Systemtheoretische und empirische Analyse der Krankenhausinanspruchnahme [1 ed.] 9783428471744, 9783428071746


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German Pages 220 Year 1991

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Systemtheoretische und empirische Analyse der Krankenhausinanspruchnahme [1 ed.]
 9783428471744, 9783428071746

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JOSEF DÜLLINGS

Systemtheoretische und empirische Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

S oz iologi sebe Se briften

Band 54

Systemtheoretische und empirische Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

Von

Dr. Josef Düllings

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Düllings, Josef: Systemtheoretische und empirische Analyse der Krankenhausmanspruchnahme I von Josef Düllings. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Soziologische Schriften; Bd. 54) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07174-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0584-6064 ISBN 3-428-07174-3

Meiner Frau Anita und unseren Kindern Carlo, Niklas und Evelyn gewidmet

Geleitwort Mit diesem Buch wird das wissenschaftliche Instrumttntarium für die Analyse des Gesundheitssystems innovativ in zwei Richtungen erweitert: zum einen nutzt Josef Düllings die inzwischen weit entwickelten theoretischen Mittel der modemen soziologischen Systemtheorie für eine unerschrockene Neufassung der leitenden Fragestellungen; zum anderen setzt er ein für die Bundesrepublik Deutschland in dieser Form erstmalig entwickeltes ComputerSimulationssystem ein, um in der praktisch und gesundheitspolitisch wichtigen Frage der Krankenhausinanspruchnahme zu neuen fundierten Erkenntnissen zu kommen. Für die theoretischen Aspekte seiner Arbeit hat sich Josef Düllings dort ausbilden und beeindrucken lassen, wo soziologische Systemtheorie heute "passiert": an der Fakultät für Soziologie in Bielefeld. Der quantitativ-empirische Teil der Arbeit beruht auf einer mehrjährigen Mitarbeit des Verfassers am "Gesundheitsmodul" des Mikrosimulationssystems des Sonderforschungsbereichs 3 in Berlin. Die Arbeit geht eines der zentralen Probleme sozialwissenschaftlicher Systemtheorie frontal an: die Verknüpfung von Theorie und Empirie. Der innovative wissenschaftliche Beitrag der Arbeit und ihre besondere Leistung liegen genau darin, in sorgfältiger und präziser Analyse zu prüfen, wie die Möglichkeiten einer quantifizierenden Untersuchung im allgemeinen und diejenigen eines Simulationsmodells im besonderen dafür genutzt werden können, systemtheoretisch generierte Hypothesen zu prüfen. Dies geschieht am Fall der Krankenhausinanspruchnahme mit der allgemeineren Absicht, die theoretische Relevanz des Gesundheitssystems und seiner Steuerungsproblematik einerseits, die praktische Problematik der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, vor allem im stationären Bereich andererseits, füreinander instruktiv zu machen. Die Stärke der Arbeit und die beeindruckende eigenständige Forschungsleistung des Autors liegen nach meiner Ansicht darin, daß der Autor in einer bestens plazierten Fallstudie die Möglichkeit und die Fruchtbarkeit einer empi-

8

Geleitwort

risch-quantitativen Fundierung systemtheoretischer Analyse prüft, durchspielt und kritisch bewertet. Ungewöhnlich ist vor allem, daß es dem Verfasser gelungen ist, tatsächlich mit einer doppelten theoretischen wie methodischquantitativen Qualifikation eine ausgewogene Analyse durchgehalten zu haben: Josef Düllings ist weder der Versuchung erlegen, theoretische Details und Feinheiten auch dort zu verfolgen, wo sie nichts mehr zur Klärung der konkreten Forschungsfrage hätten beitragen können; und ebenso hat er auf der anderen Seite einem Methoden- und Instrumenten-Purismus widerstanden, was besonders hoch zu bewerten ist bei den Möglichkeiten, die Detailproblematik einer Simulation in den Untiefen des Computers zu verstecken. Das Buch ist nicht nur für Spezialisten gedacht, sondern wendet sich in einer von wissenschaftlichem Jargon erfreulich befreiten Sprache sowohl an theoretisch wie an methodologisch Interessierte, vor allem aber an alle diejenigen, die selbst nach Antworten auf die ebenso schwierige wie praktisch bedeutsame Frage suchen, welche Formen und Strategien der Steuerung des Gesundheitssystems möglich und erfolgversprechend erscheinen. Diese Frage ist zwar noch weit davon entfernt, befriedigend beantwortet werden zu können. Aber mit der hier vorgelegten Arbeit macht Josef Düllings einen gewichtigen und mutigen Schritt, unser Wissen über die Dynamik des Gesundheitssystems zu erweitern. Auch aus diesem Grund wünsche ich dem Buch, daß es viele aufgeschlossene und kritische Leser und Leserionen findet. Bielefeld, im Oktober 1990

Helmut Willke

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist entstanden im Rahmen des Teilprojekts "Gruppenspezifische Gesundheitsstrukturen und deren Auswirkungen im Gesundheitssystem " des Sonderforschungsbereichs 3 "Mikroanaly tische Grundlagen der Gesellschaftspolitik" . Das Teilprojekt wurde von Herrn Prof. Dr. Ralph Brennecke, Freie Universität Berlin, geleitet und über die gesamte Dauer des Sfb 3 bis Ende 1990 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Herrn Prof. Dr. Brennecke möchte ich für seine Unterstützung und seine vielfaltigen Anregungen herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Helmut Willke, Universität Bielefeld, der die Arbeit betreut hat und mir in mehreren ausführlichen Diskussionen wertvolle Einsichten vermittelt hat. Für Kommentare zu einzelnen Abschnitten der Arbeit danke ich Herrn Prof. Dr. Heinz P. Galler, Herrn Prof. Dr. Alexander Schuller, Frau Dipl.Soz. Eleftheria Kefaloukou, Herrn Dipl.-Volksw. Andreas Kniesehe und Frau Dipl.-Med.Inf. Verona Kriwet. Für die Schreibarbeit danke ich schließlich auch Frau Ulrike Malik. Berlin, im März 1991

Josej Dallings

Inhalt I.

Einleitung ............................................................................

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11.

Die Analyse sozialer Systeme ..... ................................. ............... 1. Ebenen der Systembildung.................................................. Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft ................ . 2. 2.1 Kommunikation ....................................................... . 2.2 Rolle ..................................................................... . 2.3 Organisation ........................................................... . 2.4 Funktionssystem ...................................................... . Formen gesellschaftlicher Selbststeuerung ............................. . 3. 3.1 Subjektorientierte Vorstellungen von Gesellschaftssteuerung . .. . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. . . .. . . . ... . . . .. .. . . 3.2 Leitdifferenzen und Modellierungen als gesellschaftliche Selbststeuerungsmechanismen ..................................... . Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systeme............ . 4. 4.1 Systemtheorie und quantitative Analyse ......................... . 4.2 Merkmale als Kommunikationen .................................. . 4.3 Die Relationierung von Merkmalen .............................. . Fazit ........................................................................... . 5.

19 19 22 24

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme..................... 1. Maße und Begriff der Krankenhausinanspruchnahme ... . . . . .. . . ... . . 2. Leitdifferenz und Grundstrukturen des Gesundheitssystems ........ 2.1 Die Unterscheidung gesundlkrank ................................ 2.2 Wechselwirkungen zwischen personalen und sozialen Systemen................................................................ 2.3 Die Kranken- und Patientenrolle................................... 2.4 Die Rolle des Therapeuten.......................................... 2.5 Innendifferenzierung des Gesundheitssystems .................. 2.6 Innendifferenzierung der stationären Versorgung....... ....... Der Inanspruchnahmeprozeß der stationären Versorgung .......... . 3. 3.1 Krankheits- und Therapiestruktur................................. . 3.2 Inanspruchnahme als Karriere...................................... 3.3 Intersystembeziehungen der Krankenhausinanspruchnahme

50 50 53 53

III.

25

27 28 30 30 3~

40 41 42 44

48

54 55 58 59 62 65 65 67 69

12

Inhalt

4.

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme .................... 4.1 Probleme der Inanspruchnahmesteuerung ....................... 4.2 Ansätze zur Inanspruchnahmesteuerung ......................... Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme .. . . ... .. . . . 5.1 Konzept.................................................................. 5.2 Merkmale und Systeme.............................................. 5.3 Variablen übersicht ........... .......................... ............... Fazit ............................................................................

73 74 77 86 86 88 93 97

IV.

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme ................ 1. Daten ............................................................................ 2. Methode................. ...... ....... ....................................... .... 3. Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozesses................... 3.1 Initüerung ............................................................... 3.2 Differenzierung ........................................................ 3.3 Dauer .................................................................... 3.4 Ressourcenverbrauch................................................. 4. Fazit............................................................................

98 99 103 105 105 118 125 130 137

V.

Mikrosimulation als Erkenntnismethode ........................................ 1. Simulations- und Mikrosimulationsmodelle ............................. 2. Mikrosimulation und Systemtheorie ............ ............... ........... 2.1 Personendatensätze ................................................... 2.2 Programme .............................. ... ............................ 3. Das Simulationsmodell ...................................................... 3.1 Der Stb3-Mikrosimulator............................................ 3.2 Das Gesundheitsmodul............................................... 4. Validierung des Modells .................................................... 4.1 Allgemeine Aspekte der Validierung ............................. 4.2 Vergleiche zwischen amtlichen und simulierten Daten .......

139 139 141 142 143 144 144 149 156 156 157

VI.

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme...................... 1. Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme bis zum Jahr 2000 ...... ................................................................. 1.1 Annahmen............................................................... 1.2 Ergebnisse ............................................................. . Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme ................... . 2. 2.1 Fehlbelegung als Steuerungsproblem ............................ . 2.2 Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern ........................ . 2.3 Simulationsannahmen. ... .... ..... .... ................................ 2.4 Reduktion der Fehlbelegung und Entwicklung bis zum Jahr 2000................................................................ Zusammenfassung ........................................................... . 3.

161

5.

6.

161 161 163 175 176 184 188 192 201

Inhalt

VII. Schlußbetrachtung.................................................................... Literatur

13

202 205

J. Einleitung Ein zentrales Problem der theoretischen Soziologie ist nach wie vor ihr unzureichender Bezug zur Empirie. Abstrakte, universalistische Ansätze, also solche, die das gesamte Gegenstandsfeld der Soziologie abdecken wollen, sind in der Regel als komplexe Begriffs- und Aussagensysteme konzipiert, wie die Parsonssche (1937; 1951) oder die Luhmannsche (1974; 1984) Systemtheorie. Soziale Phänomene werden darin auf einer rein qualitativen Ebene analysiert. Eine Weiterentwicklung der Theorie im Hinblick auf quantitativ-empirische Fundierung findet meist nicht statt. Man versucht zwar gelegentlich, auf Kritik am empirischen Gehalt der Theorie einzugehen, indem man darauf hinweist, daß der Systembegriff etwas bezeichne, was wirklich ein System sei und sich damit auf eine "Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit" (Luhmann 1984: 30) einlasse. Aber es wird nicht von der Grundtendenz, empirische Forschung auszuklammern, abgewichen (vgl. a. Haferkamp 1987). Die nur schwache empirische Ausrichtung der Systemtheorie ist angesichts der in den letzten Jahrzehnten entstandenen Möglichkeiten zur computergestützten statistischen Analyse als Defizit zu betrachten. Die meisten Analysen greifen zwar auf ein hochkomplexes Begriffsinstrumentarium zurück und machen dadurch Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung deutlich, die man sonst nicht erkennt. Sie fallen jedoch in ihrer Methodik, quasi einer reinen "Analyse mit Worten", hinter Durkheim zurück. Sie geraten, überspitzt formuliert, eher in die Nähe der Gesellschaftsanalysen von Platon und Aristoteles als in den Bereich einer modemen Soziologie. Unter "moderner Soziologie" könnte man die Art sozialwissenschaftlicher Analyse verstehen, die sich von den neueren technischen Entwicklungen in der Gesellschaft beeinflussen läßt. Ohne eine Nutzung dieser Möglichkeiten, vor allem der computergestützten Analyse, besteht zumindest die Tendenz, die abstrakte Soziologie in die Philosophie abzudrängen. Dies würde aber auch den Verzicht auf eine hochintegrierte Gesellschaftsanalyse bedeuten. Die Alternative wäre eine Forschungslandschaft, wie sie heute offenbar in der amerikanischen Soziologie vorherrscht. Diese ist nach Joas (1988: 272) gekennzeichnet durch eine Viel-

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Einleitung

zahl von Strömungen, die miteinander um einen Kernbereich einer theoriear-

men quantitativen Forschungspraxis wetteifern. Grundsätzlich ist eine Viel-

zahl von Meinungen nicht negativ zu werten. Unter dem Gesichtspunkt der

Vergleichbarkeit von Ergebnissen bereitet eine Vielfalt unzusammenhängender Ad-hoc-Ansätze jedoch Probleme. Insofern kann ein abstraktes Forschungsparadigma für die Soziologie auch von Vorteil sein. Ein anderes Defizit der soziologischen Systemtheorie liegt in der unzureichenden Thematisierung des Gesundheitswesens. Parsons hatte sich in mehreren Publikationen noch relativ ausführlich damit beschäftigt (vgl. 1951: 439ff; 1961; 1970; 1975; 1979: 321-449). Insbesondere seine Konzeption der Kranken- und Patientenrolle hat auf die Medizinsoziologie einen großen Einfluß ausgeübt (vgl. Wolinsky 1980; Cockerham 1986). In der neueren Systemtheorie, so wie Luhmann sie z.B. vertritt, ist das Gesundheitswesen allerdings in den Hintergrund getreten (vgl. a. Mayntz/Rosewitz 1988: 117; Luhmann 1983a; 1983b). Analysen zum Krankenhausbereich liegen aus dieser Perspektive nicht vor. Es gibt mehrere Argumente, die die Relevanz einer empirisch orientierten Systemforschung im Bereich des Gesundheitswesens verdeutlichen können. Zunächst wird der Begriff des Gesundheitssystems häufig ohne Anknüpfung an die systemtheoretische Forschungstradition gebraucht. Die Folge ist, daß oft singuläre Begriffsinhalte definiert werden, die die analytischen Möglichkeiten der bereits vorhandenen Konzepte ungenutzt lassen und für andere Forscher wenig anschluß fähig sind. Weiterhin ist eine System- und Prozeßanalyse des Gesundheits- und insbesondere Krankenhauswesens aus praktischen Erwägungen von Bedeutung. In vielen westlichen Industrieländern ist das Gesundheitssystem während der letzten beiden Jahrzehnte zu einem politisch und wissenschaftlich interessanten Thema geworden. Ein immer größerer Teil der in der Gesellschaft verfügbaren Ressourcen (Geld, Personal, Technik) wird für Gesundheitsleistungen verbraucht. Damit ist schon seit längerem so etwas wie eine Schmerzgrenze überschritten, die eine verstärkte Suche nach den Ursachen und Bedingungen der Kostenexpansion motiviert. Angesichts der weiter bestehenden Steuerungsprobleme scheint der Forschungs- und Informationsbedarf noch nicht gedeckt zu sein. Gegenüber der Gesundheitsökonomie, die primär auf der Grundlage von Kosten/Nutzen-Kategorien forscht, könnte eine systemtheoretische Analyse des Gesundheitswesens vor allem auf die normativen und soziostrukturellen Aspekte von Steuerungsproblemen eingehen. Zu dieser Frage wird in Kap. 11 ein Ansatz entwickelt, der die Rolle sub-

Einleitung

17

systemspezifischer Leitwerte wie Gleichheit, Solidarität, Gesundheit etc. thematisiert (vgl. 11.3.2). Unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte stellt sich für diese Arbeit die Frage, inwiefern sich die Vorteile eines universalistischen Systemansatzes erhalten lassen und zugleich verbunden werden können mit einer quantifizierenden Analyse. Angesichts der systemtheoretischen Forschungsdefizite im Gesundheitsbereich und der praktischen Relevanz der Kostenexpansion, die sich besonders im Krankenhausbereich zeigt, sollen in dieser Arbeit mehrere Aspekte der Frage anband des Phänomens Krankenhausinanspruchnahme untersucht werden. Die Arbeit ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. In Kap. 11 werden Strukturen und Prozesse der modemen Gesellschaft beschrieben. Es geht dabei zwar auch, aber nicht nur um das Gesundheitssystem. Vielmehr soll im Sinne der aufgeworfenen Frage und als analytischer Rahmen der Arbeit eine Ordnung der Gesellschaft beschrieben werden, die sich zeigt, wenn man sie als System betrachtet. Wichtig ist dabei auch die Rolle des Individuums und das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Ein zentrales Ergebnis ist, daß das Individuum als Person nur über Kommunikationen an der Gesellschaft teilnimmt und als Einheit unterschiedlicher Systemebenen größtenteils außerhalb der Gesellschaft steht (vgl. 11.1). Aus diesem spezifischen Verhältnis wird in einem Unterkapitel (11.4) auch ein Ansatz zur quantitativ-systemtheoretischen Analyse sozialer Prozesse entwickelt. Im Hinblick auf das Problem der Kostenexpansion im Gesundheitssystem, das trotz des Gesundheitsreformgesetzes von 1988 immer noch aktuell ist (vgl. AOK 1991), werden unterschiedliche Überlegungen zu Fragen der sozialen Steuerung diskutiert und ein an Leitwerten orientiertes Steuerungskonzept erarbeitet. In Kap. III werden Strukturen und Prozesse des Gesundheits- und Krankenhauswesens beschrieben. Die Inanspruchnahme von Krankenhäusern wird dabei als sozialer Prozeß begriffen, auf den Prozesse anderer Sozialsysteme einwirken. Außerdem wird die Frage behandelt, inwieweit es in der Gesellschaft zu einer Steuerung des Inanspruchnahmeprozesses kommt und weIches die soziostrukturellen Bedingungen dieser Steuerung sind. Anschließend wird der in Kap. 11 beschriebene Ansatz zur quantitativen Analyse am Beispiel der Krankenhausinanspruchnahme spezifiziert. Kap. IV enthält eine Beschreibung der quantitativen Relationen der Krankenhausinanspruchnahme. Dabei werden vier Stufen unterschieden: (1) Ein2 DiI11ings

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Einleitung

weisung in ein Krankenhaus, (2) Einweisung in bestimmte Fachabteilungen, (3) Inanspruchnahmedauer (Verweildauer) und (4) Kosten der Inanspruchnahme. Mit Hilfe der hier gewonnenen Hypothesen, die auf der Grundlage der 1. und 2. Welle des Sozio-ökonomischen Panels (vgl. Hanefeld 1984; 1987) geschätzt wurden, soll im folgenden Kap. V ein Mikrosimulationsmodell der stationären Versorgung entwickelt werden. Ziel des Modells ist es, nach einer retrospektiven schätztheoretischen Analyse (IV) auch eine prospektive Betrachtung des Inanspruchnahmeprozesses zu ermöglichen (VI). In Kap. VI geht es schließlich um eine quantitative Analyse der Fehlbelegung als fehlgeleitete Krankenhausinanspruchnahme mit Hilfe dieses Modells. Eine Frage ist, über welche soziale Mechanismen die Fehlbelegung gesteuert werden könnte und welche Konsequenzen dies hätte. In Simulationsrechnungen, die bis zum Jahr 2000 reichen, wird die Krankenhausinanspruchnahme einmal als ungesteuerter Prozeß untersucht (vgl. VI.1). In einem anderen Teil wird davon ausgegangen, daß über bestimmte politische Interventionen, die im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes 1988 implementiert worden sind, eine Reduktion der Fehlbelegung in Akutkrankenhäusern eintritt (vgl. VI. 2). Hier interessieren vor allem die Auswirkungen auf die Kosten- und Strukturentwicklung im stationären Bereich. Insgesamt ist die vorliegende Arbeit gedacht als Versuch einer analytischen Verknüpfung von abstrakter Gesellschaftstheorie (11), Theorie des Gesundheits- und Krankenhauswesens (III), empirisch-quantitativer Sozial forschung (IV) und Mikrosimulation (V, VI). Die einzelnen Themenbereiche werden nicht als vorbereitende Bausteine einer ergebnisorientierten Analyse betrachtet, sondern als perspektivisch wechselnde Analyse eines bestimmten Phänomens.

11. Die Analyse sozialer Systeme 1. Ebenen der Systembildung Die Evolution hat bis heute im Prinzip drei Ebenen der Systembildung hervorgebracht: eine physikalisch-chemische, eine biologische und eine semantische. Unterhalb ;dieser Hauptebenen gibt es weitere Differenzierungen. Die semantische Ebene umfaßt psychische und soziale Systeme, die biologische Ebene u. a. zelluläre und neuronale Systeme. Eine gerade für die Analyse sozialer Systeme wichtige Frage, die jedoch selten gestellt wird, ist, welche Wechselwirkungen zwischen diesen Systemebenen stattfinden. Die Entstehu6'g und Behandlung von Krankheiten z.B. kann die Relevanz der Frage deutlich machen. Krankheit ist zunächst eine Störung der Funktionen des biologischen Systems. Beim Menschen kann diese Störung im psychischen System repräsentiert werden und im Rahmen seiner sozialen Umgebung Verhaltensweisen auslösen, die über soziale Prozesse (Arztkonsultation) eine Steuerung psychischer und biologischer Prozesse (Medikamenteneinnahme) und letztlich die Steuerung der biologischen Funktionsstörung (Heilung) ermöglichen. An diesem Beispiel zeigen sich zwei Aspekte, die generell für Beziehungen zwischen Systemen unterschiedlicher Komplexitätsniveaus gelten können. Den ersten Aspekt kann man als einen aufsteigenden Effekt betrachten und mit "Repräsentation" bezeichnen. Damit ist allgemein die Behandlung von Prozessen einer Umwelt auf geringerem Komplexitätsniveau innerhalb eines Systems, das auf einer höheren Komplexitätsstufe steht, gemeint. Stöße, Hunger, Durst, Lust etc. können als Vorgänge physikalisch-chemischer oder biologischer Systeme innerhalb des menschlichen Körpers im psychischen System repräsentiert und als Informationen verarbeitet werden. Ebenso können Menschen als Personen oder in Form von Rollen in sozialen Systemen repräsentiert und Teil sozialer Prozesse sein. Der zweite Aspekt kennzeichnet einen Vorgang, den man als absteigenden Effekt bezeichnen könnte. Er entsteht durch die "kybernetische Hierarchie" der verschiedenen Systemebenen. Jensen (1984: 147) führt hier das Beispiel

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Die Analyse sozialer Systeme

von Pferd und Reiter an. Obwohl das Pferd gegenüber dem Reiter der energetisch stärkere Teil sei, werde das Verhalten des Systems PferdlReiter in der Regel durch den Reiter bestimmt. Der Grund dafür sei seine höhere Stellung in der kybernetischen Hierarchie. In ähnlicher Weise kann man beobachten, daß das psychische System, und häufig der Mensch in seiner Gesamtheit durch soziale Systeme gesteuert wird. Die kybernetische Hierarchie reicht also vom sozialen System als der höchsten Ebene bis zum physikalischen System als der niedrigsten. Voraussetzung für eine absteigende Steuerung ist allerdings, daß der zu steuernde Umweltausschnitt im steuernden System repräsentiert ist. Die Steuerung von Menschen durch soziale Systeme z.B. läuft in der Regel über eine Repräsentation des Menschen als Person oder "effizienter" als Rolle (Soldat, Polizist) ab. Geht man von diesem Konzept aus, dann ergeben sich für die Analyse sozialer Systeme mehrere Konsequenzen. Eine betrifft die Betrachtung des Mensohen, eine zweite den Handlungsbegriff der Soziologie und eine dritte den Bevölkerungsbegriff. Zunächst kann man den Menschen als Systeml auffassen, das aus mehreren Ebenen besteht, einer physikalisch-chemischen, biologischen sowie psychischen Ebene. Auf jeder Ebene operieren Systeme, die ein evolutionär unterschiedliches Komplexitätsniveau besitzen. Um dies theoretisch zu integrieren, könnte man für den Menschen den Begriff des personalen Systems verwenden. Geht man davon aus, daß personale Systeme der außergesellschaftlichen Umwelt angehören2 , dann stellt sich die Frage, wie diese Systeme an der GeDie wesentlichen Merkmale eines Systems treffen auf den Menschen zu, z.B. das TeillGanzes-5chema oder auch das SystemlUmwelt-Konzept, wenn man bedenkt, daß sich Menschen ähnlich wie andere Einheiten über bestimmte Strategien gegen störende Umwelten behaupten. Luhmann (1984) geht allerdings angesichts neuerer Entwicklungen der Systemtheorie, für die als dritte Komponente des Systembegriffs das ElementlRelation-5chema kennzeichnend ist (Autopoiese-Konzept), nicht davon aus. Die Systemvorstellung sei beim Menschen unzutreffend, da in ihm auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedliche Systeme mit verschiedenartigen Elementen vereint seien: "Der Mensch mag für sich selbst oder für Beobachter als Einheit erscheinen, aber er ist kein System" (ebd.: 67f). Trotzdem muß man fragen, wie diese Vereinigung unterschiedlicher Systeme möglich ist. Zur Klärung der Frage sind wahrscheinlich weitere Forschungen über die Rolle der Elemente und Relationen in Systemen sowie zu Aspekten des Austausches auf Elementebene zwischen Systemen unterschiedlicher Komplexitätsniveaus nötig. 2

Damit soll lediglich gesagt werden, daß personale Systeme mit ihren Ebenen unterhalb der Emergenzstufe sozialer Systeme stehen (vgl. a. S. 24f). E!ne ähnliche Vorstellung, nach der die Gesellschaft für Individuen etwas objektiv Außeres sei, findet man schon bei Durkheim (1980: 105ff).

Ebenen der Systembildung

21

seilschaft teilnehmen und dadurch Gesellschaft generieren. Während die Gesellschaft semantisch, also über Bedeutungen operiert, stehen personalen Systemen ja nur physikalische, biologische oder psychische Operationen zur Verfügung, die nicht direkt in die Gesellschaft eingebracht werden können. Hilfreich ist hier eine Differenzierung von Bedeutungen und Bedeutungsträgem (vgl. Roth 1987: 419t). Einen Laut oder eine Handlung als solche könnte man dann als Bedeutungsträger begreifen, während ihre Bedeutungen jedoch nur aus der Differenz zu anderen Bedeutungen, d.h. in einem Kontext, generiert würden, beim Sprechen oder Schreiben z.B. im Satzzusammenhang. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext zeigt sich die Unterscheidbarkeit von Bedeutungen und Bedeutungsträgem darin, daß ein und dieselbe Handlung häufig zwei verschiedenen Systemen angehört (vgl. Luhmann 1964: 59t). Zum Beispiel kann die Übergabe von Arbeitslosengeld aus der Sicht des politischen Systems als Entscheidung betrachtet werden (formaler Bescheid), aus der Sicht des Wirtschaftssystems als Zahlung. Aus der Unterscheidung von Bedeutungen und Bedeutungsträgem ergibt sich, daß Handlungen für soziale Systeme definitiv Umweltereignisse sind. Zumindest kann man sie nicht als irgendeine Form der lediglich kommunikativ, d.h. innerhalb der Gesellschaft stattfindenden "Selbstsimplifikation" (L'Uhmann 1984: 191) oder gar Selbstbeschreibung (!) sozialer Systeme (ebd.: 234) auffassen. Erkennen läßt sich dies nur, wenn man mehrere Systemebenen unterscheidet und nicht bei der Betrachtung sozialer und psychischer Systeme bleibt. Zu fragen wäre auch, und das könnte eine sehr radikale Konsequenz sein, ob man den traditionellen Begriff des sozialen Handelns als Grundbegriff der Soziologie noch benötigt. In der systemtheoretischen Literatur zeigt sich mit dem unsicheren Nebeneinander von Kommunikation und Handlung zumindest tendenziell aufkommender Zweifel hinsichtlich der Verwendbarkeit des Handlungsbegriffs. Aus der Sicht der Handlungstheorie, deren Grundlage damit bedroht wäre, sieht dies verständlicherweise anders aus. Die Frage ist aber, wie man die Welt ordnen und zugleich das herausstellen kann, was für Gesellschaft konstitutiv ist. Semantische Systeme bestehen nach diesen Überlegungen in ihren Elementen also aus Bedeutungen. In psychischen Systemen sind dies Gedanken, in sozialen Systemen Kommunikationen. Eine Verbindung dieser Systeme und damit das Involviertsein personaler Systeme in sozialen Systemen ist, wie aus dem oben Gesagten deutlich wird, über eine Vielzahl von auf unterschiedlichen Systemebenen stattfindenden Vorgängen möglich. Gemeinsam ist diesen

22

Die Analyse sozialer Systeme

Vorgängen, z.B. Handeln oder Sprechen, daß sie - etwa als biologische, einmalige Ereignisse - Doppel-Bedeutungen tragen, jeweils aus der Sicht des psychischen und aus der Sicht des sozialen Systems. Handlungen z.B. werden dabei in psychischen und in sozialen Systemen als Repräsentationen, d.h. als Gedanken bzw. als Kommunikationen behandelt. Entscheidend für das Anschließen der beiden Systeme ist die gleichzeitige Aufmerksamkeit im Hinblick auf ein physikalisches, biologisches etc. Ereignis, also auf ein Ereignis, das Bedeutung haben kann. Man kann sich die Gesellschaft somit als ein riesiges Netzwerk von Kommunikationen vorstellen, das sich als objektive Gegebenheit außerhalb oder oberhalb (kybernetische Hierarchie) der Individuen befindet. Konsequenterweise gehört die Bevölkerung als große Menge personaler Systeme ebenso der außergesellschaftlichen Umwelt an. Eine Differenzierung der Bevölkerung nach bestimmten Merkmalen, z.B. Alter und Geschlecht, kann also auch nicht als Gesellschaftsstruktur betrachtet werden, sondern lediglich als Struktur der gesellschaftlichen Umwelt. Was die Struktur der Gesellschaft ausmacht, ist Thema des folgenden Abschnitts.

2. Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft In diesem Abschnitt geht es um eine knappe Beschreibung der Innendifferenzierung des Gesellschaftssystems. Dabei soll überlegt werden, inwieweit die analytischen Möglichkeiten des Rollenkonzepts und des Akteurkonzepts stärker genutzt werden können. Gegenüber der älteren Systemtheorie (vgl. Parsons 1937; 1951; 1975) hat das Rollenkonzept in der neueren Theorie sozialer Systeme, so wie Luhmann sie z.B. vertritt, eine eher marginale Stellung, trotz der Bedeutung, die soziale Rollen für das Operieren und für die Konstitution von Sozial systemen haben3 • Betrachtet man die modeme Gesellschaft als System, dann zeigt sich eine komplexe Differenzierung in unterschiedliche Bereiche und Ebenen, die selbst wieder als Systeme in Abgrenzung zu einer Umwelt beschrieben werden können. Bezüglich der Bereiche hat sich heute eine im Prinzip gleichartige Differenzierung nach Funktionssystemen gebildet". Wichtige Funktionssysteme 3 4

Vgl. als Ausnahme Stichweh (1988a; 1988b: 54ft). Vgl. hierzu die Arbeiten von Luhmann (1974; 1981a; 1982a; 1982b; 1987).

Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft

23

sind Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Rechtssystem, Gesundheitssystem, Familie, Religion, Bildungssystem und Sports. Jedes dieser Funktionssysteme stellt eine spezifische Makroorganisation von Kommunikationen dar, die z.T. über spezielle Kommunikationsmedien und Aggregationsformen wichtige Funktionen des Gesellschaftssystems erfüllen. Durch das Gesundheitssystem6 z.B. werden viele Beeinträchtigungen der Funktionsweise insbesondere von Systemen auf der biologischen Ebene des personalen Systems beseitigt. Das ökonomische System hat sich mit Hilfe eines Kommunikationsmediums (Geld) auf eine Steuerung der Verfügbarkeit von Ressourcen eingespielt (vgl. Lubmann 1974: 206). Anders als beim Gesundheitssystem bezieht sich diese Funktion auch auf soziale Systeme, z.B. Organisationen. Die Funktion der Politik kann man in der Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen sehen (vgl. Luhmann 1974: 159; 1981b: 82). Wesentlich für das Operieren ist auch hier ein Kommunikationsmedium, nämlich Macht (vgl. Lubmann 1975; 1987: 142-151). Geht man von dieser primären Differenzierungsebene der Gesellschaft (Funktionssysteme) eine Ebene tiefer in die einzelnen Teilsysteme, dann zeigen sich dort häufig Strukturen, die man als formale und thematische Differenzierung bezeichnen könnte. Unter formaler Differenzierung soll eine spezifische Art des Aufbaus von Kommunikationen verstanden werden, z.B. in der Form von Organisationen oder Interaktionssystemen. Mit thematischer Differenzierung ist eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung von Systemen gemeint, z.B. die Differenzierung der Wissenschaft in Disziplinen. In verschiedenen Subsystemen kommt es teilweise zur Überlagerung von thematischen und formalen Differenzierungen. Im Wirtschaftssystem z.B. gibt es unterschiedliche Branchen (thematisch), in denen eine Vielzahl von Kleinbetrieben und mittleren Organisationen (formal) operiert, auf der anderen Seite multinationale Konzerne, die aufgrund ihrer inneren Thematik auf mehrere Branchen ausgerichtet sind (Überlagerung von thematischer und formaler Differenzierung). Ähnliche Formen zeigen sich im Wissenschafts-, Bildungs- und Gesundheitssystem. Formal unterschiedliche Strukturen kann man z.B. innerhalb des Gesundheitssystems zwischen ambulanter (überwiegend Interaktionssysteme: S

Zur Betrachtung des Sports als gesellschaftliches Teilsystem vgl. Schimank (1988).

6

Vgl. allgemein: Mayntz/Rosewitz (1988).

24

Die Analyse sozialer Systeme

Praxen) und stationärer Versorgung (überwiegend Organisationssysteme: Krankenhäuser) feststellen. Thematische Differenzierungen sind im ambulanten Bereich die Facharztstruktur, in der stationären Versorgung die Untergliederung nach Fachabteilungen. Im Familiensystem liegt auf der ersten Differenzierungsebene eine millionenfache Segmentierung in Einzelfamilien vor (vgl. Tyrell 1979: 14), innerhalb der Familien eine Rollendifferenzierung: Vater, Mutter, Kind, evtl. Großeltern oder andere Verwandte. In ihrer formalen Differenzierung ist die Familie als Interaktionssystem angelegt, d.h. als Kommunikation unter Anwesenden (vgl. Lllbmann 1982a: 21). Die kurze Beschreibung der oberen Strukturebenen der Gesellschaft deutet an, daß die Gesamtheit der sozialen Beziehungen heute eine hohe Komplexität erreicht hat. Im folgenden interessiert uns die Frage, wie sich diese Komplexität organisiert und es auf unterschiedlichen Ebenen zur Selbst-Konstitution von Gesellschaft kommt. Im Prinzip lassen sich vier solcher Ebenen unterscheiden und nach ihrem jeweiligen Beitrag dazu befragen: Kommunikation, Rolle, Organisation, Funktionssystem7 •

2.1 Kommunikation Geht man zunächst vom Alltagsverständnis aus, dann ist für das Entstehen von Kommunikationsprozessen auf der untersten Ordnungsebene der Gesellschaft in vielen Fällen das raum-zeitliche Zusammenkommen von Menschen eine wichtige Voraussetzung. In der modemen Gesellschaft wird diese ursprüngliche Form jedoch mehr und mehr von einer "Kommunikation unter Abwesenden" überlagert. Verwendet werden dazu technische Kommunikationsmedien (Schrift, Funk, Telefon, Film, Computer), die raum-zeitliche Differenzen überbrücken. Der entscheidende Punkt an der Konstitution auf Elementebene ist für beide Kommunikationsformen, wie oben erwähnt (Abschnitt 1), die Trennung von personalen und sozialen Systemen oder von Mensch und Kommunikation. Man kann sich dies an einem Beispiel verdeutlichen. Bezeichnend für Wissenschaft und für die Selbst-Selektivität ihrer Kommunikationen ist eine Differenz zwischen wissenschaftlichen Publikationen oder 7

Vgl. zu ähnlichen, jedoch anders akzentuierten Vorschlägen Mayntz (1988: 2023) und Stichweh (1988b: 49ft).

Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft

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Aussagen auf der einen und personalen Systemen in bestimmten Wissenschaftlerrollen auf der anderen Seite. Aussagen von Platon und Kant haben völlig unabhängig von ihren Urhebern auch im heutigen Wissenschaftssystem noch eine konstitutive Wirkung. Obwohl ihre Urheber bereits tot sind, werden diese Aussagen noch zitiert und werden somit Moment der Operationen des Wissenschaftssystems. Man kann in diesem Fall eine völlige Unabhängigkeit und somit Trennung von Kommunikation und Person beobachten8 •

2.2 Rolle Die unterste Ebene eines Sozialsystems wird also aus Kommunikationen gebildet. Auf der nächsthöheren Ebene kann man Personen oder Rollen9 unterscheiden. Für die Konstitution von Sozialsystemen auf Rollenebene sind vier Aspekte von Bedeutung. Zunächst werden Rollen häufig identifiziert über Kommunikationen und über das Wiederholen von Kommunikationen. Die Orientierung in einem Rollengefüge verläuft in der Regel über wechselseitige Abstimmungsprozesse. Wer z.B. von zwei Personen der Vorgesetzte und wer der Untergebene ist, läßt sich auf Anhieb, d.h. ohne Kommunikation nicht feststellen. Erst wenn jemand eine Anweisung gibt und ein anderer sie befolgt, ist klar, wer welche Rolle besetzt. Wiederholen sich solche Vorgänge, ist die Rollenbesetzung über die Zeit konstant. Die Konstanz der Rollenbesetzung kennzeichnet die zweite, vielleicht wichtigste Eigenschaft einer Rolle: Rollen fungieren im Kommunikationsprozeß als Adressaten von Erwartungen. Von einem Arzt z.B. erwartet man im Krankheitsfall eine gründliche Untersuchung und vielleicht die Verschreibung eines Medikaments. Beginnt der Arzt mit Gesangsunterricht, ohne den Patienten zu behandeln, so "fällt er aus der Rolle" und riskiert, weil er die Erwartungen des Patienten enttäuscht, daß dieser sich einen anderen Arzt sucht (vgl. a. 111.2.3 u. 2.4). Ein für die Konstitution sozialer Systeme wichtiger Aspekt der Rolle ist auch, wie sich hier zeigt, die Selbststeuerung des Ver8

Interessant dazu eine Anmerkung von Ryborz (1981: 172), der ein arabisches Sprichwort zitiert: "Ein Wort ist wie ein Pfeil, der, einmal von der Sehne geschnellt, nicht mehr zurückgeholt werden kann".

9

Zur Entstehung von Rollen aus informellen sozialen Situationen vgl. Popitz (1967: 12ft).

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Die Analyse sozialer Systeme

haltens und Kommunizierens. Wer auf Heilung hofft, geht eben zum Arzt und nicht zum Gesangslehrer. Eine dritte Komponente des Rollenkonzepts bezieht sich auf die Verknüpfung von Rollen mit Hilfe von Kommunikationen. So kann in Organisationen über bestimmte rollenspezifische Kommunikationen ein Netzwerk entstehen, das entweder fest (Militär, Polizei) oder lose (Selbsthilfegruppen) geknüpft ist. Ebenso begünstigen insbesondere asymetrische Beziehungen, z.B. PolitikerlWähler, Produzent/Konsument, Lehrer/Schüler, Arzt/Patient, Priester/ Laie, die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen (vgl. Luhmann 1982b: 236). In dieser Struktur, d.h. durch eine permanente Verknüpfung elementarer Rollen, kann es in relativ kurzer Zeit auch zu einer beträchtlichen Ausdifferenzierung von sekundären Rollen kommen (Fachärzte, Krankenschwestern, medizinisch-technische Assistenten). Je weiter sich die Strukturen ausdehnen, desto unabhängiger wird das Gesamtsystem von einzelnen Rollen. Die zwischen ihnen ablaufenden Kommunikationsprozesse bewirken dann nur noch eine fortwährende Reproduktion der basalen Strukturen. Dadurch kann sich das Gesamtsystem dynamisch stabilisieren. Das heißt, Neu- und Re-Definition sowie das allmähliche Verschwinden von Rollen (z.B. Kräuterfrauen, Wundärzte), in großen Funktionssystemen selbst das Entstehen und Vergehen von Organisationen, führen dann nicht mehr zu einem Zusammenbruch des Systems, sondern zu flexiblen Anpassungen. Der vierte Aspekt des Rollenkonzepts bezieht sich auf die Möglichkeit der Fremdsteuerung individuellen Verhaltens (vgl. S. 20). Mit der Übernahme einer Rolle oder - in Organisationen - einer Stelle (vgl. Luhmann 1982a: 41) wird der Anschluß an darauf projizierte Kommunikationen und Erwartungen eingerichtet. Sich diesen Einflüssen zu entziehen, ist nur schwierig möglich, in den meisten Fällen nur durch einen erneuten Strukturwechsel. Rollen oder Stellen fungieren somit für Organisationen als Möglichkeiten des direkten Zugriffs auf personale Systeme. Dies ist auch in weniger organisierten Zusammenhängen, z.B. Interaktionssystemen der Fall. Bestimmte Steuerungsziele, d.h. Systemzustände, die mit Hilfe von Kommunikation erreicht werden (können), lassen sich für personale Systeme über die Benutzung bestimmter Medien-Codes (vgl. Luhmann 1982a: 170-192; WilIke 1982b: 121-132) einrichten. So wird die Befriedigung von Bedürfnissen, z.B. in einem Restaurant essen zu gehen, regulär über den Geld-Code gesteuert.

Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft

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2.3 Organisation Um zu analysieren, inwieweit Organisationen einen kommunikativen Beitrag zur Selbstkonstituierung von Gesellschaft leisten, kann man einige Aspekte der Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen individuellen und kollektiven Akteuren behandeln. Zunächst ergibt sich aus der oben (vgl. 11.1) diskutierten Differenzierung von Systemebenen für die eben genannte Frage eine neue Sachlage. Handlungen werden danach lediglich als physische Korrelate kommunikativer Prozesse begriffen, die von diesen Prozessen im Rahmen der kybernetischen Hierarchie gesteuert werden können. Um dies zu berücksichtigen, soll im folgenden nur von individuellen und kollektiven Kommunikateuren die Rede sein. Der Akteurbegriff soll hier nicht verwendet werden. Betrachtet man die wesentlichen gesellschaftlichen Kommunikateure, z.B. Staat, Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, dann zeigt sich an der Art und Weise, wie Kommunikationen zugerechnet werden, daß eine personenanaloge Repräsentation solcher Einheiten innerhalb sozialer Prozesse vorliegt. Verbindlichkeiten oder rechtliche Probleme, die sich aus bestimmten Kommunikationen (etwa Vertragsabschlüssen) ergeben, werden nicht nur bestimmten individuellen Kommunikateuren (etwa dem Bundeskanzler, dem Gewerkschaftsvorsitzenden oder dem Geschäftführer) zugerechnet, sondern vor allem auch "juristischen Personen", z.B. der Bundesrepublik, dem DGB oder einer Firma. Das heißt, man kann auch hier von einer Differenz zwischen Sozialstruktur und Kommunikateur bzw. "organisationalem System" ausgehen, wobei dieses System natürlich selbst wieder aus einer Sozialstruktur besteht. Die Differenz von sozialer Makrostruktur und Organisation wirft hier die Frage auf, ob und inwieweit Kommunikateure bestimmte Strukturen wechseln und sich an Kommunikationen anderer Systeme anschließen können. Häufig wird in der soziologischen Theorie davon ausgegangen, Organisationen seien bestimmten Funktionssystemen fest zugeordnet. Als Beispiel etwa Mayntz (1987: 106): ·Von erkennbarer Bedeutung für die Steuerbarkeit eines Teilsysterns ist es schließlich, daß die dort vorhandenen (hier z.B. im Wissenschaftssystem, J.D.) Organisationen ( ... ) als Ansprechpartner und Adressaten im politischen Prozeß fungieren können ( ... )" (Hervorhebungen, J.D.). Kollektive Kommunikateure kann man m.E. nicht immer bestimmten Teilsystemen fest zuordnen. Der entscheidende Punkt ist, daß Sinn Kommunikations-

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Die Analyse sozialer Systeme

systeme konstitutiert, d.h. innerhalb des Gesellschaftssystems differenziert nach Kommunikationen, die zum System gehören, und solchen, die der innergesellschaftlichen Umwelt angehören. Nimmt man dies an, dann sind für kollektive ebenso wie für individuelle Kommunikateure mehrere Systemengagements möglich. Ein Krankenhaus kann z.B. Teilnehmer am Wirtschaftssystem sein, indem es Sachmittel kauft und sein Personal bezahlt, gleichzeitig aber auch eine Mesostruktur des Gesundheitssystems sowie im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung (Formulierung von Investitionsanträgen) Teilnehmer an Prozessen des politischen Systems sein.

2.4 Funktionssystem Kommunikationen, Rollen und Organisationen bauen Funktionssysteme auf. Dies heißt jedoch nicht, daß alle Kommunikationen, Rollen und Organisationen in Funktionssystemen stattfinden. Möglich zumindest sind auch "nebenher" entstehende Differenzierungen. Dies sei der Vollständigkeit halber angemerkt. Für die Konstituierung der Gesellschaft mit Hilfe von Funktionssystemen, die nur einen, aber einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, sind zwei Prinzipien von Bedeutung (vgl. Willke 1989: 85ft): (1) Die Lösung von Systemproblemen oder umgekehrt: die Steigerung gesellschaftlicher Operationschancen mit Hilfe teilsystemspezifischer Funktionen und (2) die diesem Prinzip entgegenlaufende Problematik der Integration hochgradig spezialisierter Funktionssysteme. Dies kann hier nur ansatzweise behandelt werden, etwa an den Beispielen Familie, Bildung und Wissenschaft (zum Gesundheitswesen vgl. Kap. III). Zunächst kann man feststellen, daß sich funktionale Spezifikationen innerhalb des Gesellschaftssystems "verschärfen". Dies sieht man besonders deutlich an der Evolution der Familie, deren Funktionen mehr und mehr in andere Gesellschaftsbereiche verlagert wurden. Wichtige Stufen dieser Funktionenabspaltung wurden z.B. erreicht im Zuge der Industriellen Revolution (Trennung von Familie (Hauswirtschaft) und Ökonomie), bei der Einführung der allgemeinen Schulpflicht (Trennung von Familie (Lebenserfahrung der Eltern! Großeltern) und Bildungssystem) sowie im Zuge der Entwicklung von Gesundheitsdiensten (Trennung von Familie (z.B. Selbstmedikation mit Kräutern) und Gesundheitssystem). Die Funktion, die die Familie heute primär erfüllt, könnte man in der Abwicklung frühkindlicher Erziehung und in der

Differenzierung und Konstituierung der Gesellschaft

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Befriedigung von Intimbedürfnissen sehen (vgl. Tyrell 1979: 42f; vgl. a. Luhmann 1983c: 183ft). Insgesamt handelt es sich bei diesem Prozeß aus der Sicht des Familiensysterns um eine Funktionenabspaltung, weil es zu einer Aufgabenreduktion, d.h. auch Spezialisierung auf wenige Leistungen kommt. Die Übernahme ursprünglich familiärer Leistungen durch andere Subsysteme bedeutet aus deren Sicht eine Veränderung und in vielen Fällen Optimierung der Funktionen, und zwar in einer Weise, die eine Rücknahme der Aufgaben seitens der Familie in der Regel ausschließt. Dieser Punkt ist vor allem zu berücksichtigen, wenn man über das Substitutionspotential der Familien nachdenkt, z.B. bei der Frage, ob die Fehlbelegung von Akutkrankenhäusern mit Pflegefällen durch eine Intensivierung der Hauskrankenpflege reduziert werden kann (vgl. Kap. VI.2.1). Bezogen auf das gesellschaftliche Prozessieren personaler Systeme gewinnt gegenüber der Familie im Zeitverlauf das Bildungssystem (Kindergarten, Schule, Hochschule) an Bedeutung. Ein ausdifferenziertes Bildungssystem produziert für die Gesellschaft erhöhte operative Chancen, allerdings auch Risiken (Integrationsdefizite). Die Chancen bestehen vor allem in einer flexiblen Anpassung der psychischen Systeme personaler Systeme an bestimmte Systemerfordernisse oder Sozialstrukturen (vgl. Luhmann 1987: 181), z.B. Beschäftigungssystem. Andererseits liegt das Risiko in einem übersteigerten Funktionieren. Luhmann (1983b: 29f; 1987: 57f) würde hier von "Selbsthypostasierung" sprechen. Die Folgen sind dann u.a. Lehrer- oder Akademikerarbeitslosigkeit und "Ärzteschwemme" (vgl. Herder-Dorneich/Schuller 1984). Als Funktion der Wissenschaft kann man konkret die Produktion von Wahrheiten (Stichweh 1988b: 10lff) betrachten oder abstrakter die Öffnung der Gesellschaft für die Bearbeitung praktisch unbegrenzter Komplexität (vgl. a. Luhmann 1974: 235). Integrationsprobleme ergeben sich auch hier durch eine Übersteigerung der Funktion oder zumindest durch ein Konfligieren der Operationen des Wissenschaftssysterns mit denen anderer Subsysteme. Als Beispiel sei die Diskussion um eine mögliche Gentechnik und speziell "Eugenik" genannt (vgl. OhVer 1988). Was wissenschaftlich möglich ist, wird nicht unbedingt politisch oder moralisch akzeptiert.

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Die Analyse sozialer Systeme

3. Formen gesellschaftlicher Selbststeuerung Obwohl viele Aspekte, die die Steuerung und insbesondere die Selbststeuerung von Systemen betreffen, auch mit deren Konstituierung zu tun haben, wurde hier eine getrennte Betrachtung gewählt. Im vorhergehenden Abschnitt sollten eher strukturelle Aspekte deutlich werden, während es in diesem Abschnitt mehr um die prozessualen Gesichtspunkte geht. Als wesentlich erscheint dabei die Frage nach der Steuerbarkeit oder besser: Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft. In Abgrenzung zu einer heute verbreiteten "subjektorientierten" Vorstellung von Gesellschaftssteuerung soll hier versucht werden, die Aufmerksamkeit auf zentrale Leitdifferenzen und Leitwerte der Gesellschaft zu lenken.

3.1 Subjektorientierte Vorstellungen von Gesellschaftssteuerung Ein wesentliches Charakteristikum subjektorientierter Steuerungskonzepte ist ihre Abhängigkeit von traditionellen Ideen der Gesellschaftsgestaltung. Diese Abhängigkeit ist vor allem dadurch bedingt, daß der Staat bis vor kurzem noch unbestritten als Instanz gesellschaftlicher Selbststeuerung fungierte. Es gibt mehrere Aspekte, die dieses Verständnis kennzeichnen. Einmal wird festgestellt, der Staat sei überfordert und könne immer weniger in der Gesellschaft selbst steuern. Die Ursache dafür liege in den Verselbständigungstendenzen der Funktionssysteme und in der zunehmenden "Macht" der sich dort entwickelnden kollektiven Akteure". Andererseits, wenn man diese Haltung akzeptiert hat, beginnt die Suche nach einer anderen als einer staatlichen Selbststeuerungsinstanz. Man überlegt, und es gibt tatsächlich viele Anzeichen dafür, ob andere gesellschaftliche" Akteure" (Interessenorganisationen) innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses dafür in Frage kämen. Grundannahme ist immer, daß die Gesellschaft für ihre Selbststeuerung eine ausdifferenzierte Instanz (z.B. Staat) oder mehrere Instanzen (kollektive Kommunikateure) oder aber auch, in gewisser Analogie zum Freudschen "Über-Ich", irgendeine Form von kollektiver Identität benötige. Läßt sich so etwas theoretisch nicht rekonstruieren, hält man Gesellschaftssteuerung für nicht möglich. Diese Vorstellung soll im folgenden an drei Autoren kurz illustriert und kritisiert werden. W

Fonnen gesellschaftlicher Selbststeuerung

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a) Mayntz Renate Mayntz (1987: 91ft) entwickelt ihr Verständnis von sozialer Steuerung zunächst aus einer Gegenüberstellung von Konzepten, die begrifflich nicht immer klar abgegrenzt sind, und schlägt zur Vermeidung solcher Unklarheiten eine Engerfassung des Steuerungsbegriffs sowie seine Koppelung an die Akteursperspektive (ebd.: 92) vor: "Steuerung in diesem Sinne setzt zunächst ein Steuerungssubjekt (einen Steuerungsakteur) voraus. Im sozialwissenschaftlichen Zusammenhang sind entweder Personen oder handlungsfähige soziale Kollektive Steuerungssubjekte" (ebd.: 93). Eine derartige Begriffsfassung (vgl. a. Mayntz 1988: 24; Rosewitz/Schimank 1988: 320) impliziert nach Mayntz (1987: 95) auch, daß "man den Steuerungsbegriff nicht benutzen (sollte, J.D.), um die freiwillige Handlungskoordination gleichberechtigter Akteure durch gegenseitige (horizontale) Abstimmung zu bezeichnen" (Hervorhebung, J.D.). Genau dies ist zweifelhaft. Denn davon auszugehen, daß kollektive Kommunikateure "freiwillig" eine "Handlungskoordination" vornehmen, verkennt m.E., daß kollektive Einheiten ähnlich wie personale Systeme innerhalb von Sozialstrukturen, z.B. Funktionssystemen, operieren. Trifft dies zu, dann stellt sich sofort die Frage nach den übergeordneten Selbststeuerungsmechanismen dieser Systeme. Das heißt, man kann Steuerung nicht allein und nicht einmal überwiegend akteurtheoretisch begreifen, weil es übergeordnete Strukturen gibt (letztlich die Gesellschaft), die evolutionär vor jeder Ausdifferenzierung von kollektiven Kommunikateuren bestanden. Geht man von dieser Beobachtung aus, dann bedeutet dies für Steuerungsanalysen einen Fokuswechsel. Das heißt, nicht mehr die kollektiven "Akteure" oder "Subjekte" stehen im Vordergrund des Interesses, sondern übergeordnete gesellschaftliche Leitstrukturen (vgl. II.3.2), die die kollektiven und individuellen Kommunikateure steuern. b) Herder-Dorneich Für Herder-Dorneich (1986: 16f u. 36) ist der Unterschied der kybernetischen Konzepte "Regelstrecke" und "Regelkreis· von Bedeutung. Unter einer Regelstrecke versteht er ein selbstregulierendes System, das sich aus drei Teilen zusammensetzt: (1) einem Regler, der einen definierten Soll-Wert oder

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Die Analyse sozialer Systeme

Soll-Bereich besitzt, (2) einem wSensorw, der Informationen aus der Umwelt aufnimmt und an den Regler weiterleitet und (3) einem wEffektor der die Umwelt beeinflußt. Immer wenn der Sensor an den Regler einen Wert übermittelt, der außerhalb des Soll-Bereichs liegt, setzt der Regler den Effektor (z.B. HeizungIKlimaanlage) solange in Bewegung, bis der über den Sensor gemessene Ist-Wert wieder innerhalb des Soll-Bereichs liegt. W

,

Unter einem Regelkreis versteht Herder-Domeich die Verbindung mindestens zweier solcher selbstregulierender Systeme, z.B. zwei Personen, die in einem Fechtkampf jeder für sich auf die Aktionen und Reaktionen des Gegenüber agieren und reagieren. Zu dem Verhältnis von Regelkreis- und Regelstreckenmodell schreibt er: Für das Problem der sozialen Koordination von Individuen in einer freien Gesellschaft ist lediglich das Tauschmodell (i.e. Regelkreismodell, J.D.) geeignet. Es ist ein Mißverständnis, das Regelstrekkenmodell zur Grundlage von Überlegungen zu machen, die auf Fragen der sozialen Steuerung in einer pluralistischen Gesellschaft hinführen sollen (ebd.: 49). W

W

Dies läßt sich aus soziologischer Sicht bezweifeln. Das wesentliche Argument ist auch hier, daß individuelle und kollektive Einheiten, obwohl sie an der Generierung sozialer Strukturen teilnehmen, nicht selbst schon die Struktur sind, und die Strukturen der modemen Gesellschaft im Sinne Durkheims (1980: 105ft) als etwas für Individuen und auch für Organisationen objektiv Äußeres betrachtet werden müssen. Herder-Domeichs Verständnis von sozialer Steuerung, das an dem Handeln individueller und kollektiver Subjekte orientiert ist, führt in seiner analytische Reichweite nicht über das Rollenmodell oder das Akteurkonzept der Soziologie hinaus. c) Luhmann Bei Luhmann zeigen sich bezüglich eines möglichen Konzepts von Gesellschaftssteuerung unterschiedliche Standpunkte, die vor allem durch den Organisations- und den Reehtsbegriff geprägt sind. In manchen Arbeiten geht er davon aus, daß Recht als Instrument einer rationalen Gesellschaftsgestaltung insbesondere durch Verwaltungsorganisationen genutzt werden kann10 • In an10 Vgl. z.B. Luhmann (1983d: 294t): "Die im Recht über das Recht konstituierten

Entscheidungsfreiheiten können als Instrument gesellschaftlicher Veränderungen eingesetzt werden ( ... ) Positivität des Rechts impliziert die Freiheit, sich durch Ansatz und Ergebnis von Analysen rational bestimmen zu lassen ( ... )" oder (ebd.:

Fonnen gesellschaftlicher Selbststeuerung

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deren, insbesondere neueren Arbeiten, die das Autopoiese-Konzept velWenden, bezweifelt Lllbmann die Möglichkeit von Gesellschaftssteuerung: "Es ist denn auch unvorstellbar, daß man vom Recht aus die Autopoiesis aller Sozialsysteme kontrollieren und regulieren könnte - etwa im Sinne einer Regulierung von Selbstregulierung ( ... ). Gerade wenn man dieses Konzept zugrundelegt, wird sofort klar, daß eine solche Oberregulierung der Gesellschaft durch das Recht eine lllusion wäre ( ... )" (Luhmann 1985a: 7; vgl. a. 1982c: 299). Versucht man die gesellschaftlichen Gegebenheiten möglichst unvoreingenommen zu beobachten, dann gibt es allerdings viele empirische Anzeichen gerade einer solchen "Oberregulierungll der Gesellschaft", die sich auch relativ leicht theoretisch begründen und integrieren lassen (vgl. II.3.2), von Lubmann (1981b: 23; vgl. a. 1986: 124f) jedoch als quasi "unzulässige" Überlastungen des politischen Systems normiert werden. Ein zweiter Punkt ist, daß die Politik nicht "Spitze" oder "Zentrum" der Gesellschaft sein muß, um für die Gesellschaft eine Steuerungsfunktion auszuüben. Dies kann man vor dem Hintergrund eines subjektorientierten (Staat) Steuerungsverständnisses vermuten (vgl. Luhmann 1981b: 22). Die Frage nach der Steuerbarkeit bzw. Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft ist jedoch keine dichotom zu entscheidende Frage: Universal steuerung versus keine Steuerung. Vermutlich konnte auch der "alte Staat" keine Universalsteuerung leisten (vgl. Tocqueville 1978). Das Problem ist vielmehr, wie der folgende Abschnitt zu zeigen versucht, in welchem Umfang, in welchen Teilbereichen und mit welchen Resultaten eine Steuerung der Gesellschaft tatsächlich stattfindet.

11

351): "Was aber geplant werden muß, sind nicht Handlungen, sondern Handlungszusammenhänge: Systeme. Solche Systeme können durch Planungen gesteuert, eventuell sogar geschaffen werden. Der Planer kann jedoch nicht das Handeln selbst ersetzen, er kann nur Entscheidungsprämissen für das Handeln anderer setzen (... )" (vgl. a. ebd.: 344). Eine "Oberregulierung der Gesellschaft durch das Recht" kann natürlich nicht bedeuten: Steuerung der autopoietischen Organisation eines Sozialsystems. Steuerung im oben genannten Sinne kann sich nur auf die Steuerung von Strukturen beziehen. Andererseits können auch personale Systeme, deren Subsysteme z.T. autopoietisch organisiert sind (zum psychischen System vgl. Luhmann 1985b), über Kommunikationscodes und insbesondere in hierarchischen Organisationen gesteuertwerden. 3 Diillings

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Die Analyse sozialer Systeme

3.2 Leitdifferenzen und Modellierungen als gesellschaftliche Selbststeuerungsmechanismen Insbesondere neokorporatistische Ansätze (vgl. z.B. Alemann 1981; Lehmbruch/Schmitter 1982) haben deutlich gemacht, daß die Selbststeuerung der modemen Gesellschaft in hohem Maße von kollektiven Kommunikateuren abhängt. Wie die Kritik subjektorientierter Steuerungsvorstellungen zeigen sollte, läßt sich Steuerung jedoch nicht allein auf dieser Basis begreifen. Individuelle und kollektive Kommunikateure operieren innerhalb von Strukturen, werden durch sie gesteuert und verändern diese auch. Insofern liegt der Angelpunkt der theoretischen Analyse in einem Wechselspiel zwischen beiden. Dies soll im folgenden zunächst an der Konstitution und Funktionsweise gesellschaftlicher Leitstrukturen deutlich gemacht werden. Wichtige Leitstrukturen der modemen Gesellschaft sind Werte wie Freiheit, Gleichheit oder Solidarität. Daß heute gerade diese Werte für die Selbststeuerung der Gesellschaft von Bedeutung sind, hat seine Ursache in einem evolutionären Strukturbruch, d.h. in der Umstellung der Gesellschaftsstruktur von primär stratifikatorischer auf primär funktionale Differenzierung (vgl. hierzu: Luhmann 1982b: 232ft). Der Umbruch wurde innerhalb der Gesellschaft an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten vollzogen. Ein wichtiges Ereignis war in diesem Zusammenhang mit Sicherheit die Französische Revolution l2 , in deren Verlauf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität) zu Idealen erhoben und dadurch als Leitwerte institutionalisiert wurden. Ein anderes, insbesondere für die Deutschen wichtiges und aktuelles Ereignis ist die plötzliche Liberalisierung in der ehemaligen DDR, die im Oktober 1989 mit Straßendemonstrationen ihren Anfang nahm. Interessant ist, daß es hier nicht um Gleichheit oder Solidarität, sondern explizit um die Institutionalisierung von Freiheit ging. Auch hier fand ein evolutionärer Strukturbruch statt, der eine Umstellung der gesellschaftlichen Selbststeuerungsmechanismen zur Folge haben wird (z.B. von Plan- auf Marktwirtschaft) 13 • 12

13

Die Strukturfonn der heutigen Geseq~chaft ist natürlich nicht nur aus der Französische Revolution hervorgegangen. Ahnliche Umwälzungen lassen sich im nordamerikanischen Sezessionskrieg identifIzieren, der die Sklavenbefreiung und den Untergang der "Südstaatenaristokratie" zur Folge hatte, oder in der Russischen Revolution von 1917. Zu den möglichen Auswirkungen dieser Umstellung auf das Gesundheitssystem Ostdeutschlands vgl. Düllings (1991). Vgl. ebenso hier S. 162f.

