite — Spitze — Seite. Wo ist denn aber die Seite zwischen den zwei Nadelspitzen? Da gibt's doch gar keine Berührung. Schon gut, Sie werden da auch eine Reflexreizbarkeit heraustifteln, warum denn nicht? Was Sie aber nicht heraustifteln werden, ist, warum denn das Tier bei Summation von zwei Seiten und einer Spitze innehält. Warum summiert es nicht noch weitere Seiten und Spitzen? Warum zuerst die Seite und dann die Spitze? Haben Sie denn auch beobachtet, ob eine Seite der ganzen Länge nach abgetastet wird oder nur hier und da, wie es angesichts

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der Bewegungsweise des Tieres wahrscheinlicher ist? Wenn das der Fall: wie will es dann überhaupt addieren? Dann kann ja eine lange Seite viel weniger Berührungen bieten als eine kurze? Ich muß gestehen, Ihre Gründe erscheinen mir an den Haaren herbeigezogen. Darwinist. Ich gebe z u , Schwierigkeiten sind vorhanden. Aber eine Formwahrnehmung erscheint mir noch ungleich schwieriger begreifbar. Außerdem nahm ich an, daß im Zentrum Dispositionen für die Formalverknüpfung der Reize vorliegen dürften. Dadurch werden Ihre Einwände wesentlich eingeschränkt; es klingen eben nur gewisse Reizgruppen an. Lamarckist. W a s nützen die Dispositionen, wenn man nicht wieder mit Helmholtz unbewußte Schlüsse zurate zieht? Eine Gehirnstruktur ist doch keine Einheit, die Vorstellung aber ists! Psychologe. Ganz recht, und hier liegt der Krebsschaden, der der ganzen Nur-Physiologie anhaftet. Hier kommen wir auf den springenden Punkt, auf die Unentbehrlichkeit der Psyche. Soll ich den Angriff jetzt weiter führen? Lamarckist. Bitte, bitte. Wir sind g a n z eins. Psychologe. Der Herr Darwinist hat ganz folgerichtig die Vorstellung des Blattwinkels in Reizsummen und Reizkombinationen umgewandelt. Etwas anderes kann es für ihn eben nicht geben. Aber ich frage Sie folgendes: Nehmen wir einen Billardball, der in Bewegung ist und den ein anderer — oder deren mehrere — stoßen. Die Stoßenergien addieren oder subtrahieren sich, je nachdem die Stöße treffen, und es ergibt sich eine mittlere Richtung. In der resultierenden Bewegung haben Sie die Eigenbewegung des Balles und die Einwirkungen der anderen Bälle drin; aber — können wir im Resultat die primären Elemente noch unterscheiden? Selbstverständlich nicht; oder anders gesagt: ebensogut könnten wir auch ganz andere Elemente darin unterscheiden. Jede Summe läßt sich willkürlich in die mannigfaltigsten Summanten zerlegen. Nun aber — w a s haben wir für den Regenwurm zu fordern? Wenn zwei Seiten zur Feststellung eines Winkels nötig sind, werden sie denn nicht durch Reizsummation zu einer einzigen? Und der

