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German Pages 556 Year 2020
Melanie Ptatscheck Sucht & Selbstkonzepte
Transdisziplinäre Popkulturstudien Transdisciplinary Studies in Popular Culture | Band 3
Editorial Die Reihe »Transdisziplinäre Popkulturstudien« ist der wissenschaftlichen Beobachtung, Analyse und Kritik populärer Kulturen gewidmet und versammelt Forschungsbeiträge, die sich aus theoretischen und methodologischen sowie empirischen, historischen und systematischen Perspektiven mit popkulturellen Themen, Phänomenen und Fragestellungen in Medien, Künsten, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft befassen. Dabei ist ein Pluralismus der Forschungsgegenstände, Theorien, Methoden und disziplinären Hintergründe für diese Reihe programmatisch, um die Vielfalt, Offenheit und Dynamiken dieser bedeutsamen kulturellen und mediengesellschaftlichen Bereiche adäquat multiperspektivisch und transdisziplinär zu erfassen und zu verstehen. Die Reihe wird herausgegeben von Beate Flath, Charis Goer, Christoph Jacke und Martin Zierold. The book series »Transdisciplinary Studies in Popular Culture« focuses on the critical study of popular culture in the media and the arts, in society, politics, and the economy. It presents a broad spectrum of research on popular culture from theoretical and methodological as well as empirical, historical, and systematic perspectives. A pluralism of topics, theories, methods, and disciplines is essential to the series in order to capture and understand the diversity, openness, and dynamics of this highly relevant field of study adequately in a multiperspectival and transdisciplinary way. The series is edited by Beate Flath, Charis Goer, Christoph Jacke, and Martin Zierold.
Melanie Ptatscheck, geb. 1987, ist Gastprofessorin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Sie studierte Populäre Musik und Medien in Paderborn und Wien und wurde an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert. Mit Forschungsaufenthalten in Los Angeles und New York City arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Popular Music Studies und Public Health zu dem Schwerpunkt Mental Health.
Melanie Ptatscheck
Sucht & Selbstkonzepte Biographische Studien zur Heroinabhängigkeit von Musikern in Los Angeles
Diese Arbeit wurde als Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg unter dem Titel »Suchtgenese & Selbstkonzept(e): Biographische Fallrekonstruktion von Lebensgeschichten heroinabhängiger Musiker in Los Angeles« eingereicht. Die Dissertation wurde gefördert durch das Leuphana Promotionsstipendium sowie den ProScience Forschungsförderfonds der Leuphana Universität Lüneburg. Mit besonderem Dank an Prof. Dr. Michael Ahlers (Erstgutachter) für die Betreuung dieses Projektes – Rock on! Zgl.: Lüneburg, Universität, Dissertation, 2019. FÜR JOHN FRUSCIANTE
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: © Tim Ilskens Photographie, Bielefeld Lektorat: Rosemarie Lorenz, Bielefeld Satz: Melanie Ptatscheck Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5268-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5268-4 https://doi.org/10.14361/9783839452684 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Geleitwort der Reihenherausgeber*innen | 9 Intro | 11
EINLEITUNG 1.
Popmusik und Heroin | 15
1.1 1.2 1.3 1.4
Betrachtung eines Phänomens | 15 (Wissenschaftliche) Annäherung an ein Phänomen | 19 Eingrenzung und Verortung | 22 Erkenntnisinteresse | 23
THEORIE Kulturhistorische Kontextualisierung | 29 2.1 Frühe Mythenbildung: Jazz und Heroin | 30 2.2 Zeitlicher Anschluss: Counterculture bis Generation X | 35 2.3 Lokale Fokussierung: Los Angeles | 45 2.
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Ausgewählte Aspekte der Suchtforschung | 53 Opiate: Kulturgeschichtliche und pharmazeutische Hintergründe | 54 Rausch, Sucht und Abhängigkeit | 61 Theorien der Suchtgenese | 66 Phasen und Karriereverläufe von Drogenabhängigkeit | 73 Zwischenfazit | 82
4.
Ausgewählte Aspekte der Selbstkonzeptforschung | 85
4.1 4.2 4.3 4.4
Selbst und Selbstkonzept | 85 Theorien und Modelle | 97 Entwicklung und Modifikation von Selbstkonzepten | 106 Zwischenfazit | 110
3.
Überleitung zur Methodik | 113 5.1 Gedächtnis und Erinnerung | 114 5.2 Narrative Wirklichkeitskonstruktionen | 117 5.
METHODIK 6.
Erhebung von Selbstkonzepten | 125
6.1 6.2 6.3 6.4
Erhebungsmethoden | 125 Methodendiskussion | 128 (Pop-)Musikbezogene Erhebung von Selbstkonzepten | 133 Zwischenfazit | 138
7.
Verwendete Methodik | 139
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Methodisches Vorgehen im Kontext biographischer Forschung | 140 Interpretative Datenanalyse | 143 Erhebungsverfahren: Biographisch-narratives Interview | 145 Auswertungsverfahren: Biographische Fallrekonstruktion | 149 Zwischenfazit | 158
8.
Anmerkungen zum Studiendesign | 161 Die Rolle der Forscherin | 162 Feldzugang und Positionierung | 164 Exkurs: Forschungsethische Auseinandersetzung | 167 (Ethische) Vorkehrungen | 177 Rekrutierung und Stichprobe | 180 Briefing und Setting | 183 Interviewdurchführung | 185 Rolle des Co-Interviewers | 188 Anonymisierung | 189 Hinweise zur Transkription | 190
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10
HAUPTSTUDIE 9.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 195
Kontaktaufnahme und Begegnung | 195 Schritt 1: Analyse der biographischen Daten | 197 Schritt 2: Text- und thematische Feldanalyse | 202 Schritt 3: Rekonstruktion der Fallgeschichte | 227 Schritt 4: Feinanalyse | 266 Schritt 5: Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte | 270 9.7 Zusammenfassende Falldarstellung | 280
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
10. Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 289
Kontaktaufnahme und Begegnung | 289 Schritt 1: Analyse der biographischen Daten | 291 Schritt 2: Text- und thematische Feldanalyse | 296 Schritt 3: Rekonstruktion der Fallgeschichte | 326 Schritt 4: Feinanalyse | 365 Schritt 5: Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte | 371 10.7 Zusammenfassende Falldarstellung | 382
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6
11. Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 393
Kontaktaufnahme und Begegnung | 393 Schritt 1: Analyse der biographischen Daten | 395 Schritt 2: Text- und thematische Feldanalyse | 398 Schritt 3: Rekonstruktion der Fallgeschichte | 428 Schritt 4: Feinanalyse | 458 Schritt 5: Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte | 465 11.7 Zusammenfassende Falldarstellung | 476
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6
ERGEBNISSE 12. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse | 485
12.1 Motive und Bedürfnisse | 485 12.2 Auswirkungen von Motiven und Bedürfnissen auf die Konstruktion von Selbstkonzepten | 496 13. Schlussbetrachtung | 507
13.1 Abschließende Rahmung | 507 13.2 (Persönliche) Reflexion | 509 13.3 (Gesellschaftliche) Einordnung und Ausblick | 513
Outro | 517 Danksagung | 523 Quellenverzeichnis | 525
Bibliographie | 525 Diskographie | 553 Filmographie | 553
Geleitwort der Reihenherausgeber*innen
Was für ein fulminanter Neustart unserer reformierten Reihe „Transdisziplinäre Popkulturstudien / Transdisciplinary Studies in Popular Culture“, die von uns unter dem Titel „Populäre Kultur und Medien“ bis inklusive Band 13 im Jahr 2018 beim LITVerlag herausgegeben wurde: Wir gratulieren Melanie Ptatscheck ganz herzlich zu ihrer hier nun publizierten innovativen und aufschlussreichen Dissertation, danken dem Transcript-Verlag für sein Interesse an unserer Reihe und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit dem Verlag und zukünftigen Autor*innen. Die vorliegende Studie von Melanie Ptatscheck nimmt sich eines hoch komplexen, schwierigen und für die Popmusikkulturforschungen bzw. Popular Music Studies absolut relevanten und bisher nur sehr wenig erforschten Themas an: der Frage nach Zusammenhängen von Drogensucht und Selbstkonzepten von Popmusikern. Die Autorin hat sich fallstudienhaft alternativer Rockmusik an der US-amerikanischen Westküste gewidmet – hier speziell in einer der weltweiten ‚Hauptstädte der Popmusik‘ Los Angeles. Wegen der sehr übersichtlichen Forschungslage, des dringend erforderlichen multiperspektivischen Blicks, der aufwendigen Synthese diverser theoretischer Rahmungen, der Intimität und dementsprechenden forschungsethischen Herausforderung des Felds, des aufwendigen methodisch-methodologischen Forschungsdesigns und des Risikos ausbleibender oder sehr problematischer Ergebnisse ist das wissenschaftliche Unterfangen hier also gar nicht hoch genug einzuschätzen. Besonders hervorzuheben ist die Gesamtanlage dieser sehr erkenntnisreichen Arbeit, die vor allem in den inter-/transdisziplinären und -nationalen Popular Music Studies und Celebrity Studies, aber auch weit darüber hinaus nachhaltig ihre Wirkung entfalten sollte. Ebenso kann die Arbeit aufgrund ihrer Multiperspektivität als kulturwissenschaftliche Studie hoch interessante und gleichzeitig behutsame Anschlüsse zur Medizin und klinischen Psychologie leisten und diese befruchten. Die Autorin geht das Risiko ein, die ganz großen Fragen gleich zu Beginn zu stellen und diese dann fortlaufend anzupassen und auch bescheidener auf ihre konkreten Fallstudien hin auszurichten: „Es stellt sich schließlich generell die Frage, welcher Zusammenhang zwischen dem Konsum von Drogen und dem Karrieremodell ‚Musiker sein‘ besteht. Werden Musiker*innen erfolgreich, weil sie der Sucht verfallen sind? Oder sind sie der Sucht verfallen, gerade weil sie erfolgreich sind?“ (S. 20) Wenig bis tatsächlich gar nicht beforscht und doch absolut im Mittelpunkt des Lebens vieler Popmusiker*innen stehen weiche und harte Drogen. Dabei scheinen sich bestimmte Karriereverläufe im Hinblick auf Drogenkonsum, hier von Heroin, sowie künstlerischer Entwicklung, Erfolg in jeder Hinsicht und damit zusammenhängend
10 | Sucht und Selbstkonzepte
Selbsteinschätzungen oftmals hoch dramatisch zu entwickeln, was in den drei Rekonstruktionen der Einzelfälle beeindruckend, wenn auch nicht-repräsentativ, belegt wird. Das Klischee aus dem Titel des New-Wave-Hits „Sex & Drugs & Rock & Roll“ von Ian Dury aus dem Jahr 1977 scheint eben doch im Fokus vieler Selbst- und auch Fremdbilder von Musikschaffenden zu liegen. Im Sample befinden sich übrigens nur Musiker, keine Musikerinnen, eine auffallende Tatsache, die von Melanie Ptatscheck kultürlich auch reflektiert wird. Sie legt die eigenen Zugänge nicht nur als Forscherin, sondern auch als Musikerin offen, und immer wieder gerät man selbst als Lesende*r emotional an Grenzen der Forschungen und Überprüfbarkeiten. Ein zweites großes Verdienst der Studie liegt darin, dass zur Behebung des Forschungsdesiderats zunächst eher weiter voneinander entfernte interdisziplinäre Arbeiten zusammenfügt wurden – und zwar nicht nur beschreibend-additiv (interdisziplinär), sondern auch angewandt-integrativ (transdisziplinär). Der empirische Kernteil der Arbeit – die sehr sorgsamen und reflektierten methodisch-methodologischen Ausführungen sowie die eigentlichen Interviews und deren sehr akribische Auswertungen – besticht durch seine Bescheidenheit und gleichzeitige Genauigkeit und Sorgfalt. Beeindruckend und sehr erkenntnisreich – wenn es nicht ein wenig unprofessionell klingen würde, geradezu berührend – sind die sehr detaillierten Schilderungen, die vorsichtige Vorgehensweise, die behutsamen und sehr genauen Close Readings und Auswertungen sowie inhaltlich die Ähnlichkeiten und Überschneidungen zwischen den drei nachvollziehbar und transparent destillierten Geschichten von „Johnny“, „Pepe“ und „Frankie“. Alle drei Probanden konstruieren ihre Selbstkonzepte, Haltungen und Einstellungen offenbar in Abgrenzung zu anderen und gleichzeitig immer wieder auch angelehnt an ‚abstrakte‘ Vorbilder, also etwa an andere, berühmte Musiker*innen, ebenso wie an konkrete Vorbilder aus Familie und Bekanntenkreis. Geradezu verblüffend sind die Ähnlichkeiten und Muster, die sich im Abgleich mit zahlreichen anderen Musiker*innen, vor allem Musikern aus dem Umfeld der Probanden selbst, erkennen lassen, wie z.B. offensichtlich Chris Cornell und Kurt Cobain. Mit dieser an der Leuphana Universität Lüneburg vorgelegten Dissertation, die von Prof. Dr. Michael Ahlers betreut und von ihm sowie Prof. Dr. Christoph Jacke (Universität Paderborn) und Prof. Dr. Michael Rappe (Hochschule für Musik und Tanz Köln) begutachtet wurde, hat Melanie Ptatscheck eine verdienstvolle und für diverse Fächer und Disziplinen, vor allem die Popular Music Studies, absolut alleinstehende, geradezu pionierhafte und wegweisende Studie vorgelegt. Es freut und ehrt uns zudem ganz besonders, dass sich eine Absolventin der Paderborner Studiengänge „Populäre Musik und Medien“ (BA und MA) nunmehr an der Universität Lüneburg derart herausragend promoviert und ihren Weg in die Popular Music Studies und transdisziplinären Wissenschaften gefunden hat. Damit fügt diese Studie sich hervorragend in die Konzeption unserer Reihe und wir freuen uns, die „Transdiziplinären Popkulturstudien“ mit diesem Band neu eröffnen zu können! Beate Flath (Paderborn) Charis Goer (Utrecht) Christoph Jacke (Paderborn) Martin Zierold (Hamburg)
August 2020
Intro
CHATVERLAUF MIT ANONYMOUS#1 VOM 29.5.2020 „The link between music and drugs is one that I personally believe goes back as far as man discovering music. Whether it be the banging of a simple drum by a wild man, someone singing their hearts out, technical fingers gliding across a piano, or a player cleverly plucking on a guitar or bass – drugs have played a role in music... for some. To the laymen observing this from afar, this may even seem the norm, expected, or even inevitable. The outsider sees the musician’s lifestyle as one of ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ (as the old saying goes). This is most certainly not always the case. The truth to why some artists build a bond to drugs is much more complicated and differs from person to person. Some may have never had a choice, being born with the feeling that altering of the mind that drugs create is what gives them their talent or ‚mojo‘. As for me, my experience was what one may label as severe. I became engulfed in hard drugs, and addiction was as normal to my day as was needing to drink water to stay alive. When I began playing music seriously, I soon discovered that there was beauty in all of my darkness. There I could hear a guitar lick, melody, and sometimes entire songs. Literally I could get high and one minute later feel the birth of a song. It was instant, it was almost magical, and certainly this became addicting itself. I’m sure many of those who have had a connection to drugs and music themselves can relate. An addict, whether it be to alcohol or heroin seeks out instant gratification. So, try and imagine what a songwriter must feel when experiencing instant gratification, being able to pull out inspiration from thin air. This of course is a farce and only as real as life itself. What does this mean? To the artist it means creating a canvas from the experiences and feelings that person walks in and out of. Heightening the mental state with drugs does exactly that – makes a sad song sadder, a happy one happier, a loving one lovelier. A guitar player stands there with a needle in one hand and a guitar in the other. He shoots drugs into his arm and this jumpstarts his passion, which in turn pushes his abilities. He feels at ease, unstoppable, and becomes a creative wizard. The music begins to sound much more magical and he is carried away into oblivion. The spell that has been cast is not real though; it is only real inside his mind. How and why does this happen? In this book Melanie seeks out musicians/addicts to discover some of the mysteries that surround this topic. Much of my own story was brought back to life by a collection of sit-downs with Melanie. Over the course of many years we were able to have countless of discussions on this topic. She came into my life out of thin air one day and has been able to pull from me some of my most honest life experiences connected to both drugs and music. In these conversations I’ve discovered what has been actual real magic – healing, and new perspectives on my relationship to both drugs and music. In this book you will learn about what grips and glues some musicians to drugs – and some drugs to musicians. So listen, learn, and feel closely.“ (Anonymous#1)
Einleitung
1.
Popmusik und Heroin „Using and misusing drugs is an old phenomenon and seems to be one of the anthropological constants of mankind, like eating, drinking, sex and war.“ (Fachner 2010: 18)
1.1
BETRACHTUNG EINES PHÄNOMENS
Der Gebrauch verschiedenster Substanzen, welche die physische und psychische Befindlichkeit verändern, ist so alt wie die Menschheit selbst. Getreu dem Motto ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ scheint der Konsum von Drogen geradezu prototypisch vor allem zum Lifestyle vieler Musiker*innen und Protagonist*innen ihres Umfeldes dazu zu gehören: „Since the beginning of rock music, the media has been filled with endless stories of rock star drug indulgence. [...] Connections are not hard to find – groupies, fans, music industry personnel.“ (Spunt 2014: 65) Blake (2007: 103) verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Verbindung zwischen Drogenkonsum und Künstler*innen-Biographien: „No confessional or hagiographic biography of a rock star, appreciation of a popular music genre, or attempt to put music into its broad cultural and historical context, is complete without extensive reference to the use of drugs by the major participants and/or the author.“
„Cultural anthropology has shown that music and drugs fit well together“, resümiert auch Fachner (2010: 20). Obwohl populäre Musik und Drogen dem Autor zufolge vor allem seit dem legendären Musikfestival in Woodstock miteinander in Verbindung gebracht werden, ist dieses Phänomen jedoch keines, das erst mit den 1960er Jahren in Erscheinung getreten ist (vgl. Fachner 2007: 7; Fachner 2008b: 595; Fachner 2010: 21). Drogen haben in musikalischen Praktiken weltweit und zu allen Zeiten immer wieder eine Rolle gespielt – wie auch Blake (2007: 103) zusammenfassend zu verstehen gibt:
16 | Einleitung
„From the role of the ‚reefer‘ [joint] in early twentieth century jazz and blues, to the centrality of amphetamines and hallucinogens for dance music at the close of the century and beyond, there has been an intimate relationship between drug consumption and music.“1
Holm-Hadulla (2014) behauptet – mit Bezug auf Ludwig (1992) – sogar, dass darstellende Künstler und Jazz- und Popmusiker mehr Alkohol und Drogen konsumierten als die durchschnittliche Bevölkerung. Dies habe zur Konsequenz, dass die Sterblichkeit von Popstars aufgrund von Alkohol- und Drogenmissbrauch höher sei als die der Durchschnittbevölkerung (ebd.: 167f.). Tatsächlich wird diese Behauptung von einer aktuellen Umfrage der Music Industry Research Association (MIRA 2018) mit 1227 Musiker*innen verschiedener Genres in den USA bestätigt: Die Befragten konsumierten 5-mal häufiger Kokain, 6,5-mal häufiger Ecstasy, 13,5-mal häufiger LSD, 3,5-mal häufiger Methamphetamine und 2,8-mal häufiger Heroin oder andere Opiate. Manning (2007) geht in seinen einleitenden Worten zum Kapitel „Representing Drugs in and as Popular Culture“ in dem von ihm herausgegebenen Sammelband grundsätzlich davon aus, dass „popular music probably offered the widest cultural space within which drug experiences and drug pleasures could be represented“ (ebd.: 100). Er setzt sich in diesem Zusammenhang damit auseinander, welche Rolle Popmusik und Medien für die Normalisierung des Drogenkonsums, dessen Geschichte er insbesondere in der westlichen Zivilisation verwurzelt sieht, spielen. Der Drogenkonsum und die ihm zugeschriebene Bedeutung sei dem Autor zufolge immer in einen symbolisch und historisch vermittelten Bezugsrahmen popkultureller Praxis eingebunden (vgl. ebd.: 99f.). Bereits Parker et al. (2002) kamen im Rahmen ihrer Längsschnittstudie zu dem Ergebnis, dass illegaler Drogenkonsum zu einer gesellschaftlich akzeptierten Freizeitbeschäftigung und integraler Bestandteil von Jugendkulturen geworden sei. Dass populäre Kultur bei der Normalisierung des Drogenkonsums als Freizeitbeschäftigung eine entscheidende Rolle spielt, zeigt sich auch in der Darstellung von Praktiken des Drogengebrauchs in Film und Fernsehen. Während sich Parker et al. in ihrer Studie in erster Linie auf den Konsum von Cannabis und MDMA beziehen, ist es jedoch auffällig, dass gezielt die Droge Heroin seit den 1980er Jahren vermehrt in den Fokus medialer Inszenierung gerückt ist. Es wurde Aufmerksamkeit für ein zeitgenössisches Thema erzeugt, das insbesondere zu Beginn der 1990er Jahre von der Filmindustrie Hollywoods aufgegriffen wurde. Dies beweisen nicht zuletzt Kassenschlager wie „Killing Zoe“ (1993), „Pulp Fiction“ (1994), „The Basketball Diaries“ (1995), „Trainspotting“ (1996) oder „Requiem for a Dream“ (2000), in denen Heroin nicht nur eine wesentliche Rolle spielt, sondern die dessen Konsum auch glorifizieren und damit verbunden das Image des ‚coolen Junkies‘ propagieren. Wer Drogen ausprobierte, galt in dieser Zeit als „erfahren“ und „erwachsen“ (Fachner 2007: 7) und folgte einem weitverbreiteten Trend, der Mitte der 1990er Jahre auch der Modeund Werbebranche zum Aufschwung verhalf. Dass der Gebrauch psychoaktiver Sub-
1
Sicherlich ließen sich hierzu auch Anhaltspunkte ergänzen, die weiter in der Geschichte zurückreichen und sich nicht nur auf den Bereich von Popmusik beziehen. Da ich mich innerhalb dieser Arbeit jedoch schwerpunktmäßig auf eine Musikhistorie von Popmusik seit dem 20. Jahrhundert beziehe, wird hierauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Popmusik und Heroin | 17
stanzen unter einigen Konsumierenden als ‚schick‘ angesehen wurde, sorgte für die Entwicklung des sogenannten heroin chic – ein Schönheitsideal, das sich durch abgemagerte Gesichtszüge und Androgynität auszeichnete und damit das Aussehen Drogenabhängiger verkörperte. Auf das Vermarktungspotenzial des Heroinkonsums reagierte auch die Musikindustrie: Hinweise auf Drogenkonsum bzw. Rausch- und Suchterfahrungen werden nicht nur im Sounddesign, in der Performance und in Choreographien von Musikvideos zum Ausdruck gebracht (vgl. Blake 2007: 13; Fachner 2010: 20). Auch in diversen Songtexten populärer Musik wie „Sister Morphine“ (Rolling Stones), „God Smack“ (Alice in Chains), „Golden Brown“ (The Stranglers), „Heroin“ (Velvet Underground) oder „The Needle and the Damage Done“ (Neil Young) – um nur einige wenige prominente Beispiele zu nennen – lassen sich offensichtliche Referenzen auffinden. Vor allem das Image drogenabhängiger Musiker*innen stieß spätestens mit dem Aufkommen der 1990er Jahre auf Anerkennung und Nachahmung. Ob als Junk, Horse, Smack, H, Schore, Scag oder Braunes bezeichnet – eines schien hierbei in Bezug auf die Droge innerhalb der Musikindustrie eindeutig zu sein: Heroin war ‚hip‘. „It’s hip with rock musicians, as evidenced by a host of revelations about best selling 90’s artists. Nirvana, Hole, Smashing Pumpkins, Alice in Chains, and Stone Temple Pilots are some of the better known. A junkie in the band hasn’t kept them off the cover of Rolling Stone, hasn’t kept their videos off MTV, and hasn’t hurt sales.“ (Dasein 1996: o.A.)
Darke (2013: 29) äußert jedoch den Vorwurf, dass – sowohl durch die Verbreitung des heroin chic als auch die Verherrlichung und das Vermarktungspotenzial drogenkonsumierender Künstler*innen – ein verzerrtes und falsches Bild von Drogenabhängigkeit verbreitet wurde, das in keiner Weise „die Realität einer kranken Gruppe von Menschen“ abbildete: „Nichts an einem Leben aus Abhängigkeit, Krankheit, Inhaftierung und vorzeitigem Ableben ist chic.“ Dennoch scheinen genau diese Inszenierungen und damit verbundene Vermarktungsstrategien nach wie vor auf Anklang beim Publikum zu stoßen: „Die mitsingenden Fans wollen natürlich gern eine spektakuläre Geschichte leben, berühmt, schön und fragil sein, Drogen nehmen, trinken, wilde Dinge mit anderen schönen, kreativen Leuten machen und ständig in die Rehab müssen, anstatt sich mit wenig Geld und langweiligen Jobs durchs Leben schlagen zu müssen.“ (Kuhlbrodt 2011: o.A.)
Als „heroisch“ und „opfersehnsüchtig“ beschreibt Kuhlbrodt (ebd.) aus journalistischer Perspektive die Zeiten, „in denen Musik, Rausch Revolution und Selbstzerstörung verbunden zu sein scheinen und auf der Bühne mit und vor Gleichgesinnten ausagiert wurden, in denen der frühe Tod [...] die Echtheit des Werks beglaubigen sollte (und auch so vermarktet wurde)“. Ob ein Bedürfnis nach ‚Authentizität‘ und die Befriedigung von Sehnsüchten heutzutage in den Hintergrund gerät und eher voyeuristische Vorlieben des Publikums Anreiz zum Besuch von Konzerten von Künstler*innen bieten, die wie Amy Winehouse das Ausmaß einer Alkohol- und Drogensucht auf offener Bühne zur Schau stellen (müssen), ist dabei fraglich und gilt einer gesonderten Betrachtung.
18 | Einleitung
Auffällig ist jedoch, dass ein Interesse an der Drogenthematik – und an damit verbundenen Skandalen und Exzessen in der Öffentlichkeit stehender Musiker*innen – besteht, das insbesondere von den Medien aufgegriffen wird. Oftmals ohne dass Gründe dafür hinterfragt werden, wird ein Bild drogenabhängiger Künstler*innen konstruiert, das vor allem auf eines abzuzielen scheint: Es muss sich verkaufen. In Bezug auf Printmedien stellte bereits Kneif (1987: 216) hierzu fest: „Drogenthemen in sensationell aufgemachten Presseberichten sind dabei besonders verkaufsfördernd für eine Zeitung. Ausgenutzt wird von ihnen der Umstand, [...] daß Rockmusiker durch einen Auftritt oder durch eine Schallplatte plötzlich zu gefeierten, unter Umständen sogar vermögenden Personen werden können [...].“
Grundsätzlich scheint sich nicht nur ein Verständnis für die Marktfähigkeit drogenkonsumierender Pop- und Rockstars entwickelt zu haben, sondern insbesondere auch für den oftmals mit dem Konsum einhergehenden Drogentod dieser Persönlichkeiten.2 Es ist bemerkenswert, dass trotz warnender Beispiele der Konsum von Drogen weiterhin Nachahmung findet. Bei Fachner (2008b: 595) heißt es hierzu: „Auch tragische Ereignisse wie der Drogentod berühmter Musiker [...] führten nicht zu einer Verringerung der Anziehungskraft von Drogen der Rockmusikszene.“ Es stellt sich schließlich generell die Frage, welcher Zusammenhang zwischen dem Konsum von Drogen und dem Karrieremodell ‚Musiker sein‘ besteht. Werden Musiker*innen erfolgreich, weil sie der Sucht verfallen sind? Oder sind sie der Sucht verfallen, gerade weil sie erfolgreich sind? Ist hierbei, wie von Jones (2005: 3) vermutet, nicht nur der Drogentod als „good career move“ zu verzeichnen, sondern bereits die damit verbundene Todesursache, nämlich der Konsum von Drogen? Auch wenn sich diese Fragen an dieser Stelle (noch) nicht beantworten lassen, stellen sie dennoch eine zentrale thematische Grundlage für das vorliegende Forschungsprojekt dar: Am Beispiel der Droge Heroin soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, warum Musiker*innen süchtig werden und welchen Einfluss die Drogenabhängigkeit auf ihren Werdegang als Musiker*innen nimmt.
2
Laut einer Sonderausgabe des Rolling Stone von 2010 zu Drogen und Musik in Deutschland sind es in diesem Zusammenhang vor allem drogenabhängige Musiker*innen, die die Ranglisten „berühmter Drogentoter“ anführen (vgl. Förster 2010: 50). Trotz der Vielzahl an Todesfällen von Musiker*innen, die an einer Überdosis verstarben, erhält dieses Phänomen in dem von Lebrun & Strong herausgegebenen Sammelband „Death and the Rock Star“ (2015) allerdings keine genauere Betrachtung. Die Autorinnen gehen in ihrem einleitenden Kapitel zwar in einem Nebensatz darauf ein, dass „[p]opular musicians have also frequently suffered from overdoses of various substances“ (Lebrun/Strong 2015: 5). Innerhalb der weiteren Aufsätze des Bandes wird der Drogenkonsum von Musiker*innen jedoch nicht weiter thematisiert.
Popmusik und Heroin | 19
1.2
(WISSENSCHAFTLICHE) ANNÄHERUNG AN EIN PHÄNOMEN
„Part of the trap [of drugs and alcohol] is that they open the doors to unreleased channels or rooms you hadn’t explored before or allowed to be open. […] At the beginning there can be an opening and then you move on the next phase where it all becomes confused, and then the final phase where the drug or whatever it is has actually got control of you and you’ve lost that original thing.“ (Eric Clapton zit. n. Boyd/George-Warren 2013: 213)
Im Gegensatz zu Clapton, der aus der Perspektive eines ehemals Alkohol- und Drogenabhängigen spricht, sieht Bosse (2015: 49) aus journalistischer Sicht insbesondere Erklärungsansätze in „Langeweile“, die viele Musiker*innen in Studiosituationen erlebten, sowie „im tristen Touralltag“ begründet. Er folgert hieraus: „Wer unter Langeweile leidet, kommt auf dumme Gedanken.“ (ebd.) Ebenso nennt er „kreative Höhenflüge“, die vom Rausch ermöglicht würden, als Grund für den Drogenkonsum von Musiker*innen. Hierbei spielt er auf eine Auffassung an, die bereits im Jazz der 1930er Jahre vertreten wurde und eine nach wie vor vielfach diskutierte Frage aufwirft: „Miles Davis, damals noch sehr jung, sagte: ‚Die Typen waren hip, weil sie Heroin nahmen.‘ Aber wurden sie durch die Droge auch zu besseren Musikern?“ (ebd.) Es ist auffällig, dass diese und ähnliche Fragen vor allem aus einem journalistischen Blickwinkel thematisiert werden. Während die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Zusammenhang international in den letzten Jahren zwar zugenommen hat, fällt die Anzahl der Veröffentlichung etwaiger Studien im deutschsprachigen Raum jedoch eher dürftig aus. Generell ist festzustellen, dass sich die vorhandene Forschung in Bezug auf den Drogenkonsum von Musiker*innen hauptsächlich auf psychedelische Drogen im Kontext der Kreativitätsforschung konzentriert. In diesem Zusammenhang geht einer der aktuellsten Ansätze im deutschsprachigen Raum auf Holm-Hadulla (2011) zurück. Er zeigt am Beispiel des The Doors-Sängers Jim Morrison Gründe auf, „warum schöpferische Menschen an ihrer Kreativität und Destruktivität zugrunde gehen können“ (ebd.: 140). Er nähert sich dem Phänomen Morrison anhand ideographischer Methoden, indem er sich mit Morrisons Biographie, Berichten von Bekannten, Freunden und Familienmitgliedern auseinandersetzte sowie Morrisons Songtexte und Gedichte auswertete. Holm-Hadulla bezeichnet Morrison resümierend als eine „mystische Pop-Ikone“, die „das Lebensgefühl einer Generation zwischen grenzenlosem Hedonismus und tiefer Verzweiflung verkörperte“ (2011: 141) und stellt diesbezüglich fest: „Er stilisierte sich zu einem melancholischen Helden, der schweren Verstimmungen und Selbstzweifeln ausgesetzt und von wunderbaren Inspirationen beseelt war. Sein kurzes Leben war seit der Adoleszenz geprägt von einer schöpferischen Suche nach Selbstverwirklichung, an der er schließlich scheiterte. Er lieferte sich zerstörerischen Kräften aus und labialisierte seine biologischen, psychischen und sozialen Ordnungsstrukturen soweit, dass er den Kontakt mit seinem Körper, seinem psychischen Selbst und seiner sozialen Umwelt verlor und daran zugrunde ging.“ (Ebd.: 141f.)
20 | Einleitung
Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass Morrisons Alkohol- und Drogenkonsum seine Stimmung weder regulieren noch Kreativprozesse anregen konnte. Im Gegenteil: „Der Dichter Jim Morrison verstummte zusehends. Trunkenheit und Melancholie führten nicht zu außergewöhnlichen Leistungen, die manche gern mit diesen Zuständen verbinden.“ (ebd.: 162) Holm-Hadullas Analysen zufolge richtete sich Morrison systematisch mit Alkohol und Drogen zugrunde und war vor seinem Tod – mit 27 Jahren – nicht mehr in der Lage, sein kreatives Potenzial auszuschöpfen: „[…] his alcohol and drug abuse increased and damaged his creative capacities severely within a few months. In this respect, he seems to be typical of artists destroyed by alcohol and drugs […]. A wide public attended Jim’s decay and we suppose that this sacrificial ritual offered some benefits for the excited spectators. One of these is the illusion that alcohol and drugs can lead to authenticity and creativity.“ (Holm-Hadulla 2014: 173)
Anknüpfend hieran lassen sich die Überlegungen Bandelows nennen, der sich in seiner Monographie „Celebrities“ (2007) ebenso mit Künstler*innen beschäftigt, die harten Drogen verfallen (sind). Auf der Grundlage psychoanalytischer Betrachtungen von Biographien populärer Künstler*innen, wie u.a. auch von Jim Morrison, kommt er zu der Schlussfolgerung, dass die Berühmtheit einerseits und das ‚wilde‘, von Drogen bestimmte Leben mancher Rockstars andererseits auf die gleiche Ursache zurückzuführen seien: auf eine Persönlichkeitsstörung (ebd.: 132). Bandelow geht davon aus, dass Künstler*innen berühmt werden, weil sie „anders“ sind und stellt fest, dass Menschen, die anfällig für tödliche Drogen sind, häufig an einer BorderlineStörung leiden (vgl. ebd.: 108). Diesbezüglich spricht er Künstler*innen einen ausgeprägten Narzissmus zu, der dazu führe, dass „sie ihre künstlerischen Fähigkeiten mit sehr viel mehr Energie ausgestalten als gesunde Menschen und sich somit im harten Konkurrenzkampf des Showgeschäfts besser durchsetzen können. Triebkraft der gewaltigen Energie, die notwendig ist, ein Star zu werden, ist das Belohnungssystem des Gehirns, das bei Menschen mit Borderline-Störung einen höheren Verbrauch an Glückshormonen hat. Das Superbenzin für dieses anspruchsvolle Wohlfühlystem ist der Erfolg“ (ebd.: 132)
– oder eine Droge wie Heroin, die sich als extern zugefügtes Mittel an körpereigene Rezeptoren im Belohnungssystems des Gehirns bindet und zur Ausschüttung von Glückhormonen beiträgt. Doch bedeutet dies, dass jeder Drogensucht automatisch eine Persönlichkeitsstörung zugrunde liegt? Ist Drogensucht ein Phänomen, das sich ausschließlich auf Grundlage pharmakologischer oder psychoanalytischer Ansätze erklären lässt? Abgesehen davon, dass es sich hierbei um einen populärwissenschaftlichen Umgang mit der Thematik handelt, welche neurowissenschaftlich gesehen eher oberflächlich behandelt dargestellt wird, hat Bandelows Auseinandersetzung eines mit seinen hier erwähnten Vorgänger*innen gemeinsam: Er bezieht sich bei seiner Analyse von Ursachenverläufen in Verbindung mit Persönlichkeitsstrukturen auf bereits vorhandenes Quellenmaterial anstatt eigene Untersuchungen – wie bspw. Befragungen mit den Betroffenen selbst – durchzuführen. Und genau hier schließt sich ein Problem an, das laut Fachner (2010) – mit Bezug auf Manning (2007) – insbesondere
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aus kulturwissenschaftlicher Perspektive aus zu stark psychologisch bzw. pharmakologisch ausgerichteten Forschungsansätzen zum Drogenkonsum resultiert: „While medical researchers and pharmacologists stress the more or less objective somatic action of drugs on ours senses and central nervous system functions, in the context of cultural studies on drug use these approaches have been criticized as being much too deterministic and narrowed in their scope on drugs (Manning 2007). When discussing drug use within a symbolic frame of reference, as a cultural practice, as an identity template, as a means for artistic inspiration, then the drug action profile is not the only important matter, but rather what people expect, do, think and experience in situations using the drug for artistic, ritualistic or hedonistic purposes.“ (Fachner 2010: 23)
Hieraus ergibt sich aber gleichzeitig auch eine Schwierigkeit, die generell mit kulturbasierter Forschung einhergeht: „How should drug effects be inter-subjectively graspable, if not mediated via a shared symbolic frame of reference, that presupposes an internal perspective, an experience on the focused effect discussed?“ (Ebd.: 24) Einer der berühmtesten phänomenologischen Ansätze zum Drogenkonsum, der an der Schnittstelle von Pharmakologie und kulturwissenschaftlicher Betrachtung operiert, geht auf Becker zurück. Die Auffassung, dass mit dem Drogenkonsum von Künstler*innen ein bestimmter Lebensstil, eine bestimmte kulturelle Praxis und sogar eine bestimmte Identität verbunden sei – nämlich die des Outsiders, gab der Autor bereits 1963 in seinem gleichnamigen Werk zu verstehen. Becker geht hierbei von der These aus, dass abweichendes Verhalten nicht in angeborenen Charaktereigenschaften begründet liege, sondern versteht dieses als Produkt einer Interaktion zwischen dem handelnden Subjekt und Personen, die aufgrund vorherrschender Normen diskriminierend auf diese Handlung reagierten. Dass sich abweichendes Verhalten folglich im sozialen Kontext über eine Folge von Einstellungsänderungen herausbildet, demonstriert er an Ergebnissen seiner empirischen Studie, die er mit Marihuana-Rauchern und Tanzmusikern durchführte. Zusammen mit seinen Untersuchungen über die Ursprünge von LSD-Psychosen – „History, Culture and Subjective Experience“ (1967) – lieferte Becker einen grundlegenden Beitrag zur Soziologie abweichenden Verhaltens. Dem Autor zufolge seien die durch Drogen erfahrenen Wirkungen keine direkt chemischen, sondern würden durch die kulturelle Bedeutung des Drogenkonsums erzeugt: „How a person experiences the effects of a drug depends greatly on the way others define those effects for him.“ (Ebd.: 311) In Beckers ethnographischer Tradition stehen auch die Arbeiten von Willis (1976, 1981), der im Rahmen einer Studie, in der er Lebensstile, Perspektiven und musikalische Präferenzen zweier subkultureller Gruppen („Hippies“ und „Motorbike Boys“) verglich, explizit auch die Rolle des Drogenkonsums in der Hippie-Subkultur untersuchte. Auch Willis geht davon aus, dass Drogenerfahrungen weniger auf physiologischen oder pharmakologischen Eigenschaften basierten. Er sieht die größere Bedeutung vielmehr darin, wie diese sozial konstruiert und kulturell definiert seien: „[…] the importance of drugs did not lie in their direct physical effects, but in the way they facilitated passing through a great symbolic barrier erected over against ‚straight‘ society.“ (1976: 107) Er stützt seine Untersuchungen dabei sowohl auf ethnographische Beobachtungen als auch auf Erfahrungen, welche die Akteur*innen im Kontext von Einzel- und Gruppengesprächen selbst definiert haben.
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Pearson & Twohig (1976) widersprechen den Studien von Becker und Willis hingegen und plädieren dafür, im Zusammenhang mit Drogenwirkungen verstärkt die chemischen Eigenschaften der jeweiligen Substanz zu berücksichtigen. Als eine Art Kompromiss in diesem Diskurs lässt sich die Herangehensweise von Young (1971) auffassen, welcher Drogenerfahrung genau zwischen diesen beiden Polen verortet bzw. von einer Art „cultural structuring of drug effects“ ausgeht. Young argumentiert, dass der Drogenkonsum sowohl sozial als auch pharmakologisch verstanden werden müsse. Beide Faktoren sind für Young als gleich wichtig anzusehen. Auf Grundlage der verschiedenen Ansätze stellt sich die Frage, auf was die Autoren mit ihren unterschiedlich ausgerichteten Untersuchungen von Drogenerfahrungen hinweisen wollen und ob – und wenn ja wie – sich ihre theoretischen und methodischen Herangehensweisen auf das vorliegende Forschungsprojekt übertragen lassen. In Bezug auf das Dissertationsprojekt ist es in diesem Kontext insbesondere interessant zu ermitteln, ob sich über die Untersuchung von Drogenerfahrungen auch Ansätze über Ursachen des Konsums ableiten lassen. Haben Drogenerfahrungen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf einer gesamten Drogen- bzw. Suchtkarriere? Anknüpfend an die bisherigen Forschungsarbeiten soll sich diesen Gedanken im Folgenden aus unterschiedlichen Perspektiven genähert werden.
1.3
EINGRENZUNG UND VERORTUNG
Obwohl die Abhängigkeit von Drogen in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist, weist insbesondere die Popmusikforschung auf diesem Gebiet noch einige Lücken auf. Ohnehin ist die Entstehung und Aufrechterhaltung des Drogenkonsums in ein komplexes Verursachungsgefüge psychologischer, biologischer und sozialer Bedingungen eingebettet, was die Drogenforschung letztendlich zu einem interdisziplinären Forschungsbereich macht. Wenn sich hierzu Ansätze zwar nicht unmittelbar im Kontext der Popmusikforschung auffinden lassen, so lässt sich dennoch auf diverse Theorien wie etwa der Neurobiologie, Psychologie und Soziologie zurückgreifen, auf deren Hauptströmungen zunächst als Grundlage der Auseinandersetzung mit heroinabhängigen Musiker*innen Bezug genommen werden soll. Eine interessante Arbeit liegt in diesem Zusammenhang von Klein vor, der mit seiner Dissertationsschrift „Heroinsucht und Ursachenforschung“ (1997) einen der wenigen qualitativen Ansätze in diesem Bereich geschaffen hat. Er beschäftigt sich nicht nur mit verschiedenen Phasenmodellen und Suchttheorien, sondern fasst seine Ergebnisse aus biographischen Interviews, die er mit Heroinabhängigen geführt hat, auf der Ebene einer Typenbildung zusammen. Er rekonstruiert anhand von Fallbeispielen Wege in die Sucht und ordnet diese zur Erstellung einer Typologie verschiedenen Strukturierungsgesetzmäßigkeiten zu. Ein Ansatz, der auch dann interessant ist, wenn es um die Betrachtung von Entwicklungsverläufen von Musiker*innen geht. Für das vorliegende Forschungsprojekt ergibt sich hieraus die Frage: Gibt es auch bei heroinabhängigen Musiker*innen bestimmte Regeln oder Gesetz-
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mäßigkeiten, die in die Sucht führen? Welche Motivationen3 und Faktoren spielen hier eine Rolle? Abgesehen davon, dass keine einheitliche und allumfassende Erklärung zur Entstehung von Sucht vorliegt, scheinen Ansätze im Kontext der Ursachenforschung insbesondere dann nicht ausreichend zu sein, so auch Brachet (2003: 9), wenn nicht eine entscheidende Komponente berücksichtigt wird: das Selbst. Als eine wesentliche Grundannahme soll eine Suchtkarriere folgend als Teil bzw. im Kontext einer gesamten Lebensgeschichte betrachtet und erklärt werden, die den individuellen Vorstellungen einer Person über sich selbst – sogenannten Selbstkonzepten – zugrunde liegt. Aus diesen Gedanken konstituieren sich weitere Fragestellungen, auf denen das vorliegende Forschungsprojekt basiert: Wie sehen sich Musiker*innen selbst als Musiker*innen? Welche Selbstkonzepte liegen diesen Vorstellungen zugrunde? Wird nun in Anlehnung an Laskowski (2000) davon ausgegangen, dass die Vorstellungen, die Menschen über sich selbst entwickeln, einen Einfluss auf ihre Handlungskonstitution ausübten (vgl. ebd.: 9), so könnte hierin auch eine Antwort darauf zu finden sein, warum Menschen zu Drogen greifen bzw. von ihnen süchtig werden. Theorien im Zuge der Selbstkonzeptforschung liefern hierzu verschiedene Ansatzpunkte, denen – als weitere theoretische Grundlage dieser Arbeit – im Folgenden nachgegangen wird. Die Entwicklung drogenabhängiger Musiker*innen soll dabei nicht nur aus einer Außenansicht betrachtet werden, welche Faktoren impliziert, die aus dem jeweiligen soziokulturellen Umfeld erworben werden, sondern insbesondere aus der individuellen Innenansicht, dem Wissen der Person über sich selbst und ihre Umwelt, analysiert werden: „Um den Menschen in seinem Erleben und Verhalten wirklich verstehen zu können, müssen wir auch seine Gedankenwelt kennen (lernen).“ (Schachinger 2005: 132) Hierauf kommt es in der folgenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik schließlich an: auf das interdependente Verhältnis zwischen den gesellschaftlichen Außenbedingungen, denen das Individuum ausgesetzt ist, und dem Subjekt selbst.
1.4
ERKENNTNISINTERESSE
Wie die zuvor ausgeführten Gedanken und Diskurse verdeutlichen, sind die Zugänge zur Annäherung an die benannte Thematik vielfältig und die verschiedenen Denkrichtungen äußerst komplex. Hinzu kommt, dass Forschungsfragen in diesem Zusammenhang oft nur unkonkret formuliert oder meist gar nicht vorhanden sind. Um sich folglich dem zuvor dargestellten Phänomen Drogensucht unter Musiker*innen zu nähern, bedarf es einer präzisen Fragestellung mit einer entsprechend zielgerichteten methodischen Herangehensweise. Es wird im Folgenden der Versuch geleistet, beide zuvor thematisierten Komponenten zu berücksichtigen: sowohl die Entstehung von Sucht und damit verbundene Faktoren, die in die Sucht führten, als auch Motivationen, die in den jeweiligen Selbstkonzepten einzelner Protagonist*innen verortet sind. Für das vorliegende For-
3
Motivation ist hierbei als ein Sammelbegriff für die vielfältigen Beweggründe zu verstehen, die ein Individuum zu einer Handlung veranlassen bzw. davon abhalten können.
24 | Einleitung
schungsprojekt ergibt sich nun folgende konkrete Forschungsfrage: Welche Vorstellungen haben Musiker*innen von sich selbst, Musiker*in zu sein, und welchen Einfluss nimmt der Konsum bzw. die Abhängigkeit von Heroin auf diese Vorstellungen und den damit verbundenen musikalischen Werdegang? Wie zuvor erörtert bietet die aktuelle Forschung zu diesen Fragen bislang noch keine Antwort. Insbesondere in Bezug auf die Droge Heroin im Zusammenhang mit Musiker*innen-Biographien hat bislang nahezu keine Auseinandersetzung stattgefunden. Zwar werden sozialgeschichtliche Hintergründe erfragt und Faktoren benannt, die den Konsum von Heroin bedingen,4 dennoch liegt bis auf wenige Ausnahmen kein empirisches Material vor, das über diese Betrachtungen hinausgeht. Eine dieser Ausnahmen bildet die Forschungsarbeit von Winick (1961), der als einziger Wissenschaftler bis zum Erhebungszeitraum seiner Studien einen Zusammenhang des Heroinkonsums in Verbindung mit Musik(er*innen) untersucht hat. Winicks Berichte über die Verwendung von Heroin von New Yorker Jazzmusiker*innen basieren auf 357 Interviews, die er zwischen 1954 und 1955 geführt hatte. Es brauchte jedoch über 50 Jahre seit Winicks Studien bis diese Thematik im wissenschaftlichen Kontext erneut aufgegriffen wurde. Erst im Jahr 2014 stellt Spunt (2014: 1) fest: „While it is well known that many musicians who play different types of music have been heroin abusers, the nature of the connection between heroin and music is not well understood at all.“ Spunt greift Winicks Studien auf und erweitert sie. Anhand narrativer Berichte aus einer Stichprobe von 69 in New York City lebenden Musiker*innen verschiedener Genres befasst sich seine Untersuchung damit, warum Musiker*innen begonnen haben, Heroin zu konsumieren, und welchen Einfluss die Droge auf kreative Prozesse und damit verbundene Karrieren hat. Er beschäftigt sich hierbei zwar mit Fragen, die auch dieser Arbeit zugrunde liegen. Aufgrund der Annahme, dass (ehemals) heroinabhängige Musiker*innen zum einen nur schwer aufzufinden und zum anderen nicht bereit seien, über ihre Heroinsucht zu sprechen, verzichtet Spunt jedoch auf die Durchführung von Interviews. Genau hier liegt ein entscheidender methodischer Unterschied zum vorliegenden Forschungsprojekt: Vor dem Hintergrund der skizzierten Überlegungen nähere ich mich dem Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen und der damit einhergehenden thematisierten Fragestellungen eben nicht in Form von Sekundäranalysen, indem ich ausschließlich auf bereits erhobenes Interviewmaterial und Datenarchive zurückgreife. Vielmehr bilden die Grundlage meiner Studie Narrationen, die im direkten Gespräch mit den Betroffenen als Datenmaterial generiert wurden. Auch wenn ich Spunts methodischen Ansatz hierbei nicht aufgreife, beziehe ich mich dennoch auf seinen Vorschlag im Hinblick auf potenzielle Untersuchungsfelder: „The first would be an examination of the heroin-music connection in a city that, like New York, is center for both heroin and music but which is different enough as a city so that the heroin and music scenes are not simply mirror images of those in New York. Los Angeles would be a good first choice.“ (Ebd.: 179)
4
Siehe hierzu bspw. Jost (2004), Knauer (2005), Shapiro (1998) und Mezzrow & Wolfe (1946).
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In Anlehnung an Spunt habe ich Musiker*innen in Los Angeles ausfindig gemacht, die sich zwar alle in verschiedenen Lebenssituationen befanden, aber alle bereit waren, mir ihre Lebensgeschichte auf Basis biographisch-narrativer Interviews zu erzählen. Die Wahl des narrativen Interviews als Erhebungsinstrument liegt dabei insbesondere in seiner grundsätzlichen Offenheit begründet, welche den Gesprächspartner*innen ein Einlassen auf ihre Erinnerungen jenseits der gesellschaftlich und individuell konstituierten Kommunikationszwänge ermöglicht. Wie auch Loch (2002) beschreibt, können so Erzählprozesse angeregt werden, deren inhaltliche Darstellung näher am Erleben und damit einhergehend oft auch weiter entfernt von verinnerlichten gesellschaftlichen Gesprächserwartungen sind (vgl. ebd.: 234). „Das heißt, mit dem narrativen Interview werden Daten erhoben, die den Forschenden eine Unterscheidung zwischen der Erzähl- und Erlebensperspektive ermöglichen. Dies ist gerade dort für die Forschung relevant, wo Interviewausführungen eher verwirrend, (scheinbar) widersprüchlich oder/und bruchstückhaft sind. Solche Ausführungen finden sich in Interviews, in denen (unbearbeitete) Traumatisierungen angesprochen werden, sie sind aber auch in Gesprächen mit Suizidgefährdeten, (ehemaligen) Drogengebrauchern und Sterbenden zu beobachten.“ (Ebd.)
Mit der Wahl eines Ansatzes, der die Entwicklung der individuellen Biographie hin zur Drogenabhängigkeit zum Gegenstand der Analyse macht, greife ich eine Perspektive auf, die insbesondere in den Sozialwissenschaften zur Anwendung kommt und sich damit innerhalb interpretativer Sozialforschung verorten lässt. Die individuelle Biographie wird hierbei als Schnittstelle zwischen objektiver Erfahrung und subjektiver Verarbeitung angesehen (vgl. Berger et al. 1980: 10). Bei Berger et al. heißt es hierzu: „Individuelle Biographien repräsentieren [...] eine Abfolge subjektiv verarbeiteter Ereignisse und Erfahrungen. Die Miteinbeziehung der Dimension Zeit ermöglicht es, den prozeßhaften Charakter der Herausbildung von Persönlichkeitsstrukturen, Einstellungen und Handlungsmustern zu erfassen.“ (Ebd.)
Auf Grundlage dieser Feststellungen soll das Individuum innerhalb dieser Arbeit nicht nur in Beziehung zu seiner Sozialstruktur betrachtet, sondern dessen Werdegang in Verbindung mit dem Heroinkonsum im Gesamtzusammenhang der erlebten Lebensgeschichte als auch im Gesamtzusammenhang der gegenwärtigen biographischen Konstruktion interpretiert werden. Im Sinne soziologischer und fallrekonstruktiver Biographieforschung bedeutet das, so Rosenthal (2005: 50), „dass man sich bei biographischen Analysen auf die Rekonstruktion der Bedeutung von einzelnen Phänomenen sowohl in ihrem Entstehungs- als auch in ihrem Reproduktions- und Transformationszusammenhang konzentriert“. Das Interesse meiner Forschungsarbeit liegt im Folgenden nun nicht darin, eine allumfassende Theorie zur Suchtgenese und Selbstkonzeptbildung von Musiker*innen zu erstellen. Hingegen liegt der Schwerpunkt darauf, die Heroinsuchtentstehung am Beispiel von Einzelfällen ausgewählter Protagonist*innen populärer Musik zu rekonstruieren, sozial-psychologische wie musikspezifische Faktoren zu bestimmen, die in die Sucht führten, sowie diese mit den jeweiligen Selbstkonzepten
26 | Einleitung
der Musikerin bzw. des Musikers in Verbindung zu bringen. Eine solche Verbindung zwischen Suchtgenese und Selbstkonzepten hat in der Wissenschaft bislang noch nicht stattgefunden. Diese gilt es im Folgenden herzustellen und anhand der Rekonstruktion individueller Entwicklungsverläufe heroinabhängiger Musiker*innen auf Basis von biographisch-narrativen Interviews auf einen musikspezifischen Kontext zu übertragen. Es bleibt anzumerken, dass die Beschäftigung mit dem Thema Musik und Drogen eine – wie es Fachner (2007: 1) bezeichnet – „heikle Sache“ ist und die Forschenden vor (ethische) Herausforderungen stellt. Wer sich mit tabuisierten Thematiken auseinandersetzt, wird mit einem unvermeidlichen Problem und vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen konfrontiert: „Schnell kann bei Lesern, die Drogenkonsum kategorisch ablehnen, eine Aussage zu positiv klingen und der Autor sieht sich mit dem Vorwurf der Drogenverherrlichung konfrontiert. Anderen hingegen klingt dieselbe Aussage schon zu plakativ und nach ‚erhobenem Zeigefinger‘.“ (Ebd.)
Eine „auf dem gegenwärtigen Kenntnisstand fußende sachliche und abwägende Darstellung“ (ebd.) wird auch innerhalb dieses Forschungsprojektes als Leitlinie wissenschaftlichen Arbeitens angesehen. Ausdrücklich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ich mir meiner Verantwortung, die mit der Beschäftigung dieser Thematik einhergeht, bewusst bin – wie nicht zuletzt explizite Hinweise und (ethische) Betrachtungen innerhalb des vorliegenden Dissertationsprojektes verdeutlichen. Die Intention dieser Arbeit liegt darin, sich dem Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen anhand verschiedener disziplinärer Perspektiven und methodischer Zugänge zu nähern. Keinesfalls besteht jedoch die Absicht, den Gebrauch von Drogen – egal in welcher Form und in welchem Zusammenhang – zu verharmlosen oder gar zu verherrlichen.
Theorie
2.
Kulturhistorische Kontextualisierung
Mit dem Verweis auf die Arbeiten von Shapiro (1998) und Whiteley (1992) gibt Fachner (2007, 2008b) zu verstehen, dass „jeder populäre Musikstil Ausdruck eines Lebensstils und entsprechender Konsumvorlieben der die Musikstile prägenden Künstler(szenen)“ (ebd.: 598f.) sei: So ist dem Autor zufolge „die Vorliebe einer kulturellen ‚Szene‘ für bestimmte Drogen immer auch eine Mode, sich in bestimmte psycho-physiologische Zustände zu versetzen, um Alltägliches und Besonderes, Ereignisse und Stimmungen intensiver oder aus einer anderen Perspektive zu erfahren bzw. diese Zustände kreativ zu nutzen“.1 Er ordnet in diesem Zusammenhang verschiedene Drogen einer bestimmten Szene bzw. einem bestimmten Musikstil zu: Unter den Jazzmusiker*innen in den 1920er und 1930er Jahren war es Marihuana, in den 1940er und 1950er Jahren Heroin, wohingegen die Rock’n’Roller*innen der 1950er Jahre hauptsächlich zu verschiedenen „uppers“ und „downers“ wie Amphetaminen und Barbituraten tendierten; die Hippies der 1970er präferierten Psychedelika, die Punks der 1970er experimentierten mit chemischen Lösemitteln; das „fashionable set“ der 1980er Jahre konsumierte Euphorika wie Kokain und die 1990er Jahre verzeichneten einen Anstieg im Konsum von synthetischen Drogen wie MDMA unter den Partygänger*innen innerhalb der Dance Music (vgl. Fachner 2006: 88). Dass diese Zuordnung jedoch nur stark vereinfacht getroffen wurde und sich verschiedene Substanzen nicht ohne weiteres nur einer zeitlichen und kulturellen Epoche zuordnen lassen, zeigen die folgenden Ausführungen am Beispiel der Droge Heroin. Da eine Auseinandersetzung mit Heroin und Musik im Kontext sub-kultureller Szenen – wie eingangs bereits dargestellt – vornehmlich in journalistischen Kontexten stattfindet, gilt es, das Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen im Folgenden
1
Ergänzend in Anlehnung an Kemper (2001) wird davon ausgegangen, dass sich Musiker*innen in der Regel kulturellen Verbänden, sogenannten Szenen, zugehörig fühlen (vgl. ebd.: 26). Diese entwickeln sich Hess & Scheerer (1997: 124) zufolge durch häufigen Kontakt von Personen mit gleichen Interessen, Bedürfnissen und Vorlieben: „Sie sind der lebensweltliche Raum, der die soziale Abstützung der eigenen Weltansicht und Lebensweise bietet“. Neben ihrer „subkulturellen Eigenart“, die sich in Sprache, Kleidung, Habitus manifestiert, und einer geographischen Verankerung, charakterisiert sich die Szene durch „die Gelegenheit zur direkten oder indirekten Befriedigung eines spezifischen Bedürfnisses“ (ebd.).
30 | Theorie
in Bezug auf die Forschungsfragen (siehe Kapitel 1) aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten und kulturhistorisch einzuordnen.
2.1
FRÜHE MYTHENBILDUNG: JAZZ UND HEROIN
In den Vereinigten Staaten war Heroinsucht bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein verbreitetes gesellschaftliches Phänomen. Vor allem in New York wurde das euphorisierende Rauschmittel unter Jugendlichen konsumiert, ehe sich dessen Gebrauch in den 1920er Jahren auf weitere Teile der USA ausweitete. Courtwright (2001) sieht einen zentralen Faktor für die steigende Popularität von Heroin in einer zunehmenden Kokainknappheit. In Kraft tretende Drogenverbote machten Kokain selten und damit teuer, so dass viele Kokainkonsument*innen eine Alternative suchten und zum Heroin übergingen, das preiswerter war und zudem die physischen Entzugserscheinungen der bisher verwendeten Substanzen durch eine beruhigende und stimmungsaufhellende Wirkung aufhob (vgl. ebd.: 93f.). Nicht nur der Übergang vom Kokain zum Heroin, sondern auch der vom Heroin Schnupfen zum Injizieren vollzog sich in einem rasanten Tempo. Mit dieser Entwicklung einhergehend entstand der soziale Typus des ‚Junkies‘, „des durch Rauschgift Deklassierten“ (Briesen 2005: 121). Während im 19. Jahrhundert der vorherrschende Suchttypus eine Frau mittleren Alters und der mittleren Klasse oder Oberschicht war, bildete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Schicht von Süchtigen: „By 1940 the dominant addict type was a young, lower-class male; the drugs most commonly used by addicts were heroin and morphine; and the majority of cases were nonmedical in nature. The scope of this change can be described by the etymology of a single word, junkie. During the early 1920s a number of New York City addicts supported themselves by picking through industrial dumps for scraps of cooper, lead, zinc, and iron, which they collected in a wagon and then sold to a dealer. Junkie, in its original sense, literally meant junkman. The term was symbolically appropriate as well, since the locus of addiction had, within a single generation, shifted from the office and parlor to the desolate piles of urban debris.“ (Courtwright 2001: 110)
Blake (2007) sieht die hohe Nachfrage nach Rauschmitteln insbesondere als Folge der Re-Legalisierung von Alkohol ab 1933 und stellt dabei eine Verbindung zu einer offenbar prädestinierten Abnehmerschaft her: „The social experiment of Prohibition, in other words, let to the trade in other intoxicating drugs such as cannabis and heroin becoming not just illegal but crime-controlled. Jazz, as music to dance or listen to, was from the start an accompaniment of organized crime and its narratives, jazz musicians providing the entertainment at bordellos in New Orleans, speakeasies in Chicago, or the Cotton Club in Harlem where Duke Ellington’s ‚jungle music‘ sold blackness as seductively dangerous exotica to a whites-only audience.“ (Ebd.: 105)
Entsprechend Fachners Zuordnung (s.o.) gehörten in dieser Zeit vor allem Jazzmusiker*innen zum Konsument*innenkreis von rauschinduzierenden Drogen. „The association between jazz musicians and heroin is well known, almost a cliché, in popular
Kulturhistorische Kontextualisierung | 31
culture“, stellt auch Schneider (2008: 24) fest. Da ihre Auftrittsorte meist Bars oder Nachtclubs waren, in denen Alkohol und Marihuana leicht zu erwerben waren, gehörte die Auseinandersetzung mit Rausch und Süchtigen für viele Jazzmusiker*innen zum Berufsalltag (vgl. Bäumer 2014: 295). Drogen und Alkohol waren jedoch nicht nur Teil des sozialen Kontextes, in dem die Musiker*innen auftraten. Vor allem im Hinblick auf den musikalischen Schaffensprozess schien der Konsum von Heroin unausweichlich – so auch Saxophonist Charlie Rouse: „I used to always think that you had to get high because that was the era I came up in. You had to get high to play.“ (Zit. n. Gitler 1985: 281) Für viele Künstler*innen, die in der Nachkriegszeit am Übergang von der Big Band-Ära in den Bebop beteiligt waren, führte der Weg gleichermaßen in den Konsum von Heroin. Während Musiker*innen im Zeitalter des New Orleans Jazz hauptsächlich Alkohol konsumierten und der Konsum von Marihuana vornehmlich in Verbindung mit Swing stand (vgl. Jost 2004), wurde mit dem Aufkommen des Bebops schließlich Heroin zum meist favorisierten Betäubungsmittel: „For the first time in jazz history, heroin […] became popular among musicians. The effect of heroin is to make the user withdrawn, detached and ‚cool‘, which is also a description of much jazz of the post-World War II period.“ (Winick 1959-1960: 252) Spunt (2014: 60) ergänzt in diesem Zusammenhang, dass Bebop als eine Subkultur „with values and attitudes that supported and encouraged heroin use and that were a source of the bebopper identity” aufzufassen war. Die Bebopper-Identität wurde in erster Linie durch „das wohl bekannteste Drogenopfer des Jazz“ (Knauer 2005: 43) verkörpert: Charlie Bird Parker. Während es im 21. Jahrhundert Künstler*innen wie Pete Doherty oder Amy Winehouse waren, die durch ihren exzessiven Drogengebrauch Schlagzeilen machten, war es in den späten 1940er Jahren vor allem Parker, der nicht nur durch sein herausragendes Talent als Saxophonist, sondern auch durch seinen ausgeprägten Drogenkonsum auffiel: „Heroin use had become almost a rite of passage among young jazz musicians in 1948, and one reason was the example of Charlie Parker. The fact that Parker – whose genius had become a beacon to everyone in jazz – was a hard-core heroin addict reinforced the musicians’ urge to use the drug.“ (Spencer 2002: 141)
Was als Fan-Verehrung begonnen hatte, war Ende der 1940er Jahre zu einem regelrechten Kult geworden: Neben den revolutionären Auswirkungen, die Parker auf die Jazzmusik hatte (s. hierzu Knauer 2005), baute er noch ein weiteres Image auf, nämlich das des heroinabhängigen Jazzmusikers. Seine Fans taten es ihm vielfach nicht nur musikalisch nach, sondern imitierten auch Parkers Suchtverhalten. Junge Musiker*innen, die versuchten, erfolgreich zu werden und ihr Instrument wie ihr Vorbild zu beherrschen, sahen den besten Weg, Parkers vermeintliche musikalische Genialität zu erreichen, indem sie selbst zur Nadel griffen: „Wir waren bereit, alles zu tun, um uns an seinem Feuer aufwärmen zu dürfen und etwas von dem Talent abzukriegen, das durch seine Adern strömte“ (Pianist Hampton Hawes zit. n. Shapiro 1998: 102) – oder wie es der Saxophonist Frankie Socolow beschreibt: „There was a tremendous reason why a lot of guys became junkies. […] Bird was a big junkie, and to be like Bird you had to be a junkie. I mean everybody smoked pot, but when it came to
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hard shit, it didn’t really become popular, if that’s the right word to use, until Bird and his emulators.“ (Zit. n. Gitler 1985: 281)
Die Liste der Jazzmusiker*innen, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer musikalischen Laufbahn mit Heroin in Berührung geraten sind, ist lang: Louis Armstrong, Duke Ellington, Billie Holiday, Gene Krupa, Stan Getz, Chet Baker, Miles Davis, Thelonious Monk, Fats Navarro, Bud Powell, Red Rodney, Charles Mingues, John Coltrane etc. Obwohl die meisten Anhänger*innen durch den Konsum von Heroin zwar das Drogen-Image Parkers adaptieren konnten, erreichten sie ihr eigentliches Ziel jedoch nicht: „The only thing they couldn’t do was play like him.“ (Socolow zit. n. Gitler 1985: 281) Dennoch nahm die weit verbreitete „Parker hypothesis“ (Spunt 2014: 60) eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des Mythos ein, wonach Drogen einen entscheidenden Faktor bei kreativen Prozessen im Jazz ausmachten (vgl. Berliner 1994: 822). Dass es sich bei dieser Auffassung jedoch um eine Illusion handele und der Konsum von Heroin genau das Gegenteil bewirke und letztendlich den körperlichen und seelischen Verfall der Konsument*innen zur Folge habe, gab Parker zu Lebzeiten selbst zu verstehen: „Any musician who says he is playing better either on tea, the needle, or when he is juiced, is a plain, straight liar. When I get too much to drink, I can’t even finger well, let alone play decent ideas. And, in the days when I was on the stuff, I may have thought I was playing better, but listening to some of the records now, I know I wasn’t. Some of these smart kids who think you have to be completely knocked out to be a good hornman are just plain crazy. It isn’t true. I know, believe me. Because the time came when I don’t know what hit me – I was a victim of circumstances. High school kids don’t know any better. That way, you can miss the most important years of your life, the years of possible creation.“ (Parker zit. n. Shapiro/Hentoff 1955: 379)
Die Gründe des Erstkonsums sind nicht nur auf Parker und erwünschte Kreativprozesse zurückzuführen. Ebenso begannen viele Musiker*innen den Konsum, weil sie sich nach „Verbrüderung“ und „Zusammengehörigkeit“ (Spunt 2014: 61) sehnten. Spunt meint hiermit ein Verlangen, „to connect with, and get closer to, fellow musicians who were seen as being related to the subcultural identity of the musician-user“ (ebd.). Oftmals hatte der Konsum weniger mit der körperlichen Wirkung der Droge zu tun, sondern mit der sozialen Erfahrung der Einnahme (vgl. Shapiro 1998: 102). Auch Meadows (2003) gibt in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass vor allem der Gruppenzwang und ein damit verbundener Wunsch stark war, dem Verhalten von Freunden nachzueifern, „thereby forging a togetherness that transcended superficial relationships“ (ebd.: 79). In einigen Bands gab es so viele Abhängige, dass es ebenso als Druck empfunden wurde, als Nicht-Konsument*in nicht zur Gruppe dazu zu gehören. Winick (1960) fand in einer Studie sogar heraus, dass Drogen das Gruppengefühl bestärkten, wenn alle Mitglieder in der Band abhängig waren. Und je besser das Gruppengefühl war, desto besser konnte man miteinander spielen. Allerdings konnte auch genau das Gegenteil der Fall sein: Es gab auch Musiker*innen, die zu Heroin griffen, um sich von der Gruppe abzukapseln, weil sie alleine sein oder sich von der Gruppe abheben wollten (vgl. Winick 1961: 62). Auf Faktoren, die Musiker*innen zum Heroinkonsum veranlassten, geht Winick auch in
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seinem Artikel „How High the Moon: Jazz and Drugs“ (1961) ein. Der Autor ist hierin der Annahme, dass drogenabhängige Musiker*innen im Allgemeinen unangepasste Personen seien, die die Anforderungen der Realität als so schwierig empfänden, dass sie im Konsum von Heroin eine Möglichkeit sahen, unangenehme Entscheidungen zu verschieben oder Druck zu umgehen (vgl. ebd.: 53f.). Heroin bot ein Gefühl der Sicherheit und trug dazu bei, jegliche seelische wie körperliche Schmerzen zu unterdrücken. Unzufriedenheit und ein Bedürfnis nach Realitätsflucht, die insbesondere bei afroamerikanischen Musiker*innen durch Rassentrennung und damit verbundener sozialer Ausgrenzung verursacht wurden, sieht Jost (2004) als wesentliche Voraussetzung zur Entstehung von Heroinabhängigkeit unter Jazzmusiker*innen (vgl. ebd.: 129). Mit dem anfänglichen Konsum der Droge und dem durch ihre Wirkung erzielten Gefühl von Coolness und Lockerheit hatten Musiker*innen nicht nur das Gefühl, auch unter schlechten (Lebens-)Bedingungen ‚über den Dingen‘ stehen zu können, sondern sich auch vor einem vornehmlich ‚weißen‘ Publikum (musikalisch) beweisen zu können. Immer wieder gab es Konflikte zwischen den künstlerischen Darbietungen der Musiker*innen und der fehlenden Bereitschaft der Gesellschaft, angemessene Würdigung zu zeigen. „In Amerika ging es bis in die jüngste Zeit um den kulturellen Ausdruck einer unterdrückten Minderheit. [...] Schwarze Musik galt lange als exotisch und wurde als minderwertige Musik aus Afrika, später als fremde Volksmusik diffamiert“, heißt es bei Kurth (2005: 188) in diesem Zusammenhang. Der Autor ist der Auffassung, dass es Jazzmusik in allen Stadien der Entwicklung schwer gehabt habe, ihre Kunst als gesellschaftlich anerkanntes Kulturgut durchzusetzen (vgl. ebd. 181). Auch aus der Rebellion gegen diese bestehenden Verhältnisse lässt sich eine weitere Motivation zum Konsum von Heroin ableiten. Mit der Entwicklung des Bebops ging folglich nicht nur eine Form des Protests einher, mit dem sich Jazzmusiker*innen aus ihrer Außenseiter-Rolle befreien und vor der ‚weißen‘ Gesellschaft behaupten wollten. Vielmehr noch entwickelte sich aus einem musikalischen Umbruch ein regelrechter Lifestyle, der vor allem Anklang bei den Hipstern fand, einer Subkultur, die sich demonstrativ von den Normen der amerikanischen Mittelklasse abzusetzen versuchte. „Bebop more than other jazz encouraged the expression of an oppositional, hipster subculture. Dizzy Gillespie thought that for the generation that came of the age after World War II, bebop represented a rebellion against the rigidities of the old order, an outcry for chance in almost every field.“ (Schneider 2008: 28)
Wer dabei regelmäßig zur Nadel griff, galt als ‚cool‘ und ‚unnahbar‘ und schien mit jeder Situation fertig zu werden. ‚High-sein‘ wurde als eine ‚hippe Sache‘ aufgefasst, „something that enabled a person to be understood and accepted by the counterculture community of hipsters and musicians“ (Meadows 2003: 79). Auch Shapiro, der in seinem Buch „Droge und Musik im 20. Jahrhundert“ (1998) die Anfänge des Bebops skizziert, sieht eine enge Verbindung zwischen der Hipster-Bewegung und dem Aufblühen des Heroinkonsums von Jazzmusiker*innen: „Heroin war wie maßgefertigt, wenn man ein Gefühl der emotionalen Distanz – also den wichtigsten Lehrsatz der Hipster-Ideologie erreichen wollte. [...] Die Gefühle, die man dabei hat, sind weder Euphorie noch ein aktives High, sondern Coolness und Distanziertheit.“ (Ebd.: 95)
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Der Konsum von Heroin wurde zu einer Art Markenzeichen – oder wie es der Jazztrompeter Red Rodney bezeichnete: „[…] a badge of distinction, the trademark of a unique jazz generation. It was the thing that made us different from the rest of the world.“ (Zit. n. Schneider 2008: 24) Schneider führt hierzu ergänzend aus: „Bebop conveyed the excitement of being on the edge, at the very frontier of musical expression where listeners followed if they dared. Bob musicians shared jive talk, berets, and rumpled suits, and created a style that connected music, politics, and heroin. […] Heroin too was on the edge, part of a rejection of the square world.“ (Ebd.: 28)
Auch wenn es Protagonist*innen des Bebops zeitweise schafften, sich ein neues Gefühl von musikalischer Freiheit zu erschaffen, hatten sich die Bedingungen, unter denen gespielt wurde, kaum verändert. Arbeitsmöglichkeiten für ‚schwarze‘ Jazzmusiker*innen waren selten und schlecht bezahlt. Lange und anstrengende Sessions und meistens nachts – und damit die Zeitumkehr der Arbeits- und Schlafzeit, die Unsicherheit des Berufs und der Druck der Konkurrenz sowie die Frustration, unter derartigen Verhältnissen als kreativer Künstler bzw. kreative Künstlerin beschäftigt zu sein, sind hierbei als potenzielle Faktoren zu nennen, die das Bedürfnis nach Betäubungsmitteln verstärkten. Auch auf Tournee standen die Musiker*innen vor beruflichen und persönlichen Problemen, die eine große Belastung ausmachten. Einige von ihnen mussten sich mit profitorientierten Managern, Veranstaltern, Agenten und Plattenfirmen auseinandersetzen sowie einem Publikum gegenüberstehen, das oft feindselig und uninteressiert war. Dem Erwartungsdruck des Publikums und der Konkurrenz waren viele Musiker*innen nicht gewachsen. Oftmals wurde von den Jazzmusiker*innen verlangt, dass sie sich verausgabten und bloß nicht dasselbe wie am Vorabend spielten. Viele Musiker*innen spielten sich folglich in einen regelrechten Rausch, den sie durch den Konsum von Betäubungsmitteln zu verlängern versuchten. Andere wiederum schafften es nicht, nach den Auftritten ‚abzuschalten‘ oder waren oft so verkrampft, dass sie zu Heroin griffen, um sich zu entspannen (vgl. Winick 1961: 59). Egal mit welchen Problemen und Konflikten sich die Musiker*innen auseinandersetzen mussten, es lag nahe, dass eine Droge wie Heroin, die mit sofortiger Wirkung alle Probleme zu lösen schien, ein verlockendes Heilmittel bot: „Junk konnte einem eine Traumwelt vorgaukeln [...]. Junk schien einem durch diese schlechten Zeiten zu helfen.“ (Saxophonist Gerry Mulligan zit. n. Shapiro 1998: 96) Heroin verführte mit der einfach scheinenden Schlussfolgerung, sich anstatt mit mehreren Problemen zu befassen, vermeintlich nur noch ein Problem lösen zu müssen: die Beschaffung des nächsten Stoffes. Dass es sich bei dieser Auffassung jedoch um einen gefährlichen Trugschluss handelte, gibt auch Shapiro zu verstehen: „Es mochte stimmen, daß Heroin die anderen Probleme von einem fernhielt, aber es erzeugte mehr als nur ein Problem.“ (Ebd.) Die anfängliche Rauscherfahrung und die damit verbundene Glücksempfindung mündeten bei vielen Konsument*innen schnell in eine Abhängigkeit bis hin zum Abgleiten in die Drogenszene (vgl. Knauer 2005: 43). Bei denjenigen, die sich trotz zunehmender Abhängigkeit ihren Konsum weiterhin finanzieren konnten, diente der tägliche Heroinkonsum nicht mehr dazu, eine wie zuvor beschriebene Rauschwirkung zu erzeugen, sondern sie lediglich in einen physischen ‚Normalzustand‘ zu versetzen, wie ihn ein Nicht-Süchtiger empfindet:
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„Such musicians need drugs in order to enable them to get through the day, or the night, or the week. Their playing is but one reflection of their general functioning. Trumpeter X may take drugs, not to help him play the trumpet but to help him survive as Mr. X, which must precede his playing the trumpet.“ (Winick 1961: 61)
Mit dem Einbruch des Heroins in die Jazzszene nahm der Drogengebrauch von Musiker*innen bedrohliche Dimensionen an. Erst nachdem immer mehr Todesopfer zu verzeichnen waren und auch die Beschaffung der Droge mit zunehmenden Schwierigkeiten verbunden war, ging der Konsum von Heroin (vorerst) zurück. Dass die Auswirkungen des Heroinkonsums mittlerweile bekannt waren, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass auch weitere Generationen bzw. Vertreter*innen anschließender musikalischer Szenen Heroin als favorisierte Droge konsumierten und ihr Abhängigkeitspotenzial unterschätzten.
2.2
ZEITLICHER ANSCHLUSS: COUNTERCULTURE BIS GENERATION X
2.2.1 Psychedelic Rock „The 1960s was a decade of social revolution full of historical movements, new technology, and popular culture. It was also considered the Psychedelic Era because of the commonly initiated drug influence. Psychedelic tendencies altered the artwork, films, and music of this time period.“ (Richards 2013: o.A.)
Der Konsum von Drogen war in den 1960er Jahren besonders unter Musiker*innen beliebt und stand dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfahrung von Musik. Viele Künstler*innen experimentierten mit Drogen wie Cannabis, LSD und ‚Magic Mushrooms‘, um neue, kreative Zugänge zu ihrer Musik – sowohl im Proberaum als auch im Studio oder bei Liveauftritten – zu erhalten. Die Einnahme dieser psychoaktiven Substanzen trug nicht nur zu einer veränderten Musikwahrnehmung bei. Musikalische Erfahrungen selbst konnten zudem den Rausch intensivieren und den damit verbundenen Zutritt zu einer „symbolischen Welt“ (Willis 1976: 115) beeinflussen.2 Hierbei waren es jedoch nicht nur die Musiker selbst, die den Zustand der bewusstseinsverändernden Wahrnehmung innerhalb des musikalischen Prozesses zu erreichen versuchten. Auch viele ihrer Fans konsumierten während des Musikhörens psychedelische Drogen, um ihre Rauscherfahrung zu verstärken. Eine der einflussreichsten und kommerziell erfolgreichsten Bands dieses Jahrzehnts waren die Beatles, deren Musikkarriere eng mit Drogen verbunden war.
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Zum Einfluss von LSD auf Musik am Beispiel der Beatles ist die Arbeit von Böhm (1999) zu erwähnen. Er untersucht hierbei insbesondere Wirkungen der Droge auf den kompositorischen Prozess.
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„First, they were introduced to pills in 1961 to keep them awake through lengthy shows, but that was just the beginning. In 1964, Bob Dylan introduced The Beatles to cannabis which had a significant effect on their music, making it more mellow and contemplative. They also had the tendency of being high on set and during performances which caused them to forget their lines. Within the next few years, they converted their drug addiction to LSD which had a profound effect on their songwriting and recording.“ (Richards 2013: o.A.)
Drogen wie LSD, Cannabis, Kokain und Heroin hatten auch einen prägenden Einfluss auf den musikalischen Stil von The Grateful Death. Insbesondere die LiveKonzert-Erfahrung war hierbei durch den Konsum von Drogen beeinflusst – sowohl für die Band als auch für ihr Publikum. Eine weitere Band, deren Musik in dieser Zeit von Drogen beeinflusst war, war Pink Floyd. Besonders wurde das Ausmaß exzessiven Drogenkonsums an ihrem Bandmitglied Syd Barrett deutlich. Durch den Konsum von LSD entwickelte Barrett eine Schizophrenie, die ihn psychisch nicht nur krank machte, sondern letztendlich auch den Platz in der Band kostete.3 Während die 1960er Jahre neue Formen des Erlebens musikalischer Klänge und Effekte hervorbrachten, war diese Zeit jedoch vor allem von sozialen und kulturellen Veränderungen geprägt, die unter den Vorzeichen „antiwar, antiestablishment, prodrugs, non-competitive, and individualistic” (Young/Lang 1979: 5) standen. „Even before drugs became popular, young people had been changing and developing a sense of cohesion“, schreibt Weinstein (2015: 113) und bezieht sich damit insbesondere auf eine Gegenbewegung der Jugend. Innerhalb dieser Counterculture entstand eine Subkultur von Jugendlichen, die mit den Werten und Lebensweisen des Mainstreams nicht einverstanden waren und diese zu verändern versuchten. Das visuelle Bild der Jugend zusammen mit ihren Lebensgewohnheiten, Freizeitaktivitäten und grundsätzlichen Geisteshaltungen unterschied sich zunehmend von dem der Elterngeneration (s. hierzu auch Bennett 2001, 2004). Vor allem Musiker*innen und ihre Fans sowie andere Kreative waren Teil dieser Gegenkultur: „In this burgeoning romantic moment, the political and cultural conflict over the ‚generation gap‘ fused with the creative impetus of young artists to challenge established forms in order to create an oppositional discourse of ‚us versus them‘. From the young movement’s perspective, on the political front, the moral, passionate, youthful change-agents […] pitted themselves against immoral, unfeeling, and decadent establishment.“ (Weinstein 2015: 118)
Aus der Gegenbewegung heraus entwickelte sich auch die Subkultur der Hippies, in deren Kontext eine deutliche Drogenströmung zu verzeichnen war. Böllinger et al. (1995) gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Anhänger*innen der Hippie-Bewegung insbesondere von dem östlichen Prinzip, die persönlichen, materiellen Bedürfnisse auf ein Minimum zu reduzieren, um sich damit von Konsum- und Produktionszwängen zu befreien, fasziniert waren. Sie übernahmen hierbei jene Mittel, die zum Erreichen der Meditations-, Verinnerlichungs- und Entsagungszustände hilfreich erschienen: Drogen. Aus einem Zusammenspiel von Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen, der Adaption asiatischer und orientalischer Selbst-
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Siehe hierzu auch Böhm (1999), Richards (2013).
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verwirklichungsideen und dem Konsum von Drogen entwickelten sich den Autoren zufolge die Hippie-Parolen zu einer „Ideologie der Drogensubkultur“ (ebd.: 24). „[D]rugs were habitually used by the hippies“, behauptet auch Willis (1976: 106) im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der Rolle des Drogenkonsums in der HippieKultur. Willis zufolge lag die Bedeutung von Drogen innerhalb der Hippie-Kultur jedoch nicht nur in ihren direkten physischen Auswirkungen, sondern in der Art und Weise, wie sie das Überqueren einer „symbolischen Barriere“ gegenüber der „gradlinigen Gesellschaft“ erleichterten: „On the ‚straight‘ side of the barrier was the world of personal responsibility, grey colours, gaucheness and lack of style, on the other side was the world of freedom, lack of responsibility and stylishness – ‚the hip‘.“ (Ebd.: 107) Drogen fungierten folglich als Schlüssel zu dieser „Welt“, in der es weniger um die direkte physische Rauscherfahrung als um einen Weg der Selbsterfahrung ging: „The use and sense of drugs, then, was not bounded by the immediate action of taking drugs, or by the behavioural correlates of taking drugs. The real meaning of drug use was in the entry into a large symbolic world. Once into this world, the actual presence of drugs was not of immediate concern.“ (Ebd.: 112)
Der Konsum von Drogen wurde zur rituellen Verwendung und damit zum Symbol der Abgrenzung gegenüber der Gesellschaft, die sich dieser Kultur nicht anschloss – oder wie es Miller (2011: 1) formuliert: „Nothing else was so characteristic of the counterculture as dope. [...] The commitment to - as opposed to furtive use of - dope was the single largest symbol of the difference between counterculture and establishment culture.“ Der Autor geht hierbei insbesondere auf das kreative Potenzial der Droge ein, das ihr angeheftet wurde: „Writers, musicians, and graphic artists saw dope as inspiring, or even creating their art. Everyday hippies, as well as professional artists, subscribed to that point of view.“ (Ebd.: 18) Wenn Miller in diesem Zusammenhang von „dope“ spricht, so schließt er den Konsum von Heroin, mit dem das Image des süchtigen ‚Junkies‘ einherging, zwar nicht aus, vornehmlich bezieht er sich hierbei jedoch auf den Konsum von psychedelischen Drogen. Viele junge Menschen, die auf der Suche nach neuen (Rausch-)Erfahrungen waren, zog es vor allem nach Haight-Ashbury – ein Stadtteil in San Franciscos, der mit niedrigen Mieten und einem unkonventionellen Lebensstil zu einem der Zentren der Counterculture wurde. Besonders der Konsum von Drogen, der sich nicht zuletzt in musikalischen Strömungen etwa als Psychedelic- oder Acid-Rock kenntlich machte, war innerhalb dieser Hippie-Szene beliebt. „[T]he Haight-Ashbury district, was the scene for free food, free love, significant amounts of experimentation with marijuana and LSD, and great deal of innovative psychedelic rock music.“ (Perone 2005: xi) Der Konsum von LSD sollte die Hörerfahrung unterstützen. Doch auch ohne den Einsatz von Chemikalien konnte durch das Anhören psychedelischer Musik, die durch hohe Lautstärke, gezielte elektronische Verzerrung, den Einsatz von Synthesizern sowie ausgedehnte instrumentale Improvisationen oder ‚Jams‘ gekennzeichnet war, eine ähnliche Rauscherfahrung wie die eines halluzinogenen ‚Trips‘ hervorgerufen werden. Ihren Höhepunkt erreichte die psychedelische Ära 1969 mit dem Woodstock-Festival. „With Woodstock, the values championed by countercultural youth seemed to be realized and vindicated. The Woodstock moment became enshrined in myth as the high point
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of the Sixties.“ (Weinstein 2015: 144) Das Open-Air Festival wurde zu einem Symbol für die Ideale der Counterculture der 1960er Jahre. Bennett (2004: xix) gibt in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass selbst über 50 Jahre nach dem Ereignis, „Woodstock remains, in the popular imagination, the point at which the creative and political energies of the 1960s counter-cultural movement briefly united in a threeday spectacle of ‚peace, love and music‘“. Dem durch die Medien inszenierten Mythos, demzufolge Woodstock das Lebensgefühl einer Generation widerspiegelte, widerspricht der Journalist Posener (2009) vehement und schreibt den oft positiven Nachhall des Festivals dem Sieg der Vermarktung über die Realität zu. Dem Autor zufolge sei Woodstock ein „Desaster“ gewesen, das nicht zuletzt durch eine Drogenproblematik verursacht worden sei, die im Rahmen des Festivals besonders deutlich zum Vorschein gekommen sei: „Drogen [setzten] den Illusionen von Love & Peace zu. [...] Unter der halben Million, die diesen begnadeten, aber hoch labilen Musikern lauschten, waren sicher Tausende, vielleicht Zehntausende, die in den nächsten Jahren an Heroin, Opium, Meskalin, Kokain, gepanschtem LSD und fragwürdigen Pilzen obskurer Provenienz zugrunde gingen; und noch viel mehr, deren Leben durch diese Substanzen ruiniert wurden.“ (Ebd.)
Auch wenn der Konsum von Drogen das Erleben von ‚Frieden, Liebe und Musik‘ intensivieren sollte, symbolisierte er vor allem auch eine tragische und ernüchternde Seite des Festivals: Zwei Menschen starben in Woodstock – ein Teenager, der in seinem Schlafsack von einem Traktor überrollt wurde; ein anderer, der eine Überdosis Heroin erlitt. Obwohl die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums in der Berichterstattung zum Festival nur wenig Aufmerksamkeit erhielten, hatte er sich in dieser Zeit geradezu zu einem Teil einer Ästhetik entwickelt, die sich sowohl stilistisch auf die Musik vieler Bands auswirkte als auch diverse Songtexte prägte. „Given the injunction to be authentic and the advice to write what they knew, there was a batch of songs written on and about a host of drugs. Some were written about the authors’ own experiences“, schreibt Weinstein (2015: 137). Die Autorin nennt hierbei populäre Songs dieser Zeit wie Amboy Dukes „Journey to the Center of the Mind“ (1968), Black Sabbaths „Sweet Leaf“ (1971), and Brewer and Shipeleys „One Toke Over the Line“ (1971). Auch wenn sich diese Auswahl ausschließlich auf Songs beschränkt, die sich auf die Droge LSD beziehen, lässt sich in dieser Zeit auch eine Vielzahl von Liedern auffinden, die den Konsum von Heroin und dessen (negative) Folgen thematisieren – z.B. Steppenwolfs „The Pusher“ (1968), „Whipping Post“ (1969) von The Allman Brothers Band, „Sister Morphine“ (1971) von The Rolling Stones und Neil Youngs „Needle and the Damage Done“ (1972). Der Umgang mit der Drogenthematik änderte sich drastisch, als die NixonRegierung ab 1969 begann, Rock-Songs für den Drogenkonsum der amerikanischen Jugend verantwortlich zu machen.4 Angeführt wurde der „War on Drugs“ von dem
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Der Konsum illegaler Substanzen stieg seit den frühen 1960er Jahren vor allem unter den amerikanischen Student*innen erheblich an. Während sich zunächst hauptsächlich graduierte Studierende für psychoaktive Substanzen interessierten, wurde die Zielgruppe bis zum
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damaligen Vizepräsidenten Spiro Agnew. Er versammelte Staatsgouverneure und ließ sie Lieder anhören, während er ihnen die dazugehörigen Texte präsentierte. Da Songtexte der „Constitution’s First Amendment free-speech clause“ unterlagen, konnte die Regierung diese Songs nicht grundsätzlich verbieten. Es fand sich dennoch eine Möglichkeit diese Klausel zu umgehen. „Radio was the main means of disseminating these songs and the radio stations’ broadcasting licenses were controlled by the Federal Communications Commission. The FCC’s chairman threatened radio stations with the loss of their licenses if they continued to play songs about drugs.“ (Weinstein 2015: 138)
Im Zuge des systematischen Versuchs der US-Regierung, in der Öffentlichkeit eine „Drogen-Hysterie“ (Shapiro 1998: 239) zu erzeugen, schien eine in dieser Zeit einsetzende Flut an Todesfällen berühmter Rockmusiker*innen äußerst gelegen – unter ihnen die damaligen ‚Superstars‘ Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison. Alle drei waren zum Zeitpunkt ihres Todes 27 Jahre alt und auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren. Sie wurden nicht nur als bedeutende Rockmusiker*innen gefeiert, sondern geradezu als Rockstars verehrt, zu deren Image vor allem auch der Konsum von Drogen gehörte. Obwohl sich unmittelbar nur der Tod von Janis Joplin auf eine Überdosis zurückführen lässt, werden auch die anderen beiden Tode als drogenbezogen verstanden. Auffällig hierbei ist erneut: alle drei waren Heroinkonsument*innen. Dass der Konsum von Heroin mit einer Karriere einhergehen, sie sogar bedingen kann und nicht zuletzt auch ein damit verbundener Tod von Musiker*innen ihr oftmals posthum einen Höhepunkt verleiht, ist ein Phänomen, das sich innerhalb der Musikgeschichte immer wieder verzeichnen lässt – wie auch die folgenden Darstellungen verdeutlichen. 2.2.2 Alternative Rock „Looking back at 1991 [...] it would have seemed that a revolution had taken place. But at that time, everything was up for grabs, especially in politics and rock, and nothing was clear.“ (Weinstein 2015: 243)
Wie auch immer diese Revolution zu charakterisieren war, die Etablierung von Lollapalooza schien ein bedeutender Teil – nicht nur auf musikalischer Ebene – von ihr zu sein: „[The] cultural festival for the newly-formed 1990’s counterculture […] helped promote underground bands to reach the commercial mainstream, granting them immediate exposure to the masses.“ (Furek: 1994: 24) Perry Farrell initiierte das Wanderfestival zum ersten Mal im Sommer 1991. Er war zu dieser Zeit nicht nur Organisator des Festivals, sondern auch Frontmann der in Los Angeles gegründeten Band Jane’s Addiction, deren Musik als eine der ersten unter dem Etikett ‚Alternative‘ vermarktet wurde und die für das Festival als Headliner angekündigt war. Gene-
Ende des Jahrzehnts stetig jünger: In den späten 1960er Jahren hatte die „Drogenwelle“ bereits nicht-graduierte Studierende, Schüler*innen in den High Schools und vereinzelt sogar Schüler*innen in den Grundschulen erfasst (vgl. Briesen 2005: 262).
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rell zeigte das Line-Up wie zersplittert damalige Rockmusik geworden war: Auf der Bühne waren Nine Inch Nails (Industrial Rock), Siouxsie and the Banshees (Goth Rock), Body Count (Rap Metal), Fishbone (Funk Rock) und die Rollins Band (Hardcore Punk) (vgl. Weinstein 2015: 245f.). Hilburn (1991) merkte hierzu in der Los Angeles Times an: „In some ways, the whole affair [...] is an answer to all those young fans who had adopted as their personal rock prayer ‚Bring Back the 60’s‘.“ Farrell selbst bezeichnete das Publikum des Festivals als die „Alternative Nation“ (vgl. Weinstein 2015: 246) und stellte damit eine offensichtliche Verbindung zum Begriff der Woodstock Nation her, welcher insbesondere im Zusammenhang mit der Counterculture der 1960er Jahre verwendet wurde. Hieran angelehnt gab Reynolds (1991) seiner Rezension zum Festival, die 1991 in der New York Times erschien, den Titel „A Woodstock for the Lost Generation“. Er spielt hierbei auf eine Generation an, die sich nicht nur als „stilistische Gegenbewegung zum sogenannten Establishment“ (Jacke 1996: 41) charakterisieren lässt. Es waren die frühen 1990er Jahre, in denen auch der Konsum von Heroin in den Fokus (medialer Inszenierung) rückte und sich eine Jugendbewegung, die durch den Konsum rauschinduzierender Drogen gekennzeichnet war, herausbildete. Die Massenmedien gaben dieser Kohorte den Namen Generation X – eine Bezeichnung, die auf den Titel des Romans von Douglas Coupland „Generation X: Tales for an Accelerated Culture“ (1991) zurückzuführen ist. Das X steht hierbei für eine unbekannte Variable und somit als Symbol für eine Gruppe, „that could be, or is apt to be, discarded by society“ (Furek 1994: 7). Die Kultur der Generation X hatte einige Ähnlichkeiten mit der zwei Jahrzehnte früheren Bewegung: ihre Eltern waren die Jugend der 1960er Jahre. Mitglieder beider Gruppen stammten überwiegend aus der oberen Mittelschicht, teilten liberale Ansichten (z.B. die Gleichberechtigung von Farbigen, Frauen und Homosexuellen) und vertraten eine anti-kommerzielle Haltung. Hansen (1995: 72f.) zufolge war diese Generation, die sich vor allem aus einer lokalen Szene in Seattle heraus entwickelte, durch Orientierungslosigkeit und Desillusion der Jugend geprägt, „hervorgerufen durch die soziale Kälte und Ellenbogenmentalität der Reagan-Ära, die Wirtschaftskrise der ausgehenden Achtzigerjahre und als Folge daraus die in der Unterschicht der USA zunehmende Arbeitslosigkeit und Verarmung“. „There’s a feeling of burnout in the culture at large. Kids are depressed about the future“, behauptet auch Reynolds 1992 in einem Interview (zit. n. Marin 1992). Das Gefühl von Hoffnungs- und Zukunftslosigkeit der heranwachsenden Generation korrelierte dabei vor allem mit dem Lebensstil ihrer Elterngeneration, welcher meist von Wohlstand und konservativen Werten bestimmt war: „Seattle ist eine moderne Stadt, die in der Hauptsache von gut verdienenden Leuten bewohnt wird. Sie tauschen ihre Business-Anzüge nach der Arbeit mit blauen Eddie BauerFreizeitjacken, steigen in ihre Volvos und fahren zum Wandern oder Schifahren in die Berge. In einer solchen Atmosphäre fast schon übertriebener Nettigkeit war es beinahe unausweichlich, daß sich eine Gegenbewegung gegen dieses offen zur Schau getragene Yuppietum bildete.“ (Peterson/Azerrad 1995)
Peterson & Azerrad (ebd.) sehen die Grundstimmung dieser Generation vornehmlich in Verbindung mit der damals vorherrschenden Mentalität innerhalb der Region: „Diese Mentalität ist im Grunde sehr passiv-aggressiv. Man sagt einander nicht gerne
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Sachen ins Gesicht, alles geht immer über Umwege, oder man muß es sich überhaupt aus der Luft holen. Die Musik wurde in dieser Atmosphäre zu einem Ventil.“ Obwohl die Gen X‘ers nur ein Fragment ihrer Altersgruppe waren, wurden sie – insbesondere ihre musikalischen Vertreter*innen – zu Repräsentant*innen einer gesamten Generation. Weinstein (2015: 248) führt hierzu aus: „Gen Xers were seen through the lens of the music they embraced. The more media attention was given to both this audience and its music, the more other youth abandoned ‚uncool‘ bands, refashioned their wardrobes, and joined in. After all, feeling like an outsider, even if you were surrounded by friends and had an intact, supportive family, wasn’t difficult for any adolescent. Gen X’ers shambolic appearance (torn jeans, flannel shirts, tattoos, bed-head hair) soon became fashionable. The look was featured in the fashion sections of magazines. Pre-torn jeans could be purchased at higher prices than undamaged ones, at mass market sources.“
Unter dem Etikett Grunge (engl.: Dreck, Schmutz) bildete sich ein Musikstil heraus, der das Lebensgefühl dieser Generation wiedergab, welches Jacke (1996: 41) als einen Ausdruck von „Frustration gepaart mit Resignation und Sinnlosigkeit“ charakterisiert.5 Grunge entwickelte sich zunächst aus einer lokalen Subkultur, aus einem Kreis miteinander befreundeter Bands, die sich gegenseitig inspirierten und einen gemeinsamen Sound entwickelten, der, stilistisch auf Punk und Hardcore aufbauend, sich durch einen dichten Gitarrensound auszeichnete (Büsser 2004: 180). Es waren Bands wie Green River, Soundgarden, The Melvins, TAD, Mudhoney, Skin Yard, Big Chief, Alice in Chains oder Pearl Jam, deren Musik zu dieser Zeit scheinbar „mitten ins Herz der Jugend Amerikas und der ganzen Welt“ (Peterson/Azerrad 1995) traf. Größte Popularität und kommerziellen Erfolg erhielt jedoch die Band Nirvana – insbesondere infolge ihrer Grunge-Hymne „Smells like Teen Spirit“ und aufgrund ihres Frontmannes Kurt Cobain.6 Cobain war nicht nur Sänger, Gitarrist und Songschreiber, vielmehr noch wurde er als „Inbegriff der Generation“ (Weinstein 2015: 248) angesehen. „Die Gruppe aus Seattle sprengt das Schubladensystem, das in den achtziger Jahren zu immer mehr Spezialisierungen und Verästelungen im musikalischen Underground führte“, schrieb Der Spiegel im Jahr 1992 – ein Jahr nach Veröffentlichung ihres Erfolgsalbums „Nevermind“, das sich weltweit millionenfach verkaufte. An weiterer Stelle heißt es: „Nirvana beenden diesen esoterischen Grabenkrieg. Sie lassen die Energie von Punk auf die Härte von Heavy Metal prallen und verbinden beides mit Pop-Melodien. Aus dieser Mischung erfinden sie eine Art neuer Rockmusik, die in sich geschlossen wirkt - laut und unschuldig, resigniert und wütend, verletzlich und eigenständig.“ (Ebd.: 192)
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Neben der Arbeit von Pecora & Mazzarella (1995) zum Phänomen Grunge und dessen Historie ist auch die Dissertation „Grunge: Music and Memory“ von Strong (2011) zu nennen, in der die Autorin einer Verbindung von Erinnerung, Macht und Populärkultur am Beispiel von Grunge nachgeht. Siehe hierzu auch die von Mazzarella und Muto 1995 herausgegebene Sonderausgabe von Popular Music and Society „Ripped Jeans and Faded Flannel: Grunge, Youth and Communities of Alienation“ u.a. mit Texten von Mazzarella, Pecora & Mazzarella und Shevory.
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Es waren insbesondere die „depressiv [...] selbstzerstörerischen“ (Nolteernsting 1997: 287) und von Selbstmitleid geprägten Songtexte Cobains, die nicht nur charakteristisch für die Band, sondern auch für das Lebensgefühl der Generation X waren. Interessant ist hierbei, dass Cobain selbst seinen Texten offenbar nur wenig Bedeutung beigemessen hat, wie er in einem Interview zu verstehen gab: „When I write a song the lyrics are the least important subject. I can go through two or three different subjects in a song and the title can mean absolutely nothing at all.“ (Zit. n. Robb 1989) Spätestens mit dem Erfolg von „Nevermind“ und der Ausstrahlung ihrer Musikvideos auf MTV bediente die Band einen Massenmarkt und verschaffte der Grunge-Bewegung ihren Höhepunkt. Dies hatte jedoch zur Folge, dass ihre Gesten nicht mehr als Ausdruck einer subkulturellen Haltung erkannt wurden, sondern „inmitten der bunten MTV-Wüste zu einem Style unter vielen“ (Büsser 2013: 183) verkamen. Während der Grunge-Trend Jacke (1996) zufolge aufgrund „der vielfältigen Verbreitung und ständig besseren Erreichbarkeit in Form einer totalen Vermarktung durch die Musikindustrie, andere Industriezweige und nicht zuletzt die permanente Thematisierung in den Medien“ (ebd.: 43) an Exklusivität verlor, schien ein wesentlicher Trend jedoch erhalten geblieben zu sein: der Konsum von Heroin. Die Entertainment Weekly sprach 1992 von einer regelrechten „Opiat Invasion“ (zit. n. Borzillo 2000: 117). Zu Beginn der 1990er Jahre war Heroinkonsum vor allem unter GrungeKünstler*innen besonders verbreitet und wurde geradezu zum Klischee. Auch dieses Verhalten ist nicht zuletzt auf das durch Cobain verkörperte Image des Junkies zurückzuführen. „Allen Bands dieses Feldes voran stand NIRVANA [...] für eine ReAuthentifizierung des Musikstars. Endlich gab es in einer Band Charaktere, die vorgaben, mitten aus dem Leben zu kommen und Probleme wie jedermann zu haben“, heißt es bei Jacke (1998: 12). Dass Cobains wohl größtes Problem offenbar der Konsum von Heroin war, wird jedoch nicht thematisiert. Fraglich ist hierbei, ob Cobain gerade für ein Problem stand, das bereits existent war, oder ob sein Konsum genau dieses Problem innerhalb der Generation X auslöste. Der sogenannte „Gen-XJunkie“ (Pierce 1999) stellte sich Hamid et al. (1997: 381) zufolge jedenfalls als „white, twenties or thirties, from relatively affluent backgrounds, and often linked to the contemporary music or art scenes“ dar. Furek (2008: 1f.) geht davon aus, dass der Konsum von Drogen innerhalb dieser Generation bereits vor dem Erfolg von Nirvana einen zentralen Faktor darstellte, der nicht zuletzt auch aus der Tradition der Woodstock Generation resultierte: „For members of Generation X, born between 1965 and 1978, the philosophy of their parents was a celebration of sorts. Memories of a Utopian Woodstock Nation reflected a culture they had grown to embrace: the music, psychedelic artwork, tie-dyed clothing and bell bottoms – all part of the peace and love passed down from idealistic Baby Boomers to their Generation X children. And part of that rite of passage was the expected experimentation with illegal recreation drugs. The trend, beginning with marijuana, was expected to end there, but for some continued on to hallucinogens like LSD and mescaline before embracing harder substances such as cocaine, methamphetamine and finally King Heroin.“ (Ebd.)
„King Heroin“ regierte Furek zufolge insbesondere im Nordwesten der USA. Auch Furek sieht den Anstieg des Heroinkonsums in dieser Region in einer „pessimistic and excessive music culture“ (ebd.: 2) begründet, die den Konsum von Heroin als
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Freizeitdroge akzeptierte. Obwohl – oder gerade weil – der Konsum von Heroin zunächst vorwiegend mit Abhängigkeit und der Gefahr einer Überdosierung verbunden war, wurde dem Heroingebrauch geradezu der Charakter einer „dunklen Prophezeiung“ (ebd.) angeheftet: „Heroin use begat the dark prophecy embraced by many in the ranks of Generation X, [...] individuals who experienced heroin’s sweet euphoric numbness and shared in the bizarre perception that dope held more meaning in life, more truth than hypocrisy.“ (Ebd.) Die Wirkung der Droge schien ebenso Cobains Ängste und Selbstzweifel zu betäuben. Mit dem Höhepunkt seiner musikalischen Karriere ging auch der seiner Heroinkarriere einher. Ob es die Liebe zu Courtney Love war, die ihn angeblich zum ersten Mal an Heroin heranführte, oder ob er schon vorher Drogen genommen hatte, ist unklar. Seinem Biographen True (2008) zufolge, habe es vor allem drei Gründe für Cobains Konsum gegeben: Er war illegal, er konnte einen euphorischen Rausch hervorrufen und er wurde von anderen von ihm glorifizierten Rockstars wie Iggy Pop praktiziert. Unzählige Journalist*innen begannen über Cobains Heroinsucht zu diskutieren – viele mit der Auffassung, dass er die Drogen in erster Linie konsumierte, weil er mit seinem Ruhm nicht umgehen konnte und das Gefühl hatte, dass die Presse zu invasiv war und ihm nicht erlaubte, ein Privatleben zu führen (vgl. Weinstein 2015: 251). Cobain wurde schließlich nicht nur auf musikalischer Ebene zum „Sprachrohr einer Generation“ (Büsser 2004: 182). Durch seinen exzessiven Drogenkonsum wurde er ebenso zum Sinnbild der „verlorenen Kids“ (Bettermann 1994: 164) und verschaffte dem Heroin das Image der „drug of choice for angry, disconnected grunge rockers“ (Furek 2008: 1). Büsser (2013) stellt sich hierbei die Frage, ob Cobains Drogenkonsum die Medien erst dazu brachte, ihn als tragisch selbstzerstörerische Figur zu vermarkten, oder ob die Drogen eine Folge der permanent auf ihn gerichteten Kameras waren. Fest steht für den Autor jedoch, dass mit Cobain erstmals ein Anti-Rockstar zum Rockstar wurde – „das Ergebnis eines perfiden Schachzugs, gerade die Medienverweigerung der Band als Medienereignis auszuschlachten“ (ebd.: 183). Mit zunehmendem kommerziellen Erfolg der Band entwickelte sich Cobain (ungewollt) vom Anti-Star, der sich gegen die Medien und die Rock-Massenkultur der 1980er Jahre auflehnte, zum Anti-Star-Star einer zunächst subkulturellen Bewegung, die ihm und seiner Band jedoch zum Welterfolg verhalf.7 Furek (2008: 13) geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Heroinkonsum Cobains prägenden Einfluss auf den Umgang mit Drogen von Anhänger*innen seiner, aber auch darauffolgender Generationen gehabt habe. Giles & Miller (1994) behaupten: „Cobain spoke to a great many twentysomethings, but to believe that he truly represented Generation X you must believe that Generation X is a heroin addict with a death wish.“ Dass dieser Glaube in der Realität tatsächlich Bestand hatte, zeigten die unzähligen Todesfälle, die vor allem in Künstler*innenkreisen durch den Konsum von Heroin verursacht wurden. „There is a timeline of musicians associated with the grunge movement to fall at the hands of substance abuse“, schreibt hierzu der Journalist Caston (2012). Im Zusammenhang mit den Todesumständen des ehemaligen Alice in Chains Bassisten Mike Starr betitelt er insbesondere die Droge Heroin als „the drug of choice throughout this brief but bright scene“ (ebd.). Welches Ausmaß der Konsum von Heroin in dieser Zeit an-
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Zu den Begriffskonstruktionen Star, Anti-Star und Anti-Star-Star siehe Jacke (1996, 1998).
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genommen hatte, beschreibt Mary Truscott, ehemalige Advertising-Managerin von American Music, in einem Interview mit der Seattle Times im Jahr 1994: „[Heroin use] exists at all levels of the music business. It exists in the clubs. It exists on all levels from the most desperate, hardscrabble, trying-to-be-rock-star band on up to the successful bands. […] Coke (cocaine) has fallen so out of favor. Heroin is more of a loser drug, like it fits in more with the grunge thing. Coke was the drug of the ‘80s, and everyone was all charged up. Heroin is the antithesis to that.“ (Truscott zit. n. Ho/Keene/Murakami/Whitely 1994)
Auf Seiten der Fans bedeutete dies vor allem eines – wie bereits am Beispiel von Parker festgestellt, man wollte es seinen Vorbildern gleichtun – sowohl musikalisch als auch in ihrem Suchtverhalten, wie ein Zeitzeuge behauptet: „Mike Starr and Layne Staley, Kurt Cobain, Lou Reed and Jerry Garcia, Bradley Nowell and Shannon Hoon, these were my idols, all heroin addicts.“8 Der heroinabhängige Musiker lebte in den 1990er Jahren mit Alice in Chains Bassist Mike Starr vor dessen Tod für einige Monate zusammen und beschreibt die damaligen Lebensumstände wie folgt: „Growing up in Seattle was full of temptation. Drugs were everywhere. I believe musicians are prone to addiction because of wealth and boredom […]. I left home at 16 and got my high school diploma through the local community college while crashing on friend’s couches for a year. Then I started travelling, was introduced to meth, came home to the city and slept in front of Macy’s downtown or in the park in the U-district. I squatted abandoned and empty buildings for a couple years. I was severely strung out. I tried to quit speed every day for 3 years, to no avail… Then I found heroin and never looked back. Heroin was the cure for being a tweaker, but of course it made me a heroin addict. For a while I lived in a crackhouse owned by a slumlord named Muffin. She didn’t even know my name. When I paid my rent she would sign my receipt ‚Mohawk‘. I was an old school punk. That’s where my habit got out of control. I had already sold my guitars for speed, so I started selling myself for heroin and forgot about music. Then Mike Star moved into the room across the kitchen from me. Stacks of bass guitars, gold records on the walls, a dirty mat on the floor, and spoons and rigs everywhere. It was sad to see my hero fallen so far, but I was starstruck and spent a lot of time with him. I used to drive him to the methadone clinic every day, then get high with him every night and jam.“
Während Cobain sich 1994 – mutmaßlich unter dem Einfluss von Heroin – erschoss, starb Starr im Frühjahr 2011 nach langjähriger Drogensucht an einer tödlichen Überdosis. Er trat damit in die Fußstapfen seines ehemaligen Bandkollegen Layne Staley (Frontmann, Alice in Chains), der bereits neun Jahre zuvor an einem Drogencocktail aus Heroin und Kokain (sog. ‚Speedballs‘) nach jahrzehntelanger Betäubungsmittelabhängigkeit verstorben war. Bei Furek (2008: 92) heißt es hierzu resümierend: „The 1990’s, for some a decade of despondency, isolation and hopelessness, begat a trend towards heroin use quietly embraced by Generation X grunge rockers. The drug had evolved from a cultural phenomena, a party drug that could be smoked or snorted, to that of a savage
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Dieses sowie das folgende Zitat gehen aus einem Gespräch hervor, dass ich 2015 mit einem User eines Drogen-Forums (drugs-forum.com) geführt habe.
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wrecking machine. Heroin became a majority problem in the Pacific Northwest as it claimed the lives of Generation X musicians in ‚epidemic‘ proportions.“
Mit dem Tod Cobains ging auch das Ende der Grunge-Ära einher. Auch wenn Bands der Seattle-Szene wie Soundgarden oder Pearl Jam weiterhin erfolgreich Musik mach(t)en, nahm die mediale Aufmerksamkeit um die Generation X fortan ab. Mit der Absage des Auftrittes von Nirvana bei Lollapalooza, bei dem sie als Headliner auf der Bühne stehen sollten, kurz vor Cobains Tod, wurde auch das vorzeitige Ende der Festivalreihe eingeleitet. Farrell zog sich in dieser Zeit bereits aus der Organisation zurück, weil er der Auffassung war, dass durch Headliner-Bands wie Nirvana – oder in den späteren Jahren Metallica – dem ursprünglichen Festivalgedanken, Bands zu fördern, die nicht dem Mainstream angehörten, widersprochen wurde. Mit dem Übergang von Anti-Stars zu Anti-Star-Stars (vgl. Jacke 1996: 13-22), wie am Beispiel Nirvanas verdeutlicht, und damit einhergehend dem Übergang von dem aus einer Subkultur entstandenen Grunge-Sound in den Mainstream, verlor auch Heroin als Symbol einer Anti-Gesellschaft an Bedeutung. Auch wenn der Konsum der Droge nach wie vor illegal war und nicht den Normen der Gesellschaft, der die Generation X entgegenstand, entsprach, wurde Heroin vor allem unter Musiker*innen immer populärer und in diesen Kreisen zur Mainstream-Droge. Während der Typus des drogenabhängigen Rockmusikers zwar für Außenstehende nach wie vor Teil einer Subkultur blieb, etablierte sich der Drogenkonsum innerhalb dieser Kultur und unter ihren Anhänger*innen als Teil von dieser. Wer ihr angehören wollte, glaubte, konsumieren zu müssen. Der Konsum von Heroin wurde jedoch nicht nur in Seattle und im Zusammenhang mit Grunge zum Teil eines Lebensstils. Im weiter südlich gelegenen Großraum Los Angeles war eine derartige Subkultur konsumierender Musiker*innen noch wesentlich ausgeprägter. Ein Ort, der nicht nur als ‚Sprungbrett' in die Musikindustrie, als der ‚place to be‘ galt, um als Musiker*in ‚groß rauszukommen‘: Los Angeles schien vor allem als Nährboden verschiedenster Süchte geradezu prädestiniert zu sein.
2.3
LOKALE FOKUSSIERUNG: LOS ANGELES
„Los Angeles erscheint oft weniger als ein konkreter, geographisch bestimmbarer Ort im Süden Kaliforniens als vielmehr ein populär-kultureller Mythos, der sich aus unendlich vielen Büchern, Filmen und Musikstücken speist.“ (Elflein 2007: 126)9
Los Angeles10 gilt als die Hauptstadt der Film- und Fernsehproduktion, aber auch für die Musikindustrie nimmt sie eine zentrale Rolle ein. Seit den 1960er Jahren war Los
9 Ergänzend hierzu siehe auch Hoskyns (2009). 10 Die Bezeichnung Los Angeles bezieht sich im Folgenden auf die Hauptstadt des USBundesstaates Kalifornien, schließt aber auch Regionen wie Santa Monica oder Pasadena mit ein, die streng genommen nicht zur Hauptstadt, sondern zum Los Angeles County gehören.
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Angeles neben New York, Nashville und Memphis eines der aktivsten Zentren der Plattenproduktion in den USA. „Da Los Angeles nun einmal in dem Ruf steht, daß große Karrieren hier beginnen, warten die Anwärter auf eine solche dichtgedrängt vor den Türen der Plattenfirmen. Und wer lange genug gewartet hat, dem wird am Ende jedes Mittel recht, das zum ersehnten Ziel, einem Plattenvertrag, führt. Die allgemeine Lockerheit, der ungezwungene Umgang mit Alkohol, Sex und Drogen eröffnen da gewissen Möglichkeiten.“ (Wicke 1991: 157)
Bereits in den 1960er Jahren kamen Musiker*innen aus dem ganzen Land – und über dessen Grenzen hinaus – nach Los Angeles, gründeten neue Bands und etablierten einen Lifestyle, der insbesondere einen freien Umgang mit Sex und Drogen propagierte. Es war zunächst jedoch nicht die Musikindustrie in Los Angeles, die viele Künstler*innen in die Stadt zog. Vielmehr waren es die zukünftigen Stars der HippieBewegung, die sich auf den Weg an die Westküste machten und Los Angeles überhaupt erst zur Musikmetropole verwandelten. Noch bevor der Summer of Love insbesondere in San Francisco seine Berühmtheit 1967 erlangte, fand die HippieBewegung ihren musikalischen Ursprung in Los Angeles – genauer gesagt in einer kleinen Nachbarschaft in den Hollywood Hills, dem sogenannten Laurel Canyon. Von Mitte der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre fanden hier einige der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Vertreter*innen amerikanischer Popmusik ihr Zuhause – darunter Joni Mitchell, Frank Zappa, Neil Young, David Crosby, Stephen Still, Graham Nash, Chris Hillmann, Roger McGuinn, JD Souther, Judee Sill, Carole King und Richie Furay. Aber auch in den späteren Jahren zogen Künstler*innen wie John Frusciante, Jared Leto oder Saul Hudson (alias Slash) in das bekannte Künstler*innenviertel. Letzterer berichtet über die Zeit, als er mit seinen Eltern von England nach Kalifornien zog: „[I]n Kalifornien wirkte alles happy und bunt. [...] Wir haben im Canyon am Lookout Mountain gewohnt, es herrschte dort ein unbeschreiblicher Spirit, über den auch Filme gedreht und Songs geschrieben wurden. Das Leben war ungezwungen, frei, ohne Konventionen. Man konnte die Kreativität förmlich riechen. Die Leute, die dort lebten, Musiker, Maler, Literaten, verachteten das Establishment.“ (Hudson zit. n. Gernandt (2015)
Generell sieht Wicke (1991: 157) Los Angeles geradezu als „Einstiegstor ins Musikgeschäft“. Während man dem Autor zufolge in New York vornehmlich an der Vermarktung der Musiker*innen interessiert sei, konzentrierten sich die Plattenfirmen in Los Angeles zunächst stärker auf deren Imagebildung. Diverse Musiker*innen und Bands – wie die Byrds, Beach Boys, Eagles, Mamas & Papas, Crosby, Stills, Nash & Young, Guns N’ Roses, Snoop Doggy Dog und diverse weniger bekannte – begannen in Los Angeles ihre mehr oder minder erfolgreichen Karrieren und blieben – auch wenn die meisten den Mythos, demnach es bekanntlich jeder vom ‚Tellerwäscher zum Millionär‘ schaffen könne, nicht aufrecht erhalten konnten. Neben der Erfüllung von Karrierehoffnungen, die Los Angeles zu suggerieren scheint, spricht Unterberger (1999: 373) sogar von einem eigenen „Sound“, der die Stadt charakterisiere und ihr noch mehr an Attraktivität verleihe:
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„When people think of an LA sound, what first comes to mind are the most attractive, glamorous, and decadent aspects of Southern Californian culture: the near-omnipresent warm sunshine, lovely beaches, open sports cars, film studios, and garish lights of Sunset Strip. The hedonistic, laid-back lifestyle has been reflected in the surf music of the Beach Boys, the sunshine pop of the Mamas and Papas, and mellow, narcissistic singer-songwriters of the 1970s such as Jackson Browne.“
Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich an der Westküste eine Vielzahl an Independent-Labels, die den Übergang vom R&B zur Rockmusik entscheidend mitbestimmten, sowie eine florierende Jazzszene, aus der insbesondere musikalische Größen des Cool Jazz wie Chat Baker oder Chico Hamilton hervorgingen. Mit dem Aufkommen der Hippie-Bewegung entwickelte sich Los Angeles zum Epizentrum verschiedener Pop-Rock-Trends wie der Surf-Musik, dem Folk-Rock oder Psychedelic Rock. Zusammenfassend führt Unterberger (ebd.: 373f.) hierzu aus: „The 1970s in particular found Los Angeles scorned as a factory for sterile, sedate post-hippie rock; in the 1980s, critical derision shifted to its legions of similarly successful hair metal bands. Yet for all of its glossy product, the town’s also bred a roughly equal quantity of earthy styles, both mainstream and underground, dating back to the days when hard R&B bands cooked throughout the African-American community. Hardcore punk was bigger in Southern California than anywhere else; Hispanics made their presence felt in rock via Ritchie Vales and Los Lobos; the Doors brought psychodrama to psychedelia; greasy funk went into the Top 40 with War; and Tom Waits became pop’s most beloved bohemian. In the last decade, furious gangster rap exploded from Los Angeles’ most disadvantaged black neighborhoods, painting a portrait of the city that was as far from Hollywood stereotypes as possible.“
Gerade wer sich in Hollywood aufhält, wird schnell den Eindruck erhalten, dass das glamouröse Bild der Stadt, wie es durch die Medien oftmals inszeniert wird, mit den realen Begebenheiten nur wenig gemeinsam hat. Sicherlich werden hier jährlich die berühmten Academy Awards verliehen und es besteht durchaus die Möglichkeit, auf bekannte Künstler*innen zu treffen, die – wie jeder Reiseführer ankündigt – sich hier in Bars und Restaurants aufhalten. Dass der Hollywood-Boulevard bis auf seine berühmten Sterne jedoch nicht viel mehr zu bieten hat, die Region hingegen von Obdachlosen und heruntergekommenen Souvenirgeschäften geprägt ist, wird dabei oftmals nicht erwähnt. Nachts über der Stadt kreisende Polizei-Helikopter geben den Bewohner*innen weniger das Gefühl der Sicherheit, sondern vielmehr Anlass zu der Vermutung, dass Bandenkriege ausgetragen oder Verbrecher*innen gesucht werden. „It comes as a shock to the first-time visitor, then, to find smog, crass materialism, endless blocks of bland, ugly suburban housing developments, and gridlock traffic jams to be far more characteristic of the LA experience for those without enough money to buy homes in Malibu or Beverly Hills. Glamor is still found on the Santa Monica Beach and the ever-vital club scene,
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but no amount of Hollywood hype can hide the essential truth that Los Angeles, at its core, is a beast of a city.“11 (Unterberger 1999: 373)
Los Angeles brachte vor allem eine stark florierende Drogenszene hervor, die bis heute Bestand hat und die mit den medial propagierten Vorstellungen einer glamourösen Stadt nur wenig zu tun hat. Genau dieses Bild der Stadt und die damit verbundenen Sehnsüchte und Verführungen scheinen jedoch gerade auf Musiker*innen eine Anziehungskraft auszuüben, die sie Risiken wie Obdachlosigkeit und ein Abrutschen in das kriminelle Milieu der Stadt in Kauf nehmen lassen. Eine von Alkohol und Drogen bestimmte musikalische Subkultur wird auch in Penelope Spheeris Dokumentation „The Decline of Western Civilization“ (1981) deutlich, in der sie Einblicke in individuelle Lebenswelten von Anhänger*innen der hiesigen Punkrock-Szene in den 1970er Jahren gibt. Der Film eröffnet die Reihe einer Trilogie, in der Spheeris die Musikszenen in Los Angeles Ende des 20. Jahrhunderts darstellt. Während der erste Film sich mit der Punkrock-Szene beschäftigt, umfasst der zweite Film (1988) die Heavy Metal-Bewegung von 1986-1988. Der Abschluss der Reihe dokumentiert den Punk-Lebensstil von obdachlosen Teenagern. Spheeris setzt hiermit filmisch um, worüber in der Wissenschaft bislang bis auf wenige Ausnahmen keine Auseinandersetzung stattgefunden hat. Eine dieser Ausnahmen bildet die Arbeit von Elflein (2007) zu lokalen Musikszenen in Los Angeles, die an die ersten beide Filme Spheeris’ anknüpft. Elflein liefert hierbei nicht nur einen Überblick über verschiedene regionale Musikstile und Zentren, die sich zwischen den Jahren 1975 und 1985 entwickelt haben, sondern auch eine detaillierte (geographische und demographische) Beschreibung des Stadtbildes. In Los Angeles existierte zu dieser Zeit eine Underground-Musikkultur, zu deren Versammlungsstädten für lokale Künstler*innen insbesondere Veranstaltungsorte wie der Anti-Club, Al’s Bar und McCabe’s zählten. Die lokale Heavy Metal-Szene formierte sich aber auch um einzelne Plattenläden und über Kontaktanzeigen (vgl. ebd.: 133). Zu den zentralen Auftrittsorten für Glam- und Hair Metal Bands zählten vor allem die Clubs am Sunset Strip in West-Hollywood wie dem Whiskey A Go Go. Hier gründeten sich bereits zu Beginn der Hippie-Bewegung Mitte der 1960er Jahre diverse namhafte Clubs, die als Plattform für viele berühmte Bands dienten. Musiker aus dem ganzen Land – wie auch Axl Rose und Izzy Stradlin – pilgerten dorthin in der Hoffnung, den musikalischen und kommerziellen Durchbruch zu erreichen. Die Besitzer des Troubadour – ein berühmter Folk-und Rockclub – gingen sogar so weit, dass sie fast ausschließlich Metal-Bands spielen ließen. Die Wurzeln des musikalischen Stils bildeten neben anderen Van Halen und Mötley Crüe. Aus ihrer Tradition hervorgehend wurden schließlich Guns N’ Roses als die „saviors of white, raunchy mainstream guitar rock’n’roll at time when that commodity was underrepresented on the charts“ (Unterberger 1999: 409) gefeiert und mit ihrem Debüt-Album „Appetite for Destruction“ (1987) zum populärsten und kommerziell erfolgreichsten Hair-Act. Ihr Stil war in erster Linie durch E-Gitarren-Sounds und hymnische Melodien geprägt, die sich in mittelschnelle Nummern oder Power-Balladen einbetteten.
11 Zur Geschichte Los Angeles’ – insbesondere zu deren Schattenseiten – siehe auch Davis (1994).
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Während sich Anfang der 1990er Jahre mit dem Seattle-Grunge eine Gegenbewegung zur Kommerzialisierung des Mainstreamrocks entwickelte, reagierten Bands in Los Angeles auf die Szene am Sunset Strip zunächst mit einer ähnlichen AntiHaltung, die in dieser Hinsicht jedoch weniger mediale Wahrnehmung auf sich zog. Interessant hierbei ist, dass – wie zuvor am Beispiel Nirvana dargestellt – auch Bands, die sich zunächst gegen die Mainstreambands auflehnten, zu kommerziell erfolgreichen Weltstars wurden. Neben den Red Hot Chili Peppers, die als eines der berühmtesten Beispiele in diesem Zusammenhang gelten, sind hierbei Jane’s Addiction als „L.A.’s version of grunge (or pre-grunge)“ (Furek 2008: 29) zu nennen. Eine Band, die sich zunächst verweigert, dann aber doch den Massenmarkt bedient. Während Farrell zunächst behauptet, „the underground was where I wanted to be“ (zit. n. Elliott 2014), werden Jane’s Addiction nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Ritual de lo Habitual“ (1990) zur „first alternative rock band to find any sort of mainstream success“ (Elliott 2014). Ebenso auffällig ist, dass diese Bands der L.A. (Pre-)Grunge-Szene – oder zumindest die meisten ihrer Mitglieder – eine weitere Gemeinsamkeit mit ihren Kontrahenten aus Seattle teilten: sie waren heroinabhängig. Ob Perry Farrell und Dave Navarro (Jane’s Addiction), Anthony Kiedis und Flea (Red Hot Chili Peppers) oder Axl Rose und Slash (Guns N’ Roses) – sie alle waren Teil einer Musikszene in Los Angeles, die vor allem in den 1980er und 1990er Jahren nicht nur für ihren musikalischen Output bekannt war, sondern auch durch die Herausbildung diverser (berühmter) Heroin-Karrieren auf sich aufmerksam machte: „The band was [...] a part of what Farrell refers to as ‚the underground Los Angeles‘ – a bohemian freak scene in which musicians mixed with artists of all kinds. […] ‚That’s where the intelligentsia was, where the gay people were, the madmen and the junkies, and I loved them all‘.“ (Elliott 2014) Bereits der Bandname Jane’s Addiction, der auf Farrells damalige Mitbewohnerin Jane Bainter und deren Heroinabhängigkeit zurückzuführen ist, zeigt eine deutliche Referenz zur damaligen Drogenszene auf. Farrell widmet Bainter 1988 den Song „Jane Says“, in dem er ihre Unfähigkeit, einem Leben aus Drogen und häuslicher Gewalt zu entkommen, thematisiert. Bainters Geschichte war sicher kein Einzelfall. Der Konsum von Drogen wurde innerhalb der „trendy Hollywood rock crowd“ (Furek 2008: 80) schon immer praktiziert. „It goes with the territory, the artificial mantra of the jet set, the insane yingang of art imitating life and life imitating art.“ (Ebd.) Innerhalb der Musikszenen12 war der Konsum von Drogen besonders beliebt. Er schien in diesen Kreativszenen geradezu unausweichlich zum Künstler*innenDasein zu gehören. Wie auch Anthoy Kiedis in seiner Autobiographie „Scar Tissue“ (2004) zu verstehen gibt, war für viele Musiker*innen, die nach Los Angeles kamen, weil sie sich den großen Durchbruch erhofften, der Drogenkonsum offenbar weniger abschreckend. Vielmehr war er – getreu dem Motto ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ – Teil eines Lebensstils, von dem man glaubte (oder glauben wollte), dass er mit einer Musiker*innen-Karriere einherginge. Neben den zuvor genannten sind es Bands wie Fishbone oder Thelonius Monsters, die das Bild des heroinabhängigen Musikers in Los Angeles in den 1980er und
12 Eine eindeutige genrespezifische Zuordnung lässt sich hierbei nicht treffen.
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1990er Jahren prägten. „Drugs were everywhere“, behauptet Bob Forrest (2013: 44), Sänger der Bands Thelonius Monsters und Bicycle Thief, in seiner Autobiographie über seinen Lifestyle der damaligen Zeit. Er bestätigt damit den laut Ausubel (1983) wichtigsten Faktor bei der Entstehung von Rauschmittelabhängigkeit: der Grad der Zugänglichkeit von Drogen (vgl. ebd.: 23). „[E]verybody I knew used them and loved them. Some were more devoted to the substances than others, but I didn’t know anyone who ever passed up a drug when it appeared.“ (Forrest 2013: 44) Schon während seiner Zeit im College zu Beginn der 1980er Jahre standen für Forrest vor allem die Komponenten Alkoholtrinken, Ausgehen und Spaßhaben im Vordergrund. „I want to [...] be around music, and be around writers and poets and junkies and hooker, and so I did that“, heißt es in einem Statement von ihm über seine damaligen Selbstvorstellungen. Seine Konsumvorlieben bestimmten zunehmend seinen Alltag zu dieser Zeit: „[...] I only cared about that monthly check, so I drank, did crystal meth, and used cocaine, all to the detriment of my studies. I loved the rock-and-roll party lifestyle and felt at home there. Drugs and alcohol were central to it. The Beatles, Dylan, and the Stones all endorsed drugs either outright or through their music, and it seemed to me that I was following some grand rock tradition.“ (Ebd.: 38)
Drogen waren ‚cool‘ und gehörten zu einer Rockkultur, deren Teil man sein und an dessen Traditionen man anknüpfen wollte. Vor allem Heroin wurde Forrests Berichten zu Folge zu einer Droge, der man nicht ausweichen konnte bzw. wollte: „I sensed that dope might be the key that could unlock all the doors that the secrets of art, poetry, and musicians hid behind. Charlie Parker had blown mad, furious harmonies under its sway. Keith Richards, the ultimate rock-and-roll outlaw, churned out thick, massive riffs with its influence. William Burroughs took its directives and conjured up dark, nightmarish worlds that I wanted to explore. The whole of the night-framed hip world grooved to its beat and pulse and created fucking art. Smack was their muse. My heroes had known its allure, felt its embrace, and I wanted what they had.“ (Ebd.: 46)
Eines von vielen tragischen Beispielen in diesem Zusammenhang ist der Tod des Schauspielers und Musikers River Phoenix, der im Oktober 1993 für Schlagzeilen sorgte. Nachdem ihm der Auftritt im legendären Viper Room seines Freundes Johnny Depp untersagt wurde, konsumierte er nach längerer Phase der Abstinenz ‚Speedballs‘, an deren Überdosierung er noch in selbiger Nacht verstarb. Zu den Gästen zählten ebenso Phoenix‘ Freunde Michael Balzary (alias Flea) und John Frusciante. Auch sie waren Protagonisten dieser Musik- und Drogenszene und konnten sich dem Heroin trotz warnender Beispiele nicht entziehen. Erst in den Folgejahren erlebten sie die persönlichen Hochphasen ihrer Drogenkarrieren. Während Phoenix sowohl das Musikmachen als auch den Konsum verschiedener psychoaktiver Substanzen als einen vermeintlichen Ausweg sah, sich dem Druck zu entziehen, dem er sich aufgrund seiner zunehmenden Popularität als erfolgreicher Jungschauspieler Hollywoods ausgesetzt sah, vertrat Flea den Typus eines ‚Junkies‘, der das Gefühl des ‚High-seins‘, den ‚Kick‘ suchte und dafür immer wieder neue Drogenexperimente einging. Wie sein Bandkollege Kiedis (2004) beschreibt, habe er seinen Konsum jedoch weitest-
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gehend so unter Kontrolle halten können, dass seine musikalische Karriere mehr oder weniger aufrechterhalten blieb. Bei Frusciante waren die Auswirkungen des Heroinkonsums deutlich gravierender. Es erweckt den Anschein, als habe er den Konsum von Drogen geradezu als Teil seines Konzepts, Musiker zu sein, aufgefasst. Zumindest scheint sich seine damit einhergehende Karriereplanung frühzeitig abzuzeichnen. Bereits in frühen TeenagerJahren widmete Frusciante seine meiste Zeit dem Gitarrenspiel und der Musik seiner Idole Jimmy Page, Jeff Beck und Jimi Hendrix. Autodidaktisch lernte er BarréAkkorde und Blues-Skalen, setzte sich mit Rockmusik von King Crimson, Yes und Genesis auseinander und studierte Zappas Kompositionen. Mit 17 Jahren interessierte er sich eher für Captain Beefheart, The Tesidents oder andere „out-rock“ Bands, als sich seiner schulischen Ausbildung zu widmen (Rotondi 1997: 56). Er verließ folglich vorzeitig die High School und zog nach Los Angeles. Nachdem er bei einem Zappa-Vorsprechen einen Platz in dessen Band mit der Begründung „I realized that I wanted to be a rock star, do drugs and get girls, and that I wouldn’t be able to do that if I was in Zappa’s band” (Frusciante zit. n. ebd.) ablehnte, stieg er kurz darauf im Jahr 1988 bei seiner meist favorisierten Band, den Red Hot Chili Peppers, ein und ersetzte damit den zuvor an einer Heroin-Überdosis verstorben Gitarristen Hillel Slovak. Drei Jahre später veröffentlichte die Band mit „Blood Sugar Sex Magic“ eines ihrer kommerziell erfolgreichsten Studioalben und bediente fortan den Mainstreammarkt. Als die Musiker 1992 auf dem vorzeitigen Höhepunkt ihrer Karriere standen, verließ Frusciante die Band. Laut eigener Aussagen konnte er dem Erfolg nicht mehr standhalten, wollte die großen Bühnen nicht mehr bespielen und litt an starken Depressionen. Er widmete sich fortan Gedichten und der Malerei – und dem Heroin, zu dem er bereits vor seinem Bandausstieg eine starke Affinität aufzeigte: „After all, when I left the band and decided to become a drug addict, I believe I made the right choice. It was what I needed then.“ (Frusciante zit. n. o. A. 2004: 13) Obwohl sich Frusciante mit dem Verlassen der Red Hot Chili Peppers zunächst nicht in der Lage sah, weiterhin Musik zu machen und Songs zu schreiben, veröffentlichte er zwischen 1994 und 1996 zwei Soloalben, durch deren Verkauf er seine Sucht finanzieren konnte. Seine als kryptisch zu interpretierenden Texte und sein hysterisches Schreien auf den Aufnahmen deuteten auf seinen damaligen physischen und psychischen Zustand hin. Durch die Hilfe seines Freundes Bob Forrest, der in der Zwischenzeit selbst clean geworden war, schaffte es Frusciante 1997 schließlich, sich dem Heroin zu entziehen. Frusciantes Biographie steht stellvertretend für eine Vielzahl von heroinabhängigen Künstler*innen, die auch heutzutage noch die Musikszenen in Los Angeles prägen. Entsprechend hat sich das US-amerikanische Rehabilitationssystem dieser Problematik angepasst. Auch wenn Drogenabhängigkeit ein gesellschaftliches Phänomen darstellt, das sich nicht nur auf den Typus ‚Künstler*in‘ bezieht, lassen sich in den USA Drogensucht und Rehabilitation als Teil eines medialen Starkonstrukts auffassen. Es scheint ein regelrechter ‚Boom‘ an Darstellungsbereitschaft des eigenen Lebenswegs als ‚Junkie‘ vor allem unter Prominenten zu herrschen. Dies zeigt sich besonders deutlich an TV-Formaten wie Celebrity Rehab, einer von MTV ausgestrahlten Reality-Sendung, bei der Prominente mit Suchtproblemen während ihres Alkohol- oder Drogenentzugs unter der Aufsicht von Dr. Drew Pinsky gefilmt wurden – darunter Musiker*innen wie Steven Adler (Guns N’ Roses), Mike Starr (Alice and
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Chains) oder Shifty Shellshock (Crazy Town). Aber auch abseits medialer Inszenierung gründen ehemals abhängige Prominente Entzugseinrichtungen oder Hilfsorganisationen. Bob Forrest beispielsweise, der selbst eine Vielzahl an Aufenthalten in Entzugskliniken absolvierte, ist Mitbegründer des Alo House Recovery Center, einer Einrichtung zur Langzeitbehandlung von Drogen- und Alkoholabhängigen. Dieses Modell steht nur für eines von vielen, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem großen Netz ausgebildet haben, das sich über den gesamten Kontinent erstreckt. Im Besonderen sind hierbei Organisationen wie MusiCares zu nennen, die speziell auf Künstler*innen ausgerichtet sind. Seit 2004 fördert MusiCares zusätzlich das Hilfsprogramm MAP (Music Assistance Program), das gezielt (professionelle) Musiker*innen unterstützt, die unter Drogen- oder Alkoholabhängigkeit leiden. Auch Forrest war mehrere Jahre lang als Klinischer Direktor für MAP tätig. Neben seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten und gelegentlichen Fernsehauftritten erlangte Forrest zudem Aufmerksamkeit, als er 2011 eine Dokumentation13 veröffentlichte, in der er sein Leben als Musiker und ‚Junkie‘ offen zur Schau stellt. In Anlehnung an die filmische Umsetzung veröffentlichte er zwei Jahre später seine Autobiographie „Running with Monsters“ (2013). Er knüpfte damit an einen Trend an, den bereits andere ehemals suchtabhängige Prominente wie Anthony Kiedis, Nikki Sixx oder Slash vor ihm aufgegriffen hatten. Auch wenn diese Veröffentlichungen nicht zuletzt gezielten Inszenierungs- und Vermarktungsstrategien unterliegen – so geht mit der Buchpublikation meist auch die Ankündigung eines neuen Albums oder einer (Revival-)Tour einher, geben sie Einblick in Lebenswelten heroinabhängiger Musiker, zu denen bislang nur wenig Zugang geschaffen wurde. Es finden sich in der Literatur keine Arbeiten, die über diese (auto-)biographischen Betrachtungen hinausgehen. Vor allem aus wissenschaftlicher Perspektive hat bislang keine Auseinandersetzung zu diesem Untersuchungsfeld stattgefunden. Diese Lücke gilt es in der vorliegenden Forschungsarbeit zu schließen. Gerade Aussagen, wie sie am Beispiel Frusciantes exemplarisch dargestellt wurden, die sich auf die subjektiven Erfahrungswelten betroffener Personen beziehen, liefern interessante Anknüpfungspunkte wissenschaftlicher Betrachtung. Hierbei ist nicht nur zu ermitteln, warum Musiker*innen wie Frusciante den Weg des Junkies einschlagen und welche suchtgenetischen Faktoren hierbei eine Rolle spielen. Im Hinblick auf die bereits formulierte Forschungsfrage gilt vor allem zu ergründen: Welche Vorstellungen bzw. welches Konzept haben Musiker*innen von sich selbst, Musiker*in zu sein, und welchen Einfluss nimmt die Heroinsucht auf diese Vorstellungen und den damit verbundenen künstlerischen Werdegang? Da weder aus musikwissenschaftlicher Perspektive noch aus einer anderen Disziplin heraus bislang eine Annäherung an das Phänomen vorgenommen wurde, werden im Folgenden zunächst theoretische Betrachtungsweisen verschiedener Forschungsansätze herausgearbeitet, auf deren Grundlage im empirischen Teil dieser Arbeit ein methodisches Studiendesign abgeleitet wird.
13 Keirda, B. (2011). Bob and the Monster [DVD]. Shaker Films, LLC.
3.
Ausgewählte Aspekte der Suchtforschung
Ein dominierender Beweggrund zum Konsum von Drogen ist Egger (2006: 23) zufolge „das Erleben einer ‚anderen‘ als der wahrgenommenen Welt“, insbesondere die „Sehnsucht nach einer ‚besseren‘ oder ‚heilen Welt‘“. Der Autor sieht süchtiges Verhalten nicht nur im Wesen des Menschen verankert, sondern stellt „die Fähigkeit zum Abhängigsein“ sogar als Existenzvoraussetzung dar: „Abhängigkeit an sich ist dem menschlichen Sein inhärent. Die ‚Sehnsucht‘ nach lustvollen Gefühlen, nach Zufriedenheit oder Glück ist Teil des menschlichen Lebens. Wir suchen – bewusst oder unbewusst, offen oder versteckt – hedonistisches Erleben (etwa über Anerkennung, Erfolg oder Liebe) und streben im Allgemeinen danach, aversive Stimmungen zu vermeiden.“ (Ebd.)
Durch die Annahme, dass sich durch den Gebrauch psychoaktiver Substanzen wie Heroin (innere und äußere) unüberwindbare und belastende Anforderungen und Konflikte lösen ließen, werden diese von Drogenabhängigen folglich oft dazu eingesetzt, die individuell wahrgenommene und subjektiv konstruierte Realität zu beschönigen, scheinbar zu verändern oder gar zu verdrängen. Problematisch wird diese Realitätsflucht jedoch, wenn sie nicht mehr aus eigenem Antrieb entsteht, sondern sich verselbstständigt und einen substanzgebundenen Charakter bekommt. Die Sehnsucht nach einer ‚besseren‘ Welt – und damit verbundenen transzendenten1 Erfahrungen – scheint zwar vorübergehende Glücksmomente zu erzeugen, die romantisierende Illusion einer ‚heilen‘ Welt impliziert jedoch auch das „unauflösbare Problem der Gleichzeitigkeit von Unabhängigkeit und Abhängigkeit“ (ebd.). Bochnik (1978) beschreibt in diesem Zusammenhang „den Weg des Süchtigen als eine Bewegung aus der persönlichen Freiheit in die Unfreiheit der süchtigen Abhängigkeit“ (ebd.: 125), mit dem nicht nur selbstzerstörerisches Verhalten, sondern auch äußere Verelendung und schließlich der Tod einhergehen können.
1
Transzendenz wird als Wahrnehmung dessen verstanden, was jenseits eines Bereichs normaler Sinneswahrnehmung liegt. Konsumiert ein Mensch psychoaktive Substanzen, so überschreitet er eine Grenze zwischen dem normalen menschlichen Sein und einer ‚anderen Welt‘, die – je nach Dosierung und Wirkung des Mittels – mehr oder weniger stark erlebbar wird.
54 | Theorie
Die Ursachen der Suchtentstehung sind vielfältig und müssen daher als Ergebnis individueller Eigenschaften und aktueller Situationen gesehen werden. Keup (1978: 68) geht dementsprechend von einem „multifaktoriellen Ursachenkomplex“ von der Entstehung von Sucht aus. Dies bedeutet, dass das Problem von Suchterkrankungen meist nicht auf nur einen Umstand zurückzuführen ist. Vielmehr steht eine Reihe von Faktoren in Wechselwirkung zueinander, die das Risiko einer Abhängigkeit bedingen. Ein empirisch bestätigtes Modell zu Ursachen von Heroinabhängigkeit, das sowohl physiologische, kognitiv-emotionale und soziale Aspekte integriert, liegt bislang nicht vor. Auf die Frage, warum es überhaupt zum Konsum kommt, gibt es jedoch eine Vielzahl von Antworten, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu sehr unterschiedlichen Vorstellungen geführt haben. Schmidt-Semisch (1997) gibt in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass nicht nur die Wirkung, sondern vor allem auch die Wahl der konkret vom Individuum konsumierten Substanz sich hierbei als eine Funktion individueller, kultureller, gesellschaftlicher, aber auch geographischer und ökonomischer Umstände und Gegebenheiten darstelle (vgl. ebd.: 39). Die Entstehung des Drogenkonsums – nicht nur im Kontext der Zielgruppe von Musiker*innen – ist somit in ein komplexes Ursachengefüge biologischer, psychologischer und sozialer Bedingungen eingebettet, welches es im Folgenden zu untersuchen gilt. Hierzu werden im weiteren Verlauf zunächst verschiedene Perspektiven der Suchtproblematik vorgestellt, die den Wandel der Konzepte und das Verständnis der Drogenabhängigkeit über die letzten Jahrhunderte erkennen lassen. Auf der Grundlage von kulturgeschichtlichen und pharmazeutischen Hintergründen des Opiatkonsums werden zunächst die Begriffe Rausch, Sucht und Abhängigkeit, von denen ausgegangen wird, dass sie den prozessualen Verlauf der Drogenkarriere im Wesentlichen bestimmen, einer genaueren Betrachtung unterzogen. Anschließend werden ausgewählte Erklärungsansätze suchtgenetischer Forschung erörtert. Angesichts der Fülle von Veröffentlichungen und Forschungsperspektiven wird hierbei jedoch keine allumfassende Darstellung der einschlägigen Publikationen angestrebt, sondern es gilt lediglich, für das Forschungsvorhaben relevante (Haupt-)Strömungen zu benennen, auf deren Erkenntnisse die im weiteren Verlauf der Arbeit vorgestellten Forschungsdaten der empirischen Studie bezogen werden können. Als Interpretationsgrundlage werden hierzu abschließend Bedingungsfaktoren im Kontext verschiedener Entwicklungsphasen, die Heroinkonsumierende Darke (2013) zufolge innerhalb ihrer Suchtkarriere durchlaufen, herausgearbeitet.
3.1
OPIATE: KULTURGESCHICHTLICHE UND PHARMAZEUTISCHE HINTERGRÜNDE
In der Medizingeschichte gehören Opiate, die erstmals um 1500 v. Chr. in Ägypten für medizinische Zwecke Verwendung fanden, zu den wichtigsten Heilmitteln (siehe hierzu Klein 1997: 17; Selling 1989: 277). Der griechische Arzt Galen setzte sie bereits im 2. Jahrhundert als schmerzlinderndes Mittel bei den unterschiedlichsten Beschwerden wie Schlangenbisse, Husten, Epilepsie, Schlaflosigkeit, Taubheit, Kopfschmerzen, Gallenblasenbeschwerden, Koliken oder Nierensteinen ein (vgl. Snyder 1994: 39). In Deutschland war es der Mediziner Paracelsus, der Opiate als „wunder-
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bares Heilmittel fast aller Krankheiten“ (Selling 1989: 277) anpries und zu ihrer Verbreitung als Universalheilmittel beitrug. Während es sich bei Opiaten im engeren Sinn um die natürlichen, im Harz des Schlafmohns vorkommenden Derivate der Opium-Alkaloide handelt, fallen unter den Begriff der Opioide alle natürlichen, halb- und vollsynthetischen Pharmaka, die eine morphinähnliche Wirkung haben. Opioide sind Stoffe, welche die Fähigkeit haben, sich mit verschiedenen Rezeptoren zu verbinden und gleichzeitig als MorphinAgonisten fungieren. Neben Morphin umfasst diese Gattung Substanzen wie Heroin, Methadon, Buprenorphin, Oxcodon und Fentanyl. Aufgrund ihrer schlaffördernden und schmerzstillenden Wirkung werden sie der Klasse der Betäubungsmittel oder narkotischen Analgetika zugeordnet (vgl. Darke 2013: 13; van Wely 1989: 300). Innerhalb der Literatur werden begriffliche Unterscheidungen jedoch häufig nicht getroffen. Hingegen werden die verschiedenen Etikettierungen aufgrund fehlender Definitionen oft synonym verwendet. Zur Differenzierung werden im Folgenden die Substanzen Opium, Morphin und Heroin im Kontext ihrer Entstehungshintergründe gesondert betrachtet. 3.1.1 Opium Die natürliche Herkunftspflanze der Opiate ist der Schlafmohn (Papaver somniferum), aus dessen unreifen Kapseln der eingetrocknete Milchsaft, das sogenannte Rohopium, gewonnen wird. Rohopium, aus 25 verschiedenen Alkaloiden bestehend, stellt die chemische Basis für die spätere Heroingewinnung dar (vgl. Klein 1997: 15). Schriften, die sich auf Mohnsäfte mit Opiatwirkung beziehen, wurden bereits bei den Sumerern im Mittleren Osten gefunden und auf 4000 v. Chr. datiert (vgl. Snyder 1994: 39). Vom Zweitstromland verbreitete sich das Opium zuerst nach Ägypten und Persien, bis es um 3500 v. Chr. laut Selling (1989: 276) zum festen Bestandteil der assyrisch-babylonischen Kultur wurde. Obwohl dies in der Literatur nicht eindeutig belegt ist, vermutet der Autor, dass das Wissen um die Wirkung des Mohnsaftes von Ägypten aus nach Griechenland gelangte, wo jener seinen heute gebräuchlichen Namen Opium (opós = Saft) erhielt (vgl. ebd.: 276). Snyder (1994: 39) zufolge benutzten die alten Griechen Opium sowohl seiner wohltuenden als auch medizinischen Wirkung wegen. Im 9. Jahrhundert v. Chr. schreibt Homer „von dem betäubenden Mohn [...] getränkt mit lethäischem Schlummer“ (zit n. Brunner 2007: 13). Aus Homers Erzählungen ist zudem von einem pflanzlichen „Zaubermittel“ namens Nepenthes (aus dem griechischen „gegen Kummer“) die Rede, dem „Trank der Vergessenheit“ (Selling 1989: 277), dessen Einnahme zunächst „ein beruhigendangenehmes Gefühl von Wärme und Wohlbehagen herbeizaubert und anschließend zu leichten Bewusstseinstrübungen und Schlaf führte“ (Snyder 1994: 41f.). Hiermit wurde bereits frühzeitig ein typischer durch Opiate hervorgerufener Zustand der Entspannung beschrieben, der sich von der erregenden Euphorie anderer psychostimulierender Pharmaka wie Kokain oder Amphetaminen unterscheidet. Mit der Eroberung Griechenlands durch römische Soldaten gelangte das Opium weiter nach Westen. Auf ihren Kreuzzügen brachten es dann die Araber nach Indien und Persien, wo es um 1500 vor allem den Trend des Opiumessens erzeugte. Obwohl unter Einfluss des Islams den Gläubigen der Konsum von Alkohol verboten wurde, war ihnen der Konsum von Opium nicht untersagt und fand folglich schnelle Ver-
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breitung (vgl. Selling 1989: 276f.; vom Scheidt 2003: 288). Mit seiner Einführung in China hielt Opium zudem Einzug in die traditionelle chinesische Medizin, die in erster Linie die öligen Mohnsamen als Schmerzmittel einsetzte. Während dort vor allem das Rauchen von Opiumpfeifen zur Mode und zum „Narkotikum der breiten Masse“ (vom Scheidt 2003: 388) wurde, war in Europa das Trinken von Laudanum, einer Lösung aus Opium in Alkohol, das populärste Rauschmittel (vgl. Aldridge 2000: 169). Ob geraucht oder als Getränk verabreicht – der Missbrauch von Opium als Rauschmittel war bereits im Rom der Antike ebenso verbreitet wie die Opiumabhängigkeit – selbst unter hochrangigen Persönlichkeiten aus dem militärischen und politischen Bereich (vgl. Prentner 2010: 184-200). Auch in den Geisteswissenschaften rückte der Konsum von Opium zunehmend in den Vordergrund. Hier galt es vor allem in Künstler*innen- und Intellektuellenkreisen als ein Mittel zur Anregung romantischer Vorstellungen. Bereits Schriftsteller wie Homer, Vergil und Ovid konsumierten Opium und erwähnten seine schlafauslösenden Eigenschaften (vgl. Seefelder 1996: 245; Prentner 2010: 184-200). „Traum und Rausch, durch Opium seinerzeit am zuverlässigsten herbeigeschafft, wurden zum Vehikel einer Dichtung, deren eigentliche Ästhetik die der Imagination war“, heißt es hierzu bei Dieckhoff (1997: 89). Aus Tagebucheinträgen geht hervor, dass auch der Frühromantiker Novalis (1722-1801) Laudanum konsumierte: „Die Welt wird dann in einem Augenblick anders. Selbst das Traurigste erscheint mild […]. Alle Hoffnungen erwachen; der Nebel verschwindet.“ (Novalis, zit. n. Korte 2010: 84) Das Interesse an Opium kam besonders durch Thomas de Quincey (1785-1859) auf, der 1821 in seinem Aufsatz „ The Confessions of an English Opium-Eater“ („Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“), den Korte (ebd.: 84) als erste „Drogenautobiographie“ überhaupt bezeichnet, die Freuden und Leiden des Opiumrausches beschreibt. Laut Snyder (1994) habe de Quincey der Wirkung von Opium sogar eine „Fähigkeit der Erweiterung der Kreativität eines Dichters und Denkers“ (ebd.: 40) zugesprochen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Suchtgefahr bereits bekannt war, begannen mit de Quincey unter den Schriftstellern der Opiumgenuss und seine literarische Verbreitung populär zu werden. Als „den vielleicht bekanntesten Opiumtraum“ der Weltliteratur sieht Korte (2010) Samuel Taylor Coleridges (1772-1834) Gedicht „Kuba Khan“ an: „Unter dem unmittelbaren Eindruck des Opiumrausches verfasst und somit als durch den Rausch beeinflusst, beschreibt das Gedicht die phantastische Welt eines Paradieses, endet mit einer Vision in der Vision und besingt die ‚milk of paradise’, ein Symbol für Laudanum.“ (Korte 2010: 84)
Aber auch zahlreiche weitere Künstler dieser Zeit verwendeten Laudanum und ließen die Visionen und Rauscherfahrungen in ihre Werke einfließen. Dieckhoff (1997: 94) benennt diesbezüglich John Keats Gedichte „On Sleep“ und „Ode to an Nightingale“, Charles Dickens „ The Mystery of Edwin Drood“, Charlotte Brontes „ Roman Vilette“ sowie mehrere Opiumgedichte von George Crabbe und Robert Southey. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Medizin die Theorie aufkam, dass Opium ein Mittel gegen den Alkoholismus sei, verfielen auch die alkoholabhän-
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gigen Dichter E.T.A. Hoffmann und Edgar Alan Poe dem Opium und verarbeiteten damit einhergehende Erfahrungen in ihren Werken. Obwohl die Popularisierung des Opiums in der Literatur, Medizin und Gesellschaft nicht ohne Einwände blieb – vor allem durch die ablehnende Haltung der Kirche und vereinzelt auch der Politik – gewann der soziologische Aspekt der Droge immer mehr an Bedeutung. Beispielsweise in der europäischen Gesellschaft galt Opium bald nicht mehr als ‚exotischer Nervenkitzel‘ oder ‚verbotenes Laster‘: Man konsumierte Opium, wie man Kaffee oder Tee zu sich nahm, als „erfreulichen Helfer gegen die Mühsal des Alltags“ (Kloppe 2004: 146). Die Grenzen zwischen medizinischer Indikation zur regelmäßigen Bekämpfung von Krankheitsbildern und dem regelmäßigen Konsum der Droge als Entspannungsmittel verschwommen zunehmend. Immer häufiger wurde das Rauschmittel konsumiert, um ein zunehmendes Verlangen nach einem „Erlebnis“ (Seefelder 1996: 103) zu befriedigen. Hinzu kam, dass Opium billig und stets verfügbar war. Stimmen, die auf die Risiken des Opiumgenusses aufmerksam machten, wurden dabei meist überhört oder als bedeutungslos eingestuft – so auch die Beobachtungen des Mediziners John Jones Ende des 17. Jahrhunderts: „Wird Opium nach langem Gebrauch plötzlich abgesetzt, sind starke, ja sogar unerträgliche Schmerzen, Angstzustände und Depressionen die Folge, die – begleitet von merkwürdigen Agonien – im allgemeinen zu einem höchst elenden Tode führen, wenn der Betroffene den Opiumgenuß nicht wieder aufnimmt; dann jedoch verbessert sich sein Zustand, und er erholt sich mit Sicherheit.“ (Zit. n. Snyder 1994: 41f.)
Diese Ausführungen liefern eine Beschreibung der Symptome, wie sie bei körperlicher Drogenabhängigkeit auftreten. Erst eine weitere Einnahme der Substanz sorgt dafür, dass schmerzhafte körperliche Entzugserscheinungen gelindert werden, die bei Unterbrechung des Konsums in Erscheinung treten. Die weitere Einnahme sorgt zudem dafür, dass eine Gewöhnung an den Stoff eintritt, so dass immer höhere Dosen für eine Rauschwirkung benötigt werden. 3.1.2 Morphin Im Jahre 1803 gelang es dem Paderborner Chemiker Friedrich Sertürner, die Hauptkomponente des Schlafmohns zu extrahieren. Aufgrund der schlafbringenden Wirkung gab er dem Alkaloid in Anlehnung an den griechischen Gott der Träume den Namen Morphium. Bereits 1818 wurde die Substanz in Frankreich in die Materia media, ein historischer Ausdruck für die Lehre von Arzneimitteln, aufgenommen. Zehn Jahre später wurde es schließlich von der Firma Merck industriell hergestellt und als stark wirkendes Schlafmittel auf den Markt gebracht. Bis heute wird Morphin2 weltweit als Hauptwirkstoff zur Behandlung starker Schmerzen eingesetzt. Zunächst fand es jedoch vornehmlich Anwendung bei Husten und Lungenblutungen. Solange das Arzneimittel nur in Form pflanzlicher Extrakte vertrieben wurde, wurde Morphin ausschließlich auf oralem Weg eingenommen. Später wurde Mor-
2
Die Bezeichnung Morphium wurde im Laufe der Jahre durch den Begriff Morphin ersetzt.
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phin transkutan in Form von Salben oder Ölen verwendet, ehe zur „hypodermatische[n] Inokulation“ (de Ridder 2000: 24) übergegangen wurde, bei der Morphin in geringen Mengen mit Hilfe einer Nadel unter die Haut geschoben wurde. Ein Vorteil rein chemischer Substanzen wie Morphin liegt darin, dass sie sich in Wasser gelöst direkt in die Blutbahn und damit in das zentrale Nervensystem injizieren lassen. Neben der Isolierung des Morphins aus dem Mohnsaft ist daher die subkutane Injektion nach Einführung der Injektionsspritze durch Charles Gabriel Pravaz (1853) und Alexander Wood (1855) in diesem Zusammenhang als bedeutender Meilenstein zu nennen (vgl. de Ridder 2000: 24; Snyder 1994: 43). Durch die Reindarstellung des Morphins und seine direkte Einführung in die Blutbahn änderten sich auch Gewöhnung und Abhängigkeit, was dazu führte, dass sich ein neues Erlebnisniveau bei den Konsumenten einstellte. Mit der neuen Applikationsmethode konnte die Droge an den Stoffwechselorganen vorbeigeführt werden, wodurch eine Konzentration in der Blutbahn und in den Zentren des Gehirns ermöglicht wurde (vgl. Seefelder 1996: 154). Mit Einführung der Injektionsspritze fand Morphin weite Verbreitung. So war Morphin bspw. in den USA bei Ärzten, in Drogerien und anderen Geschäften, im Versandhandel und in Form patentrechtlich geschützter Präparate, die über verschiedene Kanäle verkauft wurden, frei zu erhalten. Schon ab 1840 war eine deutliche Ausweitung des Morphinbedarfs festzustellen, die mit der erstmaligen Beschreibung einer Morphinentwöhnungsbehandlung einherging (vgl. de Ridder: 24). Dadurch, dass subkutan injiziertes Morphium viel schneller die schmerzlindernde Wirkung als oral eingenommene Opiumtinkturen erzielte, wurde es als Analgetikum vor allem bei der Behandlung von Kriegsverwundeten zur direkten Schmerzbekämpfung verwendet. Dies hatte zur Folge, dass sich nicht nur der therapeutische Einsatz von Morphin schnell verbreitete, sondern auch die ersten Morphinsuchtwellen zu verzeichnen waren. Viele Kriegsveteranen wurden von der Substanz abhängig und kamen als „ Morphinisten“ zurück, weshalb die Morphinabhängigkeit auch als „Armee-“ oder „Soldatenkrankheit“ bezeichnet wurde (siehe hierzu auch Snyder 1994: 43). Wie zuvor das Opium wurde auch Morphin zum weitverbreiteten Heilund Suchtmittel, das mit einer alarmierenden sozialen Problematik einherging: 1872 warnte der deutsche Psychiater Hans Heinrich Laehr vor dem „Missbrauch der Morphium-Injection“ (zit. n. Heller 2007). Es sei die Kehrseite der großen Erfolge der Morphiumtherapie gewesen, dass das „Publikum“ angefangen habe, sich den Stoff selber zu verordnen, so dass „ manche gleich zur Injektion griffen, wenn sie bloß eine unbehagliche Stimmung spürten“ (zit. n. ebd.). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Opium- und Morphinkonsum so weit verbreitet, dass innerhalb der Ärzteschaft immer mehr Bedenken hinsichtlich des Gefahrenpotenzials der Substanzen geäußert wurden. Es war kein Geheimnis mehr, dass eine durch regelmäßigen Konsum entstehende Toleranz zur körperlichen Abhängigkeit der Droge führte. Als das Krankheitsbild des „Morphinismus“ (Seefelder 1996: 159) nicht mehr zu verleugnen war, versuchte die Wissenschaft, Maßnahmen zu ergreifen, ehe ihr die Politik mit entsprechenden Gesetzgebungen folgte. Die Ärzte hatten begriffen, dass mit den Opiaten dem Menschen zwar eine „entrückende Besänftigung“ (ebd.) verschrieben werden konnte, damit aber auch ein „peinvoller Rückruf in die Realität“ (ebd.) verbunden war. Fortan wurde nach Möglichkeiten der Entgiftung gesucht. Während Opiate zuvor gegen Alkoholsucht eingesetzt wurden, galt Alkohol nun als Hilfsmittel bei der Morphinentziehung. Um den Suchtwellen
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entgegenzuwirken, wurde um 1890 nach einem möglichst wirkungsvollen und nebenwirkungsarmen Ersatzmittel gesucht, das mit geringem Abhängigkeitspotenzial einhergehen sollte. 3.1.3 Heroin Mit dem Ziel, ein ähnlich schmerzstillendes, aber nicht abhängigkeitserzeugendes Mittel wie Morphium herzustellen, gelang es dem Chemiker C.R. Wright 1874, ein Verfahren zur Synthetisierung des Diacetylmorphins, ein Produkt aus Morphin und Essigsäurehybrid, zu entwickeln. Es wurde somit erstmals ein Stoff hergestellt, der wesentlich schneller als Morphin in das Gehirn übertritt. Das Herstellungsverfahren wurde 1896 durch den Chemiker Heinrich Dreser, der in den pharmazeutischen Laboratorien der Farbenfabriken vorm Friedr. Bayer & Co. arbeitete, aufgegriffen. Der Stoff wurde unter dem Namen Heroin3 durch ein Patentrecht geschützt und ab 1898 zunächst in Pulverform, dann als Saft, Zäpfchen, Mixtur oder ‚Tränkchen‘ auf den Markt gebracht (vgl. De Ridder 2000: 68). Der scheinbar hohe therapeutische Wert, eine effektive Propaganda und der Vertrieb der Substanz im Ausland machten Heroin in kurzer Zeit zu einem gefragten pharmazeutischen und international vertriebenen Produkt. Entgegen der anfänglichen Euphorie um das neue Arzneimittel, das von Anfang an in der Fachpresse des In- und Auslands intensiv beworben wurde und sogar als „Ersatz für Morphin bei Entziehungskuren“ (ebd.: 71) empfohlen wurde, bezeichnet Seefelder (1996) die Entdeckung des Heroins als „die größte Enttäuschung, die die Wissenschaft erfahren musste“ (ebd.: 159f.). Bei dem geringen Wissen, das über den menschlichen Körper bestand, konnten die Ärzte nur die Symptome, meist aber nicht die Ursachen von Krankheiten behandeln. Da Schmerz als das schlimmste Symptom angesehen wurde, wurde Heroin als der „beste Schmerztöter der Welt“ (Shapiro 1998: 21) eingeschätzt. Heroin wurde u.a. bei Lungenerkrankungen, Erkrankungen des Herzens und des Kreislaufs, bei Demenz, Melancholie, Libidostörungen, Neuralgien, Koliken, Tumor- und Wehenschmerz angewendet (vgl. De Ridder 2000: 81). Lange bestand der Glaube, man habe mit dem Heroin ein Mittel zur Schmerzlinderung gefunden, welches im Gegensatz zum Morphin die Konsumierenden nicht in die Abhängigkeit führte. Auch die Farbenfabrikanten warben dafür, dass dieses Mittel nicht süchtig mache (vgl. Brunner 2007: 17; Snyder 1994: 43). De Ridder (2000: 87) behauptet, dass nahezu alle Mediziner, die zwischen 1898 und 1910 ihre therapeutischen Erfahrungen mit Heroin veröffentlichten, ihm einen gewöhnungs- oder suchtbildenden Effekt entweder völlig absprachen oder diesen für entschieden weniger ausgeprägt, ungefährlicher oder leichter beherrschbar als den des Morphins hielten. Da Heroin hauptsächlich als Hustenmittel eingeführt worden
3
Dass die Namensgebung Heroin auf die Verknüpfung zwischen seiner Wirkung und dem aus der griechischen Mythologie entstammenden Begriff des Heros zurückzuführen ist, wie es die meisten Autoren behaupten, liegt zwar nahe, ist jedoch nicht eindeutig belegbar. De Ridder (2000) weist zumindest darauf hin, dass „mit der Wahl des Warenzeichens Heroin die Farbenfabriken ganz generell auf die vorzüglich, alle anderen vergleichbaren Präparate (Codein, Dionin) übertreffende Wirkung des Heroins hinweisen wollten“ (ebd.: 181).
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war, bestand bei den Konsumierenden zunächst auch weder der Bedarf noch ein Verlangen nach psychischen Wirkungen. Zudem wurde Heroin meist oral oder subkutan und in niedriger Dosierung verabreicht, so dass es nur langsam in das Gehirn gelangte (vgl. Zieglgänsberger/Höllt 2000: 95). Die Patienten, die den Stoff nahmen, empfanden dadurch keine plötzlichen Rauschzustände, die ein anschließendes Suchtrisiko vermuten ließen. Als die unerwünschten Wirkungen des Heroinkonsums auf das Zentralnervensystem, den Magen-Darm-Trakt (Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen) und das Herz-Kreislaufsystem (Benommenheit, Schwindel) immer offensichtlicher wurden und damit nicht mehr zu verschweigen waren, fand die legale Verbreitung des Heroins mit Beginn des 20. Jahrhunderts ein schnelles Ende. Im Zeitraum zwischen 1820 und 1930 ging Opium samt seiner Derivate Morphin und Heroin durch verschiedenste Integrationsvorgänge bis hin zum Verbot, wo es sich auch heute noch befindet. Die Produktion und therapeutische Verwendung von Heroin geriet bereits nach dem Internationalen Opiumabkommen von 1912 (Haager Abkommen), vor allem aber nach dem Internationalen Genfer Opiumabkommen von 1925 immer mehr unter Druck (vgl. De Ridder 2000: 73). In den USA wurde die Anwendung der meisten Opiumpräparate 1914 durch den Harrison Narcotic Act einer strengen gesetzlichen Kontrolle unterstellt und der nichtmedizinische Gebrauch aller Substanzen, die morphinartige Eigenschaften aufwiesen, verboten. Auf Verlangen der USA wurden auch viele weitere Staaten durch internationale Verträge dazu gezwungen, den Drogengebrauch im eigenen Land zu bekämpfen (vgl. Shapiro 1998: 9). Nachdem bereits 1917 Heroin einer Verschreibungspflicht unterzogen wurde, folgte Deutschland 1920 mit dem Gesetz zur Ausführung des Internationalen Opiumabkommens, aus dem jedoch erst in den 1970er Jahren das Betäubungsmittelgesetz hervorging, das Heroin als illegales Suchtmittel einstuft. Gemäß der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) ist in Deutschland nur künstlich hergestelltes Heroin (Diamorphin) als Arzneimittel unter strengen Auflagen zugelassen, bspw. zur Behandlung von schwerstabhängigen Heroinsüchten als Substitutionsmittel. Der Besitz von Heroin und dessen Handel ist nach dem Betäubungsmittelgesetz hingegen verboten und wird strafrechtlich verfolgt. Der geringen Menge an Heroin, die jährlich für Medizin und Wissenschaft weltweit legal hergestellt wird, steht eine illegale Heroinproduktion gegenüber, die mehr als das 300-fache umsetzt (vgl. De Ridder 2000: 186). Laut des United Nations Office on Drugs and Crime (UNOCD)-Berichts, wird mit der illegalen Produktion von Heroin und dessen Vertrieb ein jährlicher Umsatz von 55 Milliarden US-Dollar erzielt (ebd.: 2010: 37). Schätzungen zufolge konsumierten im Jahr 2015 weltweit mehr als 16,4 Millionen Menschen illegale Opiate – wobei der Konsum von Heroin den Hauptanteil der Einnahmen darstellt. Auch die Rate von Konsumierenden, die an den Folgen des Heroinkonsums jährlich sterben, übersteigt die von Nutzer*innen anderer Drogenformen erheblich (vgl. UNOCD 2015).
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3.2
RAUSCH, SUCHT UND ABHÄNGIGKEIT
„Das Bedürfnis nach rauschhaften Zuständen ist so alt wie die Menschheit selbst und in allen Kulturkreisen sozial und rituell verankert“, schreiben Ganguin & Niekrenz (2010: 9) in der Einleitung zu ihrem Buch „ Jugend und Rausch“. Sie verstehen Rausch als ein historisch, konstantes, kulturelles Phänomen und nicht als krankhaftes Problem (vgl. ebd.: 8; siehe hierzu auch Völger/Welck 1982). Während Täschner (2002) Rausch als einen „Zustand unmittelbarer Drogenwirkung“ (ebd.: 16) definiert, geht nach Effmert (2010: 21) dieser ergänzend mit veränderter Wahrnehmung und verändertem Bewusstsein einher. „[Es] entsteht der Eindruck eines Außer-sich-Seins bzw. eines Außerhalb-der-Realität-Seins“, behauptet zudem Brunner (2007: 5f.), wenn sie von „enthusiastischen Stimmungsschwankungen“ spricht, die mit einer gefühlsmäßigen Erregung während des Rausches verbunden sind. Ein Rauschzustand kann der Autorin zufolge dabei ambivalent sein: Enthemmung, erhöhte Leistungsfähigkeit und Glücksempfindung durch gesteigertes Selbstwertgefühl sind ebenso möglich wie allgemeine Verlangsamung, depressive Verstimmung, Ermüdung und Erschöpfung (vgl. ebd.: 5f.). Ganguin & Niekrenz (2010: 9) ergänzen neben Veränderungen im Fühlen und Verhalten auch einen durch den Drogenrausch hervorgerufenen Verlust an Selbstkontrolle. Hiermit beschreiben sie den Übergang vom Rausch zur Sucht, welcher fließend ist und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung oft wenig differenziert betrachtet wird: „Obwohl Rausch als situatives, zeitlich begrenztes Phänomen vom Krankheitsbild der Sucht zu unterscheiden ist, wird der Rausch häufig mit Missbrauch und Sucht in Verbindung gebracht.“ (Ebd.: 10) Den beiden Autor*innen zufolge geht der Rauschzustand insbesondere dann in süchtiges Verhalten über, wenn das Rauscherlebnis zu einem Wiederholungszwang führt. Während bis ins 16. Jahrhundert der Begriff Sucht als generelle Bezeichnung für fiebrige Krankheiten4 und Auszehrungen des Körpers (‚Schwindsucht‘) sowie als übersteigerte Verhaltensweisen (Geld-, Ruhm- oder Spielsucht) verwendet wurde (vgl. Böllinger et al. 1995: 25), wird er seit dem 19. Jahrhundert – so bestätigt auch Schmidt-Semisch (1995: 36f.) – insbesondere mit zwanghaftem Verhalten gegenüber bestimmten Rausch- und Betäubungsmitteln in Verbindung gebracht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnete Sucht bereits 1952 in diesem Zusammenhang als einen „Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, der durch die wiederholte Einnahme einer (natürlichen oder synthetischen) Droge hervorgerufen wird“ (ebd.: 14). Charakteristisch seien hierbei „ein Überwältigendes Verlangen oder Bedürfnis (zwanghafter Art), die Drogeneinnahme fortzusetzen, und sich diese mit allen Mitteln zu verschaffen; eine Tendenz zur Dosissteigerung; eine psychische (psychologische) und allgemein physische Abhängigkeit von Drogenwirkungen; zerstörerischer Wirkungen auf das Individuum und die Gesellschaft“ (ebd.: 14). Da diese Definition jedoch insbesondere in Bezug auf die Heterogenität von Drogen(-wirkungen) problematisch war und zu mehr Fragen führte als sie klären konnte (vgl. Böllinger et al. 1995: 26), wurde der Begriff Sucht vermieden und mit dem der Ab-
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Der Begriff Sucht leitet sich ursprünglich von dem Adjektiv siech (krank) bzw. siechen (krank sein) ab (vgl. Schmidt-Semisch 1995: 35).
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hängigkeit ersetzt. Letztendlich wurden die Begriffe jedoch lediglich ausgetauscht und weiterhin synonym verwendet, was den Erkenntnissen moderner Forschung nicht gerecht wird – so auch Schmidt-Semisch (1997: 38): „Denn Drogen stellten doch schließlich nur einen Aspekt unter vielen anderen dar, wenn man die Frage der Abhängigkeit behandele. Im Zentrum der Betrachtungen habe vielmehr das Individuum zu stehen, denn nicht eine Droge habe die Eigenschaft, psychisch abhängig zu machen, sondern dies sei eine mögliche Reaktion des Individuums auf die unmittelbare Wirkung der Drogen hin, die spezifisch für dieses Individuum sei.“ (Ebd.: 38)
An diese Gedanken anknüpfend definiert De Ridder (2000: 171f.) Drogenabhängigkeit folglich als ein Syndrom, „das dem Drogenkonsum und den damit verbundenen individuellen Aktivitäten, Zielen und Verhaltensweisen eine höhere Priorität einräumt als anderen Lebensaktivitäten, denen zuvor mehr Wert beigemessen wurde. [...] In seiner ausgeprägten Form wird [der Drogenkonsum] zum zwanghaften Verhalten, das chronisch verläuft und durch Rückfälle gekennzeichnet ist“ (ebd.: 171f.). Von diesen Grundgedanken ausgehend werden im Folgenden Wirkungen des Heroins und daraus resultierende Konsequenzen auf Grundlage neurobiologisch-pharmazeutischer Erkenntnisse erörtert. 3.2.1 Wirkungen Substanzen mit rauschindizierender Wirkung werden den psychoaktiven Substanzen zugeordnet, welche in die chemisch-physiologischen Vorgänge des Gehirns so eingreifen können, dass sie Auswirkungen auf das Bewusstsein und die Wahrnehmung des menschlichen Organismus haben. Auch Psychopharmaka, zu deren wichtigsten Gruppe die Opiate gehören, zählen zu diesen Substanzen. Rauschindizierende Substanzen werden ihrer Hauptwirkung entsprechend in die drei Gruppen Halluzinogene (bzw. Psychedelika), Euphorika und Sedativa unterteilt, wobei die Übergänge in den Wirkungen oft fließend sind (vgl. Effmert 2010: 21f.). Psychedelische Drogen (z.B. LSD, Meskalin, Psilocybin), die das Bewusstsein erweitern, reduzieren oder intensivieren die kognitiven Bewertungssysteme. Euphorisierende Drogen (z.B. Kokain, Amphetamine) steigern die Intensität des emotionalen Erlebens, während sedierende Drogen (z.B. Tranquilizer und Heroin) das Bewusstsein für Wahrnehmungsinhalte reduzieren (vgl. Fachner 2008b: 595). Heroin (Diacetylmorphin) führt beim Menschen über die Herabsetzung der Empfindlichkeit des Atemzentrums zu einer Depression aller Phasen der respiratorischen Aktivität (Atemfrequenz, Atemzugvolumen, Atemminutenvolumen). Da durch die hinzugefügten Acetylgruppen die Fettlöslichkeit erhöht wird, kann Heroin ungehindert durch die Blut-Hirn-Schranke treten. Wird Heroin intravenös verbracht, tritt der sogenannte ‚Flash‘ nach nur wenigen Sekunden ein und wird als wesentlich intensiver empfunden als bei der subkutanen oder oralen Applikation (siehe hierzu auch Julien 1997: 258f.; Snyder 1994: 43). Zieglgänsberger & Hölt (2000: 95) vermuten in diesem Zusammenhang, dass der schnelle Wirkungseintritt einer der Hauptgründe dafür sei, dass Heroin das am häufigsten missbräuchlich verwendete Opiat sei. Fast 100% des intravenös applizierten Heroins gelangt über die Blutbahn direkt ins Zentralnervensystem und erreicht dort schnell eine hohe Konzentration. Bereits in gerin-
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ger Menge verabreicht entsteht bei dem Heroinkonsumenten ein Gefühl von Beruhigung, Entspannung, Wärme und Schmerzminderung. Neurobiologisch lässt sich dieser Zustand dadurch erklären, dass es für Opiate im zentralen Nervensystem spezifische Rezeptoren gibt, die sich hauptsächlich im Mittelhirn und Teilen des Rückenmarks sowie vereinzelt im Zwölffingerdarm befinden (vgl. Seefelder 1996: 186; Julien 1997: 255). Wenn Heroin sich an diesen Rezeptoren festsetzt, wird die Aktivität der Zellen beeinflusst, indem es das an dieser Stelle wirksame neurochemische Gamma-Amino-Buttersäure-System (GABA-System) hemmt (vgl. DHS 2018). Dadurch, dass der menschliche Organismus nicht von sich aus diese Rezeptoren, die auf Morphin bzw. Heroin als völlig körperfremde Substanz reagieren, entwickelt, gibt es nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip einen körpereigenen Schlüssel, der eine ähnliche Struktur wie das Morphin aufweisen muss, um an das körpereigene Schloss, den Rezeptor, anbinden zu können. Diese körpereigenen Morphine wurden 1975 entdeckt und als Enkephaline bezeichnet. Ähnliche Verbindungen wurden auch in der Hypophyse, einer lebenswichtigen Drüse im Gehirngang, gefunden und mit dem Namen Endorphine (endogene Morphine) betitelt (vgl. Seefelder 1996: 168). Endorphine werden von bestimmten Neuronen im Gehirn produziert und setzen, ebenso wie Opiate, das Schmerzempfinden herab (vgl. Campbell/Reece 2003: 1507). Sobald ein Schmerzreiz gesetzt wird, kommt es zur Freisetzung von Endorphinen im Gehirn und damit auch zur Unterdrückung des Schmerzempfindens. Obwohl sie von der chemischen Zusammensetzung her keine Verwandtschaft mit Morphin aufweisen, lassen sich von der räumlichen Struktur jedoch Gemeinsamkeiten erkennen. Gelangt Morphin in den Organismus, so beeinflusst es die Schmerzwahrnehmung und den emotionalen Zustand, indem es die natürlichen Endorphine des Gehirns nachahmt (vgl. ebd.: 1156). Es wird ein Syndrom erzeugt, das durch Analgesie, entspannte Euphorie, Sedierung, ein Gefühl der Ruhe, Befreiung von Furcht und Sorge, Atemdämpfung, Dämpfung des Hustenreizes und Pupillenverengung gekennzeichnet ist. Eine Erklärungsmöglichkeit dafür, wie Opiate diese Zustände hervorrufen, vermutet Snyder (1994) in der Ansammlung der Opiatrezeptoren. Verschiedene Strukturen, die direkt unterhalb der Großhirnrinde liegen, werden in ihrer Gesamtheit als limbisches System bezeichnet. Diese Strukturen scheinen die wesentlichen Kontrollzentren für emotionales Verhalten zu sein. Das limbische System weist neurale Verbindungen zu vielen anderen Teilen des Gehirns auf, so dass sich eine emotionale Situation auf den Hormonspiegel im ganzen Körper niederschlagen kann. „Wegen ihrer engen Verknüpfung mit der Großhirnrinde sind limbische Strukturen [...] irgendwie für eine ‚emotionale Tönung’ verantwortlich, die unsere Denkprozesse begleitet. […] Wenn uns beispielsweise eine Idee erregt, schlagen unsere Herzen schneller, unsere Mägen regen sich, und wir empfinden eine freudige Stimmung – alles Effekte, an denen das limbische System beteiligt ist.“ (Ebd.: 57)
Die Häufung von Opiatrezeptoren im limbischen System legt damit eine allgemeine Erklärung für die durch Opiate hervorgerufenen emotionalen Veränderungen nahe besonders für die euphorischen Rauschzustände nach Heroininjektionen. Ein eindeutiger Beweis konnte jedoch bislang noch nicht geliefert werden.
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3.2.2 Heroinabhängigkeit aus neurobiologischer Perspektive Zu Beginn der Abhängigkeit kommt es häufig zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen. Auf die wiederholte Verabreichung des Suchtmittels stellt sich jedoch schnell Toleranz ein – ein Zustand, der immer höhere Dosen erforderlich macht, um die anfänglich durch eine viel geringere Dosis ausgelösten Wirkungen hervorzurufen. Morphin und Heroin werden in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden. Die Halbwertzeit beträgt dabei etwa zwei, die Wirkungsdauer vier bis fünf Stunden (vgl. Julien 1997: 259). Die ständige Einnahme dieser Substanzen kann die Enzyme in der Leber dazu anregen, diese Stoffe schneller abzubauen. Die Wirkungen klingen also eher ab. Dieser Umstand ist für Abhängige von großer Bedeutung, da sie sich die Substanz dementsprechend in immer kürzeren Abständen in immer höheren Dosen zuführen müssen, um den sich schnell einstellenden Entzugserscheinungen entgegenzuwirken. Diese reichen von Symptomen wie Schwitzen, Frieren und Zittern bis hin zu starken Gliederschmerzen, Schlafstörungen und schweren Kreislaufzusammenbrüchen (vgl. DHS 2018). Ebenso können Begleiterscheinungen wie Angst, Depression und Reizbarkeit auftreten. Der akute Drogenentzug wird zwar nicht als lebensbedrohlich angesehen, Betroffene erleben diesen jedoch meist als unerträglich. Die Entzugssymptomatik und die damit einhergehende Toleranzentwicklung gegenüber Heroin hängen dabei sowohl von der körperlichen Beschaffenheit und Reaktion der Konsument*innen ab, als auch von der Dosis, Einnahmehäufigkeit und Verabreichungsform der Droge. Auch die Geschwindigkeit der Toleranzentwicklung kann unterschiedlich und je nach individuellen Einflussfaktoren ausfallen. Wird Heroin beispielsweise nur gelegentlich verabreicht, bildet sich, wenn überhaupt, nur eine geringe Toleranz aus. Wenn zwischen den Phasen des Drogengebrauchs längere drogenfreie Intervalle liegen, kann die anfängliche Wirksamkeit erhalten bleiben. Bei gelegentlichem Genussgebrauch können also niedrige Dosen weiterhin wirksam sein und müssen nicht deutlich gesteigert werden. Mit Steigerung des Drogenkonsums kommt es jedoch zu einer stärkeren Gewöhnung bis hin zur Abhängigkeit (vgl. Julien 1997: 264). Heroin gilt in diesem Zusammenhang als eines der wirksamsten sowohl körperliche wie auch psychische Abhängigkeit erzeugende Suchtmittel. Wenn aufgrund der starken körperlichen Gewöhnung und der kurzen Wirkdauer der Substanz die Dosis und Häufigkeit des Konsums sehr rasch gesteigert werden muss, kann es auch bei Personen, die an die Substanz gewöhnt sind, zu einer Vergiftung kommen. Dies kann sich in Bewusstlosigkeit, Atemdepression und Kreislaufversagen mit Verlangsamung der Herztätigkeit äußern. Die meisten Todesfälle infolge einer Überdosierung, dem sogenannten ‚goldenen Schuss‘, sind auf die Lähmung des Atemzentrums zurückzuführen. Eine mit der Bewusstlosigkeit verbundene besondere Gefahr ist das Ersticken an Erbrochenem. Ebenso können Lungenödeme und Embolien als Folge der Heroinvergiftung auftreten (vgl. DHS 2018). Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2018) gibt in diesem Zusammenhang ebenso zu verstehen, dass in den meisten Fällen einer Heroinabhängigkeit nicht mehr die Rauschwirkung der Droge im Vordergrund stehe, sondern das Verlangen, einen „normalen“ Zustand ohne Entzugssymptome aufrechtzuerhalten. Mit dem körperlichen Verlangen nach dem erneuten Konsum der Droge geht daher meist auch ein starkes psychisches Verlangen einher – das sogenannte Craving. Dieses Verlangen löst das Phänomen der zwanghaften Suche nach der Dro-
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ge aus, über dessen Erklärungsmöglichkeit bislang in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen noch keine Einigkeit herrscht. Im Kontext neurobiologischer Auseinandersetzung wird überwiegend davon ausgegangen, dass bei Opiatsüchtigen physische Veränderungen auftreten, die sie für immer von Opiaten abhängig machen. Diverse Untersuchungen von Opiatrezeptoren innerhalb der letzten Jahre im Hinblick auf suchtrelevante biochemische Veränderungen blieben bislang jedoch ohne Erfolg. Aufgrund der Tatsache, dass die Forschung bislang noch nicht so weit fortgeschritten ist, um eindeutig herauszufinden, wie Opiate süchtig machen, konnten bislang noch keine Medikamente entwickelt werden, die eine Abhängigkeit verhindern. Bis heute wird in der Pharmazie nach einem Analgetikum ohne Missbrauchspotenzial geforscht. Auch in Bezug auf die Ursache, warum Menschen überhaupt Suchtmittel konsumieren, herrscht keine Einigkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Neurowissenschaften sehen beispielsweise einen möglichen Erklärungsansatz zur Suchtentstehung im Zusammenhang mit dem menschlichen Nervensystem – genauer genommen dem Teil dieses Systems, der als sogenanntes Belohnungssystem bezeichnet wird. Seit Mitte der 1970er Jahre gehen Wissenschaftler*innen davon aus, dass der menschliche Körper selbst in der Lage ist, Substanzgruppen zu produzieren, „die unser Wohlbefinden, unsere körperlichen und psychischen Befindlichkeiten maßgeblich bestimmten“ (Schmidt-Semisch 1997: 39). Diese Substanzen, wie sie zuvor bereits als Endorphine beschrieben wurden, werden u.a. bei starken physischen Belastungs- oder Stresssituationen freigesetzt (vgl. ebd. 39f.). „[A]lle positiven Gefühle und Empfindungen [können] biochemisch durch die verstärkte Produktion körpereigener Belohnungsstoffe vermittelt werden: ob Freude, Lust oder Leistungseuphorie, ob Essens-, Sex- oder Kunstgenuß – immer wird dabei zumindest eines der Zentren des Belohnungssystems des Gehirns durch Drogen stimuliert.“ (Scheerer 1995: 41)
Schmidt-Semisch (1997) begreift Drogenkonsum demnach als „exogene Beeinflussung des Belohnungssystems“ und ist der Auffassung: „[D]ie Frage, warum man Drogen zu sich nimmt, beantwortet sich letztlich von selbst. Man tut es, weil man hofft, ohne großen Aufwand angenehme Gefühle zu erfahren.“ (Ebd.: 40) Neben der neurobiologisch-pharmazeutischen Erforschung des Phänomens Heroinabhängigkeit finden jedoch auch in anderen Disziplinen kontroverse Auseinandersetzungen zur Entstehung von Sucht und deren Verlauf statt, die es im Folgenden zu betrachten gilt. De Ridder (2000) zufolge sei das (psychische) Verlangen nach einer Droge schließlich „niemals durch ihre bloße Einnahme bestimmt, sondern gehorcht einem komplexen Bedingungsgefüge, innerhalb dessen die Persönlichkeit und ihre psychische Verfassung sowie der äußere Kontext der Drogeneinnahme eine nicht minder wichtige Rolle einnehmen als die pharmakologischen Eigenschaften der Droge“ (ebd.: 100).
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3.3
THEORIEN DER SUCHTGENESE
Die Erklärungen zur Entstehung von Sucht sind in ihrer Vielzahl kaum zu überblicken. Schmidt-Semisch spricht (2000) sogar von einer „Inflation der Suchttheorien“ (ebd.: 7). In Bezug auf den interdisziplinären Charakter der Drogenforschung stellen Lettieri & Welz (1983) fest, „daß sich verschiedene Disziplinen und Forschungsbereiche unterschiedlich gut zur Erklärung bestimmter Komponenten des Drogenkreislaufs eignen“ (ebd.: 10). Die Ansätze unterschiedlicher Disziplinen reichen hierbei von soziologischen Betrachtungen über politische und persönlichkeitszentrierte Theorien bis hin zur lerntheoretischen Auseinandersetzung. Auch wenn diese verschiedenen Denkansätze zunächst in ihrem Ansatz unterschiedlich erscheinen, sind sie Klein (1997: 41f.) zufolge dennoch kompatibel. Der Fokus der anschließenden Auseinandersetzungen soll daher auf verschiedene Perspektiven zur Ursachenforschung von Drogenabhängigkeit gerichtet werden, welche zur Annäherung an das benannte Phänomen hinzugezogen werden können. 3.3.1 (Persönlichkeits-)Psychologische Ansätze In den meisten (persönlichkeits-)psychologischen Ansätzen wird der Ursprung süchtigen Verhaltens bereits innerhalb der frühen Kindheit verortet. Hierbei wird Drogenabhängigkeit als eine Störung der Persönlichkeit definiert, deren Ursache insbesondere in einem Gefüge von Vernachlässigung, Verwöhnung, Fehlen von Sicherheit und Geborgenheit gesehen wird (vgl. Schmidt-Semisch 2000: 7). Aus einem solchen Defekt resultiere eine nicht ausreichende Ich-Stärke, die den Konsum von Drogen bedinge: „Die Droge dient nun [...] als Kompensation von Ich-Schwäche, als Ersatz für Defizite in der Persönlichkeitsstruktur. So können Menschen, die aufgrund von frühkindlichen Beziehungsstörungen zu Depressionen neigen, das Gefühl der Leere, Sinnlosigkeit und Kontaktunfähigkeit durch Drogenkonsum zu kompensieren suchen. Bedrückend empfundene Situationen werden mittels der Droge entflohen, Angstminderung gesucht, die Kritikfähigkeit am eigenen Handeln herabgesetzt bzw. Selbstvorwürfe gemildert. Mit wachsenden Fluchttendenzen überlagert die Innenwelt die Wahrnehmung der äußeren Realität. Der Süchtige versucht gleichsam sein instabiles, löchriges Selbst durch die Droge zu plombieren.“ (Böllinger et al. 1995: 71)
In diesen und ähnlichen Ansätzen wird häufig von Sucht – entsprechend der Wortherkunft – als Krankheit ausgegangen. Eines der ersten Krankheitskonzepte in Bezug auf Alkoholabhängigkeit, welches sich ebenso auf die Entstehung süchtigen Verhaltens Drogenabhängiger beziehen lässt, geht auf den Psychologen Jellinek (1960) zurück. In Jellineks Ansatz stehen insbesondere pharmakologische Eigenschaften und physiologische Wirkungsweisen im Fokus der Betrachtung. Jellinek stellt nicht nur modellhaft verschiedene Typen von Alkoholkranken dar, er integriert diese auch in ein Phasenmodell verschiedener Stadien, die im Laufe der Suchterkrankung durchlaufen werden können. Der Autor spricht dem Alkoholismus dabei einen „Krankheitscharakter“ zu. Auf dieser Grundlage nimmt er an, dass Drogenkonsument*innen eine bestimmte Art von Persönlichkeit hätten, die sich Groenemeyer
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(1990: 45) zufolge durch eine fehlende Willenskraft, emotionale Labilität u.ä. auszeichne. Einigen Erklärungsansätzen entsprechend wird folglich davon ausgegangen, dass Drogenabhängige eine bestimmte ‚kranke‘ Persönlichkeit besäßen, der ein Suchtcharakter zugrunde liege (vgl. auch Sommer 2002: 17) – oder anders formuliert, „daß es eine feststehende Suchtpersönlichkeit gebe, also Konstellationen von Persönlichkeitsmerkmalen, die bereits im Vorfeld den Süchtigen vom Nichtsüchtigen unterscheiden“ (Schmidt-Semisch 1997: 42). „Weil der Drogengebrauch ein Ausdruck einer bestimmten kranken Persönlichkeit ist, bleibt die Drogenabhängigkeit so lange bestehen, bis sie durch eine therapeutische Intervention verändert wird. Selbstständige Versuche, mit dem Drogengebrauch aufzuhören, können demnach solange nicht erfolgreich sein, wie die darunter liegenden Probleme der Persönlichkeit nicht therapiert worden sind.“ (Groenemeyer 1990: 45)
Auch Coleman (1987) sieht den Ausgangspunkt des Konzeptes eines Suchtcharakters in einer bei den Drogenkonsumierenden bereits vor dem eigentlichen Konsum vorliegenden Prädisposition: „The most common and widely accepted approach to addiction focuses on the personality structure of the addict. Underlying this group of theories is the assumption that people become addicts because they are mentally abnormal or inadequate, or at least debilitated by some serious psychological problems.“ (Ebd.: 555)
Wenn die Entwicklung einer Suchtpersönlichkeit mit dem Erstkonsum zum Ausbruch kommt, so vollzieht sie sich fortan in Form einer Verelendungskarriere (vgl. Sommer 2007: 18; Groenemeyer 1990: 45). Coleman (1987) zufolge münde die „typical addict career“ dann in eine „spiral down“-Phase, an deren Ende unausweichlich der Verlust der Lebensperspektive stehe: „When this ‚spiral down‘ finally reaches its nadir, the addict is overwhelmed by a sense of personal despair.“ (Ebd.: 560) Die Annahme, dass es eine typische Persönlichkeitsstruktur unter Abhängigen gäbe, die sich für die Entstehung von Sucht prädisponiert, konnte sich unter Therapeut*innen verschiedener Fachrichtungen jedoch nicht durchsetzen. SchmidtSemisch (2000) merkt in diesem Zusammenhang an, dass es eine Reihe an weiteren vagen Vermutungen gäbe, die von „broken-home-Szenarien und mangelndem Selbstvertrauen, über höhere Toleranz für Fehlverhalten und Indifferenz gegenüber sozialen Normen, bis hin zu größeren Bedürfnissen nach impulsiven Aktionen und stärkeren Gefühlserfahrungen sowie der Unfähigkeit zu natürlicher Euphorie“ (ebd.: 7) reichten. Wird sich Mechanismen der Suchtentstehung aus entwicklungspsychologischer Perspektive genähert, so bieten sich auch hier verschiedene Erklärungsansätze an. Sucht wird in diesem Zusammenhang beispielsweise als zeitlich begrenzter und altersabhängiger Reifungsprozess gesehen (vgl. Sommer 2002: 21). Ein bekannter Ansatz geht hierbei auf Winick (1962) zurück, nach dessen „maturing-out of addiction“Hypothese Drogenabhängige aus dem Drogenkonsum – im Gegensatz zur Verelendungshypothese – entwicklungsbedingt durch das Heranwachsen bzw. das Erreichen eines bestimmten Lebensalters herauswachsen (ebd.: 5; siehe auch Ladewig 1992: 41ff.). Es wird folglich davon ausgegangen, dass der Ausstieg aus der Sucht nicht auf
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individuellen Persönlichkeitsvariablen beruhe. Hingegen wird der Suchtverlauf als ein Lebenszyklus beschrieben, „welcher objektiv verläuft und hauptsächlich wegen der Variablen ‚Alter’ (höheres Alter bedeutet eine größere Wahrscheinlichkeit des Ausstieges) und ‚Dauer’ (desto länger die Karriere desto mehr nähert sich der Drogenabhängige dem Ausstieg) zu einem Ende kommt [...]“ (Sommer 2002.: 22). Die Auffassung, dass Krankheiten bzw. Verhaltensstörungen mit dem Älterwerden zum Stillstand kommen oder einen günstigeren Verlauf nehmen, grenzt an Themen wie Natural Recovery, Spontanremission oder Selbstheilung an (vgl. Ladewig 1992: 41). In damit verbundene Diskurse fällt auch das kontrollierte Trinken (Smart 1976) bzw. der kontrollierte Gebrauch von Heroin (Biernacki 1986). 3.3.2 Psychoanalytische Ansätze Psychoanalytische Ansätze beschäftigen sich mit der Konstitution von Subjektivität unter besonderer Berücksichtigung unbewusster Konflikte, Sexualtriebe und Traumatisierungen in der Kindheit sowie der Entwicklung in der Pubertätskrise.5 Zur Untersuchung werden hierbei sowohl trieb-, als auch ich-, selbst und objektpsychologische Modelle angewendet. Einer der populärsten Ansätze psychoanalytischer Forschung ist auf das Triebmodell Freuds zurückzuführen, das sich in erster Linie auf die Unterdrückung des Sexualtriebs bezieht. In seinem Werk „Sexualität in der Ätiologie der Neurosen“ (1888) vergleicht er Sucht mit der Masturbation. Über das Suchtmittel verschafften sich Konsumierende direkten Lustgewinn als Ersatzbefriedigung. „Es ist mir die Einsicht aufgegangen, daß die Masturbation die einzige große Gewohnheit, die ‚Ursache’ ist, als deren Ersatz und Ablöse erst die anderen Süchte nach Alkohol, Morphium, Tabak etc. ins Leben treten.“ (Freud 1962: 205) Freud (1905) ordnet in erster Linie den Konsum von Alkohol einem Lustprinzip zu. Alkohol diene hierbei als Mittel zur Unterdrückung und Freisetzung verdrängter Triebe: „Die Verdrängung der Stimmungslage ist das Wertvollste, was der Alkohol dem Menschen leistet, und weshalb dieses ‚Gift‘ nicht für jeden gleich entbehrlich ist. Die heitere Stimmung, ob nun endogen entstanden oder toxisch erzeugt, setzt die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herab und macht damit Lustquellen wieder zugänglich, auf denen Unterdrückung lastet.“ (Zit. n. Freud 1993: 142)
Alkohol stelle Freud zufolge ein Liebesersatzobjekt bzw. ein Idealobjekt dar. Wenn er behauptet, dass Alkohol Hemmungen herabsetze, Stimmungen dafür aber hebe und die Sublimierung rückgängig mache, so zählt er hierbei Eigenschaften auf, die sich auch auf die Rauschwirkung von psychoaktiven Substanzen beziehen lassen. In seinem späteren Werk Das Unbehagen in der Kultur (1930) nimmt Freud dann eine Akzentverschiebung von der Suche nach Lustgewinn zur Unlustvermeidung vor. Er versteht den Rausch dementsprechend als eine „manische Flucht vor der Realität“ und als „Schutz vor dem alltäglichen Elend“. Rost (1994: 33) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass insbesondere letztere Auffassung einen zentralen Aspekt für die Ich-Psychologie darstelle, „den Suchtmittelmißbrauch als einen gefährli-
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Hier sei insbesondere auf die Arbeiten von Erikson (z.B. 1970) verwiesen.
