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German Pages [273] Year 2012
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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403372 — ISBN E-Book: 9783647403373
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Markus Schwemmle / Kristin Schwemmle (Hg.)
Systemisch beraten und steuern live 3 Methoden und Best Practices in Change Management und Führungskräfteentwicklung Mit 31 Abbildungen und 1 Tabelle
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40337-2 ISBN 978-3-647-40337-3 (E-Book) © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Bernd Schmid Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Daniela Krug Der Coach im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen. Professionelle Begleitung von Transfergesellschaften durch systemisches Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kristin Schwemmle, Bernd Janosch und Wolfgang Engelhorn Systemisches Outplacement – Unternehmerische Verantwortung aktiv gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Uta Kaußler Change erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Bettina Habbel Let’s get together: Führungskräftekonferenzen einmal anders . . . . 55 Ein Reisebericht Andreia Rotariu und Petra Ruda Lernräume statt Lernträume. Wie tatsächliche Veränderung durch ein Personalentwicklungsprogramm möglich wird . . . . . . . . 75 Sonja Kalusche Widersprüche in der Beratung und die Selbstorganisation als Berater. Ein Auftrag voller Widersprüche … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Uwe Lockenvitz Seelische Leitbilder in Coaching und der Beratung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
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Inhalt
Bettina Hof »Taschenkompass«: Das Vier-Faktoren-Modell der Themenzentrierten Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Thilo Leipoldt Kompetenztraining für Führungskräfte: Persönliche Wirkung erfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Petra Mehl-Lammens Internationale Führungskräfteausbildung am Beispiel Indien . . . . 155 Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink Mixed Leadership – Die Erfolgspotenziale gemischter Führung . . 171 Marc Minor »randscharf versus kernprägnant«. Zwei Scheinwerfer aus der Linguistik oder: Wie viel Reglementierung verträgt ein Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Gabriele Haas, Rita Strackbein und Dirk Strackbein Systemische Kompetenz in der Führungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . 205 Manuela Grund und Maximilian Schlegel Wozu mache ich das alles hier? Sinnorientierung in Mitarbeiterführung und Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . 225 Dagmar Wötzel »Die letzte Meile« oder: Unser Beitrag zum Erfolg von Unternehmensstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
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Bernd Schmid
Geleitwort
In diesem Band finden die Leser eine Fülle von Berichten aus der Praxis, Konzepte und Vorgehensweisen sowie Reflexionen über Prozesse, Bezugsrahmen, Besonderheiten der Arbeitsfelder und persönliche Stellungnahmen zu Fragen unserer Zeit. Man kann den hier vertretenen Professionellen über die Schulter schauen, sich ihre Erfahrung und ihre Ansichten nahebringen lassen. Die dabei erlebte Vielfalt entspricht dem Institut für systemische Beratung Wiesloch (ISB) und dem Netzwerk systemische Professionalität und setzt so den regen Austausch in den Regionalgruppen und im Netzwerk fort. Dies geschieht im Geiste der ISB-Lernkultur: Die entwickelten und gelehrten Konzepte wie auch methodische Vorgehensweisen werden als Beispiele behandelt, in denen sich situative Klugheit und Kreativität spiegeln. Wie könnte man es diesmal machen und warum? Welche Ansätze haben welche Implikationen und Konsequenzen? Was bedeutet dabei die spezielle Situation im Arbeitsfeld vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen? Wie passt das alles zur Persönlichkeit derer, die damit Wirklichkeiten schaffen, Prozesse steuern? Wie erzählen sie sich selbst bei allen fachlichen Ausführungen? Wie befragen sie damit die Kultur unseres Wirtschaftens? All das entspricht der Vielfalt und Lebendigkeit der Lern- und Professionskultur, die gepflegt werden soll. Intelligente und kontextsensible Lösungen anstatt fertige Vorstellungen und Lösungen. Auf den lebendigen Prozess der Steuerung kommt es an, auf »handwerklich« solides Arbeiten im Zusammenspiel mit Intuition und Erfahrung. Die Autoren verweisen oft auf Beschreibungen und Steuerungskonzepte des ISB, bringen aber genauso Erfahrungen aus anderen Quellen und die eigene Originalität zu Geltung. Das ist ein Ansporn, sich anzueignen, was passt, das eigene Repertoire und den eigenen Stil damit anzureichern und beiseite zu lassen, was im Moment keine Kraft entwickelt. Dabei wünsche ich allen Freude am Austausch und Inspiration für die eigene Professionalität.
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Daniela Krug
Der Coach im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen Professionelle Begleitung von Transfergesellschaften durch systemisches Coaching
Der folgende Beitrag zeigt das Spannungsfeld auf, in dem sich systemische Berater bewegen, die Menschen im Rahmen einer Transfergesellschaft professionell bei der beruflichen (Neu-)Orientierung und Stellensuche begleiten. Er wendet sich an Coaches, die bereits selbst Erfahrungen in diesem Berufsfeld gemacht haben oder mehr darüber erfahren möchten. Der Beitrag ist aus meiner Sicht als systemischer Coach geschrieben. Als externe Beraterin war ich für unterschiedliche Beratungsunternehmen tätig, die von personalabbauenden Unternehmen beauftragt wurden, Transfergesellschaften zu führen.
Hintergrund – Was sind Transfergesellschaften und wer sind die Beteiligten? In den letzten Jahren haben Transfergesellschaften im Rahmen umfassender Restrukturierungsmaßnahmen in Unternehmen als arbeitspolitisches Instrument an Bedeutung gewonnen. Diese verfolgen per Definition ausschließlich das Ziel, von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohte Mitarbeiter eines Unternehmens dabei zu unterstützen, schnellstmöglich ein neues Beschäftigungsverhältnis zu finden oder ihnen ein solches zu vermitteln. Auf Basis einer Einigung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern des Unternehmens und in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit werden Transfergesellschaften über einen gesetzlich genau vorgeschriebenen Prozess installiert. Festgehalten werden die Vereinbarungen meist in einem Zusatz im Sozialplan oder in
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Daniela Krug
einem eigens dafür beschlossenen Transfersozialplan, der auch die Höhe der Abfindung, Urlaubstage und die Dauer der Transferzeit beinhaltet. Als »dritte Partei«, neben dem personalabbauenden Unternehmen und der Agentur für Arbeit, wird häufig für die Führung der Transfergesellschaft ein externes Beratungsunternehmen hinzugezogen, welches die betroffenen Mitarbeiter während der Transferzeit bei sich beschäftigt. In einer vertraglichen Regelung zwischen personalabbauendem Unternehmen und Beratungsunternehmen werden der Beratungsumfang, das zur Verfügung stehende Budget, zum Beispiel für Weiterbildungen, und Prozessabläufe vereinbart. Das beauftragte Unternehmen ist für die Dauer der Transferzeit für alle personalwirtschaftlichen Abläufe, Anträge bei der Agentur für Arbeit und für die reibungslose Unterstützung des Mitarbeiters bei der Stellensuche verantwortlich. Die betroffenen Mitarbeiter lösen über einen Aufhebungsvertrag mit dem Unternehmen ihr Beschäftigungsverhältnis auf und schließen gleichzeitig mit dem beauftragten Beratungsunternehmen einen auf maximal zwölf Monate befristeten Arbeitsvertrag ab. Personen, die zum gleichen Zeitpunkt in die Transfergesellschaft eintreten, werden in betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheiten (beE) zusammengefasst. Bis zum Vertragsende bzw. Austritt aufgrund von Arbeitsaufnahme werden sie von ihrem zugeteilten Coach professionell beraten und in ihren Bewerbungsaktivitäten unterstützt. Um Auftragsspitzen abzudecken oder um für das jeweilige Projekt spezielle Fach- oder Branchenkenntnisse bereitstellen zu können, werden zusätzlich neben den festangestellten auch externe Berater vom Beratungsunternehmen eingesetzt. Die Einrichtung von Transfergesellschaften ist mit hohen Kosten und einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden. Zudem treten aufgrund der vielen Parteien mit zum Teil kontroversen Interessen immer wieder auch Kommunikationsschwierigkeiten und Konflikte auf. Da jedoch für alle Beteiligten interessante Synergieeffekte entstehen, sind Transfergesellschaften zu einem beliebten personalpolitischen Instrument geworden. Welcher Nutzen kann für die einzelnen Beteiligten entstehen? Für das personalabbauende Unternehmen entfallen durch den Abschluss von Aufhebungsverträgen geltende Kündigungsfristen und das Risiko von möglichen Kündigungsschutzklagen. Im Unterschied zu alternativen
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Abbildung 1: Darstellung der unmittelbaren Beteiligten bzw. Hauptakteure
Abbaumaßnahmen können die entstehenden Kosten besser abgeschätzt und kalkuliert sowie »Altlasten« für das Unternehmen reduziert werden. Auch das Unternehmensimage wird meist weniger beschädigt, es kann im Gegenteil häufig erhalten oder sogar verbessert werden. Die aufgeführten Punkte wirken sich wiederum positiv auf die Attraktivität des Unternehmens für potenzielle Käufer aus, sollte es später doch noch ganz oder in Teilen veräußert werden. Durch die Auslagerung der Betreuung der ausgestellten Mitarbeiter und des organisatorischen bzw. bürokratischen Aufwandes an das Beratungsunternehmen werden die eigenen Strukturen entlastet und die zurückbleibende Organisation kann schnell wieder zu ihrem Arbeitsalltag zurückfinden. Die Agentur für Arbeit lagert durch die finanzielle Förderung von Transfergesellschaften ebenfalls den Betreuungs- und Vermittlungsauftrag aus und entlastet somit den eigenen Apparat. Zudem wirkt sich der Personalabbau durch das verwendete arbeitsmarktpolitische Instrument nicht negativ auf die Arbeitslosenquote aus. Transfergesellschaften haben durch den Einfluss auf die Arbeitslosenquote also einen wichtigen politischen Aspekt. Für das beauftragte Beratungsunternehmen ist die Führung einer Transfergesellschaft insbesondere aus ökonomischen Gesichtspunkten interessant. Zudem ist es an hohen Vermittlungsquoten interessiert, um
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auch bei der Akquise von Folgeprojekten oder neuen Auftraggebern für das Unternehmen sprechende Zahlen vorweisen zu können. Die betroffenen Mitarbeiter vermeiden zunächst den Status der Arbeitslosigkeit und erhalten so ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sie werden von Beratern individuell und professionell begleitet und können sich, im Rahmen des bewilligten Weiterbildungsbudgets, berufliche Weiterbildungen finanzieren lassen. Auf diese Weise können sie ihre Qualifikationen vertiefen und den Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen oder neue Kenntnisse erwerben. Finden die Mitarbeiter in der Transferzeit einen neuen Arbeitsgeber, können sie innerhalb dieser Zeit ihren Arbeitsvertrag beim Beratungsunternehmen ruhend stellen und jederzeit wieder aktivieren. Sollte das neue Beschäftigungsverhältnis aus irgendeinem Grund wieder aufgelöst werden, trägt der Mitarbeiter kein Risiko, direkt arbeitslos zu werden, sondern kehrt in die beE zurück.
Abbildung 2: Mögliche Interessen der beteiligten Hauptakteure
Die Rolle des systemischen Beraters im Spannungsfeld der unterschiedlichen Erwartungen Die Rolle des systemischen Beraters bewegt sich zwischen den komplexen Anforderungen und Zielen der aufgeführten Parteien. Stellt man sich ihn mit seiner systemischen Haltung und seiner zirkulären Vorge-
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hensweise im Kontext der beschriebenen Umwelten vor, entsteht ein erster Eindruck über die Komplexität und die inneren (in der Person des Beraters) und äußeren (im Zusammenspiel mit den anderen Akteuren) Spannungen, mit denen der Berater in diesem Tätigkeitsbereich konfrontiert wird und umgehen muss. Zumeist sind die Kommunikationswege und Prozesse so definiert, dass der Berater, als einziger bekannter Ansprechpartner für den Coachee, als Brückenkopf in alle Richtungen fungiert. Das heißt, alle Themen und Anliegen, die diesen bewegen, sei es aus dem Bereich Lohnabrechnung, Arbeitsbescheinigungen, Weiterbildungswünsche etc., werden an den Coach herangetragen. Meist im Beisein seines Klienten muss der Berater, ohne sein Gesicht zu verlieren, entscheiden, über welche Themen er selbst Entscheidungsbefugnis hat oder welche Anfragen er direkt oder über Umwege an den zuständigen Ansprechpartner weiterzuleiten hat. Mit mehr oder weniger zeitlicher Verzögerung kann er dann die getroffenen Entscheidungen oder angefragten Informationen, die sowohl positiver als auch negativer Natur sein können, an seinen Coachee kommunizieren. Als Stellvertreter für den Transfermitarbeiter und gleichzeitig für alle anderen Beteiligten bietet er eine vielfache Projektionsfläche für Emotionen und Anliegen. Ändern sich beispielsweise im Beratungsverlauf grundlegende Parameter, zum Beispiel wird die zugesagte Kostenübernahme für Fachliteratur plötzlich eingestellt, wird der Berater zumeist als Prellbock direkt mit der Wut und Enttäuschung des Klienten konfrontiert, der nun auf den bereits entstandenen Kosten für die Fachliteratur sitzen bleibt. Als Übermittler solcher Nachrichten kann es dem Berater zudem passieren, dass der Mitarbeiter den Namen des eigentlichen Entscheidungsträgers einfordert, um sich mit diesem direkt in Verbindung setzen. Häufig muss der Coach sich auch Vorwürfe bezüglich der Qualität seiner Unterstützung oder Beratertätigkeit gefallen lassen: Ist der Klient aufgrund der mageren Auswahl an offenen Stellenanzeigen frustriert und demotiviert, hört der Berater häufig, dass er ihn bei der Stellensuche zu wenig unterstützt, und wird nach seiner eigentlichen Aufgabe gefragt. Schließlich sei ihm vor Unterschrift des Transfervertrages versprochen worden, dass sein Berater nach Stellen recherchieren würde und ihm sozusagen als Stellenlieferant dienlich sei. All dies sind Situationen, die
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für die Vertrauensbeziehung zwischen Coachee und Coach nicht gerade förderlich sind. Auch die systemische Haltung des Beraters kommt ins Kreuzfeuer der unterschiedlichen Erwartungen: Die Auffassung, dass systemisches Arbeiten Prozessarbeit bedeutet, trifft auf das proklamierte Ziel der schnellstmöglichen Vermittlung. Somit steht auf der einen Seite das Verständnis des systemischen Beraters, dass Prozesse von außen nicht steuerbar sind und in ihrem Kontext gesehen werden müssen und dass Klienten ihre individuelle Zeit brauchen, um neue Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln und zu überprüfen; und auf der anderen Seite ein vorgegebener Beratungsauftrag, der keine berufliche Neuorientierung und Weichenstellung oder die Reflexion des bisherigen beruflichen Werdegangs, der persönlichen Werte und Vorstellungen oder gar eine Erholungsphase zwischen zwei beruflichen Stationen vorsieht. Was bedeutet diese kontroverse Situation für den systemischen Berater? Für den Coach heißt das zum einen, dass seine Neutralität gegenüber der Art der Lösung bzw. Veränderung, die der Kunde für sich auswählt, in ständiger Gefahr schwebt; zum anderen, dass sein Rollenverständnis, als Lösungs- und Prozessbegleiter eben nicht die »optimale« Lösung für seinen Kunden aus dem Hut zu zaubern, permanent in Frage gestellt wird. Denn es wird vom ihm nicht verlangt, den Veränderungs- und Entscheidungsprozess seines Coachees zu begleiten, sondern als Experte für diesen zu entscheiden, was das Richtige für ihn ist, und ihm den Weg dorthin abzunehmen. Der systemische Coach ist also permanent gefordert. Bei der Vielzahl der Auftraggeber und Interessen darf er den eigentlichen Menschen, den er begleiten soll, nicht aus dem Auge verlieren. Und gleichzeitig darf er sich selbst nicht in den ausgelegten Fallstricken verfangen, sondern muss seine Klarheit und Haltung im Prozess bewahren.
Der Beratungsprozess – Im Fokus: Beziehung zwischen Coachee und Berater Der Beratungsprozess gliedert sich in die aus anderen Coachingprozessen bekannten Phasen. Daher soll im Rahmen dieses Beitrages das Augenmerk nur auf wesentliche Besonderheiten gelegt werden.
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Besonders durch die systemische Arbeitsweise kann der Prozess von einer »weg-von«-Bewegung in eine »hin-zu«-Bewegung transformiert werden. Der kundenorientierte, lösungs- und zukunftsorientierte Fokus unterstützt den Kunden dabei, vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten wiederzuentdecken und für seine Handlungsmöglichkeiten zu nutzen. Die Wahrnehmung ihrer eigenen Situation ist von den Transfermitarbeitern individuell unterschiedlich und wirkt sich auch auf deren Handlungsfähigkeit aus. Das Spektrum umfasst neben der Bewertung des Stellenverlustes als Bruch im beruflichen Werdegang oder als Chance, dem Leben nun eine neue Richtung zu geben, viele Facetten und verändert sich im Verlauf des Beratungsprozesses. In Anlehnung an die Emotionskurve von Elisabeth Kübler-Ross durchläuft der Coachee unterschiedliche Bewältigungsphasen bei Krisen und Umbrüchen: Vorahnung, Schock, Abwehr, rationale Akzeptanz, emotionale Akzeptanz, Öffnung, Integration. Es bieten sich daher dem Berater viele Ansatzpunkte für die Bildung von Hypothesen und die Anwendung von Interventionen, wodurch er aus seinem gesamten Methodenspektrum schöpfen kann. Da jedoch neben der systemischen Beraterrolle auch andere Rollen im Beratungsverlauf zum Tragen kommen, sind für Coaches kompetenzorientierte Beratungsansätze sowie Expertenwissen in den Bereichen Bewerbung, Existenzgründung, Arbeits- und Weiterbildungsmarkt und ein großes Methodenspektrum sehr hilfreich. Die Phase der Auftragsklärung ist entscheidend für den Verlauf des gesamten weiteren Prozesses und den Beratungserfolg, besonders vor dem Hintergrund des beschriebenen Spannungsfeldes, in dem die Beratung stattfindet. Das erste Gespräch zwischen Transfermitarbeiter und seinem Coach verfolgt die Intention, eine vertrauensvolle, tragfähige Beziehung zu knüpfen sowie Anliegen und Ziel des Beratungsprozesses zu klären. Ungünstige Rahmenbedingungen, unter denen die erste Begegnung stattfindet, können die Beziehungsanbahnung bzw. die Ankopplung zwischen Beratersystem (Coach) und Klientensystem (Mitarbeiter) erschweren. Häufig wird zum Beispiel die Entscheidung für die Einrichtung einer Transfergesellschaft sehr kurzfristig getroffen, so dass die notwendigen formalen Voraussetzungen innerhalb kürzester Zeit erfüllt werden müssen. Das Unterschreiben der (Aufhebungs-)Verträge, die Durchführung von Informationsveranstaltungen für die betroffenen
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Mitarbeiter und Ausfüllen der gesetzlich notwendigen Anträge müssen daher oft unter sehr hohem zeitlichen Druck stattfinden, um den vorgesehenen Beginn der beE einhalten zu können. Findet nun das erste Zusammentreffen nicht unter dem Aspekt statt, sich kennenzulernen, sondern um notwendige Formulare auszufüllen und Fakten über das berufliche Profil des Coachees aufzunehmen, die fristgerecht bei der Agentur für Arbeit abgeliefert werden müssen, gibt es für den Mitarbeiter als Menschen kaum den Spielraum, den er eigentlich bräuchte. Weiterhin stellt sich bei der Auftragsklärung immer wieder heraus, dass das individuelle Anliegen des Klienten nicht der Vorgabe entspricht, schnellstmöglich ein neues Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Auch wenn er sich mit dem Eintritt in die Transfergesellschaft offiziell verpflichtet, aktiv bei der Zielerreichung mitzuwirken, hat dieses Ziel nicht immer seine oberste Priorität (vgl. Abb. 2). Das tatsächliche Spektrum ist weitaus vielfältiger und kann neben der Suche nach einem neuen Arbeitgeber auch die berufliche Neuorientierung, eine persönliche Auszeit zur Regeneration, die Klärung und Erledigung privater Angelegenheiten, die Weiterqualifizierung oder auch die Umsetzung einer Gründungsidee umfassen. Der individuelle, private Kontext (z. B. alleinerziehende Mutter, Familie mit drei kleinen Kindern) nimmt neben dem finanziellen Zusatzpaket, das mit dem Auflösungsvertrag ausbezahlt wird (Weiterbildungsbudget, Abfindung etc.), zusätzlich einen wesentlichen Einfluss auf die vorherrschende Motivation und den Veränderungswillen des Einzelnen. Da Auftraggeber (Beratungsunternehmen) und Klient (Mitarbeiter der beE) in dieser Konstellation nicht identisch sind, muss es dem Berater in dieser Phase gelingen, gemeinsam mit dem Coachee ein Beratungsziel zu erarbeiten, das dessen eigentlichem Anliegen entspricht und dennoch den Interessen der anderen beteiligten Akteure gerecht wird. Da die Beratungsgespräche in einem zwei- bis dreiwöchigen Rhythmus über den gesamten Zeitraum der Transferzeit vorgegeben sind, ist es nicht immer leicht, die Mitwirkung des Klienten und die gemeinsame Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder genügend sinnhafte Anliegen zu bearbeiten. Auch die geringe Bindung und Identifikation mit dem Brötchengeber (Beratungsunternehmen) während der Transferzeit steigert die Anforderungen an die Tragfähigkeit des Beratungssystems und die Ankopplung zwischen Coachee und Coach. Letzterer ist ausschließlich auf die Freiwil-
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ligkeit und Motivation des Mitarbeiters angewiesen. Dies gilt besonders dann, wenn dieser sich nicht wirklich freiwillig für den Übertritt in die Transfergesellschaft entschieden hat, sondern nur das kleinere Übel im Vergleich zur sofortigen Arbeitslosigkeit gewählt hat. Um die Ausgangssituation für den Beratungsprozess möglichst umfassend zu klären, können, neben den klassischen Fragen, folgende Leitfragen hilfreich sein: Welche Erfahrungen hat der Mitarbeiter im Unternehmen gemacht? Fühlte er sich geschätzt und anerkannt? Scheidet er gekränkt aus dem Arbeitsverhältnis aus? Fühlt er sich von seinem bisheriger Arbeitgeber verraten? Wie häufig gab es bereits Umstrukturierungen und Abbauwellen im Unternehmen und wie wurde mit diesen Veränderungssituationen im Unternehmen umgegangen? Wie nachvollziehbar ist die Entscheidung des Unternehmens, Personal abzubauen? Hat sich der Mitarbeiter bereits mit dem Gedanken befasst, eine neue Stelle zu suchen, weil er selbst mit seiner Arbeitssituation unzufrieden war oder der Abbau vorhersehbar war? Sieht der Mitarbeiter diese Lebensphase als Chance, sich weiterzuentwickeln oder mit einer Abfindung aus dem Unternehmen auszuscheiden? Oder löst das Austreten aus dem alten Beschäftigungsverhältnis eine Krise aus, die sich auch auf seinen Selbstwert, seine Kompetenzwahrnehmung und/oder Handlungsfähigkeit niederschlägt? Wie schätzt der Mitarbeiter aufgrund seines Alters und seiner Qualifikationen seine Chancen am Arbeitsmarkt ein und entsprechen diese der Realität (z. B. Menschen Ende fünfzig)? Tritt der Mitarbeiter tatsächlich freiwillig in die Transfergesellschaft ein oder wurde er indirekt »geschickt«? Wie groß sind die innere Bereitschaft und der Wunsch des Klienten, sich zu verändern? Um welchen Kundentypen (Besucher, Klagender, Klient) handelt es sich? Wie sieht der Kontext des Mitarbeiters, sein soziales Umfeld aus? Wie reagieren seine Familie, Freunde und sein Umfeld auf die neue Situation und welche Unterstützung bekommt er von diesen?
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Wie ist seine persönliche und finanzielle Situation? Wie hoch ist der Zeitdruck bzw. die Not, eine neue Anstellung zu finden, weil zum Beispiel ein Kredit abbezahlt werden muss oder der Klient Alleinverdiener ist? Wie wirkt sich das auf den Veränderungsdruck und seine Motivation aus?
Auch im weiteren Beratungsverlauf wirken immer wieder Kräfte intervenierend auf die Stabilität des Beratungssystems ein. Durch diverse Kontrollmechanismen, die in den Verträgen zwischen personalabbauendem Unternehmen, Agentur für Arbeit und dem Beratungsunternehmen vereinbart werden, können die beteiligten Parteien den Beratungsprozess indirekt steuern und ihre eigenen Interessen durchsetzen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass der Berater gemeinsam mit dem Klienten nur über einen Teilbetrag des Qualifizierungsbudgets frei entscheiden kann. Wenn der Budgetrahmen überschritten wird, da zum Beispiel die Weiterbildung teurer ist, muss ein Genehmigungsverfahren bei einem aus Personalern und Betriebsräten des ausstellenden Unternehmens zusammengesetzten Steuerungskreis eingeleitet werden. Dadurch werden oft kurzfristig notwendige Entscheidungen verzögert. Auch wenn entsprechende Entscheidungen objektiv anhand des dargestellten Weiterbildungsbedarfes getroffen werden sollten, kommt es vor, dass diese, von subjektiven Interessen geleitet, abgelehnt werden. Als Folge wird nicht nur das Beratungssystem vehement gestört, sondern es wird auch die Kompetenz des Beraters, der den Weiterbildungsbedarf identifiziert hat, untergraben. Ein Praxisbeispiel: Eine Mitarbeiterin chinesischer Herkunft wurde ein Business-Englischkurs als Weiterbildung mit der Begründung abgelehnt, dass sie in mehreren Projekten in China eingesetzt war und hierbei ihre Englischkenntnisse ausreichend waren. Als Alternative solle sie doch lieber einen Deutschkurs machen, das habe sie »nötiger«. Im nächsten Gespräch mit der Klientin stellte sich dann Folgendes heraus: Zum einen gab es schon früher Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und der Personalreferentin, die für den Ausgang der Entscheidung des Steuerungskreises meinungsbildend war. Zum anderen hatte sie sich während ihrer Projekttätigkeit mit dem Projektteam überwiegend auf Chinesisch verständigt, weil sie sich im Englischen nicht adäquat ausdrücken konnte. Auf Basis dieser Zusatzinformationen wurde entschieden,
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noch einen zweiten Versuch zu starten und einen Einstufungstest beizulegen, der die Deutschkenntnisse der Chinesin als gut befand. Auch dieser Antrag wurde, trotz umfassender Begründung und beigefügtem Testergebnis, abgelehnt und man verwies auf den Deutschkurs als notwendige Qualifikationsmaßnahme. Wie deutlich geworden ist, sind die Phase der Auftragsklärung, besonders jedoch der Aufbau und das Erhalten einer tragfähigen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Coachee und Coach wesentlich. Der weitere Beratungsprozess ist bis zum Austritt des Mitarbeiters aus der Transfergesellschaft aufgrund einer erfolgreichen Stellensuche, des Beginns einer Existenzgründung oder des Auslaufens des befristeten Vertrages durch die gemeinsame Arbeit durch die Anliegen der definierten Ziele geprägt und muss an dieser Stelle nicht mehr vertiefend beschrieben werden.
Fazit Transfergesellschaften bedienen Interessen von verschiedenen Parteien. Für die Rolle des Beraters entsteht damit ein höchst komplexes Spannungsfeld, welches vielfältige Anforderungen und Ansprüche an den Coach und an seine Arbeitsweise stellt. Seine Rolle oszilliert zwischen Wegbegleiter, Sparringspartner, Geburtshelfer, Zuhörer, Treiber, systemischem Berater, Expertenberater, (freiem) Mitarbeiter des Beratungsunternehmens, Stellvertreter für Beratungsunternehmen/Ursprungsunternehmen/Agentur für Arbeit, Datenverwalter … (s. Abb. 3). Den Überblick zu behalten, welchen »Hut« er als Berater gerade auf hat und welche Projektionsfläche er gerade zur Verfügung stellt, erfordert neben den üblichen Anforderungen ein hohes Maß an Rollen- und Prozessklarheit. Die systemische Haltung und möglichst ganzheitliche Sicht auf die Dinge, kann dem Berater bei der Erfüllung der an ihn herangetragenen Aufgaben und Anforderungen unterstützen. Sie kann ihn aber auch immer wieder an die Grenze zur Überforderung bringen. Denn das Wissen über die vorhandenen unterschiedlichen Interessen- und Auftragsgruppen, sein Verständnis über die Steuerbarkeit von Systemen und daraus resultierend sein Interventionsverständnis sowie seine Rollenvielfalt erhöhen für ihn die bewusst oder unbewusst wahrgenom-
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menen Komplexität und das Spannungsfeld, mit dem er konstruktiv umzugehen hat. Für die professionelle Begleitung von Transfergesellschaften bedeutet das: Um selbst arbeits- und handlungsfähig zu bleiben, muss es dem Berater gelingen, Klarheit über seine jeweilige(n) Rolle(n) und den damit verbundenen Anforderungen zu haben, ohne zum Spielball einer der beteiligten Parteien zu werden. Darüber hinaus darf er seinen Klienten und sich selbst nicht aus dem Auge verlieren und sollte insbesondere seiner systemischen Haltung und seinem Beraterverständnis, als Grundlage seines Tuns, treu bleiben.
Abbildung 3: Beispiele unterschiedlicher Rollen bzw. »Hüte« des systemischen Coaches bei der professionellen Begleitung von Transfergesellschaften
Literatur Backes, S. (Hrsg.) (2009). Transfergesellschaften (2. Auflage). Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller. Fatzer, G. (1997). Lernen und Lernende Organisation – Mythos und Realität. Hernsteiner 4, 6–9.
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Die Autorin Daniela Krug (Jg. 1975) ist seit 2004 als systemischer und lösungsfokussierter Coach tätig und leitet seit 2007 ein eigenes Beratungsunternehmen in München. Als Diplomkauffrau und zertifizierter Coach verfügt sie über weitere fundierte Ausbildungen in den Bereichen systemisches Coaching, lösungsfokussierte Kurzzeitberatung, Organisationsentwicklung, Kompetenzberatung und Stressmanagement. Sie begleitet Veränderungsprozesse von Menschen und Organisationen im Rahmen von Mitarbeiter- und Führungskräftecoaching sowie Team- und Organisationsentwicklung. Zudem bildet Daniela Krug als Lehrtrainerin am Zentrum für Weiterbildung und Wissenstransfer (ZWW) der Universität Augsburg im Rahmen der systemischen Coachingausbildung Berater aus. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.centrado.org
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Kristin Schwemmle, Bernd Janosch und Wolfgang Engelhorn
Systemisches Outplacement – Unternehmerische Verantwortung aktiv gestalten
Personalabbau – eine Hiobsbotschaft für Unternehmen wie Beschäftigte. Nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch im Kontext von Fusionen und Standortverlagerungen wird das Instrumentarium der Personalfreisetzung mit Reduktion des Personalbestandes – so die Terminologie der Personalmanager – als Mittel der Wahl eingesetzt. Genügte bisher der Verweis auf die wirtschaftliche Schieflage eines Unternehmens, wird zunehmend eine angestrebte Gewinnerwartung als Begründung für Personalabbau angeführt. Personalabbau wird alltagstauglich. Neben der natürlichen Fluktuation gibt es eine Reihe von Maßnahmen, wie Unternehmen sich von Mitarbeitern trennen können. Diese reichen von vorgezogenen Ruhestandsregelungen über Abfindungsprogramme bis hin zu betriebsbedingten Kündigungen. Ziel eines Personalabbauprogrammes sollte es jedoch sein, letztere zu vermeiden und anstelle dessen Anreize zu bieten, damit die Mitarbeiter das Unternehmen soweit wie möglich freiwillig verlassen. Um wettbewerbsfähig zu sein, investieren Unternehmen viel Zeit und Geld, sich die Top-Talente und Führungskompetenzen zu sichern. Sie beschäftigen sich damit, wie es gelingen kann, wichtige Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Ein Mittel dafür ist der Aufbau eines positiven Arbeitgeberimages im Personalmarkt. Dieses zerstören sie schnell, ja fast leichtsinnig, wenn der Stellenabbau rüde und wenig wertschätzend für die Menschen durchgezogen wird. Das ist eine mögliche Perspektive auf Stellenabbau aus Sicht der Unternehmen. Es gibt noch weitere, zum Beispiel die der betroffenen Mitarbeiter. Diese durchleben dabei ihren ganz eigenen Übergangsprozess, welcher in der Regel hoch emotional ist. Nach dem Verlust der beruflichen Existenz gilt es, neue Perspektiven zu entwickeln, wie das zukünftige berufliche Leben gestaltet werden kann.
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Unterstützend wird hier zunehmend das sogenannte Outplacement angeboten, das den betroffenen Mitarbeitern eine professionelle Hilfestellung bei der beruflichen Neuorientierung gibt. Diese oft von den Unternehmen finanzierte Dienstleistung kann die Menschen bis zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages oder einer Existenzgründung begleiten. Die mit Outplacement assoziierten Empfindungen bei den Betroffenen sind alles andere als wertschätzend – out zu sein bedeutet aus der Mode, erloschen – aus. Dabei möchte man jedoch den Menschen Zukunft und Chancen vermitteln und ihre Ressourcen nutzen. Wohlwissend, dass Outplacement als etablierter Begriff für die berufliche Neuorientierung gesetzt ist, plädieren wir für eine ganzheitliche und systemische Betrachtungsweise von Outplacement, die alle Stakeholder beim Prozess eines Personalabbaus berücksichtigt.
Abbildung 1: Stakeholder einer Trennung
Abbildung 1 zeigt die wichtigsten Personengruppen und Institutionen, welche in einem Trennungsfall direkt oder indirekt betroffen sind.
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Beteiligte an einem Outplacement-Prozess sind somit nicht nur der Arbeitgeber und zu entlassende Mitarbeiter. Letztendlich hat es Auswirkungen auf alle Personengruppen im Unternehmen. Zudem erreichen die Schockwellen Externe wie Kunden und Lieferanten und natürlich auch die Familien und Freunde der Betroffenen. Im Sinne eines ganzheitlichen systemischen Outplacements gilt es, all diese Interessengruppen zu berücksichtigen. Aus einem komplexen Unternehmenssystem einen Teil der Mitarbeiter in kürzester Zeit herauszubrechen, bleibt nicht ohne Wirkung auf den »Restorganismus«. Die Unternehmensteile, die erfolgreich weiterwirtschaften, gehören in ein Gesamtkonzept des Personalabbaus ebenso mit einbezogen wie die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter. Der klassische Ansatz des Outplacements konzentriert sich meist nur auf Letztere. Systemisches Outplacement bietet hier sowohl ein ganzheitliches Konzept als auch die Perspektiven zur praktischen Umsetzung. Aus systemischer Sicht stellt ein Unternehmen ein komplexes soziales System dar. Dies wird durch die Metapher des Mobiles anschaulich. Einzelne Elemente des Systems, also Menschen, sind über Fäden und Verbindungshölzer miteinander verbunden. Wendet man dieses Modell in Bezug auf ein Unternehmen an, so ergibt sich ein riesiges Mobile mit diversen Verästelungen und Subsystemen (z. B. Abteilungen, Teams). Verändert sich ein Mobileteil, hat dies in der Regel Auswirkungen auf alle anderen Teile. Personalabbau wirkt vergleichbar, als würde man einen ganzen Ast des Mobiles abschneiden. Dabei kann das verbleibende Gebilde schon ganz schön ins Schwanken geraten, wenn es nicht auf den kommenden Verlust vorbereitet ist und sich so schnell wieder austarieren kann. Dennoch bleibt der massive Einschnitt, ein Teil des Unternehmens zu kappen, nicht ohne Folgen. Es ergeben sich quasi »Phantomschmerzen«, da der verlorengegangene Körperteil fehlt. Intern hat dies zur Folge, dass einige Prozesse nicht mehr auf gewohntem Wege funktionieren, Kommunikationsbeziehungen müssen neu aufgebaut werden, vertraute soziale Kontakte sind ausgeschieden, andere Bereiche müssen vielleicht die Arbeit der Kollegen übernehmen. In Bezug auf die Außenkontakte entsteht ebenfalls Kompensationsbedarf. Teils langjährige Ansprechpartner entfallen und in der Übergangsphase läuft die Auftragsabwicklung vielleicht nicht ganz so reibungslos wie bisher. Der Kunde muss sich
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zu seinem Unmut, weil vielleicht nicht zum ersten Mal, an einen neuen Ansprechpartner gewöhnen. Bisher wird Personalabbau vorrangig als klassische Prozessberatung verstanden. In krisenhaften Situationen stehen die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen im Vordergrund. Prozesse werden analysiert und verschlankt. Der Mensch wird zur Kopfzahl. ZDF – Zahlen, Daten und Fakten sorgen für eine klare Sprache und ebenso klare Maßnahmen. Konjunktur haben diejenigen, die mit ihrem Auftreten diesen Stil verkörpern. Den Personalabbau also kurz und schmerzhaft durchziehen? Schnelle Betäubung und dann eine fixe Amputation? Es gibt sicher Fälle, in denen diese Vorgehensweise angemessen und vielleicht sogar die einzig sinnvolle ist, um überhaupt die Existenz eines Unternehmens zu sichern. Dennoch kann dies hinsichtlich einer schnellen Regeneration und einem verantwortlichen, würdigen Umgang mit allen Beteiligten aus unserer Sicht nicht der richtige Weg sein. Für uns zeichnet sich systemisches Outplacement im achtsamen Umgang mit allen Beteiligten aus. Dabei haben wir vor allem Unternehmen aus dem Mittelstand im Blick. Diese Betriebe sind vielleicht noch in Hand der Eignerfamilie. Dort mutieren Mitarbeiter nicht zu reinen Kostenfaktoren. Der Unternehmer wird auch beim Personalabbau fair und anständig mit seinen Leuten umgehen. Das bedingen zum einen wirtschaftliche Faktoren. Das Unternehmen rekrutiert einen Teil der Mannschaft aus seinem direkten Umfeld, teils arbeiten mehrere Generationen im Betrieb. Ein möglicher Imageverlust kann so die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gefährden. Zum anderen ist dieses Verhalten aber Teil einer gelebten Unternehmenskultur, die geprägt ist von tief verwurzelten Werten. Diese kulturelle Dimension spielt in Abbauprozessen eine wesentliche Rolle. Sie kann in solch unruhigen Zeiten stabilisieren und Sinn stiften, den verbleibenden Arbeitnehmern als Anker dienen und für Identität sorgen.
Outplacement und Kulturentwicklung Die Mobile-Metapher zeigt, dass eine stark ergebnisorientierte Vorgehensweise in komplexen Systemen zu kurz greift. Unternehmen, die durch Personalabbau massiv im Wandel begriffen sind, ihren Mitarbei-
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tern eine hohe Flexibilität abverlangen, neue Aufgaben zu übernehmen und ihr Beziehungsnetz neu zu gestalten, wird angeraten, gerade in krisenhaften Zeiten die Unternehmenskultur zu pflegen. Wobei wir hier unterstellen, dass es bereits eine aktive, positive Unternehmenskultur gibt und sie nicht nur in Hochglanzbroschüren besteht. Kultur bezieht sich auf die gemeinsamen grundlegenden Überzeugungen einer Organisation. Sie beeinflusst das Denken, Fühlen und Handeln ihrer Mitglieder und organisiert ihr Zusammenleben. »Kultur gibt damit gelebte Antworten auf wesentliche Fragen der Leistungserbringung und der Lebensqualität der beteiligten Menschen in ihrem formellen und informellen Zusammenwirken in der Organisation« (Schmid, 2009) und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung von Unternehmen. Und braucht es eine Kultur der Trennung? Ja, denn Organisationen wirken nach innen wie nach außen durch die Lebensqualität, die sie erzeugen (Schmid u. Meyer, 2010). Lebensqualität kann attraktiv sein, gute Mitarbeiter anziehen und Leistungsträger im Unternehmen halten. Dazu braucht es eine Kultur, die Lebensqualität sowohl in den Phasen des Werdens als auch im Vergehen ernsthaft berücksichtigt. Schönwetterkulturen, die nur in prosperierenden Zeiten Fragen zu einem sinnvollen Zusammenwirken für ihre Mitglieder beantworten können, werden langfristig nicht zum unternehmerischen Erfolg beitragen, wenn die Unternehmenskultur und ihre Werte in Krisen nicht gelebt werden und dadurch die Glaubwürdigkeit verloren geht. Dies bedeutet für uns als Berater, dass wir gerade in Krisenzeiten unser Augenmerk auf Kulturmaßnahmen richten sollten. Zur Kultur gehören in einer Organisation Begriffe wie Arbeitskultur, Kommunikationskultur, Verbindlichkeitskultur, Verantwortungskultur, Konfrontationskultur, Führungskultur (Schmid u. Messmer, 2005). Diese sind passend zu entwickeln. Häufig befinden sich Unternehmen, die Personal abbauen, in einer wirtschaftlichen Schieflage, wodurch sich die Frage stellt, inwieweit es verantwortbar ist, Geld für Kultur auszugeben. Abbildung 2 verdeutlicht, was passiert, wenn man sich nur an den Ergebnissen orientiert. Die Kulturprobleme wachsen. Ein rüde durchgezogener Personalabbau führt zu einem Verlust von Vertrauen der verbliebenen Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsleitung. Das entstehende Image am Markt kann erhebliche Probleme bereiten: Partner, Kunden
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Abbildung 2: Ergebnis- und Kulturorientierung (aus: Schmid, 2003)
und Lieferanten wenden sich ab. Die Attraktivität des Unternehmens am Personalmarkt sinkt. Investiert man dagegen von Beginn an in Kulturmaßnahmen und gelingt es, eine Kultur zu entwickeln, in welcher die Menschen in ihren Ängsten und Sorgen ernst genommen werden, schafft man eine neue Kultur der Kooperation und erreicht am Ende in der gleichen Zeit bessere Ergebnisse, als sie allein durch den Personalabbau zu erzielen sind. Gerade in Zeiten, in denen Bekanntes sich auflöst, Rollen neu zu besetzen und Beziehungsgeflechte aufzubauen sind, ist eine wertschätzende Kultur unabdingbar.
Harte Fakten zur weichen Kultur Diese qualitativen Aussagen über den Einfluss der Unternehmenskultur auf den Unternehmenserfolg werden durch Studien bestätigt. In einer repräsentativen und bisher erstmalig 2008 durchgeführten
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Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird belegt, dass eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur und das damit eng verbundene Engagement der Mitarbeiter bis zu 31 % des wirtschaftlichen Erfolges von Unternehmen erklären können (Hauser et al., 2008). Eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum untermauert diese Situation. 45 % der Befragten sehen die Bedeutung der Unternehmenskultur für den wirtschaftlichen Erfolg als hoch, 24 % sogar als sehr hoch (Leitl u. Sackmann, 2010). Investitionen in kulturfördernde Maßnahmen zahlen sich aus und sind somit auch in Krisensituationen sinnvoll. Und Un-Kultur bei Trennungsprozessen kann richtig teuer werden. So sinkt die Produktivität der Mitarbeiter. Das Bedürfnis nach Kommunikation untereinander steigt. Gerüchte werden ausgetauscht. Die Kosten für diese unproduktiven Zeiten können sich auf 6 bis 7 % der Personalkosten steigern (bei 30 Minuten Gerüchteküche unter den Mitarbeitern). Und das jeden Tag. Folgekosten sind zu berücksichtigen für ungeplante Kündigungen von Leistungsträgern. Die Rekrutierungskosten und Einarbeitungskosten betragen durchschnittlich das 1,5-fache eines Jahresgehaltes. Dazu kommen weitere versteckte Kosten wie zum Beispiel die verzögerte Umsetzung von Neuentwicklungen. Eskaliert die Auseinandersetzung zwischen dem Arbeitgeber und den betroffenen Mitarbeitern, sind Entgeltfortzahlungen und Gerichtskosten zu berücksichtigen. Die Investition in eine faire und professionelle Kultur von Trennungsprozessen lohnt sich (Andrzejewski, 2009).
Phasenmodelle Um die kulturellen Aspekte als auch notwendigen strategischen und strukturellen Schritte im Unternehmen umzusetzen, haben wir ein idealtypisches Phasenmodell entwickelt, mit dem alle Beteiligten des Abbauprozesses eingebunden werden. Wir unterscheiden zwei grundlegende Prozesse: auf der einen Seite das Trennungsmanagement, welches den Fokus auf das Unternehmen richtet, und auf der anderen Seite das Newplacement, welches die Menschen auf ihre berufliche Neuorientierung vorbereitet. Beide Prozesse sind jedoch hinsichtlich ihrer zeitlichen Verzahnung abzustimmen,
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um eine für alle Beteiligten effektive und effiziente Durchführung zu gewährleisten. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Phasen ist flexibel. Wichtig ist es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was in der jeweiligen Phase wesentlich ist. Das Phasenmodell soll dabei unterstützen und eine Orientierungshilfe geben.
Abbildung 3: Phasenmodell systemisches Outplacement
Trennungsmanagement Trennungsmanagement beginnt bereits, wenn das Unternehmen Abbaumaßnahmen in Betracht zieht. Ziel ist es, das Unternehmen frühzeitig fit zu machen und auf die künftigen Strategien und Strukturen nach dem Abbau vorzubereiten. Die Schockwellen der Entlassungen treffen dadurch auf vorbereiteten Boden und können besser kompensiert werden. Jedem Mitarbeiter muss bei Eintritt des Ereignisses seine Rolle im zukünftigen Unternehmen klar sein. Über den Prozess des Trennungsmanagements wird das Unternehmen durch die einzelnen Berater-Gewerke allen auf Unternehmensseite Beteiligten gerecht. In der ersten Phase Entscheidung/Verhandlung/ Vorbereitung kann beispielsweise mit dem Betriebsrat über Mediation in den Sozialplanverhandlungen eine sozialverträgliche Abbaumaßnahme konzipiert werden. Durch eine moderierte Einigung kann der Abbau schnell und ohne größere Unruhe (Streiks, negatives Image in der Öffentlichkeit) vonstatten gehen.
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Eine Maßnahme in der Phase Kommunikation ist die Unterstützung der Vorgesetzten beim Führen von Trennungsgesprächen. Manche Vorgesetzte sind mit dem Führen von Trennungsgesprächen überfordert. Im Rahmen einer Schulungsmaßnahme werden sie darauf vorbereitet und es werden Fragen beantwortet wie zum Beispiel: Wie sagt man jemandem direkt, dass das Arbeitsverhältnis in sechs Wochen beendet ist? Was macht man, wenn der Mitarbeiter wütend wird, empört ist, weint? Wie gehe ich damit um, wenn er sich gar im Nachgang mehr antut? Neben dem Training ist auch die Supervision im laufenden Prozess wichtig, um die emotionale Belastung, die mit solchen Gesprächen einhergeht, abzufedern. In der Phase Nachsorge werden Kollegen und verbliebene Mitarbeiter aufgefangen. Es wird Sicherheit gegeben, wie mit den gekündigten Kollegen umzugehen ist. Hier tauchen häufig Fragen auf wie: Was soll man mit dem Kollegen reden? Darf man noch weiter mit ihm arbeiten? Wie belastbar ist er noch? Und teilweise leiden die »Survivors« unter einem ambivalenten Gefühl zwischen Freude, dass es sie nicht getroffen hat, und Mitleid für den Kollegen. Wichtig ist auch, mit dem verbleibenden Kern gemeinsam an der Zukunft nach dem Personalabbau zu arbeiten, Perspektiven aufzuzeigen und das Unternehmen neu auszurichten. Dies geschieht in der Phase Neuausrichtung. Unter dem Fokus der Kulturentwicklung gesehen sind die genannten Maßnahmen immer auch kulturstiftend. Eine konstruktive Einigung mit dem Betriebsrat über ein faires Angebot für die betroffenen Mitarbeiter, die zum Beispiel über ein Newplacement in der Phase der Neuorientierung begleitet werden, zeigt hier verantwortliches Unternehmertum. Die Schulung der Vorgesetzten, die dazu dient, dass sie die Betroffenen gut bei dieser »Hiobsbotschaft« begleiten können und sie nicht alleine lassen, gehört zu einem wertschätzenden Umgang miteinander. Und der offene Umgang mit der Situation in denen die betroffenen Mitarbeiter nicht zur »persona non grata« werden, sondern, solange sie da sind, weiterhin aktiv in das soziale Beziehungsgefüge der Teams und des Unternehmens eingebunden sind, ist ebenso Merkmal für eine verantwortliche Kultur.
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Newplacement Newplacement, die zweite Prozesslinie in unserem Phasenmodell, gehört in der Regel zum Standard moderner Unternehmen. Dabei finanzieren sie ihren von der Kündigung betroffenen Mitarbeiter eine Begleitung durch Berater, die Experten für berufliche Neuorientierung sind. Nur zu häufig steht die zeitnahe Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses im Fokus der Maßnahme. In einer ganzheitlichen Betrachtung des betroffenen Mitarbeiters geht es aus unserem Verständnis heraus aber nicht nur um die Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche, sondern auch um die Begleitung im persönlichen Übergangsprozess.
Abbildung 4: Dynamik von Veränderungsprozessen
In Veränderungsprozessen durchlebt der betroffene Mitarbeiter oftmals nach dem anfänglichen Schock und der Verleugnung der Ereignisse Phasen des Widerstands und der Frustration. Diese können begleitet sein von intensiven Emotionen wie Wut, Enttäuschung und Traurigkeit (Kast, 2000). Auf diese Phase möchten wir ein besonderes Augenmerk legen. Denn hier geht es, auch wenn dieser Begriff in dem Zusammenhang merkwürdig klingen mag, um Trauerbegleitung. Meist ist für die Mitarbeiter die Kündigung ein massiver Einschnitt. Sie sind teils langjährig mit dem Unternehmen verbunden. Es ist fast schon Teil der Familie geworden. Die Kollegen sind über die Jahre zu Freunden geworden.
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Geburtstage, Erfolge, Jubiläen werden gemeinsam gefeiert. Der Arbeitsplatz ist das zweite Wohnzimmer. Wenn man sich manchen Arbeitsplatz anschaut, so ist er sehr persönlich etwa mit der Lieblingstasse, Bildern, Andenken an Firmenveranstaltungen und eigenen Grünpflanzen gestaltet. Der Mitarbeiter hat sich eingerichtet. All das geht mit einem Schlag verloren. Das emotionale Erleben ist mit einem Trauerfall vergleichbar. Aus diesem Grund kann in einem Newplacement nicht sofort verlangt werden, dass die Betroffenen sich neu orientieren und Bewerbungsaktivitäten starten. Für den anstehenden Abschied braucht der Mitarbeiter Zeit, Anteilnahme und Rituale. Der Mitarbeiter benötigt für die in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit Würdigung. Ebenso wichtig sind Rituale. Das klassische Ritual beim Ausscheiden aus einem Unternehmen ist das »Ausstandfeiern«. Manchmal, wenn zum Beispiel Transfergesellschaften als Auffanggesellschaft für die Mitarbeiter installiert werden, geht der Übergang so schnell vonstatten, dass dafür keine Zeit bleibt. Der Mitarbeiter hat somit keine Gelegenheit, sich zu verabschieden und Danke zu sagen. Zudem zeigen die Kollegen mit ihrem Kommen und den Abschiedsgeschenken ihren Respekt und ihre Wertschätzung. Sollte ein Ausstand also nicht möglich sein, so sind andere Rituale zu finden, die die Elemente des Abschieds und der Wertschätzung abdecken. Hat der Betroffene die Phase der Trennung überwunden, werden im nächsten Schritt Potenziale und Ressourcen identifiziert. Das Bewusstsein des eigenen Stärken-Mixes ist eine wichtige Voraussetzung zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls, das durch die Kündigung häufig »angeknackst« ist. Zudem wird das persönliche Unterstützungssystem identifiziert. So wird sichergestellt, dass der Mitarbeiter in dieser schwierigen Lebensphase weitere Hilfestellung aus dem Familien- und Freundeskreis erhält. Die klassischen Bereiche des Newplacements wie Standortbestimmung, Bewerbung, Begleitung bei der Stellensuche und Existenzgründungsberatung schließen sich an.
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Lost in isolation In diesem Fallbeispiel möchte ich, Kristin Schwemmle, von der Arbeit mit einem Klienten berichten, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Im Rahmen einer Transfergesellschaft für ein deutsches TechnologieUnternehmen das kurz zuvor Insolvenz anmelden musste, kam jener Mann, 40 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, zu mir in die Beratung. In unserem ersten Beratungsgespräch – wir sollten uns in den nächsten vier Monaten alle zwei bis drei Wochen sehen – legte er mir wie alle Klienten seinen Lebenslauf vor. Diesen empfand ich als ungewöhnlich für einen Mann, der mir recht aufgeweckt vorkam und mich aufgeschlossen mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. Es gab quasi keine Formatierung, die Reihenfolge war veraltet, irgendwie kam es mir lieblos »hingeklatscht« vor. Nachdem er wie alle anderen Mitarbeiter der Transfergesellschaft ein Bewerbungstraining durchlaufen hatte, fragte ich ihn, wie es kam, dass sein Lebenslauf so aussah. Er antwortete: »Ich weiß einfach nicht, wo es beruflich mit mir hingehen soll, deshalb krieg ich nix zu Papier.« Wir starteten unseren Beratungsprozess damit, das »alte Berufsleben« zu verabschieden. Dabei zeigte sich der Klient beim Rückblick auf die alte Firma sehr berührt. Erst nach dieser Abschiedsarbeit war das Feld für den Blick in die Zukunft bereitet und der Klient konnte sich der Frage widmen »Wo soll es hingehen?«. In den folgenden Beratungsterminen arbeiteten wir an einem Ausblick in das bevorstehende »neue Leben«, wobei wir mehr als eine vage Idee des Zukunftsbildes nicht definieren konnten. Dennoch ging der Klient in die Phase, sich mit neu gestalteten Unterlagen auf den Arbeitsmarkt zu begeben. Wir begannen also, Arbeitspakete zu definieren und in den Folgeterminen nachzuhalten. Nachdem der Klient nur wenig Fortschritte zeigte, wurde ich direktiver und verdeutlichte dem Klienten, welche Aktivitäten bis zum nächsten Termin zu erledigen sind. Dies war dem Druck aus der Transfergesellschaft geschuldet, der ich bestimmte Bewerbungsaktivitäten als Synonym dafür, »dass wir was tun«, nachweisen musste. Im dritten Monat des Beratungsprozesses fand ein besonders denkwürdiges Beratungsgespräch statt. Als ich den Klienten nach dem Stand der »to do’s« fragte, duckte er sich und traute sich kaum, den Blick zu heben. Er stammelte, dass er irgendwie ganz neben sich stehe, sich so gar
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nicht kenne und einfach nichts »auf die Reihe kriege«. Ich fragte ihn mitfühlend, was denn eigentlich los wäre. Nun wurden seine Augen feucht und er erzählte, dass er nachts schweißgebadet und von Albträumen geplagt aufschreckte, kaum noch richtig schlafen konnte und tagsüber völlig antriebslos am Schreibtisch saß. Darüber geißelte er sich dann mit Selbstvorwürfen, warum er nicht endlich den »Hintern hoch« bekomme. Er war nun beinahe schon vier Monate arbeitslos. Seine Kollegen fanden peux à peux neue Anstellungen, nur er blieb in seiner Wahrnehmung zurück. Seine Freunde entgegneten ihm mit Kopfschütteln: »Also du findest doch leicht wieder was. Das kann doch nicht so schwer sein.« Schreckte er nachts auf, legte er sich reglos wieder ins Bett, um seine Frau, die sich aufgrund der Situation Sorgen machte, nicht weiter zu beunruhigen. Aus dem agilen Mann, der in seiner ehemaligen Firma als »Feuerwehrmann« bei Projekten hoch anerkannt war, war ein »Auto ohne Motor« geworden. Er konnte mit seinen eigenen Sorgen und Nöten nirgendwo hin. Vor niemandem konnte er die Fassade des »ich mach das schon, ich krieg es wieder hin«-Optimisten lüften und von seiner Traurigkeit, seiner Furcht, seiner Antriebslosigkeit oder seinen somatischen Beschwerden berichten. Zwar war er eingebunden in ein lebhaftes Hilfesystem von Familie und Kollegen der Transfergesellschaft (die sich auch zu Mittagsstammtischen und Wandertagen trafen). Und dennoch konnte er sie nicht als Unterstützung in dieser schweren Zeit nutzen. Seine Frau bezog er nicht ein, weil er sie damit nicht belasten wollte. Die Freunde gingen bei den ersten Versuchen mit lapidaren Sprüchen über seine Befürchtungen hinweg. Die Kollegen sagten ihm: »Ach du in deinem Alter findest doch schnell wieder was.« Viel Kontakt also zu Mitmenschen und kein Sich-nahe-Sein, viel Kommunikation aber kein tiefes Gespräch, lebhaft eingebunden und dennoch verloren in der eigenen Isolation. Menschen werden durch Abbauprozesse emotional enorm durchgeschüttelt. Manchmal, wie in oben geschilderten Fall (aber nicht immer), bricht ihre ganze Welt mit dem Wegfall des Jobs zusammen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Abbauprozess von ganzheitlich denkenden und handelnden Coaches begleitet wird, die nicht nur den Fokus auf die Anzahl der geschriebenen Bewerbungen, sondern auch auf eine verantwortungsvolle Begleitung des Menschen achten.
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Abbildung 5: Soziale Isolation
Durch den Wegfall des Jobs entfällt bei den meisten Klienten auch ein großer sinnstiftender Bereich im Leben. Damit verbunden sind Anerkennung für die geleistete Arbeit, soziale Einbindung in die Firma und gesellschaftlicher Status. Auch die Position innerhalb der Familie als Mann im Sinne des Machers und Versorgers bröckelt. In diesen Situationen kommt das klassische Rollenverständnis eher wieder zum Tragen. Meine Klienten berichteten zum Beispiel, dass sie mit fortwährender Zeit in einer Transfergesellschaft immer mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen müssen. »Bring doch mal den Müll raus,
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du bist doch eh da!« Die weiblichen Klienten, die teilweise als Projektmanagerinnen hochverantwortliche Tätigkeiten bekleideten, wurden in das klassische Rollenmuster zurückgedrängt. Beispielsweise wurde die Kinderbetreuung oder die Haushaltshilfe beendet, »denn du bist ja eh zu Hause und jetzt, wo wir nicht wissen, wie es weitergeht, sollten wir das Geld zusammenhalten«. In beiden Fällen kommt der Klient/die Klientin nicht zur eigentlichen Aufgabe, sich neu zu orientieren und Bewerbungen zu schreiben. Und das veränderte Rollenbild, der Umgang des Umfelds mit dem Klienten/der Klientin als quasi Arbeitslose, nagt am Selbstvertrauen und am Selbstverständnis in der Familie. Das wiederum ist nicht förderlich für den Bewerbungsprozess, in dem der Bewerber ja gerade selbstbewusst auftreten sollte. Zudem beobachte ich, dass sich Klienten oft mit Selbstvorwürfen plagen. Häufig war der Abbauprozess im Unternehmen absehbar. Hätten sie nicht früher handeln können? Sind sie sehenden Auges in diese Situation geraten? Im Laufe des Bewerbungsprozesses, der auch mit Absagen einhergeht, steigen die Selbstzweifel. Werde ich überhaupt noch gebraucht? Habe ich mich in den letzten Jahren mit meinen Fähigkeiten am Marktbedürfnis vorbei entwickelt? Hätte ich doch bei meinem Chef Weiterbildung XY durchgedrückt, statt mich gleich wieder in das nächste Projekt verrechnen zu lassen. Und die Kündigung wird häufig wie im Schock erlebt. Man kann es gar nicht fassen, dass es einen erwischt hat. Ist wütend auf das »undankbare« Unternehmen – enttäuscht, dass die Anstrengungen der Vergangenheit nicht gewürdigt werden. Aber auch wie erstarrt und handlungsunfähig. Kann der Mitarbeiter diese intensiven inneren Vorgänge mit niemandem teilen, sie dadurch nicht verarbeiten, dann droht der Weg in die Krise. Dieses »am Boden liegen« geht häufig mit somatischen Beschwerden sowie mit Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit, Niedergeschlagenheit, Panikattacken, Schwächeanfällen oder übertriebener Reizbarkeit einher. Hier ist es gut, wenn die begleitenden Berater in Krisenintervention geschult sind. Dennoch ist hier schnell auch die Grenze des Coachings erreicht und es sind Experten mit an Bord zu holen wie Burnout-/Boreout-Fachleute, Schuldnerberater, Eheberater und Psychotherapeuten.
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Bei meinem Klienten nahm ich Druck aus der Situation, indem ich ihm Urlaub vom Bewerben gab. Zudem versuchte ich seine Selbststeuerungskräfte zu reaktivieren, indem ich mit ihm Ausnahmen suchte, wann es ihm gut ging. Er fand Hilfe im Sport und im Autogenen Training. Anschließend empfahl ich ihm, sich an eine Boreout-Beratung zu wenden, um sich professionelle Hilfe zu holen. Das war ein gutes Beispiel dafür, dass sich in solchen Situationen systemischer Beratungssatz und konkrete Handlungsanweisungen ergänzen können und zum Wohl des Klienten nicht immer nur »rein« systemisch gehandelt werden kann.
Fazit Während klassisches Outplacement die gekündigten Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt, hat systemisches Outplacement alle Beteiligten eines Personalabbaus im Blick. Dies ist Voraussetzung, dass für Unternehmen als auch für die Betroffenen zukunftsfähige und stimmige Lösungen entwickelt und umgesetzt werden können. Die für ein Unternehmen notwendigen Maßnahmen und Aktivitäten bei der Umsetzung von Personalabbau sind im Trennungsmanagement zusammengefasst. Dies beginnt mit der Definition einer Strategie der Trennung und deren Kommunikation. Die Führungskräfte werden in ihren Trennungsgesprächen begleitet. Das Unternehmen wird in seiner Neuausrichtung unterstützt. Der Newplacement-Prozess begleitet die gekündigten Mitarbeiter in ihrem meist stark emotional geprägten Übergangsprozess hin zu ihrer beruflichen Neuorientierung. Erst wenn die natürliche Trauerphase, die sehr unterschiedlich intensiv ausgeprägt sein kann, erfolgreich abgeschlossen ist, können konkreten Maßnahmen zur Bewerbung und Stellensuche greifen. Systemisches Outplacement ist immer auch Kulturentwicklung. Und Kultur entscheidet: zum einen über die Lebensqualität ihrer Mitarbeiter und zum anderen über den (zukünftigen) wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.
