Sturmflut 1717: Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit [Reprint 2015 ed.] 9783486828023, 9783486559392

Naturkatsatrophen sind bisher kaum Thema umfassender historischer Abhandlungen gewesen. Solange die Geschichtswissenscha

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German Pages 321 [324] Year 1992

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung
1.1. Forschungsgeschichte und Forschungsstand
2. Die Sturmflut 1717
3. Rettungsmaßnahmen
3.1. Erschwernisse der Rettungsmaßnahmen
3.2. Rettungsmaßnahmen der lokalen Obrigkeiten
3.3. Private Rettungsmaßnahmen
3.4. Unterbringung der Geretteten
3.5. Unterlassene Hilfeleistung
3.6. Raub statt Rettung
3.7. Erneute Sturmfluten
4. Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden
4.1. Kommission zur Schadensermittlung
4.2. Die Datenerhebung
4.3. Menschenverluste in der Sturmflut 1717
4.4. Viehverluste in der Sturmflut 1717
4.5. Verlust an Häusern
4.6. Verlust an Getreide und anderen Vorräten
4.7. Deich- und Sielschäden
5. Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen
5.1. Bußpredigt und Erbauungsschrift
5.2. Die Macht der Natur
5.3. Strafgericht Gottes
5.4. Des Teufels Macht
5.5. Die Gerechtigkeit Gottes im Übel
5.6. Die Ankündigung des Unheils
5.7. Die Weihnachtsflut als Zeichen der Zeit
5.8. Buß-und Bettage
6. Auswirkungen I: Hungersnot und Armut
6.1. Kampf dem Hunger
6.2. Armut
6.3. Bittschriften
6.4. Bettelei
6.5. Hilfe für die Armen
6.6. Auswärtige Hilfe
6.6.1. Württemberger Kollekte
6.6.2. Bruderhilfe
6.6.3. Handel verbindet
6.6.4. Ein barmherziger General
6.7. Krankheit
6.8. Depression und Lethargie
6.9. Auswanderung
7. Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang
7.1. Heuerleute in Not
7.2. Teuerung und Preisverfall
7.3. Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen
7.4. Restanten, Remissionen, Exekutionen
7.5. Deichbaufinanzierung
7.6. Besitzwechsel und Besitzkonzentration
7.7. Langfristige Wirkungen
8. Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Normen
8.1. Strandraub
8.2. Tod und Schande
8.3. Tod und Begräbnis
9. Auswirkungen IV: Deichwesen
9.1. Deichverwaltung und Deichordnungen
9.2. Streit und Arbeitsverweigerung
9.3. Arbeitermangel und Arbeitspflicht
9.4. Lawai
10. Die Katastrophe als Krise
Tabellen
Quellen
Literaturverzeichnis
Namensregister
Ortsregister
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Sturmflut 1717: Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit [Reprint 2015 ed.]
 9783486828023, 9783486559392

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Manfred Jakubowski-Tiessen Sturmflut 1717

Ancien Régime Aufklärung und Revolution Herausgegeben von Rolf Reichardt und Hans-Ulrich Thamer Band 24

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Sturmflut 1717 Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit

Von Manfred Jakubowski-Tiessen

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - C I P - E i n h e i t s a u f n a h m e Jakubowski-Tiessen, Manfred : Sturmflut 1717 : die Bewältigung einer N a t u r k a t a s t r o p h e in der F r ü h e n Neuzeit / von M a n f r e d Jakubowski-Tiessen. - M ü n c h e n : Oldenbourg, 1992 (Ancien régime, Aufklärung und Revolution ; Bd. 24) Zugl.: Kiel, Univ., Habil.-Schr., 1990 ISBN 3-486-55939-7 NE: GT

© R. Oldenbourg Verlag München 1992 Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gesamtherstellung: R.Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, Kirchheim ISBN 3-486-55939-7

Inhalt Vorwort

VII

1.

Einleitung

1

1.1.

Forschungsgeschichte und Forschungsstand

4

2.

Die Sturmflut 1717

13

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7.