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chen, meist zum Scheitern verurteilten Selbstheilungsversuch zu sehen, mit dessen Hilfe sich das Individuum gegen bedrohliche, vom Ich nicht bewältigbare Reize aus der inneren wie aus der äußeren Welt zu schützen versucht“. Ein weiterer Ansatz in diesem Zusammenhang geht von Greaves (1974; 1983) aus, der die zentrale Ursache von Sucht in der Genussunfähigkeit sieht: „Personen, die drogenabhängig werden, sind diejenigen, deren Fähigkeit, angenehme sinnliche Erfahrungen wahrzunehmen, ein deutliches Defizit aufweist; sie haben die kindliche Fähigkeit verloren, durch aktives Spiel, zu dem auch entspannende Sexualität gehört, eine natürliche Euphorie zu erzeugen. Nachdem sie mit Drogen experimentiert haben, neigen sie dazu, diese Wirkstoffe in großen Mengen zu verwenden, um einen Teil des Schmerzes und der Angst zu beseitigen, die mit einem apathischen, dysphorischen Lebensstil einhergehen.“ (Greaves 1974, zit. n. Greaves 1983: 42)
Greaves beschreibt eine Theorie der Drogenabhängigkeit, nach der Menschen in erster Linie motiviert seien, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen: „Wenn Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden können und die persönliche Befriedigung gehemmt wird, resultieren daraus Leid und Verzweiflung, die sowohl destruktive wie auch positive Aktivitäten hervorbringen, um dieses Leid und diese Verzweiflung zu verhindern.“ (Ebd.: 39) Er geht dabei von Persönlichkeitsfaktoren aus, die mit dem zur Abhängigkeit führenden Verhalten des Drogenkonsums in einer Wechselbeziehung stünden. Ebenso in diesen Kontext lassen sich die Arbeiten zur Aggressions- bzw. Sadismustheorie von Glover verorten. Glover (1933) versteht Sucht als „Beherrschung sadistischer Neigungen“ (ebd.: 186), wobei das Suchtmittel – im Gegensatz zu Freuds Liebesobjekt – ein Partialobjekt „mit sadistischen Eigenschaften [darstellt] [...], das sowohl in der Außenwelt wie auch im eigenen Körper existieren kann, das seine sadistischen Eigenschaften aber nur im Körperinnern entfalten kann“ (ebd.: 186). Glover charakterisiert Sucht demnach als „einen Schutzwall gegen die Regression zu psychotischen Ängsten“ (ebd.: 187) sowie als Bewältigungsversuch sadistischer Regungen. Insbesondere die individuelle Mischung verschiedener Triebregungen charakterisiere die Sucht: Auf der einen Seite schütze und tröste das Suchmittel; auf der anderen Seite sei es destruktiv und wirke selbstzerstörerisch. Die meisten Ich-psychologisch zentrierten Arbeiten zur Sucht lassen sich auf die Theorien des Psychoanalytikers Radó (1934) zurückführen, nach dessen Ausführungen die Rauschgiftsucht durch eine Initialverstimmung hervorgerufen werde, die „eine hohe Unlustspannung und gleichzeitig eine hochgradige Intoleranz gegen Unlust“ (ebd.: 19) aufzeige. Er führt seine Aussagen auf einen „ungenügenden Reizschutz des Ichs gegen die mit Triebversagung verbundenen unlustvollen Affekte“ zurück (siehe hierzu auch Subkowski 2008: 58). Durch seine analgetische, schmerzlindernde und sedierende Wirkung sei das Rauschmittel jedoch in der Lage, den benötigten Reizschutz wieder herzustellen. Radó (1934) sieht im Rausch einen „sprunghafte[n] Anstieg des Selbstgefühls und der Stimmung“ als „Reaktion des Ichs auf den Lusterfolg“ (ebd.: 19). Die Ausführungen Radós werden insbesondere in den späteren Arbeiten von Krystal & Raskin weiterentwickelt. Das 1983 von den beiden Autoren erschienene Werk „Drug Dependence“ schätzt Rost (1994) in diesem Zusammenhang als das
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„meistbeachtete und am weitesten verbreitete psychoanalytische Buch zur Sucht“ (ebd.: 61) ein. Krystal & Raskin (1983) zufolge sei Drogenabhängigkeit „Ausdruck einer bestimmten Funktionsweise des Ichs [...]. Das heißt: Sie ist eine Form der Anpassung, vielleicht der einzige Anpassungsmechanismus an akute Probleme, der dem Betreffenden in diesem Augenblick zur Verfügung steht“ (ebd.: 15). Die Autoren sehen in der Drogenabhängigkeit eine Symptom-Repräsentanz. Diese stelle eine Form der psychischen Stressbewältigung dar sowie einen Versuch, mit einem intrapsychischen Ungleichgewicht, Konflikten und Erregungen umzugehen. Die Autoren stellen folglich drei Dimensionen für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht fest: 1. Das Ich und die Affekte (insbesondere Angst und Depressionen); 2. ObjektRepräsentanzen und Selbst-Repräsentanzen; 3. Veränderungen des Bewusstseins (vgl. ebd.: 17). Ausgehend von einer früheren Feststellung Krystals (1962), dass Angst und Depression aus einem gemeinsamen Ursprung bzw. Uraffekt stammten, sind die beiden Autoren der Auffassung, dass die Widerstandsfähigkeit gegenüber Affekten, der Reizschutz, bei Süchtigen zu schwach oder defekt sei, um diese Affekte hinreichend differenzieren und bewältigen zu können. Dies habe eine affektive Regression zur Folge (vgl. ebd.: 23, 34). Die Einnahme schmerzstillender Substanzen diene folglich der Regulierung und Dämpfung solcher Affekte. Sie erhöhen den Autoren zufolge den Reizschutz und damit die Abwehr innerer und äußerer Einflüsse, welche die Lebensfähigkeit des Individuums gefährden könnten. Im Zuge der Beschäftigung mit der Wirkung von Drogen kamen Krystal & Raskin (1983) schließlich zu der Annahme, dass „die Droge ein Übertragungsobjekt repräsentiert, daß sie eine symbolische Bedeutung hat und daß das Einnehmen der Droge zu einer Art psychischen Selbstmanipulation“ (ebd.: 49) dienen könne. Wird Abhängigen die Droge, ihr ‚Liebesobjekt‘, entzogen, so äußere sich dies wie folgt: „Die Kehrseite desselben Phänomens ist, daß Drogenabhängige und Alkoholiker wegen einer Reihe von Problemen, zu denen der narzißtische Typ der Objektbeziehung und ihre diesbezügliche Ambivalenz zählen, dazu neigen, chronisch depressiv zu werden. Sie sind unfähig, den Verlust eines Liebesobjekts zu verarbeiten und entwickeln am ‚Morgen danach‘ die verschiedensten ‚Katerstimmungen‘.“ (Krystal/Raskin 1983: 52; siehe auch Krystal 1959)6
Die Autoren gehen folglich davon aus, dass bei einigen Drogenabhängigen eine „Störung des Individuationsprozesses“ und der Bildung einer „wohlwollenden SelbstRepräsentanz und Objekt Repräsentanz“ (ebd.: 52) vorläge: „Die SelbstRepräsentanz und das Ich verkümmern und werden von ‚äußerer‘ Zufuhr abhängig.“ (Ebd.) Das Selbst werde dabei als schwach oder hilflos, schlecht oder wertlos erlebt (vgl. ebd.: 69).7 An dieser Stelle wird eine Verbindung zu den zuvor thematisierten
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Die „Katerstimmung“ ist hierbei als Reaktion auf eintretende Entzugserscheinungen zu verstehen, die mit dem Verlangen des erneuten Konsums einhergeht. Rost (1994) fällt hierbei auf, dass die Autoren zwar den Terminus Selbst verwenden, damit aber nicht – wie bspw. Kohut (1979) – das Selbst „als umfassende, zentrale psychische Instanz der Persönlichkeit“ auffassen, sondern vielmehr als „terminus technicus, im Sinne der Ichpsychologie“ (Rost 1994: 62). Da hierzu jedoch keine genaue Definition vorliegt, führt Rost aus: „Allgemein kann man es etwa folgendermaßen verstehen: Das Ich als die zentrale
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Ansätzen deutlich: Die Autoren vermuten nämlich, dass Drogenabhängige kein stabiles und positives Selbstbild aufbauen könnten, da sie in der frühkindlichen Entwicklung Traumata – insbesondere durch die nicht ausreichende Zuwendung von außen – erfahren hätten. Das frühe Liebesobjekt wird daher als ambivalent erlebt: es wird zugleich mit Liebe und Hass sowie destruktiver Aggression sowie mit Scham- und Schuldgefühlen verbunden. Mit dem Verlangen nach einem passenden Liebesersatz und der Auflösung von (inneren und äußeren) Spannungen suchen sie in der Verschmelzung mit der Droge nach einem Ersatzobjekt, um „in einen Zustand von Nirwana zu gelangen“ (Krystal/Raskin 1983: 52). Da dieser Zustand jedoch nicht aufrechtzuerhalten, sondern nur von vorübergehender Natur sei, seien sie permanent auf der Suche nach einer erneuten Zufuhr der Droge. Die Autoren gehen zwar von einer Sehnsucht nach der „Verschmelzung mit dem Objekt“ aus, sind aber der Auffassung, dass Süchtige gleichzeitig versuchten, eine strenge Externalisierung aufrechtzuerhalten: „Sie benutzen die Droge als eine Transsubstantiation, eine ständig wiederholte Bekräftigung der Existenz des Objekts und der Möglichkeit der Erfüllung ihrer Phantasie der Introjektion.“ (Ebd.: 52) Wenn Krystal & Raskin dem Konsum von Drogen nun vordergründig den Zweck des (Selbst-)Schutzes vor unangenehmen Affekten zuschreiben, so gehen sie davon aus, dass mit dem Konsum gleichermaßen eine verminderte Fähigkeit, Veränderungen im Verhalten und im Erleben wahrzunehmen, einhergehe (vgl. ebd.: 75f.). Die Autoren vermuten, dass Drogenabhängige bereits vor ihrem Suchtproblem an mangelnder Selbstwahrnehmung und -beurteilung litten. Durch das Herabsetzen des Bewusstseins mithilfe der Droge würden schmerzhafte und bedrohliche Affekte blockiert sowie innere Konflikte und Überich-Spannungen reduziert. Der Konsum der Droge helfe den Konsumierenden, ihre eigene (seelische) ‚Realität‘ umzudeuten, so dass sich die Vorstellungen von sich selbst und der Umwelt veränderten, und sowohl das eigene Selbstbild als auch die Außenwelt als angenehmer erfahren werden (vgl. ebd.: 90; siehe auch Rost 1994: 64f.). „Durch Drogeneinnahme werden bestimmte Phantasien ermöglicht, die die Verschmelzung zwischen der ‚guten‘ Selbst-Repräsentanz und der idealisierten Objekt-Repräsentanz symbolisieren. Diese Verkettung von Umständen läßt ein derartiges Gefühl von Unverwundbarkeit entstehen, daß die physiologischen Komponenten der Angst als lustvoll und nicht bedrohlich erlebt werden.“ (Krystal/Raskin 1983: 90)
An den Ansatz von Krystal & Raskin ist auch die Theorie Wurmsers zur „Psychodynamik des Drogenzwangs“ ([1978], 1997) angelehnt. Die Prädisposition zur Sucht setzt sich dem Autor zufolge aus sieben Faktoren zusammen: einem Defekt in der Affektabwehr; einem Defekt in der Selbstwertformation; der Hyposymbolisation, der Unzulänglichkeit der Süchtigen, ihr Leiden zu verbalisieren; der Suche nach einem
Instanz der Persönlichkeit bildet sich aus den ‚psychischen Niederschlägen‘ wiederholter Erfahrungen mit den Objekten und dem Selbst, in der Psychoanalyse als Selbst- und Objektpräsentanzen bezeichnet. Diese miteinander verflochtenen Repräsentanzen bilden in ihrer Fusion das Ich.“ (Ebd.)
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Objektersatz; der Selbstzerstörung; der regressiven Gratifikation; der vorliegenden Familienpathologie.8 Sucht verlaufe Wurmser (2000) zufolge in einem Suchtzirkel. Innerhalb dieses Modells sei der Auslöser zum Suchtmittelkonsum eine narzisstische Krise, die zu einer Affektregression führe. Dabei würden Gefühle als „überwältigend, global, archaisch, körperlich und nicht in Worten fassbar empfunden [...]: ein unbeherrschbarer Einbruch von Wut und Scham und Verzweiflung“ (ebd.: 49). In einer weiteren Station erfolge die Wendung vom Passiven ins Aktive, das „Umdrehen des Spießes“ (ebd.: 50). Durch an die Außenwelt gerichtete Wut und Empörung identifiziere sich die Ich-Seite mit dem Angreifer oder mit dem Trauma, was eine Spaltung oder Verdopplung des Selbst nach sich führe. Innerhalb der Externalisierungsphase suche der Drogenabhängige dann nach einer konkreten „äußeren“ Lösung für seine „inneren“ Konflikte: „Gewalttat, Masochismus, Drogen, das Suchen nach Risiko und Aufregung, Erwischtwerden – der genaue Modus dieser Abwehr durch Externalisierung ist für den Patienten im Augenblick nicht so wichtig. Was zählt, ist die Abwehr durch konkrete Handlungen in der Außenwelt, die magisch das Leben verändern soll.“ (Ebd.: 51)
Der nächste Schritt bezieht die narzisstische Aggression mit ein – „gewöhnlich in Form des ‚Ausbrechens’, der Grenzüberschreitung, der Verletzung sozialer Schranken, des feindseligen Angriffs auf andere oder der Selbstvernichtung, dem anderen und sich selbst Schmerz zuzufügen, andere zu demütigen und sich selbst zu schädigen“ (ebd.: 51). Dies habe „eine Flucht vor dem Gewissen“ (ebd.: 51) und damit eine Abwehr gegen das Schuldgefühl und eine Überich-Spaltung zur Folge. Der bzw. die Drogenabhängige erfahre durch die Drogenwirkung eine Steigerung des Selbstwertgefühls und einen regressiven, narzisstischen Zustand der Selbstzufriedenheit. Im Zuge selbst-psychologischer Auseinandersetzung sollten nicht zuletzt die Theorien Kohuts Erwähnung finden. In seinen Monographien „Narzissmus“ (1971) und „Die Heilung des Selbst“ (1977) definiert Kohut das Selbst9 im Rahmen eines tiefenpsychologischen Konzepts. Kohut fasst Drogenabhängigkeit als psychologische Störung auf, bei der das betroffene Individuum unter einer zentralen „Schwäche im Kern seiner Persönlichkeit“ und damit unter den Folgen eines „Defekts im Selbst“ (Kohut 1976, Vorwort zu vom Scheidt 1976: 9) leide: „Das narzißstisch gestörte Individuum sehnt sich nach Anerkennung und Zustimmung oder nach dem Verschmelzen mit einem idealisierten, unterstützenden anderen, weil es sich selbst nicht genügend mit Selbstbestätigung oder mit einem Gefühl der Stärke aus eigenen inneren Quellen versorgen kann. [...] Der Süchtige schließlich braucht die Droge, weil er meint, die Droge könne den zentralen Defekt in seinem Selbst heilen.“ (Ebd.: 9f.)
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Für detailliertere Ausführungen siehe hierzu auch Wernado (2008: 140). Er konzipierte damit nicht nur eine Theorie, die unabhängig von anderen psychoanalytischen- und Entwicklungstheorien stand, sondern die sich auch von der gängigen Triebpsychologie Freuds entfernte (siehe hierzu auch Tiedemann 2007). Eine detaillierte Auseinandersetzung zum Selbst findet in Kapitel 4 statt.
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Die Droge werde für die betroffene Person zum Ersatz für ein Selbst-Objekt. Gemeint sind damit Objekte, die entweder „im Dienste des Selbst und der Aufrechterhaltung seiner Triebbesetzung“ benutzt oder die „als Teil des Selbst“ (Kohut 1971:14) erlebt werden. „Indem er sich die Droge einverleibt, verschafft er sich das Gefühl, akzeptiert zu sein und damit das Gefühl des Selbstvertrauens; oder stellt die Erfahrung des Verschmolzenseins mit einer Kraftquelle her, die ihm das Gefühlt gibt, stark und wertvoll zu sein. Alle diese Wirkungen der Droge laufen darauf hinaus, sein Gefühl des Lebendigseins zu verstärken, seine Gewißheit zu verstärken, daß er in dieser Welt existiert.“ (Ebd.: 10)
Der Trugschluss dieses scheinbaren Lösungsansatzes läge jedoch darin, dass der Versuch der Selbstheilung nicht von Dauer sei und nicht zur Heilung der grundlegenden psychischen Krankheit führe: „Der Defekt im Selbst bleibt.“ (Ebd.: 11)
3.4
PHASEN UND KARRIEREVERLÄUFE VON DROGENABHÄNGIGKEIT
Im Folgenden wird Drogenabhängigkeit sowohl aus lerntheoretischer Perspektive als auch im Zusammenhang von Suchtkarrieren im Kontext abweichenden Verhaltens betrachtet. Neben einem Einblick in soziologische Auseinandersetzungen zur Suchtentstehung werden im Weiteren Entwicklungsphasen bzw. protypische Verläufe von Heroinsucht nach Darke (2013) dargestellt, um sich der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht im Zusammenhang von Handlungs- und Verhaltensmustern zu nähern. 3.4.1 Suchtkarrieren im Kontext abweichenden Verhaltens Die Reaktion auf bzw. die Bewertung von Drogenkonsum fällt je nach gesellschaftlichen und individuellen Deutungsmustern unterschiedlich aus. Der Konsum von Drogen kann hierbei etwa als Lebensstil, Krankheit, Schwäche oder eine Form abweichenden Verhaltens gedeutet werden10. Als abweichend gilt ein Verhalten, das gegen gesellschaftliche Normen verstößt und durch Sanktionen bestraft wird (vgl. u.a. Cohen 1966: 1; Reuband 1994: 12). Wird der Konsum von Heroin aufgrund seines illegalen Status’ und einer durch die Gesellschaft moralisch geprägten Zuschreibung als abweichendes Verhalten angesehen, so setzt diese Deutung ein entsprechendes gesellschaftliches Werte- und Normensystem voraus, das den Konsum von Drogen ablehnt. Eine mögliche Erklärung süchtigen Verhaltens geht in diesem Zusammenhang auf einen lerntheoretischen Ansatz zurück. Die Lerntheorie wird hierbei als Paradigma für den Erwerb von Gewohnheiten u.a. zur Beschreibung des menschlichen Problemverhaltens herangezogen (vgl. Revenstorf/Metsch 1986: 121). Der Theorie entsprechend wird normales wie abnormales Verhalten, so auch der Konsum von Dro-
10 Zur ausführlichen Lektüre Theorien abweichenden Verhaltens siehe u.a. Lamnek (2018).
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gen, nach den gleichen Lernprinzipien erworben. Böllinger et al. (1995: 74) beschreiben im Folgenden anhand eines exemplarischen Weges in die Drogenabhängigkeit drei Phasen der Lerntheorie – Imitationslernen bzw. Beobachtunglernen (nach Bandura), operantes Konditionieren (nach Skinner) und klassisches Konditionieren (nach Pawlow): „Ein Jugendlicher trifft z.B. auf einer Party mit einem oder mehreren Drogenkonsumenten zusammen. Der Drogenkonsum ist anscheinend beliebt, prestigebehaftet und zeigt nach dem Genuß von Drogen bestimmte Wirkungen: er ist gelöster, fühlt sich offenbar besser. Der Jugendliche möchte auch so beliebt sein (Imitationslernen). Probiert er dann auch von der Droge, so erfährt er eine Reihe positiver sozialer Bekräftigungen durch die Gruppe (Zuwendung, Anerkennung usw.); weigert er sich zu probieren, wird er abgelehnt. (Auf ein bestimmtes Verhalten folgt unmittelbar ein bekräftigender Reiz – verstanden als ‚operantes Konditionieren‘.) Drogenkonsum wird so durch die Reaktionen der sozialen Umwelt gesteuert. Nach einiger Zeit genügen die sozialen Reize (Beisammensein, Gleichgesinnte, Kneipen, Musik, die Droge selbst, Anblick der Spritze), die jeweils zeitlich und räumlich mit dem Genuß der Droge verknüpft waren, um allein das Verlangen nach der Droge zu bewirken (klassisches Konditionieren).“
Ebenso wird im lerntheoretischen Kontext davon ausgegangen, dass Süchtige nicht nur das Konsumieren der Droge erlernen. Sie machen auch die Erfahrung, dass sie durch den Konsum unangenehme (Konflikt-)Situationen umgehen bzw. sich davon (zeitweise) distanzieren können. Im Zuge der körperlichen Abhängigkeit lernen die Konsumierenden, dass ein Gefühl des Wohlfühlens nur mit erneutem Drogenkonsum erzeugt werden kann. Luckenbill & Best (1981) sehen im Kontext der Devianzforschung abnormales bzw. abweichendes Verhalten insbesondere in einer Verbindung mit der konzeptuellen und theoretischen Ausdifferenzierung der Karriereforschung: „One of the central topics in the sociology of deviance is the deviant career, an individuals movement through the deviant experience.“ (Ebd.: 197) Das Karrierekonzept wurde in soziologischer Forschung hinsichtlich der Erklärung abweichenden Verhaltens ab Ende der 1950er Jahre aufgegriffen. In diesem Kontext ist vor allem Goffman zu nennen, der sich mit seinem Werk „Asyle“ (1973) mit dem sozialen Leben in Heilanstalten und damit verbundenen Anpassungszwängen beschäftigt. Er geht hierbei sowohl dem Konstrukt der „moralischen Karriere“ als auch Veränderungen im Selbstbild der jeweiligen Protagonist*innen nach. Goffman ist der Auffassung, dass sich Selbstbilder bzw. „moralisch-symbolische Selbst-Dispositionen“ zwar aus positiven Erfahrungen konstituierten, jedoch von negativen Erfahrungen, die aus institutionellen Mustern oder habituellen Reaktionen anderer Mitmenschen hervorgehen, beschädigt und verändert werden könnten. Willems (2008) schlussfolgert hieraus, dass „die ‚Karriere‘ des stigmatisierten Selbstes [...] demnach durch äußere und innere (habituelle) Objektivitäten bestimmt [ist], die mit typischen Erfahrungen und Reaktionsmustern auch typische Verlaufsmuster der Selbst-Entwicklung zur Folge haben“ (ebd.: 82).11
11 Willems Gedanken sind insofern interessant, als sie im Folgenden im Zusammenhang mit der Genese und Modifikation von Selbstkonzepten (siehe Kapitel 4) von zentraler Bedeutung erscheinen. Insbesondere im Hinblick auf Karrierewege heroinabhängiger Musi-
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Eine der wichtigsten Entwicklungen des Karriereansatzes in der Soziologie abweichenden Verhaltens, so pflichten auch Berger et al. (1980) bei, geht u.a. auf die Arbeiten von Becker zurück – insbesondere auf dessen Werk „Außenseiter“ („Outsider“) (1971, 2014). Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Studien über Marihuana-Konsument*innen und Jazzmusiker*innen, in denen er sich in der Tradition der Chicago School und in Bezug auf den Symbolischen Interaktionismus mit sozialen Prozessen, die zur Etablierung von „Außenseitern“ und ihren Subkulturen führten, beschäftigt (siehe hierzu auch Maeder 2007: 29). Becker geht es dabei nicht in erster Linie um die Frage nach dem Warum. Er fragt weniger nach Innenmotivationen und Faktoren, die zu abweichendem Verhalten führen. Vielmehr versucht er Lebenswelten der Protagonist*innen und damit einhergehende Interaktionen nachzuvollziehen, in denen die Bezeichnung „Außenseiter“ aufgekommen ist (vgl. Dellwing 2014: 7). „Deviance is not a quality of the act the person commits, but rather a consequence of the application by others of rules and sanctions to an ‚offender‘. The deviant is one to whom the label has successfully been applied; deviant behavior is behavior that people so label.“ (Becker 1963: 9)
Becker sieht abweichendes Verhalten folglich nicht in der sozialen Situation begründet, sondern geht davon aus, „dass gesellschaftliche Gruppen abweichendes Verhalten dadurch schaffen, dass sie Regeln aufstellen, deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert und dass sie diese Regeln auf bestimmte Menschen anwenden, die sie als Außenseiter etikettieren“ (Becker 2014: 31). Mit der sich daraus ableitenden Etikettierungstheorie und der Auffassung, dass abweichendes Verhalten nicht objektiv vorhanden, sondern sozial zugeschrieben sei, begründet er einen Ansatz, der in soziologischer Forschung auch als Erklärungsgrundlage süchtigen Verhaltens herangezogen wird. In Anlehnung an Böllinger et al. (1995) geht es in diesem Kontext folglich darum, die gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse zu analysieren, die jemanden zum Drogenabhängigen werden lassen (vgl. ebd.: 78). Wenn davon ausgegangen wird, dass Drogenabhängige von einem von der allgemeinen Gesellschaft zugeschriebenen Normalmaß und damit verbundenen gesellschaftlichen Werten (Arbeit, Ordnung, Sicherheit) abweichen, so würde ihnen etwa das Etikett krank, kriminell oder defizitär angeheftet werden. Folglich werden die Stigmatisierten „in den ihnen einzig verbleibenden sozialen Anerkennungsraum, die Subkultur, abgedrängt und stabilisieren sich dort als ‚Outsider‘“ (ebd.: 78). Ein weiterer Verdienst von Becker liegt darin, dass sein Karriereansatz in seinen empirischen Arbeiten sämtliche Phasen einer devianten Karriere umfasst. Es wird hierbei also nicht nur dessen prozesshafter Charakter von Handlungsabläufen herausgestellt, sondern auch die unterschiedliche Bedeutung von Faktoren in unterschiedlichen Phasen berücksichtigt (vgl. Berger et al. 1980: 13). Demzufolge verlangt Be-
ker*innen sind die zuvor beschrieben Aspekte von institutionellen Systemen – bspw. auf das Musikbusiness, Plattenfirmen, Management etc. bezogen – sowie menschlichen Interaktionen und Reaktionen – bspw. durch Peers, Fans, Idole etc. – als mögliche Einflussfaktoren denkbar.
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cker nach einer Erklärung aller Phasen. Berger et al. (ebd.: 13) konkretisieren dies wie folgt: „So bedürfen wir denn z.B. zur Erklärung des Rauschmittelkonsums einer Erklärung dafür, wie jemand in eine Situation gerät, in der sich ihm die Möglichkeit des Rauschmittelerwerbs bietet; weiterhin eine Erklärung, warum er sich zum Konsum bereitfindet, wenn er die Gelegenheit dazu hat, und warum er den Rauschmittelkonsum nach dem Erstkonsum fortsetzt.“
Bei der Erklärung jeweiliger Phasen geht es folglich nicht nur um objektive Bedingungen, aus denen sich spezifisches Handeln ergeben kann, sondern auch um subjektive Handlungsprozesse, die auf individuellen Wahrnehmungs- und Interpretationsansätzen beruhen. Becker fasst die jeweiligen Phasen und damit verbundenen Handlungsabläufe unter dem Begriff der Karriere zusammen. Hierbei ist zu erkennen, dass der Begriff – wie es an der Karriere von Drogenabhängigen besonders deutlich wird – nicht unmittelbar mit der Assoziation von etwas Erstrebenswertem, nämlich Erfolg, in Verbindung steht. Auch Groenemeyer (1990) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verwendung des Karrierebegriffs leicht als Zynismus oder Euphemismus ausgelegt werden könne, „wenn der z.T. doch sehr drastische soziale und physische Verfall von schweren Drogenabhängigen mit dem sozialen Aufstieg und Statusgewinn in der konventionellen Arbeitswelt analogisiert wird“ (ebd.: 23). Hser et al. (2007b: 515f.) schlagen daher die alternative Bezeichnung der Kurve des Konsums vor. Ob nun Karriere, Konsumkurve oder Verlaufsbahn – letztendlich ist das grundsätzliche Denkmodell bei diesen Begriffen identisch, wie es Darke (2013) schließlich auf den Punkt bringt: Es „beschreibt einen Prozess, in dem der Drogenkonsum sich stufenweise verschlimmert und dabei über lange Zeiträume zyklisch Phasen des Aufhörens und des Rückfalls durchläuft“ (ebd.: 31). 3.4.2 Entwicklungsphasen von Heroinabhängigkeit nach Darke (2013) In seiner Auseinandersetzung mit Krankheitskarrieren von Heroinkonsument*innen beschäftigt sich der australische Suchtforscher Darke (2013) mit verschiedenen Stationen im Lebenslauf von Heroinabhängigen und damit einhergehenden typischen Entwicklungslinien, die er wie folgt unterteilt: Beginn des Konsums, Beginn der Abhängigkeit, Dauer des Konsums, Abbruch des Konsums, Rückfall in den Konsum und nachhaltige Genesung oder Todesfall. Darke ist der Auffassung, dass zur Untersuchung des Lebens- bzw. Entwicklungsverlaufs von Heroinkonsumenten und zur Beschreibung von Faktoren, die den Drogeneinstieg beeinflussen und damit eine Suchtkarriere bedingen, zunächst die sozialen Hintergründe jeweiliger Protagonist*innen zu klären seien: „Wenn wir verstehen wollen, warum und wie sich Menschen zu Heroinkonsumenten entwickeln und warum ihre Lebensläufe eine derartige Form annehmen, müssen wir ihre Entwicklungsmuster erforschen.“ (Ebd.: 33) Die Gesamtschau eines Lebens mit Heroinabhängigkeit beginnt folglich in der frühen Entwicklungsphase bzw. mit frühen Lebenserfahrungen in der Kindheit. Darke weist dabei zunächst auf eine Korrelation zwischen dem Konsum bzw. der daran anknüpfenden Abhängigkeit von psychoakti-
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ven Substanzen und einem Gefüge sozialer Benachteiligung hin, in das ein Individuum hineingeboren werde bzw. hineinwachsen könne. Er sieht soziale Benachteiligung dabei als Faktor an, der nicht nur einen schlechten körperlichen und seelischen Zustand bedinge. Auch die Wahrscheinlichkeit von substanzgebundenen Störungen sei in verarmten sozialen Milieus besonders erhöht: Hier spielten sich Verbrechen eher ab, die Bewohner seien häufiger straffällig und Drogen eher verfügbar (vgl. ebd.: 34). Darke verweist zudem auf verschlechterte Bildungsmöglichkeiten, eine höhere Rate an Schulabbrecher*innen, Arbeitslosen und Inhaftierten. Aus einer erhöhten Konzentration von Stresssituationen resultiere folglich ein erhöhtes Risiko einer Suchtabhängigkeit. Resümierend aus der Lektüre verschiedener Forschungsarbeiten12 gibt er zu verstehen, dass die Entwicklung eines Kindes und dessen Gesundheit zudem maßgeblich vom sozioökonomischen Hintergrund der Familie abhängig sei. Aber auch Drogenabhängigkeit bei den Eltern erhöhe das Risiko einer Drogenkarriere der Kinder. Laut Darke zeige sich auf der Ebene des Individuums, dass vor allem sozial schwache Personen häufiger Probleme mit dem Konsum unterschiedlicher Substanzen hätten. Dabei gehen dem Autor zufolge individuelle Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder geringe schulische Qualifikationen mit dem Konsum von illegalen Drogen einher. Gemeint ist hierbei zwar nicht, dass Drogenabhängigkeit ausschließlich ein „Problem der Armen“ (ebd.: 36) sei. Jedoch stellt er fest, dass „jeder Zuwachs an sozioökonomischem Status die Gefahren einer Drogenabhängigkeit für ein Kind verringert“ (ebd.). Ebenso seien (emotionale und physische) Misshandlungen sowie sexueller Missbrauch als potenzielle Faktoren anzusehen, die nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Substanzabhängigkeit erhöhten, sondern auch die Entwicklung von Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen (bspw. durch ein psychisches Trauma ausgelöst), Selbstverletzung und Suizidgedanken bedingten.13 Solche, aus einer kindlichen Entwicklungsphase resultierenden Affekt-, Angst- oder Verhaltensstörungen, könnten ebenso die Entwicklung substanzbezogener Störungen bedingen. Aber auch eine „nachgiebige“ Haltung der Eltern ihren Kindern gegenüber in Bezug auf den Konsum von legalen oder illegalen Substanzen erhöhe das Risiko einer späteren Abhängigkeit (ebd.: 37). Darke geht davon aus, dass Konsumierende vor dem ersten Heroingebrauch bereits mehrere unterschiedliche Drogen – sowohl legale als auch illegale – ausprobiert hätten.14 In diesem Zusammenhang schließt sich die sogenannte Gateway-Theorie als Erklärungsmodell für den Beginn und das Fortschreiten von Substanzkonsum und Substanzabhängigkeit an (vgl. Darke 2013: 57; siehe auch Kandel 2002). Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass der Konsum eines psychoaktiven Medikaments mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit an den Konsum weiterer Drogen ge-
12 Für detaillierte Verweise siehe: Darke 2013: 35. 13 Rossow & Lauritzen (2001) sprechen in diesem Zusammenhang auch von der „zerrütteten Kindheit“ als zentralem Auslöser süchtigen Verhaltens von Heroinabhängigen (vgl. ebd.: 227f.). 14 Stolle et al. (2007) belegen sogar, dass die Erfahrungen mit legalen Drogen (z.B. Alkohol und Tabak) die Wahrscheinlichkeit eines späteren Konsums illegaler Drogen (wie Heroin) erhöht.
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koppelt ist. Es wird dabei von einer fortlaufenden, hierarchischen Sequenz von Stadien ausgegangen: der Konsum von 1. legalen „weichen“ Drogen (wie Alkohol und Tabak), 2. Cannabis, 3. anderen illegalen „harten“ Drogen (wie Psychostimulanzien und Heroin), 4. verschreibungspflichtigen Medikamenten (vgl. Darke 2013: 77).15 Nach der Gateway-Theorie wird davon ausgegangen, dass „die Drogen der einen Phase [...] die Pforte für die nächste“ (Darke 2013: 59) bilden. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Konsumierenden beim Erreichen einer höheren Stufe die zuvor konsumierten Substanzen außer Acht ließen. Vielmehr verfügten sie nun über Wissen und Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Substanzen, deren Konsum sie kombinieren könnten. Darke weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass hieraus nicht unausweichlich ein Fortschreiten des Konsums resultiere, sondern lediglich auf Wahrscheinlichkeiten eines Verlaufes hingewiesen werden solle: Nicht jeder, der Alkohol trinke, probiere anschließend auch Cannabis oder härtere Drogen. Ebenso gäbe es auch Konsumierende, welche illegale Substanzen zu sich nähmen, jedoch einen Alkohol- oder Cannabiskonsum ablehnten oder vorher nicht mit diesem in Kontakt getreten seien. Darke stellt darüber hinaus fest, dass das Einstiegsalter beim Konsum von legalen wie auch illegalen Drogen immer weiter abnimmt (siehe hierzu auch Degenhardt et al. 2000; Johnson/Gerstein 1998).16 Durch den Vergleich verschiedener Studien, die zum Einstieg in den Erstkonsum von Heroinabhängigen durchgeführt wurden, ermittelt Darke ein durchschnittliches Einstiegsalter, das in den Teenager- und frühen Zwanzigerjahren läge (vgl. Darke 2013: 79). Den Zeitraum zwischen Erstkonsum, einem Muster von Abhängigkeit und dem Einsetzen von Suchterscheinungen bemisst er im Durchschnitt auf 18 Monate (vgl. ebd.: 85f.). Während in den meisten Fällen der Konsumweg zum Injizieren meist mit dem Rauchen (chasing the dragon) von Heroin beginne, ließen sich jedoch auch andere Fälle verzeichnen, bei denen direkt mit dem Spritzen der Droge begonnen bzw. die Konsumart des Rauchens beibehalten werde, ohne zur Injektion überzugehen. Grundsätzlich stelle die Form der Verabreichung einen wichtigen Faktor auf dem individuellen Weg in die Heroinabhängigkeit dar: „Statt nur auf die Substanzen an sich zu achten, müssen wir auch die jeweiligen Konsumwege als wichtigen Faktor für das Erklimmen neuer Stufen von Drogenklassen ansehen.“ (Ebd.: 91) Durch das Injizieren der Droge werde nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Überdosis, sondern auch die Fortschreitung eines Abhängigkeits-
15 Obwohl der Konsum von Alkohol aufgrund seiner großen Verfügbarkeit und leichten Zugänglichkeit meist die erste Rauscherfahrung für spätere Heroinkonsument*innen darstelle (vgl. Darke 2013: 69), bewerten Täschner et al. (2010) insbesondere Cannabis als entscheidende Einstiegsdroge, die den Beginn einer Drogenkarriere einleitet und vorantreibt: „Der Wunsch nach Wirkungsverstärkung und die im Verlauf als nachlassend empfundene Wirkung dieses Stoffes können die Konsumenten auf die Suche nach stärker wirkenden Substanzen führen.“ (Ebd.: 21) 16 Groenemeyer (1997) geht ebenso davon aus, dass „je früher mit dem Gebrauch legaler Drogen begonnen wurde, desto wahrscheinlicher ist auch der Umstieg auf weiche Drogen, und je früher der Gebrauch weicher Drogen beginnt, desto wahrscheinlicher ist auch ein Umstieg auf härtere Drogen zu erwarten“ (ebd.: 49).
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potenzials erhöht. Neben den körperlichen Auswirkungen zeigten sich folglich auch soziale Folgen für die in den Konsum eingestiegene Person: Aufgrund des Suchtrisikos und der kurzen Zeitspanne, in der die Konsumierenden in eine (physische und psychische) Abhängigkeit gerieten, lebten die Heroinkonsument*innen unter einem ständigen Druck, sich die Droge finanzieren und beschaffen zu müssen: „Wenn der Verbrauch steigt, wächst typischerweise auch sofort die Kriminalität.“ (Ebd.: 93) Um den Drogenkonsum aufrecht erhalten zu können, gerieten viele der Konsument*innen durch Eigentumsdelikte oder den Handel mit Drogen in eine Beschaffungskriminalität. Verhaftung und Gefängnisaufenthalte seien potenzielle Folgen, die aus dem Drang, den Drogenkonsum aufrechterhalten zu können, resultierten. Auch Prostitution sei als gängige Einnahmequelle zur Finanzierung zu verzeichnen. Betroffene setzten sich hier nicht nur einem erhöhten Risiko von Gewalt, sondern vor allem auch von sexuell übertragbaren Krankheiten aus. Sind die Einstiegsjahre in den Drogenkonsum vorüber, beginne die ‚Blütezeit‘ der Drogenkarriere. Darke ordnet sie dem Alter von 20 bis 40 Jahren zu. Es wird in diesem Lebensabschnitt von täglichem Heroinkonsum ausgegangen: „Bei einem typischen Muster von zwei oder drei Suchtschüben am Tag wird Heroin unweigerlich zum Lebenszentrum: Der Tag wird davon verzehrt, sich Drogen zu verschaffen, sie zu konsumieren und sich anschließend davon zu erholen. Angesichts eines derart intensiven und häufigen Konsums überrascht es nicht, dass der Konsument markante körperliche und psychosoziale Spuren ebenso zeigt wie Symptome des Syndroms der Opioidabhängigkeit.“ (Ebd.: 97)
Körperliche Spuren zeigten sich bei Konsumierenden, die Heroin intravenös injizieren, besonders deutlich an vernarbten Injektionsstellen. Während Konsumierende üblicherweise zunächst die Vene in der Ellenbeuge zur Injektion benutzten, werde bei häufigem Konsum meist aufgrund von Vernarbungen und Gefäßverletzungen auf Körperstellen wie Hals, Leistengegend, Hände oder Füße ausgewichen, was wiederum ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten darstelle. In der Regel nähmen die Konsumierenden bei zunehmender Abhängigkeit neben Heroin auch weitere pharmazeutische Opioide wie Methadon, Kodeinpräparate und Analgetika zu sich – was dem vierten Schritt der Gateway-These entspräche. Insgesamt stelle ein hohes Niveau an Polytoxikomanie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Überdosen, Suizid, Psychopathologie und schlechteren Therapieresultaten dar (vgl. ebd.: 99). Darke bezeichnet Alkohol hierbei als eine der schädlichsten psychoaktiven Substanzen, die Murray & Lopez (1997) zufolge das Risiko für Erkrankungen der Leber und Blutgefäßen sowie Krebs, Suizid und traumatisierende Unfälle erhöhten (vgl. ebd.: 1269f.). Weiterhin zählten Benzodiazepine – sogenannte Tranquilizer, die bei Angstzuständen und Schlafstörungen medizinisch eingesetzt werden – zu den am meisten konsumierten Substanzen während der Heroinabhängigkeit. Bei der Einnahme von Benzodiazepinen werde von den Konsumierenden zum einen bewusst die sedierende Wirkung der Droge initiiert. Zum anderen werde den Nebenwirkungen anderer gleichzeitig konsumierter Substanzen entgegengewirkt. „Der Konsum von Benzodiazepinen geht beständig mit einem schwächeren klinischen Profil einher und ist ein zuverlässiger Indikator für verstärkte Schädigungen. Hierzu zählen ein erhöhtes Risiko für Heroinüberdosen, häufigeres Needle-Sharing, extensivere Polytoxikomanie,
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schlechterer körperlicher Gesamtzustand und schwere seelische Not, und ein hohes Risiko für Benzodiazeptinabhängigkeit.“ (Darke 2013: 102)
Auch wenn die alleinige Einnahme solcher Psychopharmaka in der Regel unbedenklich sei, könne die Kombination mit Heroin, anderen Arzneimitteln und/oder Alkohol zu Herzstillstand und Bewusstlosigkeit führen. Wird Benzodiazepin konsumiert, steige nicht nur das Risiko von psychischen Erkrankungen, sondern insbesondere entstehe bei der Injektion der Droge auch die Gefahr von Erkrankungen des Blutgefäßsystems, welche wiederum Amputationen und geringere Lebenserwartungen zur Folge haben könnten (siehe hierzu auch Ross et al. 1997). Neben Sedativa zählten auch Psychostimulanzien wie Kokain und Methamphetamin zu den Drogen, die häufig sowohl vor dem Einstieg in die Heroinszene als auch in vielen Fällen während der Heroinabhängigkeit konsumiert würden. Auch hier seien vor allem durch das Injizieren der Drogen bedingte gesundheitliche Folgen zu verzeichnen. Insbesondere ließen sich durch den regelmäßigen Konsum von Psychostimulanzien in Verbindung mit der Einnahme von Heroin psychiatrische Folgeerkrankungen wie Paranoia, Angstzustände und Depressionen verzeichnen (vgl. Darke 2013: 104). Das ohnehin schon bestehende Risiko einer Überdosis werde durch den Mischkonsum erheblich verstärkt. Führe eine Überdosis nicht in den Tod, so könne sie dennoch gravierende gesundheitliche Folgen für die Konsumierenden haben: Ödeme und Entzündungen der Lunge, Nierenversagen, kognitive Beeinträchtigungen, Traumata etc. (vgl. ebd.: 105). Insbesondere durch das sogenannte Needle-Sharing würden die meisten Infektionskrankheiten (wie HIV oder Hepatitis) unter den Konsumierenden übertragen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen ließen sich Darke zufolge aber auch auf die meist „erbärmliche“ Ernährungssituation von dauerhaften Opioidkonsument*innen zurückführen (vgl. ebd.: 111): „Zum Teil ergibt sich das aus ihren finanziellen Prioritäten; denn Drogen rangieren bei ihnen weit vor Nahrung. Zur chaotischen Existenz des Konsumenten gehören unsere Wohnverhältnisse oder gar Obdachlosigkeit. Dadurch wird eine regelmäßige und gesunde Ernährung noch weniger wahrscheinlich.“ (Ebd.)
Auswirkungen von Mangelernährung zeigten sich beispielsweise an einem schlechten Zustand der Zähne, der aber wiederum auch durch eine fehlende Mundhygiene vieler Abhängiger im fortgeschrittenen Suchtstadium hervorgerufen werden könne. Hinzu kommt, dass durch den Drogenkonsum entstandene physische Folgen auch mit einer Verschlechterung der psychischen Verfassung einhergehen könnten bzw. in der Kindheit entstandene Störungen intensiviert würden. Finanzielle Engpässe kämen nicht nur dadurch zustande, dass der tägliche Konsum kostspielig sei. Die Konsumierenden stünden in der Regel aufgrund von u.a. (physischer und/oder psychischer) Dysfunktionalität, Unzuverlässigkeit und einem oftmals hohen Vorstrafenregister in keinem Arbeitsverhältnis. Auch der hohe Zeitfaktor der Drogenbeschaffung trage dazu bei, dass Heroinabhängige oft keine Arbeit ausführen wollten bzw. könnten:
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„So seltsam es klingen mag: Viele […] Drogenkonsumenten sind schlicht zu sehr beansprucht davon, Verbrechen zu begehen, Drogen zu ergattern, diese zu konsumieren und sich davon wiederum zu erholen, um noch Zeit für die Arbeit zu haben.“ (Ebd.: 116)
Kriminalität spiele im Leben vieler Heroinabhängiger eine mit dem Ansteigen des Konsums immer größere Rolle. Goldstein (1985) sieht den durch das Suchtverlangen entstehenden finanziellen Zwang als Beweggrund kriminellen Verhaltens (vgl. ebd.: 493). Darke (2013: 117) folgert hieraus: „Weil ihm rechtmäßiges Geld zur Finanzierung des Konsums fehlt, wird der Abhängige wahrscheinlich den Weg der Beschaffungskriminalität einschlagen: Eigentumsdelikte und Betrug.“ Bei Täschner (1983) heißt es hierzu ergänzend: „Die Beschaffung von Drogen, auch auf kriminellen Weg, wird zunehmend zum alleinigen Lebensinhalt. Zugleich sind die Abhängigen kaum mehr imstande, Vorratswirtschaft zu betreiben. Daran sind die wachsende abhängige Entgleisung mit Kontrollverlust und der zugleich rapide fortschreitende soziale Abstieg schuld. Ein augenblicksverhaftetes Verhalten, das keinerlei Planung mehr kennen lässt und auf die eigene Person ausgerichtet ist. Partnerschaftliche Beziehungen, Bindungen und Interessen bzw. Ziele treten in den Hintergrund. Beschaffung und Konsum von Drogen treten dominierend in den Vordergrund, sie werden bald alleiniger Lebensinhalt. [...] Depravation und Verwahrlosung bis hin zu massiver Verelendung bezeichnen das Stadium derartiger süchtiger Entwicklungen.“ (Ebd.: 23)
Um aus diesem Zirkel der Entgleisung ‚auszubrechen‘, erscheint vielen Konsumierenden die Maßnahme einer Therapie als substanzielle Verbesserung. Darke zufolge seien Heroinkonsumenten bei der ersten Aufnahme in ein Therapieprogramm durchschnittlich zwischen 20 und 25 Jahren alt und hätten zu diesem Zeitpunkt eine etwa fünfjährige Drogenkarriere hinter sich (vgl. ebd.: 147). Als die wichtigsten Therapieformen nennt er hierbei Detoxifikation, stationäre Rehabilitation und ambulante Pharmakotherapie. Um den regelmäßigen Rhythmus des Heroinkonsums zu unterbrechen, unterzögen sich die Patienten*innen bei ersterem Verfahren zunächst einer Entgiftung, während stationäre Rehabilitation ein langfristig angelegtes Verfahren darstelle. Auch hier müssten sich die teilnehmenden Patienten*innen zwar einer Entgiftung unterziehen. Es ginge hierbei jedoch in erster Linie darum, eine durch einen zeitweiligen Rückzug aus der normalen Umgebung grundsätzliche Veränderung im Verhalten und der Persönlichkeit ohne die Einnahme von Drogen zu erreichen (vgl. ebd.: 126f.). Dieser Schritt gehe oftmals in eine Gemeinschaftstherapieform über. Trotz bestehender Erfolgschancen auf ein drogenfreies Leben fehle vielen Betroffenen jedoch die Motivation, überhaupt an einem Rehabilitationsprogramm teilzunehmen bzw. dieses nicht vorzeitig abzubrechen. Eine weitere Möglichkeit des Heroinentzugs stellen sogenannte Substitutionsverfahren dar. Hierbei erhalten die Drogenabhängigen Ersatzstoffe wie Levomethadon, Methadon, und Burprenorphin – in Ausnahmefällen auch Codein oder Dihydrocodein, die zur Heroinabstinenz und damit zur Besserung und Stabilisierung des gesundheitlichen Zustandes verhelfen sollen. Ziel einer Substitutionstherapie ist die bessere soziale Eingliederung der Abhängigen in einen geregelten Alltag, die Vermeidung von Beschaffungskriminalität und Prostitution sowie ein geringeres gesundheitliches Risiko. Durch eine kontrollierte Substanzvergabe und orale Einnahme des Substituts
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sollen Infektionskrankheiten und Schädigungen des Gefäßsystems sowie einer Überdosis entgegengewirkt werden. Für Heroinraucher verringert sich zudem die Belastung für das Atmungssystem. Voraussetzung für die Teilnahme an einer OpioidErsatztherapie ist jedoch, dass die Patient*innen – bspw. aufgrund von Schwangerschaft oder schweren Begleiterkrankungen (z.B. Krebs, HIV, Hepatitis) – keine andere Therapieform eingehen können bzw. bereits mehrere erfolglose Entzugsversuche unter ärztlicher Kontrolle durchlaufen haben müssen. Theoretisch sollen durch eine kontinuierliche Dosisreduktion des Ersatzstoffs die Konsumierenden in ein drogenfreies Leben geführt werden. Praktisch setzt sich ein solches Verfahren aber auch negativen Begleiterscheinungen aus: Die Therapieform scheint zwar beliebt zu sein, da die Konsumierenden ohne Entzugssymptome ihr Leben fortsetzen und somit auch bspw. wieder einer regelmäßigen Arbeit nachgehen können. Allerdings erleben die Konsumierenden aufgrund einer individuell ermittelten Tagesdosis keine Rauschzustände oder Sedierung mehr.17 Während der Substitutionstherapie entwickeln viele Abhängige das Bedürfnis nach einem erneuten Rausch (‚Kick‘) und werden rückfällig, was oftmals einen Abbruch der Therapie oder einen Mischkonsum aus dem Ersatzstoff und einer zusätzlich zugeführten Substanz zur Folge hat. Substitute, die innerhalb der Ersatztherapie ausgegeben werden, werden zudem oftmals nicht für den eigenen Konsum verwendet, sondern auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft, um sich die wieder aufgenommene Heroinsucht finanzieren zu können. Rückfälle und das Abbrechen von Therapieverläufen bilden die Regel. Auch Darke ist der Auffassung, dass es in den meisten Fällen nicht bei nur einer einzigen Behandlungsepisode bliebe (vgl. ebd.: 136). Es schließen sich oftmals weitere Therapieversuche an, die entweder ebenso erfolglos bleiben oder aber in ein drogenfreies Leben übergehen. Bei vielen Konsumierenden endet der Drogenkreislauf jedoch mit dem durch eine Überdosis oder Infektionskrankheiten herbeigeführten Tod.
3.5
ZWISCHENFAZIT
Trotz zahlreicher Ansätze zu Suchterkrankungen ist es bislang nicht gelungen, ein einheitliches Konzept zu entwickeln. Angesichts der Verschiedenartigkeit individueller und sozialer Bedingungen gehen Böllinger et al. (1995) sogar davon aus, dass es eine allumfassende, erklärende, „schlagende“ Theorie der Drogenabhängigkeit gar nicht geben könne (vgl. ebd.: 83). Bereits Keup (1978) sah das Scheitern einer allumfassenden Theorie sowohl in der Vielfalt von Symptomen, Reaktionen und Verhaltensweisen, als auch in der „spezifischen Ausrichtung der Untersucher“ begründet (vgl. ebd.: 79). Dieser Auffassung schließen sich auch Lettieri & Welz (1983) an. Sie behaupten nicht nur, dass es unmöglich sei, „alle Aspekte des Drogenkonsums zu erklären und alle die in diesem Zusammenhang möglicherweise aufgeworfenen Fragen zu beantworten“ (ebd.: 11), sondern sind auch der Annahme, dass sich verschiedene
17 Die Halbwertzeit von bspw. Methadon ist wesentlich höher als die von Heroin, so dass den Konsumierenden anstatt mehreren Einnahmen nur eine Dosis am Tag ausreicht, um Entzugserscheinungen entgegen zu wirken.
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Disziplinen oder Forschungsbereiche unterschiedlich gut zur Erklärung bestimmter Komponenten der Drogenkarriere eigneten: „Wenn man erklären will, warum Personen zu kontinuierlichen Drogenbenutzern werden, sind biomedizinische/neurophysiologische Disziplinen wahrscheinlich am geeignetsten; sucht man jedoch nach einer Erklärung in den Einstieg für das Drogenverhalten, so dürften psychologische und/oder sozialpsychologische Theorien angemessener sein. Soziologische Elemente in Verbindung mit neurophysiologischen Faktoren dürften sich zum Verständnis der Eskalation von Drogengebrauch zum chronischen Drogenmißbrauch eignen, während psychologische, aber auch politische und ökonomische Variablen eine wesentliche Rolle für das Verständnis der Beendigung des Drogenkonsums spielen.“ (Ebd.: 10)
Des Weiteren stellen Böllinger et al. (1995) – insbesondere in Bezug auf psychoanalytische Theorien zur Suchtgenese – in diesem Zusammenhang fest, dass Erkenntnisse aus diesem Forschungsbereich hauptsächlich von klinisch und in der Regel sozial auffälligen Patient*innen bezogen würden: „Damit entgehen ihr systematisch qualitativ andere Verläufe, bei denen entsprechende ‚Ursachen‘ des als Symptom verstandenen Drogenkonsums nicht feststellbar sind.“ (ebd.: 72) Wie die Autoren anmerken, kann Drogenkonsum zwar Symptom zwar sein, muss es aber nicht. „Viele Psychoanalytiker erliegen jedoch der Versuchung, entgegen ihren eigenen methodischen Prinzipien der Einzelfall- und Verlaufsdiagnose vom ‚Symptom‘ unmittelbar auf die Diagnose ‚frühe Störung‘ zu schließen. Damit laufen sie Gefahr, die [...] vielschichtige soziale Bedingtheit dieses ‚Symptoms‘ zu übersehen und vorschnell auf ein pathologisches Geschehen zu schließen, wo möglicherweise ein ich-gerechter, lediglich auf Genuß und nicht-pathologische ‚Regression im Dienste des Ich’ zielender Drogenkonsum vorliegt.“ (Ebd.: 72)
Auch wenn die Suchtproblematiken innerhalb verschiedener Forschungsfelder in vielfältiger Weise untersucht worden sind und diverse Arbeiten mit wissenschaftlichem Anspruch dazu vorliegen, gibt es bislang nur wenige qualitative Untersuchungen, die Grundlagenwissen zur Entstehung der Drogenabhängigkeit liefern, so dass insbesondere das Phänomen Heroinsucht bis heute vergleichsweise wenig empirisch erforscht ist. Dies könnte auf den erschwerten Zugang zu potenziellen Studienteilnehmer*innen zurückzuführen sein, aber auch auf eine nach wie vor vorhandene gesellschaftliche Tabuisierung der Thematik. Täschner et al. (2010) geben zu verstehen, dass die wenigen empirischen Arbeiten, die ohnehin nur vorlägen, meist nur Querschnittsuntersuchungen seien, die lediglich Augenblicksbefunde festhielten, Verläufe jedoch nicht exakt erfassten. Hierbei wird deutlich, „dass wir auch nicht genau unterscheiden können zwischen dem, was nebeneinander besteht und dem, was miteinander zusammenhängt“ (ebd.: 51). Auch aus der Anamnese ließen sich Kausalverbindungen nur schwer ablesen, weil die zeitliche Abfolge nicht gleichbedeutend mit Ursache und Wirkung sei. Insbesondere die Untersuchung vermeintlicher soziogenetischer Faktoren sei durch die methodische Schwierigkeit belastet, dass die Faktoren bei bereits Süchtigen erhoben wurden und man sie daher nur als „Korrelate süchtiger Entwicklung betrachten“ könne: „Solche Studien lassen nur eine Aussage zum augenblicklichen Zustand der Betreffenden zu und nicht zu denjenigen Bedingungen, die ursächlich dorthin geführt haben.“ (Ebd.)
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Es bestätigt sich zudem die Feststellung von Berger et al. (1980: 8), dass es die wenigen Informationen, die über Heroinabhängige grundsätzlich vorliegen, meist nur über Konsumierende gibt, die in einem therapeutischen Verhältnis stehen. Anhand dieser Untersuchungen können zwar soziale und personale Hintergründe abgeleitet werden, diese Informationen lassen jedoch oftmals keine Aussagen über die kausalen Prozesse zu, die den Weg in Abhängigkeit ebneten. Empirische Untersuchungen innerhalb dieses Themenbereichs beziehen sich meist nur auf ausgewählte Phasen der Drogenkarriere (z.B. erster Kontakt mit der Droge). Die Bedeutung der sozialen Umwelt des einzelnen für dessen Suchtgenese erhält dabei jedoch kaum Beachtung. Im empirischen Teil dieser Studie werden folglich Faktoren am Beispiel von Einzelfällen ermittelt, die zum Drogenkonsum und schließlich in die Drogenabhängigkeit geführt haben. Die Suchtkarriere von rehabilitierten Musiker*innen soll dabei in Anlehnung an Darke (2013) als Verlaufskurve und damit in ihrer Gesamtheit retrospektiv betrachtet und rekonstruiert werden. Auch wenn Darkes Ansatz sicherlich keinen Suchtverlauf darstellt, der das Leben aller Konsument*innen abdeckt, so stellt er dennoch eine Ausgangsbasis als Vergleichsmodell weiterer, zu generierender Daten her. Hierbei stellt sich insbesondere die Frage, ob sich die zuvor dargestellten typischen Verlaufsformen und damit verbundene Ähnlichkeiten in den Lebensläufen von Heroinabhängigen auch in den Biographien von heroinabhängigen Musiker*innen feststellen lassen. Im Folgenden soll das Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen vornehmlich aus soziologischer bzw. sozial-psychologischer Perspektive untersucht werden, um sowohl den sozialen Hintergrund des einzelnen Biographen bzw. der einzelnen Biographin sowie Einflüsse seiner/ihrer Interaktionspartner*innen zu berücksichtigen. Ebenso soll der Fokus auf eine weitere Komponente gerichtet werden, die in Ansätzen der Suchtforschung zwar Erwähnung findet (z.B. bei Kohut 1979), jedoch eher eine untergeordnete Rolle einnimmt: das Selbst. Als wesentliche Grundannahme soll eine Suchtkarriere folglich als Teil bzw. im Kontext einer gesamten Lebensgeschichte betrachtet und erklärt werden, die den individuellen Vorstellungen einer Person über sich selbst und damit sogenannten Selbstkonzepten zugrunde liegt. Wird schließlich in Anlehnung an Laskowski (2000: 9) davon ausgegangen, dass die Vorstellungen, die Menschen über sich selbst haben und entwickeln, einen Einfluss auf ihre Handlungskonstitution ausübt, so könnte hierin auch eine Antwort darauf zu finden sein, warum Menschen süchtig werden. Um das Erleben und Verhalten eines Menschen nachvollziehen zu können, setzt dies jedoch voraus, auch seine Gedankenwelt kennen (lernen) zu müssen (vgl. Schachinger 2005: 134). Theorien im Zuge der Selbst- bzw. Selbstkonzeptforschung liefern hierzu verschiedene Ansatzpunkte, denen es im Folgenden nachzugehen gilt. Das Phänomen Heroinsucht soll dabei nicht nur aus einer Außenansicht betrachtet werden, welche Faktoren impliziert, die aus dem jeweiligen soziokulturellen Umfeld der Betroffenen erworben werden. Vielmehr geht es in den folgenden Darstellungen um die Innenansicht eines Individuums und damit um das individuelle Wissen einer Person über sich selbst und ihre Umwelt.
4.
Ausgewählte Aspekte der Selbstkonzeptforschung „Self and self-concept may be two of the most popular concepts in social psychology. Nearly every area of social psychology, and the social sciences in general, touches on some aspect of a person’s self or selfconcept.“ (Owens/Samblanet 2013: 225)
4.1
SELBST UND SELBSTKONZEPT
Mit Themen, die das Selbst betreffen, beschäftigt sich die Menschheit seit Jahrtausenden. „Who am I? Why am I here? What does my life mean? Where did I come from? Why have good (or bad) things happened to me? Am I a good person? Am I capable of change? Am I loved? Can I love? Do I love? And what makes me, me, and you, you?“ (Owens/Samblanet 2013: 225) sind Fragen, mit denen sich verschiedenste Vertreter*innen schon seit der Antike (z.B. Plato und Aristoteles) und dem Mittelalter (z.B. Augustine und Thomas Aquinas) bis hin zu Rationalisten der Moderne (z.B. Descartes), Empirikern (z.B. Locke, Hume und Smith) und zeitgenössischen Philosophen (z.B. Kant, Hegel, Marx, James, Foucault und Derrida) auseinander gesetzt haben (vgl. Seigel 2005). Bereits James (1890) warnte davor, dass die Beschäftigung mit dem Konstrukt Selbst „the most puzzling puzzle with which psychology has to deal with“ (ebd.: 330) darstelle. Obwohl dieses Puzzle – um es in den Worten von Hargreaves et al. (2002) zu formulieren – „has stimulated a good deal of effort to explain, ‚unpack‘ and, most recently, challenge the meanings of self and identity“ (ebd.: 7), konnte es trotz unzähliger theoretischer und methodischer Ansätze aus den verschiedensten Disziplinen und Forschungsströmungen bis heute nicht zusammengesetzt werden. Der Versuch einer genaueren Fassung des Selbst erzeugte vielmehr ein „Wirrwarr von Ansätzen und unterschiedlichen Positionen“ (Helsper 1999: 213), das in eine „Unverbundenheit der verschiedenen Theorien und Methoden“ (Greve 2000a: 15; siehe auch Rustemeyer 1986; Frey 1977) führte. Diese Unverbundenheit mag vor allem daran liegen, dass die verschiedenen Teile bzw. Aspekte des Selbst bislang noch nicht hinreichend und übereinstimmend ergründet bzw. in ihrer Struktur und Funktion konzeptuell nicht so eindeutig gefasst wurden, als dass sie theoretisch fundiert durch eine einheitlich akzeptierte und anwendbare Definition festzulegen wären.
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Die ausstehende Aufgabe, die vielen Beiträge und unüberschaubaren Ansätze der Selbst-Forschung in einen umfassenden theoretischen Ansatz zu integrieren, kann und soll auch in dieser Arbeit nicht geleistet werden. Vielmehr geht es darum, das vorliegende Feld der Selbst- bzw. Selbstkonzeptforschung möglichst breit und offen auf Basis gegenwärtiger Literatur zu beleuchten und hinterfragen, um eine für diese Arbeit relevante theoretische – und sich daraus ableitend methodische – Grundlage zu schaffen. 4.1.1 Historische Hintergründe Wird von der Definition von Psychologie als „die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben von Individuen“ (Mummendey 2006: 13) ausgegangen, so stellt das Individuum, also die einzelne Person als „Einheit der Analyse“ (ebd.), sowohl Ausgangspunkt als auch Ziel der wissenschaftlichen Betrachtung dar: „Als spezifisch menschlich erscheint es, daß sich die Erlebnisse und Verhaltensweisen der Individuen nicht nur auf Gegenstände und Ereignisse außerhalb der eigenen Person beziehen. Insbesondere die Vorgänge des Empfindens, Wahrnehmens, Erkennens, Denkens und Fühlens, also die kognitiven, emotionalen und motivationalen Vorgänge können ebenso auf die eigene Person gerichtet, also selbstbezogen sein [...].“ (Ebd.)
Baumeister (1987) zufolge, und von Mummendey in seinen Monographien „Psychologie der Selbstdarstellung“ (1995) und „Psychologie des ‚Selbst‘“ (2006) erneut aufgegriffen, lässt sich das Konzept von der „Einheit und Einzigartigkeit des Individuums“ (ebd.: 26) bereits im späten Mittelalter zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert erkennen. Zu dieser Zeit lässt sich auf die Begriffe selbst und Selbst sowie andere damit einhergehende sprachliche Verknüpfungen auch in literarischen Ansätzen stoßen. Während man sich bis zum 19. Jahrhundert vor allem mit der Unterscheidung zwischen einem inneren und äußeren Selbst, dem Wert der Individualität und den Ideen der menschlichen Veränderung auseinandersetzte, wurden in der folgenden Epoche vorwiegend Selbstbewusstsein und Selbsttäuschung zur Thematik, ehe im romantischen Zeitalter Konflikte zwischen dem Individuum und Gesellschaft sowie die Selbstverwirklichung in den Fokus der Betrachtung rückten (vgl. Mummendey 1995: 64; 2006: 26). Gerade letzter Aspekt wird nach einem eher selbst-kritisch beginnenden 20. Jahrhundert, das durch eine „Abwertung der Individualität“ (ebd.) gekennzeichnet war, nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit den Idealen und Möglichkeiten der Selbstdefinition erneut aufgegriffen (vgl. Baumeister 1987). Sicherlich ließe sich der Bogen nun noch weiter spannen und eine Auseinandersetzung von der Diskussion über den Seelenbegriff bei Aristoteles ausgehend mit dem geisteswissenschaftlichen Ansatz zu Descartes’ Cogito ergo sum leisten, um schließlich die Beschäftigung mit dem Selbst bei Philosophen wie Berkeley, Hobbes, Hume und Mill weiterzuverfolgen. Da andere Autoren wie Mummendey (1995, 2006) dies in detaillierter Form bereits übernommen haben, soll an dieser Stelle jedoch darauf verzichtet werden. Vielmehr soll bei Vertreter*innen angesetzt werden, die insbesondere in neueren psychologischen Abhandlungen zum Selbst bzw. Selbstkonzept als einflussreiche Wegbereiter heutiger Forschungsansätze gelten und von Mummendey (1995: 64) als
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„Väter der heutigen Selbstkonzeptforschung“ bezeichnet werden. Hierzu zählen insbesondere Baldwin (1879), Cooley (1902), Mead (1934) und Allport (1943). In den meisten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist es jedoch James (1890), der als prominentester Vertreter gilt, der das Selbst in seinen Arbeiten zum Thema machte. Er formulierte die erste grundlegende Differenzierung von einem Selbst als einerseits Subjekt (self as knower) und andererseits Objekt (self as known), die bis heute, wenn auch „in neuem begrifflichen Gewand (als produkt- und prozeßorientierte Betrachtung)“ (Rustemeyer 1993: 65), in aktuellen Selbstmodellen an Gültigkeit behält (vgl. Hannover 1997; Filipp 1985).1 James unterscheidet dabei zwischen dem Betrachter bzw. dem betrachtenden Subjekt (I), und dem Betrachteten (Me) bzw. dem Objekt als Betrachtung der eigenen Person (vgl. Möller & Trautwein 2015: 179): „Das ‚Me‘ entspricht dem Selbstkonzept, dem [...] selbstbezogenen Denken, Empfinden und Wissen. Das ‚I‘ betrachtet also das ‚Me‘. Das ‚self as known‘ stellt die Aspekte einer Person dar, derer sich das ‚self as knower‘ bewusst ist.“ (Ebd.)
Hieran anknüpfend hebt Harter (1999) das Me nicht nur heraus, weil es das Selbstkonzept begründe, vor allem aber auch weil es – im Gegensatz zum Selbst – als empirisch zugänglich gelte. Bei Spychinger et al. (2007: 15) heißt es hierzu ergänzend: „It is the me-self that came to be labeled the self-concept and took center stage as the major focus of empirical attention.“ James identifiziert vier Aspekte des Me: das spiritual me, das material me, das bodily me und das social me (siehe hierzu auch Hargreaves et al. 2002: 9). Die Anzahl der verschiedenen Selbste hängt dem Autor zufolge von den verschiedenen sozialen Interaktionen ab, über die ein Individuum verfügt: „[...] a man has as many social selves as there are individuals who recognize him and carry an image of him in their heads. But as the individuals who carry images fall naturally into classes, we may practically say that he has as many different social selves as there are distinct groups of persons about whose opinion he cares.“ (James 1890: 294)
James fasst das Selbst somit in Abhängigkeit von der Reaktion und dem Urteil wichtiger Interaktionspartner auf. Mit der Annahme mehrerer sozialer Selbste, die auf wahrgenommenen Fremdeinschätzungen basierten, wurde der Weg für die Arbeiten des Soziologen Cooley (1902) geebnet, der James’ Überlegungen mit der Theorie des Spiegelbild-Selbst (looking-glass self) weiterentwickelte. Auch Cooley setzte vor allem die Beziehung zwischen dem Individuum und seiner Umwelt in den Fokus der Betrachtung. Seiner Auffassung nach hänge die Wahrnehmung der eigenen Person, also was sie über sich denkt, wie sie sich fühlt und bewertet, von der Interaktion zwischen dem Einzelnen und seinem Mitmenschen ab (vgl. Mummendey 2006: 30). Die
1
Zum besseren Verständnis dieser Differenzierung vergleichen Greenwald & Pratkanis (1984) – metaphorisch betrachtet – das self as knower mit dem Programm eines Computers und das self as known mit den entsprechenden Daten. Sie beziehen folglich das self as knower auf Prozesse und das self as known auf deren Inhalte (vgl. ebd.: 142f.; siehe auch Hannover 1997: 5).
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Umwelt wirke dabei wie ein Spiegel, den sich das Individuum selbst vorsetze. Durch die Fremdwahrnehmungen und Reaktionen anderer Menschen konstruiere es ein Bild von sich selbst, wie es glaube, von diesen betrachtet und bewertet zu werden: „As we see our face, figure, and dress in the glass, and are interested in them because they are ours, and pleased or otherwise with them according as they do or do not answer to what we should like them to be; so in imagination we perceive in another’s mind some thought of our appearance, manners, aims, deeds, character, friends, and so on, and are variously affected by it.“ (Cooley 1902: 184)
Insbesondere Menschen, die dem Individuum wichtig seien oder in irgendeiner Weise nahe stünden, hätten dabei Einfluss auf dessen Selbstbild. Cooleys Auffassung spiegelt sich vor allem im Symbolischen Interaktionismus wider, welcher maßgeblich von Mead (1934) mitbestimmt wurde. Mead sieht die Entstehung des Selbst innerhalb eines gesellschaftlichen Prozesses begründet und knüpft dabei an die Auffassung Cooleys an – wie sie von Hannover (1997) zusammenfassend dargestellt wird, „dass physikalische [...] Objekte der Umwelt erst durch ihre soziale Bedeutung (meaning) und durch bestimmte Werthaftigkeiten (value) für die Menschen Wichtigkeit erlangen“ (ebd.: 7). Zoglowek (1995) betont hierbei jedoch, dass das Individuum nicht nur Ausdruck von Gesellschaft sei, sondern Gesellschaft auch mache, da es Handlungsmuster nicht nur übernehme, sondern diese in Handlungsprozessen auch selbst konstituiere (vgl. ebd.: 30). Das Selbst ist demnach nicht nur „social product“, sondern auch „social force“ (Rosenberg 1981: 593f.). Eine weitere Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang, die wiederum auf Mead (1934) zurückgeht, ist die Bezeichnung der signifikanten Anderen (significant others). Hiermit sind Personen gemeint, mit denen das Individuum hauptsächlich in Interaktion tritt bzw. die sich für dieses als so wichtig darstellen, dass sie auf die Ausbildung seines Selbstkonzepts bedeutenden Einfluss nehmen. „Das Selbst konstituiert sich gleichsam aus den Wahrnehmungen und Erfahrungen, die das Individuum macht, wenn es die Rolle dieses Anderen übernimmt. Der Mensch vermag sozial zu handeln durch die Fähigkeit, Reaktionen, Verhalten, Handlungen anderer vorwegzunehmen und sein eigenes Verhalten dementsprechend auszurichten. So wird er sich selbst zum Objekt.“ (Zoglowek 1995: 30f.)
Es sind jedoch nicht nur einzelne Personen, sondern auch gesamte soziale Gruppen, die Einfluss auf die Genese und Veränderung von Selbstkonzepten haben, wobei es nach Gergen (1993) innerhalb dieser Gruppen auch wieder bestimmte Personen sind, die aufgrund einer zugeschriebenen Kompetenz oder eines bestimmten Vertrauensverhältnisses für die Entwicklung des Selbstkonzepts besonders von Bedeutung sind (vgl. auch Zoglowek 1995: 46). Wenn Gergen (1993) nun davon spricht, dass sich die Sichtweisen der signifikanten Anderen zu „dem Konzept des ‚generalisierten Anderen‘ verschmelzen“ (ebd.: 76), dann meint er damit das „durch Generalisierung entstehende verallgemeinerte Bild“ (Asendorpf/Neyer 2012: 212), das wir über uns selbst erhalten – oder wie es Mead (1964) selbst formulierte:
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„The organized community or social group which gives to the individual his unity of self can be called ‚the generalized other‘. The attitude of the generalized other is the attitude of the whole community […], it is the form of the generalized other that the social process influences the behavior of the individuals involves in it and carrying it on, that the community exercises control over the conduct of its individual members.“ (Ebd.: 218f.)
Auch wenn die soziale Umwelt bedeutende Auswirkungen auf die Genese des Selbstkonzepts habe, sei jedoch stets zu beachten, dass es sich hierbei jeweils um ganz „individuelle Reflexionen auf gesellschaftliche Interaktionen und Prozesse“ (Mead 1934: 201) handele: „The organized structure of every individual self within the human social process of experience and behavior reflects, and is constituted by, the organized relational pattern of that process as a whole; but each individual self-structure reflects, and is constituted by, a different aspect or perspective of this relational pattern, because each reflects this relational pattern from its own unique standpoint.“ (Ebd.)
Mit seinen Ansichten und daraus resultierenden Forschungsarbeiten ebnet Mead nicht nur den Weg interaktionistischer Sichtweisen, sondern schafft auch ein Verständnis, das in der Sozialpsychologie bis heute Bestand hat. In Meads Beobachtungen wird somit der Fokus nicht nur auf soziale Vorstellungen, die das Selbstkonzept konstituieren, gesetzt, sondern vor allem auch auf beobachtbare soziale Verhaltensweisen, insbesondere auf solche von verbaler Art, wie Mummendey (2006: 31) feststellt: „Soziales Verhalten kann nach Mead in ‚symbolischer‘ Form, nämlich über die Sprache, analysiert werden.“ (Ebd.) Anders ausgedrückt, und die Ideologie des Symbolischen Interaktionismus bestimmend, kommt der Sprache als Symbol für Handlung eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung von Selbstkonzepten zu. Abschließend zusammengefasst bedeuten diese grundlegenden Überlegungen für die Erforschung von Selbstkonzepten – insbesondere aus sozialpsychologischer Sicht: „Es geht nicht darum, das Individuum als solches, sondern dessen Interaktionsbeziehungen zu verstehen. Und da das Selbstkonzept als eine Möglichkeit angesehen wird, Verhalten zu erklären und vorherzusagen, und da es als innerer Vorgang durch äussere Verhaltensweisen ausdrückbar ist, ist das Selbstkonzept auch dem theoretischen Bezugssystem interaktionistischer Ansätze zugänglich.“ (Ebd.: 29)
4.1.2 Begriffliche und definitorische Ansätze Konzeptuelle und theoretische Unklarheiten im Zuge einer definitorischen Einordnung des Selbst lassen sich insbesondere daran ausmachen, dass Termini wie Selbst, Selbstkonzept, Selbstwert, Identität, Selbstschema, Selbstmodell, Selbsttheorie, Selbstbild und andere Varianten „synonym verwendet, unerläutert und zwanghaft definiert gebraucht werden“ (Greve 2000a: 16; vgl. auch Zoglowek 1995: 23). Greve (2000a: 16) warnt jedoch davor, das Selbst als „Homunkulus“, als Person in der Person, aufzufassen. Vielmehr sieht er es als Sammelbegriff für eine Vielzahl von thematisch konvergenten Fragen und Problemen an, was jedoch die Bestimmung und
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Eingrenzung des Gegenstandsbereichs bei vielen Autor*innen, die sich mit dem Konstrukt Selbst beschäftigen, weiterhin sehr breit und ungenau erscheinen lässt. Dieser Auffassung sind auch Shavelson et al. (1976: 408), wenn sie behaupten: „[...] definitions of self-concepts are imprecise and vary from one study to the next.“ Wie auch Mummendey (1995) sieht Rustemeyer (1993: 9) das Problem einer Definition des Selbst darin, „daß eine unterschiedliche Sichtweise einer Definition des jeweiligen Forschers auch zu einer unterschiedlichen Definition der Realität führt“. Insbesondere in einer derartig heterogen ausgerichteten Forschungsströmung wie der Selbstkonzeptforschung, die sowohl innerhalb der Psychologie (Psychoanalyse, Entwicklungs-, Persönlichkeits-, Differentielle-, Klinische- und Sozialpsychologie etc.) als auch in anderen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (Philosophie, Pädagogik, Soziologie etc.) verwurzelt ist, bestimmt der „point of view“ (ebd.) der Forscherin oder des Forschers, wie die Konstruktion von Realität wahrgenommen und damit einhergehend das Konstrukt Selbst bzw. Selbstkonzept definiert wird. Mummendey (1995) merkt zudem kritisch an, dass „[d]ie Art und Weise, wie ein Autor Selbst und Selbstkonzept definiert, [...] manchmal weniger etwas über das Selbstkonzept als solches als vielmehr über die theoretische und methodische Orientierung des Autors auszusagen“ (ebd.: 63) scheint. Eine fehlende Definition und eine damit oft einhergehende Sichtweise nach dem Motto „everybody knows what it is“ (Marsh 1997: 28) wird nicht nur von Wissenschaftlern wie Marsh kritisiert: „Jeder scheint sofort zu wissen, was damit gemeint ist, weswegen sich offensichtlich einige Forscherinnen und Forscher nicht dazu gezwungen fühlen, eine genaue theoretische Definition von dem anzugeben, was sie eigentlich untersuchen wollen.“ (Brüll 2010: 19) Brüll schließt sich mit dieser Aussage der Auffassung von Manning, Bear & Minke (2006) an, dass das Selbstkonzept zwar eines der meist diskutierten, aber auch am wenigsten verstandenen Konstrukte darstelle. Mummendey (2006: 25) zufolge gehe es in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem, was oft leichtfertig als das Selbst bezeichnet wird, darum, sich einen Begriff von der eigenen Person zu machen, also um „Prozesse der Selbstkonzeptualisierung“. Ein solcher Prozess impliziert Auseinandersetzungen des Individuums mit sich selbst, wie es sich wahrnimmt, was es denkt und was es gegenwärtig beschäftigt. Ebenso spielen in diesem Prozess Erinnerungen an die Kindheit oder Jugend hinein sowie Vorstellungen darüber, wie sich das Individuum in der Zukunft sieht, wer bzw. wie es gerne sein möchte sowie welche Träume und welche Ziele es hat. Ähnlich wie Greve (2000a: 16) zuvor vor einem „Homunkulus“-Denken warnte, sieht Mummendey eine Gefahr vor allem darin, dass mit der Verwendung der Etikettierung ‚Selbst‘ suggeriert würde, sich nicht mit selbstbezogenen psychologischen Vorgängen und Prozessen zu beschäftigen, sondern die Vorstellung einer Verdinglichung des Selbst als vermeintliche Entität geschaffen würde. Er gibt in diesem Zusammenhang klar zu verstehen, dass die Formulierung Selbst seiner Auffassung nach „ein wissenschaftlich weniger geeigneter Begriff als derjenige des ‚Selbstkonzepts‘ ist – in gewisser Weise sogar ein irreführender Begriff. Will man kundtun, daß man nicht an ein Selbst als eine irgendwie geartete Substanz, die innerhalb des menschlichen Organismus ihr (Un)Wesen treibt, glaubt, so ersetzt man diesen Begriff am besten durch einen solchen, der klarstellt, daß es hier um nicht mehr und nicht weniger als um sämtliche auf die eigene kogniti-
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ve Person bezogenen psychologischen Prozesse geht, vor allem um kognitive Vorgänge, deren Gegenstand man selbst ist.“ (Mummendey 2006: 25)
Er trifft auf dieser Grundlage die in der Literatur häufig zitierte Definition (z.B. bei Hemming 2002, 2003; Zheng 2006; Stiller & Alfermann 2008) des Selbstkonzepts als „die Gesamtheit der auf die eigene Person bezogenen Beurteilungen“ (Mummendey 2006: 25). Im Zuge der Erforschung von Selbstkonzepten ginge es ihm darum, festzustellen, was für ein Bild eine Person von sich selbst habe bzw. über was für Selbstbilder sie verfüge. Das Selbstkonzept konstituiere sich dem Autor zufolge also aus verschiedenen Selbstbildern über die eigene Person, die von dem jeweiligen Individuum selbst beurteilt würden. Dass Mummendey sich mit dem Versuch der definitorischen Eingrenzung dennoch einen breiten Auslegungsspielraum schafft, wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass bzw. was eigentlich alles an einer Person beurteilt werden kann: „körperliche und psychische Merkmale aller Art, im einfach beschreibenden, aber auch im bewertenden Sinne, Merkmale aus der Vergangenheit, an die man sich erinnert, oder Merkmale, die man sich gegenwärtig zuschreibt, oder Merkmale, die man sich wünscht, nach denen man strebt, oder von denen man erwartet, sie in Zukunft zu besitzen“ (Mummendey 1995: 55). Während Mummendey aus sozialpsychologischer Perspektive argumentiert, ist Filipps (1993, 1985) Position eher kognitionspsychologisch geprägt, wenn sie das Wissen über sich selbst, welches den Bezugsrahmen des Selbstkonzepts konstituiere, als Resultat menschlicher Informationsverarbeitung begreift. Ihrer Auffassung nach, auf die sich diverse Selbstkonzept-Forscher*innen (z.B. König 2006) nach wie vor beziehen, verfügen Menschen über Wissensbestände ihrer eigenen Person, die sich nach bestimmten kognitionspsychologischen Gesetzmäßigkeiten individuell konstituieren. Menschen können somit nicht nur Gegenstände und Personen der Außenwelt, sondern auch sich selbst zum Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung machen. Die selbstbezogenen Repräsentationen können sich dabei auf unterschiedliche Inhalte beziehen, z.B. auf die eigenen intellektuellen Fähigkeiten, auf Aspekte des eigenen Körpers oder auf das eigene Erleben und Verhalten (vgl. König 2006: 72). Stiller & Alfermann (2008) stellen zudem fest, dass eine Definitionsfindung sehr eng mit der Operationalisierung von Selbstkonzepten zusammenhänge (vgl. ebd.: 23). So scheint es beispielsweise, dass Mummendey (2006: 38), der ergänzend zu seiner Definition Selbstkonzepte als „Einstellungen zur eigenen Person“ bezeichnet, hauptsächlich forschungspraktische Argumente für sein Plädoyer aufbringt: da man so auf „einen bereits bewährten psychologischen Begriff“ zurückgreifen und durch „Übertragung einer Reihe von Meßmethoden“ (ebd.: 39) methodisch an die Einstellungsforschung anschließen könne. Für Mummendey (1995: 56) stellt sich das Selbstkonzept im Zuge dieses Diskurses als „Spezialfall [...] einer Einstellung“ dar: „In einer solchen Definition offenbart sich zugleich das Allgemeine und das Besondere des Selbstkonzept-Begriffs: [...] Selbstkonzepte [sind] nicht etwas psychologisch Besonderes, Abgehobenes oder gar Geheimnisvolles, sondern lediglich ein Spezialfall einer wichtigen und bereits gut erforschten psychischen Funktion, nämlich der Einstellung [...]. Zugleich weist man auf die Besonderheit und theoretische Ausnahmeerscheinung innerhalb der unbegrenzt erscheinenden Reihe von Konzepten mit Einstellungscharakter hin, indem man feststellt, daß im Falle des Selbstkonzepts Subjekt und Objekt der Einstellung identisch sind.“
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Neben der Frage, ob die Begriffe Selbstkonzept und Einstellung voneinander abzugrenzen, als ein und dasselbe zu betrachten oder als Bestandteil des anderen anzusehen sind, fällt Rustemeyer (1993) auf, dass in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung auch eine Vermischung des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls stattfinde, und in den meisten empirischen wie auch theoretischen Untersuchungen zum Selbst keine scharfe Trennung zwischen diesen beiden Konstrukten vorgenommen werde (vgl. ebd.: 5f.). Sie nimmt in diesem Zusammenhang folgende Einordnung vor, indem sie beide Konstrukte von der übergeordneten Ebene des Selbst ausgehend betrachtet: „Das Selbst in seiner Gesamtheit umfaßt [...] einen beschreibenden und einen bewertenden Anteil, so daß nachfolgend nur dann der Begriff ‚Selbst‘ verwendet wird, wenn beide Anteile gemeint sind; der Begriff ‚Selbst-Konzept‘ wird immer dann verwendet, wenn die beschreibende, kognitive Repräsentation der eigenen Person gemeint ist, der Begriff ‚Selbstwertgefühl‘, wenn der bewertende Anteil im Fokus der Aufmerksamkeit steht.“ (Rustemeyer 1993: 14f.)
Ein Beispiel eines weiteren Ansatzes, bei dem keine Trennung der beiden Konstrukte vorgenommen wird, stellt der Definitionsversuch Trautweins (2003: 8) dar, der unter dem Oberbegriff Selbstkonzept sowohl das Selbstwertgefühl als auch bereichsspezifische Selbstkonzepte subsumiert. Hierbei wird somit zum einen das Selbstwertgefühl als Bestandteil des Selbstkonzepts aufgefasst. Gleichermaßen wird aber auch formuliert, dass es sich zusammen mit bereichsspezifischen Selbstkonzepten zu einer Art übergeordnetem Selbstkonzept konstituiere. Das wiederum setzt die Subsumtion verschiedener Teil-Selbstkonzepte bzw. bereichsspezifischer Selbstkonzepte innerhalb eines übergeordneten Selbstkonzepts voraus. An dieser Stelle lässt sich ein Bezug zu dem Modell von Shavelson et. al. (1976) herstellen, auf das im anschließenden Kapitel noch detaillierter Bezug genommen wird. Hierbei wird das Selbstwertgefühl als Teilaspekt eines „multidimensionalen Selbstkonzepts“ angesehen (vgl. hierzu auch Mummendey 1990) – oder nach Rustemeyer (1993: 16) formuliert: Es wird „dem Selbstwertgefühl in einem hierarchischen Modell eines Selbst-Konzepts [...] [ein] Platz auf einer bestimmten Hierarchiestufe des (umfassenden) Selbst-Konzepts“ zugewiesen“. Wie die beispielhaft dargestellten Definitionsansätze veranschaulicht haben, ist man bislang zu keiner begrifflichen Überstimmung gekommen. Es herrscht weder Klarheit über die einheitliche Verwendung von Etikettierungen noch sind scharfe Abgrenzungen voneinander möglich. Dass diese Erkenntnis folglich auch Auswirkungen auf weitere Theorie- und Modellbildungen sowie letztendlich auf empirische Datenerhebungsverfahren zum Selbst bzw. Selbstkonzept hat, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführlich dargestellt. An dieser Stelle sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass im Folgenden von dem Gedanken ausgegangen wird, dass das Selbst nicht als die eine Instanz aufzufassen ist. Vielmehr besteht die Annahme, dass es das eine Selbstkonzept nicht gibt, sondern das Selbst sich aus einer Vielzahl von Selbstkonzepten zusammensetzt, die im Einzelnen – auch wenn im Singular bezeichnet – als Teilkonzepte mit unterschiedlicher Ausprägung verstanden werden. Auch wenn im Folgenden von dem Selbstkonzept gesprochen werden sollte, ist damit immer die Menge der verschiedenen Selbstkonzeptfacetten, auf welche in den weiteren
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Ausführungen noch Bezug genommen wird, gemeint (vgl. Brüll 2000: 21; Mummendey 1988: 73). 4.1.3 Selbstkonzept und Identität „The concept identity and the self have undergone some radical changes in psychological theory in recent years“, stellen Hargreaves et al. (2002: 1; Herv. MP) fest. Es treffen hierbei zwei Begrifflichkeiten aufeinander, die in verschiedenen Disziplinen auf Grundlage unterschiedlicher Definitionsansätze diskutiert werden und somit eine einheitliche Bestimmung von Merkmalen zur Abgrenzung bzw. einen inhaltlichen Zusammenhang nur schwer zulassen. Während die Beschäftigung mit dem Selbst – wie eingangs dargestellt – vor allem innerhalb psychologischer Forschung in den letzten Jahrzehnten einen starken Aufschwung erhielt, bestimmt in anderen Feldern nach wie vor der Identitätsbegriff die Diskurse. Vor allem in den Cultural Studies nimmt die Auseinandersetzung mit Identität(en) nach wie vor eine zentrale Rolle ein. Wichtige Arbeiten in diesem Zusammenhang gehen insbesondere auf Stuart Hall2 zurück, der mit seinen Schriften das Konstrukt der Identität in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht hat. Er gibt zu verstehen: „There has been a veritable discursive explosion in recent years around the concept of ‚identity‘.“3 (Hall 1996: 1) Während der Identitätsbegriff hierbei in erster Linie im Zusammenhang mit Machtverhältnissen und in Bezug auf kulturelle, soziopolitische und historische Konstitutionsbedingungen diskutiert wird (vgl. Moebius 2012: 21), erfährt die Beschäftigung mit dem Selbst eine eher untergeordnete Rolle. Es lassen sich zwar Arbeiten finden, in denen das Selbst zum Bestandteil der Betrachtung wird (z.B. Markus/Kitayama 19914; Probyn 1992, 1993), Selbstkonzepte werden hingegen nur selten bzw. unter anderen Begriffsmarken thematisiert. Aufgrund fehlender allgemeingültiger Definitionen und oftmals zu wenig reflektierter Verwendungen der Begriffe Selbstkonzept und Identität werden diese inhaltlich unterschiedlichen Begriffe oft gleichgesetzt. Ebenfalls begriffsdefinitorisch unpräzise, aber dennoch zentral in diesem Diskurs, sind die Arbeiten von Frith (insbesondere auch 1998). Er unterscheidet in seinem Aufsatz „Music and Identity“ (1996, 1999) zwischen einer subjektiven und kollektiven Identität, die jeder Mensch besäße (vgl. Frith 1996: 109). Sein zentrales Argument, das er in seinem Text herausstellt, beruht auf zwei Prämissen: „first, that identity is mobile, a process not a thing, a becoming not a being; second, that our experience of music – of music making and music listening – is best understood as an experience of this self-in-progress“ (ebd.). Wenn er von „Identitäten“ spricht, so
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Hall beschäftigte sich mit drei verschiedenen Identitätskonzepten: mit der Identitätsvorstellung aus der Zeit der Aufklärung, nach der jede Person ein als essentialistisch verstandenes, zentriertes und vereinheitlichtes Individuum ist, mit der soziologischen Identitätstheorie in Anlehnung an Mead und den Symbolischen Interaktionismus, nach der sich Identität in der Interaktion zwischen einem Ich und der Gesellschaft bilde (vgl. Hall 1999: 395). Zentrale Auseinandersetzungen hierzu lassen sich u.a. bei Grossberg (1996), Hall (1989, 1999), Marchart (2008) und Moebius (2012) finden. Markus & Kitayama (1991) stellen hierbei eine Verbindung zu (sozial-)psychologischen Ansätzen her.
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spricht er von einer bestimmten Art von Erfahrung oder einer Weise, mit einer bestimmten Art von Erfahrung umzugehen: „Identity is not a thing but a process – an experiential process which is most vividly grasped as music.“ (Ebd.: 110) Frith geht davon aus, dass Musik der „Schlüssel“ für Identität sei, „cause it offers, so intensely, a sense of both self and others, of the subjective in the collective“ (ebd.). Die Erfahrung von Identität beschreibe gleichermaßen einen sozialen Prozess, „a form of interaction“ (ebd.: 111), wie auch einen ästhetischen Prozess. Auch die Begegnung mit Popmusik ist für Frith „eine Erfahrung der Identität“, die dem Individuum von außen auferlegt werde: „Identity, that is to say, comes from the outside not the inside; it is something we put or try on, not something we reveal or discover“ (ebd.: 122). Im Weiteren geht er davon aus, dass Identität „a matter of ritual“ sei, „it describes one’s place in a dramatized pattern of relationship – one can never really express oneself ‚autonomously‘. Self-identity is cultural identity; claims to individual difference depend on audience appreciation, on shared performing and narrative rules“ (Frith 1996: 125). Auch an diesem Statement wird deutlich, dass der Autor verschiedene Formen von Identität und Selbst in den Diskurs einbringt, die sich jedoch nur schwer inhaltlich definieren und somit differenzieren lassen: subjektive Identität, kollektive Identität, kulturelle Identität, Selbst-Identität, mobiles Selbst, vorgestelltes Selbst usw. Interessant ist auch, dass er auf das Konstrukt der persönlichen Identität zu sprechen kommt und sich dabei auf Ree (1990) bezieht, der wiederum davon ausgeht, dass der persönlichen Identität „the accomplishment of a storyteller, rather that the attribute of a character“ (ebd.: 1055) zukomme. Der Terminus des „storyteller“ erinnert an die Überlegungen Hemmings (2003: 91), der wiederum das Selbstkonzept als die „Geschichte“ bezeichnet, „die man sich permanent selbst erzählt“. Ähnlich wie Frith zieht auch Hemming keine scharfe Trennlinie zwischen Selbstkonzept und Identität. Vielmehr geht er von einer weitgehenden Übereinstimmung der beiden Konstrukte aus und erwähnt lediglich den unterschiedlichen Gebrauch der Begrifflichkeiten. Bei Mummendey (2006) heißt es hierzu ergänzend: „Insgesamt gesehen scheint der Identitätsbegriff, von einigen fachspezifischen Traditionen abgesehen, nichts grundsätzlich anderes auszudrücken als bereits mit den Begriffen ‚Selbst‘ und Selbstkonzept abgedeckt wird: Ein Mensch besitzt verschiedene soziale und situative Identitäten und ist doch stets mit sich selbst identisch. Er repräsentiert und präsentiert unterschiedliche Arten des ‚Selbst‘ und verfügt zugleich über ein mehr oder weniger stabiles Konzept von der eigenen Person.“ (Ebd.: 86)
Spychiger (2007) erweitert die Diskussion dahingehend, dass nicht nur Identität, sondern auch das Konstrukt der Persönlichkeit weitgehend mit dem Selbstkonzeptbegriff überlappe (vgl. ebd.: 10). Ihrer Auffassung nach sei das Selbstkonzept jedoch am leichtesten „zu handhaben“, da es „den Zugang von der zu beforschenden Person her wählt und nicht mehr wissen und sein will als das, was sich diese selbst zuschreibt und wie sie sich selbst einschätzt“ (ebd.). Eine Möglichkeit der Differenzierung sieht Schuppener (2005: 66) im Versuch eines Hierarchie-Entwurfs: „Das Selbst bzw. die Identität eines Individuums ist hier als oberste Kategorie anzusehen, die mittels Selbstreflexivität eine Integration in soziale und gesellschaftliche Strukturen ermöglicht. [...] Dem Selbst/der Identität ‚untergeordnet‘ sind ein bzw. mehrere Selbstkonzepte, die als Produkte dieses reflexiven
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Prozesses aufzufassen sind.“ Obwohl sie die Begriffe Selbst und Identität gleichsetzt – und hierbei lediglich auf die unterschiedliche Etikettierung im Zusammenhang ihrer disziplinären Verwendung hinweist, trifft sie dennoch eine Differenzierung zwischen den Konstrukten Selbstkonzept und Identität. Ähnliche hierarchische Strukturen sind auch dem Ansatz von Brandau & Kaschnitz (2008) zu entnehmen. Sie sehen in diesem Zusammenhang die Teilaspekte des Selbstkonzepts als eine Art Fundament der Identität an, welche sie als „Zustand der Kontinuität des situations- und lebensgeschichtlichen Selbsterlebens“ (ebd.: 71) definieren. Hierzu heißt es weiter: „Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und Selbstreflexion fließen auf Grund der Erfahrungen, welche eine Person bei der Aneignung und Auseinandersetzung mit der äußeren und inneren Realität macht, in die Identität ein und bilden deren Grundlage.“ (Ebd.).
Die Autoren knüpfen damit an die Auffassung von Frey & Haußer (1987) an, die das Selbst als eine Art „persönliche Identität“ darstellen und das Selbstkonzept folglich als ein „Element von Identität im Sinne der reflexiven Auseinandersetzung der Person mit sich selbst“ (ebd.: 8) definieren. Sie bilden hiermit eine definitorische Grundlage, auf die auch die Forschungsarbeiten von Hargreaves, MacDonald & Miell (z.B. 2002, 2012, 2016, 2017) aufbauen, welche wichtige Forschungsansätze in diesem Zusammenhang im musikpädagogischen und -psychologischen Kontext geschaffen haben. Die Autor*innen sind der Auffassung, dass Identitätsforschung die Beantwortung grundlegender Forschungsfragen zum musikalischen Verhalten und zur sozialen Konstruktion musikalischer Aktivitäten erleichtere. Die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen – also das, was Spychinger (s.o.) als Selbstkonzept beschreibt – und wie wir unsere Fähigkeiten und Kompetenzen bewerten, sei Hargreaves et al. (2012) zufolge ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung unserer Identität. In diesem Zusammenhang bringen sie den Begriff der musikalischen Identität in den Diskurs, über welche ein Zugang zur musikalischen Entwicklung von Menschen hergestellt werden könne: „[We] conceive of musical identities as ubiquitous, constantly evolving aspects of the self-concept that are negotiated across a range of social situations.“ (Ebd.). Wie wir uns als ‚Musiker*in‘ verstehen und welche Fähigkeiten damit einhergehen, sei nach Hargreaves et al. ein grundlegender Aspekt unserer musikalischen Identitäten. „Musical identities can be conceptualized as multifaceted, as constantly evolving, and to a certain extent, as contextually dependent (Wilson & MacDonald, 2005): we all have several musical identities that manifest themselves in different ways. For example, our musical preferences and tastes help to shape how we view ourselves, as well as the image of ourselves that we wish to present to world around us (Zillman/Gan, 1997; MacDonald/Hargreaves/Miell 2008).“
Musik wird hierbei zu einer Art, um es mit Frith’ Worten zu formulieren, „badge of identity“ (Frith 1981), welche wiederum einen Aspekt unserer musikalischen Identität darstellt und einen wichtigen Einfluss darauf hat, wie wir uns mit Musik auf praktischer Ebene beschäftigen: „How we may learn the guitar, the style of music we might like to play, and with which other musicians we might like to play.“ (Hargreaves et al. 2012)
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Der Begriff des Musikers bzw. der Musikerin ist folglich als ein sozial konstruiertes Label zu verstehen und nicht als eine Identität, die sich ausschließlich aus formaler Bildung oder Kompetenzen konstituiert. Die Auffassung ‚Musiker sein‘ und die Entwicklung unserer musikalischen Identität werden ebenso von nichtmusikalischen Faktoren im unmittelbaren und weiteren sozialen Umfeld beeinflusst. Dazu zählt insbesondere die Art und Weise, wie wir uns mit unseren Mitmenschen identifizieren. In diesem Zusammenhang sind es vor allem Praktiken und Rituale – wie der Konsum von Drogen – bspw. innerhalb von ‚peer groups‘, die die Konstruktion des individuellen Labels des Musikers bzw. der Musikerin beeinflussen und damit unser SelbstImage bestimmen: „The self-image includes aspects of personality style, appearance and the social roles that we play. Those components relating to the specific domain of music, for example, might include ‚saxophonist‘, ‚jazz fan‘ or ‚music teacher‘ – all of which are instances of what we have termed identities in music (IIM).“ (Hargreaves et al. 2002: 8).
Hargreaves et al. gehen davon aus, dass domain-spezifische Selbst-Images (im Deutschen als Selbstbilder bezeichnet) im Selbst-System des jeweiligen Individuums, das sich wiederum aus verschiedenen Selbstkonzepten konstituiert, integriert seien. „We might say that the self-system is made up of a number of self-concepts, or self-images, which are the different ways in which we see ourselves. These self-concepts can be context- or situation-specific (e.g. how I see myself as being able to concept under stress, or in an emergency), or domain-related (e.g. how I see myself as a linguist, or a musician). Self-identity is the overall view that we have of ourselves in which these different self-concepts are integrated, although the ways in which individuals accomplish this remain a central and unresolved theoretical question.“ (Ebd.: 7)
Um dem Verwirrspiel der inhaltlichen Zuordnung und Abgrenzungen der verschiedenen Begriffsetiketten an dieser Stelle ein Ende zu setzen, ist in Bezug auf die Deutung und Verwendung der verschiedenen Konstrukte für diese Arbeit festzuhalten: Selbstkonzepte werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit in Anlehnung an Hargreaves et al. als Teil eines Selbst-Systems aufgefasst, das im Ganzen als das Selbst zu verstehen ist. Das Selbst konstituiert sich somit aus einer Reihe von Selbstkonzepten, die sich wiederum aus verschiedenen Teil-Selbstkonzepten zusammensetzen und – wie im Folgenden skizziert wird – unterschiedlich ausgeprägt sein können. Zur Abgrenzung von Selbstkonzept und Identität ist an dieser Stelle, rückführend auf Frith, zu betonen: Während Identität einer Person von außen zugeschrieben wird, einer Person also durch eine objektive Perspektive quasi auferlegt wird, bezieht sich das Selbstkonzept auf die innere Perspektive einer Person – nämlich die subjektive Sicht des Individuums auf sich selbst (vgl. Mummendey 1995: 57).
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4.2
THEORIEN UND MODELLE
Neben den Bemühungen um Begriffsklärungen ist in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an Ansätzen zu Theoriebildungen zum Selbst bzw. Selbstkonzept entwickelt worden, die nach Filipp (1993) zwar eher als ein „wissenschaftlicher Fortschritt denn Rückschritt“ (ebd.: 9) aufgefasst werden können, letztendlich aber die Forschungslandschaft in diesem Bereich mittlerweile unüberschaubar gemacht haben. Wenn allein bei dem Versuch einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung bereits eine „babylonische Sprachverwirrung“ (Moschner 2001: 629) vorherrscht, wie kann dann folglich eine einheitliche Theorie- und Modellbildung gewährleistet werden? Die Auswirkungen von Verwirrung und Uneinheitlichkeit zeichnen sich in der gegenwärtigen Selbstkonzeptforschung sehr deutlich ab: Die Heterogenität der einzelnen Modelle und Theorien des Selbst zeigt, wie bereits Rustemeyer 1993 festgestellt hat, dass die Forschung auch im Jahre 2020 von einer einheitlichen oder integrativen Theorie des Selbst noch weit entfernt ist. Einen Versuch der Benennung, Verknüpfung und Bewertung haben verschiedene Autor*innen bereits vorgenommen. Die wichtigsten – für diese Arbeit relevanten – Ansätze sollen im Folgenden dargestellt werden, um zumindest zu einem formalen Grundverständnis des Aufbaus und der Organisation von Selbstkonzepten zu gelangen. 4.2.1 Aufbau und Organisation „Während in früheren Arbeiten häufig von einem globalen Selbstkonzept ausgegangen wurde, stehen heute eher differenzierte Ansätze im Vordergrund. Die Vorstellung, dass sich selbstbezogene Kognitionen nicht auf die gesamte Person, sondern überwiegend auf spezifische Teilbereiche des Selbst beziehen, gehört inzwischen zum gemeinsamen Konsens der Forschung. Die Struktur dieser [...] [Modelle] ist allerdings noch heftig umstritten.“ (Pfeiffer 2007a: 41)5
Wie das vorige Zitat bereits andeutet, wird in der heutigen Selbstkonzeptforschung davon ausgegangen, dass die eigene Person nicht als globale Gesamteinheit, sondern eher in Form vieler bereichs- und/oder situationsspezifischer Partialmodelle der eigenen Person repräsentiert ist (vgl. Filipp 1993: 148). Das wohl bekannteste Modell hierzu lieferten Shavelson et al. (1976), das von Moschner & Trautwein (2015: 183) als „Startpunkt der modernen pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung“ bezeichnet wird und insbesondere auf dem Gebiet der empirischen Pädagogik Anwendung und Weiterentwicklung erfuhr. Anhand dieses Modells wird die Struktur des Selbstkonzepts als hierarchisch organisiert, multidimensional und sich mit zunehmendem Alter ausdifferenzierend charakterisiert. Möller & Trautwein (2015: 183) ergänzen hierzu: „Um die Komplexität seiner Erfahrung mit der Umwelt zu reduzieren, organisiert ein Individuum diese Erfahrungen mithilfe von Kategorien. Eine Einteilung von Erfahrungen in Katego-
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Mit dieser Auffassung bezieht sich Pfeiffer auf Moschner (2001).
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rien bedeutet auch, dass das Selbstkonzept mehrere Facetten hat, d.h. eine multidimensionale Struktur aufweist. In anderen Worten: Personen bauen Überzeugungen darüber auf, in welchen Bereichen sie besonders hohe oder geringe Fähigkeiten und Begabungen haben. Die logisch nächste Frage ist dann, wie viele unterschiedliche Bereiche Menschen unterscheiden, wie viele Dimensionen das Selbstkonzept also umfasst.“
Von der Annahme eines globalen bzw. allgemeinen Selbstkonzepts (general selfconcept) ausgehend, nehmen Shavelson et al. (1976) die Differenzierung des Selbstkonzepts in zwei Teilbereiche vor: den schulischen Bereich (academic self-concept) und den außerschulischen Bereich (non-academic self-concept). Der nicht-akade– mische Teil lässt sich wiederum in einen sozialen (social self-concept), einen emotionalen (emotional self-concept) und einen physischen Bereich (physical self-concept) unterteilen. Auf einer weiteren Ebene wird das schulische Selbstkonzept dann unterteilt in spezifische Bereiche (subareas of self-concept) wie z.B. Englisch, Geschichte etc. Im Bereich des nicht-schulischen Selbstkonzepts wird in Bezug auf das soziale Selbstkonzept zwischen Bezugsgruppen (peers) und – in Anlehnung an Mead (1934) – den signifikanten Anderen (significant others) differenziert. Weiterhin sind auf dieser Ebene für das emotionale Selbstkonzept insbesondere spezielle emotionale Befindlichkeiten (particular emotional states) sowie für das physische Selbstkonzept körperliche Fähigkeiten (physical ability) und das Aussehen (physical appearance) relevant (vgl. ebd.: 413; siehe auch Rustemeyer 1993: 17: 17; Stiller/Alfermann 2008: 17). Der untersten Hierarchie-Ebene schreiben Shavelson et al. (1976) die Funktion der „evaluation of behavior in specific situations“ (ebd.: 413) zu: „The evaluative dimension can vary in importance for different individuals and also for different situations. This differential weighting of the importance of the various evaluative dimensions probably depends upon the individual’s past experience in a particular culture, in a particular society, and so on.“ (Ebd.: 414)
Auch wenn die Annahme über Mehrdimensionalität und Bereichsspezifität von Selbstkonzepten inzwischen zum breit geteilten Konsens in der SelbstkonzeptForschung gehört (vgl. Moschner/Dieckhäuser 2006: 686), ist jedoch noch immer nicht endgültig geklärt, „wie weit es tatsächlich überindividuell identische Selbstkonzept-Strukturen gibt, wie weit diese kulturabhängig sind, zu welchem Grad die Ausdifferenzierung individuell erfolgt und sich möglicherweise auch im Laufe des Lebens ändern kann“ (Hammel 2011: 91f.). Auch Moschner & Dieckhäuser (2006) geben zu verstehen, dass insbesondere die Struktur dieser bereichs- und/oder situationsspezifischen Partialmodelle der eigenen Person noch immer umstritten sei. Greve (2000a) sieht den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Auffassung des Selbst darin, dieses als ein „dynamisches System“ zu bezeichnen, „das einerseits auf die jeweilige Person bezogene Überzeugungs- und Erinnerungsinhalte in hochstrukturierter Form und andererseits die mit diesen Inhalten und Strukturen operierenden Prozesse umfasst“ (ebd.: 17). Er bezieht sich bei seiner Auffassung auf Markus, die insbesondere in der Zusammenarbeit mit Wurf maßgeblichen Einfluss auf die entscheidende Wende in der wissenspsychologischen Reformulierung des Selbstkonzepts als Teil des Wissenssystems in den 1970er Jahren hatte (vgl. Markus/Wurf 1987; Markus 1977) und damit einen „Paradigmenwechsel in der Selbstkonzept-
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Forschung“ (Filipp 2000: 7; siehe hierzu auch Stiller/Alfermann 2008: 15) einläutete. Während bis in die 1970er Jahre die wissenschaftliche Perspektive vornehmlich motivational geprägt war6, wandte sich die Selbstkonzeptforschung in den 1980er Jahren zunehmend dem Paradigma der Informationsverarbeitung zu (vgl. Petersen 1994: 11f.). „Aus informationstheoretischer Sicht wird der Mensch im Umgang mit Informationen über die eigene Person und der Wahrnehmung anderer Personen von kognitiven Strukturen geleitet, die selbstbezogenes Wissen repräsentieren“, heißt es bei Petersen (ebd.: 12). Er spricht hierbei von sogenannten Selbstschemata, einem Begriff, der auf Markus (1977) zurückgeht. Sie geht von kognitiven Strukturen aus, welche die Informationen, die eine Person über sich selbst hat, organisieren und integrieren. Folglich beschreibt sie Selbstschemata als „cognitive generalizations about self, derived from past experience, that organize and guide the processing of self-related information contained in the individual’s social experiences“ (ebd.: 64). Markus ebnete mit dieser Auffassung eine Grundlage für Forschungsarbeiten, die auf schemageleitete Informationsverarbeitung zurückgreifen, um die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen zu untersuchen, die entweder die eigene Person oder andere Personen betreffen (vgl. Petersen 1994: 12). Mummendey (1995: 95) ergänzt hierzu, dass solche Schemata „sowohl Pläne über das Selbst als auch Ausführende solcher Pläne“ seien. Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten von Kihlstrom & Cantor (1984), die das Selbstkonzept als mentale Repräsentation der eigenen Person auffassen, „als ein ‚soziales Wissen‘, das Bestandteil des gesamten Gedächtnissystems des Individuums ist“ (Mummendey 1995: 59). Mummendey zufolge speichere dieses System die strukturierte und organisierte Repräsentation des Wissens um die eigene Person und bilde damit die kognitive Grundlage für das Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Handeln (vgl. ebd.). Eine der bekanntesten und meist zitierten theoretischen Auseinandersetzungen mit der Struktur von Selbst-Systemen im Rahmen kognitiver Selbstkonzeptforschung ist auf Filipp ([1979], 1993) zurückzuführen. Auch sie ist der Auffassung, dass „Menschen [...] über kognitive Repräsentationen ihrer eigenen Person [verfügen], indem sie selbstbezogene Informationen im Gedächtnis gespeichert haben. Die Totalität aller gespeicherten selbstbezogenen Informationen wird als ‚internes Selbstmodell‘ eingeführt. Dieses konstituiert zusammen mit dem ‚internen Außenweltmodell‘ die naive Handlungstheorie der Person. [...] Das interne Selbstmodell ist als organisiertes Wissen über die eigene Person gedacht. Hierfür werden ‚Selbstschemata‘ als konstituierende Einheiten des internen Selbstmodells angenommen und wie dieses als hypothetische Konstrukte eingeführt. (Ebd.: 148)
Noch einen Schritt weiter in der theoretischen Auseinandersetzung zum Selbstkonzept geht Epstein (1993), wenn er von „der Theorie eines Individuums von der Wirklichkeit“ (ebd.: 16) ausgeht, die Subtheorien über die eigene Person (eine Selbsttheorie), über die Außenwelt (eine Umwelt-Theorie) und über die Wechselwirkungen zwischen beiden Subtheorien umfasst:
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Aus motivationstheoretischer Sichtweise wird davon ausgegangen, dass der Mensch bei der Suche, Aufnahme und Verarbeitung selbstbezogener Informationen und bei der Beurteilung anderer Personen von zentralen Bedürfnissen geleitet wird (vgl. Petersen 1994: 11).
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„Jeder von uns – ob willentlich oder unwillentlich – konstruiert seine Theorie von der Wirklichkeit und ordnet somit, was ohne eine solche Theorie chaotische Erfahrungswelt bliebe. Wir brauchen eine solche Theorie, um unserer Welt Sinn zu verleihen, genau wie der Wissenschaftler seine Theorie braucht, um seinen begrenzten Informationsschatz interpretieren und verstehen zu können.“ (Epstein 1993: 15)
Ähnlich wie Shavelson et al. geht auch Epstein von einer hierarchischen Struktur des Selbstkonzepts aus, das zum einen aus spezifischen, untergeordneten und zum anderen aus generalisierten Annahmen über sich selbst bestehe, welche zur Verarbeitung des Erfahrungsstroms, für die Aufrechterhaltung eines hohen Selbstwertgefühls und für die Steuerung seines Lebens unumgänglich sei. 4.2.2 Stabilität und Variabilität von Selbstkonzepten „The unifying premise of the last decade’s research on the self is that the self-concept does not just reflect on-going behaviour but instead mediates and regulates this behaviour. In this sense the self-concept has been viewed as dynamic – as active, forceful, and capable of change. It interprets and organizes self-relevant actions and experiences; it has motivational consequences, providing the incentives, standards, plans, rules and scripts for behaviour; and it adjusts in response to challenges from the social environment.“ (Markus/Wurf 1987: 299f.)
Bis in die 1970erJahre wurde die Forschung zum Selbstkonzept an dessen Inhalten ausgerichtet. Im Sinne einer Eigenschaftstheorie wurde das Selbst als „ein situationsinvariantes, zeitlich stabiles und insofern statisches Persönlichkeitsmerkmal“ (Hänsel 2008: 27) betrachtet. Im Rahmen der Persönlichkeitsforschung wurden aus kognitionspsychologischer Perspektive vermehrt Prozesse, Dynamiken und Interaktionen des Selbst in den Fokus der Betrachtung gesetzt. Hannover (1997) zufolge sei das Selbst dynamisch, „weil Menschen flexibel zwischen multiplen Selbstkonstrukten wechseln können" (ebd.: 24). Sie ist der Auffassung, dass die Kräfte, welche die Bewegung oder Dynamik des Selbst erzeugen, durch den sozialen Kontext konstituiert werden. In Anlehnung an Cooley (1902) und Mead (1934) geht sie davon aus, dass das Selbst eine Reflexion der Sichtweisen sei, die andere auf die jeweilige Person haben. Damit ändere sich das Selbst „mit anderen Anwesenden oder in Abhängigkeit davon, in welche Person sich das Selbst hineinversetzt“ (Hannover 1997: 3). Dies impliziert, dass gleichzeitig versucht wird, anderen Sichtweisen und vermeintlichen Fremderwartungen zu entsprechen. Diesen Gedanken führt Hannover (ebd.) anhand eines motivationaltheoretischen Ansatzes zur Erklärung von Dynamik und Kontextabhängigkeit von Selbstkonzepten fort: „Weil Menschen bestrebt sind, sich selbst gegenüber anderen in einem günstigen Licht darzustellen, versuchen sie, den Eindruck, den sie erwecken, zu steuern (impression-management) und präsentieren sich in Abhängigkeit von anderen Anwesenden auf unterschiedliche Weise (self-presentation).“ (Hannover 1997: 3)
Schachinger (2005) ergänzt hierzu, dass der Selbstaspekt, welcher in einzelnen Situationen dargestellt wird, „einerseits von vermuteten Ansprüchen und Forderungen anderer Personen bzw. des Publikums, andererseits von eigenen Standards, Wunsch-
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vorstellungen und Zielen abhängig“ (ebd.: 61) sei. Die Auffassung, dass das Selbst in der Lage sei, verschiedene Selbstaspekte in verschiedenen Situationen abzurufen, setzt zugleich voraus, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt nur auf eine Teilmenge der Substrukturen des Selbst zugegriffen wird. Eine solche Situationsspezifik schreiben auch Markus & Wurf (1987: 306) dem Selbstkonzept zu: „The idea is simply that not all self-representations or identities that are part of the complete self-concept of the moment, are best viewed as a continually active, shifting array of accessible self-knowledge.“
Mit der Annahme eines Arbeits-Selbstkonzepts (working self concept) geben die beiden Autor*innen zudem zu verstehen, dass sich je nach spezifischem Situationskontext derjenige Ausschnitt des selbstbezogenen Wissenssystems ändert, der aktiviert und determiniert, welche Aspekte des Selbst der eigenen Person bewusst und damit zugänglich sind (vgl. Filipp/Mayer 2005: 266). Möller & Trautwein (2015) verstehen dieses Konzept in dem Sinne, dass es auf der einen Seite durch die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts bestimmt, auf der anderen Seite aber durch aktuelle situative und soziale Einflüsse modifiziert wird (ebd.: 181). Es sind beispielsweise nach Schachinger (2005: 31) gegenwärtige Umgebungsfaktoren wie ausgeübte Tätigkeiten, Beziehungen und Gruppenzugehörige, welche spezifische Teile des Selbstkonzepts aktivieren und dadurch ein situationsangemessenes und angepasstes Verhalten ermöglichen. Mummendey (2006: 29) leitet aus der scheinbaren Widersprüchlichkeit von Stabilität und gleichzeitiger Variabilität eine Art Doppeldeutigkeit in der Auffassung des Selbst ab: „Einerseits ist das Selbst vom jeweiligen sozialen Gegenüber, von spezifischen Situationen und Bedingungen abhängig, ist also hochgradig variabel [...]. Andererseits gibt es so etwas wie eine zentrale und überdauernde Identität, eine Art Kern, mit den Worten von James eines Menschen ‚truest, strongest, deepest self‘, also etwas hochgradig Konstantes.“
Das Kern-Selbst, also die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts, umfasst Markus (1977: 63f.) zufolge vor allem positive oder negative Sichtweisen der eigenen Person sowie die Vorstellung über ein ideales und negatives Selbst. Wird nun von der Auffassung ausgegangen, dass die relative Stabilität des Selbstkonzepts „nur unter bestimmten Umständen [...] verändert wird“ (Laskwoski 2000: 149), so bleibt zu hinterfragen, wie solche Umwandlungs- bzw. Veränderungsprozesse ablaufen und welche Auswirkungen sie auf die Konstitution des Selbstkonzepts haben. Filipp (1984: 143) zufolge ist die Frage nach Stabilität und Variabilität einzelner Selbstschemata davon abhängig, „ob sie nur kummulativ vervollständigt (Assimilation), evolutionär verändert (Akkomodation) oder gar revolutionär (z.B. angesichts der Bewältigung kritischer Lebensereignisse) verändert werden müssen“. Wird ein Schema geändert, um sich den veränderten Umständen anzupassen, kann dies nach Schachinger (2005) folgendermaßen geschehen: „(1) vergleichsweise behutsam durch eine schrittweise Angleichung der Selbstschemata an die widersprüchlichen Daten (z.B. man lernt dazu und lässt sich eines Besseren belehren) oder (2) durch eine abrupte Veränderung der Selbstschemata im Sinne einer plötzlichen Bekehrung
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(z.B. durch ein besonders ein besonders einschneidendes Erlebnis) oder (3) durch die Ausbildung von Subschemata, welche den widersprüchlichen Informationen gerecht werden sollen (z.B. man bildet sich eine differenziertere Meinung).“ (Ebd.: 139)
Insbesondere die Frage, welchen Veränderungen Selbstkonzepte drogenabhängiger Musiker*innen unterliegen, und welche damit verbundenen Anpassungs- bzw. Reaktionstendenzen ihnen zugrunde liegen, ist zentraler Bestandteil dieser Arbeit und wird insbesondere im empirischen Teil einer genaueren Betrachtung unterzogen. 4.2.3 Inhalte und Quellen selbstbezogener Informationen Wenn man wie Greve (2000a) vom Selbstkonzept als einem „dynamische[n] Gedächtnissystem“ (ebd.: 17) ausgeht, das nach Filipp & Mayer (2005) sowohl propositionale (sprachgebundene) als auch nonpropositionale (wahrnehmungsgebundene) Repräsentationsformen einschließt“ (ebd.: 269) und – um erneut auf Markus (1977) zurückzukommen – dieses als eine Sammlung miteinander verbundener generalisierender Selbstaussaugen bzw. als Repräsentation selbstbezogener Informationen definiert, so stellt sich die Frage, wie das Wissen über die eigene Person im Laufe des Lebens eines Individuums gesammelt wird. Kurz gefragt: Wie entstehen selbstbezogene Kognitionen bzw. was sind Quellen dieser Informationen? Eine mögliche Antwort darauf findet sich in der Theorie der Selbstwahrnehmung von Bem (1993: 97), die besagt, dass Individuen ihre eigenen Einstellungen, Gefühle und andere innere Vorgänge aus den Beobachtungen ihres eigenen Verhaltens erschließen. Hierbei nimmt das Individuum also die Rolle des eigenen Beobachters ein. Die Selbstwahrnehmung der eigenen Person wird dabei als zentrale kognitive Komponente von Selbstkonzepten angesehen. Neben der Selbstwahrnehmung werden in anderen Ansätzen aber auch externe Einflüsse zur Ausformung selbstbezogener Konzepte genannt. Wird beispielsweise von Epstein (1993: 16) von einer Wechselwirkung zwischen Selbst- und Umwelttheorie ausgegangen, so scheint die Selbstsicht folglich nicht unabhängig von der Wahrnehmung seiner Umwelt zu sein: „Wie es seine Umwelt konzeptualisiert, ist in hohem Maße eine Reflektion seiner Selbstkognitionen und umgekehrt.“ Auch lässt sich hier erneut ein Bezug zu Shavelson et al. (1976: 411) herstellen, die das Selbstkonzept als die Selbstwahrnehmung einer Person auffassen, die durch ihre Umwelt beeinflusst wird: „In very broad terms, self-concept is a person’s perception of himself. These perceptions are formed through his experience with his environment [...] and are influenced especially by environmental reinforcements and significant others.“
Auch hier nimmt die Fremdwahrnehmung durch Andere – wie anfangs schon bei James, Mead und Cooley thematisiert worden ist – eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Selbstkonzeptualisiserung ein. Filipp (1985: 349) ist der Auffassung, dass der sozialen Umwelt eine „überragende Bedeutung“ als Quelle selbstbezogenen Wissens zukomme. Sie sieht die größten Einflussfaktoren in erster Linie in „direkte[r] und indirekte[r] Prädikatzuweisung“ sowie in „interaktive[n] Verhaltensweisen“, aber auch in Prozessen „des Sich-Vergleichens oder Verglichen-Werdens“ (ebd.).
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Nach der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse von Festinger (1954) wird davon ausgegangen, dass der Mensch ein Motiv besitzt, die eigenen Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten: „There exists, in the human organism, a drive to evaluate his opinions and his abilities.“ (ebd.: 117) Besonders wenn sich eine Person unsicher über die eigene Meinung, ihre Leistung oder Handlung ist, und Fehlschlüsse vermeiden will, scheint sie den sozialen Vergleich anzustreben. Zoglowek (1995: 47) gibt in diesem Zusammenhang jedoch zu verstehen, dass soziale Vergleichsprozesse nicht nur der Beurteilung eigener Selbsteinschätzung dienen, sondern auch direkte Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl einer Person haben. Entscheidend sei hierbei nicht so sehr, was das Individuum objektiv an Fähigkeiten oder materiellen Werten besitze, sondern wie und mit wem es sich vergleiche. Zoglowek sieht Informationen aus sozialen Vergleichen folglich „als die wichtigste Quelle zur Gewinnung selbstbezogenen Wissens“ (ebd.: 48). Einen weiteren bedeutenden Faktor für die Verarbeitung selbstbezogener Informationen sieht er in dem Bedürfnis nach Konsistenz und personaler Kontinuität (vgl. ebd.: 49). Der aktuelle Forschungsstand lässt vermuten, dass ein Individuum so handelt, dass sein Selbstbild weitgehend erhalten bleibt, um psychische und verhaltensgelenkte Sicherheit zu gewährleisten. Hammel (2011: 100) ist der Auffassung, dass die Selbstkonsistenz einer Person zum einen mittelbar auf deren Selbstwahrnehmung wirke, indem die eigenen Handlungen wiederum die Selbstwahrnehmung beeinflussen. Zum anderen wirke sie auch unmittelbar innerhalb der (Selbst-)Wahrnehmung, „denn Selbstkonzepte lenken die Aufmerksamkeit und dienen als Interpretationsschlüssel“. „Für die Gestaltung von Aussenbeziehungen heisst dies, dass nach Möglichkeit solche Kontakte und solche Informationen bevorzugt werden, die zum eigenen Selbst- und Weltbild kongruent sind. Mögliche Konflikte, die aufgrund von Diskrepanzen zwischen Selbstkonzept und tatsächlichem Erleben und Verhalten entstehen, werden oftmals so vermieden oder gelöst, dass im Interesse der Kontinuität der gewohnten Selbstcharakterisierung auftretende Diskrepanzen verdrängt oder diesbezügliche Informationen umgedeutet werden.“ (Zoglowek 1995: 49)
Das Bemühen, Diskrepanzen zwischen dem faktisch vorhandenen bzw. real wahrgenommen Selbstbild und einem erstrebten Zustand, dem idealen Selbstbild einer Person, zu vermeiden, wird auch von Schachinger (2005) thematisiert. Sie bezieht sich in ihrer Darstellung zu den verschiedenen Arten von Selbstbildern auf die Selbstdiskrepanz-Theorie von Higgins (1987). Es wird hierbei von einem aktuellen, idealen und normativen Selbst ausgegangen. Während eine Person sich im aktuellen (actual) bzw. realen Selbst (real self; extant self) beschreibt, wie sie glaubt, tatsächlich zu sein, findet sich im idealen Selbst (desired self) all das, was und wie eine Person gern sein möchte, aber (noch) nicht ist (vgl. Schachinger 2005: 125). Zoglowek (1995: 38) zufolge spielen bei letzterem „[s]owohl Projektionen individueller Vorstellungen von Selbstverwirklichung als auch gesellschaftliche Verhaltensforderungen und Werte, die, transformiert etwa über Gewissen und Moral, als Orientierungsmasstäbe geltend gemacht werden“ eine Rolle. Hierbei – vor allem im Kontext des zu betrachtenden Phänomens heroinabhängige Musiker*innen – ist besonders die Identifizierung mit Vorbildern, Idolen und bedeutsamen Interaktionspartnern als zentraler Aspekt zu betrachten:
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„Verbunden mit einer zumeist auch emotional starken Bindung entsteht das Bedürfnis oder der Wunsch, so sein zu wollen wie das Vorbild. In der Hauptsache wird durch solche Identifikationsprozesse zwar das Idealselbst entwickelt, das in der dann subjektiv geformten Einheit allerdings als richtungsweisende Norm für das Realselbst gilt.“ (Ebd.: 48)
Das normative Selbst (ought self) hingegen beinhaltet all das, was eine Person glaubt, an Forderungen, Verantwortlichkeiten und Pflichten erfüllen zu müssen (vgl. ebd.). Mit den Standards, die dem idealen und normativen Selbst auferlegt sind, wird das aktuelle Selbstbild verglichen, interpretiert und bewertet. Entstehende Widersprüche und Diskrepanzen, die nur schwer zu vermeiden sind, können folgenschwere unangenehme Gefühle verursachen. Hierbei wurde festgestellt, dass Diskrepanzen zwischen aktuellem und idealem Selbstbild mit depressionsähnlichen Gefühlen wie Trauer, Enttäuschung, Niedergeschlagenheit, Unzufriedenheit und Frustration einhergehen, während Diskrepanzen zwischen aktuellem und normativen Selbstbild mit Angststörungen in Verbindung stehen (vgl. ebd. 126; Petersen 1994: 22): „Kommt man eigenen und/oder vermuteten fremden Anforderungen, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten nicht nach, so entstehen – aus einem schlechten Gewissen, (Selbst-) Kritik, (Selbst-) Bestrafung bzw. antizipierter Kritik und Strafe von anderen – Gefühle der Erregung, Schuld, Angst, inneren Unruhe und Unbehaglichkeit sowie moralische Wertlosigkeits- und Schwachheitsgefühle.“ (Schachinger 2005: 26)
Anhand der verschiedenen Domänen, in denen eine Person der aktuellen Forschung zufolge Wissen über sich selbst aufbaut, lässt sich eine Facettenhaftigkeit des Selbst erschließen, die in ihrer Heterogenität nur schwer abzubilden ist. Zusammenfassend formuliert Zoglowek (1995: 37) in diesem Zusammenhang: „Zwar sieht und fühlt sich das Individuum als eine Person, doch kann es eine Fülle von unterschiedlichen Selbstbildern in sich tragen: Solche, die es anstrebt, jedoch nie erreichen wird, solche, die dem wirklichen Verhalten entsprechen – selbst wenn die Selbstwahrnehmung nicht realistisch sein sollte, oder auch solche, die es anderen schulden zu müssen glaubt. Alle diese Bilder zusammengenommen bilden die überdauernde Vorstellung des Individuums von sich selbst.“
Im Zuge der Annahme multipler Selbste ist auch eine zeitliche Dimension selbstbezogenen Wissens zu thematisieren. Unterschiedliche zeitliche Ebenen spielen nicht nur in der Konzeptionalisierung des Selbst eine weitere wichtige Rolle, sondern sollten auch im Rahmen methodischer Auseinandersetzung reflektiert werden. Die Erinnerung an die eigene Person und an das eigene Erleben und Verhalten in früheren Situationen stellt dabei eine weitere Quelle selbstbezogener Informationen dar und nimmt Einfluss auf die Konstitution des Selbstkonzepts. Asendorpf & Neyer (2012: 211) weisen zudem darauf hin, dass das Erinnern auch selbstkonsistenzerhöhende Züge aufzeige, da sie davon ausgehen, dass Selbsterinnerungen in ähnlicher Weise wie die Selbstwahrnehmung durch Erwartungshaltungen und schematisierende Ef-
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fekte verzerrt werde.7 Sie tragen zum einem zur Stabilität von Selbstkonzepten und zum anderen zur Anpassung des früheren Erlebens und Verhaltens an das aktuelle Selbstkonzept bei (vgl. ebd.). In anderen Worten heißt es bei Filipp & Mayer (2005: 269), dass Selbsterinnerung sowohl die Diskrepanz zwischen realem und idealem Selbstbild reduziere als auch zur Konstruktion und Aufrechterhaltung eines zeitlich kohärenten Selbst beisteuere. „Das Selbst ist eingebettet in die persönliche Erfahrungsgeschichte, und im Zuge autobiographischen Erinnerns lässt sich eine Fülle von früheren Selbsten (‚past selves‘) generieren, zu denen das aktuelle Selbst in Beziehung gesetzt wird.“ (Ebd.)
Die Kognitionspsychologie beschäftigt sich mit Selbsterinnerungen beispielsweise unter dem Etikett autobiographisches Gedächtnis. Strube & Weinert (1987: 151) verstehen darunter „die mentale Repräsentation der eigenen Lebensgeschichte“. Das im Gedächtnis repräsentierte autobiographische Wissen kann dabei auf der psychologischen Konstruktebene als das individuelle Selbst verstanden werden. Obwohl die beiden Autoren darauf hinweisen, dass diese „subjektive Datenbasis“ nicht nur eine wichtige Informationsquelle, sondern auch eine „schwer kontrollierbare Fehlerquelle psychologischer Forschung“ (ebd.) darstelle, scheint die Beschäftigung mit autobiographischen Quellen – insbesondere in Form von Erinnerungen – in den letzten Jahren zunehmendes Interesse auf sich gezogen zu haben (vgl. Filipp & Mayer 2005: 269; Mummendey 1995: 28). Selbst-Erzählungen (self stories, self narratives) stellen Filipp & Mayer (2005: 269) zufolge „das Produkt von Integrations- und Rekonstruktionsprozessen dar, in denen das Individuum im ‚inneren Dialog‘ oder im Dialog mit anderen Menschen seine entlang der Zeitlinie organisierten autobiographischen Erinnerungen untereinander sowie zum aktuellen Erleben in Beziehung setzt“. Im Rahmen (auto-)biographischer Forschung liegt das Interesse insbesondere darin, wie die Akteur*innen die soziale Wirklichkeit erfahren und an ihrer Herstellung beteiligt sind. Ein solches Forschungsinteresse zielt weniger darauf ab, subjektive Sichtweisen der jeweiligen Untersuchungspersonen lediglich wiederzugeben. Vielmehr geht es darum, Sinnmuster von Handlungsprozessen zu rekonstruieren, die anhand autobiographischer Verfahren zu ermitteln, dem Akteur bzw. der Akteurin selbst jedoch in der Regel nicht als theoretischem Wissen über die eigene Person verfügbar sind (vgl. Jakob 2010: 222).
7
Hierbei ist jedoch erwähnt, dass im Zuge selbsterinnernder und selbstwahrnehmender Prozesse vorausgesetzt wird, dass die eigene Aufmerksamkeit – gemäß der Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit (self awareness) nach Duval & Wicklund (1972) – überhaupt auf die eigene Person gerichtet wird.
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4.3
ENTWICKLUNG UND MODIFIKATION VON SELBSTKONZEPTEN
Die Frage, ob Selbstkonzepte stabil und relativ unveränderlich oder variabel und fluktuierend sind, konnte innerhalb empirischer Forschung (noch) nicht endgültig beantwortet werden (vgl. Moschner/Dickhäuser 2006: 686). Wenn sich Selbstkonzepte jedoch als dynamisch und flexibel darstellen und nach Deusinger (1987) als „die verschiedenen ‚Bilder‘, die das Individuum in wichtigen Bereichen des ‚Selbst‘ von der eigenen Person entwickelt hat“ (vgl. ebd.: 258) aufgefasst werden können, so stellt sich die Frage, welchen Entwicklungsverlauf diese Selbst-Bilder im Lebensprozess des Individuums vollziehen und welchen Modifikationen sie unterliegen. Dass sich aufgrund von kaum allgemeingültigen Feststellungen zur Genese des Selbstkonzepts kein einheitliches Phasenmodell beschreiben lässt, kann auch auf „Polaritäten und Dominanz verschiedener Einflussfaktoren“ innerhalb dieses Entwicklungsprozesses zurückgeführt werden, wie Schuppener (2005: 69) herausgearbeitet hat: „Zum einen werden die internen Subtheorien eines Individuums als zentrale Faktoren der Entwicklung von Selbstwahrnehmung und Ausbildung von Selbstkonzepten erachtet (siehe Epstein 1993), zum anderen werden Einflussgrößen wie soziale Umwelt und Situationsspezifik als Kern-Kriterien betont (siehe Bem 1993).“
Mummendey (2006) zufolge verändert sich das Bild der eigenen Person während des gesamten Lebenslaufs (vgl. ebd.: 87). Es ist damit zu bezweifeln, dass die Konstruktion von Selbstkonzepten über die ganze Lebenszeit „einigermaßen kontinuierlich“ (Laskwoski 2000: 150) abläuft. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Entwicklung des Selbstkonzepts für jedes Individuum nicht nur in unterschiedlichen zeitlichen Phasen, sondern auch mit unterschiedlichem (Aus-)Maß verläuft, so gilt für alle Individuen gleichermaßen, dass die Entwicklung als lebenslang fortlaufender Prozess angesehen werden kann. Nach Zoglowek (1995: 43) ist die Entwicklung von Selbstkonzepten jedoch weniger vom Lebensalter als vielmehr von vorliegenden und verarbeiteten Prozessen abhängig. Laskwoski (2000: 150) zufolge sind es oft erste Erfahrungen in einem Gebiet, welche besonders zentral waren: „So können die ersten sexuellen Erfahrungen oder betroffen machende sexuelle Erfahrungen (z.B. eine Vergewaltigung) für die Sexualität eines Menschen lange prägend sein. Auch die ersten Erfolgs- oder Mißerfolgserfahrungen in einem Schulfach können das Fähigkeitskonzept des betreffenden Kindes in einem Bereich lange beeinflussen.“
Auch wenn der Prozess der Entwicklung des Selbstkonzepts nie als abgeschlossen gelten kann und sich bei jedem Individuum unterschiedlich vollzieht, scheint es jedoch Altersphasen zu geben, welche die Genese des Bildes einer Person von sich selbst besonders prägen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, soll an dieser Stelle jedoch anhand eines kurzen Überblicks auf zentrale Phasen der Ausbildung des Selbstkonzepts eingegangen und verschiedene Einflussfaktoren dargestellt werden. Forschungsarbeiten über die Entwicklung von Selbstkonzepten gehen insbesondere in der Entwicklungspsychologie auf eine lange Tradition zurück. Hierbei sind
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sowohl frühe Auseinandersetzungen zur Thematik von Baldwin, Hall, Stern und Erikson zu nennen, als auch Arbeiten von Harter, die vor allem durch ihr Modell zur kognitiven Entwicklung des Selbstkonzepts eine Grundlage neuerer Debatten lieferten (vgl. Möller/Trautwein 2015: 182; Fuhrer et al. 2000: 39). Harter (1999; 1990) stellt insbesondere den Übergang von Kindheits- zum Jugend- und jungen Erwachsenenalter8 bei der Ausdifferenzierung der Selbstkonzeptdimensionen heraus – ein Ansatz, der vorwiegend innerhalb pädagogisch-psychologischer Forschung hohe Bedeutung einnimmt: „Die damit einhergehenden biologischen Veränderungen, verbunden mit einer kognitiven, emotionalen und sozialen Neuorientierung führen zu einer zunehmenden Differenzierung einzelner Dimensionen und beeinflussen letztendlich auch das allgemeine Selbstkonzept.“ (Stiller/Alfermann 2008: 18) Die Forschung zur Selbstkonzeptentwicklung im Kleinkindalter basiert zunächst jedoch darauf, „dass bereits Neugeborene aufgrund biologischer Prädisposition in der Lage sind, mit Bezugspersonen sozial zu interagieren, was wiederum Voraussetzung ist, um ein Selbst zu entwickeln“ (Fuhrer et al. 2000: 39). Außeneinflüsse stellen dabei schon in den ersten Lebensmonaten eine zentrale Rolle für die Selbstkonzeptentwicklung dar: Nach Schuppener (2005), deren Erkenntnisse wiederum auf die Arbeiten von Piaget (1969) und Kohlberg (1969) zurückzuführen sind, lässt sich aus entwicklungspsychologischer Sicht für die frühe Entwicklungsphase des Kindes „der Einfluss und das Zusammenwirken affektiver, kognitiver und sozial-interaktionaler Prozesse“ (ebd.: 70f.) für die Genese des Selbstkonzepts als besonders bedeutsam auffassen. Bereits in den ersten Lebensmonaten sei das Kleinkind in der Lage, zwischen einem „Ich“ und „Nicht-Ich“ und somit zwischen „selbstbezogenen“ und „außenweltbezogenen“ Erfahrungsdaten zu unterscheiden: „Rudimentäre Selbstkonzeptbildungsprozesse sind also demnach nur möglich mittels Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozessen von Außenreizen. Extern-interaktive Einflüsse stellen folglich die fundamentale Basis dar, um über eine Art Abgrenzung eine Vorstellung des Selbst zu erhalten.“ (Ebd.)
Während die kognitive Repräsentation im Kleinkindalter sich zunächst „auf äußerliche beobachtbare, konkrete Merkmale des Individuums beschränkt (zum Beispiel, wenn ein dreijähriges Kind sagt: ‚Ich kann schnell laufen‘ oder ‚Ich habe eine Schwester‘)“ (Mummendey 2006: 94), erfolgt im weiteren Verlauf der frühen Kindheit eine zunehmende Differenzierung des Selbstkonzepts, die sich „auf kognitive und emotionale Selbstrepräsentationen ebenso wie auf Beurteilungen und Bewertungen der eigenen Person“ (ebd.) bezieht. Obwohl in dieser Lebensphase bereits die Kategorisierung in Ich-Selbst und Mich-Selbst stattfindet (vgl. Fuhrer et al. 2000: 39), können Kleinkinder noch nicht zwischen einem Ideal-Selbst und einem RealSelbst unterscheiden (vgl. Mummendey 2006: 94f.). Da das Verhalten, sich sozial zu
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Weitere Ausführungen zur Entwicklung kindlicher und jugendlicher Selbstbildung finden sich u.a. bei Stern (1992), Fend (1994), Fuhrer et al. (2000) und Pinquart & Silbereisen (2000). Für weiterführende Informationen zum Selbst im erwachsenen Alter siehe beispielsweise Greve (2000b).
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vergleichen, im frühen Alter noch nicht stark genug ausgeprägt ist, können jüngere Kinder vorerst nur wenige negative Eigenschaften in ihr Selbstkonzept integrieren: „Danach sind die Selbstkonzepte bis weit in die Kindheit hinein (‚middle childhood‘) stark positiv verzerrt, durch die allmähliche Integration auch negativer Informationen über eigene Fähigkeiten und Eigenschaften in das Selbstbild nimmt die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen zu. Mit dieser Entwicklung geht die zunehmende Ausdifferenzierung des eigenen Rollenbildes einher; [erst] am Ende der Jugendzeit reflektiert das Selbstkonzept relativ stabile Überzeugungen und Werte.“ (Möller/Trautwein 2015: 182)
Offensichtliche Fortschritte der Selbstkonzeptualisierung zeigen sich nach Mummendey (2006: 99f.) in der mittleren und späten Kindheit, in der die Kinder dazu neigen, sich mit Persönlichkeitseigenschaften zu beschreiben. Vor allem die Meinungen und Urteile anderer sowie soziale Vergleiche scheinen im Übergang zum Jugendalter an Bedeutung zu gewinnen und kristallisieren sich als wichtige Informationsquellen für die Entwicklung des Selbstkonzepts heraus. Im Rahmen des lebenslänglichen Prozesses der Selbstkonzeptgenese ist folglich auch das Jugendalter als wichtige Phase anzusehen. In diesem Alter treffen sowohl körperliche als auch soziale und kognitive Veränderungen zusammen, welche laut Pinquart & Silbereisen (2000: 75) die bisherigen Selbstdefinitionen in Frage stellen: „Im Laufe der Adoleszenz müssen die Jugendlichen wichtige Festlegungen treffen, die bis weit in das Erwachsenenalter wirken (z.B. die Berufswahl). Dies erfordert Wissen über sich selbst, welche Stärken und Schwächen man hat und in welche Richtung man sich entwickeln möchte.“
Als Einflüsse auf das Selbstkonzept im Jugendalter nennen die beiden Autoren insbesondere Familienbeziehungen und die Beziehung zu Gleichaltrigen. Im Zuge der Individuation streben Jugendliche zunehmend nach Unabhängigkeit von ihren Eltern und möchten von ihren Bezugspersonen als individuelle Persönlichkeiten behandelt werden (vgl. ebd.: 83). Bei Moschner & Dickhäuser (2006: 686) heißt es hierzu: „Im Entwicklungsverlauf erlangen unterschiedliche Bezugsgruppen ihre besondere Bedeutsamkeit für die Selbstkonzept-Konstruktionen eines Individuums. Während im Kleinkindalter und in der Kindheit die Eltern die wichtigsten Quellen selbstbezogener Informationen darstellen, gewinnen bereits in der frühen Adoleszenzphase die Rückmeldungen aus der Bezugsgruppe der Gleichaltrigen eine ähnlich hohe Relevanz wie die Rückmeldungen der Eltern.“
Erneut in Anlehnung an Mead (1934) sind solche Bezugspersonen – wie zuvor auch die Eltern – als die signifikanten Anderen aufzufassen, mit denen das Individuum in Interaktion tritt und als Reaktion darauf im Laufe der Sozialisation sein Selbstkonzept aufbaut. Die Erfahrung der Peers ist nicht nur eine wichtige Anregung für die eigene Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die Anerkennung dieser stellt auch eine wichtige Quelle der Selbstbewertung dar (vgl. Pinquart/Silbereisen 2000: 85). Dadurch, dass ihnen die Gegensätzlichkeit unterschiedlicher Merkmale im Selbstbild bewusst wird, zeichnen sich Jugendliche in dieser Altersphase besonders durch instabile
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Selbstbilder aus und schwanken von einem Extrem ins nächste (vgl. Fuhrer et al. 2000: 50). „Dabei wird diese Instabilität gefördert, wenn sie aufgrund von Sozialisationsnormen unterschiedliche Selbstbilder in verschiedenen Rollen oder unterschiedlichen Beziehungsstrukturen entwickeln [...]. Folglich nimmt die Diversifikation der Selbstkonzepte nach sozialen Kontexten zu. Die ‚multiplen Selbste‘ (mit Eltern, Freunden, Liebespartnern) differenzieren sich aus und müssen gleichzeitig wieder integriert werden.“ (Ebd.)
In einer Phase, in der „erhöhte Unsicherheit über die eigenen Werte, Ziele und Prioritäten und eine vorübergehende Fluktuation in der Höhe des Selbstwerts“ (Pinquart/ Silbereisen 2000: 89) herrscht, können sich die multiplen Selbste zugleich auch als Risikofaktoren innerhalb der Selbstkonzeptentwicklung darstellen. Beispielweise wird durch fehlende Unterstützung der Eltern oder Ablehnung durch Gleichaltrige – und ein damit einhergehender geringer Selbstwert – das Risiko für deviantes Verhalten erhöht. Gleichzeitig kann deviantes Verhalten von Gleichaltrigen auch anerkannt werden, was den Selbstwert der- bzw. desjenigen erhöhen kann, die/der durch Verstöße gegen Altersnormen und Problemverhalten (z.B. Drogenkonsum) auffällig wird. Einen wichtigen Schritt, den die Jugendlichen während der Adoleszenz vollziehen, sieht Schmidt (2012) in der Ablösung vom Elternhaus. Insbesondere die Frage nach der Berufswahl stellt sich für viele junge Erwachsene als schwere Entscheidung dar, da sie sich – obwohl Interessensgebiete bereits bestimmt werden können – oftmals über die eigenen Fähigkeiten bzw. über die Vorstellungen, wie und was sie gerne sein möchten (Ideal-Selbst), noch nicht konkret bewusst sind (vgl. hierzu auch Ratschinksi 2009). Obwohl mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass sich die Genese des Selbstkonzepts als fortlaufender Prozess vollzieht, scheint nach Greve (2000b) das Erwachsenenalter aus diesem Prozess herauszufallen. Da das Bild, das der erwachsene Mensch von sich hat, empirisch belegt eine hohe Stabilität aufweise, zähle das Erwachsenenalter dem Autor zufolge nicht als Entwicklungsabschnitt (vgl. ebd.: 97). Er erkennt jedoch, dass diese Feststellung nur auf den ersten Blick zutreffend sei und kommt daher zu der weiteren Folgerung, dass „es insbesondere ab dem mittleren Erwachsenenalter zu einer zunehmenden Verschiebung der Gewinn/Verlust-Bilanz in negativer Richtung kommt [...], die vom Individuum in der Regel auch registriert wird. Wir selbst, unsere Eigenschaften und Fähigkeiten, unsere physikalischen und sozialen Umwelten unterliegen deutlichen Änderungen über die Spanne unseres Lebens hinweg“ (ebd.: 97f.).9
9
Da sich die vorliegende Studie auf Studienteilnehmer bezieht, die ihr 50. Lebensjahr noch nicht überschritten haben, wird auf eine Darstellung der Entwicklung und Veränderung von Selbstkonzepten im höheren Alter verzichtet. Ergänzende Ausführungen hierzu finden sich u.a. bei Freund (2000).
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Wenn der Mensch sich verändert, sei er Greves Schlussfolgerung zufolge, „doch irgendwie dazu gezwungen, [seine Voraussetzungen] zur Kenntnis zu nehmen und damit auch selbstbezogene Tatsachen zu assimilieren, die mit dem aktuellen und alle Mal dem gewünschten Selbstkonzept im Widerspruch stehen“ (ebd.: 98). Die Veränderung von Selbstkonzepten erfolgt schließlich nicht nur – insbesondere im Erwachsenenalter – durch die subjektive Sicht eines Individuums auf seine Umwelt, sondern ist auch gesteuert von Faktoren, die innerhalb der „somatischen und genetischen Ausstattung der individuellen Person liegen“ (Deusinger 1987: 261). Auch das (daraus resultierende) eigene Verhalten hat relevanten Einfluss auf die Weiterentwicklung des Selbstkonzeptes (vgl. Schuppener 2005: 73) und damit auf dessen potenzielle Modifikation. Hieraus lässt sich somit der Schluss ziehen, dass sich Selbstkonzept und Verhalten gegenseitig beeinflussen.
4.4
ZWISCHENFAZIT
Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, wurde in diesem Kapitel der Versuch unternommen, einen Überblick über den Forschungsstand im Rahmen der Selbstkonzeptforschung zu geben. Anhand unterschiedlichster Theorien zum (Selbst-)Konzept, die sich aus verschiedenen Forschungsarbeiten und aus konträren Positionen unterschiedlicher Forschungsrichtungen zusammensetzen, wurden Strukturen und Dimensionen von Selbstkonzepten dargestellt. Insbesondere zielte die Auseinandersetzung auf historischer Grundlage darauf ab, einen ‚Entwirrungsversuch‘ unterschiedlicher Begrifflichkeiten und theoretischer Ansätze zu leisten, um Probleme, die mit der Erhebung von selbstbezogenen Daten einhergehen, einer reflektierten Betrachtung unterziehen zu können. Es wurde eine theoretische Grundlage geschaffen, um im Folgenden ein für die vorliegende Forschungsarbeit angemessenes Erhebungsverfahren von Selbstkonzepten heroinabhängiger Musiker*innen entwickeln zu können. Aus den vorhergegangenen Ausführungen wurde die Komplexität des Konstrukts Selbstkonzept besonders deutlich. Wie auch Moschner & Dieckhäuser (2006: 690) formulieren, erschwert die Vielfalt der vorliegenden Konzeptualisierungen die Überschaubarkeit des Forschungsgegenstands und die Einordnung neuer Befunde in vorliegende theoretische Modelle. Dennoch lassen sich einige Merkmale, wie sie auch Hammel (2011) in ihrer Arbeit zusammenfassend darstellt, ausmachen, die Selbstkonzepte weitgehend übereinstimmend zugeschrieben werden und im Folgenden als Grundlage empirischer Datenerhebung innerhalb dieser Arbeit dienen sollen: „Selbstkonzepte gelten als bereichsspezifisch strukturiert, relativ stabil mit situationsspezifischen Ausprägungen, wirken handlungs- und wahrnehmungsleitend und werden vom Individuum auf der Basis eigener Erfahrung konstituiert, bei der andere Individuen eine bedeutende Rolle spielen.“ (Ebd.: 82)
In Anlehnung an Spychiger (2007) kann festgehalten werden, dass das Selbstkonzept als „Korrelat akkumulierter [...] Erfahrungen, anhand deren eine Person sich in diesem Lebensbereich selbst wahrnimmt und einschätzt und worauf sie rekurriert, wenn
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sie sich diesbezüglich beschreibt“ (ebd.: 14) aufgefasst werden kann. Bereichsspezifische Selbstkonzepte entstehen folglich im Zusammenspiel vieler individueller Faktoren im Laufe des Lebens einer Person. Im Rahmen dieser Arbeit werden in erster Linie zwei Bereiche als potenzielle Faktoren – insbesondere das Zusammenspiel dieser – zum Ausgangspunkt der Betrachtung, die zur Entwicklung und Veränderung von Selbstkonzepten beitragen können: der Einfluss von Heroinkonsum und der Einfluss individueller musikbezogener Erfahrungen. Auf dieser Grundlage wird die Beschäftigung mit Selbstkonzepten als ein aktiver Prozess der Auseinandersetzung zwischen einem Individuum und seiner Umwelt angesehen, der „zu einem immer wieder anders organisierten Verhältnis von Ich und Welt wird“ (Fuhrer et al. 2000: 55). Die Entwicklung von Selbstkonzepten kann damit als lebenslanger Prozess verstanden werden, in dessen Verlauf die Grenzen zwischen „Innen und Außen“ (ebd.) immer wieder neu gezogen, d.h. (re-)organisiert werden. Auch die Dimension Zeit spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Als wichtig wird hierbei erachtet, dass sich Selbstkonzeptualisierungen nicht nur auf die Gegenwart beziehen, sondern auch aus der Vergangenheit sowie Wunsch- bzw. Idealvorstellungen mit Blick in die Zukunft resultieren. Auch wenn es sich dabei als schwierig darstellt, retrospektive, aktuelle und prospektive Selbstbilder klar voneinander abzugrenzen, liefere Schuppener (2005: 84) zufolge „das Wissen über die Einflüsse vergangener und zukünftiger Vorstellungen über das Selbst wichtige Informationen zur näheren Differenzierung von Selbstäußerungen“. Selbstäußerungen stellen hierbei einen zentralen Zugang zum Selbstkonzept einer Person dar: „Um den Menschen und sein Verhalten wissenschaftlich zu erfassen, muss die subjektive Lebenswelt beobachtet, beschrieben und verstanden werden – und dies gilt selbstverständlich auch für objektive Realitäten, die letztlich ja nur durch subjektive Wirklichkeitsauffassung, d.h. Wahrnehmung erfasst werden.“ (Zoglowek 1995: 26f.)
Zogloweks Schlussfolgerung hieraus ist, dass das Selbstkonzept über die vom Individuum gemachten Aussagen zu erschließen sei. Diese Aussagen über das Selbst können folglich im Zusammenhang mit der persönlichen Sichtweise des Individuums und seiner speziellen Umwelt gesehen und interpretiert werden. Wird in Anlehnung an Spychiger et al. (2007) davon ausgegangen, dass Selbstkonzepte auf Selbstwahrnehmung basierende Selbstrepräsentationen, Selbstbeschreibungen, Selbsteinschätzungen oder Selbstbewertungen sind, und Schachinger (2005: 136) zufolge „die Summe aller selbstbezogenen Informationen“ umfassen, so impliziert das Wissen um die eigene Person all das, was ein Individuum über sich denkt, in Bezug auf sich fühlt und mit dem es seine eigene Lebensgeschichte erzählt. Folglich könnte anstatt des Selbstkonzept-Begriffs besser jener der Selbsterzählung – als zugleich weniger theoretisch vorgeprägter Begriff – verwendet werden (vgl. Hammel 2011: 145). Das Selbstkonzept soll im Folgenden in Anlehnung an Hemming (2003) nämlich nicht nur als „individuelles narratives Wissen“ (ebd.: 91), sondern in erster Linie als „die Geschichte, die man sich permanent selbst erzählt“ (ebd.) verstanden werden. Diese Auffassung leitet er aus einer Denkfigur bzw. Beobachtung ab, die vor allem zum Gegenstand postmoderner Diskussion wurde, welche für das weitere methodische Vorgehen im Rahmen der vorliegenden Studie von entscheidender Bedeutung sein wird:
112 | Theorie
„Jean-Francois Lyotard (1986) und zahlreiche andere Autoren – unter ihnen auch Thomas Kuhn ([1962] 1991) – haben darauf hingewiesen, dass auch das Wissen, das wir als wissenschaftlich abgesichert sehen, in Form von Erzählungen übermittelt wird und dass die Legitimierung des Wissens letzten Endes von der Konsistenz dieser Erzählungen abhängig ist.“ (Hemming 2002: 57)
Wissenschaftliche Erkenntnis soll dementsprechend im Folgenden nicht durch das reine Nacherzählen, sondern durch Reflexion des bereits Erzählten (und Erlebten) in Verbindung mit der Generierung narrativen Wissens in Form individueller Lebensgeschichten heroinabhängiger Musiker*innen überhaupt erst erlangt werden.
5.
Überleitung zur Methodik
Wie die zuvor dargestellten theoretischen Ansätze verdeutlicht haben, bedarf es der Betrachtung von Variablen aus verschiedenen Forschungsansätzen, um sich dem Prozess der Heroinabhängigkeit von Musiker*innen in seiner vielfältigen Ausprägung zu nähern. Es bedarf in diesem Kontext jedoch nicht nur einer Reflexion geeigneter disziplinärer Perspektiven. Auch das methodische Vorgehen in Bezug auf die Gewinnung personenbezogener Daten hinsichtlich individueller Suchtkarrieren impliziert ein theoretisches wie praxisbezogenes Vorwissen aus möglichst heterogenen Blickwinkeln. Ein potenzieller Zugang zur (methodischen) Annäherung an das benannte Phänomen ergibt sich nun aus folgenden theoretischen Überlegungen: Wird in Anlehnung an Kihlstrom & Cantor (1984) das Selbstkonzept als mentale Repräsentation der eigenen Person aufgefasst, das Bestandteil des Gedächtnissystems eines Individuums ist, so speichere dieses System Mummendey (1995: 59) zufolge das Wissen um die eigene Person und bilde damit die kognitive Grundlage für das Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Handeln. Wenn Filipp & Meyer (2005) nun davon ausgehen, dass das Selbst in die persönliche Erfahrungsgeschichte eingebettet ist und sich im Zuge autobiographischen Erinnerns eine Fülle von früheren Selbsten generieren lässt, zu denen das aktuelle Selbst in Beziehung gesetzt werden kann (vgl. ebd.: 269), so können Selbsterinnerungen auch einen Zugang zur Konstruktion von Selbstkonzepten verschaffen, aus denen sich das – aktuelle oder vergangene – Selbst konstituiert. Anknüpfungspunkte liegen hierbei innerhalb der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung1, die von unterschiedlichen Disziplinen wie der Psychologie, den Neuround Kognitionswissenschaften, Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften, Kunstwissenschaften und Sozialwissenschaften betrieben wird (vgl. Jacke/Zierold 2015: 79). Ähnlich wie Jacke & Zierold (ebd.) die deutschsprachige Kommunikations- und Medienwissenschaft wie auch die Cultural Studies in diesem Zusammenhang als „late adopters“ bezeichnen, lässt sich hierunter auch die Popmusikforschung fassen. Obwohl auch Elflein (2010) der Auffassung ist, dass Konzepte der Erinnerungsforschung in der Popmusikforschung erstaunlich wenig rezipiert würden, zeichnete sich jedoch gerade in den letzten Jahren innerhalb dieser Forschungsrichtung ei-
1
Instruktiv in die Thematik einführend sind u.a. die Beiträge von Gudehus, Eichenberger & Welzer (2010), Rusch (1991) und Heijl (1991) sowie – in Bezug auf das kulturelle Gedächtnis – von Assmann (2005), Assmann (2006b) und Erll (2005).
114 | Theorie
ne zunehmende Auseinandersetzung mit verschiedenen Konstrukten wie Gedächtnis und Erinnerung ab.2 Die verschiedenen Disziplinen geben auf die Frage, was Gedächtnis und was Erinnerung sei, unterschiedliche Antworten, die mit diversen Begriffen und Konzepten einhergehen. Im Folgenden werden daher nur Ansätze skizziert, die als methodische Grundlage für die Generierung selbstbezogener Informationen im Hinblick auf ein zu entwickelndes Forschungsdesign zur Annäherung an Selbstkonzepte heroinabhängiger Musiker*innen als relevant erscheinen.
5.1
GEDÄCHTNIS UND ERINNERUNG
In Anlehnung an Schmidt (2003: 27) gehen Jacke & Zierold (2008b: 201) in Bezug auf Erinnerungsprozesse von einem Zusammenhang zwischen Setzung und Voraussetzung aus: „Jede Setzung macht eine Voraussetzung – und auch wenn dieser Zusammenhang autokonstitutiv ist, also gilt: ohne Setzung auch keine Voraussetzung (der Setzung) und ohne Voraussetzung keine Setzung, wenn also gilt, dass Setzung und Voraussetzung sozusagen gleichzeitig aktuell werden, so muss doch die Voraussetzung, für einzelne Menschen beispielsweise biographisch betrachtet, in der Vergangenheit liegen.“
Die Autoren schlussfolgern hieraus, dass Erinnerungsprozesse nicht ausschließlich als vergangenheitsbezogen, sondern als Prozesse der Gegenwart zu verstehen seien: „Wir verstehen Erinnerungen dabei als reflexive Thematisierung von Gedächtnis, also von gesellschaftlichen Voraussetzungszusammenhängen. Erinnerungsprozesse nehmen so Gedächtnis allgemein als Setzung selbst in Anspruch – d.h. wann ich zum Beispiel welche Erinnerung adäquat formulieren kann, hängt wiederum ab von den Voraussetzungen meiner Gegenwart – und thematisieren dabei zugleich Aspekte des gegenwärtigen Voraussetzungszusammenhangs.“ (Ebd.)
2
Hierbei sind insbesondere die Auseinandersetzungen von Jacke & Zierold (2015, 2009, 2008a) zu erwähnen. Während Jackes Perspektive aus einer medienkultur- und kommunikationswissenschaftlichen Popkulturforschung hervorgeht, liegt Zierolds Schwerpunkt in einer kommunikationswissenschaftlichen Erinnerungsforschung. Die Autoren beleuchten die historischen Wurzeln und Kernkonzepte der Diskurse und gehen vertiefend auf Arbeiten ein, die sich aus der Medienforschung und Cultural Studies an die kulturwissenschaftliche – und damit insbesondere an popkulturelle – Forschung anknüpfen. Jacke (2009) schafft ebenso eine Verbindung zur aktuellen Popmusikforschung. Auf letzterem Gebiet ist des Weiteren die Arbeit von Strong (2011) zu Musik und Erinnerung im Kontext von Grunge zu nennen. Ebenso sei auf den von Pfleiderer (2011) herausgegebenen Sammelband „Populäre Musik und kulturelles Gedächtnis“ hingewiesen. Zentrale Gedanken zur Erinnerungs- und Gedächtniskultur im Zusammenhang mit (Musiker*innen-)Biographien finden sich außerdem bei Unseld (2014).
Überleitung zur Methodik | 115
Mit einem Verweis auf die Arbeiten von Rusch (z.B. 1991) und Heijl (1991), die sich mit dem individuellen Gedächtnis und Erinnerungsprozessen ausführlich auseinandergesetzt haben, kommen Jacke & Zierold (2008b: 201) zu dem Schluss, dass das Gedächtnis nicht etwa für das „Aufbewahren“ und „Speichern“ von Erinnerung verantwortlich sei, sondern eine Funktion darstelle, „die an praktisch allen kognitiven Prozessen wie Beobachten, Lernen und natürlich auch erzählendem Erinnern orientierend dynamisch beteiligt“ sei. Auch Assmann (2006a: 104) versteht das Gedächtnis als „ein dynamisches Organ der Anpassung an eine sich wandelnde Gegenwart“ und soziale Kontexte. Hiermit knüpft sie an die Untersuchungen von Halbwachs (1992 [1924]: 38) an, der bereits in den 1920er Jahren davon ausging: „[T]he greatest number of memories come back to us when our parents, our friends, or other person recall them to us […] it is in society that people normally acquire their memories.“ Die Rekonstruktion der Vergangenheit durch andere Personen bezeichnet Halbwachs hierbei als „collective memory and a social framework for memory.“ (Ebd.: 38) „Memory can also be connected to the lived bodily experience of individuals and groups through the concept of habitus’ stellt Strong (2011: 33) fest und bezieht sich in ihrer Aussage auf Bourdieus’ Habitus-Konzept (1977, 1984). Habitus kann laut Webb et al. (2002: 36) als „the values and dispositions gained from our cultural history that generally stay with us across contexts“ verstanden werden. Strong führt hierzu in Bezug auf Bourdieus’ Habitus-Konzept aus, dass die Erinnerung, die Menschen an ihre Vergangenheit haben, an bestimmte Regeln des sozialen Lebens gebunden sei und somit aus unterschiedlichen sozialen Umständen heraus konstruiert werde.3 Auf Theorien des Symbolischen Interaktionismus bezogen bedeutet dies, dass Menschen – meist im Zuge ihrer Sozialisation – Werte, Normen, Rollenbilder etc. von signifikanten Anderen übernehmen, die ihre subjektive Konstruktion von Wirklichkeit beeinflussen. Im Hinblick auf das zu untersuchende Phänomen heroinabhängiger Musiker*innen ist hierbei insbesondere interessant, welche ‚Anderen‘ im sozialen Umfeld die Wirklichkeit dieser Menschen beeinflussen und damit den Inhalt ihrer Erinnerungskonstruktionen mitbestimmen. Ebenso beeinflussen Bewusstseinszustände – sowohl in der Vergangenheit als auch zum Zeitpunkt des Erinnerns – die Wahrnehmung des Individuums und damit seine Konstruktionsleistung. Das heißt, dass Faktoren – und das bedeutet für die vorliegende Studie im Konkreten der Konsum von Heroin, die das Bewusstsein beeinflussen, hinterfragt werden müssen: Aus welchem Bewusstsein und welcher Wirklichkeitsperspektive heraus konstruieren heroinabhängige Musiker*innen ihre Welt und damit verbunden ihre Selbstvorstellungen und Handlungsmuster? Unseld (2014: 48) betont in diesem Kontext die subjektive Perspektive des Individuums, die seine Gedanken präge. Sie beschreibt die Erinnerung hierbei als eine Art Fernglas in die Vergangenheit4 bzw. als den Blick, um ein Detail aus der Entfernung wahrzunehmen:
3
4
Diese Gedanken knüpfen an Diskussionen zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit an, wie sie u.a. von Berger & Luckmann ([1969], 2010) geführt wurden und im weiteren Verlauf noch diskutiert werden. Das Bild des Fernglases wurde bereits von Proust in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ verwendet (vgl. Welzer 2008: 44).
116 | Theorie
„Die Wahrnehmung aber ist zum einen immer Ausschnitt aus der Totalen, zum anderen ist sie von Hand und Auge desjenigen abhängig, der das Fernrohr justiert, der durch eben dieses hindurchschaut. Das schauende Subjekt setzt sich bewusst in Beziehung zum entfernten Bild [...].“
Erinnerungen können folglich als „aktuelle Sinnproduktionen verstanden werden, die im Zusammenhang mit dem jeweils aktuellen Zustand des kognitiven Systems und dessen wahrgenommener Handlungsnotwendigkeit stehen“ (Zierold 2006: 49). Zusammenfassend bedeutet dies, dass Erinnerungen nie eine Kopie dessen sind, was „wirklich geschah“ (vgl. Misztal 2003), sondern subjektiv konstruiert sind und festhalten, wie ein Individuum ein bestimmtes Ereignis erlebt hat (vgl. Schacter 1999: 23). Auch während des Erinnerungsvorgangs – und damit aus neurowissenschaftlicher Perspektive gesprochen – können Inhalte verloren gehen oder nicht abgerufen werden.5 Auf diese Erinnerungslücken nimmt insbesondere das episodische Gedächtnis Einfluss. Durch eine „konstruktive Vorgehensweise“ (Welzer 2008) füllt es diese Lücken mit Material, „das anderen Erlebnissen (oder gänzlich anderen Quellen, die mit unserem eigenen Leben nicht zu tun haben) entstammt“ (ebd.). Die Frage, wie zuverlässig Erinnerungen sind, stellt sich also gerade dann, wenn Menschen vermeintlich davon ausgehen, sich an ein Erlebnis oder einen Sachverhalt erinnern zu können, ihnen dabei das Gedächtnis jedoch ‚einen Streich spielt‘, so dass Erlebtes und die Erinnerung daran nicht miteinander übereinstimmen (vgl. Wittig 2015: 48f.).6 Obwohl Erinnerung durch faktische Elemente der Vergangenheit eingeschränkt wird, passt sich das Gedächtnis eines Individuums nicht nur aktuellen Bedürfnissen an, sondern unterliegt auch Gehirnfunktionen, welche die Gedächtnisfunktion beeinflussen. Erinnerungen unterliegen somit einem ständigen Wandlungsprozess. Welzer (2008: 40) stellt hierzu fest: „Insgesamt muß man wohl zusammenfassen, daß die scheinbar unmittelbare Erinnerung an biographische Erlebnisse und Ereignisse als Produkte subtiler Interaktionen all jener Prozesse zu verstehen ist, die am Werke sind, wenn unser Gehirn Erinnerungsarbeit leistet: Interaktionen also zwischen den Erinnerungsspuren an Ereignisse, dem Wiedererwecken von Emotionen, dem Import ‚fremder‘ Erinnerungen, affektiven Kongruenzen und ganz generell den sozialen Umständen der Situation, in denen über Vergangenes erzählt wird.“
Wenn Welzer Erinnerungen also als ‚Interaktionsprodukte‘ versteht, so können diese nach Unseld (2014: 48) jedoch erst durch ein Medium zum Ausdruck gebracht werden, nämlich das der Kommunikation. Nünning & Zierold (2010: 134) definieren den Begriff Kommunikation als eine Form zwischenmenschlicher Verständigung mit Hil-
5
6
Detaillierte Ausführungen im Rahmen neurowissenschaftlicher Gedächtnisforschung und damit verbundene Gehirnleistungen lassen sich u.a. bei Welzer (2008), Schacter (1992, 1996, 2002) und Kandel (2006) finden. Sogenannte false memories sind zentraler Betrachtungsgegenstand der Gedächtnisforschung (bspw. in den Arbeiten von Schacter 1995, 1996, 2002; Markowitsch/Welzer 2005; Welzer 2008).
Überleitung zur Methodik | 117
fe von Sprache. Im Kontext konstruktivistischer Kommunikationstheorien lässt sich hierbei Bezug auf die von Luckmann (2006) geprägte Sozialtheorie der Kommunikation nehmen, welche Denkmotive des symbolischen Interaktionismus und sozialen Handelns verbindet und dabei die Kommunikation in den Mittelpunkt rückt.
5.2
NARRATIVE WIRKLICHKEITSKONSTRUKTIONEN
Luckmann & Berger sahen Sprache schon in den 1960er Jahren ([1969], 2010) als tragendes Element der „sozialen Konstruktion von Wirklichkeit“ an (vgl. AverbeckLietz 2015). Luckmann (2006) beschrieb diese soziale Konstruktion später als „kommunikative Konstruktion“, woraufhin Wissenssoziologen wie Knoblauch (2013) das Konzept des „kommunikativen Konstruktivismus“ entwickelten, dessen zentrales Argument darin besteht, „dass alles, was am sozialen Handeln relevant ist, notwendig kommuniziert werden muss“ (ebd.: 27; siehe auch Keller et al. 2013). Erst durch kommunikatives Handeln entstehe folglich sozialer Sinn, der sich jedoch nicht nur auf die Alltagswelt von Menschen beziehe, sondern auch auf andere, „transzendente Erfahrungswelten“ (Averbeck-Lietz: 211): „Dabei stoßen Menschen an Grenzen und Erfahrungen, die sie aber zugleich erweitern und überschreiten, indem sie ihrer eigenen Erfahrung – oft retrospektiv – (sozialen) Sinn zuweisen“. (Ebd.) Interessant in diesem Zusammenhang sind die Ansichten von Schütz (1971), der von der Vielfältigkeit interkultureller und intrakultureller Wirklichkeitsebenen innerhalb menschlicher Sinnwelten ausgeht. Marotzki (2010) führt in Anlehnung an Schütz ergänzend aus: „Die Palette der möglichen Welten reicht von der Alltagswelt über die Welt der Wissenschaft bis zur Traum- und Phantasiewelt, die Wahnwelt der Psychose, die Welt des Rausches halluzinogener Drogen wie LSD [...] etc. Jede dieser Welten bildet einen eigenen Sinnhorizont und ist auf ihre eigene Weise real. In jedem Wirklichkeitsbereich gibt es Sinnmuster, die untereinander nicht kompatibel sein müssen. Wir haben jedoch die Möglichkeit zwischen ihnen zu wechseln.“ (Ebd.: 183)
Insbesondere Schütz’ Ausführungen zu verschiedenen Grenz- und Transzendenzerfahrungen in Zusammenarbeit mit Luckmann (2017) knüpfen an die vorigen Überlegungen zur zwischenmenschlichen Verständigung an. Der Begriff Transzendenz ist in diesem Zusammenhang nicht nur als Außerweltliches zu verstehen, sondern bezieht sich den Autoren zufolge insbesondere auch auf innerweltliche Transzendenzen, die der Erfahrung zugänglich sind oder die „Grenzen der Erfahrung“ markieren (vgl. Averbeck-Lietz 2015: 211, mit Bezug auf Schütz/Luckmann 2017: 593594). Das Überschreiten von Grenzen bzw. die Erweiterung des Bewusstseins kann dabei entweder „‚auferlegt‘ sein und die Bewußtseinsspanne erweitert sich wie von selbst“ (Schütz/Luckmann 2017: 622); oder – und hierunter lässt sich auch der bewusste Konsum psychoaktiver Substanzen wie Heroin zählen – „der Mensch handelt auf ein Ziel zu, bei dem er solche Überschreitungen willentlich in Kauf nimmt“ (ebd.) und kann die Überschreitung damit selbst zum Ziel setzen:
118 | Theorie
„Der Mensch kann in diesem Zustand entweder ‚nur‘ Erfahrungen aneinanderreihen oder handeln: denken oder sogar in die Umwelt eingreifen. Das Verlassen des Alltags kann blind sein; man weiß nicht, wohin man sich begibt. Es kann aber auch wohl geplant, sogar auf regelmäßige Wiederholungen hin angelegt sein und sich einer Körpertechnik oder einer ‚reinen‘ Bewußtseinsdisziplin unterwerfen, um einen bestimmten anderen Zustand zu erlangen.“ (Ebd.)
Schütz & Luckmann (2017: 622) gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass Grenzüberschreitung mit einer „Wirklichkeitstheorie“ gekoppelt sei: „dann begibt man sich aus dem Alltag in einen anderen, außerordentlichen, aber nicht unvertrauten und unbewussten Wirklichkeitsbereich“. Genau diesem Wirklichkeitsbereich, in dem Musiker*innen unter dem Einfluss von Heroin sich und ihre Umwelt wahrnehmen, gilt es sich zu nähern, um selbstbezogene Informationen zu generieren. Insbesondere wenn Marotzki (2010: 183) in diesem Kontext davon ausgeht, dass Menschen Weltenwandler seien und sich damit in verschiedenen Welten aufhalten könnten, um dann in ihre Alltagswelt zurückzukehren, stellt sich die Frage, was passiert, wenn Drogenabhängigen durch die Sucht der Rückweg aus der – durch die Wirkung der Droge hervorgerufenen – Idealwelt in die reale Alltagswelt verwehrt bleibt. Oder anders ausgedrückt: Was passiert, wenn die Idealwelt mit zunehmender körperlicher Abhängigkeit nicht mehr als eine solche erscheint und der Rückweg in die reale Alltagswelt gleichzeitig aufgrund anhaltenden Suchtdrucks nicht mehr ohne weiteres vollzogen werden kann? Wie konstituiert sich in dieser Phase subjektive Wirklichkeit und damit einhergehend das Selbstkonzept der betroffenen Person? Um diesen Fragen nachzugehen, erweisen sich für das weitere methodische Vorgehen die Gedanken von Schütz & Luckmann (2017) wiederum als zentral. Sie gehen davon aus, dass transzendente Erfahrungen nach der Rückkehr in die Alltagswelt7 als Erinnerungen aufgerufen und – in Sprache übersetzt – als Hinweise gedeutet, „in Symbole gefaßt [...] und zu Systemen des Sonderwissens verarbeitet“ (ebd.: 623) werden und „als Wegweiser für Erkundungen in außeralltäglichen Wirklichkeitsbereichen“ (ebd.) dienen können. Auch Averbeck-Lietz (2015) schließt an diese Gedanken an, wenn sie davon ausgeht, dass Sprache durch ihren objektiven Charakter bzw. ihre intersubjektive Gültigkeit die Fähigkeit habe, räumliche und zeitliche Grenzen zu überbrücken. So könne man über Personen reden, die nicht anwesend seien oder über Gegebenheiten, die lange vorbei seien (vgl. ebd.: 215). Bei Schütz & Luckmann (2017: 591) heißt es hierzu: „Jedermann stößt immer wieder an die räumlichen und zeitlichen Schranken seiner Erfahrung, überschreitet sie aber in Erinnerung und Handlungsentwurf mit der größten – nur selten erschütterten – Selbstverständlichkeit.“ Damit Menschen sich verstehen, müssen sie sich folglich miteinander verständigen. „Es ist klar, daß hierbei ein gewisses wechselseitiges Verstehen eine notwendige, jedoch keine ausreichende Bedingung ist. Zur Verständigung muß […] sich [der Mensch] bestimmter Mittel bedienen, die ihm nicht in der Natur vorgegeben sind, sondern von seinesgleichen vor ihm geschaffen wurden und von ihm und anderen nach-geschaffen werden müssen.“ (Ebd.: 592)
7
Dies setzt voraus, dass alle Studienteilnehmer*innen den Rückweg in die Alltagswelt vollzogen haben, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung ‚clean‘ sein müssen.
Überleitung zur Methodik | 119
Diese Mittel der Verständigung fassen Schütz & Luckmann unter dem Begriff des Zeichens zusammen, wobei das wichtigste Zeichen die Sprache sei. Wenn nun den Autoren zufolge davon ausgegangen wird, dass das Wissen, das die Erinnerungen bestimmt, seinen Ursprung in der Art und Weise habe, wie sich ein Individuum selbst erlebe, so kann das in Selbsterfahrung begründete Wissen erst durch eine Sinnübertragung – bspw. in Form kommunikativer Prozesse – auf Andere übertragen werden (vgl. ebd.: 606-607). „Was wir erfahren, sind Hinweise; woran wir stoßen, sind Grenzen. Wir können noch nicht oder nicht mehr Erfahrenes erfahren, sofern es erfahrbar ist; wir können Mitmenschen nur über das, was sie tun oder was ihnen geschieht [...] und über die Geschichten, die sie erzählen, erfassen [...].“ (Schütz/Luckmann 2017: 598)
Die Erzählung bzw. „die Geschichte, die man sich [...] selbst erzählt“ (Hemming 2003: 91) wird hierbei als ein Selbstzeugnis aufgefasst, von dem angenommen wird, dass es Auskunft über jeweilige Wirklichkeitskonstruktionen und damit verbundene Konstituierungen von Selbstkonzepten in verschiedenen Lebensphasen gibt. „Erzählungen sind im Alltag ein allgemein vertrautes und gängiges Mittel, um jemandem etwas, das uns selbst betrifft oder das wir erlebt haben, mitzuteilen. Erzählungen sind Ausdruck selbst erlebter Erfahrungen, d.h. wir greifen immer dann auf sie als Mitteilungsmedium zurück, wenn es darum geht, Eigenerlebtes einem anderen nahezuzubringen. Insofern kann also von Erzählen als ‚elementarer Institution menschlicher Kommunikation‘, als täglich eingespielter Kommunikationsform gesprochen werden.“ (Schütze 1987: 77)
Selbst-Erzählungen (self stories, self narratives) stellen Filipp & Mayer (2005) zufolge „das Produkt von Integrations- und Rekonstruktionsprozessen dar, in denen das Individuum im ‚inneren Dialog‘ oder im Dialog mit anderen Menschen seine entlang der Zeitlinie organisierten autobiographischen Erinnerungen untereinander sowie zum aktuellen Erleben in Beziehung setzt“ (ebd.).8 Diese Gedanken knüpfen an die Überlegungen von Kraus (1999) zur narrativen Konstruktion von Identitätsprojekten an. In Anlehnung an Ansätze der narrativen Psychologie geht Kraus davon aus, dass Menschen ihre alltägliche Interaktion und die Organisation von Erlebtem narrativ betreiben: „Insofern handelt es sich bei der Narration nicht um einen Lebenslauf, den man [...] schreibt und fortschreibt, sondern um einen grundlegenden Modus der sozi-
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Narrative Forschung stützt sich auf die Geschichten, die Individuen und Gruppen über sich selbst und andere erzählen, um die komplexen Phänomene, welche die menschliche Erfahrung umfassen, zu verstehen (vgl. Barrett 2017: 65). In diesem Kontext sind vor allem Bruners Arbeiten (1986, 1987, 1990, 1996, 2002, 2006, 2008) zu nennen, welche besonders einflussreich für die Entwicklung eines Verständnisses der Rolle der Erzählung im menschlichen Denken und Handeln sind. Bruner schlägt vor, dass das Erzählen einer Lebensgeschichte mehr ist als der direkte Ausdruck eines inneren Zustands, sondern eher eine kognitive und interpretatorische Leistung. Eine solche Sichtweise betont die Rolle der Erinnerung, die selektive Natur der Erinnerung und die Art und Weise, in der Erzählungen „cultural, interpersonal, and linguistic influences“ unterliegen (Bruner 1987: 14).
120 | Theorie
alen Konstruktion von Wirklichkeit.“ Narrationen seien folglich in soziales Handeln eingebettet, machten vergangene Ereignisse sozial sichtbar und dienten dazu, die Erwartungen zukünftiger Ereignisse zu begründen (vgl. ebd.). In Bezug auf Gergen & Gergen (1988: 18) bedeutet dies, dass Ereignisse „mit dem Sinn einer Geschichte aufgeladen“ werden: „Ereignisse bekommen die Realität eines ‚Anfangs‘, eines ‚Höhepunktes‘, eines ‚Tiefpunktes‘, eines ‚Endes‘ usw. Die Menschen agieren die Ereignisse in einer Weise aus, daß sie und andere sie auf eben diese Weise einordnen. [...] So leben wir also auf signifikante Weise durch Geschichten – sowohl durch das Erzählen als auch durch das Handeln des Selbst.“
Je nachdem, mit wem interagiert wird und welches Selbstbild präsentiert werden soll, erhält die Selbstgeschichte unterschiedliche Färbungen, so dass Elemente auch ausgelassen oder besonders betont werden können: „Insofern ist die Selbstgeschichte in der Tat ein ‚work in progress‘, dessen Teile sich immer wieder verändern, je nachdem, wie die Zuhörerschaft darauf reagiert, und je nachdem, wie wir aktuelles Erleben integrieren müssen“ (Kraus 1999).9 10 Folgernd für die Rekonstruktion von Selbstkonzepten bedeuten die vorangegangenen Ausführungen schließlich: Wenn Luckmann (2006: 25) davon ausgeht, dass soziale Wirklichkeit nur über die Rekonstruktion kommunikativer Prozesse erkannt werden könne, und Assmann (2006: 19) der Auffassung ist, dass Individuen ihr Gedächtnis interaktiv durch Kommunikation insbesondere in Form von Sprache aufbauten, so kommt der Sprache, als Symbol für Handlung, auch eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung von Selbstkonzepten zu. „Es geht nicht darum, das Individuum als solches, sondern dessen Interaktionsbeziehungen zu verstehen. Und da das Selbstkonzept als eine Möglichkeit angesehen wird, Verhalten zu erklären und vorherzusagen, und da es als innerer Vorgang durch äussere Verhaltensweisen ausdrückbar ist, ist das Selbstkonzept auch dem theoretischen Bezugssystem interaktionistischer Ansätze zugänglich.“ (Mummendey 2006: 29)
Wenn also Selbsterinnerungen einen Zugang zu selbstbezogenen Informationen eines Individuum verschaffen, und diese wiederum durch Kommunikation – in diesem Fall durch den Akt des Erzählens – überhaupt erst erzeugt werden, so können Narrationen eine Schlüsselfunktion zur Rekonstruktion von Selbstkonzepten darstellen.
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Für weitere Ausführungen zum erzählten bzw. narrativen Selbst siehe auch Schechtman (2011), Kraus (2000) und Stern (1998). Siehe ferner zur narrativen Identität auch Zierold (2006). 10 Aktuelle Anschlüsse zu Narrativen und Narrationen im Kontext musikbezogener Forschung finden sich u.a. bei Feiten (2017), Barrett (2017), Döhl & Feige (2015), Barrett & Stauffner (2012). Ebenso sei auf den Sammelband „Was erzählt Pop?“ (2018) von Hadler, Düllo & Schulze zu Narrativen und Archive der Populärkultur hingewiesen, welcher aus der 5. Jahrestagung der AG Populärkultur und Medien der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2013 in Berlin hervorgegangen ist.
Überleitung zur Methodik | 121
Als zentral in diesem Zusammenhang erscheinen insbesondere die Gedanken Spychigers (2017: 268), die davon ausgeht: „[A] person’s self-concept embraces the areas of the self which can be reached by reflection, and elevated from the unconscious. To a certain extend, someone who thinks about his or her self remains separate from, or keeps some distance, from that self.“ Dies bedeutet in Anlehnung an Kegans (1982) Auffassung eines evolving self, dass sich dem Selbstkonzept – und damit den subjektiven Erfahrungen eines Individuums, welche in Rückbezug auf Epstein (1993: 16) die „subjektive Theorie eines Individuums von der Wirklichkeit“ konstituiere – nur dann genähert werden kann, wenn es zum Objekt gemacht wird: „In doing so, in building up a concept of oneself, one can relate to its contents.“ (Spychiger 2017: 268) Das Forschungsinteresse zielt also weniger darauf ab, subjektive Sichtweisen der jeweiligen Untersuchungspersonen lediglich wiederzugeben. Vielmehr geht es darum, Sinnmuster von Handlungsprozessen zu rekonstruieren bzw. zu objektivieren, die der eigenen Person in der Regel nicht als theoretisches Wissen verfügbar sind (vgl. Jakob 2010: 222), sondern erst durch das Mittel der Verständigung zum Objekt gemacht und damit reflektiert werden können. In Anbindung an die zuvor thematisierten Überlegungen von Schütz & Luckmann ergibt sich daraus: „Die Stellung seiner selbst vermag das Individuum nur in Relation zu anderen auszudrücken. Nur in sozialer Interaktion sind für das Individuum Erfahrungen über sich als Person möglich, die dann als relevante Wissensbestände gespeichert werden und somit das biographische Selbst konstituieren. So gewinnt das Individuum im Verlauf seines interaktiven Werdegangs ganz bestimmte Vorstellungen von sich selbst, die für weitere, folgende Interaktionen wiederrum handlungsrelevant sind.“ (Zoglowek 1995: 29)
Nicht nur Selbstvorstellungen an sich, sondern insbesondere die Frage nach Veränderungen dieser in Verbindung mit der Suchtkarriere heroinabhängiger Musiker*innen erscheinen für das Forschungsvorhaben zentral. Schließlich sind nach Goffman (1973: 166) vor allem die Schlüsselmomente zu betrachten, die Wendepunkte11 der Selbst- und Weltauffassung nach sich ziehen: „Im Verlauf seiner moralischen Karriere wird der einer bestimmten sozialen Gruppe angehörende Mensch also in standardisierter Folge mehrmals neu erlernen müssen, wie man ein Selbst – und, dies ist wichtig; auch sein eigenes – beurteilt.“
Diese „halb verschütteten Entwicklungslinien“, wie sie Goffman (ebd.) beschreibt, ließen sich nun durch die Untersuchung der moralischen Erfahrungen der Betroffe-
11 Für Rosenthal (1995: 134) sind es insbesondere temporale Einschnitte, die auf Wendepunkte innerhalb einer Lebensgeschichte verweisen und die Zeit „davor“ von der Zeit „danach“ trennen. Da diese Einschnitte wesentliche Faktoren bei der Gestaltbildung der erzählten Lebensgeschichte darstellen, bedürfen sie einer besonderen Betrachtung. Rosenthal unterscheidet hierbei zwischen drei Typen von Wendepunkten: entwicklungspsychologisch relevante Wendepunkte; Statusübergänge, d.h. sozial typisierte Wendepunkte; Interpretationspunkte, d.h. als tiefe Einschnitte erlebte Wendepunkte.
122 | Theorie
nen zurückverfolgen. Hiermit meint er folglich – auch wenn eine solche Leistung nur schwer zu erbringen sei – die Rekonstruktion von Ereignissen, die „Wendepunkte“ – d.h. „Brüche und Transformationen“ (Willems 2008: 82) – „in der Sicht der Welt“ (Goffman 1973: 166) eines Menschen markierten. „Und man wird zur Kenntnis nehmen müssen, welche Richtungen und Strategien ein Mensch einschlägt, d.h. wie verborgen und unterschiedlich die innere Bindung an diese Darstellungen auch sein mag. Wenn man beachtet, welche moralischen Erfahrungen ein Mensch gemacht hat und welche persönlichen Standpunkte er offenkundig einnimmt, dann erhält man eine relativ objektive Skizze von relativ subjektiven Sachverhalten.“ (Ebd.: 166)
Erst im Wandlungsprozess, so auch Marotzki (2010), beginne eine Person, Fragen an sich und seine Welt zu stellen. Der Autor geht davon aus, dass es in einer solchen Phase zu einer „Umstrukturierung subjektiver Relevanzen und damit zu einer Transformation des Welt- und Selbstverhaltens“ (ebd.: 184) kommen könne: „Menschen sehen sich und ihre Welt dann anders.“ (Ebd.) Konkret soll im Folgenden also insbesondere der Frage nachgegangen werden, durch welche individuellen Erfahrungen und Bedürfnisse die Formung und Veränderung bzw. der Wandel von Selbstkonzepten der jeweiligen Person beeinflusst wird. Als aufschlussreich erscheinen hierbei „neben dem Wohlfühlen im Gewohnten und Vertrauten [...] insbesondere solche Erlebnisse, in denen bisher Gewohntes unterbrochen und Vertrauten irritiert wird. Das sind Erlebnisse von Brüchen und Einbrüchen, Diskrepanzen und Konflikten, Unerwartetem und Überraschendem. [...] Sie geben Anstöße zu Selbsterfahrungen und biographischen Wandlungsprozessen. Aber sie weisen zugleich hin auf Reibungen, Risse und Umbrüche im kulturellen und gesellschaftlichen Gefüge“ (Schulze 2006: 40).
In Bezug auf das Forschungsvorhaben bedeutet das, zu erfragen, wo genau im Lebenslauf heroinabhängiger Musiker*innen diese Reibungen, Risse und Umbrüche entstehen. Welche Auswirkungen haben sie auf das Selbstkonzept der jeweiligen Person? Und wie lassen sie sich anhand von Narrationen identifizieren?
Methodik
6.
Erhebung von Selbstkonzepten
„Sich wahrzunehmen, über sich selbst nachzudenken, sich selbst zu beurteilen“, beginnt im Lebenslauf eines Individuums „recht früh und höret nimmer auf“ (Mummendey 2006: 87). Demzufolge wird in vielen Publikationen eine lebensspannen-orientierte Zugangsweise als Notwendigkeit vorausgesetzt, sich lebenslangen Entwicklungsaufgaben zu nähern und damit einen Zugang zur Konzeption von Selbstkonzepten eines Individuums zu erhalten. Doch wie lässt sich ein solcher Zugang herstellen und welche Möglichkeiten bietet die aktuelle Forschungslandschaft? Vor allem in der Psychologie liegt der Erforschung von Selbstkonzepten eine lange Tradition zugrunde (vgl. Schuppener 2005: 85). Insbesondere Sozialisationseinflüsse auf das Selbstkonzept und die Untersuchung von Selbstkonzeptänderungen in kritischen Lebensereignissen wurden in den 1970er und 1980er Jahren zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Neben Diskussionen um eine einheitliche Begriffsbestimmung sowie kontroversen Ansichten zur Organisation und Entwicklung von Selbstkonzepten wird auch über mögliche Operationalisierungsprobleme debattiert (siehe z.B. Bracken 1996; Schuppener 2005; Stiller & Alfermann 2008). Hierbei wird insbesondere darüber diskutiert, ob Selbstkonzepte überhaupt operationalisierbar und damit messbar sind. Trotz zunehmender Kritik an quantitativen Messverfahren dominieren noch immer kognitivistische und behavioristische Ansätze, in denen Messungen von Selbstkonzepten vornehmlich einstellungsbezogen und weniger verhaltensorientiert erfolgen (vgl. Schuppener 2005: 85; Mummendey 1993). Um nun eine an die zuvor dargestellten theoretischen Gedanken anknüpfende Methodik für das eigene Forschungsvorhaben entwickeln zu können, gilt es zunächst, einen Überblick über generelle, wie auch spezifisch musikbezogene, methodische Ansätze zur Selbstkonzeptforschung zu schaffen.
6.1
ERHEBUNGSMETHODEN
„Selbstkonzept-Messmittel können eher strukturiert (z.B. Fragebögen mit geschlossenen Fragen und vorgegebenen Antwortmöglichkeiten) oder eher unstrukturiert (z.B. offenes Interview) sein. Es kann in offener/wissentlicher Form (sämtliche Verfahren, bei denen sich der Proband der ‚Testsituation‘ bewusst ist) oder getarnt/verdeckt (z.B. Verhaltensbeobachtung hinter einer Einwegscheibe) vorgegangen werden. Reaktive stehen nonreaktiven Verfahren gegenüber und
126 | Methodik
die Messmethodik kann Reaktionen symbolischer oder nichtsymbolischer Art verlangen.“ (Schuppener 2005: 87)
Wenn man nun dem Mummendey’schen Definitionsansatz folgt und Selbstkonzepte als Einstellungen deklariert, so können zur Erfassung von Selbstkonzepten folglich alle in der Psychologie üblichen Verfahren herangezogen werden, die bereits zur Untersuchung von Einstellungen bzw. zur Beurteilung von Personen entwickelt wurden (vgl. Hemming 2002: 56; Mummendey 1995: 72; Mummendey 1993: 175). Zu den strukturierten Verfahren zählt Mummendey (1995) all die Verfahren, „die entweder auf Reiz- oder auf der Reaktionsseite (oder sowohl beim Reizmaterial als auch bei der Antwortform) klare Vorgaben haben“ (ebd.: 72). Testverfahren stuft er als die eindeutigsten strukturierten Verfahren ein, da sowohl die Testitems als auch die Modalitäten des Antwortens oder Ankreuzens einer Antwort dabei deutlich festgelegt und vorgegeben sind (vgl. ebd.). Besonders oft werden im Rahmen der Selbstkonzeptmessung adjektivische Selbstbeschreibungen und Selbstratings angewendet. Schuppener (2005: 88) ergänzt hierzu, dass bei dieser Methode vorzugsweise ein „Real- vs. Idealselbstbild“ erhoben werde, „indem der Proband seine Alternativurteile zum einen als tatsächliche Selbsteinschätzung (‚So bin ich‘), zum anderen als konstruierten Idealselbstentwurf (‚So möchte ich gerne sein‘) abgibt“. Unter dem Begriff Selbstrating werden Urteile auf vorgegebenen numerischen oder graphischen, kontinuierlich oder kategorial angeordneten Schätzskalen bezeichnet (vgl. Mummendey 1995: 78). Solche Verfahren sind häufig Ein-Item-Skalen, d.h., „es werden nicht zwangsläufig Urteile summiert oder auf sonstige Weise kombiniert, sondern durchaus einzeln interpretiert“ (Mummendey 2005: 144). Die Probanden können dabei auf einer meist 5- bis 8-stufigen Skala den Grad ihrer Zustimmung zu einem Item ausdrücken. Hierbei sind besonders die von Marsh (1985) entwickelten SelfDescription Questionnaires SDQ-I, SDQ-II und SDQ-III verbreitet, welche auf unterschiedliche Altersgruppen abgestimmte Selbstratings in verschiedenen Selbstkonzeptbereichen abfragen (vgl. Hammel 2011: 109f.). Gelegentlich werden Ratings auch summiert, wie beispielsweise beim Semantischen Differential. Hierbei liegt im Grunde das gleiche Konzept wie bei Rating-Verfahren vor. Allerdings besteht ein Semantisches Differential meist aus Ratingskalen, die zwischen zwei Polaritätsprofilen liegen (vgl. Schuppener 2005: 89). Eine Mischung aus adjektivischen Selbstbeschreibungsverfahren und Selbstratingmethoden stellen sogenannte Sortierverfahren (Q-Sort) dar. Hierbei sollen Testpersonen Adjektive, Sätze oder andere personenbezogene Statements nach einem vorgegebenen Kategoriensystem sortieren. Unter die Definition strukturierter Verfahren fällt auch die Fragebogen-Methode, die Mummendey & Mielke (2014) zu „den wichtigsten und in der psychologischen Forschung meistangewendeten Untersuchungsverfahren“ (ebd.: 13) zählen. Den Autoren zufolge eignen sich Fragebögen deshalb gut zur Erfassung von Selbstkonzepten, „weil sie gewöhnlich selbstbezogene Aussagen oder Fragen enthalten, zu denen die untersuchte Person Stellung nehmen soll“ (ebd.: 32). Bei der Anwendung der Fragebogen-Methode werden den antwortenden Personen klar strukturierte Vorlagen (z.B. Fragen, Begriffe oder Feststellungen) zur Beurteilung gegeben. Alle an der jeweiligen Untersuchung teilnehmenden Personen urteilen anhand der gleichen Merkmale. Es geht bei dieser Methode also nicht um Fragen, deren Beantwortung offen ist, sondern um das Ankreuzen festgelegter Antwortmöglichkeiten (vgl. Mummendey
Erhebung von Selbstkonzepten | 127
& Grau 2014: 13). Um nicht alle Individuen „über einen Kamm zu scheren“, wie es bei Mummendey & Grau (ebd.) heißt, werden in manchen Verfahren individuumzentrierte bzw. von den Individuen selbst geschaffene Beschreibungsbegriffe verwendet. Dies setzt jedoch eine Fähigkeit der Selbstbewertung des Individuums voraus und schließt latente Fähigkeiten und Verhaltensweisen nicht mit ein, die dem Individuum selbst nicht offensichtlich oder gar nicht zugänglich sind. Auch wenn Mummendey dieses Verfahren als qualitatives Verfahren sieht, zielt es wiederum auf das Messen und damit die Quantifizierung von Daten ab. Auf ein weiteres Verfahren geht Mummendey in seinem Artikel „Selbstberichte“ (2005) ein. Neben der bereits vorgestellten Fragebogen-Methode sowie den Adjektivlisten und Ratingverfahren, die er auch als Selbstberichtsverfahren bezeichnet, nimmt er hierbei zudem Bezug auf die Kategorie der Interviewverfahren (vgl. ebd: 145), welche insbesondere in der psychologischen Fachliteratur allerdings nur wenig Aufmerksamkeit findet. Dies ist insofern erstaunlich, als gerade die biographische Methode und damit die Erhebung von selbstbezogenem Wissen über einen narrativen Zugang – eben beispielsweise durch Interviews – bereits in den 1950er Jahren von Wissenschaftlern wie Thomae (1952) hervorgehoben wurde. Auch wenn Mummendey (1993) zunächst davon spricht, dass Interviewverfahren vielfach herangezogen würden (vgl. ebd.: 182f.), stellen sie im Vergleich zu den zuvor benannten Verfahren ein unterrepräsentiertes methodisches Herangehen an das Forschungsfeld dar. In einem späteren Artikel weist Mummendey (2005) daher auch darauf hin, dass Interviewverfahren nach wie vor häufiger in den empirischen Sozialwissenschaften als in der Psychologie Anwendung finden. Zu solchen Verfahren heißt es bei ihm: „Ein Interviewer stellt (freie oder standardisierte) Fragen, und die untersuchte Person antwortet (frei oder nach einem Antwortschema). Man unterscheidet strukturierte Interviews (Art und Abfolge der Fragen sind festgelegt) und unstrukturierte (offene), ferner mündliche (face-toface, Telefoninterview) und schriftliche (ggf. postalische, über Internet etc.).“ (Ebd.: 145)
Seiner Ansicht nach bestehe der wichtigste Unterschied zur Fragebogen-Methode darin, „dass nicht Antworten auf Items summiert oder auf sonstige Weise zu einem Messwert (Score) verrechnet werden, sondern dass die Antworten einzeln ausgewertet und interpretiert werden. Stärker als bei anderen Selbstberichtsverfahren haben wir es, zumindest bei mündlicher Befragung, mit einer sozialen Situation zu tun – mit allen Vorteilen (z.B. Vertrauensgewinnung bei schwierigen Themen) und Nachteilen für die Datenerhebung (z.B. Einfluss des Interviewers auf die Selbstberichte).“ (Ebd.: 145f.)
