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German Pages 201 [204] Year 2015
Horst Bredekamp
Thomas Hobbes Der Leviathan
Acta humaniora Schriften zur Kunstwissenschaft und Philosophie
Horst Bredekamp
Thomas Hobbes Der Leviathan Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder · 1651–2001 4., korrigierte Auflage
Akademie Verlag
Vierte Auflage Die erste Auflage erschien unter dem Titel „Thomas Hobbes Visuelle Strategien. Der Leviathan: Das Urbild des modernen Staates – Werkillustrationen und Porträts“.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2012 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Petra Florath, Berlin Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-006013-2
Inhalt Vorwort zur 3. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 „Die Kraft des Künstlers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1. Die Philosophie der Angst und die Bilder
a. Die Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 c. Die Brüder des Leviathan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 d. Posthume Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2. Der Künstler und die Portraitfrage a. Wenzel Hollar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b. Die Zeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c. Abraham Bosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d. Das taktische Bildnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3. Die Kunsttheoretische Fundierung
a. Der Schöpfungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b. Der Automat als sterblicher Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c. Hermetische Statuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d. Hermetische Phantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4. Formtradition und politische Optik
a. Kosmosleiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b. Kompositkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c. Polyoptrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d. Literarische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhalt
5. Politische Ikonographie der Zeit
a. Die Zeit der Anamorphosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b. Die Kunstzeit der Scheinleiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c. Das Interregnum als Dauerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d. Der Zeitschöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6. Negation des Nichts
a. Herrschaft ohne Himmel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b. Kritik des Vakuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c. Doppelcharakter der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d. Kritik der Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
7. Die Dynamik der Wirkungsgeschichte
a. Kritik des Staatsriesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b. Klassen-, Volks- und Kirchenriesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c. Die Füllung der Faust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d. Die Usurpation des Kopfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Schluß: „Damit der Schrecken schrecke“
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Anhang
a. Der erste Absatz des „Leviathan“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b. Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c. Liste der verwendeten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d. Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 e. Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 f. Ausklapptafel des Leviathan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Vorwort zur 3. Auflage Die vorliegende dritte Fassung des erstmals im Jahre 1999 vorgelegten Versuches zu Thomas Hobbes‘ „Visuelle Strategien“ wurde gegenüber der zweiten Version von 2003 nicht wesentlich geändert. Ohne daß die Argumentation verwandelt wurde, konnte eine Reihe von Fehlern, für deren Aufspüren vor allem Veit Friemert herzlich zu danken ist, korrigiert werden. Unter der neuen Literatur sind insbesondere drei Titel zu erwähnen, die zu dem hier vorgelegten Stoff hinzugezogen werden sollten. Noel Malcolm hat im Rahmen einer Aufsatzsammlung von 2002 einen Artikel aufgenommen, der gegenüber den Forschungen von Martin Windisch und meinen eigenen Untersuchungen in Bezug auf die optischen Mittel von Hobbes zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist.1 G. A. J. Rogers und der vor Drucklegung gestorbene Karl Schumann haben eine Neuausgabe des „Leviathan“ vorgelegt, in dessen Kommentarband sie meine Überlegungen zur Editionsgeschichte aufgenommen und in einigen Punkten präzisiert haben.2 Schließlich hat Dario Gamboni in der Karlsruher Ausstellung „Making Things Public“ von 2005 versucht, die Bildgeschichte des Leviathan bis in die Gegenwart zu verfolgen. Gegenüber meiner ähnlich gelagerten Zusammen stellung der Fassung von 20033 ergeben sich einige Überschneidungen, aber es überwiegen neue Versionen, aus denen die nach wie vor wirksame Herausforderung der Visualisierung des „Leviathan“ hervorgeht.4 H. B., Dezember 2005
Noel Malcom, Aspects of Hobbes, Oxford 2002, S. 200–233. G. A. J. Rogers und Karl Schumann, Thomas Hobbes. Leviathan. A Critical Edition, 2 Bde., Bristol 2003, Bd. I, S. 53, 135, Anm. 401. 3 Bredekamp 2003, S. 139–161. 4 Dario Gamboni, Composing the ody Politic. Composite Images and Political Representa tion, 1651–2004, in: Making Things Public. Atmospheres of Democracy (Hg.: Bruno Latour und Peter Weibel), Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2005, S. 108–119 1 2
Vorwort zur 2. Auflage Vor drei Jahren erschien die erste Fassung des vorliegenden Buches unter dem Titel „Thomas Hobbes visuelle Strategien. Der Leviathan: Urbild des modernen Staates. Werkillustrationen und Portraits“. Gegenüber dieser Publikation sind drei Ände rungen vorgenommen worden. Der Text wurde leicht überarbeitet und durch jüngere oder zuvor übersehene Literatur ergänzt.1 Gravierender war die Kürzung des gesamten zweiten Teiles der Werkillustrationen und Portraits. Weil dieser einen überwiegend dokumentarischen Charakter besaß und mit der Publikation seinen Zweck als Nachschlagewerk erfüllt hatte, schien eine Streichung vertretbar.2 Als dritte Maßnahme wurden im Gegenzug die knappen Bemerkungen zur Rezeption des Leviathan-Bildes ausgebaut. Entstanden ist zwar keineswegs eine erschöpfende Abhandlung des Nachlebens von Hobbes Frontispiz, aber das Material hat einen eigenständigen Abschnitt ergeben.3 Da sich vor allem mit den beiden letzten Eingriffen der Charakter des Buches gewandelt hat, hat es einen neuen Titel erhalten. Für Hinweise und Korrekturen danke ich David Craven, Ulrike Feist, Almut Goldhahn, Elisabeth von Hagenow, Nicole Hegener, Nicola Hille, Thomas Ordnung, Margarete Pratschke, André Rottmann sowie der Arbeitsstelle „Politische Ikonographie“ des Warburg-Hauses, Hamburg. H. B., September 2002
1 Unter den nach Abschluß des Manuskriptes erschienenen Arbeiten ist der Aufsatz von Malcolm (1998) hervorzuheben. Entgangen war mir die 1983 publizierte Arbeit von Bertozzi (1983), die vorzügliche Beobachtungen zur Vorgeschichte der Ikonographie des Leviathan birgt. 2 Zudem ist kaum neues Material hinzugekommen. Alastair Laing vom National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty in London hat mich auf eine fehlende, von einem unbekannten Künstler geschaffene Portraitzeichnung hingewiesen, die dem von John Michael Wright geschaffenen Prototyp der Hobbes-Bildnisse entspricht und möglicherweise von dessen Hand stammt. Sie befand sich in der Arbeitsbibliothek Benjamin Disraelis (Farbige Kreide, 27 × 21,5 cm, Hughenden Manor, The Disraeli Collection, The National Trust. Vgl. hierzu Bredekamp, 2000, Schmitt). 3 In ihn sind verschiedene Vorarbeiten eingeflossen: Bredekamp, 2000, Ikonographie; 2001, Ikonographie; 2001, Schrecken, 2001.
„Die Kraft des Künstlers“ Mit keinem Sinn hat sich der Begründer der modernen Staatstheorie, Thomas Hobbes (1588 –1679), stärker und über einen längeren Zeitraum beschäftigt als dem Auge. Er hat über Jahre optische Studien betrieben, und er hat seine frühen Hauptwerke mit so durchdachten Frontispizen versehen, daß von gezielten visuellen Strategien zu sprechen ist. Unter den nach Tausenden zählenden Abhandlungen zu Hobbes, die alle Facetten seiner Wissenstheorie, Natur- und Moralphilosophie, Rechts- und Staatstheorie, Mathematik, Rhetorik, Historik, Theologie und Religionsgeschichte behandelt haben, spielt das gesamte Gebiet des Optischen jedoch nur eine geringe Rolle. Dies ist keineswegs ein Einzelfall. Im Bestreben, gegen die Unsicherheit aller politischen und sozialen Prozesse zumindest die Sicherheit des Denkens und der Begriffe zu setzen, neigen weite Bereiche der Geisteswissenschaften dazu, die Welt der Bilder auf die Seite des Unbegreiflichen und dadurch auch Bedrohlichen zu schlagen. Eine Erklärung dieses Phänomens würde vermutlich an Urängste vor jenem Naturzustand rühren, gegen den Hobbes seine Bilder aufgebaut hat. Umso markanter wirken Gegenstimmen, die eine „Trendwende“ zu bewirken versuchen4. Zu ihnen gehörte schon Michael Oakeshotts Einleitung zum „Leviathan“ von 1946, die, auch hierin eine Ausnahmeerscheinung, von Hobbes „power as an artist“ sprach und mit dieser Provokation dazu beitrug, daß die literarischen Qualitäten des Autoren in den letzten Jahrzehnten intensiv erforscht worden sind.5 Auf der Basis dieser verbesserten Ausgangslage gilt der folgende Versuch der Leitfrage, warum Hobbes den modernen Staat nicht denken kann, ohne daß er sich von ihm ein Bild macht.6
Vgl. Münkler, 1994, S. 8, Müller, 1997, S. 9–21 und von Beyme, 1998, S. 7ff. Oakeshott, 1975 [1946], S. 154. Einen Vorläufer bietet Thorpe, 1964 [1940]; vgl. Roux, 1970, S. 88f., Selden, 1974 und die Summe weiterer Erkundungen durch Skinner, 1996. 6 Der vorliegende Versuch steht im Rahmen der Bemühung, die Rolle von Bildern für außerkünstlerische Innovationen des 17. Jahrhunderts zu bestimmen. Bereits vorgelegt wurden Arbeiten zur Naturphilosophie Francis Bacons (1993, S. 63ff ) und zu den Mondstudien Galileo Galileis (2000, Gazing Hands). Verschiedene Vorarbeiten zu Hobbes wurden in den vorliegenden Text eingearbeitet (1977; 1998, Vorgeschichte; 1998, Körper; 1998, Brüder). 4 5
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„DIE KRAFT DES KÜNSTLERS“
Die Untersuchung hätte nicht ohne vielfältige Hilfen, Anregungen und Einwände von Personen und Institutionen durchgeführt werden können. Allen Beteiligten gilt mein aufrichtiger Dank, in den insbesondere das Getty Research Institute for the History of Art and the Humanities in Los Angeles eingeschlossen ist, das mir im Wintersemester 1998/99 Gelegenheit bot, das Buch zu beenden. Ich danke ferner vor allem Martin Windisch für den fortwährenden Dialog, Esther Sünderhauf für die Übermittlung von Quellen, Angela Matyssek für die Organisation der Abbildungen und die Erstellung des Namensregisters, Silvia Zörner für die bibliographischen Hilfen, Petra Florath für die Gestaltung des Buches und Gerd Giesler für seine außerordentliche verlegerische und intellektuelle Betreuung des Buches. Es wurde in den Semesterferien der Jahre 1993–99 auf dem Rehmstackerdeich der Marsch von Eiderstedt, auf halber Strecke zwischen Garding und Oldenswort, den Geburtsorten von Theodor Mommsen und Ferdinand Tönnies, geschrieben. Den Erbauern des um 1300 errichteten Deiches ist das Buch gewidmet. H. B., Dezember 1998
1. Die Philosophie der Angst und die Bilder a. Die Erscheinung 1676, drei Jahre, bevor er im biblischen Alter von 91 Jahren starb, wurde Thomas Hobbes von einem anonymen Maler portraitiert (Abb.1)7. Der Greis hat seinen fast kahlen Kopf vogelhaft zwischen die Schultern gezogen, aber die Augen blicken umso wacher aus dem Bild. Das Portrait muß von Hobbes selbst oder einer Person
Abb. 1. Portrait von Thomas Hobbes, Gemälde, 1676, Hardwick Hall, London
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Bredekamp, 1999, LB XXI.
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
Abb. 2. Abraham Bosse, Leviathan, Frontispiz von: Thomas Hobbes, Leviathan, 1651, a
A. DIE ERSCHEINUNG
aus seiner nächsten Umgebung in Auftrag gegeben worden sein, denn in der linken Bildhälfte ist ihm ohne Rücksicht auf die Anfechtungen, die er wegen dieses Werkes erlebt hatte, der im Jahre 1651 publizierte „Leviathan“ zugordnet. Über den sich auftürmenden Manuskriptblättern zeigt ein fensterhaft wirkendes Bild eine winterlich karge, mit dräuendem Himmel überhangene Landschaft, die metaphorisch etwas von dem bedrohlichen Status des Menschen im Naturzustand wiederzugeben scheint. Der „Leviathan“ argumentiert auf zwei Ebenen. Während sein Frontispiz eine der Inkunabeln der politischen Ikonographie bildet (Abb.2)8, gehört sein Text zu den Grundschriften der modernen Staatstheorie. Im Gegensatz zu zahllosen Abhandlungen, die den Text durch Texte auszulegen suchten, soll hier das Bild des „Leviathan“ im Mittelpunkt stehen, mit dem der Nutzer konfrontiert wird, noch bevor er auch nur einen Buchstaben gelesen hat.9 In seiner oberen Hälfte (Abb. 3) zeigt dieses Frontispiz eine Weltlandschaft, die vom Oberkörper eines bis zum Himmel sich erstreckenden Riesen überragt wird. Der Gigant trägt eine Krone, in der Rechten hält er ein erhobenes Schwert, und die Linke umgreift einen Bischofsstab. Seine Insignien reichen bis in den am oberen Bildrand stehenden Vers aus dem Buch Hiob, mit dem die erhabene Kraft des Seeungeheuers Leviathan beschrieben wird: „Non est potestas Super Terram quae Comparetur ei“ … „Keine Macht ist auf Erden, die ihm zu vergleichen ist“10. Die Rechte ist seitlich vorgestreckt, so daß der Knauf des Schwertes bis über die Hügelkette des Mittelgrundes reicht und damit den Schatten verstärkt, der sich über ihre nach links abfallenden Ausläufer legt. Die Linke, deren Schatten in einem unregelmäßigen Streifen von der Hüfte des Riesen bis zum rechten Stadtrand läuft, streckt den Bischofstab so weit nach vorn, daß dieser noch über die Stadt des Vordergrundes hinausreicht. Von der Spitze des Schwertes bis zum Ende des Bischofsstabes überspannt er den Raum vom entfernten Himmel bis zur Nähe des Mittelgrundes.
Hobbes, 1651, a, Frontispiz, 241 × 157; benutzte Exemplare: British Library, London, 522. k. 6 u. C. 175. n. 3 / Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen, J. Nat. 4840 / Warburg-Stiftung, Hamburg / William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles, *fB 1222 1651 / Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Sf 4°5; vgl. Bredekamp, 1999, LW XI, 1. 9 Unter den wenigen Abhandlungen, die sich mit Hobbes visuellen Strategien befassen, ragen Brown (1978), Corbett u. Lightbown (1979) Brandt (1982 und verändert 1987 sowie 1996) sowie Bertozzi (1983) als Pionierleistungen der kunsthistorischen, politischen und philosophischen Analyse heraus. Bedeutsam waren auch die Forschungen von juristischer (Hofmann, 1986; 1993; 1997) und politikwissenschaftlicher Seite (Münkler, 1985; ders., 1993, S. 50ff.; ders., 1994, S. 50–54 und Goldsmith, 1990) sowie die aus literaturwissenschaftlicher Sicht (Pye, 1984, und Strong, 1993). 10 Hiob, 41, 24; vgl. Bertozzi, 1983, S. 14ff. 8
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
Abb. 3. Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 2
Die seitlichen Bildreihen der unteren Hälften nehmen die Gegenüberstellung des Schwertes und des Bischofsstabes auf, indem die linken Felder der weltlichen und die rechten der kirchlichen Macht gewidmet sind. Unterstützt durch die korrespondierenden Feldgrößen, sind sie auch horizontal zu verbinden: Die Burg entspricht der Kirche, die Krone der Mitra, die Kanone dem Exkommunikationsblitz, die Kampfzeichen den Waffen der Logik und die Schlacht der Disputation. Als Fortsetzung von Schwert und Bischofsstab zeigen die Bildreihen an, daß der Leviathan sowohl den säkularen wie den sakralen Bereich als Souverän regiert11. Sie rahmen ein Mittelfeld, das durch einen Vorhang verhüllt ist. Durch diesen Zusammenhang zwischen den äußeren Bildreihen, die an die Werktagsseiten von Altarflügeln erinnern, und einem verhüllten Kernbereich ergibt sich eine drei-
11 Den Versuch einer Deutung des Beziehungsgefüges zwischen den Feldern und ihres Zusammenspieles mit der Anordnung der Worte des Titels auf dem Teppich unternimmt Martinich (1992, S. 365ff.), der den „Matter“ des zweiten Registers auf die Krone und „Forme“ auf den Bischofshut bezieht. Diese Konstruktion wird allerdings mit der nächsten Zeile „and Power of A Common-“ problematisch, weil sie zwischen dem zweiten und dritten Register aufgehängt ist und daher keinen bestimmbaren Seitenbezug aufweist. Damit werden auch die folgenden Zuordnungen fragwürdig. Zu den beiden Säulen vgl. Münkler, 1993, S. 149ff.
A. DIE ERSCHEINUNG
flügelige, einem Tryptichon ähnelnde Anlage. Der Vorhang bedeutet mehr als nur ein barockes Spiel mit der Fassade.12 Nach dem Muster des velum der Stiftshütte im Alten Testament verweist er mit seinem Wechselspiel von Erscheinen und Verhüllen auf den Text des „LEVIATHAN“.13 Verborgen wie ein Arkanum, korrespondiert die Schrift der höheren Seinsform, die der Gigant als höchste Macht „super terram“ verkörpert. Während die untere Hälfte des Frontispizes durch eine Holzleiste gefaßt ist, die auch seine beiden seitlichen Kolumnen unterteilt, besitzt das Bild des Riesen keine Einfassung. Es steht zwar wie ein Tafelbild über einem dreiteiligen Retabel, aber im Gegensatz zu den gerahmten Bildfeldern erweckt es den Anspruch einer authentischen Erscheinung. Schon dieser Wechsel zwischen dem visionären Leviathan, dem durch Verhüllung hervorgehobenen Text und den Wirkungsfeldern verdeutlicht, welche Finesse Hobbes gemeinsam mit dem Künstler aufgewendet hat, um das bildhafte Denkvermögen seines Lesers herauszufordern. Aber diese Inszenierung ist lediglich der Rahmen einer differenzierten Gestaltung selbst der geringsten Details. Die Landschaft zeigt mit ihren steil oder weich abfallenden Hügeln und Bergen, ihren Flüssen und dem am Horizont sich abzeichnenden Meer, den Dörfern, Burgen und einsam liegenden Gehöften sowie der Stadt des Vordergrundes, die links in einen Militärbereich und rechts in einen größeren, zivilen Sektor gegliedert ist, die komplexen Formen einer Weltlandschaft, um den umfassenden Anspruch des Leviathan zu verdeutlichen. Erst bei näherer Betrachtung ist schließlich das Maß der Binnendifferenzierung des von über dreihundert Menschen angefüllten Leviathan selbst zu erkennen. Obwohl seine rechte Hand nur einen Durchmesser von 12 mm aufweist, birgt sie eine Ansammlung von Menschen, die mit zwei schemenhaft sich abzeichnenden Gestalten des Daumenballens beginnt. Die dicht an dicht gedrängten Personen füllen beide Gliedmaßen sowie auch den gesamten Rumpf aus, um erst im Halsbereich, in der verschatteten Zone unterhalb des Kinnes zu verschwinden. Der Blick, den die Menschen von allen Standorten aus auf den Kopf des Riesen richten, kehrt über dessen Augen zum Betrachter zurück, der die Froschperspektive der Rückenfiguren nachzuvollziehen sucht und zugleich auf Augenhöhe des Souveräns von diesem direkt angesprochen wird. Der widersprüchliche Charakter des Staats-
Schmitt, 1991, S. 39, 21. 11. 1947: „Das Leben ist die Fassade vor dem Tod (Barock). Der Leviathan selbst ist eine Fassade; die Herrschaftsfassade vor der Macht; jener geheimnisvolle Vorhang auf dem Titelblatt des Leviathan; aber nicht ‚bloße‘ Fassade, nicht bloßer Schein oder Erscheinung, Prestige, Gloire, Ehre, Repräsentation, Allmacht, aber eben doch nur wieder äußerliche Allmacht“. 13 Exodus, 26,31/33; vgl. Eberlein, 1982, S. 83ff. In dem er zu zeigen sucht, daß der Text noch über dem Souverän steht, hat Prufer diesen quasi metaphysischen Stellenwert der Schrift umschrieben (Prufer, 1993, S. 25f.). 12
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
körpers, Produkt der Menschen zu sein, die sich ihm unterwerfen, äußert sich bereits im Wechselspiel der Blickformen zwischen den Bürgern, dem Leviathan und dem Betrachter.
b. Kritik Die riesige, sowohl erblickte wie blickende Erscheinung erweckt zunächst Furcht, und ihre Benennung steigert ihren angstauslösenden Charakter. Der Gigant hat seinen Namen vom alttestamentlichen Leviathan, den Gott vor dem zweifelnden Hiob in einem Unwetter erscheinen läßt, um seine eigene, unermeßliche Macht zu offenbaren14. Das Monstrum ist von einer solchen Gewalt und einer so schaudererregenden Gestalt, daß vor ihm, wie es bei Hiob heißt, „die Angst tanzt“15. Seit dem Erscheinen des „Leviathan“ hat Hobbes Aufruf dieses Untieres Befremden ausgelöst, und noch in einer jüngeren Abhandlung wurde bemerkt, daß nach wie vor zu klären sei, „warum der Verfechter methodischen Denkens und klarer Begrifflichkeit überhaupt auf ein semantisch immer undurchsichtiges mythisches Titelsymbol zurückgegriffen hat (…). Das Schloß ist noch nicht gefunden, das sich durch den Schlüssel des Leviathan-Mythos öffnen ließe und die mythischen Hinterbedeutungen freilegte“16. Die Verbindung zu dem alttestamentlichen Furchterreger ist umso auffälliger, als Hobbes „Leviathan“ wohl eine Riesengestalt, aber keine monströse Form besitzt. Offenbar wollte Hobbes keinen Zweifel daran lassen, daß die Angst den Ausgangs- und Zielpunkt all seiner Überlegungen ausmacht. Er rechnet mit einer Natur des Menschen, deren Sucht nach Gewinn, Sicherheit und Ruhm zu einem andauernden Kampf mit Konkurrenten und Kontrahenten führt. Im Naturzustand herrscht ihm zufolge „permanente Furcht und Gefahr des gewaltsamen Todes; und das Leben des Menschen ist einsam, armselig, widerwärtig, tierisch und kurz“17. Das allgemeine Übervorteilen und Töten kann nicht aus sich heraus beendet, sondern muß durch das künstliche Wesen des Staates gehemmt werden, der die Einzelinteressen und den immerwährenden Kampf aller gegen alle mit Gewalt und Schrecken unterdrückt. Als Instrument der Notwehr muß dieser Organismus Angst auslösen, um seine Funktion erfüllen zu können.18
Hiob, 40. und 41. Kapitel; Hobbes, 1991, Leviathan, XXVIII, S. 221 Hiob, 41, 14 16 Kersting, 1992, S. 37f. 17 „(…) continual feare, and danger of violent death; And the life of man, solitary, poore, nasty, brutish, and short“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XIII, S. 89). 18 Unter den zahlreichen Analysen von Hobbes Angstbegriff seien hervorgehoben: Canetti (1976, S. 246), der in wenigen, treffenden Worten ausführt, wie weit sich Hobbes von allen unterscheidet, die in der Angst ein Mittel der Selbsterhöhung sehen, Jacobson (1998), dessen 14 15
B. KRITIK
Die Problematik dieser Konstruktion liegt auf der Hand, und Hobbes Kritiker sind Legion.19 Bereits Leibniz hat bei aller Wertschätzung des „Leviathan“ befürchtet, daß der Staatsriese die Gewalt nicht unterbinde, sondern willkürlich monopolisiere20. Der komplementäre Einwand lautet, daß die Macht eines solchen Gebildes auf lange Sicht ihren eigenen Untergang bereite, selbst wenn sie inneren Frieden und äußeren Schutz zu stiften vermöge. In ihrer Tendenz, Stabilität als einen Selbstzweck zu begreifen, erzeuge sie Gegenreaktionen, die sich vom ohnmächtigen Zorn zum ungezügelten Gewaltausbruch von innen her steigern. Gerade die stärkste Ordnungsmacht zerbreche langfristig nicht aus äußerer Bedrohung, sondern aus der Komprimierung der immer und unabdingbar vorhandenen inneren Gewalt21. Jener Hobbes, der bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Vater des Totalitarismus erachtet wurde, gehört allerdings so tief der Vergangenheit an, daß heute eher die Gefahr besteht, ihn als Urvertreter des Liberalismus zu überschätzen.22 Ohne Frage war sein Staat als ein künstliches, aus dem Schrecken geborenes Gebilde eine originäre, epochale Schöpfung. Sie taugt daher nicht dazu, im Museum der Moderne bewahrt und dort bestaunt und bestenfalls belehnt zu werden, denn sie war zwar zeitgebunden, gewinnt aber nicht durch ihre Oberfläche, sondern durch die Denkoperation, durch welche sie imaginiert wurde, einen beispielhaften Charakter. Eine historische Rekonstruktion der Gründe für die negative Radikalität von Hobbes Staatsbegriff muß berücksichtigen, daß er nicht die Gefahr der Verselbständigung einer autoritativen Macht, sondern die politische Zersplitterung und den Bürgerkrieg Englands, die Spätphase des Dreißigjährigen Krieges und vor allem auch die kolonialen Kriege in Nordamerika vor Augen hatte, in denen sich die Ureinwohner und die Eroberer unter- wie auch gegeneinander unablässige Auseinandersetzungen lieferten. Daß Hobbes Zeit seines Lebens von jener Angst erfüllt war, die er durch die Gegenangst vor dem Leviathan zu überwinden hoffte, lag vor allem in seiner Erfahrung, daß alle Sicherungssysteme versagt hatten und alle Legitimationsmittel den Bürgerkrieg nicht hatten verhindern können. Er zog daraus die Konsequenz, daß die staatliche Autorität nicht im Einklang mit der sozialen Anlage der Menschen, sondern gegen deren Natur errichtet werden müsse. Für diese Schöpfung benötigt er ein künstliches Gerüst, das die vertragliche Grundlage des Staates aufzurichten
höchst problematische, aber beklemmende psychoanalytische Deutung bei Hobbes den Wunsch erkennt, verschlungen zu werden, und in diametralem Gegensatz zu dieser Deutung Fisher (1998), der das Konzept der angstbewirkten Gemeinschaft als Schlüssel zum Verständnis jeder Aktion wertet, die über den Moment hinausgeht. 19 Vgl. Oakeshott 1975, S. 1–74, hier: 54ff. und Mintz (1962, passim). 20 Gottfried Wilhelm Leibniz an Thomas Hobbes, 23. 7. 1670, in: Malcolm, 1994, Bd. I, Nr. 189, S. 713; 1674 (?), in: ebda., Nr.195, S. 732f.
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
und zu stützen vermag. Dieser Stabilisator, der den Vertrag in Handlungen und in eine dauerhafte Geltung überführen soll, muß für Hobbes sowohl über das Gewaltmonopol wie über einprägsame Bilder verfügen. Das Zentrum dieser Bilder nimmt das Frontispiz des „Leviathan“ mit dem in der oberen Bildhälfte aufragenden Giganten ein.
c. Die Brüder des Leviathan Es existiert in einer Reihe divergierender Fassungen. Die Erhebung des „Leviathan“ in den Dogmenhimmel der politischen Theorie hat auch dazu geführt, daß allein schon die Frage, welche Variante unter welchen historischen Umständen gefertigt wurde, ausgeblieben ist. Ehe die Urfassung des Titelkupfers und dessen gezeichnete Alternative analysiert werden können, soll daher zunächst die Geschichte der gedruckten Varianten erschlossen werden. Sie gehört zu den verwickeltsten Problemen der ohnehin komplizierten Bibliographie von Hobbes Werken, und nur in den seltensten Fällen war bei modernen Wiedergaben bewußt, auf welche Ausgabe sich diese bezogen. Ein Jahr nach der Publikation des „Leviathan“ wurde der französischen Übersetzung des zweiten Teils von Hobbes „Elements of Law“ ein Frontispiz vorangestellt, das die schwierige Aufgabe zu bewältigen hatte, das queroblonge obere Feld des „Leviathan“-Blattes in die hochrechteckige Fläche des schmalen 16mo-Formates zu pressen (Abb. 4)23. Der Künstler hat den unterhalb des linken Armes des Riesen befindlichen, von der Hügellinie bis zur Kirche reichenden Landschaftstreifen als Ausschnitt gewählt und die Einzelmotive gegeneinander verschoben, wobei der in weiten Bögen herabfließende Fluß ebenso geblieben ist wie die Struktur der hügeligen Landschaft mit den einzelnen eingestreuten Gebäuden. Die rechts neben den Kirchturmspitzen zu sehende, am Fluß gelegene Festung ist dagegen nach rechts unten gerutscht, um den Gegenpol zur links unten situierten Kirche zu bieten. Diese hat nur mehr einen Turm, so daß sie mit dem steil nach oben gerichteten Schwert korrespondiert, während die schräg auf einem Hügel liegende Bastion in der leicht ausschlagenden Waage eine Entsprechung findet.
Jüngst: Sofsky, 1996, S. 7f. Vorwurf des Totalitarismus: Vialatoux, 1936 und ders., 1952; dagegen: Goyard-Fabre, 1975, passim; Mittelposition: Rossini,1988, S. 267ff.; bemerkenswert ist auch die jüngste, gegen Hannah Arendts Totalitarismus-Vorwurf (1951) gerichtete Verteidigung von Hobbes: Tönnies, 1999. 23 Hobbes, 1652, Frontispiz, S. air, 107 × 64. Benutzte Exemplare: Bibliothèque Unversitaire de Lyon, 86579 [Faksimiledruck, Saint-Etinne 1977] / Bodleian Library, Oxford Vet. E3 f. 73 / British Library, London, 8005.de.2 [ohne Frontispiz] u. 8005.a.20 [ohne Frontispiz]; vgl. Bredekamp, 1999, LW XVI 21 22
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Abb. 4. Abraham Bosse, Leviathan, Frontispiz von: Thomas Hobbes, Le Corps Politique, 1652
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Eine besonders gravierende ikonographische Veränderung bedeutet die Vertauschung des Bischofsstabes gegen die Waage. Schwert und Waage vermitteln diesem Leviathan die Attribute der Justiz, was als Hinweis auf den Untertitel, „Les Elements de la Loy Morale et Civile“, verstanden werden muß. Das Innenleben des Riesen verdeutlicht aber, daß er immer noch den „Corps Politique“ insgesamt und nicht etwa nur eine seiner Teilfunktionen verkörpert. In seinem rechten Arm versammeln sich Soldaten, während sein linker Arm von Richtern und einem Bischof ausgefüllt ist. Exekutive und Judikative sind auf die Extremitäten verteilt, während die handelnden Menschen den Rumpf ausmachen. Angesichts dessen, daß der „politische Körper“ insgesamt verbildlicht ist, gewinnt die Ersetzung des Bischofsstabes durch die Waage einen taktischen Zug. Möglicherweise empfand der unbekannte Verleger es nicht als opportun, das Verhältnis der Kirche zum Staat im französischen Kontext in derselben Entschiedenheit vorzutragen, in der das Frontispiz der englischen Fassung des „Leviathan“ dies im Jahr zuvor riskiert hatte. Indem der Leviathan im Einklang mit dem Titel, „Elements of Law“, die Waage in die Linke bekam, war der Schärfe, daß dem Staatsriesen auch das kirchliche Würdezeichen zugehöre, die Spitze genommen. Eine zweite Variante der gedruckten Urform des Leviathan bildet die 1667 publizierte und 1672 unverändert nachgedruckte niederländische Übersetzung (Abb. 5)24. Der bislang unbekannte Zeichner oder Stecher „CR“25 hatte offenbar ebenfalls den Auftrag, die gleichberechtigte Unterordnung der weltlichen und geistlichen Gewalt unter die Staatsautorität zu kaschieren. Den linken Streifen der unteren Bildhälfte hat er um eine Spur breiter angelegt als die rechte Kolumne, wie um das weltliche Fundament des Leviathan stärker zu betonen. Die frappanteste Änderung aber geschieht in jener Zone, in der sich der Leviathan über die Berglinie erhebt. Im Urbild von 1651 ist er so nahe an den Bergzug herangerückt, daß unsicher bleibt, ob er, wie es der inschriftliche Hinweis auf das biblische Monstrum nahelegt, dem Meer entsprungen ist oder ob er in der Tradition der „Terra“- oder „Tel-
24 Hobbes, 1667, Frontispiz, S. *Ir, 136 × 87. Benutzte Exemplare: British Library, London, 8006.aaa.8. / William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles, *B1222 A3D 1667; vgl. Bredekamp, 1999, LW XVIII, 1; Hobbes, 1672, Frontispiz, S. *Ir, 137 × 87: identisch mit 1667, aber geänderte Jahreszahl; vgl. Bredekamp, 1999, XXIII, 1. Vgl. Brandt, 1982, S. 220, Anm. 6; Schoneveld, 1991, S. 141 25 Seine Identität konnte nicht festgestellt werden. Unter den zahlreichen bei Nagler (1857–1879, Bd. II, 1860, S. 216–233) vermerkten Monogrammisten mit dem Kürzel CR kommt niemand in Frage, und keines der übrigen einschlägigen Lexika gibt einen Hinweis. Auch die Signatur CR/1632/IHf auf John Hoskins Tuschzeichnung von Charles I. (Foskett, 1974, S. 76, Nr.144) führt nicht weiter, da es sich um das Kürzel für „Carolus Rex“ und nicht etwa um die Bezeichnung eines Stechers handelt, dessen Vorlage Hoskins hier abgezeichnet hat.
C. DIE BRÜDER DES LEVIATHAN
Abb. 5. CR, Leviathan, Frontispiz von: Thomas Hobbes, Leviathan, 1667
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Abb. 6. Leviathan, Frontispiz der Bear-Ausgabe, ca. 1670 [1651, b]
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Abb. 7. Head-Zeichen der Erstauflage des Leviathan, 1651, a
lus“-Darstellungen bis zur Hüfte in der Erde steckt.26 Dieses Changieren zwischen Erd- und Wassergeburt ist in der holländischen Fassung beseitigt. Zwar ist im Hintergrund rechts noch ein kleiner Meerstreifen zu sehen, aber zwischen der imaginierten Küste und dem Rücken des Riesen türmen sich neue, zuvor nicht vorhandene Bergrücken auf, die ihn als ein Landwesen definieren, das zwar noch das Meer im Rücken hat, ihm aber nicht angehört. Der Leviathan hatte im England des 17. Jahrhunderts eine positive Umwertung vom Drachen zum Beherrscher des Meeres erfahren, so daß Hobbes Riesengestalt ihren Terror sowohl nach innen gegen die Bürgerkriegsparteien wie auch, als schreckenerregende Verkörperung der englischen Seemacht, als Bedrohung nach außen zu richten vermochte.27 Das Ungetüm der niederländischen Fassung sollte offenbar diese spezifisch englische Seite des Leviathan vermeiden. Indem sich hinter seinem Rücken Land abzeichnet, konnte er das niederländische Selbstverständnis, zwar eine See-, aber keine Inselmacht zu sein, von der Selbstsicht Englands absetzen. In dieser winzigen Veränderung äußert sich der globale Konflikt zwischen der niederländischen und der englischen Seemacht. Möglicherweise hat die niederländische Ausgabe von 1667 das Interesse für das Original bestärkt, denn um 1670 wurde vermutlich in Amsterdam eine zweite Auflage der ersten, englischen Ausgabe publiziert, die irritierenderweise unter der
Tellus, Exultet-Rolle, Biblioteca Vaticana, Barb. lat. 592, Fragment I, Monte Cassino, Ende des 11. Jhs., aus: Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 5, Abb. 376. Vgl. die grundlegende Arbeit zur mittelaterlichen Bildgeschichte des Leviathan von Bertozzi, 1983, S. 6–12. 27 Steadman, 1967, S. 575f; Windisch, 1994, S. 77f. 26
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Abb. 8. Bear-Zeichen der Bear-Ausgabe, ca. 1670 [1651, b]
Abb. 9. Ornament-Zeichen der Ornament-Ausgabe, ca. 1670–80 [1651, c]
Jahreszahl „1651“ firmiert (Abb. 6)28. Sie ist von der Erstausgabe, die einen Kopf als Verlegerzeichen führt („Head“-Ausgabe, Abb. 7), darin unterschieden, daß sie an dieser Stelle einen Bären zeigt („Bear“-Ausgabe, Abb. 8)29. Sie wurde dadurch beHobbes, 1651,b, Frontispiz, 240 × 155. Das Datum ist fingiert. Benutzte Exemplare: British Library, London, 1476. d. 23 / William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles, *fB1222 1651a; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXI, 1 29 Hobbes, 1651,b, S. A1r, 41 × 84; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXI, 2. Der Bär war ein zwischen 1617 und 1670 in Amsterdam vielfach genutztes Verlegerzeichen, und die über der 28
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Abb. 10. Leviathan, Frontispiz der Ornament-Ausgabe, ca. 1670–80 [1651, c]
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günstigt, daß ein Neudruck in England verboten war. Nach den klerikalen Angriffen des Jahres 1666 erhielt Hobbes ein Verbot aller Neudrucke zu Lebzeiten, was den Effekt hatte, daß die Erstausgabe des „Leviathan“ zu Höchstpreisen in Antiquariaten gehandelt wurde.30 Auf diesen Markt spekulierte offenbar die Amsterdamer „Bear“-Ausgabe. Der anonyme Amsterdamer Verleger muß mit dem Londoner Verlagshaus Crooke Hand in Hand gearbeitet haben, denn dem Nachdruck wurde für das Frontispiz die bereits stark abgenutzte Platte der ersten Auflage zur Verfügung gestellt.31 Der Pulverdampf des Kanonenschusses vom oberen Feld des linken Bildstreifens ist verflogen, und die Schlachtszene weist in der Mitte ein weißes Loch auf, wie auch in der gegenüberliegenden kirchlichen Verhandlung der Richter nur mehr schemenhaft wahrzunehmen ist. Im Bereich des Leviathan ist die Stadt fast unversehrt geblieben, aber die Landschaft liegt wie unter dichtem Herbstnebel, und die Konturen der Menschen im Inneren des Leviathan sind so weit aufgelöst, daß sie partiell nachgezogen werden mußten, was bei den Unterarmen den Eindruck erweckt, als habe der Leviathan diese Extremitäten in eine dunkle Flüssigkeit getaucht. Am Kopf des Leviathan sind vor allem die Schattenpartien retuschiert. Schließlich ist auch die dritte Ausgabe, die das Erscheinungsjahr „1651“ trägt, aber ein abstraktes Verlegerzeichen führt („Ornament“, Abb. 9)32, vermutlich aus denselben Gründen nicht lange nach der „Bear“-Ausgabe entstanden (Abb. 10)33. Auch sie konnte noch die ursprüngliche Platte der Frontispizvorlage verwenden, aber diese war nun derart abgenutzt, daß große Bereiche wirken, als seien sie mit Schnee bedeckt, und der Himmel ist eine wolkenlose, weiße Fläche geworden. Offenbar hatte der Stecher, der in den konturlos gewordenen Flächen Linien nachgezogen hat, kein Originalexemplar zur Verfügung, denn wo die Platte keine Anhaltspunkte mehr bot, hat er nicht versucht, das Verlorene zu rekonstruieren. Allein die Formen, die noch andeutungungsweise zu erkennen waren, sind in den Umrißlinien aufgestochen. So wirken die kleinen Körper des Leviathan mit ihren umzeichneten Konturlinien wie ausgeschnittene Papierformen, und die Garnison rechts über der Stadtkirche zeigt nur mehr Andeutungen von Architektur, die nicht „Introduction“ angebrachte Vignette des Christopherus (Hobbes, 1651, b, S. A4r, 118 × 320; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXI, 3) könnte auf den Amsterdamer Drucker Christoffel Cunradus verweisen (MH, S. 28). Zum Erscheinungsdatum vgl. Tuck, 1991, S. xxviii. 30 Pforzheimer Library, 1940, Bd. II, S. 493f 31 Dieser Status der Platte ist in Verbindung mit der Erstauflage bislang nur ein einziges mal in Form jenes Exemplares dokumentiert, das sich im Nachlaß von Carl Schmitt befindet (Nachlass, 1993, S. 433). 32 Hobbes, 1651,c, Titelseite, 47 × 44; benutzte Exemplare: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen, Kuessner Bibl.293 / British Library, London, G. 2455 / William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles, *fB1222 1651b; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXII, 2
D. POSTHUME NACHKOMMEN
mehr zu erkennen gibt, daß sie zu einem militärischen Komplex gehört. Auch die Schlachtszene der linken Kolumne ist fast gänzlich verloren. Den „Bear“- und „Ornament“-Ausgaben ging es weniger um eine präzise Wiedergabe, als vielmehr um die Illusion, daß ihre Frontispize zur Ausgabe von 1651 gehörten. Indem ihre Titelkupfer ungeachtet der geminderten Druckqualität von der authentischen Platte der Erstausgabe kamen, konnten sie das frühe Erscheinungsdatum fingieren. Auf diese Weise gelang ihnen, das Druckverbot des „Leviathan“ zu umgehen. Sein Text war um den Preis auf den Buchmarkt zurückgekehrt, daß sich sein Bild vernebelt hatte.
d. Posthume Nachkommen Die nun vollständig verbrauchte Platte konnte nicht wiederverwendet werden, und daher wurde das Frontispiz für die „Moral and Political Works“ von 1750 neu gestochen (Abb. 11)34. Gegenüber dem Vorbild weist es eine wie erstarrte, leicht metallische Härte auf, die angesichts dessen, daß Tiepolo und Piranesi zu dieser Zeit Höchstleistungen der atmosphärischen Radiertechnik erreicht hatten, dem bibliophilen Anspruch dieser ersten Ausgabe gesammelter Werke von Hobbes nicht entspricht. Obwohl die Vorlage sehr genau kopiert ist, wurden Einzelheiten verändert; so haben sich die Gestalten vor der Kirche, insofern sie ihre Schnabelmasken verloren haben, von Seuchenärzten in Besucher verwandelt. Der gravierendste Unterschied aber betrifft den Rahmen und die Inschrift. Die Einrahmung der unteren Bildfelder ist nun auch um die obere Hälfte des Frontispizes gelegt, und indem diese Umfangung seinen Charakter als reproduziertes Tafelbild verdeutlicht, nimmt sie den ursprünglichen Sinn der authentischen Erscheinung zurück. Diese Rationalisierung des Bildmediums übertrug sich auch auf seine Inschrift. Während ihre leicht gequälte Einpressung zwischen die Insignien des biblischen Staatsmonsters in der Urfassung eine unmittelbare Zuordnung zum Leviathan ergeben hatte, ist sie nun abgerückt, um frei zwischen dem oberen Bildrand und der Spitze des Schwertes, der Krone und des Bischofsstabknaufes im Himmel zu schweben. In ihrer Tiefe undefinierbar, ist sie dem Leviathan soweit entzogen, daß, wer den Kontext des Zitates nicht kennt, eine höhere Macht als das Staatswesen selbst mit dem Spruch Hiobs identifizieren muß. Damit aber ist Hobbes Hauptgedanke, daß der Staat ein innerweltliches Produkt sei, das seine überweltliche Macht allein durch einen Willensakt der Menschen erhält, entschärft. Angesichts dessen, daß diese Fassung immer wieder zur Illustration von Hobbes
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Hobbes, 1651, c, Frontispiz, 241 × 155; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXII, 1 Hobbes, 1750, Frontispiz, 251 × 159; vgl. Bredekamp, 1999, LW XXXIX, 2
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
Abb. 11. Leviathan, Frontispiz von: Thomas Hobbes, The Moral and Political Works, 1750
D. POSTHUME NACHKOMMEN
Abb. 12. Leviathan, Frontispiz von: Thomas Hobbes, The English Works, Bd.III, 1839
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1. DIE PHILOSOPHIE DER ANGST UND DIE BILDER
Abb. 13. Leviathan, Magasin Pittoresque, 1852
Hauptgedanken reproduziert wurde35, ist zu betonen, daß die Klarheit des Stiches von 1750 dem Sinn von Hobbes „Leviathan“ zuwiderläuft. Als schließlich zwischen 1839 die bis heute maßgebliche Ausgabe von Hobbes Gesammelten Werken erschien, wurde dem „Leviathan“ ein Frontispiz vorangestellt, das die Härte des Stiches von 1750 verstärkt (Abb. 12)36. Der obere Bildrahmen wurde zwar in Treue gegenüber dem Erstdruck von 1651 wieder fortgelassen, und die Inschrift des oberen Bildrandes ist den Insignien wieder eine Spur näher gerückt, wurde aber nun in einem eigenen Streifen isoliert. Vom Bildgeschehen getrennt, dient sie nicht zur Erläuterung des Leviathan, sondern zur Kommentierung einer jenseitigen Macht. Damit besitzt jenes Frontispiz des „Leviathan“, das mit der Molesworth-Gesamtausgabe die weitere Rezeption des Werkes geprägt hat, einen Zug, der seinem ursprünglichen Sinn entgegensteht. So z. B. im „Leviathan“ von Carl Schmitt. Er war im Besitz einer Ausgabe von 1651 (s. Anm. 28), aber dem korrekten Titel ist in diesen Exemplar ein Frontispiz der „Bear“-Ausgabe eingebunden, so daß er sich genötigt sah, seinem Werk von 1938 „der besseren Deutlichkeit wegen“ das Frontispiz der Ausgabe von 1750 beizugeben (Schmitt, 1938, S. 26f.). 36 Hobbes, 1839, Bd. III, Frontispiz, 164 × 103; vgl. Bredekamp, 1999, LW XLII 35
A. WENZEL HOLLAR
Den Endpunkt bietet dann das „Magasin pittoresque“ von 1852 (Abb. 13)37. Das leicht geschlossene linke Auge des Leviathan vermittelt den Eindruck eines Zwinkerns, und sein eleganter Moustache macht ihn zu einem Zeitgenossen, der die alttestamentliche Bestie zwar in die Gegenwart hebt, ihren Schrecken aber nochmals mildert. Sämtliche Fassungen des Titelblattes bekunden durch noch so winzige und scheinbar unbedeutende Veränderungen, daß von bloßen Illustrationen nicht zu sprechen ist. Sie bilden jeweils eigene Antworten, wobei selbst die geringsten Eingriffe den Gehalt gezielt zu verändern vermochten. Sie reagierten auf besondere, historisch bedingte Ziele und Vorsichtsmaßnahmen, wobei sich eine durchgehende Tendenz abzeichnet, den friedenstiftenden Schrecken des Ur-Leviathan zu entschärfen und zu neutralisieren.
