Tax Compliance in der GmbH 9783504387631

Aus der heutigen Unternehmenskultur ist Compliance und mittlerweile auch dessen lange Zeit stiefmütterlich behandelter S

144 26 2MB

German Pages 405 [406] Year 2021

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Tax Compliance in der GmbH
 9783504387631

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Groeneveld Tax Compliance in der GmbH

Rechtsordnung und Steuerwesen Band 56 Schriftenreihe begründet von Brigitte Knobbe-Keuk herausgegeben von Wolfgang Schön und Rainer Hüttemann

Tax Compliance in der GmbH Der Geschäftsführer im Spannungsfeld von Gesellschafterinteresse und steuerrechtlichen Pflichten

von

Dr. jur. Christian Groeneveld

2021

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64255-6 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

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Geleitwort Zu dieser Schriftenreihe Seit Brigitte Knobbe-Keuk im Jahre 1986 diese Schriftenreihe in der Nachfolge von Werner Flume begründet hat, sind mehr als 40 Bände er­ schienen, in deren thematischen Mittelpunkt die Frage nach dem Ver­ hältnis zwischen dem Steuerrecht und der allgemeinen Rechtsordnung gestellt ist. Die Entwicklung der Reihe hat gezeigt, dass die vielfältigen Verflechtungen des Steuerrechts mit anderen Rechtsgebieten den ge­ wählten Zuschnitt eindrucksvoll gerechtfertigt haben. Die publizierten Arbeiten nehmen Bezüge zum allgemeinen Zivilrecht, zum Gesellschafts­ recht, zum Bilanzrecht und zu den Wirtschaftswissenschaften ebenso in den Blick wie die Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts, des Euro­ parechts und des Internationalen Rechts. Strafrechtliche Zusammenhän­ ge unserer Steuerrechtsordnung werden ebenso beleuchtet wie verfah­ rensrechtliche Implikationen der Besteuerungspraxis. Der Erkenntnis der Begründerin der Schriftenreihe, dass in den juristi­ schen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens Fragestellun­ gen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammentref­ fen, muss besonders Nachdruck in einer Zeit verliehen werden, in der die innere Stabilität unserer Besteuerungsordnung in hohem Maße gefährdet ist und der Wunsch, aus der eigenen Systematik des Steuerrechts heraus feste Leitlinien für Rechtspolitik und Rechtsanwendung zu gewinnen, hinter den fiskalischen Zwängen der öffentlichen Hand und dem Ge­ staltungswillen der Steuerpolitik immer weiter zurücktritt. Die Veran­ kerung des Steuerrechts in der allgemeinen Rechtsordnung dient daher auch den Anliegen der Rechtssicherheit und Rationalität unseres Steuer­ rechts. Darüber hinaus kann durch die Anlehnung an die der Privatauto­ nomie verpflichtete Zivilrechtsordnung sowie durch die Verwirklichung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Freiheitsgewährungen dem Steuerwesen ein Stück rechtsstaatlicher Liberalität zurückgegeben wer­ den. Die Herausgeber wünschen daher, dass die Schriftenreihe in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Kultur unserer Steuerrechtsordnung zu leisten vermag. München und Bonn, im Oktober 2011 Wolfgang Schön

Rainer Hüttemann

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Geleitwort

Zu dieser Schrift Im Jahre 2016 wurde der Anwendungserlass zur Abgabenordung (AEAO) an einer versteckten Stelle dahin ergänzt, dass die „Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems“ zur Erfüllung steuerlicher Pflich­ ten bei der Prüfung der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Steuer­ delikts zugunsten des Steuerpflichtigen sprechen kann. Mit dieser For­ mulierung wurde das Konzept der „Compliance“ offiziell in das Feld steuerlichen Wohlverhaltens eingeführt und hat unmittelbar eine inten­ sive Diskussion über Grund und Grenzen dieser „Tax Compliance“ her­ vorgerufen. Bedenkt man die Omnipräsenz steuerlicher Pflichtenlagen auch in mittleren und kleinen Unternehmen, so bildet die GmbH mehr noch als die AG die Referenzrechtsform für diese Fragestellung. Vor die­ sem Hintergrund widmet sich Christian Groeneveld der „Tax Compliance in der GmbH“ als Schnittstellenthema zwischen Gesellschaftsrecht und Steuerrecht (mit weitergehenden Einflüssen des Straf- und Ordnungs­ widrigkeitenrechts). Die Schrift holt methodisch weit aus und bietet doch zugleich eine Fülle wertvoller Detailarbeit quer durch die behandelten Rechtsgebiete. Sie setzt an bei Grundfragen der Organpflichten im Gesellschaftsrecht und nimmt dabei vertieft die Besonderheiten des GmbH-Rechts (namentlich mit Rücksicht auf das Weisungsrecht der Gesellschafter und die daraus resultierende Aufgabenteilung zwischen Geschäftsführung und Gesell­ schaftern) in den Blick. Sie bietet dem Leser weit mehr als die schlichte Übertragung des herrschenden gesellschaftsrechtlichen Meinungsstandes zur Legalitätspflicht der Unternehmensleitung. Sämtliche resultieren­ den organisations- und haftungsrechtlichen Konsequenzen der Geschäfts­ leiterpflichten für das Steuerrecht werden in einer neuen – kohärenten – Perspektive präsentiert und diskutiert. Die Arbeit besitzt damit einen Doppelcharakter. Sie bietet einerseits ei­ nen Grundlagenbeitrag zur Compliance im Gesellschaftsrecht und ande­ rerseits eine sachkundige Analyse der vielfältigen Sonderfragen, welche aus der Einbindung von Kapitalgesellschaften und ihren Organen in das steuerliche Pflichtennetz hervorgehen. Den Anspruch dieser Schriften­ reihe – die Wechselbezüge zwischen dem Steuerrecht und der allgemei­ nen Rechtsordnung zu verdeutlichen – erfüllt diese Publikation in vor­ züglicher Weise. Ihr sei die Aufmerksamkeit sowohl des zivilrechtlich als auch des steuerrechtlich geprägten Fachpublikums gewünscht. München und Bonn, im Oktober 2021 Wolfgang Schön

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Rainer Hüttemann

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Juris­ tischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dis­ sertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wis­ senschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München. Mein herzlicher Dank gilt insbesondere Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfang Schön, der die Arbeit angeregt und mir während meinem Weg ständig das nötige Vertrauen entgegengebracht hat. Bei Herrn Prof. Dr. Mathias Ha­ bersack bedanke ich mich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Rainer Hüttemann danke ich für die Aufnahme in diese Schriftenreihe. Herrn Daniel Bäuml danke ich herzlich für die fachliche Unterstützung. Diese Arbeit ist meiner Familie gewidmet, die meine Ausbildung und den erfolgreichen Abschluss meiner Promotion möglich machte. Berlin, August 2021

Christian Groeneveld

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Inhaltsübersicht

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Kapitel 1: Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance A. Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 B. Der Tax Com­pli­ance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Resümee – Tax Com­pli­ance als feststehender Rechtsbegriff? . . . 44

Kapitel 2: Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit der GmbH und des ­Geschäftsführers A. Rechtsnatur und Organe der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Die juristische Stellung der GmbH im deutschen Steuerrecht . . 61 C. Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

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Inhaltsübersicht

Kapitel 3: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Innenverhältnis A. § 34 Abs. 1 AO als normativer Bezugspunkt einer GmbHinternen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers? . . . . . . . 94 B. Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt einer internen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers . . . 95 C. Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der ­Organpflichten des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 D. Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers im ­Spannungsfeld zwischen legaler und illegaler Steuerplanung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 E. Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 F. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbHGeschäftsführers im Innenverhältnis nach geltendem Recht . . . 268 Kapitel 4: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Außenverhältnis A. Die steuerrechtlichen Organisationspflichten des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 B. Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 C. Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO als Grundlage einer ­steuerrechtlichen Organisationspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 D. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-­ Geschäftsführers im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Kapitel 5: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 X

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kapitel 1: Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance A. Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 I. Etymologie von Com­pli­ance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 II. Die Ursprünge von Com­pli­ance im deutschen Recht . . . . . . 7 III. Begriffsbestimmung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 9 1. Organisationsverschulden und Com­pli­ance . . . . . . . . . . . 9 2. Com­pli­ance in der strafrechtlichen Rechtsprechung . . . . 10 a) Ursprünge von Com­pli­ance in der strafrechtlichen ­Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Das Urteil des BGH vom 09.05.2017 . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Das Neubürger-Urteil des LG München . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Gesetzliche Grundlagen der Com­pli­ance . . . . . . . . . . . 15 b) Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Com­pli­anceManagement-System (CMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 IV. Begriffsbestimmung durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Der Tax Com­pli­ance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Nationale Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Tax Com­pli­ance aus der Unternehmensperspektive . . . . . 23 a) Normenkonformität im Steuerbereich . . . . . . . . . . . . . 24 b) Abgrenzung zu anderen Instituten und Prozessen . . . . 25 c) Tax Com­pli­ance Management-System (Tax CMS) . . . . 26 XI

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(1) Ursprung und rechtliche Bedeutung von IDW-Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 (2) Wesentliche Aussagen des IDW PS 980 und des IDW Praxis­hinweises 1/2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 (a) Tax Com­pli­ance-Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (b) Tax Com­pli­ance-Ziele und -Risiken . . . . . . . . . 31 (c) Tax Com­pli­ance-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (d) Tax Com­pli­ance-Organisation . . . . . . . . . . . . . . 32 (e) Tax Com­pli­ance-Kommunikation . . . . . . . . . . . 32 (f) Tax Com­pli­ance-Überwachung und -Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (3) Rückschlüsse auf eine „best practice“ für Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Tax Com­pli­ance-Ziele und -Risiken . . . . . . . . . . . . . . . 34 (1) Steuerliche Risiken und Tax Risk Management . . . 34 (2) Tax Com­pli­ance-Ziele aus der Unternehmens­ perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Tax Com­pli­ance aus der Perspektive der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Ursprünge einer verwaltungsautonomen Begriffs­ bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Ziele der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit Tax  Com­pli­ance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Internationales Verständnis von Tax Com­pli­ance . . . . . . . . . 41 III. Kritik an der Tax Com­pli­ance Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Resümee – Tax Com­pli­ance als feststehender Rechtsbegriff? . . . 44 Kapitel 2: Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit der GmbH und des ­Geschäftsführers A. Rechtsnatur und Organe der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Die wesentlichen juristischen Kennzeichen der GmbH . . . . 47 II. Der Geschäftsführer im Organisationsgefüge der GmbH . . . 48 1. Die Organstellung des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Die organschaftliche Sonderrechtsbeziehung nach § 43 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Das Verhältnis der Gesellschafter zum Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Maßstäbe für unternehmerische Entscheidungen des ­Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 XII

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(1) Die Richtschnur der Leitungssorgfalt im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (a) Das Unternehmensinteresse als Leitmaxime . . 53 (b) Das Gesellschaftsinteresse als Leitmaxime . . . . 53 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (2) Übertragung der Erkenntnisse auf das GmbH-Recht 54 d) Die Kategorisierung der organschaftlichen Pflichten des ­Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Das Trennungsprinzip im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . 59 B. Die juristische Stellung der GmbH im deutschen Steuerrecht . . 61 I. Die GmbH als Steuerpflichtige und Steuerschuldnerin . . . . . 61 1. Das Steuerrechtsverhältnis nach dem deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Die abstrakte Stellung der GmbH im Steuerrecht . . . . . . . 62 II. Die konkrete Besteuerung der GmbH und ihrer ­ Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Die steuerrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers . . . . . . 65 II. Die steuerliche Haftung des Geschäftsführers im Außenund Binnenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Die steuerrechtliche Außenhaftung nach § 69 AO . . . . . . 67 a) Allgemeines zur Geschäftsführerhaftung aus § 69 AO . 67 (1) Rechtsnatur und Zweck der steuerrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (2) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (1) Der Geschäftsführer als Haftender . . . . . . . . . . . . . 70 (2) Schuldhafte Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (3) Schaden der Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (4) Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und steuerlichem Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Die Binnenhaftung des Geschäftsführers im steuerrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Die steuerliche Binnenhaftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Die schuldhafte Pflichtverletzung vor einem s teuerrechtlichen Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Haftungsprivileg durch die Business Judgement Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (a) Die Entwicklung der Business Judgment Rule im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 XIII

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(b) Übertragung auf das GmbH-Recht . . . . . . . . . . . 79 (c) Die Voraussetzungen der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (4) Kausaler Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (5) Die Möglichkeit des Binnenregresses nach §§ 675, 670 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Die Haftung des Geschäftsführers nach § 15b Abs. 4 InsO im S ­ pannungsverhältnis zu seinen sonstigen gesetzlichen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Rechtslage vor dem SanInsFoG . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (a) „Pflichtenkollisionen“ im Zusammenhang mit § 64 S. 1 GmbHG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (b) Dogmatische Lösung über die Anknüpfung an die Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Die steuerlichen Zahlungspflichten nach dem SanInsFoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Kapitel 3: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Innenverhältnis A. § 34 Abs. 1 AO als normativer Bezugspunkt einer GmbHinternen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers? . . . . . . . 94 B. Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt einer internen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers . . . 95 I. Das begriffliche Verständnis der gesellschaftsrechtlichen ­Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Einteilung in eine interne und externe Legalitätspflicht . 98 2. Aufteilung in Binnen- und Außenpflichten . . . . . . . . . . . . 99 3. Legalitätspflicht im engen Sinne (i.e.S.) und Legalitätspflicht im ­weiten Sinne (i.w.S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Aufteilung in originäre, derivative und derivativ-originäre Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5. Die Legalitätspflicht als „Transformator“ . . . . . . . . . . . . . 101 6. Gänzliche Ablehnung des Konstrukts einer Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 7. Für diese Arbeit relevantes begriffliches Verständnis . . . . 102

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II. Die dogmatische Begründung einer Legalitätspflicht im ­Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Der Begriff des „nützlichen Rechtsverstoßes“ . . . . . . . . . . 104 2. Die Legalitätspflicht vor dem Hintergrund einer historischen Untersuchung des AktG und GmbHG . . . . . 106 a) Historie des AktG zur Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Historie des GmbHG zur Organhaftung . . . . . . . . . . . . 108 (1) Die Entstehung des GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Der gescheiterte Reformversuch 1971/73 . . . . . . . . 108 (3) Die GmbH-Novelle 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (4) Das MoMiG 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Die Entwicklung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Die zivilgerichtliche Rechtsprechung bis 2012 . . . . . . . 113 b) Die zivilgerichtliche Rechtsprechung ab 2014 . . . . . . . 113 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Das Bedürfnis nach Rechtskonformität bei juristischen ­Personen aus rechtspolitischer und rechtsökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Die Historie und die Zwecke des AktG und GmbHG im Spiegel der Rechtspolitik und Rechtsökonomie . . . 117 b) Die Motivation zum rechtskonformen Handeln . . . . . . 120 (1) Der Präventionsgedanke als Organhaftungszweck . 122 (2) Neutralisierung der Präventionswirkung durch extrinsische ­Umstände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) „Leerlauf der Geschäftsführerhaftung“? . . . . . . 124 (b) Das Prinzip der Totalreparation als Irrweg . . . . 127 (i) Rechtsökonomische Verzerrungen . . . . . . . . . . . 127 (ii) Verzerrungen in der Präventionswirkung der Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (iii) Rechtsfolgen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (3) Der Schutz des öffentlichen Interesses als eigen­ ständiger ­Haftungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5. Die dogmatische Herleitung aus Einzelnormen des GmbHG und AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Rückschlüsse aus §§ 396 AktG, 62 GmbHG . . . . . . . . 132 b) Die §§ 93 Abs. 4 S. 1 AktG, 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG und § 241 Nr. 3 AktG als dogmatische Rechtfertigung 134 c) Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG als Basis einer Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 d) Herleitung aus der Schadensabwendungspflicht des § 43 Abs. 1 ­GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 XV

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(1) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Die grundsätzliche Kritik von Fleischer an den ­Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (3) Der dogmatische Ansatz von Harnos . . . . . . . . . . . 142 (4) Der dogmatische Ansatz von Breitenfeld . . . . . . . . 144 (5) Zusammenfassung zur Schadensabwendungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6. Die Legalitätspflicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz . . . 147 a) Die dogmatische Herleitung einer Legalitätspflicht nach Habersack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7. Der Geltungsanspruch der Rechtsordnung (§§ 134, 138 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Die Grenze der §§ 134, 138 BGB als „effektives Sieb“ nach ­Meier/ Wick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Das „Primat der staatlichen Wirtschaftsordnung“ . . . . 154 (1) Eingeschränkter Anwendungsbereich der §§ 134, 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (2) Absolute und relative Verbotsgesetze am Beispiel steuerrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Die Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (4) Schlussfolgerung und Kritik am Ansatz Grigoleit/Tomasics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Die Rechtsordnung als oberste Determinante privatautonomer Handlungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . 161 d) Übertragung der Erkenntnisse auf das GmbH-Recht . . 163 e) Abschließende kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . 165 8. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Das begriffliche Verständnis einer organschaftlichen ­Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Kein Bedürfnis nach einer umfassenden organschaftlichen ­Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Keine dogmatische Herleitung einer uneingeschränkten ­Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Resümee zur Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

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C. Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der ­Organpflichten des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Der unterschiedliche Inhalt organschaftlicher und ­steuerrechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Rückschlüsse auf die gesellschaftsinternen Organisationsund Überwachungspflichten des Geschäftsführers . . . . . . . . 175 1. Die innergesellschaftliche (Tax) Com­pli­ance-Pflicht des ­Geschäftsführers nach der herrschenden Meinung . . . . . . 175 2. Stellungnahme zur (Tax) Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Zusammenfassung zur Funktion des Gesellschafterinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 D. Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers im ­Spannungsfeld zwischen legaler und illegaler Steuerplanung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Steuerplanung und -gestaltung an der Grenze zum ­Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Das Recht der Unternehmensleitung zu aggressiver ­Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Besteht eine korrespondierende Pflicht der Unter­ nehmensleitung zu aggressiver Steuerplanung? . . . . . . . . 184 3. Der Steuerstreit im Zuge unternehmerischer Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Die Pflichtensituation des Geschäftsführers bei unklarer oder umstrittener Rechtslage („Legal Judgment Rule“) . . . . . 186 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Rechtsermittlungspflicht und Rechtsbefolgungspflicht . . 190 3. Inhalte einer Rechtsvergewisserungspflicht . . . . . . . . . . . 192 a) Auswahl eines fachkundigen und unabhängigen Beraters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Umfassende Information des Beraters . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Plausibilitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Gängige Theorien zur Bestimmung des Beurteilungsbzw. ­Ermessensspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Die Ansicht von Verse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5. Zusammenfassung zur unklaren Rechtslage . . . . . . . . . . . 201 III. Abweichen von einer gefestigten Rechtsansicht in der ­Verwaltung oder Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Die Bedeutung einer gefestigten Rechtsprechung . . . . . . . 202 XVII

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2. Die Bedeutung einer gefestigten Rechtsansicht in der ­Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Die Offenlegungspflicht des Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 1 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Kritik an dieser Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Der typisierte Empfängerhorizont als Maßstab . . . . . . . 207 d) Die Vertretbarkeit als äußerste Grenze . . . . . . . . . . . . . 207 e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 IV. Nützliche Rechtsverstöße im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Keine automatische Pflichtwidrigkeit von Steuerstraftaten und ­Steuerordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . 209 a) Dogmatische Begründung der Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Die Zuständigkeit bei bewusstem Rechtsbruch in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Rechtfolgen und Grenzen von Weisungen und ­Zustimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (1) Meinungsstand zur Dispositionsbefugnis der ­Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Der nützliche Rechtsverstoß als Teil eines unentziehbaren ­Geschäftsführungsbereichs? . . . . . . . . 220 c) Nützlicher Rechtsverstoß – Laufende Geschäftsführung oder ­außergewöhnliche Maßnahme? . . . . . . . . 221 (1) Der notwendige Wahrscheinlichkeitsgrad . . . . . . . . 223 (2) Generelle Überlegungen zur Einordnung nützlicher Rechtsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (3) Vergleich mit der Situation einer Spendenvergabe . . 225 (4) Richtschnur für die Zuständigkeitsfrage bei nützlichen ­Rechtsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Genereller Haftungsausschluss mittels mutmaßlichem ­Einverständnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Korrespondierende Binnenpflicht zur Begehung nützlicher ­Rechtsverstöße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Die Folgepflicht bei Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Die Einheit der Rechtsordnung als Argument . . . . . . . 236 c) Die allgemeinen Rechtsfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts als möglicher Ausweg . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Kollidierende Rechtspflichten im Binnenverhältnis 237 XVIII

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(2) Die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers vor dem Hintergrund seiner unmittelbaren ­Außenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (a) Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (i) Genereller Vorrang straf- und bußgeldbewehrter Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (ii) Antizipierte Abwägungsentscheidung des Wirtschaftsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (b) Die Interessenabwägung im Innenverhältnis bei rechtlichen Konfliktsituationen . . . . . . . . . . 242 (c) Die Rechtfertigung rechtswidrigen Verhaltens . . 243 (d) Die „Rechtfertigung“ pflichtwidrigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (3) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 d) § 275 Abs. 3 BGB als normativer Bezugspunkt ­unzumutbaren Verhaltens im Rahmen eines ­organschaftlichen Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 246 (1) Allgemeine Voraussetzungen des § 275 Abs. 3 BGB 247 (2) Anwendung auf das organschaftliche Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (a) Verzichtbarkeit und Ersetzbarkeit der Leistung 250 (b) Berücksichtigung des Vertretenmüssens . . . . . . 250 (c) Indizielle Wirkung straf- oder bußgeldbewehrter Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (d) Die Rechtsfolgen des § 275 Abs. 3 BGB im organschaftlichen Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . 253 (i) Auswirkungen auf die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG bei mehrköpfigen Geschäftsführersgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (ii) Auswirkungen im Außenverhältnis bei mehrköpfigen ­Geschäftsführersgremien . . . . . . . . . . . 254 e) Eingeschränkte Binnenpflicht des Geschäftsführers zur Begehung von Rechtsverstößen als Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. Ergebnis zu den nützlichen Rechtsverstößen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 V. Resümee zur organschaftlichen Pflichtenstellung des ­Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 E. Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 I. Bloßes Bedürfnis nach mehr Rechtskonformität unzureichend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Repressive Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 XIX

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III. Kooperative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 IV. Das kooperative Steuersystem als Kombination repressiver und präventiver Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 F. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbHGeschäftsführers im Innenverhältnis nach geltendem Recht . . . 268 Kapitel 4: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Außenverhältnis A. Die steuerrechtlichen Organisationspflichten des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Die zivilrechtlichen Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . 273 1. Die Grundsatzentscheidung des BGH vom 15.10.1996 . . . 273 2. Der „Baustofffall“ des BGH vom 05.12.1989 . . . . . . . . . . . 274 a) Befürworter der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Kritische Stimmen zu der Entscheidung . . . . . . . . . . . . 277 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Resümee zu den zivilrechtlichen Organisationspflichten 279 II. Die Organisationspflichten aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Die gesellschaftsinterne Delegation steuerlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Die Beauftragung Externer mit der Erledigung steuerlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 B. Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I. Allgemeines zu § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 II. Der Geschäftsführer und die GmbH als Sanktionsadressaten von § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Die Zurechnungsnorm des § 9 OWiG und ihre Funktion 292 2. Das Zusammenwirken der §§ 9, 130 OWiG und § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 III. Die Aufsichtspflichten des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV. Die Steuerordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Die Anwendung des § 130 OWiG auf steuerliche Sachverhalte als Wertungswiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . 298

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a) Die Ursprünge dieses Streits – § 130 OWiG als verfassungswidrige Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Die Argumentation Thiemanns . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (2) Die Argumentation Schünemanns . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Die Argumentation Kindlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (4) Stellungnahme zur Verfassungsgemäßheit des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Der Wertungswiderspruch nach Suhr/Naumann/ Bilsdorfer und Reichling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Die teleologische Reduktion des § 130 OWiG nach Sahan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Die in der Literatur herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . 306 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 a) § 130 OWiG als konkretes Gefährdungsdelikt sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (1) Die Ansicht der herrschenden Meinung . . . . . . . . . 309 (2) Die Ansicht Rogalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Das Verhältnis von § 378 AO zu § 130 OWiG . . . . . . . 317 (1) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei § 378 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 (2) § 378 AO als steuerrechtsspezifischer Auffang­ tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 c) § 130 OWiG de lege lata und de lege ferenda im Lichte steuerlicher Zuwiderhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 V. Tax Com­pli­ance im Lichte des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . 323 1. Keine Pflicht zur Etablierung eines (Tax) Com­pli­anceSystems aus § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Positive Effekte eines (Tax) Com­pli­ance-Systems im Hinblick auf den Tatbestand und die Ahndbarkeitsbedingung des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Positive Effekte eines (Tax) Com­pli­ance-Systems im Hinblick auf die Sanktionsbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . 327 VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 C. Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO als Grundlage einer ­steuerrechtlichen Organisationspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Rechtsnatur und rechtliche Wirkung von BMF-Schreiben . . 332 II. Inhalt und Zweck des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

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III. Kritik am BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO . . . . . . . . . . 334 1. Die mangelnde Bindungswirkung als Achillesferse? . . . . . 335 2. Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO in seinem ­systematischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 D. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-­ Geschäftsführers im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Kapitel 5: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

XXII

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Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABl. Abs. AcP AEAO AG AktG Anh. AO AöR Arbeitshdb. Art. AStBV (St) AT Az. BaFin BankR-HdB BayObLG BayVBl BB BC

Bd. BeckOK Begr. Beschl. BFH BFH/NV BFHE BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BImSchG

Andere Ansicht Alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Anwendungserlass zur Abgabenordnung Aktiengesellschaft Aktiengesetz Anhang Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitshandbuch Artikel Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) Allgemeiner Teil Aktenzeichen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bankrechts-Handbuch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Band Beck’scher Online-Kommentar Begründung Beschluss Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs/Nicht Veröffentlicht Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundes-Immissionsschutzgesetz XXIII

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Abkürzungsverzeichnis

BMF BpO BStBl. BT-Drucks. BuStra BVerfG BVerfGE bzw.

Bundesfinanzministerium Betriebsprüfungsordnung Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bußgeld- und Strafsachenstelle Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Beziehungsweise

CCO CCZ CMS COSO

Chief Com­pli­ance Officer Corporate Com­pli­ance Zeitschrift Com­pli­ance-Management-System Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission

DB DCGK DJT Drucks. DStJG DStR DStZ

Der Betrieb Deutscher Corporate Governance-Kodex Deutscher Juristentag Drucksache Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung

EFG EG Einl. EOWiG

EU

Entscheidungen der Finanzgerichte Europäische Gemeinschaft Einleitung Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten Einkommmensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz, Einkommensteuer­ gesetz Europäische Union

f. FAZ ff. FG FGO Fn. FR FS

Folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fortfolgende Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fußnote Finanzrundschau Festschrift

GesR GewO

Gesellschaftsrecht Gewerbeordnung

EStDV EStG

XXIV

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Abkürzungsverzeichnis

GewStG GG GK GmbH GmbHR GNOFÄ

GWB GZR

Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Großkommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die GmbH-Rundschau Grundsätze für die Neuorganisation der Finanzämter und die Neuordnung des Besteuerungsverfahrens Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gewerbezentralregister

h.M. Hdb. HGB HS.

Herrschende Meinung Handbuch Handelsgesetzbuch Halbsatz

i.E. i.e.S. i.S.d. i.V.m. i.w.S. IDW ifst IKS InsO IstR

Im Ergebnis Im engen Sinne Im Sinne des In Verbindung mit Im weiten Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer Institut Finanzen und Steuern Internes Kontrollsystem Insolvenzordnung Internationales Steuerrecht

JR JZ

Juristische Rundschau Juristenzeitung

Kap. KF KG KG Berlin KK-AktG KK-OWiG

Kapitel Karlsruher Forum Kommanditgesellschaft Kammergericht Berlin Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Konkursordnung Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Körperschaftsteuergesetz Kreditwesengesetz

GRUR-RR

KO KonTraG KStG KWG

XXV

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Abkürzungsverzeichnis

LG

Landgericht

m.w.N. MaRisk

Mit weiteren Nachweisen Mindestanforderungen an das Risiko­ management MD Ministerialdirektor Mio. Millionen MitbestG Mitbestimmungsgesetz MoMiG Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Montan-MitbestErgG Gesetz zur Ergänzung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes Montan-MitbestG Montan-Mibestimmungsgesetz MüKo Münchener Kommentar NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OECD OFD OHG ÖJK OLG OWiG

Organisation für wirtschaftliche Zusammen­ arbeit und Entwicklung Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenkommission Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PS

Prüfungsstandard

RAO RefE RegE RFH RiStBV

Reichsabgabenordnung Referentenentwurf Regierungsentwurf, Regierungsentwurf Reichsfinanzhof Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren Richtlinie Randnummer Reichssteuerblatt Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung

RL Rn. RStBl. RW SanInsFoG sog. XXVI

Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungs­ gesetz Sogenannte

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Abkürzungsverzeichnis

StbJb StBp SteuerstrafR StGB StPO StrafR StrÄndG StuW StVJ

Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Steuerstrafrecht Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrecht Strafrechtsänderungsgesetz Steuer und Wirtschaft Steuerliche Vierteljahresschrift

Tax CMS TCF Tz.

Tax Com­pli­ance Management-System Tax Control Framwork Teilziffer

u.a. U.K. Ubg UKG UMAG

Und andere United Kingdom Die Unternehmensbesteuerung Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz United States United States of America US Sentencing Committee Guidelines Umsatzsteuergesetz

UmwG UmwStG US USA USSCG UStG v. VergabeR VergR VersR Vgl. VGR VJSchrStuFR VO Vol. Vorbem. VorstandsR V-StGB VVDStRL VW

Vom Zeitschrift für Vergaberecht Vergaberecht Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungsund Schadensrecht Vergleiche Wissenschaftliche Vereinigung für Unter­ nehmens- und Gesellschaftsrecht Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht Verordnung Volume Vorbemerkungen Vorstandsrecht Verbandsstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung der ­Deutschen Staatsrechtslehrer Volkswagen XXVII

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Abkürzungsverzeichnis

wistra WM WpG WpHG WuW

Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Die Wirtschaftsprüfung Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaft unf Wettbewerb

z.B. ZBB ZGR

Zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechts­ dogmatik Zeitschrift für Risk, Fraud & Com­pli­ance Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Umweltrecht

ZGS ZHR Ziff. ZIP ZIS ZRFC ZRP ZStW ZUR

XXVIII

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Einleitung Unzähligen Forschungen zum Trotz polarisiert1 der Begriff „Com­ pli­ ance“ nach wie vor sowohl in der Jurisprudenz als auch der Rechtswirk­ lichkeit in erheblichem Ausmaß. Einige Autoren bezeichnen Com­pli­ ance dabei als die Kardinalpflicht2 des Geschäftsführers, während andere eher abfällig von einer „Anständigkeits-Abteilung“3 und einem System zur Etablierung eines Sündenbocks sprechen. Aus der heutigen Unter­ nehmenskultur, auch in mittelständischen Betrieben, ist Com­pli­ance jedenfalls nicht mehr wegzudenken.4 Im starken Kontrast dazu steht Tax Com­pli­ance nach teilweise vertrete­ ner Auffassung noch ganz am Anfang seiner praktischen Umsetzung.5 So geht aus einer Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und in­ ternationales Strafrecht aus dem Jahr 2014 hervor, dass zwar 93 % aller befragten Unternehmen, die ein Com­pli­ance Programm etabliert haben, das Thema Korruption abdecken, mit dem Bereich des Steuerrechts be­ schäftigen sich im Rahmen dessen allerdings lediglich 2 % dieser Unter­ nehmen.6 Noch verheerender fällt dieses Ergebnis aus, wenn man die Unternehmen in große (mehr als 5.000 Angestellte), mittelständische (mehr als 500, aber weniger als 5.000 Angestellte) und kleine (bis zu 500 Angestellte) Unternehmen untergliedert.7 Bei der Frage nach den drei wichtigsten Com­pli­ance-Angelegenheiten gaben dabei 0 % aller kleinen und mittelständischen Unternehmen, und 3 % aller Großunternehmen Steuerrecht als einen der drei Sektoren an.8 Dadurch entsteht der Ein­ druck einer „stiefmütterlichen“9 Behandlung von steuerrechtlichen Risi­ 1 Zur polarisierenden Wirkung des Com­pli­ance-Begriffs bereits Gasper, Tax Com­pli­ ance, 2016, S. 37. 2 So U. H. Schneider/S. V. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 15; unter einer Kardinalspflicht sind dabei diejenigen Aufgaben und Sorgfaltspflichten zu ver­ stehen, von denen die Existenz und der Fortbestand der Gesellschaft abhängen, vgl. Gieseke, GmbHR 1996, 486, 487. 3 Thomas Fischer, Zeit Online, Fischer im Recht, Zum Glück gibt es Com­pli­ance, abrufbar unter http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-12/recht-und-wirtschaft-zumglueck-gibt-es-compliance-fischer-im-recht, zuletzt aufgerufen am 26.03.2019. 4 Nach einer Studie von Deloitte zum Thema „Com­pli­ance im Mittelstand“ aus dem Jahr 2011 beschäftigten sich bereits damals 85 % der Teilnehmer mit dem Thema Com­pli­ance; die Studie ist abrufbar unter http://www2.deloitte.com/content/dam/ Deloitte/de/Documents/Mittelstand/Studie-Com­pli­ance-im-Mittelstand.pdf, zuletzt aufgerufen am 26.03.2019. 5 So Birkemeyer/Koch, Ubg 2016, 90, 95; ebenso Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 18. 6 Sieber/Engelhart, Com­pli­ance Programs, 2014, S. 40 Figure 9: Es wurden 105 Unter­ nehmen befragt, die ein Com­pli­ance Programm etabliert hatten. 7 Vgl. zu dieser Untergliederung Sieber/Engelhart, Com­pli­ance Programs, 2014, S. 2. 8 Sieber/Engelhart, Com­pli­ance Programs, 2014, S. 45 Figure 14: Es wurden 25 kleine, 36 mittelständische und 25 große Unternehmen befragt. 9 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.5; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 417 f.; ähnlich Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 2; Kromer/Pumpler/ Henschel, BB 2013, 791.

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Einleitung

ko- und Problemfeldern im Rahmen von Com­pli­ance. Allerdings wurde mittlerweile auch Tax Com­pli­ance „aus dem Dornröschenschlaf wach­ geküßt“10 und ist heute fester Bestandteil breit angelegter juristischer Untersuchungen.11 Angesichts der wachsenden Bedeutung von Tax Com­ pli­ance-Systemen sind die Unternehmen nach einer Studie von KMPG zu einer „Neudefinition der Rolle der Steuerfunktion“12 gezwungen. Umso verwunderlicher mag es erscheinen, dass gerade grundlegendste juristische Fragen im Zusammenhang mit (Tax) Com­pli­ance nach wie vor nicht ausreichend geklärt sind. Mitnichten kann deshalb von Com­ pli­ance als „Binsenweisheit“13 gesprochen werden, soweit die Diskussi­ on auf den dahinter stehenden Gedanken – die Legalitätspflicht – redu­ ziert wird. Diese Pflicht der Leitungsorgane zur uneingeschränkten Einhaltung der Rechtsordnung erfährt in der juristischen Forschung mittlerweile ähnlich viele Versuche einer dogmatischen Herleitung wie sie Anhänger hat.14 Auch dann, wenn es um die Berücksichtigung von Nützlichkeitserwägungen innerhalb dieser Pflicht geht, besagt die nahe­ zu einheitliche literarische Meinung, dass mit jedem Rechtsverstoß gleichzeitig auch eine innergesellschaftliche Pflichtverletzung einherge­ he. Neuen Wind in die Debatte brachte die im Jahr 2017 erschienene Arbeit von Brock, der sich nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Dogmatik der Legalitätspflicht ausdrücklich zu einer Zulässigkeit solcher sog. „nützlichen Rechtsverstöße“ bekennt.15 Seine Ausführun­ gen konzentrieren sich dabei jedoch auf die Rechtsform der AG, was bei Abhandlungen, welche das Thema der Legalitätspflicht bzw. (Tax) Com­ pli­ance behandeln, nicht unüblich ist. Eine eingehende Untersuchung hierzu im Bereich des GmbH-Rechts liefert bisher, soweit ersichtlich, einzig Cordes in seiner im Jahr 2016 veröffentlichten Dissertation, aller­ dings ohne dabei den Fokus auf das Steuerrecht zu setzen.16 Gerade die Besonderheiten des GmbH-Rechts in Kombination mit jenen des Steuer­ rechts werfen indes zahlreiche, bisher kaum beleuchtete Fragen auf, die es in dieser Arbeit auch zu beantworten gilt.

10 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 37. 11 Siehe nur die Dissertationsschriften Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015; Risse, Tax Com­pli­ance, 2015; einen wichtigen Beitrag liefert auch Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016. 12 Siehe die Studie KPMG, Tax Com­pli­ance Management-System, 2016, S. 1, abrufbar unter https://home.kpmg/content/dam/kpmg/pdf/2016/07/tax-compliance-manage​ ment-3-2016-KPMG.pdf, zuletzt aufgerufen am 26.03.2019. 13 U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 646; ähnlich Paefgen, AG 2014, 554, 557; Hellwig/ Behme, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 343, 352. 14 Siehe zur Kritik an der teils selbstverständlichen Rechtfertigung der Legalitäts­ pflicht auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403 ff. 15 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, passim. 16 Cordes, Die Com­pli­ance-Organisation in der GmbH, 2016, passim.

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Gang der Untersuchung Ziel dieser intradisziplinären Arbeit, die sich im Bereich der Schnittstel­ le des Steuer- und Gesellschaftsrechts bewegt, ist die Schaffung einer fundierten dogmatischen Grundlage für die aktuell geführte Tax Com­pli­ ance-Debatte. Hierzu ist eine Rückbesinnung auf den Ursprung organ­ schaftlicher Pflichten notwendig, was letztlich in einem Gegensatz von Legalitätspflicht und gewinnorientiertem Gesellschafterinteresse kulmi­ niert. Den organisatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit Com­pli­ance kommt dabei lediglich am Rande Bedeutung zu. Im Speziellen wird im ersten Kapitel nach einer Definition des allgemei­ nen Com­pli­ance-Begriffs der dichotome Terminus Tax Com­pli­ance aus unternehmerischer und finanzbehördlicher Perspektive in die rechtswis­ senschaftliche Diskussion eingebettet. Anschließend erfolgt im zweiten Kapitel eine juristische Erläuterung der Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit der GmbH sowie deren Geschäfts­ führungsorgans. Im Zuge dessen werden auch die generellen Maßstäbe für unternehmerische Entscheidungen des Geschäftsführers herausgear­ beitet, um diese in den darauffolgenden Untersuchungen fruchtbar ma­ chen zu können. Einen der Schwerpunkte dieser Arbeit stellt das dritte Kapitel dar, in ­welchem die Grundlagen einer gesellschaftsinternen Tax Com­pli­ancePflicht des Geschäftsführers im Pflichten- und Organisationsgefüge des GmbH-Rechts normativ verortet werden. Nach einer ausführlichen Aus­ einandersetzung mit den dogmatischen Einzelheiten einer organschaftli­ chen Legalitätspflicht werden auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse die gegenüber der Gesellschaft bestehenden Pflichten des Geschäftsführers im Spannungsfeld zwischen legaler und illegaler Steuerplanung und -ge­ staltung eruiert. Einen wesentlichen Diskussionspunkt stellen hier die für die Gesellschaft vorteilhaften Verstöße des Geschäftsführers gegen steuerrechtliche Normen dar. Speziell in der GmbH steht dabei nicht nur die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Handlungen zur Diskussion, sondern darüber hinaus auch die diesbezügliche Zuständigkeit sowie die Frage, ob den weisungsabhängigen Geschäftsführer sogar eine Pflicht zum Rechtsbruch treffen könnte. Im vierten Kapitel werden anschließend diejenigen öffentlich-rechtli­ chen Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers erforscht, welchen dieser als gesetzlicher Vertreter der GmbH unmittelbar ausgesetzt ist. Neben § 130 OWiG und dessen umstrittener Anwendung auf steuerliche Sachverhalte werden auch untergesetzliche Erlasse auf ihre (faktische) Wirkung hin untersucht und den gesellschaftsinternen Pflichten gegen­ übergestellt. 3

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Gang der Untersuchung

Zum Schluss werden im fünften Kapitel die herausgearbeiteten Befunde vor dem Hintergrund aktueller nationaler Gesetzesvorhaben, allen voran den Plänen zur Einführung eines Verbandsstrafgesetzbuchs, zusammen­ gefasst und einer abschließenden Beurteilung unterzogen.

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Kapitel 1: Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance Nicht selten wird die Meinung vertreten, die Bedeutung des Begriffs Tax Com­pli­ance sei heute geklärt, offen bleibe lediglich die Frage nach den organschaftlichen Verantwortlichkeiten.17 Ob dem tatsächlich so ist, muss angesichts der teils sehr differenzierten Behandlung dieser Terminologie in den unzähligen Beiträgen und Monografien zu diesem Thema ernst­ haft bezweifelt werden. Selbst Streck/Mack/Schwedhelm, die sich als Herausgeber ausdrücklich dem Vorwort von Spatscheck angeschlossen haben,18 verzichten im Rahmen ihres ersten Kapitels nicht darauf, aus­ führlich auf den Begriff „Tax Com­pli­ance“ einzugehen.19 Die Schwierig­ keiten im Zusammenhang mit der Suche nach einer griffigen Defini­tion von Tax Com­pli­ance resultieren insbesondere aus der jeweiligen Pers­ pektive, welche man dabei einnimmt. Die 2016 erschienene Dissertation von Gasper nähert sich dem Begriff primär aus Unternehmenssicht,20 während Schützler die unterschiedlichen Sichtweisen der Finanzver­ waltung einerseits und der Unternehmen andererseits dargestellt und Schnittmengen beider Seiten herausgearbeitet hat.21 Risse wiederum be­ handelt den Terminus in seiner Dissertation am Beispiel eines global agierenden Konzerns umfassender und internationaler als seine Kolle­ gen.22 Diese aus einer großen Auswahl nur beispielhaft genannten Schrif­ ten erklären jeweils eigenständig, was unter Tax Com­pli­ance zu verste­ hen ist. Wenn es dabei auch häufig zu Überschneidungen kommt, hat keiner der Autoren auf einen eigenen Erklärungsversuch verzichtet. In Anbetracht der Tatsache, dass sich bisher weder der formelle Gesetzge­ ber noch die Rechtsprechung konkret zur schillernden23 Terminologie der Tax Com­pli­ance geäußert haben, sind diese Begriffsbestimmungen auch zwingend notwendig. Sich durch das „Dickicht“ der Com­pli­anceLiteratur durchzukämpfen mag eine Sisyphusarbeit sein, ist aber unent­ behrlich. Eine Gemeinsamkeit der oben genannten Monografien besteht darin, dass sie sich im Gegensatz zu der vorliegenden Untersuchung inhaltlich auf Konzerne bzw. allgemein auf Großunternehmen in der Rechtsform

17 Spatscheck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Vorwort. 18 Spatscheck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Vorwort, wel­ ches als Aussage aller Partner der Streck Mack Schwedhelm Partmbh gelten soll. 19 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.1 ff. 20 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 39 ff. 21 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015. 22 Risse, Tax Com­pli­ance, 2015. 23 So Streck/Binnewies, DStR 2009, 229.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

der AG beschränken.24 Es stellt sich daher insbesondere die Frage, ob für die GmbH, gerade im Bereich mittelständischer oder kleiner Unter­ nehmen, dasselbe Tax Com­pli­ance-Verständnis zugrunde gelegt werden kann, welches bei der als Großunternehmen ausgestalteten AG Anwen­ dung findet. Zur Annäherung an diese Fragestellung wird zunächst der allgemeine Com­pli­ance-Begriff dargestellt (A.), welcher insbesondere seit der Neu­ bürger-Entscheidung25 deutlichere Konturen erfahren hat. In einem zwei­ ten Schritt wird auf der Basis dieser Überlegungen der Begriff Tax Com­ pli­ ance erklärt (B.). Abschließend werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse noch resümiert (C.).

A. Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff Um den Terminus Com­pli­ance verstehen und im deutschen Recht ein­ ordnen zu können, muss zunächst dessen Etymologie geklärt werden (I.). Anschließend wird den Ursprüngen von Com­pli­ance im deutschen Recht nachgegangen (II.) und eine deskriptive Darstellung der bisherigen Erklä­ rungsversuche aus der Rechtsprechung (III.), Literatur, Praxis und Ver­ waltung (IV.) erfolgen. Schließlich werden die Ergebnisse in einem Resü­ mee zusammen getragen, um eine für diese Arbeit passende Definition von Com­pli­ance zu entwickeln (V.).

I. Etymologie von Com­pli­ance Com­pli­ance leitet sich vom englischen Verb „to comply“ ab, dessen deut­ sche Übersetzung die Begriffe „entsprechen“, „einhalten“ oder „befolgen“ umfasst.26 Hierdurch ist aber für den vielschichtigen Terminus der Com­ pli­ance nur wenig gewonnen. Im angloamerikanischen Raum erfuhr der Ausdruck Com­pli­ance bereits in den 1980er Jahren als Rechtsbegriff Be­ achtung,27 worunter früher insbesondere die Regelbefolgung risikorei­ cher Unternehmensbereiche des Bankwesens gefasst wurde.28 Die US 24 Vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 49, Fn. 187; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 37; Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 5 ff.; anders Streck/Mack/Schwedhelm, die ausdrücklich sämtliche Kapitalgesellschaften mit einbeziehen, also auch die GmbH, Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.37. 25 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345 ff. 26 Der Ausdruck „to comply with“ kann wörtlich übersetzt werden mit „sich regel­ konform verhalten“, vgl. hierzu Paefgen, WM 2016, 433, 434. 27 Buffo/Brünjes, CCZ 2008, 108; Paefgen, WM 2016, 433, 434; nach Moosmayer, in: Moosmayer, Com­pli­ance, 2021, § 2 Rn. 17 gelten die USA als das „Mutterland der Com­pli­ance”. 28 Vgl. Buff, Com­pli­ance, 2000, S. 10 f.; Harm, Com­pli­ance in Wertpapierdienstleis­ tungsunternehmen, 2008, S. 1; Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moos­

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A.  Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff

Sentencing Committee Guidelines (USSCG) umschreiben Com­pli­ance wie folgt: „[…] an organization shall exercise due diligence to prevent and detect criminal conduct; and otherwise promote an organizational culture that encourages ethical conduct and a committee to compliance with the law“.29 Daraus wird bereits deutlich, dass Com­pli­ance nicht mit der bloßen Pflicht zur Einhaltung geltenden Rechts gleichgesetzt werden kann, was aber auch hierzulande seit langem schon als selbstverständ­ lich gilt.30 Mittlerweile gehört Com­pli­ance zum üblichen Fundus deut­ scher Rechtswörterbücher. In Creifelds‘ Rechtswörterbuch beispielswei­ se wird Com­ pli­ ance definiert als „die rechtlich ordnungsgemäße systematische Organisation eines Unternehmens mit dem Ziel, eine zi­ vil- oder sogar strafrechtliche Haftung des Unternehmens und seiner Or­ gane zu vermeiden.“31

II. Die Ursprünge von Com­pli­ance im deutschen Recht Im deutschen Recht findet man die Ursprünge von Com­pli­ance im Bankund Kapitalmarktrecht.32 Nach § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG sind Wert­ papierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, eine wirksame Com­pli­ ance-Funktion zu implementieren. Darüberhinaus normiert § 25a Abs. 1 S. 3 HS. 2 Nr. 3 c) KWG, dass Kreditinstitute ein angemessenes und wirk­ sames Risikomanagement einzurichten haben, wozu ausdrücklich eine Com­pli­ance-Funktion gehört. Letztlich werden auch Versicherungsun­ ternehmen durch § 29 Abs. 1 VAG zur Einführung einer Com­pli­anceFunktion verpflichtet. Eine Legaldefinition sucht man in diesen Ge­ setzen jedoch vergeblich. Neuerdings ist anlässlich der Umsetzung von Art. 57 Abs. 6 der RL 2014/24/EU auch im Vergaberecht explizit von sog. „Selbstreinigungsmaßnahmen“ die Rede.33 Dort besagt § 125 Abs. 1 GWB, dass öffentliche Auftraggeber trotz Vorliegen eines zwingenden Ausschlussgrundes aus § 123 GWB, bzw. eines fakultativen Ausschluss­ grundes aus § 124 GWB, ein Unternehmen nicht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen dürfen, wenn es seine Integrität wieder­

mayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 1 Rn. 2; Fleischer, in: MüKo-Gmb­ HG/2, 2019, § 43 Rn. 143; Fleischer, CCZ 2008, 1. 29 USSCG in der Fassung vom 01.11.2015, § 8 B. 2.1. (a). 30 Vgl. U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 646; Paefgen, AG 2014, 554, 557. 31 Creifelds, Rechtswörterbuch, 2019, S. 310. 32 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 143; ausführlich hierzu Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-HdB II, 2017, § 109 Rn. 1 ff. 33 Diese waren nach bisheriger Rechtsprechung auch früher bereits anerkannt, gesetz­ lich jedoch nicht kodifiziert, vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.04.2003 – Verg 43/02, NZBau 2003, 578 ff.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.07.2004 – 11 Verg 6/04, VergabeR 2004, 642 ff.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

hergestellt hat.34 Hierzu ist es nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GWB unter anderem Voraussetzung, dass ein Unternehmen „konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.“ Wie sich sowohl aus der Richtlinie35 als auch aus der Gesetzesbegründung36 erschließen lässt, sind hiermit Com­pli­ance-Maßnahmen gemeint. Zum besseren Verständnis der erforderlichen Selbstreinigungsmaßnahmen wird in der Gesetzesbegründung zu § 125 GWB ausgeführt, dass ein sog. Com­ pli­ance Management System die nötigen technischen und organisatori­ schen Maßnahmen umfassen kann.37 Als solche werden beispielsweise Personal- und Organisationsmaßnahmen, die Etablierung von Berichtsund Kontrollsystemen sowie einer internen Audit-Struktur zwecks Über­ wachung der Com­pli­ance, und die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen genannt.38 Speziell für den Steuerrechtsbe­ reich verweist § 125 Abs. 1 S. 2 GWB auf § 123 Abs. 4 S. 2 GWB, der einen eigenen Selbstreinigungstatbestand enthält und dem allgemeineren aus § 125 GWB vorgeht.39 Com­pli­ance findet sich aber auch in anderen Berei­ chen wieder, z.B. in der Medizin.40 Dort wird der Ausdruck als „Therapie­ treue“41 oder „Verordnungstreue“42 verstanden. Einen Definitionsversuch von Com­pli­ance stellt auch der Deutsche Cor­ porate Governance-Kodex (DCGK) wie folgt bereit: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmen­ sinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung im Un­ ternehmen hin (Com­pli­ance)“.43 Der DCGK stellt allerdings kein formel­ les Gesetz dar, sondern einen von der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entwickelten Verhaltensstandard.44 Es handelt sich damit also um keine verbindliche Regelung, sondern um 34 So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 107. Nach § 125 Abs. 2 GWB steht den einzelnen öffentlichen Auftraggebern bei der Bewertung der Geeignetheit der Maßnahmen aber ein weiter Beurteilungsspielraum zu. 35 Erwägungsgrund 102 der RL 2014/24/EU. 36 BT-Drucks. 18/6281, S. 107 f. 37 BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 38 Vgl. Erwägungsgrund 102 der RL 2014/24/EU; BT-Drucks. 18/6281, S. 109 f. 39 So auch in der Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 40 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 2015, S. 409 f.; Oppenheim, DStR 2014, 1063; Roth, ZRFC 2009, 5 41 Siehe Oppenheim, DStR 2014, 1063, der diesen Begriff erstmals verwendete, sich dabei aber auf OLG Hamburg v. 21.11.2002 – 3 U 97/02, GRUR-RR 2003, 105; Hauschka, NJW 2004, 257 bezog. 42 Vgl. Eufinger, CCZ 2012, 21, ebenfalls bezugnehmend auf OLG Hamburg v. 21.11.2002 – 3 U 97/02, GRUR-RR 2003, 105; Hauschka, NJW 2004, 257. 43 Deutscher Corporate Governance-Kodex in der Fassung vom 16.12.2019, Ziff. A1, Grds. 5; siehe zudem die erstmalige Erwähnung von Com­pli­ance im DCGK in der Fassung vom 14.07.2007, Ziff. 4.1.3. 44 Vgl. Hoffmann-Becking, in: FS Hüffer, 2010, S. 337 ff.

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bloßes „regierungsamtliches soft law“.45 Wie aus der Defi­nition hervor­ geht, beinhaltet Com­pli­ance demnach nicht nur die Ein­haltung der ge­ setzlichen Bestimmungen, sondern daneben auch die der unternehmen­ sinternen Richtlinien. Sie stellt somit eine „Selbstverpflichtung“ von Unternehmen dar, um neben gesetzlichen auch ethischen Anforderun­ gen zu entsprechen.46 Wie sich in den sektorspezifischen Rechtsnormen sowie in der nachfol­ gend noch näher erläuterten Neubürger-Entscheidung zeigt, haben so­ wohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung auf eine deutsche Übersetzung verzichtet und sich stattdessen ebenfalls den angloamerika­ nischen Ausdruck ‚Com­pli­ance‘ zu Eigen gemacht.47

III. Begriffsbestimmung durch die Rechtsprechung Die nachfolgenden Ausführungen dienen vorrangig einer Darstellung der wesentlichen Aussagen des Neubürger-Urteils sowie weiterer gerichtli­ cher Entscheidungen im Zusammenhang mit Com­pli­ance-Fragen. Aus­ geklammert wird dabei die Frage nach einer möglichen Rechtspflicht zur Einrichtung einer Com­pli­ance-Organisation und wie diese konkret aus­ gestaltet sein könnte.48 1. Organisationsverschulden und Com­pli­ance Spindler bezeichnet die Grundfragen der Com­pli­ance lediglich als „eine Ausprägung der allgemeinen Problematik ordnungsgemäßer Unter­ nehmensorganisationspflichten“49, mithin als „alten Wein in neuen Schläuchen“50. Fragt man vor diesem Hintergrund nach den Ursprüngen 45 Heintzen, ZIP 2004, 1933, 1935; allerdings treffen den Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten AG gegenüber dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 161 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmte Mitteilungspflichten. Dies wird in der Literatur stark kritisiert und teilweise gar als verfassungswidrig angesehen, vgl. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160 ff.; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 161 Rn. 4 f. m.w.N.; anders hinge­ gen ­argumentiert insbesondere die Rechtsprechung, die kein Problem in der Rege­ lung sieht, vgl. BGH, Urteil v. 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9; OLG Mün­ chen, Urteil v. 23.01.2008 – 7 U 3668/07, NZG 2008, 337; OLG München, Urteil v. 06.08.2008 – 7 U 5628/07, NZG 2009, 508. 46 Teichmann, Com­pli­ance, 2014, § 1 Rn. 12. 47 So auch Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, wonach keine Notwendigkeit mehr für eine Übersetzung dieses Begriffs oder eine eigenständige deutschsprachige Termi­ nologie besteht. 48 Auf die Grundlagen einer solchen möglichen Pflicht wird auf den S. 166 ff. noch ausführlich eingegangen. 49 Spindler, RW 2013, 292, 324 f. 50 Spindler, RW 2013, 292, 324; ähnlich auch LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348 (lediglich neue Begrifflichkeit); diese Metapher

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

der Com­pli­ance-Diskussion in der Rechtsprechung, so führt der Weg zwangsläufig über die Institute der „Organisationspflichten“51 und des „Organisationsverschuldens“52 ins Deliktsrecht. Die Ursprünge des Or­ ganisationsverschuldens in der Rechtsprechung finden sich nach Ma­ tusche-Beckmann in der sogenannten Benzinfahrt-Entscheidung53 des BGH aus dem Jahr 1951, wonach der Geschäftsherr im Falle einer man­ gelhaften Organisation seines Betriebs nach § 823 Abs.1 BGB durch Ver­ nachlässigung der allgemeinen Aufsicht haftbar ist.54 Der BGH formu­ lierte damals unter Rückgriff auf reichsgerichtliche Rechtsprechung konkrete Organisationspflichten, die den Betriebsinhaber unter be­ stimmten Umständen treffen.55 Setzt man den Begriff Com­pli­ance mit Spindler im Großen und Ganzen den Unternehmensorganisationspflich­ ten gleich, bzw. sieht darin lediglich eine Wortneuschöpfung für längst bekannte Probleme, stellt die eben genannte Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1951 tatsächlich den Startschuss für die Com­pli­ance-Debatte dar. Legt man den Begriff allerdings weiter aus und bezieht neben dem Deliktsrecht auch weitere Rechtsgebiete in die Überlegungen ein, kom­ men Zweifel auf, ob dahinter tatsächlich nichts anderes als ein bloßer Anglizismus für ein seit Jahrzehnten diskutiertes Problems steckt. Zu­ mindest die mehrfache und explizite Erwähnung des Begriffs Com­pli­ ance in den unterschiedlichen Zweigen der Rechtsprechung deutet dar­ aufhin, dass es sich dabei ebenso gut um ein neuartiges Rechtsphänomen handeln könnte, welches sich zwar teilweise in die bisherige Diskussion um die Organisationspflichten eines Unternehmens einfügen lässt, ande­ rerseits in seinem Inhalt und seiner Reichweite aber auch deutliche Un­ terschiede dazu aufweist. 2. Com­pli­ance in der strafrechtlichen Rechtsprechung Während die zivil- und finanzgerichtliche Rechtsprechung bei der Ver­ wendung des Begriffs Com­pli­ance bis heute noch sehr zurückhaltend agiert, wurde die strafrechtliche Rechtsprechung in ihrer Wortwahl schon vor einigen Jahren konkreter.

hingegen kategorisch abgelehnend Klindt, NJW 2006, 3399, 3400; Klindt/Pelz/ Theusinger, NJW 2010, 2385; wohl auch Cauers/u.a., DB 2008, 2717. 51 Ausführlich hierzu Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2011, passim. 52 Ausführlich hierzu Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, passim. 53 BGH, Urteil v. 25.10.1951 – III ZR 95/50, BGHZ 4, 1. 54 BGH, Urteil v. 25.10.1951 – III ZR 95/50, BGHZ 4, 1, 2 f. 55 Ausführlich hierzu Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, S. 49 ff., 67 f.

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A.  Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff

a) Ursprünge von Com­pli­ance in der strafrechtlichen Rechtsprechung Eine Erwähnung des Com­ pli­ ance-Begriffs in der höchstrichterlichen Rechtsprechung findet sich bereits in einer Entscheidung des Zweiten Strafsenats des BGH56 aus dem Jahr 2008. Ausführlicher setzte sich mit dem Thema Com­pli­ance aber erst der Fünfte Strafsenat des BGH57 in einem Urteil aus dem Jahr 2009 auseinander. Das Gericht äußerte ­ sich darin in erster Linie zur Garantenstellung des Leiters der Innenrevi­ sion, während es allerdings einen Vergleich zum sog. Com­pli­ance-Officer zieht. Dessen Aufgabe sei es, Rechtsverstöße – auch aus dem Unterneh­ men heraus begangene – zu verhindern.58 Wie diese Aufgabe zu erfüllen oder was konkret unter Com­pli­ance oder einem Com­pli­ance-Officer zu verstehen sei, wurde indes nicht näher erläutert. Der Com­pli­ance-Begriff wurde in diesem Zusammenhang eher beiläufig als eine auf Großunter­ nehmen begrenzte Neuerscheinung genannt. In der Folgezeit verwendete auch der Erste Strafsenat des BGH59 den Com­pli­ance-Begriff, verzichtete dabei jedoch ebenfalls auf eine Definition desselben. b) Das Urteil des BGH vom 09.05.2017 Für Aufsehen sorgte insbesondere ein im Jahr 2017 ergangenes Urteil des I. Strafsenats des BGH60. Gegenstand des Verfahrens waren Provisions­ zahlungen in Höhe von rund 1,6 Mio. Euro, welche entgegen § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG als Betriebsausgaben deklariert wurden, was in der Folge zu einem unrichtigen Feststellungsbescheid und damit zu einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil eines in Deutschland ansässigen Rüs­ tungsunternehmens führte. Der Unternehmersträger, eine GmbH, trat in diesem Verfahren als Nebenbeteiligte auf. In erster Instanz wurde der Angeklagte, ein damals leitender Angestellter und Prokurist, vom LG München I wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zusätzlich wurde eine Geldbuße gegen die nebenbeteiligte juristische Person nach § 30 Abs. 1 OWiG in Höhe von 175.000 Euro verhängt.

56 BGH, Urteil v. 29.08.2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323 ff. 57 BGH, Urteil v. 17.07.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44. 58 BGH, Urteil v. 17.07.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44. Der BGH bezweckte die Begründung einer Garantenpflicht des Com­pli­ance-Officers dafür, sämtliche Straf­ taten, die im Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, zu verhindern. Dies wurde in der juristischen Literatur scharf kritsiert, vgl. Deutscher, WM 2010, 1387, 1391; Stoffers, NJW 2009, 3176; Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1343; zum gesamten Diskussionsstand siehe Wessing/Dann, in: Bürkle/Hauschka, Com­pli­ance Officer, 2015, § 9 Rn. 78. 59 BGH, Urteil v. 06.09.2016 – 1 StR 104/15, WM 2017, 32 ff.; BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 Rn. 110 ff. 60 BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Eben jene gegen die GmbH verhängte Geldbuße hielt einer Revision der Staatsanwaltschaft vor dem BGH nicht stand, da die Bemessung der Geldbuße rechtsfehlerhaft vorgenommen worden war. Der BGH bemän­ gelte unter anderem, dass die Schuld der Geschäftsführer, die eine Steu­ erhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begangen hatten, nicht als Grundlage für die Bemessung einer Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG herangezogen wurde. In einem Hinweis gab der Senat dem neuen Tatgericht die Möglichkeit, die Vorschriften der §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 S. 1 OWiG in den Blick zu nehmen. Zu betonen sind in diesem Zusam­ menhang die Ausführungen des Senats, wonach es für die Bemessung der Geldbuße auch von Bedeutung sei, „inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unter­ binden, genügt und ein effizientes Com­pli­ance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss.“ Insofern seien auch Regelungen in Reaktion auf dieses Verfahren rele­ vant, die dem Zweck der Optimierung bestehender Com­pli­ance-Systeme dienen, sofern dadurch „vergleichbare Normverletzungen zukünftig je­ denfalls deutlich erschwert werden.“61 In der Praxis und juristischen Li­ teratur wurde dieser Hinweis des BGH durchaus positiv aufgenommen und diente gleichzeitig als Anlass dazu, abermals auf die enorme Bedeu­ tung der Pflicht der Geschäftsleitung zur fortlaufenden Überwachung und Optimierung von Com­pli­ance-Management-Systemen zu verwei­ sen.62 Dass der Senat von einer Com­pli­ance-Pflicht der Gesellschaft und nicht der Geschäftsführung spricht, ist insoweit nicht weiter verwunder­ lich, da bei einer Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG stets die Gesellschaft als solche und nicht ein konkretes Organ betroffen ist. Mit einer mögli­ chen Pflichtverletzung im Innenverhältnis sowie einer Legalitäts- bzw. Com­ pli­ ance-Pflicht des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft hängt der Fall zunächst nur mittelbar zusammen. Erst in einem nächsten Schritt, wenn die Gesellschaft aufgrund einer mangelhaft eingerichteten Com­pli­ance-Organisation möglicherweise eine höhere Geldbuße zu zah­ len hat, wird die Frage virulent, wer intern hierfür verantwortlich ist und dementsprechend in Haftung genommen werden kann.63 Liegt aber in dieser Entscheidung die Ausweitung einer bisher auf einzel­ ne Sektoren beschränkten Com­pli­ance-Pflicht auf das allgemeine Recht oder wurde schlicht auf eine spezielle Form einer Exkulpationsmöglich­ keit hingewiesen?64 In den Urteilsanmerkungen wurde diesbezüglich 61 BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 Rn. 118. 62 Vgl. Jenne/Martens, CCZ 2017, 285, 288; Wilsing/Goslar, GmbHR 2017, 1202, 1204; Behr, BB 2017, 1931 f. 63 So bei LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345. 64 Zu den sektorspezifischen Com­pli­ance-Pflichten aus dem Bank- und Kapitalmarkt­ recht, dem Versicherungsrecht sowie dem Vergaberecht siehe bereits S. 7 ff.

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mehrfach die Vermutung geäußert, dass der BGH nunmehr eine Rich­ tung einschlage, welche in vielen Staaten ohnehin längst gesetzlich ko­ difiziert ist.65 Wenngleich die Etablierung eines Com­pli­ance-Systems in manchen Tätigkeitsfedern zur gesetzlich normierten Pflicht einer Ge­ sellschaft gehört bzw. durch Behörden positiv gewürdigt werden soll, existieren im deutschen Rechtssystem nach wie vor Gebiete, die sich dem Komplex, zumindest auf gesetzlicher Ebene, gänzlich entziehen. Al­ len voran ist hier der paradoxerweise gleichzeitig besonders Com­pli­ancesensible Bereich des Kartellrechts zu nennen. Eine Bußgeldminderung aufgrund etwaiger Com­ pli­ ance-Bemühungen lehnt das Bundeskartell­ amt mit Blick auf § 81 GWB nach wie vor ab und verweist stattdessen auf das bestehende Kronzeugenprogramm.66 Damit steht die Behörde in einer Linie mit der EU-Kommission und dem EuG. Die für kartellrechtliche Sanktionen relevante Vorschrift des Art. 23 der VO (EG) Nr. 1/2003 kennt keine mildernde Umstände für die Berücksichtigung von Com­pli­ ance-Programmen. Ganz im Gegenteil hat die Kommission einer derarti­ gen Bußgeldminderung nicht nur eine klare Absage erteilt,67 sondern stattdessen im Fall „British Sugar“ ein (mangelhaftes) Com­ pli­ anceProgramm sogar als sanktionsschärfenden Faktor bewertet.68 Zu Recht wird eine solche Haltung, wonach Com­pli­ance-Programme nur deshalb nicht bußgeldmindernd berücksichtigt werden, weil sie letztlich nicht geeignet waren den konkreten Kartellverstoß zu verhindern, heftig kri­ tisiert.69 Insbesondere der Verweis darauf, dass stattdessen durch Kron­ zeugenregelungen eine Ermäßigung oder Befreiung möglich ist, wird in diesem Zusammenhang als unzureichend empfunden und den Kronzeu­ genregelungen darüber hinaus eine diskriminierende Wirkung gegenüber Com­pli­ance-Programmen zugesprochen.70 65 Vgl. Jenne/Martens, CCZ 2017, 285, 286 ff.; Wilsing/Goslar, GmbHR 2017, 1202, 1203; Behr, BB 2017, 1931, 1932, die beispielhaft für Großbritannien auf die in Sec. 7 des U.K. Bribery Act 2010 verankerte Exkulpationsmöglichkeit verweisen oder für die USA auf Kap. 8 der U.S. Sentencing Guidelines inklusive der im Februar 2017 erschienenen Leitlinien für die „Evaluation of Corporate Com­pli­ance Pro­ grams“ des U.S. Department of Justice, abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download. Aber auch Spezialregelungen aus Italien, Brasilien, Spanien und Frankreich werden erwähnt. 66 Vgl. Brauneck, CCZ 2016, 107 ff.; Jenne/Martens, CCZ 2017, 285, 288. 67 So ausdrücklich in einer Veröffentlichung der Generaldirektion Wettbewerb (Euro­ päische Kommission), Wettbewerbsrechtliche Com­pli­ance, 2013, S. 19, abrufbar unter https://publications.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/78f46c48-​ e03e-4c36-bbbe-aa08c2514d7a, zuletzt aufgerufen am 14.03.2019; ausführlich hier­ zu Brauneck, CCZ 2016, 107 ff. 68 Kommission v. 14.10.1998 – 33.708 (Napier Brown/British Sugar), ABl. v. 22.03.1999, L 76, 1 Rn. 208; siehe aber Bosch, ZHR 177 (2013), 454, 467, wonach die Entschei­ dung als Einzelfall zu begreifen ist. 69 So zutreffend Bosch, ZHR 177 (2013), 454, 469 f.; a.A. wohl Pampel, BB 2007, 1636, 1638, allerdings ohne nähere Ausführungen dazu. 70 Vgl. Bosch, ZHR 177 (2013), 454, 470 f.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Letztlich hat die Rechtsprechung abermals darauf verzichtet, konkrete Kriterien zu formulieren, anhand derer sich erkennen lasse, wie ein ord­ nungsgemäßes Com­pli­ance-System tatsächlich auszusehen hätte. Solan­ ge allerdings für die Praxis nicht eindeutig erkennbar ist, was gesetzlich erwartet wird, um eine bußgeldmindernde Wirkung zu erzielen oder ei­ ner etwaigen Pflicht nachzukommen, herrscht ein Zustand der Rechts­ unsicherheit, der insbesondere den Rechts- und Wirtschaftsberatungs­ unternehmen zugutekommen dürfte. Andererseits stärkt der Umstand, dass die Ausgestaltung des jeweiligen Com­pli­ance-Systems größtenteils den einzelnen Gesellschaften und ihren Leitungsorganen überlassen bleibt, auch die Eigenverantwortlichkeit unternehmerischer Gestaltungs­ freiheit. Die Mannigfaltigkeit von Unternehmen hinsichtlich ihrer Grö­ ße, Strukturierung und Ausrichtung des Tätigkeitsfeldes macht es ohne­ hin unmöglich, eine abstrakte „best practice“ bereitzustellen, die für alle Formen, von der Einmann-GmbH bis zum internationalen Konzern, pas­ send ist. Zusammenfassend bekennt sich der Strafsenat damit zum grundsätzlichen Bestehen einer Com­pli­ance-Pflicht einer Gesellschaft, die sich unter Umständen auch zu einer Pflicht zur Einrichtung eines Com­pli­ance-Systems verdichten kann. Die konkrete Ausgestaltung die­ ses Systems soll indes den Leitungsorganen überlassen bleiben. 3. Das Neubürger-Urteil des LG München Die bisher umfangreichsten Ausführungen eines Gerichts zum Thema Com­pli­ance leistete das LG München71 in seinem Neubürger-Urteil aus dem Jahr 2013. Dabei ging es um die Schadensersatzforderung eines Großunternehmens über e 15 Mio. nebst Zinsen auf Grundlage des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied aufgrund man­ gelhafter Einrichtung eines Com­pli­ance-Systems.72 Gegenstand des Ver­ fahrens war die Bildung „schwarzer Kassen“ für Korruptionszahlungen im Ausland, was durch unternehmensinterne Ermittlungen aufgedeckt worden war. Das darauffolgende gerichtliche Verfahren setzte sich im Wesentlichen mit der Ordnungsgemäßheit der bestehenden Com­pli­anceOrganisation auseinander. Der Schadensersatzklage wurde zunächst mit der Begründung stattgegeben, das Unternehmen verfüge zwar über ein Com­pli­ance-System, jedoch sei dieses unzureichend, was eine Pflicht­ verletzung im Sinne des § 93 Abs. 2 AktG darstelle. Nachdem Berufung beim OLG München eingelegt wurde,73 konnte der Rechtsstreit aller­ dings mittels Vergleich beendet werden.74 71 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345 ff. 72 Eine ausführliche Zusammenfassung des Sachverhalts liefert Gasper, Tax Com­pli­ ance, 2016, S. 279 ff. 73 OLG München, Az.: 7 U 113/14. 74 Vgl. hierzu Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corpo­ rate Com­pli­ance, 2016, § 1 Rn. 38; Grützner, BB 2014, 850; Meyer, DB 2014, 1063.

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Vor allem auf Basis dieses als „Paukenschlag“75 titulierten Urteils lassen sich erstmals deutliche Anhaltspunkte zu einer gerichtlichen Sichtweise auf die gesetzlichen Grundlagen von Com­pli­ance herauskristallisieren (a.). Weiterhin werden in der Entscheidung Anforderungen für die Ord­ nungsgemäßheit eines Com­pli­ance-Management-Systems formuliert (b.). Ob die Aussagen des Urteils hingegen auf die GmbH übertragbar sind,76 ist im Rahmen der Einzelheiten zur Dogmatik der Legaliätspflicht sowie der (Tax) Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers wesentli­ cher Untersuchungsgegenstand der nachfolgenden Kapitel. a) Gesetzliche Grundlagen der Com­pli­ance Das Gericht betont anfangs die Legalitätspflicht eines jeden Vorstands­ mitglieds, welche sowohl das Verbot, Gesetzesverstöße anzuordnen, als auch die Pflicht zur Organisation und Beaufsichtigung eines Unterneh­ mens zwecks Vorbeugung von Gesetzesverletzungen umfasst. Hier sind sämtliche Vorschriften Gegenstand, die das Unternehmen als Rechtssub­ jekt treffen, sprich neben den inländischen auch ausländische Rechtsvor­ schriften. Dabei wird explizit das OECD-Übereinkommen über die Be­ kämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 genannt.77 Diese Organisationspflicht verdichtet sich im Falle einer den Bestand des Unternehmens angreifenden Gefährdungslage zur Vorgabe, eine „auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Com­pli­ance-Organi­ sation“ einzurichten.78 Dabei wird betont, dass dies „keine aus dem ang­ lo-amerikanischen Rechtskreis stammende Neuerung“ sei, sondern sich unmittelbar auch aus § 76 Abs. 1 AktG ergebe und seit der Verabschie­ dung des AktG am 06.09.1965 unverändert gelte. Lediglich die Begriff­ lichkeit „Com­pli­ance“ sei neu, welche aber nach wie vor die Vorstands­ pflicht beschreibe, das Unternehmen so zu organisieren, dass zwingende gesetzliche Vorgaben eingehalten würden.79 Das Gericht sieht hierin eine Gesamtverantwortungspflicht des Vorstands.80 Das LG München leitet eine Com­pli­ance-Pflicht des Vorstands also unter anderem aus § 76 Abs. 1 75 Bachmann, ZIP 2014, 579. 76 Die Frage nach einer Übertragbarkeit ist in der Literatur umstritten: Für eine Über­ tragbarkeit auf die GmbH Oppenheim, DStR 2014, 1063; für eine nur eingeschränk­ te Übertragbarkeit Fleischer, NZG 2014, 321, 322; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 145; Paefgen, WM 2016, 433, 437; Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598. 77 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346. 78 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346. 79 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348. 80 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 347; einge­ hend zum Prinzip der Gesamt- und Ressortverantwortung bei mehreren GmbH-Ge­ schäftsführern neuerdings BGH, Urteil v. 06.11.2018 – II ZR 11/17, DB 2019, 300 mit der Anmerkung von Fleischer, DB 2019, 472 ff.; zum Prinzip der Gesamt- und

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AktG her. Dabei wird diese Norm konkret allerdings nur aufgrund ihres langen unveränderten Bestehens genannt. An anderer Stelle wird hinge­ gen § 91 Abs. 2 AktG als möglicher normativer Anknüpfungspunkt für eine Com­ pli­ ance-Pflicht des Vorstands genannt. Die darin genannte Pflicht zur Einrichtung eines „Überwachungssystems“, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, bezweckt nach Ansicht des Gerichts auch eine Prävention von Gesetzesverstößen.81 Das Gericht legt sich damit nicht abschließend fest, ob es die gesetzli­ chen Grundlagen zur Com­pli­ance aus § 91 Abs. 2 AktG oder aus der all­ gemeinen Leitungspflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG ableitet, son­ dern lässt diese Entscheidung bewusst offen.82 b) Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Com­pli­ance-ManagementSystem (CMS) Aus der Entscheidung geht hervor, dass es nicht das eine Com­pli­anceSystem für alle Unternehmen geben kann. Vielmehr variiert der Umfang einer Pflicht zur Organisation und Aufsicht zwecks Vermeidung von Ge­ setzesverstößen je nach Risikopotential der einzelnen Unternehmen.83 Die konkrete Ausgestaltung einer Com­pli­ance-Organisation hängt nach Ansicht des Gerichts von folgenden Umständen ab: • • • •

der Art, Größe und Organisation des Unternehmens, den zu beachtenden Vorschriften, der geografischen Präsenz und den Verdachtsfällen aus der Vergangenheit.84

Auf Basis dieser Eckpunkte bedarf also beispielsweise dasjenige Unter­ nehmen, das in besonders korruptionsanfälligen Ländern tätig ist, eines „ausgefeilte[n] Com­pli­ance-System[s]“, um eine jederzeitige Nachvoll­ ziehbarkeit aller Zahlungsvorgänge zu gewährleisten.85 Zu der Imple­ mentierung eines solchen Systems gehört auch eine klare Zuständig­ keitsverteilung, sodass stets ersichtlich ist, wer auf Vorstandsebene die Hauptverantwortung für die Funktionstauglichkeit des Com­ pli­ anceSystems trägt. Letztlich besteht auch die Pflicht, die Wirksamkeit dieses Systems regelmäßig durch gezielte Kontrollen zu überprüfen, was nicht Ressortverantwortung in der AG siehe Emde, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 295 ff.; Fleischer, NZG 2003, 449 ff. 81 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346. 82 So ausdrücklich LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346. 83 Siehe dazu Fleischer, NZG 2014, 321, 322 f.; Grützner, BB 2014, 850; Meyer, DB, 2014, 1063 f. 84 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 347. 85 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 347.

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A.  Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff

nur den Com­pli­ance-Verantwortlichen, sondern den gesamten Vorstand betrifft.86 Das LG München versucht damit, den schwierigen Spagat zwischen un­ zulässiger Bevormundung von Unternehmen und gleichzeitig notwendi­ ger Kontrolle der Gesetzesbefolgung zu schlagen. Einerseits sieht es sich nicht dazu befugt, verallgemeinernd in die inneren Vorgänge eines Un­ ternehmens einzuwirken und detaillierte Vorgaben hinsichtlich einer generellen „best practice“87 für ein Com­pli­ance-System zu formulieren.88 Andererseits hält das Gericht es im konkreten Fall allerdings für uner­ lässlich, die Geeignetheit und Wirksamkeit einer gesamten Com­pli­anceOrganisation ex post zu beanstanden. In seiner Entscheidung geht das Gericht aufgrund der bestehenden Gefährdungslage dabei so weit, dass es nicht nur hinsichtlich des „ob“, sondern auch des „wie“, sprich in Bezug auf die Ausgestaltung einer Com­pli­ance-Organisation, eine Ermessens­ reduzierung auf Null vornimmt.89 Inwiefern dieser Spagat letztlich ge­ lungen ist, wird in der juristischen Fachliteratur, vor allem unter dem Gesichtspunkt des unternehmerischen Ermessens, äußerst kritisch be­ urteilt.90 4. Schlussfolgerung Zusammenfassend versteht die Rechtsprechung unter Com­pli­ance so­ mit die Pflicht der Geschäftsleitung, sich selbst gesetzestreu zu verhal­ ten und andererseits mittels Organisation und Überwachung dafür Sorge zu tragen, dass auch keine Gesetzesverstöße aus dem Unternehmen her­ aus begangen werden. Aufgrund der Unklarheit des Com­pli­ance-Begriffs ist allerdings noch immer eine starke Unsicherheit und Zurückhaltung der Rechtsprechung im Umgang mit diesem Thema zu beobachten. Ob es sich damit bei Com­pli­ance um einen bloßen Neologismus in Bezug 86 Zur Com­pli­ance-Pflicht als Gesamtverantwortung des Vorstands LG München, Ur­ teil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348. 87 Gegen eine „best practice“ als allgemeingültige Organisationsform von Com­pli­ ance bereits zuvor Goette, ZHR 175 (2011), 388, 399 f.; Bachmann, in: VGR, Gesell­ schaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 80; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161; Klahold/Kremer, ZGR 2010, 113, 121. 88 So auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 282, der in dem Urteil lediglich eine Wiederholung der bekannten Com­pli­ance-Anforderungen aus dem Schrifttum er­ kennt. 89 Ob das Gericht eine solche Ermessensreduzierung auf Null tatsächlich auch hin­ sichtlich des „Wie“ von Com­pli­ance vorgenommen hat, wird in der Literatur un­ terschiedlich gesehen: Dafür Bachmann, ZIP 2014, 579, 580; Oppenheim, DStR 2014, 1063, 1065; dagegen Kort, in: Hirte/Mülbert/Roth, AktG, 2015, § 91 Rn. 122. 90 Vgl. Fleischer, NZG 2014, 321, 324 f.; Grützner, BB 2014, 850, 851 f.; Oppenheim, DStR 2014, 1063, 1065; Paefgen, WM 2016, 433; Bachmann, ZIP 2014, 579, 580; Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598 f.; Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/ Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 1 Rn. 38.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

auf die allgemeinen Organisationspflichten eines Geschäftsleiters han­ delt,91 oder um eine neue Begrifflichkeit für die aktienrechtliche Vor­ standspflicht, das Unternehmen so zu organisieren, dass zwingende ge­ setzliche Vorgaben eingehalten werden,92 oder sogar um ein völlig neuartiges Rechtsphänomen, geht aus den wenigen Quellen der Recht­ sprechung nur unzureichend hervor. In der Mehrheit der richterlichen Entscheidungen wird nach wie vor nicht von Com­pli­ance, sondern von Organisations- und Leitungsaufgaben, dem Legalitätsprinzip und den aus der Delegation resultierenden Überwachungspflichten gesprochen. Die Gerichte scheuen sich bisher, die zu diesen Bereichen ergangene höchst­ richterliche Rechtsprechung unter den Com­pli­ance-Begriff zu subsumie­ ren. Dabei würde ein solches Vorgehen dem vielschichtigen Begriff deut­ lichere Konturen verleihen und damit erheblich zur Rechtssicherheit in der Praxis beitragen. Das LG München wagte mit seiner Neubürger-Ent­ scheidung einen ersten wichtigen, wenn auch noch ausbaufähigen Schritt in diese Richtung.

IV. Begriffsbestimmung durch die Literatur Im Folgenden werden zunächst die traditionellen Ansätze der Literatur zur Begriffsbestimmung zusammen getragen, um anschließend mit Hilfe aktueller Entwicklungen ein einheitliches Com­pli­ance-Verständnis zu konstruieren. Im Vordergrund steht auch hier eine technische Beschrei­ bung des Com­pli­ance-Begriffs unter möglichst kompletter Ausklamme­ rung gesellschaftsrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Überlegungen. Der Terminus soll also für ein besseres Verständnis vorerst in den unter­ nehmerischen Kontext eingebunden werden. Wie bereits erwähnt, war anfangs einzig das Bank- und Kapitalmarktrecht Gegenstand von Compiance-Diskussionen.93 Davon abgesehen erfuhr der Com­pli­ance-Begriff in der juristischen Fachliteratur der 1990er Jah­ ren nur vereinzelt Beachtung.94 Im Jahr 1996 erläuterten Di Fabio und 91 So Spindler, RW 2013, 292, 324 f. 92 So LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348. 93 So forderte beispielsweise § 33 Nr. 3 WpHG 1994 Kontrollverfahren in Banken, die „geeignet sind, Verstößen gegen Verpflichtungen nach diesem Gesetz entgegenzu­ wirken“; diese Organisationspflicht wurde schon früh als Pflicht zur Com­pli­anceOrganisation begriffen, vgl. Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-HdB II, 2017, § 109 Rn. 5 f. 94 Eine Erwähnung findet sich unter anderem bei U. H. Schneider, ZGR 1996, 225; nach Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241, 244 konnte nach zutreffender Ansicht da­ mals allerdings noch nicht von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dieser Thematik gesprochen werden. Sogar der Verfasser selbst hat sich erst sieben Jahre später wieder mit dem Thema Com­pli­ance beschäftigt, U. H. Schneider, ZIP 2003, 645.

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A.  Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff

Schmidt-Preuß auf einer Tagung der Vereinigung der Deutschen Staats­ rechtslehrer in Dresden die im Immissionsschutzrecht bestehenden weitreichenden Ansätze zur Begründung öffentlich-rechtlicher Organisa­ tionspflichten.95 Spindler griff diesen Gedanken auf und verarbeitete ihn in seiner 1996 eingereichten Habilitationsschrift zu der Aussage, dass gerade im Umweltrecht ein Paradigmenwechsel hin zur Zertifizierung von „Com­ pli­ ance-Organisationen“ zu beobachten sei.96 Dies bewegte den Autor zu der Prognose einer Verrechtlichung von Unternehmensor­ ganisationspflichten,97 welche er in einem späteren Beitrag aus dem Jahr 2013, der sich konkret dem Thema Com­pli­ance widmet, bestätigt sah.98 Sucht man dagegen nach dem tatsächlichen „Startschuss“99 zu der ge­ sellschaftsrechtlichen Debatte um eine allgemeine Com­pli­ance-Pflicht, führt kein Weg an den im Jahr 2003 veröffentlichten Beiträgen von Fleischer100 und U. H. Schneider101 vorbei.102 Es folgt eine schier unüberschaubare Flut an Literatur, angefangen bei Handbüchern und Prüfungsstandards über zahlreiche Monografien bis hin zu sogar eigens auf den Komplex Com­pli­ance spezialisierte Zeit­ schriften.103 Es existieren deshalb auch mannigfaltige Versuche, sich dem Begriff zu nähern und ihn in den Kontext unternehmerischer Pflichten einzuordnen.104 Auf Unternehmen bezogene Com­pli­ance wird im Schrifttum generell als „Corporate Com­pli­ance“105 tituliert und darüberhinaus definiert als das 95 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235, 245 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 170, 192 ff.; beide beziehen sich dabei hauptsächlich auf die Verpflichtung zur Ein­ gliederung von sog. Betriebs- und Störfallbeauftragten. 96 Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 3, bezugnehmend auf Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235, 245 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 170 ff., 186 ff. 97 Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 1039 ff. 98 Spindler, RW 2013, 292, 295 f. 99 So Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241, 245. 100 Fleischer, AG 2003, 291. 101 U. H. Schneider, ZIP 2003, 645. 102 Einen guten Überblick über die historische Entwicklung der Anforderungen an eine Com­ pli­ ance-Organisation in Literatur, Rechtsprechung und Praxis liefern Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241 ff. 103 Vgl. die Zeitschriften CCZ (Corporate Com­pli­ance Zeitschrift); ZRFC (Risk, Fraud und Com­ pli­ ance); CB (Com­ pli­ ance Berater); nach Cordes, Die Com­pli­anceOrganisation in der GmbH, 2016, S. 32 ist Com­pli­ance in „aller Munde“. 104 So wurden beispielsweise das neue Berufsbild eines (Chief) Com­pli­ance Officers (CCO) geschaffen, eigenständige Com­pli­ance-Abteilungen in Unternehmen einge­ richtet oder neue Pflichten und Risiken begründet, vgl. hierzu Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385. 105 Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ance, 2016, § 1 Rn. 1 ff.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 51; Klahold/Kremer, ZGR 2010, 113.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

„rechtmäßige Verhalten eines Unternehmens, seiner Organe und Mitar­ beiter im Hinblick auf alle einschlägigen gesetzlichen und unterneh­ menseigenen Ge- und Verbote sowie die Gesamtheit aller organisatori­ schen Maßnahmen zur Sicherstellung dieses Verhaltens.“106 Corporate Com­pli­ance ist damit ein wesentliches Element guter Corporate Gover­ nance,107 was sich am ehesten mit „Unternehmensverfassung“ über­ setzen lässt.108 Der Unterschied zwischen Com­pli­ance und Corporate Governance wird teilweise darin gesehen, dass Corporate Governance aus dem Blickwinkel der „Regulierer“ eines Unternehmens zu verstehen sei, während Com­pli­ance aus der Perspektive der innerhalb eines Unter­ nehmens „Regulierten“ betrachtet werden müsse.109 Im Zentrum der juristischen Diskussion steht seit jeher die Frage nach einer generellen Rechtspflicht zur Etablierung eines Com­pli­ance-Sys­ tems und wie ein solches System auszugestalten wäre. Sucht man hier­ auf eine Antwort aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts, führt die Suche in aller Regel zur sog. Legalitätspflicht von Geschäftsleitern, wel­ che mehrheitlich in eine Legalitätspflicht im engeren Sinne und eine Le­ galitätskontrollpflicht unterteilt wird.110 Die dogmatischen Grundlagen sowie Inhalt und Reichweite einer möglichen Legalitätspflicht, sind we­ sentlicher Gegenstand der Untersuchungen auf den S. 86 ff., sodass auf eine detailliertere Auseinandersetzung mit den Instituten an dieser Stel­ le verzichtet wird. Festzuhalten sei an dieser Stelle lediglich, dass nach allgemeinem Verständnis die Legalitätskontrollpflicht den eigentlichen Kern von Com­pli­ance ausmache: Die bestmögliche Vermeidung von Ge­

106 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 52. 107 So erstmals U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 647; Fleischer, AG 2003, 291, 300. 108 Siehe zu dieser Übersetzung sowie zum Zusammenhang von Corporate Gover­ nance und Com­pli­ance Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 1 Rn. 1 ff.; Seibert, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1111 ff.; Corporate Governance wird dabei definiert als der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unterneh­ mens, vgl. v. Werder, in: Kremer u.a., DCGK, 2021, 2. Teil, Rn. 1. 109 Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ance, 2016, § 1 Rn. 4; dieser Simplifizierung ist aber insoweit zu widersprechen, als dass beide Elemente in einer ständigen Wechselwirkung zueinander stehen und sowohl für Regulierer als auch Regulierte gelten, vgl. Streck, in: Streck/Mack/ Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.11. 110 Diese begriffliche Aufteilung geht, soweit ersichtlich, zurück auf Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f.; zustimmend Paefgen, WM 2016, 433, 436 f.; v.Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119; Bachmann/Kremer, in: Kremer u.a., DCGK, 2021, 3. Teil, G5 Rn. 14 f.; bereits zuvor für eine Verkoppelung einer weit verstandenen Legalitäts­ pflicht mit der Organisationsverantwortung des Vorstands Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 73; siehe auch Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 145, der von einer Legalitätsdurchsetzungspflicht an­ stelle einer Legalitätskontrollpflicht spricht.

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A.  Der allgemeine Com­pli­ance-Begriff

setzesverstöße durch andere Unternehmensangehörige mittels zielge­ richteter Organisation und Überwachung des Unternehmens.111 Daneben stellt Com­pli­ance einen Bestandteil des internen Kontrollsys­ tems (IKS) dar,112 was auch der Gesetzgeber in der Begründung zu § 25a Abs. 1 Nr. 1 KWG a.F. so sieht.113 In den Gesetzen ist an mehreren Stellen von einem internen Kontrollsystem die Rede,114 wobei auf eine nähere Beschreibung, was hierunter zu verstehen ist, verzichtet wird. Das IKS besteht nach Dreher aus dem Risikofrüherkennungs- und Überwa­ chungssystem, sowie der Risiko-, Com­pli­ ance- und Revisionsbericht­ erstattung.115 Nach dem IDW PS 261116 n.F. sind darunter die vom Ma­ nagement im Unternehmen eingeführten Grundsätze, Verfahren und Maßnahmen (Regelungen) zu verstehen, die auf die organisatorische Umsetzung von Entscheidungen des Managements hinsichtlich der Si­ cherung der Wirksamkeit der Wirtschaftlichkeit der Geschäftstätigkeit, Ordnungsgemäßheit und Verlässlichkeit der internen und externen Rechnungsauslegung als auch der Einhaltung der für das Unternehmen maßgeblichen rechtlichen Vorschriften (Com­pli­ance) gerichtet sind.117

V. Resümee Rechtsprechung und Literatur rücken im Zusammenhang mit Com­pli­ ance primär die Organisationsverantwortung der Geschäftsleitung im Kontext der Legalitätspflicht ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Damit korreliert betriebswirtschaftlich das Konzept guter Corporate Governan­ ce und die Einrichtung eines internen Kontrollsystems. Dabei dürfte es der generellen Ansicht entsprechen, unter Com­pli­ance die Gesamtheit aller organisatorischen Maßnahmen zur bestmöglichen Sicherstellung eines rechtskonformen Verhaltens innerhalb eines Unternehmens und im Verhältnis zu Außenstehenden zu verstehen. 111 Vgl. Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 145; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f. 112 Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161, 167 f.; Auerbach/Jost, in: Hopt/Wohlmannstet­ ter, Hdb. Corporate Governance v. Banken, 2011, S. 662; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 62 f. 113 BT-Drucks. 14/8017, S. 124; 16/6518, S. 10, 15; ausführlich hierzu Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161, 170 f. 114 Vgl. §§ 107 Abs. 3 S. 2, 171 Abs. 1 S. 2 AktG und §§ 289 Abs. 5, 315 Abs. 2 Nr. 5 HGB; siehe dazu auch den an späterer Stelle noch ausführlich behandelten BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001, der in Tz. 2.6 von einem „steuerlichen innerbetrieblichen Kontrollsystem“ spricht. 115 Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161, 167 f. 116 Zur Funktion und Wirkung eines solchen vom IDW herausgegeben Prüfungsstan­ dard siehe später noch ausführlich. 117 Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW), WpG Supplement 2/2012, S. 3 ff.; siehe dazu auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 62.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

B. Der Tax Com­pli­ance-Begriff Mittlerweile existieren mehrere empirische Studien, die untersuchen, inwiefern sich Unternehmen verschiedener Größen mit Corporate Com­ pli­ance beschäftigen.118 Diese Studien belegen zwar die generell hohe Be­ deutung von Com­pli­ance Programmen, untergliedern aber zumeist nicht nach der jeweiligen Abdeckung einzelner Branchen. Zu einem anderen Schluss kommt eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländi­ sches und internationales Strafrecht aus dem Jahr 2014, aus der her­ vorgeht, dass lediglich 2 % aller befragten Unternehmen, die ein Com­ pliance ­ Programm etabliert haben, das Thema Steuern abdecken.119 Angesichts der teilweise geäußerten Vermutung, „das Steuerrecht [sei] substantiell Vorreiter der Com­pli­ance-Strukturen“120, verwundert dieser Umstand. Spätestens seit Veröffentlichung des BMF-Anwendungserlas­ ses zu § 153 AO121 stellt das Thema Tax Com­pli­ance in der Rechtswirk­ lichkeit jedoch einen weitaus bedeutenderen Faktor als zuvor dar.122 In der Tat hat die Literatur zu Tax Com­pli­ance sowohl national als auch international in den letzten Jahren stark an Umfang zugenommn. Es ist daher unerlässlich, sich dem Komplex nicht nur auf nationaler (I.), son­ dern auch auf internationaler Ebene (II.) zu nähern. Zur korrekten Ein­ ordnung von Tax Com­pli­ance in dessen unternehmerischen Kontext ist zudem eine Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen unerlässlich (III.). Ab­ schließend darf auch die an dem neuen Phänomen geäußerte Kritik nicht außer Acht gelassen werden (IV.).

I. Nationale Begriffsbestimmung Insbesondere in der zwischen Literatur, Praxis und Verwaltung oszillie­ renden Sichtweise auf das Spezialgebiet der Tax Com­pli­ance wird die schillernde123 Natur des Com­pli­ance-Begriffs deutlich. Je nachdem, ob man den Terminus aus der Perspektive der Unternehmen oder der Fi­ nanzverwaltung betrachtet, ergibt sich ein mitunter äußerst differenzier­ tes Bild.124 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang gar von einem 118 Vgl. Fissenewert, Com­pli­ance für den Mittelstand, 2018, § 2 Rn. 15 ff.; Fissenewert, NZG 2015, 1009 ff., der einige dieser Studien zusammenfasst und Rück­ schlüsse auf den Mittelstand daraus zieht. 119 Sieber/Engelhart, Com­pli­ance Programs, 2014, S. 40 Figure 9; siehe umfassender zu dieser Studie die Einleitung dieser Arbeit. 120 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.5. 121 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001. 122 So auch Gasper, Tax Com­ pli­ ance, 2016, S. 37; Spatscheck, in: Streck/Mack/ Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155. 123 So Streck/Binnewies, DStR 2009, 229. 124 Ausführlicher zu dieser Dichotomie Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, passim.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

„Typus-Begriff“125 gesprochen. Die nachfolgenden Ausführungen dienen daher besonders auch einer Darstellung dieser begrifflichen Dichotomie unter Betrachtung beider Sichtweisen. 1. Tax Com­pli­ance aus der Unternehmensperspektive Tax Com­pli­ance wird aus Unternehmensperspektive als „Unterbegriff“126, „Unterfall“127, „Teilbereich“128 oder „integraler Bestandteil“129 von Cor­ porate Com­pli­ance verstanden. Das soeben erarbeitete Verständnis von Corporate Com­pli­ance zugrunde gelegt, ist unter Tax Com­pli­ance damit sowohl die Befolgung aller steuerlichen Regeln und Pflichten zu verste­ hen, als auch die Etablierung eines Systems, welches diese spezifische Normenkonformität bestmöglich gewährleistet.130 Teilweise wird der Terminus Tax Com­pli­ance auf die steuerliche Regel- und Pflichtentreue reduziert, wohingegen die strukturellen Anforderungen als Mittel zur Er­ reichung dieses Ziels unter den Spezialbegriff Tax Com­pli­ance Manage­ ment-System (Tax CMS) gefasst werden.131 Richtigerweise stellt Tax Com­pli­ance aber einen Oberbegriff dar, welcher die unter Umständen notwendige Einrichtung eines Tax CMS umfasst.132 Eine auf den ersten Blick über diesen Ansatz hinausgehende Annäherung an die Terminologie wählt Risse, der zusätzlich zur steuerlichen Geset­ zeskonformität eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise wählt und die Kostensenkung eines Unternehmens samt Ausnutzung steuerli­ cher Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Legalität in das Begriffs­ verständnis integriert.133 Die Gesichtspunkte der Kostensenkung und 125 Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 9; Risse, DB 2017, 2061, 2064 f.; ähnlich Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 45; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 18 ff.; a.A. Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.14 f., der die Erwartungen der Finanzverwaltung in Tax Com­pli­ance als konträr zur eigentli­ chen Bedeutung dieser Terminologie interpretiert und der Finanzverwaltung da­ mit die Schaffung eines Begriffs mit eigenständigem Inhalt vorwirft, der neben den Begriff Com­pli­ance tritt; so auch Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 4; Nagel/Waza, DStZ 2008, 321, 323. 126 Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 404; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.4.; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 417. 127 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 46. 128 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 55; Kromer/Pumpler/Henschel, BB 2013, 791; i.E. ähnlich Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 4. 129 Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ ance, 2016, § 33 Rn. 3; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155. 130 Vgl. Schützler, Tax Com­ pli­ ance, 2015, S. 55; Gasper, Tax Com­ pli­ ance, 2016, S. 46 f. 131 Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ ance, 2016, § 33 Rn. 6. 132 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 55, 58 f.; Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 4. 133 Vgl. Risse, DB 2017, 2061, 2062 f.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Wahrnehmung von Gestaltungsmöglichkeiten werden auch von anderen Autoren gesehen, jedoch eher bei den Unternehmenszielen von Tax Com­pli­ance verortet bzw. als bloße Reflexwirkung verstanden. Im Sinne dieses Verständnisses finden die eben erwähnten Aspekte auch in dieser Arbeit an späterer Stelle unter der Rubrik „Tax Com­pli­ance-Ziele“ Be­ achtung. Außerdem werden sie im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem verwandten Problem der Vereinbarkeit von Steuerplanung und Steuerstreit mit Tax Com­pli­ance berücksichtigt. Die Darstellung von Tax Com­pli­ance aus der Unternehmensperspektive erfolgt anhand einer Erklärung, was unter Normenkonformität im Steu­ errecht zu verstehen ist (a.), der Illustration eines möglichen Tax Com­ pliance Management-Systems nach dem Vorschlag des IDW (b.), sowie einer Beschreibung der Ziele von Tax Com­pli­ance aus Unternehmens­ sicht (c.). a) Normenkonformität im Steuerbereich Der Bereich der Regel- und Pflichtentreue im Steuerrecht rekurriert auf alle im Sinne des § 3 AO unternehmensrelevanten Steuern, Abgaben und steuerlichen Nebenleistungen, inklusive der Zölle (§ 3 Abs. 3 AO).134 Die folgenden Ausführungen beschränken sich jedoch auf die Steuern im Sin­ ne des § 3 Abs. 1 AO und lassen die Zölle außen vor. In erster Linie sind damit alle steuerlichen Gesetze gemeint, wobei der Gesetzesbegriff in § 4 AO eigens legaldefiniert wurde („Gesetz ist jede Rechtsnorm“).135 Aus der Formulierung „Rechtsnorm“ geht hervor, dass neben den for­ mellen Gesetzen auch alle materiellen Beachtung finden, wie beispiels­ weise Rechtsverordnungen der Exekutive.136 Ebenfalls miteinbezogen werden müssen internationale und supranationale Abkommen, Verord­ nungen und Normen.137 Keine unmittelbare Wirkung entfalten hingegen die Verwaltungsvorschriften der Finanzverwaltung, die bloßes Verwal­

134 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 55; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 45; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.4; Besch/ Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 3; Kromer/Pumpler/Henschel, BB 2013, 791, 792; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229; anders Petrak/J. Schneider, BC 2008, 11, die Zölle nicht explizit nennen. 135 Was unter Steuern zu verstehen ist, hat das BVerfG in seiner langjährigen Spruch­ praxis ausreichend klargestellt, vgl. BVerfG, Gutachten v. 16.06.1954 – 1 PBvV 2/52, BVerfGE 3, 407, 435; BVerfG, Urteil v. 06.11.1984 – 2 BvL 19/83, BVerfGE 67, 256, 282. 136 Siehe umfassend zu den Steuergesetzen Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechts­ problem, 2002, S. 17 ff.; Koenig, in: Koenig, AO, 2014, § 4 Rn. 9 ff. 137 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 46 f.; Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 2021, Kap. 5 Rn. 5.1.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

tungsinnenrecht sind.138 Ebenso wie die nur inter partes139 bindenden Ur­ teile des BFH (vgl. § 110 FGO) stellen Verwaltungsvorschriften aber eine wichtige Orientierungshilfe dar und können dadurch zumindest mittel­ bar von Bedeutung für Tax Com­pli­ance sein.140 Neben der Einhaltung von Rechtsnormen kann eine an Tax Com­pli­ance ausgerichtete Unter­ nehmensstruktur auch die Befolgung unternehmensinterner Verhaltens­ standards, Richtlinien oder Wertentscheidungen beinhalten, vor allem solcher, die Vorgaben für den Umgang mit Steuerbehörden normieren.141 b) Abgrenzung zu anderen Instituten und Prozessen Tax Com­pli­ance ist vor allem vom Prozess des Tax Risk Managements als Teil des Risikomanagementsystems abzugrenzen.142 Darunter wird der strategische und planvolle Umgang mit steuerlichen Unsicherheiten im Unternehmen verstanden, um Risiken mit dem Ziel der Risikoopti­ mierung identifizieren, bewerten und steuern zu können.143 Die beiden Begriffe lassen sich im Kern dadurch voneinander abgrenzen, dass Tax Com­ pli­ ance primär der Einhaltung steuerrechtlicher Normen dient, während es beim Tax Risk Management um das neutrale Ziel der Risiko­ optimierung bzw. -minimierung geht, unabhängig von der steuerrechtli­ chen Normenkonformität.144 So kann es beispielsweise durchaus im Sin­ ne eines optimalen Tax Risk Managements sein, eine gesetz- und gleichmäßige Steuerfestsetzung und -erhebung nach § 85 AO zu verhin­ dern, sowie Steuerhinterziehung und Steuermissbrauch zu verdecken.145 Mit Tax Com­pli­ance wäre ein solches Vorgehen dagegen unvereinbar. Allerdings ergeben sich auch Überschneidungen hinsichtlich des Ziels der Minimierung von Rechtsverstößen bzw. des kontrollierten Umgangs 138 Koenig, in: Koenig, AO, 2014, § 4 Rn. 51; eingehend hierzu Englisch, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 2021, Kap. 5 Rn. 5.28 ff. 139 Siehe ausführlich zu dieser Wirkungsweise von BFH-Entscheidungen Weller, Die Bedeutung der Präjudizien, 1979, passim; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 45 ff. 140 Auf die Wirkungsweise von Verwaltungsvorschriften wird anhand des BMF-An­ wendungserlasses zu § 153 AO noch ausführlicher eingegangen, siehe hierzu S. 329 ff. 141 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 57 f.; Kälin/Strohe, ZRFC 2011, 102, 103 f. 142 Siehe ausführlich zum Tax Risk Management Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 173 ff.; Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 67 ff.; Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 87 ff; Loose, Tax Management, 2009, S. 205 ff.; Röthlisberger/Zitter, Der Schweizer Treuhänder 2005, 295 ff. 143 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 59 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 57; Loose, Tax Management, 2009, S. 205. 144 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 58; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 59 f.; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.7. 145 Vgl. zu diesem Beispiel Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.7; zurückhaltender Röthlisberger/Zitter, Der Schweizer Treuhänder 2005, 295, 300.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

mit rechtlichen Risiken im Steuerbereich.146 Tax Com­pli­ance und Tax Risk Management sind im Ergebnis zwei nebeneinander stehende Pro­ zesse, die zwar in bedingter Wechselwirkung zueinander stehen, im Grundsatz jedoch unterschiedliche Zielrichtungen haben. Weiterhin ist Tax Com­pli­ance vom sog. Tax Accounting abzugrenzen, worunter ledig­ lich die zwingend vorzunehmenden Finanzberichterstattungen eines Unternehmens durch die Steuerabteilung zu verstehen sind.147 c) Tax Com­pli­ance Management-System (Tax CMS) Als zweite und wesentliche Komponente von Tax Com­pli­ance ist die organisatorische Sicherstellung der Einhaltung steuerrelevanter Regeln zu nennen. Damit geht Tax Com­pli­ance nun über die bloße Befolgung steuerrechtlicher Vorschriften hinaus und beinhaltet zusätzlich ein akti­ ves Tätigwerden seitens des Unternehmens zur Absicherung der Nor­ menkonformität.148 Aufgrund der Komplexität des Steuerrechts wird die Etablierung eines sog. Tax CMS für Großunternehmen empfohlen149 und aus Verantwortungsgesichtspunkten teilweise sogar gefordert.150 Bei klei­ neren und mittleren Unternehmen hingegen wird von einer Pflicht zur Einrichtung eines entsprechenden (Tax) Com­ pli­ ance-Systems abgese­ hen.151 Nach Aussage des BMF ist in einem Tax CMS ein betriebswirt­ schaftlicher Prozess zu sehen, dessen konkrete Ausgestaltung nicht durch die Finanzverwaltung vorgeschrieben werden dürfe, sondern den Wirtschaftsprüfern sowie Steuer- und Unternehmensberatern, allen vor­ an dem IDW, vorbehalten bleiben müsse.152 Richtigerweise wird im Steu­ errecht, ebenso wie in anderen Rechtsgebieten, die inhaltliche Ausge­ staltung eines CMS als ausschließlicher Teil des Geschäftsleiterermessens begriffen, was den Entwurf eines mustergültigen CMS nahezu redundant 146 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 57 f.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 60; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 406. 147 Vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 61 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 83 ff.; Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 15 ff. 148 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 58; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 416. 149 Für eine solche Empfehlung vgl. Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 88, die unter § 33 Rn. 8 ein zumindest rudi­ mentäres Tax CMS sogar fordern; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161; Esterer, DB 2016, Nr. 21 M 5; für den Mittelstand Creed, StB 2016, Heft 6, Die erste Seite; Creed/Link, BB 2016, 983, 987; vgl. auch MD Michael Sell auf einem ifst-Kollo­ quium vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, Nayin, ifst-Schrift 513 (2016), S. 30. 150 Zur Forderung eines Tax CMS siehe Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 90, 112; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 213 f.; Werder/Rudolf, BB 2016, 1433, 1442; Kromer/Pumpler/Henschel, BB 2013, 791, 794. 151 Vgl. U. H. Schneider/S. V. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 18. 152 So MD Michael Sell, auf einem ifst-Kolloquium vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, vgl. hierzu Nayin, ifst-Schrift 513 (2016), S. 29 f.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

erscheinen lässt.153 Die vereinzelt existierenden Richtlinien oder Stan­ dards zur Ordnungsgemäßheit eines Tax CMS stellen somit auch eher Mindestanforderungen bzw. Handlungsempfehlungen dar. Als eine Orientierungshilfe dieser Art sind insbesondere die Anhalts­ punkte des IDW Prüfungsstandards 980154 zu nennen, der an die Konzep­ tion von COSO155 angelehnt ist. Zudem wurde am 17.06.2016 vom Steu­ erfachausschuss des IDW der Entwurf eines IDW Praxishinweises zur Ausgestaltung und Prüfung speziell eines Tax Com­pli­ance Management Systems gemäß dem IDW PS 980 erlassen.156 Im Folgenden werden die wesentlichen Aussagen des IDW PS 980 und des IDW Praxishinweises 1/2016, sowie der Ursprung und die rechtliche Bedeutung der beiden Standards untersucht. (1) Ursprung und rechtliche Bedeutung von IDW-Standards Neben zahlreichen Aufsätzen zu den unterschiedlichen Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. liefert vor allem die Arbeit von Schülke157 einen wesentlichen Beitrag zur Frage der Geltung und Wirkung der­ artiger Standards. Die verschiedenen Standards des IDW legen die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer nach den konkreten gesetzlichen Anforderungen dar und formulieren allgemeine Ziele, Grundsätze und 153 Einhellige Ansicht, vgl. U. H. Schneider/S. V. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 23 f.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 100 f.; Gasper, Tax Com­ pli­ance, 2016, S. 503, 523; Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 291; Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, An­ hang 3.1.; Ehnert, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.292; Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 80; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161. 154 Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW), IDW Life 2011, 203 ff.; zur Rezeption dieses Prüfungsstandards in der Literatur und Praxis vgl. OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016, S. 15 ff.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 102 ff.; Besch/ Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 8; Creed, StB 2016, Heft 6, Die erste Seite; Böttcher, NZG 2011, 1054, 1056; kritisch dazu Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 286, 291; Esterer, DB 2016, Nr. 21, M 5; siehe auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 503, der in den Kriterien eine „In­ spirationsquelle zur Präzisierung der Mindestanforderungen“, aber keine „best practice“ sieht. 155 Das Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) ist eine privatwirtschaftliche US-amerikanische Organisation, die zur Verbesserung der Finanzberichterstattungen gegründet wurde. Daraus gingen die international bekannten Risikomanagementmodelle „COSO“ und „COSO II“ hervor, vgl. www.coso.org, zuletzt aufgerufen am 27.02.2019. 156 IDW Praxishinweis 1/2016, IDW Life 2017, 837 ff. als Reaktion auf den BMF-An­ wendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001; die beiden Ausdrücke „innerbetriebliches Kontrollsystem“ und „Tax CMS“ werden dabei gleichbedeutend interpretiert, siehe IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 3, IDW Life 2017, 837. 157 Schülke, IDW-Standards, 2014.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Verhaltensvorgaben.158 Dabei stellen derartige Prüfungsstandards keine Rechtsnormen dar, sondern Beschlüsse des Hauptfachausschusses, der kraft IDW-Satzung von den Mitgliedern des IDW diesbezüglich ermäch­ tigt wurde.159 Es handelt sich damit um privat gesetzte Regelungen, ­denen zwar eine Konkretisierungsaufgabe zukommt, jedoch keine recht­ liche Bindungswirkung.160 Schülke spricht insofern von einem „funktio­ nale[n] Äquivalent für gerichtliche Präjudizien“161. (2) Wesentliche Aussagen des IDW PS 980 und des IDW Praxis­ hinweises 1/2016 Der am 11.03.2011 vom Hauptfachausschuss des IDW erlassene IDW Prüfungsstandard „Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Com­pli­ ance Management Systemen (IDW PS 980)“ folgte einem Ruf aus der Praxis, für die in Unternehmen etablierten Com­pli­ance-Systeme eine Zertifizierung durch Wirtschaftsprüfer und nach festen Kriterien zu er­ möglichen.162 Eine Rechtspflicht zur Etablierung von bestimmten Com­ pli­ance-Systemen löst selbst der IDW PS 980 nicht aus, der ausdrücklich die tatsächliche Einrichtung eines CMS im Ermessen der Unterneh­ mensleitung belässt.163 Teilweise wird allerdings aufgrund einer solchen Zertifizierung eine enthaftende Wirkung von den Gerichten erwartet.164 Richtigerweise sind die Gerichte mangels Rechtsnormqualität hingegen keineswegs an den IDW PS 980 gebunden. Ob ein CMS enthaftend bzw. exkulpierend wirken kann, hängt einzig von dessen Effektivität ab, wel­ che die Gerichte mit Hilfe des IDW PS 980 prüfen können, aber eben nicht müssen.165 Richtig ist aber auch, dass ein solches Zertifikat prozes­ sual durchaus hilfreich sein kann, wenn es im Rahmen der Beweisfüh­ rung darum geht, darzulegen, dass zum Zeitpunkt eines Com­pli­anceVerstoßes ein ordnungsgemäßes CMS bereits etabliert war und somit alles im Bereich des Möglichen getan wurde, um den entsprechenden 158 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 37 f. 159 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 49. 160 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 230 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 495; v. Busekist/Hein, CCZ 2012, 41. Treffend auch Böttcher, NZG 2011, 1054, 1055, der hierin Meinungsäußerungen erkennt, die einer in der Literatur geäußerten An­ sicht gleichkommen. 161 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 233. 162 IDW PS 980 Rn. 1, IDW Life 2011, 203, 204; siehe dazu Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 496 m.w.N. 163 IDW PS 980 Rn. 23, IDW Life 2011, 203, 206; siehe zu diesem Punkt Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 291; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 495; v.Busekist/ Hein, CCZ 2012, 41; Böttcher, NZG 2011, 1054, 1055 f. 164 Gelhausen/Wermelt, CCZ 2010, 208, 210. 165 Moosmayer, in: Moosmayer, Com­pli­ance, 2021, § 5 Rn. 299 f.; v.Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 42; Rieder/Jerg, CCZ 2010, 201, 204; ebenso Böttcher, NZG 2011, 1054, 1056 ff., der dem IDW PS 980 eine starke Beeinflussungswirkung für die Ge­ setzesauslegung zuspricht, eine enthaftende Wirkung aber ablehnt.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

Verstoß zu verhindern.166 Das Com­pli­ance-Verständnis des IDW PS 980 entspricht dem bereits erwähnten der Ziff. A1, Grds. 5. des DCGK. Unter einem CMS sind demnach „die auf der Grundlage der von den gesetzli­ chen Vertretern festgelegten Ziele […] eingeführten Grundsätze und Maßnahmen eines Unternehmens zu verstehen, die auf die Sicherstel­ lung eines regelkonformen Verhaltens der gesetzlichen Vertreter und der Mitarbeiter des Unternehmens sowie gegebenenfalls von Dritten abzie­ len, d.h. auf die Einhaltung bestimmter Regeln und damit auf die Verhin­ derung von wesentlichen Verstößen (Regelverstöße)“.167 Dabei fällt auf, dass das CMS lediglich die Verhinderung wesentlicher Rechtsverstöße bezwecken soll. Dies entspricht indes dem allgemeinen Verständnis, ver­ gleichsweise unbedeutende Vorfälle, wie beispielsweise Parkverstöße, aus dem Kontrollsystem heraus zu nehmen.168 Schon im IDW PS 980 werden das Außensteuerrecht sowie das Zollrecht als beispielhafte Teilbereiche einer eigenständigen CMS-Prüfung ge­ nannt.169 Der vom Steuerfachausschuss verabschiedete IDW Praxishin­ weis 1/2016 konkretisiert diesen Ansatz und wendet die Grundsätze des IDW PS 980 auf den Spezialfall eines Tax Com­pli­ance Management-Sys­ tems (Tax CMS) an.170 Sowohl der IDW PS 980 als auch der Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016 richten sich an Wirtschaftsprüfer und sol­ len deren Berufsauffassung für eine von Unternehmen beantragte (Tax) CMS-Prüfung wiedergeben.171 Dabei wird innerhalb des IDW PS 980 zwi­ schen den drei Prüfungsmöglichkeiten der „Konzeptionsprüfung“, „An­ gemessenheitsprüfung“ und „Wirksamkeitsprüfung“ differenziert.172 Die drei verschiedenen Varianten stellen „Systemprüfungen“173 mit anstei­ gender Prüfungsintensität hinsichtlich Geeignetheit und Wirksamkeit eines CMS dar.174 Der spätere IDW Praxishinweis 1/2016 zählt als mögli­ che Prüfungsvarianten zur Feststellung der Geeignetheit und Wirksam­ keit eines Tax CMS nur noch die Angemessenheitsprüfung und die Wirk­ 166 Dies betont auch der IDW PS 980 selbst, wonach eine Prüfung nach diesem Stan­ dard nützlich sein könne, um zu beweisen, dass der gesetzliche Vertreter eines Unternehmens seiner Leitungspflicht zur präventiven Sicherstellung der Geset­ zeskonformität ermessensfehlerfrei nachgekommen ist, vgl. IDW PS 980 Rn. 1, IDW Life 2011, 203, 204; vgl. dazu weiter Withus/Hein, CCZ 2011, 125, 128 ff; Böttcher, NZG 2011, 1054, 1056 ff. 167 IDW PS 980 Rn. 6, IDW Life 2011, 203, 204 f. 168 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 285 f.; Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 77 m.w.N. 169 IDW PS 980 Rn. A3, IDW Life 2011, 203, 213. 170 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 2, 4, IDW Life 2017, 837. 171 IDW PS 980 Rn. 1, IDW Life 2011, 203, 204. 172 IDW PS 980 Rn. 12 ff., IDW Life 2011, 203, 205 f.; vgl. Wolf, DStR 2011, 997, 999. 173 Nach IDW PS 980 Rn. 18, IDW Life 2011, 203, 206 geht es nicht um das Erkennen einzelner Regelverstöße, sondern das Verhindern systematischen Fehlverhaltens. 174 Vgl. ausführlicher zum Prüfungsumfang und -ablauf der einzelnen Varianten Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 497 f.; Wolf, DStR 2011, 997, 999 ff.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

samkeitsprüfung auf.175 Ein Tax CMS ist demnach angemessen, „wenn es geeignet ist, mit hinreichender Sicherheit sowohl Risiken für wesentli­ che Regelverstöße rechtzeitig zu erkennen als auch solche Regelverstöße zu verhindern.“176 Es ist wirksam, „wenn die Grundsätze und Maßnah­ men in den laufen Geschäftsprozessen von den hiervon Betroffenen nach Maßgabe ihrer Verantwortung zur Kenntnis genommen und beachtet werden.177 Ein Tax CMS ist also ein abgegrenzter Teilbereich eines CMS mit dem Zweck der vollständigen und zeitgerechten Erfüllung steuerlicher Pflich­ ten. Dabei wird explizit betont, dass es sich lediglich um eine Orientie­ rungshilfe handelt und nicht die Definition von Mindeststandards.178 Der IDW PS 980 nennt sieben miteinander in Wechselwirkung stehende Grundelemente eines CMS,179 welche mit gewissen Modifikationen auch die Grundpfeiler eines Tax CMS nach dem IDW Praxishinweis 1/2016 bilden.180 (a) Tax Com­pli­ance-Kultur181 Die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen des Managements und der Aufsichtsorgane („Tone from the Top“182) stellen die Basis eines ord­ nungsgemäßen Tax CMS dar. Sollte bereits auf Ebene der Unterneh­ mensführung dieser Vorbildfunktion nicht nachgekommen werden, kann dies nur schwerlich von untergeordneten Mitarbeitern erwartet werden.183 Entscheidend ist das Prinzip des „Tone from the Top“ auch in nachgeordneten Hierarchieebenen, insbesondere in der Leitung der Steu­ erabteilung. Um Missverständnissen vorzubeugen ist es notwendig, klar die Grenzen rechtmäßigen Steuerverhaltens aufzuzeigen und Verstöße hiergegen entschieden zu sanktionieren.184

175 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 12 f., 62, IDW Life 2017, 837, 838. 176 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 15, IDW Life 2017, 837, 838. 177 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 16, IDW Life 2017, 837, 838. 178 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 25, IDW Life 2017, 837, 839. 179 IDW PS 980 Rn. 23, IDW Life 2011, 203, 206 f. 180 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 22, IDW Life 2017, 837, 839; vgl. umfassend zu den einzelnen Kriterien eines Tax CMS Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lös­ ler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 87 ff. 181 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 26 ff., IDW Life 2017, 837, 839 f.; IDW PS 980 Rn. A14, IDW Life 2011, 203, 215. 182 Wolf, DStR 2011, 997, 998. 183 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 103; vgl. für ein Com­pli­ance-Commitment der Unternehmensleitung Klahold/Kremer, ZGR 2010, 113, 123. 184 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 104; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 499.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

(b) Tax Com­pli­ance-Ziele und -Risiken185 Die Com­pli­ance-Ziele stellen nach dem IDW PS 980 die Grundlage für die Beurteilung der Com­pli­ance-Risiken dar und werden von der Unter­ nehmensleitung auf den allgemeinen Unternehmenszielen aufbauend formuliert. Die Com­pli­ance-Risiken werden dabei unter Berücksichti­ gung der Com­pli­ance-Ziele mittels eines Verfahrens zur systematischen Risikoerkennung und -berichterstattung festgestellt. Gerade diese Risi­ koidentifikation und -bewertung stellt die Grundlage eines individuell auf das jeweilige Unternehmen angepassten CMS dar.186 Im Gegensatz dazu spricht sich Schülke zutreffend dafür aus, dass die Com­pli­anceZiele besser auf der Grundlage der Com­pli­ance-Risiken festzusetzen sei­ en.187 Auf die Tax Com­pli­ance-Ziele und -Risiken wird auf den S. 34 ff. noch ausführlicher eingegangen werden. (c) Tax Com­pli­ance-Programm188 Auf der Grundlage der festgestellten Com­ pli­ ance-Risiken sollen nun wiederum Grundsätze und Maßnahmen eingeführt werden, deren Ziel die Risikobegrenzung und die Vermeidung von Com­pli­ance-Verstößen ist. Auch Maßnahmen infolge eines Com­pli­ance-Verstoßes müssen Teil des Programms sein. Zusätzlich sind sämtliche Schritte zu dokumentie­ ren.189 Im Zusammenhang mit Tax Com­pli­ance-Programmen wird auch von einer Präventions-, Optimierungs-, Reaktions- und Marketingfunk­ tion gesprochen. Die Präventionsfunktion dient dabei dem Erkennen und Vermeiden oder auch Minimieren von Risiken, wobei dieser Vorgang in einer ständigen Wechselwirkung mit der Optimierungsfunktion steht. Die Reaktionsfunktion besagt, dass infolge eines Com­pli­ance-Verstoßes Maßnahmen zur Aufdeckung dieser Verstöße ergriffen werden. Letztlich dient die Marketingfunktion der öffentlichen Werbung mit einem funk­ tionierenden Com­pli­ance-Programm, wodurch der Unternehmenswert gesteigert werden kann.190

185 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 31 ff., 41 f., IDW Life 2017, 837, 840 f.; IDW PS 980 Rn. A15 f., IDW Life 2011, 203, 215. 186 Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155; v.Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 48. 187 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 287. 188 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 43 ff., IDW Life 2017, 837, 841; IDW PS 980 Rn. A17, IDW Life 2011, 203, 216. 189 Vgl. zur beispielhaften Ausgestaltung eines solchen Programms im Steuerbereich Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 107 f. 190 Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ ance, 2016, § 33 Rn. 19 ff.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

(d) Tax Com­pli­ance-Organisation191 Es ist Aufgabe der Unternehmensleitung, ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um einen ordnungsgemäßen Aufbau und Ablauf des CMS zu gewährleisten. Dazu gehört eine klare Rollen- und Verant­ wortlichkeitszuweisung. Gerade der Bereich der Verantwortlichkeit für ein ordnungsgemäßes CMS führt bei Großunternehmen häufig zu Unge­ reimtheiten.192 Wie bereits dargelegt, stellt diese Organisationspflicht eine Gesamtverantwortungspflicht des Vorstands dar. Zwar ist es mög­ lich, im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung die Com­pli­ance-Verant­ wortlichkeit einem einzelnen Vorstandsmitglied aufzuerlegen, dies ent­ bindet aber die übrigen Vorstandsmitglieder nicht von ihrer Pflicht, dieses System regelmäßig auf seine Ordnungsgemäßheit hin zu überprü­ fen.193 Der IDW Praxishinweis 1/2016 empfiehlt eine Darstellung der Tax Com­pli­ance-Organisation in einer Steuerrichtlinie oder einem Organisa­ tionshandbuch.194 (e) Tax Com­pli­ance-Kommunikation195 Eine ordnungsgemäße Erfüllung der Com­pli­ance-Aufgaben ist nur mit­ tels regelmäßiger Berichterstattung an die Unternehmensleitung bzw. die Steuerabteilung über sämtliche relevante Umstände möglich. Diese Berichterstattung hat durch einen Informationsfluss von unten nach oben (up-stream) sowie quer durch das Unternehmen (cross-stream) zu erfolgen. Aber auch die Kommunikation von oben nach unten (down-stre­ am), also an die nachgeordneten Mitarbeiter, muss gewährleistet sein, um alle relevanten Stellen über entsprechende Verantwortlichkeiten und Handlungsvorgaben zu informieren.196 Zu diesem Block gehört auch der umstrittene Bereich des Whistleblowings, einhergehend mit der Frage, inwiefern dem Informationsfluss gewisse Grenzen zu setzen sind.197 Ob ein solches anonymes Hinweisgebersystem sachdienlich ist, muss be­

191 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 35 ff., IDW Life 2017, 837, 840; IDW PS 980 Rn. A18, IDW Life 2011, 203, 216. 192 Vgl. dazu das Neubürger-Urteil, LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345. 193 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348; so auch Klahold/Lochen, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 37 Rn. 18. 194 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 40, IDW Life 2017, 837, 840. 195 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 48 ff., IDW Life 2017, 837, 841 f.; IDW PS 980 Rn. A19, IDW Life 2011, 203, 216 f. 196 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 108. 197 Vgl. Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 288; teilweise wird das Whistleblowing aber auch dem Sektor des Com­pli­ance-Programms zugeordnet, vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 107 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 500.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

zweifelt werden, da es auch Misstrauen innerhalb der Mitarbeiterschicht bewirken und folglich zu einer schlechteren Arbeitsmoral führen kann.198 (f) Tax Com­pli­ance-Überwachung und -Verbesserung199 Auf Grundlage ausreichender Dokumentation hat ausweislich des Wort­ lauts der Standard in regelmäßigen Abständen eine Überwachung der Angemessenheit und Wirksamkeit des CMS zu erfolgen. Festgestellte Schwachstellen und respektive Regelverstöße sind an die jeweiligen Ver­ antwortlichen weiterzugeben. Es ist dabei Aufgabe der Unternehmens­ leitung, das CMS durchzusetzen, Mängel zu beseitigen und das System regelmäßig zu verbessern. Die Überwachungsmaßnahmen haben durch eine prozessunabhängige Stelle zu erfolgen, die auch die prozessintegrier­ ten Kontrollen überprüfen sollte. (3) Rückschlüsse auf eine „best practice“ für Unternehmen? Die Kriterien des IDW Praxishinweises 1/2016 für ein ordnungsgemäßes Tax CMS entsprechen größtenteils denen des IDW PS 980 für ein geeig­ netes und wirksames CMS, und weisen an sich keine nennenswerten Innovationen auf. Gasper äußerte sich bereits kritisch zur Tauglichkeit der Kriterien des IDW PS 980 als „best practice“ für Tax Com­pli­ance. Ihm zufolge seien die Kriterien eher Anhaltspunkte für Wirtschaftsprüfer und somit lediglich eine Inspirationsquelle zur Präzisierung der Min­ destanforderungen eines Tax CMS für Unternehmen, während die Frage nach dem ‚Wann‘ und ‚Wie‘ der Anwendung offen bleibt.200 Ähnliches müsse laut Gasper auch für den IDW Praxishinweis 1/2016 gelten. Zwar mögen einzelne darin genannte Maßnahmen eine wertvolle Orientie­ rungshilfe bieten und eine Bereicherung für ein bereits bestehendes oder noch zu etablierendes Tax CMS sein.201 Inwiefern die jeweilige Geschäfts­ leitung die genannten Maßnahmen aber in ihr Unternehmensmanage­ ment integriert, müsse individuell entschieden werden. Im Gegensatz zum IDW PS 980 hebt der IDW Praxishinweis 1/2016 diese individuellen Besonderheiten deutlicher hervor und zählt mehrere Kriterien auf, von denen die konkrete Ausgestaltung eines Tax CMS abhängt. Zu diesen Kriterien zählen beispielsweise die Größe eines Unternehmens, dessen Rechtsform oder auch die Branche, in welcher es tätig ist.202 Der Praxis­ hinweis maßt sich demnach nicht die Formulierung eines Musterent­ 198 Vgl. hierzu ausführlich Simonet, Die Implementierung interner Whistleblowing­ systeme, 2012, passim.; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013 ff. 199 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 52 ff., IDW Life 2017, 837, 842; IDW PS 980 Rn. A20, IDW Life 2011, 203, 217. 200 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 503. 201 So Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 8. 202 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 24, IDW Life 2017, 837, 839.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

wurfs eines Tax CMS für alle Unternehmen an, sondern bezeichnet sich selbst lediglich als Orientierungshilfe.203 Zusammenfassend ist eine „allgemeingültige Organisationsform von Com­pli­ance im Sinne einer ‚best practice‘ [ist] nicht anzuerkennen.“204 Der Umfang der notwendigen Maßnahmen und Vorkehrungen unter­ steht dem unternehmerischen Ermessen der jeweiligen Geschäftsleitung und muss für jedes Unternehmen spezifisch festgelegt werden.205 d) Tax Com­pli­ance-Ziele und -Risiken Wie bereits festgestellt wurde, ist es vorzugswürdig, die Com­pli­anceZiele auf Grundlage der Com­pli­ance-Risiken festzulegen und nicht um­ gekehrt.206 (1) Steuerliche Risiken und Tax Risk Management Steuerliche Risiken sind betriebswirtschaftlich gesehen eine Untergruppe der operationalen Risiken eines Unternehmens, die aus einer rechtlichen Betrachtung heraus beurteilt werden.207 Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um Unsicherheiten, die negative steuerliche Auswirkungen für das Unternehmen haben bzw. unvorhergesehen auf die Unterneh­ mensziele einwirken können.208 Konzentriert man sich auf die rechtli­ chen Risiken, sind damit insbesondere die unterschiedlichen Haftungsri­ siken gemeint, die unter bestimmten Umständen auch zu Sanktionsrisiken aufgrund von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten avancieren können. In diesem Zusammenhang ist vor allem an § 30 OWiG zu denken, der die Verhängung von Bußgeldern auch gegen Unternehmen selbst ermöglicht und damit, anders als das Strafrecht (siehe dazu § 14 StGB), die Unterneh­ men zu selbstständigen Sanktionsadressaten macht.209 Die steuerlichen Risiken können allerdings nicht auf die bestehenden Straf- und Bußgeldandrohungen der Steuergesetze sowie die damit zu­ 203 IDW Praxishinweis 1/2016 Rn. 25, IDW Life 2017, 837, 839. 204 Goette, ZHR 175 (2011), 388, 400. 205 Einhellige Ansicht, vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 100 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 503, 523; Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 291; Hauschka/ Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­ pli­ ance, 2016, Anhang 3.1.; Ehnert, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.292; Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 80; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161; Klahold/Kremer, ZGR 2010, 113, 121; Paefgen, WM 2016, 433, 436. 206 Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 287. 207 Vgl. hierzu Risse, Steuercontrolling, 2015, S. 99 ff. 208 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 57; ausführlich hierzu Röthlisberger/Zitter, Der Schweizer Treuhänder 2005, 295, 296 f.; Risse, Ubg 2012, 169, 170 f. 209 Auf § 30 OWiG, insbesondere im Zusammenspiel mit den §§ 9, 130 OWiG, wird an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

sammenhängenden Reputationsschäden reduziert werden. Dem Verhän­ gen einer steuerrechtlichen Sanktion folgen in aller Regel nämlich wei­ tere, teilweise auf den ersten Blick weniger offensichtliche Nachteile.210 Als Beispiel mag auf § 149 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GewO verwiesen werden, wonach rechtskräftige Bußgeldentscheidungen unter den dortigen Vor­ aussetzungen in das Gewerbezentralregister (GZR)211 eingetragen werden können. Ausweislich des Wortlauts zählen dazu vor allem auch Steuer­ ordnungswidrigkeiten. Solche Eintragungen werden von Behörden so­ wohl bei der Prüfung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden (§ 35 GewO)212 als Referenz herangezogen, als auch in öffentlichen Vergabever­ fahren (§§ 97 ff. GWB)213 hinsichtlich die Frage der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit. Zudem stellt es im öffentlichen Vergabeverfahren einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 4 GWB dar, wenn das Un­ ternehmen seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern nicht nach­ gekommen ist und dies durch rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräf­ tige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde (S. 1 Nr. 1), oder die öffentlichen Auftraggeber auf sonstige geeignete Weise eine solche Ver­ letzung nachweisen können (S. 1 Nr. 2). (2) Tax Com­pli­ance-Ziele aus der Unternehmensperspektive Die Bezeichnung von Com­ pli­ ance als „Umstülpung des Haftungs­ rechts“214 markiert gleichzeitig dessen primäre Zielrichtung. Obgleich eine vollständig fehlerfreie Unternehmenspolitik eine Wunschvorstel­ lung bleiben wird, soll durch Tax Com­pli­ance zumindest systematisches Fehlverhalten möglichst umfassend verhindert werden, um den bei ei­ nem Verstoß gegen steuerrechtliche Vorschriften drohenden Nachteilen 210 Eine Aufzählung verwaltungsrechtlicher, berufsrechtlicher und sonstiger außer­ strafrechtlicher Rechtsfolgen, die vor allem mit einer Steuerstraftat verbunden sein können, findet sich bei Rolletschke, Steuerstrafrecht, 2012, Rn. 286 ff. 211 Das am 01.01.1976 eingerichtete GZR ist ein vom Bundesamt für Justiz geführtes spezielles Register, welches die in § 149 GewO aufgeführten Informationen spei­ chert und nach den Voraussetzungen der §§ 150 ff. GewO an bestimmte Stellen Auskunft darüber erteilen kann, vgl. Scharlach, in: BeckOK-GewO, 2021, § 149 Rn. 1 ff. 212 Vgl. Scharlach, in: BeckOK-GewO, 2021, § 149 Rn. 4. 213 Allerdings ist der Auszug aus dem GZR als Nachweis eines zwingenden Aus­ schlussgrundes nach § 123 Abs. 1 GWB ungeeignet, da die dortigen Eintragungen keine Verurteilungen wegen der in § 123 Abs. 1 GWB genannten Straftaten erfas­ sen, vgl. Opitz, in: BeckOK-VergR/1, 2017, § 123 GWB Rn. 33; für die Feststellung eines fakultativen Ausschlussgrundes, insbesondere einer schweren Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, sowie ganz allgemein für die Frage der Zuverlässig­ keit können derartige Eintragungen hingegen durchaus Bedeutung erlangen, vgl. Reichling, NJW 2013, 2233, 2234; Opitz, in: BeckOK-VergR/1, 2017, § 123 GWB Rn. 37 ff. 214 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.2; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 231; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 63.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

zu entgehen.215 Dies wird teilweise so interpretiert, dass Tax Com­pli­ance der Begehung steuerrechtswidriger Taten vorbeugen soll.216 Richtiger­ weise ist bereits einem derartigen Vorwurf vorzubeugen, um Reputa­ pli­ ance bezweckt aus Unter­ tionsverluste zu vermeiden.217 Tax Com­ nehmenssicht damit maßgeblich die Begrenzung und Beherrschung steuerlicher Risiken,218 oder anders ausgedrückt die Risikoerkennung und -minimierung durch Eindämmung und Kontrolle der steuerlichen Risiken.219 Aus der betriebswirtschaftlich-unternehmerischen Perspektive spielt – auch im Zusammenhang mit Tax Com­pli­ance – das Ziel der Steueropti­ mierung eine wesentliche Rolle.220 Steuern gelten als bedeutender Kos­ tenfaktor eines Unternehmens und bedürfen dementsprechend einer Optimierung,221 weshalb Risse die „relative Barwertminimierung an Steuern“ als weitere zentrale Zielrichtung von Tax Com­ pli­ ance auf­ führt.222 Unter den Oberbegriff der Wertschöpfung223 ist unter anderem die sog. „Marketingfunktion“224 von Com­pli­ance sowie die positive Wir­ kung auf das Verhältnis zum Staat zu fassen.225 215 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 63; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.28 ff.; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161; Wessing, Steueranwaltsmagazin 2007, 157, 177 ff.; siehe auch MD Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im BMF, auf einem ifst-Kolloquium vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, vgl. hierzu Nayin, ifst-Schrift 513 (2016), S. 40; ähnlich Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 48, der von der Einhaltung der Steuergesetze als übergeordneten Zweck spricht, darunter aber selbiges subsumiert. 216 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.29; so wohl auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 48 f. 217 So Neuling, DStR 2015, 558, 560; siehe auch Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 76; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 157. 218 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 78; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 405; Schmidt, CCZ 2012, 121, 123 ff.; Talaska, BB 2012, 1195. 219 So Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 48. 220 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.25 f. 221 Vgl. zu Steuern als Kostenfaktor Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 83; Hey, Steuerplanungssicherheit, 2002, S. 9; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwen­ dung, 1983, S. 38; Löhlein, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit rückwirkender Steuergesetze, 1964, S. 83 f.; Axer, Die rückwirkende Besteuerung gewerblicher Betriebe, 1954, S. 54. 222 Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 44. Dieses Ziel wird nach Risse entweder durch „relative Minimierung des Barwerts der Steuerbelastung oder durch geeignete Maßnahmen zur Erreichung einer relativen Maximierung des Barwerts der Steue­ rentlastungen innerhalb eines Unternehmens“ erreicht. Vgl. auch Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 84 ff. 223 Zur Wertschöpfung als Hyperonym siehe Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 79. 224 Damit ist zum Beispiel die Kundenakquirierung oder die Kreditvergabe gemeint, vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 79; Lösler, NZG 2005, 104 f. 225 Zum Verhältnis Unternehmen-Staat siehe Schützler, Tax Com­ pli­ ance, 2015, S. 79, der diesen Gedanken auf den S. 185 ff. am Beispiel der Außenprüfung näher erläutert.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

2. Tax Com­pli­ance aus der Perspektive der Finanzverwaltung Schon seit vielen Jahren stößt der Ausdruck Tax Com­pli­ance auch in der Finanzverwaltung auf Resonanz.226 Eine Definition desselben sucht man jedoch vergeblich. Zwar ist im AEAO zu § 153 AO von einem sog. „steu­ erlichen innerbetrieblichen Kontrollsystem“ die Rede,227 was darunter zu verstehen ist, lässt der Erlass allerdings offen. Zum besseren Verständnis der Interpretation von Tax Com­pli­ance aus Verwaltungssicht werden zu­ nächst die Ursprünge dieser autarken Deutung erläutert (a), gefolgt von einer Skizzierung des aktuellen Verständnisses von Tax Com­ pli­ ance, ebenfalls aus Verwaltungssicht(b). Abschließend erfolgt eine Zusammen­ fassung des begrifflichen Verständnisses von Tax Com­ pli­ ance unter ­Bezugnahme auf die darauf aufbauende Zielsetzung der Finanzverwal­ tung (c). a) Ursprünge einer verwaltungsautonomen Begriffsbestimmung Mit Wirkung zum 01.01.1997 wurden die bis dahin geltenden „Grund­ sätze für die Neuorganisation der Finanzämter und die Neuordnung des Besteuerungsverfahrens“ (sog. „GNOFÄ“) durch gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder im Einvernehmen mit dem BMF, die sog. „GNOFÄ 1997“, ersetzt.228 Durch diese Rahmenregelung wurde der grassierenden Überbelastung der Finanzämter begegnet, in­ dem sich die Bearbeitung von Steuerfällen auf die finanziell bedeutsa­ men Fälle konzentrieren sollte.229 Im Zuge einer späteren bundesweit angelegten Prüfung des Bundesrechnungshofes über die damalige Lage der Steuerverwaltung wurde auch die Aufgabe der Bund-Länder-Arbeits­ gruppe (AG GNOFÄ), welche darin lag, die GNOFÄ 1997 zu einem Ri­ sikomanagementverfahren im Bereich der Einkommensteuer (RMS-­ GNOFÄ) fortzuentwickeln, begutachtet.230 Das im Mai 2005 vorgelegte vorläufige Feinkonzept für das RMS-GNOFÄ enthielt auch eine Be­ schreibung des steuerlichen Com­pli­ance-Begriffs, welcher als „die Be­ reitschaft der Steuerpflichtigen, ihren steuerlichen Pflichten korrekt nachzukommen“ definiert wurde.231 Diesen Com­pli­ance-Gedanken führt 226 Vgl. hierzu Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.13 ff.; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 230; Streck, StbJb. 209/2010, 415, 422 f.; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403; Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 44 ff.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 46 f.; siehe ausführlich zu Tax Com­pli­ance aus der Perspektive der Finanzverwaltung Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 115 ff. 227 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001, Tz. 2.6 S. 6. 228 Vgl. BStBl. I 1996, 1391; siehe zu den Begriffen „GNOFÄ“ und „GNOFÄ 1997“ Hoffmann, DStR 1997, 1189. 229 Hoffmann, DStR 1997, 1189, 1191 f. 230 Vgl. Engels, Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, 2006, S. 102 f. 231 Engels, Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, 2006, S. 103 Fn. 153.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Engels, der damalige Präsident des Bundesrechnungshofes, im selben Gutachten später näher aus, indem er die internationalen Entwicklun­ gen zum sog. kooperativen Steuerstaat würdigt.232 Unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Seer233 begreift Engels Com­pli­ance demnach als ein „Kürzel schlicht für die Einhaltung und Erfüllung steuerlicher Pflich­ ten.“234 Daneben beschäftigte sich auch die sog. „Kienbaum-Studie“235 mit dem Thema Tax Com­pli­ance. Diese durch Kienbaum Management Consul­ tants in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung Ende 2001 veröf­ fentlichte Studie definiert Tax Com­pli­ance als „die Bereitschaft von Bür­ gern, geltende Steuergesetze freiwillig zu achten und steuerlichen Pflichten korrekt nachzukommen“.236 Im Gegensatz zur eben genannten Beschreibung fällt auf, dass explizit die Freiwilligkeit der steuerlichen Pflichtenbefolgung genannt wird. Schützler merkt dazu richtigerweise an, dass der Teminus Tax Com­pli­ance für sich genommen keine Feststel­ lung darüber trifft, ob es sich um die freiwillige oder erzwungene Erfül­ lung steuerlicher Mitwirkungspflichten handelt, sondern es aus Verwal­ tungssicht nur darum geht, dass steuerliche Pflichten überhaupt erfüllt werden.237 Die Studie berücksichtigt neben dem fiskalischen Ausfallrisi­ ko auch steuerpsychologische Aspekte, insbesondere den Steuerwider­ stand einzelner Bürger, der das faktische Risiko nicht konformen Ent­ richtungsverhaltens skizziert.238 Auf der Basis dieser beiden Faktoren sei nun eine Kategorisierung der Steuerpflichtigen in drei Risikogruppen („Clustering“) nach dem sog. Ampel-System vorzunehmen: Zum einen Rot als höchste Risikogruppe mit manueller Intensivprüfung, zum ande­ ren lediglich teilautomatisierte bzw. vollautomatisierte Plausibilitäts­ prüfungen für die risikoärmeren gelben und grünen Gruppen.239

232 Siehe allgemein zum Begriff des kooperativen Staates Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), 389; zur Wandlung des konfrontativen zum kooperativen Steuerstaat schon frühzeitig Eckhoff, StuW 1996, 107 ff.; zeitweise war diesbezüg­ lich sogar von einer „Kooperationseuphorie“ die Rede, siehe Drüen, FR 2011, 101, 109. 233 Seer, StuW 2003, 40, 52; so bereits zuvor Seer, Besteuerungsverfahren: Rechtsver­ gleich USA – Deutschland, 2002, Rn. 142 f.; siehe dazu auch Nagel/Waza, DStZ 2008, 321, 323. 234 Engels, Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, 2006, S. 140. 235 Siehe zu diesem Begriff Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 59. 236 Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 57. 237 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 138 ff., der in Anlehnung an das Verständnis der OECD zwischen der sog. Voluntary und Enforced Tax Com­pli­ance unterschei­ det; siehe ausführlich zu den Mitwirkungspflichten Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, 1979, S. 9 f., 30 f.; Seer, StuW 2003, 40, 52. 238 Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 60; siehe grundlegend zur Steu­ erpsychologie Schmölders, Finanz- und Steuerpsychologie, 1970, passim. 239 Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 59, 61.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

Damit beinhaltet Tax Com­pli­ance gemäß dieser ursprünglichen Begriffs­ bestimmung keine Forderungen nach organisatorischen Maßnahmen von den Unternehmen zwecks Erfüllung der steuerlichen Mitwirkungs­ pflichten. Aus dem damaligen Verständnis der Finanzverwaltung geht lediglich hervor, dass ein Unternehmen dann ein „compliant tax­payer“240 ist, wenn es seine steuerlichen Pflichten erfüllt, wobei egal ist, auf wel­ chem Weg dies geschieht. In einem nächsten Schritt ist nun allerdings danach zu fragen, welche Tax Com­pli­ance-Strategien die Finanzverwal­ tung verfolgt und was dadurch konkret bezweckt wird.241 b) Ziele der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit Tax Com­pli­ance Im Kern hat die Verwaltung das Ziel, den Steuerpflichtigen zu einer ver­ besserten Einhaltung der Steuergesetze zu bewegen, wobei zu diesem Zweck gerade auch mehr Kooperation im Verhältnis zueinander als Mög­ lichkeit genannt wird.242 Durch die damit einhergehende Einschränkung des Kontrollbedarfs wird ein effizienterer Gesetzesvollzug durch die Fi­ nanzbehörden erreicht, sodass diese sich ausgiebiger den steuerlich rele­ vanteren und problematischeren Fällen widmen könnte.243 Ein diesbe­ züglich gangbarer Weg wäre es, einerseits Anreize zur (überobligatorischen) Mitwirkung im Besteuerungsverfahren anzubieten, und andererseits Sanktionen für den Fall mangelnder Kooperationsbereitschaft zu verhän­ gen.244 Das BMF bewertet diese geringere Arbeitsbelastung der Finanzämter da­ bei lediglich als „Kollateralnutzen“245, wohingegen Tax Com­pli­ance Sys­ 240 Vgl. zu diesem Ausdruck Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 406. 241 Siehe dazu Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 139 f., der zutreffend darauf hin­ weist, dass der Tax Com­ pli­ ance-Begriff und die Tax Com­ pli­ ance-Ziele der Fi­ nanzverwaltung mehrheitlich miteinander vermengt werden; beispielhaft für die­ se Verwirrung Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.13 f. 242 Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 63; Seer, StuW 2003, 40, 52; Nagel/ Waza, DStZ 2008, 321, 323; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 405 f.; Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 46 f.; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ ance, 2016, Rn. 1.13; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 46; siehe ausführlich zu den Tax Com­pli­ance-Zielen und -Strategien der Finanzverwaltung Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 145 ff. 243 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 155; Seer, StuW 2003, 40, 52; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.13; vgl. dazu auch das eben erwähnte Ampel-System der Kienbaum-Studie. 244 So insbesondere Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 61, wonach für ko­ operationsunwillige Steuerpflichtige eine Verschärfung des Sanktionssystems und für alle anderen eine Art „Belohnungssystem“, beispielsweise in Form von Verfah­ rensbeschleunigungen, vorgeschlagen wird; siehe dazu ferner Gasper, Tax Com­pli­ ance, 2016, S. 46; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 405. 245 MD Michael Sell, auf einem ifst-Kolloquium vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, vgl. hierzu Nayin, ifstSchrift 513 (2016), S. 50.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

teme primär einen Mehrwert für Unternehmen darstellen würden. Eini­ ge Stimmen aus der Literatur interpretieren die pragmatische Sichtweise der Verwaltung hingegen so, als ginge es bei Tax Com­pli­ance einzig dar­ um, „der Finanzverwaltung die Arbeit leicht zu machen“.246 Diese Kritik wird zutreffend als „überzogen“247 bezeichnet. Es gibt keine Zweifel, dass die zwingenden Mitwirkungspflichten eines Steuerpflichtigen nach ak­ tueller Gesetzeslage nicht über die ausdrücklich normierten hinausge­ hen können, und mehr kann die Finanzverwaltung folglich nicht erwar­ ten.248 Die Möglichkeit, in den Genuss verfahrensmäßiger Vorteile zu gelangen, ist lediglich Anreiz dazu, über die gesetzlich normierten Anfor­ derungen hinaus mitzuwirken.249 Diese Vorteile könnten beispielsweise in einer im Rahmen einer zeitnahen Betriebsprüfung geschlossenen Ver­ fahrensverständigung liegen.250 Richtigerweise kann Tax Com­pli­ance aus Finanzverwaltungssicht daher eine überobligatorische Mitwirkung des Steuerpflichtigen umfassen, schreibt diese aber keineswegs vor.251 Es bleibt dabei, dass es sich um ein freiwilliges Kooperationsverhältnis han­ delt und keine tatsächlichen neuen Mitwirkungspflichten begründet werden.252 c) Zusammenfassung Es ist festzuhalten, dass der Begriff Tax Com­pli­ance aus der Perspektive der Finanzverwaltung vor allem die freiwillige oder erzwungene Einhal­ tung und Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten bezeichnet („com­ pliant taxpayer“). Damit soll unter anderem bezweckt werden, dass Tax Com­pli­ance zur Ressourcenschonung innerhalb der Verwaltung mittels eigenmotivierter Einhaltung der Mitwirkungspflichten im Steuervollzug führt. Ziel dabei ist es, die Effektivität und Effizienz der finanzbehördli­ chen Aufgabenerfüllung (siehe § 85 S. 1 AO) zu optimieren.253

246 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.15; Streck/ Binnewies, DStR 2009, 229, 230. 247 Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 406. 248 So zutreffend Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 140. 249 Vgl. zur überobligatorischen Mitwirkung Schützler, Tax Com­ pli­ ance, 2015, S. 143; Kälin/Strohe, ZFRC 2011, 102, 103. 250 Siehe ausführlich hierzu Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996, passim; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 327 ff. 251 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 144. 252 Siehe zur Reichweite und den Grenzen der Mitwirkungspflichten im Steuer­ recht eingehend Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, 2009, S. 122 ff. 253 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 381; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 405; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.13; Streck/ Binnewies, DStR 2009, 229; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 423; Nagel/Waza, DStZ 2008, 321, 323; vgl. auch Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 46 f.; Risse, Steuer­ controlling, 2015, S. 6.