Sowohl Interview- als auch projektive Verfahren (z.B. Draw-a-person Test (DAP)) ermöglichen zwar einen größeren Interpretationsspielraum, Schuppener (2005: 90) weist jedoch darauf hin, dass solche Verfahren auf Fremdinterpretationen angewiesen
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seien und somit im Widerspruch zur Selbsttheorie der Untersuchungsperson stünden bzw. diese dann nicht mehr hinreichend abbildeten.1 Des Weiteren zählt Mummendey (2005) prinzipiell alle schriftlichen Dokumente wie autobiographische Schriften, Tagebuchaufzeichnungen und andere Arten freier Selbstbeschreibung zu den Selbstberichtsdaten (ebd.: 138). Interessant ist hierbei eine Studie, die er 1989 zusammen mit Mielke veröffentlichte: Aus dem Inhalt verschiedener Autobiographien sowie den Beiträgen von Sportler*innen in Sammelbänden versuchten die beiden auf die zugrundeliegenden Selbstkonzepte der Autor*innen zu schließen. Zum einen wurden im Rahmen ihrer Studie Inhalts- und Textanalysen anhand dieses Materials vorgenommen. Zum anderen erfolgten Selbstkonzeptmessungen mit Persönlichkeitsfragebogen und Ratingskalen in Selbstbeschreibungsexperimenten (vgl. Mummendey/Mielke 1989: 49). Die Autoren legten weder Wert darauf, dass die vermeintlichen Autobiographien von den Sportler*innen selbstständig verfasst waren, oder es sich um von Ghostwritern verfasste Texte oder medial inszenierte Selbstpräsentationen handelte – die subjektive Sicht der Biograph*innen spielte also nur eine untergeordnete Rolle, noch sahen sie eine Möglichkeit, auf Grundlage der Inhaltsanalyse des herangezogenen Quellenmaterials ihre Annahmen empirisch zu überprüfen. So erklärten sie, dass die Analyse der Selbstdarstellung von Spitzensportler*innen anhand ihres biographischen Materials „letztlich doch nur deskriptiv und ‚qualitativ‘ und gewissermaßen als Vorstudie (nicht im engeren Sinne) zu den weiteren Untersuchungen interpretierbar“ (ebd.) sei. Auf den Einsatz verschiedener Mess- bzw. Erhebungsmethoden im Rahmen der Selbstkonzeptforschung und die damit einhergehenden Methodenprobleme sowie die Auseinandersetzung mit qualitativen und quantitativen Ansätzen soll im Folgenden genauer eingegangen werden.
6.2
METHODENDISKUSSION
Die bereits von Rustemeyer (1993) angemerkte Vermischung von verschiedensten Begrifflichkeiten innerhalb der Selbst-Forschung wirke sich ihrer Auffassung nach insbesondere auf der Ebene der Operationalisierung von Selbstkonzepten aus und führe dazu, dass „viele empirische Arbeiten nur bedingt vergleichbar sind, obwohl scheinbar vom gleichen Gegenstand ‚Selbst‘ gesprochen wird“ (ebd.: 5). Das zuvor thematisierte ‚Wirrwarr‘ an Definitionsansätzen (siehe Kapitel 4) hat offenbar zur Folge, dass „eine Vielzahl von unterschiedlichen Meßinstrumenten konstruiert und in der Forschung benutzt worden ist, mit denen man das Selbst-Konzept und/oder das Selbstwertgefühl gemessen hat, die aber offensichtlich zum Teil sehr unterschiedliche Facetten des Selbst-Konzepts, des Selbstwertgefühls etc. erfassen. Nicht nur, daß verschiedene Aspekte des Selbst-Konzepts wie z.B. globales Selbst, das Körper-Selbst oder ideales versus reales Selbst gemessen und unter
1
Die Autorin bezieht sich in ihren Aussagen insbesondere auf Gatzweiler (1996) und Mummendey (1993).
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dem Begriff des Selbst subsumiert werden, auch bei der Erfassung des scheinbar gleichen Konstrukts werden sehr unterschiedliche Instrumente eingesetzt.“ (Rustemeyer 1993: 9)
Bei der kritischen Anmerkung, dass je nach Definition und disziplinärer Denkweise ein entsprechendes Erhebungsverfahren gewählt werde bzw. definitorische Ansätze auf ein bestimmtes methodisches Verfahren abzielten, ist generell zu hinterfragen, ob die jeweilige Erhebungs- und Auswertungsmethode dem Untersuchungsgegenstand überhaupt angemessen ist. Es stellt sich somit die Frage nach der angemessenen Indikation, also danach, für welche Fragestellung welche Methode der Selbstkonzepterfassung geeignet ist. Damit verbunden ist die notwendige Explikation des Zieles der Untersuchung: Soll ein möglichst umfassender Überblick über die Vielfalt von Aspekten des Selbstbildes verschafft oder ein bestimmter (psychologischer) Aspekt (z.B. das Selbstwertgefühl) angesprochen werden? Geht es um ein spezielles oder generelles Selbstbild? Soll eine bestimmte Thematik in den Fokus gesetzt werden? Wie auch Mummendey (1993: 173) auffällt, ergeben sich, je nachdem, welches spezielle Verfahren der Erhebung von Selbstkonzepten angewendet und wie es ausgewertet wird, im Einzelfall „schwer zu bewältigende methodische Probleme“. Schuppener (2005: 91) merkt hierbei an, dass in der Selbstkonzeptforschung nach wie vor ein Konflikt zwischen dem „grundlegenden Anspruch auf Fehlerfreiheit und der Berücksichtigung subjektiver Urteilsgültigkeit“ herrsche. Generell ist in diesem Zusammenhang festzustellen: Obwohl das Wissen um den subjektiven Charakter und den dynamischen Aspekt des Untersuchungsgegenstandes ‚Selbstkonzept‘ in den verschiedenen wissenschaftlichen Ausführungen oftmals betont wird, überwiegt dennoch der Einsatz objektivierender, also quantitativ-empirischer Mess- und Testmethoden: „Damit stehen die meisten der eingesetzten Erhebungsmethoden im Grunde im Widerspruch zu der eher phänomenologischen Ausrichtung des Konstrukts ‚Selbstkonzept‘. Denn gegenüber den möglichen, denkbaren Erfahrungen, die ein Individuum über sich selbst sammeln und verarbeiten kann, müssen die Beschreibungskategorien, die in den einzelnen Tests zur Verfügung stehen, allemal eingeschränkt bleiben.“ (Zoglowek 1995: 52)
Diese Einschränkung – resultierend aus einer starken Strukturierung hinsichtlich Reizvorlage und Antwortmodus – bedeutet in Bezug auf die am häufigsten angewendeten Verfahren wie Persönlichkeitsfragebögen und Ratingskalen, dass „sowohl die vorgegebenen Sätze, Fragen, graphischen oder numerischen Skalen als auch die Antwortkategorien [...] von der antwortenden Person nicht frei zu wählen [sind] – es ist lediglich offen, welche der angebotenen Antwortmöglichkeiten gewählt werden“ (Mummendey 1995: 72). Zoglowek (1995: 52) sieht ein Problem vor allem darin, dass vorgegebene Kategorien für verschiedene Individuen unterschiedliche Bedeutung haben könnten und „‚globale Urteile‘ nicht oder nicht genügend die Situationsspezifik und den situativen Kontext berücksichtigen“. Insbesondere bei adjektivischen Selbstbeschreibungsverfahren kommt hinzu, dass die vorgegebenen oder durch die Testperson produzierten Items, die aus nur einem einzigen selbstbeschreibenden Eigenschaftswort bestehen, recht undifferenziert sind und lediglich „unnuancierte Stimuli“ (Mummendey 2005: 143) darstellen. Auch wenn beispielsweise bei Ratingverfahren durch Varianten des Antwortmodus (z.B.
130 | Methodik
Mehrfachwahlantworten) differenziertere Reaktionen hervorgerufen werden können, unterliegen diese einer von außen zugeführten Einschränkung, die dem Prinzip einer offenen Selbstbeschreibung durch die Testperson widerspricht. Ohnehin weist Mummendey (2005: 145) darauf hin, dass Ratingskalen in ihrer Messgenauigkeit nicht fehlerfrei sind. Insbesondere die Bevorzugung extremer Urteile oder mittlerer Skalenpositionen sieht er als Fehlerquelle: „Unecht hohe Zusammenhänge zwischen Selbstratings können auch durch die räumliche Anordnung der Ratingskalen zu Stande kommen (Fehler der Nähe), durch bestimmte Vorannahmen des Selbstbeurteilers (logische Fehler) oder dadurch, dass dominante Merkmale des Urteilsgegenstandes (z.B. Geschlecht, Attraktivität, Beruf) auf die anderen zu beurteilenden Merkmale abstrahlen (Halo-Effekt), so dass es zu einer künstlich überhöhten Interkorrelation der im Rating zu beurteilenden Merkmale kommt: Wer sich z.B. als reich einschätzt, wird sich gemäß dem Halo-Effekt auch als intelligenter, attraktiver etc. beurteilen.“
Dass trotz dieser Kritik weiterhin adjektivische Selbstkonzeptverfahren sowie Sortierungs- und Ratingverfahren und auch das Semantische Differential zur Operationalisierung von Selbstkonzepten eingesetzt werden, hat – wie auch Mummendey (1995) offenlegt – nicht zuletzt auch ökonomische Hintergründe: Diese Verfahren werden häufig verwendet, da sie im Gegensatz zu Persönlichkeits- und Selbstkonzeptfragebögen, die „zuweilen unökonomische Meßinstrumente in dem Sinne sind, daß sie aufwendige sprachliche Satzkonstruktionen zur Erfassung distinkter Eigenschaftszuschreibungen erfordern“ (ebd.: 76), als die „sparsamsten“ (ebd.) Methoden gelten. Die von Mummendey bevorzugte und in der Psychologie meistangewendete Fragebogen-Methode kann sich als Erhebungsverfahren neben ökonomischen Aspekten auch an anderen Stellen der Kritik nicht entziehen. Diese resultiert vornehmlich daraus, dass die Persönlichkeitsfragebögen ein nomothetisches Verfahren darstellen, bei dem alle untersuchten Personen mit dem gleichen Maßstab gemessen werden, um eine Quantifizierbarkeit der generierten Daten herzustellen. Mummendey & Grau (2014:13) argumentieren zwar, dass Fragebogen-Verfahren, die individuelle Urteilsstrukturen anstelle vorgegebener Persönlichkeitsvariablen erfassen, der Forderung von Thomae nach dem Prinzip ideographischer Forschung näherkämen. Wenn man ideographische Forschung nach Thomae jedoch als eine Möglichkeit, „unverzerrte psychische Wirklichkeit zu erfassen“ (ebd.), begreift, dann ist fraglich, ob durch die bloße Zuschreibung von (individuellen oder vorgegebenen) Adjektivbewertungen eine solche überhaupt abgebildet werden kann. Kann ein derart distanziert-reaktives Verfahren tatsächlich einen Zugang zu inneren Zuständen, Erlebnisweisen und Kognitionen schaffen? Können hierbei Wahrnehmung und Darstellung aus subjektiver Sicht der Studienteilnehmer*innen offen und nicht in eine Richtung drängend generiert werden wie es Wissenschaftler*innen wie Mummendey & Grau (vgl. 2014: 16) postulieren? Weitere Kritik setzt auch hierbei sowohl an der Messgenauigkeit und Zuverlässigkeit sowie der Gültigkeit und Aussagekraft dieses Erhebungsinstruments an. Mummendey & Grau stellen fest, dass diese Diskussion bereits seit Jahrzehnten in der Fachliteratur geführt werde. In diesem Zusammenhang lässt sich ein scheinbar paradoxes Phänomen erkennen, dass die beiden Autoren wie folgt beschreiben:
Erhebung von Selbstkonzepten | 131
„Diese Abwertung des Fragebogens fand aber sozusagen nur in der Öffentlichkeit statt, nicht jedoch in der Praxis der Forschung. Zwar wagten nun nicht mehr viele Forscher und Autoren, Persönlichkeits- oder Einstellungsmessung mittels herkömmlicher Fragebogen aktiv zu vertreten – setzten sie sich doch zu leicht dem Vorwurf aus, in Kategorien von PersönlichkeitsEigenschaften als vermeintlich überholten Gebilden statt in den Kategorien von SituationsMerkmalen o.ä. zu denken und zu schreiben. [...] Interessanterweise hat jedoch bei der täglichen Forschungsarbeit in Persönlichkeits- und Sozialpsychologie kaum ein Forschender auf Fragebogen als Forschungsinstrumente verzichtet.“ (Ebd.: 14f)
Hierbei scheinen Praktikabilität, Standardisierung und ein vorherrschender Kanon die Forschungsmethodik zu bestimmen, obwohl Wissenschaftler wie Mummendey (2005), bei denen das Verfahren zur Anwendung kommt, auf eine Reihe von Mängeln hinweisen: „Sie reichen vom bloß auffälligen Antworten bis zum systematischen Verfälschen. Am häufigsten erforscht wurden validitätsmindernde Reaktionstendenzen, also Verzerrungen dadurch, dass der antwortenden Person bewusst ist, um was es bei der Untersuchung (scheinbar) geht und dass sie Erwartungen in Bezug auf den vermeintlichen Untersuchungsgegenstand und die vermeintlich angemessenen, den sozialen Normen oder vermuteten Wünschen des Untersuchers entsprechenden Antworten bildet.“ (Ebd.: 140f.)
An anderer Stelle heißt es bei Mummendey zusammenfassend zudem: „Als bedeutender Fehler beim Selbstbericht via Fragebogen gilt die Reaktionstendenz der Sozialen Erwünschtheit (Social Desirability). Sie bezieht sich auf den wahrgenommenen ItemInhalt und die vom Antwortenden erwartete angemessene, sozial erwünschte Reaktion. Sie haben wenig mit ‚Lügen‘ zu tun, eher mit Selbstdarstellung oder Impression-Management.“ (Ebd.: 141)
Anstatt jedoch den Schluss zu ziehen, andere als die üblichen (quantitativen) Methoden der Psychologie zur Erfassung von Selbstkonzepten in Betracht zu ziehen, rechtfertigt er sein Verfahren weiterhin auf Grundlage der Definition, die er für das Selbstkonzept als „Gesamtheit selbstbezogener Einstellungen“ (Mummendey 1995: 71) aufstellt. Da er sich explizit auf die Messung von Einstellungen bezieht, „bedürfe es im wesentlichen der Anwendung nomothetischer psychologischer Verfahrensweisen“ (ebd.). Er weist jedoch darauf hin, dass die Erfassung oder Messung des Selbstkonzepts anders ausfallen würde, wenn die theoretische Grundlage anders gesetzt werden würde: „Würde ein Autor zum Beispiel unter dem Selbstkonzept ausschließlich Ideen der Selbstverwirklichung eines Individuums zusammenfassen, so wäre vermutlich eine möglichst freie, offene, sozusagen qualitative Messung zur Erfassung eines solchen Selbstkonzepts angezeigt. Da der Forscher vielleicht keine zufriedenstellenden Kategorien zur Verfügung hätte, um die Ideen und Selbstbeschreibungen einer ganz bestimmten Person zu ordnen und mit anderen Personen quantitativ vergleichend darzustellen, könne er einem solchen idiographischen Vorgehen den Vorzug geben.“ (Ebd.)
132 | Methodik
Diese Auffassung bzw. die damit einhergehende Reflexion des eigentlichen Forschungsgegenstandes scheint auf Seiten vieler Wissenschaftler*innen jedoch nicht stattzufinden. Eine ausführliche Lektüre von Forschungsarbeiten im Rahmen der Selbstkonzeptforschung erweckt den Anschein, als würden Begriffsetiketten unreflektiert übernommen und Erhebungsverfahren nicht dem Forschungsgegenstand bzw. der eigentlichen Fragestellung angemessen gewählt. Dies könnte zumindest die anfänglich dargestellte Feststellung erklären, warum trotz des Wissens um den subjektiven und dynamischen Charakter von Selbstkonzepten der Einsatz quantitativempirischer Mess- und Testmethoden noch immer dominierend ist (vgl. Zoglowek 1995: 52). Insbesondere Mummendeys Auffassung, dass das Selbstkonzept nur dann „als psychologisch brauchbares Konstrukt zur Beschreibung, Vorhersage oder Veränderung menschlichen Verhaltens und Erlebens [erscheint], wenn es mit empirischen Methoden erfaßt werden kann, die den üblichen Anforderungen an psychologische Untersuchungsmethoden genügen“ (Mummendey 1993: 171), scheint den meisten Forschungsarbeiten als Grundlage zu dienen. Dass Positionen und Verfahren oftmals unreflektiert adaptiert werden, spiegelt sich auch anhand der resultierenden Forschungsergebnisse wider, die oft nur wenig mit der eigentlichen Forschungsfrage bzw. mit dem beabsichtigten Erkenntnisgewinn zu tun haben oder nicht mit der eingangs erläuterten Definition ihres Forschungsgegenstandes übereinstimmen. Letzteres setzt voraus, dass eine solche Auseinandersetzung überhaupt vorliegt. Bei Rustemeyer (1993: 10) heißt es hierzu ergänzend: „Die Forschung kann entweder mit der Definition Selbst oder aber mit der Messung des Selbst beginnen und erst nach Abschluß der Messung anhand der Ergebnisse zu einer Definition kommen. In vielen Fällen haben Forscher den zweiten Weg gewählt und zunächst einmal Meßinstrumente (ohne eine explizite Definition des Selbst zu haben) oder aber Meßinstrumente aus verwandten Bereichen übernommen (z.B. aus dem Bereich der Einstellungsforschung) und erst anschließend das Selbst definiert (im Extremfall ist das Selbst das, was sie mit ihren Instrumenten gemessen haben).“
Widersprüchlich erscheint es zudem, dass Mummendey sich in seiner Auseinandersetzung zur „Selbstdarstellung des Sportlers“ (1989) für die Möglichkeit ausspricht, Selbstkonzepte anhand qualitativer Verfahren zu erfassen, jedoch an anderer Stelle zu verstehen gibt: „Von der Darstellung und Evaluation solcher [qualitativer] Verfahren soll jedoch abgesehen werden; freie Selbstbeschreibungen, die ‚qualitativ‘ ausgewertet werden, eröffnen einen Raum, innerhalb dessen die an psychologische Messmethoden zu stellenden formalen Anforderungen nicht mehr erfüllt werden können.“ (Mummendey 1993: 175) Wenn qualitative Verfahren seiner Auffassung nach den Anforderungen psychologischer Messmethoden also nicht gerecht werden, so leitet sich hieraus der Bedarf einer methodischen bzw. disziplinären Umorientierung zur Erhebung von Selbstkonzepten ab. Dieser Annahme scheint auch Schuppener (2005) zu sein, wenn sie argumentiert, dass „gerade die Erfassung höchst subjektiver Selbsttheorien bzw. spezifischer Teilaspekte dieser Selbsttheorien nur mittels qualitativer Methodik [...] einem Anspruch an Individualität beim Abbilden von Selbstaussaugen gerecht werden“ (ebd.: 85f.) und damit an Forschungsverfahren anknüpfen, wie sie vorwiegend beispielsweise in sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu finden sind.
Erhebung von Selbstkonzepten | 133
Die zuvor erörterten Ausführungen sollen keine generelle Kritik an strukturierten und standardisierten Erhebungsverfahren bzw. an vornehmlich in der Psychologie verorteten Messmethoden darstellen. Dennoch wurden Kriterien genannt, welche die bereits vorgestellten Verfahren nicht als geeignete Instrumente zur Erhebung von Selbstkonzepten für das vorliegende Forschungsprojekt qualifizieren. Auch wenn sich vermehrt qualitative Forschungsarbeiten zum Selbstkonzept finden lassen, sind diese im Gegensatz zu quantitativen Verfahren nach wie vor selten. Wie zuvor dargestellt, handelt es sich bei qualitativen Verfahren meist nur um reaktive Verfahren, bei denen Probanden auf eine Aufforderung hin Selbstbeschreibungen und -bewertungen abgeben (vgl. Hammel 2011: 110), die letztendlich aber quantitativen Analysen unterzogen werden. Bevor im Weiteren ein für diese Studie geeignetes Forschungsdesign ausgearbeitet wird, soll im Folgenden zunächst der Fokus auf musikbezogene Selbstkonzeptforschung gerichtet werden. Hierbei wird nicht nur ein Anschluss zu (pop-) musikwissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich hergestellt. Zugleich werden methodische Anknüpfungspunkte herausgearbeitet und weitere Forschungsdesiderata aufgedeckt.
6.3
(POP-)MUSIKBEZOGENE ERHEBUNG VON SELBSTKONZEPTEN
„Self-concept is a widely recognized topic, which reaches into many disciplines, in particular philosophy and sociology, as well as into the life sciences and the arts, and which also has a secure presence in everyday life and language.“ (Spychiger 2017: 267)
Auch innerhalb musikbezogener Forschung haben sich Selbstkonzepte zu einem zentralen Untersuchungsgegenstand entwickelt. Selbstkonzeptforschung findet hierbei vornehmlich im musikpädagogischen Kontext statt.2 So wie in anderen Forschungsfeldern – je nach zu erforschendem Lebensbereich und Disziplin – bspw. zwischen einem „Körper-Selbst“, „Sport-Selbst“, „Schul-Selbst“ usw. (vgl. Mummendey 2006: 20) differenziert wird, wird innerhalb musikbezogener Selbstkonzeptforschung von einem Musik- bzw. musikalischen Selbstkonzept ausgegangen.3 Hierbei wird sich insbesondere damit auseinandergesetzt, inwiefern ein musika-
2 3
Auch wenn es vereinzelte Ausnahmen gibt, verdeutlichen die folgenden Ausführungen die thematische Ausrichtung, die die meisten dieser Arbeiten einnehmen. Während sich im englischsprachigen Bereich häufig auf Reynolds (1995) für einen Überblick musikpädagogischer und musikpsychologischer Forschung bezogen wird, ist für den deutschen Sprachraum insbesondere Hammel (2011, 2012) zu nennen, die im Rahmen ihrer Dissertation eine äußerst umfangreiche und kritische Bestandsaufnahme zum Selbstkonzept im (akademisch-)musikalischen Kontext ausgearbeitet hat. Hammel hat sich nicht nur mit Arbeiten zu aktiv musizierenden Schüler*innen und Studierenden in Unterrichtskontexten auseinandergesetzt, sondern geht in ihren Ausführungen auch sehr konkret auf die Literaturlage zum Selbstkonzept im Bereich der Lehrerforschung ein. Insbesondere interessiert sie dabei der Bereich der Musiklehrerforschung. Sie bezieht sich nicht nur auf
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lisches Selbstkonzept die musikalische Leistung steuert4 und welche Selbstrepräsentationen musikalische Konzepte im Hinblick auf die musikalischen Fähigkeiten aufzeigen (vgl. Spychiger 2007: 10). Gerade im (hoch-)schulischen Kontext erweise sich Pfeiffer 2007b: 240) zufolge Forschung zum Selbstkonzept als fruchtbarer Gegenstand: „Schulische Selbstkonzepte gelten in der pädagogischen Forschung als bedeutsame Schülermerkmale, die leistungsthematisches Verhalten erklären und vorhersagen können. Definiert als generalisierte Fähigkeitskognitionen beziehen sie sich auf die erbrachten Leistungen in den verschiedenen Schulfächern.“
Untersuchungen in diesem Zusammenhang liegen im deutschsprachigen Raum beispielsweise von Harnischmacher (1994) vor, der Unterschiede im Instrumentalspiel von Studierenden der Hochschulklasse und Studierenden der Schulmusik verglich und in diesem Kontext das Konstrukt Selbstkonzept dazu verwendete, instrumentales Üben und seine Zusammenhänge mit Aspekten der Persönlichkeit zu erforschen (vgl. Niessen 2007: 32; Spychiger 2007: 10).5 Aber auch Pfeiffers eigene Arbeiten, in denen er den Einfluss von musikalischer Expertise auf das Selbstkonzept von Schülern erforschte (vgl. Pfeiffer 2007a, 2007b), sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Er betrachtet dabei insbesondere die Genese und Effekte von musikalischen Selbstkonzepten. Neben soziographischen Daten wurde das Selbstkonzept anhand eines Fragebogens in Anlehnung an Marshs (1985) Self Description Questionnaires (SDQ) gemessen (vgl. Pfeiffer 2007b: 246).6 Pfeiffer bezieht sich in seinen Ausführungen auf Vispoel (1995), der zuvor das hierarchische Modell von Shavelson et al. um einen künstlerischen Bereich erweitert hatte und Belege für „die Existenz eines unabhängigen Selbstkonzepts musikalischer-künstlerischer Fähigkeiten“ (Pfeiffer 2007a: 42) fand. Vispoel setze damit einen wichtigen Grundstein für die Forschung zum musikalischen Selbstkonzept, an den auch Bastian (2000) anknüpfen konnte. Im Rahmen seiner Studie entwickelte er ein Semantisches Differential zur Erfassung des Selbstkonzepts von musikalisch hochbegabten Jugendlichen und bildete damit wiederum den Ausgangspunkt für die Arbeiten von Hemming (2002, 2003) zu „Begabung und Selbstkonzept“ bei semiprofessionellen Rock- und Popmusikern. Interessant ist bei Hemming vor allem, dass er sich im Gegensatz zu den eher üblichen standardisierten Messverfahren für ein qualitatives Vorgehen ausspricht:
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Untersuchungen, die explizit die Konstrukte Selbst und Selbstkonzept rekurrieren, sondern auch auf Studien, die sich mit angrenzenden Konstrukten wie berufliches Selbstbild (Wilde 2005), professionelles Selbst (Spychiger/Alesch/Oebelsberger 2007), Selbstwirksamkeit (Weiß et al. 2009) und Individualkonzepten (Niessen 2006; Lenord 2010) beschäftigen. Für Ausführungen zur Selbstkonzeptforschung in Bezug auf musikalische Leistung siehe u.a. Greenberg (1970). Für eine Auseinandersetzung mit dem Selbstkonzept von Musikstudent*innen auf internationaler Ebene siehe u.a. Kadushin (1969), Müllensiefen et al. (2015), Petersen & Camp (2016), Demorest et al (2017). Siehe in diesem Zusammenhang auch den Aufsatz von Bernecker, Haag & Pfeiffer (2006).
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„Wenn man also davon ausgeht, dass das Selbstkonzept eine kognitive, eine affektive und eine aktionale Komponente beinhaltet, wird es ziemlich schwierig, Selbstkonzepte von Musikern zum Gegenstand empirischer Untersuchungen zu machen. [...] Ich [möchte] mich ausdrücklich von der Vorstellung distanzieren, dass Selbstkonzepte in irgend einem Sinne messbar sein könnten [...]; statt dessen möchte ich mich eher an [Mummendeys] spätere Formulierung ‚Selbstkonzepterfassung‘ orientieren.“ (Ebd. 2002: 56)
Hemming wählt für seine Untersuchungen ein Vorgehen nach der Grounded Theory. Berechtigt ist hierbei jedoch Hammels Einwand, wenn sie feststellt, dass Hemmings zwanzig Interviews „ein relativ engmaschiger Leitfaden mit 47 Fragen zugrunde [liegt], an den das Kategoriensystem zur Auswertung der Interviews für eine ‚Grounded-Theory-Studie‘ auffallend nah angelegt ist“ (Hammel 2011: 114).7 Zentrale Arbeiten im Rahmen musikalischer Selbstkonzeptforschung liegen auch von Spychiger und Kolleg*innen vor (u.a. Spychiger 2013, 2017, 2007; Spychiger/ Gruber/Olbertz 2009; Wysser/Hofer/Spychiger 2005). Spychiger geht davon aus, dass das musikalische Selbstkonzept8 „nicht nur im Leben von aktiv und/oder professionell musizierenden Personen eine relevante Instanz der Verhaltens- und Befindenssteuerung [ist], sondern auch von solchen, deren Zugang zur Musik überwiegend oder ausschließlich ein rezeptiver ist, also für fast alle Menschen“ (Spychiger 2007: 13). Während die zuvor benannten Autor*innen das musikalische Selbstkonzept in erster Linie als Fähigkeitskonzept auffassen, spielt in Spychigers Studien die Multidimensionalität dieses Konstrukts eine zentrale Rolle. „Das musikalische Selbstkonzept umfasst also all das, was wir in Bezug auf Musik erleben, denkend verarbeiten und als Selbstrepräsentationen in diesem Lebensbereich aufbauen. Dazu gehören z.B. Ansichten darüber, wie Musik auf uns selbst wirkt, was wir mit Musik erreichen können, was für Musik wir mögen und ob wir musikalisch talentiert sind oder nicht. Diese Ansichten beeinflussen wiederum unser Verhalten und führen dazu, dass wir uns mehr oder weniger mit der einen oder anderen Musikrichtung beschäftigen, oder dass wir selbst Musik machen oder lieber nicht. So kommt dem musikalischen Selbstkonzept eine starke biographische Gestaltfunktion zu.“ (Spychiger/Gruber/Olbertz 2009)
Auf dieser Grundlage führten Spychiger et al. von 2008 bis 2010 eine Studie über das musikalische Selbstkonzept mit dem Ziel der Erstellung eines Messinstrumentes
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Forschungsarbeiten zum Selbstkonzept innerhalb musikpädagogischer und -psychologischer Untersuchen sind überwiegend quantitativ ausgerichtet. Es lassen sich jedoch vereinzelte Arbeiten wie die von Niessen (2006, 2007) finden, die auch anhand verschiedener Kodierschritte der Grounded Theory musikalische und pädagogische Selbstkonzepte von fachfremd unterrichtenden Musiklehrer*innen rekonstruiert. Bereits 2005 arbeitete Spychiger mit ihren Kollegen Wysser & Hofer eine Studie über „Musikalische Biografien“ aus. Die Selbstdarstellung von 22 über ihr musikalisches Leben befragten Personen – u.a. über musikbezogene Ereignisse, Aktivitäten, Musikgeschmack, Hörgewohnheiten und erlebte Musikwirkungen – ließen „alle auf die Existenz eines musikalischen Selbstkonzeptes schließen, die nicht von den Selbsteinschätzungen der musikalischen Fähigkeiten oder Leistungen abhängig ist“ (Spychiger 2007: 12).
136 | Methodik
durch, mit dem der musikalische Bereich des Selbstkonzepts einer Person unterschiedlichen Alters und musikalischer Aktivität erhoben werden kann (vgl. Spychiger 2013: 18). Zunächst wurden 60 Personen zu ihrem musikalischen Selbstkonzept interviewt. Anhand des Interviewmaterials wurden Items formuliert, aus denen schließlich ein Fragebogen entstand, „mit dem nun jeder selbst seinem musikalischen Selbstkonzept und damit diesem Bereich seiner Persönlichkeit näherkommen kann“ (ebd.). Auch wenn Spychiger mit ihrer Forschung Ausgangs- bzw. Anknüpfungspunkt für aktuelle Forschungsarbeiten zum musikalischen Selbstkonzept9 liefert, werden hierbei zwei Punkte deutlich, die bedeutenden Einfluss auf die vorliegende Arbeit haben. Zum einen ist anzumerken, dass zwischen Spychigers Untersuchungsgegenstand und dem, der dieser Arbeit zugrunde liegt, unterschieden werden muss: das musikalische Selbstkonzept im Sinne Spychigers ist nicht mit dem Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ gleichzusetzen. Während ersteres sich insbesondere auf musikalische Fähigkeiten und Kompetenzen bezieht, wird im Kontext von letzterem das Selbstkonzept einer Person im Hinblick auf dessen Vorstellung, ‚Musiker zu sein‘, in einem größeren Zusammenhang betrachtet, der nicht nur musikbezogene Komponenten beinhaltet. Innerhalb des vorliegenden Forschungsprojektes gilt es also zu betrachten, wie Menschen sich selbst als Musiker*innen sehen und welche Einflüsse – insbesondere der Konsum von Heroin – eine zentrale Rolle bei der Konstruktion dieser Vorstellungen spielen. Trotz der Tatsache, dass zum Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ noch keine Studien vorliegen, auf die sich – im Hinblick auf die Untersuchung des Phänomens heroinabhängige Musiker*innen – bezogen werden kann, wurde sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit dennoch zunächst an den bisherigen Forschungsarbeiten mit musikbezogener Ausrichtung orientiert. Da diese jedoch hauptsächlich im Bereich quantitativer Untersuchungen aufzufinden sind, unterliegen sie in Bezug auf das geplante Forschungsvorhaben der zuvor geäußerten Methodenkritik. Hierbei wird also zum anderen deutlich, dass sich ein für diese Studie angemessenes Forschungsdesign nicht aus aktueller musikbezogener Selbstkonzeptforschung ableiten lässt. Studien zur Erforschung von Selbstkonzepten, die das Teilkonzept ‚Musiker sein‘ in den Fokus der Auseinandersetzung rücken, liegen bislang nicht vor. Insbesondere die thematische Ausrichtung von Forschungsarbeiten, wie die vorigen Ausführungen verdeutlicht haben, scheint stark eingeschränkt zu sein. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Studie von Hofmann (2000), die sich mit dem lebensgeschichtlichen Aufbau des beruflichen Selbstkonzepts von Musiker*innen auseinandergesetzt hat.10
9
Auch unter dem Etikett ‚musikalisches Selbstkonzept‘ werden in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unterschiedliche Konstrukte verstanden (für weitere Ausführungen hierzu siehe Hammel 2011: 110). 10 Sicherlich existieren auch andere Studien im Bereich von Berufsmusiker*innen bzw. Musikberufen. Hierbei sind z.B. die biographischen Arbeiten von Gembris (1991) zum Berufsalltag von Musiklehrer*innen an Hauptschulen zu nennen sowie die Studie von Pickert (1991) zur Arbeitsunzufriedenheit von Musiklehrer*innen in der Schule im Kontext mit außerschulischen Ensembletätigkeiten. Das Konstrukt Selbstkonzept wird innerhalb dieser
Erhebung von Selbstkonzepten | 137
Mit ihrer Arbeit über medizinische Probleme von Berufsmusiker*innen, die auf einem Leitfadeninterview und einem Fragebogen zur Gesundheit von Musiker*innen basiert, versuchte sie in erster Linie die Einsicht in die Präventionsarbeit im Zusammenhang mit Berufskrankheiten zu verbessern. Hierzu heißt es: „Ebenso wie bei anderen Berufsgruppen, deren Angehörige Höchstbelastungen bestimmter Körperpartien und der Psyche standhalten müssen, z.B. im Hochleistungssport, treten bei Berufsmusikern häufig Krankheitssymptome auf, die mit der Ausübung des Berufs oder Studiums in direktem Zusammenhang stehen (Blum 1995). Man denke nur an die sehr häufigen Sehnenscheidenentzündungen, chronischen Schmerzsyndrome usw. Andererseits gibt es Symptome, deren Entstehung zwar nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Musikausübung stehen müssen, die aber für Musiker eine große Belastung darstellen und bis zur Berufsunfähigkeit führen können.“ (Hofmann 2000: 108)
Auffällig ist hierbei jedoch, dass sie Drogenabhängigkeit bzw. Drogenkonsum (z.B. als Reaktion auf psychische Belastungen) in keiner Weise thematisiert. Auf ein ähnliches Phänomen trifft man bei der Betrachtung des von Blum (1995) herausgegebenen Sammelbandes über „Medizinische Probleme bei Musikern“. Auf über 275 Seiten mit 19 Teil- und diversen Unterkapiteln erhält das Problem Drogensucht unter Musiker*innen keinerlei Erwähnung. Ebenso in Wagners (1995) Sammelband über Ursachen und Präventionsmöglichkeiten von medizinischen Problemen bei Instrumentalisten finden sich zwar Aufsätze verschiedener Autoren zu unterschiedlichen thematischen Bereichen, das Thema Drogensucht wird jedoch auch hier völlig ausgeklammert. Rötter & Steinberg (2018) befassen sich in ihrem Artikel zur „Musikerpersönlichkeit“ im „Handbuch Musikpsychologie“ zwar mit Theorien des Selbst, streifen das Thema Drogenkonsum jedoch nur beiläufig. Auch im Rahmen musiktherapeutischer bzw. musikphysiologischer und -medizinischer Auseinandersetzungen (Plahl 2018, Schuppert/Altenmüller 2018) im selbigen Sammelband, bildet das Thema Drogenabhängigkeit nur eine Randerscheinung.11 Im Handbuch „MusikerMedizin“ (Spahn/Richter/Altenmüller 2010) ist das Thema Substanzmissbrauch den Autor*innen zwar ein Unterkapitel wert, hierbei wird jedoch der Fokus insbesondere auf die Einnahme von nicht ärztlich verordneten Beta-Rezeptoren-Blockern gerichtet. Ergänzend heißt es hierzu: „Die epidemiologische Häufigkeit von generellem Substanzmissbrauch bei Musikern ist allerdings schwer abzuschätzen. Insgesamt liegen keine aktuellen und verlässlichen Studienzahlen für Berufsmusiker vor.“ (Ebd.: 182) Die Autor*innen gehen davon aus, dass aufgrund „der Scharmproblematik und der störungsimmanenten Problemverleugnung“ in der Regel eine hohe Dunkelziffer bestehe (vgl. ebd.). Bis heute existieren keine Untersuchungen über die Korrelation zwischen drogenabhängigen Musiker*innen und ihrem Selbstkonzept. Hiermit ist nicht nur eine weitere Forschungslücke im medizinischen, musikpädagogischen und –psycholo-
Arbeiten nicht berücksichtigt bzw. nur indirekt angesprochen oder ansatzweise thematisiert (vgl. Hofmann 2000: 110f.). 11 Eine ähnliche Feststellung lässt sich auch für Spahns Handbuch „Musikergesundheit in der Praxis“ (2015) treffen.
138 | Methodik
gischen Bereich aufgedeckt, sondern auch der Übergang zu der vorliegenden Studie geschaffen.
6.4
ZWISCHENFAZIT
Wenn im Zusammenhang der Erforschung von Selbstkonzepten drogenabhängiger Musiker*innen ein noch wenig bearbeitetes Gebiet betreten wird, heißt dies jedoch nicht, dass komplettes Neuland entdeckt würde. Wie die vorigen Ausführungen verdeutlicht haben, bieten bisherige Auseinandersetzungen mit Selbstkonzepten innerhalb (pop-)musikbezogener Forschung jedoch nur wenig thematische und methodische Anknüpfungspunkte, die für die vorliegende Studie fruchtbar wären. Auffällig ist vor allem, dass vorwiegend mit Messinstrumenten gearbeitet wird, die zur Operationalisierung von Selbstkonzepten zwar hilfreich erscheinen, jedoch nicht in der Lage sind, die subjektive Sichtweise der Proband*innen und ihre damit verbundenen individuellen Konstruktionen von Wirklichkeit zu erheben. Doch bei der Erfassung von Kognitionen über die eigene Person ist gerade die Berücksichtigung der Subjektivität zentral. Auf Grundlage der zuvor dargestellten Probleme der Erhebung von Selbstkonzepten – insbesondere quantitativer Verfahren – erscheint ein qualitativer Forschungsansatz dem Gegenstand subjektiver Sichtweisen daher als ein angemessener. Es geht in dieser Arbeit schließlich nicht um eine allgemeine Betrachtung und Einschätzung heroinabhängiger Musiker*innen. Vielmehr soll die subjektive Sichtweise einzelner Handelnder offengelegt und ein Entwicklungsprozess innerhalb der Gesamtbiographie rekonstruiert werden. Das Problem fehlender qualitativer Arbeiten wurde zuvor bereits im Rahmen der Ursachenforschung zur Suchtentstehung festgestellt. Eine der wenigen Ausnahmen in diesem Bereich geht auf Klein (1997) zurück. Auf Basis narrativer Interviews rekonstruiert er am Beispiel einzelner Heroinabhängiger Wege in die Sucht und ordnet diese zur Erstellung einer Typologie verschiedenen Strukturierungsgesetzmäßigkeiten zu. Das Konstrukt Selbst wird hierbei jedoch nicht berücksichtigt. Studien zur Drogenabhängigkeit in Verbindung mit der Erforschung von Selbstkonzepten lassen sich zwar bei Hunter et al. (1978), Kunz et al. (1985) und Fieldman et al. (1995) finden, doch auch diese zielen auf eine Quantifizierbarkeit der Daten ab. Ein qualitativer Ansatz, der sowohl das Konstrukt Sucht als auch das des Selbstkonzeptes berücksichtigt, liegt bislang nicht vor. Da das Phänomen heroinabhängiger Musiker*innen und die damit verbundene Forschungsfrage (siehe Einleitung) also bislang noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung wurden und sich weder über theoretische Ansätze im Rahmen der Suchtforschung noch über methodische Herangehensweisen bisheriger (musikbezogener) Selbstkonzeptforschung diesem Phänomen genähert werden konnte, gilt es, die bisherigen Methodologien zu erweitern, um ein angemessenes methodisches Vorgehen für dieses Forschungsvorhaben zu entwickeln.
7.
Verwendete Methodik „We achieve our personal, identities and selfconcepts through the use of the narrative configuration, and make our existence into a whole by understanding it as an expression of a single unfolding and developing story. We are in the middle of our stories and cannot be sure how they will end; we are constantly having to revise the plot as new events are added to our lives. Self, then, is not a static thing or a substance, but a configuring of personal events into an historical unity which includes not only what one has been but also anticipations of what one will be.“ (Polkinghorne 1988: 150)
Aus den vorangegangenen Gedanken ergibt sich die Notwendigkeit eines Auswertungs- und Erhebungsverfahrens, das einen lebenspannen-orientierten Zugang zur Biographie der Protagonist*innen zulässt. Es wird sich in dieser Arbeit folgernd zur Aufgabe gemacht, eine individuumzentrierte, prozesshafte und ganzheitliche Lebenslaufperspektive mit Ansätzen interpretativer Sozialforschung im Kontext von Biographieforschung zu verbinden. Insbesondere soll das weitere methodische Vorgehen darauf abzielen, aus gesellschaftsbezogener Perspektive einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit von Individuen herzustellen und sich damit verbunden den Konzeptionen ihrer Selbstbilder anzunähern. Da sich Selbstbilder einer Person auf deren Vorstellung von sich selbst sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart und Zukunft beziehen können, setzt dies ein Verfahren zur Erfassung der verschiedenen selbstbezogenen Repräsentationen voraus, anhand dessen die verschiedenen Wirklichkeiten zeit- und situationsbezogener Selbstkonzepte, die „den aktuellen Stand des ständig ablaufenden Erfahrungsverarbeitungsprozesses wiedergeben“ (Zoglowek 1995: 18), retrospektiv rekonstruiert werden können. Außerdem ist zu beachten, dass diese unterschiedlichen Selbstbilder im Laufe des Lebens eines Individuums einem stetigen Wandel unterworfen sind. Schwierig herauszufinden ist, ob oder wann Veränderungen des Selbstbildes altersbzw. entwicklungsbedingt sind (etwa aufgrund körperlicher Veränderungen erfolgen) oder ob sie durch veränderte Umgebungsbedingungen im Verlaufe des Lebens zustande kommen (vgl. Mummendey 2006: 87). Mit der Wahl eines Ansatzes, der die Entwicklung der individuellen Biographie hin zur Drogenabhängigkeit zum Gegenstand der Analyse macht, wird hierbei insbe-
140 | Methodik
sondere eine sozialwissenschaftliche Perspektive aufgegriffen. Bereits Berger et al. (1980) wiesen darauf hin, dass individuelle Biographien – auch als Lebensläufe oder Lebensgeschichten bezeichnet – von vielen Sozialwissenschaftler*innen „als Schnittpunkt von objektiver Erfahrung und subjektiver Verarbeitung“ angesehen werden. „Die aktuelle Lebenssituation und die übergreifenden gesellschaftlichen Strukturen spiegeln sich gleichermaßen in ihnen wider und damit ebenso das Individuelle und Subjektive wie das Objektive und Allgemeine. Individuelle Biographien repräsentieren weiterhin eine Abfolge subjektiv verarbeitender Ereignisse und Erfahrungen. Die Miteinbeziehung der Dimension Zeit ermöglicht es, den prozeßhaften Charakter der Herausbildung von Persönlichkeitsstrukturen, Einstellungen und Handlungsmustern zu erfassen.“ (Ebd.: 10)
Auch wenn die Analyse individueller Biographien den vielleicht konkretesten und direktesten Ansatz, die Beziehung zwischen Individuum und seiner Sozialstruktur zu erforschen darstellt, soll darauf hingewiesen werden, dass das im Folgenden erläuterte methodische Vorgehen nicht den Anspruch erhebt, das einzig richtige zu sein. Dennoch ermöglicht es auf Grundlage der zuvor erörterten theoretischen und methodologischen Auseinandersetzungen einen methodischen Zugang zum benannten Phänomen und damit eine Verbindung der erörterten Forschungsperspektiven.
7.1
METHODISCHES VORGEHEN IM KONTEXT BIOGRAPHISCHER FORSCHUNG
Frühe Formen einer Erforschung von Biographien und Lebensläufen lassen sich bereits auf das 18. Jahrhundert datieren. Nachdem die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Biographien im 19. Jahrhundert eher vernachlässigt wurde, erfuhr sie insbesondere durch die Psychologie und Soziologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen erneuten Aufschwung (vgl. Buddenberg 2012: 936; Rosenthal 2014a: 174). Im Bereich der Psychologie ist es vor allem die Psychoanalyse, die mit biographischen Verfahren in Verbindung gebracht wird, obgleich sie sich nicht unmittelbar mit gesamtlebensgeschichtlichen Verläufen beschäftigt, sondern vor allem auf biographisch relevante Erlebnisse (insbesondere in der Kindheit und Jugend) das Hauptaugenmerk richtet (vgl. Rosenthal 2014: 174). In der Soziologie hingegen – vornehmlich in der soziologischen Sektion der University of Chicago – richtete sich seit den 1920er Jahren das Interesse vornehmlich auf Alltagswelten und subjektive Sichtweisen in Verbindung mit den Bedingungsrahmen sozialer Prozesse: „Hatte Lewin in der psychologischen Erkenntnisbildung die ‚Geringschätzung des Alltags‘ kritisiert, so stand im Zentrum des Interesses der Chicago School genau die Frage, wie Menschen – aktiv als Subjekte und nicht als Forschungsobjekte – ihre Alltagswelt erleben, deuten und gestalten.“ (Schulze 2010: 571) Modellbildend für die Generation der Soziolog*innen in Chicago war die Methodologie der Migrationsstudie „The Polish Peasant in Europe and America“ von Thomas & Znaniecki (1918-1929), die den Beginn der biographischen Forschung bzw. der soziologischen Biographieforschung markiert (vgl. Fuchs-Heinritz 1999: 3, 2009: 88-89; Rosenthal 2014a: 175, 2014b: 510). Thomas’ & Znanieckis Anliegen
Verwendete Methodik | 141
war es, die sozialen Probleme von polnischen Einwanderern in den USA nicht nur aus der Perspektive der objektiven Rahmenbedingungen zu erfassen, sondern sie vertraten die Auffassung, dass auch die subjektiven Sichtweisen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen zu untersuchen seien (vgl. Rosenthal 2014a: 35, 2014b: 510). „Wir sind sicher, daß persönliche Lebensberichte - so vollständig wie möglich - den perfekten Typ von soziologischem Material darstellen, und daß, wenn die Sozialwissenschaft andere Materialien benutzen muß, dies nur auf die praktische Schwierigkeit zurückgeht, derzeit eine ausreichende Anzahl von solchen Lebensberichten zu erhalten, um das ganze Feld der soziologischen Probleme abdecken zu können, sowie auf den enormen Arbeitsaufwand, der für eine angemessene Analyse der Vielzahl von persönlichen Materialien notwendig ist, um das Leben einer sozialen Gruppe zu charakterisieren.“ (Thomas/Znaniecki 1958, II, 1832-1833)
Thomas & Znaniecki arbeiteten deutlich heraus, dass der Zugang zu subjektiven Erfahrungen und Einstellungen über autobiographische Quellen hergestellt werden könne, um „die volle lebendige und aktive soziale Wirklichkeit unterhalb der formalen Organisation der sozialen Institutionen oder hinter den statisch tabellierten Massenphänomenen“ (ebd.: 1835) zu erfassen. Die Autoren etablierten somit nicht nur die Idee, biographisches Material als soziologische Daten zu benutzen (vgl. FuchsHeinritz 1999: 3). Der Vorteil ihrer Studie lag vielmehr auch darin, dass die „Rekonstruktion sozialer Lebenswelten überhaupt und deren Nützlichkeit für Anregungen für die soziale Praxis erkannt“ (Rosenthal 2014a: 175) wurde. Dies führte dazu, dass in den Folgejahren eine Reihe an Forschungsarbeiten im Kontext der Chicago School auf dieser Methodologie aufbauend festzustellen war. Einen regelrechten „Boom“, wie es Rosenthal (2014: 175) formuliert, erfährt die Biographieforschung vor allem ab den 1970er Jahren. Bis heute expandiert das Forschungsfeld und erhält Impulse aus den unterschiedlichsten Richtungen. Nach „zersplitterten und abgebrochenen Linien“ (Fuchs-Heinritz 2009: 112) und trotz anhaltender methodologischer Diskussionen über den sozialen Status von Biographie und damit einhergehend der Legitimation von Biographieforschung, hat sich das Forschungsfeld vor allem in den Sozialwissenschaften wie auch den Erziehungswissenschaften durchgesetzt.1 Zurückführend auf die Forschungsansprüche von Thomas & Znaniecki wird in Untersuchungen biographischer Forschung der Versuch geleistet, einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und individuellen Prozessen und damit zwischen sozialer Lebenswelt und subjektiver Erfahrung zu ergründen. Daraus leitet Rosenthal (2014b) die methodologische und forschungspraktische Forderung ab, dass diese subjektiven Perspektiven der Alltagshandelnden als Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen und deren lebensgeschichtliche Genese zu rekonstruieren seien (vgl. ebd.: 510f.). Völter et al. (2005) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ‚Biographie‘ in diesen Fachwelten – anders als in alltagsweltlichen Kontexten – nicht als
1
Auch innerhalb (pop-)musikwissenschaftlicher Forschung finden Methoden der Biographieforschung ihren Einsatz. Hierbei werden insbesondere Fragen nach subjektiven Lebenswelten und Problemen des generationsbezogenen und kulturellen Wandels musikalischer Verhaltensweisen in den Fokus gerückt. Anschlüsse finden sich u.a. bei Unseld (2014), Gembris (1991, 1998) und Kraemer (1997).
142 | Methodik
individuell-psychologische Kategorie, sondern als soziales Konstrukt verstanden werde, „das Muster der individuellen Strukturierung und Verarbeitung von Erlebnissen in sozialen Kontexten hervorbringt, aber dabei immer auf gesellschaftliche Regeln, Diskurse und soziale Bedingungen verweist, die ihrerseits u.a. mit Hilfe biographischer Einzelfallanalysen strukturell beschrieben und re-konstruiert werden können“ (ebd.: 7). Biographie als soziales Konstrukt ist damit in seiner Entwicklung als auch im deutenden Rückblick immer „ein individuelles und ein kollektives Produkt“ (Rosenthal 2014b: 511) zugleich und bildet, wie es Schulze (2010: 571) zusammenfassend formuliert, „einen Schnittpunkt zwischen gesellschaftlich Vorgefundenem und handelnd konstituierten Prozessen“. Zentrales Anliegen der soziologischen Biographieforschung ist es Rosenthal (2014b: 511) zufolge nun, dieser „gegenseitigen Konstitution von Individuen und Gesellschaften gerecht zu werden“. Sie sieht die Leistung empirischer Untersuchungen von lebensgeschichtlichen und kollektivgeschichtlichen Prozessen insbesondere in deren Wechselwirkung, welche sie mit folgenden grundlagentheoretischen Vorannahmen verknüpft (vgl. hierzu auch Rosenthal 2014a: 178): Zum einen benennt sie die Prämisse, dass zum Verständnis von sozialen oder psychischen Phänomenen ihre Genese, d.h. der Prozess ihrer Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung im Kontext des individuellen Lebenslaufs rekonstruiert werden müsse. Sie knüpft hierbei an den Gedanken Meads (1978) an, dass das Handeln einer Person nur in seiner Eingebundenheit in die Gesellschaft sinnvoll analysiert werden könne (vgl. ebd.: 186). Des Weiteren fordert sie, dass sowohl die Perspektive der Handelnden als auch ihre Handlungsabläufe selbst analysiert werden müssten, um ihr jeweiliges Handeln verstehen und erklären zu können. Zum Verständnis von Aussagen der Handelnden über bestimmte Themenbereiche und Erlebnisse der Vergangenheit setzt Rosenthal ebenso voraus, dass der Gesamtlebenslauf des gegenwärtigen Lebens einer Interpretation unterzogen werden müsse. Um gerade Letzterem gerecht zu werden, wird in der soziologischen Biographieforschung im Zuge der Interpretation der gesamten Lebensgeschichte sowohl die Genese als auch ihre Konstruktion in der Gegenwart der Betrachtung unterzogen. Einzelne Bereiche oder Erfahrungen der Lebensgeschichte sollten Rosenthals Auffassung zufolge erst analysiert werden, wenn die Gesamtstruktur der Lebensgeschichte erfasst ist (vgl. ebd.: 179). Diese Auffassung lässt sich auch in Verbindung mit Diltheys (1968) Programm der Grundlegung von Sinnbildungsprozessen bringen, wenn er von der Herstellung von ordnenden Zusammenhängen als sinnhervorbringende „Kategorie des Lebens“ (ebd.: 195) spricht (vgl. hierzu auch Ruppert 2010: 94). Für Dilthey besteht der Lebenslauf aus Teilen und Erlebnissen, die in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen: „Jedes einzelne Erlebnis ist auf ein Selbst bezogen, dessen Teil es ist; es ist durch die Struktur mit anderen Teilen zu einem Zusammenhang verbunden.“ (Ebd.) Diese Zusammenhangsbildung, wie sie bei Dilthey beschrieben ist, bezeichnet Marotzki (2010: 179) als „eine Leistung des Bewusstseins, das Beziehungen zwischen Teilen und einem Ganzen ständig herstellt und in neuen biographischen Situationen überprüft bzw. modifiziert“. Dilthey zufolge organisiert das vom Subjekt hervorgebrachte Konstrukt – also die Biographie in ihrer Gesamtstruktur – Erfahrungen und Ereignisse des gelebten Lebens über Akte der Bedeutungszuschreibung zu einem Zusammenhang. Bei Marotzki (2010) heißt es angelehnt an Dilthey hierzu:
Verwendete Methodik | 143
„Bedeutung wird von der Gegenwart aus vergangenen Ereignissen verliehen. Die Erinnerungen, die jemand von seinem Leben noch aktualisieren kann, sind jene, die ihm bedeutungsvoll in einem Gesamtzusammenhang erscheinen, durch die er sein Leben strukturiert. Nur wo solche vom Subjekt gestifteten Sinnzusammenhänge vorhanden sind, ist auch Entwicklung möglich.“ (Ebd.: 179)
Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass soziale und psychische Phänomene an subjektive Erfahrungen gebunden sind, die es gilt, aus der jeweiligen Gegenwartsperspektive zu erheben, so müssen wir uns darüber bewusst sein, dass die Biographie des jeweiligen Individuums immer wieder neu in der Gegenwart des Erzählens oder Schreibens entsteht, oder wie es Rosenthal formuliert: „Die gegenwärtige Lebenssituation bestimmt den Rückblick auf die Vergangenheit bzw. erzeugt eine jeweils spezifische Vergangenheit.“ (Rosenthal 2014a: 179) Biographieforschung wird also als Konstruktionsleistung des Subjekts verstanden, wie es Erlebnisse damals und heute deutet und versucht, sein Leben in einen Sinnzusammenhang, d.h. in das sozialwissenschaftliche Konstrukt ‚Biographie‘ einzubetten (vgl. Rosenthal 2014a: 182). Im Zusammenhang mit der Rekonstruktion von Lebensgeschichten sind nun vor allem die biographischen Deutungsmuster und Interpretationen des Biographieträgers bzw. der Biographieträgerin von Interesse. Doch wie lassen sich solche Deutungsmuster mit Blick auf einzelne Bereiche der Alltagswelt – insbesondere in Bezug auf Wirkzusammenhänge von Handlungsstrukturen der konkreten Fälle – aufdecken? Hierfür stellen vor allem qualitativ-interpretative Verfahren einen möglichen Lösungsansatz dar: „Um Unterschiede zu quantitativen Verfahren, die über viele Fälle hinweg aufgrund des häufigen gemeinsamen Auftretens von einzelnen Variablen auf Zusammenhänge zwischen den Variablen schließen lassen bzw. statistisch belegbare Zusammenhänge aufzuweisen, geht es hier darum aufzuzeigen, wie sich der Wirkzusammenhang von einzelnen Phänomenen genau gestaltet. Dabei geht es nicht darum, dem den physikalischen Naturwissenschaften entlehnten Modell von linearen Kausalzusammenhängen bzw. von Ursache- Wirkungsbeziehung zu folgen, sondern zu versuchen, die wechselseitige Wirkungsbeziehung der einzelnen Komponenten zu rekonstruieren.“ (Rosenthal 2014a: 22).
7.2
INTERPRETATIVE DATENANALYSE
Interpretative Datenanalyse zielt auf das deutende Verstehen von Sinnstrukturen ab mit dem Ziel nachzuvollziehen, „welche (überindividuellen und sozial verankerten) Sinnstrukturen dem Handeln und Denken der Akteure zugrunde liegt“ (Kleeman 2013: 17). Sie ist insbesondere Teil der verstehenden Soziologie (Soeffner 2014: 35) und befindet sich in der Tradition einer empirisch hermeneutischen Wissenschaft, die bereits von Max Weber (2005: 3) als eine solche charakterisiert wurde, die „soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf seinen Wirkungen ursächlich erklären will“. Anknüpfend an Theorien im Kontext des symbolischen Interaktionismus’ wird von der Vorstellung ausgegangen, dass jegliches Handeln im Alltag auf Interpretationen beruhe und wir uns selbst, unseren Mitmenschen und unserer Umgebung immer
144 | Methodik
deutend gegenübertreten (siehe hierzu auch Soeffner 2013). Interpretative Verfahren verbindet die Annahme, dass „Menschen auf der Grundlage ihrer Deutungen der sozialen Wirklichkeit handelnd und diese Wirklichkeit nach bestimmten sozialen Regeln immer wieder neu interaktiv herstellen“ (vgl. Rosenthal 2014a: 38). Es gilt daher herauszufinden, wie die zu Erforschenden ihr Alltagshandeln und damit verbunden ihre Auffassung von Wirklichkeit rekonstruieren und interpretieren. Zentrale methodische Prinzipien interpretativer Verfahren sind dabei das Prinzip der Kommunikation und das Prinzip der Offenheit. Zu ersterem ist Hoffmann-Riem (1989) der Auffassung, dass der Zugang zu bedeutungsstrukturierten Daten im Allgemeinen nur durch das Erstellen einer Kommunikationsbeziehung mit dem Forschungssubjekt möglich und insbesondere dessen kommunikatives Regelsystem zu beachten sei (vgl. ebd.: 343). Dies habe laut Rosenthal (2014a) zur Folge, dass die Forschenden das methodische Vorgehen im Zuge der Datenerhebung so gestalten müssten, „dass die Prozesse der interaktiv ausgebildeten und hergestellten Rahmungen der sich vollziehenden Modifikationen sichtbar werden“ (ebd.: 43). Wenn also im Rahmen interpretativer Verfahren in einen Kommunikationsprozess mit den Handelnden eingetreten wird, bedarf es folglich kommunikativer Verfahren, „die Raum für die alltäglichen Prozesse der Verständigung und Bedeutungshandlung lassen“ (ebd.). Rosenthal behauptet in diesem Zusammenhang, dass Thema und Art der Präsentation des Lebensalltags der Handelnden von der Rahmung der Erhebungssituation abhängig sei. Rosenthal – wie auch zuvor Hoffmann-Riem – bezieht sich hierbei auf Schütze et al. (1976), nach deren Vorstellungen der Prozess der Verständigung entsprechend des Regelsystems des Alltags zu gestalten sei, um die Darstellung und Definition der Alltagswelt der Handelnden und damit einhergehendes Verhalten zum Ausdruck zu bringen. Hieraus leitet sich eine Orientierung am Relevanzsystem der Alltagshandelnden ab und damit einhergehend die vorläufige Zurückstellung der eigenen wissenschaftlichen und alltagsweltlichen Annahmen (vgl. Schütz 1971: 6). Anknüpfend an das Prinzip der Offenheit bedeutet dies vor allem die Zurückstellung der Forschungsfrage und bereits formulierter Hypothesen. Rosenthal (2014a) plädiert im Rahmen interpretativer Verfahren ohnehin dafür, eben nicht von theoretischen Vorannahmen und einer klar umrissenen Frage auszugehen und den Forschungsprozess nicht mit einem Set von Hypothesen zu beginnen (vgl. ebd.: 47). Dies bedeutet jedoch keinen völligen Theorieverlust, der „Legitimationsverzicht und das Abgleiten in Beliebigkeit“ (Soeffner 2014: 35) zur Folge hätte. Vielmehr sei Rosenthal (2014a: 49) zufolge durch das Zurückstellen bzw. vorläufige Einklammern von Hypothesen die Planung einer Erhebung gemeint, die eine Entdeckung von neuen Erklärungen ermögliche: „Der Anspruch an offene Verfahren ist, dass wir diese nicht entsprechend unseren Vorannahmen strukturieren, sondern sie so weit als möglich offen gestalten. [...] Das Prinzip der Offenheit erfordert in erster Linie eine Haltung der Sozialforscher*innen, die der Bereitschaft zur Entdeckung von Neuem, der Offenheit zum Sich-Einlassen auf das empirische Feld und zur Veränderung ihres Vorwissens bedarf.“
Meinefeld (2000: 271) merkt in diesem Zusammenhang jedoch an, dass jede Wahrnehmung nur unter Rückbezug auf die eigenen Deutungsschemata an Bedeutung gewinne. Er sieht das Vorwissen unserer Wahrnehmung damit zwar als unvermeidliche
Verwendete Methodik | 145
Grundlage jeder Forschung an, das jedoch nicht zwangsläufig im Konflikt mit dem Prinzip der Offenheit stehe: „Keineswegs aber muss dies bedeuten, für neue Beobachtungen nicht mehr offen zu sein. Wenn wir lernen, zwischen der prinzipiellen methodischen Offenheit und der Expliziertheit, mit der das Vorwissen reflektiert und ausformuliert wird, zu unterscheiden, wird es möglich, die Formulierung von Hypothesen mit dem Rekonstruieren gegenstandsspezifischer Bedeutungsinhalte zu vereinbaren. Die Offenheit für das Neue hängt gerade nicht davon ab, dass wir auf der inhaltlichen Ebene das Alte und Bekannte nicht bewusst gemacht haben, sondern davon, in welcher Weise wir die Suche nach dem Neuen methodisch gestalten.“ (Ebd.: 272)
Wird nun in Anlehnung an Schütze (1977, 1983, 1987) davon ausgegangen, dass subjektive Deutungsmuster und Prozessstrukturen des Lebenslaufs am besten über Erzählungen zugänglich gemacht werden können, so bedeutet dies für interpretative Forschungsverfahren, dass Erhebungs- und Auswertungsmethoden so gestaltet sein müssen, dass Prozesse der kommunikativen Interaktion erzeugt werden können. Als rekonstruierende Methode zur Erhebung selbstbezogener Daten eignet sich folglich ein Verfahren wie das des qualitativen Interviews, das es ermöglicht, Erzählungen zu generieren und damit narratives Wissen hervorzubringen. Das im Folgenden dargestellte biographisch-narrative Interview wird diesen Ansprüchen besonders gerecht.
7.3
ERHEBUNGSVERFAHREN: BIOGRAPHISCH-NARRATIVES INTERVIEW
„Die angemessenste und zugleich einfachste Art, etwas über die Selbst- und Weltansicht einer Person zu erfahren, ist die Befragung eben dieser Person“, heißt es bei Zoglowek (1995: 69), der sich mit seiner Aussage auf Spaemann & Löw (1981) bezieht. Aus theologischer Sicht gehen die beiden Autoren davon aus, dass sich die subjektive Sichtweise eines Individuums – und damit dessen subjektiv konstruierte Wahrheit – rekonstruieren lässt, „wenn wir den Menschen selbst sprechen. Was er selbst denkt, meint, fühlt und will, erfahren wir nur, wenn wir, ehe wir über ihn sprechen, mit ihm gesprochen haben. Mit ihm sprechen heisst nicht nur: ihn Fragen beantworten zu lassen, die wir ihm stellen. Das kann genügen, wo uns ein spezifisches Erkenntnisinteresse leitet, wo wir z.B. die Eignung als Filialleiter oder Pilot testen wollen. Wo es uns darum geht, ihn ‚als ihn selbst kennenzulernen‘, müssen wir unseren Interviewbogen zur Seite tun und uns in Umgang und Gespräch einlassen, in welchem nicht wir allein mehr ‚Herr des Verfahrens‘ sind“ (Spaemann/Löw 1981: 15).
Marotzki (2010: 15) sieht vor allem im narrativen Interview eine geeignete Erhebungsmöglichkeit, die es zulässt – wie zuvor von Spaemann & Löw (1981) gefordert, den „Interviewbogen zur Seite zu tun“ und sich den verschiedenen Selbstbildern und Sinnzusammenhängen einzelner Individuen zu nähern, welche von diesen selbst konstruiert und dargestellt werden.
146 | Methodik
Auf der Annahme basierend, dass sich in direkten Interaktionen durch Initiierung spontanen Erzählens biographische Ereignisse am überzeugendsten darstellen lassen, die analog zu den erinnerten Erlebnissen des Erzählens aufgebaut sind (vgl. Küsters 2014: 575; Rosenthal 2014b: 512), entwickelte Schütze2 (1977) im Kreis der in den 1970er Jahre aktiven Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen mit dem biographischnarrativen Interview ein durch die Erzählforschung und Linguistik angeregtes „universell einsetzbares Forschungsinstrument“ (Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997: 136).3 Mit der Technik des narrativen Interviews wurde eine offene Interviewform konzipiert, die sich der Kritik an standardisierten Befragungen entgegenstellt, indem sie eben nicht dem sonst üblichen Frage- und Antwortschema folgt, sondern den Befragten die Ausgestaltung des Interviews im Hinblick auf Thematik und Verlauf weitgehend selbst überlässt (vgl. hierzu auch Hermanns 1992: 119; Küsters 2009: 21). Gleichzeitig ist das narrative Interview „eine derjenigen Erhebungs- und Analyseverfahren, welche die Erfahrungs- und Orientierungsbestände des Informanten bei weitgehender Zurücknahme des Forschereinflusses unter den Relevanzgesichtspunkten des Informanten möglichst immanent zu rekonstruieren versucht“ (Schütze 1987: 254). Anstatt die erzählende Person in distanzierter Weise zu ihrem Handlungsgeschehen zu befragen, soll sie dazu gebracht werden, vergangenes Geschehen so wieder zu erleben, dass Erinnerungen daran möglichst umfassend in einer Erzählung reproduziert werden (vgl. Küsters 2009: 21). Die Gesprächssituation soll dabei eine am tatsächlichen Handeln orientierende Alltagskommunikation imitieren und damit an die Relevanzsetzung der Befragten anknüpfen, um wissenschaftliche Konstruktionen auf den Konstruktionen des Alltags der Handelnden aufzubauen. Anders als in der alltäglichen Interaktion ist der Gesprächsanteil jedoch in monologischer Weise der zu befragenden Person überlassen, während die Interviewerin bzw. der Interviewer zunächst die Rolle des/der aufmerksam Zuhörenden einnimmt, der/die nicht thematisch interveniert. Küsters (2009) stellt hierzu fest: „Die Interviewsituation ist dadurch zwar künstlich, aber sie basiert dennoch auf natürlichen Kommunikationsmechanismen und versucht, sich diese zunutze zu machen. Das Hauptziel des alltäglichen Stegreif-Erzählens ist es nämlich, eine unbeteiligte und unwissende Person so umfassend wie nötig zu informieren, um ihr die Teilhabe an einem vergangenen Handlungszusammenhang zu ermöglichen und so ihr Verständnis für den Gang der Geschichte und die eigenen
2
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Zu Schützes Einflüssen zählt Küsters (2009) insbesondere die phänomenologisch orientierte Soziologie nach Alfred Schütz, den aus der Chicago School und der Rezeption Herbert Meads hervorgegangenen Symbolischen Interaktionismus, die Ethnomethodologie, die Konversationsanalyse sowie die Grounded Theory von Anselm Strauss und Barney Glaser (vgl. ebd.: 18). Das biographisch-narrative Interview wurde in unterschiedlich thematischen wie auch geographischen Kontexten getestet, kontinuierlich weiterentwickelt und hat sich mittlerweile eine zentrale Stellung als Erhebungsverfahren innerhalb der soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung verschafft (vgl. hierzu auch Jakob 2010; Mey/Mruck 2010; Sackmann 2007).
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Handlungsentscheidungen zu erwirken. Man lässt die vergangenen Geschehnisse ‚wiederaufleben‘, lässt sie den Zuhörer in der Erzählung ‚miterleben‘.“ (Ebd.: 22)
Das Stegreiferzählen leitet die erste Phase des Ablaufs narrativer Interviews ein, in welcher der Erzählende durch den Impuls einer Eröffnungsfrage, eines sogenannten Erzählstimulus der Interviewerin bzw. des Interviewers, dazu aufgefordert wird, seine gesamte Lebensgeschichte ohne Unterbrechung darzustellen und damit eine möglichst spontane, unvorbereitete Erzählung in Gang zu setzen. Dadurch, dass den Interviewten eine aktive Rolle im Gesprächsverlauf zugeordnet wird, kann durch die Technik des narrativen Interviews das zuvor diskutierte Prinzip der Offenheit am konsequentesten umgesetzt werden. Offenheit gegenüber den Relevanzen und Deutungen der Redner*innen wird vor allem dadurch erzeugt, dass die Frage möglichst so gestellt wird, dass die Kommunikation der erzählenden Personen weitestgehend selbst strukturiert werden kann, d.h. Anfangs-, Entwicklung- und Endpunkte der erhobenen Prozesse werden von den Redner*innen selbst gesetzt (vgl. Küsters 2014: 575). Bohnsack (2008) ergänzt hierzu, dass die Befragten selbst offenlegen sollen, wie sie die Fragestellung interpretieren, damit die Art und Weise, wie sie die Fragen übersetzen, und damit ihre Relevanzsysteme erkennbar werden (vgl. ebd.: 20). Ausgehend von diesen Gedanken und im Hinblick auf die Aufschichtung von Erlebnissen im Gedächtnis entwickelten Schütze et al. die Erzähltheorie, dass persönliche Erlebnisse sich in der Situation ihres Lebens als sogenannte „kognitive Figuren“ (Kallmeyer/Schütze 1977: 176; Küsters 2014: 576) im Gedächtnis verorten, die bei einer ad-hoc formulierten Stegreiferzählung reproduziert werden. Hiermit ist zwar nicht gemeint, dass Erzählung deckungsgleich ist mit dem tatsächlichen Erleben in der Vergangenheit. Dennoch ermöglicht die Erzählung eine größere Annäherung an dieses als andere sprachliche Darstellungen und kann zurückliegende „Eindrücke, Gefühle, sinnliche und leibliche Erfahrungen oder bisher zurückgedrängte Komponenten der erinnerten Situation vorstellig machen, an die man sich lange nicht mehr erinnert oder über die man noch nie gesprochen“ (Rosenthal 2014b: 512f.) oder die man verdrängt hat. Hopf (2010: 357) behauptet in diesem Zusammenhang auch, dass Befragte, die frei erzählten, auch Erinnerungen und Gedanken preisgäben, die sie auf direkte Fragen nicht äußern könnten oder wollten. Gleichzeitig können an dem Erzählten aber auch redigierende Eingriffe erkennbar werden, wenn die erzählende Person beispielsweise zögert, ins Stocken gerät, schweigt oder die Textsorte wechselt. Hierbei werden besonders die „Zugzwänge der Sachverhaltsdarstellung“ (Kallmeyer/ Schütze 1977: 162) deutlich, die die Regeln der Alltagserzählung bestimmen und damit eine erzähltheoretische Fundierung des narrativen Interviews konstituieren:4 An die Ausführungen von Mey & Mruck (2010) angelehnt sind die Interviewten nicht nur dem Zwang ausgesetzt, subjektiv Bedeutendes hervorzuheben (Relevanzsetzung) und zu raffen (Kondensierung), sondern sie sind gleichermaßen dazu verleitet, so detailliert und ausführlich zu sein (unter Darstellung der wesentlichen Schauplatzcharakteristiken, der beteiligten Akteure und der eigenen Selbst-Positionierung),
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Detaillierte Ausführungen zur Gesprächsanalyse lassen sich u.a. bei Kallmeyer & Schütz (1976, 1977) finden sowie in komprimierter Form u.a. bei Bohnsack (2008), Küsters (2009), Rosenthal & Loch (2002) und Rosenthal (2014a).
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dass die Erzählung für Zuhörende verständlich wird (Detaillierung) (vgl. ebd.: 424). Sie sind außerdem „gezwungen, ihre (Lebens-)Geschichte vom (durch die Interviewenden gesetzten zeitlichen) Beginn bis zum Ende zu erzählen, damit diese nachvollziehbar wird (‚Gestaltschließung‘)“ (ebd.). Das ‚Verstricken‘ in diese Zugzwänge führt in der Stegreiferzählung dazu, dass sich im Gesprächsverlauf eine Eigendynamik entwickelt, die sich in Form narrativer Sequenzen letztendlich auch im generierten Datentext herausbildet. Wird in diesem Zusammenhang der Vorstellung gefolgt, dass einzelne Sequenzen einer biographischen Selbstrepräsentation in ihrer manifesten und latenten Bedeutung für den Interviewten nur in ihren Verweisungen auf das umgebende thematische Feld erfasst werden können, so fordern Fischer-Rosenthal & Rosenthal (1997), müsse man ihm auch die Möglichkeit zur Gestaltung dieses Raums geben (ebd.: 143). Den Autoren zufolge wird die Bedeutung einzelner Phasen der Lebensgeschichte nämlich – sowohl im damaligen Erleben als auch in der heutigen Präsentation – erst im Wie ihrer Positionierung innerhalb der biographischen Darstellung rekonstruierbar. Anders ausgedrückt: „Wie der Autobiograph seine Präsentation gestaltet, worüber er erzählt, argumentiert, oder was er ausläßt, gibt uns Aufschluß über die Struktur seiner biographischen Selbstwahrnehmung und die Bedeutung seiner Lebenserfahrungen.“ (Ebd.) Der Gesprächsverlauf der Interviewten wird demzufolge grundsätzlich nicht unterbrochen, d.h. es werden keine Detaillierungsfragen gestellt, sondern lediglich Notizen angefertigt, die im weiteren Verlauf als personenbezogener Leitfaden für Nachfragen dienen können. Die Interviewten sind in ihrer Entscheidung frei darüber, wann und was sie erzählen wollen sowie was sie nicht erwähnen und welches Thema sie in welcher Textsorte darstellen wollen. Erst wenn der/die Interviewte die Haupterzählung und damit seine/ihre biographische Selbstpräsentation selbst beendet bzw. durch die Formulierung einer sogenannten Koda wie ‚So, das war’s, mehr weiß ich nicht‘ den Erzählprozess ausdrücklich abschließt, wird in die nächste Phase von internen und externen Nachfragen5 übergegangen. Während im internen Nachfrageteil Fragen formuliert werden, die sich an den zuvor notierten Stichpunkten während der Haupterzählung orientieren, d.h. auf Ungeklärtes und Offengebliebenes abzielen, bietet der externe Nachfrageteil die Möglichkeit, an die eigene Forschungsfrage angelehnte Nachfragen zu stellen. In dieser Phase erhält der Interviewer bzw. die Interviewerin die Rolle zur aktiven Gestaltung der Gesprächsführung. Dennoch gilt es auch in diesem Teil, die Fragen so offen wie möglich zu formulieren, um die Befragten zu weiteren Erzählungen zu motivieren. Zum Abschluss des Interviews kann eine Erhebung der sozio-demographischen Daten erfolgen, sofern diese noch nicht im Haupt- oder Nachfrageteil zur Sprache gekommen sind. In der Regel wird das Interview durch die Aufforderung zur Gesamtbewertung des Gesprächs durch die Interviewten beendet. Zusammenfassend hält Schütze ([1983], 2016) über die Leistung seiner Forschungsmethode fest: „Das autobiographische narrative Interview erzeugt Datentexte, welche die Ereignisverstrickung und die lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtung des Biographieträgers so lückenlos
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Bei anderen Autor*innen (wie Küsters 2009: 577 oder Jakob 2010: 225) werden hierbei auch die Begrifflichkeiten der immanenten und exmanenten Nachfrage verwendet.
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reproduzieren, wie das im Rahmen systematischer sozialwissenschaftlicher Forschung überhaupt nur möglich ist. Nicht nur der ‚äußere‘ Ereignisablauf, sondern auch die ‚inneren Reaktionen‘, die Erfahrungen des Biographieträgers mit den Ereignissen und ihre interpretative Verarbeitung in Deutungsmustern, gelangen zur eingehenden Darstellung.“ (Ebd.: 57)
Es stellt sich folglich die Frage, wie methodisch kontrolliert „durch den oberflächlichen Informationsgehalt des Textes hindurch“ (ebd.: 57) zu tieferliegenden Sinn- und Bedeutungsschichten gelangt und der Rekonstruktionsvorgang intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden kann. „Um der Differenz zwischen der gegenwärtigen Perspektive auf die Vergangenheit und den sich im Laufe des Lebens immer wieder verändernden Perspektiven in früheren Gegenwarten auf die Vergangenheit gerecht zu werden“ (Rosenthal 2010: 197), ist somit eine gezielte methodologische Reflexion sowie ein methodisch kontrolliertes Vorgehen notwendig. Erzählte Lebensgeschichten – ob mündlich erzeugt oder schriftlich verfasst – bilden im Rahmen interpretativer Biographieforschung das „Ausgangsmaterial zur Rekonstruktion bestimmter sozialer Milieus und sozialen Handelns in seiner Entstehungsgeschichte und unter Berücksichtigung der Eigendeutungen durch die Gesellschaftsmitglieder selbst“ (Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997: 135). Nach Rosenthal (2010) geben biographische Erzählungen Auskunft über die Gegenwart als auch über die Vergangenheit und Zukunft der/des Erzählenden: „Ebenso wie sich das Vergangene aus der Gegenwart und der antizipierten Zukunft konstituiert, entsteht die Gegenwart aus dem Vergangenen und dem anvisierten sowie avisierten Zukünftigen.“ (Ebd.: 216f.) Im Folgenden wird daher besonderer Wert auf die Darstellung der Auswertung biographischer Daten und die Dokumentation darauf bezogener Analyseschritte sowie auf die Herstellung einer damit einhergehenden Interpretationstransparenz gelegt. Als geeignetes Verfahren erweist sich hierbei die biographische Fallrekonstruktion nach Rosenthal (u.a. 1995, 2014a), in welchem sie Elemente der Methodologie des narrativen Interviews, der Text- und Erzählanalyse mit Auswertungsprinzipen der Objektiven Hermeneutik und der Gestalttheorie verbindet.
7.4
AUSWERTUNGSVERFAHREN: BIOGRAPHISCHE FALLREKONSTRUKTION
Die Verwendung von Methoden biographischer Forschung hat sich für die Analyse von Interaktionszusammenhängen als Untersuchungseinheit in unterschiedliche Richtungen ausdifferenziert. Mit Hilfe von verschiedenen Verfahren wie der Biographie-, Narrations-, Kommunikations-, Interaktions-, Diskurs- und Ethnographieanalyse (vgl. hierzu auch Rosenthal 2014a; Schulze 2010; Völter et al. 2005) lassen sich sowohl Analysen des gelebten Lebens bzw. spezifischer Lebensbereiche oder -phasen von bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen als auch Rekonstruktionen bestimmter sozialer Settings aus der Perspektive der Biographieträger*innen in spezifischen Epochen und sozialen Kontexten ausfindig machen (vgl. Rosenthal 2014b: 511-512). Gemeinsam ist diesen Verfahren ihre rekonstruktive und sequenzi-
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elle Vorgehensweise wie sie im weiteren Verlauf am Verfahren der biographischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2014a, 1995) dargestellt wird. Rosenthal (2014a) zufolge ist mit rekonstruktiv gemeint, dass die Bedeutung einzelner Passagen aus dem Gesamtzusammenhang des Interviews erschlossen wird (vgl. ebd: 55-56, 186). Dies bedeutet, dass soziale Phänomene im „Prozess ihrer interaktiven (Wieder-)Herstellung rekonstruiert“ (ebd.: 56) und eben nicht als statisch aufgefasst werden. Oder wie es Oevermann (1981) formuliert: „Im Terminus ‚Fallrekonstruktion‘ soll zum Ausdruck kommen, daß es um ein erschließendes Nachzeichnen der fallspezifischen Strukturgestalt in der Sprache des Falles selbst, also um die schlüssige Motivierung eines Handlungsablaufs in Begriffen des konkreten Handlungskontextes geht, und dieses Vorgehen im scharfem Gegensatz zur üblichen subsumtionslogischen Kategorisierung und Klassifikation von primärem Datenmaterial unter vorgefaßte theoretische Kategorien geht.“ (Ebd.: 4)
Als sequenziell wird im Rahmen des vorgestellten Verfahrens die Interpretation von kleinen Texteinheiten in sequenzieller Gestalt in der Abfolge ihres Entstehens verstanden (vgl. ebd.). Schütze (2016: 56) geht davon aus, dass die Lebensgeschichte eine „sequenziell geordnete Aufschichtung größerer und kleinerer in sich sequenziell geordneter Prozeßstrukturen“ sei. Ihm zufolge verändere sich die jeweilige Gesamtdeutung der Lebensgeschichte mit dem Wechsel der Prozessstruktur im Fortschreiten der Lebenszeit (vgl. ebd.). Solche Prozessstrukturen lassen sich durch die unter Einsatz des narrativen Interviews hervorgebrachten wechselnden Deutungen im Erzähltext hindurch erfassen. Der Differenz und Interdependenz zwischen erlebter und erzählter Wirklichkeit wird bei dem vorgestellten Verfahren zentrale Aufmerksamkeit gewidmet. Rosenthal (1995: 20) versteht die erlebte Lebensgeschichte „weder als ein sich konstant darbietendes Objekt, das je nach Perspektive und Stimmung vom Autobiographen bzw. der Autobiographin unterschiedlich erinnert oder präsentiert wird, noch als ein durch die Zuwendung beliebig konstruierbares Objekt“. Hingegen ist sie der Auffassung, dass die erlebte und erzählte Lebensgeschichte in einem wechselseitig konstituierenden Verhältnis stehe: „Die erzählte Lebensgeschichte konstituiert sich wechselseitig aus dem sich dem Bewußtsein in der Erlebenssituation Darbietenden (Wahrnehmungsnoema) und dem Akt der Wahrnehmung (Noesis), aus den aus dem Gedächtnis vorstellig werdenden und gestalthaft sedimentierten Erlebnissen (Erinnerungsnoemata) und dem Akt der Zuwendung in der Gegenwart des Erzählens.“ (Ebd.)
Dies bedeutet, dass sowohl die erzählte Lebensgeschichte (life story), als auch die erlebte Lebensgeschichte (life history) der Biographin oder des Biographen in getrennten Schritten einer sequenziellen Analyse unterzogen werden. „Erzählte Lebensgeschichten verweisen damit immer sowohl auf das heutige Leben mit der Vergangenheit wie auch auf das damalige Erleben dieser vergangenen Ereignisse. Wollen wir interpretative Fehlschlüsse vermeiden, sind wir genötigt, beide Ebenen – die erlebte und die erzählte Lebensgeschichte – zu rekonstruieren.“ (Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997: 148)
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Das Verfahren der biographischen Fallrekonstruktion stellt nicht nur die Deutungen der untersuchten Person in der Gegenwart in den Fokus, sondern gibt einen Einblick in die Genese und die sequenzielle Gestalt der Lebensgeschichte sowie die Rekonstruktion von Handlungsabläufen in der Vergangenheit und des damaligen Lebens. Ziel des Verfahrens ist es, in analytisch getrennten Auswertungsschritten sowohl die Gegenwartsperspektive als auch die Perspektiven des Handelnden in der Vergangenheit zu rekonstruieren (vgl. Rosenthal 2014a: 186). Für die Erhebung der Daten setzt Rosenthal (vgl. ebd.) das Verfahren des biographisch-narrativen Interviews – wie es im vorangegangenen Kapitel detailliert beschrieben wurde – voraus. Die biographische Fallrekonstruktion setzt sich aus sechs aufeinander folgenden Auswertungsschritten zusammen: 1. Analyse der biographischen Daten (Ereignisdaten) 2. Text- und thematische Feldanalyse (Analyse der Textsegmente – Selbstpräsentation/erzähltes Leben) 3. Rekonstruktion der Fallgeschichte (erlebtes Leben) 4. Feinanalyse einzelner Textstellen (kann jederzeit erfolgen) 5. Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte 6. Typenbildung Dem „Prinzip der Offenheit“ (im Sinne Hoffmann-Riems 1980) zufolge betont Rosenthal (2002, 2014a) in diesem Zusammenhang, dass die vorläufige Zurückstellung der Forschungsfrage zu Beginn der Auswertung entscheidend sei. Erst nach abgeschlossener Fallrekonstruktion solle sich der vorab formulierten allgemeinen Forschungsfrage und der Erklärung der damit zusammenhängenden sozialen und psychischen Phänomene wieder zugewendet werden (vgl. ebd.: 187). 7.4.1 Schritt 1: Analyse der biographischen Daten (Ereignisdaten) 6 In diesem ersten Auswertungsschritt werden alle genannten biographischen Daten7, die zunächst möglichst noch nicht an die Selbstdeutungen der Biographin oder des Biographen gebunden sein sollen (z.B. Geburt, Anzahl der Geschwister, Ausbildung, Krankheit, Familienhintergründe, Wohnortwechsel, Gesellschaftsereignisse etc.), in chronologischer Reihenfolge als Einzeldaten (nicht als Zeitspannen) analysiert. Es werden in der Logik der Objektiven Hermeneutik zunächst nur die Daten aus dem
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Folgende Ausführungen beziehen sich auf die angegebenen Quellen sowie auf Mitschriften und Arbeitsmaterialien, die im Rahmen der Teilnahme am Quatext-Auswertungsworkshop „Interpretative Textanalyse / Biographische Fallrekonstruktion“ (am 25.2.2017 unter der Leitung von Dr. Ina Alber, Institut für Soziologie Göttingen) angefertigt bzw. zur Verfügung gestellt wurden. Es wird sich hierbei auf die Begriffsdefinition nach Oevermann (et al. 1980) bezogen, der ein „biografisches Datum“ als Datum und einzelne Station definieren, die sich zeitlich einordnen lässt und (durch andere Quellen) überprüfbar ist.
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transkribierten Interview eines Falles verwendet. Es können jedoch je nach Forschungsinteresse alle – diesen Einzelfall betreffenden – weiteren zur Verfügung stehenden Dokumente (z.B. Interviews mit Familienmitgliedern oder Freunden, andere Biographien, Social Media Accounts, Mail- oder Chatverläufe etc.) hinzugezogen werden. Auch relevante Daten zu zeithistorischen Ereignissen werden im Rahmen dieses Schrittes recherchiert und in den jeweiligen (historischen) Kontext der Fallgeschichte eingebettet. Gleichermaßen gilt es, den sozialisationstheoretischen bzw. entwicklungspsychologischen Kontext zu den einzelnen Lebensdaten zu betrachten (vgl. Rosenthal 2014a: 188). In der sequenziellen Analyse des gelebten Lebens sind zunächst sämtliche Handlungsoptionen in Bezug auf die Bedeutung, die die jeweilige Situation für die Biographin oder den Biographen gehabt haben könnte, zu prüfen (vgl. Kötter 2008; Mendi 2009b: 49). Folgernd werden zu jedem spezifischen Datum Hypothesen zu möglichen vernünftigen Handlungsoptionen, auch resultierend aus Handlungsproblemen und Handlungsalternativen, gebildet (vgl. Rosenthal 2014a: 188). Fragen an das jeweilige Datum sind zum Beispiel: • In welche Familienkonstellation wird der Biograph/die Biographin hineingeboren?
Wie ist die sozioökonomische, kulturelle, soziale Bildungs- Situation? Was bedeutet das Datum für die Familie? • Was kennzeichnet die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Geburt? • Welche Handlungsprobleme können beim jeweiligen Ereignis auftreten? Welche Handlungslösungen/-strategien könnten von der Biorgraphin/dem Biographen entwickelt werden? Infolgedessen werden von dem Gedanken „Wenn Hypothese XY zutrifft, dann könnte sich dies im Verlauf der Daten zeigen durch...“ ausgehend bei der Auswertung der Daten immer wieder nach abduktivem Verfahren Folgehypothesen („Welche möglichen Auswirkungen auf die Zukunft hätte das, d.h. wie kann sich dies in der folgenden Lebensgeschichte zeigen?“) über den potenziellen Fortlauf der Fallgeschichte entworfen. Anhand der tatsächlich eintreffenden Handlung der Biographin oder des Biographen kann die zuvor aufgestellte Hypothese zur Handlungsmöglichkeit verifiziert oder falsifiziert werden. Wenn beispielsweise die Vermutung aufgestellt wird, dass eine Person im Laufe ihres Lebens drogenabhängig wird, so muss überlegt werden, was daraus folgen könnte. Es muss sich also die Frage gestellt werden, wie es im Text weitergehen muss, damit die Hypothese falsifiziert werden kann oder damit sie an Plausibilität gewinnt. Es wird folglich anhand der aufgestellten Hypothese deduziert, woran eine aufgestellte Regel (z.B. anhand der biographischen Daten) zu erkennen sein könnte. Wird beispielsweise Auskunft darüber gegeben, dass die zu erforschende Person ins Krankenhaus kommt und eine Magenausspülung erfährt, so könnte dies, vereinfacht dargestellt, ein Indiz für den Konsum von Drogen sein. Es muss also überlegt werden, wie sich aufgestellte Hypothesen auf der Textebene im weiteren Verlauf verifizieren lassen. Hierbei gibt es jedoch nicht nur eine Lesart, sondern es lassen sich ebenso Gegenhypothesen und eine Vielzahl von Folgehypothesen bilden. Auf der Basis der Auswertungssequenz werden dann erneut weitere
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Hypothesen gebildet. Zum Abschluss der Analyse ergeben sich meist nur noch wenige Möglichkeiten, die im Rahmen der Hypothesenbildung zur Verlaufsstruktur als wahrscheinlich übrigbleiben, und dann für die weitere Deutung als fallspezifische Fragen dienen. Das Ziel dieses Schrittes ist es, letztendlich herauszufinden, welche Handlungsmuster eine Person im Verlauf seines/ihres Lebens entwickelt hat, so dass sich eine Strukturhypothese zum Lebenslauf aus sich wiederholenden Hypothesen ableiten lässt. Die Analyse der biographischen Daten dient als Kontrastfolie für AnalyseSchritt 2 (Text- und thematische Feldanalyse) sowie der Vorbereitung für AnalyseSchritt 3 (Rekonstruktion der erlebten Lebensgeschichte), worauf im weiteren Verlauf Bezug genommen wird. 7.4.2 Schritt 2: Text- und thematische Feldanalyse „Während bei der Rekonstruktion der Fallgeschichte [im späteren Verlauf der Analyse] nach der biographischen Bedeutung einer Erfahrung zur damaligen Zeit gefragt wird, so stellt sich bei der Rekonstruktion der Lebenserzählung, bei der so genannten Text- und thematischen Feldanalyse, [zunächst] die Frage nach der Funktion der Darstellung des Erlebens für die interviewte Person nach ihrem gegenwärtigen sozialen Kontext.“ (Rosenthal 2014a: 187)
Die Text- und thematische Feldanalyse als zweiter Auswertungsschritt ist angelehnt an die Narrationsanalyse nach Schütze (1983) und die thematische Feldanalyse nach Fischer (1982)8. Ziel ist es, die Strukturbildung der Lebensgeschichte während des Erzählaktes zu extrahieren (vgl. Schulze 2010: 575-576). Es geht insbesondere darum, herauszufinden, aus welchem thematischen Feld heraus die Lebensgeschichte in der Gegenwart präsentiert wird und welchen Regeln die Genese dieser unterliegt. Folglich werden der Zusammenhang und die Bedeutung der Reihenfolge einzelner Textteile einer genaueren Betrachtung unterzogen. Rosenthal (2014a: 196) betont, dass hierbei nicht nach dem Erleben zum Zeitpunkt eines Ereignisses gefragt wird: „Vielmehr konzentriert sich die Analyse in diesem Schritt auf die Frage, weshalb sich ein Biograph oder eine Biographin – ob nun bewusst intendiert oder latent gesteuert – so und nicht anders [im Interview] darstellt.“ Auch wenn Wissens- und Relevanzsysteme der Subjekte, „ihre Deutung ihres Lebens, ihre Einordnung von Erlebnissen und Erfahrungen in thematische Felder“ (Rosenthal 1995: 218), rekonstruiert werden, geht es jedoch nicht um die Rekonstruktion des subjektiv gemeinten Sinns. Generelles Ziel dieses Analyse-Schrittes ist es zunächst, „herauszufinden, welche Mechanismen die Auswahl sowie die temporale und thematische Verknüpfung der Geschichten steuern“ (ebd.). In Anlehnung an Schütze (1983) geht Rosenthal (vgl. 2014a: 198) davon aus, dass die Darstellung einer Erfahrung nicht zufällig sei und somit in verschiedenen Textsorten (bewusst) präsentiert werde. Vorbereitend auf diesen Auswertungsschritt wird das Interviewtranskript wie eine Art Inhaltsverzeichnis nach Sprecher*innenwechsel, Themenwechseln und Änderungen der Textsorte in chronologischer Reihenfolge in Segmente unterteilt. Letztere
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Für weitere Ausführungen hierzu siehe Rosenthal (1995).
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werden entsprechend linguistischer Kriterien nach Kallmeyer & Schütze (1976, 1977) in Erzählung, Argumentation und Beschreibung unterschieden: Erzählungen referieren auf zurückliegende singuläre Ereignisabfolgen. Sie lassen sich als die Abfolge von tatsächlichen oder fiktiven Ereignissen definieren, die in einer Beziehung zeitlicher oder kausaler Aufeinanderfolge zueinanderstehen. Als Unterkategorien lassen sich hierbei Berichte als geraffte telegrammstilartige Erzählungen einordnen sowie Geschichten, die auf herausragende Ereignisse innerhalb einer Erzählung referieren und an eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort und eine bestimmte Person gebunden sind. Argumentationen hingegen zeichnen sich durch Alltagstheorie oder theoriehaltige Textelemente aus, die sowohl innerhalb der Erzählsequenz (als Evaluationen) auftreten als auch außerhalb anzutreffen sind. Statische Strukturen werden in Beschreibungen dargestellt, bei denen der „Vorgangscharakter“ (ebd.: 201) eingefroren wird. Als Unterkategorie ist die verdichtete Situation zu nennen, in der häufig erlebte Ereignisse komprimiert dargestellt und mit ihren sich wiederholenden Elementen beschrieben werden. Rosenthal (2014b: 517) greift die Frage auf, ob die einzelnen Segmente untereinander in einem Beziehungszusammenhang stehen und orientiert sich dabei an Gurwitschs (1974: 517) Konzeption des „thematischen Feldes“, das er als „die Gesamtheit der mit dem Thema kopräsenten Gegebenheiten, die als sachlich mit dem Thema zusammenhängend erfahren werden und den Hintergrund oder Horizont bilden, von dem sich das Thema als Zentrum abhebt“ definiert. Um die Struktur der Lebensgeschichte herauszuarbeiten, werden folglich die einzelnen Segmente einer erneuten sequenziellen Analyse unterzogen, in deren Rahmen Hypothesen gebildet werden, die sich an folgenden generellen Leitfragen (vgl. Rosenthal 2014: 200) orientieren: • Welche Lebensbereiche und Lebensphasen werden erst im Nachfrageteil ange-
sprochen? • Was sind die möglichen thematischen Felder, in die sich das Thema einfügt? • Was ist das Präsentationsinteresse?
Bei jeder einzelnen Sequenz ist dann in Folge zu ermitteln: • • • • •
Welche Themen (Ereignisse, Lebensbereiche und -phasen) werden angesprochen)? Weshalb kommt das Thema an dieser Stelle? Weshalb dieses Thema in dieser Textsorte? Weshalb das Thema in dieser Kürze/Ausführlichkeit? Welche Themen werden nicht angesprochen?
Ähnlich wie im ersten Analyseschritt werden „Folgehypothesen über mögliche Versionen für einen passungsfähigen Fortgang des Textes“ (ebd.) formuliert: • • • •
Wie müsste es demnach in der Präsentation weitergehen? Welche Themen könnten folgen? Welche Textsorten müssten folgen? Was könnte als nächstes gesagt werden, wenn diese Hypothese zutrifft?
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Abschließend werden erneut Strukturhypothesen gebildet, die die Selbstpräsentation der Biographin oder des Biographen und damit das erzählte Leben zusammenfassend verdeutlichen sollen (vgl. Preiß-Völker 2007: 65). 7.4.3 Schritt 3: Rekonstruktion der Fallgeschichte (erlebtes Leben) Innerhalb des dritten Auswertungsschrittes wird die Ebene des erlebten Lebens in den Fokus der Analyse gesetzt. Es wird nach einzelnen Erlebnissen gefragt, um deren Bedeutung für die Gesamtgestalt der Biographie zu erfassen (vgl. Rosenthal 2014a: 202). Die einzelnen Ereignisse sollen jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern deren Verlauf im Hinblick auf die Erlebenswelt der Biographin oder des Biographen analysiert werden (vgl. Mendi 2009a: 10). Rosenthal (2014b) zufolge verhilft die bereits abgeschlossene thematische Feldanalyse hierbei „zu einem quellenkritischen Blick, der vermeidet, die durch die Gegenwart neu konstituierte Perspektive auf die Vergangenheit naiv als Abbildung des Erlebens in der Vergangenheit zu verstehen“ (ebd.: 517). Während im vorhergehenden Auswertungsschritt der Frage nachgegangen wurde, wie sich die Interviewten in der Gegenwart präsentieren, geht es im Rahmen der Rekonstruktion der Fallgeschichte um die „Perspektive in der Vergangenheit“ (Rosenthal 2014a: 202) der jeweiligen Ereignisse: Wie hat die/der Befragte das jeweilige Ereignis in der Vergangenheit erfahren und wie erlebt sie/er es im Gegensatz dazu in der Gegenwart? Es werden zunächst verschiedene Textausschnitte gewählt, in denen sich – thematisch und chronologisch dargestellt – Ereignisse des erlebten Lebens rekonstruieren lassen. In diesem Schritt gilt es, die im ersten Analyseschritt herausgearbeiteten biographischen Daten dem transkribierten Interviewtext gegenüber zu stellen und um die subjektiven Selbstaussagen der Biographin oder des Biographen zu ergänzen (vgl. Preiß-Völker 2007: 65). Es lassen sich folglich Hypothesen generieren, die anhand des Interviewtextes verworfen oder bestätigt werden oder neue Lesarten zulassen. Rosenthal (2014a: 202) verdeutlicht dieses Vorgehen wie folgt: „Wir gehen in der Logik der sequenziellen Analyse in der Chronologie der erlebten Lebensgeschichte von biographischem Erlebnis zu Erlebnis und betrachten dabei jeweils die Interviewpassagen in denen die Biographin darüber spricht. Dabei werden wir auch im Text weitere biographische Ereignisse auffinden, die wir bei der Analyse der biographischen Daten noch nicht berücksichtigt hatten.“
7.4.4 Schritt 4: Feinanalyse einzelner Textstellen In Anlehnung an das Verfahren der Objektiven Hermeneutik nach Oevermann (1981) gilt es im Rahmen des Verfahrens der sequenziellen Feinanalyse von der subjektiven Bedeutungsstruktur auf latente Sinnstrukturen des Textes zu schließen (vgl. Rosenthal 2014: 206). Es werden hierbei schrittweise Textsegmente – unabhängig von ihrem Kontext – herangezogen, die in Bezug auf deren Sinn und Bedeutung einer detaillierten Analyse unterzogen werden. Die Auswahl der Segmente unterliegt be-
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stimmten Kriterien (vgl. Rosenthal 2014a: 206): z.B. parasprachliche Auffälligkeiten (lange Pausen, Versprecher und Abbrüche) sowie Passagen, die den Eindruck einer Sinnhaftigkeit erwecken, die beim ersten Lesen noch nicht zu erkennen ist. Häufig richtet sich die Auswahl auch auf den Anfang und das Ende von Interviews oder auf Textstellen, die thematisch besonders interessant erscheinen (vgl. Preiß-Völker 2007: 65). Aufgrund der Dekontextualisierung von einzelnen Segmenten kann die sequenzielle Feinanalyse jederzeit stattfinden. Dieser Auswertungsschritt dient des Weiteren der Überprüfung und Erweiterung der in der Text- und thematischen Feldanalyse sowie der Rekonstruktion der Fallgeschichte generierten Hypothesen: „Anhand von Feinanalysen lassen sich nicht nur offene Fragen klären oder undurchsichtig gebliebene Textstellen analysieren, sondern ebenfalls Widersprüche aufdecken, die aus den vorangegangenen Arbeitsschritten entstanden sind.“ (Mendi 2009a: 12)
Rosenthal (2014a: 206) betont an dieser Stelle jedoch, dass dies nicht bedeute, dass die Feinanalyse einer Texteinheit mit einer bereits aufgestellten Hypothese begonnen werde. Sie plädiert dafür, dass auch hier die vorangegangenen Interpretationen wieder zurückgestellt und entsprechend erneut nach abduktivem Vorgehen alle möglichen Hypothesen aufgestellt werden müssten. Wie bei den zuvor durchgeführten Auswertungsschritten werden anschließend unter Berücksichtigung der Frage „Wie geht es weiter?“ erneut Folgehypothesen gebildet. Ähnlich wie bei der sequenziellen Feinanalyse, werden auch im Rahmen inhaltsanalytischer Verfahren wie dem der Grounded Theory Textteile Zeile für Zeile analysiert. Im Laufe der Analyse wechselt dieses zunächst noch rekonstruktive Verfahren jedoch zu einem stärker subsumtionslogischen Vorgehen, in dem Texteinheiten bestimmten Kategorien zugeordnet werden (vgl. Rosenthal 2014a: 245). Rosenthal weist im Zusammenhang mit solchen Verfahren offenen und axialen Kodierens darauf hin, dass hierbei die Gefahr einer vorschnellen Zerstörung der Gestalt des Textes gegeben sei und damit „die typischen Nachteile eines subsumtionslogischen Vorgehens in Kauf“ (ebd.: 246) genommen werden müssten. Bei einem solchem Verfahren fehle ein Auswertungsschritt im Sinne einer Rekonstruktion der sequenziellen Gestalt des Gesamttextes, die – wie das Vorgehen bei der thematischen Feldanalyse deutlich zeigt – „zur Aufschlüsselung der Bedeutung einzelner Textteile im Entstehungskontext erheblich beitragen kann“ (Rosenthal 2014a: 247). Bei einem rekonstruktiven und sequenziellen Verfahren hingegen wird gerade die zeitliche Struktur oder sequenzielle Gestalt des Textes als wesentliche Grundlage für die Interpretation genommen. Bei Rosenthal (2014a: 18) - mit Verweis auf Hitzler & Honer (1997: 23) – heißt es hierzu: „Es wird rekonstruiert wie sich der Text aufbaut und jede einzelne Sequenz wird in ihrer Einbettung in die Gesamtgestalt betrachtet. Dadurch wird es möglich, nicht nur wie bei inhaltsanalytischen Verfahren den manifesten Gehalt des Textes, sondern auch den latenten Gehalt zu erfassen, den Sinn, der ‚zwischen den Zeilen‘ liegt. Es liegt gerade als Anliegen interpretativer Verfahren, methodisch kontrolliert und subjektiv nachvollziehbar von der Oberfläche des Textes aus tiefer liegende und zunächst verborgene Sinn- und Bedeutungsschichten zu schließen.“
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7.4.5 Schritt 5: Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte Bei der Kontrastierung von erlebter und erzählter Lebensgeschichte werden die Ergebnisse, die sich aus den zunächst gesondert betrachteten Auswertungsschritten ergeben haben, gegenübergestellt und verglichen. Nach Rosenthal (2002: 145) verhelfe dieses Verfahren dazu, „die Regeln der Differenz von Erzähltem und Erlebten sowie den lebensgeschichtlichen Prozess der Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung sozialer und psychischer Phänomene zu rekonstruieren“. Es soll dabei aufgezeigt werden, in welchem Bedeutungszusammenhang die Präsentation zur Lebenserfahrung der Biographin oder des Biographen steht bzw. welche biographischen Daten zu dieser Präsentation führen (vgl. Fischer-Rosenthal & Rosenthal 1997: 155; Rosenthal 1995). Ziel ist es, „die Funktion der spezifischen Darstellung in der Gegenwart (Gegenwartsperspektive) mit dem Blick auf das erlebte Leben (Vergangenheitsperspektive) in ihren sich wechselseitigen beeinflussenden Wirkungen zu entschlüsseln“ (Schulze 2010: 578) und Erklärungen für mögliche Unterschiede zwischen diesen beiden Ebenen zu liefern. Es wird somit den Fragen nachgegangen: Was muss die Biographin oder der Biograph in der Vergangenheit erfahren haben, damit sie/er sich so in der Gegenwart präsentiert? Gibt es Differenzen zwischen der Vergangenheits- und der Gegenwartsperspektive? Zu welchem Zeitpunkt stimmen erzählte und erlebte Lebensgeschichte überein? Wie wird z.B. Heroinsucht erlebt und wie präsentiert die Biographin oder der Biograph diese im Gespräch? Rosenthal (1995: 226) berichtet diesbezüglich, dass insbesondere dann Differenzen im Vergleich von erlebter mit erzählter Lebensgeschichte auftreten, wenn bestimmte Ereignisse nicht zugelassen werden können, also schambesetzt sind, unvollständig verarbeitet wurden oder mit dem eigenen Selbstbild nicht übereinstimmen. Der kontrastive Vergleich ist nicht zwingend als gesonderter Arbeitsschritt aufzufassen, sondern kann auch in die vorigen Analyseschritte einbezogen werden. 7.4.6 Schritt 6: Typenbildung9 Die Typenbildung baut auf dem vorangegangenen Auswertungsschritt auf. Auf Basis der Kontrastierung von erzähltem und erlebtem Leben wird im Rahmen der Typenbildung die Fallstruktur des Einzelfalls kontextualisiert. Erst nach abgeschlossener Fallrekonstruktion kann entsprechend der Fragestellung, die nun wieder in den Fokus rückt, ausgehend vom Einzelfall ein Typus konstruiert werden, der nicht nur ein Phänomen in seiner Oberflächlichkeit beschreibt, sondern auch den biographischen Verlauf erklärt, der zu dieser Präsentation führt. Es wird einerseits die Komplexität der Fallrekonstruktion reduziert, so dass eine Übersichtlichkeit und Struktur des jeweils untersuchten Untersuchungsbereichs hergestellt werden kann. Andererseits können durch die Erstellung einer Typenbildung neue Hypothesen generiert und Theorien entwickelt werden (Kluge 1999: 30).
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Da die vorliegende Arbeit nicht auf eine Typisierung der Einzelfälle abzielt, wird dieser Schritt an dieser Stelle der Vollständigkeit halber zwar aufgeführt, innerhalb des Analyseverfahrens jedoch nicht angewendet.
158 | Methodik
Das Verfahren der biographischen Fallrekonstruktion ermöglicht „die Konstruktion von Verlaufstypen, die die Regeln des genetischen Prozesses angeben bzw. eine ‚Wie es dazu kam, dass‘-Erklärung ermöglichen – sowohl mit Bezug auf die erlebte wie auf die erzählte Lebensgeschichte“ (Rosenthal 2002: 146). Schulze (2010: 578) ergänzt in diesem Zusammenhang, dass jeder einzelne Fall im Allgemeinen entstehe und somit auch Teil des Allgemeinen und verallgemeinernd zu theoretisieren sei: „Nach der Rekonstruktion der Regel im Einzelfall und durch den Vergleich mit kontrastierenden Fallstrukturen anderer Einzelfälle des Samples erfolgt eine Typisierung, die durch den Abstraktionsgrad in ihrer Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinausweist.“
Rosenthal geht infolgedessen bei der typenbasierten Theoriebildung davon aus, dass jeder Einzelfall immer sowohl Allgemeines (Teil der sozialen Wirklichkeit) als auch Besonderes (individuelle Transformationen) enthält. Im Gegensatz zur deskriptiven Typologie, in deren Rahmen ein Typus nach äußeren Merkmalen (Jahrgang, Milieu etc.) gebildet wird, wird in rekonstruktiven Verfahren die Zuordnung anhand weiterer Verallgemeinerung der Fallstruktur vorgenommen. Obwohl es nach Rosenthal (2014a: 207) bereits auf der Grundlage eines Falles möglich sei, einen Typus zu formulieren, wird es, dem Grundgedanken der rekonstruktiven Sozialforschung zufolge, mehrere Fälle miteinander zu vergleichen, erst durch die Auswertung mehrerer Interviews möglich, die Strukturhypothesen abzusichern, die eine Theoriebildung ermöglichen (vgl. hierzu auch Mendi 2009: 15). Nachdem erste Strukturen eines Falles rekonstruiert wurden, würde im Sinne des theoretischen Samplings nach Glaser & Strauss (1967) ein Kontrastfall gesucht werden, um bisher erzielte Ergebnisse zu modifizieren. Ziel des Samplings ist dabei die Bildung möglichst unterschiedlicher Typen im Hinblick auf die Fragestellung (Schulze 2010: 587). Orientierungspunkt ist hierbei die Frage, wie lebensgeschichtliche und damit auch psychische Prozesse mit gesellschaftlichen Prozessen zusammenhängen. Je nach Forschungsfrage kann ein Fall mehreren Typen zugeordnet sein bzw. ein und derselbe Fall einen anderen Typen repräsentieren. Abschließend anzumerken ist, dass innerhalb der einzelnen Analyseschritte thematische Felder wiederholt unter der Berücksichtigung verschiedener und zeitlicher Ebenen betrachtet werden. Hieraus ergibt sich an verschiedenen Stellen innerhalb der Analyse eine inhaltliche Redundanz, die durch die Methode bewusst so vorgesehen ist.
7.5
ZWISCHENFAZIT
Wie ein Einblick in Lebensgeschichten einzelner Individuen methodisch konkret geschaffen werden kann, wird im folgenden Teil dieser Arbeit detailliert dargestellt und an Einzelfällen verdeutlicht. Auf der Grundlage biographisch-narrativer Interviews, die mit einzelnen Musikern in Los Angeles durchgeführt und schließlich einer biographischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal unterzogen wurden, soll sich der anfänglich – im Rahmen der Beschäftigung mit dem Selbst – aufgekommenen Frage, wer wir sind und wer wir sein wollen, genähert und auf das Erkenntnisinteresse die-
Verwendete Methodik | 159
ser Studie übertragen werden: Welche Vorstellungen haben Musiker*innen von sich selbst, Musiker*in zu sein? Welche Selbstkonzepte liegen diesen Vorstellungen zugrunde? Und inwiefern werden diese sowohl durch äußere Einflüsse aber vor allem auch durch den Konsum psychoaktiver Substanzen wie Heroin beeinflusst? Während mit dem Konstrukt Selbstkonzept ein theoretischer Ansatz vorgestellt wurde, der sich vornehmlich innerhalb der Psychologie entwickelt hat, die ihre disziplinäre und methodische Selbstverortung überwiegend durch experimentelle Untersuchungen gewinnt, gilt es im Folgenden hingegen sich dem Konstrukt über einen Ansatz zu nähern, der sich insbesondere in soziologischen Kontexten bewährt hat. Hier ist die Forschung eben nicht „zum Zweck der Situations- und Bedingungskontrolle [...] fernab von Lebenswelt und Alltag“ ausgerichtet, wie es Thomas (2010: 463) psychologischen Ansätzen vorwirft. Das vorliegende Forschungsvorhaben verortet sich hingegen in der Tradition ethnographischer Forschung, welche als die klassische Methode zur Erforschung der sozialen Lebenswelt gilt (vgl. ebd.: 464) und sich somit auf das ‚wirkliche Leben‘ richtet, wie es von den Menschen in ihrer Alltagswelt erlebt und gelebt wird (vgl. Blumer 1969; Cicourel 1964). Thomas (2010: 464) weist zwar darauf hin, dass die Möglichkeit, das ‚wirkliche Leben‘ objektiv zu fassen, kontrovers diskutiert werde, „aber in jedem Fall ziehen die Ethnograph*innen in die Welt, um ihre eigenen Beobachtungen und Erfahrungen beim Kennen und Untersuchen einer (Sub-)Kultur zu machen“. Sie machen es sich hierbei zur Aufgabe, „den Bezugsrahmen zu entdecken und zu explizieren, in dem das [...] beobachtete Verhalten als soziales, d.h. sinnvolles Handeln im Kontext spezifischer Kultur-, Milieu- und Situationszusammenhänge beschreibbar wird“ (Schmitt 1992: 28). Ziel sei es, in den Worten Malinowskis (1992: 25), „to grasp the native’s point of view, his relation to life, to realize his version of his world“ (siehe hierzu auch Thomas 2010). Ein ethnographischer Ansatz lässt sich in Anlehnung an Thomas (2010) jedoch keineswegs auf die Anwendung von Feldforschung und teilnehmender Beobachtung reduzieren. Vielmehr sei das Interesse von Ethnograph*innen breit gefächert und fände seine Entsprechung in der Triangulation von Methoden und Daten. Daher bezeichne ‚Ethnographie‘ dem Autor zufolge kein einzelnes Verfahren, sondern es handele sich um einen Sammelbegriff, „der die Anwendung des ganzen Arsenals an Methoden unterstützt, welche die Sozialforschung zu bieten hat“ (ebd.: 466). Wenn also, rückblickend auf die theoretischen und methodologischen Vorüberlegungen, ein Zugang zu subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen und Sinnwelten durch kommunikative Verständigung zu schaffen möglich sei, so zielt die Teilnahme im Feld auf die Erstellung einer genau solchen Forschungssituation ab. „Erst die Teilnahme an dem Forschungsfeld ermöglicht den Forschenden, hinter ihre kulturell und wissenschaftlich geprägten Vorannahmen und Vorurteile zurückzutreten, um sich die fremde Welt in ihrer Eigenwilligkeit und Eigenstrukturiertheit aus der ‚Sicht des Subjekts‘ zu erschließen. Die Teilnahme zielt auf den Aufbau einer kommunikativen Forschungssituation, in der die individuellen Sicht-, Begründungs- Reflexionsformen zur Sprache gebracht werden.“ (Ebd.: 467)
Im Folgenden wird der Weg ins Feld und damit die Annäherung an das Phänomen heroinabhängiger Musiker*innen am konkreten Forschungsdesign der vorliegenden Studie dargestellt.
8.
Anmerkungen zum Studiendesign
„Junkies sprechen nicht mit Nicht-Junkies“ ist eine Auffassung von Aussteigern verschiedener Drogenmilieus wie auch aktiven Szenepersonen, die mir im Vorfeld der Datenerhebung häufig entgegengebracht wurde. Wer sich dem Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen nähern will, muss davon ausgehen, dass hierbei ein Forschungsfeld1 betreten wird, dessen Zugang erschwert ist bzw. ohne Kontakt zu konkreten Personen, die im Feld eine herausgehobene Position innehaben – die Funktion eines „gate-keepers“ (Girtler 1984: 84f.), nicht ohne weiteres gewährleistet werden kann. Sich mit Suchtkarrieren von heroinabhängigen Musiker*innen auseinanderzusetzen und anhand von Gesprächen Einblicke in subjektive Lebenswelten zu erhalten, bedeutet zudem, eine Interaktion2 zwischen Interessent*in und Informant*in herzustellen, was wiederum eine persönliche Begegnung und Redebereitschaft der Betroffenen voraussetzt. Wie auch Thomas (2010) zu verstehen gibt, hängt das auf das Untersuchungsfeld bezogene „to get in and to keep in“ (ebd.: 469) bei der Feldforschung jedoch oftmals weniger von thematischen Details der Forschung als von der Akzeptanz der Forschenden als Person ab: „If I was all right, then my project was all right; if I was no good, then no amount of explanation could convince them that the book was a good idea.“ (Whyte 1981: 300) Ehe der Frage nachgegangen werden kann, wie sich ein Zugang zum Forschungsfeld herstellen lässt, sollte zunächst beantwortet werden, was das Forschungsfeld eigentlich ist. Obwohl das Feld bereits thematisch eingegrenzt und auf den geographischen Raum der Greater Los Angeles Area festgelegt wurde, soll hierbei nicht die Vorstellung geweckt werden, es sei nur der Ort, der nun Gegenstand der Untersu-
1
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Im Sinne Wolffs (2010) werden Forschungsfelder als „natürliche soziale Handlungsfelder im Gegensatz zu künstlichen situativen Arrangements“ (ebd.: 335) verstanden, die für Forschungszwecke eigens konstruiert werden. In Bezug auf die vorliegende Arbeit bezieht sich das Forschungsfeld insbesondere auf soziale Milieus heroinabhängiger Musiker*innen, sogenannte Szenen von Heroinabhängigen. Gemeint ist ein kommunikativer Informationsaustausch-Prozess, der innerhalb einer sozialen Interaktion stattfindet. Kommunikation definiert sich hierbei nach Lasswell (1948) als ein Austausch von Mitteilungen zwischen Individuen. Eine Interaktion ist durch wechselseitige Informationsübertragung und Beeinflussung beider Systeme gekennzeichnet.
162 | Methodik
chung ist. Zu untersuchen sei Geertz (1987/1973: 32) zufolge die Kultur3 „dahinter“, was sich an konkreten Orten, in konkreten Praktiken und Artefakten manifestiere. Zum anderen ist es aber vor allem das zu erforschende Subjekt, das sich in dieser Kultur bewegt und das es zu ergründen gilt. Wie lässt sich also ein Zugang zum kulturellen Dahinter und damit ein Zugang zum Studienteilnehmer*innenkreis herstellen? Welche Vorkehrungen sind hierbei im Vorfeld auf theoretisch-methodologischer Ebene aber auch praktisch während und nach der Datenerhebung zu treffen? Und welchen Einfluss hat dies schließlich auf die Rolle, die das forschende Subjekt im Feld einnimmt bzw. die ihm durch das Feld gar ‚aufgezwungen‘ wird? Die letzte Frage verdient dabei besondere Aufmerksamkeit. Schließlich wäre es laut Wolff (2010: 334) verfehlt, „beim ‚Weg ins Feld‘ an eine fixe Grenze zu denken, nach deren Überschreitung sich das Innere des Feldes dem forschenden Blick offen und ungeschützt darbietet“. Die Überschreitung bezieht sich hierbei jedoch nicht nur auf räumliche und forschungspraktische Grenzen. Vielmehr stellen persönliche Grenzen eine besondere Herausforderung dar und unterliegen damit (im Folgenden) einer besonderen Reflexion.
8.1
DIE ROLLE DER FORSCHERIN
Die Frage, wie sich Forschende im Feld positionieren sollen und welche Rollenvorstellungen damit einhergehen, wird mittlerweile innerhalb ethnographischer Forschung vermehrt thematisiert und diskutiert. Forschende begeben sich in unterschiedliche Felder, die spezifisch strukturiert sind und unterschiedlichen Bedingungen sowie der (An-)Ordnungen sozialer Interaktion unterliegen. Jedes Feld umfasst damit auch besondere Möglichkeiten und Grenzen der Einnahme einer Feldrolle; das Feld „schreibt“ sich quasi in die Gestaltung der Rolle ein, wie es Aghamiri & Streck (2016) in ihrem Vortrag im Rahmen der Tagung „Ethnographie der Praxis / Praxis der Ethnographie“, welche Anfang 2016 an der Universität Hildesheim stattfand, formulieren. In der Auseinandersetzung mit Rollenkonflikten, Rollendistanzen sowie Rollenerwartungen ginge es letztendlich um die Frage, welche Herausforderungen und Chancen sich daraus ergeben (vgl. ebd.). Letzteres lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres am Schreibtisch planen, sondern unterliegt einer fortlaufenden Entwicklung während des gesamten Forschungsprozesses. Obwohl ich mich bereits lange vor Beginn des Forschungsprojektes mit dem Themengebiet Musik und Drogen theoretisch auseinandergesetzt hatte, waren Chancen und Risiken anfänglich nur wenig einschätzbar. Die Auseinandersetzung mit der Thematik entwickelte sich zunächst aus einem rein persönlichen Interesse. Damit ist nicht der praktische Konsum von Drogen gemeint, sondern die theoretische Frage, welche Auswirkungen der Konsum bestimmter Drogen auf mein persönliches Befinden und Verhalten und damit verbunden auf meinen persönlichen musikalischen Schaffensprozess haben könnte. Als praktizierende Musikerin entwickelte ich über
3
„Kultur“ wird hierbei im Sinne der Cultural Studies – und in Anlehnung an Winter (2001: 43f.) – als a „whole way of life“ (Williams 1958) begriffen. Kultur wird also nicht als ein vom Alltag abgegrenzter Bereich definiert, sondern: „culture is ordinary“ (ebd.).
Anmerkungen zum Studiendesign | 163
die Jahre zunehmende Bühnenängste, die mir Auftritte vor einem Publikum nicht mehr möglich machten. In der Auseinandersetzung mit einem persönlichen Konflikt stieß ich auf ein Phänomen, das die vorliegende Thematik, Drogensucht unter Musiker*innen, nicht nur am Rande streift. In der Beschäftigung von Biographien von Musiker*innen, die eine ähnliche Angststörung aufwiesen, fiel mir auf, dass der Konsum – insbesondere von Heroin – oftmals als eine Möglichkeit der Flucht aus eben solchen (inneren und äußeren) Konfliktsituationen diente.4 Generell schien der Konsum von Heroin eine besondere Verbindung zwischen den Konsumierenden und ihren Rollen als Musiker*innen herzustellen. Ich näherte mich somit einem Phänomen, das nicht nur zunächst in einem vermeintlichen Zusammenhang mit Angststörungen stand. Es eröffnete sich für mich ein Forschungsfeld, das auch unabhängig von meiner eigenen Biographie großes Potenzial der Ergründung und Beschäftigung eröffnete (siehe Einleitung). Durch den Kontakt zu betroffenen Personen, die mir u.a. während meiner Aktivitäten als Musikerin begegneten, wusste ich, dass das Phänomen Heroinsucht unter Musiker*innen sicherlich keine Thematik ist, der Aktualität abgesprochen werden kann. Die Aussage „Heroin – das war doch einmal!“ kam mir während meiner Recherchen jedoch immer wieder von Nicht-Betroffenen entgegen. Vor allem die Frage „Ist das denn überhaupt (noch) ein relevantes Thema?“ löste zusätzlich einen persönlichen Drang der Aufklärung in mir aus. Durch die Beschäftigung mit bereits veröffentlichten (Auto-)Biographien und Dokumentationen über betroffene Personen, die über ihre Heroinsucht als Musiker*innen berichten, erhielt ich meinen ersten Anhaltspunkt: Es schien betroffene Personen zu geben, die bereit waren, aus welcher Intention auch immer, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Auch durch Geschichten, die mir in Gesprächen persönlich zugetragen wurden – von betroffenen Personen selbst oder von Dritten, war es offensichtlich, dass Redebereitschaft besteht und oftmals sogar nur darauf gewartet wird, dass „da endlich mal jemand kommt und zuhört“. Letzteres ist eine weitere Aussage, die mir immer wieder entgegengebracht wurde und schließlich mein Vorhaben bestätigte und den Startschuss der vorliegenden Studie auslöste. Zu Beginn der Studie wie auch im laufenden Forschungsprozess wurde mir immer wieder unterstellt, ich könne mich nicht ‚einfach‘ innerhalb von Drogenmilieus bewegen und Studienteilnehmer*innen finden, die sich für ein Interview zur Verfügung stellten. Es wurde mir vorgeworfen, als Popmusikwissenschaftlerin ohne zertifizierten psychologischen und therapeutischen Background ein solches Forschungsvorhaben nicht bewältigen zu können. Meine Haltung gegenüber dem Forschungsfeld, welche oft als naiv ausgelegt und mir zum Vorwurf gemacht wurde, ist meiner Ansicht nach jedoch im Sinne des benannten Forschungsparadigmas als Unvoreingenommenheit zu interpretieren. Unvoreingenommenheit ist hierbei sicherlich nicht als leichtsinnige, unbedachte Haltung zu verstehen, durch die Risiken und Gefahren, die mit dem Feldzugang einhergehen, unreflektiert hingenommen oder gar übersehen werden. Vielmehr ist eine Haltung ohne Vorurteile gemeint, die aus persönlichem In-
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Dies bedeutet nicht, dass Heroinabhängigkeit automatisch im Zusammenhang mit Angsterkrankungen steht. Dennoch konnte über den Austausch eben solcher persönlichen Erfahrungen oftmals ein gemeinsamer biographischer Nenner zwischen mir und den Studienteilnehmern gefunden und daraus resultierend eine Vertrauensbasis aufgebaut werden.
164 | Methodik
teresse und einer Offenheit gegenüber dem Feld resultiert und damit eine Begegnung mit potenziellen Gesprächspartner*innen überhaupt erst ermöglicht hat. Meine Intention war es, in der Rolle der Wissenschaftlerin mit dem Ziel der Datengenerierung ins Feld zu gehen, gleichzeitig aber auch als Musikerin und interessierte Zuhörerin, die ihre eigene Biographie mitbringt. Sich dem Forschungsfeld nicht nur als Wissenschaftlerin zu nähern, sondern sich gleichzeitig auch als Privatperson vorzustellen, seine eigenen subjektiven Erfahrungen transparent zu machen und Bereitschaft zu zeigen, auch die eigene Geschichte zu erzählen, verhalf zur Akzeptanz bei den Studienteilnehmer*innen und damit zum Eintritt in das Forschungsfeld.
8.2
FELDZUGANG UND POSITIONIERUNG
Die erste Kontaktaufnahme zu potenziellen Studienteilnehmer*innen fand nicht direkt im angestrebten Forschungsfeld Los Angeles statt, sondern erfolgte zunächst über die Internet-Plattform drugs-forum.com. Es wurde ein Thread veröffentlicht, der die User des Forums dazu aufforderte, freiwillig über ihre Erfahrungen und ihren Lebensweg als Musiker*innen in Verbindung mit dem Konsum von Heroin zu berichten.5 Es wurde in dieser Phase der Prätestung gezielt nach Motivationen und Faktoren gefragt, die in die Sucht führten, sowie nach einer daraus potenziell resultierenden Veränderung der persönlichen Vorstellung, Musiker*in zu sein. Hierbei wurden individuelle Ausschnitte aus Lebensgeschichten preisgegeben – wie im folgenden Auszug exemplarisch dargestellt: „Well, we were 6 friends. [...] We were a very good band, playing mainly rock and metal covers. At that time, we were mainly into Hashish and Alcohol and sometimes we do Ecstasy and Cocaine, but never Heroin at the time. It was during the end of high school and it was one of the best periods of my life. We had fun like no other. At that time, me and O and F were using Heroin very rarely and randomly and it wasn’t a big thing. At first, when we practiced the three of us together while on Heroin. It was pretty awesome and we would’ve made lots of originals. But then, it was a downward spiral. [...] The more we got into Heroin, the less we played and the more time we used to spend getting high. We weren’t planning to be a professional band, but for the fun of it and we did get a few offers to play live. Unfortunately, Heroin utterly destroyed it. [...] The more time the three of us spent together, trying to finish the songs to play in the band. The more we didn’t do anything except get high and waste days after days. The more I got into Heroin the less performance I had on the guitar. I was a very fast and melodic player, but on Heroin, even though I thought I was playing very good, turns out I was playing like shit when I heard the recordings. [...] With time, the band dissembled and we hadn’t played for over 6 years now. The three who didn't get into Heroin, one is now a lead vocalist in a very famous band and the drummer records for famous singers now and makes very good money. [...] So all in all, Heroin literally destroyed our musical career if we ever planned on it. It took time and
5
Alle Teilnehmenden, die den Thread kommentierten oder in Form persönlicher Nachrichten antworteten, wurden darüber aufgeklärt, dass die Gesprächsaufforderung einem Forschungsprojekt zu Grunde liegt und ihre Informationen ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken anonymisiert verwendet werden.
Anmerkungen zum Studiendesign | 165
made you lag and bad performances. It was a dream one day, but H took it away.“ (Anonymous#2 2014)
Die Daten wurden anschließend keiner detaillierten Analyse unterzogen. Sie dienten in erster Linie dazu, Redebereitschaft auszutesten und erste Eindrücke über mögliche Gesprächsinhalte zu erhalten. Die Teilnahme an der Konversation zeigte nicht nur, dass Interesse an der Thematik bestand. Vielmehr bestätigten die Teilnehmenden die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Projektes und die damit verbundene Aufklärungsarbeit. Ein erster Forschungsaufenthalt in Los Angeles erfolgte im Spätsommer 2014. Ehe der Kontakt mit Studienteilnehmer*innen aufgenommen werden konnte, galt es zunächst, die vor Ort vorherrschenden Bedingungen zu reflektieren und sich in diesem Kontext über die eigene Position im Feld bewusst zu werden: Als europäische Forscherin mit blonden Haaren und junger Erscheinung konnte der Zugang zum Feld, und damit in oftmals auch kriminelle Milieus (ehemaliger) Drogenkonsumierender, nicht ohne Absicherung und Vorkehrungen vollzogen werden. Durch Gespräche mit Einheimischen stellte sich schnell heraus, in welchen Bezirken der Stadt es sich – insbesondere für eine junge Frau – als besonders gefährlich erwies und dringend davon abgeraten wurde, sich ohne Begleitung aufzuhalten. Der erschwerte Zugang zu bestimmten Regionen war jedoch nicht nur auf eine hohe Kriminalitätsrate zurückzuführen. Hinzu kam, dass viele der Protagonist*innen der ehemaligen Musikszene(n)6 sich in den Süden der Stadt zurückgezogen haben, welcher mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen ist. Generell erwies sich Mobilität in Los Angeles durch ständig vorherrschenden Autoverkehr und das schlecht ausgebaute Nahverkehrssystem als problematisch. Als weitere Herausforderung stellte sich die Unzuverlässigkeit und schlechte Erreichbarkeit von Studienteilnehmer*innen heraus. In Los Angeles lebende Kontaktpersonen, die bereits im Vorfeld der Studie über soziale Netzwerke oder Bekannte ausfindig gemacht wurden, waren vor Ort nicht mehr erreichbar, in der Zwischenzeit rückfällig geworden oder nannten andere berufliche und/oder familiäre Gründe, nicht mehr am Forschungsprozess teilnehmen zu können. Aufgrund der vorherrschenden Bedingungen habe ich die Suche nach potenziellen Studienteilnehmer*innen zunächst eingestellt. Über Gespräche während des Aufenthalts in Hostels, Bars, Clubs oder öffentlichen Verkehrsmitteln konnte ich allmählich jedoch erste Informationen über Musikund Drogenszenen in Los Angeles sammeln und weitere Kontakte und Anlaufstellen ermitteln. Um eine Sensibilisierung zur Thematik und zum Studienteilnehmer*innenkreis herzustellen, erwies sich insbesondere die Teilnahme an Treffen der Anonymous Alcoholics (z.B. New Hope For New Hampshire Group in Los Feliz) als hilfreich. Obwohl ich an diesen Treffen nur passiv teilnahm, wurde mir in diesem Rahmen jedoch vor allem in Bezug auf die eigene Rolle bewusst, dass teilnehmende Beobachtung – wie es Goffman (1974) formuliert – darin besteht, „Daten zu erheben, indem man sich selbst, seinen eigenen Körper, seine eigene Persönlichkeit und seine eigene soziale Situation den vorhersehbaren Einflüssen aussetzt, die sich ergeben, wenn man sich unter eine Reihe von Leuten begibt“ (ebd.: 263). Sich unter eine Ge-
6
Zur Musikszene Los Angeles siehe Kapitel 2.3.
166 | Methodik
sellschaft von (ehemals) alkohol- und drogenabhängigen Menschen zu begeben und mit ihren Lebensgeschichten und persönlichen Schicksalen konfrontiert zu werden, bedeutete in der konkreten Situation vor allem, mich mit meinen eigenen emotionalen Reaktionen und damit verbundenen persönlichen Grenzen auseinanderzusetzen. „Teilnehmen bedeutet eine leibliche und psychische Erfahrung, die uns bei der nichtteilnehmenden Beobachtung verschlossen bleibt“, so Rosenthal (2014: 113), und somit nicht ausschließlich durch das Studieren von Lehrbüchern planbar ist. Hierbei gilt es jedoch zwingend, persönliche Belastungsgrenzen ernst zu nehmen, um eine Gefährdung der eigenen Person zu vermeiden. Reaktionen des forschenden Subjekts, die im schlimmsten Fall den Abbruch einer Studie hervorrufen, können jedoch nicht nur als negative Einflussfaktoren betrachtet werden. Über unsere eigenen Reaktionen auf die Handlungen, die auf uns Beobachter*innen gerichtet sind, kann sich uns auch ein verstehender Zugang zu den Handlungen anderer eröffnen (vgl. ebd.: 113). Teilnehmen bedeutet Rosenthal zufolge zwar, emotionale Distanz vorrübergehend aufzugeben. Doch hier befindet sich das forschende Subjekt auf einem schmalen Grad. (Emotionale) Distanz aufzugeben, um daraus forschungspraktischen Nutzen zu ziehen, oder diese gerade einzuhalten, um ein potenzielles Risiko einschätzen zu können, gehörte zu den Schwierigkeiten, mit denen ich mich an verschiedenen Stellen des Forschungsprozesses immer wieder intensiv auseinandersetzen musste. Obwohl es der Zugang zum Feld voraussetzte, mehr oder weniger langfristige Beziehungen zu den Protagonist*innen dieses Feldes einzugehen, war es jedoch zwingend erforderlich, ein nötiges Maß an Professionalität zu bewahren. Dieses riskierte ich insbesondere dann aufzugeben, wenn ich Gefahr lief, zu intensiv als Mitglied in den Lebenswelten der Protagonist*innen beteiligt sein zu wollen.7 Um nicht in den Status des „going native“ (Strübing 2013: 61) überzugehen, war es daher bei aller Offenheit für neue Erfahrungen und Empathie den Studienteilnehmern gegenüber zwingend erforderlich, sich der erforderlichen Distanz zum Feld immer wieder bewusst zu werden und diese zu bewahren. Strübing weist in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, dass nicht nur der Eintritt, sondern auch der fortgesetzte Aufenthalt und Kontakt mit dem Feld und seinen Akteur*innen einer beständigen Reflexion und eines aktiven Zutuns auf beiden Seiten bedürfe (vgl. ebd.: 61). Ebenso liegt es in der Aufgabe der Forschenden, darüber zu entscheiden, wann sich ein Rückzug aus dem Feld als notwendig erweist. Auch wenn ein längerer Aufenthalt im Feld vor allem im Zusammenhang mit dem kontinuierlichen Werben um Vertrauen und damit dem Gewinnen von Gesprächspartner*innen vorausgesetzt wird, sollte registriert werden, „wann es Zeit ist, wieder zu gehen“ (Breidenstein et al. 2015: 69). Nötige Distanzierung vom Feld sollte Breidenstein et al. insbesondere dann erfolgen, „wenn man von der Fülle der Erlebnisse überrollt wird und in der Unübersichtlichkeit des Feldes die Forschungsfrage zu verlieren droht, oder wenn die Aufmerksamkeit erlahmt, alles so angenehm vertraut erscheint, alle sozialen Beziehungen konfliktfrei und komfortabel sind, vie-
7
Diese Aussage bezieht sich insbesondere auf Freundschaften, die ich mit Studienteilnehmern einging, oder auf Situationen, in denen ich rückfällige Personen in ihrem Alltag – bspw. auch während des Entzugs von der Droge – begleitet habe.
Anmerkungen zum Studiendesign | 167
les geschieht, ohne dass man das Bedürfnis verspürte, mehr aufzuschreiben als ein nichtssagendes ‚Alles wie immer‘“ (ebd.).
Auch die Entscheidung darüber, auf welche Kontaktpersonen oder Studienteilnehmer*innen sich eingelassen wird, erfordert eine intensive Auseinandersetzung und impliziert die Konsequenz eines Rückzuges aus dem Feld. Hierbei spielt die Frage, ob es ratsam ist, fremden Menschen in dem gewählten Forschungskontext zu vertrauen, generell eine wichtige Rolle. Innerhalb des Forschungsprozesses wurden Gespräche und Treffen meistens in Begleitung Dritter durchgeführt und ausschließlich an Orten, die von der Forscherin und Expert*innen (bspw. Szenepersonen oder Mitarbeiter*innen von Drogenberatungsstellen) als nicht gefährdend eingestuft wurden. Auch die Fähigkeit zur Einschätzung von Gefahrensituationen entwickelte sich durch Beobachtungen und Gespräche erst im Laufe des Prozesses. Der Feldzugang war nicht nur mit Feingefühl, sondern vor allem auch mit Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen verbunden. Bereitwillige Gesprächspartner*innen ließen oft Wochen auf Antworten warten, bis sie schließlich doch aus Scham oder Unsicherheit von einem Interview absahen. Andere Kontakte meldeten sich plötzlich gar nicht mehr oder erschienen einfach nicht zu vereinbarten Zeit- und Treffpunkten. Ebenso erschwerten Kontroll- und Distanzierungsmaßnahmen im Zuge der Einhaltung ethischer Forschungspraxis, welche im Folgenden einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden, die Bewegungsfreiheit im Feld und damit den Kontakt- und Beziehungsaufbau zu den Studienteilnehmer*innen.
8.3
EXKURS: FORSCHUNGSETHISCHE AUSEINANDERSETZUNG
Anhand der vorherigen Ausführungen ist deutlich geworden, dass das Forschungsvorhaben in Verbindung mit einem nur schwer erreichbaren Studienteilnehmer*innenkreis steht. Ebenso wird die Stichprobe durch ethische Vorkehrungen, die im Hinblick auf das Wohlergehen der Studienteilnehmer*innen getroffen werden müssen, eingeschränkt. Im Folgenden wird auf Kriterien zur Teilnahme an der Studie eingegangen sowie Maßnahmen zur Prävention von potenziellen Rückfällen, die mit der Teilnahme am Interview einhergehen können, einer gesonderten Betrachtung unterzogen.8 8.3.1 (Ethische) Überlegungen zur Suchtprävention „Ethische Verpflichtung zur Prävention ergibt sich aus einem Grundpostulat unserer Kultur: Menschliches Leiden soll dort, wo es möglich ist, verhindert werden.“ (Gutzwiller et al. 2000: 240)
8
Die folgende Diskussion basiert auf Grundlage von Auflagen, die dem Forschungsprojekt durch den Ethikrat der Leuphana Universität bei Prüfung des (methodischen) Vorhabens vor Studienbeginn auferlegt wurden.
168 | Methodik
Prävention meint dem Wortsinn nach Zuvorkommen, Verhindern bzw. Vorbeugen und besitzt dabei zwei gleichwertige Orientierungspunkte: Die Förderung der Gesundheit und die Vermeidung von Krankheit (vgl. ebd.: 237). Nach Gutzwiller et al. (ebd.: 241) richtet sich Primärprävention nicht in erster Linie an Leidende, denen sie Hilfe leistet, um Linderung zu verschaffen, sondern an Gesunde, die vor möglichen künftigen Leiden bewahrt werden sollen. Wie auch Klos & Görgen (2009: 7) feststellen, habe sich der Blick auf das Rückfallgeschehen bei (ehemals) suchtkranken Menschen im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich gewandelt: „Galten Rückfälle früher als Ausdruck von Willensschwäche oder als Zeichen für mangelnde Motivation der Betroffenen und wurden sie vorwiegend als Versagen und Misserfolg erlebt und gewertet, so wird das Rückfallgeschehen heutzutage zunehmend als ‚krankheitsimmanentes Phänomen‘ als ‚notwendige Erfahrung‘ beim Herauswachsen aus der Sucht angesehen.“
Während im Bereich der Rückfallprävention von Alkoholabhängigen mittlerweile verschiedene Interventionen unternommen und Trainingsprogramme entwickelt wurden, die in der Praxis erprobt wurden, fehlt es in Bezug auf die Arbeit mit Drogenabhängigen an einem richtungsweisenden Rückfallprophylaxekonzept. Anstatt dessen orientieren sich Behandlungsangebote für Drogenabhängige weitestgehend an Maßnahmen für Alkoholabhängige, die sich jedoch nur unzureichend auf die spezifischen (Lebens-)Realitäten und Gewohnheiten von Drogenabhängigen übertragen lassen. Ein Grund für das Fehlen eines geeigneten Konzeptes könnte darauf zurückzuführen sein, dass es über die Fragen nach den Ursachen und Entstehungsbedingungen süchtigen Verhaltens bislang keine allgemeingültige Antwort gibt. Wird jedoch davon ausgegangen, dass süchtiges Verhalten von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird (siehe Kapitel 3), so lässt sich für einen möglichen Ansatz eines Rückfallprophylaxekonzepts auf das in der Psychiatrie entwickelte Modell zur Trias der Suchtentstehung zurückgreifen. Dieses ordnet Einflussfaktoren zur Suchtentstehung den drei Bereichen Person (z.B. Persönlichkeitsmerkmale), Umwelt (z.B. broken-home Situationen) und Droge (z.B. pharmakologische Wirkungsweisen) zu. In Anlehnung an Uchtenhagen & Zieglgänsberger (2000: 237) lässt sich dieses Modell durch den Einflussfaktor Markt, der die Zugänglichkeit und den Preis von Suchtmitteln bestimmt, sowie die aktuelle Situation (z.B. mangelnde Unterstützung im sozialen Umfeld einer besonders belastenden Lebenssituation) ergänzen. Da es auf Basis des Modells nicht „um einfache Ursachen-Wirkungs-Phänomene, sondern immer um ein System komplexer Wirkungsweisen“ (ebd.: 237) geht, werden die Prozesse der Suchtbildung folglich als ein komplexes Zusammenwirken aller Faktoren betrachtet, die Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen bilden und bei der Entwicklung von Interventionen einbezogen werden sollten. Bei Klos & Görgen (2009: 15) heißt es hierzu ergänzend: „Die hier kurz skizzierten Faktoren sind Veränderungen unterworfen. So verändern sich Konsummotive, -muster und -gewohnheiten ebenso, wie die Verfügbarkeit und der Zugang zu illegalen Drogen. Veränderte gesellschaftliche Bedingungen (z.B. ökonomische Verhältnisse, Wertewandel) beeinflussen die personalen Entwicklungsbedingungen ebenso wie die Reaktion der Umwelt auf den Konsum psychoaktiver Substanzen und Drogenabhängigkeit. Alle Faktoren haben Auswirkungen auf die Beziehung drogenabhängiger Menschen zur Gesellschaft, sie
Anmerkungen zum Studiendesign | 169
bestimmen deren Chancen und Risiken, Möglichkeiten und Grenzen. Sie bestimmen auch die (Rahmen-)Bedingungen des Rückfalls und der Rückfallprophylaxe.“
In Bezug auf die Entwicklung von Vorsorgemaßnahmen bedeutet dies, dass Rückfälle im Zentrum der Abhängigkeit und ihrer Behandlung stehen und diese nicht als voneinander trennbare Thematiken zu betrachten sind. Unter Rückfall wird im Folgenden in Anlehnung an Körkel (1999: 24) der nach einer freiwilligen (d.h. nicht erzwungenen) Phase der Abstinenz erneut eintretende Konsum derjenigen Drogen verstanden, die der Person vor der Abstinenzphase Probleme verursacht haben (siehe auch Wilson/Rochow 2000; Körkel/Schindler 2003). Hohe Rückfallquoten selbst nach längerfristigen, stationären Entwöhnungsbehandlungen belegen, dass Rückfälle aus der Langzeitperspektive nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel darstellen (vgl. Altmannsberger 2004; Körkel & Kruse 1993; Wilson/Rochow 2000). Selbst im Anschluss an eine Suchtbehandlung ist daher mit erneutem Konsum der entsprechenden „Problemdroge“ eher zu rechnen als mit dauerhafter Abstinenz (vgl. Körkel 2005: 307). Studien zum Konsumverhalten von rehabilitierten Opiatabhängigen belegen, dass bei Drogenabhängigen sowohl nach kurzzeitigen und weniger intensiven Entgiftungsbehandlungen als auch nach mehrmonatigen ambulanten oder stationären Therapien eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit besteht (vgl. Körkel 1999: 25). In der Literatur wie auch von Betroffenen werden verschiedene Formen des Rückfalls beschrieben, woraus sich ableiten lässt, dass es keine einheitliche und allgemein verbindliche Definition des Rückfalls bei drogenabhängigen Menschen und somit auch nicht den Rückfall gibt (Altmannsberger 2004; Klos/Görgen 2009). Auch die Bewertung von Rückfällen wird von Beteiligten unterschiedlich vorgenommen. Diese Unstimmigkeiten werden anhand von Forschungsdesigns der wenigen und überwiegend veralteten Evaluationsstudien im Bereich der Drogen- und Mehrfachabhängigkeit deutlich, aus denen sich äußerst unterschiedliche Kriterien und Interpretationen des Rückfallbegriffs ableiten lassen (vgl. ebd.: 23). Klos & Görgen (ebd.) differenzieren in diesem Zusammenhang zwischen einer engen und weiten Rückfalldefinition bei Drogenabhängigkeit: Während enge Rückfalldefinitionen lediglich zwischen drogenfrei und rückfällig unterscheiden und jeden erneuten Konsum einer psychoaktiven Substanz nach einer Phase der Abstinenz als Rückfall bewerten, differenzieren weite Rückfalldefinitionen nach der Art der Substanz und bewerten Rückfälle quantitativ abgestuft, indem die Häufigkeit des Konsums oder die aufgenommene Substanzmenge mit in Betracht gezogen werden. Den beiden Autoren zufolge bestehe infolgedessen die Frage, welcher Konsum einer bestimmten psychoaktiven Substanz überhaupt als Drogenrückfall bewertet werde: „Ist der Cannabiskonsum eines Menschen mit vorliegender Opiatabhängigkeit als Rückfall zu bewerten? Ist generell der Konsum von Alkohol bei drogenabhängigen Menschen als Rückfall zu bezeichnen, unabhängig von ihrer jeweiligen Vor- bzw. Krankheitsgeschichte mit dieser Substanz?“ (Ebd.: 23) Dass diese Fragen nicht eindeutig zu beantworten sind, zeigen sehr unterschiedliche Ansichten, die im fachlichen Diskurs erörtert werden. Körkel (1999) versteht in diesem Zusammenhang beispielsweise unter Rückfall nicht den Konsum derjenigen psychotropen Substanz (wie z.B. Alkohol oder Cannabis), welche die drogenabhängige Person bislang vor keine Kontrollprobleme oder Kons-
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umfolgeprobleme gestellt hat, so dass in Bezug auf diese Substanzen i.d.R. auch keine Abstinenz angestrebt werde (vgl. ebd.: 24). „Nicht rückfällig in diesem Sinne wäre also beispielsweise eine heroinabhängige Person, die nach einer Behandlung Alkohol oder Cannabis konsumiert, sofern sie vor der Behandlung als Alkohol- oder Cannabis-Gelegenheitskonsument/in mit diesen Substanzen keine Probleme gehabt hat und in Bezug auf diese Substanz keine Abstinenz anstrebt. (Probleme bei der ‚Suchtverlagerung‘ – wissenschaftlich kaum hinreichend erforscht – bleiben hier erspart).“ (Ebd.: 25)
Eine weitere begriffliche Definition und wichtige Unterscheidung, die sich in quantitativ abgestuften Rückfalldefinitionen vor allem bei der Analyse der Wiederaufnahme des Drogenkonsums nach einer Abstinenzphase auffinden lässt, sollte zwischen Ausrutscher und Rückfall getroffen werden (vgl. Körkel 1999; Körkel 2005). In Anlehnung an das Zwei-Phasen-Modell von Marlatt (1985) ist mit Ausrutscher, also einem leichten Rückfall (slip, lapse, episodischer Rückfall), der erstmalige Suchtmittelkonsum nach einer Abstinenzphase gemeint, der nach kurzer Zeit ohne gravierende Folgen bzw. Nebenwirkungen wieder beendet wird. Unter ausgewachsenem Rückfall ist hingegen ein schwerer Rückfall (relapse) zu verstehen, der zurück zu alten Konsummustern führt und mit Folge- bzw. Begleitschäden für die Person, deren soziales Umfeld und Lebensumstände einhergeht (vgl. Körkel 2005, Klos/Görgen 2009). 8.3.2 Zur Theorie des Rückfalls Mittlerweile steht eine große Zahl von Rückfalltheorien zur Erklärung, Vorhersage und zum Verlauf des Rückfallgeschehens bei suchtkranken Menschen zur Verfügung, die Klos & Görgen (2009) hinsichtlich der zugrundeliegenden therapeutischen Ausrichtungen und Perspektiven grob in vier Kategorien unterteilen (vgl. ebd.: 28): Psychoanalytische Rückfalltheorien, Systematische Rückfalltheorien, Neurobiologische Theorien und das Sozial-kognitive Rückfallmodell. Auf letztgenanntes Modell, das von dem amerikanischen Psychologen Marlatt als einem der führenden Rückfallforscher Mitte der 1980er Jahre entwickelt wurde, soll im Folgenden näher eingegangen werden, da es das empirisch am besten gestützte und in der Suchthilfe am stärksten verbreitete theoretische System zur Erklärung von Rückfällen und deren Verlauf darstellt. Der Rückfall wird hierbei als Prozess beschrieben, in dem Verhalten, Kognition und Emotion in komplexer Wechselwirkung stehen (vgl. Klos/Görgen 2009; Wilcken/Rochow: 2000). Körkel & Schindler (2003) zufolge können die Bedingungen und Faktoren bzw. Vorläufer, die zur Entstehung von ‚Ausrutschern‘ bzw. Rückfällen beitragen, zeitnah am erneuten Konsum oder weiter zurück liegen (vgl. ebd.: 18). So wie es den Rückfall nicht gibt, so lässt sich auch bei der Ergründung der Rückfallentstehung ein komplexes Zusammenwirken erwarten und nicht die Ursache ermitteln. Folgende Ausführungen stellen daher auch nur ein vereinfachtes Abbild der „wahren Verhältnisse“ bei der Entstehung von Rückfällen dar (vgl. ebd.). Im Zentrum des von Marlatt (1985) entwickelten Modells steht der Umgang der Betroffenen mit Hochrisikosituationen (high-risk situations): Als Risikosituationen bezeichnet Altmannsberger (2004) kritische Situationen, die für den abstinenten Alkoholiker (bzw. Drogenkonsumenten) schwierig zu bewältigen sind, die Selbstwirksamkeit und wahrgenommene Kontrollmöglichkeit einer Person bedrohen und daher
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mit der Gefahr eines Rückfalls verbunden sind (vgl. ebd. 22). Diese Risikosituationen lassen sich vor allem auf drei Klassen von Situationen zurückführen: a) Emotionale Beeinträchtigung durch negative Gefühle wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Ärger, b) soziale Konflikte und c) soziale Verführung. Zu beachten gilt jedoch: Was als riskant oder bedrohlich wahrgenommen wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und daher individuell zu betrachten. Marlatt zufolge begünstigten vier Faktoren den erneuten Suchtmittelkonsum sowie einen ungünstigen Verlauf dessen. In Anlehnung an Wilcken & Rochow (2000: 19) sowie Körkel (2005: 310) lassen sich diese vier entscheidenden Faktoren wie folgt zusammenfassen: 1. Dauerhaft unausgewogener Lebensstil Einem Leben mit vielen Pflichten, Anforderungen und Stress und wenigen positiven Akzenten und Regenerierungsmöglichkeiten stehen zu wenig Ausgleich und freudvolle Aktivitäten gegenüber. Diese fehlende Balance birgt die Gefahr, dass erneuter Konsum zur Erleichterung, Entspannung und Entlastung eingesetzt wird. 2. Rückfallgefährliche Situationen, Hochrisikosituationen Das sind belastende kritische Lebensereignisse bzw. Hochrisikosituationen (z.B. Panikattacken, Verlusterlebnisse, Konflikte in der Familie, Aufforderungen zum Mitkonsum) sowie scheinbar unbedeutende Entscheidungen, die zu einer akuten Gefährdung der Abstinenz führen können. 3. Ungeeignete Copingstrategien Hierzu zählt das Fehlen ausreichender Verhaltenskompetenzen (z.B. ‚nein sagen‘ bei Konsumangeboten). Dies kann unter akuter Belastung von der Abstinenzgefährdung zur -beendigung führen. 4. Ungünstige Kognitionen und geringe Selbstwirksamkeitserwartung Die Zuversicht des Betroffenen, die Abstinenz aufrecht zu erhalten, sinkt stark ab. Das bewirkt, dass nach einem Ausrutscher die Ausweitung des Alkoholkonsums fast zwangsläufig zunimmt. Für die Eingruppierung der benannten Hauptrückfallgründe wurde von Marlatt (1985) ein Kategoriensystem entwickelt, das insgesamt acht Faktoren (Hochrisikobereiche) umfasst.9 Davon bezeichnet Marlatt fünf Hochrisikobereiche, die vorwiegend in der Person des Konsumenten anzusiedeln sind, als intrapersonale Einflussfaktoren. Dazu gehören 1. 2. 3. 4. 5.
unangenehme Gefühle (z.B. Ängste und Depressionen), körperliche Zustände (z.B. Schmerzen oder Schlaflosigkeit), angenehme Gefühle (z.B. Stolz über vollbrachte Leistungen), Versuche des kontrollierten Trinkens und „unwiderstehliches Alkoholverlangen“ („Suchtdruck“ bzw. „craving“).
9
Folgende zusammenfassende Ausführungen wurden von Körkel & Schindler (2003: 18) übernommen.
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Die drei zentralen zwischenmenschlichen (interpersonalen) Rückfallfaktoren sind 1. Konflikte mit anderen Menschen, 2. das Zusammensein mit Alkoholkonsumenten (inklusive direkter Trinkaufforderung durch andere) sowie 3. angenehme Gefühlszustände im Zusammensein mit anderen. Laut Körkel (2005) erhalten die genannten und weitere rückfallanbahnende Faktoren in jedem Einzelfall unterschiedliche Gewichtung. Daraus folgert er, dass stets eine individuelle Rückfallanalyse notwendig sei, von der ausgehend eine individuelle Planung der Rückfallbearbeitung bzw. -bewältigung erfolgen sollte (vgl. ebd.: 310). Anzumerken ist zudem, dass sich das beschriebene Kategoriensystem im Rahmen der Rückfalltheorien vornehmlich auf alkoholabhängige Menschen bezieht. Auch wenn es sich auf Drogenabhängige anwenden lässt, unterliegen diese dennoch anderen Belastungsfaktoren, die bei rückfallprophylaktischen Überlegungen und bei der Ausgestaltung von Inhalten und Methoden zur Rückfallprophylaxe meist nicht ausreichend einbezogen werden und damit der Realität dieser Personengruppe nicht gerecht werden. Eine spezifische Rückfalltheorie für drogenabhängige Menschen liegt bislang nicht vor. 8.3.3 Protektive Faktoren und Maßnahmen zur Identifikation von Rückfallrisiken Der Rückfall ist ein häufig auftretendes Phänomen, mit dem Drogenabhängige, ihr soziales Umfeld und der sie behandelnde Personenkreis früher oder später konfrontiert werden. Auch wenn in Bezug auf Drogenabhängige kein spezifisches Modell zur Rückfallprophylaxe vorliegt, gilt es dennoch, sich im Umgang mit (ehemals) Drogenabhängigen auf potenzielle ‚Ausrutscher‘ oder ‚Fehltritte‘ vorzubereiten. Obwohl bislang keine Fälle bekannt sind, in denen durch ein Interview ein Rückfall (engl. Flashback) ausgelöst worden ist, und zudem die teilnehmenden Personen frei darüber entscheiden konnten, ob sie an der Studie teilnehmen wollen,10 ist zwingend zu berücksichtigen, dass Interviews mit einem grundsätzlich kognitiven Bezug zu Erlebtem zur Reflektion des Geschehens beitragen können und daher mit dem Risiko eines Rückfalls verbunden sind. Infolgedessen – sowie in Anbetracht des erschwerten Feldzuganges und der damit verbundenen Einschränkung der Stichprobe – wurde ein pragmatischer Ansatz zur Identifizierung bzw. Einschränkung des Rückfallrisikos gewählt, der die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalles verringert und eine grundsätzliche Teilnahme von Studienteilnehmer*innen am Interview nicht ausschließt.
10 Da die an dem Interview teilnehmenden Personen hierbei als ehemalige Drogenkonsument*innen und abstinente Zeitzeug*innen zu beurteilen sind und sich nicht mehr in einem therapeutischen (Rehabilitations-)Prozess befinden, liegen für die Nutzung dieser Interviews aus wissenschaftlicher Perspektive keine juristischen Einwände vor.
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Auf Grundlage der zuvor benannten Rückfalltheorien11 und in Anlehnung an Körkel & Schindler (2003: 5), die der Auffassung sind, dass der Abstinenz verschiedene Erfolgsparameter zur Seite gestellt werden können, sowie in Zusammenarbeit mit Suchtmedizinern und -therapeuten wurde ein Kriterienkatalog zur Überprüfung der Teilnahmefähigkeit am Interview erarbeitet. Dieser Kriterienkatalog umfasst u.a. die Parameter Zurückliegender Konsum, Intrapsychische Faktoren, Soziale Einbettung/Faktoren, Hilfesysteme und Präventionsstrategien. Die benannten Parameter wurden in einer vorab hergestellten (nicht aufgezeichneten) Gesprächssituation erfragt und anschließend bewertet.12 8.3.3.1 Zurückliegender Konsum Laut Klos & Görgen (ebd.) sind die Chancen auf einen Rückfall nach einer Behandlung bei regulären Therapiebeendern höher als bei Personen, welche die Behandlung abbrechen. Generell betrachtet machen Rückfallquoten jedoch deutlich, dass Rückfälle auch häufig noch nach längerfristigen stationären Entwöhnungsbehandlungen auftreten und damit ein zu erwartendes und häufig auftretendes Ereignis – sowohl bei Therapie-Beender*innen als auch -abbrecher*innen – darstellen. Nach Körkel et al. (1995) sind folgende Ergebnisse der Rückfallforschung besonders bedeutsam: Im ersten halben Jahr nach Therapieende besteht das größte Risiko, rückfällig zu werden; kontinuierliche Abstinenz nach einer einmaligen Therapie scheint für viele Betroffene ein eher unrealistisches Ziel zu sein; ‚Fehltritte‘ gehen nicht zwangsläufig in schwere Rückfälle über – obwohl damit dieses Risiko natürlich mit all den drohenden, schwerwiegenden körperlichen, psychischen und sozialen Folgen, nicht ausgeschlossen ist (vgl. auch Altmannsberger 2004; Körkel 2005). Auch Körkel & Schindler (2003) resümieren aus vorhandenen Forschungsergebnissen, dass die ersten drei Monate nach Erreichen der Abstinenz die Zeit der höchsten Rückfallwahrscheinlichkeit darstellen (vgl. ebd.: 11). Herbst (1992) zufolge könne auch ein Zusammenhang zwischen Behandlungsdauer und Rückfallwahrscheinlichkeit hergestellt werden. Demnach führt eine längere Therapiedauer zu einer Verlängerung der Zeit bis zum nächsten Rückfall (vgl. hierzu auch Klos/Görgen 2009: 27). Auch wenn die Ergebnisse der Rückfallforschung eine hohe Rückfallquote bei drogenabhängigen Menschen dokumentieren, belegen sie dennoch, dass durch therapeutische Maßnahmen und damit verbunden die Dauer und erfolgreiche Beendigung der Behandlung die Rückfallgefährdung reduziert und die individuellen Bewältigungsstrategien der Patienten bei auftretenden Rückfällen verbessert werden können (vgl. ebd.: 28). Auf Grundlage dieser Feststellungen erscheint eine Abfrage des Kriteriums Therapeutische Maßnahmen zur Einschätzung des Rückfallrisikos der Studienteilnehmer*innen im Vorfeld der Interviewstudie als sinnvoll.
11 Siehe hierzu auch das Unterkapitel Rückfallauslöser bei Klos & Görgen 2009. 12 Die Ein- und Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der vorliegenden Studie sowie alle Maßnahmen, die zum Schutz der Studienteilnehmer*innen und damit zur Vorbeugung von potenziellen Rückfällen vorgenommen wurden, wurden im Vorfeld der Datenerhebung vom Ethikbeirat der Leuphana Universität Lüneburg zur Kenntnis genommen und als „ethisch unbedenklich“ eingestuft.
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8.3.3.2 Intrapsychische Faktoren Zu den wichtigsten Faktoren der Rückfallgenese zählen negative Gefühle, die durch erneuten Suchtmittelkonsum günstig beeinflusst werden sollen. Diese können unterschiedlichster Qualität und Intensität sein und in verschiedener Form in Erscheinung treten: Angst- oder depressive Zustände, abrupte Stimmungsschwankungen, Gefühle innerer Leere und fragiler Identität, Gekränktheit, Verlusterlebnisse nach Trennung/Tod/Kündigung, aufkommende Wahnsymptome, unangenehme Nebenwirkungen von Psychopharmaka usw. (vgl. Körkel 1999; Körkel & Schindler 2003). Auch Fischer et al. (2007) haben (in der Halbjahreskatamnese) 148 Patienten zu Auslösern des erneuten Suchtmittelkonsums befragt. Überwiegend wurden hierbei ebenfalls intrapersonelle Faktoren genannt wie bspw. Frustration, Enttäuschung, unwiderstehliches Verlangen/Suchtdruck, Depression, innere Spannungen/Unruhe und Einsamkeit (vgl. Klos/Görgen 2009: 35). Nach Körkel (1999) diene das Suchtmittel dann oftmals zur Selbstbehandlung (Selbstmedikation) von Zuständen, die nicht erträglich seien bzw. so erlebt würden (vgl. ebd.: 35). Innerhalb der Interviewsituation mit potenziellen Studienteilnehmer*innen gilt es, mögliche Faktoren – sowie ggf. entsprechende Rückfallpräventionsstrategien – zu ermitteln und zu bewerten, um eine Teilnahme am Interview zu befürworten oder ausschließen zu können. 8.3.3.3 Soziale Faktoren Die bisher dargestellten Präventionsüberlegungen konzentrierten sich auf die süchtige Person. Da soziale Bindungen eine gewichtete Rolle innerhalb der Rückfallgenese spielen, sollte des Weiteren auch der soziale Kontext der süchtigen Person berücksichtigt werden. Laut vorliegender Studien sind Konflikte im privaten oder beruflichen Bereich sowie Versuchungssituationen – d.h. das Zusammensein mit Menschen, die zum erneuten Konsum animieren – als zweit- und drittwichtigster Rückfallfaktor zu benennen (vgl. Körkel/Schindler 2003; Körkel 2005). Unter dem Faktor Soziale Einbettung versteht Schmidt (2000) „die Integration und die Partizipation in einem definierten sozialen Netzwerk“ (ebd.: 229). Studien zeigen, dass die rückfallbegünstigende Wirkung eines brüchigen sozialen Netzwerks nicht zu unterschätzen ist – ein Faktor, den auch Vaillant (2000) in einer Langzeitstudie mit 110 Alkoholikern ermittelte. Wichtige Bedingungen für die Aufrechterhaltung von Abstinenz, die aus dieser Studie hervorgingen, waren die Tatsache, in eine anerkannte Umgebung integriert zu sein, über eine Arbeitsstelle und stabile Wohnverhältnisse zu verfügen, verheiratet und nicht durch Strafdelikte wegen Trunkenheit vorbelastet zu sein. Als protektiv bei der Abstinenzeinhaltung erwies sich bei Alkohol- und Opiatabhängigen in diesem Zusammenhang nach Havassy et al. (1991) ebenso das Vorhandensein einer mit in der Wohnung lebenden nahestehenden Person (z.B. Ehepartner, erwachsenes Kind), die Existenz äußerlicher Freunde, das Vorhandensein enger Freunde und Verwandter sowie die Zugehörigkeit zu organisierten sozialen Gruppen (vgl. Schmidt 2000: 229). Auch diese Faktoren gilt es in einem Vorgespräch zu erfragen, um ein Rückfallrisiko zumindest annähernd einschätzen zu können.
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8.3.3.4 Hilfesysteme Die Teilnahme an Nachsorgemaßnahmen, insbesondere Selbsthilfegruppen und ambulanter Suchtberatung und Psychotherapie, kann einen abstinenzfördernden und „rückfallabpuffernden“ Effekt haben (vgl. Körkel & Schindler 2003; Körkel 2005). So kamen bspw. Emrick et al (1993) innerhalb ihrer Studien zu dem Ergebnis, dass sich Gruppenbesuche bei den Anonymen Alkoholikern während und nach einer Alkoholismusbehandlung positiv auf die Abstinenz auswirkten. Laut Körkel (1999) sollte in jedem Teil des Hilfesystems – von der hausärztlichen Behandlung über die ambulante Suchtberatung und die körperliche Entgiftungsbehandlung bis zur stationären Therapie und Selbsthilfegruppen – der potenzielle Rückfall frühzeitig (nicht erst nach dessen Eintreten), offensiv, umfassend und gelassen thematisiert und auf den Umgang mit Ausrutschern vorbereitet werden (vgl. ebd.: 30). Anhand der Daten von Maffli et al. (1995) lässt sich erkennen, dass eine soziale Verankerung der ehemaligen Patient*innen mit einer Tendenz zum unproblematischen Umgang mit Suchtmitteln einhergeht. Die Stärkung sozialer Bindungen, die z.B. durch die Teilnahme an einer Gesprächsgruppe hergestellt werden kann, kann im Zusammenhang mit der Erhaltung von Abstinenz als Erfolg versprechende Maßnahme angesehen werden. Auch die Zusammenarbeit mit Behandlungseinrichtungen bildet eine protektive Maßnahme im Rahmen der Rückfallprävention. Ausgebildete Suchtberater und Therapeuten können hierbei einen hilfreichen Beitrag leisten, indem „die von ihnen vermittelte Sicht des Rückfallgeschehens konform geht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, Wiederbehandlungen nach Ausrutschern erleichtert werden, die Behandlungsdauer individualisiert u.a. nach dem Schweregrad der suchtbezogenen und sonstigen Beeinträchtigungen erfolgt und Weiterbehandlungen nach stationärer Rückfälligkeit nach einem wohlüberlegten Rückfallaufarbeitungskonzept ermöglicht werden“ (KörkelSchindler 2003: 23).
8.3.4 Präventionsstrategien Auch wenn es gelungen ist, einen Opiatentzug erfolgreich abzuschließen und auf längerfristige Sicht einen Rückfall zu vermeiden, ist das Thema Abhängigkeit damit nicht ausgestanden. Auch bei stabiler Lebenssituation und großer Abstinenzmotivation besteht über Jahrzehnte eine Rückfallgefahr (vgl. Gellert/Schneider 2003). In kritischen Situationen – z.B. beim Weiterbestehen von Partnerschaftsproblemen, Gefühlen von innerer Leere, schweren Ängsten, eintretender Arbeitslosigkeit, Tod/Trennung nahestehender Personen – kann der Rückgriff als Bewältigungsressource dienen (vgl. Körkel 1999: 30). Körkel (ebd.) zufolge sei bei dem Eintreten von ‚Ausrutschern‘ entscheidend, ob man einen ‚kühlen Kopf‘ bewahrt‘, wieder in einen Veränderungszyklus eintritt (z.B. mit guten Freunden über den Ausrutscher spricht, in eine Selbsthilfegruppe oder Beratungsstelle geht usw.) und es somit bei diesem ‚Ausrutscher‘ bleibt. Es kommt demnach darauf an, ob der Betroffene in diesen Situationen über Fertigkeiten verfügt, diese Situationen nüchtern zu bewältigen (vgl. Altmannsberger 2004: 22). Körkel & Schindler (2003) behaupten in diesem Zusammenhang, dass vieles dafür spreche, dass sich der Rückfall erst einmal im Kopf abspielt. In Bezug auf einen
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Alkoholrückfall, der sich wiederum auch auf den Rückfall von Drogenkonsum beziehen lässt, behaupten die Autoren: „Wer sich nach Beginn des erneuten Suchtmittelkonsums für unfähig hält, das Trinken wieder in den Griff zu kriegen – etwa aus sich selbst zugeschriebener Willensschwäche – wird das Trinken wahrscheinlich fortsetzen (‚Jetzt ist es ja egal!‘).“ (Ebd.) Nach Marlatt (1985) beeinflussen insbesondere eine gedankliche Selbstabschreibung und Selbstvorwürfe den Verlauf vom ehemaligen Wiederkonsum zum ‚Absturz‘ maßgeblich (siehe auch Körkel 2005: 308). Entscheidend ist also die Frage, wie jemand einen Ausrutscher innerlich verarbeitet. 8.3.5 „Notfallhilfen“ Obgleich die Erfüllung der genannten Kriterien gewährleistet ist und somit das Risiko eines Rückfalls eingeschränkt wird, ist ein Flashback dennoch nie vollkommen auszuschließen. Da ein Rückfall selbst bei bester Prognose eines Patienten jederzeit eintreten kann, sollten Studienteilnehmer*innen auf die Möglichkeit eines Rückfalls vorbereitet werden. Ziel ist es hierbei, Rückfälle – im Falle, dass sie nicht verhindert werden konnten – im Sinne einer Schadenbegrenzung möglichst schnell beenden zu lernen (vgl. Lindenmeyer 2005). Aufgrund des drohenden Rückfallschocks kommt es hierbei darauf an, dass die Studienteilnehmer*innen und, sofern möglich, Angehörige über einfache und vor allem fest eingeprägte Notfallhilfen (relapse emergency procedures) verfügen. Notfallhilfen sind Verfahren, die eingesetzt werden, um einen Ausrutscher zu beenden. Eine dieser Möglichkeiten ist der Notfallplan (relapse contract, Ausrutscher-Vertrag“ etc.). In ihm wird geregelt, an welche Hilfeperson sich Abhängige nach einem Ausrutscher wenden können und wie diese Person unterstützend tätig werden kann. In diesem Zusammenhang kann auch auf das S.T.A.R.-Programm verwiesen werden, in welchem explizite Notfallpläne und Exit-Strategien integraler Bestandteil sind (vgl. Körkel/Schindler 2003: 40).13 Da es für viele Menschen ein schwieriger Schritt ist, nach einem erneuten Alkohol- oder Drogenkonsum auf andere Menschen zuzugehen und über den ‚Ausrutscher‘ zu sprechen, und oftmals nicht eingeschätzt werden kann, wie die andere Person über das erneute Konsumverhalten denkt bzw. reagieren wird, wird der Ausrutscher-Vertrag bzw. die Ausrutscher-Vereinbarung als erster Schritt bei der Hilfe zum Ausstieg eingeführt. Dieses Zugehen fällt meist leichter, wenn im Vorhinein mit einer Person des Vertrauens über die Möglichkeit eines Rückfalls gesprochen wurde. In diesem Vertrag wird festgelegt, was für den Betroffenen und die Vertrauensperson zu tun ist. Vertrauenspersonen, die zum Vertragspartner werden können, sind bspw. Freunde, ehemalige Suchtkranke aus der Selbsthilfegruppe, Lebenspartner, Hausarzt, Pfarrer, Verwandte, Suchtberater usw. (vgl. S.T.A.R., Modul 12; Körkel/Schindler 2003: 370). Zu beachten ist jedoch, dass Angehörige oftmals durch die persönliche Mitbetroffenheit und gefühlsmäßige Involviertheit sich nur bedingt als Ansprechpartner*innen eignen. Die Auswahl der Vertragspartner*innen sollte dementsprechend problematisiert werden.
13 Eine adaptierte Version des Notfallplans wurde auf die Studie angepasst.
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8.3.6 Autonome Entscheidungsfähigkeit Körkel (2005: 309) plädiert darauf, dass Ausrutscher und Rückfälle „weder bagatellisiert noch dramatisiert“ werden sollten: „Eine Bagatellisierung ist unangemessen, wenn man bedenkt, dass Ausrutscher/Rückfälle zu schwerwiegenden Konsequenzen für die abhängige Person und ihr näheres soziales Umfeld führen können. Andererseits sollte man alles unterlassen, was die Selbststeuerungskräfte der abhängigen Person untergraben könnte.“ (Ebd.)
Ebenso weist Körkel auf die autonome Entscheidungsfreiheit der Studienteilnehmer*innen hin. Seiner Aussage zufolge gebe es durch die Freiwilligkeit der Interviewpartner*innen, die als ehemalige Drogenkonsument*innen und abstinente Zeitzeug*innen zu beurteilen seien, und sich zudem nicht mehr in einem therapeutischen Prozess befänden, für die Nutzung dieser Interviews aus wissenschaftlicher Perspektive keine juristischen Einwände. Wie auch Gutzwiller et al. (2000) anmerken, stelle sich auf ethischer Ebene vielmehr das Problem, „wie weit das Individuum sein Verhalten selbst bestimmen und dafür auch mit seiner Gesundheit Verantwortung übernehmen kann und soll“ (ebd.: 241): „Staatliche Präventionspolitik befindet sich im Spannungsfeld zwischen der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Staates bei der Verhinderung gesundheitsschädigender Verhaltensweisen einerseits und der Freiheit des einzelnen Bürgers, dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen – auch auf Selbstschädigung – andererseits. In dieser Frage ist das Recht auf individuelle Selbstbestimmung zu betonen; das Recht des Individuums auch auf Verhalten, das möglicherweise gesundheitsschädigend ist, darf nicht beschnitten werden (sofern nicht Rechte, Freiheiten und gesundheitliche Integrität Dritter beeinträchtigt werden). Krankheit muß eine sozial akzeptierte Lebensform sein dürfen.“ (Ebd.)
8.4
(ETHISCHE) VORKEHRUNGEN
Nachdem im Vorfeld ein persönlicher Kontakt zu potenziellen Teilnehmer*innen aufgebaut werden konnte und eine Einwilligung der betreffenden Person vorlag, wurden die benannten Parameter in einer vorab hergestellten Gesprächssituation erfragt und anschließend bewertet. Sofern bereits ein therapeutisches bzw. suchtbegleitendes Verhältnis bestand bzw. nach abgeschlossener Maßnahme weiterhin therapeutische Hilfe in Anspruch genommen wurde, wurde die jeweilige Kontaktperson ausfindig gemacht und zur Bewertung der Kriterien hinzugezogen. Ebenso wurden Freund*innen und nahestehende Bekannte der Betroffenen in die Bewertung mit einbezogen. Erst nach abgeschlossener Prätestung und Begutachtung wurde die Entscheidung über den Ein- oder Ausschluss der Studienteilnehmer*innen in die Hauptstudie getroffen. Dass Gesprächspersonen in narrativen – insbesondere lebensgeschichtlichen – Interviews grundsätzlich immer auf mögliche Komplikationen gefasst sein müssen, da-
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rauf weist auch Küsters (2009: 68) im Hinblick auf die Datenerhebungsform hin, die auch für diese Studie gewählt wurde: „Diese können besonders dann auftreten, wenn Gespräche mit traumatisierten Menschen geführt werden [...], ebenso bei häufig verdrängten Themen wie Nationalismus, Krieg, Verfolgung, Vertreibung. Doch auch bei anderen, zunächst harmlos erscheinenden Themen ist es nicht auszuschließen, dass es bei der Erzählung oder den Nachfragen zu Gefühlsausbrüchen des Befragten kommt – oder auch zu regelrechten Zusammenbrüchen, beispielsweise durch Auslösen unverarbeiteter traumatischer Erinnerungen im Interview.“
Küsters bezieht sich in ihren Ausführungen auf die Arbeiten von Loch (2002). In Lochs Artikel über „Grenzen und Chancen der narrativen Gesprächsführung bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit“ geht Loch insbesondere auf ausgewählte Interviews ein, die im Rahmen eines Forschungsprojektes über sexuelle Gewalt im Kontext der Familien- und Gesellschaftsgeschichte geführt wurden. Sie thematisiert in ihrer Darstellung u.a. den ambivalenten Umgang der Betroffenen mit der Thematik. Auch hier lässt sich eine Parallele zum vorliegenden Studienteilnehmer*innenkreis feststellen: „Einerseits besteht das Bedürfnis, über die bedrohlichen Situationen zu sprechen, und dieses wird auch in Gesprächen signalisiert. Dieses Bedürfnis ist vor allem von dem Wunsch nach Erleichterung durch Mitteilung und Teilen dieser schwierigen, oftmals tabuisierten, Erfahrungen [...] getragen. Auf der anderen Seite sind diese Erfahrungen mit einem hohen Erzählwiderstand belegt.“ (Ebd.: 235)
Letzteres geht in Bezug auf Studienteilnehmer*innen der vorliegenden Arbeit insbesondere mit Verdrängungshaltungen sowie Stigmatisierungserfahrungen einher. In einer solchen Situation erwies es sich in Anlehnung an Loch als notwendig, nicht gegen den Widerstand der Betroffenen zu arbeiten bzw. sich an den im Gesprächsverlauf deutlich gewordenen Schutzstrategien der Betroffenen zu orientieren. Loch geht hierbei von der Funktion einer „überlebenswichtigen Abwehr des Erzählenden“ aus, d.h. „Traumatisches oder Schwieriges wird in der Regel nur soweit erzählt, wie es das Abwehrsystem gestattet“ (ebd.: 235). Gleichermaßen kann es insbesondere für den Nachfrageteil innerhalb der narrativen Gesprächsführung förderlich sein, wenn Detaillierungsfragen (erneut) aufgegriffen werden, auch wenn ein Thema bzw. eine Situation während der Haupterzählung immer wieder angerissen, dann aber nicht ausgeführt wird. Generell gilt jedoch, so auch Loch, in ‚heiklen‘ Situationen mit Nachfragen vorsichtig umzugehen, mit denen unkontrolliertes Wiedererleben von Erinnerungen, die sich negativ auf das Wohlergehen der Befragten auswirken könnten, hervorgerufen werden kann: „Unkontrolliertes Wiedererleben heißt, dass die mit einer traumatischen Erfahrung verbundenen Gefühle, Gedanken etc. während des Erzählens als gegenwärtige und nicht als vergangene Erfahrung wahrgenommen werden.“ (Ebd.: 239) Übertragen auf den vorliegenden Forschungskontext bedeutet das, dass unkontrolliertes Wiedererleben die Gefahr eines Rückfalles herbeiführen kann. Hierbei können sowohl sogenannte Trigger entstehen, die erneutes Suchtverlangen evozieren, als auch bspw. durch ein Gefühl des Gescheitert-seins bzw. der Erzeugung eines negativen Selbstbildes (z.B. ‚Ich bin ein Versager‘) in der Droge eine er-
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neute Lösungsstrategie ihrer Probleme gesehen und damit ein Rückfall ausgelöst werden kann. Es ergibt sich nun die forschungsethische Frage, wie sich Interviewende in einer solchen Situation verhalten sollten: „Das Abbrechen des Interviews wäre sicher nicht der Königsweg, zumal ja die Gefühlsreaktionen Teil der erzählten Erfahrungen sind. Wesentlich ist es, dem Befragten beizustehen. Wie, darauf können die persönliche Intuition, aber auch vorherige Erzählpassagen Hinweise geben [...]. Als Maxime bietet sich in solchen Fällen an, sich ganz nach den Thematisierungsmöglichkeiten und -wünschen der Befragten zu richten und diese gegebenenfalls offen zu erfragen.“ (Küsters 2009: 68)
Die am Interview teilnehmenden Personen haben im Rahmen des narrativen Interviews nicht nur die Möglichkeit, nach einleitendem Redeimpuls frei zu bestimmen, welche Informationen sie in ihren Erzählungen preisgeben wollen. Vielmehr besteht jederzeit die Gelegenheit, die Gesprächssituation abzubrechen und zu verlassen. Ebenfalls, und das wird in wissenschaftlichen Ausarbeitungen meist nicht thematisiert, sind natürlich auch starke emotionale Reaktionen des Interviewers bzw. der Interviewerin denkbar. Auch wenn diese in der Regel durch gezielte Vorbereitung, Erfahrung und Routine besser kontrolliert werden können, sind sie jedoch nicht auszuschließen. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass, auch wenn die Erfüllung der genannten Kriterien gewährleistet ist und somit das Risiko eines Rückfalles eingeschränkt wird, ein ‚Flashback‘ nie vollkommen auszuschließen ist. Da ein Rückfall selbst bei bester Prognose eines Patienten oder einer Patientin eintreten kann, sollten die Studienteilnehmer*innen auf die Möglichkeit eines Rückfalles hingewiesen und vorbereitet werden. Ziel ist es hierbei, Rückfälle, wenn sie schon nicht verhindert werden können, im Sinne einer Schadensbegrenzung möglichst schnell beenden zu lernen (vgl. Lindenmeyer 2005). Aufgrund des drohenden Rückfallschocks kommt es darauf an, dass die Studienteilnehmer*innen – und falls möglich – Angehörige über einen einfachen und vor allem fest eingeprägten Notfallplan verfügen.14 Die Absprache über einen potenziellen Umgang in bzw. mit Rückfallsituationen sollte mit jeder teilnehmenden Person im Vorfeld des Interviews individuell erfolgen. Durch die Abmachung der Rückmeldung und Erreichbarkeit wird zudem Nachsorge über den gesundheitlichen Zustand der Studienteilnehmer*innen gewährleistet. Der Gesundheitszustand aller an der vorliegenden Studie teilnehmenden Personen wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren in regelmäßigen Abständen in Form von Treffen, Telefonaten oder Schriftverkehr verfolgt. Es besteht nach wie vor zu allen Studienteilnehmern Kontakt, welche bis dato bestätigen, dass keine Negativfolgen durch die Gesprächssituation ausgelöst wurden. Die zuvor beschriebenen Maßnahmen, die in der Vorbereitung aus theoretischer Perspektive als sehr sinnvoll erachtet wurden, gingen in der praktischen Umsetzung jedoch auch mit Problematiken einher. Beispielsweise wurde für die Teilnahme an
14 In diesem Zusammenhang kann auch auf das bereits erwähnte S.T.A.R.-Programm verwiesen werden, in welchem explizite Notfallpläne und Exit-Strategien integraler Bestandteil sind (vgl. Körkel/Schindler 2003).
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der Studie ursprünglich vorausgesetzt, dass von allen Teilnehmenden ein Informationsschreiben sowie eine Einverständniserklärung, aus der Maßnahmen zum Datenschutz hervorgehen, zur Kenntnis genommen, verstanden und unterschrieben werden sollte. Insbesondere das Unterzeichnen der Dokumente wurde von einigen Studienteilnehmern als eine Verpflichtung angesehen, auf die sie sich nicht einlassen wollten. Ein Gesprächspartner wies beispielsweise darauf hin: „Wenn meine Daten anonymisiert verwendet werden, um den Schutz meiner Person zu gewährleisten, warum sollte ich dann mit meinem richtigen Namen unterschreiben?“ Er unterschrieb die Dokumente folglich mit „Master of Disaster“ und gab Anlass zur Überlegung, was eine Unterschrift im benannten Kontext tatsächlich wert ist. Sicherlich setzt sich die forschende Person auch in diesem Zusammenhang der ethisch-moralischen Frage aus, ob die Unterzeichnung von Dokumenten zur Sicherheit der teilnehmenden Person nun als zwingend notwendig erachtet wird oder die Durchführung der Interviews auch ohne die Unterzeichnung eines entsprechenden Dokumentes erfolgen kann. Die konkrete Handhabung von Sicherungsvorkehrungen wurde letztlich je nach Fall individuell bestimmt und anhand der ausgewählten Fallanalysen im Folgenden entsprechend dargestellt. Prinzipiell gilt, so auch Helfferich (2011) in ihrem Manual für die Durchführung qualitativer Interviews, dass es in der Verantwortung der Forschenden liegt, potenzielle negative Folgen, die sich aus der Teilnahme an einer Studie ergeben, möglichst vorherzusehen und die Erzählperson entsprechend zu schützen. Dementsprechend liegt es auch in ihrer Verantwortung, dass aufgrund der datenschutzrechtlichen Bestimmungen getroffene Zusagen auch tatsächlich eingehalten werden müssen (vgl. ebd.: 192) – ob mit oder ohne Unterschrift.
8.5
REKRUTIERUNG UND STICHPROBE
Wie zuvor erörtert gestaltete sich die Gewinnung von Studienteilnehmer*innen insgesamt als sehr aufwendig und mühsam. Studienteilnehmer*innen, die prinzipiell infrage kamen und für ein Interview angefragt wurden, zögerten zum Teil sehr lange, bis sie sich zur Mitwirkung bereit erklärten. Dass es überhaupt zu einem Treffen und damit der Möglichkeit einer Gesprächssituation kam, erwies sich aufwändiger als anfänglich erhofft: Schlechte Erreichbarkeit, häufiges (krankheitsbedingtes) Absagen von Terminen, Aufspüren von Studienteilnehmer*innen, die sich plötzlich nicht mehr erreichen ließen oder (beruflich bedingte) Reisen angetreten hatten, verlangten eine hohe Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen sowie gleichzeitiges Fingerspitzengefühl, um die an der Studie Teilnehmenden nicht zu verlieren. Manche Teilnehmer zögerten zunächst, weil sie sich nicht vorstellen konnten, warum sich eine deutsche Wissenschaftlerin für Lebenswelten von ‚Junkies‘ in Los Angeles interessiert. Nachdem diese Frage jedoch beantwortet und Vertrauen hergestellt werden konnte, erschwerte die Redebereitschaft zusätzlich, dass einige Befragte durch die Preisgabe ihrer Lebensgeschichte soziale Benachteiligung oder juristische Konsequenzen befürchteten. Die Feststellung, dass die Teilnahme am Interview und der Umgang mit persönlichen Daten allen notwendigen Kriterien der Bewahrung von Anonymität unterliegt, führte in den meisten Fällen dazu, dass trotz anfänglicher Zweifel die Teilnahme am Interview realisiert werden konnte. Bei anderen Studienteilnehmenden
Anmerkungen zum Studiendesign | 181
herrschten hingegen überhaupt keine Bedenken, so dass direkt – nach Überprüfung der zuvor bestimmten Sicherheitsmaßnahmen – in die Teilnahme eingewilligt wurde. Abgesehen von diversen Gesprächen, die unabhängig von der tatsächlichen Erhebungssituation geführt wurden, konnten zunächst für die Prätestung zwei Interviews nach allen beschriebenen Kriterien durchgeführt werden. Neben den zuvor benannten Ein- und Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der Studie wurde vorausgesetzt, dass alle Teilnehmenden aus einem musikalischen Umfeld stammten. Dies bedeutete im Konkreten: Es wurde zunächst nicht eingegrenzt, in welchem musikalischen Umfeld die Künstler*innen sich bewegen. Instrumentalist*innen wie Sänger*innen und Produzent*innen kamen als Teilnehmer*innen in Frage. Auch der Grad an Professionalität oder Laiendasein wurde nicht festgelegt. Es war diesbezüglich nicht entscheidend, ob die Musiker*innen kommerziell erfolgreich waren. Auch eine genrespezifische oder kulturelle Eingrenzung wurde in der Phase der Prätestung nicht getroffen. Zunächst lag der Fokus darauf, Teilnehmende zu finden, die sich in ihrer Hauptaktivität als Musiker*innen bezeichneten.15 16 Es galt auszutesten, ob diese a) überhaupt bereit für ein Gespräch sind und b) die gewählte Datenerhebungsform in ihren theoretischen Vorüberlegungen in der Praxis überhaupt umsetzbar ist.
15 Das Ausmaß, in dem sich die zu untersuchenden Personen als ‚Musiker‘ verstehen, ist ein wesentlicher Aspekt ihrer Vorstellungen über sich selbst, Musiker zu sein, und erschwert folglich eine Eingrenzung bzw. konkrete Festlegung des Studienteilnehmer*innenkreises. Auch Hargreaves et al (2012) geben zu verstehen, dass jede/r Musikmachende eine individuelle Meinung über den Status der eigenen Musikalität habe, was wiederum ihre/seine musikalische Entwicklung beeinflusse. Während in anderen Berufen die Menschen Qualifikationen erhielten, die es ihnen ermöglichten, die entsprechenden Berufsbezeichnungen wie ‚Arzt‘ oder ‚Anwalt‘ anzunehmen, sei der Begriff ‚Musiker‘ wesentlich fließender und hänge nicht zwingend vom Erlangen von Qualifikationen ab: „[I]ndividuals do not go to university or college, attain a degree in music, secure a job as a musician, and then adopt the label ‚musician‘ in the same way.“ (Ebd.). Richard & Chin (2017) zufolge könne der Begriff ‚Musiker*in‘ schließlich auch denjenigen vorbehalten sein, die ein gewisses Maß an Kreativität in ihrem Musizieren zeigen oder ‚Musiker*in‘ als Teil ihres Selbstkonzeptes betrachten. 16 Auch die Etikettierung ‚professionell‘ unterläuft einer subjektiven Betrachtungsweise. Wie beispielsweise eine Studie mit Jazzmusikern zeigte (siehe hierzu MacDonald/Wilson 2005), hängt die Definition eines „professionellen Jazzmusikers“ nicht allein vom Erreichen technischer Fähigkeiten ab. Vielmehr definierten sich die Studienteilnehmer*innen als „professionelle Jazzmusiker“ über Elemente ihres Lebensstils. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Studie von Caldwell & MacDonald (2010). Sie interviewten zehn selbst definierte „Nicht-Musiker“ über ihre musikalischen Vorlieben und Verhaltensweisen. Trotz ihrer Selbstdefinition hatten alle Erfahrungen mit Musik in der Öffentlichkeit. Einige hatten fortgeschrittene technische Fähigkeiten, die durch die Tatsache belegt wurden, dass sie regelmäßig in Bands gespielt hatten, in einigen Fällen seit über 20 Jahren. Ebenfalls berichten MacDonald & Miell (2004) von einer Studie über junge Erwachsene ohne formale Musikausbildung, die aber in einer Band auftreten, in der jeden Tag geübt wird: Diese Individuen verstehen sich selbst als ‚Musiker‘.
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Während sich meine persönliche Neugier, Begeisterungsfähigkeit und notwendige Empathie im Forschungsprozess als vertrauensaufbauende und damit die Erzählbereitschaft fördernde Faktoren erwiesen, erfordert der Umgang mit dem Datenmaterial auch die Fähigkeit der Distanzierung. Im Sinne Strauss’ & Corbins (1996) ist der unvoreingenommene Umgang mit den Daten durch Distanzierungsfähigkeit überhaupt erst möglich (vgl. ebd.: 28). Wie auch Küsters (2009) im Rahmen ihrer Forschung beobachtet, kann insbesondere eine enge Bindung zu den Befragten zwar Vertrauen schaffen, gleichzeitig aber auch emotionale Befangenheit hervorrufen und den Auswertungsprozess erschweren (ebd.: 49). Nach erfolgreicher Prätestung konnten im Rahmen mehrerer Aufenthalte im Forschungsfeld weitere Interviewpartner gewonnen werden. Durch das Netzwerk, das sich über einen Zeitraum von zwei Jahren herstellen ließ17, wurden acht weitere Interviews – jeweils im Umfang von 30 bis 120 Minuten – geführt, von denen fünf in die engere Auswahl der Fallanalyse eingingen. Im Rahmen der Prätestung und Hauptdurchführung der Studie wurden somit insgesamt mit zehn Studienteilnehmern im Alter von 25-48 Jahren Interviews durchgeführt. Obwohl Männer wie Frauen für die Teilnahme am Interview infrage kamen, konnten keine weiblichen Studienteilnehmer*innen für die Studie gefunden werden.18 Folglich setzt sich das Sample ausschließlich aus männlichen Teilnehmern zusammen, die im Laufe ihres Lebens hauptberuflich als Musiker tätig waren und eine Suchtkarriere zu verzeichnen hatten. Letzteres setzt voraus, dass die Betroffenen einen so regelmäßigen Gebrauch von Heroin hatten, dass das Stadium der Abhängigkeit bei Nicht-Konsum das Verlangen der Beschaffung hervorrief, um Entzugssymptome zu vermeiden (vgl. Groenemeyer 1990: 41). Wurmsers (1997) Klassifizierung zufolge haben alle Studienteilnehmer damit das Stadium des zwanghaften Konsums erreicht, in dem der Drogenkonsum mit hoher Frequenz und Intensität über relativ lange Dauer zu physischer und körperlicher Abhängigkeit führte, und das Individuum den Konsum nicht einstellen konnte, „ohne physisches Unwohlsein oder psychische Störungen zu erleben“ (ebd.: 22). Für die vorliegende Arbeit wurden drei Fälle ausgewählt, die den Kriterien des narrativen Interviews am ehesten entsprachen, und in den Auswertungsschritten der biographischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal einer ausführlichen Analyse unterzogen. Dass auf Grundlage des scheinbar geringen Samples kein vollständiges
17 Die Idee der klassischen Feldforschung ist, dass die Forschenden für einen längeren, mehrmonatigen Zeitraum am Alltagsleben der zu untersuchenden Gruppen teilnehmen. In der Ethologie wird hier meist mit einem Beobachtungszeitraum von mindestens einem Jahr gerechnet (vgl. Rosenthal 2014a: 106). Andererseits sei es Goffman (1996: 27) zufolge nicht möglich, eine „tiefe Vertrautheit“ zu gewinnen. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde sich jedoch nicht für einen längeren Zeitraum im Feld aufgehalten. Hingegen wurde das Forschungsfeld – aus rein praktischen Gründen (Finanzierung, Transkription der Interviews, Datenauswertung, Visum etc.), aber auch zur Bewahrung emotionaler Distanz – regelmäßig durch zeitlich dicht beieinander liegende Aufenthalte aufgesucht. Das regelmäßige Verlassen des Forschungsfeldes verringerte hierbei nicht nur die Gefahr des ‚going native‘, sondern half auch bei der Entdeckung neuer Blickwinkel auf die Vorgänge im Feld. 18 Im Folgenden wird daher auf eine weibliche Begriffsbezeichnung der Studienteilnehmenden verzichtet.
Anmerkungen zum Studiendesign | 183
„Abbild der theoretisch relevanten Kategorien“ (Hermann 1992: 116) dargestellt werden kann und damit nicht das Ziel nach theoretischer Repräsentativität angestrebt wird, steht außer Frage. Hierbei gilt ohnehin folgendes zu beachten: Wird dem Prinzip einer Entdeckungslogik gefolgt, so kann die Auswahl der Fälle vorab nicht definiert werden, da zu Beginn der Erhebung nicht bekannt ist, welche Fälle sich im Laufe der Forschung als theoretisch relevant erweisen werden (vgl. Rosenthal 2014a: 90). Im Gegensatz zu statistischen Verfahren sind hierbei also weder Umfang noch Verteilungsmerkmale der Stichprobe vorab bestimmbar. Durch die vorherrschenden Bedingungen, den eingeschränkten Umfang der Studie sowie die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel wurde für die Fallauswahl zunächst anhand von Einzelfallbetrachtungen eine Grundlage geschaffen, auf der sich weitere Forschung aufbauen lässt. Auch wenn Küsters (2009) darauf hinweist, dass „jede der in der Realität vorkommende Gestalt des untersuchten Phänomens [...] beim Abschluss der Untersuchung im Sample repräsentiert sein“ (ebd.: 48) sollte, geht es in der vorliegenden Arbeit eben nicht darum, Sättigung zu erreichen. In Anlehnung an Glinka (1998) sollte zunächst nur eine kleine Anzahl an Interviews erhoben werden, um sich durch deren ausführliche Interpretation einen Blick für die möglichen Variationsdimensionen zu erarbeiten (vgl. ebd.: 30). Oder anders ausgedrückt: Es ist zunächst Ziel dieser Studie, Pionierarbeit zu leisten, das bislang unerforschte Phänomen aufzuspüren und sich ihm in ersten Schritten zu nähern.
8.6
BRIEFING UND SETTING
Nachdem potenzielle Gesprächspartner ausfindig gemacht werden konnten, erfolgte die Bitte um ein Interview bzw. die Vereinbarung eines Interviewtermins meist telefonisch oder per E-Mail. Sofern die Kontakte über Dritte hergestellt wurden, wurde den Interessenten sowohl die eigene Person, die Einrichtung, der die Forschende angehörig ist, als auch der Grund und die grobe Thematik des Forschungsprojektes vorgestellt. Ebenso wurde erklärt, wie bzw. durch wen auf den Gesprächspartner verwiesen worden sei. In einem Vorgespräch wurde zudem darauf hingewiesen, dass es sich weniger um ein Interview mit dem Charakter eines Frage-Antwort-Szenarios handele, sondern vielmehr um eine Gesprächssituation, in der der Informant dazu aufgefordert werde, seine Lebensgeschichte frei zu erzählen. Hierbei war darauf zu achten, so auch Küsters (2009: 50), dass der Überraschungscharakter der Interviewform und der Eingangsfrage erhalten bleibt: „[M]an muss also zur Mitwirkung überzeugen, ohne allzu viel vorwegzunehmen.“ Folglich erhielten die potenziellen Teilnehmer vor der tatsächlichen Interviewsituation keine systematische Vorbereitung auf die beabsichtigte Erzählthematik, so dass der Informant „seine Formulierungen weder kalkulieren noch schriftlich abfassen und sie dann für die Präsentation einüben“ (Glinka 1998: 9) konnte. Es ist hierbei jedoch schwierig, Vertrauen herzustellen, gleichzeitig aber das Vorgespräch nicht zu ausführlich zu gestalten, dass Erzählhemmungen erzeugt werden, die den Studienteilnehmenden in seinen späteren Ausführungen dazu veranlassen, Sachverhalte nicht konkret genug zu erzählen. Studienteilnehmer*innen könnten nach einem detaillierten Vorgespräch wichtige Infor-
184 | Methodik
mationen während des Interviews auslassen, weil sie davon ausgehen, dass die Interviewerin über diese ohnehin schon verfügt (vgl. Küsters 2009: 49). Im Erstgespräch nahmen die Teilnehmer sowohl die Probandeninformation als auch die Einwilligungserklärung zur Teilnahme an der Studie und der sich daraus ableitenden Zusicherung der Anonymitätswahrung zur Kenntnis. Ergaben sich hierzu Fragen, wurden diese direkt geklärt. Auch auf die Notwendigkeit einer Tonaufnahme als Voraussetzung für die spätere Bearbeitung und Analyse der Interviews wurde hingewiesen. Nachdem bereits im Erstgespräch – oder während weiterer Treffen – die Ein- und Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der Studie sowie ein individueller Notfallplan mit den Teilnehmenden bzw. Angehörigen besprochen wurde, wurde über die finale Teilnahme der jeweiligen Person am Interview entschieden. Kam der Interessent für die Studienteilnahme in Frage, so wurde der Ort für die Durchführung des vereinbarten Gesprächs ausgemacht. Alle Interviews fanden in Los Angeles statt, wobei nicht alle der Befragten auch gebürtig aus dieser Region stammten. Der Ort für das Interview wurde von den Befragten selbst bestimmt. Meist wurde hierbei die Wohnung der Befragten gewählt. Zum einen, weil diese für die Betreffenden nicht mit Schwierigkeiten der Erreichbarkeit verbunden war. Zum anderen, weil sie diesen Ort in gewohnter Atmosphäre mit einem Gefühl von Sicherheit und Schutz verbanden. Auch wenn sich Räume in der Öffentlichkeit und damit verbundene Geräuschkulissen oft als störend erweisen und negative Auswirkungen auf die Tonaufnahme haben können, wurden auch solche von den Studienteilnehmern ausgewählt. So fanden Treffen beispielsweise auf einem Parkplatz im Auto des Befragten, im Park, im Proberaum und am Strand statt. Hierbei gilt: Offenheit bei der Erhebung im Sinne des gewählten Forschungsparadigmas bedeutet auch, sich trotz eventueller Beeinträchtigung des Interviews bei der Ortswahl wie auch der sonstigen Ausgestaltung der Interviewsituation weitgehend an den Wünschen und Bedürfnissen der Befragten zu orientieren (vgl. Küsters 2009: 50). Hierzu zählt ebenso die Anwesenheit von weiteren Personen. Rosenthal (2014a) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Unterschied zu einem standardisierten Vorgehen in der interpretativen Sozialforschung die Interaktion zwischen Befragten und Interviewenden nicht als Störung, sondern als wesentlicher Bestandteil des Forschungsprozesses angesehen werden solle (ebd.: 140). „Verstehen wir diese von uns zunächst empfundenen Störungen als Ausdruck der Besonderheit der Befragten und beziehen sie als empirisches Datum mit in die Fallrekonstruktion ein, dann verlieren sie auch den Charakter von unerwünschten Störungen.“ (Ebd.: 52)
Auf Grundlage einer konstruktivistischen Perspektive sollte der Autorin zufolge das Interview schließlich nicht als Form verstanden werden, „in der einfach Informationen abgeholt werden, sondern als eine Form der gemeinsamen sozialen Produktion sozialer Wirklichkeit durch Interviewer und Befragten“ (ebd.: 140). In diesem Zusammenhang – und im Hinblick auf (ethische) Vorkehrungen – sollte schließlich auch die Auffassung Lochs (2002: 244-245) berücksichtigt werden: „Die Verankerung in der Gegenwart wird sehr stark durch Interviewsituationen bzw. einen Interviewraum, in dem sich die Betroffenen wohl fühlen, unterstützt. Wichtig ist, dass die Betroffenen den Raum als sicher erleben und dass sie dort ohne äußere Unterbrechungen ihre Le-
Anmerkungen zum Studiendesign | 185
bensgeschichte erzählen können – bei gleichzeitiger Vermeidung des Wiedererlebens traumatischer Erfahrungen. [...] Der äußere sichere Ort während des Interviews dient der Schaffung einer angenehmen Gesprächsatmosphäre, die es den Befragten ermöglicht, sich den ihnen zugänglichen Erinnerungen zuzuwenden und diese vielleicht auch durch den Prozess des Erzählens in ihre Biographie zu integrieren.“
Letztendlich liegt die Entscheidung jedoch in der Verantwortung und Einschätzung der Forscherin, sich einer jeweiligen Forschungssituation auszusetzen oder von einem Treffen abzusehen bzw. einen anderen Ort vorzuschlagen.