2. Der Künstler und die Portraitfrage a. Wenzel Hollar Angesichts der Vielzahl von zeitgenössischen Brüdern und posthumen Nachkommen stellt sich die Frage nach den Ursachen und Umständen der Erschaffung des Stammvaters, und dies umso drängender, als auch er das Produkt einer bewußten, zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwägenden Entscheidung war. Denn zu den gedruckten Versionen des Staatsriesen kommt eine gezeichnete Fassung, die zeitlich zum Erstdruck von 1651 gehört, aber eine deutlich abweichende Alternative bietet. Sie soll, da sie die Frage des Künstlers klären hilft, zunächst im Rahmen der Attribution und der Identifizierung des Dargestellten erörtert werden. Die Frage, wer die Radierung von 1651 geschaffen und wer sie gedruckt hat, ist bis heute ungeklärt38. Hobbes mußte mit einem Künstler zusammenarbeiten, der in Paris auf Dauer oder anläßlich eines Besuches verfügbar war. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gilt der böhmische Zeichner und Stecher Wenzel Hollar als die fragliche Person,39 schon weil die biographischen Zusammenhänge eine KooperaAnonym, 1852, S. 153 Sie ist unabhängig von der Bestimmung der Drucker des Textes zu diskutieren, weil diese ohne Frage in London vom Verleger Andrew Crooke beauftragt wurden. Offenbar um Zeit zu gewinnen, arbeitete er mit zwei verschiedenen Druckhäusern; aus diesem Grund differieren die Schrifttypen und die Initialdekorationen der beiden Hälften um Nuancen. Roger Norton fertigte die Teile I und II, Richard Cotes die Teile III und IV (Pforzheimer Library, Bd. II, S. 492; vgl. Tuck, 1994, S. xxix). 39 Borovsky, 1898, S. 72, Nr. 2668a. Diese Zuschreibung wurde in Johnsons Katalog der englischen Titelkupfer von 1934 mit Berufung auf Major Howard wieder zurückgenommen (Johnson, 1934, S. 68, Nr. 78). Dieser hatte, wie Brown berichtet, die Schriftzüge auf dem Titel37 38
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2. DER KÜNSTLER UND DIE PORTRAITFRAGE
tion nahelegten. Der im Jahre 1607 in Prag geborene Hollar, der von 1627 bis 1629 bei Matthäus Merian in Frankfurt lernte und arbeitete, hatte mit seinen Rheinveduten den englischen Gesandten Thomas Howard, Earl of Arundel, so stark beeindruckt, daß ihn dieser im Jahre 1636 in seine Dienste nahm. Howard versuchte immer wieder, Hollar an den Hof der Stuart zu vermitteln, und nachdem Van Dyck, der Hollars Einfluß zu begrenzen verstanden hatte, im Jahre 1641 gestorben war, wurde er Zeichenlehrer des Thronfolgers, Prinz Charles.40 Mit sechzehn Jahren, im Juli 1646, reiste der Prinz von Wales mit seiner Mutter nach Paris, wo sich wegen des Bürgerkrieges in England ein zweiter Hof der Stuart zu etablieren begann. Hobbes wurde noch im Sommer des Jahres als Mathematiklehrer des halbwüchsigen Charles berufen,41 so daß ihn mit Hollar verband, daß beide, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, als Lehrer von Prinz Charles gedient hatten – der eine im Zeichnen, der andere im Rechnen. Hollar gehörte zu den Königstreuen, und wenn auch nicht gesichert ist, daß er, wie sein erster Biograph schrieb, als Soldat auf royalistischer Seite gekämpft hat42, so mußte er nach dem Sieg Oliver Cromwells doch emigrieren. Als er 1652 nach England zurückkehrte, kann dies auch in der Funktion eines royalistischen Kuriers gewesen sein. Ein Prozeß gegen ihn konnte nur mit Mühe verhindert werden. In dieser Phase wurde Hollar von John Aubrey, dem Freund von Hobbes, sowie von William Faithorne unterstützt, der für die Gesamtausgabe der philosophischen Schriften von 1668 ein Portrait von Hobbes fertigen wird43. Schließlich schuf Hollar im Jahre 1665 selbst ein Bildnis von Hobbes44. Auf Grund dieser Zusammenhänge erscheint der Gedanke verführerisch, daß es Hollar war, mit dem Hobbes bei der Erfindung und Umsetzung des „Leviathan“ zusammengearbeitet hat. Neben der politischen und biographischen Nähe zu Hobbes bietet auch Hollars Stil Argumente für dessen Autorschaft. Seine Landschaften und Städtebilder konnten ihn für die Szenerie des Leviathan prädestinieren, und tatsächlich scheint die nach 1650 herausgegebene, also auch zeitlich dem „Leviathan“ nahe kommende Radierung des „Bürgerkrieges“ mit der Schlacht am Weißen Berg (Abb. 14)45 wie für diesen geschaffen. Hobbes, der sein Denkvermögen vor allem darauf ausgerichtet hat, den Bürgerkrieg zu vermeiden, könnte von diesem Blatt beeindruckt gewesen sein, und gut ist vorzustellen, daß er über dem Hügel, auf blatt des „Leviathan“ bei den von Hollar verwendeten Buchstabenformen nicht wiederfinden können – genau dies aber bestreitet Brown (Brown, 1978, S. 29), und sein Votum für Hollar zieht sich bis zu jüngsten Publikationen (Tuck, 1994, S. xxxiii). 40 Eerde, 1970, S. 20 41 Malcolm, 1994, Bd. I, Nr. 44, S. 136, 138 Anm. 7; Malcolm, 1996, S. 31 42 Vertue, 1759, S. 141f. 43 Urzidil, 1936, S. 96f.; Eerde, 1970, S. 41–44 44 Pennington, 1982, Nr. 1417 45 Pennington, 1982, Nr. 543
A. WENZEL HOLLAR
Abb. 14. Wenzel Hollar, Schlacht am Weißen Berg, Radierung, Ausschnitt
Abb. 15. Wenzel Hollar, Kloster Einsiedeln, Zeichnung, Kunsthalle, Hamburg
dem eine Bürgerkriegsarmee aufgezogen ist, einen Riesen visionierte, der die Bürgerkriegsparteien in Schach hält. Selbst ein rätselhaftes Detail wie die in der Stadt aufragende Kirche, deren Langhaus von einem Turmzwilling flankiert wird, war durch Hollars wohl aus dem Jahre 1628 stammende Zeichnung von Kloster Einsiedeln zu erklären (Abb. 15)46. Daß Hollar auch Menschenansammlungen, wie sie der Körper des Leviathan aufweist, beherrschte, hatten unter anderem die Exekution des Grafen von Strafford (Abb. 16), die Londoner Börse von 1644, der Prozeß gegen Erzbischof Laud von 46
Pennington, 1982, Nr. 842; vgl. Brown, 1978, S. 31
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2. DER KÜNSTLER UND DIE PORTRAITFRAGE
Abb. 16. Wenzel Hollar, Exekution des Grafen von Strafford, Radierung, British Museum, London
1645 und der zwischen Spanien und den Niederlanden in Antwerpen erzielte Friedensschluß von 1648 bewiesen.47 Ein starkes Argument für die Zuschreibung an Hollar bietet schließlich das panegyrische Portrait, auf dem er den englischen Thronprätendenten im Jahre 1650 als Redivivo Phoenici, Lvcifero nebvlas fvganti und Solo tenebras penitvs Abolenti verklärt hat. Dieser war nach der Hinrichtung seines Vaters Ende Januar 1646 durch die Pariser Exilregierung zum König Charles II. proklamiert worden, und zum Zeitpunkt von Hollars Portrait glaubte er, mit Hilfe der schottischen Truppen seinem Ziel, den englischen Thron besteigen zu können, sehr nahe zu sein (Abb. 17)48. Der „Leviathan“ besitzt zwar einen größeren Oberlippenbart, aber vergleichbar sind vor allem die Haartracht, die weit gezogenen Augenbrauen und
47 Strafford: Pennington, 1982, Nr. 552; Londoner Börse: Pennington, 1982, Nr. 1036; Prozeß gegen Erzbischof Laud: Pennington, 1982, Nr. 555; Friedensschluß: Pennington, 1982, Nr. 561 48 Pennington, 1982, Nr. 1444. Hollars Stich geht auf eine kolorierte Zeichnung Abraham van Diepenbeecks zurück (London, Ashmolean Museum); vgl. hierzu Hirsch, 1928, S. 9f., die das Gesicht Cornelius van Caukercken zuschreibt. Steadmans Monographie über Diepenbeeck bringt keine Aufschlüsse (1982, S. 177, Anm. 23).
A. WENZEL HOLLAR
Abb. 17. Wenzel Hollar, Bildnis von Prinz Charles II., Radierung, British Museum, London
die schweren Oberlider, wohingegen die Unterlider die Pupille nicht berühren49. Ein Portrait von Charles II. ist hier nicht gemeint, konnte auch nicht intendiert sein, weil die öffentliche Zuschneidung des „Leviathan“ auf nur seine Person bedeutet hätte, die politische Karte allein auf das ungewisse Schicksal des exilierten Königs 49
Brown, 1978, S. 33f.
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2. DER KÜNSTLER UND DIE PORTRAITFRAGE
zu setzen. Damit hätte sie dem Charakter des Werkes widersprochen, eine allgemeingültige Staatstheorie zu beanspruchen50. Auch andere Identifizierungen wie die von Charles I., Cromwell oder gar Hobbes selbst überzeugen nicht.51 Wenn eine Ähnlichkeit festzustellen ist, dann, auf sehr verhaltene Weise, mit jenem Typus, den Hollars Portrait von Charles II. im Jahre 1650 in einem Moment festgehalten hat, in dem dieser auf dem Sprung schien, die Macht in England für die Stuart zurückerobern zu können. Die persönlichen Beziehungen zwischen Hobbes und Hollar, ihre gemeinsame Nähe zum Hof der Stuart, der Umstand, daß beide Lehrer von Prinz Charles gewesen waren und schließlich, daß auch die stilistischen Merkmale auf Hollar zu verweisen scheinen, hat es als sicher erscheinen lassen, daß dieser begnadete Zeichner und Radierer mit Hobbes zusammengearbeitet hat. Leicht war vorzustellen, daß er von Antwerpen aus nach Paris reiste, um gemeinsam mit Hobbes den Leviathan zu entwerfen und die Platte herzustellen.
b. Die Zeichnung Ein Problem, das die Frage der Zuschreibung jedoch neu eröffnet, bietet eine Zeichnung, die dem kostbaren Pergamentmanuskript Egerton 1910 der British Library vorangestellt ist. Es handelt sich um jene handschriftliche Fassung des „Leviathan“, die Hobbes seinem ehemaligen Mathematikschüler gewidmet hat (Abb. 18)52. Zu dem Umstand, daß sich dieser gezeichnete Leviathan an Charles II. wendet, paßt, daß die Zeichnung eine Reihe von Auslassungen und Zutaten aufweist und daß zahlreiche Details reicher als die gedruckte Version dargestellt sind. Eine markante, später zu deutende Auslassung liegt darin, daß die Inschrift am oberen Brandt, 1982, S. 207 Die Identifizierung des Leviathan der ersten, „Head“– Auflage mit Cromwell und der „Ornament“-Fassung mit Charles I. geht auf Whewell zurück (1852, S. 21); sie hat sich bis zu Hale (1971, S. 128) gehalten. Die Cromwell-These ist, abgesehen von den formalen Abweichungen, auch aus historischen Gründen kaum wahrscheinlich, da dieser, wie Hobbes in seiner Verteidigung gegen den Vorwurf, der „Leviathan“ sei eine Ermächtigungsschrift für Cromwell, betont, zur Zeit der Abfassung des Werkes nicht mehr als ein General war und kaum bereits jene Persönlichkeit bot, als Inkorporation des Leviathan erachtet zu werden (Considerations upon the Reputation of T. Hobbes, in: HEW, Bd. IV, S. 420). Vgl. die Zurückweisung der CromwellThese durch Brown (1978, S. 34) und Goldsmith (1990, S. 654). Nicht annehmbar ist auch die Identifikation mit Hobbes selbst durch Corbett u. Lightbown (1979, S. 229f.), gewonnen unter anderem durch einen Vergleich mit den Portraits Jaspers und Hollars, die in ihrer fragilen oder dämonischen Charakterisierung von Hobbes nicht das geringste mit dem Gesicht des Leviathan gemein haben. 52 Hobbes, 1651, d, Frontispiz, 241 × 159; vgl. Bredekamp, 1999, LW XII. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde auf dieses Manuskript hingewiesen (Pratt, 1813), das im Jahre 1861 vom British Museum angekauft wurde. 50 51
B. DIE ZEICHNUNG
Abb. 18. Abraham Bosse, Frontispiz von: Thomas Hobbes, Leviathan, 1651, Federzeichnung mit lavierter Tusche auf Pergament, British Library, Mss. Egerton 1910
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Bildrand fehlt. Wie im Gegenzug ist der gezeichnete Griff des Bischofsstabes mit seiner schmaleren Blattform einfacher und eleganter geschaffen. Die linke Küstenlinie hat unter der rechten Hand des Leviathan mehr Raum, so daß dort ein zusätzliches Schiff Platz finden konnte. Die zum Ellenbogen des rechten Armes reichenden, spitz aufragenden Bäume sind fortgelassen, aber dafür ist in der Senke des darunterliegenden Hügels ein zusätzliches Dorf eingetragen. Zum vorderen Stadthügel hin ist der linke Landschaftsstreifen bis auf die links unten dunkel aufragenden Bäume, die, als Gegenpol zu den Kirchtürmen der Stadt, der Komposition zusätzlichen Halt geben, unverändert. Die Mittelzone hat in der zentralen Achse des Bildes ein zusätzliches Dorf aus drei Häusern und einer Kirche erhalten. In der Zone vom Ellenbogen des linken Armes bis zum rechten Blattrand ist die über der Berglinie aufragende, zum Ellenbogen weisende Kirche in die Kehle zwischen Rumpf und Oberarm nach links gerückt, das darunterliegende Gehöft hat sich in eine Reihe von sechs Häusern verwandelt, und schräg links darunter ist ein kleines Dorf mit Kirchturm hinzugekommen. Aus der Burg rechts über dem Fluß ist eine kleine Stadt geworden, und auch die Häuser im Winkel zwischen Bischofsstab und Flußufer haben sich vermehrt. Dafür ist das Haus in der Kerbe zwischen Bischofsstab und rechtem Rand verschwunden. Die Festung am Fluß ist bis auf den fehlenden Vorposten unverändert, und auf dem Feld zwischen Fluß und rechter Stadtmauer sind eine Reihe von Kugelbäumen fortgelassen. Bei der Stadt liegt der Hauptunterschied darin, daß die links von der Stadtkirche aufragenden fünf sowie die rechts von ihr im Osten dargestellten drei Bäume und die dort zusätzlich eingetragenen Wehrtürme der Stadtmauer ein optisches Gegengewicht gegenüber der Doppelturmanlage der Kirche bieten. In der Mitte der linken Festung sind die beiden kleinen Häuser entfallen und, verdoppelt, vor die Mauer des Vorplatzes gesetzt; bis auf zwei dort postierte Soldaten und zwei in die Ferne blickende Posten ist die Garnison im übrigen menschenleer. Der obere in die Stadt weisende Vorsprung ist zu einem unabhängigen, dreieckigen Wehrwall geworden, während der untere entfallen ist. Zwischen der oberen der folgenden vier Häuserreihen und der Stadtmauer ist Luft gewonnen, der rechteckig anschließende Winkel der dritten Reihe ist freigestellt, und die drei Giebel über dem westlichen Dachfirst der Kirche sind fortgelassen, um der über dem Fassadengiebel aufragenden Statue keine Konkurrenz zu machen. Ähnliches gilt für die Christusfigur der Kirche des oberen Feldes der rechten Bildkolumne, welche die Fassade und nicht, wie in der Radierung, das Dach des Choransatzes überragt.53 Es kommen weitere Differenzen hinzu; so fehlt zwischen der ersten und der zweiten Häuserreihe der Stadt der freistehende Kugelbaum, aber die beiden mit Schnabelmasken versehenen Personen vor der Kirchenfassade sind geblieben. Brown, 1978, S. 26ff., nennt einige dieser Unterschiede, führt sie aber darauf zurück, daß der Titelkupfer des „Leviathan“ nach einer 53
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Diese Veränderungen könnten allein darauf zurückzuführen sein, daß die Zeichnung eine reichere Binnendifferenzierung gestattete als die für eine hohe Auflage geeignete Stichvorlage. Die Unterschiede im Leib des Leviathan verdeutlichen aber, daß die Adressierung der Zeichnung an den Thronprätendenten nicht nur zu einer feineren Durchgestaltung, sondern auch zu einer konzeptionellen Alternative führte. Im Gegensatz zur Druckfassung wird der gezeichnete Leib allein von Köpfen gebilde, die zudem nicht nach innen, sondern nach außen, zum Betrachter blicken. Wie sich zeigen wird, liegt hierin eine Änderung der Perspektive, unter welcher der Leviathan gesehen und verstanden werden sollte.54 Nicht weniger bedeutsam erscheint, daß der Kopf des gezeichneten Leviathan Charles II. weitaus näher kommt als dies in der allgemeiner gehaltenen Druckfassung der Fall ist. Die vollere Haartracht und der etwas fülligere Typus sind von Hollars Portrait von Charles II. entlehnt. Übernommen ist auch die Linie des Doppelkinns, die sich in der Zeichnung als Schattenlinie bis zur Schläfe hinzieht.
c. Abraham Bosse Angesichts der Finesse des gezeichneten Leviathan erhält eine alternative Zuschreibung an einen Pariser Künstler, Abraham Bosse, besonderes Gewicht. Sie geht bis unmittelbar auf die Zeit nach der Drucklegung des „Leviathan“ zurück. Abbé Michel de Marolles, der wohl größte Sammler und Kenner seiner Zeit, ordnete das Frontispiz unter seine 790 Bosse-Blätter ein, und da diese schon 1667 durch Colbert für Louis XIV. angekauft wurden, muß die Zuschreibung früher, also bald nach Erscheinen des Werkes erfolgt sein55. Im achtzehnten Jahrhundert nahm der Sammler und Kenner Pierre-Jean Mariette das Leviathan-Blatt in sein Werkverzeichnis Abraham Bosses auf.56 In den Oeuvrekatalogen und den Handbüchern zur Graphik wurde diese Zuschreibung als Faktum bestätigt und schließlich auch in der englischsprachigen Literatur übernommen,57 allerdings ohne daß sie sich allgemein durchgesetzt hätte; vielmehr sind die Attributionen an Bosse und Hollar, indem sie voneinander so gut wie keine Kenntnis nahmen, nebeneinander hergelaufen. weiteren, verlorenen Zeichnung Hollars von einem Londoner Stecher umgesetzt und gedruckt wurde, wohingegen die Zeichnung seinen Stil unverfälscht wiedergibt (Brown, 1978, S. 29). 54 S. u. S. 111–114 55 Sein Katalog gibt an, daß er 790 Blätter von Bosse besitze (Marolles, 1666, S. 77; in Bezug auf Hollar nennt er die Zahl von 764, ebda., S. 61). 56 Pierre-Jean Mariette, Table manuscrite des oeuvres d’Abraham Bosse, in: ders., Notes manuscrites sur les peintres et les graveurs, réunies de la Bibliothèque du roi (vor 1774); hier zit. nach einem anonymen Artikel im „Magasin pittoresque“ von 1852 (Anon., 1852, S. 154). 57 Duplessis, 1859, Nr. 297, S. 60f., Blum, 1924, Nr. 604, S. 33 und Weigert, Nr. 297, S. 493; Corbett u. Lightbown, 1979, S. 221f., Goldsmith, 1990, S. 671, Anm. 77 und schließlich Print, 1998, S. 165, Nr.105.
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Abb. 19. Abraham Bosse, Le Porte-Drapeau, Radierung, Ausschnitt
Wie für Hollar, so sprechen auch für Bosse biographische und historische Daten. Wenn Hobbes nach seiner Zusammenarbeit mit dem Pariser Stecher Jean Matheus für die Erstausgabe von „De Cive“ (1642) erneut mit einem in Paris ansässigen Künstler arbeiten wollte, so konnte er Ende der vierziger Jahre keinen Profilierteren finden, als Abraham Bosse. Was ihn zur herausragenden Größe seiner Zunft machte, waren seine Handbücher zur Druckgraphik (1645) und zu den verschiedenen Techniken der Bildenden Kunst (1649)58. Der 1602 in Tours geborene Schüler Callots propagierte die geometrisch fundierte Perspektivlehre seines Freundes und Lehrers Girard Desargues, der zu den bedeutenden Mathematikern und Ingenieuren zählte.59 1649 an die Akademie der Künste berufen, um Perspektive zu lehren, wurde Bosse im Jahre 1663 von seiner Lehrtätigkeit aber wieder ent-
Bosse, 1645 und ders., 1649. Als seine Anleitung zur Radierung bereits 1652 in die deutsche Sprache übersetzt wurde, sprach Georg Andreas Böckler in der Vorrede vom „weitberuembte(n) und in der Kunst hocherfahrne(n) Abraham Bosse, Kupfferstecher zu Pariß“ (Bosse, 1652, s. Aiv). Noch als 1765 eine Neuausgabe erschien, wurde dem Leser einleitend eröffnet, daß eine Begründung überflüssig sei, weil jeder wisse, daß Bosse das maßgebliche Buch zur Stichtechnik geschrieben habe (Bosse, 1765, S. a3). 59 Bosse, 1648. Eine mathematische Analyse bieten Field und Gray, 1987; vgl. auch Field, 1997, S. 220ff. 58
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Abb. 20. Abraham Bosse, Parade der Truppen des französischen Königs, Radierung, Ausschnitt
bunden, eben weil er auf einer geometrisch aufgebauten, handwerklich präzisen Perspektive insistierte, die dem höfischen Stil der Maltheorie Charles Le Bruns widersprach. Le Brun, dem Präsidenten der Akademie, war hochwillkommen, daß in dem 1651 publizierten Malereitraktat Leonardo da Vincis von Mathematik kaum die Rede war, und mit diesem Faustpfand konnte er eine von Leonardo über Tizian bis zu Poussin und sich selbst reichende, von Mathematik freie Linie ziehen, die weit von Bosses Perspektivkunst entfernt war.60 Aus demselben Grund muß Hobbes von Bosse jedoch beeindruckt gewesen sein, weil dieser jene Geometrisierung der Welt, die er selbst propagierte, nicht minder kämpferisch forderte. Neben kunsttheoretischen lassen in der Tat auch motivische und stilistische Gründe als sicher erscheinen, daß Bosse der Künstler des Leviathan war. Es sind zunächst Details, die eine Verbindung zwischen dem Leviathan un dem Oeuvre von Bosse nahelegen. So ragt zwischen einem Säulenpodest und einem Kürassier der Nationalgarde aus der Serie von acht Paradeuniformen ein Felsen auf, auf dem eine Burg mit zwei zinnenbewehrten Rundtürmen und einem giebelbedeckten Haus thront (Abb.19)61. Die Architekturkörper mit den einfachen, an die Ecken
60 Heinich, 1983; Kemp, 1984, S. 123ff.; Da Costa Kaufmann, 1993, S. 76–78; Field, 1997, S. 209ff.; Germer, 1997, S. 121ff.; Duro, 1997, S. 168ff. (dort ein Gedicht, das Bosse den „Antichristen der Kunst“ nannte [177]); McTighe, 1998, S. 6f., 22. 61 Le Porte-Drapeau, Nr. 4 der Serie „Figures au naturel tant des vestements que des postures des Gardes Françoises du Roy Très Chrétien“ (Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1335; Blum, 1924, Nr. 92).
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Abb. 21. Abraham Bosse, Herkules Gallicus, Radierung, Ausschnitt
gesetzten Rundtürmen und einem dazwischen aufragenden, einmal quer- und einmal längsgerichteten Giebelbau haben unverkennbare Ähnlichkeit, und sie tauchen nicht nur an dieser Stelle im Oeuvre Bosses auf62. Besonders markant ist diese Anlage auf der rechten Anhöhe von Bosses Parade der Truppen von „Loius le Iuste“ wiederholt (Abb. 20)63. Die inneren Aufbauten entsprechen der Burg der gezeichneten Fassung (Abb. 18). Rechts vor dem äußeren Turm des Kostümblattes (Abb. 19) scheint eine Wolke zu schweben, und erst im Vergleich mit dem oberen Feld der linken Kolumne des Leviathan-Stiches wird deutlich, daß hier der Qualm eines Kanonenschusses zu sehen ist, wie er sich auch, wiederholt wie ein Markenzeichen, auf dem Truppenblatt gegen den dunkleren Himmel abzeichnet (Abb.20). Das untere Feld der linken Kolumne des Leviathan-Frontispizes (Abb.2) wirkt zudem, als wären die zur Parade aufgestellten Armeeblöcke in eine Schlacht eingetreten. Eine vergleichbare Szene, mitsamt den im darüberliegenden Feld gezeigten Trophäen, zeigt ein Ausschnitt aus Bosses „Gallischem Herkules“ (Abb. 21)64. Die aufeinander losstürmenden Lanzenträger sind hier ebenso vorhanden wie die vorwärtssprengende Kavalerie und das im Vordergrund zusammengebrochene Pferd. Abgesehen von weiteren Details,65 weist vor allem die Wolkenbildung auf das Oeuvre Abraham Bosses. Der Himmel des „Leviathan“ bleibt im unteren Streifen
62 Eine ähnliche Anlage ist durch das Fenster hinter einem erhobenen Glas in einer der Szenen des „L’Enfant prodigue“ zu erkennen (Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 35; Blum, 1924, Nr. 1185). 63 Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1228; Blum, 1924, Nr. 921 64 Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1241; Blum, 1914, Nr. 1037 65 Besonders signifikant ist die Tafel mit dem Hinweis auf Verleger, Ort und Jahr unterhalb des Vorhanges. Sie zeigt ein in der Mitte leicht einschwingendes, querliegendes Oval, aus
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Abb. 22. Abraham Bosse, Oeuvre de Misericordes, Radierung
über dem Horizont weiß, um dann in lang durchgezogenen, waagerechten Linien ruhige Wolkenfelder aufzuweisen, die durch schräg einfallende Streifenfelder oder kurvig aufgebauschte Cumulusgebilde belebt werden. Zahllose Drucke Bosses variieren das Schema dieser Wolkenbildung, die, wie zum Beispiel auf dem letzten Blatt der „Oeuvre de Misericordes“ (Abb. 22)66, am rechten Bildrand eine vergleichbare Zuspitzung der horizontal und schräg von oben kommenden Wolkengebilde entwickelt. dessen oberer Mitte sich zwei flügelhaft zu den Seiten schwingende Streifen eindrehen, an dessen Seiten sich zwei kürzere, jeweils sechslappige Flügel nach hinten einrollen und aus dessen unterem Rand je zwei, ebenfalls in sich gedrehte Streifen über die ganze Breite des Feldes ausschwingen. Für den Titel eines seiner bekanntesten Blätter, „L’Hotel de Bourgogne“ (Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1268; Blum, 1924, Nr. 944), das eine Theaterszene zeigt, hat Bosse über dem mittleren Rundbogen ein Ornamentfeld angebracht, das eine ähnliche Disposition aufweist. 66 Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 56; Blum, 1924, Nr.1027
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Abb. 23. Abraham Bosse, Belagerung von La Motte, Radierung
Zahlreiche Motive der Landschaft finden ebenfalls Vorbilder im Werk Bosses. Von Rauchwolken, wie sie die Kanone der linken Kolumne des „Leviathan“ ausspeiht, ist auch der mittlere Berg des Blattes „Belagerung von La Motte“ übersäht, das den letzten, über Monate währenden lothringischen Widerstand gegen die Truppen des Maréchal De la Force aus dem Jahre 1636 festhält (Abb. 23)67. Mit ihrer Serie steil aufragender, isolierter Berge erinnert das Blatt trotz aller Treue gegenüber den örtlichen Gegebenheiten noch an den Pasticcio der Weltlandschaft des 16. Jahrhunderts, und mit dem Entstehungsjahr 1636 geht es dem „Leviathan“ um fünfzehn Jahre voraus. Umso auffälliger sind die Entsprechungen der Flußläufe, der in die Landschaft verstreuten Bäume und der vereinzelten Gehöfte und Kirchen; so wiederholt das am rechten Bildrand plazierte Gotteshaus die rechts unter den Bischofsstab gesetzte Kirche. Wenn sich der Blick auf den Ausschnitt der „La Motte“ (Abb. 24) verengt, ergibt sich etwa dieselbe Anordnung wie im Panorama des „Leviathan“. Mit der auf dem vorderen Berg plazierten, stark befestigten Stadt, ihrer geraden Straßenführung, der dunklen hinteren Abhanglinie und dem gegenüber ansteigenden, weiter ausladenden Berg, der hell gegen die verschattete Rückseite der Stadt absticht, wäre vorzustellen, wie sich über der hinteren Hügellinie der Leviathan erhebt, um den Bürgerkrieg zu unterbinden und den Frieden zurückzubringen. Auf Hobbes wird gerade dieses Blatt von Bosse einen besonderen Eindruck gemacht haben, weil er zur Zeit der Erstürmung La Rochelles durch die Truppen Richelieus in Frankreich war.
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Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1220; Blum, 1924, Nr. 1022
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Abb. 24. Abraham Bosse, Belagerung von La Motte, Ausschnitt
Es bleibt das seltene Motiv der Kirche mit einem aus dem Mittelschiff aufsteigenden Turmpaar, das, wie erwähnt, mit Hollar verbunden worden ist.68 Dessen Ansicht von Einsiedeln mit der Zwillingsturmkirche und den begleitenden Klostergebäuden, die der Stadtkirche des „Leviathan“ und den umgebenden Häusern nahe kommen, war aber bereits im Jahre 1650 in Johannes Janssonius „Theatrum“ der Städte Frankreichs und der Schweiz erschienen,69 und aus diesem aktuellsten und auch prachtvollsten Ansichtswerk kann Bosse seine Anregung bezogen haben. Bei der Suche nach einer auf einem Hügel gelegenen Stadt, die links einen Militärbereich und rechts eine Kirche aufweisen mußte, könnte er zum Beispiel von der Ansicht Laons inspiriert worden sein. Auf einer Anhöhe gelegen, schließen sich hier an die Wehranlagen auf der linken Seite dicht bebaute Stadtteile mit der Kirche St.Martin an, die ebenfalls das seltene Motiv eines von zwei Doppeltürmen flankierten Mittelschiffes besitzt, wie es auch die Kirche der Stadt des Leviathan zeigt (Abb. 25)70. Jenseits der motivischen Übereinstimmungen bietet der Stil, wie Bosse ihn in seinen theoretischen Schriften begründet und ausgewiesen hat, genauere Vergleichsmöglichkeiten mit dem Frontispiz des „Leviathan“. Seine Lehrillustrationen zeigen Bosse als den Verfechter einer perspektivisch genauen und vor allem die
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Brown, 1978, S. 31; S. o. Anm. 46 Janssonius, 1650, Fol. 31; Pennington, 1982, Nr. 842 Ebda., Fol. 6
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Abb. 25. Laon, Abbildung aus: Joannes Janssonius, Illustrorum Regni Galliae Civitatum Tabulae, 1650
Räumlichkeit der Gebilde betonenden Technik, wobei seine Tiefen- und Beleuchtungsverfahren auf die Verdichtung und Verdünnung möglichst parallel geführter Linien setzen. Seine Figuren und deren Körperteile, die vor allem in ihrer stereometrischen Erscheinung definiert sind, werden daher anatomisch nicht durchdrungen, sondern allein als raumgreifendes Volumen erfaßt. Bosses „Sentiments“ von 1649 enthält nur zwei Abbildungen. Das Frontispiz zeigt oben die Malerei, die offenbar einen Putto inspiriert, der Zeichenkunst als Mutter der Künste ein Produkt der Stechkunst zu präsentieren (Abb. 26)71. Gegenüber dem Frontispiz des „Leviathan“ sind Gemeinsamkeiten der Strichführung zu erkennen. In beiden Blättern ist die Zone über dem Horizont freigelassen, während die Wolken aus parallel geführten Linien gestaltet sind, und die Art, in der sie nach links hin ausdünnen, entspricht den am rechten Bildrand endenden, filigranen unteren Wolkenfäden. Bei der Darstellung der Voluminosität und der Schattenbildung der Körper führt Bosse durchweg eine aus paralleler Linienführung gebildete Körperlichkeit vor, wie sie die spiralförmig über die winzigen Menschen gezogene Außenhaut der Arme des Leviathan zeigt. Bosse wie Hollar haben ausnahmslos radiert und nicht gestochen. Im Gegensatz zu Bosses klarer Linienführung ging es Hollar darum, die Linien je nach Ge-
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Bosse, 1649, Frontispiz
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Abb. 26. Abraham Bosse, Die Zeichenkunst, Frontispiz von: ders., Sentimens, 1649
genstand parallel zu führen, sie kreisen zu lassen oder auch pointillistisch aufzulösen. Die Exekution des Thomas von Strafford von 1641 (Abb. 16) zeigt in der Architektur des Hintergrundes mit dem Tower und den umgebenden Gebäuden alle Variationsmöglichkeiten von weißen Flächen über hingestreute Punkte, in sich vibrierenden Horizontal- und Vertikallinien bis zu gänzlich eingeschwärzten Zonen. Dasselbe gilt für die Brettertribünen des Vordergrundes, die den unregelmäßigen Verlauf der Holzbalken mit besonderer Freude am gewissermaßen zitternden Strich nachvollziehen. Besonders aussagekräftige Vergleichsmöglichkeiten bieten schließlich die Gesichter. Der Musterkopf der „Premier Planche“ (Abb. 27)72 von Bosses „Sentiment“ von 1649 entspricht dem des Leviathan (Abb. 28) in seiner Physiognomie natürlich nicht, aber der geometrisierte Umriß des Gesichtes, dessen Kontur keine Spur einer Einkerbung oder Ausbuchtung aufweist, verdeutlicht dieselbe Konstruktionsweise, die dem Leviathan seine maskenhafte, quasi metallische Qualität verleiht. Der Kopf eines unbekannten jungen Mannes (Abb. 29) ähnelt dem Leviathan in allen Details der Konstruktion. Hier wie dort besteht die Kopfform aus einem eiförmig glatten Gebilde, dessen Wangenrundung auf der lichtbeschienenen Seite
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Bosse, 1649, zwischen S. 104 und 105
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Abb. 27. Abraham Bosse, Musterkopf, Abbildung aus: ders., Sentiment, 1649 Abb. 28. Abraham Bosse, Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 2)
durch parallel geführte, leicht gebogene Linien gebildet wird, während auf der Schattenseite Reihen von kleinen, Rhomben bildenden Kreuzlinien hinzukommen. Ein Indiz dafür, daß hier wie dort dieselbe Hand gewirkt hat, bildet das leicht verschattete, linke Auge des jungen Mannes, bei dem von der Wange her, als handle es sich nicht um Schatten auf der Haut, sondern um Maserungen auf einer Holzoberfläche, die Linien in den Augapfel und selbst noch über das Oberlid gezogen werden. Dasselbe Verfahren, mit dessen Hilfe Bosse seiner graphischen Kunst die Plastizität räumlicher Körper zu geben vermochte, zeigt auch das Oberlid des rechten Auges des Leviathan. Der einzige technische Unterschied zwischen dem Bildnis des jungen Mannes und dem Leviathan liegt darin, daß die Schattenbildung auf der Haut des Unbekannten auch durch Punktierungen unterstützt wird. Die sorgfältige Setzung dieser Punkte in die Mitte der Rhomben differiert aber gegenüber der pointillistischen Flächenbehandlung, in der Hollar im fraglichen Jahr 1651 den Kollegen Franciscus van den Wyngarde portraitiert hat (Abb. 30). Die Punkte gehen hier wie sprühende Schwärme aus den dichteren und weniger schematisch gezogenen Linien hervor. Auch dieses Bildnis zeigt ein grundsätzlich anderes Verständnis der graphischen Kunst, als es sich im Frontispiz des „Leviathan“ äußert. Im Gegensatz zu Hollar, der alle Möglichkeiten der Radiertechnik ausreizte, verstand Bosse seine Radie-
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Abb. 29. Abraham Bosse, Kopf eines jungen Mannes, Radierung Abb. 30. Wenzel Hollar, Bildnis des Franciscus van den Wyngarde, Radierung, Ausschnitt
rungen der Klarheit und Härte des Kupferstiches bis zur Ununterscheidbarkeit anzugleichen. Bei ihm gerät jedes Blatt zu einem Schulstück der Ökonomie des Stechens, und hierin entspricht sein Stil, der in seiner linearen Klarheit „cartesisch“ genannt worden ist,73 auch intellektuell dem geometrisch inspirierten Denken von Hobbes. Es bleibt die Frage nach der Autorschaft des gezeichneten Leviathan. Die Strichführung der Landschaftslinien ist gegenüber der Druckfassung identisch, wie auch die verschiedenen Baumtypen, vor allem die Kugelbäume, übereinstimmen. In das Gesicht des Riesen sind die Schatten in der Augenhöhle des linken Auges, der Fläche neben der Nase und im Bereich des Kinns mit flächig ansetzender Tusche eingetragen, die übrigen Schattierungen im Bereich der Augen und am Rand der rechten Wange aber sind durch parallel gezogene Linien markiert, wie sie für Bosse charakteristisch sind. Ein besonderes Problem stellen die weich gezeichneten und lavierten Köpfe im Inneren des gezeichneten Leviathan dar, die sowohl Bosse zugeschrieben wie auch geradezu als „trade-mark“ von Hollars Hand bezeichnet worden sind74 und für die es in der Druckfassung keine Vergleichsmöglichkeit gibt. Eine Klärung bietet aber Bosses um 1650 datierte Radierung einer Melancholie, deren Innenleben dem des
McTighe, 1998, S. 13 Brown, 1978, S. 28. Dagegen Corbett u. Lightbown, 1979, S. 222: „This pen drawing is dated 1651, and is in French style. It can be attributed with some confidence to Bosse“. 73 74
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Leviathan sehr nahe kommt (Abb. 31)75. Das Blatt zeigt einen schwermütig an einem Tisch sitzenden Mann, der seinen rechten Arm auf ein Kissen gestützt hat, auf dem ein Affe in reziproker Haltung sitzt. Das Innenfutter des Mantels zeigt eine Ansammlung gespannt nach außen blickender Frauenköpfe, und auch unter der vom linken Knie herabfallenden Falte drücken sich Köpfe durch die Oberfläche des Stoffes. Es scheint, als habe Bosse hier voller Ironie eine Antwort auf den „Leviathan“ gegeben; eine Art Kehrseite, die das Janusgesicht der Herrschaft eines künstlichen Gottes ausmacht. Im Einklang mit den misogynen Bildversen macht Bosse aus den Männerköpfen, die den Leib des Leviathan bilden, in derselben Ausschließlichkeit, in der sie von diesem Körper ausgeschlossen waren, eine Ansammlung von Frauen.76 Diese bilden nicht die stützenden Zellen und Gliedmaßen des aufgerichteten Leibes, sondern das Unterfutter seines repräsentativen Gewandes, das so schwer wird, daß es den Träger niederdrückt und ihn auch mental in den Status der schwarzen Galle überführt. Es ist vermutet worden, daß Bosse seinen „caprice“ auf Charles II. gemünzt hat, um auf dessen Affären anzuspielen77. Angesichts der Nähe des Kompositbildes der Frauen zur Zeichnung des Leviathan, die Charles übermittelt wurde, liegt dieser Bezug auf der Hand. Für Außenstehende war diese Klammer aber nicht zu erkennen, und auch für die Kenner war durch das ältere Gesicht des Mannes ein direkter Bezug vermieden. Wer einen solchen allerdings ahnte, mußte den Stich als eine Verspottung eines Königs verstehen, dessen „Pelz“ von boshaften Frauen besetzt war.78
75 Duplessis, 1859 und Weigert, 1939, Nr. 1411; Blum, 1924, Nr. 1085 (Datierung: „1650 (?)“) 76 Je ne vois point que le Graueur (Ich sehe keinen Anhaltspunkt wie der Kupferstecher Ait pour raison que son caprice, Recht haben sollte, wenn nicht durch seinen Einfall, Quand il appelle ce Resucur Daß er diesen Wiederauferstandenen Un homme fourré de malice. Einen von Bosheit gefütterten Mann nennt. Car s’il est tout chargé de maux, Denn wenn er ganz von Übeln bedrückt ist, D’où procedent ils que de testes Woher rühren jene wenn nicht aus den Köpfen De ces dangereux Animaux, Dieser gefährlichen Biester, Qui trompent les plus fines bestes: Die auch die feinsten Wesen täuschen: Tout ce qu’il a de vicieux Alles, was er an Lastern hat Ne vient donc pas de sa nature, Kommt also nicht aus seiner Natur, Ou bien s’il est malicieux, Und wenn er boshaft ist, Il s’en faut prendre a sa fourrure. Muß man dies als seinen Pelz begreifen). 77 Parthey, 1853, Nr. 487 78 Vermutlich in den sechziger Jahren hat Hollar, was auch in Bezug auf andere Blätter geschehen ist (Pennington, 1982, Nrn. 605A, 605B, 2673), eine Kopie des Blattes von Bosse gefertigt. Der veränderte Text spielt auf das einstmals hohe Einkommen eines Mannes an, der nun
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Abb. 31. Abraham Bosse, Melancholie, Radierung
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Die Physiognomien variieren mit ihren prüfenden und gespannt bis geradezu erschreckt nach außen gewendeten Blicken. Auch die Köpfe des gezeichneten Leviathan haben einen ernsten oder erschreckten Gesichtsausdruck (Abb. 55). Ihre Erregung äußert sich vor allem in geöffneten Mündern oder starr aufgerissenen Augen, wie zum Beispiel bei dem zweiten Kopf rechts neben der rechten Achselhöhle. Obwohl von anderem Geschlecht, haben die Köpfe des Melancholie-Blattes dieselbe Physiognomie. Die Summe der historischen, stilistischen und motivischen Indizien läßt keinen Zweifel, daß Abraham Bosse in enger Zusammenarbeit mit Hobbes das Frontispiz des Ende April 1651 in London publizierten „Leviathan“ geschaffen hat. Als die Übergabe des Pergamentmanuskriptes an Charles II. eine Zeichnung des Leviathan erforderlich machte, hat Bosse das Portrait des Thronprätendenten, das Hollar nach einer 1650 entstandenen Tuschzeichnung Abraham van Diepenbeecks im selben Jahr veröffentlicht hatte, genutzt, um die Züge des Leviathan an dieses Bildnis anzupassen. Aus diesem Grund sind sich die Frontispizzeichnung und der Portraitstich so nahe: nicht, weil sie von derselben Hand stammen, sondern weil Bosse aufgefordert war, Motive von Hollars Bildnis des Prinzen zu übernehmen.
d. Das taktische Bildnis Da die Nähe des Leviathan zum Prinzen bei der gezeichneten Fassung stärker betont ist, ergibt sich schließlich die Frage, in welcher Situation Hobbes diese Annäherung vornahm. Das kostbare, auf Pergament geschriebene Manuskript des „Leviathan“, dem die Zeichnung voransteht, wurde, wie die Analyse des Textes ergeben hat, vermutlich im September 1650 geschrieben,79 womit es der Druckvorlage, die dem Verleger Crooke erst gegen Ende des Jahres zugesandt wurde, vorausging. Hobbes hatte von Beginn an die Idee, einer hochgestellten Person ein prachtvolles Unikat des Werkes zu übereignen, wie er dies auch bereits mit der Schenkung des Manuskriptes von „De Cive“ an seinen früheren Schüler William Cavendish, Earl of Devonshire, getan hatte.80 Wer der Adressat des Manuskriptes sein würde, war bei dessen Niederschrift angesichts der unabwägbaren politischen Lage in Eng-
seine Liederlichkeit beklagt, die ihn in die Armut getrieben hat („Letcherie“, British Museum, London: Pennington, 1982, Nr. 487). Beginnend mit: „Foole that I was“ könnte dies als eine Satire auf Charles verstanden werden, der nach dem Debakel der Niederlage seiner Truppen in Worcester im September 1651 bettelarm nach Paris geflüchtet war und sich finanziell dort nie mehr erholen konnte: 79 Tuck, 1991, S. xxxiv, xxxv 80 Howard Warrender, Editor’s Introduction, in: Hobbes, 1983, Latin, S. 5
D. DAS TAKTISCHE BILDNIS
land noch unklar, und daher machte das gezeichnete Frontispiz zu diesem Zeitpunkt noch keinen Sinn81. Die Zeichnung kann erst entstanden sein, als Hobbes sicher war, daß sein Pergament-„Leviathan“ an Charles gehen konnte oder besser: mußte. Nach Lektüre des gedruckten Buches hatte Edward Hyde, Earl of Clarendon, der zum engsten Beraterkreis um den Prinzen Charles gehörte, seine radikale Ablehnung geäußert. Für Hyde vertrat der „Leviathan“ mit seiner gleichmacherischen Definition der Staatsbürger die radikalste Position der englischen Revolutionäre. Was ihm dieses Werk besonders verhaßt machte, war die im Schlußkapitel vertretene und in manchen Zügen in der Tat fadenscheinig wirkende Auffassung, daß von einem bestimmten Moment an einer neu etablierten Autorität Gehorsam zu erweisen sei, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Dieses Votum war geeignet, die Royalisten in zwei Lager auseinanderzutreiben: in jene, die bereit waren, zumindest dem Schein nach den Schwur auf die Verfassung des Commonwealth zu leisten und nach England zurückzukehren und jene, die es moralisch und politisch für unverzichtbar hielten, jeden Kompromiß zu vermeiden82. Hyde kleidete seine Kritik aber in eine allgemeiner gehaltene Form, die sein Votum als weniger parteiisch erscheinen lassen mußte. Er ließ Hobbes mitteilen, daß er sich wundere, ein Buch publiziert zu sehen, „für das, nach der Verfassung jeder gegenwärtig etablierten Regierung in Europa, sei sie monarchisch oder demokratisch, der Autor in der höchsten Weise und dem härtesten Strafmaß bestraft werden müßte“83. Für Hobbes kam es unter allen Umständen darauf an, diese einer Hinrichtung gleichkommende Kritik zu neutralisieren und Charles selbst zum Fürsprecher des Werkes zu machen.84 Diese Notwendigkeit stellte sich umso stärker, als Hyde nach dem Desaster von Worcester mit seiner Warnung Recht behalten hatte, daß sich Charles nicht mit den Schotten gegen die englische Republik verbünden solle. Für den Hof wie für Hobbes war klar, daß Hyde nun zum unangefochtenen Ratgeber des Prinzen aufsteigen würde.