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Literatur Andrzejewski, L. (2009). Trennungs-Kultur und Mitarbeiterbindung als zukunftssichernder Teil der Organisations- und Personalentwicklung. In L. von Rosenstiel, E. Regnet, M. E. Domsch (Hrsg.), Führung von Mitarbeitern (6. Auflage). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Hauser, F., Schubert, A., Aicher, M. (2008). Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen Deutschlands. f371 – Abschlussbericht Forschungsprojekt Nr. 18/05, Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Kast, V. (2000). Lebenskrisen werden Lebenschancen. Freiburg: Herder. Leitl, M., Sackmann, S. (2010). Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor. Harvard Business Manager, 1, 36–45. Schmid, B. (2003). Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bergisch Gladbach: EHP. Schmid, B. (2009). Kulturverantwortung in Unternehmen. http://www.perspektive-blau.de/artikel/0904b/0904b.htm [Zugriff am 10.10.2010] Schmid, B., Messmer, A. (2005). Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung. Bergisch Gladbach: EHP. Schmid, B., Meyer, S. (2010). Organisation 2.0 – Plädoyer für eine durch Kultur gesteuerte Organisation. http://www.systemische-professionalitaet.de/ isbweb/component/option.com_docman/task,doc_download/gid,1621/ [Zugriff am 10.10.2010]
Die Autoren Kristin Schwemmle (Jg. 1977) ist seit 2006 als selbständiger Karriere- und Familien-Coach in München tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der beruflichen Orientierung, im Coaching in den neuen Job und der Begleitung in der Selbständigkeit. Sie ist akkreditierter Gründercoach der KfW-Bank und absolvierte ihre systemische Ausbildung mit Zertifizierung durch die DGSF im Odenwaldinstitut. Zudem verfügt sie über acht Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Marketing und Change Management im Siemens-Konzern. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Bernd Janosch (Jg. 1969) arbeitet als selbständiger systemischer Berater, Trainer und Coach. Durch seine langjährige Tätigkeit als Führungskraft in verschiedenen Positionen in einem internationalen Technologiekonzern ist er vertraut mit den Anforderungen an die Strukturen, Kulturen und Menschen eines Unternehmens in einem dynamischen Umfeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Gestaltung von Veränderungsprozessen, Führungskräfteentwicklung und Mentales Training auf Basis der Hypnotherapie von Milton Erickson. Er ist als Konflikt- und Mobbingberater tätig. E-Mail-Kontakt: [email protected]
Wolfgang Engelhorn (Jg. 1957) ist seit 2005 als Kommunikations- und Führungskräftetrainer tätig. Als Diplom-Betriebswirt kennt er die Schwierigkeiten in Organisationen, eine funktionierende Kommunikation aufzubauen, aus jahrelanger eigener Tätigkeit in Führungsfunktionen. Seine eigenen negativen Erfahrungen im Umgang mit Konflikten in Veränderungsprozessen und Fusionen veranlassten ihn, sich seit nunmehr 15 Jahren intensiv mit Kommunikationspsychologie, Transaktionsanalyse und anderen psychologischen Ansätzen auseinanderzusetzen. Ende 2008 schließt er zusätzlich einen Masterstudiengang als »Master of Counselling« an der Fernuniversität Hagen ab. E-Mail-Kontakt: [email protected] Alle drei Autoren sind Partner der systemworx-Unternehmensberatung. Website: www.system-worx.de
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Uta Kaußler
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Change-Prozesse begleiten mein Berufsleben, seitdem ich arbeite. Und diese Erfahrung teile ich mit vielen Menschen in unterschiedlichsten Berufen seit vielen Jahren. Zum einen ist es der (un)freiwillige Wechsel von Arbeitsstellen und Berufen, zum anderen verändern sich Unternehmen und fordern ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf, sich neuen Strukturen, Prozessen und Führungsphilosophien etc. anzupassen. In diesem Buch mit Erfahrungsberichten leiste ich einen Beitrag zum Change Management aus der Sicht einer internen Mitarbeiterin im Personalmanagement. Anders als bei Beratungsprojekten aus externer Sicht gibt es für Interne meist keinen klaren Anfang und kein klares Ende im Change-Projekt. Formal betrachtet gibt das Projektmanagement die Eckdaten an, doch in der Realität beginnen die Aktivitäten für interne Beraterinnen und Berater vor dem Kick-off und enden noch lange nicht, wenn das Projektergebnis formal abgenommen wurde. Genau diese umfassende Sicht reizt mich besonders an meiner Aufgabe als HR-Managerin. Bei der Eingabe von »Change Management« bei Google erhalte ich in Sekundenschnelle über 100 Millionen Treffer. Bei der Suche nach »Management« finde ich ungefähr fünfmal so viele Internetseiten und bei »Change Management intern« nur noch gut 5 Millionen (Stand November 2011). Das zeigt, dass das Thema Change Management eine hohe mediale Relevanz hat. Doch die interne Perspektive steht laut GoogleSuche nicht unbedingt im Fokus. Ein Grund mehr, diese Perspektive genauer zu betrachten. Als Beispiele für Change-Projekte beziehe ich mich hier auf die vielleicht komplexeste Form des Change Managements: Merger & Akquisitions (M&A). Ich habe in verschiedenen Rollen und Perspektiven im Change Management mitgearbeitet: als externe Beraterin für M&A-Projekte in einer Unternehmensberatung, als interne Mitarbeiterin im Change-Projekt eines Unternehmens, das andere Unternehmen gekauft hat, und als interne Mitarbeiterin im Integrationsprojekt eines
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Unternehmens, das von einem größeren Unternehmen gekauft wurde. Unternehmenskauf, Verkauf und Fusion sind Veränderungsprozesse mit besonders intensiver Dynamik. Der systemische Hintergrund ist von unschätzbarem Wert, insbesondere dann, wenn viele verschiedene Anspruchsgruppen, wie beispielsweise Käuferseite, alte und neue Geschäftsführung, Kunden, Führungskräfte etc., unterschiedliche Interessen vertreten. Wer definiert, was Erfolg bedeutet? Und inwiefern kann und soll eine interne Rolle Erfolg von Veränderungen sicherstellen? Welche Reaktionen löst eine Veränderung im Unternehmen aus? Wie gelingt der Spagat zwischen eigener Betroffenheit und professioneller Rolle? Welche Methoden und Instrumente sind wertvolle Begleiter im Projekt? Mit welchen Schwierigkeiten ist zu rechnen? Und was habe ich daraus gelernt? Diesen Leitfragen stelle ich meine Erfahrungen nach der folgenden Gliederung gegenüber: Erfolg in Change-Projekten Veränderung irritiert Unternehmen Handlungsspielräume erkennen Gestaltungswerkzeuge und systemische Ressourcen Mögliche Konfliktfelder Erkenntnisse aus meiner persönlichen Erfahrung
Erfolg in Change-Projekten Wir lesen in der Beraterliteratur immer wieder, dass Change-Prozesse scheitern bzw. die gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Was macht der einzelne Berater, der das kennt und selbst am Anfang eines ChangeProzesses steht? – »Natürlich passiert mir das nicht! Ich bin gewarnt, gut informiert, habe Erfahrung und eine sehr gute Ausbildung.« Ein externer Berater muss rein geschäftlich diese Erfolgsgarantie anbieten – sonst tut es ein anderer. Als interner Berater/interne Beraterin ist die Situation etwas komplizierter, doch der Erfolgsdruck kommt nicht
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nur aus dem Berater-Ego, sondern natürlich auch aus der Organisation. Schließlich ist der interne Berater häufig die wahrgenommene Ursache für Veränderung und zugleich der Garant, dass das Projekt professionell gesteuert wird. Das heißt, wer persönlich für die Veränderung einsteht, muss auch für den Erfolg stehen. Schließlich arbeiten die Internen über das Projekt hinaus mit den von der Veränderung betroffenen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Zielsetzung zu Beginn der Veränderungen einen wesentlichen Beitrag zur möglichen Zielerreichung beinhaltet. Kritiker einer Veränderung nehmen die Ziele wörtlich und sparen nicht daran, zu fragen, wann die Zielerreichung vorgestellt wird. Wenn also goldene Zeiten als Ziel genannt werden, muss man sich auch die Frage gefallen lassen: Wann beginnen die goldenen Zeiten? Wer die Veränderung beauftragt oder initiiert, tut dies in aller Regel aus einem wichtigen Grund. Aus dieser Perspektive ist das Ziel klar nachvollziehbar. Die Dynamik im Prozess der Veränderung generiert jedoch zusätzliche, nicht geplante Entwicklungen. Die ursprünglich geplante lineare Zielorientierung muss einer systemisch komplexen Entwicklung weichen.
Veränderung irritiert Unternehmen Der Hirnforscher Gerald Hüther (2008) spricht von zwei basalen Grundbedürfnissen eines Menschen. Sie sind als Grunderfahrungen im Gehirn repräsentiert: eine Grunderfahrung von Verbundenheit und eine, die nach Entwicklung bzw. Wachstum strebt. Diese Erkenntnis heißt übertragen auf eine Organisation, dass ein gutes Betriebsklima idealerweise sowohl Geborgenheit als auch Entwicklung ermöglicht. Bei Veränderungen in Organisationen, insbesondere bei einer Fusion, wird beides berührt und irritiert. Der Handlungsspielraum für persönliche Entwicklung wird sich in der Regel durch die Fusion in der neuen Organisation verändern. Außerdem wird die bisher stabile Größe der Zugehörigkeit durch Umstrukturierungen gefährdet. Meist weiß man sehr früh, dass sich etwas ändert, aber lange nicht, was sich ändern wird. Der »Eingriff« in den Berufsalltag durch die Fusion löst auf tiefer Ebene Stress aus. Unsicherheit und Kontrollverlust können Angst auslösen, die
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sich als Stress zeigt bzw. so erlebt wird. Jeder Mensch reagiert mit seinem individuellen Erleben; der eine empfindet große Angst, der andere vielleicht nur eine kleine Verunsicherung. Die Reaktion mit Stress zeigt sich in Situationen, bei denen die persönliche Arbeits- oder Lebenssituation von (bedeutenden) Veränderungen betroffen ist und das Ende oder Ziel (noch) nicht bekannt ist. In der intern beratenden Rolle ist der Umgang mit Unsicherheit und Kontrollverlust eine der größten Herausforderungen. Zuerst zeigt sich die eigene Betroffenheit und dann fordert der professionelle Anspruch die Begleitung der Veränderung. Um in diesem Spannungsfeld handlungsfähig zu bleiben, helfen mir kleine Interventionen durch den Alltag. Ich stelle mir verschiedene Fragen und versuche, die Unsicherheit greifbar bzw. quantifizierbar zu machen. Außerdem schlüpfe ich in verschiedene Perspektiven, um meine professionelle Rolle zu klären und herauszufinden, welche Erwartungen an mich gestellt werden. Hier sind einige Beispiele: Wie geht es mir heute auf einer Skala von 1 bis 10? Gibt es einen offenen Punkt oder eine Frage, die ich heute klären kann? Was kann ich zur Klärung beitragen? Wenn ab sofort alles schiefgeht, was würde schlimmstenfalls passieren? Angenommen die aktuelle Situation ist ein Zirkus: Wer spielt in welcher Zirkusnummer welche Rolle? Und was ist meine Rolle? Woran würde ich als Mitarbeiter merken, dass der Change-Prozess gut gesteuert wird?
Handlungsspielräume erkennen Der Spielraum, in dem die handelnden Personen agieren, ist im Projektplan der Veränderungen selten genau definiert. Mit der jeweiligen Rolle der Beteiligten meint man zu wissen, wer welchen Raum bearbeitet. Ich unterscheide drei Betrachtungsweisen: den formalen, den wahrgenommenen und den informellen Handlungsspielraum. Die drei sind nicht klar voneinander abzugrenzen, haben aber großen Einfluss auf individuelle Zufriedenheit und Handlungsmöglichkeiten.
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Formaler Handlungsspielraum Formal habe ich als interne Beraterin die Rolle, die anstehenden Veränderungen in der Organisation so zu fördern und zu begleiten, dass das Business möglichst wenig beeinträchtigt wird. Die Rolle fordert ein klares Bekenntnis zur Veränderung und eine Strategie, welche Schritte zur Zielsituation führen. Der abgesteckte Handlungsspielraum ist üblicherweise in der Projektorganisation geregelt. An wen wird berichtet? Wer genehmigt nächste Schritte? Wer bestätigt Meilensteine? Und wer arbeitet an welchen Aufgaben mit? Diese Rolle wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Linienorganisation meist als kreativ und wissend wahrgenommen. So wurde ich immer wieder mit Fragen konfrontiert: »Du weißt doch bestimmt, wie die neue Abteilung XY aufgebaut ist.« »Kannst du mir mal sagen, wann wir das neue Tool einführen?« »Warum sagt uns eigentlich keiner was?« Wahrgenommener Handlungsspielraum Gefühlt ist die Aufgabe im Projektteam nur einen winzigen Schritt vor dem Wissen der Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Projekts voraus; vor allem wenn die Veränderung nicht nur intern initiiert wurde. Es gibt kaum einen echten Vorsprung. Ich verfüge allenfalls über einen besseren Überblick, was ich alles noch nicht weiß und in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam mit dem Projektteam herausfinden und bearbeiten muss. Der wahrgenommene Handlungsspielraum als interne Beraterin im Fusionsprojekt ist aus meiner Erfahrung deutlich kleiner, als die formale Rolle zu sein scheint. Es ist eher eine große operative Verantwortung, die Umsetzung der Veränderungen sicherzustellen. Der persönliche Beitrag an der inhaltlichen Ausgestaltung ist, abhängig von der konkreten Aufgabe, unterschiedlich groß einzustufen. Informeller Handlungsspielraum Interessant sind die Möglichkeiten des informellen Handelns. Dazu zähle ich alle Aktivitäten, die am Rande der Projektorganisation über persönliche Netzwerke dazu führen, damit Informationen fließen und
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Entscheidungen vorbereitet werden. Informelles Handeln ist für jedes Change-Projekt von unschätzbarem Wert, da die Projektorganisation die Komplexität der anstehenden Aufgaben in den seltensten Fällen abbilden kann. Man ist quasi auf informelles Handeln angewiesen. Die Unsicherheit liegt darin, dass sich informelle Aktivitäten nicht immer an die offizielle Zielsetzung und den Plan halten, sondern manchmal nur persönliche Ziele verfolgen. Informelles Handeln kann sich daher als sehr zielführend, aber genauso gut als kontraproduktiv auswirken.
Gestaltungswerkzeuge und systemische Ressourcen Für mich ist der Kern systemischen Arbeitens eine innere Haltung von Wertschätzung, Lösungsorientierung und Einfachheit. Die systemische Beratung stellt Methoden zur Verfügung, die mit der genannten inneren Haltung eingesetzt werden können. Diese Methoden helfen der zu beratenden Seite, selbst eine Lösung zu finden. Die Beratungsleistung besteht darin, Ressourcen zu aktivieren, die dabei helfen, eine Lösung herbeizuführen. Kommunikation Change Management lebt von Kommunikation. Und gerade die Form und Häufigkeit wird immer wieder kritisiert. »Nach einer Studie von Cisco und Damovo sind Manager zu 71 % der Meinung, dass die Kommunikationswege kurz sind – allerdings schließt sich nur 47 % ihres Teams dieser Meinung an. Mit der Regelmäßigkeit der Information sind noch 68 % der Vorgesetzten zufrieden. Ihre Untergebenen nur noch zu 40 %. Diese Diskrepanz kann zu gefährlichen Spannungen und Blockaden unter den Mitarbeitern führen, wenn es dem Change Management nicht gelingt, schnell einen Konsens herbeizuführen« (Evi Hierlmeier, www.computerworld.ch, 22.6.2010). Meist findet die Kommunikation der Veränderung in hierarchischen Kaskaden statt. Doch ist das auch immer erforderlich? Aus meiner Erfahrung wird dieselbe E-Mail mit aktuellen Entwicklungsergebnissen im Abstand von zwei Stunden oder einem Tag an verschiedene Zielgruppen
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gesandt: erst an die Führungskräfte und später an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit Sicherheit gibt es heikle Themen, die starke Reaktionen auslösen, wie beispielsweise anstehender Personalabbau. Da ist der Informationsvorsprung für eine Führungskraft unumgänglich, um aktiv auf Reaktionen, beispielsweise auf Ängste, reagieren zu können. Doch in diesen Fällen sollte die Führung ohnehin mehr als nur einen Tag Lesevorsprung haben. Viele andere Informationen müssten aus meiner Sicht nicht kaskadiert werden. Die hierarchische Tröpfcheninformation suggeriert der jeweils nächsten Ebene: Die Führungskräfte wissen mehr und sagen uns nur nicht alles. So interpretiere ich teilweise das oben zitierte Studienergebnis von Cisco und Damovo. Es kann durch den organisatorischen Ablauf Unzufriedenheit geschaffen werden, die nicht sein müsste. Im Sinne von Wertschätzung und Einfachheit empfehle ich ein Kommunikationskonzept, das nach Inhalten und Zielgruppen unterscheidet und nicht ausschließlich nach Hierarchie organisiert ist. Neben der reinen Informationsvermittlung ist die Kommunikation ein wesentliches Instrument, um Akzeptanz für die Veränderung zu schaffen. Meist wird jede Art der Veränderung zunächst als unangenehm empfunden. Als Beraterin bin ich mitverantwortlich für ein positives Change-Marketing. Dazu zählt es, positive Entwicklungen zu identifizieren und die Aufmerksamkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf zu lenken. Jede optimistische Haltung zur Veränderung setzt Ressourcen frei, die den weiteren Prozess positiv beeinflussen können. Multiplikatoren Sehr gute Erfahrungen habe ich mit sogenannten Multiplikatoren-Teams gemacht. Ein Multiplikatoren-Team setzt sich zusammen aus Vertretern unterschiedlicher Unternehmensbereiche, die die Kommunikation in beide Richtungen unterstützen. Sie geben Informationen an ihre unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen weiter und berichten von Stimmungen und Ideen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Change-Projektteam. Der Handlungsspielraum der Multiplikatoren wird erweitert und die aktive Beteiligung unterstützt den Prozess der Veränderung. So konnte beispielsweise in einem Projekt (Zukauf von
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Unternehmen) der Name des zukünftigen Unternehmens mit Hilfe der Multiplikatoren gefunden und intern vermarktet werden. Die »ewigen Bedenkenträger«, die über die Multiplikatoren ein Sprachrohr erhalten, sind für das Change-Projektteam eine wichtige Ressource. Sie verkörpern Widerstände und Ängste, die relevant und präsent sind. Sie sollten nicht ignoriert werden. Meist werden die Bedenken von starken Emotionen begleitet. Das Projektteam ist gut beraten, diese Emotionen genauer anzuschauen. Gegebenenfalls besteht die Möglichkeit, Auslöser für Emotionen, wie Aufregung, Wut, Ärger, Ablehnung, zu beseitigen oder zumindest zu erklären. Haltung Nicht nur die Vielfalt der Kommunikationswege bietet Chancen für die Akzeptanz der Veränderung, auch Inhalte und die innere Haltung der Kommunikation sind wesentlich. Mir ist bewusst geworden, dass Inhalt und innere Haltung denselben Ursprung haben! Diese Erkenntnis ist gerade in diesem Zusammenhang relevant. Im Sinne einer systemischen Lösungsorientierung ist es die Aufgabe der Kommunikation, die positiven Unterschiede zu erkennen und zu verstärken. Damit ist keine Schönfärberei gemeint. Der Fokus richtet sich auf die Situationen und Entwicklungen, die durch die Veränderung schon heute besser funktionieren und von denen man sich wünscht, dass es in Zukunft noch besser wird. Das ist leichter gesagt als getan. Ich habe mich selbst ab und zu als Opfer der Veränderung gefühlt; so als hätte ich überhaupt keinen Einfluss auf eine positive Entwicklung, als wäre ich übergeordneten Entscheidungen völlig ausgeliefert. Sobald diese Gefühle die Oberhand gewinnen, gelingt keine lösungsfokussierte Kommunikation mehr. Zum Glück gibt es immer Kolleginnen und Kollegen, die mich darauf aufmerksam machen und mich von der individuellen Reaktion zur professionellen Aufgabe zurückholen. Da kann es helfen, dass man erst einmal gemeinsam jammert und somit ein Ventil findet, allen angestauten Ärger loszuwerden. Diese Form von Druckablass legt Ressourcen frei, die dabei helfen, sich wieder auf eine lösungsorientierte Sicht zu fokussieren. In Meetings, in denen sich die Teilnehmer/-innen und Teilnehmer gegenseitig hochschaukeln die negativen Seiten der Veränderung auszu-
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breiten, hilft mir meine persönliche Erfahrung, mich als Opfer zu erleben, sowohl im Verständnis für die anderen als auch für die Intervention zum Ausweg. Ich bin der Überzeugung, dass Lamentier-Runden oder auch Vier-Augen-Frust-Gespräche in das inoffizielle Kommunikationskonzept jeder Veränderung gehören. Dafür muss Zeit und Raum sein, um ein »Ventil mit Publikum« zu haben. Doch so sollte die Begegnung nicht auseinandergehen. Wichtig ist im nächsten Schritt die Intervention: wahrnehmen, was gerade wirkt, und in Worte fassen, zum Beispiel: »Es ist gut zu wissen, dass ich nicht alleine so genervt, verunsichert oder auch ablehnend in der aktuellen Situation bin. Doch das ist nicht das Einzige, was uns heute im Meeting zusammenführt. Wo liegt unsere Aufgabe und wo sehen wir erste Verbesserungen im Vergleich zum vorigen Meeting?« »Mir fällt gerade auf, dass du ziemlich frustriert bist. Nach dem, was du geschildert hast, kann ich das gut verstehen. Ich kenne dich aus anderen Situationen jedoch viel energischer und selbstbewusster. Welche Aktivitäten und Erfolgserlebnisse stehen an, die dir wieder Kraft geben? Was hat in letzter Zeit gut funktioniert?«
Mögliche Konfliktfelder Die größte Schwierigkeit komplexer Veränderungen ist wohl die NichtSteuerbarkeit von Systemveränderungen. So könnte die ernüchternde systemische Theorie beschrieben werden. Natürlich wird mit jedem Schritt und jeder Intervention gesteuert. Leider lässt sich die Wirkung nicht exakt vorhersagen. Also ist es Teil der Beratungsaufgabe, die Möglichkeit einer ergebnisoffenen, aber gewünscht lösungsorientierten Entwicklung zu beschreiben. Das Werben um Verständnis für systemisches Vorgehen stellt sich manchmal als eine schwierige Aufgabe heraus. Mit sich ändernden Organisations- und Machtstrukturen taucht ein großes Konfliktfeld auf: Loyalität. Wer hat ab sofort das Sagen? Wem gegenüber bin ich weisungsgebunden? In einer Übergangsphase – die Wochen oder Monate dauern kann – erwarten alle Seiten absolute Loyalität: die alte Welt und die neue Welt. Da gibt es Personalprozesse, die auf lokaler Ebene definiert und
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entschieden wurden, nach der Fusion dann auf Konzernebene definiert werden. Diese Veränderung ist nicht ungewöhnlich. Dennoch ist die lokale Erwartung, dass Entscheidungen lokal getroffen und vertraute Prozesse wie gewohnt weitergeführt werden. Da kann man als Interne leicht zwischen die Fronten geraten. Der einzig wirksame Ausweg ist die unermüdliche Kommunikation mit allen Anspruchsgruppen sowie die Dokumentation der Tätigkeiten. Außerdem sollte die Situation an das Projektteam gespiegelt werden, damit auf höherer Ebene eine AufKlärung erfolgen kann. Die Sandwich-Position zwischen den Fronten stellt eine große Herausforderung dar. Hier zeigt sich in besonderem Maße die Ambivalenz: eigene Betroffenheit und professionelle Rolle im Change-Prozess. Was mir wirklich geholfen hat, ist anzuerkennen, dass beide Rollen Teil meiner Arbeit sind und Berechtigung haben. Meine Kunst muss es sein, diese Rollen zu trennen und bewusst immer wieder die professionelle Rolle einzunehmen.
Erkenntnisse aus meiner persönlichen Erfahrung Zeitmanagement In der Regel kommt die Steuerung der Veränderungen zum Tagesgeschäft hinzu, woraus sich automatisch eine Doppelbelastung ergibt. Veränderungen schlucken in der aktiven Phase viel Zeit in der Umsetzung und es braucht anschließend eine Weile, bis sie etabliert sind. Als interne Beraterin benötige ich sehr viel Zeit für Gespräche. Soweit dies möglich ist, sollten dafür Zeitfenster reserviert werden. Die Erfahrung lehrt mich aber, dass die Zeit nie wirklich ausreicht. Es liegt mit an mir, wie viel Verlängerung ich in Meetings gewähre, die aufgrund langer Diskussionen den Zeitrahmen sprengen. Wie viel Zeit nehme ich mir für informelle Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen? Wie gestalte ich meine persönliche Kommunikationsrolle und frage aktiv nach Feedback? Wie gehe ich mit den Antworten anschließend um? Erkenntnis 1: Für mein Zeitmanagement bin ganz alleine ich verantwortlich! Es gibt Kontrollinstanzen, die ein Auge darauf haben, wie sehr ich
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eingespannt bin (Führungskraft, Projektleitung), doch die Verantwortung für meine Zeitplanung liegt definitiv bei mir. Verantwortung Projektarbeit ist für interne Beraterinnen und Berater in der Regel zusätzlich zur Linienaufgabe zu bewältigen. Je nach Projektauftrag und Dringlichkeit verschieben sich Prioritäten. Doch eine Freistellung von den Linienaufgaben ist aufgrund mangelnder Ressourcen eher unwahrscheinlich. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach dem Zeitmanagement, sondern zugleich: Was ist meine Rolle in dem gesamten Prozess? Welche Aufgaben und welche Verantwortung können vor dem Hintergrund zusätzlich übernommen werden? Bleiben wir beim Beispiel der Fusion: Es gibt Aufgaben, die in einem gewissen Zeitrahmen bewältigt werden müssen. Eine große Verantwortung liegt beim Personalmanagement. Und es sind (mindestens) zwei Personalabteilungen eingebunden. Wer übernimmt welche Rolle? Wer gibt die Rahmenbedingungen vor (meist die Seite des Käufers) und wer ist für die erfolgreiche Implementierung der neuen Prozesse beim übernommenen Unternehmen verantwortlich? Ohne böse Absicht ist den Beteiligten von Seiten Management, Führung und Projektleitung nicht klar, welche und wie viele Aufträge bei mir landen. Jeder kennt nur seinen Verantwortungsbereich und inwieweit die delegierten Aufgaben dazu beitragen sollen. Und nur ich kenne meinen Verantwortungsbereich. Um motiviert und realistisch meinen Beitrag zu leisten, muss ich Transparenz schaffen. Dazu gehört es, mit allen Beteiligten immer wieder ins Gespräch zu kommen, wie meine Rolle und Verantwortung genau definiert ist und wo die Grenzen sind. Erkenntnis 2: Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist die individuelle Rollenklärung. Was gehört zu meiner Verantwortung und was nicht? Wenn ich diese und jene Aufgabe zusätzlich übernehme, hat das Konsequenzen für die Umsetzung und Qualität der bisherigen Aufgaben.
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Verantwortliche Kommunikation Wahrscheinlich gibt es nie die »richtige« Kommunikation im ChangeProzess. Am Ende ist man immer schlauer, was an welcher Stelle besser gewesen wäre. Die professionelle Rolle verlangt während jeder Phase der Veränderung eine optimistische und konstruktive Haltung. Relativ schnell weiß man, worin die Chancen der Veränderung liegen und welche Kröte man vermutlich schlucken muss, um »negative« Aspekte hinzunehmen. Um glaubwürdig zu bleiben – auch über den aktuellen ChangeProzess hinaus –, ist die Kommunikation eines der sensibelsten Themen. Es wird immer Themen geben, die zum Loyalitätskonflikt führen, vor allem wenn der Anspruch besteht, ehrlich zu kommunizieren. Diejenigen, die sich als Verlierer – oder, noch extremer, als Opfer – der Veränderung sehen, werden keine noch so optimistische und konstruktive Kommunikation annehmen. Sie mussten gerade Status, Privilegien, Macht, Verantwortung etc. abgeben. Darüber gibt es nichts Positives zu berichten! Vielleicht sind es Leistungsträger, die das Unternehmen auf keinen Fall verlieren möchte? Und wenn es so wäre: Leistungsträger sind durch wohlgemeinte »Alles-wird-gut-Kommunikation« nicht zu überzeugen, dem Unternehmen treu zu bleiben. Sie suchen nach greifbaren Zusagen hinsichtlich Status, Verantwortung, Zugehörigkeit, Geld etc., die es wert sind, dem Unternehmen verbunden zu bleiben. Erkenntnis 3: Die ethische Verantwortung für die Kommunikation, die in meinen Verantwortungsbereich fällt, trage ich. Zu meinen Werten zählt Ehrlichkeit. Also ist es mir wichtig, dass ich trotz wohlgemeintem Optimismus keine falschen Hoffnungen wecke. Es mag im ersten Moment ein unbequemer Weg sein, doch ich kann mit gutem Gewissen auch in Zukunft mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Glaubwürdigkeit Wer wünscht sich das nicht? In den Verwirrungen von Change-Prozessen ist der Bedarf an Verlässlichkeit sehr hoch. Das führt dazu, dass häufig die »guten alten Zeiten« hoch gelobt werden. Sie geben Sicherheit und nähren das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
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Es liegt in der Natur von Change-Prozessen, dass sie durch Unsicherheit flankiert sind. Umso wichtiger ist es, dass Entscheidungen und Informationen nicht als Gerüchte ein Eigenleben beginnen. Erkenntnis 4: Ich sorge selbst dafür, dass meine professionelle Rolle vertrauenswürdig ausgeführt wird. Informationen, die ich weitertrage, sind verlässlich, oder ich gebe sie erst weiter, wenn sie es sind. Ich beteilige mich nicht an Gerüchten. Im Gegenteil, ich mische mich ein, wenn ich in den Sog der »Stillen Post« gerate, und versuche Wahres von Spekulation zu trennen. Situativ handeln Das Leben ist Veränderung. Es ist nicht besonders zielführend, sich mit Gedanken zu beschäftigen, was früher alles besser war und wie es in Zukunft sein könnte. Entscheidend ist, was gerade ist. Oder wie es in der systemischen Beratung ausgedrückt wird: was gerade wirkt. Wie wirkt sich der aktuelle Status der Veränderung im Handeln, im Verhalten und in Ergebnissen aus? Welche Prioritäten ergeben sich daraus, die die nächsten Schritte bestimmen? Erkenntnis 5: Für mein aktuelles Handeln ist die Situation, in der ich mich befinde, ausschlaggebend. Ich orientiere mich an dem, was ist, um zu wissen, was als Nächstes dran ist. So spare ich Ressourcen, die mich in die Gedankenumlaufbahn von »was wäre, wenn« davontragen könnten. Aufrichtigkeit Jede (große) Veränderung wird begleitet von Machtinteressen. Sie beginnen mit: Wer hat welchen Zugang zu Informationen? Und wer kennt nicht die Dynamik, die entsteht, wenn Wissen zurückgehalten wird, um Macht zu demonstrieren? Oder ganz einfach, um persönliche Interessen zu verfolgen. Ich finde es absolut legitim und zielstrebig, wenn jemand sein Wissen für persönliche Ziele einsetzt. Die negative Verführung liegt darin, dass einzelne Personen Wissen mit Macht verwechseln und versuchen könnten, irgendwelche Pfründe zu sichern, indem sie Informationen zurückhalten.
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Erkenntnis 6: Meine Aufgabe ist es, aufrichtig zu bleiben. Das heißt, ich lasse mich nicht durch den Zugang zu vertraulichen Informationen verführen, egoistische Interessen zu verfolgen. Kernkompetenzen Es besteht immer das Risiko, sich im Chaos der Anforderungen zu verzetteln. Vor allem in Phasen, in denen der Alltag droht, einem über den Kopf zu wachsen, verliert die individuelle Leistung deutlich an Qualität. Veränderungen verlangen hohe Flexibilität: im Zeitmanagement, an Fähigkeiten, an Organisationstalent, im Umgang mit unterschiedlichen Interessengruppen etc. Sie verlangen außerdem hohe Professionalität von allen Beteiligten. Idealerweise setzt sich das Team im Change-Projekt aus Vertretern unterschiedlicher Professionen und verschiedener Unternehmensbereiche zusammen. Der gemeinsame Nenner aller Change-Manager sollte die Fähigkeit sein, mit Komplexität und Unsicherheit umgehen zu können. Außerdem sollte die jeweilige Kernkompetenz der Teammitglieder erforderlich und wertvoll für den Projekterfolg sein. Erkenntnis 7: Es ist sehr hilfreich, mich in Stressphasen auf meine Kernkompetenzen zu konzentrieren. Sie sind der Kern, weshalb ich im Change-Projekt mitarbeite, und darin kann ich den größten Mehrwert für den Erfolg leisten.
Fazit Veränderungsprozesse werden weiterhin das Berufsleben begleiten und phasenweise auch bestimmen. Der Beitrag als interne Beraterin zum Erfolg von Veränderungen ist nicht messbar, aber auf jeden Fall relevant für Erfolg und Misserfolg. Mit Sicherheit spielen Qualifikation und Fähigkeit der Reflexion bei allen Beteiligten im Change Management eine wichtige Rolle für den Erfolg. Die Spannung zwischen eigener Betroffenheit und professioneller Verantwortung liegt in der Natur der Rolle und muss immer wieder neu bewältigt werden. Dafür konnte ich hoffentlich einige hilfreiche Erfahrungen mitteilen.
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Literatur Hüther, G. (2008). Wie man sein Gehirn optimal nutzt. Audio-CD. Organisationsentwicklung, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, Nr. 2/2010: Themenheft »Champions oder Loser? Balanceakt interne Beratung«. Radatz, S., Bartels, O. (2007). Wie Change gelingt. Wien: Verlag Systemisches Management.
Die Autorin Uta Kaußler (Jg. 1968) arbeitet als HR-Managerin bei der Aon Hewitt GmbH, einem internationalen Beratungsunternehmen. Als Diplom-Kulturpädagogin hat sie sich im Aufbaustudium Arbeitswissenschaften an der Universität Hannover weiterqualifiziert und eine Ausbildung zum systemischen Coach und zur systemischen Organisationsberaterin gemacht. In verschiedenen Rollen und Unternehmen waren jeweils Change Management und Personalentwicklung Schwerpunkte ihrer Arbeit. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Bettina Habbel
Let’s get together: Führungskräftekonferenzen einmal anders Ein Reisebericht
»Liebe Führungskräfte, ich möchte Sie herzlich hier an diesem wunderschönen Tagungsort zur diesjährigen Konferenz begrüßen. Wenn die wichtigsten Entscheider des eigenen Arbeitgebers zu einem Treffen zusammenkommen, dann macht man sich als Organisatorin die Überlegungen zum Ablauf und zur Ausgestaltung solch einer Veranstaltung nicht leicht. In den nächsten eineinhalb Tagen wird es um das Thema ›Entscheidungen treffen – entschieden handeln‹ gehen …« Oh, jetzt war ich in Gedanken schon bei meinen geplanten Begrüßungsworten und habe ganz vergessen, mich vorzustellen: Ich heiße Bettina Habbel, bin Personalentwicklerin in einem Münchener Finanzdienstleistungsunternehmen und gerade auf dem Weg zu einer eineinhalbtägigen Führungskräftekonferenz, die ich nun schon viele Wochen lang geplant und vorbereitet habe. Auf dieser Veranstaltung treffen sich die gesamte Geschäftsführung und das obere Management meines Arbeitgebers, insgesamt vierzig Personen. Ich möchte Sie nun mitnehmen auf meiner Fahrt dorthin und Ihnen dabei schildern, wie ich bei der Konzeption und Organisation der anstehenden sowie zurückliegenden Führungskräftekonferenzen vorgegangen bin und was mir wichtig dabei war. Auf dem Rückweg morgen Nachmittag werde ich dann berichten, wie die Veranstaltung verlaufen ist, und ein Resümee über dieses Format im Allgemeinen ziehen.
Wie alles begann: Der Auftrag Vor fünf Jahren wurden der Personalleiter und ich zum Vorsitzenden der Geschäftsführung gerufen, welcher uns mit folgenden Worten empfing: »Lieber Kollege, liebe Frau Habbel, ich habe folgendes Anliegen:
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Bettina Habbel
Die von uns gemanagten Vermögensklassen sind sehr unterschiedlich; Wertpapiere wie Aktien und Renten auf der einen und Immobilien auf der anderen Seite. In letzter Zeit ist uns in der Geschäftsführung aufgefallen, dass sich die einzelnen Geschäftsbereiche zu weit voneinander wegbewegt haben, es zu wenig Austausch untereinander gegeben und sich hier und da ein gewisses ›Silo-Denken‹ etabliert hat. Da es für den Erfolg unseres Unternehmens jedoch enorm wichtig ist, dass das gegenseitige Verständnis für die Besonderheiten aller Geschäftsfelder hoch ist und die Abteilungen gut vernetzt und bereichsübergreifend zusammenarbeiten, muss etwas geschehen. Wir wollen, dass wieder stärker das Gefühl von Einheit entsteht, von ›Wir sind eine Firma!‹ Außerdem hat unsere obere Führungsebene durch organisatorische Restrukturierungen neue Mitglieder bekommen. Das gegenseitige Kennenlernen soll hier ermöglicht und intensiviert werden. Frau Habbel, bitte erarbeiten Sie einen Vorschlag dazu, wie eine Veranstaltung, die diese Ziele erfüllt, aussehen könnte. Als Zeitrahmen haben wir an zwei Tage gedacht.« Mein Vorgesetzter hatte ein unmittelbar darauffolgendes Meeting und verabschiedete sich. Nachdenklich ging ich zurück zur Personalabteilung, so vieles ging mir gleichzeitig durch den Kopf: Wie soll das Design für eine solche Veranstaltung aussehen? Wie soll ich die Planung angehen? Was ist, wenn die Veranstaltung ein Misserfolg wird? Als ich die Kaffeeküche passierte, stieg mir der Duft von frisch gemahlenen Bohnen in die Nase. Ich beschloss, nicht sofort in mein Büro zu gehen, sondern kurz einen Moment innezuhalten. Ausgerüstet mit einem Becher Latte macchiato spazierte ich zum Fenster. Mein Blick streifte über die Dächer Münchens und blieb auf der barocken Kuppel der wunderschönen Theatinerkirche hängen. Ich rief mir in Erinnerung: Das Wichtigste neben der Auftragsklärung ist die Klärung der eigenen Rolle. Was war also meine Rolle? Musste ich alleine entscheiden, wie das Design für solch eine Veranstaltung aussehen könnte? Konnte ich das überhaupt? Mir fiel die Metapher des Mobiles ein, die ich in meiner Beraterausbildung in Wiesloch kennengelernt hatte. Diese Metapher beschreibt ein Mobile als ein in sich geschlossenes und zusammenhängendes System. Wenn ein einziges Teil davon bewegt wird, bewegen sich alle Teile mit und folgen dabei ihrer ganz eigenen Logik. Durch ihre Wechselwirkungen verändern und stabilisieren sie sich dabei gegenseitig. Auch das obere Management meines Arbeitgebers ist ein System für sich, das – wie alle
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Systeme – nach eigenen Regeln funktioniert. Die Vernetzung der Teilnehmer untereinander und ihre Regeln des Zusammenspiels entscheiden darüber, wie sinnvoll welche Maßnahme für diese Zielgruppe ist. Ich bin nicht Teil dieses Systems, sondern in der Rolle der Beraterin, die diesem Kreis Expertenwissen über Personalentwicklungstools und Veranstaltungsdesigns zur Verfügung stellen kann. So kann ich die Mitglieder des oberen Managements, die Experten für die Innensicht ihres eigenen Systems sind, dabei unterstützen, ein Design für eine Veranstaltung zu entwickeln, das für sie passend und stimmig ist. Dies soll eine gelungene Veranstaltung von Führungskräften für Führungskräfte werden. Meine Aufgabe dabei ist es dann, den Prozess zu gestalten, wichtige Entscheider an einen Tisch zu holen, deren Diskussion zu moderieren und mit konzeptionellen Vorschlägen zu ergänzen, Ergebnisse zu dokumentieren und die Geschäftsführung über die laufenden Überlegungen regelmäßig zu informieren. Nach dieser inneren Rollenklärung ging ich mit einem leichten Gefühl in der Brust und einem warmen Latte macchiato im Magen in mein Büro zurück und machte mich an die Arbeit.
100 Tage, 7 Köpfe: Das Vorbereitungskomitee Als Erstes mussten Vertreter der Zielgruppe, also des oberen Managements, mit ins Boot geholt werden. Dazu habe ich ein Vorbereitungskomitee als Sounding-Board gebildet, zu dessen Teilnahme vier Führungskräfte verschiedener Bereiche des Unternehmens eingeladen wurden. Teil des Komitees waren neben meiner Person auch der Personalleiter und ein externer Moderator. Auch wenn durch die Einbeziehung vieler eine große Divergenz der Meinungen entstand und es manchmal schwer war, die Diskussionen zu steuern, allen gerecht zu werden und manchmal auch bereits getroffene Entscheidungen wieder rückgängig zu machen, so hat es sich trotzdem bewährt, genau diesen Weg zu gehen. Nur so konnte die beste Lösung von Führungskräften für Führungskräfte gefunden werden. Gerade kritische Zeitgenossen und Skeptiker sind in dieser Runde übrigens sehr wichtig gewesen. Wenn man sie überzeugen konnte, hat man wichtige Multiplikatoren gewonnen und meist alle Kritikpunkte und Risiken ausreichend bedacht. Das Sounding-Board wurde seither
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jedes Jahr neu zusammengesetzt. Bei der ersten Veranstaltung haben die Führungskräfte, die in das Vorbereitungskomitee geladen wurden, noch ein bisschen verhalten reagiert. Mittlerweile – auch mit dem Erfolg dieser Veranstaltungsreihe – freuen sich diejenigen darüber, die hierfür angesprochen werden. Die Identifikation mit den Führungskräftekonferenzen ist auch deshalb sehr hoch, da über die Jahre hinweg schon fast die Hälfte der Teilnehmer einmal in diesem Vorbereitungskomitee Mitverantwortung übernommen haben und gut mitfühlen können, wie komplex die Herausforderung einer Veranstaltungskonzeption dieser Art ist.
With a little help from my partners: Der externe Moderator und die Event-Agentur Ein wichtiger Sparringspartner für uns als Vorbereitungsteam war der externe Moderator. Nachdem mir eine gute Agentur empfohlen wurde, die Trainings- und Moderationskompetenz, unternehmerisches Verständnis und Outdoor-Zertifizierung miteinander vereint, haben wir uns für einen Trainer aus dieser Agentur als externen Begleiter entschieden. Trotz dieser Entscheidung war es ein für uns wichtiges Gestaltungselement, dass die Teilnehmer des internen Vorbereitungskomitees aktiv in die Durchführung einbezogen wurden. Es war schön zu sehen, dass der Moderator ein echtes Interesse daran hatte, die internen Organisatoren und Moderatoren zu unterstützen, statt sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Positiv ist uns auch seine Geduld aufgefallen, mit der er immer neue Änderungswünsche und spontane Ideen von uns umgesetzt hat. Sein Blick von außen – auf uns als Vorbereitungsteam und als Unternehmen – sowie seine Impulse und Anregungen waren außerdem sehr hilfreich.
Let’s talk about …: Die Grundsatzfragen Die Fragen, auf die wir als Vorbereitungsteam Antworten finden mussten, waren: Welches Motto passt − zur Teilnehmergruppe,
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− zu den gesteckten Zielen, − zur Firmenkultur und − zur aktuellen Wirtschaftslage?
Wie schaffen wir es, einen gelungenen Ablaufplan zu schmieden, der − das Thema gut umsetzt, − Austausch untereinander ermöglicht, − theoretischen Input und praxisrelevantes Wissen vermittelt, − Erlebniselemente beinhaltet, die Spaß machen, ohne oberflächlich zu sein, und der − es ermöglicht, Ergebnisse mit unternehmerischem Nutzen statt überbordende Maßnahmenpläne zu generieren?
Laden wir einen Gastredner zu dieser Veranstaltung ein? Wenn ja, welchen? Welche Location bietet die ideale Atmosphäre, die uns bei der Arbeit unterstützt und die nötigen räumlichen Voraussetzungen erfüllt? Als Gestaltungsprinzip habe ich mich an der von Boos und Königswieser (2002) beschriebenen Balance orientiert, die für Großveranstaltungen wichtig ist – der Balance zwischen Struktur und Prozess, Person und Kollektiv, Spannung und Ruhe sowie zwischen kognitiven und emotionalen Elementen. Die Wichtigkeit dieser Balance wird auch bei Kinter, Ott und Manolagas (2009) sehr eindrücklich beschrieben. Neben dem Incentive- und Teambuilding-Charakter solcher Führungskräfteveranstaltungen müssen ganz deutliche inhaltliche Bezüge zum Arbeitsumfeld der Teilnehmer geschaffen und nachhaltig Akzente gesetzt werden, damit diese erfolgreich und unternehmerisch sinnvoll sind. Wir haben versucht, diese Balance in einem klugen Design umzusetzen, in dem sich das bewusst ausgewählte Leitthema durch alle Gestaltungselemente und Bausteine der Veranstaltung wie ein roter Faden zieht und so auf verschiedenste Weise bearbeitbar und erfahrbar wird. Ich sehe gerade, dass es nur noch 30 Minuten bis zur Ankunft im Hotel sind. Da die Führungskräftekonferenz erst in drei Stunden startet, habe ich noch genug Zeit, die vergangenen Veranstaltungen kurz Revue passieren
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zu lassen. Ich nehme den Fuß vom Gas und versetze mich gedanklich fünf Jahre zurück:
Wer bin ich und wenn ja, wie viele? »Identität und Selbstverständnis des oberen Führungskreises« als Leitthema der Führungskräftekonferenz 2006 Da der Teilnehmerkreis zum Teil neu zusammengesetzt wurde, bewegte die Führungskräfte vor allem die Frage zur eigenen Rolle: Wie wollen wir als Gruppe, Kommunikatoren, Innovatoren und Vorbilder im Unternehmen wirken? Und welche Erwartungen dazu hat unsere Geschäftsführung? Die Leitfragen Der obere Führungskreis als … Gruppe − Wie muss sich der der obere Führungskreis formieren, um eine echte Gruppe zu werden? − Welche regelmäßigen formellen oder informellen Plattformen und Treffen brauchen wir dazu? Kommunikator − Wie kommunizieren wir effektiver und offener miteinander? − Welche Kommunikations- und Feedbackkultur brauchen wir? − Welche Spielregeln vereinbaren wir, um diese Kultur zu leben? Treiber von Innovation − Welche Initiativen benötigen wir, um unser kreatives Potenzial stärker zu nutzen? Botschafter der Unternehmenskultur − Welche Werte wollen wir als oberer Führungskreis leben? − Wo wollen wir Vorbild für unsere Mitarbeiter sein? Zu diesen Fragestellungen haben sich die Teilnehmer in vier Gruppen in einem interaktiven Design mit internen Moderatoren ausgetauscht und im Anschluss die Ergebnisse festgehalten. Auch die Geschäftsführung hat über diese Punkte diskutiert und ihre Erwartungen an den oberen Führungskreis formuliert. Beides
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wurde dann miteinander abgeglichen, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet und über die verschiedenen Sichtweisen diskutiert wurde. Zehn Maßnahmenvorschläge wurden in den Kleingruppen erarbeitet, die dann im Plenum durch Punktabfrage gewichtet wurden. Für die wichtigsten drei Themen wurden Verantwortliche und Projektgruppen festgelegt. Das Rahmenprogramm Ein stimmiges Rahmenprogramm mit aktivierenden Outdoor-Elementen, bei denen die Teilnehmer in bereichsübergreifend gemischte Gruppen eingeteilt waren, und einem geselligen Erlebniskochen hat die Veranstaltung abgerundet. Wichtig war, dass sich die Kernthemen der Konferenz in allen Elementen widerspiegelten. So demonstrierten die Übungen zum Beispiel die Unterschiedlichkeit der subjektiven Wahrnehmungen oder stellten die Teilnehmer vor die Herausforderung, neu und anders zu denken, womit die Themen Kommunikation und Innovation adressiert wurden. Mit diesen Erlebniselementen, die im Freien stattfanden, sollten die Teilnehmer bewusst emotional und nicht nur kognitiv angesprochen werden. Zieht man die Theatermetapher1 hierfür heran, gibt man so den Akteuren – auch durch andere Kleidung und durch ein anderes Bühnenbild – die Gelegenheit, eine andere, weniger formelle Rolle einzunehmen und sich so auf einer anderen Ebene neu zu begegnen. Dies führt auch zu einer Erweiterung des Rollenspektrums der einzelnen Akteure und zu einer größeren Vielfalt in den Möglichkeiten des Zusammenspiels im gesamten Ensemble.
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Die von Bernd Schmid (2009a) beschriebene Theatermetapher übersetzt die Beschreibung von Situationen in eine Inszenierung eines Bühnenstückes. Mit ihr kann nach der Art des inszenierten Stücks, den beteiligten Rollen, dem Drehbuch und der Bühne gefragt werden. So kann man in der Beratung von Kundensystemen z. B. herausfinden, ob diese die aktuelle Situation als Drama oder eher als Komödie beschreiben, ob sie die Rahmenbedingungen, also das Bühnenbild, eher freundlich oder düster empfinden und in welcher Rolle sie sich bei der Inszenierung selbst erleben (z. B. als Hauptdarsteller, Bühnentechniker oder Regisseure).
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Sekt oder Selters? Das Feedback Um aus den Erfahrungen der ersten Veranstaltung zu lernen und die Rückmeldungen und Optimierungsvorschläge der Teilnehmer systematisch zu erfassen, wurde nach der Führungskräftekonferenz ein Feedbackbogen mit folgenden Fragen an die Teilnehmer versendet: Skalenfragen (1 6 – 5 K) Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung des Themas in den verschiedenen Tagesordnungspunkten? Wie interessant fanden Sie in dem Zusammenhang den Vortrag des Referenten? Wie zufrieden sind Sie mit dem Rahmenprogramm? Wie gut konnten Sie die Veranstaltung für den Dialog und das Netzwerken mit Kollegen nutzen?
Offene Fragen Was hat Ihnen am besten gefallen? Welche sonstigen Rückmeldungen haben Sie zu den obigen Punkten und zur Veranstaltung insgesamt? Welche Themen sollten im nächsten Jahr behandelt werden? Welche weiteren Wünsche und Anregungen haben Sie für die nächste Führungskräftekonferenz? Die sehr guten Feedbacks und die nach der Führungskräftekonferenz eigenständig organisierten Initiativen, fachlichen Austauschtreffen und Stammtische zeigten, dass das Ziel der besseren Vernetzung durch die Veranstaltung erreicht worden war. Dies war die Voraussetzung dafür, dass nach der ersten Veranstaltung, die als Pilot gedacht war, weitere folgen konnten und sich so über die Jahre hinweg so etwas wie eine Tradition daraus entwickelt hat. Also gab es Sekt statt Selters, als das Vorbereitungskomitee zwei Wochen nach der Veranstaltung noch einmal zusammengekommen ist, um die Ergebnisse der ausgewerteten Feedbackbögen zu sichten und mit einem Gläschen Schaumwein auf diesen Erfolg anzustoßen.
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Simply the best – »Komplexitätsreduktion« im Fokus der Führungskräftekonferenz 2007 Im darauffolgenden Jahr beschäftigte die Geschäftsführung und das Unternehmen vor allem eine Fragestellung: Wie schaffen wir es, immer komplexer werdende Prozesse, Finanzprodukte, Regularien und Technologien noch sinnvoll zu managen? Und wo kann Komplexität reduziert werden? Dieses Leitthema zog sich durch alle Bausteine der Veranstaltung: Von einem Vortrag eines Unternehmensberaters, der schon viele Projekte mit dieser Stoßrichtung erfolgreich umgesetzt hat, über ein einfaches, selbst zubereitetes Essen (z. B. Steaks, die auf speziellen Heugabeln an einem Lagerfeuer gegrillt wurden) bis hin zu den Outdoor-Übungen, die das Thema »Komplexitätsreduktion« spielerisch umsetzten. Die Veranstaltung schloss mit einer Sammlung von Projektideen ab, die dabei unterstützen sollten, eine sinnvolle Reduktion von Komplexität im Unternehmen voranzutreiben.
Happy Birthday – Die Führungskräftekonferenz 2008 anlässlich des zehnjährigen Firmenbestehens Ein Jahr darauf jährte sich für unser Unternehmen sein zehnjähriges Bestehen. Gleichzeitig erreichte die Finanzkrise, die alle in Atem hielt, ihren Höhepunkt. Unsere Geschäftsführung hat sich in dieser Situation ganz bewusst dafür entschieden, die Veranstaltung stattfinden zu lassen: Gerade in Krisenzeiten war es der Geschäftsleitung wichtig, sich auf die wesentlichen Kompetenzen, Werte und Wurzeln des Unternehmens zu konzentrieren und dieses so für die Zukunft auszurichten. Diese Entscheidung folgte aus der Überzeugung, dass eine Kultur, die nur in guten Zeiten trägt und Orientierung gibt, nicht langfristig zum unternehmerischen Erfolg beitragen kann. Nur wenn auch in schwierigen Zeiten die gemeinsamen Werte und das Miteinander im Fokus bleiben, kann der identitätsstiftende und Orientierung gebende Charakter einer gelebten Unternehmenskultur erhalten bleiben (s. a. Schmidt, 2009b). Das Leitthema »Erfolge feiern – Zukunft gestalten« wurde durch verschiedene Gestaltungselemente umgesetzt. Zu Beginn gab es den
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inspirierenden Vortrag eines Zukunftsforschers, der gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Trends aufzeigte. Im Anschluss daran erarbeiteten die Teilnehmer auf kreative Art und Weise vier Themenfelder: Werte und Wurzeln, Leistungen und Erfolge, Freude und Motivation sowie Zukunft und Innovation des Unternehmens. Dazu bauten sie aus bereitgestelltem Material einen Turm mit vier Etagen, wobei jede Etage für eines dieser Themen stand. Beeindruckend war hier zu sehen, wie wirkungsvoll mit dieser Methode die Kernthemen plastisch herausgearbeitet wurden und wie viel kreatives Potenzial und Freude dadurch freigesetzt wurde. Das Abendprogramm gestaltete ein Team von Improvisationsschauspielern, die mit viel Leichtigkeit und Humor die Firmengeschichte und typische Alltagsszenen in kleinen Sketchen nachspielten. Zum Abschluss der Veranstaltung fand ein Zukunftsdialog statt, bei dem die Teilnehmer darüber diskutierten, was die Informationen aus dem Vortrag des Zukunftsforschers und die Erkenntnisse aus dem »Turmbau« für unsere Firma bedeuten und was davon konkret umgesetzt werden kann. An mir zieht die friedliche Landschaft des Münchner Nordens vorbei. In den letzten Tagen muss es hier einen Sturm gegeben haben: Viele Bäume sind abgeknickt und auf der Straße liegen abgebrochene Äste und feuchte Blätter. Ich versuche, mich zu konzentrieren und besonders vorsichtig zu fahren, aber meine Gedanken schweifen wieder ab: zur anstehenden Veranstaltung, die in wenigen Stunden beginnen wird. Noch ein Hinweis: Dem aufmerksamen Leser wird vielleicht auffallen, dass das Jahr 2009 in meiner Schilderung der sonst einmal im Jahr stattfindenden Veranstaltungen fehlt. Für den Herbst 2009 war eine Führungskräftekonferenz geplant, die jedoch aus terminlichen Gründen auf das Frühjahr 2010 verschoben wurde.
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Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? – Entscheidungsfindung als Thema der Führungskräftekonferenz 2010 Die Qual der Wahl – die Themen- und Rednerfindung Für die Auswahl des Themas war es diesmal besonders wichtig herauszufinden, was in einer so schwierigen Situation wie der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise für eine Führungsmannschaft wichtig ist. Was sind die wichtigsten Kompetenzen, die ein Steuerteam braucht, um ein Schiff auf hoher See bei unruhigem Wellengang sicher in den Hafen zu bringen? Es hat sich in unseren Diskussionen im Vorbereitungskomitee dann schnell das Thema »Entscheidungen« herauskristallisiert. Genauer gesagt das Thema »Entscheidungen treffen, entschieden handeln« – da es ja nicht nur darum geht, überhaupt Entscheidungen zu treffen, sondern auch, mutig und entschieden zu handeln. Denn wie schon Goethe schrieb: »Entschiedenheit und Folge sind das Verehrungswürdigste am Menschen. Man kann die Ware und das Geld nicht zugleich haben.« Als Gastredner diskutierten wir drei Vorschläge. Ein prominenter ehemaliger Profi-Schiedsrichter, der Entscheidungen in Sekundenschnelle treffen und mit ihren Folgen umgehen können muss, war als Referent im Gespräch. Zudem haben wir die Idee diskutiert, verschiedene »Helden des Alltags« wie Rettungssanitäter, Lebensretter, Feuerwehrmänner, Krankenpfleger oder auch Abenteurer einzuladen, mit denen sich die Teilnehmer an runden Tischen über deren Stil, Entscheidungen zu treffen und entschieden umzusetzen, austauschen können. Die Wahl fiel dann aber auf einen ehemaligen Wissenschaftsastronauten. Er sollte uns seine Reise ins Weltall schildern und beschreiben, aus welchen Gründen er sich für diesen Weg und sich die NASA für ihn als einen der Astronauten entschieden hat. Dieser Input ist einerseits wegen der modernen Managementmethoden der NASA praxisrelevant für uns als Unternehmen, entführt den Zuhörer andererseits in eine ganz andere, faszinierende Welt. Nebel zieht auf und es nieselt … es ist ungewöhnlich kalt für Mai. Ich stelle die Autoheizung höher und hoffe, dass es wenigstens trocken bleibt, so dass die geplanten Outdoor-Übungen stattfinden können.
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Aus einem Guss – Der Ablaufplan im Überblick Agenda: 1. Tag Bis 15:00 Uhr Individuelle Anreise der Teilnehmer 15:00 Uhr Begrüßung und Einführung 15:30 Uhr Outdoor-Element 1: Vertrauensfall 16:15 Uhr Outdoor-Element 2: Orientierungstour inklusive GPSNutzung 18:45 Uhr Reflexion der Übung mit Trainerfeedback und Analyse von Erfolgsprinzipien ab 19:00 Uhr Gemeinsames Abendessen mit überraschenden und unbekannten Speisen Agenda: 2. Tag 08:30 Uhr Start in den Tag mit den Bildern des Vortages 08:45 Uhr Dialogrunden mit Unterstützung durch Entscheidungskarten zu den Fragen: Welchen Entscheidungsstil habe ich? Was sind meine persönlichen Entscheidungsmuster? Welche Kriterien sind für mich bei der Entscheidungsfindung relevant? 10:10 Uhr Kaffeepause 10:30 Uhr Präsentation zum Thema Weltraum, Raumfahrten und Entscheidungsfindung 12:30 Mittagessen mit »Lunch Talk« des Referenten 13:30 Uhr Dialog-Workshop zur Fixierung der Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Veranstaltung 14:45 Uhr Teilnehmerfeedback und Resümee des Vorsitzenden der Geschäftsführung ab 15:15 Uhr Individuelle Abreise der Teilnehmer Dies ist eine wichtige Übersicht für mich, aber für das bessere Verständnis möchte ich Ihnen im Folgenden die einzelnen Elemente etwas genauer schildern.
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Let’s outdoor: Vertrauenssprung und Orientierungstour Nachmittags kommen alle Teilnehmer an und werden sich bei einer Tasse Kaffee und kleinen Häppchen erst einmal einstimmen. Dann begrüßt der Vorsitzende unserer Geschäftsführung die Teilnehmer mit einer kurzen Rede und spricht zur aktuellen Wirtschaftslage, zum Thema »Entscheidungen« und gibt einen Rückblick auf die vorangegangene Veranstaltung sowie die in der Zwischenzeit umgesetzten Ergebnisse. Im Anschluss daran begrüße ich die Teilnehmer, bedanke mich beim Vorbereitungskomitee und schildere kurz unsere Gedanken und Herangehensweise bei der Planung dieser Veranstaltung. Dann finden aktivierende Outdoor-Elemente statt. Die erste OutdoorÜbung greift das Thema »Entscheidungen treffen – entschieden handeln« auf eine sehr persönliche Weise auf. Vielleicht kennt der eine oder andere die Übung »Der Vertrauensfall«. Hier können sich die Teilnehmer von einem Podest in ca. 1,5 Meter Höhe in die auffangbereiten Arme der anderen Gruppenmitglieder fallen lassen. Die Übung findet ohne technische Sicherung statt und erfordert Selbstüberwindung, Selbstvertrauen und Mut. Auch den Mut, nein zu sagen, da nur derjenige eine echte Entscheidungs- und Handlungsoption hat, der ja und nein sagen kann. Die Übung ist auch deshalb für das Thema so gut geeignet, da jeder Teilnehmer unmittelbar sein eigenes Entscheidungsverhalten erleben kann. Es gibt dabei – wie im richtigen Leben auch sehr oft – einen Point of no return: In dem Moment, in dem man abspringt, kann man sich nicht selbst wieder hochziehen. Jetzt muss man entschieden handeln und Nerven zeigen, denn wer Angst bekommt, sich schützen möchte und sich dabei unwillkürlich krümmt, läuft Gefahr, unsanft auf dem Boden zu landen, da sich sein Gewicht nicht mehr gleichmäßig auf die Auffangenden verteilt. Auch wenn mir vom Anbieter gesagt wurde, dass das Risiko bei dieser Übung sehr gering sei, habe ich bei diesem Thema etwas Bedenken. Wenn sich einer dieser wichtigen Menschen dabei irgendwie die Bandscheibe oder einen Knöchel verletzt … nicht auszudenken! Im Anschluss daran findet eine Orientierungstour durch den Wald statt. Hier suchen einzelne Teams bestimmte Wegpunkte, erfüllen dort Aufgaben und überwinden Hindernisse. Auch hier hat wieder jeder Teilnehmer die Gelegenheit, das eigene Verhalten und die Entscheidungsfindung in der Gruppe zu beobachten.
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Let’s cook – Erlebniskochen einmal anders Der Endpunkt dieser Tour wird eine kleine, nicht bewirtschaftete Hütte im Wald sein. Die von uns engagierte Event-Agentur wird schon alles für ein schönes, gemeinsames Essen vorbereitet haben: Das Lagerfeuer wird brennen und der Teig für das Stockbrot, das man sich daran rösten kann, wird fertig sein. Das gemeinsame Abendessen soll etwas Besonderes sein und natürlich auch mit dem Thema Entscheidungen zu tun haben. Daher haben wir uns im Vorfeld dazu entschlossen, ungewöhnlich zubereitete Speisen im Stil der Molekularküche anzubieten. Der Obstsalat sollte zum Beispiel als Kugeln von Fruchtmus dargeboten werden, die dann im Mund schmelzen. Die Suppe wird als Einlage mit Basilikum-Algen geschmückt sein, die jeder Teilnehmer mit Spritzen darin applizieren kann. Und falls Sie so wie ich noch nie etwas von Girsch, Schafgarbe, Medisüß und Gundermann gehört haben sollten – bitte nicht wundern. Es handelt sich hierbei um essbare Kräuter, die die Teilnehmer zuerst pflücken und dann zu einem Salat zubereiten sollen. Da mir als Organisatorin von Veranstaltungen durchaus bewusst ist, dass die Rolle des Essens für die Gesamtzufriedenheit der Teilnehmer als hoch einzuschätzen ist, ist mir klar, dass dies ein gewisses Risiko darstellt. Aber auch ich folgte dem Motto der Veranstaltung und habe mir vorgenommen, mutig und entschieden zu handeln. Nur beim Vorschlag des Anbieters, als Hauptgang geräucherten Fisch zu servieren, wollte ich auf Nummer sicher gehen und habe stattdessen Steaks bestellt. Es soll sich ja schließlich keiner an einer Gräte verschlucken … Der Abend soll in einem beheizten Zelt stattfinden und wird bestimmt wieder so gesellig und gemütlich wie die Jahre zuvor. Danach geht es dann mit Fackeln den dreißigminütigen Weg durch den Wald gemeinsam zurück ins Hotel. Let’s talk – Austausch zum Thema Entscheidungen Zu Beginn des zweiten Tages finden sich die Teilnehmer nach einer Projektion der schönsten Fotos vom Vortag zu kleinen Gruppen an Bistrotischen zusammen, auf denen Stapel mit Entscheidungskarten liegen. Diese von Wolfram Jokisch zusammengestellten Karten sind Impulse
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zum Thema Entscheidungen. Diese Impulse können Zitate wie »Hüte dich vor dem Entschluss, zu dem du nicht lächeln kannst« (Heinrich von Stein), Fragen »Wie viel Disziplin erfordert meine Entscheidung und bin ich bereit, diese aufzubringen?« oder auch Sinnsprüche wie zum Beispiel »Entscheiden heißt verzichten« sein. Jeder Teilnehmer soll sich zuerst eine aktuelle Fragestellung überlegen, zu der er in absehbarer Zeit eine Entscheidung treffen muss. Dann zieht er drei Karten und reflektiert zuerst für sich und dann zusammen mit anderen Mitgliedern der Kleingruppe, welche Gedanken diese Karten generell und in Bezug auf die aktuelle Fragestellung bei ihm anregen. Im Anschluss daran sollen sich die Teilnehmer – inspiriert von den gezogenen Karten – über folgende Fragen austauschen: Welchen Entscheidungsstil habe ich: Kopf oder Bauch? Was sind meine persönlichen Entscheidungsmuster? Welche Kriterien sind für mich bei der Entscheidungsfindung wichtig? Was hilft mir dabei, entschieden zu handeln? Let’s listen: Vortrag eines ehemaligen Wissenschaftsastronauten Dann findet der Vortrag des ehemaligen Wissenschaftsastronauten statt. Er wird über seinen ganz persönlichen Weg zu diesem Abenteuer, seine Weltraumerfahrungen und über das Thema Entscheidungen referieren und dabei folgende Themen vorstellen: Aus welchen Gründen hat er sich für diesen Weg entschieden und wer hat ihn dabei unterstützt? Wie treffen die NASA und ESA Entscheidungen? Wie ist deren Entscheidungskultur und wie laufen ihre Entscheidungsprozesse ab? Wie wählen NASA und ESA Astronauten aus? Wie gewichten und messen sie in diesem Zusammenhang die Kompetenzen Leadership und Teamfähigkeit? Wie kann man sich auf erwartete und unerwartete Situationen im Weltraum vorbereiten? Danach wird es ein gemeinsames Mittagessen geben, bei dem der Referent zu einem sogenannten »Lunch Talk« anwesend sein und zwischen den Gängen und an den Tischen Anekdoten und Geschichten aus seiner Weltraumerfahrung zum Besten geben wird.
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Let’s sum up: Zusammenfassung der Erfahrungen und Erkenntnisse Der letzte Baustein dieser Veranstaltung soll ein moderierter DialogWorkshop zur Fixierung der Erfahrungen aus den vorangegangenen eineinhalb Tagen sein. Die Teilnehmer tauschen sich hierbei in Kleingruppen über folgende Fragen aus: Was hat mich fasziniert und inspiriert? Was habe ich neu gelernt? Welche Erkenntnis habe ich gewonnen? Was will ich weiterverfolgen? Die Ergebnisse der Diskussion sollen dann auf Flipcharts visualisiert und im Plenum den anderen Teilnehmern vorgestellt werden. Danach wird es ein kurzes Abschlussfeedback der Teilnehmer geben. Zum guten Schluss wird der Vorsitzende der Geschäftsführung ein Resümee ziehen und die Teilnehmer ins Wochenende verabschieden. Soweit zum Plan. Ich biege in die Seitenstraße zum Seminarhotel ab und bin am Ziel. Jetzt heißt es nur noch Daumen drücken!