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2. KURS

Spitzenreiz addiert sich einfach hinzu, er ist doch auch nur ein Berührungsreiz. Was nützt Ihnen dann alle räumliche Anordnung im Zentrum, im Gehirn? Darwinist. Die zentrale Konfiguration verhindert eben die völlige Summation und läßt bestimmte Reizelemente als gesonderte Einheiten fortbestehen. Psychologe. Das ist ganz unmöglich! Weder bei mechanischer noch bei chemischer Beurteilung. Wenn wir auch annehmen, daß im Zentrum die einzelnen Eindruckskomponenten auf verschiedene Zellen sich verteilen, so müssen sie doch, um die Reaktion zu ermöglichen, in verbindenden Bahnen zusammenstoßen; dann ist's aber mit ihrer Individualität vorbei. Es kann eben im Gehirn gar keine Assoziationsbahnen zwischen bestimmten Zentren geben, weil Reize sich immer summieren und nur Empfindungen sich assoziieren. Ist's ein physikalischer Vorgang: sobald die Substratschwingungen sich treffen, kommt es zur Verstärkung oder Interferenz. Ist's chemisch, so resultiert etwas ganz Neues. Dagegen im Psychischen: was immer da auch zusammenstößt, es erhält sich und wird doch Glied in einer neuen Einheit. Komplexbildung, Assoziation finden Sie bei Entstehung von Vorstellungen, bei der Erinnerung, bei der Begriffsbildung, beim Urteil, in der Kunst, wo immer Sie nur hingreifen. Monist. Ganz richtig! Lotze hat das schon treffend ausgedrückt, indem er sagte: Für das Ganze einer Mannigfaltigkeit gibt es nur einen Ort wo es existiert, nämlich im Bewußtsein. Psychologe. Darum ist das Gehirn ein Summationsorgan und nur die Psyche ein Assoziationsorgan. Und beide sind unentbehrlich für die Handlungen. Ohne die Psyche kommen Sie nicht einen Schritt weiter in der Analyse. Monist. Das heißt: Gehirn und Psyche sind die differenten Außenseiten einer innerlich identischen Sache! Psychologe. Das — habe ich nun gerade nicht sagen wollen. Doch ist's ein Thema für sich und braucht uns heute nicht zu beschäftigen. Ich denke überhaupt, wir brechen heute ab. Lassen wir erst noch weitere Versuche reden, bevor das definitive Fazit gezogen wird.

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Darwinist. Jedenfalls müßten erst einwandfreiere Versuche vorliegen, bevor ich solch prinzipiellen Bedenken, wie sie heute vorgebracht wurden, größere Bedeutung einräumen würde. Sie haben Ihr Prinzip und ich das meine, doch nur Versuche entscheiden. Vitalist. Aber kritische Versuche! Darwinist. Die Kritik fällt nach dem Prinzip verschieden aus. Für mein Prinzip haben Ihre kritischen Einwände weniger Bedeutung, als Versuche, die die Unzulänglichkeit meiner Voraussetzungen direkt erweisen. Lamarckist. Solche Versuche wollen wir Ihnen schon noch vorführen! Psychologe. Das nächste Mal, meine Herren. Für heute ist's genug.

3. K u r s

Der homogene und heterogene Reiz Der P h y s i o l o g e gegen die Berücksichtigung des Psychischen. Einfache Erklärung: Tropismentheorie. 5. V e r s u c h : P h o t o t r o p i s m u s der B l a t t l ä u s e . 6. V e r s u c h : S e n s i b i l i s a t i o n bei K r e b s c h e n . 7. V e r s u c h : L o k a l i s a t i o n b e i C a r m a r i n a . Gegen die Deutung der Lokalisation als Reflex. Kurz- und langfristige Versuche. Phototropismus als Trieb gedeutet. 8. V e r s u c h : U n t e r s c h i e d s e m p f i n d l i c h k e i t bei W ü r m e r n . Psychische Sensibilisation. Unklarheit in Beurteilung der Probleme. 9. V e r s u c h : R a u m w a h r n e h m u n g bei C e r i a n t h u s . Auch hier Trieblehre unentbehrlich. Prinzipieller Einwand der Physiologie: Schwer deutbare Nebenerscheinungen dürfen nicht überschätzt werden. Die Umstimmung. Physiologische Deutung des Wabenbaues bei Bienen. Widerlegung durch den Wabenbau der Wespen.

