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German Pages 221 Year 2005
KNOBLAUCH/ZINGERLE (Hrsg.) Thanatosoziologie
Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft in Verbindung mit Martin Albrow, Cardiff · Hans Bertram, Berlin · Karl Martin Bolte, München · Walter L. Bühl, München · Lars Clausen, K i e l · Roland Eckert, Trier · Friedrich Fürstenberg, Bonn · Dieter Giesen, Berlin · Alois Hahn, Trier · Horst-Jürgen Helle, München · Jan Siebert van Hessen, Bilthoven · Robert Hettlage, Regensburg · Ronald Hitzler, Dortmund · Wolfgang Jäger, Freiburg i. Br. · Werner Kaltefleiter f , K i e l · Franz-Xaver Kaufmann, Bielefeld · Henrik Kreutz, Nürnberg · Heinz Laufer f , München · Wolfgang Lipp, Würzburg · Nikolaus Lobkowicz, Eichstätt-Ingolstadt · Thomas Luckmann, Konstanz · Kurt Lüscher, Konstanz · Rainer Mackensen, Berlin · Georg Mantzaridis, Thessaloniki · Norbert Martin, Koblenz · Julius Morel, Innsbruck · Peter Paul Müller-Schmid, Freiburg i. Ü. · Elisabeth Noelle-Neumann, Mainz · Horst Reimann f , Augsburg · Walter Rüegg, Bern · Johannes Schasching, Rom · Erwin K . Scheuch, K ö l n · Gerhard Schmidtchen, Zürich · Helmut Schoeck f , Mainz · Dieter Schwab, Regensburg · Hans-Peter Schwarz, Bonn · Mario Signore, Lecce · HansGeorg Soeffner, Konstanz · Josef Solar, Brno · Franz Stimmer, Lüneburg · Friedrich H. Tenbruck f , Tübingen · Paul Trappe, Basel · Laszlo Vaskovics, Bamberg · Jef Verhoeven, Leuven · Anton C. Zijderveld, Rotterdam · Valentin Zsifkovits, Graz
Herausgegeben von Michael N. Ebertz, Freiburg i. Br. · Hubert Knoblauch, Berlin · Winfried Gebhardt, Koblenz · Werner Schneider, Augsburg · Arnold Zingerle, Bayreuth
Band 27
Thanatosoziologie Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens
Herausgegeben von
Hubert Knoblauch Arnold Zingerle
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen B i b l i o t h e k D i e Deutsche B i b l i o t h e k verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind i m Internet über < h t t p : / / d n b . d d b . d e > abrufbar.
A l l e Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2005 Duncker & H u m b l o t G m b H , B e r l i n Druck: Berliner Buchdruckerei U n i o n G m b H , B e r l i n Printed in Germany I S S N 0935-4999 I S B N 3-428-11825-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706® Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band geht auf drei Tagungen der Sektion für Soziologie der Görres-Gesellschaft zurück, die zwischen 1999 und 2002 anläßlich der Generalversammlungen der Gesellschaft veranstaltet wurden. Die Reihe begann 1999 in Potsdam, das Rahmenthema war »Krankheit und Tod in neueren soziologischen und sozialpsychologischen Untersuchungen«. Sie wurde 2001 in Paderborn fortgesetzt unter dem Thema »Ende der Todesverdrängung?« und 2002 in Erfurt abgeschlossen mit dem Thema »Hospiz u n d Hospizbewegung«. Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge, dem Präsidenten der Görres-Gesellschaft, Prof. Dr. Paul Mikat, für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses und Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Simon für den verlegerischen Anteil am Zustandekommen des Bandes. Besonderer Dank gilt ebenso Dr. Bernt Schnettler ( T U Berlin) und Dr. Peter Schüll (Universität Bayreuth) für die redaktionelle Betreuung des Bandes und seine drucktechnische Vorbereitung.
Berlin/Bayreuth, i m Herbst 2004
Hubert Knoblauch A mold Zingerle
Inhaltsverzeichnis
I . Einleitung Hubert Knoblauch u n d Arnold Zingerle Thanatosoziologie. Tod, Hospiz u n d die Institutionalisierung des Sterbens
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I I . Kommunikation über den Tod Armin Nassehi u n d Irmhild Saake Kontexturen des Todes. Eine Neubestimmung soziologischer Thanatologie
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Werner Schneider Der >gesicherte< Tod. Z u r diskursiven O r d n u n g des Lebensendes in der Moderne
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Susanne Brüggen Religiöses aus der Ratgeberecke
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I I I . Palliativmedizin und Hospiz Christine Pfeffer »Ich hab' gar nicht gemerkt, wie ich da reingezogen wurde«: Z u r D y n a m i k von Individualisierung und Nähe in der Pflegearbeit stationärer Hospize
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Ursula Streckeisen Das Lebensende in der Universitätsklinik. Sterbendenbetreuung in der Inneren Medizin zwischen Tradition und Aufbruch
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Gerd Göckenjan u n d Stefan Dreßke Sterben in der Palliatiwersorgung. Bedeutung und Chancen finaler Aushandlung
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Heidemarie Winkel Selbstbestimmt Sterben. Patient(inn)enorientierung u n d ganzheitliche Schmerztherapie als Kommunikationskoordinaten in der Hospizarbeit - Eine systemtheoretische Perspektive 169 Nicholas Eschenbruch Therapeutische Narrativierung als handlungsleitende H a l t u n g in der Hospizpflege... 189 Reimer Gronemeyer Hospiz, Hospizbewegung u n d Palliative Care in Europa
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Autorenverzeichnis
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I. Einleitung
Thanatosoziologie Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens Hubert Knoblauch und Arnold Zingerle
I. Der Tod ist groß - dieser Satz Rilkes gilt auch für jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Tod. Der Tod ist wahrhaft ein großes Thema. Vielleicht das größte Thema, stellt der Tod doch das große Andere des Lebens, ja des Wissens dar. Sollte man über den Tod deswegen schweigen? In der Tat hat sich die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten immer mehr dem Tode zugewandt. Es entstand eine eigene Thanatologie. Nicht nur die Medizin und die Psychologie, auch die Ökonomie und die Soziologie nehmen sich mehr und mehr des Todes an, so dass eine eigene Thanatosoziologie i m Entstehen begriffen ist. Diese Zuwendung der Wissenschaft zum Tod ist keineswegs ein beiläufiges Phänomen. Hatte Foucault der Wissenschaft noch vorgeworfen, sie müsse den Tod verdrängen, da sie es sozusagen nur mit der Innenseite des Lebens zu tun habe, ist die zunehmende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Tod selbst Ausdruck einer veränderten Bewertung des Todes. Ausdruck dieser Zunahme ist die interdisziplinäre Ausbildung der Thanatologie, innerhalb der Soziologie als Thanatosoziologie. Zwar erscheint der Begriff der Thanatosoziologie zweifellos noch überzogen. Von einer Spezialdisziplin der Soziologie zu reden, die sich so intensiv mit dem Tod beschäftigte wie andere ausgebildete Spezialsoziologien, sind wir (noch?) weit entfernt. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass sich die theoretischen und empirischen Anstrengungen auf diesem Gebiet häufen. Im angelsächsischen Raum finden wir bereits einen Reigen von Zeitschriften, und auch hierzulande muss man sich schon bemühen, um mit dem Stand der gegenwärtigen Forschung auf dem Laufenden zu bleiben. Vor diesem Hintergrund ist der folgende Band zu sehen. Er verspricht keineswegs den gesamten Stand der Forschung auf diesem Gebiet zu repräsentieren. Doch will er einen Beitrag zur weiteren Entwicklung einer soziologischen Thanatologie bieten, der sich einigen zentralen Themen dieses Feldes zuwendet. I m M i t telpunkt stehen - neben dem unvermeidlichen Kernthema, der Thematisierung des Todes in unserer Gesellschaft - die Prozesse des Sterbens. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Band hier - neben dem Krankenhaus und der Palliativmedizin - auf das Hospiz als einer neuen und beachtenswerten Institution, die aus soziologischer Sicht vor allem empirisch bislang zu wenig erforscht worden war.
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M i t seinen theoretischen und empirischen Beiträgen versteht sich dieser Band jedoch nicht nur als ein wissenschaftlicher Bericht zum Thema. Wie schon erwähnt, will er selbst einen Beitrag auf dem Weg bieten, den er selbst beschreibt: Von einer Gesellschaft, die den Tod verdrängt, zu einer Gesellschaft, die (auch wissenschaftlich) mit dem Tod umzugehen lernt.
II. Noch 1967 stellte Luckmann (1967/1991, S. 151 f.) fest, dass der Tod nicht einmal als untergeordnetes Thema i m Heiligen Kosmos der modernen Industriegesellschaft auftauche. Damit stützt er eine Beobachtung, die vor ihm schon Gorer (1955) auf den provokanten Begriff der »Pornographie des Todes« gebracht hatte. Wie die Sexualität sei auch der Tod schambesetzt und tabuisiert, so dass der U m gang m i t dem Tod entsprechend pornographische Züge aufweise. In seiner großen Erhebung aus dem Jahre 1963 zeigt Gorer denn auch eine Reihe von Aspekten auf, die durchaus als Verdrängung des Todes verstanden werden können. Der Tod ist für seine Befragten in weite Ferne gerückt. 1963 waren nur noch 25% der befragten Trauernden beim Tod der nächsten Angehörigen anwesend. 70% der Befragten hatten seit 5 Jahren an keiner Beerdigung mehr teilgenommen. Daneben beobachtete er den beachtlichen Schwund des Transzendenzglaubens bei Jüngeren wie auch des Glaubens an die Hölle. Die Ablehnung des Gräberkultes und damit die Bevorzugung der Einäscherung setze sich auf breiterer Ebene durch, und schließlich sei ein Verlust von Codes für Trauer und Kummer zu beklagen. Was zuvor noch rituell bewältigt werden konnte, werde nun zur psychologischen Aufgabe, und die öffentliche Zurschaustellung der Trauer gelte zunehmend als morbid. In der Tat reichen diese Befunde weit ins 19. Jahrhundert zurück. M a n könnte die Verdrängung des Todes als einen der konstitutiven Topoi in der Selbstbeschreibung der Moderne ansehen, der spätestens mit Freud zum Durchbruch kam und bald auch populäre Formulierungen fand. 1 Wie Ariès (1993: S. 716) in seiner nunmehr klassischen Geschichte des Todes bemerkte, herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch noch weitgehend das »traditionelle Modell« des Todes vor. Die soziale Gruppe wurde vom Tod berührt und reagierte kollektiv: »Der Tod eines jeden war auch ein öffentliches Ereignis, das die gesamte Gesellschaft i m doppelten Sinne, wörtlich und übertragen, >bewegtedas Schweigen werde gebrochen: »mitten i m 20. Jahrhundert erhebt sich erneut das romantische Leitbild des schönen Todes« (Ariès 1982, S. 756). Insbesondere die rasant wachsende Popularität einer Autorin wie Elisabeth Kübler-Ross deutet in seinen Augen an, dass die Öffentlichkeit in Aufruhr gerät und sich dieses Themas mit der gleichen Leidenschaftlichkeit annehmen könnte, wie sie es bei zahlreichen anderen lebenswichtigen Fragen - etwa der Sexualität - getan hat. Ebenso bemerkt auch Walter (1994, S. lf.), dass der Tod eines der am lautesten verhandelten Tabus ist, die es je gab. Die heutige Gesellschaft sei eher besessen vom Tod als dass sie ihn verdränge. In der Tat fällt auf, wie sehr sich inzwischen die herkömmlichen Formen vervielfältigt haben, in denen der Tod von Personen öffentlich mitgeteilt wird - von Todesanzeigen über Trauerkarten und -plakate bis hin zur öffentlichen Beerdigung, Bestattung oder Abdankung. Es fällt ferner auf, wie sehr das Thema »Tod« insbesondere in die populäre Ratgeberliteratur eindringt und hier charakteristische Schnittmengen m i t der esoterisch-religiösen Literatur bildet. Parallel dazu n i m m t auch die Anzahl der wissenschaftlichen und populären Veröffentlichungen über den Tod von Jahr zu Jahr zu: zusammen mit der populären Literatur zum Tod eine kaum mehr überschaubare Textfülle. Schließlich fällt auf, dass der Tod in den verschiedensten öffentlichen Debatten immer wieder in aller Breite und Detailliertheit für jeden wahrnehmbar diskutiert wird. Z u m einen sind es die periodisch aufflackernden Debatten in der Öffentlichkeit, die sich mit dem einen oder anderen Problem des Todes beschäftigen: So wird um die künstliche Verlängerung des Lebens gestritten oder um die Frage, ob der Hirntod als Tod bezeichnet werden kann (vgl. Schneider 1999; Manzei 2000). I m Gefolge der neueren Gesetzgebung in den Niederlanden trat in jüngerer Zeit vor allem das Thema Euthanasie in den Vordergrund (das schon anfangs der neunziger, und davor in den siebziger Jahren auf der Agenda stand). Auch verschiedene Transplantationstechniken (schon die Barnardsche Herztransplantation) hatten schon früher den Tod auf die öffentliche Agenda gesetzt. Öffentlich bedeutet hier, dass sich auch und vor allem die populären Kommunikationsmedien des Themas annehmen und es breit verhandeln. Auch wenn man inhaltsanalytische Studien vermisst, dürfte es doch nicht übertrieben sein zu behaupten, der Tod sei zu einem Topos in der Öffentlichkeit geworden. Das macht auch Werner Schneider in seinem Beitrag deutlich. I m Rahmen einer wissenssoziologisch-diskursanalytischen Ansatzes thematisiert er die »zunehmende öffentliche Diskursivierung des Lebensende«. Zurecht bemerkt er, dass die Beobachtung einer solchen Diskursivierung nicht genüge. Vielmehr müsse man fragen, wie denn der Tod in der öffentlichen Debatte thematisiert werde. U n d dies
3 Eine sehr anschauliche Darstellung der gesamten »Karriere« von Toten m i t vielen Illustrationen bietet Stapferhaus Lenzburg (1999).
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untersucht er an der Debatte über den H i r n t o d und die Organtransplantation. Beide Diskurse, so zeigt er, belegen eine grundlegende Veränderung der »gesellschaftlichen Ordnung« von Tod, der nun nicht mehr als der »Feind des Lebens« erscheine, wie dies in der »klassischen Moderne« geschehen sei. In der »fortgeschrittenen Moderne« treten nun wieder verschiedene Formen des guten oder schlechten Todes auf, die das gelungene Sterben zum Gegenstand einer vorauseilenden SelbstSorge machen. Diese Selbst-Sorge bleibt jedoch keine bloße lebensabgewandte Monastik, sondern stellt sich in den Dienst des diesseitigen Lebens. Noch provokanter wird die öffentliche Präsenz des Todes von Armin Nassehi und Irmhild Saake erörtert. Ausgehend von der These, »mit dem Tod ist keine Erfahrung zu machen«, halten sie den Tod für eine kommunikative Konstruktion. Der Tod werde nicht nur nicht verdrängt, er sei Gegenstand einer gesamtgesellschaftlichen Geschwätzigkeit. Diese Kommunikation geschehe nun nicht einheitlich, sondern in unterschiedlichen Kontexten, die sie Kontexturen nennen. Solche Kontexturen sind etwa die Medizin, die seelsorgerliche Betreuung, der Bestattungsdienst usw., also sozusagen die institutionellen Kontexte (oder »Rahmungen«), in denen nicht nur über den Tod kommuniziert wird, sondern der Tod auch erst zu etwas sozial Wirklichem gemacht wird. Diese Polykontextualität wird durch die Interviews über Todesvorstellungen noch übersichtlicher: Denn in den Interviews offenbaren sich drei Typen, die sich i m Wesentlichen nach der Kontextebene unterscheiden, in der für sie der Tod liegt. Der Berichtstil der »Unsterblichen« signalisiert, dass Tod für sie mit der Möglichkeit der Interaktion verbunden ist, während die »Todesexperten« den Tod als etwas ansehen, was in und durch (die Kommunikation in und von) Organisationen geschieht. Der dritte Typus der »Todesforscher« sieht den Tod aus der Perspektive seiner eigenen Betroffenheit, also sozusagen aus der Warte des (verkörperten) psychischen Systems. Diese Studie führt die Autoren zur Forderung einer »neuen Thanatologie«, »die sich über den Kontext von den Besonderheiten dessen informieren lassen kann, was wir den Tod nennen«. Nassehis und Saakes Konzept einer »Geschwätzigkeit« des Todes macht deutlich, wie wenig sich die Annahme der Todesverdrängung noch halten lässt. Ganz i m Gegenteil scheint es uns, als wären wir mitten i m Prozess einer neuen Institutionalisierung des Todes. Die These der Institutionalisierung des Todes ist keineswegs neu. Sie wurde schon von Lalive d'Epinay formuliert. In unserem Band wird sie auch von Ursula Streckeisen und Heidemarie Winkel vertreten. Lalive d'Epinay (1996) zielt vor allen Dingen auf die »normalisation institutionnalisée« in der Phase des hohen Alters, die nach Streckeisen (2001) zu einer »neuen Institutionalisierung des Sterbens« wird. Als Teil des letzten Lebensabschnittes bilde sich eine besondere Phase aus, für die eigene Erwartungen und Handlungsregeln gelten und die durch besondere Organisationen und Experten versorgt wird. Charakteristisch für diese Phase sei nicht mehr das »aktive Alter«, sondern Abhängigkeit. Unter den Studien des vorliegenden Bandes geben nicht nur diejenigen von Streckeisen und Winkel Anlass zu weiterem Nachdenken über den Aspekt »Institu-
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tionalisierung«. Vor allem die Studien über die Hospizbewegung und die in Hospizen erfolgende Sterbebegleitung (s.u.) bekräftigen die These einer neuen Institutionalisierung des Todes, die hier vertreten wird. Diese These knüpft an eine Reihe organisatorischer Entwicklungen, sozialer Bewegungen und geistiger Veränderungen an, auf die wir gleich eingehen werden. Sie hat zur Folge, dass wir mit der Ausbildung einer neuen Lebensphase rechnen müssen, die nicht mehr das »aktive Alter« ist, sondern durch Abhängigkeit gekennzeichnet sei. So kann kaum übersehen werden, dass Tod und Sterben zum Gegenstand von großflächigen und ausdifferenzierten Organisationen geworden ist. Der Tod von hierzulande etwa einer dreiviertel M i l l i o n Menschen jährlich (und der Sterbeprozess, in dem sich ein Vielfaches dieser Zahl von Menschen befindet) hat ein komplexes und in seiner Verknüpftheit bislang nicht behandeltes Geflecht an Organisationen auf den Plan gerufen: Krankenhäuser, Sanitätsdienste, Pflegeheime, Hospize und Palliativstationen, Friedhofsverwaltungen, Krematorien. In diesen Bereichen finden die unterschiedlichsten Professionalisierungsprozesse statt, das nicht nur mit medizinischem, sondern auch mit psychologischem, ökologischem oder betriebswirtschaftlichem Wissen hantiert. Diese Organisation des Todes ist seit langem bekannt und wurde ja als einer der Ursachen für die Verdrängung angesehen: Tod und Sterben würden auf darauf spezialisierte Institutionen ausgelagert und damit für die Allgemeinheit gleichsam unsichtbar. 4 Doch auch dieses Argument ist, wie schon angedeutet, sehr unbefriedigend, betrachtet man den öffentlichen Diskurs: Tod und Sterben gehören sicherlich nicht zu den Themen, die man als Anathema der öffentlichen Medienkultur ansehen könnte. Nicht nur in fiktiven Gattungen (wie i m Krimi) ist vom Tod die Rede; der Hirntod, die Euthanasie, Themen wie die Tötung von Ungeborenen u.a. stehen häufig i m Mittelpunkt einer sozial höchst sichtbaren Kommunikation. So waren i m englischsprachigen Bereich i m Jahre 1987 mehr als 1700 Bücher i m Druck, die den Tod zum Thema hatten. Die Zahl dürfte deutlich gestiegen sein (Walter 1991, S. 294). Freilich könnte man mit einigem Recht einwenden, dass diese Themen zwar mit dem Tod zu tun haben, nicht aber mit dem Tod und dem Sterben, das uns alltäglich und in der konkreten Erfahrung begegnet. Der öffentliche Diskurs jedenfalls wendet sich kaum dem grauen Durchschnittstod zu. Wie groß auch die Distanz zwischen dem hunderttausendfachen Sterben geworden sein mag, rechtfertigt doch die ausgiebige und intensive Behandlung des Todes in der Öffentlichkeit es keineswegs mehr, von einer »Pornographie des Todes« zu reden. Sie ist jedoch auch nur als ein Indiz für eine mögliche Enttabuisierung des Todes zu betrachten. Weitere Indizien sind die veränderte Einstellung zum Tod und der veränderte Umgang mit dem Tod, denen wir uns nun kurz zuwenden wollen.