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

II. Internationales Verständnis von Tax Com­pli­ance Auch international sucht man vergebens nach einer einheitlichen De­ finition des Begriffs Tax Com­pli­ance.254 Gebräuchlich ist die Beschrei­ bung von Tax Com­pli­ance als „the procedural and administrative actions needed to satisfy a taxpayer’s obligation under the applicable tax rules“.255 Die OECD, die sich in letzter Zeit zunehmend mit dem Thema (Tax) Com­pli­ance beschäftigt hat,256 nimmt dabei eine ähnliche Perspektive wie die deutsche Finanzverwaltung ein.257 Mehr noch als hierzulande lässt sich am Vorgehen der OECD allerdings erkennen, dass sie in der Zukunft einen Wandel vom konfrontativen hin zum kooperativen Steu­ erstaat sieht. Dementsprechend beschrieb sie bereits 2008 die sog. „en­ hanced relationship“258 als „a relationship that favours collaboration over confrontation, and is anchored more on mutual trust than on enfor­ ceable obligations“.259 In ihrem Report aus dem Jahr 2013 beschreibt die OECD die Steuerkont­ rollsysteme (tax control frameworks, kurz TCF) als “the part of the sys­ tem of internal control that assures the accuracy and completeness of the tax returns and disclosures made by an enterprise is sometimes referred to as the Tax Control Framework”.260 Im Report zur Co-operative Com­ pli­ance von 2016 wird betont, dass die essentiellen Bestandteile von TCF “disclosure and transparency“ sind.261 In diesem Zusammenhang wird von den Unternehmen erwartet, über die gesetzlichen Mitwirkungs­ pflichten hinauszugehen (“Disclosure signifies the willingness of the taxpayer […] being ready to go beyond their statutory obligations to dis­ close“).262 Ebenso erkennt die OECD, dass es „die“ TCF für alle Unter­ nehmen nicht geben kann, und konzentriert sich daher auf sechs we­ sentliche Bestandteile (“[…] this guide does not attempt to prescribe a 254 So Bronżewska, Cooperative Com­pli­ance, 2016, S. 29. 255 Vgl. Bronżewska, Cooperative Com­pli­ance, 2016, S. 29. 256 Vgl. OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008; OECD, Co-operative Com­pli­ance, 2013; OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016. 257 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 138; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 45; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 404; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.13 Fn. 6. 258 Gemeint ist damit eine verbesserte Beziehung zwischen Finanzbehörden und Großunternehmen. Der Ausdruck „enhanced relationship“ wandelte sich 2013 zum Begriff der „Co-operative Com­pli­ance“. Im Jahr 2016 verwendete die OECD dann den Begriff „Co-operative Tax Com­pli­ance“; siehe zu dieser Entwicklung Stiastny, Horizontal Monitoring, 2015, S. 2 ff. 259 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, S. 39. 260 OECD, Co-operative Com­pli­ance, 2013, S. 58; so auch in ihrem aktuellen Report OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016, S. 14. 261 OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016, S. 14. 262 OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016, S. 14.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

one-size-fits-all TCF. Instead, the discussions […] have identified six ­essential building blocks of a TCF“): • • • • • •

Tax Strategy Established Applied Comprehensively Responsibility Assigned Governance Documented Testing Performed Assurance Provided.263

Diese Prinzipien entsprechen im Grunde denen des IDW PS 980, insofern beide ihren Ursprung in dem bereits erläuterten Risikomanagementmo­ dell „COSO“ bzw. „COSO II“ sehen. Mittlerweile haben zahlreiche Staaten auf die Vorschläge der OECD re­ agiert und in unterschiedlicher Ausprägung eigene Versuche unternom­ men, Tax Com­pli­ance in den Steuervollzug zu etablieren. Als Länder mit den bedeutsamsten Versuchen können hier Australien, die Niederlande, Großbritannien oder die USA genannt werden,264 aber auch viele andere Staaten haben diesbezüglich bereits Anstrengungen unternommen.265 Zwar listet die OECD auch Deutschland in einer Tabelle der Staaten auf, die ein „Co-operative compliance model“ etabliert haben, gleichzeitig wird jedoch betont, dass es in Deutschland kein formelles „co-operative compliance model“ gebe, sondern lediglich einzelne Bundesländer diver­ se Com­pli­ance-Maßnahmen ergriffen haben. Als konkretes Beispiel wird Niedersachsen genannt,266 wo seit 2012 die Finanzämter für Großbetrieb­ sprüfungen ein Modell betreiben, welches kooperativ ausgerichtete Kon­ zernbetriebsprüfungen ermöglicht.267

III. Kritik an der Tax Com­pli­ance Debatte Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es innerhalb der breiten (Tax) Com­ pli­ance Debatte auch gewichtige Kritik gibt.268 So wird teilweise behaup­ 263 OECD, Co-operative Tax Com­pli­ance, 2016, S. 14 f. 264 Ausführlich zu den einzelnen Modellen Bronżewska, Cooperative Com­pli­ance, 2016, S. 104 ff. 265 Siehe für eine Auflistung der übrigen Staaten und deren Erfahrungen mit Tax Com­pli­ance Bronżewska, Cooperative Com­pli­ance, 2016, S. 220 ff. 266 OECD, Co-operative Com­pli­ance, 2013, S. 21. 267 Die OFD Niedersachsen hat hierzu ein Merkblatt herausgegeben, abrufbar unter http://www.ofd.niedersachsen.de/aktuelles_service/steuervordrucke/betriebspruefung/betriebspruefung-67842.html, zuletzt aufgerufen am 22.02.2017; vgl. dazu Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 288 f.; Hermenau, FR 2011, 120, 121 f.; Wünnemann, Ubg 2011, 197, 198. 268 Kritik an (Tax) Com­pli­ance findet sich unter anderem bei Schützler, Tax Com­pli­ ance, 2015, S. 17; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 484 ff.; Streck, in: Streck/

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B.  Der Tax Com­pli­ance-Begriff

tet, der Staat würde sich durch „Outsourcing“ auf Privatunternehmer seiner gesetzlichen Kontrollpflicht entziehen.269 Indem von Bürgern ge­ fordert wird, ein System einzurichten, innerhalb dessen Mitarbeiter auf rechtswidriges Verhalten anderer Mitarbeiter hinzuweisen haben, werde „das Denunziantentum […] dem Mitarbeiter als Pflicht auferlegt“.270 Streck bringt diese Entwicklung sogar mit der von der katholischen Kir­ che betriebenen Inquisition in Verbindung.271 Diese Aussage ist freilich deutlich überspitzt. Inwieweit durch Tax Com­pli­ance aber eine Verlage­ rung öffentlich-rechtlicher Pflichten in die Unternehmen hinein stattfin­ det, und ob die unternehmensinterne Organisation dadurch teilweise dem Ermessen der Geschäftsleitung entzogen wird, ist eine berechtige Frage, deren Beantwortung sich die nachfolgenden Kapitel widmen wer­ den. Einen weiteren Kritikpunkt an der (Tax) Com­pli­ance-Debatte macht der Umstand aus, dass zahlreiche Beiträge, welche die Notwendigkeit eines Tax CMS für Unternehmen betonen, die mitunter immensen Kosten für die Etablierung und Aufrechterhaltung eines solchen Systems unter­ schlagen.272 Solche Tax Com­pli­ance-Kosten sind als Umsetzungs- oder Steuerverwaltungskosten aber dringend mit aufzuführen,273 wobei insbe­ sondere die personelle und sächliche Ressourcenaufwendung sowie die Steuerberatungskosten besonderer Erwähnung bedürfen.274 Zwar resü­ mieren auch diejenigen, welche auf den Kostenfaktor konkret hinwei­ sen, dass Tax Com­pli­ance dennoch empfehlenswert und auf Dauer kos­ tengünstiger als eine Non-Com­ pli­ ance ist,275 dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Schlussfolgerung zumeist auf

Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.35; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 436; Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff.; Hohmann-Dennhardt, in: Müller, ÖJK, Entstaatlichung des Rechts, Bd. 43, 2014, S. 59, 68. 269 Vgl. Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ ance, 2016, Rn. 1.35; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 436; eingehend zu diesem Kritikpunkt Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff., wonach der Staat sich durch Com­pli­ance aus der Krimi­ nalprävention stiehlt. 270 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.35. 271 Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.35. 272 Für eine empirische Analyse der Tax Com­ pli­ ance-Kosten siehe Eichfelder/­ Vaillancourt, Tax compliance costs, arqus Discussion Paper No. 178, 2014; eben­ so Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 110 f.; Petrak/J. Schneider, BC 2008, 11, 14. 273 Siehe allgemein hierzu Hamer, Bürokratieabwälzung auf die Wirtschaft, 1979, passim; Klein-Blenkers, Die Belastung von Industrieunternehmen, 1982, passim. 274 Vgl. Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 44; Breithecker/Garden/Thönnes, DStR 2007, 361, 365. 275 Vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 111; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 491; Petrak/J. Schneider, BC 2008, 11, 14; siehe zu Corporate Com­pli­ance auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 44 m.w.N.

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

Großunternehmen zugeschnitten ist und auf den Mittelstand und kleine Unternehmen nicht unverändert übertragen werden darf.276 Vielfach wird angesichts des bestehenden, mannigfaltigen Angebots an Informations- und Forschungsmaterial heute von einem „Com­pli­anceWahn“277 gesprochen. Reduziert man den Sinngehalt dieses Ausdrucks auf die unüberschaubare Flut von Konzepten, Vorschlägen, Standards und „best practices“ zur Gewährleistung ordnungsgemäßer Com­pli­ance im Unternehmen, kann der Bezeichnung sicherlich nicht jegliche Be­ rechtigung abgesprochen werden. In diesem Sinne wird die derzeitige (Tax) Com­pli­ance-Debatte auch nahezu ausschließlich unter der Prämis­ se geführt, dass die Geschäftsleiter einer strengen Legalitätspflicht unter­ worfen sind, welche sie nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber der sie anstellenden Kapitalgesellschaft zur uneingeschränk­ ten Einhaltung sämtlicher gesetzlicher Vorschriften verpflichtet. Verla­ gert man die Diskussion jedoch auf eine andere Ebene und beschäftigt sich nicht vorrangig mit den konkreten Anforderungen, die an die Ausge­ staltung eines (Tax) Com­pli­ance Management-Systems zu stellen sind, sondern mit den dahinter liegenden dogmatischen Grundlagen, offenba­ ren sich noch immer elementare Forschungslücken. Sobald nämlich die apodiktische Geltung von einer uneingeschränkten Legalitätspflicht hin­ terfragt wird, könnte die gesamte Com­pli­ance-Debatte in ihrer aktuellen Form auf tönernen Füßen stehen. Eine Untersuchung, die sich dem The­ ma (Tax) Com­pli­ance vor dem Hintergrund einer Rückbesinnung auf den dogmatischen Ursprung der Geschäftsleiterpflichten widmet, zudem in der speziellen Erscheinungsform eines weisungsabhängigen GmbH-Ge­ schäftsführers, kann deshalb mitnichten als Beitrag zu jenem möglichen Com­pli­ance-Wahn gewertet werden.

C. Resümee – Tax Com­pli­ance als feststehender Rechtsbegriff? Aus der Sich von Unternehmen bildet Tax Com­pli­ance einen Teilbereich der Corporate Com­pli­ance, was wiederum Bestandteil guter Corporate 276 Siehe hierzu die empirische Studie von Eichfelder/Vaillancourt, Tax compliance costs, arqus Discussion Paper No. 178, 2014, welche eine Aufteilung zwischen natürlichen Steuerpflichtigen, Kleinunternehmen und Großunternehmen vor­ nimmt. Auf den S. 27 ff. wird resümiert, dass Com­ pli­ ance-Kosten gerade für Selbstständige und Kleinunternehmen eine große Last sind und Unternehmens­ gründungen verhindern könnten. 277 So z.B. ein FAZ-Artikel vom 25.07.2012, Nr. 171, S. 19: „Genervt vom Com­pli­ ance-Wahn“; in diese Richtung auch Thomas Fischer, Zeit Online, Fischer im Recht, „Zum Glück gibt es Com­ pli­ ance“, abrufbar unter http://www.zeit.de/­ gesellschaft/2016-12/recht-und-wirtschaft-zum-glueck-gibt-es-compliance-fischer-­ im-recht, zuletzt aufgerufen am 01.03.2019.

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C.  Resümee – Tax Com­pli­ance als feststehender Rechtsbegriff?

Governance ist. Darunter wird nach einem verbreiteten dualistischen Verständnis einerseits die steuerrechtliche Normenkonformität als Le­ galitätspflicht im engeren Sinne, und andererseits die Etablierung eines sog. Tax Com­pli­ance-Systems zur Sicherstellung dieser Normenkonfor­ mität (Legalitätskontrollpflicht) subsumiert. Wie ein solches System konkret auszusehen hat, liegt im freien Organisationsermessen der je­ weiligen Unternehmensleitung. Hinweise zur konkreten Ausgestaltung liefert das IDW in seinem Praxishinweis 1/2016 zum siebenstufigen Tax Com­pli­ance Management-System.278 Es gilt zu beachten, dass dadurch lediglich systematisches Fehlverhalten verhindert werden soll, wohinge­ gen einzelne Verstöße gegen steuerrechtliche Normen nicht vollständig unterbunden werden können. Dabei soll Tax Com­pli­ance trotz der damit zusammenhängenden Kosten einen Mehrwert für Unternehmen darstel­ len, indem negative Folgen von Steuerrechtsverstößen vermieden wer­ den und das Unternehmen von einer positiven Reputation sowohl am Kapitalmarkt als auch gegenüber den Finanzbehörden profitieren kann. Die Finanzverwaltung hat angesichts zunehmender Komplexität des Steuerrechts und aufgrund begrenzter Ressourcen vor allem die Motiva­ tion des Steuerpflichtigen zur freiwilligen – unter Umständen sogar über­ obligatorischen – Mitwirkung im Besteuerungsverfahren im Sinn. Um ihren gesetzlichen Auftrag nach § 85 S. 1 AO zur Konsolidierung einer gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung weiterhin erfüllen zu können, muss die Verwaltung im steuerlichen Massenverfahren neue Wege ein­ schlagen. Durch eine stetige Entwicklung vom konfrontativen zum ko­ operativen Steuerstaat soll der Steuerpflichtige zu mehr Tax Com­pli­ance angeregt werden. Gemeint ist damit, dass der Steuerpflichtige seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten möglichst freiwillig nachkommen soll und dafür im Gegenzug in den Genuss bestimmter Service- und Ko­ operationsleistungen kommt. Für den Fall, dass sich ein Steuerpflichti­ ger weigert, „tax compliant“ zu sein, sollen wiederum verschärfte Kont­ rollen und Sanktionen bei der Aufdeckung von Steuerentzug behilflich sein und einer Verweigerung vorbeugen. Durch die Kategorisierung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Risikogruppen und den Einsatz maschineller Erfassungs- und Bearbeitungssysteme werden die Ressour­ cen außerdem gebündelt, sodass eine Konzentration auf risikoreiche Non-Com­pli­ance Fälle erfolgen kann. Nach den obigen Ausführungen fragt sich, ob Tax Com­pli­ance als festste­ hender Rechtsbegriff mit eindeutigem Inhalt definiert werden kann. Wie gezeigt, handelt es sich dabei aber viel mehr um einen Sammelbegriff für diverse Phänomene und Interpretationen im Steuerrecht. Traditio­ nell versteht man unter einem Rechtsbegriff ein der Rechtssprache oder 278 IDW Praxishinweis 1/2016, IDW Life 2017, 837

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Kapitel 1:  Das Begriffsverständnis von Tax Com­pli­ance

der vorherrschenden Allgemeinsprache entspringendes Lexem, das eine rechtliche Sollensanordnung skizziert.279 Vor diesem Hintergrund kön­ nen weder Unternehmen, noch die Wissenschaft oder Finanzverwaltung den Anspruch erheben, den Terminus Tax Com­pli­ance abschließend de­ finieren und zu einem feststehenden Rechtsbegriff formen zu können.280

279 Vgl. zur Definition des Rechtsbegriffs Köbler, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-­ Lexikon, Bd. 3, S. 3459. 280 Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 137; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 39; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 404.

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Kapitel 2: Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit der GmbH und des Geschäftsführers Für ein besseres Verständnis der nachfolgend behandelten Probleme wird im Rahmen dieses Kapitels kurz dargestellt, nach welchen rechtlichen Grundlagen sich die Besteuerung juristischer Personen – speziell der GmbH – in Deutschland richtet und welche Rolle der Geschäftsführer hierbei einnimmt. Dafür ist es notwendig, sich die Rechtsnatur und Or­ gane der GmbH gemäß dem Konzept des deutschen Gesellschaftsrechts näher vor Augen zu führen (A.), um anschließend skizzieren zu können, anhand welcher Vorschriften sich eine Steuerpflichtigkeit und Steuer­ schuld der GmbH ergibt (B.). Abschließend wird noch auf die davon los­ gelöste Steuerpflichtigkeit des Geschäftsführers und dessen damit zu­ sammenhängende steuerrechtliche Haftung eingegangen (C.).

A. Rechtsnatur und Organe der GmbH Im Folgenden werden die nach dem deutschen Gesellschaftsrecht mar­ kanten Merkmale einer juristischen Person am Beispiel der GmbH darge­ stellt (I.) und anschließend die rechtliche Stellung des Geschäftsführers im Organisationsgefüge der GmbH illustriert (II.).

I. Die wesentlichen juristischen Kennzeichen der GmbH Die GmbH ist nach § 13 Abs. 1 GmbHG281 rechtsfähig und damit eigen­ ständige Trägerin von Rechten und Pflichten. Sie ist als juristische Per­ son des Privatrechts auch ausschließliche Eigentümerin des Gesell­ schaftsvermögens, welches streng vom Vermögen der Gesellschafter zu trennen ist.282 Innerhalb der GmbH ist vor allem zwischen zwei notwendigen Organen zu differenzieren: Der Gesellschafterversammlung (§§ 45 ff. GmbHG) und den Geschäftsführern (§§ 35 ff. GmbHG). Neben diesen beiden zwin­ 281 Teilweise wird zusätzlich auf die §§ 1, 13 Abs. 2 und 33 Abs. 1 GmbHG und auf den RegE des GmbH-Gesetzes von 1973 als dogmatische Begründung einer eigen­ ständigen Rechtspersönlichkeit verwiesen, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 5; im Ergebnis ist die eigenständige Rechtspersönlichkeit der GmbH aber unbestritten anerkannt, vgl. Merkt, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 3. 282 Wilhelmi, in: BeckOK-GmbHG, 2021, § 13 Rn. 1 ff., 10 ff.; Michalski/Funke, in: Michalski/u.a.-GmbHG/1, 2017, § 13 Rn. 4 ff.; Merkt, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 3 ff.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

gend vorgeschriebenen Organen können weitere Organe, wie einen Auf­ sichts- oder Beirat (§ 52 GmbHG) eingerichtet und Ausschüsse gebildet werden.283 Die Gesellschafterversammlung fungiert als das oberste Wil­ lensbildungsorgan der GmbH und hat nach § 37 Abs. 1 GmbHG ge­ genüber den Geschäftsführern eine Weisungsbefugnis. Der Geschäftsfüh­ rer ist das Handlungs- und Vertretungsorgan der GmbH.284 Hat die Gesellschaft nur einen Gesellschafter und ist dieser zugleich Geschäfts­ führer (Gesellschafter-Geschäftsführer), liegt die Sonderform der sog. Ein-Mann-GmbH vor.285

II. Der Geschäftsführer im Organisationsgefüge der GmbH Nachfolgend wird näher darauf eingegangen, was juristisch unter der ­Organstellung des Geschäftsführers zu verstehen ist (1.). Im Anschluss daran wird das aus der eigenen Rechtspersönlichkeit der GmbH resultie­ rende Trennungsprinzip im Gesellschaftsrecht in der für diese Arbeit notwendigen Tiefe erklärt (2.). 1. Die Organstellung des Geschäftsführers Der Geschäftsführer ist nach den §§ 6, 35 GmbHG das notwendige Ge­ schäftsführungs- und Vertretungsorgan der GmbH und bewirkt zusätz­ lich zur ohnehin nach § 13 Abs. 1 GmbHG bestehenden Rechtsfähigkeit der Gesellschaft auch deren Handlungsfähigkeit.286 Er führt die Geschäf­ te der GmbH nach innen wie nach außen.287 Im Schrifttum herrscht nach wie vor ein rechtsdogmatischer Streit darüber, ob der Geschäftsführer Vertreter der selbst nicht handlungsfähigen juristischen Person ist (sog. „Vertretertheorie“), oder ob der Verband durch seine Organe selbst Wil­ lens- und Handlungsträger ist (sog. „Organtheorie“).288 Für den vorliegen­ den Untersuchungsgegenstand hat diese Diskussion allerdings keine 283 Als Ausnahme zum an sich fakultativen Aufsichtsrat wird unter den Vorausset­ zungen des § 1 Abs. 1 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 DrittelbG oder § 3 Abs. 1 Montan-MitbestG, § 3 Abs. 1 S. 2 Montan-MitbestErgG die Bildung eines Auf­ sichtsrats verpflichtend vorgeschrieben (sog. obligatorischer Aufsichtsrat), vgl. Stephan/u.a., in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 35 Rn. 30. 284 Stephan/u.a., in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 35 Rn. 13 ff.; Michalski/Funke, in: Michalski/u.a.-GmbHG/1, 2017, § 13 Rn. 33; U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 35 Rn. 10 ff.; Hottmann u.a., Die GmbH im Steuer­ recht, 2015, S. 49. 285 Siehe dazu U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 35 Rn. 5. 286 K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1070. 287 Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus den §§ 35, 37 GmbHG, ist aber den­ noch unstrittig, vgl. Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, 2001, S. 257. 288 Siehe ausführlich zu diesem Streit Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 151 ff.; K. Schmidt, GesR, 2002, S. 250 ff.

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A.  Rechtsnatur und Organe der GmbH

weitere Bedeutung, sodass im Folgenden vom Geschäftsführer als organ­ schaftlicher Vertreter der GmbH ausgegangen wird.289 Dies entspricht im Ergebnis einer Anerkennung der Organtheorie, allerdings unter Anwend­ barkeit der §§ 164 ff. BGB auf das Handeln des Geschäftsführers als ge­ setzlicher Vertreter. a) Die organschaftliche Sonderrechtsbeziehung nach § 43 GmbHG In § 43 GmbHG als zentraler Vorschrift der Organstellung des Geschäfts­ führers werden die damit einhergehenden Pflichten und die durch Verlet­ zung dieser Pflichten begründete Haftung gegenüber der Gesellschaft dargelegt.290 Der Geschäftsführer geht mit der Gesellschaft eine „or­ ganschaftliche Sonderrechtsbeziehung“291 ein, welche ihn einerseits zur Wahrnehmung seiner Organkompetenzen und andererseits zu Loyalität verpflichtet. Folglich ist auch die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG kei­ ne deliktische, sondern eine aus dem korporativen Sonderrechtsverhält­ nis resultierende Haftung sui generis.292 Von diesem Organverhältnis ist das schuldrechtliche Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers zur Ge­ sellschaft streng zu unterscheiden, letzteres regelt lediglich die persönli­ chen Rechtsbeziehungen des Geschäftsführers zur Gesellschaft.293 Nach § 43 Abs. 1 GmbHG hat der Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwen­ den, wobei dieser Norm nach herrschender Meinung eine Doppelfunkti­ on zukommt: Einerseits dient sie als spezieller Verschuldensmaßstab in Abweichung zu § 276 Abs. 2 BGB, und andererseits als Ursprung organ­ schaftlicher Pflichten.294 Nach anderer Ansicht jedoch regelt die Norm einzig den Verschuldensmaßstab, wohingegen die Verhaltenspflichten des Geschäftsführers aus seiner Geschäftsführungsaufgabe, dem Treue­ pflichtgedanken und aus Sonderregeln folgen sollen.295 Einig ist man sich 289 So letztlich auch K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1074. 290 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 1; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 1, 4 ff.; siehe auch Lutter, GmbHR 2000, 301, 302, der § 43 GmbHG als die „Magna Charta der Innenhaftung des Geschäftsführers“ beschreibt. 291 Vgl. K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1077 f.; Stephan/u.a, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 35 Rn. 82 ff. 292 K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1078; G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 233; zustim­ mend BGH, Urteil v. 10.02.1992 – II ZR 23/91, DStR 1992, 549; siehe ausführlich zu den einzelnen Haftungsvoraussetzungen Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 165 ff.; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 255 ff. 293 Umfassend hierzu Jaeger/Steinbrück, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 35 Rn. 248 ff. 294 Vgl. Cordes, Die Com­pli­ance-Organisation in der GmbH, 2016, S. 96 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 10; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 4; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 166; Haas/Ziemons, in: Michal­ ski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 40; Bayer, GmbHR 2014, 897, 898. 295 So noch in der Altauflage Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 43 Rn. 8 m.w.N., wobei die Verfechter dieser Ansicht selbst festhalten, dass der Streit bloß theoretischer Natur ist und keine praktischen Auswirkungen hat; in

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

darin, dass sich aus § 43 Abs. 1 GmbHG die organschaftliche Treuepflicht ergibt.296 b) Das Verhältnis der Gesellschafter zum Geschäftsführer Der GmbH-rechtliche Sorgfaltsmaßstab entspricht nach herrschender Meinung dem des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG.297 Dabei ist jedoch eine Ein­ schränkung notwendig: Im Gegensatz zum Vorstand einer AG, dem qua Gesetz nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch die alleinige Lei­ tung298 der Gesellschaft obliegt (siehe § 76 Abs. 1 AktG), ist dies beim Geschäftsführer einer GmbH anders. Während der Vorstand aufgrund seiner ausschließlichen und indisponiblen Kompetenz das maßgebliche Handlungsorgan der Gesellschaft ist,299 wird die Zuständigkeit zur Un­ ternehmensleitung in der GmbH zwischen den Gesellschaftern und den Geschäftsführern aufgeteilt. Die Gesellschafter legen insbesondere die Grundsätze der Unternehmenspolitik fest, sodass der Leitungskompe­ tenz des Geschäftsführers Grenzen gesetzt sind.300 Darüber hinaus sind dessen Kompetenzen aufgrund der Disponibilität von § 43 Abs. 1 GmbHG sowie der Weisungsbefugnis der Gesellschafter aus den §§ 37 Abs. 1, 46 GmbHG noch weiter einschränkbar. Im äußersten Fall kann der Ge­ schäftsführer damit sogar zum bloßen Vollzugsorgan degradiert werden, was auch Auswirkungen auf den Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 Gmb­ HG sowie die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG hat.301 Vor dem Hinter­ grund dieser Diskrepanzen hinsichtlich der Unternehmensleitung zwi­ schen AG und GmbH, verdient die Kritik Bayers302 an einer Gleichsetzung des Sorgfaltsmaßstabs aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG mit dem des § 43 Abs. 1 GmbHG Zuspruch. Die originäre Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung in Abgren­ zung zu jener des Geschäftsführers wird an anderer Stelle noch Gegen­ der 22. Auflage wird dagegen ebenfalls von einer Doppelfunktion des § 43 Abs. 1 GmbHG ausgegangen, Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 7. 296 Siehe ausführlich zur Treuepflicht Fleischer, WM 2003, 1045 ff.; Fleischer, in: MüKo-­GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 152 ff. 297 Vgl. zur inhaltsgleichen Formulierung Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 166; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 5, 10; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 8 („trotz leicht abweichender Formu­ lierung […] meint § 93 I 2 AktG dasselbe“); Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 125; kritisch gegenüber der behaupteten Parallelität Bayer, GmbHR 2014, 897, 898. 298 Siehe ausführlich zum Leitungsbegriff innerhalb des deutschen Gesellschafts­ rechts Abeltshauser, Leitungshaftung, 1998, S. 28 ff 299 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 76 Rn. 7; Koch, in: Hüffer/KochAktG, 2021, § 76 Rn. 8 f. 300 Siehe zu dieser Aufteilung nur Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 61 ff. 301 Zum Geschäftsführer als bloßes Vollzugsorgan vgl. U. Haas, Geschäftsführerhaf­ tung, 1997, S. 35 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 904 ff. 302 Bayer, GmbHR 2014, 897, 898.

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stand ausführlicher Untersuchung sein.303 Bis hierher bleibt vorerst fest­ zuhalten, dass die Gesellschafterversammlung in jedem Fall dafür zuständig ist, die Grundzüge der Unternehmenspolitik festzulegen.304 Zu diesem Zweck sind die Gesellschafter auch befugt, mittels Weisungen Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben. Ausgenommen vom Recht der Gesellschafter, die Geschäftsführung an sich zu ziehen, sind nach § 37 Abs. 2 GmbHG die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers (§ 35 GmbHG) sowie die in § 43 Abs. 3 GmbHG genannten gläubiger­ schützenden Kapitalerhaltungsvorschriften. c) Maßstäbe für unternehmerische Entscheidungen des Geschäftsführers Mit der Organstellung des Geschäftsführers untrennbar verbunden sind die Handlungsmaximen, welche sein Verhalten bestimmen. Diese Maß­ stäbe unternehmerischen Handelns werden zudem von einigen Vertre­ tern innerhalb der juristischen Literatur für die dogmatische Begründung einer organschaftlichen Legalitätspflicht bemüht.305 Gerade deshalb ge­ winnt die Frage nach der Richtschnur der Leitungssorgfalt für die weitere Untersuchung umso mehr an Bedeutung. Während die natürliche Person in aller Regel im eigenen Interesse handelt, hat der Geschäftsführer als prinzipiell fremdnützig agierendes Organ andere Belange zu würdigen. Die Diskussion um die Interessenausrichtung der Leitungsorgane juristi­ scher Personen reicht dabei von einer ausschließlichen Berücksichtigung von Aktionärs- bzw. Gesellschafterinteressen über ein eigenständiges Gesellschaftsinteresse bis hin zu interessenpluralistischen Ansätzen, in welche auch Belange von Arbeitnehmern, Gläubigern und der Öffent­ lichkeit mit einfließen. Da der Streit um die Zielkonzeption ursprüng­ lich aus dem Aktienrecht stammt, hat eine Untersuchung der Hand­ lungsmaximen folgerichtig hier anzusetzen.306 Anschließend werden anhand der gefundenen Ergebnisse die Maßstäbe unternehmerischen Handelns für den GmbH-Geschäftsführer bestimmt.

303 Siehe hierzu S. 213 ff. 304 Diese originäre Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung leitet die herr­ schende Ansicht aus der ihr durch § 46 GmbHG zugewiesenen Finanz-, Perso­ nal- und Überwachungshoheit ab, vgl. U. H. Schneider/S. V. Schneider, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 11; U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 35 m.w.N. 305 Siehe nur Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 82 ff.; Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 98 ff.; ähnlich Holle, Legalitätskont­ rolle, 2014, S. 52 ff.; kritisch gegenüber solchen Ansätzen Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 97 ff. 306 Umfassend zum Meinungsstand um die Leitungsgrundsätze im Aktienrecht vgl. Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 97 ff.; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 5, 2019, § 111 Rn. 78 ff.; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 1 Rn. 18 ff.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 86 ff.; Breitenfeld, Organschaftli­ che Binnenhaftung, 2016, S. 54 ff.

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(1) Die Richtschnur der Leitungssorgfalt im Aktienrecht Nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG hat der Vorstand einer AG sein Handeln am „Wohle der Gesellschaft“ auszurichten und die Gesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung zu leiten.307 Was das konkret bedeutet, ist seit jeher Gegenstand juristischer sowie wirtschaftswis­ senschaftlicher Diskussionen und kann kaum einheitlich beantwortet werden, sodass in diesem Zusammenhang oft von einer „unendlichen Geschichte“308 gesprochen wird. Im Streit um die Ausrichtung des Vor­ standshandelns sowie die Bestimmung des Leitungsermessens stehen sich maßgeblich die Verfechter des Shareholder-Value-Ansatzes309 und die Anhänger des Stakeholder-Ansatzes310 gegenüber. Der Sharehol­ der-Value-Ansatz ist von einer Ausrichtung auf den Marktwert des Ei­ genkapitals einer Unternehmung geprägt und verfolgt in seiner Reinform demzufolge interessenmonistisch ausschließlich die Belange der Anteils­ eigner. Dagegen zeichnet den Stakeholder-Ansatz ein Interessenpluralis­ mus aus, der neben den Belangen von Anteilseignern auch diejenigen der Arbeitnehmer, Gläubiger und der Öffentlichkeit berücksichtigt. Innerhalb dieser Diskussion werden zwangsläufig früher oder später die Begriffe des „Unternehmensinteresses“ (oftmals auch „Unternehmens­ wohl“) und des „Gesellschaftsinteresses“ als Leitmaximen des GmbHund Aktienrechts thematisiert.311 Umstritten ist hierbei nicht nur die Terminologie der Begriffe, sondern auch deren Beziehung zueinander, so­ wie das Verhältnis zu den sich aus den Shareholder-Value- und Stake­ holder-Gedanken resultierenden Führungsgrundsätzen.312 Manche for­ dern im Zuge dessen eine strikte Trennung zwischen dem unpersönlichen Unternehmensinteresse und dem überindividuellen Gesellschaftsinter­ esse.313 Andere hingegen betrachten die beiden Interessen als identisch.314

307 Siehe zum „Wohl des Unternehmens“ als ausschließlichen Maßstab des unter­ nehmerischen Handelns Birke, Formalziel, 2005, S. 228 ff.; Hellgardt, Kapital­ marktdeliktsrecht, 2008, S. 418 jeweils m.w.N. 308 Siehe zu diesem Ausdruck Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 43; überblicksartig zu der wohl hundertjährigen Geschichte der Leitungsmaxi­ men Kuhner, ZGR 2004, 244, 246 ff. 309 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, S. 129 ff. m.w.N. 310 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 76 Rn. 30 ff. m.w.N. 311 Ausführlich und rechtsvergleichend mit den USA zum Unternehmensinteresse und Gesellschaftsinteresse als mögliche Verhaltensmaximen Krämer, Das Unter­ nehmensinteresse, 2002, passim; zum Begriff des Unternehmensinteresses im GmbH-Recht siehe Fleischer, GmbHR 2010, 1307 ff. 312 Siehe zu diesen strittigen Themen allgemein Kuhner, ZGR 2004, 244, 267 ff. 313 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 89 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 76 Rn. 28 f., 36. 314 Zöllner, AG 2003, 2, 7 f.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 42 ff., 391 ff.

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(a) Das Unternehmensinteresse als Leitmaxime Insbesondere in früherer Zeit war eine Sichtweise vom „Unternehmen an sich“315 verbreitet. Demnach existiert ein vom Unternehmensträger, also der AG oder GmbH, losgelöstes „Unternehmensinnenrecht“ mit ­einem korrespondierenden Unternehmensinteresse auf Basis einer ver­ selbstständigten Rechtsbedeutung des Unternehmens. Aus heutiger Sicht wurde das Unternehmensinteresse durch das interessenpluralisti­ sche Stakeholder-Konzept ersetzt, wonach die Interessen am Unterneh­ men und nicht am Unternehmensträger, also der Gesellschaft, in den Vordergrund zu rücken haben.316 Teilweise wird der Begriff „Unterneh­ mensinteresse“ aber auch schlicht als sprachliche Abkürzung des Streits um die Zielkonzeption des Leitungsermessens ohne eigenständige Be­ deutung verstanden.317 (b) Das Gesellschaftsinteresse als Leitmaxime Abstrakt betrachtet stellt das Gesellschaftsinteresse als „überindividuel­ le, von den konkreten Interessen der einzelnen Verbandsmitglieder abge­ löste und für alle Gesellschaftsorgane gleichermaßen verbindliche Leit­ maxime“ die engste Abgrenzung der Verbandsziele und -zwecke dar.318 Aus dem Gesellschaftsinteresse, welches in Form eines am Gesell­ schaftszweck bemessenen Interesses aller Gesellschafter letztlich den Shareholder-Value-Ansatz verwirklicht, wird insbesondere das Gegen­

315 Die Ursprünge der „Lehre vom Unternehmen an sich“ stammen aus den Zeiten der Weimarer Republik, siehe ausführlich dazu, insbesondere zu „Rathenaus Leh­ re vom Unternehmen an sich“ Laux, Die Lehre vom Unternehmen an sich, 1998, S. 59 ff.; Birke, Formalziel, 2005, S. 155 ff.; für ein Verständnis vom Unternehmen als eigenständige juristische Person siehe allen voran Raiser, Unternehmen als Organisation, 1969, S. 166 ff.; eingehend zur Diskussion um die verschiedenen Konstruktionen zur Bestimmung des Unternehmensinteresses Birke, Formalziel, 2005, S. 139 ff.; Krämer, Das Unternehmensinteresse, 2002, S. 27 ff.; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 88 f.; Kuhner, ZGR 2004, 244, 247 ff.; Zöllner, AG 2003, 2, 5 ff. 316 Vgl. Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 51 ff.; Kuhner, ZGR 2004, 244, 250, 252; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 89 f.; Krämer, Das Unternehmensinte­ resse, 2002, S. 40 ff., 195 f.; siehe auch Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 150, der bzgl. des GmbH-Rechts von der „Resultante aus den Inter­ essen der Shareholder und aller Stakeholder“ spricht, jedenfalls soweit die Gesell­ schafterversammlung das Unternehmensinteresse nicht eigenständig definiert. 317 Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 76 Rn. 36, 28 m.w.N.; siehe auch Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 76 Rn. 70; Zöllner, AG 2003, 2, 7 f., wonach die Figur des Unternehmensinteresses untauglich zur Konkretisierung der rechtlichen Bin­ dungen des Vorstands ist. 318 Mülbert, ZGR 1997, S. 129, 141; ausführlich zum Gesellschaftsinteresse als Ver­ haltensmaxime Krämer, Das Unternehmensinteresse, 2002, S. 46 ff.

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konzept zum interessenpluralistischen Ansatz abgeleitet.319 Teilweise wird aber auch das Gesellschaftsinteresse als eine auf Bestandserhaltung und Rentabilität gerichtete Leitmaxime interessenpluralistisch verstan­ den.320 (c) Stellungnahme An dieser Stelle fragt sich, was mit den schillernden Begriffen des „Un­ ternehmensinteresses“ und „Gesellschaftsinteresses“ tatsächlich gewon­ nen ist. Ob das Unternehmensinteresse letztlich eine Umschreibung des Stakeholder-Ansatzes, eine schlichte sprachliche Abkürzung ohne eigen­ ständige Bedeutung oder ein begrifflich verselbstständigter Rahmen für das Leitungsermessen ist, kann im Ergebnis dahinstehen.321 Gleiches gilt für die Diskussion um das Gesellschaftsinteresse und dessen Bedeutung. Unter der Prämisse, das Unternehmensinteresse sei mit dem Gesell­ schaftsinteresse inhaltlich gleichbedeutend, kann jedenfalls auf eine strikte Trennung bzw. Unterscheidung verzichtet werden, unabhängig davon, ob eine eigenständige Rechtsbedeutung des Unternehmens aner­ kannt wird oder nicht.322 Doch auch grundsätzlich kommt es für eine Bestimmung der Leitmaximen weniger darauf an, welcher Terminologie gefolgt wird, als auf die inhaltliche Aussage, die sich hinter einem Unter­ nehmens- oder Gesellschaftsinteresse verbirgt.323 (2) Übertragung der Erkenntnisse auf das GmbH-Recht Auch der Geschäftsführer einer GmbH hat sich bei seinen Entscheidun­ gen nach einhelliger Ansicht am Unternehmenswohl zu orientieren.324 319 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 76 Rn. 29; ausführlich zum Shareholder-­ Value-Ansatz als Gegenentwurf zum Unternehmensinteresse Kuhner, ZGR 2004, 244, 258 ff., allerdings mit einer kritischen Sichtweise zur Vereinbarkeit von Shareholder Value und Gesellschaftsinteresse auf den S. 267 ff. 320 Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 178; ebenfalls auf den ­Bestand, die Funktionsfähigkeit und die Aufgabenerfüllung des Verbandes hin­ sichtlich des Zwecks abstellend Krämer, Das Unternehmensinteresse, 2002, S. 47; Kuhner, ZGR 2004, 244, 246. 321 Allgemein ist heute von einer „Ernüchterung“ bzw. von „Ermüdungserscheinun­ gen“ bezüglich der Diskussion um das Unternehmensinteresse im Aktienrecht die Rede, vgl. Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 76 Rn. 68; Fleischer, in: Spind­ ler/Stilz-AktG/1, 2019, § 76 Rn. 27. 322 So zutreffend Zöllner, AG 2003, 2, 7 f. 323 So noch in der Altauflage U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 66; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 148; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 13; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308. 324 Vgl. Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 148; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 12; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 13; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308 m.w.N.; U. H. Schneider, in: ­Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 57, 64; neuerdings vom „Verbandszweck“ spre­ chend Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 50.

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Allerdings sind dabei die Besonderheiten des GmbH-Rechts zu beachten, welches anordnet, dass die Leitungsverantwortung nicht allein beim Ge­ schäftsführer liegt, sondern die Zuständigkeit zur Unternehmensleitung zwischen Geschäftsführer und Gesellschafterversammlung aufgeteilt wird. Hinzu tritt ein faktisches Argument, wenn man sich die GmbH in ihrer am häufigsten anzutreffenden Form, der personalistisch325 gepräg­ ten Gesellschaft, vor Augen führt. Zum Stichtag 01.01.2021 existierten in Deutschland 1.376.420 GmbHs,326 wovon wiederum schätzungsweise 56 % lediglich einen Gesellschafter, 30 % zwei und 9 % drei Gesellschaf­ ter haben.327 Obwohl nach § 6 Abs. 3 S. 1 GmbHG sowohl Gesellschafter (Selbstorganschaft) als auch Dritte (Fremdorganschaft) zum Geschäfts­ führer bestellt werden dürfen, herrscht in der Rechtswirklichkeit größ­ tenteils Selbstorganschaft, sodass Gesellschafter-Geschäftsführer die Re­ gel sind.328 Eine einheitliche Willensbildung ist daher, anders als bei der Publikumsgesellschaft der AG, weitaus einfacher, was als zusätzliches Argument für ein Gesellschafterinteresse als Handlungsmaxime in der GmbH streitet.329 Eine GmbH ist also mehr eine „Veranstaltung der Ge­ sellschafter“330, sodass auch deren Interessen Vorrang gebührt.

325 Als personalistische GmbH werden Gesellschaften mit einem kleinen, überschau­ baren Kreis an Gesellschaftern begriffen, die sich untereinander gut kennen und die Unternehmensleitung selbst in den Händen halten, siehe umfassend zur Er­ scheinungsform der personalistischen GmbH und der Definition dieses Typusbe­ griffs Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 18 f., 72 ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 37 ff. 326 So die auf den amtlichen Geschäftsübersichten der deutschen Handelsregisterge­ richte beruhende Rechtsform-Auswertung von Kornblum, GmbHR 2021, 681, 682. 327 Siehe Bayer/Hoffmann, GmbHR 2014, 12, 13, basierend auf der „Ownership Data­ base“ des Bureau van Dijk (Brüssel), die im November 2013 vom Institut für Rechtstatsachenforschung zum Deutschen und Europäischen Unternehmensrecht der Friedrich-Schiller-Universität mit dem Fokus auf Gesellschafterverhältnisse deutscher GmbH ausgewertet wurde (zum Stichtag 01.01.2013 existierten nach Kornblum 1.098.222 GmbH, Kornblum, GmbHR 2013, 693, 694). Eine weitere, auf die Handelsregisterbezirke Bayerns beschränkte Auswertung für das Jahr 2011 ergab, dass 62 % aller GmbHs einen, 26 % zwei und 8 % drei Gesellschafter ha­ ben, siehe Wedemann, Gesellschafterkonflikte, 2013, S. 13. 328 Siehe Wedemann, Gesellschafterkonflikte, 2013, S. 17 f.; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 27, 203, wonach bei mehr als 2/3 aller GmbHs und 4/5 der Mehrpersonen-GmbHs faktisch Selbstorganschaft herrscht. 329 Insbesondere der Umstand des uneinheitlichen Anlegerinteresses in der AG spricht gegen eine interessenmonistische Ausrichtung des Vorstandshandeln einzig am Aktionärsinteresse, vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 95 f.; Grigoleit, in: Gri­ goleit-AktG, 2020, § 76 Rn. 13 f., 17 ff., die stattdessen auf den Gesellschafts­ zweck bzw. das überindividuelle Gesellschaftsinteresse abstellen. 330 U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 68.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

Vor diesem Hintergrund ist ein interessenpluralistischer Ansatz für die GmbH abzulehnen.331 Ob man stattdessen ein interessenmonistisches Modell befürwortet, im Rahmen dessen ein auf Gewinnerzielung ausge­ richtetes Gesellschafterinteresse mit einem möglichen überindividuel­ len Gesellschaftsinteresse gleichgestellt wird,332 oder man andererseits die bloße Gewinnerzielung als Leitungsmaxime für unzureichend befin­ det und deshalb auf eine nachhaltige Wertschöpfung im Sinne einer Stei­ gerung des Unternehmenswerts abstellt,333 kann letztlich dahinstehen. Solange das Interesse der Gesellschafter im Grundsatz auch auf eine Si­ cherung des Bestands des Unternehmens und dauerhafte Rentabilität ge­ richtet ist, löst sich ein möglicher Widerspruch zwischen den beiden An­ sätzen ohnehin in Luft auf. Sollten die Gesellschafter jedoch die Zielvorgabe einvernehmlich verlassen oder begrenzen – wozu sie jeder­ zeit befugt sind –, hat sich der weisungsabhängige Geschäftsführer auch einem solchen anders lautenden Interesse, beispielsweise nach kurzfris­ tiger Gewinnmaximierung, unterzuordnen.334 Sollten die Gesellschafter von ihrer Befugnis, die Zielvorgaben eigen­ ständig festzulegen, keinen Gebrauch machen, ist davon auszugehen, dass die Bestandserhaltung und dauerhafte Rentabilität als Handlungs­ maßstab dem Gesellschafterinteresse am ehesten entspricht.335 Ange­ sichts der Zuständigkeit des Geschäftsführers nach § 66 Abs. 1 GmbHG 331 So die herrschende Meinung, vgl. BGH, Urteil v. 7.04.2003 – II ZR 193/02, NZG 2003, 528; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 16 ff.; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308 f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 27 f.; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 5; i.E. ebenso Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 2006, S. 332 ff.; deutlich noch in der Altauflage U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 68, vermittelnd hingegen in der Neuauflage Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 54 ff.; a.A. Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 178, die die Gesellschafterinteressen auf Basis eines Interesses an Bestandserhaltung und Rentabilität gleichrangig mit den Interessen von Arbeitnehmern und Gläubigern begreift (interessenpluralistischer Ansatz). 332 So Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 16 ff.; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308 f.; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 5. 333 So Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 27; siehe allgemein und umfassend zum Spannungsverhältnis zwischen dem reinen Streben nach Ge­ winnmaximierung und einem überindividuellen Verbandsinteresse Kuhner, ZGR 2004, 244, 267 ff.; ebenso zum Unterschied zwischen einer Ausrichtung auf dauer­ hafte Rentabilität einerseits und Gewinnmaximierung andererseits Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 76 Rn. 72 ff. 334 So die einhellige Ansicht, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 14; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308 f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 27; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 5; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 150. 335 Eine anderslautende Zielvorgabe könnte beispielsweise auf einen strengen Shareholder-Value-Ansatz ohne Rücksicht auf den langfristigen Bestand der Ge­ sellschaft oder auch auf bloße kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet sein.

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für die Liquidation einer GmbH, kann eine gegenläufige Ausrichtung des Geschäftsführerverhaltens auf die bloße (kurz- oder langfristige) Ge­ winnmaximierung auf den ersten Blick dann zum Problem werden, wenn einzig eine Liquidation zielführend erscheint. Damit ist jedoch nur scheinbar ein Widerspruch zu einem am Bestand der Gesellschaft ausge­ richteten Leitungsermessen gegeben, da eine Liquidation erst nach Auf­ lösung der Gesellschaft möglich wird. Dafür ist, abgesehen von den ­Fällen der §§ 61, 62 GmbHG sowie der sonstigen Fälle des § 60 GmbHG, ein Beschluss der Gesellschafter notwendig, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für einen Auflösungs­ beschluss ist zwingend und kann keinem anderen Gesellschaftsorgan übertragen werden.336 Aber auch abgesehen davon fallen sämtliche unge­ wöhnliche Maßnahmen, insbesondere solche, die nicht mehr vom Unternehmensgegenstand gedeckt sind, stets in den Zuständigkeitsbe­ reich der Gesellschafter. Der Geschäftsführer hat in einem solchen Fall nach § 49 Abs. 2 GmbHG die Gesellschafterversammlung einzuberu­ fen.337 Damit werden aufgrund der Wesensmerkmale der GmbH und der daraus resultierenden Zuständigkeitsverteilung die Interessen der Ge­ sellschafter auch bei einer Leitungsmaxime ausreichend gewahrt, die auf den Bestand der Gesellschaft und nicht ausschließlich auf die bloße Ge­ winnerzielung ausgerichtet ist. Die Handlungsmaximen des Geschäftsführers leiten sich folglich stets aus den Gesellschafterinteressen ab und verpflichten den Geschäftsfüh­ rer grundsätzlich, sein Handeln auf eine dauerhafte Rentabilität auszurich­ ten, losgelöst von einem eventuell bestehenden separaten Gesellschaftsoder Unternehmensinteresse. Das bedeutet, dass der Geschäftsführer nicht verpflichtet, aber berechtigt ist, bei seiner Entscheidungsfindung neben den Gesellschafterinteressen auch gesellschaftsexterne Gesichts­ punkte, namentlich Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange, zu berück­ sichtigen, solange dadurch kein gegenläufiges Ziel verfolgt wird.338 Unab­ hängig davon ernten diese Interessengruppen ohnehin mittelbar die Früchte einer erfolgreichen Unternehmenspolitik, indem Gewinnsteige­

336 Vgl. Berner, in: MüKo-GmbHG/3, 2018, § 60 Rn. 88; Nerlich, in: Michalski/​ u.a.-GmbHG/2, 2017, § 60 Rn. 35; Haas, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 60 Rn. 17. 337 BGH, Urteil v. 25.02.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; U. H. Schneider/S. V. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 34 ff.; auf die mit § 49 Abs. 2 GmbHG zusammenhängende Einberufungs- und Zustimmungspflicht wird an ­ späterer Stelle anhand eines konkreten Beispiels noch vertieft eingegangen, siehe die S. 173 ff. 338 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 19; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1309; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 27 f.; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 5; ebenso für den Vorstand einer AG Krämer, Das Unternehmensinteresse, 2002, S. 40 ff., 195 f.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

rungen auch der Sicherung von Arbeitsplätzen, den Löhnen, der Gläubi­ gerabsicherung sowie den Steuereinnahmen zugutekommen.339 d) Die Kategorisierung der organschaftlichen Pflichten des ­Geschäftsführers Nachdem die Maßstäbe für die unternehmerischen Entscheidungen des Geschäftsführers festgelegt wurden, gilt es nun, dessen organschaftliche Pflichten strukturell zu kategorisieren. Diese Strukturierung wird in der Rechtsprechung und innerhalb der juristischen Literatur mit derart vie­ len unterschiedlichen Begrifflichkeiten vorgenommen, dass sie vielfach mehr Verwirrung stiftet als Klarheit schafft. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung leitet eine Einteilung der Ge­ schäftsführerpflichten aus dem Inhalt des § 43 Abs. 1 GmbHG her, wo­ nach der Geschäftsführer den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Schaden von ihr abzuwenden hat.340 Hierzu gehört ihrer Ansicht nach auch die Sorge für ein rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft nach au­ ßen. In der Literatur wird der Aspekt der Schadensabwendungspflicht teilweise der Pflicht zur sorgsamen Geschäftsführung untergeordnet,341 wobei letztere wiederum von einigen Autoren in die Pflicht zur Beach­ tung des äußeren Handlungsrahmens und die Pflicht zur sorgfältigen Un­ ternehmensleitung im engeren Sinne unterteilt wird.342 Andere nehmen eine Aufteilung der organschaftlichen Aufgaben in drei Pflichtenkreise vor: Die Pflicht zur gewissenhaften Unternehmensleitung, die Überwa­ chungspflicht und die Legalitätspflicht.343 Teilweise wird in jüngerer Zeit als vierter Pflichtenkreis noch die Com­ pli­ ance-Pflicht hinzugefügt.344 Nach U. H. Schneider lässt sich die Pflichtenbindung des Geschäftsfüh­ 339 So Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 96 f.; kritisch Kuhner, ZGR 2004, 244, 270 ff. 340 BGH, Urteil v. 28.04.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 („Gamma“); BGH, Ur­ teil v. 12.10.1987 – II ZR 251/86, NJW 1988, 1321 ff.; die Schadensabwendungs­ pflicht als Konkretisierung der Sorgfaltspflicht spiegelt sich auszugsweise auch in § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG wider, vgl. dazu Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 11. 341 Vgl. Haas/Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 41 ff. m.w.N. 342 Haas/Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 43; was unter diesen beiden Untergruppen konkret zu verstehen ist, ergibt sich aus § 43 Rn. 44 ff. und § 43 Rn. 64 ff; ähnlich argumentierend Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 45 ff., der die organschaftliche Pflichtenbindung in Sorgfaltspflichten und Treuepflichten unterteilt, was er als Untergliederung in eine Legalitätspflicht (Bindung an die gesetzlichen und statutarischen Vorgaben) und eine Pflicht, das Gesellschaftsinteresse zu verfolgen, versteht. 343 Siehe zu den gleich strukturierten Vorstandspflichten in der AG Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 431. 344 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 12; dagegen für lediglich drei Pflichtenkreise des Vorstands einer AG Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 12; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 2; andere verstehen Com­pli­ance nach wie vor als Bestandteil der Legalitätspflicht („Aspekt

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A.  Rechtsnatur und Organe der GmbH

rers dagegen in folgende vier Bereiche einteilen: Die Pflicht zur Verfol­ gung des Gesellschaftszwecks, die Einhaltung von Kooperationspflich­ ten im Verhältnis zu anderen Organen der Gesellschaft, die Befolgung gesetzlicher Pflichten zum Schutz Dritter, und letztlich die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Gesellschaft.345 Zwar erkennt auch U. H. Schneider eine Legalitätspflicht an, versteht diese aber nicht als Pflichtenkreis des § 43 Abs. 1 GmbHG, sondern als übergeordnetes und selbstverständ­ liches Prinzip.346 Welcher speziellen strukturellen Aufteilung der Organpflichten man letztlich folgen mag und wie die einzelnen Pflichten dann zu titulieren wären, kann für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit dahinste­ hen. Entscheidend ist eine Gemeinsamkeit all dieser Strukturkonzepte: Jede der unterschiedlichen Ansichten stellt die Pflicht des Geschäftsfüh­ rers zur Unternehmensleitung mit ihrer Ausrichtung am Unterneh­ menswohl der Legalitätspflicht gegenüber, bzw. geht davon aus, dass die Legalitätspflicht die sonstigen Pflichten des Geschäftsführers überlagert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine unter diesen Um­ ständen vorgenommene Kategorisierung dogmatisch tragfähig ist. An­ ders ausgedrückt gilt es zu hinterfragen, welchen Stellenwert die Legali­ tätspflicht im Pflichtenkanon des Geschäftsführers einnimmt und wie sich diese dogmatisch begründen lässt. Eine auf einer dogmatisch über­ zeugenden Argumentation basierende Antwort kann hierzu nur gefun­ den werden, wenn man sich dem Problem Schritt für Schritt annähert. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung stehen dabei sowohl der Geschäftsführer und die auf ihn einwirkenden Pflichten, als auch das Spannungsverhältnis, in welchem beide Komponenten zueinander ste­ hen. 2. Das Trennungsprinzip im Gesellschaftsrecht Einen Eckpfeiler und „wesentliches Axiom des Gesellschaftsrechts“347 stellt das in § 13 Abs. 1 und 2 GmbHG zum Ausdruck kommende Tren­ nungsprinzip dar, wonach Gesellschafter und Gesellschaft strikt vonein­ ander abzugrenzen sind.348 Dieses „wesentliche(n) Strukturmerkmal(en) der organisationsbezogenen Legalität“), siehe nur Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 45, 54. 345 U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 30. 346 So noch in der Altauflage U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 74; in der Neuauflage ist nur noch von der Legalitätspflicht als Teil der Pflich­ ten des § 43 Abs. 1 GmbHG die Rede, Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 48, 106;. 347 Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519. 348 Vgl. Merkt, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 332; Michalski/Funke, in: Michalski/u.a.-GmbHG/1, 2017, § 13 Rn. 305; Fastrich, in: Baumbach/Hueck-­ GmbHG, 2019, § 13 Rn. 5; Bitter, in: Scholz-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 55.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

der GmbH“349 besagt im Kern, dass die GmbH-Gesellschafter grundsätz­ lich keine persönliche Haftung gegenüber Dritten nach außen trifft, son­ dern gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG eine Haftungsbeschränkung auf das ex­ plizit der GmbH zugewiesene Gesellschaftsvermögen besteht.350 Obgleich das Trennungsprinzip primär die rechtliche Verselbstständi­ gung der Gesellschaft als juristische Loslösung von den Gesellschaftern beschreibt, resultiert aus der eigenen Rechtspersönlichkeit der GmbH freilich auch für den Geschäftsführer als Organ der GmbH – selbst bzw. gerade im Fall der Drittorganschaft351 – dasselbe „Haftungsprivileg“.352 Damit trifft auch ihn gegenüber Außenstehenden (das heißt sowohl ge­ genüber Dritten als auch Gesellschaftern) im Grundsatz keine persönli­ che Einstandspflicht für die Pflichten und Schulden der Gesellschaft.353 Im Gegenzug ist es seine Aufgabe als Geschäftsleiter im Rahmen der Sorgfaltspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Gesellschaftsvermögen sicherzustellen, andernfalls kann er sich nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftbar machen.354 Aufgrund der Doppelfunktion des Gesellschaftsvermögens – so fungiert es einerseits als Einkommensquelle und andererseits als Haftungsmasse – steht der Geschäftsführer „im Fadenkreuz der verschiedenen Interessen“355 von Gesellschaft, Gläubiger und Gesellschafter. 349 U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 16. 350 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 18 ff.; Merkt, in: MüKo-GmbHG/​ 1, 2018, § 13 Rn. 332 ff. m.w.N.; siehe zu den Ausnahmen und damit den Fällen einer möglichen Durchgriffshaftung auf die Gesellschafter K. Schmidt, GesR, 2002, S. 217 ff.; K. Schmidt, ZIP 1994, 837 ff. 351 Nach § 6 Abs. 3 S. 1 GmbHG können als Geschäftsführer sowohl Gesellschafter (Selbstorganschaft) als auch andere Personen (Drittorganschaft) bestellt werden, vgl. hierzu Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 25 ff.; W. Goette, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 6. Rn. 13. 352 Streng genommen handelt es sich hierbei um kein dem Trennungsprinzip unter­ worfenes Haftungsprivileg. Reduziert auf seine Funktion als Geschäftsführer ist dieser lediglich ein Organ der Gesellschaft und im Gegensatz zum Gesellschafter eben kein „Mitglied“ der GmbH. Anders ist dies natürlich im Fall des Geschäfts­ führer-Gesellschafters, der, vermittelt durch die Inhaberschaft eines Geschäftsan­ teils, gleichzeitig Mitglied der GmbH ist. Siehe ausführlich zur Mitgliedschaft in einer GmbH Reichert/Weller, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 14 Rn. 45 ff. 353 Siehe Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 417 f.; Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519 f.; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114, wonach Innen- und Außenpflich­ ten inhaltlich verschieden sind. 354 Die Finanzhoheit obliegt allerdings nach § 46 Nr. 1 GmbHG der Gesellschaf­ terversammlung in originärer Zuständigkeit, der Geschäftsführer verwaltet das Vermögen lediglich treuhänderisch; siehe zur Finanzhoheit der Gesellschafter U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 35 sowie zur Treuhandstellung des Ge­ schäftsführers Haas/Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 189; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 36 („Stellung eines Verwalters fremden Vermögens“). 355 U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 17; zur Doppelfunktion des Sorgfaltsge­ bots siehe Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 10.

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B.  Die juristische Stellung der GmbH im deutschen Steuerrecht

B. Die juristische Stellung der GmbH im deutschen Steuerrecht Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine natürliche Person rechtsfä­ hig ist und damit auch steuerpflichtig im Sinne des § 33 AO sein kann.356 Der Gesetzgeber hat sich aber darüber hinaus entschieden, auch juristi­ sche Personen mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit auszustatten und sie damit zu potentiellen Steuersubjekten zu erklären. Der folgende Ab­ schnitt dient der Veranschaulichung jener rechtlichen Grundlage, auf der die GmbH sowohl abstrakt als auch konkret anhand einiger Beispiele Steuerpflichtige und speziell auch Steuerschuldnerin sein kann.

I. Die GmbH als Steuerpflichtige und Steuerschuldnerin Um die abstrakte rechtliche Stellung juristischer Personen – speziell der GmbH – im deutschen Steuerrecht verständlicher darstellen zu können, muss zunächst erläutert werden, wie ein Steuerrechtsverhältnis generell entsteht. 1. Das Steuerrechtsverhältnis nach dem deutschen Steuerrecht Das Steuerrechtsverhältnis ist in Deutschland in der AO und den Einzel­ steuergesetzen geregelt, wobei man darunter „die sich aus einem kon­ kreten Lebenssachverhalt ergebenden rechtlichen Beziehungen zwischen Steuerbürger und Finanzbehörde“357 versteht. Als „vermögensbezogenes Steuerrechtsverhältnis“358 gilt das Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 Abs. 1 AO, also ein Rechtsverhältnis, durch das der Steuerschuldner ver­ pflichtet wird, eine steuerrechtliche Leistung an den Steuergläubiger zu erbringen.359 Grundsätzlich ist unter einem Steuerschuldner als Spezial­ fall des Steuerpflichtigen i.S.d. § 33 Abs. 1 AO jemand zu verstehen, der den Tatbestand eines Einzelsteuergesetzes verwirklicht und an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft.360 Obwohl der Begriff des Steuer­ pflichtigen (§ 33 AO) zusammen mit den Ausdrücken Steuerschuldver­ hältnis (§ 37 AO) und Steuerbescheid (§ 155 AO) zu den „begrifflichen Grundelementen der AO“361 gehört, wird er nur unzureichend legaldefi­ niert. Nach der beispielhaften Aufzählung in § 33 Abs. 1 AO ist ein Steu­ 356 Vgl. nur Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 4; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 4 f. 357 Koenig, in: Koenig-AO, 2021, Vorbem. zu §§ 33-77 Rn. 4. 358 Vgl. Koenig, in: Koenig-AO, 2021, Vorbem. zu §§ 33-77 Rn. 6. 359 Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 37 Rn. 5. 360 Die Norm des § 43 AO hat insoweit lediglich deklaratorischen Charakter und ist in Zusammenhang mit § 33 AO zu sehen, vgl. Ratschow, in: Klein-AO, 2020, § 43 Rn. 1 f.; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 43 Rn. 2 f. 361 Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 1.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

erpflichtiger demnach jeder, der Handlungs- oder Duldungspflichten zu erfüllen hat, die ihm durch die Steuergesetze auferlegt sind.362 Koenig merkt hierzu richtigerweise an, dass mit dieser Pflichtenstellung auch gewisse Rechte einhergehen. Steuerpflichtiger als Oberbegriff zum Steu­ erschuldner ist letztlich jemand, dem vermögensrechtliche Schuldver­ pflichtungen wie auch nicht vermögensrechtliche Pflichten aus dem Steuerrecht obliegen, dem aber gleichzeitig die damit zusammenhängen­ den Rechte zustehen.363 Neben dem Steuerschuldner können auch der Haftende (siehe insbeson­ dere §§ 69 ff. AO), der Steuerentrichtungspflichtige (z.B. nach § 44 Abs. 1 EStG der Schuldner von Kapitalerträgen) sowie sonstige zur Erfüllung steuerlicher Pflichten Verpflichtete (z.B. nach den §§ 34, 35 AO) Steuer­ pflichtige im Sinne des § 33 Abs. 1 AO sein.364 2. Die abstrakte Stellung der GmbH im Steuerrecht Ob eine GmbH generell Steuerpflichtige sein kann, hängt in erster Linie davon ab, ob sie steuerrechtsfähig ist. Dies ist die Fähigkeit, Subjekt ei­ nes Steuerrechtsverhältnisses, also Träger von steuerlichen Rechten und Pflichten, sein zu können.365 Wie bereits erläutert ist die GmbH als juris­ tische Person allgemein rechtsfähig und damit auch steuerrechtsfähig. Infolgedessen kann sie auch selbst Steuerpflichtige im Sinne des § 33 Abs. 1 AO sein, sollte eine konkrete steuerliche Pflicht oder gar Schuld begründet werden.366 Durch ihre Einkünfte erfüllt die GmbH beispiels­ weise die subjektiven und objektiven Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, was sie zur Beteiligten eines Steuerschuldverhältnisses i.S.d. § 37 Abs. 1 AO macht.367 Daneben ist sie regelmäßig Steuerentrichtungs­ pflichtige, indem sie zum Beispiel als Arbeitgeberin nach den §§ 38 Abs. 3 S. 1 i.V.m. 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG die Lohnsteuer ihrer Angestellten einzubehalten und abzuführen hat.368 Infolgedessen ist die GmbH in die­ ser Konstellation für die für sie fremde Lohnsteuerschuld auch Haftende 362 Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 1 f. 363 Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 25, § 43 Rn. 3. 364 Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 25 ff.; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 27 ff. 365 Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 3; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 2. 366 Michalski/Funke, in: Michalski/u.a.-GmbHG/1, 2017, § 13 Rn. 112; Merkt, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 76; Bitter, in: Scholz-GmbHG/1, 2018, § 13 Rn. 31; Fastrich, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 13 Rn. 3; Wilhelmi, in: BeckOK-GmbHG, 2021, § 13 Rn. 37; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 12 ff; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 6. 367 Vgl. Lampert, in: Gosch-KStG, 2020, § 1 Rn. 1 ff.; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 21, 30; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 17, 27. 368 Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 29, 38; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 33 Rn. 29.

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B.  Die juristische Stellung der GmbH im deutschen Steuerrecht

nach § 42d EStG. Als Steuerpflichtige ist die GmbH zudem beteiligungs­ fähig im Besteuerungsverfahren im Sinne des § 78 AO und somit grund­ sätzlich auch mitwirkungspflichtig nach den §§ 90, 93 ff., 149 ff. AO ist.369 Die Beteiligungsfähigkeit ist dabei streng von der Handlungsfähig­ keit zu trennen, welche die Fähigkeit meint, Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen zu können. Handlungsfähig ist eine juristische Per­ son nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO nur durch ihren gesetzlichen Vertreter.370 Nach § 35 GmbHG ist dies bei der GmbH der Geschäftsführer. Zusammenfassend ist die GmbH also selbst Steuerpflichtige nach § 33 Abs. 1 AO, allen voran als originäre Steuerschuldnerin, zusätzlich aber in der Regel auch als Steuerentrichtungspflichtige sowie als Haftende. Als Beteiligte im Besteuerungsverfahren kann sie nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO durch ihren gesetzlichen Vertreter, den Geschäftsführer, steuerliche Ver­ fahrenshandlungen wirksam vornehmen.

II. Die konkrete Besteuerung der GmbH und ihrer ­Gesellschafter Bei den klassischen, die GmbH als originäre Steuerschuldnerin treffen­ den Steuern sind als relevanteste Steuern vor allem die Körperschaft­ steuer, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer zu nennen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG ist die GmbH als Kapitalgesellschaft unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig,371 wenn sie ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder ihren Sitz (§ 11 AO) im Inland hat.372 Daneben gilt gemäß § 2 Abs. 2 GewStG die Tätigkeit einer GmbH stets und in vollem Umfang als ­Gewerbebetrieb, was zur Folge hat, dass nach § 2 Abs.1 GewStG jede im Inland betriebene GmbH der Gewerbesteuer unterliegt. Die GmbH ist als juristische Person selbst Unternehmerin i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 GewStG und damit nach § 5 Abs. 1 S. 1 GewStG Steuerschuldnerin.373 Zusätzlich sind alle Einkünfte einer GmbH nach § 8 Abs. 2 KStG auf­ grund ihrer Kaufmannseigenschaft als Einkünfte aus Gewerbetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 3 UStG zu werten. Die GmbH ist auch Unternehmerin i.S.d.

369 Vgl. dazu Rätke, in: Klein-AO, 2020, § 78 Rn. 1 f. 370 Hahlweg, in: Koenig-AO, 2021, § 78 Rn. 12, § 79 Rn. 21 f. 371 Der Begriff des Steuerpflichtigen ist insoweit irreführend, als dass damit viel mehr die subjektiven Voraussetzungen der Steuerschuld gemeint sind, vgl. Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 33 Rn. 2; siehe auch Lampert, in: Gosch-KStG, 2020, § 1 Rn. 1, 32 f., der diesbezüglich von der „subjektiven Steuerpflicht“ spricht. 372 Vgl. zur Körperschaftsteuer der GmbH Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 421 ff. 373 Siehe zur Gewerbesteuer der GmbH Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 639 ff.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

§ 2 Abs. 1 UStG,374 was sie zur Steuerschuldnerin der Umsatzsteuer macht.375 Neben ihrer Eigenschaft als originäre Steuerschuldnerin ist die GmbH regelmäßig auch Steuerentrichtungspflichtige i.S.d. § 33 Abs. 1 AO. Dies trifft insbesondere für die Besteuerung beim Anteilseigner im Falle einer offenen und verdeckten Gewinnausschüttung zu. Bei beiden Varianten handelt es sich um Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.376 Diese Einkünfte unterliegen einer Quellensteuer in Form der Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG. Steuerschuldner dieser Kapitalertragsteuer ist nach § 44 Abs. 1 S. 1 EStG der Anteilseigner als Gläubiger der Kapitalerträge, also nicht die GmbH. Letztere hat als Schuldnerin der Kapitalerträge aber beim Zeitpunkt des Entstehens der Kapitalertragsteuer (siehe dazu § 44 Abs. 1 S. 2 EStG) den Steuerabzug vorzunehmen und die einbehaltene Steuer gemäß § 44 Abs. 1 S. 5 HS. 2 EStG an das zuständige Finanzamt abzuführen. Sie ist dementsprechend Steuerentrichtungspflichtige und haftet unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 S. 1 EStG bei Verletzung dieser steuerrechtlichen Pflicht.377 Darüber hinaus kann die GmbH von der Erbschaft- und Schenkungsteu­ er, der Grunderwerbsteuer sowie speziellen steuerlichen Folgen im Falle einer Umwandlung nach dem UmwStG betroffen sein. Auch im Falle einer Liquidation gelten spezifische steuerliche Regeln (vgl. nur § 11 KStG). Ergänzend ist zu erwähnen, dass die GmbH als Formkaufmann (§§ 13 Abs. 3 GmbHG, 6 Abs. 1 HGB) nach den §§ 238, 242, 264 HGB buch­ führungs- und bilanzierungspflichtig ist. Demnach besteht für sie auch eine steuerrechtliche Buchführungsplicht als abgeleitete Pflicht aus § 140 AO. Nach § 41 GmbHG ist der Geschäftsführer für die ordnungs­ gemäße Buchführung verantwortlich, wobei diese Pflicht aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Natur vertraglich nicht ausgeschlossen werden kann.378

374 Eine Ausnahme von der Unternehmereigenschaft ergibt sich nur, wenn eine GmbH gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in ein anderes Unternehmen als Organgesellschaft eingegliedert ist, vgl. Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 665 ff. 375 Siehe zur Umsatzsteuer der GmbH Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 657 ff. 376 Vgl. Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 686, 692. 377 Zur Besteuerung beim Anteilseigner vgl. Hottmann u.a., Die GmbH im Steuer­ recht, 2015, S. 685 ff. 378 Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 220 f.

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

C. Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger Neben der oben erwähnten formalen Funktion des Geschäftsführers, für die GmbH über § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO wirksame Verfahrenshandlungen vornehmen zu können, hat er aufgrund seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter der GmbH nach § 34 Abs. 1 AO auch materiell-rechtlich deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Er wird damit selbst zum Steuerpflich­ tigen i.S.d. § 33 Abs. 1 AO als sonstiger Verpflichteter. Obwohl die Norm eigene steuerrechtliche Pflichten des Geschäftsführers gegenüber der Fi­ nanzbehörde begründet, hat dies nicht automatisch zur Folge, dass er auch Steuerschuldner wird.379 Lediglich unter den zusätzlichen Voraus­ setzungen des § 69 S. 1 AO kann er als „Haftungsschuldner“380 Beteilig­ ter eines Steuerschuldverhältnisses i.S.d. § 37 Abs. 1 AO werden. Im Rahmen des folgenden Abschnitts werden zunächst allgemein die sich aus dem Gesetz ergebenden steuerrechtlichen Pflichten des Geschäfts­ führers erläutert (I.). Anschließend erfolgt eine Darstellung seiner mit diesen Pflichten korrespondierenden Haftung, sowohl steuerrechtlich nach § 69 S. 1 AO, als auch GmbH-rechtlich nach § 43 Abs. 2 bzw. § 15b Abs. 4 InsO (II.).

I. Die steuerrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers Die steuerrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers umfassen insbe­ sondere die Mitwirkungspflichten der §§ 90, 93 ff., 149 ff. AO inklusive der Vornahme von Steueranmeldungen (z.B. § 41a Abs. 1 EStG) sowie zahlreiche sonstige Einzelpflichten.381 So ist beispielsweise jede GmbH als Steuerschuldnerin der Körperschaftsteuer nach § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 25 EStG, 56 EStDV verpflichtet, eine Körperschaftsteuererklä­ rung abzugeben. Die Steuererklärung ist eine Verfahrenshandlung, so­ dass für deren Durchführung eine Vertretung durch den Geschäftsführer notwendig ist, § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 35 GmbHG.382 Damit steht jedoch nur fest, wie die GmbH ihre steuerliche Pflicht formell wirksam erfüllen kann. Zusätzlich erweitert § 34 Abs. 1 AO den materiell-rechtli­ chen Pflichtenkreis auch auf den Geschäftsführer und macht ihn – für eine fremde Steuerschuld – unmittelbar selbst zum Steuererklärungs­ 379 BT-Drucks. VI/1982, S. 110 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 396; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 34 Rn. 1; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 34 Rn. 1; Beermann, DStR 1994, 805, 807. 380 § 33 Abs. 1 AO stellt Schuldner und Haftenden gleich, sodass man letzterem auch als „Haftungsschuldner“ bezeichnet (die §§ 191, 219 AO verwenden sogar unmit­ telbar diesen Begriff), vgl. Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, Vor § 69 Rn. 12. 381 Siehe für eine umfassende Aufzählung Hottmann u.a., Die GmbH im Steuerrecht, 2015, S. 143 f.; Mösbauer, Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 64 ff.; Mösbauer, StB 1984, 65 ff. 382 Haselmann, in: Koenig-AO, 2021, § 149 Rn. 5.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

pflichtigen.383 Dabei ist die öffentlich-rechtliche Natur der durch § 34 Abs. 1 AO begründeten Pflichten des Geschäftsführers hervorzuheben. Im Gegensatz zu den zivilrechtlichen Pflichten, die den Geschäftsführer intern gegenüber der Gesellschaft treffen, ist eine Entledigung öffent­ lich-rechtlicher Pflichten durch Vereinbarung nicht möglich.384 Mösbauer betont insofern zutreffend, dass die „steuerlichen Pflichten der GmbH und somit auch die des Geschäftsführers untrennbar mit der Funktion des Geschäftsführers verbunden sind.“385

II. Die steuerliche Haftung des Geschäftsführers im Außen- und Binnenverhältnis In jüngerer Zeit hat sich die Rechtsprechung verstärkt mit der persönli­ chen Haftung des GmbH-Geschäftsführers beschäftigt, weshalb diese auch in der juristischen Literatur wieder mehr in den Fokus der For­ schung gerückt ist.386 Insbesondere nach dem GmbH-Recht und dem Steuerrecht ist der Geschäftsführer einem „erhebliche[n] Haftungsrisi­ ko“387 ausgesetzt, wobei die Auswirkungen dieser Haftung den Gm­ bH-Geschäftsführer nach teilweise vertretener Ansicht sogar noch schwerer treffen als AG-Vorstände.388 Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Beschränkung der Organhaftung gegenwärtig intensiv disku­ tiert wird.389 383 Vgl. BFH, Urteil v. 18.04.1991 – IV R 127/89, BFHE 164, 185. 384 Ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Reichsfinanzhof, Urteil v. 26.10.1933 – VI A 536/32, RStBl. 1933, 1224; BFH, Urteil v. 21.05.1969 – I R 8/68, BFHE 96, 39 m.w.N.; siehe auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 399; Loose, in: Tipke/Kru­ se-AO/I, 2019, § 34 Rn. 16; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 34 Rn. 35; Beermann, DStR 1994, 805, 806. 385 Mösbauer, GmbHR 1986, 270, 272; siehe auch Mösbauer, Haftung für die Steuer­ schuld, 1990, S. 67. 386 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 141; Bayer, GmbHR 2014, 897, 901; zur Zunahme der Organhaftung in der AG siehe Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 12 ff.; Fehrenbach, AG 2015, 761 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 23 ff. 387 Schuhmann, StBp 1992, 7; Beermann, DStR 1994, 805; siehe allgemein zur Zu­ nahme der Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers, insbesondere in Folge des MoMiG und in Zusammenhang mit Com­pli­ance-Anforderungen, Bayer, Gm­ bHR 2014, 897, 900 f.; Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1291; K. Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff.; Lieder, GmbHR 2009, 1177, 1183 ff.; 388 So Bayer, GmbHR 2014, 897, der diesen Umstand darauf zurückführt, dass vor al­ lem den Geschäftsführern kleiner und mittlerer GmbH nicht dieselbe Qualität sachverständiger Beratung und Hilfestellung zur Verfügung steht wie den Vorstän­ den großer AGs. 389 Für eine solche Haftungsbegrenzung der Höhe nach namentlich G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 275 ff.; Spindler, AG 2013, 889, 894 f.; Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 51a ff. m.w.N.; für eine Haf­ tungsprivilegierung nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts (innerbetrieblicher

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

1. Die steuerrechtliche Außenhaftung nach § 69 AO Einen besonders praxisrelevanten Tatbestand der Außen- und Fremdhaf­ tung390 des Geschäftsführers stellt jener für Steuerschulden der Gesell­ schaft dar, § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. Wie soeben erläutert wurde, ist neben der GmbH auch der Geschäftsführer als deren gesetzlicher Ver­ treter Steuerpflichtiger nach den §§ 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 AO und hat ei­ gene steuerrechtliche Pflichten. Unter den Voraussetzungen des § 69 S. 1 AO kann er darüber hinaus Haftender und damit selbst Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses werden, sodass seine Haftungsschuld akzesso­ risch neben die originäre Steuerschuld der Gesellschaft tritt.391 Die GmbH als Steuerschuldnerin und der Geschäftsführer als Haftender sind fortan als Gesamtschuldner zu betrachten, so § 44 Abs. 1 AO.392 a) Allgemeines zur Geschäftsführerhaftung aus § 69 AO Wie eingangs erwähnt, ist der Geschäftsführer einer GmbH einem erheb­ lichen Haftungsrisiko ausgesetzt, wobei der Gesetzgeber laut Hommelhoff/Schwab mit § 69 AO selbst das „hellste Signal“393 in Bezug auf die extensive Haftung des Geschäftsführers gesetzt hat. Wieso der ansonsten grundsätzlich nur innerhalb der Gesellschaft haftende Geschäftsführer im steuerrechtlichen Bereich unbeschränkt mit seinem persönlichen Vermögen nach außen haften soll, ist für ihn oftmals rechtlich nicht nachvollziehbar und wird als ungerecht empfunden.394 Der Grund für diese „Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus“395 erschließt sich dabei erst anhand der Rechtsnatur, des Zwecks und der Entstehungsge­ schichte der steuerrechtlichen Haftung.

Schadensausgleich) Bachmann, ZIP 2017, 841, 842 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 684 ff.; gegen eine Begrenzung der materiell-rechtlichen Haftung Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 801 ff.; Schöne/Petersen, AG 2012, 700 ff. 390 Siehe zu dieser Einordnung Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 1; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 363; vgl. allgemein zur Haftung im Steuerrecht Arens, VJSchrStuFR 1927, 567 ff., mit seiner noch immer zutreffenden Kritik an der Uneinheitlichkeit bei der Verwendung der Begriffe „haften“ und „Haftung“; dazu Stellung nehmend Mösbauer, Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 7 f. 391 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 363; Beurskens, in: Baumbach/ Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 145; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 1; Britz, Haftung des Geschäftsführers für Steuerschulden, 2002, S. 17. 392 Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 34 Rn. 1; zum Verhältnis des Steuerschuldners zum Haftungsschuldner vgl. BFH, Urteil v. 19.10.1976 – VII R 63/73, BFHE 120, 329; BFH, Urteil v. 30.08.1994 – VII R 101/92, BFHE 175, 509. 393 Hommelhoff/Schwab, in: FS Kraft, 1998, S. 263, 265. 394 Vgl. Beermann, DStR 1994, 805 f.; Beermann, FR 1992, 262; siehe dazu auch Enge, GmbHR 2018, 625 ff. 395 Crezelius, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 367.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

(1) Rechtsnatur und Zweck der steuerrechtlichen Haftung Die Haftung aus § 69 AO hat nach einhelliger Ansicht in Rechtspre­ chung396 und Schrifttum397 Schadensersatzcharakter. Es trifft den gesetz­ lichen Vertreter also keine Einstandspflicht im Sinne eines Bürgen für die Erfüllung der Steuerschulden der GmbH.398 Beide Vorschriften, § 34 Abs. 1 AO und § 69 S. 1 AO, bilden dabei ein gemeinsames System aus Pflichtenübertragung und Haftung zwecks Kompensation des mit der Be­ stellung eines Vertreters einhergehenden gesteigerten Ausfallrisikos für Steuerschulden.399 Die bis heute bestehende Besserstellung des Steuer­ gläubigers im Vergleich zu sonstigen Privatrechtsgläubigern in gesell­ schaftsrechtlichen Außenhaftungsfragen wird unter anderem dadurch begründet, dass der Fiskus sich seine Schuldner nicht aussuchen könne und dementsprechend naturgemäß einem größeren Ausfallrisiko ausge­ setzt sei.400 Zwar kann auch der Zivilrechtsgläubiger im Rahmen der ge­ setzlichen Schuldverhältnisse sich seinen Schuldner nicht aussuchen, jedoch ist im Gegensatz dazu bei Steuerausfällen die Allgemeinheit be­ troffen und nicht nur ein Einzelner, sodass an der Erfüllung dieser Schuld ein besonderes öffentliches Interesse besteht.401 Ähnlich sieht dies U. Haas in seiner Habilitationsschrift. Einerseits zieht auch er die Pa­ rallele zwischen der privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Son­ derbeziehung eines Anspruchsgläubigers zur GmbH aufgrund deren be­ schränkten Haftung und der damit einhergehenden Gläubigergefährdung,402 gleichwohl erkennt er aber eine grundsätzliche Besserstellung des Steu­ ergläubigers im Ergebnis an, wobei diese sich aber nicht einzig durch die Zwecksetzung der Sicherstellung des Steueraufkommens begründen las­ sen darf. Indem § 69 AO das einer GmbH typischerweise immanente Haftungsrisiko für den Steuergläubiger weitestgehend kompensiert, kommt es zu einem Vorrang der Interessen des Fiskus vor den Interessen der übrigen Gläubigern.403 Diese Bevorzugung birgt ein großes Kon­ fliktpotential in sich und ist nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesell­

396 BFH, Urteil v. 26.07.1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512; BFH, Urteil v. 05.09.1989 – VII R 61/87, BFHE 158, 13; BFH, Urteil v. 05.03.1991 – VII R 93/88, BFHE 164, 203. 397 Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 2; Wilcke, StVJ 1990, 146, 151; aus­ führlich hierzu I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 23 ff. m.w.N. 398 Beermann, DStR 1994, 805, 806. 399 Vgl. I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 22; Beermann, DStR 1994, 805, 807. 400 I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 22; Steeger, Steuerliche Haftung des Geschäftsführers, 1998, S. 22 ff. 401 I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 23. 402 U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 181. 403 U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 185 ff.

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

schaft deshalb zusätzlich mittels des durch die Rechtsprechung entwi­ ckelten Grundsatzes der anteiligen Tilgung zu rechtfertigen.404 Durch die Etablierung eines zusätzlichen Steuerpflichtigen kommt es also zu einer „Verstärkung und Sicherung des Steueraufkommens“405. Die Rechtsprechung sieht das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks in einer Expansion des Steuerrechtsverhältnisses auf den gesetzlichen Vertreter.406 Auch die Literatur erachtet die Sicherung des Steueraufkommens als ei­ nen legitimen Normzweck.407 Teilweise wird daneben auf einen zusätzli­ chen präventiven Aspekt abgestellt, wonach durch die Haftungsandro­ hung künftige Pflichtverletzungen verhindert werden sollen.408 (2) Entstehungsgeschichte Auch historisch hieß es schon in der Begründung zum Entwurf der Reich­ sabgabenordnung von 1919, dass die Finanzämter einen ständigen An­ sprechpartner benötigen würden und daher die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen hätten.409 Das Bestreben des Gesetzgebers, „für jeden Steueranspruch irgendwo eine Person zu finden, die für ihn einstehen muss“, wurde bereits sehr früh kritisch hinterfragt.410 Dennoch konnte sich das legislative Anlie­ gen damals durchsetzen, indem mit § 84 RAO 1919 eine dem heutigen § 34 AO vergleichbare Pflichtnorm und mit § 90 RAO 1919 eine dem heutigen § 69 AO vergleichbare Haftungsnorm erlassen wurden.411 404 Siehe ausführlich zu diesem Konfliktpotential und allgemein zum Grundsatz der anteiligen Tilgung von Steuerschulden U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 188 ff.; Spriegel/Jokisch, DStR 1990, 433, 434 ff.; Wilcke, StVJ 1990, 146, 153 ff. 405 BFH, Urteil v. 29.09.1987 – VII R 54/84, BFHE 151, 111; ebenso Loose, in: Tipke/ Kruse-AO/I, 2018, Vor § 69 Rn. 8 f. 406 BFH, Urteil v. 18.05.1988 – X R 27/80, BFHE 153, 299. 407 Steeger, Steuerliche Haftung des Geschäftsführers, 1998, S. 22 ff.; I. Haas, Steuer­ liche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 19 f.; Gasper, Tax Com­pli­ ance, 2016, S. 394; Mösbauer, Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 4; Mösbauer, GmbHR 1986, 270, 271; Beermann, DStR 1994, 805, 806 f. 408 So I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 21 f.; Steeger, Steuerliche Haftung des Geschäftsführers, 1998, S. 26; inwiefern dieser prä­ ventive Aspekt einer gesonderten Erwähnung bedarf, ist jedoch fraglich. An sich handelt es sich dabei um dieselbe präventive Wirkung, wie sie jeder Haftungs­ norm innewohnt. 409 Begründung zum Entwurf der Reichsabgabenordnung von 1919, Drucks. der Deut­ schen Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 759/585; einen guten Überblick über die Entwicklung des Steuerrechts durch die Gesetzgebung seit 1919 liefert Hensel, StuW 1924, 963 ff., sowie zur Entwicklung des Steuerrechts durch die Rechtsprechung seit 1919 Becker, StuW 1924, 1005 ff. 410 Vgl. Hensel, StuW 1924, 963, 978. 411 Siehe umfassend zur Entstehungsgeschichte dieses Haftungssystems I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 9 ff.; Steeger, Steuerli­ che Haftung des Geschäftsführers, 1998, S. 5 ff.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

b) Voraussetzungen Nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haftet der Geschäftsführer persön­ lich, wenn er die ihm auferlegten Pflichten vorsätzlich oder grob fahrläs­ sig verletzt und infolgedessen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhält­ nis zwischen Gesellschaft und Fiskus nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt, oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Es be­ darf demnach fünf Voraussetzungen für die Entstehung der steuerrecht­ lichen Haftung, die sich wie folgt zusammensetzen: Beim Anspruchs­ gegner muss es sich um eine der in §§ 34, 35 AO genannten Personen handeln (Haftungsschuldnereigenschaft), die vorsätzlich oder grob fahr­ lässig (Verschulden) ihre steuergesetzlichen Pflichten verletzt hat (Pflichtverletzung), wodurch (Kausalzusammenhang) ein steuerlicher Schaden (Schaden der Finanzbehörden) eingetreten ist.412 (1) Der Geschäftsführer als Haftender Wie sich aus § 69 S. 1 AO ergibt, haften nur die in den §§ 34, 35 AO be­ zeichneten Personen. Dass der Geschäftsführer einer GmbH gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 34 Abs. 1 AO ist, wurde bereits geklärt. Da in der Praxis vornehmlich GmbH-Geschäftsführer von der Haftung nach § 69 AO betroffen sind, spricht man auch von der „Geschäftsführer­ haftung“413. Ob der Geschäftsführer die mit seinem Amt verbundenen Aufgaben tatsächlich ausübt oder insofern lediglich als „Strohmann“ (sog. Scheingeschäftsführer) ohne eigene Handlungsmöglichkeiten fun­ giert, ist hier unerheblich. Entscheidend ist einzig, dass er nominell und formell wirksam als Geschäftsführer bestellt wurde.414 Wird er als Haf­ tender in Anspruch genommen, kann er nicht zugleich Steuerschuldner sein, da Haftung zwangsläufig Einstehen für eine fremde Schuld bedeu­ tet.415 Eine diesbezügliche Besonderheit, aber keinen Bruch mit dem Grundsatz des Einstehenmüssens für eine fremde Schuld, bietet jene Konstellation, in welcher der Geschäftsführer für seinen eigenen Ar­ beitslohn keine Lohnsteuer abführt. Nach § 38 Abs. 2 S. 1 EStG ist er dann als Arbeitnehmer der GmbH zwar selbst Steuerschuldner, kann je­ doch gleichzeitig für die aus seiner Sicht fremde Steuerentrichtungs­

412 Vgl. Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 2; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 363. 413 Beermann, FR 1992, 262. 414 BFH, Urteil v. 02.07.1987 - VII R 104/84, BFH/NV 1988, 6; BFH, Beschl. v. 13.02.1996 – VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657 f.; BFH, Beschl. v. 25.04.1989 – VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757; Beermann, DStR 1994, 805, 807 m.w.N. 415 Vgl. BFH, Urteil v. 30.08.1994 – VII R 101/92, BFHE 175, 509 m.w.N.

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

pflicht der GmbH (§ 38 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG) als Haftender nach § 69 S. 1 AO in Anspruch genommen werden.416 (2) Schuldhafte Pflichtverletzung Der Pflichteninhalt des § 34 Abs. 1 AO umfasst alle steuerlichen Pflich­ ten (sowohl Steuerentrichtungs- als auch Steuererklärungspflichten), welche im Zusammenhang mit der Steuerschuld der GmbH stehen, de­ ren gesetzlicher Vertreter der Geschäftsführer ist. In Betracht kommen dabei ausschließlich durch die Steuergesetze auferlegte Pflichten, also solche, die sich aus dem Steuerschuldverhältnis zwischen Gesellschaft und Fiskus ergeben. Ein bloßer Verstoß gegen z.B. handelsrechtliche Be­ stimmungen bzw. eine Insolvenzverschleppung begründen dagegen kei­ ne steuerliche Haftung.417 Hierbei das Verschuldenserfordernis streng vom Merkmal der Pflichtverletzung zu trennen, ist jedenfalls im Rah­ men der groben Fahrlässigkeit kaum möglich, sodass auch Rechtspre­ chung und Schrifttum aufgrund der engen Verflechtung dieser beiden Kriterien zumeist eine einheitliche Prüfung vornehmen und sich kaum um eine Unterscheidung bemühen.418 Der ehemalige Vorsitzende Richter am BFH, Beermann, äußerte diesbezüglich, dass „die Grenzen, die sich aus dem Erfordernis der Pflichtverletzung […] ergeben, regelmäßig auch mit den Grenzen übereinstimmen, die sich aus dem Erfordernis des Ver­ schuldens […] ergeben“419. Der Grund hierfür erschließt sich, sobald man die Einzelheiten zu diesen beiden Erfordernissen genauer begutachtet. Aus § 69 S. 1 AO folgt, dass der Geschäftsführer eine der ihm nach § 34 Abs. 1 AO persönlich auferlegte steuerliche Pflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzen muss. Vorsätzlich handelt, wer seine steuerlichen Pflichten kennt und sie willentlich missachtet, wobei der Vorsatz sich nicht auch auf die Verkürzung der Steuern, also den Schaden der Finanz­ behörden beziehen muss.420 Grob fahrlässig im Sinne des § 69 S. 1 AO 416 BFH, Urteil v. 15.04.1987 – VII R 160/83, BFHE 149, 505; Loose, in: Tipke/Kruse-­ AO/I, 2018, Vor § 69 Rn. 12 m.w.N. 417 Vgl. BFH, Urteil v. 07.10.1977 – III R 131/73, NJW 1978, 447; Rüsken, in: KleinAO, 2020, § 69 Rn. 25; Kratzsch, in: Koenig-AO, 2021, § 69 Rn. 32; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 365 m.w.N. 418 BFH, Urteil v. 05.03.1991 – VII R 93/88, BFHE 164, 203; siehe dazu auch Beermann, DStR 1994, 805, 810; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 145 ff.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 12 m.w.N.; der dogmatische Streit um die Trennung von Pflichtverletzung und Verschulden wird bei § 823 BGB bereits seit langer Zeit im Rahmen der Frage nach einem zwei- oder dreistufigen Deliktsauf­ bau geführt, eingehend hierzu G. Wagner, in: MüKo-BGB/7, 2020, § 823 Rn. 1 ff. 419 Beermann, DStR 1994, 805, 810. 420 BFH, Beschl. v. 12.07.1983 – VII B 19/83, BFHE 138, 424; BFH, Urteil v. 17.09.1987 – VII R 62/84, BFH/NV 1988, 7; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 24; missverständlich insoweit Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 146, wonach sich der Vorsatz aus § 69 S. 1 AO auf den ersten Blick auf ein kognitives Element zu

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Dafür muss dasjenige unbe­ achtet gelassen werden, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, oder einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht ange­ stellt werden.421 Im Gegensatz zum rein objektiven Fahrlässigkeitsbegriff des Zivilrechts (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) gilt für § 69 S. 1 AO ein subjekti­ ver Maßstab. Entscheidend ist nicht die im Verkehr erforderliche Sorg­ falt, vielmehr kommt es auf die persönlichen Kenntnisse und Fähigkei­ ten des Einzelnen an.422 Allerdings relativiert die Rechtsprechung diese Subjektivität des steuerrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs weitestge­ hend dadurch, dass sie den Anknüpfungspunkt des Verschuldens, die Pflichtverletzung, aus objektiven Kriterien herleitet.423 Vor diesem Hin­ tergrund lässt sich wie folgt der Grund für das Verschwimmen der beiden Ebenen „Pflichtverletzung“ und „Verschulden“ erklären. Zunächst gilt auch im Steuerrecht der Grundsatz, dass die objektive Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens das Verschulden indiziert.424 Nach der Rechtsprechung des BFH425 schuldet der Geschäftsführer einer GmbH auch dem Steuergläubiger im Rahmen seiner steuerrechtlichen Pflichte­ nerfüllung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, so § 43 Abs. 1 GmbHG. Die Pflichtwidrigkeit seines Handelns bemisst sich folg­ lich anhand objektiver Gesichtspunkte.426 Gleichzeitig ist es allerdings zulässig, bei einem Verstoß des Geschäftsführers gegen seine steuerli­ chen Pflichten allein aufgrund seiner fehlenden oder mangelhaften Kenntnisse hinsichtlich der Steuergesetze auf eine zumindest grob fahr­

beschränken scheint, während das voluntative Element ausgeblendet wird. Dies dürfte aber der Formulierung geschuldet sein, welche darauf abzielt, den Schaden der Finanzbehörden vom Vorsatz auszunehmen, nicht den Vorsatzbegriff als sol­ chen zu modifizieren. 421 Vgl. Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 26 m.w.N. 422 BGH, Urteil v. 08.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143 f.; BGH, Urteil v. 08.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 147 f.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 25 m.w.N. 423 Ebenso Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 370; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 148. 424 BFH, Urteil v. 13.03.2003 – VII R 46/02, BFHE 202, 22; BFH, Beschl. v. 14.09.1999 – VII B 33/99, BFH/NV 2000, 303 f.; BFH, Beschl. v. 05.03.1998 – VII B 36/97, BFH/ NV 1998, 1325 ff.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 29; Beermann, DStR 1994, 805, 810; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 157. 425 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, vgl. BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132. 426 Freilich kann der Maßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG nicht für sämtliche Haftungs­ fälle des § 69 S. 1 AO gelten, da nicht alle in den §§ 34, 35 AO genannten Perso­ nen Geschäftsführer sind, so zutreffend Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 25. 

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

lässige Pflichtverletzung zu schließen.427 Unter diesen Umständen spielt es letztlich keine Rolle, ob bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit im Rah­ men des § 69 AO der Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG zugrunde gelegt wird oder stattdessen auf die persönlichen Kenntnisse und Fähig­ keiten abzustellen ist. Eine strikte Trennung dieser beiden Vorausset­ zungen hält der BFH infolgedessen für zwecklos und lässt es in seinen Entscheidungen regelmäßig dahinstehen, aus welchem konkreten Merk­ mal sich die Grenzen der Geschäftsführerhaftung ergeben. (3) Schaden der Finanzbehörden Weitere Voraussetzung ist die Schädigung des Vermögens des Steuergläu­ bigers, wobei der Begriff „Schaden“ im Sinne eines tatsächlichen Steuer­ ausfalles in diesem Zusammenhang nicht ganz passend ist.428 Mögliche Verursachungsformen der steuerlichen Pflichtverletzung sind sowohl die fehlende oder nicht rechtzeitige Festsetzung bzw. Entrichtung von Steu­ ern oder steuerlichen Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO), als auch die Zah­ lung von Steuervergütungen bzw. Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund.429 Die fehlende oder nicht rechtzeitige Festsetzung von Steuer und steuerlichen Nebenleistungen führt indes nicht zwangsläufig zu ei­ nem Steuerausfall beim Fiskus, da der Geschäftsführer gesamtschuldne­ risch neben der GmbH haftet (§ 44 Abs. 1 S. 1 AO) und letztere den Steu­ eranspruch nach wie vor begleichen kann.430 Nichtsdestotrotz entsteht der Haftungsanspruch zunächst gegen den Geschäftsführer, also keine Ausfallhaftung.431 (4) Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und steuerlichem Schaden Aufgrund des Schadensersatzcharakters der steuerrechtlichen Haftung ist ein Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und steuerli­ chem Schaden notwendig. Die Pflichtverletzung ist für den Haftungs­ schaden dann ursächlich, wenn letzterer ohne die Pflichtverletzung

427 Vgl. BFH, Beschl. v. 17.07.1984 – VII S 9/84, BFH/NV 1986, 583, 586; BFH, Beschl. v. 13.02.1996 – VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657 f.; man spricht in diesem Zusam­ menhang vom sog. „Übernahmeverschulden“, was meint, dass derjenige, der eine der in §§ 34, 35 AO genannten Funktionen übernimmt, sich auch die zu deren Er­ füllung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen muss, vgl. Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 148. 428 So zutreffend I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 63. 429 Siehe ausführlich hierzu Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 13 ff.; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 28 ff. 430 Vgl. Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 2. 431 BFH, Urteil v. 26.07.1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512.

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nicht eingetreten wäre.432 Der Kausalzusammenhang wird dabei von der Adäquanztheorie bestimmt. Demnach sind nur solche Pflichtverletzun­ gen ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, den Haftungserfolg zu verursachen und dieser im konkreten Fall ohne sie nicht eingetreten wäre. Aus dem Zivilrecht bekannte Grundsätze, wie der hypothetische Kausalverlauf oder die Lehre vom Schutzzweck der verletzten Norm, erfahren bei § 69 AO keine bzw. nur sehr eingeschränkt Berücksichtigung.433 2. Die Binnenhaftung des Geschäftsführers im steuerrechtlichen Kontext Die primäre Vorschrift zur Regelung der Schadensersatzhaftung zwi­ schen Geschäftsführer und Gesellschaft ist § 43 Abs. 2 GmbHG, wobei im Zuge dessen auch die Verletzung steuerlicher Pflichten haftungsbe­ gründend wirken kann. Die gegenüber der Gesellschaft geschuldeten steuerlichen Pflichten können jedoch unter Umständen in einem Span­ nungsverhältnis zu den steuerrechtlichen Pflichten der GmbH stehen, deren Erfüllung der Geschäftsführer über § 34 Abs. 1 AO dem Fiskus per­ sönlich schuldet. Unter den einzelnen Voraussetzungen der organschaft­ lichen Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG werden die Probleme und we­ sentlichen Fragestellungen angeschnitten, die sich aus dem Verhältnis der beiden Pflicht- und Haftungskomplexe zueinander ergeben (a). Ein vertieftes Eingehen auf die einzelnen Komplexe kann erst im nachfolgen­ den Kapitel geleistet werden. Daneben trifft den Geschäftsführer nach § 15b Abs. 1 S. 1 InsO, der mit Wirkung vom 01.01.2021 den bis dahin geltenden § 64 S. 1 GmbHG ab­ gelöst hat, die nach § 15b Abs. 4 InsO haftungsbewehrte Pflicht, bei In­ solvenzreife (§§ 17, 19 InsO) der Gesellschaft die Masse zu sichern und zu erhalten.434 Das gilt gemäß § 15b Abs. 1 S. 2 InsO jedoch nicht für Zahlungen, die auch nach dem Zeitpunkt der Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 43 Abs. 1 GmbHG) vereinbar sind. Dieser vor allem dem Gläubigerschutz dienenden Vorschrift kommt angesichts der hohen Insolvenzanfälligkeit

432 Vgl. Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 20 mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung. 433 BFH, Urteil v. 05.06.2007 – VII R 65/05, BFHE 217, 233; Loose, in: Tipke/Kru­ se-AO/I, 2018, § 69 Rn. 21; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 134; eine aus­ führliche Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung findet sich bei I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 205 ff. 434 Speziell zu den Kontroll- und Überwachungspflichten im Rahmen des § 64 ­GmbHG a.F. vgl. BGH, Urteil v. 06.11.2018 – II ZR 11/17, DB 2019, 300; siehe dazu Fleischer, DB 2019, 472, 475 f.

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der GmbH erhebliche praktische Bedeutung zu.435 Dabei wirft die Masse­ sicherungspflicht gerade im Kontext der persönlichen steuerrechtlichen Außenhaftung des Geschäftsführers dogmatische Schwierigkeiten auf, die auch mit der Einführung des neuen § 15b Abs. 8 InsO zum 01.01.2021 nicht abschließend geklärt wurden und deshalb im Anschluss näher be­ leuchtet werden (b). a) Die steuerliche Binnenhaftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG Die Geschäftsführer haften gegenüber der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG solidarisch für den durch Verletzung ihrer „Obliegenheiten“436 entstandenen Schaden. Dabei handelt es sich wie bereits erläutert um keine deliktische Haftung, sondern eine aus der organschaftlichen Son­ derrechtsbeziehung zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer resultie­ rende Haftung sui generis. Haftungsadressat ist grundsätzlich nur der formell ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer, wobei nach ganz herr­ schender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre auch der fehlerhaft be­ stellte Geschäftsführer unmittelbar aus seiner Organstellung heraus haf­ tet.437 Ob hingegen auch der sog. faktische Geschäftsführer organschaftlich verpflichtet ist und dadurch Haftungsadressat sein kann, ist umstritten. Bei einem faktischen Geschäftsführer mangelt es gänzlich an einem förmlichen Bestellungsakt, wobei die betreffende Person nichtsdesto­ trotz tatsächlich Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt. Die Diskus­ sion an dieser Stelle auszubreiten würde jedoch zu weit vom Thema ­wegführen. Verwiesen sei insofern auf die zahlreiche Literatur sowie Rechtsprechung, im Zuge derer die Figur des faktischen Geschäftsführers heute mehrheitlich Anerkennung findet.438 Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind von den Haftungs­ voraussetzungen der steuerlichen Binnenhaftung nach § 43 Abs. 2 G ­ mbHG 435 Vgl. zur § 64 S. 2 GmbHG a.F. H.-F. Müller, in: MüKo-GmbHG/3, 2018, § 64 Rn. 1, 3 f.; zu den statistischen Daten hinsichtlich der Insolvenzanfälligkeit der GmbH siehe Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 207 ff. 436 Zwar spricht § 43 Abs. 2 GmbHG wörtlich von „Obliegenheiten“, meint da­ mit aber in Anlehnung an § 93 Abs. 2 S. 1 AktG organschaftliche Pflichten, vgl. Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 45; Bayer, GmbHR 2014, 897, 898; Frels, AG 1960, 296. 437 Beim fehlerhaft bestellten Geschäftsführer liegt zwar ein rechtsgeschäftlicher Be­ stellungsakt vor, die Bestellung leidet aber an einem Wirksamkeitserfordernis, vgl. BGH, Urteil v. 06.04.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH, Urteil v. 25.06.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 169 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/​ 2, 2019, § 43 Rn. 219 m.w.N. 438 Siehe umfassend zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur hinsicht­ lich der Figur des faktischen Geschäftsführers Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 220 ff.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 19 ff. m.w.N.

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insbesondere die schuldhafte Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule als auch der kausale Schaden im Fall nützli­ cher Rechtsverstöße relevant. Dabei dient der folgende Abschnitt vorerst lediglich dazu, die allgemeine steuerliche Pflicht- und Haftungssituation des Geschäftsführers im Verhältnis zur Gesellschaft darzustellen, ohne ausführlich auf die speziell mit der Legalitätspflicht einhergehenden Pro­ bleme einzugehen. Letztere werden, ebenso wie die Problematik um nützliche Rechtsverstöße, im Rahmen des nachfolgenden Kapitels einge­ hend untersucht. (1) Die schuldhafte Pflichtverletzung vor einem steuerrechtlichen Hintergrund Nach § 43 Abs. 2 GmbHG ist wesentliche Haftungsvoraussetzung, dass der Geschäftsführer eine schuldhafte Pflichtverletzung begeht. Wenn­ gleich aufgrund der Doppelfunktion des § 43 Abs. 1 GmbHG ein speziell typisierter Verschuldensmaßstab gilt, der insofern lex specialis zu § 276 Abs. 2 BGB ist, kommt – abgesehen von den später noch zu behandeln­ den Rechtsirrtümern – dem Verschuldenserfordernis als eigenständigem Prüfungspunkt keine nennenswerte Bedeutung zu.439 Entscheidend ist in aller Regel die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens, wobei der Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit gilt.440 Demnach ist weder eine Zu­ rechnung von Mitarbeiterverhalten noch des Verhaltens von Mitge­ schäftsführern möglich.441 Hinsichtlich der Besonderheiten bei Kollegia­ lentscheidungen, die in Folge der „Lederspray-Entscheidung“ des BGH442 ein lautstarkes Echo im Schrifttum hervorriefen, sei auf die entsprechen­ de umfangreiche Literatur verwiesen.443 Zwar wurde die organschaftliche Stellung des Geschäftsführers inklusi­ ve der damit zusammenhängenden Pflichten gegenüber der Gesellschaft in abstrakter Weise bereits illustriert,444 jedoch fragt sich an dieser Stelle, wo und in welcher Form konkret die steuerlichen Pflichten des Ge­ 439 So zutreffend Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 255; ebenso Poelzig/ Thole, ZGR 2010, 836, 851 f.; siehe allgemein zum Verschuldenserfordernis nach § 43 Abs. 2 GmbHG Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 268 ff.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 407 ff. 440 Siehe dazu Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 369 ff. m.w.N. 441 Siehe aber in diesem Zusammenhang das seit mehreren Jahren diskutiertes Prob­ lem der Wissenszurechnung, eingehend hierzu Spindler, ZHR 181 (2017), 311 ff.; siehe ebenso den damit zusammenhängenden Komplex der Wissensorganisation von Unternehmen als Teil guter Corporate Governance bei Naumann/Siegel, ZHR 181 (2017), 273 ff. 442 BGH, Urteil v. 06.07.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106. 443 Vgl. die Ausführungen und Nachweise bei Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 249 ff. 444 Siehe hierzu S. 48 ff.

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schäftsführers gegenüber der Gesellschaft ihren Niederschlag finden. Aus öffentlich-rechtlicher Sicht schuldet der Geschäftsführer den Fi­ nanzbehörden nach § 34 Abs. 1 AO die Erfüllung der aus dem Steuer­ schuldverhältnis der GmbH resultierenden steuerrechtlichen Pflichten. Dagegen ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers die gesellschaftsrechtliche Norm des § 43 Abs. 1 GmbHG. Diese beiden Pflichteninstitute stehen dabei regelmäßig in einem Spannungsverhältnis zueinander, da der Fiskus so viel Steuereinnahmen wie möglich anstrebt, während der Steuerpflichti­ ge darauf bedacht ist, seine Steuerlast möglichst gering zu halten.445 Ge­ rade der fremdnützig agierende Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften ist organschaftlich zu einer ökonomisch sinnvollen Unternehmenslei­ tung verpflichtet. Vor dem Hintergrund dieser Interessendiskrepanz gilt es zu klären, wie weit die jeweiligen Pflichten gehen, ob diese sich gegenseitig überlagern bzw. einschränken, und welche Interdependenz zwischen ihnen herrscht. Besonders virulent wird eine diesbezügliche Untersuchung im Zusam­ menhang mit den Problemfeldern der aggressiven Steuerplanung und -­gestaltung, sowie den Fällen der umstrittenen Rechtslage und des nütz­ lichen Rechtsverstoßes. Es stellt sich dann die Frage, ob den Geschäfts­ führer im Innenverhältnis gegebenenfalls sogar die haftungsbewehrte Pflicht trifft, steuerliche Gestaltungsmodelle zu wählen, denen eine gro­ ße straf- und bußgeldrechtliche Risikoexposition immanent ist. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ob § 43 Abs. 1 GmbHG den Geschäfts­ führer dazu verpflichten kann, sich dem Risiko der persönlichen Außen­ haftung oder gar der Verfolgung durch Straf- und Bußgeldbehörden auszu­ setzen. Um hierzu eine Antwort zu finden, ist es notwendig, sich die Details sowohl des steuerrechtlichen als auch des organschaftlichen Haf­ tungsinstituts vor Augen zu führen, um die jeweiligen Unterschiede he­ rauszuarbeiten. Erst im Anschluss daran kann auf Basis dieser Erkennt­ nisse eine Untersuchung der Legalitätspflicht vorgenommen und deren Verhältnis zum Gesellschafterinteresse geklärt werden. (2) Haftungsprivileg durch die Business Judgement Rule Einen wesentlichen Unterschied zur Haftung des Geschäftsführers nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO könnte im organschaftlichen Innenver­

445 Vgl. zu diesem Interessenwiderspruch Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.26; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 231; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 431; siehe zur Steuerminimierung als Unternehmensziel sowie den Organpflichten zur Steuergestaltung Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1089 f.; Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31 ff., 46 ff.; Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605, 607 ff., 610 ff.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

hältnis die sog. Business Judgement Rule markieren, welche ihm ein un­ ternehmerisches Ermessen bzw. ein „Haftungsprivileg“446 ermöglicht. (a) Die Entwicklung der Business Judgment Rule im Aktienrecht Die Organhaftung ist keine Garantie- oder Erfolgshaftung, weshalb man sich in der Literatur bereits frühzeitig für die Berücksichtigung eines ge­ richtlich nicht überprüfbaren Geschäftsleiterermessens aussprach. Die Grundsätze hierfür wurden anhand der aus dem US-amerikanischen Recht bekannten „Business Judgment Rule“ entwickelt.447 Noch bevor das Institut gesetzlich verankert wurde, erkannte die Rechtsprechung im ARAG/Garmenbeck-Urteil448 einen solchen wirtschaftlichen Haftungs­ freiraum für Vorstandsmitglieder einer AG ausdrücklich an. Mit dem „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfech­ tungsrechts“ (UMAG) kodifizierte der Gesetzgeber schließlich in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG „einen Haftungsfreiraum im Bereich qualifizierter un­ ternehmerischer Entscheidungen“.449 Nach dem Gesetzeswortlaut liegt dann keine Pflichtverletzung vor, „wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesell­ schaft zu handeln.“ Zur sachlichen Begründung lässt sich weiter anfüh­ ren, dass ein Geschäftsführer seine unternehmerischen Entscheidungen nahezu immer unter Unsicherheit und großem Zeitdruck zu fällen hat. Dabei soll er nicht zu übertriebener Risikoaversion neigen, son­ dern unternehmerische Risiken ohne ständige Angst vor einer Sanktio­ nierung von ex-post festgestellten Fehlbeurteilungen oder Fehleinschät­ zungen bewusst eingehen dürfen.450 Die Verhinderung eines solchen

446 Gegen eine Funktion der Haftungsprivilegierung und stattdessen für eine Konkre­ tisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs des § 43 Abs. 1 GmbHG durch die Business Judgment Rule Bayer, GmbHR 2014, 897, 898; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 927. 447 Siehe zu den Anfängen der deutschen business judgment rule Abeltshauser, Lei­ tungshaftung, 1998, S. 130 ff.; Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 919 ff.; Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 93 Rn. 43 ff. m.w.N.; siehe ferner U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 53, der den Begriff der „Business Judgment Rule“ hierzulande ablehnt und stattdessen vom „Grundsatz des unternehmeri­ schen Ermessens“ spricht; dem Begriff „Business Judgment Rule“ nunmehr offe­ ner gegenüberstehend Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 70. 448 BGH, Urteil v. 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244; eine Analyse und kriti­ sche Auseinandersetzung mit dem Urteil liefert Goette, ZHR 176 (2012), 588, 591 ff. 449 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 10. 450 Zu den Besonderheiten unternehmerischer Entscheidungen siehe Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 830 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 67; Fleischer, NZG 2011, 521, 523

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

„Rückschaufehlers“451 (sog. „hindsight bias“) ist ein wesentlicher Grund für die Existenz der Business Judgment Rule und sichert dem Geschäfts­ leiter einen Handlungsspielraum zu, der durch die Gerichte nur sehr ein­ geschränkt und zudem lediglich aus einer ex ante-Perspektive überprüft werden darf. Ob man darunter dogmatisch letztlich eine gesetzliche Kon­ kretisierung der den Vorstand treffenden objektiven Pflichten, einen Tat­ bestandsausschlussgrund oder eine unwiderlegliche Rechtsvermutung versteht, hat rechtspraktisch keine Bedeutung.452 (b) Übertragung auf das GmbH-Recht Die GmbH ist nach ihrem historischen Leitbild und ihren gesetzlichen Konstruktionsmerkmalen eine „vereinfachte Aktiengesellschaft“453, wes­ halb zur Lückenschließung immer wieder auch aktienrechtliche Vor­ schriften herangezogen werden. Im Zuge dessen stellt auch der Grundge­ danke des Geschäftsleiterermessens nach herrschender Meinung einen allgemeinen Grundsatz des Organhaftungsrechts dar und ist auf den ­GmbH-Geschäftsführer übertragbar.454 Allerdings kann eine Analogie455 zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG aufgrund der Besonderheiten des GmbH-Rechts 451 Siehe eingehend zum Gedanken des „Rückschaufehlers“ bzw. der „hindsight bias“ Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 831 f.; Fleischer, in: FS Immenga, 2004, S. 575, 579 f.; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 4. 452 Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 93 Rn. 46; Fleischer, in: Spindler/StilzAktG/1, 2019, § 93 Rn. 65; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 15; eingehend zur Dogmatik Paefgen, AG 2004, 245, 246 ff. 453 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 73, 154; siehe allgemein und um­ fassend zur ergänzenden Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH Fleischer, GmbHR 2008, 673 ff. 454 Siehe bereits die Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12, wonach das „für das Aktiengesetz gefundene Regelungsmuster […] als Anknüpfungs- und Aus­ gangspunkt für die weitere Rechtsentwicklung dienen“ kann; aus der Rechtspre­ chung BGH, Urteil v. 04.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 282 unter Bezug­ nahme auf die ARAG-Garmenbeck-Entscheidung; aus der Literatur Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 71; Fleischer, GmbHR 2008, 673, 679; Fleischer, NZG 2011, 521, 523; Fleischer, ZIP 2004, 685, 692; Ziemons, in: Michalski/​ u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 130; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 34; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 23; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 8; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 48, 110 f.; Paefgen, AG 2014, 554, 556; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12; kritisch K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1079. 455 Teilweise wird eine Analogie „mangels planwidriger Regelungslücke“ abgelehnt, vgl. Haese, Unternehmensleitung, 2011, S. 95; ähnlich Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 111; Paefgen, AG 2014, 554, 556; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12, die in der Regelung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG einen „allgemeinen Grundsatz des Organhaftungsrechts“ bzw. eine „Leitbildfunktion“ sehen; ebenso Drescher, Haf­ tung des GmbH-Geschäftsführers, 2013, Rn. 127 („Die Regelung strahlt auch auf das GmbH-Recht aus“); letztlich handelt es sich aber um einen rein dogmatischen Streit, da auch die Befürworter einer Analogie die Besonderheiten des GmbH-­ Rechts berücksichtigen, vgl. Fleischer, NZG 2011, 521, 524.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

keine identische Anwendung zur Folge haben.456 Insbesondere die Wei­ sungsabhängigkeit des Geschäftsführers (§ 37 Abs. 1 GmbHG) sowie die Vorlagepflicht bei besonders risikoträchtigen Maßnahmen (§ 49 Abs. 2 GmbHG) haben Einfluss auf das Geschäftsleiterermessen.457 (c) Die Voraussetzungen der Business Judgment Rule Solange keine die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule ausschlie­ ßenden Besonderheiten des GmbH-Rechts vorliegen, profitiert der Ge­ schäftsführer ganz allgemein dann von einer Haftungsprivilegierung, wenn folgende fünf Voraussetzungen vorliegen: Der Geschäftsführer muss eine unternehmerische Entscheidung (1.) treffen und anschließend auf Grundlage angemessener Information (2.), ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse (3.), zum Wohl der Gesellschaft (4.) und in gu­ tem Glauben (5.) handeln.458 Wie der zentrale Begriff der „unternehmeri­ schen Entscheidung“ positiv umschrieben werden kann, ist im Schrift­ tum umstritten.459 Allerdings besteht größtenteils Einigkeit darüber, wie der Terminus negativ abgegrenzt werden kann, nämlich als ein Gegen­ stück zur rechtlich gebundenen Entscheidung, namentlich der Legali­ tätspflicht, bei welcher ein gerichtlich überprüfbarer Ermessensspiel­ raum gerade nicht bestehen soll.460 Bereits nach der Gesetzesbegründung sollte es für illegales Verhalten ausdrücklich keinen „sicheren Hafen“461 geben, sodass eine Anwendung der Business Judgment Rule auf Entschei­ dungen über die Einhaltung gesetzlicher Normen ausgeschlossen sei. Ob dieser Ansicht in ihrer apodiktischen Art gefolgt werden kann, ist frag­ 456 Siehe bereits K. Schmidt, GesR, 2002, S. 1079 zur viel stärkeren Bindung des Ge­ schäftsführers an das Vertrauen der Gesellschafter im Vergleich zum Vorstand ei­ ner AG, weswegen sein Ermessen erheblich eingeschränkt ist; zustimmend Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 72; eingehend dazu Fleischer, NZG 2011, 521, 525; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 34 ff. 457 Vgl. allgemein zu den Fällen der Unanwendbarkeit der Business Judgment Rule Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 72 ff.; Fleischer, NZG 2011, 521, 523 ff. 458 So bereits Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; siehe umfassend zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 80 ff.; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690 f.; Paefgen, AG 2004, 245, 251 ff.; Paefgen, AG 2014, 554, 560 ff. 459 Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 133 ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 82 m.w.N. für die unterschiedlichen Erklärungsversuche. 460 So die einhellige Ansicht, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 44, 81; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 11; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 97 f.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 91 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 900; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Paefgen, AG 2004, 245, 251; Paefgen, AG 2014, 554, 560; Binder, AG 2008, 274, 278 f.; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 96; Ihrig, WM 2004, 2098, 2103. 461 Siehe Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung auf S.41.