Formen gesellschaftlicher Selbststeuerung

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Abstrahiert man von diesen Einzelbeispielen, so fällt auf, daß Leitwerte offenbar nur in Differenz zu ihrer Negation erkennbar sind. Das durch Adel und Klerus unterdrückte Volk forderte Freiheit vor dem Hintergrund von Zwang und Gleichheit aus der Erfahrung von Ungleichheit und Unter-Drückung I4 • Ebenso wurde Freiheit von den DDR-Bürgern gegen die jahrzehntelange Praxis der Unfreiheit wahrgenommen (z.B. Einschränkung von Presse-, Meinungs- und insbesondere Reisefreiheit). Die eigentliche Funktion dieser Werte besteht also in einem binären Schematismus, der Freiheit gegen Unfreiheit und Gleichheit gegen Ungleichheit abgrenzt. Erst dadurch können systemspezifische Kommunikationen (hier: des politischen Systems) in Richtung auf oder in Präferenz für einen bestimmten Leitwert gesteuert werden. Systemtheoretisch kann man solche Leitwerte daher auch als Leitdifferenzen begreifen. Das modeme politische System hat mit seinen Leitdifferenzen eine widersprüchliche Struktur institutionalisiertlS , deren Konflikttähigkeit sich durch entwicklungsbezogene Umweltrepräsentationen, die man als Interessenorganisationen oder wie hier ModelIierungen bezeichnen könnte, noch verstärkt. Dies ist für die Stabilisierung eines Systems prinzipiell von Vorteil. Denn ein hohes, für das System noch tolerierbares Maß an Vielfalt und W,idersprüchlichkeit erlaubt eine hohe Flexibilität in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Auf der anderen Seite können sich hieraus aber auch Steuerungsprobleme ergeben (vgl. 1II.4) Außer in der Politik gibt es in mehreren anderen Funktionssystemen Leitdifferenzen, die Kommunikationen im Hinblick auf gesellschaftsrelevante Umwelten steuern. Dabei handelt es sich nur um primäre Differenzen, also

14

Vgl. a. die Interpretation Tocquevilles (1978: 9): "Die Franzosen haben im Jahre 1789 die größte Anstrengung gemacht, der ein Volk sich jemals unterzogen hat, um ihre Geschichte sozusagen in zwei Teile zu spalten und durch eine tiefe Kluft das, was sie bis dahin waren, von dem zu scheiden, was sie fortan sein wollten".

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Eine für die politische Theorie zentrale Frage lautet zum Beispiel auch: Wie ist Freiheit trotz Gleichheit in einer Demokratie möglich? (vgl. Vossler 1973: 101 u. 126). Andererseits steht Freiheit auch mit sich selbst in Konflikt. Ein Konflikt, der durch widersprüchliche Individual- und Kollektivpräferenzen bedingt ist. Einmal als Paradox: Je freier der Einzelne, desto unfreier seine Mitmenschen (Popper). Zum zweiten als "Selbstgenügsamkeit", die sich ausdruckt in einer Abwendung von politischen Pflichten, durch die die Freiheit erhalten wird, und einer Zuwendung zum "privaten Wohlstands streben" (vgl. Tocqueville 1976: 586ff u. 791; Hereth 1979: 60; Volkmann-Schluck 1974: 171f).

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um solche, die die Rationalität des Systems definieren16 • Im Gesundheitssystem z.B. werden die biologischen und psychischen Systemebenen personaler Systeme kommunikativ als gesund oder krank und in Präferenz für Gesundheit behandelt. Im Bildungssystem werden psychische Systeme entlang der Differenz gebildet/ungebildet und in Präferenz für Bildung prozessiert. Im Wirtschaftssystem werden Ressourcen (Rohstoffe, Firmen, Personal) überwiegend danach beurteilt, inwieweit man Gewinne oder Verluste (monetär oder als Bedürfnisbefriedigung) mit ihnen macht. Das Wissenschaftssystem differenziert in wahre oder unwahre Aussagen über die Welt17 • In welcher Weise diese Leitdifferenzen in Verbindung mit Modellierungen Steuerungsfunktionen ausüben, soll hier kurz für die Ökonomie sowie das Gesundheits- und Bildungssystem untersucht werden. Wesentlich ist die Feststellung, daß Leitdifferenzen evolutionär institutionalisierte Strukturen darstellen, die einen quasi "semantischen Rahmen" für entwicklungsbezogene, d.h. historisch eher kurzfristig auftretende Repräsentationen abgeben.

Semantische Repräsentationen, die aus Entwicklungsprozessen entstehen, sollen hier Modellierungen18 genannt werden. ModelIierungen lassen sich in vielen Subsystemen der Gesellschaft, vornehmlich im politischen System identifizieren. Die Selbstorganisation,der Arbeiter im 19. Jahrhundert ist ein frühes Beispiel für eine politikinterne ModelIierung von Aspekten der innergesellschaftlichen Umwelt (Ökonomie), die im System natürlich auch Gegenreaktionen verursachte (Arbeitgeberorganisationen). Es geht dabei nicht mehr nur um eine Form des ökonomischen Tausches, also Arbeit gegen Geld. Die Funktion der Arbeiterbewegung kann man in einem durch eine Leitdifferenz des politischen Systems gesteuerten permanenten Ausgleich der strukturell bedingten Ungleichheit (Eigentum an Produktionsmitteln) zwischen Kapital und 16

Weitere Differenzen können sich entlang der Innendifferenzierung des Systems entwickeln. Im Rechtssystem gibt es neben der Leitdifferenz RechtiUnrecht z.B. im Strafverfahren - Differenzen wie bewiesen/nicht bewiesen, schuldig/nicht schuldig etc. (vgl. Willke 1987: 14).

17

Offenbleiben muß hier die Frage, inwieweit die postulierten Leitdifferenzen z.B. mit den von Luhmann (1986: 75-88) untersuchten Kommunikationscodes (vgl. a. Luhmann 19818: 170-192) übereinstimmen. Die politischen Differenzen FreiheitiUnfreiheit, GleichheitiUngleichheit, SolidarilätlUn-5olidarilät zumindest beziehen sich auf andere Systemmerkmale als es der Macht-Code tut (vgl. Luhmann 1975).

18

Man könnte auch in Anlehnung an die Kybernetik von Modellen reden (vgl. ConantlAshby 1970). Der Begriff der Modellierung wird jedoch vorgezogen, um auf den dynamisch stabilen Charakter solcher Einheiten hinzuweisen.

Fonnen gesellschaftlicher Selbststeuerung

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Arbeit sehen. Gewerkschaften können zwar auch ökonomisch kommunizieren, indem sie ihre Angestellten bezahlen oder Büroräume mieten, aber in der oben genannten Funktion sind sie Kommunikateure oder eben ModelIierungen des politischen Systems. Besonders deutlich wurde dies in der Zeit der Konzertierten Aktion, die eine enge Abstimmung zwischen politischer und ökonomischer Systemrationalität ermöglichen sollte (vgl. Willke 1979; 1982a). Als auf das Gesundheitssystem ausgerichtete Modellierungen können in der Bundesrepublik etwa die kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und insbesondere die Krankenkassen betrachtet werden. Auch hier muß die Möglichkeit des Wechsels von Systemreferenzen beachtet werden. Gegenüber ihren Mitgliedern kommunizieren z.B. die Krankenkassen nicht anders als andere Versicherungsunternehmen, nämlich ökonomisch, indem sie Beiträge einnehmen, um Leistungen zu finanzieren l9 • Als politische Modellierungen sind sie jedoch durch Leitwerte des politischen Systems gesteuert (Gleichheit, Solidarität), transferieren aus der Umwelt bezogene Probleme ins politische System, das seinerseits vornehmlich über Recht eine Lösung dieser Probleme versucht. Diese ist tendenziell auf eine Verwirklichung der definierten Leitwerte hin angelegt, was sich an zwei Punkten deutlich machen läßt. Zum einen an der Institutionalisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Man kann die von Bismark 1883 gegründete Ptlichtversicherung für Arbeiter als Befriedung des revolutionären Potentials der Arbeiterschaft (RosewitzlSchimaok 1988: 321; vgl. a. Jaschke 1984: 25) oder als Kontrolle der ökonomischen Leistungsbereitschaft (vgl. Rodenstein 1987: 297) sehen. Auf der Ebene des Gesellschaftssystems stellt sie jedoch den ersten Ansatz eines gleichberechtigten Zugangs zu Leistungen des Gesundheitssystems dar. Der zweite Punkt bezieht sich auf den Ausbau dieser Struktur. Dieser ist vor allem durch eine Erweiterung des Mitgliederkreises bestimmt. 1913 wurden z.B. die Angestellten eingeschlossen (vgl. Smrzbecher 1976: 108). Heute sind mehr als 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert. Daneben gibt es 19

Allerdings macht sich gerade an dieser Beziehung häufig ein Rationalilätskonflikt fest, der in der politischen Konstitution der Krankenkassen begründet ist. So z.B. als ab 1977 mit der Gründung der "Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen" das Prinzip der ausgabenorientierten Einnahmenpolitik durch den Grundsatz der einnahmenorientierten Ausgabenpolitik abgelöst werden sollte (vgl. Eberle 1985: 213; vgl. a. Oldiges 1987b: 374). Wie man an der Entwicklung der DefIZite der Gesetzlichen Krankenversicherung ablesen kann, ließ sich dies bis heute nicht realisieren.

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Die Analyse sozialer Systeme

eine enorme Leistungsexpansion. Selbst die teuersten Leistungen können mit dem geringsten Beitrag prinzipiell von jedermann in Anspruch genommen werden. Für Klinkmüller (1979: 454) funktioniert das Krankenversicherungssystem der BRD daher nach dem "kommunistischen Prinzip". Parallelen zu dieser Entwicklung finden sich im Bildungssystem. Als Stufen einer Steuerung über den "Gleichheitswert" lassen sich hier die Einführung der allgemeinen Schulpflicht sowie die expansive Bildungspolitik Ende der 60er Jahre markieren, die "unter der Flagge der 'Bildungskatastrophe' vorgetragen" (Beck/Bonß 1989: 3) wurde und zumindest ideell "Bildung für Alle" forderte. Ähnlich spektakuläre Entwicklungen, deren strukturelles Ergebnis heute als selbstverständlich erscheint, im historischen Kontext jedoch eine gravierende Änderung bedeutete, sind mit dem Freiheitswert verbunden. Man kann z.B. die Arbeitszeitverkürzung als Resultat eines Wechselspiels zwischen dieser Differenz und der Arbeiterbewegung verstehen. Dazu zählt auch das Verbot der bei Marx (1981: 208ff u. 352ft) beschriebenen Kinderarbeit sowie die Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Heute, mit dem Unterschreiten der 40Stunden-Woche, zeigt sich für manche schon der Übergang zu einer "Freizeitgesellschaft" (Vielhaus 1988: 296 u. 298). Man könnte sicher weitere Beispiele finden und diese detaillierter beschreiben. Die folgenden Ausführungen beschränken sich jedoch auf einen Überblick und versuchen noch einmal den Grundgedanken deutlich zu machen. Neben Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen sind z.B. Verbraucherverbände Vertreter ökonomischer Interessen. Für das Wissenschaftssystem relevante Kommunikateure sind u.a. die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Universitäten. Problemlagen des Religionssystems (Beispiel: Abtreibung) können über die "Evangelische Kirche in Deutschland" oder den "Zentralrat der deutschen Katholiken" politisch thematisiert werden. Für das Familiensystem gibt es den Familienverband und den Kinderschutzbund, womit im Gegensatz zu der Annahme Tyrells (1979: 55) durchaus "intermediäre Instanzen" und damit gesellschaftsstrukturelle Möglichkeiten zur Steuerung familialer Systeme vorhanden sind, die dann allerdings vom politischen System aus operieren. Weitere politikinteme Modellierungen, die eher allgemeine innergesellschaftliche Prozesse problematisieren, sind die Friedensbewegung und die Dritte-Welt-Bewegung.

Fonnen gesellschaftlicher Selbststeuerung

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Gerade in der jüngsten Vergangenheit scheint das Gesellschaftssystem auch für außergesellschaftliche Problemlagen sensibler geworden zu sein. Dies zeigt sich an dem Entstehen der "neuen sozialen Bewegungen", wie der AntiKemkraftbewegung oder der Ökologiebewegung, die z. T. in organisierter Form auftreten (Die Gronen, Umweltschutzorganisationen wie "Green Peace" oder "Robin Wood"). Zu den relativ fortgeschrittenen, sich ebenfalls auf die Umwelt der Gesellschaft (personale Systeme) beziehenden politischen Thematisierungen kann man Menschenrechtsorganisationen (Amnesty International) zählen und angesichts einer künftigen Überalterung der Bevölkerung ebenso Ansätze zu einer" Altenpartei " (vgl. Heigert 1989). Welche Funktion diese Organisationen und sozialen Bewegungen im politischen System haben, dürfte klar sein. Sie sind nur z. T. gesellschaftliche Selbstbeschreibungen2o • Gerade die neuen sozialen Bewegungen sind nicht als Selbst-, sondern eher als Fremdbeschreibungen der außergesellschaftlichen Umwelt zu begreifen21 , die Probleme des Gesellschaftssystems politikintern thematisieren und so eine Grundlage für die Selbststeuerung der Gesellschaft entwickeln. Insgesamt kann man das hier skizzierte Konzept gesellschaftlicher Selbststeuerung wie folgt beschreiben: Wesentlich sind drei Aspekte, von denen hier nur zwei detaillierter behandelt wurden22 : Leitdifferenzen, Modellierungen und Rechtsmedium. Leitdifferenzen wurden als evolutionär konstituierte Vergleichschemata für politische Kommunikation betrachtet (quasi: SollWerte23 ). Dies bedeutet natürlich nicht, daß alle Prozesse innerhalb der Gesellschaft z.B. auf zunehmende Gleichheit hinauslaufen. Ungleichheit wird zugestanden, wenn sie z.B. auf Leistung beruht, da Leistung auch ein moder20

Zu nennen wäre hier auch der Staat als eine, natürlich nicht allumfassende, vornehmlich auf Politik zentrierte Selbstbeschreibung des Gesellschaftssystems. Da der Staat im Zuge der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen nicht mehr an der "Spitze" der Gesellschaft steht (vgl. WiIIke 1983), kann er heute lediglich als eine politikinterne ModelIierung neben anderen begriffen werden.

21

Luhmann (1986: 235f) betrachtet die "neuen sozialen Bewegungen", insbesondere die "grüne Bewegung", demgegenüber als Selbstbeobachtung der Gesellschaft, wobei für ihn "ungeklärt (ist), welche Funktion eine kritische Selbstbeobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft überhaupt einnehmen könnte". Zu Analysen des Rechtsmediums und seiner Steuerungsfunktion vgl. die Arbeiten von WiIIke (1982a; 1983; 1987) und Teubner/Willke (1984). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Soll-Werte z.B. in einem Regler auch nur in Differenz zu möglicherweise anders ausfallenden Ist-Werten registriert werden können. Sie fungieren demnach ebenso als Differenzen.

22 23

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Die Analyse sozialer Systeme

ner Wert ist, d.h. eine Kommunikationen steuernde, sekundäre Differenz (vgl. Anm. 16, S. 36). Die zweite Komponente besteht aus entwicklungsbezogenen Repräsentationen: Modellierungen. Ihre Funktion besteht darin, System- und Umweltprobleme des Gesellschaftssystems politikintern zu thematisieren. Dies ist u.a. möglich, indem Organisationen Systemengagements wechseln. So können Arbeitgeberorganisationen zunächst aus ökonomischen Prozessen entstehen, dann aber mit der temporären Ausübung einer politischen Kommunikationslogik, in der sie gegenüber den Gewerkschaften wahrscheinlich eher "freiheitsgesteuert" sind, ihre "Sicht des ökonomischen Systems" in den Bewertungsprozeß des politischen Systems (Recht) einbringen und festschreiben. Die dritte Komponente, der Rechtsmechanismus, stellt schließlich den Prozeß des politischen Vergleichens zwischen Leitdifferenz ("Sollwert"-Definition) und ModelIierung ("Istwert"-Definition) dar, etwa in der Vorbereitung und Durchführung von Gesetzgebungsverfahren, sowie die Selbststeuerung der Gesellschaft ("Effektor"), z.B. im Gesetzeserlaß. Die hier angedeuteten kybernetischen Konzepte lassen sich natürlich nicht ohne weiteres auf die Gesellschaft übertragen. Manche Erscheinungen können auch nicht einem der Konzepte deckungsgleich zugeordnet werden. So betreiben Interessenorganisationen nicht nur eine Istwert-Definition der Umwelt, sondern wirken auch am Bewertungsprozeß mit, der über Recht die gesellschaftliche Selbststeuerung in Gang setzt (vgl. a. Willke 1983: 43-48, 49ff u. 144ft). Es dürfte jedoch deutlich geworden sein, daß - etwa im Gegensatz zur Auffassung Herder-Dorneichs (vgl. oben 3.1. b) - das Regelstreckenmodell als Leiterkenntnis durchaus für den Bereich der Gesellschaft nützlich sein kann. Das hier formulierte Konzept erfaßt, da es nur ansatzweise entwickelt werden konnte, nicht alle Phänomene gesellschaftlicher Selbststeuerung. Für einige wesentliche Bereiche (Politik, Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitssystem), auf die es in dieser Arbeit ankommt, erleichtert es jedoch das Verständnis, vor allem auch im Hinblick auf Steuerungsprobleme, die aus der Widersprüchlichkeit der Leitwerte entstehen.

4. Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systeme In der heutigen Soziologie gibt es keine allgemeine Theorie. Es gibt vielleicht universalistische, abstrakte Theorien. Aber es gibt keine Theorie, die die wesentlichen Konzepte der heutigen Soziologie integriert nutzt. Vielmehr

Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systeme

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kann man eine Arbeitsteilung feststellen zwischen "Theorieunternehmern " , Empirikern und Methodikern. Die Systemtheorie ist dabei entgegen dem allgemeinen Trend zur empirischen Sozialforschung ein reines Theorieunternehmen geblieben (vgl. Kap. 1). Luhmann begreift seine Version der Systemtheorie in Abgrenzung zur analytischen Betrachtungsweise Parsons zwar als empirisch orientiert24 • Aber das, was gewöhnlich unter "empirisch" verstanden wird, nämlich eine quantitativ-empirische Ausrichtung, wird nicht eingelöst. Man muß dies auch nicht. Empirische Sozialforschung ist, angesichts der damit häufig verbundenen persönlichen Frustrationen und vielfachen Variationsmöglichkeiten von Ergebnissen, nicht grundsätzlich "besser". Interessant wäre aber zu sehen, welchen zusätzlichen analytischen Spielraum die Systemtheorie gewinnt, wenn sie ihren "Horizont" um eine quantitativempirische Betrachtungsweise erweitert, sich gewissermaßen zu einer quantitativen Systemtheorie entwickelt. Dies ist anspruchsvoll, aber nicht prinzipiell unmöglich. Im folgenden sollen dazu einige Überlegungen ausgeführt werden.

4.1 Systemtheorie und quantitative Analyse Zwischen abstrakter Soziologie, hier in der Form der Systemtheorie, und "Variablen-Soziologie" (Esser 1987) gibt es mehr Gemeinsamkeiten als man allgemein erwarten könnte. Die Systemtheorie z.B. kann man sich vorstellen als einen sozialen Komplex aus Elementen und Relationen. Die Form der theoretischen Analyse besteht häufig darin, Begriffe, die auch auf Realität bezogen sind, zu anderen Begriffen in Relation zu setzen. Neue Begriffe werden eingeführt und daraufhin untersucht, inwieweit sie unter bestimmten Modifikationen in bisherige Begriffsrelationierungen eingepaßt werden können, inwieweit sie Um-Definitionen alter Begriffe oder die Erfindung neuer Begriffe erfordern. In der empirischen Sozial forschung geht es in gewisser Weise ähnlich um eine Relationierung von Elementen. Trotz der Vielfalt und Kompliziertheit mancher Methoden lautet die Grundfrage auch hier: Wie lassen sich die Elemente, die etwas über die Wirklichkeit aussagen, sinnvoll in Relation zu anderen Elementen setzen. Die einfachste Frage ist, welche Relation besteht zwischen Y und X.

24

"Der Systembegriff bezeichnet ... etwas, was wirklich ein System ist, und läßt sich damit auf eine Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit ein" (Luhmann 1984: 30; vgl. a. ebd.: 599).

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Die Analyse sozialer Systeme

In der empirischen und in der systemtheoretischen Sozialforschung gibt es "unerklärbare" Relationen, die meist als Residuen behandelt werden. "Theorieresiduen " drücken sich aus als Begriffsunschärfen oder als auch nach mehrmaligem Lesen und Vergleichen mit anderen Literaturstellen nicht zu verstehende Satzfolgen. Der Punkt ist, daß beide Analyseformen ihre Schwächen haben, aber auch einige Einblicke in die Realität gewähren. Man sollte also in keiner der beiden Richtungen zu hohe Erwartungen stellen. Es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen Systemtheorie und quantitativer Analyse. Diese sollen hier aber nicht interessieren. Die Frage ist vielmehr, inwieweit die empirische Analyse im herkömmlichen Sinne als eine andere Form der theoretischen Relationierung begriffen werden kann. Das zentrale Verbindungsstück zwischen Systemtheorie und quantitativer Analyse ist dabei das Konzept der Relationierung. Geht man von diesem Konzept als Grundlage einer allgemeinen Sozialtheorie aus, dann stellt sich die Frage, wie man Prozesse und Strukturen der Gesellschaft, so wie sie in den vorangehenden Abschnitten beschrieben wurden, generell auf der Grundlage empirischer Daten analysieren kann. 4.2 Merkmale als Kommunikationen Oben haben wir festgestellt, daß personale Systeme als Rollenträger oder allgemein als Personen an den Kommunikationen des Gesellschaftssystems teilnehmen können (vgl. S. 2St). Für die Gesellschaft sind sie somit nicht als Menschen, sondern nur als soziale Repräsentationen wahrnehmbar. Dies gilt auch für die Kommunikation in der Umfrageforschung. Die Angaben, die ein Befragter gegenüber dem Interviewer macht, können biologisch, etwa im Falle von Alter, Geschlecht oder Krankheit, vorliegen, werden jedoch zunächst gedanklich und dann kommunikativ repräsentiert. Es handelt sich somit nicht um eine "Messung" im strengen Sinne, sondern um einen Kommunikationsprozeß, der zu einer gesellschaftlichen Beschreibung von Phänomenen führt. Damit ist der Einfluß bestimmter Zustände des biologischen oder psychischen Sytems nicht ausgeschaltet, aber eben kommunikativ vermittelt. Er äußert sich daher unter Umständen in einer anderen Form, als er tatsächlich wirkt. Dies gilt auch für Merkmale, die sich auf soziale Phänomene beziehen. Hier liegen häufig Zeit- oder Interpretationsdifferenzen vor, z.B. wenn ein Befragter die Zahl der im letzten Jahr verbrachten Urlaubstage angeben oder seine Tätigkeit einer bestimmten Berufsgruppe zuordnen soll.

Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systente

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Als ein zentrales Merkmal der Umfrageforschung kann man also eine Differenz betrachten, die sich auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Sprach- und Dingwelt gründet und ein direktes Beobachten der Dingwelt verhindert. Trotz dieser vielleicht als Einschränkung empfundenen Eigenschaft besitzt die Umfrageforschung über die Erhebung von Merkmalen fast unbegrenzte Möglichkeiten des Zugangs zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Prinzipiell könnte man jeden, der an den Kommunikationen einer Gesellschaft teilnimmt (z.B. die 76 Mio. Einwohner Deutschlands) nach seinem Beruf fragen und erhielte damit ein relativ genaues quantitatives Abbild der Berufsstruktur. Veränderungen dieser Struktur könnte man über erneute Befragung identifizieren. Eine Möglichkeit zur Differenzierung dieses Ansatzes bestünde darin, die beruflichen, privaten und anderweitigen Tätigkeiten von Personen im Tagesablauf zu erheben. Als Quantifizierungskriterium könnte neben der Zahl der Personen die mit einer Tätigkeit verbrachte Zeit gelten. Auch hier könnten Prozesse über mehrmalige Befragungen verfolgt werden. Grundsätzlich lassen sich mit diesem Verfahren auch Makrophänomene erfassen. Dazu müßten Personen befragt werden, die als Vertreter von Organisationen an sozialen Prozessen teilnehmen. Man könnte sämtliche Operationen einer Organisation, sofern sie kommunikativ zugänglich sind, in sachlicher Hinsicht (Kommunikationsthemen wie Einkauf, Produktion, Verkauf), in sozialer (Zahl der beteiligten Personen) und in zeitlicher Hinsicht (Dauer der Kommunikation) quantitativ erfassen. Dazu zählen natürlich auch die Beziehungen, die Organisationen zu Organisationen und zu Personen in ihrer Umwelt unterhalten. All diese nur angedeuteten Möglichkeiten sind im Ansatz der Umfrageforschung als Teil der empirischen Sozialforschung vorhanden. Sie werden jedoch häufig nicht genutzt. Vornehmlich aus zwei Gründen. Einmal weil die Forschungsressourcen knapp sind (Zeit, Interviewer, Geld, Befragte). Zum anderen weil, und dies könnte man beheben, Merkmalserhebungen in der Regel an speziellen Problemen und Ad-hoc-Thematiken orientiert sind und so zu einem vielfältigen Nebeneinander inkompatibler Ansätze führen (vgl. Joas 1988: 272). Eine Konsequenz dieser Überlegung könnte sein, daß man den Standpunkt für die empirische Beobachtung der Gesellschaft wechselt. Die Alternative wäre, zu untersuchende Merkmale nicht nur auf der Grundlage von Ad-hoc-

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Die Analyse sozialer Systeme

Theorien auszuwählen, sondern eine abstrakte Sozialtheorie, vielleicht sogar eine Theorie, die über den Bereich des Sozialen hinausgeht, zugrundezulegen.

4.3 Die Relationierung von Merkmalen Die Identifikation von Merkmalen hat allein nur einen geringen Nutzen für das Erkennen sozialer Vorgänge. Entscheidend ist letztlich ihre theoretische Kombination. Was man in der Umfrageforschung häufig vermißt, was hierfür jedoch von Bedeutung ist, sind Überlegungen zu der Frage, welchen Realitätsebenen bestimmte Merkmale zuzuordnen sind. Demographische Standardmerkmale werden meistens untheoretisch in die Analyse einbezogen, obwohl sie sich auf Zuständ~ oder Prozesse bestimmter Systembildungsniveaus beziehen. Der Schlüssel zu einer theoretisch abstrakten, gleichzeitig aber auch empirischen Analyse scheint genau darin zu liegen, nämlich in der Unterscheidung von Systemebenen (vgl. n.1) und in der Überprüfung der Frage, inwieweit Merkmale auf diese Systemebenen verweisen. a) Merkmale unterschiedlicher Systemebenen Man könnte dazu vier Ebenen unterscheiden, eine physikalische, biologische, psychische und soziale. Jeder Ebene lassen sich bestimmte Merkmale zuordnen. Zu bedenken ist dabei, daß solche Merkmale natürlich nicht nur als direkte Repräsentationen dieser Ebenen zu betrachten sind, sondern auch als Indikatoren sozialer Einflüsse. Das nach Stadt und Land differenzierte physikalische Merkmal Wohnort kann z.B. als Indikator für normative Integration gelten. Der Ebene physikalischer Systeme lassen sich Merkmale zuordnen wie Entfernung zum Arbeitsplatz, zu Einkaufsmöglichkeiten und zu niedergelassenen Ärzten sowie Wohngegend, Stärke des Verkehrslärms, Größe und Ausstattung der Wohnung, Zahl der Kraftfahrzeuge eines Betriebes oder die Zahl der Betten eines Krankenhauses. Merkmale des biologischen Systems sind z.B. Alter, Geschlecht, Wohlbefinden, Vorhandensein oder Abwesenheit von Krankheit, Alkohol- und Zigarettenkonsum, Eßgewohnheiten etc.

Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systeme

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Auf das psychische System beziehen sich Konzepte wie schulische oder berufliche Bildung, Zukunftspläne sowie Einstellungen, etwa zu Beruf, Einkommen, Politik, Kirche etc. Gegebenheiten sozialer Systeme lassen sich erheben über Merkmale wie familiäre Beziehungen, Zahl der im Haushalt lebenden Personen, Einkommen, Beruf, Nationalität, Familienstand, Miete, Fernsehkonsum, Freizeitaktivitäten oder - bei Organisationen - Zahl der Mitarbeiter, Abteilungen, Vertragsabschlüsse mit anderen Organisationen, Höhe des Umsatzes etc. Man könnte eine fast unbegrenzte oder nur durch die Zahl der in einer Sprache verwendeten Wörter begrenzte Menge solcher Merkmale auflisten. Die Analyse hat also prinzipiell einen offenen Möglichkeitshorizont, der auch von der Dingwelt her nicht beschränkt wird, da man zwischen den Dingen beliebig neue Relationen konstruieren und diese mit einem Merkmal bezeichnen kann. Dies gilt auch für die quantitative Analyse. Denn jedes Merkmal läßt sich mindestens nach dem Schema vorhanden/nicht vorhanden codieren. Die interessante Frage vor dem Hintergrund dieser Komplexität ist, wie man die Relationen dieser Merkmale untersuchen könnte. Dazu soll im folgenden ein Ansatz entwickelt werden, der als Grundlage der in den Kapiteln IV und VI beschriebenen Analysen zur Krankenhausinanspruchnahme dient. Die Spezifikation des Ansatzes erfolgt in Kap. III.5. b) Ansatz zu einer quantitativen Analyse sozialer Systeme Oben wurde deutlich, daß man die Systemtheorie und die quantitative Analyse als wissenschaftliche Verfahren zur Relationierung von Elementen auffassen kann (vgl. 11.4.1). Damit stellt sich die Frage, wie die gefundenen oder erfundenen (vgl. Watzlawick 1985) Relationen als Aussagen über die Wirklichkeit in einer integierten Analyse interpretiert werden können. Ein Problem besteht nämlich darin, daß sich die Systemtheorie zwar nicht nur, aber doch vornehmlich mit Makrophänomenen der Gesellschaft beschäftigt, während die empirisch-quantitative Analyse in der Umfrageforschung bei Individuen ansetzt. Vorsichtshalber sei angemerkt, daß es hier nicht um das "Mikro-Makro-Puzzle"25 der Soziologie gehen soll. Die Frage, die oben bereits in einer abstrakten Form diskutiert wurde (11.1), ist vielmehr, in welcher 25

Zum "Mikro-Makro-Puzzle der empirischen Sozialforschung" vgl. Kaase (1986).

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Die Analyse sozialer Systeme

Weise personale Systeme in Sozialsysteme eingebunden werden. Dies soll hier mit einem konkreteren empirischen Bezug geklärt werden. Als Ausgangspunkt könnte man das von LlIhmann (1981b: 25ft) und Stichweh (1988a) systemtheoretisch formulierte Inklusionsprinzip verwenden. Dieses Prinzip geht von zwei Beobachtungen aus. Zum einen von der insbesondere für die modeme Gesellschaft charakteristischen Differenz zwischen Person und Sozialsystem, und zum anderen vom Verhalten sozialer Systeme, das sich als Input-Output-Transformation darstellt. Ein Typ gesellschaftlicher Inklusion ist nach Stichweh (1988a: 268ft) die Betreuung von Laien durch Professionelle. Systeme, die diese Form institutionalisiert haben, operieren in ihren zentralen Prozessen häufig auf der Grundlage einer Verknüpfung von Leistungsrolle, die eine systemspezifische Differenzierung darstellt, und Publikumsrolle, die die Resorption umweltspezifischer Information sicherstellt. Beispiele sind das Gesundheitswesen (Arzt/Patient), das Bildungssystem (Lehrer/Schüler), das Religionssystem (Priester/Laie) und das Rechtssystem (Anwalt/Mandant). Daneben unterscheidet Stichweh drei weitere Typen, wobei die Bildung und Begründung der einzelnen Typen jedoch wenig überzeugt. Er rechnet z.B. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft nicht der ersten Kategorie zu. Politik und Wirtschaft etwa gehören einem Typ an, den er als "Inklusion über ExitNoice-Optionen" bezeichnet. Es wird nur schemenhaft deutlich, was mit "Exit" bzw. "Voice" als systemtheoretischen Begriffen gemeint ist. Davon abgesehen gibt es in der Wissenschaft, im Wirtschaftssystem und ebenso in der Politik Beziehungen zwischen Professionellen und Laien, die Stichweh für den "ExitNoice-Typ" gerade ausschließt (ebd.: S. 270). Als spezifische, d.h. professionelle Leistung des Politiksystems können sämtliche Sozialleistungen gelten, die per kollektiv bindender Entscheidung von einem Sachbearbeiter (Professioneller) für einem Antragsteller (Laien) erbracht werden. Selbst wenn man dies nicht überzeugend findet, springt die Differenzierung im Falle des Wirtschaftssystems förmlich ins Auge. Beispiele sind Automechaniker/Autofahrer, Versicherungsvertreter/Versicherungsnehmer, Handwerker/Kunde usw. (vgl. a. Schulenburg 1987: 131, Anm. 12). Häufig beruht die Inanspruchnahme solcher Berufsgruppen gerade darauf, daß man eine ganz spezifische Leistung benötigt, die man selbst, eben weil man Laie ist, nicht erbringen kann. DeJjenige, der sie schließlich erbringt, ist dagegen ein Fachmann, also ein Professioneller. Auch an der Grenze des

Aspekte der quantitativen Betrachtung sozialer Systeme

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Wissenschaftssysterns gibt es solche Differenzierungen, z.B. die Auftragsforschung. Man kann im Grunde genommen davon ausgehen, daß die spezifischen Beziehungen zwischen Professionellen und Laien ein allgemeineres Strukturmerkmal der Gesellschaft darstellen als Stichweh annimmt. Zur Charakterisierung des Ink1usionsprinzips ist neben der Typenbildung auch eine Betrachtung der unterschiedlichen Systemreferenzen, die bei der Leistungserstellung impliziert sind, von Bedeutung. Eine Referenz kennzeichnet das Verhältnis der primären Subsysteme zum Gesamtsystem (Gesellschaft) über eine spezifische Funktion. Eine zweite Referenz existiert gleichsam horizontal in den Austauschbeziehungen zwischen den Subsystemen. Sie können "als Leistungen bezeichnet werden und mit Input/Output-Modellen beschrieben werden" (Luhmann 1981b: 81). Da es bei der Leistungserstellung auch um Interaktionen zwischen Leistungs- und Publikurnsrollen geht, die durch personale Systeme besetzt werden, ist die Beziehung zwischen personalen und sozialen Systemen ebenso zu berücksichtigen. Hinsichtlich dieser dritten in der kybernetischen Hierarchie nach unten gerichteten Systemreferenz könnte man von Inanspruchnahme reden. Gemeint ist damit das leistungsbezogene Prozessieren personaler Systeme innerhalb sozialer Systeme (Eintritt, Teilnahme und Austritt). Mit der Inanspruchnahme werden natürlich nicht sämtliche Prozesse eines Funktionssysterns erfaßt, aber eben einer der zentralen. Für unser Ausgangsproblem der Verknüpfung von Systemtheorie und quantitativer Analyse ergibt sich aus diesem Konzept sozusagen als Forschungsprogramm die Frage, in welchem quantitativen relationalen Merkmalskontext, der unterschiedliche Systemebenen einschließen kann (vgl. II.4.3.a), lnitiierung und Ablauf eines Inanspruchnahmeprozesses stattfinden. Dabei kann die Schätzung von Funktionen auf der Grundlage von Mikrodaten als Abstraktion von individuellen Inanspruchnahmeverläufen und als allgemeine Charakterisierung des Inanspruchnahmeprozesses eines Funktionssysterns verstanden werden. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die zu relationierenden Merkmale zwar personenbezogen erhoben werden, aber als Kommunikationen (vgl. II.4.2) das Verhalten von Individuen in Sozialsystemen darstellen, insofern also spezifische Prozesse sozialer Systeme repräsentieren. Die quantitative Relationierung dieser Prozesse zeigt im Prinzip nur, in welchem Ausmaß Zustände oder Vorgänge anderer Systeme oder Systemebenen einbezogen sind.

Die Analyse sozialer Systeme

48

5. Fazit In diesem Kapitel wurden sehr abstrakt die Konstituierung der Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen, Formen ihrer Selbststeuerung und Möglichkeiten zur quantitativen Analyse sozialer Prozesse behandelt. Für eine Generalisierung dieses Konzepts und tur die Verlenüpfung von abstrakter Theorie und konkreter Empirie gibt es vor allem zwei Ansatzpunkte. Der erste liegt in einer Inanspruchnahmeanalyse, die von Rollenpaaren ausgeht. Tabelle 1 zeigt, daß es tur einige wichtige Funktionssysteme der modemen Gesellschaft z. T. mehrere solcher Rollenpaare gibt.

Tabelle 1

Basale Rollenpaare als Komponenten subsystemspezifIScher Inanspruchnahmeprozesse Systembezug Politiker Beamter Produzent Verkäufer Arzt

MTA Anwalt Richter Lehrer Dozent Forscher Eltern

Rollenpaare

Umweltbezug

Funktionssystem

Wähler Bürger Konsument Käufer Patient Patient Mandant Kläger Schüler Student Anwender Kinder

Politisches System Politisches System Wtrtschaftssystem Wtrtschaftssystem Gesundheitssystem Gesundheitssystem Rechtssystem Rechtssystem Bildungssystem Bildungssystem Wissenschaftssystem Familiensystem

Ein gemeinsames Kennzeichen dieser Paare ist, daß sie oft die Kernstruktur des jeweiligen Systems und häufig auch seinen Daseinsgrund ausmachen. So werden spezifische Erfordernisse der gesellschaftlichen Umwelt oft über systeminteme "Umweltrollen" ins System geschleust. Die Einschleusung erfolgt, indem personale Systeme mit entsprechenden "Bedürfnissen" (Umweltproblemen) über Kommunikationsprozesse entsprechende Rollen einnehmen

Fazit

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oder auf solche Rollen gesetzt werden. Eine Person wird z.B. in ein Krankenhausbett gelegt und somit zum Patienten. Innerhalb des Systems laufen dann zwischen "System- und Umweltrollen" Kommunikationsprozesse ab, die auf eine Lösung der aus der Umwelt bezogenen Probleme hinarbeiten. Die Lösung der Probleme hat dann wieder die Abkopplung der personalen Systeme von den Umweltrollen zur Folge. Auch wenn man für das Familiensystem vielleicht nur bedingt von einer "Professionalisierung" reden kann, lassen sich die familiären Sozialisationsprozesse und die Eltem-Kind-Beziehungen auch anband dieses Modells analysieren. Der Eintritt ins System etwa beginnt mit der Geburt des Kindes, der Austritt mit dem Auszug aus dem elterlichen Haushalt. Ein weiteres Kennzeichen von Rollenpaar-Kommunikationen ist schließlich, daß sie innerhalb der modemen Gesellschaft in großer Zahl ablaufen und in einer quasi mikrostrukturellen Dynamik die Makrostruktur des jeweiligen Systems produzieren und reproduzieren. Damit sind sämtliche der oben beschriebenen Ebenen der Konstituierung von Gesellschaft impliziert (Kommunikation, Rolle, Organisation, Funktionssystem; vgl. Abschnitt 2). Der zweite Generalisierungsansatz des hier entwickelten Konzepts liegt in der theoretischen Kombination von qualitativen und quantitativen (sozialwissenschaftlichen) Kommunikationen. Qualitative Kommunikationen sind z.B. Begriffe, quantitative Merkmale oder Variablen. Obwohl die Verfahren in der Theoriebildung oft unterschiedlich gesehen werden, haben sie doch eine zentrale Gemeinsamkeit, nämlich die Rekombination der Wirklichkeit oder die Relationierung kommunikativer Elemente, die auf Wirklichkeit verweisen. In unserem Konzept wurden aber nicht nur soziale Merkmale einbezogen, da soziale Vorgänge, wie Inanspruchnahmeprozesse, natürlich auch durch extra-soziae Faktoren bestimmt sind. Dies sollte mit dem im 1. Abschnitt dieses Kapitels entwickelten Ebenenkonzept berücksichtigt werden. Aufgrund dieses Konzepts lassen sich die in der empirischen Sozialforschung üblichen Merkmale (Alter, Geschlecht, Einstellungen etc.) unterschiedlichen Komplexitätsstufen und Systembildungsniveaus innerhalb der personalen Systeme zuordnen und in quantifizierbare Relationen zu sozialen Prozessen und somit Systemen übersetzen.

ID. Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme Die Gesundheitsökonomie verwendet den Begriff der Inanspruchnahme vorwiegend in einer untergeordneten Rolle. Theoretische Überlegungen werden von Konzepten wie Bedürfnis, Bedarf oder Nachfrage bestimmt (vgl. Zwerenz 1982: 13). Deutlich wird dies etwa an der in der Krankenhausplanung üblichen "inanspruchnahmeorientierten Bedarfsermittlung" , bei der die Feststellung der Inanspruchnahme hauptsächlich dazu dient, den Bedarf zu schätzen. In den meisten empirischen Untersuchungen wird ebenfalls auf eine detaillierte Behandlung des Begriffs verzichtet. Zumindest auf den ersten Blick scheint klar zu sein, ~as Krankenhausinanspruchnahme meint. Gelegentlich erhält man eine Information wie, die Krankenhausinanspruchnahme in der BRD sei von 1958 bis 1985 um 71 % gestiegen, da sich die Zahl der Krankenhausfälle im gleichen Zeitraum von ungefähr 7 Mio. auf rund 12 Mio. erhöht habe. Im folgenden soll anhand einer fiktiven Beispieltabelle diskutiert werden, inwiefern man so, d. h. mit Hilfe der Zahl der Fälle oder auch der Zahl der Pflegetage zu sinnvollen Aussagen über die Entwicklung der Inanspruchnahme kommen kann. Es werden fiktive Werte verwandt, weil sich die empirischen Angaben in der Regel nicht in dieser für unsere Argumentation notwendigen Form zusammenstellen lassen. Gegenüber der im vorherigen Kapitel dargestellten abstrakten Betrachtung des Inanspruchnahmebegriffs soll so verdeutlich werden, welche deskriptiv-quantitative Ausprägungen der Begriff der Krankenhausinanspruchnahme haben kann.

1. Maße und Begriff der Krankenhausinanspruchnahme Betrachtet man zunächst die Fallzahl (vgl. Tabelle 1, S. 51), und zwar absolut, so läßt sich eine Steigerung der Inanspruchnahme von T nach T + 1 feststellen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Zahl der Fälle auf die Zahl der Einwohner bezieht. Die Inanspruchnahme steigt von 10 auf 20 %. Ändert sich allerdings die Zahl der Einwohner unter sonst gleichen Bedingun-

51

Maße und Begriff der Krankenhausinanspruchnahme

gen, z.B. um + 100% (Einwohner = 200(0), dann liegt die Inanspruchnahme wieder bei 10%, obwohl sich die Fall7Jlbl erhöht hat. Daraus folgt, daß eine Betrachtung der absoluten Zahl der Fälle nicht ausreicht, um Unterschiede in der Inanspruchnahme festzustellen. Dagegen könnte man einwenden, daß auch die Relationen der Fall7Jlbl nur eine geringe Rolle spielen und lediglich von Bedeutung sei, ob die stationäre Versorgung für mehr oder für weniger Personen Leistungen erbringen müsse. Dies setzt allerdings voraus, daß 2000 Fälle eine größere Belastung der Krankenhäuser bedeuteten als 1000, was hier aus zwei Gründen unplausibel ist. Denn zum einen muß geklärt werden, ob nicht auch die Krankenhauskapazität (Betten) erweitert wurde. Eine größere Kapazität kann mehr leisten, würde also auch weniger "beansprucht" als eine geringere. Zum zweiten kann ein Ansteigen der Fall7Jlbl verbunden sein mit einem Rückgang der Verweildauer, so daß Ärzte und Krankenschwestern heute mit dem gleichen Aufwand zwei Patienten versorgen können, der früher nur für einen Patienten gereicht hätte. Die Folge ist, daß die Zahl der Pflegetage trotz Variation der Fall7Jlbl gleichbleibt (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1

Einfache Maße der Krankenhausinanspruchnahme anhand fiktiver Werte Zeit

EinKHwohner Fälle

KHTage

VeIWeil- KHdauer Betten

Betten- KH-Kosten nutzung in Mio DM

T T+l

10000 10000

10000 10000

10 5

85,6% 42,8%

KH

1000 2000

32

64

3,0 3,2

= Krankenhaus

Wenn also die Zahl der Fälle zur Messung der Inanspruchnahme allein wenig geeignet ist, dann käme wahrscheinlich die Anzahl der Pflegetage in Frage. Eine absolute Betrachtung ist, aus den gleichen Gründen wie bei der Fall7Jlbl, auch hier ungenau. Als Bezugsgrößen könnte man stattdessen neben Kapazitätsmaßen und Bevölkerungszahlen auch die Zahl der Fälle verwenden. Die Inanspruchnahme würde dann über die Verweildauer gemessen, die definiert ist als die Zahl der durchschnittlich geleisteten Pflegetage pro Fall. Dafür spricht zumindest die Annahme, daß eine Änderung der Verweildauer abhängig ist vom medizinisch-technischen Fortschritt (vgl. SloanIValvona

52

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

1986). Verbesserte Therapieverfahren könnten die Leistungsfähigkeit der stationären Versorgung erhöhen und somit die Beanspruchung des Krankenhauspersonals senken, was in einem Rückgang der Verweildauer zum Ausdruck käme (vgl. Tabelle 1). Gelegentlich werden auch die Bettennutzung und die Krankenhauskosten (Ausgaben für Behandlung) als Maße angeführt (vgl. HulkalWheat 1985: 443, Tab. 5). Das erste Maß stellt wieder eine Relation zwischen Pflegetagen und Kapazität her. Denn die Nutzung errechnet sich aus der Formel: Bettennutzung = Pflegetage x 100 I planmäßige Betten x 365 (vgl. StatB. 1989b: 63). Das zweite Maß ermöglicht als monetäre Größe einen Bezug zum Wirtschaftssystem, etwa durch den Anteil der Krankenhauskosten am Bruttosozialprodukt. Insgesamt zeigt die Diskussion, daß es zur quantitativen Erfassung der Krankenhausinanspruchnahme mehrere Möglichkeiten gibt, die z. T. auch in theoretischen Abgrenzungen eingebettet sind. Diese erfolgen in der Gesundheitsökonomie jedoch meist im Hinblick auf die typisch ökonomischen Konzepte. So zum Beispiel bei Zwerenz (1982: Sft) oder bei Brennecke (1978: 46ft). Im folgenden soll kurz überlegt werden, inwiefern hieraus Anregungen für einen soziologischen Inanspruchnahmebegriff zu gewinnen sind. Brennecke (1978: 48) versteht Nachfrage und Inanspruchnahme als Unterbegriffe zum Begriff der Konsumption von Gesundheitsgütern und -diensten. Die Nachfrage beinhalte eine individuelle Entscheidung zur Bedürfnisbefriedigung, womit sich zeige, daß sie als Ereignis vor der Bedürfnisbefriedigung liege. "Dagegen ist der Begriff der Inanspruchnahme ( ... ) im wesentlichen realisationsorientiert. Es wird festgestellt oder erhoben, welche Dienste benötigt, welche Güter gekauft oder verwandt werden usw. Die Inanspruchnahme stellt damit den Verbrauch oder die Nutzung dar" (Brennecke 1978: 48). Bei Zwerenz (1982: 7 u. 13) ist die Argumentation weniger deutlich. Zur Ausgrenzung der Begriffe Bedarf und Nachfrage verwendet er zunächst den Inanspruchnahmebegriff Brenneckes, versteht dann aber "im Rahmen der vorliegenden Arbeit" unter Nachfrage ausschließlich die Inanspruchnahmel .

"( ... ) unter Nachfrage ist ausschließlich die realisierte Nachfrage, die Inanspruchnahme also, zu verstehen" (Zwerenz 1982: 13).

Leitdifferenz und Grundstnlkturen des Gesundheitssystems

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Faßt man Inanspruchnahme, wie Brennecke vorschlägt, als Verbrauch oder Nutzung von Gesundheitsgütern auf, dann folgt daraus vor allem im Hinblick auf die vorherigen Überlegungen, daß man mit Krankenhausinanspruchnahme nicht nur, wie allgemein üblich, die Zahl der Krankenhausfälle oder Pflegetage meinen kann. Die Patienten sind zwar lnanspruchnehmer, aber man kann aufgrund ihrer Zahl allein, d.h. ohne Berücksichtigung des Angebots, nicht feststellen was verbraucht oder genutzt wurde. Insofern kann die Inanspruchnahme auch nicht als irgendeine Form der Nachfrage betrachtet werden, wie Zwerenz es tut, sondern eher als Ergebnis der Interaktion zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Arzt und Patient, oder, wenn man den Prozeßcharakter betonen will, als die Interaktion selbst. Die Überlegungen in den folgenden Abschnitten versuchen diesen Zusammenhang in einen gesellschaftstheoretischen Kontext zu stellen. Dabei sollen zunächst einige allgemeine Strukturmerkmale des Gesundheitssystems analysiert werden.

2. Leitdirrerenz und Grundstrukturen des Gesundheitssystems 2.1 Die Unterscheidung gesund/krank Die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems setzt voraus, daß personale Systeme innerhalb der Gesellschaft entlang der Differenz gesundlkrank betrachtet werden (vgl. a. Kap. ll.3.2). Dieser Vorgang beruht in erster Linie auf einer sozialen Definition, die durch Zustände der biologischen und psychischen Systeme bedingt ist. Welche Ausprägung man dieser Definition gibt, hängt entscheidend von gesellschaftsstrukturellen Bedingungen ab. In primitiven Gesellschaften z.B., die sich noch in großer Nähe zur Natur wußten, wurde Krankheit als das Wirken eines bösen Geistes empfunden (vgl. Cockerham 1986: 127). Entsprechend war die Behandlung der Krankheit eine Beschwörung von Geistern. Die mittelalterliche Gesellschaft, die vornehmlich religiös, als "corpus Christi" (Lllbmann 1981b: 22) konstituiert war, sah Krankheit als Strafe oder Prüfung Gottes und Frömmigkeit als das wichtigste Heilmittel an (vgl. Rodenstein 1987: 294; MayntzIRosewitz 1988: 134). In der heutigen, bislang noch durch naturwissenschaftliche Rationalität bestimmten Gesellschaft kann man Krankheit als eine "erklärbare" Abnormalität von Psyche lind Physis betrachten. Ihre Therapie ist daher erstmals auch "menschlicher Rationalität" unterstellt.

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Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

Der kurze Abriß zeigt, daß die gesellschaftliche Definition personaler Systeme als gesund oder krank wahrscheinlich unsere heutige Sicht ist, die Unterscheidung gesund/krank als Operationskriterium sich also erst allmählich aus magischen und religiösen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens gelöst und verselbständigt hat. Im folgenden soll untersucht werden, welche Wechselwirkungen zwischen personalen Systemen und Gesellschaft stattfinden und wie die kommunikative Unterscheidung gesund/krank dabei gehandhabt wird.

2.2 Wechselwirkungen zwischen personalen und sozialen Systemen Die Einbindung personaler Systeme in gesellschaftliche Kommunikation hat fiir den Gesundheitszustand unterschiedliche Folgen. Es gibt gesundheitsförderliche und gesundheitsschädigende soziale Beziehungen. Der interessante Punkt dabei ist, daß die Operationen des Gesundheitssystems in einer negativen Rückkopplungsbeziehung zu den Operationen des personalen Systems stehen und dadurch Destablisierungen der biologischen und psychischen Systemebenen kompensieren können. Solche Destablisierungen sind häufig auch durch soziale Prozesse bedingt. Dies verdeutlicht die Aktualität solcher Begriffe wie "Streß" , "Zivilisationskrankheit" und "Alterskrankheit" . Das Krankheitsspektrum hat sich mehr und mehr von den eher biologisch begründeten Infektionskrankheiten zu den primär sozial bedingten Krankheiten verschoben (vgl. Laberke 1981). So werden Herz-/Kreislaufkrankheiten u.a. durch sozial bedingtes Fehlverhalten produziert: Bewegungsmangel infolge einer veränderten Berufsrollenstruktur (weniger körperliche Arbeit) oder Alkoholismus infolge von Beziehungsproblemen. Für das Entstehen von Schizophrenie oder Drogenabhängigkeit können familiäre Beziehungen mitverantwortlich sein (vgl. Schatzman 1974; F., Christiane 1981), fiir die Bildung von Geschwüren (Magen) eine übersteigerte Leistungsorientierung oder fehlende soziale Integration (vgl. Laberke 1981: 232). Die genannten Krankheitsbeziehungen sind vereinfacht dargestellt, um zu zeigen, in welcher Weise eine Wirkung von der Sozialstruktur auf die Bevölkerung als Gesamtheit der personalen Systeme ausgehen kann. Häufig kommt eine Vielzahl anderer F~toren hinzu. Umgekehrt wird eine Rückwirkung der biologischen und psychischen Systeme auf soziale Systeme über eine kommunikative Behandlung von Gesundheit und Krankheit möglich oder, nach Luhmann (1986: 40-50), über die Erzeugung von "Resonanz". Folge dieser Resonanz ist dann eine erneute, diesmal stabilisierende Einwirkung der Sozial-

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struktur auf die personale Umwelt des Gesellschaftssystem. Genau darin liegt der Unterschied des Gesundheitssystems zu anderen gesundheitsfördemden Strukturen. Während eine Verbesserung der Gesundheitslage der Bevölkerung z.B. durch geänderte ökonomische Bedingungen (Realeinkommen, Nahrung, Hygiene; vgl. Fuchs 1974: 32, 114, 144) nur als Nebenprodukt zustandekommt, kann man die Funktion des Gesundheitssystems entsprechend unserer obigen Überlegung (Kap. 11.3.2) in einer leitdifferenzgesteuerten Einwirkung auf personale Systeme sehen. Diese ist gesellschaftlich auf eine Erhaltung der für die Möglichkeit von Kommunikation notwendigen Kollektivgesundheit ausgerichtet. Immer wenn ein Teil des Kollektivs (personales System) in den Krankheitsbereich der Differenz gerät, springt der Selbststeuerungsmechanismus des Gesundheitssystems an und versucht eine Überführung in den Gesundheitsbereich. Inwieweit dies gelingt, ist eine zweite Frage, aber dieser Vorgang ist gemeint, wenn man sagt, daß die Funktion des Gesundheitssystems in der Heilung von Krankheiten besteht. Es gibt allerdings auch Autoren, die implizit davon ausgehen, daß das Gesundheitssystem in einer positiven Rückkopplungsbeziehung zur gesellschaftlichen Umwelt steht. Man nimmt an, daß gerade die expansive Heilung oder Verhinderung von Krankheiten (vgl. Scheuch 1982: 122) und die dadurch bedingte Verschiebung der Mortalität in höhere Lebensalter sich selbst einen zunehmenden und immer weniger bezahlbaren Operationsbedarf schafft (vgl. Münnich 1986: 633; Prößdorf 1985: 256). Die Frage ist, inwieweit stabilisierende und destabilisierende Operationen sich die Waage halten. Primär scheint vom Gesundheitssystem eine stabilisierende Wirkung auszugehen. Zumindest eröffnet die Komprimierung der Mortalität auf eine kurze Zeitspanne im hohen Alter (vg1. a. Stähelin et a1. 1985: 291) mehr Chancen der Teilnahme von Personen an unterschiedlichen gesellschaftlichen Aktivitäten.

2.3 Die Kranken- und Patientenrolle Krankheiten entstehen also zum Teil aus sozialen Beziehungen, heute wahrscheinlich mehr als in früheren Zeiten. Eine sich hier anschließende Frage wäre, wie Krankheiten durch soziale Systeme wahrgenommen und somit einer Therapie zugänglich gemacht werden. Voraussetzung dafür sind in der Regel Wechselwirkungen zwischen biologischem, psychischem und sozialem System. Funktionsstörungen werden z.B. als Schmerz entdeckt, der psychisch repräsentiert und anschließend in die Kommunikation eingebracht wird. Erst

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die Thematisierung von Funktionsstörungen, die bei Bewußtlosigkeit der betreffenden Person natürlich auch durch andere erfolgen kann, ermöglicht bestimmte für die Behandlung von Krankheit notwendige Zurechnungprozesse. Als Ergebnis dieser Prozesse steht entweder die Akzeptanz oder Ablehnung des Krankheitszustandes (Unterscheidung gesundIkrank). Dabei erfolgt häufig eine sukzessive Spezifikation des sozialen Status, bei der eine Person zunächst die Rolle des Kranken und dann spezieller die des Patienten übernimmt. Mit der Rollenübernahme (Publikumsrolle) ist der Eintritt ins Gesundheitssystem möglich und der Weg für die Behandlung der Krankheit frei (vgl. a. S. 48t). Der Gesichtspunkt der Akzeptanz eines Krankheitszustandes führt zu einer Frage, die Parsons (1951: 439ff; 1970; 1975) im Rahmen seines Rollenkonzepts aufgeworfen hat, nämlich ob man Kranksein als eine Form sozialer Devianz betrachten kann. Gegeben ist für Parsons (1970: 16t) zunächst, daß an den Kranken bestimmte gesellschaftliche ElWartungen gestellt werden. Zum einen ist mit dem Kranksein eine Befreiung von normalen Rollenverpflichtungen verbunden. Außerdem rechnet man dem Kranken gewöhnlich keine Verantwortung für seinen Zustand an. Eine dritte ElWartung ist, daß der Kranke den Willen haben sollte, gesund zu werden und, daraus abgeleitet, die Verpflichtung hat, fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen sowie an seiner Genesung mitzuarbeiten, sie jedenfalls nicht verhindern zu wollen. Für Parsons stellt sich Kranksein über folgenden Schluß als abweichendes Verhalten dar. Er bezieht Devianz zunächst generell auf die integrativen Probleme eines Sozialsystems. Krankheit verhindert, daß die "normalen", auf Gesundheit beruhenden Handlungen ausgeführt werden können. Kranke sind somit, ähnlich wie andere Personen mit abweichendem Verhalten, nur unzureichend, hier: beruflich und familiär, integriert (vgl. Parsons 1975: 260). Zur Wiederherstellung dieser Integration gibt es bestimmte Mechanismen sozialer Kontrolle, zu denen Parsons (1975: 258) im Falle von Krankheit die therapeutischen Rollen zählt. Betrachtet man allerdings die oben zitierten vier ElWartungskomplexe genauer, dann zeigt sich, daß Kranksein entgegen der Auffassung Parsons' (1951: 440) kein abweichendes, sondern lediglich ein anderes, ebenfalls - allerdings nur temporär - akzeptiertes Verhalten ist. Zumindest wird es nicht durch soziale Mechanismen sanktioniert (Strafe), da der Betroffene seinen Zustand nicht verantworten kann. Abweichung würde hier eher die VelWeige-

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rung von ärztlicher Hilfe bedeuten als z.B. das Entbundensein von "normalen" Rollenverpflichtungen. Wesentlich für diese Interpretation ist, daß man aus der Abweichung von einer biologischen Norm nicht unbedingt auf eine Abweichung von einer sozialen Norm schließen kann. In der Literatur werden beide Bereiche häufig nicht deutlich genug getrennt, z.B. indem man konzediert, daß Krankheit zwar ein biologisches Phänomen sei, aber eben auch als ein Ereignis mit sozialen Eigenschaften betrachtet werden könne (vgl. Cockerham 1986: 146; vgl. a. Hofer 1987: 54). Genau diese Sichtweise ist aber schwierig, da Krankheit kein soziales Phänomen ist, sondern eine Abweichung oder Funktionsstörung biologischer und psychischer Systeme. Krankheit kann natürlich, wie die großen Seuchen des Mittelalters gezeigt haben, die Integration oder den Bestand eines Sozialsystems gefährden und weist in dieser Hinsicht eine ähnliche Eigenschaft auf wie z.B. Kriminalität. Aus dieser Eigenschaft allein läßt sich jedoch die Betrachtung des Krankseins als soziale Devianz nicht begründen. Unterscheidet man mehrere Ebenen der Systembildung (vgl. II.1), dann stellt Kranksein vielmehr eine Umweltbedingung dar, auf die die Gesellschaft mit Hilfe des Gesundheitssystems und dessen Leitdifferenz reagiert. Vergleicht man die Krankenrolle, so wie Parsons sie konzeptualisiert hat, mit anderen gesellschaftlichen Rollen, dann erhebt sich neben dem Devianzproblem die Frage, ob Personen in dieser Rolle tatsächlich agieren können oder ob sie lediglich als passives Objekt zu gelten haben2 • Geht man vom lateinischem Ursprung des Wortes Patient aus (patiens = erduldend, leidend), dann bleibt offensichtlich wenig Raum rur patientengenerierte Kommunikation. Man sieht zumindest bei schweren Erkrankungen oder Verletzungen, die beim Patienten Bewußtlosigkeit verursachen, daß therapierelevante Kommunikationen von Ärzten und Schwestern und nicht vom Patienten ausgehen. Bei chirurgischen Eingriffen werden solche Beiträge sogar bewußt unterbunden. Nach Parsons (1975: 270ft) ist ein Patient dennoch nicht als bloßes Objekt zu betrachten. Bei einer Krankenhausbehandlung sei über die Akzeptanz der Behandlung hinaus eine aktive Teilnahme möglich, z.B. über eine Selbstbeobachtung und Mitteilung des Gesundheitszustandes an den Arzt. Deutlicher wird diese Teilnahme in der ambulante~ Versorgung. Dort hängt der Be2

Zu dieser Frage gibt es mehrere Diskussionen. Einige Beispiele sind Cockerham (1986: 127ft); Hofer (1987: 53ft); Nord (1982: 29ft); Gerhard (1988); HerderDomeichl Wasem (1986: 114-116); Barttlingck (1985).