8.7
INTERVIEWDURCHFÜHRUNG
Wie im theoretischen Teil dieser Arbeit bereits ausgeführt, zielt die Interviewdurchführung darauf ab, anhand von Erzählungen Einblicke in die Lebensgeschichten ehemals Suchtabhängiger zu gewinnen, um Informationen über die „geäußerten Sichtweisen eines Individuums von sich selbst“ (Mummendey/Mielke 2014: 192) zu erhalten. Im Rahmen der Datenerhebung wurde im Sinne Rosenthals & Lochs (2002: 1-2) vermieden, vorab zu definieren, was zu einem Thema gehört und was nicht und wie sich die Verknüpfung solcher Themen gestaltet. Dementsprechend wurde nicht explizit nach Sucht und Selbstkonzepten der jeweiligen Person gefragt bzw. auf diese theoretischen Säulen hingewiesen. Sofern dies von den Studienteilnehmern im Vorfeld nicht anders erwünscht war, wurde der theoretische Bezugsrahmen der Studie innerhalb bzw. im Vorfeld der Interviewsituation nur kurz erwähnt, darauf aber nicht weiter eingegangen. Die Studienteilnehmer wurden dementsprechend zunächst nicht in eine Richtung gelenkt, in der sie Auskunft über das eigene Selbstkonzept geben bzw. sich bewerten oder über sich selbst urteilen sollten. Es war zunächst lediglich beabsichtigt, eine Erzählung zu initiieren, aus der im Idealfall Wissen der jeweiligen Person über sich selbst im Rahmen der Analyse und Auswertungen abgeleitet werden konnte. Nur wenn der Erzählende selbst die Erzählung gestaltet, z.B. auch die Chronologie von Ereignissen verlassen kann, können Küsters (2009: 47) zufolge mit dem narrativen Interview seine subjektiven Relevanzen überhaupt erhoben werden. Grundsätzlich gilt für eine offene Erzählsituation nach Rosenthal & Loch (2002: 2): „Wollen wir ein alltagsweltliches Gespräch oder sozialwissenschaftliches Interview mit dem Ziel führen, eine längere Erzählung oder eine Lebenserzählung zu evozieren, müssen wir also, ganz unabhängig davon, welche Lebensbereiche uns unter welcher Perspektive interessieren, die Regie bei der Gestaltung der Erzählung den Interviewten überlassen. Folglich steht am Beginn jedes narrativen Interviews eine offene Erzählaufforderung, die die Erzählenden darin unterstützen soll, sich ihrem Erzähl- und Erinnerungsfluss zu überlassen.“
Eine offene Form der Aufforderung zur Lebenserzählung, die eine thematische Einschränkung vermeidet, lautete im Konkreten wie folgt: „I would like to ask you to tell me your life story; all the results that come to mind. You can take as much time as you want and start where you want. I will not interrupt you.“
186 | Methodik
Da der Erzählfluss Rosenthal & Loch (2002: 3f.) zufolge vornehmlich von der Interaktionsbeziehung zwischen den Gesprächspartnern und damit schließlich auch von den Gesprächskompetenzen der Interviewenden abhängig sei, sollten die Erzählenden möglichst nicht unterbrochen werden.19 Gerade bei schwierigen Themen rät Loch (2002) jedoch dazu, in Form einer nonverbalen Kommunikation intensiv im Kontakt mit dem Interviewpartner zu bleiben: „Das heißt, ich vermittelte besonders aktiv durch Blickkontakt sowie parasprachliche und leibliche Aufmerksamkeitsbekundungen mein Interesse an ihren Erzählungen, meinen Versuch, die Erlebnisse zu verstehen, sowie meine Intention, die Erzählende mit ihren traumatischen Erlebnissen nicht alleine zu lassen. Eine solche aktiv unterstützende, halt gebende und dennoch offene Gesprächshaltung ist unerlässlich, um rechtzeitig ein mögliches Abgleiten der Interviewpartnerin in das damalige Erleben zu bemerken und ihm entgegensteuern zu können.“ (Ebd.: 240)
Ungehindertes Erzählen und Erinnern und damit verbundenes Heraustreten aus der Interaktion mit den Zuhörenden kann sich hierbei nicht nur als Gefahr darstellen. Ebenso haben einige Befragte geradezu den Drang und das Bedürfnis danach, sich durch ihre Erzählung Erleichterung zu verschaffen. Das Gefühl ‚bei sich‘ zu sein und sich auf die Erzählsituation einzulassen, kann dazu beitragen, innere (Gesprächs-) Blockaden aufzuheben und sich als Entlastung für den Redner herausstellen. In jedem Fall war auch hierbei das Gespür der Interviewenden gefragt, entsprechend zu reagieren, d.h. bei belastenden Erzählungen rechtzeitig einzugreifen sowie bei ‚befreienden‘ Redeanteilen den Erzählenden nicht zu unterbrechen. Hierbei galt – um es in Küsters (2009: 55) Worten zu sagen: „Hinwendung zum Befragten und Souveränität sind sowieso Schlüsseleigenschaften für das gesamte Interview.“ Während der Haupterzählung gehörte es zu meiner Aufgabe, den Erzählenden durch aufmerksames Zuhören zu unterstützen und während der Erzähldarstellung einfühlend mitzugehen. Durch Aufmerksamkeitsbekundungen wie ‚mhm‘-Sagen, Nicken, das Halten des Blickkontaktes oder andere nonverbale Ausdrucksformen konnte ich Interesse signalisiert, um den Redefluss nicht abbrechen zu lassen. Dieser konnte auch durch „erzählanregendes Schweigen“ (Küsters 2009: 58) aufrecht gehalten werden. Letzteres erwies sich jedoch oft als schwierig. Auch wenn lange Pausen des Erzählenden dazu verleiteten, Kommentare zu äußern oder Nachfragen zu stellen, habe ich dennoch versucht, diese auszuhalten, ohne die Rederolle zu übernehmen. Des Weiteren habe ich auf die Empfehlung von Küsters versucht, mit den Emotionen des Erzählers mitzugehen: „Er lacht mit dem Erzähler; er zeigt sich an traurigen Stellen ernst, verständnis- und teilnahmsvoll. Dabei sollte er jedoch keine Bewertungen erkennen lassen, um eine Tendenzausrichtung der Erzählung auf den Interviewer hin zu vermeiden. An einigen Stellen, Höhepunkten der Erzählung, kann es sinnvoll sein, einem dessen offensichtlich bedürfenden Erzähler kurz zustimmend beizupflichten, ohne aber thematisch einzugreifen.“ (Ebd.).
19 Dass sich dieses Vorhaben nicht immer realisieren ließ, geht aus den Einzelfallstudien hervor.
Anmerkungen zum Studiendesign | 187
Obwohl in die Erzählung nicht eingegriffen werden sollte, war es dennoch Aufgabe, Erzähllücken, thematische und formale Brüche in der Erzählung, die nicht auserzählt wurden, zu identifizieren. Diese waren dann für die an die Haupterzählung anknüpfende Nachfragephase des Interviews von Bedeutung. Entgegen der Vorbehalte gegenüber narrativen Interviews, nämlich die Sorge, die auch Küsters (2009) anspricht, „man müsse auf bestimmte Daten verzichten [und] bekomme Informationen nicht wenn der Befragte sie nicht von sich aus erzähle“ (ebd.: 47), gibt es in dieser Phase des Interviews die Möglichkeit, gezielt Nachfragen zu stellen.20 An das Ende des Interviews schloss sich zudem die Erhebung soziodemographischer Daten an. Auch wenn dies erst nach dem Interview geschehen sollte, „um nicht im Vorhinein die Erzählung zu fokussieren und zu verhindern, dass der Erzähler sonst nicht mehr ausführlich und indexikal, also mit konkreten Details, erzählt“ (ebd.: 64), wurden im Rahmen der vorliegenden Studie wichtige personenbezogene Daten, die vor allem im Hinblick auf die Ein- und Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der Studie eine entscheidende Rolle spielten, jedoch bereits vor dem eigentlichen Interview ermittelt. Bevor die Nachfragephase durch das Ausschalten des Aufnahmegerätes beendet und in die Phase des Nachgesprächs übergegangen wurde, war es gerade im Zusammenhang mit belastenden Themen und Gesprächen, die stark emotionsgeladen waren, wichtig, darauf zu achten, dass die Interviewten ausreichend Raum hatten, „sich aus den für sie belastenden Lebensphasen und -bereichen heraus zu erzählen und sich längere Zeit in den sicheren Bereichen ihres Lebens aufhalten zu können“ (Rosenthal/Loch 2002: 11-12). „Jede Lebenserzählung streift – ob intendiert oder nicht – Lebensphasen, die für die Erzählenden schwierig waren bzw. es aus der Gegenwartsperspektive sind, deren Thematisierung jedoch ebenso zur biographischen Selbstreflexion gehören wie die als positiv erlebten Ereignisse. Es obliegt der Interviewführung, diese Krisenphasen nicht zu vermeiden, aber auch ein Gespräch nicht in einer als Krise erlebten Phase zu beenden.“ (Ebd.)
Zum Ende des Interviews wurde ein Abschluss meist – in Anlehnung an Rosenthal & Loch (2002: 12) – mit der Frage „Is there anything else you would like to add?“ eingeleitet. Zudem wurden die Interviewpartner gefragt, ob sie anderen Betroffenen noch etwas mit auf den Weg geben möchten. Bei fast allen Interviews ergab sich mit dem Wissen um ein baldiges Ende des Interviews ein erneuter Erzähleinstieg mit Themen, die zuvor ausgespart wurden. Es wurde der Kontakt zu den Studienteilnehmern bereits wenige Tage nach dem Interview erneut aufgenommen und erfragt, wie es ihnen nach dem Gespräch ergangen sei, ob Fragen offengeblieben seien oder ob der Bedarf bestünde, weitere Gedanken zu äußern. Auch Rosenthal & Loch (2002) weisen darauf hin, dass innerhalb narrativ-biographischer Interviews, in denen sich die Erzählenden auf ihren Erzählfluss eingelassen haben, „nach den Gesprächen noch weitere Erinnerungen, Selbstreflexionen und auch Träume“ (ebd.: 12) ausgelöst werden können. Auch hierbei gilt, sich
20 Dass es oftmals nicht ohne weiteres zu realisieren war, allen Anforderungen (Zuhören, Mitfühlen, Nachfragen vorbereiten, Nervosität und Sprachbarrieren ablegen etc.) gleichermaßen gerecht zu werden, wird in Kapitel 13 noch gesondert diskutiert.
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nach den Bedürfnissen der Gesprächspartner zu richten und Raum und Gelegenheit für weiteren Austausch und ggf. Hilfestellung anzubieten. Rosenthal empfiehlt bei narrativ-biographischen Interviews des Weiteren mindestens zwei Gesprächstermine. Aufgrund des erschwerten Feldzugangs und der damit einhergehenden Rekrutierungsbedingungen ließ sich diese Empfehlung jedoch nicht unmittelbar in der vorliegenden Studie umsetzen. Weitere Treffen konnten nur in wenigen Fällen umgesetzt werden. Eine Rückverfolgung der Studienteilnehmer durch telefonische und schriftliche Nachgespräche wurde jedoch – auch im Hinblick auf forschungsethische Auflagen – in jedem Fall gewährleistet. Die Nachgespräche wurden in Form von Memos dokumentiert.21
8.8
ROLLE DES CO-INTERVIEWERS
Wichtig zu erwähnen ist, dass ich während der Durchführung einiger Interviews der Hauptstudie (siehe Fallbeispiel I) von einer Szeneperson begleitet wurde, die auch die Interviewsituation mitgestaltete und als Co-Interviewer fungierte. Um auf die eingangs formulierte Auffassung ‚Junkies reden nicht mit Nicht-Junkies‘ zurückzukommen, erwies sich die Begleitung dieser Person insofern als besonders hilfreich, als sie Kontakte in die Szene als Mittelsperson herstellen und damit die Rekrutierung weiterer Studienteilnehmer ermöglichen konnte. Der Co-Interviewer, der selbst eine Suchtkarriere erfahren hat, als Musiker nach wie vor in verschiedenen Musikszenen in Los Angeles aktiv ist, ebenso an den wissenschaftlichen Hintergründen der Suchtthematik interessiert war und im Folgenden mit dem Pseudonym Stanley bezeichnet wird, fungierte zunächst als ‚Türöffner‘ und Mittelsmann. Als Einheimischer und damit auch als Native-Speaker konnte er nicht nur auf verbaler (Vokabular, Kommunikationsstil, Sprachprobleme bspw. durch Slang-Barrieren etc.) sondern auch nonverbaler Ebene (Umgangsformen etc.) vermitteln. Stanley verhalf mir zum Zugang in das Forschungsfeld und sorgte durch seine Anwesenheit auch für meine Akzeptanz. Dadurch, dass kein Team von Therapeuten die Rekrutierung und Datenerhebung begleitete, war es notwendig, eine unterstützende Person zur Seite zu haben, die als Szenekenner nicht nur das Risiko einer Gefahrensituation, sondern ein potenzielles
21 In den Memos werden alle gesammelten Informationen von der Kontaktaufnahme (u.a. Informationen über das Zustandekommen des Erstkontaktes und eventuelles Vorwissen über die Studienteilnehmer*innen) über Rahmenbedingungen des Interviews bis hin zur Interviewsituation (d.h. Informationen bis zum Beginn der Interviewaufzeichnung, Pausen sowie die Gesprächssituation nach Abschalten des Aufnahmegeräts) als eine Art Forschungstagebuch notiert. Aber auch Gedanken, Eindrücke und Gefühle der Interviewerin finden in den Memos Raum zur Reflexion. Informationen und Beobachtungen können bereits während des Interviews protokolliert werden. Die Memos enthalten erste Hypothesen zum Fall und Überlegungen zum Vorgehen im Nachfrageteil und bei der Auswertung des Interviews. Ferner enthalten die Memos alle weiteren zur Verfügung gestellten Informationen bzw. erhobenen Daten (wie Fotos, Briefe, Tagebucheinträge, E-Mails, etc.), die als Bestandteil in die spätere Analyse der biographischen Daten innerhalb der Fallrekonstruktion einfließen.
Anmerkungen zum Studiendesign | 189
Risiko von Rückfällen einschätzen konnte. Auch wenn Stanley als ungeübter CoInterviewer oftmals den Redefluss durch Zwischenfragen und Kommentare unterbrach und somit den zuvor aufgestellten Regeln narrativ gestalteter Gesprächsführungen entgegenwirkte, trug er dennoch dazu bei, dass der Erzählfluss aufrechterhalten wurde. Er lenkte ab, wenn die Redner in potenziell belastende Stimmungen versetzt wurden, und stellte in der Nachfragephase gezielte Fragen, die zur Preisgabe wichtiger Informationen der Erzählenden führten. Die Anwesenheit Stanleys trug ebenso zu meinem Schutz und Wohlergehen bei. Sich in das zuvor erörterte Forschungsfeld zu begeben, setzte eine Begleitung voraus. Auch meine bereits benannten emotionalen Reaktionen, die durch eine Gesprächssituation ausgelöst wurden, führten durch den Einsatz des Co-Interviewers zur Entlastung. In Anlehnungen an die Untersuchungen Harveys et al. (2000), dass Menschen mit traumatischen Lebenserfahrungen eine Kompetenz entwickeln, ihre Erzählungen über erlebte Traumata den Möglichkeiten des Gegenübers anzupassen, ist im übertragenden Sinne auch im Hinblick auf die Lebenserfahrung der ehemals Suchtkranken zu erwähnen, dass auch diese sich den Anwesenden in der Redesituation angepasst haben. Auch hier wird der Vorteil von zwei Interviewenden – einer Szene- und einer Nicht-Szeneperson – deutlich: Der Informant musste die Erzählung seiner Lebensgeschichte so gestalten, dass sie für mich nachvollziehbar wurde. Gleichzeitig konnte er dem Co-Interviewer aufgrund von dessen Selbsterfahrung ‚nichts vormachen‘.
8.9
ANONYMISIERUNG
Ein zusätzlicher, aber wesentlicher Arbeitsschritt am Schluss des Transkriptionsverfahrens22 und ein wesentlicher Aspekt der Forschungsethik ist die Wahrung der Anonymität der Befragten (vgl. hierzu auch Glinka 1998: 23f.; Küsters 2009: 68). Sowohl mündlich während des Briefings als auch schriftlich im Rahmen der Probandeninformation und Einwilligungserklärung wurden den Studienteilnehmer*innen absolute Vertraulichkeit und Anonymität im Umgang mit dem Datenmaterial zugesichert. Wenn ein Studienteilnehmender die Teilnahme am Interview zwar mündlich zusagte, die entsprechenden Dokumente jedoch nicht unterzeichnen wollte23, lag es dennoch in der forschungsethischen Verpflichtung, die in den Informationen enthaltenen Richtlinien und Vorkehrungen zwingend einzuhalten. Insbesondere sind Forscher*innen bei der Präsentation der Ergebnisse dazu verpflichtet, den Personenschutz zu wahren und biographische Angaben zu den Personen so weit wie möglich zu „maskieren“ (vgl. Rosenthal 2014a: 97). Bei der Maskierung sollte jedoch berücksichtigt werden, dass der damit einhergehende „Entfremdungseffekt“ (Glinka 1998: 24) nur so weit vorangetrieben wird, dass die Gesamtgestalt der Ereignisse sowie die damit verbundenen Kontexte erhalten bleiben. Insbesondere bei der Falldarstellung ist die Anonymisierung daher nicht ohne weiteres möglich. Während beim Transkribieren bereits Namen und Ortsangaben an jeder
22 Anmerkung zum Transkript: Alle Tondokumente sind bei der Forscherin verwahrt. 23 Nähere Informationen hierzu im Kontext der jeweiligen Einzelfallanalyse.
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Stelle im Text, der Rückschlüsse auf den Informanten zulassen könnte, verfremdet werden, sollte eine weitere Anonymisierung erst mit Abschluss der Fallrekonstruktion vorgenommen werden. Bei Rosenthal (2014a: 97) heißt es in diesem Zusammenhang: „Erst wenn wir wissen, welche biographischen Daten entsprechend der Fallstruktur und im Kontext unserer Fragestellung relevant sind, lassen sich die relevanten Daten entsprechend der Fallstruktur modifizieren, d.h. bedeutungsähnliche Veränderungen vornehmen, und die für die Interpretation und die weiteren theoretischen Verallgemeinerungen weniger bedeutsamen Daten stark verändern.“
Dem konkreten Fall entsprechend werden durch falsche Angaben zu Beruf, Alter, Anzahl der Kinder, Krankheiten oder auch Geschlecht sowie zu – auf die vorliegende Studie bezogen – Bandnamen, Aufnahmestudios und Mitmusiker*innen die jeweiligen Biographien unkenntlich gemacht. Insbesondere bei bekannten Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen, sind Biographien kaum ausreichend zu entfremden. Hierbei liegt es in der Aufgabe der Studienleitung zu entscheiden, welche weiteren Formen der Maskierung der Daten hinzugezogen werden können. Letztendlich muss bei jedem Fall gesondert entschieden werden, in welcher Weise und wie ausführlich er dargestellt werden kann.
8.10 HINWEISE ZUR TRANSKRIPTION Der erste grundlegende Schritt der biographischen Fallrekonstruktion besteht darin, die auf Ton-Datenträger aufgezeichneten Gespräche entsprechend ihrer hörbaren Gestalt zu transkribieren, um eine nah an der Originalsprache orientierte und detaillierte Interpretation zu ermöglichen. Auch wenn es keinen allgemein einheitlichen Standard für die Verschriftlichung aufgezeichneter Daten gibt, unterliegen Transkripte bestimmten Regeln und eindeutig zu definierenden Transkriptionssymbolen. Als allgemeine Regel formulieren Kleemann et al. (2013), dass der aufgezeichnete Interviewverlauf so genau zu erfassen sei, wie es das Untersuchungsziel erfordert (vgl. ebd. 29). Hierzu heißt es – vor allem im Hinblick auf das bereits vorgestellte Erhebungs- und Auswertungsverfahren dieser Studie: „Erst ein Protokoll, das jede Sequenz in einer Interaktion genau erfasst, lässt unterschwellige Phänomene hervortreten.“ (Ebd.) Zum einen sollte der Wortlaut des Gesagten genau erfasst werden. Auch gleichzeitiges Sprechen mehrerer Personen, Zwischenrufe oder ‚Ins-WortFallen‘ sind möglicherweise relevant für die Interpretation und sollten (z.B. in der Partiturschreibweise) dokumentiert werden. Des Weiteren sollten für die Erfassung der Prosodie, parasprachlichen Elementen Interpunktionen und definierte Sonderzeichen verwendet werden. In Bezug auf das methodische Verfahren der biographischen Fallrekonstruktion bedeutet das bei Rosenthal (2014a), dass eine Transkription hergestellt wird, „die alle hörbaren Äußerungen und Signale einschließlich Pausen, Betonungen, Versprechern und Abbrüchen“ (ebd.: 92) wiedergibt. Sie empfiehlt dabei, keine Satzzeichen im Sinne grammatischer Regeln zu verwenden (ebd.: 97). Bergmann (1976: 2) zufolge
Anmerkungen zum Studiendesign | 191
verwendet sie Kommata entsprechend der hörbaren Interpunktion für kurzes Absetzen. Außerdem verzichtet sie auf die Einteilung in Sätze durch Punkte, Ausrufe- oder Fragezeichen, um eine vorschnelle Interpretation zu vermeiden. Sprechpausen werden zudem mit Klammern markiert, in denen die Sekunden angegeben sind. In Anlehnung an Rosenthal (2014a: 93)24 unterliegt die Transkription der aufgezeichneten Gespräche im Rahmen dieser Studie im Konkreten dann folgenden Transkriptionszeichen: , = kurzes Absetzen (4) = Dauer der Pause in Sekunden Ja: = Dehnung eines Vokals ((lachend)) = Kommentar der Transkribierenden nein = betont NEIN = laut viel- = Abbruch ´nein´ = leise (?) = Inhalt der Äußerung ist unverständlich (sagte er) = unsichere Transkription Ja=ja = schneller Anschluss ja so war = gleichzeitiges Sprechen ab „so“ nein ich Die Transkriptionen25 entsprechend des verwendeten Transkriptionssystems bilden die Basis für die weitere Analyse und Auswertung.
24 Rosenthal bezieht sich in der Auswahl und Verwendung ihrer Transkriptionszeichen auf Bergmann (1976, 1988). 25 Die Originaltranskripte, auf denen die folgenden Analysen basieren, sind bei der Interviewerin verwahrt und werden nur auszugsweise dargestellt.
Hauptstudie
9.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny
9.1
KONTAKTAUFNAHME UND BEGEGNUNG
Der Kontakt zum Interviewpartner Johnny wurde über mehrere Instanzen initiiert: Eine ehemalige Szeneperson, die über ein Online-Forum ausfindig gemacht wurde, vermittelte einen Kontakt zu einer Informantin in Los Angeles, welche selbst in den frühen 2000er Jahren in die Drogen- und Musikszenen in Los Angeles involviert war. Nachdem die Informantin über Ein- und Ausschlusskriterien zur Teilnahme an der Studie aufgeklärt wurde, stellte sie nicht nur den Kontakt zum Co-Interviewer Stanley her, sondern initiierte auch das Aufeinandertreffen mit Johnny. Das einstündige Interview fand an einem Nachmittag im Mai 2015 statt. Johnny empfing die Interviewenden bei sich zu Hause in Venice Beach. Er lebt dort in einer Villa, die er acht Monate zuvor gekauft und zu einem Sober House eingerichtet hatte. Hier können Teilnehmende des Recovery-Programms, an dem Johnny selbst teilgenommen hat, für den Zeitraum ihrer Therapie leben. Johnny wurde fünf Tage vor dem Interview telefonisch von Stanley über den Ablauf und die thematische Ausrichtung des Interviews aufgeklärt. In diesem Gespräch wurden auch Zeit und Ort, welche von Johnny frei bestimmt werden konnten, für das Interview ausgemacht. Vor dem Interview erhielt Johnny sowohl die Probandeninformation als auch die Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Interview. Johnny nahm zwar beide Dokumente zur Kenntnis und stimmte den Inhalten zu, weigerte sich jedoch, die Dokumente zu unterschreiben. Er begründete dies mit der Aussage: „This interview is based on mutual trust. Do you want to hear my story? I know what I’m getting into. Whether I put my name on a piece of paper or not, it doesn’t matter.“1
Neben uns Interviewenden und dem Probanden befand sich außerdem ein Bewohner des Sober Houses im Raum. Johnny bestand darauf, dass der rehabilitierte Jugendliche an dem Interview teilnahm und seiner Erzählung zuhörte. Der Zuhörer hielt sich während des gesamten Interviews zurück und trat nicht in eine verbale Interaktion
1
Diese Aussage wurde nicht auditiv aufgezeichnet, jedoch in Memos zum Interview festgehalten.
196 | Hauptstudie
mit Johnny, Stanley oder mir. Nach einer kurzen Begrüßung und Begehung der Einrichtung forderte uns Johnny auf, im Wohnzimmer des Hauses Platz zu nehmen. Nach einem Kennenlerngespräch, dem Austausch über gemeinsame Bekannte und einer Ausführung zu meinen persönlichen Beweggründen der Durchführung der Studie, wurde der Beginn des Interviews eingeleitet. Johnny, der zunächst deutlich nervös und unsicher wirkte, schien während des Gesprächs – vor allem durch Zwischenkommentare des Co-Interviewers – immer mehr Vertrauen zum Interviewer*innenTeam aufzubauen, was sich am zunehmenden Blickkontakt und den intimen Inhalten seiner Ausführungen erkennen ließ. Bis auf vereinzelte Zwischenkommentare und Nachfragen des Co-Interviewers wurde Johnnys Erzählfluss nicht unterbrochen. Der Interviewte wurde somit in seiner Erzählung weder in eine bestimmte Richtung gedrängt noch von seinen Gedanken abgelenkt. Ich legte Wert darauf, ständig Blickkontakt mit Johnny zu halten, um Aufmerksamkeit und Interesse zu suggerieren. Aus Bedenken, den Kontakt zu Johnny verlieren zu können, habe ich zu vertiefende Aspekte, die während des Interviews aufkamen, erst im Nachhinein notiert. Da ich zunächst eine Sensibilisierung gegenüber dem Studienteilnehmer entwickeln wollte und nicht wusste, wie dieser auf bestimmte Nachfragen reagieren oder diese ihn gar aus dem Erzählfluss bringen würden, hielt ich mich zurück und überließ die verbale Interaktion mit Johnny zunächst dem Co-Interviewer. Johnny machte während des Interviews keine Andeutungen, dass er sich durch die Gesprächssituation unwohl fühle oder das Interview sogar abbrechen wolle. Johnny beendete seine Erzählung von selbst, nachdem er beim aktuellen Stand seiner Lebensgeschichte angelangt war. Aufgrund der Emotionalität, die durch das Interview sowohl auf Seiten des Studienteilnehmers als auch des Interviewer*innenTeams ausgelöst wurde, wurde auf ein längeres Nachgespräch innerhalb des Interviews verzichtet. Aufgrund der Datenmenge, die bereits durch die Haupterzählung des Gesprächspartners generiert werden konnte, beschloss ich, dieses Material zunächst auszuwerten und ggf. im Nachhinein – in Form eines weiteren Treffens, telefonisch oder per Email – Nachfragen zu stellen. Da Johnny zudem nach seinem einstündigen Monolog zwar erleichtert aber dennoch erschöpft wirkte, sah ich diese Grundstimmung als geeignete Ausgangsstimmung zum Abschluss des Interviews an. Um am Ende des Gesprächs eine gelöste Stimmung zu erwecken und Johnny möglichst ohne belastende Gedanken aus der Situation zu entlassen, wurde nach Ausschalten des Aufnahmegerätes ein Small Talk über meine musikalischen Hintergründe sowie über die der Studie zugrunde liegende Intention initiiert. Johnny lud uns abschließend zu einem Treffen der Narcotics Anonymous ein, im Rahmen dessen er ebenfalls aufgefordert war, einen Vortrag über seine Lebensgeschichte zu halten. Er gab hierbei explizit zu verstehen, dass er das abgehaltene Interview als Vorbereitung für den Vortrag gesehen, sich jedoch nicht auf die wissenschaftliche Gesprächssituation vorbereitet habe. Johnny brachte uns im Anschluss an das Gespräch zur Tür, wünschte mir viel Erfolg für den weiteren Studienverlauf und verabschiedete sich. Wenige Tage nach dem Interview erkundigten wir uns telefonisch nach seinem Befinden. Er teilte uns mit, dass das Interview keine negativen Auswirkungen auf ihn gehabt habe. Vielmehr habe es ihn darin bestärkt, seine eigene Geschichte zu reflektieren und diese einem größeren Publikum von Betroffenen zu erzählen. Johnny setzt sich weiterhin für Aufklärungsarbeit ein und versucht, Menschen durch das Berichten über seine eigenen Er-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 197
fahrungen als Musiker und Suchterkrankter aus der Sucht zu helfen und zu motivieren, ein abstinentes Leben zu führen. Obwohl es bislang aus terminlichen Gründen zu keinem weiteren persönlichen Treffen gekommen ist, besteht der Kontakt zu Johnny bis dato.
9.2
SCHRITT 1: ANALYSE DER BIOGRAPHISCHEN DATEN
9.2.1 Chronologische Daten des Biographen (gelebtes Leben) (Analyse I: Johnny) Jahr
Alter
Daten
1984
0
Geburt, 4. Kind (drei Schwestern, mind. eine davon älter), Seattle, christl. Familie, Vater ist Prediger in christl. Gemeinde, Vater war Teil des Jesus-Movement, Vater war Bassist in einer Psychedelic-Rock Band aus Süd-Kalifornien, die mit Bands wie The Doors auf Tour ging, Vater hatte in der Vergangenheit Drogenprobleme
1994/95
10/11
erster Schlagzeugunterricht
ca. 1998
ca. 14
erster Xanax-Konsum
2001
17
‚drop out‘ High School, er verlässt die Schule
2002
18
Auszug aus Elternhaus, geht mit Songwriterin nach Nashville
2003/04
19/20
Rückkehr nach Seattle, Einstieg in erste Rockband erster kalter Entzug erster Heroinkonsum
2005
21
Einstieg in zweite Rockband in New York
2005
21
Lebererkrankung
ca. 2006
ca. 22
erste Studioaufnahme (Album) mit Band in Seattle
ca. 2006/07
ca. 22/23
Rückkehr nach New York
ca. 2006/07
ca. 22/23
Einstieg in andere New Yorker Band als Bassist
ca. 2007
ca. 23
verpasster Auftritt bei Lollapalooza Rauswurf aus der Band Entzug (Methadonsubstitution) in Saint Barnabas, NYC Bronx Rückkehr nach Seattle Entzug, u.a. King County Detox
198 | Hauptstudie
Jahr
Alter
Daten
ca. 2008
24
geht nach Los Angeles; Entzug in Klinik in Echo Park
2008/09
24/25
Einstieg in MusiCares Programm; Einzug in Sober House in West LA
zwischen
gründet Band in Los Angeles; nimmt Album bei
2010-13
Interscope auf
2013
29
geht Beziehung mit Lebenspartnerin ein
2014
30
Rückkehr nach New York für Reunion-Show
2014
31
kauft eigenes Haus in Venice Beach (Sober House)
2015
31
Bandkollege stirbt an Überdosis
8.5.2015
31
Interview
9.2.2 Strukturhypothesen zum gelebten Leben (Analyse I: Johnny) Johnny wird 1984 geboren. Er wächst mit drei Schwestern in einer christlichen Gemeinde in Seattle auf. Er ist nicht das älteste Kind in der Familie – mindestens eine seiner Schwestern ist älter als er. Johnnys Vater war in den 1960er Jahren Bassist in einer Psychedelic-Rockband aus Süd-Kalifornien, die mit Bands wie The Doors auf Tour ging. Ebenso war er Teil des Jesus-Movement2. Als Johnny geboren wird, ist sein Vater Prediger in der Kirche, in der er auch an das Musikmachen herangeführt wird. Während ihm zunächst das Tamburin zugewiesen wird, erhält er mit ca. zehn Jahren den ersten Schlagzeugunterricht, den ihm seine Eltern finanzieren. Wenige Jahre später entdeckt er das Gitarrespielen für sich. Er ist zu diesem Zeitpunkt ca. zwölf Jahre alt. Mit 14 Jahren konsumiert er zum ersten Mal Xanax3 – ein Medikament, das ihm gegen Angststö-
2
3
Die 1960er waren ein Jahrzehnt verschiedener sozialer Revolutionen – darunter auch die Bewegung des sogenannten Jesus-Movement, welches aus einer Drogenszene entstanden ist, und deren Anhänger, meist im High School oder College Alter, auf sozialer und politischer Ebene nach Veränderung strebten. Auf persönlicher Ebene der sogenannten Jesus people trat vor allem der Wunsch nach Selbstfindung in den Vordergrund. Während zunächst der Konsum von Drogen als Mittel der Transformation angesehen wurde, wurde später das Verlangen nach Erlösung durch Jesus Christus zum Leitbild der Anhängerschaft. Aufgrund des hohen Suchtfaktors ist Xanax nicht nur eines der meistverschriebenen Medikamente in den USA, sondern findet auch auf dem Schwarzmarkt eine hohe Abnehmerzahl. Das Pharmazeutikum gehört zur Gruppe der Benzodiazepine – sogenannte Tranquilizier, die sowohl bei Angststörungen als auch Depressionen, Schlaflosigkeit und Nervositätszuständen verschrieben werden. Der Wirkstoff Alprazolam dockt dabei an Bindungsstellen im Nervensystem an, wodurch die Wirkung des körpereigenen Hemmstoffes GABA
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 199
rungen verabreicht wird. Er zieht sich zurück und widmet sich ausschließlich dem Gitarrespielen. Er trifft sich nicht mehr mit Mädchen, macht keinen Sport wie andere Gleichaltrige und vernachlässigt die Schule. Mit 17 Jahren verlässt er die Schule und damit sein gewohntes Umfeld mit der Intention, Musiker zu werden. Er ist gerade volljährig als er mit einer Songwriterin zusammen nach Nashville geht. In dieser Zeit macht Johnny seine ersten Experimente mit Alkohol und Drogen. Als er zurück nach Seattle geht, trifft er auf seine erste Band, in die er als Gitarrist einsteigt.4 Kokain wird zum täglichen Begleiter. Auf das Ultimatum seiner Bandkollegen hin, seinen Drogenkonsum aufzugeben oder die Band verlassen zu müssen, macht er seinen ersten kalten Entzug5. Während er seinen Platz in der Band zunächst behält und seinen Drogenkonsum vorerst einstellt, gerät dieser jedoch schnell wieder außer Kontrolle. Neben Kokain beginn er auch Heroin zu konsumieren. Obwohl er Heroin zunächst über das Rauchen ausprobiert, erhält er nur wenig später von seinem Dealer seine erste Dosis injiziert, bis er schließlich binnen weniger Tage selbst zum ‚Fixer‘ wird und sich Heroin intravenös verabreicht. Ob er folgernd aufgefordert wird, die Band zu verlassen, oder diese aus eigener Entscheidung verlässt, geht aus seinen Erzählungen nicht hervor. Jedenfalls verlässt er 2005 den Staat Washington und geht nach New York, wo er Teil einer anderen Band wird. Johnny ersetzt den Gitarristen der Band, der an einer Überdosis verstorben war. Er geht mit der Band ein Jahr lang auf Tournee. Pro Show wird er mit bis zu eintausend Dollar bezahlt. Er ist zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt. Das Tour-Leben bietet ihm jede Nacht Sex mit Mädchen, frei zugängliche Drogen und Alkohol. Sein Konsum wird akzeptiert und ebenso von den anderen sechs Bandmitgliedern praktiziert. Das Leben als Musiker gestaltet sich für ihn aus Tourneen und Studioaufnahmen. Er hat nur noch wenig Kontakt zu Menschen außerhalb der Gruppe. In dieser Zeit trinkt er – vor allem Whiskey – und injiziert sich Heroin. Zusätzlich konsumiert er Pillen und Kokain. Durch den Verdienst als Musiker kann er sich seine Sucht finanzieren. Seinen gesundheitlichen Zustand kann er jedoch nicht aufrechterhalten: Nach eineinhalb Jahren ohne Pausen auf Tour und im Studio sowie aufgrund des zunehmenden Alkohol- und Drogenkonsums machen sich nicht nur Erschöpfungszustände, sondern auch Beeinträchtigungen seiner Organe bemerkbar. U.a. wird seine Leber geschädigt und vergrößert sich. Die Band ist zunächst bei Victory Records unter Vertrag bis sie zu einem anderen Label wechselt, bei dem sie ein weiteres Album aufnimmt. Sie leben zu der Zeit des Songwritings und der Vorproduktion für einen Monat in Seattle, woraufhin sie die entstandenen Songs in San Diego und Los Angeles aufnehmen. Für eineinhalb Mo-
4
5
erhöht wird. Dies hat zur Folge, dass die Erregungsweiterleitung über das Nervensystem gedämpft und somit Angst- und Panikzustände verringert werden. Johnny behauptet zunächst, dass er für drei Jahre nach Nashville gegangen sei. Dies deckt sich jedoch nicht mit der Aussage, dass er als 19-jähriger, während er bereits seinen Platz in der Band erhalten hat, von Kokain abhängig wird. Der umgangssprachliche Begriff kalter Entzug (oder Cold Turkey) bezieht sich auf das plötzliche Absetzen einer körperlich abhängig machenden Substanz. Hierbei können seelische und körperliche Entzugssyndrome auftreten, die nach je nach Suchtmittel und Ausprägung der Abhängigkeit unterschiedlich ausfallen können.
200 | Hauptstudie
nate sind die Musiker jeden Tag im Studio. Kurz nachdem die Band die Arbeiten an dem neuen Album abgeschlossen hat, kündigt das Label, das sie unter Vertrag genommen hat, Insolvenz an, so dass weder das Album veröffentlicht noch die Masterspuren der Songs freigegeben werden. Nach insgesamt zwei Jahren im Tourbus und wechselnden Unterkünften gehen die Bandmitglieder getrennte Wege. Johnny geht zurück nach New York, wo er keinen erneuten Entzugsversuch eingeht, sondern einer anderen Band beitritt, die u.a. mit Bands wie The Stooges auf Tour gegangen ist und auf Festivals wie dem Lollapalooza gespielt hat. Diesmal ist seine Rolle in der Band jedoch nicht die des Gitarristen, sondern des Bassisten. Seinen Drogenkonsum hält Johnny aufrecht. Er konsumiert in dieser Zeit hauptsächlich Heroin und andere Opiate. Seinen Bandkollegen verheimlicht er seinen Konsum, bis diese seinen Platz in der Band aufgrund ausufernder Drogen-Exzesse und damit einhergehenden verpassten Shows und Nichtspielfähigkeit ersetzen. Fortan verbringt er seine Zeit mit Gelegenheitsjobs oder in Bars. Um seinen Lebensunterhalt – insbesondere seine Sucht – zu finanzieren, beklaut er Freunde und verkauft deren Eigentum auf Craiglist6. An diesem Punkt angelangt, scheinen sich für Johnny – wie bereits mehrmals zuvor in seinem Lebensverlauf – drei wesentliche Handlungsoptionen anzubieten: Er geht in den Entzug, sucht sich eine neue Band, die ihn aufnimmt und die ihn finanziell absichert, oder er rutscht weiter in die Beschaffungskriminalität und damit in die Drogensucht ab. Anstatt sich eine andere Band zu suchen, schlägt er den Weg eines erneuten Therapieversuchs ein. Seine erste Anlaufstelle ist die Non-ProfitGemeindeklinik St. Barnabas in der Bronx in New York. Im Zuge eines Substitutionsverfahrens erhält er Methadon. Anstatt jedoch durch den Ersatzstoff vom Heroin zu entziehen, konsumiert er beide Stoffe und erhöht seine Heroindosis. Zusätzlich trinkt er täglich Alkohol. Nachdem er den ersten Entzugsversuch abbricht, versucht er sich über ein Jahr in verschiedenen Einrichtungen New Yorks therapieren zu lassen. Seine Handlungsoptionen werden immer absehbarer: Er schafft den Entzug und bleibt clean; oder er wird rückfällig bzw. bricht den Entzug ab. Er schafft es nicht, den Suchtkreislauf aus Konsumieren, Entziehen und Rückfall zu durchbrechen. Ein Entzug geht in den nächsten über. Das wiederkehrende Muster wird durch Phasen der Abstinenz (wenige Wochen) kurzzeitig unterbrochen bis er wieder rückfällig wird. Seine „Optionen“, wie er sie selbst benennt, liegen im Neuversuch oder darin, durch den Drogentod/Suizid zu sterben. Nach den gescheiterten Versuchen in New York fliegt er zurück nach Seattle und besucht dort die Einrichtung King County Detox. Nach demselben Muster wie zuvor bleibt er zehn Tage, verlässt die Einrichtung, wird rückfällig und beginnt den nächsten Entzug. Innerhalb von eineinhalb Monaten besucht er drei verschiedene Entzugskliniken. 2008 erfährt er von MusiCares und nimmt Kontakt zu der Organisation auf. Da die Stiftung ihren Sitz in Los Angeles hat, verlässt er Seattle. Er hat zu diesem Zeitpunkt keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und ist kurz davor, obdachlos zu werden. In Los Angeles nimmt er zunächst an einem Entzugsprogramm einer christlichen Einrichtung in Echo Park teil. Den Kontakt zur Einrichtung vermittelte ihm sein Vater, zu dem Johnny zu die-
6
Craigslist ist eine US-amerikanische Kleinanzeigen-Website mit Rubriken für Jobs, Wohnungen, Verkauf, Artikel, Dienstleistungen, Kontaktsuche, Konzerte und Diskussionsforen.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 201
sem Zeitpunkt offenbar wieder eine Beziehung hergestellt hatte. Nach ähnlichem Muster seiner vorherigen Entzugsversuche beginnt er das Therapieprogramm, wird aber bereits nach sieben Tagen aus der Einrichtung vorzeitig entlassen. Anschließend nimmt er erneut den Kontakt zu MusiCares auf und deren Hilfe in Anspruch. Auf Basis eines 12-Step-Recovery-Programms schafft er den Entzug und erhält für neun Monate einen Platz in einem Sober House in West Hollywood. Er lebt fortan in einem Haus mit Musiker*innen und anderen Künstler*innen zusammen, die bereits ‚clean‘ sind und auf dem Weg in einen geregelten Alltag unterstützt werden. Als er in die Wohngemeinschaft einzieht, besitzt er weder Instrumente noch anderes Eigentum. Er darf sich von seinen Mitbewohnern jedoch Gitarren ausleihen und macht zum ersten Mal seit der Entlassung aus seiner letzten Band wieder Musik. Er beginnt eigene Songs zu schreiben, die er über Laptops aufnimmt, die ihm von seinen Mitbewohner*innen zur Verfügung gestellt werden. Ebenso beginnt er zu singen. Er spart Geld und investiert dieses in Studioaufnahmen. Immer wieder ist er Versuchungen und damit potenziellen Rückfallsituationen ausgesetzt. Obwohl sich in diesen Situationen die Handlungsoptionen, zu konsumieren und rückfällig zu werden, anbieten, kann er den Drogen widerstehen und seine Abstinenz aufrechterhalten. Nach der Zeit im Sober House bleibt er in Los Angeles. Er gründet eine Band und spielt vereinzelte Shows. Er nimmt mit der Band im Studio von Interscope Records7 ein Album mit mehreren Songs auf, die er im Sober House geschrieben hatte. 2014 reist er für eine Reunion-Show mit seiner ersten New Yorker Band zurück nach New York. Der Konsum von Drogen als Handlungsoption bietet sich erneut auch in dieser Situation an. Aus Johnnys Lebenslauf wird jedoch deutlich, dass sich eine weitere Drogeneinnahme fortan immer als Handlungsoption anbieten wird und somit ein Rückfall nie vollkommen auszuschließen ist. Johnny bleibt jedoch abstinent und geht zurück nach Los Angeles, wo er bis heute lebt und 2012 seine Lebensgefährtin kennenlernt, mit der er nach wie vor liiert ist. Er zieht sich vom Tourleben zurück. Auch wenn er sein Geld nicht mehr durch das Musikmachen verdient, bleibt er aktiv im Musikbusiness. Er macht es sich zudem zur ehrenamtlichen Aufgabe, anderen Betroffenen durch einen persönlichen Austausch aus der Sucht zu helfen. Dass der Weg aus der Sucht im Regelfall jedoch nicht so erfolgreich verläuft, wie er sich im Fall Johnny vollzieht, zeigt das Beispiel seines ehemaligen Bandkollegen J., der drei Wochen vor dem Interview an einer Überdosis Heroin verstorben war. Zu dem Zeitpunkt des Interviews ist Johnny 31 Jahre alt und bereits fünf Jahre clean. Er leitet sein eigenes (legales) Business8.
7
8
Das Plattenlabel Interscope Records mit Sitz in Santa Monica, Kalifornien, gehört mit Künstlern wie Lady Gaga, U2 und Eminem als Sublabel der Universal Music Group zu den kommerziell erfolgreichsten seiner Zeit. Aus Gründen der Gewährleistung von Anonymität möchte er über dieses Business keine weiteren Auskünfte geben bzw. bat mich, diese Angaben nicht im Rahmen der Arbeit zu erwähnen. Er behauptet jedoch, dass er weiterhin in der Musikindustrie aktiv sei.
202 | Hauptstudie
9.3
SCHRITT 2: TEXT- UND THEMATISCHE FELDANALYSE
9.3.1 Textsorte und thematische Felder (Analyse I: Johnny) Seg.
Zeile
Textsorte
i.
1
Erzählaufforderung
1.
2-26
Bericht/ Argumentation
Thematisches Feld
„I can tell you what it feels like to be a heroin addict [...] and I can tell you [...] what it feels like to be a musician“ Beweggründe zur Teilnahme am Interview; Zusammenhang zwischen Musik und Drogen; persönliche Junkie-Erfahrung; Stigmatisierung „once you crossed the threshold of serious drug addiction it’s not a party, you know it’s not like a vacation and it is not glamorous and it’s even if whether you have a million dollars or whether you are stealing to get high every day, it’s the same thing, you know“
2.
26-45
Erzählung/ Evaluation
„the relationship with music and drug use“ Familienhintergründe (Vater ® Musik ® Drogen); soziales Umfeld im Kindes- und Jugendalter (Gemeinde); Jesus-Movement; erste musikalische Erfahrungen „I grew up in a church [...] and my Dad is a preacher of the church. [...] growing up in that environment music was something that was a spiritual experience“
3.
45-52
Geschichte (herausragendes Ereignis)
Wendepunkt: „and then I found the guitar“ Musik als erste ‚Droge‘; Entdeckung der Gitarre; Entwicklung des Plans, Musiker sein zu wollen; Vernachlässigung der Schule „I’m gonna be a famous musician"
4.
54-70
Geschichte / Erzählung
Rückblick Aufwachsen; Musik machen in der Gemeinde; konservative Einstellung; erstes Album (Beatles); Geheimhaltung vor Eltern „also had this really PC conservative sheltered view on the world and even music“
5.
71-91
Beschreibung / Argumentation
„even as a kid I was really hungry for other things I wasn’t getting through“ eigene Bedürfnisse; Neugierde gegenüber Neuem/Nichtzugänglichem; Schulabbruch; Abkehr von Gewohntem (Elternhaus, Gemeinde); Hinwendung zum Gitarrenspiel
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 203
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I […] started to take a step back from that environment that I had grown up in and at 17 I dropped out of high school“
6.
92-98
Erzählung
Umzug nach Nashville Umzug mit Songwriterin nach Nashville; Alkohol und erste Drogenexperimente „I met a lady that was a songwriter and she let me go with her to Nashville“
7.
98-113
Geschichte Erzählung, Beschreibung
„I went back to Seattle and then I met my first rock band“ Rückkehr nach Seattle, Einstieg in erste Band; erste Banderfahrungen; Leben/Lifestyle als Musiker „for me it was like finally I’m with a group of people that understand me“
8.
113-136
Geschichte / Bericht
„drugs at that point really started to enter the picture of my life“ Kokainabhängigkeit; hohe Geldinvestitionen in Drogen; Ultimatum der Band: Drogen oder Band; erster Entzug
9.
136-146
Argumentation / Evaluation
„the thing with the drug use and the drinking and the music“ Zusammenhang Alkohol-Drogen-Musik; Rückblick in Kindheit I; Gruppengefühl; keine Stigmatisierung „I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing“
10.
148-188
Erzählung / Bericht
„the first time I tried heroin“ Rauchen von Heroin; Rauscherfahrung; Injizieren von Heroin; Kontrolle vs. Kontrollverlust; Abhängigkeit; Prozess des Konsums „he’s like do you wanna go outside and chase the dragon I had no idea what that meant but I was like absolutely“
11.
191-203
Argumentation
„what the correlation is with music and that specific drug [heroin]“ Zusammenhang Drogenkonsum-Musik; Rückblick in Kindheit II; (erwünschte) Wirkung; Alleinsein „even as a little kid there was like something about me that was sort of dark and sad and lonely and after I found that specific drug when I wound up at that place like that chemically for me like did it for me“
12.
205-237
Beschreibung / Argumentation
„another big reason for the amount of time that I was able to stretch it out as a very active heroin addict was the environment that I was in“
204 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Einstieg in zweite Band in New York; Lifestyle; Tourleben; Zusammenhang Drogenkonsum-Musik; Musiker sein; Einkommen durch Musik; regelmäßiger Konsum „it’s about the music and for me that was exciting as a young kid ’cause it felt like I’m in like this gang now“
13.
237-247
Beschreibung / Evaluation
„my problem with alcohol is extremely bad“ Mischkonsum von Alkohol (Whiskey), Drogen (Heroin) und Pillen; Tourleben ohne Pausen; gesundheitliche Schäden (Leberschaden) „I drank a lot of whiskey and I shot a lot of heroin, and in between that I would take pills and do coke, but […] I started seeing some real um undeniable problems“
14.
248-271
Erzählung / Evaluation
„music and the recording“ Plattenvertrag; Traum vom ‚Masterpiece‘; Veränderung der (musikalischen) Wahrnehmung unter Drogeneinfluss; Studioleben; Gemeinschaftsgefühl „I remember thinking like this is ground breaking music, it’s gonna change the world, you know, was part of that drugs and alcohol one hundred percent“
15.
271-287
Beschreibung
„we recorded the record“ Wechsel von Victory Records zu einem anderen Label; Songwriting, Produktion und Recording in Seattle, San Diego und Los Angeles; getrennte Wege nach Aufnahme; Bankrott des Labels; NichtErhalt des Albums „the band really survived from being a touring band […] being on the road was what kept everyone together and so after we recorded that record everybody sort of went their own ways“
16.
287-300
Beschreibung / Argumentation
„I decided that I was going to play in another band“ Einstieg als Bassist in New Yorker Band; Band spielte mit Iggy Pop ® „hero“; Lollapalooza
17.
300-313
Erzählung / Argumentation
„holy shit, there is nothing else like I’m just getting high“ Rückblick in Zeit nach Studioaufnahme; Drogenalltag ohne Band; ‚Junkie‘; keine Musik; Warten „cause it’s like I’m a fucking junkie and I couldn’t tell someone like well I’m going on tour tomorrow“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 205
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
18.
313-321
Argumentation
„I didn’t care because I just wanted to play“ Begründung Einstieg in New Yorker Band; Degradierung zum Bassspieler; Sehnsucht nach Musiker-Lifestyle
19.
322-331
Erzählung / Anekdote
„my drug use [...] while I was in that band got really really outta control“ Opiatkonsum; Rauscherfahrung; Kontrollverlust; verpasste Show
20.
331-351
Beschreibung
Wendepunkt: „I couldn’t keep it together […] like the party was kind of over“ Einsamkeit; Band konsumiert nicht; Verheimlichung; kann nicht mehr spielen; verpasst Shows; Konsequenz: sein Platz in der Band wird ersetzt; Junkie; Sehnsucht; Erinnerung an vergangene Zeiten „and then I turned into like the worst type of musician the heroin addict alcoholic musician that hangs out on bars and talks about it“
21.
353-366
Erzählung / Beschreibung
„and then it was just about the drugs“ ‚Junkie‘; Isolation; Verzweiflung; Gelegenheitsjobs; findet keine Mitmusiker mehr; Beschaffungskriminalität „to try and stay alive“
22.
367-389
Beschreibung / Geschichte
„I needed to try something else and I couldn’t get clean“ Entzug; Methadonsubstitution „I promise you that I’ll try to use less heroin [laughing]“
23.
391-417
Beschreibung / Erzählung
Wendepunkt: „like that is the turning point […] where I went from […] the ability to have like any control to losing all control“ Kontrollverlust; Mixkonsum: Methadon, Heroin, Alkohol, andere Drogen; Verlust der Lebenslust; fast obdachlos; kein Familienkontakt; Verlust von Freundschaften; Kontakt zu MusiCares; Hoffnung „I was like pretty much broken down […] it was like no option very close to being a homeless or like being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally“
24.
420-448
Beschreibung
„I qualified for some help“
(nach Erzählaufforderung)
Kontakt zu MusiCares; erneute Entzüge (in Seattle); Rückfälle; Detox in Klinik in LA durch Kontakt des Vaters; Rauswurf aus Klinik
206 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „but I personally had to go through this like really insane almost unbelievable like process to get to where I needed to be to realize like I just I can’t keep doing this […] I can’t keep living this way“
25.
448-465
Erzählung
„and then I actually got through to MusiCares“ Leben im Sober House; Nüchternheit; geteiltes Leid durch ähnliche Schicksale / Hintergründe „I arrived at this house in West LA that was almost full of musicians and artists“
26.
465-485
Erzählung / Beschreibung
Wendepunkt: „a huge part of my process [...] for rebuilding my life [...] was rediscovering that creative side“ Kreativprozess; Rückblick in Kindheit III; Musik als spirituelle Erfahrung; Passion; musikalischer Schaffens-/Kreativ-Prozess; Gefühlsausbruch „the things that were coming out of me [...] all my emotions all my feelings everything it was like a raw nerve like everything was there“
27.
485-491
Erzählung / Beschreibung
„the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now“ Rückblick in Kindheit IV; Traum vom Musikerdasein; Realitätsflucht; Ventil
28.
491-498
Beschreibung
„and I would start singing“ Neuerfahrungen; Singen; Furchtlosigkeit; Selbstbewusstsein „everything I was like putting down and doing was, I was doing it because like it just felt right, you know“
29.
499-529
Geschichte
„and actually got into a studio in Hollywood“ Aufnahmen im Studio; Xanax; Rückfallgefahr; Erinnerung an Jugend; Ängste; spirituelle Erfahrung „and that was the like spiritual experience for me only because like […] something had changed, […] like I saw it and it was almost like really freeing because I was just like this is too funny to like actually be happening'“
30.
447-457
Beschreibung
„I started playing shows in Los Angeles, I got the opportunity to start a band“ Bandgründung; Auftritte in LA; Aufnahme bei Interscope; Songwriting; Rückblick
31.
542-552
Erzählung / Argumentation
„I get to open that door for them and be like look, I can tell you like my story“ Prozess der Veränderung; Motivation; Anstoß; Hilfestellung; gibt seine Erfahrungen weiter
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 207
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I was strung-out for this many years, you know, I almost didn’t make it, tell me their story and then just be like you can still do this, like if you wanna do this you can still do it you know anything is possible“
32.
552-563
Evaluation / Erzählung
„it kinda looks like how I always wanted it to for a lot of years but I could never figure out how to do it right“ Transformation; Reflexion des Werdegangs / der eigenen Person; Abstinenz; Todesfälle; Entscheidungen „I’ve had to do a lot of work […] like staying clean is not, it hasn’t been this like picture-perfect experience, it’s been challenging“
33.
563-571
Beschreibung / Argumentation
„there is a stigmata today that heroin addicts can’t stay clean“ Abstinenz; Vorurteile; Statistiken vs. Realität; Abschreckung „there is a stigma today that heroin addicts can’t stay clean, there is like all these fucking bullshit statistics that get thrown around by people that don’t know what the fuck they are talking about“
34.
571-590
Aufforderung / Appell Argumentation
„the transformation has been incredible“ Rückblick; Neuanfang; Erfolgsabsichten; Hoffnung; Stolz; Dankbarkeit; Transformation „the reality is that it’s never too late for anyone to start over and it just takes more work, especially for opiate addicts, for heroin addicts, and not everyone makes it“
35.
591-604
Argumentation / Evaluation
„what it feels like specifically with like music and drug addiction“ Musik und Drogenabhängigkeit; kreativer Prozess als Nutzen; kreatives Level nach Entzug; Output „the possibilities are huge and the creative part of all of our souls […] the emotions are attached to the experience“
36.
604-623
Beschreibung
„specially being in a place like LA [...] there is a huge [...] amount of sober artists“ berühmte drogenabhängige Musiker*innen; Keith Richards; Autobiographien; Vorbilder; „sober artists“ als aktive Künstler*innen oder Personen in der Musikindustrie
37.
624-661
Kommentar Stanley
38.
662-672
Beschreibung
Wandel der Musikindustrie Rückblick; Veränderungen;
208 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld keine Verträge für ‚Junkies‘; Mythos des abhängigen Musikers nicht mehr aktuell; ‚Abliefern‘ bei Shows und Performances „the days of like the 80’s bands that are all fucking drunk and high getting huge record deals and showing up to the studio drunk and fucked up and breaking, smashing hotel rooms and you know, burning down recording studios, that shit is done“
39.
672-704
Geschichte / Anekdote
Musikmachen unter Drogeneinfluss Anekdote über Studioaufnahme; abhängiger Bandkollege erscheint verspätet und ‚zugedröhnt‘ bei wichtigen Aufnahmen; negative Auswirkungen des Drogenkonsums; Verärgerung; Risiko; Spiegel seines früheren eigenen Verhaltens „when I got the chance to do the record at Interscope […] and I show up before the other guys in my band and I’m praying to God like God, please ‘cause it was on a week,it was a Sunday please, I hope they didn’t stay up all night partying“
40.
704-735
Geschichte / Erzählung
Heroinabhängigkeit des Bandkollegen Versuch des Entzuges; 12-Step-Programm; fehlgeschlagene Hilfe; Hilflosigkeit; Erinnerung; Talent vs. Konsum; Tod durch Überdosis; Beerdigung; Scott Weiland; Besonderheit/Talent „one of the things that people said about him was part of the thing that inside of him that made his playing so beautiful was that he was almost this tortured soul“
41.
735-754
Erzählung
„people get the chance to walk away from it and some people don’t“ Zusammenhang zwischen Musiker sein und Drogenkonsum; Angebot von Hilfestellung; fehlgeschlagene Angebote von außen; ‚unglaubliches‘ Spielen durch Drogenwirkung?; „access to beauty“ (Zitat Stanley) „there is definitely I think something to the correlation between being an artist and the substances, you know, like the alcohol or the drugs“
42.
615-625
Abschluss
Beendigung der Erzählung // NACHFRAGETEIL „I think that’s all I got, guys, is that good?“
43.
763-776
Ergänzung
Ehrenamtlicher Einsatz 12-step-meetings; Vortrag „like when I first moved here I had so much anxiety I was so uncomfortable that like I couldn’t sit and like talk to you for five minutes. […] and now I could probably sit here and talk to you guys for like another couple of hours“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 209
Seg.
Zeile
Textsorte
44.
777-790
Ergänzung Stanley
Thematisches Feld
„even the gravity of your story has really opened other like synapses in my head about stuff too so that was awesome“ 45.
791-811
Ergänzung / Appell
Überdosierungen USA (Jahres-)Zahlen; Statistiken; Tabuisierung; Aufklärung; Hilfsangebote „there was a lot of taboo for a long time about the word heroin or heroin addict or junkie - the more information that’s given to like younger, the younger generation of people, the more people that can stand up and say hey like just so you know like this is the risks that you’re taking when you step into this world“
46.
812-830
Argumentation / Appell Schlusswort
Aufklärung Begründung der Teilnahme am Interview; Erfahrungsaustausch; Aufklärungsarbeit; Wichtigkeit und Dringlichkeit des Projektes; Danksagung „this is a serious serious thing that I believe is really important, you know, trying to help people so they don’t have to hopefully ever experience what it’s like to walk through something like being a heroin addict“
9.3.2 Strukturhypothesen zur Selbstpräsentation (erzähltes Leben) (Analyse I: Johnny) Was ist das Präsentationsinteresse des Probanden in Bezug auf dessen erzählte Lebensgeschichte? Welche Mechanismen steuern die Auswahl sowie die temporale und thematische Verknüpfung der Geschichte? Weshalb wird der Inhalt eingeführt? Auf Grundlage von generierten Hypothesen zum erzählten Leben (siehe Anhang 3b) wird im Folgenden dargestellt, wie Johnny seine Lebensgeschichte präsentiert und welche Funktion diese Selbstrepräsentation haben könnte. Johnny präsentiert sich von Anfang der Begegnung an ruhig und dennoch selbstbewusst. Nachdem als Erzählauftakt von den Interviewenden noch einmal darauf hingewiesen wird, dass ihm sowohl Struktur als auch Inhalte seiner Erzählung frei überlassen bleiben und es sich nicht um eine Frage-Antwort-Situation handelt, scheint Johnny ohne Schwierigkeiten oder Hemmungen den Einstieg in seine Erzählung zu finden. Er stellt keine weiteren Rückfragen. Er steigt jedoch nicht direkt in die Erzählung seiner eigenen Lebensgeschichte ein, sondern geht auf eine potenzielle „correlation between [...] music and [...] being a heroin addict“ (T1: Z. 4f.) im Allgemeinen ein. Er scheint zunächst rechtfertigen zu wollen, warum er sich der Situation überhaupt stellt und sich als geeignet sieht, über das Thema zu sprechen: „[...] you have to have experienced both things pretty intimately to understand what that looks like and what it feels like you know […] I can tell you what it feels like to be a heroin addict
210 | Hauptstudie
[...] and I can tell you […] what it feels like to be a musician, and I can try and explain what it feels like to experience both of those things […]“ (T1: Z. 7-10)
Wie er mehrmals – auch im Vor- und Nachgespräch – betont, sei seine Hauptmotivation zur Teilnahme am Interview, Einblicke in seine Lebensgeschichte zu gewähren, um Aufklärung über die gängige Wahrnehmung gegenüber Drogenabhängigen zu leisten und einer vorherrschenden Stigmatisierung entgegenzuwirken: „o:h the fucking junkie musicians, and these heroin addicts like it’s an epidemic and they’re, the- you know the lo:west types of people close to bums on the street um (...) It’s=it’s pretty sa:d if that was your story, and that’s the perception [...] and the way people view it (.) um because nobody wants to be a heroin addict (.) once you crossed the threshold of (..) serious drug addiction ((groaning/sighing)), it’s not a party (.) you know [...] it’s not like a vacation and it is not gla:morous and it’s even if- whether you have a million dollars or whether you are stealing to get high every day, it’s the same, thing […]“ (T1: Z. 16-26)
Aus der gegenwärtigen Perspektive blickt er in seine Kindheit zurück und beginnt von den Anfängen seiner Lebensgeschichte zu erzählen. Den einleitenden Satz „the relationship with music and drug use is for me, for music, I grew up in a church“ (T1: Z 26f.) setzt er mit der Beschreibung seines Umfeldes in der Gemeinde fort, in der er aufgewachsen ist und in der er seine ersten Berührungspunkte mit dem Musikmachen verortet. Bezüglich der Frage, warum er diesen Aspekt direkt zu Beginn seiner Geschichte heraushebt, lässt sich die Vermutung aufstellen, dass er – getreu dem Motto ‚ich war nicht von Anfang an Junkie, ich bin in der Kirche, in einem ‚guten‘ Umfeld groß geworden‘ – den Kontrast zwischen dem Leben als Junkie und dem Leben als Teil einer christlichen Gemeinde verdeutlichen will. Interessant ist, dass er im direkten Anschluss auf seinen Vater zu sprechen kommt, der zu dieser Zeit Prediger in der Gemeinde war. Der Vater stellt somit nicht nur eine Verbindung zu Johnnys Erinnerungen in Bezug zu seinen musikalischen Wurzeln dar, sondern auch zum Umgang mit Drogen. Johnny kommt direkt darauf zu sprechen, dass sein Vater Teil des JesusMovement in den Vereinigten Staaten war und thematisiert dessen Drogenproblem. Gleichzeitig hebt er in seiner Darstellung heraus, dass sein Vater mit Bands wie The Doors auf Tour ging „and got to do a lot of cool things“ (T1: Z. 34). Dass er diesen Aspekt der Vergangenheit des Vaters erwähnt, könnte darauf hinweisen, dass er stolz auf die musikalischen Hintergründe seines Vaters ist bzw. an dessen Tätigkeiten selbst interessiert war. Eine andere Deutungsmöglichkeit besteht darin, dass Johnny sich mit der Vergangenheit des Vaters brüsten und seine eigene Person als Sohn eines ehemaligen Musikers, der mit The Doors tourte, herausheben möchte. Gleichzeitig erwähnt er aber auch, dass diese „cool things“ mit einem „horrible problem with drugs“ (T1: Z. 34f.) einhergingen. Ebenso könnte er folglich verdeutlichen wollen, dass das Ausführen bzw. Ausleben von Musiker-Tätigkeiten auch in Verbindung mit dem Konsum von Drogen Bestandteil seiner familiären Hintergründe ist – auch bereits vor seiner eigenen Erfahrung. Auffällig ist zudem, dass er auch auf eine „huge transformation“ des Vaters zu sprechen kommt. Er reißt den Aspekt, dass sein Vater nach seinem Drogenproblem dennoch den „Weg zu Gott“ („he found God and he decided that was gonna be his path“ (T1: Z. 36)) findet und Prediger wird, zwar nur kurz an, dennoch stellt sich die Frage, warum er diesen überhaupt einbringt. Eine
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 211
mögliche Lesart wäre, dass Johnny seinen eigenen Lebensweg rechtfertigen will (‚nicht nur ich hatte ein Problem, sondern auch mein Vater, und der ist jetzt sogar Prediger in der Kirche‘). Er könnte sich hiermit auf die zuvor erwähnte Stigmatisierung von Junkies beziehen und verdeutlichen, dass selbst Menschen, von denen man es scheinbar nicht erwarten würde, ein Drogenproblem haben könnten. Gleichzeitig spricht er hier aber auch ein thematisches Feld an, auf das er im weiteren Verlauf des Interviews noch zu sprechen kommt: Wege aus der Abhängigkeit. Der Glaube des Vaters an Gott stellt dabei einen möglichen Weg aus der Sucht dar. Johnny erzählt zügig und wenig detailliert, was den Eindruck erweckt, dass er diese Aspekte zwar erwähnen, sie gleichzeitig jedoch als normalen bzw. nicht erzählenswerten Teil seiner Sozialisation betrachtet und nicht weiter darauf eingehen will. Interessant ist, dass er eine Verbindung zu Gott an mehreren Stellen des Textes andeutet, aber nicht näher ausführt. Auch in seinen einleitenden Ausführungen betont er nach der eher beiläufigen Erwähnung Gottes eine spirituelle Erfahrung, die er bereits in frühen Kindheitsjahren gemacht habe (vgl. T1: Z. 38). Er beschreibt in diesem Zusammenhang die Atmosphäre im Kontext des Musikmachens in der Kirche sowie die ersten Erfahrungen im Umgang mit Musikinstrumenten – wie zunächst dem Tamburin und später dem Schlagzeug. Seine Präsentation erfährt an dieser Stelle einen Bruch – sowohl thematisch als auch in Bezug auf die Form seiner Darstellung. Während er zuvor und anekdotisch seine Erinnerungen an die Kindheit beschreibt, gelangt er in seiner Geschichte an eine Art ersten Wendepunkt, den er als „the mo:ment“ (T1: Z. 49) im Zusammenhang mit der Entdeckung des Gitarrenspiels herausstellt. Seine zuvor als ‚gesittet‘ dargestellte und im kirchlichen Kontext verortete Kindheit geht nun in ein präpubertierendes Stadium seiner Sozialisation über, in dem sich sein Verhalten seinen Ausführungen zufolge als rebellisch und von der gesellschaftlichen Norm abweichend charakterisieren lässt: „[…] like I didn‘t wanna go to my cla:sses I didn‘t wanna hang out with gi:rls I didn‘t wanna play spo:rts I didn‘t wanna talk to anyone about anything except for playing guitar“ (T1: Z. 49-51) Er präsentiert an dieser Stelle eine Vorstellung seines weiteren persönlichen und beruflichen Lebensweges, welcher die Grundlage bzw. die Motivation seines weiteren Werdeganges zu konstituieren scheint: „I had decided like I‘m gonna be a famous musician, and that‘s what I‘m gonna do the rest of my life“ (T1: Z. 51f.). Obwohl an dieser Stelle der Fortgang seiner Darstellung des Werdeganges als Musiker erwartet wird, springt er in der Erzählung wieder in die Vergangenheit und setzt erneut bei Segment 2 (Präsentation der Familienhintergründe und des sozialen Umfeldes) an. Auffällig ist, dass er wieder auf sein Heranwachsen im kirchlichen Umfeld eingeht. Zentrales thematisches Feld ist hierbei erneut das Musikmachen in der Kirche des Vaters. Gleichzeitig beschreibt er, aus welcher Perspektive er damals seine „Welt“ konstruiert habe: „I also had this re:ally, PC [politically correct], conservative, sheltered view on the wo:rld“ (T1: Z. 56) Er schildert anschließend den Moment, in dem ihm seine ältere Schwester eine Kassette des „White Album“ der Beatles gibt. Es scheint, als sei dieser Moment mit einer Veränderung seiner Haltung und Weltauffassung einhergegangen. Dass er die Kassette vor seinen Eltern versteckt hält, deutet darauf hin, dass der Umgang mit einer bestimmten Art von Musik nicht mit den Wertevorstellungen seines Umfeldes zu vereinbaren war – zumindest ließe sich diese Interpretation aus Johnnys weiteren Ausführungen ableiten: „[…] that’s a really good example of like what it was like
212 | Hauptstudie
growing up in my house as far as like, popular culture [...] and yah that kind of limited, or sort of scope or point of view this is how the world operates“ (T1: Z. 6670). Obwohl ihm der Umgang mit Popkultur scheinbar als etwas ‚Verbotenes‘ oder ‚Tabuisiertes‘ suggeriert wurde, stellt er sich als „really hungry fo:r, other things“ (T1: Z. 72) dar, zu denen er keinen Zugang hatte. Seine Aussage „my parents were showing me=when it came to art and music“ (T1: Z. 72f.) lässt vermuten, dass in Bezug auf seine musikalischen Einflüsse insbesondere seine Eltern vorgaben, mit welcher Art von Kunst und Musik er sich zu befassen hatte. Es ist hierbei des Weiteren zu erkennen, dass Johnny in seinen Ausführungen weder genauer auf seine Geschwister noch auf seine Mutter eingeht. Während er an zwei Stellen des Interviews zumindest beiläufig seine Schwestern erwähnt – zum einen als er das Beatles Album von seiner älteren Schwester erhält, zum anderen im späteren Verlauf, als er das Elternhaus verlässt – wird seine Mutter als Einzelperson an keiner Stelle erwähnt. Johnny spricht ausschließlich von seinen Eltern, was die Anwesenheit einer Mutterfigur zwar einschließt, diese jedoch nicht näher thematisiert. Zu seinem „Dad“ wird jedoch an verschiedenen Stellen der Geschichte, insbesondere in einem Zusammenhang mit der Drogenthematik, Bezug hergestellt. Dies deutet darauf hin, dass sein Vater eine engere Bezugsperson darstellt bzw. im Hinblick auf den thematischen Bezugsrahmen Musik und Drogen eine (wichtige) Rolle einnimmt. Er führt seine Geschichte damit aus, dass er mit ca. 17 Jahren das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist, verlässt. Auffällig ist, dass er hierbei erneut einen Kontrast zwischen seinem als rebellisch und eigensinnig zu interpretierenden Verhalten und seiner als eher positiv dargestellten, angepassten Kindheit aufzeigt. „[...] so at 17 I told my parents I’m done going to high school, I don’t need to do this ‘cause I’m just gonna play guita:r, and this a waste of my ti:me, and um I think my parents were so: just like exhausted by me ‘cause I had three sisters and I was the only boy, that they actually said okay (.) you can be done going to school, and good luck playing guitar and being famous and making a living doing that [...]“ (T1: Z. 85-89)
Er knüpft mit seinen Ausführungen an Segment 3 und damit an die Darstellung seines weiteren Weges unter der Vorstellung, Musiker werden zu wollen, an. Die Art und Weise, wie Johnny die damalige Situation nachzeichnet, deutet darauf hin, dass er sich keinem größeren Konflikt aussetzen musste, seinen Plänen nachgehen zu können. Er stellt die Reaktion der Eltern so dar, als hätten sie ihn nach der Devise, „wir haben ja noch drei weitere Kinder“, seinen Plan verwirklichen lassen. Andererseits lässt sich die Situation auch so deuten, dass die Eltern sein Vorhaben als unrealistisch und damit nicht umsetzbar eischätzten. In Anbetracht der Tatsache, dass sein Vater jedoch selbst Musiker war, ehe ihn sein Weg „zu Gott“ führte, lässt sich auch die Vermutung aufstellen, dass die Eltern ihn seine eigenen Erfahrungen machen lassen wollten, um selbst den ‚richtigen‘ Weg zu finden. Johnny gibt jedoch zu verstehen: „I moved out of my parents’ house I stopped going to church, I wasn’t involved with Go:d, or religion or anything I was done“ (T1: Z. 89f.). Als weitere Lebensstation nennt er seinen Umzug mit einer Singer-Songwriterin nach Nashville. Er geht an dieser Stelle allerdings weder näher auf die SingerSongwriterin ein noch thematisiert er seinen weiteren musikalischen Werdegang. Dies ist insofern interessant, als er zuvor beschlossen hatte, Musiker werden zu wol-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 213
len. In einer kurzen Ausführung über die Zeit in Nashville berichtet er lediglich, dass er getrunken und „ein wenig“ mit Drogen experimentiert habe (vgl. T1: Z. 97). Dies ist die erste Stelle in seinen Ausführungen, in der er auf seinen eigenen Drogenkonsum zu sprechen kommt. Ob er bereits vor seinem 18. Lebensjahr mit Alkohol oder Drogen in Kontakt geriet, thematisiert er zuvor nicht. Ohne über sein Leben in Nashville weiter ins Detail zu gehen, knüpft er in seiner Geschichte an der Stelle an, an der er nach Seattle zurückkehrt und auf seine erste Band trifft – und damit an einen weiteren Wendepunkt kommt, den er erneut als „the mo:ment“ (T1: Z: 98) bezeichnet. Während der zuvor beschriebene Wendepunkt eher auf eine spirituelle Erfahrung im Zusammenhang mit der Entdeckung des Gitarrenspiels und damit auf eine offenbar musikbezogene Erfahrung zurückzuführen war, bezieht sich dieser Moment hingegen auf den mit dem musikalischen Prozess verbundenen Lifestyle. Obwohl seine Vorstellung, Musiker sein zu wollen, sich zunächst auf das Gitarrespielen zu beziehen scheint, steht dieses Konzept in Folge der weiteren Ausführungen eher im Zusammenhang mit einem bestimmten Lebensstil bzw. mit einer zwischenmenschlichen Erfahrung und materiellen Komponente: „[...] and these guys were much older than me, they had really cool like lo:ng hair, and they wore leather jackets and really tight pants [...] they always had beautiful girls with the:m, and um and- and I joined their band as the other guitar player [...] and I was much younger and- one of them looked like me and he gave me an ID so I had a fake ID“ (T1: Z. 100-107)
Er beschreibt das Gruppengefühl und die Befriedigung persönlicher Sehnsüchte, die mit seiner Vorstellung des Musikerdaseins einherzugehen scheinen. Es ist auffällig, dass der Prozess des Musikmachens dabei nicht thematisiert wird. Vielmehr geht er sehr konkret auf seine ersten Erfahrungen mit dem Konsum von Drogen ein. Während er anfangs – insbesondere im Zusammenhang mit seinem Vater – das Thema Drogen eher beiläufig erwähnt und den Fokus seiner Erzählung bzw. seiner Erinnerung hauptsächlich auf das Thema Musik und Musikmachen legt, wird fortan die Darstellung seiner Suchtkarriere zum thematischen Hauptbestandteil seiner Ausführungen. Im Zuge der Darstellung seines Aufeinandertreffens mit der ersten Rockband lächelt er und scheint sich in die damalig euphorische Situation, die er vermutlich in positiver Erinnerung hat, zurückzuversetzen. Mit dem Themenwechsel senkt sich seine Stimme und wird ernster. Er atmet tief durch, was darauf hindeutet, dass es ihm schwer fällt, über diese Erfahrungen zu sprechen. Es ist zu vermuten, dass ihm hierbei bewusst wird, dass dieser Aspekt seiner Lebensgeschichte schwerwiegende Folgen für den weiteren Verlauf seines Werdegangs hatte. Auch hier ist in seiner Präsentation der Kontrast zwischen dem scheinbar erfüllten Rockmusikerleben, in dem er sich „verstanden“ (T1: Z. 109) fühlt, und der anschließenden Ausführung der Auswirkungen seines Drogenkonsums auffällig. Er betont mehrmals in der Beschreibung seiner ersten Erfahrung mit Kokain, dass er zu diesem Zeitpunkt erst 19 Jahre alt gewesen sei. Er präsentiert seinen Einstieg in den Konsum ruhig und ernst. Mit der Erinnerung über die ersten Rauscherfahrungen, dem Versuch der Aufrechterhaltung dieses Gefühls und der damit verbundenen Beschaffung der Droge beginnt er zu lächeln und beschleunigt sein Erzähltempo:
214 | Hauptstudie
„I remember he gave me a little bit of coke, and the next da:y I was at his apartment, knocking on the door like hey man I gotta get some more of that shit it’s like it’s magic like I fucked all ni:ght ((smiling)) and [...] l I felt great and it was fu:n like get me some more and of course he is like of course I’ll get you some more“ (T1: Z. 116-121)
Die Art und Weise der Präsentation deutet darauf hin, dass er die Situation aus damaliger Perspektive als aufregend und positiv empfunden habe. Interessant ist, dass er von diesem Stadium des Konsums zwar von einer „Abhängigkeit“ (T1: Z 114) der Droge Kokain spricht, in seinen weiteren Ausführungen jedoch zu verstehen gibt: „I still had some element of control“ (T1: Z. 133). Diese Äußerung trifft er im Kontext der Erzählung über seinen ersten Entzug, nachdem ihm seine Bandkollegen mitteilen, nur in der Band bleiben zu können, wenn er den Drogenkonsum unterlasse. Er beschreibt seinen ersten Entzug knapp und emotionslos. Mit der Entscheidung für die Band suggeriert er, dass seine musikalische Karriere – oder zumindest der zuvor beschriebene Lifestyle im Zusammenhang mit der Vorstellung des Musikerdaseins – zu diesem Zeitpunkt höheren Stellenwert gehabt habe als der Drogenkonsum. Er setzt seinen Erzählfluss anschließend jedoch nicht chronologisch fort, sondern blickt erneut in seine Kindheit zurück – ein Präsentationsstil, den er im weiteren Verlauf der Erzählung immer wieder anwendet: „the thing with […] the drug use and the drinking a:nd, and the music that I loved the most I think some of it for me had to do with the way I was raised and my childhood because it was so: black and white, you know [...] there was some such a huge stigma attached to like any of that stuff and I was finally in a place where like nobody was really gonna judge me (.) you know and that was huge for me, a:nd I had a guy that I really looked up to as a musician coming up in Seattle, and he (.) he is a well known guitar player in Seattle he’s been in some really huge bands um (.) and I fi:nally walked into this community of people where I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing” (T1: Z. 136-146)
Auch im weiteren Verlauf seiner Präsentation ist auffällig, dass er scheinbar immer wieder durch Rückblenden in die Vergangenheit versucht, sein Verhalten zu rechtfertigen bzw. Ursprünge für die Aneignung und Ausführung bestimmter Handlungsbzw. Verhaltensmuster aufzuzeigen. Auffällig ist auch, dass er immer wieder von sich als „kid“ spricht und sein niedriges Alter betont. Dies könnte als eine weitere Rechtfertigung naiver Handlungen zu deuten sein. Im Weiteren fährt er chronologisch in seiner Suchtgeschichte fort und erzählt von seinem ersten Heroinkonsum. Er skizziert anekdotisch wie er an die Droge herangeführt wurde. Er präsentiert die Situation humorvoll und erzeugt damit Gelächter bei den Interviewenden. Zum einen stellt er die Situation so dar, wie er sie selbst erlebt zu haben scheint, zum anderen schafft er erneut einen Kontrast als rhetorisches Stilmittel, um im Folgenden auf die Ernsthaftigkeit der Lage einzugehen. Er beschreibt sein Verlangen nach der Droge nach dem ersten Probieren ernst und nüchtern. Sehr strukturiert fasst er den Prozess bis zur ersten Injektion, die er sich selbst verabreicht hat, zusammen. Anstatt jedoch an seine Suchtgeschichte anzuknüpfen, kommt er erneut auf den thematischen Bezugsrahmen und damit „the correlation [...] with music and that specific drug“ (T1: Z. 192) zurück. Es scheint, als wolle er seine Erfahrungen in diesen Kontext einordnen und sucht dafür wieder nach einer Erklärung seines
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 215
Verhaltens in der Kindheit. Er macht eine kurze Pause und versucht sich daran zu erinnern, wie er sich als Kind gefühlt hat. Es ist interessant, dass er darauf erst im Zusammenhang mit seinen ersten Heroinerfahrungen zu sprechen kommt und nicht bereits während seiner Ausführungen über seine Kindheit. Er stellt einen Bezug zwischen seiner emotionalen Gefühlslage – „as a little kid there was like something about me that was sort of dark and sa:d and lonely“ (T1: Z. 193f.) – und seiner favorisierten Droge her, welche diese Gefühle zu kompensieren schien. Damit liefert er einen Erklärungsansatz für die Wahl von Heroin in Bezug auf dessen pharmakologische Wirkung. Ebenso nennt er sein musikalisches Umfeld als weiteren Grund für seinen Konsum und dessen Aufrechterhaltung über einen längeren Zeitraum. Er setzt dabei die Erzählung seiner Lebensgeschichte chronologisch fort, legt dabei aber den Fokus auf seine Erfahrungen mit seiner zweiten Band – in Verbindung mit dem damit einhergehenden Lifestyle. Auch hierbei betont er sein Alter und bezeichnet sich als „kid“. Er stellt die Erfahrungen in der Band so dar, als ob sie seine damaligen Bedürfnisse von Gemeinschaftsgefühl, Freiheit und Musik machen erfüllten. Auffällig ist jedoch, dass er auf die ersten beiden Aspekte wesentlich ausführlicher als auf den Akt des Musikmachens selbst eingeht. Vielmehr scheint seine Erzählung auf das Nachvollziehen seines Lebensstils gerichtet zu sein. Er betont allerdings, dass der musikalische Aspekt dabei im Vordergrund gestanden habe. Das verwundert, denn schließlich wird beispielsweise weder über kreative Schaffensprozesse (Proben, Gitarrespielen, Songwriting etc.), noch über konkrete Erfahrungen, die den aktiven Prozess des Musikmachens implizieren, berichtet. Die Aussage „that’s what I did for a couple of years ((breathing loudly)) as I toured, we recorded um you know“ (T1: Z. 235f.) trifft er eher beiläufig und wirkt dabei angestrengt. Dabei ist fraglich, ob sich die Anstrengung tatsächlich auf das damalige Touren und Aufnehmen oder auf die gegenwärtige Erzählsituation bezieht. Er thematisiert im Folgenden seinen Alkohol- und Drogenkonsum und schildert insbesondere dessen gesundheitliche Auswirkungen. Er geht hierbei auf seinen Mischkonsum aus Heroin, Kokain und Pillen ein, betont aber in erster Linie sein Alkoholproblem und eine damit verbundene Schädigung seiner Leber. Es deutet darauf hin, dass er seinen Alkoholkonsum zu dieser Zeit gesundheitlich gefährdender als seinen Drogenkonsum eingeschätzt hatte. Anschließend kommt er zum ersten Mal auf seinen musikalischen Prozess in der Band zu sprechen und blickt auf die Entstehung eines Albums zurück, das er mit der New Yorker Band aufnahm. Es fällt auf, dass er immer wieder in der Erzählperspektive springt: Er erzählt aus vergangener Perspektive, wie er die Aufnahmesituation erlebt habe, dann wiederrum beschreibt er, wie er die Aufnahmen aus gegenwärtiger Sicht einschätzt. Aus der Gegenwartsperspektive heraus reflektiert er, dass die damalige Einschätzung der Entstehung eines „masterpiece“ (T1: Z. 252) darauf zurückzuführen sei, dass alle Bandmitglieder unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden hätten. Während er nach damaliger Auffassung zu den Aufnahmen sagt, „this is ground breaking music it’s gonna change the wo:rld“ (T1: Z. 262), bewertet er sie aus gegenwärtiger Perspektive als „fucking horrible“ (T1: Z. 258). Gleichzeitig stellt er seine Erfahrung in Bezug auf das Gemeinschaftsgefühl mit seinen Bandmitgliedern im Studio heraus:
216 | Hauptstudie
„[…] there was something about that was really exciting, you know there was something about that like, almost delu:sional (.) like place that you can live in when you’re high and dru:nk and playing guita:r and in a studio, that’s, exciting you know [...] and I had a lot of guys that were like in exactly the same place with it“ (T1: Z. 265-271)
In einem knappen Abriss schildert er den Prozess der Aufnahmen bzw. die Aufnahmestationen des benannten Albums und betont auch hierbei das Gemeinschaftsgefühl, das im Studio herrschte: „being on the road was what kept everyone together“ (T1: Z. 279). Es scheint ihm schwer zu fallen, wenn er anschließend darüber spricht, dass das Label, bei dem sie unter Vertrag standen, in Konkurs geht und die Herausgabe der Aufnahmen verweigert. Es stellt sich jedoch auch hierbei die Frage, ob es ihm dabei tatsächlich um die musikalischen Aufnahmen an sich oder die Tatsache ging, dass die Bandmitglieder, während über die Aufnahmen und die Zukunft der Band verhandelt wurde, getrennte Wege gingen und die Gemeinschaft damit aufgelöst wurde. Ohne weiter auf den Ausgang der Bandsituation einzugehen, präsentiert er seinen weiteren Lebensverlauf und damit den Einstieg in eine neue Band, auf die er bei seiner Rückkehr nach New York trifft. In einer „short version“ (T1: Z. 287), wie er seine Ausführungen selbst ankündigt, begründet er, warum er sich für die neue Band entschied. Obwohl er dies nüchtern und emotionslos präsentiert, wirkt er in Bezug auf seine alte Band, die er nach eigenen Angaben „verriet“ und im Stich ließ, reumütig und beschämt. Gleichzeitig vermittelt er aber seine Gründe, warum er sich doch für diesen Lebensweg entschieden hatte. Hierbei scheint die Vorstellung, mit einstigen Vorbildern gemeinsam auf großen Bühnen zu stehen, höheren Stellenwert gehabt zu haben, als musikalische, auf sein eigenes Spielen bezogene Beweggründe. Dass sein Ausstieg aus der Band vordergründig mit seiner Drogenabhängigkeit zu tun hatte, wird in seinen Ausführungen deutlich, wenn er über die Zeit spricht, in der er nach New York zurückkehrte und auf den Entscheid über die Aufnahmen der alten Band wartete. Folgende Ausführung lässt Rückschlüsse auf das Stadium bzw. das Ausmaß seiner Sucht zu, das er bis zu diesem Zeitpunkt erreicht hatte: „[...] it was like the first time for me where I was like ho:ly shit I’m just like get- I’m- there is nothing else like I’m just getting high [...] you know and it was pretty scary you know, cause it’s like ‚I’m a fucking junkie‘“ (T1: Z. 301-305)
Im Folgenden knüpft er mit seinen Ausführungen an Segment 16 an und liefert eine Begründung dafür, warum er die Rolle des Bassspielers dennoch annimmt, obwohl er das Bassspielen nicht mag und auch die Band nicht als „gut“ bewertet: „I didn’t care because I just wanted to play, a:nd I wanted to go on tour“ (T1: Z. 314f.) Dass das ‚auf Tour Sein‘ bzw. das ‚darüber Erzählen‘ für ihn eine wichtige Bedeutung gehabt haben muss, wird aus einer Äußerung deutlich, die er innerhalb der Erzählung über sein Leben als Junkie trifft: „I couldn’t tell someone like well I’m going on tour tomorrow“ (T1: Z. 305f.). Obwohl er zuvor betont, „it was about playing“ (T1: Z: 300), lässt sich aus dieser Darstellung ableiten, dass er nicht nur nach einer Beschäftigung suchte, sondern auch auf seine Außendarstellung – und damit seine Rolle bzw. das Image des Musikers zu bewahren – bedacht war. Hierbei lässt sich zudem die Vermutung aufstellen, dass er mit der Rolle des Musikers die Rolle des ‚Junkies‘ abzulösen bzw. auszublenden versuchte. Im Weiteren präsentiert er die Auswirkungen des
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Drogenkonsums, den er weiterhin fortsetzte: „my drug use (..) u:m (.) pretty much just opiate so heroin and other types of opiates (.) whi:le I was in that band got really really outta control“ (T1: Z. 322-324). Eine Anekdote über eine Show, die er aufgrund exzessiven Drogenkonsums verpasste, präsentiert er so amüsant, dass er die Interviewenden zum Lachen bringt. Gleichzeitig verdeutlicht er aber auch die Absurdität der Situation und gibt Einblick in seine Wahrnehmung, wie und warum er so gehandelt habe. Er gesteht sich ein, dass er aufgrund des Konsums nicht mehr in der Lage war, seine Rolle als Musiker aufrechtzuhalten: „I couldn’t I couldn’t keep it together, you know like the party was kind of over“ (T1: Z. 332f.). Er zählt weitere Situationen auf, welche die Band dazu veranlasste, seinen Platz in der Band zu ersetzen. Hierbei geht er erneut indirekt auf ein Gemeinschaftsgefühl ein, was er offenbar innerhalb der neuen Band vermisste: „I was also in this kind of weird lonely place that I hadn’t been in before because the musicians I was playing with in this new band they weren’t doing what I was doing.“ Während in der vorigen Band auch die anderen Mitglieder der Band Drogen konsumierten, musste er den Konsum gegenüber den neuen Bandmitgliedern geheim halten. In diesem Zusammenhang geht er auch auf die Auswirkungen des Drogenkonsums auf sein Spielen ein. Er macht sich zwar über seine Rolle als Bassspieler lustig, weil er seinen Angaben zufolge nur einfache Basslinien zu spielen hatte. Gleichzeitig gibt er durch diese Darstellung jedoch zu verstehen, dass das Stadium seiner Sucht und ein damit verbundener Verlust von Kontrolle so weit fortgeschritten war, dass er nicht mehr in der Lage war, „simple bass lines you know like one finger ((smiling)) punk rock songs“ (T1: Z. 339) zu spielen. Während er sich in die damalige Situation zurückversetzt, präsentiert er sein damaliges Verhalten als trotzig und uneinsichtig. Seine Reaktion auf den Rauswurf aus der Band imitiert er „like ‚oh fuck those guys cause that- that’s not even real music and I’m gonna start this great ba:nd‘“ (T1: Z. 345). Er schildert die anknüpfende Lebenssituation wie folgt: „[...] and then I turned into like the- the- the worst type of musician (.) the heroin addict alcoholic musician, that hangs out on bars and ta:lks about [...] talks about a:ll all the shows that I have played, or talks about the tours that I’m gonna do that don’t exist, and talks about reliving like glory days, when I’m only like in my early twenties“ (T1: Z. 346-350)
Er präsentiert seine ‚Verwandlung‘ zunächst mit heiterer Stimme. Diese wird jedoch im Laufe seiner Ausführungen zunehmend ernster und trauriger. Er atmet laut und tief durch und versucht seine damalige Verfassung, die er in der gegenwärtigen Gesprächssituation als „heartbreaking“ bewertet, anschaulich darzustellen. Mit der Aussage „and then it was just about the drugs“ (T1: Z. 353) wird in den folgenden Ausführungen zunächst nicht mehr sein Lebensweg als Musiker geschildert. Hingegen nimmt die Geschichte seiner Suchtkarriere das thematische Feld seiner Erzählung ein. Er findet keinen Zugang mehr zum Spielen, was er als eine „schmerzvolle“ (T1: Z. 359) Erfahrung beschreibt: „it was heavy, to like have to pick one up and like what am gonna write like who gonna play with no one will play with me, no one wants talk to me“ (T1: Z. 361f.). Dennoch leiht er sich Gitarren und Verstärker von Freunden. Er gibt vor, sie für Sessions zu gebrauchen, verkauft sie aber auf Craiglist, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Er führt seine Erinnerungen an die Zeit ru-
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hig und zögernd aus. Aufgrund mehrmaligen Schluckens scheint er von der damaligen Situation emotional betroffen zu sein. In seiner weiteren Präsentation legt er den Fokus auf die Darstellung von Versuchen, die er eingeht, um einen Weg aus der Sucht zu finden. Zunächst beschreibt er, wie er an einer Methadonsubstitution teilnimmt. Er gibt Einblick in den allgemeinen Ablauf dieser Suchttherapie, woraufhin er eine persönliche Begegnung mit einem Arzt näher ausführt und damit seine Handlung im weiteren Verlauf nachvollziehbar macht: „[…] the doctor when I went to the methadone clinic, I’ll never forget it you know the first guy I met with he- they ask you a lot of questions and he says [...], how much heroin do you use, and I was like oh maybe like a gram of heroin a day, and um, and his response to that, and I was nervous like they’re never gonna give me methadone, and I’m like it’s not gonna happen, and he said, just try and use less heroin [...] and so for me I’m like pe:rfect man, [...] I promise you that I’ll try: to use less heroin“ (T1: Z. 378-389)
Sein Sprachstil ist während der Erzählung nüchtern. Dennoch muss er über die Situation bzw. über die Aussage des Arztes, der einem ‚Junkie‘ riet, ‚einfach weniger‘ Heroin zu konsumieren, lachen. Diese Anekdote führt ihn zu einem weiteren Wendepunkt in seiner Lebensgeschichte, „like where I went from any, the ability to have like any control (..) to losing all control“ (T1: Z. 391f.). Bevor er seine Geschichte weitererzählt, setzt eine kurze Pause ein, in der er offenbar überlegt, wie er fortfahren soll. Er atmet mehrmals tief durch und erweckt den Eindruck, als falle es ihm schwer, über diesen Teil seiner Geschichte zu erzählen: „it’s hard to explain, you know like losing, when you when you can see yourself slowly losing the desire to like be to live, [...] you lose all control over what happens and and what your life looks like u:m (..) it’s heartbreaking“ (T1: Z. 395-397). Er macht nicht den Eindruck, als wolle er Mitleid erregen. Vielmehr scheint er sich in die damalige Realität zurückzuversetzen und von seiner eigenen Geschichte emotional berührt zu sein. Die Hilflosigkeit, die ihm zu der damaligen Zeit zu widerfahren schien, spiegelt sich in der Art seiner Erzählung wider. Er präsentiert sich unsicher; sein Sprachfluss wird lückenhafter und verlangsamt sich. Er setzt an dem Punkt an, an dem er zum ersten Mal von der Organisation MusiCares erfährt. Seine Erzählung stockt und er schaut auf sein Handy, als suche er nach einer Ablenkung. Bevor er auf einen weiteren Therapieversuch eingeht, beschreibt er zunächst erneut die Ausgangssituation zu dieser Zeit. Auffällig ist hierbei, dass seine Familie, die seit seinen Ausführungen über das Verlassen des Elternhauses nicht mehr Bestandteil seiner Erzählung war, kurz erwähnt wird. Hierbei ist fraglich, ob er die Familie zuvor nicht erwähnte, weil er keine Verbindung zu ihr hatte, oder weil er ihre Thematisierung für unwichtig hielt. Er gibt seine Situation als Heroinabhängiger so wieder, als habe es keinen anderen Ausweg gegeben als sich in therapeutische Hilfe zu begeben: „I was like pretty much broken down you know [...] very close to being a homeless or like being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally you know just to have a stop“ (T1: Z. 413-416). Dass er Selbstmord als eine Möglichkeit gesehen habe, aus der Situation zu entkommen, erwähnt er nüchtern und beiläufig. Auffällig ist auch, dass er schnell versucht, das Thema zu wechseln, und erneut auf MusiCares zu sprechen kommt. Doch auch diesen Erzählfluss unterbricht er. Dies kann jedoch darauf
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zurückzuführen sein, dass der Co-Interviewer ihn unterbricht und fragt, wie er den Kontakt zu der Leiterin der Organisation aufgenommen hatte.9 Nachdem Johnny schildert, wie er den Kontakt zu MusiCares erhalten hatte, verlässt er diesen Erzählstrang wieder und schildert weitere Entzugserfahrungen in den Monaten bevor er nach Los Angeles geht, die nicht in Verbindung mit MusiCares stehen. Er springt in der Abfolge der verschiedenen Entzugsstationen, die er durchlaufen hat, so dass es schwer ist, der Chronologie seiner Ausführungen zu folgen. Die Abläufe in den Entzugskliniken beschreibt er im Weiteren immer mit demselben Ablauf: er nimmt an dem Therapieprogramm teil, versucht zu entziehen, bricht das Programm ab, muss die Klinik verlassen und wird wieder ‚high‘: „what that looked liked was me going to, a: (..) a detox, getting out (.) and getting high (..) about a week later (.) going to another detox“ (T1: Z. 433f.). Er skizziert seine Versuche emotionslos und wenig detailliert, was darauf zurückzuführen sein kann, dass er den einzelnen Stationen keine besondere Bedeutung beimisst. Die ständige Teilnahme an Entzugsprogrammen scheint für ihn zwar zunächst einen Ausweg aus seiner Situation darzustellen. Aufgrund der fehlenden Erfolge scheinen diese Prozesse gleichzeitig jedoch auch ein Gefühl der Resignation ausgelöst zu haben. Durch tiefes Ein- und Ausatmen macht er kenntlich, welche physischen und psychischen Anstrengungen er in dieser Zeit durchlaufen hat: „[...] so within a period of like maybe a month and a half two months I went to three different medical detoxes a:nd, it’s so: um physically and emotionally and maybe spiritually it’s like so exha:usting and the feeling to like walk through that process and then like fail and do it again and fail and do it again and fail“ (T1: Z. 438-441)
Er wechselt in seinen Ausführungen zwischen der Beschreibung seiner körperlichen und geistigen Verfassung sowie den verschiedenen Anlaufstellen, bei denen er Hilfe gesucht hatte. Ehe er erneut auf MusiCares zu sprechen kommt, erzählt er von einem weiteren Therapieprogramm in Los Angeles, an dem er teilnahm. Er brach auch diesen Versuch nach wenigen Tagen ab. Hierbei widersprechen sich seine Aussagen: Während er zuvor bei den Ausführungen zum Erstkontakt zu MusiCares behauptet, dass er geeignet gewesen sei, an dem Therapieprogramm teilzunehmen – „because luckily because of some of the things I had done, um as a musician, I qualified for some help“ (T1: Z. 431f.) – begründet er den Therapieversuch bei einer anderen Einrichtung in Los Angeles mit der Aussage „‘cause I didn’t think I was gonna get help from MusiCares“ (T1: Z. 447f.). Beiläufig erwähnt er auch, dass sein Vater ihm den Zugang zu einer Einrichtung in LA Echo Park verschafft habe, obwohl er zuvor behauptet hatte, keinen Kontakt zu seiner Familie in dieser Zeit gehabt zu haben. Ohne weiter ins Detail zu gehen springt er in der Chronologie und setzt bei seinen Erfahrungen im Sober House an, in das er nach einem 30-tägigen Entzug durch die Hilfe von MusiCares einzieht. Ähnlich wie er zu Beginn seiner Erzählungen von
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Obwohl er den Erzählfluss des Probanden mit seiner Zwischenfrage unterbricht, greift der Co-Interviewer die Frage auf, weil er sich erhofft, über Johnny einen Zugang zu der Organisation zu erhalten. Zuvor wurde dem Co-Interview und mir bei dem Versuch der Kontaktaufnahme mit MusiCares kein Zugang zur Organisation gewährt.
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prägenden „spirituellen Erfahrungen“ gesprochen hat, so bezeichnet er auch den Einzug in die Wohngemeinschaft als „that experience“ (T1: Z. 452) und stellt eine religiöse Verbindung her. Er weiß sich jedoch nicht richtig auszudrücken und konkretisiert seine Aussage folglich nicht: „it was like if you believe in- in- in- in Go:d or, you know, some people say there’s no no such thing as a coincidence you know like I I arri:ved at this house, u:m in West LA that was almost full of musicians“ (T1: Z. 453-455). Er versucht den Eindruck während des Einzugs in das Sober House zu beschreiben. Es ist zu vermuten, dass dieser Moment ein besonderer für ihn war, da er in der gegenwärtigen Erzählung des vergangenen Erlebnisses nach wie vor überwältigt zu sein scheint. Dies macht sich vor allem an der Art und Weise seiner Ausführungen bemerkbar: er wirkt begeistert, unsortiert und reißt Aspekte oft nur an, ohne sie auszuführen. „[...] seeing a guy- seeing a guy and you know talk to a guy that said in person he said like dude I was fucking strung out and my life was horrible and like now I’m sitting here and this is what it looks like no:w I would only heard stories about people dying or somebody that knew somebody like heard about a guy that got clean, you know […] and so I walked into this- this place with like really no idea what I was gonna do I had no money, I had no: u:m (.) like I said relationships with people, a:nd a huge part of my process for um (..) for rebuilding my life“ (T1: Z. 460-467)
Interessant ist, dass er nun den Fokus des Erzählens wieder auf musikbezogene Aspekte seiner Vergangenheit setzt. Während zuvor der Suchtverlauf zentrales thematisches Feld war, geht er im Folgenden insbesondere darauf ein, wie er wieder zu seiner „kreativen Seite“ findet: „in a way like being reborn was (.) rediscovering, that creative side (.) the creative part of who I was“ (T1: Z. 468). Erneut wechselt er seine Perspektive und erzählt rückblickend von Kindheitserfahrungen und geht – was wiederum auffällig ist – auf eine spirituelle Erfahrung ein, die er mit dem zuvor angedeuteten Prozess verbindet. „[…] as a ki:d that was a big part of like what I- what for me what passion was about or like having a spiritual experience like really like feeling something deeper than like than like anything else almost in like fucking or even getting high or any of that, it was like the music when you- the first time you step on a sta:ge and you’re playing a song you wrote in front of people and you conne:ct with like you know whether it’s five people or five hundred, you know to- to find that thing again, you know that passion for being creative u:m and being able to express myself and have it actually be real ((breathe loudly)) wa:s um (..) was a huge part of my, my process“ (T1: Z. 469-475)
Er vergleicht die spirituelle Rauscherfahrung mit Momenten, in denen er auf der Bühne stand. Ebenso thematisiert er ein Gefühl von Verbundenheit zu den Mitmusikern und zum Publikum. Im Weiteren geht er auf seine Erfahrungen im Sober House ein, die er mit ambivalenten Gefühlen zu verbinden scheint: Er lebt in einer Wohngemeinschaft, um ein suchtfreies Leben einzugehen – ein Schritt, der ihm nach eigenen Aussagen langen Anlauf und Überwindung gekostet habe. Gleichzeitig findet er zu einem ‚kreativen Prozess‘ zurück, der durch seine Heroinsucht unterbrochen wurde. Als Kontrast –
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und damit möglicherweise zum besseren Nachvollziehen seiner Gefühlslage – beschreibt er ein Gefühl der Betäubung, das er die Jahre zuvor erfahren und welches ihm das Ventil des kreativen Prozesses versperrt habe. Er beschreibt die Emotionen, die er durch den Prozess des Songwritings erfährt, als „dark“ und „heartbreaking“ (vgl. T1: Z. 484). Er erzählt, dass er seine Geschichte und damit verbunden die Gedanken, die er während dieser Zeit hatte, in Form von Tagebüchern festzuhalten versuchte. In der Erinnerung an diese Erfahrungen atmet er schwer und laut durch und versucht einen Bezug zu seinem musikalischen Prozess in der Gegenwart herzustellen. Er thematisiert jedoch nicht seine gegenwärtige Situation, sondern blickt erneut in seine Kindheit zurück und versucht seine Auffassung der Rolle des Musikers bzw. seinen Plan, Musiker zu sein, aus der vergangenen Perspektive zu beschreiben. Interessant ist hierbei, dass er von einem Plan berichtet, der das Gegenteil von dem beinhaltet, was den späteren Lebensstil seines Werdegangs als Musiker ausmacht. Erstaunlich ist nicht, dass er diesen Plan so darstellt, als hätte er nie ein berühmter Musiker sein wollen. Dies wiederspricht seinen Ausführungen im Zusammenhang mit der Entdeckung des Gitarrenspielens, in denen er behauptet, „I’m gonna be a famous musican“ (T1: Z. 51). Verwunderlich ist auch seine Motivation, über die er rückblickend berichtet, zum Zeitpunkt der Darstellung seiner Kindheit und Jugend aber nicht zu sprechen kam: „[...] the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now u:m and it was like (.) like when you’re a ki:d and you pick up a guita:r and it’s like you can disappear in this into this weird like world where no one is arou:nd you, like an escape, and that was the motivation, you know“ (T1: Z. 487-490)
Er geht anschließend wieder auf den Moment ein, an dem er zunächst planlos, an das Musikmachen und Songwriting herangeht. Hierbei umschreibt er den Prozess des ‚sich Einlassens‘: „I didn’t really know (.) I didn’t know what I was gonna do as far as the creative stuff I: I was writing and- and- and I- I would start singing which I had never done before“ (T1: Z. 490-492). Das Singen beschreibt er als neue Komponente, die in seinem musikalischen Prozess – insbesondere im Zusammenhang mit dem Songwriting – zuvor kein Bestandteil war. Die Aussage, „I was also pretty fearless because a part of me kinda stopped caring about like how cool I looked or like what wa:s acceptable or what would impress people, everything I was like putting do:wn and doin’ was I was doing it because like it just felt right“ (T1: Z. 496498) lässt sich im Umkehrschluss so deuten, dass er zuvor – wie er bereits an anderer Stelle angedeutet hat – mit Ängsten in seinem Leben konfrontiert war und sich mit seiner Außenwirkung bzw. der Akzeptanz durch Andere auseinandergesetzt hat. Diese Aussage stellt eine Verbindung zu seinem ‚Ausbruch‘ aus der Umgebung dar, die ihn im Jugendalter in seiner Entwicklung eingeschränkt hatte – worauf im weiteren Verlauf der Analyse noch näher eingegangen wird. Er setzt seine Geschichte mit einer Anekdote über eine Aufnahmesituation fort. Hierbei steht zwar auch der musikalische Aspekt– er nimmt seine eigenen Songs auf, die er im Sober House geschrieben hat – im Fokus. Allerdings richtet er das thematische Feld in erster Linie auf eine weitere spirituelle Erfahrung, die er im Kontext seiner Nüchternheit macht. Er beschreibt, wie er in einem Aufnahmestudio auf die Droge Xanax stößt. Er muss über die absurde Situation lachen, weil, wie er im Weiteren
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ausführt, dass Xanax zu seinen Lieblingsdrogen gehörte, die er bereits mit 14 Jahren aufgrund von Angststörungen konsumierte und es leicht gewesen wäre, sich an der Droge zu bedienen. Er wirkt stolz und macht deutlich, dass das Widerstehen solcher Versuchungen Teil seines Prozesses gewesen sei. Interessant ist außerdem, dass er erneut seine Angststörungen thematisiert, die innerhalb der Erzählung seiner anfänglichen Lebensgeschichte nicht berücksichtigt wurden. Auch über den Drogenkonsum vor seinem Umzug nach Nashville wurde im Zuge der Präsentation des dazugehörigen thematischen Feldes keine Auskunft gegeben. Erst im Fortlauf seiner Erzählung wird deutlich, dass er bereits vor seinem 18. Lebensjahr Drogen konsumierte. Obwohl die Anwesenheit der Droge bzw. die Möglichkeit, diese konsumieren zu können, für ihn verlockend gewesen war, scheint aber insbesondere das Widerstehen der Versuchung die spirituelle Erfahrung ausgemacht zu haben: „that was the like spiritual experience for me only because like I did (.) something had changed you know like I: (..) I- I saw it and it was almost like, really freeing‚ because I was just like this is too funny to like actually be happening“ (T1: Z. 527-529). Im Folgenden fasst er verschiedene Stationen zusammen, die er als Musiker nach dieser Erfahrung im Aufnahmestudio durchläuft: Bandgründung, Studioaufnahmen, Konzert etc. Der kurze Abriss und die eher beiläufige Thematisierung seines musikalischen Werdegangs deuten darauf hin, dass ihm eine nähere Ausführung nicht als wichtig erscheint bzw. die Rolle des Musikers keinen größeren Stellenwert einnimmt. Er macht jedoch seine Veränderung deutlich, die er zwischen seinem Einzug ins Sober House und der gegenwärtigen Erzählsituation erfährt. Obwohl das Musikmachen anscheinend wieder Teil seines Lebens geworden ist, sieht er den Prozess jedoch nicht nur im Hinblick auf seine musikalischen Aktivitäten und einen kreativen Output. Vielmehr sieht er Möglichkeiten auch darin, seine Geschichte als Musiker und Suchterkrankter weiterzugeben. Er betont, dass auch ihm solche Geschichten geholfen hätten, den Weg aus der Sucht zu finden: „[…] I needed somebody that could tell me like look man like I was strung-out for this many yea:rs, you know I almost didn’t ma:ke it, tell me their story and then just be like you can still do this like if you wanna do this you can still do it, you know anything is po:ssible, and I had some people like that and so now one of the big things that’s important for me is like I get the opportunity pretty often becau- because I’m in Los Angeles and there is a lot of strung-out musicians and unha:ppy sick musicians and artists, were (.) really frequently I’m meeting people that need help want help, and I get to sit down and like sometimes like [...] yeah I get to open that door for them and be like look I’m- I can tell you like my- my story“ (T1: Z. 543-552)
Er stellt sich selbst so dar, als wolle er etwas ‚wieder gut machen‘. Seine Persönlichkeit reflektierend bezeichnet er sich rückblickend selbst als „very selfish selfcentered person“. Er sieht in der Abstinenz und im Umgang mit anderen Betroffenen den Anlass bzw. die Möglichkeit, etwas ‚richtig zu machen‘ (vgl. T1: Z. 557f.). Er macht die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen nicht nur für seinen Lebensverlauf verantwortlich, sondern auch für die Art und Weise, wie er sich menschlich verändert habe. Die thematischen Felder seiner Erzählung wechseln zunehmend. Es wirkt, als wisse er nicht, was er noch alles erzählen oder wie er verschiedene Aspekte verknüpfen soll. So geht er im Weiteren darauf ein, dass nicht nur der Weg in die Abstinenz mit Schwierigkeiten behaftet gewesen sei, sondern vor allem auch deren Aufrechter-
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haltung nach wie vor eine Herausforderung darstelle: „I’ve had to do a lot of work you know like staying clean is no:t um (.) it hasn’t been (.) this like (.) picture-perfect (..) experience it’s been challenging“ (T1: Z. 556f.). In diesem Zusammenhang erwähnt er, dass es ihn belaste, dass nicht alle Betroffenen den Weg in ein drogenfreies Leben fänden („I’ve lost a lot of friends“ (T1: Z. 557)). Er kommt hierbei auf den Tod seines Gitarristen zu sprechen, der nur wenige Wochen vor dem Interview an einer Überdosis verstarb. Er führt dies jedoch zunächst nicht näher aus, sondern reflektiert erneut Situationen, in denen er in Versuchung gebracht wird, einen erneuten Konsum einzugehen. Während er die Situation im Sober House nach seinem letzten Entzug weitestgehend als positiv darstellt, gibt er in seinen weiteren Ausführungen über sein drogenfreies Leben auch zu verstehen, dass die Aufgabe, nüchtern zu bleiben, mit Schwierigkeiten verbunden sei. Er atmet mehrmals tief durch und wirkt angestrengt. Dies könnte darauf hinweisen, dass er durch das Interview angestrengt ist und sich einen baldigen Abschluss erhofft. Zum anderen könnte sein Verhalten aber auch darauf zurückzuführen sein, dass ihn die Erinnerung an diese Zeit belastet und/oder ihm die Erzählung darüber nicht leicht fällt. Besonders interessant ist an dieser Stelle, dass er auf die Stigmatisierung von Heroinabhängigen zu sprechen kommt – ein Thema, das er bereits zu Beginn als Einstieg in die Erzählung seiner Lebensgeschichte gewählt hatte. Es scheint, als bilde dieses Thema den Rahmen um die Geschichte, die er zuvor ausgeführt hatte. Insbesondere benennt er mit der Aussage „there is a stigma today that- that heroin addicts don’t- can’t stay clean“ (T1: Z. 563-565) ein Vorurteil, das er, so scheint es, mit seiner Lebensgeschichte zu widerlegen versucht. Zumindest wird dieser Gedanke dadurch bestätigt, dass er im Folgenden wütend und verärgert auf Statistiken eingeht, die angeblich belegen, dass die Erfolgschancen für Abhängige, clean zu werden, sehr gering seien. Er sieht diese Zahlen nicht nur als falsch an, sondern auch als Demotivation und Abschreckung, den Versuch eines Entzuges überhaupt einzugehen: „when I- when I got here I heard those numbers and it was like horrifying I was like oh my God I’m so fucked, you know“ (T1: Z. 570f.). Aufgrund seiner eigenen Erfahrung und Begegnungen trifft er eine Aussage, die geradezu als Appell wirkt: „the reality is that it’s never too late for anyone to start over and- and and um (..) it just takes more work, you know especially for opiate addicts for heroin addicts“ (T1: Z. 572-574). Er gibt jedoch zu verstehen, dass den Absprung aus der Drogensucht nicht jeder schaffe. Dennoch sieht er sich selbst als Vorbild, wenn er auf sein eigenes Business eingeht, das er mittlerweile führe. Ebenso betont er sein „two and a half million dollar house“ (T1: Z. 579), in dem er wohne und welches er sich erst wenige Monate zuvor gekauft habe. Er präsentiert sich hierbei dankbar und beispielhaft. Er scheint stolz auf seine ‚Transformation‘10 – wie er seine Veränderung selbst bezeichnet – zu sein und blickt humorvoll auf diese zurück: „[…] I am saying that like coming from a place like (.) re:ally just humility because everything that I have in my life like if- if you would have- if this was me five years ago and we were sit-
10 Auch hier findet eine Rahmung seiner Erzählung statt. Während die Transformation seines Vaters als Einstieg in Johnnys Geschichte diente, bildet seine eigene Verwandlung nun den Abschluss dieser.
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ting here talking you would have been like this guy is fucking done ((laughing)) you know like I would have been asking you to borrow like five bucks for a pack of smokes or something or for a ride somewhere (.) or trying to go through your purse like when you’re not looking“ (T1: Z. 582-590)
Er ist der Auffassung, dass auch dieser Teil der Geschichte erzählt werden sollte; ebenso wie eine potenzielle Erfolgsgeschichte: „[...] like the transformation has been incredible and so that’s the story man for- for (.) for people that are (...) you know that have lived that life and know what it feels like specifically with like music and- and drug addiction is that, you know the possibilities are huge and the creative part of all of our souls, some people don’t access it right but I think it is there for everyone“ (T1: Z. 590-593)
Zu diesem Zeitpunkt unterliegt seine Erzählung keinem chronologischen Ablauf. Er wechselt in seinen Ausführungen zwischen verschiedenen Themenfeldern, versucht dennoch immer wieder eine Verbindung zum theoretischen Bezugsrahmen Musik und Drogen herzustellen. Erneut greift er den Zusammenhang zwischen der Erfahrung von Süchtigen und dem damit verbundenen kreativen Output, der durch „coming out the other side of it“ (T1: Z. 597) ermöglicht werde, auf. Er bezeichnet dabei die Möglichkeiten, die sich durch „all the pain and all the fea:r and anger or whatever the emotions [...] attached to the experience“ (T1: Z. 597f.) ergeben, als „pallet“ (T1: Z. 599) und „reservoir“ (T1: Z. 601). Interessant ist, dass er von diesem Aspekt ausgehend, auf (Auto-)Biographien von prominenten Künstler*innen zu sprechen kommt. Er geht in diesem Zusammenhang auf Bands wie die Rolling Stones ein, die das Bild von drogenkonsumierenden Rockstars verkörpern. Insbesondere greift er Keith Richards heraus, der selbst im hohen Alter den Anschein erweckte, dass es trotz intensiven Heroinkonsums möglich sei, aktiv im Musikbusiness zu bleiben und erfolgreich zu sein. Hierbei spielt er auf die Zukunft von (ehemals) drogenabhängigen Musiker*innen an. Er gibt zu verstehen, dass der Konsum von Drogen bis ins hohe Alter keinen außergewöhnlichen Lebensstil darstelle. Es sei seiner Auffassung nach dennoch möglich, nach überstandener Sucht im ‚Geschäft‘ zu bleiben. Er sieht die Möglichkeit der Fortführung von Tätigkeiten im Musikbusiness sowohl im kreativen Bereich als auch auf der ‚Business-Seite‘. Er hält diese Feststellung für eine entscheidende, da – wie auch der Co-Interviewer in einem Zwischenkommentar ausführt – viele Abhängige keine Perspektive für das Leben nach der Sucht sähen. Nach einer längeren Ausführung des Co-Interviewers zu dieser Thematik spezifiziert Johnny den Aspekt der Veränderung des Musikbusiness’ in Bezug auf das Image des drogenabhängigen Rockstars: „[…] a lot- things have really changed man like the days of like you know the 80’s bands that are all fucking drunk and high getting huge record deals and showing up to the studio drunk and fucked up and breaking smashing hotel rooms and you know burning down recording studios, that shit is done [...] I can tell you like if you have a session booked at a major recording studio in Los Angeles and you’re signed on a Label and you don’t show up or you show up fucked up and you can’t perform unless you’re like a multi platinum selling artist it doesn’t work“ (T1: Z. 662-669)
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Er erläutert dieses Statement mit einer Anekdote über seine eigenen Erfahrungen, die er mit seinem Bandkollegen J. machte. Interessant ist, dass er in dieser Erzählung seine eigenen damaligen Handlungs- und Verhaltensmuster unter Drogeneinfluss am Beispiel des Verhaltens einer anderen Person reflektiert. „[...] when I got the chance to do the record at Interscope (.) it’s a fifty million dollar recording studio and I show up before the other guys in my band and I’m- I’m praying to God like God please ‘cause it was like on a week it was a Sunday [...] ple:ase I hope they didn’t stay up all night partying like I hope they don’t blow this for me and sure enough my guitar player the one who is no longer with us he calls me and everyone was supposed to be there he’s like he:y I’m in a town car I was in Hollywood all night I’m gonna be there like thirty minutes dude, and I was like I’m gonna fucking kill you bro ((laughing)) like you’re gonna die when you get here you might wanna just not come“ (T1: Z. 672-682)
Obwohl er über die Situation aus heutiger Perspektive lacht, verdeutlicht er seine Angst, die er damals gehabt habe: Er sieht das unberechenbare Verhalten des Gitarristen als Gefährdung für seine Aufnahmen, in die er viel Geld investiert hatte. Er erzählt, wie J. zwar im Studio aufgetaucht, aber nicht spielfähig gewesen sei, „and we ended up scrapping all his tracks that he did that day […] none of them were goo:d you know he had to go in and like overdub all of his guitar parts cause they were all garbage“ (T1: Z. 697-700). „[...] and the gu:y (.) the reason I’m telling you this story is like the g:uy (.) u:m from the studio was, like pulled me aside and was like he:y, what the fuck is up with your dude like are you kidding me ‘cause he pulled strings for me to like the get in there and be able to have that opportunity, and u:m (.) and it almost costs me like the entire, thing that I worked so hard for [...]“ (T1: Z. 692-695)
Insbesondere bei letzterem Satz verlangsamt er das Erzähltempo und wirkt enttäuscht. Gleichzeitig präsentiert er sich mitleidig, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass er selbst lange in dieser Verfassung gewesen war und somit nicht in der Position, dem Gitarristen einen Vorwurf zu machen. Er geht darauf ein, dass er immer wieder versucht habe, J. von der Teilnahme an einem Therapieprogramm zu überzeugen. Während der Erzählung über seinen Freund wird er emotional. Er muss sich eingestehen, dass seine Unterstützung erfolglos blieb: „and we tried it you know like I wanted it so bad for him. I was just like I would do anything if you’re sober man I’ll do anything to help you anything [...] you need money I payed the rent on his house, you know like I did everything I could“ (T1: Z. 714-718). Während er zuvor J.’s Gitarrenspiel lobte – „he’s a fuck such a beautiful, like amazing, talented (.) player“ (T1: Z. 683) – erinnert Johnny sich in diesem Moment vor allem an J.’s Persönlichkeit und wirkt dabei traurig und nachdenklich: „you look back and it’s like this was an ama:zing guy (.) like as- on- on a human level and an artist level, u:m (.) and he just didn’t get it, you know‚ he didn’t get the opportunity“ (T1: Z. 721f.). Es ist interessant, dass er in den letzten Zügen vor der Beendigung des Interviews die Beerdigung seines Freundes thematisiert. Seine Erzählung erhält dadurch eine dramatische Schlusswendung und ruft eine nachdenkliche Stimmung hervor. Die Beschreibung der Beerdigung seines Freundes vermittelt ein Gefühl der Tragik, die mit
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dem Tod des Gitarristen einhergeht. Er erwähnt hierbei, dass sogar Scott Weiland, ehemaliger Sänger der Band Stone Temple Pilots, an der Beerdigung teilnahm und eine Rede hielt. Auch in der Erinnerung an seinen Freund schafft Johnny eine Verbindung zum thematischen Bezugsrahmen, in dem er J.’s Gitarrenspiel erneut hervorhebt: „part of the thing that inside of him that made his playing so beautiful, was that he was almost this tortured soul“ (T1: Z. 725f.). Auch hier scheint er einen Zusammenhang zwischen dem, was J. erfahren haben muss, und dem daraus offenbar resultierenden, musikalischen Output seines Freundes zu sehen: „[...] there was something like you would hear him- he would come in, he wouldn’t have fucking rehearsed he wouldn’t really know the song, and he’d show up to do a show and you would be so nervous that he was gonna fuck it up, and then he’d get up there and he would play this line that you were just almost would make you wanna cry, you know [...] we had those moments in the studio (.) like during that process I was talking to the drummer about it and he was like yeah there was times watching him track where I was like almost like feel like I was gonna cry cause it was so beautiful (T1: Z. 726-735)
Abschließend führt er aus: „there is definitely I think something to the correlation between u:m (.) being an artist and the substances you know like the alcohol or the drugs, and it’s just a matter of, some people get the chance to walk away from it and some people don’t“ (T1: Z. 735-737)
Noch einmal geht er auf die Hilfe ein, die J. angeboten wurde, aber erfolglos blieb. Johnny ist sich hierbei nicht sicher, ob J. überhaupt clean werden wollte. Er scheint in seiner Erzählung nun nicht weiterzuwissen und wiederholt erneut, dass seiner Auffassung nach, eine Verbindung zwischen J.’s Konsum und seinem Spielen bestanden habe, „there may have been some- some correlation with his- with his playing and with the, you know the drinking or the using, cause it wa:s (.) it was incredible, you know“ (T1: Z. 744f.). Johnny hat Tränen in den Augen, schnieft und muss schlucken. Nach kurzen Zwischenkommentaren des Co-Interviewers, um die Situation zu ‚entschärfen‘, beendet Johnny das Interview mit den Worten: „I think that’s all I got guys, is that good“ (T1: Z. 755). Er versucht die Stimmung aufzuheitern, indem er den Bewohner des Sober Houses, der während des gesamten Interviews anwesend war, fragt, ob ihn seine Erzählung gelangweilt habe. Er erhofft sich eine Reaktion auf seine Erzählung und vergewissert sich, ob seine Ausführungen „gut“ waren. Er wirkt erleichtert, seine Stimme wird heller und sein Redetempo nimmt zu. Er ist verwundert, dass er so lange über seine Geschichte erzählen konnte und geht erneut darauf ein, dass er dieses Interview als Vorbereitung für einen Vortrag sehe, zu dem er im Rahmen eines 12-Step-Meetings eingeladen wurde. Er freut sich zudem darüber, dass er es geschafft habe, so lange still zu sitzen. Er erinnert sich daran, wie er wenige Jahre zuvor noch nicht einmal fünf Minuten stillsitzen konnte und von Ängsten befangen war. Der Small Talk zwischen dem Studienteilnehmer und den Interviewenden scheint die Situation aufzulockern und Johnny nicht mit einem Gefühl von Traurigkeit und Nachdenklichkeit zurückzulassen. Meine Intention war es, dass Johnny die Situation möglichst mit einem Erfolgserlebnis bzw. mit einem positiven Gefühl verlässt, welches auch in zukünftigen Erinnerungen an dieses Gespräch möglichst er-
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neut hervorgerufen werden soll. Der Nachfrageteil fällt daher sehr kurz aus und wird hauptsächlich dem Co-Interviewer überlassen, der die Situation der Lage besser einschätzen und entsprechend reagieren kann. Stanley stellt keine konkreten Nachfragen, sondern versucht, aus seiner eigenen Erfahrung heraus einen thematischen Ansatz zu finden, Johnnys Erzählung fortzuführen. Erneut geht Johnny auf Statistiken von Todesfällen ein, die durch eine Überdosis verursacht wurden. Er kann konkrete Zahlen und Fakten nennen, was darauf hinweist, dass er sich mit dieser Thematik intensiv beschäftigt haben muss. Auch hier betont er noch einmal die Wichtigkeit von Aufklärungsarbeit, die der nach wie vor vorherrschenden Tabuisierung entgegen wirken könnte: „[...] the more information that’s given to like younger the younger generation of people, the more people that can stand up and say he:y, like just so you know like this is the risks that you’re taking, when you step into this world u:m and also just so you know like if you do step into it here is how you can step out of it if you want to“ (T1: Z. 807-810)
In diesem Zusammenhang formuliert er auch seine Beweggründe zur Teilnahme am Interview und macht seine damit verbundene Botschaft deutlich: „the reason I’m willing to sit here and talk to you about this is because, um this isn’t- for me this is like life and death you know [...] this is um a serious serious thing that um (.) I believe (.) is really important, you know trying to help people so they don’t have to hopefully ever u:m experience u:m (.) what it’s like to walk through something like being a heroin addict or [...] maybe u:m (.) save some families from having to feel like what it feels like to get a phone call like he:y your son is dead, you know, he’s not gonna be around anymore cause he overdosed and died (.) you know, there is a hundred of those phone calls every day [...] so, hopefully thisthis helps (.) it’s cool that you’re doing it“ (T1: Z. 813-828)
Johnny präsentiert sich am Ende des Gesprächs dankbar dafür, dass er Teil des Projektes sein und seine Lebensgeschichte weitergeben darf.
9.4
SCHRITT 3: REKONSTRUKTION DER FALLGESCHICHTE
Im Auswertungsschritt der Rekonstruktion der Fallgeschichte des erlebten Lebens werden die biographischen Daten bzw. Erlebnisse mit den Erzählungen und Selbstdeutungen des Studienteilnehmers kontrastiert (vgl. Rosenthal 1995: 220). Dies bedeutet, dass die zuvor im Rahmen des ersten Analyse-Schrittes aufgestellten Hypothesen unter der Fragestellung „Was lässt sich vor dem Hintergrund des Selbstpräsentationsinteresses über das Erleben in der damaligen Zeit in den Interviewpassagen finden?“ mit dem transkribierten Interviewtext zusammengebracht werden. „Die vorausgegangene Text- und thematische Feldanalyse gibt uns bei diesem Auswertungsschritt wichtige Hinweise über die Gegenwartsperspektive der Autobiograph*innen und über die funktionale Bedeutsamkeit ihrer Erzählungen für die heutige Präsentation ihrer Lebensge-
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schichte. Nun geht es jedoch darum, die Perspektive in der Vergangenheit, die die biographische Bedeutung, die die Erlebnisse damals für die Biograph*innen hatten, zu rekonstruieren.“ (Ebd.)
Hierbei geht es um die Entschlüsselung der Gestalt bzw. die Struktur der erlebten Lebensgeschichte. Ziel ist es, die erlebte Lebensgeschichte sowie die Genese von Deutungs- und Handlungsmustern im biographischen Verlauf zu rekonstruieren. Es wird folglich eine Fallstruktur und damit die Verbindung zwischen Entwicklungsund Darstellungsgeschichte herausgearbeitet. Während z.B. innerhalb des vorigen Analyse-Schrittes rekonstruiert wurde, an welcher Stelle in der biographischen Selbstrepräsentation Johnny von ‚spirituellen Erfahrungen‘ berichtet und in welches thematische Feld diese Sequenz eingebettet ist, wird im Rahmen der Rekonstruktion der Fallgeschichte die „Einbettung dieses ‚Symptoms‘“ (ebd.) in die erlebte Lebensgeschichte einer genaueren Betrachtung unterzogen, d.h: „wann und in welchen Lebensphasen es sich weiter verstärkt und in welchen es verschwand“ (ebd.). Mit Rosenthals Worten formuliert bedeutet dies: „Wir versuchen also, den Gestaltungsprozeß sowohl der erzählten als auch der erlebten Lebensgeschichte nachzuzeichnen, ohne dabei deren wechselseitige Durchdringung aus den Augen zu verlieren. In getrennten Auswertungsschritten wird lediglich die eine oder andere Seite stärker fokussiert.“ (Ebd.: 220f.)
9.4.1 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Kindheit und Jugend Ein Thema, auf das Johnny in der Darstellung seiner Lebensgeschichte mehrmals zu sprechen kommt bzw. zu dem er immer wieder Rückblenden schafft, ist das seiner Kindheit bzw. seiner Jugend. Im Folgenden wird eine Verbindung zwischen seinen biographischen Daten, die sich diesen Lebensabschnitten zuordnen lassen, den thematischen Feldern sowie dem sich daraus ableitenden Präsentationsinteresse hergestellt. Hierbei werden die Segmente einer genaueren Analyse in Bezug auf Johnnys erlebte Lebensgeschichte im Zusammenhang mit Erfahrungen in seiner Kindheit und Jugend – auch im Hinblick auf das soziokulturelle Umfeld – unterzogen. Über die Begründung seiner Teilnahme am Interview gestaltet er den Einstieg in seine Erzählung. Er spricht damit bereits zu Beginn seiner Ausführungen einen möglichen Zusammenhang zwischen Musikmachen und Drogenkonsum an. Interessant ist hierbei, dass er diesen Aspekt – „the um relationship with music and drug use for me i:s, um- for music” (T1: Z. 26), nicht ausführt, sondern den Ausgangspunkt seiner weiteren Erzählung in der Beschreibung seiner Kindheit wählt und zunächst auf die familiären Hintergründe sowie das kirchliche Umfeld zu sprechen kommt. „I grew up in a church, in a Christian, um cha:rismatic holy holy=ghost, holy spirit church which is just like if you see a movie and all the black people are dancing and people just falling over and there’s loud music playing ((smiling, speech flow speeded-up)), you know that was like my church and my dad was=is a preacher, of the church“ (T1: Z. 27-30)
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 229
Auffällig ist, dass er das Aufwachsen in der Kirche als Einstieg wählt. Dass die Kindheit und das damit verbundene kirchliche Umfeld vermutlich eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt haben, lässt sich nicht nur aus der Wahl des Erzähleinstiegs ableiten, sondern auch daraus, dass er an verschiedenen Stellen – wie im weiteren Verlauf der Analyse deutlich wird – Bezug zu dieser Lebensphase herstellt. Er stellt ein positives Bild der Gemeinde dar, in der er aufwuchs, und bezeichnet die Kirche als „my church“ (T1: Z. 29), so dass der Anschein erweckt wird, dass er sich als Teil dieser bzw. die Kirche als Bestandteil seines Lebens gesehen hat. Er lächelt und beschleunigt sein Erzähltempo, was darauf schließen lässt, dass er mit diesem Gedanken eine angenehme Situation verbindet, in der er sich wohl gefühlt hat. Eine mögliche Lesart dieser Sequenz ist zudem, dass er in dem Heranwachsen im kirchlichen Umfeld eine Ursache seiner Entwicklung im Hinblick auf den thematischen Bezugsrahmen Musik und Drogenkonsum sieht. Auch wenn dies nicht eindeutig am Text zu belegen ist, ist es dennoch auffällig, dass er in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Musikmachen in der Kirche eingeht sowie die musikalischen Hintergründe des Vaters thematisiert, die mit dessen Drogenproblem einhergingen. „so I grew up in his church a:nd (.) music is a huge part of that, and um my dad actually um (.) in the sixties there was something called the Jesus movement, in the United States=or maybe actually in the world, and it’s where a lo:t of hippies got saved you know and um my dad was a bass player in a band from Southern California called Fried Dirt, it was a like psychedelic, like rock band and toured with The Doo:rs, and did actually got to do a lot of cool things“ (T1: Z. 30-34)
Er bezeichnet Musik nicht nur als wesentlichen Bestandteil des Aufwachsens in der Kirche, sondern zieht in diesem Zusammenhang ebenso eine Verbindung zum Vater. „but he had a horrible problem with drugs, and (.) h:e’s, had some very like a- a huge transformation where he got saved, and he found Go:d, and he decided that was gonna be his path“ (T1: Z. 34f.)
Während die Hintergründe des Vaters zunächst positiv dargestellt werden, indem Johnny die musikalischen Tätigkeiten des Vaters mit den Worten „he got to do a lot of cool things“ beschreibt, verdeutlicht er gleichermaßen die Schattenseite, die mit dem Lebensstil des Vaters einherging: „he had a horrible problem with drugs“. Es geht aus Johnnys Erzählung nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt er über die Vergangenheit des Vaters informiert wurde. Dass er diesen Aspekt jedoch im Zusammenhang mit dem Aufwachsen in der Kirche erwähnt, deutet darauf hin, dass er bereits im Kindesalter davon erfahren hatte. Trifft dies zu, so war das Phänomen Musik und Drogenkonsum kein unbekanntes in der Familie. Wird an dieser Stelle die Frage nach weiteren Handlungsoptionen bzgl. des weiteren Verlaufs seines Lebensweges gestellt, so kann die Hypothese generiert werden, dass Johnny als ‚braver Junge‘ heranwächst und sich Werten und Normen anpasste, die ihm durch das kirchliche und familiäre Umfeld vermittelt wurden. Eine andere Vermutung wäre, dass er genau dieses Bild nicht aufrechterhalten und sich nicht den vorherrschenden Gegebenheiten anpassen will. Hier liegt der Verdacht nahe, dass er in die Fußstapfen des Vaters tritt und dem Drang nach Freiheit und persönlicher
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Verwirklichung nachgeht. Es stellt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob er in diesem Prozess eigene Erfahrungen mit Drogen macht und ebenso den Weg des Musikers einschlägt. Alternativ könnte er sich jedoch auch von genau diesem Lebensweg aufgrund der Vorerfahrungen des Vaters distanzieren. Weiterhin auffällig ist, dass er nicht nur die kirchliche Umgebung sowie die Transformation des Vaters („got saved, and he found Go:d“) beschreibt, sondern auch seine eigene „spiritual experience“ im religiösen Kontext thematisiert: „so growing up ((sighing)) in- in that environment, music was something that was, a spiritual experience (.) you know like as a ki:d, growing up in a church and watching people like you know singing and like crying and people on the stage like dancing and freaking out and everyone was happy and there was a lot of passion involved in it“ (T1: Z. 36-39)
Mit Formulierungen wie „singing and crying“ (T1: Z. 38), „dancing and freaking out“ (T1: Z. 39) und „a lot of passion involved“ (ebd.) beschreibt er seine damaligen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Musikmachen in der Kirche. Er präsentiert seine Erzählung euphorisch und lacht dabei. Seine Formulierung „and everyone was happy“ lässt auf einen glücklichen Zustand schließen, in dem er sich zu dieser Zeit befunden hatte. Auch seine ersten Erfahrungen mit einem Musikinstrument beschreibt er ähnlich erheitert, wenn er sich klischeehaft als den kleinen Jungen am Tamburin darstellt: „so I started playing music in my dad’s church, as a really um young kid my first instrument they wouldn’t let me play anything so I could just play the tambourine [...] so I would just be up there like hitting the tambourine you know ((laughing)) as a little kid“ (T1: Z. 39-44)
Seine Ausführungen lassen die Vermutung zu, dass er sich im Fortgang seiner Lebensgeschichte weiterhin der Musik zuwendet. Dies bestätigt sich, wenn Johnny erwähnt, dass er mit zehn Jahren seinen ersten Schlagzeugunterricht erhielt. Hierbei stellt sich die Frage, ob er sich das Instrument bewusst aussucht oder es ihm zugewiesen wird – zumindest sind es seine Eltern, die den Unterricht veranlassen: „and then I started playing drums, my parents got me drums lessons and I was playing drums at like ten or eleven years old“
Während er auf das Schlagzeugspielen nur kurz eingeht, was darauf hinweisen könnte, dass dieses keine bedeutende Rolle für ihn spielte, stellt er den Moment, in dem er das Gitarre spielen für sich entdeckt, deutlich heraus: „and um, and the:n I found the guita:r and that was like [...] that was that was the mo:ment“
Dieser Moment scheint für ihn ein prägendes Erlebnis gewesen zu sein. Er geht innerhalb seiner Ausführungen jedoch weniger auf den musikalischen Prozess ein, sondern auf die Auswirkungen, die das Gitarre spielen auf sein Verhalten gehabt habe.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 231
„I didn’t wanna go to my cla:sses I didn’t wanna hang out with gi:rls I didn’t wanna play spo:rts I didn’t wanna talk to anyone about anything except for playing guitar“ (T1: Z. 49-51)
Er scheint im Gitarrespielen eine Tätigkeit gefunden zu haben, auf die er seine volle Aufmerksamkeit richtete. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob allein das Gitarrespielen ihn davon abhielt, sich mit Mädchen zu treffen oder Sport zu treiben, wie es vermutlich andere Gleichaltrige in seinem Alter getan haben, oder ob das Gitarrespielen lediglich ein Bedürfnis des Rückzugs in ihm befriedigte, was er ohnehin in sich trug. Interessant ist an dieser Stelle, dass er von dem Gitarrespielen scheinbar so begeistert gewesen sein musste, dass er sich im Beruf des Musikers seinen weiteren Werdegang vorstellte. Er geht hierbei jedoch nicht genauer auf die Tätigkeit bzw. die Art des Musikmachens ein, sondern erwähnt lediglich, dass er ein berühmter Musiker sein wollte: „and I had decided like I’m gonna be a famous musician, and that’s what I’m gonna do the rest of my life“ (T1: Z. 51f.)
Diese Aussage – ohne weitere Konkretisierung – deutet darauf hin, dass er zu diesem Zeitpunkt sein Vorhaben und die damit einhergehenden Konsequenzen wenig reflektierte. Dass sich diese Vermutung bestätigt, wird an anderer Stelle noch genauer verdeutlicht. Werden Johnnys anschließende Ausführungen zu diesem Segment betrachtet, so lässt sich eine Lesart ableiten, die Johnnys Verhalten auf eine Trotz-Haltung bzw. auf ein Streben gegen Normen und Vorstellungen seines Umfeldes zurückführen lässt: „and growing up when- when I was young like a young teenager I actually was playing a (.) a lo:t of music in the church (.) in my dad’s church, and um (..) but also had this re:ally, PC [politically correct], conservative, sheltered view on the wo:rld (.) and, even music-“ (T1: Z. 5457)
Es scheinen die Eltern und das kirchliche Umfeld zu sein, die ihn zwar an das Musikmachen heranführen, ihm aber auch gleichzeitig eine bestimmte Haltung sowie eine ‚behütete‘ Sicht auf die Welt vermitteln. Diese konservative Wertehaltung scheint sich auch auf den Umgang mit Musik auszuwirken. Zumindest deutet dies die anschließende Äußerung „a:nd, even music-“ an. „the first album I got was, that my older sister gave me, and it was it was a cassette tape [...] and she had it like hidden, wa:s um (.) the Beatles White Album [...] and it was it was two tapes [...] you know [...] I mean that- that’s a really good example of like what it was like growing up in my house as far as like, popular culture“ (T1: Z. 57-76)
Dass Johnny Musik, für die er sich interessierte, vor den Eltern geheim hielt, lässt sich auch anhand der Feststellung „the Beatles become stuff you have to hide“ des Co-Interviewers ableiten, welche von Johnny bestätigt wird. Es ist hierbei jedoch fraglich, ob es ihm verboten wurde, sich generell mit Popkultur auseinanderzusetzen oder ob der Umgang mit dieser nur nicht gern gesehen wurde.
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„and so even as a kid I was like really hungry fo:r, other things that I wasn’t getting through, you know, what was acceptable (.) or my parents were showing me=when it came to to art and music“ (T1: Z. 71-73)
Johnnys „point of view [...] how the world operates“ (T1: Z. 70), wie es der CoInterviewer formuliert, scheint somit durch die Eltern maßgeblich beeinflusst gewesen zu sein. An dieser Stelle lassen sich in Bezug auf Johnnys weiteren Werdegang, u.a., nun zwei Haupt-Folgehypothesen ableiten: Er verheimlicht/unterdrückt seine persönlichen Neigungen und passt sich den Vorstellungen der Eltern an. Oder: Er widersetzt sich den Vorstellungen seiner Eltern und formt seine eigene Perspektive und Werthaltung. Während er sich zunächst anzupassen scheint, entscheidet er sich jedoch mit ca. 16 Jahren dafür, Abstand von seiner Umgebung zu nehmen. „at (.) 16/17 years old, I really started to take a step ba:ck from that environment that I had grown up in“ (T1: Z. 75f.)
Mit der Betonung „I really started“ suggeriert er die Haltung „es war endlich an der Zeit, diese Umgebung zu verlassen“. Dass er ein schlechtes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, geht aus dem gesamten Interview nicht hervor. Während der Folgejahre gibt Johnny jedoch an, dass er den Kontakt zu seinen Eltern abbricht und diesen – zumindest zu seinem Vater – erst wieder aufnimmt, als dieser ihm einen Entzugsplatz in einer Klinik in Los Angeles verschafft. Interessant ist die Reaktion der Eltern, nachdem Johnny die High School abbricht, welche er wie folgt nachstellt: „yah and so at 17 I told my parents I’m done going to high school, I don’t need to do this ‘cause I’m just gonna play guita:r, and this a waste of my ti:me, and um I think my parents were so: just like exhausted by me ‘cause I had three sisters and I was the only boy, that they actually said okay (.) you can be done going to school, and good luck playing guitar and being famous and making a living doing that“(T1: Z. 85-89)
Es stellt sich hierbei die Frage, ob Johnny die Haltung der Eltern als eine Art Gefühl der Gleichgültigkeit oder der Resignation wahrnimmt und enttäuscht darüber war, dass sie ihn nicht aufzuhalten versuchten. Anderseits lässt sich aber auch die Lesart ableiten, dass er gerade froh darüber war, dass die Eltern ihn seinen Weg gehen ließen. In Segment 9, in welchem es thematisch um die Hintergründe seines Alkoholund Drogenkonsums in Verbindung mit seiner Vorliebe für Musik geht, blickt Johnny in seine Kindheit zurück und beschreibt diese als „so: black and white“ (Z. 138). Diese Aussage deutet darauf hin, dass – wie aus den vorigen Ausführungen bereits hervorgeht – ihm vorgegeben wurde, was ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ für ihn war. Diese Lesart würde die Auffassung zulassen, dass ihm bestimmte Vorstellungen vermittelt wurden, die nur wenig Spielraum der Abweichung zuließen. Die Aussage „there was a huge stigma attached to like any of that stuff“ (Z. 141f.) weckt zumindest den Anschein, als ob der Umgang mit Drogen und bestimmter Musik durch sein Elternhaus mit negativen Bewertungen behaftet war. Dass Johnny sich dadurch in seiner persönlichen Entfaltung eingeschränkt gefühlt haben muss, leitet sich aus der Beschreibung
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ab, die Johnny im Kontext der Schilderung seiner Erfahrungen innerhalb der ersten Band machte: „I was finally in a place where like nobody was really gonna judge me (.) you know and that was huge for me, a:nd I had a guy that I really looked up to as a musician coming up in Seattle“ (T1: Z. 142f.)
Wenn er sich somit in der Gemeinschaft der Mitmusiker befand, in der niemand über ihn urteilte, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine Ver- bzw. Beurteilung seiner Person im Vorfeld erfolgt sein muss. Die Aussage „that was huge for me“ deutet auf ein Freiheitsgefühl hin, über sich selbst bestimmen zu können. Er schien sich in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten nun nicht mehr an den Vorgaben seines Elternhauses und der Kirche zu orientieren (vgl. T1: Z. 90), sondern schaute zu Musikern auf, die er „vergötterte“: „he is a well known guitar player in Seattle he’s been in some really huge bands um (.) and I fi:nally walked into this community of people where I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing“ (T1: Z. 144-146)
Um seinen Vorbildern näher zu kommen, teilte er ihren Lifestyle, zu dem auch das Trinken in Bars gehörte. Es ist interessant, dass er den Aspekt der „community of people“ heraushebt. Teil dieser „community“ zu sein, schien gleichzeitig Teil des neu erworbenen Freiheitsgefühls zu sein. Während er in diesem Lebensstadium den Kontakt zu anderen Musiker*innen und das Gemeinschaftsgefühl genoss, stellt er sich in den Erzählungen über seine Kindheit hingegen als ein zurückgezogener Junge dar, der unter Angststörungen litt – wie er in Seg. 27 zu verstehen gibt: „the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now u:m and it was like (.) like when you’re a ki:d and you pick up a guita:r and it’s like you can disappear in this into this weird like world where no one is arou:nd you, like an escape“ (T1: Z. 489-492)
In Bezug auf seine Angststörungen heißt es in Seg. 29 im Zusammenhang mit einem Erlebnis im Aufnahmestudio, in dem er die Droge Xanax findet: „it was like somebody was in the:re and like left some Xanax [..]which was one of my huglike I started taking that type of drug when I was like [...] fourteen ‘cause I had anxiety“ (T1: Z. 517-522)
Seinen Darstellungen zufolge habe er durch das Spielen der Gitarre einen Weg gefunden, seinem Schmerz zu entfliehen oder diesen zumindest für eine Zeit lang zu betäuben. Ob dieser Schmerz ausschließlich psychischer Art oder auch durch physische Beeinträchtigungen bedingt war, geht aus seinen Erzählungen nicht hervor. Anhand der Beschreibung, dass er mit 14 Jahren unter Angststörungen litt, lässt sich jedoch die Vermutung aufstellen, dass er vornehmlich unter psychischen Schmerzen litt, die er durch den Konsum von Xanax zu kompensieren versuchte.
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9.4.2 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Spirituelle Erfahrung In mehreren Segmenten thematisiert Johnny sogenannte „spiritual experiences“. Im Folgenden soll die Verbindung zwischen seinen biographischen Daten und den thematischen Feldern, in denen Johnny auf diese Erfahrungen eingeht, hergestellt und einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Hierzu werden insbesondere die Segmente 2, 25, 26 und 29 in den Fokus der Feinanalyse im Hinblick auf die Einbettung dieser Erfahrungen in die erlebte Lebensgeschichte gerückt. Seg. 2, Z. 26-45: „So growing up ((sighing)) in- in that environment, music was something that was, a spiritual experience (.) you know“ (T1: Z. 36f.)
Während Johnny in Segment 2 zunächst auf seine Umgebung eingeht, in der er aufwuchs, sowie die Hintergründe des Vaters thematisiert, hebt er im Folgenden einen Aspekt heraus, den er als „spiritual experience“ bezeichnet: Musikmachen. Wie zuvor bereits im Zusammenhang mit seiner Kindheit beschrieben, scheint das Aufwachsen in der Kirche und damit verbunden das Musizieren in der Gemeinde ein prägendes Erlebnis für ihn gewesen zu sein. Interessant ist hierbei, dass er dem Prozess des Musikmachens durch die Verwendung des Begriffs „spirituell“ eine geistigreligiöse Konnotation verleiht, die sich entweder auf seine persönliche Nähe zu Gott beziehen könnte oder lediglich in einem Zusammenhang mit dem Umfeld steht, in dem er an das Musikmachen herangeführt wurde. Wie zuvor erwähnt, lächelt Johnny während seiner Ausführungen über diese Zeit und erhöht sein Erzähltempo, was darauf schließen lässt, dass er diese Situation als angenehm empfunden hat. Er beschreibt den Akt des Musikmachens in der Kirche als einen, bei dem alle Beteiligten ausgelassen mitgemacht haben, glücklich waren und mit dem eine Art Leidenschaft einherging: „like as a ki:d, growing up in a church and watching people like you know singing and like crying and people on the stage like dancing and freaking out and everyone was happy and there was a lot of passion involved in it“
Teil dieser spirituellen Erfahrung schien sowohl das gemeinsame Musizieren zu sein als auch die Ausübung des eigenes Instrumentalspiels. „so I started playing music in my dad’s church, as a really um young kid my first instrument they wouldn’t let me play anything so I could just play the tambourine [...] so I would just be up there like hitting the tambourine you know ((laughing)) as a little kid, and I- and then I started playing drums, my parents got me drums lessons and I was playing drums at like ten or eleven years old“
Die spirituelle gemeinschaftliche Erfahrung des Musikmachens geht folglich in einen Prozess der Ausübung verschiedener Instrumente über.
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Seg. 25, Z, 448-465: Mit ca. 24 oder 25 Jahren steigt er in das Rehabilitationprogramm von MusiCares ein und zieht für neun Monate in ein Sober House in West Los Angeles ein. Es ist interessant, dass er in seinen Erzählungen über diese Zeit (siehe Seg. 25) erneut einen Bezug zu Gott herstellt, obwohl er mit dem Verlassen des Elternhauses zuvor noch betonte: „I stopped going to church, I wasn’t involved with Go:d, or religion or anything I was done“ (T1: Z. 89f.). Auch wenn dies im Rahmen der Erzählung zunächst nur beiläufig thematisiert wird, scheint spätestens zum Zeitpunkt seines Einzugs in das Sober House der religiöse Glaube wieder an Bedeutung zu gewinnen: „I had almost thirty days like right around thirty days sober and that experience for me was like, it was like if you believe in- in- in- in Go:d or, you know, some people say there’s no no such thing as a coincidence you know like I I arri:ved at this house, u:m in West LA that was almost full of musicians, and artists, that were all sober, a lot of them had very similar stories to me like similar backgrounds some of them had quite a bit of time sober and clean which I never actually like seen in front of me“
Er scheint von seiner Erfahrung im Haus so überwältigt gewesen zu sein, dass es ihm nicht gelingt, diese innerhalb seiner Erzählung in Worte zu fassen. Vielmehr gerät er ins Stammeln. Es scheinen ihm mehrere Gedanken durch den Kopf zu gehen; er führt diese jedoch nicht im Detail aus. „like somebody [...] seeing a guy- seeing a guy and you know talk to a guy that said in person he said like dude I was fucking strung out and my life was horrible and like now I’m sitting here and this is what it looks like no:w I would only heard stories about people dying or somebody that knew somebody like heard about a guy that got clean, you know [...] and so I walked into this place with like really no idea what I was gonna do I had no money, I had no: u:m (.) like I said relationships with people, a:nd a huge part of my process for um (..) for rebuilding my life“
Er wirkt wie ein kleiner Junge, der so freudig aufgeregt ist, dass er sich nicht auszudrücken weiß. Interessant ist, dass er mit dem Satzanfang „if you believe in God“ darauf hindeutet, dass er selbst an Gott glaubt. Seine direkt daran anknüpfende Aussage „some people say there’s no no such thing as a coincidence you know“ lässt u a. die Lesart zu, dass er die Situation, die er im Weiteren beschreibt, nicht als Zufall, sondern als Resultat des Glaubens an Gott deutet. Würde diese Hypothese zutreffen, so ließe sich die Situation auch als eine ‚spirituelle‘ bezeichnen. Dieser Verdacht bestätigt sich in Seg. 26, wenn Johnny tatsächlich erneut auf seine spirituellen Erfahrungen zu sprechen kommt. Er blickt zwar zunächst wieder in die Kindheit zurück, stellt damit aber einen Vergleich zu dem Erleben im Sober House her. Gleichzeitig wird erneut eine Verbindung zwischen spirituellen Erfahrungen und einem künstlerischen Prozess hergestellt. „and like kind of like a:lmost, in a way like being reborn was (.) rediscovering, that creative side (.) the creative part of who I was, because as a ki:d that was a big part of like what I- what for me what passion was about or like having a spiritual experience like really like feeling
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something deeper than like than like anything else almost in like fucking or even getting high or any of that, it was like the music when you- the first time you step on a sta:ge and you’re playing a song you wrote in front of people and you conne:ct with like you know whether it’s five people or five hundred, you know”
Er spricht hierbei nicht nur von Neugeburt – einem ebenfalls religiös geprägten Begriff – sondern auch einer Wiederentdeckung. Er bezieht sich hierbei auf das Wiederentdecken seiner „kreativen Seite“. Erneut kommt er an dieser Stelle auf seine Kindheit zu sprechen und gibt preis, dass er bereits als Kind diese Seite an sich entdeckt hätte. Interessant ist, dass diese „kreative Seite“ mit der spirituellen Erfahrung einherzugehen scheint. Seine Ausführungen deuten darauf hin, dass sich diese beiden Erfahrungen bedingen. Der Text lässt jedoch auch die Möglichkeit der Lesart zu, dass er den musikalischen Kreativprozess mit der spirituellen Erfahrung gleichsetzt. Diese Auffassung wird daran deutlich, dass er die spirituelle Erfahrung nicht nur als „deeper than like anything else“ beschreibt und mit einem – vermutlich durch Drogen initiierten – ‚High‘-Gefühl vergleicht, sondern in diesem Zusammenhang auch das Gefühl thematisiert, zum ersten Mal mit eigenen Songs auf der Bühne zu stehen. Er spricht hierbei erneut von „passion“ wie bereits zuvor über seine musikalischen Erfahrungen in der Kindheit. Diese bereits in der Kindheit erfahrene und durch das Musikmachen in der Kirche hervorgerufene Leidenschaft scheint er im Sober House durch das Aufeinandertreffen mit anderen Musiker*innen erneut entdeckt zu haben: „to find that thing again, you know that passion for being creative u:m and being able to express myself and have it actually be real ((breathe loudly)) wa:s um (..) was a huge part of my, my process you know, and the- the cra:zy thing was that now I was sitting, you know I was sitting there in this house with these other artists and creative people and I and I didn’t have a guitar I didn’t have a computer you know there was a lot of guitars around so I’m playing someone else’s guita:r with some other guys ma:cbook recording little like songs I’m writing but the things that were coming out of me because I- I- all my emotions all my feelings everything it was like a raw nerve like everything was there, you know I- [...] where for a lot of years everything was like numbed out and I didn’t want to feel anythi:ng and nothing was there, and so the things that came out, were um (..) in the beginning like really fucking dark, you know”
Seine Leidenschaft zum Musikmachen und der damit einhergehende kreative Prozess, den Johnny beschreibt, scheinen durch den Konsum von Drogen betäubt gewesen zu sein: „all my emotions all my feelings everything it was like a raw nerve like everything was there, you know I- [...] where for a lot of years everything was like numbed out and I didn’t want to feel anythi:ng and nothing was there”. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass er durch den Entzug von der Droge wieder Zugang zu kreativen Prozessen erhielt und eine Leidenschaft zum musikalischen Prozess entwickelte. Seg. 29, Z. 499-529: Von einer weiteren spirituellen Erfahrung spricht Johnny, wenn er darüber erzählt, wie er in einem Aufnahmestudio, in dem er seine eigenen Songs aufnehmen will, Xanax frei zugänglich vorfindet:
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„and actually got into a studio in Ho:llywood when I was still at that ho:use and um (..) this little like recording studio (.) u:m had like an, an amazing like spiritual (.) experience like I get to the studio and I’m probably like four or five months sober, and um, this guy, I won’t say his name but the guy that owned the studios (.) really good guy and he didn’t know I was clean and sober but so he had an isolation booth like where he tracked like u:m, vocals and like acoustic guitars, and it was separate from from the room that he was in [...] and so I go in there and he’sI’m gonna track some acoustic guita:r, I loo:k over to the table next to me, and there is like a pile of Xanax which is (.) one of the drugs that I like really love [...]“
Das Auffinden der Droge lässt sich als eine Art Versuchung bezeichnen: „it was like somebody was in the:re and like left some Xanax [...] which was one of my huglike I started taking that type of drug when I was like [...] fourteen ‘cause I had anxiety and here I am in the recording studio the first time sober right, and I- my- my nerves were like out of fucking out of control, like I’m so nervous so much anxiety I’m sitting with headphones on [...] ((laughing)) waiting for him and I look over and there is fucking Xanax sitting right next to me [...] and um (.) and that was the like spiritual experience for me only because like I did (.) something had changed you know like I: (..) I- I saw it and it was almost like, really freeing because I was just like this is too funny to like actually be happening, you know“
Er kann der Versuchung widerstehen. Der Moment der „spiritual experience“ scheint für ihn an dieser Stelle ein Moment der Befreiung („really freeing“) gewesen zu sein, in dem er selbst darüber entscheiden konnte, ob er die Droge konsumiert oder sich von ihr fernhält. Hierbei wird deutlich, dass er dem Suchtdruck widerstehen konnte und somit ein Stadium im Rahmen der Rehabilitation erreicht hatte, in dem das physische und psychische Verlangen nach der Droge nachgelassen hatte. Es lag nun in seiner Entscheidungsmacht, ob er – vor allem bei einer leichten Verfügbarkeit von Drogen – erneut rückfällig wird oder den Weg der Abstinenz beibehält. 9.4.3 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Musikalischer Entwicklungsverlauf Die eigene Musikkarriere bzw. die Vorstellung, Musiker zu sein, spielt in Johnnys Erzählung eine zentrale Rolle. Im Folgenden werden einzelne Sequenzen einer genaueren Analyse unterzogen, in denen Johnnys musikalischer Werdegang thematisiert wird. Johnnys erste musikalische Erfahrungen sind seiner Erzählung zufolge bereits in der Kindheit zu verorten. Das Musikmachen als Kind in der Kirche scheint für ihn – wie im vorigen Kapitel dargestellt – mit einer spirituellen Erfahrung und dem Gefühl von Leidenschaft einherzugehen. Er versucht, diese Erfahrung mit einem Vergleich zu verdeutlichen: „just like if you see a movie and all the black people are dancing and people just falling over and there’s loud music playing“ (T1: Z. 28f.). In diesem Zusammenhang nennt er auch die musikalischen Hintergründe des Vaters, was darauf schließen lässt, dass diese in seiner eigenen persönlichen Entwicklung eine Rolle gespielt haben. Er gibt die Information preis, dass sein Vater Bassist in einer Band aus Südkalifornien war, die er als „psychedelic, like rock band“ (T1: Z. 33f.) be-
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schreibt. Die Formulierung „[he] toured with The Doors and did actually a lot of cool things“ lässt die Lesart zu, dass er von der Vergangenheit des Vaters nicht nur in Kenntnis gesetzt wurde, sondern anscheinend auch Gefallen an den musikalischen Aktivitäten des Vaters hatte. Gleichzeitig scheint es ihm bewusst zu sein, dass mit dem Musikerdasein des Vaters auch ein starkes Drogenproblem einherging. Wann Johnny davon erfuhr, geht jedoch aus der Erzählung nicht hervor. Er gibt allerdings zu verstehen: „h:e’s, had some very like a- a huge transformation where he got saved, and he found Go:d, and he decided that was gonna be his path right“. Im Umfeld der Gemeinde des Vaters wird er an das Musikmachen wie folgt herangeführt: „growing up in a church and watching people like you know singing and like crying and people on the stage like dancing and freaking out and everyone was happy and there was a lot of passion involved“ (T1.: Z. 36-39)
Hierbei stehen insbesondere das Gemeinschaftsgefühl bzw. der Prozess des gemeinsamen Musizierens im Vordergrund, welches für Johnny bereits in jungen Jahren mit einem Gefühl von ‚glücklich sein‘ und Leidenschaft verbunden zu sein schien. Sein erstes Instrument ist das Tamburin: „so I started playing music in my dad’s church, as a really um young kid my first instrument they wouldn’t let me play anything so I could just play the tambourine [...] so I would just be up there like hitting the tambourine you know ((laughing)) as a little kid“ (T1: 38-43)
Es ist an dieser Aussage zu erkennen, dass die Auswahl seines ersten Instrumentes nicht bewusst von ihm selbst getroffen wurde, sondern es ihm zugeteilt wurde. Die Formulierungen „wouldn’t let me play anything“ und „I would just be up there“ deutet darauf hin, dass er gerne bereits ein ‚richtiges‘ Instrument gespielt hätte und intensiver in den Prozess eingebunden worden wäre. Erst mit ca. zehn Jahren erlernt er das Schlagzeugspielen, indem er Unterricht erhält. Dass dieser Prozess im Rahmen seiner musikalischen Sozialisation vermutlich auch von den Eltern gesteuert wurde, ließe sich aus den folgenden Zeilen ableiten: „and then I started playing drums, my parents got me drums lessons and I was playing drums at like ten or eleven years old“ (T1: Z. 43f.)
Die Kürze, in der er diese Aktivität nur erwähnt, lässt die Vermutung aufstellen, dass er dem Schlagzeugspielen keine größere Bedeutung beimisst. Dies wird vor allem daran deutlich, dass er im direkten Anschluss darauf eingeht, wie er kurz darauf das Gitarrespielen für sich entdeckte, was er nicht nur betont, sondern auch ausführlicher beschreibt und in einem lebhaften – geradezu euphorischen – Redestil präsentiert: „and the:n I found the guita:r and that was like [...] that was that was the mo:ment you know like I didn’t wanna go to my cla:sses I didn’t wanna hang out with gi:rls I didn’t wanna play spo:rts I didn’t wanna talk to anyone about anything except for playing guitar, and I had decided like I’m gonna be a famous musician, and that’s what I’m gonna do the rest of my life“ (T1: Z. 48-51)
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Dass er den Moment der Entdeckung der Gitarre für sich als ein prägendes Erlebnis empfindet, geht nicht nur aus der Betonung „that was like [...] that was that was the mo:ment“ hervor, sondern auch aus der daraus resultierenden Beschreibung seines Verhaltens. Das Gitarrespielen scheint für ihn einen Raum der Zuflucht zu schaffen, der so wichtig für ihn wird, dass er nicht mehr am Unterricht in der Schule teilnehmen will, sich nicht mit Mädchen trifft oder Sport macht. Er will nicht mit anderen sprechen, wenn es nicht um das Gitarrespielen geht. Diese Beschreibung verdeutlicht, dass er sich in die ‚Welt des Gitarrespielens‘ zurückzieht und aus dieser Wirklichkeit heraus die Vorstellung entwickelt, Musiker sein zu wollen. Er präsentiert diese so, als habe es für ihn zur damaligen Zeit keine andere Alternative gegeben, als diesen Plan zu verfolgen. Er formuliert diese naiv-romantische Vorstellung so konkret, dass der Eindruck vermittelt wird, dass er von seinem Vorhaben sehr überzeugt gewesen sein muss. Andererseits könnte vermutet werden, dass dieses Vorhaben aus einer Trotz-Haltung resultierte, um sich von den vorherrschenden Normen abzuwenden und sich insbesondere gegen die Vorgaben der Eltern zu richten. Diese Hypothese gewinnt an Plausibilität, wenn den Erzählungen im anschließenden Segment 5 gefolgt wird, in dem Johnny seine eigenen Bedürfnisse und die damit verbundene Neugierde gegenüber Neuem bzw. nicht Zugänglichem thematisiert. „and u:m (.) and growing up when- when I was young like a young teenager I actually was playing a (.) a lo:t of music in the church (.) in my dad’s church, and um (..) but also had this re:ally, PC [politically correct], conservative, sheltered view on the wo:rld (.)“(T1: Z. 54-56)
Nicht nur während des Musizierens in der Kirche, auch innerhalb der musikalischen Sozialisation durch die Eltern, wurde Johnny das musikalische Umfeld vorgegeben. Die politisch-korrekt konservative Einstellung der Eltern und die damit verbundene Haltung gegenüber Musik und Kunst scheint auch Johnny vermittelt worden zu sein. Dass er jedoch ein anderes musikalisches Interesse als das der Eltern entwickelte, wird in folgender Sequenz deutlich: „a:nd, even music- the first album I got was, that my older sister gave me, and it was it was a cassette tape [...] and she had it like hidden, wa:s um (.) the Beatles White Album [...] and it was it was two tapes [...]“ (T1: Z. 56-62)
Johnnys Schwester, die ihn an das Album der Beatles heranführte, schien hierbei die Rolle einer Verbündeten einzunehmen, auf deren Initiative hin Johnny überhaupt erst mit dieser Musik in Berührung geriet. Es ist jedoch fraglich, warum er ausgerechnet das „White Album“ der Beatles als Beispiel nennt, welches er vor den Eltern geheim hielt. Sicherlich ließen sich in Bezug auf Inhalt und Rezeption des Albums diverse Spekulationen aufstellen. Interessant ist an dieser Stelle jedoch vielmehr, dass die Musik der Beatles scheinbar nicht den (musikalischen) Vorstellungen der Eltern entsprochen hatte. Zumindest könnte hierin ein Grund liegen, warum Johnny und seine Schwester diese Musik geheim hielten. Es stellt sich hierbei jedoch die Frage, warum diese Art von Popmusik scheinbar nicht dem Geschmack bzw. den konservativen Werten der Eltern entsprach, obwohl Johnnys Vater doch selbst Teil einer populärmusikalischen Band war und sogar mit Bands wie The Doors auf Tour ging.
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Obwohl er im späteren Verlauf seiner Lebensgeschichte klar formuliert, dass er Musiker werden wollte, schien er sein persönliches Interesse zunächst vor seinen Eltern zu verheimlichen bzw. traute sich nicht, seine persönlichen Vorlieben bezüglich Kunst und Musik zu äußern: „I mean that- that’s a really good example of like what it was like growing up in my house as far as like, popular culture or, um [...]and so even as a kid I was like really hungry fo:r, other things that I wasn’t getting through, you know, what was acceptable (.) or my parents were showing me=when it came to to art and music“ (T1: Z. 66-73)
Aus diesem Statement geht hervor, dass seine Eltern ihm Vorgaben machten, was – insbesondere im Hinblick auf Kunst und Musik – sie für „akzeptabel“ hielten. Doch gerade das Interesse für Popkultur und eine damit verbundene Anti-Haltung gegenüber der Einstellung der Eltern schien im Zuge des Heranwachsens eine immer größere Rolle für ihn zu spielen. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass er mit ca. 17 Jahren den Entschluss fasste, die Schule abzubrechen und das Elternhaus zu verlassen, um Musiker zu werden. Ob dieser Entschluss aus einer Protesthaltung oder aus persönlicher Überzeugung erfolgte, sich als Musiker etablieren zu wollen, geht aus der Erzählung nicht eindeutig hervor. Interessant ist jedoch, dass er mit dem Auszug aus dem Elternhaus nicht nur die Schule verließ, die ihn nach zuvor dargestellten Aussagen ohnehin nicht mehr interessierte, sondern scheinbar auch mit seiner Verbindung zur Kirche bzw. dem Glauben an Gott abschloss: „I moved out of my parents’ house I stopped going to church, I wasn’t involved with Go:d, or religion or anything I was done“ (T1: Z. 88f.). Die Formulierung „I was done“ erweckt den Eindruck, dass er mit seinem bisherigen Leben nicht nur abzuschließen versuchte, sondern dies auch – wie zuvor vermutet – aus einer Trotz-Haltung heraus geschah. „I told my parents I’m done going to high school, I don’t need to do this ‘cause I’m just gonna play guita:r, and this a waste of my ti:me, And um I think my parents were so: just like exhausted by me ‘cause I had three sisters and I was the only boy, that they actually said okay (.) you can be done going to school, and good luck playing guitar and being famous and making a living doing that“ (T1: Z. 85-89)
Er präsentiert das Verhalten der Eltern so, als ob sie ihn seinen Weg zwar gehen ließen, jedoch nicht von der tatsächlichen Umsetzung seines Vorhabens überzeugt waren. Die spöttische Nachahmung der elterlichen Worte „good luck playing guitar and being famous and making a living doing that“ deutet darauf hin, dass sie ihm nicht zutrauten, den Plan, Musiker zu sein, umzusetzen. Gleichzeitig könnte das Verhalten der Eltern aber auch daraus resultieren, dass sie Johnny seine eigenen Erfahrungen machen lassen wollten, da der Vater in früheren Zeiten einen ähnlichen Plan verfolgte, ehe er den Weg des Predigers einschlug. Johnnys Präsentation dieses Ereignisses lässt jedoch darauf schließen, dass das Verhalten der Eltern bei ihm die Botschaft vermittelte, ‚geh ruhig, du wirst schon sehen, was du davon hast‘. Die Hypothese, dass Johnny Seattle verließ, um sich von seinem gewohnten Umfeld und den damit verbundenen konservativen Vorstellungen der Eltern zu entfernen, und nicht ausschließlich die Verwirklichung des Traumes, ein berühmter Musiker zu werden, im Vordergrund stand, wird anhand der weiteren Ausführungen sei-
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nes Lebensweges deutlich. Interessant im weiteren Verlauf seiner Geschichte ist, dass er Seattle zwar verließ, um mit einer Songwriterin nach Nashville zu ziehen, das Thema ‚Musikmachen‘ oder ‚Musiker sein‘ aber kein thematisches Feld seiner anschließenden Erzählung ist. Dies verwundert, wenn bedacht wird, dass gerade Nashville – als eine der bedeutendsten Musik-Städte der USA – für einen angehenden Musiker diverse Auftritts- und Vernetzungsmöglichkeiten bietet. Während die Songwriterin Johnnys Ausführungen zu folge an einem Album arbeitete, geht er auf seinen eigenen musikalischen Prozess nicht ein. Obwohl er ein Jahr lang in Nashville verbrachte, erwähnt er lediglich, dass er mit Alkohol und Drogen experimentiert habe (vgl. T1: Z. 95f.). Dass er diesen Lebensabschnitt nur in aller Kürze darstellt, lässt darauf schließen, dass diese Zeit für ihn im Hinblick auf seinen musikalischen Werdegang keine bedeutende Rolle gespielt hat. Wesentlich ausführlicher fällt seine Erzählung jedoch über die anschließende Zeit aus, in der er zurück nach Seattle geht und dort auf seine erste Rockband trifft. Besonders auffällig ist, dass er dieses Ereignis – ähnlich wie die Situation als er das Gitarrespielen für sich entdeckt – als „the moment“ bezeichnet, was darauf schließen lässt, dass dieser eine besondere Bedeutung im Hinblick auf den Fortgang seiner Lebensgeschichte gehabt hat. „then I met my first rock band (.) which was like the mo:ment, you know [...] and these guys were much older than me, they had really cool like lo:ng hair, and they wore leather jackets and really tight pants ((smiling)) (.) and um [...] they always had beautiful girls with the:m, and um and- and I joined their band as the other guitar player [...] and I was much younger andone of them looked like me and he gave me an ID so I had a fake ID“ (T1: Z. 98-107)
Es sind jedoch nicht musikalische Aspekte, die Johnny als bedeutendes Ereignis präsentiert. Vielmehr ist es das äußere Erscheinungsbild der Bandmitglieder sowie deren Lebensstil, der mit dem Eintritt in die Band einherging und von Johnny in erster Linie thematisiert wird. Die Bandmitglieder scheinen – zumindest optisch – dem Bild von Musikern entsprochen zu haben, welches Johnny sich vorstellte. Obwohl er sich zuvor im High School Alter nicht mit Mädchen treffen wollte, spielte offenbar auch die Tatsache, dass die Mitmusiker „always had beautiful girls with them“, in der Konzeption seiner Vorstellung des Musiker-Daseins eine zentrale Rolle. Auch dass er fälschlicherweise den Ausweis eines Bandmitgliedes benutzen durfte – und dadurch vermutlich Zugang zu Clubs und Alkohol hatte, was einem Jugendlichen unter 21 Jahren gewöhnlich untersagt ist, scheint für ihn innerhalb seiner Darstellungen über diese Zeit eine höhere Bedeutung als die musikalischen Hintergründe der Band zu besitzen. Im Folgenden weist er darauf hin, dass seine erste Banderfahrung insbesondere daher bedeutsam war, weil er nun Teil ein Band bzw. einer Gemeinschaft war: „that was like the first real, like experience that I ha:d like, being in a ba:nd, but for me it was like you tell somebody oh I was in a band, but for me it was like finally I’m with a group of people, that understand me, that don’t care that I’m not gonna get a jo:b, that are willing to be broke with me, and we’re just gonna play music and we’re gonna get drunk and we’re gonna fuck and we’re gonna fight, and it’s gonna be awesome ((the voice raises)) and that’s what
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we’re gonna do, and um and that’s what I did with these guys in Seattle for a while“ (T1: Z. 107-113)
Die Vorstellung, Musiker zu sein, stand für ihn somit vor allem damit in Verbindung, Teil einer Gemeinschaft zu sein: er fühlte sich verstanden, seine Ansichten wurden geteilt und alle waren wie er finanziell ‚abgebrannt‘. Dass sie gemeinsam auch Musik machten, wird hingegen nur beiläufig erwähnt und neben der Auflistung von weiteren Merkmalen genannt, die das Leben in der Bandgemeinschaft prägten: „we’re just gonna play music and we’re gonna get drunk and we’re gonna fuck and we’re gonna fight, and it’s gonna be awesome“ (ebd.). Während dieser Ausführungen hebt sich seine Stimme, was auf eine damalige Begeisterung für den Lebensstil zurückzuführen sein könnte. Im späteren Verlauf seiner Erzählung heißt es zudem, „and I was finally in a place where like nobody was really gonna judge me“ (T1: Z. 141), womit er zu verstehen geben könnte, dass ihn niemand mehr verurteilt oder ihm vorschreibt, was er zu tun oder zu lassen habe. An dieser Stelle seiner Biographie übernimmt vor allem der Konsum von Drogen eine wesentliche Rolle. Anhand der zuvor dargestellten Lebensweise liegt die Vermutung nahe, dass auch Drogen zum Bestandteil seines Lebensstils gehörten. Auch wenn diese Hypothese im folgenden Verlauf bestätigt wird, kann die Annahme, dass der Konsum von Drogen auch in der Gemeinschaft praktiziert wurde, nicht verifiziert werden. Vielmehr waren es die Bandmitglieder selbst, die Johnnys Drogenkonsum ablehnten und ihm eine Bedingung stellten: „you have an option like you wanna keep playing with us so you have to stop doing thi:s“ (T1: Z. 130-131). Er entschied sich zunächst gegen den Drogenkonsum: „and so: we flushed my cocaine down the to:ilette and I slept for like three da:ys and then I was fine“ (T1: Z. 133f.). Obwohl er zuvor beteuert, dass er unbedingt Teil der Band bleiben wollte („and I really wanted to be in this band“ (T1: Z. 131), geht er auf diese im Folgenden innerhalb seiner Erzählung nicht mehr ein. Vielmehr erläutert er seinen Weg in den Heroinkonsum, der von einer Person aus seinem musikalischen Umfeld initiiert wurde. Die Darstellungen über seinen weiteren Werdegang als Musiker führt er erst in Segment 12 (T1: 205-237) fort, in dem er auf den Einstieg in seine zweite Band in New York eingeht – ohne weitere Auskünfte über den restlichen Verbleib in der ersten Band bis zu diesem Zeitpunkt zu geben. „I joined a band from New York that was a bigger more established band that had already put out records that had a record deal, and was touring (.) and I got- their guitar player overdosed and died (.) on tour [...] and that’s when I came in to replace him (.)“ (T1: Z. 205-210)
Interessant ist, dass er – obwohl seine Drogenabhängigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten ist, wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird – neben den Möglichkeiten des Alkohol- und Drogenkonsums mit dem Einstieg in die Band auch den Aspekt des Musikmachens thematisiert. „this for me was like an opportunity to take everything that was happening in my life not just like drugs and alcohol but like my- like the music u:m (....) you know (..) so it it (..) it sort of jump started the whole process I feel like I became an adult as a musician like I was in a touring band, I was actually getting pai:d, sometimes I was getting paid like a thousand dollars a
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show you know [...] which for a kid that’s like twenty-o:ne at this point [...] that’s a lot of money you know [...]“ (T1: Z. 211-215)
Insbesondere das Touren mit der Band scheint für ihn ein ausschlagendes Kriterium gewesen zu sein, sich als ein erwachsener Musiker zu fühlen. Auf den musikalischen Prozess an sich geht er jedoch erneut nicht ein. Vielmehr sind es Begleiterscheinungen des Erfolges der Band, die er in seiner Darstellung heraushebt: er geht auf die hohen Gagen ein, die er nun für das Spielen von Shows erhielt, aber auch die Möglichkeit, Sex und freien Zugang zu Drogen zu haben. „and I’m in a bus and I can have sex with girls every night and there is lots of free drugs and free alcohol and it’s even mo:re acceptable now (.) because now I’m in a band with six other guys that are doing the same thing, and I was I was in“ (T1: Z. 221-224)
Neben den Säulen ,Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘, auf denen sich für Johnny der Status des Musikers zu konstituieren scheint, hebt er erneut aber auch den Aspekt der Gemeinschaft und ein damit verbundenes Gruppengefühl hervor: „the um the overall dynamic of that group of guys was like this really intense bonded together group of dudes that were (.) one hundred percent devoted to this band, to play music to not having a jo:b to not having fuck you family fuck everything else in your life except for what we are doing right now“ (T1: Z. 224-227)
Wie er bereits in Teenagerjahren gegen vorherrschende Werte und Normen rebellierte und sich in seine ‚eigene Welt‘, in der es ausschließlich um das Gitarrespielen ging, zurückzog, so schien ihm auch die Band einen Raum zu verschaffen, in dem er die Außenwelt ausblendete, einen unkonventionellen Lebensstil verfolgen konnte und sich ausschließlich dem Musikmachen – und dem Konsumieren von Drogen – verschrieb. Sein Alltag bestand fortan daraus, Tourneen zu spielen und Alben aufnehmen. Anhand seiner Darstellung ist jedoch zu erkennen, dass es ihm hierbei nicht um eine persönliche Verbindung zu einzelnen Mitgliedern der Band ging, sondern das Gemeinschaftsgefühl der Band und das Aufrechterhalten des Lebensstils im Vordergrund stand. „we’re gonna tour for a year then we’re gonna record a record then we’re gonna go back on tour for a year then we’re gonna record other record and we’re just gonna keep doing that and if people die we replace them, if somebody quits we replace them, ‘cause it’s about the music“ (T1: Z. 227-230)
Obwohl er an dieser Stelle betont, dass es der Band um die Musik gegangen sei, liefert Johnny auch hier keine weiteren Informationen zur Musik selbst. Vielmehr geht er erneut auf das Gefühl ein, Teil einer Band zu sein: „a:nd um (.) and for me that was really exciting as a young kid ‘cause it felt like I’m in like this gang now“. Auffällig ist auch, dass er sich selbst zu diesem Zeitpunkt immer noch als „young kid“ bezeichnet, was wiederum der vorigen Aussage „I feel like I became an adult as a musician“ widerspricht. Dass das Leben als Musiker nicht nur mit einer romantisier-
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ten Vorstellung von ,Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ einhergeht, wurde ihm nach Jahren auf Tour und im Studio bewusst: „[...] and and um (..) ((deep breath) and that’s what I did for a couple of years ((breathing loudly)) as I toured, we recorded um you know I didn’t have connections to a lot of other people outside this group of guys u:m I was strung-out most of the time“ (T1: Z. 235-237.)
Insbesondere die gesundheitlichen Folgen des starken Alkohol- und Drogenkonsums machen sich bemerkbar. Dennoch lächelt er, als er über diese Zeit berichtet, was darauf hinweisen könnte, dass er sich in dieser Zeit wohl gefühlt hat. Er erzählt von einem Album, das die Band aufnimmt und zum damaligen Zeitpunkt als „masterpiece“ einschätzt. Obwohl Johnny diese Auffassung im Nachhinein auf den Konsum von Drogen zurückführt, hebt er bei der Entstehung des Albums wiederum insbesondere den gemeinschaftlichen Prozess heraus: „we were all so fucked up and we had got a huge recording budget to record it“. An anderer Stelle heißt es hierzu: „there was something about that was really exciting, you know there was something about that like, almost delu:sional (.) like place that you can live in when you’re high and dru:nk and playing guita:r and in a studio, that’s, exciting do you know [...] and I had a lot of guys that were like in exactly the same place with it“ (T1: Z. 265-271)
Auch hier schien die Aufnahmesituation im Studio als Zufluchtsort zu fungieren, an den er sich mit Gleichgesinnten zurückziehen und sich ausschließlich dem Musikmachen und dem Konsum von Alkohol und Drogen widmen konnte. Die Band wurde zunächst von dem Label Victory Records unter Vertrag genommen. Mit der Formulierung „and got off of that label got signed to a- a better label“ deutet Johnny auf (kommerzielle) Erfolgsabsichten der Band hin. Auch dass die Band darauf abzielte, zu diesem Zeitpunkt mit der Aufnahme eines Albums ein „masterpiece“ zu erschaffen, lässt erkennen, dass Johnnys Vorstellung, ein berühmter Musiker zu werden, nach wie vor Bestand hatte und von den anderen Bandmitgliedern in ähnlicher Weise geteilt wurde. „we lived in Seattle in this loft together, above this club, um used to be called The Graceland for a month just doing pre-production and writing, [...] we then went to San Diego, recorded in San Diego and LA, sixteen songs, we were in the studio for like a month and a half every day, a:nd (.) the ba:nd really survived from being a touring band, you know (.) being on the road was what kept everyone together ((deep breath))“ (T1: Z. 273-279)
In Johnnys Ausführungen über den Entstehungsprozess des Albums ist erneut auffällig, dass er mit Formulierungen wie „together“ und „what kept everyone together“ den Aspekt der Gemeinschaft bzw. das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Band betont. Die Hypothese, dass es ihm in erster Linie um das Gefühl, Bestandteil einer Band zu sein, und den damit verbundenen Lebensstil ging als um die musikalischkreative Praktik, gewinnt auch dadurch an Plausibilität, dass er tief durchatmen muss als er darauf zu sprechen kommt, dass die Bandmitglieder nach den Aufnahmen getrennte Wege gingen. Seine Stimme senkt sich und sein Sprachstil wird ernst. Als das Label, das sie unter Vertrag genommen hat, bankrott war, und die Spuren des Al-
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bums nicht herausgegeben wurden, schien Johnny nicht nur wegen des Verlustes der Musik enttäuscht gewesen zu sein – diesen Aspekt stellt er hingegen lachend dar. Vielmehr scheint die Konsequenz, dass die Band als solche keinen Bestand mehr hatte, ein Problem dargestellt zu haben. Diese Annahme lässt sich daraus ableiten – und würde zugleich die zuvor benannte Hypothese bestätigen, dass er kurz nach seiner Rückkehr nach New York direkt in eine neue Band einstieg, während die anderen Mitmusiker der alten Band auf die Freigabe der Spuren warteten. Der Aspekt der Austauschbarkeit, den Johnny bereits mit seiner Formulierung „if people die we replace them, if somebody quits we replace them, ‘cause it’s about the music“ (T1: Z. 228f.) andeutete, wird auch im Zuge seines Einstiegs in die neue Band deutlich. Die Vermutung bleibt somit bestehen, dass es Johnny nicht um persönliche Beziehungen zu einzelnen Mitmusikern ging, sondern um die Vorstellung, den Lebensstil des Musikers aufrecht zu erhalten. Obwohl Johnny, wie es aus dem vorigen Zitat hervorgeht, zunächst betont, dass es ihm um die Musik gegangen sei, schien dieser Aspekt jedoch auch im weiteren Verlauf seines Werdegangs an Bedeutung zu verlieren. Zumindest ließe sich diese Lesart ableiten, wenn berücksichtigt wird, dass er in der neuen Band als Bassist tätig war, obwohl ihm das Bass spielen keinen Spaß machte. Auch dass die Bandmitglieder der vorigen Band ein Problem mit Johnnys Wechsel in die neue Band hatten, schien für ihn keine Rolle zu spielen: „they were so angry with me um and I just couldn’t wait and so I picked up a bass guitar and I started playing bass in this band in New York“ (T1: Z. 294-296). Interessant ist, dass er seine Begründung für den Einstieg in die Band daraus ableitet, dass diese eine Tour mit The Stooges gespielt hatte. Er benennt hierbei Bandleader Iggy Pop als „one of my fucking heroes“ (T1: Z. 298), was insofern interessant ist, als Iggy Pop als Sänger nicht nur eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des Punkrock innehat, sondern insbesondere auch für seinen exzessiven und durch Alkohol- und Drogen bedingten selbstzerstörerischen Lebensstil bekannt ist. Die Vorstellung, mit seinem Idol auf der Bühne zu stehen und auf Festivals wie dem Lollapalooza spielen zu können, schien für ihn eine höhere Bedeutung gehabt zu haben, als sich musikalisch-kreativ zu entfalten und seinen Plan, ein berühmter Gitarrist zu werden, zu verwirklichen: „I picked up the bass I didn’t like playing bass guitar um the band that I joined I thought was not very good, um but I didn’t care because I just wanted to play, a:nd I wanted to go on tour“ (T1: Z. 313-315)
Zu diesem Zeitpunkt ist Johnnys Heroinabhängigkeit bereits so weit fortgeschritten, dass er sich im Stadium des zwanghaften Konsums befand. Obwohl er glaubte, seinen Lifestyle und den damit einhergehenden Alkohol- und Heroinkonsum im Rahmen der neuen Band fortführen zu können, wird anhand seiner Erzählung deutlich, dass er seinen Konsum zu dieser Zeit nicht mehr unter Kontrolle hatte. Aufgrund von Drogenexzessen verpasste er wichtige Shows – bis ihm bewusst wird: „I couldn’t I couldn’t keep it together“ (T1: Z. 331). Er kann seinen Lebensstil aus ,Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ nicht mehr aufrechterhalten: „the party was kind of over and I was also in this kind of weird lonely place that I hadn’t been in before because the musicians I was playing with in this new band they weren’t doing what I was doing“ (T1: Z. 335-338)
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Das Gemeinschaftsgefühl, dass er im Kontext der vorigen Band immer wieder hervorhob, scheint er innerhalb der neuen Band nicht zu erfahren zu haben. Hierbei wird deutlich, dass sich dieses Gemeinschaftsgefühl für Johnny insbesondere auch im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Konsum von Drogen konstituiert. Er musste seinen Konsum geheim halten und sonderte sich dadurch von der Gruppe ab. Als er nicht mehr in der Lage war, die einfachsten Basslinien zu spielen, wurde sein Platz in der Band ersetzt. Er setzte seinen Werdegang als Musiker fort, indem er das Musikmachen nicht mehr aktiv praktizierte, sondern lediglich darüber erzählte und sich an alte Zeiten erinnerte. Zwischen dem Rauswurf aus der Band und seinem späteren Einzug ins Sober House in Los Angeles nahm er die Praxis des Musikmachens nicht wieder auf: „I didn’t pick up a guitar (.) you know I almost couldn’t like it was almost (.) painful (..) to try (.) you know [...] like it was heavy, to like have to pick one up and like what am gonna write like who gonna play with no one will play with me, no one wants talk to me, you know like stealing borrowing friends’ guitars or amps for like sessions and then selling them on craigslist, you know [...] so I could get money for heroin“ (T1: Z. 357-365)
Er nahm Gelegenheitsjob als Friseur oder Kellner an, denen er jedoch aufgrund seiner Drogenabhängigkeit nicht lange nachgehen konnte. Innerhalb von zwei Jahren nahm er an verschiedenen Entzugsprogrammen teil, die er entweder nach kurzer Zeit abbrach oder an denen er zwar teilnahm, jedoch schnell wieder rückfällig wurde. Erst mit dem Einstieg in das Programm von MusiCares schaffte er es, abstinent zu bleiben. Nach 30 Tagen der Abstinenz zog er in ein Sober House in West Los Angeles ein. Dies ist der Zeitpunkt, an dem er auf Musiker traf, die einen ähnlichen Suchtprozess wie er durchlaufen hatten, und ihn erneut an das Musikmachen heranführten. Auch im Sober House schien der Aspekt der Gemeinschaft und ein damit verbundener kommunikativer Austausch unter Gleichgesinnten eine wichtige Rolle für ihn zu spielen: „I arri:ved at this house, u:m in West LA that was almost full of musicians, and artists, that were all sober, a lot of them had very similar stories to me like similar backgrounds“ (T1: Z. 451f.)