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lich.462 Vielfach wird eine direkte oder analoge Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG im Zusammenhang mit einer unklaren Rechtslage be­ fürwortet oder zumindest in Gestalt einer Durchbrechung der Legalitäts­ pflicht bzw. einer Ausnahme von selbiger ein Ermessensspielraum des Geschäftsführers anerkannt (sog. „Legal Judgment Rule“). Die einzelnen Ansichten dazu sowie das generelle Verhältnis der Business Judgment Rule zur Legalitätspflicht werden an späterer Stelle noch Gegenstand ausführlicher Untersuchungen sein.463 (d) Zusammenfassung Vorläufig lässt sich zusammenfassen, dass die aus dem Aktienrecht be­ kannte Business Judgment Rule auch im GmbH-Recht Anwendung fin­ det, was dogmatisch entweder über eine Analogie zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG oder unabhängig davon über die Grundsätze des Organhaftungs­ rechts erklärt wird. Im Ergebnis sind sich diverse Stimmen jedenfalls ­einig darin, dass ein Ermessensspielraum des GmbH-Geschäftsführers für unternehmerische Entscheidungen nicht in gleichem Ausmaß wie für den Vorstand einer AG existieren kann, da die Besonderheiten des GmbH-Rechts zu berücksichtigen sind. Die Business Judgment Rule symbolisiert damit die Eigenheiten des Organhaftungsrechts, welches im Gegensatz zum Außenhaftungsrecht Privilegien bei unternehmeri­ schen Entscheidungen gewährt. Gerade hierin liegt auch ein wesentli­ cher Unterschied zwischen der Haftung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO und jener aus § 43 Abs. 2 GmbHG. Ob eine strenge Legalitätspflicht des Geschäftsführers vor diesem Hintergrund überhaupt bestehen kann und welchen Inhalt diese dann hätte, wird zu untersuchen sein. (3) Beweislastverteilung Dem Wortlaut des § 43 Abs. 2 GmbHG nach zu urteilen trifft grundsätz­ lich die Gesellschaft die gesamte Darlegungs- und Beweislast für an­ spruchsbegründende Umstände. Aus Praktikabilitätsgründen wird von der Gesellschaft jedoch lediglich gefordert, darzulegen und gegebenen­ falls zu beweisen, „dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Ge­ schäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist.“464

462 Besonders deutlich Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 875, wonach die An­ nahme, die Business Judgment Rule sei auf rechtlich vorgeprägte unternehmeri­ sche Entscheidungen nicht anwendbar, „weit über das hinausgehen [würde], was der Gesetzgeber regeln wollte und tatsächlich geregelt hat.“; ähnlich kritisch zu­ vor bereits Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522 ff. („der starre Gegensatz zwischen Business Judgment Rule und Legalitätspflicht ist schon längst aufgeweicht“). 463 Siehe hierzu S. 186 ff. 464 BGH, Urteil v. 04.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

(4) Kausaler Schaden Ferner ist ein adäquat kausal verursachter Schaden der Gesellschaft im Sinne der Adäquanztheorie notwendig, wobei der Schadensbegriff der §§ 249 ff. BGB maßgeblich ist. Demnach ist gemäß der Differenzhypo­ these der tatsächliche Vermögenszustand der Gesellschaft mit jenem zu vergleichen, welcher ohne das schädigende Ereignis bestünde.465 Eine Besonderheit hierzu gilt bei § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG, der einen eigen­ ständigen Schadensbegriff aufweist. Demnach liegt der Schaden bereits im Liquiditätsabfluss, es findet keine schadensersatzrechtliche Gesam­ betrachtung oder Vorteilsausgleichung statt.466 Hervorzuheben ist, dass auch der Gesellschaft auferlegte Bußgelder, namentlich jene nach § 30 OWiG oder § 81 GWB, grundsätzlich einen ersatzfähigen Schadenspos­ ten darstellen.467 Daneben ist anerkannt, dass der infolge eines nützlichen Rechtsversto­ ßes der Gesellschaft zugeflossene und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem entstandenen Schaden stehende vermögenswerte Vorteil – zu­ mindest abseits der Fälle des § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG – schadensmin­ dernd berücksichtigt werden darf, solange dies dem Sinn und Zweck der Ersatzpflicht entspricht.468 Dagegen darf nach teilweise vertretener An­ sicht einer Gesellschaft kein pflichtwidriges Geschäft aufgedrängt wer­ den, weshalb eine Vorteilsausgleichung nahezu immer ausgeschlossen sein muss. Stattdessen stehe dem Geschäftsführer ein Anspruch auf Ab­ tretung bzw. Herausgabe des Vorteils zu,469 was im Endeffekt aber zum 465 Siehe allgemein zum Schaden sowie zur Kausalität Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 261 ff., 265 ff.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 440 ff., 445 ff. jeweils m.w.N. 466 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 45, 293; Ziemons, in: Michalski/​ u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 465 m.w.N. 467 Dies ist heute nahezu einhellige Ansicht, siehe hierzu Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 263b f.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 454 ff. jeweils m.w.N. 468 BGH, Urteil v. 15.01.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 Rn. 26; BGH, Urteil v. 02.06.2008 – II ZR 67/07, WM 2008, 1453; BGH, Urteil v. 16.05.1980 – V ZR 91/79, BGHZ 77, 151, 153; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 45; ­Fleischer, ZIP 2005, 141, 151 f.; Fleischer, DStR 2009, 1204, 1210; Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 465; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 63; Wilsing, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2017, § 31.32 ff.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439 f.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 94 f.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 729 f.; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 346; zusätzlich auf die Einbeziehung von Billigkeits- und Zumutbar­ keitserwägungen abstellend U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 230; in der Neuauflage wird dies kritischer gesehen Verse, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 300 ff. 469 BGH, Urteil v. 11.01.1988 – II ZR 192/87, ZIP 1988, 843; Paefgen, in: GK-­ GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 182, 390; noch strenger Spindler, in: FS Canaris/II,

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selben Ergebnis führt. Idealtypisch sollte für eine solche Vorteilsausglei­ chung überhaupt kein Raum sein, da neben der Ahndung des einzelnen Rechtsverstoßes auch die hieraus erwachsenden wirtschaftlichen Vortei­ le abzuschöpfen sind.470 Die erzielten Vorteile können die abgeschöpften Gewinne in der Realität jedoch durchaus übersteigen. Unter diesen Um­ ständen ist fraglich, wie sich die Zulässigkeit einer Vorteilsausgleichung auf Schadensebene mit einer Einstufung nützlicher Rechtsverstöße als pflichtwidrig vertragen kann.471 Da es sich hierbei um eine Fragestellung handelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Legalitätspflicht steht, kann eine Antwort darauf erst im nachfolgenden Kapitel gegeben werden. (5) Die Möglichkeit des Binnenregresses nach §§ 675, 670 BGB Nach allgemeiner Meinung haben die Geschäftsführer einen Anspruch aus §§ 675, 670 BGB (analog) auf Ersatz der erforderlichen Aufwendun­ gen, die ihnen durch ihre Amtstätigkeit entstanden sind. Davon umfasst sind zweifellos Schadensersatzzahlungen eines Geschäftsführers auf­ grund persönlicher Inanspruchnahme.472 Wesentliche Voraussetzung ei­ ner solchen Haftungsfreistellung ist allerdings, dass keine organschaft­ lichen Pflichten verletzt wurden, weshalb zumindest eine Erstattung von Geldbußen und Geldstrafen eher restriktiv gehandhabt wird.473 Gleichwohl wird auch die Erstattungsfähigkeit von Geldbußen und Geldstrafen heute im Grundsatz anerkannt.474 Demzufolge hängt die Fra­ ge, ob der Geschäftsführer einen Regressanspruch gegen die Gesellschaft aus §§ 675, 670 BGB (analog) hat, generell vom Ausmaß seiner organ­ 2007, S. 403, 425 f., der durch eine Vorteilsausgleichung die Präventionswirkung der Schadensersatzpflicht sowie den in § 93 AktG verankerten Gläubigerschutz gefährdet sieht, weshalb eine solche gänzlich abzulehnen sei. 470 Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 94; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 528 f. 471 Vgl. zu diesem Widerspruch Thole, ZHR 173 (2009), 504, 526 ff. 472 Krieger, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 211, 212; Breitenfeld, Organschaftliche Bin­ nenhaftung, 2016, S. 76 f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 37 Rn. 96 f. und § 43 Rn. 39 ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 386; ausführlich dazu Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 102 ff. 473 Siehe eingehend hierzu Krieger, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 211, 212 ff.; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555 ff., allerdings unter der Betonung, dass es keinen Vorrang des Strafrechts vor dem Zivilrecht gebe und die Aufsichtsratsmitglieder bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens nicht an die strafrechtliche Einordnung gebunden seien. 474 Ausführlich hierzu Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 95 ff.; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 560 ff.; mehrheitlich wird der Streit im Rahmen der Frage geführt, ob kartellrechtliche Unternehmensgeldbußen über § 43 Abs. 2 GmbHG vom Ge­ schäftsführer ersetzt verlangt werden können, siehe dazu LAG Düsseldorf, Teilur­ teil v. 20.01.2015 – 16 Sa 459/14, ZIP 2015, 829 mit der Kritik hieran von Bayer/ Scholz, GmbHR 2015, 449 ff.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

schaftlichen Pflichten ab. Geht man von einem Gleichlauf von Außenund Binnenpflichten aus, wodurch in jedem Rechtsverstoß gleichzeitig auch ein Pflichtverstoß im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG liegt, scheidet ein Regressanspruch oftmals aus. Beurteilt man die interne Pflichtwid­ rigkeit hingegen autonom und am Gesellschafterinteresse ausgerichtet, ergibt sich ein anderes Bild. Beide Ansichten werden in der Literatur ver­ treten und an geeigneter Stelle noch detaillierter behandelt. b) Die Haftung des Geschäftsführers nach § 15b Abs. 4 InsO im ­Spannungsverhältnis zu seinen sonstigen gesetzlichen Pflichten Wie eingangs erwähnt, trifft den Geschäftsführer im Fall der Insolvenz­ reife der Gesellschaft nach § 15b Abs. 4 InsO die bis zum 31.12.2020 in § 64 S. 1 GmbHG normierte haftungsbewehrte Pflicht, die Masse zu si­ chern und zu erhalten. Gleichzeitig ist die Gesellschaft aber weiterhin Schuldner gesetzlicher Pflichten, zuvörderst der aus dem Steuerschuld­ verhältnis resultierenden Pflichten sowie der nach § 266a StGB strafbe­ wehrten Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung. Für die steuerrechtlichen Zahlungspflichten wird dies nunmehr aus dem neuen § 15b Abs. 8 InsO deutlich, der sogleich noch eingehender unter­ sucht wird. Als gesetzlicher Vertreter haftet der Geschäftsführer nach § 15b Abs. 4 InsO i.V.m. § 34 Abs. 1 AO persönlich für die ordnungsge­ mäße Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten und ist zudem über § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB selbst nach § 266a StGB strafbar. In Anbetracht dessen stellt sich daher lange Zeit die Frage, wie mit einer möglichen „Kolli­ sion“475 gesetzlicher und organschaftlicher Pflichten umzugehen ist. Mit Inkrafttreten des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsge­ setzes476 zum 01.01.2021 dürfte diese Pflichtenkollision durch den neu eingeführten § 15b Abs. 8 InsO zu Gunsten des Vorrangs des Massesiche­ rungspflicht vor der Pflicht zur Abführung von Abgaben aufgelöst sein. (1) Rechtslage vor dem SanInsFoG Da das Verhältnis der Massesicherungspflicht des Geschäftsführers nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. zu seinen steuerrechtlichen Pflichten sowie sei­ ner Strafbarkeit nach §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB Gegenstand ei­ nes mittlerweile jahrzehntelangen Streits ist, lohnt es, diesen trotz der Einführung des § 15b Abs. 8 InsO zu illustrieren. Aufgrund der engen thematischen Verknüpfung dieser beiden Komplexe ist es sinnvoll, die kollidierenden Geschäftsleiterpflichten gemeinsam zu erläutern, statt sich ausschließlich auf die steuerrechtlichen Pflichten zu konzentrieren. 475 Kritisch gegenüber der Bezeichnung dieses Verhältnisses als Wertungswiderspruch oder Pflichtenkollision Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1480 ff. 476 Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) vom 22.12.2020, BGBl. I, S. 3256.

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Vorweg sei angemerkt, dass Regelungen, „deren Zielsetzungen divergie­ ren und [die] bei der praktischen Rechtsanwendung harmonisiert werden müssen“ keine Seltenheit des modernen Gesetzgebers sind.477 (a) „Pflichtenkollisionen“ im Zusammenhang mit § 64 S. 1 GmbHG a.F. Das Verhältnis der Massesicherungspflicht nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. und die nach §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbare Pflicht zur Abführung der Beiträge zur Sozialversicherung, für die der Geschäftsfüh­ rer zudem nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB persönlich haftet,478 war zwischen den Zivil- und Strafsenaten des BGH lange Zeit umstritten. Mittlerweile hat sich der II. Zivilsenat479 dem 5. Strafsenat480 angeschlossen und erachtet die Abführung fälliger Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung aufgrund ihrer Strafbeweh­ rung als vorrangig und folglich mit den Sorgfaltspflichten eines ordentli­ chen Geschäftsleiters vereinbar, so § 64 S. 2 GmbHG a.F.481 Ein ähnliches Problem ergibt sich für das Verhältnis von § 64 S. 1 GmbHG a.F. zur steuerrechtlichen Haftung des Geschäftsführers nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. Auch diesbezüglich spricht sich der II. Zivilsenat, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH482, für das grundsätzliche Bestehen der haftungsbewehrten Pflicht des Geschäftsführers zur Abfüh­ rung der Steuern auch im Stadium der Insolvenzreife aus.483 Allerdings ist insofern eine Einschränkung notwendig, als der von der Rechtspre­ chung befürwortete Vorrang der steuerrechtlichen Haftung nicht unein­ geschränkt gilt. Nach dem sog. „Grundsatz der anteiligen Tilgung“484 477 Goette, ZGR 2008, 436, 445. 478 Vgl. BGH, Urteil v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 374; BGH, Urteil v. 21.01.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 307 ff.; BGH, Urteil v. 16.05.2000 – VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311, 313 f. 479 BGH, Urteil v. 14.05.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 mit Anmerkung von Altmeppen, NJW 2007, 2121; ebenso BGH, Urteil v. 02.08.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f.; BGH, Urteil v. 25.01.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422. 480 Siehe nur BGH, Beschl. v. 09.08.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678. 481 Vgl. allgemein zum Verhältnis der beiden Pflichten zueinander Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 68 ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 360; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 161 f.; Haas, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 64 Rn. 95 f.; Ziemons, in: Michalski/​ u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 703 ff.; ausführlich dazu Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 841 ff. 482 BFH, Urteil v. 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228; BFH, Urteil v. 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491; BFH, Beschl. v. 04.07.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 f. 483 BGH, Urteil v. 29.09.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220, 2221. 484 Vgl. BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Urteil v. 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491; siehe ausführlich zum Grundsatz der anteiligen Tilgung von Steuerschulden U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 188 ff.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 34 ff.; Ziemons, in: Michalski/​

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

muss der Geschäftsführer nur denjenigen Anteil der Steuerschulden til­ gen, der dem Anteil der Steuerschulden an der Gesamtverschuldung der Gesellschaft entspricht. Eine Ausnahme hiervon stellt jedoch der Lohn­ steuerbereich dar. Da die Gesellschaft nach §§ 38 Abs. 3 S. 1 i.V.m. 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG die Pflicht trifft, die Lohnsteuer für die Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen, argumentiert der BFH, dass die für die Lohnsteuer ver­ ausgabten Beträge dem Arbeitgeber nur zur treuhänderischen Weitergabe an die Steuerbehörden zugewiesen sind und deshalb von Anfang an nicht zur Insolvenzmasse gehören.485 Wenngleich die Zivilgerichtsbarkeit486 und Teile der Literatur487 eine solche „Treuhandlösung“ ablehnen, lässt sich dasselbe Ergebnis erreichen, indem die Lohnsteuer als eine untrenn­ bar mit der Lohnzahlung verbundene Gegenleistung für die Arbeitsleis­ tung der Beschäftigten angesehen und über diesen Weg als sorgfaltsgemä­ ße Zahlung nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. qualifiziert wird.488 Führt man sich die Rechtsprechung von BGH und BFH vor Augen, ent­ steht unweigerlich der Eindruck, die Forderungen von Steuerfiskus und Sozialversicherungen seien den privatrechtlichen vorzuziehen, sodass diesen beiden Gläubigergruppen insolvenzrechtlich eine Vorzugsbehand­ lung zukommt. Bis zum Inkrafttreten der InsO zum 01.01.1999 enthielt die damalige Vorschrift des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO in der Tat einen solchen insolvenzrechtlichen Vorrang von Steuerschulden.489 Der heute geltende § 1 S. 1 InsO hingegen schreibt den Grundsatz der Gleichbehandlung zwi­ schen sämtlichen Forderungen vor („par conditio creditorum“) und ver­ bietet damit prinzipiell ein „Fiskus- und Sozialversicherungsprivileg“.490 u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 649 ff.; Spriegel/Jokisch, DStR 1990, 433, 434 ff.; kritisch Crezelius, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 371; dagegen Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 41 ff.; Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1, 6 f., 11 ff. 485 BFH, Urteil v. 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228; BFH, Urteil v. 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491; BFH, Beschl. v. 04.07.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 f.; zustimmend Beermann, FR 1992, 262, 265 f. 486 BGH, Urteil v. 11.04.2002 – IX ZR 211/01, NJW 2002, 2568 f.; BGH, Urteil v. 10.07.2003 – IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666 f. 487 Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 41; Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1483; Spriegel/Jokisch, DStR 1990, 433, 437. 488 Vgl. Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1483 f.; anders Loose, in: Tip­ ke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 41; Spriegel/Jokisch, DStR 1990, 433, 437, die den Grundsatz der anteiligen Tilgung auch auf die Lohnsteuer anwendbar halten. 489 Siehe Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1471; allgemein zur verfas­ sungsrechtlichen Stellung der Insolvenzgläubiger Stürner, in: MüKo-InsO/1, 2019, Einl. Rn. 95 ff. 490 Vgl. Gantner/Bruns, in: MüKo-InsO/1, 2019, § 1 Rn. 52; H.-F. Müller, in: Mü­ Ko-GmbHG/3, 2018, § 64 Rn. 157; Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1472 f.; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 48, 83; eingehend Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1 ff.

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

Ein Großteil der Literatur491 befürwortet infolgedessen weiterhin einen Vorrang des § 64 S. 1 GmbHG a.F. und widerspricht damit der straf-, steu­ er- und auch der neueren zivilgerichtlichen Rechtsprechung. Zur Beant­ wortung der Frage, ob eine Pflicht des Geschäftsführers zur (einge­ schränkten) Begleichung steuer- und sozialrechtlicher Forderungen mit § 64 S. 1 GmbHG a.F. vereinbar ist, bietet sich eine streng dogmatische Herangehensweise an, im Zuge derer die Pflichtverletzung als maßgebli­ cher Anknüpfungspunkt zur Lösung der widerstreitenden Interessen an­ gesehen wird. (b) Dogmatische Lösung über die Anknüpfung an die Pflichtverletzung Konzentriert man sich auf die konkreten Pflichten von Gesellschaft und Geschäftsführer, zeigt sich schnell, dass im Ergebnis weder ein Wer­ tungswiderspruch noch eine Pflichtenkollision vorliegt.492 Richtigerwei­ se hat die Auflösung möglicher Konflikte auf Ebene der Pflichtverletzung zu erfolgen, indem die Prüfung darauf auszulegen ist, welcher der in Fra­ ge kommenden Pflichten ein im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG ordent­ lich und gewissenhaft handelnder Geschäftsführer konkret nachzukom­ men hat, um einer Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG ipso jure zu entgehen. Für eine Kollision verschiedener Pflichten bleibt folglich kein Platz. Auf die Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. übertragen hat dies zur Folge, dass die Möglichkeit aus § 64 S. 2 GmbHG a.F., sich bei Anwen­ dung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu entlasten, als tatbestandliche Einschränkung der Pflichtwidrigkeit aufzufassen ist.493 Auch das spezielle Problem des Umgangs mit der steuerrechtlichen Haf­ tung des Geschäftsführers gemäß § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft, also im Anwendungsbereich 491 Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 47 ff., 82 ff.; Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1 ff.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 162; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 409 ff.; differenzierend Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1480 ff., der aber eine Ausnahme für die Lohnsteuer annimmt; kritisch auch Goette, ZGR 2008, 436, 445 f.; H.-F. Müller, in: MüKo-GmbHG/3, 2018, § 64 Rn. 157; ähnlich Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 864 f., die sich für ein Wahlrecht des Geschäftsleiters aussprechen. 492 So zutreffend und allgemein für „Pflichtenkollisionen“ im Gesellschaftsrecht ­Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 840, 851 f.; ebenso Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1481 für den Spezialbereich der Steuerschulden einer GmbH nach Insolvenzreife. 493 H.-F. Müller, in: MüKo-GmbHG/3, 2018, § 64 Rn. 153; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 397 f.; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 840, 853; a.A. BGH, Urteil v. 08.01.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274 f., wo auf das Verschulden abge­ stellt wird; eingehend zum Streitstand noch in der Altauflage K. Schmidt, in: ­Scholz-GmbHG/3, 2015, § 64 Rn. 49, wohingegen es in der Neuauflage heißt, dass der Streit nur theoretischer Natur sei und deshalb keine praktischen Auswirkun­ gen habe, Bitter, in: Scholz-GmbHG/3, 2021, § 64 Rn. 162;

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

des § 64 S. 1 GmbHG a.F., lässt sich auf diesem Weg lösen. Aufgrund der Akzessorietät des § 69 AO zu den Gesellschaftsverbindlichkeiten kann der richtige Anknüpfungspunkt für eine dogmatische Herangehensweise an das Problem nur die Pflichtwidrigkeit einer Nichtzahlung durch die Gesellschaft sein. Die entscheidende Frage muss demnach lauten, ob die Gesellschaft eine steuerrechtliche Zahlungspflicht gegenüber dem Fiskus unter Beachtung der gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Grundsätze trifft.494 Für gewöhnliche Steuerforderungen muss dies nach Eintritt der Insolvenzreife angesichts § 64 S. 1 GmbHG a.F. und des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Gläubiger verneint werden. Eine Sondersituation besteht laut Schön jedoch für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, die untrennbar mit der Lohnzahlung verbun­ den ist, sodass die Sperre des § 64 S. 1 GmbHG a.F. nicht greift und die Zahlung nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. als sorgfaltsgemäße Zahlung zu qua­ lifizieren ist.495 (c) Stellungnahme Die Anknüpfung an die Pflichtwidrigkeit zur Lösung des Konflikts um die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. einerseits und jene steuerrechtli­ che aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO sowie die Haftung gegenüber den Sozialkassen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB andererseits ist dogmatisch überzeugend und lässt die Behauptung einer Pflichtenkollision leerlaufen. Demzufolge müssen die Forderungen von Fiskus und Sozialkassen gemäß dem Grundsatz der par conditio ­creditorum genauso behandelt werden, wie sämtliche sonstigen Forde­ rungen anderer Gläubiger. Das bedeutet, dass die Pflicht des Geschäfts­ führers aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. prinzipiell Vorrang genießt, sollte nicht ein Ausnahmefall des § 64 S. 2 GmbHG a.F. vorliegen. Es ist in dem Zusammenhang allerdings fraglich, ob der aus dieser Argu­ mentation speziell für die steuerrechtliche Pflichtenlage resultierende dichotome Befund tragbar ist. Indem nämlich gerade für den „Risiko­ bereich Lohnsteuer“496 eine unbeschränkte steuerrechtliche Zahlungs­ pflicht der Gesellschaft gegenüber dem Fiskus auch im Anwendungsbe­ reich des § 64 S. 1 GmbHG a.F. bejaht wird, könnte die Gefahr bestehen, den im Insolvenzrecht geltenden Grundsatz der Gleichbehandlung aller 494 Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1481 f. 495 Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1482 ff.; a.A. Loose, in: Tipke/Kruse-­ AO/I, 2018, § 69 Rn. 41; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 47 ff., 82 ff.; Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1, 6 f., 11 ff.; siehe auch Spriegel/Jokisch, DStR 1990, 433, 437, die eine Einschränkung vom Grundsatz der anteiligen Til­ gung bei der Lohnsteuerhaftung ablehnen. 496 Siehe zu den besonderen Risiken im Zusammenhang mit dem Lohnsteuerrecht Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 184 ff.

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C.  Der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger

Gläubiger sowie das damit einhergehende Verbot eines „Fiskusprivilegs“ letztlich zu untergraben.497 Dem ist jedoch mit der herrschenden Mei­ nung zu entgegnen, dass die untrennbar mit der Lohnzahlung verbun­ dene Lohnsteuer richtigerweise als Teil der Gegenleistung für die Ar­ beitsleistung eines Angestellten zu verstehen ist. Ist eine fortlaufende Beschäftigung der entsprechenden Personen für eine Weiterführung des Betriebs unerlässlich, kann die Lohnzahlung samt dazugehöriger Lohn­ steuer nicht sorgfaltswidrig sein und muss folgerichtig nach § 64 S. 2 a.F. GmbHG erlaubt sein.498 Im Ergebnis kommt aber auch die entgegen­ gesetzte Meinung, welche die Zahlungen an den Fiskus als Entgelt für eine von der GmbH „eingekaufte“ Arbeitsleistung ansieht und § 64 S. 2 GmbHG a.F. für unanwendbar hält, zu keiner Haftung des Geschäftsfüh­ rers aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. Obwohl eine solche Zahlung an sich eine Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. auslöst, soll der Geschäftsführer mittels eines (übergesetzlichen) Notstands entschuldigt sein (Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung).499 (2) Die steuerlichen Zahlungspflichten nach dem SanInsFoG Mit Wirkung zum 01.01.2021 wurde § 64 GmbHG durch Art. 16 Nr. 2 SanInsFoG aufgehoben. Der durch Art. 5 Nr. 9 SanInsFoG neu eingeführ­ te § 15b InsO regelt allgemein und rechtsformübergreifend die Zahlungs­ verbote für Geschäftsleiter im Falle der Insolvenzreife von haftungsbe­ schränkten Rechtsträgern.500 Im Wesentlichen ging die Vorschrift des § 64 GmbHG in § 15b InsO auf, wobei die neue Gesetzeslage deutlich detailliertere und differenziertere Regelungen zu den Zahlungsverboten für Geschäftsleiter enthält. Das bis zum 31.12.2020 in § 64 S. 1 GmbHG geregelte haftungsbewehrte Pflicht des Geschäftsführers, nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung keine Zahlungen für die Gesellschaft mehr vorzu­ nehmen, der er angehört, ist mit leicht abgewandeltem Wortlaut aber der gleichen inhaltlichen Bedeutung fortan in § 15b Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 497 So Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 41; Altmeppen, in: Altmeppen-­ GmbHG, 2021, § 43 Rn. 47 ff., 82 ff.; Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1, 6 f., 11 ff. 498 Vgl. Schön, in: FS H. P. Westermann, 2008, S. 1469, 1483; im Ergebnis gleich BFH, Urteil v. 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228; BFH, Urteil v. 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491; BFH, Beschl. v. 04.07.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 f. 499 Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 64 Rn. 26, 31; Altmeppen, in: FS ­Goette, 2011, S. 1 ff.; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 406; man beachte aber, dass nach dieser Ansicht der (übergesetzliche) Notstand ein Verschulden nur während der Insolvenzantragsfrist entfallen lässt. 500 BT-Drucks. 19/24181, S. 193 ff.; vgl. dazu Mätzig, in: BeckOK/GmbHG, 2021, § 64 Rn. 3b.

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Kapitel 2:  Steuerschuld und Steuerpflichtigkeit

InsO geregelt.501 Die zuvor in § 64 S. 2 GmbHG a.F. normierte Privile­ gierung der Zahlung bei Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers findet sich in § 15b Abs. 1 S. 2 InsO wieder, erfährt jedoch durch § 15b Abs. 2 und 3 InsO nunmehr Konkreti­ sierungen. Die Norm stellt also eine gesetzliche Vermutung dafür auf, wann eben jene Sorgfalt regelmäßig gewahrt ist und wann nicht.502 Das Zahlungsverbot nach § 64 S. 3 GmbHG a.F. ist jetzt unverändert in § 15b Abs. 5 InsO normiert. Eine echte Reform stellt der erst ganz zum Schluss des Gesetzgebungs­ verfahrens eingefügte § 15b Abs. 8 InsO dar.503 Dieser bewirkt eine Auf­ lösung der steuerlichen Pflichtenkollision des Geschäftsführers zuguns­ ten des Vorrangs der Massesicherungspflicht im Zeitraum vom Eintritt der Insolvenzreife bis zur Eröffnung des Verfahrens.504 Voraussetzung der darin geregelten Haftungsbefreiung ist es, nach Eintritt der Insolvenzrei­ fe unverzüglich die nach § 15a InsO erforderlichen Pflichten zu erfüllen. Diese Rechtslage steht im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BFH, wonach die Haftung des Geschäftsführers mangels Verschuldens entfällt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter die erforderliche Zu­ stimmung für die Entrichtung von Steuern verweigert.505 Da diese Zu­ stimmung eine reine Formalie darstellt, wird hierdurch letztlich nur eine Haftungsfalle für schlecht beratene Geschäftsführer geschaffen.506 Letzt­ lich erhält der Fiskus also nur von denjenigen Geschäftsführern Zahlun­ gen, denen die aktuelle Rechtslage und die Anforderungen der Rechtspre­ chung in Bezug auf die erforderliche Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht bekannt sind.507

D. Resümee Zum Abschluss dieses Kapitels lässt sich resümieren, dass sowohl die GmbH als auch der Geschäftsführer Steuerpflichtige i.S.d. § 33 Abs.1 AO sein können. Die GmbH treffen vorrangig – aber nicht ausschließlich – als Beteiligte eines Steuerschuldverhältnisses i.S.d. § 37 Abs. 1 AO steu­ erliche Pflichten, denen der Geschäftsführer als Steuerpflichtiger ge­ mäß § 34 Abs. 1 AO nachzukommen hat. Über § 69 S. 1 AO kann der Geschäftsführer als Haftender zudem selbst Beteiligter eines Steuer­ 501 Vgl. Mätzig, in: BeckOK/GmbHG, 2021, § 64 Rn. 3b. 502 Vgl. Wolfer, in: BeckOK/InsO, 2021, § 15b Rn. 7. 503 Wolfer, in: BeckOK/InsO, 2021, § 15b Rn. 25. 504 Vgl. Mätzig, in: BeckOK/GmbHG, 2021, § 64 Rn. 3b; Wolfer, in: BeckOK/InsO, 2021, § 15b Rn. 25. 505 BFH, Urteil v. 22.10.2019 – VII R 30/18, NZI 2020, 585. 506 Wolfer, in: BeckOK/InsO, 2021, § 15b Rn. 25. 507 Wolfer, in: BeckOK/InsO, 2021, § 15b Rn. 25.

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D. Resümee

schuldverhältnisses i.S.d. § 37 Abs. 1 AO werden. Neben dieser öffent­ lich-rechtlichen Stellung als eigener Steuerpflichtiger unterliegt der Ge­ schäftsführer daneben zahlreichen haftungsbewehrten organschaftlichen Pflichten, welche er im Sinne des Gesellschafterinteresses zu erfüllen hat. Zwischen seinen privatrechtlichen Pflichten gegenüber der Gesell­ schaft und seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten gegenüber dem Staat kann es mitunter zu nur schwer auflösbaren Interessenkonflikten kom­ men. Dieses Spannungsverhältnis sowie dessen dogmatische Einordnung in die Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers ist pri­ märer Gegenstand der nachfolgenden Kapitel.

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Kapitel 3: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Innenverhältnis Nachdem die gegenüber dem Fiskus bestehende steuerrechtliche Pflich­ tenstellung der GmbH als juristischer Person sowie ihres Geschäftsfüh­ rers als deren gesetzlicher Vertreter dargelegt wurde, folgt in einem nächsten Schritt die Untersuchung der gegenüber der Gesellschaft beste­ henden Pflicht des Geschäftsführers zur Einhaltung der Steuergesetze. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf die abstrakte Frage nach der normativen Verortung einer GmbH-internen Pflicht zur Gewährleis­ tung umfassender steuerlicher Rechtskonformität sowie deren Inhalt, Reichweite und Umfang. Im Fokus steht damit die Ausleuchtung des dogmatischen Ursprungs einer möglichen Tax Com­pli­ance-Pflicht, nicht hingegen die Erarbeitung daraus resultierender konkreter organisato­ rischer Anforderungen. Trotz des Ausschlusses dieses strukturellen As­ pekts handelt es sich dabei nach dem oben Gesagten um eine Untersu­ chung essentieller Grundbausteine einer Tax Com­ pli­ ance-Pflicht des GmbH-Geschäftsführers. Als ersten Begründungsversuch für die Herleitung einer gesellschaftsin­ ternen Tax Com­pli­ance-Pflicht wird die öffentlich-rechtliche Norm des § 34 Abs. 1 AO auf eine mögliche mittelbare oder gar unmittelbare Wir­ kung auf das GmbH-interne Pflichtengefüge hin untersucht (A.). Den Schwerpunkt dieses Kapitels bildet die anschließende Frage, ob sich eine organschaftliche Legalitätspflicht als Anknüpfungspunkt einer binnen­ rechtlichen Tax Com­ pli­ ance-Pflicht des Geschäftsführers dogmatisch sauber erarbeiten lässt (B.) oder stattdessen auf das Gesellschafterinteres­ se als wesentlichen Bezugspunkt abzustellen ist (C.). Die gefundenen Er­ gebnisse dienen in einem darauf folgendem Abschnitt dazu, die organ­ schaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers im Spannungsfeld von legaler und illegaler Steuerplanung und -gestaltung stringent und ein­ heitlich zu skizzieren (D.). Nachfolgend werden staatliche Korrektur­ möglichkeiten aufgezeigt, um eventuellen Defiziten des bestehenden Rechtssystems entgegenzuwirken (E.), bevor in einem letzten Punkt die Ergebnisse zu den innergesellschaftlichen Tax Com­pli­ance-Pflichten ei­ nes GmbH-Geschäftsführers zusammengefasst werden (F.).

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

A. § 34 Abs. 1 AO als normativer Bezugspunkt einer GmbH-internen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers? Wie bereits festgestellt, erzeugt § 34 Abs. 1 AO für den gesetzlichen Ver­ treter juristischer Personen ein eigenes Pflichtenverhältnis. Aufgrund der öffentlich-rechtlichen Natur dieser Vorschrift schuldet der gesetzli­ che Vertreter die Erfüllung der durch diese Norm auferlegten Pflichten jedoch erst einmal nur dem Steuergläubiger, also dem Fiskus.508 Insoweit hat ein Verstoß hiergegen unter den weiteren Voraussetzungen des § 69 S. 1 AO konsequenterweise auch nur eine Haftung gegenüber dem Fiskus und nicht dem Vertretenen zur Folge. Damit können unmittelbar aus § 34 Abs. 1 AO jedenfalls keine Gm­ bH-internen Pflichten abgeleitet werden. Die öffentlich-rechtliche Natur der Pflichtenstellung kann mittelbar Auswirkungen auf das GmbH-in­ terne Organisationsgefüge haben, da der Geschäftsführer sich dieser Haf­ tungsverantwortung nicht entledigen kann und darum bemüht sein dürf­ te, das Risiko seiner persönlichen Haftung zu minimieren.509 Diese rein faktische und unter Umständen sowohl für den Geschäftsführer als auch die Gesellschaft ökonomisch sinnvolle Reflexwirkung des § 34 Abs. 1 AO ist aber keinesfalls eine gesetzliche Pflicht, die der Geschäftsführer gegenüber der GmbH zu erfüllen hat. Im Ergebnis kann aus dem Pflich­ tenübertragungs- und Haftungssystem der §§ 34 Abs. 1, 69 S. 1 AO damit allenfalls eine in ihren Einzelheiten noch unklare Tax Com­ pli­ ancePflicht des Geschäftsführers gegenüber dem Fiskus erwachsen.510 Unbe­ antwortet bleiben jedoch die Fragen, aus welcher gesetzlichen Pflicht heraus der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft die Erfüllung steuerlicher Pflichten schuldet, welche Folgen ein Verstoß hiergegen hat, und ob im Gegensatz zur Haftung aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zumindest die innergesellschaftliche Haftung abdingbar ist. Die Antwor­ ten auf diese Fragen können nur im Organisationsrecht der GmbH gefun­ den werden.

508 BT-Drucks. VI/1982, S. 110 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 396; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 34 Rn. 1; Koenig, in: Koenig-AO, 2021, § 34 Rn. 1; Beermann, DStR 1994, 805, 807. 509 Siehe zur verhaltenssteuernden Wirkung der steuerrechtlichen Haftung Brock, Le­ galitätsprinzip, 2017, S. 129. 510 Zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Außenverhältnis siehe das nachfolgende Kapitel.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

B. Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­ punkt einer internen Tax Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers Für den Vorstand einer AG gehöre es nach weitgehender Überzeugung zum „Allgemeingut des Aktienrechts“ 511, sich an Recht und Gesetz ­halten zu müssen. Nichts anderes könne demnach für den Geschäftsfüh­ rer einer GmbH gelten.512 Gemeint ist die organschaftliche Legalitäts­ pflicht als „Kardinalspflicht“513 der Unternehmensführung zur Einhal­ tung sämtlicher Rechtsvorschriften sowie die darüber hinausgehende Pflicht, das Unternehmen so zu organisieren und zu beaufsichtigen, dass keine Gesetzesverletzungen stattfinden können. Obwohl sich diese Pflichten weder im AktG noch im GmbHG ausdrücklich finden lassen, gilt zumindest die Legalitätspflicht in ihrem grundsätzlichen Aussagege­ halt weitestgehend als anerkannt. In der juristischen Literatur und Rechtsprechung existieren heute mannigfaltige und in ihrem Ausmaß kaum mehr überschaubare Ansätze zur dogmatischen Begründung und Bestimmung des Umfangs der Legalitätspflicht.514 Da es sich bei den steuerlichen Pflichten um gesetzliche Pflichten handelt, liegt der Schluss nahe, die Legalitätspflicht auch zur internen Pflichtenbegründung des Geschäftsführers heranzuziehen. Zudem ist die zur Diskussion stehen­ de Com­ pli­ ance-Pflicht in ihrer Gestalt als Organisationspflicht nach vielfach vertretener Ansicht ein „Kind der Legalitätspflicht“515 und könnte damit auch den dogmatischen Anknüpfungspunkt für die norma­ tive Verortung einer möglicherweise bestehenden GmbH-internen Tax Com­pli­ance-Pflicht ausmachen. Die Legalitätspflicht bildet nach allge­ meiner Überzeugung daher den Ausgangspunkt jeglicher Com­pli­anceÜberlegungen im innergesellschaftlichen Bereich.516

511 Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1094. 512 Siehe nur Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 88 mit zahlreichen Nachweisen zur AG wie auch zur GmbH. 513 Vgl. zu dieser Bedeutung der Legalitätspflicht Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 21; Fleischer, ZIP 2005, 141, 142; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 4; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 14; Cordes, Die Com­pli­ance-Organisation in der GmbH, 2016, S. 97; nach Gieseke, GmbHR 1996, 486, 487 sind unter einer Kardinalspflicht diejenigen Auf­ gaben und Sorgfaltspflichten zu verstehen, von denen die Existenz und der Fortbe­ stand der Gesellschaft abhängen. 514 Vgl. zu diesem Ausmaß Thole, ZHR (173) 2009, 504, 505. 515 Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2013, Rn. 145; eingehend zur ­Legalitätskontrollpflicht als Verlängerung der Legalitätspflicht Holle, Legalitäts­ kontrolle, 2014, S. 45 f., 59 ff.; Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 182 ff.; Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f. 516 So Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 137.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Ironischerweise könnte man bei der Durchsicht der die Legalitätspflicht betreffenden Monografien, Aufsätze, Handbücher und sonstigen Beiträge prima facie den Eindruck gewinnen, hier ein unzureichend erforschtes Rechtsgebiet vorzufinden. Diese Annahme speist sich aus der Behaup­ tung zahlreicher Autoren, die dogmatischen Grundlagen einer Lega­ litätspflicht seien bisher „nicht tiefer erörtert“517, „kaum ausgeleuch­ tet“518, „nicht umfassend untersucht“519 bzw. „nicht klar umrissen“520 worden. Derartige Kritik an den bestehenden Ansätzen zur Herleitung einer Legalitätspflicht lässt sich bis heute in der Einleitung nahezu jeder Monographie zu diesem Themenkomplex finden.521 Woran aber der Ein­ wand unzureichender Forschung angesichts der Fülle an wissenschaftli­ chen Untersuchungen zur organschaftlichen Legalitätspflicht festge­ macht wird, ist fraglich. Zutreffend an all diesen Aussagen ist, dass trotz der umfangreichen Bemühungen nach wie vor offensichtlich Unklarheit über die Dogmatik, Reichweite und Grenzen der Legalitätspflicht herrscht.522 Das liegt jedoch keineswegs an mangelnder Forschung zum Thema, sondern daran, dass die vielfältige Bildung unterschiedlicher Meinungsströme letztlich dazu geführt hat, die Konturen der Legalitäts­ pflicht so weit zu verwischen, dass nicht einmal mehr die Begrifflichkeit eindeutig bestimmbar ist. Diese Diskordanz setzt sich in der dogmati­ schen Begründung sowie der Darstellung des Umfangs der Legalitäts­ pflicht fort. Im Ergebnis verbleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass es ausgerechnet bei einer „Kardinalspflicht“ der Leitungsorgane den Betrof­ fenen nahezu unmöglich ist, ihre konkreten Pflichten herauszufiltern.523 Die folgenden Ausführungen dienen neben der Untersuchung der Dog­ matik sowie des Inhalts und der Reichweite der Legalitätspflicht deshalb auch dazu, mehr Klarheit in diese Diskussion zu bringen. Dabei ist zu betonen, dass angesichts größerer medialer Aufmerksamkeit die Diskussion um die Begrifflichkeit und Dogmatik der Legalitäts­ pflicht, ebenso wie die um Com­pli­ance, hauptsächlich im Bereich des Aktienrechts geführt wird. Nichtsdestotrotz findet sich mittlerweile 517 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 21, 50. 518 Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 94 Fn. 81 m.w.N.; 519 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 23 f., 27; ähnlich Thole, ZHR (173) 2009, 504, 505. 520 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 77. 521 Siehe aktuell nur Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 27, wonach die dogmatische Grundlage einer Legalitätspflicht „nach wie vor im Dunkeln“ liegt und die zahl­ reichen Herleitungssätze „überwiegend keinen hinreichenden Tiefgang“ aufwei­ sen; ebenso Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 (keine „schlüssige dogmatische Fundie­ rung“ der Legalitätspflicht). 522 Ebenso Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 405, wonach die Rechtfertigung der Legalitätspflicht alles andere als selbstverständlich ist. 523 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 6, der zutreffend vom „diffuse[n] Institut der Legalitätspflicht“ spricht.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

auch in jedem Kommentar zum GmbHG ein eigener Abschnitt zur Le­ galitätspflicht des Geschäftsführers. Solange lediglich die Terminolo­ gie und normative Verortung der Legalitätspflicht im Gesellschaftsrecht zur Frage stehen, können die Ausführungen zum Aktienrecht für das GmbH-Recht zum größten Teil übernommen werden.524 Sobald aller­ dings GmbH-spezifische Besonderheiten Einzug in die Diskussion fin­ den, wie z.B. die Weisungsabhängigkeit des Geschäftsführers, gilt es strikt von der aktienrechtlichen Untersuchung zu unterscheiden. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Legalitätspflicht um keinen feststehenden Rechtsbegriff handelt und die Mannigfaltigkeit an Litera­ tur dazu eher mehr Verwirrung stiftet als Klarheit verschafft, ist zunächst Schritt für Schritt die Begrifflichkeit zu klären (I.), um anschließend die Dogmatik und normative Verortung einer organschaftlichen Legalitäts­ pflicht zu erörtern (II.). Dabei spielen steuerrechtliche Aspekte vorerst eher eine Nebenrolle, im Vordergrund stehen hingegen ein allgemeines Verständnis der Legalitätspflicht sowie eine kritische Auseinanderset­ zung mit ihrer Dogmatik. Die erarbeiteten Befunde werden in einem nächsten Schritt als Zwischenergebnis zusammengefasst (III.).

I. Das begriffliche Verständnis der gesellschaftsrechtlichen Legalitätspflicht Einig ist man sich zuvörderst darin, dass unter der Legalitätspflicht jene Pflicht zu verstehen ist, sich als Geschäftsführungs- bzw. Leitungsor­ gan einer Gesellschaft bei der Amtsführung gesetzestreu zu verhal­ ten.525 ­Weniger eindeutig ist bereits die Bezeichnung der weiterführenden Pflicht des Geschäftsführers, die besagt, über die eigene Gesetzes­ treue ­hinaus dafür zu sorgen, dass auch durch andere Unternehmens­ angehörige aus der Gesellschaft heraus keine Rechtsverstöße begangen werden. Teilweise wird in diesem Zusammenhang von einem „Kind der Legalitätspflicht“526 gesprochen, mehrheitlich ist von einer „Legali­

524 Siehe nur die inhaltlich gleichen Ausführungen zur Legalitätspflicht des AG-Vor­ stands von Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 14 ff. einerseits so­ wie des GmbH-Geschäftsführers von Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 21 ff. andererseits. 525 Vgl. BGH, Urteil v. 10.07.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26; BGH, Urteil v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95 – BGHZ 133, 370, 375; BGH, Urteil v. 13.04.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 370, 372; aus der Literatur siehe nur Fleischer, in: Mü­ Ko-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 21, 142 m.w.N. 526 Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2013, Rn. 145.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

tätskontrollpflicht“527 bzw. „Legalitätsdurchsetzungspflicht“528 gegenüber der „Legalitätspflicht im engeren Sinne“ die Rede. Im Zentrum der Überlegungen dieses Teils der Arbeit steht jedoch nicht die terminologische Aufteilung der Legalitätspflicht in eine Pflicht zur eigenen Rechtstreue und eine weiterführende Pflicht zur Verhinderung von Rechtsverstößen durch andere. Vielmehr wird bereits einen Schritt früher angesetzt und danach gefragt, welche konkreten Pflichten des Ge­ schäftsführers sich hinter dem schillernden Begriff der Legalitätspflicht eigentlich verbergen. Um diesen Pflichtenrahmen abzustecken, werden diverse Anstrengungen unternommen, die Legalitätspflicht in ihre Ein­ zelteile zu zerlegen und so erste Anhaltspunkte für ihren Anwendungs­ bereich zu gewinnen. Nachfolgend wird anhand der gängigsten begriffli­ chen Einteilungen ein für diesen Untersuchungsgegenstand relevantes Begriffsverständnis der Legalitätspflicht herausgearbeitet. 1. Einteilung in eine interne und externe Legalitätspflicht Ein Großteil der Literatur unterteilt die Legalitätspflicht in eine interne und externe Pflichtenbindung.529 Unter die interne Pflichtenbindung werden insbesondere organspezifische Einzelpflichten des Geschäftsfüh­ rers gegenüber der Gesellschaft aus dem GmbHG sowie dem Gesell­ schaftsvertrag gefasst,530 während die externe Pflichtenbindung solche Rechtsvorschriften meint, welche die Gesellschaft als Rechtssubjekt treffen.531

527 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 45 f., 59 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 142 m.w.N. 528 Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 145 f.; siehe diesbezüglich auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 410 ff., wonach der Sinn einer Legalitätspflicht darin besteht, die Außenpflichten von Kapitalgesellschaften durchzusetzen. 529 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 21; Fleischer, ZIP 2005, 141, 142; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 4; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 14; Gasper, Tax Com­ pli­ ance, 2016, S. 292; Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 92 f.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 88 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 900; Verse, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 107 f.; dieser Unterteilung zustimmend, aber ohne kon­ krete Erwähnung der Begriffe „interne“ und „externe Pflichtenbindung“ Paefgen, Unternehmerische Entscheidung, 2002, S. 17 f.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 57 ff., 65 ff.; Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 93 Rn. 86 f.; ­Cordes, Die Com­pli­ance-Organisation in der GmbH, 2016, S. 97 f.; Abeltshauser, Leitungshaf­ tung, 1998, S. 205, 213 f. 530 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 22 ff.; siehe umfassend zu den ein­ zelnen Pflichten des Geschäftsführers Hoffmann, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Hdb. der GmbH, 2021, § 5 Rn. 60 ff. 531 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 30, wonach hierunter auch die Vorschriften des Steuerrechts fallen; siehe auch Abeltshauser, Leitungshaftung, 1998, S. 205, 213 f., der zusätzlich vertragliche Pflichten darunter fasst.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

2. Aufteilung in Binnen- und Außenpflichten Die Kennzeichnung interner und externer Pflichtenbindung wird viel­ fach als eher „unglücklich“532 oder „irreführend“533 kritisiert, da eine ­solche Kategorisierung den Eindruck erwecke, es gehe im Rahmen der externen Pflichten einzig um die unmittelbare Außenhaftung des Ge­ schäftsführers, also um jene Normen, die sich unmittelbar an den gesetz­ lichen Vertreter richten und diesem eine persönliche Haftung auferlegen. Zwar kann diesen Haftungsnormen (z.B. § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO) eine gewisse Interdependenz mit der eigentlichen Legalitätspflicht nicht abgesprochen werden, dennoch sind sie von deren direktem Anwen­ dungsbereich abzugrenzen.534 Dass dieser täuschenden Kategorisierung hingegen mittels eines Austauschs des Begriffspaars der internen und ex­ ternen Pflichtenbindung durch die Ausdrücke „Pflichten aus dem Bin­ nenverhältnis der Gesellschaft“ (kurz Binnenpflichten) und „Pflichten aus dem Außenverhältnis der Gesellschaft“ (kurz Außenpflichten) bei­ zukommen sein soll, erscheint ebenfalls fragwürdig.535 Berechtigt bleibt nämlich die Kritik, die Untergliederung in interne und externe Pflichten stoße an die Wortsinngrenze, sobald der Geschäftsführer als Haftungs­ adressat ins Zentrum der Überlegungen gerückt wird.536 Dies wird deut­ lich, wenn man sich vor Augen führt, dass derjenige Teil der Legalitäts­ pflicht, der den Geschäftsführer dazu anhält, für ein rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft nach außen zu sorgen, zwar in den externen rechtlichen Bindungen der Gesellschaft wurzelt, im Verhältnis des Ge­ schäftsführers zur Gesellschaft aber nach wie vor eine interne Verpflich­ tung darstellt.537 3. Legalitätspflicht im engen Sinne (i.e.S.) und Legalitätspflicht im ­weiten Sinne (i.w.S.) Aus denselben Gründen, aufgrund derer andere Autoren eine Aufteilung in Binnen- und Außenpflichten befürworten, unterscheidet Brock für die 532 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 432. 533 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 49; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaf­ tung, 2016, S. 46; ebenso Thole, ZHR 173 (2009), 504, 506; Holle, Legalitätskont­ rolle, 2014, S. 44. 534 So zutreffend Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 47; Brock, ­Legalitätsprinzip, 2017, S. 49; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 507; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 432. 535 Eine solche Aufteilung aber befürwortend Breitenfeld, Organschaftliche Binnen­ haftung, 2016, S. 46; teilweise wird – ebenso wenig hilfreich – auch von „Binnen­ pflichten und Außenpflichten des Vorstands“ gesprochen, vgl. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 506. 536 So ausdrücklich Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 45 f. 537 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 46; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 506.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Zwecke seiner Dissertation zwischen einer Legalitätspflicht i.e.S. und einer Legalitätspflicht i.w.S.538 Demnach unterfallen der Legalitätspflicht i.e.S. alle originär an die Organperson gerichteten Innenpflichten, also vorrangig solche aus dem AktG, der Satzung und der Geschäftsordnung. Die Legalitätspflicht i.w.S. umfasst die Rechtspflichten der Gesellschaft, welche die Organperson im Innenverhältnis zu befolgen hat. Im Zuge dessen unterscheidet auch Brock zwischen Binnen- und Außen­ pflichten, wobei es sich aber in beiden Fällen um Pflichten handelt, wel­ che unmittelbar an die Organperson bzw. die Geschäftsführung als Ge­ samtorgan gerichtet sind. Binnenpflichten sind demnach solche Pflichten, deren Einhaltung unmittelbar der Gesellschaft, einem Organ oder einer Organperson geschuldet wird, während Außenpflichten die Organper­ son unmittelbar gegenüber Gesellschaftsgläubigern, Hoheitsträgern oder sonstigen Dritten verpflichten. Diejenigen Pflichten, welche sich an die GmbH als verselbstständigtes Rechtssubjekt richten, werden hingegen als Gesellschaftspflichten bezeichnet.539 Dabei begreift der Autor auch einzelne, in anderen Gesetzen zu findende Pflichten von Organpersonen, namentlich solche des UmwG oder des WpHG, als Teil der Legalitäts­ pflicht i.e.S. Dies gilt jedoch nur, soweit die Pflichten der Gesellschaft geschuldet sind und nicht gegenüber Dritten. Die Legalitätspflicht i.e.S. sowie Legalitätspflicht i.w.S. sind somit beides Unterfälle der Bin­ nenpflichten, wohingegen organbezogene Außenpflichten, wie insbeson­ dere § 34 Abs. 1 AO, davon auszunehmen sind.540 4. Aufteilung in originäre, derivative und derivativ-originäre Pflichten Rieger löst sich begrifflich ebenfalls von einer Unterteilung in interne und externe Pflichten und strukturiert die Legalitätspflicht stattdessen in originäre, derivative und derivativ-originäre Vorstandspflichten.541 Un­ ter originären Pflichten versteht sie diejenigen, die gemeinhin als interne Pflichten bzw. Binnenpflichten bezeichnet werden, wobei sie aber zu­ sätzlich die unmittelbare Außenhaftung des Vorstands darunter fasst. Derivative Pflichten sind die sonst als externe Pflichten oder Außen­ pflichten beschriebenen, also solche, welche die Gesellschaft im Außen­ verhältnis treffen und für deren Erfüllung der Vorstand im Binnenver­ hältnis haften soll.542 Als dritte Kategorie nennt sie derivativ-originäre Pflichten des Vorstands, worunter jene derivativen, also Gesellschafts­ pflichten, fallen sollen, zu deren Erfüllung der Vorstand spezialgesetzlich 538 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 49 ff. 539 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 31. 540 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 48 f.; mit den Vorstandspflichten aus anderen Gesetzen sind solche wie z.B. § 107 UmwG gemeint. 541 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 47 ff. 542 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 84 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

verpflichtet ist. Die derivativen Pflichten wandeln sich in diesem Fall in originäre Pflichten um.543 Die steuerrechtliche Pflicht des Vorstands aus § 34 Abs. 1 AO stellt demnach gleichzeitig eine originäre544 wie deriva­ tiv-originäre545 Pflicht dar. Auch diese Neubenennung der internen und externen Pflichten in originäre und derivative kann zur Bildung von Fall­ gruppen hilfreich sein, begründet aber als solche keine dogmatische Dif­ ferenzierung. 5. Die Legalitätspflicht als „Transformator“ Harnos steht einer Unterteilung in interne und externe Pflichten eben­ falls kritisch gegenüber und macht die Pflichtenstellung des Vorstands (und somit auch des Geschäftsführers) zum Ausgangspunkt seiner Über­ legungen. In der Folge unterscheidet er jedoch nicht zwischen Binnenund Außenpflichten, sondern zwischen unmittelbaren Verpflichtungen des Leitungsorgans und Pflichten der Gesellschaft, welche das Leitungs­ organ in seiner Funktion zu erfüllen hat. Im Sinne dieser Klassifizierung versteht der Autor unter einer internen Legalitätspflicht nur diejenige Pflicht des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft, für die externe Legalität zu sorgen. Die unmittelbaren Außenpflichten des Geschäfts­ führers setzt Harnos nicht lediglich in Wechselwirkung zur Legalitäts­ pflicht, sondern sieht sie, was dies betrifft, als deren Bestandteil an. Da­ durch sind aber sämtliche unmittelbar an das Leitungsorgan gerichteten Vorschriften – nicht nur solche aus dem GmbHG oder AktG – auch im Verhältnis zur Gesellschaft zu erfüllen, sodass der Gesetzesverstoß gleichzeitig eine Pflichtverletzung im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG be­ gründen kann.546 In einer Weiterführung dieses Gedankens bezeichnet Holle die Legalitätspflicht als „Transformator, der die externen Bindun­ gen spiegelbildlich in das Binnenverhältnis transportiert und dort zur obersten Verhaltensmaxime aufwertet.“547 6. Gänzliche Ablehnung des Konstrukts einer Legalitätspflicht Letztlich gibt es auch noch einige Vertreter, allen voran Hellwig/Behme, die der Legalitätspflicht keine eigenständige Funktion zuschreiben.548 Freilich leugnen auch Hellwig/Behme nicht, dass sowohl die Organe als 543 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 91 ff. 544 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 68. 545 Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 95 ff. 546 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 78 f. 547 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 45. 548 Hellwig/Behme, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 343, 351 f.; ähnlich argumentierend auch Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.21, der ein Pflichtensystem in einer „Metaebene oberhalb des Rechts“, das dazu ver­ pflichtet, Recht anzuwenden, ablehnt.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

auch die Gesellschaft zur Rechtstreue verpflichtet sind, sie sehen aber in jedem Verstoß gegen die Legalitätspflicht gleichzeitig die Verletzung ei­ ner speziell an das jeweilige Organ bzw. die Gesellschaft gerichteten Pflicht. Damit erachten sie zwar jedes gesetzwidrige Verhalten als sorg­ faltswidrig im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, leiten diese Schluss­ folgerung aber unmittelbar aus der verletzten Norm ab.549 Die einzige Funktion der Legalitätspflicht wäre demnach die Feststellung, dass „eine Pflichtverletzung pflichtwidrig ist“, was eine „Binsenweisheit“ bzw. „Tautologie“ sei.550 7. Für diese Arbeit relevantes begriffliches Verständnis Obwohl die Darstellung in dieser Arbeit keinen Anspruch auf Vollstän­ digkeit erhebt, wird dadurch bereits deutlich, wie vielfältig der Disput hinsichtlich der bloßen Begriffsinterpretation der Legalitätspflicht und der damit zusammenhängenden Pflichten ist. Die Unklarheiten resultie­ ren im Wesentlichen aus dem Versuch, einerseits sowohl die gesetzli­ chen Pflichten der GmbH und des Geschäftsführers gegenüber Außenste­ henden als auch die gesellschaftsinternen Pflichten, die sich primär aus dem GmbHG und der Satzung ergeben, einer einheitlichen Legalitäts­ pflicht zu unterwerfen, aber andererseits durch diese terminologische Unterscheidung dennoch die dogmatischen Diskrepanzen nicht zu ver­ wischen. Das für die nachfolgenden Untersuchungen relevante begriffliche Ver­ ständnis der Legalitätspflicht lässt sich dadurch herausfiltern, dass man nach dem Sinn und Zweck eines solchen Konstrukts fragt. Dieser kann sicherlich nicht darin liegen, die gegenüber der Gesellschaft bestehenden Pflichten des Geschäftsführers aus dem GmbHG und der Satzung sowie weiteren Quellen zu beschreiben, die sich ohnehin unmittelbar an ihn richten. Dies liefe andernfalls auf die tautologische Feststellung von Hellwig/Behme hinaus, dass „eine Pflichtverletzung pflichtwidrig ist“. Vielmehr kann man die Legalitätspflicht mit den Worten Holles als „Transformator“551 beschreiben, wonach externe Bindungen spiegelbild­ lich in das Binnenverhältnis transportiert werden. Eine Einschränkung ist aber insofern geboten, als diese externen Bindungen auf solche der Gesellschaft reduziert werden müssen. Wie bereits erwähnt, kann selbst­ verständlich auch die unmittelbare Außenhaftung des Geschäftsführers Auswirkungen auf sein innergesellschaftliches Verhalten haben, schon allein deswegen, weil er in aller Regel eine persönliche Haftung um jeden 549 Hellwig/Behme, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 343, 345. 550 Hellwig/Behme, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 343, 352; ähnlich Brock, Legalitäts­ prinzip, 2017, S. 86; siehe zum Ausdruck der „Binsenweisheit“ ferner U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 646. 551 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 45.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Preis verhindern will. Diese Interdependenz in der Folge jedoch zum Be­ standteil der Legalitätspflicht avancieren zu lassen, sodass ebenjene Pflichten ebenfalls zu innergesellschaftlichen transformiert würden, geht zu weit und ist darüber hinaus auch nicht notwendig. Derartige Haf­ tungsnormen stellen üblicherweise lediglich eine zusätzliche Absiche­ rung des jeweiligen Gläubigers dar, während die Gesellschaft weiterhin im Außenverhältnis verpflichtet bleibt. Beispielsweise haftet der Ge­ schäftsführer nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zwar persönlich für die Steuerschulden der Gesellschaft, dennoch bleibt letztere nach dem oben Gesagten gegenüber dem Steuergläubiger als Steuerschuldnerin steuer­ pflichtig, sodass diese externe Pflicht der Gesellschaft mit Hilfe des Transformators der Legalitätspflicht in das Binnenverhältnis gespiegelt werden kann. Der unmittelbaren Außenhaftung des Geschäftsführers kommt dann diesbezüglich keine darüber hinausgehende Bedeutung für das innergesellschaftliche Organisationsgefüge zu, außer dass der Ge­ schäftsführer in Rechtsbereichen, in welchen ihm eine persönliche Haf­ tung droht, unter Umständen besonders sorgfältig agiert, um die Gefahr einer solchen zu minimieren. Um die Frage nach einer tatsächlich rechtlichen Notwendigkeit der Exis­ tenz eines derartigen Transformators bzw. der rechtlichen Zulässigkeit eines solchen zu beantworten, gilt es, im Folgenden eine dogmatisch überzeugende Herleitung zu finden und die Legalitätspflicht in speziell diesem Aussagegehalt im Gesellschaftsrecht normativ zu verankern.

II. Die dogmatische Begründung einer Legalitätspflicht im Gesellschaftsrecht Ansätze für die dogmatische Begründung eines gesellschaftsrechtlichen Konstrukts, dessen Funktion das Transponieren von Außenpflichten der Gesellschaft in das gesellschaftsinterne Pflichten- und Organisationsge­ füge ist, gibt es viele. Wie bereits im Zusammenhang mit Com­pli­ance erklärt wurde, legt z.B. Ziff. A1, Grds. 5 des DCGK explizit fest, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen hat. Ob der Unverbindlichkeit des DCGK, insbesondere für die nicht bör­ sennotierte GmbH, kann dieser Aussage aber keinesfalls mehr als eine Orientierungswirkung zuerkannt werden.552 Mangels anderweitiger pas­ sender Normierungen führt die Suche nach einer Dogmatik also zwangs­ läufig in das Gesellschaftsrecht, speziell das GmbHG und AktG. Aber auch allgemeinzivilrechtliche Normen, namentlich die §§ 134, 138 BGB, sowie allgemeine Grundsätze unseres Rechtssystems dürfen bei der Be­ trachtung nicht außer Acht gelassen werden. Das Problem der dogmati­ 552 Zur Aussage und Wirkung des DCGK siehe oben unter S. 8 f.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

schen Begründung einer uneingeschränkten organschaftlichen Legali­ tätspflicht wird besonders im Zusammenhang mit den sog. „nützlichen Rechtsverstößen“ virulent. In einem ersten Punkt ist daher zu erklären, was sich hinter dieser Terminologie verbirgt, auf die im Laufe der weite­ ren Untersuchung noch mehrfach Bezug genommen werden wird. Bevor konkret auf die einzelnen Vorschriften eingegangen wird, die ent­ weder bereits für sich genommen oder zumindest als beredter Ausdruck eines allgemeingültigen Rechtsprinzips eine umfassende gesellschafts­ rechtliche Legalitätspflicht rechtfertigen können, ist zunächst zu unter­ suchen, welche diesbezüglichen Befunde eine zielgerichtete historische Untersuchung des Aktien- und GmbH-Rechts hervorbringt. Die Erkennt­ nisse können anschließend unter anderem für die Frage, ob es das viel­ fach behauptete rechtspolitische und rechtsökonomische Bedürfnis nach umfassender Rechtskonformität innerhalb von Unternehmen tatsäch­ lich gibt, fruchtbar gemacht werden. Wie die nachfolgenden Unter­ suchungen zeigen werden, ist gerade dieses rechtspolitische und recht­ sökonomische Bedürfnis wesentlicher Ausgangspunkt und gleichzeitig Achillesferse zahlreicher Begründungsversuche. 1. Der Begriff des „nützlichen Rechtsverstoßes“ Eines der Kernprobleme im Zusammenhang mit der dogmatischen Be­ gründung einer umfassenden Legalitätspflicht ist der sog. „nützliche Rechtsverstoß“ als Durchbrechung bzw. Ausnahme der Pflicht zur Ein­ haltung der Rechtsordnung. Der terminologische Unterschied zu diesem in der Literatur eher als „nützliche Pflichtverletzung“553 bekannten Phä­ nomen ist dabei ganz bewusst so gewählt, um das Ergebnis des pflicht­ widrigen Verhaltens nicht bereits begrifflich vorwegzunehmen.554 Unab­ hängig von den begrifflichen Einzelheiten sind damit allgemein jene Rechtsverstöße eines Organmitglieds gemeint, die für die Gesellschaft nützlich sind und ihr einen Vorteil bringen, der bei rechtstreuem Verhal­ ten in dieser Form nicht entstanden wäre.555 Mehrheitlich wird ein sol­ cher „effizienter Gesetzesbruch“ (oder „efficient breach of public law“) 553 Wenngleich das hinter dem Begriff stehende Problem schon lange diskutiert wird (siehe nur H.J. Mertens, in: Hachenburg-GmbHG/II, 1997, § 43 Rn. 20), geht der Terminus „nützliche Pflichtverletzung“, soweit ersichtlich, zurück auf Haas, in: Michalski/GmbHG/2, 2002, § 43 Rn. 50; mittlerweile existieren ganze Monografi­ en, die sich vorrangig dieses Komplexes annehmen, vgl. Hinrichs, Nützliche Pflichtverletzungen, 2015, passim; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, passim; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 254 ff.; siehe ferner Fleischer, ZIP 2005, 141 ff.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85 ff. 554 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 255 m.w.N.; im Deliktsrecht ist das Phä­ nomen unter dem Schlagwort „lukratives Delikt“ bekannt, vgl. dazu G. Wagner, KF 2006, S. 110 ff. 555 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 255 m.w.N.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

sowohl von der Rechtsprechung556 als auch der Literatur557 kategorisch abgelehnt und höchstens im Zuge einer Vorteilsanrechnung beim Scha­ den eines Organhaftungsanspruchs berücksichtigt. Es gelte demnach der Vorrang einer umfassenden Legalitätspflicht. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, die im Falle nützlicher Pflichtverletzungen Aus­ nahmen von der Legalitätspflicht zulassen und so einer Abwägung mit dem Gesellschafterinteresse nach dauerhafter Rentabilität und Gewinn­ maximierung nicht von vornherein entgegenstehen.558 Für eine umfassende Aufbereitung des aktuellen Meinungsstands in Rechtsprechung und Wissenschaft zur umstrittenen Frage der generellen Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße sei auf die bereits existente Lite­ ratur hierzu verwiesen.559 Da die Problematik nützlicher Rechtsverstöße allerdings in besonderem Ausmaß im Bereich des Steuerrechts deutlich wird, ist eine auf diesen Spezialbereich fokussierte Auseinandersetzung auch für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand unerlässlich.560 So kann es aus rechtsökonomischer Sicht durchaus profitabel für das Unter­ nehmen und dementsprechend im Sinne des Gesellschafterinteresses 556 Siehe BGH, Beschl. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288; BGH, Urteil v. 27.08.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266, 275 f., wo von der Unzulässigkeit „profitabler Pflichtverletzungen“ die Rede ist. 557 Vgl. Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 109; U. H. Schneider, in: FS Hüf­ fer, 2010, S. 905, 909; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 66; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 75; Kleindiek, in: Lutter/Hommel­ hoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 15; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 12 ff.; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 6; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 134; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 71; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 512 f., 517; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 90 f.; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 425 f.; ­Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 55; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 43; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311 f.; eingehend Fleischer, ZIP 2005, 141 ff. 558 In diesem Sinne zumindest für Bagatellverstöße Habersack, in: FS U. H. Schnei­ der, 2011, S. 429, 437 ff.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Glöckner/Müller-­ Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; ansatzweise auch Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418 f. Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114 f.; Harzenetter, Nützliche Pflicht­ verletzungen, 2008, S. 96 ff.; noch weitergehender Grigoleit/Tomasic, in: Grigo­ leit-AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff., wonach nicht nur Bagatellverstöße, sondern sämt­ liche privatrechtliche Normen, Ordnungswidrigkeiten und Normen ausländischen Rechts ausgenommen sindeine konsequente Ausnahme von der Legalitätspflicht zugunsten von Nützlichkeitserwägungen befürwortet unter strengen Vorausset­ zungen Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 254 ff. 559 Allen voran Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 264 ff.; siehe auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 411 ff. 560 Siehe nur Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 74; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 66; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 134, wo das Steuerrecht in diesem Zusammenhang exemplarisch genannt wird.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

sein, bewusst einen Steuerrechtsverstoß in Gestalt einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu begehen.561 Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, sind es gerade jene Handlungen des Ge­ schäftsführers, die jedenfalls nach ökonomischer Betrachtungsweise nicht gegen die Schadensabwendungspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG ver­ stoßen und zudem im Rahmen des Gesellschafterinteresses liegen, die erhebliche Probleme bei der dogmatischen Begründung einer uneinge­ schränkten Legalitätspflicht aufwerfen. 2. Die Legalitätspflicht vor dem Hintergrund einer historischen Untersuchung des AktG und GmbHG Im Folgenden werden die gesellschaftsrechtlichen Ursprünge des AktG und des GmbHG im zeitlichen Längsschnitt knapp erläutert, um daraus später Rückschlüsse auf Dogmatik, Inhalt und Umfang einer Legalitäts­ pflicht des Geschäftsführers ziehen zu können. Besondere Beachtung er­ fährt dabei die Organhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG, speziell vor dem Hintergrund der Intention des historischen Gesetzgebers, Allgemeinwohlinteressen, allen voran das öffentliche Inte­ resse an umfassender Rechtskonformität, in das geltende Recht zu inte­ grieren. a) Historie des AktG zur Organhaftung Rechtshistorisch lässt sich zur Vorstandshaftung zunächst das AktG von 1937 anführen, welches mit § 70 Abs. 1 eine Regelung enthielt, wonach der Vorstand die Gesellschaft so zu leiten hatte, wie „der gemeine Nut­ zen von Volk und Reich es fordern“.562 Selbst wenn das AktG von 1965 in § 76 Abs. 1 nur noch von der Leitung der Gesellschaft unter eigener Verantwortung spricht, ist es laut Begründung zum Regierungsentwurf selbstverständlich, dass der Vorstand bei seinen Maßnahmen ebenso die Belange der Allgemeinheit zu berücksichtigen habe und dies daher kei­ ner ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz bedürfe.563 Diese Selbstver­ ständlichkeit ist jedoch im Kontext der Verhandlungen in den Ausschüs­ sen zu sehen. Dort wurde beantragt, vor § 76 einen § 75a einzufügen, 561 Vgl. zu einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse ausführlich Brock, Legalitätsprin­ zip, 2017, S. 258 ff. 562 § 70 AktG 1937 abgedruckt in Kropff, AktG, 2005, S. 593 f.; siehe ausführlich zur Gemeinwohlbindung des Vorstands, auch bezüglich des Verhältnisses zum Unter­ nehmensinteressepostulat Brinkmann, Unternehmensinteresse, 1983, S. 80 ff., S. 294 ff. 563 Begr. RegE AktG 1965, BT-Drucks. IV/171, abgedruckt in Kropff, AktG, 2005, S. 97; siehe hierzu auch Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 125, der mangels eines klaren gesetzlichen Anforderungsprofils die Wissenschaft, Rechtspraxis und Rechtsprechung in der Pflicht sieht, dem Aufgabenumfang des Vorstands und Ge­ schäftsführers Konturen zu verleihen.

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woraus in Anlehnung an § 70 Abs. 1 AktG 1937 eindeutig hervorgehen sollte, dass die Gesellschaft unter Berücksichtigung des Wohles der All­ gemeinheit zu betreiben sei. Andernfalls sei zu befürchten, dass die Ge­ richte entgegen der vorherigen Norm des § 70 Abs. 1 AktG 1937 den Vorstand nicht mehr an das öffentliche Wohl gebunden sehen könnten. Die Mehrheit im Rechts- und Wirtschaftsausschuss teilte diese Beden­ ken aus oben genannten Gründen jedoch nicht. Dass auch Allgemein­ wohlinteressen zu berücksichtigen sind, sei selbstverständlich und erge­ be sich ohnehin aus § 396 AktG 1965 (die Vorschrift entspricht dem heutigen § 396 AktG).564 Viele Jahre später hieß es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ein­ führung der Business Judgment Rule im UMAG, die unternehmerische Entscheidung sei von der rechtlich gebundenen Entscheidung zu unter­ scheiden. Dabei dürfe es für illegales Verhalten keinen „sicheren Hafen“ geben.565 Mit dieser Begründung sollte eine Anwendung der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf Entscheidungen über die Einhaltung gesetzlicher Normen ausgeschlossen sein.566 Darin ein allge­ meingültiges Bekenntnis des Gesetzgebers zur Legalitätspflicht zu er­ kennen, ginge jedoch zu weit.567 Die Verwehrung eines „sicheren Ha­ fens“ für illegales Verhalten beschränkt sich auf den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule, der losgelöst vom Sorgfaltsmaßstab zu beur­ teilen ist. Eine darüber hinausgehende Feststellung liegt dem nicht zu­ grunde.568 Daraus kann vorerst geschlossen werden, dass zumindest der historische aktienrechtliche Gesetzgeber Allgemeinwohlinteressen über das AktG ausdrücklich als schützenswert ansah und dies auch entsprechend kodifi­ zierte. Inwieweit dieses Interesse aber seit dem Wegfall des § 70 AktG 1937 auch weiterhin Niederschlag im Aktienrecht findet, insbesondere ob es über die entsprechende Intention des Gesetzgebers hinaus eine echte gesetzliche Pflicht zur Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen gibt, lässt sich anhand einer historischen Auslegung des AktG nicht sagen.569 564 Der Ausschussbericht ist abgedruckt in Kropff, AktG, 2005, S. 97 f.; zur mögli­ chen Eignung von § 396 AktG als beredter Ausdruck einer Allgemeinwohlbin­ dung und damit auch einer Legalitätspflicht, siehe später auf den S. 124 ff. 565 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; vgl. hierzu Paefgen, in: GK-Gmb­ HG/2, 2020, § 43 Rn. 66, der damit das Verbot nützlicher Pflichtverletzungen be­ gründet m.w.N. 566 Vgl. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 97 f. 567 Hingegen exakt diesen Rückschluss ziehend Rathgeber, Com­pli­ance, 2012, S. 151; B. Schmidt, Com­pli­ance, 2010, S. 75. 568 So auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 69 f.; Holle, Legali­ tätskontrolle, 2014, S. 47; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 89. 569 Ebenso Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 53 f.; siehe auch Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877, wonach Organmitglieder eines Unternehmens heute ge­ rade keine „Rechtsdurchsetzungsorgane“ mehr sind.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

b) Historie des GmbHG zur Organhaftung Womöglich gibt die Historie des GmbHG mehr Aufschluss darüber, ob eine umfassende Pflicht zur Rechtskonformität auch innerhalb korpora­ tiver Organisationsträger existiert bzw. existieren sollte. Im Folgenden werden daher die historischen Ursprünge des GmbHG näher beleuchtet, angefangen bei seiner Entstehung, über gescheiterte Reformversuche, die GmbH-Novelle 1980, bis hin zum MoMiG 2008. Wie die Untersuchun­ gen zeigen werden, hat sich das Selbstverständnis des gesellschaftsrecht­ lichen Gesetzgebers im Laufe der Zeit bedeutend verändert, was wieder­ um Rückschlüsse auf Dogmatik, Inhalt und Umfang einer Legalitätspflicht erlaubt. (1) Die Entstehung des GmbHG Das GmbHG trat mit Wirkung vom 10. Mai 1892570 in Kraft und wird als „Kunstschöpfung des deutschen Gesetzgebers ohne historisches oder rechtsvergleichendes Vorbild“571 angesehen. Zahlreiche Vertreter der Rechtswissenschaft übten von Anfang an harsche Kritik an der Organisa­ tionsform der GmbH und ihrer fehlenden wirtschaftlichen Eigenart.572 Fränkel monierte in diesem Zusammenhang, die GmbH differenziere sich nicht ausreichend von anderen Gesellschaftsformen und sei ein „Proteus wirtschaftlicher Verbände“: „Sie ist eine offene Handelsgesell­ schaft mit beschränkter Haftung, eine Aktiengesellschaft ohne Aktie, eine Gesellschaft mit einem Gesellschafter.“573 Als Reaktion hierauf ­äußerte er „aufsehenerregende Reformvorschläge“574, beispielsweise das Verbot von Einpersonengesellschaften, gleichzeitig aber eine Gesell­ schafterbegrenzung auf 30 und die Übernahme einer Garantiehaftung durch jeden Gesellschafter neben der Stammeinlage.575 (2) Der gescheiterte Reformversuch 1971/73 Nichtsdestotrotz veränderte sich lange Zeit nichts nennenswertes, bis das Bundesministerium der Justiz im Anschluss an die Aktienrechtsre­ form 1965 schließlich eine umfassende Neuregelung des GmbH-Rechts in Angriff nahm und im April 1969 einen entsprechenden Referentenent­

570 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 66. 571 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 50; ähnlich Begr. RegE 1973, BTDrucks. VII/253, S. 81. 572 Einen Überblick über die zeitgenössische Würdigung des GmbHG, insbesondere die Kritik aus der Rechtswissenschaft, liefert Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 75 ff. 573 Fränkel, Die Gesellschaft m.b.H., 1915, S. 252. 574 Vgl. K. Schmidt, GesR, 2002, S. 988. 575 Eingehend Fränkel, Die Gesellschaft m.b.H., 1915, S. 250 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

wurf vorlegte.576 Obwohl die Reform nach Verabschiedung eines nur un­ wesentlich veränderten Regierungsentwurfs im Jahr 1971577, der im Jahr 1973578 dem Bundestag vorgelegt wurde, scheiterte,579 ist dennoch ein kurzes Eingehen hierauf für den Fortgang der Untersuchung von Bedeu­ tung. Zwar gehörte eine Verstärkung des Gläubigerschutzes auch im Rahmen des RegE 1973 zu den Kernanliegen der Reform,580 doch beschränkte sich diese im Wesentlichen auf die Aufbringung und Erhaltung des Stamm­ kapitals sowie die Verantwortlichkeiten hierzu mit erweiterten per­ sönlichen Haftungsmöglichkeiten.581 Mit der Bindung an gesetzliche Vorschriften bzw. der Kodifizierung einer Legalitätspflicht der Geschäfts­ führer und Gesellschafter hatte die Reform kaum etwas zu tun. Einzig die Norm des § 191 Nr. 4 RegE 1973 ist in diesem Zusammenhang er­ wähnenswert. Sie konstatiert entsprechend § 241 Nr. 3 AktG, dass ein Gesellschafterbeschluss nichtig ist, wenn er durch seinen Inhalt Vor­ schriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind.582 Die Vorschrift des § 191 Nr. 4 RegE 1973 war jedoch nicht eine auf die GmbH zugeschnittene Modifikation von § 241 Nr. 3 AktG, son­ dern eine bewusst unveränderte Übernahme dieser Norm in das ­GmbH-Recht.583 Damit lassen sich aus historischer Sicht durch den Ver­ such, die Bindung an das öffentliche Interesse im Beschlussmängelrecht 576 Inhaltsverzeichnis und Entwurfstext des RefE vom April 1969 zu einem GmbHG abgedruckt in Schubert, Quellen zur GmbH-Reform, 2011, S. 71 ff.; einen Rege­ lungsüberblick hierzu liefern Fleddermann, GmbHR 1969, 97 ff.; Hofmann, AG 1969, 337 ff. 577 BT-Drucks. VI/3088. 578 BT-Drucks. VII/253. 579 Siehe zum Scheitern dieser großen Reform Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 107. 580 Siehe Begr. RegE 1973, BT-Drucks. VII/253, S. 82 f.; Fleischer, in: MüKo-Gmb­ HG/1, 2018, Einl. Rn. 101. 581 Überblicksartig Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 101. 582 Bereits damals und auch heute noch entspricht die analoge Anwendung von § 241 AktG auf das Beschlussmängelrecht im GmbH-Recht der h.M., siehe nur Raiser/ Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28; Bayer, in: Lutter/Hommel­ hoff-GmbHG, 2020, Anh. § 47 Rn. 1 m.w.N.; manche sprechen sich hingegen für die Anerkennung eines Grundprinzips aus und damit gegen eine Analogie, vgl. K. Schmidt/Bochmann, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 45 Rn. 62; dabei handelt es sich um einen rein dogmatischen Streit, der zu gleichen Ergebnissen führt. 583 Vgl. Begr. RegE 1973, BT-Drucks. VII/253, S. 190. Dieses Vorgehen wurde in einer Stellungnahme der Verbände zum RefE 1969 ausdrücklich kritisiert: Es wurde für einen eigenständigen Nichtigkeitsgrund plädiert, der nicht mehr an die Verlet­ zung des öffentlichen Interesses gekoppelt ist, sondern auf Vorschriften zum Schutz der Gläubiger beschränkt wird. Siehe hierzu die Stellungnahme der Ver­ bände zum Referentenentwurf (Dezember 1969), abgedruckt in Schubert, Quellen zur GmbH-Reform, 2011, S. 152.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

der GmbH zu kodifizieren, keine nennenswerten Erkenntnisse gewin­ nen. Aussagekräftigere Rückschlüsse lassen sich allerdings aus der starken Orientierung des Referentenentwurfs 1969 sowie der darauf folgenden Regierungsentwürfe 1971 und 1973 an einem Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums von 1939584 zur Reform des GmbH-Gesetzes ziehen.585 Die als Reaktion auf die Reform des AktG 1937 angestrengte Erneuerung des GmbH-Rechts musste jedoch aufgrund der herrschenden Kriegszustände ausbleiben.586 Der Referentenentwurf 1939 enthielt mit § 2 eine dem damaligen § 70 Abs. 1 AktG 1937 entsprechende Regelung zur Leitung der Gesellschaft, wonach diese sich am gemeinen Nutzen von Volk und Reich zu orientieren habe.587 Die Regelung entsprang den Kernanliegen damaliger rechtspolitischer Reformziele, zu welchen unter anderem eine Stärkung des Gläubigerschutzes gehörte.588 Gerade jene Re­ gelung wurde im Referentenentwurf von 1969 und den darauf folgenden Regierungsentwürfen indes nicht mehr aufgegriffen.589 Ein möglicher Grund könnte sein, dass im Einklang mit der Begründung zum Regie­ rungsentwurf des AktG 1965 die Berücksichtigung von Allgemeinwohl­ interessen als selbstverständlich angesehen wurde und sie dementspre­ chend keiner expliziten Erwähnung im Gesetz bedurfte. Ebenso kann der Verzicht des Gesetzgebers auf eine Übernahme der Gemeinwohlbindung aus § 2 des RefE 1939 in den RegE 1973 samt fehlender Begründung für den Wegfall und auch bewusste und endgültige Abkehr von diesem Ge­ danken gedeutet werden. Wenngleich Zweifel nicht restlos ausgeräumt werden können, spricht die Untätigkeit des historischen GmbH-Gesetz­ gebers in einer Gesamtschau eher dafür, seinen Willen dahingehend aus­ zulegen, dass den Geschäftsführer keine gesetzliche Pflicht zur Berück­ sichtigung von Gemeinwohlbelangen trifft, wohingegen dies beim Vorstand einer AG anders gesehen werden kann.590 Grund hierfür ist, dass der zu beobachtenden Zunahme der Sozialbindung von Wirtschafts­ 584 Der RefE 1939 ist abgedruckt in Schubert, ZHR-Beiheft 58, 1985, S. 94 ff. 585 Vgl. zu dieser Ausrichtung Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 99. 586 Siehe hierzu K. Schmidt, GesR, 2002, S. 988 f., der davon ausgeht, dass andernfalls wohl ein neues GmbH-Gesetz gefolgt wäre. 587 Vgl. zum Wortlaut der Vorschrift Schubert, ZHR-Beiheft 58, 1985, S. 94 sowie zur Entwurfsbegründung Schubert, ZHR-Beiheft 58, 1985, S. 153; siehe ferner Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 96; Fleischer, GmbHR 2010, 1307. 588 Siehe zu den Kernfragen damaliger Reformüberlegungen die Entwurfsbegründung bei Schubert, ZHR-Beiheft 58, 1985, S. 147 ff.; vgl. außerdem K. Schmidt, GesR, 2002, S. 988 für den Gläubigerschutz. 589 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 99.  590 So auch Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1309, der zu diesem Ergebnis trotz „aller Vorsicht gegenüber interpretatorischen Rückschlüssen aus dem Untätigbleiben des Gesetzgebers“ kommt; ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 91 f., der eine Gemeinwohlbindung sogar gesellschaftsformübergreifend ablehnt.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

unternehmen für den Geschäftsführer einer GmbH aufgrund seiner im Vergleich zum Vorstand einer AG geringer ausgeprägten Selbstständig­ keit generell keine so große Bedeutung zukommt.591 (3) Die GmbH-Novelle 1980 Eine tatsächliche, wenn auch nur geringfügige Reform erfuhr das Gmb­ HG durch die im Jahr 1980 verabschiedete GmbH-Novelle.592 Die Verbes­ serung des Gläubigerschutzes war auch im Rahmen dieses Reformvorha­ bens das leitende Motiv.593 Nach einer Kodifikation der Legalitätspflicht oder wenigstens einem Bekenntnis des Gesetzgebers hierzu sucht man in den durch diese Novelle neu eingeführten Vorschriften sowie der Geset­ zesbegründung jedoch vergeblich. (4) Das MoMiG 2008 Die bisher größte Reform des GmbHG594 bildet das MoMiG.595 Die Ände­ rungen, welche diese Reform mit sich brachte, sah Ulmer dabei als so weitreichend an, dass sie ihn an den berüchtigten „Federstrich des Ge­ setzgebers“ erinnerten.596 Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zu bis­ herigen Reformen und Reformversuchen dem MoMiG der Gläubiger­ schutz nicht mehr ausdrücklich als primäres Motiv zugrunde lag. Im Vordergrund standen nunmehr folgende zwei, teilweise miteinander konfligierende Reformziele: Einerseits der verstärkte Schutz der Rechts­ form der GmbH vor Missbräuchen und andererseits die Deregulierung und Modernisierung der GmbH, um ihre Attraktivität und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.597 In diesem Zusammenhang wurde dem RegE MoMiG, insbesondere mittels der Entformalisierung des ge­ setzlichen Kapitalschutzes, teilweise sogar eine Schwächung des Gläubi­ gerschutzes nachgesagt.598 K. Schmidt hingegen befürchtete anstelle ei­ ner Gefährdung des Gläubigerschutzes eine Haftungsverlagerung von

591 Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 7. 592 Siehe BGBl. I, S. 836. 593 Vgl. die der Novelle vorausgehenden Begr. RegE 1977, BT-Drucks. 8/1347, S. 27. 594 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 120; Hirte, NZG 2008, 761; Wedemann, WM 2008, 1381. 595 RegE, BT-Drucks. 16/6140. 596 Ulmer, ZIP 2008, 45 unter Bezugnahme auf folgenden Auszug eines 1847 gehalte­ nen und 1848 publizierten Vortrags von Julius von Kirchmann: „drei berichtigen­ de Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“, v. Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1990, S. 23. 597 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 25; freilich hatte der Reformgesetzgeber auch einen effektiveren Gläubigerschutz im Sinn. Dieser wird jedoch durch das divergierende Ziel der Attraktivitätssteigerung der Rechtsform der GmbH deut­ lich relativiert, vgl. K. Schmidt, GmbHR 2008, 449. 598 So Büchel, GmbHR 2007, 1065 ff.; Priester, ZIP 2008, 55 f.; Ulmer, ZIP 2008, 45 ff.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

den Gesellschaftern auf den Geschäftsführer.599 Hilfreiche Erkenntnisse über Dogmatik, Inhalt und Reichweite einer Legalitätspflicht des Ge­ schäftsführers lassen sich unmittelbar durch die Novellierungen des ­MoMiG nicht gewinnen. Wie sich im Anschluss zeigen wird, kommt dem Entwurf aus rechtspolitischer Perspektive allerdings erhebliche Be­ deutung für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zu. c) Resümee Weder die Historie des AktG noch des GmbHG offenbaren eine eindeuti­ ge Haltung des Gesetzgebers zur These, dass das Leitungsorgan einer GmbH oder AG auch im Verhältnis zur Gesellschaft zwingend sämtliche gesetzlichen Vorgaben einzuhalten hat, welche die von ihm vertretene juristische Person im Außenverhältnis treffen. Es gilt daher zu untersu­ chen, ob sich unter Einbeziehung der diesen Problemkomplex betreffen­ den Rechtsprechung ein Bekenntnis zur Legalitätspflicht erkennen lässt. 3. Die Entwicklung in der Rechtsprechung Wohl gerade aufgrund der Reformmüdigkeit wird die Geschichte des GmbH-Rechts teilweise als „Geschichte der Rechtsfortbildung“600 um­ schrieben, was den immensen Einfluss von Rechtsprechung und Rechts­ wissenschaft erklärt. In diesem Sinne oblag es historisch betrachtet vor allem der Rechtsprechung, der generalklauselartigen Umschreibung von Geschäftsführerpflichten aus § 43 Abs. 1 GmbHG Leben einzuhau­ chen.601 Jene Pflichtenlage der Leitungs- und Überwachungsorgane hat insbesondere der II. Zivilsenat des BGH als „Motor dieser Rechtsent­ wicklung“602 in unterschiedlichsten Aspekten näher konkretisiert.603 Als wesentliches Mittel zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen und modernen Unternehmensführung betont Goette die Anwendung der Haftungsvorschriften durch die Rechtsprechung.604

599 K. Schmidt, GmbHR 2008, 449, 450, 455; K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074. 600 K. Schmidt, GesR, 2002, S. 987 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 125. 601 Siehe aber den Einwand von Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 700, der die Ge­ schäftsleiterpflichten angesichts fehlender geeigneter Anreizstrukturen durch ver­ gleichsweise wenige wegweisende Gerichtsentscheidungen konkretisiert sieht. 602 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 127. 603 Einen guten Überblick über die Mannigfaltigkeit der unterschiedlichen Bereiche, innerhalb derer die Rechtsprechung in einer Gesamtschau zur Gewährleistung ei­ ner modernen Unternehmensführung beitrug, liefert Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 129 f., 138 ff. 604 Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 139; dabei erkennt er zuvor auf S. 129 durchaus an, dass die Rechtsprechung „nur einen Ausschnitt der Rechtswirklichkeit – und dies zudem unter dem Blickwinkel des pathologischen Falls – abbildet“.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

a) Die zivilgerichtliche Rechtsprechung bis 2012 Die Ansicht der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zur organschaftli­ chen Legalitätspflicht spiegelt sich vor allem in den Urteilen zur Bestim­ mung und Begrenzung eines unternehmerischen Handlungsspielraums wider. Bereits vor der gesetzlichen Kodifikation einer Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wurde dem Geschäftsleiter ein unterneh­ merischer Handlungsspielraum durch die Rechtsprechung versagt, so­ weit es um die Sicherstellung rechtmäßigen und satzungskonformen Handelns gehe.605 Sowohl der II. Zivilsenat606 als auch der VI. Zivilse­ nat607 des BGH gehen seit jeher von einem strikten Gebot zur Einhaltung sämtlicher gesetzlicher Pflichten – also auch der steuerlichen Erklä­ rungspflichten – samt korrespondierender Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten aus. Das bedeutet, dass gesetzwidriges Verhal­ ten stets gleichzeitig pflichtwidrig im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG sein müsse. Inwiefern sich diese Rechtsprechung mit der Figur der sog. „Legal Judgment Rule“ verträgt und ob sich die Business Judgment Rule und Legalitätspflicht wirklich gegenseitig ausschließen, wird an späterer Stelle noch ausführlicher behandelt.608 b) Die zivilgerichtliche Rechtsprechung ab 2014 Mit der Tradition, auch innerhalb einer Gesellschaft eine umfassende Rechtskonformität zu fordern, könnte der II. Zivilsenat inzwischen ge­ brochen haben. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 betonte er mehrfach, dass eine von einem Vorstandsmitglied begangene Straftat nicht zwangsläufig gleichzeitig eine Pflichtverletzung im Innenverhält­ nis zur Folge haben muss, sondern dies vielmehr von einer Prüfung im Einzelfall abhängt.609 Dabei ist zu beachten, dass in dieser Entscheidung zwar ein gesetzwidriges Verhalten als möglich erscheint, eine endgültige Verurteilung hingegen aufgrund einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage, § 153a StPO, ausblieb. Andererseits ging der Senat aber über den verhandelten Fall hinaus, indem er ganz allgemein von Strafsanktio­ nen sprach. In diesem Sinne hielt er zunächst fest, dass die Entscheidung über die Übernahme sowohl einer Geldauflage als auch einer Geldstrafe oder Geldbuße entsprechend der Regelung zum Verzicht in § 93 Abs. 4 605 Die hierzu bis dahin ergangene Rechtsprechung zusammenfassend Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 131 ff.; vgl. zur aktuellen Rechtsprechung BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876, 877 f. 606 BGH, Urteil v. 08.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143; BGH, Urteil v. 12.10.1987 – II ZR/251/86, NJW 1988, 1321, 1323. 607 BGH, Urteil v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370; BGH, Urteil v. 10.07.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26. 608 Siehe hierzu ausführlich auf den S. 174 ff. 609 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 11, 13, 21, 23; siehe dazu auch Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 875.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

AktG grundsätzlich der Hauptversammlung vorbehalten ist.610 Gleich­ zeitig konstatierte er, dass für den Fall einer fehlenden „Pflichtverlet­ zung durch den Vorstand [vorliegt]“ es dem Aufsichtsrat obliegt, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Strafsanktion übernommen werden soll.611 Es ist also dessen Aufgabe, zu prüfen, ob eine vorgeworfe­ ne Straftat „ihrer Art nach gleichzeitig ein pflichtwidriges Verhalten ge­ genüber der Gesellschaft [darstellt]“.612 Damit steht man vor der Frage, ob in dieser Entscheidung tatsächlich eine Abkehr von der Überzeugung, jeder Rechtsverstoß im Außenverhältnis bedeute zugleich eine Pflicht­ verletzung im Innenverhältnis, zu sehen ist. Bei oberflächlicher Betrach­ tung könnte der Eindruck entstehen, das Urteil drehe sich im Kern nur um eine Abgrenzung der Kompetenzen von Hauptversammlung und Aufsichtsrat. Gegen eine solche Reduzierung des Urteils auf bloße Zu­ ständigkeitsfragen von Organen spricht allerdings, dass der Senat aus­ drücklich zwischen solchen Straftaten, die stets gleichzeitig ein pflicht­ widriges Verhalten gegenüber der Gesellschaft bedeuten, und solchen, bei denen das nicht so ist, differenziert. Beispielhaft für diesen Automa­ tismus wurden dabei Betrug, Untreue, Bilanzfälschung sowie Insolvenz­ verschleppung genannt.613 Diese Aufzählung erlaubt den Rückschluss, dass nicht jede Straftat – und damit erst Recht nicht jedweder Gesetzes­ verstoß – automatisch die Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis nach sich zieht.614 Es stellt sich die Frage, welche konkreten Auswirkungen dieser Recht­ sprechungswandel nun auf die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers im steuerrechtlichen Kontext und damit auf den vorlie­ genden Untersuchungsgegenstand hat. An der beispielhaften Aufzählung von Straftaten, die immer auch eine Pflichtverletzung darstellen sollen, lässt sich erkennen, dass der Senat nicht auf die Schwere der Tat abstell­ te. Vielmehr ist aufgrund der Pflicht der Geschäftsleitung zur treuhände­ rischen Verwaltung des fremden Vermögens die Nähe zur Organstellung entscheidend. Straftaten, die also typischerweise dem Gesellschafter­ interesse zuwiderlaufen oder sogar unmittelbar gegen die Gesellschaft gerichtet sind, stellen zugleich ein pflichtwidriges Verhalten im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG dar. Beim Betrug oder der Untreue zulasten der Gesellschaft ist dies eindeutig. Weniger klar ist dies allerdings bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO, der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO und dem weder straf- noch bußgeldbewehrten Verstoß gegen steuerrechtliche Pflichten. Bei diesen Taten entsteht der Gesell­ 610 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 18. 611 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 21. 612 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 23. 613 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 23. 614 So auch Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 875.

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schaft regelmäßig auch ein steuerlicher Vorteil,615 sodass sich der auto­ matische Rückschluss auf ein pflichtwidriges Verhalten nach der Recht­ sprechung des II. Zivilsenats verbietet und stattdessen eine Prüfung im Einzelfall notwendig wird. c) Resümee Zwar lässt sich unter Einbeziehung der Rechtsprechung ein Bekenntnis zur Legalitätspflicht und demnach auch zur Com­ pli­ ance-Pflicht im Grundsatz erkennen. Der umstrittene Bereich der nützlichen Rechts­ verstöße wird jedoch nicht einheitlich gehandhabt, was insbesondere in einem Urteil des II. Zivilsenats616 deutlich wird. Die nachfolgenden Un­ tersuchungen widmen sich daher zunächst dem vielfach behaupteten rechtspolitischen und rechtsökonomischen Bedürfnis nach umfassender Rechtskonformität im Unternehmen, um anschließend die gefundenen Erkenntnisse für die dogmatische Rechtfertigung einer solchen aus­ nahmslos geltenden Legalitätspflicht bzw. deren Ablehnung fruchtbar zu machen. 4. Das Bedürfnis nach Rechtskonformität bei juristischen Personen aus rechtspolitischer und rechtsökonomischer Sicht Mit den Begriffen Rechtspolitik und Rechtsökonomie bringt man zu­ vörderst den Gesetzgebungsprozess in Verbindung. Hier steht jedoch zur Debatte, ob eine darüber hinaus reichende Wirkung existiert, die auch die Rechtsanwendung betrifft. Anders ausgedrückt geht es um die Wech­ selwirkung rechtspolitischer und rechtsökonomischer mit rechtsdogma­ tischen Erwägungen. In der rechtstheoretischen Forschung begegnet ei­ nem dieses Problem vor allem im Kontext der Rechtsfortbildung. Sobald nämlich die Rechtsdogmatik als ein „Instrument der Rechtsfortbildung dient, verliert sie ihre Eigenschaft als rein klassifikatorischen System im Sinne wertungsneutraler, rein logischer Begriffsarbeit.“617 Stattdes­ sen wird die Dogmatik durch die Teilnahme an der Rechtspolitik per Rechtsfortbildung wertbezogen und folgenorientiert aufgeladen.618 Um schließlich den Bogen zur dogmatischen Herleitung einer gesellschafts­ rechtlichen Legalitätspflicht zu spannen, ist zu erforschen, ob es ein rechtspolitisches Bedürfnis nach der Anerkennung einer umfassenden

615 Zum Verstoß gegen steuerrechtliche Vorschriften vor dem Hintergrund einer Kos­ ten-Nutzen-Analyse eingehend auf den S. 195 ff. 616 BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26. 617 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 2018, Rn. 328; siehe auch Müller, Norm­ struktur, 1966, S. 26 f.; eingehend hierzu Larenz, Methodenlehre, 1991, S. 366 ff. 618 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 2018, Rn. 329 f.

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Legalitätspflicht gibt.619 Wenngleich ein solches Bedürfnis auch nicht das „dogmatische Einfallstor“620 für die Verankerung der Legalitätspflicht liefern mag, demonstriert es dennoch die Notwendigkeit eines „verhal­ tenssteuernde(n) Regulativ(s)“621 innerhalb des Gesellschaftsrechts. Die­ ses rechtspolitische Bedürfnis hängt nach entsprechenden Argumentati­ onen in der Regel mit dem naturgemäßen „konzeptionelle[n] Erfordernis einer organschaftlichen Legalitätspflicht“622 juristischer Personen zu­ sammen. Gleichzeitig rückt die Rechtsökonomie in den Fokus der Untersuchun­ gen. In den USA ist die ökonomische Analyse des Rechts schon lange Zeit essentieller Bestandteil rechtswissenschaftlicher Grundlagenfor­ schung.623 Mittlerweile gehört dieser Aspekt auch zum Grundrepertoire interdisziplinärer Forschung hierzulande. So spielt der Effizienzgedanke nicht mehr nur im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen eine he­ rausragende Rolle, sondern erfährt darüber hinaus im Gesetzgebungspro­ zess sowie bei der Auslegung und Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung stetig wachsende Bedeutung.624 Beispielhaft für die ak­ tuell umstrittene Frage, ob die Organhaftung nach den im Arbeitsrecht anerkannten Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs beschränkt werden kann, bezieht die Wissenschaft verstärkt auch recht­ sökonomische Faktoren in ihre Überlegungen mit ein.625 Aber auch im Zuge der viel diskutierten Zweckorientierung des Deliktsrechts bahnt sich die Präventionsfunktion der Haftung durch ökonomische Argumen­ tation ihren Weg hin zur Gleichberechtigung neben der bisher als vorran­ gig anerkannten Kompensationsfunktion.626 Daneben soll die wirtschaft­ 619 So Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 51 f.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnen­ haftung, 2016, S. 75 f.; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 516 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 573 ff.; in diese Richtung auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435. 620 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 52; siehe zur Kritik der oftmals fehlenden ­Dogmatik zudem Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 51, 62; ­Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 874 f. 621 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 76; siehe auch Thole, ZHR (173) 2009, 504, 518, der die Legalitätspflicht als Regulativ von oben beschreibt; ähnlich Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 54. 622 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 51 f. 623 Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80, 87 ff.; eingehend hierzu Schanze, in: Assmann/ Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 1993, S. 1 ff. 624 Vgl. dazu die Forschungen innerhalb der letzten Jahre zur Rechtsökonomie und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht von Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80 ff.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff.; G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227 ff.; siehe ­außerdem den seit 1978 wegbereitenden Sammelband Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 1993. 625 Siehe dazu Koch, AG 2012, 429, 433 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 684; Bachmann, ZIP 2017, 841, 849. 626 Eingehend hierzu G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 451 ff.; G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 255 f.

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liche Betrachtungsweise der Steuergesetze „als teleologische Methode die Maßgeblichkeit zivilrechtliche Regelungsinhalte“627 begrenzen. In den nachfolgenden Ausführungen wird anhand einer rechtspolitischen und rechtsökonommischen Würdigung der soeben beschriebenen Entste­ hungsgeschichte des GmbHG und AktG untersucht, ob es ganz allge­ mein und zunächst unabhängig von der Rechtsnatur juristischer Personen ein Bedürfnis nach der Anerkennung einer umfassenden Legalitätspflicht tatsächlich gibt (a). Im Anschluss wird die Konzeption juristischer Per­ sonen einer dahingehenden Prüfung unterzogen, ob, wie behauptet, schon naturgemäß ein Mangel an Motivation zu gesetzestreuem Han­ deln herrscht (b). Abschließend werden die gefundenen Ergebnisse resü­ miert (c). a) Die Historie und die Zwecke des AktG und GmbHG im Spiegel der Rechtspolitik und Rechtsökonomie Wenngleich die durch das MoMiG erfolgten zahlreichen Modifikationen innerhalb des GmbHG und anderer Gesetze für die Frage nach der nor­ mativen Verortung einer Legalitätspflicht des Geschäftsführers unmit­ telbar wenig hilfreich sein mögen, liefert zumindest eine rechtspoliti­ sche und rechtsökonomische Würdigung der Gesetzesnovelle nützliche Erkenntnisse. Die Deregulierung und Modernisierung der GmbH als pri­ märes Reformanliegen und die damit einhergehende Abwertung des Ziels der Stärkung des Gläubigerschutzes zu einem hiermit nur noch konkurrierenden Begehr, sind Ausdruck eines Umdenkens.628 Ein solches „gewandeltes Selbstverständnis des modernen (Reform-)Gesetzgebers“629 deutete sich bereits in der GmbH-Novelle von 1980 an und manifestierte sich endgültig im MoMiG 2008.630 Wie bereits erläutert spricht auch vie­ les dafür, den Verzicht des Gesetzgebers auf eine Übernahme der Ge­ meinwohlbindung aus § 2 des RefE 1939 in den RegE 1973 ebenfalls als Zeichen dieser Neuausrichtung zu werten. Während aus rechtsökonomi­ scher Sicht den Gesetzgeber auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts seit jeher eine „juristische Infrastrukturverantwortung“631 trifft, bekannte sich dieser spätestens seit dem MoMiG 2008 selbst dazu. Anstatt im Ge­ sellschaftsrecht eine einengende Begrenzung wirtschaftlichen Tätigwer­ 627 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 2021, Kap. 1 Rn. 1.34; eingehend zur wirtschaft­ lichen Interpretation der Steuergesetze Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 2021, Kap. 5 Rn. 5.70 ff. 628 Zu den einzelnen Reformzielen siehe bereits auf den S. 100 ff. 629 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 123. 630 Vgl. Kallmeyer, GmbHR 2007, 754 in einer Stellungnahme der Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt v. 02.07.2007 zum RegE MoMiG, wonach der RegE ­MoMiG mit seiner starken Tendenz zur Vereinfachung des GmbH-Rechts „in der Tradition der GmbH-Novelle von 1980“ steht. 631 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 677.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

dens zu sehen, wird die Gesamtheit gesellschaftsrechtlicher Normen heute primär als eine „juristische Infrastrukturleistung zur Förderung effizienter und wettbewerbsfähiger Unternehmen“632 betrachtet. Fleischer erkannte darin schon früh eine „Doppelgesichtigkeit des Gesell­ schaftsrechts“, welche sich einerseits aus einer „enabling function“ (Wirtschaftsermöglichung) und andererseits aus einer „regulatory functi­ on“ (Verhaltenssteuerung) zusammensetzt.633 Welche Schlüsse sind aber daraus für den Inhalt und die Ausgestaltung organschaftlicher Pflichten zu ziehen? Müssen der Gläubigerschutz so­ wie der Schutz der Rechtsordnung fortan in den Hintergrund treten, um einer Erhaltung oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Un­ ternehmen im globalen Konkurrenzkampf nicht zu sehr im Wege zu ste­ hen? Ein aus der ausschließlich ökonomischen Perspektive betrachteter sinnvoller Schritt zur Verwirklichung einer primär auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit fokussierten Unternehmenspolitik wäre sicher­ lich die Befreiung deutscher Unternehmen von den sie in ihrer Wirt­ schaftsfreiheit einengenden gesetzlichen Fesseln.634 Am Beispiel des Steuerrechts veranschaulicht würde dies unter anderem einen Wegfall steuerlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten bedeuten, sodass sich der Geschäftsführer einer GmbH voll und ganz auf die dauerhafte Renta­ bilität bzw. Gewinnmaximierung konzentrieren könnte. Eine Welt ohne steuerliche und andere gesetzliche Pflichten von Unternehmen war in­ des gewiss nicht die Intention des Reformgesetzgebers des MoMiG. Ebenso wenig sollte der Gläubigerschutz auf Kosten der Wettbewerbsfä­ higkeit ad absurdum geführt werden.635 Dennoch ist der Paradigmenwechsel auch für die Frage nach der Not­ wendigkeit einer umfassenden Legalitätspflicht bedeutsam. Führt man sich nämlich vor Augen, dass die Legalitätspflicht als wesentliches Regu­ lativ für das innerhalb des Gesellschaftsrechts bestehende Spannungs­ verhältnis zwischen einer „enabling function“ und einer „regulatory function“ fungiert, liegt darin auch ein möglicher Anknüpfungspunkt für die Verwirklichung rechtspolitischer und rechtsökonomischer Ziele. Unter dieser Prämisse erscheint es jedoch zweifelhaft, die Legalitäts­ pflicht als ein Konstrukt zu akzeptieren, welches sämtliche gesetzliche Pflichten einer Gesellschaft ungefiltert in das Innenverhältnis spiegelt 632 Fleischer, in: Engel/Schön, Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 50, 63; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 123. 633 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 707 mit einem Vergleich zum US-amerikanischen Gesellschaftsrecht. 634 Vgl. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.: „[…] selbstredend ar­ beitet ein Unternehmen um so [sic] profitabler, je geringer die rechtlichen Barrie­ ren sind“; ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98. 635 Siehe dazu K. Schmidt, GmbHR 2008, 449, 450, 455; K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

und damit den Geschäftsführer einer GmbH quasi selbst zum Adressaten der jeweiligen Normen macht.636 Nichtsdestotrotz sind die Ansichten teilweise so festgefahren, dass der Eindruck entsteht, als würde hierbei mit der apodiktischen Figur der „Natur der Sache“637 argumentiert, deren juristische Rechtfertigung darauf basiert, derart plausibel und unumstrit­ ten zu sein, dass sie jeglicher Begründung entbehren dürfe. Die Argumen­ tationsfigur verliert allerdings spätestens dann ihre Berechtigung, sobald die vertretene Rechtsauffassung in Frage gestellt wird. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Befürworter einer strengen Pflichtenparallelität in der Regel von der Befürchtung getrieben sind, der generelle Rechtsgehorsam könnte zugunsten ökonomischer Er­ wägungen aufgeweicht werden.638 Doch gerade dem neuen Selbstver­ ständnis des gesellschaftsrechtlichen Gesetzgebers läuft es zuwider, wenn das Gesellschafterinteresse unabhängig vom tatsächlichen Willen der Gesellschafter dahingehend determiniert wird, dass das allgemeine Interesse an umfassender Rechtskonformität den sonstigen Interessen stets überzuordnen sei.639 Die Zwecke sowie die rechtspolitische und rechtsökonomische Analyse der Historie des GmbHG sprechen eher da­ für, das Gesellschaftsrecht nicht vorrangig als verhaltenssteuerndes Re­ gulativ zu verstehen. Diese Funktion fällt vielmehr den Außenpflichten anheim, welchen sich die juristische Person sowie vereinzelt auch deren Organe ohnehin ausgesetzt sehen.640 Es ist dagegen nicht die Aufgabe des GmbHG, durch innergesellschaftliche Haftungsinstrumente dem ho­ heitlichen Auftrag zur Gewährleistung einer strengen Regelbefolgung zusätzlich zum Erfolg zu verhelfen. Diese Funktion kommt vornehmlich 636 Ein solcher Gleichlauf von Binnen- und Außenpflichten erfährt in der juristischen Literatur jedoch ein lautes Echo, vgl. Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 66, 96; Abeltshauser, Leitungshaftung, 1998, S. 213; Hopt/Roth, in: GKAktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 74 ff., 133; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 412, 425 f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 10; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 12; Altmeppen, in: Altmep­ pen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 6; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 74 f.; Ihrig, WM 2004, 2098, 2104 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 30 f. m.w.N.; kritisch Thole, ZHR (173) 2009, 504, 515 f.; hingegen für eine strikte Trennung von Binnen- und Außenpflichten Kaulich, Haftung von Vor­ standsmitgliedern, 2012, S. 105 f.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 91 ff.; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 131 f.; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 94 f.; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 69, 114 f. 637 Siehe ausführlich zur „Natur der Sache“ Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 2018, Rn. 919 ff. 638 Siehe dazu Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 419 Fn. 242 m.w.N. 639 Vgl. hierzu allen voran Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 54 f., der die Rechtsord­ nung im Ergebnis als oberste Determinante privatautonomer Handlungsmaßstäbe begreift. 640 Mit den Außenpflichten wird sich in Kapitel 4 (S. 272 ff.) noch vertieft aus­ einandergesetzt; siehe dazu auch die staatlichen Möglichkeiten, verhaltenssteu­ ernd auf juristische Personen einzuwirken, auf den S. 261 ff.

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den Zwangsmaßnahmen zu, also dem Straf- und Ordnungswidrigkeits­ recht.641 Es muss dann folgerichtig aber auch die Eigenständigkeit juris­ tischer Personen sowie deren autonom bestimmbares Gesellschafterin­ teresse anerkannt werden, selbst wenn letzteres unter anderem von rechtsökonomischen Faktoren geprägt ist. Unabhängig davon ist bereits anzuzweifeln, ob die Angst vor dem Zerfall des Rechtsgehorsams zugunsten ökonomischer Erwägungen überhaupt begründet ist und ob bei einer Aufhebung der Pflichtenparallelität von Binnen- und Außenpflichten tatsächlich die – überspitzt ausgedrückt – moralische und rechtliche Verwahrlosung der GmbH drohen würde. An­ ders formuliert: Würde der Geschäftsführer infolge des Wegfalls drohen­ der Konsequenzen auf gesellschaftsinterner Haftungsebene keine Mühen mehr scheuen, Gesetze zu brechen? Ein solches Menetekel nährt sich wohl ebenso von realitätsfremden Vorstellungen, wie die Vorstellung von einer Welt gänzlich ohne gesetzliche Pflichten. Eine gesellschaftsin­ terne Haftungsbefreiung des Geschäftsführers für Gesetzesbrüche lässt schließlich seine sonstigen Pflichten gegenüber der Gesellschaft ebenso unberührt wie jene, welche unmittelbar gegenüber dem Staat geschuldet sind. Der Gesellschaft gegenüber ist er nach wie vor zur Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verpflichtet, welche bei der Etablierung krimineller Strukturen kaum als erfüllt anzusehen wäre. Was das konkret bedeutet und welche Auswirkungen eine solche Sicht­ weise für die Komplexe der unklaren oder umstrittenen Rechtslagen ­sowie der nützlichen Rechtsverstöße hat, wird noch eingehend zu unter­ suchen sein. Zuvor ist allerdings der dogmatische Rahmen für die Be­ handlung derartiger Probleme zu schaffen. Zusammenfassend streiten die Historie und die Zwecke des Gesell­ schaftsrechts somit eher für eine Reduzierung der verhaltenssteuernden Wirkung und folglich gegen einen Gleichlauf von Binnen- und Außen­ pflichten. Ob eine solche Pflichtenparallelität aus anderen Gründen not­ wendig ist, allen voran aufgrund der Konzeption juristischer Personen, wird im Folgenden erörtert. Wichtig ist dabei, stets im Hinterkopf zu behalten, dass an dieser Stelle lediglich rechtspolitische und rechtsöko­ nomische Erwägungen sowie konzeptionelle Gegebenheiten eruiert wer­ den. Die Befunde können zwar als Argumente für oder gegen die Not­ wendigkeit einer umfassenden Legalitätspflicht herangezogen werden, ersetzen aber nicht deren dogmatische Herleitung. b) Die Motivation zum rechtskonformen Handeln Wie bereits erklärt sind juristische Personen ebenso wie natürliche Per­ sonen Zuordnungssubjekte gesetzlicher Vorschriften und damit selbst 641 Vgl. Lamprecht, in: FS Blaurock, 2013, S. 291, 298 ff. m.w.N.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

sowohl Träger von Rechten und Pflichten als auch Adressaten etwaiger Sanktionen. Allerdings gibt es bedeutende Unterschiede in der Motivati­ on zu rechtskonformem Verhalten, die in der Konzeption des Verbands­ rechts begründet liegen. Während die natürliche Person als unmittelba­ rer Adressat gesetzlicher Rechte und Pflichten gleichzeitig persönlich von damit einhergehenden Handlungspflichten betroffen ist, stellt sich die Situation bei der juristischen Person anders dar. Letztere muss sich zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten eines Handlungs- und Ver­ tretungsorgans bedienen, welches im Falle der GmbH der Geschäftsfüh­ rer ist. Damit entsteht jedoch zwangsläufig eine Diskrepanz zwischen Pflichtenstellung und Handlungsverantwortung. Im Straf- und Ord­ nungswidrigkeitenrecht begegnet man dem Problem der daraus resultie­ renden Verantwortungs- und Sanktionslücke mit den Zurechnungsnor­ men der §§ 14 StGB, 9 OWiG (Organ- und Vertreterhaftung), welche erlauben, ein Gesetz, für das besondere persönliche Merkmale nötig sind, die die Strafbarkeit oder Ahndungsmöglichkeit begründen, auch auf das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vor­ liegen.642 Abgesehen davon bleibt es aber dabei, dass die GmbH Pflichten­ adressatin und der Geschäftsführer Handlungsorgan ist. Zwar ist auch der Geschäftsführer Träger von Pflichten, namentlich den Sorgfalts­ pflichten des § 43 Abs. 1 GmbHG, doch bestehen diese lediglich gegen­ über der Gesellschaft und sind nicht mit den Außenpflichten der GmbH gleichzusetzen.643 Eine unmittelbare Übertragung der Pflichten der Ge­ sellschaft auf das Handlungsorgan hätte zur Folge, dass die eigene Rechts­ persönlichkeit der juristischen Person negiert würde.644 Besondere Bedeu­ tung erlangt der Umstand des Auseinanderfallens von Pflichtenadressat und Handlungsverantwortlichem im Hinblick auf die verhaltenssteuern­ de Wirkung von Normen. Wenn sich der Geschäftsführer beispielsweise im Falle eines nützlichen Rechtsverstoßes stets auf die Einstandspflicht der Gesellschaft verlassen könnte, befände er sich in der komfortablen Situation, trotz Gesetzesübertretung keinem Sanktionsrisiko ausgesetzt zu sein.645 Eine mögliche Präventionswirkung von Haftungsvorschriften wäre infolgedessen bedeutungslos. Dabei stellt sich zuvörderst die Frage, 642 Ausführlich hierzu, speziell zu den §§ 130, 9 OWiG, auf den S. 287 ff. 643 Die unmittelbare Außenhaftung, wie jene aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO, spielt an dieser Stelle keine Rolle, da es ausschließlich um die Pflichten der Ge­ sellschaft und die damit zusammenhängende besondere Situation der Pflichterfül­ lung geht. Interdependenzen sind aber freilich auch weiterhin nicht zu leugnen. 644 So zutreffend Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 74 f. 645 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 51 f.; Holle, AG 2016, 270, 274 f.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 76; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 516 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 573 ff.; Verse, ZGR 2017, 174, 184 f.; ähnlich auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

ob der Organhaftung überhaupt eine verhaltenssteuernde Wirkung inne­ wohnt oder diese nicht vielmehr einzig dem Schadensausgleich dient. Weiter ist zu untersuchen, ob selbst für den Fall, dass eine solche Präven­ tionswirkung tatsächlich existiert, diese nicht durch extrinsische Um­ stände, die in der Ausgestaltung und Durchsetzung der Organhaftung sowie der Konzeption der juristischen Person begründet liegen, neutrali­ siert wird. Prima facie ist das Steuerrecht zwar von diesen Bedenken unbetroffen, da der Geschäftsführer nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO ohnehin persön­ lich haftet und zudem nach den §§ 370 ff., 378 ff. AO straf- und ord­ nungswidrigkeitsrechtliche Sanktionen fürchten muss, allerdings kön­ nen etwaige Schadensersatzzahlungen, Geldbußen und sogar Geldstrafen zumindest grundsätzlich im Wege des Aufwendungsersatzes nach den §§ 675 Abs. 1, 670 BGB von der Gesellschaft als Regress gefordert wer­ den, sodass ein diesbezügliches Sanktionsrisiko entfällt.646 Es fragt sich demnach, ob darin eine „Aushöhlung der Präventionswirkung“647 zu se­ hen ist und folglich spezial- und generalpräventive Aspekte eine haf­ tungsbewehrte Legalitätspflicht rechtspolitisch notwendig machen.648 Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Konzeption juristischer Per­ sonen und damit auch die Diskrepanz zwischen Pflichtenstellung und Handlungsverantwortung eine bewusste legislative Entscheidung war. Auch und insbesondere deshalb erlangt der Grundsatz, dass die Begrün­ dung zusätzlicher Pflichten einer Herleitung bedarf, nicht deren Versa­ gung, umso mehr Bedeutung.649 (1) Der Präventionsgedanke als Organhaftungszweck Traditionell dient das Recht der außervertraglichen Haftung vorrangig der Kompensation, also dem Schadensausgleich, wohingegen die Präven­ tion, die Schadensvermeidung, lediglich als „erwünschtes Nebenprodukt

646 Siehe hierzu bereits oben auf S. 83. 647 Verse, ZGR 2017, 174, 184 f. 648 Die Konnexität aus mangelnder Präventionswirkung und Legalitätspflicht findet namhafte Vertreter in der Literatur, wobei darin teilweise sogar ein dogmatischer Begründungsansatz gesehen wird, vgl. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434 f.; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 516 f.; zustimmend Breitenfeld, Organ­ schaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 75 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Verse, ZGR 2017, 174, 184 f.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; siehe auch Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 139, der in der Handhabung der Haftungsvorschriften das „wesentliche – auch generalpräventiv wirkende – Mittel“ der Rechtsprechung zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Aufgabenerfüllung durch die Geschäftsleiter sieht; a.A. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 81 f., der sich ausdrücklich gegen generalpräventive Zwecke des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ausspricht. 649 Vgl. zu diesem Grundsatz Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 46 f.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

der Schadensersatzhaftung“650 angesehen wird und damit sekundär ist. Eine Reduzierung der Haftungsfunktion auf den Zweck des Ausgleichs erachtet G. Wagner allerdings als archaisch und befürwortet eine stärke­ re Einbeziehung präventiver Verhaltenssteuerung.651 Diese Überlegungen zum allgemeinen Haftungsrecht überträgt er in einem späteren Beitrag auch auf die Vorstandshaftung aus § 93 Abs. 2 AktG.652 In der weniger umfassenden Literatur zu den Zwecken der Organhaftung ist es ebenfalls herrschende Meinung, dass sie in erster Linie dem Schutz des Vermögens der Gesellschaft, also der Wiedergutmachung, dient. Zwar wird regelmä­ ßig auch die Präventionsfunktion bzw. Schadensvorbeugung als zusätzli­ cher Regelungszweck genannt, jedoch zumeist als maximal gleichwertig und nur so lange die Organhaftung nicht auf das Ziel der Verhaltenssteu­ erung reduziert wird.653 M. Roth misst der Verhaltenssteuerung durch die Organhaftung im Aktienrecht verglichen mit der zivilrechtlichen Haf­ tung sogar einen noch niedrigeren Stellenwert bei, da mit dem Aufsichts­ rat ohnehin ein eigenständiges Überwachungsorgan existiere.654 Die dar­ aus resultierende angebliche Nutzlosigkeit der Verhaltenssteuerung der Vorstandshaftung in der AG kann zwar auf die Geschäftsführerhaftung in der GmbH, jedenfalls derjenigen ohne Aufsichtsrat, nicht ohne Weite­ res übertragen werden, allerdings obliegt dort die Überwachung der Ge­ schäftsführer nach § 46 Nr. 6 GmbHG den Gesellschaftern, die sogar ein Weisungsrecht mit korrespondierender Befolgungspflicht des Geschäfts­ führers aus § 37 Abs. 1 GmbHG innehaben. Auf Basis dieser Umstände müsste der Verhaltenssteuerung der Organhaftung im GmbH-Recht nach den Überlegungen von M. Roth daher noch weniger Bedeutung zukom­ men.655 G. Wagner hingegen räumt dem Zweck der Schadensvermeidung

650 Larenz, Schuldrecht/I, 1987, S. 423; weiter führt er auf S. 424 aus: „Das tragende Prinzip unseres Schadensersatzrechts ist [der Präventionsgedanke] jedoch nicht.“; ebenso Hager, in: Staudinger-BGB/§ 823 A-D, Vorbem. zu § 823 Rn. 10; Ekkenga/ Kuntz, in: Soergel-BGB, Bd. 3/2, 2014, vor § 249 Rn. 28, 33 m.w.N. 651 G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 452 ff., der auf S. 469 einen „Bewußtseinswandel [sic]“ verlangt; eingehend G. Wagner, KF 2006, S. 12 ff. 652 G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 251 ff. 653 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 2; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 11 Rn. 4; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1310; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 1; Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 21; Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123 f.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 726 f.; Bachmann, ZIP 2017, 841, 849. 654 Vgl. M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 29 ff.; siehe auch Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 914, der davor warnt, die Rolle der Verhaltenssteue­ rung bei der Haftung zu überschätzen. 655 Siehe auch Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 2; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1310, der zumindest für die Geschäftsführerhaftung in der GmbH eine Re­ duzierung der Organhaftung einzig auf die Verhaltenssteuerung ablehnt.

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bei der Vorstandshaftung nicht nur den Vorrang ein, sondern sieht die Verhaltenssteuerung sogar als ausschließliches Ziel.656 Sich an dieser Stelle ausführlich mit diesen beiden Zwecken des Haf­ tungsrechts auseinanderzusetzen, würde zu weit vom Thema wegführen und ist zudem auch nicht notwendig:657 Zum einen wird eine grundsätz­ liche Präventionswirkung nach dem eben Gesagten selbst von denjeni­ gen, die in der Kompensationsfunktion den prävalenten Haftungszweck sehen, nicht negiert, sondern lediglich als nachrangig angesehen, zum anderen kann die Frage nach der Rangstellung der Verhaltenssteuerung als Organhaftungszweck dahinstehen, sollten die gewünschten Effekte angesichts verschiedener Umstände ohnehin ihre Wirkung verlieren. (2) Neutralisierung der Präventionswirkung durch extrinsische ­Umstände? Fragt man nach einer möglichen Neutralisierung von Verhaltenssteue­ rungseffekten, ist eine nähere Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der Ausgestaltung und Durchsetzung der Organhaftung sowie der Kon­ zeption der juristischen Person unerlässlich. (a) „Leerlauf der Geschäftsführerhaftung“? Eng verknüpft mit dem Problem der verhaltenssteuernden Wirkung von Normen ist jenes der Rechtsdurchsetzung. Bezogen auf die Organhaftung beschreibt G. Wagner den Idealzustand dergestalt, dass „die Rechts­ durchsetzung so gut [funktioniert], dass es eben wegen der sicheren Aus­ sicht, im Haftungsfall auch in Anspruch genommen zu werden, erst gar nicht zu Pflichtverletzungen kommt. Schäden, deren Vermeidung mög­ lich und wirtschaftlich vernünftig gewesen wäre, würden dann gar nicht erst verursacht und die Zahl der Haftungsfälle wäre null.“ Das Gegenteil davon ist eine Welt, in der zahlreiche Pflichtverletzungen und Haftungs­ fälle aufgrund mangelhafter Rechtsdurchsetzung einer niedrigen Anzahl erhobener Schadensersatzbegehren gegenüberstehen.658 Den Status quo der Vorstandshaftung fasst G. Wagner hinsichtlich der Zielrichtung in einem ambivalenten Befund als „die schlechteste aller Lösungen“ und

656 G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 253, 255 f.; ebenso Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 928; siehe auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 79 ff., die sich ebenfalls für eine stärkere Berücksichtigung der präventiven Wirkung der Organhaftung ausspricht. 657 Eingehend dazu G. Wagner, Gutachten E zum 66. DJT, 2006, A 78 ff.; G. Wagner, in: MüKo-BGB/7, 2020, vor § 823 Rn. 43 ff.; G. Wagner, KF 2006, S. 12 ff.; speziell zu den Zwecken der Organhaftung in der Form der Vorstandshaftung G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 251 ff. 658 G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 245 f.

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deshalb dringend überarbeitungswürdig zusammen.659 Seine Begründung geht unter anderem darauf zurück, dass der für die Verfolgung von ­Schadensersatzansprüchen zuständige Aufsichtsrat einer „Bisssperre“660 bzw. „Beißhemmung“661 unterliege. Geschuldet sei dieses Dilemma so­ wohl den engen persönlichen Verbindungen zwischen Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern (der Aufsichtsrat ist oftmals mit ehemaligen Vor­ standsmitgliedern besetzt), als auch der mit der Sorgfaltspflicht und ­Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder nach § 116 AktG zusam­ menhängenden Haftung. So stehe im Falle einer Pflichtverletzung des Vorstands regelmäßig auch der Vorwurf mangelhafter Überwachung durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG) im Raum. Die bizarre Situa­ tion, dass nach §§ 111 Abs. 1, 112 AktG der Aufsichtsrat für die Verfol­ gung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand zuständig sei, während dem Vorstand die Geltendmachung des Anspruchs der Gesell­ schaft aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG662 gegen den Aufsichtsrat obliege, rufe zwangsläufig Interessenkonflikte hervor.663 Das Argument eines Interessenkonfliktes in der AG aufgrund der Gel­ tendmachung von Schadensersatzansprüchen durch den Aufsichtsrat ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Allerdings ist die Situation in der GmbH eine andere. Einen den §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG vergleich­ baren Haftungsanspruch gegen die Gesellschafter einer GmbH, denen nach § 46 Nr. 8 GmbHG die Zuständigkeit zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer zukommt, gibt es im GmbH-Recht nicht.664 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Ge­ sellschafter kein „Quasi-Aufsichtsrat“ sind und aus § 46 Nr. 6 GmbHG lediglich das Recht zur Aufsicht und Überwachung ableitbar ist, nicht die Pflicht dazu.665 Somit stellen sich bei der GmbH nicht dieselben „Durchsetzungshürden“ wie bei der AG.666 659 G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 250 f., 280. 660 Peltzer, WM 1981, 346, 348 f.; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 318. 661 Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 785; Habersack, KF 2009, S. 5, 35; Ulmer, in: FS Canaris/II, 2007, S. 451. 662 Zur Geltendmachung des Anspruchs siehe Habersack, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 116 Rn. 77. 663 So bereits in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum UMAG, BTDrucks. 17/5092, S. 20; ebenso G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 239 f.; Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 785 f. 664 Denkbar ist allenfalls eine Haftung aus schuldhafter Verletzung der mit­ gliedschaftlichen Treuepflicht, sollten die Gesellschafter mittels Weisung (§ 37 GmbHG) Einfluss auf den Geschäftsführer ausüben, vgl. Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 119. 665 So die ganz hM, vgl. BFH, Urteil v. 19.06.2007 – VIII R 54/05, BFHE 218, 244; Liebscher, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 46 Rn. 193 f. m.w.N.; dagegen für eine Über­ wachungspflicht der Gesellschafter Meier, DStR 1997, 1894 f. 666 So auch Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 112 f.; da es im Gm­ bH-Recht allerdings keine dem § 93 Abs. 5 S. 1 AktG entsprechende Direktklage

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Jedoch weist die GmbH, insbesondere in ihrer am häufigsten anzutref­ fenden Form der personalistisch geprägten Gesellschaft, eine noch deut­ lichere Nähe zwischen den für die Geltendmachung von Schadensersat­ zansprüchen zuständigen Gesellschaftern sowie dem Leitungsorgan der Geschäftsführung auf.667 Aufgrund der in der Rechtswirklichkeit größ­ tenteils bestehenden de-facto-Selbstorganschaft ist der Schuldner eines Ersatzanspruchs nach § 43 Abs. 2 GmbHG häufig identisch mit der Per­ son hinter demjenigen Organ, welches ihn nach § 46 Nr. 8 GmbHG gel­ tend zu machen hat.668 Insbesondere in der Einmann-GmbH findet nach herrschender Meinung § 43 Abs. 2 GmbHG keine Anwendung, sodass die Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers auf die Fälle in § 43 Abs. 3 GmbHG beschränkt ist und er ansonsten wie ein Gesellschafter haftet.669 Dass von einem „Leerlauf der Geschäftsführerhaftung“670 dennoch keine Rede sein kann, zeigt sich daran, dass die Haftungsrisiken ohnehin für überzogen gehalten werden.671 Obwohl sich an der rechtlichen Situation in den vergangenen Jahren nichts Wesentliches geändert hat, lässt sich nämlich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion eine beachtliche Wendung beobachten. Verantwortlich hierfür sind unter anderem zahl­ reiche medienwirksame und aufsehenerregende Haftungsfälle wie die Siemens/Neubürger-Entscheidung672, der Kirch/Deutsche Bank-Fall673 oder die VW-Abgasaffäre.674 Dabei sind die Auswirkungen der Haftung für den GmbH-Geschäftsführer nach teilweise vertretener Ansicht sogar der Gläubiger gibt, wird teilweise behauptet, § 43 Abs. 2 und 3 GmbHG würden dadurch ihre Druck-, Sanktions- und Ausgleichsfunktion verlieren, vgl. U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 33 f. 667 Zur personalistischen GmbH sowie ihrer Erscheinungsform in der Rechtswirk­ lichkeit siehe bereits oben unter S. 54 ff. 668 Siehe Wedemann, Gesellschafterkonflikte, 2013, S. 17 f.; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 27, 203, wonach bei mehr als 2/3 aller GmbHs und 4/5 der Mehrpersonen-GmbHs faktisch Selbstorganschaft herrscht. 669 Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 386 ff. m.w.N. 670 Siehe G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 251, der im Zusammenhang mit der „Beiß­ hemmung“ des Aufsichtsrats von einem „Leerlauf der Vorstandshaftung“ spricht, dennoch aber auf den S. 256 ff. und 275 ff. die Haftungsbegrenzung als ein wesent­ liches Reformanliegen erachtet. 671 Siehe zur Zunahme der Vorstandshaftung in der AG innerhalb der letzten Jahre insbesondere Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 12 ff.; Bachmann, ZIP 2017, 841 f.; Fehrenbach, AG 2015, 761 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681; für eine Zunahme der Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers, insbesondere in Folge des MoMiG und in Zusammenhang mit Com­pli­ance-Anforderungen, siehe Bayer, GmbHR 2014, 897, 900 f.; Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1291; K. Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff.; Lieder, GmbHR 2009, 1177, 1183 ff. 672 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345 ff. 673 BGH, Urteil v. 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9. 674 Eine umfangreiche Auflistung weiterer öffentlichkeitswirksamer Fälle liefert Bachmann, BB 2015, 771 ff.

