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German Pages [850] Year 1974
dimito •von Tfoimr
DODERER/TANGENTEN
HEIMITOVON DODERER
TANGENTEN TAGEBUCH EINES SCHRIFTSTELLERS
1940-1950
BIEDERSTEIN VERLAG MÜNCHEN
ISBN 3 7642 0053 7 Zweite, unveränderte Auflage © 1964 Biederstein Verlag, München S«-.hntnim«r.hlag: W. Rebhuhn • Einband: Prof. F. H. Ehmcke Druck der C. H. BeCk’sdunBuchdnickerei, Nördlingen
VORNOTIZ
Dies ist kein Werk der Kunst Das Tagebuch - wenn wir
für diesmal von seiner Verwendung als literarische Form
absehen - beruht auf der zum Formprinzip erhobenen Form losigkeit. Oder es ist Fälschung und Lüge, bestenfalls harm loser Snobismus. Der Mensch, welcher die folgenden Blätter
beschrieb, befand sich schon seiner äußeren Lage und dem Drucke der Zeitumstände nach außerhalb der Möglichkeit, auf eine Publikation hin zu schreiben. So entsprach er ohne
Verdienst und ohne es zu wissen dem Postulat: Schreibe, als ob du allein im Universum wärest. Kurz: es sind echte Tagebücher.
Warum nun werden sie gedruckt? Nur um für Interessenten den Quellgrund zu zeigen, aus welchem alles kam, was Form gewann und inzwischen
publik geworden ist Nun, seht her, so unscheinbarer Her kunft war es! Eine Illustration zu des Autors These, daß
in der Kunst die Kunst keineswegs eine so große Rolle spiele, wie allgemein geglaubt wird, und daß in ihr alles
* .Höhere eigentlich immer nur für die anderen da sei. Der Künstler aber arbeitet niedergeschlagenen Auges, auf seine Hände sehend und auf das Technische. Von diesem ist denn in den nachfolgenden Blättern auch mehrmals die Rede.
H. D.
INHALT
I. Wien, 1940 Seite 9
IL Epilog auf den Sektionsrat Geyrenhoff, Diversion aus ,Die Dämonen , * 1940/44 Seite 49
m. Am Weg zur Strudlhofstiege, Rotes Notizbuch, 1941/42 Mont de Marsan - Biarritz - Ryschkowo bei Kursk Seite 101
IV. Auf den Wällen von Kursk, Rotes Heft, 1942/43 Seite 117
V. Das kahle Zimmer, 1942/43 Seite 205
VI. Ein Notizblock
Wien, 1944 Seite 227
VII. Schwarzes Buch, 1944 Seite 245
VHI. Schwarzes Buch, 1945 Seite 273
IX. Grünes Buch, 1943 Seite 361
X. Grünes Buch, 1946
Seite }9j
XI. Liber Epigrammaticus, 1946 Seite 487
XU. Liber Epigrammaticus, 1947 Seite jji
xm. Liber Epigrammaticus, 1948 Seite 589
XIV. Blaues Buch, 1948 Seite 607
XV. Blaues Buch, 1949 Seite 647
XVI. Blaues Buch, 1950 Seite 711
I WIEN
1940
Donnerstag, 4.Januar Sich selbst überleben: hier liegt das Geheimnis und das letzte Ziel. Ein Grau steht aus dieser umgebenden Stadt gegen uns heran, die rätselhaft ist und nur erraten werden kann mit leeren Händen, das alles haben fahren lassen: dann erst kann man sie hohl machen und aus ihnen die Zukunft trinken.