Während die Vorstellung, Musiker zu sein, zuvor insbesondere von den klischeebehafteten Komponenten ,Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ bestimmt war, schien nun der kreativ-musikalische Prozess innerhalb seines Musikerdaseins an Bedeutung zu gewinnen: „I walked into this- this place with like really no idea what I was gonna do I had no money, I had no: u:m (.) like I said relationships with people, a:nd a huge part of my process for um (..) for rebuilding my life and like kind of like a:lmost, in a way like being reborn was (.) rediscovering, that creative side (.) the creative part of who I was“ (T1: Z. 462-465)
Mit der Verwendung der Begriffe „reborn“ und „rediscovering“ sowie der Formulierung „who I was“ suggeriert er, dass der von ihm in diesem Zusammenhang beschriebene „creative part“ bereits in ihm existiert habe, ihm aber zwischenzeitlich
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nicht zugänglich war. Rückblickend in die Vergangenheit konkretisiert er seine Gedanken hierzu: „as a ki:d that was a big part of like what I- what for me what passion was about or like having a spiritual experience like really like feeling something deeper than like than like anything else almost in like fucking or even getting high or any of that, it was like the music when you- the first time you step on a sta:ge and you’re playing a song you wrote in front of people and you conne:ct with like you know whether it’s five people or five hundred, you know to- to find that thing again, you know that passion for being creative u:m and being able to express myself and have it actually be real ((breathe loudly)) wa:s um (..) was a huge part of my, my process you know“ (T1: Z. 466-472)
Interessant ist hierbei, dass für ihn der Prozess, kreativ zu sein, mit der Möglichkeit ‚sich selbst auszudrücken‘ einhergeht. Gleichzeitig verbindet er diesen Prozess mit dem Gefühl, zum ersten Mal auf einer Bühne zu stehen und sich vor dem Publikum künstlerisch zu entfalten. Auch hier scheint der Aspekt von Gemeinschaft bzw. einer Verbindung zu anderen – in diesem Fall zum Publikum – von Bedeutung zu sein. Auffällig ist jedoch, dass diese Beschreibung seiner „kreativen Seite“ im Widerstand zu der Konzeption seines vorherigen musikalischen Werdegangs steht, im Rahmen dessen der kreativ-künstlerische Aspekte eine eher untergeordnete Rolle gehabt zu haben schien. Dem Bespielen von großen Bühnen, die er mit seinen Idolen teilte, sowie mit der Band zu touren, im Studio zu sein und gemeinschaftlich Drogen zu konsumieren scheint er einen höheren Stellenwert in seiner Umsetzung des Plans, Musiker zu sein, beigemessen zu haben. Er beschreibt den kreativen Prozess jedoch als Teil dieses Planes. Dabei schreibt er dem im Prozess aufkommenden Gefühlszustand eine Intensität zu, die er mit dem Gefühl von Sex oder einem durch Drogen initiierten ‚High‘-Gefühl vergleicht. Neben den Begriffen „passion“ und „spiritual“ beschreibt er die Erfahrung, die er im Rahmen des kreativen Prozesses machte: „like feeling something deeper than like than like anything else“. Während seine Emotionen lange unterdrückt gewesen zu sein schienen – „for a lot of years everything was like numbed out“ (T.1: Z. 479), erhält er nach erfolgreichem Drogenentzug und dem Einzug ins Sober House einen neuen Zugang zu diesen: „the cra:zy thing was that now I was sitting, you know I was sitting there in this house with these other artists and creative people and I and I didn’t have a guitar I didn’t have a computer you know there was a lot of guitars around so I’m playing someone else’s guita:r with some other guys ma:cbook recording little like songs I’m writing but the things that were coming out of me because I- I- all my emotions all my feelings everything it was like a raw nerve like everything was there, you know“ (T1: Z. 472-477)
Nicht nur der Zugang zum kreativen Prozess wurde ihm nach dem Drogenentzug erneut ermöglicht, auch der Output dieses Prozesses schien mit der zuvor erfahrenen Suchtgeschichte einherzugehen: „in the beginning like really fucking dark, you know like really heartbreaking like sad, I have like journals that I still have today that I would just like always be writing like a crazy person in
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these books about things going through my hea:d and like my stories and all this stuff in“ (T1: Z. 480-483)
Sein künstlerischer Schaffensprozess knüpfte jedoch nicht an seine vorige Aktivität als Gitarrist an. Hingegen beginnt er zu singen und eigene Songs zu schreiben: „in the sober house I mean I had sang in bands but always been like like backup si:nging never as like an actual you know like write my songs I’m going to sing them“ (T1: Z. 493-495). Interessant ist auch die Beschreibung seines neu gewonnenen Freiheitsgefühls, das ihm einen Zugang zum Musikmachen verschaffte, das nicht von Angst oder äußeren Einflüssen geprägt war: „um I was also pretty fearless because a part of me kinda stopped caring about like how cool I looked or like what wa:s acceptable or what would impress people, everything I was like putting do:wn and doin’ was I was doing it because like it just felt right, you know“ (T1: Z. 495497)
Im Umkehrschluss gibt er damit zu verstehen, dass die Herangehensweise an Musik bzw. die Ausführung der Musikerrolle an die Vorstellungen und Erwartungen anderer geknüpft war, die er zu erfüllen bzw. zu adaptieren versuchte. Diese Lesart wird insbesondere durch weitere Ausführung über die Konzeption seines Plans, Musiker zu sein, bestätigt: „to tie it into like the music piece like today u:m (...) you know, I (.) I didn’t have any real plans to you know I’m gonna- the- the kid- the dreams I had when I was a kid I’m gonna be a famous musician or I’m gonna do this and get be rich you know that wasn’t the motivation for picking up a guitar the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now u:m and it was like (.) like when you’re a ki:d and you pick up a guita:r and it’s like you can disappear in this into this weird like world where no one is arou:nd you, like an escape, and that was the motivation, you know and so, I didn’t really know (.) I didn’t know what I was gonna do as far as the creative stuff I: I was writing and- and- and I- I would start singing which I had never done before u:m“ (T1: Z. 483-491)
Hierbei wird deutlich, dass seine Intention, Musiker sein zu wollen, nicht von Vornherein an bestimmte Klischees gebunden war, die mit dem Image eines medial präsentierten Rockstars (,Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘) einhergehen, sondern dass Musik machen für ihn in erster Linie eine Möglichkeit darstellte, von den Anforderungen der von ihm wahrgenommenen Realität zu flüchten. Das Gitarre spielen ermöglichte es ihm, sich in eine ‚Welt‘ zurückzuziehen, in der er von seinem Schmerz – ob physisch oder psychischer Natur – entfliehen konnte. Mit der Äußerung „I didn’t know what I was gonna do“ lässt sich die Lesart ableiten, dass sein Zugang zum Musikmachen ein intrinsischer war, den er eher unbewusst entdeckt hatte. Die Vorstellung, ein berühmter Musiker zu sein, scheint er folglich erst im Nachhinein entwickelt zu haben, wie die vorigen Ausführungen bereits verdeutlicht haben. Hier tritt das Bedürfnis nach Rückzug und ‚Alleine-sein‘ insbesondere in einen Widerspruch zu dem an verschiedenen Stellen thematisierten Gemeinschaftsgefühl, nach dem sich Johnny im Kontext seiner Banderfahrungen sehnte. Obwohl er im Sober House auch erst durch die Gemeinschaft bzw. die Mithilfe der anderen Mitbewohner motiviert
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wurde, künstlerisch tätig zu werden, zog er sich innerhalb des musikalischen Prozesses jedoch zunächst zurück und ließ sich auf das Unbewusste ein, das durch den Kreativprozess zum Vorschein kam („I was doing it because like it just felt right, you know“). Während er im Rahmen der Bands lediglich ein Teil dieser war und sich in der Rolle des Mitläufers befand oder sich bereits bestehenden Strukturen und damit verbundenen Erwartungen anpassen musste, begann er zur Zeit im Sober House nicht nur eigene Songs zu schreiben, sondern diese auch im Studio aufzunehmen. Er war – wie zuvor in Jugendtagen – sein eigener Herr und bestimmte den Weg seines musikalischen Schaffensprozesses. Obwohl er sich im weiteren Verlauf Mitmusiker suchte und eine eigene Band gründete, entschied er über die Ausrichtung und Qualität seiner Musik selbst. Dies wird besonders deutlich, als er davon erzählt, wie er eigens bei dem Label Interscope Records ein Studio mietete, um sein erstes Album mit eigenen Songs aufzunehmen. Folgende Anekdote über diese Studioaufnahmen verdeutlicht nicht nur, welchen Stellenwert das Musikmachen und die Qualität der Aufnahmen hatten, in die Johnny viel Geld investierte. Ebenso spiegelte das beschriebene Verhalten seines Gitarristen Johnnys eigenes Verhalten wider, welches er vermutlich während seiner eigenen Drogenexzesse seinen damaligen Bandkollegen in ähnlicher Weise zeigte: „when I got the chance to do the record at Interscope (.) it’s a fifty million dollar recording studio and I show up before the other guys in my band and I’m- I’m praying to God like God please ‘cause it was like on a week it was a Sunday [...] ple:ase I hope they didn’t stay up all night partying like I hope they don’t blow this for me and sure enough my guitar player the one who is no longer with us he calls me and everyone was supposed to be there he’s like he:y I’m in a town car I was in Hollywood all night I’m gonna be there like thirty minutes dude, and I was like I’m gonna fucking kill you bro [...] ((laughing)) like you’re gonna die when you get here you might wanna just not come, you know but I really needed him he’s a fuck such a beautiful, like amazing, talented (.) player, and he shows up, a:nd the main guy from Interscope is there, and my guy shows up and he just looks like shit like he hasn’t slept, he’s got his guita:r, and u:m and then he goes over, they’re getting everything set up the amps and you know all the tones and my guy comes in and he fucking u:m lays on the couch and falls asleep (.) I was like hey can you set your shit up please like I know you are half hour late and you haven’t slept but can you at least just you set up your- you know your pedals get you guitar tu:ned so we can play, ya ya man I’ll do it dude it’s cool and he just falls asleep on the couch [...] and the gu:y (.) the reason I’m telling you this story is like the g:uy (.) u:m from the studio was, like pulled me aside and was like he:y, what the fuck is up with your dude like are you kidding me ‘cause he pulled strings for me to like the get in there and be able to have that opportunity, and u:m (.) and it almost costs me like the entire, thing that I worked so hard for, you know [...] and we ended up scrapping all his tracks that he did that day [...] none of them were goo:d you know he had to go in and like overdub all of his guitar parts cause they were all garbage, you know and I called him that night (.) ((deep breath)) and was like what the fuck man“ (T1: Z. 672-701)
Nach seiner Zeit im Sober House arbeitet Johnny weiterhin an eigenen Songs, nimmt diese mit anderen Musikern im Studio auf und spielt vereinzelte Konzerte. Mittlerweile hat Johnny sich jedoch weitgehend aus dem Musikgeschäft als aktiver Musiker
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zurückgezogen. Er ist zwar weiterhin musikalisch tätig, führt die Rolle des Musikers allerdings nur noch im Privaten aus. Er gibt zu verstehen, dass er mittlerweile zwei Businesse leitet („I own two businesses“ T1: Z. 577). Auch wenn er aus Gründen der Gewährleistung seiner Anonymität keine weiteren Auskünfte über seine Geschäfte geben möchte, deutet er in einem Nachgespräch an, dass diese auch innerhalb der Musikindustrie angesiedelt sind. Anstatt seine eigene musikalische Karriere voranzutreiben, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, anderen betroffenen Musiker*innen, die einen ähnlichen Werdegang wie er selbst erfahren haben, seine Geschichte zu erzählen, um sie nicht nur für einen Entzug zu motivieren, sondern sie aus seiner Perspektive als Ex-Junkie, der den Weg aus der Sucht geschafft hat und im Musikbusiness erneut Fuß fassen konnte, über Möglichkeiten und Chancen aufzuklären. 9.4.4 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Suchtverlauf Auf Grundlage der biographischen Daten beginnt Johnnys Suchtverlauf mit dem Konsum von Xanax im Alter von ca. 14 Jahren. Ob Johnny zuvor bereits in Berührung mit anderen Drogen bzw. Medikamenten geraten ist, geht aus dem Interview nicht hervor. Dass Johnny in diesem Alter bereits von dem Drogenkonsum seines Vaters wusste, ist ebenso nicht eindeutig aus dem Erzähltext abzuleiten. Wie zuvor herausgearbeitet ist es jedoch auffällig, dass Johnny nach dem Erzähleinstieg „the relationship with music and drug use is for me, for music, I grew up in a church“ (T1: Z 26f.) nicht nur auf das Aufwachsen in der Gemeinde zu sprechen kommt, sondern in diesem Zusammenhang auch die Drogenvergangenheit des Vaters thematisiert. Dies lässt darauf schließen, dass Johnny bereits im Kindesalter von den Hintergründen des Vaters erfahren haben könnte. Wenn Johnny tatsächlich bereits im Kindesoder Jugendalter von der Drogenvergangenheit des Vaters und dessen musikalischen Aktivitäten gewusst hat, so könnten sich daraus folgende Handlungsoptionen ableiten: Johnny ist durch die Drogenvergangenheit des Vaters abgeschreckt und hält sich vom Drogenkonsum fern; gerade weil er auf die Auswirkungen des Drogenkonsums hingewiesen wird, will er seine eigenen Erfahrungen machen und probiert sich aus – mit der Annahme, er könne wie sein Vater auch einen anderen Weg einschlagen; er eifert dem Vater nach und tritt in die Fußstapfen des drogenkonsumierenden Musikers. Ausgehend von Johnnys Xanax-Konsum im Teenageralter wird im Folgenden Johnnys Suchtverlauf in Bezug auf Johnnys Handlungsoptionen, die sich aus den biographischen Daten sowie seiner Selbstdeutungen ergeben, einer genaueren Betrachtung unterzogen. Auffällig ist, dass er den Konsum von Xanax im Zuge der chronologischen Darstellung seiner Lebensgeschichte zunächst nicht erwähnt. Erst im späteren Verlauf seiner Erzählung, als er auf die Situation zu sprechen kommt, in der er Xanax im Aufnahmestudio vorfindet, geht er auf seine Vorerfahrungen mit dieser Substanz ein. Während er zunächst betont, dass Xanax eine Droge sei, „that I really love“ (T1: Z. 511), erwähnt er eher beiläufig: „I started taking that type of drug when I was like [...] fourteen ‘cause I had anxiety“ (T1: Z. 518-520). Johnny konsumierte Xanax offenbar aufgrund von Angstzuständen und fand Gefallen an der Wirkung der Droge. Da er zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt war und keine weiteren Auskünfte
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über die Beschaffung des Medikaments gibt, ist davon auszugehen, dass ihm Xanax ärztlich verschrieben wurde. Auch wenn er über den Konsum der Droge nicht direkt erzählt, heißt es in seiner Erzählung an späterer Stelle (Segment 19; T1: Z. 191-203), wenn er im Rahmen der Thematisierung des Einstiges in den Heroinkonsum auf eine „correlation is with music and that specific drug“ (T1: Z. 191) eingeht: „even as a little kid there was like something about me that was sort of dark and sa:d and lonely and I’d- after I found that specific drug when I wound up at that place, like tha:t chemically for me like did it for me, I didn’t wanna go up I wanted to go down I didn’t wanna feel anything, I didn’t wanna sit and talk I wanted to be alone, in a room, listening to a record or playing a guita:r, and smoking a cigarette, and I wanted to just do that as long as I could“ (T1: Z. 192196)
Es geht aus dieser Sequenz nicht eindeutig hervor, ob er hiermit seine Neigung zu Xanax thematisiert oder bereits eine Erklärung für seinen Heroinkonsum liefert. Das beschriebene sedierend-betäubende Gefühl und die Sehnsucht nach Rückzug lassen sich zumindest auf die Wirkung beider Substanzen zurückführen. An dieser Stelle wird zumindest seine Vorliebe für eine bestimmte Rauschwirkung deutlich, die mit seiner persönlichen Gefühlslage („dark and sad and lonely“) zusammenzuhängen scheint. Aus seinen Erzählungen geht jedoch hervor, dass er bereits als Teenager bzw. junger Erwachsener auch mit weiteren Drogen experimentierte. In Zusammenhang seiner Ausführungen über sein Leben in Nashville (Segment 6) – er ist zu diesem Zeitpunkt ca. 18 Jahre alt – behauptet er: „I was drinking, um a little bit like kind of experimenting with some drugs“ (T1: Z. 95f.). Dies deutet darauf hin, dass er zu diesem Zeitpunkt offen ist für verschiedene Drogen und diese ausprobiert. So orientierungslos sein Werdegang als Musiker zu dieser Zeit noch zu sein scheint, so wenig Orientierung hat er auch in Bezug auf die Wahl der Droge. Eine weitere Station seines Suchtverlaufs skizziert er im Kontext des Einstiegs in seine erste Band in Seattle. Während er im Kreis der Band ausschließlich Alkohol zu konsumieren scheint („we’re gonna get drunk“), sind es von der Band unabhängige Personen, die ihn an Kokain heranführen. Auch hierbei scheint er von Offenheit und Neugierde geleitet zu sein: „I had met a gu:y that knew a gu:y tried it one time, and literally I remember he gave me a little bit of coke, and the next da:y I was at his apartment, knocking on the door like hey man I gotta get some more of that shit it’s like it’s magic like I fucked all ni:ght ((smiling)) and and I [...] I felt great and it was fu:n like get me some more“ (T1: Z. 115-119)
Der erste Kokainkonsum scheint somit nicht gezielt von ihm initiiert worden, sondern eher zufällig und durch seine Offenheit und Neugierde gegenüber neuem bzw. zuvor nicht zugänglichem („I was like really hungry fo:r, other things that I wasn’t getting through“, T1: Z. 70f.) bedingt gewesen zu sein. Auffällig ist jedoch, dass er offenbar Gefallen an einer Droge findet, die der Rauschwirkung von Xanax und Heroin entgegensteht: Während Xanax und Heroin eine sedierende Wirkung herrufen, die mit Rückzug, Glücksgefühlen, Ruhe und Ausgeglichenheit einhergeht, ist das von Kokain herbeigeführte Rauschgefühl eher durch Euphorie, Ausgelassenheit und einem stark gesteigertem Selbstvertrauen geprägt. Die Wirkung von Kokain setzt das
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Müdigkeitsempfinden herab, steigert dafür jedoch beispielsweise das sexuelle Lustverlangen – wie es Johnny auch beschreibt. Dass das Suchtpotenzial dieser Droge sehr hoch ist, verdeutlichen auch Johnnys weitere Ausführungen: „I felt great and it was fu:n like get me some more and of course he is like of course I’ll get you some more, you know [...] and then I ended up spending in a really really short period of time spending like [...] thousands of dollars on cocaine“ (T1: Z. 119-126)
Obwohl er aus der gegenwärtigen Perspektive zu verstehen gibt, dass „drugs at that point really started to ((deep breath)) u:m (.) enter the the picture of my life“ (T1: Z. 112f.) und damit den Beginn seiner Suchtkarriere einleiten, „I mean my first drug addiction was cocaine and I was nineteen years old, and I got really strung out on cocaine“ (T1: Z. 113f.), ist es interessant, dass er in der Situation des Konsums glaubt, diesen noch unter Kontrolle zu haben: „I still had some element of contro:l because I hadn’t gotten to, like the place where I was a heroin addict yet“ (T1: Z. 131-133). Dass er den Konsum beendet, erfolgt jedoch nicht aus seiner eigenen Motivation heraus, sondern auf Aufforderung seiner Bandkollegen, die selbst nicht konsumieren und ihm ein UItimatum stellen: „that only lasted for a few months because the guys in my band at nineteen years old they had an intervention for me I came home to my apartment where I lived with the other guitar player and everybody was waiting for me (.) I’m like fucking nineteen I’m just a kid you know [...] and um (..) and they sat me down and they said like look, you have an option like you wanna keep playing with us so you have to stop doing thi:s“ (T1: Z. 126-131)
Infolgedessen setzt er die Droge plötzlich ab und geht seinen ersten kalten Entzug („cold turkey“) ein. Dass der Konsum und eine damit verbundene potenzielle Abhängigkeit noch nicht weit fortgeschritten sind, könnte daraus abzuleiten sein, dass keine weiteren körperlichen Entzugssymptome nennt. Er erwähnt in diesem Zusammenhang lediglich: „so: we flushed my cocaine down the to:ilette and I slept for like three da:ys and then I was fine, you know cause I had been on a run for a few months like no sleep not eating“ (T1: Z. 133134)
Tiefes Durchatmen und Seufzen deutet an dieser Stelle darauf hin, dass ihm aus heutiger Perspektive bewusst ist, dass seine Suchtkarriere damit nicht beendet war, sondern vielmehr erst eingeleitet wurde. Dass er mit der Unterbindung des Kokainkonsums seinen Bandkollegen lediglich entgegenkommen wollte, sein Suchtverlangen nicht unterbinden bzw. den Drang, weiterhin Drogen zu konsumieren, damit jedoch nicht unterdrücken konnte, lässt sich daran erkennen, dass er zwar zu verstehen gibt, dass er in der Band bleiben wollte („I really wanted to be in this band“ (T1: Z. 131) und sich auf einen Entzug einließ, jedoch nur wenig später die nächste Gelegenheit nutzte, um seinen Konsum fortzusetzen. „I had a guy that I really looked up to as a musician coming up in Seattle, and he (.) he is a well known guitar player in Seattle he’s been in some really huge bands um (.) and I fi:nally walked
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into this community of people where I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing right [...] and um, I- th- the first time I tried heroin I: was at a bar with this guy [...] and um- and he looked like shit he was just like really fucked up and I could tell something was wro:ng (.) and he was talking about um (..) about how he had taking a break from drinking and and he was just starting to drink aga:in, and um asked me if I wanted to chase the dragon he’s like do you wanna go outside and chase the dragon I had no idea what that meant [...] but I was like absolutely (.) like sign me up ((laughing)) like we- we- let’s go right now let’s do it I don’t know what that means but it sounds exciting“ (T1: Z. 142-157)
Aus dieser Sequenz geht hervor, dass Johnny durch einen Gitarristen aus Seattle, für den er schwärmte, an Heroin herangeführt wurde. Er geriet in eine Gemeinschaft von Menschen, die er bereits als Kind idolisierte. Obwohl die Person, die ihn an Heroin heranführte, Johnnys Beschreibung zufolge offensichtlich körperlich beeinträchtigt aussah („he looked like shit he was just like really fucked up“) und er ahnte, dass mit dieser Person etwas nicht stimmte („and I could tell something was wro:ng“), lässt er sich auf das Angebot „to chase the dragon“ ein. Dass er damit zum Konsum von Heroin aufgefordert wurde, scheint ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen zu sein: „I don’t know what that means but it sounds exciting“. Er beschreibt sich als aufgeregt („I was like absolutely (.) like sign me up ((laughing)) like we- we- let’s go right now let’s do it“) und konnte seine Neugierde nicht unterdrücken. Er ließ sich naiv auf die Situation ein und schien seinem Idol imponieren zu wollen: „I think you’re rea:lly cool a:nd I wanna chase the dragon and so: we went out to his car, and I smoked heroin for the first time (.)“ (T1: Z. 157f.). Die Lesart, dass er diese Situation als Startpunkt seiner darauffolgenden Suchtkarriere erkennt, gewinnt insbesondere durch die Formulierung „and this is like the the part of my story where it’s (.)“ an Plausibilität. Er führt den Satz zwar nicht aus; jedoch skizziert er im Weiteren die schnelle Progression des Suchteinstiegs: „looking back now with like five years clean I can see: um (.) the difference between myself and maybe some other people that have experimented with alcohol or drugs is that (..) ((deep breath)) smoked heroin with him (.) it was amazing I felt great we had a great time you know drinking talking, the next mo:rning, it’s the same thing with like the cocaine story, the next morning I’m on the phone with him hey dude like I need to get some more of that stuff because that felt really good [...] you know and um, and that day he came and picked me up, a:nd took me to a recording studio where his heroin dealer met us, and he shot me up for the first time his dealer did (.)“ (T1: Z. 160-169)
Obwohl er der Auffassung ist, dass ihn sein Suchteinstieg von denen anderer Konsument*innen unterscheidet, skizziert er einen Verlauf, der typisch ist: Er wird an die Droge herangeführt, raucht Heroin zum ersten Mal, ist von der Rauschwirkung begeistert, fühlt sich gut, will die Erfahrung wiederholen, bekommt die Substanz intravenös injiziert und wird aufgrund anhaltenden Konsums physisch und psychisch abhängig: „the first time I shot up the- um my friend’s heroin dealer shot me up um the next day I was there again and it was like on a weekend you know, and I think it was like on actually a Saturday was the first time and then Sunday we were back in the same place and he was doing it and
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then Su:nday he was like I’m not gonna be around tomorrow, so if you wanna buy some to have for the week like any good drug dealer you know I can sell you some [...] I was like yeah absolutely um let me buy some and then he gave me some needles too, and so: the progression for me was like, Friday smoked heroin for the first time, Saturday shot up heroin, Sunday shot up heroin and bought heroin and needles, Monday shooting up heroin on my own in a dark roo:m in a weird like warehouse loft apartment in Seattle (.) you know like that’s the progression“ (T1: Z. 177-188)
Zunächst schien er sich über die möglichen Konsequenzen seines Konsums jedoch keine Gedanken zu machen. Nicht einmal die Tatsache, dass er mit dem Bandeinstieg den ehemaligen Gitarristen ersetzte, weil dieser an einer Überdosis verstarb (vgl. T1: Z. 206), hielt ihn nicht davon ab, seinen eigenen Konsum fortzusetzen. Vielmehr scheint es, als habe er den Einstieg in die Band und das Aufeinandertreffen mit bereits Heroin-Konsumierenden als willkommenen Anlass gesehen: „this for me was like an opportunity to take everything that was happening in my life not just like drugs and alcohol but like my- like the music u:m (....) you know (..) so it it (..) it sort of jump started the whole process I feel like I became an adult as a musician“ (T1: Z. 211-214)
Auffällig ist hierbei zum einen, dass Johnny in diesem Zusammenhang zwar behauptet, er fühle sich als ein erwachsener Musiker, sich im Weiteren aber als „kid“ bezeichnet und betont, dass er erst 21 gewesen sei. Diese Feststellung lässt sich in ähnlicher Weise bereits zuvor im Zuge seiner Ausführungen über seine Zeit innerhalb der ersten Band treffen: „I mean [...] I was nineteen years old, and I got really strung out on cocaine“ (T1: Z. 113f.), „I’m like fucking nineteen I’m just a kid you know“ (T1: Z. 128). Diese Präsentationsweise legt den Verdacht nahe, dass er das „Abrutschen“ in den Drogenkonsum aufgrund seines jungen Alters und einer damit vermeintlich einhergehenden Naivität rechtfertigen will. Zum anderen ist auffällig, dass Johnny den Einstieg in die Band als Möglichkeit sieht, „to take everything that was happening in my life“. Es ging ihm scheinbar nicht nur um den Drogenkonsum, sondern auch um das Musikmachen – oder vielmehr um die Möglichkeit der Verbindung beider Komponenten: „not just like drugs and alcohol but like my- like the music“. Er traf auf Gleichgesinnte, die nicht nur als Musiker erfolgreich sein wollten, sondern die ihm auch die Freiheit gewährten, seinen Drogenkonsum frei zu praktizieren, ohne dass es Konsequenzen mit sich zog oder er gemaßregelt wurde. Anders als zuvor in der anderen Band oder wie bereits durch sein konservatives Elternhaus erfahren, gab ihm niemand vor, was richtig oder falsch („black or white“) war. Insbesondere der Zusammenhalt der Band und die dadurch entstehende gemeinschaftliche Verbundenheit werden von Johnny, neben gemeinschaftlichem Musikmachen und Drogenkonsum, als Komponenten herausgestellt, die seine Vorstellung des Musikerdaseins konstituierten: „not all the guys in the band but ((deep breath)) the um the overall dynamic of that group of guys was like this really intense bonded together group of dudes that were (.) one hundred percent devoted to this band, to play music to not having a jo:b to not having fuck you family fuck everything else in your life except for what we are doing right now we’re gonna tour for a
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year then we’re gonna record a record then we’re gonna go back on tour for a year then we’re gonna record other record and we’re just gonna keep doing that“ (T1: Z. 224-229)
Auch die von der Band geteilte Auffassung, es musikalischen Vorbildern wie Keith Richards, der noch bis ins hohe Alter seinen Heroinkonsum aufrechterhalten konnte und als Musiker erfolgreich ist, gleichzutun, ist in diesem Zusammenhang zu nennen: „when we used to sit around and like shoot dope and listen to (.) you know the Rolling Stones and just be like oh man we’re gonna do this forever bro ((smiling)) like ‚yeah Keith Richards (.) he is still shooting heroin he is like seventy‘“ (T1: Z. 608-610)
Johnny gibt hiermit nicht nur preis, dass das Konsumieren von Heroin und das Musikmachen zum gemeinschaftlichen Ritual wurde, sondern auch dass das Nachahmen eines Lebensstiles, wie er von musikalischen Vorbildern praktiziert wurde, seine eigene Vorstellung, Musiker zu sein, beeinflusste. Es ist die Band bzw. das Umfeld, in dem er sich während der Zeit in der Band aufhält, welches er als Grund dafür angibt, dass er seinen Konsum über einen langen Zeitraum aufrechterhalten konnte: „I think another big- big reason for (.) the amount of time that I was able to stretch it out as like a very active heroin addict was again just the environment that I was in“ (T1: Z. 203f.)
Die Personen in seinem Umfeld, führten ihn nicht nur an den Konsum von Heroin heran, sondern konsumierten auch selbst. Johnny erhielt dadurch keine Sonderstellung und konnte sich trotz – oder gerade aufgrund des Konsums – in die Gemeinschaft einfügen: „it’s even mo:re acceptable now (.) because now I’m in a band with six other guys that are doing the same thing, and I was in“ (T1: Z. 222-224). Der Aspekt der Verfügbarkeit der Droge lässt sich als weiterer Grund der Aufrechterhaltung seines Konsums nennen. Dadurch, dass die anderen Bandmitglieder auch konsumierten, war der Konsum innerhalb der Band nicht nur legitim, sondern Drogen auch regelmäßig verfügbar („there is lots of free drugs and free alcohol“ T1: Z. 222). Johnny gibt in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass er für seine musikalischen Aktivitäten hohe Gagen erhielt. Durch die finanzielle Absicherung war er in der Lage, sich seine Sucht leisten zu können. Bereits im Kontext seines Kokainkonsums während der Zeit in der ersten Band, deutet er an, dass sowohl sein Einkommen als auch die Zugangsquelle durch einen Dealer mitverantwortlich für seinen hohen Konsum gewesen waren: „I ended up spending in a really really short period of time spending like thousands of dollars […] on cocaine“ (T1: Z. 122-126). Interessant ist, dass er aus der gegenwärtigen Erzählperspektive der Auffassung ist, dass er über mehrere Jahre in der Lage war, trotz anhaltendem Heroinkonsums „funktionsfähig“ zu sein und er seinen Konsum „auf einem bestimmten Level“ unter Kontrolle halten konnte: „a:nd the progression at from that point on u:m you know as a as a heroin addict for a lot of years (.) I was pretty high functioning (.) on on some level which is hard to- it sounds impossible I think unless you’ve experienced it [...] I just was able to manage on some level for a few years and so“ (T1: Z. 168-176)
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Anhand seiner Aussage „I’m in a bus and I can have sex with girls every night“ (T1: Z. 221f.) lässt sich zumindest schlussfolgern, dass sich Johnny in der Anfangszeit seiner Aktivitäten in der Band noch in einem frühen Stadium seiner Heroinabhängigkeit befand, da er offenbar sexuelles Lustempfinden verspürte, das bei Konsumenten im fortgeschrittenen Suchverlauf nachlässt. Dass er diese scheinbare Kontrolle des Konsums jedoch nicht lange aufrechterhalten kann, lässt sich nicht zuletzt aus der Dauer und Intensität ableiten, mit der er seinen Konsum verfolgt: „that’s what I did for a couple of years ((breathing loudly)) as I toured, we recorded um you know I didn’t have connections to a lot of other people outside this group of guys u:m I was strung-out most of the time“ (T1: Z. 235-237)
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Drogenrausch Auswirkungen auf den musikalischen Schaffensprozess der Band hatte: „I think looking back on that process you know with the music and the recording I have a record that I did (.) um in that- that time frame [...] I thought it was like, you know like exile on mainstream like this masterpiece, you know we all did ((smiling)) (.) and we were all so fucked up and we had got a huge recording budget to record it and u:m (.) and I didn’t listen to it for a long time like specially since I’ve been clean, um I went back to New York last year and did a reunion show with the band um- sober [...] and and actually listen to the record because I had to learn some of the songs on it, it is fucking horrible ((laughing)) you know what I mean like it’s- it’s not like it’s not horrible like I wouldn’t give it to you to listen to but if I go back to it I’m like I remember thinking like this is ground breaking music it’s gonna change the wo:rld ((smiling)) you know [...] was part of that drugs and alcohol one hundred percent“ (T1: Z. 246-265)
Johnny gibt hiermit zu verstehen, dass seine Wahrnehmung unter dem Einfluss von Drogen verfälscht gewesen sei und nicht dem entsprochen habe, wie er die Qualität der Aufnahmen aus nüchterner Perspektive einschätzen würde. Interessant ist an dieser Stelle auch, dass es wiederrum nicht nur der musikalische Aspekt ist, der ihn im Kontext seiner Rolle als Musiker interessierte. Vielmehr schien es das Zusammenspiel verschiedener Komponenten zu sein, die seine Faszination und das daraus entstehende Lebenskonzept bedingten: „but there was something about that was really exciting, you know there was something about that like, almost delu:sional (.) like place that you can live in when you’re high and dru:nk and playing guita:r and in a studio, that’s, exciting“ (T1: Z. 265-267)
Aufgrund des ständigen Verlangens nach einem durch Alkohol und Drogen induzierten ‚High‘-Gefühl und einer damit einhergehenden Toleranzentwicklung, zeichneten sich zunehmend körperliche Schäden ab, die Johnny zum einen auf das anstrengende Tourleben, zum anderen aber auf seinen extremen Alkoholkonsum sowie den Mischkonsum aus Heroin und anderen Drogen zurückführt: „my problem with alcohol is extremely bad, specifically Irish Whiskey like I [...] I drank a lot of whiskey and I shot a lot of heroin (.) and in between that I would take pills, and do coke but
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um (..) I started seeing (.) some real (.) um undeni:able problems, you know like after probably about a ye:ar a year and a half of being on the ro:ad, and not having any breaks just my body alone like started to shut down, in like weird ways [...] um specifically from the alcohol actually my liver was, like so: bad that you could actually like see it, kind of like coming out of my stomach a little bit it was, huge u:m (..) and um ((breathing out))“ (T1: Z. 237-247)
Neben der Verfügbarkeit und der vorhandenen Finanzierung der Drogen, liefert Johnny in seiner Erzählung noch einen weiteren Erklärungsansatz zur persönlichen Suchtgenese, den er in der Kindheit verortet: „the thing with um with the drug use and the drinking a:nd, and the music that I loved the most I think some of it for me had to do with the way I was raised and my childhood because it was so: black and white, you know [...] there was some such a huge stigma attached to like any of that stuff and I was finally in a place where like nobody was really gonna judge me (.) you know and that was huge for me“ (T1: Z. 135-142)
Auch diese Aussage lässt sich auf das bereits benannte Statement „I was like really hungry fo:r, other things that I wasn’t getting through, you know, what was acceptable“ (T1: Z. 70f.) beziehen. Obwohl er seine Aussage sowohl auf das Musikmachen als auch auf den Konsum von Drogen bezieht, ist es fraglich, ab welchem Zeitpunkt seiner Suchtkarriere es ihm überhaupt noch um den musikalischen Prozess ging, als vielmehr lediglich um den Status des Musikers, der ihm den Konsum von Drogen legitimiert. Er scheint zwar innerhalb der zweiten Band einen Platz gefunden zu haben, der es ihm ermöglicht, beide Vorstellungen bzw. Vorlieben vereinbaren zu können: Musiker sein und Drogen konsumieren. Dass der Konsum von Heroin – durch eine physische und psychische Abhängigkeit bedingt – jedoch im Fortschreiten seines Suchtverlaufs einen höheren Stellenwert gegenüber der Praxis des Musikmachens erhält, lässt sich daran erkennen, dass er in eine neue Band einsteigt, die seinen musikalischen Ansprüchen nicht gerecht wird, ihm aber ermöglicht, seinen Konsum weiter aufrecht zu erhalten. Im Zusammenhang mit dem Einstieg in die zweite Band behauptet Johnny zunächst, dass es ihm um das Spielen gegangen sei („it was about playing“ T1: Z. 300). Betrachtet man jedoch seine Äußerungen über die Zeit, in der die Mitglieder der zweiten Band getrennte Wege gehen und auf die Freigabe des Albums durch die insolvente Plattenfirma warten, so wird deutlich, dass der Heroinkonsum zum Mittelpunkt seines Lebens geworden ist: „when I got back to New York and I was just shooting dope, without being in a band, without playing shows, it was like the first time for me where I was like ho:ly shit I’m just like getI’m- there is nothing else like I’m just getting high“ (T1: Z. 300-302)
Auch wenn dies nicht eindeutig am Text zu belegen ist, ist zu vermuten, dass Johnnys ausgeprägter Konsum nicht nur auf sein Suchtverlangen und Langeweile („there was a period where all seven of those guys had nothing to do“ T1: Z. 309-310) zurückzuführen war, sondern dieser ihm erneut auch eine Fluchtmöglichkeit bot, sich nicht den bestehenden Problemen im Kontext der Band auszusetzen. Er stellt in dieser Zeit fest: „it was pretty scary you know, cause it’s like I’m a fucking junkie“ (T1:
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Z. 304f.). Insbesondere seine Aussage „I couldn’t tell someone like well I’m going on tour tomorrow I just got off this tour it was nothing was happening“ (T1: Z. 305306) lässt darauf schließen, dass nicht das Spielen („it was about playing“) im Vordergrund stand, sondern es vielmehr um die Bewahrung der Fassade des Lifestyles des Musikers an sich ging. Diese Lesart gewinnt in Anbetracht der folgenden Sequenz an Plausibilität: „I picked up the bass I didn’t like playing bass guitar um the band that I joined I thought was not very good, um but I didn’t care because I just wanted to play, a:nd I wanted to go on tour“ (T1: Z. 313-315)
Möglich wäre auch die Lesart, dass es ihm dennoch in der Hauptsache darum ging, musikalisch tätig zu sein. Widerlegt werden kann diese Vermutung jedoch dadurch, dass, anstatt die Gelegenheit wahrzunehmen, große Konzertbühnen (z.B. Lollapalooza) zu bespielen, er seinem exzessiven Drogenkonsum nachgeht, dadurch nicht spielfähig ist und Shows verpasst (vgl. T1: Z. 324-327). Es ist nicht auszuschließen, dass in Johnnys Konstruktion von Realität, der Gedanke, Musik machen zu wollen, und damit das Konzept „I gonna be a famous musician“ (T1: Z. 486) weiterhin Bestand hat. Tatsächlich ist seine Sucht jedoch so weit fortgeschritten, dass sie sein Leben bestimmt und aufgrund der hohen seelischen und körperlichen Abhängigkeit zur Hauptaktivität wird, so dass er seinen musikalischen Tätigkeiten nicht mehr nachgehen kann. Eine zu vermutende Handlungsoption wäre nun, dass Johnny sich eine neue Band sucht und erneut versucht, seinen Lebensstil aus Drogenkonsum und Musikmachen aufrechtzuerhalten. Diese Hypothese wird jedoch nicht bestätigt. Bereits zu Zeiten in der dritten Band befindet er sich in einem Stadium der Sucht, in dem er physisch und psychisch nicht mehr in der Lage ist, spielfähig zu sein und seinen Job als Musiker auszuführen. Rückblickend auf seinen damaligen Zustand sagt er, „whi:le I was in that band got really really outta control“ (T1: Z. 323f.). Er verabreicht sich nicht nur Heroin und Alkohol, sein Mischkonsum besteht auch aus anderen Opiaten und Pillen. Exemplarisch führt er hinsichtlich der Ausartung und der damit verbundenen Konsequenzen seines Konsums aus: „like to the point where, I wa:s supposed (.) to get on a plane to show up and play Lollapalooza for the second time and I missed my flight (.) a:nd the band is waiting for me I didn’t show up, I’m at the airport, and I didn’t show up cause I’ve been up all night on ecstasy, with like two girls who had told me like I think they told me they would take me to the airport, and I forgot all about the show [...] the flight, like and then until like 5am in the morning I’m like oh yeah I’m supposed to be at JFK right now like going to Chicago ((laughing)) can you take me and they were like we’re not taking you to the airport“ (T1: Z. 324-331)
Im Kontext seiner Drogenexzesse räumt er ein: „a lot of stuff like that happend because I couldn’t I couldn’t keep it together, you know like the party was kind of over“ (T1: Z. 331-333). Dass er den Lifestyle, den er zu suchen und sich einzureden scheint, längst nicht mehr führt, wird nicht nur dadurch deutlich, dass er nicht mehr spielfähig ist, „I started not showing up or some shows I would be so drunk or high that I couldn’t play, the bass lines right and it’s literally like this simple most simple
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bass lines you know like one finger ((smiling)) punk rock songs“ (T1: Z. 337-339), sondern auch ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Band nicht erfährt: „I was also in this kind of weird lonely place“ (T1: Z. 333). Er sondert sich von den anderen Mitgliedern der dritten Band ab, weil er seinen Konsum vor diesen verheimlichen muss. Nachdem seine Rolle in der Band nicht mehr tragbar ist, wird sein Platz als Bassist ersetzt. Dass er sich seines Drogenproblems in der damaligen Situation nicht bewusst zu sein scheint bzw. dieses noch immer verdrängt, verdeutlicht seine Reaktion nach Verlassen der Band: „so he replaced me without us ever really having a conversa:tion about it and I used the the approach of like oh fuck those guys cause that- that’s not even real music and I’m gonna start this great ba:nd“ (T.1: Z. 344f.)
Er versucht zwar offenbar seine Vorstellungen, Musiker zu sein, aufrechtzuhalten, führt die Tätigkeit des Musikmachens jedoch nicht mehr aus. Die tatsächliche Umsetzung seiner ursprünglichen Selbstvorstellungen beschreibt er wie folgt: „I turned into like the- the- the worst type of musician (.) the heroin addict alcoholic musician, that hangs out on bars and ta:lks about [...]talks about a:ll all the shows that I have played, or talks about the tours that I’m gonna do that don’t exist, and talks about reliving like glory days, when I’m only like in my early twenties“ (T1: Z. 345-351)
Mit der Äußerung „and then it was just about the drugs“ (T1: Z. 353) läutet er einen Wendepunkt in seiner Biographie ein, in der es sich fortan ausschließlich um das Beschaffen und Konsumieren von Drogen dreht. „my life [...] ((deep loud breath)) was um (..) you know like if you’ve seen some of the movies that portray like what heroin addiction looks like and they do a good job at it like you know that isolation a:nd really like a- a severe desperation, you know to try and stay ali:ve and to try and like have so:me (.) u:m something that looks like a real life, and I went through like working at bars I was also a hairdresser so I worked in hair salo:ns, um couldn’t keep a jo:b“ (T1: Z. 354-358)
Um sich seine Sucht weiterhin finanzieren zu können, nimmt er Gelegenheitsjobs an, die er nicht lange halten kann. Dadurch, dass er völlig auf die Gemeinschaft der zweiten Band fixiert ist und sich sein Lebensinhalt ausschließlich auf Touren, Platten aufnehmen und Drogen konsumieren beschränkt, bricht er den Kontakt zu den Außenstehen bereits in dieser Zeit ab („I didn’t have connections to a lot of other people outside this group of guys“ T1: Z. 235-237). An anderer Stelle erwähnt er zudem: „I had burned like most of my friends that really cared about me and loved me“ (T1: Z. 408). Dies hat zur Folge, dass er mit dem Rauswurf aus der dritten Band völlig alleine steht und auch keinen Anschluss mehr daran findet, wieder als Musiker tätig zu werden: „I didn’t pick up a guitar (.) you know I almost couldn’t like it was almost (.) painful (..) to try (.) you know [...] like it was heavy, to like have to pick one up and like what am gonna write like who gonna play with no one will play with me, no one wants talk to me, you know
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like stealing borrowing friends’ guitars or amps for like sessions and then selling them on craigslist [...] so I could get money for heroin“ (T1: Z. 358-366)
Er gerät in die Beschaffungskriminalität und realisiert, dass sein Leben aufgrund der Heroinsucht außer Kontrolle gerät. Nachdem er es aus eigener Kraft – wie zuvor im Rahmen seines Kokainkonsums – nicht schafft, vom Heroin zu entziehen, sucht er sich Hilfe: „I decided I needed to try something else and- and I couldn’t get clean um and so wen- I detoxed at this hospital in the Bronx, called Saint Barnabas and it’s in a really really horrible part of the Bronx it’s like ((deep breath)) it’s dark it’s not a place you wanna go, um especially like to get medical treatment, a:nd I got out of there and I- it was recommended that I try methadone“ (T1: Z. 367-371)
Er beginnt fortan ein Substitutionsprogramm, dass ihm den Konsum von Methadon gewährt. Auch hierbei sieht er sich als Teil einer Gemeinschaft von anderen Betroffenen, die dasselbe Programm durchlaufen: „a:nd so I went on methadone maintenance, in New York and I did that for a year, a:nd the idea of it was like it’ll allow me to stop using heroin, you know and I’ll be able to have a functioning life, you know because I won’t need to use heroin because I’ll have the methadone every day, and um, we’re (..) a couple of my friends and I were all doing like the same methadone maintenance and you show up in the morning, and you wait in a line and you go in and they give you a cup with methadone and you drink it“ (T1: Z. 371-376)
Als weitere Handlungsoptionen sind nun zu erwarten, dass er das Programm vorzeitig abbricht, nach Beendigung des Programms rückfällig wird oder das Programm erfolgreich absolviert und schließlich auch die Methadondosierung verringern kann. Die Unwahrscheinlichkeit der letztgenannten Handlungsoption ist jedoch bereits anhand des Erzählstils seiner Ausführungen zu erkennen. Er redet sich zwar zunächst ein, er könne durch den Konsum der Ersatzdroge ein funktionsfähiges Leben führen. Dass er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht an dem Punkt angelangt ist, tatsächlich einen Wendepunkt in seinem Leben herbeizuführen und dieses ohne Drogenkonsum fortzuführen, lässt sich daran erkennen, dass er die nächste Möglichkeit ergreift, seinen Heroinkonsum weiterhin aufrechthalten zu können: „a:nd um (.) the doctor when I went to the methadone clinic, I’ll never forget it you know the first guy I met with he- they ask you a lot of questions and he says so how much, how much heroin do you use, and I was like oh maybe like a gram of heroin a day, and um, and his response to that, and I was nervous like they’re never gonna give me methadone, and I’m like it’s not gonna happen, and he said, just try and use less heroin“ (T1: Z. 378-382)
Seine Reaktion auf diese Aufforderung, „so for me I’m like pe:rfect man like, I- I promise I promise you that I’ll try: to use less heroin, you know“ (T1: Z. 386-389), lässt die Hypothese zu, dass er seinen Heroinkonsum im Weiteren mit ähnlicher Intensität fortsetzt. Dies bestätigen seine folgenden Aussagen, in denen deutlich wird, dass der Eintritt in das Methadonprogramm nicht den Wendepunkt in ein drogenfrei-
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es Leben herbeiführt, sondern vielmehr den Weg in eine noch intensivere Suchtgeschichte ebnet: „and um, and- and honestly like that is the- the turning point for me like where I went from any, the ability to have like any control um (..) to losing all control, you know because I was taking methadone every day but I was still shooting as much heroin as I could every day, I was still drinking every night, and and pretty much, a lot of other drugs you know ((deep breath))“ (T1: Z. 391-394)
Dass er hierbei tief durchatmen muss, lässt die Lesart zu, dass es ihm schwer fällt, über die Situation zu sprechen und diese auch als sehr belastend empfunden hat bzw. auch rückblickend empfindet. Es scheint ihm an diesem Punkt seiner Lebensgeschichte klar zu werden, welches Ausmaß der Drogenkonsum angenommen hat: „it’s hard to explain, you know like losing, when you when you can see yourself slowly losing the desire to like be to live, you know and you- you lose all control over what happens and and what your life looks like u:m (..) it’s heartbreaking“ (T1: Z. 395-397)
Es wirkt gerade so, als habe er Mitleid mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Obwohl die Konsequenzen seines Konsums und damit der Weg in die Sucht von außen betrachtet als offensichtlich erscheinen, scheint er mit seinen Aussagen verdeutlichen zu wollen, dass ihm das Ausmaß seiner Sucht bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht bewusst bzw. dieses nicht Teil seines eigentlichen Lebenskonzeptes war: „I never met a heroin addict that says they wanna be strung out, like once you crossed that line, it’s you’re there because you can’t figure a way out, you know“ (T1: Z. 397-399)
Er beschreibt seine damalige Lebenssituation wie folgt: „the end of my life up to that point like I- I had no: connection to my family [...] I had burned like most of my friends that really cared about me and loved me [...] u:m, you know and I just almost didn’t have like the strength to like trying (.) like figure something else out, you know I was like pretty much broken down you know [...] very close to being a homeless or like being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally you know just to have a stop“ (T1: Z. 404-415)
Nachdem er eigenständig keinen Ausweg aus der Sucht findet und suizidale Gedanken entwickelt, sucht er sich Hilfe, indem er Kontakt zu Rehabilitationseinrichtungen sucht – darunter auch die Nonprofit-Organisation MusiCares, von der er durch Bekannte erfährt: „I had heard about it through some friends, you know like in certain circles people I hung out with there were some guys we knew, that usually like indirectly that were sober and clean and sometimes we talked about oh did you hear about that guy that like ‚he’s got like three years sober now‘ [...] yeah yah like he hasn’t drank in like a year, did you hear about that guy and I remember hearing, hearing about MusiCares, and um pretty simply like you can go on the Internet, type it in and pull it up their website and there is an application and you fill it out and
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because luckily because of some of the things I had done, um as a musician, I qualified for some help“ (T1: Z. 421-430)
Obwohl er seinen Darstellungen zufolge – und auf Grundlage der Teilnahmebedingungen durch MusiCares – berechtigt war, an dem Programm teilzunehmen, ist es verwunderlich, warum er im Zusammenhang damit, dass er zunächst andere Entziehungsversuche eingeht, der Auffassung ist „I went to another program cause I didn’t think I was gonna get help from MusiCares“ (T1: Z. 445f.). Tatsächlich besucht er mehrere Einrichtungen bevor er die Hilfe von MusiCares annimmt. Diese Entziehungsversuche verlaufen seinen Darstellungen zufolge alle nach einem ähnlichen Muster: Er entzieht, wird rückfällig oder beendet das Therapieprogramm vorzeitig. „the few months leading up to me actually getting here, what that looked liked was me going to, a: (..) a detox, getting out (.) and getting high (..) about a week later (.) going to another detox (.) in Seattle [...] I flew back to Seattle, um went to a detox called King County: Detox I think (.) u:m, stayed for ten days, got out, was out for about a week, five days, got strung-out again, went back to the same detox again (.) so within a period of like maybe a month and a half two months I went to three different medical detoxes a:nd, it’s so: um physically and emotionally and maybe spiritually it’s like so exha:usting and the feeling to like walk through that process and then like fail and do it again and fail and do it again and fail ((breathing in loudly)) and um ((breathing out))“ (T1: Z. 433-440)
Er atmet laut ein und aus, unterbricht kurzzeitig seinen Erzählfluss und erweckt damit den Eindruck, dass er aus gegenwärtiger Perspektive selbst nicht nachvollziehen kann, warum er sich auf die Hilfsangebote nicht eingelassen hat. Anhand der folgenden Darstellung gibt er dafür einen Erklärungsversuch, warum er sich zunächst nicht für den direkten Weg nach Los Angeles und damit das Entzugsprogramm von MusiCares entscheidet: „I think for me though because I was really delusional for a long time like I could convince myself that I was still (.) keeping it together that it was still working that like there is this one way if I just try it this way I’ll be okay“ (T1: Z. 440-442)
Obwohl seine Lage aussichtslos zu sein scheint, redet er sich immer wieder ein, er hätte sein Leben wieder unter Kontrolle. „but I personally had to go through this like really insane (.) almost unbelievable like process, to get to where I needed to be to realize like I just (..) I can’t keep doing this you know I can’t keep living this way“ (T1: Z. 442-444)
Doch erst nach einem weiteren gescheiterten Entziehungsversuch, als er bereits schon in Los Angeles ist, nimmt er die Hilfe von MusiCares an: „I came down to Los Angeles, um actually went to another program [...] in LA in Echo Park there is like this other (.) treatment center that’s really insane, it’s like a work therapy treatment center, it’s a Christian based thing, my dad sort of helped me find it and I made it about se:ven days there and then they kicked me out ((smiling)) u:m and then I actually got through to- to
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MusiCares [...] and so about the time I got to the house that I ended up living at for nine months I had almost thirty days like right around thirty days sober“ (T1: Z. 444-450)
Auffällig ist, dass es im Sober House erneut die „commutity“ ist, die für ihn eine entscheidende Rolle einnimmt und ihm vorlebt, welchen Weg er einschlagen könnte: „I arri:ved at this house, u:m in West LA that was almost full of musicians, and artists, that were all sober, a lot of them had very similar stories to me like similar backgrounds some of them had quite a bit of time sober and clean which I never actually like seen in front of me like somebody [...] seeing a guy- seeing a guy and you know talk to a guy that said in person he said like dude I was fucking strung out and my life was horrible and like now I’m sitting here and this is what it looks like no:w I would only heard stories about people dying or somebody that knew somebody like heard about a guy that got clean, you know [...] and so I walked into thisthis place with like really no idea what I was gonna do I had no money, I had no: u:m (.) like I said relationships with people“ (T1: Z. 452-465)
Nach dem Entzug stößt er auf Gleichgesinnte, die ebenfalls wie er auf eine Vergangenheit als Künstler*innen und Drogenabhängige zurückblicken, ihm jedoch verdeutlichen, dass die Perspektive nach dem Entzug nicht ausschließlich die ist, wieder rückfällig zu werden, sondern ein Leben ohne Drogenkonsum zu führen. Er erfährt nicht nur eine Rückführung in einen geregelten Alltag, sondern wird durch die Menschen, die mit ihm im Haus leben, gleichzeitig auch an das Musikmachen und damit an seine „creative side“ (T1: Z. 466) herangeführt. Er beginnt wieder als Musiker tätig zu sein. Er beginnt zu singen, Songs zu schreiben und nimmt diese im Studio auf. Das Konzept des Musikerdaseins impliziert jedoch nicht mehr die Auffassung von ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘. Vielmehr erfährt er eine Eingliederung in das alltägliche Leben, das weniger von den Komponenten bestimmt ist, die noch zuvor in seinem Leben und dem damit verbundenen Konzept, Musiker zu sein, vorherrschten. Nach seinem Entzug und dem Leben im Sober House bleibt Johnny nüchtern. Anstatt wie zuvor jede Gelegenheit des Konsums wahrzunehmen, versucht er, sich von ihm fernzuhalten. Dass das Konsumieren von Drogen nicht mehr Bestandteil seines Lebenskonzepts ist, verdeutlicht er anhand einer Anekdote über eine Situation, in der er Xanax freizugänglich im Aufnahmestudio vorfindet: „I get to the studio and I’m probably like four or five months sober, and um, this guy, I won’t say his name but the guy that owned the studios (.) really good guy and he didn’t know I was clean and sober but so he had an isolation booth like where he tracked like u:m, vocals and like acoustic guitars, and it was separate from from the room that he was in [...] and so I go in there and he’s- I’m gonna track some acoustic guita:r, I loo:k over to the table next to me, and there is like a pile of Xanax which is (.) one of the drugs that I like really love [...] it was like somebody was in the:re and like left some Xanax [...] and here I am in the recording studio the first time sober right, and I- my- my nerves were like out of fucking out of control, like I’m so nervous so much anxiety I’m sitting with headphones on [...] ((laughing)) waiting for him and I look over and there is fucking Xanax sitting right next to me“ (T1: Z. 504-524)
In Anbetracht seiner Vorgeschichte wäre als weiterer Handlungsverlauf zu vermuten, dass Johnny der Versuchung nicht widerstehen kann und rückfällig wird. Seine wei-
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teren Schilderungen verdeutlichen jedoch, dass er an einem Punkt angekommen ist, an dem „something had changed“ (T1: Z. 528), obwohl er immer wieder in Situationen gerät, in denen er sich entscheiden muss, ob er wieder konsumiert oder sich fernhält: „I’ve had to walk through all kinds of difficult things I’ve had to make this lo:ts of lots- lots of other decisions [...] there has been a whole list of times that’s happened you know but like I’ve had heroin in front of me, and I’ve had to like to make the decision like to walk away you know (T1: Z. 559-563)
Es ist hierbei zu vermuten, dass entweder sein Suchtverlangen nicht mehr so ausgeprägt ist, dass es sein Handeln in der Situation kontrolliert, oder sich die Vorstellung über die Art und Weise, wie er sein Leben führen will, so verändert hat, dass der Konsum von Drogen in diesem keinen Bestand mehr hat: „I saw it and it was almost like, really freeing‚ because I was just like this is too funny to like actually be happening“ (T1: Z. 528f.)
Es wird hierbei deutlich, dass er seine Handlung frei bestimmen kann und nicht mehr von seinem Suchtdruck gesteuert wird. Im selben Zusammenhang thematisiert er den Fortlauf seines musikalischen Werdegangs und blickt auf die Zeit nach seinem Entzug im Sober House zurück: „I started u:m (.) you know I started playing shows in Los Angeles um I got the opportunity to start a band with some guys ((deep breathing out)) u:m I got to go to Interscope in Santa Monica record a record of songs that I wrote when I was in that sober living [...] you know with like no money and no guitar and- and like a pair of jea:ns and some like T-Shirts you know, u:m (.) so: a lot of things have happened that had just been very beautiful and almost hard to explain you know“ (T1: Z. 534-542)
Er scheint stolz auf das zu sein, was er bis dahin erreicht hat. Diese Lesart lässt sich auch aus folgender Sequenz ableiten: „like this is a two and a half million dollar house we are sitting in, I bought this house eight months ago [...] you know like that- and I am saying that like coming from a place like (.) re:ally just humility because everything that I have in my life like if- if you would have- if this was me five years ago and we were sitting here talking you would have been like this guy is fucking done [...] you know like I would have been asking you to borrow like five bucks for a pack of smokes or something or for a ride somewhere (.) or trying to go through your purse like when you’re not looking you know crazy shit“ (T1: Z. 579-590)
Der Konsum von Drogen gehört seiner Schilderung nach fortan nicht mehr zum Bestandteil seines Lebenskonzepts. Vielmehr deutet er an, dass dieser ihn bei seinem (musikalischen) Werdegang negativ beeinflussen würde. Dies macht er nicht nur an der Anekdote über seinen ehemaligen heroinabhängigen Gitarristen im Aufnahmestudio deutlich, sondern geht hierbei auf eine grundsätzliche Veränderung im Musikgeschäft hinsichtlich des Umgangs mit Drogen ein:
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„a lot- things have really changed man like the days of like you know the 80’s bands that are all fucking drunk and high getting huge record deals and showing up to the studio drunk and fucked up and breaking smashing hotel rooms and you know burning down recording studios, that shit is done [...] I can tell you like if you have a session booked at a major recording studio in Los Angeles and you’re signed on a Label and you don’t show up or you show up fucked up and you can’t perform unless you’re like a multi platinum selling artist it doesn’t work, you know“ (T1: Z. 662-669)
Anstatt erneut in den Heroinkonsum einzusteigen, versucht er, andere von dem Weg abzuhalten, den er selbst erfahren hat, oder Betroffenen zu helfen, diesen zu verlassen – so wie er selbst Hilfe erfahren hat: „I need- I needed somebody that could tell me like look man like I was strung-out for this many yea:rs, you know I almost didn’t ma:ke it, tell me their story and then just be like you can still do this like if you wanna do this you can still do it, you know anything is po:ssible, and I had some people like that“ (T1: Z. 543-546)
Er geht hierbei insbesondere auf betroffene Musiker*innen in Los Angeles ein, denen er Hilfestellung auf dem Weg in die Nüchternheit leisten möchte: „I’m in Los Angeles and there is a lot of strung-out musicians and unha:ppy sick musicians and artists, were (.) really frequently I’m meeting people that need help want help, and I get to sit down and like sometimes like [...] I get to open that door for them and be like look I’m- I can tell you like my- my story“ (T1: Z. 547-552)
Rückblickend auf seine Zeit als ‚Junkie‘ räumt er ein, dass „a lot of my life I was very very selfish self-centered person and everything was about me“ (T1: Z. 552f.). Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass er sein Verhalten auf seinen Konsum zurückführt und indirekt ebenso behauptet, dass sein Weg anders verlaufen wäre, wenn Alkohol und Drogen nicht Teil dieses gewesen wären: „it’s a lot different now you know, it looks u:m (..) it kinda looks like how I always wanted it to for a lot of years but I could never figure out how to like get it right and a big part of that was just because I had such a bad problem with drinking and using“ (T1: Z. 552-556)
Er ist zwar dankbar („being really grateful for the life I have“ T1: Z. 575) über seine „transformation“ (T1: Z. 590), gibt jedoch auch zu verstehen, dass nicht nur das Leben als ‚Junkie‘ sondern auch die Aufrechterhaltung von Nüchternheit eine Herausforderung darstellt: „yeah and I’ve had to do a lot of work you know like staying clean is no:t um (.) it hasn’t been (.) this like (.) picture-perfect (..) experience it’s been challenging you know I’ve lost a lot of friends“ (T1: Z. 556f.)
Das Programm der Suchtbewältigung ist mit dem Auszug aus dem Sober House nicht abgeschlossen. Auch im Nachhinein nimmt Johnny im Rahmen des 12-Step-Pro-
266 | Hauptstudie
gramms an Treffen Teil und nutzt diese Gelegenheit auch, um sich als Vorbild zu präsentieren und seinen eigenen Werdegang zu thematisieren.
9.5
SCHRITT 4: FEINANALYSE
Wie im vorigen Schritt bereits deutlich wurde, kann eine Feinanalyse an jeder Stelle der Analyse stattfinden. In diesem Schritt werden gezielt Textstellen einer genaueren Betrachtung unterzogen, deren Bedeutung bisher verschlossen blieb, die auffällig oder von besonderem Interesse sind. Die zu analysierenden Textstellen umfassen die Segmente 1, 33, 41, 45 und 46. 9.5.1 Segment 1: Erzähleinstieg Johnny geht zunächst nicht auf seine eigene Lebensgeschichte ein, sondern wählt seinen Einstieg in die Erzählung über seine Motivation zur Teilnahme am Interview, die er anhand einer allgemeinen Feststellung zur Rahmenthematik „Musik und Heroinkonsum“ begründet. Die Formulierung „the reason that was most interesting [...] was mostly the correlation between [...] music [...] and [...] heroin“ (Herv. MP) lässt darauf schließen, dass es neben diesem Hauptgrund noch weitere Gründe zur Teilnahme am Interview gibt. Der Hauptgrund für die Teilnahme besteht seinen Ausführungen zufolge darin, dass ihn der potenzielle Zusammenhang zwischen Musik und Heroin interessiert. Dieses Interesse liegt insbesondere darin begründet, dass er selbst abhängig war – wie er im Weiteren ausführt. Er präsentiert sich, als versuche er rechtfertigen zu wollen, warum er als Gesprächspartner für das Interview besonders gut geeignet sei. Er begründet dies insbesondere mit der Aussage „because a lot of people don’t unless you’ve experienced“. Er geht in diesem Zusammenhang auf eine fehlende Nachvollziehbarkeit von Nicht-Betroffenen ein: „you have to have experienced both things pretty intimately to understand what that looks like and what it feels like you know“. Mit „both“ bezieht er sich sowohl auf den Status, heroinabhängig zu sein, als auch darauf, Musiker zu sein. Gerade weil er beide Perspektiven vertreten könne, sei er in der Lage, über den Zusammenhang zwischen Musik und Heroinkonsum Auskunft zu geben. Es sieht jedoch einen Unterschied darin, ob diese Erfahrungen nur (einmalig) erlebt wurden, oder ob sie ‚überlebt‘ wurden: „but if you have lived it and if you gone through it it is a really different thing“. Die Formulierung ‚es zu überleben‘ könnte hierbei nicht nur auf die Drogensucht, sondern auch den damit verbundenen exzessiven Lebensstil als Musiker bezogen sein. Er stellt sich folglich als Redepartner dar, der bereits Erfahrungen in diesen Bereichen gesammelt hat und darüber berichten kann. Insbesondere fühlt er sich in der Position, Stigmatisierungen, die gegenüber Heroinabhängigen herrschen, entgegenzuwirken. Wenn er über „the stigma attached to o:h the fucking junkie musicians, and these heroin addicts“ spricht, so impliziert diese Aussage, dass nicht nur Heroinabhängigen bestimmte Merkmale zugesprochen werden, sondern explizit auch heroinabhängigen Musiker*innen. Die Zuschreibung „like it’s an epidemic and they’re, the- you know the lo:west types of people close to bums on the street“ bezieht er auch auf sich selbst, wenn er zuvor behauptet, sich selbst in dieser Rolle befunden zu
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 267
haben. Die Formulierung „it’s pretty sa:d if that was your story“ wirkt geradezu mitleidig sich selbst gegenüber bzw. in Bezug auf andere Betroffene. Johnnys Darstellungen zufolge sei der Blick, den Außenstehende auf solche Lebensgeschichten hätten, nur oberflächlich, weil er die tatsächliche Lebenswelt Betroffener nicht erfasse: „nobody wants to be a heroin addict (.) once you crossed the threshold of (..) serious drug addiction ((groaning/sighing)), it’s not a party (.) you know [...] it’s not like a vacation and it is not gla:morous“ (T1: Z. 21-24)
Johnny suggeriert mit dieser Aussage ebenso, dass es eine Grenze geben muss, mit deren Überschreitung Betroffene von der Rauscherfahrung in eine „ernste“ Drogenabhängigkeit geraten. Interessant ist, dass seinen Ausführungen zufolge offenbar jeder Betroffene – unabhängig vom sozialen Status – nach dem Überschreiten dieser Schwelle eine ähnliche Suchtgeschichte durchlaufe. Ebenso widerspricht er indirekt der Vorstellung eines glamourösen Lebensstils, der klischeehaft mit der Drogensucht einhergeht. Es ist zu vermuten, dass er hier insbesondere auf das Image von Rockmusikern wie Keith Richards, auf den er an anderer Stelle explizit zu sprechen kommt, anspielt. Johnny nimmt auch hierbei zwei verschiedene Perspektiven ein – wie aus seiner anschließenden Darstellung seiner Lebensgeschichte hervorgeht: die Perspektive des Rockmusikers, der mehrere tausend Dollar pro Show verdient und sich seinen Konsum und den damit verbundenen Lifestyle leisten kann, und die Perspektive des verwahrlosten Junkies, der in Beschaffungskriminalität gerät, um sich seine Sucht finanzieren zu können. Wenn Johnny im Folgenden seine Lebensgeschichte schildert, so scheint er damit einhergehend auf Grundlage dieser Ausführungen insbesondere transparent machen zu wollen, wie und warum er in die Drogenabhängigkeit geraten ist und welche (unbeabsichtigten) Folgen daraus resultierten. 9.5.2 Segment 33: Stigmatisierung Das Thema Stigmatisierung nimmt auch in Segment 33 einen zentralen Aspekt ein. Johnny benennt hierbei das Vorurteil, „that heroin addicts don’t- can’t stay clean“. Interessant ist zunächst die Doppeldeutigkeit dieser Aussage: dem Stigma folgend bleiben Abhängige nicht clean bzw. verfallen wieder der Abhängigkeit, weil sie dies so wollen oder sie können aufgrund bestimmter Faktoren nicht clean werden. Die Ursache für eine solche Einschätzung liegt seinen Ausführungen zufolge in der Aufstellung von Statistiken, die er als „fucking bullshit“ bewertet. Seiner Darstellung zufolge seien diese Auswertungen von Personen getroffen, „that don’t know what the fuck they are talking about“. Er knüpft hiermit thematisch also an seine einleitende Erzählung (siehe 9.5.1) und damit an die Auffassung „you have to have experienced both things pretty intimately to understand what that that looks like and what it feels like you know“ (T1. Z. 6-7) an. „if you ask any of those people like okay where did you do your where- where- who did you poll, like where did this information come from like where was the study done in the United Sta:tes in Europe in one state in one city in five cities, cause it’s all bullshit and no one will be
268 | Hauptstudie
able anybody that gives you that bullshit will never be able to explain it to you“ (T1: Z. 567570)
Er spricht diesen Statistiken zwar den Wahrheitsgehalt ab und behauptet, dass entsprechende Nachweise fehlen würden. Es scheint ihm jedoch weniger um den Inhalt dieser Statistiken an sich zu gehen – er liefert hierzu selbst auch keine weiteren Auskünfte oder Belege. Hingegen geht er stattdessen darauf ein, welche Auswirkungen solche Ergebnisse grundsätzlich auf betroffene Personen haben können. Hierbei scheint er seine Person verteidigen zu wollen und dem Vorurteil entgegenwirken, dass ‚Junkies‘ nicht clean werden können bzw. wollen. Seiner Auffassung nach suggerierten die hohen Todesraten von Drogenabhängigen, dass die Chancen, clean zu werden, nur sehr gering seien. Demotivierung und Desillusionierung als Auswirkung der Rezeption dieser Statistiken – wie er sie Betroffenen gegenüber befürchtet – habe er selbst erfahren: „when I got here I heard those numbers and it was like horryfying I was like oh my God I’m so fucked“. Mit dieser Aussage knüpft er an seine vorigen Ausführungen an, wenn er Hilfsangebote benennt, die ihm den Weg aus der Sucht geebnet haben: „I needed somebody that could tell me like look man like I was strung-out for this many yea:rs, you know I almost didn’t ma:ke it, tell me their story and then just be like you can still do this like if you wanna do this you can still do it, you know anything is po:ssible, and I had some people like that“ (T1: Z. 543-546)
Johnny zufolge sollten vielmehr Erfolgschancen von Betroffenen im Vordergrund stehen und auf Wege aus der Sucht eingegangen werden. Mit Blick auf seine eigene Suchtkarriere ist er der Meinung: „the reality is that it’s never too late for anyone to start over and- and and um (..) it just takes more work, you know especially for opiate addicts for heroin addicts“. 9.5.3 Segment 41: Erzählausstieg Im letzten Segment der Haupterzählung geht Johnny erneut auf den Zusammenhang zwischen Musik und Drogenkonsum ein. Erzähleinstieg und -ausstieg bilden somit eine thematische Rahmung. Interessant ist hierbei, dass Johnny zu Beginn seiner Erzählung noch von einem Zusammenhang „between music and (.) specifically (.) heroin“ gesprochen hat, während er nun von „the correlation between u:m (.) being an artist and the substances you know like the alcohol or the drugs“ spricht und sich somit nicht nur ausschließlich auf die spezifische Droge Heroin bezieht. Er scheint sich in diesem Zusammenhang weniger auf den Prozess des Musikmachens an sich zu beziehen, sondern deutet auf eine potenzielle Verbindung zwischen Künstlerdasein („being an artist“) und Drogenkonsum hin. Auffällig ist ebenso, dass er „the correlation between music [...] and [...] heroin“ zwar an mehreren Stellen betont, jedoch nicht weiter ausführt bzw. nicht konkret benennt, in welcher Verbindung diese beiden Komponenten zueinanderstehen. Erneut nimmt er Bezug auf die Chancen von Betroffenen, den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit zu schaffen. Auch wenn er zuvor betonte, „it’s never too late for anyone to start over“ (T1: Z. 572), gibt er nun zu verstehen: „it’s just a matter of,
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 269
some people get the chance to walk away from it and some people don’t“. Er geht in diesem Zusammenhang erneut auf das Beispiel seines Freundes und Gitarristen J. ein. Johnny gibt zu verstehen, dass seinem Freund Möglichkeiten angeboten wurden, clean zu werden, er diese aber nicht annehmen wollte. Johnny ist sich nicht sicher, ob J. an seiner Situation überhaupt etwas hätte verändern wollen: „you know and I think with J. (.) if I would have asked him like, you know (.) would you change anything (.) I can’t say that I think he-, I don’t know if he’d say he would“. An dieser Stelle wird deutlich, dass selbst vorhandene Hilfsangebote den Ausweg aus der Sucht nicht garantieren – insbesondere dann nicht, wenn die betroffene Person nicht bereit dazu ist bzw. ihr Drogenproblem nicht als solches anerkennt. Johnny reagiert in der Erinnerung an seinen verstorbenen Freund emotional. In Gedanken an seinen Freund sagt er über diesen: „and his attitude was so cool he was just always like I’m cool right now man but, you know maybe, soon I’ll stop drinking or maybe I’ll slow it down a little bit after this tour or next month or next week, a:nd um“. Hier wird eine Parallele zu Johnnys Leben deutlich. Während Johnny in der damaligen Zeit seinen Konsum unter Kontrolle zu haben glaubte und diesen lediglich reduzieren wollte, befand er sich tatsächlich schon in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Sucht. Ähnlich stellt er auch die Lebenssituation seines Freundes dar, der jedoch an einer Überdosis verstirbt. Auch in diesem Zusammenhang mit der Erzählung über seinen Freund ist Johnny der Auffassung, dass „there may have been some- some correlation with his- with his playing and with the, you know the drinking or the using“. Interessant ist, dass er hierbei auf einen potenziellen Zusammenhang zwischen dem Alkohol- und Drogenkonsum und dem musikalischen Akt des Gitarrenspiels eingeht. Zumindest leitet er hieraus eine Erklärung für J.’s Spielen ab, „cause it wa:s (.) it was incredible, you know“. Er konkretisiert diese Aussage jedoch nicht bzw. geht auf den Aspekt nicht weiter ein. Hingegen beendet er an dieser Stelle das Interview. 9.5.4 Segmente 45 und 46: Statistiken und Schlusssequenz Er geht auf das Thema Statistiken im Nachgespräch erneut ein. Auch wenn nicht bekannt ist, aus welchen Quellen er seine Informationen bezieht, erweckt seine Darstellung dennoch den Anschein, als habe er sich mit der Thematik intensiv beschäftigt. Er thematisiert die hohe Rate an Abhängigen, die in den USA im Jahr 2014 laut seiner Angabe an einer Überdosis verstorben seien. Diesmal zweifelt er die Zahlen jedoch nicht an, sondern spricht selbst von einer „empidemic“ von Drogenopfern. Er geht allerdings nicht weiter auf diesen Aspekt ein. Er erweitert seine Aussagen lediglich mit der Information, dass es sich bei den Überdosierungen nicht nur um den Konsum von Heroin handele, sondern um Mischformen: „most of those are polysubstance overdoses so, it’s not just heroin or just opiates it’s heroin and alcohol or heroin and cocaine or heroin and some type of pill righ (.)“. Neben der hohen Anzahl an Todesopfern thematisiert er auch das Einstiegsalter von Drogenkonsument*innen, welches seinen Angaben zufolge immer jünger werde. Er sieht in der nach wie vor herrschenden Tabuisierung der Thematik einen Erklärungsansatz für diese Befunde.
270 | Hauptstudie
„the more information that’s given to like younger the younger generation of people, the more people that can stand up and say he:y, like just so you know like this is the risks that you’re taking, when you step into this world u:m“ (T1: Z. 807-809)
Neben präventiver Aufklärungsarbeit zur Vorbeugung einer potenziellen Suchtkarriere sieht er insbesondere Bedarf darin, Hilfsangebote für diejenigen zu schaffen, die den Weg aus der Sucht heraus suchen. „and also just so you know like if you do step into it here is how you can step out of it if you want to you know“
Hiermit knüpft er an seine vorigen Ausführungen bzgl. Chancen von Abhängigen, clean zu werden, an und sieht seine Teilnahme am Interview als einen Versuch, Aufklärungsarbeit zu leisten. Er verdeutlicht den Ernst der Thematik und seine persönlichen Absichten wie folgt: „this isn’t- for me this is like life and death you know [...] this is um a serious serious thing that um (.) I believe (.) is really important, you know trying to help people so they don’t have to hopefully ever u:m experience u:m (.) or [...] maybe u:m (.) save some families from having to feel like what it feels like to get a phone call like he:y your son is dead, you know, he’s not gonna be around anymore cause he overdosed and died (.) you know, there is a hundred of those phone calls every day [...] you know, so, hopefully this- this helps (.)“ (T1: Z. 814-827)
Hieraus lässt sich ableiten, dass er durch die Weitergabe seiner eigenen Erfahrungen andere Menschen davon abhalten will, denselben Weg zu gehen, den er selbst als Heroinabhängiger gegangen ist. Ebenso will er Angehörige von Betroffenen vor diesen Erfahrungen bewahren. Gleichzeitig lässt sich aber auch vermuten, dass Johnny durch seine Aufklärungsarbeit ‚bereinigen‘ möchte, was er seinem Umfeld selbst an Leid durch seine Abhängigkeit zugefügt hat. Er stellt seinen Weg hierbei als ein Beispiel eines Suchtkarriere-Verlaufs dar, der in die Nüchternheit führte. Seine Motivation zur Teilnahme am Interview liegt abschließend – und das Interview damit thematisch rahmend – darin, die Botschaft zu vermitteln, dass ein abstinentes Leben selbst nach einer Alkohol- und Drogenkarriere, wie er sie durchlebt hat, möglich sei.
9.6 SCHRITT 5: KONTRASTIERUNG DER ERZÄHLTEN MIT DER ERLEBTEN LEBENSGESCHICHTE Der kontrastive Vergleich der erzählten und erlebten Lebensgeschichte wurde bereits in die vorigen Analyseschritte einbezogen. Dennoch sollen im Folgenden gesondert verschiedene Wirklichkeitsebenen – mit Rückführung auf die theoretischen Säulen Suchtgenese und Selbstkonzepte – tabellarisch dargestellt werden. Es wird neben der Lebensgeschichte, die sich anhand biographischer (faktischer) Daten im Hinblick auf Johnnys Suchtverlauf und musikalischen Entwicklungsverlauf nachzeichnen lässt, auf zwei verschiedene Perspektiven der Wirklichkeitskonstruktion der Vergangenheit der Fokus gelegt: Es wird dargestellt wie Johnny seine Lebensgeschichte in der Ver-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 271
gangenheit – bzw. aus der damaligen Gegenwart heraus – wahrgenommen hat und wie er diese aus heutiger Gegenwart heraus rekonstruiert und reflektiert. Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
bis ca. 10
(Vater hat Drogenproblem)
Musikmachen in der Kirche; Vater ist Prediger und Musiker, ihm wird das Spielen des Tamburins zugewiesen
„[...] growing up in that environment music was something that was a spiritual experience […] and music is huge part of that”
„I started playing music in my dad’s church, as a really young kid“
„I wanna play music and I’m hungry for things I’m not getting through“
„growing up in a church and watching people like singing and crying and people on the stage like dancing and freaking out and everyone was happy and there was a lot of passion involved“ 10/ 11
lernt Schlagzeug spielen; Eltern bezahlen Unterricht; Eltern beeinflussen Kunstund Musikgeschmack
„as a teenager I was actually playing a (.) a lo:t of music in the church“ „also had this really PC conservative sheltered view on the world and even music“ „I was like really hungry fo:r, other things I wasn’t getting through, you know, what was acceptable“
14
Angststörungen ® Xanax (Einstiegsdroge)
entdeckt die Gitarre; verbringt die meiste Zeit mit Gitarre spielen „that was the mo:ment“
Neugierde, gegen Gewohnheiten „I […] started to take a step back from that environment that I had grown up in“
„they wouldn’t let me play anything so I could just play the tambourine“ „there was something about me that was sort of dark and sa:d and lonely“
Konservative Wertevorstellung Eltern/Gemeinde „the music that I loved the most I think some of it had to do with the way I was raised and my childhood because it was so: black and white“
„I wanna play music and I’m hungry for things I’m not getting through“
in Bezug auf Drogen: „there was a huge stigma attached to any of that stuff“ „the motivation for picking up a guitar was like I’m in so much pain right now“
„I didn’t wanna go to my cla:sses I didn’t wanna hang out with gi:rls
11 Kursivierte Zitate wurden sinngemäß seiner Aussagen in Bezug auf seine Selbstvorstellungen für die Auflistung konstruiert.
272 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
® Isolation, Realitätsflucht
17/ 18
erste Drogenexperimente
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I) „even as a little kid there was like something about me that was sort of dark and sad and lonely and after I found that specific drug when I wound up at that place like that chemically for me like did it for me“
geht mit Songwriterin nach Nashville
experimentiert mit Drogen- und Alkohol
Alkohol (Begleitkonsum)
19/ 20
Alkohol, Kokain ® kalter Entzug ® verneint Abhängigkeit
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
I didn’t wanna play spo:rts I didn’t wanna talk to anyone about anything [...] I’m gonna be a famous musician and that’s what I gonna do for the rest of my life“ experimentiert mit Drogen- und Alkohol, bricht mit Vorstellungen der Eltern „I wasn’t doing a lot“
Einstieg in erste Band in Seattle spielt Gitarre investiert Gage in Drogen Band stellt Ultimatum: Drogen oder Musik ® er entzieht vom Kokain
„these guys were much older than me, they had really cool like long hair, and they wore leather jackets and really tight pants they always had beautiful girls with them that was like the first experience that I ha:d being in a ba:nd“ „I gonna get some more of that shit it’s like magic like I fucked all night and I felt great and then I ended up spending in a really short period like thousands of dollars on cocaine“ „I really wanted to be in this band and- I still had some element of control“
Selbstkonzept11
„[I was] caring about like how cool I looked or like what wa:s acceptable or what would impress people“ „drugs at that point really started to enter the picture of my life“ „my first drug addiction was cocaine“ ® sagt: es geht um die Musik, Handlung: entzieht, sucht sich Band, in der er konsumieren kann ® „I’m like fucking nineteen I’m just a kid“
„I’m done going to high school, I don’t need to do this ‘cause I’m just gonna play guitar“ „I wanna be a music“ „we are just gonna play music and we’re gonna fuck and we’re gonna fight and it’s gonna be awesome“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 273 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
Alkohol, erster Heroinkonsum (erst rauchen, dann spritzen)
Verlässt Erste Band
„I was like at bars drinking with some of these people that as kid I was like idolizing“
„and the progression at from that point on u:m you know as a heroin addict for a lot of years (.) I was high functioning (.) on some level [...] I just was able to manage on some level for a few years“
„I didn’t wanna go up I wanted to go down I didn’t wanna feel anything, I didn’t wanna sit and talk I wanted to be alone in in a room, listening to a record or playing guitar, and smoking a cigarette“
findet Gefallen am Lifestyle des Musiker-seins, genießt Gruppen-/ Gemeinschaftsgefühl, wird nicht verurteilt, kann sich frei entfalten, kann nicht mit Geld umgehen
„I’m a musician“
trifft sich mit Musikern aus Musikszene in Seattle
„the first time I tried heroin was at a bar with this guy [...] he was really fucked up and I could tell something was wrong […] [he] asked me if I wanted to chase the dragon [...] I don’t know what that means but it sounds exciting and I think you’re rea:lly cool“
„tha:t chemically for me like did it for me“
20/ 21
Alkohol, Heroin
Einstieg in zweite Band in New York „a bigger more established band that already put out records that had a record deal, and was touring“ spielt Gitarre Tourneen, Studioaufnahmen ® investiert Gage in Drogen
„this was like an opportunity to take everything that was happening in my life not just like drugs and alcohol but like the music“ „I feel like I became an adult as a musician like I was in a touring band, I was actually getting pai:d […] and I’m in a bus and I can have sex with girls every night and there is lots of free drugs and free alcohol“ „the overall dynamic of that group of guys was like this really intense bonded together“ „it’s about the music […] and for me that was exciting as a young kid ‘cause it felt like I’m in like this gang now“
„nobody was really gonna judge me (.) you know and that was huge for me“ „and it’s even more acceptable now (.) because now I’m in a band with six other guys that are doing the same thing, and I was in“ fühlt sich als Erwachsener, bezeichnet sich im Nachhinein aber als „a kid that’s like twenty-one“
„[I’m] hundred percent devoted to this band, to play music not having a jo:b to not having fuck you family fuck everything else in your life“
274 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
22
Heroin, Alkohol (bevorzugt Whiskey)
Studioaufnahmen in Seattle, San Francisco und Los Angeles, Wechsel von Victory Records zu größerem Label
Gemeinschaftsgefühl, gemeinsame Rituale
„another big reason for the amount of time that I was able to stretch it out as like a very active heroin addict was again just the environment that I was in“
„I’m a musician [...] I wanna be a rockstar“
„I drank a lot of whiskey and I shot a lot of heroin (.) in between that I would take pills“ Verdrängung von Einsamkeit und Eintönigkeit, Realitätsflucht
„we thought […] like this masterpiece [smiling] we were all so fucked up and had a huge recording budget to record it” „I remember thinking like this is ground breaking music, it’s gonna change the world” „there was something about that like, delu:sional (.) like place that you can live in when you’re high and drunk and playing guitar:r and in a studio, that’s exciting” „I was strung-out most of the time“
in Bezug auf musikalische Wahrnehmung: „[it] was part of that drugs and alcohol one hundred percent“ „it is fucking horrible“ Isolation, Einsamkeit: „that’s what I did for a couple of years [deep breath] as I toured, we recorded [...] I didn’t have any connections to lot of other people outside this group“
„my problem with alcohol is extremely bad“ „I started seeing some real um undeniable problems“ ® Verdrängung 22/ 23
Heroin, Alkohol, Kokain, Pillen „I drank a lot of whiskey and I shot a lot of heroin. And in between that I would take pills and do coke“
Label geht Bankrott, Zukunft der Band unklar
Gemeinschaftsgefühl „[…] being on the road was what kept everyone together […] after we recorded that record, um everybody sort of went their own ways”
Tourleben ohne Pausen, gesundheitliche Folgen (Lebererkrankung), ohne das Musikmachen verbringt er Alltag als Junkie „about a ye:ar and a half of being on the ro:ad, and not having any breaks just my body alone
„I wanna do music, everything is under control“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 275 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Abhängigkeit
22/ 23
Heroin, Alkohol, Kokain, Pillen Abhängigkeit
Band wartet auf Entscheid über die Aufnahmen, Bandmitglieder gehen getrennte Wege, er geht nach New York
„without being in a band, without playing shows it was like the first time for me where I was like holy shit, there is nothing else like I’m just getting high“
„I didn’t care because I just wanted to play“ Heroin, Alkohol, Pillen, Kokain Drogenexzesse „pretty much just opiate so heroin and other types of opiates“
Selbstkonzept11
like started to shut down, in like weird ways“
„I was in New York u:m I decided that I was going to play in another band [...] it was a huge problem for like the band I had been in [...] they were so angry with me um and I just couldn’t wait“
22/ 23
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Einstieg in 3. Band in New York, spielt Bass, große Shows (z.B. Lollapalooza) ¬ Flucht vor Junkie- Alltag, Band spielt mit Idol Iggy Pop
„I picked up a bass guitar and started playing bass in this band in New York (.) because they had a tour with the Stooges with Iggy Pop and he was like my fucking idol and I got to play lollapalooza and like these other music festivals“
„I was just shooting dope without being in a band, without playing shows“ „it was pretty scary cause it’s like I’m a fucking junkie and I couldn’t tell someone like well I’m going on tour tomorrow“
„I just want to play“ vs. „I’m a fucking junkie“
® Realitätsflucht, Aufrechterhaltung des gewohnten Lebensstils ® Sehnsucht nach Musiker-Lifestyle
Versucht Konsum zu verheimlichen, isoliert sich, kein Gruppengefühl „I was also at in this kind of weird lonely place that I hadn’t been in before because the musicians I was playing with in this new band they weren’t doing what I was doing“
„I’m a musician and I do drugs, but I’m no junkie“ „I just wanted to play and I just wanted to go on tour“
„for me it was about playing“ 22/ 23
Heroin, Alkohol, Pillen, Kokain Kontrollverlust
verpasst Shows, ist nicht mehr in der Lage einfachste Basslinien zu spielen
„I used the approach of like ‚oh fuck those guys cause that- that’s not even real music and I’m gonna start this great ba:nd‘“
„my drug use [...] while I was in that band got really really outta control“ „I started not showing up or some shows
„I’m a musician, fuck you I don’t need you“
276 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
® Rausschmiss aus der Band
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
I would be so drunk or high that I couldn’t play“ „I couldn’t keep it together [...] like the party was kind of over“
23/ 24
Methadon, Heroin Alkohol, Pillen Kokain
Gelegenheitsjobs zur Finanzierung der Sucht, Verzweiflung, Einsamkeit, Isolation
Entzug (Methadonsubstitution)
„I needed to try something else and I couldn’t get clean“
Rückfall „I promise you that I’ll try to use less heroin [laughing]“
Heroin, Methadon, Alkohol, andere Drogen
Mischkonsum Methadon Heroin, Alkohol, Pillen, Kokain ... Entzüge Rückfälle
„I am a musician“ vs. „I wanna be a musican“
® verdrängt Realität ® konstruiert sich eigene Wirklichkeit ® Kompensation von innerer Leere, fehlender Anerkennung und Ritualen
® ‚Junkie‘
24
„And then I turned into the worst type of musician the heroin addict alcoholic musician that hangs about on bars and talks about a:ll the shows that I have played, or talks about the tours that I’m gonna do that don’t exist, and talks about reliving like glory days“
„the last year I didn’t pick up a guitar [...] I couldn’t like it was almost (.) painful (..) to try“
„like what I’m gonna write like who gonna play with no one will play with me, no one wants talk to me“ „I was pretty much broken down [...] it was like no option very close to being a homeless or like a being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally“ „it’s hard to explain, you know like losing,
„like stealing borrowing friends’ guitars or amps for like sessions and then selling them on craiglist“ „and then it was just about the drugs“ „like that is the turning point […] where I went from […] the ability to have like any control to loosing all control“ „I burned like most friends that really cared about me and loved me“
„I’m a junkie“ vs. „I don’t wanna be a junkie“ „try and stay ali:ve and try and like have (.) u:m something that looks like a real life“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 277 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
„stayed for ten days, got out, was out for about a week, five days, got strung-out again, went back to the same detox again (.) so within a period of like maybe a month and a half two months I went to three different medical detoxes“
„I wanna clean up“
when you can see yourself slowly losing the desire to like be to live, you know and you lose all control over what happens and and what your life looks like“ 24
Mischkonsum Methadon Heroin, Alkohol, Pillen, Kokain ...
„physically and emotionally and maybe spiritually it’s like so exha:usting and the feeling to like walk through that process and then like fail and do it again and fail and do it again and fail“
Entzüge Rückfälle
„I was really delusional for a long time like I could convince myself that I was still (.) keeping it together that it was still working that like there is this one way if I just try it this way I’ll be okay“
24/ 25
Entzug durch MusiCares in Los Angeles 12-stepprogramme Einzug in Sober House in West Hollywood
trifft auf Musiker*innen, die ihm Instrumente und Equipment zur Verfügung stellen, erstes Herantasten ans Songwriting
„like when I first moved here I had so much anxiety” „I arrived at that house […] that was almost full of musicians, and artists, that were all sober, a lot of them had very similar stories” „the possibilities are huge and the creative part of all of our souls […] the emotions are attached to the experience“
vs. „I can’t clean up“
„I personally had to go through this like really insane (.) almost unbelievable like process, to get to where I needed to be to realize like I just (..) ‚I can’t keep doing this’ you know I can’t keep living this way“ „I walked into this place with like really no idea what I was gonna do I jad no money, no relationship to people“
„I wanna do music and being creative and express myself“
„I was also pretty fearless because a part of me kinda stopped caring about like how cool I looked or like what wa:s acceptable or what would impress people“
„everything I was like putting down and doing was, I was doing it because like it just felt right, you know“
278 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
„everything I was like putting down and doin’ was I was doing it because like it just felt right“ 3-monat. Aufenthalt im Sober House
schreibt Songs, singt, musikalischer Prozess als Ventil „I have journals [...] about things going through my hea:d and like my stories and all this stuff [...] and to tie it into like the music piece like today“
2630
Abstinenz Versuchungen (Xanax)
gründet Band in Los Angeles; arbeitet als Singer-/Songwriter; investiert sein ganzes Geld in Studioaufnahmen nimmt Songs auf und spielt Konzerte
„the things that were coming out of me [...] all my emotions all my feelings everything it was like a raw nerve like everything was there“
Kreativität als Ventil
Vergleich mit spiritueller Erfahrung in der Kindheit: „what for me what passion was about or like having a spiritual experience like really like feeling something deeper than like than like anything else almost in like fucking or even getting high or any of that, it was like the music when you- the first time you step on a sta:ge and you’re playing a song you wrote in front of people and you conne:ct with like you know whether it’s five people or five“
„to find that thing again, you know that passion for being creative u:m and being able to express myself and have it actually be real wa:s um (..) was a huge part of my, my process“
widersteht Versuchungen, konzentriert sich auf den musikalischen Prozess
er schafft es, ein abstinentes Leben zu führen, das Musikalische erhält höchsten Stellenwert
„and that was the like spiritual experience for me only because like something had changed [...] it was almost like freeing“
„a huge part of my process [...] for rebuilding my life [...] was rediscovering that creative side“
„[I wanna] express myself, I wanna be creative“ „I didn’t have any real plans […] I didn’t know what I was gonna do as far as the creative stuff“
„For a lot of years everything was numbed out and I didn’t want to feel anything and nothing was there“ „the things that came out, were [...] in the beginning like really fucking dark, you know like really heartbreaking like sad“ „I wanna be a musician but I set down the rules“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 279 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept11
Abstinenz
Reunion-Show mit zweiter Band in NYC
„it kinda looks like how I always wanted it to for a lot of years but I could never figure out how to do it right“
„I’ve had to do a lot of work […] like staying clean is not, it hasn’t been this like picture-perfect experience, it’s been challenging“
„I’m a musician, but no more sex, drugs, and rock and roll“
„like when I first moved here I had so much anxiety I was so uncomfortable that like I couldn’t sit and like talk to you for five minutes. […] and now I could probably sit here and talk to you guys for like another couple of hours“
„I get to open that door for them and be like look, I can tell you like my story“
„I’m still a muscian, but other things are more important“
Versuchungen (Heroin)
Schreibt Songs, dreht Musikvideoclips Gitarrist stirbt an Überdosis ® Bandarbeit wird nicht fortgesetzt
31
Abstinenz
arbeitet im Musikbusiness, kein professioneller Musiker mehr, Musik machen im Privaten
„being really grateful for the life I have [...] and the ability to really do whatever it is that I wanna do you know creatively or with my relationship with people [...] I mean I own two businesses [...] this is a half million dollar house we are sitting in“
„this is a serious serious thing that I believe is really important, you know, trying to help people so they don’t have to hopefully ever experience what it’s like to walk through something like being a heroin addict“ Aufklärungsarbeit, will Geschichte weitergeben, will wieder gut machen, ist dankbar
Gegenwart Alter
Sucht verlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Vorstellung von Wirklichkeit (Gegenwart)
Selbstkonzept
31
Abstinenz
kein professioneller Musiker mehr, spielt gelegentlich Shows mit alten Bandkollegen, schreibt gelegentlich eigene Songs
„playing music no:w, getting to be creative no:w, a big part of what I do is is- u:m (....) I’m meeting people that need help want help, and I get to sit down and like sometimes like [..] I get to open that door for them and be like look I’m- I can tell you like my- my story“
„doing music means to be creative, but without drugs“ „I don’t wanna be a professional musician“ „I’m trying to help people“
280 | Hauptstudie arbeitet weiterhin im Musikbusiness, steht nicht in der Öffentlichkeit
9.7
„the reason I’m willing to sit here and talk to you about this is is because, um this isn’t- for me this is like life and death you know […] this is um a serious serious thing that um (.) I believe (.) is really important, you know trying to help people so they don’t have to hopefully ever u:m experience u:m (.) what it’s like to walk through something like being a heroin addict or maybe u:m (.) save some families from having to feel like what it feels like to get a phone call like he:y your son is dead, you know, he’s not gonna be around anymore cause he overdosed and died“
ZUSAMMENFASSENDE FALLDARSTELLUNG
Johnny wächst in einem Umfeld auf, in dem er bereits als Kind an das Musikmachen herangeführt wird. Musik bzw. das gemeinsame Musikmachen werden zu einer zentralen Komponente seines Lebens. Er verbindet mit dem Prozess des Musikmachens in der Kindheit insbesondere ein Gemeinschaftsgefühl, Leidenschaft und Emotionen und bezeichnet diesen Prozess als eine spirituelle Erfahrung. Musikmachen steht für ihn in einem Zusammenhang mit Glücksgefühlen und ausgelassener Stimmung. Gleichzeitig erfährt er bereits im Kindesalter, dass seiner Offenheit und Neugierde gegenüber Neuem auch Grenzen gesetzt sind. Insbesondere seine Eltern prägen und beeinflussen seinen Entwicklungsverlauf durch konservative Wertevorstellungen. Johnny ist es zunächst nur erlaubt, das Tamburin zu spielen. Mit zehn Jahren erhält er Schlagzeugunterricht, der durch seine Eltern finanziert und vermutlich auch initiiert wird. Das Schlagzeugenspielen scheint nur einen kurzen, nicht weiter erwähnenswerten Abschnitt seines Lebens auszumachen; hingegen stellt die Entdeckung des Spielens der Gitarre einen entscheidenden Moment innerhalb seines Entwicklungsverlaufs dar. Während ihm zuvor die Eltern vorgaben, welches Instrument er zu spielen und mit welcher Art von Kunst und Musik er sich zu befassen habe, scheint er mit der Gitarre ein Instrument gefunden zu haben, dass seine eigenen Bedürfnisse befriedigt. Johnny, der sich zuvor in die Gemeinde seines Vaters integrierte und nach den Vorstellungen seiner Eltern lebte, befindet sich in einer Lebensphase, in der er gegen die vorherrschenden Werte und Normen zu rebellieren versucht. Dies beginnt bereits als er sich von den ihm zugeteilten Instrumenten (erst das Tamburin, dann das Schlagzeug) abwendet und für sich selbst entscheidet: „Ich möchte Gitarre spielen.“ Mit der Entdeckung der Gitarre beginnt er sich von seinem gewohnten Umfeld zurückzuziehen und in seine „eigene Welt“ des Musikmachens zu entfliehen. Er definiert seine eigenen Werte und beginnt sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die er für interessant, aufregend und verboten hält. Bspw. stellt die Entdeckung des „White Album“ der Beatles grenzüberschreitendes Verhalten dar, indem er sich über die Einstellungen der Eltern hinwegsetzt und sich mit Popkultur auseinandersetzt. Er
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 281
‚bricht‘ mit den ihm auferlegten Regeln und definiert diese für sich selbst. Gerade die Dinge, die durch sein Umfeld als von der Norm ‚abweichend‘ – insbesondere im Umgang mit Musik – gelten, interessieren ihn. Er zieht sich zurück, will nicht mehr am Unterricht teilnehmen, Sport machen oder sich mit Mädchen treffen. Er isoliert sich von seinem Umfeld und bevorzugt das Alleinsein. Bereits im Kindesalter leidet er unter Angstzuständen und stellt fest, „there was like something about me that was sort of dark and sad and lonely“. Aufgrund seiner Angststörung beginnt er Xanax zu konsumieren – eine Droge, die seine Neigung zur Realitätsflucht zu unterstützen bzw. zu bedingen scheint. Xanax wie auch der musikalisch-kreative Prozess wirken seinem seelischen Schmerz („I’m in so much pain right now“) entgegen. Er entwickelt an diesem Punkt eine Vorstellung darüber, wie er sich selbst sieht bzw. wie er seinen weiteren Lebensweg gestalten will. Die Drogenwirkung in Verbindung mit dem Gitarrespielen eröffnen ihm zudem den Zugang zu einer Wirklichkeitsauffassung, aus der heraus sich seine Selbstvorstellung konstituiert, für den Rest seines Lebens ein berühmter Musiker zu sein. In der ‚Welt des Musikers‘ kann er ohne Ängste und Sorgen leben, wird von niemandem verurteilt und kann sich seinen Neigungen hingeben. Insbesondere der Drogenkonsum stellt eine Neigung dar, die er in besonderem Maße mit dem Lebensstil des Musikers verbindet. Dies wird bereits im direkten Fortlauf seiner Geschichte deutlich. Johnny bricht die Schule ab, verlässt das konservative Elternhaus und geht mit einer Singer-Songwriterin nach Nashville. Er konzentriert sich jedoch weniger auf das Musikmachen. Er erwähnt fortan weder das Gitarrespielen noch geht er auf andere musikalische Prozesse in dieser Zeit ein; hingegen erzählt er über seine Zeit in Nashville lediglich, dass er Alkohol getrunken und mit Drogen experimentiert habe. Als er mit ca. 19 Jahren zurück nach Seattle kehrt, steigt er als Gitarrist in seine erste Rockband ein. Auch hier richtet er seine Ausführungen weniger auf eine musikalische Komponente seines Konzeptes, Musiker zu sein. Vielmehr geht er auf äußere Faktoren ein, die für ihn vor allem das Image eines Musikers auszumachen scheinen: lange Haare, Lederjacken, enge Jeans und „beautiful girls“. Ebenso scheint er von dem Lifestyle begeistert zu sein, der seinen Vorstellungen zufolge mit diesem Konzept einhergeht: „we are just gonna play music and we’re gonna fuck and we’re gonna fight and it’s gonna be awesome“. Aus diesen Ausführungen über seine ersten Banderfahrungen wird deutlich, dass Musik für ihn nur eine Teilkomponente des Gesamtkonzeptes ‚Musiker sein‘ darstellt. Die Außendarstellung des Musikers, „how cool I looked or what wa:s acceptable or what would impress people“, nimmt für ihn zu dieser Zeit eine offenbar zentralere Rolle ein. Getreu dem Motto ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ scheint für ihn insbesondere die Komponente Drogen an Bedeutung zu gewinnen. Die hohen Gagen, die er für Shows erhält, investiert er in deren Konsum. In dieser Zeit konsumiert er zum ersten Mal Kokain. Er wird jedoch nicht von einem seiner Bandmitglieder an die Droge herangeführt, sondern von einer von der Band unabhängigen Person. Er findet direkt Gefallen an der Rauschwirkung und verspürt ein sofortiges Verlangen nach weiterem Konsum. Obwohl er behauptet, „I still had some element of control“ gibt er im Nachhinein zu verstehen, dass Kokain die erste Droge gewesen sei, von der er süchtig wurde. Die anderen Bandmitglieder stellen ihm schließlich das Ultimatum, dass er entziehen müsse, wenn er in der Band bleiben wolle. Da es ihm zu dieser Zeit um die Band ging, lässt er sich auf den Entzug ein. Im weiteren Verlauf seines Lebensweges wird jedoch deutlich, dass es ihm nicht um die Band an sich ging, sondern darum,
282 | Hauptstudie
Teil einer Band zu sein, die für ihn den gewünschten Lebensstil verkörperte. Dies wird deutlich, als er die Band verlässt, um Teil einer anderen Gruppe zu werden, in welcher der Konsum von Drogen auch von den anderen Mitgliedern praktiziert wird. Vor allem der Konsum von Heroin wird geradezu zum Ritual innerhalb der neuen Band. Johnny wird bereits während seiner Zeit in Seattle an Heroin herangeführt. Ein zentraler Grund zum Erstkonsum von Heroin ist nicht nur seine Neugierde, sondern vor allem auch das Bedürfnis, seinen musikalischen Vorbildern nachzueifern und es ihnen auch in ihrem Drogenkonsum gleichzutun. Während er mit Musikern, die für ihn bereits in der Jugend Idole darstellten, Zeit in Bars verbringt und das Trinken von Alkohol zur Gewohnheit wird, geht er auch das Ritual des „chasing the dragon“ ein. Aus Begeisterung über seine Vorbilder und von Neugierde und Naivität geleitet raucht er mit ca. 20 Jahren zum ersten Mal Heroin. Innerhalb von nur einer Woche geht er vom Rauchen zum Spritzen über und entwickelt in kurzer Zeit eine physische wie auch psychische Abhängigkeit, die er sich jedoch in dieser Zeit nicht eingesteht. Er ist der Auffassung, dass er seinen Heroinkonsum über einen langen Zeitraum kontrollieren konnte und „hoch funktionsfähig“ gewesen sei. Dass er dies auch noch im Stadium fortgeschrittener Sucht glaubte, deutet darauf hin, dass diese Vorstellung Teil einer Wirklichkeit ist, die er unter Einfluss der Droge konstruierte. Mit dem Einstieg in die zweite Band in New York scheinen alle Komponenten seiner Traumvorstellung von ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ erfüllt zu sein. Vor allem der Drogenkonsum erhält innerhalb dieser Band einen zentralen Stellenwert. Selbst das Ereignis des Drogentodes des Gitarristen, dessen Platz Johnny fortan in der Band ersetzt, hält die anderen Bandmitglieder nicht vom Drogenkonsum ab. Dass die Band bereits Alben aufgenommen, einen Plattenvertrag hat und Tourneen spielt, komplettiert das Bild, das Johnny von seinem Konzept ‚Musiker sein‘ hat. Er kann nun alle Komponenten, die ihm wichtig erscheinen, vereinen: „it was like an opportunity to take everything that was happening in my life not just like drugs and alcohol but like the music“. Auch wenn er den Aspekt des Musikmachens betont – „it’s about the music“ – scheint jedoch vor allem erneut das Gefühl im Vordergrund zu stehen, Teil einer Gruppe zu sein – „I’m in this gang now“. Er legt sich damit ein Image zu, von dem er bereits in Kindheitstagen geträumt hatte. Er fühlt sich in dieser Situation zwar als „an adult as an musician“, was durch den Erwerb eines gefälschten Ausweises verstärkt wird. Rückblickend betont er jedoch mehrmals, dass er zu diesem Zeitpunkt erst 20 Jahre alt und damit noch ein „kid“ gewesen sei. Hiermit suggeriert er eine Rechtfertigung seines naiven und rücksichtslosen Verhaltens, das sich insbesondere in seinem Umgang mit Geld, Frauen und Drogen kenntlich macht. Er fühlt sich der Gruppe zugehörig, wird von den Bandmitgliedern nicht verurteilt und teilt ihren Lebensstil. Seine Aussage „the overall dynamic of that group of guys was like this really intense bonded together“ erinnert an seine Darstellung über das Leben und das gemeinsame Musizieren in der Gemeinde, in der er aufgewachsen ist. Die Band gibt ihm Halt, einen Zufluchtsort und die Möglichkeit, seine romantische Vorstellung des Rockmusikerdaseins auszuleben. Das aufregende Gefühl, ein Berufsmusiker zu sein, der mit der Musik sein Geld verdient, wird für ihn jedoch zunehmend zur Routine. Sein Leben besteht aus einem Wechsel aus Tourneen und Aufnahmen im Studio. Er isoliert sich und hat kaum noch Kontakt zu Menschen außerhalb der Band. Das Gefühl der Einsamkeit und Eintönigkeit verdrängt er, indem er sich in Alkohol und Drogen flüchtet. Auch sein Konsumverhalten wird zur Routine bzw. zu einem Ritual, das
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 283
von allen Bandmitgliedern gemeinsam praktiziert und zur Gewohnheit wird. Durch den Rausch der Drogen und die Abgrenzung von der Außenwelt verliert er den Bezug zur Realität. Er lebt im Tourbus, in Hotels, verbringt die meiste Zeit im Aufnahmestudio, trinkt, ist ‚high‘ und spielt Gitarre. Er sieht dieses Verhalten nicht als ‚unnormal‘ oder problematisch an, da die Mitglieder seines Umfeldes denselben Lebensstil verfolgen. Das sich durch das exzessive Konsumverhalten gesundheitliche Folgen abzeichnen, nimmt er zwar wahr, versucht dies jedoch – u.a. durch weiteren Konsum – zu verdrängen. Dass der Drogenkonsum auch seine musikalische Wahrnehmung beeinflusst, wird an den Aufnahmen, die in dieser Zeit entstehen, deutlich. Er nimmt das Album, das die Band in dieser Zeit produziert, als „masterpiece“ wahr; als „ground breaking music“, welche die Welt verändern wird. Im Nachhinein widerlegt er diese Aussage jedoch. Er wertet die Qualität der Aufnahmen ab und unterstellt seine damalige Auffassung einer rauschinduzierten Wahrnehmung. Er ist nach wie vor von der Vorstellung überzeugt, ein berühmter Rockmusiker sein zu wollen, und hofft auf den ‚großen Durchbruch‘ mit der Band. Dass die damaligen Aufnahmen der Band „fucking horrible“ waren, wie er im Nachhinein zu verstehen gibt, und er längst eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit entwickelt hatte, die sein Leben bestimmte, war nicht Teil seiner damaligen Wirklichkeitskonstruktion. Er nimmt seinen exzessiven Alkoholkonsum in der vergangenen Zeit zwar wahr, seine Heroinsucht unterschätzt er jedoch. Dadurch, dass er sich seine Sucht leisten kann und somit durch die Aufrechterhaltung des regelmäßigen Konsums keine Entzugssymptome erleidet, spricht er sich kein Drogenproblem zu. Hingegen stellt für ihn der Alkoholkonsum, auf den er auch seine gesundheitlichen Schäden zurückführt, ein größeres Problem dar. Besonders deutlich wird das Ausmaß seines Konsums in der Zeit, als sich das Label, bei dem die Band unter Vertrag steht, verschuldet und die Band nicht weiterarbeiten kann. Ohne das ständige Touren und Aufnehmen im Studio bleibt nur noch eine Komponente der Vorstellung ‚Musiker sein‘ bestehen: der Konsum von Alkohol und Drogen. Auch wenn sich körperliche Schäden immer offensichtlicher bemerkbar machen, versucht er den Gedanken, ein Drogenproblem zu haben, weiterhin zu verdrängen. Um die Leere aufgrund fehlender Rituale und Beschäftigung zu füllen, nimmt er alles an Betäubungsmitteln zu sich, was ihm zur Verfügung steht: Alkohol, Heroin, Kokain, Pillen etc. Das Gefühl, ‚high‘ zu sein, wird zu seinem Lebensmittelpunkt. Ihm wird bewusst, dass er seine Vorstellung des Musikerdaseins nicht aufrechterhalten kann, und er will nicht akzeptieren, dass er zum Junkie geworden ist. Offenbar um dieses Gefühl zu verdrängen, steigt er gegen den Willen der alten Band in eine neue ein: „I didn’t care I just wanted to play.“ Auch wenn er sich erneut einredet, dass es ihm um das Musik machen ginge und er nicht länger warten wolle, versucht er lediglich, den Status ‚Musiker sein‘ aufrechtzuhalten und damit vor allem sein Konsumverhalten zu legitimieren. Es wird ihm bewusst, dass ihm mit dem Verlust der Rolle des Musikers lediglich die des ‚Junkies‘ bleibt. Als Teil der Band gehört der Konsum von Drogen – seinen damaligen Vorstellungen nach – jedoch zum Image des Rockmusikers dazu und wird damit erneut zur Komponente des präferierten Lebensstils. Er versucht seinen Traum, ein berühmter Musiker zu sein, weiterhin zu verfolgen. Dass sich die Bedingungen dafür jedoch geändert haben, blendet er aus. Das Musikmachen scheint hierbei nur noch Teil eines Images zu sein. Er nimmt es schließlich in Kauf, als Bassist in der Band eingesetzt zu werden, obwohl er eigentlich keinen Gefallen am Bassspielen hat. Anreiz bietet für ihn die Tatsache, dass die
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Band mit The Stooges auf Tour war und somit in Kontakt mit seinem Idol Iggy Pop stand, welcher einen ähnlichen Lebensstil verkörperte wie er selbst. Der Gedanke, große Shows wie bei Lollapalooza zu spielen, knüpft an seine einstige romantische Vorstellung des Rockmusikerdaseins an. Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits weder körperlich, noch spielerisch in der Lage ist, Musik zu machen, will er nicht wahrhaben. Auch vor den anderen Bandmitgliedern versucht er seine Nicht-Funktionsfähigkeit zu verbergen. Zunehmend gerät sein Verhalten außer Kontrolle. Aufgrund seines exzessiven Drogenkonsums verpasst er Shows oder schafft es nicht, einfache Basslinien zu spielen. Da er seine Sucht vor den anderen Bandmitgliedern verheimlichen muss, isoliert er sich von diesen. Insbesondere vermisst er das Gemeinschaftsgefühl und das gemeinschaftsstiftende Ritual des Drogenkonsums, das er in der vorherigen Band intensiv erfahren hatte. Den gewünschten Zufluchtsort, den er innerhalb der neuen Band nicht findet, schafft er sich durch den Rausch der Drogen. Er versucht den Lifestyle des Musikers seiner Auffassung nach zwar fortzuführen – „I just want to play and I just want to go on tour“. Gesteuert wird er jedoch von der Droge, die ihm vorgibt, Junkie zu sein und ihn antreibt, die nächste Drogenzufuhr zu beschaffen. Selbst als sein Verhalten nicht mehr tragbar ist und sein Platz in der Band ersetzt wird, will er sich sein Suchtproblem nicht eingestehen: „oh fuck those guys cause that- that’s not even real music and I’m gonna start this great ba:nd“. Obwohl er im Nachhinein zu verstehen gibt „I couldn’t keep it together [...] that party was kind of over“, redet er sich zum damaligen Zeitpunkt weiterhin ein, Musiker sein zu wollen und einen entsprechenden Lebensweg zu verfolgen. Als er in der Musikszene jedoch keinen Anschluss findet und das Musikmachen aktiv nicht mehr ausüben kann, beginnt er, darüber zu erzählen und hält dadurch seine Konstruktion der Wirklichkeit zumindest passiv aufrecht. Er lässt die vergangenen „glory days“ wieder aufleben, indem er über vergangene Shows und Tourneen erzählt. Rückblickend auf diese Zeit gibt er zu verstehen, dass er sich eine Wirklichkeit konstruiert hatte, die zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr existierte. Aufgrund der inneren Leere, die durch den Verlust der Band und damit verbundener Tätigkeiten sowie dem Gefühl von Einsamkeit und fehlender Anerkennung verursacht wird, gerät er immer weiter in einen Kreislauf der Drogensucht. Der Drogenkonsum wird zum Eskapismus: er flieht vor der von ihm wahrgenommenen Realität und den damit verbundenen Problemen. Gleichzeitig kann er aufgrund des zunehmenden Konsums seine eigenen Vorstellungen der Realität nicht mehr aufrechterhalten. Mit Gelegenheitsjobs finanziert er seine Sucht. Da er auch diese Tätigkeiten nicht lange ausführen kann, gerät er in die Beschaffungskriminalität. Er bestiehlt Freunde und Bekannte bzw. leiht sich deren Instrumente und Equipment aus und verkauft diese über Craiglist. Hier wird der innerliche Konflikt deutlich, in dem er zu dieser Zeit steht: Er wünscht sich, Musiker und Teil einer Band zu sein, kann diesen Plan jedoch nicht umsetzen, da ihn der Suchtdruck dazu verleitet, sich ständig neue Zufuhren von Heroin zu verschaffen, um keine Entzugssymptome erleiden zu müssen. Der Konflikt zwischen seinen eigenen Handlungsvorstellungen und denen, die ihm das Suchtverlangen auferlegt, scheint einen zentralen Wendepunkt innerhalb seines Werdeganges einzuleiten. Der Konsum von Drogen ist zwar Teil seiner Auffassung, Musiker zu sein. Die Abhängigkeit von Drogen ist jedoch eine unerwünschte Begleiterscheinung und nicht Teil seines Selbstkonzeptes. Mit fortschreitendem Suchtverlauf und der Kontrolle der Sucht über seine Handlungsoptionen nimmt Johnny nicht nur die Identität des ‚Junkies‘ an. Er
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konstruiert auch seine Wirklichkeit und damit verbundene Selbstvorstellungen aus der Perspektive des ‚Junkies‘, die er durch die Abhängigkeit zwangsweise einnimmt. Als er aufgrund seiner finanziellen wie auch gesundheitlichen Lage realisiert, dass er etwas an seiner Situation ändern muss, begibt er sich in therapeutische Behandlung und versucht, vom Heroin zu entziehen. Dass sein psychisches Suchtverlangen zu dieser Zeit jedoch stärker ist als sein Wille, ‚clean‘ zu werden, zeigt sich daran, dass er jede Gelegenheit nutzt, seinen Konsum weiterzuführen. Dadurch, dass er in ein Substitutionsprogramm aufgenommen wird, erhält er Methadon, das er zusätzlich zu seinem Heroingebrauch konsumiert. Weiterhin zeigt er ein starkes Trinkverhalten und nimmt weitere Mischformen von Drogen und Medikamenten zu sich. Obwohl er dem Drogenkreislauf entkommen will, lässt er sich immer wieder von seinem Suchtverlangen steuern und führt sein Konsumverhalten fort. „Then it was just about the drugs.“ Er scheint in dieser Zeit das Konzept ‚Musiker sein‘ aufgegeben zu haben. Er trifft sich in dieser Zeit weder mit anderen Musiker*innen noch spielt er Gitarre oder ein anders Instrument. Er sagt hierzu: „I couldn’t like it was almost (.) painful (..) to try.“ Auch diesem Schmerz versucht er mit Hilfe der Droge zu entkommen und gerät immer weiter in deren Abhängigkeit. Weil er den Weg aus der Sucht selbst nicht findet und aufgrund seiner finanziellen Situation keine Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Konsums sieht, begibt er sich immer wieder in einen Entzug. Der Drogenkreislauf wird hierbei jedoch jeweils nur temporär unterbrochen. Er bricht die Entzüge entweder selbst ab oder muss die Rehabilitationszentren vorzeitig verlassen und wird rückfällig. Er hat keinen Wohnsitz, kein Geld, keine Kontakte zu Freunden oder Familienangehörigen und verliert jegliche Hoffnung, aus dem Suchtkreislauf ausbrechen zu können: „I was pretty much broken down [...] it was like no option very close to being a homeless or like a being on the streets or just like killing myself or overdosing intentionally.“ Das einzige Konzept, das er in dieser Zeit von sich selbst hat, ist, zu überleben. Seine Handlungsabläufe und Gedankengänge, welche auf die Beschaffung von Drogen abzielen, werden von seiner Sucht fremdgesteuert. Hier liegt in seiner Biographie ein weiterer Wendepunkt vor, den er auch als einen solchen bezeichnet: „like that is the turning point […] where I went from […] the ability to have like any control to loosing all control“. Erst jetzt begreift er, dass er ohne fremde Hilfe die Kontrolle über sein Leben nicht zurückerhalten wird: „it’s hard to explain, you know like losing, when you can see yourself slowly losing the desire to like to be alive, you know and you- you lose all control over what happens and and what your life looks like“. Er verfällt in Selbstmitleid, verliert seine Lebenslust und realisiert: „I can’t living that way.“ Er steht vor der Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen oder sich in einen neuen Entzug zu begeben. Auch wenn er sich für letztere Option entscheidet, verlaufen seine Entzugsversuche nach dem bisherigen Muster: er wird in ein Therapieprogramm aufgenommen, bleibt für einige Tage in der Klinik, wird rückfällig und bricht das Therapieprogramm ab. Die ständigen Rückschritte geben ihm wenig Hoffnung auf die Chance eines drogenfreien Lebens. Erst mit Hilfe von MusiCares, zu denen er in Los Angeles Kontakt aufnimmt, schafft er den körperlichen Entzug vom Heroin. Auch dem psychischen Verlangen nach der Droge schafft er, mit Hilfe eines 12-Schritte-Programmes entgegenzuwirken. Er zieht nach dem stationären Entzug in ein Sober House in West Hollywood ein. Hier wird er vor allem mit einem Problem konfrontiert, das ihn bereits seit seiner Kindheit begleitet, in den vergangenen Jahren jedoch durch die Wirkung der Drogen betäubt
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wurde: Angst und innerliche Unruhe. Anstatt sich jedoch erneut in das Fluchtloch einer durch Drogen instruierten Realität zu begeben, lernt er durch das Therapieprogramm, seine Ängste und Sorgen zu bewältigen, ohne einen Rückfall zu erleiden. Insbesondere die Musik wird für ihn zu einem Ventil, seine Emotionen auszudrücken und sie als kreativen Output nutzbar zu machen. Er trifft mit dem Einzug ins Sober House zudem auf Künstler*innen, die sich in derselben Lebenssituation befinden wie er, bzw. bereits ein nüchternes Leben führen. Während er zuvor als Teil der Bands Teil einer „community“ war, die sich vor der Außenwelt abschirmte und sich von gesellschaftlichen Normen und Gesetzmäßigkeiten absetzte, findet er im Sober House einen Zufluchtsort, der ihm die Integration in die Gesellschaft ermöglichen soll. Obwohl er weder Instrumente noch anderen Besitz hat, erhält er die Möglichkeit, seinen musikalischen Schaffensprozess wieder aufzunehmen. Er leiht sich Instrumente und Equipment von anderen Mitbewohnern und beginnt seine „kreative Seite“ wiederzuentdecken. Das Musikmachen wird für ihn erneut – wie bereits in Kindheitstagen – zu einer Art Eskapismus – mit dem Unterschied, dass er sich diesmal ausschließlich auf den künstlerischen Prozess konzentriert und dieser nicht durch die Wirkung von psychedelischen Substanzen beeinflusst wird. Andere Musiker*innen zu sehen, die es schaffen, nach ihrer Sucht ein drogenfreies Leben zu führen, spornt ihn an, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Das Therapieprogramm hilft ihm nicht nur, einen Ausweg aus seiner Sucht, sondern auch den Einstieg in einen geregelten Alltag zu finden. In seiner Lebenswelt als Musiker bestand sein Alltag zuvor aus ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘; in dem des ‚Junkies‘ aus Beschaffung und Konsumieren der Droge. Dass er nicht mehr von seinem Suchtverlangen fremd gesteuert wird, verschafft ihm zudem einen neuen Zugang zu seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen. Seine Handlungsoptionen basieren fortan auf einer neuen Konzeption von Vorstellungen, die Johnny von sich selbst hat. Das Musikmachen wird für ihn zur Ausdrucksmöglichkeit seiner Gefühle und Erfahrungen, die zuvor durch den Drogenkonsum unterdrückt wurden. Er lässt sich auf einen Prozess und damit verbundene Möglichkeiten ein, die neu für ihn sind. Seine Gedanken und Emotionen, die er seit dem letzten Entzug in Tagebüchern festgehalten hat, bieten ihm Grundlage zur Komposition von eigenen Songs. Er entdeckt hierbei als Sprachrohr und Ausdrucksmittel seine eigene Stimme, die er in musikalischer Hinsicht zuvor nur als Backgroundsänger austesten konnte. Der kreative Prozess im Sober House stellt für ihn eine Art Neubeginn dar, im Zuge dessen er sich und seine „kreative Seite“ (wieder-)entdeckt: „a huge part of my process [...] for rebuilding my life [...] was like a raw nerve like everything was there“. Dadurch, dass sich die Bedingungen und das Umfeld, in dem er nun lebt, verändert haben, scheinen sich auch die Vorstellungen darüber, wie er sich selbst sieht und wie er sein möchte, neu zu konstituieren. Während er zunächst noch ohne Orientierung ist – „I didn’t have any real play [...] I didn’t konw what I was gonna do as far as the creative stuff“, fokussiert er sich im weiteren Verlauf auf den Prozess des Songwritings. Er findet zu einer Art Passion zurück, die er vor seiner Suchtkarriere bereits im Kontext des Aufwachsens in der Gemeinde erfahren hat und welche seine Auffassung des Musikerdaseins frühzeitig prägte: „what for me what passion was about or like having a spiritual experience like really like feeling something deeper than like than like anything else almost in like fucking or even getting high or any of that, it was like the music when you- the first time you step on a sta:ge and
Falldarstellung und Fallrekonstruktion I: Johnny | 287
you’re playing a song you wrote in front of people and you conne:ct with like you know whether it’s five people or five hundred“ (T1: Z. 467-471)
Er beschreibt diese Erfahrung als „spirituell“ und befreiend. Er möchte fortan nicht mehr Teil einer Band sein bzw. in eine bestehende Formation eintreten und sich den Gegebenheiten anpassen. Vielmehr bestimmt er die Ausrichtung und Qualität seiner Musik selbst. Er sucht sich Musiker, die ihn bei der Aufnahme seines eigenen Albums unterstützen und gründet mit ihnen eine Band, um die Songs live zu präsentieren. Während mit dem Einstieg in die vorherigen Bands vor allem ästhetische und imagebildende Faktoren sein Bild des Musikers bestimmten, scheinen seine Vorstellungen, Musiker zu sein, nun vordergründig auf die künstlerisch-musikalischen Qualitäten seines Schaffensprozesses gerichtet zu sein. Er investiert seine Ersparnisse nicht mehr in seinen Drogenkonsum, sondern in die Aufnahmen seines eigenen Albums. Er legt akribisch Wert auf die künstlerische und produktionstechnische Qualität seiner Aufnahmen, so dass er teure Studios anmietet und nur mit Künstler*innen zusammenarbeitet, die seinen Ansprüchen gerecht werden. Der kreativ-musikalische Prozess scheint für ihn von so hoher Bedeutung zu sein, dass er sich selbst durch die Möglichkeit des Konsums seiner Lieblingsdroge Xanax nicht in Versuchung führen lässt und einen Rückfall riskiert. Sich den Versuchungen von Drogen, die ihm angeboten werden, widersetzen zu können, sieht er als weitere spirituelle Erfahrung und Wendepunkt seines Werdeganges an, welcher mit dem Gefühl der Zurückgewinnung der eigenen Entscheidungsgewalt, Selbstkontrolle und einer Veränderung seiner Selbstvorstellungen einhergeht. Obwohl er das Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ wieder aufgreift und sogar eine Reunion-Show mit seiner zweiten Band in New York spielt, steht dieses nicht mehr in Verbindung mit dem Konsum von Heroin oder anderen Drogen. Vielmehr werden ihm die Auswirkungen des Heroinkonsums – vor allem auf den musikalischen Schaffensprozess – am Beispiel anderer Betroffener aus seinem Umfeld bewusst. Insbesondere die Heroinabhängigkeit seines Gitarristen und engen Freundes J. lässt ihn seinen eigenen Werdegang reflektieren und stellt für ihn nicht mehr die Komponente eines ‚coolen‘ Lebensstils dar. Hingegen sieht er das Suchtproblem seines Freundes als eine musikalische und menschliche Herausforderung an, die seine Aufnahmen (negativ) beeinflusst. Generell scheint sich das Image, das mit Johnnys Auffassung des ‚Musiker seins‘ zuvor einherging, gewandelt zu haben. Dass für ihn mit dem musikalischen Prozess nicht unmittelbar ein durch ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ geprägter Lebensstil einhergeht, erfährt er insbesondere dann, als er seine Lebensgefährtin kennenlernt. Johnny macht zwar weiterhin Musik, schreibt Songs, zu denen er Videoclips aufnimmt, und spielt gelegentlich Shows mit seiner Band. Einen höheren Stellenwert in seinem Leben erhält jedoch die Beziehung zu seiner Partnerin, zu Freunden und seiner Familie, zu der er wieder Kontakt aufnimmt. Er arbeitet in den Folgejahren nicht mehr als professioneller Musiker, der mit dem Musikmachen sein Geld verdient. Dennoch bleibt er im Musikbusiness tätig und widerspricht damit der gängigen Auffassung, wie er sie selbst hatte, dass „recovered artists“ im Musikbusiness nicht mehr Fuß fassen könnten. Johnny verdient seinen Lebensunterhalt eigenständig, kann sich eine Villa in Venice Beach leisten und lebt in einer festen Partnerschaft. Kurz vor dem Interview stirbt sein Gitarrist an einer Überdosis Heroin. Johnny spielt seitdem nur noch gelegentlich Shows und schreibt Songs. Er zieht sich weitestgehend als Musiker aus der
288 | Hauptstudie
Öffentlichkeit und von der Bühne zurück. Seine Auffassung von „getting to be creative“ liegt nun darin, süchtige Musiker*innen zu treffen und ihnen Hilfe anzubieten: „I get to open that door for them and be like look I’m- I can tell you like my- my story“. Er nimmt an Treffen der AAs und NAs teil und berichtet von seinen Erfahrungen. Er ist der Auffassung, dass er aufgrund seines damaligen Verhaltens und der vielen Hilfsangebote, die er erhalten habe, „etwas wieder gut machen müsse“. Seine Mission, die er sich selbst auferlegt, und die Botschaft, die er an Betroffene richtet, gehen aus dem Interview deutlich hervor: „the reason I’m willing to sit here and talk to you about this is because, um this isn’t- for me this is like life and death you know […] this is um a serious serious thing that um (.) I believe (.) is really important, you know trying to help people so they don’t have to hopefully ever u:m experience u:m (.) what it’s like to walk through something like being a heroin addict or maybe u:m (.) save some families from having to feel like what it feels like to get a phone call like he:y your son is dead, you know, he’s not gonna be around anymore cause he overdosed and died“ (T1: Z. 813-824)
10.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe
10.1
KONTAKTAUFNAHME UND BEGEGNUNG
Die Kontaktaufnahme zu Pepe wurde durch den Co-Interviewer initiiert. Stanley war mit Pepe in seiner Jugend befreundet. Nachdem er per SMS Kontakt zu Pepe aufnahm, erklärte sich dieser sofort zur Teilnahme am Interview bereit. Ein Treffen mit Pepe erwies sich dennoch als schwierig, da er immer wieder Termine vorschlug und kurzfristig wieder absagte. Pepes Unzuverlässigkeit deutete darauf hin, dass er sich in einem ‚on‘/‚off‘-Zustand1 seiner Drogenabhängigkeit befand. Da Pepes aktuelle Lebensverhältnisse sowie seine physische und psychische Verfassung zunächst unklar waren, wurde das erste Treffen dazu genutzt, Faktoren zum Ein- oder Ausschluss der Teilnahme am Interview zu überprüfen. Die Erstbegegnung mit Pepe fand im Mai 2015 statt. Stanley und ich trafen uns mit Pepe in einem Park in Culver City. Aufgrund seiner stark verkleinerten Pupillen und eines bereits nach drei Stunden einsetzenden Suchtdrucks – und dem damit verbundenen Verlangen nach einer Heroininjektion – wurde deutlich, dass Pepe nach wie vor aktiver Heroinkonsument, in einem weit fortgeschrittenen Stadium seiner Sucht und somit nicht für die Teilnahme an einem Interview geeignet war. Der Kontakt zu Pepe blieb nach dem Treffen bestehen. Fortan erkundigte ich mich mehrmals wöchentlich nach dem Befinden des Konsumenten. Im Juli 2015 teilte Pepe mir schließlich mit, dass er sich dazu entschlossen hätte, vom Heroin zu entziehen. Nach einer erfolgreichen Entgiftung fand das nächste Treffen mit Pepe im August 2015 statt. Pepe zeigte sich nüchtern und weiterhin bereitwillig zur Teilnahme am Interview. Ich beobachtete Pepes Zustand und seine Lebensverhältnisse jedoch zunächst über einen Zeitraum von mehreren Wochen, um das Risiko von Negativfolgen, die aus der Interviewsituation hätten hervorgehen können, einschätzen zu können. Nachdem sich Pepes Lebensverhältnisse und sein körperlicher wie seelischer Zustand stabilisiert hatten, fand das Interview mit Pepe im September 2015 statt. Da ich das Vertrauen zu Pepe über den Zeitraum, in dem ich ihn seit dem ersten Treffen per E-Mail,
1
Hiermit wird unter Drogenkonsument*innen eine Phase des Drogenkonsums bezeichnet, die immer wieder durch kurze Phasen der Abstinenz unterbrochen wird.
290 | Hauptstudie
Telefon oder persönlich vor Ort begleitete, gewinnen konnte, verlief das Interview mit ihm ohne den Co-Interviewer. Wir trafen uns an der Strandpromenade zwischen Venice und Santa Monica Beach. In dieser Region wuchs Pepe nicht nur auf; es war auch der Ort, an dem sich der ehemalige Drogenkonsument mit seinen Dealern traf. Er zeigte mir, an welchen Treffpunkten er sich mit seinen Dealern verabredet und wo er die Drogen konsumiert hatte, die er erwarb. Er führte mich zu Schauplätzen am Strand, an denen er mit seinen Freunden in der Jugend ‚jammte‘ und übernachtete, wenn er keinen festen Wohnsitz hatte. Auf Pepes Wunsch wurde das Interview auf einer Rasenfläche im Dorothy Green Park geführt. Pepe erhielt bereits im Vorfeld die Probandeninformation und die Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Interview. Dennoch wurden die Bedingungen zur Teilnahme am Interview erneut besprochen. Obwohl er die Dokumente nicht unterschreiben wollte, stimmte er den Inhalten dieser zu – wie er auch zu Beginn des Interviews verkürzt zu verstehen gibt: „I’ve read your information on the research and I’m doing this on my own free will“ (T2: Z. 3f.). Es ist kritisch anzumerken, dass ich an mehreren Stellen der Haupterzählung durch Nachfragen und kurze Kommentare intervenierte und somit Pepes Redefluss beeinflusste. Obwohl ein solches Verhalten im Zuge des gewählten Erhebungsverfahrens vermieden werden sollte, konnte der Redefluss dennoch aufrechterhalten werden. Weitestgehend versuchte ich mich zurückzuhalten und ausschließlich durch Gesten und verbale Kundgebungen („mhm“, „yeah“, „yah“ etc.) aufmerksames Zuhören und Mitfühlen zu suggerieren. Pepe machte während des Interviews keine Andeutungen, dass er sich durch die Gesprächssituation unwohl fühle oder das Interview sogar abbrechen wolle. Vielmehr ließ er sich in seinem Redefluss kaum unterbrechen und führte seinen Monolog bis zum Nachfrageteil selbstbewusst aus. Nach 90 Minuten wirkte Pepe zwar deutlich erschöpft, jedoch nicht emotional erregt. Hingegen schien er erleichtert und sich in seinem Entschluss, ein drogenfreies Leben zu führen, bestärkt zu fühlen. Um das Gefühl der Selbstbestätigung zu unterstützen, forderte ich Pepe zum Abschluss des Interviews auf, eine Botschaft an diejenigen zu richten, die sich in einer ähnlichen Lebenslage befinden. „it’s not impossible to stop, it’s hard and it seems like it’s gonna last forever, but if you just do it and get off and do whatever it takes to stay off (.) then, you get to discover it what forever it really is and what it really needs (.) you know let me be one of those people that has done it for you, don’t go do twenty years let me already have done it for you, so that you don’t have to go do it (.) there is no reason (.) for anyone to do that“ (T2: Z. 991-995)
Ich leitete mit diesem letzten Impuls den Abschluss des Interviews ein, beendete schließlich die Interviewsituation und stellte zunächst keine weiteren Nachfragen. Da ich den Kontakt zu Pepe nach dem Interview weiterhin durch regelmäßige Treffen aufrechterhielt, konnten offene Fragen oder Unklarheiten im Nachhinein besprochen werden. Bis heute besteht ein regelmäßiger Kontakt zu Pepe. Er ist nach wie vor rückfallgefährdet. Als Studienteilnehmer schreibt er sich die Rolle des Verantwortungsträgers zu, der als positives Beispiel für einen Suchterkrankten stehe und nach jahrelangem Konsum den Weg in ein drogenfreies Leben gefunden habe. Seine Motivation, anderen Betroffenen ein Vorbild zu sein und sie auf dem Weg aus der Sucht
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 291
zu unterstützen, helfe ihm, seinem immer wieder auftretenden Suchtdruck entgegenzuwirken. Der Interviewte beteuert auch im Nachhinein, dass die Teilnahme am Interview keine Negativfolgen hervorgerufen habe – im Gegenteil: Die Möglichkeit der Teilnahme am Interview sei u.a. Beweggrund dafür gewesen, dass er überhaupt zu einem erneuten Entzug nach dem ersten Treffen eingewilligt habe. Pepe hofft, dass durch seine Geschichte anderen Betroffenen, die ebenso versuchten, den Weg in ein drogenfreies Leben zu finden, geholfen werden könne. Pepe gibt ebenso zu verstehen, dass er sich über die (wissenschaftliche) Aufmerksamkeit der Thematik ‚Heroinabhängigkeit unter Musiker*innen‘, welche durch das Projekt erzeugt werde, freue.
10.2
SCHRITT 1: ANALYSE DER BIOGRAPHISCHEN DATEN
10.2.1 Chronologische Daten des Biographen (gelebtes Leben) (Analyse II: Pepe) Jahr
Alter
Daten
1977
0
wird in UCLA Hospital in Los Angeles geboren, 2. Kind, Eltern aus Mexiko, Vater ist Alkoholiker, wächst in Santa Monica auf
1982
5
Bruder wird geboren (hat noch eine jüngere Schwester, Datum der Geburt unklar)
1983
6
geht zur Grundschule (elementary school)
1983/84
6/7
Vater verlässt Familie beginnt Violine zu spielen
1987
10
geht zur Junior High School
1989/90
12/13
wird durch Schulfreund Jonas im Gitarrespielen unterrichtet
1990
ca. 13
zieht zum Vater
1991
ca. 14
geht zur High School
1992
15
Bandgründung XY mit High School Freunden, er ist Sänger Jonas geht aufs College
1993
16
lernt Schlagzeug spielen, gründet Band YZ, erhält Endorsement zieht zur Mutter erster Job
292 | Hauptstudie
Jahr
Alter
Daten zieht in Zimmer in Apartment von 32-jähriger Frau ein ‚Drop-off‘ High School, bricht Schule ab geht mit Band auf Tour (San Diego bis Kanada, College Campus Gigs)
1995
18
Jonas kommt zurück, Recording
1996
19
raucht zum ersten Mal Heroin
1996
ca. 20
produziert Hip Hop Künstler in LA
1997
ca. 21
erster Entzug außerhalb LA (Treatment Center, finanziert durch befreundeten TV-Produzenten2)
1997
21
geht zurück nach LA
1997/98
21
wird rückfällig, beginnt Heroin zu spritzen
2006
ca. 28
Entzug, geht Beziehung ein, Job in Rehab, erhält Hund Bobbie erhält Angebot von Interscope Records
2007/08
ca. 30
verliert Job
2007/08
ca. 30
wird wieder abhängig, wird Vater nach One-Night-Stand mit bester Freundin geht für Entzug nach Michigan zur Ex-Freundin geht zurück nach LA, spielt in verschiedenen Formationen Schlagzeug oder singt spielt beim Coachella Festival, geht auf Tour muss ins Gefängnis wird obdachlos zieht zum Vater nach Anaheim, arbeitet auf dem Bau
2
2015
37
zieht zu älterem Bruder nach Culver City in Los Angeles
Mai 2015
37
erstes Treffen mit Interviewerin in Los Angeles
Juli 2015
38
Entzug in San Francisco
Diese Information geht aus einem Nachgespräch hervor.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 293
Jahr
Alter
Daten
Aug. 2015
38
Rückkehr nach LA, zieht bei älterem Bruder ein, geht Partnerschaft ein
Sep. 2015
38
Interview
10.2.2 Strukturhypothesen zum gelebten Leben (Analyse II: Pepe)3 Pepe wird im Juli 1977 im UCLA Hospital in Los Angeles geboren. Er wächst als zweites Kind einer mexikanischen Einwandererfamilie in Santa Monica auf. Fünf Jahre nach seiner Geburt kommt sein zweiter Bruder zur Welt. Er hat außerdem eine jüngere Schwester, deren Geburtsjahr er jedoch nicht erwähnt. Zunächst lebt er mit seiner Familie in Santa Monica in einem kleinen Apartment. Musikmachen ist bereits seit der Kindheit Teil seines Lebens. Sein Vater ist Sänger und hört mexikanische und spanische Musik sowie Latin und Popmusik. Pepe wird an diese Musik schon im Kindesalter herangeführt. Er erfährt jedoch auch, dass sein Vater Alkoholiker ist und sich nicht um die Familie kümmert. Als Pepe in der ersten Klasse der Grundschule ist, verlässt der Vater die Familie. Er wächst fortan allein mit der Mutter und den Geschwistern auf. Pepe macht in seiner Kindheit und Jugend viel Sport – insbesondere favorisiert er Football und Skateboarding. Im Grundschulalter beginnt Pepe, Violine zu spielen. Im zweiten oder dritten Jahr seiner Zeit in der Junior High School wird er durch seinen Freund Jonas im Gitarrespielen unterrichtet. Zu diesem Zeitpunkt besitzt er noch kein eigenes Instrument. Sein Bruder spielt zwar auch Gitarre, erlaubt ihm aber nicht, sein Instrument zu benutzen. Seine erste Gitarre erhält Pepe von dem berühmten Musiker Jackson Browne, als dieser ihn während einer Geburtstagsfeier seines Neffen, mit dem Pepe befreundet ist, spielen hört. Durch Jackson Browne und andere etablierte Musiker erhält Pepe bereits frühzeitig einen Zutritt in die damaligen Musikszenen in Los Angeles. Da die Mutter mit seiner Erziehung überfordert ist, muss Pepe mit 13 Jahren zu seinem Vater ziehen, zu dem er über fünf Jahre nach dem Verlassen der Familie keinen Kontakt mehr hatte. Während Pepe auf die High School geht, gründet er mit Jonas und anderen Freunden die Band XY4, in der er die Rolle des Sängers übernimmt. Sie spielen u.a. Konzerte mit lokalen Bands wie Incubus. Zusammen mit dem Gitarristen schreibt er zudem die Songs für die Band. Als Jonas aufs College geht und Los Angeles verlässt, bringt Pepe sich autodidaktisch das Schlagzeugspielen bei und gründet die Punk-Rock-Band YZ. In einem Gespräch, das nach dem Interview geführt wurde, berichtet Pepe über diese Zeit: „right around that time there was a scene, a group of kids on the Westside that were of diehard about being musicians, all playing the same shows, all opening up for the same bands.“ In dieser Umgebung macht er auch seine ersten Erfahrungen mit Rauschmitteln. Er trinkt in dieser Zeit Alkohol, raucht Weed und probiert Ecstasy
3
4
Die hier erwähnten biographischen Daten und Hintergrundinformationen sind nicht nur dem Interview-Transkript zu entnehmen, sondern wurden auch in Memos festgehalten, die im Vorfeld des Interviews im Zuge der Erstbegegnung angefertigt wurden. Aus Datenschutzgründen werden im Folgenden die Namen der Bands nicht genannt.
294 | Hauptstudie
und Kokain. Nachdem er mit 16 Jahren zunächst wieder bei der Mutter wohnte, zieht er mit ca. 18 Jahren5 in das Apartment einer 32-jährigen Frau. Er geht mit seiner Band auf eine Campus-Festival Tour, die ihn von San Diego bis Kanada führt. Seinen Lebensunterhalt finanziert er sich durch einen Job, den er nach dem Abbruch der Schule in Los Angeles annimmt. Mit 19 Jahren kommt er durch seinen Freund Jonas, der aufgrund eines Drogenproblems das College verlassen muss und nach Santa Monica zurückkehrt, zum ersten Mal mit Heroin in Berührung. Zunächst raucht er die Droge. Pepe und Jonas beginnen zusammen Hip Hop zu produzieren. Recording und die Arbeit im Studio werden für Pepe zur Hauptbeschäftigung. Nach ca. vier Monaten des Heroinkonsums bemerkt er erste Entzugserscheinungen, wenn er die Droge seinem Körper nicht in regelmäßigen Abständen zuführt. Ein Jahr nach dem Erstkonsum geht er seinen ersten Entzug in einem Treatment Center außerhalb von Los Angeles ein, den ihm ein befreundeter TV-Produzent finanziert. Als er zurück nach Los Angeles kehrt, wird er in seinem gewohnten Umfeld, in dem – seinen Aussagen zufolge – 15 von 20 Musikern heroinabhängig waren, rückfällig. Zudem steigert er die Intensität seines Heroinkonsums, indem er sich die Droge fortan intravenös verabreicht. Zehn Jahre nach seinem ersten Heroinkonsum, er ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt, begibt er sich erneut in den Entzug. Er schafft es, für zwei Jahre ein abstinentes Leben zu führen. In dieser Zeit lebt er in einer festen Partnerschaft und nimmt einen Job in einer Rehab an, in der er andere Betroffene auf dem Weg in ein drogenfreies Leben unterstützt. Er lebt mit seiner Freundin und seinem Hund in einem Apartment in Santa Monica. Er bewegt sich in dieser Zeit in einer Musikszene, zu deren Protagonisten auch Mark Lenegan, Jackson Browne, Tom Petty und Perry Farrell gehören. Die Band, in der er Schlagzeug spielt, erhält ein Angebot für einen Plattenvertrag von Interscope Records. Da das Label jedoch hauptsächlich an ihm und dem Sänger interessiert ist und Pepe die Konditionen des Vertrages nicht gefallen, lehnt er diesen ab. Nachdem ihn sein Arbeitgeber kündigt, wird er erneut rückfällig. Er erfährt in dieser Zeit außerdem, dass er Vater eines Sohnes ist, den er mit seiner besten Freundin während eines One-Night-Stands gezeugt hatte. Der Sohn wächst bei der Mutter der Kindesmutter auf, welche Pepe verbietet, den Sohn zu sehen. In den folgenden acht Jahren durchläuft er mehrere Therapieprogramme. Auch die Hilfe von MusiCares nimmt er in Anspruch. Er bricht jedoch jedes Programm ab oder wird nach Abschluss des Programmes rückfällig. Für einen weiteren Entzugsversuch reist er zu seiner Ex-Freundin und deren Freund nach Michigan und begibt sich unter ihrer Aufsicht in einen kalten Entzug. Nachdem er diesen vollzogen hat, bleibt er zunächst in Michigan. Er hat zu dieser Zeit eine Freundin. Erneut nimmt er Kontakt zu Dealern auf und wird rückfällig. Der Vater seiner Freundin, der ihn nicht als Freund seiner Tochter akzeptiert, bietet Pepe eine hohe Geldsumme, damit er die Stadt verlässt. Pepe geht auf das Angebot ein, fliegt zurück nach Los Angeles und investiert das Geld in seinen Heroinkonsum. Er spielt weiterhin in verschiedenen Formationen Schlagzeug oder singt. Ebenso spielt er in dieser Zeit beim Coachella Festival und geht mit verschiedenen Bands auf Tournee. Keines seiner weiteren Engagements wird jedoch kommerziell erfolgreich. Er muss schließlich sein gesamtes Equipment
5
Die Chronologie bzw. Terminierung der biographischen Daten geht aus seinen Ausführungen nicht eindeutig hervor.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 295
verkaufen, um seine Sucht finanzieren zu können. Nachdem er über drei Jahre keine Musik macht, aufgrund von Drogenbeschaffungskriminalität ins Gefängnis muss und im Anschluss obdachlos wird, zieht er zu seinem Vater nach Anaheim, wo er auf dem Bau arbeitet. Inzwischen lebt er bei seinem älteren Bruder in Los Angeles. Hier findet im Mai 2015 die erste Begegnung mit der Interviewerin statt. Er ist zu diesem Zeitpunkt aktiver Heroinkonsument. Er macht keine Musik mehr, redet aber über die vergangenen Zeiten und schwärmt von ehemaligen Bandprojekten. Zwei Monate später entschließt er sich, einen weiteren Entzug einzugehen. Er geht zunächst nach Anaheim zu seinem Vater, der ihn finanziell unterstützt. Daraufhin fährt er nach San Francisco, wo er bei einer ehemaligen Drogenkonsumentin und engen Freundin von ihm einen weiteren kalten Entzug eingeht. Er entgiftet über einen Monat, ehe er wieder bei seinem Bruder in Los Angeles einzieht. Zurück in LA trifft er auf die ExFreundin seines Freundes Jonas; die beiden werden ein Paar. Das Interview mit Pepe findet im September 2015 statt. Pepe ist nach dem Entzug bis zum Zeitpunkt des Interviews nicht rückfällig geworden. Das Suchtverlangen und Schlafstörungen kompensiert er mit langen Sporteinheiten. Die meisten seiner ehemaligen Musikkollegen haben keinen Kontakt mehr zu ihm oder sind bereits verstorben. Im Privaten schreibt er Songs und spielt Gitarre. Er ist kein professioneller Musiker mehr, der mit dem Musikmachen sein Geld verdient. Insbesondere erhält er in dieser Zeit Unterstützung von seiner Partnerin. Im Oktober 2015 verlobt sich das Paar, worauf im Oktober 2016 die Hochzeit folgt. In der Zwischenzeit erleidet Pepe zwei Rückfälle, die durch das Aufeinandertreffen mit abhängigen Freunden eingeleitet werden. Sie überreden ihn, gemeinsam mit ihnen zu konsumieren. Pepe schafft es jedoch, sich nach kurzen Phasen des erneuten Konsums dem Heroin wieder zu entziehen. Nach seiner Hochzeit versucht Pepe jedoch vergeblich, einen geregelten Lebensrhythmus zu finden. Er kann keinen Job durchhalten und muss sich von seiner Frau finanziell aushalten lassen. Auch seine musikalischen Pläne, die er mit Antritt des drogenfreien Lebens aufstellt, kann er nicht umsetzen. Er schreibt Songs für ein Album, das er aufnehmen will, und trifft sich gelegentlich mit Freunden zum ‚Jammen‘. Er verliert jedoch immer wieder den Antrieb, Ideen für musikalische Projekte zu realisieren. Nach einem Rückfall Ende 2017 wird er erneut abhängig von Heroin. Da er fortan den Weg in ein abstinentes Leben eigenständig nicht findet, geht er Anfang 2018 einen weiteren Entzug ein. Seine Ehefrau unterstützt ihn dabei. Nachdem er trotz Entgiftung immer wieder rückfällig wird, trennt sich seine Partnerin (räumlich) von ihm. Pepe entzieht erneut von der Droge. Im Mai 2018 ist Pepe clean und nimmt einen Job in einem Musikgeschäft in Los Angeles an. Mit dem Geschäftsführer und weiteren Bekannten gründet er eine Band, in der er als Schlagzeuger tätig ist. Er lebt weiterhin von seiner Ehefrau getrennt. Seitdem Pepe ein abstinentes Leben führt, darf er seinen Sohn wieder regelmäßig sehen.
296 | Hauptstudie
10.3
SCHRITT 2: TEXT- UND THEMATISCHE FELDANALYSE
10.3.1 Textsorte und thematische Felder (Analyse II: Pepe) Seg.
Zeile
Textsorte
i.
1
Erzählaufforderung
1.
3-5
Argumentation
Thematisches Feld
„I’m doing this on my own free will“ Informationsschreiben, Einwilligung zur Teilnahme, freier Wille „I’ve read your information on the research and I’m doing this on my own free will“
2.
6-14
Erzählung (Bericht) (kurze Argumentation aufgrund von Unterbrechung durch Interviewerin)
3.
14-21
Erzählung (Geschichte)
„that’s as simple as it can be“ demographische Daten, Lebensdaten, familiäre Situation „I’m thirty eight years old, I grew up right here in Santa Monica California, I have two brothers and a sister, my parents are from Mexico, I grew up with my mother, my father was not in my life, a:nd I went to elementary school and Junior High School and High School all in the city [...] my life as I remember starts here in this town“ „my father was an alcoholic“ Alkoholabhängiger Vater, Verhältnis MutterVater, Sucht/Abhängigkeit, Vaterrolle „the idea of addiction was probably ingrained in head from a very young age [...] my father was that kind of person that was amazing when he came home and saw us children but when it came to responsibilities he was really bad, so he was a great father but as far as like a husband and paying the bills and being responsible he was not good“
4.
21-29
Erzählung (Geschichte)
„so my father left my life when I was […] six years old“ Vater verlässt Familie, alleinerziehende Mutter, Verlust „it was probably really hard on my mum, and I was very upset about my father being gone, again (.) I didn’t used to know that I used to think I was okay about it but I wasn’t about it“
5.
29-36
Erzählung (Geschichte)
„and five years later he came back“ Rückkehr Vater, Kontrollverlust, Einzug bei Vater, fehlende Vater-Sohn-Beziehung
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 297
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I was just outta control (..) so I was sent to go live with my father when I was like […] twelve thirteen years old […] living with somebody that you don’t know, but knowing that they are your father, is really hard […] not knowing and not knowing how to talk to hi:m, not knowing what upset hi:m (.) which is too much to ask of any kid, it’s too much responsibility for any kid“
6.
36-44
Erzählung (Geschichte)
„I raised myself“ Kindheit, Erziehung, Autoritäten, Fantasiewelt, Flucht vor Zuhause „I didn’t listen to my mum, and I didn’t listen to my dad, I listened to myself, and I listened to the streets and I listened to my friends on the streets and I had listened to: (.) anything that was outside of my house the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tail land, it was like going and living somewhere where everything was oka:y, and I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit“
7.
44-48
Erzählung (Geschichte)
„the artistic part of my life began very young“ künstlerischer Teil, Heranführung an Kunst, Photographie, Filme „a really close friend of mine [...] introduced me to art“
8.
48-56
Argumentation (Evaluation)
„that’s what makes us an artist“ Status ‚Künstler‘, Abgrenzung, Verstehen, Unterhaltung „I understand those things [...] when you take o:n those types of things and you understand them that differentiate you that=that separates you from a person who’s an artist and a person who’s not an artist because most of the people in society are not artists“
9.
56-59
Erzählung (Evaluation)
„like the art organ it felt like just like something that was inside of me“ „art organ“: intrinsisch, angeboren „I lo:ved anything that was no:t (.) something you learned in school, something that you not taught, it felt like something I was born with, it felt like something that was part like another organ“
10.
59-68
Erzählung (Bericht)
„I always loved music“ Liebe zur Musik, bester Freund, Offenheit gegenüber musikalischen Genres, Unterricht
298 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I met my best friend […] he showed me like how to play the songs that I loved […] he was showing me an inside- sco:op an inside vision on (.) what was happening and why”
11.
68-75
Erzählung (Geschichte)
„and that’s the beginning of my music (.) adventure, my music experience my music relationship“ Gitarrenunterricht durch Freund, erster Kontakt mit Instrument, erste musikalische Erfahrungen „his guitar teacher would teach him music (.) and because I couldn’t effort guitar lessons when his teacher would leave he would call me and he would say hey (.) come over (.) I wanna show you what I just learned, that’s how I learned how to play guitar“
12.
75-79
Erzählung
„I got a guitar (.) a:nd (.) started my first band“ Beziehung zu Freund, Reaktion des Freundes, Talent, erste Band „I was able to learn things very things very fast and I was able to surpass him and become a better guitar player than him“
13.
79-89
Erzählung
„all wanna go do is playing music and don’t you don’t give a shi:t [...] about anything else“ Anfangszeit der Band, Teenager, (musikalische) Einstellung, Unschuld „it used to be so rea:l and so pure and so: innocent [...] we were just kids that love music that just learned how to play their instruments and all they wanna do is share it with somebody else and all they wanna do is play with other people“
14.
89-94
Erzählung, Argumentation
„I got to meet […] some pretty famous musicians […] that had a big influence on me“ Idole/Vorbilder, Einfluss, Anweisung Gitarre zu spielen „these people were always telling me like you have to keep playing music, this it is what you are meant to do [...] I became (.) extremely obsessive about how I play the guitar“
15.
94-102
Erzählung
„it’s always been fun (.) until [..] until it stopped being fun“ Multiinstrumentalist (Gitarre, Bass, Schlagzeug), Selbststudium, Talent, Spaß
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 299
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „every other year or something I would find an new instrument, and I would learn that instrument by myself- even if I didn’t own the instrument, if I never didn’t have one in my house I learned it and I became better at it than anybody else that I knew“
16.
102-114
Erzählung (Bericht), Anekdote
„when […] I was sixteen years old“ Lebensumstände, Einzug bei Mutter, eigener Job, lebt in Apartment von 32-jähriger Frau, bricht Schule ab „began to live with my mother again, and I dropped at school I was like fuck school [...] had my own apartment, I had my own car, I ha:d- I was paying rent and had a job, and I was sixteen years old“
17.
114-126
Erzählung (Geschichte)
„best friend […] came back and was addicted to heroin“ Rückkehr des besten Freundes, Alkohol- und Drogenerfahrung, Heroin, Rauschwirkung „I didn’t know what heroin was I didn’t know what anything was […] something was changed […] he seemed kinda=u:m (.) doll and slo:w and unimpassioned and unmotivated, but he could still play music really well“
18.
126-133
„I learned (.) to no:t like music and I learned what heroin was“ Recording, Job, Freund ist zurück, Heroinabhängigkeit, Interessenverlust „we started recording music together [...] the positive was that I had my friend back in my life (..) bu:t the two negatives (..) the two negatives were tha:t I learned (.) to no:t like music and I learned what heroin was, at the same time“
19.
135-142
Argumentation
„it became work for me“
(Nachfrage Interviewerin)
Arbeit, Gewohnheit, Anweisungen, Geld verdienen, berühmt werden „for a lo:ng time after that I became adjusted it became habit it became normal for me to think that way, oh my music has to sound this way because I need- like be fa:mous and I wanna make money“
20.
142-152
Argumentation
„I don’t really give a fuck about that music industry (.) anymore“ Gegenwartsperspektive, professioneller Musiker vs. Independent-Musiker, DIY, Musikindustrie
300 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I don’t give a fuck if I make money of music, I would rather go and play guitar in my bedroom and be happy and write a song for my mum or my girlfriend or you or anybody [...] I- would never whore myself to the music industry I would never try to work for the music industry if I ever record music ever again“
21.
152-64
Argumentation
„I don’t wanna be a professional musician“ Vorstellung ‚Musiker sein‘ Gegenwart, Auffassung von professionellem Musikerdasein „I don’t wanna be produced, I don’t care about it, I don’t wanna be managed I don’t care about it, I don’t wanna be a professional musician I don’t need to be on a stage I don’t need my ego stroked I don’t need any of that shit (.) I just wanna be a guy who plays guitar in his bedroom who writes a song and sings“
22.
172-175
Erzählung (Geschichte) (Nachfrage Interviewerin)
„how am I gonna be a rockstar“ Vorstellung ‚Musiker sein‘ Vergangenheit, Rockstar, berühmt sein, Perfektion, Erfolg „between eighteen and nineteen and twenty, it’s all I thought about, how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic“
23.
175-188
Nachfrage Interviewerin
„now we are talking about when I started“ zeitliche Einordung / Verortung „everything before this me no drugs, just kid smoking pot someti:mes mushrooms one time, alcohol high school parties normal kid“
24.
188-194
Erzählung (Geschichte) Argumentation
„the heavy drug started around nineteen“ Heranführung an Heroin durch besten Freund, Schuldabweisung, Bewertung, Perspektive Gegenwart „and I seem very angry about it but it is not his it is nobody’s fault it is just the way the universe happened to unfo:ld and it is just what happened and I’m extremely grateful for it“
25.
194-203
Erzählung, Argumentation
„when I started doing heroin“ Heroinrauchen, Vorwissen über Heroin, Klischees, Naivität, Teenager, Neugierde „I didn’t know that you can smoke heroin (.) I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d and you put it in your vein and you overdose and you die“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 301
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
26.
203-211
Geschichte (Evaluation)
„it made everything easy“ Wirkung, Wahrnehmung, Musikmachen unter Heroineinfluss, Betäubung, Stimmungsregulierung, Steuerung von Gefühlen „I’m gonna fucking shoot some heroin right now so that the song sounds better, I used to believe that, I used to believe, I’m gonna do heroin so enhances my perception of music, I’m gonna do heroin so that enhances my sexual life, I’m gonna do heroin so that it enhances how I feel about“
27.
211-218
Erzählung (Evaluation)
„you dolling yourself from everything that’s real“ Realitätsverlust, Betäubung, veränderte Wahrnehmung, Egozentrismus, Isolation, Rücksichtslosigkeit „you come up with, is only in your head in the only person that believes it and sees it, is yourself [...] they doll you of any (.) you know ability to feel anything [...] but what happens is you stop caring about the things you care about too“
28.
218-226
Erzählung (Geschichte)
„all I wanna do is lock myself in a room and record music“ Rückblende in Kindheit/Jugend: Familie, Freunde, Mädchen, Sport, Interessenverlust, Isolation, Rückzug „I was very active and very athle:tic and very energy driven, and that drug that heroin drug brought me down like so: low“
29.
226-234
Argumentation
„we are creatures of habit“ Gewohnheit, Gewöhnung, Abhängigkeit, Todesursachen, Verlust von Respekt und Angst vor der Droge „I mean anybody does anything long enough and they can get used to it [...] people die of heroin overdoses because they lose the respect of the drug and because they lose the fear of the drug“
30.
234-244
Erzählung (Evaluation)
„to the last I held my respect and my fear of the drug“ Respekt / Angst vor Droge, Droge kontrolliert Leben, Todesopfer „I’m addicted to something that has nothing to do with me: it’s a outside thi:ng and it has controlled my life you gonna respect that [...] my te:n fifteen friends that are dead didn’t care anymore“
302 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
31.
245-273
Erzählung (Anekdote)
„misery loves company“ erste Heroininjektion, Neugierde, Aufregung, Ritual, gemeinschaftlicher Konsum, Nachahmung „it’s a process it’s a fucking ritual it’s like religious ritual and junkies and drug addicts become so: addicted to not just the drug but a:ll the rituals“
32.
273-277
Erzählung (Evaluation)
„it was to good to be true nothing should feel that good“ Gefühlszustand, Vergleiche, Abhängigkeit nach ‚High‘-Gefühl „nothing outside yourself that you need to depend on should ever feel that good, and it was something I- I- I I got addicted to that feeling“
33.
277-282
Erzählung, Argumentation
„I thought it was so: cool“ Abhängigkeit nach Praktizieren, cool sein, Vorbilder, ‚Junkie‘-Identität, Image „I got addicted to the thought and the practice of it like [...] like oh I wanna be like this ultra fucking rock’n’roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool“
34.
282-287
Erzählung (Evaluation)
„heroin is not a social drug“ keine soziale Droge, Egoismus, Verlangen nach mehr, nicht teilen „junkies are always in need of it, even if they have a pocket full of heroin they still need more, because they always thinking about tomorrow“
35.
287-297
Erzählung
„it was like Go:d“ Abhängigkeit, Suchtverlangen, Gleichgültigkeit, Vergötterung von Heroin, Kontrolle durch Heroin, Fremdsteuerung „I hadn’t worked in six mo:nth, or I don’t pay attention to my girlfriend a long time or I didn’t go to band practice or I didn’t go: to: my sho:w I lost another jo:b, that doesn’t mean anything that’s so: minimal it is the smallest thing in the world, because [...] compared to the heroin it’s nothing heroin [...] ran my life to the point, to whe:re (.) I could have put it up to an altar“
36.
297-311
Erzählung
„I’ve been to rehab over thirty times“ Langzeitkonsum, Exit, Befreiung von Droge, Rehab, NA, AA, Entzug, Rückfall
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 303
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I did heroin for twenty years (.) and I’d been wanting to stop for ten years [...] half of the time was fun the other half of the time I just wanted a way out“
37.
312-322
Erzählung
„I wasn’t getting any fucking help“ Verhalten in Rehab, Wirkung auf Frauen, gescheiterte Versuche, Rückfälle, Verzweiflung „eight million fucking times I went to rehab I was getting no help, I was just going to socialize and stroke my ego and go meet and go meet girls (.) you know (..) um (.) I did get sober a couple of times, I did get off a couple of times it always was like thirty days (.) or sixty da:ys one time it was two years“
38.
322-326
Erzählung (Geschichte)
„I did stop for like two years“ Nüchternheit, Beziehung, Job in Rehab, Perspektivwechsel, Unterstützung Betroffener „those two years were pretty good I was in a relationship long term with one person I wasn’t out fooling around, a lot, um I worked in rehab and I helped that were in the same position that I was in I was a sober companion I went out of town with people one on one and helped them and was support for them“
39.
327-344
Erzählung (Nachfrage Interviewerin)
„I did a good job […] and helped a lot of people“ Beschreibung Job, Vermittlung durch Freund, „rehab for the stars“, Geld, Vorbild, positives Beispiel „you gotta have respect for something like that because they were all nice to me and they all listened to me and they all were like if this guy is ok and he is happy then we can be ok too“
40.
344-350
Argumentation
„I got fired“ Kündigung, Machtposition, untergeordnete Rolle, Beeinflussung anderer, Unterstützung „I don’t like anybody telling me what to do [...] when I got fired (.) u:m (.) everyone wanted to leave [...] that’s how much I affected people there“
41.
350-358
Erzählung
„I was really happy“ Apartment, Job, Freundin, Sohn, Freund auch clean, geregelte Lebensverhältnisse „everything seemed to be going, great, and then when I lost that jo:b, it was like I wasn’t prepared and didn’t have the tools and I didn’t have the armor to deal with those types of
304 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld problems it was like being like reborn again when you get off drugs for that long and you come back into life you don’t have [...] the weapons to like fight life everyday life“
42.
359-366
Erzählung
„I got very angry“ wütend, verärgert, verletzt, traurig: Heroin als ‚Painkiller‘, ‚einen Affen haben‘, ‚Affe‘ kontrolliert Handlung „every time I get resentful and angry, or hurt or sad, my brain says I know something that will take that away right now, in two seconds [...] it’s like having a monkey that speaks English, on your back, holding you, that never let’s go and it’s still there“
43.
366-370
Erzählung (Evaluation)
„right now I’m happy and I’m fine“ Perspektivwechsel, Gegenwart „I just really don’t care to listen to him any more I (got) only give a shit he could say what the fuck he wants my life is way better now but hasn’t a long time”
44.
371-385
Argumentation
„the monkey hasn’t disappeared“
(Nachfrage Interviewerin)
Abhängigkeit, Rückfallgefahr, Versuchung, individuelle Perspektive „every good thing and every bad thing and every temptation it exists in everybody it’s just your outlook on it and how you deal with it“
45.
386-396
Erzählung
„people die, it’s dangerous“ Rückfall, Reaktionen, Sober living „nobody just goes like I’m doing heroin for eight years and not stop, it doesn’t happen“
46.
396-407
„I wanted to kill myself so many times“ Suizidgedanken, Hund als Überlebensgrund, Liebesersatz „I wanted to put a bullet in my head so: many times, and [...] it’s cra:zy why I didn’t because of my fucking do:g because I didn’t want to leave my dog alone [...] he gave me unconditional love“
47.
407-414
Erzählung
„I didn’t want to do it anymore“ Versuch der Abstinenz, Suchtverlangen, Kontrollverlust, ‚Painkiller‘, Wirkung „I woke up every morning and did it [...] before used to be like oh wow it kill every problems like coo:l and I can just focus on playing
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 305
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld guita:r and writing a so:ng and it becomes like uh I gotta do a fucking shot of heroin just to wake up (.) it becomes crazy it becomes insane“
48.
414-421
Erzählung
„I used to be so:, hungry to […] be […] in that scene“ ‚gute‘ Zeiten, Romantisierung, Erfolg, Kontakte, Vorbilder, Image, Bekanntschaften, 12step-programmes, AA, NA „I had a lot of good times [...] I got to meet some really amazing people in, you know because of being a drug addict [...] I got to meet really famous musicians from the pop industry“
49.
422-435
Evaluation, Argumentation
„nobody gets out alive“ Wirklichkeit ohne Drogen, Wahrnehmung, Absichten, Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept, George, Passion, Laienmusiker „now that I’m not on heroin I refuse to worry about whether I’m good or bad on guitar or that I’m a good or bad drummer [...] I know when I’m playing bad but I don’t really care it doesn’t really matter“
50.
435-443
Erzählung
„it was harder than anything that I’ve done in my life“ Entzug, Rehabilitation, Support, Überwindung, Anstrengung, Erfolg „I got through it and I made it (on) the other end, and I didn’t do it alone, I- I had help I had people pushing me and motivating me“
51.
443-449
Erzählung
„I needed to get high like every three hours“ vor dem Entzug, ‚High‘-Sein, Suchtverlangen, Realitätsflucht „I just got to get high again (.) I just couldn’t stop, I didn’t want to be in reality, a:nd every time I got si:ck or dope si:ck and I didn’t have my drug and a little bit of realty (crapped) in it was just too real“
52.
449-459
Erzählung
„my brain and my body reset“ Entzug, Prozess der Abstinenz, Sober Living, Neustart „I’m detoxing it was so: awful it was so: brutal it was so: painful it was mentally draining it was physically draining I didn’t sleep for a month or two I didn’t fucking eat correctly, I was pushing myself to exercise to get tired“
306 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
53.
459-480
Argumentation
„the human brain creates […] it’s own form of heroin, by itself“ Neurobiologie, medizinisch-biologischer Erklärungsansatz, Endorphine, Dopamin, Steuerung von Emotionen, Ersatzstoff „your brain’s gonna create dopamine, endorphins, now when you start doing heroin [...] your brain stops producing it because the heroin you shooting into your veins goes their automatically [...] so when you get sober and you detox, you’re living your live without that [...] people who do heroin longer have a harder time getting out“
54.
481-507
Erzählung, Argumentation
„worse than dying from heroin overdose is living like a fucking drug addict“ Beweggründe zur Abstinenz, Einsicht, Schlussstrich, Verluste, Auslöser „there was just the just the end of the road [...] there was no further down [...] it was just too many things [...] because of the drug and like [...] not being in a relationship and messing up relationships and loosing friends and watching friends die, all those things were happening one after the other“
55.
507-528
Erzählung
„everything is so: easy now“ Leben nach Entzug, Problembewältigung, Reue, Selbstmitleid, Zwang, Kontrollverlust, Rückerhalt der Entscheidungsgewalt, Reduktion, Zufriedenheit, Unterkunft, Familie, Freunde, Job „a lot of things just become very stupid and minimal and not important and the only things that are important to me are the people in my life and my friends and my girlfriend and producing and back singing and playing guitar for fun, and living comfortably“
Übergang Nachfrageteil 56.
529-539
Erzählung (Evaluation) (Nachfrage Interviewerin)
„how important is music for you?“ Bedeutung/Stellenwert von Musik, Therapie, Emotionen „for me it’s very important it’s therapeutic (.) i:t’s special it’s meaningful it’s it’s remembering, it’s like being in a time machine for me, music for me is emotional“
57.
540-556
Erzählung (Evaluation) (Nachfrage Interviewerin)
„it all was [...] driven by the heroin“ Selbstkonzept, Idee ‚Musiker sein‘ unter Drogeneinfluss, Steuerung durch Droge
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 307
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „my idea of being a musician when I was on heroin [...] was all based behind getting high and being high [...] it has nothing to do with me“
58.
556-566
Erzählung (Evaluation)
„it could happen to fucking anyone“ Zusammenhang Musik und Drogen „there hasn’t been for me has no fucking connection never has […] so if I thought things sounded better or if I thought I was to learn more or if I thought I could be more successful because I was on heroin and playing music it was bullshit“
59.
567-585
Argumentation
„some people need to touch fire to learn that it burns“ Auswirkungen Heroinkonsum, Einsicht „it made me a worse musician and make me care about music less, it make me focus on things that didn’t matter“
60.
586-599
Erzählung
„how much did I care about music (..) not at all“ Beeinflussung Musikerdasein durch Heroin, Suchtverlange, Prioritäten, Einstellung „of course I was excited I wanna play where Nirvana played I wanna play this theater (.) but as soon as I run out of heroin it was pffff I’m not gonna band practice, I don’t care about that fucking show“
61.
600-628
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„my musical career started with heroin“ Karriere, Perspektiven, professioneller Musiker, Vorstellung Musiker zu sein mit/ohne Drogeneinfluss, Spaß, Rockstar „before taking heroin [...] it was like here and now [...] I just wanted to play music for fun [...] when I started doing heroin my outlooked changed [...] I gotta be a professional and I wanna be a rockstar“
62.
628-639
Erzählung
„my first real band was a punk rock band“ erste Band, lokaler Erfolg, Musik als Spaß, Freizeit „we had some minor success [...] and it was so much fun […] it was a time in my life that you can not duplicate it was amazing“
63.
639-645
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„strung out […] music it was like work“ Musikmachen unter Heroineinfluss, lästige Gedanken, Kontrolle
308 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „it was like an overthought process [...] I thought about how I looked, [...] how I played how I stood“
64.
645-656
Beschreibung, Argumentation (Evaluation)
„it makes you focus on one thing“ Fokussierung, Irrglaube, Ausblenden von Störfaktoren, Karriere „heroin it makes you focused and it makes you not care about anything but you mu:sic [...] it’s an easy way to tune out everything else“
65.
657-659
Erzählung Argumentation (Evaluation)
„it is no: good“ Auswirkungen des Heroinkonsums, Negativfolgen „it doesn’t benefit there is no positive [...] there is no: trading anthing for, heroin that’s a worth trading“
66.
659-673
Erzählung
„I don’t think I’d be the same person“ Prozess, Rückblick, Erkenntnisse, Veränderung „I just like live in the moment and it’s very easy [...] why not walk toward being a good human being“
67.
674-687
Erzählung
„I just want to do it for fun“ musikalische Pläne, aktuelle Aktivitäten, Songwriting, Support anderer Musiker*innen, keine kommerziellen Absichten, just for fun, kein Prestige, Ruhm „I play guitar every day and I write stuff every day [...] I don’t want my name on it [...] I don’t care about the credit anymore“
68.
688-723
Erzählung, Beschreibung
„it got me to the same place I used to be“ Prozess, Farbvergleich, Rückbesinnung/ Rückwendung, Gleichgültigkeit, anderer Anspruch, Verschiebung von Prioritäten „I’m not on it anymore so I started like this way [...] I don’t care to be famous I don’t care if anybody like my music […] I listen to the same music I used to listen to like twenty years ago“
69.
724-740
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„you feel so: good […] on heroin“ veränderte Wahrnehmung, Sinnestäuschung, Realitätsverlust, Musikmachen unter Heroineinfluss „of course everything sounds amazing, cause you feel so amazing, but it’s not real“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 309
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
70.
741-748
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„heroin enhanced everything“ Auswirkungen des Heroinkonsums, Ausblenden von Störfaktoren, Soundwahrnehmung „it’s something you have to reach out yourself to pull it into yourself [...] it made everything amazing it made music sound amazing“
71.
750-763
Erzählung Argumentation (Evaluation) (auf Nachfrage)
„the experience help me write better songs“ Kreativität unter Heroineinfluss, Intention Songwriting „on heroin it was always like I wanna write the catchy chorus and I wanna write a really cool hoo:k and I wanna sound edgy [...] I don’t care about those things when I’m not on heroin“
72.
764-786
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„it makes me not feel pain“ Faktoren/Motivationen, Kindheit, Familiengeschichte, Befreiung
(auf Nachfrage) „I thought I found a solution [...] oh this is the answer [...] oh heroin will take care of everything“ 73.
787-795
Erzählung, Argumentation (Evaluation)
„I shot heroin and it was a quick answer“ Verdrängung, vermeintliche Problembewältigung „I’m almost fourty years old [...] I never processed it [...] instead I shot heroin“
74.
796-828
Argumentation
„I don’t wanna become a famous or a professional musician now“
(auf Nachfrage) Musikerkarriere ohne Heroin, Leidenschaft für Musik, musikalische Entwicklung „I still wanna become a better guitar player so I can write better songs and just play better because I love it I have a passion for it“ 75.
829-835
Erzählung
„it would have happened without heroin“
(auf Nachfrage)
Leben in LA als Musiker und Heroinabhängiger „I was networking always I was like oh hey, how you doing or playing shows and you meet people“
76.
836-849
Argumentation (Evaluation) (auf Nachfrage)
„in the moment it feels like it is important“ soziale Verbindung durch Heroin, Teil der Community?
310 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I thought [...] heroin is so important to be: social and to get into these connections with people and (.) but if you need anything like that that’s harming you, it’s not that positive (?) good of a thing“
77.
850-857
Argumentation
„all the bands that I always loved I still love“
(auf Nachfrage) Veränderung Musikgeschmack „I thought like a lot of bands that I thought were cool it was like bubblegum“ 78.
858-866
Argumentation (Evaluation) (auf Nachfrage)
„heroin just puts you to sleep“ Wirkung Heroin, Schaffensprozess, Drogenvergleich „it enhanced your way you touch feel think everything [...] it’s just good to dull and numb you“
79.
867-891
Argumentation
„heroin never helped me musically ever“
(auf Nachfrage)
kreativer Prozess, Verbindung Heroinkonsum / Schaffensprozess, Anziehungskraft, Einstellung „there is=the only connection (.) between heroin and music (.) i:s (.) the attraction, to music (.) not the creative process […] being on heroin changes your thinking, so it attracts you to things that you wouldn’t be normally attracted to”
80.
892-903
Argumentation
„it was me like living like a zombie“
(auf Nachfrage)
Pre-Heroinkonsum vs. Post-Heroinkonsum, Musikmachen unter Heroineinfluss „I felt before heroin the way I feel now [...] it was so: important, to me how I felt about music when I was on heroin I would still feel the same way right now without heroin“
81.
893-918
Argumentation (Evaluation)
„heroin addiction and music has no real connection“
(auf Nachfrage)
Verbindung Musiker-sein / Heroinkonsum, Illusion „it shaves away at you creativity it shaves away at your humanity and it shapes away at your soul and it creates this illusion, that, you are better than you are you got it“
82.
919-941
Erzählung
„nobody want to play with me“
(auf Nachfrage)
Kurzbiographie, Pre-Heroin, Bands, Festivals, Schlagzeuger, Sänger, Zusammenarbeit mit berühmten Musiker*innen
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 311
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „I never show up, and never go to band practice […] I didn’t even go play the show, because I needed more heroin […] I was just strung out (.) and I would everybody upset”
83.
941-952
Erzählung
„I had like two years sober“
(auf Nachfrage)
Phase der Abstinenz, Absage Plattenvertrag, „I was playing drums for the band I was gonna get a record deal I was gonna do fantastic and I was sober and I was happy but, I didn’t like the contract so I wouldn’t sign anything“
84.
953-957
Erzählung
„now I just play music“
(auf Nachfrage)
Gegenwart, Musikmachen, Stellenwert Musik „I like to teach people how to play music and teaching my girl friend playing guitar, I like to play with my friends (.) [...] just a jam and have fun“
85.
953-958
Erzählung
„I did heroin for so: long and I’m alive“
(auf Nachfrage)
Prioritäten, Rückblick „everything looked so: bad for- my whole adult life has been just like misery [...] heroin has been the biggest problem“
86.
974-988
Argumentation (Evaluation)
„it’s okay“ aktuelle Befindlichkeit,
(auf Nachfrage) „I get to go home and be okay, it’s like to walk away and I don’t have walk away and go call the drug dealer“ 87.
989-997
Appell
„there is no reason (.) for anyone to do that“
(auf Nachfrage) Appell „it’s not impossible to stop, it’s hard and it seems like it’s gonna last forever, but if you just do it and get off and do whatever it takes to stay off“
10.3.2 Strukturhypothesen zur Selbstpräsentation (erzähltes Leben) (Analyse II: Pepe) Ohne dass ich ihn dazu auffordere, beginnt Pepe mit dem Hinweis darauf, dass er die Probandeninformation zur Teilnahme am Interview gelesen habe und das Interview aus eigenem Willen führe. Dieser Einstieg könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Bedingungen zur Teilnahme am Interview kurz vorher besprochen wurden. Dennoch wirken seine Ausführungen geradezu auswendig gelernt, was darauf hindeutet,
312 | Hauptstudie
dass er den thematischen Beginn im Vorfeld geplant hatte, um einen Einstieg in das Interview zu finden. Sein Redefluss ist zögerlich und er wirkt schwermütig; seine Stimme ist rau und tief. Er atmet tief durch und es entsteht eine Pause, ehe er fortfährt. Er wirkt, als falle es ihm schwer, einen Einstieg in die Erzählung zu finden. Auch seine weiteren Ausführungen im Telegrammstil wirken einstudiert. Er liefert stichwortartig demographische Daten und Informationen zu seiner familiären Situation. Es scheint, als wolle er diese Punkte möglichst schnell abhandeln. Hierbei ist insbesondere die Aussage „my father was not in my life“ interessant, die er zwar beiläufig, aber dennoch vorwurfsvoll tätigt, was auf ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hindeuten könnte. Er geht auf die familiären Verhältnisse und die Umgebung ein, in der er in seinen ersten Jahren lebt. Er bricht diese Darstellung jedoch ab, weil sie ihm als unwichtig erscheint. Als ich interveniere, reagiert Pepe dominant und bestimmend. Er lässt sich in seine Ausführungen nicht hineinreden und entscheidet selbst, womit er in seiner Erzählung fortfahren will. Hier könnte bereits ein Autoritätsproblem erkennbar werden, das im Weiteren noch ausführlicher diskutiert wird. Sein Verhalten könnte ebenso darauf hinweisen, dass er diese Zeitspanne auslässt, weil sie ihm tatsächlich als unbedeutend in der Präsentation seiner Lebensgeschichte erscheint, oder weil er sie – bspw. aufgrund unangenehmer Erfahrungen – bewusst nicht thematisieren will. Im Weiteren geht er erneut auf seinen Vater ein und erwähnt dessen Alkoholproblem. Es ist interessant, dass er diesen Aspekt in der Reihenfolge seiner Darstellungen über das Verhältnis zu bzw. zwischen seinen Eltern zuerst erwähnt. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Alkoholsucht des Vaters eine prägende Bedeutung in seiner Lebensgeschichte einnimmt. Diese Vermutung bestätigt sich in seinen folgenden Ausführungen, wenn er darauf hinweist, dass „the idea of addiction was probably ingrained in head from a very young age“ (T2: Z. 17f.). Indirekt macht er seinen Vater für sein Suchtproblem in späteren Jahren verantwortlich, wenn er von den Auswirkungen der Alkoholabhängigkeit seines Vaters auf die Familie berichtet. Seine Formulierung „it’s kinda like taking on the sins of your father“ (T2: Z. 18f.) deutet darauf hin, dass er das Verhalten des Vaters adaptiert und damit als Ursprung seiner eigenen Suchtproblematik sieht. Interessant ist seine Zusatzbemerkung „I didn’t use to know that, but I know that now“ (T2: Z. 18). Hieraus geht hervor, dass er sich mit seiner Vergangenheit beschäftigt und seine eigene Suchtkarriere reflektiert haben muss, dieses Verständnis jedoch in der damaligen Zeit noch nicht hatte. Er schildert die damalige Situation ruhig und sachlich und charakterisiert seinen Vater aus gegenwärtiger Perspektive sogar als „great father“. Zu vermuten ist, dass er hierbei eine Parallele zu seinem eigenen Verhalten in späteren Jahren sieht und daher den Vater nicht verurteilen kann/will. Pepe ist in späteren Jahren selbst ein Vater, der wenig Verantwortung zeigt und sich u.a. aufgrund seiner Drogenproblematik von seinem Sohn fernhält bzw. fernhalten muss. Als der Vater die Familie verlässt, ist Pepe sechs Jahre alt ist. Die Mutter zieht ihn und seine Geschwister fortan alleine auf. Er zeigt Verständnis für die Situation der Mutter, deutet jedoch auch indirekt auf eine Überforderung der Mutter hin. Erst im Nachhinein scheint ihm bewusst geworden zu sein, wie sehr ihn die damalige Situation belastet haben muss: „I didn’t use to know that I used to think I was okay about it but I wasn’t about it“ (T2: Z. 26f.). Er deutet das Fehlen des Vaters in der Familie als belastend. Er charakterisiert sich in diesem Zusammenhang im Nach-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 313
hinein als sensibel. Seiner Aussage zufolge habe er diese Auffassung von sich selbst in der damaligen Zeit jedoch nicht gehabt, was auf ein verdrängendes Verhalten hinweisen könnte. Diese Vermutung bestätigt sich in seinen weiteren Ausführungen, wenn er auf sein Umfeld und sein Verhalten außerhalb des Familienkreises eingeht. Er liefert mit seinen Anfangsdarstellungen eine Verständnisgrundlage für sein späteres Verhalten. Den Ausführungen über seine Familiensituation zufolge lässt sich sein späteres Verhalten als Flucht aus dieser deuten. Er präsentiert sich als Junge, der zwischen seinen Eltern ‚hin und her gerissen‘ wurde. Als seine Mutter mit ihm nicht mehr zurechtkommt, muss er sein gewohntes Umfeld verlassen und zu seinem Vater ziehen. Das Verhältnis zu seinem Vater bildet weiterhin das thematische Feld seiner Ausführungen. Er beschreibt diesen wie einen Fremden, bei dem er fortan leben musste. „living with somebody that you don’t know, but knowing that they are your father, is really hard (.) it’s really tough (.) u:m I had to put up a lot of: (.) just (mystery) a:nd not knowing and not knowing how to talk to hi:m, not knowing what upset hi:m (.) which is too much to ask of any kid, it’s too much responsibility for any kid“ (T2: Z. 33-36)
Er scheint mit dieser Reflexion, die er in der damaligen Zeit offenbar noch nicht leisten konnte, sein weiteres Verhalten rechtfertigen zu wollen. Er reagiert auf die damalige Familiensituation mit rebellischem Verhalten gegenüber den Eltern. Seine Formulierung „my childhood was pretty like- I raised myself“ suggeriert einen Vorwurf an seine Eltern, denen er in der damaligen Zeit mit rebellischem Verhalten gegenübertritt. In Anbetracht der geschilderten Kindheit, wirkt die Zeit, die er außerhalb des häuslichen Umfeldes verbringt, geradezu als Befreiung von den familiären Verhältnissen: „the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tail land“ (T2: Z. 39f.). Er stellt hierbei sehr deutlich den Kontrast zwischen dem Leben zu Hause („I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit that is life“) und dem Leben außerhalb dessen („I got to go outside, think of skateboardi:ng think of meet new pe:pole and go: listen to music that I’ve never heard befo:re and go be introduced to movies that I wouldn’t have never see:“) heraus. Er schafft damit eine Überleitung zum anschließenden Segment (7), in dem er den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn schildert. Er stellt sich als neugierigen und vielseitig interessierten Jungen dar, der offen für alles war, was außerhalb seines Elternhauses passierte und ihn von seinen familiären Konflikten ablenkte. Er charakterisiert sich hierbei selbst als einen Künstler, der Kunst – in Form von Filmen, Photographie oder Musik – nicht nur konsumiert, sondern auch reflektiert und versteht. Indem er in diesem Zusammenhang von einem „art organ“ (T2: Z. 58) spricht, weist er darauf hin, dass das Verständnis von Kunst keines sei, welches er ausschließlich erlernt habe, sondern das ihm angeboren sei. Im folgenden Segment schildert er, wie er durch seinen damals besten Freund an das Gitarrespielen herangeführt wurde. Auch hierbei hebt er sein künstlerisches Talent hervor, indem er sich eine besonders schnelle Auffassungs- und Umsetzungsfähigkeit zuschreibt. Er hebt ebenso seine Offenheit gegenüber verschiedenen Musikstilen und Bands hervor. Er beschreibt seinen ersten Umgang mit einem Instrument und einem damit verbundenen kreativen Schaffensprozess. Die damalige Situation stellt er aus gegenwärtiger Perspektive so dar, als ob es ihm gar nicht bewusst gewe-
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sen war, dass er so talentiert gewesen sei. Indem er jedoch die angebliche Reaktion seines Freundes („he: was pretty amazed and pretty surpris:ed“) gegenüber seiner musikalischen Entwicklung wiedergibt, stellt er seine musikalischen Fähigkeiten deutlich heraus und scheint aus gegenwärtiger Perspektive von seinem damaligen Können überzeugt zu sein. Selbstzuschreibungen wie „pretty amazing“, „I was able to learn things very fast“, „I was able to surpass him“, und „I become a better guitar player than him very fa:st“ wirken geradezu überheblich und übertrieben und lassen an der Glaubwürdigkeit seiner tatsächlichen Fähigkeiten zweifeln. Hierbei ist fraglich, ob er seine Fähigkeiten tatsächlich so einschätzt(e) oder diese aufgrund eines fehlenden Selbstwertes hervorzuheben versucht(e). Auch seine weiteren Ausführungen wirken überspitzt, wenn er den Prozess des Musikmachens innerhalb seiner ersten Band als „so fun“, „so real“, „so pure“ und „so innocent“ beschreibt. Auch hier ist die Frage, ob er diese Zeit tatsächlich so erlebte, oder seine Erfahrungen erst im Nachhinein so konstruiert. Das Erleben in der Vergangenheit könnte aber auch bewusst positiv von ihm dargestellt werden, um den Kontrast und damit das Erleben in der späteren Phase seines Lebens, in der das Musikmachen nicht mehr mit Spaß und positiven Gefühlen behaftet war, herauszustellen. Auffällig ist, dass er den Begriff „innocent“ mehrmals verwendet und betont. Auch dies könnte wiederum auf eine Rechtfertigung seines späteren Verhaltens hindeuten. Er charakterisiert sich auch im Weiteren als unschuldigen Jungen, dem es ausschließlich um die Musik gegangen sei. Durch das Feedback und die Motivation älterer, erfolgreicher Musiker fühlte er sich darin bestätigt, weiterhin den Weg des Musikers zu verfolgen. Er stellt das Musikmachen als eine Art ‚Obsession‘ dar. Nachdem er die Lust am Gitarre spielen verlor, erlernte er seinen Ausführungen zufolge das Spielen weiterer Instrumente autodidaktisch. Hierbei bestätigt sich die zuvor von ihm beschriebene Obsession im Zusammenhang mit dem Musikmachen. Auch hier stellt er sein Talent heraus und über die Fähigkeiten anderer Musiker: „like every six months or every eight months or every other year or something I would find an new instrument, and I would learn that instrument by myself- even if I didn’t own the instrument, if I never didn’t have one in my house I learned it and I became better at it than anybody else that I knew (.) and I don’t know if its talent or obsession o:r natural, just ability I don’t know I=I can’t explain it but (.) it’s just the way (..) music (.) is ingrained it’s like in my DNA, it’s never been hard it’s always been fun“
Er beschreibt seine Fähigkeiten erneut als solche, die ihm angeboren seien. Es scheint ihm wichtig zu sein, die Bedeutung herauszustellen, die Musik für ihn gehabt habe bzw. immer noch habe. Diese Betonung lässt den ‚Bruch‘ in seiner Darstellung im Folgenden besonders markant erscheinen. Er leitet hierbei zu einer Lebensphase über, in der das Musikmachen nicht mehr ausschließlich mit Spaß und intrinsischen Motivationen behaftet war. Dieses Erlebnis scheint einen Wendepunkt innerhalb seiner Biographie darzustellen, an dem sich die Bedeutung des Musikmachens für ihn veränderte. Bevor er diese Schilderung ausführt, geht er in Segment 16 auf seine damaligen Lebensverhältnisse ein. Hier widersprechen sich seine Angaben jedoch. Er behauptet, dass er mit 16 Jahren in das Apartment einer 32-jährigen Frau eingezogen sei, die ihn für wenig Miete bei sich wohnen ließ. Erneut fügt er eine interessante Anekdote ein,
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die er jedoch nicht ausführt, weil er sie für unwichtig hält. Auch hier ist die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung fraglich, da er zuvor erwähnte, dass er erst mit 18 Jahren von seinem Vater wieder zur Mutter zog. Ebenso erwähnt er, dass er in der Zeit, in der er in dem Apartment lebte, noch zur Schule ging, während er zuvor behauptete, dass er bei seiner Mutter einzog und die Schule abgebrochen hatte. Interessant ist zudem, dass die Frau, bei der er angeblich wohnte, seinen Aussagen zufolge versuchte, Sex mit ihm zu haben. Berücksichtigt man seine Aussage, „when you are young, you just like oh she is such a nice lady she’s give me like a room to live in and so cheap rent“, so scheint er als Minderjähriger ein Verhältnis zu einer älteren Frau eingegangen zu sein, um günstigere Konditionen für das Bewohnen des Apartments zu erhalten. Er führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus und bewertet ihn als unwichtig. Die Art und Weise seiner Präsentation dieses Lebensereignisses deutet darauf hin, dass er auch dieses erwähnt, um damit zu prahlen und seine Position als Junge, der das Interesse einer älteren Frau auf sich zog, herauszustellen. Er springt nun in seiner Darstellung an einen Wendepunkt, an dem das Musikmachen für ihn scheinbar eine neue Bedeutung erhalten hatte. Er thematisiert die Rückkehr seines Freundes Jonas, der während seiner Zeit im College heroinsüchtig geworden war. Pepe stellt sich hierbei als naiv dar. Er habe angeblich nicht geahnt, dass sein Freund drogenabhängig war. Er behauptet zudem, dass er nicht einmal gewusst habe, was Heroin überhaupt sei. Auch diese Aussage erscheint unglaubwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass er bereits in dieser Zeit mit diversen anderen Rauschmitteln in Berührung geraten war: Alkohol, Weed, Ecstasy, Kokain, Speed etc. Interessant ist auch, dass er hierbei zu verstehen gibt: „I don’t like drugs that make me feel overly excited [...] they make me feel to: (..) aware [...] I’m already extremely aware and sensitive“ (T2: 118-122). Er deutet hier bereits an, dass er sich genau diesem Zustand des ‚Bewusstseins‘ entziehen wollte. Er führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus. Vielmehr erweckt es den Anschein, als wolle er sich eine Art Opferrolle erteilen und seinen Einstieg in den Heroinkonsum durch seine Unwissenheit rechtfertigen. Diese deckt sich jedoch nicht mit dem Status des Erwachsenen, den er sich im vorigen Segment zugeschrieben hatte: „I had my own apartment, I had my own car, [...] I was paying rent and had a job“ (T2: Z. 113f.). Im Weiteren geht Pepe auf den musikalischen Prozess ein und blickt auf die Zeit zurück, in der er mit seinem Freund Jonas beginnt, Musik zu produzieren. Den Prozess des Recordings stellt er jedoch nicht mehr als Spaß, sondern als Job dar. Er verbindet diese Zeit insbesondere mit zwei negativen Erfahrungen, die seinen weiteren Lebensweg prägen: „I learned (.) to no:t like music an I learned what heroin was, at the same time“ (T2: Z. 132f.). An dieser Stelle scheint seine Geschichte einen Bruch zu erhalten, was darauf zurückzuführen ist, dass seine zuvor positiven Darstellungen nun eine auffällig negative Konnotation erhalten. Auf meine Nachfrage führt er zunächst aus, dass er das Musikmachen aus dem Grund nicht mehr mochte, weil es fortan mit Arbeit verbunden gewesen sei. Aus seinen weiteren Ausführungen wird jedoch vielmehr erneut ein Autoritätsproblem deutlich. Interessant ist ebenso, dass er darauf anspielt, dass das Musikmachen fortan in einem Zusammenhang mit Erfolg und Geld verdienen stand und nicht mehr den Spaßfaktor hatte, der mit dem Musikmachen für ihn in früheren Jahren einherging. Um mir seine Vorstellung des Musikerdaseins in der Vergangenheit zu verdeutlichen, macht er mir als Kontrast seine Vorstellung deutlich, die er über das Konzept, Musiker zu sein, in der Gegenwart hat.
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Während das Musikmachen in der Vergangenheit mit Arbeit, Erfolg und Geldverdienen verbunden war, präsentiert er sich in der Gegenwart, als habe sich seine Vorstellung darüber, wie er sich selbst als Musiker sieht, und die Bedeutung von Musik für ihn geändert. „I don’t really give a fuck about that music industry (.) anymore I- would never whore myself to the music industry I would never try to work for the music industry if I ever record music ever again and it’s done professionally I’m gonna do it independently, I gonna do with own money, I gonna do it in my own studio, with my own microphones and my own musicians (.) because (..) I mean fortunately and unfortunately, I learned the hard way (.) how that works, and it doesn’t appeal to me anymore“ (T2: 149-153)
Fraglich ist, ob er es bereits in der Vergangenheit als negativ empfunden hatte, dass das Musikmachen zu seinem Job wurde, oder er dies erst im Nachhinein als Negativerfahrung im Zusammenhang mit der Entwicklung seiner Heroinsucht so deutet. Auf letzteres könnte seine Formulierung „I learned the hard way“ hinweisen. Das gemeinsame Recording mit Jonas und die Heranführung an den Konsum von Heroin gehen hierbei zeitlich einher. Er gibt in seiner Darstellung sehr eindrücklich zu verstehen: „I don’t wanna be produced, I don’t care about it, I don’t wanna be managed I don’t care about it, I don’t wanna be a professional musician I don’t need to be on a stage I don’t need my ego stroked“ (T2: 160-162). Es stellt sich hierbei die Frage, warum er diese Auffassung des Musikerseins so vehement in der Gegenwart ablehnt. Wenn sich nun im Umkehrschluss vermuten lässt, dass er diese Vorstellung, „I wanna be a professional musician“, in der Vergangenheit hatte, so stellt sich zudem die Frage, wer oder was diese Vorstellungen prägte. Da Pepes Perspektiven innerhalb seiner Darstellung mehrmals wechseln, interveniere ich erneut. Pepe verdeutlicht daraufhin, dass er die Vorstellung, die er in der Gegenwart ablehnt, zu Beginn seiner Musikkarriere tatsächlich vertreten habe: „between eighteen and nineteen and twenty, it’s all I thought about, how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic“ (T2: Z. 172175)
Auffällig ist, dass Pepe diesem Lebensabschnitt nicht nur die zuvor erläuterte Vorstellung des Musikerdaseins zuordnet, sondern diese Phase auch mit dem Erstkonsum von Heroin in Verbindung bringt. Während er den Konsum von Mushrooms und Alkohol in seiner Jugend als harmlos darstellt und als ‚normales‘ Verhalten charakterisiert, stellt er den Gebrauch von Heroin als Einstieg in seine Drogenkarriere dar. Interessant ist, dass er zunächst nicht auf den Konsum eingeht, sondern indirekt einen Schuldigen sucht, der ihn an die Droge heranführte. Dem Initiator spricht er jedoch keine Schuld zu. Mit der Formulierung „it was my oldest friend who gave this to me“, suggeriert er, dass er seinem Freund vertraut habe – getreu dem Motto ‚er wird mir schon nichts geben, was mir schadet‘. Er weist darauf hin, dass er seinem Freund eigentlich böse sein müsse, dass er durch ihn an die Droge herangeführt wurde – „I seem very angry about it but it is not his it is nobody’s fault“ (T2: Z. 190). Dass Jonas zu dieser Zeit jedoch bereits abhängig war und für die Finanzierung seiner nächs-
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ten Drogenzufuhr auch seinen besten Freund betrogen hätte, thematisiert Pepe hierbei nicht.6 Hingegen stellt er sich selbst als ‚gnädig‘ dar, dass er seinem Freund keine Schuld zuschreibe. Anstatt die Verantwortung jedoch selbst zu übernehmen und sich sein Fehlverhalten einzugestehen, stellt er den Konsum von Heroin als eine Art schicksalhafte Fügung dar: „it is just the way the universe happened to unfo:ld“ (T2: Z. 190f.). Mit Formulierungen wie „extremely grateful“, „I loved that it happened“ oder „it’s all worth great“ scheint er erneut zu übertreiben und von den Auswirkungen des Heroinkonsums auf seine Lebensgeschichte ablenken zu wollen. Es ist folglich wenig verwunderlich, dass er zunächst nicht auf das negative Ausmaß des Konsums zu sprechen kommt, welches in den Folgejahren sein Leben bestimmte. Vielmehr scheint er aus der gegenwärtigen Perspektive ein positives Resümee seiner Drogenkarriere zu ziehen. Es ist jedoch fraglich, ob er seine Suchtkarriere tatsächlich mit einem positiven Gefühl verbindet oder sich lediglich selbst keine Schuld eingestehen oder Reue zeigen will. Im Weiteren (Segment 25) geht er auf seinen ersten Heroingebrauch ein und vergleicht diesen mit dem Rauchen von Pot oder Weed. Er gibt hierbei zu verstehen, dass er nicht gewusst gehabt habe, dass es sich bei der Substanz, die er rauchte, um Heroin handelte. Auch im Weiteren gesteht er sich für den Konsum der Droge keine Schuld ein. Vielmehr geht er erneut auf sein jugendlich-naives Verhalten ein, das er für sein Alter als ‚normal‘ bewertet: „when you a teenager and you’re nineteen eighteen years old and you hear oh I’m smokingkids like to smoke cigarettes pot- they like to smoke anything kids just like to smoke shit (.) or drink stuff or drink alcohol“ (T2: Z. 199-201)
Auch hier gibt er zu verstehen – und suggeriert erneut eine indirekte Schuldzuweisung, dass er seinem Freund vertraut habe, nichts „Schlechtes“ von ihm zu erhalten: „when I found out you could smo:ke it I was like oh it’s not so ba:d (.) if he is doing it, he is my best friend he’s not gonna give me something ba:d“ (T2: Z. 201203). Interessant ist, dass er in diesem Segment seiner vorherigen Aussage widerspricht, zu diesem Zeitpunkt nichts über Heroin gewusst zu haben. Mit dem Statement „I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d and you put it in your vein and you overdose and you die“ (T2: Z. 195f.) gibt er deutlich zu verstehen, dass er über die Droge und deren Gebrauch informiert und von der (Negativ-) Wirkung offenbar abgeschreckt wurde. Er imitiert durch die Art und Weise des Erzählens auch seine damalige Haltung gegenüber Drogen: Er präsentiert sich in der damaligen Situation aufgeregt und scheint trotz – oder gerade aufgrund – des schlechten Images der verbotenen Droge an ihr interessiert gewesen zu sein. Dies lässt darauf schließen, dass die eigene Neugierde und Faszination gegenüber der Droge ein entscheidender Initiator zum Konsum dieser war.
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In einem Vorgespräch gab Pepe zu verstehen, dass Jonas ihm zunächst kein Heroin geben wollte. Da Pepe ihn jedoch darum eindringlich gebeten und ihm Geld dafür angeboten habe, hätte Jonas schließlich eingewilligt. Pepe erwähnte hierbei auch, dass er gewusst habe, dass ein Junkie für den nächsten Schuss alles getan hätte – selbst seinen besten Freund an die gefährliche Droge heranzuführen.