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noch gravierender als für den Vorstand einer AG.675 Die Kritik an der Organhaftung, insbesondere der Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, darf sich infolgedessen nicht auf deren Ineffektivität beschrän­ ken, sondern muss auch die Beschwerden hinsichtlich ausufernder Haf­ tungsrisiken ausreichend berücksichtigen.676 (b) Das Prinzip der Totalreparation als Irrweg Besteht keinerlei Haftung, ist davon auszugehen, dass auch keine Anrei­ ze zu sorgfältigem Verhalten vorhanden sind. Gibt es eine Verschuldens­ haftung, sollte sich der Geschäftsführer dagegen theoretisch gemäß den Vorgaben des § 43 Abs. 1 GmbHG verhalten.677 Es müsste also mit einer stärkeren haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers, insbesondere mittels eines uneingeschränkten Regresses, stets auch eine positive Wirkung auf sein Verhalten einhergehen. Als solcher positiver Effekt kommen dabei vom Geschäftsführer ergriffene Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Minimierung von Gesetzesübertretungen in Betracht. Es ist allerdings fraglich, ob im Fall von gesetzlichen Zuwiderhand­lungen der Aufwand des Geschäftsführers zur Durchführung dieser Maßnahmen linear zum Entdeckungsrisiko sowie den mit einem Rechtsverstoß einge­ hergehenden Sanktionen steigt.678 Da es sich bei der Organhaftung auf­ grund der Konzeption juristischer Personen um keinen „haftungsrechtli­ chen Normalfall“679 handelt und zudem rechtsökonomische Erwägungen nicht außer Acht gelassen werden dürfen, kann es dabei zu Verzerrungen kommen, die im folgenden Abschnitt erörtern werden. (i) Rechtsökonomische Verzerrungen Sollte der Geschäftsführer aus Angst vor einer Inhaftungnahme ein um­ fassendes und engmaschiges Com­pli­ance-System etablieren, mag dies mit Blick auf das öffentliche Interesse an uneingeschränkter Rechtskon­ 675 So Bayer, GmbHR 2014, 897, der diesen Umstand darauf zurückführt, dass insbe­ sondere den Geschäftsführern kleiner und mittlerer GmbHs nicht dieselbe Quali­ tät sachverständiger Beratung und Hilfestellung zur Verfügung steht wie den Vor­ ständen großer AGs. 676 Siehe zu dieser Ambivalenz in der Kritik H.J. Mertens, in: Feddersen/Hommel­ hoff/U. H. Schneider-Corporate Governance, 1996, S. 155 ff. 677 So die Überlegung von G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 255 f.; Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 139. 678 Im Kern erinnert das an die Theorie der Spezial- sowie Generalprävention als Zweck und Rechtfertigung von Strafe, wonach der einzelne Täter und die Allge­ meinheit dergestalt beeinflusst werden sollen, dass sowohl die einzelne Strafe als auch bereits die Strafandrohung künftige Gesetzesübertretungen verhindern, vgl. C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 3 Rn. 11 ff., 21 ff. 679 Als solchen begreift G. Wagner denjenigen Fall, in welchem „der jeweilige Akteur mit den vollen Kosten der von ihm verursachten Schäden konfrontiert wird“, G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 256.

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formität zunächst erfreulich klingen. Aus rechtsökonomischer Sicht darf jedoch nicht vergessen werden, dass den Geschäftsführer nicht nur die Pflicht zur Reduzierung von Schadensrisiken trifft, sondern auch zur bestmöglichen Vermeidung von Kosten.680 Zur Annäherung an diese Art der Verzerrung hilft es, sich die Grundzüge des Prinzipal-Agent-Konflikts vor Augen zu führen. Diese ursprünglich aus dem Aktienrecht stammen­ de Diskussion behandelt klassischerweise den Konflikt von Anteilseig­ nern (Prinzipal) als Eigentümer und dem Vorstand (Agent) als Leitungs­ organ. Die Trennung von Eigentum und Leitung führt unter anderem zu Informationsasymmetrien und in der Folge zu suboptimalen Entschei­ dungen. Derartige Prinzipal-Agent-Probleme vermag der Aufsichtsrat als das institutionalisierte Repräsentativ- und Überwachungsorgan der An­ teilseigner nur ungenügend zu kompensieren.681 In der GmbH ist dieses Dilemma durch die umfassendere Identität von Eigentum und Leitung, flankiert durch die §§ 37, 46 GmbHG, deutlich abgeschwächt. Dennoch können auch bei der mitbestimmungspflichtigen GmbH sowie im Fall der Fremdorganschaft bei der mitbestimmungsfreien GmbH Prinzi­ pal-Agent-Probleme nicht gänzlich geleugnet werden.682 Vorliegend offenbart sich die Problematik in der Asymmetrie von Erträ­ gen und Verlusten, wonach der fremdnützig agierende Geschäftsführer einerseits nicht unmittelbar an den Gewinnen der Gesellschaft partizi­ piert (sie fließen in das Gesellschaftsvermögen), welche durch seine posi­ tiv wirkenden Entscheidungen generiert werden, aber andererseits als Haftungsschuldner das volle Kostenrisiko im Falle nachteiliger Entschei­ dungen zu tragen hat. Isoliert betrachtet bringt daher die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG das „Entscheidungskalkül des Geschäftsleiters aus der Balance“683. Da die Kosten für die Etablierung eines Com­pli­anceSystems von der Gesellschaft zu tragen sind, der Geschäftsführer für et­ waige Pflichtverstöße aber mit seinem Privatvermögen haftet, resultiert aus dieser Verzerrung eine gewisse Risikoaversion: Während kein Anreiz dazu gegeben ist, die Kosten für Sorgfaltsmaßnahmen niedrig zu halten, 680 Siehe Koch, AG 2012, 429, 434 m.w.N.: Die Haftung muss „so austariert werden, dass der Verantwortliche den Anreiz hat, Schäden zu vermeiden, deren Kosten hö­ her sind als die Kosten der Vermeidungsmaßnahmen“; siehe in diesem Zu­ sammenhang auch Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80, 83, wonach zusätzliche Sorg­ faltsanforderungen unter einer rechtsökonomischen Betrachtung nur solange „erforderlich“ im Sinne des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB („wer die im Verkehr erforderli­ che Sorgfalt außer Acht lässt“) sind, wie sie mehr nützen als sie kosten. 681 Eingehend zur Prinzipal-Agent-Theorie Jensen/Meckling, Journal of Financial Eco­ nomics Vol. 3 (1976), 305 ff.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2010, S. 173 ff. 682 Siehe umfassend zur Principal-Agent-Problematik in der GmbH Bea/Thissen, DB 1997, 787, 789 f.; Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738, 1739 f. 683 So G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 257 für die Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG; zustimmend Wilhelmi, NZG 2017, 681, 684.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

müsste der Geschäftsführer als rational eigennütziger Mensch dazu ge­ neigt sein, das eigene Haftungsrisiko mittels eines engmaschigen Com­ pli­ance-Netzes bestmöglich zu minimieren. Ein solch übervorsichtiges Verhalten entspricht jedoch gewiss nicht dem Gesellschafterinteresse und ist zudem volkswirtschaftlich nicht erstrebenswert, weshalb es auch nicht im Sinne der Rechtsordnung sein kann.684 (ii) Verzerrungen in der Präventionswirkung der Organhaftung Erschwerend kommt hinzu, dass der Geschäftsführer unter dem Damok­ lesschwert des unbeschränkten Regresses alles daran setzen dürfte, die Aufdeckung eines Pflichtverstoßes zu verhindern, sodass letztlich sogar ein Anreiz zur Verschleierung oder wenigstens zur Verweigerung jegli­ cher Kooperation vorliegt.685 Der eigentlich rechtspolitisch gewünschte Verhaltenssteuerungseffekt der Organhaftung würde damit verzerrt wer­ den. (iii) Rechtsfolgen de lege lata Es würde zu weit vom Thema wegführen, in dieser Arbeit umfassende Reformperspektiven zur Organhaftung auszubreiten, um auf diesem Weg der erwünschten Präventionswirkung wieder zu mehr Ausdruck zu ver­ helfen. Somit soll auf die zahlreichen Ausführungen anderer Autoren verwiesen werden, die im Wesentlichen entweder an einer Stärkung der Rechtsdurchsetzung686 von Haftungsansprüchen oder an einer Begren­ zung des Haftungsumfangs687 ansetzen. Festzuhalten ist an dieser Stelle lediglich, dass das Prinzip der Totalreparation de lege lata eine mögliche Präventionswirkung der Geschäftsführerhaftung zumindest teilweise neutralisiert und zudem aus rechtsökonomischer Sicht falsche Anreize setzt. Verstärkt wird dieser Befund zusätzlich durch die teilweise in ih­ ren Auswirkungen zu gravierende unmittelbare Außenhaftung des Ge­ 684 Ebenso G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 256 ff.; Koch, AG 2012, 429, 434; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 684. 685 Vgl. Koch, AG 2012, 429, 434; Habersack, KF 2009, S. 5, 33; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 771; Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 124. 686 Die Diskussion um eine mögliche Stärkung der Rechtsdurchsetzung findet insbe­ sondere im Kontext der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244) statt und konzentriert sich primär auf das Aktienrecht; siehe umfassend zu den Reformvorschlägen de lege ferenda Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 792 ff.; G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 262 ff. 687 Für eine solche Begrenzung der Höhe nach namentlich G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 275 ff.; Spindler, AG 2013, 889, 894 f.; Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 51a ff. m.w.N.; für eine Haftungs­ privilegierung nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts (innerbetrieblicher Scha­ densausgleich) Bachmann, ZIP 2017, 841, 842 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 684 ff.; gegen eine Begrenzung der materiell-rechtlichen Haftung Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 801 ff.; Schöne/Petersen, AG 2012, 700 ff.

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schäftsführers, allen voran im steuerrechtlichen Bereich, wo neben ei­ ner persönlichen Haftung aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO auch strafrechtliche und bußgeldrechtliche Gefahren lauern. Das jeweilige Leitungsorgan dürfte sich infolgedessen umso mehr gezwungen sehen, Rechtsverstöße sowohl vor den Behörden als auch den (im Falle eines Gesellschafter-Geschäftsführers übrigen) Gesellschaftern geheim zu hal­ ten und im Falle ihrer Aufdeckung eine Kooperation zu verweigern. (3) Der Schutz des öffentlichen Interesses als eigenständiger ­Haftungszweck Es ist allgemein anerkannt, dass die Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, zumindest reflexartig, auch dem Gläubigerschutz dient.688 Nach teilweise vertretener Ansicht wird darüber hinaus sogar der Schutz des Rechtsverkehrs, also des öffentlichen Interesses, als mit­ telbarer Normzweck von § 43 Abs. 2 GmbHG erfasst.689 Ein derartig wei­ tes Verständnis der Organhaftungszwecke ist jedoch abzulehnen, insbe­ sondere wenn dadurch § 43 Abs. 2 GmbHG als notwendiges Regulativ zur Durchsetzung rechtstreuen Verhaltens zweckentfremdet werden soll, um die Etablierung einer Legalitätspflicht zur Kompensation des ansonsten zu geringen Schutzes öffentlicher Interessen zu rechtferti­ gen.690 Diese Argumentation ist angesichts des gesetzlichen Leitbildes des GmbHG, das seine ausdrückliche Kodifikation in § 43 GmbHG ge­ funden hat und demzufolge der Geschäftsführer einzig gegenüber der Ge­ sellschaft verpflichtet ist, nicht haltbar.691 Auch aus der oben beschrie­ benen Historie des GmbHG lässt sich kein Bekenntnis zu einer Gemeinwohlbindung ableiten. Stattdessen ist die Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG ein Instrument zur Steuerung des Verhaltens des 688 Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn 7; Beurskens, in: Baum­ bach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 1; U. H. Schneider, in: FS Werner, 1984, S. 795, 807 f.; K. Schmidt, ZIP 1994, 837, 843; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1310; ausdrücklich dem Gläubigerschutz dienend sind die Sondertatbestände des § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG sowie die Disponibilitätsgrenzen der Geschäftsführerhaftung aus § 43 Abs. 3 S. 2 und 3 GmbHG. 689 Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 30 zur Organhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG sowie nach § 43 Abs. 2 GmbHG; Schwark, in: FS Werner, 1984, S. 841, 852 zur Haftung des Aufsichtsrats nach den §§ 116, 93 AktG; zustim­ mend Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 76; a.A. H.J. Mertens, in: Feddersen/Hommelhoff/U. H. Schneider-Corporate Governance, 1996, S. 155, 160, der sich dezidiert gegen eine Vereinbarkeit der Interessen Dritter oder der Öf­ fentlichkeit mit den Organhaftungszwecken ausspricht. 690 So aber ausdrücklich Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 75 f., 89; ähnlich auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434 f.; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 516 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 500 Fn. 106. 691 Siehe zum Leitbild des GmbHG Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 567 m.w.N.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Geschäftsführers im Sinne des Gesellschafterinteresses und um mögli­ che Schäden der Gesellschaft, die durch pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers entstanden sind, auszugleichen.692 Damit lässt sich die Legalitätspflicht nur insoweit in die Organhaftungszwecke einfügen, wie auch der Präventionsgedanke den Geschäftsführer zu rechtskonformem Verhalten bewegen will. Der Schutz des öffentlichen Interesses stellt dann aber lediglich einen im Rahmen der Schadensvor­ beugung wünschenswerten Nebeneffekt dar, keinesfalls einen unmittel­ baren Normzweck des § 43 Abs. 2 GmbHG. In aller Regel entspricht zwar die Einhaltung von Rechtsvorschriften, welche die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen, auch dem Gesellschafterinteresse, sodass sich kaum Reibungspunkte ergeben.693 Dennoch mag es Fälle geben, in wel­ chen selbst der bewusste Rechtsverstoß mit dem Gesellschafterinteresse harmoniert, sodass der Präventionsgedanke des § 43 Abs. 2 GmbHG dem nicht entgegen stehen kann und der Schutz des öffentlichen Interesses an einer umfassenden Einhaltung der Rechtsordnung somit zurückzutreten hat. (4) Stellungnahme Wenn einige Autoren in der Konzeption juristischer Personen den Grund für die Notwendigkeit eines verhaltenssteuernden Regulativs in Gestalt einer haftungsbewehrten Legalitätspflicht sehen, prallen hier Gerechtig­ keitsvorstellungen und Rechtswirklichkeit aufeinander. Selbst wenn man der Ansicht folgt, § 43 Abs. 2 GmbHG bezwecke auch eine Verhal­ tenssteuerung des Geschäftsführers, begründet diese Sichtweise für sich genommen nicht per se einen Schutz des öffentlichen Interesses an der Einhaltung der Rechtsordnung. Zudem liegt das eigentliche Problem ei­ ner dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufenden und daher als unge­ recht empfundenen Ausrichtung des Organhandelns nicht darin begrün­ det, dass externe Bindungen der Gesellschaft unzureichend in das Innenverhältnis transponiert würden. Das Dilemma besteht vielmehr darin, dass generell positive Effekte einer von der Organhaftung bezweck­ ten Präventionswirkung neutralisiert werden und die Rechtswirklich­ keit den Geschäftsführer eher dazu motiviert, Rechtsverstöße zu ver­ decken anstatt kooperativ an ihrer Aufdeckung mitzuwirken. Das Resultat ist ein risikoavers handelnder Geschäftsführer, der zudem kein Interesse daran hat, an der Aufdeckung von Rechtsverstößen innerhalb 692 So zutreffend H.J. Mertens, in: Feddersen/Hommelhoff/U. H. Schneider-Corporate Governance, 1996, S. 155, 160. 693 So letztlich auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 82 ff., die von einem elementaren Interesse der Gesellschaft zur Einhaltung der Vorgaben der Rechtsordnung spricht und diesen Aspekt neben dem öffentlichen Interesse an Rechtskonformität als zweite Säule ihrer dogmatischen Herleitung einer Legali­ tätspflicht anführt.

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des Unternehmens mitzuwirken, um exorbitante Sanktionen gegen ihn selbst bestmöglich zu vermeiden. Ein nach solchen Anreizen agierendes Leitungsorgan kann weder im Interesse von Gesellschaft und Gesell­ schaftern noch Dritter bzw. der Öffentlichkeit sein. c) Resümee Es lässt sich ein dahingehend gewandeltes Selbstverständnis des Gesetz­ gebers beobachten, dass das Gesellschaftsrecht nicht mehr einzig als Mittel des Gläubigerschutzes und zur Verhaltenssteuerung zu begreifen ist, sondern darin auch die Ermöglichung zur Teilnahme am Wirtschafts­ verkehr („juristische Infrastrukturleistung“) gesehen wird. Ein solcher Paradigmenwechsel hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf das Orga­ nisationsrecht der GmbH, was zu der Frage führt, ob eine umfassende Legalitätspflicht, die den Geschäftsführer auch gegenüber der Gesell­ schaft zur Einhaltung sämtlicher Rechtsvorschriften verpflichtet, diesem gewandelten Selbstverständnis des GmbH-Gesetzgebers entsprechen kann. Aus rechtspolitischer und rechtsökonomischer Sicht bestehen er­ hebliche Zweifel hieran. Daneben kann auch aus der Konzeption juristi­ scher Personen nicht auf ein Bedürfnis nach einer so verstandenen Lega­ litätspflicht geschlossen werden. Obwohl dies in der Summe zwar gegen die Notwendigkeit einer umfassenden Legalitätspflicht spricht, ist damit noch nicht gesagt, dass sie nicht dennoch dogmatisch hergeleitet werden kann. Lässt sich die Legalitätspflicht nämlich im Organisationsrecht der GmbH verankern, mag dies womöglich rechtspolitischen bzw. recht­ sökonomischen Erwägungen zuwiderlaufen. Die Existenz wird ihr da­ durch indes nicht abgesprochen. 5. Die dogmatische Herleitung aus Einzelnormen des GmbHG und AktG Teilweise wird versucht, mit Hilfe einzelner Vorschriften des GmbHG und AktG eine dogmatische Rechtfertigung oder zumindest einen „be­ redten Ausdruck“ dafür zu finden, dass der Geschäftsführer bzw. Vor­ stand zur uneingeschränkten Einhaltung gesetzlicher Normen auch im Innenverhältnis verpflichtet ist. a) Rückschlüsse aus §§ 396 AktG, 62 GmbHG Im Aktienrecht wird im Zuge dessen verbreitet auf § 396 AktG abge­ stellt, der § 62 GmbHG entspricht.694 Demnach kann eine Gesellschaft 694 Vgl. Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 99 f.; Fleischer, in: ­MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 43; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311; Fleischer, ZIP 2005, 141, 148; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 22; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 36; Bayer, in: FS

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

durch die zuständige Verwaltungsbehörde aufgelöst werden, wenn sie das Gemeinwohl dadurch gefährdet, dass die Gesellschafter gesetzwidri­ ge Beschlüsse fassen oder gesetzwidrige Handlungen der Geschäftsführer wissentlich geschehen lassen. Dennoch sollen die Vorschriften aber kei­ nen normativen Anknüpfungspunkt einer umfassenden Legalitätspflicht darstellen, sondern lediglich „beredter Ausdruck“695 für deren Vorrang vor dem Gesellschafterinteresse sein. Damit erlauben die §§ 396 AktG, 62 GmbHG zwar eventuell Rückschlüsse, die hilfsweise für die Dog­ matik einer Legalitätspflicht herangezogen werden können, ein aus­ schließliches Abstellen auf diese Normen würde aber nicht nur den Aus­ sagegehalt der Vorschriften, sondern auch den gesetzgeberischen Willen deutlich überspannen. In diesem Sinne regt sich aus der Literatur auch berechtigter Widerstand gegen eine derart weitreichende Vereinnahmung der Vorschriften. Be­ reits die Voraussetzung des gesetzwidrigen Verhaltens verlangt eine All­ gemeinwohlgefährdung, welche wegen des Grundsatzes der Verhältnis­ mäßigkeit zudem restriktiv auszulegen ist.696 Dies eröffnet einen nur sehr eng begrenzten Anwendungsbereich und lässt die Norm in der Pra­ xis nahezu bedeutungslos erscheinen.697 Erschwerend hinzu kommt der Normcharakter der §§ 396 AktG, 62 GmbHG als öffentlich-rechtliches Gefahrenabwehrrecht.698 Dementsprechend regeln die Vorschriften ein­ zig das Verhältnis des Staats zur Gesellschaft, nicht das des Organmit­ glieds zur Gesellschaft.699 Aus diesen Gründen sind die §§ 396 AktG, 62 K. Schmidt, 2009, S. 85, 90; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 514 f.; trotz rechtspoliti­ scher Zweifel daran auch Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 569. 695 So Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 65 f.; Rieger, Legalitäts­ pflicht des Vorstands, 2012, S. 38, 160 f.; a.A. Kaulich, Haftung von Vorstandsmit­ gliedern, 2012, S. 99 f., der in § 396 AktG und § 93 Abs. 4 S. 1 AktG explizit eine normative Stütze erkennt; bis vor Kurzem beschränkte sich auch Fleischer in sei­ ner Begründung der Unzulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße noch auf den „be­ redten Ausdruck“, Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2016, § 43 Rn. 43; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2015, § 93 Rn. 36; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vor­ standsR, 2006, § 7 Rn. 22; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311; Fleischer, ZIP 2005, 141, 148; neuerdings wird zur normativen Rechtfertigung aber explizit auf das Allgemeininteresse an Regelbefolgung und effektiver Normdurchsetzung ver­ wiesen, Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 31, 43; Fleischer, in: Spind­ ler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 24, 36. 696 Siehe zur restriktiven Auslegung und den (früheren) verfassungsrechtlichen Be­ denken gegen die Vorschrift Schockenhoff, in: MüKo-AktG/6, 2021, § 396 Rn. 4 f. 697 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 396 Rn. 1; Schockenhoff, in: MüKo-­ AktG/6, 2021, § 396 Rn. 2. 698 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 396 Rn. 1; Schockenhoff, in: MüKo-AktG/6, 2021, § 396 Rn. 1. 699 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 75 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 100; anders Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 48, der in § 396 AktG auch einen „Appell für das Binnenverhältnis“ sieht.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

GmbHG als dogmatischer Anknüpfungspunkt einer umfassenden organ­ schaftlichen Legalitätspflicht ungeeignet.700 b) Die §§ 93 Abs. 4 S. 1 AktG, 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG und § 241 Nr. 3 AktG als dogmatische Rechtfertigung Andere sehen in § 93 Abs. 4 S. 1 AktG den Beleg bzw. ein Vorbild für die Gesetzesbindung des Vorstands, wonach ein Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG ausgeschlossen ist, wenn die Handlung des Vor­ stands auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung be­ ruht. Wenn also nur ein gesetzmäßiger Beschluss den Vorstand von sei­ ner Ersatzpflicht zu entlasten vermag, bedeute dies im Umkehrschluss, dass es ein gegen das Gesetz verstoßender Beschluss nicht kann.701 Eine gewisse Verwandtschaft mit § 93 Abs. 4 S. 1 AktG lässt § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG erkennen. Demnach wird der Geschäftsführer von seiner Scha­ densersatzpflicht aus § 43 Abs. 2 GmbHG trotz Ausführung eines Ge­ sellschafterbeschlusses nicht frei, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Ebenso wie die Gesetz­ mäßigkeit eine Voraussetzung der haftungsentlastenden Wirkung eines Hauptversammlungsbeschlusses ist, darf ein Gesellschafterbeschluss, um enthaftende Wirkung für den Geschäftsführer zu erzeugen, die Gläu­ bigerbefriedigung nicht gefährden. Aus § 93 Abs. 4 S. 1 AktG geht indes lediglich hervor, dass der Vorstand durch einen gesetzwidrigen Beschluss der Hauptversammlung nicht ent­ lastet werden kann. Hieraus zu schließen, er handle auch dann pflicht­ widrig, wenn er ohne entsprechenden Beschluss Gesetze verletzt, würde den Aussagegehalt der Norm deutlich überspannen. Des Weiteren kann nach herrschender Meinung selbst ein gesetzwidriger Hauptversamm­ lungsbeschluss durch Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) bzw. durch Heilung der Nichtigkeit nach § 242 AktG in Bestandskraft erwachsen, wodurch er nicht gegen § 93 Abs. 4 S. 1 AktG verstößt.702 Dies schmälert den Aussagegehalt der Vorschrift noch wei­ 700 Ebenso Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 48 f.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 73 ff.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 67; Harnos, Ge­ schäftsleiterhaftung, 2013, S. 83 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 99 f.; Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 38, 160 f.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434. 701 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 17; Paefgen, AG 2014, 554, 556; Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 100; Spindler, in: MüKo-­ AktG/2, 2019, § 93 Rn. 87; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 412; ähnlich auch Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 92 f., der jedoch Durchbrechungen dieser strengen Gesetzesbindung zulässt. 702 Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 93 Rn. 267 f. m.w.N., der als Befürworter dieses dogmatischen Ansatzes die Bedeutung von § 93 Abs. 4 S. 1 AktG für die Legalitätspflicht damit selbst vermindert.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

ter, sodass auch diese Norm für sich genommen keinen Rückschluss auf die Dogmatik einer Legalitätspflicht erlaubt.703 Aufgrund des noch enge­ ren Anwendungsbereichs des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG gilt das eben Ge­ sagte hierfür besonders. Im Zuge dessen wird zur Begründung einer Legalitätspflicht auch regel­ mäßig auf das Beschlussmängelrecht, konkret die §§ 241 Nr. 3, 243 Abs. 1 AktG, die zur Prüfung der Nichtigkeit eines Gesellschafterbe­ schlusses im GmbH-Recht sinngemäß herangezogen werden,704 rekur­ riert.705 § 241 Nr. 3 AktG erklärt einen Hauptversammlungs- bzw. Ge­ sellschafterbeschluss für nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind oder generell im öffentlichen Interesse existieren. Die Rechtsfolge tritt ex tunc ein und bedarf keiner speziell darauf gerichteten Klage. Anders ist dies bei der Anfechtbarkeit eines Beschlusses wegen Verletzung des Gesetzes nach § 243 Abs. 1 AktG, wo­ durch lediglich ein Schwebezustand begründet wird und Nichtigkeit erst durch ein rechtskräftiges Anfechtungsurteil (§ 241 Nr. 5 AktG) eintritt.706 Aber auch die Nichtigkeitsfolge des § 241 Nr. 3 AktG ist nach § 242 Abs. 2 S. 1 AktG durch Eintragung in das Handelsregister und Ablauf einer Dreijahresfrist zum Zwecke der Rechtssicherheit heilbar.707 Bereits aufgrund dieser Heilungsmöglichkeit sowie der Notwendigkeit eines Anfechtungsurteils lässt sich aus den Vorschriften keine aussagekräftige Entscheidung des Gesetzgebers zu einer organschaftlichen Legalitäts­ pflicht entnehmen. Hinzu kommt, dass sich keine konkreten und allge­ meingültigen Aussagen über das Verhältnis des Vorstands bzw. des Ge­

703 Vgl. Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 51; Breitenfeld, Organschaftliche Binnen­ haftung, 2016, S. 62 ff.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 98; Rieger, Legalitätspflicht des Vorstands, 2012, S. 35 f.; Habersack, in: FS U. H. Schnei­ der, 2011, S. 429, 434; zutreffend auch Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 85, der in der Umfunktionierung einer der Haftungsbefreiung dienenden Norm zu einer solchen, die haftungsbegründend wirken soll, eine „Pervertierung“ des Regelungszwecks sieht. 704 Die sinngemäße Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf das Beschlussmängelrecht der Gesellschafterversammlung entspricht der h.M., siehe nur Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, Anh. § 47 Rn. 1; Hüffer, ZGR 2001, 833, 838, 863 ff. m.w.N.; dies hat zur Folge, dass die §§ 134, 138 BGB durch das besondere Beschlussmängelrecht ver­ drängt werden. Manche sprechen sich hingegen für die Anerkennung eines Grund­ prinzips aus und damit gegen eine Analogie, vgl. K. Schmidt/Bochmann, in: ­Scholz-GmbHG/2, 2021, § 45 Rn. 62. Dabei handelt es sich aber um einen rein dogmatischen Streit. 705 Siehe nur Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 17. 706 Hüffer, ZGR 2001, 833, 837 m.w.N. 707 Hüffer, ZGR 2001, 833, 842.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

schäftsführers zur Gesellschaft gewinnen lassen.708 Aus den §§ 241 Nr. 3, 243 Abs. 1 AktG kann somit ebenso wenig ein Bekenntnis aller Organe zur Rechtmäßigkeit abgeleitet werden.709 c) Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG als Basis einer Legalitätspflicht Obwohl es sich nicht abschließend festlegte, sah das LG München I in der bereits zitierten Neubürger-Entscheidung die gesetzliche Grundlage für die Pflicht des Vorstands einer AG zur Etablierung eines Com­pli­anceSystems entweder in § 91 Abs. 2 AktG, oder in der allgemeinen Leitungs­ pflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG.710 Der Norm kommt damit zweifelsohne Bedeutung hinsichtlich der Frage zu, welche Organisati­ onspflichten den Vorstand einer AG und unter Umständen über eine Ausstrahlungswirkung bzw. analoge Anwendung auch den Geschäfts­ führer einer GmbH treffen. Darüber hinaus könnte die Vorschrift auch für die vorgelagerte Frage relevant sein, ob den Geschäftsführer eine Le­ galitätspflicht gegenüber der GmbH trifft und wie diese auszusehen hät­ te. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Börsennotierte AGs unterliegen diesbezüglich zudem nach §§ 317 Abs. 4, 321 Abs. 4 HGB der Prüfungs- und Berichtspflicht durch den Abschlussprüfer. Die Einrichtung eines solchen Früherkennungssys­ tems stellt nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG eine spezielle Ausprägung der all­ gemeinen Leitungs- und Sorgfaltspflicht des Vorstands dar.711 Dabei wird kein bestimmtes Modell vorgeschrieben, vielmehr basieren diese Syste­ me auf einer vom Einzelfall abhängigen und dem unternehmerischen Ermessen unterworfenen Entscheidung des Vorstands, die auch durch die Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gedeckt ist.712 Die Maßnahmen sind darauf beschränkt, bestandsgefährdende Entwicklun­ gen zu erkennen, nicht hingegen jegliche für das Unternehmen nachtei­ lige Veränderungen und Prozesse.713

708 Bereits auf Organbeschlüsse einer Mehrheit von GmbH-Geschäftsführern sind die §§ 241 ff. AktG nicht anwendbar, sodass es hierfür bei einer Anwendung der §§ 134, 138 BGB bleibt, vgl. Hüffer, ZGR 2001, 833, 871 f.; inwiefern die §§ 134, 138 BGB zur dogmatischen Rechtfertigung einer Legalitätspflicht bemüht werden können, siehe später auf den S. 144 ff. 709 So auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434. 710 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346. 711 So auch LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 346, das in § 91 Abs. 2 AktG eine Konkretisierung der Überwachungspflichten der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG sieht. 712 Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 91 Rn. 16 f., 23. 713 Siehe ausführlich zum Inhalt dieser Vorstandspflicht Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 91 Rn. 20 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Eine mit der Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems zu­ sammenhängende Frage ist die nach der Pflicht zur Etablierung eines Com­pli­ance-Systems. Grundsätzlich können Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften angesichts der teilweise sehr hohen Geldbußen, insbeson­ dere aus dem Kartellrecht, aber auch aufgrund möglicher Schadenser­ satzzahlungen und weiterer Gefahren, als bestandsgefährdende Risiken eingestuft werden. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings überaus fragwürdig, ob sich deswegen jegliche Diskussion um die Rechtsgrund­ lage zur Einrichtung einer Com­pli­ance-Organisation erübrigt, da ange­ sichts des Wortlauts der gesetzlichen Vorschriften, mit Ausnahme weni­ ger spezialgesetzlicher Vorschriften (z.B. nach § 33 WpHG), ein solches System gerade nicht gefordert wird.714 Zudem stellen sämtliche Rechts­ verstöße per se keine bestandsgefährdenden Entwicklungen dar, sodass der Norm zumindest nicht die Pflicht entnommen werden kann, jedwe­ den Gesetzesverstößen mittels entsprechender Frühwarn- und Überwa­ chungssysteme vorzubeugen.715 Unabhängig von der Frage, ob § 91 Abs. 2 AktG nicht nur zur Einrichtung eines Überwachungssystems, sondern auch zur Etablierung eines Com­pli­ance-Systems verpflichtet und damit unter Umständen auch als normativer Anknüpfungspunkt einer gesell­ schaftsrechtlichen Legalitätspflicht dienen könnte,716 steht man zunächst vor einem ganz anderen Problem: Hat die eigentlich auf das Aktienrecht beschränkte Norm überhaupt Auswirkungen auf die Pflichtenstellung eines GmbH-Geschäftsführers? In der Regierungsbegründung zum Kon­ TraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich), durch welche § 91 Abs. 2 AktG im Jahr 1998 neu eingefügt wurde, heißt es in diesem Zusammenhang lediglich, dass in das GmbHG keine ent­ sprechende Regelung aufgenommen werden soll: „Es ist davon auszu­ gehen, dass für Gesellschaften mit beschränkter Haftung je nach ihrer Größe, Komplexität ihrer Struktur usw. nichts anderes gilt und die Neu­ regelung Ausstrahlungswirkung auf den Pflichtenrahmen der Geschäfts­ 714 So aber Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 91 Rn. 52, der diesem Streit um die Rechtsgrundlage „kaum Relevanz“ zuspricht, da sich die Pflicht zu einer Com­pli­ ance-Organisation von selbst verstehe. Insoweit jedoch relativierend in Rn. 70 ff., wonach eine Rechtspflicht zur Einrichtung eines umfassenden Com­ pli­ anceSystems nicht für alle Unternehmen gefordert werden könne, sondern diese sich zunächst auf eine Pflicht zur Prüfung, ob und wie ein Com­pli­ance-System einge­ richtet werden müsse, beschränke. 715 Ebenso Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 220; Bachmann, in: VGR, Gesellschafts­ recht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 72 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 144; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 19 m.w.N. 716 Siehe umfassend zu diesem Streit Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 18 ff., der auf den S. 34 ff. den zutreffenden Schluss zieht, in der Norm allenfalls einen „rudi­ mentäre[n] Baustein einer Com­ pli­ ance-Pflicht“ zu sehen, der jedenfalls keine Pflicht zur Etablierung eines allumfassenden Risikomanagementsystems enthal­ te.

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führer auch anderer Gesellschaftsformen hat.“717 Inwiefern eine solche Ausstrahlungswirkung aktienrechtlicher Vorschriften auf das GmbH-­ Recht tatsächlich existiert, ist umstritten.718 In der Summe ist eine analoge Anwendung des § 91 Abs. 2 AktG im ­GmbH-Recht abzulehnen und damit auch eine dem Vorstand nachemp­ fundene generelle Pflicht des Geschäftsführers zur Etablierung eines Ri­ sikokontrollsystems zwecks Früherkennung bestandsgefährdender Ent­ wicklungen. Entscheidend sind die gesetzlichen Vorschriften, allen voran § 43 Abs. 1 GmbHG, wonach der Geschäftsführer (nur) zu einer allgemei­ nen Sorgfalts- und Organisationspflicht angehalten ist. Darin kann je nach Größe und Risikoexposition eines Unternehmens zwar eine dem § 91 Abs. 2 AktG vergleichbare Pflicht liegen, zwingend ist dies jedoch nicht der Fall.719 Folglich lassen sich hinsichtlich der Com­pli­ance- und Legalitätspflicht eines Geschäftsführers auch aus § 91 Abs. 2 AktG keine über den Aussagegehalt von § 43 Abs. 1 GmbHG hinausgehenden Er­ kenntnisse gewinnen, sodass sich die nachfolgenden Ausführungen auf diese Vorschrift als normativen Anknüpfungspunkt der entsprechenden Pflicht eines Geschäftsführers beschränken. d) Herleitung aus der Schadensabwendungspflicht des § 43 Abs. 1 ­GmbHG Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für eine Legalitätspflicht dürfte heute § 43 Abs. 1 GmbHG als primäre Quelle geschriebener und ungeschriebe­ ner Geschäftsführerpflichten sein. (1) Übersicht Schon die Existenz vereinzelter, speziell geregelter Geschäftsführer­ pflichten720 belegt, dass Pflichten des Geschäftsführers stets auch an eine Norm geknüpft sein müssen. In Ermangelung einer expliziten Kodifizie­ rung im Gesellschaftsrecht kommt als normativer Anknüpfungspunkt der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Legalitätspflicht eines Ge­ schäftsführers einzig der Auffangtatbestand des § 43 Abs. 1 GmbHG in Frage.721 Anders sehen das insbesondere Hellwig/Behme. Sie können § 93 717 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 718 Siehe zum Streitstand Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 162 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 91 Rn. 40. 719 Ebenso Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 61; Fleischer, in: Spindler/ Stilz-AktG/1, 2015, § 91 Rn. 40; Merkt, ZIP 2014, 1705, 1713. 720 Siehe nur § 41 GmbHG, § 15a Abs. 1 InsO oder § 34 Abs. 1 AO. 721 Vgl. hierzu sowie zu § 93 Abs. 1 S. 1 AktG als normativen Anknüpfungspunkt einer Legalitätspflicht BGH, Urteil v. 28.04.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, ­ 204 („Gamma“); BGH, Urteil v. 12.10.1987 – II ZR 251/86, NJW 1988, 1321 ff.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 47; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 85 f.;

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Abs. 1 S. 1 AktG – und damit auch § 43 Abs. 1 GmbHG – keine Aussage über den Pflichtenumfang einer anderen Vorschrift entnehmen und be­ schränken sich infolgedessen bezüglich der Gesetzesbindung des Lei­ tungsorgans gegenüber der Gesellschaft auf die Auslegung der jeweiligen Einzelnorm, welche es zu befolgen gilt.722 Damit missachten die Autoren aber gerade jene eben erwähnte Notwendigkeit der gesetzlichen Mani­ festation zusätzlicher Geschäftsleiterpflichten. Ein gesetzliches Ge- oder Verbot, welches sich ausschließlich an die Gesellschaft richtet, kann ohne entsprechende „Brücke“723 keine korrespondierende Pflichtver­ letzung oder Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft im Binnenverhältnis begründen. Die durch die Legalitätspflicht geschaf­ fene Verantwortlichkeit des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft stellt im Ergebnis gerade eine Erweiterung seines Pflichten- und Haf­ tungsumfangs dar, sodass es hierfür zwingend einer gesetzlichen Recht­ fertigung bedarf. Aus diesem Grund wäre es auch verfehlt, die Legalitätspflicht ohne ­nähere Begründung schlicht als zwingenden Bestandteil der Sorgfalts­ pflichten des § 43 Abs. 1 GmbHG anzusehen. Trotz der behaupteten Selbstverständlichkeit einer solchen Pflicht kann auf eine dogmatische Herleitung derselben nämlich nicht verzichtet werden.724 Allein der Wortlaut der Norm gibt eine umfassende Gesetzesbindung des Ge­ schäftsführers gegenüber der Gesellschaft jedenfalls nicht ohne weiteres her, sodass es einer dogmatisch überzeugenden normativen Verortung der Legalitätspflicht bedarf. In der Literatur wird dabei teilweise auf die in § 43 Abs. 1 GmbHG enthaltene Pflicht abgestellt, Nachteile von der Gesellschaft abzuwenden.725 An der Geeignetheit einer solchen Scha­ Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 51; Haas/Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 46; Beurskens, in: Baumbach/ Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 10; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 12; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 71; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 49, 65; Paefgen, AG 2014, 554, 556; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 74, 133; Goette, in: FS BGH, 2000, S. 123, 125; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 509; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 404. 722 Hellwig/Behme, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 343, 345; zumindest hinsichtlich des bloßen Wortlauts von § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 86. 723 Siehe Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 47 Fn. 166, der von § 93 Abs. 1 S. 1 AktG als einer „Brücke“ für die entsprechende Pflichtenbindung des Vorstands gegen­ über der Gesellschaft spricht. 724 Die oftmals fehlende Dogmatik ebenfalls kritisierend Breitenfeld, Organschaftli­ che Binnenhaftung, 2016, S. 51, 62; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 85 f.; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 874 f.; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100. 725 Vgl. Abeltshauser, Leitungshaftung, 1998, S. 213 f.; Raiser/Veil, Recht der Kapital­ gesellschaften, 2015, § 42 Rn. 83, § 14 Rn. 81; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 89 ff m.w.N.

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densabwendungspflicht zur dogmatischen Begründung einer umfassen­ den Legalitätspflicht wird jedoch deutliche Kritik geäußert, insbesonde­ re, wenn dadurch auch die nützlichen Rechtsverstöße verboten werden sollen. Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Kritikpunkte an diesem Ansatz im Allgemeinen vorgebracht, und anschließend zwei Er­ klärungsversuche erläutert und untersucht, wie diese trotz alledem dog­ matisch (auch) auf die Schadensabwendungspflicht abstellen. (2) Die grundsätzliche Kritik von Fleischer an den Ansätzen Zwar bedient sich zunächst auch Fleischer der Schadensabwendungs­ pflicht als Theorie der herrschenden Meinung um darzulegen, dass ein rechtswidriges Verhalten im Außenverhältnis gleichzeitig auch eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis darstellen müsse. Im selben Zug übt der Autor jedoch deutliche Kritik an der zugrundeliegenden Dogma­ tik, da bei dieser vom Vorliegen eines Schadens auf einen Pflichtverstoß geschlossen wird und es so zu einem Bruch der eigentlichen Haftungs­ systematik aus Pflicht und Schaden kommt.726 Bei strenger Anwendung der Schadensabwendungpflicht könnten dadurch nützliche Rechtsver­ stöße nicht als pflichtwidrig angesehen werden, was bereits für sich ge­ nommen die Untauglichkeit der Schadensabwendungspflicht als Argu­ ment für die dogmatische Begründung einer umfassenden Legalitätspflicht offenbare. Selbst wenn nützliche Rechtsverstöße zumindest im Bereich des Straf­ rechts selten sein mögen,727 sind auch dort Konstellationen denkbar, in denen die Begehung einer Straftat eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidung für die Gesellschaft darstellen kann.728 Das Ordnungs­ widrigkeitenrecht bietet mit den im Vergleich zum Strafrecht weniger einschneidenden Sanktionen einen möglichen Anknüpfungspunkt für 726 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 31; Fleischer, ZIP 2005, 141, 144; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 14; Fleischer, in: Spind­ ler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 24; dieser Kritik zustimmend Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 433; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 47 f.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 52; Harzenetter, Nützli­ che Pflichtverletzungen, 2008, S. 103 f.; Sieg/Zeidler, in: Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 3 Rn. 38; ebenso Thole, ZHR (173) 2009, 504, 517 f., wonach die Legalitätspflicht selbstständig neben die Schadensabwen­ dungspflicht tritt, ihr aber der Vorrang zukommt. 727 In diesem Zusammenhang ist auch bzw. insbesondere an Reputationsverluste zu denken, vgl. Hohmann-Dennhardt, in: Müller, ÖJK, Entstaatlichung des Rechts, Bd. 43, 2014, S. 59, 67; siehe speziell zur Rufschädigung bei Steuerdelikten ­Neuling, DStR 2015, 558, 560; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 76; Geuenich/ Kiesel, BB 2012, 155, 157. 728 Vgl. Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 60 f.; Hasselbach/­ Ebbinghaus, AG 2014, 873, 879; siehe auch BGH, Urteil v. 08.07.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26.

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vorteilhafte Rechtsbrüche. Beispielhaft sei auf die Risikoanalyse eines Logistikunternehmens verwiesen, wonach ein Umsatzzuwachs dadurch erhofft wird, dass die Transportfahrer gegen Parkverbote und Geschwin­ digkeitsbeschränkungen verstoßen. In Anbetracht der nur marginalen Reputationseinbußen sowie der geringen Bußgelder würde eine solche Unternehmenspolitik nach der Kosten-Nutzen-Analyse der Geschäfts­ leitung trotz der Gesetzesverletzungen im Ergebnis also keinen betriebs­ wirtschaftlichen Nachteil für die Gesellschaft bedeuten.729 Kommt es zur Aufdeckung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, hat die Tatsache, dass der Geschäftsführer wirtschaftlich im Interesse des Unternehmens gehandelt hat, selbstverständlich nicht zeitgleich dessen Straflosigkeit zur Folge.730 Ebenso unberührt hiervon bleibt seine persönliche Außen­ haftung.731 Eine automatische Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis mit der eventuellen Folge einer Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG kann mit einer strengen Anwendung dieses Lösungsansatzes hingegen nicht be­ gründet werden. Um das zu verhindern, bezog sich Fleischer zur normativen Rechtferti­ gung lange Zeit auf den hinter § 62 Abs. 1 GmbHG stehenden „beredten Ausdruck“ vom Vorrang der Einhaltung der Rechtsordnung vor dem Ge­ sellschafterinteresse.732 Erst seit Kurzem verweist der Autor für die Er­ klärung dieser Vorrangstellung explizit auf das Allgemeininteresse an Regelbefolgung und effektiver Normdurchsetzung.733

729 So auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147, die deshalb sogar eine Ausnahme der Legalitätspflicht für Bagatellverstöße anerkennen; ausführlich dazu Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98, 254 ff.; siehe ferner Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877 f. zum Ver­ gleich eines Parkverstoßes, welcher einmal von einem Einzelkaufmann und ein­ mal von einem Geschäftsführer begangen wurde, allerdings mit berechtigter Kri­ tik dazu von Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 70 f., wonach ein derartiger Vergleich verfehlt sei. 730 Inwiefern der Fall eines Verbotsirrtums nach § 17 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG vorliegen kann, hängt vom Einzelfall ab. 731 Siehe im Zusammenhang mit Steuerstraftaten insbesondere die persönliche Haf­ tung des Steuerhinterziehers und Steuerhehlers nach § 71 AO, sowie allgemein die Haftung des Geschäftsführers nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO für die Steu­ erschulden der durch ihn vertretenen Gesellschaft. 732 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2016, § 43 Rn. 31, 43; Fleischer, ZIP 2005, 141, 144; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des VorstandsR, 2006, § 7 Rn. 14; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2015, § 93 Rn. 24, 36; zur Untauglichkeit der §§ 396, 62 GmbHG als alleinige Grundlage eines allgemeinen Rechtsgedankens siehe bereits oben. 733 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 31, 43; Fleischer, in: Spindler/StilzAktG/1, 2019, § 93 Rn. 24, 36; ausführlich zu diesem Ansatz siehe später auf den S. 140ff.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

(3) Der dogmatische Ansatz von Harnos Insbesondere die Argumentation Harnos’ stützt sich im Kern auf die Schadensabwendungspflicht zur dogmatischen Begründung einer umfas­ senden Legalitätspflicht. Dem Einwand, dass in diesem Fall vom Vorlie­ gen eines Schadens auf den Pflichtverstoß geschlossen werde, begegnet der Autor, indem er die Pflichtverletzung des Vorstands bereits in der Verursachung einer Gefährdungssituation für die Gesellschaft sieht. Er lässt dadurch drohende Sanktionen, gleich welcher Art, für die Begrün­ dung der Pflichtwidrigkeit ausreichen.734 Sobald eine Vorschrift, uner­ heblich ob zivil-, verwaltungs-, straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtli­ cher Natur, im Falle ihrer Verletzung eine Sanktion vorsieht oder anderweitige Nachteile für die Gesellschaft zur Folge haben kann, stelle deren Missachtung für den Vorstand stets auch eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis dar.735 Harnos verwirft somit scheinbar die von Fleischer erhobenen Einwände und hebt die Gleichsetzung von „Schaden“ und „Nachteil“ auf.736 Den Nachteil begreift der Autor als Teil des Tatbestan­ des der Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG, also der Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, wohingegen der Schaden erst auf der Rechtsfolgen­ seite des § 93 Abs. 2 AktG bedeutsam werden soll.737 Das Problem der nützlichen Rechtsverstöße löst Harnos, indem er von einem antizipier­ ten Verbot zur Begehung von Rechtsverstößen ausgeht. Dieses emaniere aus dem Umstand, dass Aktionäre aufgrund ihres fehlenden direkten Einflusses stets daran interessiert seien, die Gesellschaft vor Nachteilen zu bewahren und infolgedessen auf das rechtmäßige Handeln des Vor­ stands angewiesen wären.738 Harnos’ Ausführungen ist aus mehreren Gründen zu widersprechen. Zwar mag die Behauptung korrekt sein, dass Aktionäre ein großes Inte­ resse daran haben, die Gesellschaft vor Nachteilen zu bewahren, aber auch hier ist es notwendig, den unternehmerischen Gedanken der dauer­ haften Rentabilität und Gewinnmaximierung zu beachten. Man denke abermals an das Logistikunternehmen, dessen Transportfahrer im Ein­ klang mit der Unternehmenspolitik gegen Parkverbote und Geschwin­ digkeitsbeschränkungen verstoßen. Es ist schwerlich vorstellbar, dass Aktionäre sich geschlossen gegen eine solche unternehmerische Aus­ richtung stellen würden, bloß weil Parkverstöße und Geschwindigkeits­ 734 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 91 f.; insoweit noch zustimmend Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 47 f. 735 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 99. 736 Es ist anzunehmen, dass er deshalb auf den Begriff der „Schadensabwendungs­ pflicht“ verzichtet. 737 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 92 f. 738 So ausdrücklich Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 91; siehe zum fehlenden Einfluss der Aktionäre den bereits oben beschriebenen Prinzipal-Agent-Konflikt.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

überschreitungen Rechtsbrüche darstellen und mit einem Bußgeld ge­ ahndet werden können. Im Falle eines Kartellverstoßes mit den teils erheblichen Geldbußen und anderweitigen schwerwiegenden Folgen739, sowie bei Straftaten allgemein, kann die hypothetische Entscheidung al­ ler Aktionäre freilich (wenn auch nicht ausnahmslos) eine andere sein.740 Jedoch bezieht sich Harnos explizit auf jede sanktionsbewehrte Vor­ schrift, gleich welche Folgen der konkrete Verstoß nach sich zieht. Wes­ halb Aktionäre sich niemals zugunsten der Gewinnmaximierung ent­ scheiden würden, solange dies mit einem Rechtsverstoß verbunden wäre, kann durch seine Argumentation indes nicht erklärt werden. An dieser Stelle wird deutlich, dass den Ausführungen nur unter der Prämisse ge­ folgt werden kann, das objektive Recht setze „perfekte“ äußere Be­ dingungen. Einerseits müsste hierzu das Entdeckungsrisiko hoch genug sein, sodass mit einer Aufdeckung der Tat jederzeit gerechnet werden kann. Gleichzeitig wäre es aber auch erforderlich, dass die jeweils entste­ henden Nachteile die für die Gesellschaft prognostizierten Vorteile jed­ weden Gesetzesverstoßes übertreffen. Wie die obigen Ausführungen ge­ zeigt haben, existiert jedoch kein solch ideales Rechtssystem und wäre angesichts der damit einhergehenden übertriebenen Risikoaversion der Leitungsorgane wirtschaftspolitisch auch keineswegs erstrebenswert. Ein zu risikoscheues Verhalten des Vorstands empfindet auch Harnos als gewinnhemmend und damit dem Wohl der Gesellschaft, welches er an­ scheinend wirtschaftlich und interessenmonistisch als Aggregation von Aktionärsinteressen versteht,741 zuwiderlaufend. Weshalb jedoch die Ver­ letzung der Legalitätspflicht keine unternehmerische Betätigung der Ge­ schäftsleitung darstellen soll und deshalb von der Erwartung der Aktio­ näre an den Vorstand, unternehmerische Risiken einzugehen, strikt zu trennen sei, bleibt unklar.742 Wenn sich nach Harnos nämlich die dogma­ tische Begründung der Legalitätspflicht sowie der Pflichtwidrigkeit eines Verstoßes hiergegen aus der Vorstandspflicht, zum Wohle der Ge­ sellschaft zu handeln, ergibt, liegt durchaus ein Zusammenhang mit der unternehmerischen Betätigung der Geschäftsleitung vor.743 Seiner Argu­ 739 Diese können z.B. arbeitsrechtlicher Natur sein oder auch in Form von Gewer­ beuntersagungen oder Reputationsverlusten in Erscheinung treten. 740 Siehe dazu Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 93 ff. 741 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 91; damit folgt der Autor einer verbands­ rechtlichen Zielkonzeption, wonach die erwerbswirtschaftliche Zielsetzung mit dem Prinzip der Gewinnmaximierung das Leitungshandeln bestimmen soll, siehe ausführlich hierzu Mülbert, ZGR 1997, S. 129 ff. 742 So aber ausdrücklich Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 92 f. 743 Siehe auch Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418; Birke, Formalziel, 2005, S. 228 ff., wonach das „Wohl des Unternehmens“ der ausschließliche Maß­ stab des unternehmerischen Handelns ist, innerhalb dessen die Interessen Drit­ ter – und damit auch öffentliche Interessen – nur ein Kriterium neben anderen, wie den Interessen der Anteilseigner, darstellen und keinen Vorrang genießen.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

mentation zufolge geht mit der Sanktionsgefahr von Rechtsverstößen typischerweise auch eine Gefährdung des Unternehmenswohls einher, sodass ein solches Handeln den Aktionärsinteressen stets zuwider­ läuft.744 Folglich kann jedoch nicht gleichzeitig konstatiert werden, dass die Einhaltung des objektiven Rechts im Vordergrund stehe und mit der Erwartung der Aktionäre an den Vorstand, unternehmerische Risiken einzugehen, nicht zu vergleichen sei. Wenn die Aktionärsinteressen das Fundament der dogmatischen Begründung einer Legalitätspflicht ausma­ chen, führt dies unweigerlich zu der Frage, woraus ein etwaiger Interes­ senvorrang herzuleiten sein soll. Gerade diesen Vorrang der Pflicht zur Rechtskonformität vor den sonstigen Aktionärsinteressen, so in etwa dauerhafte Rentabilität und Gewinnmaximierung, gilt es dogmatisch zu begründen, was dem Autor nicht gelingt.745 Speziell für das GmbH-Recht ergeben sich darüber hinaus noch weitere Friktionen. Da die Überlegungen Harnos’ maßgeblich auf der unter­ schiedlichen Verteilung von Leitungsmacht und Risiko basieren, betont er selbst, dass in einer GmbH „die Akzente freilich anders gesetzt“ sind.746 Wenn seine dogmatische Begründung der Legalitätspflicht im Wesentlichen darauf beruht, dass die Aktionäre ob der mangelnden Ein­ wirkungsmöglichkeiten auf den Vorstand von dessen gesetzeskonformer Wahrnehmung der Organkompetenz abhängig sind, offenbart sich damit eine bedenkliche Diskrepanz zur ebenfalls als juristische Person konzi­ pierten GmbH. Die Folge dieser „unterschiedlichen Akzentsetzung“ müsste demnach sein, dass die Legalitätspflicht, wie sie für den Vorstand existiert, für den Geschäftsführer in derselben Form keine Anwendung findet, da dieser der Weisungsmacht der Gesellschafter und damit deren direktem Einfluss unterliegt. Ob eine derart weitreichende Ungleichbe­ handlung der beiden Kapitalgesellschaftsformen tatsächlich rechtlich gewollt ist und sich darüber hinaus so aus dem Gesetz ergibt, ist zumin­ dest zu bezweifeln. Im Ergebnis kann dies aber dahinstehen, da der An­ satz ohnehin keine organschaftliche Legalitätspflicht zu begründen ver­ mag. (4) Der dogmatische Ansatz von Breitenfeld Zur dogmatischen Rechtfertigung einer umfassenden Legalitätspflicht beruft sich Breitenfeld auf ein übergeordnetes Bedürfnis nach effizien­ tem Schutz der Rechtsordnung, welches sich einerseits aus dem öffentli­ 744 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 91 f. 745 So im Ergebnis auch Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 48. 746 Siehe Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 90 Fn. 283 mit Blick auf § 76 Abs. 1 AktG einerseits und § 37 Abs. 1 GmbHG andererseits. Eine Gleichstellung er­ kennt er auf S. 91 Fn. 284 nur für den Fall an, dass in der Satzung das Weisungs­ recht der Gesellschafter ausgeschlossen ist.

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chen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung speist sowie ande­ rerseits aus der Legalität als „unverzichtbare[m] Element erfolgreicher Unternehmenspolitik“.747 Obwohl sie hierbei jedoch ausdrücklich be­ tont, dass ihr Ansatz trotz des engen Zusammenhangs mit der Scha­ densabwendungspflicht auf „weitergehenden Überlegungen“ basiert,748 kommen Zweifel daran auf. Um sich von der Schadensabwendungs­ pflicht als dogmatischem Begründungsansatz zu distanzieren, erhebt Breitenfeld nicht den Schaden, „sondern die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen einer guten Reputation“749 zu einem der beiden Eckpfei­ ler ihrer Argumentation. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es sich in ihren Überlegungen im Grunde genommen um dieselbe Vorstandspflicht handelt: Jeder von der Gesellschaft abgewendete Scha­ den (wozu zweifellos auch Reputationsverluste gehören) bedeutet logi­ scherweise gleichzeitig einen Vorteil für diese – im Mindesten nämlich die Bewahrung vor den entsprechenden Nachteilen. Im Ergebnis läuft die Argumentation also auf eine bloße Umbenennung der Schadensabwen­ dungspflicht in eine „Vorteilsbeschaffungspflicht“ hinaus. Damit sieht sich der Ansatz aber derselben Kritik ausgesetzt wie die Be­ gründungsversuche einer organschaftlichen Legalitätspflicht auf Basis einer Schadensabwendungspflicht, da sich auch mit dieser Argumentati­ on nicht erklären lässt, weshalb die Abwendung eines nur unbedeuten­ den Gesetzesverstoßes, wie z.B. dem vorschriftswidrigen Parken, einen größeren Nutzen darstellen soll als die dadurch erzielten wirtschaftli­ chen Vorteile. Die Unzulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße lässt sich durch diese Begründung somit ebenso wenig definieren, wie dies mittels einer Schadensabwendungspflicht möglich ist. Zudem sind die dies­ bezüglichen Ausführungen Breitenfelds in Teilen widersprüchlich und wirken mitunter sogar opportunistisch. Indem sie die Rechtsordnung nämlich als „das obligatorische Grundgerüst eines funktionierenden Zu­ sammenlebens“ bezeichnet, sollen nützliche Rechtsverstöße zwar einer­ seits ausnahmslos unzulässig sein,750 an anderer Stelle erkennt die Auto­ rin allerdings ausdrücklich Situationen an – namentlich geringfügige Verstöße, wie beispielsweise eben verkehrswidriges Parken – in denen es nicht sachgerecht sei, von einem pflichtwidrigen Verhalten zu sprechen.

747 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 71 ff., 89. 748 So ausdrücklich Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 83, 85; zu­ vor auf den S. 51 ff. betont sie zudem, dass die Schadensabwendungspflicht des Vorstands als dogmatische Rechtfertigung einer umfassenden Legalitätspflicht und der korrespondierenden Haftung von Organmitgliedern für gesetzwidriges Verhalten verfehlt sei. 749 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 85. 750 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 138 f.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

In solchen Fällen solle eine Einschränkung der Legalitätspflicht durch eine „de-minimis-Regel“ angemessen sein.751 Wieso die „Vorteilsbeschaffungspflicht“ trotz alledem mittels eines öko­ nomischen Effizienzprinzips zum bestimmenden Faktor ordnungsgemä­ ßer Unternehmensführung avancieren soll, geht aus der Arbeit Breitenfelds nicht eindeutig hervor. Mit der schlichten Aussage, die „Legalität im Unternehmen ist damit auch Selbstzweck“752 ist insofern jedenfalls wenig gewonnen. Darüber hinaus ist angesichts des vorherigen Ab­ schnitts zur Rechtspolitik und Rechtsökonomie daran zu erinnern, dass ein Bedürfnis nach effizientem Schutz der Rechtsordnung nur vor dem Hintergrund der Reformbedürftigkeit der Organhaftung gesehen werden darf. Von der Konzeption juristischer Personen sowie dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung auf die Notwendigkeit einer haftungsbewehrten Legalitätspflicht als verhaltenssteuerndes Re­ gulativ zu schließen, genügt den dogmatischen Anforderungen an die Herleitung einer gesetzlich nicht ausdrücklich normierten Pflicht jeden­ falls nicht. (5) Zusammenfassung zur Schadensabwendungspflicht Die Schadensabwendungspflicht des Geschäftsführers ist wie soeben er­ läutert zur dogmatischen Rechtfertigung einer umfassenden Legalitäts­ pflicht ungeeignet. Das ändert sich auch nicht, wenn man statt auf den Eintritt eines Schadens auf die Möglichkeit desselben abstellt, oder das Institut in ihr Gegenteil verkehrt und zu einer „Vorteilsbeschaffungs­ pflicht“ umbenennt. Eine Rechnung, die den Nutzen einer strafbaren Handlung gegen das Risiko der Entdeckung und der damit zusammen­ hängenden nachteiligen Folgen für das Unternehmen abwägt, mag rechtspolitisch unerwünscht sein oder teils sogar gegen das Gerechtig­ keitsgefühl verstoßen, ersetzt aber dennoch nicht die Dogmatik. Infolge­ dessen geht eine so verstandene Legalitätspflicht, die jedwedes gesetz­ widrige Handeln, insbesondere auch nützliche Rechtsverstöße, mit der Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis gleichsetzen will, über die Aussa­ gekraft der Schadensabwendungspflicht hinaus und kann nicht aus ihr hergeleitet werden. Wenn der Begründungsansatz gerade in den proble­ matischen Bereichen versagt, sodass in diesen Fällen auf Alternativen ausgewichen werden muss, untergräbt das die gesamte Argumentation und stellt das Konzept auf tönerne Füße.753

751 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 99 ff unter Bezugnahme auf Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff. 752 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 84. 753 Siehe auch Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 84 f., 100 f., 173, der die Legalitäts­ plicht zumindest als „Spielart der Schadensabwendungspflicht“ begreift, soweit

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e) Zwischenergebnis Aus der isolierten Betrachtung einzelner Normen des AktG und GmbHG lässt sich damit keine umfassende Legalitätspflicht des Geschäftsführers extrahieren. Wenngleich das Ergebnis für einige unbefriedigend erschei­ nen mag, mit Hilfe einzelner gesellschaftsrechtlicher Normen eine un­ eingeschränkte Legalitätspflicht der Geschäftsleitung juristisch nicht rechtfertigen zu können, bleibt es dennoch ein bloßes Rechtsgefühl und entbindet nicht von der Notwendigkeit einer dogmatisch sauberen ­Herleitung.754 Lediglich die Schadensabwendungspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG vermag eine zumindest „inhaltlich eingeschränkte Legalitäts­ pflicht“755 zu begründen, die aber keine nützlichen oder auch nur neutrale Rechtsbrüche verbietet. Inwiefern die einzelnen Regelungen hingegen unterstützend zur Begründung eines das Gesellschaftsrecht überlagernden allgemeinen Rechtsprinzips herangezogen werden kön­ nen, bleibt fraglich und bedarf im Folgenden weiterer Erörterung. 6. Die Legalitätspflicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz Gerade in letzter Zeit wird vermehrt versucht, mit Hilfe allgemeiner Normen, Wertungen und Grundsätze bzw. rechtspolitischer Erwägungen eine Pflicht der Geschäftsführung zur Gesetzeskonformität auch im In­ nenverhältnis herzuleiten. a) Die dogmatische Herleitung einer Legalitätspflicht nach Habersack Habersack sieht weder in den §§ 396 AktG, 62 GmbHG noch in § 241 Nr. 3 AktG oder § 93 Abs. 4 AktG konkrete Anhaltspunkte für das Beste­ hen einer Legalitätspflicht. Er geht allerdings von einer Ausstrahlungs­ wirkung dieser Normen auf die Organhaftung aus und spricht sich so im Ergebnis grundsätzlich ebenfalls für die Anerkennung der Legalitäts­ pflicht aus. Mit Hilfe allgemeiner Erwägungen, wie dem Allgemeininte­ resse an einer Regelbefolgung, der Angewiesenheit juristischer auf natür­ liche Personen und generalpräventiven Argumenten erkennt der Autor in den genannten Normen Grundzüge eines generellen Rechtsprinzips zur Gesetzeskonformität.756 Indem er neben aktien- und GmbH-rechtli­ chen Vorschriften auch über das Gesellschaftsrecht hinausgehende Über­ der Gesetzesverstoß die Gesellschaft nicht schädigt und es sich mithin um keine nützlichen oder neutralen Rechtsbrüche handelt. 754 So auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 71; Holle, Legali­ tätskontrolle, 2014, S. 51 f.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435. 755 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 101, 173. 756 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434 f.; in diese Richtung auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 75 ff.; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 516 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147.

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legungen zur dogmatischen Begründung bemüht, hebt er die Diskussion auf eine abstraktere Ebene. Aufgrund dessen genießt der Autor eine grö­ ßere Freiheit bei der Bestimmung der Reichweite der Legalitätspflicht und ihrer Schranken. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Habersack zahlreiche Relativierungen vornimmt und sogar den bewussten Rechts­ bruch unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Da sich die Legalitäts­ pflicht seiner Ansicht nach lediglich aus Erwägungen allgemeiner Art herleiten lässt, sei es als Ausgleich dafür geboten, dies mit einer Art „de-minimis-Regel des Inhalts“ zu kompensieren. Er bekennt sich daher prinzipiell zur Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße, sofern die „mora­ lische Last des Gesetzesverstoßes typischerweise […] nicht schwer wiegt“757. b) Kritik Der Ansatz Habersacks verdient insofern Zustimmung, als die privat­ rechtliche Natur von GmbH und AG respektiert wird und die juristische Person nicht dergestalt in den Dienst des Staates gestellt werden soll, dass sie mittels der Organhaftung die strikte Einhaltung von Gesetzen sicherzustellen hat. Stattdessen werden bestimmte Rechtsverstöße, na­ mentlich bloßes Verwaltungsunrecht sowie die Missachtung öffent­ lich-rechtlicher Zahlungspflichten, einer Abwägung zugänglich gemacht, sodass die Pflichtwidrigkeit im Einzelfall entfallen kann. Kritisch anzu­ merken ist, dass es vor dem Hintergrund zahlreicher spezialgesetzlich geregelter Pflichten und Befugnisse dem bestehenden System des Kapi­ talgesellschaftsrechts zuwider läuft, wenn es eine allgemeine Legalitäts­ pflicht gäbe.758 Bestehen bleiben auch die Bedenken, weshalb die Legalitätspflicht ad ab­ surdum geführt werden würde, wenn man sie der Pflicht gegenüberstellt, auf eine angemessene Rentabilität hinzuwirken.759 Die externen rechtli­ chen Barrieren, welchen Gesellschaft und Geschäftsführer unterliegen, 757 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff.; ähnlich Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 99 ff.; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; ansatzweise auch Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418 f. Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 96 ff.; noch weitergehender Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff., wonach nicht nur Bagatellverstö­ ße, sondern sämtliche privatrechtliche Normen, Ordnungswidrigkeiten und Nor­ men ausländischen Rechts ausgenommen sind; kritisch zu diesem Ansatz Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 275 ff. 758 Siehe zu dieser berechtigten Kritik Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 405 ff. mit zahlreichen normativen Anknüpfungspunkten für die einzelnen gesetzlich gere­ gelten Pflichten und Befugnisse. 759 So aber ausdrücklich Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.

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lösen sich deshalb nicht in Luft auf. Es ist in diesem Sinne auch der Ver­ fasser selbst, der zutreffend auf die Selbstverständlichkeit hinweist, dass „das Verhalten des Vorstands der Gesellschaft zuzurechnen ist und des­ halb im Außenverhältnis der Gesetzesverstoß fortbesteht“760. Die Entde­ ckungsgefahr sowie die aus einer Entdeckung resultierenden Nachteile (Strafen und Bußgelder, Gewinnabschöpfungen, Reputationsschäden usw.) bleiben als reale Risiken – sowohl für das Unternehmen als auch in zahlreichen Fällen für das Organ und die dahinter stehende natürliche Person selbst – bestehen und müssen dementsprechend in die Entschei­ dungsfindung des Geschäftsführungsorgans zwingend mit einfließen. Unter diesem Aspekt lässt sich in aller Regel auch die Pflichtwidrigkeit derjenigen Gesetzesverstöße erklären, die nicht der „de-minimis-Regel“ unterfallen und deshalb klassische Anwendungsfälle der Legalitäts­ pflicht sein sollen.761 Damit stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wie das einschränkende Kriterium der moralischen Last eines Rechtsversto­ ßes begründet werden kann und weshalb dieses zur Ergänzung für die aus allgemeinen Erwägungen stammende Legalitätspflicht überhaupt not­ wendig sein soll. Schließlich ist der Geschäftsführer bereits durch seine Bindung an das Gesellschafterinteresse dazu gezwungen, einen nach der Risikoanalyse für die Gesellschaft nachteiligen Rechtsverstoß zu unter­ lassen und darüber hinaus in nicht wenigen Konstellationen einem per­ sönlichen Haftungs- und Sanktionsrisiko ausgesetzt, welches ihn zusätz­ lich zur Einhaltung der jeweiligen Normen anhält.762 Derartige Überlegungen rufen die Einwände der Verfechter einer umfas­ senden Legalitätspflicht in Erinnerung, wonach es falsche Anreize setzen würde, nützliche Gesetzesverstöße zuzulassen. Demnach gingen von ei­ ner streng verstandenen Legalitätspflicht auch wichtige Präventionsund Verhaltenssteuerungseffekte aus. Selbst Habersack gibt zu, dass der Präventionsgedanke eigentlich für die Anerkennung einer strengen Lega­ litätspflicht spricht, entgegnet dem jedoch zugleich, dass mit einer sol­ chen Feststellung nicht viel gewonnen sei.763 Nach dem oben Gesagten ist die Rechtsnatur des § 43 Abs. 2 GmbHG als Instrument zur Steuerung des Organhandelns im Sinne des Gesellschafterinteresses unbedingt zu 760 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439. 761 Als Beispiele werden Kartellverstöße, Steuerhinterziehungen und Korruptions­ sachverhalte genannt, vgl. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439. 762 Siehe hierzu auch Ekkenga/Kuntz, in: Soergel-BGB, Bd. 3/2, 2014, vor § 249 Rn. 328, wonach der Geschäftsleiter trotz der Möglichkeit eines Vorteilsaus­ gleichs, welche im Ergebnis eine Sanktionslosigkeit im Innenverhältnis bedeutet, dennoch nicht dem Anreiz unterliegt, sich pflichtwidrig zu verhalten, wenn er persönlich der Strafverfolgung oder einem Bußgeldverfahren unterworfen ist. Da bereits hierdurch sein Verhalten sanktioniert und demzufolge die nötige Präventi­ onswirkung erzielt wird, soll ein Vorteilsausgleich selbst im Falle einer vorsätzli­ chen Handlung erlaubt sein. 763 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

beachten. Demnach sind öffentliche Interessen, auch jenes Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung, evident kein Organhaftungszweck, sondern können nur mittelbar als wünschenswerter Nebeneffekt Beach­ tung erfahren. Eine umfassende Legalitätspflicht des Geschäftsführers lässt sich auf diesem Weg also nicht herleiten. Anders verhielte sich dies eventuell, wenn man auf den Präventionszweck der Organhaftung ab­ stellt und so die Einbeziehung generalpräventiver Überlegungen gestat­ tet. Unabhängig davon, ob die Schadensvorbeugung der prävalente Haf­ tungszweck ist oder ebenfalls nur ein erwünschtes Nebenprodukt, stellt sich die Frage, ob daraus überhaupt zusätzliche Geschäftsleiterpflichten abgeleitet werden können. Zur Beantwortung ist ein Blick in das Deliktsrecht hilfreich. Die dort ganz herrschende Ansicht geht davon aus, dass die Präventionsfunktion nicht dazu in der Lage ist, eigenständige Schadensersatzansprüche ohne auszugleichenden Schaden zu begründen.764 Relevant wird der Gesichts­ punkt der Verhaltenssteuerung insbesondere bei den sog. „lukrativen Delikten“, also solchen, bei denen der Schädiger einen Gewinn erzielt, der höher ist als der vom Opfer erlittene Nachteil und ein bloßer Scha­ densausgleich daher unzureichend wäre.765 Damit wird deutlich, dass der Präventionsgedanke im Deliktsrecht lediglich auf der Rechtsfolgenseite zur Rechtfertigung einer Gewinnabschöpfung genutzt wird, nicht zur Be­ gründung zusätzlicher Rechte oder Rechtsgüter. Hiermit vergleichbar sind im Gesellschaftsrecht die nützlichen Rechtsverstöße und die damit zusammenhängenden, bereits angesprochenen Probleme einer Vorteil­ sausgleichung. Nach teilweise vertretener Ansicht kann mit Hilfe des Präventionsge­ dankens sogar dann Schadensersatz vom Geschäftsführer gefordert wer­ den, wenn der Gesellschaft gar kein Schaden entstanden ist.766 Andern­ falls würde die Anwendung der §§ 249 ff. BGB den Zweck der Haftungsnorm, die Sicherstellung der Einhaltung der gegenüber der Ge­ sellschaft bestehenden Pflichten, allen voran der Legalitätspflicht, unter­ 764 OLG München, Urteil v. 28.05.2003 – 21 U 1529/03, AfP 2003, 359, 360 f.; BGH, Urteil v. 06.12.2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 207 f.; Hager, in: Staudin­ ger-BGB/§ 823 A-D, Vorbem. Zu § 823 Rn. 10; Ekkenga/Kuntz, in: Soergel-BGB, Bd. 3/2, 2014, vor § 249 Rn. 28, 33 m.w.N.; a.A. G. Wagner, Gutachten E zum 66. DJT, 2006, A 79; G. Wagner, in: MüKo-BGB/7, 2020, vor § 823 Rn. 46. 765 Eingehend zu den „lukrativen Delikten“ G. Wagner, Gutachten E zum 66. DJT, 2006, A 83 ff.; G. Wagner, in: MüKo-BGB/7, 2020, vor § 823 Rn. 46; namentlich wird dabei auf Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht durch Massenmedien abge­ stellt. 766 So ausdrücklich Lohse, in: FS Hüffer, 2010, S. 581, 598 ff.; siehe auch H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 63 für den Fall vorsätzlicher oder grob fahrlässiger systematischer Gesetzesüberschreitungen; a.A. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 440 m.w.N.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

graben.767 Unabhängig von den durchaus berechtigten Zweifeln an einer solchen Schadensermittlung wird dadurch deutlich, dass die Präventi­ onsfunktion der Haftungsnorm die Legalitätspflicht nicht dogmatisch herzuleiten vermag, sondern sie vielmehr voraussetzt. Die vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung des Geschäftsleiters vorliegt, wird dadurch nicht beantwortet.768 Ebenso wie bei den lukrativen Delik­ ten liegt also ein Problem bzgl. des Haftungsumfangs, nicht des Haf­ tungsgrundes vor. Folglich lässt sich eine Legalitätspflicht auf Grundlage der Verhaltenssteuerungsfunktion der Organhaftung nur dann rechtferti­ gen, wenn der Rechtsbruch generell als dem Gesellschafterinteresse zu­ widerlaufend und damit als potentieller Schaden der Gesellschaft erach­ tet wird.769 c) Resümee Im Ergebnis führt der Ansatz Habersacks unter Anwendung der „de-mi­ nimis-Regel“ zwar zu ausgewogenen Ergebnissen, wirft aber die Frage auf, welchen Zweck eine Legalitätspflicht unter diesen Voraussetzungen überhaupt hätte, wenn nahezu dasselbe Resultat auch durch eine rein am Gesellschafterinteresse ausgerichtete Organhaftung erreicht werden kann. Zudem führen die zur dogmatischen Herleitung der Legalitäts­ pflicht bemühten allgemeinen Erwägungen, wie die Überlegungen gene­ ralpräventiver Art und das Allgemeininteresse an Regelbefolgung, zu Friktionen mit der Rechtsnatur des § 43 GmbHG, allen voran den Organ­ haftungszwecken. 7. Der Geltungsanspruch der Rechtsordnung (§§ 134, 138 BGB) Einige im Vordringen befindliche Ansichten leiten aus der juristischen Geltung von Rechtsnormen eine umfassende Befolgungspflicht ab, an die auch das Organmitglied gegenüber der Gesellschaft gebunden sein soll.770 767 Lohse, in: FS Hüffer, 2010, S. 581, 599. 768 So zutreffend Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439 f.; dies bezwei­ felt auch Lohse nicht, die die Legalitätspflicht als Ausfluss des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung begreift, Lohse, in: FS Hüffer, 2010, S. 581, 597. 769 So auch Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 81 f., der sich generell gegen ge­ neralpräventive Aspekte der Organhaftung ausspricht. 770 Vgl. M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 132; Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, S. 95, 98, die von einem „universellen Geltungs­ anspruch(s) der Rechtsordnung“ sprechen; ähnlich Bachmann/Kremer, in: Kre­ mer u.a., DCGK, 2021, 3. Teil, G5 Rn. 21 („Vorrang der staatlichen Wert- und Wirtschaftsordnung“); Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 72 („Übergeordnete Geltung der Rechtsordnung“); Grigoleit/Tomasic, in: Grigo­ leit-AktG, 2020, § 93 Rn. 12 („Primat(s) des objektiven Rechts“); Holle, Legalitäts­ kontrolle, 2014, S. 54 („Rechtsordnung als oberste Determinante privatautonomer Handlungsmaßstäbe“); neuerdings auch Fleischer, der mittlerweile zur norma­ tiven Rechtfertigung einer umfassenden Legalitätspflicht explizit auf das Allge­

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Zur normativen Begründung einer organschaftlichen Legalitätspflicht werden dann insbesondere allgemeine zivilrechtliche Vorschriften be­ müht, allen voran § 134 BGB. Demnach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. Hilfsweise wird oftmals zusätzlich § 138 BGB her­ angezogen, der ein Rechtsgeschäft für nichtig erklärt, wenn es gegen die guten Sitten verstößt. Selbst unter der Prämisse, aus dem Norminhalt lasse sich tatsächlich eine haftungsbewehrte Legalitätspflicht herleiten, steht man letztlich aber vor dem Problem der Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesell­ schaft. Im Folgenden werden diesbezüglich drei unterschiedliche Begrün­ dungsansätze näher erklärt und unter kritischer Begutachtung gegen­ übergestellt. a) Die Grenze der §§ 134, 138 BGB als „effektives Sieb“ nach ­Meier/ Wick In einem Beitrag wird die Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft unter Ver­ weis auf den zwischen ihnen bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB771 bejaht. Gleichwohl merken die Autoren richtigerweise an, dass nicht jedes Gesetz – auch nicht jedes Strafgesetz – automatisch ein Verbotsgesetz darstellt, wodurch § 134 BGB in seiner Reichweite be­ grenzt wird.772 Um im Ergebnis dennoch zu einer umfassenden Legali­ tätspflicht des Vorstands einer AG und (mit Einschränkungen) auch des Geschäftsführers einer GmbH zu gelangen, entnehmen Meier/Wick, un­ abhängig von den §§ 134, 138 BGB, sowohl § 93 Abs. 1 S. 1 AktG als auch § 43 Abs. 1 GmbHG unmittelbar die unbedingte Pflicht zur Beachtung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die gesellschaftsrechtliche Le­ galitätspflicht emaniere also gerade aus der Vorgabe, in Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzu­ wenden, was so eindeutig zu sein scheint, dass es keiner weiteren Erklä­ rung bedarf.773 Dieser Befund betreffe ausnahmslos die durch zwingendes meininteresse an Regelbefolgung und effektiver Normdurchsetzung abstellt, Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 31, 43; Fleischer, in: Spindler/ Stilz-­AktG/1, 2019, § 93 Rn. 24, 36; siehe allgemein zur Geltung von Rechtsnor­ men Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 2018, Rn. 334, 337. 771 Richtigerweise handelt es sich um eine sog. „organschaftliche Sonderrechtsbezie­ hung“, siehe hierzu S. 49; allerdings wird auch diese durch ein Rechtsgeschäft be­ gründet, sodass die dogmatische Einordnung für die zugrundeliegende Problema­ tik dahinstehen kann. 772 Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1340. 773 Vgl. Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1343: Zur „Sorgfalt eines ordentlichen Ge­ schäftsmannes […] gehört vor allem die Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vor­ schriften. […] Die Vorstände/Geschäftsführer trifft daher eine gesellschaftsrechtli­ che Legalitätspflicht.“

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Recht geprägte AG,774 wohingegen es bei der GmbH aufgrund der Dispo­ nibilität des § 43 Abs. 1 GmbHG in einzelnen Fällen möglich sein soll, die Legalitätspflicht innerhalb der Grenzen der §§ 134, 138 BGB und des § 43 Abs. 3 GmbHG abzudingen.775 Die Argumentation gibt an mehreren Stellen Anlass zur Kritik. Ohne sich überhaupt der Frage nach der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer bzw. Vorstand und Gesellschaft näher zu widmen, gehen die Verfasser sogar noch einen Schritt weiter und sehen darin auch eine Grenze für die Disponibilität des § 43 Abs. 1 GmbHG. Dadurch entstehen aber mögli­ cherweise Friktionen mit vorrangigen Sondervorschriften776 aus dem Ge­ sellschaftsrecht, die nicht ohne Weiteres umgangen werden können. So verweisen die Autoren an einer Stelle in Anlehnung an eine Entschei­ dung des BGH777 auf das Recht der Gesellschafter aus § 46 Nr. 8 GmbHG, sowohl im Nachhinein als auch im Vorfeld darüber zu entscheiden zu können, ob ein im Außenverhältnis rechtswidriges Verhalten des Ge­ schäftsführers im Innenverhältnis für pflichtgemäß gehalten wird.778 Eine solche Entscheidung bedarf allerdings stets eines Gesellschafterbe­ schlusses nach § 47 GmbHG,779 dessen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit sich nach dem Beschlussmängelrecht richtet. Ob auf Letzteres die §§ 134, 138 BGB780 anwendbar sind oder die allgemeinen zivilrechtlichen Nor­ men zugunsten einer sinngemäßen Anwendung der Spezialregelungen der §§ 241 ff. AktG781 verdrängt werden bzw. eine eventuelle Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses für die Frage der Haftung des Geschäfts­ führers gar dahinstehen kann, da insoweit einzig § 43 Abs. 3 GmbHG (analog)782 als äußerste Grenze relevant sei, ist zumindest umstritten. In 774 Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1343 sprechen vom „Todesstoß“ für die These, denn das Innenverhältnis einer AG sei isoliert vom Außenverhältnis zu betrachten. 775 Vgl. Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1343 f., die daraus für die GmbH schlussfol­ gern, dass „das Außenverhältnis sich nicht auf das Innenverhältnis durchschlägt.“ 776 Näher dazu sogleich im Rahmen der nächsten Theorie. 777 BGH, Urteil v. 16.09.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002, 3777. 778 Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1343. 779 Vgl. Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 246 m.w.N.; siehe ferner U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 262, wonach eine Enthaftung zu­ sätzlich mittels Aufnahme in die Satzung, die Geschäftsordnung oder den Anstel­ lungsvertrag möglich ist. 780 In diese Richtung Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss, 2011, S. 195 ff., 226 ff. 781 So die h.M., vgl. Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, Anh. § 47 Rn. 1; Armbrüster, in: MüKo-­ BGB/1, 2018, § 134 Rn. 74; ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbe­ schluss, 2011, S. 2 f.; Hüffer, ZGR 2001, 833, 863 ff. 782 Vgl. BGH, Urteil v. 16.09.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002, 3777; Bayer, GmbHR 2014, 897, 903 f.; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 2006, S. 274; eigentlich auch

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diesem Zusammenhang auf die §§ 134, 138 BGB als Grenze der Disposi­ tionsbefugnis abzustellen, ist in der Folge wenigstens voreilig und ohne nähere Erläuterung auch fragwürdig. Das Problem der Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB kann an dieser Stelle jedoch in Gänze dahinstehen, da sich nach der Argumentation von Meier/Wick aus dem Verhältnis der allgemeinen zivilrechtlichen Nor­ men zu § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG ohnehin keine Erkenntnisse zur Herleitung einer Legalitätspflicht ergeben. Demnach stelle die Grenze des § 134 BGB zwar ein „effektives Sieb“ dar, letztlich komme es aber maßgeblich auf das Innenverhältnis an.783 Die Autoren setzen somit eine Legalitätspflicht im Innenverhältnis bereits voraus und begründen sie nicht dogmatisch mit Hilfe der §§ 134, 138 BGB. An­ stelle die §§ 134, 138 BGB erst dann zur Anwendung kommen zu lassen, wenn die §§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG als Grundlage einer Legalitätspflicht versagen, sollte man das Augenmerk eher auf die Inter­ dependenzen zwischen den allgemeinen zivilrechtlichen und gesell­ schaftsrechtlichen Vorschriften legen und auf diesem Weg versuchen, aus den §§ 134, 138 BGB eine organschaftliche Legalitätspflicht herzulei­ ten. b) Das „Primat der staatlichen Wirtschaftsordnung“ Dieser Frage der Wechselwirkung der §§ 134, 138 BGB mit den §§ 93 AktG, 43 GmbHG haben sich unter anderem Grigoleit/Tomasic ange­ nommen. Demnach bilden die gesetzlichen Verhaltenspflichten aufgrund des „Primats […] der staatlichen Wirtschaftsordnung (§ 134 ­BGB)“784 eine äußere Grenze für das Handeln des Geschäftsführungsorgans und wirken so in die privatautonomen Vereinbarungen einer Gesellschaft hinein. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei die „Zweckförderungspflicht als Quelle der Vorstandspflichten“785, mithin die Pflicht zur Wahrung und Förderung des Gesellschaftszwecks. Im Falle fehlender anderweiti­ ger Vorgaben aus der Satzung liegt dieser Gesellschaftszweck vor allem in der Gewinnerzielung.786 Allerdings zwinge die potentielle Nichtig­ keitsfolge des § 134 BGB selbst dann zu einer verbotsgesetzkonfor­ men Auslegung der Zweckförderungspflicht, wenn der in der Satzung abstrakt festgelegte Gesellschaftszweck per se nicht gegen gesetzliche Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 216 f., insoweit allerdings widersprüch­ lich zu § 43 Rn. 239. 783 Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1342. 784 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 12. 785 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 8; siehe ausführlich zur Zweckförderungspflicht in der GmbH Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 2006, S. 289 ff. 786 Vgl. Grigoleit, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 76 Rn. 17 m.w.N.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Verbote verstößt.787 Anders ausgedrückt sollen die Organpflichten im Lichte der §§ 134, 138 BGB auszulegen sein, sodass sich die Legalitäts­ pflicht mittels jener zivilrechtlicher Normen letztlich aus der Zweckför­ derungspflicht ergebe.788 Damit würden die Grenzen der allgemeinen zi­ vilrechtlichen Normen kein „Sieb“ darstellen, sondern vielmehr das gesellschaftsinterne Pflichtengefüge infiltrieren und dadurch dessen In­ halt beeinflussen.789 (1) Eingeschränkter Anwendungsbereich der §§ 134, 138 BGB Wie Grigoleit/Tomasic überzeugend ausführen, ergibt sich aus den §§ 134, 138 BGB nicht, dass jedwedes gesetzlich verbotene Verhalten im Außenverhältnis automatisch dessen Pflichtwidrigkeit im Innenverhält­ nis nach sich zieht.790 Dabei gehen die Autoren über die der Norm imma­ nente Einschränkung des § 134 BGB (Voraussetzung eines Verbotsge­ setzes) hinaus und unterscheiden zusätzlich zwischen absoluten und relativen Verbotsgesetzen. Ein Verstoß gegen relative Verbotsgesetze soll in der Folge nur dann haftungsbewehrt sein, wenn die Pflichtwidrigkeit unter dem Gesichtspunkt der Zweckförderungspflicht eigenständig fest­ gestellt werde.791 Ein absolutes Verbotsgesetz ist demgegenüber gegeben, wenn die Befolgung einer Norm „derart im öffentlichen Interesse liegt, dass die AG als freies Wirtschaftssubjekt zu ihrer Durchsetzung ver­ pflichtet werden kann.“ Ein Indiz hierfür sei es, wenn die Durchsetzung eine hoheitliche Aufgabe darstelle und nicht im Belieben des Verletzten stehe, wozu primär Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten zu zäh­ len seien, sofern eine Verfolgung ohne entsprechenden Antrag möglich ist. Dem gegenüber stehen die relativen Verbotsgesetze, die dadurch cha­ rakterisiert sein sollen, dass die „Durchsetzung der Norm im Belieben des Verletzten steht“ und „die verletzte Norm in ihrem Systemkontext hinreichend sanktioniert ist.“792 Neben vertraglichen und deliktsrechtli­ 787 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13 f. 788 Siehe allgemein zur Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Satzungsrechts und dem damit einhergehenden Rechtsschutz gegen gesetzeswidrige Satzungsnor­ men Stein, ZGR 1994, 472 ff. 789 Siehe in diesem Zusammenhang auch Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31, 52, der in Anlehnung an Friedman, Capitalism and Freedom, 1982, S. 29 von „Spielregeln“ („rules of the game“) spricht, die im Rahmen des Gewinn­ ziels dringend eingehalten werden müssen; ebenso Eisenberg, 28 Stetson L. Rev. 1998, 1, 4. 790 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 12, 17 ff. 791 So noch in der Erstauflage Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2013, § 93 Rn. 12 ff. 792 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2013, § 93 Rn. 13 f., wobei in der Erstaufla­ ge auch „schwach sanktionierte Ordnungswidrigkeiten“, wie z.B. Parkverstöße, zu den relativen Verbotsgesetzen gezählt wurden; in der zweiten Auflage werden hingegen neben privatrechtlichen und ausländischen Normen auch Ordnungswid­

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

chen Pflichten wird dazu auch das Verwaltungsrecht gezählt, solange das Handeln nicht straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlich sanktionierbar ist. Grundsätzlich soll in diesem Zusammenhang aber eine Vermutungs­ regel greifen, wonach gesetzeskonformes Verhalten indiziell auch gesell­ schaftszweckkonform sei.793 Es fragt sich an dieser Stelle, was mit der Verpflichtung der AG und ebenso der GmbH zur „Durchsetzung“ von Normen, deren Befolgung im öffentlichen Interesse liegt, gemeint ist. Die Durchsetzung von Straftatbeständen und Ordnungswidrigkeiten im Sinne einer Verfolgung und Sanktionierung von Gesetzesverstößen ob­ liegt den Verwaltungsbehörden, der Staatsanwaltschaft, der Polizei und den Gerichten, nicht aber privaten Verbänden. Letztere sind, ebenso wie natürliche Personen, lediglich an die gesetzlichen Vorschriften gebun­ den, können ohne eine explizite Regelung aber nicht einfach zu einer Art Beliehener erklärt werden, dem die Pflicht zukommt, hoheitliche Aufga­ ben zu erfüllen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass den Ausführungen Grigoleit/Tomasics gar kein solches Verständnis zugrunde liegt. Stattdessen könnte sich hinter dem Begriff der „Durchsetzung“ die ge­ sellschaftsinterne Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ge­ gen den Vorstand verbergen. Nach den §§ 111 Abs. 1, 112 S. 1 AktG ist in der AG der Aufsichtsrat für die Geldendmachung von Schadensersatz­ ansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand, beispielsweise solche des § 93 Abs. 2 AktG, zuständig. Von einer Verfolgung eines durchsetzba­ ren Anspruchs darf er grundsätzlich nur dann absehen, wenn gewichtige Gründe von Seiten des Gesellschaftswohls entgegenstehen. In der GmbH fällt nach§ 46 Nr. 8 GmbHG diese Aufgabe der Gesellschafterversamm­ lung zu. Indem Grigoleit/Tomasic nun solche Normen, die im Falle eines Verstoßes straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlich verfolgt werden kön­ nen, zu absoluten Verbotsgesetzen erklären, könnte dadurch die innerge­ sellschaftliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen betrof­ fen sein. Das zuständige Organ dürfte demnach von einer Sanktionierung einzelner Vorstandsmitglieder nicht absehen, sofern ein Verstoß gegen absolute Verbotsgesetze im Raum stünde. Bei Verstößen gegen relative Verbotsgesetze wäre es hingegen zulässig, die Vorteile einer gerichtli­ chen Inanspruchnahme des Leitungsorgans gegen die entsprechenden Nachteile abzuwägen und eine am Gesellschafterinteresse ausgerichtete Entscheidung zu treffen.794 Zur Diskussion steht an dieser Stelle aber rigkeiten – und zwar unahängig vom Bagatellstatus – von der Legalitätspflicht aus­ genommen, Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff. 793 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13; ebenso Brock, Legali­ tätsprinzip, 2017, S. 281 f., wonach das Vorstandsmitglied einer AG sich bei kla­ ren Rechtsbrüchen regelmäßig der „Herkulesaufgabe“ stellen muss, die Vorteil­ haftigkeit dieses Rechtsverstoßes zu beweisen. 794 Ausführlich zu den Einzelheiten einer solchen Abwägung im Aktienrecht Habersack, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 111 Rn. 41 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

nicht die Frage der Ausgestaltung der Pflicht des Aufsichtsrates bzw. der Gesellschafterversammlung zur Geltendmachung von Schadensersat­ zansprüchen, sondern ob der Rechtsverstoß eines Leitungsorgans auch als Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft zu werten ist. Die Ent­ scheidung darüber, ob ein Anspruch verfolgt werden soll oder nicht, setzt vielmehr voraus, dass ein solcher überhaupt besteht und gleichzeitig auch eine Pflichtverletzung vorliegt. Es ist deshalb auch anzunehmen, dass es den Autoren eher darum ging, Maßstäbe zur Bestimmung der Pflichtwidrigkeit zu entwickeln, als die Geltendmachung von Schadens­ ersatzansprüchen zu diskutieren. Was mit der Verpflichtung der Gesell­ schaft zur Durchsetzung von Normen dann tatsächlich gemeint ist, wird nachfolgend am Beispiel des Steuerrechts näher erklärt. (2) Absolute und relative Verbotsgesetze am Beispiel steuerrechtlicher Normen Steht dem Fiskus gegen die GmbH als Steuerschuldnerin ein durchsetz­ barer Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu (§ 38 AO), handelt es sich hierbei um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, der zudem durch die §§ 369 ff., 377 ff. AO straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlich abgesi­ chert ist. Mit der Steuerschuld hängen stets auch zahlreiche steuerliche Mitwirkungspflichten zusammen, beispielsweise Erklärungs- und Be­ richtigungspflichten (§§ 149 f., 153 AO) oder Steuerentrichtungspflichten nach den Einzelsteuergesetzen. Nach der Ansicht von Grigoleit/Tomasic müssten jene Normen des Steuerrechts, die straf- und ordnungswidrig­ keitsrechtlich abgesicherte steuerliche Pflichten der GmbH begründen, als absolute Verbotsgesetze angesehen werden. Damit nimmt das Steuer­ recht in der Dogmatik von Grigoleit/Tomasic aber eine Hybridstellung ein. Wie sich insbesondere aus den §§ 370, 378 AO ergibt, ist nicht jeder Rechtsverstoß, sondern lediglich ein vorsätzlich bzw. leichtfertig began­ gener letztlich auch straf- bzw. bußgeldbewehrt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass einfach fahrlässig begangene Verstöße in aller Regel sank­ tionslos bleiben.795 Eine Steuernorm stellt mit der Argumentation Grigoleit/Tomasics demnach dann kein absolutes Verbotsgesetz dar, wenn kein vorsätzlicher oder leichtfertiger Verstoß vorliegt. Überträgt man die­ se Erkenntnis auf den Geschäftsführer, der nach § 34 Abs. 1 AO die steu­ erlichen Pflichten der durch ihn vertretenen Gesellschaft zu erfüllen hat, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Die §§ 369 ff., 377 ff. AO würden auf­ grund ihrer Charakterisierung als absolute Verbotsgesetze über § 134 BGB zwar auch das gesellschaftsinterne Pflichtengefüge infiltrieren, die Folge davon wäre aber nicht, dass jeglicher Verstoß gegen eine steuer­ 795 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Steuerrecht sehr selten, siehe nur § 379 Abs. 3 AO für den Fall der bloß fahrlässigen Steuergefährdung und § 382 AO für die Gefährdung der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben.

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rechtliche Norm automatisch die Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis nach sich ziehen würde. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Verstoß gleichzeitig straf- bzw. bußgeldbewehrt ist. (3) Die Anwendbarkeit der §§ 134, 138 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft Da Grigoleit/Tomasic, anders als Meier/Wick, die gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht nicht von Anfang an voraussetzen, sondern durch die §§ 134, 138 BGB überhaupt erst dogmatisch begründen, wird die Frage der Anwendbarkeit der Normen auf das Verhältnis zwischen Geschäfts­ führer und Gesellschaft relevant.796 Dabei macht ein näherer Blick in das Gesellschaftsrecht deutlich, dass sich dort zahlreiche Sonderregelungen finden, welche zur Verdrängung der allgemeinen zivilrechtlichen Vor­ schriften führen. Am Beispiel verdeckter Sacheinlagen lässt sich erken­ nen, dass Verträge, welche eine Verletzung der Grundsätze der Kapital­ aufbringung nach sich ziehen, nach § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG nicht unwirksam sind. Folglich kommt § 134 BGB trotz eines Gesetzesver­ stoßes nach dem Prinzip „lex specialis derogat legi generali“ nicht zur Anwendung.797 Auch beim Beschlussmängelrecht spricht sich die herr­ schende Meinung für eine Verdrängung der §§ 134, 138 BGB zugunsten eines besonderen Beschlussmängelrechts aus, welches sich im Falle der GmbH aus einer sinngemäßen Anwendung der §§ 241 ff. AktG ergibt.798 Andererseits sind auch gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte Teil des Privatrechts und damit zumindest grundsätzlich den allgemeinen zivil­ rechtlichen Regelungen unterworfen.799 Offenkundig wird dies z.B. bei Organbeschlüssen durch die Mehrheit der Geschäftsführer,800 für welche kein besonderes Beschlussmängelrecht gilt, sodass die §§ 134, 138 BGB greifen.801 Es fragt sich demnach, ob für das Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft ebenso die allgemeinen Regelungen des Zivilrechts he­ rangezogen werden können oder aber gesellschaftsrechtliche Sondervor­ 796 Obwohl sich Grigoleit/Tomasic auf das Verhältnis des Vorstands einer AG zur Ge­ sellschaft konzentriert haben, können die Ausführungen für die GmbH übernom­ men werden und beschränken sich in der Folge darauf. 797 Siehe Sack/Seibl, in: Staudinger-BGB/§§ 134-138, 2017, § 134 Rn. 245 mit zahlrei­ chen Fällen für die Verdrängung des § 134 BGB durch § 19 Abs. 4 GmbHG. 798 Vgl. Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28; Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff-GmbHG, 2020, Anh. § 47 Rn. 1; Armbrüster, in: MüKo-BGB/1, 2018, § 134 Rn. 74; Hüffer, ZGR 2001, 833, 863 ff. m.w.N. 799 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 149 m.w.N. 800 Auch dabei handelt es sich um Beschlüsse, also korporationsrechtliche Rechtsge­ schäfte, auf die das allgemeine Zivilrecht mangels anderweitiger Sonderregelun­ gen zweifellos Anwendung findet, vgl. Hüffer, ZGR 2001, 833, 834 f. 801 Hüffer, ZGR 2001, 833, 871 f.

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schriften zur Verdrängung der §§ 134, 138 BGB führen. Meier/Wick ver­ weisen wie bereits dargestellt darauf, dass zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft ein Rechtsgeschäft in Gestalt eines Geschäftsbesorgungs­ vertrags (bzw. einer organschaftlichen Sonderrechtsbeziehung) besteht, sodass die §§ 134, 138 BGB problemlos Anwendung finden müssen.802 Viel gewonnen ist mit dieser Aussage indes nicht. Die Rechtsfolge eines Gesetzesverstoßes müsste demnach von Anfang an die Nichtigkeit der organschaftlichen Sonderrechtsbeziehung sein. Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs nach § 43 Abs. 2 GmbHG ist jedoch gerade eine Pflichtverletzung im Rahmen dieser rechtsgeschäftlichen Bezie­ hung, sodass der Anspruch ins Leere liefe und damit auf die §§ 812 ff. BGB zurückgegriffen werde müsste. Ein solches Vorgehen widerspricht jedoch der gesellschaftsrechtlichen Systematik, wonach insbesondere mit dem GmbHG ein Gesetz existiert, welches die rechtliche Beziehung zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer, insbesondere das enge Ge­ flecht von Rechten und Pflichten, ausführlich regelt.803 Den systematisch insoweit überzeugenderen Weg wählen Grigoleit/­ Tomasic, indem sie die §§ 134, 138 BGB nicht unmittelbar auf das Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft anwenden, sondern die Normen vielmehr als Auslegungsgrenze der Zweckförde­ rungspflicht begreifen. Der Grund einer solchen verbotsgesetzkonfor­ men Auslegung der Satzung wird darin gesehen, dass es bereits nach § 1 GmbHG vorgeschrieben ist, einen gesetzlich zulässigen Gesellschafts­ zweck zu formulieren, und somit auch die sich aus dem abstrakten Ge­ sellschaftszweck abzuleitende Zweckförderungspflicht des Geschäfts­ führers im Lichte der §§ 134, 138 BGB auszulegen sei.804 Allerdings kann auch die Lösung von Grigoleit/Tomasic nicht darüber hinweg helfen, dass es im Falle eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz zur Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts kommen würde. Aber selbst, wenn man die §§ 134, 138 BGB nur als Auslegungsgrenze der Zweckförde­ rungspflicht – mithin als Mittel zur Bestimmung der Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens – verstehen will, trifft der Ansatz auf Kritik. (4) Schlussfolgerung und Kritik am Ansatz Grigoleit/Tomasics Der Ansatz von Grigoleit/Tomasic bietet mit der Unterscheidung von absoluten und relativen Verbotsgesetzen ein aussagekräftiges Abgren­ 802 So Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1340 für den Fall einer Vereinbarung, wonach im Außenverhältnis rechtswidriges Verhalten im Innenverhältnis zulässig sein soll. 803 Siehe ausführlich zu den Rechtsquellen des Gesellschaftsrechts, auch denen außer­ halb des GmbHG, Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 143 ff. 804 So noch ausdrücklich in der Erstauflage, Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2013, § 93 Rn. 10 f.; zurückhaltender nunmehr in der zweiten Auflage, Grigoleit/ Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 12 ff.

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zungskriterium, welches zudem durch eine Auslegung der Zweckför­ derungspflicht im Lichte der §§ 134, 138 BGB einen dogmatisch saube­ ren Anhaltspunkt gefunden hat. Offen bleibt aber die grundsätzliche Frage, weshalb die entsprechenden inländischen Rechtsnormen neben der staatlichen „eine zusätzliche(n) haftungsrechtliche(n) Sanktionie­ rung verlangen.“805 Aus dogmatischer Sicht erklären Grigoleit/Tomasic dies wie bereits erläutert anhand einer verbotsgesetzkonformen Aus­ legung der Zweckförderungspflicht. Den Rechtsgrund für eine solche ­zusätzliche Sanktionierung sehen die Autoren nicht in allgemeinen Er­ wägungen, wie dem Präventionsgedanken der Organhaftung, sondern speziell im Zweck des jeweiligen Verbotsgesetzes sowie dem Geltungs­ anspruch des rechtsethischen Minimums.806 Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, in welchem Verhältnis die Zwecke der einzelnen Verbotsgesetze ihre Wirkung entfalten. Wenn durch § 370 AO das gesetzliche Verbot der Steuerhinterziehung kodifiziert wird, verpflichtet eben jenes Gesetz die natürliche Person gegenüber dem Staat dazu, keine Steuern zu hinterziehen, andernfalls besteht die Gefahr einer Bestrafung im Rahmen eines ebenfalls staatlichen Strafpro­ zesses. Nichts anderes gilt im Grundsatz auch für die an die juristische Person adressierten Verbotsgesetze, die ebenso wie die natürliche Person Träger von Rechten und Pflichten ist. Mangels eines deutschen Ver­ bandsstrafrechts und aufgrund der fehlenden Handlungsfähigkeit juristi­ scher Personen schlägt das aus § 370 AO resultierende Verbot der Steuer­ hinterziehung auf das Handlungs- und Vertretungsorgan, im Falle der GmbH also den Geschäftsführer, durch.807 Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich um ein gesetzliches Verbot des Staates handelt, dem gegenüber die Befolgung der Norm geschuldet wird. Losgelöst davon schuldet der GmbH-Geschäftsführer nicht nur dem Staat, sondern auch der Gesellschaft die Erfüllung gesetzlich kodifizierter Pflichten, allen vo­ ran die Erfüllung jener sich aus § 43 Abs. 1 GmbHG ergebenden. Diese 805 So ausdrücklich Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13. 806 So noch eindeutig in der Erstauflage, Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2013, § 93 Rn. 10, wonach nur hilfsweise auf die gesellschaftliche Zweckverfolgung als Ausfluss einer privatautonomen Vereinbarung verwiesen wird, deretwegen die all­ gemeinen Grenzen rechtsgeschäftlichen Handeln gelten; in der nunmehr erschie­ nen zweiten Auflage wird deutlicher zwischen der aus dem Gesellschaftszweck resultierenden als „primäre Legalitätspflicht“ bezeichneten Pflicht zur Gesetzes­ befolgung und der darüber hinausgehenden „sekundären Legalitätspflicht“ unter­ schieden, Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13 ff. 807 Da es sich jedenfalls bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO um ein sog. „Jedermannsdelikt“ handelt, kommen freilich auch alle sonstigen im Verband tätigen natürlichen Per­ sonen als Täter in Betracht. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO) kann nach h.M. hingegen nur sein, wen eine Offenba­ rungspflicht trifft; siehe zum Täter des § 370 AO allgemein Jäger, in: Klein-AO, 2020, § 370 Rn. 25 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

unterstehen allerdings anderen Grundsätzen als die öffentlich-rechtli­ chen Ge- und Verbote. Den Maßstab des inneren Verbandsrechts markie­ ren das Gesellschafterinteresse und der Verbandszweck.808 Auch das Sys­ tem der gesellschaftsinternen Sanktionierung, mithin die Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, unterliegt diesen Prinzipien. Etabliert man nun eine Pflicht zur gesellschaftsinternen Sanktionierung, lässt das unweigerlich den Eindruck entstehen, das privatrechtlich orga­ nisierte Unternehmen in die Dienste des Staates stellen zu wollen und es für die hoheitliche Aufgabe der Einhaltung der Rechtsordnung zu in­ strumentalisieren. Es ist aber weder die vorrangige Aufgabe der Organe einer AG bzw. GmbH noch des gesellschaftsinternen Haftungssystems, für umfassende Rechtskonformität zu sorgen und dadurch quasi einen „Staat im Staat“ zu schaffen. Die Verfolgung und Sanktionierung von öffentlich-rechtlichen Rechtsverstößen obliegt nach dem eben Gesagten zuvörderst den staatlichen Behörden, während natürlichen wie juristi­ schen Personen die Pflicht zukommt, gegenüber dem Staat – mangels anderweitiger Vorgaben aus der Satzung auch ausschließlich gegenüber diesem – selbige gesetzliche Vorschriften zu beachten.809 c) Die Rechtsordnung als oberste Determinante privatautonomer Handlungsmaßstäbe Einen weiteren Ansatz für die Herleitung einer gesellschaftsrechtlichen Legalitätspflicht bietet Holle in seiner 2014 erschienenen Dissertation. Er greift in Teilen die Argumentation von Grigoleit/Tomasic auf, geht dogmatisch jedoch einen anderen Weg und kommt im Ergebnis nicht zur Nichtigkeit des entsprechenden Verhaltens des Geschäftsführers, son­ dern zu dessen Pflichtwidrigkeit. Ebenso wie Habersack misst auch Holle den einzelnen Normen des AktG diesbezüglich wenig Bedeutung bei und beruft sich stattdessen auf das Wesen der juristischen Person.810 Die Begründung einer Legalitätspflicht fußt in der Folge jedoch nicht auf der Ausstrahlungswirkung gesellschaftsrechtlicher Normen, sondern auf der behaupteten Stellung der Rechtsordnung als „oberste[r] Determinante privatautonomer Handlungsmaßstäbe“811, wofür § 134 BGB ein Beleg sei. Er führt – an dieser Stelle vergleichbar mit Grigoleit/Tomasic – weiter aus, dass die Wertung des § 134 BGB bei der Festsetzung des Unterneh­ mensgegenstands in der Satzung seinen Eingang in das Recht der Körper­ 808 Siehe K. Schmidt, GesR, 2002, S. 65. 809 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98, 115 Fn. 295, der zutreffend darauf hinweist, dass § 134 BGB kein entsprechender Rechtsanwendungsbefehl entnom­ men werden kann, wonach auch der Geschäftsführer im Innenverhältnis Normad­ ressat sei. 810 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 46 ff.; Holle, AG 2016, 270, 274 ff. 811 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 54; Holle, AG 2016, 270, 274 f.

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schaften gefunden habe. Nichtsdestotrotz lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass einzig § 93 Abs. 1 S. 1 AktG der gesetzliche Anknüpfungs­ punkt einer Legalitätspflicht des Vorstands einer AG sein kann. Mit die­ ser Feststellung erschöpfe sich jedoch bereits der für eine dogmatische Begründung relevante Aussagegehalt, den er dieser Vorschrift beimisst.812 In der Folge differenziert Holle – nun entgegen Grigoleit/Tomasic – nicht zwischen Normen mit Verbotsgesetzcharakter und solchen ohne, ge­ schweige denn zwischen relativen und absoluten Verbotsgesetzen. Statt­ dessen verbietet sich nach seiner Ansicht jedweder Rechtsverstoß, so­ dass er auch den effizienten Gesetzesbruch zum Wohle der Gesellschaft, also nützliche Rechtsverstöße, kategorisch ablehnt.813 Da das Gesell­ schaftsrecht eine solche Pauschalierung prima facie in dem Umfang nicht stützt, verweist Holle auf den ungeschriebenen Vorrang gesetz­ licher Vorschriften und lässt die Legalitätspflicht damit zur „obersten Verhaltensmaxime“814 im Binnenverhältnis einer Kapitalgesellschaft avancieren. Dadurch offenbart sich die entscheidende Diskrepanz zur Argumentation von Grigoleit/Tomasic: Letztere wenden § 134 BGB un­ mittelbar in seinem materiellen Gehalt an und unterwerfen die Zweck­ förderungspflicht als Ursprung der Vorstandspflichten dem Inhalt dieser Norm. So ergibt sich ein durch § 134 BGB modifizierter Verhaltensrah­ men des Leitungsorgans, innerhalb dessen aber einzelne Gesetzesverstö­ ße nicht zwangsläufig pflichtwidrig sein müssen.815 Holle hingegen stellt gar nicht erst auf die inhaltliche Aussage des § 134 BGB ab. Stattdessen sieht er in der Norm beispielhaft den legislativen Willen verankert, Ge­ setzesbrüche ausnahmslos zu missbilligen. Da es in der Folge nicht auf die inhaltlichen Voraussetzungen des § 134 BGB ankommt, sondern der Vorrang der Rechtsordnung aus eben jenem allgemeinen Rechtsprinzip resultiert, „kann es auch keine Rechtsnormen zweiter Klasse geben, die zur privatautonomen Disposition stehen“816. Eine Abwägung verbietet sich damit von vornherein, unabhängig von der Einstufung eines Geset­

812 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 47; siehe auch Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 62, wonach die bloße Benennung einer Pflicht als Sorg­ faltspflicht nicht von der Notwendigkeit der dogmatischen Herleitung derselben entbindet. 813 Siehe Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 55, der vom Verbot des „Kuhhandels“ zwischen Gesellschafterinteresse und Gesetzesnormen spricht. 814 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 45; Holle, AG 2016, 270, 274 f.; ebenso neuer­ dings auch Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 31, 43; Fleischer, in: Spindler/Stilz-AktG/1, 2019, § 93 Rn. 24, 36 („Geltungsvorrang der staatlichen Rechtsordnung“); anders Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 11, die die Zweckförderungspflicht als „zentrale Maxime des Vorstandshandelns“ be­ greifen. 815 Vgl. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff. 816 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 55.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

zesverstoßes als absolutes oder relatives Verbotsgesetz, bzw. als nützlich und im Sinne des Gesellschafterinteresses. Auch diese Theorie begreift das behauptete Bedürfnis nach umfassender Rechtskonformität zwar zunächst als das, was es tatsächlich ist: Ein blo­ ßes Rechtsgefühl, welches für sich genommen keine rechtlichen Pflich­ ten statuieren kann. Nichtsdestotrotz wird exakt jenes Bedürfnis aber­ mals in die Form einer haftungsbewehrten Legalitätspflicht gegossen, um der Selbstverständlichkeit der Rechtskonformität am Ende doch Ausdruck zu verleihen. Möglich ist das nur, wenn das Gesellschafterin­ teresse zurücktritt oder schlicht angenommen wird, es sei damit iden­ tisch. Denjenigen Ansätzen, welche aus dem juristischen Geltungsan­ spruch von Normen eine umfassende Legalitätspflicht herleiten, hält auch Brock zutreffend entgegen, es mangele am entsprechenden staatli­ chen Rechtsanwendungsbefehl. Selbst wenn die Normen verschiedentli­ che Ge- und Verbote aufstellen, sind davon die juristischen Personen, also AG und GmbH, als eigenständige Träger von Rechten und Pflichten betroffen. Der GmbH-Geschäftsführer ist dagegen kein Adressat dieser Vorschriften, sodass ihn auch keine Befolgungspflicht trifft.817 Darüber hinaus hätte aber auch eine Adressateneigenschaft des Geschäftsführers nicht den gewünschten Effekt, da den einzelnen Normen keine Rechts­ befolgungspflicht gegenüber der Gesellschaft innewohnt, sondern ledig­ lich eine solche der Gesellschaft gegenüber Dritten. Eine Pflicht zur ge­ sellschaftsinternen Sanktionierung bei jeglichem Rechtsbruch lässt sich dem juristischen Geltungsanspruch jedenfalls nicht entnehmen.818 d) Übertragung der Erkenntnisse auf das GmbH-Recht Es fragt sich letztlich, welche Rückschlüsse aus den unterschiedlichen Auffassungen zur Bedeutung der §§ 134, 138 BGB für die gesellschafts­ rechtliche Legalitätspflicht gezogen werden können, insbesondere auch unter Einbeziehung der Unterschiede zwischen dem Aktienrecht und GmbH-Recht. Sowohl Meier/Wick als auch Grigoleit/Tomasic rekur­ rieren unmittelbar auf die inhaltlichen Aussagen der §§ 134, 138 BGB und erklären die Vorschriften – wenn auch auf unterschiedliche Weise – auf das innergesellschaftliche Rechtsverhältnis anwendbar. Da Meier/ Wick die Legalitätspflicht aber unabhängig von den §§ 134, 138 BGB als selbstverständlichen Bestandteil der Sorgfaltspflichten aus § 43 Abs. 1 GmbHG begreifen, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf eine vergleichende Analyse der beiden Argumentationen von Grigoleit/ Tomasic und Holle. 817 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 114 ff. 818 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 116; ebenso Sieg/Zeidler, in: Hauschka/Moos­ mayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 3 Rn. 38.

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Holle begreift § 134 BGB lediglich als beredten Ausdruck für den generel­ len Vorrang der Rechtsordnung gegenüber der privatautonomen Gestal­ tungsfreiheit, wodurch er nicht nur eine eventuell notwendige Abwägung innerhalb der Zweckförderungspflicht, sondern auch die materiell-recht­ lichen Schranken der Norm (Voraussetzung eines Verbotsgesetzes) zu überwinden scheint.819 Mit Holles Argumentation würde sich damit auch für den Geschäftsführer einer GmbH nichts anderes ergeben, denn schließlich müsse dem absoluten Geltungsvorrang der Rechtsordnung auch eine entsprechende Einschränkung der Dispositionsbefugnis fol­ gen.820 Auch nach Grigoleit/Tomasic würde für den GmbH-Geschäfts­ führer dasselbe wie für den AG-Vorstand gelten, da die Leitungspflichten nach ihrer Ansicht aus dem in der Satzung festgelegten Gesellschafts­ zweck hervorgehen. Indem die §§ 134, 138 BGB demnach über die Ausle­ gung der Zweckförderungspflicht in die gesellschaftsinternen Strukturen hineinwirken, würde die damit einhergehende Legalitätspflicht den Ge­ schäftsführer unabhängig von § 43 Abs. 1 GmbHG und dessen Disponi­ bilität binden. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man, anders als Grigoleit/Tomasic argumentieren, den Inhalt der Leitungspflichten inklusive Legalitätspflicht nicht aus der übergeordneten Satzung ent­ nimmt, sondern stattdessen aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG. Trotz der Disponibilität des § 43 Abs. 1 GmbHG wäre die Zweckförderungspflicht nämlich nach wie vor denselben Wirkungen der §§ 134, 138 BGB ausgesetzt, lediglich der Anknüpfungspunkt für die Li­ mitierung der Befugnisse des Geschäftsführers wäre dann ein anderer. Anstatt auf den übergeordneten Gesellschaftszweck abzustellen, wären die Grenzen gesellschaftsrechtlichen Handelns in den jeweiligen Ein­ zelnormen des GmbHG bzw. des Satzungsrechts zu suchen, welche aber wiederum der Ausstrahlungswirkung der durch die §§ 134, 138 BGB be­ einflussten Zweckförderungspflicht unterliegen würden. So wäre die Di­ spositionsbefugnis der Gesellschafter auch in diesem Fall dahingehend einzuschränken, als dass eine im Lichte des Gesellschaftszwecks vorge­ nommene Auslegung dies erfordere. Folglich könnte § 43 Abs. 1 GmbHG nur soweit abdingbar sein, wie der Gesellschaftszweck es erlaube, was zwingend die Indisponibilität der Legalitätspflicht im hier verstandenen Sinne zur Folge haben müsste.

819 Vgl. Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 62, wonach die Legalitätspflicht den Pflichtenkanon des Vorstands „überlagert“. 820 Siehe Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 54: „Der durch die Rechtsordnung gezo­ gene Rahmen bildet die äußere Grenze, innerhalber derer die Leitungsorgane […] ihre Leitungsaktivitäten […] entfalten können.“ Zudem konstatiert er auf S. 59 ausdrücklich, dass ein GmbH-Geschäftsführer auch dann pflichtwidrig handelt, wenn er eine Gesellschafter-Weisung ausführt, die eine Gesetzesverletzung zur Folge hat.

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e) Abschließende kritische Stellungnahme Wenngleich die Ansichten von Holle und Grigoleit/Tomasic in ihrer Reichweite zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, basieren ihre dog­ matischen Ansätze doch auf derselben Grundannahme: Die Rechtsord­ nung geht der Privatautonomie vor. Grigoleit/Tomasic sprechen in die­ sem Zusammenhang vom „Primat der staatlichen Wirtschaftsordnung“, Holle von der „obersten Determinante privatautonomer Handlungsmaß­ stäbe“. So richtig das „Mantra“ von der Geltung der Rechtsordnung in seiner Grundaussage auch sein mag, kommt es für die Frage der Pflicht­ widrigkeit des Geschäftsführerverhaltens dennoch einzig auf das Innen­ verhältnis an, allen voran auf § 43 GmbHG und die sich daraus ergeben­ den Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Indem Grigoleit/Tomasic „die AG als freies Wirtschaftssubjekt“821 be­ greifen und das öffentliche Interesse an Regelkonformität in das Gesell­ schafterinteresse integrieren, ohne es gleichzeitig zur unumstößlichen Maxime zu erklären, werden sie dem Anspruch an die Trennung von ­Innen- und Außenverhältnis zumindest ein Stück weit gerecht. Holles Argumentation ist hingegen von der Annahme geleitet, es gebe ein „all­ gemeine(s) Interesse an staatlicher Regelbefolgung auch im Binnenver­ hältnis einer Aktiengesellschaft(, das) den sonstigen Gesellschaftsinter­ essen vorgeht“822. Rechtsdogmatisch dient die Befolgung der über die Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG abgesicherten gesellschaftsin­ ternen Pflichten allerdings einzig der Gesellschaft und ist deshalb stets vor dem Hintergrund des Gesellschafterinteresses zu sehen. Dieses Ge­ sellschafterinteresse kann in Teilen mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung identisch sein,823 muss es aber nicht. Demnach mag rechtswidriges Verhalten, insbesondere Verstöße gegen Strafvorschriften, die interne Pflichtwidrigkeit zwar indizieren, kann sie aber nicht ausnahmslos begründen.824 Mit steigender Schwere des Rechts­ verstoßes gehen in der Regel auch größere Nachteile für die Gesellschaft einher, sodass auch die Wahrscheinlichkeit pflichtwidrigen Verhaltens steigt. Nach dem eben Gesagten kann aus dem juristischen Geltungsan­ spruch von Normen jedoch keine umfassende Legalitätspflicht hergelei­ tet werden, da es am entsprechenden staatlichen Rechtsanwendungsbe­ 821 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2013, § 93 Rn. 13; selbiges muss freilich auch für die GmbH gelten. 822 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 54. 823 Vgl. Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877; darüber hinaus haben nach dem oben Gesagten die Gesellschafter die Befugnis, die Zielvorgaben eigenständig fest­ zulegen und können somit auch die ausnahmslose Gesetzestreue vorschreiben, an welche sich der Geschäftsführer dementsprechend zu halten hat. 824 Siehe zu dieser Indizwirkung noch die Erstauflage, Grigoleit/Tomasic, in: Grigo­ leit-AktG, 2013, § 93 Rn. 15; insoweit strenger nunmehr in der zweiten Auflage, Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 16.

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fehl mangelt.825 Eine Pflicht zur gesellschaftsinternen Sanktionierung bei jeglichem Rechtsbruch lässt sich den einzelnen Normen, insbesondere § 134 BGB, daher nicht entnehmen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach bisherigem Befund das Organmitglied nur dann einem allge­ meinen Gesetzesvollzugsanspruch unterliegen kann, wenn dieser aus­ drücklich im Anstellungsvertrag oder anderweitig verankert ist.826 8. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Argument Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung verfolgt das Ziel der Har­ monisierung der Gesamtrechtsordnung, also ein Beziehungsgeflecht der jeweiligen Teilrechtsordnungen herzustellen, sodass die Vorschriften des Zivil-, Straf- und öffentlichen Rechts in keinem unauflösbaren Wider­ spruch zueinander stehen und ein stimmiges Rechtsgebilde abgeben.827 Nach Tipke gehören zur Einheit der Rechtsordnung folgende drei Be­ standteile: Es muss sich zunächst grundsätzlich um eine Ordnung han­ deln (1), wobei dies nicht eine beliebige Ordnung, sondern speziell eine Rechtsordnung sein muss (2). Diese Rechtsordnung muss schließlich eine Einheit bilden, was bedeutet, dass die wertenden Prinzipien konse­ quent durchgeführt werden (3).828 Demnach könnte es möglicherweise zu Friktionen kommen, wenn ein und dasselbe Verhalten unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 ­GmbHG, also im Innenverhältnis, erlaubt ist, während es im Außenver­ hältnis einen Rechtsverstoß darstellt. Oder anders gefragt: Zwingt der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung dazu, die Pflichtmäßigkeit ei­ nes Verhaltens im Binnenverhältnis einer Gesellschaft nach denselben Maßstäben zu beurteilen, nach denen sich die Rechtmäßigkeit im Außen­ verhältnis richtet? Diese Frage führte in anderer Sache vor dem Hinter­ grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018829 in Sachen Jones Day/Volkswagen zu einer lebhaften Debatte über die Verknüpfung des zivilrechtlichen und staatlichen Aufklärungs­ verfahrens.830 Während den Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber auf zivilrechtlicher Ebene nach herrschender Meinung eine aus §§ 675, 825 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 114 ff. 826 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 118 f.; Sieg/Zeidler, in: Hauschka/Moos­ mayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 3 Rn. 36. 827 BVerfG, Urteil v. 07.05.1998 – 2 BvR 1876/91, BVerfGE 98, 83, 97; BGH, Urteil v. 14.05.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2120; Altmeppen, NJW 2007, 2121; Bunz, Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 120; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 142; speziell zur Einheit der Steuerrechtsordnung als Einheit der Teil­ rechtsordnung siehe Tipke, in: FS Friauf, 1996, S. 741 ff. 828 Tipke, in: FS Friauf, 1996, S. 741 f. 829 BverfG, Nichtannahmebeschluss v. 27.06.2018 – 2 BvR 1405/17, juris. 830 Vgl. hierzu Momsen, NJW 2018, 2362 ff.; Knauer, NStZ 2019, 164 ff.; Baur, NZG 2018, 1092 ff.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

666 BGB resultierende uneingeschränkte Auskunftspflicht trifft, ist das staatliche Verfahren vom Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit geprägt.831 Dasselbe Problem stellt sich auf gesellschaftsrechtlicher Ebene ange­ sichts des Verhältnisses der nach der Rechtsprechung832 bestehenden un­ eingeschränkten Auskunftspflicht von Organmitgliedern gemäß §§ 675, 666 BGB zu der strafprozessualen Selbstbelastungsfreiheit.833 Während der „Dichotomie zivilrechtlicher und staatlicher Sachaufklärung“ vor allem durch das Eingreifen von Beweisverboten begegnet werden kann, erachtet ein Teil der Literatur den Grundsatz der Einheit der Rechtsord­ nung ohne das Bestehen einer haftungsbewehrten Legalitätspflicht ver­ letzt.834 Dem ist entgegen zu halten, dass der Grundsatz der Einheit der Rechts­ ordnung als verfassungsrechtliches Prinzip keinesfalls als vage General­ klausel verstanden werden darf, mit der alle unliebsamen rechtlichen Differenzen im Verhältnis verschiedener (Teil)Rechtsordnungen zuein­ ander gelöst werden.835 Vielmehr ist die Formel äußerst restriktiv und nur dann anzuwenden, wenn tatsächlich ein Widerspruch besteht, der bei wertender Betrachtung untragbar und vor allem anderweitig nicht zu überwinden, sprich unauflösbar ist. Eine zu inflationäre Anwendung die­ ses Prinzips würde dazu führen, dass vereinzelte dogmatische Unter­ schiede, die durchaus gewollt sein könnten, unnötigerweise – und damit in aller Regel auch in verfassungswidriger Weise – beseitigt werden.836 In diesem Sinne besteht auch im Gesellschaftsaußenverhältnis – und nur 831 Eingehend zu diesem in der Praxis bedeutsamen Problem im Kontext der Einheit der Rechtsordnung Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 386 ff. 832 BGH, Urteil v. 03.12.1962 – II ZR 63/60, WM 1963, 161; BGH, Beschl. v. 07.07.2008 – II ZR 71/07, NZG 2008, 834. 833 Siehe hierzu bereits Hopt, ZGR 2004, 1, 26 f.; ferner Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 391. 834 Ihrig, WM 2004, 2098, 2105; Lohse, in: FS Hüffer, 2010, S. 581, 597; so auch noch eindeutig bis zur 2. Auflage, siehe Riegger/Götze, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2010, § 26 Rn. 38, 60; in der neuesten 3. Auflage zumindest im Ergebnis gleich, bei der dogmatischen Begründung dagegen wird der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nur noch beiläufig erwähnt, Wilsing, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2017, § 31.24; tendenziell auch Glöckner/ Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345, jedoch auf die Verletzung „qualifizierter Gemeininteressen“ beschränkt; siehe ferner Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1345 f., die zwar einen Widerspruch erkennen, diesen aber letztlich über Umwege auf­ lösen; eingehend zu den Herausforderungen, welche Com­pli­ance für die Einheit der Rechtsordnung mit sich bringt, siehe Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 392 ff. 835 Generell wird der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung teilweise auch „ne­ bulös“ (Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256) oder „schillernd“ (Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 393 m.w.N.) bezeichnet. 836 Diese Bedenken werden insbesondere im Rahmen der Versuche zur Bewältigung des schwierigen Verhältnisses von Steuerrecht und Privatrecht vorgebracht, vgl. dazu Walz, Steuergerechtigkeit, 1980, S. 208 ff.; F. Wagner, StuW 1992, 2, 8 f.; al­

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darauf kommt es an – kein Konflikt, da die juristische Person eigenstän­ dig für Rechtverstöße einzustehen hat und sich zudem das Handeln des Geschäftsführers über § 31 BGB selbst dann zurechnen lassen muss, wenn dieser gesellschaftsintern pflichtgemäß handelt.837 Ein Konflikt mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung könnte sich einzig dann ergeben, wenn man den Geschäftsführer selbst als Normadressaten der an die Gesellschaft gerichteten Rechtsvorschriften begriffe.838 Dem ist nach dem bisher Gesagten aber gerade nicht so. Ausgehend vom un­ mittelbaren Normadressaten im Außenverhältnis besteht kein unstim­ miges Rechtsgebilde, weshalb eine Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstö­ ße auch in keinster Weise in Widerspruch zur Einheit der Rechtsordnung stehen kann.839 Mangels eines staatlichen Rechtsanwendungsbefehls gegen den Ge­ schäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft ist darüber hinaus auch das Innenverhältnis keinem Vorwurf widersprüchlicher Regelungen ausge­ setzt. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung wird dort von den gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten überlagert, welche unter ande­ rem eine Ausrichtung des Geschäftsführerhandelns am Gesellschafter­ interesse beinhalten. Dadurch können etwaige Friktionen mit dem öf­ fentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung gar nicht erst entstehen.840

lerdings können diese allgemeingültigen Argumente ebenso auf andere Verhältnis­ se übertragen werden. 837 Bunz, Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 120; auf den ersten Blick ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 113 f., jedoch widersprüchlich zu den S. 286 f., wo er den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung anderweitig doch bemüht; siehe auch Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 392 ff., wonach die Einheit der Rechts­ ordnung im Kontext des Rechts der Com­pli­ance gefährdet sei und eine Harmoni­ sierung der Rechtslage nur durch den Gesetzgeber möglich sei; siehe ergänzend Meier/Wick, WM 2017, 1338, 1346, die einen solchen Konflikt zwar erkennen, diesen aber dadurch auflösen, dass die ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatte­ ten Güter der Vertragsfreiheit und der Verfügungsbefugnis über eigene Rechte die­ sem Grundprinzip entgegen zu halten sind. Dadurch komme es zu einer Interes­ senabwägung nach den Umständen des Einzelfalles, im Zuge derer der Konflikt überwunden wird. 838 In diese Richtung geht Harbarth, in: FS Hopt, 2020, S. 381, 392 ff., der deshalb eine Neuregelung von Com­pli­ance auf nationaler Ebene wünscht. 839 Besonder deutlich Bunz, Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 120: „Versagt man der Gesellschaft bei nützlichen Rechtsverstößen einen Schadensersatzanspruch gegen ihr Organ, wird die Einheit der Rechtsordnung im Außenverhältnis nicht im ge­ ringsten relativiert.“ 840 Ebenso für das Aktienrecht Bunz, Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 120.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

III. Zwischenergebnis Das Zwischenergebnis zur Frage nach einer dogmatisch sauberen Veran­ kerung einer umfassenden organschaftlichen Legalitätspflicht setzt sich aus den einzelnen Ansichten zur Herleitung einer solchen Pflicht zur Rechtskonformität sowie den rechtshistorischen und rechtspolitischen Standpunkten dazu zusammen. Zunächst gilt es allerdings, das für diese Arbeit relevante Begriffsverständnis der Legalitätspflicht (erneut) zu er­ läutern. 1. Das begriffliche Verständnis einer organschaftlichen Legalitätspflicht Nachdem in der juristischen Literatur zahlreiche Begriffsbestimmungen kursieren, ist es auch für diese Arbeit zwingend notwendig, den schil­ lernden Begriff der Legalitätspflicht näher zu bestimmen. Demnach ist darunter die haftungsbewehrte Pflicht des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft zu verstehen, sämtliche Rechtsvorschriften, welche die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen, einzuhalten. Abzugrenzen da­ von ist die gegenüber der Gesellschaft bestehende Pflicht des Geschäfts­ führers zur Einhaltung der an ihn persönlich gerichteten Innenpflichten, primär jener aus dem GmbHG und der individuellen Satzung. Aber auch die unmittelbaren Außenpflichten des Geschäftsführers, die gegenüber Dritten, insbesondere dem Staat, bestehen, sind vom Begriff der Legali­ tätspflicht auszunehmen, können damit aber in Wechselwirkung treten. 2. Kein Bedürfnis nach einer umfassenden organschaftlichen ­Legalitätspflicht Weder aus rechtshistorischer noch aus rechtspolitischer Sicht lässt sich eine allgemeine Aussage über die juristische Notwendigkeit einer haf­ tungsbewehrten organschaftlichen Legalitätspflicht treffen. Vermehrt wird in diesem Zusammenhang auf die Konzeption juristischer Personen mit ihrem fremdnützig agierenden Geschäftsleiter und dem damit zu­ sammenhängenden Prinzipal-Agent-Konflikt abgestellt. Ohne eine Pflicht des Geschäftsleiters zu umfassender Rechtskonformität auch gegenüber der Gesellschaft sei sowohl der Gläubigerschutz als auch das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung gefährdet. Die vorstehen­ den Ausführungen haben jedoch demonstriert, dass der Gesetzgeber das GmbHG heute mehr als „juristische Infrastrukturleistung“ zur Steige­ rung der Wettbewerbsfähigkeit ansieht, anstelle es einzig als regulatori­ sches Instrument zum Schutz des Gemeinwohls und Gläubigerinteres­ sen zu betrachten. Wenngleich dem Gläubigerschutz nach wie vor große Bedeutung zukommt, was sich insbesondere durch § 43 Abs. 3 GmbHG, aber auch am mittelbaren Schutz durch § 43 Abs. 2 GmbHG zeigt, er­ fährt das öffentliche Interesse höchstens reflexartigen Schutz und stellt 169

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

in keinem Fall einen eigenständigen Haftungszweck des § 43 Abs. 2 ­GmbHG dar. Aber auch über eine eventuell bestehende Präventionswir­ kung als Haftungszweck lässt sich die Organhaftung nicht zu einem Re­ gulativ zur Durchsetzung rechtstreuen Verhaltens umfunktionieren. Unabhängig von der Frage des Bedürfnisses nach einer uneingeschränk­ ten Legalitätspflicht steht den positiven Effekten einer entsprechenden Verhaltenssteuerung die Rechtswirklichkeit gegenüber, im Zuge derer der Geschäftsführer durch eine zu streng ausgestaltete Haftung zu einer ökonomisch ineffizienten Risikoaversion neigen sowie dazu motiviert werden könnte, Rechtsverstöße eher zu verdecken, anstelle an ihrer Auf­ deckung kooperativ mitzuwirken. Letztlich lässt sich ein rechtspoliti­ sches Bedürfnis zur Etablierung einer umfassenden haftungsbewehrten Legalitätspflicht nicht erkennen und selbst wenn dies der Fall wäre, wür­ de dadurch lediglich die Notwendigkeit einer solchen Rechtspflicht deutlich, was deren dogmatische Herleitung allerdings nicht zu ersetzen vermag. 3. Keine dogmatische Herleitung einer uneingeschränkten ­Legalitätspflicht Auch abgesehen von einem eventuellen Bedürfnis nach einer umfassen­ den Legalitätspflicht kann diese dogmatisch anhand der Gesetzesmateri­ alien nicht erklärt werden. Aus den einzelnen Normen des AktG und des GmbHG lassen sich höchstens Anhaltspunkte herauslesen, aber keine generelle Aussage zur Rechtskonformität des Geschäftsführerverhaltens treffen. Die Vorschrift des § 62 Abs. 1 GmbHG erlaubt zwar, eine Gesell­ schaft aufzulösen, wenn der Geschäftsführer gesetzwidrige Handlungen begeht, die das Allgemeinwohl gefährden, unabhängig von der Einschrän­ kung auf gemeinwohlgefährdende Taten regelt die dem Gefahrenabwehr­ recht angehörende Norm jedoch lediglich das Verhältnis des Staates zur Gesellschaft, nicht das des Organmitglieds zur Gesellschaft. Aus den §§ 93 Abs. 4 S. 1 AktG, 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG, §§ 241 Nr. 3, 243 Abs. 1 AktG sowie aus § 91 Abs. 2 AktG i.V.m. § 43 Abs. 1 GmbHG lassen sich ebenso keine allgemeingültigen Aussagen zum Verhältnis des Geschäfts­ führers zur Gesellschaft in Bezug auf die uneingeschränkte Befolgung der Rechtsordnung ableiten. Lediglich die Schadensabwendungspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG vermag eine zumindest „inhaltlich eingeschränkte Legalitätspflicht“841 zu begründen, die aber keine nützlichen oder auch nur neutralen Rechtsbrüche verbietet. Darüber hinaus helfen allgemeine Erwägungen, wie das Allgemeininte­ resse an Regelbefolgung, die Angewiesenheit juristischer auf natürliche 841 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 101, 173.