4 So vertritt etwa Alois Hahn (2000, S. 86) die Meinung: »Der Tod ist nicht mehr - wie noch vor einigen Generationen - bewußtseinsaufdringliches Thema allgemeiner Kommunikation, sondern Gegenstand spezieller Subsysteme, in denen er auf eigene Weise behandelt wird.«
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IV. Einen ersten Hinweis auf Veränderungen in den Todesvorstellungen erhält man z.B. aus einer bundesweiten Untersuchung über Nahtoderfahrungen. Dabei handelt es sich u m Erfahrungen, bei denen Menschen in körperlichen, zum Teil lebensgefährlichen Krisensituationen besondere mystische Erlebnisse haben. Freilich handelt es sich nicht u m den Umgang mit dem »wirklichen« Tod. Dennoch ist hinsichtlich der Nahtoderfahrungen eine deutliche Veränderung zu beobachten: Galt es in den allermeisten wissenschaftlichen Untersuchungen (im Wesentlichen ab den 1960er Jahren) als Gemeingut, dass es sich bei diesen Erfahrungen um ein Tabuthema handelt, so zeigte sich in der in dieser Hinsicht repräsentativen Studie, dass dies keineswegs mehr der Fall ist: 58% der Befragten finden, dass ihnen beim Reden über dieses Thema »interessiert zugehört« wird, 4 6 % gehen davon aus, dass man ihnen glaubt. 100% 80%
-
60% 40%
20% + 0% Φ D Ja/ Ja vielleicht D N e i n / eher n i c h t
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ahnliche Entwicklungen zeigen auch die Jenseitsvorstellungen, die traditionell sehr eng mit dem Tod assoziiert werden. In einem internationalen Vergleich 6 beobachten wir zwar ein hohes Maß an Menschen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben; in fast allen westlichen Gesellschaften sind jedoch die Jenseitsgläubigen in der Uberzahl.
Ausführlich in Knoblauch/Soeffner (1999); eine Auseinandersetzung m i t der Tabuisierungsthese erfolgte in Knoblauch (2001). 6
Die Daten sind aus der Befragung des International Social Survey Programs (1998)
von Hubert Knoblauch zusammengestellt worden.
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Diese Überzahl wird keineswegs durch die Älteren erzeugt, die »noch« eher religiöse Vorstellungen haben als jüngere. So nahmen etwa bei der französischen Jugend - trotz deutlich abnehmender Mitgliedschaft in religiösen Organisationen die Werte für den Glauben an jenseitsbezogene Vorstellungen in den letzten zehn Jahren um 30% (Glauben an ein Leben nach dem Tod) bis zu über 100% (Glaube an die Hölle) zu. U m das Interesse am Tod zu erklären, sollte man die Bedeutung älterer alternativreligiöser Bewegungen (wie etwa den Spiritismus) nicht unterschätzen. Die Aufwertung des Todes in den letzten Jahrzehnten ist jedoch auf eine Reihe von Bewegungen und Strömungen zurückzuführen, die jüngeren Datums sind. Eine besondere Rolle spielt hierbei zweifellos die Hospizbewegung. Sie hat das Thema auch in den Medien »hoffähig« gemacht. Neben der Hospizbewegung hat auch die Aids-Bewegung (und die »Buddies-Bewegung« der Betreuung Aidskranker nach dem Muster der Hospizbewegung) eine große Rolle für die öffentliche Thematisierung des Todes gespielt (Siebold 1992). Dies mag schon mit der enormen Medienpräsenz zusammenhängen, die Aids und damit verbundene Angst in den achtziger Jahren gefunden hat. 9 Wie hier schon angedeutet, ist die Aufwertung des Todes auch mit einer umfassenden Psychologisierung und Subjektivierung des Todes verbunden, die seit Ende der 60er Jahre eingesetzt hat. 10 Auslöser dieser »Death-awareness«-Bewegung (Bregman 2001) war vermutlich Kübler-Ross On Death and Dying won 1969, das einen phänomenalen Erfolg hatte. Seither überflutet eine Unmenge an Literatur den Buchmarkt, die sich m i t dem subjektiven Umgang mit dem eigenen oder fremden Tod befasst. Es handelt sich hier in der Regel um eine Art psychologischer Ratgeberliteratur, deren Botschaft der Verdrängungsthese ausdrücklich widerspricht: Der Tod soll weder verdrängt noch »verteufelt«, sondern schlicht »akzeptiert« werden. Er sei eine natürliche Tatsache, die dem menschlichen Leben eine besondere Erfahrungsund Sinn-Dimension verleihe. 11
7 Vgl. Lambert (2001, S.12), der sich hier auch auf die ISSP-Daten bezieht. Der Glaube an die Reinkarnation nahm in dieser Zeit um 56% zu, der Glaube an das Paradies um 65%. 8 Hinsichtlich der Todesvorstellungen ist hier besonders die Ausbreitung der Reinkarnation in unserer Gesellschaft zu betonen. Reinkarnationsvorstellungen finden sich bis tief in die inneren Kerne der christlichen Gemeinden. Vgl. Sachau (1996). 9 Es wird immer wieder bemerkt, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Bestattungsrituale verändert hätten. Allerdings ist die empirische Erforschung dieses Themas noch sehr unbefriedigend. Ausnahmen bilden z.B. Geser (1999). 10 Bregman (2001) redet deswegen auch treffend von »psychology as religion«. 11 Wie Pederson-Gallegos (1992, S. 106) meint, zählt auch die Nahtoderfahrung zu dieser Bewegung der Todesbewußtheit: »The near-death experience is a real social phenomenon, regardless of the objective validity of its content. Individuals talk about it, they construct meaning around it, they argue about it, they sometimes even center their lives around it. At the macro-level, people in institutions respond to it, creating policies to manage it, the pub-
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Die eigenartige Popularisierung des Todes ist Gegenstand insbesondere des Beitrags von Susanne Brüggen. Sie analysiert in ihrem Beitrag die höchst beachtenswerte Gattung: Religiöse Ratgeber für den Umgang m i t Tod und Sterben. I m W i n d schatten theologischer Auseinandersetzungen ist hier eine Ars Moriendi entstanden (oder fortgeführt worden?), die zwar, wie Brüggen mehrfach betont, keineswegs auf religiöse Sinngebung reduziert werden kann. Sie bietet jedoch ein mustergültiges Beispiel für das, was Knoblauch (2000) als populäre Religion bezeichnet. Dem besonders in der christlichen Kultur religiös belegten Tod wird hier ein Sinn abgerungen, der eigene Inhalte und Formakzente aufweist. Dies geschieht vor allem durch Laien i m Feld des Religiösen (Physiker, Psychotherapeuten etc.) i m Rahmen einer über Markt und Medien geregelten Kultur. Genauer identifiziert Brüggen drei verschiedene Formen der Todesdeutung in dieser Literaturgattung: Eine erste bietet eine mit dem Jenseits operierende Kosmologie, die in der Regel esoterische Züge trägt; eine zweite offeriert eine praxisnahe Ars Moriendi i m strengeren Sinn, wobei auch hier das esoterische Modell durchschimmert; die dritte Form verlängert das Jenseits in das Innere des Individuums. Ein besonderes Merkmal dieser Bewegung ist nicht nur ihre mangelnde Anerkennung von herkömmlichen Experten für den Tod (Arzte, Priester). Experten sind keineswegs völlig unbedeutend, doch müssen sie ihre Inhalte in Formen präsentieren, die man wohl am besten als populär bezeichnen könnte. I m Zentrum steht nicht die Expertise, sondern die Erfahrung und der Erfahrungsaustausch. So bemerkt auch Walter (1994, S. 2), das »Revival des Todes« sei »increasingly being shaped by neither the dogmas of religion nor the institutional routines of medicine, but by dying, dead or bereaved individuals themselves». W i r haben es mit einer subjektiven Aneignung des Todes zu tun, die häufig einer Positivierung des Todes gleichkommt: Dem Tod wird das Schreckliche, Fürchterliche und Angsteinflössende genommen, das er nach wie vor (auch und gerade in Folge der Möglichkeiten der »Gerätemedizin«) hat. 12 Er ist etwas, das Hoffnung weckt, »freudiges Loslassen und Hoffen auf das Jenseits«, wie Brüggen zeigt. Diese subjektive Aneignung von Tod und Sterben geschieht zwar auch häufig aus der Perspektive der Betroffenen, aber nicht selbst sterbenden Angehörigen. Doch auch sie müssen einmal sterben (und sind dann mit diesen Deutungen gewappnet). So könnte man durchaus die These aufstellen, dass es im Umfeld der ge-
lic spends million of dollars to read about it, and it may even guide public policies as the right-to-die legislation«. 12 Der Schwund ehemals kirchlich-dogmatisch verankerter und pastoral flächendeckend umgesetzter Höllenvorstellungen im Rahmen der allmählichen Verdiesseitigung des Weltbildes, belegt z.B. durch Ebertz (1997) Analyse von christlichen Predigten seit dem 19. Jahrhundert, führt nicht zwangsläufig zur Abnahme der das Sterben begleitenden Schrecken: Die Ursachen, die Anlässe der Schrecken und der Ängste haben sich vielmehr ins Innerweltliche verlagert. Nach der »Erosion der kirchlichen Gnadenanstalt« (Ebertz) wäre daher zu fragen, mit welchen anderen kulturellen und institutionellen Mitteln diese Schrecken künftig »gezähmt« werden können.
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nannten Bewegungen und Strömungen um eine subjektive Wiederaneignung des organisierten und ausgegliederten Tod handelt. Wie das Negative, so gründet auch dieses Positive allerdings überwiegend im Innerweltlichen und nicht mehr, wie etwa in der traditionellen christlichen Religiosität, in der rituellen Vergegenwärtigung einer Erlösertat, die den Tod durch Auferstehung relativiert »Tod, wo sind nun deine Schrecken? Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken« - so hatte, i m Blick auf den auferstandenen Christus, Gellerts Osterlied triumphiert (Ev. Gesangbuch Nr. 115: »Jesus lebt, mit ihm auch ich«). Mehr noch als i m angedeuteten Erfahrungsaustausch ist - wie gerade auch die Studien zur Hospizbewegung in diesem Band zeigen - diese säkulare Aufwertung von Sterben und Tod von einem Ethos des sorgenden mitmenschlichen Umgangs getragen, das sich in persönlich-intimer Kommunikation mit den Sterbenden und um sie herum entfaltet und sich um den Kern der kommunikativen Vergewisserung eines »guten Lebens« (und Sterbens) dreht. Was Brüggen hier herausarbeitet, entspricht unter diesem Blickwinkel einem Grundzug der Todesbewusstseinsbewegung insgesamt, nach der, wie Bregman (2001, S. 323) bemerkt, der Tod »filled with unexpected riches« sei, »a vivid appreciation of life's meanings, and loving ties among persons, even at the very end of life«. Die subjektive Aneignung von Tod und Sterben ist deshalb eingebettet in interaktive, Intersubjektivität herstellende Prozesse. Auffallend ist nun, dass diese (inter-)subjektive Aneignung des organisierten und ausgegliederten Todes, wie er das »klassische« Bild der modernen Gesellschaft bestimmt hat, vom ausgeprägten Selbstverständnis einer anwachsenden kulturellen Strömung getragen wird, die sich als alltags- und praxislegitimiert deutet und durch die Einbettung in nicht-medikalisierte, nicht-technisierte und nicht-bürokratisierte Sozialität einen Neubeginn mit der Selbstbestimmung individuellen Sterbens und dessen Entinstitutionalisierung behauptet. Ein solches Selbstverständnis wird vor allem von Heidemarie Winkel skizziert. Vor dem Hintergrund ihrer systemtheoretisch durchgeführten Analyse erhält es jedoch einen geradezu ideologischen Charakter. Winkels Argumentation läuft auf die Behauptung hinaus: Es wandle sich wohl das den Tod umgebende Bewusstsein, doch blieben die institutionellen und systemischen Bedingungen des Sterbens davon weitgehend unberührt. M a n könne, i m Gegenteil, feststellen, dass sich die Systeme ihrerseits die als neu bewerteten Umgangsweisen anverwandelten. Der Kern dieser Argumentation besteht in der These einer »strukturellen Gemeinsamkeit« insbesondere der Hospizarbeit und der modernen Medizin, die sich einmal an gemeinsamen semantischen Strukturen der Kommunikation, zum anderen an der Praxis der Sterbebegleitung (die Zuwendung mit Schmerzlinderung verbindet und gerade in dieser palliativen Ausrichtung zwangsläufig mit dem Medizinsystem verkoppelt ist) zeigt. Winkel interpretiert deshalb die Hospizarbeit als sich lediglich innerhalb des Gesundheitssystems ausdifferenzierendes medizinisches System. Ohne Zweifel: Der Ansatz von Heidemarie Winkel ist wichtig für die Kritik des Selbstverständnisses der Todesbewusstseinsbewegung und insbesondere auch eines
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Teils der Hospizbewegung, nach welchem das Sterben aus der Sphäre des Institutionellen entbunden werde und die Zielsetzung einer ganzheitlich-persönlichen Betreuung der Sterbenden auch schon eine Entdifferenzierung der Systeme bedeute. Die Frage stellt sich jedoch, ob nicht andererseits die doch unbestreitbar beobachtbaren Elemente dieses neuen Bewusstseins (s.u.) lediglich als Indikatoren einer systeminternen Weiterdifferenzierung des Gesundheitssystems zu beurteilen sind oder aber auf die allmähliche Institutionalisierung einer neuen Umgangsweise mit Sterben und Tod verweisen, die zwar - vor allem in Gestalt der Palliativmedizin - auf die von Winkel nachgewiesene systemische Verknüpfung mit dem Gesundheitssystem angewiesen ist, jedoch als wissensmäßige, kulturelle und personelle Organisation jenes neuen Todesbewusstseins weit über die Grenzen des Gesundheitssystems hinausreicht, ja mehr noch: die nun ihrerseits mit ihrer »Eigenlogik« von Handlungen und kulturellen Werten auf diese gestaltend zurückzuwirken beginnt. M i t der Umsetzung der neuen Handlungsorientierung in der Praxis der Hospizarbeit und auf den Palliativstationen von Krankenhäusern befassen sich die Arbeiten von Pfeffer, Streckeisen, Göckenjan/Dreßke und Eschenbruch. Individualisierung als Fokus der Handlungsorientierung rund um den Sterbensprozess ist das Thema der empirischen Studie von Christine Pfeffer. In ihren Beobachtungen entdeckt sie eine enorme Dynamik einer individualisierenden Nähe, die i m Hospiz (und einer Hospiz-ähnlichen Palliativstation) gefordert wird und ihren Niederschlag in den Anforderungen der Pflegekräfte an sich selbst findet. Diese sind von einer »strukturellen Nähe« geprägt, die sich aus der Hausarbeitsnähe der Arbeit, der Homogenität des Klienteis und dem Grundsatz des Zulassens ergeben. Die strukturelle Nähe garantiert die Möglichkeit, die Individualität des Patienten in den Mittelpunkt der hospiziellen Arbeit zu stellen. Daraus erwachsen erhebliche Ansprüche an die Pflegekräfte, die sich mit verschiedenen M i t t e l n um eine Kontrolle dieser großen Nähe bemühen und ihrerseits zunehmend in den Prozess einbezogen werden, den wir als subjektive Aneignung des in den großen Organisationen zum anonymen Geschehnis gewordenen Todes bezeichnet haben. Geradezu komplementär zum Beitrag von Pfeffer ist die Studie von Ursula Streckeisen zu lesen, die auf einer Feldforschung in der Station für Innere Medizin eines Krankenhauses basiert. Dort herrscht, wie sie i m Anschluss an die Definition der Arzt-Rolle durch Talcott Parsons zeigt, noch immer eine Orientierung des »instrumenteilen Aktivismus« vor: Das aktive, erfolgsorientierte Engagement der Behandlung steht i m Vordergrund. Zwar wird eingeräumt, dass sich der Fokus ärztlichen Handelns von der Bekämpfung der Krankheit auf die Bekämpfung der Schmerzen verschoben hat, doch bleibt es am Paradigma des Heilens orientiert. Streckeisen zeigt dies anhand einer Reihe von Strategien dieses Handelns. Sie deutet aber auch an, wie sich diese Orientierung von Seiten des Pflegepersonals auflöst, das gleichsam das Einfallstor des neuen Todesbewusstseins darstellt und dadurch auch einen neuen, gegen das ärztliche Handeln abgegrenzten Kompetenzbereich aufbauen kann.
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Die subjektive Aneignung des Todes geschieht zwar häufig nur privatim oder in randständigen Institutionen. Doch zeigen die hier angeführten Beispiele sehr deutlich, dass sich die veränderte Haltung zum Tod auch in die Kernbereiche des »organisierten Sterbens« hineinzieht. Insbesondere von den »unteren Rängen« des Pflegepersonal her setzen sich diese Bewegungen allmählich auch in den gängigen Krankenhäusern durch. Dies äußert sich vor allem in der Ausbreitung von Palliativstationen, in denen die einstmals dominierende Leitidee der Erhaltung des Lebens um jeden Preis der neuen Leitidee des guten Sterbens Platz gemacht hat. Dieser Wandel äußert sich aber auch in der Ausbildung einer eigenen Sterberolle, wie sie von Gerd Göckenjan und Stefan Dreßke skizziert wird. Ausgehend von Parsons Konzept der Krankenrolle entwickeln sie den Begriff einer Sterberolle: Sterbende, so zeigen sie in ihrer auf dichter Beschreibung beruhenden Einzelfallstudie, haben ebenfalls Pflichten und es werden ihnen Rollenerwartungen zugewiesen, die sich systematisch von denen Kranker unterscheiden. Diese Rolle ist, wie jede andere auch, durch Wechselseitigkeit gekennzeichnet: Erwartungen, Rechte und Pflichte sind Teil von »Pakten«, Aushandlungen und Konventionen zwischen sterbenden Patienten und Pflegepersonal - auch wenn die Sterberolle letztlich institutionell zugeschrieben wird. 1 4 Z u dieser Rolle gehören letzte Wünsche, die Minimierung medizinischer und pflegerischer Zumutungen und die Vermeidung unnötiger Symptome. Hauptakteure dieser Rolle sind, neben den Sterbenden und den Angehörigen, nicht mehr die Arzte, sondern Pflegekräfte. Zwischen diesen Parteien bilden sich Verhaltensmuster aus, die nur i m Falle des »schlechten«, also vom Patienten aus widerwilligen Sterbens zu Problemen führen. Das gute Sterben lebt dabei schon von Praktiken und Leitbildern, wie sie der Todesbewusstheit entstammen: Bewusstheit, Vorbereitetsein und Gefasstheit sind Anforderungen an die Rollenträger, mögliche Schmerzfreiheit und Achtung der Person sowie ihrer sozialen und kommunikativen Angebote an die Betroffenen (wie sie in der Beschreibung narrativierender Kommunikation bei pflegerischen Interaktionen durch Nicholas Eschenbruch belegt werden). Dazu k o m m t eine zeitliche Orientierung: Das Arbeitspersonal scheint einem Ideal des »Kurz- und gut-Sterbens« zu folgen, das von einem zweiten gebrochen wird: dem »Lang- und arbeitsam-Sterben«. Beide Vorstellungen werden in den Krankenhausroutinen verfolgt.
V. Eine Rolle stellt ein System reziproker Verhaltenserwartungen dar. Die Ausbildung einer Sterberolle erfordert deswegen gefestigte Erwartungen des Personals
13 So lautet der Titel einer Studie, in der David Sudnow den verdrängenden Umgang mit dem Tod in den Krankenhäusern der 60er Jahre analysierte. 14 Schon Glaser/Straus (Ί965) beobachten die Ausbildung eines »Verhaltenskodex« fur Sterbende: sie sollen das Sterben nicht beschleunigen, sich nicht gehen lassen und kooperieren.