Rettungsmaßnahmen Erschwernisse der Rettungsmaßnahmen Rettungsmaßnahmen der lokalen Obrigkeiten Private Rettungsmaßnahmen Unterbringung der Geretteten Unterlassene Hilfeleistung Raub statt Rettung Erneute Sturmfluten Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden Kommission zur Schadensermittlung Die Datenerhebung Menschenverluste in der Sturmflut 1717 Viehverluste in der Sturmflut 1717 Verlust an Häusern Verlust an Getreide und anderen Vorräten Deich- und Sielschäden

28 29 32 33 34 36 37 40 44 46 55 57 63 68 71 72

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 5.7. 5.8.

Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen Bußpredigt und Erbauungsschrift Die Macht der Natur Strafgericht Gottes Des Teufels Macht Die Gerechtigkeit Gottes im Übel Die Ankündigung des Unheils Die Weihnachtsflut als Zeichen der Zeit Büß-und Bettage

79 79 83 88 94 95 98 103 107

6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.

Auswirkungen I: Hungersnot und Armut Kampf dem Hunger Armut Bittschriften Bettelei

112 112 124 129 130

Inhalt

VI

6.5. 6.6. 6.6.1. 6.6.2. 6.6.3. 6.6.4. 6.7. 6.8. 6.9.

Hilfe für die Armen Auswärtige Hilfe Württemberger Kollekte Bruderhilfe Handel verbindet Ein barmherziger General Krankheit Depression und Lethargie Auswanderung

132 134 134 135 136 136 139 141 143

7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7.

Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang Heuerleute in Not Teuerung und Preisverfall Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen Restanten, Remissionen, Exekutionen Deichbaufinanzierung Besitzwechsel und Besitzkonzentration Langfristige Wirkungen

148 152 157 159 167 177 195 198

8. 8.1. 8.2. 8.3.

Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Normen Strandraub Tod und Schande Tod und Begräbnis

201 201 213 217

9. 9.1. 9.2. 9.3. 9.4.

Auswirkungen IV: Deichwesen Deichverwaltung und Deichordnungen Streit und Arbeitsverweigerung Arbeitermangel und Arbeitspflicht Lawai

226 226 242 248 256

Die Katastrophe als Krise

265

10.

Tabellen Quellen Literaturverzeichnis Namensregister Ortsregister

270 285 293 306 311

Für Christine

Vorwort Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag zur Historischen Katastrophenforschung leisten, die es bisher nur in Ansätzen gibt. Bei den konzeptionellen und archivalischen Vorarbeiten stellte sich heraus, daß die Untersuchung einer frühneuzeitlichen Naturkatastrophe und ihrer Auswirkungen die Beleuchtung sehr unterschiedlicher Bereiche der frühneuzeitlichen Gesellschaft erfordert. So werden neben sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen auch kirchen- und ideengeschichtliche, volkskundliche und verwaltungsgeschichtliche Aspekte behandelt. Für die vorliegende Untersuchung war die Arbeit in mehreren Archiven notwendig, in denen ich beim Auffinden der das Thema betreffenden Quellen immer umsichtig unterstützt wurde. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Archive sei hiermit herzlich gedankt. Zu danken habe ich vor allem Prof. Dr. Hartmut Lehmann, dessen Assistent ich viele Jahre war. Er hat die Entstehung der Arbeit mit Interesse begleitet und manchen wertvollen Rat gegeben, in der letzten Phase selbst noch aus dem fernen Washington. Hätte Maike Wiechmann mich nicht so intensiv in die niederländische Sprache eingeführt, wäre mir die Lektüre der frühneuzeitlichen niederländischen Schriften doch sehr schwer gefallen. Otto F. Knottnerus und Adelheid und Nils Bonse danke ich für die kritische Durchsicht wie für das Korrekturlesen des Manuskripts. Das Buch widme ich meiner Frau, die es nicht immer leicht hatte, unsere Kinder von der Notwendigkeit meiner abgeschiedenen Arbeit zu überzeugen.