The day after tomorrow – Die Rückblende Geschafft – es ist vollbracht! 24 Stunden später sitze ich wieder im Auto und trete die Rückreise an. Sicher sind Sie gespannt, wie es gelaufen ist?! Alles – fast alles – ist gut gegangen. Nur ausgerechtet bei dem Vertrauensfall ist Folgendes passiert: Ein fallender Teilnehmer wurde von den Auffangenden nicht fest und früh genug gehalten und landete dann unsanft und nur knapp über dem Schlammboden. Seine Jacke wurde verschmutzt, verletzt wurde aber zum Glück niemand. Es war ein kurzer Schreckmoment für alle. Besonders wichtig war es in dieser Situation, dass die Outdoor-Trainer sehr genau gemeinsam mit den Teilnehmern analysiert haben, wie es dazu kommen konnte und ob – und wenn ja, wie – weitergemacht werden soll. Es stellte sich heraus, dass zwei auffangende Teilnehmer, die bei den vorherigen Durchgängen in der
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Mitte standen und damit das meiste Gewicht aufgefangen hatten, mit zwei anderen getauscht hatten. Diese hatten das Gewicht des Fallenden unterschätzt und waren darauf nicht vorbereitet gewesen. Aber so ist es ja auch oft im echten Leben, und so wurde die Erkenntnis bestätigt: »Never change a running team! Und wenn du es doch tust, unterschätze dabei die Veränderung und ihre Auswirkungen nicht.« Auch folgende Parallele zum echten Leben konnte gezogen werden: Am Anfang war die gesamte Aufmerksamkeit auf die Übung gerichtet und alle waren sehr vorsichtig. Nach mehreren erfolgreichen Durchgängen stiegen die Sicherheit, das Selbstvertrauen und auch die Routine. Ein großer Feind von Sicherheit ist aber – nicht nur im Outdoor-Bereich – genau diese Routine, da sie dazu verleitet, das Risiko zu unterschätzen. Der Abend in der Hütte war gemütlich und gut gelungen. Die Speisen wurden – wie in den Jahren zuvor – selbst zubereitet. Dies war für die die molekularen Gerichte sehr aufwändig, für die Teilnehmer jedoch interessant und erheiternd, sich gegenseitig bei ihren Bemühungen zu beobachten; zum Beispiel dabei, aus Erdbeermus kleine, geleeartige Tropfen zu formen, die exakt die richtige Konsistenz und Größe brauchten, um nicht zu platzen. – Die Fackelwanderung zurück ins Hotel rundete den Abend ab. Den Austausch am nächsten Tag mit Hilfe der Impulskarten konnten die Teilnehmer gut für eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Entscheidungsstil nutzen. Es gab sogar den einen oder anderen Aha-Moment, als Anregungen besonders gut zur Fragestellung eines Teilnehmers passten. Ein Beispiel: Eine Führungskraft, die für ihre Ergebnisorientierung und ihr hohes Tempo bekannt ist, hatte durch die hastige Abreise zum Tagungsort beim Ausparken in der Tiefgarage des Unternehmens einen Lackschaden am neuen Auto verursacht. Diese Person zog die Karte »Worin bin ich manchmal zu schnell?«. Der Vortrag des ehemaligen Wissenschaftsastronauten am nächsten Tag war ein Highlight für die Teilnehmer. Es war faszinierend für sie, diese ganz andere Erfahrung zu teilen und sich in die Entscheidungssituationen im Weltraum hineinzuversetzen, die der Referent sehr greifbar und plastisch beschrieben hat. Dass es leider während der gesamten Veranstaltung geregnet hat, war schade. Aber immerhin war der Regen nicht zu stark, so dass alle Outdoor-Einheiten stattfinden konnten. Die Teilnehmer trotzten dem
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Wetter tapfer und zogen ihre Parallelen: »Wir sind keine SchönwetterKapitäne« – lautete ihre Devise. »Weder in unserer Arbeitswelt an den Märkten noch hier draußen herrschen immer ideale Bedingungen. Bei gutem Wetter kann es jeder – wir können mehr.«
All in all – Mein persönliches Fazit zu Führungskräftekonferenzen Der Aufwand für die Vorbereitung von Führungskräftekonferenzen ist hoch. Daher ist eine typische Zielgruppe für Veranstaltungen dieser Art klar das obere Management. Aber auch wichtige Projektteams, »High Potentials« oder der Führungsnachwuchs kommen für solche Konferenzen in Frage. Entscheidend ist es, dass die Teilnehmer eine strategisch wichtige Zielgruppe darstellen, deren Austausch ein Unternehmen fördern will und der es damit vor allen Dingen hohe Wertschätzung und Anerkennung entgegenbringen möchte. Da sind wir auch schon bei den Risiken: In dem Moment, in dem einer Gruppe so hohe Wertschätzung entgegengebracht wird, ist es wichtig, bei den anderen, nicht teilnehmenden Führungsebenen nicht das Gefühl entstehen zu lassen, unbedeutend zu sein. Durch eine offene Top-down-Kommunikation zwischen den Führungsebenen muss hier vermittelt werden, an welchen Themen gearbeitet wurde und welcher Nutzen durch deren Umsetzung entsteht. Dies ist nicht immer leicht, da manche dieser Veranstaltungen bewusst weniger auf den konkreten und messbaren Output als auf den Netzwerkgedanken und die gesetzten Impulse ausgerichtet sind. Für meine eigene Rolle kann ich das Fazit ziehen, dass es eine bereichernde Arbeit war und ist. Ich komme durch sie in Kontakt mit spannenden Referenten und ungewöhnlichen Eventformen und leiste im Vorfeld zusammen in einem Vorbereitungsteam aus Internen und Externen viel kniffelige Konzeptarbeit. Außerdem komme ich dabei der Geschäftsführung und dem oberen Management nahe, wodurch meine Leistung sichtbar wird. Das ist positiv und eine Chance, erhöht jedoch natürlich auch den Druck für ein Gelingen. Daher sind auch Stressresistenz und Gelassenheit von Nöten, an die ich mich vor allem in der Endphase der Vorbereitungen immer wieder bewusst erinnern muss.
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Am wichtigsten war es für mich, die obere Führungsriege bei dem Prozess der stärkeren Vernetzung untereinander zu begleiten und diesen aktiv mitgestalten zu können. Schon wieder ein abgeknickter Ast auf der Straße! Ich umfahre ihn und denke noch einmal an den Sturm, der hier gewütet haben muss. Auch die Finanzkrise ist wie ein Hurrikan über die Märkte und die Volkswirtschaften weltweit gefegt und hat große Schäden hinterlassen. Die Ausläufer sind immer noch stark zu spüren, mancherorts wird der Schaden jetzt erst richtig sichtbar. Durch kluges und risikoarmes Agieren, vorausschauendes Planen und vor allem durch ein unbürokratisches, schnelles und sehr effektives Zusammenspiel aller eingebundenen Abteilungen ist mein Arbeitgeber als Vermögensverwalter gut durch die Finanzkrise gekommen; unser Mutterkonzern konnte seinen Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern sogar noch weiter ausbauen. Ich bin überzeugt davon, dass Veranstaltungsreihen wie die hier beschriebenen einen Beitrag zu dieser erfolgreichen und effektiven Zusammenarbeit leisten können und geleistet haben. München, Nymphenburg – ich bin zu Hause. Danke, dass Sie mich auf meiner Reise begleitet haben.
Literatur Boos, F., Königswieser, R. (2002). Unterwegs auf einem schmalen Grat: Großgruppen in Veränderungsprozessen. In R. Königswieser, M. Keil (Hrsg.), Das Feuer großer Gruppen (2. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta. Kinter, A.; Ott, U.; Manolagas, E. (2009). Führungskräftekommunikation: Grundlagen, Instrumente, Erfolgsfaktoren. Das Umsetzungsbuch. Frankfurt a. M.: Frankfurter Allgemeine Buch. Schmid, B. (2000). Der systemische Ansatz in Training und Beratung. Studienschrift Nr. 036 http://www.systemische-professionalitaet.de/isbweb/content/ view/75/129/ (Stand 1.10.2010). Schmid, B. (2009a). Die Theatermetapher. Studienschrift Nr. 037 http://www. systemische-professionalitaet.de/isbweb/component/option.com_docman/ task.doc_download/gid.1469/ (Stand 1.10.2010). Schmid, B. (2009b). Kulturverantwortung in Unternehmen. Studienschrift Nr. 019 http://www.systemische-professionalitaet.de/isbweb/component/option. com_docman/task.doc_download/gid.1421/ (Stand 1.10.2010).
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Bettina Habbel
Die Autorin Bettina Habbel (Jg. 1974) ist seit 2002 interne Referentin für Personalentwicklung bei der MEAG, dem Vermögensmanager von Munich Re und ERGO. Zu den Aufgabenbereichen der Diplom-Psychologin zählen Programme für Führungskräfte, Großgruppenveranstaltungen und Change-Projekte. Durch die Leitung des Arbeitskreises »Industrie und Dienstleistungen« des Münchener Bildungsforums möchte sie die Vernetzung und den fachlichen Austausch regionaler Personalentwickler unterstützen. Bettina Habbel hat einen Lehrauftrag an der Hochschule für angewandte Wissenschaft Ingolstadt und begleitet Studenten als Dozentin und Coach auf ihrem Weg ins Berufsleben. E-Mail-Kontakt: [email protected], [email protected]
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Andreia Rotariu und Petra Ruda
Lernräume statt Lernträume Wie tatsächliche Veränderung durch ein Personalentwicklungsprogramm möglich wird
Zwischen 2004 und 2008 haben wir, eine externe und eine interne Beraterin, ein von uns selbst entwickeltes Personalentwicklungsprogramm für Mitarbeiter/-innen vier Mal in einem großen Handelsunternehmen durchgeführt. Wir haben dabei Erfahrungen gemacht, die unser Bild von und unsere Haltung zu Entwicklungs- und Lernprogrammen stark beeinflusst und verändert haben.
In welchem Kontext fand das Programm statt? Das Unternehmen, in dem das Programm durchgeführt wurde, befand sich in dieser Zeit im Umbruch. Die Dynamik des Marktes und der finanzielle Druck erforderten gravierende Veränderungen an verschiedenen Stellen: Umstrukturierungen, Anpassung von Prozessen, Sparprogramme und trotzdem Einführung essenzieller Technologien wie etwa neuer IT-Systeme. Gerade in dieser Zeit war es wichtig, gute Mitarbeiter/-innen zu halten, sie im Umgang mit einem sich ständig verändernden Umfeld zu unterstützen und ihnen Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Dies fand – wie üblich – zuvorderst auf Ebene der Führungskräfte statt. Weil aber auch vor allem die »Basis«, also große Teile der Mitarbeiter/ -innen im Unternehmen, von diesen Veränderungen betroffen war, war es wichtig, gleichzeitig in diese Zielgruppe zu investieren.
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Andreia Rotariu und Petra Ruda
Wie war das Programm aufgebaut? Das Programm bestand aus drei Modulen à drei Tagen, einem Vorbereitungstag für eine zu organisierende Großveranstaltung, der Großveranstaltung selbst und einem Abschlussmodul (s. Abb. 1) – von Grund auf ein eher klassischer Aufbau wie in vielen anderen Trainingsprogrammen auch. Neu waren jedoch die sich wie ein roter Faden durchziehende ergebnisoffene Werkstattarbeit, die am Ende stehende öffentliche Präsentation in einer Großveranstaltung und die sich am Stand und an den Problemen und Fragestellungen der Teilnehmer/-innen orientierenden Inhalte und Themen in den Modulen.
Abbildung 1: Aufbau des Programms
Den Mittelpunkt des Programms bildete die sogenannte Werkstatt. Im Rahmen dieser Werkstatt bekamen die Teilnehmer/-innen den Auftrag, sich mit einem unternehmensrelevanten Thema auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit »Mein Job und ich in zehn Jahren«, »Der Kunde im Blick« oder »Qualität als Merkmal«. Wie und mit welcher Zielsetzung die Teilnehmer/-innen an diese Aufgabe herangingen, war ihnen völlig freigestellt. Die einzige Vorgabe war, im Rahmen der Werkstatt etwas zu erarbeiten, was sie dann in der Großveranstaltung präsentieren sollten.
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Für die dafür notwendige inhaltliche Arbeit waren in den Modulen Zeitfenster vorgesehen, aber darüber hinaus blieb es ihnen überlassen, inwieweit sie zwischen den Modulen selbstorganisiert aktiv wurden und sich mit dem Thema beschäftigten. Die Großveranstaltung selbst war gesetzt: Der Termin und ein zeitlicher Rahmen von mindestens drei Stunden waren vorgegeben und sie sollte vor einer größeren Firmenöffentlichkeit stattfinden. An den Programmen nahmen jeweils rund zwanzig Personen teil, mindestens dreimal so viele Gäste waren für die Großveranstaltung gewünscht. Aufgabe der Teilnehmer-/innen war es, dort ihre inhaltlichen Arbeitsergebnisse, das Programm an sich und vor allem sich selbst als Personen zu präsentieren, und das in einer möglichst kreativen Form. Der Ort, die Form, die Gestaltung und der Ablauf der Veranstaltung blieben ihrer Entscheidung überlassen. Dies führte zu einer Vielzahl von Ideen, die in der Großveranstaltung umgesetzt wurden. Mal wurde die Veranstaltung als »Flug zum Kunden« arrangiert, inklusive Flugpersonal und entsprechender Requisiten. Eine andere Gruppe griff auf die Mittel des Theaters zurück und gestaltete den Präsentationsraum, das Foyer und den gesamten Ablauf entsprechend. Es gab Vernissagen, Infobörsen, Filme, Vorträge, Musik, Parodien und vieles mehr. Wir gingen davon aus, dass eine Gruppe, die sich neu formiert und die Aufgabe hat, gemeinsam an einem Thema zu arbeiten und etwas Neues zu entwickeln, in dieser Arbeit auf zahlreiche Probleme oder an bestimmte Grenzen stoßen würde, die dann sinnvoll thematisiert werden sollten. Beispiele: Arbeiten im Team: Was passiert, wenn Menschen zusammenkommen? Welche Gruppenprozesse laufen ab? Wie verhalte ich mich in diesen Kontexten? Wie erlebe ich mich selbst? Bisher einander unbekannte, unterschiedliche Kollegen und Kolleginnen mussten in kurzer Zeit als Gruppe arbeitsfähig werden, um Entscheidungen und Absprachen zu treffen und so eine gemeinsame Planung und Organisation zu ermöglichen. Umgang mit Veränderungen: Wie gehe ich mit diesen neuen Aufgaben um? Was ist neu für mich und was traue ich mir zu? Zum einen veränderte sich während des Programms viel bei den
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Einzelnen, aber auch in der Gruppe. Zum anderen waren alle Teilnehmer/-innen in ihrem Job ständig mit kleinen und großen Veränderungen konfrontiert. Gesprächsführung: Wie verhandele ich gut? Wie gehe ich mit schwierigen Gesprächssituationen um? In der Werkstattarbeit, bei der inhaltlichen Recherche und der Organisation der Großveranstaltung kamen die Teilnehmer/-innen mit vielen internen Abteilungen und Personen in Kontakt und nicht immer war es einfach, das gewünschte Ziel zu erreichen. Oft gab es Reibungen und Widerstand. Umgang mit Konflikten: Wie erkenne ich Konflikte? Wie agiere ich? Wie komme ich zu Lösungen? Es gab Erlebnisse des Scheiterns und Konfliktsituationen innerhalb der Gruppe und vor allem auch nach außen. Der Umgang mit und die Bearbeitung von Konflikten waren wichtige Themen. Daher hatten wir als »Trainerinnen« einige Themen im Pool, aber es gab von Anfang an kein festes Design. Das Programm, der Ablauf und die Inhalte entwickelten sich praktisch aus sich selbst heraus, je nach aktuellem Stand, den Fragen und den Interessen der Teilnehmer/-innen.
Was war das Besondere an diesem Programm? 1. Die für Programme dieser Art ungewöhnliche, jedoch für das Unternehmen wichtige Zielgruppe der Mitarbeiter/-innen im Tarif; 2. Lernräume statt Lernziele oder was ressourcenorientiertes Vorgehen bewirken kann; 3. Rückkopplung ins Unternehmen oder wie die Transferproblematik optimal gelöst werden kann; 4. Moderieren statt Trainieren oder wie der Verführung, »es besser zu wissen«, widerstanden und damit Selbstverantwortung gefördert werden kann.
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Die für Programme dieser Art ungewöhnliche, jedoch für das Unternehmen wichtige Zielgruppe der Mitarbeiter/-innen im Tarif Bei dem Programm ging es darum, sehr gute Mitarbeiter/-innen im Unternehmen noch weiter zu stärken und auch für die Zukunft leistungsund beschäftigungsfähig zu halten. Und es ging auch implizit darum, diese Gruppe der Mitarbeiter/-innen und deren Beitrag im Unternehmen sichtbar zu machen und wertzuschätzen. Die Zielgruppe waren also weder Führungskräfte noch solche, die es werden sollten, und auch keine »High Potentials«. Es ging ebenso nicht darum, Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen in einem festgelegten Zeitraum ein definiertes Pensum an Wissen zu vermitteln, an eine neue Technologie heranzuführen und sie somit in ihrer Qualifizierung anzupassen, was gewöhnlich bei Maßnahmen für diese Zielgruppe im Vordergrund steht. Bei diesem Programm hatten wir ganz klar die Leistungsträger/ -innen im Mitarbeiterbereich, hauptsächlich die Sachbearbeiter/ -innen im Fokus. Wir sagten den Führungskräften, sie sollen uns als Teilnehmer/-innen für das Programm ihre besten Mitarbeiter/-innen nennen, die »Perlen« ihrer Abteilung. Hintergrund war, dass diese Leistungsträger-/innen im Sachbearbeiterbereich zwar ständig von den Veränderungen im Unternehmen beeinflusst wurden, aber anders als ihre Chefs und Chefinnen nie die Möglichkeit hatten, mit anderen darüber zu reflektieren, wie sie in den Zeiten rasender Veränderungen ihren Job gut und noch besser machen könnten. Ein weiteres wichtiges Kriterium war die heterogene Zusammensetzung der Teilnehmergruppen bezüglich ihrer Bereichszugehörigkeit. Dahinter stand die Überlegung, dass diese Zielgruppe aufgrund ihrer Aufgabe in der Firma kaum die Möglichkeit hatte, sich bereichsübergreifend auszutauschen und ein ganzheitliches Bild von dem Unternehmen zu entwickeln, das Unternehmen als solches zu verstehen. Wir haben die Auswahl bewusst ressourcenorientiert getroffen, nicht defizitorientiert im Sinne von »Wem fehlt noch was?«. Bei dieser Vorgehensweise haben wir zweierlei festgestellt: Zum einen fiel es den Führungskräften sehr leicht, uns ihre »Perlen« zu nennen. Zum anderen hatte dies eine starke Wirkung auf die Teilnehmer/-innen. Gleich zu Beginn des ersten Bausteins wurde deutlich, dass sie es als Auszeichnung empfanden, an dem Programm teilnehmen zu können.
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Rückmeldungen der Teilnehmer/-innen: »Durch die Kollegen und die Werkstattarbeit habe ich unser Unternehmen noch mal ganz anders kennengelernt.« »Ich traue jetzt auch meinen Kollegen mehr zu. Ich habe gelernt, mich mehr auf sie verlassen und mich auch mal in die Gruppe ›fallen zu lassen‹.« »Ich kann mich jetzt mehr in die Belange meiner Kollegen einfühlen.« »Ich habe jetzt ein ganz anderes, großes Netzwerk im Unternehmen und neue Freundschaften geschlossen.« »Ich glaube, ich gehe viel toleranter mit Kollegen um als vorher.« »Ich kann jetzt besser Rückhalt und Hilfe von anderen annehmen.« »Ich weiß jetzt, wie wichtig Teamgeist ist und was für großartige Dinge man als Gruppe erreichen kann.«
Lernräume statt Lernziele oder was ressourcenorientiertes Vorgehen bewirken kann Zu Beginn des Programms arbeiteten wir noch mit »individuellen Lernzielen«: Die Führungskräfte erhielten ein Formular mit der Bitte, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen Ziele für dieses Programm zu vereinbaren. Es war damals, auch bei Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte, eine für uns übliche Vorgehensweise, am Anfang individuelle Lernziele zu formulieren und dann am Ende eines Programms deren Erreichung zu überprüfen. Zunächst stellten wir diesmal aber fest, dass es den Führungskräften schwerfiel, ausgerechnet für ihre besten Mitarbeiter/-innen, die sie uns für das Programm genannt hatten, Lernziele zu formulieren. Sie waren ja überaus zufrieden mit diesen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen. Im Laufe des Programms wurde uns dann schnell deutlich, dass die Arbeit mit Lernzielen nicht zur Ressourcenorientierung bei der Auswahl und schon gar nicht zu einem Programm mit einem extrem hohen Grad an Selbstorganisation und Eigenverantwortung passt. Wenn wir Teilnehmer/-innen nicht als defizitäre Wesen begreifen, sondern sie als Leistungsträger/-innen mit einem hohen Potenzial an Wissen und Erfahrung sehen, aus dem sie schöpfen und neue Ideen und neues Wissen generieren können, dann geht es nicht darum, ihnen etwas zu
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vermitteln. Vielmehr gilt es, in einem Entwicklungsprogramm Räume zu schaffen, wo sie ihr eigenes Potenzial einbringen können. Lernräume so zu gestalten, dass aus dem Miteinander-Arbeiten und dem VoneinanderLernen etwas Neues entstehen kann. Unter diesen Voraussetzungen können Teilnehmer/-innen am Anfang eines Programms aber noch gar nicht wissen, was sie dort genau lernen wollen und können. In Folge kann es passieren, dass sie mitten im Programm persönliche Lernfelder entdecken, die bisher für sie nicht relevant waren, und plötzlich erkennen, in welcher Hinsicht sie sich noch weiterentwickeln könnten. Das heißt, es sind oft sogenannte AhaMomente, überraschende Lernerlebnisse, die stattfinden können, wenn man ein solches Programm nicht als klassisches Training, sondern als Lernraum gestaltet, also praktisch eine offene Gelegenheit zum Lernen bietet. Es geht dann nicht mehr um »Vermittlung« oder gar darum, etwas zu »lehren«. Das persönliche Lernen entwickelt sich aus der Gelegenheit, aus den konkreten Erfahrungen mit anderen und aus der individuellen Reflexion in Bezug auf das Programm und den alltäglichen Job. Besonders deutlich wurde das am Ende des Programms daran, dass die Rückmeldungen der Teilnehmer/-innen zur Frage, was sie für sich mitnehmen, sich kaum deckten mit dem, was sie zu Beginn als Ziel formuliert hatten. Eine Teilnehmerin erzählte beispielsweise drei Monate nach der Großveranstaltung, sie moderiere nun, nachdem ihre Führungskraft sie dort erlebt habe, die Projektsitzungen für sie. Weder die Führungskraft noch die Teilnehmerin hatten je ein solches »Lernziel« angedacht oder gar formuliert. Dies wurde dadurch möglich, dass die Teilnehmerin im Laufe des Programms und bei der Präsentation für sich entdeckte, dass ihr Moderieren Spaß machte und ihre Führungskraft sie im Rahmen der Präsentation dabei erleben konnte. Wir hatten von Anfang die These, dass die Dinge, die wirklich »gelernt« werden, sich vor allem aus der praktischen Zusammenarbeit in der Werkstatt ergeben: das eigene Erleben, die praktischen positiven, aber auch kritischen Erfahrungen, die (für viele erstmalige) Umsetzung eines eigenen Projekts, das Ausprobieren neuer Tätigkeiten wie Filmen, Präsentieren, Moderieren, Befragungen durchführen etc. Der Höhepunkt im Erleben der Teilnehmer/-innen war die Umsetzung in der Großveranstaltung (Präsentation) vor den eigenen Führungskräften und vielen anderen Personen aus dem Unternehmen.
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Der gravierende Unterschied zu den sonst üblichen Trainings und Seminaren bestand in der Haltung, mit der wir dieses Programm ausgestalteten und umsetzten. Viele Trainer/-innen und interne Personalentwickler/-innen sind es gewohnt, linear vorzugehen: Da gibt es ein wichtiges Thema und es gibt Teilnehmer/-innen mit bestimmten, unterstellten Defiziten bezüglich dieses Themas. Dann beschreibt man die Lernziele und vermittelt im Training entsprechende Kenntnisse durch kompetente Trainer/-innen, um die Defizite wie leere Behälter »aufzufüllen«. Dann wird in Rollenspielen »geübt«. Und das nennt man dann Transfer und Transfersicherung. Unsere Erfahrung war, dass, wenn ein Entwicklungsprogramm so offen wie in unserem Fall gestaltet wird, es zu ganz dynamischen Lernprozessen kommt, die von den Trainern/Trainerinnen nicht planbar und auch nicht mehr wirklich steuerbar sind. Die Teilnehmer/-innen setzen da an, wo sie stehen, bei ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren eigenen Fragen und Problemen. Sie erzielen höhere Lernerfolge, weil sie selbst gestalten und entscheiden und für das Programm selbst die Verantwortung übernehmen. Sie empfinden das nicht als unangenehme, harte Lernarbeit, sondern passend, anregend und bereichernd. Von den Trainern/Trainerinnen verlangt es ein Höchstmaß an Kompetenz, Achtsamkeit und Flexibilität, um den individuellen Lernmustern Rechnung tragen zu können. Auf diese dynamischen Lernprozesse zu bauen heißt auch, den eigenen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen viel zuzutrauen. Offene Lernräume zu schaffen heißt für eine Organisation darauf zu vertrauen, dass die Mitarbeiter/-innen solche Räume stets produktiv, kreativ und für sich und das Unternehmen höchst effektiv nutzen. Rückmeldungen der Teilnehmer/-innen: »Ich habe durch das Programm den Impuls bekommen, mich weiterzuentwickeln, und habe nun beschlossen, mich beruflich neu zu orientieren.« »Mein Selbstvertrauen ist gestiegen: Es ist gut, wie ich bin – und ich könnte ein bisschen dominanter sein.« »Ich habe gelernt, kritischer zu sein und besser den eigenen Standpunkt zu vertreten und auch das zu äußern, was ich wirklich kritisch hier im Unternehmen sehe.«
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»Ich gehe gestärkt und selbstbewusster in Konfrontationen.« »Ich traue mich, mehr zu sagen und Dinge einfach zu tun, also mehr Risiken einzugehen.« »Ich habe gelernt, auch auf mich selbst mehr Acht zu geben, mich nicht immer hinten anzustellen, sondern auch mal Nein zu sagen oder etwas einzufordern.« »Ich habe gelernt, auch wenn es schwierig wird, einfach gelassen zu bleiben und strukturiert weiterzuarbeiten.« »Mein Blickwinkel in der Arbeit, aber auch privat hat sich verändert, ich sehe vieles anders.« »Ich habe gelernt, bestimmte Situationen und deren Bewältigung besser abzuwägen.« »Mit Veränderungen gehe ich jetzt ganz anders um, weil ich auch mehr verstehe, was da passiert.« »Ich habe gelernt, offener, ruhiger und bedachter an Dinge heranzugehen.« »Mir ist klar geworden, dass ich mehr kann, wenn ich nur intensiv daran arbeite.«
Rückkopplung ins Unternehmen oder wie die Transferproblematik optimal gelöst werden kann Ziel war es, dieses Programm nicht »neben« der Organisation laufen zu lassen, sondern es »eingeflochten« ins Unternehmen durchzuführen. Die Verknüpfungen wurden zum einen über die Arbeit im Rahmen der Werkstatt und zum anderen über die Großveranstaltung hergestellt. Das Werkstattthema war immer von unternehmensrelevanter Bedeutung, und somit war diese Arbeit der Teilnehmer/-innen als ein – wenn auch kleiner – Beitrag zum Unternehmenserfolg gedacht. Mit der Werkstatt war auch der Aufbau des Programms anders als in klassischen Trainings, in denen Modelle und Inputs als theoretisches Wissen vermittelt werden, die dann mit praktischen Übungen unterlegt oder auf die Praxis gedanklich übertragen werden sollen. Bei diesem Programm war es umgekehrt: Die Inputs dienten dazu, die eigenen Erfahrungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse besser besprechen und verstehen zu können. Sie waren nur ein Medium zur besseren Reflexion.
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Interessant waren für uns auch die Erfahrungen mit den jeweiligen Themen der Werkstatt. Bei den ersten drei Durchführungen des Programms gaben wir von der internen Personalentwicklung ein Thema vor, das aus unserer Sicht zu der Zeit für das Unternehmen relevant war. Wir stellten jedes Mal fest, dass die Teilnehmer/-innen die Frage, was von ihnen im Rahmen der Werkstatt genau erwartet wurde, sehr stark beschäftigte. Erst im Laufe der Zeit wurde uns klar, dass hinter dieser Frage der Wunsch stand, einen wirklichen Beitrag für das Unternehmen und für seinen Erfolg zu leisten. Einen Beitrag, der wirklich wahr- und ernst genommen werden würde. Dies führte dazu, dass wir für die vierte Durchführung einen »wirklichen« Auftraggeber für das Thema der Werkstatt suchten und auch fanden. Der damalige Abteilungsleiter des Bereichs Corporate Social Responsibility (CSR) beauftragte die Teilnehmer/-innen, Vorschläge zur Optimierung der Kommunikation und des Informationsflusses innerhalb und außerhalb des Unternehmens zum Thema CSR zu entwickeln. Beide Vorgehensweisen haben ihre Vorteile: Die totale Offenheit eines Themas wie beispielsweise »Der Kunde im Blick« machte erst möglich, dass viel Überraschendes und Neues erarbeitet wurde, was möglicherweise von einer sonst mit dieser Thematik befassten Linienabteilung nie so gesehen worden wäre. Andererseits gibt ein offizieller Auftraggeber dem Thema per se schon eine andere Bedeutung. Unser Fazit aus den Erfahrungen ist, dass ein »offenes«, vor allem ergebnisoffenes Thema angebunden sein muss an konkrete Personen, die als Auftraggeber/-innen fungieren. Es sollte eben nicht nur die Personalentwicklung als Organisator des Programms ein Interesse an der Erarbeitung der Inhalte haben. Wichtig ist, dass ein Vorstand oder TopManager als Sponsor, Mentor, Interessent hinter diesem Thema steht und auch dafür steht, dass die Ergebnisse im Unternehmen gehört und im besten Fall genutzt werden. Für die Werkstattarbeit mussten die Teilnehmer/-innen im Unternehmen recherchieren, Befragungen durchführen, Material für die Werkstatt und die Präsentation besorgen, in Bereiche des Unternehmens gehen, die sie bisher nicht gekannt hatten. Dabei nutzten sie bestehende Netzwerke und bauten zahlreiche neue Kontakte auf. Die Großveranstaltung war die zweite Rückkopplung ins Unternehmen. Auffallend war insbesondere die Reaktion der Führungskräfte, die
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ihre Mitarbeiter/-innen dort meist völlig anders – und neu – erlebten als im gewohnten Arbeitsalltag. Dies führte häufig dazu, dass den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen danach auch mehr und insbesondere andere Aufgaben übertragen wurden. Somit hatten der Aufbau neuer Kompetenzen, das Sich-Ausprobieren und das Grenzen-Überschreiten im Rahmen des Programms eine direkte Auswirkung auf den bestehenden Job. Die Idee war also, durch die Werkstatt und die Großveranstaltung Lernräume im Rahmen des Programms zu schaffen, eine Arbeit, die im Echt- und nicht im Testbetrieb stattfand. So musste der Transfer nicht irgendwie methodisch entwickelt und erarbeitet werden, er ergab sich quasi aus den Aktivitäten im Rahmen des Programms von selbst. Ein weiterer Aspekt der Großveranstaltung als Höhepunkt des Programms war die geschaffene Sichtbarkeit zum einen für die Arbeit der Personalentwicklung und zum anderen für die Teilnehmer/-innen selbst. Bei der Veranstaltung waren – abgesehen von den Führungskräften der Teilnehmer/-innen – auch Kollegen/Kolleginnen, Bereichsleiter/ -innen, Vorstände anwesend. Für diese wurden die Teilnehmer/-innen als Personen, aber auch als Zielgruppe sichtbar, nachvollziehbar und greifbar. Die Vorstände konnten einen bereichsübergreifenden, für sie ungewohnt deutlichen und unverstellten Eindruck von der aktuellen Haltung und Stimmung (zumindest eines Teils) der Mitarbeiterschaft gewinnen. Sie konnten über die oft unverhohlen kritischen Rückmeldungen der Teilnehmer/-innen zum unternehmensrelevanten Thema, zu deren persönlichen Erfahrungen im Programm und bei den Veränderungen in der Organisation für sie selbst wichtige, nachdrückliche Impulse und Anregungen für ihre Arbeit mitnehmen. Rückmeldungen der Teilnehmer/-innen: »Ich gelernt habe, wie viel Spaß es mir macht, Dinge in die Hand zu nehmen, zu organisieren und auch entscheiden zu dürfen.« »Mir persönlich hat es mehr Begeisterung auch für die Arbeit gebracht. Ich habe Lust, mehr zu versuchen und zu gestalten.« »Meine Wertigkeit wurde durch die Teilnahme an dem Programm gestärkt, mein Chef sagt immer wieder: ›Da merkt man doch, was du da alles gelernt hast.‹« »Ich bin vor allem in der Großveranstaltung über mich hinausgewachsen. Vorher hatte ich Angst, vor Gruppen zu sprechen,
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dann stand ich auf der Bühne und habe moderiert und es hat Spaß gemacht.« »Die Feedbacks der Kollegen, dass sie mich als Führungskraft sehen, weil ich so gut steuern kann, das hat mich total überrascht und beschäftigt mich sehr.« »Ich bin mit Stolz erfüllt nach dem, was wir in der Präsentation geleistet haben, und dem positiven Feedback.« »Ich habe danach in einem sozialen Projekt Aktionen geplant, Veranstaltungen organisiert, mit der Presse gearbeitet. Das hätte ich mich vor diesem Programm nie getraut.« Moderieren statt Trainieren oder wie der Verführung, »es besser zu wissen«, widerstanden und damit Selbstverantwortung gefördert werden kann »Als Trainerin habe ich mich nie gern bezeichnet. Die Rolle war stärker Begleitung, Beratung, Coaching oder eine Kombination daraus. ›Lernbegleiterin‹ wäre ein Begriff, der noch am ehesten passen könnte, oder ›Moderatorin von Lernprozessen‹. Ganz wichtig ist dabei die Haltung, sich so weit wie möglich zurückzunehmen« (Petra Ruda). Wir hatten in jedem Programm ganz am Anfang starke Frustphasen. Die Teilnehmer/-innen hatten Probleme mit der Offenheit, die mit dem Programm verbunden war, waren misstrauisch, ob es da nicht doch verdeckte Erwartungen an sie gab. Es fehlte Orientierung, Phantasien kamen auf, und all das führte zu großer Verunsicherung. Unsere Erfahrung war, wenn wir in dieser Phase nicht der Verführung erlagen, stark in die Steuerung und Vorgaben zu gehen, sondern die Teilnehmer/ -innen eher begleiteten, dann übernahmen sie selbst Verantwortung für die Werkstatt. Die Gefahr besteht also darin, in einer solchen Phase von Frust und Demotivation zu glauben, als Trainer/-innen etwas »liefern zu müssen«, um die Gruppe bei Laune zu halten, sie wieder »nach oben« zu bringen. Das auszuhalten, dranzubleiben, nur Rahmen zu stecken und darauf zu vertrauen, dass die Teilnehmer/-innen dann doch selbst die Verantwortung übernehmen, den Prozess nur mit Fragen zu steuern, ganz einfach »Hilfe zur Selbsthilfe« zu leisten – das kann für Trainer/-innen eine echte Herausforderung bedeuten.
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Dahinter steckt die Frage der Teilnehmer/-innen, ob das Unternehmen ihnen wirklich zutraut, selbst etwas zu erarbeiten, zu liefern, was sie selbst für gut halten. Oder ob es nicht doch irgendwelche verdeckten Erwartungen dahinter gibt. Und wenn das irgendwann mal »geglaubt« wird, wenn Teilnehmer/-innen darauf vertrauen können, dann kippt die Stimmung und die Gruppe übernimmt Verantwortung. Und gerade weil diese Zurückhaltung als Trainer/-innen so wichtig ist, ist uns bewusst geworden, wie mächtig unsere eigene Rolle in einem solchen Programm ist. Hinter unserer eigenen Haltung zum Lernen steht ja unser aller Schulprägung und dementsprechend wird Trainern/ Trainerinnen die Rolle des »Lehrmeisters« immer wieder stark zugeschrieben. Die Frage ist nur, inwieweit wir bereit sind, sie anzunehmen. Natürlich suchen die Teilnehmer/-innen immer gern den Lehrer, der sagt, wo es lang geht, oder auch den Entertainer, der für Spaß sorgt. Und immer wieder wurden wir mit Fragen nach Vorschlägen, Ideen und Tipps konfrontiert. Es ist durchaus verführerisch, sich dann auch in diese »wissende« Rolle zu begeben. Die Versuche unsererseits, gerade das zu vermeiden, spürten die Teilnehmer/-innen und empfanden diese phasenweise auch als Defizit. Oder sie waren der Meinung, wir hätten ganz unterschwellig und fast im Geheimen gesteuert. Es ist einfach nicht üblich und fällt den Teilnehmer/-innen oft schwer, sagen zu können: »Wir haben das gemacht, wir haben uns das selbst beigebracht, wir haben das voneinander gelernt.« Unsere Überzeugung aus der Erfahrung mit diesem Programm ist jedenfalls, dass nur eine große Zurückhaltung als Trainer/-innen diese dynamischen Lernprozesse möglich gemacht hat. Je stärker also wir als Trainer/-innen in die steuernde, vorgebende Rolle gehen, desto weniger sind dynamische, sich selbst beeinflussende Lernprozesse möglich. Sie werden dann seltener oder gar nicht stattfinden. Der Ablauf der Prozesse, so wie wir sie erlebt haben, war den Reaktionen ähnlich, die in den Veränderungsprozessen beobachtbar waren: von Frust, Enttäuschung über Ärger hin zu konstruktiver Annahme der Situation, was dann bedeutete, sich mit dem Neuen, dem Werkstattthema, kreativ beschäftigen zu können. Das anfängliche Misstrauen der Teilnehmer/-innen lässt sich auch damit erklären, dass es viel zu selten im Unternehmen passiert, wirklich nach der Meinung und den Ideen von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen zu
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fragen oder diese sogar direkt abzufragen. Viele Vorstände reden zwar immer wieder von eigenständigen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen und loben sie als »wichtiges Kapital«, aber in der Praxis wird nicht so gern in sie investiert. Wenn aber das Vertrauen in die Mitarbeiter/-innen nicht wirklich da ist oder Manager und Führungskräfte noch zu sehr Macht- und Einflussverlust befürchten, dann erfahren das Mitarbeiter/ -innen in der Praxis über Kontrolle und Misstrauen. Kommen sie dann in ein Personalentwicklungsprogramm wie unser hier beschriebenes und bekommen dort zu hören, »ihr seid tolle Mitarbeiter/-innen, wir bezahlen euch deshalb ein teures Programm und wir wollen von euch auch Ideen haben, die uns im Unternehmen von Nutzen sein können«, wollen das die Teilnehmer/-innen im ersten Moment einfach nicht glauben. Das spiegelt ihre alltäglichen Erfahrungen nicht wider.
Fazit Dieses Personalentwicklungsprogramm hat uns klar gemacht, unter welchen Bedingungen und in welcher Form Lernen in Organisationen schneller, besser und nachhaltiger stattfinden kann. Die Teilnehmer/ -innen konnten hier nicht nur neue Erfahrungen machen und diese in einem geschützten Rahmen reflektieren. Sie entwickelten dadurch zu ihrem Job, zu ihrer eigenen Entwicklung, zum Umgang mit Konflikten und Veränderungen und zur Zusammenarbeit mit verschiedensten Menschen eine veränderte Haltung. Die Führungskräfte wiederum erlebten in der Großveranstaltung ihre Mitarbeiter/-innen anders und konnten bestehende Urteile revidieren und verändern. Das führte häufig dazu, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen mehr und andere Aufgaben zutrauten und übertrugen. Ein solches Vorgehen ist grundsätzlich förderlich, wenn es darum geht, Haltungen zu verändern, Sozialkompetenzen zu stärken und neue Handlungsoptionen zu generieren. Dabei ressourcenorientiert vorzugehen heißt, den Mitarbeiter/-innen immer mehr zuzutrauen, als sie es selbst tun würden, Entwicklungschancen über die eigentliche Aufgabe hinaus zu bieten und viel Raum für Kennenlernen, Entdeckungen und Ausprobieren zu lassen. Individuelles Lernen und Lernen der Organisation beeinflussen und verstärken sich gegenseitig, wenn es gelingt,
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Personalentwicklung mit der Organisation zu verknüpfen. Das heißt sichtbar zu machen, was dort geschieht, und keine Trennung zwischen der Welt im Seminarraum und der Welt im System der Mitarbeiter/ -innen zuzulassen. Dann kann auf der einen Seite eine ganz besondere Lernatmosphäre entstehen, von der sie persönlich und beruflich profitieren. Und auf der anderen Seite erhöht sich damit die Wahrscheinlichkeit, dass Gelerntes tatsächlich auch am Arbeitsplatz umgesetzt wird. Außerdem hat ein solches Programm eine starke Wirkung in die Organisation. Das Signal, in eine Gruppe von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen zu investieren, die sonst eher als stille Basis agiert, diese so sichtbar zu machen und deren Vorschläge, Ideen und Meinungen ernst zu nehmen, stärkt das Vertrauen in das obere Management und fördert die Bereitschaft, mehr mitzugestalten – nicht nur bei den Teilnehmer/ -innen selbst, sondern bei den Mitarbeiter/-innen insgesamt.
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Die Autorinnen Andreia Rotariu (Jg. 1975) ist interne Prozessberaterin und Coach in einem IT-Dienstleistungsunternehmen und begleitet Entwicklungs- und Veränderungsprozesse. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Coaching, Change Management, Teamentwicklung und Leadership Development. E-Mail-Kontakt: [email protected]
Petra Ruda (Jg. 1959) arbeitet als selbständige Beraterin für Organisations- und Personalentwicklung. Sie hat mehrere Jahre in Unternehmen in Stabs- und Leitungsfunktionen gearbeitet. Wesentliche Arbeitsschwerpunkte sind die Beratung von Bereichen, Teams und Arbeitsgruppen und die Entwicklung innovativer Lern-Architekturen für Führungskräfte und andere Schlüsselpersonen in Organisationen. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.orgwerk.de
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Sonja Kalusche
Widersprüche in der Beratung und die Selbstorganisation als Berater Ein Auftrag voller Widersprüche …
Prolog: Erfreuliche Aussichten Die Geschichte beginnt mit einer für mich relativ alltäglichen Situation: Eine Kundin schickt mir eine E-Mail und bittet mich, verschiedene Workshops für einen größeren Veränderungsprozess zu konzipieren. Solche Anfragen gehören eigentlich zu den erfreulichen Momenten des Beraterlebens: Ein – offensichtlich zufriedener – Kunde meldet sich wieder und wünscht die Fortsetzung der Beratungsleistung. Ich kenne das Team, ich kenne die Organisation, ich kenne die Führungsstrukturen. Alles sieht zunächst nach einem machbaren Auftrag aus. Ich freue mich. Die Auftraggeberin, nennen wir sie Frau S., ist nach meiner Ansicht eine kompetente und verantwortungsvolle Führungskraft. Sie hat Ingenieurwesen studiert, ist eine Technikerin mit Leib und Seele und Führungskraft in einer männerdominierten Welt. Beim letzten Auftrag habe ich sie als umsichtig, beweglich und verantwortungsvoll erlebt. Auch das Team (Forschung und Entwicklung) ist mir in guter Erinnerung; ihm gehören qualifizierte, anspruchsvolle Techniker und Naturwissenschaftler an. Die Organisation, ein weltweit agierendes Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, ist auf einem dynamischen Wachstumskurs: Es werden Unternehmen gekauft, Teile wieder verkauft, Teams verlagert, Aufgaben neu definiert. Veränderungsprojekte gehören zum Alltag des Automobilzulieferers. Von den Beschäftigten wird gefordert, dass sie diese Prozesse schnell und kompetent begleiten und auch bereit sind, sich selbst zu verändern. Die Führungskräfte wechseln häufig die Positionen, zwei Jahre ist ein gängiger Turnus. Diese Dynamik der Organisation überträgt sich sowohl auf die Führungsebene als auch auf die Mitarbeiter. Die Attribute Schnelligkeit und Leistungsbereitschaft haben eine große
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Bedeutung im Wertekanon des Unternehmens und sind dementsprechend wichtig für die Anerkennung innerhalb des Unternehmens. Beim Reflektieren dieser Ausgangssituation spüre ich, dass hier ein Widerspruch gegeben ist: Auf der einen Seite nehme ich Frau S. als kompetente und verantwortungsvolle Führungskraft wahr. Auf der anderen Seite erlebe ich sie in hohem Maße fremdgesteuert, angetrieben von der Suche nach Anerkennung und dem Imperativ »sei schnell«. Und in dieser Schnelligkeit erlebe ich sie auch als wenig wertschätzend im Umgang mit ihren Kollegen, die sie häufig mit der Anzahl der Projekte überfordert, die »noch nebenbei laufen« sollen. Stellenweise wird Frustration und Rückzug von Seiten der Mitarbeiter spürbar. Im klassischen Sinne ist Frau S. eine Sowohl-als-auch-Frau.
1. Akt: Der Auftrag Der neue Veränderungsprozess ist komplex: In kürzester Zeit, binnen drei Monaten, soll ein Zulieferer mit an Bord genommen werden. Das bedeutet für das Führungs- und Entwicklungsteam, meiner Auftraggeberin, ein neues Team mit fünf Kollegen in das bestehende Team zu integrieren. Das Team von Frau S. ist bereits auf zwei Standorte in Deutschland verteilt; durch den neuen Integrationsprozess kommt ein weiterer Standort hinzu. Die Standorte werden von sogenannten Teamleitern geführt. Die Teamleiter und die Bereichsleitung, meine Auftraggeberin, begegnen sich auf Augenhöhe. Alle drei sind Führungskräfte im Mutterkonzern, aber Frau S. ist die fachliche Vorgesetzte der beiden Standort-Teamleiter. Nach Abschluss des Integrationsprozesses sollen die drei Standorte autonom bleiben, das heißt, der jeweilige Teamleiter behält die Profit-und-Lost-Verantwortung. Als Ziele für diesen Integrationsprozess gibt Frau S. vor, Effizienzsteigerung und Synergieeffekte auf breiter Basis nutzen. Die Vorteile für die drei Standorte liegen in der Nutzung der gemeinsamen Overheads, einer gemeinsamen Datenstruktur und einer Steigerung der Flexibilität in Auslastungsfragen. Soweit die Darstellung meiner Auftraggeberin. Am Erstgespräch zur genauen Klärung des Auftrags nehmen Frau S. als Bereichsleiterin und die beiden Teamleiter teil. Außer Frau S. kenne ich noch einen
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Teamleiter bereits aus der Zusammenarbeit in vergangenen Projekten. Der andere Teamleiter, Herr T., ist neu, sowohl in der Organisation als auch in seiner Position als Führungskraft. Herr T. ist seit sechs Monaten in dem Unternehmen, das vom Automobilzulieferer gekauft wurde und jetzt integriert werden soll. Der Integrationsprozess ist für ihn persönlich mit hohem Aufwand verbunden. Er ist nun gezwungen, sehr häufig zwischen dem Mutterkonzern und seinem Standort zu pendeln. Ein bis zwei Tage pro Woche ist er im Mutterkonzern, die restlichen Tage am Standort. Teamleiter T. ist in seiner Rolle als Führungskraft noch nicht angekommen, sein Nicht-präsent-Sein am Standort führt zu Konflikten im Team, dessen Mitglieder wiederum nicht begeistert sind vom Integrationsprozess. Das Auftragsklärungsgespräch ist komplex. Alle reden viel und hektisch durcheinander. Für Herrn T., die neue Führungskraft, ist vieles nicht verständlich, auch weil ihm das Vorwissen fehlt. Es werden unterschiedliche Ziele und Erwartungen an den Kick-off-Workshop gestellt; vieles erscheint widersprüchlich. So werde ich zum Beispiel auf meine Nachfrage hin, wie das Thema Veränderung/Change aufgenommen wird, gebeten, das Wort »Change« nicht zu benutzen. Dieser Begriff sei völlig negativ besetzt. Wenn überhaupt, dann könnten wir das Wort »Weiterentwicklung« verwenden, aber bloß nicht das Wort »Veränderung«. Hier noch einige der Anforderungen, die meine Auftraggeber beim Erstgespräch an den Workshop formulieren: »Machen Sie vieles so, wie beim letzten Workshop.« – » Lassen Sie die Teilnehmer werkeln, singen, irgendwie kreativ sein.« – »Wichtig ist die Stimmung, es soll Spaß machen.« – »Packen Sie den Workshop nicht so voll, wir brauchen Raum und Zeit, um uns kennenzulernen.« Ich moderiere und navigiere diese erste Runde und versuche, aus dem Durcheinander ein Extrakt für eine Zielformulierung zu schaffen. Es gelingt so etwas wie ein erster Kontrakt.
Der Kontrakt wird hergestellt – jedoch noch kein Rapport Es gibt einen Kontrakt, die Ziele für die Workshop-Reihe sind konzipiert. Ich gehe zurück in meine Beraterwelt – mit einem Auftrag in der Tasche und vielen Widersprüchen im Kopf. Einige Tage später besprechen wir im Beraterteam den Auftrag. Ich
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plane den Auftrag gemeinsam mit einer Kollegin, die die Organisation und die Protagonisten ebenfalls aus vergangenen Projekten kennt. In einem ersten Gespräch versuche ich, ihr die Widersprüche zu erläutern und die Komplexität des Auftrags zu vermitteln. Wir kommen an unsere Grenzen und stellen verschiedene Hypothesen auf. Wir sprechen viel von widersprüchlichen Aussagen, von Dilemma-Situationen, von Strampeln und Desintegrieren (zu den Begriffen s. a. Abb. 1 und 3). Widerspruch kann definiert werden als ein Prinzip der Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen durch eine Gegenüberstellung von zwei nicht ohne weiteres zu vereinbarenden gleichzeitigen Aussagen. Ein Beispiel für einen solchen Widerspruch steckt in den folgenden Ansagen: »Konzipieren Sie einen Workshop zur Integration eines neuen Teams, aber benutzen Sie nicht das Wort ›Veränderung‹.« – »Wir haben ganz wenig Zeit für die Vorbereitung. Im Workshop brauchen wir Zeit für das Miteinander und das gegenseitige Kennenlernen.« Widersprüche an sich erschrecken uns nicht. Im Gegenteil: Sie sind für uns Herausforderung. Wir betrachten es als Teil unserer Beratungstätigkeit, mit Widersprüchen umzugehen und diese in Workshop-Designs zu integrieren. Oft sind es ja gerade die Widersprüche, unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Wertvorstellungen, auseinanderdriftende Meinungen, die unsere Existenz als Berater legitimieren. Sie können uns beflügeln und antreiben gleichermaßen. Allerdings braucht es eine ganze Portion Mut und Energie, diese Widersprüche zum Thema zu machen, sie dem Kunden zu spiegeln und über geeignete Interventionen zum Ausdruck zu bringen. Ziel ist dabei keinesfalls eine Bloßstellung oder ein besserwisserisch erhobener Zeigefinger. Es geht vielmehr darum, beim Kunden sogenannte »teachable moments« zu erreichen, also Momente, in denen er sensibel genug ist, sich mit den Widersprüchen auseinanderzusetzen. In der Regel kann erst dann ein intensiver Dialog aller Beteiligten einsetzen. Aus diesem Dialog kann etwas Neues, etwas Fruchtbares entstehen, manchmal ein dritter, ein neuer und gangbarer Weg. Ziel unserer Beratung ist es, Widersprüche so zu integrieren, dass eine kreative systemische Entwicklung möglich ist. Dazu entwickeln wir ein erstes Design.
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2. Akt: Design-Vorschlag Nummer eins für den Kick-off-Workshop Wir erarbeiten nach dem Auftragsklärungsgespräch einen ersten DesignVorschlag. Dabei schaffen wir – wie ausdrücklich gewünscht – viel Raum für Begegnung und Kennenlernen. Das Thema Kultur scheint uns wichtig und wesentlich: Wo gibt es Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? Was kann bleiben? Welche alten Strukturen bleiben bestehen, was wird sich weiterentwickeln? Drei Tage nachdem wir unseren Design-Vorschlag abgegeben haben, kommt das Feedback unserer Auftraggeber: Wir hätten zwar die Thematik verstanden und die Ziele richtig formuliert, das Design selbst sei allerdings völlig daneben. Themaverfehlung! Wir sollten hier Folgendes ändern und dort jenes anders machen, dann würde es schon werden. Außerdem werden wir damit konfrontiert, dass sich völlig neue Konstellationen ergeben haben als im Erstgespräch abgesprochen. Zum Beispiel sollen nun am ersten Workshop zwei Geschäftsführer teilnehmen. Auf mein Nachhaken nach deren Rolle im Workshop kommen kaum Antworten. Offensichtlich hat darüber vor meiner Frage noch keiner nachgedacht.
3. Akt: Die Dilemma-Inszenierung Mehr und mehr spüren wir ein Dilemma. Wir erinnern uns an die ersten Hypothesen. Eine davon lautete: Die Auftraggeberin scheint extrem unter Druck zu stehen. Dieses Unter-Druck-Sein weitet sich nun aus. Wir nehmen immer stärker eine Dilemma-Situation wahr, bzw. die geplante Inszenierung wirkt für uns wie eine Dilemma-Inszenierung. Das heißt, auf der Bühne soll zur gleichen Zeit eine Inszenierung nach unverträglichen Gesichtspunkten gestaltet werden. Dies wird in der Ansage deutlich: »Entwickeln Sie einen Workshop zur Integration eines neuen Teams, aber sprechen Sie nicht von Change oder Veränderung …« Wir selbst driften ebenfalls in den Dilemma-Zirkel ab: Wir werden unsicher und fragen uns: Wo haben wir etwas übersehen? Was sehen wir im Moment nicht, das wichtig und wesentlich ist? Was hat sich seit dem letzten Mal verändert?
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Die Dilemma-Stufen von Bernd Schmid helfen uns als Beratersystem in dieser Situation, uns zu erden und Antworten zu finden. Mit Hilfe des Phasenschemas (s. Abb. 1) gehen wir die einzelnen Phasen durch – wohlwissend, dass dieses Phasenschema nicht sequenziell zu verstehen ist, sondern als Darstellung verschiedener Zustände, zwischen denen man in unterschiedlicher Reihenfolge wechseln kann.
Abbildung 1: Dilemma-Zirkel
Nach unserer Einschätzung ist vor allem unsere Auftraggeberin Frau S. zwischen Vermeiden und Strampeln gefangen. Vermeiden bedeutet, dass wichtige, kritische Themen nicht angesprochen werden. Dazu gehören solche Themen wie Zweifel und Ängste der Betroffenen, Überforderung einzelner Mitarbeiter durch die Komplexität der Veränderung, Rollenaufteilung zwischen den Führungskräften sowie fehlende Visionen für das Zusammenspiel der drei Bereiche. Wesentliche Tabuthemen sind auch, sich mit dem Sinn bzw. Unsinn dieses Integrationsprozesses zu beschäftigen und sich dabei möglicherweise mit dem Sinn der eigenen Rolle in dieser Inszenierung auseinanderzusetzen. Als Strampeln wird eine Aktivität ohne Sinn und Zuversicht bezeichnet. Es geht darum, in Aktion zu bleiben, etwa durch das Aufsetzen von neuen, schnellen Projekten. Statt Antworten zu geben und Sinn zu stiften, steht die Agitation im Vordergrund. Auch in Bezug auf unseren Work-
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shop interpretieren wir »das Strampeln« als Aktion ohne Zuversicht. Wir vermuten, die Führungskraft glaubt selbst nicht an das Gelingen des Workshops, vielleicht auch nicht an das Gelingen des Integrationsprozesses. Bei der Betrachtung des Phasenschemas fällt uns auf, dass nicht nur das Kundensystem strampelt. Wir als Beraterteam strampeln ebenfalls, und zwar heftig. Wir sind inzwischen bei Workshop-Design Nummer 4 angekommen und ziehen ein Resümee: Unsere Zuversicht auf einen erfolgreichen Workshop schwindet ebenfalls; der scheinbar machbare, wenn auch komplexe Auftrag entwickelt sich zunehmend zu einer nicht lösbaren Aufgabe. Wir entwickeln ein Design nach dem anderen – ohne Zuversicht auf Erfolg, weil wir ahnen bzw. intuitiv wissen, dass das Thema ein völlig anderes ist.
4. Akt: Verzweiflung und Katharsis Wir fassen den Entschluss, unsere Verzweiflung zum Thema zu machen und gegenüber den Auftraggebern zu artikulieren. Wir haben einen Termin von 30 Minuten mit Frau S. Die Stimmung ist angespannt. Sie erwartet von uns Erfolge, sprich ein für sie passendes Design. Wir starten zunächst mit der Spiegelung dessen, was wir wahrnehmen. Mit Hilfe der Theatermetapher (s. Abb. 2) versuchen wir, das Thema zu transportieren. »Sie wünschen sich ein Stück, in dem drei verschiedenen Theatergruppen mitspielen sollen. Jede Gruppe für sich hat unterschiedliche Vorstellungen von dem Stück, alle sprechen eine andere Sprache, selbst über das Bild ›Theater‹ und die Inszenierung gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Den Beteiligten ist nicht klar, wer die Regie hat und was gespielt werden soll.« Wir versuchen, die Vergeblichkeit dieses Unterfangen anzuzeigen, und generieren gleichzeitig Bilder für etwas Neues. Wir schweigen und lassen diese Bilder wirken. Ein erstes Nachfragen, was wir empfehlen, könnte zeigen, dass wir etwas in Bewegung gebracht haben. Wir spielen den Ball an Frau S. zurück und antworten, dass wir das mit ihr gemeinsam herausfinden wollten. Unsere Auftraggeberin steigt in das Thema ein. Sie fragt nach, ist offen für Erklärungen und inszeniert mit uns an verschiedenen Fragenstellungen. Sie formuliert
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Abbildung 2: Perspektiven der Theatermetapher
für sich Fragen in Richtung: »Als Erstes bräuchten wir eine Termin zu dritt, nur wir als Führungskräfte. Außerdem wäre es gut, die Geschäftsleitung mit an Bord zu haben. Die haben ja schließlich die Regie.« Die Theatermetapher scheint zu wirken. Sie gibt uns und sich Zeit. Aus den 30 Minuten werden eineinhalb Stunden. Nach und nach ist Frau S. in der Lage, ihr Dilemma zu artikulieren. Sie spricht über den Druck, der auf ihr lastet: Das Projekt müsse einfach gelingen. Wenn die Integration erfolgreich verlaufe, dann wäre ein Posten in der Geschäftsleitung für sie drin, bei ihrem Vorgänger sei das auch so gewesen. Ihre Verzweiflung bekommt Raum, und wir spüren die Entlastung wie nach einem reinigenden Gewitter.
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5. Akt: Produktive Unruhe Wir hören erst einmal zwei Wochen lang gar nichts. Für uns als Berater ist es nicht einfach, dieses Schweigen auszuhalten. Dann tritt die Auftraggeberin mit uns in Kontakt und berichtet: Zwischen den drei Führungskräften haben erste Gespräche stattgefunden, die gut und sinnvoll gewesen sind. Frau S. beschreibt die Tage nach unserem Meeting als nicht einfach. Sie habe oft gezweifelt, sei angespannt gewesen und aufgewühlt. Sie habe schlecht geschlafen und viel nachgedacht. Jetzt, nach dem Gespräch mit ihren Kollegen, würde »es sich leichter anfühlen«. Sie bittet uns, eine Architektur für den Integrationsprozess zu entwickeln. Und das tun wir. Nicht alles kann sie annehmen, und doch gelingen richtig gute Momente: kulturbildende Interventionen, die es leichter machen, mit Komplexität umzugehen, kulturbildende Momente, die in die Zukunft hineinwirken. So gibt es zum Beispiel regelmäßige Runden zu dritt, in denen Frau S. und die beiden Teamleiter nicht nur über Arbeitspakete und To-do’s sprechen. Es gibt Kamingespräche mit der Geschäftsleitung; es gibt ein Sounding-Board aus allen drei Teams, das sich regelmäßig trifft und sich über die Situationen in den Teams an den drei Standorten austauscht. Es gibt Workshops, in denen über Unangenehmes gesprochen werden darf. Wir richten beispielsweise eine Klagemauer ein.
Epilog: Der Blick auf das Erreichte Das, was wir als systemische Berater erreicht haben, sind keine Quantensprünge. Und dennoch – wir meinen, einen Zustand der verdeckten Desintegration in einen Zustand der verdeckten Integration/offenen Integration begleitet zu haben (s. Abb. 3). Nicht alles ist gut im Sinne eines allumfassenden »Happy Ends«. Aber es gibt positive Ansätze und Veränderungen im Vergleich zur Ausgangssituation: Es wird sich aufeinander bezogen; die Verantwortlichkeiten werden wahrgenommen; unangenehme Themen dürfen ausgesprochen werden; es gibt einen realistischeren Blick auf Projekte. Nach wie vor gibt es Zweifel und Themen, die nicht gelingen: So hat die Führungskraft (Herr T.) des zu integrierenden Teams die Organi-
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sation inzwischen verlassen. Dies war ein Rückschritt für alle, der den Blick auf die insgesamt stimmige Richtung zu verdecken drohte. Der beschriebene Prozess liegt nun zehn Monate zurück, und die Situation kann mit einem Bild beschrieben werden: Es ist ein Spätsommertag. Die Sonne scheint, es ist warm, und es gibt Wolken. Die Wolken verdecken die Sonne, doch den Menschen macht das nichts aus; sie glauben und wissen, dass es wieder warm werden wird. Wenn die Wolken die Sonne für längere Zeit verdeckt, ziehen sie sich entsprechend an. Das Wissen, welche Kleidung notwendig ist, ist verankert.
Abbildung 3: Phasenmodell der Desintegration und Integration
Stellt sich die Frage, was wir als Berater aus diesem Projekt mitnehmen. Zunächst war es für uns wichtig und notwendig, in einem Beraterteam zu arbeiten. Diese Teamarbeit wird für uns zunehmend zu einem wesentlichen Qualitätskriterium. Die Arbeit im Beratersystem habe ich als ein zentrales Element im Beratungsprozess erlebt. Wichtig war der vertrauensvolle Umgang miteinander, die intensiven Dialoge, die unsere eigene Verzweiflung zum Ausdruck gebracht und den Weg geebnet haben, dieses Gefühl ins Kundensystem zu spiegeln. In dieser Phase war es äußerst hilfreich, mit verschiedenen Modellen aus dem Institut für systemische Beratung von Dr. Bernd Schmid zu arbeiten. Besonders konstruktiv war das Arbeiten mit den Modellen
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der Theatermetapher und dem Dilemma-Zirkel. Wieder einmal hat die Theatermetapher gezeigt, wie gut es ist, mit einer methaphorischen Sprache Dinge zu benennen, ohne dabei verletzend zu wirken. Der Dilemma-Zirkel hat uns geholfen, unsere Intuition besprechbar zu machen. Wir haben es sowohl als diagnostisches Modell als auch als ein Modell zur Selbststeuerung erlebt. Wir sind im Lauf des Projekts ein wenig leiser geworden, ein wenig »langsamer«. Unser eigenes »Strampeln« hat uns auch geschockt, war aber ein wichtiger Schritt zum Gelingen des gesamten Beratungsprozesses. Ich danke meiner Kollegin Monika Beneder-Haug für die gute und intensive Zusammenarbeit in diesem Projekt. »Danke« möchte ich auch der Kollegin sagen, die uns in einer Telefonkonferenz supervidiert und uns ermutigt hat, die eigene Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen.
Die Autorin Sonja Kalusche (Jg. 1967) Diplom-Betriebswirtin, systemische Beraterin und Coach, Master am Institut für systemische Beratung. Sonja Kalusche ist seit 2003 selbständig als Unternehmensberaterin tätig. Als Geschäftsführerin von Kalusche Consulting steht sie für systemische Managementberatung und Organisationsentwicklung. Ihre Schwerpunkte sind die Konzeption und Umsetzung maßgeschneiderter Führungskräfteentwicklungsprogramme sowie das Begleiten von Veränderungsprojekten in Organisationen. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Seelische Leitbilder in Coaching und Beratung von Unternehmen
Was ist ein seelisches Leitbild? Unter einem seelischen Leitbild verstehe ich ein im Unbewussten verankertes Bild, das auf das aktive Gestalten steuernd Einfluss nimmt. Seit vielen Jahren bildet die Arbeit mit seelischen Bildern und ihr Wirken auf berufliche Wirklichkeiten ein Kernthema des ISB Wiesloch. Nach der Idee von Bernd Schmid gibt es handlungsleitende Bilder, die Menschen im Laufe der eigenen Biografie entwickelt haben und die wiederum Einfluss auf den eigenen individuellen Lebensentwurf haben. Die Arbeit mit seelischen Bildern kann Hinweise auf vergangene Entscheidungen, gegenwärtig erlebte Situationen und auch zukünftige Richtungen geben. Im Kern geht es um die Frage: Wovon sind Lebensentwürfe geprägt? Lebensentwürfe von Menschen sind geprägt von der Wesensart dieser Menschen, von Talenten und Ambitionen, von Ausstattungen und Aufträgen durch die Familie, vom Lebensgefühl und von den Lebensstilen des Milieus, in denen man aufgewachsen ist, und durch prägende Lebenserfahrungen, die oft in Schlüsselerlebnissen und inneren Bildern verdichtet sind. Als Beispiel hierfür eine Beschreibung: Es war einmal ein kleiner Junge, der wollte Lokomotivführer werden … Vor 25 Jahren war ich in der Studentenberatung tätig. Da gab es Studierende, die in ihrem Studium nicht vorankamen. Oft konnte ich mir dies nicht mit fehlenden Arbeitstechniken oder sonstigen Mängeln erklären, für deren Behebung ich bestimmte Methoden und Techniken gelernt hatte.
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Seelische Leitbilder in Coaching und Beratung von Unternehmen
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Es schien mir eher so, dass ihnen ein wichtiges Gefühl verloren gegangen war – dass ihnen ein Schwung abhanden gekommen war, aus dem heraus man normalerweise auch in unübersichtlichem Terrain die nächsten Schritte finden kann. Sie hatten keine Antwort auf die Frage: »Hat der eingeschlagene Weg Sinn?« Ich hatte meinerseits das Gefühl, mit diesen Studierenden irgendwie noch einmal von vorn anfangen zu müssen. Man müsste die verlorenen oder verwirrten Fäden noch einmal neu aufnehmen! Ich hatte gerade die Arbeit mit Phantasien kennen gelernt und probierte dies aus, um Kontakt mit ihren ursprünglichen Bildern zu Studium und Beruf aufzunehmen, zum Beispiel durch Fragen wie: »Als du ein Kind warst – was wolltest du einmal werden?« Gerade bei den jungen Männern bekam ich zunächst doch eher eine kleine, sich wiederholende Auswahl an Antworten, und ich war nicht sicher, ob uns das weiterbringen würde. Eine besonders häufige Antwort lautete: »Lokomotivführer!« Doch genaueres Nachfragen brachte bald mehr und für den Einzelnen charakteristische Informationen zutage, zum Beispiel die Frage: »Welche Bilder/Szenen verbindest du mit diesem Beruf?« So wurde genannt: 1. »Ich und meine Maschine – keiner kennt sie so wie ich!« 2. »Mein Heizer und ich – zwei Kameraden reisen um die Welt!« 3. »Die vielen Menschen, die sich mir anvertrauen. Ich bringe euch sicher hin.« 4. »Orientexpress. Es geht in fremde Länder. Tolle Uniform! Ich begrüße am Bahnhof die illustren Gäste.« Die letzte Antwort hat mich besonders beeindruckt. Sie stammte von einem ewigen Studenten, der mit Leidenschaft jobbte. Was war sein Job? Portier mit erlesener Livree im Nobelhotel! Soweit die Ausführungen von Bernd Schmid. Zur Verdeutlichung möchte ich hier auf eine Metapher aus der Computerwelt zugreifen: Ein seelisches Leitbild könnte hier verstandnen werden als ein im Hintergrund aktives Programm des Betriebssystems. Derartige Programme agieren und steuern das sichtbare Handeln, sind jedoch vielfach weder bewusst eingesetzt noch direkt beeinflussbar. Wer
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kennt das nicht: Ich schreibe einen Text, und Upps – warum ist jetzt die Schrift verändert? Oder: Wie kommt es, dass die Grafik sich nicht ändern lässt? Programme in Hintergrund gestalten das offen-sichtliche ohne wissentliche und aktive Steuerung und Planung. Die Wartungs- und Problembehebung dieser Hintergrundprogramme am PC fordert oftmals den versierten Tüftler oder auch den ausgebildeten Spezialisten.