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und der Betroffenen, die über solche Schemata verfügen müssen, bevor sie eingeliefert werden. Die Ausbildung einer Sterberolle wäre deswegen eines der deutlichsten Indizien für die These, die wir hier vertreten: Die Institutionalisierung des Sterbens. M i t dem Begriff der Institutionalisierung bewegen wir uns keineswegs nur in dem Bereich, der als Organisation des Todes bezeichnet wird, die, wie etwa Nassehi und Saake betonen, eine umfangreiche Kommunikation nach sich zieht. In der Bedeutung, die ihm Berger und Luckmann gegeben haben, schließt die Institutionalisierung wesentlich die subjektive Bedeutungshaitigkeit dessen, was institutionalisiert wurde, mit ein. Institutionen sind handlungsleitende Einrichtungen, die das reziproke Verhalten der Handelnden beeinflussen (vgl. dazu Berger/Luckmann 1980; Knoblauch 1997). Die Institutionalisierung des Todes bedeutete demnach, dass die Handelnden - nicht nur i m Krankenhaus - über ein gesellschaftlich etabliertes Wissen verfügen, das sie in ihrem Umgang mit dem eigenen Tod und mit dem Tod der anderen leitet. Der Begriff der Institutionalisierung umfasst und integriert also eine Reihe von Aspekten, die bislang aufgelistet wurden: Die Organisation von Sterben und Tod bilden gleichsam die strukturelle Basis dieser Institutionalisierung. Wie insbesondere Foucault betonte, wurde sie zwar herkömmlich von einer wissenschaftlichpositivistischen Legitimation geprägt. Doch erklingen i m öffentlichen Diskurs der letzten drei Jahrzehnte ganz neue Töne, die auf neue Legitimationsmuster hinweisen. Von besonderer Bedeutung ist hier die bereits angedeutete Bewegung der Todesbewusstheit, die eine subjektive Aneignung von Tod und Sterben fordert. Sie fördert die allmähliche Enttabuisierung des Themas, die Erneuerung von Todesvorstellungen und insgesamt eine Positivierung des Todes, der nicht mehr nur Angst und Trauer, sondern auch Hoffnung und Vertrauen erweckt. Die mit ihr verbundene Aufwertung der Individualität der Sterbenden und der Rolle derjenigen, die sich ihnen zuwenden, verweist auf die Stützfunktion, die dabei kulturellen (und vor allem religiösen) Sinngebungen und Wertstrukturen zukommt. Institutionalisierung ist deswegen ein hilfreicher Begriff, weil er die hier relevanten Aspekte zu umfassen erlaubt. Er bezieht sich, erstens, auf die Handlungsmuster und Rollen der Menschen in den darauf spezialisierten Institutionen, und hier zwar keineswegs nur die der Experten, sondern die der betroffenen Laien i m U m gang mit den Experten. Die Institutionalisierung des Sterbens geschieht an den Berührungsstellen zwischen Experten - medizinischen und anderen Todesexperten - und den betroffenen Laien. Sie bezieht deswegen auch die Experten m i t ein, weil sie, zweitens, von einem breiten Diskurs über den Tod getragen wird, der nur zum kleineren Teil ein Spezialdiskurs ist, den man als Sonderwissen abtun könnte. Z u einem größeren Teil handelt es sich um einen öffentlichen Diskurs, der sich in einem Bereich kultureller Prozesse abspielt, den man die populäre Religion nennen könnte. Dieser Diskurs kennt kaum Experten, aber doch eine Moral, und er bildet Formen einer Etikette aus, die man als sekundäre Traditionalisierung bezeichnen könnte.
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Schließlich, und das ist auch konstitutiv für die Institution, ist die subjektive Erfahrung hier ganz wesentlich einbezogen. Es ist eben gerade nicht so, dass die Erfahrung des Todes nicht kommuniziert würde. Sie wird fortwährend kommuniziert - oder das, was die Menschen davon wissen. Die Beteiligung der Handelnden an der Institution wird noch verstärkt dadurch, dass der Diskurs selbst zu einem guten Teil entschieden subjektivistisch ist, d.h. dass er sich auf die subjektive Erfahrungsdimension der Betroffenen und der Angehörigen bezieht. Gegen diese Hypothese der Institutionalisierung von Tod und Sterben kann man gewiss m i t gutem Grund einwenden, dass es sich dabei zunächst eher um Veränderungen der Legitimation von Institutionen und weniger um Änderungen der Institutionen selber handelt. Bei den institutionellen Veränderungen, die diese Entwicklung stützen, handelt es sich vor allem um die Palliativmedizin, die Ausbildung der Sterberolle und die Ausbreitung der Hospizbewegung. 15 Diese Themen stehen deswegen i m Mittelpunkt dieses Bandes. Dabei muss noch einmal betont werden, dass die Autoren durchaus gespalten sind, was die Einschätzung dieser Bewegungen angeht. Sehr kritisch etwa ist die These von Reimer Gronemeyer, der sich mit der Palliativmedizin und dem Hospizwesen auseinandersetzt. Deren humanitäre Züge verdecken ihre Funktion, den Tod billiger zu machen und die »Qualität zu steigern«. Auch er bemerkt eine Institutionalisierung des Sterbens, neben die sich eine Medikalisierung stellt: Die Experten fürs Sterben sind vorrangig Mediziner. Schließlich aber komme es auch einer Ökonomisierung. Sterben ist ein teures Geschäft, und weil immer mehr sterben, rücke auch zunehmend eine Ökonomie des Sterbens in den Vordergrund, der erst eine Einschätzung des Hospizwesens ermögliche. Das Hospiz führt zwar das subjektive Moment in das Sterben wieder ein, ist aber zugleich ein Ausdruck der neuen Institutionalisierung des Todes, die einige neue Spannungsfelder entstehen lässt. So neigten etwa, Gronemeyer zufolge, katholisch geprägte Regionen eher zum Konzept der »Sterbebegleitung« (bzw. des Hospizes), während »Sterbehilfe« sich schneller in (ehemals) protestantischen Regionen durchsetzt. Andere Spnannungsfelder sind die zwischen Ehrenamt und Schulmedizin wie schließlich zwischen Vielfalt und Standardisierung der Sterbebegleitung. 16 Während Gronemeyer, aber auch Winkel, Nassehi und Saake die Art der Institutionalisierung des Todes, wie wir sie skizziert haben, sehr skeptisch beurteilen, wollen wir in dieser Einleitung wenigstens darauf hinweisen, dass sich das Feld von
15 Dass die gegenwärtigen institutionellen sowie, damit zusammenhängend, die kulturellen Veränderungen komplexer sind, als die hier veröffentlichten Studien belegen können, zeigen u.a. die Debatten um die Euthanasiebewegung und Euthanasiegesetzgebung in Ländern wie den Niederlanden, Belgien und der Schweiz an. Auf die damit gegebene Problematik kann innerhalb dieses Bandes nicht eingegangen werden. 16 Freilich bleibt diese Aufteilung empirisch zu untersuchen, da zu vermuten ist, dass eher zwischen christlich und säkular Orientierten eine Differenz besteht.
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Tod und Sterben durchaus grundlegend verändern könnte. Die Hospizbewegung, die Palliativmedizin, das neue Todesbewusstsein könnten (und hier reden wir wieder bewusst i m Konjunktiv) zur Neuausbildung von Traditionen führen, die sich auf der einen Seite an das technizistische Umfeld anpassen, auf der anderen durchaus in der Lage sind, sich nicht nur mit ihm zu verändern und zu variieren, sondern ihm auch - wie dies in den unterschiedlichen Milieus von Krankenhäusern, Palliativstationen und Hospizen sichtbar wird - eine neuartige Zweckbestimmung zu geben und es ihren eigenen Gesetzlichkeiten zu unterwerfen. Diese Neuausbildung widerspricht einer unterstellten Tendenz zur Entinstitutionalisierung des Todes ebenso deutlich wie der These, es gäbe Institutionalisierung und Systemintegration nur in der umgekehrten Richtung, nämlich vom existierenden System des Gesundheitswesens aus (wie Winkel behauptet). W i r übersehen keineswegs, dass Tod und Sterben durchaus von Rationalisierung, Medikalisierung, Bürokratisierung und Säkularisierung geprägt bleiben, und man darf wohl zurecht vermuten, dass die vielfältigen Aspekte des professionellen Diskurses um den Tod weiterhin von Experten verwaltet werden. In Kontrast, ja Opposition zu dieser professionellen Kompartmentalisierung von Tod und Sterben stellt sich jedoch besonders die neue Form der subjektiven Aneignung des Todes ein, die als Todesbewusstheit bezeichnet werden kann. Diese Todesbewusstheit ist keineswegs »nur« ein subjektives Phänomen. Z u m einen wird sie in einem öffentlichen Diskurs prozessiert, der sozusagen unterhalb der Ebene der ausdifferenzierten Sonderwissensbereiche angesiedelt ist. M a n könnte von einem populären Diskurs reden, weil er seine Verbreitung vor allem den populären Medien, Gattungen und Formen verdankt. Diese Todesbewußtheit bleibt indessen kein isoliertes DiskursPhänomen. Sie fügt sich vielmehr - zweitens - an die Organisationen an, die mit dem Tod umgehen, und wo das so überhaupt nicht gelingen will, schafft sie zusätzliche Institutionen. Gerade deswegen ist ja auch von einer Institutionalisierung des Todes zu sprechen: Es geht nicht nur um zielgerichtete Organisationen, die Tod managen, es geht um einen sinnhaft erfüllten gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod - es handelt sich somit um eine Entwicklung, in deren Verlauf sich vielleicht eine kulturelle Neubewertung alles dessen herauskristallisiert, was mit dem Sterben und Tod zusammenhängt. So dürfte es sicherlich kein Zufall sein, dass das Aufkommen dieses Diskurses mit der »Revolution des Todes« (Höpflinger 1986) zusammenhängt: Nicht nur ändern sich die Arten des Todes; der vorzeitige Tod wird zurückgedrängt und macht Platz für einen größeren Teil der Bevölkerung, der mit einem hohen Alter rechnen kann. Die Zunahme der Menschen hohen Alters könnte ein Grund für den öffentlichen Diskurs um den Tod sein. Für sie nämlich ist der Tod ein Thema, das sich kaum verdrängen lässt, und dem sie sich auf diese eigene, sehr subjektzentrierte Weise stellen. Allerdings wird dieser Diskurs nicht ausschließlich von Menschen i m hohen Alter getragen. Es bezieht vielmehr eine Reihe semiprofessioneller Multiplikatoren mit ein, die an den (häufig esoterischen, pädagogischen oder
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psychotherapeutischen) Rändern des Gesundheitssystems angesiedelt sind - und es bezieht all diejenigen mit ein, für die der Umgang mit Menschen i m hohen Alter zu einem dauerhaften Handlungsproblem geworden ist. (Angehörige, »signifikante Andere«, Dienstleistende). Die Todesbewusstheit, so könnte man die abschließende Spekulation deswegen weiter treiben, könnte ein Topos sein, der eine neue generationelle Lebensphase in der Öffentlichkeit verankert, die für immer mehr Menschen (die immer älter werden) i m Lebenslauf erwartet werden kann und sich neben das »aktive Alter« stellt. Sie befindet sich aber bei weitem nicht in der Sterbephase, sondern partizipiert noch aktiv an der öffentlichen Kommunikation - und verändert damit auch die Bedeutung des Todes in der gesamten Gesellschaft.
Literatur Aries, Philippe (1993): Geschichte des Todes. München: dtv (Paris 1978). Berger, Peter / Luckmann> Thomas (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt am Main: Fischer. Bregman , Lucy (2001): The death awareness movement. Psychology as religion? In: JontePace, Diane / Parsons, William B. (Hg.), Religion and Psychology: Mapping the Terrain. London, New York: Routledge, S. 319-332. EbertZy Michael N. (1993): Die Zivilisierung Gottes und die Deinstitutionalisierung der >Gnadenanstalt Cathy (1992): The Hospice Movement. Easing Death's Pain. New York: Twayne. Stapferhaus Lenzburg (1999) (Hg.): Last Minute. Ein Buch zu Sterben und Tod (Buch zur gleichnamigen Ausstellung des Stapferhauses Lenzburg), Baden/Schweiz: hier + jetzt. Streckeisen> Ursula (2001): Die Medizin und der Tod. Über berufliche Strategien zwischen Klinik und Pathologie. Opladen: Leske und Budrich. Sudnow, David (1967): Organisiertes Sterben. Eine soziologische Untersuchung. Frankfurt am Main: Fischer. Walter,
Tony (1991): Modern Death: Taboo or not Taboo? In: Sociology 25 (2), S. 293-
310. — (1994): The Revival of Death. London: Routlegde.
I I . K o m m u n i k a t i o n über den T o d
K o n t e x t u r e n des Todes Eine Neubestimmung soziologischer Thanatologie A r m i n Nassehi und Irmhild Saake
Die Soziologie ist eine Erfahrungswissenschaft und versteht den Genitiv dieses Kompositums in doppelter Weise: Sie kontrolliert ihre Ergebnisse durch eine spezifische Form wissenschaftlicher Erfahrung, und sie hat empirische Erfahrungsformen in der Gesellschaft zum Gegenstand. M i t dem Tod freilich ist keine Erfahrung zu machen (vgl. Macho 1987). Aber gerade deshalb zieht der Tod den Gedanken an das Übersinnliche, das Metaphysische, das Außeralltägliche geradezu an. U n d wer denkt nicht beim Tod zunächst an ein Geheimnis, an Transzendenz oder wenigstens an eine Natur, die unser je kleines Leben transzendiert? Jenseits aller Fixierung auf Religiöses, auf Unsterblichkeitsglauben und Jenseitshoffnung, auf Wiedererweckung oder Reinkarnation verweist der Tod also auf Transzendenz auf die Transzendenz des jeweiligen Sprechers nämlich, der nur um den Preis einer unaufhebbaren Paradoxie sagen könnte: Ich bin tot. Transzendenz meint hier: Der Tod liegt außerhalb der Möglichkeiten des Sprechers, ist aber als Möglichkeit stets sichtbar. Unübertroffen ist das wohl in Martin Heideggers D i k t u m vom Sein zum Ende als einer Möglichkeit des Daseins ausgedrückt, dessen Wirklichkeit die Möglichkeiten des Daseins sprengt. Exakt deshalb verweist der Tod zugleich auf beides: auf die radikale Immanenz allen Daseins und auf den Tod als einen Horizont, der als Wirklichkeit die Möglichkeit dieses Daseins transzendiert. Das Besondere des Todesthemas liegt daran, dass gerade seine empirische NichtErfahrbarkeit, seine Thematisierung nicht durch Erfahrung sich einschränken lässt. Dass der Tod, mit Heidegger gesprochen, nur eine Möglichkeit des Daseins ist, verweist auf seine Wildheit, seine empirische Empirieferne. Deshalb will der Tod domestiziert werden und i m sozialen Raum heißt das: anschlussfähig thematisierbar gemacht werden. W i r wollen i m Folgenden die Heideggersche Lesart noch weiter radikalisieren, indem wir den Zusammenhang von Möglichkeit und Wirklichkeit, Dasein und Tod, Immanenz und Transzendenz systemtheoretisch reformulieren und schlicht nur noch von aktualisierten Sinnverweisungen auf mögliche schließen. Dabei werden diejenigen Bedingungen sichtbar, unter denen jene strukturelle Transzendenz des Themas bearbeitet wird und die zunächst offen halten, ob sie auch thematisch auf Transzendenz und Außeralltäglichkeit verweisen.
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W i r wollen nun zunächst auf typische Domestizierungsformen des Todes aufmerksam machen (I.), um dann gesellschaftstheoretische Grundlagen einer systemtheoretischen Thanatologie zu explizieren (II.), die eine eigene empirische Analyse der Verweisungsmöglichkeiten i m Umgang m i t dem Thema Tod ermöglicht (III.). Eine Konkretisierung dieser Art von Thanatologie findet sich zum Schluss unter dem Stichwort der Semantik (IV.). Z u den impliziten Voraussetzungen der klassischen Thanatologie, denen wir uns jedoch vorher zuwenden werden, zählt die Unterstellung eines Zusammenhangs von Signifikat und Signifikant in der Bezeichnung, eines Körpers und eines sich selbst in der Reflexion entdeckenden Subjekts.
I . Kritik der impliziten Voraussetzungen 1. Domestikation des Todes: Die Bezeichnung Der Tod verweist nicht nur auf Transzendenz, sondern vor allem auf radikale Immanenz. A m Tod kann man viel genauer besichtigen als an den meisten anderen Themen, dass wir radikal gefangen sind in unseren kulturellen Zeichenuniversen. I m Tod kulminiert die Erfahrung, dass wir keinen anderen Zugang zur Welt haben, als es unser jeweiliger sprachlicher, kultureller, gesellschaftlicher Zugang ermöglicht. Wie sich das Bezeichnete außerhalb der Bezeichnung nicht bezeichnen lässt, keine Erfahrung außerhalb der Erfahrung möglich ist, kann man auch außerhalb der Sprache nicht sprechen. Oder wenn man es religiös ausdrücken möchte: Auch das Transzendente lässt sich nur aus der Perspektive unserer jeweiligen Immanenz beobachten, und alle Religion und Theologie hat mit diesem Problem zu tun: als Endliche übers Unendliche, als Sterbliche über den Tod, als Geschöpfe über die Schöpfung zu reden. Keine soziologische Theologie freilich wollen wir damit simulieren. W i r wollen vielmehr auf ein merkwürdiges epistemologisches Problem aufmerksam machen: Der Tod entzieht sich jeglicher Erfahrung, und gerade deshalb will der Tod bezeichnet werden, erscheint er als eine Spur. Die Nichterfahrbarkeit des Todes hat eben nicht Sprachlosigkeit zur Folge, sondern das Gegenteil: Seine Nichterfahrbarkeit entfesselt Kommunikation, zwingt uns dazu, sprachliche Sinn-Universen zu errichten und jener Spur zu folgen, die am Ende dann doch nur auf sich selbst verweist, nicht auf den Tod selbst. Der Tod, von dem hier aus soziologischer Perspektive die Rede sein soll, ist also schon in einem epistemologisch fundierten Sinne stets »Tod in Kontexturen«, Spur eben, radikale Selbstreferenz, dessen Derridasche differance hier in geradezu handgreiflicher Weise unüberwindbar erscheint. Das Zeichenuniversum selbst wird dann real, ist keineswegs nur sekundär, sondern jener Raum, in dem allein sich bewähren kann, was von Bewährung abhängt. Derrida nennt diese Realität des Zeichenuniversums seine metaphysische Komplizenschaft. Vielleicht ist das eine erste Erklärung für die Reichhaltigkeit der kulturellen Formen, die nichts anderes zum Ziel haben, als den Tod irgendwie kommunizier-
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bar zu machen - und das gilt sowohl für religiöse und kosmologische Ideen als auch für den alltäglichen Umgang mit der merkwürdigen Erfahrung, dass Welt und Gesellschaft ziemlich gelassen kontinuieren, obwohl ihr Personal in regelmäßigen Abständen vernichtet und erneuert wird. 1 W i r kommen also nicht anders an den Tod heran als mit Kommunikation und noch mehr Kommunikation. Insofern ist der Tod vor allem dies: geschwätzig und paradox. Er ist geschwätzig, weil wir ihn nicht unmittelbar besichtigen können, ihn nicht zum Objekt von Beobachtungen machen können. Deshalb müssen wir i h m Kommunikation widmen, ihn deuten und verstehen. 2 Paradox ist der Tod also, weil wir damit eine Erfahrung simulieren, mit der sich eben keine Erfahrung machen lässt. Der Transzendenzgenerator Tod entpuppt sich als einer der stärksten Hinweise auf die Immanenz und Selbstreferenz gesellschaftlicher Sinn- und Verweisungszusammenhänge.