Samstag, 6.Januar
Die Sprache, worin man sich antraf, überleben kraft der ver liehenen: das ist die Lebensgeschichte eines Schriftstellers. Der psychologische Primat der Politik ist ein Gefuchtel, das wir ausführen, um glauben zu machen - unter den ehrenhafte sten und vernünftigsten Begründungen - es gäbe doch noch zu nächst Dringlicheres zu erledigen als die vorbehaltslose Apper zeption. Thematischer Konfekt, welcher, vor der eigentlichen Mahlzeit genascht, den Appetit zu dieser verdirbt. Zudem: nir gend sind für jedermanns verschiedentliche obsolete Mechanis men der Seele derart spektable Blenden auf so kurzem Wege zu haben. ,Rien de noble ne se fait que par un hazard * - einen hinzu tretenden Zufall, meint er, der Montesquiou, Hofmannsthals Freund (ich zitier’ ihn nach Franz Blei, hätt’ es aber schwer, die Stelle wieder zu finden in dem dicken Buch .Erzählung eines Le *). bens Glaubst du, den Topf deines Lebens, diesen ganzen Galimatbias, jetzt in Stunden, Tagen oder Wochen rein auskratzen zu können und einen Entscheid nicht früher ausfallen zu dürfen als nach vorhergegangener ,streng wissenschaftlicher * chemischer Untersuchung? Fühlst du in Schummer und Halbdunkel die Leitersprosse unter deiner Sohle, dann heb’ dich hinauf - rien de noble ne se fait... Du machst es am Schreibtisch nie anders, und bei jeder Gelegenheit. Das soll uns nicht davon entbinden, unsere Gründe distinkt anzugeben, aus welchen wir uns auf einen Anlaß als Reittier hin aufgeschwungen haben: es wird übrigens, bei aller Gründlich-
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keit, mit uns in eine neue Dimension davongaloppieren, wenn anders wir nur fest sitzen. Aufsteigen und Reiten sind zwei ganz verschiedene Erlebnisse. Und schon gar das Absteigen: in einer schönen, einer reizvoll umschließenden Gegend, die durchaus ihren Eigenwert besitzt. Peinlich, sich da an seine Begründungen erinnern zu wollen, peinlich, weil lächerlich. Sind etwa der Himmel hier und diese seltsame Lage des alten Gasthofs vor dem See und dem Abend rot - aus meinem Steigbügel zu erklären?
Mittwoch, io.Januar
Nicht die Höhepunkte, die besten Verfassungen, die .dichte * risch glücklichsten Tage bilden den Pegel, von welchem sich der sozusagen konstitutionelle Zustandswert ablesen läßt, die Ent wicklung einer Person. Jene Höhepunkte sind, wie Gütersloh neulich sagte, einander im Großen und Ganzen gleich. Subjek tiv gewiß, und ein objektives Maß gibt es hier nicht. Aber die unterste Grenze, der konstitutionell schlechteste Zustandswert, der schlechteste, der jeweils in verschiedenen Lebens-Abschnit ten möglich war oder ist, et allein bildet mit seinen Wandlungen den Erweis, inwieweit wir, was paradigmatisch von uns erreicht werden konnte, nicht mehr in .Werken * absetzten sondern un serer Person zu integrieren im Stande waren. Die schlechten Zu stände mußt du geduldig und wissentlich als solche ertragen, sie gehören zum Leben, dürfen nicht neben das Leben gestellt wer den als etwas, was ,nicht gilt *. Alles gilt, erstens, jede Sekunde, und zweitens besitzest du - genau besehen - weder Fähigkeit noch Kompetenz, hier zu distinguieren. Aber, den schlechtesten Zustand vorausgesetzt: wenn ein Auge nur draußen bleibt, das ihn als solchen wahrnimmt und sich an ihm ärgert, so sind wir damit schon über dem Nullpunkt. Nur wenn auch dieses Aug’ sich trübt und schließt, dann wachsen - und schlimmstenfalls so gar unter den vernünftigsten Vorwänden und Begründungen! die Verdinglichungen unserer wahrhaft abgerissenen Lage über Nacht wie Schwämme nach dem Regen, und als eine schwam mige Wand der Befangenheit um uns herum, der Befangenheit auch in allerlei jetzt schon ganz vernünftig angebbaren Notwen digkeiten, die heute noch ein Wandschirm sind, hinter dem wir uns vor unserem einzig wirklichen Bedürfnis verstecken wollen
Wim, iffo
(wie Adam vor dem Aage des Herrn), morgen jedoch bereits zwingend. Auch hier flüstert uns die Dummheit zu, jenes eine noch wachende Aug’ doch zu schließen, uns ganz in die Be fangenheit einzuschließen, deren abgerissene und sinnlose Dia lektik eine entseelte Welt uns gerne legitimiert, denn es ist ihre eigene. Bleibt jedoch das Auge schmerzhaft offen, so trägt man sein persönliches und zukömmliches Kreuz, welches, hat man nur den Mut dazu, ein Glück ist, verglichen mit der maulwurfs artigen Geschäftigkeit, die den Feigen und kopfüber hinab in die Blindheit Fahrenden antreibt, sich immerzu in neue Vorwände zu vergraben und einzuwühlen, daß er nur nicht das Licht sehe und sich selbst darin in seiner traurigen und