Physiologe. Zu den Herren, die das letztemal die Bedeutung der Psyche zu erweisen suchten, befinde ich mich in einem bemerkenswerten Gegensatze. Rigoroser noch als mein Freund, der Darwinist, scheint es mir von vornherein sehr bedeutungslos, über den psychischen Faktor nachzugrübeln. Bei meinen zahlreichen Versuchen bin ich diesem Mysterium bis jetzt noch gar nicht begegnet. Und ich halte mich mit Vorliebe an das, was mir begegnet; die Mysterien, die man suchen muß, überlasse ich anderen, welche dafür eine bestimmte Neigung haben. Ich habe bis jetzt immer nur Vorgänge gefunden, die sich mechanisch auflösen ließen und habe die volle Überzeugung, daß das in allen Fällen gelingen dürfte. Wo es bis jetzt nicht gelang, da dürfte immer Gelegenheit zur Entdeckung einer Modi-

DER

HOMOGENE

UND

HETEROGENE

REIZ

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fikation der alten Gesetze sich darbieten; wer vorsichtig abwartet, wird nicht alles Alte sofort über den Haufen werfen, um nur ja jedem Widerspruch zu entgehen. Ich möchte da einen Wink ganz im allgemeinen geben. Z. B. bei den Vererbungsgesetzen : da haben wir nun endlich die schöne Mendelsche Lehre, die bei kritischer Behandlung noch immer genügt hat. Doch es gibt Naturforscher von besonderem Typ — die komplizierenden möchte ich sie nennen, da ihnen nichts unangenehmer ist als leichte Verständlichkeit — die benutzen jede noch vorhandene Unbestimmtheit, um sofort dem großen Publikum zu verkünden, die Mendellehre tauge nichts. Ich erkenne darin nur eine Hemmung im Fortschritt der Wissenschaft. Vitalist. Sie schweifen etwas weit ab. Physiologe. Es ist wahr, doch möchte ich auch alles, was die Herren bis jetzt über Tierpsychologie geäußert haben, als Abschweifung erklären. Das Gute liegt so nahe, doch Sie gingen geflissentlich daran vorbei. Das Gute nenne ich die Tropismenlehre, für die ich eintrete. Dieser gemäß stellen sich die tierischen Handlungen nicht wesentlich komplizierter dar, als die bei Pflanzen beobachteten Bewegungs- und Wachstumserscheinungen. Es gibt überhaupt nur eine Art von Handlungen und das sind die direkt oder indirekt durch die Außenwelt erzwungenen, die sich ohne weiteres den Vorgängen an den Anorganismen vergleichen lassen. Ich will Ihnen heute von diesen Tropismen einige vorführen, an denen Sie erkennen können, wie aussichtsvoll der von mir eingeschlagene Weg ist und wie die Hoffnung besteht, daß wir in absehbarer Zeit auch die kompliziertesten Reaktionen werden bewältigen können. Besonders ist es der Phototropismus, der unser ganzes Interesse verdient und auf den ich zunächst genauer eingehen will. 5. Versuch. Phototropismus der Blattläuse. Sie sehen in diesem Glase hier, das am Fenster steht, eine Menge geflügelter Blattläuse (Fig. 9) sitzen. Man gewinnt diese geschlechtliche Generation, die nur unter bestimmten Bedingungen

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3.

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bei den sonst parthenogenetisch sich fortpflanzenden Aphiden auftritt, leicht, wenn man mit Läusen infizierte Cinerarien austrocknen läßt, also die Existenzbedingungen verschlechtert. Dann erscheint die geflügelte Generation und diese ist ganz exquisit positiv phototropisch. Alle Tiere fliegen ans Fenster, wo man sie sich in einem Glase sammelt, einfach durch Berührung mit einer Feder; sie fallen dabei von selbst herab. Da habe ich ca. 100 Tiere beisammen und alle sitzen auf der Lichtseite des Glases. Jetzt drehe ich das Glas um 180°. Sofort wendet sich jedes Tier dem Lichte zu und Sie sehen, wie alle beginnen zur gegenüberliegenden Glasseite hinzuwandern, manche auch zu fliegen. Stundenlang kann man das Experiment wiederholen,

Fig. 9 Blattlaus (Aphis platanoides). a