2. Domestikation des Todes: Der Körper Der Tod ist also zunächst nichts anderes als ein Kommunikationsinhalt, wenn man so will: die kommunikative Repräsentation der Tatsache, dass zwischen Akteuren und der Gesellschaft eine temporale Diskontinuität besteht. Ein Standardvorwurf gegen eine solche Theorie der Zeichenimmanenz, besteht darin, sie enthalte eine kulturalistische oder kognitivistische Verkürzung. Denn: Gerade angesichts des Todes liegen doch durchaus Erfahrbarkeiten vor, man denke an den Körper, an Krankheit und Sterben, an die Leiche, auch an die gewaltsame Produzierbarkeit von Toten. Hier zeigt sich das neue Interesse an der Natur und am Körper. Die größte Evidenz gegen die behauptete selbsttragende Dynamik der Geschlossenheit, gegen die in die eigene Zeichenhaftigkeit eingeschlossene bloße Be-
1
Es ist vielleicht diese Kränkung, oder genauer gesagt: diese radikale Diskontinuitätserfahrung, die fast alle weltgeschichtlich bekannten Kulturen dazu gebracht hat, in ihren zentralen Sinngebungen der Welt eine Kontinuität des menschlichen Lebens über die je konkrete innerweltliche Existenz hinaus anzunehmen. Die kulturellen Formen dafür sind vielfältig und kaum zu überblicken, und ihre jeweilige kulturelle Funktion nicht auf einen Begriff zu bringen. All diese religiösen, kosmologischen und alltagspraktischen Formen, deren kulturelle Relativitäten auf spezielle gesellschaftlich-strukturelle Bezugsprobleme zurückftihrbar sind, eint das Grundverständnis, die Diskontinuität des individuellen Lebens mit der Kontinuität der Welt zu versöhnen oder zumindest zu vermitteln - und damit das Unerfahrbare kulturell erfahrbar zu machen. Vgl. Minois (2000); Lang/McDannell (1996); Braun (1996). 2 Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch andere Beobachtungsobjekte sind nicht unmittelbar, sondern nur per Beobachtung zugänglich. Aber beim Tod lässt sich das Gegenteil nicht einmal simulieren. Zu den soziologischen Konsequenzen einer Theorie operativer Geschlossenheit vgl. Nassehi (2003a, S. 34 ff.). 3 Aus systemtheoretischer Sicht würde man eher sagen: gegen eine Theorie der unheilbaren Selbstreferenz von Kommunikation und der gesellschaftlichen Dynamik der Geschlossenheit. Vgl. Nassehi (2003a).
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nennbarkeit der Welt, gegen die Verschiebung aller Unmittelbarkeit durch die M i t telbarkeit der Bezeichnung und gegen die ontologische Unüberwindbarkeit aller ontologischen Realitätsgarantien scheint die Natur zu haben - freilich nicht jene Natur, die ja selbst nichts anderes ist als eine Praxis der Bezeichnung, eine Semantik mit unterschiedlichsten Bedeutungsvariationen und Praxisfeldern. Gemeint ist die Natur des menschlichen Körpers, dessen Unmittelbarkeit und ontologische W ü r de auf den ersten Blick einleuchtet. Dass der Körper der Wahrheit näher sei als alle sinnhafte Verweisung psychischer oder sozialer Natur (sie!), zieht sich von der peinlichen Befragung der spätmittelalterlichen Inquisition bis zum Authentizitätsgehabe sexuellen Begehrens, vom Schmerz als religiösem Läuterungsmittel bis zur Reduzierung des Lebens auf die körperliche Reaktion in Extremsportarten. Der Körper kann als Chiffre jenes »Außenkontaktes« gelten, der sich zeichen- und operationstheoretisch offenbar nicht mehr beschreiben lässt. U n d als soziale Praxis funktioniert das nach wie vor: Der Rekurs auf den Körper kommt mit einer Unmittelbarkeit daher, die sich weiteren Verweisungen entzieht. Der Körper steht für das wirkliche Leben, für jenes reale Substrat, das dem kulturellen Selbstverständnis offenbar abhanden gekommen zu sein scheint. I m Körper scheint sich eine Eindeutigkeit zu manifestieren, die der Arbitrarität des Zeichens H o h n spricht. Der Körper ist authentisch - wie er in der schon erwähnten hochnotpeinlichen Befragung früherer Tage als Beweismittel und Mäeut der Wahrheit fungierte, der sich der arme Sünder auch durch Verstellen und List nicht entziehen konnte, so dient er heute dazu, die Unmittelbarkeit der Existenz auszudrücken. Wer nicht weiter interpretieren will, verweist auf seinen Körper - entweder indem er den Körper schlicht demonstriert, sich in den Weg stellt, inszeniert, oder indem er auf die Signale des Körpers hört, die die Grunddisposition der Existenz auszumachen scheinen. 4 Die Attraktivität des Körpers ist nicht seine bloß ästhetische Attraktivität, seine Ästhetik besteht vielmehr darin, dass er für schlichte Ontologie steht, für schlichtes Sein, das zu negieren dieses Sein selbst bestätigt. N u n wissen wir längst, dass sich auch der Körper - nicht nur seine kulturelle Repräsentation durch sprachliche Kommunikation, sondern auch seine habituelle Präsentation und Widerständigkeit - der sinnhaften Dynamik sozialer und psychischer Geschlossenheit keineswegs entzieht. Auch habitualisierte Praxen haben sich in kommunikativen Anschlussprozessen zu bewähren und können sich nur hier fortpflanzen und entsprechende Bedeutungen gewinnen. 6 Insofern sind Prozesse
4 Vgl. zur Rekonstruktion dieser »Wirklichkeit« des Körpers am Beispiel von »Ritualen des Sport« die Studie von Hietzge (2002). In diesem Zusammenhang ist auch die derzeitige Renaturalisierung anthropologischer Konzeptionen zu sehen, die ihre praktische Seite v.a. in der Humangenetik findet. Vgl. dazu ausführlich Nassehi (2003b). 6 An dieser Stelle bewährt sich übrigens die systemtheoretische Denkfigur eines Vorrangs der Kommunikations- vor der Handlungstheorie, denn nur so lässt sich die empirische Rea-
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des körperlichen Sterbens, der Behandlung von Körpern, der körperlichen Fundierung von Anwesenheit und Sichtbarkeit, auch der T ö t u n g von Körpern Folgen sozialer Strukturen und Prozesse und weder ihre vorsoziale Voraussetzung noch ihr ganz anderes. Letzteres mag vielleicht nur für die abstrakte prinzipielle Sterblichkeit allen komplexen organischen Lebens gelten, ist aber - weil abstrakt und demnach nicht naturwüchsig - nur einem Beobachter zugänglich, der sich bekanntlich nicht außerhalb der Beobachtung verorten kann. Die Orientierung am Körper, gewissermaßen die Verankerung gesellschaftlicher Verhältnisse an jener Widerständigkeit, auf die der Tod auch immer verweist, ist freilich nur eine mögliche Form der Thematisierbarkeit des Todes - i m übrigen eine Form, die in unserem Interviewmaterial als einer von drei Typen sowohl in biographischen wie in Expertenkontexten vorkommt. Körperprozesse, ihre Routine, Sichtbarkeit, Widerständigkeit und ontologische Alternativlosigkeit machen den Tod bei diesem Typus in der Weise kommunizierbar, dass er als Tod gar nicht in Erscheinung tritt, doch dazu weiter unten mehr.
3. Domestikation des Todes: Die Reflexion W i r möchten aber noch auf einen dritten Versuch der gesellschaftlichen Domestikation des Todes hinweisen, und zwar auf den bürgerlich-romantischen bias des intellektuellen Nachdenkens über den Tod. Der Tod fungiert hier als Sinnspender, als »Lebensquell«, als Hinweis auf jenes Geheimnis, das das Leben für den Lebenden je ist. Was den Tod angeht, wird offenbar allein jene Form von Thematisierung als angemessen angesehen, die so etwas wie Lebensbilanzen, Gesamtschauen, die Aufhebung des biographisch Entzweiten, die konsistente Beschreibbarkeit des eigenen Lebens als einzige akzeptierbare Perspektive durchgehen lässt, die vor jenem Geheimnis Bestand haben kann und auf angemessener Augenhöhe operiert. Es ist dies der paradigmatische Fall des exklusionsindividualisierten Bürgers, der die Einheit seiner selbst gewissermaßen neben dem Getriebe der Welt entfaltet und hier jenen O r t findet, an dem sich die Einheit des Individuums herstellt. Schon aus konzeptionellen Gründen ist dies auch jene Augenhöhe, auf der sich sozialphänomenologisch über jegliche »Transzendenzerfahrung« räsonieren lässt. Wiewohl etwa Knoblauch (2002) durchaus darin Recht zu geben ist, dass »Transzendenzerfahrung« heute mehr und mehr individualisiert wird und sich dem Expertenzugriff kirchlicher und theologischer Angebote entzieht, so bleibt der sozialphänomenologischen Perspektive doch nur jener Fokus auf die Ganzheit individueller Erfahrung (vgl. auch Luckmann 2002), die sozialphänomenologisch schon deshalb gewissermaßen extrasozietal gedacht werden muss, weil es um die bewusst-
lität sozialer Prozesse von jener intentionalistischen Selektivität trennen, die Handlungstheorien auch gegen ihre Intentionen fast unvermeidlich entfalten, vgl. dazu Nassehi (2003c).
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seinsbasierte Form der Erfahrung geht, in der sich jene Kontinuität herstellt, die die Phänomenologie als Bewusstseinsstrom konzipiert. In diesem Reflexionsmuster findet sich letztlich jenes M o t i v wieder, das als Grundmuster europäischer Vergesellschaftung bis zum »bürgerlichen Subjekt« zurück reicht. Seine »Subjektivität« ergibt sich v.a. aus der sozialen (sie!) Erwartung, sich in der Kultivierung einer die Widersprüche der Welt aufhebenden Selbstbeschreibung je neu zu erfinden. Die soziologische Selbstreflexion kennt dieses bürgerliche Subjekt als jenen Helden Max Webers, der den seines Lebens Fäden haltenden Dämon finden muss, als den über Handlungspräferenzen gesteuerten nutzenmaximierenden Entscheider der rationalen Handlungstheorie, dem eine geradezu abenteuerliche Selbsttransparenz eingeschrieben wird, als Selbsterfinder, der sich in der »zweiten Moderne« als />05/bürgerlicher Held stilisiert, weil er keinem Kanon von Bedeutungen mehr entsprechen kann, erst recht als der individuelle Transzendenzsucher der Sozialphänomenologie, dem die Selbstreflexion dann fast automatisch zu religiöser »Aufhebung« des Individuellen gerät. U n d noch im systemtheoretischen Motiv der Exklusionsindividualität findet sich das Bild jenes bürgerlichen Individuums wieder, in dem sich die Widersprüche der Welt fokussieren. Exakt dies ist der systematische Ort, an dem die These von der Verdrängung des Todes in der Moderne ansetzt. Die meisten Vertreter der These einer Verdrängung des Todes in der Moderne vereint letztlich - bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze 7 - die Idee, dass die moderne Gesellschaft für diese Art Reflexion auf die Gesamtheit individueller Reflexionsarbeit keinen gesellschaftlichen O r t mehr kennt, an dem dies kulturell abgestützt wird. Folge ist eine kulturkritische Klage darüber, dass die moderne Gesellschaft in der »offenbaren Sinnlosigkeit des Todes, welcher gerade unter den Bedingungen der >Kulturzu verstehen, praktisch so leben zu lernen, dass der Körper in >mein< Handeln und Selbstverstehen integriert ist.« Eben diese Behauptung lässt sich anhand des vorliegenden Interviewmaterials relativieren, insofern nicht jede biographische Kontextur auf das Problem von anwesenden Körpern reagiert. Vgl. FischerRosentahl (1999, S. 160).
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dem Interaktionspartner verbinden lässt, in dem aber auch niemals negiert werden darf, dass es so, wie es ist, auch gut ist. Dass die Praxis funktioniert, gilt als Beweis; der Bericht darüber schließt die Negation ganz grundsätzlich aus und verhindert Anschlussmöglichkeiten, die das Ende der Praxis betreffen. Vom Tod zu reden, würde in diesem Fall den ganzen Rahmen dessen erschüttern, was tägliche Sicherheiten erzeugt. Dass es der Körper ist, der dies tut, kann nicht gesehen werden, weswegen die potentielle Hinfälligkeit des Körpers auch nicht zum Thema werden kann. Dies wäre der einzig mögliche Weg, über den Körper und seine Vergänglichkeit zu reden. Auch im Gespräch mit einem Sterbenskranken wurde diese Möglichkeit jedoch ganz anders aktualisiert, und zwar im Verweis auf den eben immer noch lebendigen und anfassbaren Körper, der doch noch Sicherheiten verspricht. Dass diese Fischer-Rosenthalsche Dimension der »Eigenleiblichkeit« (FischerRosenthal 1999, S. 160) nur eine von mehreren Formen der Selbstbeschreibung aktualisiert, verdeutlicht ein Blick auf die beiden anderen Typen.
2. Die » Todesexperten« Die Gruppe der sogenannten »Todesexperten« wird von Biographen gebildet, die sich als religiös beschreiben - nicht von religiösen Menschen i m Allgemeinen - , von Biographen, die sich einen plötzlichen Unfall, ein plötzliches Unglück erklären müssen und von Experten aus dem Bereich von Polizei und Kirche. Immer geht es in diesen Texten um eine Legitimation, um die Herstellung von Sicherheit, um die Negation von Kontingenz. Was passiert ist, musste so passieren. Es konnte nicht anders kommen. Philipp Mellor, einer der wenigen gegenwärtigen Verdrängungstheoretiker, greift auf das Thema Tod über Karl Jaspers Begriff der Grenzsituation zu und Berger/Luckmanns daran anschließende Legitimation der symbolischen Sinnwelten. Als Thanatologe leitet Mellor aus diesem Befund die exzeptionelle Stellung des bedrohlichen Todes und moderne Separierungsbedürfnisse ab (Vgl. Mellor 1993). Sicherheitsbedürfnisse entstehen jedoch - folgt man den biographischen Texten unserer »Todesexperten« - nicht als Gegensatz zum »Grauen vor dem eigenen Tod« (Berger/ Luckmann 1969, S. 108), sondern werden durch den Tod erst ermöglicht. Die Erfahrung von Grenzsituationen erscheint in diesen Interviews nicht als Unterbrechung und Infragestellung von Normalität, sondern als Konstitutionsbedingung eben dieser symbolischen Sinnsysteme. Biographien, die einen Erzähler platzieren, der die Welt kennt, der weiß, wie die Dinge laufen, gewinnen solche Sicherheiten durch die Erfahrung ζ. B. des Suizids der Schwester, des Verlusts der Familie oder durch die schlichte Erfahrung, anders behandelt zu werden als die Geschwister. Typischerweise spielt die Inklusion in Organisationen in diesen Interviews eine große Rolle; diese Biographen profitieren von der organisationsintern erzeugten Eindeutigkeit von Entscheidungen und Differenzierungen. U n d immer läuft es darauf hinaus, dass diese Interviewpartner definieren können, was der Tod ist, nämlich ζ. B. ein natürliches Ereignis oder ein Leben bei Gott. Die vorausgesetzte Wirklichkeit kennt in diesen
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Fällen eine hierarchisch geordnete Welt von Gläubigen und Ungläubigen, Menschen und Gott, Männern und Frauen, Gesunden und Kranken und liefert die Legitimation dieser Hierarchie immer schon mit. In diesen Texten entfaltet sich also der klassische Erzähler der Biographieforschung, der genau weiß, womit seine Geschichte begonnen hat, der Episoden zur Untermauerung seines Themas anführen kann und der zum Schluss noch einmal erklärt, wieso alles mit allem zusammenhängt. A n diesen Texten zeigt sich auch, dass allein der Befund, der Tod sei ein natürliches Faktum 1 , noch wenig über Todesbilder aussagt. O b sich der Interviewte für »natürlich« oder »göttlich« entscheidet, hängt letztlich wohl eher von Zufälligkeiten, Besonderheiten des sozialisierenden Umfelds ab. Vom natürlichen Tod sprechen Texte aller drei Typen. Entscheidend ist vielmehr, wie dieses Wissen platziert wird. Während es bei den »Unsterblichen« die Kommunikation über den Tod beenden soll, demonstriert es i m Fall der »Todesexperten« lässige Aufgeklärtheit und findet sich überraschenderweise neben religiösen Definitionsangeboten wieder. Aber darauf hatten Berger und Luckmann eigentlich schon hingewiesen: Sinnsysteme, die den Tod erklären, müssen nicht religiös sein, sie müssen ihn nur erklären können. (Berger/Luckmann 1969, S. 110) U n d das können auch - auf der Seite der Experten - sowohl Polizisten als auch Theologen.
3. Die » Todesforscher« Was für Berger und Luckmann als »anomal« gilt, nämlich dem »Griff des Nachtmars ausgesetzt (zu sein)« (ebd., S. 109), also ohne entsprechendes Sinnsystem ausgestattet dem Tod zu begegnen, stellt sich beim dritten Typus als Normalität heraus. Die »Todesforscher« finden einen Umgang mit dem Problem der Kontingenz, der von Individualisierungstheoretikern profiliert wird. Ulrich Beck formuliert dazu: »Der Preis weit vorangetriebener Individualisierung ist eine durch nichts gemilderte Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit.« (Beck 1997, S. 125) Der Tod - so vermutet Beck - würde auf diese Weise ein »verbleibendes Restrisiko« (ebd.) sein. Der Begriff des Risikos spielt zwar durchaus in den Texten dieser Gruppe eine Rolle, seine Stellung und auch die des Todes muss jedoch konkretisiert werden. In diese Gruppe fallen Interviews m i t Biographen, die chronisch krank sind, und mit solchen, die sich für esoterisches Wissen begeistern. Aber auch
14 Werner Fuchs-Heinritz hat 1969 die Verdrängungsdebatte mit der Unterscheidung von zwei Todesbildern modernisierungstheoretisch gewendet. Die Diagnose der Verdrängung liest er als Reflex auf die »totale Immanenz der Industriegesellschaft« und platziert daneben ein »modern-rationales Todesbild«, demzufolge der Tod sich wie folgt beschreiben lässt: »Tod kommt aus natürlichen Ursachen, bedeutet Aufhören der biologischen Lebensprozesse, mit denen als ihrer Voraussetzung alle anderen Lebensprozesse gleichfalls enden. Was bleibt, ist ein Ding, die Leiche.« Vgl. Fuchs (1969, S. 71).
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Experten, die sich als Ethiker oder Genetiker professionell mit dem Problem der Kontingenz auseinandersetzen, gehören in diese Gruppe. Immer geht es um die Beobachtung, dass es eigentlich wenig Verlässliches gibt, worauf man eine solche Sicherheit aufbauen könnte, wie sie die »Todesexperten« entwickeln. Die Biographien dieser Gruppe sind sich zumeist unschlüssig darüber, wo sie m i t dem Erzählen anfangen sollen, sie wissen nicht, wie sie die gerade erzählte Episode einordnen sollen und stellen fest, dass sie vieles auch schon mal anders erzählt haben. Die Reflexion, die in biographischen Interviews immer unter dem Verdacht der Hörerbeeinflussung zum Zwecke der Verdunkelung der eigentlich wichtigen Inhalte steht (Fischer-Rosenthal 1999, S. 145), charakterisiert eine spezifische Form der Selbstbeschreibung. Als vorausgesetzte Wirklichkeit ergibt sich in diesem Fall nur der eigene Anspruch und die Erfahrung der Abweisung dieser Ansprüche. Erst wenn etwas nicht klappt, entsteht ein Informationswert, der zur weiteren Selbstbeschreibung taugt: Frau und eben nicht erfolgreicher Mann, chronisch krank und eben nicht ganztags berufstätig, Single und eben nicht mit familiären Sorgen belastet. Die Reflexion holt diese Unterschiede immer wieder ein und öffnet den Blick für mögliche andere Unterscheidungen und damit verbundene neue Optionen. U n d erst vor diesem Hintergrund gewinnt das Risiko seine Bedeutung, denn es könnte ja falsch kalkuliert gewesen sein und eben damit dann auch die erhoffte Materialität von Wirklichkeit erzeugen, an der der einzelne sich dann reiben kann. Nicht die Angst vor dem Risiko, sondern der Gebrauch des Risikos zeichnet diese Biographien aus. Auch der Tod erscheint so nicht als Restrisiko, sondern als O p t i on. Vielleicht erhält man ja ein neues Leben, vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, i m Sterben wirklich zu beweisen, wie heldenhaft man ist. Aber all das wird immer nur als Vermutung mitgeliefert, die mitreflektiert, dass auch i m weiteren Verlauf des Lebens alles ganz anders kommen kann und der Tod dann eine andere Bedeutung erfahren wird. Aus diesen Interviews lässt sich viel über Individualisierung erfahren, die sich so als Selbstbeschreibung unter ganz spezifischen Bedingungen der Wirklichkeitskonstitution lesen lässt.