geistesuntreuen Ge stalt. , Was der Lebende liebt, haßt der Sterbende.' Erlauben wir unseren schlechtesten Zuständen unter keinen Umständen, sich eine Objektswelt zu suchen und sie gegen unser offenes Aug * nun schon fast überzeugend als solche in’s Feld zu führen 1 Sondern behalten wir jenen Zustand scharf unter diesem Auge, das zu gleich unaufhörlich nach Möglichkeiten zur Besserung aus späht - eine Besserung, die sich ja dann auch sogleich verding licht in eine Objektswelt, deren überzeugende Dialektik uns ihrerseits wieder in vorteilhafte Befangenheit nimmt: dann ha ben wir, was übler Zustand ist, bei seinem Namen erhalten, und was uns auferlegt wurde, geduldig ertragen, ohne es umzufäl schen, selbständig zu machen und ganz überzeugend in einer Gestalt auftreten zu lassen, die eben schon gebieterisch andere Mittel verlangt als die allein heilsamen: und nur aus Scheu vor diesen haben wir uns ja so verhalten und uns versteckt und sind so weit davongelaufen und tief in die Verdinglichungen hinein, bis dorthin, wo sie als Gestrüpp ganz ineinanderstachelten und wö man schon allen Grund hatte, sich struppig und ruppig und abgerissen aufzufuhren, da ja hier wirklich anderes nicht mehr übrig blieb. Wenn wir, was übler Zustand ist - verhängt gerade jetzt aus letzten Endes unbegreiflichen Gründen von unserer Physiologie oder Psychologie her oder gar von deren äußeren Formungen als bereits erstarrte Objektswelt - wenn wir dieses bei seinem Namen erhalten und somit uns selbst in unserer Kategorie, der unverfälschten Sprachlichkeit: dann blieb unser Aug’ offen und wir haben sogar unserem untersten Zustandswerte noch eine Form verliehen, ihn unserem Leben integrierend, statt durch ihn
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Witn, 1940
neben das Leben und in eine Scheinwelt zu geraten. Ein solches Verhalten hält uns bereits über dem Nullpunkt und in der Treue, worauf es allein ankommt, da alle graduellen Unterschiede vor Gott sich einebnen.
Fnitag, 12.Januar Was man nicht alles für legitim hielt in jenem ersten Leben: dies und dasl Teils sich Legitimationen erborgend, deren Zusammen-Sickem aus dem vorhandenen Vorstellungsmaterial ein wesentliches biographisches Kapitel bildet, teils auch in einer so völligen Immanenz, vom endlichen Raum der Sphäre so ganz umschlossen, daß es einer vorwand-artigen Legitimation nicht mehr bedurfte: sie war vom Leben (von der Sprengladung der empirischen Person her) gegeben und in Form festliegender Bahn-Elemente aufgestellt. Zum Vorhergehenden: ich weiß wohl, daß der Teufel ein Spiegelbild des Geistes ist; die psychologischen Mechanismen arbeiten ganz in gleicher Weise, ob unter diesem, ob unter jenem Antriebe; ebenso ist auch der Galopp eines Pferds ganz der gleiche, ob er nun einen Helden in die Schlacht trägt oder einen Feigling aus dieser rettet: es ist und bleibt eben ein Pferds-Ga lopp, und geritten wird auch in beiden Fällen gleich. Für den Roman-Schriftsteller besteht hier kein Unterschied der Ebene und überhaupt nirgends, da es für ihn nur die eine - die empi rische nämlich - gibt. Die Befangenheit ist die unumgängliche Voraussetzung, unter welcher wir allein das Geistige auf der Ebene des Erfahrbaren als Zustandswert darzustellen vermögen. Ebenso wie im Intellektuellen bei Evitation der eigentlich le benswichtigen Funktion der Intelligentia Themen und Pro * bleme als diskussions-würdig und diskussions-wichtig, ja als not wendig zu erledigende, vorgeschoben werden, und freilich mit Wertbetonung - ganz ebenso rollt jede Revolution, beunruhigt und zutiefst gehetzt von ihrer eigenen Apperzeptions-Verweige rung, alle erdenklichen ,Aufgaben * mit ebensolcher Betonung heran: sehr bezeichnend, daß ein mir bekannter und keineswegs unbedeutender Schriftsteller (B61a Bäläsz) um die Zeit von 1918 ein Gedicht verfaßte, das den vielsagenden Titel,Abschied von * Gott trug - denn man habe jetzt wichtigeres zu tun. Mit alledem
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hängt die Vorliebe aller Revolutionäre zusammen, den Blick in’s Un-Konkrete der kommenden Generationen zu verweisen. Ja, die Anschaulichkeit ist unser entscheidendes .Barometer des Gei * stes (diesen Ausdruck entlehn’ ich dem Baudelaire, der ihn mit Bezug auf E. Th. A. Hoffmann gebraucht und in einem andern Sinne), und das steht, zugleich mit dem Maße wirklicher Sprachlichkeit auf jedem unserigen Schreibtisch, also auf einem Tische, wo wirklich geschrieben wird: sinkt es, dieses Barometer, dann droht dem Geiste schwerer Sturm, der seine Blätter bis zur Kahl heit abzustreifen kommt.