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handlungsverlauf ganz wesentlich davon ab, ob der Patient die verordneten Medikamente einnimmt oder zu Wiederbestellterminen erscheint. Bestimmte Meßwerte muß er auch selbst kontrollieren, z.B. Fieber, und entscheiden, ob er den Arzt erneut aufsucht (vgl. a. Laberke 1981: 174). Für die Initiierung des Inanspruchnahmeprozesses oder für die Selbstmedikation spielt das Verhalten des Arztes sogar fast keine Rolle. VelWendet man als Teilnahmekriterium u.a. den Bewußtseinsgrad des Patienten, dann sind wohl die meisten Arzt-Patient-Interaktionen auch durch Kommunikationsbeiträge des Patienten bestimmt. In den wenigsten Fällen (Koma, Vollnarkose) ist der Patient demgegenüber tatsächlich ein "bloßes" Objekt.

2.4 Die Rolle des Therapeuten Um einen konzeptuell möglichst umfassenden Ansatz zur Analyse der Leistungsseite des Inanspruchnahmeprozesses zu gewinnen, bietet es sich an, die Leistungsrolle des Gesundheitssystems nicht zu speziell als Arztrolle zu fassen. Geht man nur von der Arzt-Patient-Beziehung aus, dann bleibt eine Vielzahl der Inanspruchnahmeprozesse, wie auch das quantitative Verhältnis der Berufsgruppen zeigt (vgl. StatB. 1988c: 16 u. 25), theoretisch unberücksichtigt oder wird sogar falsch dargestellt. Man könnte die Arzt-Patient-Beziehung generalisieren und von einer Therapeut-Patient-Beziehung reden. Eingeschlossen wären so auch die Beziehungen zwischen Krankenschwester und Patient sowie zwischen Psychotherapeut und Klient. Rollen, die kommunikativ auf die Therapie von Krankheiten ausgerichtet sind, hat es im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte gegeben. In älteren Gesellschaftsordnungen waren viele Rollen jedoch nicht so spezialisiert und ausschließlich für die Krankheitstherapie ausdifferenziert wie heute. Manche, z.B. die akademischen Ärzte des Mittelalters, hatten mit der praktischen Krankheitstherapie sogar nichts zu tun. Sie wurden eher als Gelehrtenstand betrachtet (vgl. MayntzlRosewitz 1988: 121). Die eigentlichen Krankheitstherapeuten in früherer Zeit waren "medizinische Handwerker", z.B. Chirurgen, Wundärzte und Kräuterfrauen oder Personen mit seelsorgerischen Intentionen, Nonnen, Diakonissen und später Krankenschwestern (Florence Nightingale; vgl. Glaser 1970: 98ff; Hodgkinson 1976). Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Disziplinen wie Orthopädie und Augenheilkunde noch von umherziehenden Wundärzten betrieben (Stürzbecher 1976: 111). Ein erster institutioneller Ansatz zur Integration von akademischer Medizin und medizini-

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schem Handwerk in eine theoretisch-praktische Medizin, wie man sie heute kennt, hat sich zumindest für Deutschland erst im 19. Jahrhundert herausgebildet (vgl. MayntzIRosewitz 1988: 122f). Neben der historischen Ausdifferenzierung von Therapeutenrollen zeigt sich insbesondere in diesem Jahrhundert eine verstärkte thematische Spezialisierung. Diese geht heute als Folge medizinisch-technischer Entwicklungen und rechtlich institutionalisierter Ausbildungsverfahren primär vom Krankenhaus aus. Dabei kann man z. T. eine Kongruenz zwischen Krankheits- und Therapiestruktur beobachten. Für spezifische Funktionsstörungen oder Belastungen der biologisch-psychischen Umwelt gibt es spezifische Therapeutenrollen, z.B. Hebammen, Geburtshelfer, Kinderkrankenschwestern, Kinderärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Orthopäden, Gynäkologen, Chirurgen, Urologen, Dermatologen, Neurologen, Psychiater. Die Spezialisierung solcher Rollen, die sich in manchen Bereichen fortsetzt, in der Chirurgie etwa mit Unfall-, Kinderchirurgie, Mund- und Kieferchirurgie, Neurochirurgie, Herzchirurgie, Gefäßchirurgie, ist im Prinzip an den organischen Bedürfnissen der Patienten orientiert. Andererseits gibt es Differenzierungen, wie der Allgemeinarzt und der Internist, die neben der Therapiefunktion eine Verteilerfunktion ausüben. So werden bestimmte Fachärzte erst sekundär auf Anraten des Primärarztes oder zur Unterstützung der Therapie des Primärarztes in Anspruch genommen. Schließlich läßt sich noch eine dritte Differenzierungsform feststellen, die nicht von Patientenbedürfnissen ausgeht, sondern sich aus dem Bedarf der regulären medizinischen Spezialisierungen entwickelt hat. Hierzu gehören etwa Anästhesie, Pathologie und Radiologie (vgl. Freidson 1966: 448).

2.5 Innendifferenzierung des Gesundheitssystems Geht man von der Funktion des Gesundheitssystem aus und davon, daß die Kommunikationen innerhalb dieses Systems mit Hilfe der Leitdifferenz gesundlkrank gesteuert werden, dann läßt sich die Frage nach den Strukturen des Gesundheitssystems relativ leicht klären. Manche Autoren gehen hierauf nur sehr pauschal ein und betrachten Strukturen anderer gesellschaftlicher Subsysteme auch als Differenzierungen des Gesundheitssystems. Field (1973: 769) diskutiert z.B. die Frage, ob der Apotheker oder die Mutter Rollen im Gesundheitssystem einnehmen. Er entscheidet sich dafür,

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den Apotheker dem Gesundheitswesen, die Mutter der Umwelt, d.h. der Familie zuzuordnen. Die Entscheidung ist nicht ganz unproblematisch, wenn man berücksichtigt, daß die Haupttätigkeit des Apothekers darin besteht, Ware zu kaufen und zu verkaufen, die Mutter jedoch gleichzeitig ihr krankes Kind gesundpflegen kann. Orientiert man sich an der Kommunikationslogik, die mit diesen Rollen verbunden ist, dann können der Apotheker ebenso wie übrigens die Pharmaindustrie als auf das Gesundheitssystem ausgerichtete Teilstrukturen des Wirtschaftssystems angesehen werden3 • Sie produzieren zumindest einen Input, der von anderen Rollen (Therapeut, Patient) zur Krankheitstherapie genutzt wird. Bei der Mutter ist das Zuordnungsproblem komplizierter. Es läßt sich nicht allein vom Rollenkonzept her klären. Primär ist die Mutterrolle zwar eine Teilstruktur des Familiensystems. Situativ, d.h. über einzelne Kommunikationen, ist jedoch - wie das obige Beispiel zeigt - eine Teilnahme der Mutter als Therapeutin am Gesundheitssystem möglich. Dies ist wahrscheinlich eine typische Eigenschaft des Laiensystems. Die Beziehung zwischen privater Pflegeperson und Pflegebedürftigem z.B. weist ähnliche Merkmale auf. Die Krankenkassen oder die Krankenversicherung als Gesamtsystem werden in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion gewöhnlich ebenso dem Gesundheitswesen zugeordnet. Auch hier läßt sich dies nur schwierig durchhalten. Vor 1933 besaßen die Krankenkassen zwar Ambulatorien (vgl. Mayntzl Rosewitz 1988: 132), ihre Hauptfunktion konzentriert sich heute jedoch auf das Einnehmen von Beiträgen und die Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Versicherungsschutz kann demnach ähnlich wie Medikamente als Input des Gesundheitssystems betrachtet werden, der aus dem Wirtschaftssystem kommt. Die Krankenkassen operieren dabei, obwohl sie politisch institutionalisiert sind, wie andere ökonomische Unternehmen nach dem Gewinn/Verlust-Prinzip und in Präferenz für Gewinn. Um sich als System zu stabilisieren, müssen sie Mitglieder gewinnen und die Abwanderung von Mitgliedern verhindern. Die Gewinn/Verlust-Orientierung führt weiterhin dazu, daß entweder die Gesundheitsleistungen und die Kosten minimiert oder die Versicherungsbeiträge erhöht werden. Je höher die Beiträge sind, desto wahr3

Die Vorstellung, daß die Phannaindustrie oder die medikamentöse Versorgung Teile des Gesundheitssystems sind, wird von mehreren Autoren vertreten (vgl. Herder-Dorneich 1986: 204ff; Knappe 1988: 46; Mayntzl Rosewitz 1988: 128; Sanders! Brownlee 1979: 415t). Sie stellt m.E. jedoch eine durch die ökonomische Theorie bedingte verzerrte Wahrnehmung des Gesundheitssystems dar, die die spezifische Kommunikationslogik dieses Systems außer acht läßt.

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scheinlicher ist allerdings eine Destabilisierung des Systems. Zum einen weil höhere Beiträge die Konkurrenzchancen gegenüber anderen Krankenkassen mindern und die Wahrscheinlichkeit von MitgliedelWanderungen erhöhen. Zum anderen, und dies ist gravierender, weil höhere Beiträge höhere Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber bedeuten. Diese sind zur Hälfte an den Versicherungsbeiträgen beteiligt. Da die Arbeitgeber dazu neigen, Produktionskosten zu senken, bewirken steigende Beiträge tendenziell einen Rückgang der Beschäftigung und eine Zunahme der nicht-beitragszahlenden Leistungsberechtigten (Arbeitslose und Familienversicherte) sowie eine Ausdehnung der Schwarzarbeit (vgl. a. Prößdorf 1985: 256; BMAuS 1981a: 10; Vollmerl Hoffmann 1985: 5f). Dies zeigt insgesamt, daß die Krankenkassen eher ökonomisch als gesundheitssystemisch operieren, also eher - zumindest wenn man von der Funktion des Gesundheitssystems ausgeht - dem Wirtschaftssystem als dem Gesundheitswesen zugeordnet werden können. Ansätze zu einer stärkeren, auch begrifflich unterstützten Trennung der Krankenversicherung vom Gesundheitssystem findet man allerdings auch in der Gesundheitsökonomie. So betrachtet Brennecke (1981) die Gesundheitssicherung als eine auf das Gesundheitssystem ausgerichtete Teilstruktur anderer Systeme: RDie Gesundheitssicherung als Organisationsebene beinhaltet im wesentlichen die Struktur der Sozialen Sicherung in bezug auf das Gesundheitssystem" (ebd.: S. 6; Hervorhebung, J.D.). An einer zweiten Stelle formuliert er eine Kritik, die dem hier beschriebenen Standpunkt ähnelt: RObwohl sich diese Struktur des Gesundheitssystems auch aus ordnungspolitischen Regelungen heraus entwickelt hat, wird in manchen Diskussionszusammenhängen darauf kaum eingegangen, sondern implizit eine einheitliche Gesundheitsversorgung unterstellt" (ebd.: S. 1). Man könnte die Zuordnungsfrage jetzt noch weiter treiben und überlegen, ob auch Praxen und Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen gelten können. Zumindest spielen Einnahmen und Ausgaben hier ebenso eine wichtige Rolle. Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß die Primärleistung solcher Systeme in der Heilung von Krankheiten besteht, ähnlich wie Krankenkassen primär Versicherungsschutz, Apotheker primär Medikamente bereitstellen. Praxen und Krankenhäuser sind natürlich auch in politische und ökonomische Beziehungen eingebunden (vgl. a. S. 28 oben), ihre Systemrationalität orientiert sich aber an der Leitdifferenz des Gesundheitssystems, während Apotheker und Krankenkassen in erster Linie durch die Leitdifferenz GewinnN erlust bestimmt werden.

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Nach diesen Überlegungen kommt man zu dem Schluß, daß nur die ambulante und die stationäre Versorgung, das Laiensystem und eventuell der öffentliche Gesundheitsdienst eindeutig als primäre Subsysteme dem Gesundheitssystem zugeordnet werden können, die Pharmaindustrie, die Apotheker und die Krankenkassen hingegen Teilstrukturen des Wirtschaftssystems darstellen. Bezieht man die primären Strukturen des Gesundheitssystems auf die Rolle des Patienten, so fällt eine Differenzierung der Systemoperationen nach unterschiedlichen Intensitätsgraden und Operationsdifferenzen au~. Eine bezüglich der Heilung von Krankheiten nur schwache Operationsintensität geht vom öffentlichen Gesundheitsdienst aus, der heute überwiegend mit Prävention und nur am Rande mit der Heilung von Krankheiten beschäftigt ist. Als betreffende Differenz könnte von Bedeutung sein, ob jemand krankheitsgefährdet oder nicht krankheitsgefährdet ist. In der ärztlichen Praxis wird entschieden nach arbeitsfähig/arbeitsunfähig oder gehfähig kranklbettlägerig krank. Die letzte Differenz bestimmt den Zugang zur stationären Versorgung. Welche Teilstrukturen und Operationsdifferenzen nach der Statuszuweisung "bettlägerig krank" für den Patienten relevant sind, und das heißt auch, den Inanspruchnahmeprozeß steuern, soll im folgenden untersucht werden. Dabei wird von fünf Hauptdifferenzierungsformen ausgegangen: eine segmentäre, territoriale, thematische, intensitätsbezogene und hierarchische Differenzierung5 • 2.6 Innendifferenzierung der stationären Versorgung Auf der oberen Ebene der stationären Versorgung kann man überwiegend eine Differenzierung in formal gleichartige Einheiten (Segmente) identifizieren. Die größte Bedeutung kommt dabei dem "allgemeinen Akutkrankenhaus mit abgegrenzten Fachabteilungen" zu. Hier werden ca. 70% der in der Bundesrepublik vorgehaltenen planmäßigen Betten betrieben, ca. 80 % der Krankenhausfälle behandelt und ca. 60% der Pflegetage geleistet (vgl. StatB. 1987b: 16 u. 63). 4 5

Hier kommt es zu der von Willke (1987: 14; vgl. Kap. 11, Anm. 16) angesprochenen Differenzierung in sekundäre Differenzen. Aspekte der Krankenhaushierarchie sollen im folgenden nicht behandelt werden, da sie für unsere Fragestellung nur von geringer Bedeutung sind (vgl. hierzu: Wessen 1970: 158ffund Reimann 1976: 124-132, insb. 128).

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Die gebietsbezogenen Unterschiede dieses Krankenhaustypus könnte man mit Geck (1988: 181) auf drei bezüglich des Einzugsbereichs unterschiedliche Versorgungsebenen reduzieren. Die territoriale Differenzierung hat dabei im Rahmen der auf flächendeckende Versorung abstellenden Krankenhausplanung auch eine Auswirkung auf die interne thematische Differenzierung der Krankenhäuser. So gibt es in Krankenhäusern der ortsnahen Grundversorgung zumeist hauptamtlich geleitete Fachabteilungen für Innere Medizin und Chirurgie, die ggf. durch Belegabteilungen für Gynäkologie/ Geburtshilfe, HNOHeilkunde und Augenheilkunde ergänzt werden. Krankenhäuser , die die überörtliche Breitenversorgung sicherstellen sollen, enthalten das Angebot der Grundversorgung sowie hauptamtlich geleitete Fachabteilungen für Kinderheilkunde, Orthopädie, Urologie und Gynäkologie/ Geburtshilfe. In Krankenhäusern der Spitzenversorgung, die das größte Einzugsgebiet bedienen, treten zu dem Leistungsangebot der ortsnäheren Versorgungsstufen spezialisierte Fachabteilungen hinzu, die ebenso hauptamtlich geleitet werden (z.B. Abteilungen für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, HNO- und Augenheilkunde). Innerhalb der Akutkrankenhäuser existieren außer den eben mitbeschriebenen thematischen Differenzierungen auch Unterschiede in der Behandlungsintensität. Eine wesentliche Operationsdifferenz, die sich darauf bezieht, ist die Unterscheidung akut krank/langzeit krank oder die Differenzierung von Therapie und Pflege. Die Versorgungsintensität wird gelegentlich in vier Stufen unterschieden: (1) Patienten, deren Vitalfunktionen lebensbedrohend gestört sind, werden auf die Intensivstation gelegt. (2) Eine Intensivüberwachung wird durchgeführt, wenn die akute Gefahr einer Störung der Vitalfunktionen besteht. (3) Sind die Vitalfunktionen stabil und ist nur noch eine Pflege erforderlich, wird der Patient in den Normalpflegebereich verlegt. (4) Wenn ein Krankenhausaufenthalt schließlich nur aus z.B. diagnostischen Gründen erforderlich ist, wird eine Minimalpflege angeordnet (vgl. Infratest/Klar 1988: 7f; vgl. a. HerderDorneich 1980: 181). In einer älteren Pilotstudie aus dem Jahre 1971 stellt sich das quantitative Verhältnis dieser Intensitätsunterschiede gemessen an der Bettenkapazität wie folgt dar: (1) Intensivpflegebereich 8-10% der gesamten Krankenhausbetten, (2) Normalpflegebereich 50-60%, (3) Langzeitpflegebereich 10-15%, (4) Minimal oder Teilzeitpflegebereich 20-30% (vgl. Eichhorn 1981: 151). Nach Eichhorn ermöglicht eine solche Differenzierung - neben der thematischen

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Differenzierung - eine Versorgung des sich im Zeitablauf verändernden Bedarfs des Patienten. Damit wird eine Über- oder Unterversorgung vermieden. Ein Problem sieht Eichhorn (1981: 151t) jedoch darin, daß der Patient bei einer häufigen Verlegung mehrfach seine Bezugspersonen wechseln muß und dadurch psychosozial belastet wird. Insofern seien Vorkehrungen zu treffen, die einen zu häufigen Wechsel vermeiden. Neben dem allgemeinen Akutkrankenhaus als der wichtigsten formalen Einheit des Krankenhauswesens gibt es noch die Fachakut- und Sonderkrankenhäuser , die mit einer hohen Versorgungsintensität nur ganz bestimmte Krankheiten behandeln (z.B. Herzkrankheiten in einem Herzzentrum). Geht man von dem oben erwähnten Zugangsstatus "bettlägerig krank" aus, dann sind zur stationären Versorgung auch Einheiten wie Krankenheime, Pflegeheime und ggf. Praxiskliniken (vgl. SfGuS 1986: 30-35; Krukemeyer 1988: 228ft) zu zählen. Die meisten Pflegeheime z.B. weisen zwar eine niedrige medizinische Versorgungsintensität auf und sind in vielen Fällen auch nicht auf bestimmte Krankheiten, sondern auf die Hilfebedürftigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen (z.B. alte Menschen) ausgerichtet. Trotzdem kann man hier von einem Teilsystem der stationären Versorgung reden, wenn man mit der Bezeichnung "stationär" vor allem auf die Bettlägerigkeit des Patienten abstellt. Bei Pflegeheimen läßt sich häufig zwar nicht eindeutig klären, ob Patienten krank oder "nur" pflegebedürftig sind, da die Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit bei den überwiegend älteren Patienten in der Regel fließend sind. Dennoch muß Pflegebedürftigkeit auch als Einschränkung eines guten Gesundheitszustandes gesehen werden, der die Chancen zur Teilnahme an gesellschaftlicher Kommunikation mindert. Pflegebedürftigkeit bedeutet auf jeden Fall, daß der Zustand des personalen Systems sich eher im Krankheitsbereich der Leitdifferenz befindet. Wie die vorangehende Beschreibung zeigt, haben sich innerhalb des modemen Systems der stationären Krankenbehandlung vielfältige Operationsmöglichkeiten ausgebildet. In der ambulanten Versorgung bestehen mit der Differenzierung nach Facharztpraxen und unterschiedlichen Praxisorganisationen ähnliche Möglichkeiten. Ein ganz wesentlicher Vorteil der stationären Versorgung gegenüber der ambulanten liegt jedoch in der räumlichen und organisatorischen Zusammenfassung dieser Operationen. Damit steht innerhalb des Gesundheitssystems ein Strukturtypus zur Verfügung, der eine Lösung des typischen Problems sozialer Differenzierung prinzipiell ermöglicht, nämlich die Integration hocbspezialisierter Kommunikationen, Rollen und Subsysteme

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in Organisationen. Daß diese Integration strukturell leichter in der stationären als in der ambulanten Versorgung gelingt (vgl. a. Parsons 1970: 16), schließt gewisse Reibungsverluste allerdings nicht aus. So können sich Koordinationsprobleme, etwa zwischen Abteilungen und Labor, Radiologie etc., in einer Verlängerung der Verweil dauer äußern.

3. Der Inanspruchnahmeprozeß der stationären Versorgung Oben wurde die Inanspruchnahme als Interaktion zwischen Therapeut und Patient begriffen (vgl. III.1). Man kann dies als einen Prozeß betrachten, der innerhalb des Systems auf die Umwelt verweist. Arzt und Patient sind als Rollen zwar Grundstrukturen des Gesundheitssystems. Über eine Zuordnung kranker Personen zu Patientenrollen wird jedoch eine Verbindung und ein Einwirken auf die Umwelt des Systems möglich. Zugleich beeinflußt die Umwelt aber auch das System. Im folgenden interessieren daher zwei Fragen. Zum einen, wie die Umwelt über den Inanspruchnahmeprozeß innerhalb der stationären Versorgung bestimmte Struktureffekte hinterläßt und welche Probleme sich daraus für die Therapie ergeben können (111.3.1), zum anderen, in welcher Form diese Beziehung theoretisch betrachtet werden kann (111.3.2).

3.1 Krankheits- und Therapiestruktur Die Therapiestruktur der stationären Versorgung ist in hohem Maße abhängig von Veränderungen der außergesellschaftlichen Umwelt, d.h. der Bevölkerungsstruktur. Für den Umfang der Therapiestruktur ist grundsätzlich die Bevölkerungsgröße von Bedeutung. Dies wird auch in der Bettenbedarfsformel der Krankenhausplanung berücksichtigt. Für konkrete Differenzierungen sind jedoch konkrete, strukturelle Entwicklungen bedeutsam. Dabei geht nicht nur von Merkmalen wie Alter und Geschlecht, sondern vor allem von der Morbiditäts- und Mortalitätsstruktur eine Wirkung auf die Therapiestruktur aus. So gab es bereits in Konstantinopel um 1136 ein von Mönchen geleitetes Krankenhaus, das auf bestimmte Arten von Morbidität spezialisiert war. Es besaß eine chirurgische Abteilung, in der Brüche und Verletzungen behandelt wurden, außerdem eine Abteilung für infektiöse Krankheiten, insbesondere des Auges und des Darmtraktes, eine Abteilung für Frauenkrankheiten und eine für Patienten mit einfacheren Krankheiten (vgl. Rosen 1963: 5). S Diillings

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Ein anderes Beispiel nennt Stürzbecher (1976: 112 u. 117) mit der Entstehung der ersten Spezialkrankenhäuser in Berlin. Diese hatten sich im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts aus Seuchenlazaretten entwickelt, die man als Ad-hoc-Lösungen bei Ausbruch von Cholera- und Pokenepidemien aufgestellt hatte. Ebenso führte die damals hohe Kindersterblichkeit in Berlin zur Gründung eines Kinderkrankenhauses und einer Kinderstation in einem Waisenhaus. Einige auffallende Entwicklungen der letzten Jahre in der Bundesrepublik sind der Rückgang der Tuberkuloseerkrankungen, eine sinkende Zahl von Geburten sowie ein Anstieg der Alterskrankheiten, insbesondere chronisch-degenerativer Erkrankungen. Diese Veränderungen haben in der stationären Versorgung eine Rückbildung der Abteilungen für Tuberkulose, Gynäkologie und Kinderheilkunde (vgl. Altenstetter 1985: 132; Krukemeyer 1988: 218) bzw. ein Wachstum der Therapiestrukturen für chronische Krankheiten bewirkt (vgl. Krukemeyer 1988: 219). Auffallend ist, daß es sich bei diesen Entwicklungen um langfristige und häufig auch zeitverzögerte Anpassungen an Umweltveränderungen handelt (vgl. a. Müller 1985: 192f; Knappe 1988: 53; DKI/WldO 1987: 23). Ein Problem, das daraus resultiert, liegt in der Inkongruenz zwischen Krankheitsund Therapiestruktur . So werden chronische Erkrankungen unter hohen Kosten vielfach in Inneren Abteilungen von Akutkrankenhäusern behandelt, weil es eine zu geringe Anzahl von Kraoken- und Pflegeheimen im Umfeld des Krankenhauses gibt. Wie die Diskussion um das Gesundheitsreformgesetz und die Pflegefallproblematik gezeigt hat, entwickeln sich die notwendigen Anpassungen erst allmählich und manchmal auch erst nach einer Einwirkung des politischen Systems. Für Inkongruenzen zwischen Krankheits- und Therapiestruktur insbesondere im stationären Bereich gibt es wahrscheinlich einen zentralen Grund, der mit der Kollektivgüterproblematik stationärer Gesundheitsleistungen zusammenhängt. Ähnlich wie bei anderen Kollektivgütern (äußere/innere Sicherheit, Straßennetz, Bildungseinrichtungen) ist der Bau von Kraokenhäusern und Pflegeheimen eher unwahrscheinlich, wenn dies über reine Marktmechanismen, d.h. durch kleine Gruppen geschehen soll (vgl. allgemein: Olson 1968). Insofern können die meisten Therapiestrukturen und insbesondere Großkraokenhäuser nur über staatliche Planung oder jedenfalls durch die Planung von Großorganisationen (Kirche, Wohlfahrtsverbände etc.), die über die entsprechenden Ressourcen verfügen, bereitgestellt werden. Gegenüber einer Marktsteuerung, die vornehmlich dezentral operiert, ist staatliche oder organisatio-

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nale Planung, die oft hierarchisch und zentral abläuft, jedoch aufgrund der Planungsverfahren wesentlich inflexibler und häufig auch "zu langsam". Die staatlich gesteuerte Anpassung der Therapiestrukturen an ein aus der Umwelt herangetragenes verändertes Krankheitsspektrum (etwa Zunahme chronischdegenerativer Erkrankungen) erfolgt häufig mit einer Verzögerung von mehreren Jahren6 • Geht man anders als bei dem eben geschilderten Sachverhalt davon aus, daß eine optimale Anpassung zwischen Krankheits- und Therapiestruktur vorliegt, dann stellt sich heute zusätzlich das Problem, daß die Differenzierungen auf Seiten des Systems und auf Seiten der Umwelt für eine Steuerung der Inanspruchnahme von der Rolle des Arztes aus häufig zu komplex sind. Für eine angemessene unmittelbare Zuordnung von Krankheits- und Therapiestruktur reicht die Information des einzelnen Arztes oft nicht aus. Da viele Krankheitsverläufe und der sich daraus ergebende Bedarf in der Regel unbekannt sind (vgl. Hofer 1987: 120), vollzieht sich eher eine trial-and-error gesteuerte Wechselwirkung zwischen Krankheit und Therapie. Als Beleg dafür kann man die gestiegene Anzahl der internen Verlegungen von Krankenhausfällen betrachten (vgl. Schön et al. 1978: 162). Zuordnungsprobleme entstehen schließlich auch durch ein komplexes Krankheitsbild insbesondere bei älteren Patienten (Multimorbidität). Treten mehrere unterschiedliche Krankheiten auf, die gewöhnlich für sich in verschiedenen Fachabteilungen behandelt werden, muß das Krankenhaus einen zusätzlichen Koordinationsaufwand betreiben.

3.2 Inanspruchnahme als Karriere Das Problem der Zuordnung von Krankheits- und Therapiestruktur , wird innerhalb des Gesundheitssystems und insbesondere im Krankenhauswesen also nicht punktuell, sondern - wie eben deutlich wurde - verlaufsbezogen gelöst. Der entscheidende Punkt ist, daß ein im Zeitverlauf wechselnder medizinischer Bedarf auf wechselnde Therapiestrukturen bezogen werden muß (vgl. Eichhorn 1981: 151). Theoretisch ergibt sich hieraus eine dynamische Betrachtung der Therapeut-Patient-Beziehung. Es geht also nicht um die Frage, in welcher Weise Krankheit innerhalb des Systems eine bestimmte Operation auslöst, sondern um eine Betrachtung systeminterner Operationen 6

Nach Altenstetter (1985: 99) vergehen zwischen Beginn von Planungsvorbereitungen im Krankenhaus, der AntragsteIlung und der Genehmigung seitens der Landesbehörden 2 bis 3 Jahre.

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während des Behandlungsverlaufs. Dieser Verlauf wird von manchen Autoren mit dem Begriff "Patientenkarriere" bezeichnet (vgl. von Ferber 1988: 17ff u. 74ff; Gerhard 1988; Herder-Dorneich 1980: 142f; Schuller 1976)7. Schuller (1976) z.B. hat gezeigt, wie die Patientenkarriere strukturiert ist und auf den Krankheitsbegriff zurückwirkt. Die "Laufbahn" beginnt im Laiensystem, wo der Krankheitsbegriff noch unspezifisch und naturwissenschaftlich unfundiert ist. Die Person wird allenfalls, manchmal auch nicht, als Kranker erkannt. Mit der Kontaktaufnahme mm Allgemeinarzt erfolgt eine erste Spezifikation. Der Krankheitsbegriff wird somatischer. Die betreffende Person wird als Patient identifiziert und dieser Rolle zugewiesen (vgl. Schuller 1976: 47). Dann kann sich eine Überweisung zum Facharzt anschließen, wodurch eine erneute Engerfassung des Krankheitsbegriffs und eine neue "Karrierestufe" eintritt, bis hin zur Einweisung in ein Krankenhaus. Mit der Einweisung ist sozusagen die "höchste" Stufe der Karriere erreicht. Der Krankheitsbegriff ist weitestgehend somatisiert, die Krankheit einer reinen naturwissenschaftlichen Behandlung am ehesten zugänglich. Dies wäre die übliche Vorstellung von Patientenkarriere und vom Wechselspiel zwischen Karriere und Krankheitsbegriff. Man kann den Begriff der Patientenkarriere allerdings auch in einer anderen Form, in einer zeitlichen Dimension sehen. Man könnte überlegen, inwieweit z.B. vorlaufende oder begleitende Inanspruchnahmeprozesse auf die Krankenhausinanspruchnahme einwirken. Man kann z.B. fragen, ob die Inanspruchnahme eines niedergelassenen Arztes die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthalts erhöht oder senkt. Ebenso kann man überlegen, ob z.B. die Inanspruchnahme von Krankenhäusern in einer Vorphase oder in einer früheren Periode die aktuelle Inanspruchnahme der stationären Versorgung beeinflußt. Neben den bereits bekannten strukturellen Aspekten des Karrierebegriffs kann mit dieser Überlegung stärker auf die Zeitdimension eingegangen werden. Dies soll bei der Quantifizierung berücksichtigt werden (Ill.5).

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Eintritt, Teilnahme und Austritt von Personen kann man für verschiedene Systeme mit dem Karrierebegriff beschreiben. Unter anderem für das Beschäftigungssystem und das Bildungssystem. Luhmann (1986: 195f) bezeichnet Karrieren als typische Inklusionsinstrumente, über die Personen bestimmten Positionen im System zugeordnet werden.

Der Inanspruchnahmeprozeß der stationären Versorgung

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3.3 Intersystembeziehungen der Krankenhausinanspruchnalune Oben wurde erwähnt, daß die Interaktion zwischen Therapeut und Patient zu einem Großteil über Veränderungen der biologisch-psychisChen Umwelt der Gesellschaft bestimmt wird (TII.3.1). Zugleich ergeben sich aber auch von anderen Systemen aus durch intervenierende Prozesse Einflüsse auf die Inanspruchnahme. Im folgenden soll daher untersucht werden, welche Prozesse innerhalb der für das Gesundheitssystem wichtigen Funktionssysteme Auswirkungen auf den Inanspruchnahmeprozeß haben. Behandelt werden das Familiensystem, Wirtschaftssystem, Wissenschaftssystem und politische System. a) Familie Die Entwicklung des Familiensystems ist seit Beginn der Industrialisierung durch einen Prozeß gekennzeichnet, den man Individuation8 nennen könnte und der sich heute in einer durch höhere berufliche und räumliche Mobilität verursachten Trennung von Generationen und Verwandtschaftsverhältnissen äußert. Ein typisches Kennzeichen der modemen Gesellschaft ist daher die Zwei-Generationen-Kemfamilie (vgl. Tyrell 1979: 18 u. 24). Neben der Auflösung der Großfamilie gewinnen mit den hohen Scheidungsziffern und dem Trend zur Ein-Kind-Familie neuere Individuationstendenzen an Bedeutung. Insgesamt führt der Prozeß zu einer Verkleinerung von Haushalten und dazu, daß viele Funktionen, die in früheren Gesellschaften innerhalb der Familie erbracht wurden, u.a. auch die Krankenpflege9 , heute auf andere Gesellschaftsbereiche übertragen und dort weiter ausdifferenziert werden. In der modemen Familie stehen aufgrund einer höheren Erwerbsbeteiligung insbesondere Frauen für eine häusliche Krankenpflege kaum noch zur Verfügung (vgl. Stähelin et al. 1985: 293). In vielen Fällen kommt es daher auch aus nicht-medizinischen Gründen (soziale Indikation) zu einer Inanspruchnahme von Krankenhäusern und öffentlichen PflegeeinrichtungenlO • Langfristig gesehen wirkt sich der Prozeß der Individuation also intensivierend auf den Inanspruchnahmeprozeß aus. 8 9 10

Wlibers (1988: 149) nennt diesen Prozeß "Singularisierung " . Vgl. Glaser (1970: 90); Reimann (1976: 110); Wachtel (1984: 134). Vgl. Ehlers (1976: 61); Körner (1981: 79f); Horwitz et al. (1985); Mor et al. (1985); Wade! Langton Hewer (1985). Besonders aufschlußreich ist die Darstellung in Ganns-HomolovaJ Schaeffer (1989: 123).

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Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

Eine andere Nebenwirkung der Individuation kann man in dem Rückgang der Geburtenhäufigkeit sehen. Mit diesem Rückgang entsteht über den Umweg einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur eine indirekte Auswirkung auf die Krankenhausinanspruchnahme, insbesondere auf die Inanspruchnahme von geburtshilflichen Abteilungen und Abteilungen für Kinderkrankheiten. Für eine langfristige Planung der Therapiestrukturen, vornehmlich des Bettenbestandes, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, daß die einzelnen Jahrgänge mit unterschiedlich starker Besetzung die gesamte Alterspyramide durchlaufen und in der folgenden Generation eine Echowirkung initiieren (vgl. Steger 1980: 24; vgl. a. att 1986b: 23). Insgesamt kommt es dadurch zu Schwankungen in der Inanspruchnahme von Abteilungen für Kinderheilkunde und Geburtshilfe. b) Ökonomie Eine wichtige Beziehung des Inanspruchnahmeprozesses besteht aufgrund des Ressourcenverbrauchs auch zum Wirtschaftssystem. Man könnte in unserem Zusammenhang zwei Formen unterscheiden: Einmal den üblichen Ressourcenverbrauch, der durch den von der Krankenversicherung bereitgestellten Versicherungsschutz ermöglicht wird. Zum anderen den Verbrauch von Ressourcen, die dem Patienten zuzurechnen sind. Bei der Krankenversicherung führt der allgemeine Versicherungsschutz in Verbindung mit der Art der Beitragserhebung gewöhnlich zu einer Inanspruchnahmeexpansion 11 • Feige (1979: 220) beschreibt dieses Phänomen als ein Wechselspiel zwischen Beiträgen und Leistungen, das durch den in der Gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Versicherungszwang zustandekommt. Jedes Mitglied sei zunächst gezwungen, einkommensabhängige Beiträge an seine Krankenversicherung zu zahlen, erhalte dafür jedoch freien und gleichen Zugang zu allen von den Krankenkassen getragenen Gesundheitsleistungen. Dadurch, daß die Leistungen zu einem "freien Gut" würden, werde es für die Versicherten rational, wenn sie schon Beiträge zahlen müßten, "so viel Leistungen wie irgend möglich in Anspruch zu nehmen". Versuchte jeder Versicherte auf diese Weise, seine Beiträge wieder "hereinzuholen", käme es zu einer generellen Leistungsexpansion. Das gestiegene Leistungsvolumen 11

Experimente mit staatlichen Krankenversicherungsprogrammen wie Medicare und Medicaid bestätigen diese Wlfkung (vgl. Ferguson et al. 1976: 577 u. 582).

Der Inanspruchnahmeprozeß der stationären Versorgung

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müsse die Kasse dann durch ein Anheben der Beitragssätze finanzieren, wodurch auf Seiten der Versicherten die Tendenz verstärkt würde, über eine noch größere Leistungsinanspruchnahme einen erneuten Ausgleich für die Beitragserhöhungen zu erhalten usw. Die Inanspruchnahmesteigerung ist also nicht medizinisch, sondern im wesentlichen durch ökonomische Rationalitätskriterien bestimmt. Bei Patienten ist von Bedeutung, daß sie außerhalb ihres Patientenstatus in ökonomische Prozesse eingebunden sind. Insofern wird der Inanspruchnahmeprozeß auch von dieser Seite her beeinflußt. In der Regel spielen dabei längerfristige Orientierungen eine Rolle, z.B. die Überlegung, ob ein Krankenhausaufenthalt den Arbeitsplatz gefährden (vgl. Krukemeyer 1988: Vorwort) oder Nachteile für die berufliche Karriere zur Folge haben sowie bei Selbständigen finanzielle Einbußen zeitigen kann (vgl. Körner 1981: 46; vgl. a. NeuhauslPreiser 1986: 118 u. 120). Für den Inanspruchnahmeprozeß haben diese Bedingungen, die für den Patienten mit Ressourcenverlusten verbunden sein können, eher eine hemmende Wirkung. Bemerkbar macht sich diese Wirkung insbesondere während eines Konjunkturabschwungs (vgl. Oldiges 1987b: 375 u. 376; Schön et al. 1978: 229). c) Wissenschaft und Technik Gewöhnlich geht man davon aus, daß wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfindungen einen Produktivitätsfortschritt bedeuten, der sich in einer Kostenminderung niederschlägt. Für das Gesundheitssystem trifft diese - ökonomische - Art der Rationalisierung allerdings nur bedingt zu. Die Rationalität des Gesundheitssystems stellt eher auf das Heilen von Krankheiten denn auf das Einsparen von Produktionskosten ab. Insofern weisen Beziehungen zwischen Erkenntnisprozessen des Wissenschaftssystems und Inanspruchnahmeprozessen der stationären Versorgung aus ökonomischer Sicht in der Regel zwei entgegengesetzte Tendenzen auf. Auf der einen Seite - und dies ist wohl der Prozeß, der die medizinischtechnische Entwicklung überwiegend antreibt - führen neue oder verbesserte Behandlungsmethoden zu einer effizienteren und damit kostengünstigeren Krankheitstherapie. Voraussetzung ist allerdings, daß alte Behandlungsmethoden aufgegeben oder eingeschränkt werden. So ist nach Werner (1988: 34) der Anteil der Krankenhauspatienten mit der Diagnose Magengeschwür von

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

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1970 bis 1985 um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Die Ursachen dafür lagen in der Einführung von Glasfiberendoskopen als Alternative zur Röntgendiagnostik (sog. Magen-Darm-Passage) und H2-Rezeptorenblockern in der ambulanten Versorgung als Alternative zur stationären chirurgischen Behandlung. In den USA hat sich gezeigt, daß ein Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer auch durch Verbesserungen der chirurgischen Behandlungsverfahren eintrat (vgl. SloanNalvona 1986)12. Auf der anderen Seite - und dies wirkt sich tendenziell inanspruchnahmeund kostensteigernd aus - eröffnet der medizinisch-technische Fortschritt auch die Möglichkeit, Krankheiten zu heilen, die früher als unheilbar galten. So hat die Hämodialyse dazu geführt, daß die Lebenserwartung schwer Nierenkranker von 1970 mit 4,5 Monaten bis 1982 auf 15 Jahre angestiegen ist. Die Folge war, daß die Zahl der Dialysepatienten von 700 (1970) auf über 4000 (1982), die Ausgaben von 46 auf 954 Mio. DM angestiegen sind (vgl. Prößdorf 1985: 256). Diese Beispiele mögen im Lichte einer ökonomischen Rationalität sehr unterschiedlich zu beurteilen sein. Bezogen auf die Funktion des Gesundheitssystems liegt jedoch in beiden Hinsichten eine Rationalisierung der Systemoperationen vor. d) Politik Ein besonders auffälliges Beispiel des Einflusses politischer Prozesse auf die Krankenhausinanspruchnahme kann man in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 sehen. Politikintern wurde in der vorherliegenden Zeit eine Unterversorgung der Bevölkerung, insbesondere der breiteren Schichten, konstatiert (vgl. RosewitzlSchimank 1988: 319)13. Die Folge dieser Definition war ein Eingriff ins Gesundheitssystems, der die Inanspruchnahme auf Expansion umschalten sollte (vgl. a. S. 79, Anm. 21). Es kam zu einer Ausweitung der Kapazitäten und der durch die GKV abgedeckten Leistungen sowie zu einer Erweiterung des Kreises der Leistungsempfängerl4 • Heute ist 12 Andere Beispiele fIndet man bei Glaser (1985: 241), Stül"Lbecher (1976: 117) und Knappe (1988: 43).

13 Eine ähnliche Situation hatte sich in den USA ergeben (vgl. Hulka/Wheat 1985: 438).

14 Vgl. zur allgemeinen Entwicklung der GKV auch Eberle (1985: 211); Feige

(1979: 221).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

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man sich darüber im klaren, daß nicht alle, aber viele der gegenwärtigen Kostenprobleme im stationären Bereich auf diese Intervention zurückzuführen sind1S • Si~ werden heute als Steuerungsprobleme definiert, obwohl die sie verursachende Inanspruchnahme als die intendierte Hauptwirkung der damaligen Steuerungsprozesse angesehen werden kann. Neben solchen eher langfristig wirkenden Prozessen gibt es auch aktuelle Bezüge zwischen Krankenhauspolitik und Inanspruchnahme. Diese konstituieren sich vornehmlich über die Bettenbedarfsplanung der Länder. Betrachtet man das Krankenhausbett als physisches Korrelat der Patientenrolle, dann stellt die Bettenbedarfsplanung eine Steuerung der Struktur der Patientenrollen dar. Dabei geht es nicht nur um eine sozusagen umweltorientierte "Planung des Bedarfs", sondern um eine aktive, politisch initiierte Steuerung dieser Struktur (vgl. Holler 1985: 164; Sauerzapf 1980: 119f). Häufig werden bestimmte Größen der Bettenplanung, wie der Bettennutzungsgrad, der üblicherweise bei 85 % festgesetzt ist, nicht als empirische, sondern als normative Größen politisch definiert (vgl. Schön et al. 1978: 160; Herder-Dorneichl Wasem 1986: 327).

4. Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme Die Darstellung der Intersystembeziehungen der Krankenhausinanspruchnahme im vorhergehenden Anschnitt läßt ahnen, wie komplex und schwierig eine Steuerung der Inanspruchnahme sein kann. Denn die Beziehung zwischen Politik und stationärer Versorgung ist nur eine unter anderen. Im Prinzip müßte eine umfassende Steuerung sämtliche dieser Beziehungen mitberücksichtigen. Gesellschaftsstrukturell ist dies aber nicht möglich. Zum einen weil von der Politik aus nur eine Beziehung der Krankenhausinanspruchnahme kontrolliert werden kann und dies auch nur sehr begrenzt. Zum anderen weil jedes der genannten Funktionssysteme hochgradig autonom operiert und sich einer direkten Außensteuerung, die indirekt auch die Krankenhausinanspruchnahme beeinflussen könnte, weitgehend entzieht. Im folgenden sollen die Probleme einer Steuerung der KrankenhausinansPfll:chnahme und in der Praxis entwickelte Steuerungsansätze beschrieben werden, um daraus ein theoretisches Steuerungskonzept abzuleiten. IS

Vgl. VollmerlHoffrnann (1985: 6); Oldiges (1987b: 373); Buchholz (1985: 250); Fernrner (1986: 243ft); Kehr (1985: 64); Herder-Dorneichl Wasern (1986: 14); Holler (1985: 158ft); vgl. a. Baier (1978: 129).

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Systcmbedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

4.1 Probleme der Inanspruchnahmesteuerung Die gesundheitspolitische Diskussion in der Bundesrepublik wird seit fast 15 Jahren durch das Thema der Kostenexpansion im Gesundheitswesen und den sich daraus ergebenden Überlegungen zur Effizienzsteigerung der Gesundheitsversorgung beherrscht16 • Obwohl dabei unterschiedliche Aspekte zur Sprache kommen, werden viele Probleme einer Kostensteuerung auf Möglichkeiten zur Steuerung der Inanspruchnahme projiziert. Denn die Kosten entstehen ja nicht primär aus der Bereitstellung bestimmter Kapazitäten, sondern vor allem aus der Inanspruchnahme dieser Kapazitäten. Die folgenden Überlegungen sollen zunächst deutlich machen, wo einige Probleme der Inanspruchnahmeexpansion und somit einer Steuerung der Inanspruchnahme liegen. a) Ökonomische Orientierung Aus der Sicht der Gesundheitsökonomie liegen viele Probleme der Inanspruchnahmeexpansion des stationären Bereichs darin begründet, daß Krankenhäuser nicht nach dem Gewinn/Verlust-Prinzip operieren. Als Beispiel wird auf den pauschalen Pflegesatz und auf das Selbstkostendeckungsprinzip verwiesen (vgl. Holler 1985: 163ff; Herder-DorneichlWasem 1986: 334; Gerdelmann 1985: 183; Thelen 1987: 365). Im Gegensatz zu gewöhnlichen Wirtschaftsunternehmen könnten die Kosten bestimmter Leistungen direkt in Preise umgesetzt werden. Es bestünde kein Anlaß zum Sparen, da der Finanzierungsmodus die Erstattung der Kosten durch die Krankenversicherung garantiere. Insbesondere sei über den tagesgleichen Pflegesatz nicht sichergestellt, daß Patienten nur solange im Krankenhaus blieben, wie es ihre medizinische Behandlung erfordere (vgl. Eichhorn 1987: 272). Häufig kann man tatsächlich von einem solchen Zusammenhang ausgehen. Denn für das Krankenhaus ergibt sich die folgende Problemlage. Die Preise für Krankenhausleistungen werden zunächst mit Hilfe einer Gegenüberstellung von zu erwartender Inanspruchnahme (Pflegetage) und Gesamtkosten vorauskalkuliert und in die Gruppenverhandlungen mit den Krankenkassen eingebracht. Die sich daraus ergebenden Pflegesätze dienen im fol16

Als eine erste wirkungsvolle Anregung zu dieser Diskussion kann man die Analyse Heiner Geißlers (1974) betrachten. Zu einer früheren Behandlung dieses Themas vgl. Schreiber (1970).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

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genden Jahr als Abrechnungsgrundlage. Meistens wird ein tagesgleicher Pflegesatz in Rechnung gestellt, der die Kostenunterschiede der Inanspruchnahme durch den einzelnen Patienten nivelliert17 • Da Vorauskalkulationen häufig von den tatsächlichen Entwicklungen abweichen, können für das Krankenhaus durch eine Zunahme besonders kostenintensiver Fälle eine Unterdeckung der Kosten und Liquiditätsprobleme entstehen. In einer solchen Situation ist es aus der Sicht des Krankenhauses durchaus rational, die eine oder andere medizinisch nicht unbedingt notwendige Untersuchung durchzuführen und so eine Verlängerung der VelWeildauer sowie eine Deckung der Defizite zu erreichen (vgl. hierzu: Herder-DorneichlWasem 1986: 319f; Wachtel 1984: 184-188; SloanNalvona 1986: 70; WorthingtonlPiro 1982: 57 u. 63). Man kann zumindest teilweise davon ausgehen, daß Krankenhäuser aufgrund des bestehenden Finanzierungsrechts dazu tendieren, die wenig kostenintensive Phase vor der Entlassung der Patienten auszudehnen, um damit die gewöhnlich höheren Kosten einer früheren Phase der stationären Behandlung auszugleichen oder einen größeren finanziellen Spielraum zu erwirtschaften (vgl. a. Wachtel 1984: 185). Diese Annahme wird offenbar auch dadurch gestützt, daß die Einführung diagnoseabhängiger Fallpauschalen in den USA und in der Bundesrepublik in einem Modellversuch eine drastische Reduzierung der Inanspruchnahme brachte. Nach Westphal (1985) bewirkt ein fallbezogener Preis für Krankenhausleistungen, daß eine Ausdehnung der VelWeildauer unökonomisch ist. In den USA sei daher seit der Einführung der "diagnosis related groups" in 1983 eine Senkung der durchschnittlichen VelWeildauer auf weniger als 7 Tage und ein Zurückgehen der Auslastung der Krankenhäuser auf unter 70 % eingetreten. Ähnlich zeigte sich an einem Modellversuch in einer Augenklinik in KielBellevue, daß eine Umstellung auf Fallpauschalen einen Rückgang der Verweildauer innerhalb eines Jahres von durchschnittlich 9 auf 3 Tage sowie eine Senkung der Fallkosten um ca. 20% zur Folge hatte (vgl. Knappe 1988: 48, Anm. 40; vgl. a. Rüschmann 1986; Bertulatl Rüschmann 1988; Eichhorn 1987: 304). Betrachtet man das Problem der Inanspruchnahmeexpansion nur unter einem Kosten/Nutzen-Gesichtspunkt (vgl. a. S. 70f), dann muß zur Steuerung der Inanspruchnahme "lediglich" diejenige finanzierungsrechtliche und orga17

Auch nach der neuen Bundespflegesatzverordnung, die ab 1.1.1986 in Kraft trat und einige Sonderpflegesätze einführte (vgl. Grünenwald 1986), gilt für die Mehrzahl der Krankenhausfälle der pauschale Pflegesatz.

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Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

nisatorische Ordnung des Gesundheitssystems gefunden und politisch durchgesetzt werden, die die kostengün&tigste Erstellung von Gesundheitsleistungen ermöglicht. Von einer gesellschaftstheoretischen Perspektive aus kann man das Gesundheitssystem und speziell das Krankenhauswesen allerdings nicht nur in ökonomischen Kategorien betrachten. Denn die PriInärfunktion besteht in der Heilung von Krankheiten und nicht in der Erzielung von Gewinnen bzw. Vermeidung von Verlusten (vgl. a. Holler 1985: 164). Erwartete man dies, würde man die Systemrationalität verkennen. Insofern lassen sich angesichts der deutlichen Reduktion der Krankenhausverweildauer nach Einführung von Fallpauschalen auch Zweifel hinsichtlich der medizinischen Effizienz anmelden. Die Behandlung mag zwar kostengünstig sein, sich unter Umständen jedoch zu wenig am Heilerfolg orientieren (vgl. NeubauerlUnterhuber 1987: 156). Es besteht zumindest tendenziell die Gefahr, daß "mehr Wirtschaftlichkeit" auf Kosten der Qualität der medizinischen Behandlung geht. b) Gesundheitssystemische Orientierung Diese Überlegung führt zu einer Sicht der Inanspruchnahmeexpansion, die sich stärker an der Rationalität des Gesundheitssystems orientiert. Die Steigerung der Inanspruchnahme wird dabei allgemein als Folge der mit der Patienten- und Therapeutenrolle verbundenen Kommunikationslogik betrachtet. Für den Patienten bringt eine qualitativ höherwertige Versorgung eine größer werdende Heilungserwartung und die Gewißheit, daß alles medizinisch Mögliche getan wird (vgl. Herder-Dorneich 1980: 142f). Für den Arzt spielen Berufsethos, Verantwortungsbewußtsein und wissenschaftliche Ansprüche eine Rolle (vgl. Herder-Dorneich 1980: 143f; Sauerzapf 1980: 64ff; Wachtel 1984: 69). Die auf bestmögliche Heilung ausgerichtete Kommunikationslogik der Therapeut-Patient-Beziehung führt insgesamt zu einer Maximierung der medizinischen Behandlung, die vielfach durch eine angesichts der Rechtssprechung der vergangenen Jahre verständliche Risikoaversion der Ärzte noch gesteigert wird (vgl. Eichhorn 1982: 22f; Fiedler 1985: 2797). Eine andere Interpretation dieser Maximierungstendenzen hat Luhmann (1983b) im Rahmen seiner Gesellschaftstheorie entwickelt. Für ihn liegt die Ursache der Inanspruchnahmeexpansion in der Gesellschaftsstruktur begründet, d.h. in dem Prinzip der funktionalen Differenzierung. Dieses Prinzip bewirke generell eine "Selbsthypostasierung" der Funktionssysteme, die auf eine "bestmögliche Erfüllung der Funktion" hinauslaufe. Im Funktionssystem gebe

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

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es "keine sinnvolle Gegenrationalität, die besagen würde, daß man die Funktion lieber weniger gut erfüllen sollte" (LlIbmann 1983b: 29f; 1987: 57). Auf den ersten Blick erscheint diese Deutung plausibel, da man auch in anderen Funktionssystemen Anzeichen hierfür findet. Zum Beispiel in der "Überregulierung" der Gesellschaft durch Politik- und Rechtssystem, in der Bildungsexpansion des Bildungssystems, in der Publikationsflut des Wissenschaftssystems, in der "Ausbeutungstendenz" des Wirtschaftssystems oder innerhalb des Sportsystems in der zuweilen übersteigerten Tendenz zum Hochleistungssport (Doping). Fraglich ist demgegenüber, inwieweit z.B. das Religionssystem Entwicklungen dieser Art aufweist. Häufig kann man hier eher rückläufige Tendenzen beobachten, etwa in der Sekularisierung religiöser Vorstellungen oder in der zunehmenden Zahl von Kirchenaustritten (Rückgang der Inklusion; vgI. H.4.3.b). Das letzte Beispiel zeigt, daß LlIbmanns These nur teilweise zutrifft18 • Insofern läßt sich die Inanspruchnahmeexpansion wahrscheinlich nicht nur als Folgeproblem der funktionalen Differenzierung begreifen. Denkbar ist, daß andere sozio-strukturelle Bedingungen hinzukommen. Diese sollen im folgenden Abschnitt beschrieben werden.

4.2 Ansätze zur Inanspruchnahmesteuerung Aus den vorangehenden Überlegungen wird deutlich, daß ein zentrales Problem der Inanspruchnahmesteuerung in dem Konflikt zwischen ökonomie und Therapie liegt. Die eine Seite tendiert zur Reduktion der Inanspruchnahme, die andere zur Expansion. Voraussetzung für eine vom politischen System ausgehende Steuerung der Inanspruchnahme ist eine Überführung dieser Konfliktstruktur in die Politik. Man könnte hier von einer Leitwertinduktion sprechen. Dieser Begriff soll sich auf Austauschbeziehungen zwischen Funktionssystemen beziehen und die Einführung spezifischer Rationalitätskriterien des einen Systems in die Kommunikationskontexte eines anderen kennzeichnen.

18

Auch eine empirische Untersuchung am Beispiel des Gesundheitswesens ergab nur eine bedingte Gültigkeit der These (vgl. Alber 1989: 262, 271 u. 280f).

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Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

Die Beziehung zwischen Politik und Krankenhausinanspruchnahme ist demnach in Richtung des politischen Systems durch eine Induktion des ökonomischen (GewinnNerlust) und des. gesundheitssystemischen (Gesundheit! Krankheit) Leitwertes bestimmt. Die Transformation dieser Leitwerte kommt über kollektive Kommunikateure zustande, die innerhalb des politischen Systems als auf Umwelt bezogene Modellierungen operieren (vgl. ß.3.2). Dabei werden die Grundstrukturen des Gesundheitssystems analog abgebildet. So vertreten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (Praxen) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie der Marburger Bund (Krankenhäuser) eher die Therapeuteninteressen, die Krankenkassenverbände eher die Interessen der Patientenl9 • Bei den Krankenkassen wird eine Leitwertinduktion in Richtung des politischen Systems über einen Strukturwechsel ermöglicht. Während auf den unteren Ebenen der Rollenhierarchie der Krankenkassen primär ökononomische Kommunikationen ablaufen (Beitragseinnahmen, Leistungsfinanzierung), schließen sich die Rollenträger der oberen Ebenen häufig politischen Diskussionen an. Dadurch werden kassenartspezifische Probleme ("Beitragssatstabilität", "Kosten- und Leistungsexpansion") (vgl. Oldiges 1987a: 130; 1987b: 373) politikintem thematisiert und bei Steuerungsprozessen berücksichtigt. Verbände, die die Therapeuteninteressen vertreten, stellen im Gegensatz zu den Krankenkassen z. T. rein politikinteme ModelIierungen dar2°. Da sie häufig keine andere Funktion außer der der Repräsentation ausüben, ist bei ihnen zur Erzeugung einer Induktion kein Strukturwechsel erforderlich. Entsprechend der Funktion der Therapeutenrollen innerhalb des Gesundheitssystems kann man von ihnen überwiegend eine Thematisierung der Bedarfsprobleme erwarten.