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B.  Die Legalitätspflicht als dogmatischer Anknüpfungs­punkt

Personen, sowie generalpräventive Argumente ebenso wenig darüber hinweg, dass der Maßstab des Geschäftsführerhandelns das Gesellschaf­ terinteresse bleibt und dieses eine umfassende Legalitätspflicht nicht ohne Weiteres erklärt. Der Umweg über eine „de-minimis-Regel“842 mag eventuell zu annehmbaren Ergebnissen führen, indem solche Rechtsver­ stöße gesellschaftsintern für zulässig befunden werden, deren moralische Last nicht schwer wiegt, wie es insbesondere bei Bagatellverstößen der Fall ist. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frik­ tionen mit der Leitungsmaxime des Geschäftsführerverhaltens dadurch nicht überwunden, sondern lediglich überspielt werden. Zudem wirft der beschrittene Weg die Frage auf, welchen von diesem Lösungsansatz ab­ weichenden Inhalt die Geschäftsführerpflichten haben sollen, wenn sie streng und ausschließlich am Gesellschafterinteresse auszurichten sei­ en. Eine uneingeschränkte Legalitätspflicht lässt sich jedenfalls mit Hilfe eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes nicht überzeugend begründen und ist zumeist auch gar nicht das Ziel der Vertreter dieses Ansatzes. Überdies lässt sich aus dem juristischen und universellen Geltungsan­ spruch von Rechtsnormen keine umfassende Legalitätspflicht herleiten. Ungeachtet der nicht zu beanstandenden Aussage, dass die Rechtsord­ nung der Privatautonomie prinzipiell vorgeht, darf dennoch nicht außer Acht gelassen werden, wer Adressat der jeweiligen Vorschrift ist. Selbst bei Bezugnahme auf die allgemeinen zivilrechtlichen Normen der §§ 134, 138 BGB mangelt es am staatlichen Rechtsanwendungsbefehl gegen den Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft, sodass nach wie vor das Gesellschafterinteresse Maßstab und Grenze für die Geschäftsführer­ pflichten bleiben muss. Letztlich vermag auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Dieses Prinzip ist keinesfalls bereits dadurch verletzt, dass im Außenverhältnis rechtswidriges Verhalten im Innenverhältnis rechtmäßig ist, da die Gesellschaft als eigenständiger Träger von Rechten und Pflichten für sämtliche Rechtsverstöße uneinge­ schränkt einzustehen hat und sich auch das Verhalten des Geschäftsfüh­ rers über § 31 BGB zurechnen lassen muss. Im Gesellschaftsaußenver­ hältnis – und nur hierauf kommt es an – besteht folglich kein Konflikt mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, sodass sich daraus 842 Vgl. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff.; ebenso Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 99 ff.; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; ansatzweise auch Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418 f. Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 96 ff.; weitergehend und insbesondere sämtliche Ordnungswidrigkeiten einbeziehend Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-­ AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff.; kritisch dazu Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 275 ff.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

nicht die Notwendigkeit zur Etablierung einer Legalitätspflicht ergeben kann. 4. Resümee zur Legalitätspflicht Zusammenfassend kann eine umfassende organschaftliche Legalitäts­ pflicht des Geschäftsführers entgegen der herrschenden Ansicht nicht begründet werden. Zwar lässt sich die Legalitätspflicht insofern als eine „Spielart der Schadensabwendungspflicht“843 begreifen, als solche Rechts­ verstöße zwingend pflichtwidrig sein müssen und zu Nachteilen der Ge­ sellschaft führen, die wiederum mögliche Vorteile, welche der Rechts­ verstoß mit sich bringt, überwiegen. Folgerichtig kann dann jedoch nicht die Pflichtwidrigkeit solcher Rechtsbrüche begründet werden, die aus ex ante-Sicht zu einem Vorteil für die Gesellschaft führen oder zumin­ dest keinen Nachteil bewirken und dementsprechend neutral sind. Hellgardt spricht deshalb zutreffend davon, dass die Legalitätspflicht als Rechtsdurchsetzungsinstrument ohne ausdrückliche gesetzliche Rege­ lung nicht die Funktion „rechtlicher Entwicklungshilfe“ übernehmen kann.844 Eine darüber hinausgehende Grenze des Geschäftsführerhan­ delns ist einzig in den Handlungsmaximen zu finden, die sich nach dem oben Gesagten aus den Gesellschafterinteressen ableiten und mangels anderweitiger Zielvorgaben zu einer Unternehmensführung im Sinne be­ standserhaltender und dauerhafter Rentabilität verpflichten.

C. Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der Organpflichten des Geschäftsführers Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, lässt sich aus den bestehenden Gesetzesmaterialien, selbst unter Einbeziehung grundle­ gender rechtsstaatlicher Überlegungen, keine uneingeschränkte organ­ schaftliche Legalitätspflicht herleiten. Es ist letztlich auch nicht Aufgabe des Aktien- und GmbH-Rechts, den staatlichen Anspruch nach Gesetzes­ treue zu wahren, sondern das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Orga­ nen sowie das der einzelnen Organe untereinander organisationsrecht­ lich zu regeln.845 Umso verwunderlicher ist es, dass trotz allem die Existenz des „amorphen Konstrukts“846 einer Legalitätspflicht kaum in Abrede gestellt wird, sondern höchstens mittels dogmatisch unsicherer Konzepte Wege gesucht werden, Einschränkungen zu begründen bzw. 843 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 84 f., 100 f., 173. 844 Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 412 f. 845 So für das Aktienrecht Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 82. 846 Ähnlich Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 („hypertrophes, dogmatisch brüchiges Ge­ bilde“).

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C.  Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der Organpflichten

über eine Vorteilsausgleichung auf Schadensebene die mit der Unbe­ schränktheit einer solchen Legalitätspflicht einhergehenden Unstimmig­ keiten ein Stück weit zu kompensieren. Dabei sollte einem gerade die Mannigfaltigkeit an unterschiedlichen Erklärungsversuchen und dogma­ tischen Herleitungen diesbezüglich zu denken geben. Was aber würde passieren, wenn man den archimedischen Punkt der gesellschaftsinter­ nen Gesetzesbindung des Geschäftsführers einmal hinter sich ließe? Mitnichten würde dadurch dem Missbrauch durch „mafios“ agierende Gesellschaftsorgane Tür und Tor geöffnet, bedenkt man, dass der Gm­ bH-Geschäftsführer selbst ohne eine organschaftliche Legalitätspflicht zahlreichen gesellschaftsinternen und -externen Bindungen unterliegt. Mit Hilfe des Gesellschafterinteresses existiert schließlich bereits eine gesellschaftsinterne Maßgabe und Grenze der Geschäftsführerpflich­ ten.847 Es fragt sich demnach, was das für den Inhalt und die Ausgestal­ tung der organschaftlichen Pflichten zu bedeuten hat. Nach dem oben Gesagten leiten sich die Handlungsmaximen des Ge­ schäftsführers aus den Gesellschafterinteressen ab und verpflichten ihn, mangels anderweitiger Zielvorgaben durch die Gesellschafter sein Ver­ halten vorrangig auf eine dauerhafte Rentabilität hin auszurichten. Da­ bei dient eine umfassende Gesetzestreue aus ökonomischer Sicht nicht zwangsläufig dem Gesellschafterinteresse, da Rechtsbrüche für eine (langfristige) Gewinnmaximierung durchaus dienlich sein können.848 In seiner Dissertation gelangt Brock daher zu dem treffenden Schluss, dass der Geschäftsführer die gesellschaftsadressierten Rechtsnormen nur dann einzuhalten hat, wenn der Gesetzesverstoß die Gesellschaft per Saldo schädigt, die Rechtsbefolgung per Saldo der Schadensminderung dient, die Gesetzeseinhaltung der langfristigen Gewinnmaximierung dient, oder bei einem ideellen Gesellschaftszweck die Rechtsbefolgung der Verwirklichung dieses Zweckes dient.849 Die Richtigkeit dieses Be­ funds wird deutlich, wenn man sich wie folgt an einem Beispiel die Dif­ ferenzen des jeweiligen Inhalts organschaftlicher und steuerrechtlicher Pflichten vor Augen führt. 847 Zu den weiteren Möglichkeiten gesellschaftsexterner Steuerungsmechanismen und der damit einhergehenden Beeinflussung des Geschäftsführerverhaltens, ins­ besondere durch das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie die in einer Vielzahl existierenden Möglichkeiten der unmittelbaren Außenhaftung, die das interne Pflichtengefüge flankieren und deshalb zusätzlich gegen die Notwendig­ keit einer organschaftlichen Legalitätspflicht sprechen, siehe später auf den S. 271 ff. 848 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98 f.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.; a.A. Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 82 ff. m.w.N., wonach die uneingeschränkte Legalität ein wesentlicher Faktor erfolgreicher Unternehmenspolitik ist. 849 Siehe Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 101, 173, der diesbezüglich von einer in­ haltlich eingeschränkten Legalitätspflicht spricht.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

I. Der unterschiedliche Inhalt organschaftlicher und ­steuerrechtlicher Pflichten Die GmbH ist als eigenständige Trägerin von Rechten und Pflichten selbst steuerpflichtig (§ 33 Abs. 1 AO) und daher Beteiligte im Besteue­ rungsverfahren im Sinne des § 78 AO, sodass sie auch Adressatin steuer­ rechtlicher Pflichten, wie der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO, sein kann. Der Umstand, dass die Gesellschaft zur Erfüllung dieser Pflicht nicht selbst in der Lage ist, sondern sich des Geschäftsfüh­ rers als Handlungsorgan bedienen muss, ist für das Bestehen des öffent­ lich-rechtlichen Steuerrechtsverhältnisses ohne Belang und betrifft le­ diglich die Wirksamkeit von Verfahrenshandlungen, so § 79 AO. Das Steuerrechtsverhältnis, dessen Gegenstand die konkretisierte Verpflich­ tung aus § 153 Abs. 1 AO sein kann,850 besteht somit einzig zwischen Gesellschaft und Finanzbehörde. Der Geschäftsführer ist kein Beteiligter dieses konkreten Rechtsverhältnisses.851 Träfe den Geschäftsführer als Organ der GmbH dieselbe Pflicht aus § 153 AO, würde im Endeffekt – über den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 AO hinaus – neben der GmBH ein zusätzlicher öffentlich-rechtlich Ver­ pflichteter eines Steuerrechtsverhältnisses geschaffen werden. Um dem Vorwurf, einer unzulässigen Doppelbelastung durch öffentlich-rechtli­ che Normen zu entgehen, sucht die herrschende Meinung den Umweg über die „Brückennorm“852 des § 43 Abs. 1 GmbHG und hüllt das öffent­ lich-rechtliche Steuerrechtsverhältnis dadurch in den Deckmantel des Gesellschaftsrechts. Anstelle der Finanzbehörden schulde der Geschäfts­ führer nunmehr der Gesellschaft die Pflichterfüllung. Somit kann es sich aber konsequenterweise auch nicht um dieselbe Pflicht aus § 153 AO handeln. Fraglich ist indes, ob dennoch ein Pflichtengleichlauf zwischen Außen- und Binnenverhältnis besteht. Die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO zwischen GmbH und Finanzbehörden ist Gegenstand eines öffentlich-rechtlichen Steuer­ rechtsverhältnisses, während die organschaftlichen Pflichten des Ge­ schäftsführers gegenüber der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG Aus­ druck eines Privatrechtsverhältnisses sind. Letzteres ist geprägt von der 850 Vgl. Koenig, in: Koenig-AO, 2021, Vorbem. zu §§ 33-37 Rn. 5. 851 Zwar schuldet auch der Geschäftsführer über die „Brücke“ des § 34 Abs. 1 AO unmittelbar dem Fiskus die Erfüllung der steuerlichen Pflichten derjenigen Ge­ sellschaft, deren gesetzlicher Vertreter er ist, dadurch wird jedoch ein eigenes Steuerrechtsverhältnis im Sinne des § 33 Abs. 1 als letzte Alternative begründet, welches das Steuerrechtsverhältnis zwischen GmbH und Fiskus nicht tangiert. Es handelt sich hierbei um eine Besonderheit des Steuerrechts zum Zweck der Ver­ stärkung und Sicherung des Steueraufkommens, die für das vorliegende Beispiel vorerst nicht weiter von Belang ist. Siehe ausführlich hierzu auf den S.65 ff. 852 Vgl. Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 52.

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C.  Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der Organpflichten

Leitmaxime des Gesellschafterinteresses, im Zuge derer der Geschäfts­ führer sein Verhalten an dauerhafter Rentabilität auszurichten hat. Nur wenn die Vornahme der entsprechenden Handlung, in diesem Fall Anzei­ ge und Berichtigung, im Gesellschafterinteresse liegt, ist sie durch § 43 Abs. 1 GmbHG gedeckt. Andernfalls wäre sie von einem öffentlichen Interesse an Rechtskonformität geleitet, welches das Gesellschafterin­ teresse überlagere und damit die Eigenständigkeit der juristischen Per­ son, eine legislative Entscheidung, untergraben würde. Die gesellschafts­ rechtliche Norm des § 43 Abs. 1 GmbHG würde in diesen Fällen zu einer öffentlich-rechtlichen Norm umfunktioniert, sodass durch § 153 Abs. 1 AO für denselben Sachverhalt, auch abgesehen von § 34 Abs. 1 AO, eine Doppelbelastung vorläge, die dem gesetzlichen Leitbild der juristischen Person diametral widerspräche.

II. Rückschlüsse auf die gesellschaftsinternen Organisationsund Überwachungspflichten des Geschäftsführers Die Ablehnung einer organschaftlichen Legalitätspflicht nach herkömm­ lichem Verständnis wirkt sich auch auf die Organisations- und Überwa­ chungspflichten des Geschäftsführers aus. Welche Abweichungen da­ durch zur Auffassung des Themas der herrschenden Meinung entstehen, wird besonders deutlich, wenn man beide Ansichten gegenüberstellt. 1. Die innergesellschaftliche (Tax) Com­pli­ance-Pflicht des ­Geschäftsführers nach der herrschenden Meinung Reduziert man die allgemeine Organisations- und Überwachungsverant­ wortung des Geschäftsführers darauf, lediglich für rechtmäßiges Verhal­ ten zu sorgen, beschreibt dies nach dem Verständnis der herrschenden Meinung seine Com­pli­ance-Pflicht.853 Im Kern handelt es sich dabei um nichts anderes als eine anglizistisch eingefärbte Legalitätskontroll­ pflicht854 bzw. ein „Kind der Legalitätspflicht“855. Schränkt man deren 853 Zur Com­pli­ance-Pflicht als Spezialfall der allgemeinen Überwachungspflicht vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 142 m.w.N. 854 Siehe hierzu bereits die Ausführungen des LG München in der Neubürger-Ent­ scheidung, wonach Com­pli­ance „keine aus dem anglo-amerikanischen Rechts­ kreis stammende Neuerung“ sei, sondern lediglich die Begrifflichkeit „Com­pli­ ance“ neu sei, welche aber nach wie vor die Pflicht beschreibe, das Unternehmen so zu organisieren, dass zwingende gesetzliche Vorgaben eingehalten würden, LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348; zu den Be­ griffen Legalitätspflicht und Legalitätskontrollpflicht vgl. Holle, Legalitätskon­ trolle, 2014, S. 52; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f.; Paefgen, WM 2016, 433, 436 f.; v.Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119; Bachmann/Kremer, in: Kremer u.a., DCGK, 2021, 3. Teil G5 Rn. 14 f. 855 Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2013, Rn. 145.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Anwendungsbereich wiederum auf die Befolgung steuerrechtlicher Nor­ men ein, gelangt man zur Tax Com­pli­ance-Pflicht. Der Geschäftsführer soll dadurch zu einer bestmöglichen Vermeidung von (steuerrechtlichen) Gesetzesverstößen durch andere Unternehmensangehörige mittels ziel­ gerichteter Organisation und Überwachung des Unternehmens ange­ halten werden.856 Obwohl dem Geschäftsführer nach dieser Ansicht ein Entscheidungsspielraum im Rahmen der Legalitätspflicht mangels un­ ternehmerischer Entscheidung verwehrt wird,857 bestehe ein solcher aus­ drücklich bei der Erfüllung seiner Legalitätskontrollpflicht.858 Wegen der Gefahr einer Überbürokratisierung sollte dies jedoch nicht zum Anlass genommen werden, einen garantierten Haftungsfreiraum für die Unternehmensleiter zu formulieren, der bei der Einhaltung eindeutig spezifizierter Organisationsstandards gegeben wäre. In seinem Gutach­ ten zum 70. Deutschen Juristentag warnte Bachmann deshalb ausdrück­ lich vor diesem Schritt. Dabei kommt er neben der Erwähnung prakti­ scher Hindernisse richtigerweise vor allem auf folgende Zweifel zu sprechen: Um so weitreichenden Enthaftungsmöglichkeiten gerecht zu werden, wäre ein „sehr dichtes Netz aus Anforderungen“ notwendig, welches in der Folge dazu führen würde, dass die Unternehmen völlig bürokratisiert würden und einen unvorhergesehenen Schadensfall den­ noch nicht verhindern könnten.859 Der Preis für diese Haftungsreduzie­ rung wäre also eine Reduzierung der Flexibilität und würde daher beson­ ders für die GmbH einen tiefen Einschnitt in ihre unternehmerische Handlungsfreiheit bedeuten. Gerade kleinere und mittlere Unterneh­ men, die häufig in der Organisationsform der GmbH anzutreffen sind, bedürfen eher einer Entbürokratisierung, um möglichst schnell auf Ver­ änderungen am Markt reagieren zu können. Zudem verfügen die meis­ ten GmbHs nicht einmal über eine eigene Rechtsabteilung, was ihnen 856 Vgl. Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 145; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f. 857 Zur nach herrschender Ansicht bestehenden Unanwendbarkeit der Business Judg­ ment Rule auf „rechtlich gebundene Entscheidungen“ siehe bereits die S. 80 f.; nach der Gesetzesbegründung zum UMAG darf es für illegales Verhalten keinen „sicheren Hafen“ geben, siehe Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 so­ wie die Gegenäußerung der Bundesregierung auf S.41. 858 Einhellige Ansicht, vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 100 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 503, 523; Schülke, IDW-Standards, 2014, S. 291; Hauschka/ Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, Anhang 3.1.; Ehnert, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.292; Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 80; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 161; Klahold/Kremer, ZGR 2010, 113, 121; Paefgen, WM 2016, 433, 436; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 77; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 523; Bachmann, in: VGR, Gesellschafts­ recht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 85 f.; Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 91 Rn. 67; eingehend hierzu Holle, AG 2011, 778 ff.; Holle, AG 2016, 270 ff. 859 Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 29.

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C.  Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der Organpflichten

die Einhaltung etwaiger Organisationsanforderungen noch zusätzlich erschweren würde.860 2. Stellungnahme zur (Tax) Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers Der Gesellschaftsvertrag stellt nach ebenfalls herrschender Meinung die primäre Quelle für die interne Organisation der GmbH dar, sodass dies­ bezüglich eine „beträchtliche Gestaltungsfreiheit“861 besteht. Den ent­ scheidenden Unterschied zu dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Ver­ ständnis bei der Wahrnehmung einer (Tax) Com­pli­ance-Pflicht bildet der Maßstab, anhand dessen der Geschäftsführer dieser Verpflichtung nach­ zukommen hat. Während das Gesellschafterinteresse nach herkömmli­ cher Auffassung von einer strengen Legalitätspflicht überlagert bzw. ab­ schließend determiniert wird, ist dies vorliegend gerade nicht der Fall. Wie bereits dargelegt bemessen sich die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers am Gesellschafterinteresse als Grenze und Maßstab seines Handelns, was nicht zwingend mit einem Interesse an der Einhal­ tung der Rechtsordnung harmonieren muss. Dieser Befund strahlt letzt­ lich auch auf die Organisations- und Überwachungspflicht des Geschäfts­ führers aus. Hat sich der Geschäftsführer bei seiner Amtsführung somit an einem Gesellschafterinteresse zu orientieren, das, mangels anderweitiger Be­ stimmungen, auf dauerhafte Rentabilität und (langfristige) Gewinnmaxi­ mierung ausgelegt ist, ohne dabei der Einschränkung zu unterliegen, die­ se Zwecke ausschließlich durch rechtskonformes Handeln zu fördern, ergibt sich ein von der herrschenden Meinung divergierendes Verständ­ nis. Die möglichst optimale Verhinderung von Gesetzesverstößen durch andere Unternehmensangehörige kann dadurch – aber muss nicht zwin­ gend – der richtige Weg zur Erfüllung der Organisations- und Überwa­ chungspflicht sein. Es ist die wesentliche Pflicht des Geschäftsführers, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, nicht aber stringent für die ausnahmslose Einhaltung der Rechtsordnung zu sorgen. Letzteres ist vornehmliche Aufgabe des Staates, der sich seiner Kontroll- und Überwa­ chungspflichten nicht dadurch entledigen darf, dass er diese auf die juris­ tischen Personen überträgt. Sektorspezifisch hat der Gesetzgeber eine reine Legalitätskontrolle der vorgelagerten unternehmensindividuellen Selbsteinschätzung durch staatliche Behörden, namentlich die BaFin, ausdrücklich gebilligt.862 So wird beispielsweise nach § 25a Abs. 1 S. 3 HS. 2 Nr. 3 c) KWG ein angemessenes und wirksames Risikomanage­ 860 Vgl. Goette, ZHR 176 (2012), 588, 602 Fn. 50; Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1353. 861 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/1, 2018, Einl. Rn. 21 m.w.N.; zu dieser Funktion des Gesellschaftsvertrags ebenso Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 91. 862 Eingehend hierzu Bürkle, VersR 2013, 792, 793; Bürkle, VersR 2011, 1469, 1475.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

ment geschuldet, welches auch eine Com­ pli­ ance-Funktion umfassen muss. Im Rahmen einer solchen „regulierte[n] Selbstregulierung“863 wur­ de also ein Teil der Aufsicht den Kapitalgesellschaften selbst auferlegt. Unabhängig davon, ob es sich dabei überhaupt um eine innergesellschaft­ liche Pflicht handelt, spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Com­ pli­ ance-Funktion ausdrücklich nur in ganz bestimmten, risiko­ trächtigen Branchen fordert, aber eher gegen eine allgemeine Com­pli­ ance-Pflicht als dafür. Ausgehend von diesem Verständnis ist es also z.B. möglich, dass die Er­ füllung der steuerlichen Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO aus ex ante-Sicht nachteilig für die Gesellschaft erscheint, sodass sich eine Art der Unternehmensführung anbieten kann, die darauf abzielt, eben jene Handlung zu unterlassen. Ob dadurch den Erwartungen der Finanzbehörden oder den Vorgaben des IDW Praxishinweises 1/2016864 entsprochen wird, mag zu bezweifeln sein, kann aber für die unmittel­ bare Bestimmung der organschaftlichen Pflichten dahinstehen. Die Wahr­ nehmung einer Tax Com­ pli­ ance-Verantwortung darf aus innerge­ sellschaftlicher Sicht also gerade nicht auf die schlichte Einhaltung steuerrechtlicher Vorschriften reduziert werden. Freilich stehen das Ge­ sellschafterinteresse und die Außenwahrnehmung der juristischen Per­ son in ständiger Wechselwirkung zueinander, wobei auch die gesetz­ lichen Pflichten entsprechenden Einfluss ausüben. Die Stärke dieser Interdependenzen obliegt aber letztlich dem Staat, der den Grad der Ein­ wirkung durch unterschiedliche Methoden, welche ihm das hoheitliche Steuersystem hierzulande bietet, selbst bestimmen kann.865

III. Zusammenfassung zur Funktion des Gesellschafterinteresses Knüpft man also für die normative Begründung der Legalitätspflicht an § 43 Abs. 1 GmbHG an, wie die ganz herrschende Meinung dies tut, darf das nicht zur Folge haben, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft die­ selbe Pflicht schuldet, welche die Gesellschaft nach § 153 Abs. 1 AO im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Steuerrechtsverhältnisses dem Fis­ kus schuldet. Vielmehr modifiziert § 43 Abs. 1 GmbHG die Anzeige- und Berichtigungspflicht dahingehend, dass vorrangiger Zweck der Pflichter­ füllung nicht schlicht die Einhaltung der Rechtsordnung ist, sondern das Streben nach dauerhafter Rentabilität im Sinne des Gesellschafterinter­ esses. Dieser Maßstab gilt auch im Rahmen der Organisations- und Überwachungsverantwortung des Geschäftsführers, wobei die neue Aus­ 863 Siehe zu diesem Ausdruck Bürkle, VersR 2013, 792, 793 Fn. 16. 864 IDW Praxishinweis 1/2016, IDW Life 2017, 837. 865 Siehe hierzu sowie allgemein zu den Korrekturmöglichkeiten gegen bestehende Defizite im Rechtssystem später auf den S. 261 ff.

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C.  Das Gesellschafterinteresse als Maßstab und Grenze der Organpflichten

drucksweise (Tax) Com­pli­ance daran nichts zu ändern vermag. Nichts­ destotrotz besteht deswegen keine wesentlich größere Gefahr für die Rechtskonformität innerhalb einer Gesellschaft im Vergleich zur Gel­ tung einer strengen Legalitätspflicht, da das Gesellschafterinteresse wei­ testgehend identisch mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung ist. Zumindest der klare Rechtsverstoß indiziert zu­ dem die Pflichtwidrigkeit organschaftlichen Handelns.866 Gleichzeitig stimmen auch grundsätzlich das Gläubiger- und Gesellschafterinteresse überein, da ein vorteilhaftes Handeln im Sinne des Gesellschafterinteres­ ses im Regelfall auch die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen verbessert.867 Zu einer Diskrepanz kommt es insbesondere dann, „wenn die Gesellschaft an der Vermeidung größe­ rer Risiken kein Interesse mehr hat, weil sie nichts mehr verlieren kann und somit allein die Kreditgeber der Gesellschaft das wirtschaftliche Ri­ siko der Unternehmung tragen.“868 Vor diesem Hintergrund führt der gefundene Befund vor allem dann zu einem im Vergleich zur herrschenden Meinung abweichenden Ergebnis, wenn sich die Frage nach der Pflichtwidrigkeit nützlicher Rechtsverstö­ ße stellt, also solchen Gesetzesübertretungen, die der Gesellschaft nach einer Kosten-Nutzen-Analyse aus ex ante-Sicht einen Vorteil bringen. In diesem Zusammenhang muss zudem untersucht werden, ob den Ge­ schäftsführer infolgedessen sogar eine Pflicht zur Vornahme rechtswidri­ ger Handlungen treffen könnte. Mit anderen Worten: Verhält sich der Geschäftsführer pflichtwidrig, wenn er ein erfolgsversprechendes Steuer­ gestaltungsmodell nicht wählt, welches aber offensichtlich oder zumin­ dest aller Voraussicht nach rechtswidrig ist und durch das er sich folglich der Steuerhinterziehung strafbar machen könnte? In der GmbH erlangt diese Frage aufgrund der Weisungsabhängigkeit des Geschäftsführers noch größere Bedeutung als in der AG. Abgesehen von diesem Extremfall existieren auch noch weitere problematische Konstellationen, insbeson­ dere im Steuerrecht, welche im Folgenden – ebenso wie die nützlichen Rechtsverstöße – ausgehend vom Gesellschafterinteresse als maßgebli­ cher Grenze der internen Pflichtmäßigkeit näher beleuchtet werden.

866 Vgl. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13, wonach gesetzes­ konformes Verhalten indiziell auch gesellschaftszweckkonform ist; ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 281 f. 867 Siehe U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 18 f. 868 U. Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 28 f. (die Insolvenztatbestände markie­ ren den Zeitpunkt des Auseinanderfallens beider Interessen).

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

D. Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers im Spannungsfeld zwischen legaler und illegaler Steuerplanung und -gestaltung Legt man das soeben erarbeitete Verständnis einer einzig am Gesellschaf­ terinteresse ausgerichteten Legalitätspflicht zugrunde, lässt sich ein ein­ heitliches Bild der organschaftlichen Pflichtenstellung des Geschäftsfüh­ rers zeichnen. Während die herrschende Meinung zuweilen auf dogmatisch fragwürdige Ausnahmen bzw. Durchbrechungen der Legalitätspflicht zurückgreifen muss, um ein insgesamt tragfähiges Ergebnis erzielen zu können, liefert der vorliegende Ansatz ein in sich stimmiges Konzept. Nachfolgend werden die organschaftlichen Rechte und Pflichten eines Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen legaler und illegaler Steuerplanung und -gestaltung herausgearbeitet. Be­ sonderes Augenmerk wird dabei auf die Komplexe der unklaren oder um­ strittenen Rechtslage sowie der Frage der Zulässigkeit nützlicher Rechts­ verstöße gelegt.

I. Steuerplanung und -gestaltung an der Grenze zum ­Rechtsmissbrauch In der Literatur werden die bei Unternehmen und Finanzverwaltung un­ terschiedlichen Vorstellungen und Zielsetzungen von Tax Com­pli­ance zum Teil so zusammengefasst, dass der Fiskus so viel Steuereinnahmen wie möglich anstrebt während der Steuerpflichtige so wenig Steuern wie möglich zahlen will.869 Steuern gelten dabei als Kostenfaktor eines Un­ ternehmens und bedürfen dementsprechend einer Optimierung.870 Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob unternehmerische Maßnahmen aus dem Bereich der Steuerplanung871 mit dem Ziel, die Steuerlast auf ein 869 Vgl. zu diesem Interessenwiderspruch Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.26; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 231; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 431; eingehend hierzu Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1089 f.; Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31 ff., 46 ff.; zur Steuerminimierung als Unternehmensziel sowie den Organpflichten zur Steu­ ergestaltung in der AG siehe ferner Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605, 607 ff., 610 ff. 870 Zu Steuern als Kostenfaktor vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 83, 84 f.; Hey, Steuerplanungssicherheit, 2002, S. 9; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsan­ wendung, 1983, S. 38; Löhlein, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit rückwir­ kender Steuergesetze, 1964, S. 83 f.; Axer, Die rückwirkende Besteuerung gewerb­ licher Betriebe, 1954, S. 54; siehe auch Risse, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 44, wonach die „relative Barwertminimierung an Steuern“ die zentrale Zielrichtung von Tax Com­pli­ance sei. 871 Steuerplanung ist ein aus der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre stammender Begriff, der in einem weiten Verständnis jede wirtschaftliche Planung unter Be­ rücksichtigung der Höhe und des Zeitpunkts der Steuerzahlungen umfasst, vgl.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

Minimum zu reduzieren, mit Tax Com­pli­ance vereinbar sein können. Dabei besteht größtenteils Konsens darüber, dass Steuerplanung und -ge­ staltung jedenfalls solange zulässig und mit den Grundsätzen von Tax Com­pli­ance vereinbar sind, wie die Grenzen der Legalität nicht über­ schritten werden.872 Ob dieser Beschränkung unternehmerischer Steuer­ planung auf legale Gestaltungsmodelle nach den bisherigen Untersu­ chungsergebnissen aus rechtsdogmatischer Sicht in Gänze zugestimmt werden kann, ist fraglich. Für den Komplex der aggressiven Steuerpla­ nung kann dies indes dahinstehen, da hierbei gerade solche steuerlichen Gestaltungen zu verstehen sind, „die einerseits nicht die Grenze zur Steuerhinterziehung überschreiten, andererseits aber doch über die steu­ erliche Optimierung betrieblicher Abläufe oder organisatorischer Maß­ nahmen hinausgehen.“873 1. Das Recht der Unternehmensleitung zu aggressiver Steuerplanung Im deutschen Steuerrecht ist der umstrittene und juristisch wenig ge­ klärte Begriff der aggressiven Steuerplanung in der Grauzone zwischen zulässiger und missbräuchlicher Nutzung von Gestaltungsmodellen an­ zusiedeln, wodurch man sich zwangsläufig und vorrangig mit § 42 AO konfrontiert sieht.874 Allerdings ist nach § 42 Abs. 2 AO von einem Miss­ brauch der Gestaltungsmöglichkeiten erst dann auszugehen, „wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuer­ pflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Ge­ staltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Ver­ hältnisse beachtlich sind.“875 Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 9 f.; Michels, Steuerli­ che Wahlrechte, 1982, S. 38 f.; siehe umfassend zur Steuerplanung als Vorstands­ pflicht Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605 ff., dessen Ausführungen größten­ teils auch für die Geschäftsführerpflicht innerhalb der GmbH übernommen werden können. 872 Vgl. Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 55; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 86; Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31, 51 ff.; Schön, in: FS Hoff­ mann-Becking, 2013, S. 1085 f., 1094 f.; Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 14; Streck, in: Streck/Mack/Schwed­ helm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.26; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 231; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 431; Wessing, Steueranwaltsmagazin 2007, 175, 176. 873 Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1095; siehe dazu auch Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31, 53 ff. 874 Vgl. Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1095 f.; siehe ausführlich zum Verhältnis legaler Steuerplanung und der Grenze des § 42 AO, jedoch mit kritischer Haltung gegenüber dem Begriff der „aggressiven Steuerplanung“, Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 16, 298 ff. 875 So bereits die bis zur Ausführung dieses Absatzes gleichlautende ständige Recht­ sprechung des BFH, vgl. BFH, Urteil v. 15.10.1998 – III R 75-97, DStR 1999, 64, 65

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Das Motiv, die Steuerlast im Rahmen der Steuergesetze bestmöglich zu reduzieren, indiziert für sich genommen aber noch keinen Fall des § 42 AO.876 Umso überraschender ist es dann, dass nach den Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Konzerne das Unternehmen zum „good corporate citizen“ erzogen werden soll, indem es neben den eige­ nen Interessen an dauerhafter Rentabilität und Gewinnmaximierung auch die Interessen des Fiskus angemessen zu berücksichtigen habe, wozu insbesondere der Verzicht auf eine aggressive Steuerpolitik zu zäh­ len sei.877 Abgesehen von der Frage der Übertragbarkeit dieser Empfeh­ lungen auf die mittelständische GmbH verrät bereits ein Blick in das deutsche Steuerrecht, dass Steuerumgehung weder verboten noch straf­ bar ist und der Rechtsmissbrauch, worunter § 42 AO fällt, nicht mit rechtspolitisch unerwünschtem Verhalten gleichgesetzt werden darf, um auf diesem Weg „Besteuerungslücken“ über § 42 AO zu schließen.878 So lautet die Rechtsfolge des § 42 AO auch lediglich, dass nach § 42 Abs. 1 S. 3 AO der Steueranspruch wie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht und der Gestaltungsvor­ schlag zurückgewiesen wird. Weder den Unternehmen noch den einzel­ nen Organen kann aus juristischer Sicht also vorgeworfen werden, mög­ lichst wenig Steuern zahlen zu wollen und im Zuge dessen auch den Interessen der Finanzverwaltung zuwiderlaufende Gestaltungsmodelle zu wählen – und zwar unabhängig davon, ob man in diesem Zusammen­ hang von aggressiver Steuerplanung spricht oder nicht.879 In Anbetracht dessen wird gegenwärtig eine intensive Diskussion zu der Frage nach ei­ ner Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle de lege ferenda auf nati­

m.w.N.; siehe zu dem im Zentrum der Definition stehenden Merkmal der Unan­ gemessenheit ausführlich Drüen, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2010, § 42 Rn. 31 ff.; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 42 AO Rn. 61 ff.; Ratschow, in: Klein-AO, 2020, § 42 Rn. 48 ff. 876 Ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH, Beschl. v. 29.11.1982 – GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444; BFH, Urteil v. 13.07.1989 – V R 8/86, BFHE 148, 166, 172; BFH, Urteil v. 16.01.1992 – V R 1/91, BFHE 167, 215; BFH, Urteil v. 04.04.2001 – VI R 173/00, BFHE 195, 277. 877 Siehe Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085 f., 1096 ff. unter Bezugnah­ me auf die Erklärungen des Treffens des „OECD Forum on Tax Administration“ vom 14./15. September 2006 in Seoul; ausführlich zu den Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Hardeck, IstR 2011, 933 ff. 878 Vgl. Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1088 f.; Schützler, Tax Com­ pli­ance, 2015, S. 86; Drüen, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2010, § 42 Rn. 6 f.; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 42 AO Rn. 56 m.w.N. 879 Siehe Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1090, der zutreffend betont, dass es „in diametralem Widerspruch zur gesellschaftsrechtlichen Pflichtenlage“ stünde, den Geschäftsleitern deshalb einen Vorwurf zu machen, da sie eine Maxi­ mierung des Unternehmensgewinns nach Steuern anstreben; siehe ferner Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 16, 298 ff., die sich dem Be­ griff der „aggressiven Steuerplanung“ sogar gänzlich verwehrt.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

onaler und europäischer Ebene geführt, wobei zahlreiche Rechtsfragen bezüglich des Verhältnisses zu § 42 AO aufgeworfen werden.880 Über die allgemeine Formel hinaus, wonach der Fiskus so viel Steuerein­ nahmen wie möglich anstrebt, während der Steuerpflichtige so wenig Steuern wie möglich zahlen will, ist der fremdnützig agierende Ge­ schäftsleiter von Kapitalgesellschaften sogar organschaftlich verpflich­ tet, von mehreren möglichen steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten die für das Unternehmen günstigste zu wählen.881 Daher birgt gerade der un­ bestimmte Begriff der aggressiven Steuerplanung, der bereits nach sei­ nem Wortlaut den Missbrauchsverdacht nahelegt, die Gefahr, dass „ge­ setzgeberische Mängel einseitig auf den Steuerpflichtigen abgewälzt werden.“882 Weder die Regeln über „Corporate Governance“883 noch der Gedanke der „Corporate Social Responsibility“884 können aber die Steu­ erpflicht erweitern, sodass den diesbezüglichen „objektiven Rahmen für die Wahrnehmung der gesellschaftsrechtlichen Aufgaben der Unterneh­ mensleitung […] weiterhin das Steuerrecht bilde[t], wie es in Gesetzge­ bung, Verwaltungspraxis und Judikatur […] seinen Ausdruck findet.“885 Um kostenintensive Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung zu vermei­ den, kann allerdings unter Umständen ein bewusster Verzicht auf beson­ ders risikoreiche und dennoch legale Gestaltungsmodelle ratsam sein. Der sicherere, aber steuerlich ungünstigere Gestaltungsweg erweist sich dann als sinnvoller, wenn die Planungssicherheit im Vordergrund steht und langwierige Rechtsstreitigkeiten vermieden werden sollen.886 880 Siehe hierzu die am 05.06.2018 veröffentlichte RL 2018/822/EU, wonach die Mit­ gliedstaaten zur Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen verpflich­ tet werden; vgl. allgemein zu dieser Frage das ifst-Kolloquium vom 10. Septem­ ber 2018 in Berlin zum Thema „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen“, dazu Hermenns/Münch, ifst-Schrift 525 (2018); siehe speziell zur Anzeigepflicht in Deutschland das im Auftrag des BMF erstellte Gutachten des Max-Planck-Insti­ tuts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen vom 23.09.2016, veröffentlicht un­ ter Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten, 2017. 881 Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1089 f.; ausführlich hierzu Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31 ff., 46 ff.; siehe zur Steuerminimie­ rung als Unternehmensziel sowie den Organpflichten zur Steuergestaltung in der AG ferner Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605, 607 ff., 610 ff. 882 Hardeck, IstR 2011, 933, 936; zustimmend Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1096. 883 Vgl. hierzu Seibert, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1111 ff. 884 Siehe allgemein und umfassend hierzu Habersack, Gutachten E zum 69. DJT, 2012, E 15 ff.; Mülbert, AG 2009, 766 ff.; Spindler, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1133 ff.; siehe ferner das Symposium sämtlicher ZGR-Herausgeber zum Thema „Corporate Social Responsibility“, speziell Bachmann, ZGR 2018, 231 ff.; J. Vetter, ZGR 2018, 338 ff. 885 Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1096; ebenso Hey, Steuerpla­ nungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 16, 298 ff. 886 Vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 89 f.; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 406.

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Angesichts der schwerwiegenden Konsequenzen, die im Falle eines Ver­ stoßes gegen die Steuergesetze drohen, entspricht ein Handeln im Ein­ klang mit Recht und Gesetz trotz der binnenrechtlichen Möglichkeit zum Rechtsbruch folglich in aller Regel den Gesellschafterinteressen. Es ist dann die vornehmliche Aufgabe der Geschäftsleitung, eine angemes­ sene Gratwanderung zwischen Legalität und Illegalität zu vollziehen.887 Inwiefern dem Gesichtspunkt der sozialen Akzeptanz eines Unterneh­ mens im Sinne eines „good corporate citizen“ zusätzliches Gewicht bei der Entscheidungsfindung zukommt, wird nachfolgend anhand der Frage erörtert, ob den Geschäftsführer korrespondierend zu seinem Recht zur Steuerplanung und -gestaltung auch die Pflicht dazu trifft. 2. Besteht eine korrespondierende Pflicht der Unternehmensleitung zu aggressiver Steuerplanung? Ob mit dem Recht zur Steuerplanung und -gestaltung auch und beson­ ders in Form der aggressiven Steuerplanung eine korrespondierende Pflicht der Leitungsorgane einhergeht, gewinnt gerade für den weisungs­ abhängigen GmbH-Geschäftsführer an Bedeutung. Gemeint sind hiermit vor allem solche Konstellationen, in welchen sich eine aggressive Steu­ erplanung trotz der damit eventuell einhergehenden Reputationsschäden und Com­pli­ance-Kosten im Ergebnis als vorteilhaft für das Unterneh­ men erweist. Wenngleich Steuern unfreiwillig, nämlich aufgrund gesetz­ licher Pflichten, gezahlt werden, lassen sich Parallelen zur Diskussion über das Recht der Unternehmensleitung zu wohltätigen Spenden und Förderungen aus dem Gesellschaftsvermögen ziehen.888 In diesem Sinne soll der Vorstand einer AG jedenfalls dann berechtigt zur Vornahme ei­ ner Unternehmensspende sein, wenn sie dem Unternehmenswohl för­ derlich sei, wenn sich also die soziale Akzeptanz des Unternehmens im Sinne eines „good corporate citizen“ wenigstens indirekt positiv auf ihr wirtschaftliches Fortkommen auswirkt und die Spende nicht einzig altruistischen Zwecken dient.889 Überträgt man diesen Gedanken auf die vorliegende Problematik, darf von einem erfolgsversprechenden Steuer­ gestaltungsmodell dann Abstand genommen werden, wenn die Zahlung der entsprechenden Steuern der sozialen Akzeptanz des Unternehmens 887 Vgl. zu dieser Gratwanderung Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 87 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 55 f.; Streck, in: Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Com­ pli­ance, 2016, Rn. 1.26; Streck/Binnewies, DStR 2009, 229, 231; Streck, StbJb 2009/2010, 415, 431; Wessing, Steueranwaltsmagazin 2007, 175, 176. 888 In diesem Sinne Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605 ff.; Schön, in: Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31, 54 f.; ansatzweise auch bei Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 89 f. 889 BGH, Urteil v. 06.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 Rn. 28; ebenso H. P. Westermann, ZIP 1990, 771, 772 ff.; umfassend zu Unternehmensspenden Fleischer, AG 2001, 171 ff.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

dient und einen positiven Effekt auf die dauerhafte Rentabilität hat. Da diese Fälle im Bereich der Steuergestaltung weitaus seltener als in dem der Unternehmensspenden sind, wird zu Recht angenommen, dass dem diesbezüglichen Leitungsermessen strenge Grenzen gesetzt sind.890 Für die GmbH und deren Geschäftsführer, bei denen sich das Unter­ nehmenswohl im Sinne eines Gesellschafterinteresses nach dem oben Gesagten noch weniger über Stakeholder-Interessen identifiziert, kann nichts anderes gelten. Es ist also davon auszugehen, dass grundsätz­ lich die Pflicht zur bestmöglichen steuerlichen Unternehmensplanung besteht. Davon darf nur abgewichen werden, wenn sich der steuerlich ungünstigere Gestaltungsweg ausnahmsweise zugunsten der Planungssi­ cherheit als sinnvoller erweist, insbesondere wenn langwierige Rechts­ streitigkeiten vermieden werden sollen. Abgesehen davon kann der Ver­ zicht auf eine steuerlich günstigere Unternehmensplanung dadurch gerechtfertigt werden, dass die zusätzliche soziale Akzeptanz eines Un­ ternehmens im Sinne eines „good corporate citizen“ zu positiven Re­ putationseffekten führe und dementsprechend auf langfristige Sicht dem Unternehmenswohl diene. 3. Der Steuerstreit im Zuge unternehmerischer Steuerplanung Dies impliziert, dass auch ein Steuerstreit, mit dessen Hilfe beispielswei­ se eine legale Gestaltungsmöglichkeit gegen die Finanzverwaltung ver­ teidigt werden soll, durchaus Teil der unternehmerischen Steuerplanung sein kann und unter Umständen dies auch sein muss.891 Wenn der Fiskus ein Unternehmen als kooperationsunwillig ansieht, weil es mittels ge­ richtlichen Verfahrens eine Reduzierung der Steuerlast – und damit ein­ hergehend auch Steuergerechtigkeit892 – anstrebt, ist dem entschieden zu widersprechen. Ein Unternehmen muss seine Steuerplanung keinesfalls so ausrichten, dass die Finanzverwaltung möglichst wenig Aufwand beim Eintreiben der Steuern hat. Unterschiedliche Auslegungsmöglich­ keiten sind gerade dem komplexen Steuerrecht immanent und die Klä­ rung offener Fragen ist vornehmliche Aufgabe der Gerichte, nicht der

890 Gassner, in: FS Krejci, Bd. 1, 2001, S. 605, 623; Schön, in: Tax and Corporate Go­ vernance, 2008, S. 31, 54 f. 891 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 56 f.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 80; Besch/Starck, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 80; Talaska, BB 2012, 1195, 1199; vgl. hierzu auch Streck, in: Streck/Mack/ Schwedhelm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.33, für den Steuerstreit „legitimer Be­ standteil von Tax Com­pli­ance“ ist; siehe ausführlich hierzu Streck/Kamps/Olgemöller, Der Steuerstreit, 2017, passim. 892 Nach Streck/Kamps/Olgemöller, Der Steuerstreit, 2017, Rn. 1 dient der Steuer­ streit dem Recht und bezweckt Steuergerechtigkeit.

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Verwaltung.893 Ein Blick auf die statistischen Erfolgsaussichten bei den Finanzgerichten zeigt zudem, dass ein gerichtlicher Steuerstreit durch­ aus Teil einer qualitativ hochwertigen Steuerplanung sein kann. Dem­ nach ergibt sich für das Jahr 2014 eine Erfolgsquote von 44 % für den Steuerbürger vor den Finanzgerichten, gefolgt von einer Erfolgsquote von 40 % für das Jahr 2015 vor dem BFH, wenn man die als unzulässig abge­ wiesenen Revisionen unbeachtet lässt.894 Eine ganz andere Frage ist, ob sich betriebswirtschaftlich ein Steuerstreit aufgrund der aufzuwendenden Zeit, der Kosten und der Ungewissheit des Verfahrensausgangs im Einzelfall lohnt oder ob nicht eine Einigung mit der Finanzverwaltung vorzugswürdig wäre.895 Die Entscheidung hierüber obliegt aber einzig der Unternehmensleitung, welche jeden Fall nach dem Grundsatz der Steueroptimierung individuell zu prüfen hat.

II. Die Pflichtensituation des Geschäftsführers bei unklarer oder umstrittener Rechtslage („Legal Judgment Rule“) Mit der Komplexität und Dynamik des Steuerrechts gehen zahlreiche rechtliche Unklarheiten einher, denen sich der Geschäftsführer im Un­ ternehmensalltag ausgesetzt sieht. Häufige Gesetzesänderungen oder neu geschaffene Vorschriften führen zu Unsicherheiten in der Rechtsan­ wendung, vor allem solange noch keine gefestigte juristische Einschät­ zung zu der entsprechenden Materie existiert. Aber auch ältere Rechts­ normen können aufgrund divergierender Gerichtsentscheidungen oder unbestimmter Rechtsbegriffe für Verwirrung beim Rechtsanwender sor­ gen.896 Es stellt sich daher die Frage, wie mit einer solchen unklaren oder umstrittenen Rechtslage umzugehen ist.897

893 Vgl. Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 80 f.; Streck, in: Streck/Mack/Schwed­ helm, Tax Com­pli­ance, 2016, Rn. 1.24. 894 Vgl. Streck/Kamps/Olgemöller, Der Steuerstreit, 2017, Rn. 18. 895 Vgl. hierzu Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 56; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 81 f.; Seer, in: FS Streck, 2011, S. 403, 406; Besch/Starck, in: Hauschka/ Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 33 Rn. 80; Talaska, BB 2012, 1195, 1199. 896 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 188 ff. mit Situationsbeispielen aus dem Kartellrecht, dem Versicherungsaufsichts- und Bankaufsichtsrecht sowie dem Ka­ pitalmarktrecht. 897 Mittlerweile existieren ganze Dissertationen zu dem Komplex der unklaren Rechtslage, vgl. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, passim; zu den Rechtsan­ wendungsfehlern Kaulich, Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2012, passim; siehe ferner Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 188 ff.; Breitenfeld, Organschaftliche Bin­ nenhaftung, 2016, S. 131 ff.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

1. Übersicht Nach der bereits erklärten Business Judgment Rule kommt dem Ge­ schäftsführer im Organhaftungsrecht ein gerichtlich nicht überprüfbarer Ermessensspielraum zugute, der ihn in seiner unternehmerischen Hand­ lungsfreiheit schützt. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieses Haf­ tungsprivilegs ist allerdings das Vorliegen einer unternehmerischen Ent­ scheidung. Bei der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften handelt es sich nach dem Verständnis der herrschenden Meinung hingegen um eine rechtlich gebundene Entscheidung (Legalitätspflicht), ergo keine unter­ nehmerische.898 Ob dem in der Form zuzustimmen ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Im Gegensatz zu den rechtlich gebundenen Entschei­ dungen behandelt dieser Abschnitt nach dem eben Gesagten Entschei­ dungen unter rechtlicher Zweifelslage. Im Ergebnis ist man sich in Rechtsprechung und Lehre fast ausnahmslos darin einig, dass demjeni­ gen Geschäftsführer, der seiner „reliance defence“ („Rechtsermittlungsbzw. Rechtsvergewisserungspflicht“899) ordnungsgemäß nachgekommen ist, auch in diesen Fällen ein Entscheidungsspielraum zustehen muss, was selbst von den Verfechtern einer strengen und uneingeschränkten Legalitätspflicht nicht bestritten wird.900 Dies ist insofern konsequent und auch zutreffend, als es die Legislative selbst ist, welche die entspre­ chenden Rechtsirrtümer durch mehrdeutige Gesetze provoziert, und die Geschäftsleiter nicht für eine vom Gesetzgeber verschuldete unklare Rechtslage sanktioniert werden dürfen.901 Nur ganz vereinzelt wird ein solcher Entscheidungsspielraum bei einer unklaren oder umstrittenen 898 Ausführlich hierzu Holle, AG 2011, 778 ff.; Holle, AG 2016, 270 ff.; etwas anderes gelte nach ganz herrschender Meinung für die Legalitätskontrollpflicht bzw. Com­ pli­ance-Pflicht, bei der einer Anwendung der Business Judgment Rule nichts ent­ gegen stehe, vgl. Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 77; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 523; Bachmann, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd. 13, 2008, S. 65, 85 f.; Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 91 Rn. 67; ähn­ lich Habersack, KF 2009, S. 5, 17, der einen entsprechenden Beurteilungsspiel­ raum billigt, jedoch unabhängig von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. 899 Vgl. zum Begriff „Rechtsermittlungspflicht“ Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 335 ff.; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 21; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 200; zum Begriff „reliance defence“ oder „Rechtsvergewisserungspflicht“ Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 36, 42; Fleischer, NZG 2010, 121; siehe aber Verse, ZGR 2017, 174, 176 f., der die Begriffe für überflüssig hält und schlicht von einer Ausprägung der Legalitätspflicht spricht. 900 Siehe nur Holle, AG 2011, 778, 785, der terminologisch streng zwischen unter­ nehmerischen Ermessensfreiräumen bei Geschäftsführungsmaßnahmen und Be­ urteilungsspielräumen bei Pflichtaufgaben unterscheidet. 901 Vgl. zu den vom Gesetzgeber provozierten Rechtsirrtümern Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253; Bürkle, VersR 2013, 792, 797; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 207, 222; siehe hierzu auch die bereits angesprochenen „Pflichtenkollisionen“, welche als typisches Resultat des modernen Gesetzgebers aufzufassen sind, der Regelun­ gen mit divergierenden Zielsetzungen schafft und damit ebenfalls für juristische Verwirrung sorgt, Goette, ZGR 2008, 436, 445.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Rechtslage abgelehnt.902 Dogmatisch wird dieser von einem großen Teil der Literatur über eine konsequente Anwendung des § 43 Abs. 1 GmbHG (bzw. des § 76 Abs. 1 oder § 93 Abs. 1 S. 1 AktG) mit einer Ausnahme bzw. Durchbrechung der Legalitätspflicht begründet („inhaltlich modifi­ zierter Pflichtenkanon“),903 während andere eine direkte oder analoge Anwendung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG befürworten.904 Teilweise wird auch auf die Grundsätze des Rechtsirrtums abgestellt,905 wohingegen ­andere die Einführung einer sog. „Legal Judgment Rule“ de lege ferenda für notwendig erachten.906 Spätestens seit dem sog. „ISION“-Urteil907 ­gewährt auch der BGH dem Geschäftsleiter bei rechtlichen Fragen ei­

902 Wilsing, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2017, § 31.26; wohl auch Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 11. 903 Vgl. U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 79; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 900; Dreher, in: FS Kon­ zen, 2006, S. 85, 92 f.; Paefgen, AG 2014, 554, 559 f.; ähnlich Fleischer, in: ­MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 35, 37 ff.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 („sachge­ rechte Anwendung des Legalitätsprinzips“); ebenso G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 233; im Ergebnis gleich Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 224 ff. („inhaltlich gewandelter Pflichtenkanon“ mit der Folge eines Entscheidungsspielraums aus § 76 Abs. 1 AktG); mit Einschränkungen Ihrig, WM 2004, 2098, 2104 f. 904 Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG/2, 2019, § 93 Rn. 88 ff.; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 415, 420 ff.; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 68 f., 75; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 75, 77, 140; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 70 f.; Beurskens, in: Baum­ bach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 12, 34 ff.; ähnlich Thole, ZHR 173 (2009), 504, 521 ff. (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG als „Vorreiter für eine Haftungsfreistellung“ bei unklarer Rechtslage); eingehend dazu Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 874 ff.; gegen eine direkte oder analoge Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Habersack, KF 2009, S. 5, 29 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 83a; Paefgen, AG 2014, 554, 559 f.; U. H. Schneider, DB 2011, 99, 100; Holle, AG 2011, 778, 784; Bayer, GmbHR 2014, 897, 900; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2252 f.; siehe ausführlich zur Kritik hieran Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 208 ff. 905 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253 f.; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 43 f.; wohl auch U. H. Schneider, DB 2011, 99, 100 f.; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8 f.; ebenso Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Habersack, KF 2009, S. 5, 29 f., allerdings auf die Pflichtverletzung und nicht das Ver­ schulden abstellend; vgl. zur Kritik an diesem Ansatz Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 215 ff. 906 So Bürkle, VersR 2013, 792, 796; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 553; andeu­ tungsweise auch Paefgen, AG 2014, 554, 559 f.; zu Recht dagegen Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 44 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 7, 42, 83a; Fleischer, DB 2014, 1971, 1973 ff.; eingehend zu den Gründen gegen eine Legal Judgment Rule de lege ferenda Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2251 ff.; siehe ferner DJT, Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsstrafrecht des 70. DJT 2014, I. 4., im Rahmen dessen sich eine Mehrheit mit 29:41:12 Stimmen gegen eine Erweiterung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf alle Geschäftsleiterentschei­ dungen unter (rechtlicher) Unsicherheit ausgesprochen hat. 907 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098.

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nen Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum, im Zuge dessen die für die GmbH günstigste Rechtsposition eingenommen werden darf. Weiter umstritten ist, ob aufgrund eines ordnungsgemäß ausgeübten Entscheidungsspielraums erst das Verschulden908 oder bereits die objekti­ ve Pflichtwidrigkeit909 zu verneinen ist. Diejenigen, die auf der Ebene der Pflichtverletzung anknüpfen, begründen dies unter anderem damit, dass andernfalls trotz des pflichtgemäßen Handelns des Vorstands einer AG eine Sanktion in Gestalt einer Abberufung durch den Aufsichtsrat nach § 84 Abs. 3 AktG möglich wäre, wofür ausdrücklich kein Verschulden notwendig ist.910 Inwieweit dieses Argument überzeugend ist, kann für diese Arbeit offen bleiben, da die Situation in der GmbH eine andere ist.911 Dort regelt den Widerruf der Bestellung die Norm des § 38 Gmb­ HG, nach dessen Abs. 1 die Bestellung zum Geschäftsführer durch die nach § 46 Nr. 5 GmbHG zuständige Gesellschafterversammlung jeder­ zeit beendet werden kann.912 Damit ist eine Abberufung entgegen § 84 Abs. 3 AktG grundsätzlich auch ohne wichtigen Grund möglich. An­ deres gilt nur, wenn die Zulässigkeit des Widerrufs im Gesellschaftsver­ trag explizit auf den Fall beschränkt ist, dass wichtige Gründe denselben notwendig machen, so § 38 Abs. 2 GmbHG.913 Auch das Argument, es stelle eine „unbillige Härte“ dar, dem Geschäftsleiter infolge einer Ent­ scheidung unter rechtlicher Unsicherheit den „Makel eines binnen­

908 So BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; BGH, Urteil v. 28.04.2015 – II ZR 63/14, DStR 2015, 1635, 1639; ebenso die Regierungsbegrün­ dung, Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11: Bei illegalem Verhalten kann es „im Einzelfall aber am Verschulden fehlen“; aus der Literatur Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 462; Strohn, ZHR 176 (2012), 137 f.; Strohn, CCZ 2013, 177, 179 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 19, 44; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254; Holle, AG 2016, 270, 278 ff.; Binder, AG 2012, 885, 888; Binder, AG 2008, 274 ff.; tendenziell auch Verse, ZGR 2017, 174, 192. 909 So Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 421; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 39; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 199; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 140; Bürkle, VersR 2013, 792, 796; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; eingehend S. Binder, Vor­ standshaftung, 2016, S. 169 f.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 220 ff. 910 Bürkle, VersR 2013, 792, 796; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 222 f. m.w.N. 911 Vgl. Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254, die das Problem ebenfalls erkennt, jedoch den Gesetzgeber in der Pflicht sieht, da dogmatisch kein anderer Weg offen stehe; siehe zudem Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 151 ff.; Holle, AG 2016, 270, 277; Verse, ZGR 2017, 174, 192, wonach es in solchen Fällen ohnehin an ei­ ner „groben Pflichtverletzung“ im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG fehlt. 912 Vgl. Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 38 Rn. 6 ff.; eine Ausnah­ me gilt für die dem MitbestG unterliegende GmbH, für die nach § 31 Abs. 1 S. 1 MitbestG an die Stelle von § 38 GmbHG der strengere § 84 Abs. 3 AktG tritt. 913 Vgl. Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 38 Rn. 73 ff.

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pflichtwidrigen Handelns“ aufzudrücken,914 entfaltet beim GmbH-Ge­ schäftsführer weniger Durchschlagskraft. Letzterer steht aufgrund der personalistischen Natur der GmbH und der damit einhergehenden er­ heblichen Größenunterschiede im Vergleich zur AG in aller Regel deut­ lich weniger im Fokus der Öffentlichkeit als ein „Spitzenmanager“ eines international agierenden Konzerns. Es ist deshalb davon auszugehen, dass ihm nicht dieselben „erhebliche[n] berufliche[n] und sozialgesell­ schaftliche[n] Nachteile drohen“915, wie dies beim Vorstand einer AG der Fall wäre. Demzufolge kann gerade im GmbH-Recht die Frage der haf­ tungsrechtlichen Folge – Ausschluss des Verschuldens oder bereits der objektiven Pflichtwidrigkeit – eines ordnungsgemäß ausgeübten Ent­ scheidungsspielraums im Regelfall ebenso dahinstehen wie die dogmati­ sche Begründung dieses ohnehin nahezu einheitlich anerkannten Grund­ satzes.916 Viel bedeutsamer ist ohnehin, welche konkreten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit dem Geschäftsführer ein solcher Entscheidungsspiel­ raum tatsächlich gewährt werden kann und nach welchen Maßstäben das entsprechende Ermessen auszuüben ist. Es geht letztlich im Kern um die Frage, welche organschaftlichen Pflichten den Geschäftsführer bei einer unklaren oder umstrittenen Rechtslage treffen und wie eine Haf­ tung gegenüber der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG vermieden werden kann. 2. Rechtsermittlungspflicht und Rechtsbefolgungspflicht Es stellt eine Selbstverständlichkeit dar, dass den Geschäftsführer eine Rechtsermittlungspflicht trifft und er nicht schlicht „ins Blaue hinein“ entscheiden darf. Nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständ­ nis einer nur eingeschränkt geltenden Legalitätspflicht beurteilt sich die Pflichtmäßigkeit des Geschäftsführerhandelns vorrangig anhand des Ge­ sellschafterinteresses und ist nicht von einer unbedingten Binnenpflicht zur Rechtskonformität überlagert. Stellt sich dann für den Geschäftsfüh­ rer auf Basis einer einwandfrei durchgeführten Rechtsermittlung heraus, dass eine unzweifelhafte und eindeutige Rechtsbefolgungspflicht vor­ liegt und entscheidet er dennoch, dass der Rechtsverstoß ausnahmsweise lohnenswert für die Gesellschaft ist, hat eine mögliche Pflichtverletzung 914 So Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 224 für das Vorstandsmitglied einer AG auf­ grund seiner „öffentlichkeitsträchtigen Stellung als Manager“. 915 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 224 mit umfassenden Ausführungen zum Vor­ standsmitglied als „Spitzenmanager“ auf den S. 157 ff. 916 Siehe ausführlich zur Frage der Verortung des Vorstandshandelns auf der Verschul­ dens- oder Pflichtenebene Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 220 ff.; siehe zur Be­ deutungslosigkeit dieser Diskussion selbst beim Vorstand Verse, ZGR 2017, 174, 192.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

weder etwas mit einer unklaren Rechtslage noch mit der Rechtsermitt­ lungspflicht des Geschäftsführers zu tun. Tangiert wird in diesem Fall einzig die Abwägung im Rahmen eines nützlichen Rechtsverstoßes, die eigenen Regeln unterliegt.917 Anders verhält sich dies, wenn der Ge­ schäftsführer hinsichtlich der Rechtsbefolgungspflicht Zweifel hat, aber prinzipiell darum bemüht ist, sich rechtstreu zu verhalten. Handelt er im Zuge einer solchen rechtlichen Ungewissheit aus ex ante-Sicht im Sinne des Gesellschafterinteresses, kann ihm im Innenverhältnis lediglich eine Verletzung seiner Rechtsermittlungspflicht vorgeworfen werden. Im ers­ ten Fall, dem nützlichen Rechtsverstoß, verletzt der Geschäftsführer vorsätzlich gesetzliche Vorschriften, während der zweite Fall von einer Rechtsunsicherheit geprägt ist. Die Rechtsbefolgungspflicht ist somit nicht zwangsläufig das Resultat einer ordnungsgemäßen Rechtsermitt­ lung, wenngleich ein sachlicher Zusammenhang beider Institute freilich nicht negiert werden kann.918 Liegt im Ergebnis ein rechtswidriges Ver­ halten des Geschäftsführers vor, kann eine Pflichtverletzung sowohl im Gesetzesverstoß oder auch in einem früheren Stadium, namentlich einer sorgfaltswidrigen Rechtsermittlung, begründet liegen. Es handelt sich bei der Rechtsermittlungspflicht folglich um eine konkretisierte Ge­ schäftsleiterpflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG, die den sonstigen Binnen­ pflichten vorgelagert ist.919 An der zugrundeliegenden konzeptionellen Einordnung ändert sich auch nichts, wenn man die Legalitätspflicht wie auch die herrschende Mei­ nung als uneingeschränkte Pflicht zur Rechtskonformität begreift, mit­ hin als bedingungslose Rechtsbefolgungspflicht. Zwar verbietet sich nach diesem Verständnis eine Abwägung zwischen Rechtsbefolgungs­ pflicht und Gesellschafterinteresse, sodass nützliche Rechtsverstöße von Anfang an unzulässig sind, es bleibt aber dabei, dass die Rechtsermitt­ lungspflicht des Geschäftsführers als Dreh- und Angelpunkt rechtlicher Unsicherheiten losgelöst von der Legalitätspflicht zu betrachten ist.920 Konzeptionell ist das Handeln unter rechtlicher Unklarheit darüber hin­ aus auch vom Auswahl- und Überwachungsverschulden abzugrenzen. Die Leitung eines Unternehmens macht ab einer gewissen Größe eine 917 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 194; ausführlich zu den nützlichen Rechtsverstößen später auf den S. 197 ff. 918 Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 341 f.; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 21.; ähnlich Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f. 919 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 194, 200 f.; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 341 f.; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 21; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 874 ff.; Verse, ZGR 2017, 174, 176 f.; ähnlich Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f. 920 Anders Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f., der für den Verhaltensvorwurf stets auf die vorgelagerte Rechtsermittlungspflicht abstellt und auch das Verständnis der Lega­ litätspflicht hierauf beschränkt.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Arbeitsteilung unabwendbar, sodass grundsätzlich auch den eigenverant­ wortlichen Entscheidungen nachgeordneter Mitarbeiter, die sorgfältig ausgewählt und überwacht werden, vertraut werden darf. Bei Rechtsver­ letzungen in diesen Fällen haftet der Geschäftsführer allenfalls über ein allgemeines Auswahl- und Überwachungsverschulden, nicht aber auf­ grund der Tatsache, dass er selbst die unklare Rechtslage nicht erkannt hat.921 3. Inhalte einer Rechtsvergewisserungspflicht Bevor auf die einzelnen Kriterien eingegangen werden kann, die einen Rechtsrat dazu qualifizieren, die Pflichtwidrigkeit bzw. das Verschulden auszuschließen, ist vom Geschäftsführer zunächst zu überprüfen, ob der jeweilige Zweifelsfall überhaupt „beratungsbedürftig“922 ist. Der Ge­ schäftsleiter muss dabei über die nötige „Sensibilität“923 verfügen, er­ kennen zu können, ob ein rechtlicher Zweifel tatsächlich begründet ist. Allerdings dürfen die diesbezüglichen Anforderungen an den Geschäfts­ führer nicht überspannt werden („Geschäftsleiter müssen keine Juristen sein“924). Besteht eine solche Beratungsbedürftigkeit, handelt der Ge­ schäftsführer nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2007 dann nicht schuldhaft, „wenn er bei fehlender eigener Sachkunde […] den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsge­ mäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm darauf erteilten Antwort dem Rat folgt.“925 Bezogen auf den eingeholten Rechts­ 921 OLG Stuttgart, Urteil v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, AG 2010, 133, 135; Koch, in: Hüf­ fer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 45a f.; siehe auch Krieger, ZGR 2012, 496, 498: Der Geschäftsleiter „kann sich auf das stützen, was ordnungsgemäß ausgewählte und überwachte Mitarbeiter und hinzugezogene Experten erarbeitet haben“; eben­ so Strohn, CCZ 2013, 177, 180 mit den Stichworten Qualitätsmanagement und Com­pli­ance. 922 Vgl. zu diesem Ausdruck Binder, AG 2008, 274, 284; Binder, AG 2012, 885, 888, 890; Strohn, CCZ 2013, 177, 180. 923 Binder, AG 2008, 274, 283 f.; Binder, AG 2012, 885, 890; zustimmend Strohn, CCZ 2013, 177, 180; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; ähnlich U. H. Schneider, DB 2011, 99, 102 („Gespür für Rechtsrisiken“); siehe auch Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 189; Fleischer, NZG 2010, 121, 122; Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1350, wonach sich der Geschäftsleiter spätestens mit Amtsübernahme über das aktien- bzw. GmbH-rechtliche „Grundpflichtenheft“ zu unterrichten hat; kritisch Krieger, ZGR 2012, 496, 498 f., der eine generelle Sensibilität für übertrieben hält und stattdessen auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abstellt. 924 So zutreffend Krieger, ZGR 2012, 496, 498; ebenso Fleischer, NZG 2010, 121, 122 („Vertiefte juristische Kenntnisse“ sind nicht erforderlich). 925 BGH, Urteil v. 14.05.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (Wirtschaftsprüfergutach­ ten zur Frage der Insolvenzreife); bestätigend BGH, Urteil v. 27.03.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174; siehe allgemein zum Vertrauen auf Informationen Dritter Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 259; Fleischer, ZIP 2009, 1397 ff.; Strohn, CCZ 2013, 177, 179 f.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

rat im Bereich der Organhaftung hat der BGH insbesondere im Zuge der ISION-Rechtsprechung926 diverse „Kriterien“927 für ein berechtigtes Ver­ trauen wie folgt aufgestellt. a) Auswahl eines fachkundigen und unabhängigen Beraters Die Qualität eines Rechtsrates steht und fällt mit der Qualität des hinzu­ gezogenen Experten, weshalb der BGH einen fachlich qualifizierten und unabhängigen Berater fordert.928 Hinsichtlich der Fachkompetenz ist je­ doch umstritten, ob ein anerkannter Spezialist im Sinne eines „Fachan­ walts“929 bzw. ein „erfahrener“930 Anwalt nötig ist oder es ausreichend ist, auf die Formalqualifikation, z.B. die „Anwaltszulassung“931, zu ach­ ten. An letzterer Ansicht mag gewiss richtig sein, dass ein Rechtsunkun­ diger zumeist gar nicht zwischen fachlich versierten und ungeeigneten bzw. erfahrenen und unerfahrenen Fachleuten unterscheiden kann. Al­ lerdings sollte selbst der juristische Laie erkennen, dass für die Beratung in komplizierten steuerrechtlichen Gestaltungsfragen ein auf Wohn­ raummietrecht oder Scheidungsrecht spezialisierter Anwalt in aller Re­ gel ungeeignet sein dürfte.932 Ob die dafür notwendige Expertise anderer­ seits ausschließlich Fachanwälte für Steuerrecht aufbringen können oder nicht auch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, steht auf einem anderen Blatt und ist gewiss vom Einzelfall abhängig.933 Die Bezeichnung als Fachanwalt ist damit zwar nicht das alleinige ausschlaggebende Kriteri­ um für die fachliche Qualifikation, aber zumindest ausreichend, um dem Erfordernis gerecht zu werden.934

926 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; siehe auch OLG Stuttgart, Urteil v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, AG 2010, 133, 135; dazu Fleischer, NZG 2010, 121. 927 Im Schrifttum spricht man in diesem Zusammenhang zutreffend von bloßen „Leitplanken“, da die Frage nach dem Vertrauendürfen stark einzelfall- und fak­ tenabhängig ist, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42a m.w.N. 928 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098. 929 In diese Richtung Krieger, ZGR 2012, 496, 499; Strohn, CCZ 2013, 177, 181; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141. 930 Binder, AG 2008, 274, 285 f.; Binder, AG 2012, 885, 892; ebenso Cahn, WM 2013, 1293, 1304 bei schwierigen Rechtsfragen. 931 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42b; Fleischer, NZG 2010, 121, 123; im Grundsatz auch Cahn, WM 2013, 1293, 1304; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 139. 932 So zutreffend Krieger, ZGR 2012, 496, 498; Strohn, CCZ 2013, 177, 181; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141; U. H. Schneider, DB 2011, 99, 103. 933 Siehe auch BGH, Urteil v. 27.03.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174, wonach für die Frage der Insolvenzreife einer Gesellschaft neben Rechtsanwälten und Wirt­ schaftsprüfern ausdrücklich auch geeignete Angehörige anderer Berufsgruppen als Berater in Betracht kommen. 934 Siehe Strohn, CCZ 2013, 177, 181 (Der Fachanwalt als „safe harbour“).

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Mindestens ebenso umkämpft ist das Kriterium der Unabhängigkeit. Nach der ISION-Rechtsprechung galt ein Rechtsberater nur dann als un­ abhängig, wenn es sich dabei um einen unternehmensexternen Anwalt handelte.935 Auf diese Forderung wurde mit teils scharfer Kritik reagiert, nachdem sich bereits die vor dem Urteil bestehende Literatur für eine grundsätzliche Zulassung auch von Hausjuristen und Syndikusanwälten als verlässliche und unabhängige Auskunftspersonen ausgesprochen hat­ te.936 Ebenso kritisch wurde die Forderung aufgenommen, betriebsfremde Rechtsanwälte würden dann nicht mehr als unabhängige Berater gelten, wenn es um rechtliche Zweifel eines Dokuments gehe, deren Urheber sie selbst bzw. die sie anstellende Anwaltssozietät seien.937 Letztlich kommt es allerdings auf die sachliche Unabhängigkeit und nicht auf die persön­ liche an, sodass prinzipiell auch die interne Rechtsabteilung, der Hausju­ rist oder auch der vorbefasste Rechtsanwalt als ausreichend unparteiisch und demnach qualifiziert für einen ergebnisoffenen Rechtsrat angesehen werden dürfen.938 b) Umfassende Information des Beraters Eine schuldausschließende bzw. die Pflichtwidrigkeit beseitigende Wir­ kung einer Beratung tritt ferner nur dann ein, wenn dem Berater sämtli­ che für die konkrete Frage notwendigen Unterlagen zugänglich gemacht und ihm keine Informationen vorenthalten werden. Aufgrund der Darle­ 935 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; ähnlich Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 421, der bei einem internen Rechtsrat vor der Ge­ fahr der „Betriebsblindheit“ warnt und bei „Rechtsfragen von besonderer Tragwei­ te“ die Einholung einer zweiten Meinung verlangt („Vier-Augen-Prinzip“); für die Notwendigkeit einer zweiten Meinung bei besonders komplexen Rechtsfragen ebenfalls Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 36; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 68; U. H. Schneider, DB 2011, 99, 103; mit deutlicher Kritik hieran Krieger, ZGR 2012, 496, 500 („Wie viele Rechtsberater braucht ein Geschäftsleiter?“). 936 Vgl. Fleischer, NZG 2010, 121, 123 f.; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 193; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Binder, AG 2008, 274, 284 f.; ebenso C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 23 Rn. 62; aus neuerer Zeit Hopt/ Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 139; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42c; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 282 f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 32; Binder, AG 2012, 885, 892; Cahn, WM 2013, 1293, 1303; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139 ff.; Strohn, CCZ 2013, 177, 181 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 500 f.; Kleindiek, in: Lutter/Hommel­ hoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 14. 937 So Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139 ff.; später indes relativierend Strohn, CCZ 2013, 177, 181 f.; dies kritisierend Krieger, ZGR 2012, 496, 500 f.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 14; Cahn, WM 2013, 1293, 1303; Binder, AG 2012, 885, 892. 938 So jetzt auch BGH, Urteil v. 28.04.2015 – II ZR 63/14, DStR 2015, 1635, 1639; dazu E. Vetter, NZG 2015, 889, 893 f.; Steber, DStR 2015, 2391, 2394; Fleischer, DB 2015, 1764, 1768.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

gungs- und Beweislast des Geschäftsführers ist eine schriftliche Auflis­ tung sämtlicher übermittelter Daten und Informationen ratsam.939 Durch eine vorsätzliche oder fahrlässige Falschinformation erfüllt der Geschäftsführer zweifellos nicht seine Pflicht. Fraglich ist hingegen, wie mit irrtümlichen Fehlinformationen umzugehen ist. Nach überzeugen­ der Auffassung trifft in solchen Fällen den Berater selbst eine Aufklä­ rungspflicht, sodass er durch gezieltes Nachfragen mögliche Lücken in der Sachverhaltsschilderung zu schließen hat.940 Im Allgemeinen darf der Geschäftsleiter sich also darauf verlassen, dass der Berater die benötigten Unterlagen anfordert. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist dann anzunehmen, wenn für den Berater anhand der ihm übermittelten Daten nicht erkennbar ist, dass noch weitere relevante Informationen existie­ ren oder der Geschäftsleiter die Herausgabe selbiger verweigert.941 c) Plausibilitätskontrolle Zu guter Letzt wird eine „sorgfältige Plausibilitätsprüfung“942 durch den Geschäftsleiter verlangt. Dieses Merkmal und seine Funktion, etwaige Gefälligkeitsgutachten auszuscheiden, wird teilweise als das proble­ matischste beschrieben.943 Dafür ist kein juristisches Fachwissen not­ wendig. Ausreichend ist hierbei, dass der Geschäftsführer erkennt, ob das Gutachten offensichtliche Widersprüche aufweist, die höchstrichter­ liche Rechtsprechung korrekt dargestellt wird und sich kritisch und nicht völlig einseitig mit der gestellten Frage auseinandersetzt.944 Gerade an juristische Laien dürfen diesbezüglich keine überspannten Anfor­ derungen gestellt werden, sodass ein Expertengutachten erst dann als untauglich einzustufen ist, „wenn ihm der Gefälligkeitscharakter ge­ radezu auf der Stirn geschrieben steht.“945 Im Falle besonders eilbedürfti­ 939 Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 285; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Strohn, CCZ 2013, 177, 183. 940 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42d; Fleischer, NZG 2010, 121, 124; Krieger, ZGR 2012, 496, 499; Cahn, WM 2013, 1293, 1304; Binder, AG 2008, 274, 286; Binder, AG 2012, 885, 893; Binder, ZGR 2012, 757, 771; a.A. Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; Strohn, CCZ 2013, 177, 183. 941 Krieger, ZGR 2012, 496, 499. 942 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; eingehend zu die­ sem Kriterium Buck-Heeb, BB 2016, 1347 ff. 943 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141 („Feigenblattfunktion“); gegen den Grundsatz, stets eine Plausibilitätsprüfung zu verlangen, Krieger, ZGR 2012, 496, 502. 944 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42e; Fleischer, NZG 2010, 121, 124; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Strohn, CCZ 2013, 177, 183 f.; Cahn, WM 2013, 1293, 1305; Binder, AG 2008, 274, 286; Binder, AG 2012, 885, 893. 945 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42e; ebenso Beurskens, in: Baum­ bach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 32; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-­ GmbHG, 2020, § 43 Rn. 14; Binder, AG 2008, 274, 286 („erkennbare Fehlerhaftig­ keit“ der erteilten Auskunft); strenger Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1349 ff.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

ger Entscheidungen ist bereits eine summarische Rechtsprüfung ausrei­ chend.946 Nichts anderes kann für Rechtsauskünfte zum Zwecke der Gesetzesum­ gehung gelten. Obwohl es dem subjektiven Gerechtigkeitsgefühl wider­ sprechen mag, den Geschäftsleitern von Unternehmen die Suche nach Gesetzeslücken und damit eine Bewegung „am Rande der Legalität“947 zu gestatten, erlaubt das Recht dennoch kein pauschales Verbot einer solchen Unternehmenspolitik. Ein Aufhalten am Rande der Legalität darf nicht gleichgesetzt werden mit illegalem Verhalten, sodass auch in diesem Fall als Grenze einzig das Gefälligkeitsgutachten gelten muss.948 Hat ein Geschäftsführer von einem fachlich qualifizierten und unabhän­ gigen Berater die Auskunft erhalten, ein konkretes Steuergestaltungsmo­ dell sei zwar hochriskant, jedoch nicht per se missbräuchlich im Sinne des § 42 AO, und wird dieser Ansicht später von den Behörden und Ge­ richten widersprochen, kann ihm nicht allein deswegen der Vorwurf ge­ macht werden, sich an der Grenze des Zulässigen bewegt zu haben. Un­ ter Umständen ist er als Geschäftsführer eines an riskanten Geschäften interessierten Unternehmens sogar dazu verpflichtet, eine solche Grat­ wanderung zu vollziehen.949 Ein Pflichtwidrigkeits- bzw. Verschuldens­ vorwurf kann daher einzig an einer nicht ordnungsgemäß ausgeübten Rechtsermittlungspflicht (wozu auch die Plausibilitätskontrolle zu zäh­ len ist) oder einer unsachgemäßen Abwägung ansetzen. In der ISION-Rechtsprechung verlangte der BGH zudem, dass das Gut­ achten schriftlich erteilt werden muss.950 Allerdings ging es dabei um einen hochkomplexen Fall, der anhand einer mündlichen Auskunft für den Geschäftsführer wohl kaum nachvollziehbar gewesen sein dürfte. Grundsätzlich können, jedenfalls bei einfach gelagerten oder besonders eilbedürftigen Fällen, auch mündliche Gutachten ausreichend sein.

946 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 36; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 68; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 436; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Spindler, in: FS Canaris/ II, 2007, S. 403, 420 f.; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92. 947 KG Berlin, Urteil v. 30.06.1977 – (2) Ss 43/77, JR 1978, 166, 168. 948 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42e; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 195 f.; strenger insoweit das Strafrecht, wo „mehr als die Einholung bloßer Rechtsauskünfte“ verlangt wird und es nicht entschuldigend wirkt, wenn der An­ geklagte lediglich geglaubt hat, „durch eine Lücke des Strafgesetzes schlüpfen zu können“, BGH, Urteil v. 10.07.1952, 5 StR 358/52, BGHSt 3, 99, 101. 949 Zur Pflicht des Geschäftsführers, eine aggressive Steuerpolitik zu betreiben, siehe oben. 950 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; zustimmend Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; ähnlich Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 204 („in der Regel schriftlich“).

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

Entscheidend ist abermals der jeweilige Einzelfall.951 Im Rahmen der ­ ­ rbeitsteilung kann der Geschäftsführer selbstverständlich auch die un­ A ternehmensinterne Rechtsabteilung bzw. einen dafür qualifizierten Mit­ arbeiter mit der Plausibilitätskontrolle beauftragen.952 Es bleibt aber auch in diesem Fall, abgesehen von einem möglichen Auswahl- und Überwa­ chungsverschulden, bei einer auf das Mindestmaß reduzierten Prüf­ pflicht des Geschäftsführers.953 Ein Verschulden des Beraters ist dem ­Geschäftsführer nach einhelliger Ansicht nicht über § 278 BGB zuzu­ rechnen.954 4. Abwägung Sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt und die Zweifel trotz des Rechtsrates nicht vollständig ausgeräumt, steht dem Geschäftsführer ein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zu. Er hat sämtliche Vorteile des Geschäfts mit den Risiken abzuwägen, welchen sich das Unternehmen im Fall der gerichtlich erklärten Rechtswidrigkeit ausgesetzt sehen wür­ de (Kosten-Nutzen-Abwägung).955 Nach der ISION-Rechtsprechung muss 951 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42e; Fleischer, NZG 2010, 121, 124 f.; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 288; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 139; Binder, AG 2012, 885, 893; Binder, ZGR 2012, 757, 772; Strohn, CCZ 2013, 177, 183; Krieger, ZGR 2012, 496, 502 f.; Cahn, WM 2013, 1293, 1304 f.; einschränkend Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1353 f., wonach die Ein­ holung einer nachträglichen Schriftfassung des mündlichen Rates nötig ist. 952 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42e; Cahn, WM 2013, 1293, 1305; Krieger, ZGR 2012, 496, 502; enger insoweit Strohn, CCZ 2013, 177, 183 f., wo­ nach ein Gutachten, welches der Geschäftsleiter nicht in allen Aspekten nach­ vollziehen kann, schon grundsätzlich untauglich ist. Ob die Rechtsabteilung mit ihrem Fachwissen darüber hinweghelfen kann, geht nicht eindeutig aus dem Bei­ trag hervor; siehe zudem Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1353, wonach sich die Frage der Delegation für GmbHs, die meistens keine eigene Rechtsabteilung haben, nicht stellt. Dies ist jedoch zu kurz gedacht, da auch diese in aller Regel zumin­ dest über Steuerberater und andere fachunkundige Personen in ihrem Umfeld ver­ fügen, ohne dass es einer eigens eingerichteten Rechtsabteilung bedürfe. 953 Strohn, CCZ 2013, 177, 184; Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1353; siehe auch Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 203; Bürkle, VersR 2013, 792, 800 („höchstpersönliche“ Pflicht); a.A. Krieger, ZGR 2012, 496, 502 (ausreichend ist, sich über das Ergebnis berichten zu lassen). 954 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; Fleischer, in: Mü­ Ko-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 42f; Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 46; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142 f.; Strohn, CCZ 2013, 177, 184; Cahn, WM 2013, 1293, 1302 f. 955 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 37 f.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 f.; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 12 und 31 f.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 70 f.; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255; Zimmermann, WM 2008, 433, 435; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 420 f.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524 f.; besonders streng insoweit Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 462 f., wonach „für jede Entscheidungsalternative die Wahr­

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

dabei jedenfalls die eindeutige herrschende Meinung, insbesondere die höchstrichterliche Rechtsprechung, beachtet werden.956 Die Forderung des BGH ist jedoch redundant, da dieses Kriterium ohnehin im Rahmen der Rechtsvergewisserungspflicht zu erfüllen ist und ein eingeholter Rechtsrat sich zwangsläufig auch mit der die entsprechende Frage tangie­ renden Rechtsprechung auseinanderzusetzen hat. Kommt der Berater in der Folge zu dem Ergebnis, dass zwar eine höchstrichterliche Rechtspre­ chung zu der konkreten Rechtsfrage existiert, diese aber nach seinem Rechtsverständnis fragwürdig ist, kann sie unter erschwerten Vorausset­ zungen angegriffen werden, ohne dass dem Geschäftsführer infolge eines negativen Verfahrensausgangs gesellschaftsinterne Sanktionen drohen dürfen. Andernfalls ist die höchstrichterliche Rechtsprechung in die Ent­ scheidungsfindung des Geschäftsführers zwingend und in aller Regel auch unumstößlich einzubeziehen, da sie eine unklare Rechtslage ja ge­ rade beseitigt.957 a) Gängige Theorien zur Bestimmung des Beurteilungs- bzw. ­Ermessensspielraums Nach welchen Maßstäben der Geschäftsführer seinen Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum letztlich auszuüben hat, ist umstritten.958 Mehr­ heitlich wird darauf abgestellt, ob die Entscheidung des Geschäftsleiters als noch vertretbar bzw. „nicht geradezu unvertretbar“959 anzusehen ist (sog. „Vertretbarkeitstheorie“).960 Eine Einschränkung dieser Ansicht be­ fürwortet Dreher mittels einer „Theorie der beweglichen Schranke“961. Dieser Ansatz wurde ursprünglich für die Konstellation des Abweichens von einer gefestigten Rechtsprechung entwickelt, welche im nächsten Punkt noch näher erläutert wird. Dessen Grundaussage, wonach dem Gewicht des erhofften Vorteils für die Gesellschaft im Falle des Abwei­ chens umso weniger Gewicht zukomme, „je gefestigter die Rechtslage scheinlichkeit und Höhe des Schadens [so konkret wie möglich] zu ermitteln“ sind. 956 BGH, Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098; im Grundsatz zu­ stimmend Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 38; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92 f.; Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 463; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880. 957 Die rechtliche Ungewissheit wird durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung nur dann nicht beseitigt, wenn sie uneinheitlich ist, also beispielsweise zwei Se­ nate zu derselben Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten. 958 Siehe zu den einzelnen Theorien sowie einer kritischen Auseinandersetzung da­ mit Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2250 f. 959 So Zimmermann, WM 2008, 433, 435. 960 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 207 f.; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 421; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 37 f.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 f.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 70; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92; Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 462 f. 961 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

ist und je mehr höhere Gerichte hierzu beigetragen haben“962, kann aller­ dings auch auf die Problematik der unklaren Rechtslage übertragen ­werden.963 Speziell für den Bereich des Bankaufsichtsrechts wird von Langenbucher zudem die sog. „Optimierungstheorie“ vertreten, wonach, ebenfalls in Form einer Einschränkung der Vertretbarkeitstheorie, nicht jede gerade noch vertretbare Entscheidung genügen soll, sondern einzig die am besten vertretbare Rechtsmeinung den Sorgfaltsanforderungen des Geschäftsleiters gerecht wird.964 b) Die Ansicht von Verse Ausgiebig hat sich Verse dieser Frage gewidmet und dabei vor einer Aus­ höhlung der Präventionswirkung des Straf- und Bußgeldrechts durch eine Anwendung der Vertretbarkeitstheorie gewarnt.965 Er nimmt die Vorgaben zum Ausgangspunkt, welche im Straf- und Bußgeldrecht für den Umgang mit einer unklaren Rechtslage entwickelt worden sind,966 um auch das Innenverhältnis dementsprechend zu determinieren – und zwar allgemein und über den Fall eines strafbaren oder ordnungswidrigen Rechtsverstoßes hinaus. Demnach habe sich die Entscheidungsfindung bei rechtlicher Ungewissheit anhand dreier Kriterien zu vollziehen: Es muss die fragliche Handlung aus ex ante-Sicht „mit annähernd gleicher oder überwiegender Wahrscheinlichkeit […] vor Gericht als rechtmäßig bestätigt“ werden (1.) und darüber hinaus das Gewicht der Nachteile, die der Gesellschaft bei Verzicht auf die fragliche Handlung drohen (2.), so­ wie die Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung, wenn sich der ein­ genommene Rechtsstandpunkt als fehlerhaft erweist (3.), in die Abwä­ gung einbezogen werden.967

962 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93. 963 So letztlich U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 79; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 71; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 964 Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 342 ff.; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22 f.; tendenziell auch Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 44a, jedoch zurückhaltender in Rn. 45a; dagegen Hopt, ZIP 2013, 1793, 1799, wonach die Op­ timierungstheorie selbst im Aufsichtsrecht „über das Ziel hinaus schießt“, da der Vorstand letztlich vor jeder wichtigen Entscheidung die Ansicht der staatlichen Aufseher einholen müsste; zustimmend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 207. 965 So Verse, ZGR 2017, 174, 184 f. für den Fall, der Geschäftsleiter könne im Innen­ verhältnis eine Haftung durch eine lediglich vertretbare Entscheidung verhindern und die Präventionswirkung der Straf- und Bußgelddrohung damit über den Bin­ nenregress unterlaufen. 966 Ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen hierzu Verse, ZGR 2017, 174, 182 ff. 967 Verse, ZGR 2017, 174, 188 ff.; zustimmend Koch, in: Hüffer/Koch-AktG, 2021, § 93 Rn. 45a.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Wenngleich Verse diesbezüglich lediglich von „handhabbaren und flexi­ blen Leitlinien“968 spricht, basiert seine Gesamtlösung dennoch auf einer angreifbaren Grundannahme. Dem Verfasser geht es im Rahmen der un­ klaren Rechtslage um einen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Inter­ esse an der Rechtskonformität einerseits sowie der Handlungsfreiheit des Normadressaten andererseits.969 Die Grundaussage Verses basiert so­ mit auf demselben Verständnis, welchem auch die sonstigen Vertreter einer umfassenden Legalitätspflicht unterliegen: das öffentliche Interes­ se an der Einhaltung der Rechtsordnung verlange eine uneingeschränkte Spiegelung der Pflichten aus dem Außenverhältnis in das Binnenverhält­ nis.970 Öffentliche Interessen entfalten nach dem oben Gesagten im Rah­ men der Binnenhaftung aber gar keine oder zumindest nur reflexartige Wirkung, sodass das Organhandeln keine gesellschaftsinterne Einschrän­ kung auf diesem Weg erfahren darf. Das Außenverhältnis ist vom Innen­ verhältnis strikt zu trennen und darf nach dem Ergebnis bisheriger ­Untersuchungen auch nicht über den Umweg einer behaupteten Not­ wendigkeit der Präventionswirkung des Straf- und Bußgeldrechts das In­ nenverhältnis abschließend determinieren. c) Stellungnahme Allen Theorien geht es im Kern um die Verhinderung einer Aushöhlung des Legalitätsprinzips,971 unterschiedlich ist lediglich der Maßstab, wann genau von einer solchen Unterminierung gesprochen werden kann. Wür­ de man die Ansicht der herrschenden Lehre von einer uneingeschränkten Legalitätspflicht zugrunde legen, wäre die Vertretbarkeitstheorie vor­ zugswürdig. Überspannte Anforderungen würden ansonsten dazu füh­ ren, dass der Geschäftsleiter für Fehler einstehen müsste, die eigentlich beim Gesetzgeber anzusiedeln sind.972 Das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis einer ausschließlich am Gesellschafterinteresse ausgerichteten Pflicht des Geschäftsführers zur Rechtskonformität im Innenverhältnis bewirkt dagegen, dass die Aussa­ gekraft der Theorien überdacht werden muss. Indem das Gesellschafte­ rinteresse den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Handlungsma­ ximen des Geschäftsführers bildet und nicht von einem öffentlichen 968 Verse, ZGR 2017, 174, 191. 969 Verse, ZGR 2017, 174, 189 („das öffentliche Präventionsinteresse“). 970 Siehe Verse, ZGR 2017, 174, 184 f. 971 So deutlich Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522; ähnlich Verse, ZGR 2017, 174, 184 f., der vor einer Aushöhlung der mittels der Legalitätspflicht gewährleisteten Präven­ tionswirkung des Straf- und Bußgeldrechts warnt; siehe auch Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 344 f. (drohende „Ver­ wässerung der Rechtsunterworfenheit der Gesellschaft“). 972 So auch Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 207 f.; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1799; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

Interesse an der Einhaltung der Gesetze überlagert wird, hat sich die in­ haltliche Ausgestaltung der organschaftlichen Rechte und Pflichten auch hieran zu orientieren. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen wer­ den, geht daraus sogar die grundsätzliche Zulässigkeit nützlicher Rechts­ verstöße hervor. Die Übergänge von der rechtlichen Unsicherheit zum nützlichen Rechtsverstoß sind dann allerdings fließend, lediglich der An­ knüpfungspunkt der schuldhaften Pflichtverletzung sowie die Gewich­ tung der einzelnen Abwägungsgesichtspunkte können je nach Konstella­ tion verschieden sein. Folglich können die einzelnen Ansichten zwar inzident für die auf dieser Basis anzustellende Abwägung berücksichtigt werden, vermögen allerdings nicht, abschließende Kriterien aufzustel­ len. 5. Zusammenfassung zur unklaren Rechtslage Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dem Geschäftsleiter unabhängig vom Verständnis einer Legalitätspflicht und dessen Reich­ weite ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum im Rahmen einer un­ klaren oder umstrittenen Rechtslage zukommt. Dabei liegt anders als bei den nützlichen Rechtsverstößen keine bewusste Gesetzesverletzung und mithin kein Fall der Rechtsbefolgungspflicht vor. Vielmehr trifft den Ge­ schäftsführer in diesem Zusammenhang vorrangig eine Rechtsermitt­ lungspflicht, wobei es sich um eine den sonstigen Binnenpflichten vorge­ lagerte konkretisierte Sorgfaltspflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG handelt. Ist er dieser ordnungsgemäß nachgekommen, indem er sich von einem Experten, dem alle relevanten Informationen zur Verfügung gestellt wor­ den sind, fachkundig und unabhängig hat beraten lassen und er den er­ haltenen Rechtsrat zudem auf seine Plausibilität hin überprüft hat, ohne dass die Rechtszweifel ausgeräumt werden konnten, kann dem Ge­ schäftsführer kein Vorwurf mehr einzig deswegen gemacht werden, dass nach Ansicht der Rechtsprechung eine gesetzliche Pflicht nicht eingehal­ ten wurde. In diesen Fällen liegt eine vom Gesetzgeber verschuldete unklare Rechts­ lage vor, sodass die darauffolgende Entscheidung des Geschäftsleiters nur noch einer gerichtlichen Evidenzkontrolle unterliegt, die auf die Fest­ stellung von Abwägungsfehlern reduziert ist. Nach der Ansicht der herr­ schenden Meinung handelt der Geschäftsführer weder pflichtwidrig noch schuldhaft, wenn er eine Entscheidung innerhalb der Grenzen des rechtlich Vertretbaren trifft. Da diese Arbeit das Verständnis der herr­ schenden Lehre von einer uneingeschränkten Legalitätspflicht jedoch nicht teilt und nützliche Rechtsverstöße nicht per se als pflichtwidrig einstuft, erscheint auch der Komplex der unklaren Rechtslage in einem anderen Licht. Konsequent zu Ende gedacht dürfen nach diesem Ver­ ständnis selbst rechtlich unvertretbare Entscheidungen nicht automa­ 201

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

tisch als pflichtwidrig eingeordnet werden, sondern können unter stren­ geren Kriterien ebenfalls dem Gesellschafterinteresse dienlich sein.

III. Abweichen von einer gefestigten Rechtsansicht in der Verwaltung oder Rechtsprechung Weiterhin stellt sich für einen Geschäftsführer regelmäßig die Frage, ob er sich auch über Rechtsvorschriften hinwegsetzen darf, um ihre Gültig­ keit oder vorherrschende Auslegung durch Verwaltungsbehörden oder Gerichte überprüfen zu lassen. Dabei handelt es sich um keine Entschei­ dung unter rechtlicher Zweifelslage, da die Rechtspraxis eindeutig ist und der Geschäftsführer hierüber auch nicht irrt.973 Ebenso wenig liegt ein nützlicher Rechtsverstoß vor, wenn der Geschäftsführer zwar von der gängigen Rechtsansicht abweicht, aber dennoch annimmt, rechtstreu zu handeln. Brock spricht deshalb treffend von einer „‘Chimäre‘ zwischen einem Handeln unter unklarer Gesetzeslage und einem bewussten, nütz­ lichen Gesetzesbruch“974. Nachfolgend wird deshalb untersucht, welche rechtliche Bedeutung ei­ nerseits die gefestigte Rechtsprechung (1.) und andererseits eine gefestig­ te Rechtsansicht der Verwaltung (2.) für die Entscheidungsfindung des Geschäftsführers hat. Besonderes Augenmerk verdient in diesem Zusam­ menhang die speziell steuerrechtliche Frage nach einer (gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sogar strafbewehrten) Pflicht des Steuerpflichtigen aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO, eine von der Rechtsprechung oder den Richtlinien der Finanzverwaltung abweichende Rechtsauffassung in der Steuererklä­ rung offenzulegen (3.). 1. Die Bedeutung einer gefestigten Rechtsprechung Hinsichtlich der dogmatischen Verortung stellt sich dieselbe Frage wie bei der unklaren Rechtslage auch: Stellt das Abweichen von einer gefes­ tigten Rechtsansicht eine unternehmerische Entscheidung gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG (analog) dar oder liegt eine Ausnahme bzw. Durchbre­ chung der Legalitätspflicht vor?975 Auf die Grundsätze des Rechtsirrtums kann sich der Geschäftsführer bei einem bewussten Abweichen von ei­ 973 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 227; Kröger, Korruptionsschäden, 2013, S. 50; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 422; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 345 f.; a.A. Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 92 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524, die auch diese Konstellation dem Handeln unter rechtlicher Ungewissheit zuordnen. 974 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 227. 975 Siehe eingehend zur dogmatischen Verortung Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 228 f.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

ner Rechtsmeinung hingegen eindeutig nicht berufen.976 Im Ergebnis ist dem Geschäftsführer auch diesbezüglich ein Ermessensspielraum zuzu­ billigen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine gefestigte Rechtsansicht stets identisch mit der Gesetzeskonformität ist.977 Ist die Rechtskonformität einer gängigen Rechtspraxis nämlich fraglich, könnte der Geschäftsführer selbst dann rechtswidrig handeln und demzufolge gegen seine Legalitätspflicht (nach dem Verständnis der herrschenden Meinung) verstoßen, wenn er dieser Auffassung folgt.978 Da eine umfas­ sende Rechtsbindung des Geschäftsführers im Innenverhältnis nach der hier vertretenen Ansicht ohnehin abzulehnen und stattdessen auf das Gesellschafterinteresse als maßgebliche Richtschnur abzustellen ist, steht einer Abweichung von der gefestigten Rechtspraxis jedenfalls im Grundsatz nichts entgegen.979 Teilweise wird diesbezüglich sogar eine Pflicht des Geschäftsleiters angenommen, die rechtlich zweifelhafte aber gängige Rechtspraxis anzugreifen.980 Allerdings müssen in den Fällen, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Gerichte von ihrer Rechtsansicht nicht abweichen werden, strengere Voraussetzungen gelten als bei einer unklaren und ungefestig­ ten Rechtslage.981 Sollten hingegen Anhaltspunkte für eine Änderung der Rechtsprechung gegeben sein, können die Anforderungen auch gelockert

976 Anders aber Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 345 f. 977 Siehe Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 138: „Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht“, weshalb eine „zu enge Pflichtenbindung geradezu systemschädlich“ wäre; ebenfalls einen Ermessensspielraum grundsätz­ lich befürwortend Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 228 f.; Kröger, Korruptions­ schäden, 2013, S. 50; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 422; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 37 f.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; Bürkle, VersR 2013, 792, 801 f.; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 345 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; die Möglichkeit eines Vorgehens gegen die gängige höchstrichterliche Rechtsprechung ablehnend Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92 f.; Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 463. 978 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 228 f., der diesbezüglich auf den Rechtsge­ danken des § 275 Abs. 1 BGB abstellt. Dem Geschäftsleiter wäre es andernfalls subjektiv unmöglich, dem Legalitätsprinzip nachzukommen. 979 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 228 f. 980 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 423. 981 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 229; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 423; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Bürkle, VersR 2013, 792, 801 f.; Hasselbach/­ Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880 („nur in besonderen Ausnahmefällen“); weniger streng Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 138, die lediglich verlan­ gen, dass die „Rechtsfrage objektiv nachvollziehbar und begründet anders gesehen werden kann“; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 37; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 (bloß vertretbare Gründe reichen aus).

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werden.982 Als Faustformel sei insofern auf Drehers Theorie der bewegli­ chen Schranke verwiesen, wonach die Gründe für ein Abweichen von der gängigen Rechtspraxis umso gewichtiger sein müssen, „je gefestigter die Rechtslage ist und je mehr höhere Gerichte hierzu beigetragen haben.“983 2. Die Bedeutung einer gefestigten Rechtsansicht in der Verwaltung Obwohl nach der Ansicht einiger Autoren auch diesbezüglich bereits vertretbare Gründe für ein bewusstes Hinwegsetzen über Rechtsnormen ausreichend sein sollen,984 handelt es sich in diesem Fall um einen Streit von lediglich theoretischer Natur. Denn zweifellos verbietet bereits die durchzuführende Kosten-Nutzen-Analyse ein Abweichen von der höchst­ richterlichen Rechtsprechung, wenn von Anfang an mit Sicherheit ge­ sagt werden kann, dass ein Rechtsprechungswandel nicht zu erwarten ist und das Gericht zu Ungunsten des Unternehmens entscheiden wird. Die Nachteile, welche die Gesellschaft im Falle eines Unterliegens vor Ge­ richt treffen, sind selbstverständlich auch in diesem Fall in die Entschei­ dungsfindung einzustellen und je nach Situation entsprechend zu ge­ wichten.985 Anhand welcher Kriterien eine Abwägung auf Basis des dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnisses von der Legalitätspflicht zu erfolgen hat, und wie der Komplex des Abweichens von der gefestigten Rechtsmeinung im Spannungsfeld der unklaren Rechtslage und dem nützliche Rechtsverstoß anzusiedeln ist, wird an einem späteren Punkt noch ausführlich behandelt. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob die Grundsätze über das Abweichen von einer gefestigten Rechtsmeinung auch auf die gängige Rechtsansicht in der Verwaltung übertragen werden können. Es wird zumindest von zahlreichen Autoren empfohlen, sich grundsätzlich auch an Verwal­ tungsvorschriften zu halten, wie sie im Steuerrecht insbesondere in Ge­ stalt von BMF-Schreiben986 vorkommen. Obwohl diesen keine bindende Wirkung für Gerichte und Bürger zukommt, soll das Unternehmen sich 982 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; BuckHeeb, BB 2013, 2247, 2256. 983 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 228; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 423; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 346; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 71; ­Bürkle, VersR 2013, 792, 801 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 984 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 37; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; ähnlich Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 138. 985 Etwas anderes kann jedoch im Falle eines Perspektivwechsels gelten, wenn kein Abweichen von einer gefestigten Rechtsansicht, sondern ein nützlicher Rechts­ verstoß bezweckt wird, siehe sogleich auf den S. 208 ff. 986 Vgl. nur BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/​ 15/100001.

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dennoch auf die Richtigkeit der jeweiligen Ansicht verlassen dürfen, so­ dass in jedem Fall eine mit einer einheitlichen Rechtsprechung ver­ gleichbare sichere Rechtslage bestehe.987 Das bedeutet indes nicht, dass die behördliche Rechtsansicht apodiktisch gilt und seitens der Gesell­ schaft nicht in Frage gestellt werden darf. Sollte sich im Rahmen der ei­ genen sorgfältig durchgeführten Rechtsermittlung ergeben, das in den Verwaltungsvorschriften enthaltende Rechtsverständnis sei unzutref­ fend, muss es prinzipiell auch erlaubt sein, gerichtlich dagegen vorzuge­ hen, ohne zugleich gesellschaftsintern pflichtwidrig bzw. schuldhaft zu handeln, sollte das Gericht am Ende der Ansicht nicht folgen.988 Es kön­ nen diesbezüglich keine strengeren Anforderungen als für das Abwei­ chen von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung gelten. 3. Die Offenlegungspflicht des Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 1 S. 2 AO Speziell im Steuerrecht steht die Möglichkeit eines Steuerpflichtigen, eine für ihn günstige Rechtsansicht gegenüber dem Finanzamt zu vertre­ ten, unter dem Damoklesschwert der Offenlegungspflicht aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO. Die Frage, ob der Steuerpflichtige die Finanzämter darauf hin­ weisen muss, wenn seine Rechtsansicht von jener der Finanzverwaltung oder der Rechtsprechung der Finanzgerichte abweicht, wird deshalb seit jeher kontrovers diskutiert.989 a) Die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1999 In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1999 hat der BGH990 zu dieser Frage zumindest in Teilen Stellung bezogen. Gegenstand des Falles war ein Modell des Angeklagten zum Vertrieb von Wohnparks, wobei zweifelhaft war, ob die konkrete rechtliche Konstruktion, die für die vor­ liegende Untersuchung nicht weiter relevant ist, gemäß § 4 Nr. 12 UStG umsatzsteuerfrei war. Zur Abklärung dieser Frage holte der Angeklagte das Gutachten einer steuerrechtlich ausgerichteten Anwaltskanzlei ein. Darin wurde darauf hingewiesen, dass „in steuerlicher Hinsicht mit an 987 So LG München, Urteil v. 04.06.2009 – 5 HK O 591/09, AG 2009, 918 Rn. 248 für Vorgaben der Aufsichtsbehörde BaFin in Form allgemeiner Auskünfte; siehe auch Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23, die im Zusammenhang mit einem Rundschrei­ ben der BaFin bezüglich § 25a KWG (MaRisk) von einer „ganz erhebliche[n] fakti­ sche[n] Bindungswirkung“ spricht; zustimmend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249, 2256; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880 f. („ebenso bedeutend wie die höchstrichterliche Rechtsprechung“). 988 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23; Hasselbach/ Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880 f. 989 Vgl. hierzu Dörn, wistra 1992, 241 ff.; Dörn, DStZ 1993, 478, 483 ff.; Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 237 ff. m.w.N. 990 BGH, Urteil v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203.

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Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen“ sei, dass der weitaus überwiegende Teil der gewählten rechtlichen Konstruktion nicht umsatzsteuerpflichtig sei. Nichtsdestotrotz machte der Angeklag­ te in sieben Umsatzsteuervoranmeldungen Vorsteuerbeträge geltend, ohne zuvor eine verbindliche Auskunft des Finanzamtes eingeholt zu haben und ohne das Finanzamt bei Abgabe der Steuererklärungen auf die abweichende Rechtsansicht hinzuweisen. Der BGH sah durch dieses Verhalten den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund wenigstens bedingt vorsätzlicher Verletzung der Mit­ wirkungspflichten aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO als erfüllt an. Demnach be­ steht eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, de­ ren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist. Dies ist nach dem BGH insbesondere dann der Fall, „wenn die von dem Steuerpflichtigen ver­ tretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die ­Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlini­ en der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis ab­ weicht.“991 Ob den Steuerpflichtigen darüber hinausgehend auch dann eine Offenbarungspflicht trifft, wenn er eine Rechtsansicht vertritt, bei der er es nur für möglich hält, dass sie von jener der Finanzverwaltung abweicht, hat der Senat bewusst offen gelassen.992 Im Kern lassen sich dieser Entscheidung also zwei wesentliche Aussagen entnehmen: Dem Steuerpflichtigen steht es zwar jederzeit frei, die für ihn günstigste Rechtsansicht zu vertreten. Sollte er damit jedoch von der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regel­ mäßigen Veranlagungspraxis abweichen, hat dies offenzulegen. b) Kritik an dieser Entscheidung Die Reichweite der Offenlegungspflicht des Steuerpflichtigen wird in der Literatur mitunter kritisch gesehen. Die Formulierung des BGH wirft die berechtigte Frage auf, ob der Steuerpflichtige bereits dann gegen seine Pflichten aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO verstößt und sich damit strafbar macht, wenn er sich an der Rechtsprechung eines BFH-Urteils orientiert, wel­ ches die Finanzverwaltung aufgrund eines Nichtanwendungserlasses nicht befolgt.993 Um eine umfassende Antwort auf die Frage nach der Reichweite der Offenbarungspflicht des Steuerpflichtigen zu finden, ist es daher unerlässlich, sich mit den einzelnen Ansichten der Literatur 991 BGH, Urteil v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203, 204; diese Rechtspre­ chung fortführend BFH, Urteil v. 16.12.2008 – I R 23/07, juris; FG München, Be­ schl. v. 16.08.2007 – 13 V 1918/07, juris; FG Köln, Urteil v. 22.06.2011 – 4 K 950/08, EFG 2012, 1011. 992 BGH, Urteil v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203, 204. 993 So Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB/7, 2019, § 370 AO Rn. 245.

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hierzu auseinanderzusetzen. Diese lassen sich im Wesentlichen auf zwei Strömungen eingrenzen. c) Der typisierte Empfängerhorizont als Maßstab Ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, der Steuerpflichtige müsse seiner Steuererklärung den typisierten Empfängerhorizont der Verwal­ tung zugrunde legen und jede von der Rechtsprechung oder den Richtli­ nien der Finanzverwaltung abweichende Rechtsansicht kenntlich ma­ chen.994 Die Ansicht sieht sich der berechtigten Kritik ausgesetzt, dass der maß­ gebliche Empfängerhorizont nur schwer zu bestimmen sei und jedenfalls die Finanzverwaltung diesen durch die Veröffentlichung von – zumal nur behördenintern wirkenden – Erlassen und Richtlinien nicht einseitig ­determinieren dürfe.995 Zudem gibt der Gesetzeswortlaut eine über das Verbot der Angabe unrichtiger oder unvollständiger Tatsachenanga­ ben hinausgehende Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen nicht her.996 Rechtsauffassungen sind gerade keine Tatsachen, sondern Werturteile, da diesen lediglich die Wertung in Gestalt einer rechtlichen Beurteilung von Tatsachen zugrunde liegt.997 Ferner belegen die Nichtanwendungs­ erlasse der Finanzverwaltung, dass auch die Rechtsauffassungen von Rechtsprechung und Verwaltung nicht durchweg einheitlich sind, wes­ halb die Bestimmung eines typisierten Empfängerhorizonts auf dieser Grundlage nicht praktikabel ist998 d) Die Vertretbarkeit als äußerste Grenze Dem steht die Ansicht gegenüber, den Steuerpflichtigen treffe jedenfalls dann keine Hinweispflicht, wenn die von ihm gewählte Rechtsansicht „vertretbar“ sei.999 Letzteres soll der Fall sein, wenn die Rechtsansicht in den einschlägigen Kommentaren und Fachveröffentlichungen für richtig 994 Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 370 Rn. 49 ff. m.w.N. 995 Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB/7, 2019, § 370 AO Rn. 246; a.A. Krumm, in: Tipke/ Kruse-AO/III, 2019, § 370 Rn. 50, der maßgeblich auf die Verwaltungsauffassung abstellt und allein die amtliche Veröffentlichung im BStBl. I und II für relevant erachtet. 996 Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 239. 997 So zutreffend Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 237, der seine eigene Ansicht aber unter Rn. 242 in Einklang mit Schmitz/Wulf, in: MüKo-­ StGB/7, 2019, § 370 AO Rn. 240 f. dahingehend relativiert, dass auch Rechtsauf­ fassungen eine tatsächliche Grundlage hätten und die Äußerung einer Rechtsan­ sicht deshalb einen Tatsachenkern enthalte; a.A. Flore, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, § 370 Rn. 128. 998 Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 239. 999 Vgl. dazu die Nachweise bei Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 240.

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erachtet werde oder wenigstens systematisch folgerichtig aus den aner­ kannten Grundsätzen abgeleitet werden könne.1000 Nur eine unvertret­ bare Rechtsauffassung ist nach dieser Meinung kein Werturteil mehr, sondern eine unrichtige Tatsachenangabe im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.1001 e) Stellungnahme Überzeugend ist eine vermittelnde Ansicht, wonach für die Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts die geltende Rechtsprechung der Fi­ nanzgerichte heranzuziehen ist, während den Richtlinien der Finanzver­ waltung diesbezüglich keine Bedeutung zukommt. Existiert keine Recht­ sprechung zu einem konkreten Bereich, muss es dem Steuerpflichtigen hingegen gestattet sein, jede vertretbare Rechtsansicht – im Sinne der vorstehend genannten Definition der Vertretbarkeit – zugrunde zu legen. Eine Hinweispflicht trifft ihn unter diesen Umständen nicht.1002

IV. Nützliche Rechtsverstöße im Steuerrecht Wie bereits mehrfach angesprochen, kann sich gerade in dem von zahl­ reichen Mitwirkungspflichten geprägten Sektor des Steuerrechts die ­bewusste Abweichung von den Steuergesetzen, selbst bis hin zur Steuer­ straftat, aus ex-ante-Sicht als vorteilhaft für das Unternehmen erwei­ sen.1003 Ein solcher nützlicher Rechtsverstoß kommt selbstverständlich nur dann in Betracht, wenn den Gesellschafterinteressen nicht wider­ sprochen wird. Sollte die ausnahmslose Rechtskonformität im Steuer­ recht oder auch eine ständige Kooperation mit den Finanzbehörden Teil der von den Gesellschaftern festgelegten Unternehmenspolitik sein, sind die Geschäftsführer zwingend hieran gebunden. Ein nützlicher Rechts­ verstoß verbietet sich dann von vornherein. Abgesehen hiervon stellt sich jedoch die vornehmliche Frage, unter welchen Voraussetzungen selbst Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten intern pflichtge­ mäß sein können und ob den Geschäftsführer unter Umständen sogar eine diesbezügliche Pflicht zur Gesetzesüberschreitung, mithin zur Bege­ 1000 Vgl. Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB/7, 2019, § 370 AO Rn. 247; Harms, Stbg 2005, 14. 1001 So Fissenewert, DStR 1992, 1488; kritisch hierzu Ransiek, in: Kohlmann-Steuer­ strafR, 2021, § 370 Rn. 240. 1002 Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB/7, 2019, § 370 AO Rn. 246 f.; dies ausdrücklich ablehnend Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 370 Rn. 50, der nur die Ver­ waltungsauffassung für maßgeblich erachtet. 1003 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98 f. („gesetzmäßiges Korporationsver­ halten [ist] nicht automatisch gewinnsteigernd“); ebenso Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.; a.A. Breitenfeld, Organschaftliche Binnen­ haftung, 2016, S. 82 ff.

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hung einer Straftat, treffen kann. Daneben ist auch die Zuständigkeit für den bewussten Rechtsbruch näher zu untersuchen. 1. Keine automatische Pflichtwidrigkeit von Steuerstraftaten und ­Steuerordnungswidrigkeiten Fragt man danach, wann der Vorstand einer AG in Bezug auf die steuerli­ chen Pflichten gegenüber der Gesellschaft gegen seine organschaftliche Sorgfaltspflicht verstößt, ist dies gemäß einer prägnanten Umschreibung aus der Literatur in folgenden beiden Szenarien der Fall: Entweder lässt er die steuerlichen Risiken ganz außer Acht oder er stellt das Ziel der Steuerreduktion über die Anforderungen betriebswirtschaftlicher Ver­ nunft.1004 Wenngleich der Autor damit nicht zum Ausdruck bringen woll­ te, eine Steuerhinterziehung könne im Sinne des Gesellschafterinte­ resses sein,1005 werden die steuerlichen Pflichten des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft durchaus in treffender Weise konkretisiert. a) Dogmatische Begründung der Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße Erhebt man – entgegen der hier vertretenen Methode – das durchschnitt­ liche Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung zum entscheidenden Axiom der eigenen Argumentation, könnte es prima facie unzulässig sein, wür­ de man dem Geschäftsführer erlauben, gegen seine steuerrechtlichen Pflichten zu verstoßen oder schlimmstenfalls gar Steuerstraftaten zu be­ gehen. Allerdings darf eine solche gefühlte bzw. behauptete Ungerech­ tigkeit nicht einzig auf den Ruf nach mehr Rechtstreue der organschaft­ lichen Vertreter reduziert werden. Dies wäre schließlich gleichbedeutend mit einem unreflektierten Fingerzeig an die Unternehmen, Rechtsver­ stöße notfalls auch entgegen eigener Interessen zu verhindern. Unter­ sucht man dagegen die Hintergründe, weshalb ein Geschäftsführer über­ haupt in Versuchung geraten könnte, gegen Rechtsvorschriften zu verstoßen, wird schnell klar, dass es vor allem Aufgabe des Staates ist, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen. Derartige Überlegungen las­ sen dann aber eher auf ein „defizitäres Rechtssystem“1006 als eine „defizi­ täre Unternehmenskultur“ schließen. Der Notwendigkeit zur Überlage­ rung der organschaftlichen Pflichten durch eine strenge Legalitätspflicht wäre somit selbst unter dieser Prämisse nicht beizupflichten. 1004 Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1091. 1005 So ausdrücklich Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1094 f. („An den Grenzen des rechtlich Erlaubten findet nach allgemeiner Ansicht das ökono­ mische Kalkül steuerlicher Planung sein Ende“); ebenso Schön, in: Tax and Cor­ porate Governance, 2008, S. 31, 52. 1006 Vgl. dazu Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 262 f., der ein defizitäres Rechtssys­ tem mit einer zu geringen Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit oder zu niedrigen angedrohten Sanktionen begründet.

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Unabhängig davon vermag weder ein bloßes Rechtsgefühl noch eine schlicht am Ergebnis orientierte Argumentation die dogmatische Be­ gründung einer entsprechenden Pflicht des Geschäftsleiters zu erset­ zen.1007 Nach dem dieser Arbeit zugrunde liegenden einzig am Gesell­ schafterinteresse ausgerichteten Verständnis einer Legalitätspflicht sind selbst nützliche Rechtsverstöße nicht automatisch pflichtwidrig und damit auch nicht zwangsläufig haftungsbegründend im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG. Wie eingangs dieses Abschnitts erwähnt, hat die Über­ windung des archimedischen Punktes der gesellschaftsinternen Geset­ zesbindung des Geschäftsführers nicht zur Folge, dass die Unterneh­ menswelt dadurch plötzlich von mafios agierenden Geschäftsleitern beherrscht würde. Auch abgesehen von den zahlreichen gesellschaftsin­ ternen und -externen Bindungen, welchen der Geschäftsführer unter­ liegt, ist das Gesellschafterinteresse ohnehin weitestgehend identisch mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung.1008 Zudem sei erneut darauf hingewiesen, dass an dieser Stelle einzig das Innenverhältnis diskutiert wird und die unmittelbare Außenhaftung des Geschäftsführers, beispielsweise nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO, davon ebenso unberührt bleibt wie dessen Straf- und Ahndbarkeit. Da­ mit besteht bereits faktisch keine wesentlich größere Gefahr für die Rechtskonformität im Vergleich zur Geltung einer strengen Legalitäts­ pflicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die herrschende Meinung die dogmati­ sche Begründung der von ihr befürworteten umfassenden Legalitäts­ pflicht selbst untergräbt, indem sie an zahlreichen Stellen Ausnahmen bzw. Durchbrechungen zulässt. Neben den soeben erläuterten Fällen ei­ ner unklaren Rechtslage sowie des Abweichens von einer gefestigten Rechtsprechung sind insbesondere die bereits erwähnte Zulässigkeit von Bagatellverstößen1009 und vorteilhafte Vertragsbrüche1010 zu nennen. Aber 1007 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 274; zur Kritik an der oftmals fehlenden Dogmatik siehe ferner Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 51, 62; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 874 f.; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100. 1008 Anders Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 257 f., der anhand einiger Situationsbei­ spiele zu der Schlussfolgerung gelangt, nützliche Rechtsverletzungen würden keine Seltenheit darstellen. An anderer Stelle auf S. 283 konstatiert er hingegen, dass „rechtstreues Verhalten aber regelmäßig dem Gesellschaftsinteresse ent­ spricht“. 1009 Vgl. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; ansatzweise auch Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418 f. Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 96 ff.; noch weiter­ gehender Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 17 ff.; mit Kritik an diesem Ansatz Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 275 ff. 1010 Siehe umfassend zu den nützlichen Vertragsverletzungen U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905 ff.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 287 ff. m.w.N.

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auch öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtungen werden von einigen Vertretern als nur einfaches Verwaltungsunrecht und ein Verstoß dage­ gen deshalb als vereinbar mit der Legalitätspflicht gesehen, sofern da­ durch dem Gesellschafterinteresse gedient ist.1011 Neben den Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialkassen werden dazu auch die Steuerschulden der Gesellschaft gezählt.1012 Eine solche durch teils will­ kürlich anmutende Ausnahmen vorgenommene Kategorisierung rechtli­ cher Vorschriften verstößt gegen den juristischen Geltungsanspruch von Rechtsnormen, indem es zu einer unzulässigen Unterscheidung von Normen erster und zweiter Klasse kommt.1013 Zudem spielen in jeder dieser Konstellationen Nützlichkeitserwägungen eine Rolle und beein­ flussen die jeweiligen Abwägungen. Weshalb das nahezu einheitliche Echo aus Rechtsprechung1014 und juristischer Fachliteratur1015 nichtsdes­ totrotz lautet, Nützlichkeitserwägungen dürften – sobald es um den Be­ reich vorteilhafter Rechtsverstöße geht – im Kontext der Legalitätspflicht keinerlei Beachtung erfahren, ist nicht nachvollziehbar.1016 Zustimmung verdient lediglich das absolute Verbot gemeinwohlgefährdender Rechts­ brüche. Die Rechtsfolge der Auflösung nach § 62 Abs. 1 GmbHG ist der

1011 Vgl. U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 79a; U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 910; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 15; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439; tendenziell auch Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 111. 1012 Virulent wurde diese Ausnahme vorrangig im Anwendungsbereich des § 64 S. 1 GmbHG a.F.; ausführlich hierzu bereits auf den S. 84 ff. 1013 Vgl. zum Verbot der Klassifizierung von Rechtsnormen Holle, Legalitätskontrol­ le, 2014, S. 55; S. Binder, Vorstandshaftung, 2016, S. 81; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 277; Bunz, Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 121; Hinrichs, Nützliche Pflichtverletzungen, 2015, S. 75; Kröger, Korruptionsschäden, 2013, S. 52; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 412; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 520 f. 1014 Siehe BGH, Beschl. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288; BGH, Urteil v. 27.08.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266, 275 f., wo von der Unzulässigkeit „profitabler Pflichtverletzungen“ die Rede ist. 1015 Vgl. Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 109; U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 909; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 66; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 75; Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 15; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-­ GmbHG, 2019, § 43 Rn. 10 und 12; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 6; Hopt/Roth, in: GK-AktG, Bd. 4/2, 2015, § 93 Rn. 134; H.J. Mertens/ Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 71; Thole, ZHR (173) 2009, 504, 512 f., 517; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 90 f.; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 425 f.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 55; Fleischer, in: ­MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 43; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311 f.; ein­ gehend Fleischer, ZIP 2005, 141 ff. 1016 Treffend Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 304 f.: „die Nützlichkeitsanalyse [zieht sich] wie ein roter Faden durch alle Restriktionen […]. Das bestätigt in tatsächlicher Hinsicht nur, auch die letzte Bastion gegenüber vorteilhaften Rechtsverletzungen fallen zu lassen […].“

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wohl größte Nachteil, den eine Gesellschaft erleiden kann, sodass allein deshalb ein solcher Rechtsverstoß niemals nützlich sein könne.1017 Besonders fragwürdig wird die inkonsistente Argumentation der herr­ schenden Meinung, wenn man sich deren Umgang mit nützlichen Rechtsverstößen auf Schadensebene vor Augen führt. Insbesondere we­ gen der Gefahr, dass der Gesellschaft ein „windfall profit“ erwachsen könnte, darf unter dem Stichwort der Vorteilsausgleichung der infolge eines nützlichen Rechtsverstoßes der Gesellschaft zugeflossene und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem entstandenen Schaden stehen­ de vermögenswerte Vorteil angerechnet werden. Eine solche schadens­ mindernde Berücksichtigung der materiellen Besserstellung der Gesell­ schaft ist solange erlaubt, wie dies dem Sinn und Zweck der Ersatzpflicht entspricht.1018 Werden aber durch die Zulässigkeit einer Vorteilsausglei­ chung nicht gerade jene nützlichen Rechtsverstöße, die als mit der Lega­ litätspflicht unvereinbar gelten, über Umwege doch anerkannt?1019 b) Voraussetzungen Mögen nützliche Rechtsverstöße auch grundsätzlich zulässig sein, muss die Rechtskonformität dennoch die Regel bleiben, jedenfalls solange die Rechtstreue dem Gesellschafterinteresse nicht widerspricht. Nach zu­ treffender Ansicht indiziert der klare Rechtsverstoß daher auch die Pflichtwidrigkeit des Leitungshandelns, sodass dem Geschäftsführer die Beweislast für die Nützlichkeit des rechtswidrigen Handelns auferlegt wird.1020 Dies ist darauf zurückzuführen, dass in entsprechender Anwen­ dung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG die Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast trifft, sofern es streitig ist, ob die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt wurde.1021 Nach ganz 1017 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 73 ff., 279 f. 1018 BGH, Urteil v. 15.01.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 Rn. 26; BGH, Urteil v. 02.06.2008 – II ZR 67/07, WM 2008, 1453; BGH, Urteil v. 16.05.1980 – V ZR 91/79, BGHZ 77, 151, 153; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 45; Fleischer, ZIP 2005, 141, 151 f.; Fleischer, DStR 2009, 1204, 1210; Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 465; H.J. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Bd. 2/1, 2010, § 93 Rn. 63; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439 f.; Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 94 f.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 729 f.; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 346; zusätzlich auf die Einbeziehung von Billigkeits- und Zumutbar­ keitserwägungen abstellend U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 230. 1019 So zutreffend Thole, ZHR 173 (2009), 504, 526 ff., wonach eine unbeschränkte Zulässigkeit der Vorteilsausgleichung zur Anerkennung jener nützlichen Rechts­ verstöße führt, die auf Pflichtwidrigkeitsebene vermieden werden sollten. 1020 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 281 f. 1021 Diese Beweislastumkehr beruht auf dem Gedanken der Sachnähe, da der Ge­ schäftsführer in aller Regel die Umstände und Gesichtspunkte seines Verhaltens

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herrschender Ansicht ist von dieser Beweislastumkehr neben dem Ver­ schulden auch die Pflichtwidrigkeit umfasst.1022 Zweifellos unterliegt die Feststellung der Pflichtgemäßheit eines nützli­ chen Rechtsverstoßes anderen Voraussetzungen als jenen, die bei einer unklaren Rechtslage oder einem bewussten Abweichen von einer gefes­ tigten Rechtsansicht erfüllt sein müssen. Entscheidender Unterschied ist, dass der Geschäftsführer bei einem nützlichen Rechtsverstoß nicht davon ausgeht bzw. darauf hofft, rechtmäßig zu handeln, weswegen die Beanstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit keine Rolle spielt und durch eine Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit zu er­ setzen ist. Fraglich ist an dieser Stelle, ob dem Geschäftsführer parallel zu den soeben beschriebenen Fällen der unklaren Rechtslage sowie des Abweichens von einer gefestigten Rechtsansicht auch bei den nützlichen Rechtsverstößen ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht. Gestattet man dem Geschäftsführer eine Abwägung rechtskonformen Verhaltens gegenüber dem Gesellschafte­ rinteresse, hat eine solche Kosten-Nutzen-Analyse zwingend ökono­ misch zu erfolgen. Losgelöst von den einzelnen Parametern, die in eine solche Risikoanalyse einzustellen sind, kann das Gericht jedenfalls „die ökonomische Analyse […] nicht durch ihre eigene ersetzen“1023. Es gilt daher im Grundsatz nichts anderes als bei einer unklaren Rechtslage oder dem Abweichen von einer gefestigten Rechtsansicht, sodass hin­ sichtlich der dogmatischen Verankerung des gerichtsfesten Spielraums auf die obige Diskussion verwiesen werden kann. 2. Die Zuständigkeit bei bewusstem Rechtsbruch in der GmbH Nachdem festgestellt wurde, dass der Geschäftsführer grundsätzlich zur Begehung eines nützlichen Rechtsverstoßes berechtigt ist, stellt sich die Frage, ob er dafür überhaupt originär zuständig ist. Wie die Aus­ führungen auf den S. 48 ff. gezeigt haben, ist die Zuständigkeit zur ­Unternehmensleitung in der GmbH zwischen den Gesellschaftern und den Geschäftsführern aufgeteilt, wobei den Gesellschaftern insbesondere die Festlegung der Grundzüge der Unternehmenspolitik sowie das Tref­ fen unkonventioneller Maßnahmen obliegt. Eine mit dieser Kompeten­ zaufteilung einhergehende Folge ist die Befugnis der Gesellschafter aus besser überblicken kann als die Gesellschafter, vgl. BGH, Urteil v. 04.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283; BGH, Urteil v. 01.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rn. 20; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 270 m.w.N. 1022 BGH, Urteil v. 04.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284; OLG München, Urteil v. 08.07.2015 – 7 U 3130/14, ZIP 2015, 2472, 2474; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 272 m.w.N.; a.A. Fleck, GmbHR 1997, 237, 239; Frels, AG 1960, 296 ff. 1023 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 284.

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§ 37 Abs. 1 GmbHG, das Handeln des Geschäftsführers mittels Weisun­ gen und Zustimmungsvorbehalten zu beeinflussen. Hiermit eng ver­ knüpft ist die Pflicht des Geschäftsführers zur Einberufung der Gesell­ schafterversammlung aus § 49 Abs. 2 GmbHG.1024 Nach der zweiten Fallgruppe des § 49 Abs. 2 GmbHG hat sich der Geschäftsführer auch im eigenen Zuständigkeitsbereich der Zustimmung der Gesellschafter zu versichern, sofern es sich um außergewöhnliche Geschäfte handelt, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Interessen der Gesellschafter ha­ ben.1025 Neben den im Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss angeordneten ausdrücklichen Zustimmungsvorbehalten1026 existieren auch ungeschriebene Zustimmungsvorbehalte, namentlich für unge­ wöhnliche bzw. außergewöhnliche Geschäfte oder Maßnahmen.1027 Ver­ letzt der Geschäftsführer die Vorlagepflicht schuldhaft, hat er mit einem Schadensersatzanspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG zu rechnen.1028 Bei rechtlich bindenden Weisungen ist zudem anerkannt, dass korrespondie­ rend zur Befolgungspflicht aus § 37 Abs. 1 GmbHG auch ein Haftungs­ ausschluss besteht.1029 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es sich bei nützlichen Rechtsverstößen stets um vorlagepflichtige Geschäf­ te handeln könnte, sodass sich die diesbezügliche Zuständigkeit des Ge­ schäftsführers auf Vorbereitungs- und Sondierungsmaßnahmen, die In­ 1024 Dabei handelt es sich um eine Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht (§ 43 Abs. 1 GmbHG), vgl. Liebscher, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 49 Rn. 4, 43 ff.; Seibt, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 49 Rn. 1, 17 ff. 1025 Liebscher, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 49 Rn. 51 ff.; Seibt, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 49 Rn. 22; U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 34 ff. 1026 Siehe dazu Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 123 ff. m.w.N. 1027 Ein diesbezügliches Billigungserfordernis lässt sich entweder aus einer Ana­ logie zu §§ 116, 164 HGB, aus der Vorlagepflicht des § 49 Abs. 2 GmbHG oder auch aus dem allgemeinen Weisungsrecht der Gesellschafter herleiten, vgl. U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 34 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 19; Altmeppen, in: Altmeppen-­ GmbHG, 2021, § 37 Rn. 22 f.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 10 f.; Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 129; a.A. noch Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 7, wonach die Geschäftsführer auch bei ungewöhnlichen Maßnahmen originär zuständig sind, soweit in der Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss nichts anderes geregelt ist. 1028 Vgl. Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 124, 147; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 26 f.; siehe auch zur Haftung bei Verletzung der Einberufungspflicht Liebscher, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 49 Rn. 65; Seibt, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 49 Rn. 35. 1029 Vgl. Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 390; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 16 und 65; Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 275 f.; die Möglichkeit einer Haftungsbefreiung lasse sich insbesondere aus einem Rückschluss zu den §§ 43 Abs. 3 S. 3, 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG herleiten, vgl. Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 2006, S. 273 f.