81 Vgl. dagegen Tuck (1991, S. xxxii), der eine gleichzeitige Entstehung von Manuskript und Frontispiz annimmt. 82 Hobbes, 1991, Leviathan, Review and Conclusion, S. 484ff.; vgl. hierzu und zur Kritik seitens Hydes: Skinner (1972, S. 94ff.) und Metzger (1991, S. 126–130). Zur Kritik Hydes an Hobbes gleichmacherischen Philosophie ebda., S. 120. Zur von Hobbes selbst als äußerst prekär eingeschätzten Situation, daß das Kapitel XVI und das Nachwort des „Leviathan“ teils als Übertritt zu Cromwell empfunden wurde: Burgess (1990, S. 677ff.). Allgemein zur Geschichte des Zerwürfnisses zwischen Hobbes und Hyde: Zagorin (1985) und die maßgebliche Darstellung durch Metzger (1991, S. 89–157). 83 Hyde, 1995, S. 184 84 Vgl. Goldsmith, 1990, S. 672
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2. DER KÜNSTLER UND DIE PORTRAITFRAGE
Offenbar hat Hobbes, nachdem Charles bei Nacht und Nebel am 13. Oktober 1651 von der Insel zurückgekehrt war, das Pergamentmanuskript in großer Eile zur Übergabe an den Prinzen präpariert. Hierzu gehörten nicht nur eine Reihe handschriftlicher Eintragungen aus seiner Feder, die das Manuskript mit der bereits publizierten Fassung harmonisierten85, sondern offenbar auch die Zeichnung. Sie wird mit dem Ziel geschaffen worden sein, den Prinzen von Wales und König von Schottland auch und vor allem mit Hilfe dieses Frontispizes für den Inhalt einnehmen zu können. Die Indizien lassen vermuten, daß die Zeichnung im November 1651 anläßlich der eiligen Präparierung des „Leviathan“-Manuskriptes für Charles geschaffen wurde, und auch das Fortlassen der Inschrift am oberen Blattrand macht aus dieser Perspektive Sinn. Einen geschlagenen Prätendenten des englischen Thrones, der die Hoffnung nicht aufgab, Ende 1651 aber weit zurückgeworfen war, als höchste Macht auf Erden zu bezeichnen, hätte satirisch wirken müssen. Ihn als potentiellen Leviathan anzusprechen, konnte sich aber in die utopische Panegyrik der Zeit fügen,86 und Hobbes muß kalkuliert haben, daß Charles vermeiden würde, mit einer Verurteilung des „Leviathan“ sein Spiegelbild zu treffen. Die Widmung des Pergamentmanuskriptes an Charles II. war für Hobbes eine Flucht nach vorn, die Schlupflöcher in zwei entgegengesetzte Richtungen eröffnete. Die eine Möglichkeit lag darin, daß der König das Werk approbieren würde. In diesem Fall hätte Hobbes mit Sicherheit trotz der Abneigung Hydes in Paris bleiben können. Hobbes mußte aber auch der Möglichkeit ins Auge sehen, daß sich Hyde mit seiner Verdammung des „Leviathan“ durchsetzen würde. In diesem Fall hätte Hobbes Paris verlassen müssen, aber seine Verbannung wäre im England Cromwells als Visitenkarte zu nutzen gewesen. Hobbes gelang es tatsächlich, das prachtvolle Konvolut zu übergeben, noch bevor Hyde nach Paris zurückgekehrt war. Als dieser bei seiner Ankunft in Paris Mitte Dezember 1651 aber erfuhr, daß Hobbes den „Leviathan“ in Manuskriptform, „vergrößert auf Pergament und in wunderschöner Schrift“ Charles II. überreicht hatte87, betrieb er sofort die Verbannung des Autoren vom Hof. In seiner späteren Kritik des „Leviathan“ hat er, offenbar um den Eindruck zu vermeiden, daß er nicht nur seinen Intellekt, sondern auch seine Macht gegen Hobbes eingesetzt hatte, betont, daß nicht er selbst die Verurteilung des Buches und den Ausschluß des Autoren betrieben habe: „Und desgleichen fand ich mein Urteil insofern bestätigt,
Tuck, 1991, S. xxxiv S. o. Abb. 17 87 „(…) and found afterwards when I return’d to the King to Paris, that I very much censur’d his Book, which he had presented, engross’d in Vellam in a marvellous fair hand, to the King“ (Hyde, 1995, S. 184f.). 85 86
D. DAS TAKTISCHE BILDNIS
daß er wenige Tage, bevor ich dorthin kam, gezwungen war, heimlich aus Paris zu fliehen, weil die Justiz ihn zu fassen suchte; und kurz darauf entkam er nach England “88. Diese Version vernebelt jedoch die eigene treibende Rolle. Zwar ist der Zeitpunkt von Hobbes Rückkehr nach England nicht auf den Tag genau bekannt, aber er ist nicht bereits im Dezember, sondern erst im späten Januar oder Februar aus Paris geflohen. Zudem hat Hyde in einem Brief an Sir Edward Nicholas, Staatssekretär von Charles, Ende Januar in der sprechenden Form des understatements mitgeteilt, daß er selbst „ein wenig zur Unannehmlichkeit meines alten Freundes, Herrn Hobbes, beigetragen“ habe89. Die scharfe Ablehnung des dem König übereigneten „Leviathan“ hatte jedoch, wie zu erwarten gewesen war, den Effekt einer Freikarte nach England. Hobbes, so meldete der Londoner „Mercurius politicus“ des 18–25. Januar 1652, habe dem König der Schotten eines seiner Bücher übereignet, das aber von Seiten der Hofkleriker als atheistisch verdammt worden sei, so daß er selbst vom Hof ausgeschlossen wurde90. Am 12. Februar vermerkt Lodewijk Huygens, Bruder des Mathematikers Christiaan in seinem Tagebuch, er sei „zu dem berühmten Philosophen Hobbius [geritten], der, weil er wegen der eigenartigen Anschauungen in dem Buch, dem er den Namen Leviathan gegeben hat, aus Frankreich exiliert wurde, zurückgekommen ist, um hier zu leben“91. Die Präsentation des Prachtexemplares des „Leviathan“ an Charles hatte zwar bewirkt, daß Hobbes Paris verlassen mußte, aber damit ergab sich der glückliche Umstand, daß er nicht ein anderes Exilland aufsuchen mußte, sondern nach England zurückkehren konnte. Auch in Bezug auf Charles II. war das Geschenk des mit der Zeichnung versehenen Buchmanuskriptes kein Mißerfolg. Dieser behielt Hobbes persönlich in Achtung, was sich später, als er den Londoner Thron errungen hatte, dadurch auszahlte, daß Hobbes rehabilitiert und so weit als möglich vor Angriffen geschützt wurde.
„(…) and likewise found my judgment so far confirmed, that few daies before I came thither, he was compell’d secretly to fly out of Paris, the Justice having endeavour’d to apprehend him, and soon after escap’d into England “ (Hyde, 1995, S. 185). 89 „I had indeede some hand in the disconntenancing [of ] my old friend Mr Hobbes“ (Hyde an Nicholas, 27. 1. 1652; zit. nach: Dzelzainis, 1989, S. 305; vgl.Metzger, 1991, S. 94). 90 Mercurius Politicus, Bd. 84, 8.–15.[18.–25.]1. 1652, hier zit. nach: Tuck, 1991, S. xxxiii 91 Huygens, 1982, S. 75; vgl. Metzger, 1991, S. 90 88
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
3. Die Kunsttheoretische Fundierung a. Der Schöpfungsakt Das Maß an konzeptioneller Sorgfalt, das Hobbes in Zusamenarbeit mit Bosse für die gedruckte und die handschriftliche Urfassung des „Leviathan“ aufgewendet hat, findet textlich bereits in den ersten Sätzen des Buches seine Fortsetzung. Der programmatische erste Absatz leitet in einer unerhört konzentrierten, in Aussagesätzen verdichteten Argumentation von der Kunsttheorie zur Automatenlehre und Staatstheorie, um dem Frontispiz standzuhalten und zugleich der weiteren Lektüre einen Maßstab vorzugeben. Mit der Aussage, daß sich die Kunst des Menschen an der Natur orientiert, enthält der erste Satz eine klassische Formulierung der Kunsttheorie: „Die NATUR (die Kunst, durch die Gott die Welt geschaffen hat und lenkt) wird durch die Kunst des Menschen (…) nachgeahmt“.92 So unangefochten diese Formulierung Gültigkeit besaß93, so umstritten war, welchen Begriff der Natur sie beinhaltete. Hobbes Einschub erläutert, daß unter „Natur“ nicht etwa die geschaffene, vorgefundene Welt der natura naturata gemeint ist, sondern das Medium der schöpferischen Kunst Gottes: natura naturans94. Hobbes spricht die durch die Menschen nachzuahmende Natur nicht als geformte Materie an, sondern als Verkörperung der göttlichen Fähigkeit, diese, wie es ausdrücklich heißt, sowohl zu schaffen wie auch zu lenken. Gut dreißig Jahre zuvor hatte Matthäus Merian diesen Doppelcharakter in unnachahmlicher Weise für einen gänzlich anderen Zusammenhang, die in zwei Teilen 1617/18 publizierte Geschichte des Makro- und Mikrokosmos des Physikers und Rosenkreuzers Robert Fludd (1574–1637) verbildlicht.95 Hobbes kannte nicht nur Fludds Riesenwerk, sondern auch dessen umstrittene Geltung. Er hat es in die Liste seiner Wunschbibliothek aufgenommen, um unmittelbar darauf die „Harmonices Mundi Libri V“ von Johannes Kepler einzutragen,96 mit dem Fludd eine vielbeachtete Kontroverse ausgefochten hatte.97 Fludd stand Hobbes persönlich dadurch nahe, daß er ein enger Freund von William Harvey war, den seinerseits eine lebenslange Freundschaft mit Hobbes verband.98 Text und Übersetzung des Absatzes: Anhang, a. Vgl. zu diesem Topos der Mimesis-Theorie Kris u. Kurz, 1934, S. 59ff. Zur Orientierung über die Sekundärliteratur: Jorgensen, 1984, S. 337–341. Vgl. auch Leinkauf, 1993, S. 46–55. 94 Hedwig, 1984, S. 504–509 95 Fludd, 1617, S. 4f. 96 Als Nachtrag zur Sektion über philosophische und vermischte Schriften (Pacchi, 1968, Nrn. 844, 845). 97 Vgl. Yates, 1964, S. 403ff. und zuletzt Knobloch, 1995, S. 68ff. 98 Schuhmann, 1990, S. 339f. 92 93
A. DER SCHÖPFUNGSAKT
Abb. 32. Matthäus Merian, Spiegel der gesamten Natur und Bild der Kunst, Frontispiz von: Robert Fludd, Cosmi historia, 1617
Unabhängig von Fludds problematischem Text wird Hobbes durch Merians meisterhaftes Frontispiz beeindruckt gewesen sein. Der „Spiegel der gesamten Natur und Bild der Kunst“ (Abb. 32) zeigt im Zentrum der oberen Hälfte eine riesige Frauengestalt als Verkörperung der Natura. Über eine Kette mit der Hand Gottes verbunden, führt sie ihrerseits einen auf der Erdkugel sitzenden Affen. Gemäß der Vorstellung, daß der Affe den Menschen imitiert, wie der Mensch die Natur nachahmt, galt die Kunst im Analogieschluß als „Affe der Natur“99. Auf Merians Kupferstich hat sich diese menschliche Kunst im Riesenaffen ein Symbol ihrer selbst geschaffen. Er erhebt sich über die Welt, um einen Globus der Kunst in den Kreis der „artes liberaliores“ (freieren Künste) einzuschmiegen. Der Zirkel, mit dem der Affe die Kugel absteckt, imitiert die Schöpfungsikonographie Gottes100. Der Bezug zu Hobbes Argumentation ist hier im Gegensatz zu anderen Motiven, die er unmitelbar übernommen hat101, zu unspezifisch, als daß von einer Übernahme gesprochen werden könnte, aber als vielleicht einprägsamste Bildformel der kunsttechno-
„Ars Simia Naturae“ (Fludd, 1618, Titel); vgl. Janson, 1952, S. 295ff., Bredekamp, 1993, S. 68f. und Knobloch, 1996, S. 69. 100 Zahlten, 1979, S. 153; Thoenes, 1983, S. 372f. (zum nach oben gewendeten Zirkel). 101 S. u. S. 126 99
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
logischen Schöpfung vermag Merians „Affe der Natur“ doch das Gedankenmilieu zu erhellen, in dem sich Hobbes mit dem ersten Satz seines „Leviathan“ bewegt. Hobbes kunsttheoretischer Auftakt war kein Einzelfall. Zu Beginn seines philosophischen opus magnum, „De corpore“ von 1655, hat er einen Bildhauer, der die Form aus der bereits existierenden Materie herausholt, mit der Philosophie verglichen, die aus dem Chaos des ungeordneten Gedankenflusses die Struktur ihres Denkens zu filtern hat: „Du mußt verfahren wie die Bildhauer, die durch Bearbeitung der gestaltlosen Materie mit dem Meißel die Gestalt nicht nachbilden, sondern aus ihr herausholen. Ahme der Schöpfung nach“102. Hobbes werden die Stellen aus Machiavellis „Discorsi“ und der „Arte della guerra“ bekannt gewesen sein, in denen dieser die Schwierigkeiten, einen Staat und ein Heer aus „verdorbenen“ Menschen zu schaffen, mit Blick auf Michelangelos „David“ damit vergleicht, aus einem fast schon verschlagenen Block eine gelungene Figur herauszuholen103. Der „Leviathan“ geht über die Assoziation von Bildhauerei und Staatenbildung jedoch hinaus. Insofern die menschliche Kunst die künstlerische Schöpferkraft Gottes zu imitieren vermag, muß sie für Hobbes vor allem deren Bewegungsprinzip nachahmen, so daß für die Notwendigkeit, Staaten zu schaffen, nicht allein Skulpturen das Vorbild abgeben, sondern bewegliche Bildwerke, Automaten. Unter anderem, so fährt Hobbes erster Satz fort, erweist sich die mimetische Fähigkeit der Kunst des Menschen darin, „daß sie ein künstliches Tier machen kann“. Hobbes Feststellung war kein Hirngespinst. Die Studierstuben, Salons und Kunstkammern waren Menagerien von in Augsburg, Nürnberg, Wien oder andernorts gefertigten Tierautomaten, die den Erfahrungshintergrund von Hobbes Feststellung abgaben.104 Theoretisch aber wird Hobbes vor allem durch René Descartes „Discours de la Méthode“ herausgefordert gewesen sein, der ihm sofort nach Erscheinen im Jahre 1637 zugesandt worden war. Descartes hatte ein kompliziertes Panorama des Zusammenhanges von Körperbewegungen, Nervensystem und Hirnstruktur entworfen, um die verschiedenen Funktionsweisen hinsichtlich der Sinneswahrnehmung, der sozialen Steuerung, des Gedächtnisses und der Phantasie mit Automaten zu vergleichen. Er hatte zwar betont, daß ein wesentlicher Unterschied in der inneren Feinheit des natürlichen und des künstlichen Lebewesens bestehe, aber diese Differenz stelle zunächst eine quantitative und nicht etwa eine qualitative Unterscheidung dar: „Wenn es Maschinen mit den Organen und der Gestalt eines Affen oder eines anderen vernunftlosen Tieres gäbe, so hätten wir gar kein Mittel, das uns nur den geringsten Unterschied erkennen ließe zwi-
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Hobbes, 1967, S. 3. Vgl. Windisch, 1994, S. 80 Machiavelli, 1963, S. 124 und 528f.; vgl. Verspohl, 1981, S. 223 Bredekamp, 1993, S. 49ff.
A. DER SCHÖPFUNGSAKT
schen dem Mechanismus dieser Maschinen und dem Lebensprinzip dieser Tiere“105. Wenn Hobbes den Mechanismus der Automaten, also ihre Fähigkeit, sich zu bewegen, im zweiten und dritten Satz seiner Einleitung mit dem Lebensprinzip der natürlichen Lebewesen vergleicht, klingt dies zunächst, als wolle er Descartes bestätigen: „Denn in Anbetracht dessen, daß das Leben nur eine Bewegung von Gliedern ist, die innerhalb eines Hauptteils beginnt: warum sollten wir nicht sagen, daß alle Automaten (Maschinen, die sich durch Federn und Räder bewegen, wie es eine Uhr tut) ein künstliches Leben haben?“. Auch Hobbes Beschreibung der inneren Organe ist durch den Blick in das komplizierte Innenleben eines Uhrwerkes gelenkt: „Denn was ist das Herz, außer einer Feder, und was sind die Nerven, außer vielen Strängen, und was sind die Gelenke, außer vielen Rädern, die dem ganzen Körper die Bewegung vermitteln, wie sie vom Künstler intendiert war?“. Hobbes macht sich hier, im Einklang mit Descartes, jene umfassende „Mechanisierung des Weltbildes“ zu eigen, die sich die Uhr als Vorbild des Kosmos, der Welt und des Menschen gewählt hatte106. Die Erfindung der Feder hatte ermöglicht, die spätmittelalterlichen Turmuhren so weit zu verkleinern, daß sie als sogenannte „Hals“oder „Sackuhren“ mitgeführt werden konnten. Die Verbindung des Herzschlages mit dem Ticken der Uhr wurde zu einer natürlichen Erfahrung, die mit der Entdeckung des Blutkreislaufes durch den Freund von Hobbes, Harvey, im Jahre 1628 wissenschaflich bestärkt schien107. Der Vergleich des inneren Aufbaues des Menschen mit einem Uhrwerk gehörte seither zum festen Bestand der Horologien108, und in seinen „Meditationen über die erste Philosophie“ von 1641 hatte Descartes den menschlichen Körper als Automaten begriffen: „So kann ich auch den menschlichen Körper als eine Art Maschine ansehen, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut zusammengesetzt ist und auch ohne den Geist all die Bewegungen ausführt, welche jetzt unwillkürlich, also ohne Geist, ablaufen“109. Descartes kann humanoide Automaten im Auge gehabt haben, die, wie zum Beispiel die Wiener Cisterspielerin, sich mit Tippelschritten bewegen, den Kopf drehen und die Cister mit der rechten Hand schlagen konnten110 oder die, wie der Mönch des Deutschen Museums in München, mehrfach im Viereck marschieren, die Arme heben und senken, die
Descartes, 1960, V, 10, S. 90–91, 92–93. Welt als Uhr, 1980; Peil, 1983, S. 489ff.; Mayr, 1987 107 Berns, 1988, S. 121f. Vgl. Fuchs, 1992, S. 162ff. Harvey hat Hobbes im übrigen angeregt, als vermtlich Erster die Zirkulation des Blutes auf den Steuerkreislauf anzuwenden (Schmidtgall, 1973, S. 425ff.). 108 Berns, 1988, S. 144f. 109 Descartes, 1978, S. 104 110 Beyer, 1983, S. 37 105 106
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
Hände drehen, den Kopf neigen und zur Seite legen, den Mund öffnen und die Augen auf eine geradezu bezwingende Art bewegen konnten111. In bezug auf die Vergleichbarkeit von Maschinen und Menschen machte Descartes allerdings die fundamentale Einschränkung, daß menschliche Automaten niemals zu einem reflexiven, der Sprache mächtigen Geistwesen beseelt werden könnten, und damit blieb für ihn eine Grenze zwischen Mensch und Automat, die niemals ganz aufzuheben war112. Nicht so jedoch Hobbes. Während Descartes in Vernunft und Sprachvermögen die Besonderheit des Menschen sieht, die keinem Automaten, sei er Tier oder Maschine, eigen ist113, hypostasiert Hobbes die Schaffung eines künstlichen Menschen, der nicht nur mit uhrwerkmäßigen Körperorganen, sondern auch mit Seele und Verstand versehen sein sollte: „Die Kunst geht weiter, indem sie auch jenes vernünftige und höchst glänzende Werk der Natur nachahmt, den Menschen“. Schon in seiner Behauptung, daß die Kunst den Menschen als „most rational and most excellent work of Nature“ imitieren könne, verweist Hobbes auf jene Qualität, die Descartes als nicht übertragbar erklärt hatte. Auch den folgenden Gedanken, daß ein Automat nicht nur die Ratio des Menschen zu imitieren, sondern auch die Civitas zu verkörpen vermag, hätte Descartes wie eine Provokation empfinden müssen: „Denn durch Kunst wird jener große Leviathan geschaffen, der GEMEINWESEN oder STAAT (auf lateinisch CIVITAS) genannt wird und der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Statur und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde“.
Frieß, 1988 Angesichts von Maschinen, „die unseren Leibern ähnelten und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrscheinlich möglich ist, so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel zu der Erkenntnis, daß sie deswegen keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, daß sie sie zusammenstellen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken bekanntzumachen. Denn man kann sich zwar vorstellen, daß eine Maschine so konstruiert ist, daß sie Worte und manche Worte sogar bei Gelegenheit körperlicher Einwirkungen hervorbringt, die gewisse Veränderungen in ihren Organen hervorrufen, wie zum Beispiel, daß sie, berührt man sie an irgendeiner Stelle, gerade nach dem fragt, was man ihr antworten will, daß sie, berührt man sie an einer anderen Stelle, schreit, man täte ihr weh und ähnliches; aber man kann sich nicht vorstellen, daß sie die Worte auf verschiedene Weisen zusammenordnet, um auf die Bedeutung alles dessen, was in ihrer Gegenwart laut werden mag, zu antworten, wie es der stumpfsinnigste Mensch kann“ (Descartes, 1960, V, 10, S. 93). 113 Descartes, 1960, V, 10, S. 92–93. Soweit ich sehe, ist in den zahlreichen Untersuchungen der Differenzen zwischen Descartes und Hobbes dieser vielleicht spektakulärste Unterschied nicht beachtet worden. Zu Hobbes und Descartes vgl. den zusammenfassenden Artikel von Tuck, 1988. 111 112
B. DER AUTOMAT ALS STERBLICHER GOTT
Der Grund, aus dem Hobbes sein Werk mit dem Namen des Hiob im Gewittersturm erscheinenden „Leviathan“ überschrieb, wird hier erstmals angedeutet. Die Verwandtschaft der Civitas mit dem alttestamentlichen Ungeheuer liegt offenbar darin, daß dieses bei wörtlicher Lesart an einen mächtigen Automaten erinnert: „Sein Herz ist so hart wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühlstein. Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken, und wenn er hereinbricht, so ist keine Gnade da. Wenn man zu ihm will mit dem Schwert, so reget er sich nicht, oder mit Spieß, Geschoß und Panzer. Er achtet Eisen wie Stroh und Erz wie faules Holz. Kein Pfeil kann ihn verjagen, und die Schleudersteine sind ihm wie Stoppeln“114. Es wird an dieser Verbindung des organischen Lebens und anorganischer Härte gelegen haben, daß Hobbes seinem übermächtigen Staatsautomaten den Namen des biblischen Monstrums gab.
b. Der Automat als sterblicher Gott Der Unterschied wiegt um so schwerer. Monströs allein in ihrem übermenschlichen Format, ist die Gestalt des künstlich geschaffenen Staatswesen dem alttestamentlichen Untier fundamental unterschieden. Die Gründe für diesen Wechsel haben philosophische und theologische Wurzeln. In der anthropomorphen Gestalt des Leviathan formuliert Hobbes die tiefgreifendste Differenz zur Philosophie des Descartes. Gegenüber Descartes, für den die Automaten zwar leben, sobald sie bewegungsfähig sind, aber keine menschliche oder menschenähnliche Qualität besitzen, weil ihnen die nicht-künstlichen Instanzen der Seele und des Verstandes abgehen, kehrt Hobbes die Argumentation um. Für ihn kommt die Souveränität als künstliche Seele des Leviathan nicht etwa zu den bereits agierenden Automatenorganen hinzu, sondern sie bedingt diese, indem sie deren Bewegungen anstößt. Die „Souveränität“ ist nicht die geistige Zutat zum künstlichen Menschen, sondern dessen wesensmäßiger Kern, seine „künstliche Seele (…), da sie dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt“. Es ist diese Seele des Leviathan, die das gesamte, anthropomorph gefaßte Arsenal des Staates animiert und antreibt: die aus Beamten und Juristen bestehenden Gelenke, die sensitiven Nerven der Strafe und der Belohnung und die auf Wohlstand und Reichtum aufgebaute, Sicherheit begründende körperliche Stärke. Ihrerseits wird diese Seele angereichert durch die Ratgeber, die ihr die Erkenntnisdimension der Geschichte vermitteln. Ihr Wille entsteht aber durch die Balance, die sich aus der Angemessenheit der Rechte und Freiheiten, die der Bürger dem Leviathan preisgibt, und der
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Hiob, 41, 16–21
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
Sicherheiten und des Wohlstandes, die er hierdurch erhält, ergibt115. Der Seelenzustand der Eintracht schließlich bedeutet Prosperität, wohingegen Aufruhr zu Krankheit, Bürgerkrieg und Tod führt. Mit der Vorstellung, daß die Nachahmung der Natur einen organisch gestalteten Staat in Menschenform zu erzeugen vermag, der auch in Intellekt und Seele menschliche Züge in übermenschlichem Maßstab besitzt, vollzieht Hobbes den vielleicht entschiedensten Bruch mit Descartes Philosophie. Hobbes scheint mit diesem Gedanken wie in einem Zeitsprung auf Julien Offray de La Mettries „L’Homme machine“ von 1748 vorauszuweisen. Der letzte Satz des ersten Absatzes des „Leviathan“ zeigt jedoch, daß sein Einfall nicht hellseherisch, sondern retrospektiv angelegt ist. Mit der Frage, wie der „Leviathan“ geschaffen und in Gang gesetzt wird, kehrt er zum kunsttheoretischen Anspruch des ersten Satzes zurück. War dort von der Schöpfung und Lenkung der Natur als göttlicher Kunst die Rede, die von der menschlichen Ars imitiert werden könne, so betont er nun den spirituellen Charakter dieser Creatio: „Schließlich gleichen die Verträge und Übereinkommen, durch welche die Teile dieses politischen Körpers anfangs geschaffen, zusammengesetzt und vereint wurden, jenem ‚Fiat‘ oder ‚Laßt uns Menschen machen‘, das Gott bei der Schöpfung aussprach“. Die Charakterisierung des „Leviathan“ als eines „künstlichen Menschen“ (Artificiall Man) aufnehmend, der den „natürlichen Menschen“ (Naturall Man) an Größe und Kraft übertrifft, ist er nun als „politischer Körper“ (Body Politique) bezeichnet, der durch Verträge zustande kommt. Seine Teile, Konstruktionsprinzipien und Bindemittel werden durch diese Verträge geschaffen und gehalten. Die Bestimmung des „Leviathan“ als eines „sterblichen Gottes“ greift hier aber von der rechtlichen Ebene der Verträge auf das theologische Niveau der Schöpfungsgeschichte über. Diese absonderliche Projektion galt bislang nicht nur als Fremdkörper im Denken von Hobbes, sondern als schlechthin eigene, voraussetzungslose Erfindung116. Indizien belegen jedoch, daß Hobbes sich auf einen Bereich bezieht, in dem bislang nicht gesucht wurde: das „Corpus Hermeticum“, jene Hermes Trismegistos zugeschriebene Textsammlung, die als angeblich authentisches Zeugnis altägyptischer Offenbarungen zwischen 1461 und 1641 25 Auflagen erlebte117. Das Corpus gehörte nach der Bibel zu den meistgelesenen Büchern, bis es als eine Kompila-
115 Hobbes, 1991, Leviathan, 15, S. 105; vgl. Tricaud (1988, S. 151) und Runciman (1997, S. 22ff.), dem die Verbindung von Maschine und Seele eine offene Frage bleibt. Unter Berücksichtigung der im Folgenden betrachteten hermetischen Literatur und der Tradition der bewegungsfähigen Effigies (s. u. S. 65 ff.) ergeben sich jene Probleme nicht, die Runciman vergeblich zu lösen sucht. 116 Stollberg-Rilinger, 1986, S. 49 117 Yates, 1964, S. 154
B. DER AUTOMAT ALS STERBLICHER GOTT
tion der Spätantike erkannt und dadurch in seinem Rang erschüttert wurde.118 Dies bedeutete jedoch nicht, daß es sofort von der Bildfläche verschwunden wäre, und noch 1650, also in jenem Jahr, in dem Hobbes mit aller Kraft an der Fertigstellung des „Leviathan“ arbeitete, erschien es auch in englischer Übersetzung119. Eine Rezeption des „Corpus Hermeticum“ könnte zunächst als abwegig erscheinen. Hobbes gilt unter den Staatstheoretikern als Mathematiker, der nichts als die scharfe Logik Euklids, wenn auch in eigenwilliger Deutung, anerkannt habe. Unter den ca. 900 Titeln, die Hobbes um 1630 als Wunschlektüre aufgelistet hat, ist Euklids „Geometria“ in der Tat mit insgesamt zwölf Versionen das am häufigsten aufgeführte Werk. Allerdings taucht auch jene Edition auf, die von John Dee herausgegeben wurde, und das Vorwort dieses Mathematikers und Okkultisten scheint Hobbes bewegt zu haben120. Überraschender noch ist, daß mehr als die Hälfte der Titel in den Bereich des Okkultismus gehören, wobei das „Corpus Hermeticum“ mit zehn Ausgaben das nach Euklids „Geometria“ mit Abstand meistzitierte Werk ist.121 Hobbes Beurteilung des Corpus ist angesichts seines erstaunlichen Interesses für die Offenbarungen des Hermes Trismegistos eher zweitrangig, denn selbst im Fall strikter Ablehnung wäre zu untersuchen, ob nicht Einzelmotive des Kritisierten den Weg in Hobbes eigene Überlegungen gefunden hätten. Zumindest um 1630, also zwanzig Jahre vor Abfassung des „Leviathan“, hat Hobbes in seiner Idealliste des Wissens der Zeit mehr als die Hälfte jenem Bereich reserviert, der heute als Okkultismus deklassiert würde. Hobbes hing der Magia Naturalis zu keinem Zeitpunkt an, aber diese gehörte zum selbstverständlichen Bestand der intellektuellen Kultur, und sie vermochte offenbar selbst den Gegnern Stichworte und Anregungen zu geben. Das von Hobbes so vielfach aufgeführte, aus dem „Poemander“ und dem „Asclepius“ bestehende „Corpus Hermeticum“ ist in eine eher pessimistische und eine stärker optimistische Seite zu unterscheiden. Neben Äußerungen, die den durchweg teuflischen Charakter der Welt betonen, stehen Passagen, in denen die
Durch Isaac Casaubon (1614); vgl. Yates, 1964, S. 398ff. Hermes Mercurius Trismegistos, 1650 120 Pacchi, 1968, biblioteca, Nr. 141; vgl. hierzu Schuhmann, 1990, S. 337f. Werke von John Dee tauchen als Nrn. 622 und 623 auf. 121 Pacchi, 1968, biblioteca, Nrn. 445–50, 515, 706, 734, 772. Bislang hat sich nur ein einziger Beitrag mit Hobbes Rezeption des „Corpus Hermeticum“ befaßt, der nicht die geringste Spur in der Hobbes-Forschung hinterlassen hat (Schuhmann, 1985, S. 203–227). Ein bezeichnender Lapsus ist Bernard Willms unterlaufen, der den Artikel Schuhmanns in seinem sehr genauen Bericht über das Jahrzehnt Hobbes-Forschung zwischen 1979 und 1988 nicht als Beitrag zu „hermetischen“, sondern „hermeneutischen“ Motiven bei Hobbes vermerkt (Willms, 1988, S. 572). Auch Carl Schmitts eher kryptische Bemerkungen zum okkulten Charakter des „Leviathan“ sind isoliert geblieben (Schmitt, 1982, S. 44; vgl. ebda., S. 243). 118 119
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
Abb. 33. Allmensch, Abbildung aus: Giambattista della Porta, Magia Naturalis, 1680
göttlich durchwirkte Natur als Anreiz für den Menschen beschrieben wird, alle Künste, alle Wissenschaften und die Natur alles Lebendigen zu begreifen. Immer wieder beschwört vor allem der „Poemander“ die Bestimmung des Menschen, alles zu wissen, Gott zu verstehen und zu den Sternen aufzusteigen.122 Ein 1680 publizierter Kupferstich aus Giambattista della Portas „Magia Naturalis“ (Abb. 33) zeigt die Schemen einer solchermaßen inspirierten, sich über die Erde erhebenden Gestalt. Nach dem Muster von Merians „Natura“ (Abb. 32) steht sie mit einem Bein auf der Erde und mit dem anderen auf dem Wasser und hält mit der Fackel das Feuer und dem Herzen das Pneuma, die beseelte Luft. Die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und die umschließende Luft bilden auch den kreisrunden Körper, der aus der regenbogenhaften Sphäre der Planeten bestrahlt wird. Diese trennt den Leib des ätherischen Riesen vom Kopf, der mitsamt den Flügeln in die Sphäre der Fixsterne erhoben ist. Della Portas Stich ist zeitlich nach dem Leviathan geschaffen worden, beide Frontispize verbindet allein der Umstand, daß sich zwei menschliche Riesengestalten über das Erdrund erheben, und gedanklich besteht zwischen dem „Poemander“ und dem „Leviathan“ zunächst bestenfalls eine Parallele darin, daß der Mensch über eine neogöttliche Schöpferkraft verfügt, um einen vernunftbegabten
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Yates, 1964, S. 23–32
C. HERMETISCHE STATUEN
Riesen seiner selbst zu schaffen, der zum Himmel aufragt. Aber über diese rein atmosphärische Verwandschaft hinaus gibt es spezifische Annäherungen. Hobbes geht es nicht allein um die Fähigkeit des Menschen, sich bis zum Himmel aufzuschwingen, wie dies der „Poemander“ in großen Worten beschreibt, sondern um das Vermögen, diese Selbstvergöttlichung durch die Schaffung eines Konstruktes zu erreichen, die dem Menschen als ein „sterblicher Gott“ gegenübersteht. In Erläuterung jenes letzten Satzes aus der „Einleitung“, in dem er die Erschaffung des Leviathan mit dem göttlichen „Fiat“ vergleicht, führt er im 17. Kapitel aus: „Dies ist die Erzeugung des großen LEVIATHAN oder, um es ehrfurchtsvoller zu sagen, jenes Sterblichen Gottes, dem wir unter dem Unsterblichen Gott Frieden und Schutz verdanken“123.
c. Hermetische Statuen Die Formulierung, daß der Souverän ein „sterblicher Gott“ sei, stellt einen Schlüssel für das Verständnis des Leviathan dar. Hobbes könnte sie einem kurzen, anonymen Traktat der Jahre 1622–24 entnommen haben, das mit der Aussage beginnt: „Ein König ist ein sterblicher Gott auf Erden, dem der lebendige Gott seinen eigenen Namen zur größeren Ehre entliehen hat“124. Weil der anonyme Autor in diametralem Gegensatz zum „Leviathan“ vehement für einen theokratischen Staat plädiert, hätte Hobbes von diesem Text jedoch nicht mehr als den Begriff des „sterblichen Gottes“ nutzen können. Hobbes „sterblicher Gott“ ist aber keinesfalls das Ergebnis einer Übertragung himmlischer Macht auf den irdischen Herrscher, sondern das übermenschliche Produkt einer menschlichen Anstrengung, und damit steht er in der Tradition einer Theorie, die entweder die Schöpfer von Werken, die auf scheinbar wunderbare Weise über das gewöhnliche Maß hinausgehen, oder diese Werke selbst als „sterbliche Götter“ bezeichnet hatte. So hatte Giorgio Vasari überragende Künstler wie Raphael als „Dei mortali“ bezeichnet, und Francis Bacon hatte große Erfinder als von „göttlicher Ehre“ erachtet.125 Für die Idee, unter „sterblichen Göttern“ nicht gottbegnadete Künstler und Erfinder, sondern deren Werke zu begreifen, die in der Lage sein sollten, zu denken und friedensstiftend zu handeln, bot jedoch der „Asclepius“ die bekannteste Quelle. Er war dafür berühmt, daß er den Menschen die Fähigkeit zusprach, Erzeuger („effector“) von Göttern zu sein: „Und da von uns nun eine Erörterung über „This is the Generation of that great LEVIATHAN, or rather (to speak more reverently) of that Mortall God, to which wee owe under the Immortal God, our peace and defence“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, S. 120). 124 „A Kinge is a mortall god on earth onto whom the living god hath lent his owne name for greater honour“ (Harl. Ms. 2232, fol. 73, British Library, London); vgl. Goldberg, 1983, S. 42. 123
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die Verwandtschaft und Verbindung der Götter mit den Menschen angekündigt wird, so lerne, Asklepios, die gewaltige Macht der Menschen kennen. Wie der Herr und Vater oder, was der höchste Name ist, wie Gott Schöpfer der himmlischen Götter ist, so ist der Mensch Bildner der Götter, die in den Tempeln mit der Nähe zu den Menschen sich zufrieden geben, und nicht wird er erleuchtet, sondern er erleuchtet auch. Und er bewegt sich nicht nur auf die Götter zu, sondern bildet auch Götter“126. Hobbes muß beeindruckt haben, daß diese menschlich geschaffenen Götter als belebte Statuen beschrieben sind, welche die Zukunft vorherzusagen, Malaisen von den Menschen abzuwenden und Trauer und Freude je nach Verdienst zu verteilen vermögen: „Ich meine Standbilder, die beseelt sind, voller Geist und Pneuma, die große und gewaltige Taten vollbringen, Standbilder, die die Zukunft vorherwissen und sie durch Los, Seher, Träume und viele andere Dinge voraussagen, die den Menschen Schwächezustände bereiten und sie heilen, Trauer und Freude bereiten, je nach Verdienst“127. Indem diese künstlichen, mit einer übermenschlichen Vernunft ausgestatteten Götter die Menschen durch Lohn und Strafe an sich binden und ihnen Schutz gewähren, erfüllen sie wesentliche Voraussetzungen des Leviathan. Wie dieser, besitzen auch die Statuen des „Asclepius“ menschliche Züge: „Die Menschen können bei dieser Nachahmung der Götter sich niemals freimachen von der Erinnerung an ihre eigene Natur und ihren eigenen Ursprung, so daß die Menschen, wie der Vater und Herr ewige Götter schuf, daß sie ihm gleich seien, ebenso auch ihre Götter entsprechend ihrem eigenen Aussehen gestalten“128.
125 „Laonde si può dire sicuramente, che coloro che sono possessori di tante rare doti, quante si videro in Raffaello da Urbino, sian non uomini semplicemente, ma, se cosí è lecito dire, Dei mortali“ (Vasari, Bd. 4, S. 316); Bacon, 1974, S. 95. 126 „Et quoniam de cognatione et consortio hominum deorumque nobis indicitur sermo, potestatem hominis, o Asclepi, vimque cognosce. Dominus & pater, uel quod est summum, Deus, vt effector est Deorum coelestium, ita homo effector est Deorum, qui in templis sunt, humana proximitate coniuncti, et non solum illuminantur, verum etiam illuminant. Nec solum ad Deum proficit, verum etiam confirmat Deos“ (Patrizi, 1593, S. 68r; vgl. Hermès Trismégiste, 1980, Bd. II, Asclepius, VIII, 23, S. 325, Z. 4–11. Übersetzung nach Corpus Hermeticum Deutsch, S. 284f.). 127 „Statuas animatas, sensu & Spiritu plenas, tanta & talia facientes, statuas, futurorum praescias, easque forte vates omnes somniis, multisque aliis rebus praedicentes, imbecillitatesque hominibus facientes, easque curantes, tristitiamque pro meritis“ (Patrizi, 1593, S. 69r; vgl. Hermès Trismégiste, 1980, Bd. II, Asclepius, VIII, 24, S. 326, Z.11–15. Übersetzung nach Corpus Hermeticum Deutsch, S. 286). 128 „ita humanitas semper memor naturae et originis suae in illa divinitatis imitatione perseverat, ut, sicuti Pater ac Dominus, ut sui similes essent, Deos fecit aeternos, ita humanitas Deos suos, ex sui vultus similitudine figuraret“ (Patrizi, 1593, S. 69r; Hermès Trismégiste, 1980, Asclepius, VIII, 24, S. 326, Z. 4–8. Übersetzung nach Corpus Hermeticum Deutsch, S. 286).
C. HERMETISCHE STATUEN
Nach biblischer Auffassung hatte Gott die Menschen nach seinem Antlitz geschaffen. Wenn Hobbes betont, daß das „fiat“, mit dem Gott die Menschen schuf, mit der Erschaffung des Leviathan durch die Menschen zu vergleichen ist, so bedeutet dies, daß dieser „sterbliche Gott“ ebenfalls menschliche Züge trägt. Wenn er mit dem Leviathan des Alten Testamentes nur den Namen und den Schrecken, nicht aber die Gestalt gemein hat, so war dies offenbar auch durch das Beispiel der Götterstatuen des Asclepius angeregt, welche die Ägypter sich selbst gleichen ließen. Mit Hilfe des „Asclepius“ vermochte Hobbes den Begriff des „sterblichen Gottes“ mit dem Gedankenbild eines riesigen, das Geschick des Staates lenkenden Automaten zu verbinden, die monströse Form des „Leviathan“ in eine menschliche Gestalt zu verwandeln und die von Descartes definierte Schere zwischen Automat und Vernunftwesen zu schließen. Durch die Überführung der belebten, menschenähnlichen, mit Geist und Seele versehenen, Unbilden von der Gemeinschaft abwehrenden, der Vorhersage fähigen und als gerechte Richter wirkenden Statuen in die Automatengestalt des „Leviathan“ hat Hobbes die Staatenlenker des „Asclepius“ mit Motiven der mechanistischen Moderne aufgerüstet. In der kunsttechnologischen Unbefangenheit der hermetischen Überlieferung konnte Hobbes das Stichwort zur Errichtung seiner Version des „sterblichen Gottes“ finden, und indem er die ägyptischen Staatsidole auf das moderne Staatswesen projizierte, erzeugte er einen der folgenreichsten Querschläger der europäischen Geistesgeschichte. Mit seiner Adaption von Motiven der hermetischen Tradition, die er, wie sich zeigen wird, auch wörtlich zitiert, steht Hobbes in einer unverdächtigen Gesellschaft. Marsilio Ficino und Pico della Mirandola haben sich bei ihren Überlegungen zum Status des Menschen als „zweiter Gott“ auf Hermes Trismegistos bezogen129; Kopernikus hat eines seiner anstössigsten Kapitel von „De Revolutionibus“, in dem er die zentrale Stellung der Sonne und die Reihenfolge der Himmelskreise zusammenfaßte, durch einen Passus des „Asclepius“ abgesichert130, und noch Newton spielt in den abschließenden Sätzen seiner „Principia“ auf den Asclepius-Text an131. Hobbes Adaption von Elementen der hermetischen Tradition bildet weder eine Entgleisung noch einen Fremdkörper, und sie macht ihn nicht zu einem Okkultisten; vielmehr bezeugt sie, daß er gezielt nach Motiven suchte, die sein eigenes „fiat“ mit der höchstmöglichen Bildkraft auszustatten versprach. Für Hobbes ist der Staat nicht das gottgegebene oder natürliche Produkt des zoon politicon, das organisch aus dem mitmenschlichen Zusammenleben herausgefiltert werden kann, sondern ein widernatürliches, artifiziell als Kunstwerk zu
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Rüfner, 1955, S. 271f. Yates, 1964, S. 154 Dobbs, 1986, S. 137–150, mit weiteren Rekursen Newtons auf Hermes Trismegistos.