Bei den Krankenkassen wird die Vertretungsfunktion in der politischen Diskussion zwar nicht immer deutlich, da die Vertreter häufig (aber nicht immer: vgl. KHG72) in Richtung auf eine Kosten- und Leistungsminimierung argumentieren und dies manchmal als dem Patienteninteresse entgegenstehend betrachtet wird. Allerdings neigen Patienten, wenn sie in anderen sozialen Beziehungen agieren, z.B. als Konsumenten, ebenso zur Kostenminimierung. Gegenüber Produzenten, die mit möglichst hohen Preisen möglichst viele Leistungen absetzen wollen, verfolgen Konsumenten eher eine Begrenzung von Kosten und Leistungen. Zumindest werden Leistungen nur bis zur Sättigungsgrenze konsumiert. 20 Als Ausnahme sind die Krankenhausträger zu betrachten, da sie primär für die Vorhaltung der Krankenhäuser sorgen und erst über einen Strukturwechsel ins politische System zu politikinternen Modellierungen werden können. 19

Die Steuerung der Kranlcenhausinanspruchnahme

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Im folgenden soll zur Verdeutlichung dieser Thesen untersucht werden, in welcher Weise Operationsprobleme des Gesundheitssystems politikintem thematisiert und über an den Leitwerten des politischen Systems orientierte Prozesse gesteuert werden. Betrachtet man die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte, dann scheint eine Voraussetzung für die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme in der Definition oder genauer: Wertung bestimmter Zustände der stationären Versorgung zu liegen. Unter Wertung kann man in diesem Zusammenhang eine modellierungsspezifische Interpretation von Umweltzuständen verstehen, die über griffige Leitvokabeln in die politische Diskussion geschleust wird. Einige Beispiele solcher Leitvokabeln sind "Kostenexplosion " , "Bettenberg" , "Ärzteschwemme" , "Fehlbelegung" auf der einen Seite, von der aus eine Senkung der Inanspruchnahme angestrebt wird. Auf der anderen Seite werden Zustände als "Unterversorgung" oder "Ptlegenotstand" (vgl. von Ferber 1985: 522; Buttler et al. 1985) definiert, also mit Etiketten versehen, die eher eine Steigerung der Inanspruchnahme nahelegen. a) Die Steigerung der Inanspruchnahme Gegen Ende der 60er Jahre wurde die krankenhauspolitische Diskussion in der Bundesrepublik durch Interpretationen geprägt wie "Finanmot" der Krankenhäuser oder "Unterversorgung" der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen. Die Initiative zu dieser Diskussion ging hauptsächlich von den Krankenkassen und Krankenhausträgem aus (vgl. Gerdelmann 1985: 167t). Sie fand allerdings im Rahmen eines allgemein expansiven Politikverständnisses statt, das auch auf andere Gesellschaftsbereiche einwirkte. In bildungspolitischen Diskussionen, die letztlich zur Bildungsexpansion führten, sprach man z.B. von einer "Bildungskatastrophe" (vgl. Beck/Bonß 1989: 3). Versucht man von diesen Vorgängen zu abstrahieren, so zeigt sich eine Orientierung an Gleichheits- und Solidaritätsprinzipien (vgl. 11.3.2). Es ging angesichts der zurückliegenden Phase des Wirtschaftswachstums während der 50er und 60er Jahre um ein entsprechendes Anwachsen der Partizipation insbesondere unterer Bevölkerungsschichten21 • Angestrebt wurde ein staatlich 21

Die damalige Situation in den USA war durch ähnliche Vorgänge gekennzeichnet: "The 1960s and early 1970s provided an environment of expansionist policy and social reform. These policies were particularly aimed at low income and minority groups, whose use of health services was quantitatively and qualitatively low ( ... )

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geführter Ausgleich für Nachteile, die durch die "soziale Lage" bedingt waren (" Chancengleichheit"). Im Krankenhauswesen der Bundesrepublik macht sich dies vor allem mit dem Finanzierungsgesetz von 1972 bemerkbar. In der Zeit vor 1972 waren zwar auch einige Gesetze verabschiedet worden, z.B. 1954 eine Bundespflegesatzverordnung (vgl. Holler 1985: 157). Im allgemeinen jedoch war das Krankenhauswesen bezüglich der Kapazitäten ein historisch gewachsenes selbstorganisierendes System. Die politischen Diskussionen, die im Vorfeld des Krankenhausgesetzes um die Defizite der Krankenhäuser stattfanden, führten mehr und mehr zur Akzeptanz einer dualistischen Finanzierung als adäquate Problemlösung. Die Vorhaltung der Krankenhäuser betrachtete man als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge gegenüber dem Bürger, während die Benutzerkosten von nichtstaatlichen Einrichtungen oder vom Bürger selbst zu tragen seien. Neben der Regelung der Finanzierung bestand ein zweites Ziel in der B~eitigung der Unterversorgung. Die Steigerung der Inklusion der Bevölkerung wurde vor allem durch einen Kapazitätsausbau erreicht. Es wurden größere Krankenhäuser gebaut und mehr Betten aufgestellt (vgl. Holler 1985: 159). Zur Festschreibung einer Dauerwirkung dieser Interventionen wurde 1972 schließlich ein "Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze" sowie ein Jahr später die "Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze" verabschiedet (vgl. Gerdelmann 1985: 167f). Mit diesem letzten Schritt zeigt sich, in welcher Weise der Steuerungsprozeß zwischen Krankenhauswesen und Politik zum Abschluß kommt. Analog zur Definition von Steuerungsproblemen, nur in umgekehrter Richtung, liegt eine zweite Leitwertinduktion vor, die diesmal von der Politik ausgeht, sich an den Leitdifferenzen Gleichheit und Solidarität orientiert und mit Hilfe des Rechtsmediums in das Krankenhauswesen übermittelt wird.

The objectives then were to improve access to health care and availability of services in order to increase utilization " (Hulka/Wheat 1985: 438).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

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b) Die Senkung der Inanspruchnahme Gegenüber dem eben geschilderten Vorgang hat sich seit Mitte der 70er Jahre eine Änderung des Steuerungsprozesses etabliert, die auf eine Senkung der Inanspruchnahme abzielt. Die zentralen, Steuerung auslösenden Problemdefinitionen lauteten "Kostenexplosion" oder "Bettenberg" . In den letzten Jahren kam die Bezeichnung des Krankenhauses als "Hauptkostentreiber" hinzu, wobei die Interpretationen dieser Entwicklung und der Notwendigkeit ihrer Korrektur sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. Buchholz 1985; Clade 1986; Kehr 1985; OhVer 1987a; Prößdorf 1987a; Vilmar 1987). Als Grundlage der bis heute andauernden, auf Reduktion der Krankenhausinanspruchnahme abzielenden Steuerung kann man eine Induktion des ökonomischen Leitwertes beobachten. In der politischen Diskussion wird zwar auch die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser gesehen. Man hält die stationäre Behandlung im allgemeinen aber für ineffizient und für "zu teuer" (vgl. Holler 1985: 153 u. 163 ff). Darüberhinaus könne man, was die Bettendichte angeht, von einer "Überversorgung" der Bevölkerung ausgehen22 • Aus der Sicht der Krankenkassen verursacht diese Entwicklung eine Zunahme von Defiziten, insgesamt also einen Ressourcenverlust oder eben: Beitragssatzerhöhungen. Aufgrund der ökonomischen Kommunikationslogik bedeutet die Erhöhung von Beiträgen allerdings nur einen Aufschub des Verlustes. Denn letztlich gibt es innerhalb des Wirtschaftssystems über die Erhöhung der Lohnnebenkosten und einer damit verbundenen beschäftigungssenkenden Tendenz (vgl. S. 60f) einen Mechanismus, der auf Kosten der Krankenkassen (Verlust von beitragszahlenden Mitgliedern) selbstregulativ eine allzu expansive Transformation ökonomischer Ressourcen in Gesundheitsleistungen verhindert (vgl. a. BMAuS 1987a: 10). Für die Krankenkassen, die dieser Rationalität unterworfen sind, ergibt sich dann die existenzielle Notwendigkeit, die Kostenexpansion als Steuerungsproblem politisch zu thematiSIeren. Seit Mitte der 70er Jahre lassen sich hinsichtlich einer Senkung der kostenintensiven Inanspruchnahme zwei Strategien beobachten. Die erste beruht auf einer direkten Intervention des Staates in den Krankenhausbereich. Im Rahmen der zweiten werden indirekte rechtliche Regulierungen angewandt.

22

Als Beispiele für diesen Standpunkt vgl. Raudszus (1985); Kanzow (1985).

6 DüIlings

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Systembedingungen der Krankenhausinansprochnahme

Eine direkte Teilnahme des Staates an der Strukturierung der stationären Versorgung ist in der Form der Krankenhausbedarfsplanung institutionalisiert. Zentraler Planungsparameter ist dabei die Bettenkapazität. Betrachtet man die quantitativen Verhältnisse zwischen Bettenkapazität und Inanspruchnahme über einen Zeitraum von 10 Jahren, d.h. von 1975 bis 1985, dann zeigt sich trotz Bettenreduktion insgesamt eine Steigerung der Inanspruchnahme, also eine Entwicklung, die der Steuerungsintention genau entgegenläuft. Um dies beurteilen zu können, müssen allerdings entsprechend unseren obigen Überlegungen (vgl. III.1) mehrere Maße verglichen werden. Zunächst wurde die Zahl der Betten von 1975 bis 1985 um 7,5 % von 729791 auf 674742 reduziert. Die Zahl der Pflegetage hat sich in einer ähnlichen Größenordnung um 4,8% von 221,8 Mio auf 211,1 Mio gesenkt (vgl. StatB. 1988e: 49). Dies legt auf den ersten Blick einen Wirkungszusammenhang zwischen Bettenkapazität und Inanspruchnahme nahe. Diese enge Fassung des Inanspruchnahmebegriffs ist allerdings problematisch. Denn über den Verbrauch oder die Nutzung von Krankenhausleistungen, wie oben definiert (vgl. III. 1), ist damit noch wenig gesagt. Zu berücksichtigen sind insbesondere auch die Kosten pro Pflegetag. Denn die eigentliche, d.h. "verdeckte Inanspruchnahme" des Krankenhauses, nämlich die Nutzung der Ressourcen (Personal, medizinisch-technische Geräte, Medikamente) wird erst deutlich, wenn man die Kosten betrachtet. Legt man die Krankenhauskosten (Sachleistungen) auf die Pflegetage um, so ergibt sich von 1975 bis 1985 eine Steigerung um rd. 105% von ca. 117 DM je Pflegetag auf ca. 240 DM je Pflegetag23 • Das heißt, obwohl die Zahl der Pflegetage geringfügig gesunken ist, hat sich das finanzielle Gewicht des einzelnen Pflegetages und somit die "verdeckte Inanspruchnahme" erhöht. Eine andere Dimension der Inanspruchnahmesteigerung liegt in der Zunahme der Zahl der Krankenhausfälle. Von 1975 bis 1985 kam es zu einer Erhöhung um ca. 17% von 10,4 auf 12,2 Mio. (vgl. StatB. 1988e: 49). Die Reduktion der Patientenrollen (Betten) hat somit nicht zu einer Abnahme, sondern über eine Senkung der durchschnittlichen Verweildauer und über eine gestiegenen Fluktuation der Patienten zu einer Steigerung der Inklusion geführt.

23

Berechnet aus. StatB. (1987d: 41-63; Sachleistungen für stationäre Behandlung incl. Kurbehandlung) und StatB. (1988e: 49).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

83

Insgesamt macht die hier diskutierte Entwicklung deutlich, daß eine reduktive Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme über einen Bettenabbau nur bedingt zu erreichen ist. Diese Erfahrung hat auch in der Politik die Suche nach Alternativen motiviert. Gegen Ende der 70er Jahre wurde in Bayern zwischen den RVO-Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung der sogenannte "Bayern-Vertrag" geschlossen. Dieser Vertrag setzte an der "gate-keeper"-Funktion24 des niedergelassenen Arztes an und sollte insbesondere über kollektive Anreize, die in dem Wegfall einer Plafondierung der Gesamtvergütung bei vertragskonformem Verhalten aller Kassenärzte lagen (vgl. Schwefel 1986: 556), und über eine Art informationeller Steuerung ("moral suasion ") neben anderen Zielen eine Reduktion von Krankenhauseinweisungen erreichen. Das öffentliche Motto lautete "soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie nötig" (vgl. Satzinger et al. 1987: 253f). Insgesamt hat der Bayern-Vertrag die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen können. Vor allem haben die kollektiven Anreize, was man auch aus der Kollektivguttheorie Olsons (1968) ableiten könnte, ihre Wirkung verfehlt. Es kam in der Anfangszeit zwar zu einer geringfügigen Senkung der Krankenhausausgaben. In der Folge paßte sich die Entwicklung jedoch wieder dem bundesweiten Trend an (vgl. Herder-DorneichlWasem 1986: 390; Potthoff/ Leidl 1986: 266). Interessant ist allerdings die informationelle Wirkung des Bayern-Vertrages. So zeigt sich in einer Untersuchung, deren Daten aus einer Ärztebefragung gewonnen wurden, daß Ärzte, die den Bayern-Vertrag besonders gut kannten, sich eher zielkonform verhielten, also eine Steigerung der ambulanten und Reduzierung der stationären Behandlung anstrebten, als Ärzte, die nur eine geringe Kenntnis dieses Vertrages besaßen (vgl. Schwefel 1986: 562). Auch in anderen Bundesländern wurden Regelungen getroffen, die denen des Bayern-Vertrages glichen (vgl. MüllerlWasem 1987: 71f). Auf die Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme in der Bundesrepublik hatten sie jedoch insgesamt keine Auswirkung. Die fortwährende Diskussion um die Kostenexpansion25 führte Anfang bis Mitte der 80er Jahre wieder zu Interventionsversuchen von Seiten der Bundes24 25

Vgl. hierzu Bellin et al. (1969: 809); RosenblattiMoscovice (1984). Der Anteil der Ausgaben für Krankenhauspflege im Budget der Gesetzlichen Krankenversicherung hatte sich seit 1970 (25,2%) fortwährend erhöht, wobei die

84

Systembedingungen der Krankenhausinal1llpNcbnahme

regierung. 1981 wurde mit dem Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz zunächst eine Anbindung der Krankenhäuser an die Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen versucht. Mit dem Krankenhausneuordnungsgesetz von 1985 und der Bundespflegesatzverordnung 1986 sollten schließlich die Selbstvetwaltung (Beziehungen zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen) gestärkt und eine Differenzierung der Entgeltregelung eingeführt werden. Beide Gesetze haben den weiteren Anstieg der Inanspruchnahme und Kosten bislang nicht verhindern können (vgl. Klitzsch 1987; Blüm 1988: 153). Auch die Einführung bestimmter Detailregelungen wie die 5-DM-Selbstbeteiligung ab 1982, die im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes ab 1991 auf 10 DM je Pflegetag erhöht werden soll (vgl. BMAuS 1989: 74), haben die Inanspruchnahme insgesamt nicht beeinflussen können (vgl. Herder-DorneichlWasem 1986: 116; 227f u. 250; Gerdelmann 1985: 177; vgl. a. Thelen 1987: 365 u. 366). Versucht man die inanspruchnahmesenkenden Maßnahmen in den hier entwickelten steuerungstheoretischen Rahmen zu stellen, so zeigt sich in den Interaktionen zwischen Krankenhauswesen und Politik ein gemäßigtes Abrücken seitens der Politik insbesondere vom Solidaritätsprinzip. Die Politik wird geringfügig "unsolidarischer" und führt dies mit Hilfe von Induktionsprozessen (rechtlichen Regelungen) ins Gesundheitssystem ein. Voraussetzung dafür ist, wie oben deutlich wurde, eine vorhergehende Induktion des ökonomischen Leitwertes und eine politikinterne Thematisierung mit Hilfe von LeitvokabeIn. Auch an einigen Beispielen des neuen Gesundheitsreformgesetzes wird dieser Zusammenhang deutlich. Bestimmte Leistungen, z.B. die Übernahme der Kosten für Taxifahrten oder die Zahlung eines Sterbegeldes, werden als Ergebnis einer falsch verstandenen Solidarität betrachtet und infolgedessen gekürzt (vgl. BMAuS 1989: 50 u. 104). Auf der anderen Seite gibt es aber auch Bereiche, die als neues Problem der Solidargemeinschaft erkannt werden. So wird mit dem Gesundheitsreformgesetz ein erster Ansatz zu einer staatlichen Unterstützung der privaten Betreuung von Pflegebedürftigen eingeführt (vgl. BMAuS 1989: 90ff).

Steigerungskurve ab Mitte der 70er Jahre flacher verlief. Immerhin betrug dieser Anteil 1986 rd. 33% und war somit gegenüber 1970 um ein knappes Drittel gewachsen (vgl. Prößdorf 1987a: 295).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahmc

8S

c) Fazit Zusammenfassend kann man aus der vorangehenden Analyse inanspruchnahmesteigernder und inanspruchnahmesenk:ender Steuerungsprozesse folgendes feststellen: Die gesellschaftsstruk:turellen Grundlagen einer Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme liegen aus unserer Sicht in dem Primat der funktionalen Differenzierung, in der hochgradigen Autonomie der Funktionssysteme Politik, Ökonomie und Gesundheitswesen sowie in dem Operieren dieser Systeme anband von Leitdifferenzen. Die Initiierung von Steuerungsprozessen beruht auf dem von solchen Leitdifferenzen ausgehenden Induktionsverhalten, d.h. auf der von bestimmten gesellschaftlichen Kommunikateuren getragenen Übermittlung subsystemspezifischer Rationalitätskriterien in Kontexte des politischen Systems. Die Kommunikateure können dabei als politikinterne Modellierungen begriffen werden, die Zustände der inner- und außergesellschaftlichen Umwelt problematisieren, mit Hilfe von Wertungen oder Leitvokabeln definieren und im Wechselspiel mit dem Staat als genuin politischen Kommunikateur in den Rechtssetzungsprozeß einführen. Zentrale Orientierungsparameter der Kommunikation sind im zweiten Schritt die Leitdifferenzen des politischen Systems, im Falle einer Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme das Solidaritäts- und Gleichheitsprinzip. Die dritte Phase der Steuerung, nach Induktion und Thematisierung, besteht schließlich in einer umgekehrten Induktion, also in der Überführung politischer Rationalitätskriterien, entweder mit Hilfe einer direkten Intervention durch Teilnahme oder mit Hilfe von Recht, in Kontexte des Gesundheits- bzw. Krankenhauswesens. Für eine empirische Analyse, wie sie in dieser Arbeit beabsichtigt ist, stellt sich jetzt die Frage, in welcher Weise man das so formulierte Steuerungskonzept auf die aktuellen Probleme der Inanspruchnahmesteuerung im Krankenhausbereich beziehen kann. Ein Anhaltspunkt bietet das Gesundheitsreformgesetz. Die oben genannte Einführung von Hilfen für die Hauskrankenpflege ist nicht nur als neuansetzende Solidarität gemeint, sondern auch als Anreiz, der "zu einer Entlastung und zu Einsparungen in der stationären VersOrgung" (BMAuS 1989: 95) führen soll. Eine spannende Frage wäre daher, ob und in welchem Umfang die neuen Maßnahmen tatsächlich einen Rückgang der Krankenhausinanspruchnahme zeitigen könnten. Im Vorfeld der Diskussionen um das Gesundheitsreformgesetz hat dieses Thema bereits eine gewisse Beachtung gefunden (vgl. Blüm 1988: 153; Dezsy 1987: 269; Kehr 1988; Klitzsch 1988; Luithlen 1988; OhVer 1987b: 19; Prößdorf 1987b: 346).

86

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

Auch gibt es einige Untersuchungen, die den Umfang der Belegung von Akutkrankenhäusern mit Pflegefällen ("Fehlbelegung") und Einsparmöglichkeiten abschätzen (vgl. DKIlWIdO 1987; InfratestIKlar 1988; MüllerIKlar 1989). Im letzten Kapitel dieser Arbeit soll dieses Thema näher behandelt werden, und zwar im Hinblick auf mögliche längerfristige Entwicklungen und deren quantitative Ausmaße, Steuerungsproblematik sowie mögliche Steuerungsalternativen und deren Ausmaße. Im nächsten Abschnitt dieses Kapitels geht es zunächst um die Frage, wie die bisher nur qualitativ dargestellten Relationen der Krankenhausinanspruchnahme quantitativ untersucht werden können.

s. Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme 5.1 Konzept Um eine theoretisch-quantitative Analyse des Inanspruchnahmeprozesses vornehmen zu können, benötigt man einen Theoriehintergrund, der nach unterschiedlichen Ebenen differenziert. Dies wurde bereits in Kap. 11 deutlich. Im folgenden geht es darum, quantitative Beschreibungen dieser Ebenen zu finden und daraus die wesentlichen Relationen der Interaktion zwischen personalen und sozialen Systemen im Inanspruchnahmeprozeß zu ermitteln. Welche Beschreibungen dabei möglich sind und für die spätere Konstruktion des Simulationsmodells (Kap. V) verwendet werden können, hängt von folgenden Aspekten ab: (1) Theorie (Systemtheorie, Inanspruchnahmetheorie), (2) Daten (im Panel zur Verfügung stehende Merkmale), (3) Methode (Annahmen der statistischen Modelle), (4) Mikrosimulator (durch Simulation bereitgestellte Merkmale), (5) Modellanpassung (Auswahl signifikanter Effekte). Deutlich wird hieran, daß die Quantifizierung der Konzepte gegenüber den Begriffsrelationierungen auf der abstrakten Ebene hochgradig selektiv ist. Der Vorteil dieser Selektivität ist, daß sich bestimmte Phänomene der sozialen Welt genauer beschreiben lassen. Innerhalb der Theorie ist man damit nicht auf eine rein begriffliche Erfassung angewiesen. Für die Beschreibung des Inanspruchnahmeprozesses ergeben sich aus den theoretischen Überlegungen zwei Merkmalgruppen: Personenmerkmale und Merkmale des sozialen Systems. Für die zweite Gruppe gilt, daß ihre Merkmale zwar über Individuen erhoben werden bzw. auf Individuen zurechenbar sind, jedoch keine Charakterisierung des Individuums an sich darstellen, son-

Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

87

dem den Systemzusammenhang kennzeichnen, in dem eine Person agiert. Insofern ist z.B. die Inanspruchnahme kein losgelöster individueller Vorgang, sondern ein systemeigener Prozeß, der für die stationäre Versorgung konstitutive Bedeutung hat. Vor der Erläuterung der einzelnen Merkmale müssen noch einige inhaltliche Anmerkungen gemacht werden. Zunächst beschreibt die hier getroffene Variablenauswahl den Inanspruchnahmeprozeß nur bezüglich seiner Initiierung (Einweisung und Wiedereinweisung) und seiner Dauer (Verweildauer). Eine Differenzierung nach der Therapiestruktur (Fachabteilungen) kann erst bei der Darstellung der Hypothesenermittlung vorgenommen werden (vgl. IV.3.2), da die Paneldaten hierzu nicht verwendbar sind. Dort soll auch eine monetäre Quantifizierung der Krankenhausinanspruchnahme entwickelt werden (vgl. IV.3.4). Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf die Berücksichtigung von Makroparametern. Gewöhnlich müssen in der empirischen Sozialforschung mikro- und makrostrukturelle Beziehungen getrennt analysiert werden. Das hat vor allem praktische Gründe, die mit der Verfügbarkeit von Daten zusammenhängen. Die meisten mikroanalytischen Untersuchungen z.B. weisen zu wenig Fälle und eine zu geringe Differenzierung auf, um Makroparameter einbeziehen zu können. Die Datensituation im Sozio-äkonomischen Panel sieht anders aus. Mit über 10000 Personen pro Datensatz und Gliederungsmerkmalen wie Bundesland oder Gemeindegrößenklasse können aus Statistiken z.B. bundeslandspezifische Makroparameter (etwa Krankenhausbetten oder niedergelassene Ärzte je 10000 Einwohner) berechnet und jeder einzelnen Person nach Bundeslandzugehörigkeit zugewiesen werden. Einige Größen, die den Einfluß der Struktur des Gesundheitssystems auf den Inanspruchnahmeprozeß beschreiben sollen, wurden auf diese Weise konstruiert (vgl. II1.5.2.c). Ein dritter Aspekt betrifft die Frage, inwieweit der physische oder psychische Gesundheitszustand von Personen als Merkmal in einem dynamischen Simulationsmodell berücksichtigt werden kann (vgl. a. Brennecke 1984: 19ft). Verwendet man den Gesundheitszustand, evtl. differenziert nach Krankheitsart, lediglich zur Erklärung von Krankenhauseinweisungen und Verweildauer, so bereitet dies keine Probleme. Soll der Faktor jedoch seinerseits erklärt werden, und dies ist bei einer langfristigen konsistenten Simulation erforderlich, so bräuchte man vor allem medizinische Hypothesen über die Entstehung von Krankheiten. Diese Hypothesen lassen sich personell und von den Datengrundlagen her nicht schätzen. Wählt man demgegenüber einen

88

Systcmbcdingungen der Krankenhausinanspruchnahme

epidemiologischen Ansatz, so ist dennoch problematisch, daß für die Schätzung der Krankheitsentstehung lediglich die Variablen zur Verfügung stehen, die man auch direkt zur Relationierung der Inanspruchnahme verwenden könnte, nämlich Alter, Geschlecht, Haushaltsgräße usw. Aufgrund dieser Schwierigkeiten wurden Morbiditätsindikatoren oder Angaben zum Gesundheitszustand also nicht in die Hypothesenschätzung einbezogen (vgl. a. S. 137t).

S.2 Merkmale und Systeme Die folgenden Ausführungen versuchen, die für die Krankenhausinanspruchnahme relevanten Merkmale als Repräsentationen unterschiedlicher Systeme zu begreifen (vgl. a. 1I.4.3.a). Die Merkmale beziehen sich auf das personale System, Gesundheitssystem, Familiensystem, Wirtschaftssystem und politische System. Getrennt behandelt werden Variablen, die die Patientenkarriere bzw. den Inanspruchnahmeprozeß kennzeichnen, also eigentlich auch Vorgänge des Gesundheitssystems abbilden.

a) Merkmale des Inanspruchnahmeprozesses Geht man von dem oben beschriebenen Konzept der Patientenkarriere aus (III.3.2), dann stellt die Krankenhausinanspruchnahme häufig nur einen Ausschnitt aus einem längeren Behandlungsverlauf dar. Bei Untersuchungen an älteren Patienten und Langzeitkranken hat sich gezeigt, daß der aktuelle Inanspruchnahmeprozeß häufig durch eine frühere Inanspruchnahme anderer stationärer Einrichtungen beeinflußt wird, der Patient sich also im Verlauf einer "Krankenkarriere " innerhalb der stationären Versorgung befindet (vgl. DKllWIdO 1987: 37, 15lfu. 155; Düllings 1988: 14; 1989b: 63). Ein erster auf das Konzept der Patientenkarriere bezogener Ansatz zur Schätzung des Inanspruchnahmeprozesses soll in der vorliegenden Untersuchung daher der Einbezug von Krankenhausaufenthalten und Verweildauem einer früheren Berichtsperiode (hier 1983) sein. Die diesen Größen zugrundeliegende Annahme ist, daß bei höheren Ausprägungen eine insgesamt geringere Rekonvaleszenzfähigkeit und somit eine stärkere Tendenz zur Inanspruchnahme vorliegt. Mitbestimmend für eine aktuelle Inanspruchnahme sind oft auch begleitende Behandlungsepisoden. So wird gelegentlich festgestellt, daß eine höhere

Quantitative Analyse der Krankeohausinanspruchnahme

89

Inanspruchnahme der niedergelassenen Ärzte mit einer höheren Inanspruchnahme des stationären Bereichs einhergeht (vgl. Düllings 1989b: 62f; Roos/Shapiro 1981: 649; LeuIDoppmann 1986: 165). Rund 70% der Krankenhauspatienten waren oder sind auch bei einem niedergelassenen Arzt in Behandlung (vgl. DKG 1984; PotthofflLeidl 1986: 256). Zwischen ambulanter und stationärer Versorgung bestehen somit z.T. komplementäre Beziehungen. Andererseits kann eine höhere Arztinanspruchnahme bei verbesserten Behandlungsmöglichkeiten auch substitutiv wirken. Die zunehmende Verwendung von Antibiotika durch Hausärzte hat z.B. die Zahl der an Pneumonien erkrankten Krankenhauspatienten seit Ende der 40er Jahre halbiert (vgI. Laberke 1981: 169; vgl. allgemein: Bellin et al. 1969: 809ff; Potthoff/Leidl 1986). Faßt man die einzelnen empirischen Ergebnisse zusammen, so besteht eine zweite auf dem Karrierekonzept gründende Komponente in der Berücksichtigung der Inanspruchnahme niedergelassener Ärzte. Sie wurde im Sozio-äkonomischen Panel über die Anzahl der Arztkontakte für einen variablen Berichtszeitraum von drei Monaten erhoben (vgI. Übersicht 1, S. 95). Unter streng kausaltheoretischen Gesichtspunkten bereitet die Einbeziehung dieses Merkmals allerdings Probleme. Denn anhand der Paneldaten ist nicht klar, ob die Arztkontakte vor einem Krankenhausaufenthalt, als Unterbrechung zwischen zwei Aufenthalten oder nach einem Aufenthalt liegen. Einem statistischen Zusammenhang zwischen beiden Größen lassen sich dennoch wichtige Informationen entnehmen, da sich Krankenhausaufenthalte und Arztkontakte, diese quasi als eine zeitliche Stichprobe, auf ein Jahr beziehen. Eine signifikant positive Beziehung bedeutet letztlich, daß eine hohe Zahl von Arztkontakten auf eine höhere Einweisungswahrscheinlichkeit oder Verweildauer schließen läßt und umgekehrt (vgl. zur allgemeinen Problematik: Freudenberg 1962: 161f). Im Mikrosimulationsmodell, das in Kap. V.3 beschrieben wird, könnte so der Konsistenzgrad hinsichtlich der Zuweisung von ambulanter und stationärer Behandlung (etwa im Gegensatz zu einer getrennten Schätzung) erhöht werden. Da die kausale Abfolge zwischen Arztkontakt und Krankenhausaufenthalt nicht bekannt ist, soll bei der Arztinanspruchnahme von einer "begleitenden Behandlungsepisode" gesprochen werden. Der dritte Ansatz zur Modellierung des Inanspruchnahmeverhaltens läßt sich implizit mit Hilfe einer kombinierten Schätzung mehrerer Logit-Modelle realisieren (vgI. IV.3.1). Kombiniert soll bedeuten, daß die Wahrscheinlichkeit eines Folgeaufenthalts entsprechend unserer Vorstellung von einer tempo-

90

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

ralisierten Betrachtung der Patientenkarriere auch in Abhängigkeit von einem früheren Aufenthalt geschätzt wird, der in der aktuellen Berichtsperiode liegt (vgl. Kap. N, Tab. 6, 7, 9). Anders als bei einer linear regressionsanalytischen Schätzung der Anzahl der Krankenhausaufenthalte (vgl. Wolinsky 1978: 390f) können bei diesem Vorgehen Inanspruchnahmestufen mit ggf. differenten Merkmalsrelationen unterschieden werden. b) Merkmale des personalen Systems Oben wurden Personen als Systeme begriffen, die u.a. in psychische und biologische Systeme differenziert sind (vgl. 11.1). Einige Standardmerkmale der empirischen Sozialforschung und einige speziell für die Krankenhausinanspruchnahme wesentliche Größen könnte man diesen Systemen wie folgt zuordnen. Alter und Geschlecht sollen hier als biologische Merkmale betrachtet werden. Diese Variablen, z.B. Geschlecht (vgl. Hirschhauer 1989), können natürlich auch als soziale Konstrukte auf soziale Prozesse wirken. Hier interessiert jedoch vor allem, inwieweit z.B. das Geschlecht als biologisches Merkmal auch dann noch einen Einfluß auf die Inanspruchnahme ausübt, wenn man Frauen mit Entbindungen unberücksichtigt läßt (vgl. IV.1 u. IV.3), zum anderen, in welcher Weise mit zunehmendem Alter und dem damit verbundenen allmählichen Abbau der körperlichen und geistigen Funktionsfähigkeit ein inanspruchnahmesteigernder Effekt einhergeht (vgl. Bridgman 1979: 130f; DKIlWldO 1987: 12; Eichhorn 1975: 82f). Andere Merkmale des biologischen Systems sind die Anzahl der in den Jahren vor der Inanspruchnahme geborenen Kinder sowie die Variable Entbindung im Jahr der Inanspruchnahme (vgl. Übersicht 1, S. 94). Das zweite Merkmal soll nur zur Unterscheidung von Subgruppen verwandt, also nicht in die Hypothesenschätzung einbezogen werden (vgl. IV.I), da Entbindungen in der Bundesrepublik in über 90 % der Fälle im Krankenhaus stattfinden. Das Merkmal hat für die modellgeleitete Hypothesenschätzung also nur einen geringen Informationswert. Dem personalen System läßt sich schließlich noch die Variable beruflicher Bildungsabschluß zuordnen, bei der es sich um eine Repräsentation des psychischen Systems handelt. In mehreren Untersuchungen wurde festgestellt, daß eine bessere Bildung mit einer positiveren Einstellung zum Gesundheits-

Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

91

wesen und demzufolge einer höheren Inanspruchnahme einhergeht (vgl. Breyer 1984: 16; Grossman 1972: XV, XVI; Zollmannl Brennecke 1984; Zwerenz 1982: 25). c) Merkmale des Gesundheitssystems In diese Kategorie fallen Merkmale, die als Makroparameter implementiert worden sind und zur Überprüfung der Frage dienen, inwieweit die Struktur des Gesundheitssystems einen Einfluß auf die Inanspruchnahme hat. Dabei wird die Zahl der Krankenhausbetten je 10000 Einwohner als Abbildung der Patientenrollen aufgefaßt, die Zahl der Krankenhausärzte je 10000 Einwohner als Indikator der Arztrollen. Um einige Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen Innendifferenzierung der stationären Versorgung und Inanspruchnahmeprozeß zu erhalten, wurde den Personen ebenso die Zahl der Krankenhausfachärzte je 10000 Einwohner zugewiesen. Man könnte hierzu überprüfen, inwieweit eine höhere Zahl von Fachärzten, also eine größere Differenzierung, den Inanspruchnahmeprozeß aufgrund von Koordinations- und Integrationsproblemen verlängert. Mit der Zahl der niedergelassenen Ärzte je 10000 Einwohner sollen vor allem Substitutionseffekte untersucht werden. Ein höheres Ärzteangebot je 10000 Einwohner im ambulanten Bereich könnte die Einweisungswahrscheinlichkeit senken oder die Verweildauer verkürzen. Sinnvoll ist auch, die Relationen zwischen den Arztrollen im ambulanten und stationären Bereich (Krankenhausärzte je 100 niedergelassene Ärzte) sowie das Rollenverhältnis zwischen stationärem Bereich und Gesundheitssystem insgesamt (prozentualer Anteil der Krankenhausärzte an der Gesamtzahl der Ärzte im Gesundheitswesen) daraufhin zu untersuchen. Schließlich soll der Einfluß der medizinisch-technischen Entwicklung ansatzweise über das Verhältnis des medizinisch-technischen Personals zur Einwohnerzahl und zum gesamten Krankenhauspersonal erfaßt werden (vgl. Übersicht 1, S. 95). Sämtliche der hier aufgelisteten Maße können primär als Repräsentationen der Struktur des Gesundheitssystems (Therapiestruktur) begriffen werden, da sie sich auf die wesentlichen Rollen dieses Systems beziehen. Bei der Besetzung der Rollen, also z.B. auch bei der Frage, ob in einem Bundesland eine höhere oder geringere Dichte der Leistungsrollen zu finden ist, sind jedoch immer auch Wirkungen anderer Funktionssysteme von Bedeutung. So können sich Erkenntnisfortschritte der Medizin-Technik im Umfang des medizinischtechnischen Personals widerspiegeln. Die beschriebenen Makroparameter las-

92

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

sen sich also nicht nur als Wirkgrößen des Gesundheitssystems auffassen, sondern z.B. auch als solche des Wissenschafts- und Techniksystems. Im Hinblick auf das in Kap. V beschriebene Simulationsmodell sei noch ein eher methodischer Aspekt erwähnt. Die Makroparameter besitzen gegenüber den restlichen Variablen einen Ausnahmestatus. Sie werden nicht innerhalb des Simulationsmodells erklärt. Die Fortschreibung erfolgt also nicht endogen, sondern exogen. Damit soll die Möglichkeit der Simulation politisch bedingter Strukturänderungen des Gesundheitssystems offengehalten werden (etwa Bettenbedarfsplanung) . d) Merkmale des Familiensystems Oben wurde die Individuation als ein zentraler Prozeß des Familiensystems dargestellt (vgI. III.3.3.a). Um die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Inanspruchnahme zu untersuchen, wurden drei Variablen ausgewählt: Familienstand, Anzah1 der Kinder und Anzah1 der Personen im Haushalt (vgI. Übersicht 1, S. 95t). Allgemein kann man nach den obigen Überlegungen davon ausgehen, daß Personen aus kleineren Haushalten im Krankheitsfall eine höhere Tendenz zur Krankenhausinanspruchnahme aufweisen als Personen aus größeren Haushalten. Einen ähnlichen Zusammenhang könnte man bei verwitweten oder geschiedenen gegenüber verheirateten Personen vermuten. e) Merkmale des Wirtschaftssystems In der Bundesrepublik sind ökonomische Einflüsse, die über den Patienten auf die Krankenhausinanspruchnahme wirken können, durch eine umfassende Sozialversicherung prinzipiell abgeschwächt, anders als z.B. in den USA (vgI. Wolfe 1980: 1203) oder in Kanada (vgI. Roos/Shapiro 1981: 654). Es gibt allerdings einige Untersuchungen, die z.B. eine Relevanz des Einkommens hinsichtlich der Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen deutlich gemacht haben (vgI. Klaes 1985: 62 u. 80; Neubaus/Preiser 1986: 118 u. 120; Oppolzer 1986: 52 u. 59). Das Einkommen, hier als Haushaltsnettoeinkommen (vgI. Übersicht 1, S. 96), könnte als Abbild der allgemeinen ökonomischen Lebensbedingungen betrachtet werden. Solche Bedingungen haben einen Einfluß auf den Gesundheitszustand (vgI. Fuchs 1974: 32, 114 u. 144) und können z.B. bei ärmeren Bevölkerungsschichten einen höheren Grundbe-

Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

93

darf an Krankenhausleistungen bewirken, insbesondere auch an sekundären Leistungen wie Wohnen, Essen und Körperpflege. Dies mag für die Einweisung weniger von Bedeutung sein, kann aber bei der Verweildauer eine Rolle spielen. Umgekehrt kann ein hohes Haushaltsnettoeinkommen und eine starke Gewinnorientierung, etwa bei Selbständigen, wegen der mit einem Aufenthalt verbundenen möglichen finanziellen Verluste eine Reduzierung der Verweildauer bewirken. Weitere ökonomische Faktoren sind Versicherungsstatus und Kassenart (vgl. Übersicht 1, S. 96). Insbesondere bei der Kassenart kann man Unterschiede bezüglich der Inanspruchnahmewahrscheinlichkeit erwarten. Zwischen privater Krankenkasse und gesetzlichen Krankenkassen bestehen z.B. Unterschiede in den Versicherungs- und somit Inanspruchnahmemöglichkeiten und auch hinsichtlich der Mitgliederstruktur (größerer Anteil von Selbständigen und Höherverdienenden in der PKV). Die Teilnahme am Berufsleben kann einigen Autoren zufolge ebenso einen Einfluß auf die Krankenhausinanspruchnahme ausüben (vgl. III.3.3.b). Um dies zu untersuchen, soll die nach Branchen differenzierte Berufstätigkeit berücksichtigt werden. Man könnte überprüfen, inwieweit eine Tätigkeit in einer Branche mit hoher Arbeitslosigkeit (vgl. Krukemeyer 1988, Vorwort) oder mit einer größeren Häufigkeit von Berufsunfällen auf eine Krankenhausinanspruchnahme eher förderlich oder eher hemmend wirkt. t) Merkmale des politischen Systems

Dem politischen System wurden hier die Variablen Bundesland und Nationalität zugerechnet. Die Nationalität soll lediglich zur Gruppenbildung verwandt werden (vgl. IV.I). Der Auswahl des Bundeslandes liegt die Frage zugrunde, ob Unterschiede der in die Zuständigkeit der Länder fallenden Krankenhausbedarfsplanung (vgl. a. Regler 1988: 213) mit Unterschieden in der Inanspruchnahme zusammenhängen. Dabei können prinzipiell ähnliche Wirkungen vorliegen wie bei den oben beschriebenen Makroparametem.

5.3 Variablenübersicht Die folgende Übersicht enthält die für die Hypothesenschätzung verwandten Variablen und ihre systemtheoretische Klassifizierung. Die Auflistung gilt

94

Systcmbedingungcn der Krankenhausinanspruchnahme

nur für die im folgenden Kapitel (IV) identifizierten Hauptgruppen (Deutsche, Ausländer, Entbindungsfälle). Die konzeptuellen und statistischen Grundlagen der Sondergruppen sollen jeweils ad hoc bei der Hypothesenermittlung dargestellt werden. Wenn nichts anderes erwähnt ist, beziehen sich die Angaben auf das Jahr 1984 (vgl. dazu IV. 1). Die meisten Merkmale gehen explizit in die Hypothesenschätzung ein, lediglich die Variablen Entbindung und Nationalität werden implizit bei der Gruppenbildung verwandt.

Übersicht]

Ziebnerkmale und erklärende Merkmale der Krankenhausinanspruchnahme (Q: Sozio-ökonomisches Panel, WeHe 1 und 2) Zielmerkmale

Systemzugehörigkeit

empirische Ausprägungen

Krankenhauseinweisung Verweildauer

Gesundheitssystem Gesundheitssystem

1 = zutreffend 2 = nicht zutreffend 1 - 220 Tage

Erklärende Merkmale

Systemzugehörigkeit

empirische Ausprägungen

Geschlecht

personales System

Alter

personales System personales System

1 = männlich 2 = weiblich 16 - 92 Jahre 1 - 10 Kinder

vor 1984 geborene Kinder Entbindung 1984 Bildungsabschluß

personales System personales System

1 2 1 2 3

= zutreffend = nicht zutreffend = ohne Abschluß, Sonst. = Fachschule = Uni, Hochschule

Quantitative Analyse der Krankenhausinanspruchnahme

95

Fortsetzung Obersicht 1

Erklärende Merkmale

Systemzugehörigkeit

empirische Ausprägungen

Anzahl der Krankenhausaufenthalte 1983 Krankenhausverweildauer 1983 Anzahl der Arztkontakte Krankenhausbetten je 10000 Einwohnerl Krankenhausärzte je 10000 Einwohner Krankenhausfachärzte je 10000 Einwohner niedergelassene Ärzte je 10000 Einwohner Krankenhausärzteje 100 niedergel. Ärzte Anteil KR-Ärzte an Ärzten im Gesundheitswesen Med.-tech. Personal je 10000 Einwohner Anteil med.-tech. Personal an KR-Pers. insg.

Gesundheitssystem

o - 15 Aufenthalte

Gesundheitssystem

0- 180 Tage

Gesundheitssystem

0- 120 Kontakte

Gesundheitssystem

95,6 - 182,1 Betten2

Gesundheitssystem

11,26 - 25,17 Ärzte3

Gesundheitssystem

5,167 - 11,750 Ärzt&

Gesundheitssystem

9,952 - 17,339 Ärzte4

Gesundheitssystem

82,92 - 166,15 KH-Ärzte5

Gesundheitssystem

40,35 - 51,41 %5

Gesundheitssystem

4,974 - 12,647 Personen6

Gesundheitssystem

3,736 - 6,854%7

Familienstand

Familiensystem

Kinder im Haushalt

Familiensystem

1 = 2= 3= 4= 0-

ledig verheiratet geschieden verwitwet 7 Kinder

1 Die Angebotsparsmeter wurden im Panel aufgrund der Angaben zur Bundeslandzugehörigkeit implementiert. Ihre Ausprägungen variieren somit nach dem Bundesland. Zum Beispiel wurde den Befrsgten mit Wohnort Berlin eine Bettendichte von 182,1, mit Wohnort Bayern von 110,2 zugewiesen. 2 berechn. aus: StatB. 1986b, S. 6 u. StatB. 1986a, S. 62 3 berechn. aus: StatB. 1986b, S. 20 u. StatB. 1986a, S. 62 4 berechn. aus: StatB. 1986c, S. 5 u. StatB. 1986a, S. 62 5 bercchn. aus: StatB. 1986c, S. 5 6 wie 2, StatB. 1986b, S. 27 7 berechn. aus: StatB. 1986b, S. 27 u. S. 20-31

96

Systembedingungen der Krankenhausinanspruchnahme

Fortsetzung ObersichlI

Erklärende Merkmale

Systemzugehörigkeit

empirische Ausprägungen

Personen im Haushalt

Familiensystem

1-

11 Personen

monatliches Haushaltsnettoeinkommen Versicherungsstatus

Wtrtschaftssystem

0-

60220 DM

Wtrtschaftssystem

Kassenart

Wtrtschaftssystem

Branche der Berufstätigkeit

Wtrtschaftssystem

1= 2= 3= 4= 1= 2= 1= 2=

Mitglied Familienangehöriger Rentner oh. Status GKV PKV sonst. Branche Energiewirtschaft, Bergbau Chemie>-, Kunststoffindustrie Eisen, NE-Metallene Stahl-, Maschinen-, Fahneugbau Baugewerbe Bundesbahn, Post, Verkehr, Nachrichten Dienstleistungsgewerbe Gebietskörperschaften

3= 4= 5= 6= 7= 8=

Bundesland

politisches System

Nationalität

politisches System

1= 2= 3= 4= 5= 6= 7= 8= 9= 10 = 1= 2=

Berlin Schleswig-Holstein Hamburg Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinl.Pfalz, Saarl. Baden-Württemberg Bayern deutsch ausländisch

Fazit

97

6. Fazit Die Ausführungen in diesem Kapitel sollten deutlich machen, in. welchem Systemkontext die Inanspruchnahme von Krankenhäusern abläuft. Dies schließt nicht nur den sozialen, sondern auch den psychischen und biologischen Bereich ein. Abschließend seien zwei Aspekte noch einmal hervorgehoben. (1) Der Inanspruchnahmebegriff wurde oben zur generellen Charakterisierung bestimmter Austauschprozesse von Funktionssystemen verwandt. Konstitutives Moment dieser Prozesse sind basale Rollenpaare, im Falle der Krankenhausinanspruchnahme z.B. die Arzt- und Patientenrolle (vgl. Tabelle 1, S. 48). Da der Austauschprozeß bei der Krankenhausinanspruchnahme mit Hilfe der Rolle des Patienten stattfindet, wurden die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Merkmale weitgehend aus der Perspektive des Patienten spezifiziert (abgesehen von den Makrovariablen). (2) Variablen, wie Krankenhausaufenthalt, Zahl der Arztkontakte, Familienstand etc. wurden nicht nur als individuelle Merkmale betrachtet, sondern auch als Kennzeichen sozialer Prozesse und sozialer Strukturen. Individuell bedeutet, daß es sich zwar um auf Individuen zugerechnete Beschreibungen handelt, daß diese Beschreibungen aber soziale Vorgänge oder Zustände repräsentieren. Das Merkmal "Dauer eines Krankenhausaufenthalts" z.B. gibt an, wie lange jemand in der Rolle des Patienten am System der stationären Krankenversorgung teilgenommen hat, und das heißt auch, wie lange von einem "Strukturelement" (Rolle) innerhalb des Krankenhauses spezifische Kommunikationen zur Konstitution des Krankenhauses als Sozialsystem ausgegangen sind. Betrachtet man eine Vielzahl solcher ·Strukturelemente", so gewinnt man eine generelle Charakterisierung des Inanspruchnahmeprozesses als Vorgang des sozialen Systems.

7 DiilliDgs

IV. Quantitative Relationen der Krankenhaus-

bmanspruchnabrnne

Die im vorliegenden Kapitel beschriebene quantitative Relationierung der Krankenhausinanspruchnahme dient zwei Zielen. Zum einen soll deutlich werden, entsprechend unseren obigen Überlegungen (vgl. III.3), welche Intersystembeziehungen für den Inanspruchnahmeprozeß innerhalb der stationären Versorgung auf einer quantitativ~mpirischen Grundlage relevant sind und mit welcher Intensität sich solche Beziehungen bemerkbar machen. Zum anderen sollen Hypothesen zur Konstruktion eines Simulationsmodells ermittelt werden. Der theoretische Ansatz geht auch hier von der Differenz zwischen personalem und sozialem System aus (vgl. a. V.2), bei dem die Hypothesenstruktur den Eintritt von Personen in ein System (Input), das Verhalten dieser Personen innerhalb des Systems (Throughput) und den Austritt aus dem System (Output) simuliert und dadurch das Systemverhalten nachzubilden versucht. Um derartige Vorgänge hinreichend genau erfassen zu können, muß zunächst klar sein, was die für die Hypothesenschätzung verwendeten Daten repräsentieren und wodurch Unterschiede in den Merkmalsverteilungen, etwa bei Vergleichen mit der Statistik, zustandekommen. Ist dies nicht deutlich, dann stehen die Hypothesen, insbesondere wenn eine Simulation in eine weitere Zukunft reichen soll, auf einer schwachen Grundlage. Im folgenden Abschnitt 1 soll hauptsächlich auf dieses Problem eingegangen werden. Eine andere Frage bezieht sich auf die Entwicklung von Hypothesen für Sondergruppen. Dazu zählen insbesondere die bereits im Bevölkerungsmodul simulierten Sterbefälle und Entbindungen (vgl. V. 3 .1.a). Für diese Gruppen ließen sich leichter als erwartet (vgl. Brennecke 1984: 29) - wenn auch nicht in der Differenziertheit wie bei den übrigen größeren Personengruppen - Hypothesen ermitteln (vgl. IV.3.1.c u. 3.1.d).

Daten

99

1. Daten Zur Schätzung der Hypothesen standen unterschiedliche Datenquellen zur Verfügung. Die wichtigste war das Sozio-ökonomische Panel, das durch den Sonderforschungsbereich 3, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn, initiiert wurde und in dem von Infratest Sozialforschung, München, ab 1984 jährlich mehr als 10000 Personen im Alter von über 15 Jahren in rund 6000 Haushalten befragt werden (vgl. Hanefeld 1984; 1987). Vor der Auswertung der Daten waren einige Auswahl- und Bereinigungsarbeiten notwendig. So wurde mit Hilfe des Datenbanksystems SIR aus Welle 1 (1984) und 2 (1985) ein Längsschnittfile erstellt. Mit 10562 Personen-Datensätzen enthielt es 85,9% der in Welle 1 zur Verfügung stehenden 12295 Stammpersonen-Datensätze (vgl. Infratest Sozialforschung 1986: 5). Anschließend wurden die Angaben auf fehlende Werte und Konsistenz geprüft. Wo aus zusätzlichen Angaben Fehler oder Inkonsistenzen erschlossen werden konnten, wurden - allerdings in weniger als 1 % der Fälle - Korrekturen vorgenommen. Fälle, bei denen keine eindeutigen Korrekturen der wesentlichen Variablen (Versicherungsstatus, Kassenart, Alter, Geschlecht, Krankenhausaufenthalt, Verweildauer) möglich waren, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Schließlich standen 10076 Fälle zur Verfügung, die in den Hauptvariablen konsistente Angaben aufwiesen. Ein Vergleich der beiden Files zeigte bei den Merkmalsverteilungen nur geringfügige Unterschiede. So lag z.B. die Zahl der Krankenhausfälle je 100 Personen in dem Rohfile (N = 10562) bei 16,2 in dem bereinigten File (N = 10076) bei 16,6, die Zahl der Krankehaustageje 100 Personen bei 229,2 bzw. 230,7 und die durchschnittliche Verweildauer bei 14,2 bzw. 13,9. Ein weiterer Punkt der Datenprüfung bestand in der Abschätzung des Repräsentativitätsgrades der Stichprobe. Hier müssen aufgrund nicht vermeidbarer Erhebungsfehler und auch vom Erhebungsdesign her einige Einschränkungen gemacht werden. Eine ergibt sich aus der beabsichtigten Überrepräsentanz von Ausländern (vgl. Hanefeld 1984: 396). So zeigt Tabelle 1, daß der Ausländeranteil in der Bundesrepublik 1984 bei 7,1% lag, während er im Panel für den gleichen Zeitraum einen Wert von 25,2 % erreichte. Dies stellt keinen Erhebungsfehler dar, sondern liegt in der Absicht begründet, in einer etwas größeren Teilstichprobe auch das Verhalten der ausländischen Bevölkerung genauer untersuchen zu können. Sollen aus

100

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

dem gesamten Datensatz jedoch Hypothesen ermittelt werden, die repräsentativ sind für das Verhalten der Bevölkerung in der gesamten Bundesrepublik einschließlich West-Berlins, dann muß eine für Deutsche und Ausländer getrennte Schätzung vorgenommen werden. Denn es ist anzunehmen und stellte sich bei den nachfolgenden Analysen auch heraus, daß das Inanspruchnabmeverhalten bei Deutschen und Ausländern differiert.

Tabelle 1

Anteile und Absolutwerte von Deutschen und Ausländern im SozKHikonomischen Panel (Welle 1 und 2) im Vergleich zur offIZiellen Statistik 1984 Gruppen

Deutsche Ausländer Insgesamt

Statistikl absolut in in Mio % 56,6412 4,3636 61,0048

92,8 7,1 100,0

Panel absolut in

%

7535 2541 10076

74,8 25,2 100,0

1 berechnet aus: StatB. 1985a, S. 60, Tab. 3.7 u. S. 69, Tab. 3.2

Vergleicht man die Merkmalsverteilungen des Panels mit denen anderer Statistiken, wobei zu berücksichtigen ist, daß die dortigen Angaben häufig auch nicht auf Vollerhebungen basieren, dann zeigen sich in den hier zu erklärenden Zielvariablen ebenfalls Unterschiede. In Tabelle 2 sind die wichtigsten Größen aufgeführt. Bei einem pauschalen Vergleich zwischen Panel und Bundesrepublik wird zunächst eine Unterschätzung sämtlicher Verhältniszahlen deutlich. Bei den Fällenje 100 Personen der Gesamtpopulation beträgt diese Unterschätzung z. B. -2,14 Prozentpunkte. Stellt man die Zahlen für 1983 gegenüber (vgl. Tabelle 3), so zeigt sich ein ähnliches Bild, wobei jedoch die Zahl der Krankenhausfälle je 100 Personen noch stärker unterschätzt wird als 1984 (-3,68 Prozentpunkte). Zu annähernd gleichen Ergebnissen kommt man auch, wenn man zwei getrennte Querschnittsdatensätze des Panels, die jeweils die Angaben für 1983 und 1984 ent-

101

Daten

halten und die zudem nach einem anderen Verfahren bereinigt wurden, mit den Statistiken vergleicht1•

Tabelle 2

KH-FäHe, KH-Tageje 100 Personen der Gesamtpopulation und durchschnittliche Verweildauer 1984 nach Gruppen Popula- Gruppen tion

Fälle! 100

Tage! 100

BRD

Sterbefälle Akut-KR Sterbefälle Sonder-KR Patienten in Akut-KR Patienten in Sonder-KR Summe 19841

00.59 00.02 15.962 02.142 18.71

234.053 14.12 110.433 51.22 344.48 18.4

Summe 1984

16.57

230.70

Panel

VelWeildauer

13.9

1 berechnetaus: StatB. 19868, S. 61, Tab. 3.9, Einw. BRD: 61,1751 Mio; StatB. 1986b, S. 34 2 ohne Steroefille 3 einsehl. Steroefille

Wenn man davon ausgeht, daß Doppelzählungen bei Fällen und Pflegetagen (vgl. StatB. 1986b: 5) in der Krankenhausstatistik eine geringe Rolle spielen, grobe Bereinigungsfehler bei den Panel-Datensätzen im allgemeinen ausgeschlossen sind, dann liegt eine Ursache der Unterschätzung in der Datenerhebung. Es ist zumindest bekannt, daß bestimmte Personengruppen nur schwierig erreichbar sind. Dazu zählen vor allem Personen in sogenannten isolierten Anstalten, "z.B. Kasernen, Sanatorien, Krankenhäusern oder Altenpflegeheimen" (Hanefeld 1984: 397). Bei den Variablen zur Krankenhausinanspruchnabme erfolgt die Befragung zwar retrospektiv, 1984 z.B. für 1983, aber insbesondere Langzeitkranke haben dadurch, daß sie häufig auch im Folgejabr stationäre Behandlung in Anspruch nehmen, generell eine geringere Chance, zum Befragungszeitpunkt im Haushalt angetroffen zu werden als andere Personen. Insofern ist die Unterschätzung von Krankenhausfällen und Pflegetagen im Panel plausibel. Für die Hypothesenscbätzung ist dies ein ganz Die entsprechenden Größen lassen sich aus der Tab. C-4.2 in: Sib3 (1987a: 474) berechnen.

102

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

entscheidender Punkt. Man muß sich fragen, welche Gruppen von Krankenhauspatienten bei der Erhebung des Sozio-ökonomischen Panels eingeschlossen wurden, für welche Gruppen die Krankenhauspatienten des Panels also repräsentativ sind.

TabeUe 3

KH-FäUe, KH-Tage je 100 Personen der Gesamtpopulation und durchschnittliche Verweildauer 1983 nach Gruppen Popula- Gruppen tion

Fälle! 100

Tage! 100

BRD

Sterbefälle Akut-KH Sterbefälle Sonder-KH Patienten in Akut-KH Patienten in Sonder-KH Summe 1983 1

00.60 00.03 15.582 01.972 18.17

229.993 14.22 107.063 53.72 337.05 18.6

Summe 1983

14.49

229.29

Panel

VelWeildauer

15.8

1 berechnet aus: StatB. 1985a, S. 61, Tab. 3.9, Einw. BRD: 61,4231 Mio; StatB. 1985b, S. 34 2 ohne Sterbefille 3 einseht. Sterbefille

Prinzipiell ausgeschlossen sind zunächst solche Patienten, die in einem Krankenhaus gestorben sind. Denn diese werden vom Erhebungsdesign her nicht erfaßt. Betrachtet man sämtliche Verhältniszahlen, z.B. in Tabelle 2, dann zeigt sich eine annähernde Übereinstimmung des Panels mit der Statistik nur bei den Angaben zu den Patienten in Akutkrankenhäusern. In Verbindung mit der vorherigen Überlegung läßt dies vermuten, daß im Panel vornehmlich Patienten aus Akutkrankenhäusern und nur in sehr geringem Umfang Patienten aus Sonderkrankenhäusern erfaßt wurden. Dies zeigt sich auch, wenn man die durchschnittlichen Verweildauern miteinander vergleicht. Um zu gewährleisten, daß die Hypothesenstruktur eine möglichst repräsentative Abbildung des Verhaltens der Grundgesamtheit darstellt, sollen die Panelvariablen zur Krankenhausinanspruchnahme im folgenden auf das Verhalten der Patienten in Akutkrankenhäusern bezogen werden, wobei Entbindungsfälle eingeschlossen, Sterbefälle ausgeschlossen werden. Damit ergeben sich für die Schätzung der Hypothesen drei Gruppen, die in getrennten Datensätzen repräsentiert

Methode

103

sind: (1) Deutsche ohne Entbindungsf'alle, Sterbefälle und Patienten in Sonderkrankenhäusern (N = 7430), (2) Ausländer ohne die unter 1 aufgeführten Gruppen (N = 2488) und (3) Entbindungsfälle (N = 158). Für Sterbetälle und Patienten in Sonderkrankenhäusern werden die entsprechenden Parameter aus den Angaben der Krankenhausstatistik berechnet (vgl. StatB. 1986b; vgl. a.IV.3.1.d).

2. Methode Zur Relationierung der Krankenhausinanspruchnahme sollen je nach Art ihrer Quantifizierung unterschiedliche Schätzverfahren angewandt werden2 • Die Initiierung soll mit Hilfe der Logit-Analyse untersUcht werden (vgl. hierzu Aitkin et a1. 1989; Andreß 1986; Arminger 1983; Arminger/Küsters 1987; Haberman 1978; McCullagh/Nelder 1983). Ziel der Logit-Analyse ist gewöhnlich, die Stärke des Einflusses bestimmter erklärender Merkmale auf die Wahrscheinlichkeit des einen oder anderen Zustandes eines z.B. dichotom codierten Zielmerkmals (Krankenhauseinweisung: ja/nein) zu ermitteln. Die Parameter, die darüber informieren, werden als Abweichung von den Werten einer nach bestimmten Merkmalen definierten Referenzgruppe geschätzt. Je höher die Werte der Parameter sind, desto stärker weicht die Wahrscheinlichkeit, die man aufgrund der Parameterwerte und anhand einer Logit-Formel berechnen kann, von der Einweisungswahrscheinlichkeit der Referenzgruppe ab (vg1. a. Andreß 1986: 30 u. 160). Die Ergebnisse in Tabelle 5 (S. 108) zeigen z.B., daß vor allem Personen mit 29 und mehr Krankenhaustagen im Vorjahr sowie 9 und mehr Arztkontakten in der aktuellen Berichtsperiode eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zu einem Krankenhausaufenthalt besitzen. Die Betrachtung der Parameter als Abweichung von einer Referenzgruppe gilt vor allem für nominale Variablen wie Geschlecht oder Altersgruppen. Bei kontinuierlichen oder metrischen Variablen ist der Parameter wie in der gewöhnlichen linearen Regressionsanalyse als kontrollierte bivariate Beziehung zwischen Zielmerkmal und erklärendem Merkmal zu sehen (vg1. Tabelle 6, S. 112).

2

Zu einer detaillierteren methodischen Diskussion hinsichtlich der hier zu berücksichtigenden Schätzprobleme vgl. Düllings (1989a: 14ft).