I V . Semantiken des Todes Wenn man also Biographien tatsächlich - wie Fischer-Rosenthal es jüngst noch einmal eingefordert hat - i m Hinblick auf das >Wie< und nicht auf das >Was< liest (vgl. Fischer-Rosenthal 1999), dann wird zwar die moderne gesellschaftliche Funktion der Biographie sichtbar, aber vor allem rücken dann Konstruktionsprozesse in den Blick, die sich grundsätzlich als immer nur biographischer Kontext lesen lassen. Aus dem Blick geraten dann freilich andere Thematisierungsebenen, an denen gesellschaftliche Semantiken des Todes kondensieren - Thematisierungsebenen, die sich nicht allein den interaktionsnahen Kommunikationsformen der biographischen Rede fügen, sondern auch in organisierten Kontexten oder durch die An-
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schlusslogiken der Funktionssysteme strukturiert werden. U n d umgekehrt wird sich dann auch zeigen, dass sich nicht nur Expertenkontexte, sondern auch biographische Thematisierungsformen der Selbstplausibilisierung solcher Semantiken bedienen. 15 Dass unsere thanatologische Argumentation den Restriktionen empirischer Plausibilisierung unterworfen ist, stellt sich als Ergebnis einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Tod ein, vormoderne Sicherheiten sind davon unberührt. Genauso wie sich also Machos D i k t u m als Produkt einer Expertenkommunikation entschlüsseln lässt, müssen auch biographische Texte über ihre Kontextur, die Unterscheidung von Selbst und Umwelt, gelesen werden. Das meint nun nicht, dass autonome und heteronome Anteile zu trennen seien. Vielmehr muss diese Unterscheidung tiefer gelegt werden. Sie konstituiert bereits die Möglichkeit, den ersten Satz zu formulieren, auszuwählen, was erzählbar ist, und auszuschließen, was immer schon vorausgesetzt wird: Die unbestreitbare Bedeutung des Körpers, eine hierarchisch geordnete Welt oder die eigene Profillosigkeit. Als Resultat von biographischer Kommunikation entsteht der Mensch, der ohne eine solche Voraussetzung von Wirklichkeit sich selbst nicht zum Thema machen könnte. Die Logik dieses biographischen Kontexts lässt sich dann genauso entschlüsseln wie andere, etwa organisationsgestützte Expertenkontexte: als Verweis auf eine spezialisierte Semantik, die im Reden ihre eigene Berechtigung erschafft. Die Untersuchung der Koevolution solcher Semantiken stellt sich vor allem für die Thanatologie als hilfreiche Perspektive heraus. Viel stärker, als es bisher stattfindet, müsste die Thanatologie unterscheiden, von welchem Tod sie gerade redet: vom Tod als Leiche, wie ihn Bestattungsunternehmer und Mediziner kennen, vom Tod als Explanans und Explanandum, wie ihn Polizisten und Theologen kennen, oder vom Tod als unbestimmter Option, die Ethiker und Genetiker zu domestizieren versuchen. Ganz ähnlich lassen sich dann auch biographische Kontexturen als Kontexturen lesen, in denen dem Tod kommunikative Plausibilität zukommt. Dabei geht es nicht um die Ordnung weltbildhafter, inhaltlicher Sinnaussagen, die wir dem Thema Tod stets gerne entnehmen. Es geht vielmehr um die Frage, wie sich biographische Texte jene Kontexturen textstrukturell erzeugen, in denen sie sich vorfinden. Solche Kontexturen variieren zwischen eigenem und fremdem Tod und gestatten sich i m Rahmen dieser drei Typen immer noch so viel Freiraum, dass es kaum lohnenswert erscheint, ζ. B. einen inhaltsanalytischen Zugang zu wählen und danach zu fragen, wie oft vom natürlichen oder vom magischen Tod geredet
15 Das ist im Übrigen wenig erstaunlich, ist doch die Individualität moderner Individuen keineswegs das ganz andere der Funktionssysteme. So sind es durchaus ökonomische, rechtliche, politische, ästhetische, religiöse und auch wissenschaftliche Semantiken und Praxisformen, die die spezifische Form moderner Individualität mit hervorgebracht haben, man denke nur an das Konzept des ökonomischen Entscheiders, an die individuelle Verantwortlichkeit im Recht, an den politischen Anspruchsindividualismus, an die Erwartung individueller Konsumstile (nicht nur) in der Kunst, an das Vertrauen in die individuelle Urteilskraft durch wissenschaftliche Ethiken usw. Vgl. dazu Nassehi (2002).
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wurde. Auch der klassische Zugang über statistische Repräsentativität erscheint nicht sinnvoll, denn dann würde man Kategorien wie Geschlecht, Krankheit und Alter, die in den biographischen Kontexten ganz unterschiedlich mit Wirklichkeitscharakter ausgestattet werden, immer schon als sinnhaft voraussetzen. U n d dann würde man wiederum nur etwas über aktuelle soziologische Thanatologie und nichts über biographische Logiken erfahren. Während der Biographieforschung auf der Grundlage dieser Daten vorzuwerfen ist, dass sie mit dem Konstruktivismus nicht ernst macht und sich nicht für die operativen Prozesse, sondern nur für die Inhalte der Selbstbeschreibung interessiert, muss der Thanatologie vorgehalten werden, dass sie bei aller modernen Ernüchterung i m Gefolge der Inversion der Thanatologie doch noch immer am personalisierten Tod festhält. Ergebnisse der Thanatologie werden dann als Antwort auf die Frage danach gelesen, wie der Tod denn nun in der modernen Gesellschaft aussieht; die mögliche Vielfalt wird zum Schluss dann doch immer wieder der Idee von >dem Tod< geopfert. So ist es dann eine abstrakte Idee des Todes, die den Referenzpunkt bildet und nicht die jeweilige Kontextur, in der er erscheint. Was kann man stattdessen erfahren, wenn man die Kontextur profiliert? Zunächst einmal, dass auch ein medizinisch kontrollierter H i r n t o d nur eines von vielen Todesbildern darstellt. Darüber hinaus erfährt man aber auch, wie unproblematisch die Rede vom Tod sein kann, wenn man in biographischen Interviews nicht in unbekannte Tiefen vordringen will. 1 6 Die drei von uns destillierten Typen profilieren Ergebnisse, die wir nun noch einmal i m Hinblick auf die Frage danach zusammenfassen möchten, inwiefern die kommunikativen Kontexturen den jeweiligen »Tod« hervorbringen. Ordnen lassen sich solche Kontexturen u.a. danach, ob sie eher interaktions- oder eher organisationsnah gebaut sind. So erfahren wir m i t Hilfe des ersten Typus - den »Unsterblichen« - , dass Interaktion vom Tod am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wird. Hier wird die Praxis des Alltags zum Horizont für Selbstbeschreibungen gemacht. Wenn diese Praxis entweder besonders problematisch (im Fall der Krankheit) oder so unproblematisch (im Fall der Familie) erscheint, dass an ihrem Vorbild die ganze Welt in Vertrautes und Fremdes geschieden werden kann, wäre es eine Zumutung, über den Tod zu reden. Was als Wirklichkeit vorausgesetzt wird, die Existenz des Körpers, kann nicht auch gleichzeitig in Frage gestellt werden. Die Interaktion trägt also am schwersten an diesem Thema und nicht ohne Grund schließt wohl die psychologische Thanatologie als Thanatologie der Trauer an diesem Problem an. Das Verschwinden des Körpers kann zwar erklärt werden, aber das trägt nichts dazu bei, 16 Um mehr Dramatik in die Interviews hineinzubringen, hat uns eine Psychologin, die mit Krebspatienten arbeitet, empfohlen, wir sollten doch am besten Sterbenskranke andere Sterbenskranke interviewen lassen. Dann erst kämen wir an die Wahrheit über den Tod heran. Darauf haben wir verzichtet, sowohl um Sterbenskranke zu schonen als auch um zu sehen, was sich - ganz unbeeindruckt vom Thema Tod - in Biographien mit dem Thema anfangen lässt.
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Interaktion nach dem Tod wieder in Alltagsroutinen zu überführen. Die vielen Angebote zur Trauerarbeit erscheinen vor diesem Hintergrund als Beschäftigungstherapie für eine Zeit, in der die alltäglichen Erwartungen an Anwesenheit langsam umstrukturiert werden müssen. Die Erklärung des Todes versagt auf der Ebene der Interaktion und gewinnt erst an Bedeutung, wenn es um die organisierte Ordnung geht. Die semantischen Sicherheiten des zweiten Typus, des »Todesexperten«, werden samt und sonders in Organisationen erzeugt: der psychiatrisch erklärte Suizid, der schulische Erfolg, das berufliche Versagen, die kirchliche Zugehörigkeit. Dass es klappt, zeigen Inklusionserfahrungen, die zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Dass auch der Tod diese Sicherheiten liefern kann, und nicht nur als Bedrohung von Sicherheit erscheint, verdankt sich dem Differenzwert, den er produziert. Die Erfahrung des Todes erscheint so nicht als »Grenzsituation par excellence« - wie Berger/Luckmann formuliert haben - , sondern als Differenzsituation par excellence. Da nach ist nichts mehr wie vorher. Es entsteht auf diese Weise eine Eindeutigkeit, die sich - wenn der funktionierende Alltag sie nicht verwischen kann - nur als Selektion interpretieren lässt. Dass es den anderen getroffen hat, nicht einen selbst, stellt sich so nun als Zeichen heraus, als Hinweis darauf, dass man selbst - als psychisch gesunder Mann i m Gegensatz zur psychisch kranken Schwester - nicht vom Suizid bedroht ist. Auch in diesem Fall trägt die Erfahrung des Todes nicht dazu bei, die eigene mögliche Betroffenheit zu reflektieren. Stattdessen schärft sie den Blick für ähnliche Selektionen (beruflicher Erfolg, familiäres Glück, zukünftige Gesundheit...). Ganz andere Seiten des Todes präsentiert der dritte Typus, der »Todesforscher«. Der Tod gibt in diesen Fällen seine empirische Eindeutigkeit - als Tod des anderen auf und bietet sich statt dessen als Thema der eigenen Betroffenheit an. Es werden viele eigene Tode denkbar, die man sterben kann und gleichzeitig erscheint doch auch immer der jeweilige Tod noch überwindbar. Clive Seale spricht von einem neuen heroischen Umgang (Seale 1995) mit dem Thema Tod und charakterisiert damit auch unseren dritten Typus. A u f der individuellen Ebene - so lässt sich mutig schlussfolgern - kann der Tod bereits als überwunden gelten. Dem einzelnen, der sich nur anhand abgewiesener Ansprüche identifizieren kann, bietet sich der eigene Tod als große Chance an, als Herausforderung, auch dieses Hindernis zu überwinden, oder als Weg, endlich doch eine Antwort auf die Frage zu erhalten: Wer bin ich? Zusammenfassend lässt sich festhalten: Interaktion kennt weder den eigenen noch den Tod des anderen. Z u interagieren setzt immer auch Leben voraus. Alltag gibt es nur, wenn die Schützsche Sicherheit des »Es geht immer weiter« nicht explizit werden muss. Heilung vom Tod kann dann wiederum nur der Alltag bieten, keine Einsicht, keine Anteilnahme, nur das Aushalten des Weiter-So. Wenn das nicht klappt, oder auch wenn schon vorher die Sicherheit des Alltags als trügerisch entlarvt wurde, müssen neue Sicherheiten geschaffen werden. A m Tod lässt sich nun nicht mehr vorbei sehen. Als Differenzen erzeugendes Ereignis verweist der Tod dann auf andere Eindeutigkeiten, die sich eben nur i m organisatorischen Kon-
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text finden lassen. Dass es klappt, dass einem selbst nichts passiert und dass man anders ist als die anderen, lässt sich in organisatorischen Kontexten beweisen, die jedes Ereignis als Entscheidung behandeln und so ermöglichen, Abstand zwischen sich und die anderen zu bringen. Der geordnete Diskurs der Organisation macht den Tod zum Tod des anderen und damit zum Vertrauten, zum Freund. Wenn weder Alltag noch Organisationen als Garanten von Sicherheit gelten, erst dann wird der eigene Tod sichtbar. Was nun schon immer vorausgesetzt wird, ist nur noch das Ansprüche formulierende Individuum, das sich i m Bewältigen von Hindernissen wiedererkennt und dabei den Tod entmachtet. Selbst zu sterben erscheint denkbar, erscheint attraktiv als neue Herausforderung. Das sterbende Ich überlebt sich dabei selbstsicher und illustriert unsere Unfähigkeit, ein Ende zu denken. A u f diese Weise, in Interaktionen, Organisationen und biographischen Kontexten, versorgt der Tod uns mit kommunikativen Anschlüssen. Wenn wir sagen wollen, was der Tod ist, reden wir vom Tod des anderen, wenn wir an unseren eigenen Tod denken, fragen wir uns, wie wir ihn bewältigen. A m nächsten dran ist man eigentlich nur, wenn man schweigt. Bevor uns nun unsere Sätze aber zu zenbuddhistischen Koans geraten, lässt sich doch soziologisch diesseitig festhalten, dass die Kommunikation über den Tod insofern auf den Tod verweist, als sie sichtbar macht, wie Kommunikation vom Tod betroffen werden kann. Während man einem Vortrag zuhört, denkt man nicht daran, dass einer der Anwesenden gerade dann sterben könnte, und wenn man es täte, würde man vermutlich sofort denken, wie unwahrscheinlich dies gerade jetzt wäre und hätte sich so - statistisch abgesichert - den Tod wegerklärt. Falls das Unwahrscheinliche dann doch einmal eintreten würde, wären wir alle von diesem Eindruck zeitlebens geprägt und würden uns fragen, was das wohl bedeuten könnte. Wenn der Leser dieses Beispiel makaber findet, sitzt er erst recht in der Falle, denn dann vermutet er womöglich, allein die Rede vom Tod könne ihn herbeirufen. Der Tod verändert unsere Kommunikation: Er macht einen interaktionsnahen Alltag sichtbar, der den Tod nicht kennt; er zwingt uns zu organisationsgestützten Entscheidungen, wenn wir ihn definieren wollen, und er verweist uns auf unsere eigene schöpferische Kraft, wenn wir ihn für denkbar halten. Das alles macht er gleichzeitig in verschiedenen Kontexten und gewinnt dadurch eine Präsenz, der man nur mit Schweigen beikommen kann. Als »der« Tod ist der Tod unkommunizierbar. Die methodische und methodologische Umsetzung dieses Forschungsvorhabens weist Ähnlichkeiten zur Bourdieuschen Untersuchung von Distinktionsverhalten auf. Ganz ähnlich wie Bourdieu leitet auch uns die Überlegung, dass Variablen nicht nur als Repräsentanten eines propositionalen Gehalts, sondern i m Hinblick auf die Performanz einer sozialen Praxis gelesen werden sollten. So wie Bourdieu darauf hinweist, dass es nicht ausreicht, »von der einschlägigen Gebrauchsanweisung auf den sozialen Gebrauch« zu schließen (Bourdieu 1987, S. 172), möchten auch wir betonen, dass erst die Kontextur, innerhalb derer Semantiken entstehen, einen Rahmen schafft, in dem sich Aussagen von Interviewpartnern verstehen las-
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sen. Was für Bourdieu die Vermessung eines Sozialraums durch die Objektivierung objektivierender Klassifikationen ist, ist für uns die Visibilisierung eines kontexturalen Möglichkeitsraums. Von Möglichkeiten sprechen wir, um zu verdeutlichen, dass die drei von uns genannten Kontexturen einen Horizont eröffnen, innerhalb dessen eben nicht konkrete Sätze wahrscheinlich werden, sondern jeweils ein Set von Sätzen, die sich als Lösung eines jeweils spezifischen Problems lesen lassen. Das grundlegende, strukturelle Problem aller Kommunikation ist Kontingenzvernichtung. 17 Operationalisiert wird das Phänomen der Kontingenzvernichtung in unserem Fall über das Problem des Todes. Prototypisch macht dieses Thema sichtbar, wie sich Kommunikation gegen die Erfahrung von Kontingenz schützt. Wie unsere Interviews zeigen, offenbart sich i m Umgang mit diesem Thema, das sich bekanntlich der direkten Erfahrung widersetzt (Macho), welche Strategien zur Verfügung stehen, um Kontingenz in bezug auf die Konstitution des Selbst einzuschränken. Die Operationalisierung des Prozesses der Kontingenzvernichtung erfolgt über eine soziale Praxis, genauer über den Umgang mit Negationen. Wenn man untersucht, welche Rolle das Thema Tod in den Sätzen von Interviewpartnern spielt, wird man darauf aufmerksam, dass nicht jeder Kommunikation alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sondern jeweils nur bestimmte. Eingegrenzt wird damit ein Bestand negationsfähiger Sätze, die eine Kontextur erzeugen, die wir mit den Begriffen >UnsterblichkeitTodesexperten< und >Todesforscher< beschrieben haben. Wenn in einer als >Lebenswelt< konzipierten Kontextur Gleiche von anderen unterschieden werden, wird z. B. der Fall der Negation für das Außen der vertrauten Welt reserviert. Alois Hahn spricht bekanntlich von »Konsensfiktionen«, um das Negationsverbot in Familien zu erklären; wir würden auf einer grundsätzlicheren Ebene - wiederum nicht für den Fall der konkreten Situation von einer Kontextur sprechen, in der gemeinsam geteilte Hintergrundüberzeugungen und signifikante Personen vorausgesetzt werden, was wiederum in bezug auf das Thema Tod bedeutet, dass es als Hinweis auf den Tod dieser signifikanten Personen verstanden wird. U n d eben davon wird nun typischerweise in diesen Kontexturen geschwiegen. Diese spezifische Negationspraxis - die Gegenwart der signifikanten Personen wird als unendlich konzipiert - führt i m Hinblick auf das Thema Tod zu einer Selbstbeschreibung, die wir mit dem Etikett des »Unsterblichen« belegen. Wie sich an diese Praxis die Semantik der Tabuisierung des Todes anschließen lässt, haben wir bereits in den einleitenden Sätzen verdeutlicht. M i t der Negationspraxis - so könnte man nun formulieren - wird das Problem der Kontingenz gelöst, das sich wiederum prototypisch am Thema Tod erklären lässt, weil sich an den Sätzen zu diesem Thema die Strategie ablesen lässt, mit de-
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Dabei bewegen wir uns, anders als die empirische Modellierung von Handlungssituationen nach ihrer situationslogischen bounded rationality (vgl. etwa Esser 1996), auf einer grundsätzlicheren Ebene. Strukturiert wird die Anschlussfähigkeit nicht über konkrete Situationsvariablen, sondern es geht prinzipiell um das Bezugsproblem der Kontingenzvernichtung.