Die Differenzierung seelisches Leitbild, Metapher, allgemeine Redewendung Neben den seelischen Leitbildern finden sich – auch in der Beratungsarbeit – bildhafte Beschreibungen: Sprachbilder, die über das gesprochene Wort hinaus eine Aussage treffen – quasi ein Synonym aus einem anderen Kontext. Ein Sprachbild steht stellvertretend für eine Beschreibung des Betreffenden, wie zum Beispiel das Computerbild, das ich gerade benutzt habe. Bei Sprachbildern gilt es noch zu unterscheiden zwischen der Metapher und den allgemein bekannten Redewendungen, wie zum Beispiel: für kooperierendes Verhalten das Bild: Wir ziehen an einem Strang! oder bei zwei dauerhaften Kontrahenten: Sie sind wie Hund und Katz! Bei allgemein bekannten Redewendungen ist die Schwierigkeit, dass diese Art von Bildern allen Menschen zugänglich ist, die individuelle Sichtweise und Deutung des Bildes jedoch nicht definiert sind – aber oftmals als mit der eigenen Sichtweise übereinstimmend gedeutet werden! Diese Interpretation birgt Fehlerquellen. Zur Verdeutlichung: In unserem Privathaus leben »Hund und Katz« in Eintracht und Harmonie miteinander – ich würde bei dem genannten Beispiel dieses Bild eher als solches verstehen (oder zumindest mehr als nur eine Deutung im Kopf abwägen müssen). Auch hier der Blick in die Welt der Computer: Eine Redewendung wäre hier zu verstehen als ein vorinstalliertes Programm – vielleicht ein Bildschirmschoner –, der allen PC-Nutzern zugänglich ist, in seiner Darstellung jedoch individuell gedeutet werden kann. Im Gegensatz zu den allgemein bekannten Redewendungen verstehe ich im Coaching die Metapher mehr als das individuell kreierte Bild,
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das im Jetzt und Hier Form, Gestalt und Bedeutung erhalten hat. Ich erlebe es anfangs oftmals als bildliche Umdeutung, um Prägnanz und Klarheit zu schaffen oder auch das Externalisieren bzw. den Wechsel in die Metaperspektive zu erleichtern. Dieses Sprachbild stellt für mich ein Prüfangebot dar, das verhilft, die Passung zu prüfen, Unklarheiten zu erkennen, aber auch Spiegelung anzubieten. Hier leitet der Gedanke von Bernd Schmid, aufmerksam darauf zu achten, was das Gegenüber neben dem »Was erzählt mir dieser Mensch?« anbietet mit dem »Wovon erzählt das, was mir mein Gegenüber von sich erzählt?!«. Beispiele für Metaphern im Coaching könnten sein: »Wenn ich ihre Schilderung der Teamsituation als Bild wiedergebe, so fällt mir ein Hühnerhaufen, der um eine Glucke kreist, ein! Können Sie das auch so sehen?« Oder ein Beispiel aus der Coachingpraxis: Ein Coachee, der in der Arbeit im Führungskreis stets sehr rasch seine individuellen Lösungen und Antworten, wenn diese von der breiten Masse abwichen, als Fehler, Verständnisprobleme oder Unzulänglichkeit seinerseits empfand und darstellte. Hier führte das Bild des einsamen Cowboys, der still und leise sein Pferd sattelt und allein in die abendliche Prärie reitet und versucht, mit sich und der Welt seinen Frieden zu finden, dazu, dass er einerseits seine Außenwirkung prüfen und sein Standing klären konnte. Andererseits konnte er sich mit dem Fokus auf seine inneren Prozesse seiner Gefühle bewusst werden und auf diesem Weg eine persönliche Entwicklung einleiten, die im Rahmen eines flankierenden Coachings fortgeführt wurde. In derartigen Bildern wird ein Transfer eingeleitet, den individuellen realen Prozess in eine andere – externe – Verständniswelt zu übertragen. In diesem Sinne findet hier eine Externalisierung statt, die den beschriebenen Zustand in seinen unterschiedlichen Dimensionen aufzeigt und bearbeitbar macht. Um wieder ein Bild aus der Welt der Computer zu nutzen: Hier wäre eine Metapher ein spezielles Programm, das die am Prozess Beteiligten gemeinsam entwickelt und installiert haben – dies könnte eine spezielle Bildbearbeitungssoftware sein. Inhalt und Darstellung sind den direkt Beteiligten klar und verständlich und zeigen in digitalisierter Form auf, was in der Welt der gesprochenen Worte und erlebten Gefühle beschrieben war.
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Und natürlich ist eben genau dieses Bild der Computerwelt mit seinen Beispielen eine Metapher – ein in seiner Deutung zwischen Autor und Leser individuell geklärtes Sprachbild.
Seelische Leitbilder in der Beratung: Voraussetzungen und Einsatzbereiche Aus meiner Sicht gilt als Voraussetzung für die Arbeit mit seelischen Leitbildern, dass der Coachee über die Methode und die damit verbundene Tiefe der möglichen inneren Resonanzen aufgeklärt ist. Über den spontanen Nutzen der Erkenntnis hinaus kann es aus meiner Sicht sinnvoll sein, diese Arbeitsform in ein längerfristiges Setting einzubinden, der das Nachspüren und Reifen von Bildern begleiten kann. Meiner Erfahrung nach entwickeln auch hier die Phasen zwischen Beratungssitzungen oftmals die größeren schöpferischen Prozesse. Ich verstehe die Arbeit mit seelischen Leitbildern als gelungene Kombination von bewusst methodischem Vorgehen und intuitiven Prozessen. Dies gelingt aus meiner Sicht leichter, wenn ein tragfähiges Setting besteht, das ein Einschwingen und Mitschwingen auf der Basis von Vertrauen in die Begleitung kennzeichnet. Auch halte ich es, wie bei allen kraftvollen Methoden, für bedeutsam, wann sie zum Einsatz kommen. Grundsätzlich denke ich zwar, dass, wenn vertrauensvoll zusammengearbeitet wird, es jederzeit sinnvoll sein kann – aber eben nicht muss! In Prozessen, in denen das Gefühl entsteht, sich stets an einer ähnlichen Stelle in einen Kreisel zu begeben, stets an einer Weiche abzubiegen und doch nicht vorwärtszukommen, kann ein Blick auf seelische Leitbilder ein sinnvolles Vorgehen sein. Ganz allgemein vertrete ich die Meinung, dass ein Trainer/Berater/ Coach neue Methoden erst anwenden sollte, wenn er diese in einem geschützten Rahmen in Technik und Wirkung erlebt hat. Dies schützt vor bösen Überraschungen – auf beiden Seiten.
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Die Herkunft der Bilder Die Arbeit mit seelischen Bildern legt entscheidend Wert auf den Ursprung der Bilder. An dieser Stelle unterscheidet sich die Arbeit mit seelischen Bildern grundlegend von der Arbeit anderer »bildhafter Verfahren«. Die Arbeit setzt an den Coach phasenweise den Anspruch, stark direktiv zu leiten und zu führen, um die mögliche unterschwellige Neigung des Coachees zu Deutung, Färbung und Verklärung zu unterbinden. Deutlich wird dies am Beispiel einer Beratungsübung.
Übung: Berufsbilder1 Einführung: Fokus auf die berufliche Situation Es geht um das Erkunden und Bewusstmachen der Sammlung an Bildern zum Thema Beruf/Berufung. Wichtig dabei ist die Fokussierung auf Menschen in Bezug auf die Berufswelt, Bilder von Menschen im Beruf, nicht zu Bildern von Berufen. Der Fokus liegt auf Bildern von Menschen im Beruf, die sich in deinem Leben abgebildet haben und Eindruck hinterlassen haben – unabhängig von einer Bewertung von positiv oder negativ. Beides kann Ursprung und Potenzial für eine Ressource der Zukunft sein. Die nun folgende Arbeit kann sehr reglementiert wirken und kreative Denkprozesse unterbinden. Dies ist bewusst so gestaltet, um leichter in eine entspannte Haltung zu gelangen und um die aufsteigenden Bilder frei von Deutungen, Wertungen und Verklärungen zu halten, die – möglicherweise unbewusst – hinzugefügt werden könnten. Die Betrachtung aus Bildern schließt ab mit einem Szenenfoto des entsprechenden Themenbereiches. Dies soll einer Verdichtung der Eindrücke und Einwirkungen entsprechen. Es soll einem Foto gleich eine Realsituation abbilden – kein Kinoplakat, sondern wie ein Standbild ausgekoppelt aus dem laufenden Film! Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn ich (der Coach) das emp-
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fangene Bild zum Abschluss des Themenfeldes spiegele und du eine wertfreie Prüfung des Bildes vornimmst. Dieses Bild wird dann von dir abschließend auf eine virtuelle Pinwand geheftet. Aktuelles Berufsleben: (keine Umschreibung, Metapher etc.!) Welches Bild kommt in den Sinn – wenn du dich mit dem, was du aktuell beruflich tust, als bedeutsam/wesentlich erlebst? Berufswunsch: Was war dein Berufswunsch als Kind/Jugendlicher? In welchem Alter war das ungefähr? Familie (kein Vorbild!): Von wem aus deiner Familie (Vaterlinie bzw. Mutterlinie) hast du Bilder aus dem Berufsleben? Welche Bilder sind davon in dir vorhanden? Welches dominiert? Milieu (kein Vorbild!): Welche Bilder aus deinem kindlichen/jugendlichen Umfeld sind vorhanden? Welche Menschen hast du beruflich wirkend erlebt (Lehrerin, Eltern von Freunden etc.)? Literatur, Kultur, Zeitgeschichte (offenere Gestaltung möglich! Keine Erzählungen, keine Abschweifungen): Welche Figuren in beruflichem Wirken aus Erzählungen, Mythen, Büchern Film, Funk und TV kommen dir in den Sinn? Träume, Phantasien: Gibt es Träume, wiederkehrende Phantasien (auch in geleiteten Settings) zu beruflichen Bildern? Gibt es noch Bilder, die in dir sind, die nicht abgefragt wurden, aber wirksam sind? Diese Übung lässt den Anspruch an den Coach erkennen, einerseits
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empathisch und zugewandt, andererseits auch klar reglementierend und steuernd zu agieren. Dies kann auf Coachees oftmals im ersten Blick befremdlich wirken, weil es stark von der gewohnten ressourcenaktivierenden Haltung des »Leading from one step behind« abweicht. Auch ist der Coach in seiner Selbststeuerung gefordert, weil das Raumgeben für eigene kreative Gedanken und alternative Perspektiven des Coachees, das die gewohnte lösungsfokussierte Haltung im Coaching prägt, an dieser Stelle massiv unterbunden werden muss. Daher sind für den Coachee die Einführung und Erklärung der Übung in Wirkung und Zielsetzung von großer Bedeutung. Der Coach sollte hier geübt sein im Ausfüllen und Überprüfen seiner Gesprächshaltung. Als hilfreich hat sich hier erwiesen, in der Lern- und Trainingsphase entweder in beobachteten Settings supervidiert zu werden oder auf technische Hilfsmittel wie Diktiergerät oder Ähnliches zurückzugreifen und so eine Reflexion durchführen zu können. Modelle und Erfahrungen Die Erschließung des Zugangs zu inneren Leitbildern gelingt gut durch folgende Spiegelungsübung (frei nach Fanita English). Bilde eine Gruppe aus vier Menschen. Schritt 1: Einzelarbeit Begib dich auf einen inneren Suchprozess. Schreibe jeweils eine Geschichte zu folgenden Fokussen: Fokus 1: Begib dich in deine Kleinkinderzeit (bis ca. 7 Jahre) und suche nach einer Geschichte, einem Märchen, einem Bilderbuch, das du in dieser Zeit aufgenommen hast. Es soll kein Erlebnis von dir sein, sondern ein »konsumiertes Angebot«, das sich verankert hat. Sollte sich auch nach intensivem Suchprozess keine Geschichte eingestellt haben, wähle ersatzweise eine Geschichte, die du einem Kleinkind erzählen würdest. Fokus 2: Wähle nun aus der Adoleszenz eine – ebenfalls konsumierte – »Darbietung« (Novelle, Theaterstück, Film oder Ähnliches),
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das dich stark beeindruckt hat, unabhängig davon, ob positiv oder negativ. Fokus 3: Eine Begebenheit der aktuellen Zeitgeschichte (max. drei Jahre zurückliegend): Film, Medienbericht, Theaterstück oder Ähnliches. Schritt 2: Gruppenarbeit 1. Nun liest der Erste der Gruppe den anderen seine drei Geschichten vor (anschließend Wechsel der Rollen): 2. Die Zuhörer geben anschließend Resonanz zu folgenden Fragestellungen: Ähnlichkeiten/Parallelen in den Geschichten, Grundfiguren/Tendenzen, die sich markant wiederholen, Themen, Beziehungen, Prozesse, die wiederkehren, Unterschiede, die (intuitiv) als bedeutsam empfunden werden, Atmosphäre, die im Rahmen der Arbeit »einkehrt«. 3. Welche positiven Entwicklungen, welche Potenziale, die verborgen scheinen, deuten auf zukünftige Wege hin? Was könnte möglich werden? (Dieser Punkt ist eine Ergänzung durch B. Schmid.) Anhand dieser Übung wird das Suchen und Hinterfragen eines roten Fadens, eines unbewusst wiederkehrenden Musters erkennbar. Ein Beispiel aus der Coachingpraxis eines 44-jährigen Mannes ergab folgende Bilder: Fokus 1: Kleinkinderzeit (bis ca. 7 Jahre) »Der Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte« Ein Maulwurf schaut aus seinem Hügel und merkt, dass ihm jemand auf den Kopf gemacht hat. Er zieht los und sucht der Reihe nach viele unterschiedliche Tiere und fragt, ob sie ihm auf den Kopf gemacht haben. Die Tiere verneinen und zeigen dem Maulwurf, wie sie »machen«. Am Ende findet der Maulwurf den Metzgershund, der ihm auf den Kopf gemacht hat. Der Maulwurf klettert auf die Hundehütte, vor der der Metzgershund liegt und schläft. Von oben macht der Maulwurf dem Hund auf den Kopf – und findet so wieder seinen Frieden.
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Fokus 2: Adoleszenz »Quo vadis« Menschen, die fest überzeugt sind, sich für das, woran sie glauben, gefangen nehmen zu lassen, quälen und sogar töten zu lassen, ohne ihre Überzeugung aufzugeben. Fokus 3: Aktuelle Zeitgeschichte »Der Club der toten Dichter« Ein Lehrer, der seine Schüler ermuntert, sich mit der Seele der Literatur zu befassen. Er verstößt damit gegen die offizielle Schulordnung, erzeugt Widerstände und erfährt persönliche Repressalien. Doch die Schüler glauben an das, was er ihnen innerlich gegeben hat, und stehen für ihn auf. Spiegelung und Resonanz Als Ähnlichkeiten/Überschneidungen bildeten sich in der Spiegelung heraus: für seine Überzeugung einstehen, Widerstände in Kauf nehmen, standhaft sein, Loyalität leben. Wiederkehrende Tendenzen waren die Alleinstellung bzw. das Erleben von Minderheit, verbunden mit dem bewussten Einnehmen eines individuellen Standpunktes. Jede Schilderung lässt den Mut erkennen, den es braucht, diese Position zu vertreten. Als Beziehungsaspekt wurden zwei Aspekte als auffällig gespiegelt: zum einen das Wahrnehmen neutraler Positionen (beim »Maulwurf« die vielen verschiedenen Tiere, die »anders machen«) und zum anderen die Verbundenheit mit Gleichgesinnten als eine besondere Tragkraft (Minderheit der Christen bei »Quo vadis«; die Schüler-Schüler- und auch die Schüler-Lehrer-Beziehung beim »Club der toten Dichter«). Auffällig war auch, dass alle Themen eine Grundtendenz von Konflikt beinhalteten. Es wurde die These in den Raum gestellt: Sucht der Coachee gezielt die Andersartigkeit, das »sich alleine stellen«? Wie erlebt er die Begegnung mit anderen?
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Gibt es Themen, die ihn besonders »anspringen«, seine konträre Position darzustellen? Gibt es Menschen, die dies auslösen? Als mögliche Neuerungen oder Ergänzungspotenziale wurden innere Beobachtungen angeregt, die abzielen auf die Klärung: Wie kann eine friedvolle Begegnung mit abweichenden Positionen gestaltet sein? Was kann das neutrale Abwägen und Erspüren von Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten beinhalten und doch Substanz und Tiefe haben? Angestoßen von dieser Spiegelungsübung berichtete der Coachee im Rahmen des weiteren Coachingprozesses von seiner Vater-Sohn-Beziehung. Sein Vater, von Beruf Soldat, hielt Disziplin und Ordnung als Werte hoch und gestand in einer männergeprägten Welt Gefühlen wenig Raum zu. Loyalität wurde auch familiär in hohem Maß gefordert. Im Rahmen der Entwicklung zur Eigenständigkeit des Coachees im Jugendalter konnten Vater und Sohn keine gelungene Version eines partnerschaftlichen Miteinanders finden. Die Hoffnung des Sohnes auf die bedingungslose Liebe eines Kindes durch den Vater, verbunden mit der Anerkennung seiner eigenen Art und dem Einbeziehen und Achten der Werte des Vaters, blieb unerfüllt. Fortan wiederholten sich die Bilder von Rebellion gegenüber Autoritäten und Obrigkeiten. So reihten sich schulische Probleme mit disziplinarischem Hintergrund, berufliche Konflikte mit Vorgesetzten bis hin zu Konflikten mit »Uniformträgern« nahezu nahtlos aneinander. Die weitere gemeinsame Arbeit verhalf dem Coachee zu seinem inneren ungestillten Bedürfnis, eine Metaposition zu beziehen. Im weiteren Verlauf konnte er seine Beziehung zu seinem Vater, zuerst in sich und im weiteren Verlauf in Briefform, auch mit seinem Vater klären. Dies war die Vorraussetzung, zum Phänomen der Eigenständigkeit eine ergänzende neutrale Position hinzuzugewinnen. Im Rahmen eines Follow-up-Interviews berichtet der Coachee von einem oftmals gelösten und freien Umgang mit der früheren Thematik. So erzählte er von einer Eskalation bei einer politischen Demonstration,
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bei der er vermittelnd eingriff und die Position der Polizei (Vertretung der Obrigkeit mit Uniform und Machtpotenzial) erläuterte und sich von seiner Grundposition löste – sich von seinen Gesinnungsgenossen distanzierte und so Verstehen erzeugte. Dies sei früher undenkbar gewesen. Er spüre gelegentlich noch ein inneres Zucken, »auf die Barrikaden zu steigen«, aber die Momente würden seltener und er erlebe sich meist als aktiv steuernd. In diesem Beispiel wird aus meiner Sicht deutlich, dass seelische Prozesse sich unbewusst als roter Faden bildhaft abzeichnen können und die Arbeit mit diesen seelischen Bildern eine gelungene Form der Beratungsarbeit darstellen und zu konstruktiven Lösungen aktueller Aufgabenstellungen beitragen kann. In besonderem Maß gelungen erlebe ich die Arbeit mit inneren Bildern, wenn sich die im Laufe der professionellen Begegnung vom Coach angebotenen Bilder beim Coachee verselbständigen und sich daraus eigene Bilder entwickeln. Diese zeugen meist von erheblich größerer Anschlussfähigkeit und Tragkraft – es scheint eine zusätzliche innere Bindung zu bestehen. Ein Beispiel hierzu: Ein Potenzialträger soll auf eine anstehende Führungsaufgabe vorbereitet werden. Er hat im Rahmen seiner bisherigen Arbeit herausragende Ergebnisse erzielt, sein Arbeitseinsatz ist überdurchschnittlich, aus einer Reihe vergleichbarer Aspiranten hat er sich kontinuierlich hervorgehoben. Das neue Aufgabenfeld scheint seinen beruflichen Qualifikationen in hohem Maße zu entsprechen. Im Rahmen der Entwicklungsgespräche wird der Antrieb des Mitarbeiters thematisiert. Es werden Wertschätzung und Anerkennung für das Leistungsvermögen ausgesprochen, aber auch Sorge bezüglich der ungleichen Verteilung der Arbeitzeit auf Kosten der Privatzeit. Die glaubhafte Entlastung durch den Vorgesetzten, geringere Erträge zugunsten einer verbesserten Work-Life-Balance erzielen zu dürfen, führt zu keiner Veränderung. Der Vorgesetzte – selbst seit langem im Coaching und somit in bedeutsamen Punkten seiner Führungsaufgabe geklärt – sucht ein Coachinggespräch Mitarbeiter – Vorgesetzter – Coach. Es zeigen sich folgende Themen: Aus Sicht der Vorgesetzten: Was treibt meinen Mitarbeiter an? Wie kann ich meiner Fürsorge für meinen Mitarbeiter gerecht wer-
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den und dabei trotzdem der unternehmerischen Interessen gewahr werden? Aus Sicht des Mitarbeiters: Wie kann ich meine Balance finden zwischen Arbeit und Privat? Warum kann ich nicht mit halber Kraft fahren? Was macht es mir schwer zu genießen? Im weiteren Verlauf beschreibe ich hier nur den Prozess des Mitarbeiters als Beispiel des Erzeugens von Bildern und der Übernahme und Verselbständigung durch den Coachee. Im Verlauf der ersten Sitzungen spiegelt sich ein wiederkehrendes Grundmuster von enorm hoher Leistungsbereitschaft, außergewöhnlicher Geschwindigkeit, verbunden mit hoher Zielerreichung. So ist aus seinem Leben zu hören von besten Noten im Gymnasium, Studium in Rekordzeit, im jugendlichen Freizeitbereich Sport auf Bundesliganiveau, bei der Fahrzeugwahl sportlicher Zweisitzer mit viel PS, Fahrgeschwindigkeit mit Vollgas und selbst beim heutigen Betriebssport sei er bekannt für »die Grätsche auf Augenhöhe«, weil: »Nur so zum Spaß – das geht ja gar nicht!« Es folgen eine Reihe klassischer systemischer Interventionen, die zum Teil fruchtbar und hilfreich sind, aber irgendwie erhalte ich das Gefühl, den Kontakt zu dem relevanten Aufhänger nicht zu finden. Der Weg führt über die Herkunftsfamilie, einen maßgeblichen väterlichen Freund, die bisher nur begrenzt erfolgreiche Suche nach einer Lebenspartnerin, Antreibertest – alles wichtig, aber nichts, das mir spiegelt, hier wäre der Ansatzpunkt, der einen grundsätzlich neuen Weg auftun ließe. Erst im Rahmen der inneren Bildersuche, in der vierten gemeinsamen Sitzung, stellt sich eine Kraft ein, die vorher nicht spürbar war. Bei der Bildersuche durchlaufen wir folgende Stationen: Gegenwärtiger Beruf (weniger eine Tätigkeitsbeschreibung – eher mit dem Fokus darauf, welche Bilder sich einstellen): Ich sehe mich als Fischer, der mitten in der Lachswanderung an einem Gebirgsfluss steht und bis zu den Knien im kalten Wasser steht und ständig Lachse fangen muss. Von all der herrlichen Natur kann ich nichts sehen – ich muss Lachse fangen!
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Berufswunsch: Was wolltest du werden, als du »klein« warst? Bauer: Ich pflanze, säe, hege und ernte. Ich bin an der frischen Luft, erlebe die Natur und bin daheim. Familie (hier: Vaterlinie): Von wem aus deiner Familie hast du Bilder aus dem Berufsleben? Mein Vater: Fließband-Maloche, verschwitzte Männer, die in heißem Dampf Kohle auf das Band schaufeln. Milieu (nicht Vorbild!): Welche sonstigen Bilder aus deinem Umfeld sind haften geblieben? Mein Trainer: Leistung zählt, strengt euch an! Nur das Team erzielt Erfolg! Und nach dem Spiel wird gemeinsam gefeiert – oder auch gemeinsam gelitten! Welche Literatur/Musik/Film kommen dir in den Sinn? Der Titelsong aus Harold and Maude: »If you want to sing out …!« – der erzählt davon, das zu tun, was dir gerade in den Sinn kommt – ohne Plan und Auftrag – einfach so! Welche Träume/Phantasien zum Thema Beruf steigen auf? Das Bild von – klingt jetzt komisch, aber es stimmt: so was wie Heidi – Bergbauernhof, Idylle und überschaubare Familie, Tiere, Selbstbestimmung. Gibt es darüber hinaus noch etwas, das sich bildhaft eingestellt hat? Nein – nichts! Das komplette Design dieser Beratungsübung mit entsprechenden Anleitungs- und Hintergrundinformationen findet sich im Downloadbereich des ISB unter dem Titel: Leitfaden zum Interview »Innere Bilder im Berufsleben«. Im Anschluss an die Bildersuche ist der Coachee sehr stark im inneren Dialog – er scheint dieses »Daumenkino« mehrfach neu abzuspielen. Es wirkt, als nehme er jedes seiner Bilder in allen Facetten bewusst wahr. Auf Rückfrage erzählt er von der Autowerkstatt seiner Eltern, dem Anspruch, stets kundenorientiert zu denken. Urlaube, freie Tage – wenn
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überhaupt vorhanden, wurden sie genutzt, um die Werkstatt zu putzen, liegengebliebene Arbeiten anzugehen, die Bücher zu machen. Und er wurde stets fest eingeplant. Früh hatte er für sich festgelegt und auch vertreten, dass er nicht in den elterlichen Betrieb einsteigen wird, dass er seinen eigenen Weg suche und dieser von der familiär für ihn geplanten Richtung abweiche. Eine friedvolle und anerkannte Loslösung von der Familie konnte nicht gefunden werden. Das eingeschlagene Studium Maschinenbau, der Leistungssport – alles Schritte in die gewünschte Richtung. Und heute – er erlebe sich wie in einem Hamsterrad: immer voller Einsatz, immer rennen und doch kein Schritt nach vorne! Auf die Spiegelung mit Blick auf das Fehlende wurde Raum frei für die vermisste Würdigung und Anerkennung dessen, was er leistet zum einen, und für die hohe Bedeutung der Liebe und Verbundenheit zu seiner Familie zum anderen. Von der gleichen Art zu sein und doch seinen eigenen Weg zu gehen – das konnte er äußerlich vollziehen, jedoch innerlich nicht harmonisch integrieren. Mich lockte ein Bild: Ich erzählte ihm davon, dass mir ein Obstbauer einmal erklärt hat, dass man Bäume veredeln kann. Der Bauer sprach davon, fest verwurzelte Bäume durch eine gezielte Schnitt- und Hegetechnik mit Zweigen einer anderen Obstart zu verbinden. Daraus entstehen dann Obstsorten einer anderen Art – genährt und verbunden mit den ursprünglichen Wurzeln. Dieser Vorgang nenne man veredeln! Diese Metapher entfaltete deutlich Kraft und sie hatte für den Moment eine er-lösende Wirkung. Bei unserem nächsten Treffen erzählte der junge Mann von der dauerhaft entlastenden Wirkung dieses Bildes. Er habe für sich eine Übersetzung gefunden, die ihm einen guten Weg vom getriebenen Gestern über das zu klärende Heute zu einem innerlich friedvollen Morgen denken und spüren lasse. Er erzählt mir, durch das Bild des »Bäume veredeln« habe er das Gefühl entwickelt, einen Mantel abstreifen zu können. Er sehe diesen Mantel, der ihn geschützt und gewärmt hat, als wertvolle Gabe aus dem Familienbesitz. Dieser habe aber nun ausgedient. Auf die Frage nach einem guten Platz für diesen Mantel entstand sofort das Bild einer Ahnengalerie. Neben all den vielen Gemälden der
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Vorfahren war ein Platz frei – genau in seiner biografischen Reihenfolge. Ein Nagel war vorhanden und er hängt den Mantel behutsam auf einen Bügel, in die Reihe seiner Familie – genau an seinen Platz.
Abbildung 1: Veredelung eines Baumes
Auf die Frage nach dem Unterschied, den dies jetzt für ihn mache, sagte er, er könne das Gute und Wertvolle seiner Wurzeln achten und würdigen und doch spüre er die Freiheit, seinen Weg zu gehen – auf seine ihm eigene Art! Die Exkursion in die seelischen Bilder konnte ihm den Zugang zu der immer wiederkehrenden Barriere erschließen. Sich innerlich aufzureiben zwischen Loyalität und Verbundenheit mit seiner Familie und dem Streben, seine eigene Form zu suchen und ins Leben zu bringen, erzeugte den Irrweg und die Suche nach Anerkennung von außen, die innerlich nicht sein durfte. Im Rahmen des Transfers wurden auf die Fragen nach dem, was er nun anders machen werde, wer den Unterschied bemerke etc., klare Bilder einer aktiven und bewussten Selbststeuerung genannt – das freie Selbstbestimmen und Einhalten einer Arbeitszeit, die eine gute Ausgeglichenheit zwischen beruflicher Anspannung und privater Entspannung zulasse, die bewusste Begegnung mit Zeit und Ruhe und – wenn die
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Zeit reif sei – der guten Begegnung mit den lebendigen Vertretern der Ahnengalerie. Neben einer Reihe kräftiger Metaphern (das Veredeln der Bäume, die Ahnengalerie etc.) war hier der Schlüssel, um den Zugang zu erreichen, das Interview der inneren Bilder im Berufsleben.
Der Einsatz seelischer Leitbilder in der Beratung von Unternehmen Führungswerkstatt für Führungskräfte mit Personal- und Kulturverantwortung In vielen Beratungs- und Coachingprozessen wird das Defizit genannt, sich nicht mit Menschen austauschen zu können, die Gleiches oder Ähnliches kennen und tun. Daraus entstand der Gedanke, diese Menschen zusammenzubringen und unter fachlicher Begleitung in Austausch und Beratung zu bringen. Ziel ist es, Menschen, die sich aus unterschiedlichen Unternehmenskontexten heraus mit den gleichen Themen beschäftigen, zu verbinden und in Form einer kollegialen Beratung zu begleiten. Die Themenfelder, die oftmals genannt werden, berühren alle klassischen Felder, die auch in den internen Beratungsprozessen Inhalt sind. Diese bewegen sich im Spannungsfeld dreier Welten (Abb. 2). Neben den Fragen der Organisations- und Personalentwicklung geht es dabei immer auch um die persönliche professionelle Entwicklung. Speziell hier und auch im Themenfeld der privaten Entwicklung spielen angeleitete Spiegelungs- und Resonanzübungen zu seelischen Bildern eine hilfreiche und nutzbringende Rolle. Dies wird als besonders wertvoll beschrieben, weil hier Menschen in vergleichbaren Lebens- und Arbeitssituationen unter fachlicher Anleitung Spiegelung und Resonanz geben und empfangen. Förderlich ist auch, dass kein gemeinsamer Kontext außerhalb der Führungswerkstatt besteht. So lassen sich Fragen zu Stimmigkeit und Kongruenz der persönlichen Rolle innerhalb der drei Welten durch weitestgehend neutrale Perspektiven anreichern.
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Privatwelt
Professionswelt
Organisationswelt
Abbildung 2: Drei-Welten-Modell des ISB
Die erhaltenen Bilder laden die Teilnehmer zum innerlichen Dialog ein: Besteht eine Kongruenz der Wahrnehmung meines inneren Bildes und der Wahrnehmung durch die Resonanzgeber? Erhalte ich bestimmte Spiegelungen vermehrt? Findet sich ein roter Faden? Lassen die gespiegelten Bilder Suchprozesse folgen, die wiederum auf innere Resonanzen stoßen? …
Gute erste gemeinsame Schritte, die sowohl die Methode als auch die persönlichen Beiträge gut inszenieren können, bieten Übungen zur Passung »Du und dein Unternehmen«. Ein Beispiel hierfür kann die folgende Partnerübung sein. In einem ersten Schritt erarbeitet jeder in Einzelarbeit seine Bilder zu folgenden Fragen. Gehe dazu in den inneren Dialog mit dir. Lass in einem ersten Schritt Bilder aufsteigen, die dich in Kontakt mit deiner Organisation zeigen. Wähle aus den Bildern jeweils eines aus, das dich zeigt (Abb. 3).
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Befasse dich mit den Fragen: A1: Welchen Weg habe ich beruflich eingeschlagen? Wo komme ich (beruflich) her? A2: Was beschreibt mich in meinem beruflichen Jetzt? A3: Wo geht mein beruflicher Weg hin? Was steht an?
In einem zweiten Schritt lass nun Bilder zu deiner Organisation aufsteigen. Wähle aus den Bildern jeweils eines aus, das deine Organisation zeigt: B1: Welchen Weg hat deine Organisation eingeschlagen? Wo kommt sie her? B2: Was beschreibt sie in ihrem unternehmerischen Jetzt? B3: Wo geht der Weg hin? Was steht an? A1
A2
A3
der Vergangenheit
der Gegenwart
der Zukunft
B2
B3
von dir
und deiner Organisation B1
Abbildung 3: Bilder der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Nun setze in deinem inneren Dialog die Bilder A1 und B1, A2 und B2 und A3 und B3 in Verbindung zueinander. Nach diesem Teil erfolgt die Beschreibung der Bilder, die in der Übung entstanden sind. Der Partner hört aufmerksam zu und achtet darauf, welche Reaktionen und Resonanzen beim Zuhören ausgelöst werden. Diese bietet er im nächsten Schritt als seine beim Zuhören entstandenen Resonanzbilder an. Wichtig ist hierbei: Es handelt sich um
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Resonanzen. Dies verstehe ich hier als Angebote an alternativen Bildern. Daher an dieser Stelle keine Diskussion – lediglich ein Austausch! Leitfragen beim Zuhören können sein: Wovon erzählt das, was du hörst? Welche Bilder kommen dir in den Sinn? Nimmst du Doppelungen/Ergänzungen etc. wahr? Widersprüche/Parallelitäten?
Ursprünglich bietet das Design der Ausgangsübung (vgl. Passungsdialog, B. Schmid) hier nun die Reflexion der Partner und gegebenenfalls den Austausch im Plenum an. Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, die Teilnehmer an dieser Stelle mit sich in Kontakt und Dialog in ein Solo (Alleinspaziergang in möglichst reizarmem Umfeld: Wald etc.) zu verabschieden. Hier kann der folgende Dreiklang Fragestellungen von Stimmigkeit und Passung klären bzw. hilfreiche Aspekte und Tendenzen aufzeigen: Welche seelischen Bilder begleiten mich in meinem Leben? Wie erlebe ich meine aktuelle persönliche berufliche Entwicklung? Wie erlebe ich hierzu meine Organisation? Nun ein Beispiel aus der Beratung einer Frau in führender Funktion eines internationalen Unternehmens. A1: Welchen Weg habe ich beruflich eingeschlagen? Wo komme ich (beruflich) her? Sie beschreibt Ausbildung und Wirken im HR-Bereich. Klassische Karriereschritte führten sie in ihre aktuelle Position. A2: Was beschreibt mich in meinem beruflichen Jetzt? Sie pendelt zwischen den zwei Arbeitsorten London – Frankfurt. A3: Wo geht mein beruflicher Weg hin? Was steht an? »Mensch sein«, Stimmigkeit bei sich und anderen, »zentriert sein«, »zur Ruhe kommen« müssen mehr in den Fokus gestellt werden. Den Fokus auf die Balance Arbeitszeit – Familienzeit legen, das Hamsterrad verlassen …
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B1: Welchen Weg hat deine Organisation eingeschlagen? Wo kommt sie her? Klassisches Unternehmen im Finanzsektor, überschaubare Strukturen, konservatives Außenbild. B2: Was beschreibst du in deinem unternehmerischen Jetzt? Vor zwei Jahren übernommen worden, nun deutsche Tochter eines internationalen Mutterkonzerns, kulturell im Umbruch, Globalisierung als Schwerpunkt, börsengetriebenes Management. B3: Wo geht der Weg hin? Was steht an? Weitere Übernahmen sind geplant, Personalabbau ist beschlossen, Gewinnmaximierung steht vor Kulturentwicklung … In der anschließenden Resonanzübung entstand das Bild einer Hafenlandschaft. Auf der einen Seite: Ein Tanker lag vor Anker, groß, schwerfällig, mit wenig Personal, aber viel Ladung an Bord, er läuft die großen Metropolen der Welt an, verbindet Kontinente … Und auf der anderen Seite: Eine kleine Segeljolle, gerade mal Platz für den Kapitän und einen Passagier, jede Welle ist wahrnehmbar – feinfühlig und achtsam wird gesteuert, die Ausfahrten führen stets wieder in den Heimathafen, das Gepäck ist leicht und sichert das Wohl für Leib und Seele … Es ist unschwer zu erkennen, dass sich auf diesem Weg die Zerrissenheit der Frau in den entstanden Bildern zeigte. So konnte sie abrücken und sich aus der Metaperspektive mit den entstandenen Bildern auseinandersetzen. Heute leitet sie in ihrem Heimatort eine kleine Beratungsfirma, isst jeden Abend zu Hause mit der Familie und genießt den Ruf, für Menschen eine behutsame und feinfühlige Begleiterin im Rahmen von Coachings zu sein. Das Unternehmen ist, mit deutlich verringerter Personaldecke, mittlerweile in die Gewinnzone zurückgekehrt und spielt als Globalplayer im Konzert der Großen eine gute Rolle …
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Der unternehmerische Mehrwert Bernd Schmid beschreibt, dass für die Leistungsfähigkeit und die kulturelle Entwicklung in Unternehmen bedeutsam ist, ob Menschen sich finden und in ihrem Wesen entfalten können. Was letztlich zähle, sei der Lebenssinn, den Menschen suchen und idealerweise in ihrem beruflichen Wirken erkennen können. Aktuell ist nur sehr begrenzt erkennbar, dass sich Unternehmen der persönlichen individuellen Entwicklung seiner Mitarbeiter zuwenden und hierbei einen unternehmerischen Mehrwert erkennen. AssessmentCenter und Förderprogramme sind meist aktuell noch der Weg »ins gelobte Land«. Aufhorchen lässt hierzu jedoch die zunehmende Zahl von Studien, die in der Diskussion des Fachkräftemangels eindrücklich auf die Faktoren von menschlicher Entwicklung und emotionaler Stabilität hinweisen. Oftmals lese ich hierzu, dass einer der entscheidenden Faktoren für Menschen, sich dem eigenen Unternehmen zuzuordnen und dauerhaft mit ihm zu verbinden, die emotionale Zugehörigkeit und das Erkennen der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns sind. Auch Untersuchungen der Hirnforschung geben hierzu Auskunft. So schreibt Gerald Hüther in seinem Buch »Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn« (2001): Die beiden entscheidenden Faktoren, die Menschen in ihrer Entwicklung fördern und ihre Potenziale umfassend erschließen, sind Verbundenheit und Wachstum! Und hier bietet sich der Anknüpfungspunkt, die Bedürfnisse von Unternehmen nach fachlicher Weiterentwicklung, Kompetenzsicherung und hoher Leistungsfähigkeit mit den individuellen menschlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter nach Sinn und Stimmigkeit im individuellen Handeln kraftvoll zu verbinden. Mitarbeiter in unternehmerischer und kultureller Verantwortung zu fördern, ihre hintergründigen Motive und ursprünglichen Steuerungsmechanismen zu ent-decken, die unbewusst Handeln prägen, sowie das Integrieren und Erschaffen angemessener und würdiger Versionen, wie in den Beispielen beschrieben, erlauben die individuelle Zentrierung – das Finden von Sinn und Mitte. Gelingt dies, so findet ein Zusammenspiel mit – in diesem Sinne – GleichgeSINNten statt, das dauerhaft und nachhaltig Ausgangspunkt
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und Kraftquelle für die persönliche und unternehmerische Leistungsfähigkeit sein kann.
Literatur Hüther, G. (2001). Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Der Autor Uwe Lockenvitz (Jg. 1964) ist systemischer Organisationsberater und Coach, Master am ISB Wiesloch und Partner in der ISB Professional Group. Er leitet seit 1999 das Beratungsunternehmen consense plus – be-greifbare Organisationsund Personalentwicklung. Seine Aufgaben sind hier Organisations- und Führungskräfteentwicklung und Coachings sowie Train-theTrainer-Seminare. Seine Arbeit ist geprägt von der lebendigen und kraftvollen Verbindung intuitiver und methodisch-didaktischer Beratungsansätze. Wesentliche Arbeitsschwerpunkte sind die Begleitung und Gestaltung von Veränderungsprozessen, Kulturentwicklung und die Begleitung von Menschen in Führungsverantwortung. Speziell die Arbeit mit Unternehmen zum Thema Mixed Leadership und verbunden damit spezielle Coachings für männliche und weibliche Führungskräfte bilden aktuelle Schwerpunkte seiner Arbeit. Darüber hinaus beschäftigt er sich aktuell neben der klassischen Beratungsarbeit mit
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den Themen Work-Life-Competence sowie der Arbeit in seiner Führungswerkstatt. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Gräfenberg bei Nürnberg. Er leitet gemeinsam mit seiner Frau eine Erziehungsstelle, die zwei jungen Menschen bei einem zweiten Start ins Leben Begleitung und Erziehung bietet. Website: www.consenseplus.de
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Bettina Hof
»Taschenkompass«: Das Vier-Faktoren-Modell der Themenzentrierten Interaktion
Ist eine Situation besonders verstrickt und komplex, suchen Personalentwickler, Führungskräfte, Trainer, Moderatoren und Coaches nach einer leicht anwendbaren Technik, die zu einer Lösung führt. Sie soll den Blick auf Wesentliches konzentrieren und ermöglichen, Situationen gut einzuschätzen und effektiv zu bearbeiten. Oft brauchen wir eine schnelle Kartierung, aus der die Einflussgrößen hervorgehen. In der systemischen »Werkzeugkiste« finden sich viele Methoden, die die Beziehungen (z. B. Aufstellung) verdeutlichen oder die Sachebene (z. B. SOFT-Analyse) analysieren. Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) verbindet die Sach- und Beziehungsebene mit ihren Wechselwirkungen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf ein Arbeitselement der TZI und stelle das funktionale Vier-Faktoren-Modell für Arbeit mit Gruppen und Einzelpersonen vor – ein Modell zur Analyse von Ist-Situationen und ein Kompass für nächste Schritte unter Berücksichtigung der damit verbundenen möglichen Wirkungen. In der systemischen, lösungsorientierten Arbeit gehen wir von einem System aus, an dem verschiedene Personen und Institutionen beteiligt sind. Die TZI bündelt diese auf vier Faktoren: ICH – WIR – ES und den GLOBE (Kontext). Die Faktoren stehen in gegenseitiger Wechselwirkung, (Ver-)Änderungen an einem der Faktoren wirken sich auf die anderen Faktoren aus; auch wenn wir nicht genau vorhersagen können, auf welchen Faktor und in welchem Ausmaß die Wirkung stattfindet. ICH: Das ICH beschreibt die Perspektive jedes einzelnen Teammitgliedes und das ICH der Leitung in einer Gruppe. Jedes ICH gewinnt, liefert, nutzt die Gruppe oder trägt mit seinen Erwartungen und Beiträgen zur Gruppe bei und fordert von der Gruppe (WIR). Ich als einzelne Person finde mich in der Gruppe wieder, möchte – mehr oder weniger –Teil des WIR sein und gleichzeitig meinen angemessenen Grad an Autonomie und Abgrenzung halten.
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»Taschenkompass«: Das Vier-Faktoren-Modell der TZI
ES
Die zu bearbeitende Sache, die Aufgabe oder das THEMA: Das ES
GLOBE Die Rahmenbedingungen, der Kontext, die Einflussfaktoren der Umwelt(en): der GLOBE
ICH Jede einzelne Person mit ihren Kompetenzen, Anliegen, Gefühlen und mit ihrer Biografie: die ICHs
WIR Die Beziehungen und Interaktionen zwischen allen Beteiligten: das WIR
Abbildung 1: Das Vier-Faktoren-Modell der TZI (www.ruth-cohn-institute.org)
WIR: Das WIR ist die Gruppe, die durch das Miteinander der Einzelnen gestärkt oder geschwächt werden kann. Die Leitung partizipiert an der Gruppe. Leitung im Sinne der TZI findet innerhalb der Gruppe statt. ES: Das ES bezeichnet den Anlass oder das Thema, weswegen die Gruppe zusammenkommt. Das ES ist das, was mich lockt und anzieht und zu dem ich etwas beitragen kann. Ebenso ist das ES ein verbindendes Element innerhalb der Gruppenmitglieder. Ändert sich der Anlass oder das Thema der Zusammenkunft, definiert sich die Beteiligung der Mitglieder neu: Was interessiert mich am Thema? Welche Bereitschaft haben wir, uns aufeinander und zu diesem Thema einzulassen? GLOBE: Der GLOBE umfasst den Kontext, die Umgebung, die Gegebenheiten, Rahmenbedingungen, in dem ICH – WIR – ES stattfinden. Alles passiert in einem GLOBE – im engsten Sinne der Raum, in dem sich die Gruppe befindet, im weitesten Sinne in der aktuellen weltpolitischen Lage.
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Dynamische Balance und Prozessorientierung Ruth C. Cohn, Begründerin der TZI, hat das Vier-Faktoren-Modell als eine Pyramide in einer Kugel konzipiert. Der GLOBE wird dabei als eine transparente, mehrschichtige Kugel verstanden. Für die tägliche Arbeit hat sich die zweidimensionale Darstellung als praktikabler erwiesen. Vielleicht haben Sie es auch schon einmal erlebt: Ein besuchtes Training baut lediglich auf der Verbindung zwischen ICH und ES (Thema) auf, zum Beispiel ein Tag mit vielen Präsentationen. Sie gehen am Abend mit Informationen gefüllt nach Hause, aber die Anwendungsmöglichkeiten für Ihre Praxis, wie sich die Inhalte in Ihrer Abteilung umsetzen lassen könnten, fehlen. Die Potenziale, die in jedem Einzelnen liegen, und die Ressourcen, die sich aus dem Austausch und der gegenseitigen Bereicherung der Teilnehmer zum Thema ergeben, bleiben ungenutzt. Die Verbindungen zwischen dem ICH und der Gruppe und der Gruppe und dem Thema bleiben ungenutzt. Zum Leidwesen vieler Präsentatoren sind Transfer und Haltbarkeit des Wissens bei »Frontalpräsentationen« wesentlich geringer als bei der Anwendung von Methoden, die die Interaktion der beteiligten Personen mit dem Thema verbinden. Vielleicht kennen Sie auch das andere Extrem: Es wird viel Raum für den Austausch der Teilnehmer untereinander gegeben. Daraus resultieren häufig eine Überbetonung der sozialen Interaktion und eine Vernachlässigung des fachlichen Themas: »Ich habe nur viele nette Menschen kennengelernt.« Die TZI geht davon aus, dass alle Faktoren gleich wichtig sind. Gemeinsames Lernen und miteinander Arbeiten für Menschen sind dann besonders fruchtbringend und nützlich, wenn alle Faktoren in einem ausbalancierten Verhältnis zueinander stehen: die dynamische Balance. Das heißt nicht, dass alle vier Faktoren mit gleichen Kraft- und Zeitanteilen vorkommen müssen. Vielmehr ist es Aufgabe der Leitung, dynamisch zwischen den Faktoren zu balancieren, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Wissenstransfer, Zufriedenheit der Teilnehmer und Nutzung aller Ressourcen sind impliziertes Ziel der dynamischen Balance. TZI-Leitungen beobachten den Prozess und analysieren nach Arbeitseinheiten die Situation. Sie legen den »Kompass« an und entscheiden, welcher Faktor stärker berücksichtigt wird, wählen Methode
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und Struktur für den weiteren Ablauf aus. Neben der Zentrierung auf das Thema (oder ES) wird damit die hohe Prozessorientierung der TZI deutlich. Im nächsten Abschnitt stelle ich den Einsatz des Modells für die Analyse in der Auftragsklärung, in der Planung und Durchführung mit einem Fallbeispiel im Rahmen eines Strategieworkshops vor. Anschließend zeige ich die Möglichkeiten für eine Nutzung des Modells im Einzelcoaching und für die eigene tägliche Arbeit.
Arbeiten mit Gruppen IST-Analyse in der Auftragsklärung für einen Strategieworkshop Eckdaten des Fallbeispiels Wirtschaftsunternehmen (GmbH): Arbeitnehmerüberlassung mit durchschnittlich 20 verliehenen Mitarbeitern 100%ige Tochter einer Kommune Mitarbeiter: sechs plus zwei Geschäftsführer
Das Team Geschäftsführung: Geschäftsführer in Teilzeit, Stellvertretender Geschäftsführer (in Personalunion als Verwaltungsbeamter der Kommune). Vier Personen in leitender Funktion: ein Personalrecruiter mit langjähriger Erfahrung (»alter Hase«), eine neue Mitarbeiterin, verantwortlich für die Arbeitsvorbereitung (seit drei Monaten), ein neuer Mitarbeiter, verantwortlich für den Vertrieb (seit neun Monaten), eine Stelle für betriebliche Weiterbildung ist momentan unbesetzt. Weitere Mitarbeiter: Zwei Verwaltungsmitarbeiterinnen Ein Haustechniker
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Die Skizze der Auftragsklärung Am Strategieworkshop nehmen Geschäftsführer und die drei Personen in leitender Funktion teil. • Prozesse / Schnittstellen definieren • Rechte und Pflichten der Mitarbeiter • Schlechte Atmosphäre – Konflikte lösen?
GLOBE ES
Mitarbeiter: • Weisungskompetenzen klären • Informationsfluss • Neue Mitarbeiter brauchen Orientierung ICH • Erfahrener Mitarbeiter sucht Bestätigung Geschäftsführung: • Prozessklarheit • Atmosphäre klären = effizientes Arbeiten
WIR
• 100 % kommunales Wirtschaftsunternehmen GmbH • veränderliche politische Landschaft (Kommunalwahlen und Bundesgesetzgebung) • Zusammenarbeit mit Kommunal- und Bundesverwaltung • Modellcharakter »soziales Zeitarbeitsunternehmen« • Hohes öffentliches Interesse am Erfolg / Misserfolg des Unternehmens
• Konkurrenz: fachliches Wissen / persönliches Engagement • Regeln im Umgang miteinander • Schnittstellen definieren
Abbildung 2: Skizze der Auftragsklärung
Planung des Strategieworkshops mit TZI An jedem der vier Pole kann der Workshop begonnen werden. Das Ziel tragfähiger Prozesse kann dauerhaft nur funktionieren, wenn es vom gesamten Team getragen wird. Der Geschäftsführer kann als Einziger den ganzen Prozess darstellen und die Einflussgrößen der beteiligten politischen und verwaltungstechnischen Organe/Unternehmen aufzeigen. Der Leiter hat eine Vorstellung von den Aufgabenfeldern der Fachgebiete und von einigen Schnittstellen und ich erwäge den Start über die Verbindung Geschäftsführer und GLOBE. Angenommen, der Workshop beginnt auf dieser Achse, dann lassen sich folgende Hypothesen bilden:
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Mögliche Wirkung der Darstellung des GLOBEs durch die Geschäftsführung auf die einzelnen ICHs • Neue Ablauforganisation und Prozesse, die Bisherige trägt nicht mehr, eine weitere Dienstleistung (Zusatzqualifizierung) wird in Kürze angeboten und ist in die Prozesse
ES
zu integrieren. Das Unternehmen ist einzigartig, die Möglichkeit, von anderen Unternehmen die Abläufe zu kopieren, entfällt
GLOBE • 100 % kommunales Wirtschaftsunternehmen GmbH • Für Mitarbeiter ist die Einbindung in politische Landschaft unklar (siehe Auftragsklärung) • Mitarbeiter heterogen in fachlichem Wissensstand • Geschäftsführer (TZI), ICH Gründer des Unternehmens, kennt alle politischen Einflussgrößen (Kommune, Bund) • Das ICH der disziplinarischen, persönlichen Leitung soll mit Präsenz, Lob und Grenzen und in ihrer Führung für alle gleichzeitig hör- und sichtbar aufgezeigt werden
WIR Vermutungen: • Dominanz des »alten Hasens« mit seiner Vorstellung von Prozessdesign • Konkurrenzsituation • Bruchstellen im Miteinander-Arbeiten
Abbildung 3: Vermutung zum Design
Geschäftsführungs-ICH Das Ansehen der Leitung steigt durch das Einbringen ihres hohen Fach- und Netzwerkwissens. ICH als Leitung weiß, wo ICH hin will. ICH als Leitung will ein starkes Team bauen und transparent führen. ICH gebe einen groben Rahmen vor, in dem die Kompetenzen der Mitarbeiter zum Tragen kommen, schaffe die Bedingungen und fordere die Autonomie der Mitarbeiter. Das Vertrauen in die Person der Leitung wird verstärkt, da der Leiter die Motive, Ziele und Visionen des Unternehmens ungestört darstellen kann. Die Inhalte erhalten einen höheren Wert aufgrund der ungefilterten, direkten Übermittlung durch die Leitung. Es werden Motive für das Entstehen von Ecken und Kanten deutlich.
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Mitarbeiter-ICH Für den »alten Hasen« ist die Wirkung ambivalent: Der Workshop erscheint langweilig, da viele Inhalte bekannt sind, aber auch prestigeträchtig, falls die Leitung seine Verdienste in diesem System würdigt. Der Workshop öffnet den »alten Hasen« entweder für den nächsten Schritt oder er verschließt sich, weil das Lob ihn in seiner »Ich weiß es besser«-Haltung bestärkt. Den anderen Mitarbeitern hilft der Workshop, offene Fragen über die eigene Person und Funktion im Unternehmen zu beantworten: Wo ist mein Platz in dem Ganzen? Welchen Platz beanspruche ich?
Mögliche Wirkung der Darstellung des GLOBEs durch die Geschäftsführung auf das WIR: Die Geschäftsführung nimmt sich die Zeit, uns die Entwicklung zu zeigen. Wir sind alle auf dem gleichen Stand. Wir können in diesem GLOBE selbst die Abläufe bestimmen (Autonomie). Die Konkurrenzsituation zwischen dem »alten Hasen« und den »neuen Besen« erhält Raum für Klärung. Antworten auf die Fragen: Wo stehen die anderen? Was verbindet uns? Wie definieren wir erfolgreiche Prozesse? Mögliche Wirkung der Darstellung des GLOBEs durch die Geschäftsführung auf das ES: Ein Perspektivenwechsel von der Abhängigkeit des Globes hin zur Gestaltung/Miteinbeziehung der äußeren Einflussgrößen: Was kann die Verwaltung (Kommune und Bund) zu unserer Prozessverbesserung beitragen? Wie kann die Kommunalpolitik unsere Prozesse unterstützen? Aus meiner Sicht bieten sich folgende Vorteile, mit der Achse ICH (Geschäftsführung) und GLOBE zu starten, um die Komplexität der Situation darzustellen: Die Landkarte der Motive und indirekten/direkten Einflüsse von Politik und Verwaltung zeichnen.
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Die Kommunalpolitik haftet für das Image des Unternehmens (z. B. »Ich als Landrat habe es ermöglicht«). Einerseits wird die Verwaltung entlastet, da die finanzielle und personelle Aufgabe der Vermittlung an das Unternehmen delegiert wird, andererseits hat die Kommune ein Interesse, dass das Unternehmen gewinnorientiert geführt wird. Durch die entstehende Transparenz werden die Motivation für die Mitwirkung an den Prozessen gesteigert und Sicherheit im Umgang mit den Institutionen wird gefördert. Für die Mitarbeiter, insbesondere neue Mitarbeiter, ist es eine neue Herangehensweise an die Probleme: der Perspektivenwechsel von den eigenen Aufgabenbereichen hin zur Entwicklung der Gesamtzusammenhänge. Der Inhalt bietet mir als Moderatorin und den Teilnehmern genügend Raum, zwischen dem Sach- und Beziehungsthema (»schlechte Atmosphäre«) wechseln zu können. Die Historie ist leicht darstellbar.
Um die verschiedenen Punkte aufzuzeigen, bieten sich folgende Methoden an: Organigramme, Erzählung, PowerPoint-Präsentation, offene Arbeit im Raum (Organisationsaufstellung).
Im Hinblick auf die Prozessorientierung und auf die Vermutung, dass die Motive/Interessen der Prozessabläufe in diesem Stadium aushandelbar und flexibel sein müssen, wählte ich die Organisationsaufstellung im Raum mit Stühlen. Aufgestellt werden Fachgebiete (personengebunden), Kunden, Mitarbeiterpool, »Lieferanten«, Institutionen aus Politik und Verwaltung. Die zirkulären Fragen in der Aufstellung leiten sich ab aus dem Thema »Was unterstützt uns bei unserem Ziel: hohe Auslastung und Vermittlungszahlen?« Prozesssteuerung im Workshop Ich ziehe die Teilnehmer in die inhaltliche Arbeit hinein und stelle ihre Beziehung zu den anderen Faktoren her, indem ich mit einer imaginären Landkarte im Raum arbeite. Dies erleichtert den Teilnehmern das
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emotionale und kognitive Ankommen im Workshop. Die Tür zwischen dem Erleben vor dem Workshop und dem Kontakt zu den anderen Teilnehmern öffnet sich. Mit den Fragen »Aus welchem Ort bin ich heute angereist?« (ICH – WIR) oder »An welchem Ort befand ich mich, als das Unternehmen gegründet wurde?« (ICH – THEMA) überschreite ich die Schwelle zwischen ICH und dem Thema.
ES
An der Historie entlang Prozesse des Unternehmens kennen und verstehen lernen
GLOBE 2. Schritt: Wo war ich / Was tat ich zum Gründungszeitpunkt des Unternehmens?
3. Schritt: Geschäftsführung übernimmt die Darstellung der Entwicklung der Prozesse mit allen Beteiligten
ICH
In einer ruhigen Berghütte
WIR 1. Schritt: Einstieg: Landkarte: Wo bin ich heute morgen gestartet?
Abbildung 4: Prozessorientierung im Strategieworkshop
Die Geschäftsführung übernimmt fließend die Darstellung der Entwicklung mit den Fachabteilungen (GLOBE – ICH – THEMA). Die Planung geht auf – die Teilnehmer stellen Verständnisfragen, die Leitung antwortet und strukturiert die Veränderungen. Die Leistungen des »alten Hasens« und die Motivation der neuen Mitarbeiter werden angemessen gelobt und Abteilungsziele formuliert. Prozessorientierung erlaubt die Flexibilität im Workshop Vor einem Jahr veränderte sich die Marktsituation: Bisher war die Nachfrage nach Verleihkräften hoch. Zu den Kundenaufträgen wurden die passenden Mitarbeiter eingestellt und häufig vom Kunden in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Seit einem Jahr gehen die Übernahmequote und die Nachfrage nach Verleihkräften zurück. Der Vertrieb muss geeignete Kunden für vorhandene Mitarbeiter suchen. Die heutigen Prozesse beruhen deshalb auf veralteten Marktannahmen.
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An diesem Punkt verlassen wir die Vergangenheit und konzentrieren uns auf das Jetzt. Allen Anwesenden wird besonders deutlich, dass sich ein Teil der Problematik aus der veränderten Marktsituation ergibt. Die Geschäftsführung und die neueren Mitarbeiter im Unternehmen arbeiten konzentriert an der Frage: »Wie müssen wir die Prozesse gestalten, um uns am Markt zu unterstützen?« Der erfahrene Mitarbeiter ist zurückhaltend und gibt auf sachliche Nachfragen einsilbige, abweisende Antworten. Die Körperhaltung wirkt mit verschränkten Armen, Blick zum Boden und unmerklichem Kopfschütteln abweisend. Die Luft im Raum wird dicker. Wunderbar! Wird der erfahrene Mitarbeiter das unterschwellige Thema ansprechen? Im Sinne der TZI ist die Arbeit am ES wenig bis gar nicht effektiv, wenn ein Faktor gestört ist. Und eine Störung lässt sich kaum ignorieren oder vertagen. Wie Wasser suchen sich Störungen ihren Weg an die Oberfläche. In diesem Workshop war es sogar gewünscht, das Grundwasserrauschen aufzuspüren.
ES
Thema unklar oder für Teilnehmer uninteressant
GLOBE z. B. Lärm, kleiner Raum
ICH In der Person begründete Störung, z. B. eigene Werte, aber auch Krankheit
WIR Störungen im Miteinander, z. B. Konflikt untereinander
Abbildung 5: Störung
Im Fallbeispiel belasten verschiedene Konflikte um Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse zwischen an- und abwesenden Mitarbeitern die Stimmung. Wir bearbeiten erst den Konflikt und steigen anschließend wieder ein in die Klärung der Prozesse und Schnittstellen. Am Ende des Tages liegen ein ungewöhnliches, aber für diese Organisation
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nützliches Organigramm mit Abläufen und Schnittstellen sowie einem Aktionsplan vor. Den Ausstieg aus dem Tag bildet eine Skalenfrage zurück vom THEMA zur Person (ICH): »Wie gut fühlen Sie sich jetzt auf die anstehenden Aufgaben vorbereitet?« Prozessorientierung schließt mit ein, dass die für den Nachmittag vorbereitete Weiterentwicklung für das Team der Konfliktklärung weichen muss. Prozessorientierung schließt ebenfalls mit ein, dass ich einen Pool an Methoden für die einzelnen Faktoren kennen und sicher einsetzen können muss. Persönlicher Mut und die wertschätzende neutrale innere Haltung stützen die Prozessorientierung in der TZI. Häufig erhalte ich bei der Arbeit im Mehrpersonensetting Rückmeldungen wie »Wir waren/sind eine tolle Gruppe, nicht wahr?!« oder »In dieser Gruppe hier ist es mir leicht gefallen zu arbeiten«. Die TZI bereitet (und es gelingt oft) mit der dynamischen Balance der Faktoren den Raum für ein effektives Arbeiten.
Einzelarbeit und Taschenkompass der Führung TZI im Coaching Im Erstgespräch mit meinem Kunden will ich schnell begreifen, in welcher Situation er sich befindet. Wer ist noch mit von der Partie? Wie interagiert der Kunde mit den Faktoren? Welches Verhältnis ist für den Kunden besonders brisant? Beispiel: Mitarbeiter im technischen Werkzeughandel wird Teamleiter. Sein Anliegen formuliert Herr H.: »Ich fürchte den Widerstand der Teamkollegen. – Ich suche Methoden, mein Team gut zu führen.« Herr H. beginnt mit der WIR-ES (Thema)-Verbindung. Nach kurzer Zeit schwenkt er um. Er müsse sich erst um das Team und seine einzelnen Personen mit ihren Charakteren Klarheit verschaffen. Sein Ziel eines kooperierenden Teams soll in der ersten Teamsitzung bereits spürbar werden. Für diesen Termin konzentrieren wir uns auf die einzelnen Teammitglieder. Das Modell verwende ich oft in der Auftragsklärung. Ich kann die Perspektiven der einzelnen Faktoren einnehmen. Mit dem Perspekti-
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»Taschenkompass«: Das Vier-Faktoren-Modell der TZI
GLOBE • • • •
ES
Deutsches Großunternehmen B-2-B Offiziell: das Team zählt Verdeckt: der Umsatz zählt
• gutes Vertriebsteam sein • Kundenbindung und Umsatz
ICH – ES WIR – ES
Als Teamleitung möchte ich streng leiten und kooperativ führen
• Konkurrenzsituation
WIR
ICH
• Ingenieur • seit zwei Jahren im Team • Grundhaltung: »Da geht was!«
ICH – WIR
• unterschiedliche Interessen • heute Teamkollege, morgen Teamleiter
• Vertriebsteam Norddeutschland • Männer von 20–55 Jahren • Aus den Bereichen Wirtschaft und Technik • 1 neuer Kollege (seit 6 Monaten) • 1 Kollege kurz vor Rente (1 Jahr) p blockiert gerne • 6 erfahrene Kollegen
Abbildung 6: IST-Situation im Erstgespräch mit dem Coachee
venwechsel gelingt es schnell, zirkuläre Fragen zu formulieren. Für den Coachee bietet das Modell einen leichten und transparenten Wechsel auf die Metaebene. TZI-Dreieck als Taschenkompass für die Führungskraft Einige Führungskräfte nutzen das Modell in ihrem Alltag. Sie skizzieren die Faktoren für eine Analyse des Ist-Zustands, wenn sie schnell die Zusammenhänge und Abhängigkeiten erkennen wollen, die Motive der Beteiligten entziffern müssen, Handlungsalternativen und ihre Wirkungen abwägen.
Anschaulich und mehrdimensional In diesem Beitrag habe ich mich auf die Technik der vier Faktoren als systemisches Konzept konzentriert. Die TZI hat vieles mehr an Haltung, Fragen, Axiomen und Postulaten zu bieten. Das Modell besticht
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durch seine leichte Anwendbarkeit und es ist um eine weitere Dimension erweiterbar. ES GLOBE
ES GLOBE
ICH
WIR
WIR
Abbildung 7: Vier weitere Faktoren im ICH
Beim Faktor ICH kann zum Beispiel die Komplexität des inneren Teams eines Beteiligten dargestellt werden. Das ICH wird um weitere Faktoren ergänzt. Dabei bilden die einzelnen inneren Rollen die beteiligten ICHs, im WIR können die Gemeinsamkeiten und die Konkurrenz Platz finden. In der Ausrichtung auf das ES wird die gemeinsame Aufgabe des inneren Teams transparent. TZI erweist sich als leicht anwendbares Tool für Situationen, in denen Analyse, Planung und Prozesssteuerung notwendig sind.
Weiterführende Literatur Langmaack, B. (2004). Einführung in die Themenzentrierte Interaktion TZI. Leben rund ums Dreieck. Weinheim: Beltz. Ruth-Cohn-Institut (Hrsg.) (2010). Was ist TZI? Themenzentrierte Interaktion. Berlin. Schneider-Landolf, M., Spielmann, J., Zitterbarth, W. (Hrsg.) (2010). Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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»Taschenkompass«: Das Vier-Faktoren-Modell der TZI
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Die Autorin Bettina Hof (Jg. 1966) ist Trainerin Themenzentrierte Interaktion (TZI), Diplom-Betriebswirtin (FH), Systemischer Coach (SG). Sie unterstützt Führungskräfte besonders in der ersten Phase ihrer Führungsaufgabe und führt Workshops für Leitungsteams durch. Ihre mehrtägigen Veranstaltungen finden häufig in den Alpen statt. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.bettinahof.de
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Thilo Leipoldt
Kompetenztraining für Führungskräfte: Persönliche Wirkung erfahren
Dieser Beitrag beschreibt eine moderne Trainingsmethode für Führungskräfte, um situationsspezifisch Können zu entwickeln. Eingebunden in größeren Veränderungsprojekten erhöht sich die Umsetzungswahrscheinlichkeit. Veranschaulicht wird dies an zwei Praxisbeispielen. Lernen Sie als Personalentwickler oder verantwortlicher Weiterbildungsmanager eine Methode kennen, die die aktuellen Erkenntnisse über Erfolgsfaktoren der betrieblichen Erwachsenenbildung praktisch umsetzt. Holen Sie sich Ideen, wie Sie Ihr Seminar- und Trainingsportfolio noch attraktiver und wirkungsvoller machen können – zu allen Themen, bei denen die Umsetzung von Wissen in konkretes Tun dem Auftraggeber besonders wichtig ist. Erhalten Sie als Trainer oder Coach Einblicke in die Vorgehensweise eines Kollegen. Lassen Sie sich für Ihre eigene tägliche Arbeit inspirieren. Lesen Sie als Change-Manager oder -Experte über eine Möglichkeit, Führungskräfte im Zusammenhang mit Veränderungsthemen wirkungsvoll zu trainieren und in ihrer Rolle zu unterstützen.