104

Quantitative Relationen der Krankenhausinansprucbnahme

Die Zuweisungsquoten zur Bestimmung der Fachabteilung (Differenzierung des Inanspruchnahmeprozesses) sollen mit Hilfe eines iterativen Näherungsverfahrens ermittelt werden, das in Abschnitt 3.2 (S. 118ft) beschrieben wird. Zur Bestimmung wesentlicher Einflüsse auf die Dauer des Inanspruchnahmeprozesses sollen OLS-Regressionen berechnet werden (vg1. hierzu Backhaus et a1. 1987; Kennedy 1985: 59ff; Urban 1982). Bei der Ordinary-LeastSquares- oder Kleinst-Quadrate-Regression handelt es sich um ein Verfahren, das das quantitative Ausmaß eines Ereignisses in Abhängigkeit von anderen Ereignissen, Zuständen oder deren Ausmaße beschreibt. Man kann die Krankenhausverweildauer z.B. auf Alter und Geschlecht zurückführen und sehen, ob es eine gemeinsame Variation zwischen Zielmerkmal und einzelnen Regressoren unter vorläufiger Konstanthaltung aller übrigen Regressoren gibt und wie stark diese Korrelation ist. In Tabelle 16 (S. 127) und 17 (S. 129) zum Beispiel geben die standardisierten BETA-Koeffizienten die Einflußstärken an, während die unstandardisierten B-Koeffizienten zur Berechnung konkreter empirischer Verweildauerwerte dienen. Größen zur Schätzung des Ressourcenverbrauchs, der monetär quantifizierten Inanspruchnahme also, sollen anband einfacher Berechnungen aus den entsprechenden Statistiken ermittelt werden. Abschließend sei noch erwähnt, daß die quantitative Relationierung der Krankenhausinanspruchnahme auch mit anderen, im allgemeinen jedoch komplizierteren statistischen Verfahren erfolgen kann. Anstelle eines Logit-Modells könnte zur Schätzung der Initiierung auch ein Probitmodell verwandt werden. Dieses unterscheidet sich gegenüber dem ersten insbesondere hinsichtlich bestimmter Verteilungsannahmen, wobei die Interpretation der Koeffizienten nahezu identisch ist (vg1. ArmingerlKüsters 1987: 24). Weiterhin könnte die Schätzung der Krankenhausaufenthalte über kombinierte LogitFunktionen durch ein multinomiales Logit-Modell ersetzt werden. Ein bisher nur gelegentlich angewandtes Verfahren bietet auch die Möglichkeit, Initiierung und Dauer des Inanspruchnahmeprozesses oder allgemeiner Zustand und Ausmaß eines bestimmten sozialen Phänomens innerhalb eines Gesamtmodells zu schätzen. Grundlage dieses Verfahrens ist ein Tobit-Ansatz, der vor allem von Tobin (1958) und Amemiya (1973) entwickelt wurde (vg1. a. Merz 1983a; 1986).

Dic Rclatiooicruog dcs InanspruChnahmcprozcS8CS

105

3. Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozesses In diesem Abschnitt geht es um die Quantifizierung der eben eJWähnten unterschiedlichen Phasen des InanspJUchnahmeprozesses. Die Schätzwerte sind, obwohl sie interaktiv angepaßt wurden, nicht als Ergebnis eines strikten Hypothesentestens gedacht. Auch wurde nicht immer die ursprüngliche Kodierung der in Übersicht 1 (vgl. S. 94ft) angeführten Variablen benutzt, sondern je nach Erfordernis eine Rekodierung vorgenommen. Für die Schätzung von Krankeohauseinweisungen und Wiedereinweisungen ist dabei zunächst zu klären, welche Ausprägungen des Zielmerkmals unter Berücksichtigung der OJUppenbesetzungen mit Logit-Modellen erfaßt werden können. Denn bei dem Austesten unterschiedlicher Merkmalskombinationen mit relativ niedrigen Besetzungszahlen zeigten sich z. T. große Schwankungen der Standardfehler , die eine sinnvolle Interpretation der Koeffizienten verhindern oder doch erschweren.

3.1 Initiierung In Tabelle 4 sind die Zahl der Personen (P) und die Zahl der durch diese Personen veJUrsachten Krankeohausfälle (F) nach Nationalität und, davon getrennt, nach dem Merkmal Entbindung 1984 sowie nach der Anzahl der Krankeohausaufenthalte angeführt. Bei den Berechnungen zeigte sich, daß Schätzprobleme schon ab einer Besetzungszahl von P < 100 auftraten. Wenn mehrere Variablen mit mehreren Merkmalsausprägungen einbezogen wurden (z.B. Branche, Bundesland), waren einige Zellen häufig unbesetzt. Dadurch konnten die entsprechenden Parameter von OLIM nicht geschätzt werden (ALIASED). Besonders deutlich wurde dieses Problem auch bei der Berücksichtigung von Interaktionstermen. Hier traten schon bei höheren Fallzahlen nicht schätzbare, d.h. auf Null gesetzte Koeffizienten, und, bei unterschiedlichen Merkmalskombinationen aufgJUnd von Multikollinearitätseffekten, größere Schwankungen der Standardfehler und Koeffizienten auf. Fraglich ist damit, ob Modelle, die nicht geschätzte (vgl. Arminger 1983: 62f) oder instabile Koeffizienten enthalten, sich sinnvoll interpretieren lassen. Bei instabilen Koeffizienten wurden hier getrennte Modelle der miteinander korrelierenden Alternativmerkmale berechnet. Bei unbesetzten Zellen wurden die jeweiligen Merkmale rekodiert (Zusammenfassung der Ausprägungen) oder ausgeschlossen. Auf eine Abbildung von Interaktionseffekten wurde ganz verzichtet. Zum

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

106

einen, weil sie gegenüber den Haupteffekten in der Regel nur eine geringe zusätzliche Erklärungsleistung erbrachten. Zum anderen, weil die Übersichtlichkeit des Modells verloren ging. So ergibt sich z.B. aus Alter mit 5 und Arztkontakte mit 7 Klassen ein Interaktionsterm, der 35 zusätzliche Koeffizienten enthält. Aufgrund der hohen Differenziertheit kann man zudem damit rechnen, daß die einzelnen Koeffizienten hochgradig zufallsabhängig sind.

Tabelle 4

Krankenhauseinweisungen und Wiedereinweisungen 1984 für Deutsche, Ausländer und Frauen mit Entbindung (Q: SozKHikonomisches Panel, WeHe 1 und 2) 2u.m. 3u.m. 4u.m. Aufent. Aufent. Aufent.

Fallzahl je Person

Gruppen

Insg.

1 u.m.

Deutsche

7430

743 P 1110F

171 P 538 F

49 P 294F

29 P 234F

bei 3 u.m. A.: 6.00

Ausländer

2488

255 P 355 F

48 P 148 F

12 P 76F

3P 49 F

bei 2 u.m. A.: 3.08

158

139 P 205 F

24P 90F

8P 58 F

5P 49 F

10076

1137 P 1670F

243 P 776F

69 P 428 F

37 P 332F

(P) Aufent.

Frauen mit Entbindung

Insgesamt

P = Personen F = Fälle A = Aufenthalte

Nimmt man eine Besetzungszahl von 100 Personen als untere Grenze an, dann lassen sich für folgende Gruppen folgende Logit-Modelle schätzen: (1) Deutsche (ohne Entbindungställe): Die Wahrscheinlichkeit einer Ersteinweisung (N = 7430), einer Zweiteinweisung (N = 743) und einer Dritteinweisung (N = 171), und (2) Ausländer (ohne Entbindungställe): Die Wahrscheinlichkeit einer Ersteinweisung (N = 2488) und einer Zweiteinweisung (N = 255).

Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozesses

107

Bei den Frauen mit Entbindung muß aufgrund der fehlenden Repräsentativität des Panels auf allgemeiner Ebene (vgI. Tabelle 1) ebenso nach Nationalität unterschieden werden. Von den 158 Frauen waren 105 deutscher, 53 ausländischer Nationalität. Logit-Modelle, die versuchsweise für die deutschen Frauen geschätzt wurden, ergaben bei keinem der herangezogenen Merkmale (vgl. Übersicht 1) signifikante Zusammenhänge. Offensichtlich gibt es, wenn über 90 % der Entbindungen stationär vorgenommen werden, über das Merkmal Entbindung hinaus keine diskriminierenden Variablen. Aufgrund dieser Erfahrung wurden die Einweisungswahrscheinlichkeiten für Frauen mit Entbindung über Quoten dargestellt (vgl. IV.3.1.c). Für die Zuweisung der Krankenhausaufenthalte im Mikrosimulator bei Deutschen und Ausländern ist zu beachten, daß für die Gruppen mit den jeweils meisten Aufenthalten (Deutsche: 3 und mehr, Ausländer: 2 und mehr) die durchschnittliche Fallzahl je Person der entsprechenden Gruppe (vgl. Tabelle 4) verwendet werden muß. Andernfalls käme es zu einer Unterschätzung der Krankenhausfälle. Im folgenden sind aus PlatzgrüDden lediglich die Funktionen angeführt, die hauptsächlich für die Simulation verwendet werden sollen. Auf die übrigen Funktionen, die zur Erstellung des Startfiles 1983 dienen, soll nicht Bezug genommen werden, da sie abgesehen von der nichtenthaltenen Vorjahrsinanspruchnahme in der Regel die gleichen Merkmale verwenden wie die angeführten Funktionen, die für die Jahre 1984 und folgende gelten. a) Deutsche In den folgenden Tabellen 5 bis 7 sind die quantitativen Relationen der Krankenhausinanspruchnahme für Personen mit deutscher Nationalität dargestellt. Die Inanspruchnahme wird dabei temporalisiert als mehrstufiger Prozeß betrachtet (Erst-, Zweit- und Dritteinweisung). Die Ergebnisse machen unterschiedliche Zusammenhänge deutlich. Zunächst zeigt sich, daß insbesondere die Vorjahresverweildauer und die Zahl der Arztkontakte, also Merkmale der Patientenkarriere, einen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung ausüben (vgl. Tabelle 5). An der Erhöhung der Parameter und somit der Einweisungswahrscheinlichkeit bei bestimmten Merkmalsausprägungen kann man unterschiedliche Grade der Inanspruchnahmedisposition ablesen. So tritt ab einer Vorjahresverweildauer von bis zu 7 Tagen

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

108

und noch einmal von 8 bis 15 Tagen eine deutliche Erhöhung dieser Disposition ein. Bis zu einer Verweildauer von 28 Tagen bleibt das Niveau ungefähr konstant (bis ß = 1.58). Eine erneute Erhöhung zeigt sich erst wieder bei Patienten, die im VOljahr über vier Wochen stationär behandelt wurden.

Tabelle 5

Ergebnisse der Logit-Schitzung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit eines ersten Krankenhausaufenthalts bei deutschen Personen Merkmale

Ausprägungen

Parameter

Konstante

-3.2560**

o Tage

R

o Kontakte

R

VeIWeildauer im Vorjahr (1983)

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

Arztkontakte

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

1 Kontakte 2 Kontakte 3 Kontakte 4 Kontakte 5-8 Kontakte 9 u.m. Kontakte

Alter

(1) (2) (3) (4) (5)

16-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre 60-69 Jahre 70 u.m. Jahre

Branched. Berufstätigkeit

(1) (2)

Sonstige R Stahl-/MaschinenFahrzeugbau -0.4656

Bildungsabschluß

(1) (2)

Sonstiger Fachschule

Fälle: *: **:

N

p

p

= 7403

< 0.05 < 0.01

1- 7Tage 8 - 15 Tage 16 - 21 Tage 22 - 28 Tage 29 - 35 Tage 36 u.m. Tage

R: Varianzaufklärung:

0.8977** 1.5470** 1.5390** 1.5800** 1.8380** 1.6960** 0.4650** 0.9382** 0.9811** 1.1370** 1.2880** 1.6970**

R

-0.1660 0.1448 0.0024 0.2824*

R

-0.3385

Merkmal der Referenzgruppe B = 0.123

Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozesses

109

Bei den Arztkontakten werden ebenfalls Unterschiede in der Inanspruchnahmewahrscheinlichkeit deutlich. Während Personen mit einem Arztkontakt schon ein geringfügig höheres Einweisungsrisiko besitzen als solche ohne Arztkontakt (Referenzgruppe), erhöht sich dieses Risiko deutlich ab dem zweiten und dem neunten Kontakt. Hier dürften neben dem Regenerationsvermögen von Patienten auch gesundheitssystemische Beziehungen eine Rolle spielen. So könnte der niedergelassene Arzt rum einen erst nach dem ersten, d.h. mit dem zweiten Besuch erkennen, daß es sich um eine stationär ru behandelnde Krankheit handelt. Plausibel ist dies, wenn Ergebnisse von Laboruntersuchungen abgewartet werden müssen. Im zweiten Fall, bei 9 und mehr Arztkontakten, liegt die Vermutung nahe, daß der Arzt runächst selbst - ggf. unter Hinmziehung von Fachärzten - eine Behandlung des Patienten versucht hat, ehe er sich rur Überweisung entschloß. Der hier gefundene Zusammenhang zwischen Alter und Einweisungswahrscheinlichkeit bestätigt im allgemeinen die These, daß ältere Personen krankheitsanfälliger sind und Gesundheitsleistungen eher in Anspruch nehmen als jüngere. Signifikant ist jedoch nur der Koeffizient für die Gruppe der 70 Jahre und älteren Personen. Die Merkmale Branche der Berufstätigkeit und Bildungsabschluß weisen im vorliegenden Logit-Modell zwar keine streng signifikante Beziehung rur Zielvariablen auf. Sie sind jedoch, da sie nur knapp unter dem S%-Niveau liegen (Berufstätigkeit: s.e. 3 = 0.2361; Bildungsabschluß: s.e. = 0.1781), rumindest tendenziell von Bedeutung. So weisen Personen mit einem Fachschulabschluß (incl. einem Abschluß an einer Schule des Gesundheitswesens) eine geringere Einweisungswahrscheinlichkeit auf als Personen mit anderen Berufsabschlüssen. Auch eine Tätigkeit im Stahl-, Maschinen- oder Fahrzeugbau verringert, gegenüber Tätigkeiten in anderen Wirtschaftsbereichen, die Wahrscheinlichkeit eines Aufenthalts. Allerdings erscheint dieser zweite Zusammenhang auf dem ersten Blick nur schwierig erklärbar. Denn man könnte im Gegenteil einen positiven Zusammenhang erwarten, wenn man unterstellt, daß es in der Branche häufiger ru Berufsunfällen kommt, etwa gegenüber dem Dienstleistungsgewerbe oder Tätigkeiten bei Gebietskörperschaften. Dies wird hier aber nicht bestätigt. Schlüssig erscheint eher ein indirekter Berug rur Inanspruchnahme, der über die Art der sozialen Beziehungen geregelt wird, die im Beschäftigungs- oder Wirtschaftssystem herrschen. So 3

s.e.

= Standardfehler (standard error).

110

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

vertritt Krukemeyer z.B. die These, daß in Phasen wirtschaftlicher Flaute, die u.a. gekennzeichnet seien durch hohe Arbeitslosenquoten, die Krankenhaushäufigkeit abnehme. Die Sorge um den Arbeitsplatz veranlasse den Patienten, "die stationäre Behandlung aufzuschieben oder gänzlich auf sie zu verzichten" (Krukemeyer 1988: Vorwort; vgl. a. Dennerlein 1986: 112). Ins Gewicht fallen dürfte hierbei jedoch weniger die Arbeitslosigkeit, da die Beschäftigten selbst nicht davon betroffen sind, sondern vielmehr die Drohung von Kurzarbeit. Der Anteil der Kurzarbeiter an den Beschäftigten im Stahl-, Maschinenund Fahrzeugbau lag 1984 bei 3,49 % und somit rund 83 % über dem Durchschnittsanteil (1,91 %)4. Dies zeigt, daß indirekte Einflüsse, z.B. aus dem Wirtschaftssystem, bei der Inanspruchnahme von Krankenhäusern durchaus eine wichtige Rolle spielen. Insgesamt zeigt das vorliegende Modell, daß für die Initiierung des Inanspruchnahmeprozesses in der stationären Versorgung vor allem Merkmale der Patientenkarriere und begrenzt Merkmale des personalen Systems bestimmend sind. Familiäre und ökonomische Beziehungen oder Angebotsparameter wie Bettendichte, Krankenhausärztedichte etc. haben, zumindest für einen ersten Krankenhausaufenthalt, keine Bedeutung. Beachtenswert ist, daß die Krankeninanspruchnahme hauptsächlich durch frühere Inanspruchnahmeprozesse (Krankenhaus- und Arztinanspruchnahme) und das heißt: größtenteils systemintern bestimmt wird. Man könnte hier im Sinne LlIbmanns (1984: 610ft) von einer "prozessualen Selbstreferenz" sprechen, bei der ein sozialer Prozeß auf sich selbst velWeist und, zumindest nach diesen Ergebnissen, auch sich selbst bestimmt. Für eine mögliche Prozeßsteuerung des Gesundheitssystems bedeutet dies eine Einschränkung der Interventionsmöglichkeiten und eine Steigerung der Autonomie des Gesundheitssystems gegenüber der Politik. Bei der Betrachtung von Zweiteinweisungen zeigt sich eine, allerdings nur geringfügige Verschiebung dieser Konstellation. Hier spielen auch solche Merkmale eine Rolle, die systemexterne Phänomene kennzeichnen. Wie die Höhe der Parameter und ihre Signifikanzen in Tabelle 6 zeigen, wird die Wahrscheinlichkeit einer Zweiteinweisung jedoch primär wieder durch Merkmale der Patientenkarriere, d.h. durch die Intensität einer früheren Behandlungsepisode, bestimmt. Auch hier gibt es unterschiedliche Inanspruchnahmetendenzen. So besitzen Personen, die im Votjahr ein- oder zweimalig in stationärer Behandlung waren, ein geringfügig erhöhtes Einweisungsrisiko, 4

berechnet aus: StatB. (1985a: 108 u. 113).

Dic Rclationicrung dcs InanspruchnahmCProZCS8CS

111

während dieses Risiko deutlich ansteigt, wenn Personen im Vorjahr drei- und mehrmalig Krankenhausleistungen in Anspruch genommen haben (ß = 2.2350). Die Koeffizienten zeigen, daß sich der Beitrag der Vorjahresinanspruchnahme zum aktuellen Einweisungsrisiko von einer zur anderen Kategorie jeweils mehr als verdoppelt. Neben diesen Prozeßvariablen sind z.T. auch die Koeffizienten des Merkmals Alter signifikant. Interessant ist der Zusammenhang zwischen Bildungsabschluß und Einweisungswahrscheinlichkeit. Der Schätzwert, der auf dem 1 %-Niveau signifikant ist, unterstützt Ergebnisse anderer Untersuchungen. Grossman (1972: XVI) hat z.B. festgestellt, daß Personen mit einer besseren Bildung eine positivere Einstellung zum Gesundheitswesen haben und demzufolge eine höhere Inanspruchnahme aufweisen. Eine höhere Bildung ermöglicht nach Grossman die "effizientere Produktion" eines guten Gesundheitszustandes (vgl. a. Zwerenz 1982: 25; Breyer 1984: 16). Nach den in Tabelle 6 dargestellten Ergebnissen gehen außer von den Personenvariablen auch von sozialen Merkmalen Wirkungen auf den aktuellen Inanspruchnahmeprozeß aus. Zum Beispiel besitzen alleinstehende Patienten gegenüber Patienten, die aus Mehr-Personen-Haushalten kommen, ein erhöhtes Einweisungsrisiko. Eine Zweiteinweisung wird auch dann wahrscheinlicher, wenn der Anteil der Krankenhausärzte an der Gesamtzahl der im Gesundheitswesen tätigen Ärzte abnimmt. Damit wird zum einen die schon klassische These unterstützt, daß ein Fehlen häuslicher Ptlegemöglichkeiten MitUrsache für einen Krankenhausaufenthalt sein kann (vgl. z.B. Wachtel 1984: 134; Körner 1981, 45; Garms-Homoloval Schaeffer 1989) - hier jedoch nur für die Möglichkeit einer zweiten Behandlung. Zum anderen weist die Beziehung zwischen Krankenhausärzteanteil und Einweisungswahrscheinlichkeit nicht auf eine Nachfrageinduzierung über die Arztdichte im stationären Bereich hin. Sie deutet eher an, daß ein höherer Anteil der Krankenhausärzte an den Ärzten im Gesundheitswesen insgesamt eine Reduzierung der Zahl der Zweiteinweisungen bewirken kann. Auf ähnliche Weise zeigt sich dies auch bei den Ausländern (vgl. Tabelle 9).

112

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahmc

TabeUe 6

Ergebnisse der Logit-Schätzung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit eines zweiten Krankenhausaufenthalts bei deutschen Personen mit einem früheren Aufenthalt in der aktuellen Berichtsperiode (1984) Merkmale

Ausprägungen

Parameter -2.1150

Konstante Anzahl der KHAufenthalte im Vorjahr (1983)

(1) (2) (3) (4)

o Aufenthalte

Alter

(1) (2) (3) (4) (5)

16-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre 60-69 Jahre 70 u.m. Jahre

R 0.7178* 0.5736* -0.1997 -0.5198

Haushaltsgröße

(1) (2) (3) (4) (5)

1-Pers.-HH 2-Pers.-HH 3-Pers.-HH 4-Pers.-HH 5 u.m.Pers.-HH

R -0.8359* -0.6753* -0.7479* -0.6231

kontinuierlich

-0.0668*

Anteil der KH-Ärzte an Ärzten im Gesundheitswesen

R 1 Aufenthalt 0.3691 2 Aufenthalte 0.9409* 3 u.m. Aufenthalte 2.2350**

Kassenart

(1) (2)

GKV PKV

R -0.9245**

Bildungsabschluß

(1) (2)

ohne Abschluß mit Abschluß

R 0.9114**

= 742

R:

Fälle:

..

:

N

p p

< 0.05 < 0.01

HH:

GKV: PKV:

Varianzaufklärung:

Merkmal der Refercnzgruppe Haushalt Gesetzliche Krankenversicherung Private Krankenversicherung B = 0.093

Neben der Haushaltsgröße und der Arztdichte im stationären Bereich bestimmt auch die Art der Krankenversicherung, ob eine zweite stationäre Behandlung wahrscheinlich ist. So besitzen Privatversicherte gegenüber GKV-

Die RelationieruDg des Inanspruchnahmeprozesses

113

Versicherten ein geringeres Einweisungsrisiko. Eine Erklärung hierfür ist, daß Privatversicherte aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit (Unternehmer, leitende Angestellte) im Falle eines Krankenhausaufenthalts mit finanziellen Einbußen (vgl. a. Körner 1981: 46ft) oder Karrierenachteilen rechnen müssen und deswegen auf die stationäre Behandlung verzichten oder diese aufschieben. Man kann dies als Systemwirlrung interpretieren, die sich hier aus den Produktionserfordemissen des Wirtschaftssystems ergibt. Die Logit-Funktion zur Schätzung der Wahrscheinlichkeit einer Dritteinweisung enthält wenige signifikant diskriminierende Merkmale (vgl. Tabelle 7). Außer der Anzahl der Vorjahresaufenthalte ist die Anzahl der Kinder im Haushalt von Bedeutung. Gegenüber Personen aus kinderlosen Haushalten besitzen Personen aus Haushalten mit einem oder zwei Kindern eine höhere Einweisungswahrscheinlichkeit. Damit zeigt sich hier ein zur Wirkung der Haushaltsgröße genau entgegengesetzter Effekt (vgl. Tabelle 6). Das heißt, während ein größerer Haushalt aufgrund der erwachsenen Personen im allgemeinen ein größeres Substitutionsvermögen hinsichtlich der Pflege von Kranken besitzt, überwiegt in einem Haushalt mit Kindern wahrscheinlich eher die Belastungswirkung. Befinden sich Kinder im Haushalt, so wird offensichtlich eher eine stationäre als eine ambulante oder häusliche Behandlung in Kauf genommen. Nicht ganz in dieses Bild paßt der nur geringfügig höhere Koeffizient bei Personen aus Haushalten mit 3 und mehr Kindern (0.2965). Da die Besetzungszahl dieser Kategorie jedoch äußerst gering war und der Standardfehler (1.167) den Parameter beträchtlich überschreitet, muß man hier wohl von einem Zufallsfehler ausgehen. Betrachtet man den Einfluß der Zahl der Kinder und den der Haushaltsgröße im Systemkontext, dann läßt sich die Auswirkung der Individuation innerhalb des Familiensystems nicht einheitlich interpretieren. Gemessen an der Haushaltsgröße wirkt sie sich, wie angenommen, inanspruchnahmesteigernd aus, bei der Kinderzahl eher inanspruchnahmesenkend. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß sich ihre Wirkung auf unterschiedliche Ereignisse bezieht, einmal auf eine Zweit-, zum anderen auf eine Dritteinweisung.

Quantitative Relationen der Krankenhausinansprochnahme

114

Tabelk 7

Ergebnisse der Logit-Schätzung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit eines dritten Krankenhausaufenthalts bei deutschen Personen mit zwei früheren Aufenthalten in der aktuellen Berichtsperiode (1984) Merkmale

Parameter

Ausprägungen

Konstante

-1.5200**

Anz. d. KRAufenthalte im VoIjahr (1983)

(1) (2) (3)

o Aufenthalte

Anzahl der Kinder im

(1) (2) (3)

kein Kind 1 Kind 2 Kinder 3 u.m. Kinder

HH

Fälle: *:

..

:

(4)

(4)

N

p p

= 171

< 0.05 < 0.01

R -1.0850* 1 Aufenthalte 2 Aufenthalte 0.3162 3 u.m. Aufenthalte 2.1220**

R: HH: Varianzaufklärong:

R 1.2530** 2.2360** 0.2965

Merkmal der Referenzgroppe Haushalt B = 0.168

b) Ausländer Für die Ausländer wurden, wie oben erwähnt (vgl. IV.3.t, Tabelle 4), Logit-Funktionen zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit von Erst- und Zweiteinweisungen geschätzt. Auffällig ist auch hier, daß die Ersteinweisung fast ausschließlich von früheren oder begleitenden Behandlungsepisoden abhängig ist (vgl. Tabelle 8), während sozio-strukturelle oder systemische Faktoren sich erst bei der Zweiteinweisung bemerkbar machen (vgl. Tabelle 9). Eine deutliche Erhöhung der Wahrscheinlichkeit eines ersten Krankenhausaufenthalts tritt bei Ausländern dann ein (vgl. Tabelle 8), wenn sie im Vorjahr bereits mindestens ein bis zwei Wochen in stationärer Behandlung waren und in der aktuellen Periode fünf bis acht Mal einen niedergelassenen Arzt konsultieren. Damit zeigen sich hinsichtlich des Einflusses früherer Phasen der Krankenkarriere ähnlich wie bei den Deutschen ungleichmäßige Erhöhungen des Einweisungsrisikos. Auch hier kommt es ab einer Vorjahresverweildauer

Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozes&es

l1S

von 8 Tagen zu einem "Risikosprung" (6 = 1.632 gegenüber 6 = 0.5563 bei Patienten mit einem bis zu 7-tägigen Aufenthalt im Vorjahr. Die Arztinanspruchnahme zeigt erst ab einer Zahl von fünf und mehr Arztkontakten eine deutliche Risikoerhöhung (8 = 1.2900).

Tabelle 8

Ergebnisse der Logit-Schätzung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit eines ersten KrankenhausauCenthalts bei aQSländischen Personen Merkmale

Ausprägungen

Parameter

Konstante

-2.8850**

Verweildauer im Vorjahr (1983)

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

o Tage

Arztkontakte

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

o Kontakte

Fälle:

N

p p

= 2484

< 0.05 < 0.01

1 -7 Tage 8 - 15 Tage 16 - 21 Tage 22 - 28 Tage 29 - 35 Tage 36 u.m. Tage 1 Kontakte 2 Kontakte 3 Kontakte 4 Kontakte 5-8 Kontakte 9 u.m. Kontakte

R: Varianzaufklärung:

R 0.5563 1.6320** 1.9430** 1.6890** 0.9644 1.4030** R 0.1569 0.3681 0.9600** 0.6424* 1.2900** 1.3520**

Merkmal der Referenzgruppe B = 0.099

Bei der Zweiteinweisung spielen neben diesen Faktoren auch solche eine Rolle, die sich auf systemische Gegebenheiten beziehen. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Krankenhausbehandlung, wenn sich die Zahl der Krankenhausärzte je 100 niedergelassene Ärzte senkt (vgl. Tabelle 9). Das Gesundheitssystem hat somit bei Deutschen und bei Ausländern eine ähnliche Wirkung (vgl. Tabelle 6). Besondere Beachtung verdient, daß Systemparameter wie Bettenangebot, Ärztedichte oder das Angebot an medizi-

116

Quantitative Relationen der Kranltenhausinansprochnahme

nisch-technischem Personal keinen Einfluß, insbesondere nicht im Sinne einer Angebotsinduzierung, auf den Inanspruchnahmeprozeß ausüben. Zusammenfassend läßt sich für Ausländer und Deutsche festhalten, daß der überwiegende Anteil der Krankenhausfälle (Ersteinweisungen) bestimmt ist durch Merkmale der Patientenkarriere. Insbesondere eine hohe Vorjahresinanspruchnahme führt zu einem erhöhten Einweisungsrisiko. Familiäre, ökonomische oder gesundheitssystemische Beziehungen haben, entgegen dem Eindruck, der häufig in Diskussionen über Reformen des Gesundheitssystems entsteht, nur bei einem geringen Teil der Krankenhauställe (Zweit- und Dritteinweisungen) eine Wirkung. Zu berücksichtigen ist, daß dieses Ergebnis für aUe Personen ausschließlich der Entbindungsfälle gilt.

TabeUe 9

Ergebnisse der Logit-Schätzung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit eines zweiten Krankenhausaufententhalts bei ausländischen Personen mit einem früheren Aufenthalt in der aktuellen Berichtsperiode (1984) Merkmale

Ausprägungen

Parameter

Konstante

2.5740

Verweildauer im Vorjahr (1983)

(1) (2) (3)

o Tage

Arztkontakte

(1) (2) (3)

o Kontakte

1-4 Kontakte 5 u.m. Kontakte

R -0.1232 1.0030*

vor 1984 Kinder geboren

(1) (2)

zutreffend nicht zutreffend

R -1.2390*

Branche

(1) (2)

Sonstige Bundesbahn etc.

R 1.9520*

kontinuierlich

-0.0400*

KR-Ärzte je 100 nied. Ärzte Fälle:

.:

•• :

N = 254 < 0.05 p < 0.01

p

1 - 21 Tage 22 u.m. Tage

R: Varianzaufldärong:

R 0.4149 1.2910

Merkmal der Referenzgroppe B = 0.134

Die RelationieruDg des Inanspruchnahmeprous8es

117

Versucht man an dieser Stelle wieder den Bezug zur abstrakten Theorie herzustellen (vgl. Kap. 11), dann legen die Ergebnisse noch eine andere, bisher nur ganz marginal (vgl. S. 110; vgl. a. S. 20, Anm. 1) thematisierte Schlußfolgerung nahe: Die deutlichen Zusammenhänge zwischen den Ereignissen "Kraokenhauseinweisung" und "frühere Inanspruchnahme", deren Merkmale zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden, lassen sich systemtheoretisch auch als selbstreferentiel1es Prozessieren von aus der Umwelt bezogenen Einheiten (patienten) begreifen. Entgegen der Auffassung Luhmannss zeigen die hier gefundenen Ergebnisse, zumindest für den Bereich des Gesundheitssystems, auch auf Elementebene eine kausale Zirkularitllt. Dies bedeutet nicht, daß etwa ein Arvkontakt die Ursache für einen Krankenhausaufenthalt ist. Es bedeutet aber, daß - unter den hier berücksichtigten Faktorenkonstellationen - eine aktuelle Krankenhausinanspruchnahme auch durch Arztkontakte und frühere Einweisungen beeinflußt wird. Zu klären ist allerdings noch, was - etwa in Analogie zu den Zahlungen des Wirtschaftssystems, die auf weitere Zahlungen verweisen (vgl. Luhmann 1984b; 1988) - die Elementarereignisse des Gesundheitssystems sind. Sind dies Therapieentscheidungen, dann zählt die "Verordnung von Kraokenhauspflege" sicherlich dazu. Das heißt, der empirische Zusammenhang zwischen Inanspruchnahmeereignissen und -prozessen paßt auch zu dem systemtheoretisch konstruierten Zusammenhang von "basaler" oder "prozessualer Selbstreferenz" . c) Entbindungsfälle Aufgrund der fehlenden statistischen Zusammenhänge (vgl. S. 107) wurden für Frauen, die 1984 entbunden hatten, getrennt nach Nationalität und unter der Annahme von maximal zwei Aufenthalten Einweisungsquoten berechnet. Diese ergeben sich für die deutschen Frauen wie folgt: Laut Sozio-ökonomischem Panel waren 1984 von 105 Frauen mit Entbindungen 95 in stationärer Behandlung. Die Wahrscheinlichkeit einer Einweisung beträgt somit p = 0.90. Von diesen 95 Frauen wurden stationäre Leistungen in 143 Fällen in Anspruch genommen. Das heißt, 48 von 95 Frauen (143 - 95) wurden zum zweiten Mal eingewiesen, womit die Wahrscheinlichkeit eines zweiten AufS

"In voll temporalisierten Systemen, die Ereignisse als Elemente verwenden, kann es auf der Ebene der Elemente keine /causale Zirkularitll1 geben. Theorien, die einer solchen Zirkularität grundlegende Bedeutung zusprechen, zum Beispiel Theorien kybernetischer Regelung, übersehen die zeitliche 'Nichtigkeit' der Elemente" (Luhmann 1984: 608).

118

Quantitative Relationen der Krankeohausinanspruchnahme

enthalts für Frauen mit Klinikentbindung bei p = 0.51 (48/95) liegt. Für die ausländischen Frauen mit einer Entbindung in 1984 ergibt sich bei insgesamt 53 Entbindungsfällen und 44 Frauen mit Krank:enhausaufenthalt eine Wahrscheinlichkeit zur Ersteinweisung von p = 0.83. Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Einweisung liegt für Frauen mit Klinikentbindung und einer Inanspruchnahme in 62 Fällen bei p = 0.41 «62-44)/44). d) Restliche Gruppen Die Gruppe der übrigen Krankenhauspatienten enthält zunächst, wie bereits erwähnt, die nicht im Panel erfaßten 1984 gestorbenen Personen und die Patienten in Sonderkrankenhäusem6 • Für die zweite Gruppe wurde eine pauschale Einweisungsquote von p = 0.0214 berechnet. Für Sterbefälle kann aus der Statistik eine nach Geschlecht getrennte Einweisungsquote berechnet werden. Somit weisen Männer, die im Bevölkerungsmodul als Sterbefall simuliert wurden, bei maximal einem Aufenthalt in 1984, eine Wahrscheinlichkeit von p = 0.5484 auf. Für Frauen liegt diese Quote bei p = 0.5226. Zu den restlichen Gruppen zählen schließlich noch die Kinder, d.h. Personen unter 16 Jahren, die im Panel nicht befragt wurden. Für diese Gruppe wurde aus den Daten der GKV-Statistik eine allgemeine Einweisungsquote (p = 0.10) berechnet (vgl. Tabelle 12).

3.2 Differenzierung Für eine Simulation der Inanspruchnahmeentwicklung sind nicht nur die allgemeinen Auswirkungen z.B. einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur auf die stationäre Versorgung von Interesse. Da die tatsächlich entstandenen Behandlungskosten aufgrund unterschiedlicher Ausstattungen und differierender Krankheitsprofile u.a. auch in den einzelnen Fachabteilungen eines Krankenhauses unterschiedlich ausfallen, sind die differenzierten Wirkungen ebenso von Bedeutung. Mit disziplinenspezifischen Krankenhausfallquoten ließen sich diese Wirkungen quantifizieren. Darüber hinaus könnte man an der Bettenzahl gemessene strukturelle Über- oder Unterkapazitäten abschätzen (vgl. VI.2.4). Bislang stehen solche Fallquoten, die z.B., wie für das Land 6

Die Quoten für diese Gruppen wurden berechnet aus: StatB. (1986a: 61) und StatB. (1986b: 32t).

119

Die RelationieruDg des Inanspruclmahmcprozesscs

Berlin ausgewiesen (vgl. Tabelle 10), nach Alter und Fachabteilung untergliedert wären, für die gesamte Bundesrepublik nicht zur Verfügung. Sie lassen sich jedoch unter Verwendung bestimmter Erhebungen und Statistiken sowie anband des im folgenden zu erläuternden Schätzverfahrens näherungsweise ermitteln. In diesem Abschnitt geht es also nicht um die Interpretation statistischer Ergebnisse, sondern um die Darstellung der Schätzung alters- und fachabteilungsspezifischer Einweisungsquoten.

Tabelle 10

Verteilung der KrankenhausräUe 1984 f"ür BerlinI nach Alter und Fachabteilungen1 sowie alterspezirlSche FaUquoten (ohne Gynäkologie) Alter

Inn. Med.

unt 15 Quote

Gynä- chron. übr. 4 Insg. kolog. Krankh Akutab.oh.Gyn.

Kinder-FA

Chir. Urol. 3

Ortho-

20373 0.6271

7125 0.2193

1822 0.0561

647

pädie

3168 32488 1.0 0.0975

16-59 Quote

40086 0.3508

48183 0.4217

9415 0.0824

26529

646 0.0057

15934114264 0.1394 1.0

60-69 Quote

16285 0.4786

11836 0.3479

1215 0.0357

2265

431 0.0127

4259 34026 0.1252 1.0

70Quote

68899 0.5881

28792 0.2458

2733 0.0233

2912

6099 0.0521

10631117154 0.0907 1.0

Insg.

125270

95936

15185

32353

7176

33992297932

20373

FA: Fachabteilung(en) 1 SfUuS (1986: 63ft) 2 ohne Sonderfachabteilungen und Abteilungen rur Geburtshilfe 3 incl. Neuro- u. Kieferchirurgie 4 Infektions-, HNO-, Augen-, Haut-, Geschlechtskrankheiten, Strahlenheillrunde (ohne Neurologie, Psychiatrie, Tuberlruloscabteilungen ete.)

Grundlage der Schätzung sind mehrere Annahmen und Bedingungen. Zunächst wird davon ausgegangen, daß die Zahl der Patienten, die in einem Krankenhaus behandelt werden können, mitbestimmt ist durch die Leistungsfähigkeit (nicht unbedingt Effizienz) des Krankenhauses und daß sich dies ausdruckt im Bettenangebot, in der Bettennutzung und in der durchschnittli-

120

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

chen VelWeildauer. Das heißt, je höher die Bettennutzung sowie das Bettenangebot und je niedriger die durchschnittliche VelWeildauer, desto höher kann die Fallzahl sein. In eine Formel gebracht läßt sich die Fallzahl wie folgt berechnen:

Fallzahl

3,65 x Bettennutzung x Bettenzahl

=

durchschnittl. VelWeildauer

Errechnet man die Zahl der Krankenhausfälle für die Bundesrepublik im Jahre 1984, so ergibt sich folgende Gleichung:

11417048

=

3,65 x 84,8 x 678708 18,4

(Q: StatB. 1986b: 19 u. 34)

Diese Fallzahl stimmt mit den ausgewiesenen 11448250 Fällen nahezu überein, was auch nicht velWUDdert, da in die Bettennutzung die Zahl der Pflegetage eingeht. Der entscheidende Punkt ist nun die zweite Annahme, daß die in der Statistik lediglich nach Zweckbestimmung des Krankenhauses angeführte durchschnittliche VelWeildauer und Bettennutzfutg (vgl. StatB. 1986b: 34) ungefähr mit der nicht ausgewiesenen durchschnittlichen VelWeildauer und Bettennutzung der entsprechenden Fachabteilungen übereinstimmt. Die Annahme ist insofern plausibel, als die Zweckbestimmung die hauptsächliche Ausrichtung eines Krankenhauses kennzeichnet, ähnlich einer Fachabteilung. Zusammen mit den Angaben über das disziplinenspezifische Bettenangebot (vgl. StatB. 1986b: 19) läßt sich anband der obigen Formel die Fallverteilung berechnen (vgl. Tabelle 11). Die Gesamtzahl der Krankenhausfälle in Akutfachabteilungen einschließlich der in Abteilungen für chronisch Kranke liegt mit ca. 9,6 Mio knapp 5% unter der Zahl der nach der Zweckbestimmung berechneten Akutfälle (10,1 Mio; vgl. StatB. 1986b: 34). Der Unterschied beruht u.a. darauf, daß die Zahl der Betten in Akutfachabteilungen (464640) geringer ausfällt als die Zahl der Betten in Akutkrankenhäusern (473115) (vgl. StatB. 1986b: 19 u. 10). Außerdem gibt es wahrscheinlich geringfügige Unterschiede zwischen Krankenhausart und Fachabteilung hinsichtlich Bettennutzung und durchschnittli-

Die Relationienmg dca InanspruChnahmcproZC8SCS

121

cher Verweildauer. Für die Quotenschätzung muß die Gesamtzahl nochmals um die Zahl der Fälle in den Abteilungen Gynäkologie und Geburtshilfe reduziert werden. Denn die Zuweisung der Fälle auf bestimmte Fachabteilungen kann bei den hier verwendeten Daten nicht geschlechtsspezifisch vorgenommen werden. Somit ergeben sich ca. 7,6 Mio Krankenhausfälle ohne Fälle der Abteilungen Gynäkologie und Geburtshilfe.

TabeUe 11

Geschätzte Vertellung der AkutkrankenhausräUe 1984 nach Fachabteilungen f"ür die Bundesrepublik1 Fachabteilungen

planmäß. BettenS

Bettennutzung6

Verweil-

21.1 10.9 13.7 7.9 5.67 23.5 230.0 14.1

Innere Medizin Kinderheilkunde Chirurgie2 , Urologie Gynäkologie davon: Geb.hilfe3 Orthopädie chron. Krankheiten sonstige Disz. 4

151092 22877 151224 55030

84.5 73.6 85.8 79.2

19914 14982 449521

90.5 93.7 84.5

Insgesamt

464640

daue~

KM-Fälle KM-Fälle insg. oh. Gyn. 8

2208557 563824 3456848 2013680 5669577 279919 22278 1083228

2208557 563824 3456848

9628334

7614654

279919 22278 1083228

1 StatB. (1986b: 19) 2 incl. Kiefer-, Neuro-, Unfallchirurgie 3 Geburtshilfe incl. Entbindungsheimc 4 Infektions-, HNO-, Augen-, Haut-, Geschlechtskrankheiten, Röntgen-, Strahlenheillrunde, sonst. Fachalruteinrichtungen Saus: StatB. (1986b: 19) 6 berechnet bzw. entnommen aus: StatB. (1986b: 34) 7 wie 6, S. 35 8 ohne Fälle in Gynäkologie und Geburtshilfe

Neben einer Verteilung der Krankenhausfälle nach Fachabteilungen wird zur Schätzung der Fallquoten auch eine altersspezifische Fallverteilung benötigt. In ihrer Summe muß diese Verteilung mit der Verteilung nach Fachabteilungen übereinstimmen. Als Grundlage dieser zweiten Berechnung dienten für Personen über 15 Jahren die Daten des Sozio-ökonomischen Panels für

122

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspl\lchnahme

1984. Die Fallverteilung der Kinder (0-15 Jahre) wurde anband von GKVDaten berechnet. Das Ergebnis der Berechnung zeigt Tabelle 12.

Tabelle 12

Geschätzte Verteilung der AkutkrankenhausfäUe 1984 (oh. Klinikentbindungen und GynäkologiefäUe) nach Alter für die Bundesrepub6k1 A

Altersgruppen Kinder

C

D

E

F

Grundge- KR-Fälle Fallquote Einwohn. KR-Fälle KR-Fälle (B I A) BRD 842 samtheit (C * D) oh.Gyn. 3 1048433

1042457

12477 0.1495383 37791543 128 0.1547763 5454800 156 0.2074468 6876100

5651284 844274 1426425

4339621 827557 1390051

60608143

8884307

7599686

121195614 12117985 0.0999869 10485700

16-59 J. (panel) 83396 60-69 J. (panel) 824 748 70 - J. (panel) Insgesamt

B

1 2 3 4

Sämtliche Zahlen (Gl\lndgesamtheit, KH-Fälle etc.) sind bereinigt um Entbindungställe vgl. StatB. (1986a: 61) berechnet aus: F = E - (Spalte B Tab. 15 • E) aus: BMAuS (1986b: 15) (in der GKV familienvers. Kinder 0-18 J., stellvertretend rur Kinder von 0-15 Jahren) 5 aus: BMAuS (1986b: Tab. 27) 6 Entbindungställe im Panel: n = 158 7 Entbindungställe mit Krankenhausaufenthalt im Panel: n = 139

Für jede Altersgruppe wurde aus dem Verhältnis der Krankenhausfälle (B) zur Grundgesamtheit (A) eine Krankenhausfallquote (C) berechnet. Bei der niedrigsten Altersgruppe wurde angenommen, daß die Fallquote der GKVversicherten Kinder ungefähr mit der Fallquote der Kinder im Alter von 0 bis einschließlich 15 Jahren übereinstimmt. Die gewonnenen Fallquoten sind unter Ausschluß der Frauen mit Entbindung berechnet worden, die Zahl der Krankenhausfälle für die gesamte Bundesrepublik ohne Frauen in Abteilungen für Gynäkologie. Die Trennung der ersten Gruppe von den übrigen Patienten war über Angaben zur Geburt von Kindern im Panel relativ leicht. Bei der zweiten Gruppe wurde von dem Anteil der Patientinnen in den Abteilungen für Gynäkologie (1446723) an der Gesamtzahl der weiblichen Akutpatienten ohne Frauen mit Entbindung ausgegangen (5110412; berechnet aus: StatB.

Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozes8eS

123

1986b: 33 u. 35). Dieser Anteil (28,3 %) wurde dann als Quote entsprechend der Altersverteilung der Gynäkologie Berlins (vgl. 'Tabelle 10) auf die Altersgruppen aufgeteilt (vgl. Tabelle 13).

Tabelle 13

Quoten der Altersvertellung der Patientinnen in der Abteilung f"ür Gynäkologie A

B

Altersgruppen

Berlin 1984 (vgl. Tab. 10)

Quotenanteile für die BRD

- 15 J. 16-59 J. 60-69 J. 70 - J.

0.0200 0.8200 0.0700 0.0900

0.0057 0.2321 0.0198 0.0255

Insgesamt

1.0

0.2831

Quelle:

srous (1986: 63ft) und eigene Berechnungen

Anschließend wurde anband dieser Quoten die Zahl der Personen berechnet, die für die Berechnung der Altersverteilung nicht berücksichtigt werden sollten und von den Ergebniszahlen (Spalte E, Tabelle 12) abgezogen. In der Summe ergibt sich zwischen der Altersverteilung der Krankenhausfälle (Tabelle 12) und ihrer Disziplinenverteilung (Tabelle 11) mit einem Fehler von -0,197% eine sehr gute Übereinstimmung. Für die eigentliche Schätzung der Fallquoten stehen somit die Randverteilungen zur Verfügung (vgl. Tabelle 14). Das Problem besteht jetzt darin, aus den Randverteilungen die Besetzung der inneren Zellen zu berechnen. Als Verfahren wird hier eine iterative Schätzung (vgl. ähnliche Näherungsverfahren in: Zimmermann 1986: 48ft) verwandt, bei der die inneren Zellenbesetzungen ausgehend von den Fallquoten Berlins (vgl. Tabelle 10) unter Berücksichtigung der Randverteilungen den Verteilungen der BRD angenähert werden. Als Maß der Annäherung wird die prozentuale Abweichung einer sich aus der Addition der errechneten Zellenbesetzung ergebenden neuen Randverteilung von der alten Randverteilung verwandt.

Quantitative Relationen der Krankeohausinanspruchnahme

124

Tabelle 14

Randvertellungen der AkutkrankenhausräUe 1984 (ohne Gynäkologie! Geburtshllfe) nach Alter und Fachabtenung für die Bundesrepublik1 Alter

0-15 J. 16-59 J. 60-69 J. 70 u.m. J. Insg.

Innere Kinder- Chirur. Medizin heilk. /Urol.

Ortho- chron. pädie KranIch.

übrige Akut-FA

563824

2208557 563824 3456848 279919

Insgesamt

1042457 4339621 827557 1390051 22278

1083228

75996862 76146543

J. = Jahre FA = Fachabteilung(en) 1 Quelle: vgl. vorherige Rechenschritte (Tab. 10 bis 13) 2 Differenz zur Summe der Fachabteilungen: -0.197% 3 Differenz zur Summe der Altersgruppen: +0.197%

Der Ablauf der Schätzung gestaltet sich folgendermaßen: Im ersten Schritt wird die Berechnung der inneren Zellenbesetzungen durch die Anwendung der Berliner Fallquoten (vgl. Tabelle 10) auf die Randverteilung nach Alter zeilenweise für jede Altersgruppe vorgenommen. Die sich ergebenenden Fallzahlen werden spaltenweise aufsummiert. Aus dem Verhältnis der einzelnen Zellenbesetzung zur Spaltensumme werden dann je Disziplin neue Quoten berechnet. Von der Spaltensumme werden die ursprünglichen Randverteilungen nach Disziplinen subtrahiert, und das Ergebnis durch ein Hundertstel der ursprünglichen Randverteilung je Disziplin dividiert, womit man die prozentuale Abweichung der neuen von der alten Randverteilung hätte. In einem zweiten Schritt läßt sich eine Korrektur der inneren Zellenbesetzung errechnen durch die Anwendung der neuen Quoten auf die anfängliche Randverteilung der Krankenhausfälle nach Disziplinen. Die sich daraus ergebenden neuen Fallzahlen werden zeilenweise aufsummiert, ebenso wird analog zum ersten Schritt - die prozentuale Abweichung der Zeilensummen von den Ausgangsrandverteilungen je Altersgruppe dargestellt. Anschließend beginnt der zweite Zyklus mit der Berechnung neuer Fallquoten je Altersgruppe, die, wie im ersten Schritt, wieder auf die ursprüngliche Randverteilung der Fälle nach Alter angewandt werden usw.

125

Die Relationienmg des Inanspruchnahmeprozes8es

Das Ziel der Schätzung besteht darin, anband der Quoten solange die inneren Zellenbesetzungen zu korrigieren, bis sämtliche errechneten Randverteilungen minimal und in gleicher Weise von den ursprünglichen Randverteilungen abweichen. Für die Altersquoten gilt als Näherungsmaß die prozentuale Abweichung der Randsumme der Krankenhausfälle nach Alter von der Randsumme der Krankenhausfälle nach Disziplinen (-0,197 %) für die Disziplinenquoten gilt die umgekehrte Abweichung (+0,197%; vgl. Tabelle 14). Erreicht wurden diese Werte, und damit die optimalen inneren Fallquoten, nach zwanzig Schätzzyklen (vgl. Tabelle 15).

Tabelle 15

Iterativ geschätzte KrankenhausfaUquoten nach Disziplinen und Altert Alter 0-15 J. 16-59 J. 60-69 J. 70 u.m. J.

Innere Medizin

Kinderheilk:.

.0000000 .2706701 .3824882 .5129877

.5397976 .0000000 .0000000 .0000000

Ortho-

pädie

chron. Krankh .

übrige Akut-FA

.3036325 .0355524 .5255174 .0470011 .4490582 .0210918 .3462904 .0150249

.0000000 .0010786 .0024893 .0111459

.1210174 .1557327 .1448726 .1145512

Chirur. IUrol.

Quelle: vgl. Tab. 10-14 FA: Fachabteilungen

Zu den oben ausgeschlossenen Gruppen der Frauen mit Entbindung und der Frauen in Abteilungen für Gynäkologie sei noch angemerkt, daß dafür in der Simulation eine pauschale Zuweisung zu den jeweiligen Disziplinen vorgenommen wird, wobei die Zuweisung zur Gynäkologie anband der oben berechneten altersspezifischen Anteilswerte erfolgt (vgl. Tabelle 13, Spalte B).

3.3 Dauer Die Überlegungen in IV.l (vgl. insb. Tabelle 2) haben deutlich gemacht, daß die Panelpopulation der Krankenhauspatienten in erster Linie aus Akutpatienten besteht. Sie enthält nur in geringem Umfang solche Personen, die 1984 in Sonderkrankenhäusem behandelt wurden. Der Einfachheit halber wird deshalb auch hier davon ausgegangen, daß die im folgenden getrennt für

126

Quantitative Relationen der Krankenhausinallllpruchnahme

Deutsche, Ausländer und Frauen mit Entbindung zu ermittelnden Funktionen zur Dauer des Inanspruchnahmeprozesses lediglich für den Akutbereich bzw. für Akutdisziplinen gelten. Den Personen der übrigen Gruppen wird während der Simulation eine pauschale Verweildauer zugewiesen. a) Deutsche Die Krankenhausverweildauer unterliegt bei Deutschen und Ausländern im allgemeinen den gleichen Einflüssen wie die Einweisungswahrscheinlichkeit (Vorjahresinanspruchnahme, Arztkontakt und Alter). Auffällig sind hier jedoch die unterschiedlichen Wirkungen der Systemparameter. So korreliert die Zahl der Krankenhausfachärzte bei Deutschen nicht, wie man nach den Ergebnissen der Schätzung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit erwarten könnte (vgl. Tabellen 6 und 9) über eine Verbesserung der Behandlungsleistüng negativ, sondern positiv mit der Verweildauer (vgl. Tabelle 16). Die Ursache kann in einer zunehmenden Differenzierung des Systems (z.B. steigende Facharztdichte) und daraus folgenden Integrations- oder Koordinationsproblemen liegen. Da jeder Facharzt gewissermaßen in einem eigenen Bereich arbeitet, eine eigene Patientenpopulation betreut, erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Fachärzte an einem Fall Koordinationsaufwand, der sich z.B. in einer längeren Verweildauer äußern kann. Das Interessante an einer quantitativen Untersuchung des DifferenzierungsIIntegrations-Problems ist nicht, daß es dieses Problem gibt, sondern daß deutlich wird, in welchen quantitativen Relationen zu anderen Einflüssen Integrationsprobleme auf den Inanspruchnahmeprozeß einwirken. In Simulationsexperimenten lassen sich somit je nach Variation der Parameter (Bevölkerungsentwicklung, Angebotsplanung) unterschiedliche Aspekte der Wirkungen dieses Zusammenhangs untersuchen. Schließlich ist für die Dauer eines Krankenhausaufenthalts bei deutschen Patienten noch von Bedeutung, in welchem Wirtschaftszweig sie arbeiten. Der verweildauerverlängernde Effekt einer Tätigkeit im Bereich der Erzeugung und Verarbeitung von Eisen und NE-Metallerzen könnte auf die überdurchschnittliche Häufigkeit von Arbeitsunfällen in dieser Branche zurückzuführen sein. Diese lag 1984 mit 83,7 Schadensfällen je 1000 Vollarbeiter ca. 43 % über dem Durchschnitt (vgl. BMAuS 1986c: 23). Möglich sind aber auch andere, über Paneldaten und Statistiken nicht identifizierbare Faktoren, denn die

127

Die Relationierung des InanspruchoahmeprozcSBes

Branchen Bergbau, Holzverarbeitung und Baugewerbe, die 1984 eine Unfallrate von 113 bis 130 Schadensfälle je 1.000 Vollarheiter aufwiesen, standen in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Verweildauer.

Tabelle 16

Ergebnisse der Regressionsrechnung zur Bestimmung der Verweildauer deutscher Krankenhauspatienten für 1984 Merkmale Konstante Eisen, NE-Metallene Verweildauer 1983 KR-Fachärzte je 10000 Einwohner Alter KR-Aufenthalte Anzahl der Arztkontakte Fälle: Varianzaufldärung:

B:

BETA:

SIGF:

B

BETA

SIGF

-14.77843 8.98939 0.22389 2.29258 0.26672 3.57905 0.17296

0.08683 0.19656 0.11159 0.20701 0.18382 0.06567

0.0030 0.0096 0.0000 0.0009 0.0000 0.0000 0.0591

N = 742 Adjusted R2 = 0.17 unstandardisierte Regressionskoeffizienten standardisierte Regressionskoeffizienten Irrtumswahrscheinlichkeit der Parameter nach dem F-Test

b) Ausländer Bei den Ausländern (vgl. Tabelle 17) hängt die Verweildauer im wesentlichen von der Dauer einer früheren und der Intensität einer begleitenden Behandlungsepisode ab und das heißt auch, bezogen auf das personale System, von der individuellen Fähigkeit zur Rekonvaleszenz. Signifikante Beziehungen weisen ebenso die üblichen demographischen Faktoren auf. Analog zu vorherigen Ergebnissen (vgl. Tabelle 9) zeigt die negative Beziehung zwischen dem prozentualen Anteil der Krankenhausärzte an den Ärzten im Gesundheitswesen insgesamt und der Verweildauer, daß eine Ausweitung der Kapazitäten in der stationären Versorgung (Arztrollen) gegenüber denen des restlichen Gesundheitssystems, zumindest bei Ausländern, eine Verkürzung des Inanspruchnahmeprozesses zur Folge hat. Inwieweit dies eine vollständig lineare Beziehung darstellt oder es bei der Angebotsdichte auch Grenzwerte

128

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchllllhmc

gibt, deren Überschreiten einen umgekehrten Effekt hat, also angebotsinduzierend wirken könnte, läßt sich aus diesen Daten nicht ermitteln. Interessant ist auch, daß die Hausbaltsgcöße als Systemparameter eine positive Beziehung zur Verweildauer aufweist und daß die Zahl der Kinder im Haushalt bei Ausländern in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Verweildauer steht (Ergebnis nicht abgebildet). Nach den Ergebnissen der Logit-Schätzungen bei Deutschen (vgl. Tabellen 6 und 7) wäre zumindest bei der Haushaltsgröße eine negative Auswirkung auf die Verweildauer zu erwarten gewesen. Nach den üblichen Erfahrungen liegt nämlich die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen aufgrund des Fehlens häuslicher Substitutionsmöglichkeiten bei Personen aus kleineren Haushalten höher als bei Angehörigen größerer Haushalte. Daß sich dies bei den Ausländern nicht bestätigt, die Beziehung vielmehr positiv ist, liegt wahrscheinlich an der größeren Bedeutung des ausländischen Haushalts für reproduktive Zusammenhänge (Gastarbeiterfamilien). Geht man z.B. davon aus, daß einem Haushalt im Falle eines Krankenhausaufenhalts eines Mitgliedes Reproduktionsleistungen (Erwerbstätigkeit oder Hausarbeit) entzogen werden, so lassen sich diese Leistungen wohl eher in einem größeren als in einem kleineren Haushalt ersetzen. Somit wäre auch eher in einem kleineren als in einem größeren Haushalt die Notwendigkeit einer möglichst kurzen Krankenhausbehandlung gegeben. Die Beziehung zwischen Haushaltsgröße und Krankenhausinanspruchnahme kann nach diesen Ergebnissen, d.h. wenn sie signifikant ist, also zwei Formen annehmen: Die erste kennzeichnet die Möglichkeit einer Substitution stationärer durch häusliche Krankenpflege. Bei kleineren Haushalten wäre in diesem Fall aufgrund der geringeren Möglichkeiten mit einer Inanspruchnahmesteigerung zu rechnen. Dieser Zusammenhang scheint vor allem auf das Verhalten der deutschen Bevölkerung zuzutreffen. Im zweiten Fall, bei der Möglichkeit einer haushaltsinternen Ersetzung von Reproduktionsleistungen, wäre in kleineren Haushalten aufgrund der geringen internen Möglichkeiten mit einem höheren Problemdruck und so mit einer Inanspruchnahmereduzierung zu rechnen. Dies gibt nach unseren Erfahrungen eher das Verhalten der ausländischen Bevölkerung wieder.

129

Die Relationierung des Inanspruchnahmeprozesses

Tabellel7

Ergebnisse der Regressionsreehnung zur Bestimmung der Verweildauer auslindischer Krankenhauspatienten filr 1984 Merkmale

B

Konstante Anteil der KH-Ärzte an Ärzten im Gesundheitswesen Anzahl der Arztkontakte Alter Verweildauer 1983 Haushaltsgröße Geschlecht Fälle: Varianzaufklärung:

B:

BErA:

SIGF:

BETA

0.0257

63.15847 -1.13719 0.66960 0.25312 0.27324 1.52146 -5.67332

SIG F

-0.11598 0.23477 0.13786 0.19389 0.12230 -0.12621

0.0482 0.0001 0.0242 0.0011 0.0414 0.0362

N = 254 Adjusted R 2 = 0.16 unstandardisierte Regressionskoeftizienten standardisierte Regressionskoeftizienten Irrtumswahrscheinlichkeit der Parameter nach dem F-Test

c) Entbindungsfälle Die Berechnungen für die Gruppe der Frauen, die für 1984 eine Entbindung angegeben hatten, wiesen ebenso wie bei der Schätzung der Einweisungswahrscheinlichkeit (vgl. S. 107) keine signifikanten Zusammenhänge auf. Die Ursache dafür liegt vor allem in der geringeren Verweildauervarianz dieser Gruppe. Die mittlere Verweildauer betrug 7,6 Tage je Krankenhausfall, die Standardabweichung 7,1 Tage (im Vergleich dazu die Standardabweichung der Patienten ohne Entbindungsfälle: 24,4 Tage). Theoretisch gesehen sind auch deswegen keine signifikanten Beziehungen zu erwarten, weil in dieser Gruppe eine einheitliche Diagnose vorliegt und die Behandlung in der Mehrzahl der Fälle in der gleichen Fachabteilung vorgenommen wurde. Aufgrund des Fehlens statistischer Beziehungen lassen sich im Mikrosimulator somit nur pauschale Verweildauem verwenden. Nach den Angaben des Panels liegt die durchschnittliche Verweildauer für deutsche Frauen mit Klinikentbindung 1984 bei 7,64 Tagen je Fall, für ausländische Frauen mit Klinikentbindung bei 7,52 Tagen je Fall. 9 Diillings

130

Quantitative Relationen der Krankenbausinanspruchnahme

d) Restliche Gruppen Zu den übrigen Patienten, für die eine Verweildauer zu bestimmen ist, zählen Personen unter 16 Jahren, chronisch Kranke, Sterbefälle und Patienten in Sonderkrankenhäusem. Diesen Gruppen soll während der Simulation ebenso eine pauschale Verweildauer zugewiesen werden. Nach den Angaben der Krankenhausstatistik ergeben sich die in Tabelle 18 angeführten Größen, wobei für Sterbefälle lediglich die allgemeine Krankenhausverweildauer angegeben wurde.