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Im Folgenden kommt er auf die Wirkung der Droge zu sprechen. Er beschreibt in Segment 26 zunächst den Einfluss, den die Droge auf sein Empfinden und seine Wahrnehmung gehabt habe, woraufhin er in Segment 27 die als positiv dargestellte Rauscherfahrung jedoch als Täuschung der Wahrnehmung charakterisiert und auf die tatsächlichen Auswirkungen des Konsums eingeht. Auffällig ist, dass er sich hierbei in den Zustand, den er in der damaligen Zeit unter Einfluss der Drogen empfunden hatte, zurückversetzt. Dies lässt sich daran feststellen, dass sich der Erzählfluss verlangsamt und seine Stimme ruhiger wird, wenn er von der betäubenden Wirkung der Droge („I’ll be okay cool“) aus einer Perspektive in der Vergangenheit spricht. Gleichzeitig wirkt er geradezu wehmütig, wenn er aus gegenwärtiger Perspektive an diese Zeit zurückdenkt. Er gibt hiermit Einblick in zwei unterschiedliche Wahrnehmungsebenen, was darauf schließen lässt, dass er mir sein damaliges Konsumverhalten, das er über acht Jahre aufrecht hielt, nachvollziehbar machen will. Seine Aussage „I used to believe that“ deutet darauf hin, dass sich seine damalige Auffassung von Wirklichkeit auf Basis der Rauscherfahrung konstituierte. Diese Lesart bestätigt sich im Folgenden, wenn er auf die Realität zu sprechen kommt, die ihm durch die betäubende Wirkung der Droge jedoch nicht als solche erschien: „everything that you come up with, is only in your head and the only person that believes it and sees it, is yourself, everybody else is looking at you like crazy“ (T2: Z. 212f.). Aus gegenwärtiger Perspektive präsentiert er sich rückblickend als isolierte und unsympathische Person. Er führt dieses Verhalten nun ausdrücklich auf die Wirkung der Droge zurück: „that’s what opiates do they- they doll you of any (.) you know ability to feel anything“ (T2: Z. 215). Um die Veränderung seines Verhaltens durch den Einfluss der Droge zu verdeutlichen, geht er erneut auf sein Leben vor dem Konsum ein. Er erinnert sich daran, wie er mit seinen Freunden Musik machte, Mädchen traf und Zeit mit seiner Familie verbrachte. Interessant ist auch, dass er sich als Sportliebhaber darstellt und scheinbar durch den Erzählprozess wieder daran erinnert wird, dass Skateboarden zu seinen favorisierten Hobbies gehörte: „skateboarding used to be my life I skateboarded for so: long it was I learned how to skate right there I mean (.) I want- eh- I just remember that I- I totally forgot“ (T2: Z. 220-222). Während er diesen Teil seiner Geschichte mit heiterer Stimme und lebendig erzählt, wirken seine Erinnerungen daran, dass er das Hobby mit dem Beginn des Heroinkonsums aufgab, geradezu wehmütig: „when I started doing heroin I didn’t care about skateboarding anymore“ (T2: Z. 222). Er gibt hiermit zu verstehen, dass sich durch den Einfluss der Droge nicht nur seine Wahrnehmung veränderte, sondern aus dieser resultierend auch seine Interessen: „heroin drug brought me down like so: low, to all I wanna do is lock myself in a room and record music, and make a song perfect“ (T2: Z. 225f.). Er wirkt gelangweilt, wenn er im Folgesegment (29) davon berichtet, dass die Wirkung von Heroin für ihn zur Normalität wurde. Auch hier ‚entschuldigt‘ er seinen Konsum durch ein Verhalten der Gewohnheit, das dem Menschen angeboren sei. Gleichzeitig liefert er eine Begründung für die Fortführung seines Konsums: „we’re creatures of habit (.) I mean anybody does anything long enough and they can get used to it“ (T2: Z. 227f.). Interessant ist, dass er im Folgenden weiterhin seiner Darstellung des Junkie-Daseins eine positive Konnotation verleiht. Er wirkt geradezu stolz, wenn er zu verstehen gibt, dass es nur wenige Menschen in seinem Alter gäbe, die Heroin so lange wie er konsumierten und noch immer am Leben seien. Gründe
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dafür, warum Heroinkonsument*innen an einer Überdosis versterben, sieht er darin, dass sie den Respekt oder die Angst gegenüber der Droge verlören. Auch hier wirkt er in seiner Präsentation dominant, wenn er mir bestimmend zu verstehen gibt: „I don’t care what anybody else’s told and I don’t care what you’ve read.“ Er scheint an dieser Stelle keine weiteren Auffassungen zu tolerieren und auf seinem Standpunkt zu beharren. In Segment 30 ergänzt er: „I held my respect and my fear of drug“ (T2: Z. 242). Hiermit unterscheide er sich von seinen Freunden, die mittlerweile verstorben seien, weil sie seine Einstellung nicht teilten. Durch meine Nachfrage nach dem Zeitpunkt der ersten Heroininjektion wird sein Erzählfluss unterbrochen. Er liefert hierzu umgehend eine Antwort, was ihn vermutlich dazu verleitet, seine weiteren Erinnerungen auf genau diese Situation zu richten. Das thematische Feld seiner weiteren Ausführungen (Segment 31) bezieht sich nachfolgend auf die Schilderung seiner ersten Heroininjektion. Er stellt die Situation bildhaft nach und versetzt sich in die damalige Zeit. Er schildert die Situation zunächst so, als sei er von einem Freund verleitet worden, vom Rauchen zum Spritzen überzugehen. Seine weiteren Ausführungen lassen jedoch darauf schließen, dass er vor allem durch seine eigene Neugierde und dem Verlangen danach, ebenso „excited and happy“ wie sein Freund zu sein, zur Nadel griff: „I saw him and his face and the way he looked at his drugs and the way he looked at his spoon and how excited and happy he was“ (T2: Z. 267f.). Er betont, dass er bereits drei Jahre Heroinkonsument gewesen sei und die Wirkung des Heroinrauchens für ihn zur Gewohnheit geworden und nicht mehr aufregend gewesen sei. Dass sein Freund saubere Nadeln für ihn bereithielt, schien er als willkommenen Anlass gesehen zu haben, zum ‚nächsten Schritt‘ des Heroinspritzens überzugehen. Er versucht im Weiteren die Rauschwirkung zu beschreiben, was ihm jedoch schwer zu fallen scheint. Er grinst und holt tief Luft. Dadurch, dass er zunächst sagt „it felt wrong“ (T2: Z. 274), dabei aber schmunzelt und mit der Aussage anknüpft „it felt too good to be true“ (ebd.), verdeutlicht er den Zwiespalt, in dem er sich offenbar befand: Ihm war bewusst, dass er die ‚gefährliche‘ Droge Heroin konsumierte, vor der er Angst und Respekt hatte. Gleichermaßen erzeugte diese Wirkung der Droge aber ein Gefühl in ihm, das ihn, seinen Darstellungen zufolge, überwältigte. Er beschreibt die Drogenwirkung als ein unvergleichliches Gefühl, das er durch nichts anderes erreichen könne – nur durch den erneuten Konsum der Droge. Er hält an dieser Stelle einen Moment inne und korrigiert seine Aussage. Während er zunächst zu verstehen gibt, dass das Verlangen, den beschriebenen Gefühlsgrad wieder zu erlangen, ein Gefühl der Abhängigkeit erzeugte, gibt er im Folgenden zu verstehen, dass es vielmehr die Praxis des Konsumierens war, von der er abhängig wurde. Interessant ist hierbei, dass er insbesondere imagebildende Faktoren benennt, die seinen Konsum bedingten: „oh I’m so cool and I started watching movies about drug addicts and I thought it was so: cool I was like oh I wanna be like this ultra fucking rock’n’roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool“ (T2: Z. 278-280)
Durch den Einblick in seine durch den Drogeneinfluss bedingten Vorstellungen der Wirklichkeit gibt er Aufschluss auf sein daraus resultierendes Verhalten. Während er seinen Idolen nacheiferte und sich in seiner damaligen Wahrnehmung ‚cool‘ fühlte, wenn er Heroin konsumierte, beschreibt er den Konsum aus gegenwärtiger Perspek-
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tive im anschließenden Segment (34) hingegen weniger euphorisch. Er betont, dass er sich mit der positiven Beschreibung nur auf den Anfang seiner Suchtkarriere beziehe. Im Weiteren geht er auf die Negativauswirkungen – insbesondere auf das Verhalten von ‚Junkies‘ – ein. Er kommt darauf zu sprechen, dass Heroin keine „soziale Droge“ sei, da ihre Konsument*innen sie bei eintretender Abhängigkeit nicht teilten, sondern lediglich auf den eigenen Bedarf bedacht seien. Er beschreibt sich als ‚Junkie‘, der in der Zeit, in der er Heroin rauchte, alle drei Stunden ‚high‘ werden musste. Obwohl er behauptet, dass er „so: strung out, so: fucked up“ (T2: Z. 288) gewesen sei, als er das Spritzen von Heroin begann, stellt er den Übergang zur intravenösen Injektion dennoch als ‚nachhaltigere‘ Variante dar: „once I started shooting like, what used to like wo:rk like I used to bu:y twenty dollars or twenty-five dollars, you know e:very three hours, when I was smoking [...] I: when I started shooting I could buy twenty or twenty-five dollars and they would last me two days“ (T2: Z. 288291)
Obwohl seine Erzählung zunächst den Eindruck erweckt, als wolle er den Übergang zum Heroininjizieren rechtfertigen, geht er im Folgenden auf die negativen Auswirkungen des Konsums ein. „you are like oh I’m saving money it gets me more high, oh this is great (.) u:m (..) and you forget things like (.) I hadn’t worked in six mo:nth, or I don’t pay attention to my girlfriend a long time or I didn’t go to band practice or I didn’t go: to: my sho:w I lost another jo:b, that doesn’t mean anything that’s so: minimal“ (T2: Z. 292-295)
Er gibt zu verstehen, dass Heroin bzw. das damit verbundene Suchtverlangen seine Wahrnehmung und sein Verhalten in dieser Zeit steuerte. Er beschreibt eine Art Gleichgültigkeit allem gegenüber, das sich nicht mit der Rauscherfahrung vergleichen ließ. Er betete die Droge regelrecht an und setzte sich der Macht aus, die sie auf ihn ausübte: „I could have put it up to an altar and pray to it like I cared so: much it was like Go:d“ (T2: Z. 296f.). Seine anschließenden Ausführungen (Segment 36) wirken nahezu selbstmitleidig, wenn er zu verstehen gibt, welche Belastung die Abhängigkeit von der Droge nach über zehn Jahren des Konsums für ihn darstellte. Es scheint, als wolle er Verständnis für seine Situation erzeugen und die Schwierigkeit des Ausstiegs aus der Sucht verdeutlichen, wenn er mich direkt anspricht und sich in die damalige Situation zurückversetzt: „did you know how miserable I was it was misery, half of the time was fun the other half of the time I just wanted a way out, it was like trying to find a fucking needle and a haystack it was like trying to find a key in a fucking sand over there, one key that exists that gets you out that unlocks the door and releases you into freedom for ten years that’s how it felt“ (T2: Z. 299302)
Er gibt zu verstehen, wie ausweglos die Versuche für einen Konsumierenden erscheinen, ein drogenfreies Leben zu führen. Auch wenn er gewillt ist, sich den Drogen zu entziehen, begleitet ihn das Suchtverlangen dennoch: „so if you don’t fix what’s real-
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ly going on inside, nothing changes, so every time I would leave, I get sober and would come back and I would like I’m doing great a:nd I relapsed“ (T2: Z. 307309). Mit der Aussage „if you don’t fix what’s really going on inside“ deutet er darauf hin, dass ein abstinentes Leben eine grundsätzliche Veränderung bedeute bzw. innerlichen Ursachen nachgegangen werden müsse, ehe eine nachhaltige Veränderung und damit ein drogenfreies Leben möglich sei. Dass er über 30 Entziehungsversuche eingegangen sei, bewertet er als deprimierend. Dadurch, dass er jedoch mehrmals betont, wie oft er in einer Rehab gewesen und wieder rückfällig geworden sei, wird nahezu der Anschein erweckt, als wolle er auch damit seine Person herausstellen und Aufmerksamkeit erzeugen. Interessant ist, dass er erneut darauf hinweist, „I never listened I didn’t care I always want“ (T2: Z. 311). Er charakterisiert sich damit selbst als jemanden, der sich nichts sagen lässt/ließ und seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen versuchte. Er unterbricht diese negativ konnotierte Auffassung von sich selbst jedoch, hält einen Moment inne und wendet sich positiven Aspekten seiner Person zu. Er prahlt geradezu damit, welche Wirkung er als ‚Junkie‘ – vor allem auf Frauen – gehabt habe. Auffällig ist, dass er geradezu vorwurfsvoll zu verstehen gibt, dass er keine Hilfe in dieser Zeit erhalten habe. In Anbetracht der Tatsache, dass er jedoch mehrfach an Therapieprogrammen in Rehabs teilnahm, wirkt diese Auffassung widersprüchlich. Innerhalb seiner Präsentation wird deutlich, dass er hierbei zwischen verschiedenen Wirklichkeitsauffassungen wechselt. In seiner damaligen Vorstellung von Realität habe er keine Hilfsangebote erhalten. Aus rückblickender Perspektive gibt er jedoch deutlich zu verstehen, dass er sich durch sein eigenes Verhalten den Hilfsangeboten widersetzte. Diese Interpretation bestätigt sich insbesondere dann, wenn er sich selbst aus gegenwärtiger Perspektive eingesteht: „I was just going to socialize and stroke my ego and go and meet girls“ (T2: Z. 319f.). Innerhalb seiner zwanzigjährigen Suchtkarriere habe er seinen Aussagen zufolge jedoch auch abstinente Zeiten erlebt. So geht er im folgenden Segment (38) auf seine längste drogenfreie Zeit von zwei Jahren ein. Er stellt insbesondere die Komponenten heraus, die diese Zeit in seiner Auffassung zu einer positiven gemacht hätten: er führte eine Beziehung; erhielt einen Job; unterstützte Suchterkrankte auf dem Weg in ein drogenfreies Leben; lebte in eigenem Apartment; sein bester Freund war auch clean; er erfuhr, dass er einen Sohn hatte. In der Beschreibung, wie er den Job erhalten habe, wirkt er stolz und schreibt sich eine positive Charakterisierung zu. Er beschreibt sich selbst aus der Sicht einer Bekannten, die ihm den Job vermittelt hatte: „she said hey you got to hire this guy he’s fucking sober for the first time and you know whatever twelve years and he’s amazing if he can stay sober anybody can stay sober you want him talking to these people you want him working here“ (T2: Z. 334-337). Er wirkt prahlerisch, wenn er über seinen Job berichtet, in dem er ‚Stars‘ in der Rehab betreute. Auch hier deuten betonte Formulierungen wie „big drug addiction“, „and like big habits“ und „so: indulged“ auf eine übertriebene Darstellung hin. Auch hier beschreibt er sich, wie er in der damaligen Situation, seiner Auffassung nach, aus fremder Perspektive wahrgenommen worden sei: „that they would see a guy like me who is poor and doesn’t have anything and comes to work in a fucking you know nineteen fucking seventies Volvo:, and you gotta have respect for something like that because they were all nice to me and they all listened to me and they all were like if this guy is ok and he is happy then we can be ok too“ (T2: 340-343)
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Er erweckt den Eindruck, als ob es ihm gefallen hatte, dass die ‚großen Stars‘ Respekt vor ihm gehabt haben. Auch die Aussage „they all listened to me“ bestätigt die vorige Feststellung, dass er sich zwar von anderen nichts sagen lässt, sich selbst aber gerne als Autoritätsperson darstellt. Auch im weiteren Verlauf seiner Darstellung wird diese Interpretation verifiziert. Er gibt zu: „come on I don’t like anybody telling me what to do“ (T2: 344f.). Es wirkt, als brüste er sich mit seiner damaligen Reaktion gegenüber seinem Chef: „and my boss oh God my boss he told me what to do that’s what bosses do, but I didn’t like it and so I told him fuck off and I was like we should go to your office and talk, I pulled him into his own office to yell at him instead of him pulling me into his office to yell at me, and I didn’t think I was wrong but then I got fired“ (T2: Z. 345-348)
Er zeigt hierbei in der gegenwärtigen Darstellung keine Reue. Die Kündigung des Jobs kann er selbst offenbar nicht nachvollziehen. Interessant ist, dass er in diesem Zusammenhang auf die Reaktionen der Patient*innen eingeht, die seinen Rausschmiss, seiner Auffassung zufolge, anscheinend ebenso nicht akzeptieren konnten: „everyone wanted to leave, they like if you- if you fire him we’re leaving, we are leaving your rehab we quit being here you like not gonna pay your money any more, that’s how much I affected people there, it was pretty cool“ (T2: Z. 348-350)
Er wirkt melancholisch, wenn er sich in die zwei Jahre der Abstinenz zurückversetzt und sich als glückliche Person beschreibt: „I was really happy [...] everything seemed to be going, great“ (T2: Z. 350-354). Dass die Realität offenbar anders ausgesehen hat, verdeutlicht er im Weiteren, wenn er auf die Zeit eingeht, nachdem er seinen Job verlor und die scheinbare Idylle mit Problemen konfrontiert wurde. Während er sich zuvor wenig Problemen aussetzen musste, geriet er im Fortlauf seiner Geschichte in neue Konfliktsituationen, denen er durch erneuten Drogenkonsum zu entfliehen versuchte. Anhand seiner Präsentation gibt er Einblick in seine Gedankengänge der damaligen Zeit. Obwohl er zwei Jahre kein Heroin konsumierte, wird deutlich, dass das Drogenverlangen und die damit verbundene Rauscherfahrung nach wie vor präsent waren: „when I got fired I was very angry and very resentful, and every time I get resentful and angry, or hurt or sad, my brain says I know something that will take that away right now, in two seconds, no fuck it, it one second, you can do it and it’s gonna go away“ (T2: 359-361)
Er kommt hierbei auf die Redewendung ‚a monkey on your back‘ (im Deutschen: ‚einen Affen haben‘) zurück und verdeutlicht diese an seinem eigenen Verhalten: „it’s like having a monkey that speaks English, on your back, holding you, that never let’s go and it’s still there“ (T2: Z. 365f.). Der Affe symbolisiert das ständige Verlangen nach der Droge und die trügerische Vorstellung, dass der Konsum von Heroin ein Ausweg aus der Konfliktsituation sei. Er wechselt im Folgenden seine Perspektive und geht auf die Beziehung zu dem ‚Affen‘ in der Gegenwart ein. Er gibt zu verstehen, „I don’t care to listen to him any more“ (T2: Z. 366f.). Pepe spricht sehr überzeugt von seiner Nüchternheit. Die intensive Wiederholung dieses Aspektes
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scheint für die Darstellung seiner Person besonders wichtig zu sein. Der nüchterne Junkie, der stolz auf seine Abstinenz ist, macht folglich einen entscheidenden Aspekt seines Selbstbildes zu diesem Zeitpunkt aus. Dass der ‚Affe‘ jedoch nicht vollkommen aus seinem Leben verschwunden sei, bestätigt er auf meine Rückfrage. Er behauptet jedoch, dass er mit der Situation nun umgehen könne. Der Vergleich, den er zu anderen Betroffenen aufstellt, erweckt den Anschein, als sei er stolz darauf, dass er es nach so langer Zeit des Konsums schaffe, nicht mehr auf den ‚Affen‘ zu hören. Gleichzeitig wirkt seine Darstellung so, als wolle er im Weiteren Verständnis für seine Situation und das aus der Sucht resultierende Verhalten erwecken. Im folgenden Segment (45) stellt er den erneuten Rückfall nach seiner Kündigung und damit die Fortführung seiner Suchtkarriere als ausweglose Handlungsoption dar: „when you are an adult and you’ve been doing heroin for twelve years and got a job and got fired, you don’t know how to cope with anything“ (T2: Z. 386f.). Er stellt den erneuten Konsum ebenso als Trotz-Reaktion dar: „I’ll show them I’m gonna do relapse and do heroin, fuck them, like it’s gonna hurt them if I go do heroin that how I used to think“ (T2: Z. 387-389), was wiederum seine zuvor dargestellte Persönlichkeit unterstreicht. Ebenso ist es auffällig, dass er sein Verhalten wieder nicht zu bereuen scheint oder kritisch reflektiert, sondern vielmehr sein Verhalten erneut prahlerisch herausstellt. Er brüstet sich geradezu damit, dass er weitere acht Jahre Heroin konsumierte und dadurch nicht umgekommen sei: „it lasted for eight years nobody does that that’s crazy, people relapse and they use for six months or a year or two years maybe three or four years, but nobody just goes like I’m doing heroin for eight years and not stop, it doesn’t happen, people die, it’s dangerous [...] people lose their minds“ (T2: 391-396)
Er scheint der Situation rückblickend immer noch etwas Positives abgewinnen bzw. sich selbst darin bestärken zu wollen, dass er es nun geschafft habe, lange Phasen des Konsums hinter sich zu lassen. Dass seine positiv konnotierte Darstellung die Schattenseiten seiner Sucht lediglich verschleierte, wird aus den anschließenden Ausführungen deutlich. Zuvor gibt er jedoch zu verstehen, dass der Grund, warum er seiner scheinbar ausweglosen Situation als ‚Junkie‘ nicht selbst ein Ende setzte, darin gelegen habe, dass er seinen Hund nicht allein zurücklassen wollte. Er versucht, seine damalige Wahrnehmung zu verdeutlichen, indem er das Verhältnis zu seinem Hund beschreibt. Er scheint in diesem Moment der Erzählung zu realisieren, dass die Bindung zu seinem Hund ihn von seinem Selbstmord abgehalten hatte. Seine Stimme wird ruhiger und gesetzter. Er wirkt traurig und verzweifelt, während er sich in die damalige Zeit zurückversetzt, in der er seinen Heroinkonsum nicht mehr kontrollieren konnte. Er gibt hierbei Einblick in zwei unterschiedliche Vorstellungen, die mit dem Drogenkonsum einherzugehen schienen. Während er zunächst annahm, dass der Konsum von Drogen ‚cool‘ sei und ihn innerhalb seiner musikalischen Entwicklung vorantrieb, zugleich all seine Probleme zu lösen schien, realisiert er im Nachhinein, dass die Droge nach eintretender Abhängigkeit keinen positiven Effekt mehr hervorbrachte: „I gotta do a fucking shot of heroin just to wake up (.) it becomes crazy it becomes insane“ (T2: 413). Trotz dieser Feststellungen geht er im Weiteren – und damit an vorige Erzählmuster anknüpfend – erneut auf die „good times“ seines Konsums ein. Es ist hierbei fraglich, ob er die damalige Situation in der Vergangenheit
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tatsächlich so empfunden hatte oder diese aus Gründen der positiven Selbstinszenierung lediglich übertrieben und positiv („I played a lot of tou:rs and in alot of cool ba:nds“, „I met a lot of cool people“, „I did a lot of amazing things that normal society might look at and say like oh wow“) darstellt. Er versucht, sich bescheiden darzustellen, wenn er sagt: „sure I got to do that it didn’t mean anything but yah I got to do that“ (T2: 416f.). Ebenso verdeutlicht er am Beispiel suchterkrankter Berühmtheiten, dass Heroinabhängigkeit ein Phänomen sei, das alle Gesellschaftsschichten betreffe. Aus seinen weiteren Ausführungen lässt sich jedoch auch die Lesart ableiten, dass er genau so sein und wahrgenommen werden wollte wie seine prominenten, drogenkonsumierenden Vorbilder – zumindest deutet er dies im Nachhinein an: „but I used to be so:, hungry to go and be with, in that scene, I wanted to know everybody and I was like“ (T2: Z. 421). Interessant ist, dass er diesen Satz nicht weiter ausführt und sich von seiner damaligen Selbstvorstellung ausgehend in die Realität versetzt: „it is so stupid“ (T2: Z. 422). Als Kontrast zur vergangenen Selbstauffassung, vor und während des Heroinkonsums, gibt er im Folgenden zu verstehen, wie er sich aus gegenwärtiger Perspektive sehe und welchen Stellenwert in diesem Zusammenhang insbesondere das Musikmachen einnehme: „the only thing that matters, besides making children (.) I mean maybe I’m a hippie or maybe I just think very narly but that’s what I believe now, and I refuse to worry about stupid shit I refuse now now that I’m not on heroin I refuse to worry about whether I’m good or bad on guitar or that I’m a good or bad drummer of course like I’d- I had played drums and I know when I fuck up or when I play I know when I’m playing bad but I don’t really care it doesn’t really matter“ (T2: Z. 424-429)
Er kommt hierbei auf einen Bekannten zu sprechen, den auch ich kennen gelernt hatte. Am Beispiel des Bekannten verdeutlicht er seine Haltung gegenüber dem Musikmachen. Von der gegenwärtigen Situation ausgehend blickt er zurück auf seinen letzten Entzugsversuch. Er betont mehrmals, wie ‚hart‘ dieser letzte Entzug gewesen sei. Diese Präsentation könnte zum einen – in Anbetracht seines vorherigen Erzählmusters – darauf hinweisen, dass er durch eine übertriebene Darstellung versucht zu verdeutlichen, wie ‚großartig‘ seine Leistung war, diesen Entzug dennoch eingegangen zu sein, und entsprechende Anerkennung erwartet. Andererseits könnte diese Erzählung seiner tatsächlichen Wahrnehmung entsprochen und eine große Belastung für ihn dargestellt haben. Bevor er jedoch an dieser Stelle weiter ins Detail geht, holt er weiter aus und versucht, sein Suchtverlangen vor Antritt des Entzuges zu verdeutlichen. Mit der Beschreibung seines Konsumverhaltens und der damit verbundenen Flucht vor der Realität wird der Kontrast zu seiner weiteren Ausführung, in der er über die Auswirkungen des Entzuges von der Droge berichtet, deutlich: „I am kicking and I’m detoxing it was so: awful it was so: brutal it was so: painful it was mentally draining it was physically draining I didn’t sleep for a month or two I didn’t fucking eat correctly, I was pushing myself to exercise to get tired um my dog would lay next to me and would stare at him“ (T2: Z. 452-455)
In seinen folgenden Ausführungen geht er sehr sachlich auf den Prozess des Entzuges und der Rückführung in ein abstinentes Leben ein. Er stellt sowohl die körperli-
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chen Abläufe als auch die emotionale Befindlichkeit sehr bildhaft dar. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass er davon ausgeht, dass dieser Prozess von NichtBetroffenen nicht nachvollziehbar sei. Er liefert im Folgenden einen Erklärungsversuch, warum Menschen, die über einen längeren Zeitraum Heroin konsumieren, es schwerer hätten, vom Heroin zu entgiften. Er erklärt in diesem Zusammenhang die chemisch-neurobiologischen Prozesse, die im Körper bzw. im Gehirn von Suchterkrankten ablaufen. Interessant ist, dass er innerhalb dieser Ausführungen indirekt einen Erklärungsansatz für seine oftmals als übertrieben aufzufassende Erzählweise liefert: „when you get sober and you detox, you’re living your live without that, so every time I stand u:p or mo:ve or ro:ll or having a emotion it’s amplified it’s so: intense I’m soa:r from just walking down the stairs, I’m soa:r just from just sitting up (.) u:m something on TV is kinda sa:d no it’s so: sad or something makes me angry, I’m so: angry and it’s just your body resetting itself“ (T2: Z. 467-471)
Die Art und Weise seiner Präsentation könnte schlussfolgernd darauf zurückzuführen sein, dass er erst wenige Monate zuvor vom Heroin entgiftet hat, sich sein Körper daher noch im ‚resetting‘-Prozess befindet und seine Emotionen daher verstärkt sind bzw. er diese in Folge dessen überspitzt darstellt. Auf meine Nachfrage hin, gibt er im Weiteren zu verstehen, warum er sich letztendlich dazu entschiedenen hat, erneut einen Entzug einzugehen, obwohl er wusste, dass dieser vermutlich noch schwerer als die vorigen werden würde. Er schildert seine Lebenssituation vor dem Entzug und gibt zu verstehen, dass er ohne die Zufuhr einer weiteren Heroininjektion Entzugserscheinungen erlitten hätte, die sein Leben kontrollierten. Er nennt eine Reihe von Faktoren, welche die Beweggründe für einen weiteren Entzugsversuch darstellten. Das Aufkommen dieser positiven Einflussfaktoren interpretiert er als eine Art schicksalhafte Fügung. Ihm scheint in dieser Situation bewusst geworden zu sein, dass ihm nur noch zwei Handlungsoptionen zur Verfügung standen: Entweder begibt er sich erneut in den Entzug oder er riskiert, zu sterben. Sein Leben weiterhin als ‚Junkie‘ zu verbringen, sah er zu diesem Zeitpunkt als keine Option – wie er auch in Gesprächen mit mir vor dem Entzug zu verstehen gab. Wenn er im letzten Segment der Haupterzählung über die Zeit unmittelbar nach dem Entzug und damit einhergehende Erfahrungen spricht, lächelt er und hält einen Moment inne. Er erweckt den Eindruck, als ob er diese Phase als eine sehr positive empfunden habe. Seine weiteren Ausführungen bestätigen diese Vermutung: „life was so: easy everything is so: easy now“ (T2: Z. 508). Ein Leben ohne den zwanghaften Konsum von Drogen führen zu können scheint wie ein Befreiungsschlag für ihn zu sein. Er stellt in seinen Ausführungen insbesondere den Aspekt der Entscheidungsgewalt heraus, die er nun zurückgewonnen habe. Es sei folglich nicht mehr die Droge, die über seine Handlungsoptionen entscheide, sondern er selbst habe nun die Kontrolle darüber. Ebenso betont er, dass er die vergangenen Jahre – und damit seine fast zwanzigjährige Heroinsucht – nicht bereue. Hierbei knüpft er an die bereits in Segment 24 getätigte Äußerung „it is just the way the universe happened to unfo:ld“ (T2: Z. 190f.) an. Auch hier scheint er seine Lebenssituation überspitzt positiv darzustellen. Er erweckt den Anschein, als könne er nun mit Problemen, die in seinem Leben auftreten, umgehen, ohne sich diesen durch erneuten Konsum von Heroin zu
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entziehen. Er stellt sein Leben so dar, als wolle und könne er sprichwörtlich von ‚Luft und Liebe‘ leben. Folglich erscheinen seine Selbstvorstellungen einfach und bescheiden: „the only things that are important to me are the people in my life and my friends and my girlfriend and producing and backsinging and playing guitar for fun, and living comfortably I don’t want an amazing car I don’t want an amazing place if I can eat and live my life comfortably that- I’m gonna be fine“ (T2: Z. 521-524)
10.4
SCHRITT 3: REKONSTRUKTION DER FALLGESCHICHTE
Im Folgenden wird eine Verbindung zwischen Pepes biographischen Daten, den thematischen Feldern sowie dem sich daraus ableitenden Präsentationsinteresse hergestellt. Hierbei werden die einzelnen Segmente, in denen Pepe über die Themenbereiche Kindheit und Jugend, Musikalischer Entwicklungsverlauf, Suchtverlauf und Autorität(en) spricht und die als zentrale thematische Felder seiner Erzählung festzustellen sind, einer genaueren Analyse in Bezug auf Pepes erlebte Lebensgeschichte unterzogen. 10.4.1 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Kindheit und Jugend Pepe beginnt seine Erzählung (Segment 2) mit einer Aneinanderreihung von demographischen Daten zu seiner Herkunft. Er scheint diese Punkte schnell abhaken zu wollen und diesen wenig Interesse zu schenken. Dies könnte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass er diesen Lebensdaten keine besondere Bedeutung zuschreibt oder hierzu bewusst keine weiteren Informationen liefert, weil er diese Phase seines Lebens nicht thematisieren will. Während er zunächst keine Besonderheiten in seiner Kindheit nennt, lässt sich anhand seiner weiteren Ausführungen jedoch vermuten, dass insbesondere sein Vater einen prägenden Einfluss auf die familiäre Situation ausübte und Pepes weiteren Entwicklungsverlauf beeinflusste. Diese Lesart lässt sich dadurch bestätigen, dass er im direkten Anschluss an das einleitende Segment auf die Alkoholsucht seines Vaters zu sprechen kommt. Obwohl der Vater zunächst in seinem Leben präsent war, gibt er bereits in seinen einleitenden Sätzen zu verstehen, „my father was not in my life“ (T2: Z. 8). Hieraus lässt sich ableiten, dass sein Vater frühzeitig die Familie verließ oder Pepe diesen nicht als Vaterfigur in seinem Leben anerkannte. Beide Lesarten lassen sich im Folgenden bestätigen. Der Vater verließ die Familie, als Pepe in der ersten Klasse war. Aufgrund seiner Alkoholsucht schien er zuvor jedoch seinen väterlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein und übernahm keine Verantwortung für die Familie. Pepes Ausführungen zufolge habe insbesondere seine Mutter unter dem Verhalten des Vaters gelitten, was wiederum Auswirkungen auf die gesamte Familie gehabt habe: „know it bothered my mum a lot which had an effect on all of us“ (T2: Z. 15f.). Dass er seinen Vater unter der Alkoholsucht leiden sehen musste, lässt auf nachhaltige Folgen für Pepes weiteren
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Entwicklungsverlauf schließen. Diese Vermutung bestätigt sich jedoch nicht innerhalb seiner weiteren Ausführungen, sondern lässt sich erst im Rahmen des Nachfrageteils (Segment 72) verifizieren. Da er nicht weiter auf die Auswirkungen des Verhaltens des Vaters eingeht, lässt sich vermuten, dass Pepe diesen Teil seines Lebens verdrängen will bzw. ihm die Auswirkungen auf sein eigenes Verhalten in der damaligen Situation nicht bewusst waren. Beide Lesarten können anhand seiner folgenden Ausführungen belegt werden. Zunächst gibt er in Segment 4 zu verstehen, dass das Verhalten des Vaters insbesondere negative Auswirkungen auf seine Mutter gehabt habe. Mit der Aussage „I used to think I was okay about it“ (T2: Z. 26f.) deutet er an, dass er versuchte, die familiäre Situation zu verdrängen und sich einzureden, dass alles in Ordnung gewesen sei. Er gibt jedoch aus gegenwärtiger Perspektive zu, dass er sich diese Gedanken nur einredete („I wasn’t [okay] about it“). Dass ihn die Situation belastet haben muss, wird auch daran deutlich, dass er sich rückblickend als sehr sensibel beschreibt, wenn es um das Thema Vater in der Vergangenheit ging. „I was very sensitive about people bringing up my father and I was very sensitive about people talking about my father not being here“ (T2: Z. 27f.). Diese Aussage lässt die Lesart zu, dass er Probleme im Umgang damit hatte, dass sein Vater nicht anwesend war. Es scheint ihn nicht nur überfordert zu haben, dass die Vaterfigur zunächst fehlte. Ebenso konnte er mit der plötzlichen Wiederkehr dieser nicht umgehen. Dadurch, dass sein Verhalten außer Kontrolle geriet und seine Mutter nicht mehr mit ihm umzugehen wusste, schickte die Mutter ihn wieder zum Vater, zu welchem er über fünf Jahre keine Beziehung hatte. Pepe vermittelt das Gefühl, als habe er sich ‚abgeschoben‘ und nicht gewollt gefühlt. Interessant ist, dass er seine Geschwister in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Auch wenn zu vermuten ist, dass er mit dem Umzug zu seinem Vater auch die Bindung zu seinen Geschwistern verlor, lässt sich diese Hypothese anhand seiner weiteren Ausführungen nicht verifizieren. Es geht aus seiner Erzählung jedoch hervor, dass, obwohl ihm die Vaterfigur fehlte, es ihm schwer fiel, eine Verbindung zu diesem aufzubauen: „living with somebody that you don’t know, but knowing that they are your father, is really hard (.) it’s really tough (.) u:m I had to put up a lot of: (.) just (mystery) a:nd not knowing and not knowing how to talk to hi:m, not knowing what upset hi:m“ (T2: Z. 33-35)
Dass diese Situation ihn belastete, wird aus seiner Aussage „which is too much to ask of any kid, it’s too much responsibility for any kid“ (T2: Z. 35f.) deutlich. Wenn er behauptet, „I raised myself“ (T2: Z. 37), gibt er indirekt zu verstehen, dass ihm die elterliche Erziehung und Fürsorge gefehlt habe. Die Folgen der Überforderung, vermutlich gekoppelt mit einem Gefühl von Wut und Traurigkeit, machen sich in seinem geschilderten Verhalten kenntlich: Er hört nicht auf seine Eltern – weder auf seine Mutter noch auf seinen Vater, die ihm weder Zuneigung schenken noch für ihn Autoritätspersonen darstellen. Die Vermutung, dass Pepe sich folglich seine Aufmerksamkeit und Vorbilder, an denen er sich orientieren konnte, an anderer Stelle suchte, geht aus seinen weiteren Ausführungen hervor: „I listened to the streets and I listened to my friends on the streets and I had listened to: (.) anything that was outside of my house“ (T2: Z. 38f.). Es lässt sich in diesem Zusammenhang auch die Hypothese formulieren, dass er sich auf der Straße frühzeitig durchzusetzen lernte. Ebenso erscheint das Verlassen des Elternhauses, wann immer ihm die Gelegenheit
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geboten wurde, als eine Art Flucht vor den heimischen Verhältnissen und damit verbundenen Belastungen. Diese Vermutung bestätigt sich, wenn Pepe behauptet: „the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tale land, it was like going and living somewhere where everything was oka:y, and I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit that is life and we deal with that is real (.)“ (T2: Z. 39-42)
Außerhalb des elterlichen Umfeldes schaffte er sich seine eigene Realität, die ihn von seinen Problemen und Sorgen abschirmte und in der er das Leben eines ‚normalen‘ Jugendlichen führen konnte, der Skateboard fuhr, sich mit Freunden traf, Musik hörte und Filme schaute. Insbesondere war er am Musikmachen interessiert. Durch seinen Freund wurde er mit ca. 13 Jahren an das Gitarrespielen herangeführt. Er beschreibt sich in dieser Zeit als einen arglosen Jungen, der nur das Musikmachen im Kopf hatte: „it was s:o fun (.) almost like some fun we were like (.) you go to school (.) and you do your work all da:y and you see a pretty gi:rl and you going (through p... video) or what ever but only thing you are thinking about is after and all wanna go do is playing music and don’t you don’t give a shi:t or you don’t give a fuck about anything else, that’s how exciting and pure it used to be it used to be so rea:l and so pure and so: innocent (.) oh innoc-=innocent is the perfect word it used to very innocent, we were just kids that love music that just learned how to play their instruments and all they wanna do is share it with somebody else and all they wann do is play with other people“ (T2: Z. 81-87)
Er brachte sich in dieser Zeit unterschiedliche Instrumente autodidaktisch bei und gründete verschiedene Bands. Mit 16 Jahren erhielt er seinen ersten Job, besaß ein eigenes Auto und mietete – seinen Aussagen zufolge – eigenständig ein Zimmer in einem Apartment. Er behauptet, dass er bei einer 32-jährigen Frau einzog, die ihm einen Raum günstig vermietete, dafür aber auch versuchte, mit ihm Sex zu haben. Aus Pepes Darstellung geht nicht hervor, ob er auf dieses Angebot einging. Er gibt jedoch zu verstehen: „[she] was like trying to have sex with me all the time and I was like oh: I-=you don’t know those when you are young, you just like oh she is such a nice lady she’s give me like a room to live in and so cheap rent and like she= just the same old shit that happens every day but besides there whatever it’s not important u:m (.)“ (T2: Z. 110-113)
Seine Darstellung wirkt naiv und wenig reflektiert. Dadurch, dass er diese Anekdote nicht weiter ausführt und sie als „unwichtig“ bewertet, ist zu vermuten, dass ihm weitere Ausführungen unangenehm sind bzw. er vertuschen will, dass er tatsächlich auf das Angebot der ‚Vermieterin‘ eingegangen ist. Er vermittelt ebenso den Eindruck, als sei die Anekdote nicht weiter erwähnenswert, „the same old shit that happens every day“ (T2: Z. 112). Darauf, dass seine ‚Dienstleistung‘ – sofern er sie tatsächlich eingegangen war – an Prostitution grenzte, geht er nicht ein. Vielmehr stellt er in diesem Zusammenhang sein generelles Verhalten mit 16 Jahren als das eines ‚normalen‘ Teenagers dar. Auch sein Konsumverhalten zu dieser Zeit schätzt er rückbli-
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ckend als nicht außergewöhnlich ein. Interessant ist, dass er über seinen Konsum im Teenageralter zunächst behauptet, dass er sowohl Alkohol getrunken als auch Weed, Ecstasy, Kokain und Speed probiert habe (vgl. T2: Z. 117f.). Im Weiteren gibt er jedoch zu verstehen, dass alles, was er vor dem Konsum von Heroin zu sich nahm, für ihn keine ‚Drogen‘ gewesen seien und er sich in seinem Konsum nicht von anderen Jugendlichen in seinem Alter unterschieden habe: „everything before this is me no drugs, just kid smoking pot someti:mes [...] mushrooms one time, alcohol high school parties normal kid“ (T2: Z. 184-188). Wenn er des Weiteren behauptet „I didn’t know what heroin was I didn’t know what anything was“ (T2: Z. 116f.) und „when I started doing heroin it was like doing pot and weed for the first time, because I didn’t know that you can smoke heroin (.) I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d“ (T2: Z. 194-196), schreibt er sich ein naives Verhalten zu, das mit Unwissenheit und Neugierde verbunden war und schließlich in den Erstkonsum von Heroin führte. Interessant ist, dass er im Nachfrageteil auf die Frage nach der Hauptursache des Heroinkonsums eine Rückblende in die Vergangenheit schafft und die Ursache seiner Suchtentstehung auf die familiären Zustände in seiner Kindheit und Jugend zurückführt: „growing up sad growing up sad and hurt and being a kid and feeling too much and watching your father and your mother fight and not being together watching you alcoholic dad being poor watching your brothers and sisters be poor, it was those things that lead up and you’re a kid and you feel all this awful stuff, and little kids do not process things they live from one day to the next“ (T2: Z. 769-773)
Er beschreibt hierbei einen Gefühlszustand, den er, wie er zuvor ausgeführt hat, zum Zeitpunkt des Geschehens in der Vergangenheit auszublenden versuchte. An dieser Stelle wird jedoch deutlich, dass ihm die familiäre Situation (Streit der Eltern, Alkoholabhängigkeit des Vaters, Kinder wachsen in armen Verhältnissen auf) unterbewusst mehr zu schaffen machte, als er sich in dieser Zeit eingestehen wollte. Er gibt zu verstehen, dass er als Kind „all this awful stuff“ ertragen musste. Er scheint diesen Zustand jedoch verdrängt und kein Ventil dafür gehabt zu haben, seine Gefühle herauszulassen bzw. die damit zusammenhängenden Geschehnisse zu verarbeiten. „cause when you’re a kid it’s like a sponge, but once you become an adult whatever you learned, during that kid time when you’re soaking everything up (.) that’s who makes you who you are, so once I became an adult and my brain was set like I was not a baby tree anymore I was like grown (thing) in there I was set all I had learned and known is God all that pain and all that fucking bullshit“ (T2: Z. 778-782)
Die Geschehnisse seiner Kindheit scheint er wie ein Schwamm aufgesaugt zu haben, so dass sie ihn, auch wenn er sich das vermutlich nicht eingestehen wollte, nicht mehr losließen. Um dem Schmerz und „all that fucking bullshit“, der ihm in seiner Kindheit und Jugend widerfahren war, zu verdrängen, sah er den Konsum von Heroin als Möglichkeit der Flucht. Heroin ließ ihn seine Erfahrungen vergessen und betäubte seine Gefühle. Unter dem Einfluss von Heroin schien für ihn ‚alles in Ordnung‘ zu sein:
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„when I got introduced to heroin and it makes me not feel pain (.) I thought I found a solution I thought I found oh this is the answer, this is- instead of like processing it and talking about it, it became (.) oh heroin will take care of everything (..)“ (T2: Z. 782-784)
Er gibt rückblickend jedoch zu verstehen, dass es sich bei dieser Auffassung um einen Trugschluss handelte. Heroin habe nie seine Probleme gelöst oder ihm geholfen, seine Vergangenheit zu bewältigen: „I never processed it, I- instead I- I shot heroin, and it was a quick answer it was a quick fix“ (T2: Z. 790f.). 10.4.2 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Musikalischer Entwicklungsverlauf Die eigene Musikkarriere spielt in Pepes Haupterzählung zwar eine zentrale Rolle. Mehr Auskunft gibt Pepe hierüber jedoch erst innerhalb des Nachfrageteils – nicht zuletzt aufgrund dezidierter Nachfragen von mir. Im Folgenden werden Segmente einer genaueren Analyse unterzogen, in denen Pepes musikalischer Entwicklungsverlauf thematische Felder einnimmt. Ehe Pepe in Segment 10 auf den Prozess des Musikmachens eingeht, weist er in Segment 7 bereits darauf hin, dass sein künstlerischer Werdegang im Alter von elf Jahren begonnen habe. Interessant ist, dass es – seinen Ausführungen zufolge – derselbe Freund war, welcher ihm Kunst näherbrachte, der ihn auch an Drogen heranführte. Er gibt zu verstehen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch wenig von Photographie oder Filmen verstand („I didn’t understand those thing“), seinem Freund aber glaubte, was er darüber erzählte („you don’t think about it and believe it“). Er ist der Auffassung, dass er erst, als er ein Verständnis für die Dinge, die ihm nähergebracht wurden, entwickelte, sich als eine Art ‚Künstler‘ verstand. Über die Vorstellung darüber, was einen Künstler ausmache, liefert er folgende Definition: „when you take o:n those types of things and you understand them that differentiate you that=that separates you from a person who’s an artist and a person who’s not an artist because most of the people in society are not artists you just go to the movies it’s entertaining it’s like bubblegum (.) they chew it and it tastes good and then when the flavor is gone oh they go home but for me: I go and I endure it and it tastes good forever and I remember the movie and I remember the line that I lo:ve and I remember the actor and his face and that’s what I believe separates us from the rest of society that’s what makes us an artist“ (T2: Z. 50-56)
Durch die Formulierung „us“ wird deutlich, dass er sich selbst als Künstler sieht. Er geht sogar so weit, dass er sich eine Art „art organ“ zuschreibt, das sich nicht erwerben ließe, sondern ihm angeboren sei. „I learned that very young I learned that I lo:ved anything that was no:t (.) something you learned in school, something that you not taught, it felt like something I was born with, it felt like something that was part like another organ, like the art organ it felt like just like something that was inside of me“ (T2: Z. 56-59)
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Er stellt sich hierbei als besonders talentiert dar, was an seinen folgenden Ausführungen deutlich wird. Zunächst geht er darauf ein, wie und durch wen er an das Musikmachen herangeführt wurde. Dabei erwähnt er, dass er Musik schon immer geliebt habe und stellt seine Offenheit gegenüber diversen Musikstilen und Künstler*innen heraus. Sein bester Freund aus Kindheitstagen brachte ihm bereits im frühen Teenageralter Bands wie Metallica, Megadeath oder Nirvana näher. Der Freund erhielt zu dem damaligen Zeitpunkt bereits Gitarrenunterricht und brachte Pepe seine Lieblingssongs auf der Gitarre bei. Pepe wirkt in seinen Ausführungen geradezu euphorisch. Er scheint eine besondere Leidenschaft mit dem Musikmachen zu verbinden: „it make me feel good and it give me goose bumps (.) and it make me feel excited like I didn’t really care“ (T2: Z. 65f.). Auffällig ist hierbei, dass er dem Musikmachen eine ähnliche Wirkung zuschreibt wie dem späteren Konsum von Heroin. Er beschreibt den Prozess, wie sein Freund nach dessen Unterricht ihm das, was er selbst gelernt hatte, auch Pepe beibrachte. Er sieht hierin „the beginning of my music (.) adventure, my music experience my music relationship, with direct contact to an instrument and creating music“ (T2: Z. 74f.). Es scheint, als wolle er sich als bescheiden präsentieren, und stellt deshalb seine schnelle Auffassungsfähigkeit und sein musikalisches Talent aus der Perspektive seines Freundes dar: „he: was pretty amazed and pretty surpri:sed I wasn’t- I di- I just- I wasn’t I just-didn’t make any sense to me but for him it was pretty amazing that I was able to learn things very things very fast“ (T2: Z. 75-77). Dass er jedoch auch selbst von seinen Fähigkeiten überzeugt war, wird im Folgenden deutlich – u.a. wenn er behauptet, dass er schnell ein besserer Gitarrenspieler als sein Freund wurde: „I was able to surpass him and become a better guitar player than him very fast“ (T2: Z. 77f.). Mit seinem Freund und weiteren Kollegen gründet er seine erste Punk Rock-Band. „(.) in the beginning it was s:o fun (.) almost like some fun we were like (.) you go to school (.) and you do your work all da:y and you see a pretty gi:rl and you going (through p... video) or what ever but only thing you are thinking about is after and all wanna go do is playing music and don’t you don’t give a shi:t or you don’t give a fuck about anything else“ (T2: Z. 81-84)
An anderer Stelle im späteren Verlauf des Interviews (Segment 62) ergänzt er hierzu: „that the was the funniest band I’ve ever been in, we drank some beer we smoke weed and we will write songs and would be overca:st and would be raining and we call each other and I’m think about it now I’m getting goosebumps you call each other and it will be like hey man you wanna show up and gonna go fucking write some punk rock songs, it was so: fun (.) a:nd we had some minor success we- like locally everybody know who we were our friends will like wow you practice so: much and it was fun it was like (.) you can’t duplicate it was a time in my life that you can not duplicate it was amazing“ (T2: Z. 633-639)
Das Musikmachen wurde fortan zum Lebensmittelpunkt. Er beschreibt diese Zeit als aufregend und „pure“ (T2: Z. 84). Insbesondere letztere Zuschreibung wiederholt er mehrmals: „it used to be so rea:l and so pure and so: innocent (.) oh innoc-=innocent is the perfect word it used to very innocent“ (T2: 84). Er beschreibt sich als „unschuldigen“ Jungen, in dessen Realitätsvorstellung das Musikmachen den Hauptbestandteil einnahm, der ihn zu erfüllen und von seinen familiären Sorgen abzulenken
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schien. Das Konzept, Musiker zu sein, bestand in dieser Zeit insbesondere daraus, Spaß zu haben und die Musik mit anderen Menschen zu teilen: „we were just kids that love music that just learned how to play their instruments and all they wanna do is share it with somebody else and all they wanna do is play with other people um (.) I did that for a long time, I didn’t know about making mone:y or recording a so:ng or writing a so:ng, we just wanted to play the songs that we liked to listen to (.) we didn’t care about anything else“ (T2: 86-89)
Er gibt an dieser Stelle – wie auch im späteren Verlauf seiner Erzählung (Segment 61) – zu verstehen, dass er in dieser Zeit noch keinerlei kommerzielle Absichten verfolgte oder sich keine professionelle Musikerkarriere erhoffte: „it was like here and now I just wanted to play music for fun just to play, to feel, just to learn songs“ (T2: Z. 617f.). Interessant ist jedoch, dass er bereits als Teenager prominente Musiker*innen traf, die ihn in seinem Vorhaben, Musik zu machen, bestärkten.7 „when I was younger I got to meet (.) u:m some pretty famous musicians (.) that were a lot older than me like classic Rock musicians and current musicians and Pop musicians that had a big influence on me and these people were always telling me like you have to keep playing music, this it is what you are meant to do: (.) trust me just keep doing“ (T2: Z. 89-93)
Während das Musikmachen für ihn in erster Linie mit Spaß verbunden war, wurde dieses jedoch mit fortschreitendem Alter und Banderfahrung immer mehr zu einer „Obsession“ (T2: Z. 93). Nachdem er den Spaß am Gitarrespielen verlor und gelangweilt davon war, wechselte er zum Bass und später zum Schlagzeug. Nach demselben Muster wie zuvor verlor er auch hieran schnell die Lust. Auch an dieser Stelle betont er seine Fähigkeiten, die ihn, seinen Vorstellungen nach, von anderen Musiker*innen absetzten: „I would learn that instrument by myself- even if I didn’t own the instrument, if I never didn’t have one in my house I learned it and I became better at it than anybody else that I knew (.) and I don’t know if its talent or obsession o:r natural, just ability I don’t know I=I can’t explain it but (.) it’s just the way (..) music (.) is ingrained it’s like in my DNA“ (T2: Z. 98-101)
Er hält die Fähigkeit des Musikmachens bzw. das Gespür für eine Art genetische Veranlagung. Erneut geht er darauf ein, dass das Musikmachen für ihn niemals belastend, sondern immer mit Spaß verbunden gewesen sei. Mit 18 Jahren schien er jedoch an einem Wendepunkt angelangt gewesen zu sein, an dem ihm das Musikmachen nicht mehr den beschriebenen Spaß-Faktor brachte. Hierzu gibt er sowohl in den Segmenten 18-22 als auch im Nachfrageteil in den Segmenten 61-63 Einblick in seine damaligen Vorstellungen sowie Auskünfte über seine damaligen Lebensverhältnisse. Interessant ist, dass dieser Wendepunkt in seiner Auffassung, Musiker zu
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In einem Vorgespräch behauptet Pepe, dass er seine erste Gitarre von Jackson Browne erhielt, als dieser ihn während eines Gigs auf dem Geburtstag seines Neffen, mit dem Pepe befreundet ist, spielen hörte.
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sein, genau dann einzutreten schien, als weitere belastende Faktoren in seinem Leben zusammenkamen: erneut wird er von seinen Eltern ‚abgeschoben‘; er zieht in das Apartment einer älteren Frau ein, die (dafür) mit ihm Sex haben will; er ‚fliegt‘ von der Schule. Auf musikalischer Ebene gibt er zu verstehen, dass das Musikmachen immer mehr zu einem „Job“ (T2: Z. 128) wurde. Es war aber gleichzeitig auch der Zeitpunkt, an dem sein bester Freund, der in der Zwischenzeit heroinabhängig wurde und daher das College verlassen musste, nach Los Angeles zurückkehrte und Pepe an den Konsum von Heroin heranführte. Hierbei stellt sich die Frage, ob der Wendepunkt den Konsum von Heroin bedingt hat oder ob der Konsum von Heroin ein Faktor war, der zum Wendepunkt in seiner Auffassung, Musiker zu sein, führte. Zunächst begannen Pepe und sein Freund, Musik miteinander aufzunehmen und andere Künstler*innen zu produzieren. „when I started hanging out with him again we started recording music together, and that was my introduction into recording music (.) and that’s what I=that’s what I mean by- when I was eighteen like that’s when it became like a jo:b, like oh hold on- hold on go stop I gotta hit record first, and it became a job, before it was like I’m a kid let’s ja:m, you know we play we jam in a room“ (T2: Z. 126-130)
Er verbindet mit dem zuvor thematisierten Wendepunkt in seinem Entwicklungsverlauf und den damit verbundenen Selbstvorstellungen insbesondere zwei negative Aspekte: „the two negatives where tha:t I learned (.) to no:t like music and I learned what heroin was, at the same time“ (T2: Z. 132-133). Auf den ersten Aspekt geht er aufgrund der Nachfrage von mir genauer ein: „it became work for me [...] and I didn’t like when people like oh can you play that again or can we do- can we take another take, do you think we can do the bass line better or can you play the guitar like this or can I put some distortion on your guitar (.) that’s work“ (T2: 135139)
Hier wird erneut ein Autoritätsproblem erkennbar, das bereits zuvor thematisiert wurde. Dadurch, dass er für andere Künstler*innen arbeitete, nahm er eine Dienstleistungsrolle an, in der er sich an seinen Kundinnen und Kunden orientieren musste. Diese Rolle scheint jedoch seiner Selbstcharakterisierung widersprochen zu haben, dass er sich von anderen nicht gerne etwas sagen lässt. Er versucht mir die Veränderung seiner Auffassung des Musikerdaseins zu verdeutlichen und führt hierzu aus: „I became adjusted it became habit it became normal for me to think that way, oh my music has to sound this way“ (T2: Z. 141f.). Interessant an dieser Stelle ist, dass er seine Motivationen schildert, die ihn in seinem Denken über Musik bzw. den musikalischen Prozess beeinflussten: „because I need- like be fa:mous and I wanna make money“ (T2: Z. 142). Hier wird deutlich, dass sich sein musikalischer Prozess und das Denken über das Musikmachen seinen Selbstvorstellungen, berühmt zu werden und Geld mit der Musik zu verdienen, anzupassen schienen. Sein Konzept, Musiker zu sein, konstituierte sich seinen Angaben zufolge fortan zunehmend aus dem Bestreben danach, „how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic“ (T2: Z. 173-175).
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Wenn allerdings seine Aussage im späteren Nachfrageteil berücksichtigt wird, anhand der er zu verstehen gibt, dass sich die Vorstellung des berühmten Rockmusikers erst durch den Konsum von Heroin konstituierte, ist zu fragen, was hierbei welche Reaktion bedingt hat. „when I started doing heroin it- my outlook changed it was I gotta be amazing and I gotta be a professional and I wanna be a rockstar and I wanna be like Jimi Hendrix and I wanna be like this Rock’n’Roll star and I wanna be like that because they do drug:s and drugs are so coo:l (..) it’s all bullshit“ (T2: Z. 618-622)
Interessant ist nicht nur, dass sich seine Haltung gegenüber dem musikalischen Prozess bzw. der Vorstellung, Musiker zu sein, erst mit dem Konsum von Heroin zu verändern schien. Auffällig ist auch, dass er hierüber erst auf Nachfrage von mir im Nachfrageteil des Interviews (Segment 61) zu sprechen kommt. Er gibt hierbei sehr klar zu verstehen: „my musical career started with heroin“. Er erwähnt des Weiteren: „in the beginning it was not bad (.) but=like I said earlier it was like an obsession it was li:ke (.) I don’t if I play guitar so many hours a day or practice or went to band practice so many times or- because I was obsessed” (T2: Z. 625-628). Im selben Zusammenhang heißt es jedoch auch: „I just was so fucked up that I didn’t care“ (T2: Z. 625-626). Konsumierte er also Heroin, weil das Musikmachen zu einem Job wurde und er dieses Gefühl verdrängen wollte? Oder entwickelt sich diese Obsession erst während bzw. aufgrund des Konsums? Segment 63 lässt die Lesart zu, dass der Konsum von Heroin dazu beitrug, dass ihm das Musikmachen fortan als Arbeit erschien: „I got strung out on heroin, right after high school, nineteenish, and it seemed like from that on every time I played music it was like work it was like oh God it was like an overthought process like I thought about too much, I thought about how I sounded now, I thought about how I looked, I told you this already how I played how I stood, I didn’t used to think like that before heroin (.)” (T2: Z. 639-645)
Er beschreibt den musikalischen Prozess als „overthought“: Er machte sich Gedanken darüber, wie er Gitarre spielte, wie sein Spielen klang, wie er die Gitarre hielt, wie er auf der Bühne zu stehen hatte etc. Es scheint, als habe er sein Spielen kontrollieren und permanent verbessern wollen – anstatt weiterhin seinem intrinsischen Gespür zu folgen. Er ergänzt hierzu an späterer Stelle: „when I first started listening and playing to music I was so excited to hear new music that’s how I am again in the middle on heroin it wasn’t like that it was so: overthought I was overthinking it like what’s the new album what is that we are listening to right now what’s cool right now“ (T2: Z. 713-716)
Interessant ist hierbei, dass vor allem imagebildende Faktoren zur Selbstinszenierung in den Vordergrund zu rücken schienen und seine Außendarstellung für ihn einen höheren Stellenwert erhielt. Auch Vorbilder schienen hierbei in der Entwicklung einer von außen wahrgenommen Identität eine zentrale Rolle gespielt zu haben – aber auch bei der Entwicklung einer persönlichen Vorstellung von sich selbst:
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„oh I’m so cool and I started watching movies about drug addicts and I thought it was so: cool I was like oh I wanna be like this ultra fucking rock’n’roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool, and that’s the way why I did it the way I did it and I wasn’t afraid to tell I did heroin in the beginning (.) like in the first eight or so years I was very open about it and everybody knew and it’s like uh that and I thought it was so: cool“ (T2: Z. 278-282)
Er sah den Konsum von Heroin folgernd nicht als Laster oder etwas, das er verheimlichen musste. Vielmehr schien Drogenabhängigkeit Teil eines Lifestyles zu sein, den auch seine Vorbilder verfolgten und offen zur Schau trugen. Er wollte ähnlich wie diese wahrgenommen werden und imitierte folglich auch deren Konsumverhalten. Hierbei stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit seine Vorbilder Einfluss auf seine Entwicklung und damit einhergehende Handlungsoptionen und Verhaltensweisen nahmen. Auch seine vorige Aussage „I wanna be like that because they do drug:s and drugs are so coo:l” lässt die Frage offen, ob er sich diese Vorbilder suchte, weil diese auch wie er Heroin konsumierten, oder er aufgrund seiner Vorbilder überhaupt erst den Einstieg in den Konsum fand. Dadurch, dass ihn sein bester Freund an das Rauchen von Heroin heranführte, er sich jedoch gleichzeitig in Los Angeles in einer Szene bewegte, in welcher der Konsum von Heroin nahezu unausweichlich war, erscheinen beide Lesarten denkbar. Einen Hinweis darüber, wie Pepe selbst den Einfluss des Heroinkonsums auf den musikalischen Schaffensprozess in Verbindung mit seinen Idolen gesehen haben könnte, könnte folgende Anekdote über einen Freund liefern: „I have a friend who wanted to do heroin to become a better saxophone player, he said hey man how long you have been doing heroin and told him like oh like you know six seven years has it made you a better musician and I used to say yes, (I go) like yeah man it’s like all I do is play guitar:r and drums he is like yeah man I wanna be like John Coltrane I wanna do heroin“ (T2: Z. 652-656)
Es ist fraglich, ob Pepe bereits vor seinem Konsum glaubte, durch den Einfluss von Heroin ein ‚besserer‘ Musiker sein zu können. Aus seiner Erzählung geht hervor, dass er diese Auffassung zumindest hatte, während er konsumierte. Pepes Darstellungen zufolge schien ihn die Wirkung der Droge zwar von seinem Umfeld zu isolieren, ihm aber dennoch eine Fokussierung auf seinen musikalischen Prozess zu ermöglichen: „it’s only gonna make you focus on one thing, and you not worry about your fucking wife and your kids and your this and your that“ (T2: Z. 650f.). Zuvor erwähnte er bereits im Hauptteil: „all I wanna do is lock myself in a room and record music, and make a song perfect, chord on chord“ (T2: Z. 225f.). Das Musikmachen schien sich unter dem Einfluss von Heroin sowohl auf seine Soundwahrnehmung als auch auf seinen kompositorisch-kreativen Prozess auszuwirken. Interessant ist, dass er seine Wahrnehmung aus gegenwärtiger Perspektive als verfälscht betrachtet und rückblickend eine gegenteilige Wirkung auf seinen musikalischen Prozess beschreibt: „I thought things sounded better or if I thought I was to learn more or if I thought I could be more successful because I was on heroin and playing music it was bullshit, there is no for me
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there is- of course then I was like oh my God that’s such an amazing connection, heroin and music it works so: well together, it’s like oh I could just focus on music only and it’s gonna be (.) all it did was dulled my senses all did is made me a worse musician“ (T2: Z- 556-561)
Die Auffassung „that’s such an amazing connection, heroin and music it works so: well together“ verdeutlicht, dass er – zumindest unter dem Einfluss der Droge – auch eine Auswirkung des Konsums auf seinen musikalischen Prozess festgestellt hatte. Dass diese Wahrnehmung jedoch auf die Rauschwirkung der Droge zurückzuführen war und ihn eigentlich zu einem ‚schlechteren‘ Musiker machte, schien ihm zu dieser Zeit nicht bewusst gewesen zu sein. Er betont dies im Folgenden erneut: „my experience with it made me a worse musician and make me care about music less“ (T2: Z. 567f.). Er verdeutlicht in Segment 60 anhand einer Anekdote aus seinem Alltag als Musiker die Auswirkungen des Konsums – und damit insbesondere die Auswirkungen des zunehmenden Suchtdrucks – auf seinen musikalischen Prozess: „I would go on the road and I was- only thing I thought about before I thought about like oh what guitar am I gonna take, or what- or I asked the singer oh what’s the setlist what songs we are gonna play before any of that I was thinking hmh am I gonna have enough heroin for the trip (.) that was the first thought every time and when I ran out, of heroin like I was in ((laughing)) I was in Portland on ti- oh no I’m sorry I was in Seattle Washington one time on a tour, with some pretty amazing musicians (.) now for a musicians that’s like oh on a bu:s in a tour bu:s and you are in this ama:zing fucking hall and you about to play in front of all these people, and the night before I did all my heroin, gone, now we are in Seattle of course if I walk on the street I gonna find heroin, it wasn’t that easy, and because I couldn’t find heroin (.) me and the piano player he was also a heroin addict, we got plane tickets, and we came to LA and we never played the show, well you tell me how much did I care about music (..) not at all, I didn’t care about it at all, there was something else, it was like where- like a horse raise horse that wears blinders it’s only looking in one direction and can’t see anything else (.) of course I was excited I wanna play where Nirvana played I wanna play this theater (.) but as soon as I run out of heroin it was pffff I’m not gonna band practice, I don’t care about that fucking show“ (T2: Z. 586-599)
Seine Aussagen erscheinen hierbei widersprüchlich. Während er zunächst behauptet, dass er sich unter dem Einfluss von Heroin auf das Musikmachen konzentrieren konnte, gibt er nun zu verstehen, „I’m not gonna band practice, I don’t care about that fucking show“. Einen Grund für letztere Haltung nennt er im Suchtverlangen. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Musikmachen und damit die Fokussierung auf den Konsum scheint dann einzutreten, „as soon as I run out of heroin“. Hierbei wird deutlich, dass das Verlangen nach der Droge und damit das Entgegenwirken gegen Entzugserscheinungen eine höhere Priorität erlangte als bspw. auf Bühnen zu spielen, auf denen bereits Nirvana gespielt hatten. Die Sucht kontrollierte nicht nur sein Verhalten, sondern auch seine Einstellung gegenüber Musik bzw. die Vorstellung davon, wie er sich selbst sah und was er sein wollte. Dass er sich in der damaligen Zeit als Musiker definierte und welche Vorstellungen und Ziele damit verbunden waren, geht aus seiner Formulierung „I was in Seattle Washington one time on a tour, with some pretty amazing musicians (.) now for a musicians that’s like oh on a bu:s in a tour bu:s and you are in this ama:zing fucking hall and you about to play in front of all
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these people“ hervor. Interessant ist, dass er in dieser Zeit längst zum ‚Junkie‘ geworden war, dessen Vorstellungen durch den Konsum bzw. das Verlangen danach gesteuert wurden: „well you tell me how much did I care about music (..) not at all, I didn’t care about it at all, there was something else, it was like where- like a horse raise horse that wears blinders it’s only looking in one direction and can’t see anything else.“ Er war nicht mehr auf das Musikmachen und die damit verbundenen Auftritte fokussiert, sondern auf den Konsum von Heroin. Die Richtung, die er einschlug, war nicht mehr die des ‚professionellen Musikers‘, sondern die des ‚Junkies‘. Damit verbundene Handlungsoptionen hingen fortan mit der Beschaffung und dem Konsum der nächsten Heroininjektion zusammen. Mehrmals beschreibt er, dass das Musikmachen unter dem Einfluss von Heroin immer mehr zu einer „Obsession“ wurde, auf welche er seinen Fokus richtete. Andererseits gibt er über diese Zeit rückblickend jedoch zu verstehen, dass der Konsum der Drogen zunehmend ein Gefühl der Gleichgültigkeit in ihm auslöste: „I just was so fucked up that I didn’t care like I don’t- I don’t know, but I know that I don’t feel like that anymo:re“ (T2: Z. 627f.). Die negativen Auswirkungen des Konsums verdeutlicht er auch im Rahmen der Anekdote über seinen Freund, der Heroin konsumierte, um ein besserer Saxophon-Spieler zu werden: „he did heroin, for a year, and he lost his fucking parent’s support he couldn’t play anymore and- now he plays- he is sober and plays again but, it’s just a small example like it is no: good, it doesn’t benefit there is no positive you know that though there is no positive there is no: trading anything for, heroin that’s a worth trading“ (T2: Z. 652-659)
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Einblicke, die er in seiner Wahrnehmung unter dem Einfluss von Heroin gibt: „when you do heroin it feels so: amazing to be on it, you are like whoa (.) oh my God this feels so good and you are so high so: when go touch something oh man it’s so cool so when you go strung out guitar chord oh wow this sounds so amazing (.) of course everything sounds amazing, cause you feel so amazing, but it’s not real, it’s not ((smiling)) genuine, it’s not (…) internal, it’s something that you have to reach out of yourself to pull into yourself that doesn’t stay then you have to keep grabbing and pulling in and grabbing und pulling in, to hold on to (.) I rather have my music come from inside and come out and always come from inside, not oh I need heroin to sound good, or I need heroin to feel better or oh you don’t have any more heroin uff oh more heroin now the music sounds good again [...] so yeah music and heroin enhanced everything it made everything amazing it made music sound amazing it’s made, you know“ (T2: Z. 737-748)
Interessant innerhalb seiner Darstellung ist, dass er der Wahrnehmung unter dem Einfluss von Heroin eine Sinnestäuschung zuschreibt. Er beschreibt die Wahrnehmung von Musik bzw. von Sound hierbei als „nicht echt“ und durch die Wirkung der Droge hervorgerufen. Mit der Aussage „you feel so amazing, but it’s not real, it’s not ((smiling)) genuine“ deutet er darauf hin, dass seine Vorstellung, durch den Gebrauch von Heroin ein besserer Musiker zu sein, durch den Konsum der Droge beeinflusst wurde. Er hatte seinen Ausführungen zufolge die Auffassung, dass er nur durch den Konsum von Heroin einen besseren Sound erzeugen konnte. Dass sich jedoch
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nicht der Sound an sich, sondern lediglich die Wahrnehmung dessen veränderte, scheint ihm zu dieser Zeit nicht bewusst gewesen zu sein. Wenn er schließlich behauptet, dass „I rather have my music come from inside and come out and always come from inside“, gibt er zu verstehen, dass auch der (kreative) Prozess des Musikmachens von ‚außen‘ durch die Drogenwirkung und nicht mehr – wie zuvor beschrieben – durch eine intrinsische Wahrnehmung gesteuert wurde. Auch wenn er an anderer Stelle über seinen musikalischen Prozess behauptet, „it would have been real it would have been pure it would have come from inside from me I wouldn’t need anything to get better, only practice and love and desire for music“ (T2: Z. 796-806), gibt er im Umkehrschluss indirekt zu verstehen, dass seine musikalischen Aktivitäten bzw. der musikalische Output nicht von „innen heraus“ kamen, sondern durch die externe Zufuhr der Droge und deren Wirkung beeinflusst waren. Es wird in diesem Zusammenhang ebenso deutlich, dass Heroin nicht nur seinen musikalischen Sound bzw. den Schaffensprozess ‚verbesserte‘, sondern grundsätzlich alles als „amazing“ erschienen ließ. Als er sich an die Zeit und seine damalige Wahrnehmung erinnert, lächelt er. Dies könnte darauf hinweisen, dass er sich in einen durch den Rausch herbeigeführten Gefühlszustand zurückversetzt. Er bewertet diesen Zustand jedoch als „nicht real“ und zieht einen Vergleich zu seiner gegenwärtigen Wahrnehmung im nüchternen Zustand im Zusammenhang mit der Bewertung seiner eigenen Musik. „I’ll play you music that I recorded when I was on heroin and I’m gonna play you music that I recorded when I was off heroin and you can be the judge now I’ll agree with this the experience and I’ve said this already in so many words the experience helped ma- me write better songs because I believe that songs come from honesty, if you try to write a song (.) for yourself no one’s gonna relay (.) if you write a song out of experience and from truth and honesty, you gonna be able to sing a song for all those people that can’t sing and can’t play guitar and that’s what playing music is all about, it’s for sharing it and playing it for all those people that can’t play guitar that can’t sing that feel the same way you feel, it’s not about writing a fucking song oh coo- how can I sell so many records and how can I write=and that’s what I’m trying to say to you that’s how I thought when I was on heroin it was always like I wanna write the catchy chorus and I wanna write a really cool hoo:k and I just wanna sound edgy, fuck all that shit I don’t care about those things when I’m not on heroin“ (T2: Z. 751-761)
Er bewertet die Erfahrung, die er durch seine Drogenabhängigkeit gemacht hat, als einflussreich auf seinen musikalischen Schaffensprozess in der Gegenwart. Er scheint insbesondere im Prozess des Songwritings von seinen Erfahrungen inspiriert worden zu sein. Das Musikmachen scheint für ihn als eine Art Ventil zu fungieren, seine Gefühle auszudrücken und kreativ in Form von Songs zu verarbeiten. Interessant ist ebenso, dass er in diesem Zusammenhang Auskunft über den Wandel der Bedeutung des Musikmachens gibt: „when I was on heroin it was always like I wanna write the catchy chorus and I wanna write a really cool hoo:k and I just wanna sound edgy, fuck all that shit I don’t care about those things when I’m not on heroin“ (T2: Z. 759-761). Über die Bedeutung des Musikmachens in der Gegenwart – ohne den Einfluss von Heroin – sagt er folgend: „what playing music is all about, it’s for sharing it and playing it for all those people that can’t play guitar that can’t sing that feel the same way you feel, it’s not about writing a fucking song oh coo- how
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can I sell so many records” (T2: Z. 756-758). Hier wird eine Veränderung seiner Vorstellung, Musiker zu sein, deutlich. Während er über seine Zeit vor dem ersten Heroinkonsum zunächst sagt, „it was like here and now [...] I just wanted to play music for fun“ (T2: Z. 617), beschreibt er seine Einstellung während des Konsums von Heroin als „when I started doing heroin my outlook changed [...] I gotta be a professional and I wanna be a rockstar“ (T2: Z. 628). Auf meine Nachfrage hin definiert er einen „professionellen Musiker“ als „someone who goes and does it as a career, as a life, someone who works toward making money to live“ (T2. Z. 609f.). Auffällig ist, dass er zwar behauptet, „my professional music career started with heroin [...] I don’t know what it’s like to be a professional musician without heroin“ (T2: Z. 602-607), und sich damit selbst die Rolle des „professionellen Musikers“ in der Vergangenheit zuschreibt. Über seine tatsächliche „Karriere“ gibt er jedoch während des gesamten Interviews nur wenig Auskunft. Es geht aus seiner Erzählung nicht hervor, wie sein musikalischer Werdegang „als professioneller Musiker“ verlief. Auf meine Aufforderung im Nachfrageteil hin, seinen Werdegang als Musiker zu beschreiben, fasst er die verschiedenen Stationen zwar knapp zusammen, auf einzelne Bands oder Projekte geht er aber nicht näher ein (siehe hierzu Segment 82). „I played in a punk rock band as a teenager, really awesome amazing punk rock, that was um pre heroin (.) u:m after that I made Hip Hop beats for the local, underground Hip Hop music here in Los Angeles with some amazing people and some friends who not alive anymore, u:m that was on and off of heroin I play:ed in (.) some recordings in some amazing studios I scored some documentaries u:m (.) I also played Rock’n’Roll with a couple of ba:nds I did festivals like Coachella, and went on tour all through United States (..) and also played drums for a lot of bands (.) I sang for a lot of bands (.)“ (T2: Z. 924-930)
Die knappe Darstellung ist zum einen verwunderlich, da er das Musikmachen zuvor als einen Teil von sich („something that was inside of me“, T2: Z. 59) bezeichnete und im weiteren Verlauf seiner Erzählung in diesem Zusammenhang sogar von einer „passion“ (T2: Z. 811) spricht. Andererseits könnte die Tatsache, dass er über das Musikerdasein nur wenig detailliert erzählt, darauf hinweisen, dass er dem Musikmachen in der Gegenwart eine andere bzw. geringere Bedeutung zuschreibt. Diese Lesart bestätigt sich zumindest in der Schlusssequenz, als ich die Frage stelle, ob Musik nicht mehr das Wichtigste in seinem Leben sei. Pepe reagiert darauf lachend und mit der Antwort: „no (.) nothing is the most important thing in my life (.) I’m alive, I did heroin for so: long and I’m alive“ (T2: Z. 959). Er scheint sich in einer Lebenssituation zu befinden, in der er in erster Linie froh darüber ist, noch am Leben zu sein und dieses ohne die Kontrolle des Suchtverlangens genießen zu können. Es erscheint verwunderlich und gleichermaßen widersprüchlich in seiner Darstellung des musikalischen Werdegangs, dass er sich zwar als „professionellen Musiker“ bezeichnet, seinen musikalischen Projekten und Bands, in denen er spielte, als er Heroin konsumierte, rückblickend jedoch keinen Erfolg zuspricht – was er wiederum auf seine Abhängigkeit zurückführt. Hierzu heißt es bspw.: „those bands were only successful before heroin and in the beginning of heroin I’ve never been in a successful band on heroin like deep deep into- I’ve never been in a successful band because I never show up, and never go to band practice (.) it’s like when I was in Seattle I was al-
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ready in a band that was like doing well we were on a tour I was doing well we were opening up for a band that was very famous and I didn’t even go play the show, why, because I needed more heroin (.) u:m the last band I was in was (..) oh oh yeah I have music credits writing and recording with some pretty amazing people (.) like big rock’n’roll people (..) […] and then now the last few bands that I was in were my own bands and it was so: hard (.) I was just so strung out (.) and I would make everybody upset nobody want to play music with me I would yelling at everybody“ (T2: Z. 930-941)
Aus dieser Darstellung geht deutlich hervor, welche Auswirkungen der Konsum auf sein Verhalten und damit seine Tätigkeiten als Musiker hatte. Auffällig ist jedoch, dass er in einem Nebensatz innerhalb der Haupterzählung im Zusammenhang mit der Wirkung von Heroin erwähnt: „it’s an easy way to tune out everything else (.) and when you have success, and you mix success with your life and that’s all you care about“ (T2: Z. 648-650). Er gibt hierbei indirekt zu verstehen, dass er unter dem Einfluss von Heroin seiner Tätigkeit als Musiker Erfolg zugesprochen hatte. Diese Wahrnehmung scheint jedoch von der gegenwärtigen Vorstellung abzuweichen: Als „erfolgreich“ beschreibt er lediglich die Musikertätigkeiten, die er vor der Abhängigkeit von Heroin und während einer zweijährigen Phase der Abstinenz ausübte. Nähere Details liefert er hierzu nicht. Er geht ausschließlich auf das Angebot eines Plattenvertrages ein, das er ablehnte: „the last somewhat successful band that I was band was the last time I was sober I had like two years sober (.) u:m I was playing drums for the band I was gonna get a record deal I was gonna do fantastic and I was sober and I was happy but, I didn’t like the contract so I wouldn’t sign anything so they never made it because the record only wanted me and the singer, they didn’t care about anybody else so we=if the singer would have signed and I would have signed the whole band would have got a record but I didn’t want to sign because the record contract was bullshit […] I could be in a different place right now I could be like owning a record company thousands hundreds of thousands of dollars right now, but because I made that decision off of drugs I don’t own a record company for music videos and T-shirts and tours and all that shit that doesn’t matter“ (T2: Z. 941-951)
Seine Vorstellung des Musikerdaseins scheinen sich zum Zeitpunkt des Interviews insbesondere auf den künstlerisch-musikalischen Prozess zu beziehen, wie bereits aus seiner Darstellung an voriger Stelle im Interview hervorgeht: „I still wanna become a better guitar player so I can write better songs and just play better because I love it I have a passion for it“ (T2: Z. 796-828). Hierbei ist vor allem die Auffassung zentral, dass er sich nicht mehr als „professionellen Musiker“ sieht bzw. dieser Status nicht mehr Teil seiner Selbstvorstellungen ist: „I don’t wanna become a famous or a professional musician now“ (T2: Z. 812). Diese Auffassung bedeute für ihn jedoch nicht, dass er sich musikalisch nicht verbessern wolle: „that doesn’t mean that I don’t wanna become better [...] or I wanna become you know it’s- anything it’s a passion and anything that you love of course you put time in do it (.) it doesn’t mean you have to- wanna become, I don’t wanna become famous or a professional musician now I not really care but I still wanna become a better guitar player so I can write better songs and just play better because I love it I have a passion for it, you know“ (T2: Z. 807-814)
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Seine „Leidenschaft“ für Musik betont er auch im weiteren Verlauf seiner Ausführungen über seine gegenwärtige Situation. Interessant ist, dass er hierbei einen Zustand beschreibt, der eine Verbindung zu seiner Vorstellung des Musikerdaseins in seiner Kindheit/Jugend herstellt: „I have a enormous passion for (.) every enormous passion for- every instrument I have, I mean I ha=I’ve only owned a drum set one time in my life for six months and I haven’t playing drum for like fifteen years, and I only owned a drum set one time (.) and I played drums a lot in many bands (.) and I get as good as I get just from passion not from practice like I just played drums in the desert just recently I haven’t played drums in three years or something, it was so: cool [...] it just happened it just came like naturally from being with people that were positive and not heroin and, just good honest just jamming and having fun in the middle of nowhere no festival just twenty just hanging out under the stars“ (T2: Z. 817-825)
Seine Erzählung wirkt wie die eines Teenagers, der über seine romantischen Vorstellungen des Musikerdaseins spricht. Pepe ist zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits 38 Jahre alt. Er scheint sich bewusst Menschen zu suchen, die ihn in eine positive Stimmungslage versetzen bzw. ihn in einen Gefühlszustand zurückversetzen, in dem er sich zuletzt vor der Abhängigkeit bzw. während seiner Phase der Abstinenz befand. Er sucht sich fortan nur noch Mitmusiker*innen, mit denen das Musikmachen als Spaß und nicht als Verpflichtung erscheint: „now that I’m not on heroin I refuse to worry about whether I’m good or bad on guitar or that I’m a good or bad drummer of course like I’d- I had played drums and I know when I fuck up or when I play I know when I’m playing bad but I don’t really care it doesn’t really matter be I mean come on I’m playing in music with George [...]he’s not a musician but has like that- he understands like the passion [...] of like- it’s a perfect example he doesn’t care he just doesn’t give a shit he just wants to make music“ (426-435)
Er scheint sich weniger auf seine Außenwirkung zu konzentrieren als auf die Tatsache, überhaupt wieder – körperlich und geistig – in der Lage zu sein, Musik machen zu können. Er spielt hierbei auf einen Bekannten an, der als Maler in Los Angeles lebt und laienhaft Musik macht, ohne ein Instrument zu beherrschen oder über andere musikalische Kenntnisse zu verfügen. Der Bekannte scheint für ihn das romantische Bild eines Künstlers zu verkörpern, der sich im musikalischen Prozess von seinen Emotionen leiten lässt. Das Musikmachen scheint für Pepe nicht nur erneut mit Spaß verbunden zu sein, sondern auch therapeutische Zwecke zu erfüllen: „for me it’s very important it’s therapeutic (.) i:t’s special it’s meaningful it’s it’s remembering, it’s like being in a time machine for me, music for me is emotional music for me is like if I hear a song that I completely love I will get goosebumps on my entire body and for some people it’s like oh that’s just a cheesy song and- doesn’t really matter but music is good music bad music“ (T2: Z. 536-539)
Auch hier scheint er (unbewusst) einen Bezug zu dieser Zeit der Kindheit/Jugend herzustellen, in der er sich über das Musikmachen wenig Gedanken machte, sondern aus seinen Gefühlslagen und intrinsischen Motivationen heraus handelte. An Plausi-
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bilität gewinnt diese Interpretation, wenn Pepe im weiteren Verlauf seiner Präsentation zu verstehen gibt: „it got me back to the same place that it used to be [...] and what it used to be is I don’t care to be famous I don’t care if anybody like my music and don’t care how good I am I don’t care about I don’t care, I just wanna play music because I love to play music, that’s why I like to play so many instruments, that’s why I like to play with so: many people that’s why listen to Hip Hop and Jazz and Funk and Reggae and Soul and Oldies and come on Techno and House Electronica Trip Hop I listen to everything“ (T2: Z. 704-711)
Hierbei schreibt er sich – wie bereits zu Beginn des Interviews (siehe Segment 10) im Zusammenhang mit der Erzählung über seine Kindheit/Jugend – Offenheit und eine Vorliebe für verschiedene Musikstile, Künstler*innen und Instrumente zu. Seine Aussage „I don’t think like that I don’t really give a shit what anyone listens to I used to listen to the same music I used to listen to like twenty years ago“ (T2: Z. 718ff.) weist ebenso darauf hin, dass er sich nicht nur in seine Jugend zurückversetzt fühlt. Es könnte ebenso vermutet werden, dass er Sehnsucht nach dieser Zeit hat, die noch nicht mit den Problemen der Drogenabhängigkeit behaftet war. Ähnlich wie er sein Verhalten in Teenager-Zeiten beschreibt – „being in LA, hey like I’m a social person I’m happy normally I’m happy and social and I like to interact with people I like to say hi to everybody, I like t- it’s just me so it happened because I was networking always I was like oh hey, how you doing or playing shows and you meet people or you know“ (T2: Z. 831-835) – scheint er sich nun Mitmusiker*innen zu suchen, mit denen er zusammen ‚jammt‘ oder denen er bei ihren Bandprojekten aushilft. „now I just play music (.) I like to teach people how to play music and teaching my girl friend playing guitar, I like to play ((yawning)) with my friends (.) oh I’m playing drums for somebody (.) just a jam and have fun, and I’m recording drums with somebody I don’t it’s gonna happen I don’t know it’s gonna be an album I didn’t ask I don’t care“ (T2: Z. 953-957)
Auch hierbei hebt er erneut hervor, dass es ihm um den Spaßfaktor ginge und nicht um kommerzielle Absichten. Diese Auffassung geht bereits aus einem vorigen Statement hervor, in dem er sich ebenso einen unterstützenden und bescheidenden Charakter zuschreibt: „I just feel support people yeah I’m writing songs [...] not for anybody in particular I just write songs because that’s what I used to do, I play guitar everyday and I write stuff every day but I don’t think like (.) I wanna record it one day and I wanna sell it [...] I don’t think like that, now I do support other musicians I play drums with people or I play bass with a couple of people and I- I gonna help somebody record drums on her album, I don’t want my name on it, I don’t fucking care they have my name on it, just sell it, say you did I don’t care about the credit anymore [...] I just want do it for fun“ (T2: Z. 676-687)
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10.4.3 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Suchtverlauf Pepe wird durch seinen Vater bereits in seiner Kindheit mit dem Thema Abhängigkeit konfrontiert. Die Aussage „my father was an alcoholic and he drank a lot“ (T2: Z. 14f.) trifft er zu Beginn des Einstieges in die Präsentation seiner Lebensgeschichte, so dass zu vermuten ist, dass die Alkoholabhängigkeit des Vaters eine zentrale Rolle in dieser einnahm. „my parents didn’t fight, very much but I know it bothered my mum a lot which had an effect on all of us, growing up you know, we- haven’t see you know your father struggling and your father kinda being addicted to something, so: the idea of addiction was probably ingrained in head from a very young age, I didn’t use to know that, but I know that now“ (T2: Z. 15-18)
Auch wenn es ihm zum Zeitpunkt des Erlebens in der Vergangenheit noch nicht bewusst zu sein gewesen schien, hatte das Verhalten des Vaters auch Auswirkungen auf Pepes Verhalten und dessen Entwicklung. Er musste nicht nur mit ansehen, wie sein Vater unter dem Alkoholproblem litt, sondern Pepe erfuhr auch die Konsequenzen, die damit einhergingen. Er beschreibt den Vater zwar als „great father“ (T2: Z. 20). Gleichzeitig charakterisiert er ihn jedoch als unzuverlässig und verantwortungslos. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage „it’s kinda like taking on the sins of your father“ (T2: Z. 18f.). Es ist hierbei zu vermuten, dass er bereits auf seinen eigenen Lebensweg als Abhängiger hinweist und die „Sünden“ seines Vaters weiterträgt. Ebenso könnte seine Aussage darauf hindeuten, dass er selbst ein unzuverlässiger Vater wird, der nur wenig Verantwortung dem Sohn gegenüber zeigt und sich nicht um ihn kümmert. Als sein Vater für die Familie nicht mehr tragbar war und diese verließ, war Pepe sechs Jahre alt. Die fehlende Vaterfigur und die Überforderung der Mutter scheinen sich in Pepes Verhalten widerzuspiegeln, welches zunehmend außer Kontrolle geriet. Er gibt an, dass er in diesem Alter noch nicht mit Alkohol oder Drogen in Berührung kam. Fortan wechselte sein Wohnsitz zwischen dem der Mutter, die mit seinem Umgang überfordert war, und dem des Vaters, der die Rolle des ‚Vaters‘ aufgrund seiner Alkoholsucht nicht ausfüllen konnte. Er erfuhr in seiner Kindheit und Jugend weder ein intaktes Familienleben noch fand er ein kontinuierliches Zuhause, das ihm Rückzug gewährte. Diesen Zufluchtsort fand er jedoch unter Freunden und auf der Straße: „the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tail land, it was like going and living somewhere where everything was oka:y, and I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit that is life and we deal with that is real“ (T2: Z. 39-42). Mit dieser Aussage deutet er an, dass er das Verlassen des Elternhauses mit dem Gedanken der Flucht verbindet. Er flüchtet vor der von ihm wahrgenommenen Realität („that is life and we deal with that is real“) in sein selbst auserkorenes Paradies, in dem er sich wie ein ‚normaler‘ Jugendlicher fühlen konnte, der Skateboard fuhr, Freunde traf und Musik machte. Interessant ist, dass er in dieser Zeit auf berühmte Musiker*innen trifft, die ihn im Musikmachen bestärkten:
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„younger I got to meet (.) u:m some pretty famous musicians (.) that were a lot older than me like classic Rock musicians and current musicians and Pop musicians that had a big influence on me and these people were always telling me like you have to keep playing music, this it is what you are meant to do:“ (T2: Z. 89-92)
Es stellt sich hierbei die Frage, ob diese Musiker*innen8 ihn nur in seinem Vorhaben, Musiker zu sein, bestärkten oder auch seine Vorstellung beeinflussten, dass der Konsum von Drogen zum Lifestyle des Musikers dazugehörte. Auffällig ist jedenfalls, dass die Entwicklung seiner Vorstellung des Musikerdasein, „I gonna be a rockstar“ (T2: Z. 173), zeitlich mit seinem ersten Heroinkonsum einherging. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Aussage, die er an späterer Stelle des Interviews trifft: „I got addicted to the practice, I got addicted to the thought and the practice of it like the oh I’m so cool and I started watching movies about drug addicts and I thought it was so: cool I was like oh I wanna be like this ultra fucking rock’n’roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool“ (T2: Z. 277-280)
Aus dieser Sequenz geht hervor, dass der Konsum von Heroin für Pepe auch eine imagebildende Komponente darstellte. Er zählt hierbei heroinkonsumierende Vorbilder auf, an denen er sich orientierte bzw. mit denen er sich identifizierte. Sie schienen für ihn insbesondere das Image eines ‚coolen‘ Künstlers zu verkörpern. Er legte daher auch keinen Wert darauf, seinen Heroinkonsum zu verheimlichen: „I wasn’t afraid to tell I did heroin in the beginning (.) like in the first eight or so years I was very open about it and everybody knew and it’s like uh that and I thought it was so: cool“ (T2: Z. 281f.). Vielmehr schienen der Drogenkonsum und das damit verbundene ‚Junkie‘-Image einen Teil seiner Musiker-Identität auszumachen, welche er versuchte, sich selbst aufzuerlegen. Er behauptet jedoch, dass er vor seinem ersten Heroinkonsum nicht gewusst habe, was Heroin überhaupt war: „didn’t know what heroin was I didn’t know what anything was“ (T2: Z. 116f.). Wird dieser Aussage Glauben geschenkt, so wurde Pepe nicht durch seine Vorbilder zum Heroinkonsum verleitet, sondern konstruierte seine Vorstellung des Musikerdaseins, zu dem der Konsum von Heroin gehörte, erst nach dem Erstkonsum. Widersprüchlich scheint es jedoch, dass er über die Zeit vor dem ersten Konsum zu verstehen gibt, „this is me no drugs“ (T2: Z. 185), und sich als „normal kid“ (T2: Z. 188) beschreibt, der lediglich Mushrooms zu sich nahm und Alkohol auf Partys trank. Obwohl er davon spricht, „I drank a little bit and I smoked weed a little bit and did ecstasy a couple of times, and I tried coca:ine I hated it and speed one time I ha:ted it, u:m (.) I don’t like drugs“ (T2: Z. 117f.), scheint er diese Substanzen im weiteren Verlauf seiner Ausführungen nicht als „Drogen“ aufzufassen. Der Konsum von Heroin, von dem er seinen Aussagen zufolge vor dem Erstkonsum nichts gewusst haben wollte, stellte für ihn hingegen den Beginn seiner Drogen-
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Unabhängig des Interviews gab Pepe zu verstehen, dass er sich mit Musikern wie Beck, Perry Farrell oder Jackson Browne traf, welche alle drei zu dieser Zeit Drogenkonsumenten waren.
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karriere dar. Für ihn scheint der Konsum von „Drogen“ also erst mit dem Gebrauch von Heroin verbunden gewesen zu sein. An Heroin wird er durch seinen besten Schulfreund Jonas herangeführt, der ihm zuvor auch das Gitarrespielen beibrachte und mit ihm in einer Band spielte. „my best friend from childhood came back and he was addicted to heroin, I didn’t know that, I just knew that he was different, something was different about him something wa:s changed, he seemed kinda=u:m (.) doll and slo:w and unimpassioned and unmotivated, but he could still play music really well, (.) so when I started hanging out with him again we started recording music together, and that was my introduction into recording music“ (T2: Z. 123-127)
Obwohl er bemerkte, dass sein Freund sich verändert hatte, wusste er angeblich nichts von seiner Heroinabhängigkeit. Interessant ist hierbei seine Aussage „but he could still play music“.9 Dadurch, dass Pepe ihn zu dieser Zeit als ein musikalisches Vorbild ansah, könnte geschlussfolgert werden, dass er ihn auch in seinem Konsumverhalten imitieren wollte, um ähnliche musikalische Fähigkeiten zu erlangen. Seiner Darstellung zufolge scheint sein Erstkonsum jedoch in erster Linie von Neugierde und Naivität gesteuert gewesen zu sein: „when I started doing heroin it was like doing pot and weed for the first time, because I didn’t know that you can smoke heroin (.) I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d and you put it in your vein and you overdose and you die (.) when I saw my friend smoking heroin for the first time, and I asked him what it was and said to him what- what are you doing (.) he explained to me, he tried to lie to me but (.) you know a week or two later he explained to me, I’m doing heroin I’m not shooting up I’m smoking it it’s not that ba:d“ (T2: 194-199)
Dadurch, dass er zu verstehen gibt, dass er Respekt vor der Droge und deren Verabreichungsform hatte, und nicht wusste, dass Heroin auch geraucht werden könne, widerspricht er seiner vorigen Aussage, nichts von Heroin gewusst zu haben. Trotz der beschriebenen Vorsicht ließ er sich auf das Rauchen von Heroin ein, was er auf sein damaliges naives Teenager-Verhalten zurückführt: „when you a teenager and you’re nineteen eighteen years old and you hear oh I’m smokingkids like to smoke cigarettes pot- they like to smoke anything kids just like to smoke shit (.) or drink stuff or drink alcohol so when I found out you could smo:ke it I was like oh it’s not so ba:d (.) if he is doing it, he is my best friend he’s not gonna give me something ba:d“ (T2: 199203)
Die Wirkung der Droge schien ihn vom ersten Moment des Konsums an zu überwältigen. Er sieht hierbei insbesondere einen positiven Effekt auf das Musikmachen.
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Wie Pepe in einem Gespräch unabhängig des Interviews erzählte, sei Jonas in dieser Zeit eine Art musikalisches Vorbild für ihn gewesen. Während er ihm zuvor das Gitarrespielen beibrachte, zeigte er ihm nach seiner Zeit im College das Bedienen von Musikproduktionssoftware.
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„I found out very very quickly that (.) all of a sudden (..) I didn’t ca:re anymore, tha:t, music was work, if you ask me to play a bass line again, I’ll be like okay cool, it ne:ed a:ll my like inne:r instinct disappear, all the worry, disappear, it made everything e:asy, and it worked for a lo:ng time it worked for like ten years like that I did heroin for the first- let’s say eight like first eight years that I’ve done heroin and playing music, it was like su:re oka:y, yah I understand oh of course or I’m gonna fucking shoot some heroin right now so that the song sounds better, I used to believe that, I used to believe, I’m gonna do heroin so enhances my perception of music, I’m gonna do heroin so that enhances my sexual life, I’m gonna do heroin so that it enhances how I feel about“ (T2: Z. 203-210)
Wenn an dieser Stelle Pepes Lebenssituation betrachtet wird, so könnte auch hierin ein Grund liegen, warum er Gefallen an der Rauschwirkung von Heroin fand: in seinem familiären Umfeld war er von „anger and poverty“ umgeben; seine Eltern kamen mit ihm nicht zurecht; er ‚flog‘ von der Schule; wohnte in einem Apartment mit einer älteren Frau, die anstatt des vollen Mietpreises offenbar körperliche Zuneigung verlangte. Er befand sich in einer Lebenssituation, in der er mit verschiedenen Problemen konfrontiert wurde, die scheinbar durch den Konsum der Droge an Bedeutung verloren oder verdrängt wurden: „I used to believe that, when reality what’s happing to you when you do heroin is, you dolling yourself from everything that’s real“ (T2: Z. 210-212). Während ihn andere Substanzen, die er zuvor konsumierte, in einen zu „bewussten“ Zustand versetzten, „they make me feel to: (..) aware too: (.) into:- I don’t know they just make=they make me too aware, and I’m already extremely aware and sensitive“ (T2: Z. 121-123), schien die Wirkung von Heroin genau das Gegenteil in ihm erzeugt zu haben: das Gefühl von Gleichgültigkeit und Gelassenheit. Im Drogenrausch konnte er folglich vor der von ihm wahrgenommenen Realität und den damit verbundenen Problemen flüchten. Gleichzeitig konnte er sich auf den musikalischen Schaffensprozess fokussieren und konzentrieren: „all I wanna do is lock myself in a room and record music, and make a song perfect, chord on chord“ (T2: Z. 225f.). Er konstruiert sich unter dem Einfluss der Droge seine eigene Wirklichkeit, zu der nur er selbst Zugang hatte: „and everything that you come up with, is only in your head in the only person that believes it and sees it, is yourself, everybody else is looking at you like crazy“ (T2: Z. 212f.). Rückblickend auf diese Zeit gibt er schließlich zu verstehen, dass er sich durch die Flucht in seine Traumwelt von seinem Umfeld immer mehr entfernte: „um (.) I became extremely isolated (.) I beca:me (.) non sympathetic to everything, I didn’t care that someone was in pain, because I couldn’t feel pain anymore, and that’s what happened that’s what opiates do they- they doll you of any (.) you know ability to feel anything (.) no:w some people might say oh my God that’s amazing, I wanna do a drug and I don’t have to worry anymore, or that’s great, but what happens is you stop caring about the things you care about too“ (T2: Z. 213-218)
Alle Dinge, die ihm zuvor Spaß machten und eine Bedeutung für ihn hatten, schienen ihn fortan nicht mehr zu interessieren: Er traf sich nicht mehr mit Freunden zum ‚Jammen‘, verabredete sich nicht mehr mit Mädchen, vernachlässigte seine Familie und trieb keinen Sport mehr. Mit anhaltendem Konsum verändern sich auch die Wirkung der Droge und die damit verbundene Wahrnehmung. Das Rauschgefühl seines
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ersten Heroinkonsums scheint so intensiv gewesen zu sein, dass er selbst bei dessen Darstellung in der Gegenwart – und nach über zwanzig Jahren Suchtkarriere und ihren negativen Auswirkungen – grinsen und nach Luft ringen muss. „it felt like (..) ((gasping; grinning)) I don’t know what it felt like it felt- it felt wrong it felt too good to be true, it was too good to be true nothing should feel that good, nothing should feel that good (.) not even sex should feel that good (.) nothing outside yourself that you need to depend on should ever feel that good, and it was something I- I- I I got addicted to that feeling (...) no I got addicted to the practice, I got addicted to the thought and the practice of it like the oh I’m so cool“ (T2: Z. 273-278)
Betäubt von diesem ‚High‘-Gefühl nahm er die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums nicht wahr bzw. verdrängte diese. Seine Aussage „it felt wrong“ deutet darauf hin, dass der Reiz des ‚Verbotenen‘ ihn weniger abschreckte, sondern vielmehr einen weiteren ‚Kick‘ und damit einen Anreiz des Konsums auslöste. Rückblickend gibt er über das Ausmaß seines Konsums und das daraus resultierende Verhalten zu verstehen: „when I was on it I was on drugs and it didn’t matter what I thought it was dull it was me like living like a zombie“ (T2: Z. 894). Interessant ist, dass sich die negativen Folgen des Konsums offenbar auch auf seinen musikalischen Prozess ausgewirkt haben: „you just fall asleep no (.) it’s not like weed I have said that pot marihuana amazing for music for writing music playing music jamming being creative (.) you know because you- it enhanced you way you touch feel think everything, heroin just puts you to sleep (.) it’s the only thing it’s good for is- is good for anything but if you gonna do it for anything it’s just good to dull and numb you and put you to sleep“ (T2: Z. 858-863)
Mit zunehmendem Konsum – und vor allem mit dem Übergang vom Rauchen zum Spritzen – schienen sich die Auswirkungen des Konsums immer deutlicher abzuzeichnen: „I was very active and very athle:tic and very energy driven, and that drug that heroin drug brought me down like so: low“ (T2: Z. 224f.). Nach drei Jahren des Heroinrauchens ging er zur intravenösen Injektion der Droge über. Dieses Erlebnis, das er anekdotisch präsentiert, war für ihn offenbar ein so prägendes, dass es einen Wendepunkt innerhalb seiner Suchtkarriere einleitete: „I was walking back from buying drugs on Santa Nella and Palms, where the Trader Joe’s does not exist anymore [...] u:m (.) and the dealer came and sold us drugs and my friend that I was with who is a old musician friend too, u:m who- I bought- who I got my first guitar from actually […] he was already shooting drugs for like a ye:ar, and when we were walking ba:ck, from buying the drugs we were walking back and I was like why are we- where are we going I just wanna smoke he said we have to wait we have to go to this bathroom and I was like why do we have to go to- why we can’t just smoke right here, he can’t just shoot up on the street I can smoke wherever the fuck I want behind a car or whatever but he has to like prep it cook it add water draw it up it’s a process it’s a fucking ritual it’s like religious ritual and junkies and drug addicts become so: addicted to not just the drug but a:ll the rituals, and I didn’t know that I’m like why is he acting crazy, what’s wrong with him, like why I can’t just get high right here, and when I saw him and we got the bathroom at a gas station o:n (.) where the fuck was it
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National & Sant Nella it was a old (taxico) it’s not there anymore, we went to the bathroom and I saw him and his face and the way he looked at his drugs and the way he looked at his spoon and how excited and happy he was a:nd at that point and I was like three years into doing the drug I was three years in using heroin and that wasn’t exciting to me anymore but the look on his face was so: excited and so: overwhelmed and he was- I know he was ha (..) and I asked him I was like do you have any syringes new syringes and he said of course, or- can I try it, he was excited he was- of- yeah you know of course because misery loves company, and my friend tau- he did it for me in that bathroom“ (T2: Z. 252-273)
Auch hier präsentiert er sich als neugierigen naiven Teenager, der seinem Freund nacheifern will. Während die Wirkung des Heroinrauchens für ihn nicht mehr die Intensität des anfänglichen Konsums hatte, schien er im Spritzen einen neuen ‚Kick‘ gesehen zu haben – getreu dem Motto ‚wenn mein Freund das macht und so glücklich ist, dann will ich das auch‘. Von dem scheinbar positiven Rauscherleben des Freundes ‚getriggert‘ ließ er sich selbst auf die intravenöse Injektion von Heroin ein. Interessant erscheint es, dass er den Prozess des Injizierens als eine Art ‚religiöses Ritual‘ beschreibt. Seine Aussage „junkies and drug addicts become so: addicted to not just the drug but a:ll the rituals“ (T2: Z. 263-264) deutet darauf hin, dass Konsument*innen nicht nur eine physische Abhängigkeit entwickeln, sondern auch eine psychische. Letztere kann sich folglich sowohl auf ein Verlangen nach dem nächsten ‚Schuss‘ beziehen als auch auf die Wiederholung eines Rituales, das mit der Verabreichung der Droge verbunden ist. Ebenfalls interessant an dieser Aussage ist, dass er einen Unterschied zwischen einem „junkie“ und einem „drug addict“ macht. Er selbst spricht sich zunächst eine Abhängigkeit zu, die er über einen langen Zeitraum aufrechterhalten konnte. „and it worked for a long time it was oka:y for a long time it was normal for a long time but- I mean we’re creatures of habit (.) I mean anybody does anything long enough and they can get used to it, bu:t (..) and you not gonna meet a lot of people in my age that have done heroin for as long as I have that are still alive, or that are still on the right state of mind, or that are still- or that are sober and clean and off of heroin it’s not gonna happen (.) there’s no such thing as a old junkie, they die“ (T2: Z. 226-231)
Im Gegensatz zu „junkies“, die seiner Aussage nach bei anhaltendem Konsum zwangsläufig sterben, beschreibt er sich selbst als einen Konsumenten, der den Respekt vor der Droge nie verloren habe und damit noch am Leben sei. „there’s a reason why they die, either they commit suicide or they die because the drug kills them (.) u:m (..) and ther- there is two reasons why there is only two reasons why I don’t care what anybody else’s told and I don’t care what you’ve read there is only two reasons why people die of heroin overdoses because they lose the respect of the drug and because they lose the fear of the drug“ (T2: Z. 231-234)
Er scheint geradezu stolz drauf zu sein, dass er seinen Konsum so lange aufrechterhalten konnte. Es wirkt, als wolle er, obwohl ihm die negativen Auswirkungen des Konsums bewusst sind, seinen Selbstwert dennoch steigern und seine Rolle als ‚Abhängiger‘ herausheben.
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„in the beginning, I was so afraid oh my God I’m putting a needle in my arm like when I started shooting drugs I’m I doing to much, that’s the fear, the respect is, oh shit I’m addicted to something that has nothing to do with me: it’s a outside thi:ng and it has controlled my life you gonna respect that, when you lose respect, and you stop asking people um, is this- like how pure is this is it stro:ng, is it potent, how much should I do“ (T2: Z. 234-239)
Er geht im Weiteren insbesondere auf Freunde ein, die den Respekt gegenüber der Droge verloren hätten und folglich nicht mehr am Leben seien. Auffällig ist, dass er sich, obwohl er zuvor betonte, dass er sich von Niemandem etwas sagen lasse, Respekt vor der Droge hatte und sich von dieser, zwangsläufig, kontrollieren ließ. Es stellt sich hierbei also die Frage, warum Pepe versuchte, aus dem Drogenkreislauf auszubrechen, wenn er sich doch so darstellt, als habe er aufgrund des Respektes gegenüber der Droge mit seiner Abhängigkeit ‚gut‘ leben können. Das, was er so ‚leichtfüßig‘ präsentiert, scheint jedoch auf eine schwerwiegende Konsequenz seines andauernden Konsums hinzuweisen. Wie bereits angedeutet, hatte sich die Wirkung des Rauchens von Heroin zunehmend verringert, so dass er sich durch das Spritzen eine höhere Intensität und schnellere Rauschwahrnehmung versprach. Ebenfalls sah er im Spritzen aber auch einen finanziell günstigeren Weg der Rauscherzeugung. Hierbei wird deutlich, dass er bereits in einem Stadium der Abhängigkeit war, in dem er physisch wie auch psychisch nicht auf die Droge verzichten konnte. „I found myself (.) quickly, so: strung out, so: fucked up once I started shooting like, what used to like wo:rk like I used to bu:y twenty dollars or twenty-five dollars, you know e:very three hours, when I was smoking [...] when I started shooting I could buy twenty or twentyfive dollars and they would last me two days (.) so you are like oh I’m saving money it gets me more high, oh this is great“ (T2: Z. 287-292)
Seine damalige Auffassung hatte folglich zur Konsequenz, dass er durch die höhere Intensität der Rauschwirkung eine zunehmende körperliche wie seelische Abhängigkeit entwickelte, die ihn zu einer Drogenzufuhr von immer höheren Dosierungen in immer kürzeren Abständen zwang. Seine Aussage, „heroin is not a social drug you don’t share it, you don’t like hey ma:n you wanna try some heroin, you don’t say that to people, with pot and with alcohol and with cocai:n even, hey you wanna do a line, but you never gonna meet a junkie who’s a real diehard junkie for real junkie let’s gonna say to you hey man, you want some of my heroin, that doesn’t happen because junkies are always in need of it, even if they have a pocket full of heroin they still need more, because they always thinking about tomorrow“ (T2: Z. 282-287),
die er zuvor getroffen hatte, deutet darauf hin, dass er bereits an einem Punkt innerhalb seiner Suchtkarriere angelangt war, an dem die Beschaffung der nächsten Drogenzufuhr eine zentrale Rolle in seinen Gedanken und daraus resultierenden Handlungsoptionen einnahm. Interessant ist hierbei auch, dass er nun nicht mehr von „drugs addicts“, sondern von „junkies“ spricht. Dies lässt darauf schließen, dass er sich diese Rolle im Nachhinein selbst zuschreibt. In der damaligen Situation schien ihm die Entwicklung vom Drogenkonsumenten zum ‚Junkie‘ jedoch nicht bewusst gewesen zu sein: „in the first eight or so years I was very open about it and everybo-
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dy knew and it’s like uh that and I thought it was so: cool“ (T2: Z. 281f.). Seinen weiteren Ausführungen zufolge vergaß er dabei jedoch, dass er über Monate nicht gearbeitet hatte und seiner Freundin keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Über die Auswirkungen des Konsums, die mit seinen Tätigkeiten als Musiker verbunden waren, gibt er zu verstehen, dass er nicht mehr bei Bandproben erschien, Shows verpasste und seine Jobs verlor. Hieraus geht jedoch nicht hervor, ob es sich um musikbezogene Jobs handelte. Die Konsequenzen schienen ihn in der damaligen Zeit nicht interessiert zu haben bzw. wurden durch die Wirkung des Heroins betäubt und damit ausgeblendet: „that doesn’t mean anything that’s so: minimal it is the smallest thing in the world, because compared to the drug compared to the heroin it’s nothing heroin runs- it ran my life to the point, to whe:re (.) I could have put it up to an altar and pray to it like I cared so: much it was like Go:d“ (T2: Z. 294-297)
Der Konsum von Heroin erhielt den höchsten Stellenwert in seinem Leben; er schrieb der Droge, die er anbetete und die seine Handlungsoptionen steuerte, geradezu eine ‚heilige‘ Bedeutung zu. Unter dem Einfluss von Heroin zu leben wurde für ihn zur selbstkonstruierten Realität. Wann immer er ein Verlangen nach der Droge verspürte und dieses nicht kompensieren konnte, drohte er diese ‚Fluchtwelt‘ verlassen zu müssen. Mit zunehmendem Suchtdruck und verringerter Rauschwirkung schien diese ‚Welt‘ jedoch nicht mehr das ‚Paradies‘ darzustellen, in das er vor seinen Problemen zu flüchten versuchte. Vielmehr wurde diese Traumwelt zum eigentlichen Problem, das er nicht mehr ohne Weiteres umgehen konnte. Erst zu diesem Zeitpunkt schienen ihm die Auswirkungen des Konsums und damit die Kontrolle, welche die Droge über sein Leben übernommen hatte, bewusst zu werden: „(.) it got so: real and if I’ve been doing heroin for twe- if I did heroin for twenty years (.) and I’d been wanting to stop for ten years did you know how miserable I was it was misery, half of the time was fun the other half of the time I just wanted a way out, it was like trying to find a fucking needle and a haystack it was like trying to find a key in a fucking sand over there, one key that exists that gets you out that unlocks the door and releases you into freedom for ten years that’s how it felt, or I’m gonna go to rehab, or I’m gonna go to AA or I’m gonna go to NA or I’m gonna get a sponsor or I’m gonna go away and I’m gonna go to Detroit and I’m gonna go to San Francisco and I’m gonna go to Burning Man and I’m gonna move to Mexico and I’m gonna go here (.)“ (T2: Z. 297-310)
Er gibt zu verstehen, dass er über dreißig Entzugsversuche eingegangen sei, die jedoch alle in einem Rückfall endeten. Obwohl er vorgab, von der Droge entziehen zu wollen und sich in Entzugseinrichtungen begab, wird aus seiner folgenden Darstellung deutlich, dass ihm der Ernst seiner Situation innerhalb der ersten Entzugsversuche noch nicht bewusst gewesen zu sein schien: „I’m a very social person so I always want to go meet people, other musicians, gi:rls (.) always gi:rls, every time I went to rehab I- oh my Go:d I love you we should leave, we should leave together and I would meet some poor girl who was like oh I li- this guy is so: coo:l he’s
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got tattoos and he plays guitar and he’s- little white girls that are like drinking and smoking po:t and like they’ll be like oh my God let’s go: I did this so: many times in rehab (.) I wouldI was good at it could like look at the one girl that was gonna leave with me and buy me drugs, and I could say uh no:, no:, yes (.) every time“ (T2: Z. 312-317)
Mit der Aussage „I never listened I didn’t care“ (T2: Z. 311) werden erneut Züge seiner Persönlichkeit deutlich, die ihn davon abhielten, auf andere – in diesem Fall seine behandelnden Ärzte und Therapeuten – zu hören, sondern sich seinem eigenen, durch die Droge gesteuerten, Willen zu fügen. Er behauptet zwar, dass er keine Hilfe erhalten habe und daher nicht clean werden konnte. Aus gegenwärtiger Perspektive gibt er jedoch zu verstehen, dass er die Hilfsangebote überhaupt nicht nutzen wollte, „I was just going to socialize and stroke my ego and go meet and go meet girls“ (T2: Z. 319f.). Mit Blick auf die Vergangenheit reflektiert er diese wie folgt: „but what you forget is everywhere you go, you are right there too [...] so if you don’t fix what’s really going on inside, nothing changes, so every time I would leave, I get sober and would come back and I would like I’m doing great a:nd I relapsed“ (Z2: Z. 305-309)
Er scheint darauf anzuspielen, dass er es zwar immer wieder geschafft hatte, körperlich von der Droge zu entziehen, jedoch nicht seinem psychischen Verlangen entgegenwirken konnte bzw. nicht an dem Ursprung seiner Probleme ansetzte, die ihm das nächste ‚High‘-Gefühl als schnellsten und einfachsten Ausweg suggerierten. Dass es sich hierbei jedoch um einen Trugschluss handelte und dass er, je öfter er rückfällig wurde, es umso schwerer beim nächsten Versuch hatte, von der Droge zu entziehen, schien er dabei auszublenden. Dass er mit Konflikten nach wie vor nicht umzugehen wusste, zeigt sich an seinen Ausführungen über eine zweijährige Phase der Abstinenz, die er nach fast zehn Jahren des Konsums einging. Diese zwei Jahre beschreibt er als „pretty good“ (T2: Z. 323) und mit wenigen Problemen behaftet. Vielmehr scheinen vor allem positive Faktoren seinen Rückblick auf diese Zeit zu prägen: er war in einer festen Beziehung, lebte in einem eigenen Apartment, erfuhr in dieser Zeit, dass er einen Sohn hatte, und erhielt einen Job in einer Rehab als „sober companion“. Er unterstützte suchterkrankte Personen, die sich in einer ähnlichen Lebenslage befanden wie er. Zum ersten Mal befand er sich in der Lage des Unterstützers und musste nicht selbst um Hilfe bitten. Ein Gefühl der Anerkennung und Wertschätzung scheint in ihm der Respekt ausgelöst zu haben, den ihm die Betroffenen der Klinik entgegengebrachten: „gotta have respect for something like that because they were all nice to me and they all listened to me and they all were like if this guy is ok and he is happy then we can be ok too“ (T2: Z. 341-343). Über seinen Job führt er des Weiteren aus: „the job I got through my old roommate who worked in a rehab and his girlfriend worked at a new rehab a:nd she said hey you got to hire this guy he’s fucking sober for the first time and you know whatever twelve years and he’s amazing if he can stay sober anybody can stay sober you want him talking to these people you want him working here so I went to go get a- so I got a job at rehab for like the stars, for the richest people there are, and that’s where I worked, and I was helping like people with money and people with like big drug addictions and like big habits people that were like so: indulged in the stupid money and fucking drugs and bullshit
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and that they would see a guy like me who is poor and doesn’t have anything and comes to work in a fucking you know nineteen fucking seventies Volvo“ (T2: Z. 333-341)
Er ist offenbar nicht nur stolz darauf gewesen, Vertrauen gewonnwn, sondern auch nach seiner eigenen Suchtgeschichte diesen Job erhalten zu haben. Er scheint mir auch damit imponieren zu wollen, dass er sich um reiche und berühmte Patient*innen gekümmert habe. Gleichzeitig wertet er seine Person auf, indem er zu verstehen gibt, dass nicht nur jemand wie er den Drogen verfalle, sondern dass dieses Problem auch andere, wohl situierte, Menschen betreffe. Die Vorstellung, dass sich diese Menschen jedoch ausgerechnet an ihm ein Beispiel nehmen sollten, schien ihm gefallen und Selbstbewusstsein erzeugt zu haben: „I did a good job in that rehab and I helped a lot of people in fact“ (T2: Z. 343f.). Besonders durch die Darstellung seiner Kündigung demonstriert er, dass er sich in seinem Ego bestärkt fühlte und sich nach wie vor von niemandem etwas sagen lassen wollte: „when I got fired I got fired because, come on I don’t like anybody telling me what to do, and my boss oh God my boss he told me what to do that’s what bosses do, but I didn’t like it and so I told him fuck off and I was like we should go to your office and talk, I pulled him into his own office to yell at him instead of him pulling me into his office to yell at me, and I didn’t think I was wrong but when I got fired (.) u:m (.) everyone wanted to leave, they like if you- if you fire him we’re leaving, we are leaving your rehab we quit being here you like not gonna pay your money any more, that’s how much I affected people there“ (T1: Z. 344-350)
Es scheint, als habe er mit der Bewältigung dieses Konfliktes im Nachhinein nicht umgehen können. Es deutet sich hieraus ein wiederkehrendes Verhaltensmuster an: Während er die Zeit der Abstinenz zwar erneut als „it was pretty cool I was really happy I was happy for the first time in a long time“ (T2: Z. 350) beschreibt und erneut behauptet, „everything wa- everything seemed to be going, great“ (T2: Z. 354), scheint er die einzige Lösung, mit auftretenden Problemen zurecht zu kommen, im Konsum von Heroin zu sehen. Im Nachhinein reflektiert er sein Verhalten und gesteht sich ein, dass sich am Ursprung seines Fluchtverhaltens durch den Konsum von Heroin nichts verändert hatte: „when I lost that jo:b, it was like I wasn’t prepared and didn’t have the tools and I didn’t have the armor to deal with those types of problems it was like being like reborn again when you get off drugs for that long and you come back into life you don’t have the tools and the weapons to like fight life everyday life like just somebody saying hey man excuse me whatever it doesn’t matter what you get upset and things hurt the feelings so when I got fired I was very angry and very resentful, and every time I get resentful and angry, or hurt or sad, my brain says I know something that will take that away right now, in two seconds, no fuck it, it one second, you can do it and it’s gonna go away“ (T2: Z. 355-361)
Er beschreibt das Suchtverlangen wie einen ‚Affen auf der Schulter‘, der ihm nicht von der Seite wich und ihm immer wieder einredete, oh you don’t have to- hey man you don’t have to deal with that“ (T2: Z. 361f.). Die einzige Möglichkeit, diesen ‚Affen‘ loszuwerden, sah er im Selbstmord: „I wanted to kill myself so: many times I wanted to put a bullet in my head so: many times“ (T2: Z. 397f.). Interessant er-
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scheint es, dass er als Grund, warum er diesen Schritt nicht gegangen sei, seinen Hund nennt. „it’s cra:zy why I didn’t because of my fucking do:g because I didn’t want to leave my dog alone because I didn’t want it like- him to get scared or jumped out of my ca:r or leave my apartment or like get lost not have foo:d or (if they don’t..) find my body, my dog and I still love my dog my dog is at home right now it’s the same fucking dog he is nine years old he is fucking- (.) he’s like he is my best friend he was the only person that I- it was the only thing that I cared about, the who:le time I was using drugs that’s still in my life, healthy and happy (..) I treated him better than I treat some girlfriends and my mother, because he gave me unconditional love, he didn’t care that I was strung out, and I feel (-) complete blessing nothing happens by mistake (.) you know it doesn’t“ (T2: Z. 398-405)
Der Hund scheint für ihn eine Art Liebesersatz dargestellt zu haben, der das Gefühl von bedingungsloser Zuneigung und Halt kompensierte, welches Pepe von seiner Familie in der Kindheit und Jugend nicht erfahren hatte. Die Aussage „I feel (-) complete blessing nothing happens by mistake“ erweckt den Eindruck, als habe er den Hund als eine Art Schutzengel bzw. als einen vom Schicksal bestimmten Begleiter gesehen, der ihn davon abhielt, sich das Leben zu nehmen. Er gibt jedoch zu verstehen, dass er den Gedanken, sich umzubringen, als nicht so schlimm empfunden habe, als weiterhin das Leben eines Drogenabhängigen zu führen: „worse than dying is living like this for the rest of your life, that’s worse than dying from heroin overdose is living like a fucking drug addict“ (T2: Z. 506f.). Die letzten Jahre seiner Drogenkarriere beschreibt er als „fucking torture“ (T2: Z. 408): „I didn’t want to do it anymore, I just didn’t want to do it anymore and I woke up every morning and did it every day, just enough to like wake me up or just enough to get me to sha:ve or just enough to motivate me to take a shower or just enough to get me go ah put gasoline in my car“ (T2: Z. 408-411). Im Weiteren beschreibt er seine Entzugserscheinungen wie folgt: „when you wake up in the morning you’re aware a little bit before you get high you let life creep in and you are sick a little bit, it creeps in- that has been happening for like eight or ten years or like I would get si:ck and would let things kind of creep in and talk to me“ (T2: Z. 494-497)
Während er zuvor Heroin konsumierte, weil es scheinbar alle Probleme umgehend zu bewältigen schien sowie ihn auf das Gitarrespielen und Songwriting fokussieren ließ, benötigte er die Zufuhr von Heroin im fortschreitenden Suchtverlauf allein, um immer schneller eintretenden Entzugserscheinungen entgegenzuwirken: „it becomes like uh I gotta do a fucking shot of heroin just to wake up (.) it becomes crazy it becomes insane“ (T2: Z. 413f.). Obwohl die Wirkung der Droge ihn nicht mehr in einen Rausch, sondern lediglich in einen ‚normalen‘ Zustand versetzte, in dem er keine Schmerzen verspürte, blieb er aufgrund der psychischen Abhängigkeit dennoch in dem Glauben, durch einen weiteren Konsum der Droge ein ‚High‘-Gefühl zu erreichen, wie er es aus den Anfangszeiten des Konsum gewohnt war. Über diese Zeiten gibt er zu verstehen:
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„I’m not gonna lie I had a lot of good times I had a lot of success musically and I played a lot of tou:rs and in a lot of cool ba:nds and I met a lot of cool people and I did a lot of amazing things that normal society might look at and say like oh wow you got to do that“ (T2: Z. 414416)
Auffällig ist, dass er trotz des Ausmaßes seiner Abhängigkeit immer wieder versucht, angeblich positive Seiten seiner Suchtkarriere hervorzuheben. Selbst über die Zeit in Entzugseinrichtungen gibt er zu verstehen, „I got to meet really famous musicians from the pop industry and I used to be like oh my God they are all drug ad-“ (T2: Z. 419-421). Er präsentiert sich zwar, als ob es ihm nichts bedeutet habe, auf diese Menschen zu treffen. Gleichzeitig gibt er jedoch zu verstehen: „I used to be so:, hungry to go and be with, in that scene, I wanted to know everybody“ (T2: Z. 421). Seine Darstellung erweckt den Anschein, als sei er geradezu stolz darauf gewesen, Teil dieser Szene von ‚entziehenden‘ Musiker*innen gewesen zu sein. Immer wieder wechselt seine Darstellung zwischen der Perspektive eines rehabilitierten Suchterkrankten, der über die Strapazen seiner Suchtkarriere spricht und geradezu selbstmitleidig wirkt („it turned me into this mess“, T2: Z. 693), und der eines ehemaligen ‚Junkies‘, der seine Vergangenheit nicht bereut und stolz auf seinen Prozess zu sein scheint: „it was my experience it was mine and I owned it, and I walked through it and I got through it and I made it (on) the other end“ (T2: Z. 439f.). Interessant ist, dass er auf seine eigene Darstellung der damaligen Auffassung aus gegenwärtiger Perspektive mit der Aussage „it is so stupid“ (T2: Z. 422) reagiert. Auch hier lässt sich eine Mehrdeutigkeit seiner Aussage vermuten. Zum einen könnte er darauf hinweisen, dass er seine damalige Auffassung aus gegenwärtiger Perspektive nicht mehr unterstützt. Zum anderen gibt er im Folgenden jedoch zu verstehen, „nobody gets out alive nobody is gonna leave this planet alive and nobody is taking anything with them it’s only about what you leave here what you gonna leave behind what’s gonna be your legacy, would it be hard even to remember you, that’s the only thing that matters, besides making children (.)“ (T2: Z. 422-425)
Diese Aussage lässt ebenso die Lesart zu, dass er stolz darauf ist, was er in seinem Leben als Abhängiger erlebt hat, und sich diese Anerkennung auch von seinem Umfeld erhofft. Eine weitere Interpretation wäre, dass er gerade deswegen den Weg der Nüchternheit einschlagen will, weil man sich an ihn nicht als ‚Junkie‘ erinnern soll. Anhand seiner weiteren Ausführungen gewinnt insbesondere die Lesart an Plausibilität, dass er mit seinem Fehlverhalten und den negativen Auswirkungen des Konsums nichts mehr zu tun haben und mit seiner damaligen Vorstellung des Musikerdaseins abschließen will. „I mean maybe I’m a hippie or maybe I just think very narly but that’s what I believe now, and I refuse to worry about stupid shit I refuse now now that I’m not on heroin I refuse to worry about whether I’m good or bad on guitar or that I’m a good or bad drummer of course like I’dI had played drums and I know when I fuck up or when I play I know when I’m playing bad but I don’t really care it doesn’t really matter“ (T2: Z. 422-429)
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Es scheint, als begebe er sich erneut in einen Prozess der Verdrängung. Dies verwundert, wenn seine vorige Aussage „if you don’t fix what’s really going on inside, nothing changes“ (T2: Z. 305) beachtet wird, anhand derer es ihm eigentlich klar zu sein schien, dass der Zustand der Nüchternheit nur durch einen Prozess der Verarbeitung und Problembewältigung erzielt werden könne. Hieran knüpft offenbar auch die folgende Aussage im Zusammenhang mit seiner Wahrnehmung nach dem letzten Entzug an. „now looking back it was just my brain and my body reset it was like you had a reset button, a:nd you know you had a reset button so it takes a second a millisecond but we are organic beings are human being and it doesn’t take a second it takes the process“ (T2: Z. 457-459)
Der überstandene Entzug habe sich wie ein Neustart angefühlt, der ihm suggerierte, dass sich sein Leben von jetzt auf gleich veränderte. Dabei gibt er jedoch selbst zu verstehen, dass nach einem Entzug nicht ohne weiteres bei einem drogenfreien Leben angesetzt werden könne, sondern mit dem Weg in ein abstinentes Leben ein langer Prozess einherginge. Dadurch, dass er seine Vergangenheit und die damit verbundenen Probleme jedoch nie bewältigt hat, mündete jeder Versuch eines abstinenten Lebens bislang in einen Rückfall: „I never processed it, I- instead I- I shot heroin, and it was a quick answer it was a quick fix [...] it was a quick that’s why they call it a fix when you shoot heroin=hey I need to get a fix ma:n that’s what they call at that (.) cause it’s like quick fix it’s a quick answer to everything“ (T2: Z. 789-795)
Er gibt im Weiteren zu verstehen, dass „everything looks so: good“ (T2: Z. 962) unter dem Einfluss von Heroin. Er realisiert jedoch im nüchternen Zustand aus gegenwärtiger Perspektive, dass es sich bei dieser Auffassung um eine Fehleinschätzung handelte: „everything looked so: bad for- my whole adult life has been just like misery“ (T2: Z. 963). Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass er behauptet: „the only reason why I felt that way because it was in my body (.) and now that it’s gone, I don’t feel like that(?) any more“ (T2: Z. 902f.). Er scheint seine Drogenabhängigkeit hierbei insbesondere mit den körperlichen Auswirkungen des Konsums in Verbindung zu bringen. Seine folgende Darstellung lässt den Schluss zu, dass er sich mit diesen intensiv auseinandergesetzt hat: „mean I don’t know if other drug addicts understand what’s happening to them I don’t know if other heroin addicts understand what’s happening to them organically, medically, what happens to a heroin addict when you do heroin for as long as I do is, you’re born with a certain number of receptors in your brain and those receptors (.) ((deep breath)) okay basically the human brain can create dopamine it basically creates his own form of heroin, by itself so if you or I go and run or if you and I go get something to eat or if and I have sex your brain’s gonna create heroin, not heroin but something like dopamine, endorphins, now when you start doing heroin the receptors where all that goes your brain stops producing it because the heroin you shooting into your veins goes their automatically, so your brain says I don’t need to produce this anymore, so when you get sober and you detox, you’re living your live without that, so every time I stand u:p or mo:ve or ro:ll or having a emotion it’s amplified it’s so: intense I’m soa:r
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from just walking down the stairs, I’m soa:r just from just sitting up (.) u:m something on TV is kinda sa:d no it’s so: sad or something makes me angry, I’m so: angry and it’s just your body resetting itself“ (T2: Z. 459-471)
Anhand der neurobiologischen Erklärungsansätze versucht er nicht nur die Auswirkungen des Heroins auf den menschlichen Organismus zu beschreiben, sondern auch die dadurch veränderte Wahrnehmung. Es scheint, als wolle er hierdurch seine Verhaltensweisen auf die Wirkung der Droge zurückführen und damit rechtfertigen. Er führt im Weiteren aus: „it’s a process and you know people use to think doctors many- lots of people use to think that you are born with a certain amount of receptors and you do heroin and your brain heals itself, that’s not what happens what happens is you do heroin and then you become addicted and then the receptors that you are born with are not enough so your brain creates more receptors and the longer you do heroin it creates more receptors and more receptors and they are like little mouths they are hungry all the time screaming I want more feed me I need heroin I need something make me feel better, and that’s what happens and that’s why people who do heroin longer have a harder time getting off of heroin, and a kid who does heroin I was that kid for one year and goes to rehab can detox in two days, this last time I detoxed the first time I detoxed from heroin it was two days and I was okay, this last time I detoxed from heroin was a month and a half“ (T2: Z. 471-480)
Er spricht hierbei erneut von einem „Prozess“, den er nicht nur auf die Entwicklung der Abhängigkeit bezieht, sondern auch auf den Weg aus dieser heraus. Hierbei scheint er sich jedoch erneut hauptsächlich auf physische und psychische Reaktionen zu beziehen, die mit dem Konsum der Droge und dessen Entzug einhergehen. Die Ursprünge bzw. Auslöser seines Dranges zur Realitätsflucht und damit verbundene Probleme der Konfliktlösung, welche – wie bereits diskutiert – mit seiner Heroinabhängigkeit in Verbindung stehen, thematisiert er jedoch nicht. Mit erneutem Bezug auf die Aussage: „it was in my body (.) and now that it’s gone, I don’t feel like that(?) any more“ (T2: Z. 902f.) lässt sich hieraus schließen, dass die Droge zwar nicht mehr Teil seines Organismus’ ist, seine Probleme bzw. der Umgang mit solchen und daraus resultierende Handlungsoptionen aber vermutlich nicht reflektiert wurden. Anhand der thematischen Ausrichtung seiner Erzählung wird deutlich, dass er weniger die Ursachen seiner Heroinsucht reflektiert, sondern sich hauptsächlich mit den körperlichen Auswirkungen des Konsums und den daraus resultierenden Konsequenzen auf sein Verhalten konzentriert: „there was just the end of the road it was it just gets- like I was telling earlier there was no where- there was no more digging down there was no further down everything was down it was like family was tired of me I had no friends the only friends I had didn’t care about me I hadn’t touched a girl in three years I didn’t care about women and I didn’t care about being in a relationship I hadn’t seen my son in fucking, you know seven years I hadn’t- I didn’t care anymore“ (T2: Z. 489-494)
Er scheint zu diesem Zeitpunkt so sehr von seinem Suchtdruck kontrolliert worden zu sein, dass er über seine eigenen Handlungen nicht mehr frei bestimmen konnte
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und permanent auf den nächsten ‚Schuss‘ bedacht war. Gleichzeitig scheint ihn die Angst vor der ‚Realität‘ und damit einem drogenfreien Leben, in dem er sich keinen ‚schnellen Fix‘ als Fluchtmöglichkeit setzen konnte, von einem weiteren Entzug abgehalten zu haben: „I mean fuck, I knew- I- in those last few months I needed to get high like every like three hours (.) and when you came an saw me the first time I just gotten high but when I saw you guys and was like oh shit I just got to get high again (.) I just couldn’t stop, I didn’t want to be in reality, a:nd every time I got si:ck or dope si:ck and I didn’t have my drug and a little bit of realty (crapped) in it was just too real, it was oh oh life is oh no nonono and it was like I gotta get high“ (T2: Z. 445-449)
Seinen Entschluss, dennoch einen weiteren Entzugsversuch einzugehen, beschreibt er als eine Art schicksalhafte Fügung. Tatsächlich treffen verschiedene Faktoren aufeinander, die ihn motivierten, ein drogenfreies Leben einzugehen: Er erhielt vor seinem letzten Entzug Unterstützung von seiner Familie, zu der er zuvor nur wenig Kontakt hatte. Sein Vater half ihm, einen Job auf dem Bau zu finden, den er trotz seiner Sucht ausführen konnte. Er konnte bei seinen Geschwistern übergangsweise wohnen und sein Sohn, zu dem er über Jahre keinen Kontakt hatte, meldete sich am Vatertag bei ihm. Ebenso nahm er Kontakt zu seinem ehemals besten Freund Jonas auf, der in der Zwischenzeit clean geworden war und eine Familie gegründet hatte. Gleichzeitig schien er zu realisieren, welchen Preis er für seine Suchtkarriere gezahlt hatte: „it was just too many things [...] of drugs and like- again not being in a relationship and messing up relationships and loosing friendships and then watching friends die, all those things were happening one after the other, it sounds awful but it was so amazing, it was like the universe was lining up and saying here, I’m gonna give you this, now you could take it o:r you can live ten more years doing heroin“ (T2: Z. 497-505)
Auch für seinen Entzug erhielt er Unterstützung: Eine ehemalige Freundin, die selbst drogenabhängig war, nahm ihn bei sich in San Francisco auf und unterstützte ihn während des Entzuges. „being somewhere like where don’t know the neighborhood or I don’t know anybody but the two people that there are caring for me, I don’t know my doctor I don’t know the nurse I don’t know anybody (.) and I go shit and up them I am kicking and I’m detoxing it was so: awful it was so: brutal it was so: painful it was mentally draining it was physically draining I didn’t sleep for a month or two I didn’t fucking eat correctly, I was pushing myself to exercise to get tired um my dog would lay next to me and would stare at him and I just be like I still love like why don’t I feel the same way about him and it would make me cry a lot I would like you know thinking about my friends back home and I would be like I just don’t care about anything“ (T2: Z. 449-457)
Er versucht mir, seine Erfahrung während des Entzuges mit der Schilderung seiner damaligen Gefühlslage näher zu bringen:
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„when I went and got sober this last time it was so: hard it was harder than anything that I’ve done in my life it was harder the the thirty something times I went to rehab it was harder than being in jail it was harder than detoxing cold turkey it was harder than having my son taking away from me it harder than watching my dad drink alcohol it was harder than watching my mom suffer it was harder than anything“ (T2: Z. 435-439)
Auffällig ist, dass er seine Situation des Entzuges und die seelischen und körperlichen Schmerzen, die er in diesem Zusammenhang erlitt, mit den Gefühlen vergleicht, die in ihm durch das Verhalten der Eltern in seiner Kindheit und Jugend erzeugt wurden. Er behauptet zwar, dass der Entzug für ihn noch wesentlich schlimmer gewesen sei. Dennoch wird hierbei deutlich, dass für ihn die familiäre Situation mit so hohen Belastungen verbunden gewesen sein musste, dass er sie in Verbindung mit den Qualen seines Entzuges überhaupt erwähnt. Es ist nicht verwunderlich, dass ihm, im Vergleich zu den Strapazen, die er in den letzten Jahren seiner Heroinabhängigkeit und während des Entzuges erleiden musste, das Leben nach dem Entzug als „so: easy“ und scheinbar ohne Sorgen und Probleme behaftet vorkam. „when I came back u:m (..) ((smiling)) life was so: easy everything is so: easy now, that’s why I don’t care that I did heroin and don’t resent it I don’t regret it I don’t care, it’s okay if I live my life everyday waking up like oh my God I threw away twenty years of life or oh my God I never became famous or I never became, then I’m just gonna look back to doing heroin (..) and the amazing thing that I don’t have to try to think that way I just don’t think that way [...] and like a small problem that comes up and rises like even like my own mother calling me and saying like oh my God I can’t believe what your aunt said about- I’m just like I don’t wanna hear it I have my own problems sorry it doesn’t really appeal to me right like you- that’s your problem, and I know that sounds harsh“ (T2: Z. 507-517)
Er schien sich nach dem Entzug in einem Zustand zu befinden, in dem er froh war, überhaupt noch am Leben zu sein: „I’m alive, I did heroin for so: long and I’m alive“ (T2: Z. 959f.). Im Vergleich zu seiner Vergangenheit erschienen ihm Alltagsprobleme als nichtig, so dass er ihnen keine Bedeutung beimaß und sich nicht um sie kümmerte. Nachdem er den physischen Entzug überstanden hat und keine körperlichen Entzugserscheinungen mehr erleidet, scheint er die psychischen Belastungen, die nach wie vor eine Rückfallgefahr darstellen, während seiner Erzählung auszublenden. Vielmehr konzentriert er sich auf die Beschreibung seiner Lebenssituation und Gefühlslage in der Gegenwart: „and then you wake up one day and you are like the beach is right there, there’s a beautiful girl that sleeps right next to you, you have a son who’s growing up your family cares about you the sun shining the sun is not shining it’s raining it’s not raining here’s a baby in a stroller I don’t know it’s so: simple it’s so easy, it’s not that difficult it’s not that complicated“ (T2: 963-967)
Dass er nicht mehr von der Droge kontrolliert wird und keine Entzugserscheinungen erleiden muss, wenn er keine erneute Zufuhr der Substanz erhält, scheint ihm ein Gefühl der Befreiung und Dankbarkeit zu verleihen. Er scheint glücklich zu sein und einen Neuanfang eingehen zu wollen.
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„I got here a very hard way my road was hard maybe I think this way because my life was so hard, other people maybe don’t think that way because they have, a giant house and an amazing car and they have- I don’t worry about I don’t want that problems I don’t need that problem I won’t invite those problems into my life (.) you know (.) I live with my brother and my car is a piece of shit, I just started working,I just got my license and I’m thirty eight I just got all my felonies I don’t have to deal with court anymore (.) it’s like I should be really depressed but I’m not (.) cause I’ve had bigger problems (.) heroin has been the biggest problem, and now it doesn’t exist anymore“ (T2: Z. 967-973)
Während er zuvor Angst vor der Realität hatte und vor dieser immer wieder durch den Rausch der Drogen flüchten wollte („I just couldn’t stop I didn’t want to be in reality“, T2: Z. 447f.), scheint er sich nun nur noch auf das Hier und Jetzt konzentrieren und belastende Momente seiner Vergangenheit ausblenden zu wollen. Insbesondere der Wiedererhalt seiner Selbstkontrolle scheint für ihn ein Gefühl der Befreiung hervorzurufen: „when you come from a place where you doing something every day that you don’t wanna do and you’re fighting to do something you don’t want to do, fighting you fighting so har- it’s like I don’t wanna drink that, right and you pushing towards when you saying I don’t want it i don’t want it I don’t it I don’t want it, and all you do is do it“ (T2: Z. 517-520)
Es ist ihm jedoch bewusst, dass sein Suchtverlangen, „the monkey [...] on your back, that never let’s you go“ und ein damit verbundenes Rückfallrisiko nicht verschwunden ist: „the monkey hasn’t disappeared the always will always be there“ (T2: Z: 373f.). Er scheint sich von diesem Suchtverlangen jedoch nicht mehr kontrollieren zu lassen und kann somit einem erneuten Konsum widerstehen: „I just really don’t care to listen to him any more I (got) only give a shit he could say what the fuck he wants my life is way better now but hasn’t a long time so it doesn’t appeal to me any more, it’s not a decision anymore it’s not a matter of like oh my God is he gonna relapse, II’ve had my fill, there’s no more I can’t dig any deeper lower, a:nd I don’t care, how high I go I’m content the way I am right now I’m happy and I’m fine“ (T2: Z. 366-370)
Seine Erzählung erweckt den Anschein, als sei er der Überzeugung, dass er den Drogen fortan widerstehen könne. Seine sich wiederholende Aussage „I don’t care“ lässt jedoch vermuten, dass er den Gedanken an einen Rückfall lediglich davon schiebt und sich nur auf die positiven Aspekte seines neuen Freiheitsgefühls konzentriert. Dadurch, dass es ihm körperlich und geistig gut geht, er in einer Partnerschaft lebt und eine Unterkunft hat, scheint ihm das Leben für den Augenblick sehr „leicht“ vorzukommen: „it’s just your outlook on it and how you deal with it“ (T2: Z. 385). Ob Pepe seine Nüchternheit aufrechterhalten und mit eintretenden Problemen umgehen kann, zeigt sich jedoch erst im Fortlauf seiner Geschichte. Zum Zeitpunkt des Interviews gibt er vor, keine Entzugserscheinungen oder weiteres Suchtverlangen zu verspüren. Er ist optimistisch, sein Leben ohne den Konsum von Drogen fortführen zu können.
360 | Hauptstudie
10.4.4 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Autorität(en) Wie bereits in Analyse-Schritt 2 deutlich wurde, scheint Pepe ein Problem damit zu haben, sich unterzuordnen, bzw. will selbst eine Autoritätsperson verkörpern. Im Folgenden werden Segmente einer gesonderten Betrachtung unterzogen, welche Aufschluss über diese Beobachtung im Zusammenhang mit Pepes Erleben in der damaligen Zeit liefern. Nachdem er demographische Daten und Stationen seiner Lebensgeschichte komprimiert dargestellt hat, setzt er mit einer Beschreibung seiner ersten Lebensjahre fort. Er bricht diese Darstellung jedoch ab, weil er sie vermutlich als unwichtig erachtet. Als ich ihn unterbreche und auf die Wichtigkeit auch dieser Information hinzuweisen versuche, widerspricht Pepe mir dominant.10 Er geht im Weiteren nicht auf meinen Hinweis ein, sondern setzt mit den Ausführungen fort, die er als relevant erachtet. Es stellt sich hierbei die Frage, ob Pepe auf meinen Hinweis nicht reagiert, weil er mir demonstrieren will, dass er sich nichts sagen lässt, oder ob er die Ausführung seiner Darstellung der ersten Jahre seines Lebens bewusst nicht thematisieren will. Interessant erweist sich daher im Folgenden ein Blick auf das dargestellte Erleben Pepes in dieser Zeit. Dadurch, dass sein Vater Alkoholiker war und sich nicht ausreichend um die Familie kümmerte, stellte dieser für Pepe keine Autoritätsperson dar. Pepe scheint demzufolge nicht gelernt zu haben, seinen Vater als Autoritätsperson anzuerkennen. Seine Mutter war mit der Situation, vier Kinder alleine erziehen zu müssen, überfordert. Pepe schien von den Eltern weder körperliche und emotionale Zuneigung zu erhalten noch klare Richtlinien oder Regelmäßigkeiten. Ihm fehlte es folglich an Orientierung und entsprechend richtungsweisenden Vorbildern in seiner Familie. Nachdem er zwischen den Eltern ‚hin- und hergereicht‘ wurde, geriet sein Verhalten zunehmend außer Kontrolle. Über die Zeit, in der er mit zwölf Jahren bei seinem Vater einziehen musste, der sich jedoch offenbar nur wenig um ihn kümmerte, erzählt Pepe: „living with somebody that you don’t know, but knowing that they are your father, is really hard (.) it’s really tough (.) u:m I had to put up a lot of: (.) just (mystery) a:nd not knowing and not knowing how to talk to hi:m, not knowing what upset hi:m (.) which is too much to ask of any kid, it’s too much responsibility for any kid, you know so that’s- my childhood was pretty like- I raised myself, I didn’t listen to my mum, and I didn’t listen to my dad, I listened to myself, and I listened to the streets and I listened to my friends on the streets and I had listened to: (.) anything that was outside of my house the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tail land, it was like going and living somewhere where everything was oka:y, and I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit that is life and we deal with that is real“ (T2: Z. 34-43)
10 Hier wird ein Einschreiten meinerseits in den Erzählfluss deutlich, den das methodische Verfahren so nicht vorsieht. Eine kritische Reflexion über mein Verhalten und daraus resultierende Konsequenzen für das Interview findet in der Schlussbetrachtung statt.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 361
Seiner Darstellung zufolge habe er sich selbst erziehen und mit einer Verantwortung umgehen müssen, der er scheinbar nicht gewachsen war. Seine Eltern füllten seiner Auffassung nach keine Vorbildfunktion aus. Das Elternhaus und die in diesen vorherrschenden Gegebenheiten schienen für ihn vielmehr Anlass zur Flucht gegeben zu haben, als einen beschützenden Zufluchtsort darzustellen. Sobald er das heimische Umfeld verließ, fühlte er sich wie im „Paradies“, in dem er von Gleichgesinnten verstanden und akzeptiert wurde. Hier konnte er ein „normaler“ Jugendlicher sein und entsprechenden Aktivitäten nachgehen. Er flüchtete sich in eine ‚eigene Welt‘, die hauptsächlich aus Skateboarding, Musikmachen und Freunde treffen bestand. Er traf auf Menschen, die für ihn vermutlich eine Art Vorbildfunktion darstellten, die ihn an Kunst, Musik und schließlich auch an Drogen heranführten. Es waren folglich Personen, die er außerhalb des Elternhauses traf, denen er nacheiferte und die seine weitere Vorstellung darüber, wie er sich selbst sah und wie er sein wollte, beeinflussten. Er war neugierig und ließ sich auf Menschen ein, die ihn an Dinge heranführten, zu denen er zuvor keinen Zugang hatte: „through a really close friend of mine who- is still my friend but he’s still on drugs so: not in contact but this friend (.) was the friend that introduced me to art, he introduced me to what a photograph was and why a photograph was and why a photograph was taken this way, he introduced me to movies and why a movie was filmed like this and wh:y the dialogue is important and why the actors are important, and I mean I didn’t understand those things I just felt like oh it’s a movie (.) but- you know you don’t think about it and I believe that (.) when you take o:n those types of things“ (T2: Z. 46-51)
Auch hinsichtlich der Bildung eines eigenen Musikgeschmacks und der Ausübung musikalischer Aktivitäten ließ er sich von anderen Personen beeinflussen und leiten. „he showed me like how to play the songs that I loved, because I always loved music, I didn’t care if it was Rap music I didn’t fucking care if it was Pop music or- or ba- or like boyband music if it make me feel good and it give me goose bumps (.) and it make me like feel excited like I didn’t really care, I loved it, so this guy showed me, how that was happening and al- and showed me- oh so you like Metallica or you like Megadeath or you like Nirvana here this is how you play that song, so he was showing me an inside- sco:op an inside vision on (.) what was happening and why“ (T2: Z. 64-69)
Seine Aussage „I didn’t really care, I loved it“ deutet darauf hin, dass er sich nur wenig Gedanken darum machte, womit er sich auseinandersetzte. Er präsentiert sich innerhalb seiner Darstellung als ein Jugendlicher, der sich sehr stark von seinen Emotionen leiten ließ und danach entschied, ob sich etwas gut oder schlecht anfühlte. Anhand der Ausführung über seine ersten Erfahrungen im Gitarrenspiel wird erkennbar, dass er es offenbar genoss, bald ‚besser‘ als sein Freund zu sein, der ihm das Spielen auf der Gitarre beigebracht hatte. „he: was pretty amazed and pretty surpri:sed I wasn’t- I di- I just- I wasn’t I just-didn’t make any sense to me but for him it was pretty amazing that I was able to learn things very things very fast and I was able to surpass him and become a better guitar player than him very fa:st
362 | Hauptstudie
(.) a:nd um (..) so: I got a guitar (.) a:nd (.) we- this is- I started my first band with this person“ (T2: Z. 74-80)
Er spielte fortan in verschiedenen Bands, deren Leader er wurde, wodurch er vermutlich auch Aufmerksamkeit und Bewunderung von den Frauen erhielt – wie er in Gesprächen unabhängig des Interviews andeutet. Sein Selbstbewusstsein scheint insbesondere auch dadurch bestärkt worden zu sein, dass er bereits als Teenager auf berühmte Musiker*innen traf, die seine musikalischen Fähigkeiten anerkannten und ihn animierten, seinen Weg als Musiker fortzusetzen. „a:nd when I was younger I got to meet (.) u:m some pretty famous musicians (.) that were a lot older than me like classic Rock musicians and current musicians and Pop musicians that had a big influence on me and these people were always telling me like you have to keep playing music, this it is what you are meant to do: (.) trust me just keep doing it“ (T2: Z. 90-94)
Diese Musiker*innen schienen für ihn nicht nur eine Art Vorbildfunktion auszufüllen, sondern auch Autorität auszustrahlen, der er sich unterordnete. „so: I became obsessive I became (.) extremely obsessive about how I play the guitar, how I sounded, how- how I held the guitar, how I stood on- when I played the guitar (.) and then once I got bored (.) with the guitar (.) I went in search for another instrume:nt which became the bass, and the same thing happened I learned how to play it I had to stand a certain, it became obsession and then I played the drums and so like every six months or every eight months or every other year or something I would find an new instrument, and I would learn that instrument by myself- even if I didn’t own the instrument, if I never didn’t have one in my house I learned it and I became better at it than anybody else that I knew“ (T2: Z. 94-101)
Er schien fortan den Willen und Ehrgeiz entwickelt zu haben, seinen Vorbildern nachzueifern und die Musiker*innen in seinem Umfeld musikalisch übertreffen zu wollen. Er lernte in dieser Zeit aber offenbar auch, sich durch- und seinen Willen umzusetzen. Seinen Darstellungen zufolge schien er das Vorhaben, ‚besser‘ als alle anderen Musiker*innen zu werden, so konsequent verfolgt zu haben, dass das Musikmachen, welches zunächst nicht mit Verpflichtungen verbunden war und ihm Spaß machte, bald zur Anstrengung für ihn wurde. Als schließlich sein bester Freund Jonas vom College zurückkehrte und die beiden zusammen begannen, Musik für andere Künstler*innen zu produzieren, wurde das Musikmachen zu einem Job, der mit Anstrengungen verbunden war. Insbesondere schien es ihm schwer zu fallen, sich unterzuordnen und den Wünschen und Anforderungen seiner Auftraggeber*innen gerecht zu werden. „I didn’t like when people like oh can you play that again or can we do- can we take another take, do you think we can do the bass line better or can you play the guitar like this or can I put some distortion on your guitar (.) that’s work“ (T2: Z. 138-140). Er scheint generell ein Problem damit gehabt zu haben, sich unterzuordnen bzw. Anweisungen befolgen zu müssen. Diese Lesart gewinnt an Plausibilität, wenn Pepe über seine gegenwärtige Einstellung gegenüber dem Musikbusiness Auskunft gibt:
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 363
„right now, today, sitting here on this grass I don’t give a fuck if I make money of music, I would rather go and play guitar in my bedroom and be happy and write a song for my mum or my girlfriend or you or anybody, and it would mean a lot more to me than to write a song for some fucking record company who’s gonna take my so:ng and make it sound the way they want it to sound so that they can make money so that can pay me (.) nothing“ (T2: Z. 143147)
Das Musikmachen als Job schien fortan für ihn mit Verpflichtungen verbunden gewesen zu sein, denen er sich nicht fügen wollte. Seine Formulierung „fucking record company“ deutet darauf hin, dass er sich aus kommerziellen Zwecken keiner Plattenfirma oder anderen Arbeitgeber*innen mehr unterordnen und deren Richtlinien verfolgen wollte. Er wollte nicht, dass ihm gesagt wird, was er zu spielen habe und wie seine Musik klingen solle. Hieran knüpfen seine Ausführungen in Segment 83 an, wenn er zu verstehen gibt, warum er einen Plattenvertrag von einem Major-Label ablehnte: „last somewhat successful band that I was band was the last time I was sober I had like two years sober (.) u:m I was playing drums for the band I was gonna get a record deal I was gonna do fantastic and I was sober and I was happy but, I didn’t like the contract so I wouldn’t sign anything so they never made it because the record only wanted me and the singer, they didn’t care about anybody else so we=if the singer would have signed and I would have signed the whole band would have got a record but I didn’t want to sign because the record contract was bullshit (.)“ (T2: Z. 942-948)
Er schien hierbei mit den Bedingungen des Plattenlabels nicht einverstanden gewesen zu sein und zog es vor, den Vertrag abzulehnen und sein ‚eigener Herr‘ zu bleiben. Hierzu heißt es in den Segmenten 21 und 22. „I don’t really give a fuck about that music industry (.) anymore I- would never whore myself to the music industry I would never try to work for the music industry if I ever record music ever again and it’s done professionally I’m gonna do it independently, I gonna do with own money, I gonna do it in my own studio, with my own microphones and my own musicians (.) because (..) I mean fortunately and unfortunately, I learned the hard way (.) how that works, and it doesn’t appeal to me anymore [...] it’s work (.) it’s energy, and it’s pa:ssion (.) that is just (.) thrown away“ (T2: Z. 150-157)
Interessant ist hierbei, dass er zu verstehen gibt, „I don’t really give a fuck about that music industry (.) anymore“. Diese Aussage lässt darauf schließen, dass es zuvor Zeiten gegeben haben muss, in denen die Musikindustrie eine Bedeutung für ihn eingenommen hatte. Auch mit der Formulierung „if I ever record music ever again“ deutet er an, dass er bereits ein Album aufgenommen und seine Erfahrungen mit dem Musikbusiness gemacht hatte. Wird die Formulierung „whore myself“ betrachtet, so wird ein Bild der Unterwürfigkeit und Fremdkontrolle suggeriert, dem er sich offenbar entziehen will. Vielmehr scheint es, als wolle er selbst bestimmen, welche Musik er macht und wie er diese produziert. Die Aussage „I mean fortunately and unfortunately, I learned the hard way (.) how that works” deutet darauf hin, dass er seine negativen Erfahrungen bereits gemacht hat und fortan selbst über sich und seine
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Handlungsoptionen bestimmen will. Er weist aus gegenwärtiger Perspektive darauf hin, dass das Musikmachen für ihn fortan keine Arbeit mehr darstelle, sondern mit Energie und Leidenschaft verbunden sei. Interessant ist in diesem Zusammenhang folgende Aussage: „some people wanna be professional musicians some people are good at taken direction, some people are good at being managed, some people are good at being produced (.) I don’t wanna be produced, I don’t care about it, I don’t wanna be managed I don’t care about it, I don’t wanna be a professional musician I don’t need to be on a stage I don’t need my ego stroked I don’t need any of that shit (.) I just wanna be a guy who plays guitar in his bedroom who writes a song and sings and if you like it cool, and if you wanna paying money for it, great fantastic, but if you don’t great, fantastic, it doesn’t really matter to me“ (T2: Z. 159-165)
Es lässt sich hieraus ableiten, dass er sich selbst nicht (mehr) als professionellen Musiker sieht. Mit dem Status des ‚professionellen Musikers‘ scheint für ihn die Vorstellung verbunden zu sein, sich einem Management zu unterwerfen und die eigene Musik von anderen produzieren lassen zu müssen. Es sei für ihn nicht mehr wichtig, auf einer Bühne zu stehen, um seinem ‚Ego zu schmeicheln‘. Seine Auffassung „I just wanna be a guy who plays guitar in his bedroom who writes a song and sings“ widerspricht damit seiner vergangenen Vorstellung „I need- like be fa:mous and I wanna make money“ bzw. „how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic“. Interessant ist, dass er letztere Vorstellung mit Beginn des Konsums von Heroin entwickelte. Mit dem Konsum von Heroin schien er nicht nur berühmten Musikern nachzueifern, die er als Vorbilder sah. Die Wirkung der Droge sorgte auch dafür, dass er seine Alltagsprobleme ausblenden und sich auf den Prozess des Musikmachens konzentrieren konnte. Gleichzeitig wiederum übernahm die Droge bzw. das zunehmende Suchtverlangen Kontrolle über die Steuerung seiner Gedanken und daraus resultierende Handlungsoptionen. Obwohl er mehrfach behauptet „I never listened I didn’t care“ (z.B. T2: Z. 312), schien die Droge hierbei eine Ausnahme darzustellen, die fortan die mächtigste Autorität darstellte, der er sich fügen musste. Das Gefühl von Anerkennung und Zuneigung, welches er durch das Musikmachen im Teenageralter erfahren hatte, wurde in den Folgejahren durch den Rausch der Droge kompensiert. Erst während der zweijährigen Phase der Abstinenz scheint Pepe dieses Gefühl erneut durch menschliche Zuneigung zu erfahren. Interessant ist hierbei insbesondere die Schilderung der Reaktionen, die er von Betroffenen während seines Jobs in der Rehab entgegengebracht bekommen hatte. „gotta have respect for something like that because they were all nice to me and they all listened to me and they all were like if this guy is ok and he is happy then we can be ok too, and I did- I did a good job in that rehab and I helped a lot of people in fact when I got fired I got fired because, come on I don’t like anybody telling me what to do, and my boss oh God my boss he told me what to do that’s what bosses do, but I didn’t like it and so I told him fuck off and I was like we should go to your office and talk, I pulled him into his own office to yell at him instead of him pulling me into his office to yell at me, and I didn’t think I was wrong but when I got fired“ (T2: Z. 342-349)
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 365
Der Respekt, den er erhielt, sowie die Zuneigung seiner damaligen Partnerin scheinen in dieser Zeit ein Gefühl von Zufriedenheit und Anerkennung hervorgerufen zu haben. Dennoch wird aus der vorigen Sequenz deutlich, dass er nach wie vor ein Problem mit Autoritäten hatte. Auf Anweisungen seines Chefs reagierte er mit rebellischem Verhalten, wodurch er seine Kündigung riskierte. Mit dem Verlust des Jobs, dem Aufkommen verschiedener Alltagsprobleme und einem daraus resultierenden Rückfall, sah er im Konsum von Heroin nicht nur den einfachsten Ausweg aus seinen Problemen. Die Droge kompensierte durch die hervorgerufene Rauscherfahrung ebenso das Gefühl zwischenmenschlicher Beziehungen und Selbstbestätigung. Obwohl ihm bewusst gewesen zu sein schien, „that has nothing to do with me: it’s a outside thi:ng and it has controlled my life“ (T2: Z. 236f.), schaffte er es über acht weitere Jahre nicht, den Suchtkreislauf zu beenden. Während er den Konsum von Heroin zunächst als Möglichkeit der Flucht sah und die positive Wirkung der Droge begrüßte, schien ihm mit andauerndem Konsum immer mehr bewusst zu werden, dass er sich ohne Hilfe der Kontrolle der Droge nicht entziehen konnte: „half of the time was fun the other half of the time I just wanted a way out, it was like trying to find a fucking needle and a haystack it was like trying to find a key in a fucking sand over there, one key that exists that gets you out that unlocks the door and releases you into freedom for ten years that’s how it felt“ (T2: Z. 299-302)
Erst mit dem Erreichen der Abstinenz scheint Pepe sich nicht mehr fremdleiten zu lassen und fortan wieder über sich selbst bestimmen zu können. Hierauf ließe sich zurückführen, dass mit dem Erreichen der Abstinenz und damit dem Rückgewinn der Kontrolle über Körper und Geist sich auch seine Vorstellung darüber verändert hat, wie er sich selbst als Musiker sieht.
10.5
SCHRITT 4: FEINANALYSE
Im Folgenden werden Themen bzw. Sequenzen, welche auffällig sind, jedoch im vorigen Schritt nicht analysiert wurden, einer genaueren Betrachtung unterzogen. Folgende Feinanalysen beziehen sich insbesondere auf Passagen des Nachfrageteils, die Relevanz in Bezug auf eine potenzielle Verbindung zwischen Musikmachen und Drogenkonsum vermuten lassen. Ebenso werden die Erzählausstiege aus der Haupterzählung und der Schlusssequenz des Interviews detailliert betrachtet. 10.5.1 Segment 55: Erzählausstieg Haupterzählung Den Erzählausstieg findet Pepe in der Darstellung seiner gegenwärtigen Lebenssituation nach Beendigung seines letzten Entzuges. „when I came back u:m (..) ((smiling)) life was so: easy everything is so: easy now“
Im Vergleich zu dem, was er als Suchterkrankter durchgemacht hatte, scheint ihm das neugewonnene Freiheitsgefühl durch den Entzug ein Leben ohne Probleme zu
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suggerieren. Seine weiteren Ausführungen lassen die Lesart zu, dass er sich auf das ‚Hier und Jetzt‘ zu konzentrieren und negative Gedanken über seine Vergangenheit auszublenden versucht: „that’s why I don’t care that I did heroin and don’t resent it I don’t regret it I don’t care, it’s okay if I live my life everyday waking up like oh my God I threw away twenty years of life or oh my God I never became famous or I never became, then I’m just gonna look back to doing heroin (..) and the amazing thing that I don’t have to try to think that way I just don’t think that way“
Dass er diese Gedanken, die er angeblich nicht hätte, dennoch thematisiert, deutet darauf hin, dass er sich mit ihnen auseinandergesetzt hat und sie nun auszublenden versucht. Auch aus seiner folgenden Äußerung lässt sich die Vermutung aufstellen, dass die Handlungsoption des Verdrängens von Problemen nach wie vor seine Strategie der Problembewältigung zu sein scheint: „[...] and like a small problem that comes up and rises like even like my own mother calling me and saying like oh my God I can’t believe what your aunt said about- I’m just like I don’t wanna hear it“
Es ist anzunehmen, dass er sich weder mit den eigenen noch mit den Problemen seiner Umwelt auseinandersetzen und belasten wollte. Er erklärt hierzu: „but, when you come from a place where you doing something every day that you don’t wanna do and you’re fighting to do something you don’t want to do, fighting you fighting so har- it’s like I don’t wanna drink that, right and you pushing towards when you saying I don’t want it I don’t want it I don’t it I don’t want it, and all you do is do it, a lot of things just become very stupid and minimal and not important“
Er deutet nicht nur darauf hin, dass das suchtbedingte Verlangen nach der Droge seine Handlungen bestimmte. Es wird ebenso deutlich, dass der Zwang nach dem Beschaffen und Konsumieren von Heroin dazu beitrug, dass alltägliche Angelegenheiten zu einer unbedeutenden Nebensächlichkeit wurden. Durch die Fokussierung auf die Droge schien ihm alles gleichgültig zu werden, was in seinem Umfeld passierte. Er entwickelte eine egozentrische Haltung, die er offenbar auch nach dem Entzug nicht ablegen konnte: Es scheint ihm in seiner Wahrnehmung ausschließlich um sich selbst und sein Wohlbefinden zu gehen. Er nennt im Weiteren Komponenten, welche offenbar einen positiven Einfluss auf sein Befinden haben: „and the only things that are important to me are the people in my life and my friends and my girlfriend and producing and backsinging and playing guitar for fun, and living comfortably I don’t want an amazing car I don’t want an amazing place if I can eat and live my life comfortably that- I’m gonna be fine (..)“
Es ist fraglich, ob er sich bescheiden darstellt, weil diese Komponenten in seinem Leben tatsächlich keine Bedeutung aufweisen, oder ob er diese nur als unbedeutend erklärt, weil sie nicht Bestandteil seines Lebens sind.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 367
Er äußert den Wunsch, wieder in Kontakt mit seinem ehemals besten Freund zu treten. In einem Nachgespräch gibt Pepe zu verstehen, dass dieser nur etwas mit ihm zu tun haben wolle, wenn er clean sei. Innerhalb des Interviews heißt es hierzu: „if I can get some of my friend that I lost (.) not that are dead obviously my friend that don’t speak to me anymore, great, fucking get a job doing (.) what I love to do, even better and I really accomplished that“
Er weist ebenso auf eine mögliche Jobperspektive hin, die er als eine potenzielle neue Lebensaufgabe sieht: „you know I just got a great job writing reviews for bands that I love (..) you know and I just started writing for my blog again which I never thought will happen again“ (T2: Z. 507-528)
Dadurch, dass er aufgrund seiner Heroinabhängigkeit über mehrere Jahre keinen Job aufrechterhalten konnte, scheint er davon überwältigt zu sein, nun endlich wieder einer Aufgabe nachgehen zu können, die ihm Spaß macht. Es scheint, als würde er die Situation dennoch zu beschönigen versuchen bzw. den Job positiver darzustellen, als er tatsächlich ist. Dass es sich hierbei ausschließlich um eine einmalige unentgeltliche Schreibtätigkeit für einen Online-Blog handelt, gibt er nämlich nicht zu verstehen. Es stellt sich hierbei also die Frage, ob er den Job tatsächlich als „a great job“ empfindet oder ihn lediglich als solchen präsentiert, um Anerkennung und Bewunderung von mir zu erhalten. 10.5.2 Segment 56: Erzähleinstieg Nachfrageteil Da Pepe während der Haupterzählung seinen Fokus überwiegend auf thematische Felder gerichtet hat, die sich auf seinen Suchtverlauf beziehen, versuche ich im Nachfrageteil, an Ausführungen zu musikalischen Aspekten seiner Lebensgeschichte anzuknüpfen. Ich frage zunächst danach, wie wichtig ihm Musik sei. Auffällig ist hierbei Pepes direkte Reaktion: „for me or for my (.) for what I think is the outlook of like everybody else, just for me.“ Wenn ich mit der Aussage „both sides“ antworte, lasse ich auch hier den Spielraum der Antwortmöglichkeit bewusst offen. Er scheint die Frage nach der Wichtigkeit von Musik zunächst nicht unmittelbar auf sich selbst zu beziehen, sondern es kommt ihm offenbar zunächst in den Sinn, welche Einstellung Andere zur Musik haben. Diese Reaktion ist insofern interessant, als sich daraus schlussfolgern lässt, dass die Bedeutung von Musik bzw. seine Vorstellung über das Musikmachen insbesondere von anderen Menschen beeinflusst ist bzw. er sich in seiner eigenen Auffassung nach anderen Vorstellungen richtet. Über seine eigene Haltung zur Musik heißt es im Weiteren: „for me it’s very important it’s therapeutic (.) i:t’s special it’s meaningful it’s it’s remembering, it’s like being in a time machine for me, music for me is emotional music for me is like if I hear a song that I completely love I will get goosebumps on my entire body and for some people it’s like oh that’s just a cheesy song and- doesn’t really matter but music is good music bad music“
368 | Hauptstudie
Er erweckt den Eindruck, als falle es ihm schwer, in Worte zu fassen, wie wichtig Musik für ihn sei. Interessant ist, dass er innerhalb seiner Auseinandersetzung über Musik bzw. das Musikmachen insbesondere gefühlsbetonte Komponenten anspricht. Hier wird seine sensitiv-emotionale Persönlichkeit deutlich, die er bereits zu Beginn des Interviews (Segment 4) betont hatte. Interessanterweise greift er den Aspekt der „time machine“ im Folgenden erneut auf, wenn er behauptet: „I used to listen to the same music I used to listen to like twenty years ago.“ Er fühlt sich – wie zuvor dargestellt – nach dem Entzug nicht nur in das Stadium seiner Kindheit/Jugend zurückversetzt. Er hört auch dieselbe Musik, die er zwanzig Jahre zuvor bereits gehört hat. 10.5.3 Segment 76: Los Angeles Musik-Heroin-Szene Ich stelle Pepe die Frage, ob es wichtig gewesen sei, Heroin zu konsumieren, um Teil der Musikszene zu sein bzw. an dem dort vorherrschenden Lebensstil zu adaptieren. Seine prompte Antwort „yah of course“ vermittelt den Eindruck, als habe der Konsum von Heroin eine bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang gespielt. „in the moment it feels like it is important it feels like oh if I- if I’m not nervous and I don’t care about who: is listening to me and I’m okay, then it’s important, but it’s no:t“
Er bezieht die Wirkung von Heroin insbesondere darauf, dass sie ihm die Nervosität und die Aufregung vor seinen Zuhörer*innen nahm. Seiner damaligen Auffassung kann er aus gegenwärtiger Perspektive jedoch nicht mehr zustimmen. „because- what I’m trying to say to you is like if I need anything outside of myself to become a better person that’s doing me harm (.) how good is that (.) it’s not good at all (.) it’s bad“
Es deutet darauf hin, dass seine Motivation, Heroin zu konsumieren – trotz der Gefährdung seiner eigenen Gesundheit – auf die Annahme zurückzuführen sei, damit ein ‚besserer‘ Musiker werden und sich in seinem Umfeld zu behaupten zu können. Ebenso gibt er zu verstehen, dass er durch den Konsum der Droge – und damit einem Gefühl von Coolness und Gelassenheit – in der Lage war, Kontakte innerhalb der Musikszene zu knüpfen: „in the moment I thought oh so it’s- of course it’s important heroin is so important to- to be: social and to get into these connections with people“
Auch wenn er im Weiteren andeutet, dass sich durch diese Kontakte bezahlte Bandprojekte entwickelten, scheint ihm der Preis dafür, nämlich die sich daraus entwickelnde Drogenabhängigkeit, rückblickend das nicht wert gewesen zu sein. „and (.) but if you need anything like that that’s harming you, it’s not that positive (?) good of a thing it=even if it seems that way even if I got connections even if I play concerts even I got payed it wasn’t worth it“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 369
10.5.4 Segmente 79: Kreativer Schaffensprozess Im weiteren Verlauf erfrage ich, ob es einen Zusammenhang zwischen seiner Heroinabhängigkeit und seinem musikalisch-kreativen Prozess gegeben habe. Seine direkte Reaktion „no (..) not for me“ lässt zwar darauf schließen, dass er keine Verbindung zu seinem eigenen Prozess sieht. Die Betonung seiner Wortwahl lässt jedoch die Lesart zu, dass andere Musiker*innen durchaus einen Zusammenhang benennen würden. In Bezug auf seine eigene Auffassung gibt er im Weiteren zu verstehen: „the only connection is (.) between heroin and music (.) i:s (.) the attraction, to music (.) not the creative process“
Als ich zur besseren Verständlichkeit um die Konkretisierung dieser Aussage bitte, führt Pepe aus: „okay the creative process is one thing, like I wanna create music, heroin doesn’t help create music it doesn’t (.)“
Er stellt zunächst fest, dass der Konsum bzw. die Wirkung von Heroin keinen Einfluss auf die ‚Erschaffung‘ von Musik gehabt habe. Er deutet jedoch darauf hin, dass der „creative process“ – im sprichwörtlichen Sinne – nur eine Seite der Medaille sei. Auf die andere Seite kommt er im Folgenden zu sprechen: „bu:t being on heroin changes your thinking, so it attracts you to things that you wouldn’t be normally attracted to (.) so it changes my like outlook and my attraction“
Interessant ist, dass er hierbei betont, dass der Konsum von Heroin Auswirkungen auf sein Denken bzw. seine Wahrnehmung gehabt habe. Es stellt sich hierbei die Frage, ob der Rausch der Droge ihn inspiriert oder ihm durch Bewusstseinsveränderung einen anderen Zugang zum Musikmachen verschafft habe. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass er aufgrund der Rauschwirkung und dem daraus resultierenden Gefühl von Coolness und Gelassenheit eine verstärkte Offenheit und Experimentierfreudigkeit innerhalb seines musikalischen Prozesses entwickelte. Diese Vermutungen lassen sich anhand seiner Aussagen jedoch nicht verifizieren. Er gibt lediglich zu verstehen, dass durch den Konsum der Droge verschiedene Dinge auf ihn Anziehung ausübten, die für ihn ohne den Einfluss der Droge unbedeutend erschienen. Diese Aussage scheint sich jedoch weniger auf musikalische Komponenten zu beziehen, sondern auf seine Vorstellung des Musikerdaseins und damit verbundenen Werten: „like I said money I wanna be famous.“ Er betont im Anschluss erneut, „it doesn’t change your creative process it dulls it it makes it worse“, und geht auf prominente Beispiele ein, die diese Feststellung bestätigen würden: „Bird the saxophone player John Coltrane and fucking you know the Who’s drummer and Hendrix and Janis Joplin and Kurt Cobain just because of those people did heroin when they were creative this not mean they are happy they are dead so we not gonna know what like you get to talk to me and you get to hear and if they ever got sober and you had to talk to them you would tell you the same thing“
370 | Hauptstudie
Seine Aussage lässt die Lesart zu, dass die benannten Musiker*innen zwar Heroin konsumierten, wenn sie kreativ waren, was jedoch nicht bedeutet, dass sie aufgrund ihres Konsums kreativ waren. Ebenso behauptet er, dass der Konsum von Heroin sie nicht glücklich gemacht hätte. Auch die Tatsache, dass alle der genannten Musiker*innen nicht mehr am Leben sind, lässt die Schlussfolgerung zu, dass – selbst wenn der Konsum von Heroin den musikalischen Prozess beeinflusste – die Folgen der Heroinabhängigkeit ihre Konsument*innen letztendlich in den Tod führten. Er bezieht seine Behauptungen schließlich auf seine eigenen Erfahrungen: „heroin never helped me musically ever they would probably tell you the same thing, you could probably meet some people that would tell you u:m LSD or acid or mariuhana helped them create better music but heroin doesn’t help you create better music“
Interessant ist hierbei sein Vergleich zu anderen Drogen, die seiner Meinung nach Einfluss auf den kreativen Schaffensprozess von Musik hätten. Er spricht der Wirkung von Heroin diese Funktion jedoch nicht zu. 10.5.5 Segmente 86: Erzählausstieg Nachfrageteil Zum Abschluss des Interviews erkundigte ich mich nach dem Wohlbefinden des Interviewten. Er gibt zu verstehen: „it’s okay because I get to go home and be okay, it’s like to walk away and I don’t have walk away and go call the drug dealer (.) the last time we talked I was thinking about that the entire time [...]“
Er spielt hierbei auf ein Verhalten an, das er als Junkie gewohnt war: die Beschaffung des nächsten Stoffes. Er weist auf die Veränderung hin, die er seit dem ersten Treffen mit mir gemacht habe. Das gewohnte Ritual ist ihm bislang offenbar noch gut in Erinnerung. Umso mehr scheint er über die Erkenntnis erleichtert zu sein, dass er diesem Verlangen nicht mehr nachgehen muss. Er könne nach dem Gespräch nach Hause gehen und es ginge ihm auch ohne Wirkung der Droge gut. Vielmehr scheint ihn die Vorstellung zu ‚berauschen‘, dass zu Hause seine Freundin auf ihn wartet. Er scheint sich an den ‚einfachen Dingen des Lebens‘ zu erfreuen und wenig Ansprüche zu stellen. „yah now I’m thinking about when I lay down with my girlfriend and watch TV and let’s wake up tomorrow and let’s see what happens tomorrow“
Erneut kommt er auf seinen „Job“ zu sprechen, den er bereits im Vorfeld erwähnte: „oh I do have a responsibility I do have to finish, that review for earn like money.“ Die Ausführung des Jobs scheint für ihn eine verantwortungsvolle Tätigkeit darzustellen. Er scheint sich hierbei sogar einzureden, dass er durch das Schreiben einer Rezension für eine Band auf einem Online-Blog Geld verdienen könne. Tatsächlich erhält er für diesen Artikel keine Vergütung, wie sich im Nachhinein herausstellt, sondern lediglich die Option, Folgeaufträge zu erhalten. Er stellt die Situation jedoch so dar, als gehe er davon aus, mit diesem Job seinen weiteren Lebensunterhalt be-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 371
streiten zu können. In Anbetracht seiner Haltung scheint auch die weitere naive Planung seines Alltags nicht verwunderlich: „but other than that it’s pretty simple, I probably go to the beach.“ Interessant ist, dass er zum Abschluss des Interviews noch einmal zu verstehen gibt: „I’m not gonna work for anybody ever again doing something I don’t wanna do (.) I got this job because I enjoy it and it’s music related and it’s for bands that I enjoy, and I like to write so“
Es scheint, als gehe er davon aus, nun frei über sein Leben bestimmen zu können und sich nach niemandem mehr richten zu müssen. Er wirkt erfreut darüber, mit seinem „Job“ eine Tätigkeit gefunden zu haben, wie er erneut betont, die ihm Spaß mache und gleichzeitig mit Musik und Bands verbunden sei. Als ich ihn abschließend frage, ob er noch etwas zu ergänzen habe, verneint er dies.
10.6
SCHRITT 5: KONTRASTIERUNG DER ERZÄHLTEN MIT DER ERLEBTEN LEBENSGESCHICHTE
Es wird im Folgenden dargestellt wie Pepe seine Lebensgeschichte in der Vergangenheit – bzw. aus der damaligen Gegenwart heraus – wahrgenommen hat und wie er diese aus der Gegenwart heraus rekonstruiert und reflektiert. Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
bis ca. 11
Vater ist Alkoholiker; er selbst nimmt keine Drogen
Vater ist Sänger und hört mexikanische und spanische Musik sowie Latin und Popmusik
„my father was an alcoholic and he drank a lot“
„the idea of addiction was probably ingrained in head from a very young age“
„I always loved music“
„I used to think I was okay“ „my childhood was pretty like- I raised myself“ „the second I left my door I was in paradise, it was like going and living in a fairy-tail land“ „I have to go home and deal with sadness and anger and poverty and all that bullshit that is life“
„growing up sad growing up sad and hurt and being a kid and feeling too much and watching your father and your mother fight and not being together watching you alcoholic dad being poor watching your brothers and sisters be poor, it was those things that lead up and you’re a kid and you feel all this awful stuff, and little kids do not process things,
Selbstkonzept
372 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
they live from one day to the next“ „I used to think I was okay about it but I wasn’t about it“ 11
beginnt sich für Filme, Photographie und Musik zu interessieren; „the artistic part of my life began very young it began probably when I was eleven“
„I listened to the streets and I listened to my friends on the streets and I had listened to: (.) anything that was outside of my house“ „it felt like something I was born with, it felt like something that was part like another organ, like the art organ it felt like just like something that was inside of me“
„I had learned and known is God all that pain and all that fucking bullshit“
„I’m a kid let’s ja:m“
„I was very sensitive about people bringing up my father and I was very sensitive about people talking about my father not being here“ „you don’t think about it and believe it“
„I didn’t understand those thing“ „it make me feel good and it give me goose bombs (.) and it make me feel excited like I didn’t really care“ „when I first started listening and playing to music I was so excited to hear new music“ 12/ 13
Alkohol, Tabak, Weed, Mushrooms (Einstiegsdrogen)
wird von Schulfreund im Gitarrespielen unterrichtet; besitzt kein eigenes Instrument; erhält erste Gitarre von Jackson Browne; trifft berühmte Musiker*innen;
„it was s:o fun „I was able to learn things very fast“ „I was able to surpass him“ „I become a better guitar player than him very fa:st“
„the beginning of my music (.) adventure, my music experience my music relationship, with direct contact to an instrument and creating music“
„all I wanna do is playing music and don’t give a shi:t or you don’t give a fuck about anything else“ von ‚außen‘ auferlegtes Konzept:
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 373 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„music (.) is ingrained it’s like in my DNA, it’s never been hard it’s always been fun“ 15
Alkohol, Tabak, Weed, Mushrooms;
Bandgründung XY; Punk Rock; er singt und schreibt Songs; spielen mit Incubus
probiert Ecstacy, Speed, Kokain
„we were just kids that love music that just learned how to play their instruments and all they wanna do is share it with somebody else and all they wanna do is play with other people um (.) I did that for a long time, I didn’t know about making mone:y or recording a so:ng or writing a so:ng, we just wanted to play the songs that we liked to listen to (.) we didn’t care about anything else“
Selbstkonzept
„keep playing music, this it is what you are meant to do:“ „that the was the funnest band I’ve ever been in, we drank some beer we smoke weed and we will write songs and would be overca:st and would be raining and we call each other and I’m think about it now I’m getting goosebumps you call each other and it will be like hey man you wanna show up and gonna go fucking write some punk rock songs, it was so: fun“
„it was like here and now I just wanted to play music for fun just to play, to feel, just to learn songs“
„it was fun it was like (.) you can’t duplicate it was a time in my life that you can not duplicate it was amazing“ 16
Alkohol, Tabak, Weed, Mushrooms; Kokain, Speed, Ecstasy
erlernt Schlagzeug- und Bassspielen autodidaktisch
„I would learn that instrument by myself- even if I didn’t own the instrument, if I never didn’t have one in my house I learned it and I became better at it than anybody else“
Gründung Punk-Band YZ; spielt auf Campus-Festivals entlang der Westküste
„everything before this is me no drugs, just kid smoking pot someti:mes [...] mushrooms one time, alcohol high school parties normal kid“
(Mischkonsum) Alkohol, Tabak, Weed, Mushrroms; Kokain, Speed, Ecstasy
„[I’m a] normal kid“
„I’m […] extremely aware and sensitive“
„it was like here and now [...] I just wanted to play music for fun“
374 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
(Mischkonsum)
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„we started recording music together, and that was my introduction into recording music“
„I needlike be fa:mous and I wanna make money“
„I didn’t know what heroin was“ „I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d and you put it in your vein and you overdose and you die“ „I don’t like drugs that make me feel overly excited, they make me feel to: (..) aware“
18/ 19
erster Heroinkonsum raucht zum ersten Mal Heroin bemerkt nach ca. vier Monaten des Konsums erste Entzugserscheinungen
bricht Schule ab; Recording mit bestem Freund; produziert Hip HopKünstler
„oh I’m so cool“ „I didn’t know that you can smoke heroin“ „he is doing it, he is my best friend he’s not gonna give me something ba:d“ „I didn’t ca:re anymore, tha:t, music was work […] a:ll my like inne:r instinct disappear, all the worry, disappear, it made everything e:asy“ „I thought things sounded better or if I thought I was to learn more or if I thought I could be more successful“ „God that’s such an amazing connection, heroin and music it works so: well together, it’s like oh I could just focus on music only“ „I’ll be okay“
„I learned (.) to no:t like music an I learned what heroin was, at the same time“ „it became a job“ „it became work for me“ „I became adjusted it became habit it became normal for me to think that way“ „it’s only gonna make you focus on one thing, and you not worry about your fucking wife and your kids and your this and your that“ „I got addicted to the practice, I got addicted to the thought and the practice“
„how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic“ „I gotta be a professional and I wanna be a rockstar"
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 375 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„my idea of being a musician when I was on heroin was all driven and it was all based behind getting high and being high it was being fed and driven by the heroin it has nothing to do with me“
„I gotta be amazing and I gotta be a professional and I wanna be a rockstar and I wanna be like Jimi Hendrix and I wanna be like this Rock’n’Roll star and I wanna be like that because they do drug:s and drugs are so coo:l“
„it makes me not feel pain (.) I thought I found a solution I thought I found oh this is the answer, this is- instead of like processing it and talking about it, it became oh heroin will take care of everything“ 19/ 20
Heroin zunehmende Abhängigkeit
arbeitet als professioneller Musiker
„I played a lot of tou:rs and in a lot of cool ba:nds“
„someone who goes and does it as a career, as a life, someone who works toward making money to live“
„I met a lot of cool people“ „I did a lot of amazing things that normal society might look at and say like oh wow“
„it is so stupid“ „I used to be so:, hungry to go and be in that scene, I wanted to know everybody and I was like“ „it was like an overthought process like I thought about too much, I thought about how I sounded now, I thought about how I looked, I told you this already how I played how I stood“ „I was overthinking it like what’s the new album what is that we are listening to right now what’s cool right now“ „it made you a better musician“ „I thought things sounded better“
„it’s all bullshit“ „it made me a worse musician and make me care about music less“ „my professional music career started with heroin“ „I’m not gonna lie I had a lot of good times I had a lot of success musically and I played a lot of tou:rs and in a lot of cool ba:nds and I met a lot of cool people and I did a lot of amazing things that normal society might look at and say like oh wow you got to do that“ „everything looked so: bad
376 | Hauptstudie Alter
19/ 20
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
erster Entzug (wird von TVProduzent finanziert) ® wird rückfällig
21
erste Intravenöse Heroininjektion
arbeitet als Gastinstrumentalist und Sänger; produziert Bands; schreibt Soundtracks; spielt in eigenen Bands; geht auf Tour
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„I thought about like oh what guitar am I gonna take, or what- or I asked the singer oh what’s the setlist what songs we are gonna play“ „everything looks so: good“
my whole adult life has been just like misery“
„I used to believe, I’m gonna do heroin so enhances my perception of music, I’m gonna do heroin so that enhances my sexual life, I’m gonna do heroin so that it enhances how I feel about“
„what’s happing to you when you do heroin is, you dolling yourself from everything that’s real“
„heroin drug brought me down like so: low, to all I wanna do is lock myself in a room and record music, and make a song perfect“
„I was so afraid oh my God I’m putting a needle in my arm“
„I was on heroin and playing music it was bullshit“
„I wanna be like this ultra fucking rock’n’ roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool“
„it felt wrong it felt too good to be true, it was too good to be true nothing should feel that good, nothing should feel that good (.) not even sex should feel that good (.) nothing outside yourself that you need to depend on should ever feel that good“ „oh I’m so cool […] I thought it was so: cool“ „oh I’m saving money it gets me more high, oh this is great“ „I could have put it up to an altar and pray to it,
„all it did was dulled my senses all did is made me a worse musician“ „everything that you come up with, is only in your head in the only person that believes it and sees it, is yourself, everybody else is looking at you like crazy“ „you forget things like (.) I hadn’t worked in six mo:nth, or I don’t pay attention to my girlfriend a long time or I didn’t go to band practice or I didn’t go: to: my sho:w I lost another jo:b, that doesn’t’ mean anything“
Selbstkonzept
„I wanna write the catchy chorus and I wanna write a really cool hoo:k and I just wanna sound edgy“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 377 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
I cared so: much it was like Go:d“
„of course everything sounds amazing, cause you feel so amazing, but it’s not real“
„it was like an obsession it was li:ke (.) I don’t if I play guitar so many hours a day or practice or went to band practice so many times or- because I was obsessed“ „when you do heroin it feels so: amazing to be on it, you are like whoa (.) oh my God this feels so good […] oh wow this sounds so amazing“ 28
Heroin hoher Suchtdruck, Entzugserscheinungen
arbeitet als Gastinstrumentalist und Sänger; produziert Bands; schreibt Soundtracks; spielt in eigenen Bands; geht auf Tour
® Entzug
„so: strung out, so: fucked up once I started shooting“ „am I gonna have enough heroin for the trip“ „I didn’t care about it at all“ „I’m not gonna band practice, I don’t cara about that fucking show“
Selbstkonzept
„heroin enhanced everything it made everything amazing it made music sound amazing“ „it’s not real, it’s not […] genuine“ „it was dull it was me like living like a zombie“ „it’s just good to dull and numb you and put you to sleep“ „I never processed it, I- instead I- I shot heroin, and it was a quick answer it was a quick fix“ „of course I was excited I wanna play where Nirvana played I wanna play this theater (.) but as soon as I run out of heroin it was pffff I’m not gonna band practice, I don’t care about that fucking show“ „[...] that doesn’t stay then you have to keep grabbing and pulling in and grabbing und pulling in, to hold on to“
28/ 29
Abstinenz Job in Rehab
spielt in Band („last somewhat successful band“);
„it was like being like reborn again when you get off drugs for that long“
„if you don’t fix what’s really going on inside, nothing changes,
„I wanna write the catchy chorus
378 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
spielt Schlagzeug
„I affected people there, it was pretty cool“
so every time I would leave, I get sober and would come back and I would like I’m doing great a:nd I relapsed“
and I wanna write a really cool hoo:k and I just wanna sound edgy, fuck all that shit I don’t care about those things when I’m not on heroin“
Angebot: Plattenvertrag von Interscope Records ® lehnt Angebot ab
ca. 30
verliert Job in Rehab
spielt weiterhin in verschiedenen Bands
® wird rückfällig
„I was really happy for the first time in a long time [...] everything seemed to be going, great“ „I was gonna do fantastic and I was sober and I was happy“
„I didn’t think I was wrong but when I got fired“ „when I got fired I was very angry and very resentful, and every time I get resentful and angry, or hurt or sad, my brain says I know something that will take that away right now, in two seconds, no fuck it, it one second, you can do it and it’s gonna go away“ „I’ll show them I’m gonna do relapse and do heroin, fuck them, like it’s gonna hurt them if I go do heroin“
Heroin Kalter Entzug (in Michigan)
spielt weiterhin in verschiedenen Bands
„it’s like having a monkey that speaks English, on your back, holding you, that never let’s go and it’s still there“
„you come back into life you don’t have the tools and the weapons to like fight life everyday life like just somebody saying hey man excuse me whatever it doesn’t matter what you get upset and things hurt the feelings“ „I wasn’t prepared and didn’t have the tools and I didn’t have the armor to deal with those types of problems“ „that’s what opiates do they- they doll you of any (.) you know ability to feel anything“ „when you are an adult and you’ve been doing heroin for twelve years and got a job and got fired, you don’t know how to cope with anything“
„it was misery, half of the time was fun the other half of the time I just wanted a way out, it was like trying to find a fucking needle and a haystack“
„I just wanted a way out“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 379 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
® wird rückfällig
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„I didn’t care that someone was in pain“
„I became extremely isolated (.) I beca:me (.) non sympathetic to everything“
Selbstkonzept
„I couldn’t feel pain anymore“ „you stop caring about the things you care about too“ Heroin nimmt an mehreren Entzugsprogrammen teil
spielt in verschiedenen Formationen Schlagzeug und singt; spielt bei Coachella
® wird rückfällig
„I wasn’t getting any help“ „I just was so fucked up“ „I wanted to put a bullet in my head so: many times“ „I’m gonna go to rehab, or I’m gonna go to AA or I’m gonna go to NA or I’m gonna get a sponsor or I’m gonna go away and I’m gonna go to Detroit and I’m gonna go to San Francisco and I’m gonna go to Burning Man and I’m gonna move to Mexico and I’m gonna go here“
„I just going to socialize and stroke my ego and go and meet girls“
„I want to kill myself“
„it turned me into this mess“ „it was so: hard (.) I was just so strung out (.) and I would make everybody upset nobody want to play music with me I would yelling at everybody“ „it’s a outside thi:ng and it has controlled my life“
Erstes Treffen mit Interviewerin 37
Heroin, Tabak, Weed
macht keine Musik mehr; arbeitet gelegentlich auf dem Bau
„it becomes like uh I gotta I gotta do a fucking shot of heroin just to wake up (.) it becomes crazy it becomes insane“
„it it made me a worse musician and make me care about music less, it make me focus on things that didn’t matter“
„fucking torture“
„I’ve never been in a successful band on heroin like deep deep into“
„living like [a drug addict] for the rest of your life, that’s worse than dying from heroin overdose“
„I never show up, and never go to band practice“
„I just couldn’t stop, I didn’t want to be in reality“ „I don’t want it i don’t want it I don’t it I don’t want it, and all you do is do it“
380 | Hauptstudie Alter
38
Suchtverlauf
Entzug (in San Francisco)
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„there was just the end of the road […] there was no more digging down there was no further down everything was down it was like family was tired of me I had no friends the only friends I had didn’t care about me I hadn’t touched a girl in three years I didn’t care about women and I didn’t care about being in a relationship I hadn’t seen my son in […] seven years“
„I needed to get high like every three hours“
„I am kicking and I’m detoxing it was so: awful it was so: brutal it was so: painful it was mentally draining it was physically draining I didn’t sleep for a month or two I didn’t fucking eat correctly, I was pushing myself to exercise to get tired um my dog would lay next to me and would stare at him“
„when I went and got sober this last time it was was harder than anything that I’ve done in my life“
Gegenwart
Selbstkonzept
„I got help“ „it was just too many things [...] of drugs and likeagain not being in a relationship and messing up relationships and loosing friendships and watching friends die, all those things were happening one after the other, it sounds awful but it was so amazing, it was like the universe was lining up and saying here, I’m gonna give you this, now you could take it o:r you can live ten more years doing heroin“
„when you get sober and you detox […] every time I stand u:p or mo:ve or ro:ll or having a emotion it’s amplified it’s so: intense I’m soa:r from just walking down the stairs, I’m soa:r just from just sitting up (.) something on TV is so: sad or something makes me angry, I’m so: angry and it’s just your body resetting itself“
„I didn’t want to do it anymore, I just didn’t want to do it anymore“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion II: Pepe | 381 Alter
Sucht verlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Vorstellung von Wirklichkeit (Gegenwart)
Selbstkonzept
38
Abstinenz
schreibt Songs, spielt Gitarre, Schlagzeug oder Bass für andere Künstler*innen; unterrichtet Freundin im Gitarrespielen; trifft sich mit Freunden zum ‚Jammen‘; Desert Concerts
„I’m extremely grateful for it and I loved that it happened and don’t mind that it happened it’s oka:y, if it got me to this point right here, sitting on the gra:ss drinking a fucking bear and talking to a beautiful blond girl like whatever it’s all worth it great you know“
„I’m alive“
„I don’t really give a fuck about that music industry (.) anymore I- would never whore myself to the music industry I would never try to work for the music industry“ „now that I’m not on heroin I refuse to worry about whether I’m good or bad on guitar or that I’m a good or bad drummer of course like I’d- I had played drums and I know when I fuck up or when I play I know when I’m playing bad but I don’t really care it doesn’t really matter“
„I don’t give a fuck if I make money of music, I would rather go and play guitar in my bedroom and be happy and write a song for my mum or my girlfriend or you or anybody, and it would mean a lot more to me than to write a song for some fucking record company who’s gonna take my so:ng and make it sound the way they want it to sound so that they can make money so that can pay me (.) nothing […] don’t really give a fuck about that music industry“
„I get as good as I get just from passion not from practice“
„the only things that are important to me are the people in my life and my friends and my girlfriend and producing and backsinging and playing guitar for fun, and living comfortably I don’t want an amazing car I don’t want an amazing place if I can eat and live my life comfortably thatI’m gonna be fine“
„being with people that were positive and not heroin and, just good honest just jamming and having fun in the middle of nowhere no festival just twenty just hanging out under the stars“
„I still wanna become a better guitar player so I can write better songs and just play better because I love it I have a passion for it“
„now I just play music (.) I like to teach people how to play music and teaching my girl friend playing guitar, I like to play ((yawning)) with my friends (.) oh I’m playing drums for somebody (.) just a jam and have fun, and I’m recording drums with somebody“
„I don’t wanna become a famous or a professional musician now“
„the experience helped me write better songs“ „that’s what playing music is all about, it’s for sharing it and playing it for all those people that can’t play guitar that can’t sing that feel the same way you feel, it’s not about writing a fucking song“
„I just want do it for fun“
382 | Hauptstudie Alter
Sucht verlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Vorstellung von Wirklichkeit (Gegenwart)
Selbstkonzept
„I just feel support people yeah I’m writing songs [...] not for anybody in particular I just write songs because that’s what I used to do, I play guitar everyday and I write stuff every day but I don’t think like (.) I wanna record it one day and I wanna sell it“
„I don’t care to be famous I don’t care if anybody like my music and don’t care how good I am I don’t care about I don’t care, I just wanna play music because I love to play music, that’s why I like to play so many instruments, that’s why I like to play with so: many people that’s why listen to Hip Hop and Jazz and Funk and Reggae and Soul and Oldies and come on Techno and House Electronica Trip Hop I listen to everything“
„like a small problem that comes up and rises […] I don’t wanna hear it I have my own problems sorry it doesn’t really appeal to me“ „it’s so: simple it’s so easy, it’s not that difficult it’s not that complicated“ „heroin has been the biggest problem, and now it doesn’t exist anymore“
„I’m content the way I am right now I’m happy and I’m fine“
„the monkey [...] on your back, that never let’s you go“
10.7
ZUSAMMENFASSENDE FALLDARSTELLUNG
Pepe wird in eine mexikanische Einwandererfamilie hineingeboren. Er bringt seine Kindheit mit nur wenig positiven Erfahrungen in Verbindung. Insbesondere die Erinnerung an seinen Vater und dessen Alkoholsucht prägt sein Aufwachsen in der Familie. Schon früh wird er mit dem Thema Alkohol konfrontiert und muss sich mit den Auswirkungen der Abhängigkeit auseinandersetzen. Im Zuge eines Verdrängungsprozesses redet er sich ein, mit der Situation umgehen zu können. Unterbewusst ist er jedoch verletzt und überfordert. Mit der Trennung der Eltern verlässt der Vater das Elternhaus. Pepes Wohnsitz wechselt fortan zwischen dem Haus der Mutter und dem des Vaters. Er findet weder Halt noch Aufmerksamkeit und Anerkennung durch seine Eltern. Im Nachhinein gibt er zu verstehen, dass er diese negativen Gefühle, die in der damaligen Zeit hatte, nie verarbeiten konnte und diese den Fortlauf seiner Lebensgeschichte geprägt hätten. Er ist noch zu jung, um die vorherrschenden Probleme verstehen und reflektieren zu können. Stattdessen ‚saugt‘ er seine Sorgen und Ängste wie ein Schwamm in sich auf und verdrängt sie. Ein Mittel der Verdrängung wird die Flucht aus seinem Elternhaus. Wann immer er sein Zuhause verlässt, fühlt er sich wie im ‚Paradies‘. Auf der Straße und unter Freunden kann er seine Sorgen vergessen und sich wie ein ‚normaler‘ Junge fühlen, der sich nicht mit Traurigkeit, Wut und Armut auseinandersetzen muss – Zustände, die seinen familiären Alltag in dieser Zeit
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prägen. Dass ihn insbesondere die fehlende Vaterfigur bzw. das Alkoholproblem des Vaters mehr beschäftigten als er zuzugeben wollte, wird daran deutlich, dass er rückblickend zu verstehen gibt, auf Fragen zu seinem Vater in der damaligen Zeit sehr sensibel reagiert zu haben. In seiner Traumwelt, die er sich außerhalb des belastenden familiären Umfeldes schafft, versucht er sich von diesen negativen Gedanken und Gefühlen zu befreien. Im Zuge der Sehnsucht bzw. der Suche nach einer ‚heilen Welt‘ beginnt er, sich für Filme, Photographie und Musik zu interessieren. Er genießt die Aufmerksamkeit, die er von Älteren erhält. Er entwickelt die Vorstellung, eine Art „art organ“ in sich zu tragen. Er definiert sich selbst als ‚Künstler‘ und glaubt, ein angeborenes Verständnis für Musik und Kunst in sich zu tragen, das sich nach seiner Ansicht vor allem in einer schnellen Auffassungsgabe und anderen musikalischen Fähigkeiten äußere. Er ist offen für jegliche Art von neuer Musik und interessiert, sich damit auch praktisch auseinanderzusetzen. Als ein prägendes Ereignis in seiner Biographie stellt Pepe das Erlernen des Gitarrenspiels durch seinen besten Schulfreund Jonas dar: „the beginning of my music (.) adventure, my music experience my music relationship, with direct contact to an instrument and creating music“. Während er zuvor noch die Vorstellung vertrat „I’m a kid let’s ja:m“, entwickelt er fortan den Plan „all I wanna do is playing music and don’t give a shi:t or you don’t give a fuck about anything else“. Seine Neugierde zeigt er auch gegenüber dem Konsum von rauschinduzierenden Substanzen. Er bezeichnet diese jedoch nicht als „Drogen“, sondern gibt zu verstehen, dass er wie ein „normaler“ Teenager Alkohol getrunken, Tabak und Weed geraucht sowie gelegentlich Mushrooms konsumiert habe. Er scheint diese Phase seines Lebens insbesondere mit Spaß und der Entdeckung von neuen, aufregenden Dingen zu verbinden. Dem Gitarrespielen gegenüber entwickelt er nicht nur eine Leidenschaft, sondern auch Ehrgeiz. Er ist von sich selbst beeindruckt, wie schnell er Verbesserungen zeigt und seinen Freund spielerisch übertrifft. Seinen Ausführungen zufolge sei sein Talent aber auch seinem Umfeld aufgefallen. Insbesondere betont er, dass er berühmte Musiker*innen traf, die ihm Anerkennung schenkten und ihn motivierten, den Weg als Musiker weiter zu verfolgen: „keep playing music, this it is what you are meant to do:“. Mit ca. 15 Jahren gründet er mit Schulfreunden seine erste Punk Rock-Band. Anstatt den Part des Gitarristen zu übernehmen wird er jedoch zum Bandleader, der singt und Songs schreibt. Die Bandmitglieder spielen in dieser Zeit u.a. Shows mit Incubus und haben, Pepes Erzählung zufolge, „die Zeit ihres Lebens“. Seine Vorstellung des Musikerdaseins scheint sich insbesondere darauf zu konzentrieren, sich musikalisch weiterzuentwickeln und Spaß zu haben: „it was like here and now I just wanted to play music for fun just to play, to feel, just to learn songs.“ Er scheint bis dato als Musiker noch keine kommerziellen Absichten zu verfolgen. Vielmehr beschreibt er sich nach wie vor als „normal kid“, das mit seinen Freunden einem musikalischen Hobby nachgeht. Aus der von ihm beschriebenen Passion des Musikmachens entwickelt sich jedoch zunehmend eine Obsession. Sein ansteigender Ehrgeiz lässt ihn weitere Instrumente autodidaktisch solange erlernen, bis er sie besser beherrscht als andere Personen in seinem Umfeld. Durch die positive Selbstwahrnehmung und die Bestärkung seines Umfeldes erhält er ein hohes Selbstbewusstsein, das sich insbesondere in rebellischem Verhalten gegenüber den Eltern kenntlich macht. Er lässt sich von ihnen nichts (mehr) sagen und bestimmt fortan selbst über sein Leben. Mit 16 Jahren zieht er aus der Wohnung seiner Mutter aus und in das Apartment einer älteren Frau. Er erhält seinen ersten
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Job, durch dessen Gehalt er sich ein eigenes Auto und die Miete für sein Zimmer leisten kann. Er bricht die Schule ab und konzentriert sich auf das Musikmachen mit seinem besten Freund, der die Stadt zuvor verlassen hatte, um auf das College zu gehen. Jonas hatte während seiner Zeit auf dem College nicht nur das Bedienen von Musiksoftware erlernt, sondern wurde auch zum Heroinkonsumenten. Während Pepe zunächst in erster Linie von den produktionstechnischen Fähigkeiten seines Freundes begeistert ist und daraufhin mit ihm das Recording für Hip Hop Künstler übernimmt, scheint er im Weiteren auch an der Substanz Gefallen zu finden, die Jonas zu sich nahm und die ihn offenbar in einen positiven Gefühlszustand versetzte, den auch Pepe erzielen wollte. Seinen Angaben zufolge habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass sein Freund Heroin konsumierte. Ohnehin schien diese Droge für Pepe etwas ‚Verbotenes‘ und ‚Gefährliches‘ dargestellt zu haben: „I always thought oh my god heroin, it’s needles and it’s ba:d and you put it in your vein and you overdose and you die.“ Da er seinem Freund jedoch nicht nur in musikalischer Hinsicht nacheifern, sondern auch dessen Vorliebe für Drogen teilen will, überredet er ihn, seine Droge probieren zu dürfen. Von Neugierde angetrieben – oder gerade durch die Versuchung des Verbotenen verleitet – raucht er schließlich zum ersten Mal Heroin. Während er zunächst behauptet, dass er Drogen wie Kokain, Ecstasy oder Speed nicht mochte, „they make me too aware“, scheint die Wirkung von Heroin ihn in einen Rauschzustand zu versetzen, auf den er fortan nicht mehr verzichten will/kann. Er findet in Heroin eine Droge, die ihn von Gefühlen, die er als Kind und Jugendlicher erfahren und innerlich gespeichert hatte („growing up sad and hurt and being a kid and feeling too much“, „all I had learned and known is God all that pain and all that fucking bullshit“), abschirmte: „it makes me not feel pain (.) I thought I found a solution I thought I found oh this is the answer, this is- instead of like processing it and talking about it, it became (.) oh heroin will take care of everything.“ Gleichzeitig erfährt er auch, dass die Droge Einfluss auf seine musikalische Wahrnehmung hat: „I thought things sounded better or if I thought I was to learn more or if I thought I could be more successful.“ Insbesondere der Feststellung, dass das Musikmachen zu einem Job wurde, der nicht nur mit Spaß verbunden war, schien der Konsum von Heroin entgegenzuwirken. Pepe beschreibt diesen Zeitraum, in dem er nicht nur lernte, was Heroin war, sondern auch seine Tätigkeit als Musiker nicht mehr mochte, als einen Wendepunkt in seiner Biographie: „I didn’t ca:re anymore, tha:t, music was work […] a:ll my like inne:r instinct disappear, all the worry, disappear, it made everything e:asy.“ Als fatal sollte sich im Folgenden insbesondere die Auffassung herausstellen, dass es eine Verbindung zwischen dem Konsum von Heroin und seinem musikalischen Prozess gäbe: „God that’s such an amazing connection, heroin and music it works so: well together, it’s like oh I could just focus on music only.“ Er beschreibt zum einen, dass er sich durch die Wirkung der Droge ausschließlich auf das Musikmachen konzentrieren konnte. Dass er hierbei jedoch alles andere aus seiner Umwelt ausblendete und vernachlässigte, sei ihm nicht bewusst gewesen. Zum anderen scheint der Konsum von Heroin insbesondere einen imagebildenden Einfluss auf ihn gehabt zu haben: Er tat es mit dem Heroinkonsum nicht nur seinem besten Freund, sondern auch seinen Vorbildern gleich. Das Musikmachen schien für ihn fortan sowohl mit der Absicht, berühmt zu werden, als auch mit kommerziellen Absichten verbunden gewesen zu sein: „I need- like be fa:mous and I
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wanna make money“ – oder wie er es an anderer Stelle formuliert: „I gotta be a professional and I wanna be a rockstar.“ Fortan drehten sich seine Gedanken hauptsächlich darum: „how am I gonna be a rockstar, how am I gonna be fa:mous, how am I gonna get better on guita:r (.) I got to write the perfect so:ng, and I have to write the perfect chorus (.) and it’s gonna be: epic.“ Sowohl der Job des Musikers als auch der Konsum von Heroin wurden seinen Aussagen zufolge zur Gewohnheit und damit ‚normal‘ für ihn. Auch die Tatsache, dass er vier Monate nach dem Erstkonsum bereits erste Entzugserscheinungen verspürte, versuchte er mit weiterem Konsum auszublenden. Er ist aus gegenwärtiger Perspektive der Auffassung, dass mit dem Beginn seiner Heroinkarriere auch die des „professionellen Musikers“, der mit dem Musikmachen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, einherging. Er scheint in dieser Zeit musikalisch nicht nur äußerst produktiv gewesen zu sein („I played a lot of tou:rs and in a lot of cool ba:nds“), sondern sich auch auf seine Außendarstellung fokussiert zu haben: „I thought about like oh what guitar am I gonna take, or what- or I asked the singer oh what’s the setlist what songs we are gonna play.“ Er wollte möglichst ‚cool‘ sein und war darauf bedacht, sich so zu verhalten, dass er von der Szene anerkannt wurde – nicht nur musikalisch: „I did a lot of amazing things that normal society might look at and say like oh wow.“ Auch der Konsum von Heroin schien als imagebildender Faktor Teil seiner Auffassung eines ‚coolen‘ Musikers zu sein. Es sind seine Vorbilder, die ihn nicht nur darin bestärkten, eine musikalische Karriere anzustreben, sondern ihm auch das Image des ‚drogenabhängigen Musikers‘ suggerierten, mit dem er sich fortan zu identifizieren versuchte: „I gotta be amazing and I gotta be a professional and I wanna be a rockstar and I wanna be like Jimi Hendrix and I wanna be like this rock’n’roll star and I wanna be like that because they do drug:s and drugs are so coo:l.“ Seiner damaligen Auffassung, dass der Konsum von Heroin ihn zu einem ‚besseren‘ Musiker machte und die Wirkung der Droge dazu beitrug, dass „things sounded better“ und „everything looks so: good“, widerspricht er rückblickend jedoch vehement: „my idea of being a musician when I was on heroin was all driven and it was all based behind getting high and being high it was being fed and driven by the heroin it has nothing to do with me.“ Mit den Worten „it’s bullshit“ gibt er zu verstehen, „it made me a worse musician and make me care about music less“. Während er unter dem Einfluss von Heroin der Annahme war, dass die Rauscherfahrung seine musikalische Wahrnehmung intensivierte, schreibt er der Droge im Nachhinein insbesondere eine betäubende Wirkung zu, die ihn von allem abschirmte, das „real“ zu sein schien. Realität und damit einhergehende Probleme verspürt er erst, nachdem er seinen ersten Entzug eingeht. In einem Gespräch nach dem Interview gibt er zu verstehen, dass es nicht seine Entscheidung war, einen Entzug einzugehen, sondern sein Umfeld ihn dazu drängte. Ohne den Willen, ein drogenfreies Leben führen zu wollen, schien ein anschließender Rückfall nicht verwunderlich. An der Vorstellung seines Lebensplanes hat sich schließlich nichts verändert: „I wanna be like this ultra fucking rock’n’roll Kurt Cobai:n like James Dean like heroin addict like identity and I gonna be so: fucking cool.“ Er lebt seinen Lebensstil weiter fort und intensiviert seinen Drogenkonsum, indem er vom Heroinrauchen zum Spritzen der Droge übergeht. Die intravenöse Verabreichungsform stellt nicht nur eine kostengünstigere Variante dar, da die Wirkungsdauer verlängert ist, bis er erste Entzugserscheinungen verspürt.