Samstag, 13.Januar
Einer solchen Sprachlichkeit vereidigt bis zum Stande meta phorischer Heiligkeit innerhalb ihrer, tritt nun der erzählende Dichter einer Welt gegenüber, von welcher er nichts will, und am allerwenigsten, daß sie sich profund ändere: dann das empi risch Gegebene ist für ihn eine letzte inappellable Instanz (siehe Lukäcs, Theorie des Romans, pag. 31). In diesen Zustand zu ge langen erforderte viel Disziplinierung, in ihm zu verbleiben er fordert davon noch mehr. Die Etablierung solcher innerer Dia lektik aber projiziert diese auch gleich wieder in’s äußere Leben hinaus, welches jedoch unter jeder Soll-Vorstellung verzerrt, ja genau genommen unsichtbar wird. Man muß in einem sehr guten Ge wissen stehen, um die Welt so schauen %u können wie sie wirklich ist. Anders: der Sinn jeder Disziplinierung kann nur ihre SelbstAufhebung sein.
Montag, ij. Januar Soweit also deckt sich unsere Straße mit der des Mönchs, ja sogar mit der des Heiligen, weil ihre zurückgelegten Strecken ebenso wie bei diesen Typen, in’s organische Vergessen sinken; jedoch trennt jene bald ihr steilerer Anstieg von unserer flache ren Bahn, die auf der Ebene einer nur metaphorischen, nämlich sprachlichen Heiligkeit münden soll: also beim reinen Ausdruck. Da heißt es, wie ich in der letzten Notiz des vorigen Jahres schon sagte, auf niemanden bös sein. Auch nicht auf sich selbst. Jedoch begleiten uns ja die unverwandelten Potenzen des eigenen Cha rakters. Er wurde - hier kann ich freilich nur aus meiner eigenen
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IF/m, if40
Lebensgeschichte Aussage tun - im Laufe der Personswerdung dialektisches Objekt und polemische Konstruktion, der andere Pol einer stets neu zu gewinnenden Spannung, anfangs in vielen Punkten negiert, später, als seine unveränderliche biologische Einheit erkannt war, als beisammen zu lassendes Ganzes wenig stens in effigie geopfert. Das hindert ihn nicht, entscheidend auf zutreten, den dialektischen Apparat neu zu provozieren, und so, die Personswerdung täglich rekapitulierend, beginnt man jeden Tag ab ovo und hat auf diese Art schon einige Erfolge, ja sogar eine allmähliche Wanderung des Nullpunktes erzielt, die ihn ver legt.