Tabelle 18

Durchschnittliche Verweildauern für Sondergruppen von Krankenhauspatienten in 1984 Verweildauer

Gruppen (1) chronisch Kranke (2) Sterbefälle (3) Patienten in Sonderkrankenhäusern (4) Kinderl

Männer Frauen Männer Frauen

186.3 247.8 19.0 17.9 51.1 10.2

1 berechnet bzw. entnoriunen aus: BMAuS (1986b: S. 15 u. Tab. 27, 28). Übrige Werte aus: StalB. (l986b: 32-34)

3.4 Ressourcenverbrauch Die stationäre Versorgung inder Bundesrepublik besitzt eine zweigeteilte Finanzierungsgrundlage (dualistisches Finanzierungsprinzip). Während die Vorhaltung der Krankenhäuser hauptsächlich über die öffentlichen Haushalte sichergestellt wird, werden die laufenden Betriebskosten durch die Sozialleistungsträger gezahlt. Aufgrund der nachfrageseitigen Orientierung des Gesundheitsmoduls sind vor allem die Betriebs- oder Benutzerkosten von Interesse. Da zur Abrechnung der Benutzerkosten auch nach der Einführung einer neuen Bundespflegesatzverordnung Anfang 1986 in der Bundesrepublik im allgemeinen ein tagesgleicher Pflegesatz gilt, ergeben sich die Krankenhaus-

Die Re1ationierung des Inanspruchnahmeprozesses

131

kosten je Patient durch Multiplikation dieses Satzes mit der Anzahl der Pflegetage. Wesentlich für die Modellierung ist demnach eine möglichst genaue Ermittlung des Pflegesatzes. Dies ist schwieriger als man erwarten könnte. In einer früheren Version des Teilmoduls zur stationärer Versorgung zeigte sich, daß die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG 1986: 55) ausgewiesenen Pflegesätze in der Simulation zu einer Überschätzung der Kosten führten (vgl. Sfb3 1987a: 470). Obwohl es sich hierbei bereits um nacbkalkulierte Pflegesätze handelte, die um die von den Krankenkassen nicht getragenen Kosten bereinigt waren, lagen die tatsächlich gezahlten Pflegesätze nach Angaben der DKG (1986: 33) z.T. deutlich unter den ausgewiesenen nacbkalkulierten Pflegesätzen. Geht man davon aus, daß die tatsächlichen Pflegesätze statistisch nicht aufbereitet sind, dann bleibt als Alternative die Berechnung des Pflegsatzes aus den Angaben der GKV -Statistik (BMAuS 1986b) bezüglich der Aufwendungen für Krankenhauspflege und der Zahl der Krankenhaustage. Für PKV-Versicherte müssen mehrere Angaben kombiniert werden. Tabelle 19 zeigt die Ausgangsgrößen und die errechneten ~flegesätze getrennt nach Versicherungsstatus und Kassenart für GKV -Versicherte. In der Regel gelten für alle Versicherten die gleichen Sätze. Unterschiede ergeben sich jedoch durch die Inanspruchnahme unterschiedlicher Krankenhäuser . Insofern handelt es sich hier eher um "implizite Pflegesätze" als um echte. Eine Einschränkung, die man mit dieser Art der Berechnung in Kauf nehmen muß, ist das Fehlen der Untergliederung nach Akut- und Sonderkrankenhäusern, wie sie in der ersten Modulversion vorlag (vgl. Sfb3 1987a: 470). Denn weder in der GKV-Statistik (BMAuS 1986b), noch in den Statistiken der einzelnen Krankenkassen (vgl. z.B. AOK 1986, Verband der Angestellten-Krankenkassen 1984) sind die Ausgaben für die Behandlung in Sonderkrankenhäusern getrennt ausgewiesen. Man könnte natürlich den nacbkalkulierten Pflegesatz der Krankenhausgruppe 8.2 (Krankenhäuser für Psychiatrie und Neurologie) nach den Angaben der DKG (1986: 55) verwenden. Dies würde aber eine Bereinigung der in Tabelle 19 berechneten Pflegesätze voraussetzen. Aufgrund der nur allgemein angeführten Aufwendungen für Krankenhauspflege ist dies jedoch nicht möglich. Bei der Berechnung des Pflegesatzes für PKV-Versicherte muß, da die Zahl der Personen und die Zahl der Krankenhaustage in den Statistiken nicht genau angegeben ist, eine Schätzung vorgenommen werden. Die Größen dazu enthält Tabelle 20. Bei der Schätzung wurde die Tagesquote der GKV-Versicherten (2.6229356) mit der Anzahl der PKV-Versicherten multipliziert. Di-

132

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruehnahmc

vidiert man die Ausgaben durch die Anzahl der Pflegetage, so ergibt sich für die PKV-Versicherten ein Pflegesatz in Höhe von 285,50 DM.

Tabelle 19

Krankenhausausgaben, Pflfgetage und errechnete Pflegesätze 1984 f"ür GKVVersicherte nach Versicherung5status und Kassenartl Pflegetage

DM! Tag

7695616 8813207 16508823

35227935 40049683 75277618

218.45 220.06 219.31

EKK-Mitglied EKK-Rentner EKK insgesamt

5350386 3325760 8676146

24335228 14218299 38553527

219.86 233.91 225.04

SON-Mitglied SON-Rentner SON insgesamt

3692454 4337651 8030105

15538150 18536746 34074896

237.64 234.00 235.66

Gruppen2

Ausgaben in 1000 DM

AOK-Mitglied AOK-Rentner AOK insgesamt

AOK: Allgemeine Ortskrankenkassen EKK: Ersatzkrankenkassen SON: Sonstige GKV-Krankcnkassen 1 berechnet aus: BMAuS 1986b, S. 30-31 u. T36-T38, T4S-T46 2 inel. Familienangehörige

Berücksichtigt man nur die Zahl der Versicherten, so entsteht in Tabelle 20 der Eindruck, die Leistungen im Krankenhausbereich seien für die Bundesrepublik bereits voll erfaßt. Die Krankenkassen weisen jedoch nur solche Krankenhausfälle, Pflegetage und Leistungen aus, die auch von ihr getragen wurden. Insofern können Krankenhausaufenthalte von GKV- und PKV-Versicherten auch anderweitig finanziert sein, z.B. durch die gesetzliche Unfallversicherung (GUV), durch öffentliche Haushalte, private Haushalte, Rentenversicherung und Arbeitgeber (vgl. StatB. 1987d). Für diese restlichen Finanzierungsträger soll unter Bezugnahme auf die Krankenhausstatistik (StatB. 1986b) und die Statistik der Gesundheitsausgaben (StatB. 1987d) ein getrennter Pflegesatz berechnet werden. Die dazu notwendigen Größen enthält Tabelle 21.

133

Die Relationierong dei Inansprochnahmeproze88es

Tabelle 20

Versicherte, Pflegetage, Ausgaben für Krankenhaus pflege und Ausgaben je Pflegetag 1984 Gruppen

Versicherte Personen

Pflegetage Ge Person)

Ausgaben in 1000 DM

Ausgaben! Pflegetag

GKV

563895051

332150746

224.57

47855952

1479060414 (2.6229356) 125523075

35837007

285.50

611751003

160458350

36798774

229.34

PKV und Sonstige Insgesamt

1 Q: BMAuS (1986b: 14 u. 15)

2 3 4 5 6 7

berechnet aus: Einw. BRD (Anm. 3) - GKV-Versicherte; laut PKV (1985: 14): 5,141 Mio Q: StatB. (1986a: 61) berechnet aus: BMAuS (1986b: T36-T38, T45-T46) berechnet aus: Pflegetage je GKV-Versicherter - PKV-Versicherte BMAuS (l986b: 30) PKV (1985, Anhang, Tab. 6)

Die Zahl der Krankenhausfälle, der Pflegetage und die Ausgaben der übrigen Finanzierungsträger wurden berechnet aus der Gesamtzahl der Fälle und Pflegetage sowie den Gesamtausgaben für stationäre Behandlung in der Bundesrepublik abzüglich der jeweiligen Angaben für GKV- und PKV-Versicherte. Somit werden 16,4% der Fälle, 24,1 % der Pflegetage und 23,0% der Benutzerkosten nicht durch die gesetzliche oder private Krankenversicherung getragen (vgl. Kategorie "Übrige" Tabelle 21). Der Pflegesatz für diese Gruppe lag 1984 bei 219,12 DM. In der Simulation ist aufgrund dieser unterschiedlichen Finanzierungsquellen für Krankenhausleistungen zu entscheiden, von welcher Institution ein Krankenhausaufenthalt gezahlt wird. Die Anwendung einer Fallquote auf die Einweisungen reicht dazu nicht aus, weil der Anteil der nicht von GKV und PKV getragenen Pflegetage und Ausgaben höher liegt als eine aus den Fällen berechnete Quote. Ihre Anwendung würde zwar eine korrekte Fallzahl reproduzieren, jedoch zu einer Unterschätzung von Pflegetagen und Ausgaben führen. Ebensowenig läßt sich eine aus den Pflegetagen errechnete Quote auf die Verweildauer anwenden. Denn damit würde jeder Krankenhausaufenthalt zu einem Teil durch GKV oder PKV, zu einem anderen Teil durch die übrigen Institutionen gezahlt.

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

134

Um die Verteilung von Fällen, Pflegetagen und Ausgaben in Analogie zu Tabelle 21 richtig zu simulieren, wird eine verweildauerabhängige Fallquote benötigt, die sich als Kurve darstellen läßt (vgl. Figur 1).

Tabelle 21

Leistungsgrößen der stationären Behandlung nach Ausgabenträgern 1984 Gruppen Personen

KR-Fälle (Quote)

KR-Tage (Quote)

Ausgaben in 1000 DM

Ausga- Tagel benITag Fall

8851261 4 (0.1570) 7513385 1845651 6

147906041 8 (2.6229356) 1255230tJ 50280123 10

3321507411

224.57 16.71

358370012 1101822613

285.50 16.71 219.12 27.24

210738471 7

47817000 14

226.90 18.41

GKV

56389505 1

PKV Übrige

4785595 2

BRD

611751()(P 114482507

1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11 12 13 14

Q: BMAuS 1986b, S. 14 u. 15 berechnet aus: Einw. BRD (Anm. 3) - GKV-Versicherte; laut PKV (1985: 14): 5,141 Mio Q: StatB. (1986a: 61) berechnet aus: BMAuS (1986b: T31-T33, T38, T45-T46) berechnet aus: GKV-Quote • PKV-Versicherte berechnet aus: KH-Fälle BRD (Anm. 7) - KH-Fälle GKV - KH-Fälle PKV aus: StatB. (1986b: 34) berechnet aus: BMAuS (1986b: T36-T38, T45-T46) berechnet aus: Pflegetage je GKV-Versicherter • PKV-Versicherte berechnet aus: Pflegetage BRD (Anm. 7) - Pflegetage GKV - Pflegetage PKV BMAuS (1986b: 30) PKV (1985, Anhang, Tab. 6) berechnet aus: Ausgaben BRD (Anm.14) - Ausgaben GKV - Ausgaben PKV berechnet aus: StatB. (1987d: 38ff; stat. Behandlung und Kurbehandlung, nur Sachleistungen, ohne Investitionen o.ä.)

Im Prinzip müssen dabei alle Patienten die Möglichkeit haben, den übrigen Finanzierungsträgem zugewiesen zu werden. Da die durchschnittliche Verweildauer dieser Gruppe bei 27,2 Tagen liegt (vgl. Tabelle 21), könnte man dieses Problem wie folgt lösen: Patienten mit einer Verweildauer von 27 Tagen erhalten die höchste, Patienten mit einer kürzeren bzw. längeren Aufenthaltsdauer eine entsprechend geringere Zuweisungswahrscheinlichkeit. Damit wären sowohl die Fallzahl, als auch die Anzahl der Pflegetage sowie die Kosten adäquat abgebildet. We-

135

Die Relationierung des lnanspruclmahmeprozesses

sentlich für die Ermittlung der Zuweisungswahrscheinlicbkeit ist nicht so sehr die jeweilige Höhe in den einzelnen Verweildauergruppen (vgl. Tabelle 23), sondern daß die Einzelwahrscheinlicbkeiten in der Summe die Fallquote der Patienten der übrigen Finanzierungsträger und die entsprechend hohe durchschnittliche Verweildauer von rund 27 Tagen reproduzieren. Aus den Angaben des Sozio-äkonomischen Panels ergänzt um Sterbefälle und Patienten in Sonderkrankenhäusern lassen sich diese Wahrscheinlicbkeiten ermitteln. Dazu wurde bei den Sterbefällen und den Patienten in Sonderkrankenhäusern eine durchschnittliche Verweildauer von 18,4 bzw. 51,2 Tagen angenommen (vgl. IV.l, Tabelle 2). In Tabelle 22 und.23 sind sämtliche Größen angeführt. Die Zuweisungswahrscheinlicbkeiten sollen näherungsweise der Verteilung (B) in Figur 1 entsprechen.

Anzahl

der

Fälle VD VD

GKVI

insg.

(18.4)

PKV

(16.7)

700

VD

übrige Träger (27.2)

600 500 400 300 200 100 7 VD: A: B:

Quelle:

14

21

28

35

Verweildauer 1984 Insgesamt Übrige Finanzierungsträger

Sozio-ökonomisches Panel und KH-Statistik (vgl. Tab. 22 u. 23)

Figur 1: Idealisierte Verteilung der Krankenhausfälle nach der Verweildauer 1984

365 Tage

136

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

Die Angaben in Tabelle 23 zeigen natürlich, daß die Wahrscheinlichkeiten in den einzelnen Verweildauergruppen relativ beliebig gewählt werden können. Insofern gibt es auch mehr als nur die in Tabelle 23 dargestellten Zuweisungsmodelle. Der entscheidende Punkt für unseren Zweck ist, daß die Finanzierungsträgerschaft im Mikrosimulator nicht pauschal (lediglich Fallquote), sondern in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Verweildauer zugewiesen werden kann, so wie sie sich auch empirisch zeigt (vgl. Tabelle 21). Für den Mikrosimulator soll wegen der besseren Annäherung das zweite Modell verwandt werden.

TabeUe 22 Krankenhausrälle im SozKHikonomischen Panel und ergänzte Fallzahlen 1984

Gruppen

Krankenhausfälle

proz. Anteile an der Gesamtpopulation 1

Verweildauer

Panel Patienten in Sonder-KH Sterbefälle

1670 154 61

16.57 1.532 0.61 2

13.9 51.2 18.4

KH-Fälle ergänzt

1885

18.71 3

17.1

1 Panelpopulation: N = 10076 2 vgl. IV.l, Tab. 2 3 nach StatB. (1986b: 34) und (1986a: 61)

137

Fazit

Tabelle 23

KrankenhausfäUe nach Verweildauergruppen entsprechend der Verteilung im SozkH;konomischen Panel und der ergänzten Verteilung rDr 1984 sowie ZuweisungsmodeUe rDr die übrigen Finanzierungsträger 1-7 Tage

8-14 Tage

15-21 Tage

22-28 Tage

29-35 Tage

36-365 Tage

Insg. samt

695 3.7

474 11.3

230 18.8

106 25.9

69 31.6

96 63.4

1670 13.9

695 (1.0) 3.7

474 (1.0) 11.3

291 (1.0) 18.7

106 (1.0) 25.9

69 (1.0) 31.6

250 (1.0) 55.9

1885 (1.0) 17.1

7 Zuweisungsmodell 11 (0.01) 7 ZuweisungsmodelllI2 (0.01)

47 (0.10) 47 (0.10)

87 (0.30) 87 (0.30)

64 (0.60) 64 (0.60)

48 (0.70) 55 (0.80)

Panelverteilung Verweildauer Ergänzte Verteilung Verweildauer

50 303 3 (0.20) 0.1607 50 3103 (0.20) 0.1645

1 durchschnittliche Verweildauer: 26,9 KH-Tage 2 durchschnittliche Verweildauer: 27,1 KH-Tage 3 Die SolIgroße beträgt 308 und läßt sich berechnen durch Multiplikation der aus Tab. 21 berechneten Sollquote (KR-Fälle übriger Finanzierungsträger dividiert durch KH-Fälle BRD = 0.1636) mit der ergänzten Zahl der Krankenhaustille (n = 1885)

4. Fazit Zum Schluß dieses Kapitels sollen drei Aspekte noch einmal hervorgehoben werden: (1) Die Funktionen enthalten z.T. auch Koeffizienten, die knapp unterhalb des 5%-Niveaus signifikant sind. Bei der Anpassung der Modelle zeigte sich, daß ein Ausschluß dieser Koeffizienten zu einer Verschlechterung der Varianzaufklärung führte, ein Einschluß der Koeffizienten unter diesem Gesichtspunkt also sinnvoll erschien. (2) Oben wurde erwähnt, daß der Gesundheitszustand von Personen aufgrund der unzureichenden Datenlage hinsichtlich einer dynamischen Fortschreibung von Gesundheitszuständen von den Schätzungen ausgeschlossen werden mußte (vgl. Kap. III, S. 87t). Da dieses Problem nur den Mikrosimulator betraf, wurde eine zweite Schätzung unter Berucksichtigung des Ge-

138

Quantitative Relationen der Krankenhausinanspruchnahme

sundheitszustandes vorgenommen. Dabei wurde für die wesentlichen Effekte gegenüber der Schätzung ohne Gesundheitszustand ein weitgehend stabiles Verhalten deutlich (vgl. Düllings 1990). Man kann somit davon ausgehen, daß abgesehen vom Gesundheitszustand anband der vorhandenen Daten die wesentlichen Relationen der Krankenhausinanspruchnahme abgebildet wurden. (3) Lllbmanns These (1984: 61Offu. 623ft) von der "prozessualen Selbstreferenz" sozialer Systeme scheint in den hier referierten Ergebnissen auch eine empirische Grundlage zu finden. Dies ist nicht gemeint im Sinne eines strengen Hypothesentests und somit einer Bestätigung der Selbstreferenz sozialer Prozesse im Gesundheitssystem, sondern als eine eher heuristische Erkenntnis, die vielleicht Anlaß gibt zu weiteren Untersuchungen über die Selbstbezüglichkeit von Inanspruchnahmeprozessen.

V. Mikrosimulation als Erkenntnismethode In diesem Kapitel geht es um die Frage, inwieweit die Mikrosimulation als Methode für eine quantitative Analyse sozialer Systeme verwendbar ist. In den beiden folgenden Abschnitten sollen dazu einige Realisierungen mikrosimulativer Verfahren (1.) sowie das Verhältnis zwischen Systemtheorie und Mikrosimulation (2.) diskutiert werden. Abschnitt 3 und 4 enthalten schließlich eine Beschreibung des in dieser Arbeit verwendeten SimulationssystemsI .

1. Simulations- und Mikrosimulationsmodelle Die ersten Ansätze zur Mikrosimulation entstanden fast zeitgleich mit der Entwicklung erster höherer Programmiersprachen (FORTRAN) und der Verbreitung von Großrechnem gegen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre (Orcutt 1957; Orcutt et a1. 1961). Es dauerte allerdings noch 15 Jahre bis ein ausgereiftes Modell zur Verfügung stand, mit dem auch komplexere Politikananlysen durchgeführt werden konnten (vg1. Orcutt et a1. 1976). Das von Orcutt und seinen Mitarbeitern entwickelte Modell enthält Module (Submodelle) zu unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen. Neben demographischen Prozessen wie Geburt, Alterung und Tod, werden auch soziale Beziehungen simuliert, z.B. Auszug aus dem elterlichen Haushalt, Heirat, Scheidung, Beteiligung am Bildungs- und Beschäftigungssystem sowie Beziehungen zu sozialen Sicherungssystemen (Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Ein Gesundheitsmodul wurde nicht implementiert. Der Zweck des Modells bestand vornehmlich in der Analyse von Verteilungswirkungen. So wurde z.B. untersucht, welche Auswirkungen eine Erfüllung der politischen Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" auf die Einkommen von Frauen hat (vgl. Orcutt et a1. 1976: 290ft). Eine andere Frage beschäftigte Zu den methodischen Grundlagen der Mikrosimulation vgl. insb. Vetterle (1986). Vgl. a. Galler (1983); KruppIWagner (1982); Orcutt (1986); Schnell 1990; Wagner (1982).

140

Mikrosirnulation als Erkenntnismethode

sich mit den Folgen höherer Scheidungsziffern für die personen- und haushaltsbezogene Einkommensverteilung (ebd.: 321ft). Zu Beginn der 80er Jahre wurde dieses Modell vor allem im Hinblick auf seine "dynamischen Eigenschaften" verbessert (DYNASIM2; vgl. Wertheimer 11 et al. 1986). Es wurden retrospektive Informationen (u.a. früheres Verhalten von Personen) einbezogen, die einen besseren historischen Verlauf in der Familienbildung und -lösung (ebd.: 191 ft) sowie in der Erwerbsbeteiligung (ebd.: 195ft) ermöglichten. Aufgrund dieser Änderungen wurden unterschiedliche demographische und ökonomische Szenarien bis zum Jahre 2030 simuliert, insbesondere um die künftigen Kosten der Inanspruchnahme sozialer Sicherungssysteme abzuschätzen (ebd.: 198). Für das Gesundheitswesen gibt es mehrere Simulationsmodelle, die jedoch nur bedingt als mikroanalytisch gelten können. In dem Modell von Yett und Mitarbeitern, das sich auf das Gesundheitswesen der USA bezieht, werden über Angebots- und Nachfragefunktionen fünf Bereiche simuliert. Ein Modul generiert die Bevölkerung untergliedert nach Alter, Geschlecht, Rasse und Einkommen. Ein zweites Modul stellt das Angebot an Ärzten bereit, ein drittes berechnet die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen und ebenso die Nachfrage nach nicht-ärztlichem und paramedizinischem Personal. Das Angebot hierzu wird in einem vierten Modul berechnet. Das fünfte Modul simuliert schließlich Nachfrage und Angebot im Krankenhausbereich sowie die Nachfrage nach nicht-ärztlichem Personal (vgl. Yett et al. 1979: 7). Obwohl Yett et al. (1979) ihr Modell als "mikro-econometric" bezeichnen, fehlen doch die typischen Eigenschaften eines mikroanalytischen Ansatzes. Zum einen stehen die einzelnen Teilpopulationen (Bevölkerung, Patienten, Ärzte, übriges Personal) nur in aggregierter Form zur Verfügung. Andererseits werden Merkmalsänderungen über zellenspezifische Erwartungswerte (durchschnittliche Raten) simuliert und nicht aus einer Kombination von funktionsspezifischer Wahrscheinlichkeit und Monte-Carlo-Verfahren (Zufallszahlengenerierung) (vgl. Yett et al. 1979: 5). Ein anderes Modell wurde von Clarke et al. (1984) für das Gesundheitssystem Großbritanniens erstellt. Es umfaßt Module zur Simulation von Bevölkerungsentwicklungen (Geburt, Tod, Heirat, Scheidung, Migration), Morbidität, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, Angebot an Krankenhausleistungen, Zuordnung von Angebot und Nachfrage. Für die Zuweisung von Merkmalsänderungen werden Quoten und Zufallszahlengenerierung verwandt. Ein

Mikrosimulation und Systemtheorie

141

Nachteil des Modells liegt in der Organisation des Inputfiles. Aus Kostengründen konnten keine Umfragedaten genutzt werden. Clarke et al. (1984: 950) haben statt dessen mit Hilfe merkmalsdifferenzierter Quoten, die aus Census-Statistiken berechnet wurden, und Zufallszahlengenerierung ein synthetisches Mikrofile erstellt. Mikroinformationen stehen somit nur begrenzt, d.h. nur für die verwandten Aggregatmerkmale zur Verfügung. Neben den bisher genannten Modellen gibt es mehrere kleinere Simulationsmodelle, die teilweise mikroanltlytisch, teilweise auf Gruppenebene simulieren und zum anderen nur für bestimmte Bereiche des Gesundheitssystems gelten. In der Regel ist die Hypothesenstruktur auf wenige Merkmale beschränkt. Das Simulationsmodell von Vetterle (1985) z.B. berechnet unter Verwendung von GKV-Prozeßdaten Inanspruchnahme und Kosten der ambulanten Versorgung in der Bundesrepublik. Die Modelle von Ackermann (1982), Grimm! Paccaud (1987) und Horwitz et a1. (1970) beziehen sich ausschließlich auf die stationäre Versorgung, wobei nur das Modell von Horwitz et a1. mikroanalytisch konzipiert ist.

2. Mikrosimulation und Systemtheorie An verschiedenen Stellen der Arbeit wurde bereits deutlich, wie man sich eine Verbindung zwischen Systemtheorie und empirischer Sozialforschung vorstellen kann (vg1. 11.4, 11.5 u. 111.5). In diesem Abschnitt soll dies im Hinblick auf die Mikrosimulation herausgestellt werden.

Zunächst besteht eine formale Verbindung zwischen Systemtheorie und Mikrosimulation über den Systembegriff (vg1. a. Vetterle 1986: 8ft). Ähnlich wie man das Verhalten natürlicher Systeme u.a. als Transformation bestimmter Inputs in bestimmte Outputs charakterisieren kann, werden bei einem Mikrosimulator Inputdatensätze in Outputdatensätze verwandelt. Den eigentlich interessanten inhaltlichen Bezug der Mikrosimulation zur Theorie sozialer Systeme kann man jedoch in der Differenz von Person und Sozialstruktur sehen. Die entsprechenden Repräsentationen in einem Mikrosimulationsmodell sind Personendatensätze und Programme (Module).

142

Mikrosimulation als Erltenntnismethode

2.1 Personendatensätze Wie die Analyse personaler Systeme (vgl. n.l) und die Betrachtung der Patientenkarriere (vgl. 1II.3.2) gezeigt haben, werden Personen nicht in ihrer vollen Komplexität (unterschiedliche Systemniveaus) in die Gesellschaft integriert. Vielmehr nehmen sie über Kommunikationen an der Gesellschaft teil. Solche Kommunikationen sind häufig in einer objektivierten Form vorhanden (Scheine)2, durch die die Teilnahme an oder der Ausschluß aus bestimmten Sozialsystemen gesteuert wird. Über den Eintrag ins Geburtenregister läßt sich z.B. feststellen, wie alt eine Person ist und zu welchem Zeitpunkt die Schulpflicht eintritt. Ebenso steuern Zeugnisse den Zugang zu bestimmten Weiterbildungseinrichtungen und die Art der Teilnahme am Beschäftigungssystem. Auch wenn viele Kommunikationen, insbesondere die in Interaktionssystemen, nicht in einer "bescheinigten" Form auftreten, wird die Inklusion personaler Systeme in soziale Systeme innerhalb der modemen Gesellschaft für die wesentlichen Prozesse meist erst dann möglich, wenn die wichtigsten Personenmerkmale auf Bescheinigungen erfaßt sind (Geburtsurkunde, Schulzeugnisse, Personalausweis, Universitäts- oder Ausbildungsdiplome, Heiratsurkunde, Familienbuch, Krankenschein, Rentenbescheid und Totenschein). Jemand, der kommunikativ nirgendwo erfaßt ist, ist für die Gesellschaft sozusagen nicht existent. Wahrnehmen läßt sich dies, wenn man über bestimmte Bescheinigungen nicht verfügt und bestimmte Leistungen, obwohl man Anspruch darauf hat, deswegen nicht bekommt. Zumindest muß, wenn eine solche Situation festgestellt worden ist, für eine künftige Teilnahme am Gesellschaftssystem, die "kommunikative Registrierung" meist nachgeholt werden. Der Aufbau mikroanalytischer Datensätze ist dieser gesellschaftlichen Sicht auf Personen vergleichbar. Jedes gespeicherte Merkmal (analog Bescheinigung) stellt eine Kommunikation dar, die eine Person ausschnitthaft, das heißt z.B. nur nach ihrem Alter oder ihrem Bildungsabschluß charakterisiert. Die Individualität der Person, d.h. die Unterscheidbarkeit von anderen Personen, entsteht erst durch Kombination sehr vieler Variablen (Merkmalsvektor). Obwohl prinzipiell beliebig viele Personenmerkmale erfaßt werden können, sind personale Systeme gesellschaftlich nie vollständig wahrnehmbar. Für die Ge-

2

Vgl. zu einer ökonomischen "Theorie der Scheine" Herder-Domeich (1986).

Mikrosimulation und Systemtheorie

143

sellschaft existieren Personen demnach übetwiegend in der Form von "Merkmalskomplexen ".

2.2 Programme Neben Programmen, die den Ablauf der Simulation steuern, gibt es in einem Simulationsmodell auch solche Routinen die nach einer bestimmten Hypothesenstruktur und häufig in Kombination mit einer Zufallszahl den Merkmalsvektor der Personendatensätze verändern. In dieser Hinsicht - in vielen anderen Hinsichten wahrscheinlich nicht - haben diese Programme die gleiche Funktion wie Sozialstrukturen. Auch in der gesellschaftlichen Realität werden Personen über ihre Teilnahme (Inklusion, Inanspruchnahme) an bestimmten Sozialsystemen verändert. Es geht dabei allerdings nicht nur um Personenänderung, sondern auch um die Änderung des Verhaltens von Sozialsystemen. Denn durch die Inklusion in unterschiedliche Systeme, wie z.B. Familien-, Bildungs-, Beschäftigungs-, Gesundheitssystem oder politisches System, werden die Kommunikationen dieser Personen Moment der in diesen Systemen stattfindenden Prozesse. Sie stellen also auch das Verhalten des Systems dar. Im Sfb3-Mikrosimulator werden zu den eben genannten Gesellschaftsbereichen unterschiedliche Vorgänge simuliert, etwa Familienbildung und -lösung, Bildungsprozesse, Erwerbsbeteiligung, Erwerbseinkommen aus staatlichen Transfers (Renten, Sozialhilfe) und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Das Verhalten der Systeme läßt sich dabei auf zweierlei Weise beobachten. So kann z.B. die Bildung und Lösung von Einzelfamilien (Bevölkerungsmodul; vgl. V.3.1.a) etwas über mögliche Veränderungen nicht nur individueller Beziehungen, sondern - auf aggregiertem Niveau - auch der Struktur des Familiensystems aussagen. Die zweite Form der Beobachtung läßt sich anband der Simulation der Bildungsbeteiligung (Bildungsmodul) oder der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (Gesundheitsmodul) verdeutlichen. Hier können Wandlungen der Struktur des Bildungs- bzw. Gesundheitssystems zwar nicht direkt analysiert werden. Aufgrund der Variationen des Outputs über mehrere Simulationsperioden, d.h. etwa der Variationen der personenbezogenen "Verteilung von Bildung", lassen sich jedoch Änderungen des Leistungsverhaltens der jeweiligen Systeme untersuchen. Insofern lassen sich anband der Merkmalsverteilung auf individueller Ebene Aussagen über das Verhalten des jeweiligen Sozialsystems treffen.

144

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

3. Das Simulationsmodell Nach der Darstellung eher allgemeiner Aspekte, die für viele Simulationsmodelle zutreffen können, soll es hier um die Beschreibung eines bestimmten Modells gehen. Dieses Modell wurde im Rahmen des SPES-Projekts (vgl. Kruppl Brennecke 1976) aufbauend auf Erfahrungen in den USA (vgl. Orcutt et al.) während der 70er Jahre vor allelll zur Simulation von Bevölkerungsveränderungen entwickelt (vgl. Hecheltjen 1974; Steger 1980). Anfang der 80er Jahre wurde es im Sonderforschungsbereich 3 im Hinblick auf politische Diskussionen um eine Rentenreform erweitert (vgl. Krupp et al. 1981). Eine zweite Erweiterung stellt die jetzige Implementation des Gesundheitsmoduls dar, das wesentliche Prozesse innerhalb des Krankenversicherungswesens, der ambulanten und medikamentösen Versorgung sowie des Krankenhauswesens für die gesamte Bundesrepublik nachbildet. Die folgenden Ausführungen gehen schwerpunktmäßig auf die Struktur des Gesundheitsmoduls ein. Die übrigen Module sollen nur knapp hinsichtlich ihrer wesentlichen Outputgrößen beschrieben werden (vgl. ausführlicher: Galler et al. o.J.; Krupp et al. 1981).

3.1 Der Stb3-Mikrosimulator Der Mikrosimulator des Sonderforschungsbereichs 3 enthält in seiner jetzigen Version sieben Module zu unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen (vgl. Figur 1). Die meisten Programme sind in FORTRAN geschrieben. Aufgrund der häufigen Verwendung während des Simulationslaufs und der damit verbundenen Notwendigkeit, eine hohe Ablaufgeschwindigkeit zu erreichen, sind die Zufallszahlengeneratoren ROM und MRAND in Assembler programmiert. Neben diesen technischen Aspekten ist der Mikrosimulator durch modellspezifische Eigenschaften gekennzeichnet. Dazu zählen vor allem Rekursivität und Endogenität des Modellautbaus. Mit Rekursivität ist gemeint, daß Haushalts- und Personendatensätze sowie einige Simulationsparameter als Output einer bestimmten Simulationsperiode zum Input der folgenden Periode werden. Die Rekursivität ist z.T. auch in der Hypothesenstruktur über die Verwendung von Längsschnitthypothesen gegeben. Die Eigenschaft der Endogenität bezieht sich hauptsächlich auf die Hypothesenstruktur, also z.B. darauf, daß Variablen wie Alter, Geschlecht oder Haushaltsgröße im Bevölkerungsmodul bestimmt werden und als erklärende Faktoren im Gesundheitsmodul

145

Das Simulationsmodell

zur Bestimmung der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen dienen (vgl. Figur 1). Im folgenden sollen sämtliche Module bis auf das Gesundheitsmodul (vgl. hierzu S. 149ft) in ihrem Ablauf und hinsichtlich ihrer wesentlichen Outputgcößen beschrieben werden.

I

neue Simulationsperiode

v

Simulationsparameter der Periode T lesen

,..---------'>

Simulationsparameter der Periode T+1 schreiben

v

repräsentative Bevölk.erungsstichpro~ der Periode T : Haushalt N lesen

repräsentative

/---:>

1 Das Startfile T (1983) wurde aus den Daten der 1. Welle des sozio-ökomischen Panels generiert (ca _6000 Haushalte und über 10000 Personen)

Figur 1: Ablaufschema des SJb3-Mikrosimulators 10 Düllings

146

Mikrosimulation ale Erltenntnismethode

a) Bevölkenmgsmodul3 Zu Beginn jeder Simulationsperiode werden zunächst die Simulationsparameter (Wabrscheinlichkeiten, Übergangsmatrizen) und der erste Haushalt mit sämtlichen Personendatensätzen in den Kernspeicher gelesen (Figur 1). Anschließend beginnt die Verarbeitung im Bevölkenmgsmodul. Hier wird das Alter für jede Person deterministisch um eins erhöht, ebenso die Dauer von ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften. Weiterhin wird anband von Zufallszahlen und nach Alter und Geschlecht differenzierten Sterbewabrscheinlichkeiten entschieden, ob eine Person in der betreffenden Periode stirbt oder überlebt. Tritt ein Sterbefall ein, so wird die Person als verstorben und der Ehepartner als verwitwet markiert. Falls erforderlich, wird eine Verändenmg des Haushalts vorgenommen (Umstellung von Zeigern). Im nächsten Teil des Moduls werden Eheschließungen, Scheidungen, die Trennung von Partnerschaften sowie der Auszug von Kindern aus dem elterlichen Haushalt simuliert. Ebenso erfolgt eine Auswahl von Frauen und Männem, die am Heiratsmarkt teilnehmen. Dabei wird die Heiratswabrscheinlichkeit nur für Frauen bestimmt, indem eine Merkmalskombination für einen möglichen Partner generiert und dann über ein Distanzfunktion der männliche Partner gesucht wird, der dieser Kombination am ähnlichsten kommt. Bevor der Heirats- oder Partnerschaftsbildungsprozeß abläuft, werden die Datensätze der hierfür in Frage kommenden Personen sowie die zugehörigen Haushalte auf eine temporäre Datei gespeichert und zunächst diejenigen Haushalte verarbeitet, in denen es keine Heiratskandidaten gibt. Diese Haushalte durchlaufen den Rest des Bevölkenmgsmoduls. Für Frauen im gebärfähigen Alter wird z.B. noch über eventuelle Geburten entschieden. Anschließend werden die Datensätze an die folgenden Module übergeben (Bildung, Erwerbsbeteiligung etc.) und in die Outputdatei (Bevölkerungsstichprobe der Periode T + 1) geschrieben (vgl. Figur 1). Die zwischengespeicherten Haushalte mit den Heiratskandidaten werden erst dann wieder eingelesen, wenn alle Haushalte ohne Heiratskandidaten durch den gesamten Mikrosimulator verarbeitet worden sind. Anschließend erfolgt die Simulation der Bildung von Ehegemeinschaften und Partnerschaften sowie eine Reorganisation der Haushalte. Dabei wird entschieden, ob neue Haushalte entstehen oder ob ein Partner in den Haushalt des anderen zieht. 3

Vgl. Ott (1986a; 1986b); Galler et al. (o.J., Abs. 1.2.1).

Das Simulationsmodell

147

Zum Schluß werden Geburten simuliert und die weiteren Module (Bildung, Erwerbsbeteiligung etc.) aufgerufen sowie am Ende sämtliche Datensätze in die Outputdatei (Bevölkerungsstichprobe der Periode T + 1) geschrieben (vgl. Figur 1). b) Bildungsmodul4 Im Bildungsmodul wird für Personen ab dem sechsten oder siebenten Lebensjahr die Teilnahme am Bildungssystem simuliert. Dabei wird nach 15 Schultypen (Grund-, Haupt-, Realschule, Gymnasium (5. bis 10. und 11. bis 13. Klasse), Gesamtschule (5. bis 10. und 11. bis 13. Klasse), Fachoberschule, Berufsaufbauschule, Berufsfachschule, Fachschule, Fachhochschule, wissenschaftliche Hochschule, Berufsschule (Teilzeit) und Abendrealschulel Abendgymnasium) und 10 Bildungsabschlüssen unterschieden. Für einige Schultypen sind Abbruch und Wiederholerwahrscheinlichkeiten vorgesehen. c) ErwerbstätigkeitsmodulS Das Erwerbstätigkeitsmodul ist theoretisch auf dem Humankapitalansatz gegründet. Es simuliert die Teilnahme am Beschäftigungssystem, Berufs- und Branchenmobilität sowie das Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit. Die Berufsmobilität wird für unterschiedliche Statuskategorien (Landwirt, Beamter, Arbeiter, Angestellter etc.) in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Schulabschluß simuliert. Die Gliederungsmerkmale der Übergangsmatrizen zur Bestimmung der Branchenmobilität sind Geschlecht und berufliche Stellung. Neben der qualitativen Entscheidung über die Erwerbsbeteilung erfolgt auch eine Bestimmung des Umfangs der Erwerbstätigkeit. Die Outputmerkmale dieses Modulteils sind die Dauer der jährlichen Erwerbstätigkeit in Wochen und die wöchentliche Arbeitszeit in Stunden.

4

Vgl. Galler et al. (o.J. Abs. 1.2.2).

5

Vgl. Galler et al. (o.J. Abs. 1.2.3).

148

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

d) Einkommensmodul Die Bestimmung des Einkommens von Personen wird im Simulationsmodell nach Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Einkommen aus Vermögen differenziert. Zur Erklärung des Einkommens aus unselbständiger Arbeit, die den größten Teil der Erwerbstätigkeit abdeckt, werden als exogene Faktoren Alter, Geschlecht, Ausbildung und Dauer der Erwerbstätigkeit untergliedert nach beruflicher Stellung herangezogen. Da für die Höhe des Einkommens neben individuellen Einflüssen auch gesamtwirtschaftliche Faktoren sowie spezifische Marktprozesse eine Rolle spielen, enthält das Einkommensmodul ebenso geschlechts-, berufs- und branchenspezifische Einkommensänderungsraten, die aus den entsprechenden Statistiken berechnet wurden (vgl. Galler et al. o.J., Abs. 1.2.4., S. 10). Die Bestimmung des Einkommens aus Vermögen wird mit Hilfe von Zinsfunktionen vorgenommen, die nach der beruflichen Stellung des Haushaltsvorstandes untergliedert sind und als erklärende Variablen u.a. Vermögen und Haushaltsgröße berücksichtigen. e) Transfermodul6 Im Transfermodul geht es um eine monetär quantifizierte Teilnahme von Personen am politischen System und an Systemen der sozialen Sicherung. Der Begriff Transfer bezieht sich auf wechselseitige Austauschbeziehungen zwischen Personen und Sozialsystemen (positive und negative Transfers). Im ersten Modulteil werden Lohn- und Einkommenssteuer bestimmt, außerdem die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung. Als positive Transfers werden die Zahlung von Kindergeld, Sozialhilfe und insbesondere Renten und Pensionen simuliert. Bei den Renten werden über mehrere Simulationsperioden Rentenanwartschaften aufgebaut, deren Berechnung im Erwerbs- und Einkommensmodul eingebettet ist und aus denen sich bei Bedarf Hinterbliebenen- und Versichertenrenten ermitteln lassen. In einem weiteren Teil dieses Moduls werden durch Scheidung verursachte private Unterhaltszahlungen simuliert.

6

Vgl. Galler et al. (0.1., Abs. 1.2.5).

Das Simulationsmodell

149

t) Konsum-/Spar-ModuI7

Das Konsum-/Spar-Modul bildet den Abschluß der gesamten Simulation. Es wird also nach dem Gesundheitsmodul aufgerufen. Im Modell werden mehrere Größen bestimmt, die z.T. (Netto-Vermögen) wieder als Input zur Berechnung künftiger Vermögenseinkommen dienen: Ausgaben für dauerhafte Konsumgüter, Ausgaben für den privaten Verbrauch, Ersparnis und Vermögen. Grundlage der Simulation der Konsumgüterausgaben ist für die meisten Ausgabenkategorien ein TOBIT-Modell, mit dem eine kombinierte Schätzung von Ausgabenereignis und Ausgabenhöhe möglich ist. Von einer Modellierung der durchschnittlichen Konsumgüterausgaben ("repräsentativer Konsument") wurde abgesehen, da sie auf mikroanalytischer Ebene ungenau ist und nicht berücksichtigt, daß Ausgabenereignisse, zumindest soweit sie sich auf dauerhafte Konsumgüter beziehen, für einen Einzelhaushalt nicht in jeder Periode stattfinden. Die Beschreibung der einzelnen Module ist aufgrund der Kürze natürlich nicht vollständig und geht nur auf einige interessante Aspekte ein. Sie sollte als Groborientierung dienen und die konzeptuelle Einordnung des Gesundheitsmoduls deutlich machen. 3.2 Das Gesundheitsmodul In Kap. m wurden die Grundstrukturen des bundesdeutschen Gesundheitssystems und einige darauf ausgerichtete Teilstrukturen anderer gesellschaftlicher Subsysteme beschrieben. Das Gesundheitsmodul kann man als Umsetzung der wesentlichen Einheiten dieser Gesamtstruktur und ihrer Funktionsweise in Simulationsprogramme verstehen (vgl. a. Brennecke 1984; 1986). Im Kern besteht das Gesundheitsmodul aus drei Teilmodulen. Eines repräsentiert die Krankenversicherung (GKV und PKV), ein zweites die ambulante gekoppelt mit der medikamentösen Versorgung und ein drittes die stationäre Versorgung (vgl. Figur 2). Im folgenden sollen lediglich die Standardversionen der einzelnen Teilmodule beschrieben werden. Umstellungen, die sich z.B. aufgrund der Implementation von Simulationsvarianten ergeben, sollen ad hoc erläutert werden (vgl. Kap. VI).

7

Vgl. Ganer et al. (o.J., Abs. I.2.6); Merz (1983a; 1983b).

ISO

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

a) Teilmodul zur Krankenversicherung Ziel des Krankenversicherungsmoduls (vgl. Baumannl Brennecke 1990) ist es, für eine aktuelle Simulationsperiode auf Haushalts- und Personenebene Versicherungsverhältnisse, Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Krankenkassen sowie für die folgende Periode differenzierte Beitragssätze zu simulieren. Versicherungsverhältnisse werden dabei für jede Person haushaltsintern, d.h. in Relation zu den Versicherungsverhältnissen der übrigen Haushaltsmitglieder , nach Versicherungsstatus und Kassenart bestimmt. Der Versicherungsstatus umfaßt acht Kategorien: (1) Pflichtversicherte, (2) freiwillig Versicherte, (3) Rentner, Familienangehörige von (4) Pflichtversicherten, (5) freiwillig Versicherten und (6) Rentnern sowie (7) sonstige Versicherte und (8) Nichtversicherte. Die Zuweisung erfolgt größtenteils auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen und aufgrund der sozio-ökonomischen Lage von Personen. Wesentliche Bestimmungsfaktoren sind z.B. die berufliche Stellung und das Erwerbseinkommen im Hinblick auf Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze, Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung, andere Versorgungsbezüge und Merkmale wie Arbeitslosigkeit, Studium, Wehrpflicht und Sozialhilfebezug. Diese Größen werden zum überwiegenden Teil in den vorhergehenden Modulen simuliert und im Gesundheitsmodul als modellendogene Erklärungsfaktoren berücksichtigt. Die Variable Kassenart ist untergliedert nach (1) Ortkrankenkasse, (2) Betriebskrankenkasse, (3) Innungskrankenkasse, (4) Knappschaft, (5) Ersatzkrankenkasse, (6) Landwirtschaftliche Krankenkasse, (7) Private Krankenversicherung und (8) Sonstige. Als erklärende Faktoren dienen die gleichen Variablen wie die zur Bestimmung des Versicherungsstatus. Zusätzlich wird die Kassenart für Pflichtversicherte noch nach der Branchenzugehörigkeit, für freiwillig Versicherte nach der Familienart zugewiesen. Die Hypothesen für diese Zuweisung wurden z.T. mit Hilfe einer Sonderauswertung des Mikrozensus 1982 ermittelt. Außerdem wurden zur Abbildung von Wanderungen zwischen Kassenarten Übergangswahrscheinlichkeiten aus der 1. und 2. Welle des sozio-ökonomischen Panels geschätzt (vgl. Baumannl Zollmann 1987; 1988). Die Simulation von Kassenwechseln erfolgt auf der Grundlage eines Vergleichs dieser Wahrscheinlichkeiten mit Zufallszahlen.

151

I

neue Simulationsperiode

v

Ini t i al i si erung und Einlesen der Parameter

.-------~>

Ja

I

v repräsentative Bevölkerungs< stichJ)robe der PerioCle T: Haushalt N lesen

Nein

BeitragssatzberechnlWlg und Parameterfortschreibung

repräsentative 7 - Besuchsfr~uenzen medikamentosen Leistungen, Heil- u. Hilfsmitteln - Kosten

I

v TEILMODUL STATIONÄRE VERSORGUNG

Zuweisung von: - Krankenhausaufenthalten - Aufenthalten in Fachabteilungen - Verweildauern - Finanzierungsträgern - Kosten

--->

Figur 2: Ablaufschema des Gesundheitsmoduls und IIO-Programme

152

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

Im dritten Teil des Moduls (vgl. Figur 2) werden differenziert nach Versicherungsstatus und Kassenart Beiträge und sonstige Einnahmen der Krankenkassen simuliert. Als Grundlage dient das personenbezogene Erwerbs- und Transfereinkommen. Die Einnahmen der Krankenkassen werden mit Hilfe auf die Einkommen angewandter Beitragsformeln berechnet, in die neben den individuell sehr unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen auch die in der Vorperiode ermittelten Beitragssätze eingehen (vgl. Baumann 1986: 190). Nach der Beitrags- und Einnahmenberechnung werden die Leistungsmodule (ambulante/ medikamentöse und stationäre Versorgung) aufgerufen. Die für das Versicherungsmodul wesentlichen Outputgrößen dieser Module sind die Behandlungsausgaben. Daneben werden noch Sterbegeld, Mutterschaftsgeld, Krankengeld und sonstige Ausgaben (AUSGAB) sowie ab 1991 die Zuweisung von ·Pflegegeld· (pFLEGE) simuliert. Anschließend wird die Beitragssatzberechnung vorbereitet durch die Summierung von Versicherten, Grundlöhnen, Einnahmen und Ausgaben. Erst wenn alle Haushalte verarbeitet sind, erfolgt aus diesen Größen die Berechnung des Beitragssatzes, der in der Folgeperiode zur Bestimmung der Beiträge herangezogen wird (Figur 2). b) Teilmodul zur ambulanten/medikamentösen Versorgung Das Inanspruchnahmeverhalten von Personen im ambulanten Bereich des Gesundheitssystems wird im vorliegenden Modell in drei Schritten nachgebildet (vgl. Kriwet 1990). Zunächst wird anhand von Wahrscheinlichkeiten, die nach Alter, Geschlecht und Versicherungsstatus differenziert sind, und einer Zufallszahl entschieden, ob eine Person einen niedergelassenen Arzt aufsucht. Anschließend erfolgt eine Verteilung der Inanspruchnehmer auf die einzelnen Facharztgruppen. Unterschieden wird nach den Facharztgruppen: Allgemeinarzt, Internist, Gynäkologe, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Dermatologe, Röntgenarzt, Orthopäde, Urologe, Augenarzt und Sonstige. Im dritten Schritt werden die Besuchsfrequenzen je Facharztgruppe bestimmt (vgl. Figur 2). Ein besonderes Problem der Hypothesenermittlung lag darin, daß bezüglich der Arztinanspruchnahme keine jahresbezogenen Daten verfügbar waren. Für den Modulautbau folgte daraus eine zweistufige Simulation der eben dargestellten Inanspruchnahmephasen. So wird die Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung zunächst für drei Monate simuliert. Die Hypothesen dazu wurden aus den Angaben der 1. Welle des sozio-äkonomischen Panels ge-

Das Simulationsmodell

153

schätzt. Zur Simulation der Jahreswerte wurden weitere Datenquellen herangezogen. Zur Verfügung standen aggregierte Prozeßdaten für einen Berichtszeitraum von einem Jahr und Befragungsdaten für einen Zeitraum von drei Monaten. Beide Quellen stammen allerdings aus dem Jahre 1975 (vgl. Knoblichl Thiele 1979; IGES 1985; 1986). Um die Jahresinanspruchnahme für 1984 zu schätzen, wurden aus einem Vergleich zwischen den auf drei Monate und auf ein Jahr bezogenen Angaben für 1975 sowie aus dem Vergleich zwischen den Dreimonatswerten für 1975 und den auf drei Monate bezogenen Angaben des sozio-ökonomischen Panels für 1984 Umrechnungsfaktoren geschätzt. Während der Simulation werden aufgrund dieser Umrechnungsfaktoren zusätzlich zu den Personen, die bereits innerhalb von drei Monaten beim Arzt waren zufallsmäßig Personen bestimmt, die für die restlichen neun Monate eines Jahres einen Arzt aufsuchen. In der gleichen Weise erfolgt eine Umrechnung der Zahl der Facharztkontakte und -Zuweisungen sowie der Besuchsfrequenzen. Untergliedert nach Alter, Geschlecht, Versicherungstatus und Facharztgruppe werden anschließend den Inanspruchnehmem ambulanter Behandlung die gruppenbezogenen durchschnittlichen Ausgaben für Medikamente, Heilund Hilfsmittel zugewiesen. Die Kosten für ambulante und medikamentöse Behandlung ergeben sich aus einer Multiplikation der durchschnittlichen Kostensätze je Facharztbesuch mit der Zahl der Facharztbesuche. Ausgeschlossen sind bei dem eben beschriebenen Verfahren die Zahnarztinanspruchnahme und zahnärztliche Leistungen. Diese werden mit Hilfe von aus Panel-Daten und GKV-Statistik berechneten Hypothesen simuliert. Die zahnärztliche Versorgung wird zunächst für 3 Monate mit Panelhypothesen abgebildet. Da vergleichbare Jahreswerte auch hier nicht vorliegen, wurden die 3-Monats-Quoten soweit erhöht, bis die Zahl der Inanspruchnehmer zahnärztlicher Leistungen den aus der GKV-Statistik 1984 berechneten Fallzahlen für zahnärztliche Behandlungen entsprach. Die Kostenwerte der Zahnarztinanspruchnahme wurden aufgrund der aus der GKV-Statistik ermittelten Fallkosten zugewiesen, wobei ein Inanspruchnehmer einem Fall entsprach. c) Teilmodul zur stationären Versorgung Im Teilmodul zur stationären Versorgung, das hier schematisch etwas ausführlicher dargestellt ist (vgl. Figur 3), läuft die Simulation der Inanspruch-

154

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

nahme in fünf Sequenzen ab, die programmlogisch der Darstellung der quantitativen Relationen der Krankenhausinanspruchnahme in Kap. IV folgen: (1) Bestimmung der Zahl der Krankenhausaufenthalte, (2) Zuordnung der Aufenthalte zu Fachabteilungen, (3) Bestimmung der Verweildauer, (4) Zuweisung zu Finanzierungsträgem und (5) Kostenermittlung. Zur Ermittlung der Zahl der Krankenhausaufenthalte und der Verweildauer wurden Funktionen geschätzt, aber auch Quoten für unterschiedliche Subgruppen. Dies gilt insbesondere für die Gruppen Entbindungsfälle, Sterbefälle und Kinder. Bei der Verweildauerbestimmung ist vor allem die getrennte Behandlung der Chroniker analytisch sinnvoll, da ihre Verweildauer mit über 200 Tagen weit über der durchschnittlichen Verweildauer aller Krankenhauspatienten liegt (rd. 18 Tage). Ein spezielles auch im Antrag des Projekts "Gesundheitsstrukturen " formuliertes Problem der Modellkonstruktion bestand in der Verflechtung von ambulanter und stationärer Behandlung (vgl. Stb3 1987b: 545). Eine Lösung wurde hierzu ansatzweise in der Berücksichtigung der Zahl der Arztkontakte bei der Schätzung von Krankenhausaufenthalten und Verweildauem gefunden (vgl. IV.3.1 u. IV.3.3). Der Ablauf der Simulation der stationären Behandlung stellt sich wie folgt dar: Anhand bestimmter Merkmale wird eine Person zunächst einer bestimmten Subgruppe zugeordnet und aufgrund eines Vergleichs zwischen Quote bzw. funktionsspezifischer Wahrscheinlichkeit und Zufallszahl entschieden, ob eine Krankenhauseinweisung erfolgt. Dann wird in ähnlicher Weise die Zahl der Wiedereinweisungen simuliert. Für jede Einweisung wird mit Hilfe der in Kap. IV.3.2 ermittelten altersabhängigen Quoten und einer Zufallszahl die Fachabteilung bestimmt. Die Schätzung der Verweildauer geschieht entweder über die Zuweisung einer pauschalen durchschnittlichen Verweildauer (Klinikentbindungen, Sterbefälle, Patienten in Sonderfachabteilungen, Kinder und Chroniker) oder, für die Mehrzahl der Krankenhauspatienten (ca. 75%), mit Hilfe von OLS-Funktionen (vgl. IV.3.3), aus denen sich die Jahresverweildauer errechnet. In Abhängigkeit von der Verweildauer und einer Zufallszahl wird im abschließenden Teil des Moduls für jeden Krankenhausaufenthalt der Finanzierungsträger bestimmt (vgl. Figur 3). Die Kosten der Krankenhausinanspruchnahme werden durch Multiplikation der nach Versicherungsstatus und Kassenart differenzierten "impliziten Pflegesätze" (vgl. IV.3.4) mit der Gesamtverweildauer berechnet. Nach Abschluß der Simula-

155

Das Simulationsmodell

tion der stationären Behandlung erfolgt der Rücksprung in das Teilmodul zur Krankenversicherung (vgl. Figur 2).

I

neue Simulationsperiode

v

SimuLationspara.--------:> meter der Periode T+1 schreiben

SimuLationsparameter der Periode T Lesen

v repräsentative BevöLkerungs< stichprobe der Periode T: HaushaLt N Lesen

Nein IN=N+11


Bestimmung der VD für: - KLinikentbindungen - Krankenhaussterbefälle Patienten in Sonder-FA - Kinder - Chroniker - restLiche Personen

-

Gesetzliche Krankenversicherung VD: FA: Private Krankenversicherung GesetzI. Unfallversicherung, ÖffentI. Haushalte, private Haushalte, Rentenversicherung, Arbeitgeber

Verweildauer Fachabteilung(en)

Figur 3: Ablaufschema des Teilmoduls zur stationilren Versorgung und IIO-Programme

IS6

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

4. Validierung des Modells 4.1 Allgemeine Aspekte der Validierung Sieht man ein Ziel der Mikrosimulation darin, vergleichbare und repräsentative Aussagen über alternative künftige Entwicklungen in der Gesellschaft zu generieren, dann muß in der Regel eine Anpassung des Modells an eine nachgezeichnete, "reale" Entwicklung vorgenommen werden. Die Hypothesenschätzung und -implementation stellt sozusagen die Rohkonstruktion des Modells dar, während bestimmte Gewichtungsfaktoren, sogenannte "tracking mechanisms" (vgl. Vetterle 1986: 145ff; Yett et al. 1979: 133ff; Orcutt et al. 1976: 262) eine "Eichung" ermöglichen. Besser wäre natürlich, wenn ein Modell auf Anhieb und bis ins Detail mit amtlichen Vergleichsdaten übereinstimmen würde. Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß Umfragedaten, die gewöhnlich zur Modellkonstruktion verwandt werden, etwa das sozio-ökonomische Panel, in anderen sozialen Situationen erhoben werden als amtliche Daten, z.B. Prozeßdaten der GKV -Statistik. Insofern ist eine Übereinstimmung zwischen Umfragedaten und amtlichen Daten nur auf einer sehr allgemeinen Ebene zu erwarten. Da sich bei Umfragedaten häufig Auswahlfehler ergeben, es werden z.B. zu wenig ältere Personen oder zu wenig Spitzenverdiener befragt, werden bestimmte Daten der amtlichen Statistik, z.B. die der Volkszählung, zur Konstruktion eines Hochrechnungs- und Gewichtungsrahmens herangezogen (vgl. a. Kolb 1988: 427). Mit dieser zusätzlichen Information über die Grundgesamtheit kann dann eine "Justierung" des auf Stichprobendaten beruhenden Simulationsmodells und seiner Datensätze vorgenommen werden (vgl. Merz 1982: 1-3). In der Regel sind Vergleiche mit der Statistik und daran orientierte Projektionen in die Zukunft erst aufgrund solcher Gewichtungen möglich. Im verwendeten Simulationssystem wurde für das Startfile eine solche Anpassung vorgenommen. Haushalte, die im Panel im Vergleich zur amtlichen Statistik z.B. unterrepräsentiert waren, wurden dupliziert. Teil der Justierung war auch die Berechnung von Änderungsfaktoren. Für das Teilmodul zur stationären Versorgung wurden aus einem Vergleich der amtlichen Daten8 von 1984 bis 1987 Faktoren berechnet, die eine an die Statistik angepaßte jährli8

Vgl. StatB. (1986b; 1987b; 1988b; 1989b).

Validienmg des Modells

157

che Fortschreibung der Einweisungsquoten und Verweildauern bestimmter Subgruppen (Sterbefälle, Kinder sowie Patienten in Sonderfachabteilungen und Abteilungen für Gynäkologie) ermöglichen. Für die meisten Krankenhauspatienten wird diese Fortschreibung jedoch mit Hilfe der in Kap. IV.3.1 und IV.3.3 geschätzten Längsschnitthypothesen vorgenommen. Im folgenden sollen einige simulierte Kenngrößen den Daten der amtlichen Statistik: gegenübergestellt und kurz kommentiert werden. Die Vergleiche sollen deutlich machen, für welche Gruppen aufgrund der Simulation relativ gesicherte Aussagen getroffen werden können und für welche Gruppen nicht.

4.2 Vergleiche zwischen amtlichen und simulierten Daten Tabelle 1 zeigt die Anteile der GKV- und PKV-versicherten Personen an der Gesamtzahl der Einwohner in der Bundesrepublik: von 1984 bis 1987 sowie die prozentualen Abweichungen der einzelnen Größen. Die GKV-Versicherten sind differenziert nach Mitgliedern, Familienangehörigen und Rentnern. Größere Abweichungen werden bei den Familienangehörigen und PKVVersicherten deutlich. Bei den Familienangehörigen zeigt sich im ersten Jahr (1984) eine Unterschätzung um ca. 13 Prozent. In der weiteren Entwicklung dürfte sich, wie die Werte für 1986 (-6.23%) und 1987 (-5.32%) zeigen, jedoch eine Annäherung an die statistische Entwicklung ergeben. Zu berücksichtigen ist außerdem, daß die Werte der Statistik: auch auf Schätzungen beruhen (vgl. BMAuS 1986b: 15). Bei den PKV -Versicherten tritt in allen Simulationsperioden eine Überschätzung um rd. 20 bis 23 Prozent auf, die über mehrere Jahre konstant bleibt. Das heißt, Auswertungen zur Entwicklung der PKV-Versicherten sind möglich. Bei Querschnittsangaben über Versichertenzahlen ist der Fehler jedoch zu berücksichtigen. Relativ gut abgebildet sind die Anteile der GKV-versicherten Mitglieder und Rentner. Der Mitgliederanteil weicht im Simulationsmodell um weniger als 1 Prozent von dem aus der Statistik: berechneten Anteil ab. Bei den Rentnern schwankt die Abweichung zwischen -3 und -4 Prozent.