Von der Wissensvermittlung zum Kompetenztraining »Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.« Was Johann Wolfgang von Goethe vor zwei Jahrhunderten erkannte, trifft auch heute noch zu. Nehmen wir zum Beispiel Führungskräfte, die zahlreiche Seminare besucht haben. Viele sind nicht in der Lage, etwas zu verändern. Selbst ein gutes Seminar garantiert keine Verhaltensänderung bei den Teilnehmern. Etwas zu wissen heißt eben noch lange nicht, es auch zu tun. Laufende oder anstehende Veränderungen in einem Unternehmen lassen sich jedoch nur bewältigen, wenn auch die Führungskräfte
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Kompetenztraining für Führungskräfte
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ihr Verhalten ändern. Umorganisation, Restrukturierung, Merger & Akquisitions und Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation lösen bei betroffenen Mitarbeitern oft starke Emotionen aus. Für die Erreichung der mit diesen Veränderungen einhergehenden Ziele ist der wirkungsvolle Umgang mit diesen Emotionen ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Das gewohnte Verhalten der meisten Führungskräfte reicht hierfür oft nicht aus. Ihr persönlicher Entwicklungsbedarf ist ihnen oft nicht bewusst. Um diesen zu erkennen und neue Verhaltensweisen einzuüben, ist das hier beschriebene Kompetenztraining entwickelt worden. Das Üben mit einem Professionellen Interaktionspartner, kurz PIPMethode, ist eine konsequent ressourcen- und lösungsorientierte Trainingsmethode. Die PIP-Methode unterstützt, Veränderungsthemen umzusetzen. Teilnehmer üben und probieren die geforderten neuen Verhaltensweisen mit der PIP-Methode auf eine wirkungsvolle Art aus. Sie erleben die Wirkung ihres eigenen Verhaltens, erkennen ihren blinden Fleck und erweitern das eigene Verhaltensrepertoire. Damit ist die PIP-Methode ein Beitrag zur Gestaltung gelebter Unternehmenskultur und erfüllt die Anforderungen eines Kompetenztrainings.
Abbildung 1: Von der Wissensvermittlung zur Kompetenzentwicklung
Das angestrebte Ziel eines Seminars ist, Wissen zu vermitteln. Der Anspruch eines Kompetenztrainings geht darüber hinaus und ist Können zu entwickeln. Dabei beschreibt der Begriff Kompetenz alles, was ein Mensch benötigt, um Probleme zu lösen. Das umfasst Wissen, Fähigkeiten und Erfahrung. Der Begriff »Kompetenz« wird hier nicht im Sinne der Befugnis, sondern in der Bedeutung von Befähigung oder Können verwendet. Gerade in Veränderungsprojekten begnügen sich die Verant-
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wortlichen gern mit umfangreichen Informationsveranstaltungen und gehen dann davon aus, dass die Betroffenen, »es schon hin bekommen«. Damit überlassen die Gestalter die gewünschte Verhaltensänderung der Bereitschaft und der Fähigkeit der Betroffenen, Neues zu wagen und Kompetenz eigenständig aufzubauen. Nur wo Betroffene diskutieren und praktisch üben können, wird Können aufgebaut. Auf diesem Weg wird der klassische Trainer mehr zum Coach oder Prozessbegleiter. Sein Wissensvorsprung verliert an Bedeutung. Seine Aufgabe ist es vielmehr, den Austausch über Können und gegenseitiges Feedback-Geben zu fördern. Die Wahrscheinlichkeit, Neues erfolgreich umzusetzen, steigt.
Die PIP-Methode Die PIP-Methode kombiniert Elemente des klassischen Verhaltenstrainings, des Gruppen-Coachings und des Übens mit einem Professionellen Interaktionspartner (PIP). Die praktische Gesprächsübung wird durch den Teilnehmer gestaltet. Er schildert Situationen oder Personen aus seinem Alltag und »programmiert« damit den PIP. Der PIP stellt sich auf die Situation ein. Wie im richtigen Leben sind seine Reaktionen nicht vorhersehbar. Das wichtigste Ziel des PIP ist es, stimmig auf das Verhalten seines Gegenübers zu reagieren. Dadurch wird dem Teilnehmer die Wirkung seines eigenen Verhaltens bewusst und seine Stärken und Entwicklungspotenziale werden sichtbar. Seine Selbstreflexion wird angeregt. Die individuellen Themen, die sich aus der Übung mit dem PIP ergeben, kann der Trainer oder Coach dann vertiefen. Der Teilnehmer entscheidet, wie er die Gesprächssituation gestaltet. Er beeinflusst, welche Atmosphäre und Begegnung dabei entsteht. Das macht selbst in einer größeren Serie jedes Gespräch zu einem Unikat, das die Handschrift des Teilnehmers trägt. Wenn sich beispielsweise ein Teilnehmer zu lange an einem Thema aufhält, aus einer Emotion nicht mehr herauskommt oder so in das Gespräch versunken ist, dass er die Zeit vergisst, macht der PIP seine Einwürfe und sendet entsprechende Signale. Die Aufgabe des PIP ist es, dem Übenden eine größtmögliche Plattform zu bieten, so dass ihm seine Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten sichtbar werden.
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Kompetenztraining für Führungskräfte
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Abbildung 2: Führungskraft übt mit PIP. Teilnehmer geben danach Feedback
Der Teilnehmer kann jederzeit die »Stopp-Taste« drücken. Unterbricht er die Übung, wird die Situation in Anlehnung an die kollegiale Beratung von der Gruppe diskutiert. Der PIP »spult« ein kleines Stück zurück, der Teilnehmer probiert neue Verhaltensweisen aus, bis eine sichere Argumentation oder die gewünschte Reaktion erfolgt. Der PIP steuert das Übungsgespräch nur selten – zum Beispiel in Konfliktsituationen, wenn er als »schwieriger« Mitarbeiter die Grenze gezeigt bekommen müsste. Wenn es ihm da ein- oder zweimal gelingt, die Situation zu dominieren oder sonst irgendwie unangenehm zu wer-
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den, ohne dass sein Gesprächspartner reagiert, dann muss er im Gegensatz zu realen Gesprächen dies nicht länger auskosten, sondern versucht durch Themen- und Emotionswechsel dem Teilnehmer zu helfen, die verbleibende Zeit zu nutzen und auch Stärken zu zeigen. Der Trainer bespricht in der Feedbackrunde die Entwicklungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der persönlichen Stärken. Die PIP-Methode geht über das klassische Rollenspiel hinaus. Sie bietet den entscheidenden Vorteil, dass durch einen externen Mitspieler Störfaktoren wie die »Firmenbrille«, bestehende Konflikte oder Goodwill-Reaktionen ausgeschaltet werden. Die Abgrenzung zum Unternehmenstheater liegt darin, dass es dem PIP nicht darum geht, Elemente der Schauspielerei ins Unternehmen zu bringen. Seine Absicht ist es, in weitestgehend realen Situationen realistisch auf das Verhalten seines Übungspartners zu reagieren. Ziel ist es, Sicherheit zu vermitteln und das Verhaltensrepertoire der Teilnehmer in herausfordernden Situationen zu vergrößern. Die Inhalte des Trainings ergeben sich aus den mitgebrachten Situationen der Teilnehmer. Der Trainer-Input steht gleichwertig neben dem Erfahrungsaustausch der Teilnehmer und im Zusammenhang damit, neue Ideen für Vorgehensweisen in herausfordernden Situationen zu entwickeln. Im folgenden Praxisbeispiel ist die PIP-Methode Teil eines Führungskräfte-Curriculums. Grundlagenwissen zum Thema Führung ist vermittelt. Die Teilnehmer kommen mit erster Anwendungserfahrung ins PIP-Training.
Praxisbeispiel 1: Allgemeines Kompetenztraining mit Professionellem Interaktionspartner Bei der Knorr-Bremse AG ist ein Kompetenztraining mit der PIPMethode fest im Weiterbildungsangebot für Führungskräfte enthalten. Leading by Excellence ist eine zweitägige Variante des Kompetenztrainings mit PIP. Michael Merkert, Corporate Personnel Development der Knorr-Bremse AG, möchte diesen Trainingsbaustein nicht mehr missen: »Unsere Führungskräfte werden mit dem PIP perfekt auf herausfordernde Führungssituationen vorbereitet.« Im Folgenden erhalten Sie
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Kompetenztraining für Führungskräfte
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einen Einblick in Ablauf und Inhalte des Trainings. Die Veranstaltung ist auf maximal acht teilnehmende Führungskräfte begrenzt. Das Training beginnt damit, eine vertrauensvolle und offene Lernatmosphäre unter allen Anwesenden zu schaffen. Nicht nur unter den Teilnehmern selbst, sondern auch zwischen den Teilnehmern, PIP und Trainer. Das ist eine Voraussetzung, um mit der PIP-Methode erfolgreich lernen zu können. Danach fragt der Trainer die persönliche Fragestellung jedes einzelnen Teilnehmers ab. Herausfordernde Kommunikationssituationen, die die Teilnehmer üben möchten, werden notiert. Hier einige Beispiele aus vergangenen Kompetenztrainings. Typische Situationen sind: Einer meiner Mitarbeiter hält seine Vereinbarungen nicht ein und erklärt mir immer wieder nur, dass andere dafür verantwortlich sind. Ich möchte meine Mitarbeiterin in ihrem persönlichen Entwicklungsprozess unterstützen. Ich treffe bei einem meiner Leistungsträger nicht den richtigen Ton, wenn ich ihn kritisiere. Er geht dann manchmal frustriert, manchmal ärgerlich aus meinem Büro. Mir steht ein Gespräch mit einem Kollegen aus der Nachbarabteilung bevor, in dem ich ihn gewinnen möchte, unsere Zusammenarbeit deutlich zu verbessern. Ich bekomme von meinem Chef keine konkreten Entscheidungen bzw. Aussagen. Ich pflege mit meinen Mitarbeitern ein eher freundschaftliches Verhältnis. Das ist im Alltag sehr angenehm, doch nun habe ich Probleme, die von der Geschäftsleitung geforderten Veränderungen und den strafferen Finanzplan in meiner Abteilung umzusetzen. Es stehen also die individuellen Lernprozesse der Teilnehmer im Vordergrund. Die Wissensvermittlung tritt in den Hintergrund. Ziel ist es, das notwendige Können aufzubauen, um mit herausfordernden Situationen besser, sicher und erfolgreicher umgehen zu können. Die praktische Übung mit PIP wird dann durch die Beantwortung folgender Fragen vorbereitet: 1. Wie ist die Ausgangssituation, die aus Ihrer Sicht zu dem Gesprächsbedarf führt? 2. Mit wem führen Sie dieses Gespräch?
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3. Was sind typische Aussagen und Reaktionen des Gesprächspartners? 4. Was wollen Sie erreichen? 5. Was wollen Sie anders machen als bisher, um Ihr Gesprächsziel zu erreichen? Die Antworten auf die Fragen 1 bis 3 dienen dem PIP dazu, sich auf die Übung einzustimmen. So ist er in der Lage, seine Reaktionen stimmig auf das Verhalten der Betroffenen auszurichten. Der PIP war erfolgreich, wenn der Teilnehmer am Ende sagt: »Ich hatte wirklich das Gefühl, ich sitze meinem Mitarbeiter gegenüber.« Frage 4 stellt sicher, dass der Teilnehmer sich ein realistisches Gesprächsziel vornimmt. Führungskräfte wollen am liebsten mit einem einzigen Gespräch »schwieriges« Mitarbeiterverhalten umfassend ein für alle mal verändern. Realistisch ist aber, dieses Mitarbeiterverhalten überhaupt erst einmal anzusprechen. Meist muss der Mitarbeiter dann eine Nacht darüber schlafen. Ein weiteres Ziel kann sein, danach den Mitarbeiter für eine Vereinbarung zu gewinnen. Vielen Führungskräften ist nicht bewusst, welche Auswirkungen das »Beteiligen und Einfordern« hat. Häufig fehlt ihnen die Orientierung, wann sie den Mitarbeiter an der Entwicklung einer Maßnahme, Verbesserungsidee oder Vereinbarung beteiligen sollen und was sie vom Mitarbeiter einfordern können. Erste Ideen zum eigenen Entwicklungsziel der Führungskraft kommen durch Frage 5 ins Gespräch. Sind die Inhalte geklärt, dann folgt das praktische Üben. Fehler machen ist ausdrücklich erlaubt. Die übende Person darf jederzeit die »Stopp-Taste« drücken. Dann diskutieren die anderen Teilnehmer eine Empfehlung zur weiteren Vorgehensweise in dieser Situation. Der professionelle Interaktionspartner »spult« einige Sekunden zurück, damit alternatives Verhalten ausprobiert werden kann. Erfahrungsgemäß haben die beobachtenden Teilnehmer hierbei oftmals Schlüsselerlebnisse zu eigenen Situationen. So entsteht ein gegenseitiges Unterstützen und Voneinander-Lernen. Das Feedback in der Runde ist bewusst auf einen positiven Aspekt pro Person (Teilnehmer und Trainer) und eine zukünftige Übungsaufgabe begrenzt. So entwickeln die Teilnehmer einen Blick für das Wesentliche und trainieren ihre persönliche Wahrnehmungs- und Feedbackfähigkeit. Hier ist der Trainer gefragt, diese Art des Feedbacks vor-
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zuleben und auf die Einhaltung der Spielregeln zu achten. Es soll kein Wettbewerb entstehen, wer am meisten gesehen hat oder etwas anders machen würde. Es geht viel mehr darum, dem Teilnehmer für seinen nächsten Schritt behilflich zu sein. Was kann der Übende umsetzen und wie verschafft er sich mit wenig Aufwand ein Erfolgserlebnis? Die Situation ist vergleichbar mit dem Skilehrer, der seine Skischüler am Hang vorfahren lässt. Ein guter Skilehrer zählt nicht auf, was alles noch zu verbessern ist, sondern weist darauf hin, was gut war. Er gibt dem Skischüler eine konkrete Aufgabe, auf die er sich bei seiner nächsten Abfahrt konzentrieren soll. Das praktische Üben und das Feedback regen den Teilnehmer an, seine Erkenntnisse und seinen eigenen Lernfortschritt zu reflektieren: »Ich muss konkret werden. Es reicht nicht, dem Mitarbeiter zurückzumelden, dass er sich kundenorientierter verhalten soll. Dadurch weiß er noch nicht, in welcher Situation er was anders machen soll.« »Meine Wahrnehmung als Führungskraft verändert sich. Wehret den Anfängen. Wenn mir etwas auffällt, spreche ich es in Zukunft gleich an und warte nicht, bis das Fass überläuft.« »Die beste Motivation ist, dass die Aufgaben zum Mitarbeiter passen. Dafür werde ich mich mehr interessieren.« »Ich verstehe nun, dass es auch wichtig sein kann, Unzufriedenheit bei meinem Gegenüber aushalten zu können.« »Ich muss lernen, zwischen meinen Erwartungen an das Ergebnis und dem Weg, wie der Mitarbeiter dahin kommt, zu trennen.« Vom Trainer erhalten die Teilnehmer im Sinne der Skilehrer-Analogie eine konkrete Kommunikationsaufgabe für die zweite Übungsrunde mit dem PIP am nächsten Tag. Es geht um ein Verhalten, das der Teilnehmer in einer bestimmten Situation ausprobieren soll. Das unmittelbare Erleben, wie sich das eigene veränderte Verhalten auf das Gegenüber auswirkt, ist in den meisten Fällen eine Initialzündung. Die Führungskraft hat erfahren, welches Verhalten mehr Erfolg verspricht, und die Wahrscheinlichkeit, dieses auch im Alltag anzuwenden, steigt. Die Führungskräfte der Knorr-Bremse AG, die an dieser Maßnahme teilnehmen, sind durchweg begeistert. »Ich kann nun die Mitarbeiterleistung besser an unseren Unternehmenszielen ausrichten« oder »Meine Gesprächszeiten sind kürzer geworden« oder »Ich erkenne den Ein-
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fluss meines Führungsverhaltens auf die Mitarbeiterbindung« sind nur einige Aussagen der Teilnehmer beim Rückblick auf das Training. Die Führungskräfte fühlen sich nach eigenen Aussagen durch das Training »gut vorbereitet«. Sie empfinden die Übungssituationen wie im echten Leben – mit dem Unterschied, dass sie schwierige Passagen so lange wiederholen können, bis sie sich sicher fühlen.
Der Professionelle Interaktionspartner (PIP) Der PIP ist ein ausgebildeter Schauspieler mit Fähigkeiten, die auch im Improvisationstheater gefordert sind. Seine Ausbildung als Schauspieler verschafft ihm eine breite Beschreibungs- und Wahrnehmungsfähigkeit für vielfältige Charaktere und deren Verhaltensweisen. Gepaart mit seiner Improvisationskunst erlaubt ihm das, stimmig auf das individuelle Verhalten von Führungskräften zu reagieren. Damit wird seinem Gegenüber sofort deutlich, ob er die Gesprächssituation meistert oder seine Gesprächsstrategie noch nicht erfolgversprechend ist. Der PIP ist mit den unternehmerischen Anforderungen von Führungskräften vertraut. Menschen zu führen heißt: Erwartungen deutlich machen, unterstützen und die Leistung des Mitarbeiters beurteilen und am Ende auch zu Konsequenzen stehen – im Guten wie im Schlechten. Nur ein PIP, der diese Situationen aus dem Führungsalltag selbst kennt, kann mit realistischem Mitarbeiterverhalten auf die übende Führungskraft reagieren. Langjährige Berufspraxis erleichtert ihm das Einfühlen in die Rolle der Betroffenen und das Darstellen emotionaler Reaktionen. Der Gradmesser für seine Fähigkeit ist die Bewertung des Teilnehmers, in welchem Maße er in den praktischen Übungen den Eindruck hatte, tatsächlich seinem eigenen Mitarbeiter gegenüberzusitzen. Die Haltung des PIP ist, ohne Berührungsangst, unvoreingenommen und mit viel Neugierde seinem Gesprächspartner zu begegnen. Gerade in emotional stark aufgeladenen Situationen lässt er sich nicht durch subjektive Wahrnehmungen leiten. Er gestaltet die Gespräche mit der erforderlichen Authentizität, so dass der Gesprächspartner schnell die Hürde der künstlich erzeugten Situation überwindet und sich so verhält, wie das auch in der realen Alltagssituation der Fall wäre. Er ist, wenn er auch zuweilen wirklich höchst unangenehme Verhaltensweisen zeigt,
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immer auf der Seite seines Gesprächspartners. Es geht ihm darum, dem Teilnehmer einen Anstoß zu geben, sich weiterzuentwickeln.
Abbildung 3: Stefan Luck, Professioneller Interaktionspartner (PIP) in Aktion
Für Stefan Luck, Professioneller Interaktionspartner, ist die Arbeit mit den Teilnehmern etwas ganz Besonderes: »Als professioneller Interaktionspartner habe ich das Glück, für einen kurzen Moment ein paar Schritte auf dem Weg meiner Gesprächspartner mitzulaufen. In der Gesprächssituation darf ich meine Gefühle, die der Andere in mir hervorruft, sofort deutlich zum Ausdruck bringen. Es ist ein unmittelbares Feedback auf sein Verhalten. Dafür ist der Andere dankbar. Das macht mich zufrieden.« Für die Teilnehmer ist der PIP stets ein Highlight. Sie können verschiedene Verhaltensweisen ausprobieren und erleben die ganze Bandbreite der entsprechenden Reaktion darauf.
Praxisbeispiel 2: Betriebliche Umsetzung eines neuen Entgeltrahmenabkommens Im ersten Praxisbeispiel bringen die Teilnehmer herausfordernde Situationen mit, an denen sie im Training üben. Die Situationen für die Gesprächsübung können jedoch auch vorgegeben werden. Die Inhalte des Trainings werden an die aktuelle Unternehmenssituation und den Veränderungsbedarf der Führungskräfte angepasst. In Veränderungsprozessen müssen oft Themen angesprochen werden, die emotionale Reaktionen auslösen. Das ist selbst für erfahrene Führungskräfte eine
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Herausforderung. Damit die Wellen nicht zu hoch schlagen, bedarf es einer passenden Unterstützung. Ein Beispiel hierfür ist das Entgeltrahmenabkommen (ERA), das in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie in Bayern bis zum September 2009 umgesetzt wurde. Die Einführung eines neuen Entgeltsystems ist eine massive Veränderung, denn es geht um das Geld, das ein Mitarbeiter jeden Monat für seine Arbeit mit nach Hause nimmt. Mit ERA wurden die Aufgaben von Mitarbeitern im Tarifkreis neu bewertet und mit neuen Entgeltgruppen hinterlegt. Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiter stark emotional hierauf reagieren – oft mit Enttäuschung und Unzufriedenheit. Die Führungskraft als erster Ansprechpartner hat hier einen entscheidenden Einfluss auf das zukünftige Leistungsverhalten. Die meisten Führungskräfte fühlen sich für die Umsetzung einer von außen aufgesetzten Veränderung jedoch erst einmal nicht verantwortlich. Abwarten ist charakteristisch: »Da muss doch erst mal die Geschäftsleitung oder die Personalabteilung die Mitarbeiter im Detail informieren.« Die mit ERA konfrontierten Führungskräfte argumentieren in dieser Phase aus der Mitarbeiterperspektive: »Die Mitarbeiter bekommen weniger Geld« oder »Ich war bei der Aufgabenbeschreibung beteiligt, aber die Bewertung der Aufgabe ist für mich nicht nachvollziehbar«. In einer zweiten Phase werden die Befürchtungen aus der eigenen Perspektive angeführt: »Mit ERA werden meine Mitarbeiter demotiviert« oder »Wie soll ich einem langjährigen guten Mitarbeiter erklären, dass seine Arbeit von heute auf morgen mehrere hundert Euro weniger Wert ist?«. Für eine erfolgreiche ERA-Einführung brauchen Führungskräfte eine für den Mitarbeiter und das Unternehmen konstruktive Haltung. Das ist für viele Unternehmen Anlass, ihre Führungsmannschaft kurzfristig zu trainieren. Ziel dieser Trainings ist es, Führungskräfte zu befähigen, souverän und überzeugend mit den Fragen und emotionalen Reaktionen ihrer Mitarbeiter umzugehen. Bevor die PIP-Methode eingesetzt werden kann, muss die inhaltliche Diskussion mit den Führungskräften geführt werden. Sie müssen ihre Befürchtungen äußern können, alle Sachverhalte liegen ehrlich und offen dar und die Argumente sind bekannt. Dann erst können Führungskräfte die erste Runde mit dem PIP üben. In der praktischen Übung erhalten sie Feedback darüber, wie sie
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als Führungskraft einem Mitarbeiter begegnen und wie die Argumente in ihren eigenen Worten wirken. Hier müssen Führungskräfte lernen, es auszuhalten, wenn die eine oder andere Regelung den Mitarbeiter schmerzt. Eine häufige Reaktion auf Schmerz eines anderen ist ein beschwichtigendes »Das ist doch nicht so schlimm!«. Darauf reagiert ein Kind, das sich beim Hinfallen wehgetan hat, allerdings damit, dass es lauter schreit. Damit drückt es aus, dass der Schmerz nicht klein geredet, sondern anerkannt werden soll. Erst wenn ein Kind diese Anerkennung spürt, kann es sich beruhigen. In diesem Zusammenhang bekommt Anerkennung als einer der wichtigsten Motivationsfaktoren eine neue Bedeutung. Es meint nicht loben, sondern anerkennen, was ist – im Positiven wie im Negativen. In den praktischen Übungen zeigt sich, wie schnell Mitarbeiter Führungskräfte aufs Glatteis führen können. Wie reagiert eine Führungskraft, wenn Mitarbeiter sich ärgerlich oder frustriert äußern: »Mein Kollege hat die gleichen Aufgaben wie ich und ist eine Entgeltgruppe höher« oder »Wenn ich weniger Geld bekomme, arbeite ich auch weniger«? Der Automobilzulieferer Continental Automotive Systems setzte an den Standorten Ingolstadt und Nürnberg die PIP-Methode ein, um seine Führungskräfte auf die Mitarbeitergespräche zur ERA-Einführung vorzubereiten. »Mit ERA bietet sich langfristig eine Chance, das Thema lebenslanges Lernen glaubwürdig umzusetzen. Engagement und Lernbereitschaft von Mitarbeitern werden besser gewürdigt.« Das ist die Überzeugung von Walter Schenk, Personalleiter bei Continental Automotive Systems. Die Einführung von ERA soll jedoch nicht an Mitarbeitern, Führungskräften und Betriebsräten vorbei geschehen. »Uns ist es wichtig, die Menschen für das Gedankengut des ERA zu gewinnen«, betont der Personalexperte. Das Unternehmen legt großen Wert auf die Schulung der Führungskräfte, damit diese die einzelnen Mitarbeiter individuell über die neue Entgeltsystematik aufklären können. Ein dreiteiliges Trainingskonzept hilft dabei: Schritt 1: ERA-spezifische Kenntnisse vermitteln, Schritt 2: Emotionale Betroffenheit aufdecken, Schritt 3: Durch Üben mit einem Professionellen Interaktionspartner Souveränität erreichen.
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Abbildung 4: Dreiteiliges ERA-Trainingskonzept
Die Sachkompetenz vermittelt ERA-Coach Gerhard Stuber vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. Das neue Kompetenztraining führte der Autor und der von ihm in der PIP-Methode qualifizierte Trainer mit dem Professionellen Interaktionspartner Stefan Luck durch. Für Walter Schenk ist die Wissensvermittlung zu den sachlichen Themen wichtig, aber ein Thema könne nicht nur unter dem Wissensaspekt betrachtet werden. »Wir setzen auf die PIP-Methode, damit wir die Fachinformationen nahtlos umsetzen können.« Ein StandardGesprächstraining sei im Fall der ERA-Einführung nicht hilfreich, führt er weiter aus. Das maßgeschneiderte Konzept für die Kommunikation berücksichtigt auch die emotionale Betroffenheit der Führungskräfte und Mitarbeiter. Ziel ist es, den Leistungseinbruch der Mitarbeiter durch die ERA-Einführung möglichst kurz und gering zu halten. Dazu müssen Führungskräfte mit ihrer eigenen emotionalen Betroffenheit umgehen, die Situation mit den richtigen Argumenten erklären und auf emotionale Reaktionen der Mitarbeiter eingehen. Es geht darum, eine Argumentationskette aufzubauen. Die PIP-Methode hilft, die überzeugende Darstellung und den Umgang mit emotionalen Reaktionen praktisch zu üben. Bei sensiblen Themen werden Fehler vermieden und die Führungskräfte fühlen sich sicher im Umgang mit Wut, Ärger und Enttäuschung. Walter Schenk, der für die ERA-Einführung verantwortlich ist, setzt die PIP-Methode ein, »weil wir den Mitarbeitern keinen Trockenschwimm-
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kurs anbieten möchten. Sie sollen die Möglichkeit haben, anhand realistischer Situationen zu üben.«
Was hat die PIP-Methode mit systemischer Steuerung zu tun? Für systemische Interventionen sind Rückkopplungsschleifen charakteristisch. Der übende Teilnehmer erhält mit der PIP-Methode auf verschiedenen Ebenen Rückmeldung zu seinem Verhalten. Die unmittelbarste Rückmeldung auf sein eigenes Verhalten sind die Reaktionen des PIP. Weiteres Feedback erhält er am Ende der Übung von den Teilnehmern und dem Trainer. Dass sich die Teilnehmer auf positives Feedback konzentrieren, entspricht dem Prinzip der Wertschätzung. Die Teilnehmer sind aufgefordert zu beschreiben, welche Verhaltensweisen des Übenden seinem Gesprächsziel dienten. Lernen bedeutet in diesem Sinne Verhaltens-Erfolgs-Zusammenhänge zu verstehen und neue Verhaltens-Erfolgs-Zusammenhänge auszuprobieren und zu erleben. Die erfolgreiche Umsetzung neuer Verhaltensweise ist die beste Verstärkung, um dieses Verhalten in ähnlichen Situationen wieder zu zeigen. Wer die Umsetzung von Veränderungen systemisch steuert, überlegt, mit welchem Hebel er bei geringem Aufwand eine möglichst große Lenkbewegung erzeugt. In Veränderungsprojekten werden häufig Methoden trainiert, die notwendig sind. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Kenntnis von Methoden noch lange kein Garant dafür ist, dass sie auch angewendet werden. So bauen viele Unternehmen Change-Management-Funktionen auf, um Veränderungsprojekte zu begleiten und die Betroffenen einzubinden. Doch häufig finden sich die Unternehmen eine gewisse Zeit nach Ende des Verbesserungsprojektes wieder im ursprünglichen Ausgangszustand. In diesen Fällen hat die Übergabe der Verantwortung für die Veränderung an die Organisation nicht funktioniert. Die entscheidende Bedingung für die nachhaltige Umsetzung einer Veränderung ist die Gestaltung einer passenden Führungskultur. Hier zu leistet die PIP-Methode einen wertvollen Beitrag.
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Der Autor Thilo Leipoldt (Jg. 1969), Diplom-Psychologe, ist geschäftsführender Partner von system worx GmbH & Co. KG in München. In seine Arbeit als Berater und Coach bringt er umfangreiche Erfahrung aus unterschiedlichen Positionen des Personalbereichs eines Großkonzerns (Siemens) ein. Seine Beratungserfahrung sammelte er als Niederlassungsleiter bei der PTA Praxis für teamorientierte Arbeitsgestaltung GmbH und bei einem der drei größten internationalen Anbieter für Management, Diagnostik und Führungskräfteentwicklung (Development Dimensions International). Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Fresenius in München im Fachbereich Wirtschaftspsychologie. Sein Arbeitsschwerpunkt ist FührungskräfteTraining und -Coaching im Kontext von organisatorischen Veränderungsprozessen. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.thiloleipoldt.de
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Internationale Führungskräfteausbildung am Beispiel Indien
Seit der vermehrten Öffnung des indischen Marktes in den 1990er Jahren wachsen nicht nur die Telekommunikations- und IT-Industrie, die in aller Munde sind, sondern auch die Maschinen- und Automobilproduktionen. Indien ist mit einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden, bei einem Bevölkerungswachstum von 1,4 % und einem Wirtschaftswachstum von 6 bis 9 % im Jahr in den letzten Jahren ein interessanter Absatzmarkt geworden. Unternehmen, die in Indien, aber auch in vielen anderen Ländern dieser Welt mit lokalen Mitarbeitern produzieren und vertreiben, kommen immer an ähnliche Fragen: Wie kommen wir auf die Stückzahlen in der Produktion oder im Vertrieb, die eine Fabrik im Ausland auch tragen kann oder einen Auslandsstandort wie Indien rechtfertigen? Wie schaffen wir im Ausland die gleiche Qualität der Produkte wie im Inland? Als Zulieferer hat man im Ausland oft die gleichen Kunden wie in Deutschland (z. B. Automotive). Dann kommt man automatisch ab einer gewissen Größe und einer Zahl an Führungskräften am ausländischen Standort an die Fragen: Wie schaffen wir ein einheitliches Führungsverständnis mit einer einheitlichen Führungsqualität? Wie transportieren wir unsere Unternehmenskultur und -werte, ohne die Landeskultur außer Acht zu lassen? Wie bilden wir unsere lokalen Führungskräfte und Mitarbeiter vor Ort qualitativ gut und einheitlich aus? So geht es auch einem international arbeitenden Maschinenbaukonzern, der eine Produktionsstätte in Indien installiert. Schnell sind 1000 Mitarbeiter aufgebaut, davon besteht fast das ganze obere Management aus europäischen Expatriates. In der Aufbauphase stellt das Manage-
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ment fest, dass das geforderte Qualitätsniveau nicht erreicht wird, und beschließt verschiedene Maßnahmen. Da das Unternehmen schon mehr als vierzig Jahre Erfahrung im Aufbau eigener Produktionsstätten im Ausland hat und in einigen Emerging Markets sehr gut etabliert ist, können sie auf reichhaltige Erfahrung zurückgreifen. Qualitätsspezialisten werden aus dem Headquarter nach Indien geschickt und trainieren die Manager und die Arbeiter in der Produktion. Das Recruiting aller Mitarbeiterebenen für alle Bereiche wird mit Hilfe von Assessment-Centern durchgeführt. Alle Expatriates werden vor Abreise in interkulturellen Kompetenzen geschult und länderspezifisch vorbereitet. Jetzt steht die Ausbildung der indischen Führungskräfte vor Ort an.
Ausgangssituation
Der Produktionsprozess ist noch nicht stabil, da die Fabrik in der Aufbauphase ist. Die geforderten Stückzahlen werden nicht erreicht. Die geforderte Qualität wird nicht erreicht. Es wird gerade auch von den Führungskräften viel »geschrien« in der Produktion, anstatt im Team Probleme zu besprechen und Lösungen zu erarbeiten.
Auftragsklärung Sie findet für mich mit dem internen Personalentwickler statt, der für die Führungskräfteentwicklung zuständig ist. Ein Gespräch führen wir gemeinsam mit dem HR Head Indien: zunächst über Telefon, dann persönlich. Ein Gruppengespräch gibt es mit einigen indischen Führungskräften der potenziellen Teilnehmergruppe kurz vor den ersten Trainings.
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Hypothesen Es scheint, dass es für die Führungskräfte schwer ist, die Prozesse über Fakten zu analysieren und Fehler im Team zu beheben; dass die Führungskräfte kaum delegieren und ihren Mitarbeitern Verantwortung übergeben; dass die Führungskräfte kaum Feedback geben, und wenn doch, dann wird viel geschrien, auch unter Führungskräften gleicher Ebene.
Ziele Aus den Hypothesen ergeben sich folgende Ziele: Die indischen Führungskräfte steuern ihre Teams zur geforderten Zielerreichung in der Produktion bezüglich Tagesstückzahl und Qualität und entwickeln die Prozesse eigenständig mit ihren Teams und Gruppenleiterkollegen weiter. Ziel ist, dass so ein stabiler Produktionsprozess entsteht. Dafür kennen sie die notwendigen Führungsmethoden und Tools, die dafür hilfreich sind. Zudem schließt jede Führungskraft mit seinem Team ein Verbesserungsprojekt innerhalb der Ausbildung ab und präsentiert die Ergebnisse. Während der Ausbildung der Gruppenleiter werden parallel (training on the job) zwei indische Managementtrainer ausgebildet, die dann diese Form der Führungskräfteausbildung eigenständig weiterführen können.
Im ersten Schritt gehören alle Gruppenleiter der Produktion zur Zielgruppe.
Konzeptentwicklung Im Konzern gibt es bereits ein Ausbildungskonzept für diese Führungskräfteebene in der Produktion. Jedoch können wir bei den deutschen Kollegen sehr viel mehr Wissen und Methodenkenntnis voraussetzen. So entwickeln wir das Konzept aus dem bestehenden Konzept, passen
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es den indischen Gepflogenheiten und der Kultur an. Wir ergänzen, was uns als sehr wichtig für die Zielerreichung erscheint, und verlangsamen das Tempo. Wir gehen davon aus, dass wir mit den indischen Kollegen aufgrund des weniger vorhandenen Vorwissens – vor allem was Reflexionsprozesse und Feedbackschleifen angeht – mehr Zeit für diese Seminarteile benötigen. So beginnen wir nicht mit Spiegelungsübungen, nicht mit kollegialer Beratung und auch nicht mit gruppendynamischen Übungen. Stattdessen fangen wir mit den Visionen und Langzeitzielen des Unternehmens an; mit einem wunderschönen Unternehmensfilm, der ihnen bewusst machen soll, in was für einem professionellen, weltweit agierenden Unternehmen sie arbeiten. Dann folgt ein interkultureller Kultursensibilisierungsteil IndienDeutschland, denn im Gegensatz zu den Expats wurden die indischen Kollegen nicht vorbereitet.
Wo sind die beiden Kulturen sich eher ähnlich? In der deutschen Kultur werden wenige Emotionen gezeigt. In der indischen auch nicht sehr viel. Aber man entscheidet sehr emotional. Auf der Seite der Risikovermeidung stehen beide Kulturen relativ hoch; Deutschland etwas höher. Also befinden sich beide nicht auf der Seite Risikofreudig. Beide Kulturen stehen auf der Seite Statusbewusstsein. Das bedeutet zum Beispiel, dass man das, was man hat, auch zeigt (z. B. mein Haus, mein Auto), Titel sind wichtig und die Zugehörigkeiten zu elitären Gruppen sind erstrebenswert. Beide sind nicht auf der Seite Gleichheit wie beispielsweise die USA, Schweiz oder Australien (vgl. Abb. 1).
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Abbildung 1: Ähnlichkeiten in der deutschen und indischen Kultur (www.globeSmart.com/academicAccess) – Ind. = Indien; Dtld. = Deutschland
Wo liegen die Unterschiede in den beiden Kulturen? Mit diesem Hintergrund haben wir unsere Trainings wie folgt aufgebaut. In dem interkulturellen Teil fokussieren wir (aus Zeitgründen) auf: den sicher irritierendsten Unterschied, nämlich die direkte Form der deutschen Kommunikation im Gegensatz zur indirekten Form der indischen Kommunikation. Die starke Faktenorientierung der deutschen Kultur vs. der Beziehungsorientierung der indischen Kultur; das unterschiedliche Zeitverständnis und die Kurzfristplanung der indischen Kultur vs. der Langfristplanung in der deutschen Kultur und deren Auswirkungen im Geschäftsalltag; das unterschiedliche Qualitätsverständnis mit der Überlegung, wie dieses in beiden Kulturen entstand; das unterschiedliche Führungsverständnis, zum Beispiel die deutsche Führungskraft erwartet von seinem Mitarbeiter Eigenverantwortung und Mitdenken (niedrige Machtdistanz). Der indische Chef erwartet Loyalität, Respekt und Unterwerfung (hohe Machtdistanz). Der »gute« indische Chef ist stark bestrebt, »sich zu kümmern« und eine emotionale Beziehung zum Mitarbeiter aufzubauen. Dafür bekommt er Respekt, Loyalität und Hingabe. Was haben die Gruppenleiter in der Praxis schon alles erlebt und wie können sie jetzt damit umgehen?
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Abbildung 2: Unterschiede in der deutschen und indischen Kultur (www.globeSmart.com/academicAccess) – Ind. = Indien; Dtld. = Deutschland
Dieser interaktive Teil (mit Aufstellung, Gruppenarbeit und Rollenspiel) führt zu dem einen oder anderen Lacherfolg und zur Wiedererkennung des bereits Erlebten im Unternehmensalltag sowie zu einigem Nachdenken. Der interkulturelle Teil ist wichtig, weil ein großer Teil der obersten Führungskräfte im direkten und indirekten Bereich Europäer sind und die indischen Gruppenleiter sich jetzt leichter das manchmal irritierende Verhalten erklären können und Möglichkeiten haben, anders damit umzugehen. Jetzt wird dadurch für alle auch ein großer Teil der gelebten
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Werte im Gesamtunternehmen klarer und logischer, wie zum Beispiel Zeitplaneinhaltung, Ordnung, strukturiertes Arbeiten in klaren Prozessen, Delegation und Eigenverantwortung, was wiederum Auswirkungen auf die Qualität hat. Die direkte Form der Kommunikation, Fehler anzusprechen und schnell auf den Punkt kommen, wird als irritierend wahrgenommen. Die indirekte Form der indischen Kommunikation führt dazu, dass sich viele Mitarbeiter nicht realistisch einschätzen, denn Feedback, vor allem negatives, ist selten oder unklar. Man konfrontiert eher nicht, damit der Andere nicht sein Gesicht verliert. Wenn der Chef doch kritisiert, dann schimpft er meist und der Mitarbeiter weiß hinterher oft nicht, was er stattdessen anders machen soll. Die mögliche Feedbackstruktur, die wir ihnen vorstellen und auch üben, wird gerne angenommen, in der Praxis enthusiastisch ausprobiert und als hilfreich erlebt. Aber sie erleben es auch als gewöhnungsbedürftig und nicht einfach. Auch bei den Verbesserungsprojekten der Produktionsprozesse haben wir festgestellt, dass sich die indischen Kollegen sehr schwer tun zu reflektieren: Was läuft gut und was läuft nicht gut? Denn dann hätte man Fehler eingestehen müssen, und das würde wieder Gesichtsverlust bedeuten. So springen sie oft sofort bei der Analyse in die Zukunft: »Das müssen wir so machen.« Das kenne ich schon aus anderen Produktionen in Indien. Wir sollten diese Reflexionsschleifen noch ganz intensiv im 2. und 3. Modul über Gruppenübungen und über die kollegialen Beratungseinheiten üben (s. Abb. 3). Dort springen sie bei der Auswertung der Übung auch im Anfang immer in das Gewohnte: »Wir hätten das so … oder so … machen müssen.« An der Ecke haben die indischen Kollegen riesige Entwicklungssprünge gemacht. In der ersten kollegialen Beratung sind dies die Themen: Wie strukturiere ich meine Präsentation, wenn ich mein Projekt vor den Führungskräften präsentieren muss? In der dritten kollegialen Beratung kommen hauptsächlich diese Themen: Wie löse ich das Problem mit meinem Chef, meinem Kollegen oder meinem Mitarbeiter? Da wir wissen, dass in Indien sehr stark akademisch, theoretisch, dozierend trainiert wird, fangen wir auch ganz bewusst mit Inputthemen an, machen zu jedem Theorie-Input eine praktische Übung und gehen erst langsam zu Reflexionsübungen, kollegialer Beratung und
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gruppendynamischen Übungen sowie Spiegelungsübungen über. In China hatten wir ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Damit machen wir es auch unseren indischen Managementtrainerkollegen leichter, sich in unsere Arbeitsweise einzufinden. So können wir langsam eine gemeinsame Wirklichkeit und einen gemeinsamen Bedeutungsraum schaffen (Kulturbegegnungsmodell, B. Schmid) – sozusagen, um alle zu akklimatisieren. Uns auch.
Abbildung 3: Der Ablauf der Führungskräfteausbildung
Zeitplan Der Zeitplan entsteht pragmatisch dadurch, was man in einer Woche schaffen kann: ein Training, eine kollegiale Beratung mit den Führungskräften sowie Nach- und Vorarbeit (auch Verändern des Konzeptes), Feedback und Lernschleifen mit unseren indischen Trainerkollegen. Am Wochenende haben wir dann Seile auf dem Markt besorgt, im Schwimmbad des Hotels gewässert und anschließend getrocknet, damit sie nicht so hart und für unsere Übungen brauchbar sind. Die Kellner des Hotels sind da ausgesprochen hilfreich und finden es sehr lustig. Bambusstäbe und andere Kleinigkeiten, die wir für Übungen brauchen, finden wir auch auf diversen Märkten. Schon nach unserem 1. Modul sind in allen Schreibwarenläden der Stadt die Flipchartblöcke ausverkauft, aber zum 3. Modul gibt es wieder welche.
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Die Inhalte im groben Überblick Modul 1 Unternehmenskultur, Ziel und Visionen, interkulturelle Sensibilisierung, erster Einstieg in das Thema »Führung« über Theorie und kleine Übungen, die Rolle als Führungskraft mit der Theatermetapher, Vision, Ziele, Aufgaben, Projektklärung. Modul 2 Tieferer Einstieg in das Thema »Führung und Gesprächsführung, Kommunikation« über Theorie und viele Übungen. Erste Gruppenübungen mit Reflexionsschleifen und erste Moderationsübungen. Modul 3 Gruppe und Team steuern mit vielen Übungen, Reflexionsschleifen, Wiesloch-Übungen wie TUMA (Teamumfeldanalyse, Soziogramm) und Gruppenübungen sowie Feedback, was sie sich zu diesem Zeitpunkt schon sehr professionell gegenseitig geben können. Präsentation der Praxisprojekte. Die Teilnehmergruppengröße liegt zwischen 10 und 16 Teilnehmern. Wir deutschen Trainer betonen immer wieder, dass wir die Führungskräfte in ihrer praktischen Arbeit unterstützen, ihnen Methoden und Hilfsmittel an die Hand geben möchten, die ihnen die Arbeit als Führungskraft in diesem anspruchsvollen Aufbauprozess erleichtern sollen. Wie ein Mantra wiederholen wir: »Probieren Sie es aus und bringen Sie Ihre Erfahrungen ins nächste Modul mit. Passen Sie die Methoden an Ihren Stil an und nehmen Sie, was Sie brauchen können; was Sie nicht brauchen können, lassen Sie weg und berichten uns.« Wir machen die Führungskräfteausbildung der indischen Manager und das parallel laufende »Train the Trainer« mit zwei deutschen Management-Trainern (ein interner und ein externer, wobei ich als externer auch noch interkultureller Trainer mit jahrelanger Arbeitserfahrung in Indien bin und schon viele indische Führungskräfte trainiert habe).
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Tabelle 1: Eine kleine Gegenüberstellung der Trainingsmethoden und Ansätze Managementtraining in Deutschland Managementtraining in Indien tendenziell:
tendenziell:
• praxisorientiert
• akademisch dozierend
• interaktiv
• Rollenspiele nur mit positivem Feedback oder »You have to …«
• Selbstreflexion mit Feedbackschleifen
• viel Theorie aus US und Indien
• die kooperative, situative Führung als Ansatz
• »The nurturant task leadershipstyle« nach J. B. P. Sinha als Vorbild eher »care taking«
Die große Herausforderung ist, wie erwartet, das »Train the Trainer« von den indischen Trainern, die angestellte Mitarbeiter des indischen Unternehmens sind. Wie man sich nach der Übersicht in Tabelle 1 vorstellen kann, ist es für unsere indischen Trainer kein Problem, die theoretischen Inhalte zu vermitteln und sie mit Beispielen anzureichern. Aber die Herausforderung für uns besteht darin, ihnen über eine relativ kurze Zeit interaktives Arbeiten mit Gruppen beizubringen, Gruppenreflexion über Fragen zu steuern und zu moderieren und nicht nur zu »dozieren«; in der kollegialen Beratung nicht mit »Ratschlägen« zu glänzen und Sätze wie »You have to do …« zu vermeiden. Auch bei uns Trainern ist das unterschiedliche Zeitverständnis eine Herausforderung. Selbst wenn man weiß, dass das Leben ein ewiger Kreislauf aus Leben und Tod ist, das sich hunderte Male wiederholt und somit in Indien viel Zeit vorhanden ist; dass man in Indien immer mindestens fünf Dinge gleichzeitig jongliert und alles der Beziehungspflege unterordnet. So wollen wir doch gern das Fotoprotokoll spätestens zwei Tage nach dem Training verschicken. Unsere indischen Trainerkollegen stört es nicht, wenn es eine Woche und länger dauert. Man muss natürlich auch sagen, dass der Server des Hotels öfter nicht funktioniert. Was unsere indischen Trainerkollegen glaubhaft versichern ist, dass sie unser Arbeitspensum nicht gewöhnt sind. Keiner von ihnen hat jemals länger als bis 18 Uhr ein Seminar gehalten. Aber wir arbeiten in allen Modulen mit Abendeinheiten, in denen wir Gruppenübungen, kollegiale Beratung und intensive Seminarpartnergespräche machen. So sitzen wir deutschen Trainer immer alleine nach dem Abendessen
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zusammen und bereiten den nächsten Tag vor, denn unsere indischen Trainerkollegen liegen schon im Bett, treffen Freunde oder telefonieren – machen Beziehungspflege. Wir sind also bei allen Trainings zu viert. Beim ersten Durchgang sitzen die indischen Trainer nur als Teilnehmer im Training, damit sie es aus dieser Perspektive einmal erleben können. Die Übungen machen sie als Teilnehmer mit. Bei der zweiten Gruppe übernehmen die indischen Trainer kleine Einheiten selbst und bekommen Feedback von uns. Beim dritten Durchgang machen die indischen Trainer alle Module und Einheiten eigenständig und bekommen Feedback von uns. Manchmal brauchen sie natürlich ein bisschen Support an der einen oder anderen Stelle, aber das läuft dann gut.
Unsere Erfahrungen Wie die indischen Führungskräfte unsere Arbeit aufnehmen, haben wir so erlebt: Es ist für uns beeindruckend, wie intensiv sie versuchen, die Inhalte umzusetzen. In dieser aktiven, engagierten und enthusiastischen Form haben wir das nicht oft in Deutschland erlebt. Die indischen Führungskräfte finden es hilfreich, dass wir nach jedem inhaltlichen/theoretischen Input eine Übung dazu machen. Das hilft ihnen, das Gelernte direkt in die Praxis zu übertragen. Sie finden es gut, dass wir uns über drei Monate mehrmals in der derselben Gruppe und mit denselben Trainern wiedertreffen. Damit wurde Vertrauen geschaffen und Offenheit ermöglicht. Das ist in einer Beziehungskultur ganz wichtig. Zitate der indischen Gruppenleiter (der Teilnehmer)
»Schon nach dem 2. Modul hat sich unser Umgang in der Produktion verändert, wir haben uns nicht mehr so oft angeschrien. Wir haben öfter Fragen gestellt: Wie siehst du das, wie ist deine Perspektive? Was hast du für eine Idee? Was machen wir jetzt?« »Jetzt fällt uns auf, dass die Führungskräfte, die noch nicht in der Ausbildung waren, ganz anders kommunizieren und denken. Sie
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stellen kaum Fragen und schreien viel mehr. So entsteht ein Sog, dass die Kollegen, die noch nicht im Training waren, auch gern hingehen möchten.« »Meine Mitarbeiter haben mir bestätigt, dass ich jetzt klarer bin; sie jetzt wissen was ich von ihnen erwarte«, sagt ein Gruppenleiter im 2. Modul. »Jetzt fällt uns auf, dass unsere Führungskräfte die Inhalte noch nicht kennen und vielleicht lernen sollten.« Das Feedback der Führungskräfte unserer Gruppenleiter
Dies war in ähnlicher Richtung: »Die Gruppenleiter haben jetzt eine andere Form der Gesprächsführung, was schon zu einer neuen Gesprächskultur führte. Mehr Feedback, weniger Schreien, klarere Wünsche und Anweisungen. Wir entdecken, dass sich die Gruppenleiter alleine mit Kollegen und Mitarbeitern hinsetzen, Prozesse analysieren und Lösungen entwickeln und uns dann nur noch fragen, ob sie das so machen können. Auch mit Kollegen aus angrenzenden Abteilungen wird versucht Lösungen zu finden.«
Unsere Learnings
Während des 1. Moduls der 1. Gruppe stellen wir schnell fest, dass wir das Modul um einige Inhalte verschlanken müssen. Wir können keine Inhalte voraussetzen und müssen langsamer arbeiten als in Europa – noch langsamer, als wir am Anfang annahmen. Da die Teilnehmer im Plenum zu Beginn kaum Fragen stellen, müssen wir immer wieder in Kleingruppen gehen, Praxisübungen machen und Fragen klären. Das nächste Mal würden wir sicher die Führungskraft der indischen Trainer sehr viel mehr einbeziehen. Er hat seine beiden Trainer für drei Monate in die »Train the Trainer«-Ausbildung gegeben und hat sie nach drei Monaten wieder aufgenommen, ohne sich um die Inhalte zu kümmern, ohne sich um die Performance zu kümmern und darum, an welchen Themen sie sich noch weiterentwickeln können. So ist es für ihn schwer, die Performance wirklich zu kont-
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rollieren und die Trainer weiterzuentwickeln, und es würde uns die Führung der Trainer erleichtern. Wir hätten in der Auftragsklärung auch gern mit dem Werksleiter und dem Produktionsleiter gesprochen. Schön wäre es gewesen, wenn sie sich die Zeit genommen hätten. Erst am Ende der Ausbildung, als festzustellen war, dass sich merklich etwas veränderte, nehmen sich der Produktionsleiter und seine Führungskräfte mehrfach die Zeit und hören sich die Präsentationen über die Verbesserungsprojekte an. Sie waren bei der Feedbackrunde der Führungskräfte unserer Gruppenleiter dabei. Das ist wunderbar, denn es ist eine sehr schöne Wertschätzung für unsere Gruppenleiter. Für uns »ISBler« (Institut für systemische Beratung) wäre sicher ein systemischer Organisationsentwicklungsansatz von Anfang an noch schöner als erst einmal eine Einzelmaßnahme, die dann weitergeführt wird. Ein Top-down-Ansatz von der indischen Geschäftsleitung über die nächste Managementebene der Expatriates zu den nächsten indischen Führungsebenen; begleitet von Teamentwicklungsworkshops, also ein Gesamtkonzept. Ich glaube, dass wir dieses Konzept auch auf andere Länder übertragen können und unsere systemischen Modelle auch international tragen. Wichtig ist für mich, es an die Kultur anzupassen und erst einen gemeinsamen Bedeutungsraum und eine gemeinsame Wirklichkeit zu finden. Aber für mich beweist unser Maschinenbauunternehmen, wie international die Personalentwicklung schon ausgerichtet ist. Der nächste Schritt wird nämlich die Ausbildung der Chefs unserer Gruppenleiter sein und der indischen Führungskräfte in den Nicht-direkten-Bereichen. Wenn wir die wissenschaftliche Seite der Personalentwicklung anschauen, geben die Studien auch keine Antwort zu internationaler Personalentwicklung und liefern keine globalen HRD-Konzepte; sie befassen sich eher mit a) der Ausrichtung der Personalentwicklung an die Unternehmensstrategie (Meifert, 2010). Die Topthemen der Personalarbeit (Jochmann, 2010); b) Talentmanagement (Fernández, Groysberg u. Nohria, 2009). Diese Studie berichtet, dass der Wunsch der CEOs internationaler Groß-
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unternehmen ist, dass eine größere Vielfalt hinsichtlich Nationalität und Geschlecht in leitenden Positionen Wirklichkeit werden soll; c) dem Internationalen Einsatz von Fach- und Führungskräften. Das Thema ist interkulturelle Kompetenzentwicklung, interkulturelle Trainings, länderspezifische Trainings der »Interkulturalisten« (Hofstede, Trompenaars, Rosinsky, Thomas, Bolten, Kammhuber etc.) oder »Internationalisierung in die Personalentwicklung integrieren« (Müller et al., 2010). Zu a): Die Unternehmensstrategie als Basis für die Personalentwicklung wird in allen Studien, die ich finde, rein national abgehandelt. Auch wenn die Businessstrategien international sind. Zu b): Zum Thema Talentmanagement reklamieren selbst die Autoren (Fernandez, Groysberg u. Nohria, 2009), dass die CEOs keine Mühe hatten, die Umsätze für die nächsten drei Jahre zu prognostizieren und sie in geografische Regionen aufzuteilen. Sie hatten also einen detaillierten, internationalen Geschäftsplan. Aber die wenigsten hatten selbst bei der Personalbeschaffung einen strategischen, internationalen Plan, um dem eigenen Wunsch nach mehr Vielfalt gerecht zu werden. Zu c): Dieser Punkt befasst sich eher nur mit dem Einsatz von Expatriates, der Vorbereitung auf den Auslandseinsatz und die Entwicklung ihrer interkulturellen Kompetenzen. Die Repatriates werden noch wenig behandelt und auch die Nutzung der erworbenen Kompetenzen der international erfahrenen Menschen, um Diversity im eigenen Hause weiterzuentwickeln. Aber keine der Studien befasst sich mit systemischen, internationalen Personalentwicklungskonzepten, die nicht nur die Ausbildung der Expatriates beinhalten, sondern auch die Ausbildung der lokalen Fach- und Führungskräfte. Dabei meine ich nicht nur ein vielleicht einheitliches, weltweites Projektmanagementsystem, was natürlich ein guter erster Schritt sein kann. Auch nicht die interkulturelle Vorbereitung der Expats, was auch wichtig ist. Das ist für mich nur ein kleiner Teil von internationaler Personalentwicklung. Im Zuge von Diversity sollte auch der eine oder andere High Potential aus der ausländischen Niederlassung (und nicht ein in den USA oder im UK aufgewachsener und sozialisierter Chinese oder Inder) im
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Management des Mutterhauses platziert werden können. Man muss ihn dort dann nicht als Fremdkörper sehen, sondern als Bereicherung. Systemisch gesehen kann das der Internationalisierung der Gesamtunternehmenskultur, dem Diversity-Gedanken und den weltweiten Geschäftstätigkeiten nur förderlich sein. Denn es gibt in Europa immer mehr Unternehmen, die einen großen Teil ihres Umsatzes im Ausland machen und wo somit ein Großteil ihrer Mitarbeiter im Ausland arbeitet. Als Beispiele: ca. 80 % der Mitarbeiter von Hochtief (Finanzen, 8/2010), 70 % der Mitarbeiter von Siemens (Welt Online 9/2010) oder 60 % der Mitarbeiter von Bosch (Zehnder International) arbeiten im Ausland. Ist die Personalentwicklung dafür schon international genug aufgestellt?
Literatur Dave, U. (2008). Strategische Personalentwicklung. Berlin: Springer. Fernández-Aráoz, C., Groysberg, B., Nohria, N. (2009). Talentmanagement. Harvard Business Review, 5. Jochmann, W. (2010). Status Quo der Personalentwicklung – eine Bestandsaufnahme. In M. T. Meifert (Hrsg.), Strategische Personalentwicklung (S. 29–43). Berlin: Springer. Mehl-Lammens, P. (2006). Geschäftserfolg Indien. Zürich: Orell Füssli. Meifert, M. T. (2010). Prolog – Das Etappenkonzept im Überblick. In M. T. Meifert (Hrsg.), Strategische Personalentwicklung (S. 63–75). Berlin: Springer. Müller, H., Thomas, A., Müller, J. (2010). Wie internationalisieren? Wege zu einer internationalen Personalentwicklung. In M. T. Meifert (Hrsg.), Strategische Personalentwicklung. Berlin: Springer. Downloads aus dem Institut für systemische Beratung (www.systemische-professionalitaet.de) Nr. 018: Fauser, P. (1996). Supervision in der Führungskräfteentwicklung. Nr. 611: Veith, T. (2003). Kollegiale Beratung und Lernkulturentwicklung. Nr. 131: Schmid, B. (2009). Kollegiale Beratung und Kooperation am Arbeitsplatz. Nr. 090: Schmid, B. (2004). Der Einsatz der Theatermetapher in der Praxis. Nr. 502: Schmid, B., Liebig, S., Systemische Beratung und Supervision im Gespräch. Nr. 015: Schmid, B. (1991). Kulturbegegnungsmodell.
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Petra Mehl-Lammens
Die Autorin Petra Mehl-Lammens (Jg. 1957) ist seit zwanzig Jahren Personal- und Organisationsentwicklerin, Executive Coach und Managementtrainerin. Master am Institut für systemische Beratung, Gestalttherapeutin, internationale Ausbildung zum Performance Consultant, MBTI. Zu ihren Beratungsschwerpunkten zählen Organisationsentwicklung und internationale Personalentwicklung. Sie begleitet Führungskräfte und Teams in Veränderungsprozessen, bei Umstrukturierungen, in internationalen Joint Ventures und Niederlassungen. Sie macht Führungskräfteausbildungen in Europa und in Asien (Indien und China), für neu ernannte Führungskräfte und spezielle Führungskräftetrainings für Führungskräfte mit Erfahrung sowie Cross-Culture-Training »Indien–Deutschland«. Petra Mehl-Lammens blickt auf eine jahrelange eigene Führungserfahrung zurück. Fast zehn Jahre in einer Großbank, Leiterin des Trainingsinstituts und Personalentwicklerin und Managementtrainerin, zuletzt verantwortlich für Change Management. Mehr als zehn Jahre Arbeitserfahrung in Indien. Seit 1996 selbständig. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Mixed Leadership – Die Erfolgspotenziale gemischter Führung
Im Rahmen eines Workshops zu unserem Arbeitsansatz mit Personalern stellten wir uns die Frage: Wie ist ein guter Einstieg? Wir wählten Fragen aus, die eine Brücke schlagen sollten: Unser Ansatz – ihre Unternehmensrealität. Diese Fragen stellten wir vorab: Nutzt Ihr Unternehmen das Potenzial seiner Mitarbeitenden beiderlei Geschlechts in vollem Umfang? In Führungsverantwortung, als Expertise, in der lateralen Führung? Wären alle aktuell vorhandenen Führungsfunktionen von einem kraftvollen Vertreter des anderen Geschlechts besetzt – was wäre der konstruktive Unterschied, den dieser Wechsel bewirken würde? Was würde fehlen? Was würde Ihr Unternehmen gewinnen, könnte es das aktuell vorhandene Potenzial weiterhin nutzen und darüber hinaus den Zugang zu ungenutzten Ressourcen erlangen? Wie würde sich die Kultur Ihres Unternehmens entwickeln, wenn Frauen und Männer auf der Basis ihrer bewussten Unterschiede gemeinsam in der Führung wirken könnten?
Interview von Nele Haasen mit Antje Wilmink und Uwe Lockenvitz Warum interessiert euch das Thema? Uwe Lockenvitz: Ich glaube, es könnte mehr Qualität in die Führung kommen, als aktuell vorhanden ist. Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Führung, das Erlösung braucht. Das Wechselspiel fehlt. Das war der Aufhänger – das macht für mich das Thema spannend.
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Der Prozess, den ich vermisse, ist ein Stück weit vergleichbar mit dem gesellschaftlichen Prozess der Emanzipation vor dreißig Jahren. Dieser Prozess in die Wirtschaft umgesetzt ist mein Interesse. Den Weg zu bereiten, heraus aus dem Hamsterrad, hin zu einem ausgewogenen Miteinander, das lockt mich. Denke ich an das Bild eines Chors, dann erhöht das Zusammenspiel klarer männlicher und weiblicher Stimmen die Qualität und Vielfalt des Repertoires. Antje Wilmink: Bei mir ist der Zugang zum Thema ein persönlicher. Ich komme aus großen Unternehmen und habe da aus eigener Erfahrung gläserne Decken kennengelernt. Ich bin mit meiner Karriere bis zu einem bestimmten Punkt gekommen, hatte aber mehr erwartet und habe das damals nicht in diesen Kontext einordnen können. Als ich aus einer großen Bank ausgeschieden bin, war auf meiner Hierarchieebene der Frauenanteil 3 %. Heute hat sich an diesen Relationen einiges geändert, das grundsätzliche Thema ist aber gleich geblieben: Frauen sind in Führungspositionen zu gering vertreten. Damals war meine Wahrnehmung, ich habe in dem Unternehmen keine Heimat gefunden. Erst später wurde mir klar, dass ich da als Frau nicht den richtigen Platz fand. Seitdem beschäftige ich mich mit dem Thema Frauen und Männer im Management und bin in ein FrauenNetzwerk eingetreten. Gläserne Decken: Die Existenz gläserner Decken ist durch eine Accenture-Studie aus dem Jahr 2006 bestätigt worden. »Mit ›gläserne Decke‹ wird eine uneingestandene Barriere bezeichnet, die Frauen oder Minderheiten den Zugang zu bestimmten Macht- und Verantwortungspositionen in ihren Berufen verwehrt. [ …] Der Studie zufolge glauben nur knapp ein Drittel (30 %) der weiblichen Manager und 43 % ihrer männlichen Kollegen, dass Frauen heutzutage die gleichen Chancen am Arbeitsplatz haben. Damit ist ein Phänomen, das in den 80er Jahren unter dem Begriff der ›gläsernen Decke‹ bekannt wurde, trotz großer Fortschritte im vergangenen Jahrzehnt weiterhin aktuell.« Aus meiner Sicht fristet das Thema Männer und Frauen im beruflichen Kontext am ISB unter der Überschrift »Geschlechtsidentität« ein Schat-
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tendasein. Ich denke, es ist an der Zeit, es näher ans Licht zu bringen, unsere Haltung als Systemiker und Systemikerinnen deutlich zu machen. Wir wollen einen Beitrag leisten, wie Männer und Frauen gemeinsam auf gute Weise in Führung handeln können. Was ist denn das vorherrschende männlich geprägte Führungsverhalten? Antje Wilmink: Läuft es gut, dann agiert die männliche Führungskraft eindeutig, die eigene Position wird nicht kleiner gemacht. An diesen Männern schätze ich ihr hohes Selbstvertrauen. Sie senden keine doppelten Botschaften: Ich will, dass du das machst, aber ich sag es nicht so klar, um nicht anzuecken … Das wäre dann eher das Frauen-Stereotyp. Männer erlebe ich oft als Ich-Es-Typen: Sie stellen Beziehungen zu ihren Mitarbeitern über die gemeinsame Sache her. Das entspricht in vielen Unternehmen, vor allem in den technisch geprägten, auch der vorherrschenden Kultur. Oft nehme ich Rangkämpfe wahr, sind sie aber einmal ausgefochten, wird die Dominanz des Mächtigeren in der Regel anerkannt. Ober sticht Unter. Die Untenstehenden suchen die Nähe des Höherstehenden, da wird dann an der Macht des Vorgesetzten Trittbrett gefahren. Die Betonung der eigenen Rangposition nimmt breiten Raum ein: Macht und Politik spielen bei Männern meines Erachtens eine große Rolle. Man könnte auch sagen, Männer haben eine ausgesprochene Karrierekompetenz. In der negativen Übertreibung kann ein männliches Führungsverhalten Ähnlichkeiten mit einem moderaten Autismus bekommen. Die weichen Elemente wie Kommunikation, Intuition, sich Einstellen auf andere kommen dann zu kurz. Ich glaube, dass das ganz tief geht. Allein die Idee von Dominanzhierarchie ist vom Ursprung her männlich. Das macht den Kern dieser Führungssysteme aus. Uwe Lockenvitz: Massiv erlebe ich im ersten Blick die quantitative Masse, dass es nahezu nur männliche Stimmen sind, die zu hören sind. Primär geprägt von Konkurrenz und Kraft und hier eher eine körperliche Kraft, Schnelligkeit, Entscheidungsfreude … Mir begegnen dunkle Anzüge, das Poster vom Sportverein, Modelle klassischer Autos auf Schreibtischen …!