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schaffendes Gebilde. Nur als künstliche Form ist der Staat für Hobbes in der Lage, die zerstörerische Natur der Menschen zu befrieden, und zu dieser Bändigungsfunktion gehört auch, daß er der analytischen Erkenntnis fähig ist und bleibt. Der Mensch aber kann, dies ist Hobbes im Vorwort von „De Homine“ betonter Grundsatz, nur jene Bereiche begreifen, die er selbst geschaffen hat: „Eine demonstrative Erkenntnis a priori ist uns daher nur von den Dingen möglich, deren Erzeugung von der Willkür der Menschen selbst abhängt“132. Der Staat ist allein dadurch versteh- und beherrschbar, daß er nicht natürlich erwachsen ist, sondern als Kunstwerk entstand. Das Bild des Leviathan ist der Repräsentant dieses naturnotwendig künstlichen Artefakts.
d. Hermetische Phantasie Als Bild bleibt der Leviathan aber ein Symbol, und er teilt mit allen Formen der symbolischen Repräsentation die Stärke, die in der stellvertreterhaften Verdoppelung liegt, aber auch die Schwäche, das Repräsentierte nicht unmittelbar zu sein. Damit ist das Problem verbunden, daß niemand den Leviathan so sehen kann, wie ihn das Frontispiz vorgibt. Sichtbar und spürbar waren jeweils nur Teile seines Körpers und seiner Zellen in Form der Beamten, der Juristen, der Soldaten, der Erzieher und anderer Berufs- oder Funktionsgruppen, aber nirgendwo stolzierte ein Riese Gulliver, der als eine wirkliche „Imago“ des Leviathan gelten konnte. Offenbar reagiert das Gesamtbild des Leviathan auf Defizite, die es selbst zu lösen sucht, zu denen es aber neue hinzufügt. Umso drängender ist die Frage, warum Hobbes einen so hohen Wert auf das Medium des Bildes legte. Äußerungen über die Idee, dem „Leviathan“ ein Frontispiz voranzustellen, sind weder in Hobbes Schriften noch in der Korrespondenz, die für den fraglichen Zeitraum eine Lücke aufweist, überliefert. In einer Konzeptversion seines philosophischen Hauptwerkes, „De Corpore“, hat Hobbes aber ein aufschlußreiches Statement zur Funktion von Bildern für den Aufbau und das Funktionieren des Gedächtnisses gegeben, das einen solchen Kommentar ersetzt. Hobbes muß dem hier formulierten Gedanken insofern die höchste Bedeutung zugemessen haben, als er ihn nicht nur an den Beginn seines Textes stellt,133 sondern zur selben Zeit, zu der er am „Leviathan“ arbeitete, in einer literaturtheoretischen Abhandlung wiederverwendete. Sein Dichterfreund Sir William Davenant hatte ihm die Vorrede zu „Gondibert“ gewidmet, auf die Hobbes im Januar 1650 mit einem Schreiben
Hobbes, 1994, 10,4, S. 18f. National Library of Wales, MS 5297 [= Manuskript NLW], kritische Edition in: Hobbes, 1973, S. 449–460, hier: 449. Zu den verschiedenen Fassungen Schuhmann, 1985, S. 206f. 132 133
D. HERMETISCHE PHANTASIE
antwortete, in dem er auch auf die Funktionen des Gedächtnisses und der Phantasie einging.134 Hobbes beginnt mit dem Allgemeinplatz, daß Mnemosyne als Instanz der Erinnerung ihren Rang als Mutter der Musen zu Recht besitzt. Ihre Grundbestimmung – „sie ist die Welt (aber nicht wirklich, sondern wie in einem Spiegel)“ – deutet ihre Funktion als Bildspeicher an, aber die Schrift wirkt als Ordnungshüter dieses Spiegelreiches der Bilder. Denn als Schwester der Mnemosyne begutachtet das Urteil („Judgement“) alle Bereiche der Natur, um sie erst nach strengster Prüfung hinsichtlich ihrer Ordnung, ihrer Anlässe, Nutzungen, Unterschiede und Ähnlichkeiten nach Buchstaben geordnet abzulegen. Vor die Aufgabe gestellt, „ein Kunstwerk zu vollbringen“, habe die Phantasie daher ein leichtes Spiel, denn durch behutsame Bewegung könne sie die bereitliegenden Gegenstände nutzen135. Wenn sie eine weite Reise zurücklegen und von einem „Indien zum anderen [Indien] und vom Himmel zur Erde zu fliegen, die härtesten Stoffe zu durchdringen, zu den dunkelsten Plätzen und zu sich selbst zu gelangen scheint, und all dies in einem Augenblick, ist die Reise nicht sehr weit, weil sie selbst alles ist, wonach sie sucht“136. Nicht nur für das Problem der Funktionsweise von Bildern, sondern auch für die erörterte Frage von Hobbes Rezeption des „Corpus Hermeticum“ ist von Bedeutung, daß er hier das Lob der Phantasie aus dem „Poemander“ paraphrasiert, zumal über diese Textstelle die Ausgabe zu erschließen ist, die Hobbes benutzt hat. Von dem Zielort der Phantasie, Indien, ist in der Redaktion Marsilio Ficinos, mit der die lateinische Rezeptionsgeschichte des „Poemander“ einsetzt, noch ebensowenig die Rede wie in der italienischen Ausgabe von 1548137. Erst Francesco Patrizis enzyklopädisches Hauptwerk „Nova de Universis Philosophia“, in das die
Zur Zusammenarbeit zwischen Hobbes und Davenant in Paris: Skinner, 1996, S. 332. „For memory is the World (though not really, yet so as in a lookin-glasse) in which the Judgement the severe Sister busieth her selfe in grave and rigide exmanination of all the parts of Nature, and in registering by Letters, their order, causes, uses, differences and resemblances; Whereby the Fancy, when any worke of Art is to be performed, findes her materials at hand and prepared for use, and needes no more then a swift motion over them, that what she wants, and is there to be had, may not lye too long unespied“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 49, Z.155–163). Vgl. zum weiteren Verständnis von „fancy“ für die Dichtkunst: Reik, 1977, S. 145ff. 136 „So that when she seemeth to fly from one Indies to the other, and from Heaven to Earth, and to penetrate into the hardest matter, and obscurest places, into the future, and into herself, and all this in a point of time, the voyage is not very great, her selfe being all she seekes“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 49. Z. 163–167). 137 Ficino, 1962 [1576], S. 851 [1851]: „Iubeto inquam, ut transeat in Oceanum, illa prius, quam iusseris, ibi erit“; Mercurio Trimegisto, 1548, S. 85: „Io dico, che le commandi, che ella passi nell’occeano: quella prima che abbia comandato, sará quivi: & di quindi tornerà oue era“. 134 135
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
hermetischen Texte aufgenommen wurden, konnte Hobbes das Stichwort geben: „Befehle Deinem Geist, sich nach Indien zu bewegen, und schneller als Dein Befehl wird er dort sein. Ordne an, daß er den Ozean überqueren solle, und wieder wird er sich so schnell dorthin bewegt haben, als wäre er nicht von einem Ort zum anderen gereist, sondern als wäre er bereits dort gewesen“138. Der Hinweis auf Indien, den Hobbes noch durch den Zusatz verstärkt, daß die Phantasie augenblicklich von dort auch nach Amerika zu fliegen vermag, belegt, daß Hobbes Patrizis Redaktion benutzt hat. Diese Identifikation ist umso sicherer, als Hobbes in seiner Literaturliste diese Ausgabe Patrizis aufgeführt hat, mit dem ihm im übrigen weitere, markante Züge seiner Philosophie verbinden139. Das Zitat aus dem „Corpus Hermeticum“ fügt sich in seine Methode der Nutzung dieser Schrift. Hobbes erklärt „die wunderbare Geschwindigkeit“ der Phantasie „nicht so sehr in der Bewegung, als im Reichtum der Bilderwelt, die in der Erinnerung umsichtig geordnet und vollständig eingeschrieben ist“. Insofern sich die Phantasie bei ihrer Reise durch das Bildarchiv der Mnemosyne von der „guten“, das heißt der mathematisch-mechanistischen Philosophie habe leiten lassen, hätte sich die Menschheit aus der Barbarei in die Zivilisation entwickelt. Unter den „wunderbaren Effekten“, die sie auf diese Weise entstehen ließ, befände sich „alles, was an Bauwerken schön und schutzgebend ist, oder wunderbare Maschinen und Instrumente der Bewegung: was immer Menschen an Annehmlichkeit aus der Beobachtung der Himmel, der Beschreibung der Erde, der Berechnung der Zeit und dem Wandeln auf den Wassern erlangen können“140. Erneut also nutzt Hobbes eine her-
138 Patrizi, 1593, S. 165v: „Aliter in phantasia. Concipe, eum qui omnia continet, & percipe quod incorporei nihil est capacius, neque velocius, neque potentius. ipsum vero est capacissimum & velocissimum, & potentissimum. Et sic cogita a te ipso, & praecipe tuae animae vt in Indiam vadat, & celerius tua iussione illic erit. Transire eam iube ad Oceanum, & ibi rursus cito erit, non vt quae locum mutauerit in locum, sed quasi ibi ex istat, iube ipsam, & in coelum euolate, neque alis egebit. Sed neque ei vllum est impedimentum. Non solis ignis, non aether, non vertigo. neque corpora astrorum aliorum“. Vgl. auch die moderne Redaktion: Hermès Trismégiste, 1980, Bd. I, Traktat XI, 19, S. 154. 139 Pacchi, 1968, biblioteca, Nr.734; zu Patrizi: Gerl, 1988, S. 342ff.; zu den Verbindungen von Patrizi und Hobbes in der „Geometrisierung“ der Philosophie, der Sprachkritik, des Raumbegriffes und des Gedankenexperimentes eines annihilierten Universums: Riedel, 1975, S. 183f.; Schuhmann, 1986, passim und ders., 1990, S. 347f. 140 „(…) and her wonderfull clerity, consisteth not so much in motion, as in copious Imagery discreetly ordered, and perfectly registered in the memory; (…) so farre forth as the Fancy of man, has traced the wayes of true Philosophy, so farre it hath produced very marvellous effects to the benefit of mankind. All this is bewtifull or defensible in buildinge; or marvaylous in Engines and Instruments of motion; Whatsoever commodity men receave from the observations of the Heavens, from the description of the Earth, from the account of Time, from walking on the Seas; and whatsoever distinguisheth the civilty of Europe, from the Barbarity of
D. HERMETISCHE PHANTASIE
metische Metapher, um sie in seinem mathematisch-geometrischen Denksystem aufgehen zu lassen, und dieses Doppelspiel erzeugt eine der frühesten und emphatischsten Preisungen der konstruktiven Kraft der Phantasie.141 Die Bilderwelt der Mnemosyne ermöglicht die Einlösung jener kunsttechnologischen Zivilisationshoffung, die von Tommaso Campanella über Johann Valentin Andreae bis zu Francis Bacon die Utopien bestimmt hatte142. Um seine zivilisatorischen Möglichkeiten einlösen zu können, benötigt das Gedächtnis mentale Bilder, die nicht nur virtuelle Phantasieprodukte sind143, sondern die, bevor sie in den „Spiegel“ der Mnemosyne aufgenommen wurden, realiter vorhanden gewesen sein müssen. Ohne Körper kann es für Hobbes kein substantielles Denken und ohne Abbild kein nutzbares Bild des Gedächtnisses geben. In diesem Sinn erfüllt die „Imago“ des Leviathan die Funktion jener „sinnlichen Erinnerungszeichen“, die Hobbes in „De Corpore“ an den Anfang aller Gedankenordnung stellt: „Solche Erinnerungszeichen (‚moniments‘) wollen wir Merkzeichen (‚marks‘) nennen und darunter sinnlich wahrnehmbare Dinge verstehen, die wir willkürlich gewählt haben, um durch ihre sinnliche Empfindung Gedanken in unserem Geist zu erwecken, die denen ähnlich sind, um derentwillen wir sie zu Hilfe genommen haben“144. Die Funktion solcher „Merkzeichen“ erfüllt das Frontispiz des „Leviathan“ in besonderem Maß, weil es den Staatsriesen nicht nur dem Gedächtnis des Einzelnen zur Verfügung stellt, sondern auch den Charakter allgemeiner Zeichen anzunehmen vermag. „Nur wenn die Erinnerungszeichen Gemeingut vieler sind und, was einer erfand, andere übernehmen können, vermag die Wissenschaft zum Heile und Segen des gesamten Menschengeschlechtes zu wachsen. Daher sind für den Aufbau und die Vermehrung philosophischer Erkenntnisse Zeichen (‚signs‘) unentbehrlich, durch welche das, was einer erdacht, anderen mitgeteilt und klargemacht werden kann“145. In diesem allgemein nutzbaren Sinn erweitert sich die Funktion des Frontispizes vom Merkzeichen zum Anzeichen. Mit ihm werden, wie etwa beim Anblick dunkler Wolken der nachfolgende Regen mitgedacht und antizipiert wird, ganze Abfolgen verbunden: „Der Unterschied zwischen den Merkzeichen (‚marks‘)
the American sauvages“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 49, Z.167–169, 171–179. vgl. Schuhmann, 1985, S. 224. Zu Hobbes Konzept der historischen Entwicklung von der Barbarei zur Zivilisation: Kraynak, 1990, S. 11ff.). 141 Ohne den hermetischen Zusammenhang zu kennen, hat Thorpe, 1964, S. 108f., eine vorzügliche Einordnung dieser Textstelle in Hobbes vielschichtige Theorie des Gedächtnisses und der Phantasie gegeben (S. 80ff.). 142 Vgl. Bredekamp, 1993, S. 56–62, 68ff. 143 Rehkämper, 1991, S. 18ff. 144 Hobbes, 1967, S. 14 (De Corpore, 2,1; engl.: HEW, Bd. I, S. 14) 145 Hobbes, 1967, S. 14f. (De Corpore, 2,1; engl.: HEW, Bd. I, S. 14)
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3. DIE KUNSTTHEORETISCHE FUNDIERUNG
Abb. 34. Matthäus Merian, Schnitt durch die Gehirnkammern, 1619, Radierung, Ausschnitt
und den Anzeichen (‚signs‘) liegt darin, daß jene nur zu eigenem Gebrauch, diese zum Gebrauch für alle bestimmt sind“146. Das Bild des Leviathan hat den Schritt vom „mark“ zum „sign“ vollzogen: keinesfalls nur Hilfsmittel der individuellen Phantasie, bildet es das „Anzeichen“ des Staates, das in Analogie zu den mentalen Bildern, wie sie in Merians Schnitt durch das Gehirn in den inneren Kammern auftauchen (Abb. 34),147 jederzeit von Innen her die Handlungen steuert. Das Frontispiz hat, insofern es zum „sign“ geworden ist, einen handlungsrelevanten Charakter. Es muß für Hobbes ein unerträglicher Gedanke gewesen sein, daß sich jene Civitas, die der Leviathan verkörpert, in ihren Druckverfahren nicht als Gesamtheit, sondern in Teilbereichen ihrer Funktionen mitzuteilen vermag. Da dem Vertrag, der zur Konstitution des Leviathan führt, der sinnliche Gesamtkörper fehlt, verbleiben Spuren jenes Zustandes, den er doch zu überwinden hatte. Indem das Frontispiz aber den Status des „sign“ erhält, wird es über die von ihm provozierten Handlungen zu diesem Gesamtkörper. Keineswegs nur Symbol eines Nicht-Darstellbaren, schließt das zum mentalen Bild gewordene Frontispiz die Lücke zwischen Repräsentant und Repräsentiertem, um damit die symbolische Achillesverse des Leviathan zu heilen, als Gesamtkörper nicht körperlich erfahrbar zu sein.
146 Hobbes, 1967, S. 15 (De Corpore, 2,1; engl.: HEW, Bd. I, S. 15). Vgl. zur Theorie der „Marks“ und „Signs“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht: Isermann, 1991, S. 107ff. 147 Yates, 1990, S. 115f.
A. KOSMOSLEIBER
4. Formtradition und politische Optik a. Kosmosleiber Seine Bestimmung, von der punktuellen Bedeutung der „marks“ zu handlungsfördernden „signs“ zu werden, erreicht der Leviathan dadurch, daß er zwei bereits etablierte Bildmotive aufnimmt und bündelt: einerseits die lange zurückreichende Tradition astraler Kosmosgestalten und irdischer Riesen, andererseits die jüngere Geschichte von Kompositkörpern. Die Tradition von menschlichen Sternenwesen, die sich von der Erde bis zum Himmel erheben, gründet auf mittelalterlichen Bildquellen, wie sie Hildegard von Bingens Vision des Universums geprägt haben, in der sich vor dem Erdrund eine riesige menschliche Gestalt erhebt, die mit ausgebreiteten Armen, hierin an den Himmelsflug des „Poemander“ erinnernd, den Kosmos bis zu den Sternen ausfüllt.148 Derartige Darstellungen blieben nicht auf die Buchmalerei beschränkt,149 und über den Buchdruck wurden Varianten verbreitet, unter denen das Kosmosbild von Gregor Reischs populärer „Margarita Philosophica“ (1508) eine zum Leviathan weisende Linie anführt (Abb. 35). In einer an den Vitruvmenschen erinnernden Pose reicht hier die Gestalt des Riesen Atlas bis an die Schale der Fixsterne, während über dem Kosmos nun nicht der Schöpfergott, sondern die Astronomie residiert.150 Im Jahre 1524 verband der Holzschnitt einer prognostischen Publikation von Johann Virdung von Hassfurt den Haltegestus der Astronomia mit der räumlichen Armillarsphäre (Abb. 36). Sie ist hier in Astraia verwandelt, Sternbild der Jungfrau und Tochter des Sternenerzeugers Astraios, die auf der Sphäre wie auf einem Rhönrad balanciert, um das Firmament mitsamt der im Mittelpunkt stehenden Erde zu tragen.151 Diese Sternengöttin hat jene Schlüsselfigur inspiriert, die Hobbes Staatsimago vorausgeht. Es handelt sich um das Frontispiz von John Case’ „Sphaera Civitatis“ von 1588 (Abb. 37), einer bis weit in das 17. Jahrhundert wirkenden Staatstheorie.152 Das
„Liber divinorum operum simplicis hominis“ aus der Lucceser Biblioteca Governativa, Codex Latinus 1942 (um 1230), Fol. 6r, 28v (Clausberg, 1980, S. 77ff., Farbabb. 8, 9). 149 Die bekannteste und am leichtesten zugängliche Figur war der riesige, 1389–91 von Piero di Puccio geschaffene Schöpfergott des Camposanto von Pisa, der den Sphärenkosmos mit ausgestreckten Armen umgreift. Vermutlich hat dieses Fresko in besonderer Weise geholfen, das Motiv zu verbreiten und auch anderen Inhalten zuzuführen (Clausberg, S. 75ff.). 150 Reisch, 1508, S. rIVv 151 Virdung von Hassfurt, 1524, Frontispiz 152 Case, 1593, Frontispiz. Vgl. Yates, 1975, S. 64. Zu Case: Schmitt, 1983, S. 186–90, Weber, S. 24f. und Tuck, 1993, S. 147ff. Ungeachtet des aristotelischen Gesamttenors dieses Werkes muß Hobbes willkommen gewesen sein, daß die Welt am besten durch einen einzigen Prinzen regiert werden sollte. 148
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
Abb. 35. Astronomia, Holzschnitt aus: Gregor Reisch, Philosophia Margarita, 1508 Abb. 36. Astraia, Holzschnitt eines Prognosticon von Johann Virdung von Hassfurt, 1524
Motiv der hinter den Allkreisen stehenden Astraia ist hier auf Elizabeth I. gemünzt. Über der Erde, auf der die „Iustitia immobilis“ regiert, schalen sich sieben planetarische Sphären des Reichtums, der Redegewandtheit, Fürsorge, Religion, Stärke, Klugheit und, dem Saturn zugeordnet, der königlichen Majestät. Die Mitglieder des „Court of Star Chamber“153 nehmen die Zone der Fixsterne ein, und darüber erhebt sich „Elisabeth, Regierungsherrin von England, Frankreich und Spanien, Verteidigern des Glaubens“ in die Zone des Empyreums. Entsprechend dem Vorbild, dem sogenannten „Armada“-Portrait Elizabeths von George Gower, auf dem das ausladende Kleid der Königin der oberen Hälfte des Sphärenkreises auf dem Frontispiz entspricht,154 bilden die Kreise der Sterne und Herrschertugenden den Leib der Herrscherin als „Kosmos Anthropos“. In dieser Überlagerung von Kosmos und Civitas wird Elizabeth zu einer veritablen Staatsgöttin.155
Howarth, 1997, S. 40ff. Strong, 1987, S. 133 155 Belsey und Belsey, 1990, S. 31. Vgl. Windisch, 1997, S. 134, der weitere Kolossalbilder aufführt (S. 142ff.). 153 154
A. KOSMOSLEIBER
Abb. 37. Königin Elizabeth als Astraea, Frontispiz von John Case, Sphaera Ciuitatis, 1588 Abb. 38. Marcus Gheeraerts d. J., „Ditchley“-Portrait von Elisabeth I., ca. 1592, National Portrait Gallery, London
Im Kreis dieser elisabethanischen Bildpanegyrik, die Königin Elizabeth I. nach dem Sieg über die spanische Armada in überirdische Sphären erhob, entstand auch das Motiv der über der Erde aufragenden Riesengestalt. Das Marcus Gheeraerts d. J. zugeschriebene „Ditchley“-Portrait von Elizabeth I. (1592) zeigt die Königin, die nicht etwa auf einer Landkarte Englands steht,156 sondern, wie die Rundung ihrer Standfläche zeigt, den Globus der Erde als Standfläche nutzt (Abb. 38). Keinem der Nachfolger, weder James I. noch Charles I. sind vergleichbare erratische Bildformeln gewidmet worden, und auch die kontinentale politische Ikonographie hob Herrscher und Staatsrepräsentanten nur unter der Voraussetzung in den Himmel, daß sie von der Götterwelt assimiliert und in dieser auf olympischem Niveau eingebunden wurden. Allein Elizabeth tritt als autochtone Staatsgöttin und als autonome Riesin Britanniens auf. Die unmittelbaren Vorbilder für den zum Himmel ragenden Leviathan sind daher nicht in der zeitgenössischen politischen Ikonographie zu finden, sondern in der elisabethanischen Bildpanegyrik, in der die Königin zur Sternengöttin und Staatsriesin aufsteigt.
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
b. Kompositkörper Neben der Größe ist der Kompositcharakter das zweite, bestimmende Merkmal des Leviathan (Abb. 39). Er wird durch eine schier unübersehbar große Menge von Personen gebildet, die von den Händen bis zum Hals so dicht beieinanderstehen, daß sie eine konsistente Körpermasse erzeugen. Die Gestalten gruppieren sich, als wären sie einzelne Zellen oder auch Elemente eines Schuppenpanzers. Sie sind allerdings nicht mit- und untereinander verschränkt, sondern wenden sich, dem Betrachter die Seite oder den Rücken zukehrend, Kopf des Leviathan, der als einziger Körperteil allein er selbst ist. Auch dieses Motiv geht auf die Zeit um 1600 zurück. In der Tradition von religiösen Propagandabildern, die den Kopf des Gegners als monströse Mischkreatur charakterisierten157, hat John Dee, der englische Mathematiker, Okkultist und auch Politiker das Titelblatt seiner 1599 publizierten Schrift „Letter, Containing a most briefe Discourse Apologeticall“ (Abb. 40) mit einer Kompositgestalt seiner Kritiker versehen, bei der auf einem Körper eine Reihe von amorphen zusammengeballte Köpfen sitzen.158 Ein ähnliches Bild wurde auch von der zeitgenössischen exegetischen Literatur vorgetragen. So wurde der alttestamentliche Leviathan in einer Bibel-Annotation der Westminster Assembly von 1645 als „not a single creature, but a coupling of divers together“ imaginiert.159 Diese Vorstellung lehnte sich aber an dämonische Mischwesen an, und an keiner Stelle war daran gedacht, daß die Teile des Leviathan aus den Einzelelementen zahlloser Menschen gebildet sein könnten. Noch in seiner Rechtfertigungsschrift „Eikon Basilike“, die am Tag seiner Hinrichtung Ende Januar 1649 herauskam, hat der englische König Charles I. seine republikanischen Gegner als vielköpfige Hydra charakterisiert, die weiszumachen suche, daß es gut sei, daß sie viele Augen habe, die der Bevölkerung aber sehr bald klarmachen würde, daß sie auch viele Mäuler aufweise.160 All diese Beispiele
So zeigt ein nach 1517 gefertigtes Flugblatt Martin Luther als ein Monstrum, aus dessen Hals sieben Köpfe herauswachsen: Martinus Lutherus Septiceps (Arcimboldo Effect, 1987, S. 38). 158 Vgl. dagegen Brown (1978, Abb. 3, S. 32), der das Titelblatt als Anregungsquelle anführt (vgl. auch Yates, 1979, S. 89f ). 159 Zit. nach: Steadman, 1967, S. 575 160 „(…) the many-headed Hydra of government; which as it makes a show to the people to have more eyes to foresee, so they will find it hath more mouths, too, which must be satisfied“. Die Monarchie dagegen habe zwar, als ihre Sinne, viele Ratgeber, aber „die höchste Macht kann nur in einem liegen, dem Kopf“: „and, at best, it hath rather a monstrosity than anything of perfection beyond that of right monarchy, where counsel may be in many, as the senses, but the supreme power can be but in one, as the head“ (Eikon, 1966, S. 49). 157
B. KOMPOSITKÖRPER
Abb. 39. Körper des Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 2
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
zeigen Kompositbilder, die mit ihren Mischformen eine bildliche Denunziation verbinden. Sie weisen nicht auf Hobbes Leviathan, belegen aber die Popularität der Kompositbilder, auf deren Tradition sich dieser bezieht. Näher kommt ihm ein anonymes, der Schule Giuseppe Arcimboldos entstammendes „Trojanische Pferd“ aus Privatbesitz in Lucca (Abb. 41)161 , das angesichts der den Hohlraum ausfüllenden Soldaten die Illusion erzeugt, daß dieses Pferd aus Menschenzellen besteht. Eine gespenstische Fassung der Bildung des Körper aus zahllosen Menschen bietet schließlich das Portrait des Herodes (Abb. 42)162. Wie ein juristischer Röntgenapparat blickt das Auge durch die Haut des Herrschers auf die Körper der getöteten Kinder. Der Kontrast zwischen dem kostbaren, mit Schmuck durchsetzten Gewand und den zahllosen Kindern, denen dieser Körper das Grab ist, machen das Gemälde zu einer besonders eindrucksvollen Darstellung der Blutherrschaft. Arcimboldo hat jedoch auch Kompositbilder geschaffen, die keine Dämonisierung des Dargestellten intendieren, sondern eine Hervorhebung der Charakteristika seines Tuns, wie es das aus den Früchten der Erde gebildete Herbstportrait von Rudolf II. als bekanntestes Beispiel vorführt (Abb. 43).163 Das vom Kaiser sehnlichst erwartete Bild wurde von einem Gedicht des Freundes von Arcimboldo, Gregorio Comanini, begleitet. Es beginnt mit einer allegorischen Gleichsetzung von Rudolf II. und Jupiter, der aus dem Chaos der Elemente und Zustände die Ordnung der Welt und des Kosmos geschaffen habe, um nach einer Bestimmung der einzelnen Früchte des Gesichtes zum Schluß zu kommen, daß dieses Fruchtbild die verhüllten Züge des Kaisers trage: „Ich bin so [beschaffen], daß ich äußerlich ein Monstrum scheine, / innen aber reine Züge [trage] / und das königliche Bild verberge“164 . Die Anrufung des Herbstes, der die Elemente in sich versammelt und regiert, der die Jahreszeiten und deren Früchte in sich aufnimmt und umwälzt und der die Welt wie die Zeit des Kosmos als Einheit des Mannigfachen beherrscht, macht aus Arcimboldos Gemälde eine Art königliches Wunschbild der Natur.
161 Es ist Arcimboldo zugeschrieben worden, kann aber auch in seinem Umkreis entstanden sein. 162 Von diesem Gemälde existieren eine Reihe von Varianten, so in der Sammlung Cardazzo in Venedig (Geiger, 1954, S. 75) wie auch im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (Arcimboldo Effect, 1987, S. 187). Das greisenhaft dünnhäutige Gesicht weist stilistisch eher in die Zeit Rembrandts als in die Arcimboldos; daher scheint eine Datierung in die Mitte des 17. Jahrhhunderts eher zu passen als an dessen Beginn. 163 Da Costa Kaufmann, 1976. Vgl. Brandt, 1982, S. 204, Anm. 5. 164 „Son, che fuor sembro un mostro, / E dentro alme sembianze, / E regia imago nascondo“ (zit. nach: Geiger, 1954, S. 76; vgl. Geiger, 1960, S. 88. Das gesamte Gedicht auch in: Arcimboldo Effect, 1987, S. 185–189).
B. KOMPOSITKÖRPER
Abb. 40. Mischfigur der Kritiker von John Dee, Frontispiz von: John Dee, Letter, Containing a most briefe Discourse Apologeticall, 1599 Abb. 41. Giuseppe Arcimboldo (Umkreis), Das trojanische Pferd, Anfang 17. Jh., Privatbesitz, Lucca
Auch dieses weist nicht direkt auf den Leviathan, entwickelt aber ein verwandtes Prinzip. In seinem Kompositcharakter ist das Bild mehr als die Summe seiner Teile, insofern es mit Hilfe der vereinten Herbstfrüchte das Lebens- und Wirkprinzip repräsentiert, denen diese ihre Existenz verdanken. Von allen herkömmlichen Kompositbildern, und so auch von Arcimboldos Herbstbild, unterscheidet sich der Leviathan aber dadurch, daß er dem ungeteilten Kopf die Vielheit des Körpers konfrontiert. Die Quelle dieser Wendung gründet in der anthropomorphen Staatstheorie des 12. Jahrhhunderts, die in der kanonischen Formulierung des John of Salisbury den Kopf dem Herrscher zugordnet, das Herz dem Senat, die Augen, Ohren und Zunge den Juristen und Gouverneuren der Provinzen, die Hände den Beamte und Soldaten, den Bauch den Finanzbeamten und schließlich die Füße den „husbandmen“, die in besonderem Maß auf die Führung durch den Kopf angewiesen sind.165 Die ungebrochene Tradition dieses organi-
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Fitting, 1965, S. 148; Barkan, 1977, S. 72
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
Abb. 42. Herodes, Gemälde, Mitte 17. Jahrhundert, Tiroler Landesmuseum, Ferdinandeum, Innsbruck Abb. 43. Giuseppe Arcimboldo, Rudolf II. als Herbst, Gemälde, Skokloster
schen Verständnisses vom Staatskörper mündete im elisabethanischen England in die Formel, daß der Souverän neben seinem natürlichen, individuellen, anfälligen und sterblichen auch einen „politischen Körper“ habe, „dessen Glieder seine Untertanen sind, und er zusammen mit seinen Untertanen bildet eine Korporation, (…) und er ist mit ihnen inkorporiert wie sie mit ihm, und er ist das Haupt und sie sind die Glieder, und er hat die Alleinregierung über sie“166 .
166 Plowden, 1816, S. 233a; zit. nach: Kantorowicz, 1990, S. 37. Frühere Beispiele sind reihenweise überliefert. So ging Sir John Fortescue davon aus, daß, „wie der Körper durch die Nerven zusammengehalten wird, das corpus mysticum durch Gesetze zusammengesetzt und zu einem (Körper) verbunden wird“ (zit. nach Barkan, 1977, S. 75), und Thomas Starkey’s zur Zeit Heinrichs VIII. geschriebener „Dialogue between Pole and Lupset“ forderte drakonische Strafen für alle Personen, die „openly dispise this order, unity, and condord whereby the parts of this body are, as it were, with sinews and nerves knit togidder“ (Starkey, 1948, S. 146; vgl. Barkan, 1977, S. 78f ). Vgl. auch z. B. das Dekret Heinrichs VIII. von 1542, in dem er sich selbst als den Kopf und die Parlamentsmitglieder als den Körper des Parlamentes erklärte, „joined and knit together in one body politic“ (zit. nach Barkan, 1977, S. 76). Vgl. allgemein Dohrn-van Rossum, 1978 und Peil, 1983, S. 319–356.
B. KOMPOSITKÖRPER
So stark Hobbes Staatsbegriff in diesen Konzepten eines anthropomorph aufgefaßten Kompositkörpers wurzeln, so deutlich setzt er sich von ihren additiven Zügen ab. Seine organologische Fassung der Staatshierarchie thematisiert vielmehr jenen qualitativen Sprung, der sich durch die Vereinigung der Einzelglieder im „sterblichen Gott“ ereignet: „Und wie die Macht, so sollte auch die Ehre des Souveräns größer sein als die jedes Subjekts oder aller Subjekte“167 . Nach dem Muster der Differenzierung des Körpers Christi in das „corpus Christi mysticum“ als Gemeinschaft der Gläubigen und in den „caput Christi“ als den aus ihr herausgehobenen Kopf 168 bildet sich der Kopf des Souveräns als ein Surplus der Summe der Teile. Aus diesem Grund ist der Kopf des Leviathan unverstellt herausgehoben, während sein Leib restlos aus den einzelnen Personen gebildet wird. Er ist mehr als die Summe seiner Körperzellen.169 Mögliche Vorbilder für diesen vom Kompositkörper unterschiedenen Kopf liegen im Motiv des mittelalterlichen Mantelschutzes. Kinder konnten adoptiert und legitimitiert und Verfolgte beschützt werden, indem Erwachsene oder hochgestellte Personen diese unter den Mantel nahmen. Diese Rechtsgeste entstand im Einklang mit der religiösen Ikonographie der Schutzmantelmadonna, bei der sich die Menschen, winzig klein geworden, vom Boden bis zu ihren Achseln auftürmen und von ihrem gnadenbringenden Mantel getreu dem corpus mysticum des 2. Korintherbriefes umfangen werden: „Wir sehnen uns nach unserer Behausung, die vom Himmel ist, daß uns verlangt, daß wir damit überkleidet werden“170 . In der Staatstheorie wurde die Mantelumhüllung als königliche Umkleidung gedeutet; so formulierte ein französischer Fürstenspiegel von um 1330, „daß das französische Königtum, das alle anderen ‚royaumes‘ umkleidet, angefüllt ist mit der Weisheit und Wissenschaft von edlen Adligen“ (Abb. 44)171 . Wie stark die Bildtraditon dieses politisierten Schutzmantelmotives wirkte, bezeugt ein englisches Flugblatt aus
167 „And as the Power, so also the Honour of the Souveraign, ought to be greater, than that of any, or all the Subjects“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVIII, S. 128). 168 Hofmann, 1990, S. 122; Hofmann, 1993, S. 25f. Vgl. auch Barkan, 1977, S. 67ff. und 87f. Zur Nutzung des Body politic-Konzeptes auch bei den Vertretern der Republik: Skinner, 1998, S. 24–36, 53–57. 169 „For it is the unity of the representer, not the unity of the represented, that maketh the person one“. And it is the Representer that beareth the Person, and but one Person: and Unity, cannot otherwise be understood in Multitude“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVI, S. 114). 170 2. Kor., 5,2; vgl. Kunst um 1400, S. 5, 13f., Abb. 15 und weitere Beispiele bei Windisch, 1997, S. 147. Zum Muster des Marienmantels: Lentes, S. 135ff., mit Abb. 171 „La quatre raison est ceste & est especial ou royaume de france quar portant que le royaume de france dessus touz autres royaumes est plains et (…) de sapience et de science de noble chevalier de meurs vertues & plaisenz“ (Avis au roys, New York, Pierp. Morgan Library, M. 456, Fol. 6r); vgl. Camille, 1994, S. 397 u. Abb. 8, Sherman, 1995, S. 99, Abb. 25).
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Abb. 44. Schutzmantelfürst, Avis au roys, New York, Pierp. Morgan Library
der Zeit des Bürgerkrieges, also unmittelbar vor der Erfindung des Leviathan (Abb. 45). Es zeigt zwei aus dem Himmel reichende Hände, die einen Umhang aufziehen, unter dem die monströse Gestalt der Königsgewalt in einem Kopf endet, der seinerseits aus drei Trauben nach außen blickender Köpfe besteht: Zeichen des Papismus, des Separatismus und des Konspiratismus.172 Im Gegensatz zu diesem Ungeheuer eint der Leviathan die Körperwesen, richtet sie zum Kopf hin aus, schließt den Mantel und ersetzt ihn durch die Haut. Da der Kopf freigestellt bleibt, wird die multitude der Einzelglieder in die überschüssige unity eines „sterblichen Gottes“ zusammengefügt. Der Wechsel zwischen den auf den Kopf ausgerichteten Leibkörpern und dem auf den Betrachter blickenden, unverstellten Kopf macht aus dem Leviathan, indem er verschiedene Muster dieses Bildtypus verbindet, ein Kompositbild der Kompositbilder.
172 Catalogue, 1870, S. 268, Nr.375; vgl. hierzu Brodsley, 1972, S. 404 und Reitinger, 1987, Gemeinwesen, S. 18 sowie ders., 1987, Kunstgeschichte, Abb. 3
B. POLYOPTRIK
Abb. 45. Das durch den Himmel enthüllte Monster des Königtums, englisches Flugblatt, 1640er Jahre
c. Polyoptrik Hobbes Leviathan könnte als Gebilde, das eine Menge in eine höhere Einheit überführt, als eine künstlich erzeugte Metaphysik gelten. Aber auch hier hat sich Hobbes auf physische Erfahrungen bezogen. Sie liegen auf dem Gebiet der Optik, und diese bietet die dichteste nur mögliche Annäherung an den Leviathan. In seinem vermutlich 1646, vier Jahre vor dem „Leviathan“ verfaßten „Minute or First Draught of the Optiques“ spricht Hobbes vom Auge als dem „vornehmsten der Sinne“173 . In einem ausgegrenzten Feld der ersten Seite des Textes „Of ye Organe of Sight“ befindet sich eine vorzügliche Federzeichnung mit brauner Tinte, deren obere Hälfte einen Schnitt durch das Auge zeigt, dessen Anatomie kaum hinter dem heutigen Wissenstand zurückbleibt.174 Er brachte in diesen Jahren in Paris,
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„(…) speculation of the noblest of ye senses, Vision“ (Thomas Hobbes, A Minute or first Draught of the Optiques, British Library, Harley MS. 3360, Einleitung, S. 2v). 174 Hobbes hat in diesen Jahren mit William Petty und zuvor wahrscheinlich mit Harvey seziert und Vesalius studiert (Malcolm, 1988, S. 47). Der Augapfel ist auf die Zeichnung aufgeklebt und daher teilweise abzuheben, und seine Stränge laufen am Ende in das Gehirn. Im unteren Feld ist dieses nicht als Schnitt, sondern als Aufsicht dargestellt, und das räumliche und fast haptisch spürbare Element seiner Masse ist dadurch betont, daß es links über den Rand zu quellen scheint.
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dem damaligen Zentrum optischer Experimente, zudem eine größere Zahl von optischen Instrumenten zusammen. Im Jahre 1648 erwarb er eine umfangreiche Sammlung mit verschiedenen Mikroskopen sowie allein zwei Fernrohren von Evangelista Toricelli sowie vier Exemplaren von Eustachio Divino. Gemessen an dem hohen Preis, den er im Jahre 1659 beim Verkauf seiner Perspektivgläser an den Earl of Devonshire erzielte, muß seine Sammlung besonders umfangreich und kostbar gewesen sein175 . Hobbes Forschungen mit diesen Instrumenten sind in seine folgenden Texte über Optik eingeflossen, aber nicht weniger bedeutsam sind Äußerungen, in denen sich der philosophische Horizont seiner optischen Interessen abzeichnet. Unter ihnen sticht jene literaturtheoretische Antwort an den befreundeten Dichter Sir William Davenant hervor, in der Hobbes auch die Funktionsweise der Phantasie zu erläutern suchte. Davenant war unter Charles I. zum poeta laureatus ernannt worden. Seine Nähe zum Hof der Stuarts hatte ihm nach dem Sieg Cromwells mehrere Jahre im Tower eingebracht, und hier verfaßte er sein monumentales Versepos „Gondibert“. Die Handlung ist kaum erzählenswert, weil sie nach 6000 Verszeilen im dritten Buch abbricht, ohne daß der Dichter über die Ausgangslage hinausgekommen wäre. Als es 1651 publiziert wurde, stieß das Riesenopus auf starke Ablehnung, in der die politische Abrechnung mit einem Royalisten mitgeschwungen haben mag. Trotz seiner monströsen Anlage kommt das Versepos dem kristallin klaren Denken von Hobbes erstaunlich nahe. Es wendet sich gegen die bisherige Dichtung mit dem Argument, daß diese vor allem auf das Übernatürliche gerichtet worden sei, so daß der Mensch mit seinen Schwächen und Möglichkeiten niemals das Zentrum hätte besetzen können; der „Gondibert“ versuche, diese Lücke aufzufüllen. Diese Zielrichtung, innerweltliche Konflikte darzustellen und diese auch als innerweltlich lösbar auszuweisen, mußte Hobbes hochwillkommen sein, und ihm wird geschmeichelt haben, daß Devanant ihm das Werk gewidmet hatte. In seiner Antwort hat er keinen Zweifel am Rang des Werkes gelassen. Seine Überzeugung, daß die menschliche Gemeinschaft die Möglichkeit hat, sich entweder unter einer autoritativen Macht zu einem Willen zu verbinden, oder aber in Fraktionen zu zerfallen und im Bürgerkrieg zu enden, sieht er in Devanants Epos thematisiert: „Als ich bedachte, daß auch die Aktionen der Menschen, die zunächst belanglos sind, nach vielen Krisen schließlich entweder in eine große Schutzmacht oder zwei zerstörerische Faktionen anwachsen, konnte ich nicht anders als die Struktur Eures
Beide Felder bilden daher, obwohl sie ineinander übergehen, einen je eigenen analytischen Rahmen. Dieses Prinzip des dreifachen Wechsels der Ansicht vermag zu verdeutlichen, mit welcher Finesse die Blickwechsel simuliert wurden. 175 Malcolm, 1988, S. 47f.
C. POLYOPTRIK
Gedichtes gutheißen, von dem nichts anderes gefordert werden sollte als eine Nachbildung menschlichen Lebens“176 . Hobbes muß Davenants Werk als das poetische Gegenstück zu seinem „Leviathan“ empfunden haben, und es wird mehr als nur ein Zufall gewesen sein, daß beide im selben Jahr erschienen. Von besonderer Bedeutung aber ist die Politisierung jener Sehgeräte, mit denen Hobbes und seine Zeitgenossen in jener Zeit so intensiv experimentierten. Einen ersten Hinweis auf das politische Verständnis der bewaffneten Blicke bietet Davenants Kritik des Neides. „Bisweilen“, so führt Davenant in Bezug auf die Untertanen aus, „betrachten sie diese Staatsmänner mit dem Auge des Neides (welches Objekte wie ein Fernrohr vergößert), und halten sie für so riesig wie Wale, die Bewegung ihrer großen Körper kann in friedlicher Ruhe den Ozean aufwühlen bis er kocht“177 . Wenn die Mißgunst die Wahrnehmung verändert, werden Davenant zufolge kleine Fische wie Wale, die das Meer aufkochen lassen, und der Neid macht den Herrscher zu einem riesengroßen Gegner, als würde dieser nicht mit den Augen selbst, sondern durch ein Fernrohr betrachtet. Wie stark Hobbes von dieser politischen Metaphorik optischer Instrumente angesprochen wurde, geht aus einer Stelle des „Leviathan“ hervor, in der Hobbes die Beschränktheit jener Menschen angreift, die der Zentralgewalt die nötigen Mittel in Friedenszeiten verweigern, mit denen allein sie im Kriegsfall verteidigt werden können. Er spielt hier auf die Kampagne gegen die Schiffssteuer von 1635 an, die als der Auslöser des Bürgerkrieges angesehen wurde.178 Umso bedeutsamer ist, daß er gerade auf dieses Ereignis die Metaphorik optischer Geräte anwendet, indem er den Trieb des Eigennutzes mit einem Fernrohr vergleicht: „Alle Menschen sind von Natur aus mit bemerkenswerten Vergrößerungsgläsern ausgestattet (nämlich ihren Leidenschaften und ihrer Eigenliebe, durch welche jede kleine Zahlung als großes Übel erscheint)“179 . Dieser Mechanismus einer interessensgeleiteten
176 „But when I considered that also the actions of men, which singly are inconsiderable, after many conjunctures, grow at least either into one great protecting power, or into two destroying factions, I could not but approve the structure of your Poeme, which ought to be no other then such an imitation of humane life requireth“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 50, Z. 200–205). Vgl. Windisch, 1994, S. 72. 177 „Yet Sometimes with the Eye of Envy (which inlarges objects like a multiplying-glasse) they behold these Statesmen, and think them immense as Whales; the motion of whose vast bodys can in a peaceful calme trouble the Ocean till it boyle“ (Davenant, 1971, S. 35, Z. 1237 bis 1240). Vgl. Windisch, 1994, S. 74. Zur vielfältigen Ikonographie des Fernrohres: Mann, 1992, S. 138ff. 178 Skinner, 1998, S. 69 179 „For all men are by nature provided of notable multiplying glasses, (that is their Passions and Self-love,) through which, every little payment appeareth a great grievance“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVIII, S. 129). Vgl. Windisch, 1997, S. 139
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Verzerrung der Wahrnehmung gilt für Hobbes auch bereits dem Sehvorgang selbst. Er war seit den vierziger Jahren davon überzeugt, daß, obzwar das Sehen durch Auge und Gehirn geschieht, das schließlich erfaßte und konstruierte Bild aber durch die Bewegungen des Herzens, also die Leidenschaften gesteuert wird.180 Die Leiden schaft, der innere Motor des Menschen, vergrößert alles und wirkt wie ein Fernrohr. Die Allegorisierung des Fernrohres war keine Erfindung von Hobbes. Er wird die 1635 erstmals erschienene Emblemsammlung des royalistischen Dichters Francis Quarles gekannt haben, die zu den bekanntesten Büchern des 17. Jahr hunderts zählte.181 Eines der Embleme, gefertigt vom Kupferstecher John Payne, zeigt eine sitzende, nackte Frau als Inkarnation des „Fleisches“, die sich am Lichtund Farbenspiel eines Prismenglases erfreut, während ihr bekleidetes Gegenüber, der „Geist“, ein Fernrohr auf den von Flammen hinterfangenen, skelettierten Tod richtet (Abb. 46).182 Der erläuternde Dialog endet damit, daß das „Fleisch“ vom Prismenglas ablassen solle, weil dieses Erscheinungen hervorzaubere, die real nicht vorhanden seien, während das Teleskop des „Geistes“ keine Trugbilder, sondern wirkliche Erscheinungen näher bringe.183 Während diese religiös motivierte Preisung des Fernrohres fortwirkte, um in John Bunyan’s „Pilgrim’s Progress“ einen Höhepunkt zu finden,184 verwandelte Hobbes das Lob des Erkenntnismittels in eine Verurteilung seiner Verzerrungen. Seine Kritik des allegorischen Teleskopes hat einen Vorläufer in Diego de Saavedra Fajardos vielgelesenen „Idea de un Príncipe Político-Cristiano“, die das Fernrohr als Gleichnis für affektbesetzte Unterschiede der Wahrnehmungen angeführt hatte: „vnd richtet sich alles nach den zuneigungen / vnd sehen alles durch ein Perspectif, auf die eine seiten kommet jhnen das kleine groß / vnd auf der anderen seiten / das große klein vor. (…) also werden wir betrogen / wan wir durch das Perspectiff darhin wo vnsere zuneigungen sich biegen / sehen wollen“.185 Gegen die im Fernrohr allgorisierten Leidenschaften wendet Hobbes jedoch nicht den unbewaffneten Blick, sondern ein zweites optisches Instrument. Den Menschen, die sich den langfristig erforderlichen Steuern widersetzen, so führt er sein Beispiel des verderblichen Eigennutzes fort, „fehlen jene Perspektivgläser [pros
180 Hobbes, 1963, IV, 19, S. 210. Vgl. Prins, 1996, S. 143f. Hobbes stand auch mit dieser Auffassung keineswegs allein; vgl. Meyer-Kalkus, 1986, S. 69f. 181 Höltgen, 1986, S. 31ff. 182 Quarles, 1635; Book 3, Emblem XIV, S. 176. Vgl. Quarles, 1658, S. 180. Zum Vorbild: Konezcný, 1974, S. 371; zum gesamten Komplex: Silverman, 1993, S. 97–99. 183 Quarles, 1658, S. 182 184 Bunyan, 1907, S. 145; vgl. Silverman, 1993, S. 98f. Zur Preisung des Teleskopes allge mein: Mann, 1992, S. 138ff. 185 Saavedra Faxardo, Symbolum VII, S. 42f.; vgl. Fajardo, 1655, S. 55f.