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ren Hilfe die Bedrohung der Kontingenz beseitigt wird. Die Sicherheiten, die daraus resultieren, manifestieren sich in Kontexturen, die nun noch etwas detaillierter operationalisiert werden sollen. I m Gefolge dieser Kontextualisierungen verliert der Tod vor allem seine dramatische Komponente. A n die Stelle der Dramatik tritt die Banalität und formuliert damit eine noch größere Herausforderung an Thanatologen: eben diese auszuhalten. Wenn es gelingt, dann ist der Blick frei für eine neue Thanatologie, die sich über den Kontext von den Besonderheiten dessen informieren lassen kann, was wir den Tod nennen. Z u erforschen wäre nun vor allem, wie wir - jenseits von Biographien und Expertendiskursen - zwischen diesen Kontexturen leben. Eine fallorientierte Studie, die sowohl Experten als auch Betroffene gemeinsam in den Blick n i m m t , und der Koevolution von Todeskontexten nachspürt, könnte sich an diese Untersuchung anschließen. Unsere Interviewtexte zeigen, wie Experten ähnlich wie Biographen die Evidenzen ihrer Aussagen über den Tod ihren spezifischen Kontexturen entnehmen. A l l das ändert freilich nichts an dem Grundmotiv, dass sich die Perspektiven von biographisch-individuellen Interviewtexten erheblich von solchen unterscheiden, die ihre professionellen Kontexte aus zumeist organisationsgestützten Perspektiven beziehen. Insofern ist an dem Grundmotiv festzuhalten, dass sich die Thematisierung des Todes in biographischen Kontexten in der modernen Gesellschaft nicht mehr an kollektiven Weltbildern und Erzählchiffren orientiert, sondern eine ungeheure Variationsbreite besitzt. Unsere empirische Forschung versucht, diese Variationsbreite nach bestimmten Typen zu durchforsten, die sich nicht an Weltbildern, Glaubensinhalten oder Themen differenzieren, sondern nach Thematisierungsstrukturen geordnet werden. U n d so stellt sich heraus, dass beileibe nicht alle sich dem romantisch-bürgerlichen, heute sagt man: individualisierten Muster anschließen, den Tod als Schlüssel zur Erkenntnis des Lebens einzuführen. Andere gerieren sich als Experten, die ihre Texte mit zweifelsfreien Evidenzen ausstatten, wieder andere orientieren sich an konkretem Geschehen und haben keinen Begriff für das Abstraktum Tod. Die ungeheure - um den Terminus noch einmal aufzunehmen Geschwätzigkeit des Todes, die wir unserem Material entnehmen können, verweist jedenfalls darauf, dass von einer Verdrängung des Todes kaum gesprochen werden kann, wie i m übrigen auch die Funktionssysteme Praktiken hervorbringen, die kulturelle Selbstverständlichkeiten in Frage stellen und die kommunikativen D i mensionen von Leben und Tod neu vermessen.
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D e r >gesicherte< T o d Zur dîskursîven Ordnung des Lebensendes in der Moderne Werner Schneider
I . Unsterbliche Soziologen und die zunehmende Diskursivierung des Lebensendes »Sociologists never die!« So titelte Anfang der 1990er Jahre der britische Soziologe Tony Walter einen Beitrag in einem Sammelband über Sterben und Tod. 1 Der ironische Hinweis auf die vermeintliche Unsterblichkeit der Soziologen sollte den randständigen Stellenwert, den das Thema Sterben und Tod in der zeitgenössischen Soziologie einnimmt, markieren: In soziologischen Gegenwartsdiagnosen existieren Sterben und Tod als relevante gesellschaftliche Bereiche so gut wie nicht, ganz so, als ob Soziologen niemals sterben würden. Auch wenn mittlerweile neuere Publikationen mit zum Teil recht unterschiedlichen Themenstellungen, empirischen Grundlagen und theoretischen Orientierungen so manche Analyse-Lücken abschwächen,3 so hat sich bis heute an dieser pointierten Defizit-Einschätzung wohl nicht viel geändert. Ganz entgegen der Einschätzung von Zygmunt Bauman, der von der Soziologie des Todes und Sterbens als einem mittlerweile »voll entwickelten Zweig der Sozialwissenschaften« 4 spricht (ohne dies allerdings näher zu belegen), ist >derTod< immer noch kein prominentes Thema in der Soziologie.
1
Walter (1993). Die damals von Walter fiir die britische Soziologie gezogene negative Bilanz zum Thema Tod fand ihre Entsprechung auch in der deutschen Soziologie. So formulierte z. B. Klaus Feldmann: »Es gibt keine großen Entwürfe oder Theorien, der Forschungsbereich ist verglichen mit anderen soziologischen Teilbereichen unterentwickelt. Ein kontinuierlicher Zusammenhang besteht nicht. Die Situation ist vor allem im deutschen Sprachraum durch den Mangel an Interesse unter Soziologen gekennzeichnet. Das Gebiet wird hauptsächlich von Human Wissenschaftlern aus anderen Bereichen (Medizinern, Theologen, Psychologen, Historikern) beackert.« (.Feldmann 1990, S. 18, vgl. z. B. auch Weber 1994, S. 13). 3 Vgl. z. B. folgende Publikationen: Bauman (1994), Becker/Feldmann/Johannsen (1998), Feldmann (1997), Feldmann/Fuchs-Heinritz (1995), Göckenjan/Dreßke (2002), Knoblauch/ Soefher (1999), Lindemann (2002, 2003), Nassehi/Weber (1989), Salis Gross (2001), Schmied (2002), Schneider (1999), Streckeisen (2001), Weber (1994); zusammenfassend siehe auch Brüggen (2001), Feldmann (2003). 4 Bauman (1994, S. 7). 2
Werner Schneider
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Die folgenden Ausführungen werden sich nicht mit den Gründen und Folgen dieser anhaltenden Todesverdrängung der Soziologie auseinandersetzen. Ebenso wenig soll über die sogenannte und häufig in kulturkritischer Absicht ins Feld geführte >objektive Realität< von Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft berichtet werden, wie sie bspw. mittels Statistiken zur institutionellen Versorgungs- und Betreuungssituation von Sterbenden (z. B. in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen) gezeichnet werden könnte. Den Ausgangspunkt dieses Beitrags bildet vielmehr der Eindruck, dass i m gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod am Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert vor allem eine zunehmende öffentliche Diskursivierung des Lebensendes erkennbar wird: Was kann zu welchem Zeitpunkt und aufgrund welcher Kriterien als noch >lebendig< oder als bereits >tot< gelten? Was kennzeichnet ein sogar noch am Lebensende lebenswürdiges Leben, was ein menschenwürdiges Sterben? Wer kann, darf, soll über solche Grenzziehungen bestimmen, wer solche Bewertungen vornehmen? Und: Was bedeutet dies alles für den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod, für das zukünftige, je eigene Sterben der noch Lebenden? Folgt man der augenfälligen feuilletonistischen Aufgeregtheit, so ist für die Zukunft sogar von einer weiteren Intensivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu solchen Grenzproblemen menschlichen Lebens am Lebensende (sowie auch am Lebensbeginn) auszugehen. U m so erstaunlicher scheint es, dass die Soziologie insgesamt wie die Thanatosoziologie im speziellen auf diese keineswegs neuen, aber in der gesellschaftlichen Wahrnehmung derzeit offenbar zunehmend >fragwürdig< werdenden Grundfragen menschlicher Existenz recht verhalten reagiert, zumal damit zwangsläufig genuin soziologische Grundthemen wie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft oder die Frage nach den »Grenzen des Sozialen« tangiert sind. Vor diesem Hintergrund geht es i m Folgenden - salopp formuliert - nicht um Sterben und Tod in der Moderne, sondern darum, wie in unserer Gesellschaft über Sterben und Tod >geredet< wird. Die hier verfolgte wissenssoziologisch-diskursanalytische Perspektive ' richtet sich auf jene gesellschaftliche Wirklichkeit von Sterben und Tod, wie sie in und durch aktuelle Diskurse zu verschiedenen thematischen Feldern des Lebensendes symbolisch-normativ konstituiert wird. Die mit dieser Perspektive zu verfolgenden zwei Leitfragen lauten: (1)
Welche symbolische Ordnung - >Um-Ordnung Wandel des gesellschaftlichen Umgangs mit Sterben und TodOrdnung des Lebensendes< kontextualisiert. Der dritte Schritt wird dann exemplarisch den Argumentationsgang empirisch plausibilisieren, um abschließend zu einer kultursoziologischen Deutung der vorgestellten Argumentation zu gelangen. Dazu soll die seit den öffentlichen Auseinandersetzungen um das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) in den 1990ern präsente Thematik der Organtransplantation sowie in kurzer Ergänzung dazu die anhaltende Debatte um sogenannte >Patientenverfügungen< diskutiert werden.
I I . >Wann ist der Mensch tot?< Der wissenssoziologisch-diskursanalytische Blick Das Lebensende, der Tod ist immer ein >Problem der LebendenProblem< für die noch-weiterLebenden darstellt, nicht nur weil es ganz grundsätzlich auf das eigene zukünftige Sterben verweist, dem Einzelnen also seine eigene Sterblichkeit bewusst werden lässt; sondern weil sich in diesem Verweis ganz existenziell die soziale Situation offenbart, in der das je individuelle Sterben des Anderen (und damit das antizipierte eigene) sich in seiner kulturellen Rahmung und gesellschaftlichen Bestimmtheit vollzieht (bzw. vollziehen wird). Der hierbei in Anschlag gebrachte Begriff des >Problems< steht jedoch bereits innerhalb einer spezifisch modernen Diskursformation zu Sterben und Tod, die den besonderen, uns so vertrauten Problemcharakter des Lebensendes erst konstituiert hat und bis heute mehr oder weniger bruchlos reproduziert: Dieser modernen Diskursformation gilt Sterben und Tod schlechthin als zu lösendes, zu bewältigendes Problem im Diesseits\ - und dies um so mehr, je >unsicheren Sterben und Tod, scheinbar zwangsläufig verursacht durch einen unaufhaltsamen medizin-technischen Fortschritt, in unserer Wahrnehmung werden. Als ein exemplarisches Beispiel fur ein solches Unsicherheitsproblem (und die damit verbundene moderne Problemlösungsstrategie) können die in den 1990ern in der Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroversen rund um die Hirntod-Definition angeführt werden: »Wann ist der Mensch tot?«; »Ist man wirklich tot, wenn man hirntot ist?« So oder ähnlich lauteten die Fragen, die im Vor- und Umfeld der Transplantationsgesetzgebung von 1997 die öffentliche Diskussion bei Experten wie Laien bestimmten.
7 Siehe hierzu auch die Beiträge zur Todesthematik bei verschiedenen soziologischen Klassikern in Feldmann/Fuchs-Heinritz (1995).
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Das >Lazaruszeichen< - >enthemmte< Bewegung als Zeichen des Todes
Hierbei forderte das eine Lager die Festschreibung des - nach dem Stand der ärztlichen Kunst (mit dem Hirntod-Kriterium) festgestellten - Todes des Menschen als Voraussetzung für eine Organentnahme und bei NichtVorliegen eines erklärten W i l lens des von der Organentnahme Betroffenen die Einbeziehung der Angehörigen. Der >Hirntod< gilt hier als ein sicheres Todeszeichen, das dazu berechtige, den Totenschein auszustellen und davon zu sprechen, dass die benötigten Organe Toten entnommen werden - auch wenn deren Körper >künstlich am Leben< erhalten werden. Das andere Lager plädierte für eine Regelung, die den festgestellten Hirntod als entscheidendes Entnahmekriterium im Prozess des Sterbens festlegt, da erst dann vom Tod des Menschen gesprochen werden kann, wenn der ganze Organismus zusammengebrochen ist, und nicht schon, wenn das Gehirn als einzelnes Organ versagt und abstirbt. Weil der irreversible Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen kein Todeskriterium sei, sondern ein Kriterium dafür, dass das Sterben eines Menschen nur noch maschinell hinausgezögert, aber nicht mehr abgewendet werden könne, und der hirntote Patient demnach zum Zeitpunkt der Organentnahme noch als Lebender zu betrachten sei, kann ausschließlich die vom Betroffenen selbst gegebene Zustimmung als Grundlage für eine Organentnahme akzeptiert werden. 8
8 Bekanntlich mündeten diese Debatten in das 1997 in Kraft getretene Transplantationsgesetz m i t seiner Festlegung des anhand des Hirntod-Kriteriums festgestellten Todes des Menschen als Voraussetzung fiir die Organentnahme bei Nicht-Lebendspenden; bei NichtVorliegen eines erklärten Willens des von der Organentnahme Betroffenen kann die Einbeziehung der nächsten Angehörigen erfolgen, die dabei den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu beachten haben (sogenannte erweiterte Zustimmungslösung< - i m Gegensatz zur >engen Zustimmungslösungs nach der eine fehlende Einwilligung des Betroffenen von niemandem stellvertretend nachgereicht werden kann; fiir den genauen Wortlaut der entsprechenden gesetzlichen Regelungen vgl. insbesondere Transplantationsgesetz § 3 [1] und [2] sowie § 4 [1]).
Z u r diskursiven O r d n u n g des Lebensendes
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K u r z u m : D i e H i r n t o d - D e f i n i t i o n w i r f t die Frage auf, w o , w i e u n d m i t welcher Sicherheit die Grenze zwischen Leben u n d T o d gezogen werden k a n n u n d a u f welchen Gewissheiten die darauf bezogenen Todesdeutungen beruhen k ö n n t e n , w i e das obige, aus einer frei zugänglichen Informationsbroschüre der >Deutschen S t i f t u n g Organtransp l a n tation< e n t n o m m e n e B i l d einer h i r n t o t e n Frau illustriert (vgl. A b b . S. 58). »Die beobachteten Phänomene finden ihre Erklärung in einem Wegfall hemmender Einflüsse des Gehirns auf das Rückenmark i m H i r n t o d . (...) Es spricht nicht gegen den H i r n t o d , sondern ist geradezu für diesen typisch, wenn die Muskeleigenreflexe normal oder sogar gesteigert auslösbar sind.« 9 Dieser B i l d b e s c h r e i b u n g g e m ä ß sind Hirntote
tot — auch wenn sie sich bewegen!
»... Ein Tod des ganzen Gehirns ist genausowenig überlebbar wie eine Enthauptung, auch wenn der Restkörper noch zu Bewegung u n d Reaktionen fähig sein sollte...« - » . . . . Erneut bekräftigte V i l m a r [als damaliger Präsident der Bundesärztekammer; A n m . d. Verf.] die Auffassung, den H i r n t o d eines Menschen als Todeskriterium u n d damit als Zeitpunkt einer Organentnahme zu werten. M a n müsse sich das als >eine A r t innere Enthauptung< vorstellen u n d niemand werde behaupten, dass jemand, dem der K o p f abgeschlagen wurde, noch lebt...« 1 0 D i e G e g e n p o s i t i o n h i e r z u lautete: Leichen
bewegen sich nicht — der Hirntote
hat
als Sterbender zu gelten. »... So ist der hirntote Körper unter anderem fähig zur Regulation der Körpertemperatur (ζ. B. durch Schwitzen), zum Stoffwechsel, zu Bewegungen, zur Regulation des Blutdrucks (der Blutdruck des Hirntoten steigt dramatisch an, wenn sein Körper zur Explantation geöffnet wird; i h m werden dann blutdrucksenkende M i t t e l zugeführt), bei männlichen Hirntoten zu Erektionen u n d bei weiblichen Hirntoten zur Geburt eines gesunden Kindes oder zur Abstoßung der Leibesfrucht, wenn diese abgestorben oder schwer geschädigt ist. Der Ausfall eines auch noch so wichtigen Organs allein kann nicht m i t dem Tod des gesamten Organismus gleichgesetzt werden, ohne die Komplexität des menschlichen Körpers zu verkennen ...« " Es g i b t dieser D e b a t t e zufolge also zwei W a h r n e h m u n g s - bzw. D e u t u n g s m ö g l i c h k e i t e n : Z u sehen ist h i e r e n t w e d e r eine Leiche, eine T o t e , deren T o t - S e i n dad u r c h g e k e n n z e i c h n e t ist, dass sie - einer >inneren E n t h a u p t u n g < gleich, w e i l h i r n t o t - sich zwar n o c h bewegt, aber d u r c h d e n irreversiblen A u s f a l l s ä m t l i c h e r H i r n f u n k t i o n e n bereits t o t ist. O d e r z u sehen ist e i n n o c h lebender, aber u n v e r m e i d l i c h sterbender M e n s c h , der sich i m irreversiblen K o m a b e f i n d e t u n d d a m i t
einen
P u n k t i m Sterbensprozess erreicht h a t , v o n d e m a n n u r n o c h dieses Sterben m a s c h i n e l l verzögert, aber n i c h t m e h r aufgehalten w e r d e n k a n n . Je n a c h d e m , w e l c h e
9
Schlake, H.-P\IRoosen, K , o.J.: Der H i r n t o d als der Tod des Menschen (hg. von der Deutschen Stiftung Organtransplantation). Würzburg: o.V., S. 54. 10 Arbeitsgruppe Organspende, Gesprächsforum i m Kolpingwerk Regensburg am 24.9.1997 und Pressemeldung von SWF 1 zum Hörfunk-Interview m i t BÄK-Präsident Dr. Karsten Vilmar i m SWF 1 - Tagesgespräche - zum Thema Transplantationsgesetz, 14.01.97. 11 >Leichen bekommen kein Fiebers Edzard Schmidt-Jortzig der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 13. M a i 1997.
u n d Eckart von Klaeden in
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Deutung angelegt wird, handelt es sich bei dem Dargestellten/Wahrgenommenen um eine Leiche oder eine Sterbende. U n d diese verschiedenen Deutungen hätten für die Frage nach den darin enthaltenen Handlungsvorgaben und -möglichkeiten - etwa zur Frage der Organentnahme - ganz unterschiedliche Konsequenzen. Für den hier verfolgten Argumentationsgang sind nun nicht die anthropologisch-philosophischen, medizinischen oder juristischen Fragen entscheidend, also ob die abgebildete Person hier >tatsächlich< und >ganz tot< ist oder nicht, wie eine Position zur Hirntod-Definition behauptet und die andere bestreitet. Sondern aus einer wissenssoziologisch-diskursanalytischen Perspektive lautet die Frage vielmehr: Was bringt den Betrachter dieses Bildes bzw. einen Beobachter/Akteur in einer solchen Situation dazu, hier eine Leiche oder eine Sterbende wahrzunehmen und je nachdem dieses oder jenes zu tun, diese oder jene Handlungen als erforderlich anzusehen oder als unsinnig abzutun, als wünschenswert oder verwerflich zu bewerten? Damit ist nach mehr gefragt, als lediglich nach der Uberzeugungskraft dieser oder jener Argumente. Sprache konstituiert Wirklichkeit, indem sie das, was wir wahrnehmen, mit Sinn, mit Bedeutung versieht und es damit für uns erst >für-wahrnehmban macht. Als >wahr< geltendes Wissen und vorherrschende Deutungen werden durch gesellschaftliche Diskurse produziert und durchgesetzt - d. h.: Die jeweils herrschenden Diskurse formen die Objekte, über die sie sprechen, indem sie entlang >machtvoller Regeln< über sie sprechen. Diese Regeln und die damit verbundenen >diskursiven Wissenspolitiken< bestimmen also, über was in welchem Diskurs wie gesprochen, was als wahr anerkannt und als falsch verworfen wird. Soziologisch lässt sich Sterben als sozialer Prozess verstehen, bei dem einem anhand der geltenden Praktiken der Todesfeststellung und der kulturell vorherrschenden Todesdeutungen als sterbend bzw. als bereits tot definierten Subjekt die Mitgliedschaft in der sozialen Gemeinschaft (der Lebenden) entzogen wird bzw. bereits entzogen ist, indem es >als sterbende >als gestorben< behandelt wird; wenn Sterben bzw. Tot-Sein so gefasst werden, dann richtet sich der analytische Fokus auf solche gesellschaftlichen Diskurse, welche (Handlungs-)Sicherheit und (Deutungs-)Gewissheit darüber herstellen bzw. durchsetzen (sollen), wie diese Grenzziehung am Lebensende symbolisch wie praktisch zu gestalten ist. 12
12
Dass sich hierbei die >Praxisebene vor Ort< durchaus widerspenstig gegenüber diskursiv durchgesetzten Wahrheiten< zeigen kann, demonstriert Gesa Lindemanns Analyse zur >Interpretation »hirntot«< (Lindemann 2001, 2002). Die Hirntoddiagnostik selbst - d. h. ihre institutionellen Strukturen, die erforderliche zeitliche Sequenzierung u.a. - offenbart den involvierten medizinischen Akteuren den A k t der Todesfeststellung< als einen sozialen Definitionsprozess. Gerade weil der H i r n t o d nicht direkt >beobachtbar< ist, sondern m i t der vorgegebenen Hirntod-Diagnostik nur nachgewiesen werden kann, ob der H i r n t o d bereits eingetreten ist oder noch nicht, bindet das Diagnostik-Procedere gleichsam die Existenz des Sachverhalts >Hirntod< an dessen Feststellung, denn, vorgesehen sind zwei Untersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten durch besonders qualifiziertes ärztliches Personal. In der >Schwebezeit< zwischen der ersten und zweiten Untersuchung, deren Dauer sich ζ. B. auch nach der Verfügbar-
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Dazu lautet die hier verfolgte These: I m Rahmen der zunehmenden öffentlichen Diskursivierung erfolgt eine fundamentale Transformation unserer gesellschaftlichen Ordnung von Sterben und Tod, die darin besteht, dass der (eine!) Tod als >der Feind des LebensUnsicherheiten< zu den Grenzfragen menschlichen Lebens mittels diskursiver Prozesse und institutioneller Vorgaben weiterhin die soziale und kulturelle >Sicherstellung< von Sterben und Tod zu gewährleisten. Die aktuellen Debatten um Todesdefinition, Organspende-Ausweis, Euthanasie, Sterbehilfe versus Sterbebegleitung, Patientenverfügung usw. kreisen also nicht mehr nur um den einen großen, medizinisch (an-)geführten >Kampffür das Leben und damit gegen den Todi. Sondern in diesen Debatten treten mit dem Verschwinden >des Todes< nun (wieder?) verschiedene gute oder schlechte Tode an seine Stelle, unterschiedliche Möglichkeiten des gelingenden oder unwürdigen Sterbens. I m Zentrum dieser diskursiven >Sicherstellung< steht somit ein neues, ein gleichsam postmodernes, individualisiertes Memento Mori des >(ab-)gesicherten y je eigenen TodesOrdnung des Lebensendes< in unserem Denken Platz bereiten soll, nach der es für den Einzelnen mit Blick auf die Gemeinschaft der Weiterlebenden das eigene Sterben fur sich selbst vorsorglich< zu planen, zu organisieren, zu bewältigen gilt. 1 U m diese These bzw. Argumentation zur gesellschaftlichen Umordnung des Lebensendes weiter zu erläutern, soll der nächste Schritt in einer kursorischen Ge-
keit des ärztlichen Personals oder anderen institutionellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Klinik richten kann, wird der Patient z. B. von Pflegekräften weiter >behandeltpraktisch< (im Sinne von: handlungsrelevant) somit erst dann als >(richtig) totErkenntnistheorie< des >Sein entspricht dem Wahrgenommenseintot ist der Betreffende erst dann, wenn dies festgestellt ist< impliziert, die dem gängigen medizinisch-naturwissenschaftlichen Selbstverständnis, dass lediglich wahrgenommen wird, was der Fall ist, diametral entgegen steht. >Der Tod< gerät somit nicht nur zu einer Definitionsfrage, sondern zum Effekt seiner Feststellung (wird die zweite Untersuchung eine halbe Stunde später durchgeführt, >lebt< der Betreffende eben 30 M i n . länger) - eine Deutungsmöglichkeit, die wiederum besondere >Bearbeitungsstrategien< (bezüglich der Fixierung des Todeszeitpunkts) seitens der Akteure erzwingt, u m weiterhin den Augen- bzw. >Wahr-Schein< aufrecht halten zu können, dass nur >festgestelltentschieden< wird, ob ein Individuum noch zu den Lebenden gehört oder schon zu den Toten. 13 U n d dies scheint mir, wie i m Weiteren noch zu erläutern sein wird, in einer durchaus >neuen< Qualität zu erfolgen, wollte man z. B. einen Vergleich zum, auch heutzutage gängigen, formellen oder informellen >Regeln der letzten Dinge< bemühen, welches sich - ob notariell fixiert oder m ü n d l i c h vereinbart - i m wesentlichen auf den je eigenen sozialen >Nahbzw. Privatraum< konzentriert.