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Vorherrschend männlich orientierte Werte – schneller, höher, weiter – bestimmen die kulturelle Landschaft in Unternehmen. Vielfach erlebe ich Vertreter der oberen Führungsebene in enorm fordernden unternehmerischen Umwelten – zum Ausgleich betreiben sie Marathonläufe, bei denen sie sich messen – mit der Uhr und beim nächsten Meeting mit den Kollegen, die so auch an dieser Stelle zu Konkurrenten oder Leidensgenossen mutieren – auf einer anderen Bühne. Ich kann diesen Aspekten von Führung vieles abgewinnen, das Gutes bewirkt: Entscheidungsfreude, Klarheit, Sachorientierung, Kraft – dies und vieles mehr sind Kompetenzen, die fehlen würden, wenn sich das Bild um 180 Grad drehen würde. Was entgeht Unternehmen, wenn sie auf einseitige männliche Führung setzen? Uwe Lockenvitz: Es ist für mich keine Frage des Entweder-oder. Zweifelsfrei sind die o. g. Merkmale männlicher Führung große Qualitäten, die ausgesprochen wichtig sind und auf jeden Fall erhalten sein müssen. Was fehlt, ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel – gewollt, nicht erzwungen; im Sinne der Einladung, anders zu sein, anders zu denken. Ein Beispiel: Wird die Losung zum Querdenken ausgegeben, dann wird daraus oft auch gleich wieder ein Programm, das beschreibt, wie dieses Querdenken auch »richtig quer« sein sollte. Mich springt jetzt das Klischee des »Weicheren« an. Die vergangenen Versuche, Männer »emotionaler« zu machen, sind für mich nicht stimmig – es wirkt auf mich wie eine Maskerade. In diesem Sinne würden Kompetenzen, die eher zu Vielfalt einladen, bereichern. Eine andere Streitkultur: Ich glaube Frauen streiten anders als Männer – streiten heißt hier: um die beste Lösung – nicht um des Gewinnens willen. Unternehmen, die einseitig auf die Führung nur eines Geschlechts setzen, bringen sich um diese Reibung, die im guten Sinn konstruktive Wärme erzeugt! Und natürlich sehe ich hier auch den Verlust für die Männer! Ich denke wieder an den Chor: Es gibt keine schmerzfreie Version einer Oper, die auf das Zusammenspiel männlicher und weiblicher Stimmen verzichtet! Der Mehrwert ist Vielfalt, Ausdruck und Wirkung.
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Antje Wilmink: Frauen führen in der Regel über die Gestaltung von Kooperationen, Beziehungen und über Bindungen, während Männer oft über Kraft, über Straf- und Entlohnungssysteme führen. Sie motivieren über das Eigeninteressen der Mitarbeiter. Frauen sprechen leichter auf Führung über Bindung an. Mit diesem Führungsstil werden Frauen besser entwickelt und es gibt einen höheren Nachschub von Frauen aus den unteren Ebenen nach oben. Führungsstil: Eine Metastudie von Eagly und Carly von 45 Studien hat Führungsstile in drei Kategorien eingeteilt: Transformational: Die Führungskraft wird zum Vorbild, gewinnt das Vertrauen der Mitarbeiter, setzt sich für Neues ein, agiert als Mentor, motiviert die Mitarbeiter, ihr Potenzial voll auszuschöpfen (Bestehendes wird zu Neuem transformiert) Transaktional: Motiviert über das Eigeninteresse der Mitarbeiter, zeigt Verantwortungsbereiche auf, belohnt Leistung, bestraft Zielverfehlung, Geben und Nehmen (Ausführen von Transaktionen). Laisser faire: Nicht-Führung. Weibliche Führungskräfte tendieren eher zu einem transformationalen Führungsstil – Mitarbeiter unterstützen und motivieren, kombiniert mit Belohnung aus dem transaktionalen Stil. Männliche Führungskräfte haben eher einen transaktionalen Führungsstil – insbesondere mit korrigierenden und disziplinarischen Maßnahmen. »Die meisten Studien, die bei der Meta-Analyse berücksichtigt wurden, kommen zu dem Schluss, dass der transformationale Führungsstil, kombiniert mit den Belohnungen und Anreizen des transaktionalen Führungsstils, für das Management moderner Unternehmen am besten geeignet ist« (zitiert nach Henn, 2009).
Was heißt »Führen über Beziehungen«? Antje Wilmink: Frauen neigen zu einem Führungsverhalten, mit dem sie Menschen an sich binden, Beziehungen aufbauen. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin führt, indem sie Nachge-
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ordnete zusammenfasst und daraus unterschiedliche Kreise bildet, mit größerer und engerer Nähe zu ihr. Wenn es gut läuft, hat das weibliche Führen über Bindungen große Vorteile: Diese Gruppen gehen dann für so eine Führungsfrau durchs Feuer. Das kann aber wegen der emotionalen Nähe auch mit großen Konflikten behaftet sein. Das wird ja Frauen auch vorgeworfen, dass sie stark emotional reagieren, und sie tun es dann oft auch! Wie könnten weibliche Führungskräfte die Führungskultur bereichern? Was sind Schattenseiten weiblichen Führungsstils? Antje Wilmink: Eine Schattenseite ist, dass das Konkurrenzverhalten geringer ist. Es wird unter dem Titel »Krabbenkorb« beschrieben: Stell einen Korb mit Krabben auf, den kannst du ohne Deckel stehen lassen. Wenn eine versucht herauszuklettern, wird sie von den anderen wieder in den Korb zurückgezogen. Bei einem Beharren auf Meinungsvielfalt unter Frauen wird ein Konsens erschwert und die Schlagkraft ist dann geringer! Frauen sind mit ihrer Ergebnisorientierung gegenüber den Männern klar im Vorteil – in klaren, übersichtlichen Strukturen. Frauen »ziehen durch«. Bei hoher Komplexität – Matrix-Strukturen, hoher Veränderungskomplexität, hoher Anteil von Machtpolitik – sind Frauen Männern gegenüber tendenziell im Nachteil. Meines Erachtens liegt es an einem geringer ausgebildeten Machtmotiv der Frauen. Sie fühlen sich in einem solchen Umfeld auch weniger wohl. Uwe Lockenvitz: Frauen lassen Vielfalt leichter zu. Männer vermitteln eher: »Sei so wie ich, folge mir und meinem Ideal – dann kannst du hier was werden.« Frauen nehmen hier eher den Unterschied wahr als Dialog eines vielstimmigen Chors im Gegensatz zu: alle mit der gleichen Stimme. Was müsste passieren, dass sich Führungsverhalten ändert, Männer wie Frauen ihre unterschiedlichen Stile abgleichen und ändern? Wie erzeugt ihr Offenheit dafür? Antje Wilmink: Das Führungsverhalten wird insgesamt facettenreicher, wenn der Anteil der Frauen in Führung zunimmt. Ist der Frauenanteil im Management geringer als 30 %, überwiegt die alte Kultur, die ist meist
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männlich. Wichtig ist also eine Steigerung des Frauenanteils einerseits; andererseits muss die erste Führungsebene wollen! Und das zum eigenen Thema machen. Bei den männlichen Führungskräften im mittleren und unteren Management besteht vielfach die Überzeugung: Bei uns sind alle gleich; in unserem Unternehmen gibt es kein Geschlechterthema. Führungsstil: McKinsey stellte in der Studie »Women Matter 2« (2008) fest, dass beim Führungsstil künftig Eigenschaften, die eher weiblich identifiziert werden, stärker gefragt sind. Es wurden vier Verhaltensweisen gefunden, mit denen Führungskräfte effektiv auf globale Herausforderungen in Zukunft reagieren können. Auf Platz 1 steht »intellektuelle Anregung«; darüber verfügen Frauen und Männer gleichermaßen. Auf den Plätzen 2 bis 4 sind »Inspiration«, »partizipative Entscheidungsfindung« sowie »Erwartungen und Belohnungen«; in diesen Führungseigenschaften sind Frauen stärker als Männer. Wie kann denn etwas Gemeinsames aus den unterschiedlichen Führungsstilen entstehen? Wo ist der Mehrwert? Uwe Lockenvitz: Ein Schritt zurück: Aktuell werden Frauen, die in den obersten Managementpositionen zu finden sind, bei näherer Betrachtung oftmals als »die besseren Männer« bezeichnet! O-Ton eines Coachees: »Wir haben in unserer ersten Führungsebene sechs Männer und eine Frau. Die ist aber die männlichste von allen! Das Weibliche – auch das optisch weibliche: die Frisur, die Kleidung –, das wahrnehmbar Weibliche wird verleugnet oder unterdrückt. Es scheint aktuell notwendig, eben in diesem Stück die gleiche Rolle, die gleiche Stimme zu spielen, um bestehen zu können.« Der Weg der weiblichen, selbstbewussten Frau in Führung scheint verbaut. Dies hat eine unstimmige Frau zur Folge im Sinne einer Leugnung. Die gelebte Unterschiedlichkeit zieht auch so nicht ein. Der Mehrwert, der erzielbar wäre, wäre der Dialog im Gegensatz zur Mischmenge. Das Ziel: Austausch von Unterschieden auf Augenhöhe, gleichwertig, gleichrangig aber eben nicht gleichartig! Nicht Mischmenge im Sinne von: ein bisschen Mann, ein bisschen Frau und das zusammen gibt dann das Ideal, sondern: Ich bin ein stimmiger Mann/eine stimmige Frau und erhalte Ansprache und Resonanz
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auf Augenhöhe, die mich lockt, bestimmte Aspekte meiner Persönlichkeit ins Licht zu bringen, die sonst ein Schattendasein führen würden, und andere, die betont laut durchtönen, etwas zu drosseln. Das macht mein Führungsverhalten klarer. Der Output auf beiden Seiten schafft für die geführten Mitarbeiter eine Ausgewogenheit und Ankoppelung an beide Geschlechter. Das sehe ich als den klaren und berechenbaren Mehrwert. In meinem Bild des Chors: Sängerin und Sänger werden sich ihrer individuellen Stimme bewusst, wissen um die eigene Tonlage, Lautstärke, Einsatz, Resonanz und Emotion. Antje Wilmink: Der Dialog zwischen den Geschlechtern wird derzeit erschwert, weil Frauen in Quantität und in Qualität so wenig in Führungspositionen vorhanden sind. Die Studien »Women Matter« haben festgestellt, dass es für das Hereintragen von weiblicher Qualität ein Minimum an weiblicher Quantität braucht von rund 30 % Frauen im Top-Management. Dann können sich Frauen als Frauen und nicht als bessere oder schlechtere Männer verhalten. Dann verschwinden sie nicht als graue Maus von einer grauen Mäuserich-Versammlung. Weiche Verhaltensqualitäten verlieren sich in solch einem Umfeld auch bei den Männern, zum Beispiel ein eher väterliches Verhalten oder sich offener emotional zu zeigen. Dieses Verhaltensrepertoire haben Männer ja in großem Maße im familiären Bereich. Es verschwindet, sobald sie ein Unternehmen betreten. Ich glaube, dass allein die quantitative Zahl von Frauen im Management auch für Männer nicht als Bedrohung erlebt werden muss, sondern primär als Öffnung, als Chance zur Erweiterung ihres eigenen Spektrums an Möglichkeiten verstanden werden kann. Kann es sein, dass dieser Dialog einlädt, aktuell zurückgehaltene Eigenschaften zu zeigen und zu aktivieren? Uwe Lockenvitz: Absolut! Genau das ist die Einladung zu Vielfältigkeit, die zweifelsfrei beiderseits vorhanden ist, nur vielfach nicht gezeigt ist. Das geprägte Führungsbild der Gleichmacherei, das Bild des Uniformierten: gleicher Haarschnitt, gleiche Kleidung, gleiches Grußverhalten, Individualität ist nicht zugelassen und unerwünscht. Dahinter verbirgt sich genau die gleiche Vielfalt wie bei Frauen, aber das vordergründige Bild definiert, dass »Mann« so ist!
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Ich glaube, Männer sind genauso vielfältig wie Frauen, wenn sie es sich zum einen selber erlauben und es zum anderen ein System gibt, dass dies fördert und glaubhaft dazu einlädt. Was macht ihr in euren Workshops, um Frauen und Männer zum Nachdenken über ihren Führungsstil zu bewegen? Und was hat das Ganze mit seelischen Leitbildern zu tun? Uwe Lockenvitz: Jeder Mensch hat im seinem Leben eine ganze Reihe von Erfahrungsbildern zu unterschiedlichen Themen gesammelt. Bilder, die ihn steuern, die sein Verhalten prägen; meist ohne dass diese Steuerung wissentlich wahrgenommen wird und die getroffenen Entscheidungen bewusst diese Bilder als Einflussfaktoren mit einbeziehen. So auch zum Thema Geschlecht und der eigenen Identität. Ein Beispiel von mir: Ein streng gebundener schwarzer Haarzopf einer Frau hat für mich lange Zeit ein Gefühl wachgerufen, das ich mit Unwohlsein verbunden habe. Ich habe darauf mit Abwehr und Rückzug reagiert. Es hatte etwas von Oberschwester, Oberlehrerin, Nonne … – ich konnte es nicht erklären, aber ich spürte, dass ich darauf reagiere. Zur Erklärung: Ich habe meines Wissens in meinem Leben keinerlei Begegnung mit einer Frau, die diesem Bild entspricht, das ich negativ verankert habe. Daher konnte ich mir Ursprung und Hintergrund dieses Bildes nicht erklären – wirksam war es unabhängig davon trotzdem. Unser Ansatz sagt, solche oder ähnliche Bilder sind bei jedem Menschen vorhanden und wirksam, und es ist wichtig, dass diese Bilder betrachtet werden. Seelische Hintergrundbilder (entwickelt von Bernd Schmid). »Im Hintergrund professioneller Arbeit und beruflicher Identität wirken seelische Bilder. Sie bestimmen mit, welche Rollen und beruflichen Szenarien wir aufsuchen, mitgestalten und als schicksalhaft oder sinnvoll empfinden. Um zu verstehen, zu welchen Rollen wir neigen, auf welche Bühnen und in welche Aufführungen es uns zieht, ist es gut, den Vorrat an seelischen Bildern zu erkunden. Professionalität ohne die Kraft der im Hintergrund wirkenden seelischen Bilder kommt nicht in Fluss. [ …] Manche dieser inneren Bilder können als
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Kraftquellen verschüttet sein. Dann sollten sie freigelegt und integriert werden, damit sie Sinn bringend bei der Organisation beruflicher Arbeit mitwirken können. Für manche beruflichen [ …] Aufgaben muss das Spektrum an seelischen Bildern ergänzt aktualisiert oder neu zusammengefügt werden« (Schmid, 2004). In unserer Arbeit machen wir mit den seelischen Hintergrundsbildern zu den Eckpunkten positiv weiblich – positiv männlich, negativ weiblich – negativ männlich den Raum auf, wie männliches und weibliches Führungsverhalten wahrgenommen und abgebildet wird. Der Kontakt und die Reflexion dieser Bildern schaffen die Klarheit, bewusst zu entscheiden: Ich möchte gerade jetzt zurückrutschen, weil eben jener streng gebundene Zopf den Raum betritt. Oder ich kann mich davon frei machen und mich frei entscheiden, wie ich mich verhalte. Klarheit zu schaffen, was ist der Ursprung – Erfahrungen und Wirkmechanismen, die diesen Bildern zugrunde liegen – und was braucht es, um diese positiv in mein Leben zu integrieren. Wenn die Integration dieser Bilder gelingt, dann kann ich zu den Fragen, denen ich heute begegne, eine sachliche, bewusste und aktiv von mir gesteuerte Haltung beziehen. Antje Wilmink: Der entscheidende Punkt ist für mich – so habe ich das bei mir selbst und in Coachings erlebt –, dass uns diese Bilder auf eine unbewusste Art steuern, solange sie uns nicht bekannt sind. Wenn ich zu diesen Bildern in meinem inneren Fotoalbum in Kontakt komme, wenn ich erkenne, was mich an Erfahrungen aus Kindheit, Jugendzeit, Erwachsenenzeit oder auch an Bildern aus meinem Milieu, aus der Geschichte, aus kulturellen Quellen oder auch aus eigenen Träumen mitgeprägt hat, dann ist da sehr viel gewonnen. Die Arbeit mit seelischen Bildern habe ich als eines der tragfähigsten Konzepte kennengelernt, wenn es darum geht, Verhalten zu ändern. Zum Beispiel indem neue Bilder eines gewünschten Verhaltens gestaltet werden oder ich mich bewusst entscheide, ein bestehendes Verhalten beizubehalten, aber die eigene Bewertung zu verändern. Für die Frage, was steuert mich als Frau, was steuert mein Gegenüber als Mann und wie lässt sich Verhalten gegebenenfalls auch ändern, ist die Arbeit mit den seelischen Hintergrundbildern höchst effektiv, weil sie uns an unsere inneren Kraftquellen als Frau, als Mann anschließen lässt.
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Ihr arbeitet mit Defiziten: Männer sollen ihr Führungsverhalten ändern. Wie wollt ihr mit den Widerständen umgehen? Wie wollt ihr Männer davon überzeugen? Antje Wilmink: Wenn das so rübergekommen ist, dass wir männliches Verhalten als defizitär wahrnehmen, das zu ändern ist, dann müssen wir an unserer Kommunikation etwas tun. Verhalten zu verändern, verstehen wir als Repertoire zu erweitern. Eine größere Klarheit darüber zu haben, wenn ich in einer spezifischen Situation reflexhaft in ein bestimmtes Verhalten gehe, was steuert mich da und was könnte es möglicherweise auch als Ergänzungen oder als Alternative geben. Positive Leadership ist eine Grundlage unseres Ansatzes. Positive Leadership verstehen wir als Führen mit Freude, Führen mit Sinn und Stärken-fokussiertes Führen. Führen mit Freude bedeutet Führen aus einer Haltung von Zuversicht, Vertrauen und Leichtigkeit heraus. Führen mit Sinn bedeutet, Führung in den Sinnzusammenhang von Bedeutung für das Unternehmen, für Mitarbeiter, letztlich für die Gesellschaft zu stellen und Verantwortung für das Wirken zu erkennen. Stärken-fokussiertes Führen heißt, die Aufmerksamkeit konsequent auf die Stärken, Potentiale und Chancen von Menschen und Organisationen zu richten (nach Seliger, 2008). Es geht darum, die spezifischen Qualitäten des anderen Geschlechts sehen zu können. Das gilt für die Frauen und für die Männer. Beide Seiten – Männer und Frauen – neigen dazu, das geschlechtsspezifische Verhalten auf der anderen Seite als defizitär wahrzunehmen. Man erkennt in der Qualität des anderen Geschlechts nicht die Qualität, sondern eher das Unterentwickelte, das weniger Wertvolle. Es ist ja nun auch nicht so, dass Frauen an dieser Stelle so sehr divers denken würden, während Männer völlig eindimensional sind. Beide Seiten suchen nicht nach dem Komplementären, sondern nach Gleichem. Und dass das Andere eine gute und wichtige Ergänzung zum eigenen Verhaltensrepertoire, als Ergänzung zum Führungsteam und zur Unternehmenskultur sein könnte, das ist bei beiden Geschlechtern nicht sehr verbreitet. Diese Lücke will unser Seminar schließen.
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Welche Sichtweisen auf Führung und Führungsaufgaben liegen dem unterschiedlichen Führungsverhalten von Männern und Frauen zugrunde? Antje Wilmink: Geht man aus von einem Modell, dass Führung versteht in den Kategorien »sich selbst führen«, die »Organisation führen« und »Mitarbeiter führen«, dann erlebe ich, dass Männer eine höhere Kompetenz für die Führung von sich selbst haben. Sie haben eine höhere Karrierekompetenz. Für Männer hat Hierarchie an sich eine höhere Wichtigkeit. Frauen orientieren nach meiner Wahrnehmung stärker darauf, sachbezogene Organisationsziele zu erreichen. Und ich vermute, dass sie Führung eher verstehen als das Führen von Mitarbeitern. Uwe Lockenvitz: Wichtig ist, dass deutlich wird, dass es nicht darum geht, das aktuell gelebte Führungsverhalten zu bewerten, sondern bewusst zu machen: Der Mehrwert ist das Erkennen und Verstehen: (Auch) aus diesem Grund heraus reagiere ich so – und wenn ich mag, dann könnte dieses oder jenes mich sinnvoll ergänzen. Es kann gut sein, dass jemand bewusst sagt: Ich möchte weiterhin so führen wie bisher. Den Unterschied macht, dass ich heute weiß, warum ich so führe! Im Sinne von: Wenn jemand auf den Tisch haut, weiß ich nun, dass mich das an meinen Vater erinnert, aber ich kann mich frei entscheiden, ob ich nun in eine (möglicherweise aus Kindheitstagen genährte) Protesthaltung rutsche oder mich sachlich mit der Aussage auseinandersetze. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Das männliche wie das weibliche Führungsverhalten hat hohe Qualitäten, aber aktuell läuft es unter Wert, weil die Ansprache und Resonanz der anderen Seite fehlen. Das bedeutet, aktuell schöpfen Männer und Frauen ihr Führungspotenzial nicht im Vollen aus, weil bestimmte Saiten nicht zum klingen gebracht werden. Die vorhandenen Kompetenzen sind wirksam und wertvoll – und sicher gibt es auch eine Schnittmenge, die Männer und Frauen gemeinsam abdecken. Darüber hinaus gilt es, geschlechtsspezifische Anteile, wertfrei als Eigenart des jeweiligen Geschlechts im besten Sinne, wahrzunehmen. Entscheidend ist nicht, es anders zu machen, sondern mir über das, was ich tue, klar zu sein, warum ich es so mache, wie ich es mache.
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Mixed Leadership
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Was sind es für Unternehmen, die euch buchen, welche Zielgruppe? Uwe Lockenvitz: In einem ersten Schritt ist da natürlich die Konzernlandschaft, die ja auch einen Vorstoß in der aktuellen Diskussion getan hat. Hier ist sicher der klarste Ansatzpunkt, eingebettet in die Themenfelder Diversity und Familie und Beruf. Spätestens hier komme ich aber auch an den Mittelständler, der heute seine Strategie für die anstehenden Aufgaben von Fachkräftemangel, Familie und Beruf und den demografischen Wandel entwirft. Ich kann mit schwer vorstellen, dass ich als Personalentwicklung für meine Belegschaft einerseits Konzepte für die Integration »Familie und Beruf« entwerfe, auch um Frauen in Unternehmen zu binden und dauerhaft Perspektiven zu bieten, und diese sich dann andererseits in hoher Zahl in die dritte Reihe stelle und den Herren das Feld der Führung überlasse. Hier sehe ich den Ansatzpunkt, schon frühzeitig Zeichen zu setzen. Wo ist das Seminar angebunden? Antje Wilmink: Das Seminar sehen wir als Inhouse-Seminar. Es sollte ein klares Commitment der ersten Ebene geben, am Führungsstil etwas ändern zu wollen; dafür den quantitativen Anteilen von Frauen in Führungspositionen erhöhen und das Management darauf vorbereiten zu wollen. Das Seminar sollte an ein Gesamtkonzept zur Kulturveränderung im Unternehmen angebunden sein. Im Moment ist in allen großen Unternehmen erkennbar, dass das Thema Frauen in Führungspositionen an zentraler Stelle in die Strategie eingebunden wird, Teil der Konzernstrategie wird, wenn es das nicht schon ist. Damit kommt das Thema heraus aus der Ecke, »wir haben da eine Frau, die kümmert sich um Diversity«. Dafür gibt es meines Erachtens ganz handfeste ökonomische Gründe: Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil im Management machen es einfach besser; sie sind schlicht erfolgreicher.
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Performance: Die Catalyst-Studie »The Bottom Line: Connecting Corporate Performance and Gender Diversity« entdeckte bei rund 350 Unternehmen aus dem Fortune-500-Index einen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen im Management und dem Unternehmenserfolg: Firmen mit einem starken Frauenanteil im Top-Management erzielten zwischen 1996 und 2000 höhere Aktienund Eigenkapitalrenditen. Eine McKinsey-Analyse von CatalystUnternehmensdaten bestätigte diese Beziehung 2007 mit der Studie »Women Matter« erneut: Die deutlich besten Resultate erzielten Firmen mit drei oder mehr weiblichen Vorständen. McKinsey stellte fest, dass diese Unternehmen in McKinsey-spezifischen Kennzahlen zu »Organizational Excellence« in allen Kriterien besser abschnitten als Unternehmen mit geringerer oder keiner Frauenbeteiligung. Besonders hoch ist der Einfluss auf die Kriterien »Work Environment and Values« (»den Mitarbeiteraustausch gestalten und ein geteiltes Verständnis von Werten unterstützen«) und »Direction« (»Richtung vorgeben und Mitarbeiter dafür aufstellen«).
Uwe Lockenvitz: Ein klassisches Top-down-Thema, Unternehmen müssen den Wandel in der Führungskultur ernsthaft wollen und glaubhaft vertreten. Der wirksame Personenkreis ist ausgestattet mit Verantwortung für Personal und ist kulturschaffend wirksam. Die persönlichen Berührungspunkte der Teilnehmenden werden eher in Führungspositionen oder Stabsstellen als in der inhaltlichen und operativen Arbeit zu finden sein. Der Vorstand wäre also der erste Adressat? Uwe Lockenvitz: Er müsste es ausrufen und den Weg vorgeben – die zweite bzw. zweite und dritte Ebene in Unternehmen ist der passende Personenkreis. Die Menschen, die kulturschaffend sind. Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn, Frauen und Männer auf eine neue Kultur hin auszurichten und zu motivieren, sich in voller Größe aufzurichten, um dann zuzusehen, wie sie mit dem Kopf an der Decke anstoßen. Diese Tür muss von oben her geöffnet werden.
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Dieser Workshop basiert ja auf dem Austausch zwischen Männern und Frauen. Nun sind aber aktuell auf dieser Hierarchieebene extrem wenige Frauen. Wie kann denn da dieser Austausch überhaupt stattfinden? Uwe Lockenvitz: Jeder hat ja Bilder von guter und schlechter männlicher und weiblicher Führung in sich. Um diese Perspektiven bewusst zu machen, brauche ich als Mann nicht zwingend ein weibliches Gegenüber, sondern den Dialog mit mir selber. Ob ich die Merkmale von Führung in meiner alltäglichen Praxis aktuell erlebe, ist noch mal etwas anderes. Wirksam in mir sind diese trotzdem. Daher braucht jeder Mann in einem ersten Schritt kein weibliches Pendant, um sich mit seinen Bildern zu klären. Im weiteren Verlauf ist es wichtig, den Dialog zu ermöglichen. Hier sind dann natürlich die geklärten Vertreter beider Geschlechter notwendig. Eine aktuelle Überlegung, angestoßen durch Thomas Sattelberger und auch die EU, die eine Quote fordern bzw. einführen, wird eine Veränderung bringen. Es ist klar: Es wird in naher Zukunft Frauen in größerer Zahl in Führung geben. Männer, ihr habt zwei Möglichkeiten: Ihr könnt den Kopf in den Sand stecken und abwarten, was passieren wird! Oder ihr könnt euch aktiv mit der Situation, den Anforderungen und Veränderungen auseinandersetzen und so einen sinnvollen Beitrag zu einem guten Übergang und einem kraftvollen Dialog leisten. Dieses Auseinandersetzen braucht im ersten Schritt keine Frau, die gar nicht da ist, sondern braucht das Auseinandersetzen mit sich und seinen Prägungen und Erfahrungen: Was ist für mich denn weibliches und männliches Führungsverhalten? Noch einmal zurück zum Erleben im Seminar: Ich habe das Bild einer Bildergalerie. Nachdem ich mich mit meinen Bildern in dem beschriebenen Spannungsfeld auseinandergesetzt habe und meine persönliche Klarheit dazu erlangt habe, ist speziell der Austausch der Teilnehmer miteinander von Bedeutung. Hier kann ich erkennen, dass es neben meinen Bildern bei jeder/jedem eine breite Palette weiterer Bilder gibt, die Führung im Guten wie im Schlechten beschreiben. Es wird ein Austausch von Perspektiven und Wirklichkeiten, die jede für sich gleichwertig im Raum sind.
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Vielleicht gibt es Überschneidungen, vielleicht Widersprüche, in jedem Fall aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, Führung zu verstehen, und eine Vielzahl von individuellen Wertungen von geschlechtlichem Führungsverhalten. Schon hier setzt ein Stück weit der Transfer ein, weil der Blick in den unternehmerischen Alltag gelenkt wird: Gibt es mit dieser Sammlung von Bildern Erklärungsansätze für bisher unerklärbare Störungen und unerkannte Potenziale? Es wird erkennbar, nicht nur hier im Raum hat jeder/jede sein/ihr individuelles Bild von gelungener bzw. misslungener Führung, sondern natürlich jeder/jede Mitarbeitende daheim im Unternehmen auch. So wird hier noch mal deutlich, dass jeder eine Vielzahl von Möglichkeiten hat, Führung vor dem persönlichen Hintergrund wahrzunehmen und als Folge daraus auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, die erlangte Klarheit dann umzusetzen. Antje Wilmink: Die Arbeit mit den inneren Bildern ist eine Arbeit mit sich selbst, dafür braucht es Resonanzgeber. Geht es um weibliches und männliches Führungsverhalten, ist ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen sicher gut. Aber das ist nicht zwingend. Es kann über eine aufmerksame Steuerung durch die Trainer auch gut gestaltet werden. Für den Dialog zwischen Männern und Frauen, zum Beispiel wie erlebe ich denn mein Gegenüber im Alltag, was beschwert mich möglicherweise im Kontakt mit dem anderen Geschlecht, was ist vielleicht auch nur anders, was geht vielleicht auch leichter als mit dem eigenen Geschlecht, wäre eine ausgewogene Zahl von Männern und Frauen natürlich gut. Aber es ist unseres Erachtens nicht zwingend für das Seminar: Die Arbeit mit den seelischen Bildern ist der Dialog mit sich selbst. Für die Arbeit daran braucht es den Austausch mit anderen – Seminarteilnehmern oder den Trainern. Für notwendig halten wir aber, dass wir das Seminar als Trainer im gemischten Doppel gestalten, um beide Qualitäten in kräftiger Weise im Raum zu haben.
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Was, wenn sich größere Baustellen auftun? Uwe Lockenvitz: Wenn ersichtlich wird, dass jemand im Rahmen des Seminars an größere individuelle Stolperstellen stößt, dann können wir ein flankierendes Coaching anbieten. Die notwendige Kompetenz hierzu ist auf beiden Seiten vorhanden. Was hätten Unternehmen, aber auch männliche wie weibliche Führungskräfte davon, wie würden die Mitarbeiter profitieren? Antje Wilmink: Unternehmen steht ein größeres Potenzial zur Verfügung, aus dem Führungskräfte rekrutiert werden können. Damit wird die Qualität in der Führungsmannschaft verbessert. Zudem ist der Führungsstil im Umbruch; der weibliche Stil der Mitarbeiterführung ist für zukünftige Herausforderungen im Vorteil. Unser Seminar ist ein Beitrag, eine Kulturveränderung in Unternehmen zu unterstützen, die bewirkt, dass Frauen in höherer Quantität in Führungspositionen vertreten sind und ein weiblicher Führungsstil neben dem männlichen Stil Platz findet. Wozu? Es macht sich bezahlt! Die Performance der Unternehmen steigt! Uwe Lockenvitz: Wie eingangs erwähnt: Es braucht ein ernsthaft verfolgtes Unternehmensziel, die Führungskultur um die klaren Stimmen beiderlei Geschlechts zu bereichern. Dann gilt es, das Seminar wie ein Puzzleteil in ein Gesamtbild von Führungs- und Unternehmenskultur anzuschließen bzw. einzubetten, in ein vorhandenes oder geplantes Gesamtkonzept. Der Transfer und die Ankoppelung sind eine individuelle Maßschneiderei zwischen der Organisations-/Personalentwicklung vor Ort und uns. Die Teilnehmer/-innen werden schon im Training konkrete Umsetzungen erarbeiten, die in den individuellen Verantwortungsbereichen umgesetzt werden. Reflexion und Zielüberprüfung werden im Rahmen von kollegialer Beratung und Lernpatenschaften sichergestellt. Darüber hinaus wird sich der Teilnehmerkreis als Kulturkreis verstehen, der den Projektcharakter weiter voranträgt und hier die Fortschreibung sicherstellt. Im Bild des Chors verhilft die eigene Klarheit, Disharmonien und
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Störungen im Umfeld wahrzunehmen. Sie vermittelt anderen Sängern Sicherheit und Orientierung.
Unser herzlicher Dank geht an unseren gemeinsamen Freund und Sparringspartner Joachim – seine Impulse waren für unsere Arbeit wegweisend – und an Nele Haasen, die uns mit den richtigen Fragen beflügelt hat.
Literatur Accenture (2006). The anatomy of the glass ceiling. Henn, M. (2009). Die Kunst des Aufstiegs. Frankfurt a. M. McKinsey (2007). Women matter. McKinsey (2008). Women matter 2. Schmid, B. (2004). Sinn stiftende Hintergrundbilder professioneller Szenen. In C. Rauen (Hrsg.), Coaching-Tools. Bonn: ManagerSeminare-Verlag. Seliger, R. (2008). Das Dschungelbuch der Führung. Heidelberg: Carl-AuerSysteme-Verlag.
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Mixed Leadership
Die Autoren Uwe Lockenvitz (Jg. 1964) ist systemischer Organisationsberater und Coach, Master am ISB Wiesloch und Partner in der ISB Professional Group. Er leitet seit 1999 das Beratungsunternehmen consense plus – be-greifbare Organisationsund Personalentwicklung. Seine Aufgaben sind hier Organisations- und Führungskräfteentwicklung und Coachings sowie Train-theTrainer-Seminare. Seine Arbeit ist geprägt von der lebendigen und kraftvollen Verbindung intuitiver und methodisch-didaktischer Beratungsansätze. Wesentliche Arbeitsschwerpunkte sind die Begleitung und Gestaltung von Veränderungsprozessen, Kulturentwicklung und die Begleitung von Menschen in Führungsverantwortung. Speziell die Arbeit mit Unternehmen zum Thema Mixed Leadership und verbunden damit spezielle Coachings für männliche und weibliche Führungskräfte bilden aktuelle Schwerpunkte seiner Arbeit. Darüber hinaus beschäftigt er sich aktuell neben der klassischen Beratungsarbeit mit den Themen Work-Life-Competence sowie der Arbeit in seiner Führungswerkstatt. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Gräfenberg bei Nürnberg. Er leitet gemeinsam mit seiner Frau eine Erziehungsstelle, die zwei jungen Menschen bei einem zweiten Start ins Leben Begleitung und Erziehung bietet. Website: www.consenseplus.de
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink
Antje Wilmink (Jg. 1956) gründete 2006 ihr eigenes Beratungsunternehmen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Begleitung von Veränderungsprozessen, Unternehmer-Coaching und Coaching von Führungskräften. Sie ist Lehrbeauftragte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Das Thema Mixed Leadership ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit – mit Unternehmen und im Coaching mit weiblichen und männlichen Führungskräften. Sie verfügt über fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in Management und Führung in Banken und Mittelstand, davon fünf Jahre als CFO. Antje Wilmink ist Master am Institut für systemische Beratung und Partner in der ISB Professional Group. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und ist Vorstand im Frauen-Netzwerk EWMD Berlin-Brandenburg e. V. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.antje-wilmink.de
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Marc Minor
»randscharf versus kernprägnant« Zwei Scheinwerfer aus der Linguistik oder: Wie viel Reglementierung verträgt ein Unternehmen?
Die Fragen Es geht um die Fragen: Wie viel Festlegung, Regeln, Schnittstellenbeschreibung, Prozessdefinitionen brauchen Unternehmen, um funktionieren zu können? Wie viel an akkuraten Festlegungen vertragen Unternehmen, um einerseits gut und sorgfältig arbeiten zu können – und andererseits schnell, flexibel, leicht zu bleiben? Wann kippen die Vorteile sorgfältig verfasster Rasterungen, um Unternehmen besser steuern zu können? Wie viel Eventualität und ungute Überraschung können wir durch definitorische Festlegungen und Regeln vermeiden?
Die Essenz vorangestellt Wie wir in Schulen, Hochschulen und Unternehmen gelernt haben, Dinge zu definieren, möchte ich in Frage stellen. Und zwar nicht, wie man vermuten könnte, als intellektuelles Vergnügen, sondern mit erheblichen Auswirkungen auf die tägliche Praxis, wenn wir Unternehmer, Führungskräfte und Berater komplexe Prozesse (und was tun wir täglich anderes) steuern.
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Marc Minor
Einbettung – Förderung der Verantwortungskultur Das sind die großen Räder, die Unternehmen derzeit antreiben. Wenn wir ehrlich zueinander sind, wissen wir, dass wir noch weit weg sind, diese Themen erfolgreich in Unternehmen umzusetzen. Kluge Konzepte, verheißungsvolle Kick-offs, motivierenden Startreden, klug gestaltete Workshops haben wir. Da sind wir wirklich gut. Schauen wir darauf, was im täglichen Regelvollzug der Organisationen landet, also worauf es ankommt, dürfen wir selbstkritisch bleiben. »Ich wusste erst, was ich sagte, als ich die Antwort drauf hörte« (Norbert Wiener, Mathematiker und Kybernetiker). So erging es mir mit einem Modell aus der Linguistik. Vordergründig abstrakt, etwas theoretisch, etwas langweilig. Hintergründig hilft es einen Kern von permanenten Missständen, Unbehagen und Querelen in Organisationen besser zu verstehen und zu beschreiben. Die Perspektivenerweiterung macht neue Antworten wahrscheinlich. Das wurde mir erst durch die Reaktionen deutlich, die ich als Berater, Vortragender oder Schreibender erhalten habe. Zunächst die Enttäuschung. Auf die aufgeworfenen Fragen habe ich keine eindeutige Antwort. Natürlich nicht. Was Sie erhalten, sind zwei Scheinwerfer, die Sie hochdimmen können, um täglich anzutreffende Störungen zu den großen Rädern der Unternehmensentwicklung zu beleuchten. Große Change-Vorhaben, Projekte, Managementwellen starten. Zu Beginn legt das Management-Team fest, was man unter den neuen Verheißungen und Themen wie Führungskultur, Leitwerte, Management Principles zu verstehen hat. Man bemüht sich um definitorisch saubere Abgrenzungen.
Linguistik für Unternehmensentwicklung? Die Crux beginnt. Wir definieren. Ich möchte dafür werben, dass wir unseren Stil, wie wir definieren bzw. wie wir in unseren Ausbildungssystemen gelernt haben zu definieren, hinterfragen. Mir hilft ein Modell, das Dr. Bernd Schmid, Leiter des Instituts für systemische Beratung, aus der Linguistik ausgegraben hat und in die Welt
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»randscharf versus kernprägnant«
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der Unternehmen überträgt. Der Linguist und Kulturwissenschaftler Georg Steiner unterscheidet die Begriffe randscharf und kernprägnant. Randschärfe grenzt ab. Es bestimmt die Grenzen: Was das eine ist, kann das andere nicht mehr sein. Die Grenzziehung zwischen Bedeutungsräumen steht im Vordergrund. Wir verstehen die Bedeutung, wenn wir etwas definieren können im Sinne »Ist das jetzt noch …?« – »Oder ist es schon etwas anderes …?« Für wissenschaftliche Genauigkeit oder in der Ableitung formaljuristischer Konsequenzen ist Randschärfe geeignet. Auf Dimensionen von Unternehmensentwicklung, Führungskultur, Förderung von Verantwortungskultur ergibt mir randscharfe Abgrenzung wenig Sinn. Ich gehe von Kernprägnanz aus. Kernprägnant sind Begriffe, die an den Rändern unscharf bleiben, jedoch vom Kern und Wesen bei allen ein gemeinsames, vielschichtiges Verständnis auslösen. Versuchen Sie einmal eine »private Freundschaft« als Kontrast zu einer »guten Geschäftsbeziehung« randscharf zu definieren. Fast unmöglich – auch unsinnig. Diese Begriffe haben Kernprägnanz, nämlich ein von vielen geteiltes Verständnis, was im Wesentlichen dazugehört. Es kann an den Rändern verschieden sein, es macht aber den Begriff nicht schlecht. Viele Unternehmen erkennen, dass Unternehmenskultur-Entwicklung nicht nur sympathisch und human, sondern ökonomisch ist. Die Herausforderung: Wir können Kultur nicht allein über Randschärfe entwickeln. Die Kunst ist, die Kernprägnanz des gemeinsamen Verständnisses anzureichern und auf die Mitarbeiter zu übertragen. Der Haken: Das ist anspruchsvoll, braucht Zeit und Talent. Wie oft erlebe ich, dass man versucht, große Räder als Stabstellenthemen in die Organisation zu hieven. Ein 15-köpfiges Team sitzt dann zusammen und überlegt, wie man das vom Vorstand verordnete Brennpunktthema, wie zum Beispiel »Wir brauchen mehr Streitkultur«, vorantreibt. Was kommt dann raus? Viele Definitionen, viele Folien, vielleicht auch verheißungsvoll initiierte gute Workshops, wo die Teilnehmer, didaktisch auch klug instruiert, über das Thema nachsinnen. Aber eben auf Kunstbühnen. Schaut man auf die Alltagsbühnen, also die Regelkommunikation, Jour fixe, ProjektstatusSitzungen, Zielvereinbarungsgespräche etc., also dahin, wo Streitkultur tatsächlich stattfinden soll, da findet man wenig wieder. Kernprägnanz reichern wir am ehesten an über gute, vielschichtige
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Marc Minor
Arbeitsbeispiele, Metaphorik und Tools, die ein Gesamtverständnis fördern. Nachteil: Das ist nicht so griffig, nicht gut verkaufbar, nicht so schön in ein »Wenn A, dann B«-Muster zu bringen. Führungskräfte verwenden im Alltag viele Ressourcen damit, Claims abzustecken. Und zwar randscharf. Oft hat Randschärfe Sinn, wenn wir zum Beispiel Verantwortlichkeiten in Prozessschritten abgrenzen wollen, weil Prozesse sonst nicht greifen. Setze ich aber eindimensional und reflexhaft auf Durchorganisiertheit und Randschärfe, scheitert hochkomplexe Organisationsentwicklung. In unseren Bildungsgewohnheiten erlebe ich ein großes Manko: Wir fühlen uns nicht orientiert, wenn wir nicht definiert haben. Wir sollten aber eher an guten Beispielen die Wesenhaftigkeit klar machen und nicht die Grenzen bestimmen. Diskussionen, die abgrenzen, helfen nicht. Rezepte, Definitionen, 800 (!) Seiten Ordner ISO-Plus vermitteln das Gefühl, es im Griff zu haben. Befrage ich Führende, höre ich eher von Aquaplaning: Man hat das Steuer zwar in der Hand, aber der Wagen reagiert nicht, wie gewünscht. Ich habe auf »randscharf vs. kernprägnant« viele Reaktionen erhalten – auch aus ganz überraschenden Ecken. Diese trage ich zusammen.
Beispiele – Erlebnisse – Erzählungen Fusionen von Unternehmen Reaktion einer betroffenen Führungskraft auf einen der großen deutschen Merger des letzten Jahres: »Ich habe mal unter der Perspektive randscharf versus kernprägnant unseren Fusionsprozess beleuchtet. Das Nichtbeachten dieser fundamentalen Unterscheidung verursachte viele Konflikte. Beide Seiten haben mit ihrem unternehmenskulturellen Hintergrund natürlich ›Recht‹. Es kracht die ganze Zeit. Für das Mutterunternehmen ist es wichtig, dass alles, was getan wird, wertschöpfend ist. Dementsprechend reicht in den meisten Fällen ein grobes Procedere als Anhaltspunkt. Telefonische Abmachungen oder mündliche Vereinbarungen in Meetings gelten als verbindlich – mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter vertrauensvoll und hoch flexibel zusammenarbeiten.
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»randscharf versus kernprägnant«
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Für das zweite Unternehmen scheint es wichtig zu sein, dass alles gut von einander abgegrenzt und mehrfach abgesichert ist. Es existieren unzählige, definierte Verantwortungsbereiche, RASI Charts, Entscheidungsvollmachten, bis hin zur Verantwortung für das Blumengießen. E-Mails werden im Verteiler an unzählige Personen versandt. Entscheidungen werden nur von oberster Stelle akzeptiert. Sie müssen auf offiziellem Weg kommuniziert werden, um anerkannt zu werden. Die Flexibilität leidet. Vertrauen schwindet. Wenn jeder sich so verhielte, als würde er sein eigenes Unternehmen führen, wenn jeder zu seinen Handlungen, Taten und Entscheidungen stünde, würde Kernprägnanz für das tägliche Management reichen. Was passiert stattdessen? An grotesken Ausnahmefällen (also an den Rändern), die im Promille-Bereich liegen, arbeiten ganze Mitarbeiterstäbe. Natürlich merkt man an meiner Beschreibung, was ich abwerte bzw. wofür ich plädiere. Ich denke, unser Vorstand hat nicht erkannt, wie eklatant dieser Unterschied ist. Ein guter Dialog, also kein ›wer hat mehr Recht?‹-Kindergarten, hätte vermutlich geholfen. Und zwar von oben nach unten, top-down, indem man immer wieder an Alltagsbeispielen überlegt und aushandelt, wie können beide Perspektiven sinnvoll integriert werden.« »Meine Chefin tickt randscharf« Während eines Vortrags über »randscharf« aktiviert sich eine berührte Teilnehmerin. »Meine Chefin braucht für alles eine Definition. Mir wird nun klar, warum es so anspruchsvoll für mich ist. Sie mag für alles zunächst Ziele und Definitionen. Sie stellt das sogar als ihre Kernkompetenz heraus. Sie mag das ›Schwammige‹ nicht und mag perfekt informiert sein. Sie sieht das als ihr Gütesiegel für Professionalität. Ich fühle oft, dass es so keinen Sinn gibt. Ich gerate in Erklärungsnot. Mir wird nun deutlich, es liegt in der Logik der Sache, dass ich schlechte Karten habe. Ich erkläre ihr, bislang unbewusst, meine Themen aus einer Kernprägnanz-Perspektive. Damit erreiche ich sie natürlich nicht. Sie fordert Randschärfe. Auf diesen Köder beiße ich an. Ich gehe auf Ihren Randscharf-Zugangskanal – was natürlich schiefgehen muss. Oder ich fühle mich in meiner Sache verraten. Randscharfe Diskussionen verliere ich intellektuell … dann fühle ich mich weniger fit, manchmal sogar
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komplett minderwertig. Erklär mal jemanden, der randscharf tickt, das Kernprägnanz mehr Sinn macht. Das kapiert er nur, indem ich ihm Kernprägnanz randscharf erkläre … da haben wir dann die Crux. Ich gehe mit meinen Ideen zu meiner Chefin und kehre mit ihren wieder zurück.« Kulturanalysen in Unternehmen Unternehmen beauftragen Berater, um Kulturanalysen durchzuführen. An sich eine prima Idee. Ist der reflexhafte Gewohnheitsstil der Berater, Kulturen randscharf zu vermessen, werden sie aus meiner Sicht der Komplexität der Aufgabe nicht gerecht. Da werden Kulturen beispielsweise in vier Untergruppen unterteilt, in innovative, bewahrende, kontrollierende, humane etc. Diesen Untergruppen werden dann Instrumente und Umsetzungstools zugefügt … Und so glaubt man, man könne Kultur entwickeln. In Fusionsprozessen werden zwei Kulturen analysiert und eine Sollkultur randscharf definiert. In flächig angelegten Worksshops sollen die Mitarbeiter die neue Sollkultur lernen. Es suggeriert, dass man Unsicherheit in den Griff bekommt. Ich zweifle daran. Prozesskosten senken im Industriekonzern Die Kosten in einem großen, bekannten Industriekonzern sind aus dem Ruder gelaufen. Das Management ergreift viele Maßnahmen. Eine Maßnahme besteht darin, das prozessübergreifende Wissen durch eine Schulungsserie zu fördern. Management und Mitarbeiter denken und handeln zu viel in der »Maximierung ihrer eigenen Teilperspektive«. Das »Silo-Denken« soll aufgelöst werden. Die Prozesse sind ungeheuer komplex. Es zahlt sich aus, wenn die Mitarbeiter den Gesamtprozess besser verstehen. Dazu sollen alle Mitarbeiter in zwei Tagesseminaren geschult werden. Systemische Didaktik und Moderations-Knowhow werden von außen zugekauft. Man will ja nicht nur belehren, sondern auch erfrischenden Dialog gestalten. Jedes Unternehmen hat eigene Vorstellungen von Dialog. Hier bedeutet Dialog, dass gelegentliche Zwischenfragen erlaubt sind. Es werden Berge von PowerPoint-Folien präsentiert. Acht bis zehn Dozenten referieren pro Tag in Monologen mit ca. 30 bis 50 Folien über die Hauptprozesse. Alle Prozesse werden minutiös randscharf abgebildet.
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»randscharf versus kernprägnant«
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Randschärfe ist als Management-Kultur tief verinnerlicht. Das muss kein Nachteil sein. Unprofessionell erlebe ich es erst dann, wenn es zum unreflektierten Gewohnheitsstil wird. »Leitwerte in Unternehmen« Auszug aus einem internen Führungskräfte-Curriculum in einem Handelskonzern. Es gilt, die Führungskräfte für die neuen Führungsleitwerte zu schulen. Man hat in umfangreichen Workshops die Firmenleitwerte erarbeitet und definiert. »Fairness und Respekt vor Mitarbeitern«, »Kundenorientierung«, »Innovation« und »Spitzenleistung« sind die neuen Leitwerte. Zu jedem Leitwert sollte ursprünglich eigens ein Seminarmodul stattfinden. In Verzahnung mit HR wurde das verworfen. Wir haben eine Praxisserie für Führungskräfte aufgesetzt. Führungskräfte arbeiten an konkreten, anspruchsvollen Führungsfällen und sollen darüber die Leitwerte anwenden. Ein Beispiel aus einem Praxisseminar mit 16 Teilnehmern: Ein Bereichsleiter hat ein Praxisanliegen. Er hat die Frage, wie er zwei neue Teamleiter offiziell in seinem Team platziert und wie er das verkündet. Er hat die beiden vor einem Jahr eingestellt, mit dem klaren Versprechen, eine Führungsposition einzunehmen. Zuvor sollten sie jedoch die Basisarbeit als »normale« Mitarbeiter kennenlernen. Dem Rest des Teams hat er die Zukunftsperspektive der beiden nicht geschildert. Man will ja »keine schlafenden Hunde wecken« und unnötig Unruhe aufkommen lassen. Nun sucht er nach einem »geschickten« Weg, diese beiden offiziell in ihren Rollen zu ermächtigen. Die übrigen 15 Bereichsleiterkollegen sollten nun Ideen und Lösungen finden. Die Lösungen waren gut: kreativ, geschickt und rhetorisch raffiniert. Ich habe meine Lösungsvarianten hinzugefügt. Im Kern habe ich kritisiert, dass ich den Bereichsleiter als unehrlich erlebe. Meine Lösungsempfehlung an ihn war, dass er seinem Team kommuniziert, dass er unaufrichtig war. Er habe die beiden neuen Mitarbeiter mit dem festen Vorsatz eingestellt, diese als neue Vorgesetzte zu etablieren, das aber dem Team verschwiegen. Die Teilnehmer (allesamt integer, offen, fair) waren über meinen
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Vorschlag zunächst irritiert. Unter dem Licht »Fairness und Respekt vor Mitarbeitern« leuchtete rasch ein, dass man im umgekehrten Fall, also als Geführter, diesen Führungsstil als link und unfair einschätze, aber als Fehler akzeptieren könnte. Raffiniert getarnte Erklärungen hingegen würde man als unfair und respektlos einschätzen; sie würden das Grundvertrauen trüben. Selbst die Umsetzung der ehrlichen Variante ist nicht trivial. Im Seminar hat sich der Fallbringer übungshalber vor sein Team gestellt und die Lösung in wörtlicher Rede ausprobiert. Er war ehrlich. Gleichzeitig stimmte es nicht. Obwohl er Worte benutzt hat, die dem Leitwert »Respekt« gemäß waren, passte seine Haltung nicht. Er erklärte, rechtfertigte sein Vorgehen und bagatellisierte es damit. Erst als er ohne Wenn und Aber seinem Team offenbarte, dass er unaufrichtig war, fühlte es sich für ihn und alle anderen im Raum stimmig an. Als Fan von Werten frage ich mich allmählich, ob es Leitwerte bzw. deren randscharfe Definition überhaupt braucht. Auf der Oberflächenebene definiert, sind Leitwerte so richtig, dass sie banal sind. In komplexen Situationen machen sie für die Steuerung des Alltags kaum einen Unterschied. Selbst die respektloseste Führungskraft wird auf dieser Ebene sein Eigenbild absegnen und sagen: »Ja, genau – so lebe ich es.« Führt jemand beobachtbar anders durch das Einführen und Erlernen von Leitwerten? Die es drauf haben, brauchen die Fixierung nicht. Die es nicht drauf haben, werden sich kaum beobachtbar verändern. Vielleicht sollten wir uns in den nächsten Jahren von der Wertediskussion lösen und uns, ganz unspektakulär, um Professionalität bemühen: Jeder hat die Funktion, für die er monatlich bezahlt wird, professionell auszuüben. Die Komplexität steigt. Also bedeutet Professionalisierung, kompetenter mit Komplexität umzugehen. Wie kann das gelingen? Ich glaube, in dem wir mehr Kernprägnanz zulassen und das gemeinsame Verständnis von Professionalität durch gut gemachte Beispiele erhöhen. Professionalität im 21. Jahrhundert impliziert all die richtigen, klugen Werte, die mittlerweile in allen Unternehmensbroschüren auftauchen. Menschen in Organisationen haben ein hinreichend gutes Gefühl für das, was kompetente Professionalität ist. Ich möchte nicht unnütz polarisieren und mich gegen Wertedefinitionen und -diskussionen aussprechen. Dienen die Leitwerte als Starthilfe/
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Auftakt für die Entwicklung einer kompetenten Professionskultur, finde ich das prima. Danach braucht es »Drehbücher« dafür, die befähigen, ressourcenschonend und real üben zu lassen, die hehren Werte im Alltag umzusetzen – und sie eben nicht als Seminarkunstbühne oder Stabsstellenthema wie einen Bypass in die Organisation einzuführen. Kernprägnanz erhöhen am Beispiel Verantwortungskultur Wie kann ein Unternehmen das Kernprägnanz-Verständnis fördern? Mein Weg: ich experimentiere damit, gut gemachte Beispiele an konkreten Arbeitsituationen erleben zu lassen. Und zwar top-down. Hierarchieübergreifend. An realen Themen. Bewährt hat sich gesteuerte, kollegiale Beratung im realen Team entlang der realen Hierarchie. Ich nenne es Führungskraftwerkstätten. Das kann dann so aussehen: Der Vertriebsleiter eines Unternehmens berät den Geschäftsführer im Vier-Augen-Gespräch vor den beobachtenden Kollegen zu einem realen Anliegen. Das Bearbeiten des Anliegens folgt klaren Regeln. Anhand der konkreten Praxisarbeit werden dann die neuen Scheinwerfer hochgedimmt und Neues wird regelrecht ausprobiert, sei es »neue Streitkultur erproben«, »Werte tatsächlich umsetzen« etc. Derzeit ringen viele Unternehmen mit dem Thema Verantwortungskultur sowie mit den Schattenseiten nicht gelebter Verantwortung, nämlich Verantwortungskonfusion, Verantwortungserosion, Verantwortungsverschiebung. Je matrixhafter Unternehmen aufgebaut sind, desto schwieriger lassen sich Zuständigkeiten regeln. Viele Unternehmen erkennen mittlerweile, dass der randscharfe Weg, Zuständigkeiten zu regeln, zwar wichtig und richtig ist, aber rasch auf Grenzen stößt. Das Lösungsmuster »mehr desselben« führt zu Lähmung und Erstarrung. Wir können nicht jede Eventualität randscharf regeln. In den Führungswerkstätten ringen, streiten, tüfteln die Führungskräfte auf Basis konkreter Anliegen, Projekte, Change-Projekte, wie kompetente Verantwortungskultur aussehen kann. Es geht um Fragen wie: Wer muss wie für seine Teilperspektive Verantwortung wahrnehmen, dass das Vorhaben erfolgreich abläuft? Wer muss welche Verantwortung bereichsübergreifend wahrnehmen?
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Wer würde das wie wahrnehmen? Welchen Beitrag hat die Geschäftsführung zu leisten, um Führung über das Zusammenspiel zwischen den Schnittstellen wahrzunehmen?
Im Nebenbei wird gelebte persönliche Kritik- und Streitkultur geübt. Und zwar nicht, wie immer wieder empfohlen, als vertrauliches bilaterales Gespräch, sondern als kulturbildendes Beispiel vor den anderen. Wie sollen wir denn sonst zu gelebter Professionskultur und umgesetzten Werten kommen? Empfehle ich den Verantwortlichen in Unternehmen diese Arbeitsform, ernte ich nicht nur Faszination, sondern regelmäßig ungläubige Blicke. Manche erbleichen bei der bildhaften Vorstellung, dass ein Vorstand seinen Chef berät, und das vor den Augen der Kollegen … und überdies noch öffentlich kritisiert wird. Gleichzeitig will man die großen Themen wie Vertrauenskultur und gelebte Werte ins Unternehmen tragen. An nicht wohlwollenden Tagen denke ich nur, »wasch mich, aber mach mich nicht nass«. Bin ich eindimensional pro Kernprägnanz? Nein. Ich bin Anhänger von klaren Strukturen, Abläufen, Regeln, Projektmanagement, Milestones. Wie sonst soll ein Unternehmen geführt werden, wenn es nicht in Multikreativität baden gehen soll? Gleichzeitig ist mir wichtig, dass wir nicht unreflektiert unsere Lieblingsscheinwerfer anknipsen. Neigen wir nicht alle ein wenig zu chronischen Schaltungen? Bericht eines Projektmanagers »Was ist meine Aufgabe, wenn ich Projektleiter, also Team- und Projektkoordinator oder ›Bauleiter‹ bin? Wenn mein Chef sagt, ich habe zum Beispiel ›die Budgetverantwortung‹, meint er etwas Bestimmtes. Ist es dasselbe, das ich darunter verstehe? Wann kann ich mir sicher sein, dass Verantwortlichkeiten angenommen werden? Oft suche ich Antworten, die: schnell da sind,
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klar definiert sind und ›alles‹ klären, ›für immer‹ gelten.
Dahinter steckt für mich der Wunsch nach Orientierung (im Sinne von Ordnung), Bewertbarkeit und Dauerhaftigkeit – und natürlich Effizienz. Ich suche also oft nach randscharfer Abgrenzung von Zuständigkeiten, Aufgaben, Lösungen, Entscheidungen usw. Dieses Herangehen entspricht der erlernten naturwissenschaftlichen Kultur und führt dort oft zu guten Ergebnissen! Was aber ist los, wenn zum Beispiel abgesprochene Zuständigkeiten ›plötzlich‹ nicht eingehalten werden, das Gefühl entsteht, ›über den Tisch gezogen zu werden‹, Entscheidungen ›vor sich hergeschoben‹ werden, oder Kollegen als ›unkollegial‹ empfunden werden. In all diesen Fragen geht es nicht um abgrenzbare, berechenbare Fakten, sondern um Verhalten, von dem wir alle in unserer Profession im Kern das gleiche Verständnis haben (Kernprägnanz) – klare Grenzen sind dabei nicht gegeben. Manager beschäftigen sich in ihrer Führungsaufgabe größtenteils mit kernprägnanten Themen. In jeder Führungsfunktion es ist wichtig, sich über unsere naturwissenschaftliche Prägung hinaus neue Perspektiven zu erschließen, um die Arbeit in diesen Punkten zu professionalisieren.« Naturwissenschaftlerin »Flüsse wurden und werden leider sehr häufig vom Rand her reguliert. Neue Überlegungen zeigen, dass eine Regulation aus dem Zentrum heraus sehr viel hilfreicher ist und den Fluss seiner Art gemäß leitet. Die Einmauerung eines Flusses birgt zahlreiche vermeidbare Nachteile. Insbesondere könnte die Lebendigkeit des Wassers erhalten werden. Diese Bilder verdeutlichen die Begriffe ›kernprägnant‹ und ›randscharf‹. Je klarer und verständlicher der Kern einer Sache ist, umso selbstverständlicher ist der Rand.«
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Beraterin »Ich habe viele Berührungspunkte zum Thema ›Kultur‹: bei Fusionen, in Veränderungsprozessen, bei Teams und in der internationalen Zusammenarbeit. Meine Beobachtung ist, dass das Bedürfnis nach randscharfer Fassbarkeit von Kultur ein weit verbreitetes ist. Es entspricht dem Bedürfnis nach Vermeidung von Unsicherheiten. Je größer die Unternehmen und komplexer die Strukturen, desto mehr sind Führungskräfte gewohnt, in unsicheren Umwelten zu leben. Kernprägnanz ist eben nicht analytisch fassbar, manche Menschen geben sich mit Beispielen, Metaphern und dem Gefühl für eine kulturprägende Haltung zufrieden, andere nicht. Manchmal erlebe ich in Teams, dass sich das Bedürfnis nach Randschärfe insofern positiv auswirkt, dass es den Prozess der Auseinandersetzung fördert und letztlich in einem kernprägnanten Erlebnis mündet. Ob dieses dann wertgeschätzt wird, ist eine andere Frage. Es braucht beides: vermutlich Randschärfe und Kernprägnanz in einem iterativen und kontinuierlich sich ergänzenden Prozess. So wird Kultur sowohl besprechbar als auch erlebbar. Interessant finde ich die Frage, wie es möglich ist, Menschen, die randscharf denken und urteilen, von dem Wert der Kernprägnanz zu überzeugen. Vielleicht ist es die Quadratur des Kreises, diesen Widerspruch auflösen zu wollen? Trotzdem: Solange das Top-Management Kultur ›kontrollieren‹ oder messen möchte, wird es für das mittlere Management schwierig sein, sich den Dingen vom Kern her zu nähern, weil es den Wert dessen nicht nach oben vermitteln kann, es sei denn, man schafft es, ihnen nicht nur randscharfe Begriffe zu liefern, sondern sie in Kulturerlebnisse einzubeziehen.« Interner Berater »Ich habe die Definition bzw. Abgrenzung der beiden Begriffe in mein Unternehmen getragen. Mir ist klar geworden, dass hier ein ›Kernproblem‹ langatmiger Sitzungen und seitenlanger E-Mails in unserem Konzern liegt. Auch wir haben immer wieder die Tendenz und den Drang, ›randscharf‹ zu sein und Definitionen und Gebrauchsanweisungen für
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unsere internen Kunden zu schreiben, was sie zu tun und was sie zu unterlassen haben, indem wir versuchen randscharfe Abgrenzungen zwischen unseren Zuständigkeitsbereichen zu ziehen. Dabei liegt auch oftmals hier des Pudels Kern in der Kernprägnanz. Dies spart Zeit und erspart Missverständnisse. Ich habe mir fest vorgenommen, in Zukunft darauf zu achten und gegebenenfalls zu intervenieren, wenn wir erneut in diese Falle tappen.« Manager aus der Automobilindustrie »Mein Großvater erzählte mir so ab und an Geschichten. Folgende war wohl dazu gedacht, mich kleinen Draufgänger etwas nachdenklich zu machen und zu ›zähmen‹. Sie handelt (wohl ein wahre Begebenheit) von einem wichtigen Staatsmann, der einen neuen Chauffeur suchte. Bei den Vorstellungsgesprächen stellte er immer auch eine Frage: Wie nahe fahren Sie an einen über 100 Meter hohen ungesicherten Abgrund heran? Die Bewerber gaben unterschiedlich mutige Antworten. Ein Meter, einen halben Meter, zehn Zentimeter. Einer antwortete: ›Nur so nahe, wie es unbedingt sein muss.‹ Für diesen Bewerber entschied sich der Staatsmann. Gestern habe ich an unserem Traubenstock ein paar Reben abgeschnitten. Die einzelnen Trauben waren so dicht beieinander, dass sie ihre ideale Form nicht mehr beibehalten konnten. Meine Gedanken waren: Hätten die einzelnen Trauben alle randscharf auf ihre vordefinierte Form bestanden, hätten einige von ihnen abfallen müssen. Die Folge wäre gewesen, dass diese Rebe viel weniger Trauben/Inhalt gehabt hätte. So haben aber alle nicht nur ihren eigenen Gehalt/Kern bewahrt, sondern auch das Ganze (die Rebe) hatte mehr Inhalt/Wert.
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Marc Minor
Der Autor Marc Minor (Jg. 1964) leitet das Institut für systemische Führungskultur – spezialisiert auf Coaching und systemische Professionsberatung von Führungskräften. Coaching findet einerseits »klassisch« im diskreten Vier-Augen-Gespräch statt (so wie man es kennt und vermutet). Andererseits dient Coaching in Teams als »Perspektive, um Professionskultur in Leitungsteams zu fördern«. Unter Anleitung erlernen reale Teams in realen Hierarchiebeziehungen, sich an Praxisfällen gegenseitig zu beraten. Die Praxisanliegen dienen als Transportmittel, um an komplexen Themen prototypisch und fragmentarisch (und damit gemäß vielschichtig) zu arbeiten. Es geht um Rollenklarheit, Führungskompetenz, Verantwortungs- und Zuständigkeitsdialoge als Konsequenz von Verantwortungskonfusion und -erosion, Umgang mit Macht, gelebte Leitwerte, Fokusdisziplin in Denken und Sprechen etc. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.minor.de
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Gabriele Haas, Rita Strackbein und Dirk Strackbein
Systemische Kompetenz in der Führungsfunktion
Zielsetzung In diesem Beitrag werden wir uns mit systemischer Kompetenz in Führungsfunktionen beschäftigen. Wir wenden uns hier in erster Linie an Führungskräfte und all diejenigen, die Führungskräfte beratend und coachend begleiten. Ziel ist, herauszuarbeiten, welche Unterschiede zwischen systemischer und herkömmlicher Führung bestehen und welche Vorteile eine Führungskraft aus den Ansätzen des systemischen Gedankens ziehen kann. Uns geht es aber auch darum, Menschen ganz generell systemisches Denken näher zu bringen und es damit alltagstauglich zu machen. Dass hier durchaus Handlungsbedarf besteht macht eine tatsächlich erlebte Aussage einer Führungskraft deutlich, die wir in die systemische Gedankenwelt entführen wollten: »Ich führe systemisch. Bei allem was ich tue, gehe ich durchaus systematisch vor!« Nun denn!