C. POLYOPTRIK
Abb. 46. Fleisch des Prismenglases und Geist des Fernrohres, aus: Francis Quarles, Emblemes, 1658 (1635)
pective glasses] (nämlich die Wissenschaft von der Moral und dem bürgerlichen Zusammenleben), um von ferne die Übel zu sehen, die über ihnen schweben, und die ohne derartige Zahlungen nicht abgewendet werden können“186 . Mit dem Perspektivglas spricht Hobbes eine der jüngeren optischen Erfindungen an. In dem 1638 publizierten Handbuch aller optischen Verfremdungen und Anamorphosen, „La Perspective Curieuse“ des Pariser Spezialisten für Perspektive und optische Geräte, Jean-François Niçeron, nimmt die Technik und Praxis des Perspektivglases einen besonderen Rang ein. Eine der Abbildungen zeigt das Sehrohr, das an der Linie AC einen Blick in das Innere bietet, wo die kompliziert geschliffene, polyoptrische Linse sitzt (Abb. 47)187 . Die Anordnung des Experimentes
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„(…) but are destitute of those prospective glasses, (namley Morall and Civill Science,) to see farre off the miseries that hang over them, and cannot without such payments be avoyded“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVIII, S. 129). 187 Niçeron, 1638, Tafeln 48. Vgl. Windisch, 1997, S. 129ff., dem das Verdienst zu-kommt, als Erster den Zusammenhang zwischen optischer und politischer Wissenschaft syste-matisch untersucht und damit ein neue Sicht auf Hobbes etabliert zu haben. Malcolms vorzüglicher, etwa gleichzeitig mit meinem Anfang 1999 erschienenen Buch ausgelieferter Artikel entspricht teils punktgenau den Ergebnissen meiner Forschungen, die ich im Sommer 1997 in London
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Abb. 47. Beschaffenheit und Anordnung des Perspektivglases, aus: Jean-François Niçeron, La Perspective Curieuse, 1638
zeigt im unteren Bildstreifen das an einem Stock befestigte Sehrohr, das ein zweites mal auf einem zweibeinigen Stativ fixiert ist. Die rechts aufgespannte Tafel zeigt scheinbar beliebig über die Fläche verstreute Bilder. Die Demonstrationsabbildung (Abb. 48)188 aber fügt diesem Ensemble teils geschwungene, teils gradlinige rhombische oder auch trapezähnliche Flächen ein. Wird der Blick durch das Perspektivglas von einem bestimmten Punkt aus auf das Gesamtbild von zwölf ottomanischen
zur Metaphorik dieser Perspektivgeräte angestellt habe. Er bietet aber einen weiteren Horizont der Perspektivforschung des siebzehnten Jahrhunderts, als mir dies möglich war (Malcolm, 1998, S. 133ff.); ihm selbst aber sind die Arbeiten von Windisch entgangen (1994, 1997 und 1998). 188 Niçeron, 1638, Tafel 49
C. POLYOPTRIK
Abb. 48. Perspektivglas und Perspektivbild, aus: Jean-François Niçeron, La Perspective Curieuse, 1638
Sultanen geworfen, so fügen sich die Ausschnitte zum Bild von Louis XIII. zusammen. Im unteren Register sind die Teilsegmente gezeigt, aus denen sich das neue, jugendliche Gesicht bildet. Hobbes nutzt diesen Mechanismus eines aus Bildsplittern sich ergebenden neuen Bildes als Gleichnis höherer Erkenntnis. Wie sich der Sehsinn in einem Prozeß des trial and error und durch Reflexionsinstrumente selbst korrigieren kann189, so vermag das Perspektivglas die durch Leidenschaft verzerrte Wahrnehmung auf eine neue Ebene zu heben. Das Unheil, das sich durch den Eigennutz der Bürger über dem Gemeinwesen zusammenbraut, ist nicht durch das Fernglas der Passio-
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Hobbes, Elements of Law, I, II, 10 (ed. 1994, S. 26)
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
nen, sondern mit Hilfe des Perspektivglases zu erkennen, das aus den zersplitterten Phänomenen die Substanz herausfiltert. Während das Fernrohr in den Bürgerkrieg treibt, ist das Wirken des Perspektivglases der Schlüssel für die politische Weisheit und die innere und äußere Sicherheit. Es rückt in das Arsenal jener zeitgenössischen Lehre, die in der Affektbeherrschung einen Kampf des Menschen gegen die zerstörerischen Begierden seiner selbst erkennt.190 Im Perspektivglas sieht Hobbes jenes visuelle Mittel, das sich tief in das Gedächtnis des Menschen einzuprägen und dort zu wirken vermag. Da alle visuellen Bilder, weil sie von den Gefühlen der Menschen beeinflußt werden, konstruiert sind und daher überprüft werden müssen, und weil das Perspektivglas ein solches Korrekturmittel bildet, kann Hobbes den Umschlag in eine neu konstruierte Wirklichkeit mit diesem Instrument verbinden.191 Dieses Wechselspiel führt zum Kern des Leviathan. Da das polyoptrische Bildnis den jungen Louis XIII. zeigt, dessen Portrait aus dem Kreis von Familienmitgliedern und ottomanischen Sultanen erzeugt ist, wird der Perspektivsprung zu einer Vergewisserung der dynastischen Sukzession. Für den Eingeweihten ist zu erkennen, wie Louis XIII. in einem zunächst verborgenen Bild zur souveränen Größe gebracht wird. Das Prinzip des Kompositionsbildes, auf dem der Leviathan beruht, ist hier das Ergebnis eines optischen Experimentes. Das Perspektivglas stiftet aus der Zersplitterung eine höhere Einheit: hierin ruht die Begeisterung, die Hobbes für dieses Instrument hegte, und hierin liegt auch der Grund, warum er es im „Leviathan“ dem Fernrohr entgegenstellt: wie dieses die Leidenschaften vergrößert, so vermag das Perspektivglas jenseits der Leidenschaften die höhere Einheit zu erkennen und politische Weisheit zu entwickeln. Das höchste Lob, das Hobbes Davenant zollen kann, liegt folgerichtig darin, daß die erzählerische Technik des „Gondibert“ dem Vorgang des Sehens durch ein Perspektivglas entspricht. Insofern das Riesenepos für Hobbes die zwei Alternativen, den Zerfall in den Bürgerkrieg oder die Bindung unter einer Souveränität, auf exemplarische Weise heraustreibt, wirkt es wie ein Blick durch das Perspektivglas: „Ich glaube, Sir, Ihr habt eine sonderbare Art der Perspektive gesehen, wo derjenige, der durch ein kurzes Hohlrohr auf ein Bild sieht, das verschiedene Figuren enthält, keine von denen, die gemalt sind, erblickt, sondern eine gewisse Person, die aus ihren Teilen geschaffen ist und dem Auge durch den kunstfertigen Schliff eines Glases übermittelt wurde“192. Im „Gondibert“ sieht Hobbes jenes anamorphoti-
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Meyer-Kalkus, 1986, S. 45ff., 62f. Windisch, 1997, S. 140 192 „I beleeve (Sir) you have seene a curious kind of perspective, where, he that lookes through a short hollow pipe, upon a picture conteyning diverse figures, sees none of those that are there paynted, but some one person made up of their partes, conveighed to the eye by the 191
D. LITERARISCHE QUELLEN
sche Prinzip des Perspektivglases so überzeugend verwirklicht, daß er in der Schlußeloge den Dichterfreund selbst zu einem polyoptrischen Bildnis des Perspektivglases erhebt: „Ich finde in meiner Einbildung einen Effekt, der Eurem Gedicht nicht unähnlich ist. Die Tugenden, die Ihr dort unter so vielen edlen Personen verteilt, repäsentieren meiner Phantasie (beim Lesen) die Tugend allein von einem Mann in einem Bild, das Euer eigenes ist, und das so tief eingeprägt ist, daß es dort für immer bleiben soll und den gesamten Restbestand meiner Gedanken und Gefühle regieren soll [so daß ich Euch mit meiner äußersten Kraft ehre und Euch diene]“193. Diese aus dem Blick des Perspektivglases gewonnene Bezeugung einer tiefen Wertschätzung ist mehr als nur ein Freundschaftsbeweis. Vielmehr spielt Hobbes hier bereits jenen Effekt durch, den er für den „Leviathan“ erhoffte und der ihm als Modell der Erzeugung von Souveränität überhaupt galt.
d) Literarische Quellen Das letzte Glied der Beweiskette, daß der Leviathan für Hobbes das Produkt eines Perspektivglases ist, führt erneut über ein Werk der Dichtung. Im Jahre 1647 widmete der englische Royalist Richard Fanshawe seine Übersetzung von Giovanni Battista Guarinis „Il Pastor fido“ Prinz Charles II., und die zweite Auflage von 1648 enthielt die Steigerung: „To the most Illustriuous and hopefull Prince Charles, Prince of Wales“194. Wie erwähnt, unterrichtete Hobbes den Prinzen zu dieser Zeit, unterbrochen nur durch eine mehrmonatige Krankheit, in Mathematik,195 und schon aus diesem Grund wird er wahrgenommen haben, was diesem zugeeignet war. Hobbes muß Fanshawe auch aus dem Grund gekannt haben, daß dieser dem Prinzen nach 1644 als Sekretär gedient hatte196.
artificiall cutting of a glasse“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 55, Z. 380–384). Vgl. Hughes, 1978, S. 293; Windisch, 1994, S. 69 und ders., 1997, S. 129; Malcolm, 1998, S. 125). 193 „I find in my imagination an effect not unlike it from your Poeme. The vertues you distribute there amongst so many noble Persons, represent (in the reading) the image but of one mans vertue to my fancy, which is your owne; and that so deeply imprinted, as to stay for ever there, and governe all the rest of my thoughts, and affections, in the way of honoring and serving you, to the utmost of my power“ (Hobbes, 1971, Answer to the Preface, S. 55, Z. 381 bis 385). Vgl. Windisch, 1994, S. 72 194 Guarini, 1647, S. A3r. Das Titelblatt der zweiten Auflage ist verschieden eingedruckt; zur Editionsgeschichte: Whitfield, 1964, S. 68–71. Vgl. auch Fallon, 1993 195 Skinner, 1996, S. 331f. 196 Loftis, 1979, S. 96, 112
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
Fanshawes Schrift wird Charles II. ebenso wie Hobbes beeindruckt haben, denn sie wendet sich als ein Kommentar zum englischen Bürgerkrieg mit der Hoffnung an den Prinzen, daß dieser die Schrecken überwinden und den Staat retten würde. Fanshawe hat seiner Übersetzung eine Auswahl antiker Texte zum Bürgerkrieg unter Hinweisen auf deren aktuelle Bedeutung für Prinz Charles beigefügt197, weil er Guarinis Stück als Gleichnis für das Desaster eines zu Grunde gehenden Staates ansah, der im letzten Moment durch eine glückliche Fügung gerettet wurde. Die Hoffnung auf eine solche Rettung richtete er auf Prinz Charles.198 Diese Perspektive blieb im Vagen der literarischen Spekulation, und Hobbes wird sie zunächst lediglich als eine romantische Geste empfunden haben. Umso mehr muß ihn eine kurze Passage elektrisiert haben, die in wenigen Zeilen das Konzept des Leviathan vorwegnahm. Um dem Prinzen klarzumachen, daß sich die wahre Souveränität durch eine Wahrnehmung ergibt, die den Untertanen selbst nicht klar ist und auch nicht einsichtig sein kann, weil sie gegenüber der Menge der Einzelelemente etwas qualitativ Neues darstellt, nutzt Fanshawe den Blick durch das Perspektivglas: „Eure Hoheit habt vielleicht in Paris ein Bild gesehen (es ist dort im Kabinett des großen Kanzlers), das so bewundernswert erdacht ist, daß es dem gewöhnlichen Betrachter eine Menge kleiner Gesichter (die berühmten Vorfahren dieses Edelmannes) präsentiert, zugleich aber dem, der durch ein Perspektivglas sieht (das dort zu diesem Zweck bewahrt wird), ein einzelnes Portrait in Großformat vom Kanzler selbst erscheint; womit der Maler zu verstehen gibt, daß in ihm allein alle Tugenden seiner Ahnen konzentriert sind, oder von einer subtileren Philosophie her zu zeigen vermag, wie der Politische Körper aus vielen natürlichen zusammengesetzt ist und wie jeder von diesen, in sich selbst vollständig und aus Kopf, Augen, Händen und dergleichen bestehend, ein Kopf, ein Auge, oder eine Hand in dem anderen ist; und darüber hinaus, daß die privaten Körper der Menschen nicht bewahrt werden können, wenn der öffentliche zerstört wird, ebensowenig wie diese kleinen Bilder ihre Existenz behalten könnten, wenn das große verdorben würde, denn dieses große war ebenso das erste und wichtigste im Entwurf des Malers, und für dieses war der gesamte Rest geschaffen“199. Das Perspektivgemälde des Kanzlers
Guarini, 1647, S. 303–312 Guarini, 1647, S. A4r; vgl. Parry, 1990, S. 41f. 199 Your Highnesse may have seen at Paris a Picture (it is in the Cabinet of the great Chancellor there) so admirably design’d, that, presenting to the common beholders a multitude of little faces (the famous Ancestors of that Noble man); at the same time, to him that looks through a Perspective (kept there for that purpose) there appears onely a single portrait in great of the Chancellor himself; the Painter thereby intimating, that in him alone are contracted all the Vertues of all his Progenitors; or perchance by a more subtile Philosophy demonstrating, how the Body Politick is composed of many naturall ones; and how each of these, intire in it self, and consisting of head, eyes, hands, and the like, is a head, an eye, or a hand in the other: as also 197 198
D. LITERARISCHE QUELLEN
Abb. 49. Perspektivbild von Louis XIV., aus: Jean Dubreuil, Perspective Pratiqve, 1651
Pierre Séguier ist nicht mehr zu erschließen, aber ein in der Anordnung ähnliches Bild hat Jean Dubreuil in seine 1651 erschienene „Perspective Pratiqve“ aufgenommen (Abb. 49)200. Es zeigt den Umsprung von Louis XIV. vom Prinzen zum König. Über dem Portraitkreis seiner Eltern erscheint links der Prinz, dem sechs Genien Zepter und Krone, die Waage der Gerechtigkeit und die Trompete des Ruhms bereithalten. Auf die radial angeordneten Körper sind die Flächen projiziert, die durch das Perspektivglas zu erkennen sind, um sich zu jenem Bild des jungen Herrschers zusammenzuschließen, das rechts zwischen dem Vorhang und dem Genius des Ruhms gezeigt ist. Wie ein Zauberstab vermag das Perspektivglas aus dem Nebeneinander einer nicht gestaffelten Menge ihre eigene Souveränität in Gestalt des großformatigen Souveräns hervorzubringen. In Guarinis Dichtung erfüllt, so Fanshawe, der Chor die Funktion des Perspektivglases, indem er die höhere Ebene der Lösung der Pro-
that mens Privates cannot be preserved, if the Publick be destroyed, no more then those little Pictures could remain in beiing, if the great one were defaced: which great one likewise was first and chiefest in the Painters designe, and that for which all the rest were made“ (Guarini, 1647, S. A3vf; vgl. Malcolm, 1998, S. 137f.; 146f., Anm. 9, zur Forschungsliteratur). 200 Dubreuil, 1651, Bd. III, Traité VI, Pratique I: Des Verres Polygones Et A Facettes, S. 157–158 und zwischen S. 161 und 162 das Ludwig XIV. gewidmete Blatt.
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4. FORMTRADITION UND POLITISCHE OPTIK
bleme durch den Souverän einnimmt201. Mit seiner Deutung des Perspektivglases hat Fanshawe bereits vollzogen, was Hobbes durch das Frontispiz des Leviathan einlösen wird: den Souverän als Bild einer Menge zu begreifen, deren zersplitterte Teile sich zu einem höheren Ganzen fügen. Hierin liegt die politische Brücke zwischen der Nutzung des optischen Instrumentes, den Überlegungen zur Überwindung des Bürgerkrieges und der Auffassung des Staatskörpers als eines Gesamtbildes, das aus Elementen besteht, die in ihrer privaten Existenz zwar vollständige Menschen sind, als Glieder des politischen Körpers aber jeweils nur einen seiner Teile abgeben. Das Programm des Leviathan ist in nuce entwickelt. Als Hobbes den „Leviathan“ schrieb und das Frontispiz entwarf, hatte er eine Fülle von optischen Experimenten hinter sich, in denen das Perspektivglas eine besondere Rolle einnahm, insofern es aus einer Summe von Einzelbildern das zuvor nicht sichtbare Bildnis einer neuen, höheren Identität schaffte, wie sie im Zentrum von Hobbes politischen Überlegungen stand. Derart präpariert, muß ihn Fanshawes Vorwort zu Guarini wie ein Blitz getroffen haben. In wesentlichen Zügen ist Hobbes Leviathan eine die Grenze des Plagiates streifende Übertragung von Fanshawes Argumentation, daß Guarinis „Pastor fido“ als eine dem Perspektivglas vergleichbare Dichtung aufzufassen sei. Unterstützt durch sein eigenes Interesse an optischen Instrumenten, war Fanshawes Assoziationskette in Hobbes Gedächtniskammer eingezogen. Wie das Produkt des Perspektivglases, so repräsentiert der Leviathan als Gestalt, die sich über den Einzelfiguren erhebt, nicht etwa die Summe der Menge, sondern den qualitativen Sprung auf eine höhere Ebene, auf der sich die Zersplitterung der Individuen löst. Hierin liegt die neue Substanz, die Hobbes der Tradition der Kompositbilder mit Hilfe des Perspektivglases hinzufügt. Durch eigene Untersuchungen und durch Farnshawes Preisung von Guarinis „Pastor fido“ war Hobbes auf die Idee gekommen, im Leviathan eine Ansammlung von Individuen zu sehen, die im Blick durch ein Perspektivglas jenes Bild des staatlichen Souveräns erzeugen, der, insofern er die individuellen Leidenschaften unterdrückt, den Frieden bringt. Mit einem gedanklichen Perspektivglas richtet Hobbes sein Auge von Frankreich aus auf das durch den Bürgerkrieg verwüstete England.202 Aus den Splittern der verfeindeten Parteien fügt sich ihm das anamorphotische Bild des Leviathan, das er seinem eigenen Opus als Frontispiz voranstellt. Jene Bürger, die sich im Leib des Leviathan zusammenfinden, müssen bereits über jene polyoptrische Perspektive verfügen, die ihnen ermöglicht, von den Teleskopen der persönlichen Leidenschaften abzusehen.
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Guarini, 1647, S. A4r Windisch, 1994, S. 80f.
A. DIE ZEIT DER ANAMORPHOSEN
5. Politische Ikonographie der Zeit a. Die Zeit der Anamorphosen Fanshawes Schlüsseltext bezog sich auf das polyoptrisch geschaffene Perspektivbild, in dem der französische Kanzler aus den radial versammelten Figuren seiner Vorfahren in seine eigene Erscheinung springt. Die Splitter, aus denen sein Bildnis zusammengesetzt ist, bergen daher ein genealogisches Moment, dem das Verhältnis der Gegenwart zum Kontinuum verbunden ist. Es führt in die Problematik des Zeitbruches und der sozialen Konstruktion von Zeit.203 Die Hinrichtung von Charles I. am 30.Januar 1649 hatte mit dem König auch die Kontinuität der Königswürde liquidiert. Den Royalisten mußte es neben ihren politischen und militärischen Anstrengungen daher vor allem darum gehen, die Durchtrennung der Linie königlicher Sukzession zumindest künstlich zu heilen. Sie konnten sich auf die anonyme, weitgehend von Charles selbst verfaßte oder zumindest von ihm kontrollierte Schrift beziehen, die am Tag der Hinrichtung in einigen Vorausexemplaren erschien und, bis sie Ende März verboten wurde, die sagenhafte Zahl von zwanzig Auflagen erreichte. Ihr ursprünglicher Titel, „Suspiria regalia“, wurde zuletzt in „Königliches Portrait“ verändert, wobei die griechische Form, EIKON BASILIKE, keinen Zweifel daran ließ, daß nicht nur eine metaphorische Beschreibung von Charles I., sondern ein wahres Abbild gemeint war, eine Ikone, die das Bildnis des Königs authentisch wiedergab.204 Dies bezog sich nicht nur auf den Text, der eine Geschichte der Motive und Ereignisse aus der Sicht von Charles I. vorlegte, sondern auch auf das Frontispiz William Marshalls (Abb. 50). Es zeigt den König, der seine irdische Krone bereits abgelegt hat und, die Dornenkrone des Martyriums in den Händen haltend, betend auf die himmlische Krone blickt, ein Märtyrer und Heiland.205 Durch diese Verbindung von Titel und Frontispiz war der Gedanke angelegt, daß der König zumindest symbolisch als Bild überleben würde. Weitaus suggestiver aber waren Anamorphosen oder auch verzerrte Rundspiegelbilder, die nur aus einem schiefen Betrachterwinkel durch das Ansetzen von Spiegelröhren als Portraits und wahre „Auferstehungsbilder“ zu erkennen waren.206 Derartige Kryptobildnisse wurden auch von Charles II. und seinem Vater Charles I. gefertigt, und sie
203 Nimmt man die umfangreiche Arbeit von Nassehi, 1993, zum Maßstab, so fehlt bislang eine sozialwissenschaftliche Theorie der Zeit, die etwa an Kracauer (1969, S. 166ff.) heranreicht, der sich auf Henri Focillon und vor allem George Kubler, The Shape of Time, bezieht. 204 Eikon, 1648; Eikon, 1966 205 Howarth, 1997, S. 148ff. 206 Windisch, 1997, S. 125 und 132; vgl. Baltrusaitis, 1969, Abb. 20
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
Abb. 50. William Marshall, Charles I. als Märtyrer, Frontispiz von: Eikon Basilike, 1649
blieben über die Zeit der Republik hinaus beliebt (Abb. 51)207. Es muß für Royalisten eine Genugtuung und ein Ansporn gewesen sein, den Rundspiegel auf den Kreis des abgeschlagenen Halses von Charles I. zu stellen, den in der Halsröhre aufscheinenden Totenkopf zu verbergen und den Hingerichteten im Bild triumphieren zu lassen. Mit der Evokation von zunächst nicht Erkennbarem ergab sich eine verschwörerische Aura, weil Portraits des hingerichteten Königs verfolgt wurden208. Einen umso stärkeren Eindruck müssen diese Anamorphosen bewirkt haben. Mit dem Rundspiegelglas, das den „wahren“, unvergänglichen Herrscher zeigte, war es möglich geworden, durch bildhafte Auferstehung den Kontinuitätsbruch zu überspielen und auf diese Weise die politische Zeit der Gegenwart auszuhebeln. Mit Hilfe der verzerrten Perspektive vermochten die Eingeweihten in eine Zeitsphäre zu springen, welche für sie die verbindlichen Koordinaten abgab, wohingegen im
Baltrusaitis, S. 191, Abb. 99 Robert Vaughan wurde 1651 durch ein „Bill of Indictment“ angeklagt, weil er ein Portrait von Charles I. mit einer Inschrift geschaffen habe, das geeignet schien, das Parlament zu diskreditieren (Corbett u. Norton, 1964, S. 48). 207 208
B. DIE KUNSTZEIT DER SCHEINLEIBER
Abb. 51. Anamorphosenbild von Charles I., nach 1660, Schloß Gripsholm, Schweden
Umkehrschluß die Zeit ihrer Gegner als Verzerrung ausgewiesen war, die durch eine verdoppelte Anamorphose geheilt werden konnte. Im Bild wurde Zeit konstruierbar.
b. Die Kunstzeit der Scheinleiber In seiner letzten und vielleicht weitestreichenden Sinnschicht knüpft der Leviathan an jene Formen der Repräsentation an, die eine Verbindung von Bild und Zeitkonstrukt vortrugen, indem sie im Moment des Todes ein Überdauern zu behaupten suchten. Hierzu gehörten in erster Linie Grabmonumente mit den Liegefiguren der Verstorbenen und Zeichen der Erinnerung an ihre Stellung und ihre Verdienste. Der eigentümliche Grabmalstypus des „Doppeldeckergrabes“209, der sich seit Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts in England, Frankreich und Italien
Panofsky, 1964, S. 72ff. Giesey (s. d., S. 92) hat betont, daß das Doppeldeckergrab für die Zwei-Körper-Lehre der englischen Könige im Gegensatz zu denen Frankreichs nicht angewendet wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, daß nicht die Darbietung zweier Zeitebenen auch für diese galt – verkörpert in den effigies (s. u.). 209
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
Abb. 52. Grabmal des Landgrafen Wilhelm II., Ludwig von Juppe, 1509, Elisabethkirche, Marburg
entwickelt hatte, operierte mit zwei unterschiedlichen Schichten, die verschiedenen Zeitsphären zugeordnet waren. So zeigt zum Beispiel das um 1435 geschaffene Grab von John Fitzalan, Earl of Arundel, auf der oberen Etage den Grafen in voller Rüstung und mit vor die Brust zum Betgestus gefalteten Händen, die nicht etwa aufliegen, sondern, als gehörten sie zu einem Lebenden, ohne Unterstützung vom Körper abgehoben sind.210 Unter diesem lebendig und wehrhaft gezeigten Earl bietet sein nackter, in Zersetzung übergehender und besonders in Gesicht und Oberkörper von Auszehrung gezeichneter Leichnam einen schauerlichen Kontrast. Eine der eindrucksvollsten Versionen der Spaltung von Dauer und Verwesung zeigt das Grabmal des Landgrafen Wilhelm II. in der Marburger Elisabethkirche (Abb. 52). Während der Körper der unteren Ebene auf das Individuum verweist, das in den Stand des Staubes zurückfällt, repräsentiert der voll gerüstete Landgraf auf der oberen Fläche die niemals absterbende Würde des Amtes.211 Daß Hobbes die Doppelpoligkeit dieses Grabmalstypus bewußt war, verdeutlicht seine vielleicht sprechendste Satire des römischen Kirchenstaates: „Und wenn jemand den Ursprung dieses großen Kirchlichen Herrschaftsgebietes bedenkt, so wird er leicht erkennen, daß das Papsttum nichts anderes als der Geist des verstorbe-
Panofsky, 1964, S. 71 Ernst Kantorowicz hat das komplexe Gespinst von Transsubstantiationslehre und Staatstheorie analysiert, das derartige Grabmäler inspirierte (Kantorowicz, 1990, S. 415ff.). 210 211
B. DIE KUNSTZEIT DER SCHEINLEIBER
Abb. 53. Giovanni Lorenzo Bernini, Grabmal Urbans VIII., 1627–47, St. Peter, Rom
nen Römischen Reiches ist, der gekrönt auf dessen Grab sitzt“212. Vermutlich hat sich Hobbes auf Giovanni Lorenzo Berninis im August 1631 aufgestellte Grabmalsstatue Urbans VIII. bezogen, die den thronenden Papst mit ausgreifend erhobener Rechter zeigt (Abb. 53)213. Die unteren Figuren mitsamt dem Tod, der seine Eintragungen macht, wurden erst im Februar 1647 enthüllt, aber Hobbes kann das Konzept gekannt oder spätere Berichte wahrgenommen haben.
„And if a man consider the originall of this great Ecclesiasticall Dominion, he will easily perceive, that the Papacy, is no other, than the Ghost of the deceased Romane Empire, sitting crowned upon the grave thereof“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XLVII, S. 480; Übers. nach Hobbes, 1966, S. 531). Zu Hobbes Quelle: Springborg, 1995, S. 514; vgl. Skinner, 1996, S. 399f. 213 Ebenso ist möglich, daß er sich auf andere Grabmäler bezog, die er auf seinen RomReisen von 1614 und 1636 sehen konnte (zu den Daten dieser Reisen: Skinner, 1996, S. 218f., 254). Selbst wenn die Reisebeschreibung „A Discovrse of Rome“ von 1625, die Hobbes zugeschrieben worden ist [Hobbes, 1995, S. 69–102], von seinem Tutor William Cavendish stammen sollte [Malcolm, 1996, S. 19], so bezeugt sie doch die kritische Wachheit, mit der die beiden jungen Engländer Rom wahrnahmen). Allerdings kommt keines der damals vorhandenen Grabmäler Hobbes satirischer Bemerkung so nahe wie Berninis Grab Urbans VIII.. Antonio Pollaiuolos Wandgrab von Innozenz VII. aus dem Jahre 1498, das in seiner heutigen Gestalt in Frage käme, zeigte zu Beginn des 17. Jahrhhunderts noch den über der Sitzstatue postierten Sarkophag (eine Anordnung, die erst 1621 umgekehrt wurde; Frank, 1992, S. 322f.), und die Grabmäler Pauls III. und Alexanders VII. zeigen diese Päpste jeweils barhäuptig. 212
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
Er hätte das Auseinanderfallen von repräsentativem Anspruch und körperlicher Wirklichkeit kaum derart ironisch ins Feld geführt, wenn er die Übereinstimmung beider Größen nicht erlebt hätte. Vermutlich hat ihm hinsichtlich der repräsentativen Überwindung des Todes kein Ereignis mehr beeindruckt als das Auftreten der königlichen Scheinleiber nach dem Ableben des Souveräns. Mit Hilfe der in der Effigies verbildlichten Herrschaft war es seit dem vierzehnten Jahrhundert möglich geworden, dem Tod gewissermaßen elastisch zu begegnen und ihn durch Verzögerung von einem biologischen Akt in einen sozialen Vorgang zu verwandeln214. Die Praxis, im Moment des Todes Scheinleiber zu inthronisieren, hatte wesentlich dazu beigetragen, den Begriff der staatlichen Repräsentation, der zuvor auf den gesamten königlichen Apparat bezogen war, auf das Bild des Herrschers zu konzentrieren. Diese im Jahre 1509 anläßlich der Totenzeremonie von Heinrich VII. vollzogene Verknüpfung von Bild und Begriff 215 wurde durch einen unerhörten Verismus der Effigies geschlossen. Der Portraitkopf des Königs, geschaffen von Pietro Torrigiano, der in seiner Jugend gemeinsam mit Michelangelo in der Bildhauerschule der Medici gelernt hatte, zeugt von dem Versuch, die individuellen Züge des verstorbenen Amtsträgers in jenem Scheinleib zu verlebendigen, der die Reichsinsignien trug (Abb. 54)216.
214 Dupont, 1989, S. 407, 410; vgl. Bickerman, 1929 und Ginzburg, 1992, S. 10. Die Hauptetappen der Erforschung der nachantiken Praxis sind durch Aby Warburgs „Bildniskunst und florentinisches Bürgertum“ von 1902 (in: ders., 1969, S. 89–126), Schlossers Arbeit zum Wachsportrait von 1910/11 (1993), Kellers Beitrag zum Bildnis von 1939 (erw. Fassung 1977), Kantorowicz’s „King’s Two Bodies“ von 1957 (1990, S. 415ff.) und der Fortsetzung durch seinen Schüler Giesey (1960; vgl. zur Kritik von Kantorowicz und Giesey die wenig überzeugende Argumentation von Boureau, 1988), Brückners volkskundliche Untersuchung zur Praxis (1966, S. 68ff.), Reinles Überblick zum stellvertretenden Bildnis (1984) sowie Freedbergs Darlegung der Bildmacht und des Umganges mit ihr (1989) markiert. Ein umfassendes Panorama der Möglichkeiten, den Herrscher im Bild anwesend zu machen, leistet Polleroß, 1995. 215 Als der englische König Heinrich V. im Jahre 1422 in Vincennes starb und im feierlichen Trauerzug durch Frankreich nach London überführt wurde, ruhte auf dem Bleisarg ein mit Parlamentsrobe, Hermelinmantel und Reichsinsignien versehener, aus Leder geformter und sorgfältig bemalter Scheinleib (Brückner, 1966, S. 78f.), der mit dem Doppelbegriff „resemblance et representation“ definiert wurde (Enguerrand de Monstrelet, Chroniques, 1453, hier zit. nach: Hope, 1907, S. 536; vgl. Giesey, 1960, S. 85ff. und Brückner, 1966, S. 96, 98). Was hier als ein Zusammenspiel zweier Begriffe gewertet wurde, fiel 1509 bei dem Begräbnis Königs Heinrichs VII. in der Effigies zusammen: „Over the Corps was an Image or Representacion of ye late king layd on quissions of gold aparelled in his Riche robes of astate wt crowne on his hed ball & scepter in his hande (…)“ (Hope, 1907, S. 539; vgl. Schlosser, 1993, S. 43 und Brückner, 1966, S. 96; Tarnow, 1998). 216 Vermutlich von einer Totenmaske abgenommen (Galvin und Lindley, 1988, S. 892 bis 902; vgl. Harvey und Mortimer, S. 51–54).
B. DIE KUNSTZEIT DER SCHEINLEIBER
Abb. 54. Pietro Torrigiano, Totenbüste von Henry VII., 1509, Westminster Abbey, London
Auch die Reste der in Westminster Abbey aufgestellten Figuren späterer Herrscher bezeugen einen durchweg beeindruckenden Willen zur Vergegenwärtigung. Zu Hobbes Zeiten waren die zehn bis zu Edward III. (gest. 1377) zurückreichenden Effigies in holzgetäfelten Schauschränken vermutlich neben ihren Grabmälern aufgestellt217. Ihre Versammlung mußte die Unsterblichkeit des Königtums um so sinnfälliger machen, als dieses Panoptikum der Scheinleiber von Edward III. über die Tudors bis zu den Stuarts reichte und damit verschiedene Dynastien vereinte. Das Ensemble ließ sinnfällig werden, was sonst nur dem inneren Auge oder einem übernatürlichen Blick, dem die Zeit nichts gilt, möglich war: die gedankliche Kette der Würdenträger aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft zu überführen und dadurch als eine durch die Zeit zergliederte Kompositfigur zu begreifen. Aus dieser Zusammenstellung von Effigies erklärt sich nochmals Hobbes Politisierung der polyoptrisch geschaffenen Bildnisse. Indem diese den aktuellen Herrscher aus den Portraits der Vorfahren bildeten und damit das Prinzip der Sukzession auf einer höheren Ebene thematisierten, vermochten sie jenes die Zeit überblickenDies geht aus einem Gedicht auf die „Tombs in Westminster Abbey“ hervor: „Henry the Seventh lies here entomb’d, with his fair Queen beside him; / He was the founder o’ this Chapel, Oh! may no ill betide him; / And here they stand upright in a press, with their bodies made of wax, / A globe and a wand in either hand, and their robes upon their backs“ (zit. nach: Armitage Robinson, 1909, S. 566). 217
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
de und überspielende Auge zu simulieren, dem sich in Westminster Abbey die Scheinleiber darboten. Die Präsenz dieser Figuren ist immer wieder mit Sekpsis betrachtet worden,218 und tatsächlich hat kein protokollarischer Text den Effekt festgehalten. Umso untrüglicher ist die poetische Umschreibung des überzeitlichen Blickes durch Shakespeare. Im „Macbeth“ faßte er das Gesamtbild der sieben Effigies, die in Westminster Abbey bis zum Jahr 1612 versammelt waren, in den gespenstischen Aufzug der sieben Vorgänger. Die achte, den Reigen abschließende Person hielt ein Glas mit den Bildern der Nachfolger in der Hand: And yet the eighth appears, who bears a glass Which shows me many more; and some I see That two-fold balls and treble sceptres carry 219. Wie Shakespeare, so hat auch Hobbes die Versammlung der Königseffigies genutzt, um sie in die Zukunft zu verlängern. Im „Leviathan“ erörtert er die Frage der Thronfolge, als würde er die Statuen der Westminster Abbey vor Augen haben. “Da bei all diesen Regierungsformen der Stoff (matter) sterblich ist, so daß nicht nur Monarchen, sondern auch ganze Versammlungen sterben, ist es zur Erhaltung des Friedens der Menschen notwendig, daß, wie eine Regel für einen Künstlichen Menschen genommen wurde, auch eine Regel für eine Künstliche Ewigkeit des Lebens angewendet werden sollte, ohne die Menschen, die durch eine Versammlung regiert werden, und jene, die durch Einen Menschen regiert werden, sobald ihr Regent stirbt, in jedem Lebensalter in den Kriegszustand zurückkehren würden. Diese Künstliche Ewigkeit ist das, was man das Recht der Nachfolge nennt”220. Die „artificiall eternity“ ist hier einerseits als Produkt der Entscheidung vorgestellt, die dynastische Sukzession als einen Rechtsbegriff zu definieren und verbindlich durchzusetzen. Der Vergleich mit dem Auftrag, um des Friedens willen einen
Zuletzt: Loach, 1994, S. 56–62, die ihm Vergleich mit der Praxis in Frankreich zu dem Schluß kommt: „the Englisch never handled the image as if it were a body“ (S. 62). Vgl. dagegen Llewellyn, 1995, S. 230ff. 219 Shakespeare, 1980, Macbeth, IV,1,119–21. Vgl. Kantorowicz, 1990, S. 385 220 „Of all these Formes of Government, the matter being mortall, so that not onely Monarchs, but also whole Assemblies dy, it is necessary for the conservation of the peace of men, that as there was order taken for an Artificiall Man, so there be order also taken, for an Artificiall Eternity of life; without which, men that are governed by an Assembly, should return into the condition of Warre in every age; and they that are governed by One man, as soon as their Governour dyeth. This Artificiall Eternity, is that which men call the Right of Succession“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XIX, S. 135). Daß der Leviathan am Modell der Effigies entwickelt ist, hat bereits Bourdieu, allerdings nur in einem Nebensatz, der das Prinzip der Repräsentation erläutern soll, betont (1991, S. 209). 218
B. DIE KUNSTZEIT DER SCHEINLEIBER
„artificiall man“ zu schaffen, verdeutlicht aber, daß Hobbes auch an die Repräsentation der „artificiall eternity of life“ dachte. Beide fallen im Leviathan zusammen. In ihm ist der künstliche Mensch, der den Staat repräsentiert, mit der künstlichen Ewigkeit des Lebens verbunden. Schließlich ist über die Effigies auch zu klären, warum der Leviathan ein lebendiger Automat ist. Nach dem Modell von bewegungsfähigen Christusfiguren des Mittelalters, die in den Sarg gelegt und wieder an das Kreuz geheftet werden konnten221, gestatteten die angestückten Arme und Beine der englischen Königseffigies, verschiedene Posituren einzunehmen, um auch den letzten Schritt zur kompletten Illusion von Lebendigkeit zu vollziehen, die Bewegung. So betont die Beschreibung der Effigies des 1612 gestorbenen Sohnes von James I., daß ihre Gliedmaßen beweglich waren, „um zu verschiedenen Tätigkeiten, zuerst zum Transport im Prunkwagen und dann für das Stehen und auch das Aufstellen in der Abbey bewegt zu werden“222. Welch bezwingende Präsenz diese Figuren besessen haben müssen, die verschiedene Posituren einnehmen konnten, mit veristischen Gesichtern versehen waren und durch das komplette Staatszeremoniell begleitet wurden, wird suggestiver als in allen staatstheoretischen Erörterungen wiederum im Werk Shakespeares deutlich, das von beweglichen Königseffigies durchgeistert wird. Sie tauchen nicht nur in „Richard III.“ auf 223, sondern auch im „Hamlet“. Der Geist von Hamlets Vater zeigt, besonders gespenstisch wiedergegeben in den Worten des Horatio, Züge einer zum Automaten motorisierten, bewegungsfähigen Effigies: (…) A figure like your father, Armed at points exactly, cap-a-pe, Appears before them, and with solemn march Goes slow and stately by them; thrice he walk’d By their oppressd and fear-surprised eyes, Within his truncheon’s length (…). It lifted up it head and did address Itself to motion like as it would speak”224 .
Taubert, 1969; zuletzt umfassend Tripps, 1998 „The bodye of a figure for the representation of His Highnes with several joints both in the arms legges and bodie to be moved to sundrie accions first for the Carriage in the Chariot and then for the standinge and for settinge uppe the same in the Abbey“ (zit. nach Hope, 1907, S. 555). 223 Shakespeare, 1980, Richard III., I, ii, 4–9. Hierzu und zum Folgenden die Ausführungen von Windisch, 1994, S. 86ff. und ders., 1998, S. 110–114. 224 Shakespeare, 1980, Hamlet, I, ii, 199–204, 216f. 221 222
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
Die Existenz und Lebendigkeit der Effigies bezeugt, daß Claudius, der den Thron nach der Ermordung von Hamlets Vater usurpiert hatte, die Königswürde nicht wirklich erringen konnte. Während die Dignitas des Amtes also nicht ihm inkorporiert wurde, überdauert sie in der Effigies des toten Herrschers. Hamlet hat diese Spaltung in abgründige Worte gefaßt, mit denen er die Leere des Claudius charakterisiert: „The body is with the king, but the king is not with the body. The king is a thing – (…) Of nothing“225. Wenn sich Hamlet dagegen wünscht, zu einer Maschine werden zu können226, so bedeutet dies eine Verwandlung in jene automatenhafte Effigies des Vaters, der die Dignitas legitimer Herrschaft einverleibt bleibt. Hobbes kann jene Effigies des englischen Königs James I. im Jahre 1625 gesehen haben, die ebenfalls in „verschiedene Positionen bewegt“ und in einem unvergleichlich aufwendigen Trauermarsch, bei dem allein 9000 schwarz gekleidete Pleurants mitmarschierten, nach Westminster Abbey überführt wurde227. Sie stammte von der Hand des Hofbildhauers Maximilian Colt und seiner Mitarbeiter, die im Jahre 1619 bereits die Effigies der Frau von James I., Anna von Dänemark, geschaffen hatten. Die Kosten für die Effigies James I. waren ungewöhnlich hoch, und selbst noch der Handwerker, der für die naturgetreue Perücke und die Augenbrauen verantwortlich war, erhielt eine beträchtliche Summe; desungeachtet erhielt Colt den Auftrag, sofort noch eine zweite Version für das „Denmark House“ zu schaffen.228 Von Hobbes sind aus dieser Zeit kaum Nachrichten oder Äußerungen überliefert, aber die Totenpredigt des Bischofs von Lincoln, John Williams, vermag einen Eindruck davon zu vermitteln, in welchem Ausmaß die Effigies die politische Theologie beherrschten, selbst wenn diese, wie bei Williams offenbar der Fall, eher skeptisch beurteilt wurden. Williams war im Jahre 1621 als erster Kirchenmann seit Generationen zum Lordsiegelbewahrer ernannt worden, und er sah sich weit eher als Politiker denn als Kleriker 229. Es war abzusehen, daß er seine herausragende Rolle unter Charles I. verlieren würde, und wie um dieser drohenden Entwicklung entgegenzusteuern, hielt Williams eine Totenpredigt, die als veritable Bildtheorie absolutistischer Herrschaft angelegt war. Williams wertete die Effigies von James I. zunächst ab, weil die „künstliche Repräsentation im Leichenwagen nicht mehr als seinen äußeren Körper, oder eher den Körper seines Körpers, seine Kleider und
Shakespeare, 1980, Hamlet, IV,ii,29f., 32. Vgl. Wende, 1991, S. 59 u. 72f. Shakespeare, 1980, Hamlet, II,ii,122ff. 227 „The body of the representacion with several joynts in the armes leggs and body to be moved to several postures and for setting up in Westminster Abbey and for his attendance there“ (Zit. nach Hope, 1907, S. 557 und 558). 228 Edmond, 1978–80, S. 166; Harvey und Mortimer, 1994, S. 67–71. 229 Fincham, 1990, S. 35, 44; Levy Peck, 1990, S. 82f. 225 226
B. DIE KUNSTZEIT DER SCHEINLEIBER
Ornament“ zeige.230 Im weiteren Verlauf des umfangreichen Sermons erweist sich diese erstaunliche Herabsetzung der Effigies als Produkt einer Übertragung der jüngeren absolutistischen Theorien aus Frankreich nach England. Im Zuge der Inthronisation von Louis XIII. im Jahre 1610 hatte es in Paris geheißen, daß die Unsterblichkeit der Königswürde bedeute, mit der Befruchtung im Mutterleib den Thronfolger bereits zu besitzen.231 Damit aber konnte es niemals einen toten König geben, weil im Moment seines Ablebens die Dignitas unmittelbar auf den Thronfolger übersprang. Wo ein toter König aber nicht vorhanden war, bedurfte es auch keiner Effigies. Wenn Williams gegen den königlichen Scheinleib spricht, dann als Stärkung dieses Kernelements einer absolutistischen Theorie, die das Königsamt unmittelbar von Körper zu Körper zu übertragen suchte, um das Interregnum und damit auch alle Zwischenleiber zu vermeiden. Der Grund, die Effigies als leere Hülle zu bezeichnen, bedeutet aber keinesfalls, auf ihre Substanz zu verzichten. Vielmehr verliert die Effigies in Williams Argumentation zwar den Status, den toten König zu repräsentieren, aber sie überträgt ihre Würde desto unvermittelter auf die lebenden Körper der Könige. Zunächst ist es James I., der als lebende Statue des Königs Salomon beschrieben wird. Diese Identifikation war durch die zeitgenössische Preisung von James I. als „neuer Salomon“ provoziert.232 Der Anlaß, die Totenpredigt auf den verstorbenen König, und das Amt des Redners als Lordsiegelbewahrer lassen diese Identifikation über eine bloße Metapher hinausgehen, zumal dieser sie historisch ableitet: Wie „Trajan nach seinem Tod im Bild, in einer lebendigen Statue, oder auch Repräsentation, die durch Hadrian zu diesem Zweck erfunden wurde, offen in der Stadt Rom triumphierte, so wird dieser König von Israel es zu unserer Zeit in der Statue, und Repräsentation unseres Britischen Salomon vollziehen“233. Dieser Übersprung von der Effigies auf den lebenden Herrscher verlängert sich in der Sukzession von James I. auf seinen Sohn. Am Grab des toten Königs überträgt der Hofprediger die Geltung der römischen Effigies auf König James I. als „lebendige Statue“, um umstandslos diesen selbst von einer neuen Effigies geehrt zu sehen, bei der es sich aber eben nicht um einen Scheinleib handelt, „sondern jene Statue, die heute zu Fuß hinter dem Leichenwagen marschierte, (…) eine
„This Artificiall Representation within the Hearse (…) shews no more then his outward Body; or rather the Bodie of his Bodie, his cloathes and Ornaments“ (Williams, 1625, S. 75). 231 Hanley, 1983, S. 262; vgl. Klier, 1998, S. 150f. 232 Hierzu zuletzt Howarth, 1997, S. 59 233 „As Spartianus (…) reports of Traian, that after his Death, he triumphed openly in the Citie of Rome, In Imagine, in a Lively Statue, or Representation invented by Adrian for that purpose: So shall this Salomon of Israel doe at this time in the Statue, and Repraesentation of our Brittish Salomon (Williams, 1625, S. 36; vgl. Goldberg, 1983, S. 42). 230
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atmende Statue all seiner Tugenden, die Gott für ihn oder eher für uns gemacht hat. Denn so wie er eine lebendige Repräsentation der Tugenden König Salomons in der Person von König James geschaffen hat, so hat er eine selbe Repräsentation der Tugenden von König James in der Person von König Charles, unseres gütigen Souveräns, geschaffen“234. Dieses Ende verdeutlicht, warum der Lordsiegelbewahrer die „künstliche Repräsentation“ als bloßen „Körper des Körpers“ abwerten kann. Seine Kritik geschieht in einem Moment, in dem der Nachfolger des toten Königs bereits als „Souverän“ auftritt. Da dieser erneut als „lebendige Statue“ definiert wird, springen Begriff und Geltung der bewegungsfähigen Effigies auf den inthronisierten Herrscher über. Ob Hobbes diesen Text kannte, kann ebensowenig beantwortet werden wie die Frage, ob er die Effigies von James I. in Aktion gesehen hat. Williams Totenpredigt vermittelt aber in jedem Fall einen Eindruck, welch weitreichende Überlegungen die funeralen Scheinleiber anregen konnten. Es war nur ein Schritt, um von Williams Definition des Herrschers als lebendiger, also bewegungsfähiger Statue die Idee des Staatsautomaten zu abstrahieren.
c. Das Interregnum als Dauerzeit Zur Künstlichkeit des Leviathan gehört, daß er eine eigene Zeit definiert, die komplizierter ist als nur die Sukzession einer permanenten Wiederkehr, wie sie etwa die Sterne vorführen. Der Grund liegt darin, daß sein Ursprung aus der Königseffigies nicht auf die Inkorporation einer prästabilierten Dauer, sondern eines verlängerten Momentes abzielt. Die königlichen Scheinleiber reagierten darauf, daß die Legitimation der Herrschaft immer dann einen Riß erhielt, wenn die Zeit des Repräsentanten abgelaufen war. In der Ausnahmesituation des Interregnums sollten sie den Zeitriß schließen, durch den der Bürgerkrieg zwischen den zerfallenden Gruppen eindringen konnte.235 Im Einklang damit, daß die Effigies die Abwesenheit des Herrschers kompensierten, ist der Leviathan das Produkt der Reflexion über den Moment, in dem der Staat eine künstliche Herrscherfigur nötig hat. Allerdings besteht zwischen dem Leviathan und den Effigies ein fundamentaler Unterschied darin, daß Hobbes den gültigen Zeitbegriff in sein Gegenteil verkehrt. An seiner wohl meistzitierten Überzeugung, daß im Naturzustand der Krieg aller gegen alle herrscht, ist vor allem erschreckend, daß dieser nicht etwa in Einzel-
234 „But I meane that Statue which (…) walk’t on foot this day after the Hearse, (…) A breathing Statue of all of his Vertues. This God hath done for Him, or rather for Vs. For as he hath made a lively Repraesentation of the Vertues of Salomon, in the Person of King Iames, So hath he done a like Repraesentation of the Vertues of King Iames, in the Person of King Charles our Gratious Soveraigne“ (Williams, 1625, S. 75f.). 235 Giesey, 1960, S. 183ff.