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Er sieht vor allem die Wirkung der Droge durch die neue Verabreichungsform als entscheidenden Vorzug: „it felt wrong it felt too good to be true, it was too good to be true nothing should feel that good, nothing should feel that good (.) not even sex should feel that good (.) nothing outside yourself that you need to depend on should ever feel that good.“ Dadurch, dass das Rauchen von Heroin zur Gewohnheit wird und er einen Grad der Abhängigkeit erreicht hat, an dem er nur noch ein geringes ‚High‘-Gefühl verspürt, erscheint ihm die Wirkung durch eine intravenöse Zufuhr als wesentlich intensiver. Obwohl er zu verstehen gibt, dass er Angst davor hatte, sich eine „Nadel in den Arm zu stecken“, schienen jedoch erneut seine Neugierde und die Versuchung des ‚Verbotenen‘ zu überwiegen und ihn schließlich zum Konsum zu animieren: „I thought it was so: cool“. Er betet zu dieser Zeit die Droge nicht nur regelrecht an („I could have put it up to an altar and pray to it like I cared so: much it was like Go:d“), auch seine Arbeit als Musiker beschreibt er als eine Art Obsession, von der er wie besessen gewesen zu sein schien. In der Wirklichkeit, die er sich unter dem Einfluss der Droge schaffte, fühlte und hörte sich seiner Beschreibung nach alles „so: amazing“ an. Die Realität stellte sich jedoch anders dar – wie seine rückblickenden Darstellungen über diese Zeit zu verstehen geben: „of course everything sounds amazing, cause you feel so amazing, but it’s not real [...] heroin enhanced everything it made everything amazing it made music sound amazing [...] it’s not real, it’s not […] genuine“
Obwohl er in dieser Zeit als Studio- und Tourmusiker sowie Komponist und Producer aktiv im Musikgeschäft tätig ist, schreibt er seinem musikalischen Output im Nachhinein zu: „I was on heroin and playing music it was bullshit [...] all [heroin] did was dulled my senses all did is made me a worse musician.“ Er gibt zu verstehen, dass sich seine Wahrnehmung durch den Einfluss der Droge so stark veränderte, dass „everything that you come up with, is only in your head in the only person that believes it and sees it, is yourself, everybody else is looking at you like crazy“. Mit zunehmendem Stadium der Abhängigkeit verliert er immer mehr den Bezug zur Realität. Er versucht zwar seine Tätigkeiten als Musiker weiterhin aufrechtzuerhalten, jedoch wird er immer unzuverlässiger, nimmt nicht an Bandproben teil und verpasst Auftritte. Es interessiert ihn nicht mehr, welche Songs er während eines Konzertes zu spielen hat, oder wie er sich präsentiert. Fortan drehen sich seine Gedanken in erster Linie um eines: „am I gonna have enough heroin for the trip.“ Er realisiert, dass er ein Drogenproblem hat und die Flucht vor diesem Konflikt immer größere Probleme herbeiführt. Er beschreibt seinen Zustand selbst als „so: strung out“ und „so: fucked up“. Rückblickend auf diese Zeit ist ihm bewusst, dass er nie gelernt hatte, mit seinen Konflikten umzugehen. Anstatt seine Probleme zu reflektieren und seine Ängste und Sorgen zu verarbeiten, fand er im Heroin die scheinbar einfachste und schnellste Lösung: „I shot heroin, and it was a quick answer it was a quick fix.“ Obwohl er nach wie vor die Vorstellung hatte, Musiker sein und mit seinen Vorbildern auf einer Bühne stehen zu wollen, erhielt der Konsum und die Beschaffung von Heroin einen immer höheren Stellenwert. Sobald er Entzugserscheinungen verspürt, werden seine musikalischen Verpflichtungen nebensächlich: „of course I was excited I wanna play where Nirvana played I wanna play this theater (.) but as
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soon as I run out of heroin it was pffff I’m not gonna band practice, I don’t care about that fucking show.“ Er hält seinen Konsum fast zehn Jahre aufrecht, ehe er es schafft, über einen Zeitraum von zwei Jahren abstinent zu bleiben. Er beschreibt diese Zeit als „fantastic and I was sober and I was happy“. Diese Auffassung konstituierte sich insbesondere aus einer Reihe von positiven Faktoren, die er in seinem Leben verzeichnen konnte: Er geht eine feste Partnerschaft ein, lebt in seinem eigenen Apartment, erhält einen Hund und spielt in einer Band, der ein Plattenvertrag angeboten wird. Eine besondere Bedeutung scheint in dieser Zeit insbesondere sein Job in einer Rehab zu erhalten, den er durch einen Freund vermittelt bekommt. Er fühlt sich nicht nur ‚gebraucht‘, indem er andere Betroffene durch seine eigene Erfahrung unterstützen kann. Insbesondere genießt er die Aufmerksamkeit, die ihm von den Patient*innen entgegengebracht wird. Dadurch, dass er diese Zeit jedoch als sehr positiv erlebt, „I was really happy for the first time in a long time [...] everything seemed to be going, great“, blendet er erneut jegliche Alltagsprobleme und negative Stimmungen aus. Mit dem Verlust des Jobs kann er schließlich die Fassade seiner Konstruktion von Wirklichkeit nicht mehr aufrechterhalten: „I didn’t want to be in reality, a:nd every time I got si:ck or dope si:ck and I didn’t have my drug and a little bit of realty (crapped) in it was just too real“. Die Erklärung für seinen Rückfall liefert er im Nachhinein selbst: „if you don’t fix what’s really going on inside, nothing changes, so every time I would leave, I get sober and would come back and I would like I’m doing great a:nd I relapsed“. Solange er sich nicht mit seinen inneren Konflikten auseinandersetzte, konnte er sein Handlungs- und Verhaltensmuster nicht durchbrechen. Auch seine Darstellung „it was like being reborn again when you get off drugs fort hat long“ weist darauf hin, dass er – wie bereits im Kindesalter – versuchte, negative Gedanken und Gefühle zu verdrängen und sich lediglich auf die positiven Aspekte des Lebens zu konzentrieren. Ihm fehlten die „tools and weapons to like fight everyday life“, so dass die Flucht in den Rausch der Drogenwirkung nach wie vor den einzigen Ausweg aus Konfliktsituationen darstellte. Während er aus gegenwärtiger Perspektive einräumt, dass er nicht gewusst habe, wie er mit dem Verlust des Jobs umgehen sollte und sich daher erneut der Droge aussetzte, schien er innerhalb der Situation vor allem seinen Selbstwert aufrechterhalten zu wollen: „I didn’t think I was wrong but when I got fired […] I’ll show them I’m gonna do relapse and do heroin, fuck them, like it’s gonna hurt them if I go do heroin“. Obwohl Pepe ein Problem mit Autoritätspersonen hat, sich vielmehr lieber selbst als eine solche darstellt, lässt er sich fortan vom Suchtdruck der Droge kontrollieren. Die Flucht in das durch den Rausch der Droge hervorgerufene „Paradies“ stellt sich nicht nur als ein Resultat von Selbstüberschätzung, sondern insbesondere von mangelnder Selbstkontrolle dar. Es ist das Verlangen nach der Droge, das seine Handlungen bestimmt. Obwohl er weiterhin in Bands spielt, kann er aufgrund des ständigen Drucks der Beschaffung der Droge seine Tätigkeiten als „professioneller Musiker“ nicht weiter ausführen. Seine Aussagen „I didn’t care anymore“, „I couldn’t feel pain anymore“ und „I became extremely isolated (.) I beca:me (.) non sympathic to everything“ charakterisieren seinen damaligen Zustand. Die Droge betäubt seine Gefühle, lässt alles als unwichtig erscheinen, das nichts mit der Beschaffung und dem Konsum der Droge zu tun hat, und gibt ihm folglich das Lebenskonzept des ‚Junkies‘ vor. Immer wieder geht er Entzugsversuche ein, die jedoch alle daran scheitern, dass er psychisch noch
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nicht bereit ist, ein drogenfreies Leben zu führen. Stationäre Therapiebesuche nutzt er, um die Aufmerksamkeit von Frauen zu erlangen, die in ihm den „coolen“ drogenabhängigen Musiker sehen und damit das einst von ihm selbst auferlegte Image bestätigten: „I just going to socialize and stroke my ego and go and meet girls.“ Er gibt aus vergangener Perspektive zu verstehen, keine Hilfe erhalten zu haben, obwohl er diverse Möglichkeiten wahrnahm, den Weg in ein abstinentes Leben einzuschlagen. Tatsächlich kontrollierte ihn das Suchtverlangen jedoch so stark, dass er jede Gelegenheit des erneuten Konsums als eine willkommene sah und gar keine Hilfe annehmen wollte. Je öfter er rückfällig wird, desto mehr verschlechtert sich sein physischer und psychischer Zustand. Er findet keinen Ausweg aus seiner Situation. Der einstige Ausweg aus seinen Problemen wird nun selbst zu seinem größten Problem, vor dem er nicht mehr flüchten kann. Auch auf seinen Entwicklungsverlauf als Musiker machen sich die Auswirkungen der Heroinabhängigkeit immer stärker bemerkbar. Auch wenn er sich selbst zu dieser Zeit noch als Musiker sieht, hatte ihn die Droge längst zum Junkie werden lassen, von dem sich sein Umfeld abwandte: „it was so: hard (.) I was just so strung out (.) and I would make everybody upset nobody want to play music with me I would yelling at everybody“. Seine Vorstellung, ein berühmter Musiker zu sein, wurde folglich von dem Gedanken „I just wanted a way out […] [or] I want to kill myself“ abgelöst. Als ich zum ersten Mal auf Pepe treffe, ist er 38 Jahre alt und hat eine fast zwanzigjährige Drogenkarriere hinter sich mit – seinen Angaben zufolge – über dreißig Entzugsversuchen. Zum Zeitpunkt der Erstbegegnung behauptet er zwar, ‚Musiker‘ zu sein, macht jedoch aktiv keine Musik mehr, lebt bei seinem Bruder in Culver City und arbeitet gelegentlich bei seinem Vater auf dem Bau in Anaheim. Er beschreibt seinen Zustand in der damaligen Zeit als „fucking torture“: „there was just the end of the road […] there was no more digging down there was no further down everything was down it was like family was tired of me I had no friends the only friends I had didn’t care about me I hadn’t touched a girl in three years I didn’t care about women and I didn’t care about being in a relationship I hadn’t seen my son in […] seven years“
Insbesondere letzter Aspekt schien ihm bewusst werden zu lassen, dass er längst in die Fußstapfen seines eigenen Vaters getreten war, dessen Verhalten er adaptierte und auf seinen eigenen Sohn übertrug. Obwohl Pepe erst nach der Geburt seines Sohnes überhaupt von dessen Existenz erfahren hatte, redete er sich ein, ein ‚guter‘ Vater zu sein. Ähnlich wie sein eigener Vater selbst nie die Rolle einer Vaterfigur eingenommen hatte, zeigte auch Pepe seinem eigenen Sohn gegenüber wenig Aufmerksamkeit und Präsenz. Mit zunehmendem Konsum wurde ihm der Kontakt zu seinem Sohn sogar verboten. Während die Rauschwirkung der Droge in Anfangszeiten des Konsums noch eine Art Liebesersatz darstellte bzw. fehlende Liebe scheinbar kompensierte, die er als Kind und Jugendlicher nicht erfahren hatte, vermittelte sie ihm mit abnehmender Rauschwirkung und zunehmendem Konsumverlangen ein Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung. Das anfängliche Rauschgefühl bei einer erneuten Stoffzufuhr wurde durch einen Zustand von körperlicher Normalität abgelöst, der ihn lediglich keine Entzugsschmerzen verspüren ließ: „it becomes like uh I gotta I gotta do a fucking shot of heroin just to wake up (.) it becomes crazy it becomes insane […] I
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needed to get high like every like three hours“. Als er kurz davor ist, sich das Leben zu nehmen, scheint er zu realisieren, dass sich seine Handlungsoptionen darauf beschränken, sich das Leben zu nehmen, um seinem Leiden ein Ende zu setzen, oder einen weiteren Entzugsversuch einzugehen („worse than dying is living like this for the rest of your life, that’s worse than dying from heroin overdose is living like a fucking drug addict“): „it was just too many things [...] of drugs and like- again not being in a relationship and messing up relationships and loosing friendships and then watching friends die, all those things were happening one after the other, it sounds awful but it was so amazing, it was like the universe was lining up and saying here, I’m gonna give you this, now you could take it o:r you can live ten more years doing heroin“
Der Moment, in dem ihm bewusst wird, welches Ausmaß seine Sucht tatsächlich eingenommen hatte und welche Auswirkungen diese nicht nur auf ihn selbst, sondern auch auf sein Umfeld hatte, scheint einen Wendepunkt in seiner Lebensgeschichte darzustellen. Einen motivierenden Faktor, den Entzug einzugehen, sieht er insbesondere im Aufkommen von Hilfsangeboten. Er erhält in dieser Zeit nicht nur Aufmerksamkeit und Support von mir, indem ich ihn in seinem Vorhaben bestärke. Auch seine Familie und Freunde unterstützen ihn: „it was like dominos I got set up it was like you know my sister started having a little bit of faith and my younger brother’s had a little faith and then my dad took me in and gave me a jo:b and, um, my son contacted me after a lo:ng after years years and years and years and I had seen him on father’s day, and then my friend Christina who was the person who helped me in San Francisco offered to help“
Er beschreibt seinen Entzug in San Francisco als „harder than anything that I’ve done in my life“. Er sieht die Abstinenz als einen Neuanfang, „it was just my brain and my body reset it was like you had a reset button“. Bis auf die zwei Jahre, in denen er ein drogenfreies Leben führte, war er seit seinem 19. Lebensjahr heroinabhängig. Dies hatte insbesondere zur Folge, dass er nie gelernt hatte, einen normalen Lebensalltag zu bestreiten, der nicht nur auf die Beschaffung der nächsten Drogenzufuhr ausgerichtet war. Obwohl er jetzt ohne das körperliche Suchtverlangen ein Gefühl von Freiheit verspürt und seinen Alltag scheinbar mit Leichtigkeit bewältigen kann, „life was so: easy everything is so: easy now“, ist ihm dennoch bewusst, „it doesn’t take a second it takes the process“, sich in das nüchterne Leben einfinden zu müssen. Auch wenn sein Körper keine Entzugserscheinungen mehr zeigt, ist das psychische Verlangen lediglich dadurch unterdrückt, dass er sich einredet, dass alles „so: easy“ sei, und er sich zunächst keinen Konfliktsituationen auszusetzen hat. Für ihn scheint vor allem die Selbstauffassung, dass er am Leben ist, von zentraler Bedeutung zu sein: „I’m alive, I did heroin for so: long and I’m alive“. Zum Zeitpunkt des Interviews gibt er sich schließlich selbstbewusst und zufrieden: „I’m extremely grateful for it and I loved that it happened and don’t mind that it happened it’s oka:y, if it got me to this point right here, sitting on the gra:ss drinking a fucking beer and talking to that beautiful blond girl, everything is great“
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Er stellt sich im Weiteren als eine bescheidene und bewusst lebende Person dar, die weder konsumorientiert ist noch auf wechselnde Partnerschaften abzielt. „I don’t need a lot, anymore, I don’t really need or care (.) it’s just like I live in the mo:ment and it’s very easy, I don’t need to date five girls, I want to sometimes and think about it and I’m like oh my God look at that cute girl or or look at that ca:r but very quickly my mind just goes like ((snaps fingers)) why would you wanna walk towards that (.) [...] why not just walk toward being a good human being, why not work towards and make somebody smi:le every day or somebody la:ugh or talking care of your physical being, and take care of your mental being and take care of your spiritual being“ (T2: Z. 662-670)
Er erweckt mit seiner romantischen und wenig reflektierenden Darstellung der gegenwärtigen Situation den Eindruck, als gehe er von der Annahme aus, fortan sprichwörtlich von ‚Luft und Liebe‘ leben zu können: „I’m content the way I am right now I’m happy and I’m fine“. Auch seine Vorstellung des Musikerdaseins vollzog seit dem Einstieg in ein drogenfreies Leben eine Wandlung. Sein damit einhergehendes Konzept, Musiker zu sein, gibt er klar zu verstehen: „I don’t wanna become a famous or a professional musician now [...] I just want do it for fun“. Er legt keinen Wert mehr darauf, im Musikgeschäft Fuß zu fassen und aus kommerziellen Gründen Musik zu machen. Anstatt berühmt zu sein, reiche es ihm, mit Freunden zu ‚jammen‘ oder seiner Freundin das Gitarrespielen beizubringen. Auch seine Einstellung gegenüber einer vermeintlichen Verbindung zwischen dem Konsum von Heroin und dem Musikmachen revidiert er aus gegenwärtiger Perspektive: „heroin addiction (.) and music has no real connection has no real connection it is a: (.) way (.) to shave away at your true feelings, it is a way to (.) shop away, at certain pieces of your soul […] heroin addiction and music have for me and for I believe anymore, has no real connection there is no connection all heroin does is, it shaves away at you creativity it shaves away at your humanity and it shapes away at (shopes) at your soul and it creates this illusion, that, you are better than you are you got it“ (T2: Z. 901-918)
Gefühle und Erfahrungen, die er während seiner Drogenkarriere gemacht hätte, lässt er seinen Aussagen zufolge fortan in den Prozess des Songwritings einfließen. Es interessiere ihn jedoch nicht mehr, ob er ‚gute‘ oder ‚schlechte‘ Musik mache. Es ginge ihm erneut um die Leidenschaft und den Spaß am Musikmachen und darum, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Er scheint hierbei in einen Zustand zurückversetzt zu sein, den er zuletzt als Teenager erfahren hatte. Trügerisch wirkt es hierbei jedoch, dass er negative Gedanken und Alltagsprobleme von sich wegzuschieben scheint: „it’s so: simple it’s so easy, it’s not that difficult it’s not that complicated.“ Dies könnte darauf hindeuten, dass er bei eintretenden Konfliktsituationen in sein gewohntes Verhaltens- und folglich Handlungsmuster verfällt und rückfällig wird. „a lot of things just become very stupid and minimal and not important and the only things that are important to me are the people in my life and my friends and my girlfriend and producing and backsinging and playing guitar for fun, and living comfortably I don’t want an amazing car I don’t want an amazing place if I can eat and live my life comfortably I’m gonna be fine (..) if I can get some of my friend that I lost (.) my friend that don’t speak to me anymore, great,
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fucking get a job doing (.) what I love to do, even better and I really accomplished that [...] you know I just got a great job writing reviews for bands that I love (..) you know and I just started writing for my blog again which I never thought will happen again“ (T2: Z. 520-528)
Er gibt zwar zu verstehen, dass er Artikel für einen Blog schreibe – in einem Gespräch nach dem Interview behauptet er, dass es sich hierbei um einen vielversprechenden Job handele, von dem er leben könne. Tatsächlich handelt es sich jedoch um unentgeltliche Tätigkeiten für amateurhafte Formate, die keinen monetären Gewinn erzielen. Fortan muss er sich unterordnen: Seine Freundin verdient das Geld und hält ihn finanziell aus; er selbst kann keinen Job lange aufrechthalten, weil er sich nicht konzentrieren oder seinen Vorgesetzten unterordnen kann. In Anbetracht der Faktoren, die zuvor in seiner Lebensgeschichte einen Rückfall bedingten, erscheint ein erneuter Konsum für den weiteren Verlauf seiner Lebensgeschichte nicht ausgeschlossen. Er selbst präsentiert sich jedoch zuversichtlich und warnt innerhalb der Schlusssequenz des Interviews andere davor, den Weg des ‚Junkies‘ einzuschlagen. Obwohl er zum Zeitpunkt des Interviews keinen Sinn darin sieht, erneut Heroin zu konsumieren, bestätigen sich die zuvor aufgestellten Hypothesen im Hinblick auf Pepes weiteren Entwicklungsverlauf: „the monkey [on his back] hasn’t disappeared.“ Er wird eineinhalb Jahr nach dem Interview erneut rückfällig. Obwohl sich seine Lebensverhältnisse zunächst stabilisiert hatten – im Oktober 2016 heiratet er sogar seine Freundin und wird in deren Familie integriert, wird er dennoch mit Alltagsproblemen konfrontiert, denen er sich nicht stellen will und daher erneut die Flucht in den Rausch der Droge sucht. Er trifft sich mit ehemaligen Freunden, die nach wie vor abhängig sind, und wird von ihnen zum weiteren Konsum animiert. Zunächst verheimlicht er seiner Ehefrau seinen Rückfall. Als er jedoch wieder regelmäßig konsumiert, bleibt sein Geheimnis nicht verborgen. Nachdem er seinen Konsum nicht eigenständig unterbinden kann, zieht Pepe mit seiner Frau in ein Haus von Freunden in der Nähe von Los Angeles, um einen weiteren kalten Entzug einzugehen. Auch diesen Entzug übersteht Pepe; er ist gewillt ein drogenfreies Leben einzugeben. Die Integration in das ‚reale‘ Leben erweist sich für ihn jedoch noch schwerer als bei seinem letzten Entzug, so dass er schnell in alte Muster verfällt und rückfällig wird. Nachdem Pepes Ehefrau herausfindet, dass er heimlich wieder konsumiert, trennt sie sich von ihm – zunächst nur räumlich. Pepe ist an einem weiteren Tiefpunkt angelangt, der sich zugleich als ein weiterer Wendepunkt in seinem Leben erweist. Pepe ist bereit, weitere Hilfsangebote einzugehen und sich nicht nur auf den körperlichen Entzug zu konzentrieren, sondern sich mit bestehenden und zurückliegenden Konflikten aktiv auseinanderzusetzen. Pepe entzieht zuletzt im Februar 2018. Er lebt weiterhin von seiner Frau getrennt bei seinem älteren Bruder. Er erhält therapeutische Unterstützung und im Mai 2018 einen Job in einem Musikgeschäft in Los Angeles. Mit dem Besitzer des Geschäftes gründet er im selben Monat eine Band. Sie schreiben zusammen Songs und nehmen diese im Studio des Geschäftsführers auf. Im Juli 2018 nehmen sie eine weitere Person in ihre Band auf und spielen ihre erste Show. Im Schriftwechsel mit mir gibt er zu verstehen, dass er seit langem wieder einen Sinn in seinem Leben sehe und durch das Musikmachen ein neues Ventil gefunden habe, sich von Ängsten und Sorgen zu befreien bzw. diese aktiv in den musikalischen Prozess – bspw. in Form von Songtexten – einfließen zu lassen.
11.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie
11.1
KONTAKTAUFNAHME UND BEGEGNUNG
Die erste Begegnung mit Frankie fand im September 2014 statt. Der Kontakt zu Frankie wurde über mehrere Instanzen initiiert. Letztlich konnte eine Verbindung zu Frankie über eine ehemalige Szeneperson in Tschechien hergestellt werden, welche ihre Kindheit und Jugend in den 1980er und 1990er Jahren in Los Angeles verbracht hatte, in der hiesigen Kunst- und Drogenszene aufwuchs und mit Frankie eng befreundet war. Ehe mich die ehemalige Szeneperson dem Studienteilnehmer vorstellte, prüfte sie zunächst die Bedingungen zur Teilnahme am Interview. Bei diesem Gespräch wurde insbesondere die Intention des Interviews geklärt sowie der Umgang mit den Daten besprochen. Nachdem alle Hintergründe und Fragen geklärt werden konnten, erhielt ich Frankies Kontaktdaten. Per Email nahm ich den ersten Kontakt zu Frankie auf. Er wirkte zwar interessiert, jedoch zunächst skeptisch. Es wurde ein Treffen vereinbart, das Frankie allerdings kurzfristig wieder absagte. Über einen mehrtägigen Schriftwechsel und ein anschließendes Telefonat lernten wir uns schließlich kennen. Hieraus ging deutlich das Interesse des Probanden an der Thematik hervor; er hatte jedoch auch Bedenken, dass seine Identität preisgegeben werden könne. Nachdem ich meine eigenen Hintergründe sowie mein persönliches Interesse und die daraus resultierende Intention der Studie erläutert und ihn über die Vorkehrungen zur Bewahrung der Anonymität informiert hatte, willigte Frankie zur Teilnahme am Interview ein. Frankie ist seit fast 15 Jahren clean, nahm therapeutische Hilfe in Anspruch, geht einem Job nach und ist aktiv in den Musikszenen von Los Angeles tätig. Frankie hat eine Tochter und regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Er lebt in einer Wohngemeinschaft mit seinem besten Freund G. und dessen Freundin. Er erlitt in den Jahren der Abstinenz einen Rückfall, dessen Hintergründe im Vorfeld des Interviews reflektiert wurden. Das Interview fand eine Woche nach der ersten Kontaktaufnahme statt. Der Proband holte die Interviewerin in seinem Auto in Hollywood ab. Da kein geeigneter Ort zur Durchführung des Interviews gefunden werden konnte – in Cafés ist es laut und es gibt kaum Anlagen im Freien, an denen man ungestört ist, wurde das Interview in Frankies Auto auf einem Parkplatz in einer abgelegenen Seitenstraße durchgeführt. Meiner Einschätzung nach stellte das Aufeinandertreffen kein Gefahrenpotenzial dar,
394 | Hauptstudie
so dass ich mich auf das Gespräch mit Frankie einließ, ohne eine weitere Person hinzuzuziehen. Ich gab die Uhrzeit und den Treffpunkt des Interviews jedoch mehreren Ansprechpartner*innen bekannt. Ich konnte bereits durch die Vorgespräche Vertrauen zum Interviewpartner herstellen und eine gegenseitige Sympathie feststellen, so dass die Interviewsituation im Auto weder für den Interviewten noch für mich eine unangenehme darstellte. Frankie machte auch während des Interviews keine Andeutungen, dass er sich unwohl fühle oder das Gespräch abbrechen wolle. Vielmehr zeigte er deutlich seine Freude darüber, seine Geschichte und die Gedanken, die mit der Thematik der Thesis einhergehen, mit jemandem teilen zu können. Einen besonderen ‚Ice-Breaker‘ stellte vor allem das beidseitige Interesse für bestimmte Musiker*innen dar – wie insbesondere aus dem Nachgespräch hervorgeht. Vor allem der Austausch über den Musiker und ehemaligen Heroinkonsumenten John Frusciante fungierte als verbindende und Gesprächsbereitschaft erzeugende Komponente. Frankie stellte sich als ein schneller und oft undeutlicher Redner heraus, der seine Gedanken meist sehr philosophisch ausführte. Es fiel mir daher nicht immer leicht, seiner Erzählung zu folgen. Ebenso stellte die Verwendung von Slang-Ausdrücken seitens des Interviewpartners eine Verständnisschwierigkeit dar. Kritisch reflektiert werden sollte ebenso die Tatsache, dass der Interviewpartner bereits vor dem Interview über die theoretischen Säulen, Sucht und Selbstkonzept, der Arbeit aufgeklärt wurde. Auch wenn diese nur benannt und nicht explizit erläutert wurden, schien Frankie diese innerhalb seiner Präsentation der eigenen Lebensgeschichte zu thematisieren bzw. Bezug zu ihnen herzustellen. Frankie gab im Nachhinein allerdings zu verstehen, dass er sich bereits vor unserer Begegnung intensiv mit diesen Konstrukten im Zusammenhang mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht auseinandergesetzt hätte. Inwieweit der Gesprächsverlauf durch meine Angaben im Vorfeld beeinflusst wurde oder der Studienteilnehmer sich ohnehin mit Themenfeldern beschäftigt hatte, die auch dieser Arbeit zugrunde liegen, ist zu diskutieren. Ebenso ist anzumerken, dass ich, während ich vor dem Interview in Form von Vorgesprächen Vertrauen zum Interviewpartner aufbaute, Gefahr lief, dass Frankie Elemente seiner Geschichte im Interview nicht mehr erwähnt oder auf diese nicht genauer eingeht. Bis auf den Streit eines Pärchens, der auf der Straße ausgetragen wurde, und einer Anfrage nach der Verfügbarkeit des Parkplatzes des Interviewten, verlief das Interview ohne Unterbrechungen. Nach dem fast eineinhalbstündigen Interview wurde die Tonaufnahme beendet. Wir unterhielten uns daraufhin über persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, ehe Frankie mich nach Hause brachte. Der Kontakt wurde auch nach dem Interview aufrechterhalten. Der Interviewte zeigte mir verschiedene Stadteile und Lokalitäten, stellte mir Freunde und Bekannte vor und führte mich in verschiedene Musikszenen von Los Angeles ein. Auch an Proben und Shows des Probanden konnte ich teilnehmen und erhielt Einblicke in dessen Lebenswelt. Bis dato besteht der Kontakt zu Frankie in Form von regelmäßigen Treffen und schriftlichem Austausch. Frankie hat seit der Interviewdurchführung weder einen Rückfall erlitten, noch weist er andere negative, durch das Interview hervorgerufene Folgen auf.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 395
11.2
SCHRITT 1: ANALYSE DER BIOGRAPHISCHEN DATEN
11.2.1 Chronologische Daten des Biographen (gelebtes Leben) (Analyse III: Frankie) Jahr
Alter
Daten
1976
0
wird in Los Angeles geboren, Sohn philippinisch abstammender Eltern, 2. Kind, hat älteren Bruder
1982
6
Grundschule Scheidung der Eltern Mutter erkrankt an Krebs
1987
11
Junior High School beginnt Gitarre zu spielen beginnt Bass zu spielen
1990
14
High School beginnt Schlagzeug zu spielen, Programmieren
ca. 1991/92
ca. 16
Gründung erste Band (Jazz Band) lernt Freund G. kennen steigt als Gitarrist in G.’s Band ein startet Recording
ca. 1995
ca. 19
Beziehung mit ehemals bester Freundin, erste große Liebe erster Heroinkonsum (rauchen und schnupfen)
1997
21
Bandgründung XY
ca. 1998
ca. 22
Trennung Beziehung, Mutter kommt ins Krankenhaus erster Entzug (‚cold turkey‘) Therapie Rückfall Beginnt Heroin zu spritzen
Jan. 1999
22
Tod der Mutter Beziehung mit ‚Junkie‘-Freundin Freundin erleidet lebensbedrohlichen Entzug schreibt Gedicht „magnum opus poem“
ca. 2000
ca. 24
hält Lesung
396 | Hauptstudie
Entzug Therapie 2001
25
XY erhält Plattenvertrag (Interscope) Release erste EP Tourneen mit XY: Support (u.a. Jane’s Addiction) Headliner geht auf Tour mit Perry Farrell Gitarreneinspielungen für andere Künstler*innen1
2003
27
Release erste LP (Interscope) Tournee
2006
30
Geburt seiner Tochter
2008
32
Release zweite LP startet verschiedene Band- und Soloprojekte Job im IT-Bereich
2015
39
Interview (spielt in fünf verschiedenen Bands)
11.2.2 Strukturhypothesen zum gelebten Leben (Analyse III: Frankie)2 Frankie wird 1976 als Kind philippinisch abstammender Eltern in Los Angeles geboren. Er ist das zweite Kind in der Familie. Sein Bruder ist sieben Jahre älter als er. Seine Kindheit ist vor allem durch die Scheidung seiner Eltern und die Krankheit seiner Mutter geprägt. Nachdem bei der Mutter Krebs diagnostiziert wird, ziehen beide Söhne zum Vater. Durch seinen Bruder wird er bereits im frühen Kindesalter an das Musikmachen herangeführt. Sein Musikgeschmack ist in dieser Zeit insbesondere durch die Vorliebe des Bruders für Metal-, Punk- und Thrash-Bands beeinflusst. Sein erstes ‚Instrument‘ wird der Besenstil als Gitarrenersatz, mit dem er vor dem Spiegel seine ersten Performances übt. Im Jugendalter probiert er die ‚richtigen‘ Instrumente seines Bruders aus. Er beginnt zunächst Gitarre zu spielen, ehe er das Bassspielen für sich entdeckt. Im Apartment des Vaters gibt es auch ein Klavier, welches er ebenso autodidaktisch zu spielen erlernt. Mit dem Wechsel zur High School interessiert er sich vor allem für das Schlagzeugspielen und das Programmieren von Drum-Beats. Er beginnt sich in dieser Zeit mit elektronischer Klangerzeugung zu beschäftigen und kreiert eigene Sounds. Zu seinem musikalischen Begleiter und besten Freund wird sein Schulkollege G., mit dem er bereits zur Junior High School ging. Während sie zunächst eine gemeinsame Vorliebe für Comics feststellen,
1 2
Namen werden aus Datenschutzgründen hierbei nicht genannt. Die hier erwähnten biographischen Daten und Hintergrundinformationen sind nicht nur dem Interview-Transkript zu entnehmen, sondern wurden auch in Memos festgehalten, die im Vorfeld des Interviews im Zuge der Erstbegegnung angefertigt wurden.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 397
entdecken sie später bei einem Konzert der Band Mr. Bungle auch gemeinsame musikalische Interessen. Während Frankie zunächst mit Freunden von der High School eine Jazz Band gründet und sich insbesondere mit Improvisation auseinandersetzt, überredet ihn G. schließlich, als Gitarrist in seine Band einzusteigen. Die Proben finden in der Garage von G.’s Eltern statt, welche zu einem Rückzugsort wird, an dem sie nicht nur mit verschiedenen Sounds experimentieren, sondern auch mit Drogen. Frankie raucht in dieser Zeit Pot und Marihuana. Die Zeit als Teenager verbringt er insbesondere mit Skateboarding, Musikmachen und Mädchen treffen. Er geht in dieser Zeit mehrere Beziehungen ein. Seine erste ‚große Liebe‘ findet er in seiner besten High School-Freundin, als diese nach drei Jahren vom College zurückkehrt und ihm ihre Liebe gesteht. Sie werden ein Paar, das neben sexuellen Erfahrungen eine weitere gemeinsame Leidenschaft teilt: ‚high‘ sein. Durch seine Freundin, die in ihrer Zeit auf dem College mit dem Konsumieren von Heroin begonnen hatte, wird auch er an die Droge herangeführt. Zunächst raucht oder schnupft er Heroin. In dieser Zeit – er ist ca. 21 Jahre alt – gründet er mit Freunden und seinem Bruder die Band XY. Das junge Erwachsenenalter ist durch die Krankheit der Mutter geprägt, die schließlich ins Krankenhaus eingewiesen wird und ihren beruflichen und mütterlichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann. Frankie und sein Bruder kümmern sich um die Mutter und deren Geschäfte. In dieser Zeit steigert er seinen Drogenkonsum und nimmt erste Entzugserscheinungen wahr. Nachdem sich seine Freundin von ihm trennt und sich seine Mutter um ihn Sorgen macht, geht Frankie seinen ersten Entzug (‚cold turkey‘) ein. Da er durch den körperlichen Entzug der Droge auch psychische Entzugserscheinungen erleidet und depressiv wird, lässt er sich therapeutisch behandeln. Er wird jedoch rückfällig und intensiviert seinen Konsum: Er findet bei einem Zahnarztbesuch eine Spritze und beginnt fortan, sich das Heroin intravenös zu verabreichen. Seine Mutter verstirbt im Frühjahr 1999. Mit dem Tod der Mutter nimmt sein Konsum weiter zu. Zusätzlich beginnt er zu trinken. Während er vor allem in Downtown LA nach Drogen „scored“, trifft er an einer Bushaltestelle auf ein Mädchen, das fortan zu seiner ‚Junkie‘-Freundin wird. Er hat zu ihr keine körperliche Beziehung, teilt mit ihr jedoch den ‚Junkie‘-Lifestyle. Die beiden verbringen ihre Zeit damit, ‚high‘ zu sein. Nachdem Frankie von der Überdosierung seiner Freundin erfährt und Erste Hilfe leisten muss, indem er ihr eine erneute Heroinzufuhr verabreicht, bricht der Kontakt ab. Frankie entwickelt in dieser Zeit – wie er selbst formuliert – eine Art Psychose. Er schreibt ein Gedicht, das er als „magnum opus poem“ bezeichnet. Als er sein Werk seiner Familie und seinen Freunden im Rahmen einer Lesung vorstellt, zeigen die Gäste jedoch nicht die gewünschte Reaktion. Anstatt positiv auf sein Werk zu reagieren, machen sich die Beteiligten Sorgen um Frankie. Frankie begibt sich erneut in einen Entzug und setzt anschließend seine Therapie fort. Ein Jahr später erhält seine Band (XY) einen Plattenvertrag von Interscope und veröffentlicht ihre erste EP. Die Band erzielt mit ihren Songs Charterfolge und geht auf Tour. Sie begleiten kommerziell erfolgreiche Band wie u.a. Jane’s Addiction und geben selbst als Headliner Konzerte. In dieser Zeit – Frankie ist ca. 26 Jahre alt – begleitet er ebenso Perry Farrell auf seiner Solo-Tour. Frankie spielt auch für andere berühmte Künstler*innen Gitarrenspuren im Studio ein, ehe seine eigene Band ihr erstes Album veröffentlicht. Insgesamt ist die Band seit Erhalt des Plattenvertrages über vier Jahre auf Tour. Bis die Band 2008 ihre zweite LP veröffentlicht, spielt
398 | Hauptstudie
Frankie in diversen Projekten. Er übernimmt sowohl den Part des Gitarristen als auch den des Vokalisten und Sounddesigners. Als Frankie Anfang 30 ist, wird seine Tochter geboren, zu deren Mutter er zwar ein gutes Verhältnis hat, aber keine Partnerschaft eingeht. Er arbeitet bis zum Zeitpunkt des Interviews als Musiker in verschiedenen Band- und Soloprojekten oder übernimmt Studioaufnahmen als Gastmusiker. Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeitet er zusätzlich im ITBereich. Zum Zeitpunkt des Interviews im September 2014 ist dieser Job seine Haupteinnahmequelle. Er spielt gleichzeitig in fünf verschiedenen Bands. Frankie erlitt seit seinem letzten Entzug einen einmaligen Rückfall. Er raucht Tabak und gelegentlich Weed, konsumiert jedoch keine ‚harten‘ Drogen. Eine Ausnahme bildet die Teilnahme an sogenannten „desert concerts“, bei denen sich verschiedene Musiker*innen und andere Künstler*innen in der Wüste Kaliforniens treffen und gemeinsam Musik machen und ‚jammen‘. In diesem Rahmen konsumiert er gelegentlich Drogen wie Ecstasy und Koks. Frankie lebt zum Zeitpunkt des Interviews zusammen mit seinem Freund G. und dessen Freundin in einer WG. Er spielt regelmäßig Shows im Großraum Kaliforniens, geht einem geregelten Arbeitsverhältnis nach und interessiert sich für Yoga und Meditation.
11.3
SCHRITT 2: TEXT- UND THEMATISCHE FELDANALYSE
11.3.1 Textsorte und thematische Felder (Analyse III: Frankie) Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
1.
1-6
Argumentation (Erzähleinstieg)
„how drug addiction became such an impact in my life“
Erzählung (Beschreibung)
Erklärung / Ursprung Drogenabhängigkeit, Persönlichkeit, Rückblick in Kindheit; Neugierde; Interesse an Umwelt; kein familiärer Schutz; Suche/Sehnsucht nach beruflicher Bestimmung, Freude und Zufriedenheit „it would be necessary to talk about how I understand myself as a child“
2.
6-12
Erzählung
„need for stimulation“ Alleinsein, Zufriedenheit, Stimulation, „my own world“, Komfort, Kompensation fehlender Zuwendung, Befriedigung „it was really easy to be in my own world, and in that world I could, you know make different things happen“
3.
13-19
Erzählung (Beschreibung) Argumentation
„feel good feelings“ Adoleszenz, körperliche/geistige Veränderung, Sexualität, Masturbation, natürliche Wohlfühl-Gefühle, Ersatzbefriedigung
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 399
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „all the time children growing up have you know naturally feel good feelings“
4.
19-30
Erzählung
„sexuality“ positive vs. negative sexuelle Erfahrungen, sexuelle Entwicklung, Missbrauch/ Belästigung (?) „it became a very […] tricky and confusing world trying to understand you know boy and girl boy meets girl […] I was stuck in a weird confusion between this feels good and this feels weird“
5.
30-34
Erzählung
„music seemed to be the defining moment“ High School, Interessen als Teenager, Entdeckung eigener Talente, Improvisation, autodidaktisches Erlernen des Gitarrenspiels „I reali:zed that what I was good at or what really was my calling out of all the things that I was interested in“
6.
34-40
Erzählung (Beschreibung)
„sense of self“ Empowering durch Musik, Gefühl, musikalischer Einfluss durch älteren Bruder, Intuition, Darstellung der eigenen musikalischen Fähigkeiten / der musikalischen Entwicklung, Bedeutung von Musik, Ich-Empfinden, Selbst-Empfinden „this is something that’s very visceral and um it spoke to me so tha:t um became right away a place where um I can feel a sense of empowerment and a sense of self“
7.
40-45
Erzählung
„I was getting into pot and marijuana“ Verbindung Musik und Drogen, Unterbewusstsein, Wahrnehmung, Einfluss auf musikalischen Prozess „I can’t remember you know the times in playing music where I wasn’t getting high and smoking pot while we were playing music and jamming“
8.
45-51
Erzählung (Beschreibung)
„the need to explore drug in the context of music“ Scheidung der Eltern, Probleme, Befreiung durch Musik und Drogen, Verlangen nach Realitätsflucht und anderen Gefühlen „I think the more older I go:t the more confusing […] then it lead me to other things that, ma:de me feel like I wanna be in that feeling more“
400 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
Unterbrechung durch Pärchen, das sich auf der Straße streitet (Z. 53-63) 9.
51-52
Erzählung
„the battles that my relationships had“ Freundschaft, Beziehung, Partnerschaft, Sex, „feel good feelings“, Stimulation, Ventil „I learned in relationships that there was these ways to get u:m a lot of sort of feel good feelings not just from the se:x but the stimulation“
10.
66-79
Erzählung
„we were best friends“ Freundschaft, Sex, beste Freundin, „dark worlds“ „I had no idea the whole time we were like friends throughout high school that she was in love with me […] I didn’t know if I’d return the feelings“
11.
79-91
Erzählung
„we end up starting our torrid love affair“ Rückkehr der Freundin von College, Beginn der Beziehung „this became a new door where wow she’s grown up she’s had some experiences I’ve had some experiences we can finally kind of come together we can relate more and on top of it she does drugs now rad“
12.
91-97
Erzählung
„the first time I wrote on music, the first time we got high together“ Musikmachen unter Heroineinfluss, Konzentration, musikalischer Output, ‚High‘Gefühl „it was like the first time that I sat for four hours and compo:sed and recorded this who:le track with all these layers after getting high and I was just like (.) wo:w, whoa: I was like no: wa:y“
13.
97-106
Erzählung
„multiple correlations“ Beweggründe zum Heroinkonsum, Wechselwirkung Musik-Heroin, ‚Junkie‘-Pärchen, musikalische Vorbilder (Jane’s Addiction), Bewusstseinserweiterung, Ausdrucksmittel, Verfügbarkeit von Heroin „I never sought it out but it came with her and we started to get into it“
14.
106-113
Erzählung
„she was pulling away“ Trennung, verletzte Gefühle, Liebeskummer, erste große Liebe
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 401
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „that devastated me it devastated […] me because […] I thought this person was somebody I really you know it was the first time I really can feel like I was having these feelings about somebody“
15.
113-115
Erzählung
„our relationship was going down“ Ende der Beziehung, Flucht in Drogen, Abenteuer, Scoring „I was you know scoring a lot downtown you know I ended up getting into a lot of weird adventures“
16.
115-124
Erzählung (Beschreibung)
„I was hiding it from everybody“ Konsumverhalten, Geheimhaltung, Rauchen und Schnupfen, regelmäßiger Konsum, Qualität des Stoffes „at that time I was smoking it and snorting it [...]a:nd I was starting to just anywhere I was going when I was hanging out at my friend’s house I’d disappear to the bathroom for a whi:le“
17.
124-132
Erzählung (Beschreibung)
„it soon started to turn into this dependency“ Abhängigkeit, Entzugserscheinungen, Appetitlosigkeit, fehlendes Körperbewusstsein „I can feel the chills of withdrawal [...] it was starting to become an issue I couldn’t keep under wraps“
18.
132-143
Erzählung (Beschreibung)
„I started to need to do it more often“ Konsumverhalten, zunehmender Konsum, Suchtverlangen, Angst vor Entzugserscheinungen, Auswirkungen auf Tätigkeiten im Alltag „all of a sudden realize I’m starting to do it when I wake up now so it was really like you know- it was the fear that I wasn’t going to be ok“
19.
143-150
Erzählung
„that whole time I thought shit man“ negative Lebensereignisse, Trennung von der Freundin, Mutter erkrankt an Krebs, Mutter stirbt, Geheimhaltung des Heroinkonsums „there was only one friend I told about you know that I’m having this problem“
20.
150-152
Erzählung
„I relapsed about two times“
402 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Entzug vs. Rückfall „one time after that time when she broke up with me and my mom was sick I just felt like I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“
21.
152-161
Erzählung
„I went cold turkey“ kalter Entzug, Vergleich mit Masturbation, Reue, Stimmen im Kopf, Unwohlsein, vergebliche Versuche „feel good feeling“ zu erreichen „and I reme:mber feeling so: (.) so: just helpless about the- an overwhelming amount of guilt started to come over me […] it’s like I couldn’t get this feel good feeling“
22.
161-174
Argumentation
„the linkage between dopamine and addiction“ Artikel, Dopamin, Abhängigkeit, neurochemische Prozesse, Schmerz, Wohlgefühl „they linked dopamine to you know any degree of a lack of comfort any degree where a comfort is going away it can um it can produce pain so: and if dopamine gives you a sense of feel good“
23.
174-181
Erzählung
„I still like to dress up like a ninja“ Rückblick in Kindheit, Herstellung von Glücksgefühlen, Sicherheit, alternative Glücksmomente, Realitätsflucht „these weird things I would do or these you know things to keep me you know occupied and amu:sed“
24.
181-193
Anekdote
„dopamine […] alleviates [pain]“ Entzugserscheinungen, Experiment, Dopaminersatz „what a crazy experiment that was in terms of what my mind all the sudden understood about my body in order to retrigger an understanding of that rela:tionship“
25.
193-197
Erzählung
„I was so depressed from the withdrawal“ Alltag, familiäre Situation, Krankheit der Mutter, Depression nach Entzug „I wasn’t a hundred percent cognizant back then, about all the issues I had with her, or my father to be able to healthily facilitate a discussion“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 403
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
26.
197-204
Erzählung
„I started to relapse“ Therapie, Rückfall, Verantwortung, Belastung, Tod der Mutter, Übernahme der Geschäfte „I started to avoid all this responsibility because you know um me and my brother um you know we’re trying to help um, our mom and then she finally passes away“
27.
204-215
Erzählung
„I started using again“ erneuter Konsum, lässt Bruder im Stich, Psychose, Gedanken lesen, Gedicht, Realitätsflucht, Realitätsverlust „I started to get into this thing where I started to believe that I could read people’s minds, and that the poetry I was writing at that time, was (.) in my mind I thought that this one magnum opus poem I was starting to write was the key to- um, to changing the wo:rld and society and saving lives in a weird way“
28.
215-230
Anekdote
„it was like a weird psychosis“ Präsentation seiner Schriften, Lesung/Predigt, Realitätsverlust, Psychose, Wahn, Verlust von Verstand „I felt like I was holding on to this weird bible or whatever and little did I know it I called everybody in inadvertently into a into- um an intervention, a:nd, my point was to go oh man I gotta break off all this great- this stuff that I’ve been downloading in my head“
29.
230-236
Erzählung
„the second relapse“ Rückfall, erste intravenöse Injektion von Heroin „it was like a total of about five years collectively that I was you know doing heroin“
30.
236-241
Erzählung
„I felt […] overwhelming“ Spritzen von Heroin, Unterdrückung von Gefühlen und Gedanken, Konzentration, Wohlgefühl „it was like […] that classic you know typical you know cliché thing those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do and so it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration“
31.
241-247
Argumentation
„correlation between diet and ADD and feel good dopamine things“
404 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Verbindung ADD-Diät-Dopamin, Aufmerksamkeit, Veränderung körperlicher und kognitiver Zustand, Selbsterkundung durch Heroin „I was firing at a lower slower level because I wasn’t getting my sources of things in a healthy- in a healthy way“
32.
247-253
Erzählung
„I was exploring myself“ Neugierde, Einfluss auf Musik, Auswirkungen, Verzweiflung, Depression, Schmerz, Kontrollverlust, „first it was curiosity through other music [...] but in the desperateness of being depressed and being you know really in pain and- and feeling helpless, I started to research all these things of how can I get out of this feeling in my body and- and- and everything that was producing“
33.
253-265
Argumentation
„addiction that’s a positive word“ Identifikation, Image, Vorbilder, Erfahrungen, andere Drogen, Konsumverhalten, besondere Momente, musikalischer Prozess „addiction that’s a positive word, you know addiction’s a positive word like you know it’s you know I already associated myself with the bands that I lo:ved and they all did drugs and all this stuff“
34.
265-275
Erzählung (Beschreibung)
„it became a crutch“ Halt, Stütze, psychologische Effekte, Abhängigkeit, körperliche Reaktionen, Kontrollverlust, Scham, Geheimhaltung „it was psychological that I was the most afraid of, because when my body would react to the chills it would then make my mind think that oh man things are not gonna be okay“
35.
275-283
Erzählung
„aspects of self […] came into play“ Kontrollverlust, Fremdsteuerung, Scham, Angst vor Abhängigkeit, Angst vor Reaktionen des Umfeldes, „it was this um detouring deterred me from thinking that (.) it shouldn’t be a badge toto- to want something or need something outside myself“
36.
283-288
Erzählung
„my love for music came viscerally before I needed drugs“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 405
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld musikalischer Prozess, Drogenkonsum als Abenteuer, High School, Spaß, high-sein, Grenzerfahrung, Intensivierung von Erfahrungen „everything should be as fun as it was when as a kid so everything you do is like oh let’s do it with getting high or doing or being drunk while we’re doing it […] the normal state of enjoying an adventure couldn’t be enough“
37.
287-295
Erzählung
„justifying concept of self “ Selbstzweifel, Versagensängste, geringes Selbstbewusstsein, Rechtfertigung, Vorbilder, Selbstkonzept, Musiker-sein „you’re not good enough [...] there were a lot of things I wasn’t accepting about myself and that um I was you know probably attacking myself for“
38.
296-298
Erzählung
„I was in a trouble I couldn’t get out“
(einleitender Wendepunkt)
Abhängigkeit, Suchtdruck, Fremdsteuerung, Hilferuf „it’s just started to erode at my ability to choose to do other things I like“
39.
298-307
Anekdote
„scoring downtown“ Drogenbeschaffung, Begegnung mit Drogenkonsumentin „I saw some cute girl at a bus stop [...] I found out that she was going downtown to score“
40.
307-314
Anekdote
„I began this weird little relationship“
(einleitender Wendepunkt)
Beziehung mit ‚Junkie‘, gemeinsames Konsumieren, gemeinsames ‚High‘-werden, erster Wake-Up Call „this was another weird scary wake-up call that I could’ve heeded, she was a lot more, she was like a pro, and she was fucked up“
41.
314-327
Anekdote
„she’s in a really bad way right now“ lebensbedrohlicher Entzug, Schock, Erste Hilfe „this girl is really fucked up she’s got some serious issues […] I gave her my last hit and I got out of there and I never saw her again“
42.
327-331
Erzählung
„the weird intervention“
406 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
(einleitender Wendepunkt)
zweiter Wake-Up Call, Enttäuschung, Realitätsverlust, Therapie „it kind of threw me off cause I thought I was there to show them this great you know this great work that I’d been doing but it was more like they were there to let me know that they cared and they loved me and all this stuff so I- I- I ended up going back in- into therapy“
43.
331-338
Erzählung (Beschreibung)
„I haven’t gone high since then“ Abstinenz, einmaliger Rückfall, kein Verlangen mehr „I’ve not felt the need. or the u:rge […] it was always this feeling like something's gonna happen like I wanted to score […] and get this something’s gonna happen feeling going this adventurous feeling but I don’t even crave it“
44.
338-341
Erzählung (Beschreibung)
„I’m more scared with any drugs I do now“ Drogenkonsum Gegenwart, Ersatzbefriedigung, Musik „I don’t even like smoking [...] I’ve done DMT a few times [...] I’ve poured myself into more music“
45.
341-347
Argumentation
„I have to be my addiction […] I needed to replace this thing“ Vorbilder, Ersatzbefriedigung, Änderung Selbstkonzept „times change you know Jane’s Addiction is no longer the same band anymore their shit is watered down all my heroes are kind of, like you know either dead and gone or they’re no longer you know writing good“
46.
347-354
Erzählung (Beschreibung)
„the search for meaning and spirituality“ 1960er Jahre, Sehnsucht, Bedeutung und Spiritualität, Bewusstseinserweiterung durch Drogen, „so it became more of a hallmark of I want to do more things that’s going to expand my conscience and make me more aware of all the things that go through me“
47.
354-364
Erzählung (Beschreibung)
„relationship to myself […] concept of who I am“ Selbstfindung, Selbstkonzept, Beziehung zu sich selbst
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 407
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „because I had tapped into something with music […] it brought me to what who I am it’s like it’s what I do and what I breathe that it just so happened that the taboos surrounding all that also had to had its way with you know deriving sense of self and getting this- this boost of it“
48.
365-374
Erzählung (Beschreibung)
„relationships in the word with people and myself“ Beziehung zum Umfeld, Selbstwahrnehmung, Beeinflussung durch Umfeld, innere Stimme, Vorstellung von Realität „that voice is so prevalent in you know that talking voice in most people’s heads you see people rocking on the street so it’s gotta mean that this is how they see themselves, you know they’re out there thinking that’s how the world is“
49.
374-379
Argumentation
„all this input from things around us becomes stimuli“ Stimuli/Anregungen durch äußere Einflüsse, Betäubung durch Heroin „heroin [is] just a lot more romanticism a lot more mistake because it’s so: instant how you don’t care about shit “
Unterbrechung durch Frage nach Parkplatz 50.
382-385
Erzählung (Beschreibung)
„Jane’s Addiction […] was one of my favorite bands […] I identified with“ Identifizierung, Vorbilder, Imitation des Drogenkonsums von Künstler*innen „then found a different path basically re-look at that word or re-look at, why I wanted to identify myself with that world you know, it was um a state of mind that it was out there“
51.
387-398
Argumentation
„we want access to our real self“ Problembewältigung, Selbstzweifel, Charlie Parker, Hilfsmittel, Selbstmedikation, Spiritualität, Religion „you need some demon to quiet somewhere (.) how you do that becomes the question [...] there are a lot of different ways to get there you know spirituality you know whatever religion anything you want to get yourself into most people find the shortcut [...] to get there“
52.
399-410
Erzählung (Beschreibung)
„creativity […] is very linked to my ability to improvise“
408 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
(nach Erzählaufforderung)
Zusammenhang Heroin und Kreativität, Improvisation, Auswahl, „improvising as a natural metaphor for a philosophy for living, you have the potential for godhead in the sense of making a choice [...] so that’s creativity [...] it’s like spontaneous composition“
53.
410-417
Erzählung
„improvised moment“ ‚Jammen‘, Schreiben, Betäubung / Ausblenden von Gedanken und Gefühlen durch Heroin „I need to be in a state of mind where I feel in a- in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition when I find myself not thinking as much not caring that not being overly concerned about one thing or another […] with heroin I was not overly critical of myself or not over thinking stuff“
54.
417-426
Erzählung (Beschreibung)
„I started relating to becoming better friends with my emotions“ Zugang zu / Umgang mit Emotionen, Akzeptieren, Offenheit, Unvoreingenommenheit, Bewusstsein, Kreativität „instead of wanting them to be something else I’d listen to them and allowed them to be what they are and then create from that […] I notice that I’m in all parts of my being, you know I can think about things I can feel ‘em I can access my feeling and therefore I can- I can be more in touch with my creativity“
55.
426-435
Evaluation
„the truth is already out there“ Begrenzung/Einschränkung kreativer Möglichkeiten durch Heroineinfluss, Bewertung, Beeinflussung „all this song is all right there I just have to be open enough to let it come through but I kept on thinking oh no I need to get on this step ladder to get to this“
56.
435-443
Argumentation
„just let things come the way they are“ Selbst, Selbsterfahrung, Akzeptanz, ‚Hier und Jetzt‘, Einlassen, Kontrolle „some people’s sense of self is only what their ego wants to project as opposed to accepting the isness of, what- what you are the nowness of it as opposed to oh I wanna project myself in the future looking like this I do that in my creativity […]
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 409
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld I used to like doing drugs to reduce the time it took to hammer it down“
57.
443-448
Erzählung (Beschreibung
„my sense of myself“ Spiritualität, Offenheit, Zugänglichkeit, Yoga, Meditation, Rituale „I like to do yoga now and do a lot more meditation now and […] do things ritually but in a mantra, as opposed to ritually addiction“
58.
448-453
Erzählung (Beschreibung)
„I wanted to get a spiritual ritual“ Heroinabhängigkeit als Ritual, magisches Ritual, Romantisierung, Spiritualität „I was very much into performing magical things I thought the whole setup was just so goddamn romanticized like you know just setting up my rig having all this“
59.
454-463
Erzählung
„the ritual of habit“ Abhängigkeit, Ritual, Gewohnheit, „making reality“, Frieden schaffen, Wiederholung, Performance, Prozession „the repetitive aspect of ritualizing it is the same psychology that it takes to u, either perform magic, or-or perfo:rm (.) um sacred prayers, to, consecrate a situation to align yourself into tuning with something, most of the time that tuning is a sense of (.) of- of- of peace“
60.
464-476
Erzählung
„I’m more open with myself“ Offenheit, Gelassenheit, Flow, Selbstbewusstsein, Eigenwahrnehmung vs. Fremdwahrnehmung, Wirkung „my ego was so much more, on fire and fragile then like man I wasn’t gonna be good enough to do these things or I wasn’t gonna like or be liked what I was producing wasn’t gonna be liked by me or other people if it wasn’t through this feeling […] and then get it there, but I can I feel now I can reach that high hype by going with the flow if that hype needs to go there“
Übergang Nachfrageteil 61.
477-498
Erzählung
„I used to love playing in the mirror playing like a broom“
(auf Nachfrage) älterer Bruder, Punk-Thrash Band, verschiedene Instrumente zu Hause, Gitarre, Bass, Spiegel-Performance, Autodidaktik, Improvisation
410 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld „part of me was like you know excited about wanting to do that so I ended up taking guitar and going through what it took to you know develop calluses but I most excited about being driven to wanting to learn that piece of music“
62.
498-503
Erzählung
„I started getting more into drums“ Drums, Aufnehmen, Beats programmieren „I liked to play drums and by that time[…] I was already I got a four track you know donated to me and so I would be playing all the instruments […] to write all these tracks and programmed drum machine beats“
63.
503-512
Erzählung
„my best friend [G.]“ bester Freund, Schulfreund, rechte Hand, musikalische Pubertät, musikalische Sozialisation „he’s my right hand man he’s who I went through musical puberty with I would take a bullet for this guy he is the other side of my coin, he’s somebody I’ll always know and always love and he’s the person that we went and grew up together in our school of music“
64.
512-520
Erzählung
„you gotta come and play with us“ ‚Jammen‘, Jazz-Band, Gitarrist, Einstieg in G.s Band, erste Band „we were in the jazz band at school […]then I met G. at a Mr. Bungle concert […] I started with their band I started filling in guitar“
65.
520-524
Erzählung
„wow this sounds fun“ ‚Jammen‘, Drogen, Pink Floyd, Spaß „we were also jamming a lot in- in G.’s parents’ garage and that was when I remember just smoking all this pot and we’d just be jamming out these Pink Floyd songs“
66.
524-528
Erzählung
„I recorded the first thing“ Recording, Stolz, Faszination, Bestimmung „I can’t believe that this could happen you know it’s like we didn’t even know any of the songs we didn’t- I didn’t know any songs we just made these songs up, and I just like it was just seemed amazing it just became right“
67.
528-534
Erzählung
„we founded a band“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 411
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Elektro-Band mit G. und Bruder, Plattenvertrag Universal/Interscope, 3 Alben, 4 Jahre Tour „from then on we were me and G. have always been in different bands together and then later on we founded a band […]my brother was in that band […]and then all my other best friends from high school we came together“
68.
534-537
Erzählung (Beschreibung)
„I’m in another band“ aktuelle Bands/Projekte in Gegenwart, Recording, „improvisational band“, 4 verschiedene Projekte „I’m in a another band with G., a:nd I continue to record and write stuff for G.’s other projects and things like that“
69.
537-543
Erzählung (Beschreibung)
„our music came from spontaneous writing“ Kreativprozess, Spiritualität, Kanal/Ventil, „Auffangen“ von Energien, Momenterfahrung „the closest to spirituality I knew, in terms of harnessing the moment and being a conduit for whatever’s happening because the energy of the people around would- wouldwould, would help create all that“
70.
544-550
Erzählung (Beschreibung) (auf Nachfrage)
„I was the only one“ Drogen in der Band, Oxycontin, Tabuisierung „it was such a secret there was nobody I really could do it with except for me and my ex-girlfriend“
71.
550-555
Erzählung
„nobody else really got into it with me“ Tabuisierung, Geheimnis, Verstecken, Verbündete „I would I never let people in on- on- on that and it was kind of more taboo, so I didn’t really have any friends in mind that I would um do it with“
72.
555-578
Erzählung, Anekdote
„my brother’s friend [...] was a huge heroin addict“
(auf Nachfrage)
anderer Abhängiger, Bruder als Verbündeter, Unwissenheit, Verständnis erst im Nachhinein „when B. was staying in this house, my brother didn’t let me know that he was
412 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld helping him do that you know, and so:, I just remember those balloons and then I figured out what it was later cause then when I started scoring balloons it was like ok but um you know I remember B. was around at that time“
73.
578-592
Erzählung, Anekdote (Wendepunkt)
„you gotta cut this shit“ Rückfall, B. bricht Tabu, Hilfe, Erfahrungsaustausch, Verrat, Aufdeckung „but he was trying to knock some sense into me he was trying to like get to me cause he saw how crazed I wa:s and you know that was the only other person that I remember a:fter those times I you know shared stories with but otherwise nobody I knew around that time was like was doing heroin that I that was in my immediate access“
74.
593-602
Argumentation, Evaluation (auf Nachfrage)
„to heighten their creativity“ Motivationen, konsumbedingende Faktoren bei Musiker*innen, Perfektionismus, Sensitivität, Depression, Kreativität, Ängste, Wohlgefühl „musicians and artists are naturally most of them in order to be really good at it […] have some sense of heightened sensitivity […] they may be more prone to depression […] to it as is-is- is to heighten their creativity while at the same time benefiting off of the you know the feel good and the not worrying about things“
75.
602-606
Erzählung (Beschreibung) Argumentation, Evaluation
„there’s a downside doing that“ Auswirkungen/Folgen, Betäubung, kein Interesse am Musikmachen, verpasst Proben „if you do it a lo:t and you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to“
76.
606-617
Anekdote,
„there was this other infamous guy“
Erzählung (Beschreibung)
Vorbild, ‚Junkie‘-Image, Identifikation, Naivität, Fehlvorstellung, Konsum ohne Konsequenzen, Täuschung „[he] was a brilliant writer and he was (.) like he looked like River Phoenix and yea, he was just gorgeously handsome […] he was […] able to do it for like years like he never OD’d […] I thought there may be a way that was when I was naively thinking like ok there’s ways people have been doing this for years and it’s alright“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 413
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
77.
618-631
Erzählung (Beschreibung)
„all of my heroes were heroin users“
Argumentation
Einflüsse, Motivationen, Irrtum, Fehlglaube, musikalische Vorbilder, Wohlgefühl „I was also influenced by a lot of the Beat poets [...] that mistake has been around you know in a lot of music and art culture [...]not only a lot of my heroes were- were heroin users but I thought by going through it there would be some, some greater epiphany I could go through in writing it just help me feel better“
78.
631-643
Argumentation
„I wasn’t feeling all that great about myself“ Meditation, Rauscherfahrung, ‚Superdroge‘, Versuchung, Verführung „it’s like the way meditation […] it’s like a superdrug that allows you to say what’s on your mind and manifest it instantly“
79.
644-659
Evaluation
„it took me to a place where I thought I needed it more than the music“
(auf Nachfrage) Vorstellung von Heroinkonsum vs. Auswirkungen, Verhältnis zu Musik heute „heroin was appealing to me (.) in order to reach something I thought I couldn’t reach before (.) without it it (.) became a, it became a motivating thing because, I could see myself to the end goal but then it took me to a place where I thought I needed it more than the music (.) now I’m in a place where I know that the music’s not gonna go anywhere, it’s always there with me and if I wanna keep on doing heroin then I’m not gonna be there anymore“ 80.
659-664
Erzählung (Beschreibung)
„recipe for disaster“ Konsum im Endstadium, Mixkonsum, Heroindosis „(.) I could have easily started to go you know doing eight balls and mixing drinking I started drinking while on heroin“
81.
665-675
Erzählung (Beschreibung)
„it was taking away my will to wanna do music“
(auf Nachfrage)
Kontrollverlust, Willensverlust, Fremdsteuerung von Gedanken und Handlungen „I doubted everything else of how I could be okay to facilitate anything that’s that’s the crux of it […] that felt completely unnatural (.) I mean that just felt like that can’t be right“
414 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
82.
675-678
Erzählung
„all the things I doubted myself“ Beginn des Konsums, Ursachenergründung, Erklärung „where does that come from where does that doubt come from what causes those things in order to, justify and drive somebody to- to going to heroin“
83.
678-686
Erzählung (Beschreibung) Evaluation
„I couldn’t do anything without it“ Auswirkungen „I realized that it was unnatural for me to do something that was so part of my nature […] that was probably most scared it’s kind of like, it’s like waking up and feeling like you can no longer rely in your instincts like all the sudden you know, the um accessing your instincts was broken“
84.
85.
687-702
702-713
Erzählung (Beschreibung) Argumentation
„drugs take your will away“
(auf Nachfrage)
„why I find consciousness so important to be aware of all the of why you do things and why you think you can’t do things […] th:ats a limited belief that starts in consciousness“
Erzählung (Beschreibung)
„you can’t fake the funk“
Argumentation
verschiedene Abhängigkeiten, Mängel
„misconception“, Fehlvorstellung, Vortäuschung Bewusstseinserweiterung, Zugang zu Bewusstsein „that misconception that oh if I do drugs the music will be better […] what I believe about that i:s, consciousness expansion not consciousness not running away from consciousness that’s what I believe in more that it was a way to glimpse out what you can possibly access“
86.
713-718
Argumentation
„accessing mystical places“ Zugang zum Bewusstsein durch Drogen, alternative Bewusstseinszustände, Trance, Transzendenz, natürliches Bewusstsein, unentdeckte Bewusstseinszustände „the drug was the first trance thing that shamans would use to, alter their minds to get to those places it’s because I think they knew that we naturally in our awaken state have an obstacle or have, or a certain, thatthat the nature of our minds are with this problem solving alert state“
87.
718-727
Argumentation, Evaluation
„there needs to be a stilling of the mind“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 415
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Bewusstseinszustände, natürliche Zugänge, „feel-good-feeling“, Sex, Orgasmus, Verlockung, Anziehungskraft „it doesn’t mean that that access is not achievable in any other context, Ii you want to access the things that can bring creativity forward or bring you know heightened feelings you know it’s just it just don’t delude yourself in thinking that it’s going to (.) you can just have it under control“
88.
727-736
Erzählung (Beschreibung)
„I truly wanted to be the kind of creative person“ Selbstvorstellung, Veränderung Selbstkonzept, „how I want to be“, Drogenkonsum heute, Verleitung zum Konsum, Musikmachen heute „don’t do as many recreation drugs hardly as much but if there’s gonna be a special time where I’m gonna be going out to desert to do something with music […] I’m getting older and I don’t wanna- I want better access to my- my healthy (.) sources“
Beendigung des Interviews Nachgespräch 89.
741-747
Erzählung
„growing up in Los Angeles“ Vorbilder, musikalische ‚Helden‘, Red Hot Chili Peppers, Jane’s Addiction, Tour, Vorband „being so close um to Jane’s Addiction and Perry Farrell and- and John Frusciante they were all local“
90.
747-752
Erzählung (Beschreibung)
„I was getting into Pink Floyd“ musikalische Einflüsse, Vorbilder, Inspiration, Syd Barrett, Sound „there was something beautiful about how free he was in this madness […] he’s just pure whatever’s going through him“
91.
752-757
Erzählung (Beschreibung)
„I got into heroin after John Frusciante left the Chili Peppers“
Argumentation
John Frusciante, Inspiration, Beeinflussung, Vorbild, ‚Junkie‘-Selbstkonzept „when I heard his music and watched his interviews when he was all fucked up and I watched how he would descri:be why he was doing it why he decided to consciously become a junkie and just do that in a way I though that was brave“
416 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
92.
758-770
Argumentation
„accessing to creativity“ Reinheit, Klärung, Angst, Unwohlsein, Zugang zu Kreativität, musikalische Freiheit „what he wanted was to feel a purity a connection to that place where the pure source of music can come through him […] where it just cleared everything“
93.
770-774
Erzählung (Beschreibung) Argumentation
„I’m choosing to go down this road“ Unverständnis, bewusste Entscheidung, ‚Junkie‘-Selbstkonzept, High-sein, Kreativprozess „I’m not gonna pretend that I’m you know not an addict I’m gonna go down this and do nothing but, get high paint and write“
94.
774-779
Evaluation
„this is so genius“ Verbindung zu Carl Jung, das Unbewusste, Urzeit, Genialität durch Hemmungslosigkeit „the connection to everything that the brain was experiencing, pure untouched pure like nowness reality, I believe that’s part of what he was trying to achieve“
95.
779-786
Erzählung
„I believe him I believe what he’s doing“
(Beschreibung)
Bezug zur Interviewerin, Bühnenangst, Wettbewerbsdruck, Ausdruck, Identifizierung „it was like this expression that spoke to me daring but I respected what he was able to produce from that state“
96.
786-790
Argumentation
„reconnect with himself / redefine what his self was“ Neustart, Wendepunkt, Spiritualität, Neudefinition Selbstkonzept „he went through it and you know came out the other end and now he’s like super fucking yoga guy he’s like completely connected his idea of his own spirituality“
97.
790-797
Argumentation Evaluation
„he started to resent“ Veränderung Selbstkonzept, Chili Peppers, Erfolg, Fans „he felt he was getting disconnected from some other pure place that he can just be with the sole purpose of um of just expressing“
98.
797-801
Erzählung (Beschreibung)
„he produced like an album every year“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 417
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld Solokarriere, ohne äußere Beeinflussung, Therapie „it sounds like on the album he didn’t give a fuck what it sounded like he didn’t care […] he just wrote songs just to write songs“
99.
801-806
Erzählung (Beschreibung) Evaluation
„post-addiction was another lesson to me through John Frusciante“ Prozess, Post-Abhängigkeit, Balance, Kreativität: selbst- vs. fremdgesteuert „am I creating to create what my ego wants to see what this idea is or do I just create and let it come through, and I had to find an understanding or a balance between that“
100.
806-815
Erzählung
„somewhere between sleep and awakeness [...] it’s like weird trips“ Post-Abhängigkeit, Bewusstsein, Traum, Transzendenz, Zustand zwischen Schlaf und Bewusstsein, Ritual „every day waking up first thing turning on my four track and whatever my fingers were doing I didn’t care […] I just let whatever my subconscious was going through it was an exercise sort of, you know, borrowing from John Frusciante“
101.
815-820
Evaluation
„I’m not censoring myself“ Gleichgültigkeit, Fokussierung, ohne Beurteilung „that process that I- that I- that I attribute to John Frusciante was just like (..) can I practice not giving a fuck“
102.
820-824
Evaluation
„there was so much about John Frusciante’s music“ Solo-Alben John Frusciante, Bedeutung, Einfluss, Grenzenlosigkeit „it’s very liberating to do things where you don’t have to worry about the rules“
103.
824-833
Erzählung
„spiritual exercise“ Vorbild Frusciante, Orientierung, Einfluss, Ort der Sicherheit, Freiheit, keine Einschränkung, Flow, Improvisation „can you imagine the last time you felt like you could be in a safe place [... ]go into this place and just write from that pure you know place where […] you just serving the music whatever’s gonna come through you no matter how it looks“
418 | Hauptstudie
Seg.
Zeile
Textsorte
Thematisches Feld
104.
833-837
Evaluation
„how the Chili Peppers wrote their music“ Red Hot Chili Peppers, John Frusciante, Freiheit, Grenzenlosigkeit, unkonventionell, Referenzen „just be free form and not care about putting out“
105.
837-851
Erzählung, Evaluation
„all that stuff [...] to me that’s life“ Veröffentlichung Solo-Alben, John Frusciante, Zuspruch von Freunden „please put this out […] it’s not always pretty there’s gonna be these imperfections everywhere and it doesn’t mean that somebody else might not find it beautiful“
106.
852-857
Evaluation
„this is so beautiful to me“ Gemeinsamkeit, Verbindung zur Interviewerin, Begeisterung, musikalische Vorliebe „most people that I played that music that album for and the yelling he does in all that stuff they can’t hear it they can’t listen“
107.
858-864
Erzählung Interviewerin
„it was such a magical moment“ „Niandra Lades“, „Smile from the streets you hold“, Intention Studie, Auslöser, Verbindung zum Interviewpartner „touched me and I cannot explain why (.) it was so: (..) and it, this was the beginning, the start“
108.
865-867
Evaluation
„John being the catalyst“ Schlusssequenz, Abschluss „dude (.) wow (.) I’m so: honored then to be a part of“
11.3.2 Strukturhypothesen zur Selbstpräsentation (erzähltes Leben) (Analyse III: Frankie) Frankie präsentiert sich als ein schneller Redner, der seine Wortwahl sehr bewusst trifft. Dies lässt sich daran erkennen, dass er sich nicht nur oftmals mit Fachbegriffen auszudrücken versucht, sondern auch immer wieder Wörter in seiner Erzählung, geradezu stotternd, wiederholt (a- a- a- liberating, the- the- the- the knowledge etc.), um den Erzählfluss nicht zu unterbrechen und einen passenden begrifflichen Anschluss zu finden. Er beschreibt seine Vorstellungen sehr bildhaft, um mir Einblick in seine Gedankenkonstruktionen zu gewähren. Frankie ist ein emotionaler Redner, der seinen Erzählfluss – bspw. durch Verlangsamung oder Beschleunigung des Rede-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 419
tempos – seinen Erinnerungsprozessen und damit verbundenen Emotionen anzupassen scheint. Sein Präsentationsstil, der von Argumentationen und Bewertungen geprägt ist, lässt die Charakterisierung eines reflektierten Erzählers zu. Er scheint einen Drang des Erklärens zu verspüren, was sich daraus ableiten lässt, dass er immer wieder Erklärungen dafür sucht, wie und warum sich Dinge in seinem Leben ereignet haben. Direkt zu Beginn seiner Ausführungen begründet er den Einstieg in das Interview und das damit zusammenhängende thematische Feld: „in order to go into how it became how drug addiction um became, made such an impact in my life it would be necessary to talk about” (T3: Z. 1f.). Im Weiteren nimmt er Bezug auf seine Kindheit und versucht, die Ursprünge seiner Persönlichkeitsentwicklung zu rekonstruieren. Mit der Formulierung „a certain type of personality“ schreibt er sich eine ‚besondere‘ Charakterisierung zu, der es anscheinend an Aufklärung bedarf. Er beschreibt daraufhin sein Verhalten in der Kindheit und das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist. Er stellt sich als neugierigen und aufgeschlossenen Jungen dar, der Interesse an seiner Umwelt hatte, jedoch nur wenig Zuneigung und Sicherheit durch seine Eltern erfuhr. Er liefert hiermit einen Erklärungsansatz für die ‚eigene Welt‘, die er sich aufgrund seiner Erfahrungen in der Kindheit geschaffen hatte. Anstatt auf den Konsum von Drogen, den er bereits als „impact in my life“ erwähnt hatte, an dieser Stelle einzugehen, holt er weiter aus und thematisiert sein Verlangen nach „Stimulation“ und entsprechenden Bezugsquellen. Er beschreibt Ersatzbefriedigungen, welche die fehlende familiäre Zuneigung kompensierten. Interessant ist, dass er im Zuge der Adoleszenz insbesondere die Entdeckung seiner Sexualität thematisiert. Er scheint sich hierbei weder zu schämen noch das Thema als ein tabuisiertes anzusehen. Er erwähnt diesen Aspekt als weiteres „feel good feeling“, welches er als „natürliche Stimulation“ seiner Bedürfnisse entdeckte und das er sich selbst zufügen und kontrollieren konnte. Auffällig ist, dass er an dieser Stelle eher nebensächlich erwähnt: „sexuality I think I was um introduced to um to sexuality in- in what I would say a less than ideal kind of way um there was two to three: molestation accounts when I was a kid, so I was stuck in a weird confusion between this feels good and this feel weird, this feels- I don’t know this person really but I know this […] cause I know how to do this“ (T3: Z. 23-26)
Diese Anspielung lässt den Verdacht zu, dass er als Kind sexuell belästigt oder gar vergewaltigt wurde. Er führt diese Gedanken jedoch nicht weiter aus. Er ergänzt lediglich, „that was u:m an interesting way to where I started to develop you know that side of myself um sexually“ (T3: Z. 29f.). Dadurch, dass er in seinem Präsentationsstil jedoch unsicher wirkt und sein Erzähltempo verlangsamt, wird der Anschein erweckt, als sei ihm im Rahmen der Entdeckung seiner Sexualität etwas widerfahren, über das er nicht reden will. Er wechselt das thematische Feld und erzählt über seine Interessen als Teenager. Das Musikmachen im Zusammenhang mit der Entdeckung des Improvisierens stellt er als „defining moment“ (T3: Z. 32) dar. Er hebt hierbei insbesondere ein Gefühl der Verbundenheit („wow this is something that [...] I feel really connected to“ T3: 37) heraus, auf das er im Folgenden näher eingeht. Er erzählt euphorisch und beschleunigt das Erzähltempo. Die Art der Präsentation deutet darauf hin, dass der beschriebene Moment für ihn sehr aufregend gewesen war und ein besonderes Erlebnis der Selbsterfahrung darstellte: „I can feel a sense of empowerment and a sense of self“ (T3: Z. 40). Er stellt die Bedeutung des Musikma-
420 | Hauptstudie
chens insbesondere dadurch heraus, dass er Vergleiche zu anderen Aktivitäten herstellt, die für ihn auch eine große Bedeutung gehabt hatten. Das Musikmachen bzw. der Akt des Improvisierens habe diese jedoch übertroffen. Es lässt sich anhand dieser Sequenz auch vermuten, dass der „defining moment“ einen entscheidenden Einfluss auf seine Selbstkonzeption zur Folge hatte. Wenn er behauptet „I mean more than skateboarding cause I thought I was gonna be professional skateboarder“, so lässt sich die Lesart ableiten, dass er kein Skateboarder mehr sein wollte, sondern die Vorstellung, die er von sich selbst und seiner Zukunft hatte, fortan auf das Musikmachen bezogen war. Interessant ist, dass mit der Entdeckung seiner musikalischen Leidenschaft auch der Konsum von Drogen einherging: „they became so hand in hand […] they tap into this other subconscious surreal part of- of- of perception“ (T3: Z. 4143). Er stellt hierbei eine Gemeinsamkeit beider ‚Rauschzustände‘ fest, die sowohl durch das Musikmachen als auch den Konsum von Pot und Marihuana entstanden. Er verdeutlicht anhand der ähnlichen Rauschwirkungen nicht nur seine Wahrnehmungsveränderung, sondern auch das gegenseitige Bedingen der beiden Komponenten. Im Folgenden ordnet er diese Lebensphase in den Kontext seiner Biographie ein und kommt auf die Scheidung seiner Eltern zu sprechen. Seine weiteren Ausführungen erwecken den Anschein, als wolle er sich für seinen Drogenkonsum rechtfertigen: „the need to explo:re drugs in the context of music became a- a- a liberating one because it showed me all these things […] but […] I wanna be in this feeling more“ (T3: Z. 47-51). Er verweist hierbei auf seine Neugierde, weitere Möglichkeiten ausprobieren zu wollen, sich in andere Bewusstseinszustände zu versetzen. Um dies zu verdeutlichen führt er im Weiteren seine Lebensgeschichte chronologisch fort und geht auf die Beziehung zu seiner High School-Freundin ein. Seine Ausführungen werden durch ein streitendes Pärchen auf der Straße unterbrochen. Er nutzt diesen Vorfall, um am Beispiel des Themas Partnerschaft eine weitere Möglichkeit der Stimulation von Gefühls- bzw. von Bewusstseinszuständen zu verdeutlichen. „I learned in relationships that there was these ways to get u:m a lot of sort of feel good feelings not just from the se:x but the stimulation I was very much a craver of certain stimulations cause my capacity for understanding things and looking at the relationship things needed places to outlet so: if it wasn’t in music it was in the way you know the battles that my relationships had“ (T3: Z. 63-66)
Im Weiteren führt er diese Gedanken am Beispiel seiner ersten ‚großen Liebe‘ aus. Er präsentiert die Aneinanderreihung von Fakten und Ereignissen zu den Ursprüngen der Beziehung zu seiner damaligen Freundin emotionslos und im Telegrammstil. Formulierungen wie „bla bla bla” lassen erkennen, dass er diesen Ausführungen nur wenig Bedeutung beimisst und daher offenbar wenig Wert auf eine detaillierte Darstellung legt. Er überspringt Elemente der Geschichte und bricht einzelne Sätze vorzeitig ab. Schließlich versucht er, seine Ausführungen auf den Punkt zu bringen: „so for me: I: u:m the long story short is, I didn‘t feel like-“ (T3: Z. 74f.). Doch auch diese Schilderung bricht er ab und scheint sich zunächst für seine weitere Darstellung sortieren zu müssen. Das Erstaunen darüber, dass seine damalige beste Freundin ihm gegenüber plötzlich Gefühle zeigte, scheint sich auch auf seinen gegenwärtigen Präsentationsstil zu übertragen: er stammelt, führt Gedanken nicht aus und scheint nach wie vor überrascht über die damalige Situation zu sein. Insbesondere letztere Fest-
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 421
stellung deutet darauf hin, dass er sich im Prozess des Erinnerns in die damalige Situation zurückversetzt. Er kann seinen Erzählfluss erst wieder aufnehmen, als er in der Chronologie seiner Lebensgeschichte drei Jahre später ansetzt. Als die benannte Freundin vom College zurückkehrte, gestand sie ihm ihre Liebe. Frankie versucht die Situation nachzuerzählen und geht insbesondere auf seine damaligen Gedankengänge ein: „she gets back apparently while in college she started to hang out with um meet some friends that were into heroin […] and- and um other opiates and ecstasy so you know I thought it was interesting cause all these cats were like pseudo-snobbish intellectual kids so it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high feels like fucking you know the (?) society feels like bohemian society she comes back we end up starting our torrid love affair“ (T3: Z. 80-87)
Er beschreibt die Situation so, als hätten ihn insbesondere die damaligen Kontakte der Freundin und die damit verbundene Möglichkeit interessiert, sich in Kreisen von Intellektuellen bewegen und Drogen konsumieren zu können. Er stellt die Beziehung zu seiner Partnerin als weitere Option dar, eine neue ‚Erfahrungswelt‘ zu erkunden. Er erweitert nicht nur seine sexuellen Erfahrungen, sondern entdeckt auch eine Intensivierung dieser durch den Zustand des ‚High‘-seins. Interessant ist, dass er im Folgenden eine Verbindung des Konsums von Heroin und seinem musikalischen Prozess schafft. Er beschreibt das Songwriting unter dem Einfluss der Droge und die sich daraus ergebene Veränderung seiner Wahrnehmung. Er war fasziniert darüber, dass er sich fortan auf Arbeiten konzentrieren konnte, die er vorher aufgrund seiner inneren Unruhe nicht zu Ende bringen konnte. Während er zuvor noch euphorisch über die Beziehung zu seiner Freundin berichtet, „this became a new door where wow she’s grown up she’s had some experiences I’ve had some experiences we can finally kind of come together we can relate more and on top of it she does drugs now rad ok so we went full on into it and that“ (T3: Z. 89-92), verlangsamt er seinen Erzählfluss und versetzt sich offenbar in den betäubenden Gefühlszustand des Heroinrausches: „the first time that I sat for four hours and compo:sed and recorded this who:le track with all these layers after getting high and I was just like (.) wo:w, whoa: I was like no: wa:y“ (T3: Z. 94-96). Er beschreibt verschiedene Komponenten, die mit der Erfahrung des Heroinrausches in dieser Zeit einhergingen: „now I’ve got this girl who you know, loves me and I’m in love with her we’re like happy together we’re doing all these drugs and we’re having all these great fucking philosophical conversations, a:nd it-, it really just was an extension from a lot of like the places“ (T3: Z. 98-100)
Er hebt hierbei ausschließlich die positiven Aspekte hervor, die seiner damaligen Auffassung nach mit seiner Beziehung zur Partnerin sowie zur Musik und zum Heroin einhergingen. Seine Darstellung erfährt innerhalb der weiteren Ausführungen (ab Segment 14) einen Bruch: er wirkt genervt, traurig und verlangsamt sein Erzähltempo. Er bringt das Scheitern seiner Beziehung mit den Negativ-Auswirkungen des Heroinkonsums in Verbindung. Er wirkt enttäuscht und verletzt, wenn er sich in die damalige Situation hineinfühlt:
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„she was pulling away and that devastated me it devastated- u:m it devastated me because we you know I thought this person was somebody I really you know it was the first time I really can feel like I was having these feelings about somebody“ (T3: Z. 111-113)
Die Vermutung, dass er die negativen Gefühle, die mit dem Scheitern der Beziehung einhergingen, folgend durch den Rausch der Droge zu betäuben versuchte, bestätigt sich im folgenden Segment: „at that time as our relationship as that part of our relationship was going down I was you know scoring a lot downtown“ (T3: Z. 113f.). Interessant ist, dass er nach der Trennung von der Freundin nicht nur seinen Drogenkonsum intensiviert, sondern auch beginnt, diesen zu verheimlichen. Dies verwundert, wenn die vorhergegangene Aussage „since I’d already been such a huge Jane’s Addiction fan I was just like o:k:- (.) I mean I didn’t have really any reservations about oh no no I’m not gonna do heroin“ (T3: Z. 101-103) beachtet wird. Da sein Vorbild Perry Farrell auch Heroinkonsument war, tabuisiert er seinen eigenen Konsum zunächst nicht. Mit eintretender Abhängigkeit von der Droge beginnt er jedoch, ein Geheimnis aus seinem Konsum zu machen. Er beschreibt im Folgenden sehr nüchtern das Eintreten von ersten Entzugserscheinungen und damit verbundenen Auswirkungen des Heroinkonsums auf seinen Organismus. Auch sein Konsumverhalten und die in immer kürzeren Abständen benötigte Zufuhr von Heroin schildert er ruhig und sachlich. Auffällig ist hierbei jedoch, dass er die Aussage „it was the fear that I wasnt going to be ok“ deutlich betont und damit hervorhebt. Er verdeutlich hierbei – bewusst oder unbewusst – auch rhetorisch die Angst vor Entzugserscheinungen, die er in der damaligen Zeit gehabt haben muss. Er geht an dieser Stelle erneut auf das abweisende Verhalten der Partnerin und die anschließende Trennung ein. Dass er die Trennung erneut thematisiert, deutet daraufhin, dass dieses Ereignis ein prägendes innerhalb seiner Lebensgeschichte darstellt. Im Folgenden zählt er weitere Belastungsfaktoren auf, die mit der Trennung (zeitlich) einhergingen. Sein Präsentationsstil bleibt weiterhin ruhig; er wirkt jedoch zunehmend verzweifelter. Im Zuge der Thematisierung der Mutter, die aufgrund ihrer Krebserkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wird, und dem Gewahr werden seines Drogenproblems scheint sich seine damalige Hilflosigkeit auch im gegenwärtigen Präsentationsstil widerzuspiegeln: Er beginnt einzelne Sätze, führt sie jedoch nicht aus: „I thought I: shit man I can’t- (.) there was only one friend I told about you know that I’m having this problem a:nd um (.) eventually (.) he (..) there was- cause I- I mean“ (T3: Z. 148-150). Ähnlich wie er in der damaligen Zeit keinen Ausweg aus seiner Situation fand, wird der Anschein erweckt, als fände er an dieser Stelle nicht in den Erzählfluss zurück. Die Aussage „I relapsed about two: times“ (T3: 150) wirkt im Folgenden geradezu als Befreiung aus seiner Konfliktsituation. Er springt nun in seiner Erzählung. Er geht zwar auf seine Rückfälle ein, die er offenbar erlitten hatte. Dass er zuvor clean war bzw. von der Droge entzogen hatte, erwähnt er zuvor jedoch nicht. Erneut thematisiert er die damalige Belastungssituation: „one time after that time when she broke up with me and my mom was sick I just felt like I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“ (T3: Z. 150152). Die Verzweiflung, die er in der Vergangenheit erlebt hat und in die er sich aus gegenwärtiger Perspektive zurückversetzt, könnte ein Auslöser für die Sprunghaftigkeit seiner Darstellung sein. Dass er zunächst einen kalten Entzug eingegangen war, ehe er rückfällig wurde, gibt er erst im Folgesegment zu verstehen. Im Zuge der
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Schilderung seiner Entzugserfahrungen muss er schmunzeln. Er scheint den Entzug als eine Art Experiment im Zusammenhang mit seinen körperlichen Reaktionen zu sehen. Er zieht erneut einen Vergleich zu der in Segment 3 beschriebenen Masturbationserfahrung. Während seine Darstellung zunächst wie eine amüsante Anekdote klingt, wenn er behauptet, „it was like masturbating like a madman“ (T3: Z. 153), wird sein Präsentationsstil im Folgenden zunehmend nachdenklicher: „I reme:mber feeling so: (.) so: just helpless about the- an overwhelming amount of guilt started to come over me I wanted to call people like I thought I offended like twelve years ago and you know I was like oh man I’m sorry if said those kind of things a:ll these things all these wei:rd, you know u:m voices“ (T3: Z. 156-159)
Interessant ist, dass er im weiteren Verlauf seiner Darstellung auf neurochemische Prozesse im Zusammenhang mit seiner Abhängigkeit eingeht. Er reflektiert seine eigenen körperlichen Prozesse anhand seines angelesenen Wissens bzw. versucht, mir dieses zu vermitteln. Frankie erweckt den Anschein, als sei er fasziniert von den biologischen Prozessen des Körpers, die er mit der Entstehung und dem Entgegenwirken von Schmerz in Verbindung bringt. Das erworbene Wissen veranschaulicht er am Beispiel seines eigenen Heroinkonsums und den sich aus dem Entzug ableitenden Entzugsschmerzen. Das damalige Realisieren eines Zusammenhangs zwischen seinen körperlichen Prozessen und dem Eingreifen der Droge in den Organismus scheint einen weiteren Wendepunkt in seiner Lebensgeschichte dargestellt zu haben. Fortan versucht er, Erklärungen für seinen körperlichen Zustand zu finden, und beginnt nach Ursprüngen seines Verhaltens in der Kindheit zu suchen: „I realized a lot I started looking at myself in that context of man what was it about my childhood“ (T3: Z. 174f.). Er sieht eine Verbindung zwischen seiner Heroinabhängigkeit und den Erlebnissen in der Kindheit und stellt diese in einen Zusammenhang mit seinen Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensweisen. Anekdotisch berichtet er in Segment 24 schließlich von einem Selbstversuch, einen alternativen Rauschzustand herzustellen und damit Entzugserscheinungen, die durch den Verzicht auf die Droge eintraten, entgegenzuwirken. Er scheint sich in die damalige Situation zurückzuversetzen und schildert das Erlebnis entsprechend bildhaft und emotional. Im Weiteren versucht er, mit einer chronologischen Darstellung der Lebensereignisse nach dem Entzug anzuknüpfen. Wenn er über seine aus dem Entzug hervorgehenden Depressionen spricht, wirkt er erschöpft und sein Erzählfluss verlangsamt sich. Auch hier wird der Anschein erweckt, als versetze er sich in die damalige Situation und den damit verbundenen Gefühlszustand zurück. Er beginnt zwar eine Therapie in dieser Zeit, wird aber schnell wieder rückfällig. Er präsentiert sich verärgert über sein Verhalten, versucht jedoch, durch die Schilderung der verschiedenen Belastungsfaktoren gleichzeitig eine Erklärung für seine Reaktion aufzuzeigen. Durch die Aneinanderreihung von Ereignissen (Rückfall, Tod der Mutter, Übernahme der Geschäfte etc.) verdeutlicht er verschiedene Konflikte, mit denen er sich in dieser Zeit beschäftigen musste. Betonungen innerhalb dieser Darstellungen wie „avoid all this responsibility“, „me and my brother are left, two: you know passionate you know artist musicians“, „totally antithetical“ und „we we’re jumping in her shoes“ lassen darauf schließen, dass er sich in dieser Situation überfordert fühlte. Er erweckt den Anschein, als wolle er durch seine Darstellung eine Erklärungsgrundlage für sein weiteres Verhalten liefern. Er
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hält zunächst inne, wirkt zögerlich und überlegt offenbar, wie er die damalige Gedankenwelt beschreiben soll. Geradezu geheimnisvoll präsentiert er den Lebensabschnitt, in dem er ein Gedicht schreibt, das er als „key to- um, to changing the wo:rld“ (T3: Z. 209) charakterisiert. Er präsentiert diese Phase seines Lebens wie ein Geschichtenerzähler: Er verlangsamt das Erzähltempo und erzeugt durch Momente des Abwartens und des Betonens von Begrifflichkeiten Spannung und Aufmerksamkeit. Einzelne Passagen präsentiert er flüsternd, ehe er seine Stimme wieder hebt, das Erzähltempo beschleunigt und einen weiteren Spannungsbogen schafft. Es scheint, als wolle er mich seine Geschichte miterleben lassen. Er hält einen Moment inne und geht auf die Situation ein, in der er das Gedicht seinen Freunden und seiner Familie vorstellte. Mit dem Zurückversetzen in die damalige Zeit verlangsamt er zunächst das Erzähltempo. Wenn er seine Aufregung, die er vor der Präsentation seines Gedichtes hatte, zu beschreiben versucht, erhöht er das Tempo wieder: „this this is important you know this was gonna help save mom’s life“ (T3: Z. 223f.). Er gibt einen Einblick in seine damalige Realitätsauffassung und verdeutlicht die Absurdität der Situation. Obwohl er Neugierde über den Ausgang dieses Erlebnisses weckt, bricht er die Erzählung ab und springt in der Chronologie seiner Lebensgeschichte. Er knüpft mit der Darstellung seines zweiten Rückfalles an, den er zeitlich in die Lebensphase einordnet, in der er auch das Gedicht schrieb. Die Wahl dieses thematischen Feldes deutet darauf hin, dass er das Ereignis der Lesung in einen größeren Gesamtkontext einzuordnen versucht. Anstatt an die Anekdote der Lesung im Weiteren anzuknüpfen, geht er nun auf seinen weiteren Heroinkonsum nach dem zweiten Rückfall ein. Er beginnt in dieser Zeit, die Droge zu spritzen, und beschreibt in diesem Zusammenhang die durch die neue Verabreichungsform resultierende Rauschwirkung. Da es ihm jedoch offenbar schwer fällt, seine Rauscherfahrung zu verbalisieren – er führt Sätze nicht zu Ende aus und sucht nach Begrifflichkeiten – versucht er erneut, einen Erklärungsansatz auf Grundlage neuro-chemischer Prozesse abzuleiten. Er geht auf einen Zusammenhang zwischen einer Diät, Konzentrationsschwäche und „feel good dopamine things“ (T3: Z. 242) ein. Er versucht seine veränderte Selbsterfahrung zu beschreiben, findet jedoch auch hierbei keinen geeigneten Weg der Darstellung. Als er merkt, dass er seine Gedanken nicht verbalisieren und auf den Punkt bringen kann, geht er auf die Veränderung seiner Selbstwahrnehmung durch den Einfluss der Droge ein. Er beschreibt seinen depressiven Gemütszustand nach seinem ersten Entzug und geht hierbei indirekt auf die Kontrolle ein, welche die Depression in Verbindung mit der Drogenabhängigkeit auf ihn ausübte. Seine Ausführungen wirken hierbei sprunghaft. Während er zunächst auf negative Auswirkungen des Konsums eingeht, beendet er auch diese Darstellung nicht und wechselt das thematische Feld erneut. Er geht auf die Identifikation mit Musiker*innen ein, die Drogen konsumierten, sowie auf einen Zustand der Bewusstseinsveränderung, der mit dem ‚besonderen‘ Ritual des Konsums von Drogen einherging. Es erweckt den Anschein, als wolle er auf den Ursprung seines Konsums hinweisen, welcher in Verbindung mit seinen musikalischen Vorbildern stand und aus der Erwartungshaltung hervorgerufen wurde, das Bewusstsein zu erweitern bzw. Emotionen zu stimulieren. Er schafft durch die Darstellung der positiven Erwartungshaltung und der tatsächlichen, anfänglichen Wirkung der Droge einen Kontrast zu den negativen Auswirkungen des Konsums, welche er im Folgenden thematisiert. Seine Angst vor der physischen und insbesondere psychischen Abhängigkeit und vor der Kontrolle, die das Rauschverlangen auf ihn ausübte,
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vermittelt er nicht nur verbal, sondern auch non-verbal: Er wirkt nervös und erhöht das Erzähltempo. Sein gegenwärtiges Erzählverhalten scheint sich seinem Verhalten in der Vergangenheit, über das er berichtet, anzupassen: „you don’t wanna you know you don’t wanna give out let on that you know you don’t have this under control or that you’re weak for not having it under control“ (T3: Z. 274f.). Er wirkt aufgebracht und seine Gedanken erscheinen durcheinander. Während er erzählt, dass er das damalige Drogenproblem zu verheimlichen versuchte, wird seine Stimme leiser. Es scheint, als sei ihm die Situation unangenehm und als wolle er von ihr ablenken. Er rechtfertigt seinen Konsum schließlich mit der Aussage: „know at that time everybody was depressed about one thing or another like we all had our- our issues so it didn’t seem so bad so that was my justification for- for getting into it“ (T3: Z. 280f.). Mit der Zufuhr der Droge versucht er, seinem Organismus etwas „outside myself“ (T3: Z. 283) zuzufügen, das ihn von seinem depressiven Zustand befreit. Er bringt diese Art von Befreiung auch mit dem Musikmachen in Verbindung. Während das Musikmachen in der Jugend zunächst mit Spaß verbunden war und er das Konsumieren von Drogen als ‚typisches‘ Teenagerverhalten auffasste, „when as a kid so everything you do is like oh let’s do it with getting high or doing or being drunk while we’re doing it like as though (.) the normal state of enjoying“ (T3: Z. 286-288), stellt er mit dem Konsum von Heroin fest, dass dieser Auswirkungen auf seinen kreativen Schaffensprozess hatte. Die Droge ließ ihn sich nicht nur auf das Musikmachen konzentrieren, sie befreite ihn auch von seinen Ängsten und Selbstzweifeln: „you’re not good enough […] so there was a lot of things I wasn’t accepting about myself“ (T3: Z. 289-292). Durch das auferlegte Selbstkonzept, „besser zu sein als“ bzw. „to be a functional fucking you know addict“ (T3: Z. 295) begab er sich in einen Suchtkreislauf, dem er sich mit eintretender Abhängigkeit nicht mehr entziehen konnte. Vielmehr kontrollierte ihn die Sucht und steuerte seine Handlungsabläufe und Gedankengänge. Er bemerkte, dass er nicht mehr selbst über sich bestimmen konnte: „it’s just started to erode at my ability to choose to do other things I like I used to like doing I really knew that I was in- in- in a trouble I couldn’t get out of“ (T3: Z. 296f.). Er realisierte zwar die Fremdsteuerung seiner Handlungen durch die Droge. Den Entschluss, sich dieser Kontrolle zu entziehen, fasste er jedoch erst nach mehreren „wake-up calls“. Den ersten dieser „calls“ präsentiert er im Folgenden anekdotisch, indem er über seine Beziehung zu einer Heroinabhängigen erzählt. Während er die Begegnung mit dem Mädchen aus damaliger Perspektive zunächst nüchtern präsentiert, wird mit Beginn des Folgesegmentes (40) deutlich, dass die Beziehung ein prägendes Ereignis in seiner Suchtkarriere darstellt. Immer wieder hebt er die Freundin in seiner Darstellung heraus und betont ihren Zustand: „and she: was way off“, „she was a lot more, she was like a pro“, „she was fucked up“ (T3: Z. 308f.). Er präsentiert ihren körperlichen und ‚seelischen Abstieg‘ als „wake-up call“, der seinen Ausstieg aus dem Suchtkreislauf einleitete. Als prägendes Ereignis nennt er hierbei insbesondere die Überdosierung seiner Freundin. Erst als er ihr eine Spritze ansetzen musste, um ihr Heroin gegen die Entzugsschmerzen zu verabreichen, habe er realisiert, wie „fucked up“ das Mädchen gewesen sei und welchen Weg er selbst bereits eingeschlagen hatte. Als zweiten „wake-up call“ stellt er die Lesung seines Gedichtes dar, auf die er im Folgenden erneut zu sprechen kommt. Er knüpft damit an seine Erzählung in Segment 28 an. Im Rahmen der „weird intervention“ (T3: Z. 328) wurde ihm seine
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verfälschte Realitätsvorstellung bewusst. Dieses Erlebnis und der daraus resultierende Entzug stellen für ihn einen weiteren Wendepunkt dar, von dem an er beschloss, ein abstinentes Leben führen zu wollen: „I ended up going back in- into therapy and um (.) I haven’t, gone hi:gh, s-since then“ (T3: Z. 330f.). Er geht zwar anschließend auf einen Rückfall ein, den er im Nachhinein erlitten hatte. Er scheint diesem Ereignis jedoch keine besondere Bedeutung beizumessen, da er den Aspekt des Rückfalls nur kurz erwähnt, sich aber nicht an Details erinnert. Vielmehr gibt er zu verstehen, dass er kein Verlangen nach einem erneuten Konsum von Heroin verspüre, da das „something’s gonna happen feeling going this adventurous feeling“ (T3: Z. 337) nicht mehr existiere. Er geht im Weiteren auf seine Konsumgewohnheiten unabhängig vom Heroinkonsum ein und schafft eine Überleitung zu seinen musikalischen Vorbildern, die auch den Weg in die Abstinenz eingeschlagen haben. Diese Feststellung scheint ihm Anlass dafür zu bieten, musikhistorisch in die 1960er Jahre zurückzublicken, denen er das Aufkommen des Konsums bewusstseinserweiternder Rauscherfahrungen im Zusammenhang mit spirituellen Erfahrungen zuschreibt. Er geht im Weiteren auf sein persönliches Verlangen nach Bewusstseinserweiterung ein, um eine Beziehung zu sich selbst herzustellen und damit der Frage nachzugehen, wer er selbst sei. Interessant an dieser Stelle ist, dass er seinen Werdegang als eine Art ‚Selbsterfahrungs-Trip‘ beschreibt. Er lernt verschiedene Zugänge zu sich selbst kennen – darunter auch den Konsum von Drogen. Er stellt die Abhängigkeit hierbei als einen Weg der Selbsterkundung dar, den er jedoch nun verlassen habe, um sich gegenwärtig auf die Beziehung zu sich selbst und zu seinem Umfeld konzentrieren zu können. Seine verbalisierten Gedankengänge erscheinen im Folgenden philosophisch und nur schwer zugänglich. „people can be addicted to driving all these different things whatever’s the thing that they can’t stop in order to feel good to do, of course it has a sense of self because if- if when we’re okay and that’s when we say oh I’m okay hey you are quantumly (...) assigning that which- that which you’re affirming you're okay about is the reality, you know oh I’m okay that I do this or I do this or versus just, I am okay oh I can’t do that cause I’m not da ta ta this it’s just these words you know and I think there’s like that voice is so prevalent in you know that talking voice in most people’s heads you see people rocking in on the street so it’s gotta mean that this is how they see themselves, you know they’re out there thinking that’s how the world is a:nd you know“ (T3: Z. 367-374)
Er konkretisiert seine Ausführungen zum Thema „Stimulation durch äußere Einflüsse“ am Beispiel des Heroinkonsums. Er beschreibt seine anfängliche Vorstellung von der Droge und deren Wirkung und stellt eine Verbindung zu seinen Vorbildern her, die auch Heroin konsumierten und mit denen er sich identifizieren wollte. Er muss kurz auflachen, wenn er zu verstehen gibt, dass Jane’s Addiction seine favorisierte Band war, deren Bandmitglieder heroinabhängig waren. Seine Darstellung lässt die Lesart zu, dass er seinen Konsum dadurch rechtfertigte, dass seine Vorbilder auch konsumierten. Aus gegenwärtiger Perspektive versucht er, diese Gedanken zu reflektieren, und fragt sich, warum er sich mit dieser ‚Welt‘ der heroinkonsumierenden Künstler*innen überhaupt identifizieren wollte. Er gibt hierzu keine Antwort. Stattdessen bezieht er seine Gedanken erneut auf seinen musikalischen Schaffensprozess. Er erzählt über die Stimmen, die ihm angeblich einredeten, wie er sich selbst sehen
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und verhalten sollte, und ihn folglich in eine bestimmte Richtung drängten. Auch hier erscheinen seine Ausführungen nur schwer nachvollziehbar, da er Gedankengänge zwar anreißt, sie aber nicht ausführt. Da seine eigenen Gedanken offenbar zu unsortiert sind, um sie konkret zu äußern, bezieht er sich auf ein anderes Beispiel: Charlie Parker. Er schildert Parkers damalige Lebensumstände und resümiert in diesem Zusammenhang: „we all want access to our real self“ (T3: Z. 396). Auch wenn er diese Aussage nicht explizit trifft, deutet seine Aussage vermutlich auf Parkers Heroinkonsum hin, welcher für Parker, Frankies Darstellung zufolge, die Funktion eines „escalator“ (T3: Z. 398) einnahm: Dadurch, dass durch die Wirkung des Heroins verschiedene Störfunktionen ausgeblendet wurden, verhalf Parker der Konsum der Droge zu einem schnelleren Aufstieg als Musiker. Er gibt jedoch gleichermaßen zu verstehen, dass dieser Zugang auch anderweitig erzielt werden könne – bspw. im Kontext von Spiritualität und Religion. Da ich seinen Ausführungen bzw. den Zusammenhängen seiner Darstellungen in Verbindung mit den von ihm gewählten thematischen Feldern nur schwer folgen kann, stelle ich eine Zwischenfrage. Hierbei unterbreche ich Frankie zwar in seinem Erzählfluss, bringe ihn jedoch auch dazu, seinen Gedankengang zu sortieren. Ich teste mit der Zwischenfrage „how did it change your musical process let’s talk about creativity, or composing music, or playing guitar, or um anything you wanna add is it another feeling or another process with and without heroin“ aus, ob der Interviewte bereits am Ende seiner Erzählung angelangt ist und ich in den Nachfrageteil des Interviews übergehen kann, oder ob der Interviewte erneut den Faden aufnimmt und seine Erzählung fortführt. Er geht daraufhin auf das von mir geebnete thematische Feld Kreativität ein. Interessant ist, dass er zwar zunächst zu definieren versucht, was Kreativität für ihn sei. Er bringt diesen Aspekt jedoch umgehend mit dem der Improvisation in Verbindung und knüpft damit an seine einleitenden Darstellungen zur Improvisation (siehe Segment 5) an. Auffällig ist, dass der Moment des Improvisierens – ebenso wie der des ‚Jammens‘ und Schreibens – Einfluss auf seinen Bewusstseinszustand hat und eine Art Zugang zu seinem Inneren schafft: „in improvised moment jamming same as it is in writing I need to be in a state of mind where I feel in a- in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition when I find myself not thinking as much not caring that not being overly concerned about one thing or another in the middle of jamming I can feel okay“ (T3: Z. 410-414)
Frankie erinnert sich in diesem Zusammenhang daran, dass er versuchte, diesen Zustand auch durch den Konsum von Heroin zu erzeugen: „that reminds me how I was trying to get that way um with heroin […] like in a place where I was not overly, critical of myself or not over thinking stuff over here“ (T3: Z. 414-417). Um die Veränderung seiner Vorstellung von sich selbst bzw. den Zugang zu sich selbst zu verdeutlichen, gibt er zunächst Einblick in seine gegenwärtige Selbstauffassung. Hierbei beschreibt er seinen Umgang mit Emotionen: „I started relating to becoming better friends with my emotions in a way like- instead of wanting them to be something else I’d listen to them and allowed them to be what they are and then create from that“ (T3: Z. 418f.)
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In Bezug auf seine Auffassung von Kreativität führt er ergänzend aus: „I can think about things I can feel ‘em I can access my feeling and therefore I can- I can be more in touch with my creativity“ (T3: Z. 424f.). Den Konsum von Heroin beschreibt er im Folgenden als „another thing between me a:nd, the truth that’s already out there“ (T3: Z. 427f.). Er gibt hiermit indirekt zu verstehen, dass die Wirkung der Droge seinen ‚natürlichen‘ Zugang zu sich selbst und seinen Emotionen versperrte bzw. seinen natürlichen Bewusstseinszustand außer Balance brachte. Im Folgenden geht er auf seine Selbstwahrnehmung und den Umgang mit äußeren Einflüssen und Emotionen genauer ein. Das Selbst bzw. die Auffassung von sich selbst und damit einhergehende Veränderungen innerhalb des Prozesses seiner Lebensgeschichte werden zum zentralen thematischen Feld seiner Ausführungen. Immer wieder stellt er Bezug zum Einfluss des Heroins auf seine Vorstellungen her. Seine Ausführungen münden schließlich in seiner gegenwärtigen Selbstauffassung: „now I-, my sense of myself and my sense of- of- of spiritual duty in my impro- improvisational craft feels a lot more open and less more accessible, than it used to be, you know which is why I like to do yoga now and do a lot more meditation now and […] do things ritually but in a mantra, as opposed to ritually addiction“ (T3: Z. 443-448)
Ebenso geht er rückblickend auf die Bedeutung des Heroinkonsums ein und kommt zu dem Schluss, dass dieser insbesondere ein spirituelles Ritual für ihn darstellte: „I was really just after […] a spiritual ritual I wanted to get to a spiritual ritual“ (T3: Z. 451). Er nutzt diese Feststellung, um erneut die Bedeutung von Abhängigkeit zu erörtern. Er beschreibt eine Art Sehnsucht nach einem ‚friedvollen‘ Bewusstseinszustand, den er durch den Konsum von Heroin alternativ erzeugen wollte. Er beendet seine Darstellung – und damit die Haupterzählung – mit der Beschreibung des Status Quo seines Umgangs mit sich selbst und seiner damit einhergehenden Gefühlslage. Er bildet hiermit einen Rahmen zu seiner Eingangserzählung, in der seine Ausführungen bereits darauf abzielten, einen Einblick in seine Selbstauffassung zu gewähren, um den entsprechenden Umgang mit sich selbst im Kontext seiner Suchtgeschichte zu verdeutlichen.
11.4
SCHRITT 3: REKONSTRUKTION DER FALLGESCHICHTE
Im Folgenden wird eine Verbindung zwischen Pepes biographischen Daten, den thematischen Feldern sowie dem sich daraus ableitenden Präsentationsinteresse hergestellt. Hierbei werden die einzelnen Segmente, in denen Pepe über die Themenbereiche „Feel-Good Feelings“, Musikalischer Entwicklungsverlauf, Suchtverlauf und „Sense of Self“ spricht und die als zentrale thematische Felder seiner Erzählung festzustellen sind, einer genaueren Analyse in Bezug auf Pepes erlebte Lebensgeschichte unterzogen.
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11.4.1 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: „Feel-Good Feelings“ Auffällig ist, dass Frankie immer wieder im Verlauf des Interviews von einem „feelgood feeling“ bzw. von „sense of happiness“ und „stimulation“ spricht. Die Verwendung dieser Begriffe wird im Kontext der erlebten Lebensgeschichte einer genaueren Betrachtung unterzogen, um Auskunft über Frankies Erleben und Verhalten in der Vergangenheit zu erhalten. Bereits im Zuge seines Erzähleinstieges kommt er, wenn er auf die Ursprünge seiner Drogenabhängigkeit in der Kindheit verweist, auf „the: ne- necessity of um finding a: a sense of occupation and pleasure and happiness“ (T3: Z. 5) zu sprechen. Er nennt in diesem Zusammenhang Bedürfnisse und Zustände, nach denen er sich offenbar schon in Kindheitstagen sehnte: eine (berufliche) Bestimmung, Freude und Zufriedenheit. Er beschreibt sich als ein neugieriges und an seiner Umwelt interessiertes Kind, dem durch die Familie jedoch nur wenig Geborgenheit geschenkt wurde („I […] was always very curious and interested in the environment around me u:m (.) coupled with the fact that you know not a lot of secure family life was also happening“, T3: Z. 2-4). Seine Aussage „[I was] wo:ndering and tinkering with my world I used to take a lot of things apart and see how they worked“ (T3: Z. 5f.) lässt darauf schließen, dass er Dinge nicht als gegeben ansah, sondern deren Hintergründe erfragte. Aus der von ihm beschriebenen Persönlichkeit leitet sich ein Verlangen nach „stimulation“ (T3: Z. 7) ab. Dieses Verlangen resultiert aus einer Erkenntnis, die er bereits in Kindheitstagen erhält: „it was very early on that I- I realized that I could derive a sense of happiness or stimulation“ (T3: Z. 7f.). Interessant ist insbesondere die Ergänzung dieser Aussage: „[...] from things when I was left myself“ (T3: Z. 8). Es lässt sich hieraus nicht nur ableiten, dass er als Kind oft alleine gelassen wurde und auf sich allein gestellt war. Ebenso könnte er darauf hinweisen, dass er im Kontext des Allein-seins nach Möglichkeiten der Stimulation seiner Gefühle suchte. Er kreierte sich seine ‚eigene Welt‘, „it was easy to be in my own world“ (T3: Z. 10f.), in der er ein Gefühl von Geborgenheit erfuhr, welches er in der Familie offenbar nicht erhielt: „it, provided me a sense of um comfort for you know maybe family life that wasn’t there or satisfying“ (T3: Z. 11f.). Die Sehnsucht nach dem von ihm als „feel good feeling“ bezeichneten Gefühlszustand, in dem seine Bedürfnisse befriedigt wurden, bestimmt fortan seinen Lebensweg. Die Orte und Möglichkeiten der Anregung dieses Zustandes verändern sich jedoch im Laufe seiner Biographie. Insbesondere die Entwicklungsphase der Adoleszenz scheint einen prägenden Einfluss auf seinen weiteren Lebensentwurf – insbesondere im Hinblick auf das Erlangen eines Wohlfühl-Zustandes – gehabt zu haben: „the places, th- the ways I would, you know try to give myself a- a- a feel good feeling um started to change when you know of course, you know adolescence started to come in and you got all these different things going on“ (T3: Z. 13-16). Im Kontext der Ergründung der eigenen Sexualität entdeckt er durch das Masturbieren einen Zugang zu einer ‚natürlichen‘ Art von „feel good feelings“: „as most kids these days discover um masturbation (.) tha:t sense of being able to give yourself a- a feel good feeling and gratification and something that brings like that brings a source of ooh this feels good ‘cause maybe you know“ (T3: Z. 16-19). Der Umgang mit Sexualität verwirrt ihn jedoch zunächst: „so with tho:se
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coming in it became a very ((laughing)) tricky and confusing world trying to understand you know boy and girl boy meets girl […] and what this all means“ (T3: Z. 1923). Sexualität war für ihn in diesem Alter offenbar mit dem Gefühl von Scham verbunden. Obwohl er daran interessiert war, Geschehnisse in seinem Leben zu hinterfragen, fand er zunächst noch keinen Erklärungsansatz für die Erzeugung des Wohlgefühls durch sexuelle (Selbst-)Befriedigung. Seine Darstellung erweckt den Eindruck, als sei er vielmehr orientierungslos gewesen und zunächst irritiert darüber, dass sexuelle Aktivitäten sein Wohlbefinden positiv stimulieren konnten. Interessant ist hierbei die folgende Sequenz, woraus sich die Vermutung ableiten lässt, dass er zuvor bereits Erfahrungen mit negativen sexuellen Handlungen gemacht haben könnte: „I think I was um introduced to um to sexuality in- in what I would say a less than ideal kind of way um there was two to three: molestation accounts when I was a kid, so I was stuck in a weird confusion between this feels good and this feel weird, this feels- I don't know this person really but I know this […] cause I know how to do this so that was u:m you know an interesting way“ (T3: Z. 23-29)
Fortan begann er, „sich selbst“ zu entdecken und damit verbundene Möglichkeiten der körperlichen und geistigen Stimulation auszutesten. Auch in seiner späteren Erzählung verweist er in Segment 97 auf die Erzeugung von „feel good feelings“, die er während des Orgasmus’ erlebt (vgl. T3: Z. 719). Im Zuge der Ergründung seiner Vorlieben und Fähigkeiten erfährt er ein „incredibly empowering [...] feeling“ (T3: Z. 34) vor allem während des Musikmachens: „music seemed to be the um the defining um moment because I learned that I knew how to improvise“ (T3: Z. 32f.). Er hebt hierbei insbesondere das Improvisieren als eine Tätigkeit heraus, die er im späteren als „natural metaphor for, a philosophy for living, every moment, you: you have the potential for godhead in the sense of making a choice“ (T3: Z. 406f.) bezeichnet. Eine ähnliche Erfahrung präsentiert er im Fortlauf seiner Geschichte im Kontext des Konsums von Drogen, welche ihm den Zugang zu einem „subconscious surreal part“ (T3: Z. 43) seiner Wahrnehmung verschafften. Vor allem das Zusammenspiel beider Erfahrungen, Improvisieren und Drogen konsumieren, schien eine Art von Stimulation hervorzurufen. Er konnte hierdurch ein „feel good feeling“ erzeugen, durch das gleichzeitig negative Gefühle, z.B. durch die Trennung der Eltern ausgelöst, ausgeblendet wurden. Er kommt schließlich zu dem Entschluss: „I wanna be in this feeling more“ (T3: Z. 51). Einen weiteren Weg, dieses Gefühl zu erzeugen, lernt er durch seine Beziehungen mit Frauen kennen: „I learned in relationships that there was these ways to get u:m a lot of sort of feel good feelings not just from the se:x but the stimulation“ (T3: Z. 63f.). Interessant ist in diesem Zusammenhang die anschließende Bemerkung „I was very much a craver of certain stimulations cause my capacity for understanding things and looking at the relationship things needed places to outlet“ (T3: Z. 64-66). Er nutzt die verschiedenen Stimulierungen gleichermaßen als eine Art Ventil für innere Verarbeitungsprozesse. Ein besonders intensives Erlebnis stellte für ihn offenbar die Wechselwirkung verschiedener Stimuli dar: Sex, Musikmachen, ‚high‘ sein.
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„so there was multiple correlations of what was making me feel like this is a good thing to be doing right now I’ve got this girl who you know, loves me and I’m in love with her we’re like happy together we’re doing all these drugs and we’re having all these great fucking philosophical conversations“ (T3: Z. 97-100)
Obwohl er zunächst nicht wusste, ob sich aus der anfänglichen Freundschaft Liebe entwickeln könne, verliebt er sich in die Freundin: „I thought this person was somebody I really you know it was the first time I really can feel like I was having these feelings about somebody“ (T3: Z. 112f.). Es war nicht nur eine sexuelle Stimulation, die er durch die Partnerin erfuhr. Auch die philosophischen Gespräche, die er mit ihren Freunden führte, schienen ihn spirituell zu stimulieren. Mit der Partnerin zusammen erfuhr er auch zum ersten Mal die bewusstseinsverändernde Wirkung von Heroin, welche er wiederum für seinen kreativ-musikalischen Prozess nutzte. Das Zusammenspiel dieser Stimuli versetzte ihn offenbar in ein „feel good feeling“, das er nach der Trennung von der Partnerin jedoch nicht aufrechterhalten konnte. Die Trennung, die Krankheit der Mutter, die Übernahme ihrer Geschäfte, der zunehmende Suchtdruck – eine Anhäufung negativer Ereignisse lösten in ihm ein Gefühl der Überforderung aus, welches er nicht kompensieren konnte. „I just felt like I couldn't I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“ (T3: Z. 151f.). Während der Konsum von Heroin ihn zuvor in ein „feel good feeling“ versetzte und ihn seine Ängste und Sorgen vergessen ließ, musste er mit zunehmender Abhängigkeit seinen eintretenden Entzugserscheinungen entgegenwirken. Den Entzug von der Droge beschreibt er als „masturbating like a madman“ (T3: Z. 153). Ohne den Rausch der Droge erhielt er nicht mehr die Stimulation, die ihn in das gewünschte „feel good feeling“ versetzte. Durch die psychische Abhängigkeit von der Droge war er in dem Glauben, dass er diesen Gefühlszustand nur durch eine weitere Zufuhr der Droge herstellen könnte. Den Zustand, nachdem ihm die EndorphinAusschüttung im Gehirn fehlte, die ihm das Wohlfühlgefühl vermittelte, beschreibt er als: „I couldn’t be in my skin I was like you know after the fourth time masturbating it’s like I couldn’t get this feel good feeling“ (T3: Z. 160f.). Er verfiel in einen Zustand der Hilflosigkeit und entwickelte Schuldgefühle. Nachdem er einen Artikel las, der ihm Aufschluss über die Verbindung von Dopamin und Drogenabhängigkeit lieferte, glaubte er, eine Erklärung für seinen seelischen Zustand gefunden zu haben. Er versuchte, sich das von ihm beschriebene „feel good feeling“ neurochemisch zu erklären und suchte fortan nach alternativen Wegen, sein Dopamin-Defizit zu kompensieren. „I was like ok the neurochemical in our body normally produces dopamine and so it’s constantly wanting something to dock in that receptor, and when its source is gone it’s gotta find new ways to- to- to find it especially if it’s been kind of some of them are have been burned out and I was like fuck man so I thought you know when they linked dopamine to you know any degree of a lack of comfort any degree where a comfort is going away it can um it can produce pain so: and if dopamine gives you a sense of feel good- everything from-, cause I read the other articles said you know you can even get dopamine from like you know after a good baseball game dad pats you on the back“ (T3: Z. 165-172)
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Auf Grundlage seines Wissens über die Funktion und Wirkungsweise von Dopamin erklärt er sich auch sein Verhalten in der Kindheit: „I realized a lot I started looking at myself in that context of man what was it about my childhood that didn’t produce enough of that to where I felt this need to find seek it out in all these different places with my type of personality taking things apart being (?) about this stuff being you know I still like dress up as a ninja and go on people’s roofs and see if I can spy on them when I was a kid all by myself“ (T3: Z. 174-178)
Aus dieser Beschreibung ist abzuleiten, dass er bereits in Kindheitstagen bestrebt war, sein Wohlbefinden zu steigern, indem er sich unbewusst in Glücksmomente versetzte, die seine Endorphin-Ausschüttung erhöhten und ihn in ein „feel good feeling“ versetzten. Auch in der Phase seines ersten Entzuges versuchte er durch Experimente, wie in Segment 24 beschrieben, sein Wohlbefinden zu steigern und seiner depressiven Verstimmung durch das Fehlen von Dopamin in seinem Gehirn entgegenzuwirken. Seine alternativ erzeugten Rauschzustände wirkten jedoch nur temporär und konnten seine depressive Verstimmung nicht kompensieren. Obwohl er schließlich eine Therapie einging, konnte er einen Rückfall nicht verhindern. Mit dem Tod der Mutter und der Verantwortung für ihre Geschäfte wurde der Belastungsdruck offenbar so groß, dass er sich die Stimulation positiver Gefühle erneut über den Konsum von Heroin verschaffte: „I left my brother in a lurch because I- I just I bailed on helping him get all this stuff together cause I couldn’t wrap my head around it so I started using again“ (T3: Z. 204-206). Er begann durch die intravenöse Injektion der Droge die Rauschwirkung zu intensivieren. Er erlebte nicht nur die Steigerung seines Wohlbefindens und ein daraus resultierendes „feel good feeling“, sondern auch eine Verbesserung seines Konzentrationsvermögens während des musikalischen Prozesses: „I started to finish something I felt an overwhelming you know degree of, of not only dopamine but a sense that wow I just accomplished this you know and, all this stuff and it was like, i-i-it just like that- that classic you know typical you know cliché thing those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do and so it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration that I normally […] I didn’t have“ (T3: Z. 236241)
Mit der Aussage „those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do“ (T3: Z. 239) deutet er darauf hin, dass er an Selbstzweifeln litt und sich einredete, nicht „gut genug“ zu sein (siehe hierzu auch die Segmente 37 und 60). Er scheint durch den Rausch der Droge diese Hemmungen verloren zu haben und negative Selbstzuschreibungen ausgeblendet zu haben. Dass er unter dem Einfluss der Droge wesentlich produktiver war, revidiert er in seinen weiteren Ausführungen jedoch und schreibt der Droge eine sedierende Wirkung zu, die seine Handlungen verlangsamte: „started this later informed me of lie […] I was firing at a lower slower level“ (T3: Z. 239-245). Eine ergänzende Aussage trifft er im späteren Verlauf des Interviews in Segment 74. Er schreibt dem Rausch von Heroin hier nicht nur die Steigerung seines Wohlbefindens zu, sondern auch eine kreativitätsfördernde Wirkung: „the motivations I imagine most people take to it as is-is- is to heighten their
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creativity while at the same time benefiting off of the you know the feel good and the not worrying about things“ (T3: Z. 597-599). Interessant ist, dass im weiteren Verlauf seiner Erzählung auch die Begriffe „something’s gonna happen feeling“ und „adventurous feeling“ (T3: Z. 337) aufkommen, welche er mit dem Beschaffen der Drogen und der Vorfreude auf deren Konsum verbindet. Das „abenteuerliche“ Gefühl schien jedoch weniger mit der betäubenden Wirkung der Droge in Einklang gestanden zu haben. Hierbei stellt sich die Frage, ob ihm die Handlung des Konsums als etwas „Verbotenes“ bzw. „Gefährliches“ erschien und eine Art Abenteuerlust auslöste; oder ob es lediglich das „feel good feeling“ war, nach dem sein Verlangen so stark war, dass es ihn in einen aufgeregten Gefühlszustand versetzte. Im weiteren Verlauf des Interviews kommt Frankie erst wieder in Segment 74 auf den von ihm beschriebenen Wohlfühl-Zustand zu sprechen. Er stellt die Vermutung auf, dass Musiker*innen sensitiver und deshalb anfälliger für Depressionen seien. Schlussfolgernd geht er davon aus, dass der Konsum von Heroin nicht nur das Wohlbefinden von Musiker*innen steigere. Dadurch, dass durch die Rauscherfahrung negative Gedanken ausgeblendet würden, bedinge der Konsum von Heroin ebenso den kreativen Schaffensprozess von Musikschaffenden. Im Weiteren beschreibt er die negativen Auswirkungen des Konsums: „there’s like, there’s a downside to doing that cause I think if you do it a lo:t and you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to like oh I don’t wanna pick up the guitar I don’t wanna go to rehearsals“
Durch die betäubende Wirkung der Droge entwickelt er ein Gefühl der Gleichgültigkeit, das zwar ein Wohlgefühl in ihm auslöst, ihn jedoch auch von seinen Aufgaben und Interessen abhält. Auf den – scheinbar – positiven Effekt der Rauscherfahrung geht er auch in den Segmenten 77 und 78 ein: „I could go through in writing it just help me feel better so I could write more consistently through the night, it’s not what makes me-, it’s no longer feeling like it’s a source of- of things cause I can draw up on so much so many other things now to write“ (T3: Z. 627-629)
Als eine Hauptmotivation, den Konsum eingegangen zu sein, nennt er erneut die Erzeugung des „feel good feelings“: „I think the motivation is to feel good and to um (.) it’s like the way meditation you know clearing all the things to get to cause that’s the one thing I can remember with all these drugs was like man it’s like a superdrug that allows you to say what’s on your mind and manifest it instantly“ (T3: Z. 631-633)
Er definiert das „feel good feeling“ insbesondere als einen Zustand, in dem es ihm gut gehe, er alles unter Kontrolle habe und von negativen Gedanken abgehalten werde bzw. Dinge nicht „überdenke“.
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„heightened feelings you know it’s just it just don’t delude yourself in thinking that it’s going to (.) you can just have it under control cause there’s you know way too many variables of what can just be a bad accident or a wrong you know combination of such“ (T3: Z. 724-727)
11.4.2 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Musikalischer Entwicklungsverlauf Es ist auffällig, dass Frankie innerhalb der Haupterzählung nur wenige Angaben zu seinem musikalischen Werdegang macht. Erst im anschließenden Nachfrageteil – und damit durch meine Aufforderung – gibt er hierzu detaillierte Informationen preis. Im Folgenden wird der Fokus daher insbesondere auf Frankies Ausführungen im Nachfrageteil im Hinblick auf dessen Darstellungen seines musikalischen Werdeganges gerichtet. Ebenso werden Sequenzen der Haupterzählung einer Betrachtung unterzogen, in denen Frankie Aufschluss über sein Erleben als Musiker in Verbindung mit seinem musikalischen Entwicklungsverlauf gibt. Bereits in Kindheitstagen kam Frankie durch seinen sieben Jahre älteren Bruder in Kontakt mit Punk- und Thrash-Bands. Sein Bruder besaß diverse Instrumente, für die sich auch Frankie zu interessieren begann. Bevor er sich selbst das Gitarrespielen beibrachte, übte er dieses bereits als kleiner Junge mit einem Besenstiel vor dem Spiegel. Da er nicht wusste, wie er eine Gitarre zu halten hatte, spielte er sie zunächst linkshändig. Seine Darstellung lässt vermuten, dass er sich in dieser Zeit noch keine Gedanken darüber machte, ob sein Spielen ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ war. „I ended up learning it on this way I was just so enthralled with you know, like heavy metal music and performing and things like tha:t um that you know part of me was like you know excited about wanting to do that so I ended up taking guitar and going through what it took to you know develop calluses but I most excited about being driven to wanting to learn that piece of music“ (T3: Z. 488-491)
Ein besonderes Interesse entwickelte er nicht nur für das Erlernen von Songs, sondern auch für „ungewöhnliche“ Klänge und deren Erzeugung: „I’m like what are those notes that are making that weird sound I wanted to learn how those notes are being made and played so I would learn all these songs“ (T3: Z. 492f.). Um sich mit verschiedenen Kompositionen auseinandersetzen zu können, erlernte er des Weiteren das Bass- und Klavierspielen. Wie zuvor das Gitarrespielen brachte er sich auch diese Instrumente autodidaktisch bei. Er gibt ebenso zu verstehen, dass er zu ungeduldig gewesen sei, sich in Ruhe mit dem Erlernen der Instrumente auseinanderzusetzen: „my brother had a bass too so I’d play the bass and then since my brother also played piano and drums you know we always had a piano at the house but I was like I didn’t- by the time I learned the guitar I was kind of I didn’t have enough patience for the piano to orient myself so I would just improvise with how I would do things through memory“ (T3: Z. 494-498)
Auffällig an seiner Präsentation ist, dass er immer wieder auf seinen Bruder zu sprechen kommt. Dieser schien offenbar in musikalischer Hinsicht seine engste Bezugsperson darzustellen, mit der er seine Erfahrungen und Erlebnisse teilen wollte: „I
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wanted to share with my- my older brother cause he’s a musician too and he’s who got me into music in a lot of ways he influenced me a lo:t“ (T3: Z. 34-36). Frankie erhielt nicht nur durch seinen Bruder Zugang zu verschiedenen Instrumenten, adaptierte dessen Vorliebe für Metal, spielte mit ihm zusammen in verschiedenen Bands und sah ihn als Bezugsperson in musikalischen Angelegenheiten an. Auch durch den Tod der Mutter und die gemeinsame Übernahme ihrer Geschäfte wurde offenbar eine enge Verbindung zwischen den Brüdern hergestellt. Als Frankie das Improvisieren für sich entdeckte, war es schließlich auch der Bruder, dem er von seinen Erlebnissen zuerst berichtete. Mit Beginn der High School widmete er sich insbesondere dem Schlagzeugspielen. Mit einem 4-Track-Aufnahmegerät, das er geschenkt bekam, konnte er schließlich alle Instrumente selbst einspielen und dazu eine Drum-Machine programmieren. Er ging in dieser Zeit eine enge Freundschaft mit seinem Schulkollegen G. ein, mit dem er gemeinsam die ‚musikalische Pubertät‘ durchlief: „he’s my right hand man he’s who I went through musical puberty with I would take a bullet for this guy he is the other side of my coin, he’s somebody I’ll always know and always love and he’s the person that we went and grew up together in our school of music“ (T3: Z. 504506)
Obwohl die beiden bereits zu College-Zeiten flüchtig bekannt waren, weil sie sich beide für Comics interessierten, entdeckten sie ihre gemeinsame Vorliebe für Musik erst, nachdem sie durch einen Freund einander vorgestellt wurden. „I met one of his best friends this drummer, we were in the jazz band at school and he's like you gotta come and play with, you know, my best friend […] oh yea yea no problem so I ended up hanging out with Trevor after you know, doing the jazz band at the high school and then I met G. at a Mr. Bungle concert actually we went and they are all going to Mr. Bungle and we went there and then he’s like you gotta jam with- with- with G. and I cause you know our guitar player Yode has moved to- to Hawaii so I started with their band I started filling in guitar u:m in the Vegetable Shitheads“ (T3: Z. 512-520)
Er beschreibt das Musikmachen in dieser Zeit als „something that really I feel really connected to“ (T3: Z. 36f.). Im Kontext der Haupterzählung stellt er das Musikmachen im Zusammenhang mit Improvisation als prägendes Ereignis dar: „music seemed to be the um the defining um moment because I learned that I knew how to improvise, and I- I was really good at being able to listen to music and pick it up and teach myself how to play it, so with that came an incredibly empowering u:m you know feeling“ (T3: Z. 32-34)
Das von ihm in diesem Zusammenhang als „empowering“ beschriebene Gefühl, scheint für ihn insbesondere mit dem Ausüben von Kontrolle verbunden gewesen zu sein sowie mit der Erfahrung, ‚loslassen‘ und ‚vergessen‘ zu können bzw. sich nicht von äußeren oder inneren Stimmen beeinflussen zu lassen.
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„in- in improvised moment jamming same as it is in writing I need to be in a state of mind where I feel in a- in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition when I find myself not thinking as much not caring that not being overly concerned about one thing or another in the middle of jamming I can feel okay, that reminds me how I was trying to get that way um with heroin you know […] like in a place where I was not overly, critical of myself or not over thinking stuff over here“ (T3. Z. 410-417)
Während des Improvisierens und ‚Jammens‘ befand er sich in einem Zustand innerer Ausgeglichenheit. Er nahm nicht nur eine Art Abwehrhaltung („kung-fu language“) ein, aus der heraus er negative Stimmen abschirmte, die ihm einredeten, „nicht gut genug“ zu sein (vgl. hierzu auch Segment 37). Ebenso schien er im Prozess des Improvisierens eine Art Machtrolle ausüben zu können: Er entschied über den Fortgang der Komposition. In Segment 52 heißt es hierzu: „a lot of my creativity um, was born from and derived is- is very linked to my ability to improvise […] like (.) I see: improvising as a natural metaphor for, a philosophy for living, every moment, you: you have the potential for godhead in the sense of making a choice every choice everybody makes choices each day so that’s creativity in- in effect so when it comes to when I'm playing in an improvised um jam context you know I’m it’s like spontaneous composition, and um there is sort of like this sort of almost kung-fu language that, you know I’ve learned with my closest, you know musical allies“ (T3. Z. 402-417)
Interessant ist, dass er in diesem Kontext des Improvisierens und ‚Jammens‘ seine ersten Erfahrungen mit Drogen machte: „it was also the same times I was getting into you know pot and marijuana all this stuff so- they became so hand in hand“ (T3: Z. 40f.). Er erinnert sich im Nachfrageteil wie folgt an diese Zeit: „at that time we were also jamming a lot in- in G.’s parents’ garage and that was when I remember just smoking all this pot and we’d just be jamming out these Pink Floyd songs, and I didn’t know any of these songs I didn’t hear any Pink Floyd but I took to the way what they were jamming really nicely like it got bigger (?) I was like wow this sounds fun“ (T3: Z. 520524)
Während des Erinnerns an diese Zeit, in der auch die ersten Songaufnahmen entstanden, wirkt Frankie begeistert und aufgeregt. „I remember I recorded the first thing first time like I recorded I ran back to home I was like Ritchie you gotta hear this my older brother you gotta listen we just like we just did this right now like I was like whoa I can’t believe that this could happen you know it’s like we didn’t even know any of the songs we didn’t- I didn’t know any songs we just made these songs up, and I just like it was just seemed amazing it just became right“ (T3: Z. 524-528)
Das Aufnehmen von Songs bzw. das Musikmachen im Generellen beschreibt er als eine Art spirituelle Erfahrung. Der kreative Schaffensprozess war hierbei offenbar insbesondere durch Spontanität und Intuition geprägt.
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„our music came from spontaneous writing […] um it was just something that I don’t know I just felt, the closest to spirituality I knew, in terms of harnessing the moment and being a conduit for whatever’s happening because the energy of the people around would- would- would, would help create all that I found people to be- audience to be part of the band like part of what- what was making this stuff happen“ (T3:537-543)
Die von ihm beschriebene Erfahrung war vermutlich auch durch die Wahrnehmung beeinflusst, die durch den Konsum von (psychedelischen) Drogen hervorgerufen wurde. Innerhalb der Haupterzählung erwähnt er hierzu: „my understanding of how music gets ma:de um the way things are you know psy:chedelic or that they tap into this other subconscious surreal part of- of- of perception was hand in hand so I I- can’t remember you know the times in playing music where I wasn't getting high and smoking pot while we were playing music and jamming“ (T3: Z. 40-45)
Das Musikmachen stand fortan in Verbindung mit dem Konsum von Drogen und dem Gefühl, ‚high‘ zu sein. Sein größtes Vorbild in dieser Zeit war Perry Farrell – Sänger seiner Lieblingsband Jane’s Addiction: „I’d already been such a huge Jane’s Addiction fan“ (T3: 101f.). Er versuchte, seinem Vorbild nicht nur in musikalischer Hinsicht nachzueifern, sondern auch in Bezug auf dessen Lebensstil und dem damit verbundenen Konsum von Heroin: „I wanted to identify myself with that world“ (T3: Z. 382). Neben musikalischen Vorbildern nennt er auch Schriftsteller der ‚Beat Generation‘ wie Jack Kerouac, die ihn beeinflussten. Er gibt hierbei jedoch zu verstehen, dass die Auffassung, die er damals von diesen Künstler*innen hatte, auf einem Missverständnis beruhte: „that mistake has been around you know in a lot of music and- and art culture […] I mean (.) ((lights a cigarette)) I definitely was turned on by- by the fact that like not only a lot of my heroes were- were heroin users but I thought by going through it there would be some, some greater epiphany“ (T3: Z. 622-627).
Er behauptet in diesem Zusammenhang, dass er durch den Konsum von Heroin das Gefühl hatte, sich besser zu fühlen und dadurch vor allem in der Nacht produktiver war (vgl. T3: Z. 627f.). Anhand seiner späteren Ausführungen wird deutlich, dass er davon ausging, dass die Droge ihm sowohl einen Zugang zu Kreativität als auch zur Spiritualität verschaffte, den er ohne die Droge nicht erhielt: „heroin was appealing to me (.) in order to reach something I thought I couldn’t reach before (.) without it it (.) became a, it became a motivating thing“ (T3: Z. 654-656). Als er durch seine erste ‚große Liebe‘ an den Konsum von Heroin herangeführt wurde und sie gemeinsam ‚high‘ wurden, stellte er Auswirkungen des Drogenrausches auf seinen musikalischen Schaffensprozess fest: Obwohl er unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung litt und sich als hyperaktiv bezeichnete, schaffte er es durch den Einfluss der Droge, sich auf den kreativen Prozess zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen. „I just remember the first thing I wrote on music, the first time we got high together I remember- (.) see I consider myself somebody who like for all intents an purposes like kind of ADD I
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start one project I’m like ah I’m going into some other stuff and I have a whole bunch of unfinished projects and it was like the first time that I sat for four hours and compo:sed and recorded this who:le track with all these layers after getting high and I was just like (.) wo:w, whoa: I was like no: wa:y I mean usually I’m distracted by something else or can’t finish this or don’t have time, and all this stuff“ (T3: Z. 91-97)
Mit zunehmender Abhängigkeit vom Heroin merkte er jedoch, dass der Konsum und die damit verbundene Beschaffung der Droge einen höheren Stellenwert einnahm als das Musikmachen: „it took me to a place where I thought I needed it more than the music“ (T3: Z. 656f.). Seine Handlungen wurden durch das physische und psychische Verlangen nach der Droge gesteuert. Er gab vor, krank zu sein und nahm nicht mehr an Proben teil (vgl. Segment 32). Über die negativen Auswirkungen des Heroinkonsums auf seinen musikalischen Schaffensprozess gibt er Folgendes zu verstehen: „there’s like, there’s a downside to doing that cause I think if you do it a lo:t and you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to like oh I don’t wanna pick up the guitar I don’t wanna got to rehearsals you know it’s just like I just wanted to fucking you know, bash out then just like get high and then- then nod out you know“ (T3: Z. 602-606)
Auffällig ist, dass er hierzu keine weiteren Informationen liefert. Ebenso wenig gibt er über seine einzelnen Bandprojekte preis. In einem Nebensatz erwähnt er lediglich: „we founded a band, an electronic rock band that got signed to Universal to Interscope and we toured for about four years and we released three albums um on Interscope and my brother was in that band“ (T3: Z. 529-531). Anhand der Rekonstruktion seiner biographischen Daten, die er im Interview oder im Nachgespräch nennt, lässt sich ableiten, dass Frankie bereits vor der Gründung der Elektro-Band Heroin konsumierte. Die Veröffentlichung der ersten EP fand jedoch statt, nachdem Frankie bereits clean war. Über seine konkreten Tätigkeiten als Musiker in dieser Zeit – und damit verbundene Erlebnisse – liefert Frankie keine Informationen. Auch die Zeit, in der er mit Perry Farrell auf Tournee ging oder Gitarre für andere berühmte Musiker*innen einspielte, bleibt in seiner Erzählung unbeachtet. Über seinen weiteren musikalischen Werdegang berichtet er lediglich, dass er auch nach seiner Heroinkarriere weiterhin mit G. in verschiedenen Bandprojekten spielte und mit ihm an Songs arbeitete. Beiläufig erwähnt er über das Leben nach dem Entzug von Heroin: „I've poured myself into more music“ (T3: Z. 341)“. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Frankie in fünf verschiedenen Bands tätig – darunter eine „improvisational band“ (T3: Z. 537), die er mit G. gründete. 11.4.3 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: Suchtverlauf Bereits zu Beginn des Interviews weist Frankie auf eine Verbindung zwischen seiner Drogenabhängigkeit und seiner Persönlichkeit hin. Er behauptet, „eine bestimmte Art von Persönlichkeit“ (T3: 2f.) zu besitzen, die sich bereits in Kindheitstagen durch ei-
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ne stark ausgeprägte Neugierde und ein Interesse an der Umwelt kenntlich machte. Er gibt in diesem Zusammenhang ebenso zu verstehen, dass es ihm in der Kindheit an Schutz innerhalb der Familie gefehlt habe, so dass er fortan bemüht war, „a sense of occupation and pleasure and happiness“ (T3: Z. 5) zu finden. Bereits in frühen Jahren entwickelte er daher ein Verlangen nach Stimulation und einem damit verbundenen „feel good feeling“. „it was very early on that I- I realized that I could derive a sense of happiness or stimulation from things when I was left by myself […] so in that sense it was really easy to be in my own world, and in that world I could, you know make different things happen and it, provided me a sense of um comfort“ (T3: Z. 7-12)
Eine Möglichkeit der Befriedigung seiner Bedürfnisse fand er innerhalb des Musikmachens – vor allem im Prozess des ‚Jammens‘ und Improvisierens. Interessant ist, dass er diese Erfahrung zum selben Zeitpunkt machte, als er auch den Konsum von Drogen als eine Form der Stimulation für sich entdeckte. Er gibt hierzu zu verstehen: „they became so hand in hand“ (T3: Z. 41). Seine Wahrnehmung unter dem Einfluss von Pot und Marihuana während des ‚Jammens‘ beschreibt er als „subconscious surreal“ (T3: 43). Das Musikmachen ging fortan mit dem Konsum von Drogen einher: „I- can’t remember you know the times in playing music where I wasn’t getting high and smoking pot while we were playing music and jamming“ (T3: Z. 43-45.). Die Entdeckung von Drogen im Kontext des Musikmachens wurde zu einer Art Befreiung von Belastungsfaktoren, die er im Zuge seiner Adoleszenz erfuhr (z. B. Trennung der Eltern). Er stellte im Kontext seiner Rauscherfahrungen fest: „I wanna be in this feeling more“ (T3: Z. 51). Er versuchte fortan, seinen Konsum aufrechtzuhalten bzw. diesen zu intensivieren. Mit der Flucht in eine ‚andere Welt‘ fand er vor allem Gefallen daran, „dunkle Welten“ zu erkunden. Im Zuge seiner Darstellungen über seine erste ‚große Liebe‘ gibt er zu verstehen: „I was […] delving into all these other dark worlds“ (T3: Z. 73f.). Insbesondere seine Freundin und der mit ihr verbundene Freundeskreis schienen ihm einen Zutritt zu diesen Welten zu verschaffen. Interessant ist hierbei, dass er zunächst unsicher war, ob er mit seiner – zunächst besten – Freundin eine Beziehung eingehen könne: „first of all I was confused cause I didn’t know, she liked me and I didn’t know if I’d return the feelings but I also knew that I didn’t know if I could be with her because I felt like you know she is- she is so much more sheltered than- than I am and like I need to feel like I’m with somebody who understands all these other aspects of the world so I just felt like it was kind of not destined to be“ (T3: Z. 75-79)
Diese Einstellung änderte sich jedoch, als er erfuhr, dass seine Freundin vom College zurückkehrte und offenbar Zutritt zu der von ihm ersehnten „Welt“ erhalten hatte: „she started to hang out with um meet some friends that were into heroin […] and- and um other opiates and ecstasy so you know I thought it was interesting cause all these cats were like pseudo-snobbish intellectual kids so it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high feels like fucking you know the (?) society feels like bohemian society she comes back we end up starting our torrid love affair […] this became a new door where wow she’s grown
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up she’s had some experiences I’ve had some experiences we can finally kind of come together we can relate more and on top of it she does drugs now rad ok so we went full on into it “ (T3: Z. 81-87)
Sie gingen eine Liebesbeziehung ein, in der sie vor allem eines verband: der Konsum von Heroin. Er gibt in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass er von der Droge nicht abgeschreckt war, da seine Vorbilder – er bezieht sich hierbei auf Jane’s Addiction – auch Heroin konsumierten. Er selbst habe Heroin nur deshalb nicht konsumiert, da die Droge ihm nicht zur Verfügung gestanden habe. Dass ihm durch die Beziehung zu seiner Freundin nun auch ein Zugang zum Heroin geschaffen wurde, sah er als willkommenen Anlass zum Konsum der Droge: „I was like ok I never sought it out but it came with her and then we started to get into it“ (T3: Z. 105f.). Frankie machte nicht nur erste Erfahrungen mit Heroin, er ging auch zum ersten Mal eine feste Partnerschaft ein. Zusammen machten sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Auch der Konsum von Heroin wurde zu einem Ritual, das sie ausschließlich gemeinsam erlebten. „we were you know at that time it was my first longest significant relationship of like four yea:rs and our relationship started to deteriorate I’m not sure necessarily if it was due to our dependency or it was just that you know the more time you spend with somebody and you feel like you know you’re still you:ng maybe you want to explore the things or maybe the states we were getting in we were being self-deprecating and that was turning each other o:ff either way she was pulling away and that devastated me it devastated- u:m it devastated me because we you know I thought this person was somebody I really you know it was the first time I really can feel like I was having these feelings about somebody“ (T3: Z. 106-113)
Nachdem sich das Paar trennte, verbrachte Frankie immer mehr Zeit in Downtown mit der Beschaffung von Heroin. Vor seinem Umfeld verheimlichte er den Konsum und die spätere Abhängigkeit. „I ended up getting into a lot of weird adventures I remember [...] before we broke up you know we were doing all this stuff but then I was hiding it from everybody I had my rig and I was able- at that time I was only smoking it and um snorting it […] a:nd you know we I knew of a couple of different places where I can score it some bad quality, some good quality um a:nd I was starting to just anywhere I was going when I was hanging out at my friend’s house I’d disappear to the bathroom for a whi:le you know for a little bit I tried to be really slick about it nobody really knew“ (T3: Z. 113-122)
Durch den regelmäßigen Konsum trat eine Abhängigkeit ein, die sich durch Entzugserscheinungen bemerkbar machte. Er schaffte es zunächst, seinen Job aufrechtzuhalten, obwohl er die Nächte über ‚high‘ war und nur wenige Stunden schlief. Dennoch machten sich bald die körperlichen Auswirkungen des Konsums bemerkbar: „when I started to really realize that it was- it was starting to become an issue I couldn’t keep under wraps was when it started taking away my appetite and I started to have this weird thing relationship with food where it was like I knew intellectually I needed to eat this stuff and I got to get it in there somehow so I would be forcing it and I would like kind of choke up and all
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that stuff but I then started to realize man, my whole constitution- (.) you know cause I wasn’t really aware as much as I am now wasn’t really conscious or cared much about how my what my body needed outside of you know getting high or feeling good“ (T3: Z. 126-132)
Während er zuvor ausschließlich darauf bedacht war, ‚high‘ zu sein und sich gut zu fühlen, begann er mit zunehmender Abhängigkeit zu realisieren, dass er durch den Konsum nicht mehr den gewünschten Rauschzustand erzeugen konnte. Eine erneute Zufuhr der Droge half ihm lediglich dabei, auftretenden Entzugserscheinungen entgegenzuwirken. „it became more like nah I’m only going to do it at night ok I’m only going to do it after like after I get home from work after eight clock ta da da and it started to become you know seven o’clock ta da da and all of a sudden realize I’m starting to do it when I wake up now so it was really like you know- it was the fear that I wasn’t going to be ok“ (T3: Z. 136-140)
Alltägliche Dinge, selbst das Proben, bereiteten ihm Schwierigkeiten. Zudem stellte er die damals vorherrschenden Lebensumstände als belastend dar. Seine Freundin trennte sich von ihm und seine Mutter litt an Krebs: „she broke up with me and my mom was sick I just felt like I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“ (T3: Z. 150-152). Dass er in diesem Zusammenhang erwähnt, dass er nur einem Freund von seinem Drogenproblem erzählte, deutet darauf hin, dass er sich in dieser Situation allein gelassen und überfordert fühlte: „but then when it’s just started to erode at my ability to choose to do other things I like I used to like doing I really knew that I was in- in- in a trouble I couldn’t get out of and then that’s when I first told one friend and then you know I um saw to go cold turkey“ (T3: Z. 296-298). Als er realisierte, dass er seine eigenen Handlungen nicht mehr unter Kontrolle hatte, versuchte er schließlich von der Droge zu entziehen und ging einen Entzug (‚cold turkey‘) ein. Er lebte zu dieser Zeit im Apartment seines Vaters. Da dieser tagsüber arbeiten war, konnte Frankie seinen Entzug unbemerkt durchführen. Er beschreibt die Erfahrung des Entzugs und seine damit verbundene Gefühlslage wie folgt: „that was an interesting grue:ling part of trying to just quit and stop doing that you know it was like masturbating like a madman […] I reme:mber feeling so: (.) so: just helpless about the- an overwhelming amount of guilt started to come over me I wanted to call people like I thought I offended like twelve years ago and you know I was like oh man I’m sorry if said those kind of things a:ll these things all these wei:rd, you know u:m voices that I just wasn’t happy with were starting to come- to come u:p and on top of it I couldn’t- I couldn’t be in my skin I was like you know after the fourth time masturbating it’s like I couldn’t get this feel good feeling“ (T3: Z. 152-161)
Wie bereits zuvor beschrieben, setzte Frankie sich mit den biochemischen Prozessen auseinander (z.B. durch Auseinandersetzung mit Artikeln im Time Magazin) und fand eine Erklärung dafür, warum sein Körper offenbar nicht mehr in der Lage war, das von ihm gewünschte „feel good feeling“ zu erzeugen. Er begann, sich selbst zu betrachten und Ursachen seines von ihm selbst diagnostizierten Dopamin-Defizits in der Kindheit zu ergründen:
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„I started looking at myself in that context of man what was it about my childhood that didn’t produce enough of that to where I felt this need to find seek it out in all these different places with my type of personality taking things apart being (?) about this stuff being you know I still like dress up as a ninja and go on people’s roofs and see if I can spy on them when I was a kid all by myself“ (T3: Z. 174-178)
Er kommt durch das Lesen des Artikels zu dem Entschluss, dass Dopamin ihn in ein „feel good feeling“ versetzen und damit seine Schmerzen, die er durch den Entzug erlitt, lindern konnte. Er ging daraufhin einen Selbstversuch ein, den er folgendermaßen beschreibt: „I decided- cause I couldn’t sleep you know so I would wake up I’d open up a:ll the windows at like 5am in the morning I got naked and I just stoo:d there until- and it was like in the winter time and I’d slap myself to get unbearably even more uncomfortable and more cold and more like a:rgh I couldn’t take it and then right when I came to that point where I couldn’t take it anymore I went into the shower turned on the hot water and a rush of all this dopamine came over my body giving me peace for- for a moment for like ten minutes, and I just remember whoa: what a crazy experiment that was in terms of what my mind all the sudden understood about my body in order to retrigger an understanding of that rela:tionship, and it was really like I remember that it was- it was a crazy discovery to- to- to- to do that“ (T3: Z. 183-193)
Nach dem kalten Entzug versuchte er, in ein geregeltes Alltagsleben zurückzufinden, und ging wieder zur Schule. Seine Mutter, die zu diesem Zeitpunkt schwer krank war, bot ihm die Finanzierung einer Therapie an. Da er nach dem Entzug depressiv wurde und mit der familiären Situation nicht umzugehen wusste, ging er auf das Angebot ein. Er gibt zu verstehen, dass er sich in der damaligen Situation nicht dessen bewusst war, wie sehr ihn die Trennung der Eltern und die Krankheit der Mutter belastet hätten. Obwohl er eine Therapie einging, wurde er rückfällig: „I started to relapse um, you know and I started to avoid all this responsibility because you know um me and my brother um u:m you know we’re trying to help um, our mom and then she finally passes away, a:nd um (..) she passes away and then me and my brother are left, two: you know passionate you know artist musicians, trying to take care on my- of our mom’s like estate and- and businesses cause you know she owned property she ran a couple of businesses totally antithetical to what we our mind state was about so we’re jumping in her shoes trying to be like alright what the fuck does all this mean“ (T3: Z. 198-204)
Der erneute Konsum von Heroin verhalf ihm zur Flucht vor seinen Problemen und der Verantwortung, mit der er konfrontiert wurde. Er konnte mit seinen Gefühlen und dem Druck, der ihm durch den Tod der Mutter und der damit verbundenen Übernahme ihrer Geschäfte auferlegt wurde, nicht umgehen. Er stellt die Situation so dar, als habe er sich in den Drogenkonsum geflüchtet und seinen Bruder im Stich gelassen. Während er seinen Drogenkonsum intensivierte, ließ er den Bruder nach dem Tod der Mutter mit den anfallenden Aufgaben und Verpflichtungen alleine. Nachdem er Heroin bereits fast vier Jahre geraucht oder geschnupft hatte, begann er fortan, sich die Droge intravenös zu verabreichen. Er behauptet, dass er diese Form der Applikation begann, als er bei seinem Zahnarzt eine Spritze fand. Er stellte eine Auswirkung
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des Konsums sowohl auf seine Konzentration als auch auf die „Stimmen“ in seinem Kopf fest, die ihm einredeten, „nicht gut genug“ zu sein. „I felt an overwhelming you know degree of, of not only dopamine but a sense that wow I just accomplished this you know and, all this stuff and it was like, i-i-it just like that- that classic you know typical you know cliché thing those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do and so it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration that I normally don’t you know I didn’t have growing up in you know school or in stuff like that“ (T3: Z. 236-241)
Interessant ist, dass er diese Wahrnehmung im Nachhinein als einen Trugschluss interpretiert. „I was like you know, I started this later informed me of lie you know the correlation between diet and ADD a:nd, and um feel good dopamine things like that like ho:w, attention plays a lot um, has a lot to do with (..) having an intention or that- or dopamine had a lot to do with my attention you know so in other words I was firing at a lower slower level because I wasn’t getting my sources of things in a healthy- in a healthy way so, this these experiences in- in- in selfexamination throu:gh, you know not only self-exploration through drugs“ (T3: Z. 241-246)
Während er zunächst Drogen konsumierte, um einen Zugang zu sich selbst zu finden, diente ihm der Konsum von Drogen mit eintretender Abhängigkeit vor allem dazu, ein erneutes „feel good feeling“ zu erzeugen. In diesem Zustand fühlte er sich von seelischen und körperlichen Schmerzen befreit, die mit seinen Entzugserscheinungen einhergingen. Aus einem durch den Rausch der Droge erzeugten Wohlgefühl, das ihn auf das Musikmachen konzentrieren ließ und ihn von seinen Problemen abschirmte, entwickelte sich folglich eine physische und psychische Abhängigkeit, die seine Gedanken und Entscheidungen kontrollierte. „at first it was curiosity through other music cause I wanted I was exploring myself but in the desperateness of being depressed and being you know really in pain and- and feeling helpless, I started to research all these things of how can I get out of this feeling in my body and- and- and everything that was producing and, u:m it took a lot of all these places where I allowed myself to (.) to have my will taken over by these things that the things that I loved to do mostly were starting to become a chore“ (T3: Z. 247-252)
Als Beispiel für die letzte Aussage nennt er das Verpassen von Bandproben. Sein Drogenproblem verheimlichte er vor den anderen Bandmitgliedern, die nicht konsumierten. Er erinnert sich in diesem Zusammenhang daran, wie er das Wort ‚Abhängigkeit‘ ursprünglich positiv bewertete und vor allem in Verbindung mit den Musiker*innen brachte, mit denen er sich identifizierte: „I think the, one of the initial psychologies around- that surrounded myself around this identification of oh man yea you know addiction that’s a positive word, you know addiction’s a positive word like you know it’s you know I already associated myself with the bands that I lo:ved and they all did drugs and all this stuff“ (T3: Z. 253-256)
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Er gibt zu verstehen, dass er vor dem Konsum von Heroin auch Mushrooms, LSD und andere Drogen probierte. Während er den Konsum dieser Drogen – wie auch anfänglich den von Heroin – als ein seltenes Ritual zu besonderen Momenten angesehen hatte, wurde der Konsum von Heroin mit eintretender Abhängigkeit zu einem Zwang, der eine erneute, mehrmals tägliche Einnahme der Droge verlangte: „once something like this came into my life and it was like like having a candy like oh I can take ok I’m gonna take this candy with me over here […] and take it over here“ (T3: Z. 265-268). Er versuchte die körperliche Abhängigkeit vor seinen Freunden und Arbeitskollegen zu verbergen und gab an, krank zu sein. Er bemerkte jedoch, dass er seine körperlichen Reaktionen immer weniger kontrollieren konnte: „it was psychological first it was psychological that I was the most afraid of, because when my body would react to the chills“ (T3: Z. 269f.). Im Zuge der psychischen Abhängigkeit redete er sich ein, keinen Ausweg mehr aus seiner Situation zu finden. Er gibt seine damalige Auffassung wie folgt wieder: „it’s like oh you can’t you know you can’t handle this you either gotta keep doing this or, you know or, something else and I didn’t know who to turn to because I just felt ashamed I felt really ashamed, that, how could (.) I, for how I know myself and how my friends know me go down this path and you know we saw other people go down similar paths like this an you know we just- you know at that time everybody was depressed about one thing or another like we all had our- our issues so it didn’t seem so bad so that was my justification for- for getting into it but again it was this um detouring deterred me from thinking that“ (T3: Z. 276-282)
Zu den Ursprüngen seines Konsums erwähnt er, dass der Konsum von Drogen in seiner Jugend vor allem mit Spaß verbunden gewesen sei. Er habe die Auffassung gehabt, dass „the normal state of enjoying an adventure couldn’t be good enough“ (T3: Z. 287f.). Der anfängliche Konsum von Heroin habe ihn in einen Zustand versetzt, in dem er seine „inneren Stimmen“ ausblenden und sich „gut genug“ fühlen konnte. Er redete sich jedoch ein, dass er ohne die Droge diesen „Wohlfühl-“Zustand nicht erreichen konnte. Er begann seine Dealer fortan in Downtown LA zu treffen. Er kleidete sich wie ein Obdachloser, um nicht aufzufallen. In diesem Zusammenhang erzählt er von einem Mädchen, das er während einer Fahrt durch Downtown an einer Bushaltestelle sah. „I saw some cute girl at a bus stop and I was like alright let me see if she’d want a ride it’s like you know I’d been you know single that relationship ended like you know last year and I gave her a ride to:, you know way down the street and then she I asked her where are you going she said oh I’m catching the bus up here I’m like oh where are you headed to it’s like I’m going to downtown it’s like oh that’s funny I just came from downtown and then I found out that she was going downtown to score so I began this weird little relationship with this girl that I met off the street“ (T3: Z. 302-308)
Die beiden verband vor allem die Drogenabhängigkeit. Sexuellen Kontakt lehnte die Partnerin ab. Durch sie wurde ihm jedoch das Ausmaß des Heroinkonsums deutlich:
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„she: was way off like she- this was another weird scary wake-up call that I could've heeded, she was a lot more, she was like a pro, a:nd she was so fucked up that I remember you know we would score together and then do drugs at my house, you know and I you know“ (T3: Z. 308-310)
Als ein prägendes Ereignis stellt Frankie den Moment heraus, in dem er einen Anruf von einem Bekannten seiner Partnerin erhielt. Er schildert die Situation wie folgt: „he calls me he’s like oh Dionne is like it’s really bad she’s in a really bad way right now you gotta come over right now and she’s like dude I said well let me talk to her she’s like she goes are you holding are you holding(?) I was like I mean I got very very little I was like you know waiting to re-up but I had like maybe one or two hits left, and bear in mind my hits were pinner compared to hers cause she- she shoots them up so (.) I went to go to this guy’s house and she was wrapped in these blankets on the couch rocking back and forth and the only thing she could say was mommy mommy mommy mommy and I was just like- so she couldn’t even do the hits so she had me load up her syringe for her and break off the cotton to suck it up and stuff“ (T3: Z. 316-323)
Er scheint jedoch erst im Nachhinein realisiert zu haben, wie „fucked up“ seine Partnerin zu diesem Zeitpunkt war und welchen Status der Abhängigkeit er selbst bereits eingenommen hatte. Er verabreichte ihr seinen letzten ‚Stoff‘, den er mit sich führte, und sah sie von dem Moment an nie wieder. Er beschreibt diese Begegnung als einen „wake-up call“, der ihm signalisierte, dass er dabei war, einen ähnlichen Weg des ‚Junkie‘-Daseins einzuschlagen. Als einen weiteren „wake-up call“, wie bereits zuvor thematisiert, nennt er ein Treffen, zu dem er seine Freunde und Familie einlud, um ein Gedicht vorzustellen, das er geschrieben hatte: „I thought that this one magnum opus poem I was starting to write was the key to- um, to changing the wo:rld and society and saving lives in a weird way“ (T3: Z. 208-210). Er realisierte in dieser Situation, dass seine eigene Realitätsvorstellung von der seiner Umwelt abwich. Die Menschen, die er eingeladen hatte, kamen nicht, um sein Werk zu bewundern, sondern weil sie sich um ihn Sorgen machten. In dem Moment wurde ihm klar, dass er etwas an seinem Lebensstil ändern musste: „I realized (.) like I kind of like it kind of threw me off cause I thought I was there to show them this great you know this great work that I’d been doing but it was more like they were there to let me know that they cared and they loved me and all this stuff so I- I- I ended up going back in- into therapy“ (T3: Z. 328- 331)
Bis auf einen einmaligen Rückfall gibt er an, bis zum Zeitpunkt des Interviews clean geblieben zu sein. Er behauptet, dass er nicht mehr das Verlangen nach einem erneuten Konsum habe: „I’ve not felt the need or the u:rge or the same feeling of like ooh, it was always this feeling like something’s gonna happen like I wanted to score […] and get this something’s gonna happen feeling going this adventurous feeling but I don’t even crave it“ (T3: 333-338). Entsprechend verspüre er kein Suchtverlangen mehr. Er möge es nicht einmal, zu rauchen, und gibt zu verstehen, dass er nicht mehr Pot als andere in Kalifornien konsumieren würde. Er ergänzt in diesem Zusammenhang: „I’ve done DMT a few times I’m more sacred with- with any drugs that I do
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now but the same need I used to have the same wanting to feel better or to not get the chills not get sick has nowhere ever come- come up you know if anything“ (T3: Z. 339). Anstatt Drogen zu konsumieren, habe er sich dem Musikmachen zugewandt.3 Er schreibt dem Konsum von Heroin rückblickend keine romantische Vorstellung mehr zu. Während er in seiner Jugend der Auffassung war, dass er sich mit seinen Vorbildern von Jane’s Addiction nur identifizieren könnte, wenn er wie die Bandmitglieder auch Heroin konsumierte, sieht er diese Einschätzung aus gegenwärtiger Erzählperspektive als Fehler an. Auffällig ist zudem, dass er, obwohl seine Vorbilder abhängig waren und er in Los Angeles aufwuchs, wo der Konsum von Heroin unter Künstler*innen weit verbreitet war, zu verstehen gibt, dass er der einzige in seiner Band gewesen sei, der Heroin konsumierte. Er führt hierzu aus: „I think only one of my other friends had done heroin with one of my other best friend um one time with this ex-girlfriend when he was in college, u:m they more got into oxycontin but I was the only one- (.) yea because it was such a secret there was nobody I really could do it with except for me and my ex-girlfriend“ (T3: Z. 547-550)
Nachdem sich seine ‚große Liebe‘ von ihm getrennt hatte, schien er sich bewusst Menschen in seinem Umfeld zu suchen, die den Konsum mit ihm teilten bzw. ihm einen Raum schafften, in dem er konsumieren konnte: „I met some girl in an art class, and I would just do it at her house I mean she didn’t do any bu:t I would you know she didn’t mind that I came over and got high but there was not really a lot of people that (..) let’s see, one of my other good friends this female best friend from high school she did it with us one time three nights (.) nobody else really got into it with me like you know I would I never let people in on- on- on that and it was kind of more taboo, so I didn’t really have any friends in mind that I would um do it with“ (T3: Z. 550-555)
In diesem Zusammenhang führt er eine Anekdote über einen Freund seines Bruders aus, der jahrelang heroinabhängig gewesen war und mit dem er seine eigene Geschichte teilen konnte. „one of my brother’s you know o:ld friends from back in the neighborhood who became like a serious gang banger and tattoo guy tattoo artist who was in and out of jail so many different times, he: was a huge heroin addict cause when he left LA and went to moved to San Francisco when we were like you know after we were growing up a little bit you know we hadn’t heard from B. in a long time and then I remember (.) I remember, you know it got out that oh man B.’s been really sick he’s been fucking you know binging on heroin up there you know B. had already got a problem since he was my brother’s friend at the time“ (T3: Z. 560-567)
Frankie ging in dieser Zeit zur High School und konsumierte noch kein Heroin. Er führt aus, dass B. nach LA gekommen sei, um von der Droge zu entziehen, und dass
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In Anbetracht seiner biographischen Daten wird deutlich, dass er erst nach dem Entzug vom Heroin erfolgreich im Musikbusness Fuß fassen konnte.
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ihm sein Bruder dabei geholfen habe. Frankie war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht bewusst, was es bedeutete, Heroin zu konsumieren und davon abhängig zu sein: „he was trying to help B. kick but he also needed to help him score so he didn’t get sick so I remember he took B. downtown to score some balloons a:nd um he was staying with me and my dad in our apartment and he put some of his balloons he stashed them in the freezer (.) and u:m I didn’t know what they were then until we later- but I was like oh yea that was that time when B. was staying in this house I didn’t, my brother didn’t let me know that he was helping him do that you know, and so:, I just remember those balloons and then I figured out what it was later cause then when I started scoring balloons it was like ok but um you know I remember B. was around at that time“ (T3: Z. 572-578)
Es ist interessant, dass ihn diese Erfahrung offenbar nicht abgeschreckt hat, selbst Heroin zu konsumieren. Erst im Nachhinein scheint er die Erinnerungen an B. einordnen zu können. Er erinnert sich daran, dass B. immer wieder Entzüge einging, rückfällig wurde und mehrmals inhaftiert wurde. Er gibt ebenso zu verstehen, dass B. auch plötzlich während des Treffens auftauchte, bei dem Frankie sein Gedicht vorstellte. „he was there amongst the friends that came out that night to um our studio when I was telling everybody you know what I wanted to share with them a:nd then he took me aside and was like bro and he just he saw you know what I was going through and he was just like you know you gotta cut this shit out man cause you know this is not you man I watched you grow up when you were a kid you know, and thi- this ain’t you man and all this stuff […] he was trying to knock some sense into me he was trying to like get to me cause he saw how crazed I wa:s and you know that was the only other person that I remember a:fter those times I you know shared stories with“ (T3: Z. 581-591)
B. schien für Frankie eine wichtige Bezugsperson darzustellen, die er jedoch erst im Nachhinein als eine solche anerkannte. Er gibt zunächst zu verstehen, dass B. die einzige Person gewesen sei, der er seine Geschichte anvertraut bzw. die von seiner Abhängigkeit gewusst habe. Im weiteren Verlauf des Interviews fällt ihm noch eine weitere Person ein, mit der er im engeren Kontakt stand und Heroin konsumierte. „there was this other infamous guy Tommy, he was a good friend he was one of the friends u:m that my ex-girlfriend who came back from college knew who was a brilliant writer and he was (.) like he looked like River Phoenix and yea, he was just gorgeously handsome and just he just, like if there was a hero- heroin commercial he would be the poster boy cause you’re like man this guy’s so good looking and so and he’s talented, and he was one of those guys that maintained being able to do it for like years like he never OD’d he never ta da da and this that and um (.) um it was like we used to go over to his Malibu house and do heroin with him his girlfriend didn’t know his new girlfriend at that time didn’t know he did heroin and so me my girlfriend and him would go into the bathroom and I just remembered you know like subconsciously going oh man okay there are ways to kind of keep this under wrap you know I thought there may be a way that was when I was naively thinking like ok there’s ways people have been doing this for years and it’s alright“ (T3: 606-616)
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Offenbar versuchte Frankie dieser Person nachzueifern und war in dem Glauben, dass es möglich sei, den Konsum von Heroin zu verheimlichen und den Konsum ohne negative Folgen aufrechtzuerhalten. Die benannte Person stellte für ihn eine Art ‚role model‘ des Typus ‚Junkie‘ dar: er konsumierte Heroin, erlitt keine Überdosis, war talentiert und gutaussehend. Er gibt im Weiteren zu verstehen, dass er in den ‚Hochphasen‘ seiner Suchtkarriere gleichzeitig ‚8-balls‘ (Heroin gemischt mit Crack und/oder Kokain) und gleichzeitig Alkohol konsumierte: „I could have easily started to go you know doing eight balls and mixing drinking I started drinking while on heroin you know recipe for disaster“ (T3: Z. 559f.). Obwohl er an dieser Stelle behauptet, dass er seit seinem letzten Entzug kein Heroin mehr konsumiert habe, erwähnt er im Weiteren, dass er gelegentlich andere Drogen konsumiere – jedoch nur zu besonderen Anlässen: „I’m older it’s like I don’t do as many recreation drugs hardly as much but if there’s gonna be a special time where I'm gonna be going out to desert to do something with music I’ll- I’ll be in that situation you know, I’ll do ecstasy here and there I’ll rarely do coke just it annoys me more than anything um, speed I’ve done or meth “ (T3: Z. 729-732)
Es scheint ihm aber bewusst zu sein, dass er nach wie vor eine Affinität zu Stimulanzien aufweist, die ihn schnell wieder in einen Suchtkreislauf führen könnten: „that could be another bad road for me cause I can easily see myself getting into something like that“ (T3:Z. 732-735). Er ergänzt hierzu schließlich – und beendet damit den Nachfrageteil: „I’m getting older and I don’t wanna- I want better access to my- my healthy (.) sources you know“ (T3: Z. 735f.). 11.4.4 Strukturhypothesen zum erlebten Leben Thema: „Sense of Self“ Es ist auffällig, dass das Thema ‚Selbst‘ – bzw. Selbstempfinden und Selbstfindung – ein zentrales thematisches Feld in Frankies Erzählung einnimmt. Im Folgenden wird der Fokus auf Frankies Erleben in der Vergangenheit in Bezug auf dessen Selbstauffassung gerichtet. Direkt zu Beginn des Interviews versucht Frankie, eine Erklärung für seine Drogenabhängigkeit zu liefern. Er blickt hierbei auf seine Kindheit zurück und geht darauf ein, „how I understood myself as a child in terms of being a certain type of personality“ (T3: Z. 2f.). Er reflektiert seine Persönlichkeit und beschreibt seine Wahrnehmung von sich selbst und seiner Umwelt als: „[I] was always very curious and interested in the environment around me u:m (.) coupled with the fact that you know not a lot of secure family life was also happening so the: ne- necessity of um finding a: a sense of occupation and pleasure and happiness by you know (.) wo:ndering and tinkering with my world I used to take a lot of things apart and see how they worked“ (T3: Z. 3-6)
Während er bereits als kleiner Junge auf sich allein gestellt war bzw. von seinen Eltern oft allein gelassen wurde, beginnt er sich und seine Umwelt zu hinterfragen. In
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seiner ‚eigenen Welt‘ machte er sich auf die Suche nach Stimulanzien, die ihn in ein „feel good feeling“ versetzten, das ihm Schutz und Wohlbefinden suggerierte: „it was really easy to be in my own world, and in that world I could, you know make different things happen and it, provided me a sense of um comfort for you know maybe family life that wasn’t there or satisfying“ (T3: Z. 10-12). Eine besondere Selbsterfahrung erlebte er durch die Entdeckung seiner Sexualität: „I started to develop you know that side of myself sexually“ (T3: Z. 29). Ihm wurde bewusst, dass er sich auf eine ‚natürliche‘ Art selbst in ein „feel good feeling“ versetzen konnte. Seine sowohl positiven als auch negativen Erfahrungen schienen in ihm im Prozess der sexuellen Selbsterfahrung jedoch zunächst ein Gefühl von Orientierungslosigkeit auszulösen: „it feels good and it feels weird“ (T3: Z. 25f.). Innerhalb der Phase der Adoleszenz realisierte er ebenso, „what I was good at“ (T3: Z. 31f.) und entdeckte Interessen für Skateboarding und Graffiti zeichnen. Eine besondere Leidenschaft fand er im Musikmachen – insbesondere im Akt des Improvisierens: „music seemed to be the um the defining um moment because I learned that I knew how to improvise“ (T3: Z. 32f.). Er berichtet in diesem Zusammenhang über seine Stärken, wozu er vor allem seine schnelle Auffassungsgabe durch das Hören und die anschließend praktische Umsetzung zählt: „I was really good at being able to listen to music and pick it up and teach myself how to play it“ (T3: Z. 33f.). Er fühlte sich mit dem Musikmachen sogar mehr ‚verbunden‘ als mit dem Skateboarding, welches er zunächst für seine berufliche Bestimmung hielt: „wow this is something that really I feel really connected to I mean more than skateboarding cause I thought I was gonna be a professional skateboarder“ (T3: Z. 36f.). Er empfand das Musikmachen bzw. das Improvisieren als etwas Intuitives, das ihm das Gefühl von Ermächtigung und Selbstempfinden vermittelte: „this is something that’s very visceral and um it spoke to me so tha:t um became right away a place where um I can feel a sense of empowerment and a sense of self“ (T3: Z. 39f.). Interessant ist, dass diese Erfahrung mit der Phase seines ersten Drogenkonsums einherging: „my understanding of how music gets ma:de um the way things are you know psy:chedelic or that they tap into this other subconscious surreal part of- of- of perception“ (T3: Z. 41-43). Offenbar erhielt er während des Improvisierens unter Drogeneinfluss einen Zugang zu einer Wahrnehmungsebene, die ihm zuvor nicht bewusst gewesen war. Er erfuhr, dass Drogen und Musik ihn in einen anderen Bewusstseinszustand versetzen konnten, der ihn zugleich von seinen alltäglichen Problemen und Konflikten in dieser Zeit (z.B. Scheidung der Eltern) abschirmte. Er wurde durch das Experimentieren mit Musik und Drogen offenbar sowohl dazu verleitet, diesen Zustand aufrechtzuhalten, als auch weitere Möglichkeiten auszutesten, eine Form der Stimulation zu erfahren und sein Bewusstsein zu erweitern: „to explo:re drugs in the context of music became a- a- a liberating one because it showed me all these things […] but like I wanna be in this feeling more“ (T3: Z. 46-51)
Eine weitere Form der Stimulation fand er durch die Partnerschaft mit seiner ersten ‚großen Liebe‘. Er erfuhr Stimulation nicht nur auf sexueller, sondern auch auf intellektueller Ebene, welche wiederum mit dem Konsum von Drogen verbunden war.
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„she started to hang out with um meet some friends that were into heroin […] and- and um other opiates and ecstasy so you know I thought it was interesting cause all these cats were like pseudo-snobbish intellectual kids so it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high feels like fucking you know the (?) society feels like bohemian society“ (T3: Z. 81-86)
Offenbar fühlte er sich von diesen „dunklen Welten“, in denen er intellektuelle Gespräche führen und illegale Drogen konsumieren konnte, angezogen: „I was already delving into all these other dark worlds“ (T3: Z. 73-74). Aus seiner Darstellung geht hervor, dass er zunächst Zweifel an der Partnerschaft mit seiner Freundin hatte, jedoch von der Möglichkeit verleitet wurde, Teil der Community zu sein, in der sich die Freundin bewegte. Er schien vor allem Gefallen daran zu haben, dass sie ihn an den Konsum von Heroin heranführte und gemeinsam mit ihm Rausch- und sexuelle Erfahrungen austestete: „this became a new door where wow she’s grown up she's had some experiences I’ve had some experiences we can finally kind of come together we can relate more and on top of it she does drugs now rad ok so we went full on into it“ (T3: Z. 89-91). Der Konsum von Heroin und die Möglichkeit, sich über seine Rauscherfahrungen austauschen zu können, waren für ihn offenbar eine Art Ventil, sich selbst ausdrücken: „we’re doing all these drugs and we’re having all these great fucking philosophical conversations, a:nd it-, it really just was an extension from a lot of like the places I was already going with music where I was like you know finding different ways to express myself“ (T3: Z. 99-101). Nach vier Jahren Beziehung hatten sie jedoch offenbar einen Punkt erreicht, an dem ihre Beziehung stagnierte, sie unabhängig voneinander Erfahrungen machen wollten und sich gegenseitig abwerteten: „the more time you spend with somebody and you feel like you know you’re still you:ng maybe you want to explore the things or maybe the states we were getting in we were being self-deprecating and that was turning each other o:ff“ (T3: Z. 108-111). Frankie musste seinen Konsum, der in der Zwischenzeit in eine Abhängigkeit übergegangen war, ohne die Partnerin fortführen und sich alleine um die Beschaffung der Droge kümmern. Während er darauf bedacht war, verschiedene Formen der Stimulation auszutesten und unterbewusste Wahrnehmungsebenen zu erkunden, war ihm nicht bewusst, welches Ausmaß an körperlichen Schäden der Konsum von Heroin auf seinen Organismus bereits angenommen hatte: „I wasn’t really aware as much as I am now wasn’t really conscious or cared much about how my what my body needed outside of you know getting high or feeling good“ (T3: Z. 130132). Nachdem er seinen ersten Entzug eingegangen war, begann er sich damit zu beschäftigen, welche körperlichen Reaktionen mit seinen emotionalen Zuständen in Verbindung standen. Als er sich neuro-wissenschaftlich mit dem Einfluss von Dopamin auf seinen Organismus auseinandersetzte und eine Erklärung für seine Entzugserscheinungen abzuleiten versuchte, blickte er auch hierbei erneut in seine Kindheit zurück und reflektierte auf Grundlage seiner kindlichen Selbstauffassung sein späteres Verhalten. „I started looking at myself in that context of man what was it about my childhood that didn't produce enough of that to where I felt this need to find seek it out in all these different places with my type of personality taking things apart being (?) about this stuff being you know I still like dress up as a ninja and go on people’s roofs and see if I can spy on them when I was a kid
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all by myself […] you know just these weird things I would do or these you know things to keep me you know occupied and you know and- and amu:sed“ (T3: Z. 174-181)
Eine besondere Art der Selbsterfahrung erhielt er im Kontext eines Selbstversuches, den er einging, um seinen Entzugserscheinungen entgegenzuwirken: „so when I started to read this article I was like that’s interesting and I was so desperate to feel you know, not this pain I decided ok well if pain is- is- is derived from the (.) of comfort then dopamine is one of those things that um alleviates that I decided- cause I couldn’t sleep you know so I would wake up I’d open up a:ll the windows at like 5am in the morning I got naked and I just stoo:d there until- and it was like in the winter time and I’d slap myself to get unbearably even more uncomfortable and more cold and more like a:rgh I couldn’t take it and then right when I came to that point where I couldn’t take it anymore I went into the shower turned on the hot water and a rush of all this dopamine came over my body giving me peace for- for a moment […] for like ten minutes, and I just remember whoa: what a crazy experiment that was“ (T3: Z. 181-191)
Er versetzte sich in einen transzendenten Zustand, in dem er nicht mehr schlief, aber auch noch nicht vollkommen wach war. Im Nachgespräch beschreibt er diesen Zustand als „like your consciousness is- is in this dreamy place somewhere between sleep and awakeness“ (T3: Z. 808f.). Er fügte sich in diesem Zustand Schmerzen durch Schläge und Kälte zu. Erst als er die Schmerzen nicht mehr aushielt, stellte er sich unter eine heiße Dusche, um eine rasante Freisetzung von Endorphinen zu katalysieren, die ihn in einen rauschähnlichen Zustand versetzten. Auf die Funktion von Dopamin im Zusammenhang mit dem Empfinden eines „feel good feelings“ geht er auch im weiteren Verlauf des Interviews innerhalb der Segmente 30-32 ein, wenn er von der Rauscherfahrung durch intravenös verabreichtes Heroin erzählt. Unter dem Einfluss der Droge war er der Annahme, dass der Rausch sowohl seine Aufmerksamkeit als auch Konzentrationsfähigkeit steigere. Im Weiteren führt er über seine damalige rauschinduzierte Wahrnehmung aus: „I started this later informed me of lie you know the correlation between diet and ADD a:nd, and um feel good dopamine things like that like ho:w, attention plays a lot um, has a lot to do with (..) having an intention or that- or dopamine had a lot to do with my attention you know so in other words I was firing at a lower slower level because I wasn’t getting my sources of things in a healthy- in a healthy way“ (T3: Z. 241-245)
Er bezeichnet seine Erfahrungen als „Selbst-Untersuchung“ („self-examination“) zur „Selbst-Erforschung“ („self-exploration“), welche er durch den Konsum von Drogen – insbesondere von Heroin – machte. „at first it was curiosity through other music cause I wanted I was exploring myself but in the desperateness of being depressed and being you know really in pain and- and feeling helpless, I started to research all these things of how can I get out of this feeling in my body and- and- and everything that was producing“ (T3: Z. 247-250)
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Das Musikmachen sowie der Drogenkonsum stellten folglich Wege der SelbstErkundung dar, über die er sich einen Zugang zu neuen Bewusstseinsebenen und einem damit verbundenen Gefühl der Stimulation verschaffte. Das von ihm beschriebene „feel good feeling“, welches durch den Akt des Improvisierens und das gleichzeitige Konsumieren von Heroin hervorgerufen wurde, konnte er jedoch nur durch erneuten Konsum aufrechterhalten. Mit anhaltendem Konsum entwickelte er schließlich eine Abhängigkeit von der Droge. Fortan konsumierte er Heroin nicht mehr, um ein Gefühl des ‚High‘-seins zu erzeugen, sondern um gegen eintretende Entzugserscheinungen anzukämpfen. Der damit verbundene Suchtdruck kontrollierte fortan seine Handlungen und hielt ihn von Tätigkeiten ab, die er eigentlich gerne ausübte: „it took a lot of all these places where I allowed myself to (.) to have my will taken over by these things that the things that I loved to do mostly were starting to become a chore, a:nd um you know I would miss a bunch of rehea:rsals I was pretend I was si:ck and all this stu:ff“ (T3: Z. 250-253). Im Weiteren führt er über den „Aspekt des Selbst“ („aspect of self“) ergänzend aus: „once something like this came into my life and it was like like having a candy like oh I can take ok I’m gonna take this candy with me over here […] and take it over here it was just like it became, a crutch that was it was psychological first it was psychological that I was the most afraid of, because when my body would react to the chills it would then make my mind think that oh man things are not gonna be okay, I won’t be able to go I won’t be able to keep hiding this at work I’ll look (?) and all this stuff I was like um overly concerned with how I was going to appear because I didn’t want people to know that I was having a hard time you know it’s kind of like that- that same like you know stoic pride that most males typically have and plus you don’t wanna you know you don’t wanna give out let on that you know you don’t have this under control or that you’re weak for not having it under control.“ (T3: Z. 265-275)
Durch das Suchtverlangen geriet er unter einen zunehmenden Kontrolldruck der Droge. Er wurde von etwas gesteuert, das er als „something outside myself“ (T3: Z. 283) beschreibt. Er stellt sich in der damaligen Situation als hilflos und beschämt über seinen Zustand dar. Obwohl er sein Verhalten aus damaliger Perspektive zu rechtfertigen versucht, indem er behauptet, dass jeder in dieser Zeit mit einem Problem zu kämpfen gehabt habe – „at that time everybody was depressed about one thing or another like we all had our- our issues so it didn’t seem so bad so that was my justification for- for getting into it“ – scheint ihm aus gegenwärtiger Perspektive bewusst zu sein, dass er den Weg des ‚Junkies‘ eingeschlagen hatte: „I felt really ashamed, that, how could (.) I, for how I know myself and how my friends know me go down this path and you know we saw other people go down similar paths“ (T3: Z. 278f.). Interessant ist, dass er im weiteren Verlauf seiner Ausführungen darauf zu sprechen kommt, dass seine „Liebe für Musik“, bevor er Drogen konsumierte, etwas Intuitives gewesen sei. Der Konsum von Drogen sollte anfänglich lediglich den Spaßfaktor des Musikmachens unterstreichen: „as a kid so everything you do is like oh let’s do it with getting high or doing or being drunk while we’re doing it like as though (.) the normal state of enjoying an adventure couldn’t be good enough“ (T3: Z. 286-288). Er führt diese Auffassung nicht nur auf ein typisches Teenagerverhalten zurück, sondern bezieht diese auch auf das grundsätzliche Problem, das er mit sich
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selbst hatte: „that echoed some of my own, demon voices that you know you’re not good enough […] there was a lot of things I wasn’t accepting about myself I was you know probably attacking myself“ (T3. Z. 288-292). Im weiteren Verlauf des Interviews gibt er zu verstehen, dass er den Drang hatte, „besser sein“ zu sein wollen, da er mit sich selbst nicht zufrieden war. Er schien das Gefühl gehabt zu haben, durch den Konsum von Heroin Perfektion erreichen zu können: „I just think that for me personally it was just the way to (.) not be distracted to just get everything out of the way go straight to where I wanted to be, because I couldn’t get to where I wanted to be naturally in my life you know cause I wasn’t feeling all that great about myself“ (T3: Z. 639-641). Er nahm hierbei jedoch in Kauf, dass er sich durch den Konsum von Heroin körperlichen und geistigen Schaden zufügte. Dennoch sah er den Heroinkonsum offenbar als Komponente seines Selbstkonzeptes an, das er in dieser Zeit entwickelte: „all these things became a justifying concept of self that you know hey I’m a musician that’s what I do or- or that’s how um that’s how a lot of people do it you know“ (T3: Z. 292f.). Interessant ist, dass diese Auffassung vor allem durch Vorbilder wie Perry Farrell beeinflusst wurde, die als heroinkonsumierende Musiker erfolgreich waren, und mit denen er sich identifizieren wollte: „it’s like you just gotta be smarter than it da ta ta ta you gotta know how to you know like Perry Farrell be a you know know how to be a functional fucking you know addict“ (T3: Z. 294f.). Er schien sich hierbei vorgemacht zu haben, Heroin konsumieren zu können, ohne die Suchtkarriere eines ‚Junkies‘ einzugehen. Im Nachhinein gibt er jedoch zu verstehen: „all my heroes are kind of, like you know either dead and gone or they’re no longer you know writing good stu:ff“ (T3: Z. 343f.) Ergänzend heißt es hierzu: „I have to be my addiction or I have yea in other words I needed to replace this thing of oh man I need a to do this to be this- this- this kind of artist“ (T3: Z. 344f.). Anhand dieser Äußerung lässt sich die Lesart ableiten, dass er die Erfahrung der Drogenabhängigkeit machen musste, um sein Selbstkonzept zu verändern. Interessant ist, dass seine Vorstellung, ein „funktionsfähiger Abhängiger“ zu sein, offenbar aus seiner Auffassung über die 1960er Jahre resultierte: „when you talk about the 60’s and stuff like that […] it was a spiritual times so- um I had- thethe- the search for- for meaning and spirituality was hand in hand with mind altering drugs with consciousness expanding so it became more of a hallmark of I want to do more things that’s going to expand my conscience and make me more aware of all the things that go through me to the point where (.) every thought I have or every- every sensation I’m aware of what- what- why they why that stuff comes up as well as why they come up in relationship“ (T3: Z. 347-354)
Sein Selbstkonzept schien sich hieraus ableitend aus einer Suche nach dem Sinn des Lebens und dem Verlangen nach Spiritualität konstituiert zu haben, welche mit dem Konsum von Drogen und anderen bewusstseinserweiternden Erfahrungen verbunden war. Er geht hierbei auf die Beziehung zu sich selbst bzw. zu dem, was er ist und was er gerne sein würde, ein: „all of it was relationship, relationship to myself, relationship to concept of who I am and what I have to be like“ (T3: Z. 354f.). Zu seinem Selbstempfinden führt er im Weiteren aus:
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„I think when you go back and you realized how self how fragile the self well let alone the way you a- a- a newborn mind gets domesticated in this time and with all this psychic war going on and all- all this spiritual war going on it’s- it’s not you know it’s very easy to be confused about what a sense of self means you’ve got billboards and adds that are vying for your psychic attention you know completely undermining your worth in order to feel like you depend on these products so I was very aware of how everything was vying for that psychic attention in order for you know the public to derive a sense of self, but because I had tapped into something with music that, you know very it brought me to what who I am it’s like it’s what I do and what I breathe that it just so happened that the taboos surrounding all that also had to had its way with you know deriving sense of self and getting this- this boost of it“ (T3: Z. 355-364)
Seine philosophische Darstellung lässt an dieser Stelle mehrere Lesarten zu. Es ist fraglich, ob er mit der Formulierung „you realized how self how fragile the self well let alone the way you a- a- a newborn mind gets domesticated in this time and with all this psychic war going on“ auf seine Erfahrungen in der Kindheit anspielt, die es ihm erschwert haben, eine Vorstellung von sich selbst zu entwickeln, oder ob er sich im Allgemeinen auf die Beeinflussung von Selbstkonzepten durch äußere Einflüsse bezieht. Interessant ist, dass er hierbei sowohl auf eine Beeinflussung durch „billboards and adds that are vying for your psychic attention“ eingeht als auch von „taboos“ spricht, von denen er umgeben war, und die er durch den Konsum von Drogen offenbar zu durchbrechen versuchte. Dass sein ursprüngliches Bestreben, sich durch das Musikmachen und den Konsum von Drogen in ein „feel good feeling“ zu versetzen, das jedoch mit anhaltendem Konsum in eine Suchtkarriere mündete, realisierte er zunächst nicht bzw. versuchte er, diese Auffassung von Realität aus seiner ‚eigenen Welt‘ zu verdrängen. Er nennt innerhalb des Interviews jedoch zwei „wake-up calls“, durch die ihm bewusst wurde, welches Ausmaß die Heroinabhängigkeit tatsächlich eingenommen hatte. Ein prägendes Ereignis stellte zum einen der lebensbedrohliche Entzug seiner Partnerin dar, mit der er Heroin konsumierte (siehe Segmente 40 und 41). Seine Entwicklung zum ‚Junkie‘ wurde ihm erst durch den Zustand seiner Partnerin bewusst: „I was not as desensitized enough to recognize that this is fucked up, this girl is really fucked up she’s got some serious issues I never thought to myself as out to the point where she’s fucking saying the words mommy mommy and all this stuff a:nd I remember I gave her my last hit and I got out of there“ (T3: Z. 323-326)
Den zweiten „wake-up call“ erhielt er im Rahmen seiner Lesung (siehe Segment 42), als er realisierte, dass seine damalige Auffassung von Realität von der seiner Zuhörer abwich. Während er glaubte, ein Gedicht geschrieben zu haben, das die Welt verändern könne, war ihm nicht bewusst, in welcher schlechten (psychischen) Verfassung er sich befand. Dies signalisierten ihm jedoch die Gäste, die er zur Lesung eingeladen hatte: „I called the weird intervention so that intervention happened and then, I realized (.) like I kind of like it kind of threw me off cause I thought I was there to show them this great you know this great work that I’d been doing but it was more like they were there to let me know that
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they cared and they loved me and all this stuff so I- I- I ended up going back in- into therapy“ (T3: T. 327-331)
Über seine gegenwärtige Auffassung von sich selbst erwähnt er schließlich in Segment 48: „nowadays my- my concentration is more on how can I better my relationships in the world with people as well as myself or in myself first so that the ones in the world um happen more smoothly in order to basically give myself what I thought I needed“ (T3: Z. 364f.). In seinen folgenden Ausführungen liefert er indirekt eine Begründung dafür, warum er das Ausmaß seiner Heroinabhängigkeit so lange nicht realisiert habe: „when you talk about addiction it’s- it’s far ranging you know people can be addicted to driving all these different things whatever's the thing that they can’t stop in order to feel good to do, of course it has a sense of self because if- if when we’re okay and that’s when we say oh I’m okay hey you are quantumly (...) assigning that which- that which you’re affirming you’re okay about is the reality, you know oh I’m okay that I do this or I do this or versus just, I am okay oh I can’t do that cause I’m not da ta ta this it’s just these words you know and I think there’s like that voice is so prevalent in you know that talking voice in most people’s heads you see people rocking in on the street so it’s gotta mean that this is how they see themselves, you know they’re out there thinking that’s how the world is a:nd you know“ (T3: Z. 367-374)
Interessant ist hierbei insbesondere die Aussage „I think there’s like that voice is so prevalent in you know that talking voice in most people’s heads you see people rocking in on the street so it’s gotta mean that this is how they see themselves“. Er spricht hierbei von Stimmen, die ihm einredeten, dass alles ‚okay‘ sei, wenn er sich eine erneute Zufuhr der Droge verabreichte. Er gibt in diesem Zusammenhang außerdem zu verstehen, dass seine Auffassung von dem Konsum von Heroin auf einer romantischen Vorstellung beruht habe: „all this input from things around us becomes stimuli, but it just so happens that with heroin just a lot more there’s a lot more romanticism a lot more mistake because it’s so: instant how you don’t care about shit you know like you’re like any- any wo:rry or neuroticness you might have about anything, just seems to be much easier swept under the rug“ (T3: Z. 375-378)
Er hinterfragt in diesem Kontext seine persönlichen Motivationen des Heroinkonsums: „since Jane’s Addiction was my one of my favorite bands I think I identified with a lot of that and then found a different path basically re-look at that word or re-look at, why I wanted to identify myself with that world you know, it was um a state of mind that it was out there but everything, these days is about has been you know about putting your effort into what is- what is there“ (T3: Z. 382-385)
Wie er an vorangegangener Stelle im Interview erwähnt, habe er sich nach dem Ende seiner Suchtkarriere verstärkt der Musik gewidmet: „I poured myself into more music“ (T3: Z. 341). Er scheint nun einen Weg gefunden zu haben, mit den Stimmen umzugehen, die ihm einredeten „nicht gut genug“ zu sein. Er geht hierauf erneut in
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Segment 51 ein. Er nennt den Konsum von Heroin hierbei indirekt als eine Möglichkeit, die inneren Stimmen auszuschalten: „I just think with music (..) if you feel something and you’re good at what you do (.) most likely you’re that sensitive that you need some- you need some demon to quiet somewhere (.) how you do that becomes you know the question, you know that’s not easily answered for most people you know not most people might not have the resources to talk to somebody to do something else have something else in their lives“ (T3: Z. 387-391)
Obwohl er im Folgenden Charlie Parker als Beispiel eines Konsumenten nennt, der im Konsum von Heroin einen Weg sah, mit Konflikten umgehen zu können, lässt sich Frankies vorige Aussage auch auf ihn selbst beziehen. Wie zuvor beschrieben suchte auch Frankie einen Ausweg aus seiner familiären Situation und den damit verbundenen belastenden Faktoren. Er sah den Konsum von Heroin offenbar als eine Art „Rolltreppe“ zu seinem „realen Selbst“: „it’s access we all want access to our real self I think you know (.) but, there are, a lot of different ways to get there you know spirituality you know whatever religion anything you want to get yourself into most people find the shortcut, you know the escalator to- to- to get there“ (T3: T. 396-398). Während er einen Zugang zu sich selbst zunächst durch sexuelle Erfahrungen und später durch das Improvisieren erhielt, übernahm im weiteren Verlauf seines Werdeganges insbesondere der Heroinkonsum diese Funktion. Er beschreibt im Folgenden den Moment des Improvisierens und ‚Jammens‘, der ihn offenbar in einen ähnlichen Zustand versetzte wie die Rauschwirkung des Heroins. Nach dem Entzug von der Droge versuchte er, wieder einen Zugang zu sich selbst über den Akt des Musikmachens zu erhalten. „in improvised moment jamming same as it is in writing I need to be in a state of mind where I feel in a- in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition when I find myself not thinking as much not caring that not being overly concerned about one thing or another in the middle of jamming I can feel okay, that reminds me how I was trying to get that way um with heroin“ (T3: Z. 410-414)
Er beschreibt im Weiteren, dass er zu kritisch mit sich selbst gewesen sei und Dinge „überdacht“ habe. Die Art und Weise, wie er mit seinen Emotionen umgehe, habe sich, aus gegenwärtiger Perspektive betrachtet, jedoch verändert. „I started relating to becoming better friends with my emotions in a way like- instead of wanting them to be something else I’d listen to them and allowed them to be what they are and then create from that (.) before it was kind of like I can (.) write off of everything I didn’t want to listen to and just go with what I wanted to do, now I can still do that because in improvised context I can sit and- and listen to all the things that are going on around me and I’m working with that to create one you know beautiful sentence or beautiful paragraph (.) I find that to be the most healthiest because I notice that I’m in all parts of my being“ (T3: Z. 418-424)
Interessant ist, dass er davon ausgeht, im gegenwärtigen Zustand, ohne den Konsum von Heroin, auch einen anderen Zugang zu seiner Kreativität zu haben: „I can think about things I can feel ‘em I can access my feeling and therefore I can- I can be more
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in touch with my creativity“ (T3: Z. 434f.). Im Vergleich zu seinen Erfahrungen unter dem Einfluss von Heroin führt er hierzu aus: „when I started to get into that lock with heroin that’s, that’s- you know what I mean that’s just another thing between me a:nd, the truth that’s already out there you know […] all this song is all right there I just have to be open enough to let it come through but I kept on thinking oh no I need to get on this step ladder to get to this and if I don’t have that step ladder right there to get to that part then I’m never going to get the thing over there you know and that- that was really limiting, that was very you know it was very depriving because it was a sense of security it was a sense that okay if I don’t feel it this way then I won’t be able to access what I think is good but I was judging it“ (T3: Z. 426-435)
Heroin schien wie ein Schutzschild zu fungieren, das nur eine bestimmte Art von Emotionen zu ihm durchdringen ließ und andere wiederum abschirmte. Er gibt zu verstehen, dass Emotionen nun freien Zugang zu seinem Selbst hätten. Er lasse sich auf diese ein und nutze sie kreativ. Über die Auffassung von sich selbst in der Gegenwart führt er darüber hinaus aus: „some people’s sense of self is only what their ego wants to project as opposed to accepting the isness of, what- what you are the nowness of it as opposed to oh I wanna project myself in the future looking like this I do that in my creativity, where it’s like you know I- I- I- I envision something and I go after it but the steps to get there (.) i-is about taking is being more truthful with it you know as opposed to, trying to hammer it down and I remember I used to like doing drugs to reduce the time it took to hammer it down, into forcing those things, you know it was like a- it was like a weird need- need for control back then but now I-, my sense of myself and my sense of- of- of spiritual duty in my impro- improvisational craft feels a lot more open and less more accessible, than it used to be“ (T3: Z. 434-445)
Er ergänzt hierzu, dass er insbesondere Yoga und Meditation als Zugang „zu sich selbst“ nutze. Interessant ist, dass er sich Ersatzrituale schafft, die dem Drogenkonsum, den er zunächst auch als rituelles Happening ansah, entgegenstehen: „do things ritually but in a mantra, as opposed to ritually addiction, because I used to love that aspect of it cause I was very much into performing magical things I thought the whole setup was just so goddamn romanticized like you know just setting up my rig having all this and it was just you know, a:nd I think what I was really just after was, a spiritual ritual I wanted to get to a spiritual ritual“ (T3: Z. 448-451)
Im Folgenden geht er auf das Ritual des Drogenkonsums, welcher auch einen „Wandel“ seiner Auffassung von Realität hervorrief, näher ein: „what mattered most to me in addiction when I thought of transition(?) was the ritual of habit, and I started to think well shit (.) neurotic people might need to or OCD people might need to turn on a light switch twenty times before they can feel comfortable before they enter the room, but, that is their ritual that is what’s conjuring and making reality for them so that they can that’s a way of consecrating a place to be inhabited and to do work through (.) same thing with- with- with addictions the repetitive aspect of ritualizing it is the same psychology that it
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takes to you, either perform magic, or-or perfo:rm (.) um sacred prayers, to, consecrate a situation to align yourself into tuning with something“ (T3: T. 454-461)
Das „tuning“ bezeichnet er als ein Gefühl des (inneren) Friedens, nach dem er offenbar eine Sehnsucht hegt. Sowohl der Konsum von Heroin als auch die anderen Zugänge, die er wählt, um „zu sich selbst“ zu gelangen, scheinen diese Sehnsucht zu befriedigen. Er beschreibt sich aus gegenwärtiger Perspektive als „offener“ gegenüber sich selbst und im Umgang mit Kreativität: „I’m more open with myself now that, with my, with the creativity now that I don’t have, I don’t worry about those things, or try not to worry about them moment to moment“ (T3: Z. 465-466). Er zieht in diesem Zusammenhang einen Vergleich zwischen seiner Selbstempfindung in der Gegenwart und der Vergangenheit. „my ego was so much more, on fire and fragile then you know like man I wasn’t gonna be good enough to do these things you know or I wasn’t gonna like or be liked what I was producing wasn’t gonna be liked by me or other people if it wasn’t through this feeling, in other words I would be panicked to feel like I gotta feel this fucking this hype first and then get it there, but I can I feel now I can reach that high hype by going with the flow if that hype needs to go there I can summon it if it needs to but if it doesn’t need to be there because my ego is getting in the way of trying to push it then, then I can just let what creativity already has to offer whatever the spirits are already doing out there that I’m just there too move along“ (T3: Z. 468-475)
Abschließend gibt er zu verstehen, dass er seine Erfahrungen gemacht habe, „I went down my road I figured out what I was running from and where- where I wanted truly to how I really truly wanted to be“ (T3: Z. 727f.). Rückblickend betont er erneut, dass er unbedingt eine „kreative Person“ sein wollte und den Drogenkonsum als einen Zugang zu seiner Kreativität ansah. Aus gegenwärtiger Perspektive gibt er jedoch zu verstehen, dass er Drogen nur noch zu besonderen Anlässen konsumiere: „as I’m older it’s like I don’t do as many recreation drugs hardly as much but if there’s gonna be a special time where I’m gonna be going out to desert to do something with music I’ll- I’ll be in that situation“ (T3: Z. 729-731). Er verzichtet hierbei jedoch auf ‚harte‘ Drogen wie Speed oder Meth. Er ist sich offenbar dessen bewusst, dass der Konsum dieser Drogen mit dem Risiko verbunden ist, erneut in einen Suchtkreislauf zu geraten: „that could be another bad road for me cause I can easily see myself getting into something like that but I just- I’m getting older and I don't wanna- I want better access to my- my healthy (.) sources“ (T3: Z. 732-735).