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formationsbeschaffung und die Durchführung der konkreten Maßnahme beschränken würde.1030 Dafür ist allerdings vorab zu klären, unter wel­ chen Voraussetzungen ein rechtlich bindender Zustimmungsvorbehalt im Allgemeinen überhaupt etabliert werden darf und welche Folgen eine Billigung der Gesellschafter für die Haftungssituation des Geschäftsfüh­ rers hat. Es empfiehlt sich, eine Annäherung an diese Fragestellung über eine grundsätzliche Untersuchung der Rechtsfolgen und Grenzen von Wei­ sungen und Zustimmungen durch die Gesellschafter (a). Weiterhin ist fraglich, ob der nützliche Rechtsverstoß nicht ohnehin einem unentzieh­ baren Geschäftsführungsbereich angehört und deshalb der Dispositions­ befugnis der Gesellschafter entzogen sein könnte (b). Nur auf Basis der vorangehenden Untersuchungen kann anschließend geprüft werden, ob es sich bei nützlichen Rechtsverstößen generell oder zumindest partiell um außergewöhnliche und daher zustimmungsbedürftige Geschäfte handelt (c). Letztlich werden die Ergebnisse noch zusammengefasst (d). a) Rechtfolgen und Grenzen von Weisungen und Zustimmungen Es ist heute in der Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt, dass korrespondierend zu der Befolgungspflicht aus § 37 Abs. 1 GmbHG rechtlich bindenden Weisungen innerhalb der Grenzen des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG1031 auch eine haftungsausschließende Wirkung zukommt.1032 Teil des Weisungsrechts und eine zusätzliche Möglichkeit aus § 37 Abs. 1 GmbHG, den Geschäftsführer zu kontrollieren, stellen die sogenannten Zustimmungserfordernisse dar.1033 Obwohl eine Zustimmung der Ge­ sellschafter den Geschäftsführer regelmäßig nur zur Vornahme der ent­ sprechenden Handlung ermächtigt und ihn nicht unbedingt auch dazu 1030 Zu den Aufgaben des Geschäftsführers bei vorlagepflichtigen Geschäften siehe Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 125, 127 m.w.N. 1031 Zu den Fällen des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG siehe Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 286 ff. 1032 Die Befolgung einer bindenden Weisung schließt bereits die Pflichtwidrigkeit aus, vgl. BGH, Urteil v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; BGH, ­Urteil v. 16.09.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002, 3777, 3778; Grigoleit, Gesell­ schafterhaftung, 2006, S. 273 f.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 390; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 16; H.J. ­Mertens, in: Hachenburg-GmbHG/II, 1997, § 43 Rn. 69 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 214; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 40 ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 275 f.; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 122; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 573 f.; Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 111 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f.; Fleck, GmbHR 1974, 224, 226 ff. 1033 Zu § 37 GmbHG als Quelle dieser Gesellschafterbefugnis vgl. Lenz, in: Michalski/​ u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 21; Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 107.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

verpflichtet,1034 schließt die obligatorische Zustimmung eine Pflichtver­ letzung des Geschäftsführers nach ganz herrschender Meinung ebenso aus wie das vorher erteilte (ausdrückliche oder konkludente) Einver­ ständnis der Gesellschafter.1035 Uneinigkeit besteht hingegen bezüglich der Wirkungen eines lediglich mutmaßlichen Einverständnisses, was je­ doch erst an späterer Stelle behandelt wird.1036 Bereits hier relevant sind die Grenzen rechtlich bindender und damit enthaftend wirkender Wei­ sungen und Zustimmungen über die Fälle des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG hinaus. (1) Meinungsstand zur Dispositionsbefugnis der Gesellschafter Teile des Schrifttums sprechen sich für eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG bei sämtlichen Verstößen gegen gläubigerschützende Geschäftsführerpflichten aus, wie z.B. § 41 GmbHG.1037 Gegenstimmen sprechen dieser Analogie dagegen die methodische Stimmigkeit ab und bezweifeln, dass es überhaupt eine ausfüllungsbedürftige Schutzlücke gibt.1038 Unabhängig davon sind insbesondere die Auswirkungen mangelhafter Weisungsbeschlüsse auf die Folgepflicht sowie die Haftungsfreistellung Gegenstand einer nach wie vor lebhaften Diskussion. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass zwischen Weisungen, die auf nichtigen Gesellschafter­ beschlüssen beruhen, und solchen, denen ein lediglich anfechtbarer Be­ schluss zugrunde liegt, unterschieden werden muss. Während die herr­ 1034 Siehe Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 125, wonach sich eine Folgepflicht aus dem Zustimmungsbeschluss zwar explizit oder konkludent ergeben kann, aber eben nicht notwendigerweise muss. 1035 BGH, Urteil v. 07.04.2003 – II ZR 193/02, NZG 2003, 528; BFH, Urteil v. 14.09.1994 – I R 6/94, BFHE 175, 412; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 297 f.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 213 f., 218 ff.; ­Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 41; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 400; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-­ GmbHG, 2019, § 43 Rn. 16 und 65; U. Haas, WM 2006, 1417, 1418; Fleck, GmbHR 1974, 224, 226; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 ­ Rn. 121 f.; Bayer, GmbHR 2014, 897, 905. 1036 Siehe hierzu die S. 230 ff. 1037 Siehe zum Ursprung dieses Gedankens K. Schmidt, ZGR 1978, 425, 426 f.; U. H. Schneider, in: FS Werner, 1984, S. 795, 809 f.; zustimmend Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 403, 515 f.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 264 ff.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 64 f.; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 63; Ebert, GmbHR 2003, 444, 445 f.; rechtsvergleichend mit Österreich Haberer, Zwingendes Kapi­ talgesellschaftsrecht, 2009, S. 486 ff.; ähnlich Sandmann, Haftung von Arbeit­ nehmern, 2001, S. 274 f., 257. 1038 Strikt ablehnend Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 100; Fleischer in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 297, 310 f.; Fleischer, BB 2011, 2435, 2438 f.; Janert, BB 2013, 3016, 3018 f.; Werner, GmbHR 2014, 792, 794 ff.

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schende Meinung nichtigen Beschlüssen eine haftungsausschließende Wirkung von Anfang an versagt, sollen anfechtbare Beschlüsse dann Wir­ kung entfalten, wenn sie nach Ablauf der Anfechtungsfrist durch Ver­ zicht aller Anfechtungsberechtigten oder per rechtskräftiger Abweisung der Anfechtungsklage bestandskräftig geworden sind.1039 Im Zuge dessen werden Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten wegen eines Verstoßes gegen gläubigerschützende oder im Allgemeininteresse stehende Vor­ schriften von der ganz herrschenden Meinung stets (gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog1040) als nichtig angesehen.1041 Die Geschäftsführer begehen nach vielfach vertretener Ansicht sogar eine Pflichtverletzung, wenn sie eine nichtige Weisung befolgen.1042 Obwohl die Nichtigkeitsfolge zwar prinzipiell nach § 242 Abs. 2 S. 1 AktG analog durch Eintragung in das Handelsregister und Ablauf einer Dreijahresfrist zum Zwecke der Rechts­ sicherheit heilbar ist,1043 soll dies am Fehlen der Haftungsfreistellung

1039 BGH, Urteil v. 18.03.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Fleischer, in: ­MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 278; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 238 ff. m.w.N. 1040 Siehe zur analogen Anwendung von § 241 Nr. 3 AktG Ziemons, in: Michal­ ski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 101; Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, Anh. § 47 Rn. 1 m.w.N.; andere sprechen sich mit gleichem Ergebnis für die Anerkennung eines Grundprinzips und gegen eine Analogie aus, vgl. K. Schmidt/Bochmann, in: ­Scholz-GmbHG/2, 2021, § 45 Rn. 62; wiederum andere wenden die §§ 134, 138 BGB an, vgl. Janert, BB 2013, 3016, 3019 f. 1041 Vgl. BGH, Urteil v. 19.09.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10, 28 (Rn. 25, 31) („Bremer Vulkan“); BGH, Urteil v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278 (Rn. 47 f.); BGH, Urteil v. 18.03.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 59; Lenz, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 19; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 18, 22 sowie § 43 Rn. 42, 64; K. Schmidt, ZGR 1978, 425, 426 f.; Fleck, GmbHR 1974, 224, 227; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 573; Janert, BB 2013, 3016, 3019 f.; ­Gieseke, GmbHR 1996, 486, 488 f.; Ebert, GmbHR 2003, 444, 445 ff.; insoweit widersprüchlich Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 216, der zunächst von einer Haftungsfreistellung auch im Bereich der Legalitätspflicht spricht, un­ ter Rn. 239 nichtigen Weisungen aber eine enthaftende Wirkung abspricht (siehe zur Nichtigkeit von Beschlüssen im Falle eines Verstoßes gegen zwingende Rechtsvorschriften im selben Band Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 48); so auch noch in der 21. Auflage Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 22, wohingegen in der 22. Auflage auch rechts­ widrigen Weisungen eine freistellende Wirkung im Innenverhältnis zugeschrie­ ben wird, Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 21. 1042 Vgl. Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 147 („Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehört es auch, die Rechtmäßigkeit von Weisungen zu prü­ fen […]“); ebenso Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 278; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 262; Lutter, GmbHR 2000, 301, 304; Ebert, GmbHR 2003, 444, 447; siehe aber BFH, Urteil v. 14.09.1994 – I R 6/94, BFHE 175, 412 („Der Geschäftsführer ist nicht befugt, eine Weisung der Gesellschafter zu überprüfen […]“). 1043 Hüffer, ZGR 2001, 833, 842.

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nichts ändern.1044 Allerdings wird demjenigen Geschäftsführer, der in Ausübung einer nichtigen und damit nicht enthaftend wirkenden Wei­ sung handelt, regelmäßig die Arglisteinrede (Einwand der unzulässigen Rechtsausübung) gewährt, um auf diesem Weg eine Geltendmachung des Anspruchs aus § 43 Abs. 2 GmbHG letztlich doch zu verhindern.1045 Anders sieht dies vor allem Bayer, der die Grenze der Dispositionsbefug­ nis der Gesellschafter ausschließlich an § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG (analog) und damit unabhängig von § 241 Nr. 3 AktG und den öffentlichen Inte­ ressen bemisst.1046 Demnach entfaltet selbst eine Weisung zu rechts­ widrigem Verhalten eine haftungsausschließende Wirkung, solange kein Verstoß gegen § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG (analog) vorliegt und sie auf ei­ nem einstimmigen1047 Beschluss aller Gesellschafter beruht. Den Ge­ schäftsführer treffe dann aber keine Befolgungspflicht.1048 Auch Paefgen gestattet auf den ersten Blick eine Haftungsfreistellung im Bereich der Legalitätspflicht, wobei er als Beispiel sogar explizit den Fall einer Steu­ erhinterziehung auf Weisung aller Gesellschafter nennt.1049 Diese Aus­ sage steht jedoch in diametralem Widerspruch zu der Ansicht, dass aus inhaltlichen Gründen nichtige Weisungen den Geschäftsführer unter keinen Umständen, also auch nicht durch Heilung, von seiner Haftung befreien könnten,1050 wobei sich die Nichtigkeit aus einer entsprechen­ den Anwendung des § 241 AktG ergebe.1051 1044 Vgl. Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 239 m.w.N. 1045 BGH, Urteil v. 18.03.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 401; Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 262; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 18; ähnlich Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 278; H.J. Mertens, in: Ha­ chenburg-GmbHG/II, 1997, § 43 Rn. 78; Fleck, GmbHR 1974, 224, 227; Ebert, GmbHR 2003, 444, 448; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 573 f.; ähnlich Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, 2001, S. 332; a.A. wohl Klöhn, in: Bork/ Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 62 unter Verweis auf Jacoby, in: Bork/Schä­ fer-GmbHG, 2019, § 37 Rn. 10 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 239, allerdings widersprüchlich zu § 43 Rn. 216 f.; kritisch ferner Mand, Geschäfts­ führerhaftung, 2002, S. 68 ff., die einerseits die Zurechnung von Gesellschafter­ handeln zur Gesellschaft als problematisch sieht und darüber hinaus sämtliche gläubigerschützenden Vorschriften vom Anwendungsbereich der Arglisteinrede ausnimmt. 1046 Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f., zum Anwendungsbereich von § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG (analog) siehe die S. 903 f. 1047 Zum Erfordernis der Einstimmigkeit siehe sogleich im nächsten Punkt. 1048 Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f. 1049 Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 216 f. 1050 Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 239 (eine Ausnahme davon soll einzig dann greifen, wenn der Geschäftsführer ohne eigenes Verschulden die Nichtig­ keit des Beschlusses nicht erkennen konnte). 1051 Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 239 unter Verweis auf Raiser/Schäfer, in: GK-GmbHG/2, 2020, Anh. § 47 Rn. 28 ff., insbesondere Rn. 48, wonach sich die Nichtigkeit von Beschlüssen daraus ergebe, dass sie gegen Bestimmungen des

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(2) Eigene Ansicht Die gesamte Argumentation zur Unzulässigkeit von Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten beruht auf der Prämisse, dass der Geschäfts­ führer einer strengen Legalitätspflicht unterliege. Denkt man das hier entwickelte Konzept einer nur am Gesellschafterinteresse ausgerichte­ ten Legalitätspflicht aber konsequent zu Ende, müssen die Erkenntnisse auch bzw. nun gerade auf die Rechte und Pflichten der Gesellschafter übertragen werden, sodass auch für sie keine uneingeschränkte Legali­ tätspflicht gilt. Das erlaubt bisher allerdings lediglich den Schluss, dass die Gesellschafter grundsätzlich berechtigt sind, den Geschäftsführer zu rechtswidrigem Verhalten anzuweisen und der Geschäftsführer bei Befol­ gung dieser Weisung nicht pflichtwidrig handelt, solange kein Verstoß gegen § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG (analog) vorliegt. Ob mit dem Recht auf Weisungserteilung zu rechtswidrigem Verhalten gleichzeitig eine korres­ pondierende Befolgungspflicht des Geschäftsführers einhergeht, bleibt fraglich, muss an dieser Stelle aber noch nicht beantwortet werden. In formeller Hinsicht fordern diejenigen Vertreter, die eine enthaftende Wirkung von Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten sowie die entspre­ chenden Einverständnisse ebenfalls anerkennen, einen einstimmig ge­ fassten Beschluss der Gesellschafter.1052 Aber auch die Gegenansicht ver­ langt für die Gewährung des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung einen Beschluss, dem alle Gesellschafter zuzustimmen haben.1053 Be­ gründet wird das Erfordernis der Einstimmigkeit mit dem Schutz der Minderheitsgesellschafter, die wegen § 62 GmbHG einen Anspruch da­ rauf hätten, dass nicht gegen Gesetze verstoßen werde.1054 Richtigerweise verbietet § 62 GmbHG nach dem oben Gesagten allerdings nur gemein­ wohlgefährdende Rechtsverstöße. Bereits aufgrund des nur beschränkten Gehalts dieser Aussage findet das generelle Einstimmigkeitspostulat bei derartigen Beschlüssen schon keine normative Verankerung darin. Zwar mag es für denjenigen (Minderheits)Gesellschafter, der sich rechtswidri­ gem Verhalten strikt verwehrt, unter Umständen einen untragbaren Zu­ stand bedeuten, wenn der Geschäftsführer entgegen dessen Votum den­ Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, bzw. gegen zwingende Vorschriften des Verwaltungs-, Steuer- oder Sozialrechts verstoßen. 1052 Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f. m.w.N. 1053 BGH, Urteil v. 18.03.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 401; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-­ GmbHG, 2019, § 43 Rn. 18; H.J. Mertens, in: Hachenburg-GmbHG/II, 1997, § 43 Rn. 78; Fleck, GmbHR 1974, 224, 227; Ebert, GmbHR 2003, 444, 448; U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 136; tendenziell auch Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 262. 1054 So noch ausdrücklich in der 2. Auflage Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 217; nunmehr in der 3. Auflage genügt generell ein Beschluss mit einfacher Mehrheit, Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 215.

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noch dazu angewiesen werden könnte, dabei ist allerdings anzumerken, dass dem sich widersetzenden Gesellschafter daraus kein haftungs- oder strafrechtliches Risiko erwächst.1055 Das Einstimmigkeitserfordernis ist deshalb jedenfalls gesetzlich nicht zwingend, dürfte aber dennoch den Regelfall in der Praxis darstellen. Es ist dann freilich ratsam, dieses auch in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag schriftlich festzuhalten. b) Der nützliche Rechtsverstoß als Teil eines unentziehbaren ­Geschäftsführungsbereichs? Sind die Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG dazu befugt, dem Ge­ schäftsführer die – wenn auch unter Umständen lediglich haftungsaus­ schließend wirkende – Weisung zu erteilen, einen nützlichen Rechtsver­ stoß zu begehen, steht auch einem entsprechenden Zustimmungsvorbehalt nichts entgegen. Die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter stößt je­ doch generell an ihre Grenzen, sobald ein unentziehbarer Verantwor­ tungsbereich des Geschäftsführers betroffen ist. Die herrschende Mei­ nung vertritt die Ansicht, dass die Pflicht des Geschäftsführers zur Einhaltung der Gesetze Bestandteil eines solchen unentziehbaren Ge­ schäftsführungsbereichs ist, infolgedessen sich Weisungen und Zustim­ mungsvorbehalte, welche die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Pflich­ ten hindern, verbieten.1056 Der dogmatische Grund hierfür ist in der behaupteten Überlagerung bzw. abschließenden Determinierung des Ge­ sellschafterinteresses durch die Legalitätspflicht zu suchen, deretwegen eine ordnungsgemäße Erfüllung der gesetzlichen Pflichten nicht gefähr­

1055 So die seit langem bestehende ganz hM, vgl. Franzheim, NJW 1993, 1836, 1837; Ransieck, ZGR 1999, 613, 646 f.; Franke, JZ 1982, 579, 581 ff. (strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern eines Redakteurskollektivs); besonders deutlich Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 196; Fleischer, BB 2004, 2645, 2648, wonach ansonsten eine unzulässige korporationsrechtliche „Sippen­ haft“ herrschen würden; a.A. nur OLG Stuttgart, Urteil v. 01.09.1980 – 3 Ss 440/80, NStZ 1981, 27, 28, allerdings ohne eine Begründung dafür zu liefern; sie­ he allgemein zu den strafrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit Gre­ mienentscheidungen BGH, Urteil v. 06.07.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 (Lederspray-Fall); Eisele, in: Schönke/Schröder-StGB, 2019, Vorbem. zu den §§ 13 ff. Rn. 83a m.w.N. 1056 BGH, Urteil v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278 Rn. 47 f.; BGH, Urteil v. 13.04.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 370, 372; BGH, Urteil v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, WM 2009, 2321 Rn. 10; Stephan/Tieves, in: Mü­ Ko-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 25 f., 34; U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Sc­ holz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 98 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 26; Uffmann, ZGR 2013, 273, 306 ff.; Gieseke, GmbHR 1996, 486, 490 ff.; siehe aber Lenz, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 11, wonach dem Geschäftsführer sogar die Entscheidung über ihm gesetzlich übertragene Aufga­ ben entzogen werden kann und er nur noch „als Organ für die Übermittlung von Entscheidungen nach außen fungiert.“

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det werden dürfe. Die Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage wurden bereits ausführlich erörtert. Von Teilen des Schrifttums wird darüberhinaus ein genereller, unent­ ziehbarer und damit weisungsfreier Mindestbereich anerkannt, damit der Geschäftsführer nicht zu einer „reinen Vertretungsmarionette(n) ohne jede Autorität“1057 degradiert werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Kardinalpflichten“ als „Kernbereich elemen­ tarer Sorgfaltspflichten, die der Disposition der Gesellschafter entzogen sein müssen.“1058 Soweit sich ein solcher eigenständiger Geschäftsfüh­ rungsbereich auf die gesetzlich zwingenden Aufgabenzuweisungen be­ zieht, ist dies aber ebenfalls dem Umstand geschuldet, dass die gesetzlich vorgegebene Trennung von Binnen- und Außenverhältnis in unzulässiger Weise überwunden wird.1059 Letztlich ist kein dogmatisch überzeugender Grund ersichtlich, nützliche Rechtsverstöße dem Weisungsrecht der Ge­ sellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG allgemein zu entziehen. c) Nützlicher Rechtsverstoß – Laufende Geschäftsführung oder ­außergewöhnliche Maßnahme? Durch § 37 Abs. 1 GmbHG sind sowohl im Gesellschaftsvertrag nieder­ gelegte oder durch einen Gesellschafterbeschluss angeordnete ausdrück­ liche als auch ungeschriebene Zustimmungsvorbehalte möglich. Um ­einen ungeschriebenen Zustimmungsvorbehalt für nützliche Rechtsver­ stöße zu begründen, muss es sich dabei um eine außergewöhnliche bzw. ungewöhnliche Maßnahme handeln.1060 Was darunter zu verstehen ist, kann nur schwer allgemeingültig definiert werden. Keine ungewöhnli­ 1057 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 18; ebenso ­Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 93; Zöllner, ZGR 1977, 319, 325 f.; dagegen Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 28 f.; U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 37 Rn. 46; Lenz, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 10 ff.; Stephan/Tieves, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 68; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 4 f.; einschränkend Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 12, 14, 18a, der eine Herabstufung des Geschäftsführers zum reinen Exekuti­ vorgan zwar grundsätzlich zulässt, dafür jedoch eine Satzungsänderung und nicht lediglich einen Gesellschafterbeschluss fordert. 1058 Gieseke, GmbHR 1996, 486, 490 ff.; zustimmend Uffmann, ZGR 2013, 273, 307 ff. 1059 Siehe nur Gieseke, GmbHR 1996, 486, 492, wonach sich ein diesbezüglicher wei­ sungsfreier Kernbereich dadurch erklärt, dass „der Geschäftsleitung die volle Last der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verantwortung“ aufgebürdet ist. 1060 Vgl. zu den ungeschriebenen Vorlagepflichten allgemein U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 34 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 18 ff.; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 8, 22 f.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 10 f.; Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 129 ff.; Lenz, in: Michalski/u.a.-­GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 14 f.

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chen Maßnahmen stellen jedenfalls Rechtshandlungen dar, welche zur laufenden Geschäftsführung gehören.1061 Zu diesem Tagesgeschäft wer­ den, wohl in Anlehnung an §§ 116 Abs. 1 und 2, 164 HGB, alle tatsächli­ chen und rechtsgeschäftlichen Handlungen gezählt, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt, und da­ rüber hinaus solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnli­ chen Verwaltung der Gesellschaft gehören.1062 Eine Verfehlung wäre es hingegen, aus einer Art Umkehrschluss zu den §§ 116 Abs. 1 und 2, 164 HGB sämtliche Handlungen, welche nicht der laufenden Geschäftsfüh­ rung im Sinne dieser Vorschriften zuzuordnen sind, als außergewöhnlich zu bezeichnen. Die Bedenken, die schon bei der analogen Anwendung der an die OHG adressierten Norm des § 116 Abs. 2 HGB auf die KG be­ stehen, würden sich angesichts des noch größeren Widerspruchs zu dem GmbH-rechtlichen System der §§ 35, 37, 45 und 46 GmbHG und der damit einhergehenden unterschiedlichen Interessenlage noch verschlim­ mern.1063 Losgelöst von der Frage nach der normativen Herleitung und des Anwendungsbereichs der §§ 116 Abs. 1 und 2, 164 HGB wird ein Bil­ ligungserfordernis für ungewöhnliche Maßnahmen aber ohnehin mehr­ heitlich gemäß einer Einteilung nach Fallgruppen bestimmt.1064 Demnach bedarf eine Geschäftsführungsmaßnahme nach herrschender Ansicht unter anderem dann der Zustimmung, wenn eine Ablehnung der Gesellschafter als wahrscheinlich einzustufen ist, also das Handeln ge­ gen deren mutmaßlichen Willen verstößt.1065 Entsprechend dem Wort­ laut des § 49 Abs. 2 GmbHG („erforderlich erscheint“), wonach eine Ein­ 1061 BFH, Urteil v. 26.01.1989 – IV R 151/86, BFHE 156, 138; Stephan/Tieves, in: MüKo-­GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 144 m.w.N. 1062 U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 12; siehe auch Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 12 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 4 ff.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 4; Lenz, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 6; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 20. 1063 Ziemons, Haftung der Gesellschafter, 1996, S. 12 f.; Zöllner/Noack, in: Baum­ bach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 7; im Ergebnis ebenfalls ablehnend Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 21; kritisch auch Stephan/Tieves, in: MüKo-­GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 129. 1064 Siehe dazu insbesondere Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 7, wonach der Streit um die analoge Anwendbarkeit der §§ 116 Abs. 1 und 2, 164 HGB aufgrund der fallgruppenmäßigen Einteilung bedeutungslos ist; zu den einzelnen Fallgruppen vgl. die Aufzählung bei U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 35 ff.; Stephan/Tieves, in: MüKo-­GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 131 ff. 1065 Vgl. zum Billigungserfordernis in diesen Fällen BGH, Urteil v. 05.12.1983 – II ZR 56/82, NJW 1984, 1461, 1462; Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 134; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 24; U. H. Schneider/​ S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 39; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 10; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310.

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berufung der Gesellschaft nicht erforderlich ist, sondern bereits der Verdacht der Erforderlichkeit genügt, ist auch schon der Verdacht eines Verstoßes gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter für ein un­ geschriebenes Billigungserfordernis ausreichend.1066 Es fragt sich somit einerseits, ob nützliche Rechtsverstöße generell oder wenigstens verein­ zelt gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter verstoßen, und andererseits, welcher Verdachtsgrad diesbezüglich notwendig ist. (1) Der notwendige Wahrscheinlichkeitsgrad Der für einen Zustimmungsvorbehalt erforderliche Grad der Wahr­ scheinlichkeit hinsichtlich einer Ablehnung durch die Gesellschafter wird in der Literatur sehr unterschiedlich beschrieben. Einige verneinen eine Vorlagepflicht, sobald der Geschäftsführer „erwarten kann“1067, die Zustimmung der Gesellschaftermehrheit zu erlangen. Manche sprechen von einem Zustimmungsvorbehalt, „wenn Anlass besteht, mit dem Wi­ derspruch einer Gesellschaftermehrheit zu rechnen.“1068 Andere wieder­ um vertreten die Ansicht, es seien „greifbare Anhaltspunkte“1069 bzw. ein „hinreichend konkreter Anlass“1070 notwendig. Einig ist man sich inso­ weit, als der erwartete Widerspruch nur eines einzelnen Minderheitsge­ sellschafters grundsätzlich unbedenklich ist, es sei denn, es ist damit zu rechnen, dass sich dessen Auffassung infolge der Anwendung von Stimm­ verboten gegenüber der Mehrheit durchsetzen würde.1071 Für die Begründung einer schadensersatzpflichtbewehrten Vorlagepflicht des Geschäftsführers sind vage Vermutungen oder leichte Zweifel jeden­ falls unzureichend. Stattdessen hat sich der Geschäftsführer auf Basis der bisherigen Weisungs- und Abstimmungspraxis bei ähnlich gelagerten Sachverhalten, des Unternehmensgegenstands, sowie weiterer aus der Satzung oder einzelnen Äußerungen der Gesellschafter zu entnehmender konkreter Anhaltspunkte ein Bild darüber zu machen, wie die Gesell­ schaftermehrheit zu dem jeweiligen Sachverhalt stehen könnte. Ist ihm eine solche Einschätzung nicht möglich, ist der Geschäftsführer ver­ pflichtet, bei den Gesellschaftern nachzufragen und im Zweifelsfall de­ ren Zustimmung einzuholen. Aus Geschäftsführersicht ist es freilich ratsam, eine Entscheidung der Gesellschafter bereits dann einzuholen, 1066 So zutreffend BGH, Urteil v. 05.12.1983 – II ZR 56/82, NJW 1984, 1461, 1462; Lenz, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 37 Rn. 14; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 19 Fn. 35; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 8. 1067 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 10. 1068 Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 8. 1069 Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 134. 1070 Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 24. 1071 Vgl. Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 37 Rn. 10; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 37 Rn. 24; Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 134; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 8.

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wenn ein ablehnender Beschluss nach den eben genannten Kriterien nicht völlig abwegig erscheint. (2) Generelle Überlegungen zur Einordnung nützlicher Rechtsverstöße Nützliche Rechtsverstöße sind dann keine zustimmungspflichtigen Ge­ schäfte, wenn sie in Bereiche der laufenden Geschäftsführung fallen. Steuerliche Angelegenheiten gehören abstrakt betrachtet zweifellos zu jenen Maßnahmen, welche der gewöhnliche Betrieb eines (Handels)Ge­ werbes mit sich bringt und sind damit prinzipiell dem Tagesgeschäft zu­ zuordnen. Als „gewöhnlich“ im wahrsten Sinne des Wortes kann aber lediglich die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten angesehen wer­ den. Der bewusste Rechtsbruch als solcher, beispielsweise in Gestalt ei­ ner Steuerhinterziehung, stellt in aller Regel eben keine alltägliche steu­ erliche Angelegenheit dar, sondern einen Ausnahmefall. Daraus lässt sich zwar schließen, dass der nützliche Rechtsverstoß im Steuerrecht kein Teil der laufenden Geschäftsführung ist, allerdings bedeutet dies nach dem soeben Gesagten nicht automatisch, dass es sich gleichzeitig auch um eine außergewöhnliche, ergo zustimmungspflichtige Maßnah­ me handelt. Die Gesellschaft begibt sich durch einen solchen Gesetzes­ verstoß auf den Pfad der Illegalität und sieht sich im Falle der Aufde­ ckung gravierenden Nachteilen ausgesetzt. Während eine aggressive und deshalb aus Sicht der Finanzbehörden unter Umständen als unangemes­ sen eingestufte Steuerplanung lediglich die Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 S. 3 AO auslöst, können die mit einer Steuerhinterziehung einhergehen­ den Sanktionen je nach Größe und Kapitalausstattung der einzelnen Ge­ sellschaft sogar zu existentiellen Problemen führen.1072 Bei einer so weit­ reichenden Entscheidung wird in den allermeisten Fällen wohl kaum von vornherein gesagt werden können, dass das geplante Vorhaben kei­ nesfalls gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter verstößt. Waren die Gesellschafter aber in der Vergangenheit bereits mehrfach mit einem bewussten Rechtsbruch einverstanden, kann bei künftigen ähn­ lich gelagerten Sachverhalten von einem mutmaßlichen Einverständnis ausgegangen werden („geübte Praxis“).1073

1072 Sollte die zur Überlegung stehende Straftat wegen der gravierenden Sanktionen sogar einen existenzvernichtenden Eingriff bedeuten, findet nach ganz herr­ schender Meinung allerdings § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG entsprechende Anwen­ dung, sodass ein diesbezüglicher Beschluss nichtig wäre und der Geschäftsführer zweifellos eine Pflichtverletzung beginge, vgl. Ziemons, in: Michalski/​ u.a.-­ GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 515; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 43 Rn. 49, 54; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 297, 309 f.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 264 m.w.N. 1073 Siehe zur „geübten Praxis“ Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 133;

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Zudem können der laufenden Geschäftsführung nicht sämtliche nützli­ che Rechtsverstöße pauschal entzogen und als außergewöhnliche Maß­ nahmen eingestuft werden. Gerade Bagatellverstöße, wie der mehrfach genannte Parkverstoß, um einen wichtigen Geschäftstermin wahrzuneh­ men, sind zweifellos dem laufenden Tagesgeschäft zuzuordnen.1074 Der­ artige Verstöße werden mit Ausnahme einer expliziten Missbilligung der Gesellschafter auch kaum einmal dem Gesellschafterinteresse zuwider­ laufen, sodass in diesen Fällen von einer originären Zuständigkeit des Geschäftsführers ohne Billigungserfordernis durch die Gesellschafter auszugehen ist. Durch die unterschiedliche Behandlung von Rechtsnor­ men als Bagatelle einerseits und gravierende Verstöße andererseits mag unter Umständen der trügerische Eindruck von Opportunismus entste­ hen, wenn man bedenkt, dass gerade jene Klassifizierung an anderer Stel­ le ausdrücklich kritisiert wurde.1075 Doch geht es in diesem Zusammen­ hang nicht um eine Kategorisierung von Rechtsnormen, sondern um Zustimmungsfragen innerhalb des GmbH-Rechts, welche eine Einord­ nung von Geschäften in zustimmungsbedürftige und zustimmungsfreie erfordern. Abgesehen von diesen beiden Extrembeispielen fragt sich dar­ überhinaus, ob eine weitergehende Unterteilung nützlicher Rechtsver­ stöße in Bagatellen auf der einen Hand und Strafnormen bzw. qualifizier­ te Ordnungswidrigkeiten auf der anderen möglich ist, Ferner ist also zu untersuchen, ob allgemeine Kriterien für das Vorliegen eines Billigungs­ erfordernisses aufgestellt werden können. Dabei ist vorwegzunehmen, dass die nachfolgenden Ausführungen lediglich Anhaltspunkte darstel­ len und sich starre Regeln in einem so vielseitigen Bereich verbieten.1076 (3) Vergleich mit der Situation einer Spendenvergabe Als mögliche Antwort auf diese Frage bietet sich erneut ein Vergleich mit der Situation einer Spendenvergabe an. Die herrschende Meinung vertritt die Ansicht, dass eine Spende dann in den uneingeschränkten Zuständigkeitsbereich des Geschäftsführers fällt, wenn sie sich im Rah­ 1074 Ein diesbezügliches Billigungserfordernis wäre bereits rein faktisch unsinnig und würde den eigentlichen Zweck dieses Instituts, grundlegende Entscheidungen den Gesellschaftern vorzubehalten, konterkarieren. 1075 Eine entsprechende Kategorisierung von Rechtsnormen im Zusammenhang mit der Einschränkung der Legalitätspflicht findet sich bei Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437 ff.; zustimmend Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit-AktG, 2020, § 93 Rn. 13 ff.; Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 99 ff.; ansatzweise auch Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 418 f. Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519; Bastuck, Enthaftung, 1986, S. 114 f.; Harzenetter, Nützliche Pflichtverletzungen, 2008, S. 96 ff.; deutliche Kritik daran übend Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 275 ff. 1076 Ebenso gegen starre Regeln Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 37 Rn. 23.

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men des Angemessenen1077 hält. Das bedeutet, sie erscheint anhand der Ertragslage der Gesellschaft, der Verkehrsüblichkeit der Spende sowie der Nähe des unterstützten Zwecks zum Unternehmensgegenstand nicht unzulässig und ist zudem generell zur Förderung des Gesellschaf­ terinteresses geeignet.1078 Die Vergabe von Spenden in angemessener Höhe ist somit der laufenden Geschäftsführung zuzuordnen.1079 Umge­ kehrt bedürfen solche Spenden, welche dem mutmaßlichen Willen der Gesellschafter widersprechen, deren Zustimmung.1080 Der Zuständig­ keitsstreit bei Spenden hat seinen Ursprung darin, dass sich soziales En­ gagement auf den ersten Blick nicht unbedingt mit einem ausschließlich an erwerbswirtschaftlichen Zielen orientierten Gesellschafterinteresse verträgt.1081 Parallel zu unangemessenen Spenden ist auch rechtswidriges Verhalten nicht mit den erwerbswirtschaftlichen Zielen einer Gesellschaft verein­ bar, obwohl aus ökonomischer Sicht der einzelne Gesetzesverstoß aus­

1077 Siehe zu den Kriterien, anhand derer die Rechtsprechung befugte von unbefugten Vermögensverfügungen im Sinne des § 266 StGB abgrenzt BGH, Urteil v. 06.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 Rn. 34; daran anknüpfend, um den Maßstab der Organpflichten bei Spendenvergaben zu bestimmen U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 12; Verse, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 57 ff.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 185 ff.; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 79; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 28; Kleindiek, in: Lutter/Hommel­ hoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 22; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 103 ff.; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310 f. 1078 Vgl. Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 186; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 105; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310 f.; ähnlich Götze/Bicker, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2017, § 30.121, wonach bei besonders bedeutsamen oder ungewöhnlichen Maßnahmen eine Vorlagepflicht besteht; siehe auch U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 71a, der fordert, dass „Spenden in einem gewissen örtlichen oder gegenständlichen Beug zum Unternehmen stehen“. 1079 So ausdrücklich U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 37 Rn. 12. 1080 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 106; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311 m.w.N., wobei Bagatellzuwendungen von einem Billigungserfor­ dernis grundsätzlich auszunehmen sind; strenger Götze/Bicker, in: Krieger/ U. H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2017, § 30.121 („Billigung durch die Ge­ sellschafter […] erkennbar mit erheblichen Zweifeln verbunden“). 1081 In Rechtsprechung und Literatur bestehen heute jedoch kein Zweifel mehr dar­ an, dass erwerbswirtschaftliche Ziele auch mittels Spenden verfolgt werden kön­ nen, indem nämlich die positiven Auswirkungen zunehmender sozialer Akzep­ tanz des Unternehmens im Sinne eines „good corporate citizen“ zur Sicherung einer dauerhaft wirtschaftlich erfolgreichen Tätigkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden, vgl. BGH, Urteil v. 06.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 Rn. 28; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 103; ­Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 186; eingehend hierzu Fleischer, AG 2001, 171 ff.

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nahmsweise rentabel sein kann.1082 Es besteht somit im Ansatz eine g­ ewisse Ähnlichkeit von angemessenen Spenden und nützlichen Rechts­ verstößen. Im Gegensatz zur Situation einer Spendenvergabe sind im Fall eines nützlichen Gesetzesverstoßes außerdem nicht bloß unangemesse­ ne und folglich pflichtwidrige Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermö­ gen zu befürchten, sondern weitaus gravierendere Schäden. Unter dieser Prämisse erscheint es deshalb sachgerecht, die Begründung der Zustän­ digkeit des Geschäftsführers zur Begehung eines Rechtsbruchs an stren­ gere Voraussetzungen zu knüpfen als zur Gewährung unentgeltlicher Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen. Selbst hinsichtlich des sozialen Engagements des Geschäftsführers wird vereinzelt die Theorie vertreten, dass für jegliche Spenden mit Ausnahme bloßer Bagatellzu­ wendungen stets die Einwilligung der Gesellschafter notwendig ist.1083 Mag dieser Ansatz für den Bereich des sozialen Engagements zwar zu eng sein, könnte er hingegen auf den der nützlichen Rechtsverstöße übertra­ gen werden. Allerdings wäre hiermit kein nennenswerter Erkenntnisge­ winn im Vergleich zu den vorherigen Ausführungen verbunden, im Rah­ men derer festgestellt werden konnte, dass Bagatellverstöße nicht der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen. Sind die Kriterien der Ertragslage der Gesellschaft, der Verkehrsüblich­ keit der Spende sowie der Nähe des unterstützten Zwecks zum Unter­ nehmensgegenstand nebst einer generellen Förderung des Gesellschafte­ rinteresses für eine Übertragung auf die Situation der nützlichen Rechtsverstöße somit im Ansatzpunkt passend, abstrakt betrachtet je­ doch zu vage, bleibt die Frage bestehen, anhand welcher Richtschnur sich letztlich die originäre Zuständigkeit für die unterschiedlichen Arten der nützlichen Rechtsverstöße begründen lässt. (4) Richtschnur für die Zuständigkeitsfrage bei nützlichen ­Rechtsverstößen Speziell bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung und Reichweite eines Entscheidungsspielraums des Geschäftsführers bei nützlichen Rechts­ brüchen vertritt Brock einen eigenen Ansatz. Dieser geht von einem Ver­ zicht auf eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse zugunsten einer sum­ marischen Plausibilitätsprüfung in einigen ausgewählten Bereichen aus.1084 Unabhängig davon, was konkret unter einer ausführlichen Kos­ 1082 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 98 f.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.; anders Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung, 2016, S. 82 ff., wonach die uneingeschränkte Legalität ein wesentlicher Faktor erfolg­ reicher Unternehmenspolitik ist. 1083 Kind, NZG 2000, 567, 572 f.; zustimmend Drescher, Haftung des GmbH-Ge­ schäftsführers, 2013, Rn. 159. 1084 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 285 f.

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ten-Nutzen-Analyse im Gegensatz zu einer bloßen summarischen Plau­ sibilitätsprüfung zu verstehen ist, liefert die in diesem Zusammenhang vorgenommene Kategorisierung von Gesetzesverstößen einen weiteren hilfreichen Anhaltspunkt für die Zuständigkeitsfrage im GmbH-Recht. Demnach sind im Rahmen einer solchen Betrachtungsweise diejenigen Rechtsverstöße ausgeschlossen, „bei denen […] von vornherein die tat­ sächliche Vermutung besteht, dass die Normverletzung für die Gesell­ schaft unvorteilhaft ist.“1085 Dazu zählen nach Brock folgende drei Kate­ gorien: „Normierte öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtungen, deren Nichterfüllung generell erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Nachteile für die Gesellschaft verursacht.“ Daneben „Verstöße gegen ge­ wichtige Ordnungswidrigkeiten, die beachtliche Bußgelder, zivilrecht­ liche Haftpflichten oder Reputationseinbußen mit sich bringen“, so­ wie „Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB), weil sie allgemein nicht nur rechtliche, sondern ebenfalls gehörige wirtschaftliche Nachteile zur Fol­ ge haben.“1086 Haftet einem bestimmten Gesetzesverstoß aber von Anfang an der Ma­ kel der vermuteten Nachteiligkeit an, ist es nur sachgerecht, diese Fälle gleichzeitig einem Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen und damit von einer grundsätzlichen Zuständigkeit der Gesellschafter auszugehen. Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind insbesondere die normierten öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen in Gestalt von Steuerschulden relevant. Während Verstöße hiergegen teilweise le­ diglich als einfaches Verwaltungsunrecht eingestuft werden,1087 weist Brock zu Recht darauf hin, dass bereits die Straf- oder Bußgeldbewehrung daraus „qualifiziertes Unrecht“ macht.1088 Nichtsdestotrotz wäre es zu kurz gedacht, deswegen jeglichen Verstoß gegen steuerrechtliche Pflich­ ten stets als zustimmungserforderlich einzustufen. Als endgültige Richtschnur empfiehlt sich, Steuerschulden zwar grund­ sätzlich als öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtungen zu verstehen, deren Nichterfüllung zu erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteilen für die Gesellschaft führen kann (aber eben nicht muss), was 1085 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 285 f. 1086 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 286, dort auch zu den Fällen, in welchen diese Betrachtungsweise grundsätzlich möglich ist. 1087 Vgl. U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 910; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439; so noch ausdrücklich Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 43 Rn. 23b, wohingegen die Thematik in der 22. Auflage nur noch im Rahmen von Pflichtenkollisionen angesprochen wird, Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 15; ebenso noch aus­ drücklich in der Altauflage U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 79a, wohingegen die Neuauflage nur noch eine dahingehende Tendenz er­ kennen lässt, Verse, in: Scholz-GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 111. 1088 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 276 f.

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folglich ein Indiz für einen Zustimmungsvorbehalt ist. Dennoch ist und bleibt es aber eine Einzelfallentscheidung, die unter Heranziehung der Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit einer Spende (mit Aus­ nahme des Gesichtspunktes der Nähe zum Unternehmensgegenstand) unter nachfolgender Modifikation zu fällen ist: Handelt es sich um eine besonders kapitalstarke und ertragreiche Gesellschaft, die auch im Falle eines Steuerskandals nicht von existenzbedrohenden Umständen betrof­ fen ist und die mit der Aufdeckung einer solchen Tat verbundenen Nach­ teile demnach stemmen kann, spricht das eher für eine originäre Zustän­ digkeit des Geschäftsführers. An die Stelle der Verkehrsüblichkeit der Spende tritt in dieser Konstellation die Entdeckungs- und Verfolgungs­ wahrscheinlichkeit der jeweiligen Tat. Kommt der Geschäftsführer bei­ spielsweise aufgrund des Kontrollverhaltens der Finanzbehörden in den letzten Jahren zu dem Schluss, dass eine Entdeckung der Tat als äußerst unwahrscheinlich einzustufen ist, beeinflusst dieser Umstand nicht nur seine Kosten-Nutzen-Analyse,1089 sondern schmälert zudem die Bedeu­ tung der Tat aus Sicht der Gesellschafter. Als Faustformel gilt deshalb: Je niedriger die Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit, desto weniger ist von einem Handeln entgegen des Gesellschafterinteresses auszugehen und umso eher ist der Geschäftsführer originär zuständig.1090 Bei einer Steuerhinterziehung, bei welcher in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden1091 und folglich regelmäßig ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vorliegt, ist aufgrund der verschärften Strafzumessung richti­ gerweise stets von einem Zustimmungsvorbehalt auszugehen. Aller­ dings stellt sich bei derartigen Fällen wegen der obligatorischen Frei­ heitsstrafe von mindestens sechs Monaten die vordringlichere Frage, ob der Geschäftsführer überhaupt bereit dazu ist, dieses Risiko einzugehen, und ob er gegebenenfalls sogar gezwungen werden kann. Selbiges gilt selbstverständlich auch für die sonstigen Regelbeispiele eines besonders schweren Falles.

1089 Eingehend hierzu Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 260 ff., der den Sanktions­ wert als „Summe aller drohenden Sanktionen multipliziert mit der Entdeckungsund Verfolgungswahrscheinlichkeit des Rechtsbruchs“ versteht. 1090 Etwas anderes gilt selbstverständlich dann, wenn die Gesellschafter ausdrück­ lich bzw. konkludent (in der Satzung oder in Gestalt einer Weisung) zum Aus­ druck gebracht haben, keine Rechtsbrüche im Steuerrecht zu dulden. 1091 Die Rechtsprechung nimmt – wie beim Betrug – einen besonders schweren Fall an, wenn die Steuerhinterziehung die Wertgrenze von 50.000 e überschreitet, vgl. BGH, Urteil v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, DStR 2016, 914; siehe dazu Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 370 Rn. 201 ff.

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d) Ergebnis Die erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile, welche die Gesellschaft infolge eines Verstoßes gegen die steuerrechtlichen Pflich­ ten treffen können, stellen ein starkes Indiz für einen ungeschriebenen Zustimmungsvorbehalt dar und lassen mithin eine grundsätzliche Ent­ scheidungszuständigkeit der Gesellschafter für nützliche Rechtsverstöße im Steuerrecht vermuten. Kommt der Geschäftsführer auf Basis des Un­ ternehmensgegenstands, der bisherigen Weisungs- und Abstimmungs­ praxis bei ähnlich gelagerten Sachverhalten, sowie weiterer aus der Sat­ zung oder einzelnen Äußerungen der Gesellschafter zu entnehmender konkreter Anhaltspunkte zu dem Schluss, dass die Gesellschaftermehr­ heit dem jeweiligen Sachverhalt wohl ablehnend gegenüberstehen wird, hat er den Fall zur Entscheidung vorzulegen. Unterlässt er dies, liegt be­ reits wegen eines Verstoßes gegen § 49 Abs. 2 GmbHG eine Pflichtverlet­ zung vor. Trotz alledem bleibt es aber eine Einzelfallentscheidung, im Zuge derer sich anhand der ohnehin anzustellenden Kosten-Nutzen-Ana­ lyse, insbesondere unter Berücksichtigung der Entdeckungs- und Verfol­ gungswahrscheinlichkeit sowie der jeweiligen Finanzstärke der Gesell­ schaft, auch eine originäre Zuständigkeit des Geschäftsführers ohne Vorlagepflicht ergeben kann. Unabhängig davon ist es jedenfalls ratsam für den Geschäftsführer, bei nützlichen Rechtsverstößen im Steuerrecht stets das Einverständnis der Gesellschafter einzuholen und auf diesem Weg Gewissheit über die ge­ sellschaftsinterne Haftungssituation zu erhalten. Erklären sich die Ge­ sellschafter mit dem Vorhaben des Geschäftsführers einverstanden, kommt eine Haftung des Geschäftsführers, abgesehen von den Fällen des § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG, nach § 43 Abs. 2 GmbHG schon mangels Pflichtverletzung nicht in Betracht. Obwohl ein derartiges Einverständ­ nis von der Gegenansicht als nichtig eingestuft wird, kommen auch Rechtsprechung und herrschende Lehre in aller Regel zu keinem anderen Ergebnis, indem einem möglichen Haftungsanspruch unter Umständen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (Arglisteinrede) entge­ gengehalten werden darf. Ob darüber hinaus auch jenseits eines ausdrücklich oder konkludent ge­ äußerten Einverständnisses der Gesellschafter ein genereller Haftungs­ ausschluss im Falle nützlicher Rechtsverstöße anzunehmen ist, wird nachfolgend untersucht. 3. Genereller Haftungsausschluss mittels mutmaßlichem ­Einverständnis? Um einen generellen und von einer ausdrücklichen oder konkludenten Weisung bzw. Zustimmung der Gesellschafter unabhängigen Haftungs­ ausschluss des Geschäftsführers zu begründen, ist ein Rückgriff auf das 230

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Modell des mutmaßlichen Einverständnisses notwendig. Dabei ist zu­ nächst fraglich, ob diese umstrittene Figur im Gesellschaftsrecht über­ haupt Anerkennung findet und welche rechtlichen Folgen dadurch ganz allgemein ausgelöst werden. Zudem ist zu untersuchen, inwiefern nütz­ liche Rechtsverstöße unter den Tatbestand einer solchen mutmaßlichen Einwilligung fallen, um zu einem generellen Haftungsausschluss des Ge­ schäftsführers zu gelangen. Rechtsprechung1092 und Teile der Literatur1093 sprechen sich für die Zuläs­ sigkeit eines Haftungsausschlusses auch bei einem bloß mutmaßlichen Einverständnis aus, während ein anderer Teil der Literatur1094 dies man­ gels ausreichender Qualität eines konkludenten Gesellschafterbeschlus­ ses ablehnt. Wenngleich der Einwand des Mangels eines (konkludenten) Gesellschafterbeschlusses nicht von der Hand zu weisen ist, lässt sich eine Haftungsbefreiung dogmatisch dennoch über das Institut des recht­ mäßigen Alternativerhaltens erklären: Es liegt dann keine Pflichtwidrig­ keit vor, wenn die Gesellschafter der fraglichen Maßnahme mit höchster Wahrscheinlichkeit zugestimmt hätten, wären sie gefragt worden.1095 Für die Beurteilung des mutmaßlichen Stimmverhaltens ist dabei auf einen verantwortungsvoll agierenden Gesellschafter abzustellen.1096 Es fragt sich somit, ob auch nützliche Rechtsverstöße Gegenstand eines mut­ maßlichen Einverständnisses sein können. Dabei kommt insbesondere diejenige Konstellation in Betracht, in welcher eine dahingehende geübte Praxis der Gesellschafter zu erkennen ist, bei dir in der Vergangenheit vergleichbare nützliche Rechtsverstöße stets gebilligt wurden, sodass der eigentlich obligatorische Zustimmungsvorbehalt entfällt. Wenn in einer solchen Situation ein stillschweigendes Einverständnis vorliegt, entfällt eine etwaige Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG.

1092 BGH, Urteil v. 18.06.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 ff. Rn. 31 ff.; BGH, Ur­ teil v. 21.07.2008 – II ZR 39/07, NZG 2008, 783 Leitsatz 3; BGH, Urteil v. 07.04.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945, 946. 1093 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2017, § 43 Rn. 16; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 266; Fleischer, DStR 2009, 1204, 1207 ff.; Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339 f.; Bachmann, NZG 2013, 1121, 1123; i.E. auch Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 399; zurückhaltender nunmehr Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 55 ff. 1094 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff-GmbHG, 2020, § 43 Rn. 41, 53; Altmeppen, in: Altmeppen-GmbHG, 2021, § 43 Rn. 106 f.; vermittelnd Paefgen, in: GK-Gm­ bHG/2, 2020, § 43 Rn. 195, der zwar den Einwand rechtmäßigen Alternativver­ haltens für den Fall ablehnt, dass die Gesellschafter das Geschäftsführerhandeln gebilligt hätten, wären sie gefragt worden. Unter Rn. 221 betont er jedoch, dass ausnahmsweise dann keine Pflichtverletzung des Geschäftsführers vorliegt, wenn „der Geschäftsführer berechtigter Weise davon ausgehen durfte, sich bei seinem Handeln im Einverständnis mit den Gesellschaftern […] zu befinden.“ 1095 Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 399. 1096 Fleischer, NJW 2009, 2337, 2340 m.w.N.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Im Ergebnis ist es sachgerecht, den Geschäftsführer in Situationen wie der eben beschriebenen von einer möglichen Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG freizustellen. Soweit die Gesellschafter durch ihr Verhalten in der Vergangenheit den begründeten Anlass zu der Einschätzung gegeben haben, dass sie an einer Unternehmenspolitik festhalten wollen, die re­ gelmäßigen oder gelegentlichen nützlichen Rechtsverstößen nicht ent­ gegensteht, darf der Geschäftsführer solange darauf vertrauen, wie die Gesellschafter kein Abrücken von dieser Haltung erkennen lassen. Da­ bei kommt es auch nicht zu Friktionen mit dem Maßstab eines verant­ wortungsvoll agierenden Gesellschafters, da Gesetzesverstöße nicht per se als verantwortungslos zu definieren sind. Eine solche Einstufung wäre nach dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis einer sorgfältig handelnden Organperson nicht haltbar, andernfalls würde man das erar­ beitete Konstrukt der Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße untergra­ ben. Allerdings kann nicht von einem generellen Haftungsausschluss die Rede sein, sondern lediglich von einem im Einzelfall zu beurteilenden mutmaßlichen Einverständnis, das beispielsweise auf eine geübte Praxis der Gesellschafter gestützt werden kann. 4. Korrespondierende Binnenpflicht zur Begehung nützlicher ­Rechtsverstöße? Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass der Geschäftsführer durchaus dazu berechtigt sein kann, gegen Gesetze zu verstoßen, ohne dadurch automatisch pflichtwidrig nach § 43 Abs. 1 GmbHG zu handeln. Die dogmatische Begründung hierfür ist in der strengen Trennung des Binnenrechtsverhältnisses zwischen dem Geschäftsführer und der Ge­ sellschaft vom Außenrechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Drit­ ten zu sehen. Gegenüber der Gesellschaft treffen den Geschäftsführer vorrangig die organschaftlichen Pflichten aus § 43 Abs. 1 GmbHG, die im Sinne des Gesellschafterinteresses zu erfüllen sind, welches nicht un­ bedingt identisch mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung sein muss. Wenn der Geschäftsführer aber zur Vornahme nützlicher Pflichtverletzungen berechtigt ist, stellt sich zwangsläufig die damit zusammenhängende Frage, ob ihn binnenrechtlich auch eine kor­ respondierende Pflicht trifft und er demnach gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG haftungsrechtlich belangt werden könnte, sollte er in der jeweiligen Situ­ ation rechtmäßig, jedoch entgegen dem Gesellschafterinteresse, handeln. Besonders bedeutsam wird dieses Problem im Kontext der rechtlichen Pflichten, welche den Geschäftsführer persönlich im Außenverhältnis treffen. Neben einer Haftungsbewehrung (z.B. nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO) sind hier vielfach auch straf- oder bußgeldrechtliche Folgen (z.B. nach §§ 370, 378 ff. AO) zu befürchten. Prima facie sieht sich der Geschäftsführer deshalb mit einem Dilemma konfrontiert, da er sich 232

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entweder gegenüber der Gesellschaft haftbar machen oder den Sanktio­ nen im Außenverhältnis aussetzen muss. So könnte er beispielsweise von den Gesellschaftern zum Verzicht auf eine gesetzlich erforderliche Anzeige- und Berichtigungserklärung (§ 153 AO) aufgefordert werden, wodurch er sich aber der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar machen würde.1097 Der BFH hatte in einer ähnlichen Konstella­ tion entschieden, dass ein Geschäftsführer, der sich in der von ihm ver­ tretenen Gesellschaft nicht durchsetzen kann, nur dann von seiner Haf­ tung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO befreit ist, wenn er in letzter Konsequenz sein Amt niederlegt.1098 Sollte das auch für die Situation des Geschäftsführers im Fall einer Weisung zu rechtswidrigem Verhalten gelten, bliebe ihm auch hier nur der Rücktritt als letzter Ausweg. Ob dem tatsächlich so ist, werden die nachfolgenden Ausführungen zeigen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen stellt dabei die Rechtslage bei Weisungen der Gesellschafter zu rechtswidrigem Verhalten dar (a). Sollte den Geschäftsführer eine diesbezügliche Folgepflicht treffen, spräche das im Rahmen einer am Gesellschafterinteresse ausgerichteten Leitungs­ maxime auch für eine generelle haftungsbewehrte Binnenpflicht nach § 43 Abs. 1 GmbHG zur Begehung nützlicher Gesetzesverstöße. In die­ sem Zusammenhang ist jedoch zu untersuchen, ob eine solche Binnen­ pflicht in Konflikt mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung geraten könnte (b). Selbst wenn die vorstehenden Ausführungen in dog­ matischer Hinsicht letztlich für eine Pflicht des Geschäftsführers zur Begehung nützlicher Rechtsverstöße sprechen sollten, fragt sich, ob eine durch rechtmäßiges Handeln begangene Pflichtverletzung des Geschäfts­ führers nicht mittels direkter oder analoger Anwendung der allgemeinen Rechtsfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts „gerechtfertigt“ wer­ den könnte (c). Einen möglichen normativen Bezugspunkt zur Auflösung einer Kollision verschiedener rechtlicher Pflichten bietet daneben die Durchsetzbarkeit der jeweiligen Pflichten unter Heranziehung des § 275 Abs. 3 BGB (d). Abschließend werden die Ergebnisse noch zusammenge­ fasst (e). a) Die Folgepflicht bei Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten Wie soeben festgestellt wurde, sind die Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG dazu berechtigt, den Geschäftsführer auch zur Begehung rechts­ 1097 Darüber hinaus haftet der Geschäftsführer in einem solchen Fall persönlich für die Steuerschuld der von ihm vertretenen Gesellschaft nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO sowie nach § 71 AO. 1098 BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480 Rn. 14; BFH, Beschl. v. 05.03.1985 – VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422 f.; siehe zu dieser Rücktritts­ pflicht des Geschäftsführers ferner Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 34 AO Rn. 54; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 411 f. m.w.N.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

widriger, schlimmstenfalls gar strafrechtlich relevanter Handlungen an­ zuweisen. Nach den bisherigen Untersuchungen kommt einer solchen Weisung aber lediglich binnenrechtlich haftungsausschließende Wir­ kung zu, wohingegen noch ungeklärt ist, ob den Geschäftsführer gleich­ zeitig eine korrespondierende Befolgungspflicht trifft. Bei Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten differenziert Bayer zwischen der Befolgungs­ pflicht einerseits und der haftungsbefreienden Wirkung andererseits. Eine Befolgungspflicht des Geschäftsführers verneint er aus Gründen der Unzumutbarkeit dann, wenn deren Ausführung verlangt, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu begehen oder sich persönlich haftbar zu ma­ chen.1099 Nach anderer und auch herrschender Ansicht hänge die Haftungsentlas­ tung indessen untrennbar mit der Folgepflicht des Geschäftsführers zu­ sammen.1100 Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass die Haftungs­ freistellung in dogmatischer Hinsicht daraus resultiere, dass eine Weisung befolgt wird. Normativ untermauert werde dieser Befund aus einem Umkehrschluss zu § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG, der ebenfalls von ei­ ner grundsätzlichen Haftungsfreiheit bei Folgepflicht spreche.1101 Dage­ gen ist jedoch einzuwenden, dass nach dem bisher Gesagten auch bloß billigende Gesellschafterbeschlüsse ohne jegliche Befolgungspflicht ei­ ner Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG entgegenstehen. Eine haftungs­ befreiende Wirkung tritt deshalb richtigerweise dadurch ein, dass die Gesellschafter durch ihr Einverständnis zum Ausdruck bringen, Ver­ antwortung für die getroffene Entscheidung zu übernehmen – und zwar unabhängig von einer Folgepflicht.1102 Demnach ist Bayer zumindest da­ hingehend zuzustimmen, dass sich die einer Weisung immanente Befol­ gungspflicht des Geschäftsführers auch losgelöst von deren enthaftender Wirkung analysieren lässt. Aber existiert eine solche Diskrepanz aus Haftungsbefreiung und Folge­ pflicht bei Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten tatsächlich? In Reak­

1099 So Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f., allerdings ohne konkrete Argumente hierfür zu nennen. 1100 So ausdrücklich U. H. Schneider, in: Scholz-GmbHG/2, 2014, § 43 Rn. 126 („Eine Haftungsentlastung kommt freilich bei Weisungen nur in Betracht, wenn auch eine Folgepflicht bestand“); ebenso in der Neuauflage Verse, in: Scholz-­ GmbHG/2, 2021, § 43 Rn. 260; ansatzweise auch Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 237 („Haftungsfreistellung kraft Folgepflicht“), jedoch relativie­ rend in § 43 Rn. 218. 1101 Eingehend zur Möglichkeit einer Haftungsbefreiung aus einem Rückschluss zu den §§ 43 Abs. 3 S. 3, 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG, vgl. Grigoleit, Gesellschafterhaf­ tung, 2006, S. 273 f. 1102 Ebenso BGH, Urteil v. 07.04.2003 – II ZR 193/02, NZG 2003, 528; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 43 Rn. 218.

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tion auf die oben genannte BFH-Entscheidung1103 wird teilweise argu­ mentiert, es könne dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, der „Haftungsfalle“ einzig durch einen Amtsverzicht zu entgehen.1104 Die­ se – wohl um Gerechtigkeit innerhalb des Organhaftungsrechts bemüh­ te – Ansicht läuft allerdings bereits im Hinblick auf § 38 Abs. 1 GmbHG ins Leere. Kommt der Geschäftsführer nämlich einer Weisung der Ge­ sellschafter nicht nach, ist es ihnen unbenommen, seine Bestellung je­ derzeit und grundlos zu widerrufen.1105 Die weitreichenden Einflussmög­ lichkeiten der Gesellschafter erwecken dann jedoch den Anschein, als könnten sie mittels ihres Weisungsrechts den Geltungsanspruch der Rechtsordnung unterminieren. Zudem vermögen die mit der Folgepflicht korrespondierende Haftungsfreistellung des Geschäftsführers sowie des­ sen Regressmöglichkeit nach §§ 675 Abs. 1, 670 BGB die vermeintliche Ungerechtigkeit dieses Ergebnisses nur ansatzweise zu kompensieren. Dem Eindruck einer unzulässigen Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafter liegt indes dasselbe herrschende Verständnis des Verhält­ nisses zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft zugrunde, welches auch bei der Herleitung einer umfassenden Legalitätspflicht zum Tragen kommt. Die Untersuchungen in dieser Arbeit kamen zu dem Ergebnis, dass der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Ausgestaltung und Be­ grenzung der Befugnisse des Geschäftsführers das Gesellschafterinteres­ se ist, welches nicht durch ein öffentliches Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung überlagert werden darf. Grund hierfür ist die gesetz­ lich vorgegebene Trennung von Binnen- und Außenverhältnis, weshalb für das Gesellschaftsinnenrecht andere Maßstäbe gelten als beispiels­ weise für das Steuerrecht. Konsequenterweise ist dann aber gerade eine Einschränkung des Weisungsrechts der Gesellschafter aufgrund uner­ wünschter Interdependenzen mit anderen Rechtsgebieten begründungs­ bedürftig und nicht dessen Bestehen qua Gesetz. Als vorläufiges Untersuchungsergebnis verbleibt daher nur die Erkennt­ nis, dass den Gesellschaftern grundsätzlich ein umfangreiches Weisungs­ recht zusteht, wovon selbst eine Anordnung zu rechtswidrigem Verhal­ ten, wie z.B. zur Hinterziehung von Steuern, nicht ausgeschlossen ist. Den Geschäftsführer trifft korrespondierend zu dem Recht der Gesell­ schafter aus § 37 Abs. 1 GmbHG eine Befolgungspflicht, gleichzeitig 1103 BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480 Rn. 14; BFH, Beschl. v. 05.03.1985 – VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422 f. 1104 In diese Richtung Uffmann, ZGR 2013, 273, 308 f.; Gieseke, GmbHR 1996, 486, 490 ff., die einen eigenständigen und weisungsfreien Geschäftsführungsbereich mit eigener inhaltlicher Entscheidungskompetenz befürworten. 1105 Etwas anderes gilt nur, wenn die Zulässigkeit des Widerrufs im Gesellschaftsver­ trag speziell geregelt wurde (§ 38 Abs. 2 GmbHG) oder es sich um eine dem Mit­ bestG unterliegende GmbH handelt, bei welcher nach § 31 Abs. 1 S. 1 MitbestG an die Stelle von § 38 GmbHG der strengere § 84 Abs. 3 AktG tritt.

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handelt er aber bei Ausführung einer Weisung nicht pflichtwidrig im Sin­ ne des § 43 Abs. 2 GmbHG. Eine Niederlegung seines Amtes stellt bis zu diesem Punkt die einzige Möglichkeit dar, sowohl einer Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG als auch einer Sanktionierung und Inhaftungnahme durch Dritte zu entgehen. Nachfolgend ist nun zu prüfen, ob es infolge­ dessen zu Friktionen mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt oder ob zumindest die allgemeinen Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts bzw. das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB einen Ausweg bieten. b) Die Einheit der Rechtsordnung als Argument Brock lehnt eine Binnenpflicht des Geschäftsführers zum nützlichen Rechtsbruch ab, indem er argumentiert, es würde dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung widersprechen, der Gesellschaft eine be­ stimmte Verhaltenspflicht aufzuerlegen und gleichzeitig von deren Or­ ganpersonen zu verlangen, gegen dieselbe Pflicht zu verstoßen.1106 Wie bereits auf den S. 166 ff. erläutert wurde, wird der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung von den gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten überlagert, sodass aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtungen von Binnen- und Außenpflichten gerade keine Friktionen im Binnenverhält­ nis entstehen. Daneben ist auch das Außenverhältnis nicht dem Vorwurf widersprüchlicher Regelungen ausgesetzt, da der Geschäftsführer gerade kein Normadressat der an die Gesellschaft gerichteten Vorschriften ist und die Gesellschaft sich das Handeln des Geschäftsführers über § 31 BGB selbst dann zurechnen lassen muss, wenn dieser gesellschaftsintern pflichtgemäß handelt. Die Unterschiede im Binnen- und Außenverhält­ nis bewirken somit, dass vom Blickpunkt des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aus kein Konflikt besteht. Dass der Geschäftsführer dann einerseits durch Vorschriften wie § 69 AO oder § 370 AO haftungsbzw. sogar strafbewehrt zur Einhaltung bestimmter Pflichten angehalten ist, andererseits aber aufgrund seiner Organstellung gegen selbige versto­ ßen soll, ist der Relativität der beiden Rechtsverhältnisse gerade imma­ nent.1107 Erschwerend kommt hinzu, dass Brock an anderer Stelle sogar selbst be­ tont, „dass die Einheit der Rechtsordnung ungeeignet ist, den Binnen­ pflichtkanon des Vorstandsmitglieds auszugestalten.“1108 Wenn es sich auf Basis dieser (zutreffenden) Feststellung jedoch verbietet, aus der Figur 1106 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 286 f. 1107 Wohlgemerkt ist dadurch lediglich gesagt, dass auf der Ebene der Einheit der Rechtsordnung kein Konflikt besteht. Ob es davon abgesehen eine Binnenpflicht des Geschäftsführers zum nützlichen Rechtsverstoß rein rechtlich wirklich gibt, muss noch herausgefunden werden. 1108 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 113.

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der Einheit der Rechtsordnung eine Legalitätspflicht des Geschäftsfüh­ rers herzuleiten, ist nicht nachzuvollziehen, wie gleichzeitig eine Bin­ nenpflicht des Geschäftsführers zum nützlichen Rechtsverstoß auf selbi­ ger Grundlage abgelehnt werden kann. Innerhalb eines einheitlichen rechtlichen Kontextes, nämlich der Ausgestaltung der Binnenpflichten, kann ein und dasselbe Argument nicht einerseits ungeeignet für die dog­ matische Herleitung einer Pflicht sein, und andererseits für dessen in­ haltliche Ausgestaltung und Reichweite den entscheidenden Anknüp­ fungspunkt bilden. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ist im Ergebnis untauglich, um eine Befolgungspflicht sowie allgemein eine Binnenpflicht des Geschäftsführers zur Begehung nützlicher Rechtsver­ stöße abzulehnen. c) Die allgemeinen Rechtsfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts als möglicher Ausweg Nach dem bisher Gesagten besteht eine grundsätzliche Pflicht des Ge­ schäftsführers zur Begehung eines nützlichen Rechtsverstoßes, was für ihn insbesondere dann ein Dilemma darstellt, wenn er auch persönlich in seinem rechtlichen Außenverhältnis betroffen ist. Unter Umständen bieten aber die allgemeinen Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivil­ rechts, insbesondere § 34 StGB, §§ 229, 904 BGB sowie die ungeschrie­ bene, aber weithin anerkannte Figur der rechtfertigenden Pflichten­ kollision („impossibilium nulla obligatio est“1109) einen Ausweg aus aus der hier vorliegenden rechtlichen Pflichtenkollision. Dafür ist einerseits auf rein binnenrechtlicher Ebene das Verhältnis der Generalpflicht des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 1 GmbHG zur Steigerung des Gesell­ schaftsvermögens im Gegensatz zu seinen sonstigen organschaftlichen, möglicherweise damit konfligierenden Pflichten, zu begutachten (1). An­ dererseits ist das Verhältnis der organschaftlichen Pflichten des Ge­ schäftsführers zu seinen unmittelbaren Außenpflichten, namentlich je­ nen aus § 34 Abs. 1 AO, zu klären und auf mögliche Kollisionspunkte und Rechtfertigungsmöglichkeiten hin zu untersuchen (2). (1) Kollidierende Rechtspflichten im Binnenverhältnis Vertritt man wie die herrschende Lehre die Ansicht, dass die Legalitäts­ pflicht den Geschäftsführer zu umfassender Regeltreue verpflichtet und die Begehung nützlicher Rechtsverstöße deshalb immer eine Pflichtver­ letzung im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG darstellt, kann es zu Kollisio­ nen mit der allgemeinen Pflicht des Geschäftsführers kommen, sein 1109 Siehe hierzu Schlehofer, in: MüKo-StGB/1, 2020, Vorbem. zu § 32 Rn. 62, 251 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder-StGB, 2019, Vorbem. zu § 32 Rn. 71 ff. jeweils m.w.N.

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Handeln stets am Gesellschafterinteresse auszurichten. Eine Rechtferti­ gung eines Verstoßes gegen die Legalitätspflicht, beispielsweise über § 34 StGB, verbietet sich dann wegen des unbedingten Vorrangs der Lega­ litätspflicht vor den sonstigen Organpflichten.1110 Nichtsdestotrotz er­ kennt auch die herrschende Meinung unter strengen Voraussetzun­ gen eine Rechtsfertigungsmöglichkeit für rechtswidriges Handeln des Geschäftsführers an.1111 Beispielhaft werden steuerrechtliche Verstöße genannt, um den Schutz von Leib und Leben tätiger Mitarbeiter in Un­ rechtsstaaten zu gewährleisten und ein Evakuierungsprogramm vorzu­ bereiten.1112 Die Legalitätspflicht stellt nach dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis allerdings gerade kein amorphes Konstrukt dar, welches ne­ ben die sonstigen organschaftlichen Pflichten tritt bzw. diese überlagert oder abschließend determiniert. Stattdessen handelt es sich um eine blo­ ße Konkretisierung der Pflichten des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 1 GmbHG. Ist der Rechtsverstoß aus ex ante-Sicht lukrativ, berechtigt das den Geschäftsführer innergesellschaftlich auch zum Rechtsbruch, sodass keine Pflichtverletzung vorliegt und ein Konflikt dadurch von vornher­ ein ausscheidet.1113 (2) Die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers vor dem Hintergrund seiner unmittelbaren Außenpflichten Weitaus komplexer stellt sich die Situation unter Einbeziehung des per­ sönlichen Außenrechtsverhältnisses des Geschäftsführers dar. Dessen Binnenpflicht zur Steigerung des Gesellschaftsvermögens kollidiert – nach hier vertretener Auffassung – im Falle eines nützlichen Rechtsver­ stoßes regelmäßig mit seinen haftungsbewehrten, unter Umständen so­ gar straf- oder bußgeldbewehrten, unmittelbaren Außenpflichten. Ruft man sich das soeben angesprochene Beispiel in Erinnerung, im Zuge des­ sen ein Verstoß gegen die gesetzlich geforderte Anzeige- und Berichti­ gungspflicht aus § 153 AO aus ex ante-Sicht einen Vorteil für die Ge­ 1110 Der Vorrang ist insbesondere dadurch zu erklären, dass der Wirtschaftsgesetzge­ ber die bedrohten Interessen von Gesellschaften zwar gesehen, aber als gering­ wertiger einstuft hat, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 f.; Bicker, AG 2014, 8, 12; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 849, 861 f.; siehe hierzu auch Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 249 f. 1111 Mehrheitlich wird die Rechtfertigungsmöglichkeit dogmatisch über § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG begründet, dem ein „Fingerzeig in diese Richtung“ entnommen wird, vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 f.; Spindler, in: FS Canaris/II, 2007, S. 403, 424; Klöhn, in: Bork/Schäfer-­ GmbHG, 2019, § 43 Rn. 22; Bicker, AG 2014, 8, 12 f.; ansatzweise auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438. 1112 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Bicker, AG 2014, 8, 12. 1113 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 250.

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sellschaft bedeuten würde, kollidiert die steuerrechtliche Pflicht des Geschäftsführers aus § 153 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO mit seiner Pflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG, stets zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Der Verstoß gegen die organschaftliche Pflicht zieht dann einen Schadensersatzanspruch gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG nach sich, während die vorsätzliche Missachtung der steuerrechtlichen Pflicht zu einer Straf­ barkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sowie einer Haftung gegenüber den Finanzbehörden nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO und § 71 AO führt. Nachfolgend ist zu untersuchen, ob die allgemeinen Rechtfertigungsre­ geln des Straf- und Zivilrechts zur Auflösung solcher rechtlicher Kon­ fliktsituationen auf der Ebene des Gesellschaftsrechts beitragen können und ob sie überhaupt den richtigen Anknüpfungspunkt dafür bilden. Fer­ ner ist spiegelbildlich zu klären, ob die hinter den organschaftlichen Pflichten stehenden Gesellschafterinteressen die kollidierenden Schutz­ güter der Allgemeinheit wesentlich überwiegen oder ihnen zumindest gleichstehen können, und ein straf- oder bußgeldrechtlich relevantes Verhalten des Geschäftsführers damit über § 34 StGB/§ 16 OWiG bzw. eine Pflichtenkollision gerechtfertigt werden kann. Wenngleich Poelzig/ Thole im Ergebnis der herrschenden Meinung zustimmen und die Recht­ fertigung eines Verstoßes gegen die Legalitätspflicht generell ab­lehnen,1114 leistet ihr Beitrag dennoch Pionierarbeit bei der Entwicklung einer Lehre der Pflichtenkollision im Gesellschaftsrecht. Richtiger Anknüpfungs­ punkt für die Behandlung miteinander konfligierender Interessen ist demnach die Pflichtverletzung.1115 (a) Allgemeine Überlegungen Eine Annäherung an diese beiden Fragestellungen empfiehlt sich über eine Darstellung bisheriger allgemeiner Überlegungen und Grundsätze zu den Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts im Kontext ge­ sellschaftsrechtlicher Besonderheiten. Neben einem angeblichen gene­ rellen Vorrang straf- und bußgeldbewehrter Pflichten findet sich vor al­ lem die Ansicht, eine Abwägung der Gesellschafterinteressen gegenüber denen der Allgemeinheit wäre vom Wirtschaftsgesetzgeber bereits vor­ weggenommen worden.

1114 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 849, 861 f. 1115 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 851 f., 854 f.; ähnlich Schön, in: FS H. P. Wester­ mann, 2008, S. 1469, 1481 für den Spezialbereich der Steuerschulden einer GmbH nach Insolvenzreife; teilweise wird bei rechtlichen Konfliktsituationen des Geschäftsführers aber auf einen (übergesetzlichen) Notstand abgestellt, vgl. Altmeppen, in: FS Goette, 2011, S. 1 ff.; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 406.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

(i) Genereller Vorrang straf- und bußgeldbewehrter Pflichten Vor allem im Rahmen des Verhältnisses der Massesicherungspflicht des Geschäftsführers nach § 15b Abs. 1 S. 1 InsO (entspricht § 64 S. 1 Gmb­ HG a.F.) zu der nach §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich abgesicherten Pflicht zur Abführung der Beiträge zur Sozialversicherung vertritt die Rechtsprechung die Ansicht, letzterer Pflicht komme wegen deren Strafbewehrung eine vorrangige Stellung zu.1116 Eine vergleichbare Situation besteht außerdem bei der nach § 380 AO bußgeldbewehrten Pflicht, die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen, sowie auch ganz allgemein bei den einzelnen steuerrechtlichen Pflichten des Geschäfts­ führers aus § 34 Abs. 1 AO, soweit sie durch die §§ 370, 378 ff. AO abge­ sichert sind. Die vorgenannten Konstellationen ließen sich indes nach Eintritt der Insolvenzreife über den in § 1 S. 1 InsO kodifizierten Grund­ satz der Gleichbehandlung zwischen sämtlichen Gläubigern („par condi­ tio creditorum“) mit dem damit einhergehenden Verbot eines „Fiskusund Sozialversicherungsprivilegs“ auch vor Einführung des § 15b Abs. 8 InsO dogmatisch sauber über § 64 S. 2 GmbHG a.F. lösen.1117 Ein großer Teil der Literatur lehnt deshalb richtigerweise auch jenseits des Insol­ venzrechts einen generellen Vorrang straf- oder bußgeldrechtlich abgesi­ cherter Pflichten ab, da andernfalls der juristische Geltungsanspruch der Rechtsnormen untergraben würde und es zu einer ungewünschten Klas­ sifizierung von Vorschriften käme.1118 Wenngleich diese Herangehens­ weise stets eine Einzelfallentscheidung verlangt, spricht aber zumindest eine tatsächliche Vermutung für die Höherwertigkeit strafrechtlich ge­ schützter Rechtsgüter, sodass eine Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 15b Abs. 4 InsO (entspricht § 64 S. 1 GmbHG a.F.) in diesen Konstellationen die Ausnahme darstellen muss.1119 (ii) Antizipierte Abwägungsentscheidung des Wirtschaftsgesetzgebers Darüber hinaus hat der Wirtschaftsgesetzgeber nach der herrschenden Ansicht1120 eine dahingehende antizipierte Entscheidung getroffen, als 1116 Siehe hierzu insbesondere BGH, Beschl. v. 09.08.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; vgl. auch Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder-StGB, 2019, Vorbem. zu § 32 Rn. 75 zur Kollision ungleichartiger Pflichten, wonach das strafrechtlich ge­ schützte Rechtsgut höherwertiger als eine bloß zivilrechtliche Handlungspflicht ist. 1117 Siehe ausführlich hierzu die S. 84 ff. 1118 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 247 f.; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 860 f.; Haas, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 64 Rn. 102; Beurskens, in: Baumbach/Hueck-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 15, 157; Zöllner/Noack, in: Baum­ bach/Hueck-GmbHG, 2017, § 43 Rn. 95, 101a. 1119 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 248; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 861. 1120 So BGH, Urteil v. 20.11.1996 – 2 StR 323/96, JR 1997, 253, 254 für den Fall einer umweltgefährdenden Abwasserbeseitigung (§ 326 StGB) zwecks Rettung von Ar­

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

die bedrohten Interessen von Gesellschaften grundsätzlich als geringwer­ tiger einzustufen seien als die gesamtgesellschaftlichen. Die entspre­ chenden Rechtsnormen seien demnach mit besonderen Zielsetzungen, wie dem Gesundheits- und Umweltschutz, aber auch der Verpflichtung zur Entrichtung von Steuern und Abgaben aufgeladen, sodass wirtschaft­ liche Notlagen selbst dann keine Gesetzesverstöße rechtfertigen könn­ ten, wenn die Existenz eines Unternehmens samt den dort vorhandenen Arbeitsplätzen gefährdet wäre. Die Rechtsordnung nehme solche exis­ tenzbedrohenden Szenarien bewusst in Kauf und erkenne Ausnahmen von dieser legislativen Vorgabe nur dann an, wenn es um die Abwendung einer atypischen, vom Gesetzgeber nicht einkalkulierten Gefahr gehe.1121 Die Notwendigkeit einer solchen Grundentscheidung leuchtet jedenfalls insoweit ein, als die einzelnen Vorschriften nicht durch einen ruinösen Wettbewerb unter den Unternehmen ad absurdum geführt werden sol­ len.1122 Dadurch erklärt sich aber lediglich das Verbot einer entsprechen­ den aus §§ 34 StGB, 16 OWiG folgenden Rechtfertigung rechts- bzw. ­ordnungswidrigen Verhaltens der Gesellschaft – und damit auch des Ge­ schäftsführers – im Außenverhältis, wohingegen die Vorwegentschei­ dung des Gesetzgebers das Innenverhältnis, speziell die Frage der Pflicht­ widrigkeit, unberührt lässt.1123 Geht man vom Konzept der §§ 34 StGB, 16 OWiG aus, bedarf es für die Beurteilung der Rechtfertigung eines Ver­ haltens im Innenverhältnis somit nach wie vor einer Interessenabwä­ gung. Um jedoch die unterschiedlichen Zielrichtungen ausreichend zu berücksichtigen, wird eine Übertragung der allgemeinen Rechtferti­

beitsplätzen; siehe allgemein zur Vorwegentscheidung des Gesetzgebers Poelzig/ Thole, ZGR 2010, 836, 861 f.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 243 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 f.; Kröger, Korruptionsschäden, 2013, S. 53 f.; eingehend Erb, in: MüKo-StGB/1, 2020, § 34 Rn. 250 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder-StGB, 2019, § 34 Rn. 35 m.w.N. 1121 Vgl. Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150 f. m.w.N. 1122 Siehe Erb, in: MüKo-StGB/1, 2020, § 34 Rn. 251 mit dem treffenden Beispiel der systematischen Missachtung der gesetzlichen Vorgaben zu den Lenkzeiten und Höchstgeschwindigkeiten im Straßenverkehr durch LKW-Fahrer und deren Spe­ ditionen, wodurch es in der Folge zu einem Wettbewerbsnachteil derjenigen Un­ ternehmen kommt, welche die Rechtsvorschriften einhalten. 1123 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 243 f., wonach die Vorwegentscheidung zweifelsohne Auswirkungen auf das Außenverhältnis von Gesellschaft und Or­ ganen hat, nicht aber zwingend auch auf das Innenverhältnis; zu einem anderen Ergebnis kommt die herrschende Meinung, wonach die Vorwegentscheidung des Gesetzgebers dazu führe, dass die Legalitätspflicht durch die höherwertigen All­ gemeinschutzgüter „normativ aufgeladen“ werde, sodass die gesetzgeberische Wertung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens auf die Ebene der Pflichtwidrigkeit durchschlage, siehe nur Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 861 f. m.w.N.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

gungsregeln sowie der zugrunde liegenden Grundsätze auf das Gesell­ schaftsrecht nur unter Zuhilfenahme von Modifikationen diskutiert.1124 (b) Die Interessenabwägung im Innenverhältnis bei rechtlichen Konfliktsituationen Nach Poelzig/Thole kommt der Abwägungsdogmatik des § 34 StGB bei der Frage nach Rechtfertigung pflichtwidrigen Verhaltens im Innenver­ hältnis starke Orientierungswirkung zu,1125 sodass auch im Gesell­ schaftsrecht zunächst zu untersuchen ist, ob ein allgemeines Rangver­ hältnis der betroffenen Schutzgüter feststellbar ist. Falls ein solches nicht vorliegt, muss in einem nächsten Schritt eine Einzelfallabwägung anhand der konkreten Lebenssituation vorgenommen werden.1126 Han­ delt es sich bei einer der betroffenen Pflichten um eine strafrechtliche und steht deren Verletzung in Frage, ist freilich auch eine direkte An­ wendung von § 34 StGB möglich.1127 Zusammengefasst ist der Geschäftsführer im Rahmen seiner organ­ schaftlichen Pflichten also zunächst dazu angehalten, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sich ein Gesetzesverstoß ganz allgemein für die Gesellschaft lohnt, wobei ihm diesbezüglich ein Entscheidungs­spielraum zukommt. Kommt er infolge der anzustellenden Kosten-Nutzen-Analyse zu dem Ergebnis, dass der Rechtsbruch vorteilhaft ist, trifft ihn grund­ sätzlich auch eine Pflicht zur Begehung dieses Gesetzesverstoßes. Die Nichtbefolgung dieser Pflicht kann wiederum eine Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG auslösen. Für die endgültige Feststellung der Pflichtwid­ rigkeit ist in einem nächsten Schritt allerdings danach zu fragen, welche persönlichen Rechtsfolgen ein binnenrechtlich pflichtkonformes, gleich­ zeitig aber rechtswidriges Verhalten nach sich zieht, namentlich dann, wenn der Handelnde im Außenverhältnis haftungs-, straf- oder bußgel­ drechtliche Sanktionen zu befürchten hat. Die an dieser Stelle vorzuneh­ mende Interessenabwägung unterscheidet sich von der im Vorfeld ange­ stellten Kosten-Nutzen-Analyse erheblich und ist von völlig anderen Parametern geprägt. Ob ein Rechtsverstoß nützlich ist, hängt neben der Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit wesentlich von den erhofften Vorteilen sowie den drohenden Sanktionen für die Gesell­ schaft, nicht aber für das Leitungsorgan ab. Dagegen geht es bei der Be­ 1124 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 856 f. 1125 Zur Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB siehe Perron, in: Schönke/ Schröder-StGB, 2019, § 34 Rn. 22 m.w.N. 1126 Siehe hierzu Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 859 f. („Maßgeblich müssen insofern die Art der konkreten Verletzung und die Größe des jeweils drohenden Schadens sowie der Grad der den kollidierenden Schutzgütern drohenden Gefahren sein, ferner die Handlungschancen einerseits und die Schadensabwendungschancen andererseits sowie die Ursachen der entstandenen Konfliktlage“). 1127 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 856.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

gründung einer korrespondierenden Binnenpflicht des Geschäftsführers um eine Abwägung der Gesellschafterinteressen mit den persönlichen Interessen des Verantwortlichen.1128 Welche endgültigen Rückschlüsse können nach den bisherigen Ausführungen aber nun auf die beiden Fra­ gen der Rechtfertigung rechtswidrigen Verhaltens im Außenverhältnis sowie der „Rechtfertigung“ pflichtwidrigen Verhaltens im Innenverhält­ nis gezogen werden? (c) Die Rechtfertigung rechtswidrigen Verhaltens Steht zur Diskussion, ob die organschaftliche Pflichtenstellung des Ge­ schäftsführers dazu imstande ist, ein straf- oder bußgeldrechtlich rele­ vantes Verhalten des Geschäftsführers zu rechtfertigen, findet § 34 StGB bzw. § 16 OWiG unmittelbare Anwendung. In dieser Konstellation ent­ faltet die Vorwegentscheidung des Wirtschaftsgesetzgebers jedoch ihre uneingeschränkte Bindungswirkung, sodass die bedrohten Interessen von Gesellschaften prinzipiell geringwertiger einzustufen sind als die ge­ samtgesellschaftlichen. Dies hat zur Folge, dass die damit einhergehen­ den Rechtsfolgen – bis hin zur Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz eines Unternehmens – hinzunehmen sind und nicht mit rechtswidrigen Mitteln verhindert werden dürfen. Als einzige Ausnahme von diesem Grundsatz gelten außergewöhnliche, vom Gesetzgeber nicht einkalku­ lierte Besonderheiten, die zu einer individuellen und vor allem atypi­ schen Härte führen.1129 Dazu zählen etwa Verstöße gegen Umweltvor­ schriften, um einen Betriebsunfall abzuwenden, der andernfalls das Leben von Mitarbeitern oder Dritten gefordert hätte.1130 Wie bereits er­ wähnt wurde, können unter strengen Voraussetzungen auch steuerrecht­ liche Verstöße eine solche Ausnahme darstellen. (d) Die „Rechtfertigung“ pflichtwidrigen Verhaltens Ohnehin bedeutsamer und von größerer praktischer Relevanz ist die spiegelbildliche Konstellation, in welcher die „Beseitigung“ der organ­ 1128 Bei den persönlichen Interessen handelt es sich um die verfassungsrechtlich ga­ rantierten Schutzgüter der freien Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), in welche der Staat mittels straf- oder bußgeldrechtlicher Sanktion eingreift, siehe hierzu Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 248 ff.; beide sind auch zweifellos not­ standsfähige Güter im Sinne des § 34 StGB, vgl. Perron, in: Schönke/Schröder-­ StGB, 2019, § 34 Rn. 9 m.w.N. 1129 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 244; Kröger, Korruptionsschäden, 2013, S. 53 f.; Erb, in: MüKo-StGB/1, 2020, § 34 Rn. 252; Perron, in: Schönke/Schröder-StGB, 2019, § 34 Rn. 35; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 41; Bicker, AG 2014, 8, 12. 1130 Siehe zu diesem Beispiel Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 244 Fn. 282; ähnlich Erb, in: MüKo-StGB/1, 2020, § 34 Rn. 252.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

schaftlichen Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführerhandelns aufgrund ei­ nes überwiegenden persönlichen Interesses zur Diskussion steht. In die­ sem Zusammenhang ist zum einen zu untersuchen, ob die persönlichen Interessen des Geschäftsführers den Gesellschafterinteressen gegenüber tatsächlich stets überwiegen und die organschaftlichen Pflichten damit überlagern, zum anderen stellt sich die Frage, wie eine Berücksichtigung persönlicher Interessen auf gesellschaftsrechtlicher Ebene dogmatisch zu erklären ist und wo der normative Anknüpfungspunkt einer entspre­ chenden Interessenabwägung liegt. Wie bereits angedeutet wurde, stellen die allgemeinen Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts einen möglichen Bezugspunkt für die Auflösung von Pflichtenkollisionen, bis­ hin zur „Beseitigung“ der Pflichtwidrigkeit auf der Ebene des Gesell­ schaftsrechts, dar.1131 Dafür ist notwendig, dass die betroffenen persönlichen Schutzgüter des Geschäftsführers entweder die Gesellschafterinteressen wesentlich über­ wiegen und damit zu einer „Rechtfertigung“ seines pflichtwidrigen Ver­ haltens nach dem Rechtsgedanken des § 34 StGB bzw. § 16 OWiG füh­ ren, oder ihnen zumindest gleichstehen, um im Sinne der Figur der rechtfertigenden Pflichtenkollision („impossibilium nulla obligatio est“) eine Wahlmöglichkeit zwischen den konfligierenden Pflichten zu ermög­ lichen. Letzteres scheidet jedoch regelmäßig bereits deswegen aus, weil einer Wahlmöglichkeit zugunsten eines rechtswidrigen Verhaltens die Vorwegentscheidung des Gesetzgebers entgegensteht. Wenn nach der Rechtsordnung gesamtgesellschaftliche Interessen einen generellen Vor­ rang gegenüber korporativen Gesellschafterinteressen haben, kann diese legislative Entscheidung nicht über eine Anwendung des Gedankens der rechtfertigenden Pflichtenkollision auf Ebene des Gesellschaftsrechts umgangen werden, bei welchem das Binnenverhältnis quasi das Außen­ verhältnis überlagern würde. Poelzig/Thole nennen deshalb als Beispiel einer Wahlmöglichkeit auch lediglich den Fall des Abführens von Sozial­ versicherungsbeiträgen in der Krise.1132 Sofern man die Pflicht des Ge­ schäftsführers aus § 15b Abs. 1 S. 1 InsO bzw. § 64 S. 1 GmbHG a.F. als gleichrangig mit der nach § 266a StGB strafbewehrten Pflicht ansieht, liegt eine unmöglich aufzulösende Pflichtenkollision vor, wodurch der Geschäftsführer in seiner Entscheidung, welche von beiden er erfüllen will, frei ist. Eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 266a StGB wäre unter dieser Prämisse gerechtfertigt, während eine Zahlung trotz Masse­ sicherungspflicht pflichtmäßig wäre, so § 15b Abs. 1 S. 2 InsO bzw. § 64 S. 2 GmbHG a.F.

1131 Siehe hierzu insbesondere die entwickelte Dogmatik bei Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836 ff. 1132 Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 864.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

Unabhängig davon dürften die betroffenen persönlichen Rechtsgüter des Geschäftsführers aber ohnehin regelmäßig den Gesellschafterinteressen vorgehen, sodass sein rechtmäßiges Verhalten keine Pflichtverletzung darstelle würde, selbst wenn der Rechtsbruch aus Gesellschaftssicht vor­ teilhafter erscheint.1133 Die Straf- oder Bußgeldbewehrung einzelner Au­ ßenpflichten bedeutet schließlich einen staatlichen Eingriff in die verfas­ sungsrechtlich geschützten Güter der freien Persönlichkeitsentfaltung sowie der Fortbewegungsfreiheit. Zwar mag die Behandlung einer Kolli­ sion organschaftlicher und persönlicher Geschäftsführerpflichten durch die modifizierte Anwendung der allgemeinen Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts die Möglichkeit einer Abwägung eröffnen und so zu annehmbaren Ergebnissen führen, dogmatisch ist dieser Lösungsweg allerdings verfehlt, da die eigentliche Natur des Rechtsverhältnisses zwi­ schen Geschäftsführer und Gesellschaft verkannt wird. Wenn zur Dis­ kussion steht, unter welchen Voraussetzungen ein rechtmäßiges Verhal­ ten des Geschäftsführers trotz der Vorteilhaftigkeit des verweigerten Rechtsverstoßes für die Gesellschaft dennoch pflichtgemäß sein kann, geht es nicht darum, parallel zum Aufbau im Straf- und Ordnungswidrig­ keitenrecht eine feststehende Pflichtverletzung auf einer zusätzlich geschaffenen Prüfungsebene der „Rechtswidrigkeit“ zu rechtfertigen. ­ Stattdessen steht die schlichte Frage im Raum: Handelt das Organ im Sinne eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG) oder nicht?1134 Betrachtet man auf Basis des dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständ­ nisses nämlich ausschließlich die Organstellung des Geschäftsführers, besteht zweifellos eine Pflicht zur Begehung eines nützlichen Rechtsver­ stoßes, da einzig diejenigen Vor- und Nachteile von rechtlicher Relevanz sind, die aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft auch das Ge­ sellschafterinteresse tangieren. Zwischen dem persönlichen Rechtsver­ hältnis des Geschäftsführers gegenüber Dritten und seinen organschaftli­ chen Pflichten besteht vor diesem Hintergrund somit lediglich eine Wechselwirkung. Das Binnenrechtsverhältnis einer Gesellschaft wird dadurch ebenso wenig abschließend determiniert wie durch das rechtli­ che Außenverhältnis der Gesellschaft. Allerdings schlagen die Rechtsfol­ gen der konkreten organschaftlichen Handlung in diesem Fall auf die dahinterstehende natürliche Person durch und beeinträchtigen sie damit nicht nur in ihrer organschaftlichen Stellung, sondern auch in ihren per­ sönlichen Interessen. Damit liegt letztlich aber der klassische Fall einer 1133 Ob die Gesellschafter als Reaktion hierauf anderweitige Schritte einleiten, na­ mentlich die Bestellung zum Geschäftsführer nach § 38 Abs. 1 GmbHG wider­ rufen, bleibt ihnen selbstverständlich vorbehalten. 1134 So sehen das auch Poelzig/Thole nicht anders, Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 851 f., 854 f.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

unzumutbaren Leistungserfüllung vor, der dann folgerichtig auch auf dieser rechtlichen Ebene gelöst werden muss. Der normative Anknüp­ fungspunkt einer Transponierung persönlicher Interessen in das gesell­ schaftsinterne Rechtsverhältnis ist demnach nicht in den allgemeinen Rechtfertigungsregeln des Straf- und Zivilrechts zu suchen, sondern im allgemeinen Schuldrecht. (3) Resümee Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung einer Leh­ re der Pflichtenkollision im Gesellschaftsrecht durch Poelzig/Thole zu annehmbaren Ergebnissen führt, indem dadurch die Möglichkeit einer Abwägung der persönlichen Interessen des Geschäftsführers mit den kor­ porativen Gesellschafterinteressen ermöglicht wird. Für die Beurteilung der Pflichtmäßigkeit des Geschäftsführerhandelns im Fall eines nützli­ chen Rechtsverstoßes bei einer gleichzeitig bestehenden unmittelbaren Außenpflicht des Organs bzw. einer persönlichen Straf- oder Bußgeldbe­ wehrung stellt sie jedoch einen dogmatisch problematischen Lösungsan­ satz dar. Davon abgesehen ist die Lehre auch für eine Rechtfertigung bzw. Feststellung der Pflichtwidrigkeit auf rein gesellschaftsinterner Ebene unnötig, da nach dem hier vertretenen Verständnis ein rechtlicher Konflikt bei nützlichen Gesetzesverstößen ohnehin ausscheidet. Damit bleibt als einziger Anwendungsbereich die Rechtfertigung rechtswidri­ gen Verhaltens mittels entgegenstehender organschaftlicher Pflichten unter direkter Anwendung des § 34 StGB bzw. des § 16 OWiG. Dem steht jedoch die Vorwegentscheidung des Wirtschaftsgesetzgebers entgegen, welche eine Abwägung selbst dann verbietet, wenn die Existenz eines Unternehmens samt den bestehenden Arbeitsplätzen auf dem Spiel steht. Nur in Ausnahmefällen kommt eine Rechtfertigung nach den §§ 34 StGB, 16 OWiG bzw. nach der Figur der rechtfertigenden Pflichten­ kollision in Betracht, nämlich dann, wenn es sich um eine atypische, vom Gesetzgeber nicht einkalkulierte Gefahr handelt. Eine Antwort auf die weitaus relevantere Frage, wie sich eine Abwägung der eigentlich unbeachtlichen persönlichen Schutzgüter des Geschäfts­ führers mit den seinen organschaftlichen Pflichten zugrundeliegenden korporativen Interessen dogmatisch erklären lässt, liefert die Lehre der Pflichtenkollision indes nicht. Stattdessen führt die Suche in das allge­ meine Schuldrecht. d) § 275 Abs. 3 BGB als normativer Bezugspunkt unzumutbaren Verhaltens im Rahmen eines organschaftlichen Rechtsverhältnisses Betrachtet man die Rechtsstellung des Geschäftsführers aus der Perspek­ tive des Schuldrechts, wird deutlich, dass er auf Basis eines korporativen 246

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

Sonderrechtsverhältnisses Schuldner organschaftlicher Pflichten gegen­ über der Gesellschaft als Gläubigerin ist.1135 Besteht im Rahmen eines schuldrechtlichen Verhältnisses aber ein Leistungshindernis des Schuld­ ners, so stellt sich die Frage, ob dieses eine rechtsvernichtende oder rechtshemmende Einwendung begründet und nicht ob eine mögliche Pflichtverletzung gerechtfertigt werden kann. Normativer Anknüp­ fungspunkt für ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners bei ei­ ner rechtlichen Konfliktsituation ist heute § 275 Abs. 3 BGB.1136 Dieser besagt, dass der Schuldner eine Leistung verweigern kann, wenn ihm die persönliche Erbringung der Leistung unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläu­ bigers nicht zugemutet werden kann. Bedeutet demnach die Erfüllung einer persönlichen schuldrechtlichen Pflicht gleichzeitig die Verletzung einer anderen, ist diese Pflichtenkollision nach dem Maßstab der Zu­ mutbarkeit zu lösen, sodass der Schuldner einzig der höherwertigen Pflicht folgen muss. Nachfolgend werden zunächst in abstrakter Weise die Voraussetzungen des § 275 Abs. 3 BGB erläutert (1), um anschließend zu untersuchen, ob dem Geschäftsführer die entsprechende Einrede im organschaftlichen Sonderrechtsverhältnis tatsächlich zusteht und die Norm im zur Diskus­ sion stehenden Problemfall Anwendung findet (2). (1) Allgemeine Voraussetzungen des § 275 Abs. 3 BGB Voraussetzung ist zunächst, dass es sich um eine „persönlich zu erbrin­ gende Leistung“ handelt, deren wesentliches Kennzeichen die Unver­ tretbarkeit ist, sodass sich eine Delegation sowie eine Leistung durch Erfüllungsgehilfen verbietet.1137 Klassischer Fall einer solchen persönlich zu erbringenden Leistung ist die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers sowie Dienstleistungspflichten im Allgemeinen.1138 Um dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zu gewähren, muss für ihn ein persönliches Leistungshindernis be­ stehen. Im Gegensatz zu § 275 Abs. 2 BGB steht hierbei nicht das Inter­ 1135 Siehe zum Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft auf den S. 50 ff. 1136 Eingehend zu § 275 Abs. 3 BGB bei rechtlichen Konfliktsituationen Caspers, in: Staudinger-BGB/§§ 255-304, 2014, § 275 Rn. 109; Riehm, Grundsatz der Natu­ ralerfüllung, 2014, S. 355 f.; Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 384 ff.; vor der Schaffung des § 275 BGB wurde ein Leistungsverweigerungsrecht bei Pflich­ ten- und Rechtsgüterkollisionen vor allem über § 242 BGB gelöst, vgl. Henssler, AcP 190 (1990), 538 ff. 1137 Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 355, 360 f.; Ernst, in: MüKo-­ BGB/2, 2019, § 275 Rn. 117 m.w.N. 1138 Caspers, in: Staudinger-BGB/§§ 255-304, 2014, § 275 Rn. 108.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

esse des Gläubigers im Vordergrund der Abwägung, sondern dasjenige des Schuldners. Der in seinem Anwendungsbereich im Vergleich zu § 275 Abs. 2 BGB weiter gefasste § 275 Abs. 3 BGB bedarf infolgedessen einer restriktiveren Auslegung, weshalb ein immaterielles oder ideelles Hindernis vorliegen muss, wohingegen ein (primär) finanzielles unzu­ reichend ist.1139 Dabei sollen die Anforderungen an eine Unzumutbar­ keit ebenso streng sein wie jene an ein grobes Missverhältnis im Sinne des § 275 Abs. 2 S. 1 BGB, sodass zu verlangen ist, dass die Leistungser­ füllung den Schuldner in hohem Maße belastet.1140 In einer Fortführung dieses Gedankens ist trotz einer fehlenden Parallelregelung zu § 275 Abs. 2 S. 2 BGB auch ein mögliches Vertretenmüssen des Schuldners bei der Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen, wenn auch nur mit geringem Gewicht, also als einen unter mehreren Gesichtspunkten.1141 In der Regel führt dieses Vorgehen letztlich zu einer Grundrechtsabwä­ gung, bei welcher die kollidierenden Positionen in praktische Konkor­ danz zu bringen sind.1142 Bei der Abwägung sind auf Seiten des Schuld­ ners insbesondere seine persönlichen Grundrechte in die Waagschale zu legen, während es für die Bewertung des Leistungsinteresses des Gläubi­ gers maßgeblich auf den Wert der Leistung selbst ankommt, also die ma­ teriellen Einbußen in Gestalt eines Substanz- und Ertragsausfallscha­ dens.1143 Dabei kann auch das Gläubigerinteresse grundrechtlich unterstrichen werden, indem beispielsweise der Anspruch als solcher Eigentum im Sinne des Art. 14 GG darstellt, in welches durch § 275 Abs. 3 BGB eingegriffen wird.1144 Daneben sind Einschränkungen der Meinungs-, Presse- oder Kunstfreiheit aus Art. 5 GG sowie der durch Art. 12 GG geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit denk­ bar.1145 Ein Leistungshindernis soll jedenfalls dann bestehen, wenn der Schuld­ ner durch die Leistungserfüllung strafrechtliche Sanktionen zu befürch­

1139 So Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 385 f. 1140 Ernst, in: MüKo-BGB/2, 2019, § 275 Rn. 121; ähnlich Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 393 („schwerwiegende Beeinträchtigung“). 1141 Vgl. Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 367 ff.; Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 396 f. („verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke“); Ernst, in: MüKo-BGB/2, 2019, § 275 Rn. 122. 1142 Eingehend zur Grundrechtsabwägung im Rahmen des § 275 Abs. 3 BGB, insbe­ sondere der Privatrechtswirkung von Grundrechten in Gestalt einer mittelbaren Drittwirkung Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 365 ff.; Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 387 f. 1143 Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 365 ff.; darüber hinaus ist aber auch ein immaterielles Interesse berücksichtigungsfähig, vgl. Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 398. 1144 Vgl. Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 388. 1145 Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 397.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

ten hat.1146 Richtigerweise kommt der kollidierenden Pflicht aber nicht allein deswegen ein genereller Vorrang zu, weil sie strafbewehrt ist. Das Erfordernis einer Abwägung bleibt weiterhin bestehen, zumal auch eine Rechtfertigung des strafrechtlich relevanten Verhaltens durch eine höher­ wertige zivilrechtliche Pflicht nicht per se ausgeschlossen ist.1147 Daneben liegt regelmäßig eine Unzumutbarkeit der Leistungserfüllung vor, wenn andernfalls eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.1148 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gewährt § 275 Abs. 3 BGB nach nahezu einhelli­ ger Ansicht in Rechtsprechung und Lehre dem Schuldner ein Leistungs­ verweigerungsrecht, das er durch Einrede geltend machen muss.1149 (2) Anwendung auf das organschaftliche Rechtsverhältnis Die Geschäftsführung bzw. die Mitwirkung daran ist jedenfalls eine per­ sönlich zu erbringende Leistung, ebenso wie die Erfüllung der einzelnen organschaftlichen Pflichten.1150 Daran ändert auch die Möglichkeit der Delegation nichts, da sich die Erfüllungspflicht dann lediglich in eine Auswahlsorgfalts-, Instruktions- und Überwachungspflicht umwandelt, für die der Geschäftsführer weiterhin persönlich verantwortlich bleibt. Für den Geschäftsführer kann daher im Hinblick auf § 275 Abs. 3 BGB sowohl hinsichtlich seiner gesellschaftsrechtlichen als auch seiner an­ stellungsvertragsrechtlichen Situation nichts anderes gelten als für die persönlich zu erbringenden Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers.1151 Ob dem Geschäftsführer die Erfüllung seiner organschaftlichen Pflich­ ten, namentlich jener zur Begehung eines nützlichen Rechtsverstoßes, zugemutet werden kann, ist anhand einer Abwägung der widerstreiten­ den Interessen festzustellen.1152 Namentlich ist das Leistungsinteresse 1146 Vgl. Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 366 für den Fall einer kolli­ dierenden Einberufung zum Wehrdienst; weitere Beispiele bei Caspers, in: Stau­ dinger-BGB/§§ 255-304, 2014, § 275 Rn. 109. 1147 Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 395. 1148 Vgl. Caspers, in: Staudinger-BGB/§§ 255-304, 2014, § 275 Rn. 112; Henssler/ Muthers, ZGS 2002, 219, 222; siehe speziell zum grundrechtlichen Hintergrund Riehm, Grundsatz der Naturalerfüllung, 2014, S. 356 f. 1149 So zu § 275 Abs. 2 BGB die Rechtsprechung des BGH, Urteil v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, NJW 2013, 1074, 1077; BGH, Urteil v. 30.05.2008 – V ZR 184/07, NJW 2008, 3122 Rn. 18; aus der Literatur siehe nur Ernst, in: MüKo-BGB/2, 2019, § 275 Rn. 124, 101; Caspers, in: Staudinger-BGB/§§ 255-304, 2014, § 275 Rn. 114 m.w.N.; a.A. Freitag, NJW 2014, 113 ff., der in den Einreden der Absätze 2 und 3 des § 275 BGB rechtsvernichtende Einwendungen erkennt. 1150 Richter, in: Semler/Peltzer/Kubis-Arbeitshdb. für Vorstandsmitglieder, 2015, § 5 Rn. 89; S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415. 1151 Ebenso S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415. 1152 Siehe zu den einzelnen Kriterien einer Abwägung nach § 275 Abs. 3 BGB für den Fall einer Kollision ausländischer Rechtsnormen mit nationalen Organpflichten Seibt, Beilage zu ZIP 22/2016, 73, 75; S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415 f.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

der Gesellschaft den persönlichen straf- bzw. bußgeldrechtlichen oder auch nur haftungsrechtlichen Folgen gegenüberzustellen, welche der Or­ ganperson drohen. Auf Seiten des Geschäftsführers sind demnach die verfassungsrechtlich geschützten Güter der freien Persönlichkeitsent­ faltung sowie der Fortbewegungsfreiheit in die Waagschale zu werfen und vor allem gegen den Wert der Leistung selbst abzuwägen. Neben den erwarteten materiellen Einbußen, welche der Gesellschaft im Falle eines rechtmäßigen Verhaltens drohen, können auch weitere Elemente des Gesellschafterinteresses eine Rolle spielen, wie z.B. die Existenz des Unternehmens oder der Erhalt von Arbeitsplätzen. Auch die Entde­ ckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit ist im Rahmen einer solcher Abwägung von Bedeutung.1153 Nachfolgend werden einzelne Kriterien dargestellt, die bei der konkreten Interessenabwägung von Gesellschaft und Geschäftsführer zusätzlich zu beachten sind. (a) Verzichtbarkeit und Ersetzbarkeit der Leistung Ist die Leistung des Schuldners verzicht- oder ersetzbar, kommt dem Gläubigerinteresse nur ein stark vermindertes Gewicht zu.1154 Vor die­ sem Hintergrund könnte das Leistungsinteresse der Gesellschaft an einer persönlichen Pflichterfüllung durch den konfliktbelasteten Geschäfts­ führer jedenfalls dann deutlich an Bedeutung verlieren, wenn es sich um keinen Alleingeschäftsführer handelt, sondern das Mitglied eines mehr­ köpfigen Leitungsgremiums. Die alleinige Gegenstimme bzw. Stim­ menthaltung eines einzelnen Geschäftsführungsmitglieds kann dann keine Handlungsunfähigkeit der gesamten Geschäftsführung und damit auch nicht der Gesellschaft herbeiführen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die sonstigen Geschäftsführer ihn überstimmen und die Sat­ zung bzw. Geschäftsordnung keine Einstimmigkeit verlangt.1155 Sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB entfaltet dann ledig­ lich dahingehend Wirkung, dass er in organisatorischer Hinsicht von der Mitwirkung an der entsprechenden Maßnahme sowie der damit zusam­ menhängenden (horizontalen) Überwachungspflicht entbunden wird.1156 (b) Berücksichtigung des Vertretenmüssens Nach dem eben Gesagten ist darüberhinaus auch der Grad des Verschul­ dens zu berücksichtigen. Möglicher Anknüpfungspunkt für ein solches Verschulden könnte aber lediglich ein Verstoß gegen die vorangegangene Rechtsermittlungspflicht bzw. ein Fehler bei der Abwägung zwischen 1153 S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415 f. („Risiko einer Durchsetzung“). 1154 Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 398. 1155 Vgl. zur Willensbildung und Beschlussfassung im Vorstand im Rahmen rechtli­ cher Konfliktsituationen S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415. 1156 Vgl. Seibt, Beilage zu ZIP 22/2016, 73, 75.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

den prognostizierten Vorteilen eines Rechtsverstoßes mit den befürchte­ ten Sanktionen unter Einbeziehung der Entdeckungs- und Verfolgungs­ wahrscheinlichkeit sein – mithin bei der Feststellung, ob ein Rechts­ verstoß tatsächlich nützlich ist. Ist ein entsprechendes Verschulden zu bejahen, stellt sich hingegen überhaupt nicht erst die Frage, ob den Ge­ schäftsführer eine Pflicht zum rechtswidrigen Handeln trifft und er im Zuge derer auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zurückgreifen kann. Nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Ver­ ständnis liegt dann ohnehin eine Pflichtverletzung schon auf einer vorge­ schalteten Ebene vor, die bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen zu einem Haftungsanspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG führt. Ausgehend von der organschaftlichen Pflichtenstellung des Geschäfts­ führers ist es indes möglich, dass dem Verschulden dennoch eine eigen­ ständige Bedeutung im Rahmen des § 275 Abs. 3 BGB zukommt. Dies lässt sich veranschaulichen, indem man sich den oben genannten Bei­ spielsfall1157 erneut vor Augen führt. Hat der Geschäftsführer nämlich bereits die erste Steuererklärung bedingt vorsätzlich falsch eingereicht und das Risiko einer Strafbarkeit damit bewusst in Kauf genommen, be­ wirkt seine organschaftliche Stellung eine gewisse Bindung an diese vor­ angegangene Entscheidung. Ereilt den Geschäftsführer nun später ein Sinneswandel, der dazu führt, dass er seiner Anzeige- und Berichtigungs­ pflicht gemäß § 153 AO nachkommen und eine Selbstanzeige stellen möchte, führt das nicht nur zu seiner persönlichen Straffreiheit, sondern auch zu einer mit Reputationsverlusten zusammenhängenden nachtei­ ligen Situation für die Gesellschaft. Im Ergebnis wäre dem Gesellschaf­ terinteresse dann womöglich besser gedient gewesen, hätte sich der ­Geschäftsführer von Anfang an rechtmäßig verhalten. Seine frühere, von Vorsatz getragene Entscheidung wirkt somit in die spätere Situation hin­ ein, in welcher ihn eine Anzeige- und Berichtigungspflicht trifft. Sie muss deshalb auch Einfluss auf die Abwägung zwischen Gesellschafte­ rinteressen und persönlichen Schutzgütern des Geschäftsführers haben. Freilich werden die jeweiligen Interessenlagen auch durch diesen Um­ stand nicht endgültig determiniert, sondern bleiben weiterhin Gegen­ stand einer Einzelfallabwägung. Hat der Geschäftsführer beispielsweise schwerwiegende Sanktionen zu befürchten und wussten die Gesellschaf­ ter von Anfang an, dass es nicht nur durch behördliche Aufklärung, son­ dern auch durch ein späteres autonomes Verhalten des Geschäftsführers zu einer Entdeckung der Tat kommen kann, sprechen diese Gesichts­ punkte – selbst wenn sich die Gesellschafter mit dem Risiko bewusst 1157 Im Rahmen dessen ist der Geschäftsführer nach dem Gesellschafterinteresse zum Verzicht auf eine gesetzlich erforderliche Anzeige- und Berichtigungserklä­ rung (§ 153 AO) verpflichtet, während er sich dadurch aber gerade der Steuerhin­ terziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar machen würde.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

abgefunden hatten – wiederum für ein Überwiegen der persönlichen Schutzgüter des Geschäftsführers. (c) Indizielle Wirkung straf- oder bußgeldbewehrter Sanktionen Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei straf- oder bußgeldbe­ wehrtem Verhalten die persönlichen Schutzgüter des Geschäftsführers die Gesellschafterinteressen überwiegen und ihm demnach ein Leis­ tungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zusteht. Dafür sprechen bereits die Sanktionsintensität sowie die Tatsache, dass den Gesellschaf­ terinteressen regelmäßig auch durch rechtmäßiges Verhalten nur unwe­ sentlich schlechter gedient ist.1158 Wie die obigen Ausführungen zeigen, entbindet aber selbst die Strafbewehrung einer entgegengesetzten Pflicht nicht automatisch vom Erfordernis einer Abwägung. So ist es beispiels­ weise möglich, dass die Anwesenheit eines Geschäftsführungsorgans für den Abschluss eines millionenschweren Vertrages essentiell ist, dieses aber während der Anfahrt einen Unfall mit erheblichem Schaden verur­ sacht. Die organschaftliche Pflicht kann in dieser Konstellation unter Umständen verlangen, gegen die Wartepflicht aus § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verstoßen.1159 Die persönlichen Schutzgüter des Geschäftsführers können auch dann zurücktreten, wenn die Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlich­ keit als nahezu bedeutungslos angesehen werden kann und auch die be­ fürchteten Sanktionen nicht über eine Geldstrafe bzw. Geldbuße hinaus­ gehen, deren Zahlung zudem im Wege des Aufwendungsersatzes (§§ 675, 670 BGB) zurückgefordert werden kann. Ist jedoch eine Freiheitsstrafe zu befürchten, die denklogisch nur durch den Geschäftsführer persönlich abgeleistet werden kann, steht ihm ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB selbst dann zu, wenn zu erwarten ist, dass die Freiheitsstrafe lediglich zur Bewährung ausgesetzt wird. Kommt der Ge­ schäftsführer in seiner Kosten-Nutzen-Analyse in dem oben genannten Beispiel etwa zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen § 153 AO aller Voraussicht nach unentdeckt bleibt und selbst im Falle der Aufdeckung lediglich eine Geldstrafe in geringer Höhe zu befürchten ist (deren Beglei­ chung ihm durch die Gesellschafter darüberhinaus bereits zugesichert wurde), haben diese Umstände Einfluss auf die Abwägung des § 275 Abs. 3 BGB. Sollte dann die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflicht noch gravierende Einschnitte für das Gesellschaftsvermögen bedeuten, kann

1158 So im Ergebnis auch Seibt, Beilage zu ZIP 22/2016, 73, 75; S. H. Schneider, NZG 2009, 1413, 1415 f. 1159 Vgl. zu diesem Beispiel Canaris, in: FS Cian, Bd. I, 2010, S. 383, 395, der den Ma­ nager dann aber „berechtigt“ oder „entschuldigt“ im Sinne des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB sieht.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

dies ganz ausnahmsweise in eine Pflicht des Geschäftsführers zum Rechtsbruch münden. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass die Nichtgewährung eines Leis­ tungsverweigerungsrechts nach § 275 Abs. 3 BGB bei drohenden straf­ rechtlichen Sanktionen an sehr hohe Voraussetzungen gekoppelt sein muss und dem Geschäftsführer zudem ständig die Möglichkeit verbleibt, sein Amt niederzulegen und damit sowohl haftungs- als auch strafrecht­ lichen Folgen zu entgehen. (d) Die Rechtsfolgen des § 275 Abs. 3 BGB im organschaftlichen Rechtsverhältnis In seinen Rechtsfolgen gewährt § 275 Abs. 3 BGB dem Schuldner nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht, welches der Geschäftsführer als Einrede zu erheben hat, sondern führt unter Umständen auch zu einem Schadensersatzanspruch, so § 275 Abs. 4 BGB. Es fragt sich daher, ob auch für den vorliegenden Fall eines Leistungsverweigerungsrechts des Geschäftsführers der systematische Kontext des § 275 Abs. 3 BGB rele­ vant ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 43 Abs. 2 GmbHG den spezi­ elleren Schadensersatzanspruch darstellt, sodass die §§ 280 ff. BGB ver­ drängt werden. In organisationsrechtlicher Hinsicht ist bezüglich der Rechtsfolgen wei­ ter zwischen einem Alleingeschäftsführer und einem mehrköpfigen Lei­ tungsgremium zu unterscheiden. Erhebt der Geschäftsführer als alleini­ ges Leitungsorganmitglied die Einrede aus § 275 Abs. 3 BGB, geht mit diesem Schritt automatisch die dementsprechende Handlungsunfähig­ keit der Gesellschaft einher. Die jeweilige Maßnahme kann durch das Leitungsorgan in der konkreten Besetzung somit nicht mehr getroffen werden.1160 Ist er hingegen Mitglied eines mehrköpfigen Leitungsgremi­ ums, besteht nicht zwangsläufig ein solcher Automatismus. Sofern die Satzung bzw. Geschäftsordnung keine Einstimmigkeit aller Organmit­ glieder in der Abstimmung verlangt und die übrigen Geschäftsführer der Durchführung der jeweiligen Maßnahme zustimmen – mithin das Or­ ganmitglied, welches von seinem Leistungsverweigerungsrecht Ge­ brauch gemacht hat – hat die erhobene Einrede keine weiteren Auswir­ kungen auf die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Um § 275 Abs. 3 BGB dennoch zu rechtlicher Wirkung zu verhelfen, ist die jeweilige Or­ ganperson in organisatorischer Hinsicht von der Mitwirkung an der ent­ sprechenden Maßnahme sowie der damit zusammenhängenden Überwa­ chungspflicht zu entbinden. 1160 Selbstverständlich kann die Gesellschaft abgesehen von dem konkreten nützli­ chen Rechtsverstoß weiterhin durch den Geschäftsführer handeln, indem dieser eine rechtmäßige Maßnahme trifft.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Dabei ist fraglich, welche Auswirkungen eine solche interne Geschäfts­ verteilung einerseits auf die Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG hat und andererseits auf seine unmittelbare Außenhaf­ tung, namentlich jene aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. (i) Auswirkungen auf die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG bei mehrköpfigen Geschäftsführersgremien Nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre müssen auch die überstimmten Geschäftsführer an der Ausführung eines Mehrheits­ beschlusses loyal mitwirken, sofern es sich nicht um einen rechtswidri­ gen Beschluss handelt.1161 Demnach seien die Geschäftsführer sogar ver­ pflichtet, darauf hinzuwirken, dass das entsprechende Organ nicht gegen Rechtsnormen verstößt. Sie müssen Gegenvorstellungen erheben und notfalls die Gesellschafter oder einen eventuell existierenden Aufsichts­ rat einschalten.1162 Dem liegt jedoch das herkömmliche Verständnis ei­ ner umfassend geltenden Legalitätspflicht zugrunde, wonach der Ge­ schäftsführer ausnahmslos an die Einhaltung der Gesetze gebunden ist. Diesbezüglich wird in dieser Arbeit argumentiert, dass den Geschäfts­ führer nur solange eine Legalitätspflicht trifft, wie deren Erfüllung auch in Einklang mit den Gesellschafterinteressen steht. Hinzu kommt, dass der Geschäftsführer mittels seiner Einrede aus § 275 Abs. 3 BGB ohnehin Gegenvorstellungen erhebt und ausdrücklich erklärt, mit der Ausfüh­ rung der konkreten Maßnahme nicht einverstanden zu sein. Dadurch scheidet eine Pflichtverletzung und somit auch eine Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG schon tatbestandlich aus. (ii) Auswirkungen im Außenverhältnis bei mehrköpfigen ­Geschäftsführersgremien Weitaus problematischer ist indes, ob eine entsprechende interne Ge­ schäftsverteilung auch Auswirkungen auf die unmittelbare Außenhaf­ tung des Geschäftsführers hat. Zwar gilt bei mehrköpfigen Leitungsgre­ mien der Grundsatz der Gesamtverantwortung, wonach jedes einzelne Mitglied die Pflicht für die Geschäftsleitung im Ganzen trägt.1163 Nach 1161 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 35 Rn. 193; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 249; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013 f.; Fleischer, BB 2004, 2645, 2648 f. 1162 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 35 Rn. 193; Ziemons, in: Michalski/u.a.-­GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 348; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 249, 252; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; eingehend zu den Pflichten des Ge­ schäftsführers in diesem Fall Fleischer, BB 2004, 2645, 2648 ff. 1163 Siehe zu diesem Grundsatz bereits die Ausführungen im Rahmen der Neubür­ ger-Entscheidung auf den S. 14 ff.

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

ständiger Rechtsprechung des BFH darf die Erfüllung der steuerrechtli­ chen Pflichten aber einem oder mehreren Geschäftsführern zugewiesen werden, wofür es allerdings einer eindeutigen schriftlichen1164 Regelung durch Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschluss bedarf und eine gesteigerte Überwachungspflicht des nicht mit steuerlichen Angelegen­ heiten befassten Geschäftsführers verbleibt.1165 Um sich als Geschäfts­ führer gänzlich von der Haftung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zu befreien – also auch von der Überwachungspflicht – ist es nach der Recht­ sprechung daher notwendig, in letzter Konsequenz das Amt niederzule­ gen.1166 In Reaktion auf diese Rechtsprechung des BFH wird die berechtigte Kri­ tik von der Literatur geäußert, dass den Geschäftsführer keine Pflicht zum Rücktritt treffe, sondern er lediglich dazu berechtigt sei.1167 Um ei­ ner Haftung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zu entgehen, genügt es demnach, dass ein überstimmter Geschäftsführer in einem ersten Schritt eindringlich auf seine Bedenken gegen die entsprechende Beschlussfas­ sung hinweist. Im Fall der Erfolglosigkeit dieser Intervention müssen in einem nächsten Schritt die Gesellschafter oder eventuell existierende Kontrollorgane informiert werden.1168 Überträgt man diese Überlegungen auf das vorliegende Problem, zeigt sich, dass auch dann eine Haftung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO ausscheiden muss, wenn der Ge­ schäftsführer als Mitglied eines mehrköpfigen Leitungsgremiums von seinem Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch macht. Schließlich stellt die Erhebung der Einrede bereits eine Interven­

1164 Von diesem Schriftlichkeitserfordernis hat sich der BGH in einer aktuellen Rechtsprechung ausdrücklich distanziert, BGH, Urteil v. 06.11.2018 – II ZR 11/17, DB 2019, 300 Rn. 22 ff.; siehe dazu Fleischer, DB 2019, 472, 474 f. 1165 BFH, Urteil v. 10.05.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH, Urteil v. 29.05.1990 – VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283; BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 335, 337 f.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 369; Fleischer, NZG 2003, 449, 452 f.; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 107 ff. 1166 Vgl. zur Rücktrittsobliegenheit eines Geschäftsführers, der sich in der von ihm vertretenen Gesellschaft nicht durchsetzen kann, BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480 Rn. 14; BFH, Beschl. v. 05.03.1985 – VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422 f.; ebenso Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 411 f.; Ziemons, in: Michalski/u.a.-GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 348; Kleindiek, in: Lutter/Hommel­ hoff-GmbHG, 2020, § 37 Rn. 30 f.; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 34 AO Rn. 54. 1167 Vgl. Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 35 Rn. 193; Fleischer, in: MüKo-Gmb­ HG/2, 2019, § 43 Rn. 252; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; Fleischer, BB 2004, 2645, 2649; Klöhn, in: Bork/Schäfer-GmbHG, 2019, § 43 Rn. 31. 1168 LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345, 348; Paefgen, in: GK-GmbHG/2, 2020, § 35 Rn. 193; Ziemons, in: Michalski/u.a.-­GmbHG/2, 2017, § 43 Rn. 348; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 249, 252; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; Fleischer, BB 2004, 2645, 2648 ff.

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tion dar, die zudem zeitgleich der Information der Gesellschafter dient, da sie gegenüber den selbigen zu erheben ist. e) Eingeschränkte Binnenpflicht des Geschäftsführers zur Begehung von Rechtsverstößen als Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass der Geschäftsführer grundsätzlich verpflichtet ist, seinen organschaftlichen Pflichten selbst dann nachzukommen, wenn diese einen Gesetzesverstoß bedeuten. Die­ ser Pflicht des Geschäftsführers zur Begehung nützlicher Rechtsverstöße sind jedoch strenge Grenzen gesetzt. Würde sich die Organperson durch die Ausführung der jeweiligen Maßnahme haftbar gegenüber Dritten ma­ chen oder gar straf- oder bußgeldrechtlich belangt werden können, steht ihr regelmäßig ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zu. Erhebt der Geschäftsführer die entsprechende Einrede gegenüber den Gesellschaftern, kann ihm weder eine Pflichtverletzung im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG vorgeworfen werden, wenn er sich weigert, den nützlichen Rechtsverstoß zu begehen, noch kann er für den Fall, dass es sich um ein mehrköpfiges Leitungsgremium handelt und die übrigen Ge­ schäftsführer der Durchführung der rechtswidrigen Maßnahme zustim­ men, haftungs-, straf- oder bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, sollte der entsprechende Gesetzesverstoß aufgedeckt und ver­ folgt werden. Bei straf- oder bußgeldbewehrten Sanktionen kommt allen voran den Schutzgütern des Geschäftsführers besonderes Gewicht zu, sodass die Gesellschafterinteressen bis auf wenige Ausnahmen dahinter zurücktreten müssen. Für den seltenen Fall, dass die Gesellschafterinte­ ressen ausnahmsweise die persönlichen Schutzgüter des Geschäftsfüh­ rers überwiegen und seine organschaftliche Pflicht zum Rechtsbruch damit weiterhin besteht, bleibt ihm als einzige Möglichkeit zur Vermei­ dung von ansonsten drohenden Haftungsansprüchen und anderweitigen Sanktionen die Niederlegung seines Amtes. Bezogen auf das Innenverhältnis dürfte sich der Aussagegehalt dieser Er­ kenntnis jedoch auf die dogmatische Fundierung der Rechts- und Pflich­ tenlage zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft bei nützlichen Rechtsverstößen beschränken und keine darüber hinausgehende Wir­ kung haben. Sollte der Geschäftsführer sich nämlich weigern, seiner Pflicht zum Rechtsbruch nachzukommen und von seinem Leistungsver­ weigerungsrecht Gebrauch machen, werden die Gesellschafter gewiss nicht auf Erfüllung der Organpflichten klagen.1169 Denn selbst wenn die Erfolgsaussichten einer solchen Klage vielversprechend wären, würde 1169 Siehe zum Anspruch der Gesellschaft auf Erfüllung im Fall einer Weigerung des Geschäftsführers, einen Gesellschafterbeschluss zu beachten, Stephan/Tieves, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 37 Rn. 150 m.w.N.

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dies dazu führen, dass der Rechtsverstoß spätestens dann entdeckt und auch behördlich verfolgt würde, sodass sich dessen Nützlichkeit ohne­ hin erledigt hätte. Sofern der Geschäftsführer also nicht gegen seine Rechtsermittlungs­ pflicht verstoßen bzw. keine Fehler in der Kosten-Nutzen-Analyse be­ gangen hat, scheitert ein Haftungsanspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG sowohl im Fall einer Gesetzesverletzung als auch bei rechtmäßigem Handeln am Merkmal der Pflichtverletzung. 5. Ergebnis zu den nützlichen Rechtsverstößen im Steuerrecht Zusammenfassend ist der Geschäftsführer einer GmbH nach hier vertre­ tener Auffassung einer streng am Gesellschafterinteresse ausgerichteten Legalitätspflicht zum Rechtsbruch berechtigt, wenn dieser aus ex an­ te-Sicht vorteilhaft für die Gesellschaft ist und aus der Satzung bzw. der Geschäftsordnung kein entgegenstehendes ausdrückliches Bekenntnis zur Rechtstreue hervorgeht. Wegen der weitreichenden nachteiligen Fol­ gen für die Gesellschaft, welche gerade bei steuerrechtlichen Verstößen besonders gravierend sein können, kann der nützliche Rechtsverstoß je­ doch nicht ausnahmslos als Teil der laufenden Geschäftsführung und damit als Teil des ausschließlichen Zuständigkeitsbereichs des Ge­ schäftsführers angesehen werden. Sollte die Beurteilung der konkreten Entscheidung nämlich ergeben, dass eine außergewöhnliche Maßnahme vorliegt, zieht dies einen ungeschriebenen Zustimmungsvorbehalt nach sich. Da es sich aber ohnehin in allen Fällen um eine Abwägung im Ein­ zelfall handelt, ist dem Geschäftsführer anzuraten, stets das Einverständ­ nis der Gesellschafter einzuholen, um auf diesem Weg einerseits die Zu­ ständigkeit zweifelsfrei zu klären und andererseits auch einer möglichen Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG zu entgehen. Wenngleich die nützli­ chen Rechtsverstöße keinem generellen Haftungsausschluss unterfallen, scheidet Haftung gegenüber der Gesellschaft einzelfallabhängig dann aus, wenn entweder ein entsprechender ausdrücklicher oder konkluden­ ter Gesellschafterbeschluss vorliegt oder der Geschäftsführer auf ein hy­ pothetisches Einverständnis der Gesellschafter vertrauen durfte. Korres­ pondierend zum Recht des Geschäftsführers zur Begehung nützlicher Gesetzesverstöße trifft ihn diesbezüglich prinzipiell auch eine organ­ schaftliche Pflicht. Sollte der Rechtsbruch allerdings persönliche nach­ teilige Folgen für die betroffene Organperson haben, steht dieser regelmä­ ßig ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB zu, welches in Form einer Einrede gegenüber den Gesellschaftern geltend zu machen ist.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

V. Resümee zur organschaftlichen Pflichtenstellung des ­Geschäftsführers Betrachtet man die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsfüh­ rers im Lichte einer nur am Gesellschafterinteresse ausgerichteten Lega­ litätspflicht, offenbaren sich teilweise erhebliche Unterschiede zum her­ kömmlichen Verständnis einer strengen Legalitätspflicht, im Zuge derer den Geschäftsführer eine beinahe uneingeschränkte Pflicht zur Rechts­ konformität auch gegenüber der Gesellschaft trifft. Diese Diskrepanzen beschränken sich allerdings größtenteils auf den Spezialfall der nützli­ chen Rechtsverstöße, zu welchen der Geschäftsführer nach dem vorlie­ genden Verständnis berechtigt und innerhalb der Grenzen des § 275 Abs. 3 BGB auch verpflichtet ist. Hinsichtlich der sich innerhalb der Grenzen der Legalität bewegenden Steuerplanung und -gestaltung ergeben sich nach dem dieser Arbeit zu­ grundeliegenden Ansatz hingegen keine Abweichungen zu der Ansicht der herrschenden Meinung. Der Geschäftsführer hat sowohl das Recht als auch die Pflicht zur Steueroptimierung, selbst wenn diese in einer aggressiven Steuerplanung mündet. Die Pflicht des Geschäftsführers kann sich ebenso dazu verdichten, einen Steuerstreit zu führen, um auf diesem Weg eine bestmögliche Steuerplanung und -gestaltung zu ge­ währleisten. Auch bezüglich der organschaftlichen Pflichten des Ge­ schäftsführers bei einer umstrittenen oder unklaren Rechtslage kann größtenteils auf die Ausführungen der herrschenden Meinung zurückge­ griffen werden. Demnach trifft den Geschäftsführer eine umfassende Rechtsermittlungspflicht, welche von ihm verlangt, mit Hilfe eines fach­ kundigen und unabhängigen Beraters rechtliche Zweifel nach Möglich­ keit zu beseitigen. Bei dennoch verbliebenen rechtlichen Unsicherheiten ist eine Abwägung zwischen verschiedenen Handlungsalternativen er­ laubt, wobei sich der Geschäftsführer für diejenige entscheiden darf, wel­ che dem Gesellschafterinteresse am ehesten dient. In der Literatur wird hingegen die Ansicht vertreten, die Entscheidung müsse vertretbar bzw. gar optimal sein, oder es wird aufgrund anderer Voraussetzungen eine Einschränkung der Reichweite des Beurteilungs- und Ermessensspiel­ raums des Geschäftsführers vorgenommen. Das in dieser Arbeit vertretene weitreichendere Abwägungsrecht des Ge­ schäftsführers ist dem divergierenden Verständnis einer Legalitätspflicht geschuldet und muss im Zusammenhang mit den nützlichen Rechtsver­ stößen gesehen werden. Konsequent zu Ende gedacht sind deshalb selbst rechtlich unvertretbare Entscheidungen nicht automatisch binnenrecht­ lich pflichtwidrig, sondern können unter strengeren Kriterien ebenfalls dem Gesellschafterinteresse dienlich sein. Im Falle einer solchen unver­ tretbaren Entscheidung, liegt zwar unter Umständen kein Handeln ge­ 258

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D.  Die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers

mäß den Grundsätzen einer unklaren Rechtslage mehr vor, nichtsdesto­ trotz kann eine solche Entscheidung als nützlicher Rechtsverstoß pflichtgemäß sein. Entscheidet der Geschäftsführer im Rahmen einer unklaren Rechtslage, ist auf der Kostenseite vor allem die Wahrschein­ lichkeit der Beanstandung bzw. Billigung der getroffenen Entscheidung durch Gerichte und Behörden zu berücksichtigen (Beanstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit). Handelt es sich um ein besonders risiko­ reiches Vorhaben, dessen gerichtliche Bestätigung rechtmäßig als eher unwahrscheinlich einzustufen ist, kommt den Nachteilen, welche der jeweilige Gesetzesverstoß nach sich zieht, größeres Gewicht zu. Die ein­ zelnen Sanktionen, die Sanktionshöhe sowie mögliche Reputationsein­ bußen sind somit umso stärker zu gewichten, je wahrscheinlicher es ist, dass Behörden und Gerichte den eingeschlagenen Weg als rechtswidrig beanstanden. Im äußersten Fall können sich diese Kriterien so weit ver­ dichten, dass von einer sicheren Gesetzesüberschreitung ausgegangen werden muss und folglich ein nützlicher Rechtsverstoß vorliegt. Die Be­ anstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit weicht dann einer Ent­ deckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit.1170 Die Grenzen zwischen diesen beiden Konstellationen sind dementsprechend fließend. Für das bewusste Abweichen von einer gefestigten Rechtsansicht in der Verwal­ tung oder Rechtsprechung gilt nichts anderes, sodass auch in diesem Fall danach zu fragen ist, ob die erwarteten Vorteile für die Gesellschaft mit den drohenden Nachteilen anhand einer Beanstandungs- bzw. Billigungs­ wahrscheinlichkeit oder einer Entdeckungs- und Verfolgungswahr­ scheinlichkeit zu bestimmen sind. In jedem Fall ist der Geschäftsführer dazu berechtigt, die aus ex ante-Sicht der Gesellschaft am besten dienen­ de Maßnahme zu treffen, solange eine sorgfältig durchgeführte Kos­ ten-Nutzen-Analyse dieses Ergebnis rechtfertigt. Sollte die Gesellschaft also infolge einer Entscheidung des Geschäftsfüh­ rers, die sich als rechtswidrig herausgestellt hat, Nachteile erleiden, erge­ ben sich dadurch mehrere mögliche Anknüpfungspunkte für eine schuld­ hafte Pflichtverletzung. Zunächst ist danach zu fragen, ob in der jeweiligen Situation der Fall einer unklaren Rechtslage bzw. des Abwei­ chens von einer gefestigten Rechtsansicht zu sehen ist. Ist dies zu beja­ hen, trifft ihn die oben erläuterte Rechtsermittlungspflicht, welche gleichzeitig erster Bezugspunkt einer Pflichtverletzung sein kann. Konn­ te die rechtliche Unsicherheit trotz fachkundiger und unabhängiger Beratung samt durchgeführter Plausibilitätskontrolle nicht beseitigt ­ 1170 Die erwartete Sanktion ist dann diejenige Sanktion, die im Falle der Entdeckung verhängt wird, multipliziert mit der Entdeckungswahrscheinlichkeit, vgl. Twele, Vorstandshaftung, 2013, S. 143; Krüger, Durchsetzung des Kartellverbots, 2007, S. 157 ff.; Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 260 ff.; ebenso Fleischer, BB 2008, 1070 f.