C. DAS INTERREGNUM ALS DAUERZEIT
ereignisse wie Feldzüge und Schlachten eingepfercht werden kann, sondern als Zeitraum zu begreifen ist, der sich nicht begrenzen läßt. Ohne den Leviathan wäre er ewig: „Hierdurch ist ersichtlich, daß sich die Menschen in der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine Macht leben, die sie in Schach hält, in jenem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar im Krieg eines jeden gegen jeden. Denn KRIEG besteht nicht nur in der Schlacht oder der Kampfhandlung allein, sondern in einer Zeitspanne, während der der Wille, sich durch die Schlacht auseinanderzusetzen, hinlänglich bekannt ist. Und daher ist die Betrachtung der Zeit für die Bestimmung der Natur des Krieges unerläßlich; dasselbe gilt für die Natur des Wetters“236. Der Gedanke ist nicht neu. Bereits in „De Cive“ hat Hobbes betont, daß nicht die Herrschaft ewig ist, sondern der Krieg: „Denn was ist der Krieg anderes als jene Zeit, wo der Wille, mit Gewalt seinen Streit auszufechten, durch Worte oder Taten deutlich erklärt wird? Die übrige Zeit nennt man Frieden. Wie schädlich aber ein ewiger Krieg für die Erhaltung des menschlichen Geschlechts oder des einzelnen Menschen ist, kann man leicht ermessen. Nun ist aber dieser Krieg seiner eigenen Natur nach ewig, da er bei der Gleichheit der Streitenden durch keinen Sieg beendet werden kann“237. Dieser zeitliche Perspektivwechsel, der nicht den Krieg, sondern den Frieden als Ausnahme definiert, vermittelt einem Moment, dem Tod des Souveräns, den höchstmöglichen Erkenntniswert. Denn indem er den Firnis der Herrschaft aufreißt, gibt er den Blick auf jenen latenten Naturzustand des Menschen frei, der sich als potentiell endloser Kampf aller gegen alle äußert. Auf diese Sicht reagiert der Leviathan. Als lebendiger Automat erfüllt er für Hobbes denselben Zweck, den die königlichen Scheinleiber im Interregnum ausführen, aber während diese auf einen prekären Moment reagieren, wird ihm die Staatseffigies zum Bollwerk gegen einen Dauerzustand. Hobbes Leviathan ist Souverän, weil er über ein Interregnum gebietet, das keine Ausnahmesituation darstellt, sondern einen Dauerzustand. Hobbes Staatstheorie ist das Produkt einer Zeitverschiebung. Der relativ kurze Zeitraum zwischen Ableben des Souveräns und Einsetzung eines Nachfolgers, der herrschaftslose Zustand der Leere des Thrones, wird ihm zur Grundbestimmung der menschlichen Existenz. Im Gleichklang mit der Transformation eines Momen-
„Hereby it is manifest, that during the time when men live without a common Power to keep them in awe, they are in that condition which is called Warre; and such a warre, as if of every man, against every man. For WARRE, consisteth not in Batell onely, or the act of fighting; but in a tract of time, wherein the Will to contend by Battell is sufficiently known: and therefor the notion of Time, is to be considered in the nature of Warre; as is in the nature of Weather“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XIII, S. 88). 237 Thomas Hobbes, De Cive, 1, 12f; zit. nach: ders., Vom Menschen. Vom Bürger, 1994, S. 83f. 236
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
tes in einen Dauerzustand macht er die zeremonielle Bewältigung des Todes des Königs zur Essenz des Staates. In dieser Zeitverschiebung von einem Moment der Ausnahme zur Dauer liegt der tiefere Grund, warum Hobbes einem automatenhaften Bildwerk die Fähigkeit anvertraut, das Interregnum zu beherrschen.
d. Der Zeitschöpfer Der Leviathan ist auf Dauer angelegt, aber diese Permanenz hat keinen statischen Charakter. Nur Spott hat Hobbes für Theorien, die unter Ewigkeit das nunc-stans oder hic-stans, also den Stillstand der Zeit begreifen.238 Als Staatseffigies, die sich in ihren Bewegungen realisiert, überlagert der Leviathan die natürliche Gegenwart des Wölfischen in einer unablässigen Abfolge von Momenten. Dies macht seine zeitschaffende Vitalität aus, aber hierin liegt auch sein Kardinalproblem: die Vermittlung von Momenten in Dauer. Nicht ohne Grund zielt das Frontispiz daher auf das Wechselspiel von Bewegung und Zeit. Die penible Ordnung der Stadtarchitektur und das Fehlen von Verwüstungen sowohl innerhalb wie außerhalb der Stadtmauern machen zunächst den Eindruck, daß hier das Friedensreich gezeigt ist, in dem der Krieg aller gegen alle unterdrückt und überwunden ist. Umso stärker überrascht, daß weder innerhalb noch außerhalb der Stadtmauern auch nur ein einziger Bewohner zu erkennen ist. Zwar schwimmen auf den Flüssen und auch auf dem offenen Meer vereinzelt Schiffe, aber keine Hand ist sichtbar, die sie lenkt, und obwohl eine weite Landschaft vor dem Betrachter liegt, ist nirgends deutlich, daß sie von Bauern oder Hirten genutzt und kultiviert wird. Alle Gehöfte, Kapellen und Dörfer sind verlassen. Allein vor dem rechts am Fluß gelegenen Vorposten erscheint eine Person, aber diese ist durch ihre über die Schulter gelegte Waffe als Soldat ausgewiesen. Auch die in der Garnison wie Zinnsoldaten aufgestellten Gestalten tragen ohne Ausnahme Waffen. Die einzigen Personen außerhalb der militärischen Bereiche, die beiden vom unteren Bildrand überschnittenen Figuren auf dem Kirchenvorplatz, wenden ihre Vogelschnabelmasken, die Kopfbedeckungen der Seuchenärzte, nach rechts. Bei den in der Stadt gezeigten Personen handelt es sich also ebenfalls nicht um Nutznießer befriedeter Verhältnisse, sondern um Zeugen der Bedrohung.239 Abgesehen von wenigen Soldaten und Ärzten haben sich sämtliche Men-
238 Hobbes, 1991, Leviathan, XLVI, S. 466f; vgl. ders., An Answer to Bishop Bramhall’s Book, called „The Cathing of the Leviathan“, in: HEW, Bd. IV, S. 299f. 239 Das Fehlen arbeitender oder sich vergnügender Menschen widerspricht der zunächst plausiblen Theorie, daß der Mensch in der Tat in seiner privaten Besonderheit real als Bürger und im Leib des Leviathan symbolisch in seiner öffentlichen Gleichheit als Citoyen charakterisiert ist (Brandt, 1982, S. 204).
D. DER ZEITSCHÖPFER
schen in ihren Status als Teile des Leviathans begeben, so daß es scheint, als würde das Leben in Stadt und Land für einen Moment stillstehen. Um so enger, als wollten sie jeden Horror vacui vermeiden, sind jene Menschen aneinandergerückt, die den Leib des Leviathan ausmachen. Von jedem Standort aus sind sie auf das Gesicht des Giganten ausgerichtet, so daß sie in den Extremitäten im Profil, in seinem Rumpf aber in Rückenansicht auftreten. Die Auffüllung des rechten Schwertarmes beginnt im Daumenballen, in dem sich zwei Gestalten nur schemenhaft abzeichnen, aber der Unter- wie Oberarm werden durch eine größere Gruppe von Männern ausgefüllt, welche die Feierlicheit des Momentes entweder durch ihre Zylinder oder das barhäuptige Niederknien ausweisen.240 Im linken, den Bischofsstab haltenden Arm gruppieren sich die Menschen auf ähnliche Weise, mit dem Unterschied, daß im Unterarm die barhäuptigen Personen überwiegen.241 Die Figuren der Bauchpartie tragen aufwendigere Kleidung, die aber nirgendwo den Charakter höfischer Standestracht annimmt, sondern in ihrer Bürgerlichkeit das egalitäre Prinzip betont. Im Halsbereich verschwinden die Menschen in der verschatteten Zone unterhalb des Kinns. Insgesamt entsteht ein feierlicher Eindruck, der an einen pseudosakralen Akt denken läßt.242 Die Ausrichtung der Gestalten im Inneren des Körpers des Leviathan ist in dem Moment erfaßt, in dem der Staatsriese geschaffen wird. Das Frontispiz hält die feierliche Errichtung dieses „sterblichen Gottes“ fest, und die demiurgische Qualität dieser Handlung erklärt die Mischung aus Zuwendung und Devotion, von der die Körperfiguren geprägt sind. Der Blick, den die über drei-
Die vom rechten Schwertknauf überschnittene wie auch die vor ihr ganzfigurig sichtbare Figur haben das rechte Bein leicht angezogen, so daß sie eine verhaltene Vorwärtsbewegung anzeigen. Die dritte Person in dieser Reihe steht gerade, aber die barhäuptige Gestalt vor ihr beugt ihr rechtes Bein so weit nach hinten, daß sie im Begriff zu sein scheint, sich auf den Boden zu knien und damit jene Haltung einzunehmen, die eine Gruppe von insgesamt fünf Männern im Bereich des Ellenbogens aufweist. Auch sie haben ihre Kopfbedeckung abgenommen. Bis in die Achselhöhle knien weitere Personen. Verschiedene Lebensalter werden durch das Kind im Rücken dieser Gruppe und durch zwei Halbwüchsige in der Mitte des Oberarmes angezeigt. In der Regel aber dominieren erwachsene Männer. 241 Eine offenbar dem Künstler zu verdankende Gewitztheit liegt darin, daß sich etwa in der Mitte des Oberarmes ein Mann zu seinem Begleiter zurückwendet und daher sein unverstelltes Gesicht zeigt. Die vierte Person links von ihm ist mit ihrem offenen Visierhelm als einzige Gestalt als Soldat ausgewiesen. 242 Die Bestimmung dieses Ereignisses mag Hobbes für so selbstevident gehalten haben, daß er es nirgendwo explizit erläutert hat. Im letzten Absatz des „Leviathan“ spricht er aber davon, daß es die Wahrheit seines Werkes schwer haben wird, weil man in Zeiten der Umwälzung die Zerstörer einer alten Regierung mit Zorn betrachte, von den Schöpfern einer neuen aber „nur die Rücken“ sähe: „seeing but the backs of them that erect a new [Government]“ (Hobbes, 1991, Leviathan, Review and Conclusion, S. 491. Diese Äußerung könnte als Rückblick auf das Frontispiz gemeint sein (Windisch, 1994, S. 81, Anm. 53). 240
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
hundert Personen zum Kopf des Riesen richten, kehrt über dessen Augen zum Betrachter zurück. Die gemeinsame Orientierung auf den Kopf des Souveräns bekundet jenen bereits angeführten Moment der Vertragsbindung, der für das „Fiat“ der Riesenfigur verantwortlich ist: „Dies ist die Erzeugung des großen LEVIATHAN oder, um es ehrfurchtsvoller zu sagen, jenes Sterblichen Gottes, dem wir unter dem Unsterblichen Gott Frieden und Schutz verdanken“243. Die erschöpfende Menschenfülle des Leviathan und die Leere von Stadt und Landschaft ergeben somit einen komplementären Sinn. Der Staatsautomat bezeugt den Moment der vertraglichen Bindung aller Menschen, ihre zerstörerischen Partikularinteressen an den Leviathan abzugeben. Der Moment seiner Erschaffung führt jedem Betrachter vor Augen, daß die Stabilisierung des Friedensreiches auf eine andauernde Wiederholung des Momentes des Gründungsaktes insofern angewiesen ist, als der Vertrag durch körperliche Präsenz erfüllt wird. Die Prägnanz dieser szenischen Zuspitzung wird auch dadurch unterstützt, daß die weiteren Fassungen des Leviathan, die Verkörperung der Justiz, die Bosse für die französische Übersetzung von „De Corpore“ schuf, und jene Zeichnung, die dem handschriftlichen Exemplar des Buches für Prinz Charles vorangestellt wurde (Abb. 18), andere Formen der politischen Ikonographie der Zeit entwickeln. Die Riesenfigur des „Corps Politique“ von 1652 (Abb. 4) zeigt im Gegensatz zur idolhaft starren Positur des gedruckten Leviathan von 1651 einen kontrapostisch bewegten Oberkörper, und die Figuren seines Inneren sind in starkem Kontrast zu den strikt ausgerichteten Leibern der Urfassung in geradezu quirliger Bewegung. Der rechte Arm wird durch Krieger ausgefüllt, wohingegen im linken Oberarm sowie am Halsansatz drei Richter auszumachen sind, die sich einem in der Mitte des Unterarms postierten Bischof als Juroren zugesellen. Sie bilden offenbar die „Offiziellen“ der Jurisdiktion und Exekutive, von der die „Einleitung“ spricht; jene Instanzen, die mit ihrem System von Belohnung und Strafe die Nervenstränge des politischen Körpers erzeugen. Die Personen des Rumpfes wenden sich, mehr oder minder auch innerlich bewegt, einander mit stark ausladenden, gestikulierenden Bewegungen zu. Sie bezeugen Dispute, aber auch, wie das rechts unten agierende Personenpaar, handgreifliche Auseinandersetzungen. Zu der Darlegung der Antagonismen gehört auch, daß sich in der Mitte der rechten Rumpfhälfte eine Frau mit einem Mann auseinandersetzt – ob in Sympathie oder Abwehr ist weniger bedeutsam als der Umstand, daß hier überhaupt – und erstmals – die beiden Geschlechter gezeigt sind. Den zentra-
243 „This is the Generation of that great LEVIATHAN, or rather (to speak more reverently) of that Mortall God, to which wee owe under the Immortal God, our peace and defence“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, S. 120). S. o. S. 65
D. DER ZEITSCHÖPFER
Abb. 55. Abraham Bosse, Oberkörper des gezeichneten Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 19
len Punkt des Rumpfes aber nimmt nach Art des Muttergottes-Motives eine Frau ein, die ihr Kind auf dem Arm trägt. Inmitten des bewegten Geschehens bezeugt sie in ihrer ruhigen Frontalität den Pol der Fürsorge, und damit bestimmt sie das Zentrum jenes „politischen Körpers“ der mit Exekutive, Judikative und dem System von Strafe und Belohnung alle Zwiste zu beherrschen verspricht. Die gezeichnete Fassung schließlich offenbart ebenfalls das Wirken des Leviathan, nun aber aus der Sicht des Souveräns (Abb. 18). Der innere Bereich der Stadt jenseits der Garnison ist menschenleer, und selbst die beiden Seuchenärzte, die auf dem Kirchplatz des Vordergrundes der Druckfassung zu erkennen waren, sind in ein Gebäudeteil verwandelt. Die Bürger sind daher noch stärker auf ihre Funktion als Körperteile des Staatsriesen konzentriert. Entsprechend zeigt die Zeichnung deutlicher als die Radierung, daß der Leviathan seine übermächtige Qualität nicht allein in seiner Größe ausdrückt, sondern auch darin, daß sein Oberkörper aus der Verbindung zahlreicher einzelner Menschenleiber gebildet ist. Bis hinauf in den Hals besteht er aus einer Ansammlung von Köpfen, die den Leib von innen her auffüllen, ihr Antlitz aber als Oberfläche der Haut nach außen wenden (Abb. 55). Der Betrachter ist daher nicht nur von dem Haupt des Leviathan, sondern auch von den unzähligen Köpfen seines Leibes fixiert, und in dieser Wendung wirken diese wie eine Antwort auf das antikönigliche Flugblatt aus der Bürgerkriegszeit (Abb. 45). Die Bildquellen lassen sich nur indirekt umschreiben, und von keiner Spur aus führt ein direkter Weg zu dieser Erscheinung. Möglich wäre, daß der neunzehnte Gesang von Dantes „Paradiso“ eine Rolle gespielt hat, in dem der Adler der Gerechtigkeit als lebendiges Bild beschrieben wird, aus dessen Körperinnerem jene Seelen
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5. POLITISCHE IKONOGRAPHIE DER ZEIT
Abb. 56. Giovanni di Paolo (zugeschr.), Adler der Gerechtigkeit, Buchmalerei, Mitte 15. Jh., British Library, Yates/Thompson Codex, London
durchscheinen, die einstimmig seine Fragen nach Gerechtigkeit beantworten. Giovanni di Paolos Fassung dieser Vision (Abb. 56)244 zeigt in den spähenden Gesichtern des Adlerleibes eine erstaunliche Nähe zu den Köpfen des Leviathanleibes, aber keine Quelle vermag zu klären, ob Bosse oder Hobbes derartige Malereien gesehen haben. Den ausdrucksstarken Köpfen mit ihren besonders betonten Augen und Mündern kommen Illustrationen der Fama historisch und räumlich näher. Horaz hatte die Verkörperung des Ruhmes als von Augen übersäht beschrieben: „Voller Augen, von Flügeln erhoben, trägt Fama das Schreibrohr aufwärts und setzt es unter die goldenen Gestirne“245. In einem der bekanntesten Emblembücher, den „Emblemata“ von Hadrianus Junius, die 1575 publiziert wurden, trägt eine solche Figur den Federkiel wie einen Köcher am Oberkörper, um emporfliegend den Ruhm des Dichters in alle Welt hinauszuposaunen. Ihr Leib ist vom Hals bis zu den Zehen von Augen bedeckt.246 Eine unheimliche Variante dieser Göttin des Ruhmes hat Vergil in seinem Versepos „Aeneis“ entwickelt, indem er diese Fama auch mit dem Gerücht verbindet, und bei ihm wird ihr Bild nicht nur aus Augen, sondern auch aus Mündern und Ohren geschaffen.247 Seine Fama ist
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Pope-Henessy, 1993, S. 49f. Horaz, Carmina, I, I, 35f. Junius, 1565, Nr. 60 Vergil, Aeneis, IV, 179ff.
D. DER ZEITSCHÖPFER
Abb. 57. Marcus Gheeraerts d. J. (zugeschr.), „Rainbow“-Portrait von Königin Elizabeth I., Gemälde, ca. 1602, Hatfield House, Edinburgh University Library
im Lauf beschwingt und mit hurtigen Flügeln, Riesig und grauenvoll; so viele Federn sie decken, So viele Augen stecken ihr spähend darunter (o Wunder!), So viele Zungen und Mäuler, die raunen, und Ohren, die lauern. Nachts im Schatten fliegt sie dahin zwischen Himmel und Erde, Flüsternd, und niemals senkt sie die Lider zu lieblichem Schlummer. In reduzierter Form hätte Hobbes die Vergilsche Ikonographie über ein weiteres Beispiel der elisabethanischen Bildpanegyrik kennenlernen können, das „Rainbow“- Portrait von Königin Elizabeth I. in Hatfield House, das auch als Stich verbreitet wurde. Die Königin tritt als Fama in Szene, deren Gewand über und über mit den Ohren, Mündern und Augen des Ruhmes übersäht ist (Abb. 57)248, ohne aber die unheimlichen Züge von Vergils Göttin des Ruhmes wiederzugeben. Die virtuos gezeichneten Köpfe des Leviathan dagegen betonen, wenn sie sich dieser Ikonographie bedienen, das Zwiespältige der Vergilschen Fama, um es auf eine politische Ebene zu übertragen. Mit ihren teils spähenden und teils erschreckt verzerrten Gesichtszügen wirken sie furchtsam und aktiv zugleich, um offenbar auf das Doppelverhältnis anzuspielen, einerseits vom Leviathan geschützt und gefangen zu sein, andererseits aber auch selbst zu überwachen und zu observieren. 248 Yates, Astraea, 1975, Abb. 43b, S. 216ff.; vgl. King, 1989, S. 236ff. und Howarth, 1997, S. 86f., 115
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6. NEGATION DES NICHTS
Zu den Herrschafts- und Repräsentationsrequisiten des Schwertes, der Krone und des Bischofsstabes kommen damit die Blicke als Instrumente der umsichtigen Wachsamkeit hinzu. In beiden Bestimmungen sind sie Instrumente einer über ihnen stehenden Instanz, und hierin erfüllen sie die besondere Botschaft der Zeichnung als Beigabe zur königlichen Handschrift des „Leviathan“. Auch in der Zeichnung wirkt die Gegenwart des Souveräns, aber die permanente Aktualität ist hier allein auf ihn zugeschnitten, weil seine Leibakteure sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern die Wirkung sowohl seiner Schreckensherrschaft wie auch seiner schützenden Protektion vorführen. Das Ziel der Verbildlichung des Leviathan lag darin, ihn als dauerhaft auszuweisen, um damit nicht nur, wie es bei den Königseffigies der Fall war, die Zeit des Interregnums zu füllen, sondern der Permanenz der Rechtslosigkeit zu begegnen. Das französische Frontispiz des „Corps Politique“ zeigt mit den zahllosen mit sich selbst beschäftigten Menschen das Wirken des einmal etablierten Leviathan in der Zeit (Abb. 4). Die beiden anderen Fassungen, sowohl das Frontispiz der Druckfassung von 1651 wie auch die Zeichnung des Pergamentmanuskriptes, widmen sich dagegen der Dauer als permanente Wiederholung von fixierten Momenten. Die Zeichnung friert eine Momentaufnahme des Regierens ein, während der Stich den Moment des „Fiat“ festhält, um den Schöpfungsakt als ständige Selbstverpflichtung zu begreifen.
6. Negation des Nichts a. Herrschaft ohne Himmel Hobbes Verbildlichung einer dauerhaften Souveränität vollzieht sich in distanzierter Parallele zur Sonnenikonographie des französischen Absolutismus.249 Im Bild einer künstlichen Ewigkeit fixiert der Leviathan einen Dissenz zum Herrscherkult, wie ihn Wenzel Hollars an französische Formeln angelehntes Bildnis von Charles II. markiert (Abb. 17). Der Prinz ist in Analogie zu dem auf dem Felsenabhang gezeigten Vogel gesetzt, der sein Nest in Brand setzt, um in ihm zu verbrennen und aus der Asche kathartisch gereinigt wieder aufzuerstehen, als wiederauferstandener Phönix (Redivivo Phoenici), gefeiert. Das Motiv geht vermutlich auf die Krönung des jungen französischen Königs Louis XIV. zurück, die sich 1643, also zu einem Einen Versuch, Hobbes in die Kultur des Barock einzufügen, unternimmt Angoulvent, die im Konflikt zwischen Natur und Staat der Natur die Geschichte und die Tragik, dem Staat aber die ahistorische Konstruktion und die Ästhetik zuweist; in diesem Zwiespalt bleibt „la pensée de Hobbes (…) tragique de nature baroque“ (1992, S. 200), und beide Größen bespiegeln sich (S. 246). 249
A. HERRSCHAFT OHNE HIMMEL
Zeitpunkt, zu dem Hobbes in Paris war, ereignet hatte. Erstmals seit zwei Jahrhunderten war nach dem Ableben des Vorgängers kein Scheinleib des Verstorbenen verwendet worden. Dieser Bruch mit der Tradition hatte sich bereits 1610 nach der Ermordung von Henri IV. abgezeichnet, als sowohl das Parlament wie die Königin, Maria de’Medici, versuchten, qua eigener Machtvollkommenheit die Zeit des Interregnums zu vermeiden und die Inthronisation des Nachfolgers noch vor der Bestattung des toten Königs zu vollziehen. Noch am Todestag ernannte das Parlament Maria de’Medici zur Königin, während sie selbst am folgenden Tag ihren Sohn Louis XIII. zum neuen König ernannte, wobei es zu tumultartigen Szenen kam.250 Die Effigies, die auf diese Weise streng genommen überflüssig geworden war, wurde zwar noch mitgeführt, aber auch sie wurde zum Objekt derselben Querelen, denn sowohl Vertreter des Parlamentes wie des Klerus rangen um die räumlich nächstgelegenen Positionen.251 Diese Konflikte wurden durch die absolutistische Theorie beseitigt, derzufolge sich die Sukzession bereits durch die Befruchtung im Mutterleib vollziehe, weil der Körper des Nachfolgers die himmlische Dignität der Königswürde aufweise.252 Der Entwurf einer Gedenkmedaille auf die Inthronisation des jungen Louis XIV. sah auf der Rückseite des Königsportraits einen Phoenix in seinem Nest vor, der von Sonnenstrahlen wiedererweckt wird, so daß er, wie die Inschrift betont, „vom Himmel gesandt“ wird: „Caelo demittitur alto“253. Der Begleittext nennt den Grund, warum der Scheinleib nicht mehr benötigt wird: „Der Phönix ist geboren und erhebt sich aus der Asche seines Vaters durch den Einfluß, den er vom Himmel und von der Sonne erhalten hat. In derselben Weise ist uns der Köng wunderbarerweise von oben gegeben worden; und vom Totenbett seines Vaters erhebt er sich auf seinem Staatsbett“254. Die Effigies ist überflüssig geworden, weil die Würde von oben, aus der Immaterialität des Himmels und den Strahlen der Sonne gestiftet wird und sich unmittelbar über die Körper der Könige vermittelt. Ein größerer Gegensatz zu Hobbes Überzeugungen als diese sonnenikonographische Verankerung des Königtums ist kaum denkbar255. Der Leviathan reicht
Hanley, 1983, S. 238ff. Vgl. hierzu und zum Folgenden Klier, 1998, S. 149ff. Giesey, 1976, S. 32f. 252 S. o. S. 105 253 Paris, Bibl. Mazarine, ms.4395, fol.1 v; vgl. Giesey, 1960, S. 192 254 „Le Phoenix naist et s’eleve des Cendres de son pere par l’Influence qui luy est envoyée du Ciel et du Soleil. Ainsy le Roy nous a esté miraculeusement donné d’enhaut; Et du lict funebre de son pere il s’eleve à son lict du Justice“ (zit. nach Giesey, 1960, S. 192, Anm.55. Vgl. zur politischen Ikonographie des Phoenix: Kantorowicz, 1990, S. 383ff.; vgl. Marin, 1981, S. 124ff.). 255 Giesey (s. d., S. 90ff.) betont auf anderem Gebiet dieselbe Unterscheidung. Vgl. die gegenteilige Ansicht, daß die Haare des Leviathan wie Sonnenstrahlen wirken (Brandt, 1982, 250 251
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6. NEGATION DES NICHTS
zwar ebenfalls bis in coeleste Sphären, und vor allem die gezeichnete Fassung läßt den Riesenautomaten über der weich entwickelten Landschaft wie über einem Halbbogen aus Wolken erscheinen256, aber seine Basis bleibt das Erdrund. Sein Körper besteht nicht aus der Asche des Vorgängers, sondern aus der Gemeinschaft von Menschen, und sein Kopf wird nicht von Sonnenstrahlen erhoben, sondern durch die Vernunft der Civitas. Ob Hobbes ein mühsam sich verbergender Agnostiker oder ein nicht weniger beschwerlich sich noch als Christ begreifender Denker war, wird diskutiert werden, solange die Forschung an Hobbes interessiert ist. Ungeachtet aller Äußerungen, die Hobbes tiefen Skeptizismus nahelegen, hat er die Existenz Gottes zumindest als eine ewige, erste Ursache betont, das Naturgesetz, den Naturzustand zu überwinden und schließlich die staatliche, Gerechtigkeit und Frieden sicherende Gemeinschaft als Äquivalenz zu den Gesetzen Gottes beschrieben. Wie weit immer Gott hinter dem Naturgesetz zum lebenserhaltenden Frieden stehen mag257 – für Hobbes Begriff vom Staat ist entscheidend, daß die Mittel zu dessen Errichtung nur dadurch greifen können, daß sie nicht als vom Himmel gesandt erachtet, sondern gegen den Naturzustand gebildet und durch gemeinsamen Willensakt der Vertragspartner eingesetzt werden.258 Hierin liegt der Grund, warum Hobbes auf der Effigies beharrt, nachdem sie in der Sonnenikonographie des Absolutismus verbrannt stand. Während Hobbes Theorie der Souveränität auf die Körperlichkeit der Staatseffigies fixiert bleibt, die den Anspruch einer „künstlichen Ewigkeit“ repräsentiert, wird André Felibien gut zehn Jahre später Le Bruns Portrait von Louis XIV. als himmlisch inspirierten Abglanz jenes vom Himmel selbst geschaffenen „Meisterwerkes“ deuten, das der Kö-
S. 206) und daß die englische Tradition der herrscherlichen Sonnenikonographie das Bild des Leviathan bestimmt hätte (Hofmann, 1997, S. 31ff. Hofmann nutzt eine Serie von Metamorphosen dazu, den Kopf des Leviathan als Kern einer Sonnenscheibe zu sehen, die das Land bestrahlt; ungeachtet der hier vorgebrachten alternativen Sicht bleibt diese Serie ein gedankliches Kunstwerk). 256 Brown, 1978, S. 32 257 Warrender (1957) zog den Schluß, daß hinter dem Naturgesetz das göttliche Gebot steht; die sich anschließende, vornehmlich kritische Diskussion wurde durch Skinners (1988) Antwort auf Trainor (1988) zusammengefaßt und abgewogen (vgl. auch Hampton, 1986, S. 94f ). Die immer wieder bemühte Formel „Jesus is the Christ“ bezeichnet einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der jenseits aller Partikularinteressen einen göttlichen Auftrag zum Frieden verkörpert (Kodalle, 1972, passim; Metzger, 1991, S. 215ff., 227; Hofmann, 1997, S. 44). 258 Hobbes, 1991, Leviathan, I, 11, S. 74f. und ebda. III, 35, S. 282 („Kingdom of God“). Zur Frage von Hobbes Sicht Gottes vgl. Bertozzi, 1983, S. 31–34 und die alle Facetten zusammenfassende Darstellungen von Pacchi, 1988, und ders., 1990, S. 102ff.
B. KRITIK DES VAKUUMS
nig selbst verkörpert.259 Die Verwandlung des Souveräns in eine lebende Statue, die anläßlich des Todes von James I. durch den englischen Lordsiegelbewahrer formuliert worden war, ist in Paris zur Bildtheorie des Absolutismus geworden. Der „Leviathan“ dagegen begründet die Imago der Staatsmacht ohne Mithilfe des Himmels, und er definiert innerweltliche Ansprüche, die nicht nur vom Souverän ausgehen, sondern auch an ihn gerichtet werden. Um einen Souverän zu imaginieren, dem weder Gott noch die Sonne noch die Geschichte die Legitimation verleiht, kommt Hobbes auf die egalitäre Versammlung von Menschen, die sich im Leviathan entäußern, um von dessen Übermacht den Frieden zu erhalten. Im Gegensatz zum absolutistischen König findet der Leviathan keine Basis außer in sich selbst, also in jenen Menschen, die ihn durch Vertrag erschaffen. Der Vertrag und sein Produkt, der Leviathan, sind Schöpfungen gegen das Nichts. In diesem Nihil finden Hobbes Überlegungen ihren abgründigen Ausgangspunkt.
b. Kritik des Vakuums In den Erläuterungen zum „Leviathan“ äußert Hobbes, daß schon die Heilige Schrift die Schöpfung aus dem Nichts betont habe,260 und dieser Rekurs auf den Nullpunkt durchzieht sein gesamtes Werk. Seine radikalste Form hat das Nachdenken über das Nichts im Gedankenexperiment der Annihilation des gesamten Universums gefunden, das Hobbes zu Beginn seiner „ersten Philosophie“ durchführt.261 Am Ende verbleibt allein mehr ein einziger Mensch. Er würde, so Hobbes, aus der Erinnerung die Erscheinungen und Wirkungsweisen der untergegangenen Welt benennen, als wären sie noch vorhanden. Er könne nicht begreifen, daß seine Bezeichnungen keine Bedeutung mehr besäßen, weil ihre Gegenstände Nichts geworden seien. Derselbe Mechanismus gelte auch für die existierende Welt, denn niemand könne sagen, ob das Gegenüber, das die Empfindungen und Vorstellungen ausgelöst habe, noch existiere und ob es genau dem Bild entspräche, welches die Gedanken von ihm entwickelt hätten.262 Die Annihilation des Universums ist für Hobbes nicht nur Denkspiel, sondern wirkliche Möglichkeit, die sowohl für die physische wie für die politische Welt
„Chef-d’oeuvre de son pouvoir“ (Félibien, 1663, S. 4; zit. nach Germer, 1997, S. 221; vgl. Marin, 1981, S. 256). 260 „(…) omnia facta esse ex nihilo“ (Hobbes, Appendix ad Lev., in: HOL, III, S. 513; vgl. Riedel, 1975, S. 182f .). 261 Hobbes knüpft auch hier an Patrizi an (s. o. S. 69 f.); vgl. Riedel, 1975, S. 183f. und Schuhmann, 1986, S. 265ff. 262 Vgl. die Varianten in den „Elements of Law“ (Hobbes, 1994, I, 8, S. 22), im Konzept von „De Corpore“ (Hobbes, 1973, Manuskript MS 5297, National Library of Wales, S. 449f. ) sowie in „De Copore“ selbst (Hobbes, 1967, De Corpore, II, 7, 1f, S. 77ff.). 259
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gilt.263 Aus diesem Grund ist die gedankliche Konstruktion des „Nihil“ der Ausgangspunkt auch für den Bereich des Politischen. Um die Modi des Zusammenlebens erörtern zu können, muß sein Fehlen in jenem Naturzustand vorausgesetzt werden, der alle metaphysischen oder naturphilosophischen Begründungen des Zusammenlebens und der Herrschaft eliminiert. In diesem, keinen Rest lassenden Reduktionismus liegt der tiefste Bruch mit der Aristotelischen Tradition, die in der Polis ein unhintergehbares Fundamentum sah, das der Natur nicht entgegengestellt werden konnte, weil es mit ihr in Einklang war.264 Die „Elements of Law“, „De Cive“ und schließlich der „Leviathan“ begründen dagegen, daß das Politische nur im Gegensatz zu einem Zustand gedacht werden kann, in dem es restlos fehlt. Gedanken und Konzepte des Politischen bleiben solange Phantasmata, als sie sich nicht auf das Nichts, sondern auf vergangene Zustände oder zukünftige Wünsche beziehen. Die zweite Konsequenz des Annihilationsgedankens auf den Begriff des Politischen liegt darin, das Nichts durch Schöpfung zu tilgen, die von allen Einbildungen absieht und allein die Mathematik zum Maßstab nimmt. Hobbes zufolge sind nur Arithmetik und Geometrie in der Lage, sich den zerstörerischen Leidenschaften der Menschen zu widersetzen, weil sie keine Möglichkeit bieten, Objekte zeitbedingter Ansprüche und Gelüste zu werden. In ihrer leidenschaftlosen Wahrheit sind sie an jedem Ort und zu jeder Zeit gültig265. Als passionsfreies Instrument des Augenblicks muß der Staat auf der Mathematik gründen, denn „die Fertigkeit, Gemeinwesen zu schaffen und zu erhalten, liegt in bestimmten Regeln, wie sie die Arithmetik und Geometrie aufweisen“266. Da die Geometrie im Gegensatz zu den Zahlen sinnlich erfahrbar ist, eignet sie sich, wie Hobbes fünf Jahre nach Publikation des „Leviathan“ betont, besonders für die Erschaffung des Commonwealth: „In den Künsten sind einige demonstrierbar, andere nicht; und darzustellen sind jene, bei denen die Konstruktion des Gegenstandes in der Macht des Künstlers selbst liegt, der in seiner Demonstration nicht mehr tut, als die Konsequenzen seines eigenen Vorgehens abzuleiten. Die Geometrie ist daher darstellbar, denn die Linien und Figuren, aus denen wir schlie-
Riedel, 1975, S. 183f; Zarka, 1997, 66ff., et passim. Riedel, 1975, S. 174ff. Vgl. zu Hobbes Auseinandersetzung mit Aristoteles Konzept des zoon politikon die gründliche Untersuchung von Wolfers, 1991, S. 54ff.; ebda., S. 138ff., eine Zurückweisung jüngerer Versuche, den Bruch zwischen Hobbes und Aristoteles zu mindern. 265 Hobbes, 1991, Leviathan, XI, S. 74; vgl. Sacksteder, 1980, S. 145f., Giorello, 1990, S. 218ff. und Valentine, 1997, S. 24, 33 266 „The skill of making, and maintaining Common-wealths, consisteth in certain Rules, as doth Arithmetique and Geometry“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XX, S. 145). 263 264
B. KRITIK DES VAKUUMS
ßen, sind durch uns selbst gezeichnet und beschrieben; und die politische Philosophie ist darstellbar, weil wir die Gemeinschaft selbst schaffen“267. Mit diesem Rückzug auf die Geometrie, die unabhängig von den Leidenschaften der Menschen eine unhintergehbare Exaktheit vorführt, die darstell- und umsetzbar ist und in ihren „Linien und Figuren“ den Schöpfer auch zum „Künstler“ werden läßt, erhebt sich allerdings das Problem, woher angesichts dessen, daß das im Gedankenexperiment hypostasierte Nichts doch absolut leer ist, die Gesetze der Geometrie stammen. Auf politischer Ebene stellt sich dasselbe Problem als Frage, wie sich ein Staat aus einem Zustand erheben kann, der durch nichts auf seine Existenz vorausweist.268 Den Ausweg aus diesem Paradoxon bietet für Hobbes der Sehsinn. Dem Visus attestiert Hobbes zwar einerseits, Bilder zu erzeugen, die, weil sie die Bewegungen des Gehirnes, nicht aber die Außenwelt reflektieren, mit der äußeren Wirklichkeit so wenig zu tun haben wie die Begriffe, welche der letzte Mensch angesichts eines annihilierten Universums nutzt. Anderseits aber gelingt es Hobbes zufolge der Optik, die Verzerrungen mittels der Geometrie zu erkennen und damit den Sehsinn durch sich selbst korrigieren zu lassen, um in dieser selbstinterpretativen Spirale tatsächlich zu erfahren, daß die Welt den Regeln der Geometrie gehorcht269. Als Kontrollorgan des Augensinns ist die Geometrie für Hobbes der Garant dafür, daß sich der Mensch einer äußeren Wirklichkeit angemessen nähern kann. Nach den Gesetzen der Geometrie zu denken, sprechen, handeln und vor allem: zu schöpfen, bedeutet für Hobbes, eine künstliche Wirklichkeit zu schaffen, die nicht auf Phantasmen und Einbildungen, sondern so weit als möglich auf Realität gründet. Allein diese künstliche Welt, die der Mensch nach den Regeln der Geometrie geschaffen hat, kann er vollständig selbst verstehen und verantworten.
267 „Of arts, some are demonstrable, others indemonstrable; and demonstrable are those the construction of the subject whereof is in the power of the artist himself, who, in his demonstration, does no more but deduce the consequences of his own operation. Geometry therefore is demonstrable, for the lines and figures from which we reason are drawn and described by ourselves; and civil philosophy is demonstrable, because we make the commonwealth ourselves“ (Hobbes, Six Lessons to the Professors of the Mathematics, in: HEW, Bd. VII, S. 183f. Vgl. Baruzzi, 1973, S. 52f.). 268 Die sogenannte Warrender-These, derzufolge jene Gesetze, die den friedensstiftenden Staat begründen, bereits im Naturzustand als göttlicher Imperativ vorhanden und lediglich „suspendiert“ seien (Warrender, 1957, S. 14, 26, 38, 98; zur Kritik: Willms, 1970, S. 113–115), versucht diese Lücke zu schließen, und obwohl ihr theologischer Zug verfehlt erscheint, hat sie das Problem pointiert. 269 Vgl. die grundlegende Studie von Pacchi, 1965, S. 53ff., bes. 62f., Rossini, 1988, S. 66–70, Zarka, 1987, S. 38f. sowie, auf der Basis von Hobbes „First draught of the Optiques“: Stroud, 1990, S. 273–276.
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Zwischen der Geometrie und der Kunstschöpfung vermittelt die Linie. Sie birgt sowohl die Wahrheit über den Aufbau der Welt wie auch die Möglichkeit, leidenschaftsfreie Kunstwelten zu konstruieren, und als Grundlage der Kunst markiert sie die äußerste Grenze zwischen dem Nichts und der Schöpfung. Während, so Hobbes, die Lehre von Recht und Unrecht andauernd mit der Schreibfeder und dem Schwert umkämpft wird, weil hier Interessen verteidigt werden, ist etwa die Regel, daß die drei Winkel eines Dreieckes zwei Winkeln eines Rechteckes entsprechen, für niemanden bedrohlich. Aus diesem Grund ist die „Lehre der Linien und Figuren“ kein Gegenstand der Kontroverse.270 Von dieser Beobachtung führt eine direkte Linie zum Begriff des „design“, der in Übereinstimmung mit dem „disegno“ der italienischen Kunsttheorie sowohl den Sinn von „Ziel“ und „Bestimmung“ wie auch von „Zeichnung“ haben konnte.271 Hobbes verwendet ihn zumeist in der gebräuchlichen Form des gedanklichen Vorhabens, aber bereits in seiner Definition der Klugheit findet sich ein Übergang zur Bedeutung des Zeichnens, insofern er hier von einem Menschen spricht, „that has a designe in hand“.272 Das Zusammenspiel von Geist und Hand hat hier einen metaphorischen Sinn, und die Bemerkung, daß es natürlicher sei, eine Sache per „design“ über die Hand „vor Augen“ zu führen, als durch Worte das Ohr anzusprechen, meint nicht das Zeichnen, sondern die Ansprache der Augen durch das Handauflegen.273 Dasselbe gilt für die Betonung des Sehsinns vor dem Hörsinn: „Um einen Menschen, oder irgend etwas etwas anderes durch die Hand dem Auge zu bezeichnen (designe) ist weniger Anlass zum Mißverständnis, als wenn es durch Namensnennung dem Ohr geäußert wird“.274
270 „(…) which is the cause that the doctrine of right and wrong is perpetually disputed, both by the pen and the sword: whereas the doctrine of lines and figures is not so; because men care not, in that subject, what be truth, as a thing that crosses no man’s ambition, profit, or lust. For I doubt not, but if it had been a thing contrary to any man’s right of dominion, or to the interest of men that have dominion, that the three angles of a triangle should be equal to two angles of a square, that doctrine should have been, if not disputed, yet by the burning of all books of geometry suppressed, as far as he whom it concerned was able.“ (Hobbes, 1991, XI, S. 74). 271 Kemp, 1974; vgl. Wolf, 1997, mit Blick auf die Diskussion auch im Bereich der Naturwissenschaft des 17. Jahrhhunderts. 272 „When the thoughts of a man that has a design in hand, running over a multitude of things, observes how they conduce to that design, or what design they may conduce unto; if his observations be such as are not easy, or usual, this wit of his is called prudence, and dependeth on much experience, and memory of the like things and their consequences heretofore.“ (Hobbes, 1991, VIII, S. 52). 273 „So natural it is to design any individual thing rather by the hand, to assure the eyes, than by words to inform the ear, in matters of God’s public service.“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XLII, S. 376). 274 „And to design a man, or any other thing, by the hand to the eye is less subject to mistake than when it is done to the ear by a name“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XLII, S. 376).
B. KRITIK DES VAKUUMS
Daß hier ein Faible für die unverstellte, klare Form der künstlerischen Linie mitschwingt, spricht Hobbes dann aber ausdrücklich in seiner Theorie der Dichtkunst aus. Das Horazsche „ut pictura poesis“ aufnehmend, gilt für ihn: „Dichter sind Maler: Ich würde sehr gern einen anderen Maler sehen, der (…) nichts nutzen würde als reine Linien, ohne die Hilfe auch nur des geringsten unschönen Schattens, wie Ihr es getan habt“.275 Als würde er unausgesprochen die Technik Abraham Bosses preisen, der etwa zur Zeit, als er diesen Wunsch aussprach, das Frontispiz des „Leviathan“ entworfen haben muß, schlägt Hobbes hier die Brücke vom Maler zum Dichter über die Linie, die in ihrer schattenlosen und unzweideutigen Klarheit auf die Geometrie zurückgeht. Hierin liegt der Grund, warum die ersten Sätze des „Leviathan“ mit der kunsttheoretischen Begründung der mechanischen Schöpfung eines Androiden beginnen. Er beseitigt einen Zustand, der durch die Abwesenheit aller Regeln des menschlichen Zusammenlebens definiert ist, aber diese Negation der Negation vollzieht sich Hobbes zufolge nicht in Willkürakten einer phantasmatischen Rhetorik oder Philosophie, sondern durch analytische Schritte, die sich der Genauigkeit und Überprüfbarkeit des Rechnens und des Zeichnens anpassen. Hobbes Philosophie hat das Nichts zum Ausgangspunkt, um dieses durch eine Schöpfung zu tilgen, die ihre Aufbauprinzipien gegen das nackte „Nihil“ zu stellen versteht und darin die Sicherheit gewinnt, nicht auf Illusionen, sondern auf Wirklichkeit zu gründen. Diese verkörpert der Leviathan: ein künstliches Gebilde, das auf Grund seines Status als kunsttechnologisch geschaffener Android beanspruchen kann, mehr zu sein als nur ein Phantasma. Wie schwer es war, beide Seiten, die gedankliche Voraussetzung und die praktische Überwindung des Nichts, miteinander zu verbinden, wird an Hobbes zwiespältiger Haltung gegenüber der Idee des Vakuums deutlich. Als Evangelista Torricelli im Jahre 1644 einen 4 cm hohen, luftleeren Vakuumraum in einer Quecksilbersäule geschaffen hatte, war bewiesen, daß die Natur, von der man bislang angenommen hatte, daß sie einen „Horror vacui“ habe, leere Räume zuließ. Zwischen der Erzeugung des Vakuums und der Deutung des Weltraumes wurde sofort eine Verbindung gezogen, da William Gilbert (1544–1603) schon im Jahre 1600 angenommen hatte, daß die Erde ein Magnet sei, der die Luft anziehe, während die Räume zwischen den Planeten luftleer seien. Torricelli konnte präzisieren, daß die Menschen auf der Erdoberfläche wie auf dem Grund eines Luftmeeres leben, das mit seinem Gewicht in alle Richtungen drückt, zum Weltraum aber abnimmt und schließlich in Leere übergeht. Dieser Gedanke warf die Frage auf, ob Gott in einem
275 „Poets are Paynters: I would faine see another Painter draw so true perfect and natural a Love to the Life, and make use of nothing but pure lines, without the helpe of any the least uncomely shaddow as you have done“ (Hobbes, 1971, S. 50; vgl. Skinner, 1996, S. 383).