Dienstag, t6. Januar Paradoxal erscheint dabei allerdings der Vorgang einer viele konkrete Einzelheiten erfassenden, sehr individuellen Dialektik, die, je weiter ausholend ihr Umweg jedesmal ist, mit um so größe rer Beängstigung, aber nicht minder deutlich ihr letztes Ziel weiß und also ihrer Denkfrüchte unmöglich froh werden kann: denn erst die von den formlosen Gegebenheiten innerer und äußerer Welt ganz abgesetzte Person ist fähig, nachdem sie unter allen Martern neuerlich zu Stande gekommen, im selben Augen blicke auch schon wieder zu verschwinden, wie ein zerspringen des .Bologneser Fläschchen * in Atome zerstäubt, die sofort auf gelöst in’s Blut gehen und, bei gänzlich vergessenem Denketi schen, dort bereits als Eigenschaft kreisen. Ich habe dann die Eigenschaften eines Erzählers, wie oben angegeben. Damit - nämlich mit solchen Erlebnissen - weiß man auch was vom rationalen Ursprung der Begabungen (Gütersloh, Bekennt nisse; 1926, päg. 102/103, § 12)- Das auf den ersten Blick Absurde des Vorganges, der die Heraus-Schleifung einer Person bis zum äußersten treibt, um sie dann gleichsam zerspringen zu lassen bei der jedesmaligen Geburt des Erzählers, das anscheinend Absurde eines solchen Prozesses, der zunächst in eine ganz andere Rich tung als die gemeinte vorschreitet, nämlich in den Grundsumpf aller Subjektivität und durch alle Stadien des Individualismus nochmals von unten her durchtauchend - dieses weiteste Aus holen Zu einem Schlage, der dabei - in der Tatl - nicht mehr ge meint werden darf: alles das erklärt sich aus der zu erreichenden Ebene, welche unser Georg Lukäcs die .Subjektivität der Epik *
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nennt und mit Recht als ein Paradoxon bezeichnet (Theorie, S. 41). Ich glaube mich als Erzähler genügend ausgewiesen zu haben, um dem Mißverständnisse zu entgehen, ich spräche hier nur und ganz ausschließlich aus meiner eigenen Unfähigkeit und ihren spezifischen Erfahrungen heraus: zum großen Teil allerdings ist dies natürlich der Fall. Meditieren ist ein Existenzkampf. Das Denken ist hier medium, re-medium, ist instrumental. Denken ist dagegen eine edle Beschäftigung, eine schöne Kunst, die Früchte trägt. Die Meditation ist ein Akt der Personswerdung, entspricht dem mythischen Zustande. Das Denken gehört als notwendiger Teil in die Biographie eines Erwachsenen. Es entspricht der Geschichte. Wir aber steigen durch alle Stockwerke, und in verschiedenen koexistierenden Zeiten bedienen wir die Altäre oberer und untrer Götter. Die Abseitigkeit der Position erscheint im Augenblicke unge heuer, ja überwältigend, erdrückend. Hier scheint nur mehr die Hoffnung zu bleiben, daß man dereinst unsere Knochen mahlen werde, um aus dem Pulver noch eine heilsame Quintessenz zu gewinnen... das heißt also: ich sehe im Geiste fünfundzwanzig bis dreißig verschiedene Ausgaben und Kommentare der .Großen und kleinen Geschichte * voraus (so lautete der ursprüngliche Titel von Gütersloh’s .Bekenntnissen * in der ersten Ausgabe). Aber in dieser niederdrückenden Weise stellt sich solcher Sach verhalt nur auf der Ebene der Dialektik dar, die Anschauungen gegeneinander führt. Im Sein, biologisch, ist’s anders. Hier gibt die äußerste Elongatur dieses Abstandes magische Kraft, und wir könnten aus wahrhaft solitären Quellen einzigartig und macht voll leben, wenn wir nur ganz in die Eigenschaften eingingen: „stabiles Gleichgewicht ist kein Widersatz zur Organik des Le bens“. Wir müssen eine Befangenheit erreichen mindest so groß, wie die unsres ersten Lebens war, als welche dann allerdings nie mandem mehr verübelt werden darf. In Konflikt geraten nur die klappernden Skelette: es enthält auch manches große Buch die größten Widersprüche, welche aber nie zusammen kommen und nebeneinander gestellt werden können vor lauter blühendem Fleisch dazwischen. In doctrina quod antmomice certat constare non potest.invita autem potestcoexistere: veroabhocvitaoritur. 1
Doderer, Tangenten
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Wien, 1940
Befangenheit und Dummheit sind nicht das selbe. Man kann innerhalb seiner derzeitigen Befangenheit voll apperzeptionswil lig sein, man kann apperzipieren, man kann sogar im Appersfpieren befangen sein. Man kann nicht tendenziös dumm und dabei ap perzeptionswillig sein, man kann nicht im Apperzipieren auf solche Weise dumm sein, sondern nur unzulänglich. Befangen heit konstituiert das Leben (ߣo