158

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

Tabelle 1

Versichertenstruktur1 Versicherungsstatus

1984

1985

1986

1987

Mitglieder

Stat. Sim. Diff.

41.59 41.99 .96

41.93 42.12 .45

42.25 42.58 .78

42.57 42.62 .12

Familienangehörige

Stat. Sim. Diff.

33.31 28.99 -12.97

31.97 28.73

-10.13

30.19 28.31 -6.23

29.70 28.12 -5.32

Rentrier

Stat. Sim. Diff.

17.28 16.62 -3.82

17.41 16.85 -3.22

17.44 16.86 -3.33

17.54 16.81 -4.16

GKV

Stat. Sim. Diff.

92.18 87.74 -4.82

91.30 87.83 -3.80

89.88 87.88 -2.23

89.82 87.69 -2.37

PKV

Stat. 2 Sim. Diff.

7.82 9.52 21.74

8.59 10.54

22.70

8.78 10.82 23.23

9.22 11.06 19.96

Stat. Sim.

100.00 100.00

100.00 100.00

100.00 100.00

100.00 100.00

Insgesamt3

Prozentuale Anteile an der Gesamtzahl der Einwohner (1984: 61,2 Mio). Amtliche Daten (Stat.) Q: BMAuS (l986b; 1987b; 1988b) und eigene Berechnungen. Simulierte Daten (Sim.) Q: Sfb3-Mikrosimulator, Nov. 1989. 2 Q: PKV 1988, S. 22 und eigene Berechnungen. 3 incl. der nicht durch GKV und PKV versicherten Personen (sind in der Tabelle nicht getrennt aufgeführt). Diff.: prozentuale Abweichungen von der Statistik

Insgesamt zeigen die Daten, daß die simulierte Struktur der GKV-Versicherten relativ gut mit der Struktur der amtlichen Daten übereinstimmt. Zum Vergleich: In anderen Simulationsmodellen werden Abweichungen von 10-15 Prozent toleriert (vgl. Yett et al. 1979: 18t). Bei den Krankenhauställen liegt über vier Simulationsperioden insgesamt eine geringfügige Unterschätzung vor, die sich aus einer stärkeren Unterschätzung der Krankenhausfälle der Mitglieder (max. -5.32 %) und einer

ValidielUng des Modells

159

stärkeren Überschätzung der Krankenhauställe der Rentner (max. +4.69 %) ergibt (vgl. Tabelle 2). Die PKV-Versicherten sind in dieser Tabelle nicht enthalten, da in der PKV-Statistik (vgl. PKV 1988) bezüglich der Krankenhauställe keine Angaben gemacht werden. Die Simulationswerte der PKVVersicherten lagen von 1984 bis 1987 zwischen 11 bis 13 Fällen je 100 Personen (nicht abgebildet).

TabeUe 2

KrankenhausräUe je 100 Personen der jeweiligen Gruppel Versicherungsstatus

1984

1985

1986

1987

Mitglieder2

Stat. Sim. Diff.

22.34 21.66 -3.04

22.55 21.35 -5.32

22.95 22.17 -3.40

23.45 22.71 -3.16

Rentner2

Stat. Sim. Diff.

29.97 30.29 1.07

31.67 32.16 1.55

32.82 33.78 2.93

33.90 35.49 4.69

Stat. Sim. Diff.

24.58 24.10 -1.95

25.23 24.43 -3.17

25.83 25.45 -1.47

26.50 26.32 -.68

Amtliche Daten (Stat.) Q: BMAuS (l986b; 1987b; 1988b) und eigene Berechnungen. Simulierte Daten (Sim.) Q: Sfb3-Mikrosimulator, Nov. 1989. 2 incl. Krankenhausfälle der Familienangehörigen. Diff.: prozentuale Abweichungen von der Statistik

In Tabelle 3 sind die Krankenhauskosten je Person der jeweiligen Gruppe angeführt. Ähnlich wie bei den Krankenhauställen zeigt sich für die GKVversicherten Personen eine gute Übereinstimmung mit der Statistik. Die Krankenhauskosten der PKV-Versicherten weichen jedoch von den amtlichen Daten ab. 1986 z.B. um rd. 23 Prozent. Ebenso wie bei der Entwicklung des Versichertenanteils bleibt das Niveau d~r Abweichung von 1984 bis 1987 in etwa konstant. Für die Bundesrepublik insgesamt ergibt sich eine Unterschätzung der Krankenhauskosten von rd. 9-12 Prozent. Darin sind auch die Kosten der nicht durch GKV und PKV versicherten Krankenhauställe enthalten.

Mikrosimulation als Erkenntnismethode

160

Insgesamt zeigt der Vergleich, daß trotz einiger Abweichungen in der Simulation für die wesentlichen Gruppen plausible Ergebnisse erzeugt werden können. Die im folgenden Kapitel durchzuführende Analyse beschränkt sich wegen der größeren Abweichungen in der Gruppe der PKV-Versicherten im wesentlichen auf die Versicherten der GKV oder nimmt keine Unterscheidung nach dem Versicherungsstatus vor.

Tabelle 3

Krankenhauskosten je Person der jeweiligen Gruppel Versicherungsstatus

1984

1985

1986

1987

Mitgliederl

Stat. Sim. Diff.

657.82 655.71 -.32

677.44 670.55 -1.02

713.68 696.95 -2.34

722.25 676.57 -6.32

Rentnerl

Stat. Sim. Diff.

1559.07 1545.69 -.86

1667.65 1678.67 .66

1790.96 1799.31 .47

1811.66 1857.73 2.54

GKV2

Stat. Sim. Diff.

922.29 907.83 -1.57

967.94 958.37 -.99

1028.51 1009.27 -1.87

1040.10 1010.34 -2.86

PKV

Stat. 3 Sim. Diff.

697.08 550.06 -21.09

715.76 556.21 -22.29

741.31 569.16 -23.22

753.48 603.86 -19.86

Insgesamt4

Stat. Sim. Diff.

781.64 691.48 -11.53

830.80 740.41 -10.88

852.68 775.74 -9.02

893.15 803.74 -10.01

Amtliche Daten (Stat.) Q: BMAuS (1986b; 1987b; 1988b) und eigene Berechnungen. Simulierte Daten (Sim.) Q: Sfb3-Mikrosimulator, Nov. 1989. incl. Krankenhauskosten der Familienangehörigen. 2 3 Q: PKV 1988, Jahrgänge 1985-1988 und eigene Berechnungen. 4 incl. der nicht durch GKV und PKV getragenen Krankenhauskosten (vgl. Kap. IV.3.4, Tab. 21). Diff.: prozentuale Abweichungen von der Statistik

VI. Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme Um das Ausmaß einer möglichen künftigen Reduktion von Fehlbelegungen und Kosten im stationären Bereich abschätzen zu können, soll im 1. Abschnitt dieses Kapitels die Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme von 1987 bis zum Jahr 2000 ohne Reduktion von Fehlbelegungen simuliert werden. Die Ergebnisse dienen als Vergleichswerte für die in Abschnitt 2.4 gewonnenen Daten mit Reduktion von Fehlbelegungen. Der eigentliche Vergleichszeitraum reicht von 1990 bis 2000. Die Ergebnisse des Jahres 1987 werden der Vollständigkeit halber angeführt. Außerdem werden zur illustrierung einiger Ursachen Veränderungen der Bevölkerungs- und Versichertenstruktur diskutiert. Insgesamt ist dieses Kapitel gedacht als Beispiel einer an einem sozialen Problem orientierten Anwendung des Mikrosimulationsansatzes. Es stellt nicht das alleinige Ergebnis dieser Arbeit dar, sondern versucht, einen Problemaspekt der Krankenhausinanspruchnahme innerhalb eines quantitativ-systemEin soziales Protheoretischen Gesamtkonzepts zu analysieren (vgl. Kap. blem soll hier als Problem der Steuerung sozialer Systeme aufgefaßt werden (vgl. dazu Abschnitt 2.1). Für die zunächst zu beschreibende Basissimulation sind mehrere Annahmen getroffen worden, die kurz erläutert werden sollen.

m.

1. Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme bis zum Jahr 2000

1.1 Annahmen Für 1988 wurde zunächst eine erhöhte Inanspruchnahme infolge von "Vorziehereffekten" (sog. "Blüm-Bauch") modelliert. Ab 1989 sind die für unsere Analysen wesentlichen Änderungen des Gesundheitsreformgesetzes implementiert worden. Dazu zählen insbesondere geänderte Bedingungen der Zuweisung von Versichertenverhältnissen (vgl. BMAuS 1989: 86-89). Von einer Abbildung der Festbetragsregelungen und Selbstbeteiligungen für bestimmte Leistungen wurde abgesehen, da hierzu noch keine ausreichenden 11 Dül1ings

162

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Daten verfügbar waren. Für die stationäre Behandlung wird davon ausgegangen, daß die Erhöhung der Selbstbeteiligung ab 1991 von 5 auf 10 DM pro Tag für die ersten vierzehn Tage aufgrund ihrer kurzen Frist und ihres geringen Anteils am Pflegesatz keine merklichen Auswirkungen auf die Krankenhausinanspruchnahme hat (vgl. a. Herder-DorneichIWasem 1986: 228). Eine zweite Annahme bezieht sich auf die neueingefiihrte Förderung von Pflegeleistungen. Obwohl bereits für 1989 und 1990 Leistungen in Höhe von bis zu 1800 DM jährlich in Anspruch genommen werden können, wird dieser Bereich im Modell erst ab 1991 nachgebildet. Der Grund dafür ist, daß es sich um eine völlig neue Leistungsart handelt, die von seiten der Kassen und der Versicherten eine gewisse Erprobungszeit erfordert (vgl. a. Kesselheim 1989: 636). Hinzu kommt, daß der volle Leistungsumfang - 750 bzw. 400 DM monatlich - erst ab 1991 in Anspruch genommen werden kann. Das heißt, mögliche Auswirkungen dieser Neuerung auf die Krankenhausinanspruchnahme dürften sich vor 1991 in Grenzen halten. Eine wichtige Größe für die Simulation der Krankenhauskosten und Beitragssätze der GKV stellt auch die Preisentwicklung dar. Für den Vergleichszeitraum wurde ab 1990 keine Steigerung mehr angenommen, z.B. für Bruttolöhne- und gehälter, Pflegesätze oder andere Kostensätze. Ein Grund ist hierfür, daß die Kostenentwicklung in Abhängigkeit von der Inanspruchnahmeentwicklung, also real analysiert werden soll und nicht in Abhängigkeit von Preissteigerungseffekten, die nicht im Modell implementiert sind. Ein zweites Motiv ist, daß man so das heutige "Preisgefiihl" auch auf die Ergebnisse des Jahres 2000 übertragen kann. Die Verwendung einer Preissteigerungs- oder Inflationsrate für Krankenhausleistungen würde die Entwicklung nur unangemessen dramatisieren und nicht die tatsächlichen monetären Konsequenzen der Krankenhausinanspruchnahme in den Vordergrund stellen. Ein anderes Problem für prospektive Simulationsanalysen wurde zu Beginn des Jahres 1990 mit den politischen Veränderungen in der DDR und anderen osteuropäischen Ländern deutlich. Die Zahl der Aus- und Übersiedler war im vorherigen Jahr (1989) auf über 700000 angestiegen, während in den Jahren zuvor jährlich nur ca. 50000 bis 100000 Personen in die Bundesrepublik kamen (vgl. zur Entwicklung seit 1950: FleischerlProebsting 1989). Im Januar und Februar 1990 kamen pro Tag rd. 2000 Personen in die Bundesrepublik. Hätte die Entwicklung in diesem Umfang auch nach der DDR-Wahl am 18. März 1990 angehalten, so wären Prognosen zur gesellschaftlichen Entwick1ung schwierig möglich gewesen. Eine Zuwanderung um jährlich rd. 700000

Entwicklung der Krankenhausinansprochnahme

163

Personen würde zwar ein Bevölkerungswachstum von "nur" ca. 1 % bedeuten. Innerhalb von 10 Jahren wären dies aber bereits 10%. Dies hätte insbesondere auch eine kaum einschätzbare Erhöhung der Inanspruchnahme stationärer Einrichtungen zur Folge gehabt. Da die Entwicklung sich in dem anfänglichen Ausmaß nicht fortsetzte, soll sie im Modell nicht ausdrücklich implementiert werden. Außenwanderungen werden im Mikrosimulator ansatzweise über eine im Heiratsprozeß stattfindende Generierung von Ausländern berücksichtigt. Schließlich besteht ein weiteres Problem in der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Dies könnte eine Änderung der Sozialstuktur zur Folge haben. Inwieweit dies mittelfristig auch die Krankenhausversorgung der Bundesrepublik betrifft, ist allerdings unklar. Wahrscheinlich betreffen die Veränderungen zunächst die politischen und ökonomischen Verhältnisse. Bei den ökonomischen Verhältnissen herrscht zur Zeit eher die Tendenz zur Übernahme der ökonomischen Verhältnisse der Bundesrepublik vor. Andere Strukturen des Wirtschaftssystems, insbesondere sozialistisch-planwirtschaftliche, dürften in Ostdeutschland eher unwahrscheinlich sein. Geht man hiervon aus, dann wird sich die Krankenhausversorgung auch im Falle einer Wiedervereinigung nicht wesentlich ändern. Die vorliegende Analyse wäre dann nur eine Regionalanalyse, die allein für das Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik gilt. Insgesamt zeigt die dargestellte Problematik, daß rapide gesellschaftliche Veränderungen in einer prospektiven Simulationsanalyse nur ansatzweise berücksichtigt werden können (durch entsprechende theoretische Hypothesen). Betrachtet man die Simulationsanalyse jedoch als Instrument zur Generierung von Vergleichsalternativen, dann läßt sich zumindest beurteilen, welche Unterschiede und in welchem Ausmaß Unterschiede zwischen der einen und der anderen Alternative bestehen, inwieweit z.B. kostenreduzierende oder kostensteigernde Wirkungen in Zukunft eintreten können.

1.2 Ergebnisse Die folgenden Tabellen enthalten die Ergebnisse der Status-Quo-Simulation (Basissimulation) für die Jahre 1987, 1990, 1995 und 2000. Zunächst wird die Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme anband der absoluten Zahl der Krankenhausfälle, -tage und -kosten (Tabelle 1) sowie anband der relativen Zahl dieser Größen (Tabelle 3) für die Gesetzliche Krankenversicherung dargestellt. Die Tabellen 2 sowie 4, 5 und 6 sollen Aufschluß geben über ei-

164

Simulationsanalyse der Krankeooausinanspruchnahme

nige Ursachen der Inanspruchnahmeentwicklung. Tabelle 7 und 8 enthalten Maße zur differenzierten Betrachtung des Inanspruchnahmeprozesses und seiner Struktureffekte. In Tabelle 1 wird auf allgemeiner Ebene (GKV) ein Trend deutlich, den man in der Bundesrepublik schon seit mehr als drei Jahrzehnten beobachten kann: eine relativ starke Zunahme der Zahl der Krankenhausfälle bei nur schwacher Zunahme der Zahl der Krankenhaustage (vgl. a. StatB. 1988e: 49f). Die Zahl der Krankenhausfälle wird nach diesen Ergebnissen von 1990 bis 2000 von 10,4 auf 12,2 Mio. um 17,3 % steigen. Im Jahr 2000 erreicht die GKV damit eine Fallzahl, die 1987 für die Bevölkerung der gesamten Bundesrepublik erhoben wurde (vgl. StatB. 1989b: 63). Das Pflegetagevolumen der GKVnimmt ebenfalls zu, um 1,3% von 159,5 auf 161,6 Mio. Tage. Die Kosten steigen von 40,8 auf 41,4 Mrd. DM um 1,6%. Daß die Kostensteigerung in den Gruppen Mitglieder und Rentner parallel zur Entwicklung der Zahl der Pflegetage verläuft, hängt mit der Konstanthaltung der Pflegesätze von 1990 bis 2000 zusammen. In der Kategorie GKV zeigt sich hingegen ein Unterschied von 0,3 Prozentpunkten, da in der Simulation kein Gesamtpflegesatz verwandt, sondern nach Mitgliedern und Rentnern differenziert wurde (vgl. Tabelle 19, S. 132). Der Unterschied in der Kategorie GKV ergibt sich somit aus dem bis zum Jahr 2000 zunehmenden Gewicht des geringfügig höheren Rentnerpflegesatzes infolge einer Zunahme des Rentneranteils in der GKV (vgl. Tabelle 2). Auch die Unterschiede zwischen Pflegetage- und Kostenentwicklung in den Tabellen 3 und 13 sind auf diese Vorgabe zurückzuführen. Führt man eine für Mitglieder und Rentner einschließlich ihrer Angehörigen getrennte Betrachtung durch, so zeigt sich, daß die Intensivierung der Krankenhausinanspruchnahme bis zum Jahr 2000 insbesondere auf die Entwicklung bei den Rentnern zurückzuführen ist (vgl. Tabelle 1). Zu einem ähnlichen Ergebnis, allerdings für die tatsächliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, kommt auch Wachtel (1984). Das heißt, strukturell wird sich nach den Ergebnissen unseres Simulationsmodells bis zum Jahr 2000 gegenüber dem aktuellen Trend wenig ändern. Für die Zunahme der absoluten Inanspruchnahme stationärer Leistungen können mehrere soziale Entwicklungen verantwortlich sein, von denen hier einige kurz diskutiert werden sollen. In Tabelle 2 ist z.B. die Entwicklung der Versichertenstruktur von 1987 bis 2000 dargestellt. Dabei zeigt sich, daß die Zahl der GKV-Mitglieder und Familienangehörigen bis zum Jahr 2000 abnimmt, die der Rentner zunimmt. So sinkt die Zahl der Mitglieder von 1990

Entwicklung der Kraokenhausinanspruchnahme

16S

bis 2000 von 25,4 auf 22,6 Mio. um 11 %, die Zahl der Familienangehörigen von 16,2 auf 15,2 Mio. um 6,2%. Die Zahl der Rentner steigt von 10,4 Mio. in 1990 auf 11 Mio. im Jahr 2000 um 5,8%.

2_

Tabelle 1

FäHe, Tage und Kosten stationärer Behandlung bei Mitgliedern und Rentnern fmel. Familienangehörige): amtliche Werte 1987· und Basissimulation 1987 bis

Versieherungsstatus

Jahr

FäHe in Mio.

Tage in Mio.

Kosten3 in Mio.

Mitglieder inel. Farn.

19871 1987 1990 1995 2000 1990/2000

6,1 6,0 6,6 6,5 6,5 -1,5%

75,5 71,6 79,1 66,2 63,8 -19,3%

18782,0 17725,1 19982,9 16725,2 16127,1 -19,3%

Rentner inc1. Farn.

1987 1 1987 1990 1995 2000 1990/2000

3,6 3,7 3,8 4,6 5,6 +47,4%

78,3 76,5 80,4 85,6 97,8 +21,6%

19408,2 19197,8 20778,8 22122,7 25275,8 +21,6%

GKVVersicherte inel. Farn.

19871 1987 1990 1995 2000 1990/2000

9,7 9,6 10,4 11,1 12,2 +17,3%

153,8 148,2 159,5 151,8 161,6 +1,3%

38190,2 36922,9 40761,7 38847,9 41402,9 +1,6%

1 Werte der amtlichen Statistik (BMAuS 1988b) 2 Quelle: Sfb3-Milcrosimu1ator, März 1990 3 ohne Pßegesatzsteigerung Farn.: Familienangehörige

Insgesamt ist nach den Ergebnissen bis zum Jahr 2000 mit einer Abwanderung der GKV-Versicherten zur privaten und sonstigen Krankenversicherung im Umfang von rd. 6% zu rechnen. Die Zahl der PKV-Versicherten wird im gleichen Zeitraum um ca. 21 % steigen. Daß diese Entwicklung nicht unreali-

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

166

stisch ist, zeigen die bisherigen Erfahrungen. Innerhalb von 10 Jahren, d.h. von 1975 bis 1985, ist die Zahl der PKV-versicherten Personen nach den Angaben des Verbandes der privaten Krankenversicherung (vgl. PKV 1988: 22) von 4,2 auf 5,2 Mio um knapp 24 % gestiegen.

Tabelle 2

Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland: amtliche Werte 19871 und Basissimulation 1987 bis 20002 Jahr

19871 1987 1990 1995 2000 1990/2000

2 3

Mitgl. in Mio.

in Mio.

Fam.

Rentn. in Mio.

26,0 26,2 25,4 23,9 22,6

18,1 17,3 16,2 15,7 15,2

10,7 10,3 10,4 10,8 11,0

-11,0%

-6,2%

+5,8%

PKV Einw. GKV in Mio. in Mio. in Mio. 3 54,8 53,8 52,0 50,4 48,8

5,6 6,8 8,2 9,4 9,9

61,1 61,5 60,9 60,1 59,2

-6,2% +20,7%

-2,8%

Werte der amtlichen Statistik (BMAuS 1988b; StatB. 1989a) Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990 incl. nichtversicherter und sonstiger Personen

Bezieht man die Änderungen in der Versichertenstruktur der GKV auf das prospektive Inanspruchnahmeverhalten, dann ergibt sich ein etwas geändertes Bild: Der Rückgang der Krankenhausinanspruchnahme bei den Mitgliedern incl. ihrer Familienangehörigen z.B. (vgl. Tabelle 1) ist z.T. auf den Rückgang der Zahl der Mitglieder und Familienangehörigen zurückzuführen (vgl. Tabelle 2). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der größere Teil der Krankenhausleistungen von Familienangehörigen in Tabelle 1 den Mitgliedern zugerechnet wird, da bei den Mitgliedern neben den Ehepartnern häufig auch Kinder anspruchsberechtigt sind, während bei den Rentnern in der Regel nur der Ehepartner hinzukommt. Auch die Inanspruchnahmeentwicklung der Rentner relativiert sich und ist z.T. erklärbar aus der Zunahme der Zahl der Rentner. Führt man eine Bereinigung der Krankenhausinanspruchnahme um die angesprochenen Mitgliederwanderungen durch (vgl. Tabelle 3), so liegt bei den Rentnern jedoch immer noch eine deutliche Inanspruchnahmesteigerung vor. Im Jahr 2000 wird z.B. eine Zahl von 43 Krankenhausfällen je 100 Rentner

Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme

167

(incl. Familienangehörige), also gegenüber 1990 (30,6 Fälle) eine Steigerung um rd. 41 % erreicht. Bei den Mitgliedern erhöht sich die Zahl der Krankenhausfälle je 100 Versicherte von 16,7 in 1990 auf 18,2 Fälle in 2000 um 9%. Die Zahl der Pflegetageje 100 Mitglieder nimmt weniger deutlich ab (-10,7%) als die absolute Zahl der Pflegetage (-19,3 %) (vgl. Tabelle 1 u. 3). Insgesamt ist innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung in der Periode von 1990 bis 2000 mit einer Zunahme der Zahl der Krankenhaustage je 100 Versicherte um 8 % und der realen Kosten je Versicherter ebenfalls um ca. 8% zu rechnen.

Tabelle 3

FäHe, Tage und Kosten stationärer Behandlung bei Mitgliedern und Rentnern (iocl. Familienangehörige): Basissimulation 1990 bis 20001 Versieherungsstatus

je 100 Mitg.

KH-Fälle je 100 Vers.

Mitglieder

1990 25,9 1995 27,2 2000 29,0 90/2000 + 12,0%

16,7 17,3 18,2 +9,0%

Rentner

1990 36,9 30,6 773,1 648,4 1998,0 1675,7 1995 43,8 35,9 792,6 668,8 2048,4 1728,3 2000 51,3 43,1 889,1 752,3 2297,8 1944,3 90/2000 +39,0% +40,8% +15,0% +16,0% +15,0% +16,0%

GKV

1990 29,1 20,1 1995 32,0 22,1 2000 36,3 25,1 90/2000 +24,7% +24,9%

Jahr

KH-Tage je 100 Vers.

KH-Kosten2 je je Mitg. Vers.

311,4 199,7 277,0 176,1 282,3 178,3 -9,3% -10,7%

786,7 504,6 699,8 444,8 713,6 450,5 -9,3% -10,7%

je 100 Mitg.

445,5 437,5 481,0 +8,0%

306,7 301,2 331,1 +8,0%

1138,6 1119,5 1232,2 +8,2%

783,9 770,8 848,4 +8,2%

Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990 Mitg.: Mitglieder bzw. Rentner Vers.:Mitglieder incI. Familienangehörige bzw. Rentner incI. Familienangehörige 2 ohne Pflegeaatzsteigerung

Die Ergebnisse haben gezeigt, daß es trotz der Abwanderung zur PKV innerhalb der GKV noch zu einer Steigerung der Krankenhausinanspruchnahme

168

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

kommt. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß dies ein in die Zukunft gerichtetes Abbild der aktuellen Hypothesenstruktur darstelltl, die keine Wendepunkte vorsieht, d.h. einen Rückgang der Krankenhausinanspruchnahme unter bestimmten Bedingungen modelliert. Man könnte die Hypothesenstruktur wahrscheinlich verbessern, wenn man über mehrere Jahre eine Lebensverlaufsanalyse durchführte. Auf der Grundlage des soziD-Ökonomischen Panels, das derartige Analysen erlauben wird, lassen sich hier somit weitere Forschungsarbeiten anschließen.

Tabelle 4

Durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche innerhalb eines Quartals bei Mitgliedern und Rentnern (incl. Familienangehörige): Basissimulation 1990 bis 20001 Jahr

1 2

Besuche je Mitglied

Besuche je Rentner

Besuche je GKV-Mitg. 2

1990 1995 2000

3,22 3,23 3,21

6,06 6,05 6,23

4,05 4,07 4,11

90/2000

-0,3%

+2,8%

+1,5%

Quelle: Stb3-Mikrosimulator, März 1990 Mitglieder und Rentner

Im folgenden sollen zur Erläuterung der Inanspruchnahmeentwicklung einige ihrer Ursachen beleuchtet werden. Aufgrund der in Kap. IV dargestellten Hypothesenstruktur können sich im Simulationsmodell neben den rekursiven Beziehungen des Inanspruchnahmeprozesses (begleitende und frühere Behandlungsepisoden) auch Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung sowie in den Strukturen des Familiensystems auf die aktuelle Inanspruchnahme auswirken. Tabelle 4 enthält zunächst die durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche innerhalb eines Quartals je Mitglied für 1990, 1995 und 2000. Die Ergebnisse machen eine ähnliche Tendenz deutlich, wie sie sich in Tabelle 3 zeigt. Die Vgl. hierzu die Verhältniszahlen in Kap. IV, Tab. 2 u. 3.

Entwicklung der Krankenbausinanspruchnahme

169

Veränderungen sind nur schwächer ausgeprägt. Bei den Mitgliedern sinkt die Zahl der Arztbesuche von 1990 bis 2000 von 3,22 auf 3,21 um 0,3%, während sie bei den Rentnern um 2,8% von 6,06 auf 6,23 Arztbesuche je Mitglied ansteigt. Man kann davon ausgehen, daß die Entwicklung der Arztinanspruchnahme aufgrund der Hypothesenstroktur die in Tabelle 3 dargestellte Entwicklung der Krankenhausinanspruchnahme, insbesondere bei den Tagen, zumindest teilweise unterstützt (vgl. a. Tabelle 16 (S. 127) u. 17 (S. 129». Tabelle 5 zeigt die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur differenziert nach Alter und Geschlecht von 1990 bis 2000. Dabei fällt auf, daß man nur bedingt von einer Überalterung der Bevölkerung reden kann. Der Anteil der Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren nimmt zwar von 13,8 auf 16,9% um 22,5 % zu, der Anteil der Personen im Alter von 75 und mehr Jahren jedoch von 7,1 in 1990 auf 6,6% in 2000 um 7% ab. Da die Gruppe zwischen 60 und 74 Jahren einen größeren Teil der Bevölkerung umfaßt als die Gruppe der Hochbetagten, kann man aber von einer "schwachen Überalterung" reden2 • Ein anderes, für uns wesentliches Ergebnis ist auch die Zunahme des Anteils der Personen im Alter von unter 15 Jahren um 6,7 %. Damit gewinnt eine Gruppe an Gewicht, die ebenfalls eine erhöhte Krankenhausinanspruchnahme aufweist, zumindest im unteren Altersbereich (vgl. Bridgman 1979: 130ft). Zusammen mit der geringfügigen Überalterung kann man davon ausgehen, daß der Wandel der Bevölkerungsstruktur insgesamt einen steigernden Effekt auf die Krankenhausinanspruchnahme ausübt. Bei der Zunahme der unter 15Jährigen handelt es sich um die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge im Alter von 30 bis 44 Jahren3 •

2

3

Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß die Entwicklung der Zahl der Hochbeim Simulationsmodell etwas unterschätzt wird und die gruppenspezifische Uberalterung in der höchsten Kategorie tatsächlich stärker ausfällt (vgl. Prößdorf 1985: 256; vgl. a. hier: Anm. 5, S. 176). Insofern stellen die Simulationsergebnisse hinsichtlich der Inanspruchnahme von Krankenhäusern wegen der erhöhten Inanspruchnahme seitens der Hochbetagten eher eine Untergrenze dar.

~gten

Vgl. zu ähnlichen Ergebnissen mit einer früheren Version des Mikrosimulators Ott (1986b: 23f).

Simulationsanalyse der Krankenhausinanapruchnahme

170

Tabelle 5

Bevölkerungsstruktur: Anteile nach Alter und Geschlecht: Basissimulation 1990 bis 20001 JahrWter

0-14

15-29

30-44

45-59

60-74

75+ Summe

Männer

1990 7,7 11,4 11,0 1995 7,9 9,4 12,2 7,9 2000 8,1 12,8 90/2000 +5,2% -30,7% +16,4%

10,2 5,7 10,4 6,7 10,0 7,9 -2,0% +38,6%

2,1 48,1 1,8 48,4 1,9 48,6 -9,5% +1,0%

Frauen

1990 7,2 10,8 10,5 1995 11,6 7,5 9,1 2000 7,7 7,6 12,2 90/2000 +6,9% -29,6% +16,2%

8,1 10,2 10,3 8,5 10,0 9,0 -2,0% +11,1%

5,0 51,7 4,5 51,5 4,7 51,2 -6,0% -1,0%

Summe

1990 14,9 22,3 21,5 1995 15,4 18,5 23,8 2000 15,9 15,5 25,1 90/2000 +6,7% -30,5% +16,7%

13,8 20,4 20,7 15,2 20,0 16,9 -2,0% +22,5%

7,1100,00 6,3100,00 6,6100,00 -7,0%

1

Quelle: Stb3-Mikrosimulator, März 1990

In Kap, IV.3.1 wurde deutlich, daß die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Krankenhausaufenthalts signifikant auch durch die Größe des Haushalts, in dem eine Person lebt, beeinflußt wird (vgl. ebd.: Tabelle 8). Insbesondere allein lebende Personen besitzen ein erhöhtes Einweisungsrisiko. Die Zunahme der Krankenhausinanspruchnahme bis 2000 dürfte demnach in geringem Umfang auch durch die in Tabelle 6 dargestellte Zunahme des Anteils der I-Personen-Haushalte an der Gesamtzahl der Haushalte bedingt sein ( + 10,1 %). Umgekehrt schwächt sich der inanspruchnahmesenkende Effekt der Mehr-Personen-Haushalte durch einen Rückgang der betreffenden Anteile ab. Bei den 3- und 4-Personen-Haushalten z.B. beträgt der Rückgang zwischen 11 und 13%.

Entwicklung der Krankenhausinanspl1lchnahme

171

TabeUe6

Private Haushalte (IIH) insgesamt (= 100 %) und Anteile nach Haushaltsgroße: Basissimulation von 1990 bis 2000·

Jahr 1990 1995 2000 90/2000

HH insg. 1-Pers- 2-Pers- 3-Pers- 4-Pers- 5-Pers(Mio.) HH HH HH HH HH 26,2 26,7 26,7

34,7 36,7 38,2

31,0 31,4 31,2

16,7 15,6 14,5

11,8 10,7 10,5

5,9 5,6 5,6

+1,9% +10,1%

+0,6%

-13,2%

-11,0%

-5,1%

HH: Haushalt(e) Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990

Angesichts des möglichen Strukturwandels in der Umwelt der stationären Versorgung stellt sich nun die Frage, in welcher Weise sich die internen Strukturen des Krankenhauswesens bis zum Jahr 2000 ändern. Darüber Aufschluß zu gewinnen, ist insbesondere für die Krankenhausbedarfsplanung von Bedeutung. Im. folgenden soll daher eine Bedingung dieses Wandels, nämlich die differenzierte Entwicklung des Inanspruchnahmeprozesses untersucht werden. In Tabelle 7 ist für die Einwohner der Bundesrepublik Deutschland die simulierte Entwicklung der Krankenhaustage nach Fachabteilungen dargestellt. Auf allgemeiner Ebene (Kategorie insgesamt) zeigt sich bis 2000 ein Anstieg der Zahl der Krankenhaustageje 100 Personen um 9,8% von 361,6 auf 397,2 Tage. Auffällig ist ebenso die deutlich überdurchschnittliche Zunahme der Krankenhaustage von Patienten in Chroniker- und Geriatrieabteilungen. Die Zahl der Tage je 100 Einwohner steigt hier von 13,6 in 1990 auf 18,4 in 2000 um rd. 35 %. Sämtliche anderen Steigerungsraten liegen z. T. deutlich unter 20 %. Man kann somit davon ausgehen, daß die Überalterung der Bevölkerung sich zumindest teilweise in einer erhöhten Inanspruchnahme der Geriatrieabteilungen niederschlägt. Eine überdurchschnittliche Steigerung findet man auch in den Fachabteilungen Innere Medizin (+ 16 %), Kinderheilkunde (+19,8%) und Chirurgie! Urologie (+18,2%). Der Anstieg der Inanspruchnahme in der Kinderheilkunde dürfte z.T. auf die simulierte demographische Veränderung zurückzuführen sein, d.h. auf die Zunahme des Anteils

172

Simulationsanalyac der Krankenhausinanspruchnahme

der unter 15-Jährigen (vgl. Tabelle 5). Der Rückgang der Inanspruchnahme in der Fachabteilung Geburtshilfe von 5,,1 Tagen je 100 Einwohner in 1990 auf 4,8 Tage in 2000 um knapp 6 % erscheint auf den ersten Blick als Widerspruch zu diesem Ergebnis. Die unterschiedliche Entwicklung ergibt sich jedoch aus folgendem Zusammenhang. Zunächst zeigte sich im Simulationsmodell ab Mitte der 90er Jahre ein Rückgang der Geburtenziffern, während für die erste Hälfte der 90er Jahre eine steigende Zahl von Geburten simuliert wurde (vgl. a. Ott 1986b: 24, Abbildung 10). Der zweite Punkt ist, daß die Inanspruchnahme geburtshilflicher Abteilungen lediglich durch einen Altersjahrgang der Kinder bestimmt wird, im Jahr 2000 etwa nur durch die Zahl der Entbindungen in diesem Jahr, die Inanspruchnahme der Fachabteilungen für Kinderheilkunde jedoch durch 15 Altersjahrgänge. Insofern ist die niedrige Inanspruchnahme der Fachabteilungen für Geburtshilfe im Jahr 2000 bedingt durch die geringe Zahl von Geburten in diesem Jahr, während in die erhöhte Inanspruchnahme der Fachabteilungen für Kinderheilkunde auch die Wirkungen der erhöhten Geburtenziffern zu Beginn der 90er Jahre eingehen. In welchem Umfang die hier dargestellte Änderung des Inanspruchnahmeverhaltens strukturelle Verschiebungen innerhalb der stationären Versorgung bewirken könnte, ist in Tabelle 8 anband des geschätzten Bettenbedarfs, der sich aufgrund der Simulationsergebnisse bis zum Jahre 2000 ergibt, angeführt. Als Orientierungsgröße wurde die nach Disziplinen differenzierte Bettennutzung von 1987 verwandt. Diese lag im Durchschnitt bei 86,6 % (vgl. StatB. 1989b: 63). Das heißt, es wurde eine durchschnittliche Belegung der Krankenhausbetten an 316 von 365 Tagen im Jahr angenommen. Die Bettennutzung liegt damit um 1,6 Prozentpunkte über der Planungsgröße der Bundesländer. In der Gesamtentwicklung zeigt sich aufgrund der Zunahme der Krankenhausinanspruchnahme eine Erhöhung des Bettenbedarfs von 671500 in 1990 auf 707400 Betten in 2000, d.h. um 5,3% (vgl. Tabelle 8). Die Steigerung des Bettenbedarfs liegt unter der 9,8 %-igen Steigerung der Krankenhaustage (vgl. Tabelle 7), weil es sich hier um absolute Größen handelt. Bei den Verhältniszahlen war die Zunahme aufgrund des Bevölkerungsruckgangs größer als bei den Absolutzahlen (vgl. Tabelle 1 bis 3).

173

Entwicklung der Krankenhausinan.spruchnahme

Tabelle 7

KH-Tageje 100 Einwohner nach Fachabteilungeo: Basissimulation (BASIS) von 1990 bb 20001 Fachabteilung

Jahr

BASIS

Fachabteilung

Jahr

BASIS

Geburtshilfe

1990 1995 2000 1990/2000

5,1 5,4 4,8 -5,9%

Orthopädie

1990 1995 2000 1990/2000

6,9 7,6 7,7 +11,6%

SonderFA

1990 1995 2000 1990/2000

87,0 85,7 83,2 -4,4%

Gynäkologie

1990 1995 2000 1990/2000

22,4 24,6 24,8 +10,7%

Innere Medizin

1990 1995 2000 1990/2000

86,3 93,4 100,1 +16,0%

Chroniker /Geriatrie FA

1990 1995 2000 1990/2000

13,6 16,8 18,4 +35,3%

Kinderheilkunde

1990 1995 2000 1990/2000

9,6 10,3 11,5 +19,8%

übrige AkutFA

1990 1995 2000 1990/2000

31,6 33,6 29,4 -7,0%

Chirurgie /Urologie

1990 1995 2000 1990/2000

99,2 107,6 117,3 +18,2%

Insgesamt

1990 1995 2000 1990/2000

361,6 384,8 397,2 +9,8%

Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990 FA: Fachabteilungen

Strukturell zeigen sich in der Entwicklung des Bettenbedarfs entsprechend dem geänderten Inanspruchnahmeverhalten einige Verschiebungen. Zunächst erhöht sich der Bettenbedarf der Chroniker- und Geriatrieabteilungen von 15000 in 1990 um 30,7% auf 19600 Betten in 2000. Eine deutlich überdurchschnittliche Ausdehnung der Kapazitäten wäre auch in den Fachabteilungen Innere Medizin (+ 12,7%), Kinderheilkunde (+ 16,9%) und Chirurgie! Urologie (+ 15,0%) erforderlich, zumindest wenn man eine konstant bleibende Bettennutzung von rd. 87 % voraussetzt. Einen leichten Rückgang der Kapa-

174

Sirnulationsanalyse der Kraokenhausinanspruchnahrne

zitäten findet man in den Sonderfachabteilungen (-6,9%) und den übrigen Akutfachabteilungen (-9,7 %).

Tabelle 8

KH-BeUenbedarf bei BeUennutzung (86,6") laut amtlichen Daten von 19871 : Basissimulation (BASIS) von 1990 bis 2C)OOl Fachabteilung

Jahr

Geburtshilfe3

19871 1990 1995 2000 1990/2000

SonderFA

19871 1990 1995 2000 1990/2000

Innere Medizin

Fachabteilung

Jahr

Orthopädie

19871 1990 1995 2000 1990/2000

21,5 21,5 23,2 23,2 +7,9%

208,6 208,1 202,3 193,7 -6,9%

Gynäkologie4

19871 1990 1995 2000 1990/2000

52,8 52,6 56,7 55,0 +4,6%

19871 1990 1995 2000 1990/2000

156,2 155,8 166,2 175,6 +12,7%

Chroniker IGeriatrie -FA

19871 1990 1995 2000 1990/2000

15,0 15,0 18,2 19,6 +30,7%

Kinderheilkunde

19871 1990 1995 2000 1990/2000

21,9 21,9 23,2 25,6 +16,9%

übrige AkutFA

19871 1990 1995 2000 1990/2000

46,3 46,2 48,5 41,8 -9,7%

Chirurgie IUrologie

19871 1990 1995 2000 1990/2000

150,8 150,4 161,0 172,9 +15,0%

Insgesamt

19871 1990 1995 2000 1990/2000

673,1 671,5 699,3 707,4 +5,3%

BASIS

(in 1000)

BASIS

(in 1000)

vgl. StatB. (1989b: 21 u. 63) Quelle: Stb3-Mikrosimulator, März 1990 3 Betten für Geburtshilfe werden zusammen mit den Betten der Fachabteilung für Gynäkologie geführt (vgl. StatB. 1989b: 21) 4 incl. Betten für Geburtshilfe FA: Fachabteilungen 2

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

175

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, daß es ohne eine Reduktion der Fehlbelegungen in Akutkraokenhäusem (die Sonderfachabteilungen, Chroniker- und Geriatrieabteilungen sind davon ausgenommen) bis zum Jahr 2000 wahrscheinlich eher zu einer geringfügigen Ausweitung der Bettenkapazitäten kommen wird. Ob die hier simulierte Entwicklung allerdings tatsächlich eintritt, läßt sich nicht eindeutig sagen. Denn mit dem Gesundheitsreformgesetz 1988 sind einige rechtliche Möglichkeiten geschaffen worden, die dieser Entwicklung entgegenwirken könnten. Im folgenden Abschnitt 2 soll diese Entwicklungsperspektive näher untersucht werden.

2. Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme Seitdem die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen im November 1986 eine Untersuchung zum Umfang der Belegung von Akutkrankenhäusern mit Pflegefallpatienten angeregt hat, gibt es in der Bundesrepublik eine sich intensivierende Diskussion um dieses Thema. Im Vordergrund stehen dabei Fragen nach den Ursachen der Fehlbelegung und nach Maßnahmen zu ihrem Abbau. Betrachtet man die Diskussion um "Unwirtschaftlichkeit" und "unsachgemäße Nutzung" insbesondere von Alrutkrankenhäusem während der vergangenen zehn Jahre, dann zeigt sich, daß das Thema "Fehlbelegung" eine Vorgeschichte hatte. Daß man heute über Fehlbelegungen diskutiert, ist z. T. auf die Problematisierung der angeblichen oder tatsächlichen Verweildauerprolongierung seitens der Krankenhäuser und auf die Verknüpfung dieses Problems mit dem überproportionalen Ausgabenanstieg im Bereich der stationären Versorgung zurückzuführen. Während der Ausgabenanstieg zunächst relativ unspezifisch u.a. vor dem Hintergrund "zu langer" Verweildauern betrachtet wurde, scheint das Kostenproblem heute mit dem Phänomen "Fehlbelegung" zumindest teilweise lokalisiert zu sein. Eine detaillierte Analyse dieses Phänomens setzt die Betrachtung unterschiedlicher Dimensionen voraus. Man könnte fragen, wieso die Fehlbelegung als Problem gesehen wird, für wen sie ein Problem darstellt und wie es entsteht. Aus der Sicht des Laiensystems ist aber auch zu fragen, ob und in welcher Weise die private Betreuung von Pflegebedürftigen problematisch ist. Im folgenden soll es daher zunächst um eine Diskussion der Fehlbelegung als Steuerungsproblem gehen (2.1). Es sollen die unterschiedlichen Perspektiven der betroffenen Kommunikateure gegenübergestellt werden, insbesondere die der Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen, der Krankenhäuser ,

176

Simulationsanalysc der Krankeohausinanspruchnahmc

der Krankenkassen und des Staates, um Möglichkeiten zu einer Reduktion der Fehlbelegung aufzuzeigen. Anschließend werden einige Annahmen und empirische Ergebnisse bezüglich des Umfangs von Fehlbelegungen in bundesdeutschen Akutkrankenhäusem beschrieben (2.2). Die in den folgenden Abschnitten dargestellte Simulationsanalyse versucht darüber Aufschluß zu geben, wie sich die Krankenhausinanspruchnahme unter der Bedingung einer vom politischen System aus induzierten Reduktion der Fehlbelegung bis zum Jahr 2000 entwickeln könnte.

2.1 Fehlbelegung als Steuerungsproblem Die Fehlbelegung als "fehlgeleitete" Krankenhausinanspruchnahme involviert, wie oben bei der Krankenhausinanspruchnahme allgemein deutlich wurde (vgl. m.3.3), Prozesse unterschiedlicher sozialer Systeme. Dazu gehören das Familiensystem, das über einzelne Kommunikationen an der Konstitution des Laiensystems im Gesundheitswesen beteiligt ist, die Systeme der ambulanten und stationären Versorgung, ökonomisch operierende soziale Sicherungssysteme, insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung und das politische System. Von Bedeutung sind aber auch Prozesse unterhalb der Ebene sozialer Systeme, z.B. die Überalterung der Bevölkerung und die Zunahme der Multimorbidität von Hochbetagten, d.h. die Zunahme der für eine Behandlung erforderlichen Zahl von Diagnosen. Eine Konstitutionsbedingung der Fehlbelegungsproblematik liegt offenbar in der demographischen Entwicklung. Entscheidend ist die bei älteren im Verhältnis zu jüngeren Personen gewandelte" Art des Krankseins". Während jüngere als krank definiert werden können, weil ihr Zustand als von der Normalität abweichende Beeinträchtigung alltäglicher Routinen sichtbar wird, ist bei älteren Personen häufig unklar, ob ihr Zustand als Krankheit oder als normale Erscheinung des A1tseins zu werten ist4. Bei älteren Menschen sind die Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit fließender als bei jüngeren. Nimmt die Zahl der Hochbetagten in einer Gesellschaft zu, so ruckt auch dieses Problem stärker in den VordergrundS. 4

So können selbst chronisch Kranke, z.B. Diabetiker, ihren gewohnten Rollenverpflichtungen - im Sinne Parsons' - nachkommen. Sie werden von ihrer Umwelt nicht ohne weiteres als krank betrachte! (vgl. Gerhard 1988: 231).

S

Nach Prößdorf (1985: 256) ist in der Bundesrepublik innerhalb von einer Generation, d.h. von 1950 bis 1982, die Zahl der 80- bis 85-Jährigen um 210%, der 90-

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

177

Hinzu kommt ein komplexeres Krankheitsbild der Älteren. Ungefähr 60 % der Krankenhauspatienten im Alter von über 60 Jahren weisen fünf und mehr Diagnosen auf (vgl. InfratestIKlar 1988: 49). Nach Pcößdorf (1985: 256) sind bei 80% der über 65-jährigen Krankenhauspatienten zur Feststellung eines Krankheitsbildes mindestens drei Diagnosen erforderlich. Bei 41,5% dieser Gruppe sei zeitweise eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig, während dieser Anteil im Durchschnitt aller Krankenhauspatienten bei nur 30,5 % liege. Ältere Patienten sind also häufig durch Multimorbidität und geringe Rekonvaleszenzf"ahigkeit gekennzeichnet (vgl. a. Ehlers 1976: 89; DKII WIdO 1987: 33). Für die Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen hat dies bestimmte Folgen. Treten unterschiedliche Krankheiten zugleich auf, so ist für eine optimale Versorgung gewöhnlich die Kooperation mehrerer Disziplinen erforderlich. Dies kann aufgrund der räumlichen und organisatorischen Nähe der einzelnen Disziplinen eher im Krankenhaus als in der ambulanten Versorgung und noch weniger im Laiensystem geleistet werden (vgl. a. Parsons 1970: 16; vgl. a. III.2.6). Tritt insbesondere bei älteren Patienten ein Multiorganversagen auf (vgl. Schmitz 1987), so bleibt zur integrativen Funktion der Intensivstation eines Krankenhauses meist keine Alternative. Insofern ist es, gerade wenn man nur vom Krankheitsbild älterer Menschen ausgeht (Multimorbidität), nicht verwunderlich, daß der Anteil der älteren Krankenhauspatienten zunimmt6. Dies verweist zunächst nicht auf eine Fehlbelegung, sondern im Gegenteil auf eine dem komplexen Krankheitsbild der Hochbetagten angemessenen Versorgung. Nach Priester (1989: 148) wird die Krankenhausversorgung in Zukunft daher kaum billiger. Schriebe man die gegenwärtigen Trends fort, so ergäbe sich wahrscheinlich eine weiter steigende Lebenserwartung und kaum einschneidende Verbesserungen in der Morbiditätsentwicklung. In Verbindung mit der Weiterentwicklung des medizinisch-technischen Fortschritts sei ein steigendes Ausmaß an werfolgversprechenden Behandlungen von Alterskrankheiten in dafür spezialisierten geriatrischen Krankenhausabteilungen wahrscheinlich w(ebd.).

6

bis 91-Jährigen um 470% und die Zahl der über 95-Jährigen um 1500% (!) gestiegen. Nach Werner (1987: 272) ist der Anteil der über 65-Jährigen im Krankenhaus innerhalb von 15 Jahren (1970-1985) von 22 auf 30% gestiegen. 12 Düllings

178

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Insgesamt ergibt sich aus dem eben dargestellten Sachverhalt eine ambivalente Entscheidungssituation. Einerseits ist häufig nicht klar, ob ältere Patienten als definitiv geheilt entlassen werden können. Andererseits erfordert die bei älteren Menschen stärker auftretende Multimorbidität eine integrierte medizinische Behandlung, die am ehesten in der stationären Versorgung gewährleistet ist. Neben der demographischen Entwicklung und dem spezifischen Krankheitsbild älterer Personen spielen für die Entstehung des Fehlbelegungsproblems auch Strukturänderungen des Familiensystems eine Rolle, insbesondere der oben geschilderte Individuationsprozeß (vgl. III.3.3.a). Selbst wenn man davon ausgeht, daß entgegen dem allgemeinen Trend einer institutionalisierten Verlagerung der Pflegefunktion auf stationäre Einrichtungen (vgl. Wachtel 1984: 134; Reimann 1976: 110; Glaser 1970: 90; Garms-HomolovaiSchaeffer 1989: 123) innerhalb der Familie noch Pflegekapazitäten bestehen, sind die strukturellen Bedingungen für eine Nutzung dieser Kapzitäten eher als ungünstig zu betrachten. Eine Leistungssteigerung des Laiensystems ist wohl noch weniger zu erwarten (vgl. Priester 1989: 146). Strukturelle Ursachen, die einer Ausweitung der Hauskrankenpflege entgegenwirken, liegen z.B. in der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Pflegebedürftige in ca. 75 % der Fälle von Frauen betreut werden (vgl. Priester 1989: 146; Stähelin et al. 1985: 292). Eine weitere Ursache wird von manchen Autoren direkt oder indirekt gesehen in der Beziehung zwischen den unter Wettbewerbsdruck stehenden niedergelassenen Ärzten und den Angehörigen der Pflegebedürftigen. Aus der Sicht der niedergelassenen Ärzte besteht aufgrund der im Verhältnis zu anderen Leistungen geringeren Bezahlung von Hausbesuchen nur eine schwache Motivation zur ambulanten oder häuslichen Pflege und eine erhöhte Tendenz zur Krankenhauseinweisung (vgl. Schwartz 1985: 45; Herder-DomeichlWasem 1986: 293). Von den Familienangehörigen wird eine langwierige häusliche Pflege häufig als Überlastung wahrgenommen, die nicht selten dazu führt, den niedergelassenen Arzt um eine zeitweilige Verlegung des pflegebedürftigen Angehörigen, z.B. während eines Urlaubs, in ein Krankenhaus zu bitten (vgl. Geil et al. 1984: 82; Herder-Domeichl Wasem 1986: 160). Auch gibt es die Situation, daß "ältere Ehepartner ( ... ) zusammen in ein Krankenhaus eingewiesen werden, obwohl nur einer der Krankenhausbehandlung bedarf. Für den nicht behandlungsbedürftigen Partner bietet das Krankenhaus ... die Essensversorgung, Hilfen bei der persönlichen Hygiene, Kontakte (zu Mitpati-

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

179

enten) und Ansprache (durch das Personal) sämtliche Leistungen, die schwer zu organisieren und zu finanzieren sind, solange er zu Hause bleibt und nicht als 'krank' oder explizit 'bedürftig' gilt" (Ganns-HomolovalSchaeffer 1989: 123). Schließlich ist eine dritte Ursache in dem häufig unprofessionellen Umgang des Laiensystems mit den Pflegebedürftigen zu sehen. Nach Stähelin et a1. (1985: 293f) stellt die schwerste Belastung für pflegende Angehörige eine senile Pecsönlichkeitsveränderung des Betagten dar. Sie provoziere Haßgefühle7 und führe häufig zur Verlegung in psychogeriatrische Fachabteilungen oder Krankenhäuser. Bisher wurde lediglich die Situation detjenigen Personen betrachtet, die sich um den Pflegebedürftigen kümmern. Für den Pflegebedürftigen selbst stellt die Einweisung in ein Krankenhaus häufig keinen Vorteil dar. Während sie im Falle einer akuten Erkrankung erforderlich ist, geht die Verlegung in ein Krankenhaus oder Pflegeheim für den Fall, daß die Angehörigen nicht mehr pflegen können, für geriatrische Patienten oft mit einer Verschlechterung des geistigen oder körperlichen Zustandes einher. Dies läßt sich u.a. auf das Fehlen bedeutsamer Bezugspersonen zurückführen (vg1. Stähelin et a1. 1985: 294). Dieses Beispiel zeigt, daß aus der Sicht des Pflegebedürftigen eine adäquate Versorgung wahrscheinlich nicht so sehr durch eine Strukturanpassung des Krankenhauswesens oder Intensivierung der Laienpflege erreicht werden kann, sondern eher durch Ausdifferenzierung von Strukturen der pflegerischen Versorgung innerhalb des ambulanten und semi-stationären Bereichs des Gesundheitswesens (vgl. a. Regler 1988: 213; Priester 1989: 149; HerderDorneichl Wasem 1986: 293, 295 und 392). Die vorangehenden Beispiele zeigen, wie Einflüsse aus der Umwelt der stationären Versorgung das Fehlbelegungsproblem innerhalb des stationären Bereichs mit aufbauen. Betrachtet man die internen, d.h. krankenhausspezifischen Konstitutionsbedingungen dieses Problems, dann werden in der Regel mehrere Aspekte thematisiert, von denen hier nur zwei erwähnt werden sollen: Die These einer angebotsinduzierten Nachfrage und die Problematik des 7

Psychogeriatrisch Erkrankte werden von ihrer Familie "primär nicht als krank, sondern eher als querulatorisch, eventuell bösartig, angesehen" (Stähelin et a1. 1985: 294). Erst nach einer Hospitalisierung wird die Krankheit erkannt und werden die Beziehungen zum Kranken neu defmiert.

180

Simulationsanalyse der KranltenhausinansplUchnahme

pauschalierten Pflegesatzes. Beide Gegebenheiten werden als Faktoren der Verweildauerprolongierung betrachtet. Bei der angebotsinduzierten Nachfrage liegt die Schwierigkeit in der asymmetrischen Beziehung zwischen Krankenhausarzt und Patient, d.h. im Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem Patienten (vgl. Mayntz 1988: 35). In ökonomischer Terminologie: Der Patient kann nicht als selbständiger, informierter Konsument auftreten und nur die Gesundheitsgüter nachfragen, die zur Heilung seiner Krankheit erforderlich sind. Er muß dem Arzt die Wahrung seiner Interessen übertragen. Da der Arzt als Angestellter des Krankenhauses auch andere Interessen zu berücksichtigen hat, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er sich im einen oder anderen Fall im Sinne einer "Subventionierung teurer Patienten" (Herder-Domeichl Wasem 1986: 322) insbesondere zu diagnostischen Zwecken für eine Verlängerung des Krankenhausaufenthalts entscheidet. Der Patient kann die Notwendigkeit der Maßnahme kaum beurteilen, die Krankenkasse erst aufgrund eines Gutachtens. Hieran wird deutlich, daß Krankenhausärzte einen gewissen Autonomiespielraum besitzen, der strukturell bedingt ist8 und den sie bei einer bestimmten Interessenslage im Sinne einer Verweildauerprolongierung zwar nicht nutzen müssen, aber nutzen können. Das gleiche Problem einer unnötigen Ausdehnung der Verweil dauer wurde von mehreren Autoren mit dem vor dem Inkrafttreten des Krankenhausneuordnungsgesetzes (1985) und der Bundespflegesatzverordnung (1986) geltenden Finanzierungsrecht in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Sauerzapf 1980: 98; Wiemeyer 1984: 122ft). Der pauschalierte, tagesgleiche Pflegesatz gebe Anreize zur Vollauslastung der Krankenhausbetten. Nach Herder-Domeichl Wasem (1986: 295) ist die Behandlung von Pflegefällen in Akutkrankenhäusem mitverursacht durch eine "Politik der Vollbelegung", die durch den pauschalierten Pflegesatz gefördert werde. Mit der Neuordnung der Krankenhausfinanzierung ab 1986 wurden neben dem allgemeinen Pflegesatz mehrere Sonderentgelte und Sonderpflegesätze eingeführt (vgl. Grünenwald 1986). Bisher hat dies keine gravierende Verweildauerverkürzung bzw. Kostensenkung im stationären Bereich zur Folge 8

Andere Beispiele, in denen es aufgrund einer asymetrischen Differenzierung zur angebotsinduzierten Nachfrage kommen kann, sind die Beziehungen zwischen Kunden auf der einen Seite und Kfz-Werkstätten, Friseuren und Versicherungsvertretern auf der anderen (vgl. Schulenburg 1987: 131).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahmc

181

gehabt. Da prinzipiell an Tagespauschalen, etwa im Gegensatz zu diagnosebezogenen Fallpauschalen (vgl. Rüschmann 1986; vgl. a. hier S. 75), festgehalten wurde, ist dies auch für die nächste Zukunft nicht zu erwarten. Die vorangehenden Überlegungen haben gezeigt, in welcher Weise es zu der vielfach kritisierten "zu langen" Verweildauer in bundesdeutschen Akutkrankenhäusern kommen kann. Grundsätzlich ist eine lange Verweildauer jedoch nicht problematisch. Sie wird erst dann zum Problem, d.h. als "zu lang" bewertet, wenn man Vergleiche mit der Aufenthaltsdauer in anderen Ländern zieht (vgl. a. Kaltenbach 1988: 4) und insbesondere ökonomische Gesichtspunkte in Rechnung stellt. Wesentlich für die Wertung und politische Thematisierung der langen Verweildauer als "Fehlbelegung" ist offensichtlich das ökonomische Kernproblem der Verteilung knapper Güter, zu denen auch Krankenhausleistungen zählen. An diesem Problem haben jedoch nicht alle gesundheitsrelevanten Kommunikateure ein Interesse, sondern insbesondere die, die ökonomisch operieren. Zu dieser Gruppe kann man, wie oben deutlich wurde (vgl. ill.2.5), die Krankenkassen zählen. Aus der Sicht der Krankenkassen bedeutet die Belegung von Akutkrankenhäusern mit Pflegefällen eine Verschwendung von Ressourcen9 , die die Stabilität der Beitragssätze gefährden kann. Denn Pfl~geleistungen sind wesentlich billiger, 1986 in Pflegeheimen ca. 100 DM pro Tag, als Behandlungsleistungen in Akutkrankenhäusern, 1986 etwa 260 bis 400 DM pro Tag (vgl. Prößdorf 1987b: 346). Im Falle einer Verlegung in ein Pflegeheim entfällt sogar die Kostenübernahme seitens der Krankenkassen (vgl. Infratest/Klar 1988: 1), da die professionelle Betreuung Pflegebedürftiger zur Zeit als "versicherungsfremde" Leistung gilt (vgl. a. Kesselheim 1989: 636). Daß die Krankenkassen das Problem der "zu langen" Verweildauer bzw. der "Fehlbelegung" von Akutkrankenhäusem in die gesundheitspolitische Diskussion einbringen, ist aufgrund ihres Operationsmodus (Gewinn/Verlust-Differenz) im Rahmen der bestehenden Rechtsstrukturen nur konsequent. Ihre pri-

9

Nach Ganns-HomolovM Schaeffer (1989: 127f) wird eine längere stationäre Behandlung von Hochbetagten "von den Krankenkassen nicht unhinterfragt fmanziert". Von Zeit zu Zeit werden gutachterliche Auskünfte zur Situation des Patienten verlangt. "Befindet sich der Patient nach Einschätzung der jeweiligen Krankenkasse in einem Zustand, der nicht auf Handlungschancen schließen läßt, wird die Finanzierung der Pflegesätze des Akutkrankenhauses eingestellt" (ebd.: S. 128).