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leeren Raum nicht überflüssig sei, denn mit der Materie schien der Stoff entzogen, den Gott bei seiner Schöpfungstat geschaffen oder gestaltet hatte. Dies war der Grund, nach einer zwischen den Sternen schwebenden, unsichtbar feinen Materie oder nach dem Äther zu suchen.276 In seiner ersten Behandlung der Frage im „Anti White“ von 1643 hat Hobbes die Existenz des das Vakumms bejaht,277 aber im „Leviathan“ ist diese Vorstellung der spätestens im Frühjahr 1648 gefaßten Überzeugung gewichen, daß das Universum insgesamt und in all seinen Teilen körperlich sei und daß, was keinen Körper habe, auch nicht als dessen Teil erachtet werden könne.278 Der Grund für diesen Sinneswandel liegt darin, daß Hobbes das Vakuum im Zuge der Überführung der Naturphilosophie in die Gesellschaftslehre nicht mehr als ein Fixpunkt der Aufklärung, sondern als ein bewegliches Schlupfloch des „Königreiches der Finsternis“ erschien. Das Vakuum war ihm nun ein Instrument jener Verwirrer, die von „abstrakten Wesenheiten“ und Geistern schwärmen, welche sich in materielosen Regionen aufhalten und in die wirklichen Körper „bald eingegossen, bald eingeblasen“ werden können. Indem sie predigen, daß die Untertanen keinen Gehorsam aktiv zu leisten haben, sondern daß ihnen dieser wie in einen passiven, leeren Raum eingegeben werden müsse, fördern sie Gedanken, „welche die Abhängigkeit von Untertanen gegenüber der souveränen Macht ihres Landes vermindern“279. Weil die Vorstellung, daß es leere, unkörperliche Räume im Universum gibt, die aufgefüllt werden können, für Hobbes geeignet ist, den Bürgerkrieg zu fördern, lehnte er das Vakuum ab.280 In Otto von Guerickes 1672 in Amsterdam gedruckten „Experimenta Nova“ hätte er die nachträgliche Bestätigung seiner Kritik des Vakuums finden können, denn Guericke läßt seine pansophische Feier des Nichts, zu dem auch das Vakuum gehört, unter anderem mit dem Sprichwort enden: „Wo das Nichts ist, da endet die Gerichtsbarkeit aller Könige“281. Der Aufwand, mit dem Hobbes seinen Leviathan ausstattet, vermag etwas von einer derart verstandenen Macht des Nichts wiederzugeben, gegen das er die Civitas errichtet sehen wollte. Diese Kraft des „Nihil“ war umso bedrohlicher, als sie
276
Descartes, 1650, Abb. S. 145; zum Äther: Koyré,1969, S. 125, 157f. und Knobloch,
1998 Hobbes, 1973, III, 8–12, S. 121–125; ders., 1976, S. 46–50 Hobbes, 1991, Leviathan, XLVI, S. 643f. Vgl. explizit auf das Vakuum bezogen: Hobbes, 1997, De Corpore, 26, 2–4, S. 272–278. Zu den Leistungen und inneren Widersprüchen von Hobbes Raumbegriff, in den sich die Idee des Vakuums einbettet: Gosztonyi, 1976, Bd. 1, S. 292–298. Zum Umschlag von 1648 zuletzt: Blay, 1998, S. 76 279 „(…) things that serve to lessen the dependance of Subjects on the Souveraign Power of their Country“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XLVI, S. 465). 280 Shapin & Schaffer, 1985, S. 108f.; vgl. Latour, 1995, S. 29ff. 281 „Ubi nihil est, ibi omnium Regum cessat jurisdictio“ (Guericke, 1672, VII, S. 63; vgl. Kauffeldt, 1968, S. 56f. und 243 und Weigl, 1990, S. 64ff.). 277 278
C. DOPPELCHARAKTER DER SPRACHE
jederzeit wiederkehren konnte. Für Hobbes kam es unter allen Umständen darauf an, den Rückfall in das Nichts des Interregnums zu verhindern und den Leviathan so dicht wie nur irgend möglich zu wappnen. Für Hobbes kann ein dem Nichts entgegengesetztes Universum nur körperlich denkbar sein. Aus diesem Grund beginnt er den „Leviathan“ mit seiner Theorie, daß alle Empfindungen und alle Einbildungskraft die Folgen sinnlich-körperlichen Druckes sind.282 Aus demselben Grund beharrt er darauf, daß sprachliche Begriffe auf Erfahrungen rekurrieren müssen und daß, wenn dies nicht gewährleistet ist, Gefahren sowohl für die Gemeinschaft wie auch für die Sprache selbst entstehen.
c. Doppelcharakter der Sprache Die Sprache ist für Hobbes zunächst, wie schon die arkane Verhüllung des Textes auf der unteren Hälfte des Frontispizes ausweist, von unvergleichlichem, den Menschen vom Tier unterscheidenden Wert. Unmittelbar von Gott gegeben, kann es ohne sie weder ein Gemeinwesen noch Frieden geben,283 und indem sie Klarheit in den Fluß der Gedanken zu bringen und Wissenschaft zu ermöglichen vermag, ist sie die Trägerin der Vernunft 284. Aber sie besitzt für Hobbes einen Doppelcharakter. Da sie nicht auf Wirklichkeit, sondern auf Vorstellungen von tatsächlichen Begebenheiten reagiert, birgt sie die Gefahr des Eigenlebens, und damit wird sie Inkarnation jener Ungewißheit, gegen die sich das Frontispiz richtet. Beim Aussetzen der Kontrolle zwischen dem bezeichnenden Wort und dem bezeichneten Gegenstand kann Hobbes zufolge eine Nonsens-Welt entstehen, in der allein eine absurde Macht des Wortes regiert: „Endlich verführt die Mühelosigkeit des Sprechens den Menschen auch dazu, zu reden, wenn er überhaupt nichts denkt, und indem er, was er redet, für wahr hält, sich selbst zu täuschen. Das Tier kann sich nicht selbst täuschen. So wird der Mensch durch die Sprache nicht besser, sondern nur mächtiger“285. Das linguistische Agieren jenseits der Welt des Realen ist daher nichts weniger als harmlos, denn die hieraus entstehenden Mißverständnisse gehören zu den Ursachen aller Zerwürfnisse: „Ein und derselbe Mensch weicht zu verschiedenen Zeiten von sich selbst ab und preist zu einer Zeit, das heißt erklärt als gut, was er zu einer
Hobbes, 1991, Leviathan, I und II, S. 13–24 Hobbes, 1991, Leviathan, IV, S. 24 284 Hobbes, 1994, Vom Menschen, Kap.10, S. 16f.; vgl. Strutz, 1990, S. 359, mit anderen Belegstellen. Eine emphatische Verabsolutierung dieser Seite von Hobbes Sicht der Sprache führt Ball (1985) zum Urteil, sie repräsentiere einen frühen „linguistic turn“. 285 Hobbes, De homine, 10, 3 hier zit. nach: ders., Vom Menschen. Vom Bürger, 1994, S. 18. Vgl. zu diesem Moment einer politisch gemünzten Wendung von Hobbes Sprachkritik Münkler, 1993, S. 83ff.; auch zum Folgenden. 282 283
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anderen Zeit tadelt und böse nennt: und hieraus entstehen Dispute, Streitereien und schließlich Krieg“286. Durch „die Kunst der Worte“ ist es Hobbes zufolge möglich, „das, was gut ist, als böse und das Böse als gut erscheinen zu lassen und die ersichtliche Größe des Guten und des Bösen zu vergrößern oder zu mindern und zum eigenen Vergnügen die Menschen unzufrieden zu machen und ihren Frieden zu stören“287. Dieser Gedanke des „Leviathan“ steht nicht isoliert. Wie auch sein Lehrer Francis Bacon lehnte Hobbes insbesondere die Rhetorik als Schule einer potentiell zerstörerischen Form der Sprachausübung ab288. Thukydides, der in seiner „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ nicht nur die üblen Folgen der Rhetorik bloßgestellt, sondern seinerseits die Alternative einer Sprache geboten hatte, bei der die Ereignisse schnörkellos in Worte umgesetzt schienen, war für Hobbes das überragende Gegenbeispiel: „Wenn die Wahrheit einer Geschichte jemals in der Art des Berichtes erschien, so tut sie dies in dieser Geschichtsschreibung“289. Als eine Art Antidotum gegen die Rhetoriker seiner Zeit, so erklärt Hobbes in seiner gereimten Autobiographie, habe er Thukydides Opus in das Englische übertragen.290 Im Vorwort der Übersetzung läßt Hobbes seine Abneigung gegen die Virtuosen der Zunge im Urteil über Dionysius Halicarnassius gipfeln: „He was a rhetorician“291. Von Thukydides übernahm Hobbes, daß der Verfall der semantischen Gemeinsamkeiten eine der Hauptursachen des Bürgerkrieges sei. Thukydides sei ein Gegner der Demokratie geworden, weil er erfahren habe, wie leicht die Athener durch Rhetoren zu entflammen gewesen waren. Der griechische Historiker war für Hobbes der historische Gewährsmann dafür, daß die Demokratie eine Bühne für moralfreie Sprachvirtuosen bereitstelle, und seine Übersetzung sah er als einen Schutz gegen die Demagogen seiner eigenen Zeit.292
„The same man, in divers times, differs from himselfe; and one time praiseth, that is, calleth Good, what another time he dispraiseth, and calleth Evil: From whence arise Disputes, Controversies, and at last War“ (Hobbes, Leviathan, 1991, Leviathan, XV, S. 110f.). Vgl. Münkler, 1993, S. 90f. 287 „Yet they want that art of words, by which some men can represent to others, that which is Good, in the likeness of Evill; and Evill, in the likeness of Good; and augment, or diminish the apparent greatnesse of Good and Evill; discontenting men, and troubling their Peace at their pleasure“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, Punkt 4, S. 119f.). 288 Rossini, 1987, S312ff. 289 „No word of his, but their [der Athener] ownn actions do sometimes reproach them. In sum, if the truth of a history did ever appear by the manner of relating, it doth so in this history“ (Hobbes, Thukydides, in: HEW, S. xxi). Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen Hobbes und Thukydides: Johnson, 1993, S. 152ff. 290 Skinner, 1996, S. 344, Anm. 90 291 Thomas Hobbes, On the life and history of Thukydides, in: HEW, Bd. VIII, S. xxvi 292 Reik, 1977, S. 203, Anm. 32; vgl. Münkler, 1993, S. 41, 88f. 286
C. DOPPELCHARAKTER DER SPRACHE
Angesichts der Erfahrung, daß der englische Bürgerkrieg nicht aufzuhalten war, schlug die Warnung vor der Rhetorik in eine unversöhnliche und in ihrer Schärfe wohl unübertroffene Kritik der Sprachkunst durch. So bilden die „Elements of Law“ von 1640 und „De Cive“ eine kaum mehr steigerungsfähige Philippika gegen die Rhetorik, welche für Hobbes nicht die Wahrheit, sondern den Sieg zum Ziel hat und daher bereit ist, die Lüge zum Prinzip zu erheben.293 In „De Cive“ von 1642 erscheint die Sprache als ein fast beliebig einzusetzendes Instrument von Aufruhr und Bürgerkrieg: „Die Zunge des Menschen aber ist gleichsam die Trompete des Krieges und Aufruhrs, und von Perikles erzählt man, daß er einmal durch seine Volksreden gedonnert, Blitze geschleudert und ganz Griechenland in Verwirrung gebracht habe“294. Für Hobbes war die englische Revolution daher auch ein Sieg der Rhetorik über die Wissenschaft. Die Rhetoriker hatten die Fackel des Bürgerkrieges entfachen und ihr Zerstörungswerk auch zu Ende führen können, weil die Vernunft gegen ihre Verbindung von Eloquenz und Macht ohne Chancen war.295 Auf das traumatische Erlebnis einer entfesselten Rhetorik hat Hobbes im „Leviathan“ jedoch mit einer Rehabilitierung der Rhetorik reagiert, die in der Satire des Papsttums als „Elfenreich“ auf unnachahmliche Weise gipfelt.296 Diese Wendung ist damit erklärt worden, daß Hobbes angesichts der Niederlage der Antirhetoriker eingesehehen habe, daß es unumgehbar sei, Mittel der Eloquenz zu nutzen, sobald der Leser oder Zuhörer überzeugt werden solle, und sei es vom Unsinn der Rhetorik. Hobbes habe lernen müssen, daß die Rhetorik nur in Bezug auf die Naturwissenschaft schade, während sie für die Gesellschaftswissenschaft unumgänglich sei.297 Offenbar war Hobbes angesichts der Übermacht der Rhetoriker dazu übergegangen, den Teufel der Rhetorik nicht allein mit den Waffen der Weisheit schlagen, sondern ihm als Beelzebub zu begegnen und mit den eigenen Waffen zu schlagen. Er konnte diesen Kampf umso entspannter führen, als er nun über andere Mittel verfügte, die den Waffen der Rhetorik überlegen waren.
Hobbes, 1983, De Cive X/XI, Lat., S. 178, Engl. S. 137 Hobbes, 1983, De Cive V/V, Lat., S. 133, Engl., S. 88; Übers. nach Hobbes, 1994, S. 127. Vgl. Skinner, 1996, S. 265ff. 295 Ptassek, 1993, S. 123ff.; Skinner, 1996, S. 343, 435; zur allgemein geäußerten Kritik an den Monstren der Sprache: Stillman, 1995, Philosophy, S. 115ff., 134f.; vgl. auch Kodalle, 1996, S. 112ff. 296 Hobbes, 1991, Leviathan, XLVII, S. 480ff. („Kingdome of Fayries“); Rehabilitation der Rhetorik: ebda., Review and Conclusion, S. 483f. Der Problematik war sich Hobbes natürlich bewußt: „There is nothing I distrust mor than my Elocution; which nevertheless I am confident (…) is not obscure“ (ebda., S. 490). 297 Ptassek, 1993, S. 128f.; Skinner, 1996, S. 343ff. 293 294
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6. NEGATION DES NICHTS
d. Kritik der Rhetorik Hobbes forcierte Verachtung der Rhetorik, die er im „Leviathan“ doch seinerseits ausgiebig nutzt, wird besonders schlagend an der Art sichtbar, in der er das Sinnbild der Beredsamkeit auf den Leviathan anwendet. Es handelt sich um die Frage, durch welche Bänder und Ketten die Bürger an die Obrigkeit zu fesseln seien. Den Prototypus hatte Ambrogio Lorenzetti in den Jahren 1337–1340 im Palazzo Pubblico auf der Seite der „Guten Regierung“ freskiert (Abb. 58). Von der weiblichen Verkörperung der „Guten Regierung“ geht das aus zwei verschiedenfarbigen Strängen gedrehte Band der Eintracht („vinculum concordiae“) über die Verkörperung der Concordia zu einem der Bürger, der es der folgenden Gruppe weitergibt. Getreu der Auffassung, daß jene Zwänge am ehesten greifen, die freiwillig akzeptiert werden und daher nicht mit Gewalt durchgesetzt werden müssen, wird es nur locker gehalten, um dann zur Zepterhand der männlichen Verkörperung der Guten Regierung hochgereicht zu werden.298 Dieses Sieneser Tau ist das wohl berühmteste Zivilband der politischen Ikonographie, und möglicherweise hat Hobbes es anläßlich seiner zwei Italien-Reisen gesehen. Es könnte ihn angeregt haben, bei der Umschreibung dessen, daß bei allen menschlichen Handlungen Freiheit und Notwendigkeit zusammenkommen, die über lange Abfolgen bis auf den Ursprung aller Ursachen zurückreichen, das Motiv „einer zusammenhängenden Kette, deren erstes Glied in der Hand Gottes liegt“299, zu wählen. Hobbes hat hier erneut das „Corpus Hermeticum“ paraphrasiert,300 und das Bild stammt offenbar neuerlich von Merians „Spiegel der Natur“ (Abb. 32), auf dem die aus der himmlischen Wolke ragende Linke Gottes mit Hilfe einer Kette den rechten Arm der Natura in eigenartig abgespreiztem Winkel hält.301 Hobbes hat das Kettenmotiv noch ein zweites, ungleich farbigeres mal verwendet: „Aber wie die Menschen zur Erringung des Friedens und der durch ihn erreich-
Skinner, 1986, S. 12–14, 43; Modersohn, 1997, S. 171; Hofmann, 1997, S. 19f. „Liberty ,and Necessity are consistent; as in the water, that hath not only liberty, but a necessity of descending by the Channel; so likewise in the Actions which men voluntarily doe: which, because they proceed from their will, proceed from liberty, and yet, because every act of mans will, and every desire, and inclination proceedeth from some cause, and that from another cause, in a continuall chain, (whose first link is in the hand of God, the first of all causes,) they proceed from necessity“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XXI, S. 146; vgl. Vollrath, 1971, S. 213). 300 „(…) ea est necessitas omnium quae geruntur, semper sibi catenatis nexibus uincta; haec itaque est aut effectrix rerum aut deus summus aut ab ipso deo qui secundus effectus est deus aut omnium caelestium terrenarumque rerum firmata diuinis legibus disciplina“ (Hermès Trismégiste, 1980, Bd. II, Asclepius, XIV, 39, S. 350, Z.1–6). 301 Knobloch macht eine weitere Quelle in Form von Heinrich von Mügelens 53. Epigramm aus: „Die Kunst nach irem mügen folgt naturen seil“ (zit. nach Knobloch, 1996, S. 69). 298 299
D. KRITIK DER RETORIK
Abb. 58. Ambrogio Lorenzetti, Das Band der Concordia, Fresko, 1337-1340, Palazzo Pubblico, Siena
ten Selbsterhaltung einen künstlichen Menschen geschaffen haben, den wir Gemeinwohl nennen, so haben sie auch künstliche, bürgerliche Gesetze genannte Ketten geschaffen, welche sie nach wechselseitiger Übereinkunft mit einem Ende an den Lippen des Menschen, oder der Versammlung, der sie die souveräne Macht übertrugen, und mit dem anderen Ende an ihren eigenen Ohren befestigten. Diese Bande, die ihrer eigenen Natur nach schwach sind, können dennoch dazu gebracht werden, zu halten – nicht weil es schwierig wäre, sie zu brechen, sondern wegen der [hierbei entstehenden] Gefahr“302. Auch für dieses zunächst eigenartig wirkende 302 „But as men, for the attayning of peace, and conservation of themselves thereby, have made an Artificiall Man, which we call a Common-wealth; so also have they made Artificial Chains, called Civil Lawes, which they themselves, by mutuall covenants, have fastned at one
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6. NEGATION DES NICHTS
Bild der zwischen Mündern und Ohren befestigten Ketten sind die literarischen und ikonographischen Quellen zu erschließen, und diese führen zur Rhetorik. Hobbes deutet hier das von Lukian geprägte Sinnbild der Beredsamkeit auf charkteristische Weise um. Der große Wanderredner und Dichter hatte nicht nur in Ägypten, Griechenland und Italien die Zuhörer beeindruckt, sondern auch in Gallien. Dort hatte er die Statue des Ogmios, einer sagenhaften Gestalt der Kelten beschrieben, die neben ihrer herkulischen Kraft auch mit ungewöhnlicher Beredsamkeit ausgestattet war, so daß von ihrem Mund goldene Ketten zu den Ohren der Hörer zu führen schienen, durch die sie gelenkt wurden.303 Durch ikonologische Handbücher wie Andreae Alciatis „Emblemata“ oder auch Vincenzo Cartaris „Imagini“ verbreitet, wurde Ogmios als „gallischer Herkules“ zum Inbegriff der Redekunst (Abb. 59)304. Um so bezeichnender ist, wie Hobbes mit diesem eindrucksvollen Bild umgeht. Der Herkules der Beredsamkeit wird zum Leviathan, aber die Ketten, die von ihm ausgehen, sind nicht die der Redekunst, sondern der Gesetze. Ihre Überzeugungskraft liegt nicht in Worten, deren Bande leicht zu zerreißen sind, sondern in der Angst, die Gesetze zu übertreten oder ganz abzuschaffen. Mit dieser Umkehrung diskreditiert Hobbes die Eloquenz, um diese durch die Binde- und Führungsmittel der Angst zu ersetzen, die davor schützen, den Wegen des Rhetors zu folgen.305 Diese hemmende Angst löst den Widerspruch auf, daß Hobbes einerseits die Rhetorik weiterhin verachtet, sie andererseits aber virtuos und mit sichtbaren Zeichen des Vergnügens nutzt. Sein Schwanken zwischen Verdammen und Nutzen der Rhetorik liegt daran, daß er sie aus dem Fokus seines Interesses auf einen Nebenschauplatz verschoben hatte. Zum Zeitpunkt der Abfassung des „Leviathan“ suchte er nach Kräften, die ihm mächtiger zu sein schienen als die Sprache. Hiervon zeugen die optischen Studien, die ihre medientheoretische Zielsetzung darin ha-
end, to the lips of that Man, or Assembly, to whom they have given the Sovereign Power; and at the other end to their own Ears. These Bonds in their own nature but weak, may neverthelesse be made to hold, by the danger, though not by the difficulty of breaking them“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XXI, S. 147). 303 Lukian, Vorwort zu: „Herakles“; zur Überlieferung: Hallowell, 1966, passim und Skinner, 1996, S. 92f.; zum Zusammenspiel von „Sprache, Bild und Raum“: Settekorn, 1996, S. 16ff. 304 Cartari, 1963, S. 181. Vgl. auch Pigler, 1974, Bd. II, S. 490. Solcherart wurden die französischen Könige zu einem alter ego des Ogmios und zur Inkorporation der Redekunst. Als Henri II. 1549 seinen Einzug in Paris hielt, stand über dem Bogen der gallische Herkules als französischer König, von dessen Zunge Ketten zu den Vertretern der vier Ständen gehen (Strong, 1991, S. 44; Settekorn, 1993, S. 26f.). 305 Vgl. Stillman, 1995, Philosophy, S. 149f. und Skinner, 1996, S. 389f., mit weiteren Angst- und Fesselmetaphern.
D. KRITIK DER RETORIK
Abb. 59. Die Rhetorik als Herkules Gallicus, Holzschnitt aus: Vincenzo Cartari, Imagini, 1647
ben, nach Überzeugungsmitteln jenseits der Sprache zu suchen,306 und noch im Rückblick seiner Autobiographie bekundet er, daß er nach seiner Rückkehr nach England im Jahre 1652 für Monate mit niemandem über religiöse Fragen diskutieren konnte, weil es „keine sichtbaren Symbole des Heils gab“.307 Für den Hobbes des „Leviathan“ lohnt das Reden nur dann, wenn das Auge einen Anhaltspunkt findet. Hinter der Erörterung der Grenzen und Möglichkeiten der Medien steht für Hobbes die Frage, welche Kommunikationsform am ehesten geeignet ist, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Durch Thukydides geschult, steht für ihn fest, daß dieser Konflikt nicht in der Welt der Wörter, sondern der Handlungen und Körperempfindungen entschieden wird. Da Sprache Handlungen nur hervorzurufen, nicht aber zu ersetzen vermag, muß als letzte Bedingung der Errichtung einer civitas die haptische Kontrolle der Aktionen kommen: „Und deshalb ist es kein Wunder, daß außer dem Vertrag noch etwas erforderlich ist, um ihre ÜbereinstimWindisch, 1997 „There were no visible symbols of the faith, no reference to the Decalogue, so that, for the first three months, he was unable to find anyone with whom he could communicate on sacred matters“ (Hobbes, 1994, S. 249). 306 307
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6. NEGATION DES NICHTS
mung beständig und dauerhaft zu machen, nämlich eine allgemeine Gewalt, die sie im Zaum halten und ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken soll“308. Diese besteht einerseits in der physischen Durchsetzung des Rechtes, denn: „Verträge, ohne das Schwert, sind nichts als Worte“309. Die zweite Komponente aber bieten Bilder. Vertragspartner sind Hobbes zufolge in der beständigen Versuchung, von ihren Verträgen abzuweichen, „wenn es keine sichtbare Macht gibt, um sie in Schach zu halten“310. Die Leerstelle zwischen den Worten des Vertrages und dem Gesamtkörper des Staates füllt die „visible power“ des Bildes. Dieses emphatisches Vertrauen in die „sichtbare Macht“ ist in Hobbes körperlichem Verständnis des Bildes und des Sehens begründet. Sehen ist für Hobbes, der hierin seinen widersprüchlichen Bezug zu Epikur offenbart, ein körperliches Reagieren, weil es eine Funktion des Lichtdruckes ist, der von den Objekten ausgeht: „Das Sehen (‚Visio‘) geschieht durch die Aktion eines scheinenden oder erleuchteten Objektes, und diese Aktion ist eine lokale Bewegung, die durch das andauernde Pressen des Mediums vom Objekt zum Auge geschieht“311. Das Wesen des Sehens liegt in seiner Eigenschaft, eine Antwort auf den Druck zu geben, der von den Licht abgebenden Objekten in pulsierenden, über den Äther vermittelten Bewegungen ausgelöst wird. Das Sehen ist erzwungene Aktion, und dadurch wird es zu einem bevorzugten Objekt von Hobbes Theorie, daß alles Politische unwirklich bleibt, solange es nicht durch Druck im Raum realisiert wird.
„Therefore it is no wonder if there be somwhat else required (besides Covenant) to make their Agreement constant and lasting; which is a Common Power, to keep them in awe, and to direct their actions to the Common Benefit“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, S. 120; Übers. zit. nach Hobbes, Leviatan, 1984, S. 134). 309 „Covenants, without the Sword, are but Words“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, S. 117). Noch in der um 1670 verfaßten „Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht“ läßt Hobbes auf die Frage des Philosophen, ob nicht für die Menschen die Gesetze „nichts weiter als tote Buchstaben“ seien, durch den Juristen antworten, daß „es nicht der Buchstabe des Gesetzes“ sei, „was die Gesetze wirksam macht, sondern die Macht eines Menschen, der die Stärke der ganzen Nation in sich vereinigt“, der also mit Bewaffneten und Geld in hinreichender Menge ausgestattet würde (Hobbes, Dialog, 1992, S. 48f.). 310 „(…) of getting themselves out from that miserable conditon of Warre, which is necessarily consequent (…) to the naturall Passions of men, when there is no visible Power to keep them in awe, and tye them by feare of punishment to the performance of their Covenants“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XVII, S. 117). 311 „Visio fit per actionem objecti siue lucidi siue illuminati, estque illa actio motus localis factus per medij pressionem ab objecto ad oculum continuam“ (Hobbes an Sorbière, 8. 1. 1657, in: Malcolm, 1994, Bd. I, Nr. 112, S. 428). Vgl. zu Hobbes und Epikur: Kimmich, 1993, S. 100f. 308
D. KRITIK DER RETORIK
Die Einbildungskraft, vorzugsweise die von Künstlern, vermag zudem die Elemente der Bilder neu zu kombinieren, so daß diese Dinge oder Vorstellungen zu repräsentieren vermögen, die in der Wirklichkeit keine direkte Entsprechung haben.312 Einen solchen Vorgang vollzieht das Frontispiz, insofern es den Staat auf eine Weise repräsentiert, in dem er sich selbst nicht unmittelbar darzustellen vermag. Dies ist der Sinn des Frontispizes. Damit Verträge und Gesetze zu kontrollierten Handlungen werden, müssen sich Worte in Körper verwandeln, und diesen Vermittlungsschritt leistet das Bild des Leviathan. Ohne visuelle Repräsentation kann der Leviathan zwar gegründet, aber nicht dauerhaft am Leben erhalten werden. Er ist kein Zusatz zur Schrift, sondern das Medium zur Überwindung ihrer Schwäche. Indem er die Phantasmatik der Auslegung von Verträgen und Gesetzen begrenzt, wird er zu einer gewaltigen Definitionsmaschine, zum „sovereign definer“313. Das Bild des furchterregenden Staatsriesen ist das Schild, hinter dem die solcherart gebändigte Rhetorik wieder einen Sinn bekommt. Schließlich spielt auch Hobbes politische Ikonographie der Zeit in das Verhältnis von Bild und Schrift. In der „artificial eternity“, in welcher der prinzipiell ewige Kampf aller gegen alle durch die unabgeschlossene Dauer der Staatseffigies ersetzt wird, kulminiert die Bestimmung des Leviathan. Da Zeit aber nur als Bewegung von Körpern erfahren und definiert werden kann, können Worte allein das Friedensreich des Leviathan nicht bewirken. Das Frontispiz ist kein Zusatz zum Text, sondern dessen Protektor, wie der Leviathan nicht etwa nur der Repräsentant, sondern die Essenz des Staates ist. Ohne das Bild des Leviathan bleibt Hobbes politische Theorie so mißverständlich wie die Dunkelheit jener Sprache, die er als Verfall der semantischen Verbindlichkeit kritisiert. Am Beginn der modernen Staatstheorie steht ein Bild, das in seiner Komplexität einsam und erratisch geblieben ist. Als Urbild des Staates zieht es eine Art Quersumme aller politischen Ikonographie. Seine Hauptbegriffe entstammen der künstlerische Mimesis-Theorie, der mechanistischen Philosophie der Automaten, der hermetischen Kunde von menschgeschaffenen Götterbildern und der Lehre von einer Phantasie, die, indem sie Bilder speichert und als „Anzeichen“ handlungsrelevant werden läßt, Kultur ermöglicht. Seine visuellen Quellen liegen in Darstellungen des Kosmos Anthropos, arcimboldesken Kompositbildern, polyoptrischen Anamorphosen, repräsentativen Sepulkralbildern und bewegungsfähigen Effigies des Königszeremoniells. In ihnen fand Hobbes den Schlüssel, nicht nur einen künstlichen, mit einer Über-Vernunft ausgestatteten Menschen,
Hobbes, 1991, Leviathan, XLV, S. 447f. Wolin, 1970, S. 265ff., hat dieses Dictum mit Blick auf die Sprache geprägt; vgl. auch Kodalle, 1996, S. 126f. 312 313
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
sondern auch eine „künstliche Ewigkeit“ zu imaginieren. Er zielt auf die Beseitigung eines Nichts, das sich ihm in Form der Körperlosigkeit der Zeit und des Interregnums der Macht zeigte. Der Leviathan ist der Vernichter dieses Nichts. Seine Tiefgründigkeit liegt schließlich darin, daß er die Aushebelung des Nichts mit einem Bild besiegelt. Seine Urquelle, Fanshawes polyoptrisches Perspektivbild, stellt in seiner Künstlichkeit die andauernde Aufforderung, zwischen Natürlichem und Artifiziellem zu unterscheiden. Insofern ist der Leviathan zugleich sakrosankt und deutungswürdig; er betäubt nicht, sondern fördert, was Hobbes in Bezug auf das Rechtssystem ausführte: der Mensch ist „gebunden, zu gehorchen (…), aber nicht gebunden, es zu glauben“314. Moderne Staaten, die ohne Bild ihrer selbst auskommen zu können glauben, haben ein Grundproblem ihrer selbst nicht gelöst, sondern lediglich überspielt. Hobbes Versuch hat trotz seines Scheiterns das Problembewußtsein dafür, daß auch Staatliches in Bildern zu denken ist, bewahrt. Vor allem aber hat er mit der Bestimmung des Zusammenhanges von Moment, Dauer und Bild eine Dimension erschlossen, die alle politischen Handlungen und Theorien einfaßt: eine politische Ikonographie der Zeit.
7. Die Dynamik der Wirkungsgeschichte a. Kritik des Staatsriesen Angesichts der Bedeutung von Hobbes „Leviathan“ muß verwundern, daß die Nachgeschichte von dessen Frontispiz erst rudimentär erforscht worden ist.315 Ein Grund für diese Leerstelle liegt darin, daß die von Radierungen und Gemälden über Postkarten und Reliefs bis zur Architektur reichenden Bildträger keine Kohärenz besitzen. Es kommt hinzu, daß Variationen, welche entweder die riesenhafte Gestalt des Leviathan, den Kompositcharakter seines Inneren oder auch beide Elemente gemeinsam aufnahmen, eine eigenartig paradoxe, zumeist gegen das Vorbild gerichtete Tradition bilden. Dies macht seine Rezeptionsgeschichte zu einer ungewöhnlich verwickelten Ereignisreihe. Den Leib des Souveräns nicht von höheren Mächten bestrahlen zu lassen, sondern ihn aus den egalitär postierten Körpern der Untertanen aufzubauen, mußte
314 „(…) bound I say to obey it, but not bound to believe it“ (Hobbes, 1991, Leviathan, XXVI, S. 198). 315 Carl Schmitt erachtete es als „das stärkste und mächtigste Bild“ der „Geschichte der politischen Theorien“ (Schmitt, S. 9; vgl. Bredekamp, 1998). Eine erste Untersuchung der Nachgeschichte stammt von Brandt, 1982; weiteres Material bieten: Falkenhausen, 1993 und Hille, 1997.
A. KRITIK DES STAATSRIESEN
Abb. 60. Allegorie der Gemeinde, Stukkatur, 18. Jahrhundert, Gemeindehaus, Trogen, Schweiz
dem Absolutismus als eine Art Kommunismus erscheinen. Da der Parlamentarismus die Aufrichtung eines „sterblichen Gottes“ im Gegenzug als ein Konstrukt der royalistischen Souveränitätslehre ansah, war er auch für diesen unbrauchbar. Hobbes geriet zum „Monster von Malmesbury“316 , und das Titelbild des „Leviathan“ wurde zur Inkarnation dessen, was vermieden werden sollte, um eine innerlich befriedete und sich selbst organisierende Gesellschaftsform zu gewährleisten. In einer symbolischen Vorwegnahme der französischen Revolution hat eine Schweizer Variante des Leviathan aus dem 18. Jahrhundert, die sein Bild als Inkarnation des Ab316
Mintz, 1962, S. vii
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 61. Das verwirrte Europa, Frontispiz von: Petrus Valckenier, Das verwirrte Europa, 1677
solutismus verkannte, eine Köpfung vollzogen (Abb. 60).317 Die Stukkatur des Gemeindehauses von Trogen zeigt eine nahezu kopflose civitas als Allegorie der idealen Gemeinschaft. Zwischen den Häusern des Marktplatzes drängt der Leib der Bürger zu einer Tribüne. Da die Gebäude wie auch der Platz nicht hintereinandergestellt, sondern übereinandergetürmt sind, massieren sich die zahllosen Bürger zu einem rumpfformigen Hügel. Wie im Körper des Leviathan gruppieren sie sich von den Seiten her zur Mitte, um sich dann zur Trias der nur wenig herausgehobenen Personen zu wenden. Der Kopf des Leviathan ist sowohl in die Brust gesackt wie auch gedrittelt. Allein die mittlere Gestalt präsentiert sich unverstellt zwischen 317
Riklin, 1987, S. 80, Abb. 11
A. KRITIK DES STAATSRIESEN
zwei Häuserreihen, wird aber von den Gebäuden und vor allem vom Kirchturm überragt. Hobbes Grundidee, daß der Staat seine Bürger weit übersteigen müsse, um neutral bleiben und destruktive Partikularinteressen bekämpfen zu können, wird hier widersprochen. Diese Schweizer Version eines in sich geschlossenen Staatscorpus kann auf die Hervorhebung des Kopfes verzichten, weil die Menschen im Selbstverständnis dieser Gemeinschaft nicht durch Todesangst getrieben werden, sondern sich durch Liebe und Gerechtigkeit selbst organisieren. Umgeben von deren Personifkationen, proklamiert die untere Tafel: „Die Tugend ist der sicherste Weg der Freiheit“ („Vertu est le plus sur boulevard de la liberté“). Der so definierte Leviathan braucht weder einen Kopf noch besondere Machtmittel, um agieren zu können. Seine Herrschaft beruht auf der Selbstbestimmung seines enthaupteten Körpers. Eine reziproke Kritik des Titelkupfers lag darin, dem Riesen den Kopf zu belassen, um seine Friedensbotschaft in das Zeichen des Todes und des Unheils zu verwandeln. So hat Petrus Valckenier, niederländischer Gesandter in Frankfurt am Main, in seiner 1674 publizierten Abhandlung der jüngsten Aufstände und Kriege ein Frontispiz vorangestellt, das den Leviathan in eine Staatsfigur verwandelt, die hoch über einem Rundtempel in einem Himmelszelt thront (Abb. 61)318. Mars und die mit dem Merkurstab versehene Göttin des Überflusses assistieren in den Wolken, während auf der Erde die Verkörperung der Europa in Bränden, Verwüstungen und Kämpfen zugrunde geht, so daß Füllhorn und Merkurstab zu Boden fallen. Das Gewand des Thronenden ist durch eine Vielzahl von Personen gebildet, die sich nach Art des Leviathan nach innen wenden. Ihre scharf konturierten Außenlinien lassen vermuten, daß sie mit Blick auf den zweiten Raubdruck des „Leviathan“ (Abb. 10) geschaffen wurden, und da sie allein das Gewand ausfüllen, ist möglich, daß auch Bosses Melancholiefigur Pate stand (Abb. 31). Dieser Leviathan residiert abgehoben in den Wolken, während Europa verkommt. Eine weniger direkte Reaktion auf Hobbes Frontispiz bietet das Schlussbild der zweiten Auflage von Josiah Woodwards „Fair Warnings to a Careless World“ von 1717, das einen die Erde beherrschenden Tod zeigt, bei dem die Bürger des Leviathan in Totenschädel verwandelt sind (Abb. 62). Dem erhobenen Szepter, das an die Stelle des Schwertes getreten ist, korrespondiert in der Linken der Spiegel der Wahrheit, der den Bischofsstab ersetzt. Der Tod, gegen den Hobbes den Leviathan gedacht hatte, hat seine beherrschende Stellung zurückerobert. Woodwards Todesriese travestiert den Souverän dieser Welt in den Fürsten des Jenseits, und vom Reich des Friedens bleibt allein die Schädelstätte.319
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Valckenier, 1677, Frontispiz, 185 × 275 mm Woodward, 1717, S. 211
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 62. Der Spiegel der Wahrheit, Kupferstich aus: Josiah Woodward, Fair Warnings To A Careless World, 1707
Abb. 63. Riese aus Korbgeflecht mit Verbrechern und Unschuldigen, aus: Hermolans Albritius, Julius Caesar, Opera, 1737
Vermutlich hat der Leviathan auch für eine Illustration von Hermolans Abritius 1737 publiziertem Caesar-Kommentar Pate gestanden (Abb. 63)320. In „De Bello Gallico“ hatte Caesar frühere Berichte aufgenommen, nach denen die Druiden den Göttern Menschenopfer darbrachten, indem sie Verbrecher, aber auch Unschuldige in riesigen Puppen aus Weidengeflecht verbrannten. Mit seiner die Horizontallinie übersteigenden Statur und den Menschen, die nicht nur den Rumpf, sondern auch die Gliedmaßen des Riesen ausfüllen, verwandelt dieses Monstrum die Bürger des Leviathan in Objekte des Menschenopfers. Ob dies auch für Goyas beklemmende Riesen gilt, ist nicht mit Sicherheit zu erschließen. Der Gigant des Prado (Abb. 64) droht der Sonne, die sich angstvoll zu verhüllen scheint, während im Vordergrund Mensch und Tier in panischem Schrecken auseinanderjagen.321 Möglich ist, daß Goya mit seiner über der Hügelzone erscheinenden Gestalt das Zerreißen der Bindung zwischen dem Staatsgiganten und seinen Bürgern als ein geradezu kosmisches Drama faßt; während der Riese mit überirdischen Mächten ringt, überläßt er die Erde dem Schrecken.
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Albritius, 1737, Ill. zu S. 177; vgl. Brückner, 1985, S. 31, Abb. 9. Vgl. Brandt, 1982, S. 217ff.
A. KRITIK DES STAATSRIESEN
Abb. 64. Francisco de Goya, Gigant, 1808–10, Ölgemälde, Prado, Madrid
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 65. Francisco de Goya, Gigant, Aquatinta, vor 1818, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Berlin
Die zweite, melancholisch brütende Riesengestalt (Abb. 65)322 wirkt in ihrer dumpfen Verharrung vielleicht noch düsterer als das Gemälde des Prado. Möglicherweise ist auch hier eine Reflexion jenes Staatssouveräns gemeint, der bei Hobbes den Frieden schafft, von den Theoretikern der Aufklärung aber als Monstrum der 322
Berliner Kupferstichkabinett, Nr.VI.48, S. 344–346
A. KRITIK DES STAATSRIESEN
Abb. 66. Alfred Kubin, Parade, um 1899/1900, lavierte Federzeichnung, Graphische Sammlung des Oberösterreichischen Landesmuseums, Linz
Abb. 67. Fernando Castro Pacheco, „Carillo Puerto“, Holzschnitt, 1945, Collection of the University of New Mexico
Unterdrückung gebrandmarkt worden war und sich nun, wie um die Unerfüllbarkeit des Friedensreiches wissend, von den Menschen abwendet. Einen möglichen Bezug zu Hobbes stärken Goyas Zeichnungen zweier gestürzter und schlafender Riesen; da sie von Menschenmassen erklettert und überwältigt werden, erinnern sie an Jonathan Swifts „Gulliver“, dessen Fesselung durch die Liliputaner explizit auf den „Leviathan“ anspielt.323 Aber keine Quelle gibt Auskunft, ob Goya Hobbes Frontispiz kannte oder ob der „Schlaf der Vernunft“ ihm die Figur des Riesen eingab. Auch die naheliegende Deutung, daß der Riese des Prado die Kritik an der napoleonischen Herrschaft zu einem Symbol des sich von den Menschen abwendenden Leviathan abstrahiert, muß eine Vermutung bleiben. Aber falls Goyas Giganten keine direkte Antwort auf den Leviathan bilden, so formulieren sie doch zumindest eine autonom gefundene Gegenthese. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erhielt der Leviathan eine militarisierte Form, die vermutlich direkt auf sein Urbild anspielt (Abb. 66).324 In einer frühen Radierung Alfred Kubins hat sich der Staatsriese in einen Offizier verwandelt, der das Schwert abgelegt hat, um die Rechte vorsichtig wie ein Raubtier über den Hügel auf den kompakt aufgestellten Truppenteil zu schieben. Der Riese wird sich seine Nahrung holen. 323 324
Seelye, 1961. Zu den Zeichnungen: Goya, 1988, S. 360ff und Földényi, 1994, S. 112ff. Alfred Kubin, 1995, S. 264
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
b. Klassen-, Volks- und Kirchenriesen Das Abgründige von Woodwards, Goyas und Kubins Auseinandersetzung mit der Vorstellung gigantischer Souveräne liegt auch darin, daß sie, selbst wenn sie konkrete Anlässe besaßen, eine überparteiliche Aussagekraft bewahrten. Dies änderte sich im zwanzigsten Jahrhundert, als reihenweise Riesen auftraten, die sich als sympathetische Inkarnationen von Klassen- oder Volkskörpern gerierten, ohne auf nur eine einzige politische Bewegung beschränkt zu sein. Der „Riese Proletariat“ wurde in der Arbeiterbewegung bereits im neunzehnten Jahrhundert zu einem so oft genutzten und variierten ikonographischen Motiv, daß schwer zu entscheiden ist, inwieweit Hobbes Leviathan Pate stand.325 Ein Holzschnitt des mexikanischen Künstlers Fernando Castro Pacheco, Schüler von Diego Rivera, hat sich im Jahre 1945 indes deutlich erkennbar auf Hobbes bezogen, indem er die Masse der Campesinos, die im Vordergrund die Folterer vertreiben, nach rechts oben über eine aus der Erde herauswachsende Riesenhand in den Körper des Bannerträgers streben läßt (Abb. 67). Explizite Verwendungen des Musters sind auch von allen totalitären Bewegungen hervorgebracht worden. Den Beginn machte Gustav Klucis, der mit seinem Plakat „Der Sieg des Sozialismus in unserem Land ist garantiert, die Basis der sozialistischen Wirtschaft ist geschaffen“ im Jahre 1932 eine Ikone des Personenkultes schuf (Abb. 68). Stalins Gestalt erscheint über der Anhöhe einer Industrielandschaft. Bezeichnenderweise sind es im Gegensatz zum Ur-Leviathan Bauten und Maschinen, die seinen Körper bilden, während eine Menschenmenge, von ihm getrennt, die gesamte Fläche in seinem Rücken ausmacht.326 Ein Jahr später trat auch die Gestalt Hitlers vor einer ihn hinterfangenden Menge auf (Abb. 69). Die Fotomontage beläßt die Menge des Hintergrundes wie bei Stalin als eine Tapete, die sich nicht mit dem Körper des Potentaten verbindet, womit von Hobbes Leviathan allein die Elemente Riese und Menschenmasse, nicht aber die Verbindungen der Körper aufgenommen sind.327 Eine der bekanntesten Darstellungen Hitlers, „Der Triumph des Willens“ von 1933, läßt ihn dagegen erst von der Hüfte an aus einer dicht gestellten Versammlung aufragen (Abb. 70).328 Indem eine unübersehbare Zahl von winzig kleinen Personen bis hinauf zum Hals reicht, näherte sich ein Mussolini-Plakat ein Jahr später dem Hobbesschen Emblem noch stärker an (Abb. 71).329 Ein Zusammenspiel, wie Hobbes es imagi-
Hille, 1997, Freiheit, S. 3; Stöckle, 1982, S. 29 Gustav Klucis, 1991, Abb. 238; vgl. Hille, 1997, Macht, Abb. 1 327 Hille, 1997, Macht, Abb. 2 328 Hoffmann u. a., 1933, Titelblatt. Vgl. die ähnliche gestaltete Schallplattenhülle nach 1933: Möbius, 2000, S. 461 329 Falkenhausen, 1993, S. 1024 325 326
B. KLASSEN-, VOLKS UND KIRCHENRIESEN
Abb. 68. Gustav Klucis, „Der Sieg des Sozialismus …“, Politisches Plakat, 1932
Abb. 69. Anonym, „Führer, wir folgen Dir“, Politisches Plakat, 1933
Abb. 70. Heinrich Hoffmann, „Der Triumph des Willens“, Titelblatt des gleichnamigen Buches, 1933
Abb. 71. Anonym, „1934. XII SI“, Politisches Plakat zur Volksabstimmung, Italien, 1934
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 72. Anonym, „Die EVG bedroht den Frieden“, Politisches Plakat, 1954, Berlin, Deutsches Historisches Museum, Plakate, Inv.-Nr. P 54/1224
niert hatte, ist hier jedoch nicht gewollt. Die Verwandlung der Versammlung von Individuen, die kraft eigener Entscheidung den Riesen erzeugen, in eine Menge, die den Pelzbesatz von Mussolinis Uniform abgibt, hat den Leviathan um seine innere Spannung gebracht. Dies gilt auch für eine Reihe von Riesen, die in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR in zahlreichen Varianten gestaltet wurden. So zeigt ein Plakat eine Todesgestalt über dem Horizont (Abb. 72), die wie Kubins Militärführer über das Land greift (Abb. 66). Der eigene Volksriese dagegen hielt unmittelbar nach dem Krieg die Linke schützend vor jene lodernde Industrie, aus der sich, dem Beispiel Stalins von 1932 folgend, der gigantische Leib des Arbeiter-Leviathans erhebt (Abb. 73); mit der Grubenlampe bringt er der Welt das Licht der Erkenntnis. Ein Plakat der Fünziger Jahre läßt den Giganten schließlich wieder aus einer idealen Gemeinschaft von Menschen entstehen (Abb. 74), unter denen exemplarische Berufszweige vom athletischen Arbeiter über white-collar-Ingenieure bis zum Offizier vertreten sind. Die Rechte streckt sich einladend dem hypostasierten westlichen Betrachter entgegen, wie der Leviathan seinen Bischofsstab über das Land gestreckt hatte. Die Reihe von Riesen ist am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts durch die katholische Kirche im Bewußtsein dessen, daß sie über die weiterreichende Tradition verfügt, unbefangen fortgeführt worden. Als Bernini in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts den Neubau von St.Peter in Rom mit seinen beiden monumentalen
B. KLASSEN-, VOLKS UND KIRCHENRIESEN
Abb. 73. Horst Naumann, „Mit ganzer Kraft zum Neuaufbau für unser ganzes Volk!“, Politisches Plakat, 1946, Berlin, Deutsches Historisches Museum, Plakate, Inv.-Nr. P 94/1850
Abb. 74. Anonym, „Fordert gesamtdeutsche Beratung“, 1951, Berlin, Deutsches Historisches Museum, Plakate, Inv.-Nr. P 94/1057
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 75. Arte Grafiche Barlocchi - Settimo M., „Jubilaeum 2000“, Postkarte, 2000, Rom
Kolonnaden des Vorplatzes versah, entstand die Vision zweier Arme, die einen imaginären Körper umschließen sollten. Das Kirchengebäude und die Kuppel von St.Peter waren als dessen Kopf gedacht.330 Im Einklang mit dieser bis heute gültigen Vorstellung ist der Bau von St.Peter auf einer Postkarte des Vatikan, die das neue Millenium begrüßt, zum Körper des Papstes geworden (Abb. 75). Im Sinne des corpus mysticum, der einerseits materielle Architektur ist, andererseits aber auch die spirituelle Gemeinschaft der Gläubigen repräsentiert, wird die Laterne der Kuppel von St.Peter zum Brustbein des Papstes. Und angesichts dessen, daß Bernini seine beiden Kolonnaden als ausgebreitete Arme dieses leiblich aufgefassten Kirchenkörpers verstand, bilden der linke Arm des Papstes und die segnend erhobene Rechte eine Aktualisierung jener Anthropomorphie, die das Gebäude insgesamt verkörpert. Dieser katholische Leviathan braucht keine zellenhaft seinen Leib ausfüllenden Gläubigen, weil die Architektur bereits als solche ein materielles Abstraktum des Gemeinschaftsbegriffes darstellt. Die Unbefangenheit, mit der das Oberhaupt des Katholizismus in die Pose des staatlichen sterblichen Gottes schlüpft, beruht
Brandt, 1982, S. 227, Anm. 32a, Abb. S. 228. Die Autorschaft der Zeichnung ist umstritten (Kitao, 1974, Abb. 40 sieht eher ein Gegenprojekt). In jedem Fall spricht das Blatt jene leibmetaphorische Bedeutung des Petersplatzes an, die Bernini im Auge hatte (Bredekamp, 2000, S. 116f.). 330
C. DIE FÜLLUNG DER FAUST
Abb. 76. Linke Faust des Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 2
auf einer anthropomorphen Auffassung der Kirche, die weiter zurückreicht als der Leviathan. Der Vatikan kann Hobbes Staatsemblem so unbefangen nutzen, weil dem corpus mysticum der Kirche gewiß ist, die Geltung des im Leviathan Symbolisierten zu überdauern.
c. Die Füllung der Faust Es gehört zu den Finessen des Hobbesschen Leviathan, daß die Bürger den Korpus des Staatsriesen bis in die letzten Winkel ausfüllen und selbst noch die Finger seiner Hände besetzen (Abb. 76). Die Rezeption hat sich neben der Gestalt des „sterblichen Gottes“ auch diesem Detail gewidmet und nicht allein die Gesamtform, sondern auch deren Gliedmaßen als Symbol übernommen. Dies gilt insbesondere für die Hände und Arme. Nachdem der Rot-Front-Kämpferbund im Jahre 1924 die erhobene Faust als Grußform proklamiert hatte, setzte eine spezifische Verwendung der Hobbesschen Kompositgestalt von Armen und Fäusten ein.331 Klucis hat die zum Gelöbnis ausgestreckten Arme über einer Menschenmenge auf einem sowjetischen Plakat des Jahres 1930 gestaffelt und in eine einzelne Hand gesteigert, die das Bekenntnis „Erfüllen wir den Plan großer Arbeiten“ zeichenhaft
331 332
Hille, 1997, Freiheit, S. 6 Gustav Klucis, 1991, Abb. 224; Hille, 1997, Macht, S. 27
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 77. Gustav Klucis, „Erfüllen wir den Plan großer Arbeiten“, sowjetisches Plakat von 1930
Abb. 78. Anonym, „Internationaler Befreiungstag“, Plakat für die „Nationale Front des demokratischen Deutschland, 1954, Deutsches Historisches Museum, Berlin, Nr. P 94/1577
Abb. 79. John Heartfield, „Alle Fäuste zu einer geballt“, Photomontage für die „Arbeiter-Illustrierten Zeitung“, 1934
Abb. 80. Wilhelm Dostal, „… und dann wird Frieden sein“, Plakat, 1959, Deutsches Historisches Museum, Berlin, Nr. P 94/1179
C. DIE FÜLLUNG DER FAUST
Abb. 81. Ivan Steiger, Karikatur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 22. 11. 2000, Nr. 272, S. 14
verstärkt (Abb. 77).332 Mit einer senkrecht nach oben gereckten Schwurhand, durch die der Blick auf eine Versammlung fällt, wurde dieses Motiv im April 1954 von der DDR auf eine weniger dynamische Weise aufgenommen (Abb. 78). Enger am Vorbild des Leviathan war John Heartfields Montage „Alle Fäuste zu einer geballt“ von 1934 geblieben (Abb. 79), auf der ein Arm mitsamt der Faust bis in die Finger mit Menschen ausgefüllt ist, um die Vereinheitlichung der, wie es auf dem Titelblatt heißt, antifaschistischen „Gewalt“ in dem emblematischen Zeremonialgruß zu symbolisieren.333 Ein Plakat der DDR von 1959 hat diesen antifaschistischen Kompositarm zu einem Hieb gegen eine westliche Atomrakete genutzt, die von einem Gerippe mit den Zügen Adenauers gelenkt wird (Abb. 80). Schließlich hat der Karikaturist Ivan Steiger den hobbesschen Arm in das Bild eines sich auffächernden Demonstrationszuges verwandelt, der diesen Machtgesten die Skepsis des Ambivalenten entgegenstellt. Die Abwesenheit einer politisch zu identifizierenden Bewegung macht aus Hobbes Signet ein Bild des Unbestimmten, bei dem die gekrümmten Finger sowohl als Fühler wie auch als Krallen zu deuten sind (Abb. 81).