Ausgangssituation Die Führung von Menschen in Organisationen wird immer komplexer und anspruchsvoller. Das liegt zum einen an der Erwartungshaltung, die die Organisation einer Führungskraft entgegenbringt, und zum anderen an den Erwartungshaltungen, die die geführten oder zu führenden Mitarbeiter ihrer Führungskraft entgegenbringen. Kurz gesagt, die Ansprüche, die von beiden Seiten ausgesprochen oder unausgesprochen definiert werden, sind gestiegen und sie werden es weiter tun! Es ist noch nicht lange her, da reichte es als Qualifikation für Führungskräfte aus, ein guter Fachmann oder eine gute Fachfrau im jeweiligen Arbeitsgebiet zu sein. Schlicht nach der Aussage »Das bisschen Führung kann doch jeder« wurden Führungskräfte selektiert. Das hat
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sich – glücklicherweise – in den letzten Jahren geändert. So wird heute nicht mehr ausschließlich nach fachlicher Kompetenz entschieden, wer als Führungskraft geeignet ist, sondern auch die menschlichen, die weichen Faktoren, werden ins Kalkül gezogen. Jede Führungskraft, ebenso wie jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, ist aber immer nur Teil eines mehr oder weniger gut funktionierenden Systems. Es ist immer wieder zu beobachten, dass eine hoch erfolgreiche und akzeptierte Führungskraft, die das Unternehmen wechselt oder innerhalb eines Unternehmens die Funktion und den Aufgabenbereich wechselt, plötzlich nicht mehr so erfolgreich ist. Das liegt natürlich nicht daran, dass die Führungskraft all ihre Kompetenzen verloren hat, sondern eher daran, dass die vorhandenen Kompetenzen und Werte vom neuen System in dieser Form so nicht erwartet werden. Die Passung zwischen neuem System und der Führungskraft stimmt nicht. Erwartungshaltungen, Rollenerwartungen und Wertevorstellungen passen nicht zueinander. Im traditionellen Organisationsverständnis wird die Funktionalität durch Abgrenzung von Aufgaben und Verantwortungsfeldern definiert.
Abbildung 1: Klassisches Unternehmensorganigramm
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Durch die Beschreibung von horizontalen und vertikalen Strukturen, dem klassischen Organigramm (Abb. 1), werden Unternehmensabläufe scheinbar klar definiert. Aber eben nur scheinbar! Denn neben den rein funktionalen Abläufen gibt es auch die menschliche Komponente, die bezogen auf Rollenverständnis und Wertehaltungen passen muss. Durch die wachsende Komplexität unternehmerischen Handelns, immer kürzer werdende Produktlebenszyklen, die Globalisierung und immer schnellere und direktere Wege der Kommunikation kommt dieses lineare und kausale Unternehmensverständnis an seine Grenzen. Die heutige Unternehmenslandschaft ist durch neue Technologien und innovative Kommunikationsmittel eng vernetzt; was aber nicht unbedingt bedeutet, dass mehr miteinander geredet wird, sondern es wird mehr und schneller kommuniziert. Durch diese Form der Kommunikation, der zwischenmaschinellen und weniger der zwischenmenschlichen, verändern sich geradezu zwangsläufig die Beziehungsebenen. Und sie werden nicht besser, sofern man nicht bewusst daran arbeitet.
Abbildung 2
Wir möchten uns hier mit ergänzenden Denk- und Handlungsmustern aus einer systemischen Betrachtung beschäftigen, die Einfluss auf das Organisationsverständnis besitzen und weitere, andere Handlungsoptionen ermöglichen. Neben der rein funktionalen Betrachtung ist es
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wichtig, die Beziehungsnetzwerke in einer Organisation, dem System, in gleicher Weise mitzudenken und im organisatorischen Handeln mit zu berücksichtigen. Wichtig ist hier ein Sowohl-als-Auch und kein Entweder-oder! Systemische Führung bedeutet, Verbindungen zwischen linearen Funktionen, Beziehungsebenen und Beziehungsnetzwerken im alltäglichen Führungshandeln zu reflektieren und zu beachten. Es geht folglich nicht nur um die funktionale, rationale Passung zwischen Mensch und System, sondern auch um die emotionale, informelle und werteorientierte Passung. So kann zum Beispiel die funktionale Ebene zweier Menschen, die reine funktionale Zusammenarbeit, durchaus funktionieren (Abb. 2: ), im zwischenmenschlichen Bereich kann es aber Spannungen geben, die zu Reibungsverlusten und letztendlich zu suboptimalen Ergebnissen führen werden (Abb. 2: ). Insbesondere für eine langfristig erfolgreiche Tätigkeit als Führungskraft ist es wichtig, das System zu verstehen und nicht nur die funktionalen, sondern auch die Beziehungsebenen zu gestalten und zu pflegen; also nicht nur die funktionale Ebene zu beachten, sondern auch die Person wertzuschätzen. Ziel ist, für ein systemisches Führungsverständnis zu sensibilisieren, das über das rationale oder gar mechanistische Führen von Menschen weit hinausgeht. Der Wertschätzung auch des Systems und nicht nur der Menschen im System kommt hier eine ganz besondere Bedeutung zu.
Welches Welt- und Menschenbild braucht eine systemische Führung? Das systemische Welt- bzw. Menschenbild umfasst folgende Aspekte: Denken und Handeln hat Aus- und Wechselwirkungen auf das System und die agierenden Menschen (Mobile-Gedanke), Wirklichkeitskonstruktion, viele »Wahrheiten«, Perspektiven, Lösungs- und Ressourcenorientierung, Kontextabhängigkeit, Zieldienlichkeit, Anschlussfähigkeit, Selbststeuerung und Selbstorganisation, Integration von Widersprüchen, Abwehr als kompetente Reaktion wahrnehmen,
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Integration von harten Faktoren (Zahlen, Daten Fakten) und weichen Faktoren (Emotionen, Intuitionen), Systemlösungen – Zusammenfügung unterschiedlicher Perspektiven für alltagstaugliche Lösungen, aktive wertschätzende Beziehungsgestaltung. Das systemische Weltbild geht davon aus, dass jedes Denken und Handeln in einer Organisation Aus- und Wechselwirkungen auf das gesamte System und die in ihm agierenden Menschen hat. Nimmt man Einfluss auf ein Teil eines Mobiles, bewegt sich nicht nur dieser Teil, sondern das gesamte Mobile gerät in Bewegung. Im systemischen Denken gibt es nicht nur eine Wahrheit, sondern immer verschiedene Perspektiven mit ihren Wahrheiten und Widersprüchen. Im Hinblick auf die Lösungsorientierung und den damit verbundenen Ressourceneinsatz wird berücksichtigt, dass jedes System die Kompetenz der Selbststeuerung und Selbstorganisation besitzt. Auch das Mobile gerät nach einem Eingriff von außen wieder in einen Ruhezustand – es organisiert sich selbst, mit ziemlicher Sicherheit aber anders als vorher! Weiterhin ist es die Sicht der aktiven und wertschätzenden Beziehungsgestaltung, dem »anständigen Führungsverhalten«, bei dem die harten Faktoren wie Daten, Zahlen und Fakten mit der Welt der Emotionen und Intuitionen verbunden werden. Werte und Normen werden klar definiert, es wird klare Position bezogen und eindeutig deklariert, was richtig und falsch ist. Nicht die Hierarchie bestimmt das Richtig und Falsch, sondern das System und die Menschen bestimmen diese Werte. Natürlich ist es wichtig, dass ein systemisches Führungsverständnis auch die Faktoren, Werte und Elemente des mechanistischen Weltbilds berücksichtigt. Zum mechanistischen Weltbild gehören: Suche nach objektivierbaren Fakten, unveränderliche Gesetze respektieren, Grenzen definieren (richtig – falsch, schuldig – unschuldig), (Fremd-)Steuerung durch Akzeptanz von Rahmenbedingungen, messbare Leistungsdefinitionen, fixer Unterschied, formale Logik z. B.: Strukturen, Abläufe, rationale Beziehungen basierend auf funktionalen Strukturen, Methoden: Instruktion, Anordnung, lernen durch Versuch und Irrtum.
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Gabriele Haas, Rita Strackbein und Dirk Strackbein
Es geht hier nicht um Abwertung und Ausgrenzung anderer gelernter Weltbilder und Wertekonstruktionen. Das Zusammenfügen unterschiedlicher Perspektiven und Sichtweisen und das additive, verknüpfende Denken und Handeln stehen im Vordergrund. Erlaubt man sich hier die Frage, warum in vielen Organisationen und Unternehmen primär gemäß dem mechanistischen Weltbild geführt wird, so ist die Antwort relativ klar: Es ist einfacher, sich bei der Führung von Menschen auf objektivierbare Fakten, gesetzte Grenzen, messbare Leistungsdefinitionen und definierte Abläufe zu beziehen. Die Welt der Emotionen bleibt weitgehend außen vor – denn sie haben in der Welt der Organisation nichts verloren. So denken und handeln immer noch viele Führungskräfte. Die Gründe hierfür sind durchaus vielschichtig. Manchmal ist es pure Ignoranz, manchmal einfach nur Angst und Unsicherheit, sich mit solchen wenig greifbaren Dingen auseinandersetzen zu müssen. Die wertschätzende Führung beschäftigt sich aber eben auch mit den weichen Faktoren und berücksichtigt durchaus Neigungen, Emotionen und Intuitionen der im System befindlichen Menschen. Und dies ausdrücklich nicht mit dem Ziel einer »Friede, Freude, Eierkuchen«-Kultur, sondern mit dem Ziel einer effektiven und effizienten Arbeit. Der Feind der Motivation und Identifikation ist das mechanistische Arbeiten – das hat uns bereits Marx gelehrt. Der Freund der Motivation und Identifikation sind die persönliche Wertschätzung, die neigungsgerechte Arbeit, das sich persönlich einbringen können und die Wahrnehmung des Individuums. Nur so ist Höchstleistung möglich. Insofern ist das systemische Weltbild nicht Selbstzweck und dient nur dem Wohle der Mitarbeiter, sondern es dient auch dem Wohle der Organisation: Es ist der Schlüssel für Leistungsbereitschaft und damit nachhaltigem Erfolg.
Was heißt systemisches Führungsverständnis? Erst einmal muss man Führung verstehen. Sie ist mehr als bloßes Anleiten und Vormachen. Führung heißt Menschen zu begleiten. Rational und emotional. So ist die Basis der Führung aus systemischer Sicht die Steuerung des Beziehungssystems zwischen dem Mitarbeiter und der Führungskraft bezogen auf die Arbeit und die Erreichung definierter
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Ziele. In Teamstrukturen multipliziert sich dieses Bezugssystem, da hier mehrere Mitarbeiter an verschiedenen Aufgaben und Zielen arbeiten. Das Team darf niemals isoliert betrachtet werden; es befindet sich im Kontext des Gesamtunternehmens und aller Einflüsse von außen (Kunden, Mitbewerber, Konjunktur, Globalisierung etc.). Der Grundgedanke ist der des Mobiles: Gerät ein Teil des Systems aus sich heraus in Schwingung, schwingt das gesamte System. Versetzt ein Einfluss von außen das Gesamtsystem in Unruhe, sind auch die einzelnen Subsysteme betroffen. Die systemisch denkende und handelnde Führungskraft ist so wie jede andere »normale« Führungskraft das Bindeglied zwischen Aufgabe und Mitarbeiter. Sie delegiert Aufgaben, Ziele und Verantwortung und unterstützt da, wo es erforderlich ist, den Mitarbeiter bei der Erreichung von Ergebnissen. Der systemische Ansatz geht aber über diese Dreiecksfunktion hinaus und beachtet die Dynamik des Mobilemodells, bei der Entscheidungen auf bilateraler Ebene Auswirkungen auf das Team, die Organisation und sogar das gesamte Umfeld haben können. Und vice versa ebenso: Umfeldeinflüsse, geänderte Rahmenbedingungen können durchschlagen bis ins letzte Glied, nämlich bis zum einzelnen Mitarbeiter. Nicht, dass es gelänge, durch systemisches Denken und Handeln diese Einflüsse auszuschließen. Natürlich nicht. Was aber gelingen kann und wird, ist eine Abfederung der Auswirkunken, weil durch antizipatives Denken eine Vorbereitung und die Einleitung sinnvoller Maßnahmen durchaus möglich sind. Und ebenso verhält es sich mit Entscheidungen, die zwischen Mitarbeiter und Führungskraft getroffen werden. Auch hier gilt es abzuwägen, welche Auswirkungen eine einzelne Entscheidung auf das Gesamtsystem hat (vgl. Abb. 3). Wenn Sie jetzt an die Chaostheorie und den Schmetterlingseffekt denken, ist die Assoziation gar nicht so falsch. Denn die Chaostheorie geht auch davon aus, dass kleine Abweichungen und Störungen langfristig betrachtet ein ganzes System vollständig und unvorhersehbar verändern können.
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Umwelteinflüsse Organisation Aufgabe
Team
Führungskraft
Mitarbeiter
Abbildung 3
Wir möchten uns hier bei der weiteren Betrachtung auf die Rolle und Haltung der Führungskraft konzentrieren.
Welches Rollenverständnis braucht die systemische Führungskraft? Flapsig ausgedrückt: mehr als die Haltung »Ich bin Chef hier und habe damit Recht«! Jeder Mensch ist in verschiedenen Realitäten und Welten unterwegs. Man unterscheidet drei Welten, in denen eine Person in durchaus sehr unterschiedlichen Rollen agiert (Abb. 4).
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Abbildung 4: Mehrere Welten einer Person
Die Organisationswelt bezieht sich auf die Funktion eines Menschen in einer Organisation. So sind wir zum Beispiel Leiter einer Redaktion, Geschäftsführer, Abteilungsleiter, Projektleiter oder Bereichsleiter. Die Professionswelt definiert sich aus unserer Kompetenz. So sind wir hier zum Beispiel Techniker, Arzt, Programmierer oder Redakteur. In der Privatwelt sind wir Vater oder Mutter, Liebhaber, Freund, Nachbar oder Mitglied des Taubenzüchtervereins. In jeder dieser Welten üben wir Rollen aus, die teilweise sehr unterschiedlich besetzt und gefüllt werden müssen. Eine Rolle wird definiert als ein zusammenhängendes System von Einstellungen, Gefühlen, Verhaltensweisen, Wirklichkeitsvorstellungen und einem Set von dazugehörigen Beziehungen und daraus resultierender Erwartungshaltungen. So verhalten wir uns in unserer Rolle als Vater oder Mutter vollkommen anders als in der des Abteilungsleiters. Als Liebhaber sind wir auch anders wie als Nachbar. Es geht aber nicht nur um das eigene Ausfüllen der Rollen, sondern ebenso um die unterschiedlichen Erwartungen, die an uns in unserer Rolle herangetragen werden. Glücklicherweise hat der Nachbar andere Erwartungen an uns als unser Lebenspartner! Um unser Leben und Arbeiten effektiv zu gestalten und mit Lebensqualität zu versehen, müssen wir alle Rollen mit den entsprechenden
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Gabriele Haas, Rita Strackbein und Dirk Strackbein
Denk-, Fühl- und Verhaltensmustern füllen können und darüber hinaus in der Lage sein, im rechten Moment aus einer Rolle in eine andere überwechseln können. Für diese Rollenwechsel haben wir manchmal nur Sekundenbruchteile Zeit, weil Rollen durchaus parallel gespielt werden. Beim familiären Abendessen ist man zum Beispiel gleichzeitig Vater oder Mutter und Partner. Die Rolle des Abteilungsleiters hat man im Büro gelassen – in die schlüpft man wieder am nächsten Morgen. Aber zurück zur Führungskraft. Die Rolle einer Führungskraft ist eine sehr komplexe und vielseitige Funktion. Damit ist es eine sehr anspruchsvolle und facettenreiche Aufgabe, die Rolle einer Führungskraft nicht nur auszufüllen, sondern auch zu managen. Unser Rollenverständnis basiert auf der Annahme einer »multiplen Persönlichkeit«, die in der Lage ist, systemisch zu denken und zu handeln.
Abbildung 5: Rollen
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Als Führungskraft hat man sozusagen ständig mehrere, sehr unterschiedliche Hüte auf. Um eine Rolle wirklich ausfüllen zu können, muss man nicht nur das eigene Anforderungsprofil der jeweiligen Rolle kennen, sondern sich ebenso bewusst sein, welche Anforderungen und Erwartungen andere an den Rolleninhaber haben. In der praktischen Anwendung dieses vielseitigen Rollenmodells ist es wichtig, die inneren Selbstorganisationsmechanismen zu erkunden und ein professionelles Rollenmanagement zu üben. Es erfordert die Kompetenz, diese unterschiedlichen Rollenanforderungen situativ und kontextabhängig managen zu können. »Es ist banal und eine doch viel zu wenig beachtete Tatsache, dass Menschen, je nach Rolle, verschieden denken, handeln, ja auch fühlen« (Schmid, 1993, S. 12). Diese Aussage bringt es auf den Punkt! Hier wird deutlich, dass ein professionelles Rollenmanagement durchaus bedeuten kann, in bestimmten Fällen sehr unterschiedlich zu fühlen, reagieren und zu handeln. Eine Führungskraft, die ihre Mitarbeiter klar, strukturiert und konsequent mit Zielvereinbarungen führt, kann in ihrer Rolle als Vater das krasse Gegenteil sein: nachgiebig, spontan und manchmal bewusst inkonsequent. Aber auch die Wirkung dessen, was getan wird, kann unterschiedlich aufgenommen und erlebt werden. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, in dem wir beratend tätig sind, hat einen neuen Produktionsleiter eingestellt. Klare Aufgabenstellung war unter anderem, die Produktionskennzahlen deutlich zu verbessern. Eine seiner auszufüllenden Rollen war folglich die des »Sanierers«. Der neue Produktionsleiter füllte diese Rolle perfekt aus. Er führte verschiedene Kontrollsysteme ein und führte seine Mitarbeiter straff und konsequent. Bereits nach kurzer Zeit hatten sich die Kennzahlen deutlich verbessert. Das Feedback der Geschäftsleitung war dementsprechend sehr positiv. Womit unser Produktionsleiter weniger gut zurechtkam, war das Feedback seiner Mitarbeiter. Sie waren seit Jahren einen anderen Führungsstil gewohnt und spiegelten daher deutlich zurück, dass sie diese Form der Führung nicht als positiv, wertschätzend und motivierend erlebten. Das Problem für den Produktionsleiter war, dass aber gerade diese Werte für ihn als Führungskraft sehr große Bedeutung hatten. Er befand sich also in einem Dilemma. Auf der einen Seite füllte er die Rolle des Sanierers perfekt aus. Auf der anderen Seite litt er selbst darunter, dass er seine Rolle als positive, motivierende Führungskraft
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nicht so ausfüllen konnte, wie er eigentlich wollte und wie es seinem Wertesystem entsprach. Es gibt also auch durchaus Rollen, die sich miteinander im Konflikt befinden. Dies kann sich auf die Außenwirkung, das Erleben der anderen beziehen, aber auch durchaus auf das Anspruchsdenken und die Wertehaltung des Rolleninhabers. Bei der Definition und dem Ausfüllen von Rollen spielen folgende Aspekte eine besondere Bedeutung: Rollenklarheit, Rollenkompetenz, Rollenstabilität, Rollenflexibilität, Rollendurchsetzung. Diese Aspekte, die sowohl für die eigene Rollenfindung als auch für die Rollenwahrnehmung durch andere extrem wichtig sind, möchten wir nun näher erläutern: Rollenklarheit ist die Klarheit darüber, in welchen unterschiedlichen Rollen eine Führungskraft unterwegs ist und welche konkreten Ziele und Aufgaben mit jeder dieser Rollen verbunden sind. Diese Klarheit und die Bereitschaft zur Selbstreflexion sind für eine systemische Führungskraft von großer Bedeutung. Rollenkompetenz beschreibt die handwerkliche Kompetenz, die es braucht, um jede der Rollen gut auszufüllen. Bezogen auf die Rolle einer systemischen Führungskraft bedeutet dies zum Beispiel: Methodenkompetenz, kommunikative Kompetenz, Fachkompetenz und soziale Kompetenz. Von Rollenstabilität spricht man, wenn jemand in der Lage ist, stabil in einer Rolle zu bleiben, obwohl eine andere Rolle adressiert oder eingefordert wird. Ein Beispiel dafür: Im Team gibt es eine klare und gerechte Urlaubsplanung. Ein Mitarbeiter versucht bei seiner Führungskraft eine Sonderregelung zu erhalten und appelliert dabei an die langjährige – fast freundschaftliche – Zusammenarbeit. Die rollenstabile Führungskraft bleibt konsequent und verweigert die Sonderregel. Rollenflexibilität beschreibt die Fähigkeit, in kürzester Zeit von einer in die andere Rolle wechseln zu können. Beispiel: Eine Führungskraft kommt aus einem Projektmeeting, in dem er als Fachexperte gefordert
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war. Zurück im Team soll er eine schnelle Entscheidung treffen, die Teamassistentin beklagt sich über mangelnde Rückmeldung seinerseits und gleichzeitig gibt es ein Problem mit einem sehr wichtigen Kunden. Rollendurchsetzung betrifft die Dimensionen der formalen, fachlichen und persönlichen Autorität. Eine Rolle muss auch gegen Widerstände, widrige Umstände und bei sich ändernden Rahmenbedingungen konsequent durchgesetzt werden. Bisher hat unsere Rollenbetrachtung primär eine Richtung gehabt: die der Innenwelt einer Führungskraft. Aus systemischer Sicht wird die Rollenanforderung an eine systemische Führungskraft aber um die Außenwahrnehmung und deren Wechselwirkungen ergänzt. Die Außenwirkung einer Rolle beeinflusst nicht nur die »betroffenen« Menschen, sondern die Organisation als Ganzes. Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Produktionsleiters. Die Außenwahrnehmung durch die Geschäftsleitung war hervorragend. Die Außenwahrnehmung der Mitarbeiter war schlecht. Dementsprechend war auch das Feedback beider Seiten. Woran lag es? Es liegt an den Erwartungen. An ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen Erwartungen von involvierten Menschen. Die Erwartungen der Geschäftsleitung waren klar definiert und wurden erfüllt. Welches waren die Erwartungen der Mitarbeiter? Kannte der Produktionsleiter die Erwartungen überhaupt?
Welche Erwartungen werden an eine systemische Führungskraft gestellt? Was sind Erwartungen? Erwartungen definieren sich aus der jeweiligen Rolle, die man innehat. Jede Rolle generiert Erwartungen an die Person, die sie ausfüllt. Ralf Dahrendorf hat hier zwischen verschiedenen Arten der Erwartungen unterschieden: Kann-Erwartungen sind die schwächste Form der Erwartung. Man muss sie nicht unbedingt erfüllen. Erfüllt man sie jedoch, steigert man sein persönliches oder gesellschaftliches Ansehen und genießt positive Sanktionen. Soll-Erwartungen sind die Erwartungen, die den »harten Kern« der Pflichten bezeichnen. Erfüllt man diese Erwartungen nicht, gibt es Probleme und es drohen negative Sanktionen.
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Muss-Erwartungen sind die klar definierten Pflichten eines Rolleninhabers. Sie sind verbindlich festgeschrieben. Bei Nichterfüllung droht nicht irgendeine Sanktion, sondern definitiv Strafe. Geht man von der ursprünglichen Wortbedeutung aus, nämlich erwarten, dann wartet jemand darauf, dass ein anderer etwas tut oder dass etwas passiert. Man wartet aber nicht nur auf irgendeine Handlung oder irgendein Ereignis, sondern man hat meist eine sehr konkrete Erwartungshaltung. Wir warten also nicht nur, sondern wir haben auch eine ganz besondere Haltung, Einstellung bezogen auf das, was da kommen soll. Wir unterscheiden hier zwischen vier unterschiedlichen Formen von Erwartungen: ausgesprochene Erwartungen, unausgesprochene Erwartungen, uneingestandene Erwartungen, unbewusste Erwartungen. Die ausgesprochenen Erwartungen werden klar definiert und bewusst ausgesprochen. Die Führungskraft äußert ihre konkrete Erwartungshaltung gegenüber den Mitarbeitern. Diese Erwartungen können sich sowohl auf die persönliche Ebene beziehen als auch auf die funktionale. Unausgesprochene Erwartungen sind für denjenigen, der sie hat, meist klar definiert – sie sind halt nur nicht ausgesprochen. Die Gründe für das Nichtaussprechen können sehr unterschiedlich sein. So kann zum Beispiel eine Erwartung aus Sicht einer Führungskraft so selbstverständlich sein, dass es der Worte nicht bedarf. Oder man will die Erwartung nicht formulieren und aussprechen, um zu sehen, ob der Mitarbeiter diese Erwartung auch unausgesprochen erfüllt. Oder aber man sagt nichts, lässt den Mitarbeiter »ins Leere laufen«, um dann hinterher zu sagen, dass man enttäuscht ist, dass die Erwartung nicht erfüllt wurde. Uneingestandene Erwartungen sind diejenigen, die eigentlich nicht in das Wertesystem einer Organisation, der Führungskraft oder des Mitarbeiters passen und deshalb verleugnet werden. Man darf diese Erwartungen nicht haben, also hat man sie auch nicht bzw. man hat sie, aber formuliert sie nicht. Was nicht sein darf, das nicht sein kann! Die unbewussten Erwartungen sind die, die man nicht kennt oder die nicht bewusst sind. Sie können jedoch geweckt werden. Sie schlummern
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in einem und werden oftmals erst durch Schlüsselreize, die von außen kommen, bewusst. Diese Schlüsselreize werden häufig durch Veränderungsprozesse ausgelöst. An die systemische Führungskraft sind wie an jede andere Führungskraft in ihren Rollen sehr viele Erwartungen geknüpft. Diese Erwartungen werden mehr oder weniger offen an die Führungskraft herangetragen. So entstehen Erwartungshaltungen der Organisation, des Teams, der Mitarbeiter etc. Für die Führungskraft gilt es nun, alle diese Erwartungen, seien sie nun ausgesprochen oder nicht, zu erfüllen. Diese Erwartungen und ihre Erfüllung sind die entscheidende Messlatte! Das andere sind die Erwartungen, die die Führungskraft an sich selbst stellt. Sie werden also nicht von außen herangetragen, sondern entstammen dem persönlichen Wertesystem, dem persönlichen Anspruchsdenken. Im Grunde genommen legt hier die Führungskraft selbst die Messlatte, die es zu erreichen gilt. Es ist wichtig, dass Führungskräfte diese Erwartungen so aussteuern, dass sie realistisch und erreichbar sind. Was unterscheidet aber in Bezug auf Erwartungen die systemische Führungskraft von einer »normalen« Führungskraft? Es ist der Umgang mit dem System – die sensible Betrachtung des Systems als Konstrukt, das durch interne und externe Einflüsse gestört, zerstört, verändert oder gefestigt werden kann. Gerade Erwartungen spielen hier eine große Rolle, weil auch Erwartungen eine entscheidende Bedeutung für die Stabilität eines Systems haben. Denn Erwartungen lösen Handeln und Taten aus, diese wiederum haben Einfluss auf das System. Eine systemisch denkende Führungskraft macht sich also schon beim Formulieren von Erwartungen an sich selbst und an andere Gedanken über die Auswirkungen und Folgen, die die aus den Erwartungen resultierenden Handlungen auslösen. Wir reden also nicht nur über vernetztes und abgestimmtes Handeln, sondern auch über ein systemkonformes Abstimmen von Erwartungen.
Wie kann eine systemische Führungskraft in die eigene Rolle finden? Das systemische Rollenkonzept bietet einen guten diagnostischen Rahmen zur Analyse der Voraussetzungen und der Ergebnisse von Führung. Dem Rollenkonzept liegt ein systemisch-konstruktivistisches Führungs-
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verständnis zugrunde. Führungserfolg kann demnach nicht planmäßig erzeugt werden, sondern ergibt sich aus der komplexen Interaktion der beteiligten Dimensionen. Die systemische Führungskraft besitzt die Fähigkeit, die eigene Wahrnehmung ihrer Führungssituation und dem Handeln daraus aus kritischer Distanz neu zu betrachten, eigene Grundmuster zu erkennen, zu reflektieren, Wechselwirkungen zu berücksichtigen und das Führungshandeln danach auszurichten. Der Fokus einer systemischen Führungskraft ist nicht nur ausgerichtet auf den direkt zu verantwortenden Bereich, sondern immer auf den Gesamtkontext und das Gesamtsystem. Es ist die Sicht eines Hubschrauberpiloten, der von oben den Gesamtüberblick hat. Er denkt prospektiv und fällt Entscheidungen erst dann, wenn er vorher geprüft hat, inwieweit das Gesamtsystem von dieser Entscheidung betroffen ist. Die nachfolgenden Arbeitsschritte und Fragen sind eine Möglichkeit, die Führungsrolle zu analysieren und zu reflektieren. Jeder einzelne Arbeitsschritt kann individuell durch weitere Fragen ergänzt werden. Wichtig ist, alle Rollen zu definieren, die entweder erwartet werden oder aber die eine Führungskraft selbst für sich als notwendig und richtig erachtet. 1. Perspektive Welches Welt- und Menschenbild liegt der Führungsrolle zugrunde? Welche Werte leiten das tägliche Handeln? Wie denkt die Führungskraft über Mitarbeiter, Kollegen und die Organisation? Welche harten und weichen Faktoren bestimmen den Führungsalltag? …
2. Perspektive In welchen Beziehungssystemen steht die Führungskraft? Welche und wie viele Mitarbeiter führt die Führungskraft? Was ist die jeweilige Aufgabe der Mitarbeiter? Welche Beziehungsqualitäten pflegt die Führungskraft im eigenen Team, mit Kollegen und in anderen Organisationsabteilungen im Unternehmen? …
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3. Perspektive Welche unterschiedlichen Führungsrollen hat die Führungskraft? Welche Führungsrollen bestimmen in welcher Intensität den Führungsalltag? Welche Kompetenzen braucht die Führungskraft in den unterschiedlichen Rollen? Welche Rollen fehlen für künftige Aufgaben und Herausforderungen? … 4. Perspektive Welche Autorität braucht die Führungskraft in den unterschiedlichen Rollen? Welche Durchsetzungsfähigkeit braucht die Führungskraft in welchen Rollen? Welche Widerstände erfährt die Führungskraft in welchen Rollen? Welche Autorität braucht die Führungskraft in der Zukunft? …. 5. Perspektive Welche Erwartungen werden an die Führungskraft von außen gestellt und welche hat sie an sich selbst? Wer stellt in welchen Rollen Erwartungen an die Führungskraft? Wie klar sind die ausgesprochenen Erwartungen formuliert? Gibt es auch unausgesprochene und/oder uneingestandene Erwartungen? Welche Erwartungen hat die Führungskraft an sich selbst in den unterschiedlichen Rollen? … 6. Perspektive Welche Handlungsoptionen ergeben sich aus dieser Analyse? Welche Rollen sind klar definiert und unproblematisch? Welche Rollen weisen Unstimmigkeiten auf? Welchen »Nutzen« können diese Unstimmigkeiten haben? Was wurde bisher getan, um diese Unstimmigkeiten zu beseitigen? Was müsste für die Zukunft neu gelernt werden?
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Was sollte unbedingt beibehalten werden? Was sollte aufgegeben werden? Welche Unterstützung braucht die Führungskraft? …
Fazit Eine systemische Führungskraft ist ein Mensch, der in der Lage ist, über den berühmten Tellerrand hinwegzusehen. Es ist aber nicht nur die Fähigkeit, aus dem Kleinen heraus das große Ganze zu sehen und Entscheidungen und Handlungen darauf hin zu überprüfen, welche Wechselwirkungen im Gesamtsystem entstehen. Es ist auch das Bewusstsein, Rollen zu übernehmen, sie mit Leben zu füllen, Erwartungen aktiv aufzunehmen und Erwartungen an sich selbst zu formulieren. Eine Führungskraft sollte die Komplexität einer jeden Rolle verstehen und sie gegebenenfalls neu gestalten, um auch langfristig erfolgreich handlungsfähig zu bleiben. Und dies alles bei Wechselwirkungen, nicht kalkulierbaren Parametern, sich ständig ändernden Rahmen- und Umfeldparametern eines Unternehmens. Aber, eines sei noch angemerkt: Es macht Spaß, systemisch zu arbeiten. Denkt und handelt man systemisch, wird es nie langweilig. Schließlich hat man vor der Entscheidung, vor der Aktion antizipiert, welche Auswirkungen und Wechselwirkungen auf das System und die in ihm agierenden Menschen bestehen werden. Ein Systemiker, der einen Stein in einen ruhigen Bergsee wirft, wird sich nicht über die Kreise wundern, die durch das Eintauchen des Steines entstehen. Er freut sich über sie – denn er wusste, dass sie kommen werden!
Literatur Dahrendorf, R. (2006). Homo Sociologicus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss. Königswieser, R., Hillebrand, M. (2009). Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg: Carl Auer Verlag. Steiger, T. Lippmann, E. (2003). Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, Band 1. Berlin: Springer.
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Downloads aus dem Institut für systemische Beratung (www.systemische-professionalitaet.de) Nr. 011: Schmid, B. (1993). Menschen, Rollen und Systeme. Professionsentwicklung aus systemischer Sicht. Nr. 015: Schmid, B. Das Drei-Welten-Modell der Persönlichkeit. Nr. 036: Schmid, B. (2000). Der systemische Ansatz in Training und Beratung.
Die Autoren Gabriele Haas (Jg. 1963) ist seit 2002 als Unternehmensberaterin, Trainerin und Coach mit systemischen Hintergrund tätig. Ihre Erfahrungen basieren auf mehrjährigen Führungspositionen in Industrie, Handel und der Geschäftsführung im Verlagswesen. Sie ist auch Lehrbeauftragte einer Fachhochschule in Österreich. Ihre wesentlichen Arbeitsschwerpunkte sind das Thema Führung und die Begleitung von Führungskräften im Rahmen von Veränderungsprozessen, Teamentwicklungen, Workshops, Seminaren und Einzel- und Gruppencoaching. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.diskurs-haas.at
Rita Strackbein (Jg. 1956) arbeitet als Unternehmensberaterin und Coach (DBVC) und ist Geschäftsführerin der Diskurs Strackbein GmbH in Wuppertal mit einer über 15-jährigen Erfahrung. Sie ist Master und Lehrtrainerin am Institut für systemische Beratung Wiesloch. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen rund um das Thema der Führung. Das Coaching, die Beratung und Begleitung von Führungskräften und
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Gabriele Haas, Rita Strackbein und Dirk Strackbein
die Wirtschaftsmediation sind die wichtigsten Einsatzgebiete. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.diskurs.net
Dirk Strackbein (Jg. 1955) arbeitet als Berater, Trainer und Coach (DBVC) mit systemischem Hintergrund. Er ist Geschäftsführer der Diskurs Strackbein GmbH in Wuppertal. Er war langjährig in leitenden Positionen in der Industrie tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Führung von Menschen in Organisationen, Motivation und Selbstverantwortung, Coaching und Begleitung von Führungskräften. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: www.diskurs.net
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Manuela Grund und Maximilian Schlegel
Wozu mache ich das alles hier? Sinnorientierung in Mitarbeiterführung und Organisationsentwicklung
Wozu überhaupt mache ich das alles hier mit? So stellen sich viele Beschäftigte in modernen Wirtschaftsunternehmen die Frage, welchen Sinn es überhaupt hat, sich den täglichen Belastungen und Angriffen des Arbeitsalltags auszusetzen. Welche tiefere Motivation könnte dazu bewegen, in die Arbeit zu gehen – abgesehen von der ganz banalen Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und dem Ansehen, das ein guter oder zumindest akzeptabler Job hergibt? Viktor Frankl, der Begründer der sogenannten Logotherapie und Existenzanalyse, dessen wissenschaftliche Arbeit und Philosophie weltweit anerkannt ist, lebte und arbeitete bis zu seinem Tod 1997 in Wien und den USA. Er erkannte das Wahrnehmen von Sinn und die innere Ausrichtung auf Werte als entscheidende Faktoren für ein erfülltes Leben in psychischer Gesundheit. Bisher wurden die Erkenntnisse seiner langjährigen Forschung und Praxis erst von wenigen Organisationsberatern in ihrer Relevanz und verändernden Kraft erkannt. Wir glauben, dass es zu erheblichen Verbesserungen von Arbeitszufriedenheit und -produktivität führen kann, wenn sowohl der einzelne Mitarbeiter als auch das Unternehmen – vertreten durch die Führungskräfte und angefangen beim Top-Management – bereit sind, Sinnerfüllung und Werteorientierung ernsthaft in ihre Organisationsgestaltung und ihren Arbeitsalltag zu integrieren. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns damit, wie dies gelingen kann, was das für die Mitarbeiterführung bedeutet und wie systemische Beratung und systemisch angelegte Trainings entsprechende Lern- und Entwicklungsprozesse unterstützen können. Wir werden im Folgenden in zwei Stimmungsbildern Gefühlslagen beschreiben, denen wir in Unternehmen häufig begegnen. Schon daran sieht man, wie allgegenwärtig die Frage nach der Sinnhaftigkeit des
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Manuela Grund und Maximilian Schlegel
eigenen Handelns und der Wunsch nach Orientierung im Unternehmensalltag ist und wie Leistungsfähigkeit, Motivation und Gestaltungsverantwortung zusammenhängen. Im Anschluss skizzieren wir diejenigen Grundlagen der Logotherapie, die in diesem Kontext eine Rolle spielen, und leiten daraus Ansätze mit Hebelwirkung ab. Wir zeigen am Beispiel eines Veränderungsprozesses, den eine der Autoren begleitet hat, wie diese Ansätze in der Praxis wirksam etabliert werden können, und beschreiben am Ende, wie systemische Beratung und Sinn- und Werteorientierung zusammen wirken.
Stimmungsbilder Stimmungsbild I In unseren Trainings, Workshops und Coachings in Unternehmen verschiedener Branchen kommen Menschen in Gesprächen häufig damit heraus, dass ihnen der Sinn in der Arbeit abhanden gekommen ist. Sie tun dies recht offen im Austausch in der Gruppe – oder vertraulich in Einzelgesprächen in der Kaffeepause und abends nach dem Seminar. Führungskräfte erzählen, wie euphorisch und mit welchem Tatendrang sie die neue Position angegangen waren und wie wenig von dieser Anfangskraft noch übrig ist. Sie berichten, dass sie natürlich immer noch loyal zum Unternehmen sind, hinter den Zielen und Strategien stehen (soweit sie diese kennen) und dass sie ihre Mitarbeiter motivieren, so gut sie können. Viele relativieren das Gesagte dann aber gleich mit dem Hinweis, dass wir in schweren Zeiten leben, der Druck eben groß ist und der Vorstand oder die Geschäftsführer auch kein leichtes Leben haben. Alle sitzen im selben Boot, da könne man nichts machen. Aber da ist dann eben diese Leere, dieser enorm hohe Kraftaufwand und immer öfter auch der Zweifel, ob das noch lange so ginge – im persönlichen Leben und mit der Firma. Manchmal sind die Bekenntnisse drastischer. Menschen erzählen, dass sie sich nur als kleine Rädchen fühlen, austauschbar und unwichtig – jeder sei schließlich ersetzbar, und dies würde auch von den nächst höheren Führungskräften durchaus so ausgesprochen. Gleichzeitig sind
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die Erwartungen an Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sehr hoch, und selbst bei recht ordentlicher Bezahlung sei man nicht glücklich, schon lange im Hamsterrad gefangen und nichts mache mehr richtig Freude. Zwar sind die Produkte nach wie vor top und mit einigen Kollegen ist die Zusammenarbeit auch in Ordnung, aber in mancher Stunde komme doch die Frage hoch: Wozu das alles? Wir hören heraus, dass es wenig oder kaum Anerkennung gibt, viel Zeit in Meetings verbracht wird, deren Nutzen nicht einleuchtet, und dass der Kostenfaktor die wichtigste Stellgröße ist. Innovation wird verlangt, Kundenorientierung soll groß geschrieben werden, aber die Luft ist raus. Im persönlichen Gespräch tritt zutage, dass die Partnerin oder der Partner zu kurz kommen, im Grunde gleich die ganze Familie – und die Freunde sowieso. (Meistens sind unsere männlichen Gesprächspartner liiert, viele Frauen in Führungspositionen bleiben lieber gleich Single, »weil da halt im Moment keine Zeit für eine Beziehung ist«.) Nicht wenige Manager haben mehr Wohlstandsbauch, als sie gerne möchten. Die Zeit für Sport, Ausgleich, gesund kochen und essen fehlt. Work-Life-Balance ist zwar in fast allen Firmen ein feststehender Begriff, und jeder möchte das hinbekommen mit der Arbeit und dem Leben, aber viele Leistungsträger haben schon die Waffen gestreckt vor dieser weiteren Anforderung. Kompensiert wird häufig mit zu viel Alkohol, anderen Suchtmitteln und Verhaltensweisen, die sich ungünstig auswirken. Resümee I: Burnout statt Work-Life-Balance Schauen wir nun auf die vorigen Äußerungen aus der Vogelperspektive: Der einzelne Mitarbeiter fragt nach den Zielen des Unternehmens – also des größeren Umfeldes, in das seine Arbeit eingebettet ist. Er kennt entweder diese Ziele nicht oder sieht nicht, inwiefern seine Arbeit zu diesen Zielen beiträgt, einen sichtbaren Fortschritt oder irgendeine Wirkung zeigt. Deshalb empfindet er sie nicht als sinnvoll oder wertvoll. Anfangs war der Mitarbeiter voller Tatendrang, aber der ist inzwischen eingeschlafen. Manchmal hat die Mitarbeiterin aber auch eine klare Vorstellung davon, was gerade sinnvoll ist. Sie fühlt sich dann aber von Sachzwängen daran gehindert, entsprechend zu handeln.
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Das führt zu einem Gefühl der Leere, die Arbeit macht keinen Spaß, die Freude ist schon lange aus dem Bürogebäude oder der Fabrikhalle verschwunden. Stattdessen macht sich Zukunftsangst breit. So kostet es sehr viel Kraft, den Arbeitsalltag zu bewältigen, der Mitarbeiter ist erschöpft. Auch gute Bezahlung entschädigt nicht dafür. Die Anforderungen werden als unangenehmer Druck – Leistungsdruck eben – empfunden. Es gibt eine Ahnung, dass die Orientierung stärker am Kunden erfolgen müsste. Die Führungskräfte erkennen, wie wichtig es ist, die Mitarbeiter zu motivieren. Die Mitarbeiterin wünscht sich Anerkennung von Kollegen oder Vorgesetzten, bekommt sie aber nicht. Der Mitarbeiter erlebt gesundheitliche Probleme: Übergewicht, Depressionen, Burnout, Sucht. Außer dem Mitarbeiter selbst sind weitere Leidtragende das Privatleben und die Familie. Sie werden vernachlässigt, sind eventuell Ziel seiner Aggressionen.
Stimmungsbild II In anderen Abteilungen oder in anderen Unternehmen erzählen Teams oder einzelne Führungskräfte und Mitarbeiter, dass sie zwar die momentane Entwicklung im Unternehmen nicht richtig einordnen können, die Geschäftsführer weit entfernt agieren und entscheiden und auch sonst einiges im Argen liegt. Aber wir erfahren, dass der Job an sich Spaß macht, der Chef ein verlässlicher Typ und das Team eine eingeschweißte Truppe ist und dass man am Ende des Tages meistens weiß, was man geschafft hat. Das Arbeitsaufkommen ist hoch, es gibt reichlich Probleme mit Schnittstellen, man versteht die Strategie nicht richtig, ist manchmal recht frustriert, aber das wird kompensiert von einem sehr guten Verhältnis zum Vorgesetzten und zu den direkten Kollegen. Der Chef hat eine offene Tür und ein ebenso offenes Ohr, der Kollege springt schnell ein und fährt in Vertretung zum Kunden (weil man kurzfristig eine Unterlage für den Vorstand aufbereiten muss) und die Kollegin lässt schon mal die eigene Arbeit liegen und hilft beim Beheben
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eines Programmierfehlers. Es gibt auch mal Reibereien, nicht alle bringen sich gleich stark ein, aber in Summe kommen die Menschen hier ganz gern zur Arbeit und stehen hinter ihrer Firma. Gute Führungskräfte, gute Stimmung in der Abteilung oder im Team sind wertvoll und tragen weit. Da wird häufig über das unbedingte Soll hinaus gearbeitet – für den Chef, der hinter einem steht, und die Kollegen, die einen ja auch nicht hängen lassen, wenn es darauf ankommt. Es sind vor allem die kollegialen, die menschlichen Beziehungen, es ist die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, welche Leistung und Einsatzbereitschaft befeuern. Resümee II: Zufriedenheit mit der Arbeit – trotz hoher Belastung Auch hier haben die Mitarbeiter mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen, denn die Unternehmensstrategie bleibt der Belegschaft verborgen; die Arbeitsbelastung ist hoch, es kommt zu Reibungsverlusten und Frustration. Es werden aber auch viele positive Aspekte des Arbeitsalltags beschrieben: Die Arbeit macht meistens Freude, wird als sinnvoll wahrgenommen. Die Mitarbeiterin empfindet die Anforderungen weniger belastend als im ersten Beispiel. Gründe hierfür sind: Der Mitarbeiter versteht sich gut mit Kollegen und Chef; im Team herrscht eine gute Atmosphäre. Der Chef kümmert sich um die Mitarbeiter, die Kollegen helfen einander. Konflikte eskalieren nicht. Das Ergebnis der Arbeit ist meist sichtbar.
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Viktor Frankls Sinnorientierung und die Frage nach der Motivation Paradigmenwechsel Viktor Frankl, ein Wiener Arzt, entwickelte seine Konzepte Anfang des letzten Jahrhunderts. Er bezog in mehrfacher Hinsicht Stellung gegen die zu dieser Zeit vorherrschenden Strömungen in der Psychologie (Frankl, 1991). Er sah den Menschen nicht als Marionette von Macht- und Sexualtrieben wie Adler oder Freud. Diese Aspekte gehören zwar auch nach seiner Auffassung zum Menschen, darüber hinaus hat er aber den Verstand zur Verfügung, um sein Handeln an vernünftigen Argumenten auszurichten. Der Mensch, so Frankl, ist immer unabhängig, gegen innere Impulse oder äußere Zwänge zu entscheiden und zu handeln. Vernunft und Freiheit sind Eigenschaften, die nur dem Menschen zukommen und ihn dadurch ausmachen. Aus dem Vergleich der Biografien seiner psychisch kranken Patienten mit den Biografien gesunder Menschen kam Frankl zu dem Schluss, dass belastende Ereignisse und Umstände im Leben nicht als alleinige Erklärung für psychische Probleme taugen. Es müsse, so folgerte er, im Gegenteil Faktoren geben, die einen Menschen psychisch gesund erhalten, obwohl er erheblichen Belastungen ausgesetzt ist. Somit wandte er sich von der Frage ab, die man bisher gestellt hatte: Was macht den Menschen krank? Er fragte stattdessen danach, was den Menschen – auch unter widrigsten Umständen – gesund erhält. Die Grundlagen dieser Überlegungen zog Viktor Frankl aus seinem Menschenbild. Menschenbild und Werte Außer durch Vernunft und Willensfreiheit ist der Mensch vom Tier dadurch unterschieden, dass er fähig ist, sich geistig auf Objekte draußen in der Welt zu beziehen, diese zu reflektieren und zu bewerten. Er kann sich für ein Kunstwerk begeistern, für eine Aufgabe engagieren und Freundschaften pflegen, ohne dass ihm dies ein Trieb vorschreibt. Er tut dies, weil diese Dinge, Personen oder Tätigkeiten zu einer Neigung, einem Interesse, einer Erfahrung passen und darin Widerhall finden.
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Der Mensch richtet sich mit einer bewussten Entscheidung dorthin aus. Solche Bezugsobjekte von Wahrnehmung, Denken und Handeln nennt man im politischen und philosophischen Kontext üblicherweise Werte. Wertkategorien Frankl unterscheidet drei Kategorien von Werten, die seinen Untersuchungen nach eine Rolle spielen, wenn sich ein Mensch fragt, wie er dem Leben gegenübertreten möchte, in welcher Haltung und mit welchen Handlungen. Es sind dies: Gestaltung und Kreativität, Erlebnis und Genuss, Einstellung und Haltung. Im Privatleben sind wohl alle drei Bereiche gleichermaßen von Bedeutung. Für unsere Fragen im Kontext des Erwerbslebens interessieren wir uns vor allem für die Kategorie der Gestaltung, für die schöpferische Betätigung. Der Wille zum Sinn In seiner langjährigen Praxis beobachtete Frankl bei gesunden wie kranken Menschen ein so starkes Bedürfnis, sich im Leben in diesen drei Bereichen – seinen Wertkategorien – auszudrücken, dass er vom »Willen zum Sinn« sprach, der dem Menschen innewohnt. Jeder Mensch hat also von Natur aus den Wunsch, etwas zu schaffen, Schönes zu erleben oder zumindest etwas Schweres tapfer zu ertragen. Der Wille zum Sinn, das heißt die Fähigkeit des Menschen, Werte anzustreben, liegt – wie wir gesehen haben – auf der geistigen Ebene und setzt freie Wahl voraus. Ein Wert muss bereits sichtbar sein, um vom Subjekt wahrgenommen und angestrebt zu werden. Das Streben dorthin ist dann auf Dauer angelegt. Davon unterscheidet sich in grundlegender Weise das Triebgeschehen, weil es auf einer anderen Ebene, nämlich der biologischen, und nach einem anderen Mechanismus abläuft.
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Gesundheit und Lebenszufriedenheit Untersuchungen, die er in den USA unter Studenten anstellte, bestätigten Frankl in seiner These, dass die geistige Gesundheit einer Person eng damit verknüpft ist, inwieweit es ihr gelingt, sich in den oben beschriebenen Bereichen auszudrücken. Ein Mensch bewahrt sich – trotz äußerer Belastungen – umso eher Mut, Lebensfreude und geistige Unversehrtheit, je breiter das Spektrum an Werten ist, die für ihn Bedeutung haben, und je besser es ihm gelingt, diese zu verfolgen. Natürlich gibt sich ein Arbeitgeber berechtigterweise nicht mit der reinen Belastungsfähigkeit seiner Mitarbeiter zufrieden. Moderne Unternehmen brauchen das Engagement und die Begeisterung aller Beteiligten – und deren Bereitschaft, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Eine entscheidende Fragen in unseren Unternehmen ist, wie es um die Motivation der Mitarbeiter bestellt ist – und wie man sie befeuern kann. Motivation Modelle zur Motivation versuchen zu erklären, woher sie kommt und wie man sie wecken und am Leben erhalten kann. Die bekanntesten bewegen sich in zwei großen Strömungen: Moderne Ansätze nehmen die Selbstverwirklichung als stärksten Motivationsfaktor an (siehe insbesondere die Bedürfnis-Pyramide nach Maslow). Andere Theorien beschäftigen sich hauptsächlich mit Mechanismen von Belohnung, Anreizen und Sanktionierung. Auch Frankl setzte sich mit dem Phänomen Motivation auseinander und gibt Antworten, die aber in wichtigen Aspekten von den erwähnten Überlegungen abweichen. Er entwirft das Bild, dass ein Wert, den eine Person anstrebt (also das, was erreicht oder geschaffen werden soll), Anlass gibt zu einem Spannungsbogen, der sich zwischen der angesteuerten und der augenblicklichen – davon noch entfernten – Situation erstreckt. Diese Spannung ist es, welche die Person in Bewegung setzt und in Bewegung hält. Es motivieren einen Menschen also die Werte, die er bejaht und deshalb anstrebt, das heißt letztlich wiederum sein Wille zum persönlich erkannten Sinn.
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Er stellte in langjähriger Forschung fest, dass der Mensch dieses Bestreben, Werte zu verwirklichen, grundsätzlich in jeder Lebenssituation spürt. Auch wenn sogenannte Grundbedürfnisse (Maslow) frustriert sind oder äußere Belohnungen ausbleiben, kann Erfüllung auf einer höheren Ebene den Mangel auf tieferen Ebenen sogar kompensieren. So ist die Geschichte reich an Biografien von Künstlern, die aufgrund ihrer intensiven Hingabe an ihr kreatives Schaffen in bewundernswerter Weise mit körperlichen Krankheiten oder prekären wirtschaftlichen Lebensumständen zurechtkamen. Selbsttranszendenz Gegen die Überbetonung der Selbstverwirklichung wandte Frankl ein, dass es ein Zeichen von Unreife und gerade nicht von psychischer Gesundheit sei, wenn es dem Menschen nur um seine eigene Person und deren Selbstverwirklichung geht. Der reife Mensch interessiere und engagiere sich für Dinge und Personen, für Inhalte außerhalb seiner selbst, und damit für Ziele, die nicht wieder mit ihm selbst identisch sind. Dieses Prinzip, in dem er ein weiteres Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und Tier sah, nannte Frankl Selbsttranszendenz. Der Wille zum Sinn als Motivationskonzept bewegt sich also auf der geistigen Ebene und dreht sich nicht nur um das Ego der Person, da der angestrebte Wert einen äußeren Gegenpol zum Ego bildet. Die anderen erwähnten Modelle sind entweder weitgehend ichzentriert oder bleiben gar nur auf der Ebene von Dressur durch Belohnung und Strafe. Flow In interessanter Nähe zu Frankl bewegen sich die detaillierten empirischen Forschungen von Mihaly Csikszentmihalyi (1990). Er untersuchte – vorrangig bezogen auf den Kontext der Arbeitswelt –, unter welchen Bedingungen sich Gefühle von Glück und Erfüllung bei welchen Betätigungen einstellen. Es sind dies klare externe Ziele, denen die Person innerlich zustimmt und die sie freiwillig und ohne äußeren Zwang gewählt hat. Ferner bedarf es eindeutiger und unmittelbarer Rückmeldungen über die Wirkung des
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eigenen Handelns und eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den äußeren Anforderungen und den Fähigkeiten der Person. Dies bedeutet, dass die Tätigkeit nicht so einfach sein darf, dass sie völlig mühelos erledigt werden kann, sondern dass ihre Bewältigung durchaus eine Herausforderung darstellen muss. Ist dies gegeben, empfindet der Handelnde auch anstrengende Tätigkeiten nicht als belastend. Zunehmend deutlicher sieht auch die moderne Forschung, dass Motivation einerseits nur sehr begrenzt von außen – das heißt zum Beispiel durch Belohnung und Bestrafung – induziert beziehungsweise gesteuert werden kann und dass andererseits die bewusste und freie Entscheidung der Person selbst ein unverzichtbarer Faktor dabei ist (vgl. Sprenger, 1995). Dies sind Befunde, die sich nahtlos in Frankls Modell einfügen. Quintessenz In obigen Stimmungsbildern sind die Berührungspunkte zu Frankls Erkenntnissen nicht zu übersehen: Ganz ausdrücklich stellen sich die Mitarbeiter die Frage nach Sinn und Ziel ihrer Arbeit. Es ist ihnen ein echtes Anliegen, über den rein pragmatischen Zweck hinaus wirksam und gestaltend tätig zu sein. Ist für den Einzelnen ein tiefer liegender und weiter gefasster Sinn nicht zu erkennen, lähmt das die Kräfte und das Engagement. Der Sinn scheint das zu sein, was allem Farbe und Energie gibt. Er ermöglicht ein Durchhaltevermögen auch in Zeiten großer Belastungen und Anfechtungen, so dass man eben nicht zusammenbricht und ausbrennt. Gerät der Sinn aus dem Blickfeld, verschwinden Arbeitsfreude und Begeisterung bzw. Beharrlichkeit. Stattdessen breiten sich Angst und Verunsicherung aus. Wäre dieser Umstand nicht schon lange Gegenstand zahlreicher Erfahrungsberichte und einschlägiger Analysen, könnte man überrascht sein, dass es in unserer angeblich so materialistischen Welt noch Anliegen gibt, die den Menschen wichtiger sind als ein hohes Gehalt, nämlich sinnvoll empfundene Aufgaben im Leben zu haben. Der Anspruch nach sinnvollem Wirken ist da, aber auch Mitarbeiter sind häufig nicht konsequent genug, diesem Anspruch auch gegen Widerstände Geltung zu verschaffen. Eine solche Wahl wider besseres Wissen wirkt belastend.
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Nicht nur Orientierung gebende Führung, auch eine eigenverantwortliche Haltung der Mitarbeiter ist gefragt. In den Stimmungsbildern ist ebenfalls deutlich geworden, dass es für viele Menschen in den Firmen auch etwas zählt, die Arbeit gut und engagiert zu erledigen, weil eine andere Person davon einen Nutzen hat. In den Beschreibungen hören wir von einem beliebten Chef und von guten Kollegen, für die sich Einsatz und Selbstverpflichtung lohnen. Wichtig ist es, sich nochmals vor Augen zu führen, dass jeder Mensch auf jeder Hierarchiestufe im Unternehmen selbstverantwortlich entscheiden kann, ob und welches Ziel er anstrebt. Dass aber den Unternehmenslenkern und Führungskräften für die Motivation in der beschriebenen Bedeutung, das heißt dem Aufzeigen von Zielen, eine besondere Rolle und Verantwortung zukommt, ist offensichtlich.
Fallbeispiel Besonders interessant für die Implementierung sinnorientierter Führung sind Aufträge von Unternehmen, deren Entscheider einen kulturellen Wandel auf den Weg gebracht haben oder anstreben und die nun eine neue Führungsgrundlage suchen. Diese Umorientierung geschieht meistens nach Krisen, Führungswechseln auf Top-Ebene, Fusionen oder Schrumpfungen. Wir möchten hier die Arbeit bei einem großen regionalen Wasserversorger (ca. 1000 Beschäftigte) vorstellen, der seit Jahren zu einem DAX-Konzern gehört. Beauftragt war eine der Autoren dieses Beitrags (Manuela Grund). Anlass und Prozessverlauf Nachdem der erfolgreiche Betrieb von einem Konzern aufgekauft wurde, fand ein tiefgreifender Umbau seiner inneren Organisation statt. Ein Ziel war natürlich, Synergien zu nutzen. Um die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Mitarbeiter genauer zu analysieren, wurde eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass viele Führungskräfte der zweiten und dritten Ebene ihre Bindung und Loyalität und damit auch ihre Motiva-
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tion weitgehend verloren hatten. Mitarbeiter gaben zu verstehen, dass sie nicht mehr wüssten, warum sie sich anstrengen sollten, wenn schließlich jetzt alles anders und insbesondere ungewiss geworden ist. Die veränderten Strukturen und Abläufe, deren Nutzen nicht verstanden worden war, vermittelten vielen Mitarbeitern das Gefühl, das Unternehmen und damit sie selbst seien mit ihrer Vergangenheit, ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen nichts mehr wert. Sie äußerten in der Befragung, dass sie wenig Orientierung verspürten und nicht wüssten, wohin die Reise gehen soll. Eine typische Sinnkrise also. Die neuen Geschäftsführer hatten die Aufbau- und Ablauforganisation verändert. Auf Entlassungen konnte zwar verzichtet werden, da sich die Geschäftsführung diesbezüglich gegenüber dem Konzernvorstand sehr einsetzte. Wie aber häufig nach solchen Maßnahmen, fühlten sich etliche Beteiligte als Verlierer. Der Schock bei den Geschäftsführern war groß, nachdem sie von den Befragungsergebnissen erfuhren; die Betroffenheit ehrlich. Mit den Geschäftsführern, dem Personalleiter und einem internen Kernteam, bestehend aus sehr engagierten, kritischen, aber verbundenen Führungskräften, durfte ich (Manuela Grund) einen lebendigen Veränderungsprozess gestalten und die Umsetzung begleiten. Umrahmt von zwei Großgruppenveranstaltungen mit allen 70 Führungskräften und Schlüsselpersonen wurde in vielen Workshops auf Führungs- und Mitarbeiterebene mit 12 bis 20 Teilnehmern analysiert, kritisiert, gestritten und in Frage gestellt. Die Menschen hörten sich aber auch zu und entwickelten gemeinsam Lösungsvorschläge, die sie direkt und persönlich am Ende der Workshops mit den Geschäftsführern diskutierten, die entweder von Anfang an dabei waren oder am Ende zum Gespräch dazukamen. Fast alle Beteiligten gaben sich richtig Mühe, über Verbesserungen in den Prozessen und der Kommunikation nachzudenken – auf jeden Fall die Geschäftsführer, die sich zunächst viel Kritik anhörten, aber später auch formulierten, welche Erwartungen sie selbst haben und welchen Beitrag sie von der Belegschaft brauchen, damit der weitere Unternehmenserfolg im Angesicht überregionaler Konkurrenz gesichert werden kann. Hier gelang es, für Mitarbeiter und Führungskräfte ein echtes Sinnangebot – zunächst einmal für die Beteiligung am Veränderungsprozess – zu schaffen. Die Geschäftsführer lebten es ehrlich und authentisch
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vor: Sie verdeutlichten in allen Situationen, in die sie involviert waren, dass ihnen die Meinungen, Ideen und Verbesserungsvorschläge aller Anwesenden wichtig sind und dass sie auch in die nächsten Schritte einfließen sollten. So gelang es der Geschäftsführung, einen Großteil der nachgeordneten Führunskräfte und der Belegschaft wieder dafür zu gewinnen, einen gemeinsamen Unternehmenserfolg anzupeilen, und zwar indem jeder den individuellen Freiraum innerhalb des gesetzten Rahmens identifiziert und dort dann sein Bestes gibt. Es gab deutliche Fortschritte, kleinere Rückschritte, gelegentliche Kommunikationsfehler und Lernschleifen. Bis heute, zwei Jahre nach der Abschlussveranstaltung, ist die Welt dort nicht rosa, sondern weiterhin bunt und vielleicht auch gelegentlich noch grau. Aber die Lebendigkeit und das für die meisten Menschen wichtigste Gefühl – die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns im großen Kontext des Unternehmens – sind zurück. Der Stolz auf die Zugehörigkeit und auf den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs in der Region ermutigt die Mitarbeiter dazu, draußen Werbung für dessen Leistungsspektrum zu machen, intern Verbesserungsvorschläge einzubringen und – wenn notwendig – das zusätzliche Plus an Engagement zu geben. Prozess-Architektur Nach der Vorstellung und Interpretation der Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung bei und mit den Geschäftsführern und dem Personalleiter und nachdem die Ergebnisse in allen Berichtseinheiten bekannt gemacht worden waren, beauftragte mich die Geschäftsleitung mit der Umsetzung der von mir vorgeschlagenen recht schlanken Prozess-Architektur: Bildung eines internen Kernteams, bestehend aus fünf Führungskräften (High Potentials), begleitet und unterstützt von mir als externer Beraterin. Dieser Kreis übernahm die Rolle der Prozesssteuerung in Rückkopplung mit der Geschäftsführung. Durchführung einer eintägigen moderierten Großgruppenveranstaltung (Kick-off ) mit allen Führungskräften, bei der mit der Open-Space-Methode Schwerpunkte der notwendigen Veränderung definiert wurden. Durchführung von vier halbtägigen sogenannten Dialog-Runden
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mit je 20 Mitarbeiter/-innen, die sich dafür gemeldet hatten, und der Geschäftsführung. Hier wurden unter dem Motto »wo drückt uns der Schuh« in einem moderierten Austausch besprochen, was die Mitarbeiter alltäglich in der neuen Struktur stört, behindert und irritiert. Durchführung von drei eintägigen begleiteten Workshops mit Führungskräften, die sich dazu persönlich gemeldet hatten (einschließlich Kernteam). Dort wurden die Schwerpunktthemen aus dem Kick-off bearbeitet. Durchführung einer Großgruppenveranstaltung (Kick-out) zum Abschluss des Prozesses zur Rückkopplung aller Ergebnisse aus Workshops, Dialogen und Arbeitsmeetings. Einbeziehen der gesamten Belegschaft durch ständige begleitende Information (Intranet, Mitarbeiter-Zeitung online und print, Inforunden durch die Führungskräfte und Infos über Abteilungsbesprechungen). Die Geschäftsführer besuchten öfters Mitarbeiter am Arbeitsplatz für spontane Gespräche.
Abbildung 1: Prozess-Architektur
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Aus Sicht der klassischen systemischen Beratung ist die gewählte Architektur weitgehend konventionell. Im Detail gab es jedoch einige weniger gebräuchliche Elemente: Wir installierten keinen klassischen Steuerkreis zur Projektsteuerung, sondern beriefen das oben beschriebene Kernteam. Die Personen wurden als konstruktiv kritische Geister angesehen und hatten auch in der Belegschaft einen Ruf als integere Sympathieträger. Sie waren im höchsten Maß motiviert und verkörperten mit ihrem Elan die oben beschriebenen Grundsätze nach Viktor Frankl. Ihre Begeisterung dafür, einen sinn- und wertvollen Beitrag für die Unternehmensentwicklung zu leisten, war emotional berührend und für andere leitend. Sie brachten durch ihre eigene Haltung Dynamik, Freude und Frische in den Prozess und konnten den einen oder anderen Zauderer dafür gewinnen, einen eigenen, freiwilligen Beitrag zum Veränderungsprozess zu leisten. Das Kernteam besaß das Vertauen der Geschäftsführung und übernahm deshalb die Rolle einer internen Projektleitung mit verschiedenen Funktionen. Ich war mit dem Kernteam, den Geschäftsführern, dem Personalleiter und dem Leiter der Unternehmenskommunikation in engem Austausch; genauso wie die Beteiligten untereinander. Alle internen Mitglieder des Kernteams waren so viel wie möglich in Gesprächen unterwegs, um den Prozess zu beleben. Jeder hielt sein Ohr permanent in die Organisation – in seiner Funktion als Vorgesetzter, Kollege, Mitarbeiter. Dadurch entstand eine sehr vitale Netzstruktur und es war möglich, Entwicklungen und Stimmungen sofort aufzugreifen. So konnte ich das Design der jeweils nächsten Veranstaltung gemäß neuer Impulse aus der Organisation mit dem Kernteam zeitnah aktualisieren. Allen Mitarbeitern wurde von den verschiedenen Prozessverantwortlichen signalisiert, dass ihr Engagement und ihre Meinung von entscheidender Bedeutung zunächst für das Gelingen des Veränderungsprozesses und im Folgenden natürlich für die Entwicklung des Unternehmens sind. In der Sprache Frankls kann man sagen, die Führung machte ein klares Sinnangebot und vermittelte die entscheidenden Werte wie Gestaltung, Erlebnis (z. B. durch Dabeisein) und Einstellung (»ich übernehme Verantwortung«). An jedem Workshop nahmen der Leiter der Unternehmenskommunikation oder eine Mitarbeiterin dieses Bereichs teil. Es wurden Fotos
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gemacht und Stimmungsbilder und Ergebnisse aus dem jeweiligen Workshop schnell in die Organisation getragen. So gewährleisteten wir, dass alle dauernd aktuell informiert waren. Den unmittelbar gestaltend Beteiligten wurde so immer sofort deutlich, wie ihr konkreter Beitrag auf das Gesamtbild einwirkte und Anerkennung erhielt.