182

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

mär ökonomische Operationsrationalität erfordert tendenziell eine Begrenzung möglicher Ausgaben10 und eine Steigerung möglicher Einnahmen. Dies führt zu der Frage, welche politikinduzierten Rückwirkungen die insbesondere von den Krankenkassen über eine Induktion des ökonomischen Leitwertes (Gewinn! Verlust) (vgl. 11.3.2 u. 111.4.2) betriebene politikinteme Thematisierung der "zu langen" Verweildauer auf Prozesse und Strukturen des Gesundheitssystems haben kann. Innerhalb des politischen Systems kommt es auch zur Artikulation von Interessen, die über andere Leitwerte gesteuert werden. Das heißt, die von der Politik ausgehenden Rückwirkungen auf das Gesundheitssystem können etwas anderes bewirken als die ursprünglich anvisierte Reduktion der Verweildauer und Kosten. Die Frage ist nämlich, und dies zeigt sich bei der Einbringung solcher Themen wie "Pflegefallrisiko" (vgl. Merschbrock-Bäuerle 1987; OhVer 1987b; Prößdorf 1987b) und "Pflegenotstand" (vgl. von Ferber 1985: 522; Buttler et al. 1985; Alber 1990), ob und wie Pflegebedürftige versorgt werden können, wenn Fehlbelegungen abgebaut werden sollen. Wie die Anlage des Gesundheitsreformgesetzes 1988 deutlich macht, bedeutet die nicht unterstützte Entlassung in die Hauskrankenpflege aus der Perspektive des Staates als politischer Kommunikateur offensichtlich ein nicht ganz zu akzeptierendes Abgehen von der politischen Solidaritätsnorm (vgl. 11.3.2). Die Einführung finanzieller Maßnahmen zur Förderung der Hauskrankenpflege unterstützt zumindest ansatzweise die Lösung des Pflegefallproblems11 • Verbunden worden ist damit aber auch die ökonomische Intention der Krankenkassen, Fehlbelegungen und Ausgaben im stationären Bereich zu senken (vgl. BMAuS 1989: 95; Kesselheim 1989: 630) und somit auf eine Stabilisierung der Beitragssätze hinzuwirken. 10

Die Tendenz zur Ausgabenbegrenzung wird an der hier diskutierten Thematik besonders deutlich. So haben sich die ~nkenkassen nach Dalhoff (1989: 25) aufgrund der Gefahr einer fmanziellen Uberlastung durch die mit dem GRG eingeführte Unterstützung von Pflegebedürftigen ("Pflegegeld") vehement gegen ihre Rolle als sozialpolitische Vorreiter der Lösung des Pflegeproblems gewehrt.

11

Nach dem Gesundheitsreformgesetz erhalten Schwerpflegebedürftige mit einer Vorversicherungszeit für 1989 und 1990 einen jährlichen Anspruch auf von den Krankenkassen zu fmanzierende Leistungen in Höhe von bis zu 1800 DM. Die Leistungen sind für den Fall gedacht, daß die Pflegeperson des Pflegebedürftigen "wegen Erholungsurlaubs oder aus anderweitigen Gründen vorübergehend die Pflege und Versorgung nicht erbringen kann". Die Ersatzleistungen können dabei außer im Hause des Pflegebedürftigen auch von Sozialstationen erbracht werden (vgl. Kesselheim 1989: 634). Ab 1.1.91 werden von den Krankenkassen Sachleistungen in Höhe von monatlich bis zu 750 DM oder Pflegegeld in Höhe von monatlich bis zu 400 DM gezahlt (vgl. BMAuS 1989: 90ft).

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

183

Die mit der Rechtsetzung induzierte Kombination von ökonomischen (Auswirkung der Gewinn! Verlust-Differenz) und politischen (Auswirkung des Solidaritätsprinzips) Kriterien kann innerhalb des Gesundheitssytems unterschiedliche Prozesse auslösen. Möglich ist einmal die Etablierung des Steuerungsziels, d.h. die Entlastung der Akutkrankenhäuser von Pflegefällen durch Intensivierung der häuslichen und ambulanten Pflege. Priesters (1989: 134, 146, 148f) Argument, daß eine Reduktion von Fehlbelegungen und Kosten aufgrund der Überlastung des Laiensystems eher unwahrscheinlich sei, ist dabei wenig überzeugend. Denn die Substitution der Krankenhauspflege durch Hauskrankenpflege bei Pflegebedürftigen funktioniert aufgrund der neuen Rechtsstrukturen nicht allein über das Laiensystem, sondern auch über eine Verbindung von Laiensystem und ambulanten Pflegediensten bzw. Sozialstationen, d.h. mit Hilfe professioneller "Ersatzleistungen ". Zumindest stehen ab 1991 für den Pflegebereich Ressourcen in Höhe von mehreren Milliarden Mark zur Verfügung (vgl. Dalhoff 1989: 25), die eine verstärkte Ausdifferenzierung ambulanter Pflegedienste und somit eine Steuerung der Pflegefall- und Fehlbelegungsproblematik bewirken könnten12 • Eine andere Auswirkung könnte in der Befriedigung eines neuen Bedarfs liegen, ohne daß es zur Substitution von Krankenhausleistungen käme. Für die Krankenkassen wären gravierende Kostensteigerungen die Folge. Diese Annahme erscheint plausibel, wenn man, wie oben beschrieben (S. 177), das komplexe Krankheitsbild der Hochbetagten berücksichtigt, d.h. die zunehmende Multimorbidität, die eine integrierte stationäre Behandlung erfordert, und die prinzipielle Ambivalenz hinsichtlich des Gesundheitszustandes älterer Personen. Welche Entwicklung in Zukunft eintritt, läßt sich vorab nicht klären. Man kann lediglich für die eine oder andere Alternative eine Folgenabschätzung vornehmen, die eventuell eine Projektierung künftiger Steuerungsprobleme ermöglicht. Im vorhergehenden Abschnitt 1 wurde bereits die Status-QuoEntwicklung untersucht. Unter der Annahme, daß eine Reduktion der Fehlbelegung nicht eintritt, zeigte sich von 1990 bis 2000 absolut nur eine geringe Erhöhung der Zahl der Pflegetage um 1,3% (vgl. Tabelle 1). Je 100 GKVMitglieder stieg die Zahl der Pflegetage jedoch um 8 % (vgl. Tabelle 3). In 12

In der Simulationsstudie in Abschnitt 2.4 soll dies nur auf einer allgemeinen Ebene behandelt werden. Wichtige Teilaspekte des Problems betreffen natürlich u.a. die zahlenmäßige und strukturelle Entwicklung der Ptlegeberufe sowie die räumliche Verteilung von Ptlegeeinrichtungen.

184

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Abschnitt 2.4 soll anband einer Alternativsimulation untersucht werden, inwiefern sich die Krankenhausinanspruchnahme aus der Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung bis zum Jahr 2000 entwickelt, wenn es gelingt, die Ptlegefallpatienten der Akutkrankenhäuser in alternative Einrichtungen zu verlegen. Aus der Sicht des Krankenhauses ist von Interesse, inwieweit sich die Struktur des Inanspruchnahmeprozesses wandelt und innerhalb des Systems eine Veränderung der Bettenstruktur bewirken kann. Der folgende Abschnitt 2.2 enthält zunächst einige Ergebnisse zum Umfang von Fehlbelegungen, aus denen die Annahmen der Alternativsimulation entwickelt werden sollen (vgl. Abschnitt 2.3).

2.2 Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern Zum Umfang von Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern gibt es mehrere Untersuchungen, sowohl für die Bundesrepublik als auch für andere Länder. Die Ergebnisse weichen z.T. erheblich voneinander ab. Bezugsgröße der Fehlbelegung ist in der Regel die Fehlbelegungsquote, d.h. die Summe der Ptlegetage der Patienten mit "nicht erforderlichem" Krankenhausaufenthalt und der überzähligen Ptlegetage der Patienten mit als "zu lang" bewertetem Aufenthalt im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ptlegetage (vgl. Infratest! Klar 1988: 31). Nach den Angaben des Sachverständigenrats der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (SRKAG 1989: 104) soll die Fehlbelegungsquote in der Bundesrepublik zwischen 9% und 16% liegen, in der Schweiz bei etwa 20% und in Kanada zwischen 25% und 30%. Laut Meu (1989) beträgt die Fehlbelegung in den USA zwischen 12% und 37%, während in einer neueren US-amerikanischen Studie eine Fehlbelegung in Höhe von ca. 17% der Ptlegetage festgestellt wurde (vgl. Selker et al. 1989: 112 u. 120). Deszy (1987: 269) gibt die Fehlbelegung in Österreich mit ca. 10% an und aufgrund einer älteren Studie des Deutschen Krankenhausinstituts von 1978 für die Bundesrepublik mit 8,1 %. Nach Eichhorn (1981: 151) bräuchten entsprechend einer Untersuchung über Entlastungsmöglichkeiten der Krankenhausversorgung aus dem Jahre 1974 7,5 % der Krankenhaustage beim Ausbau krankenhausentlastender Einrichtungen und bei der Intensivierung von Information und Kommunikation zwischen Krankenhäusern und vor- bzw. nachgelagerten Institutionen nicht durch das Krankenhaus erbracht werden. Rüschmann (1987) stellt für Schleswig-Holstein im außeruniversitären Be-

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

185

reich der Akutkrankenhausversorgung über alle Altersgruppen 17,4 % Fehlbelegungstage fest. Die Studien beziehen sich auf unterschiedliche Länder und Berichtszeiträume. Um für die Bundesrepublik eine einheitliche aktuelle Einschätzung des Fehlbelegungspotentials zu erhalten, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auf Anregung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen eine repräsentative Untersuchung in Auftrag gegeben, die von Infratest Gesundheitsforschung, München, in zwei Phasen (für Patienten über und unter 60 Jahren) durchgeführt wurde und deren Ergebnisse Anfang 1988 bzw. Mitte 1989 vorlagen (vgl. Infratest! Klar 1989: 1). Im folgenden sollen die Anlage der Studie, einige Kritikpunkte am Studiendesign und die wesentlichen Ergebnisse dargestellt werden. a) Anlage und Kritik der Studie Die Infratest-Studie basiert auf einem Review-Verfahren, an dem sechs ärztliche Sachverständige als Vertreter der Disziplinen Innere Medizin, Chiurgie! Orthopädie und Geburtshilfe! Gynäkologie teilnahmen (vgl. Infratest! Klar 1988: 5; Müller! Klar 1989). Die Aufgabe bestand darin, bei insgesamt 5343 repräsentativ für die Bundesrepublik erhobenen, anonymisierten Krankengeschichten des Diagnose- und Therapieindexes von Infratest Gesundheitsforschung das Ausmaß möglicher Fehlbelegungstage abzuschätzen. Grundlage des Verfahrens sollte eine an ausschließlich medizinischen Kriterien orientierte Beurteilung sein. Gesichtspunkte wie die Verfügbarkeit von Nachsorgeund Rehabilitationseinrichtungen sowie das soziale Umfeld des Patienten blieben unberücksichtigt. Die Qualität der Studie wird unterschiedlich beurteilt (vgl. hierzu Meu 1989: 22ft). Kritisiert wird z.T., daß im Datenmaterial nur die Diagnoseverfahren dokumentiert sind, nicht jedoch ihre Resultate. Weiterhin wird auf die zu schwache Besetzung einiger Fallgruppen hingewiesen und eine Ableitung bundesweit gültiger Aussagen zur Fehlbelegung für problematisch gehalten. Von den Verfassern der Studie selbst werden zwei weitere Unsicherheitsfaktoren benannt. Zum einen sei die Begutachtung des DTI-Krankenblattes unsicherer als eine Beurteilung aufgrund eines behandlungsbegleitenden Kontakts (vgl. Infratest! Klar 1988: 60). Ein methodisches Problem sei auch die Begutachtung fachfremder Fälle (ebd.: S. 61). Denn neben Patienten der oben ge-

186

Simulationsanalysc der Kranlcenhausinanspruchnahme

nannten Disziplinen waren auch Fälle der Fachabteilungen für Urologie, HNO-Krankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie Augenkrankheiten zu bewerten (vgl. ebd.: S. 41). Insgesamt kann die Untersuchung trotz der genannten Einwände im Hinblick auf eine Abschätzung des Fehlbelegungspotentials als geeignet betrachtet werden. Dafür sprechen mehrere Gründe. Einmal sind Reviewverfahren nach Art der Infratest-Studie eine durchaus übliche Methode der empirischen Sozialforschung, die mit diesem Design zu validen und reliablen Ergebnissen führen kann. Außerdem ist nicht sicher, ob anstelle eines Review-Ansatzes etwa eine Begehung von Krankenhäusern zu besseren Ergebnissen geführt hätte. Nach Jung (vgl. Meu 1989: 22) sei eine" 'Bereinigung' der Fehlbelegung im Vorfeld der Begehung keineswegs auszuschließen (... )". Ein dritter Grund ist, daß eine Stichprobe von knapp 5400 Fällen, von denen solche mit uneinheitlieher Beurteilung ausgeschlossen wurden (vgl. Infratest/ Klar 1988: 33), im Vergleich zur Fallzahl anderer Untersuchungen eher als umfangreiche Datenbasis zu betrachten ist. Schließlich ist bei der Beurteilung fachfremder Fälle zu berücksichtigen, daß die Mehrzahl der Akutkrankenhausfälle den Diziplinen zugewiesen wird, die die Gutachter vertraten. Nach unseren Schätzungen ca. 80% (vgl. IV.3.2, Tabelle 11). b) Ergebnisse Ein wesentliches Ergebnis der Infratest-Untersuchung ist, daß die Fehlbelegung nicht ein Problem der Fallzahlentwicklung, sondern ein Problem der Dauer des Krankenhausaufenthaltes darstellt (vgl. Klitzsch 1988: 208). Bei den unter 60-jährigen Patienten waren 2,2 % der Aufenthalte nach Meinung der Gutachter nicht erforderlich, 40,2 % wurden als zu lang bewertet. Die über 6O-jährigen wiesen in 0,4% der Fälle nicht erforderliche Krankenhausaufenthalte auf, während bei 38,0% die Verweildauer als zu lang beurteilt wurde. Für die Patienten insgesamt ergaben sich in 1,6 % der Fälle unnötige Aufenthalte und ein Wert von 39,5% für Aufenthalte mit zu langer Verweildauer (vgl. Infratest/ Klar 1989: 2). Bezieht man die Pflegetage der nicht erforderlichen Krankenhausfälle und die überzähligen Tage der Fälle mit zu langem Aufenthalt auf die Gesamtzahl der Pflegetage, so erhält man für die Patienten unter 60 Jahren eine Fehlbelegungsquote, die mit 19,6% um ca. 15% über der Quote der Patienten im Al-

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

187

ter von über 60 Jahren (17%) liegt (vgl. Infratest! Klar 1989: 3). Angesichts der früheren Diskussionen um die "zu lange" Krankenhausverweildauer stellt dies ein eher unerwartetes Ergebnis dar. Während bei älteren Personen insbesondere die finanzielle Belastung von Pflegefallpatienten, die unzureichende Anzahl von Pflegeheimen und die mangelhaften häuslichen Versorgungsmöglichkeiten eine Rolle spielen, stellt sich im Hinblick auf die deutlich höheren Fehlbelegungsraten bei jüngeren Unfallpatienten oder orthopädischen Krankheitsbildern die Frage, "ob außerhalb der normalen stationären Versorgung regelmäßig eine qualitativ hinreichende und für den Patienten akzeptable Krankengymnastik, medizinisch-physikalische Therapie, Rehabilitation oder sonstige Anschlußversorgung gewährleistet ist" (Infratest! Klar 1989: 15). Bei der Betrachtung zweier Altersklassen ergibt sich also ein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Umfangs der Fehlbelegung. Führt man eine feinere Untergliederung durch, so läßt sich keine deutliche Altersabhängigkeit feststellen (vgl. Tabelle 9; Infratest! Klar 1989: 5 u. 14; Müller! Klar 1989: 42). Auffällig ist lediglich der eben erwähnte besonders hohe Anteil von Fehlbelegungstagen in der Gruppe der Patienten im Alter von 10 bis 19 Jahren. Die Abweichung von der durchschnittlichen Fehlbelegungsquote (18,4%) beträgt knapp +45%.

Tabelle 9

Anteil der Fehlbelegungstage an der Gesamtzahl der Pflegetage nach dem Alter der Patienten in Prozent Alter Quoten

0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80u.ä. 12,0

26,6

17,4

19,5

19,4

20,9

17,6

16,8

16,4

Insg. 18,4

Quelle: Infratest! Klar (1989: 5, Abb. 3)

Ein für unsere Zwecke wesentliches Ergebnis der Studie ist die Untergliederung der Fehlbelegungsanteile nach Alter und Fachabteilung, die in Tabelle 10 ausgewiesen ist. Die Angaben lassen zwei interessante Ergebnisse erkennen. Bei den unter 60-jährigen Patienten weicht der Anteil der Fehlbelegungen in der Fachabteilung Chirurgie (30,03 %) deutlich von der" durchschnittlichen Fehlbelegungsquote (25,25%) ab. Die über 60-Jährigen weisen in der

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

188

Fachabteilung Innere Medizin eine überdurchschnittliche Fehlbelegungsrate auf: 18,20% gegenüber 16,93%.

TabeUe 10

Anteil der Fehlbelegungstage an der Gesamtzahl der Pflegetage nach dem Alter der Patienten und der Zuweisung zu Fachabteilungen in Prozent

Fachabteilung

0-59 J.

60 J.u.ä.

Insgesamt

Innere Medizin Chirurgie Sonstige

14,50 30,03 13,15

18,20 16,59 13,14

16,93 25,25 13,15

Insgesamt

19,56

16,95

18,42

Quelle: Infratest! Klar (1989, Anhang, Tab. 6 u. 7)

2.3 Simulationsannahmen Bei der Diskussion der Fehlbelegung als Steuerungsproblem (vgl. Abschnitt 2.1) sind einige Alternativen zur Reduktion von Fehlbelegungstagen angesprochen worden (Hauskrankenpflege, ambulante Pflege, Betreuung in einem Pflegeheim). Die praktische Politik hat sich mit dem Gesundheitsreformgesetz nicht auf eine Möglichkeit festgelegt, sondern eine generelle finanzielle Förderung von Schwerpflegebedürftigen institutionalisiert. Dies kann je nach Bedarf zu unterschiedlichen Strukturveränderungen innerhalb des Gesundheitssystems führen. Grundlage der im folgenden Abschnitt 2.4 beschriebenen Simulationsergebnisse sind mehrere Annahmen, die zu den in Abschnitt 1.1 formulierten Hypothesen hinzukommen. Zunächst wird davon ausgegangen, daß die finanzielle Unterstützung von Schwerpflegebedürftigen durch die Krankenkassen, die auf ca. 5,1 Milliarden Mark veranschlagt ist (vgl. Dalhoff 1989: 25), Strukturänderungen innerhalb der stationären Versorgung und in deren Umwelt bewirkt, die ihrerseits mit einer Reduktion der Fehlbelegung in dem von Infratest/ Klar (1989) ermittelten Umfang einhergehen. Die Veränderungen sind im Modell nicht direkt, sondern nur in ihren Wirkungen über die Implementation der die Inanspruch-

189

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

nabme reduzierenden Fehlbelegungsquoten abgebildet. Als mögliche strukturelle Anpassungen kommen insbesondere die stärkere Ausdifferenzierung von ambulanten Ptlegediensten, Sozialstationen und semistationären Einrichtungen sowie ein Kapazitätsabbau innerhalb der stationären Versorgung in Frage. Aufgrund der Trägheit größerer Sozialsysteme13 wird weiterhin angenommen, daß sich der Strukturwandel und die Inanspruchnabmesenkung nicht bereits Ende 1991 voll einstellen, sondern frühestens innerhalb von fünf Jahren, d.h. von 1991 bis 1995. Bei Anwendung der im vorherigen Abschnitt (2.2) angeführten Fehlbelegungsquoten ergibt sich somit erst ab 1995 eine vollständige Reduktion der Fehlbelegung. Für die vorhergehenden Jahre müssen die Quoten entsprechend umgerechnet werden, wobei von einer linearen Entwicklung ausgegangen wird. Tabelle 11 enthält .die für 1991 bis 1995 umgerechneten Quoten untergliedert nach Alter und Disziplinen (vgl. die Originalwerte in Tabelle 10). Im Falle eines linearen Anstiegs der Reduktion liegen die Quoten im ersten Jahr (1991) bei 20%, im zweiten Jahr (1992) bei 40% usw. des Wertes der Zielgrößen des Jahres 1995.

Tabelk 11

Fehlbelegungsquoten nach Alter und Fachabteilung in Prozent für 1991 bis 19951 Alter der Patienten Jahr 1991 1992 1993 1994 19952

Innere Chirursonst. gie Fachabtl.

Medizin

2,9 5,8 8,7 11,6 14,5

60 u.m. J.

unter 60 J.

6,0 12,0 18,0 24,0 30,0

2,6 5,3 7,9 10,6 13,2

Innere Chirursonst. gie Fachabtl.

Medizin

3,6 7,3 10,9 14,6 18,2

3,3 6,6 10,0 13,3 16,6

2,6 5,2 7,9 10,5 13,1

Q: Infratest! Klar (1989: Anhang: Tab. 6 u. 7) und eigene Berechnungen (vgl. a. hier Tab. 10) 1

Sämtliche Werte der Tabelle dienen als Simulationsparameter Die Werte des Jahres 1995 gelten auch für 1996 bis 2000

13

V gl. die Diskussion des Zusammenhangs zwischen Krankheits- und Therapiestruktur in Kap. 1II.3.1.

2

190

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Ein anderer Aspekt, der bei der Simulation einer Reduktion der Krankenhausinanspruchnahme zu berücksichtigen ist, bezieht sich auf die Berechnung der Kosten für stationäre Behandlung und des möglichen Einsparvolumens. In bundesdeutschen Akutkrankenhäusern wurden 1986 ca. 144,5 Mio Pflegetage geleistet. Wendet man die in der Infratest-Studie ermittelte durchschnittliche Fehlbelegungsrate von 18,4% an, so ergeben sich ca. 26,6 Mio. fehlbelegte Pflegetage (vgl. Infratest/ Klar 1989: 12f). Bei einem durchschnittlichen Pflegesatz von 260 DM betrüge das Einsparvolumen 6,92 Mrd. Mark. Eine derartige Berechnung ist nach Fehler/ Koch (1988: 365) jedoch unrealistisch, da der Kostenverlauf bei stationärer Behandlung degressiv sei. Zu Beginn der Behandlung fielen hohe Kosten für Diagnostik und Therapie an, die im weiteren Verlauf infolge der Beschränkung auf pflegerische Leistungen drastisch abnähmen. Geringfügig höhere Kosten entstünden nur noch bei der Entlassungsuntersuchung. Setzt man mit den Gutachtern der Infratest-Untersuchung voraus, daß die Fehlbelegung eher ein Problem der zu langen Verweildauer als zu hoher Patientenzahlen ist, dann liegen die Fehlbelegungstage nach Fehler/ Koch in der Zeit nach der akuten Diagnostik- und Therapiephase. Insofern könnten auch nur die Pflegetage und Kosten reduziert werden, die während der Pflegephase aufträten, und nicht die vollen Durchschnittskosten in Höhe von 260 DM. Fehler/ Koch (1988: 366) kommen aufgrund dieser Überlegung und unter Berücksichtigung eigener Analysen in einigen Krankenhäusern zu einem durchschnittlichen Pflegesatz für reine Pflegeleistungen in Höhe von 60 Mark 35. Bezieht man diesen Satz auf die für die Bundesrepublik insgesamt ermittelten Fehlbelegungstage in Höhe von 26,6 Mio., so schrumpft das Einsparpotential auf 1,61 Mrd. Mark anstelle von 6,92 Mrd. Mark. Ferner ist zu bedenken, daß sich der durchschnittliche allgemeine Pflegesatz aufgrund des Wegfalls der billigeren Fehlbelegungstage erhöht l4 • Nach unseren Berechnungen steigt der Pflegesatz von 260 DM auf 305 DM1S. Vgl. ähnlich, jedoch nur für die Patienten über 60 Jahren, Fehlerl Koch (1989: 366). IS Dieser Satz ergibt sich aus folgender Berechnung: In den Akutkrankenhäusem der Bundesrepublik wurden 1986 nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes ca. 144,5 Mio. Pflegetage geleistet, die bei einem durchschnittlichen Pflegesatz von 260 DM pro Tag zu einem Kostenvolumen in Höhe von 37570,0 Mio. DM führen. Reduziert man die Gesamtzahl der Pflegetage um die Fehlbelegungstage (26,6 Mio) und die Gesamtkosten um die Fehlbelegungskosten (1605,31 Mio. DM = 60,35 DM x 26,6 Mio. Pflegetage), so verbleiben 117,9 Mio. restliche Pflegetage und 35964,69 Mio. DM Restkosten. Die Restkosten pro Tag betragen hier14

Die Steuerung der Krankenhausmanspruchnahme

191

Obwohl eine Kostenersparnis von 6,92 Mrd. Mark wahrscheinlich zu hoch angesetzt ist, lassen sich auch bei dem entsprechend der Argumentation von Fehler/ Koch (1988) ermittelten Wert von 1,61 Mrd. Mark Zweifel anmelden. Zum einen bedeutet ein Pflegesatz in Höhe von 60,35 DM für pflegerische Leistungen in Akutkrankenhäusem, daß die Pflege hier gegenüber einer Betreuung im Pflegeheim (laut Prößdorf (1987b: 346): ca. 100 DM pro Tag) um knapp 40 % billiger wäre. Angesichts der allgemein höheren Investitionsund Betriebskosten der Akutkrankenhäuser ließe sich dies in Pflegesatzverhandlungen nicht durchsetzen. Ein zweiter Punkt ist, daß die pflegerische Versorgung der Akutkrankenhäuser über die räumliche Nähe durch Einrichtungen der Akutversorgung (Operationssaal, medizinisch-technische Geräte) abgesichert werden kann. Das heißt, im Falle einer akuten Störung der Vitalfunktionen von Pflegefall patienten kann medizinisch schneller eingegriffen werden als bei einem Aufenthalt im Pflegeheim. Für die Patienten bedeutet dies eine Risikominderung. Geht man davon aus, daß Pflegeleistungen in Akutkrankenhäusern mindestens ebenso teuer sind wie in Pflegeheimen, müßte nach dieser Überlegung noch ein Risikozuschlag berechnet werden. Als Annäherung an die eigentlichen Kosten für pflegerische Leistungen in Akutkrankenhäusern könnte man den durchschnittlichen Pflegesatz von Pflegeheimen (100 DM) um die Hälfte der Differenz zwischen dem allgemeinen Pflegesatz von Akutkrankenhäusern (260 DM) und dem allgemeinen Pflegesatz von Pflegeheimen (100 DM), d.h. um 80 DM «260-100)/ 2=80) erhöhen. Damit ergäbe sich ein Pflegesatz in Höhe von 180 DMI6. Berechnet man aufgrund dieser Größe das durch eine Reduktion von Fehlbelegungstagen mögliche Einsparvolumen, so läßt sich ein Betrag von 4,788 Mrd. Mark (26,6 Mio. x 180 DM) ermitteln. Unter Berücksichtigung eines

16

nach 305,04 DM (35964,691 117,9). Dieser Pflegesatz ergibt sich jedoch nur, wenn die Kosten durch Kapazitätsabbau in den Krankenhäusern auch tatsächlich eingespart werden. Kommt es lediglich zu einer Reduktion von Fehlbelegungstagen bei konstantem Kostenniveau, so läge der Pflegesatz bei 318,66 DM pro Tag (37570,01 117,9). Ähnliche Werte lassen sich ennitteln, wenn man z.B. die von Herder-Domeichl Wasem (1986: 291) angeführten Pflegesätze für verschiedene Krankenhausarten aus dem Jahre 1978 auf 1986 hochrechnet. Der allgemeine Pflegesatz stieg seit 1978 von 151 DM (vgl. DKG 1986: 55) auf 260 DM in 1986 (vgl. Prößdorf 1987b: 346), d.h. um ca. 72%. Wendet man diese Steigerungsrate auf die Pflegesätze bestimmter Sonderkrankenhäuser an, so ergibt sich eine Erhöhung der Sätze z.B. in Krankenhäusern für Langzeitkranke von 112 DM in 1978 (vgl. HerderDomeichl Wasem 1986: 291) auf 193 DM in 1986. In Krankenhäusern für Geriatrie wäre demnach eine Steigerung von 89 DM in 1978 (vgl. ebd.) auf 153 DM in 1986 anzunehmen.

192

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Kapazitätsabbaus würde sich der allgemeine Pflegesatz analog der Berechnung in Anm. 15 auf 278 DM, d.h. um 6,9% erhöhen. Bei der Betrachtung einer linear zunehmenden Reduktion der Fehlbelegung von 1991 bis 1995 (vgl. Tabelle 11) ergeben sich die in Tabelle 12 dargestellten jährlichen durchschnittlichen Pflegesätze und Pflegesatzsteigerungen. Bei den Pflegesatzsteigerungen ist die über Pflegesatzverhandlungen eingebrachte Steigerungsrate der Personalkosten und Preise für Bedarfsmittel von Krankenhäusern nicht enthalten. Für die Simulation werden aus Tabelle 12 lediglich die Steigerungsraten der Pflegesätze (Spalte 3) in Kombination mit den in Kap. N (vgl. Tabelle 19, S. 132) ermittelten differenzierten Pflegesätzen (nur Mitglieder und Rentner) verwandt. Für Fehlbelegungstage wird der Kostensatz von 180 DM angewandt.

Tabelle 12

Größen zur Berechnung von Pflegesätzen und Pflegesatzsteigerungen bei Reduktion von Fehlbelegung5tagen von 1991 bis 1995 Jahr

Pflegesätze in DM l

Pf.satzsteigerung in %

1991 1992 1993 1994 19952

263,05 266,40 269,89 273,76 278,05

+1,17 +1,27 +1,31 +1,43 +1,57

1

2

eingesparte Pflegetage in Mio.

5,3 10,7 15,9 21,2 26,6

Reduktionsquoten in %

3,7 7,4 11,0 14,7 18,4

Einsparvolumina in Mio. DM

954,0 1926,0 2862,0 3816,0 4788,0

bei 180 DM pro Tag für Pflege im Alrutkrankenhaus Die Werte des Iahres 1995 gelten auch für 1996 bis 2000

2.4 Reduktion der Fehlbelegung und Entwicklung bis zum Jahr 2000 Bei der folgenden Darstellung der Simulationsergebnisse sollen zwei Aspekte im Vordergrund stehen. Zum einen interessiert die Frage, welche finanziellen Konsequenzen für die gesetzliche Krankenversicherung eintreten, wenn eine Reduktion des gegenwärtigen Umfangs von Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern bis zum Jahr 2000 nicht gelingt und welche Entlastungen

193

Die Steuerung der Krankenhaulinanspruchnahme

sich ergeben, wenn Fehlbelegungen reduziert werden können (Tabelle 13 bis 15). Die zweite Frage beschäftigt sich mit strukturellen Änderungen im System der stationären Versorgung, die infolge eines geänderten Inanspruchnahmeverhaltens eintreten können (Tabelle 16 und 17). Tabelle 13 zeigt die Entwicklung der Krankenhaustage und -kosten von GKV-Versicherten bis zum Jahr 2000. Angeführt sind einmal die Werte der Basissimulation, die z.T. bereits in Tabelle 3, Abschnitt 1.2, beschrieben wurden und denen die Annahme zugrundeliegt, die Entwicklung verlaufe in den kommenden 10 Jahren ohne Abbau von Fehlbelegungen. In einer anderen Spalte (FEHL) sind die Werte aufgelistet, die sich bei einer Reduktion von Fehlbelegungstagen in dem oben diskutierten Umfang ergeben (vgl. Tabelle 12).

Tabelle 13

Tage und Kosten stationärer Behandlung nach MitgHedern und Rentnern (iod. Familienangehörige): Vergleich Basissimulation (BASIS) und Reduktion von Fehlbelt'gungen (FEHL) von 1990 bis 20001 Versiehe-rungsstatus

Jahr

1990 1991 1995 2000 1990/2000

Mitglieder

Tage2 Tage2 (BASIS) (FEHL)

proz. Diff.

Kosten3 Kosten3 (BASIS) (FEHL)

proz. Diff.

311,4 311,4 327,3 316,1 277,0 228,3 282,3 231,6 -9,3% -25,6%

0,0 -3,4 -17,6 -18,0

786,7 786,7 826,9 798,6 699,8 576,8 713,6 585,4 -9,3% -25,6%

0,0 - 3,4 -17,6 -18,0

Rentner

1990 773,1 1991 784,5 1995 792,6 2000 889,1 1990/2000+15,0%

773,1 763,1 695,8 773,1 0,0%

0,0 - 2,7 -12,2 -13,0

1998,0 2027,5 2048,4 2297,8 +15,0%

GKV

1990 445,5 460,8 1991 437,5 1995 481,0 2000 1990/2000 +8,0%

445,5 446,6 371,5 409,5 -8,1%

0,0 - 3,1 -15,1 -14,9

1138,6 1182,4 1119,5 1232,2 +8,2%

1

2 3

Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990 KH-Tage je 100 Mitglieder bzw. Rentner KH-Kosten je Mitglied bzw. Rentner

13 DüIIings

1998,0 0,0 1972,2 - 2,7 1798,2 -12,2 1998,0 -13,0 0,0% 1138,6 1146,1 956,9 1047,9 -8,0%

0,0 - 3,1 -14,5 -15,0

194

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Die Simulationsergebnisse zeigen, daß sich für GKV-Versicherte insgesamt bis zum Jahr 2000 im Falle einer Reduktion der Krankenhausinanspruchnahme ein Rückgang der Zahl der Krankenhaustage je 100 Mitglieder um 8,1 % einstellt, d.h. von 445,5 Tagen in 1990 auf 409,5 Tage in 2000. Gegenüber der Status-Quo-Simulation (BASIS), bei der ein Anstieg der Zahl der Krankenhaustage je 100 Mitglieder um 8 % vorliegt, ist dies ein Unterschied von 16,1 Prozentpunkten. Entsprechend unseren Hypothesen (vgl. Abschnitt 2.3) nimmt die Reduktion von 1991 (-3,1 %) bis 1995 (-15,1 %) zu und bleibt bis 2000 (-14,9%) auf ungefähr gleichem Niveau. Die geringfügigen Abweichungen in der Tabelle zwischen 1995 und 2000 ist eine Folge der Schwankungen von Zufallszahlen. Daß es im Jahr 2000 bei den verwendeten Reduktionsquoten, die im Durchschnitt bei 18,4% liegen (vgl. Abschnitt 2.2, Tabelle 9), zu einem Rückgang der Krankenhaustage um nur rd. 15 % statt 18,4% kommt, liegt daran, daß in Tabelle 13 auch die Krankenhaustage der Sonderkrankenhäuser gezählt werden, die Infratest-Quoten sich jedoch nur auf Akutkrankenhausfälle beziehen. Bei den Kosten ergibt sich infolge des Abbaus von Fehlbelegungen eine Reduktion um 8 %. In der Basissimulation steigen die Kosten um 8,2 %. Auch hier liegt die Abweichung bei gut 16 Prozentpunkten. Im letzten Jahr (2000) können 15 % der realen Krankenhauskosten eingespart werden. Aufgrund der geringfügig höheren durchschnittlichen Fehlbelegungsrate bei Patienten unter 60 Jahren (19,6% gegenüber 17% bei den über 6O-Jährigen; vgl. Abschnitt 2.2, Tabelle 10) liegt die Einsparung bei den Mitgliedern mit 18% (vgl. Spalte 7, Tabelle 13) deutlich über dem Einsparvolumen der Gruppe der Rentner mit 13 %. Aus den in Tabelle 13 angeführten Verhältniszahlen lassen sich für die GKV zunächst noch keine konkreten Schlüsse hinsichtlich der fmanziellen Situation ableiten. In den folgenden Tabellen sind deswegen die sich in der Simulation ergebenden absoluten Kosten (Tabelle 14) und die Ergebnisse dreier Alternativen zur Entwicklung der Beitragssätze zusammengestellt (Tabelle 15). In Tabelle 14 wird deutlich, daß im Falle eines Rückgangs der Fehlbelegung bis zum Jahr 2000 anstelle der 41,4 Mrd. DM für stationäre Behandlung von der GKV nur noch 35,2 Mrd. DM real, d.h. in Preisen von 1990, gezahlt werden müßten. Damit könnten im letzten Jahr, falls sich die Strukturen im ambulanten und stationären Bereich in der oben geschilderten Weise ändern (vgl. VI.2.1 u. VI.2.3), rd. 6,2 Mrd DM für stationäre Be-

195

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

handlung eingespart werden. Die EinspalVolumina der vorhergehenden Jahre liegen für 1991 bei 1,3 Mrd. DM und 1995 bei 5,6 Mrd DM.

Tabelle 14

Kosten stationärer Behandlung in der GKV: Vergleich Basissimulation (BASIS) und Reduktion von Fehlbelegungen (FEHL) von 1990 bis 20001 Versieherungsstatus GKV

2 3 4

Jahr

Kosten2 (BASIS)

Kosten2 (FEHL)

1990 1991 1995 2000 1990/2000

40761,7 42329,4 38847,9 41402,9 +1,6%

40761,7 41030,0 33206,1 35208,0 -13,6%

Diff. 3

Diff. 4

0,0 - 3,1 -14,5 -15,0

0,0 - 1299,4 - 5641,8 - 6194,9

QueUe: Stb3-Mikrosimulator, März 1990 KH-Kosten in Mio. DM ohne Pflegesatzsteigerung prozentuale Abweichung der Altemstivsimulation (FEHL) von der Basissimulation (BASIS) absolute Abweichung der Altemstivsimulation (FEHL) von der Basissimulation (BASIS) in Mio. DM

Die Auswirkungen dieser Unterschiede zeigen sich natürlich auch in der Beitragssatzentwicklung. Hinzu kommen noch die Auswirkungen der Ersatzausgaben für eingesparte Fehlbelegungstage (pflegegeld für Schwerpflegebedürftige), die in Tabelle 14 nicht ausgewiesen sind. Tabelle 15 gibt daher Aufschluß über die Entwicklung des allgemeinen durchschnittlichen Beitragssatzes in der GKV für drei Alternativen und unter Konstanthaltung der Pflegesätze ab 199017 • Geht man erstens davon aus, daß eine Entwicklung ohne Abbau von Fehlbelegungen eintritt, dann steigt der Beitragssatz von 12,3 % in 1990 auf 13,5% in 2000 um 9,8% (vgl. Tabelle 15, Spalte 2). Simuliert wurde dabei ein Anstieg der Ausgaben für Schwerpflegebedürftige um 24% von 5,0 Mrd DM in 1991 über 5,5 Mrd DM in 1995 auf 6,2 Mrd DM in 2000. Auch hier ist die Entwicklung als reales Ergebnis einer steigenden Inanspruchnahme si17

Der Pflegesatzausgleich bei der Trennung von Behandlungs- und Pflegeleistungen (vgl. Tab. 12) ist davon unberührt. Gemeint ist hier die allgemeine Pflegesatzsteigerung (vgl. Abschnitt 1.1).

196

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

muliert worden. Die Zahl der Schwerpflegebedürftigen stieg im Simulationsmodell von 0,9 Mio. (1991) über 1,0 Mio. (1995) auf 1,1 Mio. (2000). Würde man, wie bei der zweiten Alternative, die finanzielle Unterstützung der Schwerpflegebedürftigen ab 1991 wieder rückgängig machen, so würde der Beitragssatz um nur 8,1 % auf 13,3% ansteigen (vgl. Spalte 3, Tabelle 15). Als dritte Alternative würde eine Reduktion von Fehlbelegungstagen zu einem gegenüber der ersten Simulation um 0,6 Prozentpunkte niedrigeren Beitragssatz in Höhe von 12,9% führen. Die Steigerung zu 1990 betrüge nur noch 4,9%.

Tabelle 15

Beitragssätze der GKVl: Basissimulationen (BASIS) und Reduktion der Fehlbeiegung (FEHL) von 1990 bis 2000l

1 2 3

Jahr

BASIS

BASIS3

FEHL

1987 1990 1991 1995 2000 1990/2000

12,1 12,3 13,1 12,8 13,5 +9,8%

12,1 12,3 12,7 12,1 13,3 +8,1%

12,1 12,3 12,9 12,0 12,9 +4,9%

AOK, BKK, lKK, BKn, EKK QueUe: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990, ohne Pflegesatzsteigerung und ohne Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter ohne Leistungen rur Schwerpflegebedürftige ab 1991

Unter den hier getroffenen Annahmen legen die Simulationsergebnisse insgesamt den Schluß nahe, daß die Einführung von Pflegeleistungen im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes nicht nur sozialpolitisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll war. Der Unterschied ist mit 0,6 Prozentpunkten allerdings nicht sehr groß. Insgesamt kann man festhalten, daß die Beitragssätze sich in den kommenden 10 Jahren wahrscheinlich auf einem relativ hohem Niveau zwischen 13 % und 14% bewegen werden. Das heißt, man kann auch für die Zukunft mit einem erhöhten Steuerungsbedarf im Gesundheitswesen rechnen. Die ab 1991 möglich erscheinenden Ansätze zur Reduktion von Fehlbelegungen führen in

Die Steuerung der Krankenhauainanspruchnahme

197

begrenztem Umfang (0,6 Prozentpunkte) zur Entlastung der Beitragsza.hler innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, deuten aber auch die Notwendigkeit weiterer Reformen im Krankenhausbereich an. Neben den Aspekten der Kostenentwicklung interessieren vor dem Hintergrund der Ausgangsfrage dieser Arbeit, d.h. aus der Sicht einer quantitativen Analyse sozialer Systeme, auch die differenzierte Entwicklung des Inanspruchnahmeprozesses sowie seine möglichen Auswirkungen auf die Systemstruktur. Wie bei der Basissimulation (vgl. Tabelle 8) soll die Struktur der stationären Versorgung über die nach Fachabteilungen differenzierte Bettendichte quantifiziert werden. Die Leitfrage ist, inwieweit sich Inanspruchnahme- und Bettenstruktur unter der Bedingung einer Reduktion von Fehlbelegungen bis zum Jahr 2000 entwickeln. Eine Annahme ist wieder, daß die Bettennutzung als Sollwert bei 86,6% (Wert der amtlichen Statistik von 1987; vgl. StatB. 1989b: 63) konstant gehalten wird. In Tabelle 16 sind die Ergebnisse der Basissimulation (BASIS) und die der Alternativsimulation (FEHL) zusammengestellt. Die Ergebnisse der Basissimulation sind in Abschnitt 1.2 (Tabelle 7) bereits näher erläutert worden, sollen hier also nur zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Bei den Ergebnissen der Fehlbelegungsreduktion zeigt sich auf allgemeiner Ebene ein Rückgang der Zahl der Krankenhaustageje 100 Einwohner von 361,6 in 1990 auf 338,3 in 2000 um 6,4%. Der Unterschied zur Basissimulation beträgt rd. 16 Prozentpunkte (Vergleich der Änderungsraten). Eine Zunahme der Zahl der Krankenhaustage ist nur noch bei den Chronikern (+ 36, 8%) und in der Fachabteilung für Kinderheilkunde (+6,3%) zu beobachten. Die Chroniker-, Geriatrie- und Sonderfachabteilungen sind von der Fehlbelegungsreduktion wieder ausgeschlossen. Vergleicht man die Werte der Status-Quo-Simulation (BASIS) mit den Werten, die sich bei einer Reduktion von Fehlbelegungstagen ergeben (FEHL), so zeigen sich entsprechend unseren Hypothesen (vgl. Abschnitt 2.3, Tabelle 11) die größten Unterschiede (Vergleich der Änderungsraten) in den Fachabteilungen Innere Medizin (20,8 Prozentpunkte), Kinderheilkunde (26,1) und Chirurgie/ Urologie (28,2 Prozentpunkte). Das heißt, prinzipiell ließen sich in diesen Disziplinen, vorausgesetzt es stünden alternative Behandlungseinrichtungen zur Verfügung, die größten Kapazitäten einsparen.

198

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Tabelle 16

KH-Tageje 100 Einwohner nach Fachabtellungen: Vergleich Basissimulation (BASIS) und Reduktion der Fehlbelegung (FEHL) von 1990 bis 2000· Fachabteilung

Jahr

FEHL

Fachabteilung

Geburtshilfe

1990 1991 1995 2000 90/2000

5,1 5,1 5,3 5,1 5,4 4,7 4,8 4,1 -5,9% -19,6%

Orthopädie

1990 6,9 6,9 1991 7,3 7,1 1995 7,6 6,4 2000 7,7 6,9 90/2000 +11,6% 0,0%

SonderfachFA

1990 1991 1995 2000 90/2000

87,0 87,2 85,7 83,2 -4,4%

87,0 87,0 84,8 81,4 -6,4%

Gynäkologie

1990 22,4 22,4 22,5 22,0 1991 1995 24,6 21,1 24,8 20,8 2000 90/2000 +10,7% -7,1%

Innere Medizin

1990 86,3 88,9 1991 1995 93,4 2000 100,1 90/2000 + 16,0%

86,3 85,8 76,4 82,2 -4,8%

Chroniker /Geriatrie. FA

1990 13,6 13,6 15,9 15,8 1991 1995 16,8 16,4 2000 18,4 18,6 90/2000 +35,3%+36,8%

Kinderheilkunde

1990 9,6 9,6 10,1 9,1 1991 10,3 1995 9,0 11,5 2000 10,2 9012000 + 19,8% +6,3%

übrige AkutFA

1990 1991 1995 2000 90/2000

Chirurgie !Urologie

1990 99,2 99,2 104,5 1991 99,5 1995 107,6 82,6 117,3 89,3 2000 90/2000 +18,2% -10,0%

Insgesamt

1990 361,6 1991 374,2 1995 384,8 2000 397,2 90/2000 +9,8%

BASIS

Jahr

BASIS FEHL

31,6 31,6 32,6 31,6 33,6 29,0 29,4 24,8 -7,0% -21,5% 361,6 362,9 326,4 338,3 -6,4%

1 Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990 FA: Fachabteilungen

Ein für unsere Zwecke wichtiges Ergebnis zeigt sich auch in der Entwicklung des Bettenbedarfs unter Berücksichtigung des Abbaus von Fehlbelegungen (vgl. Tabelle 17). Nach diesen Werten nimmt die Zahl der benötigten Betten von 1990 bis 1991 zwar noch von 671500 auf 675400 zu. Gegenüber

Die Steuerung der Krankenhausinanspruchnahme

199

der Basissimulation, bei der die Pflegefallpatienten noch im Akutkrankenhaus behandelt wurden (689600 Betten), zeigt sich in der Alternativsimulation (FEHL) jedoch bereits ein Unterschied von 14200 Betten. Gegenüber 1990 könnten bis 1995 im Falle einer Verlegung der Pflegefallpatienten in weiterbehandelnde Einrichtungen 67700 Krankenhausbetten abgebaut werden. Infolge der allgemeinen Intensivierung der Krankenhausinanspruchnahme müßten davon jedoch 6400 Betten bis zum Jahr 2000 wieder aufgestellt werden. Immerhin könnten im Verlauf der 10 Jahre 61300 Betten, das sind 9,1 % der Kapazität von 1990, eingespart werden. Voraussetzung ist jedoch immer, es stehen genügend Einrichtungen für die nach-stationäre Behandlung zur Verfügung. Insgesamt beträgt der Unterschied zwischen Basissimulation (707400) und Fehlbelegungssimulation (610200) knapp 100000 Betten. Weiterhin kann entsprechend unseren Fehlbelegungsquoten insbesondere in den Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie/ Urologie eine größere Zahl von Betten abgebaut werden. Nach den Angaben in Tabelle 17 würde der Bedarf in der Inneren Medizin bei einer Verlegung der Pflegefallpatienten um 7,5 %, d.h. um 11700 Betten bis zum Jahr 2000 zurückgehen. In der Fachabteilung Chirurgie/ Urologie könnte die Zahl von 150400 in 1990 um 18700 auf 131700 Betten in 2000, also um 12,4% gesenkt werden. Die Unterschiede zur Basissimulation betragen in der Inneren Medizin ca. 31500 Betten, in den Fachabteilungen Chirurgie/ Urologie sogar ca. 41200 Betten (Differenz der Bettenzahlen im Jahr 2000). Zusammen sind dies knapp 73000 Betten. Daß heißt, die Änderungen der Bettenstruktur würden nach den hier verwandten Hypothesen (vgl. Müller/ Klar 1989), insbesondere diese beiden Fachabteilungen, die allerdings auch die größten sind, betreffen. Bei der Betrachtung der vor allem auch strukturell unterschiedlichen Möglichkeiten des Bettenabbaus ist insgesamt zu berücksichtigen, daß Strukturveränderungen innerhalb der stationären Versorgung nicht nur von internen Faktoren abhängig sind, sondern auch durch Umwelteinflüsse bestimmt werden, die sich im Inanspruchnahmeprozeß niederschlagen. Insofern sind die aufgezeigten Betteneinsparungen nur möglich, wenn die Intensität des Inanspruchnahmeprozesses durch Ausdifferenzierung von Strukturen der pflegerischen Versorgung im ambulanten und semi-stationären Bereich gesenkt werden kann (vgl. Abschnitt 2.1). Kommt es zu keiner Änderung oder wesentlichen Änderung in diesen Bereichen, dann werden Pflegefallpatienten auch weiterhin in Akutkrankenhäusern behandelt. Die Therapiestrukturen der stationären Versorgung müßten dann, zumindest wenn man voraussetzt, daß die

200

Simulationsanalyse der Krankenhausinanspruchnahme

Bettennutzuog nicht über 86,6 % hinausgeht, bis zum Jahr 2000 um knapp 36000 auf rd. 707400 Krankenhausbetten expandieren (vgl. Tabelle 17, Basissimulation).

Tabelle 17

KH-Bettenbedarf bei Bettennutzung laut amtlichen Daten von 19871: Vergleich Basissimulation (BASIS) und Reduktion der Fehlbelegung (FEHL) 1990 bis 2()OOl BASIS FEHL

Orthopädie

1990 1991 1995 2000 90/2000

21.5 21.5 22.8 22.0 23.2 19.6 23.2 20.8 +7.9% -3.3%

Geburtshilfe3

1990 1991 1995 2000 90/2000

SonderFA

1990 1991 1995 2000 90/2000

208.1 208.1 202.3 193.7 -6.9%

208.1 211.1 194.6 189.4 -9.0%

Gynäkologie3

1990 52.6 52.6 1991 53.0 51.7 1995 56.7 48.8 2000 55.0 46.3 90/2000 +4.6% -12.0%

Innere Medizin

1990 155.8 1991 159.9 1995 166.2 2000 175.6 90/2000 +12.7%

155.8 154.0 135.5 144.1 -7.5%

Chroniker GeriatrieFA

1990 15.0 15.0 -1991 17.4 17.4 1995 18.2 17.8 2000 19.6 19.9 90/2000 +30.7%+32.7%

Kinderheilkunde

1990 21.9 22.9 1991 1995 23.2 2000 25.6 90/2000 + 16.9%

21.9 21.3 20.0 22.8 +4.1%

übrige AkutFA

1990 1991 1995 2000 90/2000

ChirurgielUrologie

1990 150.4 150.4 158.0 151.9 1991 161.0 125.7 1995 2000 172.9 131.7 90/2000 +15.0% -12.4%

Insgesamt

1990 1991 1995 2000 90/2000

FA:

FEHL

Jahr

Jahr

I 2 3

BASIS

Fachabtl.-

Fachabtl.

46.2 46.2 47.5 46.0 48.5 41.8 41.8 35.2 -9.5%-23.8% 671.5 689.6 699.3 707.4 +5.3%

671.5 675.4 603.8 610.2 -9.1%

Bettennutzung 1987: 86,6% (vgl. StatB. 1989b: 63) Quelle: Sfb3-Mikrosimulator, März 1990; sämtliche Zahlen in 1000 Betten für Geburtahilfe werden zusammen mit den Betten der Fachabteilung für Gynäkologie geführt (vgl. StatB. 1989b: 21) Fachabteilungen

Zusammenfassung

201

3. Zusammenfassung Da in diesem Kapitel sehr unterschiedliche Ergebnisse diskutiert wurden, sollen abschließend noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Simulationsanalysen zusammengefaßt werden. Ziel der hier dargestellten Analyse war eine prospektive Betrachtung des Inanspruchnahmeprozesses. Einmal sollte untersucht werden, wie sich die Krankenhausinanspruchnahme bis zum Jahr 2000 als ungesteuerter Prozeß entwickelt. Hierbei zeigte sich, daß die Zahl der Krankenhauställe je 100 GKV-Mitglieder um rd. 25%, die Zahl der Krankenhaustage je 100 Mitglieder um rd. 8 % ansteigt (vgl. Tabelle 3). Für die Bundesrepublik insgesamt ergibt sich ein Anstieg der Zahl der Krankenhaustageje 100 Einwohner um 9,8% von 361,6 in 1990 auf 397,2 im Jahr 2000 (vgl. Tabelle 7). Differenziert man die Krankenhausinanspruchnahme nach Disziplinen, so wird vor allem in den Chroniker- und Geriatrieabteilungen eine Inanspruchnahmesteigerung deutlich ( + 35,3 %). Der zweite Teil der Untersuchung beschäftigte sich mit den Auswirkungen einer Reduktion von Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern bis zum Jahr 2000. Die Simulationsannahmen wurden aus den Ergebnissen der InfratestStudie zum "Umfang von Fehlbelegungen in Akutkrankenhäusern" (vgl. Infratest/ Klar 1988; 1989; Müller/ Klar 1989) ermittelt. Unter der Voraussetzung, daß Fehlbelegungen abgebaut werden können durch die Finanzierung alternativer Einrichtungen, zeigt sich anband der Krankenhaustage ein Rückgang der Inanspruchnahme. Bei GKV-Versicherten nimmt die Zahl der Krankenhaustage je 100 Mitglieder von 445,5 in 1990 auf 409,5 in 2000 um rd. 8 % ab (vgl. Tabelle 13). Für die Bundesrepublik nimmt die Zahl der Pflegetageje 100 Einwohner von 361,6 auf 338,3 um gut 6% ab (vgl. Tabelle 16). Für die Krankenkassen ergibt sich aus dieser Entwicklung ein gegenüber der Basissimulation (13,5%) um 0,6 Prozentpunkte niedrigerer Beitragssatz von 12,9%. Eine andere Auswirkung betrifft die Bettenstruktur der stationären Versorgung. Unter den hier getroffenen Annahmen ist infolge des geänderten Inanspruchnahmeverhaltens eine Reduktion der Bettenkapazität um 9,1 %, d.h. um 61300 Betten von 671500 in 1990 auf 610200 Betten im Jahr 2000 möglich. Kommt es nicht zu einem Abbau von Fehlbelegungen, so könnte bei einem gleichbleibenden Versorgungsniveau (86,6% Bettennutzung) eine Expansion der Zahl der Krankenhausbetten auf rd. 707000 um ca. 36000 Betten bis zum Jahr 2000 eintreten (vgl. Tabelle 17).

VII. Schlußbetrachtung Die vorliegende Untersuchung ging von der Kritik an der herkömmlichen Analyse sozialer Systeme aus. Grundannahme der Kritik war, daß ein ausreichender Bezug zur Empirie und insbesondere zur empirischen Sozialforschung bisher fehlt. In dieser Arbeit wurde daher ein quantitativ-systemtheoretisches Konzept zur Analyse sozialer Prozesse vorgeschlagen. Es sollte ein Ansatz entwickelt werden, der sowohl abstrakte gesellschaftstheoretische als auch konkrete empirische Fragestellungen zu berücksichtigen versucht. Aufgrund der Forschungsdefizite der neueren Systemtheorie im Bereich des Gesundheits- und insbesondere Krankenhauswesens wurde dies am Beispiel der Inanspruchnahme von Krankenhäusern ausgeführt. Neben einer theoretischen Betrachtung der wichtigsten gesellschaftsstrukturellen Bedingungen des Inanspruchnahmeprozesses ging es insbesondere um die Frage, in welchem Ausmaß sich die quantifizierten Eigenschaften unterschiedlicher Systemniveaus auf Initiierung und Dauer des Inanspruchnahmeprozesses auswirken. Die Inanspruchnahme wurde dabei als sozialer Prozeß begriffen, der über die Erhebung personenbezogener Daten in der Umfrageforschung zwar individuell zugerechnet wird, jedoch innerhalb eines Systems (hier der stationären Versorgung) stattfindet und insofern Teil der sozialen Vorgänge des Systems ist. Eine zweite Analyserichtung zielte auf eine prospektive Betrachtung des Inanspruchnahmeprozesses ab. Dazu wurde aus der vorhergehenden retrospektiven Untersuchung ein Mikrosimulationsmodell der stationären Versorgung der Bundesrepublik entwickelt. Auf der Grundlage dieses Modells wurde mit der Fehlbelegungsproblematik ein aktuelles Steuerungsproblem der Krankenhausinanspruchnahme untersucht. Dabei interessierte u.a. die Frage, welche Struktureffekte eine nach Fachabteilungen differenzierte Inanspruchnahmeentwicklung innerhalb der stationären Versorgung haben könnte, einmal als ungesteuerter Prozeß und einmal unter der Bedingung einer Reduktion der zur Zeit bestehenden Fehlbelegungen.

Schlußbetrachtung

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Insgesamt ist deutlich geworden, daß man die Kraokenhausinanspruchnahme mit dem hier entwickelten Ansatz auf sehr unterschiedliche Weise beobachten kann. Bei dieser Beobachtung sind allerdings auch einige Probleme sichtbar geworden, die zeigen, wo man weitere Forschung ansetzen könnte. Eines dieser Probleme war der Ausschluß von Angaben zum Gesundheitszustand, der durch den Aufbau des Mikrosimulationsmodells bedingt war. Auf eine Schätzung der Kraokheitsentstehung in den statistischen Modellen und eine Abbildung von Kraokheitsepisoden im Simulationsmodell mußte auch aufgrund der Datenlage verzichtet werden. Einen Ausgleich kann man hierfür in der Berücksichtigung früherer und begleitender Behandlungsepisoden sehen, die z. T. als Indikatoren des Gesundheitszustandes fungieren können. Darüber hinaus ermöglichen sie die gerade für unsere Fragestellung wichtige Betonung des Prozeßcharakters der Krankenhausinanspruchnahme (vgl. III.3.2 u. III.5.2.a). Die Berücksichtigung des Gesundheitszustandes ist auch theoretisch von Interesse für die Frage, in welcher Weise Krankheits- und Therapiestrukturen im Inanspruchnahmeprozeß miteinander interagieren. Der hier realisierte eher einfache Ansatz, die fachabteilungsspezifische Inanspruchnahme und die darauf bezogene Bettenstruktur auf der Grundlage altersabhängiger Quoten zu schätzen, stellt nur einen ersten Schritt dar. Eine weiterführende Frage wäre, inwieweit das Auftreten bestimmter Krankheiten mit der Inanspruchnahme bestimmter Disziplinen zusammenhängt und wie sich diese Zusammenhänge im Längsschnitt entwickeln. Zur Beantwortung dieser Frage wäre natürlich die Erhebung entsprechender Längsschnittdaten erforderlich. Ein besonders auffälliges Ergebnis der empirischen Analysen in Kap. IV war die Selbstbezüglichkeit des Inanspruchnahmeprozesses. Hier bieten sich Ansatzpunkte, ausgehend von den Inanspruchnahmeprozessen weiterer Funktionssysteme (vgl. S. 48) die Luhmannsche These von der Selbstreferenz sozialer Systeme auch empirisch genauer in den Blick zu bekommen oder vielleicht einen anderen empirischen Begriff von sozialer Selbstreferenz zu entwickeln. Ein prinzipielles oder eher forschungsökonomisches Problem der hier vorliegende Analyse kann man schließlich in dem Arbeitsaufwand sehen, der mit der Entwicklung und Weiterentwicklung von Mikrosimulationsmodellen (Neuschätzung von Hypothesen, Erstellung neuer Startfiles) verbunden ist. Um die Analysetähigkeit des Modells zu erhalten, muß die Modellstruktur

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Schlußbetrachtung

fortwährend aktualisiert werden. Zur Zeit gibt es jedoch keine Routinen, die die "Modellpflege" effizienter gestalten und eine schnelle Anpassung des Modells an gesellschaftliche Veränderungen gewährleisten könnten (vgl. VI.l.l). Trotz dieser Probleme kann man insgesamt festhalten, daß die schätztheoretische Analyse und die Mikrosimulation der Krankenhausinanspruchnahme auch unter theoretischen Gesichtspunkten interessante Möglichkeiten zur Nachbildung und wissenschaftlichen Beobachtung gesellschaftlicher Vorgänge, insbesondere des Prozessierens personaler Systeme, bietet. Es gibt also abgesehen vom Arbeitsaufwand, d.h. Ressourcenbedarf, keinen Grund, warum die Analyse sozialer Prozesse und damit des Verhaltens sozialer Systeme auf einer rein qualitativen Ebene bleiben und die "quantitative Relationierung" als Methode systemtheoretischer Forschung ungenutzt bleiben sollte.

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