333
Siepmann, 1977, S. 148; Hille, 1997, Macht, S. 27
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
d. Die Usurpation des Kopfes Dramatischer und historisch tiefreichender als die Rezeptionsgeschichte des Armes war die Reaktion auf den Kopf des Leviathan, weil dieser im Gegensatz zu Korpus und Gliedmaßen von Bürgern frei geblieben war und durch diesen Gestus der Souveränität ein Stein des Anstoßes wurde. Die Schweizer Antwort auf den autoritativen Gestus des Leviathan hatte im achtzehnten Jahrhundert darin bestanden, dem Riesen den Kopf zu nehmen und allein seinen nur behutsam hierarchisierten Rumpf der Bürger als Gemeinschaft zu definieren (Abb. 60). Das Gros der späteren Auseinandersetzungen mit dem Leviathan wählte aber nicht die Köpfung, sondern die Einnahme des caput, um ihm entweder die Züge eines Monstrums zu geben oder um ihn zu usurpieren. Die erste Variante konnte an das anonyme Gemälde des Herodes anknüpfen, durch dessen transparente Haut die Leiber der ermordeten Kinder durchschimmern (Abb. 42). Durch die Auffüllung sowohl seines Leibes wie auch seines Kopfes wird der Souverän als triebhafte Gestalt dämonisiert, die als ein Urbild der Blutherrschaft allein aus ihren Mordtaten besteht.334 Im neunzehnten Jahrhundert wurde dieses Bildmuster zu einem bevorzugten Mittel der Verachtung despotischer Herrscher, nachdem unmittelbar nach der Leipziger Völkerschlacht vom Oktober 1813 eine Berliner Neujahrskarte erschienen war, die Napoleon mit den Zügen von Herodes versah. Napoleons Gesicht ist aus Leichen zusammengesetzt, sein Kragen wird zum Blutstrom, das Spinnennetz, das über dem Körper der deutschen Landkarte liegt, wird von der Hand Gottes als Epaulette zerrissen, und in den Zweispitz ist der preußische Adler eingezogen (Abb. 82).335 Innerhalb einer einzigen Woche wurden zwanzigtausend Exemplare dieser Karte der Gebrüder Henschel verkauft, und allein in Deutschland kamen dreiundzwanzig verschiedene Fassungen in den Handel. Weitere Versionen in insgesamt neun europäischen Ländern machten es zu einem der erfolgreichsten Motive der Bildpropaganda überhaupt. Ein besonders sprechendes Blatt läßt unter dem Leichenbild einen Totentanz aufmarschieren (Abb. 83), dessen links voranschreitender Ausrufer das verlöschende Lebenslicht Napoleons hält, während rechts zwei Skelette als Musikanten auftreten.336 Ein weiteres Leichenbild zeigt nur Schädel und Gebeine: die Opfer Napoleons sind zum Menetekel seiner selbst geworden (Abb. 84).337 Die Bildung des Kopfes als Kompositfigur blieb eines der markantesten Bildmittel, um dem Herrscher die Souveränität zu nehmen und seinen Schädel entwe-
334 335 336 337
S. o. S. 78 Brandt, 1982, S. 220f.; Scheffler, 1995, S. 108f., 257 Scheffler, 1995, S. 110f. Scheffler, 1995, S. 263
D. DIE USURPATION DES KOPFES
Abb. 82. Gebr. Henschel, Triumph des Jahres 1813, Kolorierte Radierung, 1813, Deutsches Historisches Museum, Berlin
Abb. 83. Triumph des Jahres 1813, Kolorierte Radierung, 1813, Privatbesitz
Abb. 84. Anonym, Das Knochengesicht, Radierung, 1814, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Abb. 85. Anonym, französisch, Napoleon III.
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 86. Anonym, Bismarck, Holzschnitt, nach 1870
Abb. 87. Anonym, „Das Netz des Terrors“, Titelbild des „Spiegel“, Nr. 39, 24. 09. 2001
der zur Gruft seiner Untaten oder zum Versammlungsort seiner Akteure zu machen. Dies traf sowohl auf Napoleon III. zu, dessen Haare durch den deutschen Adler gebildet werden und dessen Nase ein nackter Papst besetzt (Abb. 85),338 wie auch auf Bismarck (Abb. 86), dessen Innenleben den Protagonisten in einen Getriebenen verwandelt.339 All diese Varianten reagieren auf den Kompositkörper von Hobbes Leviathan, indem sie dessen unverstellten Kopf mit Elementen seines Körpers auffüllen und damit die Aura seiner neutralen Souveränität zerstören. In negativer Wendung hat der Leviathan das wohl erfolgreichste Propagandamotiv des neunzehnten Jahrhunderts inspiriert. Es wirkt bis in die Gegenwart fort. In der Londoner Ausstellung „Sensations“ von 1997 erregte kein Werk eine stärkere Ablehnung als das monumentale Bildnis von „Myra“, der Kindsmörderin Myra Hindley. Wie aus Pixeln waren die Elemente des Portraits in der Tradition von Herodes-Bildnissen (Abb. 42) aus Abdrücken von Kinderhänden gebildet.340 Dasselbe Prinzip wurde schließlich im September 2001 auf Osama Bin Laden angewendet (Abb. 87), dessen Bildnis aus Mosaiksteinen von Bildern der Anschläge und ihrer Folgen auf unerhört suggestive Weise zusammengesetzt wurde. 338 339 340
Kahn, 1907–08, Abb. 207 Kaulbach, 1987, Nr.169 Sensation, 1998, S. 87
D. DIE USURPATION DES KOPFES
Abb. 88. Bildnis des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, Lebendes Bild aus aufgestellten Soldaten, 1919, Camp Sherman (Ohio)
Abb. 89. Frans Masereel, La Tête géante, Holzschnitt, 1921, Privatbesitz
Gegenüber der dämonisierenden Auffüllung der Köpfe hat das zwanzigste Jahrhundert dieses Motiv in manchen Beispielen doppelt verneint und damit zu einem Bild der Identifikation gemacht. Das vermutlich früheste Beispiel wurde in Form eines lebenden Bildes vollzogen, mit dem amerikanische Soldaten ihren Sieg im ersten Weltkrieg besiegelten. In Camp Sherman (Ohio) stellten sich im Jahre 1919 Tausende Soldaten auf, um aus den Elementen ihres Körpers den Gesamtleib des Präsidenten Woodrow Wilson zu bilden (Abb. 88).341 In diesem lebenden Bild wurde der Kopf von denselben Personen ausgefüllt, die auch seinen Leib vergegenwärtigen. Indem die Gemeinschaft den gesamten Körper mitsamt dem Kopf ausfüllte, repräsentierte sie im Geehrten sich selbst. Das Schaubild bot gegenüber der Schweizer Stauchung des Leviathan (Abb. 60) eine alternative Wendung, indem es den Kopf nicht vermeidet, sondern vereinnahmt. Was im Hochgefühl des amerikanischen Sieges im Jahre 1919 repräsentiert wurde, erschien im Deutschland der Weimarer Republik als Ziel einer Eroberung (Abb. 89). In einem Holzschnitt Frans Masereels von 1921 suchen Massen von Bürgern die „Tête géante“ zu erobern, indem sie diese wie eine Steilwand zu erklim-
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Deutsche Geschichte, 1998, S. 240
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 90. El Lissitzky, ohne Titel, Fotogramm, 1931
men suchen, um sich über den Augenlidern einzunisten und schließlich die Stirnregion einzunehmen.342 El Lissitzky hat sieben Jahre nach Lenins Tod ein Gedächtnisbild geschaffen, das die Grenze zwischen der identifikatorischen Hereinnahme der Menschenmasse in den Kopf des Herrschers und dessen Heraushebung wahrt (Abb. 90).343 Die Teilnehmer einer Versammlung gehen in die Wangenpartie des Kopfes über, verflüchtigen sich in der Stirnpartie aber in farbliche Tupfer. Wie auf einem Tuch der Veronika, deren Stoff aus einem Menschenteppich gebildet ist, zeichnet sich das christologisch konnotierte Kompositbild ab, das wie kein zweites das Hobbessche Konzept des herausgehobenen caput zugleich bewahrt und überwindet. Dem Künstler ist im Memorialbild Lenins eine Rezeption von Hobbes Leviathan gelungen, die gemeinsam mit den Riesen Goyas und Kubins das Muster nicht nur kritisch oder affirmativ anwandten, sondern ein neues Bildkonzept entwickelten. Schließlich ist dies nochmals auf gänzlich andere Weise im Bereich der Architektur gelungen. Demokratie ist immer wieder als bildlos definiert worden, wie es John Quincy Adams als amerikanischer Präsident gefordert hat: „Demokratie besitzt keine Monumente. Sie schlägt keine Medaillen. Sie trägt keinen Kopf eines Mannes auf einer Münze. Ihre wahre Essenz ist ikonoklastisch“.344 Adams Aussage
Frans Masereel, Tête géante, 1921, Privatbesitz; vgl. Frans Masereel, 1989, S. 25 Lissitzky-Küppers, 1980, Abb. 170 344 „Democracy has no monuments. It strikes no medals. It bears the head of no man on a coin. Its very essence is iconoclastic“ (zit. nach: Bush, 1977, S. 19; vgl. Müller, 1997, S. 23). 342 343
D. DIE USURPATION DES KOPFES
Abb. 91. Reichstaggebäude, Berlin, Aufnahme um 1930
wurde angesichts der Freiheitsstatuen, Banner, Münzbilder, Grabmäler und Ehrenbilder zwar untergraben, aber sie scheint sich im Zeitalter der sogenannten „Fernsehdemokratie“ dadurch auf widersinnige Weise zu bestätigen, daß diese einen Ikonoklasmus durch einen overkill an Bildern produziert. Diese Analyse täuscht jedoch ebenso wie ihre bildfeindliche Vorgängerin. Auf welch nachhaltige Weise auch im Zeitalter der Bildsimulation feste Konturen zu Zeichen der Gemeinschaft werden können,345 hat der Berliner Reichstag auf unverhoffte Weise vorgeführt. Über lange Zeit mißverstanden als ein Symbol des Wilhelminismus (Abb. 91), in der Weimarer Republik mit der Schwäche der Demokratie identifiziert, von den Nationalsozialisten verachtet, im Ausland aber als deren Zentrum dämonisiert und nach 1945 als Gegenbild zum transparenten, eine neue Demokratie belichtenden Plenarsaal des Bundestages in Bonn stilisiert,346 galt der Reichstag als vielfältig vorbelastet, bis seine Rekonstruktion nach 1989 avisiert wurde. Als Sir Norman Foster im Jahre 1992 den ersten Preis mit der Vision eines Baldachins gewann (Abb. 92), der die Wucht des Gebäudes transparent überspannen und eine Atmosphäre von provisorischer Leichtigkeit über die Kompaktheit des Wallotschen Baues legen sollte, geschah dies mit Blick auf das Münchener Olympiastadion, dessen Zeltarchitektur sich ihrerseits dem Berliner Stadion von
345 346
Vowe, 1999 Cullen, 1999
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 92. Sir Norman Foster, Wettbewerbsentwurf für den Umbau des Reichstaggebäudes, 1993
1936 entgegengestellt hatte.347 Nach monatelangen Diskussionen ließ sich Foster im März 1995 vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages jedoch dazu bewegen, seine Zeltarchitektur zugunsten einer Kuppellösung preiszugeben (Abb. 93). In mehr als einer Äußerung hatte er in Verkennung der Geschichte des Baues betont, daß die Kuppel für ihn das Symbol all des Negativen sei, was mit den Deutschen verbunden werden könne: Hierarchie und auktoriales, antidemokratisches Denken.348 Eine Karikatur brachte diese Bedenken zur selben Zeit auf den Punkt: die Kuppel sei eine architektonische Symbolisierung des Oberhauptes, ein veritabler Machtkopf, Zeichen des Regierungshauptes und nicht etwa des Parlamentes (Abb. 94).349 In diesem Argument schwang bewußt oder unbewußt die Erinnerung an das caput-Konzept des Leviathan mit (Abb. 28). Fosters Kehrtwendung in die Linie der Kuppel-Befürworter war jedoch mehr als nur ein Akt des Opportunismus; vielmehr hat seine Formphantasie sowohl die eigene Schwäche wie auch die Wünsche der Kuppelbefürworter überspielt. Er hat den „Kopf“ dazu genutzt, den Hobbesschen Begriff von Souveränität, der sich mit Verspohl, 1976, S. 278ff. Reichstag Berlin. Sir Norman Foster and Partners, 1994; vgl. Huberlik und Zohlen, 1997, S. 39–43. 349 Wefing, 1999, S. 204 347 348
D. DIE USURPATION DES KOPFES
Abb. 93. Reichstaggebäude, Westfront, Aufnahme 1998
Abb. 94. Heinz Birg, „Kohl und die Kuppel“, Karikatur, ca. 1995
dem symbolischen caput verband, zu diskreditieren, indem er die nicht anders als genial zu nennende Idee verwirklichte, diesen Kopf nun tatsächlich begehbar zu machen.
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7. DIE DYNAMIK DER WIRKUNGSGESCHICHTE
Abb. 95. Kuppel des Reichstaggebäudes
Wenn die Besucher über die Spiralrampen, die durch ihr leichtes Schwanken den Eindruck luftiger Höhe verstärken (Abb. 95), die obere Plattform erreicht haben, ist der Plenarsaal in weit entfernter Tiefe zumindest in Sektoren zu überblicken. Eine vergleichbare gestische Entmächtigung des Parlamentes durch diejenigen, die in ihm repräsentiert sein sollen, hat es nie zuvor gegeben. Der Kopf des Staates, auf den die Menschen in Thomas Hobbes „Leviathan“ ausgerichtet sind, ohne ihn einnehmen zu können, wird in Fosters Kuppel durch die unablässig hinauf- und hinabsteigenden Besucher usurpiert, die an die schräg ausgerichteten Menschen in den Armen des körperlichen Urmodells erinnern (Abb. 96). Hier aber blicken sie nicht in Verehrung auf den Kopf des Riesenkörpers, sondern sie besiedeln ihn in unablässigem Strom, um am Ende auf ihre Repräsentanten herabzublicken. Im Plenarsaal wird dieser Eindruck auf den hinteren Sitzreihen verstärkt, die durch Besuchertribünen verschattet wirken. Die transparente Kuppel läßt den Souverän erneut als Bild erscheinen: nun aber nicht als Hobbesscher Kopf eines furchterregenden Riesen, sondern als caput, in dem die Bürger die beweglichen Zellen bilden. Die Kuppel des Reichstages bildet eine Art Oberhaus, das auf stochastische Weise immer neue Souveräne zusammenbringt. Hierin liegt auch eine politische Bestimmung der Zeit. Der feierliche Akt, in dem die Bürger bei Hobbes den Leviathan durch Eid erzeugen, wird hier zu einem zufälligen und auch ein wenig selbstgefälligen Dauerfest. Dies begründet die in jeder Jahreszeit spürbare Heiterkeit, die von den Besuchern der Kuppel ausgeht.
D. DIE USURPATION DES KOPFES
Abb. 96. Rechter Arm des Leviathan, Ausschnitt aus Abb. 2
Abb. 97. Bernd Pohlenz, „Der Souverän“, Karikatur, Der Tagesspiegel, Berlin, 10. 10. 1999
In der Begehbarkeit der Kuppel liegt keineswegs nur eine leere Geste; vielmehr hat Fosters Kuppelkopf der kurzen Phase eines gewandelten Staatsbegriffs das nachhaltige Bild vermittelt. Die Kuppel erhöht das Parlamentsgebäude, diskreditiert aber das Hobbessche Souveränitätsbild, und mit dieser Mittelstellung bezeichnet sie präzise jene Diskussion, die in den neunziger Jahren um die Zukunft des Nationalstaates entbrannt war. In einem Moment, in dem die Parlamente ihr Gewicht zunehmend an die europäische Zentrale abgaben, in dem die wirtschaftliche Globalisierung den nationalen Spielraum verengte, in dem weite Bereiche der elektronischen Kommunikationsformen die staatlichen Kontrollmöglichkeiten unterliefen und in dem das mediale Entertainment den Denkraum des Politischen entkernte, hatte Fosters symbolische Verkehrung der Hierarchie neben ihrer gelassenen Provokation auch den Charakter einer ironischen Offenlegung des Gegebenen.350 Wer aus der Kuppel des Reichtages über Berlin blickt, wähnt Hobbes Leviathan unendlich weit entfernt. Einen ironischen Kommentar bot eine Karikatur vom Oktober 1999 (Abb. 97), in der die Menschen den Körper des Leviathan nun übergangslos bis zur Schädeldecke auffüllen. Sie allein sind der Souverän, der Wahlzettel aus einer Box in einen Hamsterkäfig schüttet, in dem die „Politik“ nichts besitzt als den Raum für ihre Lauftrommel. Die Karikatur wurde treffsicher in einem Moment publiziert, in dem die Berliner Republik ihr Wahrzeichen als Usurpation des Kopfes erhielt. 350
Vgl. Bredekamp, 1999, Kuppel
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SCHLUSS: „DAMIT DER SCHRECKEN SCHRECKE“
Schluß: „Damit der Schrecken schrecke“ Auch von Seiten der Philosophie, Geschichte und Politologie wurde der Leviathan im Ausgang des letzen Jahrhunderts abgeschrieben. Mit dem Ereignis des September 2001 ist er nach Jahren, in denen seine Transformation und Überwindung prognostiziert wurde, jedoch als Getriebener zurückgekehrt.351 Die heitere Absage an den autoritativen Souverän, wie sie die Berliner Kuppel vorführt, ist damit zum Nirgendwo der Utopie geworden. Es gehört zu den schrecklichen Verkehrungen der Bildgeschichte, daß mit dem terroristischen Massenmord einer ikonoklastischen Bewegung auch ein Negativbild geschaffen wurde, das nachhaltiger im Gedächtnis bleiben wird als alle Versuche, die Demokratie durch bildlose Transparenz oder durch sprechende Architektur zu visualisieren. Die Zerstörung der Statue von Bamijan war der bilderstürmerische Auftakt zum Sturz der Türme von Manhattan (Abb. 98). Nicht das erste Flugzeug des 11. September war entscheidend, sondern die zweite Maschine. Indem sich diese in die bereits aufgewühlten Sinnesorgane der Zeugen bohrte, entsprang ihre Fluglinie einem Formwillen, der nicht nur eine fanalhafte Zerstörungstat begehen, sondern diese auch zu einer schwarzen Ikone machen wollte (Abb. 99). Das Bild der getroffenen Türme hat Geschichte geschrieben, weil sein ästhetisches Grauen jene Mechanik auslöste, die Hobbes zufolge Bilder von „Merkzeichen“ der Erinnerung in „Anzeichen“ der Handlung verwandeln und von bloß passiven Repräsentanten der Erinnerung zu aktiven Gestaltern mutieren lassen.352 Vermutlich werden sich staatliche oder nichtstaatliche Gewaltmaßnahmen mit Blick auf die Bilder des verletzten World Trade Centers noch in weiter Zukunft rechtfertigen lassen. Der attackierte zweite Turm besaß von Beginn an den Charakter des handlungsrelevanten „Anzeichens“, des „sign“.353 Wenn das antihobbesianische Konzept einer kontinuierlich auszudehnenden Freiheit zu Hobbes Programm zurückspringt, diese soweit einzuschränken, bis eine Sicherheit entsteht, die eine gehegte Liberalität erst ermöglicht, dann läuft dieser Prozeß im Angesicht eines Anti-Leviathan ab. Der Fall der Zwillingstürme hat die bildliche Indifferenz der westlichen
Exemplarisch seien von Crevelds großer Abgesang auf den Staat (1999), Reinhards vom Tenor eines Abschiedes getragene Geschichte der Staatsgewalt (1999) und Trothas Prognose einer Art afrikanischen Tribalisierung genannt (2000). 352 S. o. S. 71 f. 353 Als Antwort darauf, daß sich das Agieren der Täter nicht im Rahmen staatlich definierter Territorien abspielt, wird die Bildung eines Weltstaates zur politischen Vision. Sibylle Tönnies hat dem Ruf nach dem „Weltstaat“ unmittelbar nach den Anschlägen eine reflexhafte Radikalität gegeben: Tönnies, 2002. Vgl. die Entfaltung einer subtilen Balance von übernationaler Balance von Staatsinteresse und wechselseitiger Toleranz: Preuß, 2002, S. 139ff. 351
SCHLUSS: „DAMIT DER SCHRECKEN SCHRECKE“
Abb. 98. Zerstörung der Buddha-Statue von Bamijan
Abb. 99. Türme des World Trade Center, 11. 9. 2001, Moment des zweiten Attentats
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SCHLUSS: „DAMIT DER SCHRECKEN SCHRECKE“
Demokratien durch das Bild ihrer Zerstörung beseitigt. Damit aber ist eine Angststeuerung reaktiviert, die noch hinter das Hobbessche Konzept zurückreicht. Da bislang eine minutiöse Biographie von Hobbes fehlt, ist nicht bekannt, ob er während seiner langjährigen Aufenthalte in Frankreich vor das Portal der 1130 geweihten Kirche von Saint-Lazare in Autun getreten ist. Das Tympanon zeigt einen Christus, der in der Unnahbarkeit des Richters in die Ewigkeit blickt, um mit seinen Händen die Trennung der Menschen vornehmen. Während seine Rechte zur Seite der Seligen weist, deutet seine Linke mit der Gnadenlosigkeit einer Gerechtigkeitsmaschine in jenen Bereich, in dem die Verdammten der Hölle übereignet werden (Abb. 100). Besonders eindrucksvoll wirkt eine Szene des Türsturzes, in der zwei Krallenhände um den Kopf eines Mannes greifen, der wie starr vor Schrecken nach außen blickt und seine Arme um die Knie preßt (Abb. 101). Derartige Motive finden sich an zahlreichen Weltgerichtsportalen; was aber dem Tympanon von Autun den unverwechselbaren Charakter gibt, ist der lateinische Text des Türsturzes, der die apotropäische Bildtheorie in die Worte faßt: DASS HIER DER SCHRECKEN JENE SCHRECKE, DIE DER IRDISCHE IRRTUM FESSELT.354 Das lapidare TERREAT TERROR, DAMIT DER SCHRECKEN SCHRECKE, bezeugt eine Grundformel, die mit dem Glück des Menschen so widersetzlich verbunden ist wie der Frieden mit dem Angstpotential des Leviathan.
354
Werckmeister, 1982; Bredekamp, 2000, Mittelalter, S. 219f.
SCHLUSS: „DAMIT DER SCHRECKEN SCHRECKE“
Abb. 100. Tympanon des Portals Saint-Lazare in Autun, ca. 1130
Abb. 101. Türsturzszene, Auschnitt
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Anhang
a. Der erste Absatz des „Leviathan“ Originaltext nach: Hobbes, 1991, S. 9–10 NATURE (the Art whereby God hath made and governs the World) is by the Art of man, as in many other things, so in this also imitated, that it can make an Artificial Animal. For seeing life is but a motion of Limbs, the beginning whereof is in some principall part within; why may we not say, that all Automata (Engines that move themselves by springs and wheels as doth a watch) have an artificial life?
Die NATUR (die Kunst, durch die Gott die Welt geschaffen hat und lenkt) wird durch die Kunst des Menschen auch darin nachgeahmt, daß sie ein Künstliches Tier machen kann. Denn in Anbetracht dessen, daß das Leben nur eine Bewegung von Gliedern ist, die innerhalb eines Hauptteils beginnt: warum sollten wir nicht sagen, daß alle Automaten (Maschinen, die sich durch Federn und Räder bewegen, wie es eine Uhr tut) ein künstliches Leben haben?
For what is the Heart, but a Spring; and the Nerves, but so many Strings; and the Joynts, but so many Wheeles, giving motion to the whole Body, such as was intended by the Artificer?
Denn was ist das Herz, außer einer Feder, und was sind die Nerven, außer vielen Strängen, und was sind die Gelenke, außer vielen Rädern, die dem ganzen Körper die Bewegung vermitteln, wie sie vom Künstler intendiert war?
Art goes further, imitating that Rationall and most excellent work of Nature, Man.
Die Kunst geht weiter, indem sie auch jenes vernünftige und höchst glänzende Werk der Natur nachahmt, den Menschen.
For by Art is created that great LEVIATHAN called a
Denn durch Kunst wird jener große LEVIATHAN geschaffen, der
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ANHANG
COMMON-WEALTH, or STATE (in Latin CIVITAS) which ist but an Artificiall Man; thougt of greater stature and strength than the Naturall, for whose protection and defence it was intended; and in which, the Soveraignty is an Artificiall Soul, as giving life and motion to the whole body; the Magistrates, and other Officers of Judicature and Execution, artificiall Joints; Reward and Punishment (by which fastned to the seate of the Soveraignty, every joynt and member is moved to perform his duty) are the Nerves, that do the same in the Body Naturall; the Wealth and Riches of all the particular members, are the Strength; Salus Populi (the peoples safety) its Businesse; Counsellors, by whom all things needfull for it to know, are suggested unto it, are the Memory; Equity and Lawes, an artificiall Reason and Will; Concord, Health; Sedition, Sicknesse; and Civill war, Death.
GEMEINWESEN oder STAAT (auf lateinisch CIVITAS) genannt wird und der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Statur und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde, und in dem die Souveränität eine künstliche Seele ist, da sie dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt. Die Beamten und anderen Offiziellen der Jurisdiktion und Exekutive sind künstliche Gelenke. Belohnung und Strafe (durch die jedes Gelenk und Glied an den Sitz der Souveränität befestigt und zur Ausführung seiner Pflicht bewegt wird) sind die Nerven, die dasselbe im Natürlichen Körper bewirken. Wohlstand und Reichtümer aller einzelnen Glieder sind die Stärke; Salus Populi (die Sicherheit des Volkes) ist seine Aufgabe; Ratgeber, die ihm alle Dinge vortragen, die er unbedingt wissen muß, sind das Gedächtnis; Billigkeit und Gesetze sind ein künstlicher Verstand und Willen; Eintracht bedeutet Gesundheit, Aufruhr Krankheit und Bürgerkrieg den Tod.
Lastly, the Pacts and Convenants, by which the parts of this Body politique were at first made, set together, and united, resemble that Fiat, or the Let us make man, pronounced by God in the creation.
Schließlich gleichen die Verträge und Übereinkommen, durch welche die Teile dieses politischen Körpers anfangs geschaffen, zusammengesetzt und vereint wurden, jenem ‚Fiat‘ oder ‚Laßt uns Menschen machen‘, das Gott bei der Schöpfung aussprach.
b. Abkürzungen HEW HOL
LB LW MH
= The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury (Hg.: Sir William Molesworth), 11 Bde., London 1839–1845 = Thomas Hobbes Malmesburiensis Opera Philosophica quae Latine scripsit Omnia (Hg.: Sir William Molesworth), 5 Bde., London 1839 bis 1845 = Liste der Bildnisse von Thomas Hobbes = Liste der Werkillustrationen = MacDonald, Hugh und Mary Hargreaves (1952), Thomas Hobbes. A Bibliography, London
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C. LISTE DER VERWENDETEN LITERATUR
Windisch, Martin (1998), Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 72. Jg. , Sonderheft, Medien des Gedächtnisses (Hg.: Aleida Assmann, Manfred Weinberg, Martin Windisch), Stuttgart und Weimar, S. 90–115 Wolf, Gerhard (1998), Gestörte Kreise. Zum Wahrheitsanspruch des Bildes im Zeitalter des Disegno, in: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur (Hg.: Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner u. Bettina Wahrig-Schmidt), Berlin, S. 39–62 Wolfers, Benedikt (1991), „Geschwätzige Philosophie“. Thomas Hobbes’ Kritik an Aristoteles, Würzburg Wolin, Sheldon A. (1970), Hobbes and the Epic Tradition of Political Theory, Los Angeles Woodfield, Richard (1980), Thomas Hobbes and the Formation of Aesthetics, in: British Journal of Aesthetics, Bd. 20, S. 146–52 Woodward, Josiah (1717), Fair Warnings To A Careless World, London Wotton, Henry (1968 [1624]), The Elements of Architecture, Charlottesville Wotton, Henry (1970 [1624]), The Elements of Architectvre, Amsterdam und New York [London] Yates, Frances A. (1964), Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, London Yates, Frances A. (1972), Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes, Stuttgart Yates, Frances A. (1975), Astraea. The Imperial Theme in the Sixteenth Century, Harmondsworth usw. Yates, Frances A. (1979), The Occult Philosophy in the Elizabethian Age, London, Boston u. Henley Yates, Frances A. (1989), Giordano Bruno in der englischen Renaissance (Übers.: P. Krumme), Berlin Yates, Frances A. (1990), Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Weinheim Young, Alan R. (1988), Wenceslaus Hollar, the London Book Trade, and Two Unidentified English Emblem Books, in: The English Emblem and the Continental Tradition (Hg.: Peter M. Daly), New York, S. 151–202 Yung, K. K. (1981), National Portrait Gallery. Complete illustrated Catalogue, London Zagorin, Perez (1954), A History of Political Thought in the English Revolution, London Zagorin, Perez (1985), Clarendon and Hobbes, in: The Journal of Modern History, Bd. 57, Nr. 4, S. 593–616 Zagorin, Perez (1992), Cudworth and Hobbes on Is and Ought, in: Philosophy, science, and religion in England 1640–700 (Hg.: Richard Kroll, Richard Ashcraft, Perez Zagorin), Cambridge usw., S. 128–48 Zahlten, Johannes (1979), Creatio mundi. Darstellungen der sechs Schöpfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittelalter, Stuttgart Zarka, Yves Charles (1987), La Décision Métaphysique de Hobbes, Paris Zarka, Yves Charles (1996), First Philosophy and the foundations of knowledge, in: The Cambridge Companion to Hobbes (Hg.: Tom Sorell), Cambridge, S. 62–85
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d. Namensregister Adams, John Quincy 152 Albritius, Hermolans 136, Abb. 63 Alciati, Andreae 128 Alexander VII. 99 Andreae, Johann Valentin 71 Anna von Dänemark 104 Arcimboldo, Giuseppe 78, 79, Abb. 41, 43 Aristoteles 118 Aubrey, John 32 Bacon, Francis 65, 71, 124 Bernini, Giovanni Lorenzo 99, 142, 144, Abb. 53 Bin Laden, Osama 150, Abb. 87 Bingen, Hildegard von 73 Birg, Heinz Abb. 97 Bismarck, Otto von 150, Abb. 86 Böckler, Georg Andreas 40 Bosse, Abraham 39–50, 52, 56, 110, 112, 121,135, Abb. 2–4, 18–24, 26–29, 31, 39, 55 Bramhall, John, Archbishop of Armagh 108 Bunyan, John 86 Caesar 136, Abb. 63 Callot, Jacques 40 Campanella, Tommaso 71 Cartari, Vincenzo 128, Abb. 59 Casaubon, Isaac 63 Case, John 73, Abb. 37 Caukercken, Cornelius van 34 Cavendish, William, Earl of Devonshire 52, 84, 99 Charles I. 20, 32, 36, 75, 76, 84, 95, 96, Abb. 50, 51, 104, 106 Charles II. 34–36, 39, 50, 52–55, 91, 92, 95, 110, 114, Abb. 17 Colbert, Jean-Baptiste 39 Colt, Maximilian 104
Comanini, Gregorio 78 Cotes, Richard 31 CR 20, Abb. 5 Cromwell, Oliver 32, 36, 53, 54, 84 Crooke, Andrew 26, 31, 52 Cunradus, Christoffel 26, 30 Dante 111 Davenant, Sir William 68, 69, 84, 85, 90 Dee, John 63, 76, Abb. 40 Desargues, Girard 40 Descartes, René 58–62, 67, 122 Diepenbeek, Abraham van 34, 52 Divino, Eustachio 84 Dostal, Wilhelm Abb. 80 Dubreuil, Jean 93, Abb. 49 Dyck, Anthonis van 32 Edward III. 101 Elizabeth I. 74, 75, 113, Abb. 37, 38, 57 Epikur 130 Euklid 63 Faithorne, William 32 Fanshawe, Richard 91–95, 132 Félibien, André 116, 117 Ficino, Marsilio 67, 69 Fitzalan, John, Earl of Arundel 98 Fludd, Robert 56, 57, Abb. 32 Force, Jacques Nompar, Duc de Caumont de la 44 Fortescue, Sir John 80 Foster, Sir Norman 153, 154, 156, 157, Abb. 92 Galilei, Galileo 9 Gheeraerts, Marcus, d. J. 75, Abb. 38, 57 Gilbert William 121 Gower, George 74 Goya, Francisco de 136, 139, 140, 152, Abb. 64, 65
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NAMENSREGISTER
Guarini, Giovanni Battista 91–94 Guericke, Otto von 122 Hadrian 105 Halicarnassius, Dionysius 124 Harvey, William 56, 59, 83 Heartfield, John Abb. 79, 147 Henri II. 128 Henri IV. 115 Henry V. 100 Henry VII. 100, 101, Abb. 54 Henry VIII. 80 Henschel, Gebrüder 148, Abb. 82 Herodes 78, 148, 150, Abb. 42 Hindley, Myra 150 Hitler, Adolf 140, Abb. 69, 70 Hoffmann, Heinrich Abb. 70 Hollar, Wenzel 31–34, 36, 39, 40, 46, 48–50, 52, 114, Abb. 14–17, 30 Horaz 112, 121 Hoskins, John 20 Howard, Thomas, Earl of Arundel32 Huygens, Christiaan 55 Huygens, Lodewijk 55 Hyde, Edward, Earl of Clarendon 53–55 Innozenz VII. 99 James I. 75, 103–106, 117 Janssonius, Joannes 45, Abb. 25 Jaspers (al. Gaspars; Caspar), Johann Baptist 36 Johannes Paul II. 144, Abb. 75 Junius, Hadrianus 112 Juppe, Ludwig von Abb. 52 Kepler, Johannes 56 Klucis, Gustav 140, 145, Abb. 68, 77 Kopernikus, Nikolaus 67 Kubin, Alfred 139, 140, 142, 152, Abb. 66 Laud, William, Archbishop of Canterbury 33, 34 Le Brun, Charles 41, 116 Leibniz, Gottfried Wilhelm 17 Lenin, Wladimir Iljitsch 152, Abb. 90 Leonardo da Vinci 41 Lissitzky, El 152, Abb. 90 Lorenzetti, Ambrogio 126, Abb. 58 Louis XIII. 42, 89, 90, 105, 115 Louis XIV. 39, 92, 93, 114–116, Abb. 49 Lukian 128 Luther, Martin 76
Machiavelli, Niccolò 58 Mariette, Pierre-Jean 39 Marolles, Michel de, Abbé de Villeloin 39 Marshall, William 95, Abb. 50 Masereel, Frans 151,152, Abb. 89 Matheus, Jean 40 Medici, Maria de’ 115 Merian, Matthäus 32, 56–58, 64, 72, 126, Abb. 32, 34 Michelangelo 58, 100 Monstrelet, Enguerrand de 100 Mügelen, Heinrich von 126 Mussolini, Benito 140, 142, Abb. 71 Napoleon III. 150, Abb. 85 Napoleon 148, Abb. 82–84 Naumann, Horst Abb. 73 Newton, Isaac 67 Niçeron, Jean-François 87, 88, Abb. 47, 48 Nicholas, Sir Edward 55 Norten, Roger 31 Offray de La Mettrie, Julien 62 Pacheco, Fernando Castro 140, Abb. 67 Paolo, Giovanni di 112, Abb. 56 Patrizi, Francesco 69, 70, 117 Paul III. 99 Payne, John 86 Perikles 125 Petty, William 83 Pico della Mirandola, Giovanni 67 Piranesi, Giovanni Battista 27 Pohlenz, Bernd Abb. 94 Pollaiuolo, Antonio 99 Porta, Giambattista della 64, 66, Abb. 33 Poussin, Nicolas 41 Puccio, Piero di 73 Quarles, Francis 86, Abb. 46 Raphael 65 Reisch, Gregor 73, Abb. 35 Rembrandt 78 Richelieu, Armand-Jean du Plessi 44 Rivera, Diego 140 Rudolf II. 78, Abb. 43 Saavedra Fajardo, Diego de (al. Faxardo) 86 Salisbury, John of 79 Séguier, Pierre 93 Shakespeare, William 102–104 Sorbière, Samuel 130 Stalin, Josef 140, 142, Abb. 68
NAMENSREGISTER
Starkey, Thomas 80 Steiger, Ivan 147, Abb. 81 Strafford, Thomas, Earl of 33, 47, Abb. 16 Swift, Jonathan 139 Thukydides 124, 129 Tiepolo, Giovanni Battista 27 Tizian 41 Torricelli, Evangelista 84, 121 Torrigiano, Pietro 100, Abb. 54 Trajan 105 Trismegistos, Hermes 62, 63, 66, 67, 69, 70 Urban VIII. 99, Abb. 53 Valckenier, Petrus 135, Abb. 61 Vasari, Giorgio 65
Vaughan, Robert 96 Vergil 112, 113 Vesalius, Andreas 83 Virdung von Hassfurt, Johannes 73, Abb. 36 Wilhelm II., Landgraf von Hessen 98, Abb. 52 Williams, James, Bishop of Lincoln 104–106 Wilson, Woodrow 151, Abb. 88 Woodward, Josiah 135, 140, Abb.62 Wright, John Michael 9 Wyngarde, Franciscus van den 48, Abb. 30
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e. Bildnachweise Die Abfolge der Angaben folgt den Seitenzahlen. In eckigen Klammern werden dort, wo es von den Besitzern gewünscht wurde, die Signaturen der Werke angegeben. Falls sich mehrere Abbildungen auf einer Seite befinden werden Seitenzahlen und Abbildungsnummer angegeben (48/28). Hardwick Hall, The Devonshire Collection (The National Trust; photograph Courtauld Institute of Art): 11 By permission of the British Library: 12, 145, 157/96 [522.k.6]; 21; 22, 24/8 [1476.d.23]; 28; 37, 111 [Ms. Egerton 1910]; 46 [Maps 13.e.12.] Warburg Stiftung, Hamburg: 4; 48/28; 77; Ausklapptafel Bodleian Library, University of Oxford: 19 [Vet. E3 f. 73] Dresden, Kupferstichkabinett (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Dezernat Deutsche Fotothek, R. Richter): 23, 24/9 [276 7739] Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: 25 The William Andrews Clark Memorial Library, University of California, Los Angeles: 29; 96; 136/62 Archiv des Verf.: 30; 33/14; 44; 45; 48/27; 57; 64; 72; 74/36; 75/38; 79/40; 79/41; 80/42; 80/ 43; 82; 83; 99; 101; 112; 113; 127; 129; 134; 136/63; 138 Hamburger Kunsthalle, © Elke Walford, Hamburg: 33/15; 49/30 © Kupferstichkabinett – Sammlung der Zeichnungen und Druckgraphik, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Foto: Jörg P. Anders): 34 [271–300]; 35 [653–301]; 41 [D.1228]; 42 [D.1241]; 43 [D.56]; 47 [D.713]; 49/29 [D.1354] © The British Museum: 40; 51 © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, 1996: 74/35; 75/37 The Getty Research Institute for the History of Art and the Humanities, Special Collections: 87; 88; 89; 93 Svenska porträttarkivet, Statens Konstmuseer, Stockholm: 97 Bildarchiv Foto Marburg: 98 Archiv des Verfassers: 133, 141/68; 141/69; 141/70; 141/71; 146/77; 149/83; 149/85; 150/86; 151/88; 152/90; 153; 155/93; 156; 159/98; 159/99; 161/100; 161/101 Museo Del Prado, Madrid: 137 VG Bild-Kunst, Bonn 2002: 139/66; 146/79; 151/89 Collection of the Fine Arts Library, University of New Mexico, Albuquerque: 139/67 Deutsches Historisches Museum, Berlin: 142 [Inv.-Nr. P 54/1224]; 143/73 [Inv.-Nr. P 94/ 1850]; 143/74 [Inv.-Nr. P 94/ 1057]; 146/78 [Inv.-Nr. P 94/1577]; 146/80 [Inv.-Nr. P 94/ 1179]; 149/82
200
BILDNACHWEISE
© Arte Grafiche Barlocchi – Settimo, M.: 144 © Ivan Steiger, München: 147 Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: 149/84 Der Spiegel, Hamburg: 150/87 © Richard Davies, London: 154 © Pohlenz: 155/94 © Heinz Birg, München: 157/97
Abraham Bosse, Leviathan, Frontispiz von Thomas Hobbes, Leviathan, 1651, LW XI, 1