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genüberstellung von traditionaler und moderner Gesellschaft die jeweilige Ordnung des Todes in den wesentlichen Merkmalen skizzieren, die unser heutiges Sprechen und Denken über Sterben und Tod >historisch rahmenim Guten< verheißen oder endgültige Verdammnis >im Bösen< ankündigen kann. 15 Sterben und Tod stehen in dieser Gott-gegebenen Weltordnung in enger Sinnverwiesenheit zum Leiden - z. B. als Krankheit, indem der >leidende Kranke< seinem Sinngehalt nach für die Gemeinschaft der (Weiter-)Lebenden auf das jenseitige, >wahre< Leben verweist, weil und indem er immer schon potentiell Sterbender ist. Das gute Sterben ist dabei jenes, welches religiös begleitet als >Übergang< auf die jenseitige Existenz vorbereitet. Dem entsprechend bildet den typischen Gegenpart des Kranken/Sterbenden der nicht nur tröstende, sondern mitunter sogar (wunder-) heilende Priester. Mehr noch: Sterben und Tod korrespondieren an der Grenzlinie zwischen dem Diesseits und Jenseits mit einem komplexen Beziehungsgefüge zwischen den Toten und den Lebenden. In dieser magischen Gemeinschaft existieren vielfältige Bezüge des Austauschs, in denen sich die Toten und Lebenden i m Diesseits wie i m Jenseits gegenseitig helfen oder schaden können. ' Dem entgegen steht ein spezifisch modernes Todesbild, dem zufolge der moderne Mensch den Tod als Endpunkt vom diesseitigen Leben - genauer: vom je >eigenem Leben 1 - her betrachtet: Das eigene Leben, das so gesehen im radikalen Wortsinn vergänglich ist, weil es seine kollektiv verbindliche Transzendenz weitgehend verloren hat, muss, gerade weil es trotzdem unvermeidlich seinem Tod entgegengeht, so lange wie möglich vor dem Sterben bewahrt werden. Der mit der Neuzeit von >der Natur
Entmoralisierung< der Krankheit als Herauslösung aus einem Sinnkontext von Sünde, Schuld und Buße ermöglichte es, den Kranken entlang des modernen Werte- und Normenzusammenhangs der Krankenrolle zu vergesellschaften. Für >den Sterbendem allerdings entsteht in der analogen säkularisierenden >Entmoralisierung< seines Sterbens als Ende seines eigenen Lebens der gegenteilige Effekt: Er wird symbolisch >entgemeinschaftetdas Leben< im guten wie i m schlechten Sterben, welches sich jetzt nur noch im Blick auf die subjektiv wahrgenommene
18 Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass auch i m traditionalen Memento M o r i der Tod so ein Hinweis von Alois Hahn - keineswegs ein per se unproblematisches Übergangsstadiu m konnotiert. Als Abschluss der diesseitigen Existenz bedeutet er auch und vor allem das Ende jeglicher Handlungsmöglichkeiten, m i t denen noch selbst etwas Heilsrelevantes bew i r k t werden kann. Insofern markiert der Tod auch dort ein radikales Endeeigene Leben< als metaphysische Einzigartigkeit ernst genommen wird. Die Sorge u m das Seelenheil i m Sinne einer voranschreitenden Moralisierung des (diesseitigen) Lebens z. B. durch die Institution der Beichte (vgl. Hahn 1982, S. 408 ff.) w i r d somit nicht einfach nur verstärkt, intensiviert, sondern gleichsam symbolisch an einem festen Bezugspunkt verankert: Der damit antizipierte (eigene) Tod erscheint in seinem Verweis auf das jenseitige Leben zunehmend als Lehrmeister des (dann eigenen) diesseitigen Lebens. 19 Vgl. z. B. Göckenjan (1985), Labisch (1992), Labisch/Spree (1989), Lachmund/Stollberg (1992), Paul/Schlich (1998).
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Ausdehnung des Leidens unterscheiden lässt: Das lange und qualvolle Sterben steht als schlechtes, als würdeloses Sterben< dem schnellen, plötzlichen, schmerzlosen und deshalb >guten< Sterben gegenüber. U n d der moderne Tote schließlich kann in seinem - >sinn-losen< - Tot-Sein nur noch etwas mitteilen, was als physiologische Botschaft der möglichen Vermeidbarkeit des je eigenen Todes der Weiterlebenden dienlich scheint. >Hic mors vivos docet< - so steht es über den modernen Pathologiesälen! In der Pathologie - und nur (noch) dort - helfen die Toten den Lebenden. 20 Dieses M o t t o der naturwissenschaftlichen Medizin der Neuzeit, mit dem sich ihr forschender Blick auf das Körperinnere des Leichnams richtet, um darin die >wahre Erkenntnis< für die Lebenden (die Kranken) zu konstituieren, markiert den entscheidenden Ubergang von einer traditionalen hin zur modernen Ordnung des gesellschaftlichen gültigen Wissens um Sterben und Tod: Nicht mehr der (religiöse) Glaube garantiert das richtige, weil >Wahrheit< produzierende Wissen und bietet in dieser (Werte-) Gewissheit auch (Handlungs-) Sicherheit. Jetzt ist es der (säkularisierte) Glaube an das als >wertfrei< gedachte, weil allein der Rationalität verpflichtete und deshalb >wahre< Wissen, welches als aufgeklärter Rationalitäts-Glaube in der vermeintlichen Gewissheit seiner Wertfreiheit jene (Handlungs-) Sicherheit produziert, die der moderne Mensch für sein >Projekt der Moderneder Tod< als der jetzt von der Natur gesetzte >Feind des Lebens< verliert seine kollektiv verbindlichen, transzendenten Sinngewissheiten. Er wird in dem Sinne >individualisiertguten Todes< und den entsprechenden Kehrseiten des schlechten SterbensWirkung< entfalten, indem es zum einen die >Paradigmen-Kontroverse< klärt, ob
23 Das moderne Wissensproblem w i r d gesellschaftlich durch den auf Dauer gestellten Erkenntnisfortschritt infolge einer immer weiter laufenden Wissensproduktion bearbeitet, in der ein prinzipielles >Nicht-Wissen-Können< keinen eigenständigen Platz hatte; vgl. zu den aktuellen Debatten u m die Thematik von Wissen u n d Nicht-Wissen ζ. B. Beck (1996, S. 300 ff.), Webling^2001). 24 B M f G , Pressemitteilung Nr. 77, 26.9.1997: »Seehofer: Transplantationsgesetz breitem Konsens verabschiedet«.
mit
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Hirntote als noch lebend, wenngleich unvermeidlich sterbend, oder als bereits tot zu gelten haben, und zum anderen damit auch die Zulässigkeit der Organentnahme regelt. Sondern es geht offenkundig um mehr: um geschenkte(s) Lebensqualität), um Werte wie Nächstenliebe und Solidarität und um die Beförderung von Organspende, mit der diese Werte ihre Verwirklichung erfahren (sollen). Doch damit aus der Organentnahme eine Organspende wird, braucht es das >freiwillige Opfen, es braucht die wertbesetzte Verknüpfung von Leben und Tod i m Sinne eines >OpfertodesOrganspenda semantisch an karitative Sozialbeziehungen von >Geben und Empfangen< an. D e m entsprechend wird der Begriff in den Debatten manchmal mehr, manchmal weniger >selbst-kritischFreiwilligkeitsbeteuerungen< läuft die diskursive Praxis auf eine moralische und damit auch sozial relevante Differenzierung innerhalb des Musters >Organ spenden - Leben schenken< hinaus, welche das Verhältnis von Individuen zueinander bzw. von Individuum und Gesellschaft in einer ganz bestimmten Weise formiert. U n d hierbei spielt der Begriff des >Opfers< eine wichtige Rolle, denn er bereitet den Weg für die Moralisierung der >OrganspendeWohl des Kranken< ^c/?ordnet, sondern dem Heilen ^ o r d n e t .
2b
Ebbrecht {1995, S. 12).
26
Vgl. hierzu auch Schlosser (1998).
27
Horst Schmidbauer. »Ein Transplantationsgesetz ist längst überfällig«, Redeentwurf zur 1. Lesung des Entwurfs eines Organtransplantationgesetzes v o m 19.4.1996 (http://www. lipsia.de/-heiko/orginfo.htm); vgl. auch z. B. 13/4114: Gruppenantrag von SPD-Abgeordneten, 14.3.1996.
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G r u n d s ä t z l i c h ist festzuhalten, dass sich i n v i e l e n K u l t u r e n eine enge, w e n n a u c h d a n n jeweils recht u n t e r s c h i e d l i c h ausgestaltete V e r b i n d u n g v o n >Opfer< u n d >Tod< zeigt; der O p f e r t o d u n d seine Todesopfer scheinen generell a u c h der M o d e r ne n i c h t f r e m d z u sein, w e n n ζ. B. i n A b e n d n a c h r i c h t e n v o n >Todesopfern
im
S t r a ß e n v e r k e h r oder v o n H e l f e r n , die i m Rettungseinsatz i h r L e b e n o p f e r t e n , die Rede ist. 2 8 H ö r e n w i r zunächst O t t o S c h i l y ( S P D ) , w i e er die >Organspende< m i t >Opferbereitschaft< v e r b i n d e t : »Selbstverständlich erkenne ich an, wenn ein Mensch aus seiner individuellen W ü r d e heraus auf G r u n d einer höchstpersönlichen Entscheidung sagt: Ich bin opferbereit. Ich bin in einer solchen Situation auch bereit, ein Organ zu spenden, u m einem anderen das Leben zu ermöglichen.« 2 9 E i n e n ganz k o n k r e t e n A u f r u f z u r W i e d e r b e l e b u n g der Idee des Opfertodes
als
7^feopfer formuliert Konrad Kunick (SPD): »An diejenigen, die noch das christliche Denken gelernt haben: Es gibt in unserer Kultur u n d Gesellschaft seit zwei Jahrtausenden den Grundsatz: Es gibt nichts Höheres, als sein Leben hinzugeben für seine Freunde. Das bedeutet aber nicht, dass man erst tot ist u n d dann aus der Risikolosigkeit des Totseins sein Leben für die Freunde hingibt, sondern es bedeutet, sich selber dafür aufzuopfern, dass andere weiterleben, dass vielleicht das eigene Herz einem anderen noch zu zwei Jahrzehnten Leben verhilft. Diesen Gedanken muss man ein Stück weiterbringen, wenn man mehr Transplantationsspender finden will. Der Schutz des Grundgesetzes geht weiter u n d geht bis zum totalen Erlöschen des Lebens. D a ist nur die Konstruktion hilfreich, die besagt: Der Mensch darf sein Leben für seine Freunde opfern. Er darf darüber entscheiden, dass er sich in der letzten Phase seines Lebens für andere hingeben will.« 3 0 D e r h i e r m i t a u s d r ü c k l i c h f o r m u l i e r t e O p f e r t o d der >Organspender< soll als T o desopfer v e r h i n d e r n , dass andere (ansonsten u n h e i l b a r K r a n k e bzw. z u m Sterben V e r u r t e i l t e ) s i n n l o s u n d gegen i h r e n W i l l e n zum
Opfer gemacht
werden. E i n Aus-
z u g aus e i n e m » O f f e n e n B r i e f a n die Patienten a u f d e n d e u t s c h e n W a r t e l i s t e n z u r O r g a n t r a n s p l a n t a t i o n « , der sich v o r a l l e m gegen die sogenannte >enge Z u s t i m mungslösung< (als Folge einer D e f i n i t i o n des H i r n t o t e n als Sterbenden)
richtet,
v e r d e u t l i c h t diesen Z u s a m m e n h a n g exemplarisch: »Wir wollen nicht geopfert werden! (...) Die >enge Zustimmungslösung< w i r d dem Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen u n d Bürger nicht gerecht! Viele Menschen sind bereit, i m Todesfall Organe zu spenden, doch nur wenige besorgen sich einen Organspendeausweis. Bei der >engen Zustimmungslösung< scheiden deshalb alle die Menschen als Spender aus, die zwar den Wunsch haben, i m Tod noch anderen Menschen zu helfen, die aber diesen Wunsch nicht >formell< dokumentiert haben oder
28
Vgl. ζ. B. Nassehi/Weber
(1989, S. 262 ff.).
29
Stenographischer Bericht der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages, 25.6.1997, Protokoll 13/183: SchilySPD [1]. 30 Stenographischer Bericht der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages, 25.6.1997, Protokoll 13/183: KunickSPD.
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deren Organspendeausweis nicht rechtzeitig aufgefunden wird. Die >enge Zustimmungslösung< opfert uns Patienten - ohne Grund!« 3 1
Die darin zum Ausdruck kommende symbolische Differenz verläuft zwischen einem >guten< Sterben, als dem Sterben als Organspender und damit mit dem Blick auf den (kranken) Anderen, und dem >schlechten< Sterben, als dem sinnlosen, weil vermeidbaren Sterben des auf die Spende angewiesenen Kranken. Vor dem Hintergrund von Freiwilligkeit (Selbstbestimmung, Autonomie des Subjekts) und Zwang (als moralische Verpflichtung) vergesellschaftet diese Differenz Spender (das Todesopfer) und Empfänger (der vor einem unsinnigen Opfertod bewahrt wird) unter den Prämissen eines allseits bekannten >Organmangels< bzw. der kontinuierlich wachsenden Anzahl von Patienten, die auf eine Transplantation warten. Diese Vergesellschaftungsvorgabe vermittelt sich wesentlich entlang zweier dominanter Rhetoriken: durch eine Betrojfenheits-Entgrenzung, die Organtransplantation zu einem Thema für jeden macht, weil jeder morgen schon i m Krankheitsfall selbst mittels >Organspende< vor dem Sterben bewahrt werden möchte; durch das Schlagwort vom >Tod auf der Warteliste, der dieser Rhetorik zufolge durch die zu niedrige Spendenbereitschaft der Bevölkerung >gesellschaftlich< verursacht ist. So mahnte ζ. B. die CDU-Bundestagsabgeordnete Beatrix Philipp i m Vorfeld der Transplantationsgesetzgebung von 1997: Jeder sollte daran denken, »dass er morgen selbst auf ein Spendenorgan angewiesen sein könnte.« »[...] Genauso, wie jeder der 80 M i l l i o n e n Bundesbürger an Herz-, Leber- oder Niere erkranken und auf eine Transplantation angewiesen sein kann, besteht tagtäglich die Gefahr, eine schwerste Kopfverletzung, H i r n b l u t u n g oder andere Gehirnschädigung zu erleiden.« 33
Jeder kann also jederzeit zum (potentiellen) Organspender werden, und jederzeit kann jeder in die Situation kommen, auf ein Organ angewiesen zu sein. I m letzteren Fall steht er in der Gefahr eines ganz bestimmten Sterbens, denn es bedroht ihn der Tod auf der Warteliste: »Organübertragungen gehören heute in Ländern m i t hochentwickeltem Gesundheitswesen zum Standard der medizinischen Versorgung. Allein in Deutschland werden jährlich über
31 Siegfried Bäumel (Vorsitzender der Hilfsgemeinschaft der Dialysepatienten und Transplan tierten, Regensburg e.V.): »Offener Brief an die Patienten auf den deutschen Wartelisten zur Organtransplantation«, in: Süddeutsche Zeitung 22./23.2.1997. 32 Beatrix Philipp ( C D U / C S U ) : »Organtransplantationsgesetz schafft Rechtssicherheit Bereitschaft zur Organspende muss steigen«; Infotext v o m 19.4.1996 (http://www.cducsu. bundestag.de/ texte/philipp.htm). 33
Reiner Hofmann: Infoseiten zu Organspende & Transplantation (http://team.solution. de/gsf/organspende/org-start.html); vgl. ähnlich bzw. teilw. wörtlich identisch bei FischerFröhlich, Carl-Ludwig. Die Situation der Organtransplantation in der Bundesrepublik Deutschland und i m europäischen Ausland aus medizinischer Sicht - eine Bestandsaufnahme. In: Landeszentrale fur politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.), Organentnahme und Transplantation i m Spannungsfeld zwischen Ethik und Gesetz (Dokumentation der gleichnamigen Fachtagung vom 16-18. Oktober 1995). Bad Urach/Stuttgart 1997: o . V , S. 7-28.