11.5
SCHRITT 4: FEINANALYSE
Im Folgenden werden die Segmente 27, 28, 42 und 73, in denen Frankie über seine Lesung berichtet, welche einen Wendepunkt in seiner Suchtgeschichte darstellte, genauer betrachtet. Ebenso wird das Nachgespräch, das zuvor nicht Teil der Analyse war, einer gesonderten Feinanalyse unterzogen.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 459
11.5.1 Segmente 27, 28, 42 und 73: „The weird intervention“ Als er nach seinem ersten Entzug rückfällig wurde, entwickelte er seiner Auffassung nach eine psychotische Störung – zumindest führt er sein damaliges Verhalten auf diese zurück: „it was like weird a weird like you know like psychosis that I started to get into that I thought I was kind of coming from a different place I realized that I was in like a really different kind of you know out of my mind“ (T3: Z. 224-226). Er beschreibt seine damalige Wahrnehmung wie folgt: „I was getting into this weird place (.) where I was strangely heightened (.) where I started to get into this thing where I started to believe that I could read people’s minds“ (T3: Z. 206-208). Er schrieb zu dieser Zeit einen lyrischen Text, den er als „Meisterwerk“ bezeichnete und von dem er ausging, dass er die Welt verändern werde: „the poetry I was writing at that time, was (.) in my mind I thought that this one magnum opus poem I was starting to write was the key to- um, to changing the wo:rld and society and saving lives in a weird way“ (T3: Z. 208-210). Er versuchte, seine Texte anderen Menschen vorzustellen und die Rolle eines „Missionars“ zu übernehmen: „I started to carry this book around like I was some weird proselytizing you know priest and I would hold this book in my hand and I would close my eyes and- I felt like I had this heightened heightened sense of intuition with people around me and my friends and I started to say things that were kind of like or um you know describe things that were going on in people that they were like whoa, that’s like- like some if it was uncanny some of it was on but I stared to feel really, like I gotta- I gotta share this I have to share thi- this thing“ (T3: Z. 210-215)
Um seinen engsten Freunden und seiner Family sein Werk vorzustellen und das damit verbundene Wissen weiterzutragen, lud er sie zu einer Lesung ein. „I remember I tried to call all my friends and family at home my- my brother his girlfriend all my best friends in the band you know all my close female best friends cause I wanted to show them you gotta hear the- the- the- the knowledge in this poem […] I felt like I was holding on to this weird bible or whatever and little did I know it I called everybody in inadvertently into a into- um an intervention, a:nd, my point was to go oh man I gotta break off all this great- this stuff that I’ve been downloading in my head about this stuff“ (T3: Z. 215-221)
Im Nachhinein gibt er zu verstehen, dass es ihm in seinem Wahn nicht aufgefallen sei, dass seine Gäste über seinen (körperlichen und seelischen) Zustand besorgt gewesen waren. Seine Darstellung, „I was just like oh yea yea of course yea I started doing it again but, you know this this is important you know this was gonna help save mom’s life“ (T3: Z. 222f.), erweckt den Anschein, als habe er in der damaligen Situation nicht wahrhaben wollen, welches Ausmaß der Drogenkonsum angenommen hatte. Es ist hierbei fraglich, warum er diese Vorstellungen überhaupt entwickelte. Es ist zu anzunehmen, dass er in dieser Zeit verschiedene Drogen konsumierte, die eine psychotische Reaktion bedingten. Andererseits liegt der Verdacht nahe, dass die geistige Verwirrung durch weitere belastende Komponenten hervorgerufen wurde: Vermutlich befand er sich durch den Tod der Mutter und eine damit einhergehende Überforderung durch die Verantwortung, die er übernehmen musste, in einer Art Schockzustand, der durch den Drogenkonsum intensiviert wurde. Auch seine Formu-
460 | Hauptstudie
lierung „this is important you know this was gonna help save mom’s life“ lässt auf einen Zustand der Verwirrung schließen. In Anbetracht seiner vorangegangenen Erzählung war die Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Interessant ist im Weiteren seine Aussage „this heightened sense as you know was having me behave off kilter and the way I saw things were just not very rational“ (T3. Z. 226f.). Er gesteht sich rückblickend ein, dass er durch „this heightened sense“, welcher offenbar aus dem Konsum von Drogen hervorgerufen wurde, in den von ihm beschriebenen Zustand versetzt wurde und daher eine irrationale Auffassung der Wirklichkeit hatte. Dass seine Konstruktion von Wirklichkeit von der seiner Gäste abwich, realisierte er jedoch erst, als er die Reaktionen dieser wahrnahm. Offenbar konnten die Außenstehenden seine Begeisterung über das lyrische Werk nicht teilen: „I’m sitting in this chair and I’m ready to tell them all about this stuff, and they’re all gathered around me and they’re all telling me that they love me and I thought that was wei:rd I was like what’s going o:n“ (T3: Z. 228-230). An späterer Stelle im Interview (siehe Segment 42) führt er seine Gedanken hierzu weiter aus: „I realized (.) like I kind of like it kind of threw me off cause I thought I was there to show them this great you know this great work that I’d been doing but it was more like they were there to let me know that they cared and they loved me and all this stuff“ (T3: Z. 328-330). Einflussreich schien in diesem Zusammenhang auch die Begegnung mit B. gewesen zu sein, der auch an dem Treffen teilnahm und ihm verdeutlichte, in welchem Zustand er sich offenbar befand: „he was there amongst the friends that came out that night to um our studio when I was telling everybody you know what I wanted to share with them a:nd then he took me aside and was like bro and he just he saw you know what I was going through and he was just like you know you gotta cut this shit out man cause you know this is not you man I watched you grow up when you were a kid you know, and thi- this ain’t you man“ (T3: Z. 581-585)
Aus seinen weiteren Ausführungen wird deutlich, dass Frankie mit der Reaktion des Freundes in der damaligen Situation nicht umgehen konnte. Seine Vorstellung von Wirklichkeit im Zusammenhang mit seinem körperlichen und seelischen Zustand schien nicht mit der seines Freundes einherzugehen: „it was just kind of like out of body, I’m like who’s he talking, why’s he talking to me about this […] there isn’t a problem here I was like I’m here for a whole other different reason so it was kind of a weird cognizant dissonance happening where I was like, yea but that’s for other people […] I mean I understand you went through that it was just weird“ (T3: Z. 586-589)
Frankies Aussagen zufolge, versuchte B. ihm bewusst zu machen, dass er etwas an seinem Lebensstil verändern müsse: „he was trying to knock some sense into me he was trying to like get to me cause he saw how crazed I wa:s“ (T3: Z. 589f.). Da er an dieser Stelle behauptet, dass B. die einzige Person zu dieser Zeit war, der er seine Geschichte anvertraute und die über seinen Heroinkonsum Bescheid wusste, ist davon auszugehen, dass B.s Worte Einfluss auf Frankies weitere Handlungsoptionen hatten. Tatsächlich folgt er dem Rat seines Freundes: „I ended up going back in- into therapy“ (T3: Z. 330f.).
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 461
11.5.2 Segmente 89-108: Nachgespräch Zentrales thematisches Feld im Nachgespräch ist die Auseinandersetzung über den Musiker John Frusciante (siehe hierzu auch 2.3). Der Interviewte kommt auf dieses Thema nicht nur zu sprechen, weil ich ihn indirekt dazu auffordere, „okay John Frusciante“ (T3: Z. 740). Auch im Rahmen des gegenseitigen Kennenlernens wurde bereits über den Musiker gesprochen. Es stellte sich heraus, dass dieser sowohl prägenden Einfluss auf die thematische Rahmung dieser Arbeit hatte als auch eine bedeutende Rolle im Lebenslauf des Interviewpartners spielte. Er geht zunächst auf das Aufwachsen in der hiesigen Künstler*innenszene von Los Angeles ein: „the interesting thing about growing up in Los Angeles and being so close um to Jane’s Addiction and Perry Farrell and- and John Frusciante they were all local heroes I ended up actually playing with Perry Farrell I played with his band live after Jane’s Addiction the solo album the solo project I toured with him“ (T3: 741-747)
Er erwähnt hierbei, dass er Perry Farrell auf seiner Solo-Tour begleitete und somit Teil einer Musikszene war, in der sich auch Musiker wie John Frusciante aufhielten. Interessant ist, dass Frankie für Farrell erst nach seiner Suchtkarriere spielte. Über die Zeit vor seinem Konsum und damit verbundene Musikerpersönlichkeiten, an denen er sich orientierte, erinnert er sich wie folgt: „when I was getting into Pink Floyd in high school I also heard a little bit of um of um Syd Barrett’s music and, I thought how (.) there was something beautiful about how free he was in this madness and something about that was like all- alluring cause I was like man he’s not he sounds like he’s not writing from a place where he goes is this chord okay or is this he’s not thinking about that he’s just pure whatever’s going through him“ (T3: Z. 748-752)
Als er begann, sich im Teenager-Alter mit Pink Floyd auseinanderzusetzen, interessierte ihn offenbar besonders deren ehemaliges Mitglied Syd Barrett, der die Band bereits 1968 aufgrund psychischer Probleme, die offenbar aus seinem exzessiven Drogenkonsum resultierten, verließ. Zuschreibungen wie „how free he was“, „this madness“ und „alluring“ deuten darauf hin, dass er Gefallen an Barretts Art und Weise, wie er sich (musikalisch) präsentierte, fand. Interessant ist, dass er in musikalischer Hinsicht einen Zustand beschreibt, nach dem er sich selbst sehnte: „he sounds like he’s not writing from a place where he goes is this chord okay or is this he’s not thinking about that he’s just pure whatever’s going through him.“ Er sah in Barrett Eigenschaften bzw. Fähigkeiten, die er zu adaptieren versuchte. Eine ähnliche Begeisterung schien er in dieser Zeit auch für John Frusciante zu entwickeln, mit dessen Aussagen, die dieser in Interviews äußerte, er sich verbunden fühlte. „I would watch John Frusciante interviews a lot all this stuff he would talk about I really felt I related to so then when I watched when I heard his music and watched his interviews when he was all fucked up and I watched how he would descri:be why he was doing it why he decided to consciously become a junkie and just do that in a way I thought that was brave“ (T3: Z. 752757)
462 | Hauptstudie
In der Zeit, als Frusciante die Red Hot Chili Peppers verließ und sich dafür entschied, ‚Junkie‘ zu sein, begann auch Frankie seinen Heroinkonsum. Frusciante fungierte hierbei offenbar als eine Art Vorbild, dessen Einstellung und Lebensstil er imitieren wollte. „he was just like- he: was trying to get to a place of purity, and that pureness is something I think we can all relate to when I talk about this access thing, I feel it’s like that same thing when you see that the world is ugly and you’re, and- and- and the way John Frusciante didn’t like the music business the Chili Peppers getting very famous […] and it was not like he didn’t feel like he was doing it for the right reasons, I think what he wanted was to feel a purity a connection to that place where the pure source of music can come through him“ (T3: Z. 758765)
Er knüpft hierbei an die Gedanken an, die er bereits im Zusammenhang mit Syd Barrett äußerte. Erneut betont er ein Verlangen nach „Reinheit“, „to feel purity a connection to that place where the pure source of music can come through him“ (T3: Z. 764f.). Dass er diesen Aspekt auch im Kontext seiner Ausführungen über Frusciante erwähnt, deutet auf ein starkes Verlangen seinerseits hin, einen ähnlichen Zustand zu erreichen. Er ist der Auffassung, dass Frusciante sich bewusst dazu entschiedenen hätte, den Weg des ‚Junkies‘ einzuschlagen, und seinen daraus resultierenden schlechten Gesundheitszustand in Kauf genommen hätte, um Ängste und Sorgen ausblenden und sich kreativ entfalten zu können. „and so he chose to go down that path in that same way we were talking about the fear and the anxiety where it just cleared everything away and he could but he knew he was doing it to such a point, that he was gonna be fucking teeth were gonna fall out all this stuff […] he was dedicated to accessing the creativity“ (T3: Z. 765-770)
Auffällig ist, dass er – bewusst oder unbewusst – durch die Erzählung über Frusciantes Suchtverlauf eine Parallele zu seiner eigenen Lebensgeschichte herstellt. Wie er selbst habe Frusciante seinen körperlichen und seelischen Verfall sowie die Besorgnisse nahestehender Personen nicht wahrgenommen bzw. nicht wahrhaben wollen. „now to some people that- that- that may have loved him and cared about him you know and felt really uncomfortable watching him go down that road yea that would be you know that would be discomforting for other people around but since he was like no I’m chosing to go down this road and I’m not gonna pretend that I’m you know not an addict I’m gonna go down this and do nothing but, get high paint and write“ (T3: Z. 770-774)
Seine Darstellung erweckt den Anschein, als wolle er am Beispiel Frusciantes seine eigenen Vorstellungen von sich selbst verdeutlichen. Offenbar habe sich Frusciante – wie Frankie zuvor auch über seine eigene Vorstellung berichtete – nicht als ‚Junkie‘ gesehen, sondern sich dem Konsum von Heroin zugewandt, um den Zustand des ‚High‘-seins für seinen kreativen Prozess zu nutzen. Dass er seine Gedanken im Folgenden auf Carl Jung zurückführt, bestätigt die eingangs aufgestellte Vermutung, dass Frankie sich vor dem Interview mit psychoanalytischen Konstrukten auseinandergesetzt hat. Mit der Thematisierung des „Unbewussten“ geht er auf ein von Jung
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 463
und Freud geprägtes Basiskonzept der Analytischen Psychologie ein, demnach dem Menschen eine unbewusste psychische Grundstruktur zugrunde liegt. Auf der Grundlage dieser Theorie geht Frankie von einer „untouched pure like nowness reality“ aus; ein Zustand des Bewusstseins, von dem er glaubte, dass Frusciante ihn durch den Konsum von Heroin erreicht hätte: „to me wherever that place was that he accessed it’s kind of like, like it’s like the way you familiar with how Carl Jung talks about the unconscious mind so that aspect it’s like in primordial times when you know man was still part ape or something, the connection to everything that the brain was experiencing, pure untouched pure like nowness reality, I believe that’s part of what he was trying to achieve and then when I heard that music I was like this is so:, genius like this is so I mean it’s genius because it’s just so unbridled and you just don’t see that music anywhere“ (T3: Z. 774-779)
Von dem musikalischen Output, den Frusciante offenbar in dem von Frankie beschriebenen Zustand erzielte, schien Frankie so begeistert zu sein, dass er es ihm gleichtun wollte: „it was like this expression that spoke to me that I was like you know what that- I believe in him I believe what he’s doing [...] it was daring and it was very in one ways it was very stupid but in other ways it was really daring but I respected what he was able to produce from that state“ (779-786)
Interessant im Weiteren ist, dass Frankie sich offenbar nicht nur im Zuge des Einstiegs in den Heroinkonsum an Frusciante orientierte, sondern auch in Bezug auf den Ausstieg aus der Sucht. Als Frankie bereit war, vom Heroin zu entziehen, führte auch Frusciante bereits ein abstinentes Leben, an dem sich Frankie zu orientieren schien: „he went through it and you know came out the other end and now he’s like super fucking yoga guy he’s like completely connected his idea of his own spirituality is all of his own, and I respect that I respect that what he chose to do in being able to reconnect with himself or to redefine what his self was“ (T3: Z. 786-789)
Erneut geht er in diesem Zusammenhang auf die Motivationen Frusciantes ein, die Red Hot Chili Peppers zu verlassen und sich dem Konsum von Heroin hinzugeben. Es erweckt den Anschein, als versuche er den Einschlag dieses Lebensweges, den er in ähnlicher Weise selbst verfolgte, zu rechtfertigen: „when he was going through the Chili Peppers and all this stuff at first it was this he was a teenager favorite band you know he joined his favorite band in LA and then they start getting big and he didn’t see them as that big and he couldn’t you know it was hard for him to cope with the pressures of whatever that means to be this new likeable band videos everywhere pictures of you everywhere tours everywhere he started to resent, you know that audience he felt he was getting disconnected from some other pure place that he can just be with the sole purpose of um of just expressing“ (T3: Z. 790-797)
464 | Hauptstudie
Am Beispiel Frusciantes erkannte Frankie offenbar, dass es auch nach dem Konsum von Heroin möglich war, kreativ zu sein und Platten aufzunehmen. „for him it was life it was (?) it was probably therapeutic and he wrote albums after that like once every year for like seventeen you know ten years straight where he produced like an album every year, and it sounds like on the album he didn’t give a fuck what it sounded like he didn’t care if it was like you know the next Chili Peppers album if it was in he just wrote songs just to write songs“ (T3: Z. 797-801)
Die zuvor aufgestellte Vermutung, dass Frusciantes Entscheidung, ein abstinentes Leben zu führen, einen prägenden Einfluss auf Frankies weiteren Lebensweg hatte, bestätigt sich innerhalb der folgenden Sequenz: „for me: that process was really (.) like that relating to that aspect post-addiction was another lesson for me through Frusciante […] because it was like (.) am I creating to create what my ego wants to see what this idea is or do I just create and let it come through, and I had to find an understanding or a balance between that“ (T3: Z. 301-306)
Interessant ist, dass er an dieser Stelle erneut auf das Experiment zu sprechen kommt, welches er bereits in Segment 24 erwähnte. Auch hierbei orientierte er sich offenbar an Frusciante. Er führt hierzu aus: „there was times where I would wake up, in the morning […] where- cause you know I find there’s something very special about like five AM like your consciousness is- is in this dreamy place somewhere between sleep and awakeness it’s like a weird trip and I remember I was going for like a month or two straight, every day waking up first thing turning on my four track and whatever my fingers were doing I didn’t care I didn’t think about composition I didn’t think about whether this note was right I just let whatever my subconscious was going through it was an exercise sort of, borrowing from John Frusciante and what seemed like those- those explorations just to see if I can be (.) okay with the truth (.) you know whatever the truth okay with the truth that’s like a metaphor for- for being okay right now“ (T3: Z. 306-315)
Durch die Erzeugung eines „feel good feelings“ auf natürliche Art und Weise konnte er sich – nach Vorlage Frusciantes – in einen Zustand versetzen, der es ihm ermöglichte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, ohne sich durch andere Stimmen beeinflussen zu lassen. „I’m talking right now I don’t I’m not censoring myself you know or I might be thinking or maybe I am maybe I’m thinking of certain words but that process that I- that I- that I attribute to John Frusciante was just like (..) can I practice not giving a fuck […] in order to reach a place where I can access this feeling so it doesn’t get in my way later in other- in other places“ (T3: Z. 315-320)
Interessant ist, dass der Individuationsprozess, von dem er ausgeht, dass Frusciante ihn nach seinem Drogenentzug durchlaufen hätte, auch in dessen musikalischem Output zu erkennen sei.
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 465
„there was just so much about John Frusciante’s music in the first three albums that I um I really really appreciated and saw what he doing where he was wanting to go, the pure expression the- the no boundaries no boundaries cause in a way that’s liberating it’s very liberating to do things where you don’t have to worry about the rules you know a safe place“ (T3: Z. 320-324)
Auch in musikalischer Hinsicht orientiert er sich folglich an Frusciante. Durch den Prozess des Musikmachens habe er sich fortan in einen Zustand versetzen können, in dem er sich nicht nur wohl fühlte, sondern auch nicht mehr darüber nachdenken musste, was ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ war. Interessant ist, dass er diesen Prozess als eine Art „spirituelle Übung“ ansah. Auch hierbei spricht er erneut von einem „Ort der Reinheit“: „can you imagine the last time you felt like you could be in a safe place where you didn’t have to worry about the rules or- or doing something wrong or doing something that somebody else might not like […] when I realized that this was a spiritual exercise to come go into this place and just write from that pure you know place where you don’t you’re just you just serving the music whatever’s gonna come through you no matter how it looks cause it used to think music had to be nice and packaged […] that’s when I realized what I was doing in music I was on the right path because I saw what John Frusciante was doing“ (T3: Z. 324-333)
Er erhielt durch die spirituelle Erfahrung einen Zugang „zu sich selbst“, der mit einem seelischen Wohlbefinden verbunden war. Im Zuge seines Individuationsprozesses fand er einen ‚Ort der Reinheit‘, an dem er nicht von äußeren Faktoren beeinflusst wurde und sich seines ‚Selbst‘ bewusst wurde. Er betont im Weiteren erneut, dass er sich mit Frusciantes Musik innerhalb dieses Prozesses verbunden fühlte: „when John Frusciante released his stuff, I was like yea that’s what I’m talking about going in that way where you just- you just be free form and not care about putting that out“ (T3: Z. 333-337). Zum Abschluss unterhalte ich mich mit Frankie über die ersten Solo-Alben, die Frusciante während der Phase seiner Heroinabhängigkeit veröffentlichte. Wir beschreiben unsere persönlichen Faszinationen über diese Alben und stellen damit eine verbindende Komponente fest. Ich kommentiere hierzu: „it was such a magical moment for me when I was listening to […] Niandra Lades and Smile From the Streets it was like it touched me and I cannot explain why (.) it was so: (..) and it, this was the beginning, the start“ (T3: Z. 358-362). Frankie gibt im Nachhinein zu verstehen, dass er sich zuvor mit Niemandem auf diese Art und Weise über seine Erfahrungen und Ansichten austauschen konnte. Er beendet das Gespräch mit den Worten: „wow (.) I’m so: honored then to be a part of that John being the catalyst“ (T3: Z. 865).
11.6
SCHRITT 5: KONTRASTIERUNG DER ERZÄHLTEN MIT DER ERLEBTEN LEBENSGESCHICHTE
Es wird im Folgenden dargestellt, wie Pepe seine Lebensgeschichte in der Vergangenheit – bzw. aus der damaligen Gegenwart heraus – wahrgenommen hat und wie er diese aus der Gegenwart heraus rekonstruiert und reflektiert.
466 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
< 11
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
Bruder spielt in Punk- und Thrash-Bands; probiert Instrumente vom Bruder aus
„[I] was always very curious and interested in the environment around me“
„family life […] wasn’t there or satisfying“
„I wanna be a performer“
übt Performances mit Besenstiel vor dem Spiegel
beginnt Gitarre und Bass zu spielen; erlernt Instrumente autodidaktisch
„it was really easy to be in my own world […] it, provided me a sense of um comfort“ „I was left myself“
„I used to take a lot of things apart and see how they worked“
„I started to develop you know that side of myself sexually“
„I was um introduced to um to sexuality in- in what I would say a less than ideal kind of way um there was two to three: molestation accounts when I was a kid“
„it became a very tricky and confusing world trying to understand you know boy and girl boy meets girl“ „I was stuck in a weird confusion between this feels good and this feel weird“ „you’re not good enough“
> 14
konsumiert Pot und Marihuana
beginnt mit Freunden zu ‚jammen‘ und zu improvisieren beginnt Schlagzeug zu spielen; programmiert Beats bekommt 4-TrackAufnahmegerät geschenkt; erste Aufnahmen
„I […] like dress up as a ninja and go on people’s roofs and see if I can spy on them when I was a kid all by myself“
„wow this is something that really I feel really connected to“ „I need to be in a state of mind where I feel in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition“ „I find myself not thinking as much not caring that not being overly concerned about one thing or another in the middle of jamming I can feel okay“
„I wanna be a professional skateboarder “
„I‘m not good enough“
„I was very much a craver of certain stimulations cause my capacity for understanding things and looking at the relationship things needed places to outlet“ „I was really good at being able to listen to music and pick it up and teach myself how to play it“ „my ego was so much more, on fire and fragile […] I wasn’t gonna be good enough to do these things you know or I wasn’t gonna like or be liked what I was producing“ „this is something that’s very visceral
„am I good enough?“ „I wanna be in this feeling more“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 467 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„music seemed to be the um the defining um moment“
Improvisation: „you have the potential for godhead in the sense of making a choice“
and it spoke to me so tha:t um became right away a place where um I can feel a sense of empowerment and a sense of self“
„I learned that I knew how to improvise“
„with that came an incredibly empowering u:m you know feeling“ Wahrnehmung unter Drogen: „subconscious surreal“
> 16
Pot und Marihuana Alkohol „oh let’s do it with getting high or doing or being drunk“
Gründung erste Band hört Pink Floyd; interessiert sich für Syd Barrett; ist Fan von John Frusciante steigt als Gitarrist in G.s Band ein;
„it was curiosity through other music cause I wanted I was exploring myself“ „I realized what I was good at“ „smoking all this pot and we’d just be jamming out these Pink Floyd songs […] wow this sounds fun“
erste Recording Recording: „whoa I can’t believe that this could happen“ „it was just something that I don’t know I just felt, the closest to spirituality“ über Syd Barrett: „I thought how (.) there was something beautiful about how free he was in this madness and something about that was like alluring“ über John Frusciante: „would talk about I really felt I related to so“ „I heard his music and watched his interviews
Selbstkonzept
Musik und Drogen: „all this stuff sothey became so hand in hand“ „[I wanted to] get this something’s gonna happen feeling going this adventurous feeling“ „I- can’t remember you know the times in playing music where I wasn’t getting high and smoking pot while we were playing music and jamming“ „it was very stupid but in other ways it was really daring but I respected what he [J.F.] was able to produce from that state“
„I really truly want to be the kind of creative person“
468 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„the need to explo:re drugs in the context of music became a- a- a liberating one“
„I wanna know who I am“
when he was all fucked up and I watched how he would descri:be why he was doing it why he decided to consciously become a junkie and just do that in a way I though that was brave“ „I heard that music I was like this is so:, genius“ „it was like this expression that spoke to me that I was like you know what that- I believe in him I believe what he’s doing“ konsumiert Pot und Marihuana probiert Mushrooms, LSD und andere Drogen Alkohol
spielt in Band
„you’re not good enough“ „I want to do more things that’s going to expand my conscience and make me more aware of all the things“ „I didn’t want to listen to [my emotions] and just go with what I wanted to do“
„the normal state of enjoying an adventure couldn’t be good enough“ „there was a lot of things I wasn’t accepting about myself I was you know probably attacking myself“ „I couldn’t get to where I wanted to be naturally in my life you know cause I wasn’t feeling all that great about myself“ „the search forfor meaning and spirituality was hand in hand with mind altering drugs with consciousness expanding“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 469 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„all of it was relationship to myself relationship to concept of who I am and what I have to be like“ > 19
erster Heroinkonsum (rauchen und schnupfen)
Bandgründung XY Favorisierte Band: Jane’s Addiction
trifft ‚erste große Liebe‘: „it was the first time I really can feel like I was having these feelings about somebody“ „I’m with somebody who understands all these other aspects of the world“ „I’ve got this girl who you know, loves me and I’m in love with her we’re like happy together we’re doing all these drugs and we’re having all these great fucking philosophical conversations“ „it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high feels like fucking you know the (?) society feels like bohemian society“ „it’s like you just gotta be smarter than it“ „I sat for four hours and compo:sed and recorded this who:le track with all these layers after getting high and I was just like (.) wo:w, whoa: I was like no: wa:y“ „addiction that’s a positive word“
„[heroin] came with her“ „we went full on into it“ „I was already delving into all these other dark worlds“ „I was already going with music where I was like you know finding different ways to express myself“ „heroin […] andand um other opiates and ecstasy so you know I thought it was interesting cause all these cats were like pseudo-snobbish intellectual kids so it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high“ „all these things became a justifying concept of self“ „what I was really just after was, a spiritual ritual I wanted to get to a spiritual ritual […] addiction was the ritual of habit“ „I didn’t have really any reservations about oh no no I’m not gonna do heroin“ „my heroes were heroin users“
„hey I’m a musician that’s what I do“ „I need […] to be this- thisthis kind of artist“ „[I wanna be part of] the bohemian society“ „I want to identify myself with that world“
470 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„I thought by going through it there would be some, some greater epiphany“ „[heroin] became a motivating thing“ „I already associated myself with the bands that I lo:ved and they all did drugs and all this stuff“ 22
Heroinkonsum
spielt in Band XY
(rauchen und schnupfen)
„she was pulling away and that devastated me“ „she broke up with me and my mom was sick I just felt like I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“
Entzugserscheinungen
„it started to become you know seven o’clock ta da da and all of a sudden realize I’m starting to do it when I wake up“ „it was the fear that I wasn’t going to be okay“ „my body would react to the chills“
22
1. Entzug
nimmt Songs auf
„we were being self-deprecating and that was turning each other o:ff“ „you don’t care about shit you know like you’re like any- any wo:rry or neuroticness you might have about anything, just seems to be much easier swept under the rug“
„[I’m] a passionate artist musician“ „I can’t handle this“
„I was hiding it from everybody“ „it was starting to become an issue I couldn’t keep under wraps“ „it started taking away my appetite“
„you can’t handle this“
„wasn’t really conscious or cared much about how my what my body needed outside of you know getting high or feeling good“
„it was like masturbating like a madman“
„I started to research all these things“
„I wanna get this feel good feeling“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 471 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„I couldn’t be in my skin I was like you know after the fourth time masturbating it’s like I couldn’t get this feel good feeling““
„I started this later informed me of lie you know the correlation between diet and ADD a:nd, and um feel good dopamine things“
„in the desperateness of being depressed and being you know really in pain and- and feeling helpless“ „I was so desperate to feel you know, not this pain“ „if pain is derived from the (.) of comfort then dopamine is one of those things that um alleviates that“ „I [was] feeling so: (.) so: just helpless about the- an overwhelming amount of guilt started to come over me“
wird rückfällig; findet Spritze beim Arzt beginnt Heroin zu spritzen Beziehung mit ‚Junkie‘Freundin
„I started to finish something I felt an overwhelming you know degree of, of not only dopamine but a sense that wow I just accomplished this“ „those voices just were not bothering me about what I could and couldn’t do“ „it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration“
Selbstkonzept
„I left my brother in a lurch because I- I just I bailed on helping him get all this stuff together cause I couldn’t wrap my head around it so I started using again“ „I was going for like a month or two straight, every day waking up first thing turning on my four track and whatever my fingers were doing I didn’t care I didn’t think about composition I didn’t think about whether this note was right I just let whatever my subconscious was going through it was an exercise“ „I wasn’t really aware as much as I am now wasn’t really conscious or cared much about how my what my body needed outside of you know getting high or feeling good“ „it just help me feel better so I could write more consistently through the night“ „I was firing at a lower slower level
„[I’m] a functional fucking addict“
472 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
I wasn’t getting my sources of things in a healthy- in a healthy way“ 22/ 23
Erster WakeUp Call
„this girl is really fucked up she’s got some serious issues I never thought to myself“
lebensbedrohlicher Entzug der ‚Junkie‘Freundin Heroinkonsum Alkohol
„I was not as desensitized enough to recognize that this is fucked up“
„I don’t wanna be fucked up“
„the things that I loved to do mostly were starting to become a chore“
„I’m a junkie, I can’t get out of it“
„it became, a crutch“
„I don’t wanna pick up the guitar I don’t wanna go to rehearsals“
„we would score together and then do drugs at my house“ verpasst Proben; gibt vor, krank zu sein
„I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“ „it was like like having a candy like oh I can take ok I’m gonna take this candy with me over here“ „have my will taken over by these things“ „[it] make my mind think that oh man things are not gonna be okay“ „I won’t be able to keep hiding this at work“ „doing I really knew that I was in- in- in a trouble I couldn’t get out of“
„it was psychological that I was the most afraid of, because when my body would react to the chills“ „I was like um overly concerned with how I was going to appear“ „you don’t have this under control or that you’re weak for not having it under control“ „it’s just started to erode at my ability to choose to do other things I like“ „you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to“
„I didn’t want people to know that I was having a hard time“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 473 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„get high and then nod out“ Heroinkonsum
„it didn’t seem so bad“
„that was my justification“
Alkohol
„I didn’t know who to turn“
„you don’t wanna give out let on that you know you don’t have this under control or that you’re weak for not having it under control“
„I felt really ashamed“ „I’m having this problem“ „all my heroes are kind of, like you know either dead and gone or they’re no longer you know writing good stu:ff“ „in this time and with all this psychic war going on and all this spiritual war going on“ „I thought there may be a way that was when I was naively thinking like ok there’s ways people have been doing this for years and it’s alright“
„I’m a junkie, I can’t get out of it“ „I’m confused“
„we saw other people go down similar paths“ „I needed to replace this thing of oh man I need a to do this to be this- this- this kind of artist“ „it brought me to what who I am it’s like it’s what I do and what I breathe that it just so happened that the taboos surrounding all that also had to had its way with you know deriving sense of self“ „nobody else really got into it with me like you know I would I never let people on that and it was kind of more taboo“
24
zweiter WakeUp Call 8-balls (Heroin gemischt mit Crack und/oder Kokain) Alkohol
„the weird intervention“: ist nicht mehr musikalisch kreativ, sondern schreibt Gedicht („magnum opus poem“)
„I started to believe that I could read people’s minds“ „I felt like I had this heightened heightened sense of intuition with people around me“ „I thought I was kind of coming from a different place“
„they were there to let me know that they cared and they loved me and all this stuff“ „it was like weird a weird like you know like psychosis that I started to get into“
„I’m an artist, my art will change the world“ „I don’t have a problem“ vs. „[I] cut this shit out“
474 | Hauptstudie Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
„drinking I started drinking while on heroin you know recipe for disaster“
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
„this one magnum opus poem I was starting to write was the key to changing the wo:rld and society and saving lives in a weird way“
„I realized that I was […] out of my mind“
Selbstkonzept
„the way I saw things were just not very rational“
„I thought I was there to show them this great you know this great work that I’d been doing“ „wanted to show them you gotta hear the knowledge in this poem“ „I stared to feel really, like I gotta- I gotta share this I have to share thi- this thing“ „I started doing it again but, you know this is important you know this was gonna help save mom’s life“ „they’re all gathered around me and they’re all telling me that they love me and I thought that was wei:rd I was like what’s going o:n“ „there isn’t a problem here […] it was kind of a weird cognizant cognitive dissonance happening“ > 25
Therapie / Entzug Abstinenz keine ‚härteren‘ Drogen probiert DTM
„I poured myself into more music“ XY erhält Plattenvertrag (Interscope); Release 1. EP; Tourneen mit XY (Support u.a. Jane’s Addiction)
„I can access my feeling and therefore I can- I can be more in touch with my creativity“
„post-addiction was another lesson for me through Frusciante“
„I was like [...] going in that way where you just- you just be free form and not care about putting that out“
„I realized what I was doing in music I was on the right path because I saw what John Frusciante was doing“
„I am creative“ „I creating to create what my ego wants to see what this idea is or do I just create and let it come through“
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 475 Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Erlebte Lebensgeschichte (Wirklichkeit I)
Erzählte Lebensgeschichte Wirklichkeit II)
Selbstkonzept
„I just felt, the closest to spirituality I knew, in terms of harnessing the moment and being a conduit for whatever’s happening […] the people around wouldwould- would, would help create all that“
„our music came from spontaneous writing“
„I am creative“
Headliner-Tour geht auf Tour mit Perry Farrell Gitarreneinspielungen für andere Künstler*innen > 27
Abstinenz
Release 1. LP (Interscope) Release 2. LP (Interscope) spielt in Bands mit G.
Gegenwart Alter
Suchtverlauf
Musikalischer Entwicklungsverlauf
Vorstellung von Wirklichkeit (Gegenwart)
Selbstkonzept
39
konsumiert gelegentlich Kokain und Ecstasy
spielt in 5 verschiedenen Band-/ und Soloprojekten (darunter eine experimentelle Band und eine Cover-Band)
„nowadays my concentration is more on how can I better my relationships in the world with people as well as myself or in myself first“
„I found access to myself“
„I don’t do as many recreation drugs hardly as much but if there’s gonna be a special time where I’m gonna be going out to desert to do something with music“ „I don’t even like smoking I don’t even smoke pot as much as everybody in California“
spielt mit allen Formationen Konzerte und geht auf Tour kein Berufsmusiker
„we all want access to our real self […] there are, a lot of different ways to get there“ „I’d listen to them and allowed them to be what they are and then create from that“ „now I can still do that because in improvised context I can sit and- and listen to all the things that are going on around me“ „my sense of myself and my sense of spiritual duty in my improvisational craft feels a lot more open and less more accessible, than it used to be“ Ersatz-Ritual: „I like to do yoga now and do a lot more meditation now and […] do things ritually but in a mantra, as opposed to ritually addiction“
„I am creative“
476 | Hauptstudie
11.7
ZUSAMMENFASSENDE FALLDARSTELLUNG
Frankie erhält bereits in Kindheitstagen einen Zugang zum Musikmachen. Sein älterer Bruder spielt in Punk-Thrash-Bands und besitzt verschiedene Instrumente. Er beschreibt sich zu dieser Zeit als besonders neugierig und interessiert an seinem Umfeld. Frankie liebt es, sich mit einem Besen vor den Spiegel zu stellen und zu performen. Er entwickelt vor allem eine Vorliebe für Metal und ist der Auffassung, „I wanna do that“. In die Fußstapfen des Bruders tretend will er die Instrumente, die ihn zu Hause umgeben, selbst spielen können: „I used to take a lot of things apart and see how they worked“ (T3: Z. 6). Er bringt sich folglich das Gitarrespielen bei. Frankies Kindheit ist zu diesem Zeitpunkt durch die Scheidung der Eltern geprägt. Er wird oft alleine gelassen und ist daher früh auf sich allein gestellt. Dadurch, dass er nur wenig Zuneigung durch die Familie erfährt – „family life [...] wasn’t there or satisfying“ (T3: Z. 12) – zieht er sich in seine „eigene Welt“ zurück: „it was really easy to be in my own world, and in that world I could, you know make different things happen and it, provided me a sense of um comfort “ (T3: Z. 10-12). Er erlernt in dieser Zeit auch das Bass- und Klavierspielen autodidaktisch. Neben dem Musikmachen entwickelt er ebenso Interesse für das Malen von Graffitis und für das Skateboarding. Für letzteres ist seine Leidenschaft offenbar so groß, dass er die Vorstellung entwickelt, „I wanna be a professional skateboarder“. Generell setzt er sich in dieser Zeit damit auseinander, worin er gut ist und was ihm Spaß macht. Es beginnt ein Prozess der Individuation, der bis in die Gegenwart reicht. Insbesondere die Frage nach den eigenen Fähigkeiten stellt eine zentrale in Frankies Biographie dar. Obwohl Frankie vielseitig interessiert ist und verschiedene Fähigkeiten an sich erkennt, hat er die Auffassung von sich selbst, „nicht gut genug“ zu sein. Er versucht, fortan Wege zu finden, sich in ein „feel good feeling“ zu versetzen, um seine inneren negativen Stimmen auszublenden. Während er sich selbst und seine Umwelt ergründet und nach verschiedenen Möglichkeiten der Stimulation sucht, beginnt er, sich im Zuge der Pubertät insbesondere mit seiner Sexualität auseinanderzusetzen: „I started to develop you know that side of myself sexually“ (T3: Z. 29f.). Vor allem durch das Masturbieren kann er sich in einen Zustand des Wohlbefindens versetzen, den er sich nicht nur selbst verschaffen, sondern auch selbst kontrollieren kann. Da er offenbar in der Vergangenheit bereits negative Erfahrungen mit Sexualität gemacht hat – „I was um introduced to um to sexuality in- in what I would say a less than ideal kind of way um there was two to three: molestation accounts when I was a kid“ (T3: Z. 23-25) – fühlt er sich in seiner eigenen Sexualität verunsichert: „I was stuck in a weird confusion between this feels good and this feels weird“ (T3: Z. 25f.). Er versucht fortan, nicht nur sich selbst und seine Umwelt zu verstehen, sondern auch die verschiedenen Beziehungen zueinander: „it became a very tricky and confusing world trying to understand you know boy and girl boy meets girl“ (T3: Z. 20f.). Eine weitere Form der Stimulation entdeckt er vor allem durch das Musikmachen. Mit Beginn der High School trifft er sich mit Freunden, um gemeinsam zu ‚jammen‘. Insbesondere die Entdeckung des Musikmachens in Form von Improvisation stellt ein zentrales Ereignis in Frankies Biographie dar: „music seemed to be the um the defining um moment because I learned that I knew how to improvise“ (T3: Z. 32f.). Den Bewusstseinszustand, in den er während des Improvisierens versetzt wird,
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 477
beschreibt er als: „this is something that really I feel really connected to“ (T3: Z. 36f.). Er führt hierzu aus: „I feel in a- in a balance to be accessing all the parts that are in my heart in my mind and in my intuition“ (T3. Z. 411f.). Obwohl er realisiert, dass er ein besonders gutes Gehör und eine schnelle Auffassungsfähigkeit hat, das Gehörte praktisch umzusetzen, beschreibt er sein „ego“ zu dieser Zeit als „on fire and fragile […] I wasn’t gonna be good enough to do these things you know or I wasn’t gonna like or be liked what I was producing“ (T3: Z. 468f). Durch das Improvisieren verändert sich seine Selbstwahrnehmung und folglich auch sein Selbstwertgefühl: „this is something that’s very visceral and um it spoke to me so tha:t um became right away a place where um I can feel a sense of empowerment and a sense of self“ (T3: Z. 39f.). Während des ‚Jammens‘ und Improvisierens muss er nicht darüber nachdenken, ob sein Spielen ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist. Er lässt sich intuitiv auf den kreativen Prozess ein, der ihn in ein Wohlbefinden versetzt. Dadurch, dass ihm nicht vorgegeben ist, was er zu spielen hat, sondern er selbst über den Fortlauf seiner Komposition entscheiden kann, erfährt er im Akt des Improvisierens „an incredibly empowering u:m you know feeling“ (T3: T. 34). Er beschreibt das Gefühl der „Bemächtigung“ als „you have the potential for godhead in the sense of making a choice“ (T3: Z. 406f.) und kommt zu dem Entschluss: „I wanna be in this feeling more“ (T3: Z. 51). Potenzieren kann er dieses Gefühl vor allem durch den Konsum von Drogen. Mit dem Musikmachen in dieser Zeit geht auch das Rauchen von Pot und Marihuana einher: „all this stuff so- they became so hand in hand“ (T3: Z. 41). Da er insbesondere von Bands wie Pink Floyd und Jane’s Addiction beeinflusst wird, deren Mitglieder alle selbst Drogenkonsumenten waren, verfolgt auch er fortan die Einstellung „let’s do it with getting high [...] or drunk“ (T3: Z. 287). Er kann sich im Nachhinein an keine Situation in dieser Zeit erinnern, in der er Musik machte und nicht ‚high‘ oder betrunken gewesen war. Er ist nicht nur durch seine Neugierde verleitet, „[to] get this something’s gonna happen feeling going this adventurous feeling“ (T3: 337), die für ihn insbesondere mit dem Konsum von Drogen einherging. Er will unbedingt wie seine Vorbilder auch eine kreative Person sein („I really truly want to be the kind of creative person“ T3: Z. 728). Er ist in dieser Zeit besonders an Syd Barrett und dessen musikalischem Output interessiert. Ihm ist bewusst, dass Barrett ein starkes Drogenproblem hatte und insbesondere psychedelische Substanzen konsumierte. Doch gerade letzterer Aspekt fasziniert ihn: „I thought how (.) there was something beautiful about how free he was in this madness and something about that was like all- alluring“ (T3: Z. 749f.). Eine ähnliche ‚Verführung‘ übt der Musiker John Frusciante auf ihn aus: „I heard his music and watched his interviews when he was all fucked up and I watched how he would descri:be why he was doing it why he decided to consciously become a junkie and just do that in a way I thought that was brave because he was just like- he: was trying to get to a place of purity“ (T3: Z. 754-758)
Er fühlt sich zu dem Musiker hingezogen und empfindet seine Musik als ‚genial‘: „it was like this expression that spoke to me that I was like you know what that- I believe in him I believe what he’s doing“ (T3: Z. 782f.). Durch Frusciante inspiriert sieht auch Frankie durch die Musik einen Zugang zu sich selbst.
478 | Hauptstudie
Frankie trägt in dieser Zeit einen inneren Konflikt mit sich aus: Einerseits realisiert er, „what I was good at“ (T3: Z. 30f.). Er erlernt zusätzlich das Schlagzeugspielen und beginnt, sich mit dem Programmieren von Beats auseinanderzusetzen. Als er ein 4-Track-Aufnahmegerät erhält, entstehen seine ersten Aufnahmen. Er gründet seine erste Band, ehe er als Gitarrist in G.s Band einsteigt. Er entwickelt sich zu einem Multiinstrumentalisten, der zusätzlich Talent im Songwriting und Recording aufweist. Andererseits kann er nach wie vor das Gefühl, „nicht gut genug“ zu sein, nicht ausblenden. Er kann sich selbst nicht akzeptieren und ist ständig darauf bedacht, nach Möglichkeiten der Stimulierung seines Gefühlszustandes zu suchen. Er gibt hierzu zu verstehen: „the search for- for meaning and spirituality was hand in hand with mind altering drugs with consciousness expanding“ (T3: Z. 350f.). Dadurch, dass er durch den Akt des Improvisierens und gleichzeitigen Konsums von Pot und Marihuana ein Gefühl der „Ermächtigung“ erlebt, welches er im nüchternen Zustand nicht erreichen kann, entwickelt er die Vorstellung, dass „the normal state of enjoying an adventure couldn’t be good enough“ (T3: Z. 288f.). Fortan sucht er nach weiteren Stimulanzien, die sein Bewusstsein erweitern bzw. es ihm ermöglichen, sich auf verschiedenen Bewusstseinsebenen selbst zu erfahren. Der Konsum von Drogen im Kontext von Musik wird für ihn schließlich zu einer Art Befreiung von seinen Ängsten und Selbstzweifeln, welche auch seine Auffassung von sich selbst verändert: „all of it was relationship to myself relationship to concept of who I am and what I have to be like“ (T3: Z. 355). Im Zuge des Selbstfindungsprozesses probiert er zunächst Mushrooms und LSD aus. Da seine Vorbilder John Frusciante und Perry Farrell, dessen Band Jane’s Addiction er favorisiert, beide Heroinkonsumenten sind, ist er von dieser Droge besonders fasziniert. Es kommt ihm daher gelegen, dass seine damals beste Freundin, die er bereits aus High SchoolZeiten kannte, vom College zurückkehrt und Heroin konsumiert. Als die Freundin ihm ihre Liebe gesteht, geht er offenbar nicht nur eine Beziehung aufgrund partnerschaftlicher Zuneigung zu ihr ein, sondern insbesondere auch, weil sie ihn in eine „dunkle Welt“ einführt, von der er sich angezogen fühlt und zu der er sich einen Zugang verschaffen will: „I thought it was interesting cause all these cats were like pseudo-snobbish intellectual kids so it’s like oh cool we can talk about all this stuff while we’re high“ (T3: Z. 84-86). Durch die Liebesbeziehung mit seiner Freundin erfährt er folglich Stimulation auf verschiedenen Ebenen: Sie erleben Befriedigung auf sexueller Ebene, führen intellektuelle Gespräche und konsumieren Heroin. Letztere Komponente beeinflusst insbesondere seinen musikalisch-künstlerischen Prozess: „I sat for four hours and compo:sed and recorded this who:le track with all these layers after getting high and I was just like (.) wo:w, whoa: I was like no: wa:y“ (T3: Z. 94). Er ist sich zwar über potenzielle Folgen des Heroinkonsums bewusst, blendet diese jedoch in Bezug auf seinen eigenen Konsum aus. Vielmehr ist das Wort „Abhängigkeit“ durch seine künstlerischen Vorbilder positiv besetzt: „my heroes were- were heroin users“ (T3: Z. 626). Er ist der Auffassung, dass, sofern er ein „richtiger“ Musiker sein und sich kreativ entfalten wolle, er auch Heroin konsumieren müsse – getreu dem Motto „hey I’m a musican that’s what I [have to] do“ (T3: Z. 293). Er ist davon überzeugt, „by going through it there would be some, some greater epiphany“ (T3: Z. 627). Er sieht im Konsum von Heroin während des Musikmachens nicht nur einen Zugang zu sich selbst, sondern auch eine Möglichkeit, sich selbst auszudrücken. Er bezeichnet seine
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 479
Vorstellung, „to be this kind of artist“, als „justifying concept of self“, in dessen Kontext er den Konsum von Heroin als eine Art „motivating thing“ (T3: Z. 656) sieht. Obwohl er der Auffassung ist, „you just gotta be smarter“ als andere Konsument*innen, um nicht in einen Suchtkreislauf zu geraten, entwickelt auch er mit anhaltendem Konsum eine Abhängigkeit von der Droge, die sich anhand erster Entzugserscheinungen kenntlich macht. Während er den Konsum von Heroin anfänglich als „spiritual ritual“ im Zuge des Individuationsprozesses betrachtet, wird die Abhängigkeit jedoch zunehmend zum „Ritual der Gewohnheit“: „it started to become you know seven o’clock ta da da and all of a sudden realize I’m starting to do it when I wake up“ (T3: Z. 138-139). Als er realisiert, „it was starting to become an issue I couldn’t keep under wraps“ (T3: Z. 126-127) und sein Körper mit Schüttelfrost und Appetitlosigkeit reagiert, wenn er sich die Droge nicht in regelmäßigen Abständen zuführt, bekommt er Angst: „it was the fear that I wasn’t going to be okay“ (T3: Z. 139-140). Er befindet sich in einem Teufelskreis: Er weiß, dass er durch weiteren Konsum das Eintreten von Entzugsschmerzen beschleunigt. Gleichzeitig gibt ihm der Suchtdruck das Gefühl, durch erneuten Konsum alle Schmerzen und Probleme vergessen zu können: „you don’t care about shit you know like you’re like anyany wo:rry or neuroticness you might have about anything, just seems to be much easier swept under the rug“ (T3: Z. 374-376). Obwohl er sich nach wie vor selbst als „passionate artist musician“ (T3: Z. 201) auffasst und er in dieser Zeit auch mit seinem Bruder und weiteren Freunden die Band XY gründet, widmet er dem Musikmachen immer weniger Aufmerksamkeit. Dieser Aspekt wird auch innerhalb seiner Präsentation über diese Zeit deutlich: Das Musikmachen ist kaum noch Bestandteil der thematischen Felder seiner Erzählung. Als sich auch noch seine Freundin von ihm abwendet und sich das Paar schließlich trennt, weiß er nicht mit der Situation umzugehen und ist ‚am Boden zerstört‘: „she broke up with me and my mom was sick just felt like I couldn’t I can’t keep doing this you know I lost the love of my life and now I got to deal with this“ (T3: Z. 150f.). Besonders die Krebserkrankung seiner Mutter belastet ihn. Da sie beginnt, sich um ihn zu sorgen und er realisiert, dass er ohne einen Entzug nicht mehr aus seinen Schwierigkeiten herauskommt, geht er einen kalten Entzug ein. Er versucht dem Schmerz, den er während des Entzuges erfährt, mit Selbstexperimenten entgegenzuwirken, schafft es jedoch nicht, sich in das gewünschte „feel good feeling“ zu versetzen: „I couldn’t be in my skin I was like you know after the fourth time masturbating it’s like I couldn’t get this feel good feeling“ (T3: Z. 160f.). Er fühlt sich nach dem Entzug hilflos und redet sich Schuldgefühle ein. Obwohl er beginnt, sich neurowissenschaftlich mit seinem Zustand auseinanderzusetzen, wird er depressiv und leidet unter psychischen Entzugserscheinungen. Als seine Mutter verstirbt und er und sein Bruder ihre Geschäfte übernehmen müssen, ist Frankie überfordert und entwickelt zunehmend das Verlangen nach der Steigerung seines Wohlbefindens. Er kann dem psychischen Suchtdruck nicht standhalten und flüchtet sich erneut in den Konsum von Heroin. Nachdem er bei seinem Arzt eine Spritze findet und beginnt, sich das Heroin fortan intravenös zu verabreichen, nimmt sein Drogenkonsum zu. Zunächst sieht er vor allem positive Effekte der intensivierten Rauschwirkung: „it allowed me um not only a sense of feel good but it gave me this concentration“ (T3: Z. 239f.). Das verstärkte Konzentrationsvermögen wirkt sich seiner Wahrnehmung nach
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besonders auf den musikalischen Prozess aus: „I started to finish something I felt an overwhelming you know degree of, of not only dopamine but a sense that wow I just accomplished this“ (T3: Z. 236f.). Er führt hierzu aus: „I was going for like a month or two straight, every day waking up first thing turning on my four track and whatever my fingers were doing I didn’t care I didn’t think about composition I didn’t think about whether this note was right I just let whatever my subconscious was going through it was an exercise“ (T3: Z. 809-812).
Er fühlt sich nicht nur produktiver, „it just help me feel better so I could write more consistently through the night“ (T3: Z. 627f.), auch die Stimmen in seinem Kopf, die ihm einreden, was gut oder schlecht ist, verschwinden durch die Rauschwirkung. Er hat von sich selbst die Vorstellung, ein „functional addict“ zu sein. Aus gegenwärtiger Perspektive betrachtet gesteht er sich jedoch ein: „I was firing at a lower slower level because I wasn’t getting my sources of things in a healthy- in a healthy way“ (T3: Z. 244f.). Ergänzend gibt er hierzu zu verstehen: „I wasn’t really aware as much as I am now wasn’t really conscious or cared much about how my what my body needed outside of you know getting high or feeling good“ (T3: 130-132). Er bemerkt nicht, dass die Droge einen immer höheren Stellenwert in seinem Leben erhält – erst im Nachhinein begreift er: „it took me to a place where I thought I needed it more than the music“ (T3: Z. 656f.). Es braucht zwei „wake-up calls“, ehe er sich eingesteht, welches Ausmaß der Heroinkonsum angenommen hat. Zum ersten Mal werden ihm die Auswirkungen des Konsums am Beispiel seiner Partnerin bewusst, die er während des ‚Scorens‘ in Downtown kennenlernt. Obwohl sie gemeinsam konsumieren, wird ihm erst bewusst wie „fucked up“ seine Freundin ist, als diese lebensbedrohliche Entzugsschmerzen erleidet. Um ihr zu helfen, muss Frankie ihr eine Heroininjektion verabreichen. Er ist von dieser Situation so schockiert, dass er seinen eigenen Zustand zu reflektieren beginnt und sich darüber bewusst wird, dass er selbst zum ‚Junkie‘ geworden ist: „I really knew that I was in- in- in a trouble I couldn't get out of“ (T3: Z. 297). Vor allem macht er sich Gedanken darüber, wie sein Umfeld auf sein Problem reagieren würde. Er versucht, seine Sucht zu verbergen: „I didn’t want people to know that I was having a hard time“ (T3: Z. 272f.). Er schämt sich und versucht, sein Drogenproblem auch vor den anderen Bandmitgliedern geheim zu halten. Er konsumiert die Droge in dieser Zeit, um ‚high‘ zu sein und gegen Entzugserscheinungen anzukämpfen. Tätigkeiten wie das Musikmachen, was er seiner Beschreibung nach „liebte“, werden zur Pflicht. Als Rechtfertigung für seinen Konsum redet er sich dennoch ein, ein Künstler zu sein, der Drogen konsumieren müsse, um kreativ zu sein. Er glaubt, einen Weg zu finden, den Konsum aufrechtzuerhalten und weiterhin Musik machen zu können: „I thought there may be a way that was when I was naively thinking like ok there’s ways people have been doing this for years and it’s alright“ (T3: Z. 615f.). Tatsächlich kann er seine Ambitionen, Musik zu machen und kreativ zu sein, nicht aufrechterhalten: „you become so addicted your, your ability to maintain and even play music doesn’t even, you can be so high that you don’t even feel like what you want to“ (T3: Z. 603f.). Rückblickend gibt er zu verstehen: „[the drugs] have my will taken over by these things“ (T3: Z. 251). Aus dem gelegentlichen Ritual des Konsums entwickelt sich eine Sucht, die ihn fortan begleitet: „it was like like having a candy like oh I can take ok I’m gonna take this candy with me
Falldarstellung und Fallrekonstruktion III: Frankie | 481
over here“ (T3: 265f.). Der Suchtdruck und die damit verbundene Beschaffung und erneute Zufuhr der Droge bestimmen seinen Alltag. Obwohl ihm bewusst ist, dass er ein Problem hat, wird ihm durch das psychische Suchtverlangen jedoch immer wieder suggeriert, dass es ihm durch einen erneuten Konsum besser gehe: „[it] make my mind think that oh man things are not gonna be okay“ (T3: Z. 271f.). Unter dem Einfluss der Droge verändert sich seine Wirklichkeitsvorstellung: „it didn’t seem so bad“ (T3: Z. 281). Er versucht, für seine Situation immer wieder Ausreden und Rechtfertigungen zu finden, den Konsum weiterzuführen. Gleichzeitig sieht er aber am Beispiel anderer Betroffener das Ausmaß einer Suchtkarriere: „we saw other people go down similar paths“ (T3: 279). Ihm wird zudem bewusst: „all my heroes are kind of, like you know either dead and gone or they’re no longer you know writing good stu:ff“ (T3: Z. 343f.). Er findet keinen Ausweg aus seinem Konflikt und kann sich niemandem anvertrauen. Der Mischkonsum aus verschiedenen psychoaktiven Substanzen und Alkohol hat vermehrt Auswirkungen auf seine Psyche: Er entwickelt eine Art Psychose, die ihn in einen Zustand geistiger Verwirrung versetzt. Er entwickelt in dieser Phase die Vorstellung von sich selbst, ein Künstler zu sein, der die Gedanken anderer Menschen lesen kann: „I thought I was kind of coming from a different place“ (T3: Z. 225). Er beginnt lyrische Texte zu schreiben, durch die er glaubt, die Welt verändern zu können: „this one magnum opus poem I was starting to write was the key to- um, to changing the wo:rld and society and saving lives in a weird way“ (T3: Z. 208-210). Als er seine Freunde und Verwandte zu einer Lesung einlädt, um sein „Wissen“ zu präsentierten, realisiert er: „I was […] out of my mind“ (T3: Z. 226). Er ist zunächst verwundert über die Reaktionen seines Publikums, das seine Begeisterung offensichtlich nicht teilt: „they’re all gathered around me and they’re all telling me that they love me and I though that was wei:rd I was like what’s going o:n“ (T3: Z. 229f). Er beschreibt diese Erfahrung als „weird cognitive dissonance happening“ (T3: Z. 587). Er ist überzeugt von seinem „Meisterwerk“ und sieht nicht ein, ein Problem zu haben („there isn’t a problem here“ T3: Z. 586). Erst als ein Freund seines Bruders, der selbst heroinabhängig war und eine Vertrauensperson für Frankie darstellt, bei der Lesung erscheint und ihm zu verstehen gibt, „you gotta cut this shit out man“ (T3: Z. 583), wird ihm seine verfremdete Realitätsauffassung bewusst. Er gesteht sich ein, die Kontrolle über sich selbst verloren zu haben, und entscheidet sich, einen weiteren Entzug einzugehen. Mit dem Beginn der Abstinenz startet er auch seine Karriere als – kommerziell – erfolgreicher Musiker. Während das Musikmachen in den letzten Jahren der Heroinsucht an Priorität verlor und eine – der Abhängigkeit geschuldete – untergeordnete Rolle spielte, ist er fortan der Auffassung, wieder kreativ sein zu wollen. Während sein kreativer Prozess zunächst daran orientiert war, wie er sich als Künstler gerne gesehen hätte („I create what my ego wants to see“ T3: Z. 805), lässt er sich fortan intuitiv ohne bestimmte Selbstvorstellungen und -erwartungen leiten: „I just create and let it come through“ (T3: Z. 805-806). Das Musikmachen wird erneut zu einem Prozess der Individuation und damit der Ergründung seines Selbst. Seine Band XY erhält in dieser Zeit einen Plattenvertrag von Interscope. Nach dem Release der ersten EP geht die Band auf Tournee und spielt u.a. im Vorprogramm von Jane’s Addiction, ehe Frankie und seine Bandkollegen schließlich auch selbst als Headliner Konzerte geben. Neben seinen eigenen Bandprojekten übernimmt Frankie auch für andere – prominente – Musiker*innen Gitarreneinspielungen
482 | Hauptstudie
im Studio. Ebenso begleitet er Perry Farrell auf dessen Solo-Tournee. Er lässt sich in der Phase der „post-addiction“ erneut von seinem einstigen Vorbild John Frusciante beeinflussen, der zu diesem Zeitpunkt seine Heroinsucht überwunden hatte und wieder in das Musikbusiness eingestiegen war: „I realized what I was doing in music I was on the right path because I saw what John Frusciante was doing“ (T3: Z. 832f.). In den weiteren Jahren folgt die Veröffentlichung zweier Alben, mit denen die Band Charterfolge erzielen kann und erneut auf Tournee geht. In der Zwischenzeit, Frankie ist zu diesem Zeitpunkt ca. 30 Jahre alt, wird seine Tochter geboren. Er widmet sich in den Folgejahren zwar aktiv dem Musikmachen – er spielt in fünf Bands, spielt Konzerte im Großraum Kalifornien und geht gelegentlich auf Tourneen im Ausland – arbeitet jedoch nicht (mehr) als Berufsmusiker, sondern bezieht sein Haupteinkommen durch Tätigkeiten im IT-Bereich. Seit dem Heroinentzug erlebt er einen Rückfall, den er jedoch als einmaligen ‚Ausrutscher‘ ohne weitere Konsequenzen betrachtet. Obwohl er auch keine anderen ‚harten‘ Drogen – für ihn zählen hierzu beispielsweise Speed der Meth – zu sich nimmt, ist er nicht abgeneigt, bei besonderen Anlässen, wie Konzerten in der Wüste, Ecstasy und Kokain zu konsumieren oder andere Drogen auszutesten. In seinem Alltag bleibt er bis auf das Rauchen von Tabak – und gelegentlich Pot – abstinent. Einen Ausgleich – und eine Art Ersatzritual für das frühere Ritual des Drogenkonsums – findet er vor allem durch das Praktizieren von Yoga und Meditation. Generell behauptet er, einen Zugang zu sich selbst über alternative, ‚natürliche‘ Wege unabhängig von dem Drogenkonsum gefunden zu haben. Nach wie vor nimmt das Improvisieren eine bedeutende Rolle im Rahmen der Suche nach „sich selbst“ ein: „my sense of myself and my sense of- of- of spiritual duty in my impro- improvisational craft feels a lot more open and less more accessible, than it used to be“ (T3: Z. 443-445). Anstatt seine Gefühle und Emotionen durch den Konsum von Heroin zu betäuben oder (künstlich) zu stimulieren, nimmt er sie nun bewusst wahr und nutzt sie für den Kreativprozess: „instead of wanting them to something else I’d listen to them and allowed them to be what they are and then create from that [...] I can access my feeling and therefore I can- I can be more in touch with my creativity“ (T3: Z. 418-424). Während er in der Vergangenheit von einer Sehnsucht getrieben war, „besser zu sein“ als er sich selbst auffasste, gibt er aus gegenwärtiger Perspektive zu verstehen, sich akzeptieren zu können. Er konzentriert sich jedoch nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die Beziehung zu seinen Mitmenschen: „nowadays my- my concentration is more on how can I better my relationships in the world with people as well as myself or in myself first“ (T3: Z. 364f.). Vor allem im Kontext des Improvisierens gelingt es ihm, innere wie äußere Stimmungen und Einflüsse aufzunehmen und sie in seinen kreativen Prozess einfließen zu lassen.
Ergebnisse
12.
Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse
In Bezug auf die Forschungsfrage ‚Welche Vorstellungen haben Musiker*innen von sich selbst, Musiker*in zu sein, und welchen Einfluss nimmt der Konsum bzw. die Abhängigkeit von Heroin auf diese Vorstellungen und den damit verbundenen musikalischen Werdegang?‘ werden im Folgenden die Ergebnisse aller drei Fälle auf Grundlage der zuvor theoretisch ausgearbeiteten Aspekte zur Sucht- und Selbstkonzeptforschung zusammenfassend dargestellt. Hierbei werden im Speziellen suchtbedingende und das Selbstkonzept konstituierende Motive und Bedürfnisse der Protagonisten berücksichtigt. Anschließend wird Bezug auf den Zusammenhang zwischen der Konstitution von Selbstkonzepten und der Genese von Heroinabhängigkeit genommen. Anhand der Fallbeispiele wird erörtert, wie sich diese Konstrukte gegenseitig bedingen bzw. beeinflussen.
12.1
MOTIVE UND BEDÜRFNISSE
Wird die Handlung ‚Drogen konsumieren‘ als das Ergebnis eines Zusammenspiels von Akteur*in und Situation betrachtet, so kann der Konsum von Heroin wie jede andere soziale Handlung auch als bewusste Entscheidung eines Akteurs bzw. einer Akteurin für eine Handlungsoption interpretiert werden (vgl. Scheerer/Vogt 1989). Das individuelle Konsumverhalten einer Person ist dann Ausdruck und Bestandteil der jeweiligen Person und Ereignis individuellen Willens und selbstständiger Entscheidungen. Der Entschluss, Heroin zu konsumieren, wird zwar unter gleichen rationalen Gesichtspunkten getroffen wie jede andere Handlungsoption, allerdings müssen im Kontext der hier thematisierten Fallbeispiele Verhaltensdispositionen berücksichtigt werden, die durch die Vergangenheit und Subjektivität der Protagonisten beeinflusst sind. Die Entscheidung zum Konsum erfolgt aus verschiedenen Motiven und Bedürfnissen, die im Folgenden zusammenfassend skizziert werden. In der ersten Phase der Drogenabhängigkeit entwickelt sich unter verschiedenen prädisponierenden, psychologischen und sozialen Bedingungen eine „tolerance for
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potential addiction“1 (Alskne et al. 1967). Werden die sozialen Bedingungen der Entwicklung der drei Protagonisten von der frühen Kindheit bis hin zur Pubertät betrachtet, so lassen sich hierbei sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede feststellen: Alle Interviewten erleben das Elternhaus als beengend und/oder problematisch. Während Frankie und Pepe nur wenig positive Erfahrungen mit ihrer Kindheit verbinden, erlebt Johnny eine glückliche Kindheit. Er erfährt Halt und Zuwendung durch seine Eltern sowie durch die Gemeinde, in der er aufwächst und auch musikalisch sozialisiert wird. In der Gemeinde erhält er ein Gefühl von Verbundenheit und entwickelt durch das gemeinsame Musizieren bereits als Kind eine Leidenschaft für das Musikmachen. Religion und Spiritualität stellen in seiner Adoleszenz zentrale Aspekte dar, welche jedoch in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen: Einerseits erlebt er im Glauben und als Teil der Gemeinde eine Form der Spiritualität. Andererseits wird er durch auferlegte Regeln und Gebote der Kirche in seiner eigenen Auffassung von Spiritualität und Freiheit eingeschränkt. Mit zunehmendem Alter beginnt er, gegen vorherrschende Wertdimensionen und Verhaltensanforderungen, die im Laufe seiner Sozialisation im christlichen Umfeld an ihn herangetragen werden und im Konflikt mit seinen eigenen Orientierungen stehen, zu rebellieren. Pepe wächst in einfachen Lebensverhältnissen auf und nennt vor allem Probleme mit seinem alkoholabhängigen Vater. Während dieser sich kaum um Pepe kümmert und wenig Verantwortung übernimmt, ist die Mutter überfordert mit der Erziehung der Kinder. Nachdem sich die Eltern trennen und der Vater die Familie verlässt, wird Pepe räumlich zwischen Vater und Mutter ‚hin und her gerissen‘. Er hat weder ein stabiles Zuhause noch erhält er Zuneigung und Anerkennung durch die Eltern. Auch Frankies Kindheit ist durch die Scheidung der Eltern negativ beeinflusst. Eine weitere Belastungssituation stellt für ihn die Krebserkrankung der Mutter dar. Er wächst mit seinem Bruder bei seinem Vater auf, ist häufig alleine und dadurch oft auf sich selbst gestellt. Sowohl Frankie als auch Pepe fehlt es an einem Schutzraum innerhalb der Familie und an der Befriedigung kindlicher Bedürfnisse.2 Während Frankie in seine ‚eigene Welt‘ flüchtet, in der er sich autodidaktisch das Spielen von verschiedenen Instrumenten beibringt und vor dem Spiegel seine Performances übt, findet Pepe sein ‚Paradies‘, sobald er das Elternhaus verlässt und sich unter Gleichgesinnten wie ein ‚normaler‘ Junge fühlen kann. Beide Protagonisten flüchten vor der Realität ihres Elternhauses. Sie können sich beide nicht mit ihrem eigenen Selbst identifizieren bzw. haben noch keine konkrete Vorstellung davon, wer sie eigentlich sind und welche Ziele sie haben. Frankie eifert seinem großen Bruder nach, der bereits in Bands spielt und sich mit Musik auskennt. Pepe schließt sich vor allem Älteren an, die ihn an Film und Photographie sowie andere Künste und Musik heranführen. Pepe ist aufgeschlossen, neugierig und ehrgeizig, entwickelt früh die Einstellung, immer der Beste sein zu wollen und sich nichts
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Alskne et al. (1967) entwickelten mit dem „life cycle of addiction“ ein Vierstufenmodell der Drogenkarriere, das in den Folgejahren seiner Entstehung bis in die Gegenwart eine Grundlage für empirische Untersuchungen zum Thema darstellt und sich auch auf die Ergebnisse dieser Studie übertragen lässt. Hierbei sei auf psychoanalytische Ansätze zur Suchtentstehung hingewiesen (siehe 3.3.2).
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sagen zu lassen. Er genießt die Anerkennung, die er durch seine Eltern nicht erfahren hat, im Umkreis von Freunden und Bekannten. Pepe versucht in dieser Zeit, insbesondere seine Grundbedürfnisse nach Stimulanz und Akzeptanz in Einklang zu bringen – Bedürfnisse, die er in seiner Kindheit offenbar nicht befriedigt wurden. Um das 14. Lebensjahr findet bei allen drei Studienteilnehmern eine genauere Bestimmung der Interessengebiete innerhalb des sozialen Raumes statt, der insbesondere durch die Orientierung am Umfeld und das Erkennen der eigenen Fähigkeiten definiert wird. Jetzt werden Fragen der Selbstkonzeptionierung und der damit einhergehenden Berufswahl, den persönlichen Interessen und Wertvorstellungen entsprechend, Gegenstand bewusster Wahrnehmung. Johnnys weiterer Werdegang zeichnet sich bereits in dieser Zeit mit der Entdeckung des Gitarrenspiels ab. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch er, sich von seinem gewohnten Umfeld zurückzuziehen und vor der Realität in seine ‚eigene Welt‘ des Musikmachens zu entfliehen. Er steht in einem Konflikt zwischen seinem eigenen Bedürfnis nach Abenteuer und dem Bedürfnis der Eltern nach Sicherheit, welche sie insbesondere in der Religion finden. Durch die Abwendung von der Gemeinde und der Definition eigener Zielvorstellungen und moralischer Werte strebt Johnny nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Mit der Rebellion gegen das konventionelle Establishment wird er zu einer Art ‚Outlaw‘, der die Schule abbricht und mit der romantischen Selbstvorstellung, ‚ich will ein berühmter Musiker werden‘, mit seiner Gitarre nach Nashville aufbricht. Pepe zeigt als Teenager zunächst Offenheit und Interesse an verschiedenen Aktivitäten, richtet den Fokus jedoch auch mit dem Erlernen der Gitarre durch seinen besten Freund auf das Musikmachen: „All I wanna do is playing music.“ Wie Johnny bricht auch Pepe die Schule ab und widmet sich fortan seinem Plan, Musiker zu sein. Ehe auch Frankie dieses Konzept aufgreift, ist er zunächst der Auffassung: „I wanna be a professional skateboarder.“ Er entdeckt in dieser Zeit nicht nur Fähigkeiten und Talente, sondern auch seine eigene Sexualität. Er erlebt durch sexuelle Erfahrungen einen Stimulus sexueller Triebe sowie Genuss und Wohlgefühl. Er ist nicht nur offen und neugierig, sexuelle Erfahrungen auszutesten bzw. auszuleben. Ebenso erhält er durch das Masturbieren ein Gefühl von Selbstbestimmung: Er hat die ‚Macht‘ darüber, sich in ein „feel good feeling“ zu versetzen, dessen Zeitpunkt, Dauer und Intensität er selbst bestimmen kann. Im sexuellen Akt mit seiner Partnerin kann er Bedürfnisse nach Geborgenheit, Zuneigung und lustvollen Phantasien befriedigen. Sexualität erhält für ihn den Charakter eines Abenteuers: Er will Neues entdecken, sich gleichzeitig aber auch vor seiner Partnerin beweisen und durch die Entdeckung neuer Stimuli über sich hinauswachsen. Seine sexuellen Erfahrungen stellen zudem eine Form des Eskapismus dar, wodurch er von der Außenwelt entfliehen und sich seinen Träumen und Fantasien hingeben kann. Ein ähnliches Gefühl wird durch den Akt des Improvisierens in ihm erzeugt. Hierbei hebt er insbesondere den Aspekt der Freiheit durch Selbstbestimmung hervor: Er bestimmt durch das Improvisieren den Ausgang seiner Komposition. Gleichzeit erfährt er eine schöpferische Kraft und beschreibt einen bewusstseinserweiternden spirituellen Zustand, welcher ebenso ein „feel good feeling“ in ihm erzeugt. Er ‚verliert‘ sich geradezu im musikalischen Prozess und versetzt sich dadurch in einen transzendenten Zustand. Dieser wird durch den Konsum von Cannabis und Alkohol verstärkt. Innerhalb dieses Prozesses flüchtet er in eine durch den Rausch der Musik und der Drogen hervorgerufene Wirklichkeit,
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in der er ein Gefühl der Ermächtigung erfährt. Frankie ist danach bestrebt, sein Bewusstsein zu erweitern und seinen Gefühlszustand zu stimulieren, was wiederum als eine Möglichkeit der Flucht vor der von ihm konstruierten Realität bzw. vor sich selbst und seinen Ängsten zu interpretieren ist. Das ‚High-sein‘ wird folglich zu einer unverzichtbaren Begleiterscheinung seines musikalischen Prozesses und zu einem Teil seiner Lebenspraxis. Wenn er in dieser Zeit die Vorstellung entwickelt, „I truly want to be the kind of creative person“, schließt er genau diese Lebenspraxis in sein Selbstkonzept mit ein. In Bezug auf die Anfänge des Drogenkonsums zeigen die Ergebnisse der Analysen, dass alle Protagonisten vor dem ersten Heroinkonsum – und hiermit bestätigt sich die Gateway-Theorie (siehe 3.4.2) – bereits andere Rauschmittel konsumierten. Den ersten Rauscherfahrungen kann folglich eine Art Initiationscharakter zugeschrieben werden. Neben dem Konsum von Alkohol stellen insbesondere Cannabis und Mushrooms Substanzen dar, die sie probierten bzw. mit denen experimentiert wurde. Spätestens durch den Konsum dieser Drogen – und damit einhergehendem delinquenten Verhalten – schaffen sich alle drei Protagonisten ein alternatives Werteund Normensystem. Am Beispiel von Johnny wird deutlich, dass der Protagonist mit dem Bewusstwerden von Selbstvorstellungen und daraus resultierenden Handlungs- und Verhaltensweisen versucht, ein Gleichgewicht seines Emotionssystems und damit verbundenen Bedürfnissen herzustellen. Er schließt sich einer Gruppe von Musikern an, in der er sich verstanden und geborgen fühlt. Die Teilhabe an einer subkulturellen Lebenspraxis bietet ihm eine willkommene Gelegenheit, sich vom konservativen Elternhaus zu lösen. Gleichzeitig adaptiert er jedoch den Lebensstil des Vaters, der in der Vergangenheit selbst als Musiker aktiv war und als Mitglied der Jesus-Bewegung ein Drogenproblem entwickelte. Eine weitere Verbindung zu seinem Elternhaus und der Umgebung, in der er aufwächst, wird dadurch hergestellt, dass er als Mitglied der Band, in die er einsteigt, ein ähnliches Gefühl von Verbundenheit und Gemeinschaft erfährt, wie er es dem Aufwachsen in der Gemeinde zuschreibt. Es ist zudem auffällig, dass er eine alternative Form der in Kindheitstagen erlebten religiösen Spiritualität fortan im Drogenrausch findet. Er ist auf der Suche nach Stimulanzien, die sein Bewusstsein erweitern und seine Grundbedürfnisse befriedigen. Es scheint in diesem Kontext daher kein Zufall zu sein, dass innerhalb seines Lebenskonzeptes, getreu dem mit dem Musikerdasein verbundenen Klischee ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘, der Konsum von Drogen einen hohen Stellenwert einnimmt. Mit der Wahl von illegalen Rauschmitteln kommt er ebenso dem Bedürfnis nach Abgrenzung von gesellschaftlichen Normen nach. Auffällig ist, dass er seine soziale Umgebung und damit den Anschluss an eine bestimmte soziale und offenbar männlich dominierte Gruppe an sein Selbstkonzept anpasst. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass Johnny ausschließlich männliche heroinkonsumierende Musiker wie Keith Richards oder Perry Farrell als seine Vorbilder nennt, deren Lebensstil er zu imitieren versucht. Auch im Zusammenhang mit dem Einstieg in seine erste Rockband und der Beschreibung seiner – ausschließlich männlichen – Bandkollegen zählt er hauptsächlich imagebildende Komponenten auf, welche für ihn ein Zeichen von ‚Männlichkeit‘ verkörpern und seine Vorstellungen des Rockmusiker-Daseins komplettieren: lange Haare, Lederja-
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cke, enge Jeans und schöne Frauen.3 Er genießt es zudem, in eine Gruppe von Musikern aufgenommen zu werden, deren Mitglieder alle älter sind als er, an denen er sich orientiert und mit denen er sich folglich identifiziert. Vergleichbare Orientierungsmuster lassen sich ebenso bei Frankie auffinden. Auch er richtet sein Umfeld nach seinem Selbstkonzept und den Bedürfnissen, die er damit einhergehend zu befriedigen versucht. Er geht eine Partnerschaft mit einer Freundin ein, die in eine Gruppierung von Intellektuellen integriert ist, welche nicht nur philosophische Gespräche führen, sondern auch gemeinsam Heroin konsumieren. Er schließt sich folglich einer Gruppe von Gleichgesinnten an und erhält damit Zugang zu einer Subkultur, die er gezielt sucht und deren Verhaltensmuster er in sein Leben integriert. Er schafft sich damit ein ‚rauschfreundliches Setting‘4 zum Einstieg in den Heroinkonsum und befriedigt innerhalb der von ihm gewählten „bohemian society“ das Bedürfnis, Teil einer ‚Avantgarde‘ zu sein. Dass das soziale Umfeld und daraus resultierende Kontakte eine wichtige Komponente der Beeinflussung sind, zeigt sich auch am Beispiel Pepe. Er sieht sich als ‚normaler‘ Teenager, der mit seinen Freunden Musik macht und ‚high‘ sein will. Pepes Einstieg in den Heroinkonsum ist von Neugierde und dem Drang, seinem besten Freund nachzueifern, geprägt. Er beginnt, den Konsum von Heroin schließlich nicht nur aufgrund seiner Rauschwirkung fortzuführen, sondern auch aufgrund des damit einhergehenden Images, das sowohl sein Freund als auch seine Vorbilder verkörpern. Ähnlich wie es bereits Becker (1967) beschrieb, geht aus den in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Analysen hervor, dass soziale Einflüsse bereits vor dem Erstkonsum einen entscheidenden Einfluss auf die Motivation zum Konsum haben. Es sind vor allem musikalische und drogenkonsumierende Idole, die eine prägende Wirkung auf die (sub-)kulturelle Orientierung der Protagonisten und die Wahl ihres Lebensstils haben. Die Ergebnisse zeigen, dass sich alle drei Protagonisten mit medial vermittelten Personen und/oder Personen aus dem direkten Umfeld identifizieren, deren Werte sie sich aneignen und deren Lebensstile und Images sie adaptieren. Die Protagonisten heften dem Konsum von Heroin symbolische Attribute an, die durch berühmte Musiker wie Perry Farrell, John Frusciante, Kurt Cobain und Keith Richards zur Schau getragen wurden. Pepe stellt am deutlichsten heraus, dass es in seiner Vorstellung nahezu unausweichlich war, Drogen zu konsumieren, um ein Teil der Gemeinschaft zu sein – aber auch, um als Musiker funktionieren zu können. Wie alle Protagonisten beschreibt auch Pepe einen positiven Effekt auf seinen musikalisch-kreativen Schaffensprozess und eine Art schöpferische Kraft, die mit dem Konsum von Heroin einhergehen. Alle Protagonisten nennen eine konzentrationsfördernde Wirkung sowie das Ausblenden von äußeren und inneren Störfaktoren, was eine Fokussierung auf den kreativen Prozess ermögliche. Ebenso geht aus allen drei Analysen hervor, dass die bewusstseinserweiternde Rauschwirkung von Heroin Einfluss auf die musikalische Wahrnehmung habe. Pepe fühlt sich aufgrund der Drogenwirkung nicht nur produktiver, sondern ist
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Die Verbindung von Heroinkonsum, Rockmusiker-Images und damit verbundenen Männlichkeitsbildern könnte ein potenzieller Erklärungsansatz dafür sein, warum sich ausschließlich männliche Teilnehmer für diese Studie finden ließen. Als Setting wird hierbei das Umfeld bezeichnet, in dem Drogen konsumiert werden.
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auch der Auffassung, ‚bessere‘ Musik zu machen. Aus der Rauschwahrnehmung heraus entwickelt er schließlich auch die Vorstellung, Heroin konsumieren zu müssen, um ein ‚besserer‘ Musiker sein zu können. Insbesondere der innere Konflikt, dass die mit Spaß behaftete Tätigkeit des Musikmachens mit zunehmender Professionalisierung zu einem Job wird und mit Anstrengungen verbunden ist, kann während des Heroinkonsums aufgehoben werden. Durch den Konsum von Heroin hält er nicht nur sein Selbstkonzept aufrecht, das den Konsum von Drogen als Musiker einschließt. Als drogenkonsumierender und kommerziell erfolgreicher Musiker und Produzent ist er auch Teil einer musikalischen Szene in Los Angeles, in der er Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält. Der erste Konsum von Heroin stellt einen Wendepunkt in allen drei Biographien dar. Auch wenn die Konsumenten vorher schon mit dem Gedanken gespielt hatten, Heroin zu probieren, sind sie für einen ersten Konsum erst dann bereit, als sie mit der Droge direkt konfrontiert werden. Erst nachdem sie die Droge probiert haben, entscheiden sie darüber, den Konsum fortzuführen – oder wie es Reuband (1994: 93) formuliert: „Der Griff zur Droge bedeutet einen Grenzüberschritt, eine gesellschaftlich gesetzte Grenze tolerierten und akzeptierten Verhaltens wird verletzt. Natürlich braucht der Probierer den Gebrauch nicht fortzusetzen. Er kann ihn als eine periphere Erfahrung sehen, die bald der Vergangenheit angehört und die er schnell abtut. Aber die Erfahrung ist für viele zugleich auch der Beginn einer Karriere, die zu fortgeschrittener und stabiler Devianz führt.“
Die Protagonisten sind sich der Gefahren, die mit dem Konsum der Droge einhergehen können, zwar bewusst, unterschätzen diese jedoch und fühlen sich von dem devianten Charakter der Droge eher angezogen als abgeschreckt. Im Zustand des ‚High‘-seins verspüren sie ihr Ideal-Selbst. Sie erleben einen Gefühlszustand, den sie fortan versuchen, durch weiteren Konsum aufrechtzuerhalten. Wird der Auffassung Reubands (1994: 22) gefolgt, dass Drogengebrauch ein Notsignal und Symbol tieferliegender (kindlicher) Störungen sei, so ließen sich hierfür Indizien bei allen drei Protagonisten finden. Während Pepe zunächst vor allem durch Neugierde motiviert ist und ‚so gut drauf‘ sein will, wie sein Freund, erfährt er durch die Heroin-Rauschwirkung vor allem eine Möglichkeit der Flucht vor negativen Gefühlen und Gedanken. Die Droge wirkt wie ein illusorischer Schutzmantel gegen Regressionen frühkindlicher Ängste und Sorgen, die er im familiären Kontext erfahren hatte.5 Er entdeckt durch den Heroinkonsum eine Intensivierung des ‚paradiesischen‘ Gefühls, das er zuvor bereits auf der Straße unter Gleichgesinnten während der Flucht aus seinem Elternhaus hatte. Der Konsum der Droge wird für ihn zu einem alternativen Liebes-Ersatz-Objekt für den Liebesentzug, den er durch seine Eltern erfahren hatte. Johnny hebt vor allem die betäubende Wirkung der Droge hervor, die ihn in ein Gefühl der Ermächtigung und Sorglosigkeit versetzt. Auch eine angstmindernde Wirkung, die er bereits durch die Einnahme von Xanax gewohnt ist, wird durch den
5
Siehe für weitere Ausführungen (persönlichkeits-)psychologischer und psychoanalytischer Ansätze Kapitel 3.3.1 und 3.3.2.
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Heroinkonsum gesteigert. Während er seine Teenagerzeit zurückgezogen mit dem Gitarrespielen verbringt, ist er durch den Konsum der Droge kontaktfähiger und genießt die Gesellschaft von Gleichgesinnten. Alle drei Protagonisten beschreiben eine transzendente, spirituelle Dimension, die mit dem Gebrauch des Heroins einhergeht. Die Rauschwirkung wird als ein Stimulus beschrieben, der zu einer Erweiterung des Bewusstseins führt und tiefe Empfindungen und Gefühle auslöst. Frankie wird im Rausch das Gefühl einer ‚heilen Welt‘ vorgetäuscht, die er in seiner Kindheit und Jugend innerhalb der Familie nicht erfahren hatte. Er erlebt ein Wechselspiel aus Freiheit und Sicherheit und schafft es, seine Grundbedürfnisse in Einklang zu bringen. Als besonders positiven Effekt der Rauschwirkung beschreibt er vor allem das Herabsetzen der eigenen Kritikfähigkeit und Selbstzweifel am eigenen Handeln – was wiederum einen positiven Einfluss auf sein Selbstbewusstsein als Musiker hat. Der Konsum von Heroin stellt sich für ihn als eine Art Selbstheilungsversuch dar. Dadurch, dass er sich permanent selbst einredet, nicht gut genug zu sein, und Sehnsucht nach einer ‚besseren Version‘ von sich selbst verspürt, befindet er sich in einem Zustand niedriger Selbstachtung. Die Erfahrung der Angst und das Gefühl des Unbehagens motivieren ihn zur Suche nach Möglichkeiten der Leidensverminderung. Durch den Rauschzustand der Droge ist er der Auffassung, Selbstzweifel überwinden zu können. Dass die Heroinwirkung das Empfinden für seine Konflikte jedoch lediglich betäubt, blendet er aus seiner Wirklichkeitsvorstellung aus. Er verspürt nicht nur eine angstreduzierende Wirkung, er erlangt im ‚High‘-Zustand auch ein Gefühl der Ekstase. Der Drogenrausch hilft ihm dabei, sich mit sich selbst im Einklang zu fühlen und ‚Herr der Lage‘ zu sein. Durch den Einfluss der Droge erfährt er zeitweilig ein erhöhtes Gefühl von Stärke und Ermächtigung, das sich vor allem positiv auf seinen kreativ-musikalischen Prozess auswirkt. Die schöpferische Kraft, die er ohnehin während des Improvisierens erfährt, kann er durch die Drogenwirkung intensivieren. Frankie fasst die Drogenwirkung als Inspiration und Anregung innerhalb seines (musikalischen) Schaffensprozesses auf. Er beschreibt die Wirkung der Droge als spirituelle Erfahrung und eine Form der Bewusstseinserweiterung, die seine ‚Kreativkräfte‘ stimuliert. Er sieht den Heroinkonsum auch als unterstützende Kraft im Prozess der Individuation. Individuation lässt sich in diesem Kontext in Anlehnung an Frankies Aussagen als Bewusstwerden des eigenen Selbst bzw. als Prozess der Selbstverwirklichung auffassen. Er ist auf der Suche nach seiner ‚eigenen Wahrheit‘ und versucht, sich selbst zu entdecken und zu erklären. Auffällig ist, dass alle drei Protagonisten den Konsum von Heroin als ein spirituelles Ritual bezeichnen. Während Pepe die Droge regelrecht ‚vergöttert‘ („I could have put it up to an altar and pray to it like I cared so much it was like God“) und am liebsten alleine konsumiert, sucht sich Frankie durch die Wahl seiner Partnerin und deren Bekanntenkreis gezielt ‚Verbündete‘ außerhalb seines musikalischen Umfeldes, mit welchen er die Konsumerfahrung teilen bzw. ein entsprechendes Setting für den Konsum schaffen kann. Für Johnny wird der Ritus des Heroingebrauchs vor allem zu einer Zusammenhalt-stiftenden Komponente innerhalb der Band. Gemeinschaftlich imitieren sie den Lebensstil von Vorbildern wie Keith Richards und sind der Auffassung, ihren Konsum bis ins hohe Alter fortführen zu können. Grund dafür, dass Johnny seinen Konsum über mehrere Jahre ohne gravierende gesundheitliche und soziale Konsequenzen aufrechterhalten kann, ist neben dem gemeinschaftlichen
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Konsum vor allem die Verfügbarkeit der Droge, die er sich aufgrund seiner finanziellen Situation leisten kann. Auch Frankie ist der Auffassung, unter dem Einfluss von Heroin besonders funktionsfähig zu sein und den Konsum möglichst lange ohne gesundheitliche Folgen aufrechterhalten zu können, wenn er nur ‚smart‘ genug im Umgang mit der Droge sei. Dass diese Vorstellung jedoch nicht der Realität entspricht bzw. der von ihm gewählte Lebensstil nur begrenzt praktizierbar ist, blendet er in seiner Konstruktion von Wirklichkeit aus. Im Rauschzustand fühlt sich für ihn alles ‚easy‘ an. Die Droge betäubt jedoch nicht nur negative Gefühle. Er erhält durch den Heroinkonsum ein Gefühl der Gleichgültigkeit, so dass auch die Leidenschaft für Musik an Relevanz verliert und musikalische Aktivitäten schließlich zur Nebensache werden. Da es die drei Protagonisten zunächst schaffen, den Substanzkonsum in ihr Leben zu integrieren und als eine Komponente des von ihnen gewählten Lebensstils betrachten, sowie auf Grundlage der von ihnen gewählten Selbstkonzepte versuchen, ein Ideal-Gleichgewicht herzustellen, bemerken sie nicht, dass dieses Gleichgewicht zunehmend durch den Konsum von Heroin in ein Un-Gleichgewicht gerät – wie im Folgenden am Beispiel Johnnys ausgeführt wird: Bereits zu Zeiten, in denen Johnny noch kein Heroin, sondern regelmäßig Kokain konsumiert, realisiert er Auswirkungen des Drogenkonsums auf sein Selbstkonzept, Musiker zu sein. Aufgrund des Kokainkonsums, den seine Bandkollegen nicht tolerieren, ist sein Platz in der Band gefährdet. Obwohl er zunächst Teil der Band bleiben will und seinen ersten Entzug eingeht, verlässt er diese jedoch anschließend und passt sein Verhalten an sein Selbstkonzept an. Er wechselt in eine andere Band, deren Mitglieder einen ähnlichen Lebensstil verfolgen wie er. Er fühlt sich als Teil einer ‚Gang‘, wodurch der Charakter des ‚Outlaw‘-Daseins verstärkt wird. Der Platz in der Band bietet ihm einen Schutzraum, in dem er von seinem ehemaligen Umfeld abgeschirmt ist und in dem er seine romantischen Vorstellungen des Rockstar-Daseins ausleben kann. Als die Bandmitglieder aufgrund der Auflösung ihres Labels jedoch getrennte Wege gehen, geraten sein Selbstkonzept, Musiker zu sein, und die damit verbundene Befriedigung seiner Bedürfnisse aus dem Gleichgewicht. Mit dem Wegfallen des Musikmachens bleiben ihm lediglich die Komponenten ‚Sex‘ und ‚Drugs‘. Da er aufgrund der Auswirkungen des Heroinkonsums immer weniger sexuelles Verlangen verspürt, realisiert er, dass sein Leben ausschließlich aus dem Konsum von Heroin besteht. Um sein Selbstkonzept weiterhin aufrechterhalten zu können, sucht er sich eine neue Band, in der er seine musikalischen Ansprüche zwar herabsetzen muss, seinen Lebensstil aber dennoch weiterführen kann. Zunächst erfährt er eine Stabilisierung des Selbstkonzeptes, vermisst jedoch zunehmend das Wir-Gefühl innerhalb der Gruppe. Da er seinen Heroinkonsum vor den anderen Bandmitgliedern zu verheimlichen versucht, zieht er sich zurück und isoliert sich von diesen. An diesem Punkt seines Lebens wird (ihm) deutlich, dass sein Plan, Musiker zu sein, nicht mehr aufgeht und er sein Selbstkonzept nicht mehr aufrechterhalten kann: Er kann weder seinen Anspruch an das Musikmachen aufrechterhalten – bzw. fehlt ihm dazu immer mehr die spielerische und körperliche Funktionsfähigkeit, noch kann er den Drogenkonsum seinen Vorstellungen nach praktizieren. Bei allen drei Konsumenten verliert der rituelle Gebrauchsmoment an Bedeutung. Sie ziehen sich aus ihren sozialen Beziehungen zurück und Vereinzelung tritt ein. Obwohl die Ergebnisse zeigen, dass der Gebrauch von Heroin nicht notwendiger-
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weise in einen direkten sozialen Abstieg führt bzw. die Protagonisten es zunächst schaffen, aufgrund ihres gewählten Umfeldes und der Verfügbarkeit der Drogen den Heroinkonsum in ihr Leben zu integrieren, geraten sie mit zunehmendem Kontrollverlust über ihr Verhalten in eine körperliche und seelische Dys-Balance. Vor allem die Form der Verabreichung der Droge nimmt hierbei einen entscheidenden Einfluss auf die Suchtentwicklung. Insbesondere der Übergang vom Rauchen zum Spritzen der Droge ist für die Konsumenten mit Konsequenzen verbunden: Durch die erhöhte Intensivität der Rauschwirkung entwickeln die drei Konsumenten in kurzer Zeitspanne eine physische und psychische Abhängigkeit und leben mit dem ständigen Druck, sich die Droge finanzieren und beschaffen zu müssen. Johnny gerät in diesem Stadium seiner Abhängigkeit aufgrund finanzieller Engpässe sogar in die Beschaffungskriminalität – Eigentumsdelikte und Betrug sind die Folge. Der Konsum von Heroin wird unweigerlich zum Lebenszentrum. Der Alltag der Konsumenten besteht darin, sich Drogen zu beschaffen, sie zu konsumieren und sich anschließend davon zu erholen, ehe sie sich erneut auf eine weitere Stoffbeschaffung konzentrieren. Finanzielle Engpässe sind nicht nur dadurch begründet, dass der tägliche Konsum hohe Geldsummen erfordert. Die Konsumierenden stehen auch aufgrund von (physischer und/oder psychischer) Dysfunktionalität in keinem Arbeitsverhältnis mehr bzw. können ihre Rolle als Musiker aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit und nicht mehr vorhandenen Spielfähigkeit nicht mehr ausüben. Die Drogenkarriere zeichnet sich zu diesem Zeitpunkt insbesondere durch eine gesundheitliche und soziale Verelendung aus. Die Vernachlässigung elementarer Selbstfürsorge infolge des ständigen Beschaffungsdrucks wird besonders bei Johnny deutlich. Seine Suchtkarriere ist zu diesem Zeitpunkt durch wechselnde Unterkünfte und Jobverhältnisse gekennzeichnet. Hinzu kommt ein zunehmender Mischkonsum, dem alle drei Protagonisten nachgehen, in der Hoffnung, einen neuen ‚Kick‘ zu verspüren oder lediglich, um Entzugssymptome zu überbrücken. Insbesondere wird Alkohol als Begleitdroge zu einer stabilen Größe in der polytoxikomanen Lebensführung. Aber auch der gleichzeitige Konsum von Heroin und Kokain oder Speed lässt sich im späten Suchtstadium feststellen. Trotz zunehmenden Konsums nimmt die Rauschwirkung des Heroins jedoch immer weiter ab, so dass Ängste und Probleme nicht mehr betäubt werden können. Alle drei Protagonisten beschreiben akutes Leiden insbesondere in Form von auftretenden Angstzuständen: Angst vor Entzugserscheinungen; Angst vor Kontrollverlust; Angst vor der Zukunft. Um aus dem Suchtkreislauf ‚auszubrechen‘, erscheint den Konsumierenden die Maßnahme einer Therapie als Ausweg und substantielle Verbesserung ihrer Situation. Johnny unterzieht sich mehreren Entgiftungsversuchen, ehe er an einem Substitutionsverfahren teilnimmt, in dem er den Ersatzstoff Methadon verschrieben bekommt. Er konsumiert die Droge jedoch nicht als Ersatzstoff, sondern als zusätzliches Mittel, um sich einen intensiveren ‚Kick‘ zu verschaffen. Anstatt vom Heroin zu entgiften, konsumiert er beide Drogen und erhöht zusätzlich seinen Alkoholkonsum. Er bricht mehrere Therapieversuche ab oder wird im Anschluss an eine Therapie rückfällig. Obwohl Alskne et al. (1976) behaupten, dass Rückfälle in dieser Zeit nicht als Misserfolg auf dem Weg zur Abstinenz betrachtet werden, sondern jede Abstinenzerfahrung die Toleranz für mögliche Abstinenz wachsen lasse (vgl. ebd.: 236f.), fassen die Studienteilnehmer Rückfälle jedoch als Rückschritte von dem Weg in ein absti-
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nentes Leben auf. Nachdem sie wiederholt Entzüge und Therapien nicht aus der Abhängigkeit geführt haben, besteht für die Studienteilnehmer nur noch wenig Hoffnung, die Lebenssituation grundlegend verbessern zu können. Es fehlt ihnen insbesondere an einer Perspektive, die sie ermutigt, ein abstinentes Leben einzugehen. Sie befinden sich in einem Zwiespalt: Einerseits realisieren sie, dass ihr Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ an Stabilität verliert bzw. die Teilkomponente ‚Heroin konsumieren‘ nicht mehr kompatibel mit der Vorstellung des professionellen Musikmachens ist. Johnny, beispielsweise, hält sich dennoch akribisch an den wenigen Beispielen (z.B. Keith Richards) fest, die es geschafft haben, den Konsum mit ihrer musikalischen Funktionalität bis ins hohe Alter zu vereinbaren. Andererseits wird ihnen aber bewusst, dass Musiker – sogar aus dem eigenen Freundeskreis – ihrem Drogenkonsum erliegen. Ihr Selbstkonzept gerät ins Wanken. Diese Diskrepanz löst Verwirrung und Zweifel am eigenen Konzept aus. Die Protagonisten haben Angst, ihr Selbstkonzept nach den ursprünglichen Vorstellungen nicht aufrechterhalten zu können. Es wird ihnen zunehmend bewusst, dass sie ihre musikalischen Tätigkeiten aufgrund der Drogenabhängigkeit nicht mehr ausüben können. Gleichzeitig sind sie jedoch verunsichert, ob ihr Konzept ‚Musiker sein‘ ohne die Teilkomponente des Drogenkonsums überhaupt noch funktionieren würde, und schätzen ihre Chancen, sich als Musiker nach der Heroinabhängigkeit auf dem Musikmarkt etablieren zu können, als gering ein. Es wird hierbei besonders deutlich, dass sowohl das Konzept des ‚Musikers‘ – zumindest in einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Kulturkreis wie hier am Beispiel einer Rockszene in den 1980er und 1990er Jahren in Los Angeles dargestellt – Einfluss auf den Drogenkonsum bzw. den Einstieg hat, als auch im weiteren Verlauf der Entwicklung wiederum umgekehrt sich der Drogenkonsum auf das Konzept ‚Musiker sein‘ auswirkt. Johnny äußert seine damalige Angst vor der Realität und eine damit verbundene Veränderung seines Selbstkonzeptes explizit. Es schien ihm offenbar bewusst gewesen zu sein, dass seine romantisierten und klischeebehafteten Vorstellungen des Musikerdaseins, die sich an den Bedürfnissen von ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ orientierten, längst keinen Bestand mehr auf dem Musikmarkt hatten: „[…] a lot- things have really changed man like the days of like you know the 80’s bands that are all fucking drunk and high getting huge record deals and showing up to the studio drunk and fucked up and breaking smashing hotel rooms and you know burning down recording studios, that shit is done [...] I can tell you like if you have a session booked at a major recording studio in Los Angeles and you’re signed on a Label and you don’t show up or you show up fucked up and you can’t perform unless you’re like a multiplatinum selling artist it doesn’t work“ (T1: Z. 656-572)
Auch Frankie weist darauf hin, dass Musiker wie Perry Farrell nach ihrer Drogenkarriere nicht mehr an Erfolge der Jahre anknüpfen konnten, in denen sie abhängig waren: „times change you know Jane’s Addiction is no longer the same band anymore their shit is watered down all my heroes are kind of, like you know either dead and gone or they’re no longer you know writing good stu:ff“ (T3: Z. 342-344). Die Möglichkeit einer Überdosierung, mit der sie am Beispiel von Freunden und Prominenten konfrontiert werden, wird für die Protagonisten fortan nicht nur zum Risiko, sondern auch zu einer potenziellen Handlungsoption, um ihrem Leiden ein
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Ende zu setzen. Suizidale Gedanken werden sowohl von Johnny als auch von Pepe geäußert. Es geht an dieser Stelle ihrer Suchtkarriere nicht mehr um das ‚Musikersein‘, sondern um den regelrechten ‚Kampf ums Überleben‘. Auch Image-bildende Aspekte, die einst wegen des Wunsches nach der Musiker-Profession wichtig waren, spielen in der eigenen Selbstkonzeptionierung keine Rolle mehr, sondern werden gänzlich von der Sucht verdrängt. An die Stelle der Vorstellung ‚Musiker sein‘ tritt das Selbstkonzept ‚Junkie sein‘. Es sind zentrale Wendepunkte im Leben der Protagonisten, welche schließlich doch einen weiteren Entzugsversuch ein- bzw. in ein abstinentes Leben überleiten: Johnny befindet sich in einer verzweifelten Lebenslage, die von Isolation, Hoffnungslosigkeit und Beschaffungskriminalität geprägt ist. Er realisiert, dass er durch die Fremdsteuerung der Droge zum ‚Junkie‘ geworden ist, und findet keinen Ausweg aus seiner Situation. Aus der Motivation heraus, am Leben bleiben zu wollen, geht er verschiedene Therapieversuche ein. Ein erfolgreicher Entzug gelingt ihm jedoch erst mit Hilfe von MusiCares. Er erhält durch therapeutische Maßnahmen und den Einzug in ein Sober House, das er ausschließlich mit Künstler*innen teilt, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden wie er, neuen Lebensmut. Er wird durch die Mitbewohner*innen erneut an das Musikmachen herangeführt und erhält dadurch nicht nur schöpferische Kraft, sondern auch eine neue Perspektive für seinen weiteren Lebensweg. Bereits mit dem Wunsch nach einer Therapie und der Hoffnung auf ein abstinentes Leben geht die Erinnerung an das frühere Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ einher. Während er nach der erfolgreichen Therapie zunächst genau an dieses ursprüngliche Konzept anzuknüpfen versucht, realisiert er, dass sich durch seine veränderten Lebensumstände auch seine Selbstvorstellungen verändert haben. Das Musikmachen bleibt zwar als Teilkomponente innerhalb seines Gesamtkonzeptes bestehen, dieses erhält jedoch eine andere Gewichtung bzw. eine andere Ausrichtung. Einen Wendepunkt in Frankies Biographie stellt der Moment der Lesung dar, innerhalb derer er seine lyrischen Texte vorstellen will, die er als ‚revolutionär‘ und ‚weltverbessernd‘ auffasst. Zu diesem Zeitpunkt hat seine Selbstkonzeptionierung bereits eine Wendung erfahren: Während der Drogenkonsum als Konstante aufrechtgehalten wird, bildet die kreative Teilkomponente seines Selbstkonzeptes nicht mehr das Musikmachen, sondern das Schreiben von Texten. Er bemerkt jedoch, dass sein Publikum nicht seinen Erwartungen entsprechend reagiert. Er nimmt diese Diskrepanz zwar wahr, versucht den negativen Rückmeldungen jedoch zunächst zu entkommen, indem er sie verdrängt bzw. umdeutet und sich nicht von seinem eigenen Konzept abbringen lässt. Erst durch die Reaktion seines Freundes B., der für ihn eine Vertrauensperson darstellt, realisiert er, dass offenbar eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung besteht. Im Zuge seiner Selbsttäuschung wird ihm bewusst, dass er sich seine eigene Realität konstruiert hatte, die nicht mit der seines Umfeldes übereinstimmt. Dieses kritische Lebensereignis stellt für ihn eine Veränderung seines Selbstbildes dar bzw. das Erkennen seiner, von der Realität der Außenstehenden abweichenden, Wahrnehmung. Er widersetzt sich schließlich seiner eigenen Selbstauffassung und handelt entsprechend der Rückmeldung seines Freundes, der ihm seinen schlechten physischen und psychischen Zustand bewusst macht, und beschließt, von den Drogen zu entziehen. Auch Pepe wird bewusst, dass er ohne die Unterbindung des Heroinkonsums keine Lebensperspektive hat. Er kann die Realität aufgrund seiner Abhängigkeit und ih-
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rer Auswirkungen nicht mehr ertragen und erfährt diese als Tortur. Insbesondere durch die erste Begegnung mit der Interviewerin wird er an die ‚alten Zeiten‘ des Musikmachens erinnert – und damit auch an sein damaliges Selbstkonzept, auf Grundlage dessen er doch eigentlich Musiker sein wollte. Er realisiert, dass er seine Tätigkeiten als Musiker nur dann wieder aufnehmen kann, wenn er die Rolle und das damit verbundene Selbstkonzept ‚Junkie sein‘ ablegt. Während er zuvor keine Hoffnung in einem erneuten Entzug gesehen hatte, ist er durch verschiedene bestärkende Faktoren (Halt durch Familie, Kontaktaufnahme mit Sohn etc.), aber vor allem durch die Hoffnung und die damit verbundene Perspektive, wieder Musiker sein zu können bzw. an sein früheres Selbstkonzept wieder anknüpfen zu können, motiviert, einen weiteren Therapieversuch und damit ein abstinentes Leben einzugehen.
12.2
AUSWIRKUNGEN VON MOTIVEN UND BEDÜRFNISSEN AUF DIE KONSTRUKTION VON SELBSTKONZEPTEN
Im Sinne des konstruktivistischen Gedankens, dass „Sinneseindrücke, Erfahrungen usw. nicht als passive Abbilder der Realität angesehen werden dürfen, sondern selbst aktive Konstruktionsleistungen eines Subjekts darstellen“ (Hemming 2002: 53, nach Watzlawick/Krieg 1991) weist Hemming in seinen Auseinandersetzungen zu „Begabung und Selbstkonzept“ (2002) auf Schulz von Thun (1982) hin, der diesen Mechanismus erstmals auf „das Selbstkonzept als ‚Macher‘ von Erfahrungen“ übertragen hat. Schulz von Thun spricht hierbei vom Selbstkonzept als dem „Regisseur der Persönlichkeitsentwicklung“ (ebd.: 181), woraus Hemming (2002: 54) schlussfolgert, dass das Selbstkonzept auch als „Regisseur einer musikalischen Entwicklung“ begriffen werden könne. Wird nun in Anlehnung an die Impression-ManagementTheorie davon ausgegangen, dass sich Menschen ständig in der Rolle eines Schauspielers befinden, dessen Anpassung an die eigene Rolle teils mehr oder weniger bewusst erfolgt (vgl. Mummendey/Grau 2014: 194f.), so stellt sich die Frage, an welchem Drehbruch und welchem Autor sich die Menschen orientieren. Auf Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Studie und der zuvor erarbeiteten theoretischen Annäherungen an die Konstrukte Sucht und Selbstkonzept lassen sich die drei Protagonisten nach dieser Metaphorik als Darsteller ihres eigenen Drehbuches ‚Musiker sein‘ charakterisieren. Sie übernehmen ebenso die Rolle des Autors dieses Skriptes, welches die Individuen auf Basis ihrer pathologischen Veranlagung, sozialer Einflüsse und Erfahrungen selbst schreiben. Das Drehbuch wird zum Selbstkonzept, das den Protagonisten die Rolle des Musikers zuteilt, nach deren Ausführung sie streben. Sie handeln schließlich nach Verhaltens-Anweisungen (Selbstinstruktionen), die sie sich auf Grundlage ihres Drehbuchs selbst erteilen. Durch Erfahrungen, die sie innerhalb ihres Schauspiels machen, wird ihr Drehbuch, also ihr Selbstkonzept, schließlich bestätigt, modifiziert oder verworfen. Neben der Orientierung an Geboten und Gesetzten des von ihrer Umwelt beeinflussten Werte- und Normensystems richtet sich die Konzeption der Selbstkonzepte vordergründig nach den individuellen Motiven und Bedürfnissen der Protagonisten –
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wie sie im vorangegangenen Teil herausgearbeitet wurden und im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden: • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Sehnsucht nach Abenteuer Sehnsucht nach Grenzüberschreitung Kreativität Sexualität Befriedigung von Neugierde und Phantasien Transzendenz Spiritualität Sicherheit vs. Freiheit Stabilität vs. Veränderung Geborgenheit („Liebesersatz“) Anerkennung, Aufmerksamkeit Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Integration Halt, Fürsorge Vermeidung von Angst und Unsicherheit Individuation: Suche nach sich selbst: ‚Wer bin ich?‘ Tradition, Stereotypen, klischeehafter Mythos ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ Identifikation, Imagebildung Autonomie Selbstkontrolle Vermeidung von Ausgeliefert-sein durch Fremdbestimmung und Unterdrückung Befreiung von Konventionen, Werte- und Moralvorstellungen Individualität, Abgrenzung Selbstausdruck Grenzüberschreitung
Wie aus den Analysen dieser Studie hervorgeht, bildet die Adoleszenz eine zentrale Phase zur Konstruktion der Selbstkonzepte der Protagonisten. Da die Protagonisten in dieser Phase insbesondere ihre Fähigkeiten und eine Leidenschaft für das Musikmachen entdecken, stellt die Ausübung dieser Tätigkeit das Fundament ihrer Selbstkonzepte dar. Der Gedanke, Musiker zu sein, rückt in das Zentrum der individuellen Selbstvorstellung und wird zur entscheidenden Triebkraft anschließender Handlungsund Verhaltensweisen. Neben der aktiven Ausführung des Musikmachens gewinnt ebenso der Konsum von Drogen an Bedeutung. Die Protagonisten streben nach einem Leben nach dem Lustprinzip. Sie fügen ihrem Selbstkonzept, das insbesondere auf der Vorstellung eines klischeehaften Lebensstils aus ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ basiert, eine persönliche, emotionalisierte Symbolkultur hinzu – oder wie es Vogt & Gerdes (2007: 22) in einem anderen Kontext formulieren: „Sie suchen sich Images, Muster und Praktiken aus, holen sie in ihren Alltag hinüber und beladen sie mit Bedeutung, die man nur im Gebrauchskontext verstehen kann.“ Insbesondere die den Lebensstil ausmachenden Komponenten Musik und Drogen werden von den drei Protagonisten als Grenzmarken und zur Identitätsbildung benutzt, um sich in ihren jeweiligen sozialen Kontexten zu positionieren und innerhalb ihrer ausgewählten
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Subkultur anerkannt zu werden; gleichermaßen aber auch, um sich von anderen abzugrenzen. Die Protagonisten suchen sich eine Umgebung, in der sie die Erfahrungen machen können, welche ihre Selbstkonzepte bestätigen und damit ihre Motive und Bedürfnisse befriedigen. Insbesondere durch den Konsum von Heroin und die damit verbundene Rauschwirkung erfahren sie eine vermeintliche Befriedigung und Stimulation zentraler Bedürfnisse: • Entspannung, Harmonisierung, ‚High‘-sein • Eskapismus • Befreiung/Betäubung von Ängsten, Sorgen und Problemen • Freiheitsgefühl
• • • •
Empowering, Selbstverstärkung, Selbstaufwertung Konzentration, Fokussierung Schöpferische Kraft, Kreativität Heroinkonsum als Ritual • gemeinschaftsstiftende Funktion • Drogenkonsum wird zur Religion, ‚Vergöttlichung‘ und Verherrlichung der Droge
• Bewusstseinserweiterung, Transzendenzerfahrungen • u.a. veränderte musikalische Wahrnehmung • Grenzüberschreitung
• Identifikation, Nähe zu Vorbildern, Imagebildung • Erfüllung der romantischen Vorstellung des Rockmusiker-Daseins • selbstbestimmte Werte und Moralvorstellungen
• Wohlgefühl, „feel good feelings“ • Drogenkonsum als Form des ‚Outlaw‘-Daseins • Abgrenzung
• Drogenkonsum als Strategie der Anerkennung • Anerkennung innerhalb der Drogensubkultur • Wir-Gefühl, Gruppenzugehörigkeit
Anstatt den Konsum von Heroin nur auszuprobieren, sind sie fortan bestrebt, die durch den Rausch der Droge erzeugte Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufrechtzuerhalten. Die positive Rauscherfahrung bildet die Voraussetzung zur Fortsetzung des Heroingebrauchs. Der Konsum ist bei allen drei Protagonisten zunächst mit ihrer Lebensführung und den damit verbundenen Alltagsanforderungen vereinbar. Sobald physische oder soziale Probleme auftreten, werden diese verdrängt bzw. das Verhalten so an das Selbstkonzept angepasst, dass Konflikte vermieden werden.6 Kriterien für die Aufrechterhaltung des Drogenkonsums sind nicht nur das Eingebunden-sein in eine Gemeinschaft von Mitgliedern, die einen ähnlichen Lebensstil verfolgen, das Nachgehen einer geregelten Tätigkeit und die Verfügbarkeit der Droge. Insbesondere die Vorstellung, dass der Konsum von Drogen zum Musikerdasein unausweichlich dazugehört, hält ihren Konsum und das damit verbundene Selbstkonzept aufrecht. Es sind zum einen drogenkonsumierende Vorbilder, die erfolgreich im Musikbusiness tätig sind, und denen sie nachzueifern versuchen. Zum anderen stellen sie durch den
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Beispiel Johnny: Er wechselt die Band, um seinen Drogenkonsum fortführen zu können.
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Konsum der Droge eine vermeintliche Verbesserung ihrer Spiel- und Aufnahmefähigkeiten fest. Motivationen, welche den Erst- und weiteren Konsum bedingen, verändern sich im Laufe der Drogenkarriere. Aus der Erfahrung des Drogenkonsums und den damit verbundenen physischen und psychischen Auswirkungen resultieren schließlich neue Bedürfnisse und Motive, welche die Protagonisten zu befriedigen versuchen. Während zunächst das Musikmachen als zentrale Komponente des Selbstkonzeptes aufgefasst wird (Beispiel Johnny: „it’s about the music“) und ihre Handlungsweisen entsprechend darauf ausgerichtet werden, verdrängen die Protagonisten jedoch die Auswirkungen des Drogenkonsums (Beispiel Johnny: „I didn’t care because I just wanted to play“) und die damit verbundenen Auswirkungen auf ihr ursprüngliches Selbstkonzept ‚Musiker sein‘. Der Drogenkonsum wird zwar bewusst als Komponente in ihr Selbstkonzept integriert. Eine daraus resultierende Abhängigkeit von der Droge wird dabei jedoch nicht eingeplant. Die Auswirkungen äußern sich vor allem darin, dass im Zuge der Abhängigkeit das Musikmachen immer mehr an Aufmerksamkeit verliert. Hingegen wird verstärkt dem Entgegenwirken von Entzugserscheinungen durch das Beschaffen und Konsumieren der Droge nachgegangen. Die Teilkomponente Drogenkonsum ihres Selbstkonzeptes beginnt sich allmählich zu verselbstständigen: Während es zuvor die Konsumenten waren, die selbst bestimmten, in den Konsum einzusteigen und diesen aufrechtzuerhalten, ist es fortan die Droge, die ihnen die Autorität nimmt und über ihre Handlungsoptionen bestimmt. Die Protagonisten haben keine Wahl mehr, ob sie konsumieren wollen oder nicht. Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, müssen sie sich eine weitere Drogenzufuhr beschaffen. Die Dominanz, welche die Drogenabhängigkeit auf das Selbstkonzept der Protagonisten einnimmt, hat Auswirkungen auf die anderen Teilkonzepte: das Musikmachen verliert immer weiter an Priorität. In Bezug auf die zuvor eingeführte Metaphorik bedeutet dies im Konkreten: Obwohl ihnen das Drehbuch vorgibt, Musiker zu sein, und damit entsprechende Verhaltensweisen anleitet, folgen die Protagonisten mit zunehmender Abhängigkeit immer mehr den Regieanweisungen der Droge – und damit den Regeln des Suchtsystems. Diese Anweisungen haben Einfluss auf das Verhalten der Protagonisten, die sich durch Selbsttäuschung zwar nach wie vor in der Rolle des Musikers sehen, aber nicht mehr dieser Rolle – im Sinne ihres ursprünglichen Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘ – entsprechend handeln (sie nehmen nicht mehr an Proben teil, verpassen Shows etc.). Es kommt zu einer Diskrepanz-Erfahrung, wodurch das innere Gleichgewicht an Stabilität verliert. Verhalten und Selbstkonzept stimmen folglich nicht mehr überein bzw. stehen in einem Widerspruch zueinander, so dass es zu einer Verschiebung von Relevanzen kommt. Das Verhalten der Protagonisten folgt also nicht mehr den eigenen Selbstvorstellungen, sondern dem Motiv des Suchtdrucks. Sie erfahren zwar noch einen Zustand der Stimulanz durch die Rauscherfahrung; andere Bedürfnisse und Motive verlieren jedoch zunehmend an Gewicht und damit an Bedeutung. Auf die zuvor erörterten Theorien zur Suchtentstehung bezogen bedeutet dies, dass die Protagonisten sich mit dem „Suchtsystem“ (Alskne et al. 1976: 221ff.) identifizieren, was ihnen zunächst jedoch nicht bewusst ist bzw. von ihnen verdrängt wird, da das Gewahr-Werden der Diskrepanz zwischen Real- und Idealverhalten das Selbstbild der Person in Frage stellen und gefährden könnte. Festinger (1978) zufolge werde dieser Zustand als „kognitive Dissonanz“ erlebt, die Angst und Unwohlsein
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auslösen könne. Diese Feststellungen lassen sich auf die Ergebnisse der Studie wie folgt übertragen: Wie im vorigen Teil herausgearbeitet wird das Erleben von Diskrepanz insbesondere dadurch hergestellt, dass die Protagonisten ab einem bestimmten Stadium ihrer Suchtkarriere – Frankie beschreibt diese ‚Momente des Erwachens‘ aus der rauschinduzierten Traumwelt als „wake-up calls“ – realisieren, dass ihr ursprüngliches Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ sich verändert bzw. unter den vorherrschenden Bedingungen keinen Bestand mehr hat. Sie halten an Vorbildern fest, die es schaffen, den Drogenkonsum und ihre Profession als Musiker aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig nehmen sie wahr, dass diese Vorstellung nicht mit ihrer Realitätskonstruktion übereinstimmt. Auch wenn sie sich einreden, dass das Musikmachen nach wie vor die Hauptkomponente ihres Selbstkonzeptes darstellt, handeln sie dieser Vorstellung nicht mehr entsprechend. Je mehr ihnen dieses Ungleichgewicht bewusst wird, desto mehr verdrängen sie das ursprüngliche Selbstkonzept. Es fällt ihnen leichter, sich an das Drehbuch der Droge anzupassen, als sich mit dem GewahrWerden der Ablöse ihrer selbstbestimmten ursprünglichen Selbstvorstellungen auseinanderzusetzen. Während der Drogenkonsum anfänglich ihren Vorstellungen nach zum Musikerdasein dazugehörte und vor allem als Spaßfaktor gesehen wurde, der mit dem positiven Nebeneffekt der Betäubung von Ängsten und Sorgen einherging, stellt dieser nun eine unausweichliche Komponente innerhalb ihrer Lebensführung dar. Die Protagonisten befinden sich im ‚Teufelskreis‘ der Sucht: Sie realisieren, dass sie ihr Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ nur aufrechterhalten können, indem sie den Drogenkonsum unterbinden. Dadurch, dass ihnen jedoch der Wille und der Mut fehlt, sich mit ihrer eigenen Konfliktsituation auseinanderzusetzen, und sie es erlernt haben, dass der Drogenrausch eine schnelle Lösung all ihrer Probleme ermöglicht, gehen sie einen weiteren Konsum ein und befeuern damit den wachsenden Suchtdruck erneut. Dieser hält sie wiederum davon ab, ihren Tätigkeiten als Musiker nachzugehen. Obwohl sie wissen, dass der Rauschzustand nur temporär ist, und sie spätestens bei einsetzendem Suchtverlangen erneut vor einer Konfliktsituation stehen, schaffen sie es nicht, aus dem Suchtzirkel auszubrechen. Die Angst vor Entzugsschmerzen und dem Eintreten depressiver Stimmungen nach Abklingen der Drogenwirkung ist so groß, dass sie immer wieder einen Lösungsweg im Drogenkonsums suchen. Frankie beschreibt, dass ihn das Aufkommen dieser Angst an Erfahrungen erinnerte, die er in seiner Kindheit gemacht hatte. An seinem Beispiel wird besonders deutlich, dass die Protagonisten durch aufkommende Angstzustände und damit verbundene Hilflosigkeit zurück in die Rolle des Kindes gedrängt werden. Ihnen fehlt es schließlich nicht nur an Strategien der Problembewältigung, sondern vor allem auch – wie zuvor ausgeführt – an einer Perspektive, auf die sie ihr Verhalten ausrichten können. Im Zustand der Hilflosigkeit und Verwirrung können sie nicht mehr zuordnen, nach welchem Drehbuch sie eigentlich handeln. Sie können ihren eigenen Selbstwert nicht mehr erkennen und definieren und orientieren sich fortan an den Wertevorstellungen und den damit verbundenen Handlungsanweisungen, die ihnen die Droge suggeriert. Um dem Zustand der dissonanten Kognition entgegenzuwirken, reagieren die Protagonisten mit dem Versuch der Dissonanzreduktion. Bei der Vermeidung versuchen sie solchen „Selbstsymbolen“, welche die Aufmerksamkeit auf die eigene Person – und damit das ursprüngliche Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ – lenken könnten, auszuweichen (vgl. Wicklund/Gollwitzer 1985).
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Besonders deutlich wird die Verschiebung von der Erhaltung zur Vermeidung dieser Selbstsymbole an Johnnys Fallbeispiel. Es sind vor allem imagebildende, äußere Einflüsse (Vorbilder, Idole etc.), die seine Selbstsymbole bereits im Jugendalter konstituieren, an denen er im Fortlauf seiner Entwicklung festhält und die seine Selbstauffassung bedingen. Immer wieder sind es diese Symbole, die seine Handlungsoptionen beeinflussen. Bereits während der Zeit in der ersten Band erhält der Drogenkonsum eine so große Bedeutung, dass er die Band verlässt und Teil einer anderen Gruppe wird, mit deren Mitgliedern er dieselben Vorstellungen und die damit verbundenen Symbole teilt. Als sich die Band auflöst und er – obwohl der Drogenkonsum längst die dominierende Komponente innerhalb seines Selbstkonzeptes bildet – der Auffassung ist, sein Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ und damit verbundene musikalische Aktivitäten aufrechtzuerhalten, passt er die Auswahl der Folgeband erneut an imagebildende Selbstsymbole an. Anstatt Gitarre zu spielen, erhält er die Rolle des Bassisten, der lediglich einfache Basslinien zu spielen hat. Wichtiger als der musikalische Anspruch erscheint ihm, dass die Band mit den Stooges auf Tour geht und er damit seinem Idol Iggy Pop besonders nahe ist. Als er den Platz in der Band aufgrund der Auswirkungen des Heroinkonsums verliert, versucht er seinen Selbstwert weiterhin aufrechtzuhalten, indem er über seine erfolgreiche Vergangenheit als Musiker in Bars erzählt. Obwohl er das Musikmachen nicht mehr praktiziert, versucht er diese Komponente seines Selbstkonzeptes, an dem er festhält, durch das Erzählen darüber aufrechtzuerhalten. Erst als er nicht mehr in der Lage ist, die von ihm wahrgenommene Realität zu verdrängen, beginnt er aus Selbstschutz, seine ursprünglichen Selbstsymbole zu meiden. Er trifft sich nicht mehr mit anderen Musikern und nimmt keine Gitarre mehr in die Hand. Auch die anderen beiden Protagonisten verdrängen die Rolle des ‚Junkies‘, mit der sie sich zunächst nicht identifizieren können, und meiden Situationen (bspw. Proben), in denen ihre neue Rolle ‚auffliegen‘ könnte. Im Zuge der Dissonanzreduktion verheimlichen sie die Unfähigkeit der Aufrechterhaltung ihres Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘ jedoch nicht nur vor ihrem Umfeld. Sie täuschen auch sich selbst, indem sie ihre subjektive Auffassung von Wirklichkeit umdeuten und ihre Realitätskonstruktion an ihre früheren Selbstkonzepte anpassen. Diesen Vorgang beschreibt Schulz von Thun (1982: 178) in ähnlicher Weise: „Ein Hauptmechanismus des Selbstkonzeptes besteht darin, sich seine eigene Umwelt selber zu schaffen und bestimmten Erfahrungen ganz aus dem Weg zu gehen. Bei einem weiteren Mechanismus wird vorausgesetzt, daß bestimmte Erfahrungen, die geeignet wären, das vorhandene Selbstkonzept in Frage zu stellen, zwar gedacht, aber durch eine verzerrende Wahrnehmung so umgedeutet werden, daß sie doch wieder zum Selbstkonzept passen.“
Die Konsequenzen der verfälschten Wahrnehmung werden insbesondere am Beispiel Frankie im Zusammenhang mit seiner ‚Lesung‘ deutlich. Durch die Umdeutung seiner Wirklichkeit, die wiederum auch durch den Drogenkonsum bedingt und verstärkt wird, ist seine eigene Wahrnehmung so verzerrt, dass seine Selbstvorstellungen zunehmend von der Realität seines Umfeldes abweichen. Er ist der Auffassung, ein lyrisches Meisterwerk erschaffen zu haben. Während er glaubt, mit seinem Werk die Welt revolutionieren zu können, bemitleiden ihn seine Gäste aufgrund seiner schlechten psychischen Verfassung jedoch. Er lässt bis zu diesem Zeitpunkt aus-
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schließlich Informationen an sich heran, die sein illusorisches Selbstkonzept bestätigen. Für die Protagonisten ist es aufgrund der Abhängigkeit wichtiger, ihr Verhalten den durch den Suchtdruck diktierten Anweisungen anzupassen, als die Aufrechterhaltung bzw. die Zurückgewinnung ihrer Selbstwertschätzung und damit die Wiederaufnahme des ursprünglichen Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘ zu gewährleisten. Pepe ist es im fortgeschrittenen Stadium egal, wie er sich musikalisch und innerhalb seiner Performance präsentiert. Auch Johnny interessiert es nicht, dass er nur noch einfache Basslinien spielen muss und sich musikalisch nicht mehr entfalten kann. Hauptsache ist, dass sie ihren Heroinkonsum aufrechterhalten und den von ihnen gewünschten Lebensstil, der letztlich nur noch auf den Konsum und die Beschaffung der Droge reduziert ist, fortführen können. Einerseits halten sie an einem früh entwickelten Bild von sich selbst fest, welches den Tatsachen längst nicht mehr entspricht. Andererseits flüchten sie vor negativen Emotionen, die mit der Unfähigkeit, das eigene Selbstkonzept aufrechtzuerhalten, verbunden sind. Sie versuchen die Selbst-Diskrepanz durch erneuten Konsum zu ‚vertuschen‘, merken jedoch nicht, dass sie das Ungleichgewicht damit noch mehr verstärken: Da aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften der Droge das Rauscherleben im Verlauf der Abhängigkeit abnimmt, die Häufigkeit der Intoxikation sich jedoch erhöht, wird die Diskrepanz zwischen Ideal-Selbst und Real-Selbst immer größer. Es geht in diesem Stadium längst nicht mehr um die Suche nach ‚Kicks‘, sondern um den Wunsch, pharmakologisch eine Verminderung des Leidens herbeizuführen. Der Drogenkonsum, der zunächst nur eine Teilkomponente des Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘ ausmachte, erhält im fortgeschrittenen Stadium der Suchtkarriere einen immer höheren Stellenwert bis hin zur Ablöse des gesamten Selbstkonzeptes. Das Drehbuch der Protagonisten, in dem das Musikmachen keinen Bestand mehr hat, wird vollständig von der Regie der Droge übernommen. Der Regisseur des Drehbuches und damit einhergehender instruierter Verhaltensweisen ist fortan also nicht mehr das Individuum selbst, sondern der Suchtdruck, der totalitäre Macht und Kontrolle über das Leben der Abhängigen ausübt. Der Moment, in dem sie die Rolle des ‚Junkies‘ akzeptieren, geht mit dem Verlust der Handlungskontrolle und – daraus resultierend – dem Aufgeben subjektiver Autonomie einher. Mit Übernahme des Konzeptes ‚Junkie sein‘ konstituiert sich das Alltagsverhalten aus der Beschaffung und dem Konsum der Droge. Wird dieser Kreislauf unterbrochen, erleiden die Konsumenten Entzugserscheinungen, die sie zur Schmerzvermeidung umgehen müssen. Im Zuge der Abhängigkeit verändern sich ihre kognitiven Funktionen (Wahrnehmung, Gedächtnis, Urteilsvermögen) dahingehend, dass sie das Feedback von Außenstehenden sowie ihre eigenen körperlichen Reaktionen nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Dies äußert sich nicht nur darin, dass sie die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausblenden. Auch auf die Wahrnehmung ihrer künstlerischen Tätigkeiten und daraus entstehender Produkte nimmt der Konsum einen zentralen Einfluss: Obwohl sie ihr eigenes künstlerisches Schaffen, das unter dem Konsum gemacht wurde, im Nachhinein als „fucking bullshit“ bezeichnen und auf die Rauschwirkung der Droge zurückführen, nehmen sie dieses in der Situation selbst als „groundbreaking“ und „weltverbessernd“ wahr. Die Erinnerung an den vermeintlich positiven Effekt der Drogenwirkung (in musikalischer Hinsicht: schöp-
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ferische Kraft, Fokussierung, verbesserte musikalische Wahrnehmung etc.), der jegliche Realitätsvorstellung auszublenden scheint, führt dazu, dass Konsequenzen, die mit einer Weiterführung des Konsums einhergehen, missachtet oder gänzlich verleugnet werden. Obwohl durch außenstehende Perspektive zu erkennen ist, dass das Schaden-Nutzen-Verhältnis des Konsums eindeutig ins Negative umgeschlagen ist, heben die Konsumenten selbst bei schwerer Abhängigkeit lange Zeit einen positiven Effekt des Konsums hervor, ehe sie eine bewusste Problematisierung ihres Zustandes und die Veränderung bzw. Aufgabe ihres Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘ zulassen. Die Protagonisten setzen ihren Konsum so lange fort, bis sie die Wahrnehmung erhalten, dass die Nachteile des Konsums den Vorteilen gegenüber überwiegen bzw. bis sie die Aufrechterhaltung ihres Selbstkonzeptes bedroht sehen. Erst dann gehen sie Entzugsversuche ein. Bei Frankie ist es insbesondere das Gewahr-Werden der Selbst-Diskrepanz, welches ihn zur Veränderung seines Lebensstils und damit der Zurückgewinnung der Regie seines eigenen Drehbuches motiviert. Da auch Johnny und Pepe der Ausführung ihres Drehbuches – und damit dem Bedürfnis nach einer erneuten Zufuhr der Droge zur Schmerzvermeidung aufgrund eintretender Entzugserscheinungen – nicht mehr nachkommen können, sehen die Protagonisten nur noch zwei Handlungsoptionen, diesem Machtgefüge zu entgehen: Sie versuchen den Drogenkreislauf durch Entzugsversuche zu durchbrechen, indem sie von der Diktatur der Droge entziehen, oder sie wählen den Freitod. Zum Zeitpunkt des Interviews ist es allen drei Protagonisten gelungen, ein abstinentes Leben einzugehen. Sie haben erkannt, dass sie sich dem Drehbuch der Droge nur entziehen können, wenn sie sich auch dem Drogenkonsum entziehen. Nach dem Entzug müssen sie ihre Werte und Bedürfnisse zunächst neu definieren, um darauf aufbauend neue Selbstvorstellungen entwickeln zu können. Obwohl alle drei Protagonisten die Abstinenz als eine Art ‚Wiedergeburt‘ erfahren, nutzen sie die Chance, die mit dem Neuanfang einhergeht, unterschiedlich: Johnny wird nach seinem letzten Entzug nicht rückfällig. Innerhalb des Sober Houses wird er zum Musikmachen zurückgeführt und entdeckt hierbei neue Fähigkeiten, die Einfluss auf seine Werteorientierung und damit verbundene Selbstvorstellungen haben. Er entdeckt nicht nur seine Stimme als Instrument, sondern auch die Fähigkeit, Songs zu schreiben. Er knüpft erneut an den Gedanken an, Musiker sein zu wollen. Diesmal ist es jedoch er, der über die Rollenverteilung innerhalb der Band, die er gründet, und über die Produktion seiner Songs bestimmt. Der Konsum von Drogen (z.B. Xanax) erscheint ihm fortan nicht mehr als Bestärkung seines Selbstkonzeptes ‚Musiker sein‘, sondern als Gefährdung dessen. Johnny hat durch die Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Vergangenheit ein Bewusstsein dafür entwickelt, was es bedeutet, Drogen zu konsumieren. Er hat durch die Erfahrungen im Sober House sowie durch die Unterstützung seiner Familie und seiner Lebenspartnerin, die er in dieser Zeit trifft, so viel Selbstliebe entwickeln können, dass er den Rauschzustand der Droge nicht mehr als Stimulanz seines Emotionssystems ansieht. Das Musikmachen bleibt zwar auch im weiteren Verlauf seiner Entwicklung als Teilkomponente innerhalb seines Gesamt-Selbstkonzeptes bestehen. Dieses erhält jedoch eine andere Gewichtung. Da sich seine Bedürfnisse verändert haben, bedarf es zur Erzeugung eines inneren Gleichgewichts auch anderer Komponenten, die nicht mehr vordergründig mit dem Musikmachen in Verbindung stehen (z.B. Beziehung zur Partnerin, Aufklärungsarbeit).
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Frankie sieht das abstinente Leben vor allem als Rückgewinnung seiner Freiheit und subjektiven Autonomie. Der Verlust von Handlungskontrolle durch die Diktatur des Suchtdrucks bedeutete für ihn vor allem das Verlieren der Fähigkeit, über sich selbst, Körper und Psyche selbststimmend verfügen zu können. Während Frankie zunächst durch den Konsum ein Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung erfährt, in dem er die Stimmen in seinem Kopf betäuben kann, die permanent Kritik an ihm üben, muss er dieses Gefühl durch den Verlust der Selbstbestimmung durch den Suchtdruck, der seine Handlungen fortan kontrolliert, wieder aufgeben. Nachdem er sich der Kontrollmacht der Droge widersetzen kann, fängt er an, sich intensiv mit sich selbst und den Ursachen seiner Drogenabhängigkeit zu beschäftigen. Dadurch, dass er realisiert, dass er von einer ständigen Sehnsucht nach einer ‚besseren Version‘ von sich selbst getrieben ist, beginnt er fortan ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren, um damit seine Abstinenz aufrechterhalten zu können. Er beschäftigt sich mit alternativen Bewusstseinszuständen, die er, ohne einen erneuten Heroinkonsum eingehen zu müssen, erzeugen kann. Insbesondere seine Auseinandersetzung mit Spiritualität verhilft ihm dabei, Ebenen von Transzendenz zu erfahren, die das frühere Verlangen von Stimulanz durch die Rauschwirkung kompensieren. Ebenso schafft er es, durch Entspannungstechniken wie Yoga und Meditation seine Selbstwahrnehmung zu steigern und sich auf seine Bedürfnisse konzentrieren zu können. Während er vor dem Einstieg in den Heroinkonsum vor allem die Rolle des ‚Mitläufers‘ annimmt, der seinen Idolen nacheifert und sich an andere Gruppierungen anzupassen versucht, definiert er die Werte und Bedürfnisse, die sein Selbstkonzept bestimmen, nach dem Entzug nun selbst. Interessant ist, dass er erst nach seiner Suchtkarriere eine professionelle Musikkarriere beginnt. Er findet vor allem im musikalischen Kreativprozess eine Form der transzendenten Erfahrung, die ihn nicht nur in einen temporären Rauschzustand versetzt – wie zuvor durch den Konsum der Droge herbeigeführt. Das Musikmachen stellt für ihn auch eine wesentlich nachhaltigere Variante der Stimulanz dar, der er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nachgeht. Während bei Frankie und Johnny mit der Beendigung des Konsums eine Verlagerung der Gegenwartsorientierung hin zur Zukunftsorientierung stattfindet, verläuft die Entwicklung bei Pepe zunächst rückwärtsgewandt.7 Nach Pepes Entzug ist es vor allem seine Familie, die ihm den Schutz, Halt und Geborgenheit gewährt – Komponenten, die er als Kind vermisst hatte. Während er zunächst beschrieben hatte, dass es sein Hund war, der ihm am Ende seiner Suchtkarriere einen Sinn gegeben hatte, am Leben zu bleiben, ist es nun seine neue Freundin, die er als ‚Liebes-Objekt‘ erkennt. Spätestens hier wird deutlich, dass Pepe danach strebt, den Sinn seines Lebens und sein persönliches Glück im Außen zu suchen. Bereits als er im Kindes- und Jugendalter keine Liebe innerhalb seines Elternhauses erfährt, sucht er sich einen Ersatzzustand im ‚Paradies‘ außerhalb des Elternhauses. Er ist in diesem Alter noch nicht in der Lage, seine eigenen Werte zu definieren. Er erkennt allerdings frühzeitig seine Begabung für das Musikmachen. Dieses bildet die Basis für die Entwicklung seines
7
Die folgenden Ausführungen über den Weitergang von Pepes Lebensgeschichte gehen nicht ausschließlich aus dem Interview hervor, sondern lassen sich insbesondere auf Gespräche zurückführen, die nach dem Interview geführt wurden.
Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse | 505
Selbstkonzeptes. Im Individuationsprozess orientiert er sich vornehmlich an seinem Umfeld und definiert über dieses auch seine eigenen Werte und Bedürfnisse. Durch sein Umfeld erhält er ebenso einen Zugang zum Drogenkonsum, durch den er vor sich selbst bzw. das Selbst verletzenden Faktoren flüchten kann. Dass er sich durch den Schutz des Drogenrausches selbst Schaden zufügt, verdrängt er. Er flüchtet vor den Regeln, die ihm von seinem Umfeld auferlegt werden. Er unterwirft sich jedoch den Regeln der Droge. Auffällig ist, dass er im Interview rückblickend immer wieder betont, dass er seine Vergangenheit und damit verbundene Verhaltensweisen nicht bereue. Durch die permanente Hervorhebung scheint er seinen Selbstwert jedoch lediglich bewahren zu wollen und das Gefühl des vermeintlichen ‚Gescheitert-seins‘ zu verdrängen. Durch die ‚Neugeburt‘ des Entzuges knüpft er an Wertevorstellungen und Bedürfnisse an, die sich nicht nur erneut an seinem Umfeld orientieren, sondern vor allem an den Bedürfnissen seines Selbst als Jugendlicher. Er hat es nach dem Entzug nicht geschafft, aus dem kindlichen Zustand herauszukommen. Vielmehr verharrt er in seiner naiven Weltanschauung, blendet kritisches Denken aus und ist zunächst berauscht von der ‚Leichtigkeit des Seins‘, welches durch das Gefühl der Zurückgewinnung von Kontrolle erzeugt wird. Er verbringt seine Zeit damit, am Strand zu sein, die Sonne zu genießen und sich mit Freunden zu treffen. Er fährt wieder Skateboard, bringt seiner Freundin das Gitarrespielen bei, versucht Kontakt zu seinem ehemals besten Freund J. aufzunehmen und schreibt an eigenen Songs. Er betont zwar, dass er nicht mehr die Selbstvorstellung habe, ein professioneller Musiker sein zu wollen. Dies könnte jedoch auf seine Erkenntnis zurückzuführen sein, dass er nach den Jahren, in denen er aufgrund der Auswirkungen des Heroinkonsums keine Musik gemacht hatte, spielerisch nicht mehr an seine musikalischen Leistungen vor seiner Drogenkarriere anknüpfen kann. Dieser Gedanke bestätigt sich dann, wenn Pepe versucht, ein Album zu produzieren, das jedoch von der gewünschten Plattenfirma abgelehnt wird. Er empfindet diese Situation als ‚Scheitern‘ und glaubt fortan nicht mehr daran, kommerziell erfolgreich Musik machen zu können. Dadurch, dass er an sein früheres Selbstkonzept ‚Musiker sein‘ nicht mehr anknüpfen kann, erfährt er ein geringes Selbstwertgefühl. In dieser Zeit realisiert er auch, dass er keinen Job lange aufrechterhalten kann und nach wie vor ein Problem mit Autoritätspersonen hat. Mit der neugewonnenen Freiheit durch den Entzug von der Droge erfährt er zunächst ein Gefühl subjektiver Autonomie und glaubt dadurch, sein Leben ‚im Griff‘ zu haben. Er ist positiv bestärkt, dem „Todestrieb“ – um mit Freud (1923: 307) zu sprechen – entkommen zu sein. Pepe wird zwar zunächst nicht mehr durch die Rauschwirkung der Droge fremdgesteuert. Er denkt trotzdem nicht darüber nach, was er tun muss, um den Rückfall in die Rolle des ‚Junkies‘ zu verhindern. Es wird hierbei deutlich, dass Pepe es nie gelernt hat, Coping-Strategien zu entwickeln, um sich Konflikten zu stellen bzw. diese zu bewältigen. Bereits in Kindheitstagen lernt er, dass der einfachste Weg, seinen ‚Dreck‘ zu beseitigen, der ist, ihn unter den Teppich zu kehren und ihn zu vergessen. Der ‚Dreck‘ ist jedoch nicht weg; hingegen häuft er sich über die Jahre an – oder um es mit Kohut (1979: 11) zu formulieren: „Der Defekt im Selbst bleibt.“ Pepe ‚frisst‘ seinen Schmerz, Sorgen und Ängste nach wie vor in sich hinein, anstatt die direkte Konfrontation zu suchen. Als er nach Jahren der Sucht- und Verdrängungserfahrung plötzlich ein abstinentes Leben eingeht, knüpft er
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an einen Zustand an, den er – bis auf eine kurze Phase der Abstinenz – zuletzt als Teenager erlebt hatte. Er versucht weder den ‚Dreck‘, der sich unter dem Teppich angesammelt hatte, zu beseitigen, noch sich in einer anderen Weise damit auseinanderzusetzen. Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen bedeutet für ihn nämlich Anstrengung und das Zulassen negativer Gefühle. Im Laufe seiner fast 20-jährigen Suchtkarriere hat er jedoch nie gelernt, solche Gefühle auszuhalten – ebenso wenig wie Verantwortung für sein eigenes Leben und Handeln zu übernehmen. Während Pepe sich im Alltag nicht zurechtfindet, übernimmt seine – mittlerweile – Ehefrau Verantwortung für ihn. Sie verdient das Geld und hält ihn finanziell aus, wodurch sein ohnehin schon geringer Selbstwert noch weiter geschwächt wird. Von der kindlichen Rolle, in der er seit dem Entzug verharrt, fällt er in eine Opferrolle. Ihm fehlt es an Aufgaben und Perspektiven in seinem Leben, wodurch er in eine depressive Stimmung versetzt wird. Er bemitleidet sich selbst und sucht nach Wegen, seinen fehlenden Selbstwert zu kompensieren. Da er die Flucht in den Drogenrausch als schnellste Form des Eskapismus erlernt hat und das psychische Suchtverlangen („the monkey on my shoulder“), das sich insbesondere dann bemerkbar macht, sobald Probleme auftreten, diese Auffassung bestärkt, wählt er den Konsum der Droge erneut als ‚Problemlöser‘ und gerät in alte Verhaltensmuster. Obwohl er sich mittlerweile über die destruktive und selbstzerstörerische Wirkung dessen bewusst ist, findet er wiederholt Trost und Schutz im Suchtmittel. Pepe scheitert nicht an der Unfähigkeit, den Konsum der Droge kurzfristig, selbst für Wochen oder Monate, zu unterlassen, sondern vielmehr an der Unfähigkeit, diesen Status dauerhaft aufrechtzuerhalten. Er erfährt seinen „wake-up call“ erst, als sich seine Ehefrau aufgrund der Fortführung seiner Suchtkarriere von ihm trennt. Die zunächst als Krise erlebte Lebensphase, die mit mehreren Rückfällen einhergeht, stellt für ihn jedoch eine Chance dar. Er erkennt, dass er seine Frau nur zurückgewinnen kann, wenn er es schafft, den Suchtkreislauf und damit verbundene Verhaltensmuster zu durchbrechen. Tatsächlich absolviert er einen weiteren erfolgreichen Entzug. Durch die Annahme von Hilfsangeboten (durch Familie oder therapeutische Einrichtungen) gelingt es ihm, Mechanismen der Problembewältigung zu entwickeln und nicht erneut in den Konsum einzusteigen. Während sich sein Drehbuch bisher immer auf Grundlage anderer Personen und äußerer Faktoren konstituierte, beginnt Pepe fortan, nach sich selbst zu suchen und sich mit dem ‚Dreck‘ unter seinem Teppich aus der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Erst als er seinen eignen Wert erkennt und diesen auch definieren kann, beginnt er mit der Konzeption von Lebenszielen, die er an seine Bedürfnisse und Selbstvorstellungen anpasst. Er erkennt erneut seine Leidenschaft für das Musikmachen und schließt diese in sein Selbstkonzept ein. Er erhält einen Job in einem Musikgeschäft, wodurch er sich eigenständig finanzieren kann, und gründet eine neue Band. Er schafft es – auch ohne seine Frau, durch die Konstante des Jobs finanzielle Sicherheit zu erzeugen und durch einen geregelten Alltag innere Stabilität aufzubauen und abstinent zu bleiben.
13.
Schlussbetrachtung
13.1
ABSCHLIEßENDE RAHMUNG
Innerhalb dieser Arbeit habe ich mich einem Bereich von Popmusikkultur gewidmet, der seit Langem Teil von Mythenbildungen, Stereotypen und Verklärung ist: Musik und Drogenkonsum. Obwohl die Drogenabhängigkeit von Musiker*innen und damit verbundene Exzesse und Skandale bis hin zum Drogentod immer wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, wurde insbesondere das Phänomen Heroinabhängigkeit in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vergleichsweise selten diskutiert. In Anbetracht dieses Desiderats habe ich in meiner Arbeit einen Forschungsansatz vorgestellt, welcher der eingangs formulierten Frage nach dem Warum nachgeht und damit den Versuch leistet, einen Ansatz zur Annäherung an das Phänomen Heroinabhängigkeit unter Musiker*innen zu liefern. Auf Grundlage dieses Forschungsinteresses wurde ein theoretischer Zugang zunächst im Rahmen der Sucht- und Selbstkonzeptforschung gesucht. In diesem Kontext erwiesen sich die Konstrukte Sucht und Selbstkonzept als erste Orientierungspunkte. Es ging mir hierbei jedoch nicht darum, zu einer neuen allgemeingültigen Theorie von Suchtentstehung oder einer allumfassenden Definition und Erklärung von Selbstkonzepten heroinabhängiger Musiker*innen zu gelangen – was ohnehin ein unmögliches Unterfangen wäre. Schließlich gibt es die Drogenabhängige oder den Drogenabhängigen nicht – oder wie es Boyd (2013) auf den Punkt bringt: „[T]he effect of drugs and alcohol is individual; no general statement can really apply to everyone.“ Generell gilt, dass jeder Organismus anders ist und jeder Mensch seine individuelle Lebensgeschichte aus einem Zusammenspiel verschiedener (suchtbedingender) Faktoren mit sich bringt. Umweltanreize treffen auf Individuen mit verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen, Bedürfnissen, Wertvorstellungen, Verhaltensbereitschaften und Handlungsweisen, die je nach genetisch-biologischer Anlage, nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit, kultureller Ausrichtungen und Besonderheiten der Sozialisation etc. unterschiedlich ausgeprägt sind. Bei Böllinger et al. (1995: 84) heißt es hierzu: „Entsprechend der Vielfalt möglicher Ursachen, Bedingungen und Verläufe, einschließlich des Zufalls, gibt es außerordentlich viele ‚Typen‘ von Drogenabhängigen. Eigentlich kann man nur in jedem einzelnen Fall verstehend rekonstruieren, wie jemand drogenabhängig geworden ist. Man kann nicht umgekehrt voraussagen, z.B. mit Hilfe von Tests und dgl., welche Person unter
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welchen Bedingungen unter welcher Wahrscheinlichkeit abhängig von welchen Drogen werden wird.“
Intention dieser Studie war es daher nicht, eine Typisierung oder irgendeine Art von Typologie heroinabhängiger Musiker*innen vorzunehmen, sondern am Beispiel der biographischen Fallrekonstruktion einzelner individueller Entwicklungsverläufe, Einblicke in Lebenswelten von (ehemals) heroinabhängigem Musiker*innen zu erhalten sowie sich deren Selbstkonzepten und damit verbundenen Wirklichkeitskonstruktionen anzunähern. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit bereits bestehenden theoretischen und methodischen Ansätzen fiel insbesondere auf, dass bei der Wahl methodischer Verfahren innerhalb der Ursachenforschung von Sucht als auch zur Erhebung von selbstbezogenen Informationen – nicht ausschließlich, aber vornehmlich – auf standardisierte Messverfahren zurückgegriffen und damit in erster Linie die Quantifizierung von Daten angestrebt wird. Wird Heroinabhängigkeit jedoch als individueller Prozess betrachtet, so bedarf es auch einer individuellen Erklärung, wie eine Person in eine Situation gerät, in der sich ihr die Möglichkeit des Heroinerwerbs und -konsums eröffnet. Es bedarf zudem einer Erklärung, warum sie sich zum Konsum bereiterklärt, wenn sie die Gelegenheit dazu erhält, und warum sie den Konsum über den Erstkonsum hinaus fortsetzt. Um zu verstehen, warum die Betroffenen heroinabhängig wurden, und um ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen und Verhaltensweisen nachvollziehen zu können, ist es notwendig, auch ihre Gedankenwelt zu ergründen. Es sollte nicht nur Anliegen sein, zu beurteilen, was wir in Bezug auf das benannte Phänomen zu sehen scheinen oder was durch medial erzeugte Narrative transportiert wird. Vielmehr sollte hinterfragt werden, wie diese Menschen über sich selbst und ihre Umwelt denken, woraus sich ihre eigenen Ansichten und Haltungen konstituieren, welche damit verbundenen Motive und Bedürfnisse sie zu befriedigen versuchen, und durch welche Einflüsse sich diese im Laufe ihres Lebens verändern. Es bedarf folglich eines entsprechenden methodischen Vorgehens zur sequenziellen Analyse einer Abfolge von individuellen Handlungsverläufen, um eine Gesamtbeschreibung eines daraus resultierenden Handlungsmusters ableiten zu können. Um das Zusammenspiel von Motivation und Situation zu untersuchen, bedarf es somit eines interaktionistischen Ansatzes unter der Einbeziehung der biographischen, individuell-prozessualen Perspektive. Da die hier thematisierte Studie auf die subjektive Sichtweise von Einzelfällen und damit nicht auf eine repräsentative Darstellung abzielt, wurde auf Grundlage narrativ-biographischer Interviews schließlich ein biographiezentrierter Ansatz im Kontext interpretativer Sozialforschung gewählt, der die Rekonstruktion von Lebensgeschichten individueller Musiker*innen in den Fokus setzt.1
1
Da das Konstrukt Selbstkonzept auf ein sozialwissenschaftliches und in diesem Fall qualitatives Forschungsparadigma übertragen wurde, wird der Untersuchungsgegenstand bzw. die damit einhergehende Datenerhebung und -auswertung folglich auch an Kriterien bzw. dem Anspruch qualitativ-interpretativer Sozialforschung gemessen (siehe hierzu Flick 1987, 2007, 2010, 2014; Steinke 1999, 2010).
Schlussbetrachtung | 509
Die Verwendung narrativer Verfahren ist sicherlich nicht neu für die Erforschung populärer Musik(-kulturen). Vielmehr knüpft meine Arbeit an aktuelle Forschungsarbeiten an, in denen über narrative Methoden Zugänge zu krisenbehafteten Lebenserfahrungen und Konfliktsituationen geschaffen werden.2 Mit der Wahl der biographischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2014), welche sich auf Grundlage der zuvor erläuterten theoretischen Gedanken zu Sucht und Selbstkonzepten grundsätzlich als potenzielles Verfahren zur Rekonstruktion von selbstbezogenen Informationen und subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen erweist, wurde jedoch ein methodisches Vorgehen herangezogen, das erstmalig in den Popular Music Studies angewendet wurde und mit dessen Hilfe zum ersten Mal Lebenswege von heroinabhängigen Musikern individuell nachgezeichnet und damit verbundene Erfahrungswelten und Handlungsweisen nachvollziehbar gemacht werden konnten. Auch wenn die exemplarisch dargestellten Einzelfallanalysen sicherlich nicht als repräsentativ für die Gruppe aller heroinabhängigen Musiker*innen anzusehen sind, konnten sowohl individuelle Faktoren wie auch Gemeinsamkeiten in den Lebensläufen und damit verbundenen Selbstkonzepten festgestellt werden, die als Ausgangspunkt für weitere empirische Untersuchungen dienen können (s.w.u.).
13.2
(PERSÖNLICHE) REFLEXION
Der interpretative Forschungsansatz zeichnet sich insbesondere dadurch aus, nicht bereits im Vorfeld Annahmen zu entwickeln und diese zu überprüfen, sondern möglichst unvoreingenommen das Forschungsfeld zu erkunden (vgl. Froschauer & Lueger 2009: 12f.). Dass ein gewisser Grad an Voreingenommenheit dennoch zwingend erforderlich war, geht aus den theoretischen Überlegungen und der praktischen Umsetzung des Forschungsvorhabens deutlich hervor. Vor allem im Hinblick auf zu treffende ethische Vorkehrungen und präventive Maßnahmen war es unabdingbar, sich im Vorfeld insbesondere mit Suchttheorien sowie kulturellen und sozialen Hintergründen der Protagonisten auseinanderzusetzen, um mit einem entsprechenden Forschungsdesign reagieren zu können sowie – und hierin liegt die zentrale ethische Grundlage der Studie – nötige Vorkehrungen zum Schutz der Studienteilnehmer*innen treffen zu können. Grundsätzlich ist in Bezug auf das vorliegende Forschungsprojekt zu beachten: Die Intention der Studie war es, sich dem Phänomen heroinabhängige Musiker*innen zunächst überhaupt einmal zu nähern. Zudem ging es um die Erprobung eines methodischen Verfahrens, das in einem solchen Kontext bzw. in Verbindung mit dem zu erforschenden Phänomen und damit verbundenen Fragestellungen noch nicht stattgefunden hat. Hierbei ging es in erster Linie um ein Austesten und Sich-einlassen auf einen bestimmten Forschungskontext, der mit diversen Schwierigkeiten verbunden war – wie zuvor in Kapitel 8 ausgeführt. Sicherlich ließ sich im Vorfeld einiges
2
Als Beispiel ist Daughtrys (2015) ethnographische Studie „Listening to War: Sound, Music, Trauma, and Survival in Wartime Iraq“ zu nennen, in der sich der Autor über Narrative, die er aus Interviews mit im Irak stationierten Soldaten generiert, u.a. deren traumatischen Erfahrungen annähert.
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an theoretischem Wissen aneignen und die Interviewsituation simulieren. Doch erst die Konfrontation mit dem Phänomen im Feld gab Aufschluss über tatsächliche Verhaltensmuster und Reaktionen der Studienteilnehmer*innen und einem damit einhergehenden Erzählverlauf – aber auch im Hinblick auf meine eigenen (emotionalen) Reaktionen: Die Studie befindet sich in einem Spannungsverhältnis zwischen der zunächst als widersprüchlich erscheinenden Anforderung der Teilnahme im Feld und der Zurückstellung der eigenen Person. Einerseits ist eine empathische Teilnahme an der Lebenspraxis notwendig – nicht zuletzt, um überhaupt einen Zugang zum Studienteilnehmer*innenkreis zu erhalten. Andererseits wird eine Distanz vorausgesetzt, um das zu erforschende Phänomen ‚objektiv‘ betrachten zu können. Professionelles wissenschaftliches Arbeiten zeugt am Ende vor allem davon, den ‚Grad dazwischen‘ zu finden und somit erforderte Nähe aufzubauen, jedoch auch nötige Distanz bewahren zu können. Als eine der oberen Prämissen gilt es vor allem, sich emotional nicht zu ‚verlieren‘. Dieses Verhalten erscheint im Kontext des gewählten Forschungsprojektes zwar als menschlich, es stellt sich jedoch auch als ein ernst zu nehmender Konflikt dar – wie an verschiedenen Stellen dieser Arbeit thematisiert wurde. Meine Rolle und Verantwortung als Forschende unterliegt einer wichtigen Auseinandersetzung, die nicht nur in der wissenschaftlichen Betrachtung von Musik und Kulturen – abgesehen von der kulturwissenschaftlich orientierten Musikethnologie – (noch) zu wenig thematisiert wird. Sich der Grenzen eines wissenschaftlichen Forschungsvorhabens bewusst zu sein, ist jedoch ein Prozess, der im Rahmen des gesamten Projektes immer wieder reflektiert werden musste. Wo liegen (persönliche) Grenzen und an welchem Punkt werden diese überschritten? Nötige (emotionale) Distanz einzuhalten und ein potenzielles Risiko einschätzen zu können, gehörte zu den Schwierigkeiten, mit denen ich mich im Rahmen meines Forschungsprojektes intensiv und an verschiedenen Stellen des Prozesses immer wieder auseinandersetzen musste. Das Wohlergehen der Studienteilnehmer*innen zu bewahren wird als höchste Prämisse des Projektes hervorgehoben. Gleichzeitig gilt es auch, meine eigene Rolle als forschendes Subjekt, das sich in ein Forschungsfeld begibt, in dem es mit Grenzerfahrungen konfrontiert wird, zu reflektieren und damit immer wieder neu zu definieren, um auch den Selbstschutz der eigenen Person zu gewährleisten. Die sich im Feld ergebenden Schwierigkeiten im Hinblick auf (persönliche) Herausforderungen sowie auf die Durchführung des narrativen Interviews im Generellen werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt: Die Methodik des narrativen Interviews sieht es vor, dass die Haupterzählung oder Anfangserzählung in ihrer Gestaltung ganz dem Befragten überlassen und nicht durch den Interviewer oder die Interviewerin unterbrochen werden sollte, um den/die Erzählende/n nicht von seiner/ihrer inneren Vorstellung der erzählten Erlebnisses abzubringen. Auch Glinka (1998: 13f.) weist zur Durchführung narrativer Interviews an, dass das Durchhalten der Rolle des Interviewers bzw. der Interviewerin während der Haupterzählung hohe Aufmerksamkeit und möglichst keine – und schon gar nicht bewertende – Zwischenfragen bedeute. Dass sich diese Anweisung in der Praxis jedoch oft nur schwer umsetzen lässt, wurde an verschiedenen Stellen des Interviews deutlich. Nicht immer ist es mir und dem Co-Interviewer gelungen, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Wir versuchten den zuvor beschriebenen schwierigen
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Grad zwischen Nähe und Distanz einzuhalten. Unterbrechungen oder unpräzise Nachfragen sind auch meiner Unerfahrenheit und dem ungewohnten Setting geschuldet. Innerhalb der Interviewsituation mit Emotionen konfrontiert zu werden, die im Vorhinein nicht erprobt werden konnten, gehörte zu den Erfahrungen, welche ich zunächst reflektieren und verarbeiten musste. Durch Empathie und Sensitivität konnte ich jedoch auch Redebereitschaft bei den Studienteilnehmern erwecken, die wiederum förderlich für die Vertrauensbasis zwischen mir und den Erforschten und damit für den Gesprächsverlauf war. Auch im Hinblick auf das Identifizieren von Erzähllücken, thematischen und formalen Brüchen der Erzählung und von Fragmenten von Vorgängen, die nicht auserzählt wurden, fiel es mir nicht immer leicht, den Ausführungen der Erzählenden zu folgen. Ich war mit Nervosität und sprachlichen Schwierigkeiten (z.B. das NichtVerstehen von Slang-Ausdrücken, undeutliches oder schnelles Sprechen) konfrontiert, was dazu führte, dass ich inhaltliche Darstellungen teilweise nicht nachvollziehen konnte und es mir damit erschwert wurde, im weiteren Verlauf des Interviews mit entsprechenden Nachfragen zu reagieren. Ebenso ist zu kritisieren, dass die Studienteilnehmer nicht völlig vorahnungslos in die Interviewsituation gegangen sind. Aufgrund zwingend notwendiger zu treffender ethischer Vorkehrungen (z.B. die Kenntnisnahme der Probandeninformation) wurden die Interviewten bereits im Vorfeld thematisch in eine bestimmte Richtung gelenkt, welche Einfluss auf die Erzählmechanismen hatte. Am Beispiel Johnny wird zudem deutlich, dass er bestimmten Erzählmechanismen folgt, die er sich vermutlich innerhalb der therapeutischen Maßnahmen angeeignet hat. So ist es beispielsweise auffällig, dass er immer wieder Rückblenden zu seiner Kindheit schafft, um sein späteres Verhalten zu begründen. Des Weiteren ist in Bezug auf den Prozess der Erinnerung und des Erzählens zu beachten: In der Vergangenheit liegende Erlebnisse stellen sich den Studienteilnehmer*innen in der Gegenwart des Erinnerns und Erzählens nicht dar, wie sie erlebt wurden, sondern nur im Wie ihrer Darbietungen, d.h. nur im Wechselverhältnis zwischen dem sich in der Gegenwart der Erzählung Darbietenden und dem Gemeinten. Wird in Anlehnung an Welzer (2008) davon ausgegangen, dass sich Erinnerungen immer wieder neu zusammensetzen, so habe dies laut Unseld (2014: 47) zur Konsequenz, „dass – auch wenn sich die Person an den gleichen Sachverhalt erinnert – bei jeder Erinnerungsleistung ein neues, zum jeweiligen Zeitpunkt generiertes, je eigenes ‚Netz‘ entsteht, mithin nie ein identisches Erinnerungsnetz zweimal entstehen kann“. Auf die vorliegende Studie bezogen bedeutet dies, dass sich die Geschichte, die man sich selbst erzählt, nie identisch ist, sondern je nach Kontext neu konstruiert wird. Die Lebensgeschichten der Studienteilnehmer – und daraus resultierende selbstbezogene Informationen, die Aufschluss über die Konstitution und Veränderung ihrer Selbstkonzepte liefern – sind als Momentaufnahme und damit als situative Konstruktion zu betrachten. Zusammenfassend bedeutet dies für das vorliegende Forschungsprojekt, dass es eben nicht um die eine Wahrheit, die eine wahre Interpretation von Ergebnissen geht, sondern immer um parallele Deutungsmöglichkeiten. Der Begriff ‚interpretativ‘ ist in diesem Zusammenhang deshalb so wichtig, weil er die Konstruiertheit der empirischen Wirklichkeit in den Mittelpunkt rückt und daher immer von unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen ausgeht. Interpretative Forschung ist diesem Verständ-
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nis zufolge selbst eine spezifische Vorgehensweise in der Erzeugung einer Wirklichkeitskonstruktion, welche die empirischen Beobachtungen theorisierend aufarbeitet und auf diese Weise Wissen über einen Gegenstandsbereich aufbaut (vgl. Froschauer/Lueger 2009: 10). Auch wenn durch das methodische Vorgehen im Hinblick auf das generierte Datenmaterial ein geeigneter Zugang zu Wirklichkeitskonstruktionen von heroinabhängigen Musikern geschaffen werden konnte, stellte das Problem der ‚unendlichen Interpretierbarkeit‘ auch eine Schwierigkeit für die Auswertung der biographischen Daten dar. In diesem Zusammenhang sollte angemerkt werden, dass das gewählte Auswertungsverfahren im Rahmen der interpretativen Datenanalyse – hier im Speziellen das Verfahren der biographischen Fallrekonstruktion – sehr zeit- und arbeitsaufwendig ist und ein nur schwer zu bewältigendes Unterfangen darstellt, sofern nicht – wie Rosenthal vorgibt – in einer Forschungsgruppe gearbeitet wird. Aufgrund der Tatsache, dass mir kein Forschungsteam zur Verfügung stand und ich die verschiedenen Analyseeinheiten in Einzelarbeit absolvierte, habe ich mich dafür entschieden, die gewählte Methodik auf die vorliegende Forschungsarbeit zwar anzuwenden, jedoch dem Forschungsgegenstand und den zur Verfügung stehenden Kapazitäten entsprechend zu modifizieren. Dies bezieht sich insbesondere auf die von Rosenthal beabsichtigte Hypothesenbildung zum erzählten und erlebten Leben (Analyseschritte 2 und 3). Wie es das Verfahren vorsieht, wurde diese Hypothesenbildung zwar durchgeführt, die Ergebnisse konnten jedoch nicht in einer Forschungsgruppe besprochen und mit anderen Ergebnissen abgeglichen werden. Um dennoch Transparenz zu gewährleisten und die aus den Ergebnissen der Interpretation resultierenden Schlussfolgerungen nachvollziehbar zu machen, wurden die Hypothesenbildungen und damit verbundene Denkvorgänge direkt in den Fließtext eingearbeitet. Aufgrund der Fülle des Datenmaterials und der Komplexität der zu betrachtenden Einzelfälle, die sich insbesondere durch häufig im Erzählfluss wechselnde Erzählund Wirklichkeitsperspektiven kenntlich machte, habe ich mich in Schritt 5 (Kontrastierung der erzählten und erlebten Lebensgeschichte) für eine tabellarische Darstellung der Daten entschieden. Diese dient nicht nur der Übersichtlichkeit, sondern auch zur Herausarbeitung zentraler Aspekte des Interviews hinsichtlich der Fragestellungen der Studie sowie zur Vorbereitung und Einleitung des zusammenfassenden Ergebnisteils. Abschließend kann darüber diskutiert werden, ob es sinnvoll gewesen wäre, die Studienteilnehmer innerhalb eines weiteren Gesprächs direkt mit den Ergebnissen der Studie – wie es das Verfahren der kommunikativen Validierung vorsieht – zu konfrontieren, um eine weitere, eventuell kritische Lesart zu erhalten. Da für diesen Fall die Reaktionen der Studienteilnehmer jedoch nicht eingeschätzt werden konnten und eine potenzielle Rückfallgefahr vermieden werden sollte, wurden zwar weitere Gespräche mit einzelnen Studienteilnehmern geführt, jedoch auf die konkrete Diskussion über Ergebnisse ihrer Fallstudien verzichtet. Eine kommunikative Validierung würde erneute präventive Auseinandersetzungen und Vorkehrungsmaßnahmen voraussetzen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten gewesen wären.
Schlussbetrachtung | 513
13.3
(GESELLSCHAFTLICHE) EINORDNUNG UND AUSBLICK
Im Zuge der biographischen Fallrekonstruktion ließ sich erkennen, dass sich die Heroinabhängigkeit der Studienteilnehmer über einen längeren Zeitraum entwickelt hat und als das Produkt eines komplexen Zusammenspiels von motivationalen und situativen Faktoren sowie gesellschaftlichen Reaktionsprozessen gesehen werden kann. An den drei exemplarischen Lebensgeschichten von Johnny, Pepe und Frankie wird deutlich, dass eine Suchtkarriere nicht gezielt geplant, sondern aufgrund verschiedener Faktoren eingeleitet wird und sich ab einem bestimmten Stadium der Sucht verselbstständigt. Wenn wir über Drogenabhängigkeit sprechen, haben wir es mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun, das sich nicht nur auf die Statusgruppe heroinabhängiger Musiker*innen zurückführen lässt. Es werden durch den Rausch der Droge Bedürfnisse befriedigt, deren Ursachen und Verstärker ein grundsätzliches Phänomen der heutigen Gesellschaft darstellen: Angst, Verdrängung, fehlender Halt, Liebesentzug, Perspektivlosigkeit etc. Keiner der Studienteilnehmer hat es sich ausgesucht, ‚Junkie‘ zu sein. Zumindest hat es keiner der Protagonisten voraussehen können, welche Auswirkungen der Drogenkonsum auf sein Selbstkonzept und den damit verbundenen Lebensweg nehmen wird. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die ‚Karriere‘ der Heroinabhängigkeit und eine damit einhergehende Abhängigkeit von der Droge keine ursprünglich gewollte darstellt – oder wie es Studienteilnehmer Johnny ausdrückt: „nobody wants to be a heroin addict once you crossed the threshold of serious drug addiction […], it’s not a party [...] it’s not like a vacation and it is not glamorous“ (T1: Z. 21-24)
Anstatt diese Fälle zu verurteilen oder zu stigmatisieren, war es Anliegen dieser Studie, nach dem Warum zu fragen: Warum werden Menschen – mit Schwerpunkt auf dem Kontext des Musiker*innendaseins – süchtig? Neben dem Bedürfnis nach Aufklärung sollte durch diese Studie insbesondere ein Bewusstsein geschaffen und Verständnis für diese Menschen und damit verbundene Lebenswege, Entscheidungen und Verhaltensweisen erzeugt werden. Der Drogenkonsum der Protagonisten kann auf Grundlage der Ergebnisse als Teil ihres Selbstkonzeptes und als Symbol eines dazugehörenden Lebensstils gedeutet werden. Drogen werden hierbei als ‚Türöffner‘ in bestimmte subkulturelle Szenen gedeutet: durch geteilte Werte wird der Einstieg in die Band erleichtert, das Gruppengefühl gestärkt. Sie erfahren im anfänglichen Rausch der Drogenwirkung schöpferische Kraft, nehmen sich als besonders kreativ und konzentriert wahr, bis die Drogen am Ende jedoch – und darin liegt der entscheidende Trugschluss – wichtiger werden als die Türen, die sie versucht haben zu öffnen. Doch was passiert danach? Diese Frage ist nicht nur an die drei Protagonisten dieser Studie gerichtet, sondern leitet eine generelle Auseinandersetzung mit dieser Thematik ein. Während – insbesondere in journalistischen Auseinandersetzungen – oftmals nur versucht wird, die Schicksale dieser ‚Outsider‘ aufzugreifen, sollte der Fokus vielmehr darauf gerichtet werden, welche Perspektiven den ‚Aussteigern‘ für ihren weiteren Werdegang geboten werden.
514 | Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie geben nicht nur Aufschluss darüber, wie die Befragten in den Suchtkreislauf geraten, sondern auch wie sie – z.B. durch die Hilfe von speziell für Musiker*innen ausgerichteten Therapieprogrammen – aus diesem wieder herausfinden. Zum Zeitpunkt der Interviews ist es allen Studienteilnehmenden gelungen, ein abstinentes Leben zu führen. Sie haben erkannt, dass sie sich dem Drehbuch der Droge nur entziehen können, wenn sie sich auch dem Drogenkonsum entziehen. Es sind auch hier zentrale Wendepunkte, aufgrund derer sich die Protagonisten für ein abstinentes Leben entscheiden und damit aus dem Suchtkreislauf ausbrechen können. Nach dem Entzug müssen sie ihre Werte und Bedürfnisse neu definieren, um darauf aufbauend andere Selbstvorstellungen entwickeln zu können. Es muss in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Konstruktion von Selbstkonzepten generell die Frage stellt werden, ob die Teilkomponente ‚Drogen konsumieren‘ überhaupt jemals mit dem Gesamtkonzept ‚Musiker sein‘ vereinbar ist bzw. jemals vereinbar war. Touren, Texte schreiben, Choreographien lernen, ständig im Fokus der Öffentlichkeit stehen, Vorbild sein – all diese Komponenten lassen sich unter dem Begriff des ‚Funktionierens‘ zusammenfassen. Kann die romantisierte Vorstellung des durch ‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘ geprägten Lifestyles in Bezug auf die gestiegene wirtschaftliche Bedeutung von Tourneen und die Erwartung des Publikums von der Dauerpräsenz der Künstler*innen in den sozialen Netzwerken überhaupt funktionieren? Interessant ist hierbei, dass das Beharren auf dem ursprünglichen Selbstkonzept (‚ich kann nur ein guter Musiker sein, wenn ich konsumiere‘) und eine damit verbundene und präferierte Lebensweise (‚Sex & Drugs & Rock’n’Roll‘) dazu führen kann, dass sich die Betroffenen (zunächst) keine Hilfe suchen und so der Ausstieg aus dem Suchtkreislauf erschwert wird. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum trotz zunehmender Hilfsangebote (z.B. MusiCares, Help Musicians oder Backline), der Großteil an mental- oder suchterkrankten Musiker*innen keine therapeutische Unterstützung in Anspruch nimmt (vgl. Record Union 2019). Abgesehen davon, dass ich mich im Rahmen meiner Studie mit einer speziellen Gruppe von Musikern in einem spezifischen sozialen Gefüge auseinandergesetzt habe, gilt es grundsätzlich zu hinterfragen, welche Türen – und damit verbundene Chancen und Möglichkeiten – im Musikbusiness sowie im Ausbildungsbereich (sucht-)erkrankten Musiker*innen während und vor allem auch nach ihrem Krankheitsverlauf eröffnet werden und welche ihnen verschlossen bleiben. Hier lässt sich auch die zu Beginn benannte ‚Todes‘-These, wie sie u.a. Weinstein (2015: 141) formuliert – erneut aufgreifen: „Death is the great career move for celebrities. Obviously it isn’t a great move for the people who are the celebrities, but their fame is vastly increased by death, especially when it comes at the peak of their careers. It turns them into legends who never lose their youth or their creativity. When Hendrix, Joplin, and Morrison died, the mass media went into overdrive, highlighting their careers as if they were advertising a box set of their greatest hits. It is little wonder that their recording sold better than ever.“
Um also die vorige Frage etwas polemischer zu formulieren: Muss es direkt der Todesfall sein, um nach einer Suchtkarriere überhaupt noch Erfolg haben zu können?
Schlussbetrachtung | 515
Die Bedeutung des Drogenkonsums für die Popmusik(-industrie) stellt sich im 21. Jahrhundert sicherlich neu und unterliegt im Zeitalter zunehmender Digitalisierung anderen Bedingungen und Kriterien als 30 Jahre zuvor innerhalb der Grungeund Alternative-Ära. Hieran knüpft auch der Gedanke von Klein (1997: 13) an: „Die Attraktivität, die die pharmakologische Wirkung der Droge sowie die Drogenszene für bestimmte Individuen haben, kommt (dennoch) nicht zufällig zustande. Es muß vielmehr eine Kompatibilität der betreffenden Personen zu den spezifischen Rahmenbedingungen gegeben sein, unter denen die Drogennahme jeweils erfolgt.“ (Klein 1997: 13)
Welche Rahmenbedingungen schaffen die heutige Gesellschaft und die aktuelle Musikindustrie? Interessant wäre hierbei nicht nur der Blick in andere Genres und auf unterschiedliche Drogen oder Krankheitsverläufe – beispielsweise der Bereich von DJ- und Electronic Dance Music Kulturen mit prominenten Vertreter*innen wie Avicii3, sondern auch die Untersuchung von Gesundheitsmaßnahmen im Rahmen der Ausbildung von Popmusiker*innen. Aufgrund des fehlenden Frauenanteils in meiner Studie wäre ebenso ein expliziter Fokus auf weitere Forschung zu Akteur*innen unterschiedlichen Geschlechts und ihren individuellen Krankheits- und Abhängigkeitsbiographien wichtig und notwendig. Festzuhalten bleibt: Meine Studie, die sich trotz – oder gerade aufgrund – zahlreicher interdisziplinärer Ansätze in den Popular Music Studies verortet, bildet ein Fundament, unterschiedliche Forschungs- und Denkrichtungen aufzugreifen und sie am Beispiel des benannten popkulturellen Phänomens in einen gesellschaftlichen Gesamtkontext einzuordnen. Meine Dissertation bietet Einblicke in Missstände innerhalb populärer Musikkulturen und schafft dadurch eine Grundlage und wichtige Impulse für weitere inter- und transdisziplinäre Forschungsarbeit. Der verwendete Ansatz verdeutlicht, dass Geschichten über den eigenen Lebens- und Leidensweg von Musiker*innen nicht nur Potenzial für weitere Folgestudien darstellen. Selbsterzählungen bzw. Erzählungen über sich selbst bieten den Protagonist*innen auch Raum, sich auszudrücken, zu reflektieren und damit persönliche Lösungsstrategien für empfundene Missstände zu entwickeln. Auch das Teilen dieser Geschichten kann bei betroffenen Personen, die sich nicht äußern wollen (oder können), ein Gefühl von Solidarität erzeugen und sie ermutigen, Hilfsangebote einzugehen. Neben vermeintlich illusorischen Narrativen, die zu ‚toxischen‘ Selbstverständnissen beitragen können, sind es vor allem Counter-Narrative, die zur Entmystifizierung entsprechender Auffassungen beitragen und die Motivation einer ‚gesunden‘ Lebensführung bestärken können – oder wie es Studienteilnehmer Johnny abschließend auf den Punkt bringt: „[T]he reality is that it’s never too late for anyone to start over, it just takes more work, you know, especially for heroin addicts.“
3
Weitere Gedanken und erste Ergebnisse meiner aktuellen, an das Dissertationsprojekt anknüpfenden Studie zu Mental Health und EDM (Superstar-)DJs werden voraussichtlich in der Publikation „The Evolution of Electronic Dance Music" (herausgegeben von E. Mazierska, L. Gillion & T. Rigg) erscheinen, welche im August 2021 veröffentlicht wird.
Outro
AUSZÜGE AUS CHATVERLAUF MIT ANONYMOUS#1 VOM 27.5.2015 BIS 28.5.2020 Chatauszug vom 27.5.2015 „How are you doing? I hope everything is well.“ (Me) „I’m ok. I’ve been having a tuff time here in Los Angeles. So many of my friends are still on heroin and it’s hard to say no when everyone is doing it. I need to get out of here for a couple months. My talent just goes waste when I’m not motivated or writing and recording. I need to find people who are just as passionate about music as I am. In fact I would love to hear your voice if that’s possible. […] We will play music together one day I promise. Next time you are in California make sure to call me.“ (Anonymous#1) „I’m happy to hear you are ok. I think I know what ‚ok‘ means. I know it’s not easy, but life never is. It’s a fight every day, continuously. And all those people who seem to be so happy and seem to have no problems in their lives, trust me, they do. I just came back from my therapist. I also have my personal fight. Not against drugs. But against myself. You see the young blond girl, the world at her feet. But you don’t see the girl who had three nervous breakdowns last year, and panic attacks, and who sometimes wished she wouldn’t get up anymore. I have been struggling with anxiety issues ever since I can remember. It was and still is my biggest dream, my passion, to be a musician. But I can’t, because my demons tell me every day that I am not good enough. I played the guitar over 12 years, always with the goal to become a professional musician. But I needed to quit. I started playing the bass. Over the years I worked as hard and played as much as I could to become a great player. But I needed to quit. Because my fear was always stronger than my passion. That’s heartbreaking. I started taking prescription pills to beat those demons. For a while, it felt like they give me security and some control to not have to feel that pain anymore. But not to feel any more by implication means that your soul is empty. So how to cope with that loss? At this time heroin entered my conscious perception. I was in Vienna when I saw musicians at a Jazz club doing the drug before their shows. I was confused by the fact that a world that seemed so far away from mine was suddenly so close, and that fascinated me in a way. There was a certain temptation, a certain appeal to it. I knew that the effect of the drug, much like a highly dosed painkiller, would most likely numb all my fears and the voices in my head. But I also knew that this effect is not real – same with the de-
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mons in my head. Thank heaven I didn’t start taking heroin – luckily I didn’t try it. That was the moment I started my project. It is going to be my doctoral thesis. But I didn’t start it to become a PhD; I started it to find myself, to find my story in all of yours. It is a long and definitely difficult process. I could fill novels with all the obstacles that were put in my way while trying to realize it. But in the end, my deep appreciation for John Frusciante and his music, my determination to realize this project and especially my own demons brought me to California – and with that, it brought me to fascinating people like you. I found my mission in my project. And one day I will find my mission in my music again. I may not be able to play guitar or bass anymore, but I started singing and writing songs. And one day I will be on stage again. But it takes time. And that’s what I’m trying to tell you. That’s what I want you to do. Find your mission. Don’t throw away your talent. I know it is not that easy. But it is up to you and no one else. You should start seeing yourself from another perspective. Who would you like to be? How would you like to see yourself? I know it’s often not you who decides which path to take, it is heroin that decides where to go. But don’t let that fucking drug control your life. YOU must be the lead character in your own movie, not someone or something else. I can imagine that after all you’ve gone through, it is not easy to go on. But as I said before, life is never easy. It challenges you, and if you are willing to accept the challenge, life will give something back. I am only 28, but I promise there are so many beautiful people and things in life that are waiting, so many things to do and to experience. And I promise you there are things that are even more beautiful than heroin. Honestly, go and get out of the place. It is never too late to recapture your passion. It is all still there. And it is never too late to stand up after you’ve fallen, even if it takes a hundred attempts. Use everything that happened in your life and put it in music, put it in a book. I can already hear what must have happened through your voice – that is what makes it so damn amazing. I love it and I wanna hear it!“ (Me) „I understand what you must be going through and have been there myself. There was a time when all I could do was record music and not play it live in front of anyone. I can’t explain why but something always told me it wasn’t good enough. But once I fought through it and began doing it for my own love of the music, my own passion, everything changed! I think there is a positive charge of energy waiting to explode out of you that will overcome all of your fears one day very soon. And when it does you will move mountains with that awesome voice of yours. I need to get my head on straight and come back to my music. Thank you for your honest and open message. It takes a lot to trust people with your demons I know. I plan to be rid of this damn drug by my birthday in July. I can’t stand to think of myself spending another birthday, another year chained to this fucking drug! It isn’t that I’m not tired of it because I am. It’s the fear of returning to a world unknown to me. I don’t want to feel like I’m playing catch up to the rest of the ones I left behind. I watch so many of my friends move on and away from the heroin, and the farther they get the more amazing their lives become. My best friend doesn’t even speak to me anymore. I’m not angry with him though. I know he does it so that the temptation isn't present in his life. There was a time when we were like brothers. Feeding off one another’s talent and writing songs every day. That was a long time ago when the drug was still ‚fun‘, before it took a real hold. Then everything changed and I began feeling like I wouldn’t find someone to play music with. I guess it’s because he understood the music I was writing so well. But throughout the years I’ve discovered there are a lot of people who get it. And that’s reason enough to share my experiences through talent and song. I just need to curb this monkey on my back once and for all. I promise that if you stay true to yourself and your music, find someone to write with and share your abilities with, it will make everything much easier. Just
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never become dependent on it like I did. I am very happy to hear you have never given in to the temptation of heroin. Please for your own good never ever ever go in that direction. When someone is using heroin regularly it stops your brain of the creation of many needed chemicals that you need every day just to feel normal. The human body is a complex machine that does not like to be tampered with. When you detox all of your senses are enhanced by like 100. The light is super bright and burns, sound is extra overpowering (which I kind of like), scent is too much to handle, pain is awful like you wouldn’t imagine and the only thing that will help you is the same poison that led you here. It’s just all bad. For all those people who one day will read your work let me say this. ...Let me have experienced heroin addiction for you. Let me have done it for you and save you the disaster. Let me have gone through it for you and say ‚it doesn’t‘. There is nothing magical or romantic or mind altering about using heroin. For a little while it will bring you relief from pain, and not just physical pain either all pains. But the catch is it ends up eating you alive after a short while and next thing you know you’ve given 20 years of your life to it. It’s like going into a casino, you may win but chances are more likely you’ll come out a loser. The house always wins, it’s only a matter of time. Save 20 years of your life or even 1. Let me have gone through all of this for you and tell you nothing I regret more than the day I decided to use for the first time. I will be in LA when you arrive hopefully completely empty of this drug. With a much happier tale with a happier ending. One with light and hope, want and power. Remember you have something not many people have. As musicians and writers we are our own species of human being. One who’s job it is to share our feelings and experiences through our art form. For those without a voice and the ability to literally sing it out loud. Goodbye for now my amazing new friend.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 20.6.2015 „I’m doing it. I’m getting off this fucking drug once and for all. For the last time! I will no longer spend my days fighting with this demon. My body and my mind are beaten and can no longer withstand any more punishment. More important is I want it more than anything in the world. It is the doorway to everything I want and deserve. Sorry if I’m spilling too much, it’s just nice to vent from time to time. My birthday is around the corner. And I will be dampened if I spend another one strung out on heroin chasing the drug dealer all day and begging for a shot. I’d rather just end it than continue going on like this. So really there is no choice but to stop and feel crappy for a little bit. And hope and pray it passes quicker than the last few times. Wish me luck little one. Keep up the awesome work and stay stronger than me.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 27.7.2015 „I did it, I got off the drugs. I feel amazing!!! Your words and support really helped. I’m in your debt for life little one. Stay beautiful and strong. […] You are a good influence, know that about yourself. It’s cause of you I began the thinking about getting off again. I’m gonna tell you something not very many people know. That last drug run I was on went on for so many years just about. Only time I was clean was when in jail or when I’d a day or two in another fucking rehab. Never again!!! What started with the support of a stranger (you) has become my entire family supporting me. Thank you, I don’t know what put you in my path but hearing myself speak out loud was desperately needed.“ (Anonymous#1)
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Chatauszug vom 24.7.2017 „[…] I’m in the middle of a hard detox right now. I’m doing cold turkey with no medication. Some days are unbearable, others tolerable, most bad, and it all is exactly what I deserve for putting that junk in my body again. I don’t understand why smart talented people like myself who have just about everything in their lives decide to self-sabotage. Love you friend thanks for your support, I was ready to end my life a few months ago. This fucking addiction has made it all terrible and a fight. But I fought through it.“ (Anonymous#1) „What kind of fight do you mean?“ (Me) „Fight for my life, my sobriety.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 12.9.2017 „How are you?“ (Me) „Really depressed. I just can’t get happy.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 22.11.2019 „I think I’ve had enough of this world. I want to say to you that if you hear I perished, that I am grateful for all the kindness you showed me. There are only a few people I’ve met in the last couple years that I can think of as being special. You are one of those people. I just can’t shake this depression, and because of this I’m on the street now. When I was on drugs the pain was so easy to brush aside, not having money for food or shelter didn’t matter because I’d just get high and forget about it. But being clean and dealing with similar issues is just too hard. I’m having trouble finding work, I don’t have anyone I can count on for help. Having everything hit me at once is just too much. Keep up the amazing work you’re doing, I hope it helps people and sheds light on the disease of addiction. I wish I could’ve helped addicts, I think I would’ve been good at it.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 8.12.2019 „Fuck fuck fuck fuck fuck!!! I relapsed. It was horrible. It felt awful and was so God damn painful to deal with the following day. I woke up today and flushed the rest of my drugs. I was at my wit’s end, I couldn’t hang on anymore. It began raining again, the weather got unbelievably cold, and it all just became so sad.“ (Anonymous#1)
Chatauszug vom 28.5.2020 „How are you?“ (Me) „Life is amazing for the first time in a long time. Actually, I have some amazing news. My sister’s boyfriend and I had a sit down. He’s quite impressed by my music skills and writing of reviews-articles. He wants to start a music foundation which helps kids learn new talents along
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with healthy alternatives to bringing happiness, like yoga-mediation-martial arts. He wants me to direct it and write up a plan. He’ll take care of the rest. I’m nervous, but I know the universe has put this challenge in front of me so that I succeed, and move forward.“ (Anonymous#1) „[…] Your beautiful energy means so much to me. You need to know there has been tuff times in the past that you’ve helped me through. Times when I’ve wanted to quit on life, in the right, on everything. Then I see a message from you and it changes my mind. I think this is why you and I have connected so well. Even though you’re on the other side of the world most of the time, I still feel so close to you my friend. You also are helping people, you also are an artist, you also are a delicate lovely soul. You are in fact a soulmate of mine. And I am proud to say a muse at times. You have been very VERY important the last few years. You helped motivate me to get out of LA and go get clean. You helped me when I was on the street and have always given me such sweet amazing advice. I am forever grateful to you and whatever I can do in return I will do.“ (Anonymous#1) „Could you imagine writing that foreword to my book?“ (Me) „I would be honored!“ (Anonymous#1)
Danksagung „I personally find the way the world is put together beautiful. When I now walk through my record collection, I realize that none of those albums could have ever been made if it weren’t for those bad things. If no one had a bad childhood, if no one had any problems in their lives with which they couldn’t cope, then no one would have made so much incredible music. That’s why I like this life.“ (John Frusciante 2004)
Ich möchte mich bei all den Menschen bedanken, die mich auf meinem Weg begleitet und an dieses Projekt geglaubt haben, die mich auf so unterschiedliche Art und Weise unterstützt, motiviert und mir ein Zuhause gegeben haben, die mir zugehört, vertraut und ihre Geschichten erzählt haben – und damit nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Schweigen vieler anderer gebrochen haben. Für Euch ist dieses Buch! Melanie Ptatscheck, Mai 2020
Quellenverzeichnis
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Rap – Text – Analyse Deutschsprachiger Rap seit 2000. 20 Einzeltextanalysen Februar 2020, 282 S., kart., 24 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4628-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4628-7
Helen Geyer, Kiril Georgiev, Stefan Alschner (Hg.)
Wagner – Weimar – Eisenach Richard Wagner im Spannungsfeld von Kultur und Politik Januar 2020, 220 S., kart., 6 SW-Abbildungen, 5 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4865-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-4865-6
Rainer Bayreuther
Was sind Sounds? Eine Ontologie des Klangs 2019, 250 S., kart., 5 SW-Abbildungen 27,99 € (DE), 978-3-8376-4707-5 E-Book: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4707-9
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Musikwissenschaft Eva-Maria Houben
Musical Practice as a Form of Life How Making Music Can be Meaningful and Real 2019, 240 p., pb., ill. 44,99 € (DE), 978-3-8376-4573-6 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4573-0
Marianne Steffen-Wittek, Dorothea Weise, Dierk Zaiser (Hg.)
Rhythmik – Musik und Bewegung Transdisziplinäre Perspektiven 2019, 446 S., kart., 13 Farbabbildungen, 37 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4371-8 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4371-2
Johannes Müske, Golo Föllmer, Thomas Hengartner (verst.), Walter Leimgruber (Hg.)
Radio und Identitätspolitiken Kulturwissenschaftliche Perspektiven 2019, 290 S., kart., 22 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4057-1 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4057-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de