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werden, hat der Geschäftsführer im Anschluss daran eine Kosten-­ Nutzen-­Analyse vorzunehmen, welche zugleich der zweite mögliche Be­ zugspunkt einer Pflichtverletzung ist. Seine unter diesen Umständen zu treffende Abwägungsentscheidung hängt dabei von einer Beanstandungsbzw. Billigungswahrscheinlichkeit ab. Speziell im Steuerrecht ist der Pflichtenkreis des Geschäftsführers um die aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO und gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbe­ wehrte Offenlegungspflicht zu ergänzen. Zwar ist es dem Geschäftsfüh­ rer auch steuerrechtlich grundsätzlich gestattet, einer für ihn günstigen Rechtsauffassung zu folgen. Weicht der Geschäftsführer damit allerdings von der geltenden Rechtsprechung ab, muss er dies gegenüber den Fi­ nanzbehörden offenlegen. Nur, wenn in einem bestimmten Bereich kei­ ne diesbezügliche Rechtsprechung existiert, darf der Geschäftsführer seiner Steuererklärung jede Rechtsansicht zugrunde legen, solange diese vertretbar ist. Eine Hinweispflicht trifft ihn dann nicht. Verkennt der Geschäftsführer fahrlässig die aus dem Verfolgen einer von der geltenden Rechtsprechung abweichenden Rechtsansicht resultierende Offenle­ gungspflicht, kann hierin ebenfalls ein Anknüpfungspunkt für eine schuldhafte Pflichtverletzung liegen. Eine Abwägungspflicht kann den Geschäftsführer aber auch dann tref­ fen, wenn entweder von Anfang an keine unklare Rechtslage vorlag oder der eingeholte Rechtsrat die rechtliche Unsicherheit tatsächlich beseiti­ gen konnte und die Maßnahme jeweils als rechtswidrig einzustufen ist. In diesen beiden Fällen stellt sich für den Geschäftsführer einzig die Fra­ ge, ob der bewusste Rechtsverstoß aus ex ante-Sicht nützlich für die Ge­ sellschaft erscheint. Dann kommt es nicht auf eine Beanstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit an, sondern auf eine Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit.1171 Entscheidend ist letztlich der „erwar­ tete Gewinn“, also die Berücksichtigung der Realisierungswahrschein­ lichkeit, den absoluten Gewinn zu erwirtschaften.1172 Eine sehr niedrige Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit (sog. „underenforce­ ment“) kann demnach selbst dann zur Zulässigkeit von Rechtsbrüchen führen, wenn die drohenden Sanktionen den erwarteten Gewinn über­ schreiten.1173 1171 Zwar ist bei einer Beanstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit grundsätz­ lich ein größerer Spielraum des Geschäftsführers anzuerkennen, doch kann auch die Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit sehr gering sein, wie es ge­ rade im Kartellrecht der Fall ist, vgl. Twele, Vorstandshaftung, 2013, S. 143 Fn. 572, wonach die Entdeckungswahrscheinlichkeit für ein Preiskartell in der Europäischen Union lediglich zwischen 12,9 und 13,3 % liegt. 1172 Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 260; eingehend zu diesem Gedanken am Bei­ spiel des Kartellrechts Twele, Vorstandshaftung, 2013, S. 143; Krüger, Durchset­ zung des Kartellverbots, 2007, S. 157 ff.; Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 540 f. 1173 Vgl. Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 262 f. („defizitäres Rechtssystem“).

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E.  Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur

E. Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur Die bisherigen Ausführungen konnten darlegen, dass sich die Problema­ tik um rechtswidrig agierende Geschäftsführer vor allem auf ein defizitä­ res Rechtssystem zurückführen lässt.1174 Folglich muss unerwünschten Entwicklungen durch staatliche Korrekturen entgegengewirkt werden, indem versucht wird, entweder mittels verstärkter repressiver Methoden die einzelnen Unternehmen zu mehr Rechtstreue zu zwingen oder durch eine vorausschauende Politik die Kooperation zwischen Unternehmen und Finanzbehörden zu verbessern, um dadurch einen Gegenanreiz zu Gesetzesübertretungen zu schaffen. Nachfolgend wird zunächst anhand einiger Beispiele aus anderen Rechts­ bereichen dargelegt, dass das bloße Bedürfnis zur Herstellung eines be­ stimmten Rechtszustandes die Formulierung gesetzlicher Regelungen oder wenigstens die dogmatische Herleitung des erstrebten Rechtszieles aus bereits kodifiziertem Recht oder allgemeingültigen Rechtsgrundsät­ zen nicht zu ersetzen vermag (I.). Anschließend werden die staatlichen Korrekturmöglichkeiten in Gestalt repressiver (II.) und präventiver (III.) Methoden untersucht und an Beispielen erklärt.

I. Bloßes Bedürfnis nach mehr Rechtskonformität unzureichend Den Sinn einer allgemeinen Legalitätspflicht sieht Hellgardt richtiger­ weise darin, „die Durchsetzung von Außenpflichten der Kapitalgesell­ schaft zu effektuieren […].“1175 Das bloße Bedürfnis nach mehr Rechts­ konformität genügt aber zweifellos nicht zur Legitimierung einer umfassenden Legalitätspflicht, welche den Geschäftsführer auch gegen­ über der Gesellschaft zur Einhaltung sämtlicher Rechtsnormen ver­ pflichten soll. Entscheidend sind die Interessen der Anteilseigner, also das Gesellschafterinteresse, oder – sofern man will – auch das Gesell­ schaftsinteresse. Dadurch definieren sich Inhalt und Reichweite der or­ ganschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers gegenüber der Gesell­ schaft, welche den die Gesellschaft treffenden gesetzlichen Pflichten entsprechen können, aber eben nicht müssen. Dieser Organisationsho­ heit juristischer Personen, welche der Gesetzgeber ausdrücklich aner­ kannt hat, aufgrund eines rechtspolitischen Bedürfnisses ein Korsett überzustülpen, indem das amorphe und dogmatisch problematische Konstrukt einer Legalitätspflicht als äußerste Grenze der Handlungsbe­

1174 Ebenso Brock, Legalitätsprinzip, 2017, S. 262 f. 1175 Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 410.

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fugnis apodiktisch festgeschrieben wird, lässt sich als politische Instru­ mentalisierung gesellschaftsrechtlicher Normen deuten.1176 Das politische Anliegen, Kapitalgesellschaften dazu zu bewegen, sich auch intern so zu „verhalten“1177, wie dies von natürlichen Personen im Verhältnis zum Staat erwartet wird, muss demnach einen eindeutigen Niederschlag im Gesetz finden, um rechtliche Wirkung zu entfalten. Deutlich wird dies, wenn man sich die Diskussion um die Corporate Social Responsibility von Unternehmen vor Augen führt. Nach den obi­ gen Ausführungen kann ein Unternehmen durch staatliche Maßnahmen zwar zum „good corporate citizen“ erzogen werden.1178 Entschließt sich ein Geschäftsführer aber im Einklang mit den Gesellschafterinteres­ sen dazu, hierauf zu verzichten, liegt allein darin gewiss kein Rechtsver­ stoß. Betrachtet man in diesem Zusammenhang zum Beispiel das staatli­ che Ziel, innerhalb der Bundesrepublik einzelne Vorgaben aus den Klimaschutzabkommen umzusetzen, ist die bloße Formulierung eines entsprechenden Wunschgedankens unzureichend, um eine gesetzliche Bindungskraft zu erzeugen. Unternehmen können zu mehr Umwelt­ freundlichkeit angespornt werden, indem dahingehend auf ihre Unter­ nehmenspolitik eingewirkt wird, als ihnen für entsprechende Bemühun­ gen finanzielle Begünstigungen und Subventionen gewährt werden. Erachtet ein Unternehmen einen solchen Anreiz allerdings als nicht luk­ rativ und entscheidet sich gegen eine umweltfreundliche Unternehmen­ spolitik, verstoßen weder das Unternehmen selbst noch dessen Organe gegen geltendes Recht. Erst wenn der Gesetzgeber einen Wunschgedan­ ken nicht bloß in Gestalt einer „lohnenswerten Bitte“ äußert, sondern zur gesetzlichen Pflicht avancieren lässt, indem die Vorgaben normativ als Ge- oder Verbote verankert werden, folgt eine Bindungswirkung für die davon betroffenen Personen. Dies geschah im Umweltrecht durch Erlass der §§ 52 ff. BImSchG, im Rahmen derer beispielsweise Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 53 Abs. 1 BImSchG einen Im­ missionsschutzbeauftragten zu bestellen haben. Mag das Umweltrecht auch vor Erlass dieser Normen bereits weit oben auf der politischen Agenda gestanden haben und entsprechende Anreize zur Bestellung ei­ nes Immissionsschutzbeauftragten gesetzt worden sein, rücken diese Motive erst durch Verabschiedung des § 53 Abs. 1 BImSchG zur gesetzli­ chen Pflicht auf. Bis dahin konnte den Unternehmen ein Fehlverhalten

1176 Zur deutlichen Kritik an einer politischen Instrumentalisierung gesellschafts­ rechtlicher Normen siehe auch Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1100. 1177 Mit dem Verhalten einer Kapitalgesellschaft ist hier das Handeln durch ihren ge­ setzlichen Vertreter im Organisationsrechts der jeweiligen Gesellschaft gemeint. 1178 Siehe hierzu oben auf den S. 181 ff.

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E.  Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur

lediglich als unethisch vorgeworfen werden, nicht aber als haftungsbe­ wehrter Rechtsverstoß. Dieses Beispiel belegt, dass der Staat auf politischer Ebene nahezu jedes Ziel verfolgen kann, diese für Bürger und Unternehmen aber erst dann verbindlich werden, wenn sie in Gesetzen als Ge- oder Verbote formu­ liert werden.1179 Dieser gleichermaßen simple wie selbstverständliche Grundsatz unserer Rechtsordnung stellt die Basis der bisherigen wie nachfolgenden Überlegungen dar und wird dennoch teilweise vergessen oder sogar in Abrede gestellt. Der Umstand, dass die Gesellschaft und deren Organe dem Staat rechtskonformes Verhalten schulden und diese Pflicht sich nach außen auch normativ festmachen lässt,1180 hat nicht automatisch ein korrespondierendes gesellschaftsinternes Pflichtenver­ hältnis zur Folge.1181 Um auch ein solches herzuleiten, wurden die bereits erörterten Anstrengungen unternommen, eine gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht dogmatisch sauber im Gesetz zu manifestieren, aus der das Prinzip extrahiert werden kann, jede Gesetzesüberschreitung der GmbH oder des Geschäftsführers im Außenverhältnis stelle gleichzeitig eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis der Gesellschaft dar. Wie ­Harnos für die AG aber zutreffend beschrieben hat, ist es nicht Aufgabe des Aktienrechts, den staatlichen Anspruch zu wahren, Gesetze zu be­ achten. Vielmehr erstreckt sich dessen Regelungsumfang auf die organi­ sationsrechtliche Ausgestaltung der Gesellschaft und ihrer Organe.1182 Nichts anderes gilt für die GmbH und dementsprechend den normativen Gehalt des GmbHG. Soll der Geschäftsführer demnach intern gegenüber der Gesellschaft den­ selben Pflichten unterliegen wie dies extern gegenüber dem Staat der Fall ist, muss dieses Pflichtenverhältnis ausdrücklich und damit rechtlich bindend normiert werden. Aus dem Gesellschaftsrecht, speziell dem GmbHG sowie dem AktG, lässt sich eine solche Rechtsbindung jeden­ falls nicht ableiten. Nach der derzeitigen gesetzlichen Lage bleibt dem Staat damit als einzige Möglichkeit, dergestalt auf die Unternehmen ein­ zuwirken, dass diese ihre Unternehmenspolitik danach ausrichten, eine Pflichtverletzung im Außenverhältnis auch im Innenverhältnis nicht zu tolerieren. Ansonsten kann vom Geschäftsführer im Verhältnis zur Ge­ sellschaft nicht erwartet werden, sich neben dem bestehenden Pflichten­ korsett, welches ihm das GmbHG und der Gesellschaftsvertrag auferle­ 1179 Siehe auch Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 52, der von einer „Brücke von der wünschenswerten zur rechtlich bindenden Geltung“ spricht. 1180 So z.B. für die Pflicht einer GmbH zur Abgabe einer Körperschaftsteuererklärung nach § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 25 EStG, 56 EStDV, sowie das entsprechende Gebot an den Geschäftsführer aus § 34 Abs. 1 AO, diese Pflicht zu erfüllen. 1181 Vgl. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 82. 1182 Harnos, Geschäftsleiterhaftung, 2013, S. 82.

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gen, noch einem weiteren zu unterwerfen, das von ihm verlangt, sämtliche die Gesellschaft oder ihn persönlich betreffenden gesetzlichen Pflichten einzuhalten.

II. Repressive Methoden Eine Möglichkeit zur Einwirkung auf die Organisationsstruktur von Ka­ pitalgesellschaften, ohne zugleich die Keule der Gesetzesänderung zu schwingen, ist in intensivierten Kontrollen sowie einer strengeren Aus­ schöpfung des bereits existenten Strafrahmens zu sehen. Führt man sich vor Augen, dass der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft einzig dem Unternehmenswohl, also dem Gesellschafterinteresse, verpflichtet ist, wofür ihm der Gesellschaftsvertrag und das GmbHG einen äußeren Rahmen vorgeben, ist genau hierin auch das Mittel zum Zweck zu se­ hen. Ein Pflichtengleichlauf im Innen- und Außenverhältnis oder zumin­ dest eine Annäherung hieran kann dadurch verwirklicht werden, indem man faktisch das Interesse der Gesellschafter minimiert, die unter­ nehmerischen Ziele mittels Rechtsverstößen zu erreichen. Die darauf aufbauende Unternehmenspolitik würde dazu führen, dass der Ge­ schäftsführer zu einer bestmöglichen Rechtskonformität angehalten und dadurch die Gefahr einer Gesetzesverletzungen maximal reduziert wür­ de.1183 Vereinfacht ausgedrückt bedeuten schärfere Strafen schwerwiegendere Nachteile für die Gesellschaft, während verstärkte Kontrollen zu einem Anstieg der Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit führen. Beides wirkt sich unmittelbar auf die von dem Geschäftsführer anzustel­ lende Kosten-Nutzen-Analyse aus, wodurch der Begehung nützlicher Rechtsverstöße auf natürliche Weise entgegengewirkt wird. Allerdings ist an die bereits erörterten Verzerrungen in der Verhaltenssteuerung von Organpersonen infolge übertriebener Repression zu erinnern.1184 Neben unerwünschten rechtsökonomischen Anreizen bewirken zu harte Stra­ fen auch nicht automatisch mehr Rechtskonformität, sondern können zu gegenteiligen Effekten führen. Neben dem – zweifellos nachvollzieh­ baren – präventiven Ansatz, der Begehung von Rechtsverstößen durch umfassende Kontrollen und harte Strafen so weit wie möglich vorzubeu­ gen, darf nicht vergessen werden, dass Menschen Fehler machen und eine gänzlich rechtskonform agierende Unternehmenswelt utopisch ist. Sollte es unter diesen Umständen zum Rechtsverstoß kommen, besteht ein großer Anreiz für den Geschäftsführer, die begangene Tat zu ver­ schleiern und jegliche Kooperation zu verweigern, um die befürchteten 1183 Vgl. hierzu Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877 f.; ebenso Hellgardt, in: FS Hopt, 2020, S. 403, 411 ff. 1184 Siehe hierzu die S. 124 ff.

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E.  Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur

drakonischen Strafen zu verhindern. Das eigentliche Ziel der Rechtskon­ formität würde somit unterminiert werden. Dennoch müssen die Strafen hoch genug sein, um abschreckende Wirkung zu erzielen, und die Kon­ trollen eine Häufigkeit und Intensität aufweisen, welche auf eine jeder­ zeitige Entdeckung möglicher Taten schließen lässt. Es ist die vornehm­ liche Aufgabe des Staates, diesbezüglich die goldene Mitte zu finden. Es ist jedenfalls nicht zielführend, durch hohe Strafen und intensive Kon­ trollen ein Klima des gegenseitigen Misstrauens zu schaffen. Ein aus­ schließliches Abstellen auf repressive Methoden kann daher nicht genü­ gen, um für mehr Rechtskonformität zu sorgen. Nachfolgend wird ein weiterer Ansatz zur Bekämpfung systematischer Gesetzesverletzungen erläutert, der allerdings die repressiven Methoden nicht ersetzen, son­ dern ergänzen soll, um dadurch ein stimmiges und erfolgsversprechendes Nebeneinander beider Ansätze zu ermöglichen.

III. Kooperative Ansätze Sobald erkannt wird, dass ein hoheitliches Steuersystem, welches einzig auf Einschüchterung durch harte Strafen und häufige Kontrollen setzt, dem Ziel einer bestmöglichen Rechtskonformität nicht dienlich sein kann und zudem rechtsökonomischen Erwägungen zuwider wirkt, kön­ nen neue Wege gegangen werden. Eine vollständige Umwandlung des bestehenden hoheitlichen Steuersystems hin zu einem kooperativen ist dafür nicht zwingend notwendig. Stattdessen können einzelne Elemente einer steuerrechtlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe in das ansons­ ten hoheitliche Modell einfließen, ohne seine Grundstrukturen auszu­ höhlen.1185 In diesem Zusammenhang ist an das bereits erklärte Modell der OFD Niedersachsen zu denken, welches in Anlehnung an die Bestre­ bungen der OECD kooperativ ausgerichtete Konzernbetriebsprüfungen etablierte.1186 Ein weiteres aktuelles Beispiel für eine solche Politik auf Bundesebene, die zusätzlich auf Anreize statt einzig auf Repression setzt, ist der An­ wendungserlass des BMF zu § 153 AO.1187 Dort ist in Tz. 2.6 S. 6 davon die Rede, dass ein sog. „innerbetriebliche[s] Kontrollsystem“, das der Er­ füllung der steuerlichen Pflichten dient, „ggf. ein Indiz darstellen [kann], das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes [bei § 370 AO] oder der Leichtfer­ tigkeit [bei § 378 AO] sprechen kann“. Ungeachtet der diesem Erlass 1185 Vgl. Drüen, FR 2011, 101, 107, wonach Kooperation den hoheitlichen Akt nicht ersetzt sondern ihn nur vorbereitet. 1186 Siehe hierzu S. 41 ff. 1187 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001; eingehend hierzu auf den S. 329 ff.

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zweifellos immanenten Probleme und Unklarheiten lässt sich aus der Formulierung ein eindeutiger Anreiz herauslesen: Unternehmen, die mit den Steuerbehörden zusammen arbeiten und ihre Unternehmensorgani­ sation so ausrichten, dass das Risiko einer Steuerverkürzung weitestge­ hend reduziert wird, können im Rahmen des Besteuerungsverfahrens auf eine bevorzugte Behandlung hoffen. Damit soll nicht gemeint sein, dass diese Unternehmen in den Genuss nicht zu rechtfertigender steuerlicher Vorteile kommen. Stattdessen sollen verdächtige Sachverhalte nicht zwangsläufig zur Einleitung eines Strafverfahrens führen, wenn das be­ troffene Unternehmen ein ordnungsgemäßes innerbetriebliches Kon­ trollsystem eingerichtet hat, welches gerade solche Vergehen wie das soeben entdeckte verhindern soll. Entgegen der bisher üblichen Praxis sind die Mitarbeiter der Finanzbehörden somit zu sensibilisieren, um zu erkennen, dass einzelne Verstöße nicht automatisch Grund sind, den Sachverhalt ohne weitere Prüfung an die BuStra oder Steuerfahndung weiterzuleiten.1188 Eine der Kernaussagen des Erlasses lautet also: Rechts­ konformität und Kooperation lohnen sich. Unternehmen, die diesem Anreiz folgen und Tax Com­pli­ance damit zu einem wichtigen Faktor ihrer Unternehmenspolitik machen, dürfen im Gegenzug auf „Kooperationsprämien“1189 hoffen. Inwieweit der Erlass mittlerweile Wirkung entfaltet, ist an den zahlreichen Seminaren und Workshops zu der Frage nach dem „Ob“ und „Wie“ eines Tax CMS zu beobachten. Dabei wird von Steuer- und Wirtschaftsberatern sowie von Rechtsanwälten und Vertretern aus der Steuerrechtswissenschaft, Recht­ sprechung und Politik die ökonomische Notwendigkeit eines inner­ betrieblichen Kontrollsystems betont, was die Unternehmenspolitik in noch ungeahntem Ausmaß beeinflussen dürfte.1190 Letztlich darf aber nicht vergessen werden, dass die derzeitige Rechtswirklichkeit in Deutsch­ land ein hoheitlich konzipiertes Steuersystem ist. Daher betonte Mellinghoff, der Präsident des BFH, in diesem Zusammenhang auch, dass eigentliche Aufgabe der Finanzverwaltung nach aktuellem Recht nicht die Zertifizierung von Tax Com­pli­ance Systemen sein kann, sondern die Prüfung, ob eine Steuer ordnungsgemäß festgesetzt, erklärt und ent­ 1188 Inwiefern ein solches Ansinnen angesichts der §§ 258, 258a StGB sowie befürch­ teter dienstrechtlicher Konsequenzen tatsächlich umsetzbar ist, bleibt abzuwar­ ten. Die Bedenken werden zusätzlich dadurch verstärkt, dass der Anwendungser­ lass nur die Finanzämter bindet, nicht hingegen die Zollfahndungsämter oder gar die Staatsanwaltschaften oder Gerichte. 1189 Mit derartigen „Kooperationsprämien“ sind keine Steuernachlässe, sondern vor allem Vollzugserleichterungen im Rahmen des Deklarations- und Verifikations­ prozesses gemeint, vgl. Drüen, FR 2011, 101, 108; Gusy, ZUR 2001, 1, 3, 6. 1190 Freilich gehen mit dieser Entwicklung auch Nachteile einher, wenn die (teilwei­ se unbegründete) Angst vor steuerlichen Ermittlungen durch BuStra und Steuer­ fahndung als Profitmöglichkeit genutzt wird.

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E.  Staatliche Möglichkeiten zur Korrektur

richtet worden ist.1191 Es ist deshalb kritisch zu hinterfragen, ob ein e­ tabliertes und gelebtes Tax CMS, welches den von Wirtschaftsprüfern aufgestellten Kriterien entspricht, tatsächlich zu Vorteilen im Besteue­ rungsverfahren führen kann oder ob dieser Anreiz nicht viel mehr nur ein inhaltsleerer Aufruf zu mehr Mitwirkung ist. Die Tatsache, dass die Behörden von Steuerpflichtigen nach derzeitiger Gesetzeslage einzig die Erfüllung der gesetzlichen Mitwirkungspflichten verlangen können und nicht mehr, darf bei der aktuell „sehr populistisch geführten steuerpoli­ tischen Debatte“1192 um die Notwendigkeit eines Tax CMS nicht verges­ sen werden.1193

IV. Das kooperative Steuersystem als Kombination repressiver und präventiver Methoden Die Ausführungen in dieser Arbeit haben verdeutlicht, dass repressive Reaktionsmöglichkeiten des Staates für sich genommen nicht ausrei­ chen, um das Ziel möglichst umfassender Rechtskonformität in Unter­ nehmen zu erreichen. Komplementär hierzu muss ein Handeln hinzu treten, welches auf Kooperation mit den Steuersubjekten setzt und nicht schlicht auf Hoheitlichkeit um jeden Preis. Entscheidend muss demnach sein, systematisches Fehlverhalten zu unterbinden und nicht jeden Ein­ zelverstoß so hart wie möglich zu sanktionieren. Daraus entwickelt sich ein Wechselspiel aus hoheitlicher Repression und Kooperation. Denjenigen Unternehmen, welche eine Zusammenar­ beit mit den Finanzbehörden verweigern und die auch gesellschaftsin­ tern keinerlei Anstrengungen unternehmen, Rechtsverstöße zu verhin­ dern bzw. sie sogar gutheißen, ist innerhalb der gesetzlichen Grenzen entsprechend zu begegnen. Andererseits dürfen eine um Rechtskonfor­ mität bemühte Organisationsstruktur sowie das kooperative Verhalten eines Unternehmens aber auch nicht als Selbstverständlichkeit begriffen werden. Der Staat sollte sich nicht darauf beschränken, Rechtsverstöße zu sanktionieren, sondern muss die Bemühungen von Kapitalgesellschaf­ ten, Gesetzesverletzungen bestmöglich zu verhindern, auch anerkennen und deutlich erkennen lassen, dass sich die Kooperation mit den Behör­ den mehr lohnt als die Verschleierung etwaiger Taten. 1191 Rudolf Mellinghoff in einem Interview anlässlich eines ifst-Kolloquiums vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, abrufbar unter https://www.ifst.de/component/content/article/90-ver​ anstaltungen/2016/1049-wktcmsl_vi-2.html, zuletzt aufgerufen am 03.01.2019. 1192 Rudolf Mellinghoff in einem Interview anlässlich eines ifst-Kolloquiums vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, abrufbar unter https://www.ifst.de/component/content/article/90-ver​ anstaltungen/2016/1049-wktcmsl_vi-2.html, zuletzt aufgerufen am 03.01.2019. 1193 Vgl. zum ganzen auch Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 140.

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Auf dieser Basis lässt sich eine Klassifizierung von Unternehmen vor­ nehmen, wie sie bereits im Rahmen der oben angesprochenen Kien­ baum-Studie vorgeschlagen wurde.1194 Demnach können die Steuer­ pflichtigen nach dem sog. Ampel-System in drei Risikogruppen eingeteilt werden. Rot verkörpert hierbei die höchste Risikogruppe und umfasst kooperationsunwillige Unternehmen, die einer manuellen Intensivprü­ fung zu unterziehen sind. Dagegen qualifizieren sich kooperationswillige und somit risikoärmere Unternehmen der grünen Risikogruppe für „Ko­ operationsprämien“, beispielsweise in Gestalt teilautomatisierter bzw. vollautomatisierter Plausibilitätsprüfungen. Gelb als Mittelstufe wiede­ rum beschreibt Unternehmen, die zwar ihre steuerlichen Pflichten erfül­ len, jedoch keine nennenswerten überobligatorischen Anstrengungen unternehmen.1195 Steht zu befürchten, aufgrund von Gesetzesverletzun­ gen lukrative Privilegierungen im Besteuerungsverfahren zu verlieren und durchgreifenden Sanktionen ausgesetzt zu sein, mit welchen auf­ grund einer echten Entdeckungs- und Verfolgungsgefahr auch tatsächlich gerechnet werden muss, dürfte sich die so viel diskutierte Frage um die Zulässigkeit nützlicher Rechtsverstöße größtenteils erübrigen.1196 Die Begehung von Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten wäre unter diesen Bedingungen mit dem Gesellschafterinteresse kaum noch zu ver­ einbaren, sodass der Geschäftsführer dazu gezwungen wäre, das Unter­ nehmen so zu organisieren, dass Rechtsverstöße bestmöglich verhindert werden. Dies bedeutet letztlich nichts anderes, als eine organschaftli­ che Pflicht des Geschäftsführers zur Etablierung von Tax Com­pli­anceStrukturen.

F. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers im Innenverhältnis nach geltendem Recht Die Untersuchungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass eine Legalitäts­ pflicht, welche den Geschäftsführer umfassend zur Einhaltung der Rechts­ ordnung gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, keinen dogmatisch überzeugenden Anhaltspunkt im Gesetz findet. In Teilen hat dies auch die herrschende Meinung akzeptiert und nimmt infolgedessen zahlrei­ che Ausnahmen bzw. Durchbrechungen der von ihr im Grundsatz be­ fürworteten Legalitätspflicht vor, um letzten Endes die dogmatischen 1194 Siehe hierzu die S. 37 ff. 1195 Vgl. zum Ampel-System Schmarbeck, BMF-Monatsbericht 12/2002, S. 59, 61. 1196 In diese Richtung auch Schön, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1085, 1099, wonach dem Staat alle Mittel zur Verfügung stehen, die er zur Definition und Durchsetzung seines gerechten Anteils an den Ressourcen privater Unterneh­ men benötigt.

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F.  Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers

Unstimmigkeiten der Herleitung zu kompensieren. Bemisst man die or­ ganschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers hingegen primär an ei­ nem autonomen Gesellschafterinteresse, welches nicht durch das Kon­ strukt einer Legalitätspflicht abschließend determiniert wird, lassen sich dogmatisch stimmige Lösungen zu denjenigen Problemen finden, bei welchen die herrschende Meinung auf problematische Kunstgriffe ange­ wiesen ist. Die Ausführungen konnten zudem darlegen, dass durch die Ablehnung einer Legalitätspflicht, wie sie die herrschende Meinung ver­ steht, mitnichten der Rechtsstaat ad absurdum geführt wird. In Befürch­ tung einer solchen Entwicklung hat es der Staat vielmehr selbst in der Hand, zielgerichtet gegenzusteuern und kann die Verantwortung für die Durchsetzung von Rechtsnormen mangels eigener Ressourcen nicht schlichtweg auf die private Unternehmerwelt abwälzen. Sofern man als äußeren Handlungsrahmen des Leitungsorgans also pri­ mär das autonom zu bestimmende und nicht notwendig durch die Rechtsordnung begrenzte Gesellschafterinteresse begreift, können nütz­ liche Rechtsverstöße nicht mehr per se als pflichtwidrig im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG eingestuft werden. Teile des Schrifttums vertreten diese Sichtweise ebenfalls, allerdings beschränkt auf Bagatellverstöße. Nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis ist der Ge­ schäftsführer hingegen zur Begehung jedweder nützlicher Rechtsverstö­ ße nicht nur berechtigt, sondern grundsätzlich im Innenverhältnis sogar verpflichtet, selbst wenn dadurch die Begehung einer Straftat, beispiels­ weise in Gestalt einer Steuerhinterziehung, verlangt würde. Um als ein­ zigen Ausweg aus der „Haftungsfalle“ zwischen Schadensersatzzahlun­ gen nach § 43 Abs. 2 GmbHG und unmittelbarer Außenhaftung gegenüber Dritten nicht einzig auf die Möglichkeit der Amtsniederlegung verwei­ sen zu müssen, gewährt § 275 Abs. 3 BGB in solchen Fällen regelmäßig ein Leistungsverweigerungsrecht, welches mittels Einrede geltend zu machen ist. Faktisch ist der Geschäftsführer dadurch zur Begehung nütz­ licher Rechtsverstöße zwar berechtigt, in aller Regel aber nicht verpflich­ tet, wobei stets eine einzelfallabhängige Beurteilung notwendig ist. Letztlich lassen sich die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsfüh­ rers in Bezug auf nützliche Rechtsverstöße, aber auch was das Handeln bei unklarer oder umstrittener Rechtslage sowie das bewusste Abwei­ chen von einer gefestigten Rechtsansicht in der Verwaltung oder Recht­ sprechung angeht, wie folgt zusammenfassen: Sowohl hinsichtlich der Frage, ob ein bestimmtes Vorhaben rechtswidrig ist bzw. einer gefestig­ ten Rechtsansicht widerspricht, als auch dazu, ob der evidente Rechts­ bruch lohnenswert erscheint, trifft den Geschäftsführer zunächst eine umfassende Rechtsvergewisserungspflicht. Im Zuge derer ist er unter Umständen auch dazu angehalten, die Hilfe eines fachkundigen und un­ abhängigen Beraters in Anspruch zu nehmen und dessen Antwort auf 269

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Kapitel 3:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

ihre Plausibilität hin zu kontrollieren. Verbleiben im Falle einer unkla­ ren Rechtslage dennoch Zweifel, darf der Geschäftsführer im Rahmen einer Abwägung die für das Unternehmen lukrativste Möglichkeit wäh­ len, ohne dass ihm intern der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens ge­ macht werden kann. Entscheidendes Kriterium für die anzustellende Kosten-Nutzen-Analyse ist im Bereich der unklaren Rechtslage sowie des Abweichens von einer gefestigten Rechtsansicht die Beanstandungsbzw. Billigungswahrscheinlichkeit. Für die Feststellung, ob sich ein nicht offengelegter konkreter Rechtsverstoß für die Gesellschaft lohnt, ist die Beanstandungs- bzw. Billigungswahrscheinlichkeit durch eine Entde­ ckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ersetzen. Im Steuerrecht greift im Falle des Abweichens von der geltenden Recht­ sprechung zudem die aus § 90 Abs. 1 S. 2 AO und gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbewehrte Offenlegungspflicht. Wenn der Geschäftsführer von der geltenden Rechtsprechung abweicht, muss er dies gegenüber den Finanzbehörden offenlegen. Nur für den Fall, dass in einem bestimmten Bereich keine Rechtsprechung existiert, darf der Geschäftsführer seiner Steuererklärung jede für ihn günstige Rechtsansicht zugrunde legen, so­ lange diese vertretbar ist. Eine Hinweispflicht trifft ihn dann nicht. In Anbetracht des maßgeblichen Abwägungsgesichtspunktes der Entde­ ckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit lässt sich die Nützlichkeit vereinzelter steuerrechtlicher Gesetzesüberschreitungen daher auf ein defizitäres Rechtssystem zurückführen, welches die rechtsökonomisch nicht zu beanstandende Wertung erlaubt, dass der Verstoß gegen Steuer­ normen ausnahmsweise lukrativer für eine Gesellschaft erscheinen kann als die Befolgung derselben. Einem solchen Missstand kann der Staat aber wirkungsvoll begegnen, ohne die Verantwortung für seine Versäumnisse den Unternehmen aufzuerlegen und dadurch die korporative Organisati­ onshoheit mittels einer ihrem Inhalt und ihrer Reichweite nach dogma­ tisch fragwürdigen Legalitätspflicht einzuschränken. Durch einen zielge­ richteten Einsatz wirkungsvoller repressiver und kooperativer Elemente innerhalb des Steuerverfahrens kann dergestalt auf die Unternehmens­ kultur eingewirkt werden, dass sich die Nützlichkeit von Rechtsverstö­ ßen naturgemäß erledigt, indem der Rechtsbruch unter den gegebenen Umständen nicht mehr dem Gesellschafterinteresse entspricht. Davon abgesehen ist das Gesellschafterinteresse ohnehin einer starken Beeinflussung durch unterschiedliche gesetzliche und untergesetzliche Pflichten ausgesetzt, die mit steuerrechtlichem Fokus im nachfolgenden Kapitel näher untersucht werden. Dabei spielt auch eine Rolle, welche konkreten Interdependenzen zwischen den einzelnen Normierungen und dem Gesellschafterinteresse festzustellen sind und welche Schlüsse daraus für die Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers zu ziehen sind. 270

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Kapitel 4: Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Außenverhältnis Den Ausführungen des vorangehenden Kapitels zufolge sind die organ­ schaftlichen Pflichten des Geschäftsführer nicht zwingend von einem unbeirrten Einhalten der gesetzlichen Grenzen geprägt, sondern haben sich stattdessen am Gesellschafterinteresse zu orientieren, im Rahmen dessen ein rechtswidriges Verhalten durchaus auch pflichtgemäß sein kann. Ein Auseinanderfallen von Rechtswidrigkeit und Pflichtwidrigkeit ist allerdings nur dann möglich, wenn eine sorgfältig angestellte Kos­ ten-Nutzen-Analyse, welche neben den erwarteten Vorteilen für die Ge­ sellschaft sowie den drohenden Sanktionen auch die Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit berücksichtigt, zu dem Ergebnis gelangt, dass ein bestimmter Rechtsverstoß im konkreten Fall lohnend erscheint. Wie bereits erörtert stellt damit das Gesellschafterinteresse die Basis für die Organisations- und Überwachungspflichten des Geschäftsführers ge­ genüber der Gesellschaft dar. Zusätzlich treffen sowohl die GmbH als auch den Geschäftsführer persönlich zahlreiche gesetzliche Organisa­ tions- und Überwachungspflichten, deren Erfüllung unmittelbar dem Staat geschuldet wird. Beide Pflichteninstitute, die intern gegenüber der Gesellschaft geschuldeten organschaftlichen Pflichten sowie die exter­ nen gesetzlichen Pflichten, stehen dabei in ständiger Wechselwirkung zueinander. Dies zeigt sich zum einen daran, dass das Gesellschafterinte­ resse zu einem großen Teil durch die drohenden Sanktionen geprägt wird, welche mit dem Verstoß einer externen Pflicht einhergehen. Zum anderen bemisst sich das Leistungsverweigerungsrecht des Geschäfts­ führers aus § 275 Abs. 3 BGB an den ihn persönlich treffenden Außen­ pflichten, zu welchen auch gesetzliche Organisationspflichten zu zählen sind. Die externe Pflichtenlage hat also einen bedeutenden Einfluss auf das Gesellschafterinteresse und damit auch auf die organschaftliche Pflichtensituation zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft. Im Rahmen der Begriffsbestimmung zu (Tax) Com­pli­ance wurde heraus­ gearbeitet, dass bei Organisationspflichten zur Gewährleistung von Re­ geltreue auch auf nachgeordneten Unternehmensebenen von einer sog. Com­pli­ance-Pflicht die Rede ist, und, soweit es sich um den Spezialbe­ reich des Steuerrechts handelt, von einer Tax Com­pli­ance-Pflicht. Nach­ folgend wird anhand ausgewählter gesetzlicher und untergesetzlicher Bestimmungen untersucht, ob die Gesellschaft bzw. den Geschäftsführer eine solche Tax Com­pli­ance-Pflicht trifft, wozu unter Umständen sogar die Etablierung eines bestimmten Tax Com­pli­ance-Systems gehört. Im Rahmen dessen werden die erarbeiteten steuerrechtlichen Organisati­ 271

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

onspflichten den organschaftlichen Pflichten gegenübergestellt und un­ ter Berücksichtigung der Interdependenzen von Binnen- und Außen­ pflichten ein gesamtheitlicher Ansatz entwickelt, aus welchem sich abschließend die endgültigen Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäfts­ führers ableiten lassen.

A. Die steuerrechtlichen Organisationspflichten des Geschäftsführers Wie auf den S. 67 ff. bereits ausgeführt wurde, haftet der Geschäftsführer nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO persönlich für die Steuerschuld der Gesellschaft, deren Vermögen er verwaltet. Anknüpfungspunkt für eine solche Schadensersatzhaftung gegenüber dem Fiskus ist dabei die schuld­ hafte Verletzung steuerrechtlicher Pflichten. In der Mehrheit der Fälle wird der Geschäftsführer seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten al­ lerdings nicht persönlich nachkommen, sondern lässt diese vielmehr von nachgeordneten Mitarbeitern, z.B. der unternehmenseigenen Steuer­ abteilung, oder auch externen Dritten (z.B. vom Steuerberater oder Rechtsanwalt) erledigen. Auch auf der Ebene der Geschäftsführung sind die Zuständigkeiten meist in technische und kaufmännische Angelegen­ heiten aufgeteilt, sodass der mit technischen Aufgaben Befasste unter Umständen keinen Einblick in die steuerliche Aufgabenerfüllung des an­ deren Geschäftsführers hat. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von vertikaler und horizontaler Delegation.1197 Eine solche Zuständig­ keitsverteilung hat zweifellos Auswirkungen auf den GmbH-internen Pflichtenkreis des einzelnen Geschäftsführers und folglich auch auf des­ sen Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG.1198 Es fragt sich an dieser Stelle je­ doch, ob eine GmbH-interne Aufgabenverteilung, vertikal wie horizon­ tal, zusätzlich den Umfang der Außenpflichten eines Geschäftsführers beeinflussen und ihn dadurch vor einer etwaigen Haftung aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO bewahren kann. Oder anders ausgedrückt: Welche steuerrechtlichen Organisationspflichten erwachsen dem Geschäftsfüh­ rer aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO? Zur Annäherung an diese Problematik wird zunächst die Rechtsla­ ge der zivilrechtlichen, insbesondere der deliktischen, Außenhaftung von Organpersonen im Rahmen von Organisationspflichtverletzun­ gen als historischer Ausgangspunkt des Organisationsverschuldens auf 1197 Siehe zu dieser terminologischen Einteilung allgemein Fleischer, in: MüKo-­ GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 108 ff.; speziell für den Com­pli­ance-Bereich siehe Klahold/Lochen, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Com­pli­ance, 2016, § 37 Rn. 19 ff. m.w.N. 1198 Vgl. Medicus, GmbHR 1998, 9; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 117 ff. m.w.N.

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A.  Die steuerrechtlichen Organisationspflichten des Geschäftsführers

­ nternehmensebene beleuchtet und einer Stellungnahme unterzogen. U Anschließend folgt eine Auswertung der finanzgerichtlichen Recht­ sprechung zu den steuerrechtlichen Organisationspflichten eines Ge­ schäftsführers, um letztendlich, unter Einbeziehung der zuvor gefun­ denen Ergebnisse zum Deliktsrecht, die gesetzlichen Pflichten eines Geschäftsführers hinsichtlich etwaiger Tax Com­ pli­ ance-Bemühungen bestimmen zu können, die ihm aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO gegen­ über den Finanzbehörden erwachsen.

I. Die zivilrechtlichen Organisationspflichten Die Rechtsprechung und Literatur zu den zivilrechtlichen Organisati­ onspflichten des Geschäftsführers einer GmbH, insbesondere jenen aus den §§ 823, 831, 31 BGB, sind mittlerweile kaum noch zu überschauen und können in ihren Einzelheiten hier nicht ausgebreitet werden.1199 Al­ lerdings lassen sich die Grundzüge der unterschiedlichen Meinungs­ ströme anhand zweier wegweisender Urteile des Sechsten Zivilsenats des BGH sowie der dazu ergangenen Literatur darstellen.1200 1. Die Grundsatzentscheidung des BGH vom 15.10.1996 Am 15.10.1996 hat der BGH1201 in einer „Grundsatzentscheidung“1202 zum Problem der Enthaftungsmöglichkeit eines Geschäftsführers durch Zuständigkeitsregelungen und Delegation ausführlich Stellung bezogen. Eine GmbH war aufgrund Zahlungsunfähigkeit nicht mehr in der Lage, die von ihr geschuldeten Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungs­ beiträge an die AOK abzuführen, weshalb letztere in der Folge die beiden Geschäftsführer auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verklagte.1203 Aufgrund der Mehrgliedrigkeit des Unternehmens war jedoch der eine Geschäftsführer einzig mit tech­ nisch-wissenschaftlichen Fragen befasst, während der für den Aufgaben­ 1199 Siehe dazu umfassend Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 599 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, passim, insbesondere S. 284 ff.; Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, passim, insbesondere S. 224 ff.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 221 ff.; G. Wagner, in: MüKo-BGB/7, 2020, § 823 Rn. 108 ff. jeweils m.w.N. 1200 Eine umfassende und chronologische Aufzählung und Examinierung der Recht­ sprechung zu den betrieblichen Organisationspflichten findet sich bei Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, S. 37 ff. 1201 BGH, Urteil v. 15.10.1996 – VI ZR/319/95, BGHZ 133, 370. 1202 Vgl. zu dieser Zuschreibung Medicus, GmbHR 1998, 9. 1203 Siehe auch BGH, Urteil v. 16.05.2000 – VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311, 313 f., wo­ nach sich eine Haftung des Geschäftsführers bereits bei Entstehung von Lohn­ ansprüchen von Arbeitnehmern der GmbH ergeben kann, unabhängig von einer tatsächlichen Auszahlung des Lohns.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

bereich „Personal/Sozialversicherung“ eigentlich zuständige Geschäfts­ führer seine Aufgaben an einen Prokuristen delegiert hatte. Infolgedessen verneinte das Berufungsgericht die Arbeitgeberfunktion (Voraussetzung nach §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) für beide Geschäftsführer und wies die Klage ab. Der BGH hingegen teilte diese rechtliche Auffassung nicht. Aufgrund der Pflicht der Geschäftsführer, dafür zu sorgen, „dass sich die Gesellschaft nach außen rechtmäßig verhält und insbesondere die ihr auferlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllt“1204, tragen sie, unge­ achtet jedweder Zuständigkeitsverteilungen oder Delegation auf andere Personen, hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge die volle straf­ rechtliche und haftungsrechtliche Verantwortung, so die §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Nach diesem Prinzip der Gesamtverantwortung ist eine Entledigung öffentlich-rechtlicher Pflichten, und damit auch eine Enthaftung, ausgeschlossen. Unberührt hiervon soll jedoch die Möglich­ keit einer bloßen Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Ver­ antwortlichkeit mittels interner Zuständigkeitsregelungen bleiben. 2. Der „Baustofffall“ des BGH vom 05.12.1989 Spiegelbildlich hierzu erging am 05.12.1989 das sog. Baustoff-Urteil des Sechsten Zivilsenats des BGH1205, welches ein „lebhaftes Echo in der Li­ teratur“1206 hervorrief. Bei der Entscheidung ging es darum, dass die Z-GmbH von der Klägerin diverse Baustoffe erwarb, wobei hierfür keine Übereignung nach § 929 BGB erfolgte, sondern ein sog. verlängerter Ei­ gentumsvorbehalt1207 vereinbart wurde. Die Baumaterialien wurden an­ schließend aufgrund eines Bauauftrags unbefugt mit dem Grundstück der entsprechenden Auftraggeberin verbunden, was zu einem gesetzli­ chen Eigentumserwerb nach § 946 BGB der Auftraggeberin und somit zum Untergang des verlängerten Vorbehaltseigentums der Klägerin an 1204 BGH, Urteil v. 15.10.1996 – VI ZR/319/95, BGHZ 133, 370, 375. 1205 BGH, Urteil v. 05.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 („Baustofffall“, vgl. zum Entscheidungstitel H.-J. Mertens, in: FS Sturm, 1999, S. 1055). 1206 Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 161; siehe auch Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 118, der das „berühmt-berüchtigte Baustoff-Urteil“ als das „große Schreckgespenst der Organaußenhaftung“ und „Fanal exzessiver Organ­ haftung“ bezeichnet. 1207 Beim einfachen Eigentumsvorbehalt verbleibt das Eigentum an einer Kaufsache beim Verkäufer und der Käufer erwirbt lediglich ein sog. Anwartschaftsrecht. Der endgültige Eigentumsübergang an den Käufer steht unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung. Der verlängerte Eigentumsvorbehalt enthält die zusätzliche Vereinbarung, dass der Käufer die Kaufsache zwar verarbeiten bzw. veräußern darf, sodass der Verkäufer sein Eigentum verliert, so §§ 946 ff. BGB. Im Gegenzug erwirbt der Verkäufer jedoch eine Sicherheit am wirtschaftli­ chen Surrogat, was in der Regel die Abtretung einer etwaigen Kaufpreisforderung an ihn bedeutet. Siehe ausführlich hierzu H. P. Westermann, in: MüKo-BGB/4, 2019, § 449 Rn. 81 ff.

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den Baustoffen führte. Zugleich hatte die Z-GmbH mit ihrer Auftragge­ berin ein Abtretungsverbot an Dritte für Forderungen aus dem Vertrag vereinbart, sodass die Klägerin letztlich sowohl ihr Vorbehaltseigentum verlor, als auch kein Surrogat dafür erhielt. Aufgrund einer zwischenzeit­ lich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Z-GmbH verlangte die Klä­ gerin Schadensersatz von deren damaligem Geschäftsführer nach § 823 Abs. 1 BGB1208 aufgrund einer Eigentumsverletzung. Dieser hatte jedoch weder persönlich am Abschluss der Verträge mit der Klägerin mitge­ wirkt, noch in sonstiger Weise Kenntnis von den inhaltlichen Details der Vertragsabreden der Z-GmbH mit der Klägerin oder der späteren Auftrag­ geberin erlangt. Der BGH stellte nichtsdestotrotz fest, dass den Beklag­ ten aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer eine dahingehende Ga­ rantenpflicht treffe, dafür zu sorgen, dass fremde Rechtsgüter nicht beeinträchtigt würden. Soweit eine Gefahrenlage für fremde Rechtsgüter bestehe, sei der Geschäftsführer im Sinne einer allgemeinen deliktischen Verkehrspflicht zur Vornahme von „Maßnahmen der Organisation und Koordination“ verpflichtet, eine Rechtsgutsverletzung im Rahmen des Möglichen zu verhindern. Dieser Organisationspflicht sei der Geschäfts­ führer nicht ordnungsgemäß nachgekommen und hafte der Klägerin da­ her nach § 823 Abs. 1 BGB.1209 Neben vereinzelten Fürsprechern1210 finden sich in der juristischen Lite­ ratur hauptsächlich kritische Stimmen1211 zu der Entscheidung. a) Befürworter der Entscheidung Insbesondere v. Bar nutzte die Baustoff-Entscheidung zur Untermaue­ rung seiner These von der grundsätzlichen Berufshaftung jedes Or­ ganwalters1212, dem kraft seiner „exponierte[n] eigenständige[n] Rolle im 1208 Ursprünglich war das Schadensersatzbegehren auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (heutiger § 15a InsO, siehe dazu H.-F. Müller, in: MüKo-­ GmbHG/3, 2018, § 64 Rn. 199 ff.) wegen Konkursverschleppung gerichtet. Der BGH sah den Anspruch allerdings stattdessen in § 823 Abs. 1 BGB begründet. 1209 BGH, Urteil v. 05.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 304 ff.; hierauf bezug­ nehmend auch BGH, Urteil v. 18.06.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 („Ge­ schäftsführerhaftung“), wonach die Außenhaftung für Organisationspflichtver­ letzungen wiederum einschränkt wird. 1210 Allen voran Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33, 63 ff.; v. Bar, in: FS Kitagawa, 1992, S. 279 ff. 1211 Vgl. Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155 ff.; K. Schmidt, KF 1993, 4, 14; H.-J. Mertens, in: FS Sturm, 1999, S. 1055 ff.; H.-J. Mertens/G. Mertens, JZ 1990, 486 ff.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 311 f. m.w.N. 1212 Mit „Organwalter“ bzw. „Organperson“ ist die natürliche Person innerhalb einer korporativen Organisation gemeint, welche die (teilweise oder vollständige) Lei­ tungsfunktion innehat und die juristische Person nach außen vertritt, also bei­ spielsweise der Geschäftsführer einer GmbH oder das Vorstandsmitglied einer AG.

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Gesamtgefüge des Wirtschafts- und Berufslebens“ die Berufspflicht zu­ komme, das Unternehmen ordnungsgemäß zu organisieren.1213 Damit einhergehend sei auch eine deliktsrechtliche Verantwortlichkeit, sodass den Organwalter im Ergebnis eine umfassende originäre Verkehrspflich­ tigkeit gegenüber Dritten neben der Gesellschaft treffe, mithin eine Au­ ßenhaftung in gerade jener Materie, welche eigentlich in den Verantwor­ tungsbereich des Unternehmensträgers, also der juristischen Person, fällt.1214 Daneben stimmte Brüggemeier in einem 1991 erschienen Beitrag der Entscheidung des BGH scheinbar noch zu und sah sich dadurch in seiner Ansicht, Organwalter aufgrund von Schutzpflichten gegenüber Dritten umfassend nach außen haften zu lassen, bestätigt.1215 Die Möglichkeit einer Haftungsbegrenzung inkorporierter Organisationsträger im Zu­ sammenspiel mit der fehlenden Rechtspflicht zu einer angemessenen Kapitalausstattung ist dem Autor insbesondere hinsichtlich der EinMann-GmbH mit ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer ein Dorn im Auge. Um dieses „nicht unerhebliche() moralische() Risiko“ zu kompen­ sieren, haften seiner Ansicht nach auch Organpersonen „nach Maßgabe ihrer internen Handlungsverantwortung“ nach außen.1216 Er stülpt somit quasi die nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG auf das gesell­ schaftsinterne Verhältnis beschränkte Haftung nach außen und modifi­ ziert die damit zusammenhängende Organisationspflicht zu einer exter­ nen Deliktspflicht.1217 Umso überraschender ist es, dass der Autor in einem 2006 erschienen Werk zum Haftungsrecht die Ansätze aus dem Baustoff-Urteil eindeutig ablehnt.1218 Zudem betont er die auf das Innen­ verhältnis beschränkte gesellschaftsrechtliche Verantwortung nach § 93 AktG und § 43 GmbHG. Eine deliktische Außenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB für bloßes Organisationsverschulden sei dem deutschen Recht unbekannt, die „Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung ist […] keine deliktische Schutzpflicht zugunsten außenstehender Drit­

1213 V. Bar, in: FS Kitagawa, 1992, S. 279, 293 f., wobei der Autor auf das Berufsbild des „Managers” abstellt, den Organwalter aber gerade ausschließlich als solchen sieht. 1214 Dies deutlich kritisierend Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 849 f.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 315 ff. 1215 Vgl. Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33, 37, 63 ff., wobei aus den Ausführungen keine eindeutige Haltung zu dem Urteil hervorgeht. Den Beitrag aber ebenfalls als zustimmend wertend Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 162 f.; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 849. 1216 Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33, 65. 1217 Siehe zur Kritik an diesem Ansatz auch Spindler, Unternehmensorganisations­ pflichten, 2001, S. 849; Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 163 f. 1218 Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 180 („keine Außenhaftung von Mitarbei­ tern für mittelbare Verletzungen“).

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ter“.1219 Eine Außenhaftung von Organpersonen ist nach Brüggemeier, abgesehen von vorsätzlichen Schädigungen Dritter, nunmehr einzig dann möglich, „wenn dies gesetzlich explizit so geregelt oder richter­ rechtlich so anerkannt ist.“1220 Was den Autor zu diesem Sinneswandel bewogen hat, kann seinen Ausführungen nicht entnommen werden. Zu­ stimmungswürdig ist seine aktuellere Argumentation zur Außenhaftung von Organpersonen, wonach der Gefahr ausufernder Nachlässigkeit in Bezug auf Organisationspflichten und der damit einhergehenden Gläubi­ gergefährdung „durch flexible Sanktionen im Innenverhältnis zu begeg­ nen“ ist.1221 b) Kritische Stimmen zu der Entscheidung In der Mehrheit der Stimmen aus der Literatur findet sich Kritik an dem Urteil.1222 Gerade das Fehlen einer deliktischen Außenhaftung von Or­ ganpersonen wird als „Wesensmerkmal“1223 von juristischen Personen begriffen und eine Erweiterung der Außenhaftung von Organpersonen somit konsequent abgelehnt.1224 Medicus spricht in dem Zusammenhang von einem „veränderten Konzept des BGH“, das er in der Weite für ge­ fährlich unbestimmt hält. Er sieht in dem Urteil lediglich eine Behaup­ tung für das Bestehen einer Garantenstellung, aber keine überzeugende Begründung hierfür.1225 Die Kritik an der Baustoff-Entscheidung, ebenso wie an den Ansätzen Brüggemeiers und v. Bars, konzentriert sich damit auf die fehlgeleitete Auffassung, Organisationspflichten als eigenständi­ ge Verkehrspflichten der Organperson zu verstehen, wodurch eine Unter­ scheidung zwischen Pflichten, welche die juristische Person treffen und solchen, welche die Haftung des Organmitglieds auslösen, nahezu un­ möglich wird.1226

1219 Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 160. 1220 Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 182. 1221 Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 182. 1222 Eine Aufzählung und kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumen­ ten findet sich bei Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 161 ff. 1223 Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 157. Siehe auch Grunewald, ZHR 157 (1993), 451, 458, wonach die Organaußenhaftung kraft Pflichtenübernahme „die Idee der juristischen Person gefährdet“; zustimmend Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 442. 1224 Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 169; H.-J. Mertens/G. Mertens, JZ 1990, 486, 489 f. 1225 Medicus, in: FS Lorenz, 1991, S. 155, 159 f. Ebenso H.-J. Mertens/G. Mertens, JZ 1990, 486, 490, wonach das Risiko einer Außenhaftung dadurch „nicht mehr be­ rechenbar und äußerst prekär“ werde. 1226 Vgl. Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 846 ff., 760 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 433 f., 442 ff.; H.-J. Mertens, in: FS Sturm, 1999, S. 1055, 1062 f.; Grunewald, ZHR 157 (1993), 451, 454 f.

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c) Stellungnahme Die Diskussion um die Baustoff-Entscheidung kulminiert damit in der grundlegenden Frage, wie das Organmitglied, abgesehen von den weni­ gen ausdrücklich normierten Fällen, persönlich haftet. Einerseits ist es ausgeschlossen, dass die juristische Person selbst schuldhaft handelt, da sie hierfür stets einer natürlichen Person bedarf. Andererseits ist es aber die juristische Person, welche Adressat von Rechten und Pflichten ist, nicht das Organmitglied.1227 Mit der Übernahme jener Aufgaben der juris­ tischen Person durch die Organperson geht keine gleichzeitige Über­ nahme einer deliktischen Verkehrspflicht im Außenverhältnis einher. Verkehrspflichtig bleibt auch bei der Aufgabenerfüllung durch das Or­ ganmitglied stets die juristische Person, sodass allein deren Sonderver­ mögen für etwaige Verletzungen von Rechten Dritter haftet.1228 Um eine persönliche Haftung eines Organmitglieds im Deliktsrecht zu konstruie­ ren, bedarf es daher einer eigenen, über die aufgrund der Organstellung bestehenden internen Pflichten hinausgehende Verkehrspflicht. Es muss sich also um Sorgfaltspflichten handeln, die jedermann und nicht nur speziell das Organmitglied zu erfüllen hat (z.B. Streupflichten bei Glatteis vor den Räumlichkeiten der juristischen Person).1229 Bezogen auf den Baustofffall bedeutet dies, dass der Geschäftsführer, hätte er selbst die entsprechende Anordnung zur vorbehaltswidrigen Verarbeitung getrof­ fen, zweifellos auch persönlich haften würde.1230 Mangels eigener Mit­ wirkung am Abschluss der Verträge mit der Klägerin in Zusammenhang mit der fehlenden Kenntnis vom Inhalt der Vereinbarungen, widerspricht die Verurteilung des Geschäftsführers jedoch der eben dargelegten Kon­ zeption und ist daher abzulehnen. Andernfalls würde ein nicht unwe­ sentlicher Teil des unternehmerischen Risikos von der juristischen Per­ son auf das Organmitglied abgewälzt werden, was dem Grundverständnis dieser Rechtsform diametral zuwiderliefe.1231 Letztlich ist auch der Sechste Zivilsenat des BGH von seiner Position abgerückt, den Geschäftsführer treffe bereits aufgrund seines Amtes eine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten. Nunmehr heißt es, die Pflicht, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft zu sor­

1227 Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 857. 1228 Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 445 f.; Grunewald, ZHR 157 (1993), 451, 454. 1229 Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 453 ff.; Spindler, Unternehmensorganisati­ onspflichten, 2001, S. 866 f.; H.-J. Mertens, in: FS Sturm, 1999, S. 1055, 1062 f.; Grunewald, ZHR 157 (1993), 451, 456 ff.; andeutungsweise auch K. Schmidt, KF 1993, 4, 13 f. 1230 Vgl. Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 454.  1231 Ebenso Grunewald, ZHR 157 (1993), 451, 458; Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 442, 446 f.; K. Schmidt, KF 1993, 4, 14.

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gen, bestehe grundsätzlich nur dieser gegenüber.1232 Schadensersatz­ pflichtig nach Deliktsrecht bleibt damit im Ergebnis grundsätzlich nur die verkehrspflichtige juristische Person. Allerdings kann die juristische Person wiederum bei der Organperson im Innenverhältnis Regress neh­ men,1233 wodurch der Eindruck entstehen könnte, die Diskussion um Verkehrspflichten sei bedeutungslos, da das Organmitglied im Ergebnis ohnehin den Schaden tragen müsse. Die Innenhaftung unterliegt nach dem bisherigen Untersuchungsergebnis jedoch anderen Regelungen und Wertungen als die Außenhaftung, sodass durchaus divergierende Haf­ tungssituationen eintreten können. 3. Resümee zu den zivilrechtlichen Organisationspflichten Es fragt sich, was aus den vorstehenden Ausführungen über die delikts­ rechtlichen sowie allgemeinen Organisationspflichten eines GmbH-Ge­ schäftsführers, insbesondere in Gestalt der spezifischen Ausprägung ei­ ner Außenpflicht zur Etablierung eines umfassenden Com­pli­ance-Systems, gewonnen werden kann. Die beiden eben erläuterten Entscheidungen des BGH lassen sich überspitzt so zusammenfassen, dass ein auf die Ver­ meidung von Rechtsverstößen etabliertes und ordnungsgemäßes Com­ pli­ance-System den Geschäftsführer niemals vollständig von seiner strafund haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit befreien, sondern diese höchstens beschränken kann. Andererseits jedoch wohnt der ex post festgestellten Mangelhaftigkeit eines solchen Systems durchaus die Ge­ fahr einer haftungsbegründenden Wirkung für den Geschäftsführer in Form eines Organisationsverschuldens inne.1234 Diese Gegenüberstellung von bloßer Haftungsbeschränkung im Falle ordnungsgemäßer Com­ pli­ ance-Bemühungen und der haftungsbegrün­ denden Wirkung eines mangelhaften Com­pli­ance-Systems ist in ihrer Illustration freilich übertrieben. Die Ansicht, ein Com­pli­ance-System, welches nicht ausnahmslos sämtliche Rechtsverstöße eines Unterneh­ mens verhindert, müsse dem Geschäftsführer stets als Organisations­ pflichtverletzung angelastet werden, wird wohl von niemandem ernst­ haft vertreten. Jedoch bringt sie den Missstand ausufernder und nicht mehr allein auf das Innenverhältnis beschränkter organisationsrechtli­ 1232 BGH, Urteil v. 10.07.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26; vgl. dazu die Anmer­ kung von Schirmer, NJW 2012, 3398 ff., der das Urteil als Abkehr von der Bau­ stoff-Rechtsprechung auffasst. 1233 Im Fall der GmbH nach § 43 Abs. 2 GmbHG. 1234 Siehe auch Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 445, der in diesem Zusammen­ hang treffend von einer haftungsbegründenden Verkehrspflicht des Organmit­ glieds spricht, für den Aufbau von Organisationsstrukturen zu sorgen, um ihren Gefahrenkontrollpflichten sowie den daraus erwachsenden Überwachungspflich­ ten effizient nachzukommen. Damit umschreibt er nichts anderes als die Com­ pli­ance-Pflicht im Deliktsrecht.

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cher Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers zum Ausdruck, denen die­ ser sich oftmals nicht mehr gewachsen sieht und die dazu ergangene Rechtsprechung deshalb als ungerecht empfindet. Begreift man mit Kleindiek die Leitungsaufgabe als zentrale Koordinationspflicht des Ge­ schäftsführers, derer er sich nicht durch Delegation entziehen kann, und verleiht dieser zugleich den Charakter einer zur Außenhaftung führen­ den deliktischen Verhaltenspflicht, könnte dieser Verpflichtung „ein möglicherweise ruinöses Haftungsrisiko zu Lasten der Organperson“ in­ newohnen.1235 Eine derart scharfe Außenhaftung des Organmitglieds trü­ ge, wie bereits erwähnt, die Konzeption der juristischen Person mit ihrer rechtlichen Verselbstständigung und eigenen Verkehrspflichtigkeit zu Grabe. Wann aber entfaltet ein Com­pli­ance-System tatsächlich die besagte haf­ tungsbeschränkende Wirkung? Anhand der Rechtsprechung lassen sich dabei zwar wesentliche Eckpfeiler herausfiltern, die für die ordnungsge­ mäße Erfüllung der gesetzlichen Organisationspflichten von Nöten sind, genaue Vorgaben liefern die Gerichte allerdings nicht. Unter Umständen lassen sich aus den im Deliktsrecht geltenden Grundsätzen aber mit Hil­ fe der Organisationsvorgaben, welche die steuergerichtliche Rechtspre­ chung entwickelt hat, weitergehende Erkenntnisse gewinnen.

II. Die Organisationspflichten aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO Den entscheidenden Unterschied bei der persönlichen Haftung eines GmbH-Geschäftsführers bildet im Steuerrecht dessen explizit geregelte persönliche Haftung nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO. Somit braucht es für eine entsprechende Haftungsbegründung gerade keiner Garanten­ pflicht, und der Geschäftsführer haftet für die Steuerschulden der Gesell­ schaft schon qua Gesetz persönlich. Damit geht jedoch kein Erkenntnis­ gewinn hinsichtlich der steuerrechtlichen Haftung im Fall horizontaler und vertikaler Delegation einher. Um sich dem zu nähern, können Rück­ schlüsse aus der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur zur de­ liktsrechtlichen Haftung des Geschäftsführers durchaus dienlich sein. Dabei dürfen die soeben dargelegten Ergebnisse zur zivilrechtlichen Au­ ßenhaftung aufgrund von Organisationspflichtverletzungen aber nicht uneingeschränkt auf das Steuerrecht übertragen werden, obwohl auch der Anspruch aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO Schadensersatzcharak­ ter hat. Es sind dabei die „steuerrechtlichen Variationen gesellschafts­ rechtlicher Fragen“1236 zu beachten, die nicht selten zu anderen Ergebnis­ sen führen können. Hinsichtlich der horizontalen Delegation gilt für 1235 Kleindiek, Deliktshaftung, 1997, S. 442 ff. 1236 Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 363.

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steuerrechtliche Pflichten, wie für alle anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten, der Grundsatz der Gesamtverantwortlichkeit, sodass jeden einzelnen Geschäftsführer grundsätzlich die volle Verantwortung für steuerliches Fehlverhalten treffen kann. Ebenso wie der BGH im Delikts­ recht hat auch der BFH festgestellt, dass die Haftung der gesetzlichen Vertreter juristischer Personen nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO für die Steuerschuld der Gesellschaft zwar begrenzt, aber nicht völlig aufge­ hoben werden kann.1237 Eine diesbezügliche Besonderheit des Steuer­ rechts stellt allerdings jene Pflicht dar, die Geschäftsverteilung eindeutig und schriftlich festzuhalten, bloß mündliche Abreden haben keine Wir­ kung.1238 Letztlich wandelt sich also auch die steuerliche Erfüllungs­ pflicht des § 34 Abs. 1 AO im Falle der vertikalen Delegation in eine Auswahlsorgfalts-, Instruktions- und Überwachungspflicht.1239 Im Zuge dessen muss der aufgrund horizontaler Delegation nicht mit steuerli­ chen Aufgaben befasste Geschäftsführer einer GmbH einschreiten, so­ bald Anlass besteht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln. Ein solcher Anlass besteht z.B. stets im Fall einer finanziellen Krisensituation für die Gesellschaft.1240 Dasselbe gilt bei der vertikalen Delegation steuerlicher Aufgaben auf nachgeordnete Mitarbeiter oder externe Berater.1241 Insoweit liegen mit Ausnahme des zwingenden Schriftformerfordernis­ ses folglich keine nennenswerten Abweichungen zum Deliktsrecht vor. Dann müsste die teilweise als „kaum noch überschaubar“1242 bezeichne­ te BFH-Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung jedoch als redun­ dant bezeichnet werden. Ihre nichtsdestotrotz bestehende Notwendig­ 1237 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Urteil v. 04.03.1986 – VII S 33/85, BFHE, 146, 23; BFH, Urteil v. 17.05.1988 – VII R 89/85, NV; kritisch zu den ihrer Meinung nach überspannten Überwachungs­ pflichten I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 58 f. 1238 Vgl. Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 106 m.w.N.; ob dies durch Gesell­ schaftsvertrag, förmlichen Gesellschafterbeschluss oder die Geschäftsordnung geschieht, ist unerheblich; von diesem Schriftlichkeitserfordernis hat sich der BGH in einer aktuellen Rechtsprechung ausdrücklich distanziert, BGH, Urteil v. 06.11.2018 – II ZR 11/17, DB 2019, 300 Rn. 22 ff.; siehe dazu Fleischer, DB 2019, 472, 474 f. 1239 BFH, Urteil v. 10.05.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH, Urteil v. 29.05.1990 – VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283; BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480; Fleischer, in: MüKo-GmbHG/2, 2019, § 43 Rn. 369, 131 ff.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 98; Beermann, DStR 1994, 805, 807. 1240 Vgl. BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132; Beermann, DStR 1994, 807; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 107b, 122; ausführlich dazu I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, passim. 1241 BFH, Beschl. v. 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753 ff.; BFH, Beschl. v. 20.04.2006 – VII B 280/05, BFH/NV 2006, 1441; I. Haas, Steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 2011, S. 61. 1242 Beermann, DStR 1994, 805; Schuhmann, StBp 1992, 7, 12.

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keit erfährt die entsprechende steuerrechtsspezifische Rechtsprechung letztlich durch die enorme Komplexität der steuerrechtlichen Haftungs­ vorschriften. Vor diesem Hintergrund sind nachfolgend die aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO resultierenden Überwachungspflichten eines Gm­ bH-Geschäftsführers herauszufiltern. 1. Die gesellschaftsinterne Delegation steuerlicher Pflichten In einem Urteil vom 10.05.1988 sah es der Siebte Senat des BFH1243 noch als schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 69 AO i.V.m. § 34 Abs. 1 AO an, „wenn [der Geschäftsführer] den Mitarbeitern freie Hand lässt und praktisch seine Aufsichtspflicht weder ausübt noch organisatorische Vorkehrungen für eine geeignete Überwachung trifft.“ Dazu gehöre auch eine inhaltliche Kontrolle („ordentliche Verwendung der Schecks“), sprich die jahrelange korrekte Arbeit einer Mitarbeiterin entbinde sie nicht von der Überwachungspflicht. Zur Frage, welche einzelnen Über­ wachungsmaßnahmen getroffen werden müssen, äußerte sich der Senat nicht. Nur zwei Jahre später urteilte derselbe Senat des BFH1244, dass ein „haf­ tungsbegründendes grob fahrlässiges Verhalten“ nicht vorliege, wenn die Ausführung der steuerlichen Angelegenheiten auf Mitarbeiter übertra­ gen wurde und wenn die nach den Umständen des konkreten Einzelfalles erforderlichen, aber auch ausreichenden Überwachungsmaßnamen nicht geeignet waren, die Fehlerhaftigkeit einer Steuerklärung aufzudecken. Der BFH führte zunächst wenig überraschend in Anlehnung an die stän­ dige Rechtsprechung aus, dass der Geschäftsführer seine Überwachungs­ pflicht dann erfülle, wenn er den Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt und sich „über den Geschäftsgang so eingehend unterrichtet, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Ge­ schäfte rechnen könne.“1245 Für die horizontale Delegation gelte insoweit nichts anderes.1246

1243 BFH, Urteil v. 10.05.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72. 1244 BFH, Urteil v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106. 1245 Vgl. BFH, Urteil v. 10.05.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH, Urteil v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106; BFH, Beschl. v. 26.11.2008 – V B 210/07, BFH/NV 2009, 362 f.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 31 m.w.N.; zu konkreten Überwachungsmaßnahmen äußert sich der Senat, ebenso wie in vorherigen Urteilen, nicht, sondern verweist insofern auf die Umstände des Einzelfalles. 1246 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Urteil v. 04.03.1986 – VII S 33/85, BFHE, 146, 23. Allerdings spricht der BFH in diesem Zusammenhang weniger von einer Auswahlsorgfalts- und Instruktionspflicht, als eher von der persönlichen Vertrauenswürdigkeit des mit steuerlichen Aufga­ ben befassten Geschäftsführers.

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Anschließend allerdings konstatierte der Senat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des RFH1247, dass der Geschäftsführer zu einer inhalt­ lichen Überprüfung einzelner Geschäftsvorgänge nicht verpflichtet sei, sondern diesbezüglich auf die Redlichkeit seiner Hilfspersonen vertrau­ en dürfe.1248 In einer Weiterführung dieses Gedankens leitet der BFH da­ raus die Ansicht ab, dass auch eine völlig unterbliebene Überwachung nicht zwangsläufig ein haftungsbegründendes, grob fahrlässiges Verhal­ ten darstelle. Wenn der Geschäftsführer nämlich „im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter keine Überwachungsmaßnahmen durchführt, wird ein haftungsbegründendes Verschulden wegen einer fehlerhaften Steuererklärung in der Regel dann nicht in Betracht kom­ men, wenn die Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung nur durch solche Überwachungsmaßnahmen hätte aufgedeckt werden können, zu denen für den Geschäftsführer nach den besonderen Umständen des Falles bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Überwachungspflicht kein Anlass be­ standen hat.“1249 Die Überwachungsmaßnahmen hätten also geeignet sein müssen, den Pflichtverstoß zu verhindern, andernfalls sei der Ge­ schäftsführer zu deren Vornahme nicht verpflichtet. Hinsichtlich der pünktlichen Erledigung der Steuerangelegenheiten sowie der Ausfüh­ rung von Steuerzahlungen treffe ihn jedoch stets, auch im Falle der Dele­ gation, die Pflicht zur Durchführung von Überwachungsmaßnahmen.1250 Insbesondere die Nichtabführung der Lohnsteuer über einen „längeren Zeitraum“1251 lasse eine ordnungsgemäße Erfüllung der Überwachungs­ pflicht als ausgeschlossen erscheinen.1252 Insgesamt kann also festhalten werden, dass an die Überwachungsmaßnahmen umso höhere Anforde­ rungen gestellt werden, je weniger sich der Geschäftsführer ein auf Tat­ sachen gebildetes Urteil über die Zuverlässigkeit der mit steuerlichen Angelegenheiten betrauten Person bilden konnte.1253 1247 RFH, Urteil v. 14.11.1930 – V A 261/30, § 109 RAO, Rechtsspruch 2. 1248 Einschränkend insoweit BFH, Beschl. v. 26.11.2008 – V B 210/07, BFH/NV 2009, 362 f., wonach der Geschäftsführer nicht „blind auf die ordnungsgemäße Erle­ digung der Buchführungspflichten“ durch andere vertrauen dürfe, sondern sich bei „herausgehobenen Geschäftsvorfällen“ wenigstens stichprobenweise über die Richtigkeit der buch- und belegmäßigen Erfassung informieren müsse. 1249 BFH, Urteil v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106; ebenso BFH, Urteil v. 30.08.1994 – VII R 101/92, BFHE 175, 509. 1250 BFH, Urteil v. 30.08.1994 – VII R 101/92, BFHE 175, 509; BFH, Urteil v. 16.04.1985 – VII R 132/80, BFH/NV 1987, 273 f.; Loose, in: Tipke/Kruse-AO/I, 2018, § 69 Rn. 31 m.w.N. 1251 Welche Zeitspanne hiermit gemeint ist, kann nicht eindeutig beurteilt werden. Teilweise wird von einem Jahr (BFH, Urteil v. 29.05.1990 – VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283), teilweise von sechs bis neun Monaten (BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132) gesprochen. 1252 BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132; BFH, Urteil v. 29.05.1990 – VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283. 1253 BFH, Beschl. v. 05.03.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 ff.

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2. Die Beauftragung Externer mit der Erledigung steuerlicher Aufgaben Bei der Beauftragung externer Dritter, wie dem Steuerberater oder Rechtsanwalt, gilt grundsätzlich nichts anderes als bei der gesellschafts­ internen Delegation steuerlicher Aufgaben auf Mitarbeiter. Der Ge­ schäftsführer darf auf die steuerliche Korrektheit der Arbeit des Dritten vertrauen und ist zu einer umfassenden inhaltlichen Kontrolle nicht ver­ pflichtet, solange kein Anlass dazu besteht. Ein Verschulden des steuer­ lichen Beraters kann dem Geschäftsführer grundsätzlich nicht zugerech­ net werden.1254 Ein „blindes“ Vertrauen soll dadurch aber gerade nicht geschützt werden, vielmehr muss sich der Geschäftsführer bei „heraus­ gehobenen Geschäftsvorfällen“1255 wenigstens stichprobenweise von der Richtigkeit der Arbeit des externen Dritten vergewissern. Eine „beson­ ders sorgfältige Wahrnehmung der Überwachungspflichten“ geht mit dem Wechsel des Steuerberaterbüros einher, da „Informationsdefizite, Versäumnisse oder Missverständnisse nicht von vornherein ausgeschlos­ sen werden“ können.1256 Ohnehin kann die Beauftragung eines externen Dritten mit der Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten nur dann einen Entschuldigungsgrund für den Geschäftsführer darstellen, wenn dieser den Dritten „über den Sachverhalt vollständig und zutreffend in Kenntnis“ setzt und nicht nur in „allgemeiner Form“ informiert.1257 3. Stellungnahme Es ist daher fraglich, ob der BFH mit der neueren Rechtsprechung1258 zur Geeignetheit einzelner Überwachungsmaßnahmen tatsächlich eine Ab­ kehr von der alten Rechtsprechung1259 herbeiführen oder lediglich auf einen zusätzlichen Aspekt aufmerksam machen wollte. Auf den ersten Blick könnte man etwas Revolutionäres darin wähnen, dass nunmehr auch eine völlig unterbliebene Überwachung nicht zwangsläufig ein haf­ tungsbegründendes, grob fahrlässiges Verhalten darstellen müsse. Schließlich konnte die jahrelange korrekte Arbeit einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters nach alter Rechtsprechung nicht von der Über­ wachungspflicht entbinden, sodass ein völliges Unterlassen der Auf­ sichtspflicht stets eine schuldhafte Pflichtverletzung zur Folge hatte. Dass der BFH in seinem Urteil vom 27.11.1990 nicht ausdrücklich von dieser bisherigen Rechtsprechung abwich, ist jedoch dem Umstand ge­ schuldet, dass es darin nicht um die „schuldhafte Pflichtverletzung“, sondern das „haftungsbegründende grob fahrlässige Verhalten“ ging. 1254 BFH, Urteil v. 30.08.1994 – VII R 101/92, BFHE 175, 509. 1255 BFH, Beschl. v. 26.11.2008 – V B 210/07, BFH/NV 2009, 362 f. 1256 BFH, Beschl. v. 30.05.2005 – VII S 27/04, BFH/NV 2005, 1487 ff. 1257 BFH, Urteil v. 19.09.1985 – VII R 88/85, BFH/NV 1986, 133. 1258 BFH, Urteil v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106. 1259 BFH, Urteil v. 10.05.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72.

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Durch diesen Kunstgriff erweiterte der Senat die Ebene der schuldhaften Pflichtverletzung um ein zusätzliches haftungsbegründendes Merkmal, nämlich das der Geeignetheit einzelner Überwachungsmaßnahmen. Es mag also sein, dass die völlig unterbliebene Überwachung auch nach neuerer Rechtsprechung eine schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne der alten Rechtsprechung darstellen würde, sie jedoch im Einzelfall mangels Geeignetheit zur Verhinderung des Pflichtverstoßes dennoch nicht haf­ tungsbegründend für den Geschäftsführer wirke. Im Ergebnis lässt sich jedenfalls festhalten, dass der Geschäftsführer sehr wohl auf die Redlichkeit sorgfältig ausgewählter und instruierter Mitge­ schäftsführer, nachgeordneter Mitarbeiter und externer Dritter vertrauen darf und sich im Rahmen seiner Überwachungspflicht nur eine „generel­ le Kenntnis“1260 von deren pflichtgemäßem Verhalten verschaffen muss. Er ist demnach zu keiner inhaltlichen Überprüfung einzelner Geschäfts­ vorgänge verpflichtet, sondern nur zu solchen Überwachungsmaßnah­ men, die erforderlich und darüber hinaus geeignet sind, die Pflichtverstö­ ße zu verhindern. Daran anschließend stellt sich allerdings die Frage, ob die Geeignetheit dieser Überwachungsmaßnahmen ex post oder ex ante zu bestimmen ist. Geht es also um Überwachungsmaßnahmen, die aus prospektiver Sicht geeignet sind, noch unbekannte Pflichtverstöße zu verhindern, oder um solche, die retrospektiv geeignet gewesen wären, den konkret festge­ stellten Verstoß zu verhindern? Hebt man diese Frage auf eine höhere abstrakte Ebene, kommt man zu dem bereits mehrfach erwähnten Prob­ lem, welche Sichtweise hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit des von einem Geschäftsführer etablierten Tax Com­pli­ance-Systems inklusive der im Rahmen dessen vorgenommenen Überwachungsmaßnahmen ent­ scheidend ist. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, darauf an­ hand der gesetzlichen Voraussetzungen an die steuerrechtlichen Über­ wachungspflichten eines Geschäftsführers eine Antwort zu finden. Diesbezüglich ist zunächst anzumerken, dass es im Rahmen der Recht­ sprechung zur Haftung aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zwangsläufig um einen bereits begangenen (oder wenigstens seitens der Finanzbehör­ den vorgeworfenen) Pflichtverstoß geht. Die Frage, ob dem Geschäftsfüh­ rer ein Überwachungsverschulden vorgeworfen werden kann, ist somit stets einem entsprechenden retrospektiven Einfluss ausgesetzt. Deshalb zu argumentieren, die Überwachungsmaßnahmen seien wegen des festgestellten Verstoßes evident unzureichend gewesen, wäre indes

1260 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Beschl. v. 22.07.1997 – I B 44/97, BFH/NV 1998, 11 f.; Rüsken, in: Klein-AO, 2020, § 69 Rn. 107.

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verfehlt.1261 Auf der Basis einer solchen Schlussfolgerung wäre es wohl unmöglich für den Geschäftsführer, seine aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO resultierenden Überwachungspflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, da sich im Nachhinein immer ein Verstoß gegen Organisationspflichten finden lässt.1262 Ein solches Vorgehen liefe auf eine Erfolgshaftung hin­ aus, die ökonomisch unerwünscht und gesellschaftsrechtlich verboten ist.1263 Die Tatsache, dass es um die Beaufsichtigung von Menschen geht, die naturgemäß nicht fehlerfrei sind, aber dennoch keiner lückenlosen Kontrolle unterzogen werden können und dürfen, darf nicht negiert wer­ den.1264 Der Maßstab, der an die Erfüllung der Überwachungspflichten gestellt wird, muss daher stets aus der ex ante Sicht bestimmt werden.1265 Bemes­ sen wird dieser nach der Rechtsprechung des BFH1266 an der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, so § 43 Abs. 1 GmbHG. Dass diese Sorg­ faltsanforderungen nicht nur um der Gesellschafter willen, sondern auch wegen der Gesellschaftsgläubiger erwartet würden, leitet der Senat aus den §§ 7, 78, 9, 43 Abs. 3, 64, 84 GmbHG ab.1267 Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass § 43 Abs. 1 GmbHG eine auf das Binnen­ verhältnis beschränkte Norm ist. Obwohl Unternehmen zweifellos nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit ihrer Umwelt agieren und dieser entsprechend eine gewisse Sorgfalt schulden,1268 kann daraus nicht gefol­ gert werden, der Geschäftsführer als Handlungsorgan des Unternehmens, schulde den Gesellschaftsgläubigern dieselbe Sorgfalt nach § 43 Abs. 1 GmbHG wie der Gesellschaft. Andernfalls wäre die Beschränkung des Anspruchs in Abs. 2 auf den gesellschaftsinternen Bereich sinnlos. Somit ist bereits die Argumentation des BFH, der Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG „wird von den Geschäftsführern […] nicht nur um der Gesellschafter willen erwartet“1269, in ihrer Grundannahme nicht über­ zeugend. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes schuldet der 1261 So aber im Neubürger-Urteil, LG München, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345; siehe dazu Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 mit der Kri­ tik an dieser ex-post-Perspektive. 1262 Siehe Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 28 („Wer ihn nicht findet, hat dann meist nicht gründlich gesucht“). 1263 Vgl. Bachmann, ZIP 2014, 579, 580. 1264 Beachte in diesem Zusammenhang auch die Zumutbarkeit der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG („gehörige Aufsicht“), wonach die „Würde der Betriebsangehö­ rigen und die Wahrung des Betriebsklimas“ Grenzen einer verhältnismäßigen Aufsicht darstellen, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 51. 1265 So im Grundsatz auch der BFH, vgl. BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132; BFH, Beschl. v. 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753 ff. 1266 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443; BFH, Urteil v. 23.06.1998 – VII R 4/98, BFHE 186, 132. 1267 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443. 1268 So bereits Steindorff, AcP 170 (1970), S. 93, 116. 1269 BFH, Urteil v. 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

Geschäftsführer ausweislich ihrer Normierung ausschließlich der Ge­ sellschaft, nicht den Gesellschaftern, und auch nicht den Gläubigern der Gesellschaft. Der BFH transformiert damit die eigentlich streng innergesellschaftlich wirkende Norm des § 43 Abs. 1 GmbHG über den Anspruch aus § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO zum Schutz der Steuergläubiger zu einer öffent­ lich-rechtlichen Norm. Entscheidend für die Außenhaftung des Ge­ schäftsführers ist der Maßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG ebenso wenig wie die Ausrichtung des Geschäftsführerhandelns am Gesellschafterinteres­ se dessen Verhaltensmaxime reguliert. Freilich erfahren diese Gesichts­ punkte des Binnenrechts im Rahmen der divergierenden haftungsrechtli­ chen Grundsätze des Außenhaftungsrechts eine gewisse Bedeutung, indem beide Institute zueinander in Wechselwirkung stehen, der präva­ lente Maßstab für die Bestimmung der Haftung des Geschäftsführers nach § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO bleibt aber das öffentliche Interesse, allen voran jenes an der Einhaltung der Rechtsordnung, welches gerade nicht gleichlautend mit dem des § 43 Abs. 1 GmbHG ist. Um auf dieser Grundlage den Umfang und die Ausgestaltung der steuer­ rechtlichen Überwachungspflichten eines Geschäftsführers zu bestim­ men und zu konkretisieren, benötigt es einen Blick über den Tellerrand des Steuerrechts hinaus. Ein normativer Anhaltspunkt für eine gesetz­ lich geschuldete Überwachungspflicht des Geschäftsführers findet sich allen voran in § 130 OWiG, in untergesetzlicher Form aber unter Um­ ständen auch in dem BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO vom 23.05.2016. Nachfolgend werden diese beiden Institute näher beleuchtet, sodass im Anschluss daran die gesetzlichen Überwachungspflichten ei­ nes GmbH-Geschäftsführers, welche dieser im Außenverhältnis dem Staat schuldet, jenen internen Pflichten gegenübergestellt werden kön­ nen, welche er der Gesellschaft schuldet, um dadurch eine grundsätzli­ che Aussage über die Ausrichtung des Geschäftsführerhandelns im Lich­ te der Wechselwirkungen von Außen- und Binnenpflichten treffen zu können.

B. Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG § 130 OWiG wird als „die zentrale Com­pli­ance-Vorschrift im Bereich des Strafrechts“1270 gesehen und darüber hinaus auch als Teil der gesetzli­ chen Grundlage für die Pflicht zur Etablierung eines Com­ pli­ ance-

1270 Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 54.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Systems begriffen.1271 Angesichts der teilweise exorbitanten Bußgelder, die im Zusammenhang mit einer Aufsichtspflichtverletzung verhängt werden, schafft es die Norm zudem regelmäßig in die Schlagzeilen.1272 Aktuell gewinnt die Norm im Bereich des Steuerstraf- und Steuerord­ nungswidrigkeitenrechts als Sanktionsmittel gegen Organe – und im Zu­ sammenhang mit § 30 OWiG auch gegen Verbände selbst – zunehmend an Bedeutung.1273 Wirft man einen genaueren Blick auf die Vorschrift und die dazu ergange­ ne Rechtsprechung, geben sich zahlreiche Schnittstellen zum Steuer­ recht zu erkennen, sodass ein Einfluss von § 130 OWiG auf die Tax Com­ pli­ance-Debatte nicht geleugnet werden kann.1274 Um diese Konnexität aus allgemeinem Ordnungswidrigkeitenrecht und Steuerrecht herzustel­ len, ist es zunächst notwendig, die komplizierte Konzeption des § 130 OWiG samt deren Regelungsgegenstand und -zweck zu begreifen. Zu Anfang werden daher allgemeine Aspekte, wie Dogmatik, Schutzgut und telos der Norm erklärt (I.), bevor unter Heranziehung des § 9 OWiG eine bußgeldbewehrte Organisationspflicht des Geschäftsführers hergeleitet wird, welche über § 30 OWiG auch zur Festsetzung eines Bußgeldes ge­ gen die Gesellschaft selbst führen kann (II.). Anschließend folgt eine Er­ läuterung der konkret aus § 130 OWiG erwachsenden Aufsichtspflich­ ten, insbesondere in Bezug auf das Steuerrecht und die Frage möglicher Tax Com­pli­ance-Pflichten eines Geschäftsführers (III.). In einem nächs­ ten Schritt wird dem vieldiskutierten Problem nachgegangen, inwiefern Steuerstraftaten und insbesondere Steuerordnungswidrigkeiten taugli­ che Zuwiderhandlungen im Sinne des § 130 OWiG sein können (IV.). 1271 Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 221 ff.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 94 ff., wonach die zwei Säulen des Gesellschafts- und Ordnungswidrigkeitenrechts ein „gemeinsames Fundament für eine einheitliche Corporate Com­pli­ance-Pflicht“ bilden; für § 130 OWiG als maßgebliche gesetzliche Grundlage einer Com­ pli­ ance-Pflicht daneben Moosmayer, in: Moosmayer, Com­pli­ance, 2021, § 2 Rn. 11; U. H. Schneider, NZG 2009, 1321, 1322 f.; ebenso zumindest für große Unternehmen Holle, Legalitäts­ kontrolle, 2014, S. 396; siehe außerdem die Rechtsprechung des BGH zur Be­ deutung von Com­ pli­ ance-Systemen für die Bußgeldbemessung, BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 Rn. 118. 1272 So z.B. das Bußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro, welches von der Staatsan­ waltschaft Braunschweig nach § 30 OWiG i.V.m. §§ 9, 130 OWiG infolge der Af­ färe um Abgasmanipulationen gegen die VW AG verhängt wurde, vgl. hierzu die Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 13.06.2018, abruf­ bar unter http://www.staatsanwaltschaften.niedersachsen.de/startseite/staatsan­ waltschaften/braunschweig/presseinformationen/vw-muss-bussgeld-zahlen-1656​ 10.​html, zuletzt aufgerufen am 27.06.2018. 1273 Vgl. Wehner, Tax Com­pli­ance, 2017, S. 32; Hunsmann, DStR 2014, 855; Beyer, BB 2016, 542. 1274 Zum Zusammenhang von § 130 OWiG und allgemeiner Com­pli­ance eingehend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, passim; Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, passim.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

Unter Einbeziehung dieser Untersuchungsergebnisse kann das Verhält­ nis der im vorherigen Kapitel herausgearbeiteten organschaftlichen Pflichten eines Geschäftsführers zu jenen externen Aufsichtspflichten des § 130 OWiG abschließend geklärt werden (V.). Abschließend werden die Ergebnisse noch resümiert (VI.).

I. Allgemeines zu § 130 OWiG Das Delikt des § 130 OWiG ist dem Wirtschaftsstrafrecht, speziell der Unternehmenskriminalität, zuzuordnen, die sich durch spezifische, aus der Organisationsstruktur des Unternehmens resultierende Zuordnungs­ probleme auszeichnet.1275 Die Schaffung des Tatbestandes der Aufsichts­ pflichtverletzung ist dem Umstand geschuldet, dass die Inhaber moder­ ner Betriebe und Unternehmen naturgemäß nicht sämtliche sie treffende Pflichten und Aufgaben selbst erfüllen können, sondern sich dafür der Delegation bedienen müssen. Die Konstellation eines arbeitsteilig orga­ nisierten Unternehmens wird somit zwar als Notwendigkeit unseres Wirtschaftslebens gesehen, was aber nicht heißen soll, dass der damit einhergehenden exponentiellen Steigerung von Gefahren für fremde Rechtsgüter nicht begegnet werden darf. Der Mensch im Umfeld arbeits­ teilig organisierter Betriebe und Unternehmen wird als Risikofaktor ein­ gestuft, sodass er einer gewissen Überwachung bedarf.1276 Diese Auf­ sichtspflicht soll denjenigen treffen, der die wirtschaftlichen Vorteile aus der Delegation zieht und sich gleichzeitig dadurch aus der Verantwor­ tung „stehlen“ würde. Damit wird zusätzlich zu dem materiellen Grund, fremde Rechtsgüter vor ungenügend beaufsichtigten Unternehmen und Betrieben gesetzlich zu schützen, ein funktionales Problem sichtbar, welches die Schaffung des Tatbestandes der Aufsichtspflichtverletzung auch unter dem Aspekt der Zurechnung notwendig macht. Die unserem Rechtssystem zwangsläufig immanente Diskrepanz von vorzunehmen­ der Arbeitshandlung und der diesbezüglichen Pflichtenstellung würde ohne eine entsprechende Regelung eine Verantwortungs- und Sanktions­ lücke nach sich ziehen. Während nämlich die primären Pflichtenträger der gesetzlichen Vorschriften aufgrund der Delegation der jeweiligen Aufgaben nicht selbst handeln und folglich mit Ausnahme der wenigen Fälle des § 9 OWiG auch nicht für ein fremdes Fehlverhalten sanktio­ nierbar sind, ist der eigentlich Handelnde kein Verpflichteter und so­ mit ebenfalls nicht verantwortlich. Diese „rechtlich eigenartige Situa­

1275 Vgl. Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 575 f.; eingehend zum Begriff der Unterneh­ menskriminalität und den damit einhergehenden Zuordnungsproblemen Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 30 ff., 41 ff. 1276 So bereits Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 113 f.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

tion“1277 des Auseinanderfallens von Verantwortung und Pflichtenstellung stellt eine Zurechnungs- und mithin auch Sanktionslücke dar, welche § 130 OWiG funktional betrachtet schließen soll.1278 Logische Konse­ quenz aus der Schließung einer solchen Lücke ist aber auch, dass die Norm nur in denjenigen Fällen greift, in welchen der Inhaber nicht selbst an der Zuwiderhandlung mitwirkt. § 130 OWiG kommt damit zusätz­ lich die Funktion eines subsidiären Auffangtatbestandes zu.1279 Spätestens bei dem Versuch der Feststellung des durch § 130 OWiG zu schützenden Rechtsguts zeigt sich, dass die Vorschrift einen „außeror­ dentlich problematischen Tatbestand“1280 beinhaltet. Der Streit um den Rechtsgüterschutz lässt sich dabei auf zwei hauptsächliche Meinungs­ ströme reduzieren. Insbesondere die Rechtsprechung1281, aber auch Teile der Literatur1282, erachten die Ordnung im Betrieb im Sinne eines staatli­ chen Ordnungsinteresses als zu schützendes Rechtsgut. Dem wird zu­ treffend entgegen gehalten, dass der Aspekt der allgemeinen Aufrechter­ haltung betrieblicher Ordnung allenfalls Schutzreflex der Norm, nicht aber das vorrangig zu schützende Rechtsgut sein kann.1283 Mehrheitlich wird daher auf einen mittelbaren Schutz der von den einzelnen betriebs­ bezogenen Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ge­ schützten Rechtsgüter abgestellt. Damit findet eine Verstärkung des je­ weiligen Rechtsgüterschutzes in Form einer Vorverlagerung statt, infolgedessen den Inhaber bereits vor einer eventuellen Verletzung eine entsprechende Handlungspflicht zur Prävention trifft.1284 Anknüpfend an 1277 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 69. 1278 Vgl. EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 67 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 2 ff.; Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 182 f.; Gasper, Tax Com­ pli­ ance, 2016, S. 367 f.; Petermann, Die Bedeutung von Com­ pli­ anceMaßnahmen, 2013, S. 55 m.w.N.; siehe ausführlich zum materiellen und funkti­ onalen Zweck des § 130 OWiG Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 578 ff. 1279 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.07.1989 – 5 Ss (OWi) 263/89 – (OWi) 106/89 I, DB 1989, 2019; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 58; Ransiek, Un­ ternehmensstrafrecht, 1996, S. 98; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 368 f.; Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 55 f. 1280 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 620. 1281 BGH, Urteil v. 13.04.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 373 f. 1282 Siehe hierzu die Nachweise bei Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 15. 1283 Vgl. Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 71; Kindler, Das Unterneh­ men als haftender Täter, 2008, S. 123 f.; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 586 f.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 15 m.w.N. 1284 So die h.M., vgl. Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 71; Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 54; Niesler, in: Graf/Jäger/ Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 7; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 587 f.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 16 m.w.N.; wider­ sprüchlich insoweit Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen, 1997, S. 24 ff., die zwar das staatliche Ordnungsinteresse als geschütztes Rechtsgut ansieht, dieses jedoch gerade in der Verstärkung des jeweiligen Rechtsgüterschutzes in Form der Vorverlagerung liegt.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

die Frage nach einer Definition des zu schützenden Rechtsgutes beste­ hen darüber hinaus Unklarheiten hinsichtlich der Rechtsnatur der Vor­ schrift. Übereinstimmend wird § 130 OWiG zunächst als echtes Unter­ lassungsdelikt gesehen.1285 Über die Einordnung der Norm als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt und das damit zusammenhängende tatbestandsmäßige Verhalten besteht jedoch Uneinigkeit. Mehrheitlich wird § 130 OWiG unter Bezugnahme auf die als objektive Bedingung der Ahndbarkeit ausgestaltete betriebsbezogene Zuwiderhandlung1286 als ab­ straktes Gefährdungsdelikt definiert.1287 Inwiefern diese Sichtweise über­ zeugen kann, ist an späterer Stelle noch ausführlicher zu behandeln.1288

II. Der Geschäftsführer und die GmbH als Sanktionsadressaten von § 130 OWiG Angesichts des Wortlauts von § 130 OWiG, der einzig den „Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens“ in die Pflicht nimmt, fragt sich, wie da­ raus eine bußgeldbewährte Organisationshaftung des Geschäftsführers ableitbar sein bzw. ein Bußgeld gegen die GmbH festgesetzt werden soll. Als Inhaber wird schließlich nach dem konzeptionellen Verständnis der Norm derjenige bezeichnet, den die sanktionsbewehrten Pflichten tref­ fen. Am Beispiel einer GmbH also wäre das die mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete juristische Person selbst, wobei die Inhaberschaft lediglich eine sanktionsrechtliche Bezugsgröße ist.1289 Der Geschäftsfüh­ rer als vertretungsberechtigtes Organ einer GmbH ist jedenfalls nicht deren Inhaber und müsste daher prima facie vom Anwendungsbereich ausgenommen sein. Die als juristische Person konzipierte GmbH wiede­ rum könnte als handlungs- und schuldunfähiger Verband ebenfalls nicht belangt werden. Wie dennoch sowohl gegen den Geschäftsführer als auch 1285 Vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 69; Maschke, Aufsichts­ pflichtverletzungen, 1997, S. 31 ff.; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschaftsund SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 5; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 17 m.w.N.; zwar wirft Rogall im Rahmen der Deutung des § 130 OWiG als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt die Frage auf, ob es sich demzufol­ ge um ein unechtes Unterlassungsdelikt handeln müsse, schließt sich im Ergeb­ nis aber der h.M. an und begreift § 130 OWiG ebenfalls als echtes Unterlassungs­ delikt, Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 599 F. 139. 1286 Die betriebsbezogene Zuwiderhandlung wird einhellig als eine vom Tatbestand losgelöste objektive Bedingung der Ahndbarkeit begriffen, vgl. BGH, Beschl. v. 09.07.1984 – KRB 1/84, BGHZ 92, 84; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirt­ schafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 55; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 20, 77 f. m.w.N.; siehe ausführlich zur Dogmatik sowie dem Zweck dieses außertatbestandsmäßigen Umstands C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 23 Rn. 1 ff. 1287 Vgl. Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 113 ff. 1288 Siehe hierzu die S. 309 ff. 1289 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 23, 25; Többens, NStZ 1999, 1, 2.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

gegen die GmbH ein Bußgeld aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG festgesetzt werden kann, wird nachfolgend an Hand der „Troika“1290 der §§ 9, 130, 30 OWiG dargestellt. 1. Die Zurechnungsnorm des § 9 OWiG und ihre Funktion Im Wesentlichen dreht sich die eben genannte Problemstellung um ei­ nen Eckpfeiler des deutschen Verbandsrechts, nämlich die Tatsache, dass eine juristische Person zwar Träger von Rechten und Pflichten sein kann, sich zur Erfüllung dieser aber eines Organs bedienen muss. Dem dadurch zwangsläufig bedingten Auseinanderfallen von Normadressaten und tat­ bestandsmäßig Handelndem begegnet im Ordnungswidrigkeitenrecht die Zurechnungsnorm des § 9 OWiG, die als Pendant zu dem im Straf­ recht geltenden § 14 StGB die Organ- und Vertreterhaftung regelt.1291 Nach dessen Abs. 1 Nr. 1 ist ein Gesetz, demzufolge besondere persönli­ che Merkmale die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person – bei der GmbH also der Geschäftsführer – anwendbar, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Über § 9 Abs. 2 OWiG ist es darüber hinaus möglich, den Einzugsbereich der Norm auf dem Organ­ walter nachgeordnete Mitarbeiter auszudehnen.1292 In diesem Zusam­ menhang wird auch diskutiert, ob der Com­pli­ance-Officer bzw. Com­pli­ ance-Beauftragte über § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG in die Pflichtenstellung des § 130 OWiG einrückt.1293 Es besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass § 9 Abs. 2 OWiG den Vertretenen bzw. ursprünglichen Normadressaten nicht von dessen Verantwortung befreit, sondern er neben dem Vertreter weiterhin verantwortlich bleibt.1294 1290 Vgl. zu diesem Begriff Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 49; Többens, NStZ 1999, 1. 1291 Ausführlich hierzu Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 49 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 423, 344 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 9 Rn. 1; Holle, Legalitätskon­ trolle, 2014, S. 397 f. 1292 Zu den einzelnen Voraussetzungen einer solchen „Substitutenhaftung“ siehe Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 9 Rn. 73 ff. 1293 Siehe hierzu Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 398; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 9 Rn. 90 m.w.N.; zur Frage, ob der Com­pli­ance-Beauftragte einen dem öffentli­ chen Interesse unterworfenen Unternehmensbeauftragten darstellt Casper, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 198 ff. 1294 Mehrheitlich wird dies auf das Wort „auch“ in § 9 Abs. 2 OWiG zurückgeführt, vgl. Petermann, Die Bedeutung von Com­pli­ance-Maßnahmen, 2013, S. 52; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 9 Rn. 98 m.w.N.; andere sehen den Grund hierfür in § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG, der den Inhaber auch zur Überwachung von eingesetz­ ten Aufsichtspersonen verpflichtet, vgl. BayObLG, Beschl. v. 10.08.2001 – 3 ObOWi 51/2001, NJW 2002, 766 f.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 398 f.; für § 130 OWiG als zuzurechnende Norm ist dieser Streit aber rein dogmatischer Natur und kommt letztlich zum selben Ergebnis.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

2. Das Zusammenwirken der §§ 9, 130 OWiG und § 30 OWiG Nach dem bisher Gesagten ist § 130 OWiG also nicht nur auf Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens, sondern über § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch auf den Geschäftsführer sowie über § 9 Abs. 2 OWiG darüber hin­ aus auf nachgeordnete Mitarbeiter anwendbar. Diese Überwälzung der Inhaberstellung eröffnet schließlich die Möglichkeit, unter Heranzie­ hung von § 30 OWiG eine Geldbuße gegen die juristische Person selbst zu verhängen.1295 Verstößt nämlich der Geschäftsführer als vertretungs­ berechtigtes Organ nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gegen seine aus den §§ 9, 130 OWiG resultierende Aufsichtspflicht, stellt dies eine Anknüp­ fungstat im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG dar, sodass gegen die GmbH eine Geldbuße festgesetzt werden kann.1296 Die Konstruktion des § 30 OWiG ist dabei als „modifiziertes Individualtatmodell“1297 zu verstehen, einer Kombination aus Zurechnung und Unternehmensverantwortlichkeit. Im Rahmen der achten GWB-Novelle vom 26.06.2013 traten weitrei­ chende Änderungen der Norm in Kraft, unter anderem eine Anhebung des Höchstmaßes der Geldbuße im Falle einer vorsätzlichen Straftet von einer Million auf zehn Millionen Euro, und im Falle einer fahrlässigen Straftat von 500.000 auf fünf Millionen Euro.1298 In der dazugehörigen Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Wirtschaft und Technologie wird zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch das Vorhandensein eines effektiven Com­ pli­ance-Systems bußgeldmindernd zu berücksichtigen ist.1299 Betrachtet man die Troika der §§ 9, 130, 30 OWiG vor dem Hintergrund des Steuerrechts, können zunächst durch den Geschäftsführer selbst be­ gangene Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten als Bezugstaten des § 30 OWiG gewertet werden, wodurch eine Verbandsbuße gegen die GmbH ermöglicht wird. In der Regel wird der Geschäftsführer einer GmbH die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten jedoch an die unter­ nehmensinterne Steuerabteilung delegieren oder sie auf eine externe Steuerberatungsgesellschaft auslagern. Begeht nun ein Mitarbeiter der Steuerabteilung bzw. ein Steuerberater eine Steuerstraftat bzw. -ord­ 1295 Der Durchgriff auf das Unternehmen wird dabei als „wichtigste Konsequenz“ des § 130 OWiG verstanden, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 6.  1296 Eingehend zu den Voraussetzungen des § 30 OWiG sowie zum Zusammenwir­ ken der einzelnen Normen Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 373 ff.; Többens, NStZ 1999, 1 ff. 1297 So treffend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 384 mit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den einzelnen Konzepti­ onsansätzen auf den S. 375 ff. 1298 Siehe zu den einzelnen Änderungen Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 30 Rn. 31 m.w.N. 1299 BT-Drucks. 17/11053, S. 21; so mittlerweile auch BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 Rn. 118.

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nungswidrigkeit und trifft den Geschäftsführer kein eigener Tatvorwurf, kommt § 130 OWiG als bedeutendste betriebsbezogene Pflicht des § 30 OWiG in Betracht.1300 Ist dem Geschäftsführer nämlich eine diesbezügli­ che Aufsichtspflichtverletzung nachweisbar, hat er hierfür nach den §§ 9, 130 OWiG einzustehen, sodass im Ergebnis eine Anknüpfungstat des § 30 OWiG besteht und eine Verbandsgeldbuße verhängt werden kann.

III. Die Aufsichtspflichten des § 130 OWiG Nach der Vorschrift wird derjenige Inhaber eines Betriebes oder Unter­ nehmens, der vorsätzlich oder fahrlässig die erforderlichen und zumutba­ ren Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die zur Verhinderung von Zuwi­ derhandlungen gegen betriebs- und unternehmensbezogene Pflichten geboten waren, bußgeldrechtlich belangt. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG zählt hierzu auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Aus § 130 OWiG lassen sich keine darüber hin­ ausgehenden Konkretisierungen entnehmen, sodass diese Aufgabe der Rechtsprechung und dem Schrifttum zufällt. Die einzelnen Aufsichts­ pflichten sind gesetzlich nicht abschließend bestimmt und nach einhel­ liger Ansicht abstrakt auch gar nicht bestimmbar, sondern vielmehr vom Einzelfall abhängig.1301 Einig ist man sich aber darin, dass nicht per se eine Com­pli­ance-Organisation etabliert oder ein flächendeckendes Kon­ trollnetz aufgebaut werden muss.1302 Im Schrifttum werden die Auf­ sichtspflichten meist in Leitungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten unterteilt, die einer stufenweisen Konkretisierung zu­ gänglich sind. Auf der ersten Stufe steht hierbei die sorgfältige Auswahl von Mitarbeitern und Aufsichtspersonen, welche anschließend auf der zweiten Stufe in eine sachgerechte Organisation mit klarer Zuständig­ keitsverteilung eingebunden werden müssen. Darüber hinaus sind die Mitarbeiter im Rahmen der dritten Stufe über ihre Aufgaben und Pflich­ 1300 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 415. 1301 Gasper, Tax Com­ pli­ ance, 2016, S. 375; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 42 f. jeweils m.w.N. 1302 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 377; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschaftsund SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 19 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 403; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 40 m.w.N.; zum Vorschlag, nicht aber der aus § 130 OWiG resultierenden gesetzlichen Pflicht eines Tax Com­ pli­ ance Systems siehe Hunsmann, DStR 2014, 855, 858; siehe aber BayObLG, Beschl. v. 10.08.2001 – 3 ObOWi 51/2001, NJW 2002, 766 f., das den Geschäftsführer, der sich die für seine Überwachungs­ pflicht erforderlichen Kenntnisse nicht verschafft und infolgedessen seinen Pflichten nicht selbst nachkommen kann, zur Etablierung eines „innerbetriebli­ chen Kontrollsystems“ verpflichtet, das extern durch Steuerberater oder Wirt­ schaftsprüfer überwacht werden muss.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

ten angemessen zu instruieren und aufzuklären, und in der vierten Stufe ausreichend zu überwachen und regelmäßigen Kontrollen zu unterwer­ fen. Die fünfte Stufe hält den Aufsichtspflichtigen dazu an, gegen Verstö­ ße vorzugehen und gegebenenfalls Sanktionen anzudrohen bzw. zu ver­ hängen. Dieser einheitliche und zusammengehörige Pflichtenkomplex steht in ständiger Wechselwirkung zueinander („Interpendenz der Auf­ sichtspflichten“1303). Mitarbeiter, die besonders wichtige oder häufig ge­ änderte, komplexe gesetzliche Vorschriften zu beachten haben, unterlie­ gen einer erhöhten Überwachungspflicht.1304 Auf das Steuerrecht treffen diese Kriterien zweifellos zu, sodass auch die zahlreichen Rechtsände­ rungen regelmäßig kommuniziert und im Rahmen von Schulungen und Fortbildungen den Mitarbeitern erklärt werden müssen.1305 Das bedeutet aber andererseits nicht, dass der Betriebsinhaber persönlich verpflichtet ist, die Steuerabteilung fortlaufend über neue Steuergesetze zu informie­ ren. Insofern darf auf die eigenverantwortliche Tätigkeit und die Kennt­ nisse der jeweiligen Mitarbeiter und Abteilungsleiter vertraut werden.1306 Jedenfalls dürfen keine überspannten Anforderungen an die Aufsichts­ pflicht gestellt werden und die Maßnahmen müssen sich innerhalb der Grenzen der Zumutbarkeit und rechtlichen Zulässigkeit bewegen („ge­ hörige Aufsicht“).1307 Da § 130 OWiG zudem nur „erforderliche Auf­ sichtsmaßnahmen“ verlangt, darf der Betriebsinhaber von mehreren zur Möglichkeit stehenden Maßnahmen diejenige auswählen, die das mil­ deste Mittel darstellt, solange sie nicht untauglich oder weniger effektiv ist.1308 Eine besondere Bedeutung, insbesondere auch im Rahmen des Kausalzusammenhangs mit der konkreten Zuwiderhandlung, kommt darüber hinaus der Geeignetheit von Aufsichtsmaßnahmen zu. Ein rechtlicher Vorwurf lässt sich nicht bereits mit der generellen Fehlerhaf­ tigkeit eines Verhaltens begründen. Vielmehr ist nötig, die konkrete Ver­ fehlung festzustellen, zu benennen und in rechtlich nachprüfbarer Weise 1303 Vgl. zu diesem Stufensystem Adam, wistra 2003, 285, 286; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 42 m.w.N.; siehe zum spezifisch auf das Steuerrecht zugeschnit­ tenen Stufensystem Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 377 ff. 1304 Siehe allgemein zu den Fällen einer gesteigerten Aufsichtspflicht Rogall, in: KKOWiG, 2018, § 130 Rn. 68 f. m.w.N. 1305 So zu Recht Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 380; Hunsmann, DStR 2014, 855, 857 f.; ebenso OLG Düsseldorf, Urteil v. 05.04.2006 – VI-2 Kart 5/05 OWi, Wu­ W/E DE-R 1893, 1899 Rn. 46. 1306 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 108; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 60. 1307 Vgl. Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 376; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 40, wonach z.B. eine lückenlose Video- oder Telefonüberwachung hiergegen verstoßen würde; siehe ferner Adam, wistra 2003, 285, 290, der auch unvermeid­ bare „Systemgefahren“ im Sinne unwillkürlicher Fehlleistungen, die zwangsläu­ fig aus der Monotonie immer wiederkehrender Handlungsabläufe resultieren, von den Aufsichtspflichten ausnimmt. 1308 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 50.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

darzutun, dass gerade hierdurch die eingetretene Zuwiderhandlung ver­ hindert oder wesentlich erschwert wurde.1309

IV. Die Steuerordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat des § 130 OWiG Die Norm des § 130 OWiG erfuhr im Laufe der Zeit schwerwiegende Kritik an ihrer Dogmatik,1310 welche teilweise sogar in einem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit kulminierte.1311 Besonders deutlich werden die Eigentümlichkeiten dieser Vorschrift, wenn man sich das Merkmal der als objektiver Bedingung der Ahndbarkeit ausgestalteten betrieblichen Zuwiderhandlung gegen eine mit Strafe oder Geldbuße bedrohten Pflicht vor Augen führt. Man spricht dabei auch von einer Anknüpfungstat oder Anlasstat. Die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten werden nachfolgend am Beispiel einer steuerrechtlichen Zuwiderhandlung ver­ deutlicht, wobei gerade die Eigenarten des Steuerstraf- und Steuerord­ nungswidrigkeitenrechts noch weitere, darüber hinausgehende Proble­ me aufwerfen. Es fragt sich an dieser Stelle zunächst, ob durch Betriebsangehörige (oder unter Umständen auch durch in die Organisationssphäre des Betriebes eingebundene Betriebsfremde, wie beispielsweise den Steuerberater1312) begangene Steuerstraftaten im Sinne des § 369 AO ebenso wie Steuerord­ nungswidrigkeiten im Sinne des § 377 AO1313 überhaupt taugliche be­ 1309 Siehe hierzu sowie den sich hieraus ergebenden Prinzipien Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 44 ff. 1310 Siehe allen voran Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 116 Fn. 180, der § 130 OWiG als „dogmatische Missgeburt“ bezeichnet bzw. Kindler, Das Un­ ternehmen als haftender Täter, 2008, S. 128, die der Norm einen „Etiketten­ schwindel“ attestiert. 1311 Mit verfassungsrechtlichen Bedenken allen voran Thiemann, Aufsichtspflicht­ verletzung, 1976, S. 98 ff., 129 f.; Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 117 f., 216 ff., die die Norm in ihrer damaligen wie derzeitigen Form für verfassungswidrig erklären; ähnlich Kindler, Das Unternehmen als haftender Tä­ ter, 2008, S. 129, die § 130 OWiG mit Blick auf den Schuldgrundsatz für verfas­ sungsrechtlich äußerst problematisch, aber noch akzeptabel erachtet. 1312 Zur Zuwiderhandlung eines Betriebsfremden siehe Heuel, in: Kohlmann-Steuer­ strafR, 2021, § 377 Rn. 192; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 108 m.w.N.; kritisch zur Einbeziehung Dritter Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 198. 1313 Steuerordnungswidrigkeiten sind nur solche nach § 377 Abs. 1 AO, wozu nach einhelliger Ansicht § 130 OWiG auch dann nicht zu zählen ist, wenn die An­ lasstat eine Steuerordnungswidrigkeit nach § 377 Abs. 1 AO darstellt, vgl. Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, § 377 AO Rn. 13; Sahan, in: Graf/Jäger/ Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 377 AO Rn. 19; Krumm, in: Tipke/ Kruse-AO/III, 2019, § 377 Rn. 8; Hunsmann, DStR 2014, 855; teilweise wird in diesem Zusammenhang aber von einer „Steuerordnungswidrigkeit i.w.S.“ ge­ sprochen, vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 2021, Kap. 23 Rn. 23.123.

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triebsbedingte Zuwiderhandlungen im Sinne des § 130 OWiG darstellen können. Dabei ist festzustellen, dass derartige Handlungen zweifellos das sonst in seiner Definition stark umstrittene Merkmal der „Betriebs­ bezogenheit“1314 erfüllen, sofern steuerrechtliche Pflichten, die mit der Führung des Unternehmens zusammenhängen, betroffen sind.1315 Uner­ heblich ist insoweit auch, ob der Handelnde den jeweiligen Tatbestand mangels Normadressateneigenschaft überhaupt erfüllen kann. Beispiel­ haft sei hier auf die in der Praxis bedeutsame leichtfertige Steuerverkür­ zung nach § 378 AO1316 verwiesen. Täter dieses Sonderdelikts kann nach § 378 Abs. 1 AO nur der Steuerpflichtige oder derjenige, der mit der Wahrnehmung der Angelegenheiten des Steuerpflichtigen betraut ist, sein. Die Steuerpflicht richtet sich nach § 33 AO und trifft in der GmbH grundsätzlich den Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter nach § 34 Abs. 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 GmbHG. Unter die zweite Alternative des § 378 Abs. 1 AO, die eine Sonderregelung zu § 9 OWiG darstellt und deshalb gemäß § 377 Abs. 2 AO vorgeht,1317 fällt jede nicht steuerpflich­ tige Person, die dem Steuerpflichtigen bei der Erfüllung seiner steuerli­ chen Erklärungspflichten hilft. Der Anwendungsbereich der Regelung ist zwar denkbar weit, dennoch wird eine gewisse Selbstständigkeit ver­ langt, wie sie insbesondere beim Steuerberater oder auch dem unterneh­ mensinternen Steuerabteilungsleiter besteht.1318 Der einfache und dem Direktions- und Weisungsrecht des Betriebsinhabers (oder Steuerabtei­ lungsleiters) unterliegende Mitarbeiter einer Steuerabteilung kann dem­ nach eigentlich kein tauglicher Täter des § 378 AO sein. Hinsichtlich der fehlenden Normadressateneigenschaft des Zuwiderhandelnden wird die Tatbestandsmäßigkeit für die Zwecke des § 130 OWiG jedoch fingiert. Ausreichend ist insoweit der „äußere Geschehensablauf“ der Tat, sodass die Handlung lediglich die rechtswidrige Erfüllung der objektiven und 1314 Mehrheitlich wird dabei auf die typische Realisierung der jeweiligen „Betriebsge­ fahr“ abgestellt, vgl. Többens, NStZ 1999, 1, 3; Niesler, in: Graf/Jäger/Wit­ tig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 62 f. m.w.N. Ausführ­ lich zu diesem Tatbestandsmerkmal und dem Streit um dessen Bedeutung Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 81 ff. 1315 Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 190; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 64. 1316 Bei den Steuerordnungswidrigkeiten kommt § 378 AO in der Praxis die mit Ab­ stand größte Bedeutung zu, sodass sich die nachfolgenden Ausführungen zu den Steuerordnungswidrigkeiten auf diese Norm beschränken, vgl. Heuel, in: Kohl­ mann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 7, wonach die leichtfertige Steuerverkür­ zung sogar die häufigste Steuerverfehlung insgesamt darstellt. 1317 So die h.M., vgl. Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 378 AO Rn. 16 m.w.N.; insoweit einschränkend Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 7, der keinen Anwendungsausschluss, sondern eine Funktionslosigkeit von § 9 OWiG in Ansehung von § 378 AO sieht. 1318 Vgl. Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 378 AO Rn. 16 ff.; Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 8 f.

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subjektiven Tatbestandsmerkmale erfordert.1319 Die Zuwiderhandlung besteht also unabhängig davon, ob die Tat in der Person des Täters über­ haupt ahndbar bzw. strafbar ist. Es muss noch nicht einmal ein bestimm­ ter Täter der Zuwiderhandlung ermittelt werden, solange ein Sachver­ halt festgestellt werden kann, der sich als Zuwiderhandlung irgendeines Betriebsangehörigen (oder unter Umständen eines Betriebsfremden) he­ rausstellt.1320 Für Verstöße, die nur bei Vorsatz mit Strafe oder Geldbuße bedroht sind, wird von Rechtsprechung1321 und herrschender Lehre1322 aber wenigstens „natürlicher Vorsatz“ beim Handelnden gefordert, da andernfalls der Aufsichtspflichtige schlechter gestellt wäre, als wenn er die Zuwiderhandlung selbst fahrlässig begangen hätte. Dasselbe gilt für den Fall, dass die Zuwiderhandlung eine leichtfertige Tat, wie z.B. § 378 AO, darstellt. Folglich muss auch der Zuwiderhandelnde leichtfertig ge­ handelt haben.1323 Nach dem eben Gesagten stünde damit der Eignung einer leichtfertigen Steuerverkürzung als betriebsbezogene Zuwiderhandlung prima facie nichts im Wege. Nichtsdestotrotz entzündet sich an der Frage, ob § 378 AO bzw. Steuerordnungswidrigkeiten im Allgemeinen taugliche An­ knüpfungstaten des § 130 OWiG sein können, ein bisher nicht endgültig geklärter Streit. Woran dies liegt, zeigen die nachstehenden Ausführun­ gen. 1. Die Anwendung des § 130 OWiG auf steuerliche Sachverhalte als Wertungswiderspruch Bis heute konnte es nicht abschließend geklärt werden, ob § 130 OWiG dahingehend teleologisch reduziert werden muss, dass Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten von dessen Anwendungsbereich auszuneh­ men sind. Teilweise wird in diesem Umstand ein Wertungswiderspruch gesehen, die Norm aber im Übrigen für anwendbar erklärt. Teilweise wird jedoch aufgrund schwerwiegender dogmatischer Probleme des § 130 OWiG, die mit dem hier diskutierten Problem des Wertungswider­ spruchs in engem Zusammenhang stehen, auf eine Verfassungswidrig­ keit der Norm geschlossen. Nachfolgend werden die einzelnen Ansich­ 1319 Vgl. Többens, NStZ 1999, 1, 5; Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 191; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 56; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 79 f. 1320 BHG, Beschl. v. 08.02.1994 – KRB 25/93, wistra 1994, 232 f.; Többens, NStZ 1999, 1, 5; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 110 m.w.N.; die Unmöglichkeit der Feststellung eines konkreten Täters kann sogar selbst Indiz für ein Organisa­ tionsverschulden sein. 1321 BayObLG, Beschl. v. 17.08.1998 – 3 ObOWi 83/98, wistra 1999, 71, 72; BayObLG, Beschl. v. 01.09.2003 – 3 ObOWi 61/03, BayVBl 2004, 123. 1322 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 79 m.w.N. 1323 Vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 191.

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ten zu den dogmatischen und verfassungsrechtlichen Problemen der Vorschrift, insbesondere in Bezug auf den behaupteten Wertungswider­ spruch vor dem Hintergrund steuerrechtlicher Anknüpfungstaten, näher eingegangen. a) Die Ursprünge dieses Streits – § 130 OWiG als verfassungswidrige Norm? Nach wie vor finden sich in der juristischen Literatur Vertreter einer Meinung, welche die dogmatischen Probleme im Zusammenhang mit § 130 OWiG als so schwerwiegend befindet, dass deren Folge nur die Verfassungswidrigkeit der Norm sein könne. Im Folgenden werden die Argumentationen von drei Verfechtern dieser Ansicht erläutert. (1) Die Argumentation Thiemanns Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Verein­ barkeit von § 130 OWiG mit dem Schuldgrundsatz1324 äußerte Thiemann. In seinem 1976 erschienen Werk kritisierte er insbesondere die Konst­ ruktion der betriebsbedingten Zuwiderhandlung als objektive Bedingung der Ahndbarkeit, die eine Haftung für fremdes Verschulden normiere, indem die Zuwiderhandlung einerseits vom Tatbestand ausgenommen werde, und andererseits via § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG zusätzlich sanktions­ erhöhende Wirkung entfalte.1325 Da die Verfolgbarkeit einer Aufsichts­ pflichtverletzung nach § 131 Abs. 2 OWiG zudem von der Verfolgbarkeit der zugrunde liegenden Zuwiderhandlung abhänge, bestimme sich der Unrechtsgehalt des § 130 OWiG letztlich nach dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Anknüpfungstat.1326 Damit verliere die objektive Bedingung der Ahndbarkeit ihre verfassungsrechtlich notwendige Unrechtsneutra­ lität1327 und avanciere zu einem „verkappten sanktionserhöhenden Um­ stand“1328. Darin liege ein Verstoß gegen das Schuldprinzip, wodurch § 130 OWiG zwingend verfassungswidrig werde und auch nicht mittels verfassungskonformer Auslegung geheilt werden könne.1329 1324 Siehe zu diesem sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Rechts­ staatsprinzip ergebenden Schuldgrundsatz BVerfG, Beschl. v. 16.04.1980 – 1 BvR 505/78, BVerfGE 54, 100, 108 f. m.w.N.; für das Ordnungswidrigkeitenrecht Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 99 ff. m.w.N. 1325 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 98 ff. 1326 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 116. 1327 Siehe allgemein zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit objektiver Strafbar­ keitsbedingungen Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 102 ff.; C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 23 Rn. 1 ff. 1328 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 120; ebenso Rogall, in: KKOWiG, 2018, § 130 Rn. 18; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 591 f., der jedoch den Weg der verfassungskonformen Auslegung wählt. 1329 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 120, 129 f.

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(2) Die Argumentation Schünemanns Einen ganz anderen Aspekt des § 130 OWiG beleuchtete Schünemann1330 in seinem 1979 erschienen Gutachten zur Unternehmenskriminalität für das Bundeministerium der Justiz. Demnach liege eine „Überkompen­ sation“ darin, dass ein Aufsichtspflichtiger im Sinne des § 130 OWiG unter Umständen für ein fahrlässiges Unterlassen strenger haften müsse als für positives Tun. Ist nämlich eine bestimmte Zuwiderhandlung nur bei vorsätzlicher Begehung sanktionierbar, treffe den Aufsichtspflichti­ gen dennoch bei lediglich fahrlässiger Begehung des § 130 OWiG die da­ rin genannte Rechtsfolge. Hätte er andererseits selbst die entsprechende Zuwiderhandlung fahrlässig begangen, wäre dies unschädlich.1331 Unter Einbeziehung weiterer Kritikpunkte1332 sieht der Autor in der Vorschrift sowohl in der damaligen als auch in der heutigen Fassung eine verfas­ sungswidrige Verletzung des Bestimmtheits- und Schuldgrundsatzes, der auch nicht durch eine dahingehende verfassungskonforme Auslegung geheilt werden könne, dass von dem Aufsichtspflichtigen dieselbe Vor­ satz- bzw. Fahrlässigkeitsform gefordert werde wie sie der spezielle Zu­ widerhandlungstatbestand voraussetzt. Zwar hält Schünemann eine sol­ che Auslegung im Wege einer verfassungskonformen Reduktion für möglich, allerdings würde § 130 OWiG dadurch zum unechten Unterlas­ sungsdelikt verkommen, was die Norm überflüssig machen würde.1333 Auf das Steuerrecht heruntergebrochen bedeutet dies, dass der Täter ei­ nes § 130 OWiG im Falle einer Zuwiderhandlung eines nachgeordneten Mitarbeiters nach § 378 AO, selbst leichtfertig und nicht nur einfach fahrlässig handeln müsste. Da hierdurch in aller Regel ohnehin der Tat­ bestand des § 378 AO in der Person des Aufsichtspflichtigen erfüllt wäre, käme der Norm des § 130 OWiG keine Bedeutung mehr zu. Auf die dar­ über hinausgehenden Unterschiede beider Tatkomplexe hinsichtlich der Kausalität, insbesondere des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, sowie der Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO wird nachfolgend noch eingegangen. (3) Die Argumentation Kindlers Ebenfalls Bedenken gegen den Schuldgrundsatz meldete Kindler in ihrer 2008 erschienen Dissertation an. Darin konzentriert sie sich auf allge­ meine dogmatischen Probleme des § 130 OWiG und attestiert der Vor­ 1330 Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979. 1331 Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 117 f., 208 f. 1332 Siehe zu diesen weiteren „Lücken des Tatbestandes“ Schünemann, Unterneh­ menskriminalität, 1979, S. 120 ff. 1333 Speziell zur verfassungskonformen Auslegung Schünemann, Unternehmenskri­ minalität, 1979, S. 218 f.; zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift und der Forde­ rung, § 130 OWiG abzuschaffen, siehe die S. 216 ff., insbesondere S. 224 f.

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schrift einen „Etikettenschwindel“1334, der darin begründet liege, dass die Aufsichtspflichtverletzung einen eigenständigen Tatbestand bilde, ob­ wohl ihr lediglich eine Zurechnungsfunktion zukomme, während die betriebsbedingte Zuwiderhandlung den eigentlichen Zurechnungsgegen­ stand bilde. Damit würden bedeutsame Voraussetzungen, die für eine Zurechnung im Rahmen einer unechten Unterlassungstäterschaft not­ wendig seien, umgangen, um dem kriminalpolitisch gewünschten Ergeb­ nis einer Schließung von Zurechnungslücken gerecht zu werden.1335 Im Hinblick auf die immense Bedeutung einer entsprechenden Normierung von Aufsichtspflichtverletzungen stelle § 130 OWiG nach Kindler „im geltenden Wirtschaftsstrafrecht zwar eine praktisch unverzichtbare, in seiner gegenwärtigen Fassung jedoch dogmatisch unhaltbare Bestim­ mung“1336 dar. (4) Stellungnahme zur Verfassungsgemäßheit des § 130 OWiG Neben Thiemann und Schünemann beschäftigte sich vor allem Rogall in einem 1986 erschienen Beitrag ausführlich mit der seiner Ansicht nach „ebenso interessante[n] wie eigentümliche[n] Vorschrift“1337 des § 130 OWiG. Zwar sieht auch er in der Konzeption der Norm „erhebliche(n) dogmatische(n) Friktionen, denen auch eine verfassungsrechtliche Rele­ vanz nicht abgesprochen werden kann“1338, erblickt aber letztlich einen Ausweg in der verfassungskonformen Auslegung. Dieser bestehe dar­ in, dass man dem Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung das unge­ schriebene Merkmal der „Zuwiderhandlungsgefahr“ hinzufüge, ein nach Gefahrenkreisen konkretisierter tatbestandlicher Repräsentant der ei­ gentlichen Zuwiderhandlung. Dadurch werde § 130 OWiG zu einem „konkreten Gefährdungsdelikt sui generis“ modifiziert und könne im Ergebnis trotz anfänglicher Bedenken als verfassungsgemäß durchge­ hen.1339 Die Ansicht Rogalls, insbesondere seine Argumentation zur Rechtsnatur der Vorschrift sowie die Entwicklung des zusätzlichen Tatbestandsmerk­ mals der Zuwiderhandlungsgefahr, wird an späterer Stelle noch ausführ­ licher behandelt.1340 Vorerst soll lediglich festgehalten werden, dass die gegen § 130 OWiG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken heu­ 1334 Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 2008, S. 128; ausführlich zu der ihrer Ansicht nach dogmatisch unhaltbaren Konzeption des § 130 OWiG auf den S. 118 ff. 1335 Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 2008, S. 128 f. 1336 Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 2008, S. 129. 1337 Rogall, ZStW 98 (1986), 573. 1338 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 589. 1339 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 588 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 18 f. 1340 Siehe hierzu die S. 309 ff.