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2.000 Nieren, rund 500 Herzen, 700 Lebern und etwa 4.000 Augenhornhäute transplantiert. Das sind beeindruckende Zahlen, vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in jedem Fall das Leben eines Menschen gerettet oder eine schwere Krankheit weitgehend geheilt werden kann. In Deutschland stehen allerdings etwa fünfmal so viele Patienten auf der Warteliste fiir eine Nierentransplantation und rund doppelt so viele Patienten warten auf ein Spenderorgan fiir eine Herz- oder eine Lebertransplantation. N i c h t wenige davon müssen wegen des Mangels an Spenderorganen vorzeitig sterben.« 3 4
Weil also bereits morgen jeder selbst mittels >Organspende< vor dem Sterben bewahrt werden möchte, sollte er sich - so die normative Botschaft - heute mit seinem eigenen Tod auseinandersetzen, Stellung zum eigenen Sterben beziehen. Doch anders als i m traditionalen Memento M o r i mit seinem Verweis auf die Vergänglichkeit des Menschen, verknüpft sich in diesem neuen Memento M o r i der modernen Transplantationsgesellschaft das Denken an den eigenen Tod mit der Sorge um die eigene Gesundheit, m i t der Sorge um das eigene Weiterleben i m Krankheitsfall, das nicht mehr durch die Krankheit bedroht wird, sondern durch die Todesursache >OrganmangelUrsachensuche< dazu vernebelt sich nicht mehr in irgendwelchen, unfassbaren Verursachungs- und Wirkungsketten >riskanter Lebensbedingungen< der >Risikogesellschaft< wie z. B: Umweltgiften oder ungesunder Nahrung. Der Grund des Sterbens des Einen, so lautet die >neue säkularisierte Theodizeeguten< Tod, der dem kranken Anderen dient, und dem >schlechten< Sterben, als dem sinnlosen, weil vermeidbaren Sterben >auf der Warteliste^ verbindet - so der Anspruch - jeden von uns als potentiellen Organspender und -empfänger. Indem ich mich jetzt als Lebender - zum Verschenken meines Herzens als >Toter< entschließe, indem ich mich also heute zu dem diesseitigen Schöpfungsakt des >Leben schenkens< bereit
34
Bundesministerium für Gesundheit: »Informationen zum Transplantationsgesetz u n d zur Organspende«, 7.10.1997. 35
(1986).
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Werner Schneider
erkläre und mich so an dem großen, für mich i m (noch) gesunden Leben noch virtuellen Gabentausch der Transplantationsgesellschaft beteilige, kann ich mich bereits heute als Teil dieser Solidargemeinschaft erfahren, die über meinen Tod hinausreicht. U n d dazu genügt schon, mir selbst ein Formular auszustellen und in die Tasche zu stecken. M i t dieser Forderung an jeden einzelnen, sich mit seinem Sterben und seinem Tod prospektiv i m Hinblick auf einen anonymen Anderen auseinander zu setzen und das Ergebnis in einem kleinen Ausweis zu dokumentieren, ist eine moralische Ordnung i m Diesseits errichtet, die eine signifikante Grenze zwischen den Individuen aufmacht: Die Aufteilung in spendenbereite und spendenunwillige, in >soziale< und >weniger soziale< Menschen. >Verschenkte Herzen
Herabsetzung< überhaupt erst ermöglicht, indem sie sie rhetorisch abmahnen. Ein Moderator in einer Hörfunk-Sendung zu Organspende exekutiert diese Diskurslogik wie folgt: »Der Irrwitz ist bei diesem Thema, wenn ein entschiedener Gegner der Organspende morgen durch seinen Arzt erfährt, dass er nur mit einer ζ. B. gespendeten Leber überleben wird, wird dieser Mensch schlagartig zum glühenden Befürworter.« 3 9 Dieser Diskurs unterstellt allen >Organspende-Unwilligen< eine generell korrumpierbare bzw. spätestens durch eigene Krankheit und Todesnähe auf jeden Fall korrumpierte Moral, der >Organspende-Ausweis< wird somit zum äußeren, leicht überprüfbaren Zeichen der moralischen Integrität des Individuums - wie folgende Forderung, erhoben in jener besagten Bundestagsdebatte - eindrücklich demonstriert: »Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, von der Geschäftsordnung her geht es nicht; aber eigentlich sähe ich gern, wenn alle, die ihre Stimmkarte nachher draußen abholen u n d etwa gar dafür stimmen wollen, dass künftig jedermann verbindlich seinen W i l l e n erklären soll, vorher einmal ihren Organspendeausweis vorzeigen, m i t dem sie selber m i t
37
Ärzte Zeitung, 3.7.1997.
38
Ärzte Zeitung, 26.6.1997.
39 Transkript der Hörfunk-Sendung des bayrischen Rundfunks Bayern 2 v o m 5.6.1998: Reihe >Tagesgespräch< - Thema: »Niere gesucht: W ü r d e n Sie ein Organ spenden?«.
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Werner Schneider gutem Beispiel vorangegangen sind. Ich würde mich freuen, wenn 672 Abgeordnete des Deutschen Bundestages fiir sich bereits diese Entscheidung getroffen hätten.« 4 0
2. Patientenverfügung
- Die vergesellschaftete
Sorge um sich
Der - mit einer solchen Remoralisierung von Sterben und Tod einhergehende Zwang zum Selbstbekenntnis korrespondiert mit einer, symbolisch direkt auf das eigene Sterben bezogenen, Form der >Selbst-SorgeTransplantationsgesellschaft< funktioniert und >wirkt< dort in analoger Weise mit der gleichen Stoßrichtung und verdichtet sich somit über verschiedene Themen hinweg womöglich zu einer vorherrschenden, den Tod auf eine neue Weise integrierenden, vereinnahmenden Diskursformation der modernisierten >Sterbeverwaltungs- und Todbewältigungsgesellschafix Die i m Folgenden kurz zu diskutierende Behauptung lautet also: Auch in den aus verschiedenen Perspektiven geführten Debatten um sogenannte Patientenverfügungen 4 3 ist jene, i m vorhergehenden Abschnitt beschriebene, Remoralisierung von Sterben und Tod als symbolische Differenz zwischen einem guten und einem schlechten Sterben zu finden, dort als Trennlinie zwischen einem gelingenden, weil selbstbestimmten, zweck- wie wertrational verantworteten und deshalb > würdigem Sterben und dem schlechten, würdelosen, entfremdeten, weil von anderen bestimmten> also >fremdRatgeber< zu >Patiententestamenten< - der Kern des Problems klar zu sein: Er besteht in dem »Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung des Patienten< einerseits und dem Recht auf >Schutz des Lebens< andererseits« 4 4 (wobei dem Laien-Leser zwar dieses Spannungsverhältnis sofort einsehbar sein dürfte, seine eigene Position darin jedoch ebenso eindeutig ausfallen könnte: Recht auf Selbstbestimmung i m Sterben wie ebenso Schutz des eigenen Lebens).
40 Stenographischer Bericht der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages, 25.6.1997, Protokoll 13/183: Möllemann F.D.P. 41
Vgl. grundlegend Hahn (1982), Hahn/Kapp
42
Foucault (1989, 1993).
(1987), Hahn/Willems
(1993).
43 Vgl. zusammenfassend z. B. Ach/Kayß {1998); für eine kritische Auseinandersetzung, die in Patientenverfügungen einen »Türöffner« fiir eine aktive Euthanasie sieht, vgl. z. B. Zieger/Holfelder/Bavastro/Dörner (2002). 44
Knieper (2001, S. 17).
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Woher dieses Spannungsverhältnis und die damit verbundenen Handlungs- und Entscheidungsdilemmata stammen, erscheint ebenso unstrittig, denn die >Ursachen< für den heutzutage unumgänglichen Klärungsbedarf am Lebensende, den Patientenverfügungen leisten sollen, liegen - so jener Ratgeber - »mit Sicherheit in der sogenannten Apparatemedizin, wie es etwas giftig heißt, einer Technik, die schneller und allmächtiger ist als der Mensch. U n d alles, was nicht nachvollziehbar ist, nicht in das Bild der Erfahrungen passt, macht vielen Angst. Die Möglichkeiten der Technik nicht nur der Medizin - sind den Menschen längst über den Kopf gewachsen.« Doch wie ist dieser >allmächtigenübermenschlichenUnerfahrenheit< in diesen Dingen, besiegt werden? Die (nicht nur) in diesem Ratgeber propagierte Lösung hierfür, adressiert an den Laien, liegt in der wahrzunehmenden Selbstbestimmung^ Aufschlussreich für die darin zum Ausdruck kommende symbolische Ordnung des Lebensendes, belehrt das Vorwort den Leser darüber, was vor diesem Hintergrund unabdingbar ist: »Vorsorge tut not! Dies nicht nur durch testamentarische Regelungen als Vermögensvorsorge, sondern angesichts der fast unbegrenzten Möglichkeiten i m Medizinbereich auch für das Lebensende. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Patienten erfasst auch Zustände, in denen er nicht mehr i m Stand ist, seinen aktuellen W i l len zu artikulieren. (...) damit Angehörige, Bevollmächtigte, Betreuer u n d Vormundschaftsgerichte wissen, was der Patient in einer solchen Situation will. (...) Arzte, Richter u n d Betreuer können u n d wollen nicht »Herr über Leben u n d Tod« sein. D a der W i l l e des Patienten oberstes Gebot ist, müssen sie diesen W i l l e n kennen, u m ihn respektieren zu können u n d dem Patienten ein langes u n d qualvolles Dahinsiechen oder Sterben m i t den M i t t e l n der modernen Apparatemedizin zu ersparen.« 4 6
Der Wille des Patienten erscheint als oberstes Gebot - oder anders gesagt: M i t Blick auf die >entmenschlichteselbstbestimmt< kundzutun, denn die Weiterlebenden >wollenHerr< über das Sterben des Anderen sein, meint: wollen dazu nicht gezwungen werden. Das in diesem Sinne selbstbestimmte und deshalb würdige Sterben, der damit verheißene gute, gut >organisierte< Tod entspricht dieser Rhetorik zufolge der guten Lebensführung - der jederzeit präsenten und in die Zukunft reichenden Sorge um sich selbst und um seine Nächsten, um seine soziale Mitwelt: Indem man Verantwortung für sich selbst übernimmt, übernimmt man Verantwortung für die soziale Gemeinschaft, die Selbst-Sorge entlastet die Gemeinschaft der Anderen von der verantwortungsvollen Sorge für den Anderen. Das unwürdige, fremdbestimmte Sterben, der schlechte, >unorganisierte
end-lich< - eben bis zum Ende - als planbares, gestaltbares, als zu lösendes Projekt zu betreiben, nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch mit Blick auf andere, genauer: mit vorsorgendem Blick auf die zu vermeidende, weil unnötige Belastung der Anderen: die eigenen Angehörigen, Pflegekräfte, Arzte, Krankenkassen, Anwälte und Gerichte usw.; ihnen allen - so die Botschaft dieses Diskurses - steht jeder einzelne bereits heute, hoffentlich noch gesund, als ein in Zukunft Sterbender gegenüber, der, weil in seinem Sterben der Gemeinschaft verpflichtet, sich schon heute damit auseinander zu setzen hat. Vermittels der diskursiv hergestellten Wirkmächtigkeit der Patientenverfügung als Medium dieser >selbstbestimmten< Selbst-Sorge-Botschaft fordert gleichsam die bloße Existenz eines Formulars jeden dazu auf, sich selbst zu befragen zu seinem zukünftigen Sterben und damit sich bereits heute i m Gesellschaftsgefüge verantwortungsvoll· zu positionieren - wie immer diese >Verantwortung< in zukünftigen Diskursszenarien symbolisch aufgeladen und normativ ausbuchstabiert werden mag: als Widerstand gegen eine übermächtige Technik-Medizin, als Maßgabe der weitest gehenden >Kostenneutralität< am Lebensende, als Verpflichtung zum >sozialverträglichen Frühablebenformulargesicherten< Sterbens, wird der bürokratisch-vertraglich gesicherte Tod< zur kulturell vorgegebenen Erlösungsmetapher, die i h m verheißt, die Unsicherheit von Sterben und Tod i m Diesseits >eigenverantwortlich< austreiben zu können. Vielleicht gewährleistet der um das Lebensende herum entfesselte bürokratische Papierkrieg weniger (zweck- und wertrational begründete) Rechts- und Handlungssicherheit für beteiligte Akteure am Lebensende eines Menschen, als vielmehr diese Formularprozeduren - mit Max Weber formuliert - in ihrer Kulturbedeutung als magische Weltbewältigungsrituale zu verstehen wären. Ihre >Leistung< besteht womöglich eher darin, Sterben als sozialen Prozess i m Bewusstsein der Akteure in (vermeintlich) selbstbestimmte Wahlen, Entscheidungen entlang der je individuell zugeschriebenen (Werte-)Präferenzen >des Betroffenem zu verwandeln und dabei um so mehr die institutionellen Kontexte, zu denen hier >gewählt< wird bzw. >gewählt< werden muss, auszublenden. Polemisch überspitzt formuliert: Die unter einer FormularRubrik >Weltanschauliches< zu findende Frage >Wollen Sie auch die hl. Sterbesakramente empfangen - Bitte Ja oder Nein ankreuzen!< ersetzt dann in letzter Konsequenz die gesellschaftliche Wertediskussion ζ. B. über den notwendigen Finanzierungs- und Personalschlüssel in Pflegeheimen.
47
Weber (1920).
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Folgt man dieser Interpretation, dann scheint auch in diesem Diskurs um Patientenverfügungen die Quintessenz analog zum Diskurs um (Hirntod-Definition und) Organtransplantation formulierbar zu sein: Die durch aufklärerische Absicht legitimierte und eingeforderte >Selbstbestimmung< zum je eigenen Sterben und Tot-Sein gerät zur individuell zuschreibbaren Zwangsabstimmung über die >Sozialitätsoziale Verantwortlichkeit< des Betroffenen und damit zur moralischen Selbstoffenbarung des Individuums gegenüber seiner Gemeinschaft, gegenüber der Gesellschaft: hier, bei der Organspende, Nächstenliebe, (Mit-)Menschlichkeit, Opferbereitschaft und Solidarität - dort, bei der Patientenverfügung, Selbstbestimmung, Autonomie, Rationalität der Lebensführung und Verantwortlichkeit gegenüber den (konkreten und anonymen) Anderen.
V . D i e Rückkehr der Sterbenden/Toten in die Gemeinschaft der Lebenden und der unscheinbare Zwang zur sozialverträglichen Bekümmernis u m >die letzten Dinge< Falls die bisherigen Überlegungen zutreffen, dann sollte die (Thanato-) Soziologie keinesfalls weiterhin eine gesellschaftlich gegebene Grenze zwischen tot und lebendig, zwischen Leben, Sterben und Tod voraussetzen, sondern konsequenter als bisher ihren Blick auf die kontingente gesellschaftliche Praxis der Grenzbearbeit u n g u n d -Verschiebung sowie der G r e n z s i c h e r u n g r i c h t e n . D e n n die erkennbare,
zunehmende gesellschaftliche Diskursivierung von Sterben und Tod bedeutet keineswegs einfach nur die Abkehr von einer, der Moderne (zu Recht oder zu Unrecht) oft vorgeworfenen Ignoranz gegenüber Sterben und Tod und schon gar nicht einen (mitunter recht naiv willkommen geheißenen) >Fortschritt< i m Sinne eines Bewusstmachens des verdrängten Themas Tod, einer Enttabuisierung von versteckt gehaltenem, hinter die Kulissen geschobenem Sterben. Obgleich ein Gemeinplatz, darf gerade aus einer wissenssoziologisch-diskursanalytischen Perspektive nicht unerwähnt bleiben: Es ist nicht entscheidend, dass über Sterben und Tod >gesprochen< wird, sondern wie dies geschieht! In dieser Hinsicht ist das diskursive Verschwinden >des Todes als Feind des Lebens< und die gesellschaftliche Vereinnahmung von Sterben und Tod durch ihre Remoralisierung entlang der symbolischen Differenzen zwischen den verschiedenen Formen des gelingenden, würdigen und misslingenden, unwürdigen Sterbens, des guten und schlechten Todes einzustellen in jene Inklusions-/Exklusionsdiskurse der sich durchsetzenden Moderne mit ihren neuen Herrschaftsbezügen, die Michel Foucault unter dem Stichwort >Bio-Macht< diskutiert hat. 8 Allerdings geht es in der fortschreitenden Moderne mittlerweile um mehr, als um den von ihm analysierten Umschwung vom traditionalen >Leben lassen und Sterben machen< einer
48
Foucault (1988b, S. 161 ff.).
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göttlich-absolutistischen Herrschaftsordnung hin zu seinem aufklärerisch-modernen Äquivalent, dem >Leben machen und Sterben lassengesicherten Todes< und der i h m gemäßen >Um-Ordnung des LebensendesVertragsethikWieder-Vergemeinschaftung< des Sterbenden bzw. des Toten anleitet. I m Gegensatz zu Jean Baudrillard, der beide - den Sterbenden wie den Toten - für die Moderne unwiederbringlich aus der Welt der Lebenden expediert sah,49 gewinnen diese beiden Gestalten zunehmend symbolische Bedeutung für das diesseitige Leben zurück. Damit gibt es wieder für alle Lebenden ein schlechtes und gutes Sterbens einen schlechten und guten Todwahren Moral· dienen und den Fortbestand der Gemeinschaft sichern, indem sie >Mitglieder< von >Außenstehendenrechten Moral· vergewissern. In einem solchen Deutungskontext führt letztlich ein Transplantationsgesetz zu mehr als >nur< zu Rechtssicherheit und Spendenbereitschaft, zu Solidarität und Nächstenliebe, führen Patientenverfügungen zu mehr als >lediglich< zu selbstbestimmter Handlungs- und Entscheidungssicherheit am Lebensende. Organ-Spendeausweis, Patientenverfügungen bieten vor allem auch in ihrem unscheinbaren Zwang zur sozialverträglichen Bekümmernis um die letzten Dinge die individuelle Scheingewissheit, im Hier und Jetzt für das eigene zukünftige Leid i m Krankheitsfalls, in den letzten Tagen und Stunden des Lebens nach >eigenem Willen< vorgesorgt zu haben. In dieser individualisierenden Vereinnahmung< des je eigenen Sterbens und Tot-Seins ermöglichen sie zum einen die kollektive Negation eines prinzipiellen Nicht-Wissen-Könnens; ein Nicht-Wissen-Können um die Erfahrungsfähigkeit von hirntoten Sterbenden/Toten ebenso wie ein Nicht-WissenKönnen um die noch in der Zukunft liegenden Erfahrungen i m je eigenen Sterben. Hier mögen es Neurologen sein, die uns versichern, diese zuckende Bewegung des Hirntoten habe keine Bedeutung i m Sinne von >Lebenlebendig< gehaltenen Organe i m >eigenen Tot-Sein< sehr wohl ein neues Leben für andere bedeuten; dort sind es die Juristen, die uns beraten, mit dieser oder jener Formulierung auf einem standardisierten
49
Baudrillard
(1991).
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Formular könnten wir festlegen, was uns (und damit auch den von unserem Sterben >betroffenen< Weiterlebenden) in den letzten Stunden, Tagen, Wochen unserer Existenz widerfahren wird, was uns und ihnen erspart bleiben soll. Z u m anderen verschleiert die Unscheinbarkeit dieses Zwangs, indem er als individuelle Wahlen daherkommt, seine eigentliche Herkunft aus jener langen historischen Entwicklungslinie der Durchsetzung des Selbstbekenntnisses als Mittel zur Verwirklichung des je historisch spezifischen gesellschaftlichen Anspruchs auf Integration. Soziologisch gewendet entscheidet auch jetzt, in der Moderne, nicht das selbstbestimmte, freie Subjekt. Sondern die jeweiligen Institutionen bringen m i t ihrer Selbst-Politik, gepaart m i t dem >Willen zum Willen< (alles was machbar ist, muss auch gewollt werden!), erst jenes Subjekt hervor, welches hier glaubt, wählen zu können: »... Sie sprechen sich gegen das H i r n t o d - K r i t e r i u m aus, aber würden Sie denn i m Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung bei sich selbst oder bei ihren Kindern eine Organtransplantation verweigern? ...« »... Sie wollen keine Patientenverfügung für sich ausstellen? - Ja wollen Sie solche schwerwiegenden Entscheidungen wie ζ. B. ein Behandlungsabbruch an Ihrem Lebensende Ihren Angehörigen, den Ärzten, der Gesellschaft aufbürden? ...«
Aber muss jeder wirklich entscheiden wollen, ob er sich als Hirntoter tot genug für eine Organspende zugunsten eines Todkranken sieht? Muss jeder seinen Angehörigen Entscheidungen abnehmen wollen? Muss jeder ihnen, den Ärzten, der Gesellschaft Unannehmlichkeiten ersparen wollen? Wer kann hier noch fragen, ob er wirklich jenes freie autonome Subjekt sein möchte, zeitlos, ohne eigene Lebensgeschichte und ohne die Dinge, auch die letzten, mal so, mal so sehen zu dürfen?
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