Systemischer Ansatz und Sinnorientierung: ein Zusammenspiel in der Beratung zum Nutzen des Kunden Hier fassen wir zusammen, wie die Verknüpfung von Sinnorientierung und systemischer Ausrichtung in Veränderungsprozessen einen Mehrwert für den Kunden schafft. Auftragsklärung und -formulierung Von Geschäftsführern und Vorständen erleben wir eine bemerkenswerte Bereitwilligkeit, wenn wir in Auftragsklärungsgesprächen Sinnund Werteorientierung ins Spiel bringen und die oben beschriebenen Grundüberlegungen nach Frankl vorstellen. Die Entscheider erkennen sofort die Chance, ihre Mitarbeiter durch geeignete Sinnangebote dafür zu motivieren, sich am Veränderungsprozess zu beteiligen und als Mitunternehmer zu denken und zu handeln. In diesen ersten Gesprächen erkennt das Top-Management auch, dass sich in einem wie oben beschriebenen angelegten Change-Prozess seine Aufgaben verschieben werden. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Prozesses ist, dass die Unternehmensleitung alle Mitarbeiter in großer Offenheit dazu einlädt, sowohl etwas für die Atmosphäre im Unternehmen zu tun als auch sich an der Steigerung des wirtschaftlichen Erfolges und damit der Arbeitsplatzsicherheit für alle Mitarbeitenden zu beteiligen. Die Mitarbeiter können direkt an diesem Ziel motiviert mitarbeiten, in dem sie auf die Suche gehen und für sich definieren, welches ihr bestmöglicher Beitrag ist. Hier ist Selbstverantwortung gefragt – und für die Führungskräfte besteht die Aufgabe darin, den Sinn der Beteilung deutlich zu machen.
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Prozess-Architektur und Auswahl der Projektverantwortlichen Die Prozess-Architektur muss sehr offen angelegt werden, um auch spontane Beteiligung auf bzw. zwischen allen Hierarchieebenen zu ermöglichen. Wenn wir wollen, dass die ganze Organisation die Veränderung als eine Entwicklung nach vorn ansieht und unterstützt, müssen alle Beteiligten mit einbezogen werden. Durch den ehrlichen und wertschätzenden Umgang miteinander und das ernst gemeinte Interesse an den Fragen und Überlegungen der anderen vermitteln die Führungskräfte und Mitarbeiter sich gegenseitig (top-down, bottom-up und vertikal), dass jeder Beitrag wichtig und wertvoll ist und dass jeder ein willkommener Akteur des Prozesses ist. Motivation zur Mitgestaltung des Prozesses entsteht auch bei Mitarbeitern unterer Hierarchieebenen dann, wenn sie unmittelbar erleben, dass ihr Engagement honoriert wird und dass das, was sie selbst als sinnvoll wahrnehmen, auch von anderen Mitarbeitern, insbesondere dem Management, so gesehen wird, die Sinnwahrnehmung den Mitarbeitern also gemeinsam ist. Dies geschieht idealerweise durch sichtbare Signale des Managements (zuhören, Vorschläge aufgreifen, weitere Schritte zurückspiegeln, Offenheit für weiteren Austausch zeigen). Für Schlüsselaufgaben (in unserem Beispiel war es die Rolle des Kernteams) empfiehlt es sich, geeignete Vermittler auszuwählen, die zweierlei Qualitäten einbringen, nämlich Echtheit und Sympathie. Zum einen verstehen sie es, den Spannungsbogen vom Jetztstand hin zu einem angestrebten Ziel in sich selbst zu erzeugen. Dies tun sie mit Leidenschaft und Spaß immer wieder und häufig für verschiedene Aufgaben gleichzeitig. Zum anderen sind sie durch ihr Verhalten und ihre gute Vernetzung im Unternehmen Vorbilder. »Wenn die dabei sind, kann das keine schlechte Sache sein.« Uns scheinen diese Qualitäten weit wichtiger zu sein als ein aus der Hierarchie heraus definierter Steuerkreis. Das Top-Management muss diese Promotoren allerdings unterstützen, ihnen Vertrauen schenken und Befugnisse geben. Auch ein überzeugendes Vorbild kann nur freiwillig angenommen werden – genauso wie ein Sinnangebot. Wenn sich Führungskräfte darum bemühen, beides lebendig und authentisch zu geben – ein gutes Beispiel (role model) und ein Sinnangebot –, und mancher Mitarbeiter bleibt desinteressiert und greift das nicht auf, so muss man mit entsprechenden Maßnahmen reagieren. Mit Low Performern muss die
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Führungskraft entsprechend den Unternehmensführungs-Leitlinien mutig und klar abklären, welches die Konsequenzen eines solchen Verhaltens sind. Kommunikation Wie in unserem Beispiel muss die Kommunikation darüber, warum und wie man einen Veränderungsprozess angeht und was dabei im Einzelnen geschieht, sehr sorgsam gestaltet werden. Es geht nicht nur um die pure Information. Die Qualität der Kommunikation entscheidet darüber, ob die vielleicht zunächst eher distanzierten und misstrauischen Kollegen spüren, dass sich hier eine Chance für ein sinnvolles Mitmachen auftut. Es muss deutlich werden, dass Einmischen erwünscht ist und auch kritische Beiträge – sofern konstruktiv – wertvoll sind. Haltung der Beraterin/des Beraters Allem voran sollte das Beratersystem – also die beteiligten Berater und Beraterinnen – im erteilten Auftrag mehr Aufgabe sehen, als nur Geld zu verdienen. Das Beratersystem muss in der Lage sein, Sinnangebote für Führungskräfte und Mitarbeiter/-innen mit der Geschäftsführung gemeinsam zu entwickeln und glaubhaft zu vermitteln. Dazu gehören eine ehrliche eigene Haltung und Überzeugung. Die oben beschriebenen Grundlagen nach Frankl müssen auch für das Beratersystem im Auftrag erlebbar sein und nach außen wirken. Sinn- und Werteorientierung lassen sich nur dann vermitteln, wenn man als Berater/-in selbst in diesen Kategorien denkt und die eigene Arbeit daran ausrichtet.
Schlussbemerkung Wenn in einem Unternehmen Veränderungen unvermeidlich sind oder vorausschauend aufgrund neuer Visionen, Strategien und Ausrichtungen initiiert werden, steht den Verantwortlichen eine ganze Palette von Instrumenten und Begleitungsangeboten zur Verfügung. Mit ihrem Einsatz kann man Entwicklungen bewusst steuern, statt sie dem Zufall zu überlassen. Die Wahrnehmung von Sinn und das Engagement für Werte in
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der Belegschaft zu wecken ist eine davon. Sie kann andere Interventionen nicht ersetzen. Wir glauben aber, dass ehrlich gemeinte Sinnorientierung in jedem Fall eine Vielzahl von erwünschten Entwicklungen im Unternehmen nach sich zieht und daher immer mit ins Spiel gebracht werden sollte. Wie wir hier aufzeigen, appelliert der Wille zum Sinn direkt an das, was das Wesen und die Stärke des Menschen ausmacht – nämlich Vernunft, Willensfreiheit und Engagement.
Literatur Csikszentmihalyi, M. (2007). Flow (13. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta. Frankl, V. E. (1985). Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. München: Piper. Frankl, V. F. (1991). Der Wille zum Sinn. München: Piper. Häfele, W. (2009). OE-Prozesse initiieren und gestalten (2. Auflage). Bern u. a.: Haupt. Sprenger, R. K. (1995). Das Prinzip Selbstverantwortung. Wege zur Motivation. Frankfurt a. M.: Campus.
Die Autoren Manuela Grund (Jg. 1959), Diplom-Sozialpädagogin, ist seit Januar 2008 als selbständige Management-Beraterin, Trainerin und Coach tätig und lebt in München. Sie verfügt über eine langjährige Erfahrung als Senior-Expertin für Personal- und Organisationsentwicklung in großen Konzernen und war Führungskraft bei einem Bildungsträger. Ihre Schwerpunkte liegen in der Gestaltung und Begleitung von Organisationsentwicklungsprojekten, in der Führungskräfteentwicklung und in der Arbeit zu den Themen Zusammenarbeit und Kommunikation. E-Mail-Kontakt: [email protected] Website: manuelagrund.de
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Manuela Grund und Maximilian Schlegel
Maximilian Schlegel (Jg. 1966) ist DiplomMathematiker und arbeitet seit vielen Jahren als Softwareentwickler und Berater in mittelständischen Unternehmen. Dort engagiert er sich auch als (nicht freigestellter) Betriebsrat mit dem Ansatz, Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen so zu synchronisieren, dass der größtmögliche Nutzen für die Entwicklung des Unternehmens und für die Sinnerfüllung der einzelnen Mitarbeiter zum Ausdruck kommen. Seit 1996 befasst er sich mit der Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl. Seine mehrjährige logotherapeutische Ausbildung absolvierte er bei Elisabeth Lukas, der langjährigen engsten Mitarbeiterin von Frankl. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Dagmar Wötzel
»Die letzte Meile« oder: Unser Beitrag zum Erfolg von Unternehmensstrategien
Entscheidend ist die »letzte Meile« So oder so ähnlich könnte es gerade geschehen, irgendwo in einer Konferenz … Es ist gerade Pause und alle Teilnehmer sorgen für ihr leibliches Wohl. Nach dem Auftakt mit Vorträgen im großen Saal ist der nächste Programmpunkt eine Reihe paralleler Vorträge und Workshops. An der Tür zu einem kleineren Raum steht der Titel: »Die letzte Meile – oder: Ihr Beitrag zum Erfolg von Unternehmensstrategien im Kontext der globalen Megatrends«. Langsam füllt sich der Raum mit Teilnehmern, zwei setzen sich zufällig nebeneinander und stellen sich vor. Stefan M.: Hi, mein Name ist M., Stefan M. Ich verantworte einen größeren Bereich in einem internationalen Unternehmen. Bin gerade in die neue Firma gewechselt, für die Karriere, Sie verstehen … Otto E.: Hallo, sehr nett, Sie kennenzulernen. Mein Name ist E., Otto E. Ich bin gerade nach vielen Jahren als interner Berater in einer großen Firma in die Selbständigkeit gewechselt. Meine Schwerpunkte sind Organisationsentwicklung und meine Arbeit als Coach von Führungskräften und Mitarbeitern. Stefan M. (denkt): Oh, hätte ich gar nicht gedacht. Na, das könnte vielleicht spannend werden. Otto E.: Ich glaube, es geht gleich los. Die machen die Tür zu. Referentin: Hallo, ich begrüße Sie herzlich zu meinem Vortrag über »die letzte Meile«. Nachdem Sie hier im Raum sitzen, löst der Titel bei Ihnen vielleicht ein bestimmtes Bild aus. Vielleicht waren Sie aber auch neugierig auf den Untertitel? Ich möchte unsere Zeit gerne mit Ihnen gemeinsam mehr als Gespräch anstelle von einem einseitigen Vortrag mit anschließender Diskussion gestalten. Wenn Sie also Ideen oder Anmerkungen haben, warten Sie nicht, sondern melden Sie sich zu Wort.
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Dagmar Wötzel
Stefan M.: Hoffentlich kommt sie dann mit Ihrem Vortrag durch. Ich bin am aktuellen Stand der Forschung interessiert und will etwas über die globalen Megatrends lernen, nicht über die Probleme der anderen Teilnehmer hier. Otto E.: Oft sind die Probleme der anderen die gleichen wie unsere eigenen, nur im anderen Gewand. Referentin: In der Presse wird immer wieder auf die globalen Megatrends hingewiesen, oft als unumstößliche Grundlage und Begründung für wirtschaftliche oder soziale Entwicklungen. Diese globalen Megatrends werden von den verschiedenen Experten zum Teil ganz unterschiedlich bewertet. Bei manchen sind sie sich einig, wie zum Beispiel bei der Globalisierung, bei anderen nicht so sehr, wie zum Beispiel beim Klimawandel. Kern des Vortrags ist die Frage, wie ein Unternehmen oder besser: die Unternehmer ihre Unternehmensstrategie im Kontext der globalen Entwicklungen definieren und vor allem erfolgreich umsetzen. Warum sollten wir dazu 90 Minuten Zeit aufwenden? Schließlich ist strategisches Management ein alter Hut. Das macht doch jeder, ist schließlich seit Igor Ansoff (Ansoff et al., 1976) etabliert und gehört zu allen gängigen Management-Trainings und -Ausbildungen. Wer von Ihnen hatte dieses Thema in der Ausbildung oder beschäftigt sich damit ihm Rahmen seines Jobs? Stefan M.: Na klar, meine Ziele sind ja mit der Unternehmensstrategie verknüpft. Wichtigste Erwartung meiner Chefs ist, dass ich die mit meinen Leuten erreiche, insbesondere die Umsatz- und Ergebnisziele. Otto E.: Wir hatten auch immer Ziele als interne Berater, vornehmlich zu unserer Verrechnung. Jetzt habe ich mein eigenes Unternehmen, da muss ich die Strategie nur mit mir selbst besprechen. Na ja, und vielleicht mit meiner Bank. Referentin: Die meisten von Ihnen haben sich gemeldet, wobei ich jetzt nicht unterscheiden kann, wer akademische und wer praktische Erfahrungen mit strategischem Management hat und in welcher Rolle. Sie kennen bestimmt auch die Autoren Prof. Kaplan und David Norton, die die Balanced Scorecard erfunden haben? Ja? Gut. Dann wissen Sie ja auch, dass die beiden im Rahmen ihrer weiteren Arbeit mit vielen Firmen rund 30 Jahre nach Ansoff eine erschreckende Erkenntnis immer wieder zitieren: »In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass 70–90 % aller
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»Die letzte Meile«
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Strategien scheitern, weil sie nicht richtig umgesetzt wurden« (Kaplan u. Norton, 2006, S. 2 f.). Ich sehe ein paar hochgezogene Augenbrauen. Denken Sie mal an Ihre Unternehmensstrategien. Wie oft ist das, was am Jahresanfang geplant wurde, am Ende erreicht worden? In den Zahlen? Bei den Produkten, Märkten, neuen Kunden, in der Organisation? Stefan M.: Das ist genau der Grund, warum ich von der alten Firma weggegangen bin. Da haben irgendwie alle ihre eigene Suppe gekocht und die Strategie wurde nie konsequent durchgezogen. Otto E.: Ja, bei uns hatten alle immer gute Gründe, warum die tollen Pläne dann nicht wie geplant oder oft nicht so schnell wie erwartet umgesetzt wurden. Die übergreifenden Ziele waren so »neutral« formuliert, dass sie als »erreicht« zurückgemeldet wurden. Aber wenn ich im Coaching oder Teamworkshops hinter die Kulissen geschaut habe, war das zum Teil auch sehr kreatives Reporting … Referentin: Die zentrale Problemstellung sieht Bea dabei neben der sachlogischen Ableitung von Einzelmaßnahmen, die dann insgesamt die Strategie ergeben, vor allem in den persönlichen Implementierungsbarrieren. Die Zerlegung der Strategie in Einzelmaßnahmen macht die Auswirkungen auf den Einzelnen deutlich und führt zu aktiven und passiven Widerständen. Daraus kann sich nach Mintzberg eine Veränderung der Strategie ergeben: »Die realisierte Strategie ist nicht immer die intendierte und die intendierte ist nicht immer die realisierte Strategie« (in: Bea u. Haas, 2009, S. 216). Daraus leitet er ab, dass die größten Schwierigkeiten weniger bei der Umsetzung einer Strategie als bei deren Durchsetzung liegen (Bea u. Haas, 2009, S. 225). Das schließt die Annahme ein, dass die einmal formulierte Strategie genau so um- oder durchgesetzt wird. Otto E.: Tja, vielleicht sollten die Erfinder der Strategie die Betroffenen dann mal vorher fragen. Das habe ich oft erlebt: Die Strategie hört sich super an und ist sehr intelligent durchdacht. Leider wird oft vergessen, wie sie dann tatsächlich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vor Ort umgesetzt werden soll. Stefan M.: Na ja, da müssen sich halt alle anstrengen und ihr Verhalten ändern. Otto E.: Fällt Ihnen das leicht, Ihr eigenes Verhalten zu ändern? Referentin: Kaplan und Norton bieten aber gleich auch die Lösung
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Dagmar Wötzel
an: »Success comes from having strategy become everyone’s everyday job« (Kaplan u. Norton, 2006, S. 3). Stefan M.: Ja, schön wär’s. Die machen ja nicht mit. Otto E.: Na ja, sie werden ja auch meistens nicht gefragt und dann schlecht informiert und ausgebildet. Also, wenn Sie mit »die« die Mitarbeiter meinen. Stefan M.: Glauben Sie, ich werde immer erst gefragt, wenn die Ziele festgelegt werden? »Stretch Goal« heißt das dann. Da kann ich auch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und einfach meinen Stiefel weiter machen. Otto E.: Sagen Sie das Ihren Mitarbeitern? Stefan M.: Nein, nicht immer. Also, meistens nicht. Sonst nehmen die mich als Chef doch nicht mehr ernst. Referentin: Strategisches Management beschäftigt sich mit der Entwicklung, Planung und Umsetzung inhaltlicher Ziele und Ausrichtungen von Organisationen und beinhaltet neben der Formulierung einer Strategie auch deren Umsetzung. In der Literatur und Forschung – und damit auch in der Lehre – wird allerdings im Wesentlichen auf die Methoden zur Entwicklung einer passenden und erfolgreichen Unternehmensstrategie fokussiert. Wie diese dann in der Praxis umgesetzt wird – und damit die Strategie erst erfolgreich macht –, wird im Vergleich zum Gesamtumfang der Ausarbeitungen nur sparsam betrachtet. Am weitesten gehen Robert S. Kaplan und David P. Norton – deshalb habe ich sie auch gerade zitiert –, die in ihrer Arbeit zur Entwicklung und Einführung der Balanced Scorecard viele Fallbeispiele analysiert haben. Sie bestätigen die Erkenntnis einer Studie: »Die Fähigkeit, eine Strategie umzusetzen, ist wichtiger als die Qualität der Strategie selbst« (Kaplan u. Norton, 2006, S. 1). Stefan M.: Sagen Sie das mal den Strategen in der Zentrale. Wenn man da Inputs geben will, heißt es immer, der will sich um die herausfordernden Ziele drücken, oder man wird als »lähmendes Mittelmanagement« bezeichnet. Otto E.: Dann hören Sie Ihren Mitarbeitern bestimmt sehr genau zu. Stefan M.: Die wenigsten haben Ahnung von Strategieentwicklung. Das ist mein Job als Chef, zu entscheiden, wo es langgeht. O. k., mit meinen Key People berate ich mich schon. Referentin: Der für den Unternehmenserfolg nötige Wettbewerbs-
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»Die letzte Meile«
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vorteil wird zunehmend durch das Wissen, die Fähigkeiten und Beziehungen der Mitarbeiter generiert. Das führt aufgrund des schnellen Wandels bei Technologie, Wettbewerb und staatlichen Rahmenbedingungen dazu, dass die Formulierung und Umsetzung von Strategien ein kontinuierlicher und partizipativer Prozess werden muss. Um diese Anforderung erfolgreich umzusetzen, brauchen Organisationen eine gemeinsame Sprache für Strategien und die Rückmeldung zur Umsetzung. Das kann nur gelingen, wenn alle Mitarbeiter ihren Beitrag zur Umsetzung der Strategie leisten (Kaplan u. Norton, 2006, S. 2–3). Wenn also der Unternehmenserfolg davon abhängt, dass jeder Mitarbeiter jeden Tag seinen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Unternehmensstrategie leistet, stellt sich die Frage, wie diejenigen, die die Strategie formulieren, diese Mitarbeiter erreichen und was die Mitarbeiter veranlasst, zur Umsetzung der Strategie beizutragen. Otto E.: Wie werden denn bei Ihnen im Unternehmen die Strategien kommuniziert? Stefan M.: Meistens durch die Ziele in der Jahresplanung oder über interne Management-Meetings und vertrauliche E-Mails von den Vorgesetzten. Die ganz großen Strategien werden natürlich offen kommuniziert, das soll ja auch die Analysten von der positiven Zukunft überzeugen. Ich meine jetzt die Teilstrategien und taktischen Pläne, wie wir die Strategie umsetzen. Referentin: Der zweite interessante Aspekt der Aussage von Kaplan und Norton ist, dass die Strategie erst dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn alle (oder realistischer: ein großer Anteil) der Mitarbeiter erreicht werden. Es genügt also nicht, die Strategie »einfach« zu kommunizieren. Das Unternehmen muss sich die Mühe machen, alle Mitarbeiter zu adressieren und so lange zu begleiten, bis sie ihren Beitrag leisten. Das ist die »letzte Meile« zur erfolgreichen Umsetzung. Ich fange hier mal ein Flipchart an, auf dem ich im weiteren Verlauf Begriffe aufschreibe, die wir später noch brauchen. Flipchart Die letzte Meile gemeinsame Sprache für Strategien und Rückmeldung, erfolgreiche Umsetzung nur mit allen Mitarbeitern möglich.
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Dagmar Wötzel
Stefan M.: Was? So ein Unsinn! Das geht doch gar nicht, dafür haben wir gar keine Zeit. Stellen Sie sich vor, auch den letzten, der immer widerspricht und nicht mitmachen will, zu überzeugen. Da mache ich ja nichts anderes mehr … Otto E.: Ja, mit der Haltung sind Sie nicht alleine. Die kenne ich aus meiner alten Firma sehr gut. Referentin: »Warum? Ist doch eingeführt, das Rundschreiben ist längst raus!« … Kennen Sie nicht? Ich habe auch nur zufällig von solchen Situationen in Unternehmen gehört. Nun ja, vielleicht kenne ich doch die eine oder andere Situation, in der eine Strategie toll entwickelt wurde und dann nie richtig zum Fliegen kam. Sie auch? Schauen wir mal gemeinsam hin, was in den letzten Jahren in der Welt passiert ist und welche Fragen sich daraus ableiten.
Strategische Manager stehen zunehmend unter Druck … Referentin: »Strategy is the great work of the organization. In situations of life or death, it is the Tao of survival or extinction« (Sun Tzu, The Art of War). Ein Zitat aus dem Militär, und so hören sich auch viele Strategien an. Schaut man sich in der Forschung und Literatur zum strategischen Management und der Entwicklung der Unternehmen und Märkte um, kommt ein ziemlich nüchternes und bedrohlich anmutendes Bild zustande. Erst mal eine trockene Definition: Strategisches Management handelt im Wesentlichen davon, eine überlegene Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dazu werden potenzielle Gewinnquellen für ein Geschäft identifiziert. Darauf aufbauend wird eine Strategie formuliert und implementiert, die es ermöglicht, diese Gewinnquellen auszuschöpfen (Grant u. Nippa, 2006, S. 17). Die nachhaltige Schaffung von wirtschaftlichem Wert aus eingesetzten Ressourcen ist die Voraussetzung für das langfristige Überleben eines Unternehmens und daher die wichtigste Messgröße für dessen Erfolg. Voraussetzung dafür ist eine gute Wettbewerbsposition, also Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten. Die Unternehmensstrategie leistet einen wichtigen Beitrag zum langfristigen Überleben
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»Die letzte Meile«
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eines Unternehmens, indem sie diesem Wettbewerbsvorteile verschafft oder zu erhalten hilft (Mirow, 2008). Otto E.: Vorausgesetzt, das Unternehmen soll langfristig überleben. Gibt ja immer wieder Unternehmer, deren Strategie es ist, in möglichst kurzer Zeit viel Gewinn rauszuholen und dann »nach mir die Sinnflut«. Stefan M.: Ja, aber das hat aus meiner Sicht nichts mit Unternehmertum zu tun. Zum Unternehmer gehört auch Verantwortungsbewusstsein für das Geschäft und seine Mitarbeiter. Wir sind zwar heute angestellte Manager und in den meisten Fällen nicht mehr Eigentümer des Unternehmens, aber das ändert nichts an der Verantwortung, die ich mit einem Managerposten übernehme. (nach Freudenberg, 2009) Otto E.: Sind Sie sicher, dass jeder Manager in Ihrem Unternehmen so denkt? Referentin: Darüber hinaus stellt die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit im Geschäftsumfeld die strategische Unternehmensführung vor neue Herausforderungen (Grant u. Nippa, 2006, S. 17). Die Unternehmensstrategie ist das Ergebnis eines strategischen Planungsprozesses, der in den meisten Unternehmen intuitiv oder bewusst tagtäglich in ähnlicher Form gelebt wird (Kerth, Asum u. Nührich, 2007, S. VII). Wesentliche Elemente eines strategischen Planungsprozesses sind: die strategische Analyse mit Ermittlung der Ist-Situation, die Gestaltung der Strategie mit strategischer Positionierung und strategischer Planung, die Auswahl der Methoden für die konkrete und erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung, die Implementierung der Strategie mit konkreten Maßnahmen und Steuerungs- und Kontrollinstrumenten. Otto E.: Da frage ich mich nur aus meiner Praxis, wie viel Analyse notwendig ist. Ich musste kurz vor meinem Ausstieg ellenlange Excel-Listen mit einer genauen Auflistung meiner Tätigkeiten machen. Und dann habe ich nie wieder was davon gehört, die anderen auch nicht. Stefan M.: Ich war mal in einem Beratungsprojekt dabei. Das brauchen die, um die Verbesserungspotenziale zu finden und dann auch die richtigen Messgrößen. Menschen tun genau das, woran sie gemessen werden. Das ist wirklich wichtig.
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Otto E.: Ach, und warum fragen die schlauen Berater mich dann nicht einfach? Wir hatten kurz zuvor wirklich gute Ideen mit der ganzen Abteilung entwickelt, aber die wollte niemand hören. Referentin: Allerdings zeigen – wie vorhin bereits zitiert – verschiedene Studien, dass 70 bis 90 % der Organisationen aus ihren Strategien keinen Erfolg realisieren konnten (Kaplan, Norton u. Horváth, 2004, S. X). Der Spieler kennt das spieleigene Regelwerk (also das System der Spielregeln), das die Rahmenbedingungen und die Gestaltungsmöglichkeiten (den Chancenraum) der am Spiel beteiligten Spieler definiert. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, das verfügbare Informationsverarbeitungs- und Willensbildungspotenzial auf eine beschränkte Zahl von Sachverhalten zu konzentrieren (Szyperski u. Winand, 1980, S. 3–10). Udo Wienand zeigte 1978 die Eignung der Spieltheorie für Zwecke der Unternehmensplanung auf. Die Strategie stellt hierbei den »vollständigen« Plan eines Spielers dar, der es ihm gestattet, in allen denkbaren Spielsituationen die richtige Entscheidung zu treffen (Szyperski u. Winand, 1980, S. 20). Wichtig ist also, die Spielregeln zu kennen und die Komplexität zu reduzieren, um entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben. Flipchart Die letzte Meile … Wer/was/wo sind die Spieler/Spielregeln/Gestaltungsräume? definierte Annahmen? → Reduktion von Komplexität
Stefan M.: Aber zu viele Annahmen darf man auch nicht treffen, sonst treffen die Entscheidungen den Kern der Sache nicht mehr. Und knapp daneben ist eben auch vorbei. Otto E.: Wichtiger finde ich, die Annahmen immer wieder mit den Betroffenen zu validieren bzw. Mechanismen zu etablieren, wie immer wieder Rückmeldungen zu diesen Annahmen kommen. Sonst ändert sich was und keiner bekommt es mit. Referentin: Technische Innovationen, insbesondere die wirtschaftliche Informationsverarbeitung (Thome, 1997, S. 13–15), und globale
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Megatrends (Rump, 2009) verändern die Arbeitswelt für alle Mitarbeiter in Dienstleistungs-, Verwaltungs- und Steuerungsprozessen in Unternehmen. Die Arbeitsprozesse beschleunigen und verdichten sich, ein Mitarbeiter muss heute ein Vielfaches des Arbeitspensums im Vergleich zu einer ähnlichen Stelle vor zwanzig Jahren bewältigen. Das betrifft auch die Führungskräfte, die die Strategie maßgeblich gestalten, für deren Umsetzung sorgen und sich auch mit wesentlichen Aufgabenund Prozessveränderungen konfrontiert sehen (Schinzer, 1997, S. 47). Otto E.: Das gilt ja nicht nur für die Arbeitsprozesse. Die Informationsflut, der wir dauernd ausgesetzt sind, wird ja überall immer mehr. Stefan M.: Mir reichen schon die im Büro. Wenn ich nur an die ganzen Personalprozesse denke. Das muss ich jetzt alles mit PKI online in unserem Intranet eingeben. Früher habe ich das alles meiner Sekretärin gegeben. Referentin: Die wichtigsten Megatrends des globalen Strukturwandels erzeugen zusammengenommen eine enorme Bewegungsenergie und einen gewaltigen Anpassungsdruck, sie bieten aber auch beeindruckende Marktpotenziale und Chancen für die Wirtschaft (Grömling u. Haß, 2009, S. 74). Durch diese Entwicklung ändern sich die Mitspieler sowie die Spielregeln und die Komplexität des Spiels erhöht sich. Kennen Sie eigentlich die wichtigsten globalen Megatrends? … Ja, Globalisierung ist in aller Munde, was noch? Klimawandel, demografischer Wandel, Urbanisierung … Hier auf der Folie ist eine Auflistung der wichtigsten und in den Unterlagen finden Sie die Quellen. Da bekommen Sie mit wenigen Seiten einen guten Überblick über die Definition, die Entwicklung der letzten fünfzig Jahre und einen Ausblick auf die nächsten fünfzig Jahre. Folie Wichtige globale Megatrends Globalisierung Tertiarisierung Wohlstandsorientierung demografische Entwicklung Urbanisierung Ressourcenknappheit Klimawandel
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technologischer Fortschritt Wissen und Information Upskilling Investitionen und Infrastruktur Sicherheit
(nach Grömling u. Haß, 2009 und Hüther, Rodenstock, Schwenker u. Thumann, 2008).
Otto E.: Muss ich das wirklich alles so genau kennen und verstehen? Ich dachte, das müssen die Chefstrategen wissen und dann die relevanten Fakten bei der Strategie mitliefern. Und dann steht es ja den Führungskräften, die ich berate, zur Verfügung. Stefan M.: Ich kenne auch nicht alle, aber ich glaube, diese kurze Übersicht besorge ich mir mal. Ist ja gut, sich auf Experten zu verlassen, aber wie soll ich dann mitreden oder auch mal kontern können? Referentin: In dramatischer Weise hat die weltweite Finanzkrise 2008/2009 gezeigt, dass ein Auslöser im Bankensektor nachfolgend viele andere Industriezweige weltweit unvorbereitet in erhebliche Schwierigkeiten bringen kann – und kaum jemand hat damit gerechnet oder die Dramatik annähernd vorhergesehen. Daraus resultieren in allen wesentlichen Branchen kurzfristige und dramatische Veränderungen in der Struktur und Art der Geschäftsabwicklung und damit den jeweiligen Unternehmensstrategien. Unter anderem durch die Innovationen der Breitbandkommunikation haben sich in den letzten Jahren für Unternehmen die Bedingungen, unter denen sie Wert schaffen, signifikant geändert. Wertschöpfung – und damit das wirtschaftliche Ziel jeder privatwirtschaftlichen Unternehmung – wird neu konfiguriert und statt in den bekannten Branchen durch miteinander vernetzte »Wertschöpfungszellen« erbracht. Die klassischen Unternehmen werden zunehmend durch »fokussierte, offene und vernetzte Hochleistungsorganisationen« abgelöst (Mirow, 2005, S. 52). Für das strategische Management resultiert daraus wiederum die schon formulierte signifikante Veränderung: »Die größere Herausforderung für den Unternehmer von morgen ist [ …] weniger, konsistente Strategien zu formulieren, als vielmehr, diese konsequent umzusetzen« (Mirow u. von Pierer, 2004, S. 25).
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Flipchart Die letzte Meile … hoher Anpassungsdruck und Veränderungsgeschwindigkeit konsequente Umsetzung der Strategie Otto E.: In meinem alten Unternehmen haben sie einen Manager ganz öffentlich an den Pranger gestellt und dann aus seiner Verantwortung genommen, weil er »die neue strategische Ausrichtung« des Unternehmens nicht mitgetragen hat. Ich hatte ihn beraten, er war einfach überzeugt, dass die formulierte Strategie so nicht umsetzbar war, aber das wollte keiner hören. Stefan M.: Bei uns sind auch gelegentlich »Exempel statuiert« worden. Meistens mit der Konsequenz, dass alle anderen verunsichert waren und alle Diskussionen viel länger gedauert haben. Referentin: Das führt auch auf der persönlichen Ebene zu zunehmendem Druck. Wie Untersuchungen der Krankenkassen in Deutschland oder von diesen beauftragte Institute zeigen, steigt der Medikamentenmissbrauch bei Arbeitnehmern zunehmend an: »Die Medikamentenabhängigkeit von Geschäftsleuten in führenden Positionen nimmt eindeutig zu« (Wolz, 2009). Allerdings wird das Thema auch stark tabuisiert, so dass es keine verlässlichen Untersuchungen gibt. Dabei nehmen Manager leistungs- und konzentrationssteigernde Mittel, die als »Cognitive Enhancement« bezeichnet werden oder auch als Doping am Arbeitsplatz, das aber noch keinen Regeln wie im Sport unterliegt: »Leistungsdruck und Arbeitsverdichtung sind meist so groß, dass der Gedanke aufkommt, alleine schaffe ich es nicht, aber mit dem Mittel geht es« (Wolz, 2009). Vertreter der Politikwissenschaften erwarten davon einen weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit (Fukuyama, 2004, S. 70–76). Flipchart Die letzte Meile … Verdichtung der Arbeit führt zu erhöhtem Druck auf Führungskräfte
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Stefan M.: Darüber redet doch keiner offen. Das ist auch nicht anders als bei Alkoholmissbrauch. Otto E.: Ich glaube, das ist das Gefährliche daran. Im Coaching sind mir schon solche Fälle begegnet. Mit zum Teil drastischen Folgen für den Betroffenen und vor allem seine Familie. Referentin: Zusammengefasst bedeutet das, dass − die Komplexität der Faktoren, die für die Gestaltung und Überprüfung einer Strategie wesentlich sind (Entwicklung und Planung) sich erhöht und gleichzeitig deren Veränderungsgeschwindigkeit steigt, − die Zeitspanne, in der die Strategie wirksam werden muss (Umsetzung inhaltlicher Ziele und Ausrichtung von Organisationen), sich gleichzeitig verkürzt, − die Führungskräfte, die die Strategien entwickeln und für die rechtzeitige Umsetzung und damit Wirkung sorgen, eine höhere Leistung erbringen müssen (Verdichtung der Arbeitsprozesse und -inhalte) und dass − auf die laufende Änderung der Art, wie Werte geschaffen werden, eine Veränderung der »Spieler« und »Spielregeln« folgt: Damit ändert sich immer wieder die Grundlage für das strategische Management und wie die Verantwortlichen die »richtigen« Entscheidungen treffen. Stefan M.: Also um ehrlich zu sein, so genau will ich da gar nicht hinsehen. Wer soll das denn alles schaffen? Otto E.: So langsam verstehe ich besser, warum manche meiner Klienten oder auch früher Führungskräfte in unserem Unternehmen so reagieren, wie sie reagieren. Ich meine, wir reden immer wieder über die Komplexität und den Druck, aber mal wirklich das ganze Bild anzusehen ist doch hilfreich. Referentin: Ich weiß nicht, wer von Ihnen »strategischer Manager« ist – eigentlich gibt es den Begriff gar nicht. Ich bezeichne damit Führungskräfte auf allen Ebenen im Unternehmen, die entweder über Strategien entscheiden oder mit ihrem Team oder Bereich einen Beitrag zur Umsetzung der Strategie leisten. Nach meiner Erfahrung wächst spätestens jetzt ihr inneres Bedürfnis, ganz schnell etwas anderes zu tun und sich mit dieser unangenehmen Situation in ihrer Größe und Komplexität nicht zu beschäftigen. Was den Zustand nicht ändert, aber innerlich erst mal Entlastung schafft.
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Nur zur Erinnerung aus der großen Kiste der Literatur zum strategischen Management: Schon H. Igor Ansoff hat sich in den 1960er und 1970er Jahren mit strategischer Planung, strategischem Management und den Fähigkeiten strategischer Manager befasst (Ansoff, Declerck u. Hayes, 1976). Seitdem ist viel erarbeitet und verbessert worden. Trotzdem kommen Kaplan und Norton 2006 zu der oben erwähnten erschreckenden Erkenntnis, dass 70–90 % aller Strategien scheitern, weil sie nicht umgesetzt werden (Kaplan u. Norton, 2006, S. 2–3). Da stellt sich doch die Frage, warum wir (oder besser: »die da, die strategischen Manager da«) das in über dreißig Jahren immer noch nicht gelernt haben. Daraus leitet sich eine mehrteilige Frage ab: Wie kann eine Führungskraft – oder ein »strategischer Manager« – in diesem Spannungsfeld seiner täglichen Arbeit (1) sich selbst gut steuern, (2) die »richtigen« strategischen Entscheidungen treffen und (3) für deren zügige Umsetzung sorgen? Ich meine, darauf hat die systemische Organisations- und Personalentwicklung einige, aber nicht alle Antworten. In der zweiten Hälfte dieser Veranstaltung werde ich ein paar Ansatzpunkte dazu skizzieren. Stefan M.: Na, jetzt bin ich aber gespannt. Bei uns wurden die Organisationsentwickler – bitte nicht persönlich nehmen oder falsch verstehen – als »Teetrinker« oder »Baumumarmer« bezeichnet. Aber manchmal muss man halt schnell reagieren, in einer Krise ist keine Zeit für lange Diskussionen und Samthandschuhe Otto E.: Nein, keine Sorge. Das verstehe ich nicht falsch. Aber ich gebe zu, dass bei meiner Entscheidung zum Ausstieg auch der menschlichen Umgang in solchen Krisen eine Rolle gespielt hat, oder besser: dessen Fehlen, und dass ich mir nicht immer aussuchen konnte, in welchen Projekten ich mitmache.
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… und brauchen neue Lösungsansätze, um sich selbst und die strategische Entwicklung ihres Unternehmens zu steuern Referentin: Ich sehe, dass Sie viel untereinander diskutieren und wenig im Plenum. Das ist auch gut, offensichtlich löst mein Vortrag bei Ihnen Ideen und Fragen aus. Schauen wir uns noch mal gemeinsam das Flipchart mit den gesammelten Punkten aus dem ersten Teil an. Wie Sie sicher beobachtet haben, habe ich beim Aufschreiben eine andere Reihenfolge gewählt, die zu der gerade formulierten mehrteiligen Frage besser passt. Flipchart Die letzte Meile hoher Anpassungsdruck und Veränderungsgeschwindigkeit Verdichtung der Arbeit führt zu erhöhtem Druck auf Führungskräfte definierte Annahmen? → Reduktion von Komplexität Wer/was/wo sind die Spieler/Spielregeln/Gestaltungsräume? gemeinsame Sprache für Strategien und Rückmeldung erfolgreiche Umsetzung nur mit allen Mitarbeitern möglich konsequente Umsetzung der Strategie Referentin: Ich leite daraus eine wesentliche Schlussfolgerungen ab: Die Fähigkeit von Organisationen, sich angemessen an Veränderungen anzupassen, ist ein strategischer Wettbewerbsvorteil, dessen Bedeutung immer weiter zunimmt. Lassen Sie uns unsere bekannten Ansätze aus dem strategischen Management anwenden: − Wir analysieren zu diesem strategischen Wettbewerbsvorteil unsere Fähigkeit im Vergleich zu den wichtigsten Wettbewerbern, − wir definieren kurz-, mittel- und langfristige Ziele, die dann in der Kaskade alle Führungskräfte in ihren persönlichen Zielen haben, − wir messen die Zielerreichung regelmäßig mit vorher vereinbarten – in diesem Fall wahrscheinlich qualitativen – Messgrößen.
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Wie ist das bei Ihnen? Stefan M.: Wie? Ich meine, das ist ja eine interessante Idee, das als Wettbewerbsvorteil zu sehen. Aber wir haben gar keine Definition dafür, wie soll man denn die Anpassungsfähigkeit messen? Otto E.: Aus der Balanced Scorecard kenne ich qualitative Kriterien für Prozesse, Mitarbeiter oder Ausrichtung auf den Kunden. Stefan M.: Ja, dahinter stehen Prozesskennzahlen, die erreicht werden sollen, oder die Innovationsgeschwindigkeit, »Time to market«. Aber das bezieht sich alles auf den angestrebten Zustand der Organisation. Die Veränderungsfähigkeit der Organisation an sich habe ich in dem Zusammenhang noch nicht gesehen. Oder vielleicht nicht erkannt? Otto E.: Spannend ist die Idee, das mal so durchzudeklinieren, allemal. Referentin: Viele von Ihnen schauen gerade recht skeptisch. Aus meiner Sicht zeigt sich die Anpassungsfähigkeit einer Organisation in einer großen Krise. Allerdings muss die Organisation »sich verändern« oder »mit Druck umgehen« vorher gelernt haben. Wie könnte das aussehen? Hier finde ich den Begriff elastisch passend. In der Physik bezeichnet elastisch die Eigenschaft eines Körpers oder Werkstoffes, unter Krafteinwirkung seine Form zu verändern und bei Wegfall der einwirkenden Kraft in die Ursprungsform zurückzukehren. Auf eine Organisation angewandt ergibt sich eine Organisation, die schnell reagieren kann, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, dabei aber immer an einer langfristigen und schlüssigen Strategie ausgerichtet bleibt (businesswissen.de 2010, S. 5). Aus der Physik lernen wir auch das Hooke’sche Gesetz (nach Sir Robert Hooke) – es gibt einen linearen Zusammenhang zwischen dem Druck und der reversiblen Kraft: Je größer der Druck, desto größer der Widerstand bzw. der Drang, in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Stefan M.: Genau. Je mehr wir uns verändern müssen, um erfolgreich zu sein, desto mehr Widerstand kommt aus der Organisation. So kann man ja nicht arbeiten! Otto E.: Widerstand ist normal. Die Frage ist eher, wie man ihn konstruktiv nutzen kann. Referentin: In großen Firmen heißt das »Beharrungskräfte der Organisation«. Normalerweise werden diese Beharrungskräfte als störend für notwendige Veränderungen angesehen. Aber in der Finanzkrise haben sie einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des Unternehmens geleistet.
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Dazu gehört auch die Zeitspanne, bis die Firmen die Krise überwunden haben (nach Schloß, 05.10.2010). Auch bei näherer Betrachtung finde ich den Begriff »elastische Organisation« sehr passend. Die Grundlage, sie zu erreichen, liegt in der Kultur. Dafür gibt es viele Definitionen. In diesem Kontext nutzt uns die Definition »Kultur ist die Summe der ›so machen wir das hier‹Geschichten, die man sich in der Organisation erzählt« am meisten (Vallaster, 2010). Die »schlechte« Nachricht dazu: Es dauert lange, eine Organisation zu einer elastischen Organisation zu entwickeln. So wie jede gute Organisationsentwicklung und Kulturarbeit Zeit brauchen (Wötzel, 2009, S. 72). Stefan M.: Aber das ist das Einzige, was uns immer fehlt: Zeit. Otto E.: Ein Freund aus England sagt immer: »We always have time for the things we do first.« Zugegeben, ist leichter gesagt als getan. Referentin: Und das ist gleichzeitig auch die gute Nachricht: Denn aus jeder kleinen Veränderung kann eine neue Geschichte resultieren. Sie können also mit vielen kleinen Geschichten Einfluss nehmen. Wir sind hier vermutlich alle nicht die CEOs von Weltunternehmen – also, ich bin jedenfalls keiner. »Wir können selten die großen Räder bewegen, aber wir haben Einfluss darauf, wie wir und die Menschen, die mit uns arbeiten, die kleinen und kleinsten Rädchen drehen. Das ist nicht sexy und damit kann keiner groß angeben« (Wötzel, 2009, S. 72). Und gerade bei der Definition von Strategien und wie sie im Unternehmen umgesetzt werden, haben wir dauernd die Chance, neue Geschichten für die Organisation zu gestalten. Dabei kann die systemische Organisations- und Personalentwicklung einen wichtigen Beitrag leisten. »Wer dem Großen nicht auch im Kleinen begegnen mag, wird auch im Großen nur dem Kleinen begegnen« (Schmid, 1998, S. 4). Otto E.: Sehen Ihre Mitarbeiter Zeit auch als Problem an? Stefan M.: Ja, das ist meistens die heftigste Kritik: dass ich mir nicht genug Zeit für sie nehme, dass ich nicht gut genug erkläre, warum jetzt etwas getan werden muss, oder dann bei Rückfragen so schlecht erreichbar bin. Aber ich weiß auch nicht, wie ich alles schaffen soll und dann auch noch Zeit für die Familie übrig bleibt. Referentin: So, wir wollen also über einen längeren Zeitraum unsere
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Organisation zu einer elastischen Organisation entwickeln. Damit sie dann bei Störungen oder Krisen, sorry, »Herausforderungen«, entsprechend elastisch reagieren kann, sich adäquat – also erfolgreich – verhält und trotzdem am langfristigen Ziel ausgerichtet bleibt. Stefan M.: Das hört sich zu gut an, um wahr zu sein. Referentin: Lassen Sie uns anhand der Begriffe auf dem Flipchart arbeiten. Ich habe bewusst den Schwerpunkt des Vortrags auf die Hintergründe gelegt, so dass uns jetzt nur kurz Zeit bleibt, zu den Punkten den Beitrag aus der systemischen Organisations- und Personalentwicklung zu skizzieren. Das soll Sie neugierig machen, wird aber vermutlich mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Der erste Punkt ist die »Verdichtung der Arbeit«, die in erhöhtem Druck auf Führungskräfte und Mitarbeiter resultiert. Eine Hilfestellung bietet hier professionelles Coaching. Umfragen zeigen, dass über die Hälfte aller Coachees das Coaching von ihrem Unternehmen bezahlt bekommen. Beruflicher Anlass sind im wesentlichen Fragen zu Führung, Kommunikation, Beziehungen und die eigene Karriere (Deutscher Bundesverband Coaching e. V. 2010, Nummer 9–11). Professionelles Handeln als Coach bedeutet, mit Widersprüchen und Polaritäten umgehen zu können, da der Auftrag des Unternehmens oft nicht mit dem zusammenpasst, was der Coachee braucht (Deutscher Bundesverband Coaching e. V., 2007, S. 17). Es bedeutet aber auch, dem Coachee zu helfen, Widersprüche und Polaritäten für sich zu erkennen und aufzulösen. Das systemische Coaching bietet Ansätze zu persönlichen Inszenierungsstilen, bei Zwickmühlen, symbiotischen Beziehungen oder Dilemmata und Sinnfragen (Schmid, 2009). Ein Modell aus dem Persönlichkeitscoaching, das mir persönlich sehr hilft, die Schwerpunkte in meinem Leben immer wieder zu hinterfragen und gezielter zu steuern, ist das Rollenmodell der Persönlichkeit. Es beinhaltet das Drei-Lebenswelten-Modell mit Organisation, Profession und Privatwelt mit den zugehörigen Rollen. Dabei steht nicht im Vordergrund, in den einzelnen Rollen besser zu werden, sondern die Integration und Integrität (Schmid, 2009, S. 178–181). Wann haben Sie das letzte Mal darüber nachgedacht, ob die Zeitund Energieverteilung zwischen Ihrem Job und Ihrer Familie stimmt? Wo sind Ihre »Tankstellen«, an denen Sie Energie auftanken können? Otto E. (denkt): Genau deshalb habe ich mich selbständig gemacht.
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Damit ich mehr Zeit für die Familie habe. Und wo bin ich die ganze Zeit? Unterwegs vor lauter Sorge, dass ich nicht genug Aufträge bekomme … Stefan M. (denkt): Oh, da fällt mir ein dass meine Tochter am letzten Sonntag mit mir sprechen wollte. Ich habe sie vertröstet und dann kam der Anruf vom Kunden und dann musste ich packen und weg. Ich weiß immer noch nicht, was sie wollte – aber das schreibe ich mir jetzt gleich auf! Wenn ich Freitag nach Hause komme, gehen wir zusammen spazieren. Referentin: Die nächsten Punkte sind »definierte Annahmen? → Reduktion von Komplexität« und »Wer/was/wo sind die Spieler/Spielregeln/Gestaltungsräume?«. Strategien weisen in ihren Eigenschaften sehr viele Übereinstimmungen mit Projekten auf. Daher macht es Sinn, die Umsetzung einer Strategie als Projekt zu managen (Bea u. Haas, 2009, S. 227), was auch meist getan wird. Allerdings sind aus meiner Sicht nicht alle Methoden des »üblichen« Projektmanagements passend. So werden Sie sich schwer tun, mit einer »Work Breakdown Structure« einen Projektplan für eine Organisationsänderung zu entwerfen. Einfach weil eine lebende Organisation sich nicht so planen und zerlegen lässt wie eine Anlage. Grundlegende Schritte lassen sich damit planen. Für die Kommunikation und Überzeugungsarbeit – wir erinnern uns an den Anfang des Vortrags: »Success comes from having strategy become everyone’s everyday job« (Kaplan u. Norton, 2006, S. 3) – finde ich die Theatermetapher besser. Sie hilft, »Übersicht zu bewahren, die Komplexität angemessen zu reduzieren und situativ die relevanten Zusammenhänge zu verstehen« (Schmid u. Messmer, 2009, S. 151–156). Stellen Sie sich vor, Sie sitzen als Zuschauer im Theater und auf der Bühne wird das Stück »Umsetzung der Strategie in meinem Unternehmen« aufgeführt. Welche Szenen sehen Sie da? Wer trifft wen und redet über was? Wer orchestriert die Szenen und sorgt dafür, dass die Beteiligten auf der Bühne stehen – also: Wer führt Regie? Und wer ist dafür verantwortlich, dass das Stück überhaupt aufgeführt wird, ist also der Intendant? Diese Methode eignet sich aus meiner Sicht hervorragend, um im Verlauf der Umsetzung einer Strategie die Beteiligten und Betroffenen mit ihren Rollen und Interessen gut im Auge zu behalten und den Prozess zu steuern. Stefan M.: Das hört sich spannend an. Was wäre ich denn dann? Schauspieler? Otto E.: Das kommt auf Ihre Rolle und Verantwortung an. Für die
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Umsetzung der Strategie in Ihrer Organisation wären Sie der Intendant, Ihr Projektleiter der Regisseur. Referentin: Das bietet übrigens auch die Möglichkeit, die Mitarbeiter mit ihren Sorgen und Bedenken angemessen zu beteiligen. Wie wir vorhin kurz angesprochen haben, haben die »Beharrungskräfte« im Unternehmen auch ihre positiven Seiten. Was gut ist am Bisherigen und den Mitarbeitern am Herzen liegt, kann so gewürdigt und weiterhin genutzt oder sanft in neue Formen gestaltet werden. Stefan M.: Ich kenne das bisher anders. Da gibt es ein Beraterteam, meist mit einigen Unternehmensvertretern, und die erarbeiten dann mit mehr oder – meistens eher – weniger Beteiligung der Betroffenen ein Konzept. Und das wird dann umgesetzt. Referentin: Für mich beginnt das Stück mit der Entscheidung, dass sich etwas ändern muss, auch wenn der »strategische Manager« noch gar nicht so genau weiß, was und warum. Schon in der Phase lohnt es sich, über die späteren Auswirkungen nachzudenken und im Prozess frühzeitig ausgewählte Betroffene – Sie kennen das vermutlich als »Multiplikatoren« – einzubeziehen. Otto E.: Ich habe bisher auch erst selten erlebt, dass die Mitarbeiter frühzeitig beteiligt wurden. Allerdings hat mir eine sehr erfahrene Führungskraft mal gesagt, dass seiner Ansicht nach die meisten guten Ideen schon »in der Mannschaft« vorhanden sind. Meistens fehlen nur die Zeit und Aufmerksamkeit hinzuhören. Stefan M.: Und die Fehlerkultur. Wenn jemand eine Verbesserung vorschlägt, nehmen das viele als Kritik an der Art, wie sie bisher gearbeitet haben. Das tötet auf die Dauer jeden Versuch, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu etablieren. Referentin: Und jedes dieser Stücke ist eine der vorhin angesprochenen Chancen, eine neue Geschichte für die Entwicklung der Organisation zu schreiben – hin zur elastischen Organisation. Dazu gehört auch, dass die Organisation ihre Qualitäten kennt. Ich habe eine These, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte: »Eine Krise ist eine sehr große Chance, die Organisation positiv in Richtung einer elastischen Organisation zu entwickeln.« Vielleicht wundern Sie sich jetzt, weil ich ja vorhin gesagt hatte, dass die Organisation zu Beginn einer Krise elastisch sein muss, um diese gut zu meistern. Das ist auch der Idealfall, aber mal ehrlich, wann ist das
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Leben schon ideal? Was ich beobachte, ist, dass oft eine Krise als Grund genommen wird, um gut etablierte und akzeptierte Umgangsformen außer Kraft zu setzen und wie eine Dampfwalze in der Organisation zu wüten. Beispiele aus der Finanzkrise, wo Unternehmensführung und Mitarbeiter gemeinsam an der Überwindung der Krise gearbeitet haben, scheinen mir das Gegenteil zu zeigen: Eine kleine Veränderung schreibt eine kleine Geschichte, eine große Veränderung eine große und eine dramatische wie eine Krise eben auch eine dramatische Geschichte, die Menschen sich lange erzählen. Also ist eine Krise auch eine große Chance, der Organisation einen Impuls in der langfristig gewünschten Richtung zu geben. Stefan M.: Ja, aber wie soll ich das denn auch noch hinbekommen, wenn ich schon in einer Krise stecke? Da geht es um ganz kurzfristige Erfolge. Referentin: Und wenn Sie jetzt sagen, »dafür haben wir in der Krise keine Zeit«, dann lassen Sie mich ein Zitat eines anerkannten, erfolgreichen Unternehmers dagegenstellen: »Für einen kurzfristigen Erfolg verkaufe ich die Zukunft meines Unternehmens nicht.« Das Zitat stammt von Werner von Siemens. Das von ihm gegründete Unternehmen besteht seit über 160 Jahren. Auch wenn es mitten in einer Krise so aussieht, als wäre morgen alles vorbei – in der Historie der meisten Unternehmen sind Krisen ex post betrachtet Episoden, die mehr auffallen als die laufende gute Arbeit in anderen Zeiten. Otto E.: Das ist einer der wichtigsten Punkte für viele meiner Coachees: Wie kann ich das Potenzial meiner Organisation mobilisieren? Ist halt die Frage, ob Sie immer alles alleine machen müssen und welches Verständnis von Führung Sie haben. Referentin: Der nächste Punkt ist »Gemeinsame Sprache für Strategien und Rückmeldung«. Als anderes Wort könnten wir auch anschlussfähig nutzen, die verwendete Sprache knüpft also an Bekanntes bei den Betroffenen an und vermittelt im Kern, worum es geht. Ein großes Risiko ist es, wenn ein Begriff in unterschiedlichen Teilen der Organisation mit einer anderen Bedeutung verknüpft ist und es keine scharfe, gemeinsame Definition gibt (»kernprägnant« und »randscharf« nach Schmid u. Hipp, 2002, S. 23). Hier bietet sich der Klassiker Balanced Scorecard mit KPI für qualitative Faktoren an. Die Implementierung von Strategien besteht meistens
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aus mehreren Aufgaben, also zum Beispiel eine Änderung der Ablauforganisation, die mit Training und Änderungen in der IT einhergeht. Da ist es sehr wichtig, dass alle Einzelaktivitäten, die in sich komplex genug sind, doch aufeinander abgestimmt ablaufen. Otto E.: Schön wär’s! In seinen Machtbereich lässt sich doch kein Projektleiter eingreifen. Und wenn dann noch jeder mit einer anderen Beraterfirma zusammenarbeitet, wird es oft ganz schwer. Referentin: Nach Rüegg-Stürm spielt dabei die Art, wie die Strategie formuliert wird, eine große Rolle. Ebenso dass die Mitarbeiter im Unternehmen die Fähigkeit brauchen, den Interpretationsspielraum von Regeln angemessen zu verstehen und auch dann im Sinne des Unternehmens zu handeln, wenn es keine oder vorübergehend keine Regeln für die Detailarbeit gibt (Rüegg-Stürm, 2003, S. 37–39). Ein Lösungsansatz hierzu ist die Qualität der Auftragsklärung vom Auftraggeber oder Intendanten – also unserem strategischen Manager – mit seinem Projektleiter oder Regisseur. Zur Klärung der Rolle als Intendant und welche Beteiligung wann sinnvoll ist, bietet sich auch wieder Coaching an. Ich erlebe es bei mir selbst, dass ich als Betroffene in einem Prozess wenig Hilfe von anderen Prozessbeteiligten annehmen kann. Einfach weil jeder eigene Interessen mitbringt. Das ist ganz menschlich. Also sollte sich unser strategischer Manager auch eine neutrale Instanz leisten, die ihm Rückmeldung zu seiner Rolle gibt und mit der er sich austauschen kann. Könige am Hof haben sich dafür früher einen Hofnarren gehalten. Der konnte – nett verpackt – dem König alles sagen, was andere den Kopf gekostet hätte, war aber auch insofern neutral, als er direkter Diener des Königs, aber nicht einer seiner Vasallen war. Stefan M.: (lacht) Au ja, einen Hofnarren hätte ich auch gerne! Nein, ernsthaft. Ich habe eine gute Beraterin als Coach, die auch meine Organisation mittlerweile ein bisschen kennt. Die legt den Finger manchmal ganz schön direkt auf einen wunden Punkt, das würde ich von keinem Mitarbeiter akzeptieren. Referentin: Die sinnvolle Leitfrage ist dabei: »Welche Perspektiven müssen wie zusammengefügt werden, damit für ein System (eine Organisation) verantwortliche, wirksame und alltagstaugliche Lösungen zustande kommen?« (Schmid u. English, 2004, S. 20). Wir bezeichnen das als Beratersystem. Jeder hat einen Teilauftrag, es sollte aber ein stimmiges Ganzes herauskommen. Dazu gehört es, sich ab und zu über
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den Stand der Umsetzung und die jeweiligen Ziele und angestrebten Ergebnisse auszutauschen, also eine Abstimmung des jeweils aktuellen Stands der Einzelaufträge mit dem Gesamtvorhaben. Man könnte es auch als Projektportfolio bezeichnen und die Methoden des Multiprojektmanagements anwenden. Dann wäre der Intendant Teil des Steering Committees für das Portfolio. Otto E.: Sonst weiß die Rechte mal wieder nicht, was die Linke tut. Und dann gibt es einen Machtkampf, wer denn nun Recht hat und welche Lösung den Ton angibt. Stefan M.: Genau was wir nicht brauchen, wenn die Zeit in einer Krise eh knapp ist. Leider gibt es bei uns oft für jedes große Thema ein eigenes Steering Committee und da sitzen unterschiedliche Personen drin. Hat ja auch was mit Prestige zu tun, dabei zu sein. Referentin: Darunter liegt eine klare Verantwortung, also die Frage: Wer kann/darf/soll/muss Antworten zur Strategie und deren Implementierung geben? Alleine dieses Thema füllt einen eigenen Vortrag. Zum Punkt »erfolgreiche Umsetzung nur mit allen Mitarbeitern möglich« gehört aus meiner Sicht das Wieslocher Modell der Kulturentwicklung, das den Anteil von Kultur- und Sacharbeit über den Zeitverlauf betrachtet (B. Schmid, 2008). Im Prinzip steht dahinter, dass zu Beginn der Arbeit die gemeinsame Kultur, also das »wie wir zusammen zusammen«, viel Raum braucht. Ja, ich weiß, »keine Zeit!«. Betrachtet man über den Zeitverlauf die Arbeit, lässt sich aber immer wieder feststellen, dass die Sacharbeit – also das, an was wir arbeiten – zunehmend hinter Kommunikations- und Kooperationsproblemen verschwindet. Dann sind Teams nicht mehr leistungsfähig. Und was nutzen dann die schnellen ersten Ergebnisse? Ob diese Kulturarbeit möglich ist, steuert unser strategischer Manager übrigens erheblich durch seine Auftragsdefinition und Erwartungshaltung mit. Neben dem Verantwortlichen, der in der Zusammenarbeit Raum dafür schaffen muss. Stefan M.: Das wirft schon ein neues Licht auf meine Aufgaben. Aus dem Blickwinkel habe ich meine Aufgaben noch nicht betrachtet. Otto E.: Wir stecken alle meistens zu tief in den Alltagsproblemen. Und es ist ja auch schwierig, wenn die nächste Quartalsberichterstattung ansteht, sich für solche langfristigen Investitionen Raum zu schaffen. Referentin: Der letzte Punkt auf unserem Flipchart ist »konsequente Umsetzung der Strategie«. Das ist aus meiner Sicht das Ergebnis, wenn
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die oben genannten Punkte für die Entwicklung einer Organisation umgesetzt werden. Zu dem Argument »dafür haben wir keine Zeit!« ist meine Antwort: »Wenn Sie die Anpassungsfähigkeit der Organisation als strategischen Wettbewerbsvorteil verstehen, wie viel Ressourcen planen Sie dann für dessen Entwicklung in Ihrem Budget ein?« Das ist eine Frage der Allokation von Ressourcen und der Priorität. Ich meine, wenn Sie es ernst meinen mit Ihren strategischen Zielen und aus den Erkenntnissen der anerkannten Autoren lernen, dann müssen Sie die Fähigkeit Ihrer Organisation, die Strategien zu implementieren, als Wettbewerbsvorteil sehen – und konsequenterweise auch so behandeln. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Fazit Als Fortsetzung meines Themas in dem Beitrag »Das kleine Geheimnis« (Wötzel, 2009) habe ich mich mit dem strategischen Management beschäftigt und die Erkenntnisse dort mit meinem Wissen und Erfahrungen aus der systemischen Organisations- und Personalentwicklung zusammengebracht. Dabei kann ich Bernd Schmid nur zustimmen: »Strategisches Management wie strategische Führung brauchen Aufmerksamkeit und Zeit« (Schmid u. Messmer, 2009, S. 243). Allerdings hören die »strategischen« Manager uns Organisationsentwicklern oft nicht zu. So ist die Struktur dieses Beitrags entstanden – als Antwort auf die Frage, wie wir die verantwortlichen Führungskräfte angemessen adressieren können. Um den Beitrag nicht zu trocken zu gestalten, schien mir ein Vortrag und parallel dazu Bemerkungen von zwei zentralen Protagonisten passend. Diese beruhen jeweils auf dem einen oder anderen Kollegen oder Klienten, die ich kenne. Vielleicht kommt Ihnen ja auch die eine oder andere Zeile bekannt vor? Ich halte es für ein zentrales Thema, die Fähigkeit zur kontinuierlichen Entwicklung einer Organisation im Kontext der globalen Megatrends zu einem strategischen Wettbewerbsvorteil zu entwickeln und dabei unseren Beitrag den Entscheidern besser zu vermitteln, um sie
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in ihrer Rolle als Intendanten zu stärken. Auch und gerade in einer Krise wie der Finanzkrise 2008/2009 brauchen die Organisationen uns als Berater. Auch wenn uns manchmal Ton und Umgang nicht gefällt, dürfen wir uns da wirklich raushalten? Wie können wir uns beteiligen, ohne uns instrumentalisieren zu lassen? Die »elastische Organisation« ist als Begriff relativ neu und wird eher im Kontext des Risikomanagements verwendet, also wenn beispielsweise eine Fabrik abbrennt oder ein Taifun die Infrastruktur schädigt. Mir gefällt das Bild sehr für unseren Kontext. Was gehört dazu, eine solche Organisation zu entwickeln? Wie können wir die Anforderungen an eine Organisation, »elastisch« zu sein, vermittelbar formulieren? Diese Fragen schließen sich jetzt für mich an. Darauf habe ich in vielem noch keine Antworten, freue mich aber auf den Weg und die Suche.
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Dagmar Wötzel
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Die Autorin Dagmar Wötzel (Jg. 1969) arbeitet seit 1998 als Projektleiterin, Management Consultant und Organisationsentwicklerin bei Siemens. Sie ist im Kernteam von PM@Siemens und moderiert die Entwicklung der ProjektmanagementStandards im Siemens-Konzern, betreut die internationale Community und ist Redakteurin der aktuellen Auflage des »PM Guide« mit allen aktualisierten Standards. Sie promoviert an der Universität Würzburg zur Organisationsentwicklung im strategischen Management und unterrichtet im MBA in Würzburg und Teheran. Dagmar Wötzel ist Master und Lehrbeauftragte am Institut für systemische Beratung in Wiesloch. Ihre wesentlichen Arbeitsschwerpunkte liegen in der Gestaltung von Veränderungsprozessen in komplexen Organisationen und deren erfolgreicher Umsetzung. E-Mail-Kontakt: [email protected]
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Systemisches Coaching konkret
Markus Schwemmle / Kristin Schwemmle (Hg.) Systemisch beraten und steuern live 2 Markus Schwemmle / Bernd Schmid (Hg.) Systemisch beraten und steuern live Methoden und Best Practices Modelle und Best Practices im Einzel- und Teamcoaching in Organisationen Mit einem Vorwort von Bernd Schmid. 2011. 268 Seiten mit 31 Abb. und 3 Tab., kart. ISBN 978-3-525-40336-5
2009. 213 Seiten mit 48 Abb. und 1 Tab., kart. ISBN 978-3-525-40350-1
Systemische Berater schildern hautnah ihre Arbeit in Unternehmen und Organisationen. Sie gewähren dem Leser direkten Einblick in ihre Arbeitsweise und die stattfindenden Prozesse. Welche innere Haltung sie dabei einnehmen, welcher Methoden sie sich bedienen und in welchen Organisationszusammenhängen sie intervenieren wird im ersten Band in 13 Beiträgen aus der Praxis für die Praxis vielfältig und anschaulich dargestellt. Band 2 zeigt wie Berater und Coaches im systemischen Einzel- und Teamcoaching wirksame Erfahrungsräume für ihre Kunden gestalten.
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