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te allgemein als überwunden gelten, da in jedem Fall eine verfassungs­ konforme Auslegung der Norm möglich ist.1341 Die Kritikpunkte be­ schränken sich in der Folge auf einzelne Aspekte der Rechtsanwendung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Steuerrecht. b) Der Wertungswiderspruch nach Suhr/Naumann/Bilsdorfer und Reichling Zusätzlich zu den gegen § 130 OWiG vorgebrachten generellen (verfas­ sungsrechtlichen) Bedenken werden nachfolgend spezifisch mit dem Steuerrecht zusammenhängende mögliche Wertungswidersprüche erläu­ tert, die jedoch vielfach einen Bezug zu den verfassungsrechtlichen Ein­ wänden aufweisen. Auf der Argumentation Schünemanns aufbauend, stellen nach Suhr/ Naumann/Bilsdorfer1342 die §§ 377 ff. AO ein abgeschlossenes und er­ schöpfend geregeltes System von steuerlichen Ordnungswidrigkeiten dar, welches ganz überwiegend, vor allem hinsichtlich § 378 AO, Leicht­ fertigkeit verlangt, während für § 130 OWiG einfache Fahrlässigkeit aus­ reichend ist. Hinzu kommt, dass nach § 378 Abs. 3 AO die Möglichkeit der Sanktionsfreiheit durch Selbstanzeige besteht. Da nach dem eben Gesagten der äußere Geschehensablauf einer Tat für die Bejahung einer Zuwiderhandlung ausreicht und § 130 OWiG kein Steuerdelikt ist, än­ dert auch eine wirksame Selbstanzeige an der Tatbestandsmäßigkeit von § 130 OWiG nichts.1343 Würde man Steuerordnungswidrigkeiten als Zu­ widerhandlungen im Sinne des § 130 OWiG zulassen, konterkariere man damit diese gesetzgeberische Wertung. Dies werde noch durch den be­ reits beschriebenen „verkappte[n] sanktionserhöhende[n] Umstand“ des § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG intensiviert, wonach das Höchstmaß der Geldbu­ ße wegen der Aufsichtspflichtverletzung nach dem für die Pflichtverlet­ zung angedrohten Höchstmaß der Geldbuße bestimmt wird. In der Kon­ stellation mit § 378 AO als Anknüpfungstat des § 130 OWiG bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße für die Aufsichtspflichtverletzung somit nach § 378 Abs. 2 AO, welcher eine Ahndung bis zu 50.000 Euro zulässt.1344 Zudem entfaltet über § 377 Abs. 2 AO auch § 17 Abs. 4 OWiG 1341 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 21; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirt­ schafts- und SteuerstrafR, 2017, § 30 OWiG Rn. 8; Maschke, Aufsichtspflichtver­ letzungen, 1997, S. 70 f. 1342 Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Steuerstrafrecht, 1986, Rn. 362, 411 ff. 1343 In der Praxis behilft man sich in diesen Fällen in der Regel mit einer Verfahren­ seinstellung nach § 47 OWiG und einer eventuellen Abschöpfung der Zinsvortei­ le nach § 29a OWiG, vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 201; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 64. 1344 Da § 378 AO nur leichtfertiges Handeln ahndet, kommt § 17 Abs. 2 OWiG inso­ weit nicht zur Anwendung, vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 86; für den Fall einer lediglich fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung redu­

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seine Wirkung, sodass das Höchstmaß der Geldbuße auch überschritten werden darf, sofern dies nötig ist, um den wirtschaftlichen Vorteil des Täters abzuschöpfen.1345 Damit eröffnet § 130 OWiG letztlich die Mög­ lichkeit, den nach § 378 Abs. 1 AO eigentlich auf leichtfertige Taten be­ schränkten Bußgeldhöchstsatz des § 378 Abs. 2 AO auch auf lediglich fahrlässiges Handeln auszuweiten. Nach Reichling ist darüber hinaus die Anwendung des § 130 OWiG nicht nur auf Steuerordnungswidrigkeiten, sondern allgemein auf steuerliche Sachverhalte gesperrt, sodass auch Steuerstraftaten wie § 370 AO auf­ grund der Möglichkeit der Selbstanzeige nach § 371 AO als Anknüp­ fungstaten ausgenommen sei müssten.1346 Unter Bezugnahme auf § 30 OWiG weist Reichling dabei auf weitere dogmatische Friktionen im Zu­ sammenhang mit der steuerrechtlichen Selbstanzeige hin. Wie bereits erklärt, stellt es eine Anknüpfungstat im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG dar, wenn der Geschäftsführer als vertretungsberechtigtes Organ nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gegen seine aus den §§ 9, 130 OWiG resultieren­ de Aufsichtspflicht verstößt, sodass in der Folge gegen die GmbH eine Geldbuße festgesetzt werden kann. Anknüpfungstat der Aufsichts­ pflichtverletzung nach § 130 OWiG wäre in dieser Konstellation bei­ spielsweise die leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO eines nachgeordneten Mitarbeiters, wofür sich der Geschäftsführer nicht selbst verantworten muss.1347 Erstattet nun der von § 378 AO betroffene Be­ triebsangehörige auf Veranlassung des Geschäftsführers oder unter des­ sen Mitwirkung eine wirksame Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO, bleibt der Tatbestand des § 130 OWiG bestehen und es kann dennoch nach § 30 OWiG eine Geldbuße gegen die GmbH verhängt werden. Hätte der Geschäftsführer hingegen die leichtfertige Steuerverkürzung oder gar eine vorsätzliche Steuerhinterziehung nach § 370 AO selbst begangen – in diesem Fall wäre § 378 AO bzw. § 370 AO Anknüpfungstat des § 30 ziert sich aber die nach § 130 OWiG verwirkte Geldbuße nach § 17 Abs. 2 OWiG um die Hälfte, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 121 m.w.N. 1345 Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 378 AO Rn. 41; ausführlich zur Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 90 ff. 1346 Reichling, NJW 2013, 2233, 2235 f.; in der Literatur konzentriert sich der Streit aber eindeutig auf Steuerordnungswidrigkeiten, speziell auf § 378 AO, vgl. nur Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 195; mit Blick auf § 371 AO müssten die Ausführungen jedoch ebenso für Steuerstraftaten gelten. 1347 Beim Geschäftsführer kann es diesbezüglich z.B. an der Leichtfertigkeit bzw. all­ gemein am Verschulden hinsichtlich der Zuwiderhandlung mangeln, vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 179; denkbar wäre auch, dass der Nachweis der Kausalität, speziell des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei § 378 AO (die Erfolgsverhinderung durch sorgfaltsgemäßes Verhalten muss fest­ stehen) nicht gelingt, der diesbezüglich weiter gefasste § 130 OWiG (ausreichend ist bereits eine Gefahrerhöhung durch mangelhafte Aufsicht) hingegen einschlä­ gig ist, vgl. Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 22 m.w.N.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

OWiG – und anschließend eine wirksame Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO bzw. § 371 AO gestellt, wäre die Verhängung einer Geldbuße gegen die GmbH wegen § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausgeschlossen.1348 Damit wäre es im Falle eines bloß fahrlässig begangenen § 130 OWiG des Ge­ schäftsführers möglich, gegen die GmbH eine Verbandsgeldbuße festzu­ setzen, wohingegen dies bei einer leichtfertig begangenen Steuerverkür­ zung nach § 378 AO bzw. einer sogar vorsätzlichen Steuerhinterziehung nach § 370 AO aufgrund der Selbstanzeige ausgeschlossen wäre, was nach Reichling einen unzulässigen Wertungswiderspruch darstellt.1349 Die Argumentationen Suhr/Naumann/Bilsdorfers und Reichlings lassen sich folglich so zusammenfassen, dass der Aufsichtspflichtige nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn er selbst die entsprechende Zuwiderhandlung begangen hätte, was aber gerade bei § 378 AO als An­ knüpfungstat der Fall wäre. c) Die teleologische Reduktion des § 130 OWiG nach Sahan Ähnlich argumentiert auch Sahan1350 und spricht sich für eine dahinge­ hende teleologische Reduktion des § 130 OWiG aus, dass die Norm auf steuerliche Zuwiderhandlungen dann nicht anwendbar sein soll, soweit dadurch zugleich der objektive Tatbestand einer Steuerordnungswidrig­ keit erfüllt wäre. Andernfalls käme es zu Wertungswidersprüchen auf­ grund der bewusst restriktiver ausgestalteten Ahndbarkeit steuerlicher Ordnungswidrigkeiten.1351 Dass der Aufsichtspflichtige nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn er selbst die fragliche Handlung begangen hätte, habe schließlich auch die Rechtsprechung konstatiert.1352 Gegen die grundsätzliche Möglichkeit, steuerliche Zuwiderhandlungen als An­ knüpfungstaten des § 130 OWiG zuzulassen, wendet sich Sahan entge­ gen Suhr/Naumann/Bilsdorfer allerdings nicht.

1348 Nach einhelliger Ansicht ist die Verfolgung der Verbandsgeldbuße nach wirksa­ mer Selbstanzeige „aus rechtlichen Gründen“ gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ge­ sperrt, vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 132; Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 132; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 57; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 30 Rn. 188; Beyer, BB 2016, 542; dafür ist es aber notwendig, dass alle Mitglieder der Leitungsebene, bei denen eine Tatbeteiligung in Betracht kommt, Selbstanzeige erstatten, vgl. Reichling, NJW 2013, 2233, 2234 f. 1349 Reichling, NJW 2013, 2233, 2235 f. 1350 Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 377 AO Rn. 18. 1351 Hier greift er auf dieselben Argumente zurück wie Suhr/Naumann/Bilsdorfer oben: Die höheren Anforderungen an die Fahrlässigkeit (Leichtfertigkeit) sowie die Möglichkeit der Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO. 1352 BayObLG, Beschl. v. 17.08.1998 – 3 ObOWi 83/98, wistra 1999, 71 f.

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Wirft man jedoch einen genaueren Blick auf den Beschluss des BayObLG vom 17.08.19981353, welcher angeblich Sahans These eines Wertungswi­ derspruchs wesentlich stützt, werden Ungereimtheiten deutlich. Es ist zwar richtig, dass das Gericht eine durch § 130 OWiG entstehende Schlechterstellung des nicht an einer Zuwiderhandlung beteiligten Auf­ sichtspflichtigen im Vergleich dazu, wenn er selbst die fragliche Hand­ lung begangen hätte, verboten hat. Allerdings war das zugrunde liegende Problem ein völlig anderes. Anknüpfungstat des § 130 OWiG war damals ein Verstoß, der lediglich vorsätzliches Handeln mit Geldbuße bedroht, weshalb sich dem Gericht die Frage stellte, welche Anforderungen in diesem Fall an den subjektiven Tatbestand der Zuwiderhandlung zu stel­ len sind. Da bei bloßer Fahrlässigkeit des Zuwiderhandelnden bereits eine mittelbare Täterschaft des Geschäftsherrn in Betracht komme und § 130 OWiG demnach ausscheiden müsse, könne auf eine vorsätzliche Begehungsweise durch den Zuwiderhandelnden nicht verzichtet werden. Mit dieser Argumentation schließt sich das Gericht lediglich der herr­ schenden Meinung zur Notwendigkeit des subjektiven Tatbestands als Voraussetzung der Zuwiderhandlung des § 130 OWiG an. Demnach ist es notwendig, dass für Verstöße, die nur bei Vorsatz mit Strafe oder Geldbu­ ße bedroht sind, wenigstens ein „natürlicher Vorsatz“ beim Handelnden vorliegt, da andernfalls der Aufsichtspflichtige schlechter gestellt wäre, als wenn er die Zuwiderhandlung selbst fahrlässig begangen hätte.1354 Die Konstellation, welche Sahan im Blick hat, ist jedoch eine gänzlich andere. Demnach ist nicht fraglich, ob der Zuwiderhandelnde den sub­ jektiven Tatbestand der einzelnen Norm erfüllen müsse, sondern ob das Handeln des Aufsichtspflichtigen zugleich den objektiven Tatbestand der entsprechenden Anknüpfungstat erfülle, unabhängig davon, ob ihn ein diesbezüglicher Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsvorwurf treffe. Darüber, ob ein solches Verhalten des Aufsichtspflichtigen gleichzeitig als Tat nach § 130 OWiG angesehen werden kann, sagt der Beschluss des BayObLG indes nichts aus. Das aus einem völlig anderen Zusammenhang geborene Verbot, den fahrlässig handelnden Täter des § 130 OWiG schlechter zu stellen als wenn er die Zuwiderhandlung selbst fahrlässig begangen hät­ te, stützt die Aussagen Sahans daher nicht und stellt die Argumentation bereits aus diesem Grund auf tönerne Füße. Sollte § 130 OWiG nach Sahans Begründung darüber hinaus nur in den­ jenigen Fällen anwendbar sein, in welchen nicht zugleich der objektive Tatbestand einer Steuerordnungswidrigkeit erfüllt wäre, besteht die Ge­ fahr, die Norm könnte hierdurch für steuerrechtliche Zuwiderhandlun­ 1353 BayObLG, Beschl. v. 17.08.1998 – 3 ObOWi 83/98, wistra 1999, 71 f. 1354 Vgl. BayObLG, Beschl. v. 01.09.2003 – 3 ObOWi 61/03, BayVBl 2004, 123; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 79 m.w.N.

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gen gänzlich überflüssig werden, wodurch sich der Autor letztlich doch wieder auf dieselbe Ebene wie die in den Ansichten Suhr/Naumann/Bilsdorfers und Reichlings begibt. Beziehen sich die Organisationsmängel nämlich lediglich auf den steuerlichen Bereich des Betriebs oder Unter­ nehmens, ist ohnehin zunächst zu prüfen, ob nicht der vorrangige § 378 AO (oder andere Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten) einschlä­ gig ist.1355 Unter der Prämisse, die aus § 378 AO resultierenden Überwa­ chungspflichten seien identisch mit jenen Aufsichtspflichten des § 130 OWiG, fragt sich also, ob mit der Ansicht Sahans überhaupt Konstel­ lationen denkbar sind, in denen steuerliche Zuwiderhandlungen als ­Anknüpfungstaten des § 130 OWiG zwar fungieren, das objektiv tatbe­ standliche Verhalten des Aufsichtspflichtigen aber nicht deckungsgleich mit jenem einer Steuerordnungswidrigkeit ist. Eine Antwort hierauf kann in den unterschiedlichen Kausalitätsanforderungen, insbesondere dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang, gefunden werden. Wie die nach­ folgenden Ausführungen zur Ablehnung von Wertungswidersprüchen zeigen werden, kommt es hierauf letztlich aber gar nicht an. d) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass § 130 OWiG an sich zwar keine verfassungswidrige Vorschrift darstellt, gegen seine Anwendung auf steuerliche Sachverhalte hingegen erhebliche Bedenken vorgebracht werden. Inwiefern diese Einwände überzeugen können, ist im Anschluss an die Darstellung der herrschenden Ansicht zur Zulässigkeit steuerli­ cher Zuwiderhandlungen im Rahmen des § 130 OWiG festzustellen. 2. Die in der Literatur herrschende Ansicht Dem Vorwurf eines Wertungswiderspruchs wird von der herrschenden Ansicht in der Literatur1356 unter Verweis auf den Willen des Gesetzge­ bers1357 entgegengehalten, dass § 130 OWiG und die §§ 377 ff. AO einen unterschiedlichen Regelungsgehalt hätten. Während letztere die Verlet­ zung steuerlicher Pflichten sanktionieren, sei § 130 OWiG auf die Ver­ hinderung einer allgemeinen und von Steuerordnungswidrigkeiten unab­ 1355 Dies sieht die h.M. genauso, vgl. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 62 m.w.N. 1356 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 370; Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 4; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 62; Jäger, in: Klein-AO, 2020, § 377 Rn. 16; eingehend hierzu Heuel, in: Kohlmann-­ SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 176 ff.; ebenso für Steuerstraftaten, aber hingegen offen bei Steuerordnungswidrigkeiten Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 195. 1357 Vgl. BT-Drucks. V/1269, S. 67, wonach mit § 130 OWiG eine einheitliche und abschließende Regelung für alle in Betracht kommenden Fälle geschaffen werden sollte.

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hängigen Desorganisation im Betrieb ausgerichtet. Obwohl für die Verfolgung und Ahndung bei zugrundeliegender steuerrechtlicher Be­ zugstat nach den §§ 131 Abs. 3, 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, § 409 AO i.V.m. § 387 AO die Finanzbehörde, also nach § 386 Abs. 1 S. 2 AO das Hauptzollamt, Finanzamt, Bundeszentralamt für Steuern und die Fa­ milienkasse, zuständig ist,1358 stellt § 130 OWiG dennoch keine Steuer­ ordnungswidrigkeit im Sinne des § 377 Abs. 1 OWiG dar.1359 Bereits diese Gesetzessystematik spricht für die rechtliche Zulässigkeit von ­ Steuerordnungswidrigkeiten als Zuwiderhandlungen im Sinne des § 130 OWiG.1360 Zudem streitet, zumindest auf den ersten Blick, ein weiterer bereits oben erwähnter Aspekt ebenfalls für die herrschende Ansicht: Zwar lässt die wirksame Selbstanzeige des Zuwiderhandelnden nach den §§ 371, 378 Abs. 3 AO die Tatbestandsmäßigkeit des § 130 OWiG unberührt, in der Praxis ziehen derartige Fälle aber regelmäßig eine Verfahrenseinstellung nach § 47 OWiG nach sich,1361 sodass der Vorwurf einer Unterminierung der gesetzgeberischen Wertung im Ergebnis ins Leere laufe. Dogmatisch ändert diese Vorgehensweise jedoch freilich nichts an der Tatsache, dass § 130 OWiG trotz wirksamer Selbstanzeige nach wie vor als erfüllt anzu­ sehen ist und infolgedessen unabhängig von einer eventuellen Verfahren­ seinstellung wegen § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG dennoch eine Verbandsgeld­ buße verhängt werden kann.1362 Aufgrund dessen erwägt Joecks1363 in denjenigen Fällen, in welchen die Organisationsmängel sich allein auf den steuerlichen Bereich des Betriebs oder Unternehmens erstrecken, eine teleologische Reduktion von § 130 OWiG vorzunehmen mit der Fol­ ge, dass die Norm auf Steuerordnungswidrigkeiten und -straftaten, insbe­ sondere bei Vorliegen einer Selbstanzeige, nicht anwendbar sein soll. Al­ ternativ wird auf ein ausnahmsloses Vorgehen nach § 47 OWiG in diesen Konstellationen verwiesen.1364

1358 In der Praxis werden derartige Ermittlungen in der Regel von der BuStra (Buß­ geld- und Strafsachenstelle) und der Steuerfahndung durchgeführt und geleitet, vgl. Nr. 17 Abs. 4 der AStBV (St) 2013. 1359 Vgl. Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, § 377 AO Rn. 13. 1360 So auch Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 180. 1361 Vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 201; Joecks, in: Joecks/ Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 64. 1362 § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG greift in diesem Fall gerade nicht, da eine Verfahrensein­ stellung nach § 47 OWiG kein Verfolgungshindernis aus rechtlichen Gründen darstellt, vgl. Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 30 OWiG Rn. 76; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 30 Rn. 188 m.w.N. 1363 So Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 64, aber im Ergebnis offen gelassen. 1364 So auch Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 132.

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3. Stellungnahme Eine argumentativ überzeugende Begründung dafür, weshalb die Anwen­ dung des § 130 OWiG auf steuerliche Sachverhalte einen Wertungswi­ derspruch darstellen solle, liefert keiner der oben genannten Vertreter. Der apodiktische Hinweis auf ein abgeschlossenes und erschöpfend gere­ geltes System von steuerlichen Ordnungswidrigkeiten (§§ 377 AO ff.) genügt hierbei jedenfalls nicht. Andernfalls wäre § 130 OWiG bei je­ der Zuwiderhandlung bedeutungslos, deren subjektive Voraussetzungen strenger als die der Aufsichtspflichtverletzung sind, sprich soweit also mehr als einfache Fahrlässigkeit gefordert wird.1365 Argumentative Schüt­ zenhilfe leistet grundsätzlich der Beitrag Sahans, der den Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung nicht gänzlich für Steuerordnungswidrigkei­ ten sperrt, sondern sich für eine teleologische Reduktion der Vorschrift ausspricht. Er führt in diesem Zusammenhang zunächst zutreffend aus, dass das primäre Gegenargument der herrschenden Lehre, den Rege­ lungsgehalt des § 130 OWiG ganz allgemein und völlig unabhängig von der zugrunde liegenden Zuwiderhandlung als Desorganisation im Betrieb oder Unternehmen zu beschreiben,1366 zu Friktionen mit dem Rechtsgü­ terschutz der Norm führt.1367 Jedoch zieht Sahan daraus den nicht über­ zeugenden Schluss, wonach der mittelbare Rechtsgüterschutz des § 130 OWiG eine Steuerordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat des § 130 OWiG dann ausschließe, wenn das tatbestandliche Verhalten des Auf­ sichtspflichtigen zugleich den objektiven Tatbestand einer Steuerord­ nungswidrigkeit erfülle. Wie es zu diesen Friktionen kommt und weshalb selbige den von Sahan daraus gezogenen Rückschluss dogmatisch nicht zu tragen vermögen, gilt es im Folgenden näher zu untersuchen. Dafür ist eine Rückbesin­ nung auf die Rechtsnatur und Funktion sowohl der Aufsichtspflichtver­ letzung als auch der leichtfertigen Steuerverkürzung notwendig. Nach­ dem genauer auf die Rechtsnatur und das Kausalitätserfordernis des § 130 OWiG eingegangen wurde, erfolgt ein Vergleich mit dem in seinem Anwendungsbereich engeren § 378 AO. Im Rahmen dessen spielen ins­ besondere die Funktion des § 378 AO als steuerrechtsspezifischer Auf­

1365 Siehe hierzu die Kritik von Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 606 f., der aufgrund des unterschiedlichen Unrechtssachverhalts einen divergierenden Schuldvorwurf sieht. 1366 Allen voran Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 62; zustimmend Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 4; Jäger, in: KleinAO, 2020, § 377 Rn. 16; Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 180. 1367 Gemeint ist der Rechtsgüterschutz im Sinne der h.M. als Verstärkung der durch die einzelnen betriebsbezogenen Straf- und Bußgeldvorschriften geschützten In­ teressen, vgl. Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 377 AO Rn. 18.

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fangtatbestand sowie der insoweit strengere Pflichtwidrigkeitszusam­ menhang eine Rolle. a) § 130 OWiG als konkretes Gefährdungsdelikt sui generis Bereits eingangs dieses Kapitels wurde auf den bestehenden Streit hin­ sichtlich der Einordnung von § 130 OWiG als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt hingewiesen.1368 (1) Die Ansicht der herrschenden Meinung Die herrschende Meinung1369 geht dabei unter Rückgriff auf die angeblich strafeinschränkend wirkende objektive Bedingung der Ahndbarkeit – die betriebsbezogene Zuwiderhandlung – von § 130 OWiG als einem ab­ strakten Gefährdungsdelikt aus. Demnach sei beim aufsichtspflichtigen Täter weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit hinsichtlich der begangenen Zu­ widerhandlung sowie des zwischen Tathandlung und Zuwiderhandlung nötigen Zurechnungszusammenhangs notwendig. Das tatbestandsmäßi­ ge Verhalten erschöpfe sich also im Unterlassen der erforderlichen Auf­ sichtsmaßnahmen, was dem von Joecks1370 beschriebenen Regelungsge­ halt der Norm als eine von der zugrunde liegenden Zuwiderhandlung unabhängige Desorganisation im Betrieb oder Unternehmen entspricht. (2) Die Ansicht Rogalls Nach Rogall1371 müsste man, um ein solches tatbestandsmäßiges Verhal­ ten zu rechtfertigen, den Schutzzweck der Norm entsprechend anpassen und die Ordnung im Betrieb zum schützenswerten Rechtsgut erklären, was die herrschende Meinung jedoch gerade nicht tut. Mit einem Ver­ weis auf die dadurch entstehenden dogmatischen Friktionen meldet er daher verfassungsrechtliche Zweifel an der Klassifizierung der Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt an. Demnach erfahre die Aufsichtspflicht bei dem von Joecks und der herrschenden Meinung unterstellten Rege­ lungsgehalt des § 130 OWiG eine unzweckmäßige Verselbstständigung in Bezug auf das durch die Norm eigentlich geschützte Interesse.1372 Der 1368 Siehe allgemein zu den einzelnen Erscheinungsformen von Gefährdungsdelikten C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 146 ff. 1369 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 113 f.; Adam, wistra 2003, 285, 289 f.; weitere Nachweise bei Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 17; offen gelassen bei Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 6. 1370 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 377 AO Rn. 62; zustimmend Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 4; Jäger, in: Klein-AO, 2020, § 377 Rn. 16; Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 377 Rn. 180. 1371 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 18 f.; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 588 ff. 1372 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 589 f.

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Aspekt der allgemeinen Aufrechterhaltung betrieblicher Ordnung im Sinne eines staatlichen Ordnungsinteresses kann nach dem oben Gesag­ ten allenfalls Schutzreflex der Norm, nicht aber das vorrangig zu schüt­ zende Rechtsgut sein.1373 Andernfalls wäre der Unternehmer zur Etablie­ rung eines „quasi flächendeckenden Kontrollnetzes, das die Begehung von Zuwiderhandlungen unwahrscheinlich macht, verpflichtet.“1374 Ein solches Kontrollnetz kann durch § 130 OWiG aber ebenso wenig verlangt werden wie die Einrichtung eines umfassenden Com­pli­ance-Systems.1375 In Bezug auf den verfassungsrechtlich garantierten Schuldgrundsatz1376 stellt Rogall darüber hinaus den lediglich strafeinschränkenden Charak­ ter der Zuwiderhandlung in Frage. Da sich nach § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG das Höchstmaß der Geldbuße, welche für eine Verletzung der Aufsichts­ pflicht verhängt werden kann, nach dem für die Pflichtverletzung ange­ drohten Höchstmaß der Geldbuße bestimmt wird, stelle die Zuwider­ handlung infolgedessen keinen sanktionseinschränkenden, sondern einen „verkappte[n] sanktionserhöhende[n] Umstand“ dar.1377 Dem des­ halb von Teilen der Literatur erhobenen Vorwurfs der Verfassungswidrig­ keit1378 der Vorschrift schließt sich der Autor hingegen nicht an, sondern ist stattdessen um eine verfassungskonforme Auslegung bemüht. Der Grundgedanke seines Lösungsansatzes ist dabei die Herstellung einer spezifischen Kongruenz bzw. Konnexität zwischen Aufsichtspflichtver­ letzung und Anknüpfungstat, wodurch die betriebliche Zuwiderhand­ lung zwar in gewisser Weise zur Konkretisierung der Aufsichtspflicht genutzt wird, jedoch nicht selbst zum Tatbestandsmerkmal avanciert. Letzteres verbietet sich in Anbetracht des klaren Wortlauts des § 130 OWiG und der sich daraus ergebenden Grenzen der verfassungskonfor­ men Auslegung, sodass ein unmittelbarer Vorsatz- oder Fahrlässigkeits­ bezug zu der konkreten Zuwiderhandlung ausscheiden muss.1379 Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird von Rogall in der Schaffung des unge­ schriebenen Tatbestandsmerkmals der „Zuwiderhandlungsgefahr“ gese­ hen, welche als Vorstadium der eigentlichen Zuwiderhandlung zu be­ greifen sei. Damit stellt Rogall in abstrahierter Betrachtung auf eine nach Pflichtkreisen spezifizierte Gefährdung von Rechtsgütern ab, die 1373 Siehe oben auf den S. 289 ff. 1374 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 590; ebenso Kindler, Das Unternehmen als haften­ der Täter, 2008, S. 120. 1375 Eingehend zu den Aufsichtspflichten des § 130 OWiG bereits die S. 277 ff. 1376 Siehe zu diesem sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Rechts­ staatsprinzip ergebenden Schuldgrundsatz BVerfG, Beschl. v. 16.04.1980 – 1 BvR 505/78, BVerfGE 54, 100, 108 f. m.w.N.; für das Ordnungswidrigkeitenrecht Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 99 ff. m.w.N. 1377 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 18; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 591 f. 1378 Zu den Vorwürfen der Verfassungswidrigkeit der Norm vgl. oben die S. 282 ff. 1379 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 593 f.

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aus objektiver Sicht Anlass zur Vornahme von hierauf bezogenen Auf­ sichtsmaßnahmen gibt und zudem subjektiv für den Aufsichtspflichti­ gen vorhersehbar ist.1380 Die Zuwiderhandlungsgefahr wird also Bestand­ teil des objektiven Tatbestandes, auf den sich demnach auch Vorsatz oder Fahrlässigkeit beziehen müssen. Würde man dagegen auf die Gefahr ab­ stellen, aus der später die konkrete Zuwiderhandlung resultiere, liefe das im Ergebnis auf eine tatbestandliche Prüfung der jeweiligen Anlasstat hinaus, wodurch § 130 OWiG wiederum sinnlos werden würde. Letztlich interpretiert Rogall § 130 OWiG damit als „konkretes Gefährdungsde­ likt sui generis“, dessen Regelungsgehalt „nicht in der Vornahme abs­ trakt-nützlicher Handlungen, sondern in der Abwendung oder Beseiti­ gung von konkreten Zuwiderhandlungsgefahren, die einem bestimmten Pflichtenkreis zugehören […]“1381 bestehe. (3) Stellungnahme Während der Verfasser mit seiner Sichtweise zum Zeitpunkt des 1986 erschienen Beitrags noch nahezu allein stand, erfährt sie mittlerweile zunehmend an Beachtung.1382 Zwar werden die praktischen Auswirkun­ gen dieses dogmatischen Streits um die Rechtsnatur des § 130 OWiG von mancher Seite als bedeutungslos abgetan, da es sich bei der betriebsbe­ dingten Zuwiderhandlung nach Ansicht aller Auffassungen um eine ob­ jektive Bedingung der Ahndbarkeit handelt, die ohnehin vom Tatbestand ausgenommen ist.1383 Damit wird jedoch verkannt, dass der Frage der Einordnung des § 130 OWiG als abstraktes oder konkretes Gefährdungs­ delikt die darüber hinausgehende Wirkung zukommt, dass dadurch auch das objektive Tatbestandsmerkmal der Aufsichtspflichtverletzung modi­ fiziert wird, auf welches sich Vorsatz und Fahrlässigkeit beziehen.1384 Teilweise wird dabei die von Rogall entwickelte Zuwiderhandlungs­ 1380 Siehe Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 596 f., der in diesem Zusammenhang beispiel­ haft Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften oder lebensmittelrechtliche Vor­ schriften aufzählt. Daneben können jedenfalls auch steuerrechtliche Vorschrif­ ten als konkretisierter Gefahrenkreis aufgefasst werden. 1381 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 599 f.; ähnlich Kindler, Das Unternehmen als haf­ tender Täter, 2008, S. 119 ff., die einer Deutung von § 130 OWiG als abstraktes Gefährdungsdelikt ebenfalls widerspricht, wobei aber auch eine Interpretation als konkretes Gefährdungsdelikt ihrer Ansicht nach die verfassungsrechtlichen Probleme der Vorschrift nicht behebt. 1382 Siehe hierzu die zahlreichen Verweise bei Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 19. Auch die Rechtsprechung tendiert hierzu, vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 05.04.2006 – VI-2 Kart 5/05 OWi, WuW/E DE-R 1893, 1899 Rn. 40 und 68. 1383 Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 6. 1384 Dies wird noch dadurch verstärkt, dass an anderer Stelle im selben Werk die kon­ krete Zuwiderhandlungsgefahr nicht nur anerkannt, sondern sogar als Begrün­ dung für die eigene Ansicht genutzt wird, vgl. Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirt­ schafts- und SteuerstrafR, 2017, § 377 AO Rn. 18.

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gefahr zu einer inhaltlich abgewandelten sog. „betriebstypischen Ge­ fahr“1385 zweckentfremdet. Beispielhaft hierfür werden Submissionsab­ sprachen in der Baubranche sowie Verstöße gegen Lenkzeiten- und Überladungsvorschriften im Transportgewerbe genannt. Versteht man den Terminus der betriebstypischen Gefahren weiter als den der Zuwi­ derhandlungsgefahr, muss nicht eine nach Pflichtenkreisen kategorisier­ te Gefahr vorliegen, sondern lediglich eine, die für ein Unternehmen oder einen Betrieb üblich ist. Darunter können sämtliche betriebs-, steu­ er- und handelsrechtlichen Vorschriften gefasst werden, ebenso wie bran­ chenspezifische Pflichten sowie zahlreiche weitere Vorschriften, vorran­ gig aus dem Wirtschaftsstrafrecht. Nach dieser Definition wäre damit ausreichend, dass es für den Aufsichtspflichtigen vorhersehbar ist, dass die Gefahr irgendeiner Zuwiderhandlung besteht, gleich aus welchem Bereich, solange sie in Zusammenhang mit der unternehmerischen oder betrieblichen Tätigkeit steht. Der Mehrwert einer solchen verfassungs­ konformen Auslegung wäre fraglich, da an sich keine Einschränkung des Tatbestandes erreicht wird, sondern lediglich eine deklaratorische Klar­ stellung: Welche, wenn nicht solche betriebstypischen Gefahren, sollten für den Aufsichtspflichtigen nach dem Wortlaut des § 130 OWiG schließ­ lich vorhersehbar sein? Sinnhafter wäre daher eine begriffliche Beschrän­ kung auf branchentypische Gefahren, welche dann jedoch zu eng wäre und zahlreiche allgemeinere Vorschriften, beispielsweise solche des Steuerrechts, ausschließen würde.1386 Zudem wäre eine solche Sicht­ weise contra legem, da der Wortlaut von § 130 OWiG sich eindeutig auf sämtliche Pflichten eines Betriebes oder Unternehmens bezieht, die an den Inhaber gerichtet sind („Pflichten […], die den Inhaber treffen“), nicht nur auf branchentypische. Wie sehr muss der Begriff der Zuwider­ handlungsgefahr also konkretisiert werden? Genügt die Kategorie „steu­ errechtliche Verstöße“, ist eine nach Steuerarten aufgeteilte Präzisierung notwendig (z.B. die Gefahr eines Verstoßes gegen Einkommensteuervor­ schriften) oder kann die Kategorie sogar weiter gefasst werden, im Sinne eines allgemeinen Verstoßes gegen steuer- und handelsrechtliche Vor­ schriften? Diese Frage bedarf für die Zukunft sicherlich weiterer wissen­ schaftlicher Aufarbeitung und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ab­ schließend beantwortet werden. Vor dem Hintergrund des begrifflichen 1385 Vgl. Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 64; Adam, wistra 2003, 285, 289 ff.; zwar spricht auch Rogall selbst teilweise von der „betriebstypischen Gefahr“, wobei er den Begriff jedoch syno­ nym für die Zuwiderhandlungsgefahr verwendet und einem davon abweichen­ den Begriffsverständnis deutlich widerspricht, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 19, 38, 118. 1386 So aber Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 64; Adam, wistra 2003, 289 ff.; hierzu einleuchtender Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 378 AO Rn. 234, der die Gefahr für eine Ver­ letzung „betriebsbedingter Pflichten i.S.d. Anlasstat“ verlangt.

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Verständnisses einer Zuwiderhandlungsgefahr nach Rogall erscheint eine Kategorisierung nach generell steuerrechtlichen Verstößen sinnvoll. Während die teilweise Zustimmung aus der juristischen Literatur und der Rechtsprechung zu Einzelaspekten Rogalls Ansicht zwar oftmals kei­ ne eindeutige Haltung zu einem zusätzlichen Tatbestandsmerkmal der Zuwiderhandlungsgefahr erkennen lässt, wird eine solche hingegen na­ hezu ausnahmslos als notwendiges Bindeglied im Rahmen des Pflicht­ widrigkeits- bzw. Schutzzweckzusammenhangs zwischen Aufsichts­ pflichtverletzung und begangener Zuwiderhandlung angesehen.1387 Es ist daher lohnenswert, sich das Kausalitätserfordernis von § 130 OWiG vor dem Hintergrund der von Rogall befürworteten Rechtsnatur der Vor­ schrift näher anzuschauen. Nach dem Wortlaut des § 130 OWiG hätte die Zuwiderhandlung bei Anwendung der gehörigen Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert werden müssen, wobei der Variante des Ver­ hinderns aufgrund der strengeren Anforderungen an den Nachweis in der Praxis kaum Bedeutung zukommt.1388 Einig ist man sich heute insoweit, dass das Kausalitätserfordernis eine Modifikation durch Rezeption der auf Roxin zurückgehenden „Risikoerhöhungslehre“1389 erfahren hat.1390 Demnach ist der Täter verpflichtet, die ihm zu Gebote stehenden Mög­ lichkeiten der Risikoverringerung auch zu nutzen, wobei das jeweilige Maß der Risikoverringerung kaum eindeutig bestimmbar ist. Da somit ein Wahrscheinlichkeitsurteil darüber notwendig ist, ob die unterlassene Aufsichtsmaßname die eingetretene Zuwiderhandlung wesentlich er­

1387 Rogall betonte bereits, dass die von ihm entwickelte Zuwiderhandlungsgefahr dem in seinen Einzelheiten stark umstrittenen Zurechnungszusammenhang Konturen verleihen würde, Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 597; siehe zur aktuellen Ansicht über die Notwendigkeit einer Zuwiderhandlungsgefahr beim Schutz­ zweckzusammenhang Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und Steuer­ strafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 66; Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen, 1997, S. 31 ff., 99 ff.; Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 2008, S. 108 f.; Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 119 f.; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 118 m.w.N.; kritisch hierzu Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 102. 1388 Vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 115; Niesler, in: Graf/Jäger/Wit­ tig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 65. 1389 C. Roxin, ZStW 74 (1962), 411 ff.; C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 88 ff.; siehe zur Risikoerhöhungslehre bei Unterlassungsdelikten C. Roxin, StrafR AT/ II, 2003, § 31 Rn. 46 ff.; jedenfalls früher wurde der Anwendung der Risikoerhö­ hungslehre generell eine unzulässige Strafbarkeitsausdehnung nachgesagt, was einen Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG darstelle. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Streit würde zu weit vom Thema wegführen, siehe hierzu Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen, 1997, S. 79 ff. 1390 Zur Anwendbarkeit der Risikoerhöhungslehre auf § 130 OWiG bereits der RegE des 31. StrÄndG – 2. UKG, BT-Drucks. 12/192, S. 33 f.; siehe ferner Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 116 f.; Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 66.

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schwert hätte, bleibt es im Ergebnis eine Wertungsfrage.1391 Die Recht­ sprechung behilft sich in diesen Fällen mit einer Faustformel: Demnach liegt eine wesentliche Erschwerung der Zuwiderhandlung dann vor, wenn die gebotene Aufsichtsmaßnahme die Wahrscheinlichkeit der Zu­ widerhandlung selbst substantiell reduziert.1392 Hätte demnach die gebo­ tene Aufsichtsmaßnahme zur Entdeckung der Zuwiderhandlung geführt, wird man stets von einer wesentlichen Erschwerung ausgehen dürfen, während eine vermutete bloße Beeinflussung der Begleitumstände der Zuwiderhandlung unzureichend ist.1393 Das für die vorliegende Fragestellung relevantere Kausalitätserfordernis ist allerdings jenes des Pflichtwidrigkeits- bzw. Schutzzweckzusammen­ hangs zwischen Aufsichtspflichtverletzung und Zuwiderhandlung.1394 Demnach kommt nicht jeder ursächlichen Aufsichtspflichtverletzung haftungsbegründende Wirkung zu, sondern nur derjenigen, die dem Täter im Rahmen des Schutzzwecks der Norm objektiv zurechenbar ist.1395 Die Zuwiderhandlungsgefahr stellt dann das fehlende Bindeglied zwischen der eigentlich neutralen Aufsichtspflichtverletzung und der konkreten Zuwiderhandlung dar. Da es sich bei Aufsichtspflichtverletzungen im Kern um ein Auswahl- und Überwachungsverschulden handelt, ist ent­ scheidend, dass gerade diejenige Zuwiderhandlungsgefahr betroffen ist, der die konkrete Zuwiderhandlung zuzuordnen ist. Nach Rogall ist es demnach notwendig, dass sich aus der Zuwiderhandlungsgefahr, die den Bezugspunkt im objektiven Tatbestand der sich später tatsächlich ereig­ nenden Zuwiderhandlung darstellt („Repräsentant der Zuwiderhand­ lung“), eine „arttypische Zuwiderhandlung“ herausbildet.1396 1391 So Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 66; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 611 f.; siehe zu den einzelnen Para­ metern, die in ein solches Wahrscheinlichkeitsurteil eingestellt werden müssen Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 117. 1392 Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 05.04.2006 – VI-2 Kart 5/05 OWi, WuW/E DE-R 1893, 1899; kritisch gegenüber solchen Pauschalierungen Niesler, in: Graf/Jäger/ Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 66. 1393 Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 117. 1394 Nach der heute überwiegenden Meinung in der Literatur ist eine solche Ver­ knüpfung notwendig, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 118 m.w.N.; sie­ he auch Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 120, der von einer „schutzzweckkongruenten Kausalität“ spricht; teilweise wird ein solcher Schutzzweckzusammenhang auch abgelehnt und stattdessen einzig auf die Kau­ salität abgestellt; diesen Streit zusammenfassend Maschke, Aufsichtspflichtver­ letzungen, 1997, S. 99 ff. 1395 Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen, 1997, S. 99 f. m.w.N.; teilweise wird auch auf die „Realisierung der betriebstypischen Gefahr“ abgestellt, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 118; ebenso Niesler, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirt­ schafts- und SteuerstrafR, 2017, § 130 OWiG Rn. 64, jedoch mit einem divergie­ renden Verständnis. 1396 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 608 ff.

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Unter diesen Umständen fragt sich, ob es inkonsequent wäre, weiterhin von einem abstrakten Gefährdungsdelikt auszugehen. Nach dessen Defi­ nition müsste eine Aufsichtspflichtverletzung als solche bereits ein typi­ scherweise gefährliches Verhalten darstellen, ohne dass ein konkreter Gefahrerfolg notwendig ist.1397 Konkrete Gefährdungsdelikte sind dage­ gen Erfolgsdelikte, wobei an die Stelle des Verletzungserfolges der Ge­ fährdungserfolg tritt. Demnach bedarf es einer Erfolgsgefahr im Sinne eines adäquaten, unerlaubten Verletzungsrisikos, die sich in einem kon­ kreten Gefahrerfolg verwirklicht hat.1398 Als Erfolgsgefahr würde im Fall des § 130 OWiG die Aufsichtspflichtverletzung fungieren, während die Zuwiderhandlungsgefahr den konkreten Gefährdungserfolg darstellen würde. Eine diesbezügliche Besonderheit stellt die objektive Bedingung der Ahndbarkeit, also die konkrete Zuwiderhandlung, dar, die zusätzlich eine Art „Verletzungserfolg“ in die Norm integriert, welcher sonst bei den konkreten Gefährdungsdelikten gerade ausbleibt. Da dieser „Verlet­ zungserfolg“ aber nicht das unmittelbare Werk des Täters des § 130 OWiG, sondern das eines Dritten ist, ändert der Umstand nichts an der Rechtsnatur der Vorschrift und wandelt das Gefährdungsdelikt auch nicht in ein Verletzungsdelikt um. Betrachtet man somit die Elemente der Aufsichtspflichtverletzung, der Entstehung einer Zuwiderhandlungs­ gefahr sowie der spezifischen Zuwiderhandlung als zusammengehörige Bestandteile einer Kausalitätskette,1399 muss auch die in § 130 OWiG nicht explizit erwähnte Zuwiderhandlungsgefahr dogmatisch verortet werden. Als notwendiges Bindeglied des Pflichtwidrigkeitszusammen­ hangs zwischen Aufsichtspflichtverletzung und konkreter Zuwiderhand­ lung kommt dafür entweder der Tatbestand der Norm oder die außertat­ bestandliche Ahndbarkeitsbedingung in Frage. Im Falle der Integration in den Tatbestand wird § 130 OWiG zum konkreten Gefährdungsdelikt mit der Zuwiderhandlungsgefahr als Gefährdungserfolg, andernfalls bleibt es beim abstrakten Gefährdungsdelikt. Auf den ersten Blick irreführend ist in diesem Zusammenhang die Aus­ sage Rogalls, eine Aufsichtspflicht als solche gebe es nicht.1400 Zwar hat Jakobs1401 für den Begehungsbereich fahrlässiger Taten die folgende zu­ treffende Beschreibung gegeben: „Der Täter hat beim Begehungsdelikt 1397 Siehe zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 153 ff.; nichts anderes gilt für die Kategorisierung als „abstraktes Eig­ nungsdelikt” bzw. „abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt“, da es sich auch hier­ bei im Kern um abstrakte Gefährdungsdelikte handelt, C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 162. 1398 C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 147. 1399 So bereits Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 612 f. 1400 So Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 590; zustimmend Maschke, Aufsichtspflichtver­ letzungen, 1997, S. 32; Adam, wistra 2003, 290. 1401 Jakobs, StrafR AT, 1991, S. 319.

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nicht sorgfältig zu handeln, sondern unsorgfältiges Handeln zu unterlas­ sen. […] Im Begehungsbereich ist nicht etwa sorgfältiger Umgang mit Streichhölzern geboten, sondern sorgloser Umgang verboten; eine Pflicht zum Umgang besteht nicht.“ Diese Formel kann jedoch nicht ohne wei­ teres auf § 130 OWiG übertragen werden, da sich fahrlässiges Unterlas­ sen gerade dadurch auszeichnet, dass der Täter sich naturgemäß in einer zum Einschreiten verpflichtenden Gefahrensituation befindet.1402 Das echte Unterlassungsdelikt des § 130 OWiG konstituiert normativ eine solche zum Einschreiten verpflichtende Gefahrensituation in Gestalt ei­ nes arbeitsteilig organisierten Betriebes bzw. Unternehmens, wobei das fahrlässige Unterlassen – abstrakt gesehen – darin liegt, dass die gebotene Handlung der Aufsichtsführung sorgfaltswidrig fehlerhaft ausgeführt wird und eine Zuwiderhandlung dadurch nicht verhindert bzw. nicht we­ sentlich erschwert wird.1403 Damit statuiert § 130 OWiG sehr wohl eine umfassende Aufsichtspflicht des Betriebs- oder Unternehmensinha­ bers.1404 Die Vorschrift läuft dadurch zwar Gefahr, arbeitsteilig organi­ sierte Betriebe und Unternehmen über Gebühr zu kriminalisieren, wo­ hingegen sie andererseits politisch und wirtschaftlich gerade ausdrücklich erwünscht und auch notwendig sind. Doch selbst Rogall1405 widerspricht dem materiellen Normzweck nicht, „den Betrieb oder das Unternehmen als Gefahrenquelle“ und den Menschen „unter den Bedingungen der ar­ beitsteiligen Wirtschaft als Risikofaktor“ zu sehen, sodass diesen „spezi­ fischen personellen Gefahren“ entgegengewirkt werden muss. Einer übertriebenen Kriminalisierung sowie der Gefahr, mittels § 130 OWiG dem Betriebsinhaber eine konkrete Organisationspflicht aufzuok­ troyieren und damit einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre unterneh­ merische Handlungsfreiheit vorzunehmen, wird jedoch bereits auf Tat­ bestandsebene entgegengewirkt. Zunächst erfährt die Aufsichtspflicht eine Einschränkung dadurch, dass lediglich geeignete, erforderliche und zumutbare Aufsichtsmaßnahmen gefordert werden.1406 Insbesondere aus dem Eignungsgrundsatz – also der Maßgabe, nur zu solchen Aufsichts­ maßnahmen verpflichtet zu sein, die geeignet sind, betriebsbezogene 1402 Jakobs, StrafR AT, 1991, S. 841; C. Roxin, StrafR AT/II, 2003, § 31 Rn. 196. 1403 Siehe allgemein zu dieser Erscheinungsform des fahrlässigen Unterlassens C. Roxin, StrafR AT/II, 2003, § 31 Rn. 200. 1404 So auch BayObLG, Beschl. v. 10.08.2001 – 3 ObOWi 51/2001, NJW 2002, 766 f., wonach der Unternehmer zunächst ganz generell verpflichtet ist, die erforderli­ chen Aufsichtsmaßnahmen zu treffen; ebenso Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 395, der zutreffend die Einschränkung im Merkmal der „gehörigen Aufsicht“ sieht. 1405 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 587; Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 2. 1406 Siehe ausführlich zu den Aufsichtspflichten bereits oben auf den S. 277 ff.; nach Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 40 wird dem Betriebsinhaber durch § 130 OWiG gerade nicht aufgegeben, seinen Betrieb in einer bestimmten Weise zu or­ ganisieren, sofern das Gesetz dies nicht ausdrücklich vorsieht (z.B. § 25a KWG).

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Verstöße zu verhindern – resultiert, dass kein flächendeckendes Kon­ trollnetz oder eine umfassende Com­pli­ance-Organisation etabliert wer­ den muss. Eine darüber hinausgehende Begrenzung erfährt die Auf­ sichtspflicht durch das ebenfalls dem Tatbestand zuzurechnende Kausalitätserfordernis. Damit ergibt sich aber bereits aus der erforderli­ chen Kausalität zwischen Aufsichtspflichtverletzung und Zuwiderhand­ lung eine tatbestandliche Einschränkung,1407 welche den Streit um die Rechtsnatur des § 130 OWiG in der Folge überflüssig macht. Die von Rogall als verfassungsrechtlich notwendige Einschränkung des Tatbe­ standes proklamierte Zuwiderhandlungsgefahr stellt im Kern also den Ausfluss einer konsequenten Anwendung grundlegender Kausalitäts­ regeln – speziell des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs – dar. Die Kausa­ lität ist aber evident kein Bestandteil der objektiven Bedingung der Ahndbarkeit, sondern des Tatbestandes, sodass auch die Zuwiderhand­ lungsgefahr dort zu verorten ist – allerdings nicht als zusätzliches, die Rechtsnatur der Vorschrift modifizierendes Tatbestandsmerkmal, son­ dern als schlichter Bestandteil der Kausalitätsprüfung. § 130 OWiG stellt somit ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar, dessen Kausalitätserforder­ nis jedoch dazu führt, dass im Ergebnis keine Abweichung zu der von Rogall befürworteten Lösung besteht. b) Das Verhältnis von § 378 AO zu § 130 OWiG Es fragt sich nun, welche Schlussfolgerungen hieraus für das Verhältnis von § 130 OWiG zu § 378 AO gezogen werden können. Gerade hinsicht­ lich des Kausalitätserfordernisses zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen beiden Delikten, die aber unter Umständen durch das kausale Bindeglied der Zuwiderhandlungsgefahr in § 130 OWiG so weit relati­ viert werden können, dass der Vorwurf, die Anwendung von § 130 OWiG auf steuerliche Sachverhalte stelle einen Wertungswiderspruch dar, ins Leere laufen würde. Um sich diesem Problem zu nähern, ist es notwen­ dig, sich den Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung genauer vor Augen zu führen, insbesondere hinsichtlich des im Vergleich zu § 130 OWiG strengeren Pflichtwidrigkeitszusammenhangs sowie seiner Funk­ tion als steuerrechtsspezifischer Auffangtatbestand. (1) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei § 378 AO Im Gegensatz zu § 130 OWiG stellt § 378 AO ebenso wie § 370 AO kein Gefährdungs-, sondern ein Verletzungsdelikt dar, sodass eine kausale Verknüpfung zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Taterfolg der Steuerverkürzung (bzw. des ungerechtfertigten Erlangens von Steuer­

1407 So auch explizit Rogall, in: KK-OWiG, 2018, § 130 Rn. 45.

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vorteilen) im Sinne der Äquivalenztheorie notwendig ist.1408 Demnach ist jede Bedingung als ursächlich für den Erfolg anzusehen, die nicht hin­ weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Ge­ stalt entfiele (conditio sine qua non).1409 Bei beiden Unterlassungsvarian­ ten (Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3) muss jeweils feststehen, dass der Erfolgseintritt bei pflichtgemäßem Verhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­ lichkeit entfallen wäre.1410 Ein wesentliches Erschweren des tatbestand­ lichen Erfolges mittels pflichtgemäßen Verhaltens reicht somit nicht aus, sodass die Risikoerhöhungslehre nach einhelliger Ansicht hier keine Anwendung findet.1411 Auch bei § 378 AO ist die Notwendigkeit eines Pflichtwidrigkeitszusam­ menhangs anerkannt. Der Taterfolg muss demnach gerade auf der Sorg­ faltspflichtverletzung beruhen und sich als Realisierung der in ihr ange­ legten Gefahr darstellen. Wäre der Taterfolg hingegen ebenso bei sorgfältigem Verhalten eingetreten bzw. bestehen hierüber auch nur Zweifel, entfällt gemäß des in dubio pro reo-Grundsatzes der Pflichtwid­ rigkeitszusammenhang.1412 In diesem Sinne weist Joecks auf den in der Praxis bedeutsamen Fall hin, dass die Durchführung von Stichproben und sonstigen Überwachungsmaßnahmen durch den Steuerpflichtigen gerade die eingetretene Steuerverkürzung hätte verhindern müssen. Die allgemeine Feststellung einer unzureichenden Überwachung und Kon­ trolle genügt nicht. Der Steuerpflichtige muss sich nach den Grundsät­ zen über die Delegation lediglich generelle Kenntnis über die Zuverläs­ sigkeit nachgeordneter Mitarbeiter verschaffen und nicht sämtliche einzelne Geschäftsvorgänge akkurat überprüfen. Diesbezüglich eine po­ sitive Feststellung zu treffen ist daher unter Beweisführungsgesichts­ punkten überaus schwierig.1413 Aus diesem Grund ist es auch gängige Praxis, in Konstellationen, in welchen eine solche positive Feststellung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zwischen dem Auswahl- und 1408 Vgl. die Formulierung „dadurch“ in § 370 Abs. 1 AO. 1409 Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, 2012, Rn. 315, 110 m.w.N.; siehe allgemein zur Kausalität bei der Begehungsvariante sowie zur Quasi-Kausalität bei der Un­ terlassungsvariante des § 378 AO Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 53 unter Verweis auf Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 AO Rn. 570 ff. 1410 Ransiek, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 370 Rn. 572; Rolletschke, Steuer­ strafrecht, 2012, Rn. 110. 1411 Anders nur C. Roxin, ZStW 74 (1962), 411 ff.; Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 11 Rn. 88 ff., der eine generelle Anwendung der Risikoerhöhungslehre befürwortet. 1412 Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 22; Bülte, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 378 AO Rn. 86 ff.; Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 53; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 378 AO Rn. 49 ff.; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 2012, Rn. 316. 1413 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 378 AO Rn. 50; zustimmend Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 53; Heerspink, in: Flore/ Tsambikakis-AO, 2016, § 378 AO Rn. 103.

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Überwachungsverschulden des Täters und dem konkreten Taterfolg der Steuerverkürzung nicht gelingt, auf § 130 OWiG mit seinen geringeren Anforderungen auszuweichen.1414 Bei § 378 AO muss feststehen, dass durch sorgfaltsgemäßes Verhalten der konkrete Taterfolg verhindert wor­ den wäre, während bei § 130 OWiG bereits eine Gefahrerhöhung durch mangelhafte Aufsicht ausreichend ist. In diesem Fall ist also ein tatbe­ standlicher Unterschied zwischen § 378 AO und § 130 OWiG mit steu­ errechtlicher Anknüpfungstat auszumachen, sodass sich gerade hier­ durch eine bedeutende Anwendungsmöglichkeit des § 130 OWiG – selbst nach Sahans Theorie – eröffnet. (2) § 378 AO als steuerrechtsspezifischer Auffangtatbestand Als Achillesferse des teilweise behaupteten Wertungswiderspruchs, wel­ cher in der (uneingeschränkten) Zulassung von Steuerordnungswidrig­ keiten als taugliche Anknüpfungstaten des § 130 OWiG begründet liege, wird von der herrschenden Meinung stets der unterschiedliche Rege­ lungsgehalt der Aufsichtspflichtverletzung einerseits sowie der steuerli­ chen Ordnungswidrigkeiten andererseits angeführt. Ebenso wenig aber wie der Hinweis auf ein abgeschlossenes und erschöpfend geregeltes Sys­ tem von steuerlichen Ordnungswidrigkeiten eine dogmatische Begrün­ dung dieses Wertungswiderspruchs liefert, kann selbiger nicht mit dem lapidaren Verweis auf den (nach dem eben Gesagten zudem unvollständi­ gen) Regelungsgehalt des § 130 OWiG widerlegt werden. Betrachtet man nämlich die beiden Regelungsinhalte im Einzelnen und stellt sie gegen­ über, wirft dies durchaus die Frage auf, inwiefern dem funktionalen Zweck des § 130 OWiG – Straf- und Ahndbarkeitslücken mittels Zurech­ nungssicherung zu schließen – im Falle einer steuerrechtlichen Anknüp­ fungstat tatsächlich gedient ist. Dass der Einwand der divergierenden Regelungsmaterien im Kern dennoch in die richtige Richtung geht und letztlich seinem Ergebnis nur argumentativ hinterherhinkt, zeigen die nachfolgenden Ausführungen. Genauso wie § 130 OWiG stellt auch § 378 AO, flankiert durch die §§ 379 ff. AO, einen Auffangtatbestand dar.1415 Es besteht folglich ein breiteres Anknüpfungsspektrum als bei der Vorsatztat des § 370 AO, so­ dass die Konzeption von § 378 AO als Fahrlässigkeitstatbestand auch 1414 Vgl. Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 72, 75; Bülte, in: Hübsch­ mann/Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 378 AO Rn. 88; Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/ III, 2019, § 378 Rn. 22 m.w.N. 1415 Für ein solches Stufenverhältnis von § 370 AO und § 378 AO vgl. BGH, Urteil v. 13.01.1988 – 3 StR 450/87, NStZ 1988, 276 f.; Heuel, in: Kohlmann-Steuer­ strafR, 2021, § 378 Rn. 7; Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und Steuer­ strafR, 2017, § 378 AO Rn. 3; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt-SteuerstrafR, 2015, § 378 AO Rn. 8; Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 4.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

eine Ausdehnung der entsprechenden Verantwortlichkeiten auf Hand­ lungen im Vorfeld der Steuererklärungspflicht erlaubt. Neben den an sich eigentlich folgenlosen rechtswidrigen Vorbereitungs- und Gefähr­ dungshandlungen als taugliche Anknüpfungspunkte für einen Sorgfalts­ verstoß, kommt in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Fi­ gur des Auswahl- und Überwachungsverschuldens zum Tragen.1416 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Delegation steuerlicher Pflichten selbstverständlich zulässig und unter Umständen sogar notwendig ist, die Verantwortung dann jedoch in Gestalt einer Auswahlsorgfalts-, In­ struktions- und Überwachungspflicht beim Steuerpflichtigen weiterlebt. Der Steuerpflichtige muss jedenfalls dann einschreiten, wenn Anlass be­ steht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den da­ für Zuständigen zu zweifeln.1417 Andererseits darf der Umfang der Über­ wachung sich nicht auf ein Ausmaß erstrecken, das den Einsatz von Mitarbeitern sinnlos erscheinen ließe und damit dem eigentlichen Zweck der Delegation, einer Entlastung der Geschäftsführungsebene, zu­ widerliefe.1418 In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, inwiefern die Auswahlsorgfalts-, Instruktions- und Überwachungspflicht zur Ein­ führung eines Tax Com­pli­ance-Systems in Unternehmen verpflichtet.1419 Heuel verneint eine derartige Pflicht und steht der Formulierung in Tz. 2.6 S. 6 des AEAO zu § 153 AO überaus kritisch gegenüber. Er be­ fürchtet, dass künftig denjenigen Unternehmen, die kein solches System etabliert haben, eine mangelhafte Organisation des Unternehmens vor­ geworfen werden und somit darauf basierend ein Verschulden vermutet werden könnte.1420

1416 Vgl. Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 16; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt-SteuerstrafR, 2015, § 378 AO Rn. 7. 1417 Krumm, in: Tipke/Kruse-AO/III, 2019, § 378 Rn. 16; Bülte, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler-AO, 2021, § 378 AO Rn. 64 ff.; eingehend zur horizontalen und vertikalen Delegation Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 70 ff.; Heerspink, in: Flore/Tsambikakis-AO, 2016, vor § 377 AO Rn. 61 ff. jeweils m.w.N. 1418 So BFH, Urteil v. 18.05.1988 – X R 57/82, BFHE 153, 304, der in diesem Fall aber lediglich Leichtfertigkeit, nicht einfache Fahrlässigkeit ausschließt. Siehe ferner Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 76, wonach auch bei zuver­ lässigen Mitarbeitern stets eine wenigstens stichprobenweise Prüfung zu erfol­ gen hat. 1419 Diese Streitfrage resultiert unter anderem aus dem BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001, der in Tz. 2.6 S. 6 von einem sog. „innerbetrieblichen Kontrollsystem“ spricht, das ggf. ein Indiz gegen das Vorliegen des Vorsatzes bei § 370 AO bzw. der Leichtfertigkeit bei § 378 AO dar­ stellen kann. 1420 Heuel, in: Kohlmann-SteuerstrafR, 2021, § 378 Rn. 80; zur Notwendigkeit, nicht aber gesetzlichen Pflicht der Vorhaltung eines Tax Com­pli­ance Systems Hunsmann, DStR 2014, 855, 858.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

Folglich existiert mit § 378 AO bereits eine Norm, die in Gestalt eines Auffangtatbestandes steuerliche Zuwiderhandlungen, welche aus der Be­ triebs- oder Unternehmenssphäre herrühren und das Resultat einer Auf­ gabendelegation mit unzureichenden Aufsichtsmaßnahmen darstellen, sanktioniert. Dies allerdings zum Anlass zu nehmen, dem Regelungsge­ halt des § 130 OWiG im Falle einer steuerrechtlichen Anknüpfungstat einen identischen Charakter zu verleihen, wäre verfehlt. Inhaltlich ver­ bleibt für § 130 OWiG nach wie vor ein weiterer Anwendungsbereich als für § 378 AO, indem weniger strenge Kausalitätsanforderungen greifen und anstelle eines leichtfertigen Sorgfaltsverstoßes bereits eine fahrlässi­ ge Aufsichtspflichtverletzung genügt. Zudem existiert für § 130 OWiG kein dem § 378 Abs. 3 AO vergleichbarer persönlicher Strafaufhebungs­ grund, was als eine unter Umständen zu beanstandende, aber nichts­ destotrotz rechtsgültige Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen ist.1421 Die Diskrepanz der beiden Regelungsmaterien manifestiert sich entgegen der herrschenden Meinung aber nicht in der von § 130 OWiG großzügiger geschützten Desorganisation im Betrieb oder Unternehmen, sondern primär in den unterschiedlichen tatbestandlichen Gefahrbegrif­ fen. Während für den Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung nach dem oben Gesagten eine nach Pflichtenkreisen kategorisierte, aber auch entsprechend präzisierte Zuwiderhandlungsgefahr ausreichend ist, be­ darf es für § 378 AO einer insoweit konkreteren Gefahr, als diese die spätere spezifische Steuerordnungswidrigkeit bereits in Grundzügen ­abzeichnen muss.1422 Mit anderen Worten muss der nach § 130 OWiG aufsichtspflichtige Täter nicht die später konkret eintretende Zuwider­ handlung voraussehen, sondern lediglich eine diese umreißende Gefahr erkennen, aus welcher sich eine Zuwiderhandlung entwickelt, die mit der eigentlichen Tat einem gemeinsamen Gefahrkomplex untergeordnet werden kann. Bezogen auf § 378 AO als Anknüpfungstat müsste der Auf­ sichtspflichtige demnach wenigstens fahrlässig erkennen, dass die von ihm ergriffenen Aufsichtsmaßnahmen zur Verhinderung eines noch nicht näher umrissenen Verstoßes gegen steuerrechtliche Vorschriften nicht ausreichend sind bzw. einen solchen Verstoß nicht wesentlich er­ schweren. Aus dem Umstand der divergierenden Gefahrkomplexe zieht Rogall den richtigen Schluss eines unterschiedlichen Unrechtssachver­ 1421 Wie bereits oben erwähnt, laufen diejenigen Fälle, in welchen der Zuwiderhan­ delnde von seiner Möglichkeit der Selbstanzeige wirksam Gebraucht macht, in der Praxis in der Regel auf eine Verfahrenseinstellung der Aufsichtspflichtverlet­ zung nach § 47 OWiG und eine eventuelle Abschöpfung der Zinsvorteile nach § 29a OWiG hinaus. 1422 Vgl. Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 596 f.; zumindest hinsichtlich des Vorliegens einer Zuwiderhandlungsgefahr im Tatbestand des § 130 OWiG sieht Sahan dies genauso. Allerdings sind seiner Ansicht nach die Zuwiderhandlungsgefahr des § 130 OWiG und die konkretere Gefahr des § 378 AO identisch, vgl. Sahan, in: Graf/Jäger/Wittig-Wirtschafts- und SteuerstrafR, 2017, § 377 AO Rn. 18.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

halts zwischen der jeweiligen Zuwiderhandlung und der Aufsichts­ pflichtverletzung. Dem immanent ist letztlich ein anderer Schuld­ vorwurf, der einen Wertungswiderspruch selbst für diejenigen Fälle ausscheiden lässt, in welchen der Aufsichtspflichtige für einen fahrlässig begangenen § 130 OWiG in Bezug auf eine Zuwiderhandlung einzuste­ hen hat, welche selbst nur vorsätzlich oder leichtfertig begangen werden kann.1423 c) § 130 OWiG de lege lata und de lege ferenda im Lichte steuerlicher Zuwiderhandlungen Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass § 130 OWiG auch auf steuerrecht­ liche Sachverhalte anwendbar ist. Der unterschiedliche Schuldvorwurf erlaubt es, § 378 AO als taugliche Anknüpfungstat des § 130 OWiG zu­ zulassen. Das Verhältnis dieser beiden Normen zueinander ist zwar um­ stritten und bietet in der Tat Diskussionsbedarf für eine Änderung des § 130 OWiG de lege ferenda, ausschlaggebend für die Kritik dürfen jedoch nicht die unterschiedlichen Tatbestände von § 378 AO mit dem Erforder­ nis der Leichtfertigkeit und den strengeren Kausalitätsregeln einerseits, sowie den einfacheren Voraussetzungen des § 130 OWiG andererseits sein. Diese Diskrepanzen sind Ausdruck einer legislativen Entscheidung, § 130 OWiG als umfassenden Auffangtatbestand auszugestalten und ent­ behren angesichts des unterschiedlichen Schuldvorwurfs auch jeglicher Grundlage. Das Argument, die §§ 377 ff. AO wären ein abgeschlossenes und erschöpfend geregeltes System von steuerlichen Ordnungswidrig­ keiten, trägt daher nicht. Zum einen stellt § 130 OWiG keine Steuer­ ordnungswidrigkeit dar, zum anderen wäre hierdurch, denkt man den Einwand konsequent zu Ende, der Rückgriff auf sämtliche Ordnungswid­ rigkeitstatbestände versperrt, deren Anforderungen die des § 130 OWiG übersteigen. Eine solche Sichtweise wäre contra legem, da infolgedessen der funktionale Zweck der Norm, einen subsidiären Auffangtatbestand darzustellen, unterlaufen würde. Derartige Bedenken können deshalb einzig im Rahmen der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden, sodass eine lediglich fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung bei einer nur leicht­ fertig oder vorsätzlich zu sanktionierenden Zuwiderhandlung positive Auswirkungen auf die Höhe des ahndenden Teils des Bußgeldes haben sollte. Problematischer ist allerdings eine andere im Zusammenhang mit steu­ erlichen Zuwiderhandlungen bestehende Besonderheit. Erstattet der Zu­ widerhandelnde nämlich nach begangener Steuerstraftat oder -ordnungs­ widrigkeit wirksam Selbstanzeige nach § 371 AO bzw. § 378 Abs. 3 AO, 1423 Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 606 f.; siehe auch Ransiek, Unternehmensstraf­ recht, 1996, S. 102, 104 f.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

bestenfalls noch auf Anweisung oder unter Mitwirkung des Betriebsoder Unternehmensinhabers, hat ein solches Verhalten nach der Geset­ zeslage de lege lata keine zwingenden Auswirkungen auf die Festsetzung einer Geldbuße nach § 130 OWiG, sondern allenfalls auf die Höhe des ahndenden Anteils. In Betracht käme zudem ein Absehen von der Verfol­ gung nach § 47 OWiG, welches jedoch im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde (Abs. 1) bzw. des Gerichts mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft (Abs. 2) liegt. Auf den ersten Blick könnte man auch in diesem Fall schlicht auf den unterschiedlichen Schuldvorwurf verwei­ sen und dem Kritikpunkt damit den Wind aus den Segeln nehmen. Hier kommt jedoch erschwerend hinzu, dass in der konzeptionell ähnlichen Vorschrift der Verbandsgeldbuße mit § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG eine Rege­ lung geschaffen wurde, wonach die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ausgeschlossen ist, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht ver­ folgt werden kann. Stellt also die Anknüpfungstat des § 30 OWiG eine leichtfertige Steuerverkürzung des Geschäftsführers einer GmbH dar, verbietet § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG die Festsetzung einer Geldbuße gegen die GmbH, sofern der Geschäftsführer wirksam Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO erstattet. Stellt hingegen die Anknüpfungstat des § 130 OWiG eine leichtfertige Steuerverkürzung eines Mitarbeiters dar, hat dessen wirksam erstattete Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO weder zwingende Auswirkungen auf die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Aufsichts­ pflichtigen, noch auf die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristi­ sche Person nach § 30 OWiG mit § 130 OWiG als Anknüpfungstat. Eine analoge Anwendung des § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG muss mangels einer plan­ widrigen Regelungslücke ausscheiden, da nach § 130 Abs. 3 S. 2 OWiG ausdrücklich auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG hingewiesen wird, nicht jedoch auf weitere Teile der Norm. Damit verbleibt lediglich der Vorschlag einer Regelung de lege ferenda, wonach entweder in § 130 Abs. 3 OWiG ein zusätzlicher Verweis auf § 30 Abs. 4 OWiG, insbesondere auf dessen Satz drei, eingefügt oder ein neuer § 130 Abs. 4 OWiG mit einer entsprechenden Verweisung geschaf­ fen wird, sodass die Festsetzung einer Geldbuße auch gegen den Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens ausgeschlossen wäre, wenn die zu­ grundeliegende Zuwiderhandlung aus rechtlichen Gründen nicht ver­ folgt werden kann.

V. Tax Com­pli­ance im Lichte des § 130 OWiG Vor dem Hintergrund der oben erörterten Ziele eines ordnungsgemäßen Tax Com­pli­ance-Systems ist hinsichtlich der auf das Steuerrecht bezoge­ nen Aufsichtsmaßnahmen des § 130 OWiG ein strenger Maßstab anzule­ 323

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

gen, um das Risiko einer Ahndung zu minimieren.1424 Bereits die Gefahr der teilweise exorbitanten Bußgelder, die nach § 130 OWiG gegen einzel­ ne Personen sowie nach § 30 OWiG gegen das Unternehmen selbst ver­ hängt werden können,1425 zwingt schon aus unternehmerisch-betriebs­ wirtschaftlicher Perspektive zu einer bestmöglichen Verhinderung einer entsprechenden Ahndung. Hinzu kommen weitere damit zusammen­ hängende Nachteile, wie beispielsweise Reputationseinbußen.1426 Die nachfolgenden Ausführungen dienen der Veranschaulichung rechtlicher Zusammenhänge zwischen § 130 OWiG und einem Tax Com­pli­anceSystem, kulminierend in der Frage, ob den Geschäftsführer zumindest eine faktische Pflicht zur Etablierung entsprechender Strukturen trifft. 1. Keine Pflicht zur Etablierung eines (Tax) Com­pli­ance-Systems aus § 130 OWiG Wie bereits erwähnt, gehen einige Autoren sogar von einer aus den §§ 9, 130 OWiG resultierenden Pflicht des Vorstands einer AG zur Etablierung eines Com­pli­ance-Systems aus.1427 Diese Überlegungen können auch auf den Geschäftsführer einer GmbH übertragen werden. Dabei wird regel­ mäßig eine Kategorisierung vorgenommen, wonach gemäß den §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG eine auf das Innenverhältnis beschränkte Com­pli­ ance-Pflicht bestehe, während die §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 1 OWiG den Vorstand einer AG im Außenverhältnis Com­pli­ance-rechtlich bin­ den würden.1428 Da Tax Com­pli­ance nach dem oben Gesagten einen Be­ standteil der Corporate Com­pli­ance bildet, müsste eine entsprechende Verpflichtung auch für diesen Bereich bestehen. Konsequent zu Ende ge­ dacht untersucht Gasper deshalb hierauf aufbauend die Interdependenz der aktienrechtlichen sowie ordnungswidrigkeitsrechtlichen Anforde­ rungen an Tax Com­pli­ance, wobei die einzelnen Elemente einer einzu­ 1424 So auch Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 387. 1425 So z.B. das Bußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro, welches von der Staatsan­ waltschaft Braunschweig nach § 30 OWiG i.V.m. §§ 9, 130 OWiG infolge der Af­ färe um Abgasmanipulationen gegen die VW AG verhängt wurde, vgl. hierzu die Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 13.06.2018, ab­ rufbar unter http://www.staatsanwaltschaften.niedersachsen.de/startseite/staats​ anwaltschaften/braunschweig/presseinformationen/vw-muss-bussgeld-zahlen-​16​ 5610.html, zuletzt aufgerufen am 27.06.2018. 1426 Siehe zu den einzelnen Nachteilen, die ein Tax Com­pli­ance System verhindern soll, und wozu auch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen einer Ahndung nach § 130 OWiG bzw. § 30 OWiG zu zählen sind, auf den S. 27 ff. 1427 Vgl. Moosmayer, in: Moosmayer, Com­pli­ance, 2021, § 2 Rn. 11 ff.; U. H. Schneider, NZG 2009, 1321, 1322 f.; Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 221 ff.; Schützler, Tax Com­pli­ance, 2015, S. 94 ff.; in diese Richtung, zumindest für große Un­ ternehmen, auch Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 396. 1428 Siehe zu diesem Zwei-Säulen-Modell im Sinne eines gemeinsamen Fundaments einer einheitlichen Corporate Com­ pli­ ance-Pflicht Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 223.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

richtenden Organisation in beiden Fällen nahezu identisch seien.1429 Im Anschluss konstatiert der Autor jedoch im Widerspruch zu seinen vorhe­ rigen Aussagen zu einer bestehenden Com­pli­ance-Pflicht im Außenver­ hältnis gemäß den §§ 9, 130 OWiG, dass die Legalitätspflicht des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG zur Einhaltung aller Gesetze auffordere, so auch von § 130 OWiG. Damit seien die ordnungswidrigkeitsrechtlichen Anforde­ rungen an Tax Com­pli­ance Teil der aktienrechtlichen Anforderungen, sodass § 130 OWiG in dieser Konstellation nur ein Anwendungsbereich als Auffangtatbestand verbleibe.1430 Diese Überlegungen weisen jedoch einen grundlegenden Widerspruch auf: Mag ein bestmögliches Verhüten etwaiger Ahndungen nach § 30 OWiG bzw. § 130 OWiG auch im Sinne eines ordnungsgemäßen Com­pli­ ance-Systems sein, lässt sich eine im Außenverhältnis bestehende Com­ pli­ance Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH dennoch nicht den §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 1 OWiG entnehmen. Eine Pflicht des Geschäfts­ führers zur Etablierung eines (Tax) Com­pli­ance-Systems könnte sich al­ lenfalls aus seinen internen, gegenüber der Gesellschaft geschuldeten Pflichten ergeben. Wie im vorherigen Kapitel aber eingehend untersucht und dargelegt wurde, kann von einer solchen ausnahmslos bestehenden Pflicht nicht die Rede sein, weder hinsichtlich des „Ob“ noch des „Wie“ der Einrichtung entsprechender Strukturen. Der Geschäftsführer schul­ det der Gesellschaft demnach lediglich eine mit dem Gesellschafterin­ teresse korrespondierende Erfüllung seiner organschaftlichen Pflichten, wovon die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten umfasst sein kann, aber nicht muss. Rechtskonformität im Sinne des § 130 OWiG erfordert indes lediglich erforderliche und zumutbare Aufsichtsmaßnahmen, nicht da­ gegen ein ausgereiftes Com­ pli­ ance-System.1431 Folglich kann der Ge­ schäftsführer mangels anderweitiger Vorgaben der Gesellschafter selbst für den Fall, dass er der Gesellschaft die uneingeschränkte Einhaltung gesetzlicher Vorschriften schuldet, auf der Grundlage des § 130 OWiG normativ nicht zur Etablierung eines (Tax) Com­ pli­ ance-Systems ver­ pflichtet sein. Eine derartige Verpflichtung ginge deutlich über die nach den §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 1 OWiG erforderlichen Aufsichtsmaßnah­ men eines Geschäftsführers hinaus, sodass – entgegen Gasper – auch nicht von einem gemeinsamen Fundament einer einheitlichen Corpo­ rate Com­pli­ance-Pflicht gesprochen werden kann.

1429 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 391. 1430 Gasper, Tax Com­pli­ance, 2016, S. 392 f. 1431 Siehe hierzu bereits die Ausführungen zu den aus § 130 OWiG resultierenden Aufsichtspflichten, S, 294 ff.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

2. Positive Effekte eines (Tax) Com­pli­ance-Systems im Hinblick auf den Tatbestand und die Ahndbarkeitsbedingung des § 130 OWiG Stellt man hingegen mit Engelhart auf die eigentliche Wirkung eines Com­pli­ance-Systems in diesem Zusammenhang ab, nämlich die bloße Möglichkeit, den Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung zu entkräf­ ten, lassen sich die tatsächlichen Wechselwirkungen eines effektiven Com­pli­ance-Programms und § 130 OWiG dogmatisch sauber herausar­ beiten. Einerseits ergibt sich aus dem Tatbestand der Aufsichtspflicht­ verletzung zwar keine unmittelbare Pflicht zur Etablierung eines Com­ pli­ance-Systems, andererseits existiert aber auch kein Automatismus, wonach die erfolgreiche Einrichtung eines solchen Systems stets zur Ver­ neinung des Tatbestandes führt.1432 Die Ausführungen gelten dabei glei­ chermaßen für die allgemeine Corporate Com­pli­ance wie auch die spezi­ ellere Tax Com­pli­ance. Nichtsdestotrotz sind die zahlreichen positiven Effekte in Bezug auf die Gefahr einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG zu betonen, welche die Etablierung und Umsetzung eines Com­pli­ance-Systems mit sich bringt. So mindern im Rahmen eines Com­pli­ance-Systems verab­ schiedete Verhaltensstandards, Schulungen und Kommunikationspro­ zesse bereits frühzeitig das Entstehen einer möglichen Anknüpfungs­ tat.1433 Gerade im Steuerrecht angesichts der Vielzahl an zu beachtenden und sich ständig verändernden, teils überaus komplizierten Vorschriften ist auf diesen Aspekt besonders viel Wert zu legen. Zudem ist an den bereits herausgearbeiteten Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu erin­ nern, wonach nicht jede an sich ursächliche Aufsichtspflichtverletzung zur Erfüllung des § 130 OWiG tauglich ist. Gerade ein ordnungsgemäß etabliertes und gelebtes Com­pli­ance-System kann diesen Kausalzusam­ menhang unterbrechen, indem mit Hilfe des inhärenten Dokumentati­ onselements gerichtlich nachprüfbar festgestellt werden kann, dass auch zusätzliche Aufsichtsmaßnahmen die konkrete Zuwiderhandlung nicht wesentlich erschwert hätten.1434 Da Com­ pli­ ance-Systeme darüber hinaus insbesondere für Fahrlässig­ keitsdelikte immense Bedeutung haben, steht auch hier der positive Nutzen hinsichtlich einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung im Vordergrund. Nach der Rechtsprechung handelt fahrlässig, wer eine ob­ jektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden hätte können und gerade die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg gezei­

1432 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 403. 1433 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 402. 1434 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 403 f.

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B.  Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers im Lichte des § 130 OWiG

tigt hat.1435 Insgesamt ist es aber schwierig, Fahrlässigkeit mit Schlag­ wörtern wie „Sorgfaltspflichtverletzung“ sowie der „Vorhersehbarkeit“, „Erkennbarkeit“ und „Vermeidbarkeit“ des Erfolges abstrakt zu um­ schreiben.1436 Mittels eines Com­pli­ance-Programms kann nun der im Unternehmen anzulegende Sorgfaltsmaßstab für alle Mitarbeiter ab­ schließend festgelegt werden. Auch wenn es für das ordnungswidrigkei­ tenrechtlich relevante Verhalten einzig auf das des jeweiligen Täters an­ kommt, kann ein solcher Verhaltensmaßstab zur Entkräftung eines Organisationsverschuldens auf Geschäftsführungsebene herangezogen werden. Zudem hat der elementare Bestandteil der Risikoidentifikation und -bewertung eines Com­pli­ance Management-Systems positive Aus­ wirkungen auf die Merkmale der Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit möglicher Anknüpfungstaten eines § 130 OWiG. Somit stellt ein etab­ liertes und gelebtes Com­pli­ance-System einen nützlichen und insbeson­ dere gerichtlich nachprüfbaren Anhaltspunkt dafür dar, den Vorwurf ei­ ner Sorgfaltspflichtverletzung, insbesondere eines fahrlässigen § 130 OWiG, abzuwehren.1437 3. Positive Effekte eines (Tax) Com­pli­ance-Systems im Hinblick auf die Sanktionsbemessung Nicht zuletzt ist der Zusammenhang eines wirksamen Com­ pli­ anceSystems mit der Sanktionsbemessung, auch und insbesondere im Zu­ sammenhang mit §§ 30, 130 OWiG, hervorzuheben. Nach dem bereits erläuterten Urteil des BGH vom 09.05.2017 ist es für die Bemessung ei­ ner Geldbuße von Bedeutung, ob ein auf die Vermeidung von Rechtsver­ stößen ausgelegtes „effizientes Com­pli­ance-Management“1438 installiert wurde. Auch die juristische Literatur schreibt Com­pli­ance-Programmen einen „bedeutenden Anwendungsbereich“ im Hinblick auf den ahnden­ den Teil einer Geldbuße zu.1439 Entscheidend für die Bußgeldhöhe des § 130 OWiG sowie auch des § 30 OWiG ist, ob die konkrete Anknüp­ fungstat lediglich eine Einzeltat im Sinne eines „Ausreißers“ darstellt oder darüber hinausgehende strukturelle Defizite festgestellt werden 1435 BGH, Urteil v. 22.11.2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143 f.; BGH, Urteil v. 13.11.2003 – 5 StR 327/03, BGHSt 49, 1, 5. 1436 So zutreffend C. Roxin, StrafR AT/I, 2006, § 24 Rn. 8 ff., der die Kriterien zuein­ ander in Beziehung setzt und daraus die unerlaubte Gefahrschaffung als konkre­ tisierende Leitlinie herausarbeitet. 1437 So auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 406 ff., der allgemein die positiven Auswirkungen von Com­ pli­ anceProgrammen auf Fahrlässigkeitsdelikte umfassend beschreibt. 1438 BGH, Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16, wistra 2017, 390, 399 = juris Rn. 118. 1439 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ance, 2010, S. 440 m.w.N.; anders hingegen Pampel, BB 2007, 1636, 1638 ff., wonach die Einfüh­ rung eines Com­pli­ance-Programms weder nach noch vor einer Zuwiderhandlung bußgeldmindernd berücksichtigt werden kann.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

können, die den Verdacht systematischer, schlimmstenfalls gar gewoll­ ter, Rechtsbrüche erwecken. Ein auf die Verhinderung systematischen Fehlverhaltens ausgerichtetes Com­ pli­ ance-System kann dabei helfen, nachzuweisen, dass die Anknüpfungstat einen Einzelfall darstellt, wel­ cher in die künftige Verbesserung des Systems einfließt und eine Wieder­ holung solchen Verhaltens verhindert.1440

VI. Resümee Letztlich lässt sich zusammenfassen, dass die Festsetzung einer Geld­ buße nach § 130 OWiG auch im Falle einer steuerrechtlichen Zuwider­ handlung, allen voran § 378 AO, grundsätzlich zulässig ist und keinen Wertungswiderspruch darstellt. Über § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird dabei auch der Geschäftsführer einer GmbH zum Sanktionsadressaten des § 130 OWiG. Zusätzlich kann die Aufsichtspflichtverletzung des Ge­ schäftsführers taugliche Anknüpfungstat einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG sein, sodass die steuerrechtliche Zuwiderhandlung eines Mit­ arbeiters über §§ 9, 130 OWiG nicht nur zu einer persönlichen Geldbuße gegen den Geschäftsführer, sondern über § 30 OWiG auch zu einer Ver­ bandsgeldbuße gegen die GmbH führen kann. Die vorstehenden Ausführungen haben zudem gezeigt, dass das Verhält­ nis der beiden Auffangtatbestände der § 130 OWiG und des § 378 AO zueinander zahlreiche Probleme aufwirft, die jedoch nahezu gänzlich un­ ter Verweis auf den divergierenden Schuldvorwurf beseitigt werden kön­ nen. Nicht zufriedenstellend verbleibt der Umstand, dass im Falle einer steuerrechtlichen Anknüpfungstat die wirksam erstatte Selbstanzeige des Zuwiderhandelnden nach § 371 AO bzw. § 378 Abs. 3 AO nach der Gesetzeslage de lege lata keine zwingenden Auswirkungen auf die Fest­ setzung einer Geldbuße nach § 130 OWiG, sondern allenfalls auf die Höhe des ahndenden Anteils hat. Angesichts der Tatsache, dass im Rah­ men der diesbezüglich konzeptionell ähnlichen Vorschrift des § 30 OWiG die Festsetzung einer Geldbuße in derartigen Fällen nach § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausgeschlossen ist, stellt die bloße Möglichkeit eines vom Ermes­ sen abhängigen Absehens der Verfolgung nach § 47 OWiG ein unzurei­ chendes Korrektiv dar. Wünschenswert wäre daher eine Regelung de lege ferenda, wonach entweder in § 130 Abs. 3 OWiG ein zusätzlicher Ver­ weis auf § 30 Abs. 4 OWiG, insbesondere auf dessen Satz drei, eingefügt oder ein neuer § 130 Abs. 4 OWiG mit einer entsprechenden Verweisung geschaffen wird, sodass die Festsetzung einer Geldbuße auch gegen den 1440 Ausführlich hierzu Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Com­pli­ ance, 2010, S. 440 ff., der auch auf die umstrittene Möglichkeit einer strafschär­ fenden Wirkung von mangelhaften bzw. nur zum Schein errichteten Com­pli­ ance-Systemen eingeht.

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C.  Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO

Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens ausgeschlossen wäre, wenn die zugrundeliegende Zuwiderhandlung aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann. § 130 OWiG verpflichtet zu geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Aufsichtspflichten, nicht hingegen zur Etablierung eines (Tax) Com­pli­ ance-Systems. Nichtsdestotrotz kann ein solches System positive Aus­ wirkungen auf den Tatbestand einer Aufsichtspflichtverletzung, dessen objektive Bedingung der Ahndbarkeit, sowie auf die Sanktionsbemes­ sung haben und daher je nach Unternehmensgröße, Betätigungsfeld und Gefahrenlage durchaus ratsam sein. Die Entscheidung bleibt aber letzt­ lich eine unternehmerische und steht folglich im Ermessen der Ge­ schäftsleitung. Allerdings beeinflussen diese positiven Effekte in aller Regel auch das Gesellschafterinteresse, wodurch es zu Interdependenzen mit den organschaftlichen Pflichten eines Geschäftsführers kommt, so­ dass das Ermessen im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung auch auf die zwingende Einrichtung entsprechender Strukturen reduziert sein kann. Dabei handelt es sich freilich um einen nach den jeweiligen Umständen zu beurteilenden Einzelfall und kein Rechtsphänomen, aus welchem eine generelle Pflicht der Geschäftsführer abzuleiten wäre.

C. Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO als Grundlage einer steuerrechtlichen Organisationspflicht? Schon seit geraumer Zeit sieht sich das Strafrecht dem Vorwurf eines inflationären Anwendungsbereichs ausgesetzt, wodurch ihm die Funk­ tion einer Verhaltenssteuerung in denjenigen Arealen anheim falle, wel­ che eigentlich originäre Regelungsmaterie des Zivil- oder Verwaltungs­ rechts sein sollten.1441 Gleichzeitig wird auch dem Steuerstrafrecht eine Instrumentalisierung für steuerverfahrensrechtliche Zwecke nachgesagt. Dies bedeutet ein kontinuierlich steigendes Risiko, sodass steuerliches Fehlverhalten, welches früher lediglich steuerverfahrensrechtliche Schritte nach sich gezogen hätte, heute stattdessen straf- bzw. ordnungs­ widrigkeitsrechtlich belangt wird.1442 So ist es nicht überraschend, dass 1441 Hassemer, ZRP 1992, 379, 380; („wachsende Tendenz, das Strafrecht nicht mehr als ultima, sondern als sola oder prima ratio zur Lösung gesellschaftlicher Pro­ bleme einzusetzen“); zustimmend G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355; zur „Verzahnung und Wechselwirkung zivil- und strafrechtlicher Fragen“ sowie zu den Friktionen siehe eingehend Ransiek/Hüls, ZGR 2009, 157 ff.; in diesem Zu­ sammenhang ist auch auf die nach wie vor lebhaft geführte Diskussion um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts zu verweisen, was auf den S. 322 ff. noch eingehender besprochen wird. 1442 Siehe zu dieser Entwicklung sowie den Gründen dafür Neuling, DStR 2015, 558 f.; Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 f.; Kaeser, in: Steuerstrafrecht, DStJG 38, 2015, S. 193, 206 ff. („ausufernde Auslegung des Eventualvorsatzes auf

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

immer häufiger über die Notwendigkeit einer strafrechtsspezifischen Anwendung des Steuerrechts diskutiert wird.1443 Beispielhaft für diese Entwicklung ist die mitunter komplizierte Abgren­ zung der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO von der Selbstanzeige nach §§ 371, 378 Abs. 3 AO zu nennen.1444 Die in den letz­ ten Jahren mehrfach erfolgten Verschärfungen der Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige verleihen der rechtssicheren Differenzierung der beiden Institute zusätzliche Bedeutung. Im einen Fall wird eine ursprüng­ lich objektiv unrichtig oder unvollständig abgegebene Steuererklärung nachträglich berichtigt, wobei § 153 AO einen Spezialfall der allgemei­ nen Mitwirkungspflichten im Steuerverfahren darstellt.1445 Bei den §§ 371, 378 Abs. 3 AO hingegen handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund,1446 sodass die Normen nur dann zur Anwendung kommen, wenn bereits eine Steuerstraftat bzw. eine Steuerordnungswid­ rigkeit begangen wurde. Wesentliches Unterscheidungskriterium ist da­ mit die Kenntnis respektive das Kennenmüssen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit über die ursprünglich abgegebene Steuererklärung zum Zeitpunkt der Abgabe, welche die Handlung entweder als schlich­ ten Fehler im Steuerverfahrensrecht oder als Steuerstraftat bzw. Steuer­ ordnungswidrigkeit erscheinen lässt. Dabei ist anzumerken, dass zumindest die Konstellation einer mit dolus directus ersten oder zweiten Grades unrichtig oder unvollständig abgege­ benen Steuererklärung unproblematisch ist. Sofern der Täter um die Un­ richtigkeit bzw. Unvollständigkeit weiß, ist ein nachträgliches Erkennen naturgemäß unmöglich, sodass nach einhelliger Ansicht keine Berichti­ gungspflicht nach § 153 AO besteht und eine Berichtigungsanzeige unter diesen Umständen nur als Selbstanzeige gewertet werden kann.1447 Weit­ aus komplexer und mitunter als „Brennpunkt von Tax Com­pli­ance“1448 bezeichnet stellt sich dagegen die Lage dar, wenn die Abgabe der unrich­ tigen oder unvollständigen Erklärung leichtfertig oder mit bedingtem dem Rücken des Steuerpflichtigen“); Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 157; Seer, DB 2016, 2192 ff.; teilweise wird auch von einer Überreaktion der Steuerbehör­ den gesprochen, vgl. Esterer, DB 2016, Nr. 21 M 5. 1443 Eingehend dazu Hellmann, in: Steuerstrafrecht, DStJG 38, 2015, S. 53, 64 ff. m.w.N. 1444 Zum Ausmaß der Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit nachträglichen Berichtigungen und Selbstanzeigen siehe Seer, DB 2016, 2192, 2193 ff. 1445 Zu § 153 AO als Ergänzung der Erklärungs- und Mitwirkungspflichten der §§ 149, 150, 90 AO siehe Rätke, in: Klein-AO, 2020, § 153 Rn. 1; Bülte, BB 2010, 607, 609. 1446 Zur Rechtsnatur der §§ 371, 378 Abs. 3 AO als persönlicher Strafaufhebungs­ grund siehe Jäger, in: Klein-AO, 2020, § 371 Rn. 1, 7; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt-SteuerstrafR, 2015, § 371 AO Rn. 39 m.w.N. 1447 Rätke, in: Klein-AO, 2020, § 153 Rn. 9. 1448 Neuling, DStR 2015, 558, 563.

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C.  Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO

Vorsatz erfolgt. Nach einer in der Literatur1449 heftig kritisierten Ent­ scheidung des BGH1450, dessen Ansicht sich auch das BMF im AEAO zu § 153 AO angeschlossen hat,1451 ist ein nachträgliches Erkennen im Sinne des § 153 AO nämlich auch dann möglich, wenn die ursprüngliche Steu­ ererklärung bedingt vorsätzlich unrichtig oder unvollständig abgegeben wurde. Der Steuerpflichtige kann demnach aufgrund derselben Steuer­ verkürzung eine erneute Steuerhinterziehung durch Unterlassen bege­ hen, sollte er seiner Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO nicht nachkommen. Inwiefern ein solches nachträgliches Erkennen tatsächlich möglich ist, obwohl § 16 Abs. 1 S. 1 StGB für das Vorliegen von Vorsatz, auch von bedingtem Vorsatz, Kenntnis verlangt, und ob hierdurch nicht ein Ver­ stoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip gegeben ist, kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden.1452 Jedoch emaniert aus der Sicht­ weise der Verwaltung sowie der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ein starkes Bedürfnis der Praxis nach mehr Rechtssicherheit in Bezug auf die Konturen des Vorsatzbegriffs. Zeitgleich lässt die Entwicklung der letz­ ten Jahre eine Kriminalisierung von in Unternehmen allgegenwärtigen Korrekturen nach § 153 AO befürchten.1453 Mit dem AEAO zu § 153 AO ist das BMF diesbezüglich einen Schritt in die richtige Richtung gegan­ gen, indem es sich an einer Definition des bedingten Vorsatzes sowie der Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 AO versuchte, um daduch die Arbeit der Finanzbehörden transparenter und rechtssicherer zu gestalten.1454 In 1449 Vgl. Bülte, BB 2010, 607, 614; Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 S. 1 AO, 2011, S. 157 f.; Müller, Die Selbstanzeige, 2015, Rn. 1546; bereits vor der BGH-Entscheidung in dieselbe Richtung argumentierend Talaska, Mitwirkungs­ pflichten des Steuerpflichtigen, 2006, S. 88; Dettmers, Zur Selbstbelastungspro­ blematik, 2005, S. 77; Reiter, Nemo tenetur, 2007, S. 170 1450 BGH, Beschl. v. 17.03.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 ff. 1451 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001 Tz. 2.2 und 5.2. 1452 Der BGH begründete das Nichtvorliegen einer unauflösbaren Konfliktsituation für den Steuerpflichtigen und den damit einhergehenden Einklang unter Anwen­ dung des nemo-tenetur-Prinzips unter anderem mit der Möglichkeit einer Selbstanzeige, BGH, Beschl. v. 17.03.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 ff. 1453 Zum „Eindruck einer Kriminalisierung unternehmerischen Handelns“, insbe­ sondere dem steigenden Risiko steuerstrafrechtlicher Ermittlungen für Unter­ nehmen vgl. Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155, 157 jeweils m.w.N.; siehe in diesem Zusammenhang auch die Öffentliche Anhörung zur BT-Drucks. 18/3018, Protokoll-Nr. 18/25 vom 12.11.2014, S. 10 ff.; speziell in Bezug auf die steuerrechtlichen Korrekturen nach § 153 AO siehe Neuling, DStR 2015, 558, 560; zur Frage, ob durch eine zunehmende Kriminali­ sierung von Unternehmen gleichzeitig auch eine höhere Präventionswirkung er­ zielt wird, insbesondere durch Einführung eines Unternehmensstrafrechts, siehe G. Wagner, ZGR 2016, 112 ff. 1454 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001 Tz. 2.6 und 2.7.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

diesem Zuge hat das BMF nicht nur die Kriterien für das Vorliegen von Eventualvorsatz und Leichtfertigkeit gemäß den Grundsätzen der BGH-­ Rechtsprechung konkretisiert, sondern darüber hinaus auch Ausführun­ gen zum Einfluss eines innerbetrieblichen Kontrollsystems auf das ­Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit in den Erlass aufge­ nommen.1455 Nachfolgend wird daher untersucht, ob einem solchen BMF-­ Anwendungserlass überhaupt rechtliche Bindungswirkung zu­ kommt und wenn ja, gegenüber wem. Weiterhin werden die rechtlichen und faktischen Folgen der darin enthaltenen Bestimmungen für den Ge­ schäftsführer einer GmbH herausgearbeitet und mit dessen sonstigen Organisationspflichten in Einklang gebracht.

I. Rechtsnatur und rechtliche Wirkung von BMF-Schreiben Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO entfaltet als rein innerbehörd­ lich wirkende Verwaltungsvorschrift weder rechtliche Auswirkungen für den einzelnen Steuerpflichtigen, noch für Staatsanwaltschaften oder Ge­ richte. Stattdessen bindet der Erlass einzig die Finanzämter und deren Funktionsstellen, nicht aber die Zollbehörden.1456 Staatsanwaltschaften sowie Bußgeld- und Strafsachenstellen (BuStra) orientieren sich vor al­ lem an der „Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer)“ (AStBV (St) 2014) sowie den „Richtlinien für das Strafverfahren und Buß­ geldverfahren“ (RiStBV).1457 Logelöst von dieser formal rechtlichen Wirkung stellt sich jedoch die Frage nach einer faktischen Bindungswirkung des BMF-Anwendungser­ lasses zu § 153 AO. Aus der Literatur und Praxis wird davor gewarnt, dass sich die für Finanzämter bindende Wirkung des BMF-Anwendungs­ erlasses zu § 153 AO mittelbar auch auf die Steuerpflichtigen erstrecken könnte. Die Bedenken hinsichtlich einer tatsächlichen Bindungswirkung fokussieren sich allen voran auf den sehr umstrittenen Satz 6 der Tz. 2.6 des Erlasses, wonach die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontroll­ systems, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, gegebenen­ falls ein Indiz darstellen kann, welches gegen das Vorliegen eines Vorsat­ zes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, wobei dadurch keine Befreiung von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalles eintreten kann. Der Formulierung ist somit eine indiziell vorsatzausschließende Wir­ kung zu entnehmen, die aber keinesfalls so verstanden werden darf, als 1455 BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO v. 23.05.2016, IV A 3 – S 0324/15/100001 Tz. 2.6. 1456 Die Verwaltung der Steuern erfolgt im Auftrag des Bundes, Art. 108 Abs. 3 S. 2 GG, aufgrund dessen der AEAO sämtliche dem BMF nachgeordnete Finanzbe­ hörden der Länder bindet, vgl. Neuling, DStR 2016, 1652, 1653. 1457 Beneke, BB 2016, 2327.

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C.  Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO

dass der Verzicht auf die Etablierung eines entsprechenden innerbetrieb­ lichen Kontrollsystems Vorsatz oder Leichtfertigkeit vermuten ließe, so­ dass der Steuerpflichtige letztlich seine Unschuld nachweisen müsste.1458 Zur besseren Einordnung der Sorgen aus der Literatur um eine solche Wirkung des Anwendungserlasses muss zunächst der Aussagegehalt des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO, insbesondere dessen Tz. 2.6, be­ stimmt werden.

II. Inhalt und Zweck des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO Kernanliegen des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO ist die Gewähr­ leistung einer klaren Abgrenzung der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO von der Selbstanzeige nach §§ 371, 378 Abs. 3 AO. Das BMF hat damit auf das schon seit längerer Zeit bestehende starke Bedürf­ nis der Praxis nach mehr Rechtssicherheit im Umgang mit diesen Vor­ schriften reagiert.1459 Die Schlüsselfrage in diesem Zusammenhang – sowohl für die Praxis, als auch für die Verwaltung und Gerichte – ist jene, ob der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung (bedingt) vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es für die Bejahung von Vorsatz bereits ausreichend, wenn der Steuerpflich­ tige „die Existenz eines Steueranspruchs für möglich hält und […] die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Un­ kenntnis“ lässt, er sich also mit der bloßen Möglichkeit der Steuer­ verkürzung abfindet.1460 Neben dem Wissenselement ist damit auch ein voluntatives Element erforderlich, sodass der Täter den Taterfolg zumin­ dest billigend in Kauf nehmen muss. Diesbezüglich hat der Richter Jäger am für Steuerstrafsachen zuständigen 1. Strafsenat des BGH bereits 2014 folgenden entscheidenden Satz geäußert: „Und gerade dieses Willensele­ ment fehlt, wenn in einem Unternehmen zum Beispiel derjenige, der die Steuererklärung unterschreibt, gestützt auf funktionierende innerbe­ triebliche Organisationsprozesse eine Angabe nach bestem Wissen und Gewissen macht. Er ist dann kein Steuerhinterzieher und kann – und 1458 Dies betonend Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme Nr. 41/2015 v. 11.08.2015, S. 6, bezogen auf den vorläufigen Diskussionsentwurf zu § 153 AEAO, dessen Wortlaut in Tz. 2.6 aber nahezu deckungsgleich mit dem späteren Tz. 2.6 des AEAO zu § 153 AO ist; siehe auch Neuling, DStR 2016, 1652, 1657; Beneke, BB 2016, 2327, 2330; Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934, 940 (Gefahr der „faktischen Verdopplung von Strafnormen“). 1459 Neuling, DStR 2016, 1652 f.; Seer, DB 2016, 2192, 2193 ff. 1460 BGH, Urteil v. 08.09.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160; siehe dazu Kaeser, in: Steuerstrafrecht, DStJG 38, 2015, S. 193, 209 („ausufernde Auslegung des Even­ tualvorsatzes auf dem Rücken des Steuerpflichtigen“).

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

muss übrigens auch – die Steuererklärung nach den steuerlichen Korrek­ turvorschriften korrigieren, wenn sich nachher herausstellt, dass die Er­ klärung trotz seiner von ihm angewendeten Sorgfalt objektiv unrichtig war.“1461 In Tz. 2.6 greift der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO diesen Gedan­ ken auf und schließt sich im Übrigen der Vorsatz-Definition des BGH an. So heißt es in S. 6 der Tz. 2.6: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetrieb­ liches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorlie­ gen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch be­ freit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalles.“ Die über­ aus vage Formulierung sowie die Verwendung der unklaren Terminologie eines „innerbetrieblichen Kontrollsystems“, ohne an irgendeiner Stelle näher zu erläutern, was hierunter zu verstehen ist, sind als die maßgebli­ chen Kritikpunkte des Anwendungserlasses zu nennen. Weder die Praxis noch die Fachliteratur oder die Finanzverwaltung selbst können eine Antwort auf die Frage geben, was fortan von den Unternehmen gefordert wird, um in den Genuss einer entsprechenden vorsatzausschließenden Wirkung kommen zu können. Nach der bloßen Lektüre des BMF-Schrei­ bens verbleibt damit die ernüchternde Erkenntnis, dass der Aussagege­ halt der Tz. 2.6 kaum bestimmt werden kann. Welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um tatsächlich von einem innerbetrieblichen Kont­ rollsystem im Sinne des S. 6 der Tz. 2.6 des BMF-Anwendungserlasses zur § 153 AO sprechen zu können und ob ein solches System letztlich positive oder vielleicht sogar negative Folgen für ein Unternehmen nach sich zieht, bleibt unklar. So ist es nicht verwunderlich, dass sich seit der Veröffentlichung des Erlasses eine immense Unsicherheit in der ­Unternehmenswelt ausgebreitet hat, der sich insbesondere Berater, Wirt­ schaftsprüfer und Rechtsanwälte ausgesetzt sehen. Tax Com­pli­ance wur­ de damit endgültig zum „Modethema“ und ist heute Gegenstand zahlloser Symposien, Tagungen und Beiträge in Fachzeitschriften und Monografien. Nachfolgend wird daher der für diese Arbeit relevante Teil des Echos auf die Veröffentlichung des BMF-Anwendungserlasses illust­ riert.

III. Kritik am BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO Grundsätzlich wird die Verankerung eines innerbetrieblichen Kontroll­ systems in einem BMF-Schreiben in der Literatur und Praxis vielfach begrüßt und dergestalt als erstmaliger normativer Ansatzpunkt für Tax 1461 Deutscher Bundestag, Protokoll Finanzausschuss Nr. 18/25 vom 12.11.2014, S. 12 f.

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C.  Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO

Com­pli­ance Management Systeme betrachtet.1462 In diesem Sinne könne dieser „nicht zu unterschätzende Anreiz“ die Grundlage für eine „Win-­ Win-Situation im kooperativen Steuerrechtsverhältnis“ darstellen.1463 Gleichwohl wird aber auch Kritik, vor allem an der vagen Formulierung der Tz. 2.6 des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO, laut. 1. Die mangelnde Bindungswirkung als Achillesferse? Wie bereits erläutert, stellt sich primär die Frage, wie ein innerbetriebli­ ches Kontrollsystem überhaupt auszusehen habe, um die Anforderungen an eine indiziell vorsatzausschließende Wirkung zu erfüllen und wer des­ sen Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. zu zertifizieren hat. Darüber hinaus mehren sich die ebenfalls bereits erwähnten Bedenken hinsicht­ lich einer Umkehr des Wirkungskreises, wodurch die Gefahr droht, dass fortan jene Unternehmen, die auf die Etablierung eines innerbetriebli­ chen Kontrollsystems verzichtet haben, automatisch der Steuerhinter­ ziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung verdächtigt werden könn­ ten. Bezüglich des ersten Kritikpunktes ist anzumerken, dass das BMF einen IDW-Arbeitskreis damit beauftragt hatte, detailliertere Informationen zu den Anforderungen an ein steuerliches Kontrollsystem zu erarbeiten. Dem ist der Steuerfachausschuss des IDW nachgekommen und hat am 17.06.2016 den Entwurf eines IDW Praxishinweises zur Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Com­pli­ance Management Systems gemäß dem IDW PS 980 erlassen, der mittlerweilse als endgültiger IDW Praxishin­ weis vorliegt.1464 Was die Einzelheiten hierzu angeht, sei auf die bereits getätigten Ausführungen zu den Anforderungen an ein Tax CMS im Sin­ ne des IDW Praxishinweises verwiesen.1465 Den Unternehmen ist damit zwar eine Hilfestellung zur Hand gegeben worden, jedoch kann auch ein streng nach den einzelnen Voraussetzungen des Praxishinweises einge­ richtetes und gelebtes Tax CMS keine Gewähr dafür leisten, wegen Steu­ erhinterziehung bzw. leichtfertiger Steuerverkürzung nicht belangt wer­ den zu können. Der IDW Praxishinweis ist für die Gerichte ebensowenig bindend wie für die Verwaltung und stellt für die Unternehmen somit nur eine Richtschnur dar.

1462 Neuling, DStR 2016, 1652, 1657; Beneke, BB 2016, 2327, 2330; Esterer, DB 2016, Nr. 21 M 5; Seer, DB 2016, 2192, 2197; positiv würdigend im Zusammenhang mit öffentlich zugänglichen Standards und Praxishilfen König/Teichert, DB 2017, 146 ff. 1463 Seer, DB 2016, 2192, 2197 1464 IDW Praxishinweis 1/2016, IDW Life 2017, 837 ff. 1465 Siehe hierzu die S. 28 ff.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

Dass ein steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem bei der Bewälti­ gung der mitunter mannigfaltigen steuerlichen Herausforderungen eines Unternehmens durchaus hilfreich sein kann, steht dabei außer Frage. Al­ lerdings sind in diesem Zusammenhang auch die zum Teil sehr hohen Kosten für die Etablierung eines Tax CMS zu berücksichtigen. Die Ent­ scheidung darüber, ob die steuerlichen Pflichten mithilfe eines vom IDW zertifizierten und durch Wirtschafsprüfer, Steuerberater und Rechtsan­ wälte etablierten Tax CMS erfüllt werden sollen, muss deshalb jedem Unternehmen selbst überlassen bleiben. Gerade deswegen darf aber das­ jenige Unternehmen, welches sich aufgrund der zu hohen Kosten oder aus anderen Gründen gegen ein innerbetriebliches Kontrollsystem ent­ scheidet, nicht automatisch als kooperationsunwillig gegenüber den Fi­ nanzbehörden eingestuft werden. Die Entscheidung darüber, ob ein Tax CMS etabliert werden soll oder nicht, stellt eine ausschließlich unter­ nehmerische Entscheidung dar und nicht die Erfüllung einer spezifischen steuerrechtlichen Pflicht. Daran in konsequenter Weise anschließend ist es auch nicht möglich, sich die Ordnungsgemäßheit eines innerbetriebli­ chen Kontrollsystems von der Finanzverwaltung zertifizieren zu lassen, sondern lediglich von privaten Wirtschaftsprüfern.1466 Solange das deut­ sche Steuersystem im Grundsatz aber ein hoheitliches sein soll und ko­ operative Ansätze höchstens vereinzelt zulässt, darf im Gegenzug den Unternehmen der Verzicht auf die Einrichtung eines steuerlichen inner­ betrieblichen Kontrollsystems nicht zum Nachteil gereichen. In diesem Zusammenhang ist an die prägnante Aussage des Präsidenten des BFH, Mellinghoff, zu erinnern, wonach vornehmliche Aufgabe der Finanzver­ waltung nach aktuellem Recht nicht die Zertifizierung von Tax Com­pli­ ance Systemen sei, sondern die Prüfung, ob eine Steuer ordnungsgemäß festgesetzt, erklärt und entrichtet wurde.1467 2. Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO in seinem systematischen Kontext Einen weiteren Ansatzpunkt für Kritik liefert der BMF-Anwendungser­ lass zu § 153 AO in seinem systematischen Zusammenhang mit der BpO sowie der AstBV (St). So heißt es in § 10 Abs. 1 S. 2 BpO, dass ein Betrieb­ 1466 Siehe hierzu Prof Dr. Johanna Hey, auf einem ifst-Kolloquium vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, vgl. hierzu Nayin, ifst-Schrift 513 (2016), S. 49, auf welcher sie die Zertifizierung ei­ nes Tax CMS durch die Finanzverwaltung mittels verbindlicher Auskunft vor­ schlägt. 1467 Rudolf Mellinghoff, Präsident am BFH, in einem Interview anlässlich eines ifst-Kolloquiums vom 27.10.2016 zum Thema „Was kann ein Tax Com­pli­ance Management System leisten?“, abrufbar unter https://www.ifst.de/component/ content/article/90-veranstaltungen/2016/1049-wktcmsl_vi-2.html, zuletzt auf­ gerufen am 03.01.2019.

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C.  Der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO

sprüfer die BuStra dann zu unterrichten hat, sollte lediglich die Möglich­ keit bestehen, ein Strafverfahren durchzuführen. Für eine Unterrich­ tungspflicht an die BuStra bedarf es somit noch nicht einmal eines Anfangsverdachts.1468 Daneben gestattet Nr. 12 Abs. 1 S. 1 AStBV (St) sog. „Vorfeldermittlungen“1469 durch die Steuerfahndung bereits bei der Mög­ lichkeit einer Steuerverkürzung ohne das Vorliegen konkreter Anhalts­ punkte. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, wie die Etablierung eines in­ nerbetrieblichen Kontrollsystems dazu beitragen soll, den Vorwurf einer vorsätzlichen Steuerverkürzung zu entkräften und damit gerade der Wei­ terleitung eines Sachverhalts an die BuStra samt der damit einhergehen­ den Ermittlungen entgegenwirken kann. Solange § 10 Abs. 1 S. 2 BpO eine Unterrichtungspflicht der Betriebsprüfer normiert, schwebt über den Köpfen der Sachbearbeiter ständig das Damoklesschwert der qualifi­ zierten Strafvereitelung, so §§ 258, 258a StGB. Dass ein Betriebsprüfer in einem Fall, in welchem die Möglichkeit zur Durchführung eines Straf­ verfahrens besteht, lediglich deswegen auf eine Weiterleitung des Sach­ verhalts an die BuStra verzichtet, weil das betroffene Unternehmen ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet hat, ist unter diesen Um­ ständen fernliegend. Schließlich stünde ein solches Vorgehen zwar in Einklang mit Tz. 2.6 des BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO, würde jedoch gleichzeitig einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 S. 2 BpO darstellen und den Sachbearbeiter der Gefahr eines Dienstvergehens oder sogar ei­ ner Straftat aussetzen. Ganz im Gegenteil wird der pflichtbewusste Be­ triebsprüfer eher verstärkt gegen jene Unternehmen vorgehen, welche auf die Etablierung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems verzichtet haben, um dadurch etwaigen dienst- oder strafrechtlichen Folgen zu ent­ gehen. Vor diesem Hintergrund birgt der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO die Gefahr, zu einem Menetekel für jene Unternehmen zu werden, wel­ che bisher über kein innerbetriebliches Kontrollsystem verfügen und sel­ biges auch in der Zukunft aus unternehmerischer Sicht für nicht not­ wendig bzw. sinnvoll erachten. Dann wird die Tatsache, dass es sich dabei um eine unternehmerische Entscheidung und nicht die Erfüllung einer steuerlichen Pflicht handelt, jedoch ad absurdum geführt. Um einer solchen – sicherlich von keiner Seite intendierten – Fehlentwicklung entgegenzusteuern, ist es notwendig, nicht nur per BMF-Anwendungser­ 1468 Gleichlautend auch Nr. 130 Abs. 3 AStBV (St). 1469 Die gesetzlich nicht geregelten, gleichwohl aber zulässigen Vorermittlungen nach Nr. 12 Abs. 1 S. 1 AStBV (St) gehören noch zum Besteuerungsverfahren, vgl. BFH, Urteil v. 29.04.2008 – VIII R 5/06, DStR 2008, 1875, 1877; Peters, DStR 2015, 2583, 2588; Neuling, DStR 2016, 1652, 1653; Jäger, in: Joecks/Jäger/ Randt-SteuerstrafR, 2015, § 397 AO Rn. 67.

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

lass auf die Abgrenzungsproblematik zwischen § 153 AO und den §§ 371, 378 Abs. 3 AO zu reagieren, sondern umfassender. Dies macht eine Re­ formierung der BpO sowie der AStBV (St), insbesondere dessen Nr. 12, 130, 131 im Einklang mit dem BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO un­ umgänglich.1470

IV. Fazit Jedwede Überlegungen hinsichtlich der Notwendigkeit und Ausgestal­ tung eines Tax CMS müssen stets vor dem Hintergrund der gegenwärti­ gen Rechtslage angestellt werden, wonach sämtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einem steuerlichen Kontrollsystem ausschließlich der unternehmerischen Handlungsfreiheit unterfallen. Die Entscheidung darüber, ob ein Tax CMS etabliert werden soll, stellt deshalb mitnichten die Erfüllung einer dem Unternehmen aufoktroyierten steuerrechtlichen Pflicht dar. Auch der BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO ändert hieran, jedenfalls formell-gesetzlich, nichts. Folglich kann der Anknüpfungspunkt sowohl für die Frage der Notwen­ digkeit eines innerbetrieblichen steuerlichen Kontrollsystems als auch für dessen konkrete Ausgestaltung stets nur das Gesellschafterinteresse sein. Nach dem bereits Gesagten entspricht eine bestmögliche Erfüllung der steuerlichen Pflichten in aller Regel gleichzeitig auch dem Gesell­ schafterinteresse, zwingend ist dies jedoch nicht. Sollte also aus Sicht der Finanzverwaltung die optimale Erfüllung der steuerlichen Pflichten ei­ nes Unternehmens insbesondere durch ein nach den Maßstäben des IDW eingerichtetes und gelebtes Tax CMS gewährleistet sein, kann sich das jeweilige Unternehmen diese Ansicht zu eigen machen, eine dahin lau­ tende Pflicht trifft es dagegen nicht. Verzichtet der Geschäftsführer in der Folge auf die Etablierung eines Tax CMS und handelt er dadurch im Sinne des Gesellschafterinteresses, kann ihm dieses Verhalten selbst im Falle eines später nachgewiesenen unternehmerischen Steuerverstoßes weder gesellschaftsrechtlich noch steuerrechtlich ausschließlich deswe­ gen vorgeworfen werden, weil kein innerbetriebliches steuerliches Kon­ trollsystem eingerichtet wurde. Die Ermittlungen der Steuerbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte haben sich nach wie vor darauf zu beschränken, ob der Steuerverstoß auf vorsätzliches oder leichtfertiges Verhalten des Geschäftsführers zurückzuführen ist, wobei der Verzicht auf ein Tax CMS in diesem Zusammenhang zwar gewürdigt werden kann, nicht dagegen aber ausschlaggebend für das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit sein darf. Gleichwohl kann sich im umgekehrten Fall ein eingerichtetes und gelebtes Tax CMS positiv auf die Frage des 1470 So letztlich auch Seer, DB 2016, 2192, 2197.

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D.  Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers

Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit auswirken. Dieser Umstand der je­ weiligen Wirkungsweise eines steuerlichen Kontrollsystems ist zwin­ gend in die Entscheidungsfindung eines Geschäftsführers einzubeziehen, wodurch dem BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO zumindest eine fak­ tische Wirkung zukommt, indem das Gesellschafterinteresse als Maß­ stab für die unternehmerischen Entscheidungen des Geschäftsführers beeinflusst wird. Ebenso wie die im vorherigen Abschnitt behandelten Interdependenzen der normativen Vorgaben des § 130 OWiG mit dem Gesellschafterinteresse, treten also auch in diesem Fall Wechselwirkun­ gen auf, die einen entsprechenden Einfluss auf die organschaftliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers haben können.

D. Ergebnis zu den Tax Com­pli­ance-Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers im Außenverhältnis Die vorstehenden Ausführungen haben demonstriert, dass sowohl § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO als auch § 378 AO und die §§ 9, 130 OWiG dem Geschäftsführer diverse steuerrechtliche Organisationspflichten aufer­ legen. Ein Verstoß hiergegen kann bei nachgewiesenem Organisations­ verschulden haftungs- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen gegen den Geschäftsführer persönlich nach sich ziehen und über § 30 OWiG sogar die Gesellschaft selbst treffen. Eine unmittelbar dem Normtext entnehmbare Aufsichtspflicht wohnt dabei dem als echten Unterlas­ sungsdelikt ausgestalteten § 130 OWiG inne, der auch im Falle einer steuerrechtlichen Zuwiderhandlung erforderliche und zumutbare Auf­ sichtsmaßnahmen vorschreibt. Weder bei dieser Vorschrift noch bei an­ deren gesetzlichen und untergesetzlichen Normierungen verdichten sich die geforderten Organisations- und Überwachungsaufgaben aber zu einer (Tax) Com­pli­ance-Pflicht des Geschäftsführers, welcher eine Pflicht zur Etablierung eines flächendeckenden (Tax) Com­pli­ance-Systems imma­ nent ist. Gleichwohl resultieren hieraus Interdependenzen mit den organschaftli­ chen Pflichten, welche der Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber schuldet. Wenngleich der innergesellschaftliche Pflichtenrahmen nach eigenen Maßstäben zu beurteilen ist – wobei eine uneingeschränkte Ein­ haltung der Rechtsordnung nicht zwingend Bestandteil sein muss –, sieht sich das hierfür ausschlaggebende Gesellschafterinteresse dennoch dem ständigen Einfluss gesetzlicher Pflichten ausgesetzt. Die Organi­ sations- und Überwachungsvorgaben der eben genannten Vorschriften infiltrieren folglich das organschaftliche Pflichtengefüge mittels der aus einem Verstoß resultierenden Nachteile für das entsprechende Unter­ nehmen, welche eine Gesellschaft in aller Regel gewillt sein dürfte, best­ möglich zu vermeiden. Im Zuge dessen muss auch die Aussage des 339

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Kapitel 4:  Die Tax Com­pli­ance-Pflichten des Geschäftsführers

BMF-Anwendungserlasses zu § 153 AO Berücksichtigung finden, wo­ nach sich die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems po­ sitiv auf die Frage des Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit in Zusam­ menhang mit steuerrechtlichen Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten auswirken kann. Darüber hinaus wird der Geschäftsführer infolge eines entsprechenden Rechtsverstoßes selbst in Anspruch genommen, sodass auf diesem Weg auch Wechselwirkungen mit dem ihm zustehenden Leis­ tungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB bestehen, was wiederum Einfluss auf den Umfang seiner organschaftlichen Pflichten hat. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sowohl die Gesell­ schaft als auch unmittelbar der Geschäftsführer zur Vornahme von Orga­ nisations- und Überwachungsaufgaben im Außenverhältnis verpflichtet sind, um eine ordnungsgemäße Erhebung und Abführung von Steuern trotz der mit der Führung eines Unternehmens zwangsläufig einherge­ henden Arbeitsteilung zu gewährleisten. In welcher Form diese Pflichten zu erfüllen sind, bleibt indes einer Beurteilung im Einzelfall überlassen und kann unmöglich fallübergreifend für sämtliche Unternehmen for­ muliert werden. Je nach Größe, Branche und Risikoexposition kann die Beiziehung eines Steuerberaters oder sogar die Errichtung einer unter­ nehmensinternen Steuerabteilung notwendig sein, um eine ordnungsge­ mäße Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben weiterhin zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz bedeutet dies für die organschaftliche Stellung des ­Geschäftsführers nicht notwendigerweise, auch gegenüber der Gesell­ schaft zur Etablierung etwaiger Strukturen verpflichtet zu sein. Es bleibt bei der bereits im vorherigen Kapitel erarbeiteten Unabhängigkeit von Binnen- und Außenpflichten, wenngleich einzelne Interdependenzen freilich nicht abzustreiten sind. Die Beurteilung darüber, ob die steuerlichen Aufgaben eines Unterneh­ mens mit Hilfe eines Tax CMS erfüllt werden sollen und ob dieses Sys­ tem beispielsweise entsprechend den IDW-Vorgaben ausgestaltet und anschließend zertifiziert werden soll, stellt jedenfalls eine unterneh­ menseigene Entscheidung dar. Eine gesetzliche Pflicht hierzu ist weder den § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO, noch § 378 AO, § 130 OWiG oder gar dem BMF-Anwendungserlass zu § 153 AO zu entnehmen. Sollte jedoch ein dahingehendes Gesellschafterinteresse existieren, hat sich der Ge­ schäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Pflichtenstellung auch hieran zu halten und ist folglich durch § 43 Abs. 1 GmbHG zur Etablierung entsprechender Strukturen verpflichtet.

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Kapitel 5: Schlussbetrachtung Ziel dieser Arbeit ist es, die Grundlagen organschaftlicher Pflichten, wel­ che den dogmatischen Ursprung der mittlerweile weit verbreiteten (Tax) Com­pli­ance-Debatte bilden, im Kontext des GmbH-Rechts eingehend zu beleuchten. Ein besonderes Anliegen dieser intradisziplinären Forschung an der Schnittstelle des Gesellschafts- und Steuerrechts ist es dabei, sich nicht wie selbstverständlich von dem „Mantra“ einer Pflicht des GmbH-­ Geschäftsführers zur uneingeschränkten Rechtskonformität gegenüber der Gesellschaft leiten zu lassen. Stattdessen können die Untersuchun­ gen belegen, dass sich eine solche umfassende Legalitätspflicht nicht normativ verankern lässt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die ­Konkretisierung der Geschäftsführerpflichten im innergesellschaftlichen Organisationsbereich muss stets das Gesellschafterinteresse sein. Aus­ gehend von diesem Standpunkt lassen sich auch dogmatisch saubere Aussagen über die Reichweite und den Inhalt gesellschaftsinterner Orga­ nisations- und Überwachungspflichten treffen. Ob in diesem Zusam­ menhang phänomenologisch von Tax Com­pli­ance gesprochen wird oder schlicht von den Organisations- und Überwachungspflichten des Ge­ schäftsführers mit dem Fokus auf das Steuerrecht, kann letztlich dahin­ stehen. Entscheidend ist, welche konkreten haftungsbewehrten Pflich­ ten aus § 43 Abs. 1 GmbHG dem Geschäftsführer erwachsen, nicht deren Bezeichnung. Auf der Basis dieser Befunde ist es schließlich möglich, Nützlichkeitser­ wägungen in das innergesellschaftliche Pflichtengefüge einzuführen, ohne dafür umstrittene Konstellationen entwickeln zu müssen, deren Dogmatik ebenso fragwürdig ist, wie jene Legalitätspflicht, welche da­ durch stellenweise durchbrochen werden soll. Der Geschäftsführer ist nach dem vorliegenden Ergebnis zur Vornahme extern rechtswidriger Handlungen grundsätzlich befugt, sofern diese dem Gesellschafterinter­ esse nicht widersprechen oder mit anderen Worten für die Gesellschaft nützlich sind. Rechtmäßiges Handeln wird dabei in aller Regel auch dem Willen der Gesellschafter entsprechen, sodass der klare Rechtsverstoß die Pflichtwidrigkeit des Leitungshandelns indiziert. Nichtsdestotrotz kann eine Kosten-Nutzen-Analyse, gerade hinsichtlich steuerrechtlicher Aufgaben, vereinzelte Rechtsverstöße durchaus als im Einklang mit dem Gesellschafterinteresse und mithin auch den organschaftlichen Pflichten eines Geschäftsführers erscheinen lassen. Das damit einhergehende Pro­ blem einer korrespondierenden Pflicht zum Rechtsbruch bei evidenter Nützlichkeit, was gerade bei der GmbH aufgrund der Weisungsabhängig­ keit des Geschäftsführers besonders virulent wird, lässt sich mithilfe ei­ 341

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nes Rückgriffs auf das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 Abs. 3 BGB lösen. Demnach steht dem Geschäftsführer für den Fall, dass mit dem Gesetzesverstoß persönliche Nachteile für ihn einhergehen, eine Einrede gegen die Gesellschafter zu, sodass er nicht darauf beschränkt ist, sein Amt niederzulegen, um einer möglichen Haftung zu entgehen. Unmittelbare Organisations- und Überwachungspflichten im Außenver­ hältnis treffen den Geschäftsführer insbesondere durch die §§ 9, 130 OWiG, sowie die § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO und § 378 AO. Eine ge­ setzliche Pflicht zur Etablierung von konkreten Tax Com­pli­ance-Struk­ turen, wie sie beispielsweise im IDW Praxishinweis 1/2016 zu finden sind, lässt sich daraus jedoch nicht herauslesen. Allerdings stehen die einzelnen gesetzlichen Vorgaben in ständiger Wechselwirkung mit den allgemeinen organschaftlichen Pflichten und finden auf diesem Weg Ein­ zug in die Entscheidungsfindung des Geschäftsführers. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nach aktueller Gesetzeslage eine umfassende Legalitätspflicht des Geschäftsführers ebenso wenig hergeleitet werden kann, wie eine (Tax) Com­pli­ance-Pflicht. Sollte auf­ grund dieses Untersuchungsergebnisses ein legislatives Einschreiten für notwendig erachtet werden, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie entsprechende Com­pli­ance-Bemühungen von Unternehmen gewürdigt oder sanktioniert werden sollten. Geht es darum, eine konkre­ te Com­pli­ance-Pflicht gesetzlich zu kodifizieren, müsste ein Verstoß ge­ gen diese Pflicht, also das Unterlassen der Etablierung einer Com­pli­anceFunktion bzw. die unzureichende Einrichtung eines solchen Systems, wohl strafrechtliche Folgen haben. Dadurch würde letztlich der aktuell als Bußgeldtatbestand ausgestaltete § 130 OWiG zum Straftatbestand avancieren, mit der zusätzlichen Verpflichtung, nicht nur die „gehörige Aufsicht“ auszuüben, sondern darüber hinaus sogar ein umfangreiches und ordnungsgemäßes Com­pli­ance-System zu etablieren. Andererseits könnte die Vorhaltung eines ordnungsgemäßen Com­ pli­ ance-Systems auch lediglich strafmildernd bzw. strafausschließend wirken oder ander­ weitig positive Berücksichtigung erfahren. In beiden Konstellationen steht man letztlich aber vor dem entscheidenden Problem, die Ordnungs­ gemäßheit derartiger Com­pli­ance-Strukturen zertifizieren zu müssen. Auf politischer Ebene lässt sich diesbezüglich eine klare Tendenz für die zweite Alternative der positiven Würdigung von Com­pli­ance-Systemen erkennen. In diesem Sinne heißt es in Tz. 2.6 S. 6 des Anwendungserlas­ ses des BMF zu § 153 AO, dass ein sog. „innerbetriebliche[s] Kontrollsys­ tem“, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, „ggf. ein Indiz darstellen [kann], das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes [bei § 370 AO] oder der Leichtfertigkeit [bei § 378 AO] sprechen kann“. Die eher vage Formulierung in einer zudem nur die Exekutive bindenden Verwaltungs­ 342

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vorschrift belegt jedoch den noch sehr zaghaften Umgang mit dieser The­ matik. Sucht man nach weitergehenden nationalen Bestrebungen des formellen Gesetzgebers mit Com­pli­ance-Bezug, ist vorrangig der Plan zur Einführung eines nationalen Unternehmensstrafrechts zu nennen. Nach aktueller Rechtslage können Unternehmen bei strafrechtlich rele­ vantem Fehlverhalten lediglich bußgeldrechtlich sanktioniert werden,1471 wohingegen nach geltendem Strafrecht einzig natürliche Personen straf­ fähig sind. Dagegen ist eine Strafbarkeit von Unternehmen nach den Rechtsordnungen der meisten EU-Länder sowie der Staaten der USA zu­ lässig.1472 Ob der Verzicht auf ein solches Unternehmensstrafrecht einen sinnvollen Schritt darstellt, ist bereits seit vielen Jahren Gegenstand ei­ ner lebhaften Debatte in der juristischen Fachliteratur.1473 Spätestens seit das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im September 2013 das Verbandsstrafgesetzbuch (V-StGB) – einen Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen – vorgelegt hat, wurde die Diskussion auf eine neue Ebene gehoben.1474 Die Reaktion der juristischen Literatur hierauf fiel mehrheitlich ablehnend und negativ aus.1475 Auch die deutsche Unternehmenswelt lehnt ein Verbandsstraf­ recht ab.1476 Ein näheres Eingehen auf den Gesetzentwurf sowie eine kritische Ausei­ nandersetzung mit den einzelnen Vorschriften kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Diesbezüglich sei auf die zahlreich erschienene Literatur hierzu verwiesen. Unabhängig davon wurde der Gesetzentwurf, zumin­ dest von der aktuellen Bundesregierung, nicht weiter verfolgt und als solcher auch nicht in den Bundesrat eingebracht. Besondere Erwähnung verdient allerdings der darin enthaltene § 5 Abs. 1 V-StGB:

1471 Dies geschieht vor allem durch § 30 OWiG, dessen Funktion auf den S. 291 ff. beschrieben wurde. 1472 Rechtsvergleichend hierzu Wohlers, ZGR 2016, 364 ff. 1473 Im Zusammenhang mit den Grundfragen der Unternehmenskriminalität ist ins­ besondere zu verweisen auf Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979; Schünemann, wistra 1982, 41 ff. 1474 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, Landtag Nordrhein-Westfalen, Rechtsausschuss, Information 16/127, vom 23.09.2013, abrufbar unter https:// www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMI16-127. pdf, zuletzt aufgerufen am 21.02.2019; siehe dazu auch den damaligen Justizmi­ nister des Landes Kutschaty, ZRP 2013, 74 ff. 1475 Besonders deutlich Schünemann, ZIS 2014, 1 (das Verbandsstrafrecht als „krimi­ nalpolitischer Zombie“); daneben auch Hoven, ZIS 2014, 19 ff.; Leipold, ZRP 2013, 34 ff.; Hein, CCZ 2014, 75, 76 f.; Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146; eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik – aus dogmatischer wie rechtspolitischer Sicht – findet sich bei G. Wagner, ZGR 2016, 112 ff. 1476 Zur Perspektive der Wirtschaft siehe Willems, ZIS 2015, 40 ff.

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„Das Gericht kann von einer Verbandssanktion absehen, wenn der Verband ausreichende organisatorische oder personelle Maßnahmen getroffen hat, um vergleichbare Verbandsstraftaten in Zukunft zu ver­ meiden und wenn ein bedeutender Schaden nicht entstanden oder dieser zum überwiegenden Teil wieder gut gemacht ist.“ In der Gesetzesbegründung zu dem Antrag wird die Notwendigkeit einer solchen Möglichkeit zum Absehen von Strafe darin gesehen, dass es „im Recht der Ordnungswidrigkeiten seit Langem an Instrumenten [fehlt], die effektive Anreize zur Entwicklung und Pflege einer Kultur von Un­ pli­ anceternehmenscompliance setzen […].“1477 Die Brisanz der Com­ Thematik wird somit auch auf politischer Ebene nicht mehr von der Hand gewiesen und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ziel zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts in naher Zukunft wieder aufgegriffen wird. Dass der Gesetzgeber mit Ausnahme weniger branchenspezifischer Re­ gelungen bisher davon abgesehen hat, detailliertere Vorgaben zu den Com­ pli­ ance-Pflichten von Geschäftsführungsorganen zu formulieren, ist einerseits der Komplexität und Vielschichtigkeit der Unternehmens­ welt geschuldet, andererseits aber auch der Tatsache, dass ein solches Vorgehen überhaupt nicht notwendig ist. Bevor ein legislatives Ein­ schreiten tatsächlich geboten wäre, müssen zunächst die bereits beste­ henden Mittel ausgenutzt werden, um präventiv und repressiv auf den Steuerpflichtigen einzuwirken. Im Zuge dessen wäre vor allem eine stär­ kere Kooperation zwischen Finanzbehörden und Steuerpflichtigen inner­ halb des bis dato durchweg hoheitlichen Steuersystems erfolgverspre­ chend, um dadurch auf das Gesellschafterinteresse einzuwirken, anstelle es mittels Vorgaben über die Organisationshoheit normativ determinie­ ren zu müssen. Für die anhaltende Diskussion um Tax Com­pli­ance ver­ sucht diese Arbeit, eine dogmatisch haltbare und im Einklang mit der aktuellen Gesetzeslage stehende Grundlage zu bieten, auf welcher ein in sich stimmiges Konzept organschaftlicher Pflichten eines GmbH-Ge­ schäftsführers im Kontext steuerrechtlicher Herausforderungen entwi­ ckelt werden kann.

1477 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, Landtag Nordrhein-Westfalen, Rechtsausschuss, Information 16/127, S. 2 vom 23.09.2013, abrufbar unter ­https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMI16-­​ 127.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.02.2019.

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Stichwortverzeichnis Aggressive Steuerplanung 181, 184 Aufsichtspflicht 294 BMF-Anwendungserlass 334 Compliance-Management-System 12, 16, 327 Compliance 6, 10 Einheit der Rechtsordnung 166 Gesellschafterinteresse 172, 178 Gesellschaftsinteresse 53 IDW PS 980 28, 335 Kooperatives Steuersystem 265, 267 Legalitätsdurchsetzungspflicht 98 Legalitätskontrollpflicht 20, 45, 98, 175 Legalitätspflicht 95, 106, 169 Legal Judgment Rule 81, 186 Neubürger-Urteil 14 Nützlicher Rechtsverstoß 104, 140, 208, 220, 221, 257 Offenlegungspflicht 205 Organisationspflichten 9, 95, 175, 272, 280, 329 Schadensabwendungspflicht 58, 106, 138 Tax Compliance Management-System 26, 45, 338 Tax Compliance 5, 22, 44, 93, 175, 271, 287, 323 Trennungsprinzip 59 Unternehmensinteresse 53 Vorteilsbeschaffungspflicht 145

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