Manfred Jakubowski-Tiessen

1. Einleitung Es vergeht kaum ein Monat, in dem uns nicht Nachrichten über eine Naturkatastrophe 1 erreichen. Führen wir uns nur einige der größeren Naturkatastrophen der letzten Zeit vor Augen: Überschwemmungen im Norden und eine Heuschreckenplage im Süden Sudans; verheerende Überschwemmungen auch in Bangla Desh; ein Hurrikan in der Karibik, ein schweres Erdbeben in Armenien und jüngstens der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen. Alle diese Naturkatastrophen haben eines gemeinsam: sie geschahen nicht in Europa, sondern in Asien, Afrika und Mittelamerika, vorwiegend in Ländern der Dritten Welt. Nach den statistischen Erhebungen ist die Zahl der Katastrophen als auch der Todesopfer in diesen Ländern in den letzten zwanzig Jahren stark angestiegen. Es zeigt sich, daß die von rapidem Bevölkerungswachstum und von Armut gezeichneten Länder der Dritten Welt sich als besonders anfallig für Naturkatastrophen erweisen, weil sie nicht die finanziellen und technischen Möglichkeiten haben, prophylaktische Maßnahmen gegen Katastrophen zu ergreifen wie z.B. die Durchsetzung von Bauvorschriften in erdbebengefährdeten Gebieten. Außerdem verstärken in diesen Ländern Überkultivierung, Rodungen und Erosion die Auswirkungen von Naturkatastrophen. 2 Über diese fernen Naturkatastrophen werden uns zwar Berichte durch das Fernsehen ins Haus übermittelt, auch können wir darüber Zeitungsberichte lesen, aber so flüchtig wir sie wahrnehmen, so schnell sind sie auch vergessen. Wir glauben, daß uns solche Naturereignisse nicht weiter zu interessieren brauchen, weil sie bei uns nicht passieren können. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, daß auch bei uns in Europa - heute glücklicherweise jedoch nur selten - Naturkatastrophen wie Erdbeben, Sturmfluten, Überschwemmungen und Lawinenunglücke jederzeit möglich sind. Mit dem Fortschreiten der Zivilisation sind die Auswirkungen von Naturkatastrophen zwar einerseits begrenzt worden, andererseits aber entstehen durch die Ein1

2

Der Begriff „Naturkatastrophe" wird von der heutigen soziologischen Katastrophenforschung in Frage gestellt. Es gäbe Naturereignisse, die Katastrophen auslösen könnten; doch die Katastrophe an sich sei ein soziales und politisches Ereignis, das verhindert werden könnte, wenn die Menschen bei der Ausweitung ihrer Kulturräume die natürliche Umwelt stärker berücksichtigten. Ein heftiges Erdbeben in einem unbesiedelten Wüstengebiet, bei dem niemand zu Schaden kommt, verdiene kaum den Namen „Katastrophe". „Ein leichtes Erdbeben in einer Barackensiedlung, deren aus Lehmziegeln gebaute Häuser an den Hängen einer steilen Schlucht kleben", könne jedoch im Hinblick auf das Sterben und die Not der Menschen durchaus eine Katastrophe bedeuten. So Wijkman/Timberlake, Die Rache der Schöpfung. Naturkatastrophen: Verhängnis oder Menschenwerk?, München 1986, S. 19f. Wijkman/Timberlake, Die Rache der Schöpfung, S. 29ff.

2

Einleitung

griffe des Menschen in den Naturraum auch neue Gefahren, wie die zunehmende Lawinengefahr in den Alpen und die durch die Eindeichungsmaßnahmen der Elbe gestiegene Gefahr einer Überschwemmung in Hamburg zeigen. Vielleicht hat Arno Borst recht, wenn er meint, daß es dem modernen europäischen Selbstgefühl zutiefst widerspricht, Naturkatastrophen als dauernde Erfahrung der Gesellschaft und der Geschichte anzunehmen. „Es isoliert Katastrophen in der Gegenwart und eliminiert sie aus der Vergangenheit, weil sie die Zukunft nicht definieren sollen."3 Die in Europa geschehenen Naturkatastrophen sind jedenfalls nicht mehr Teil unseres kollektiven Bewußtseins; sie sind inzwischen genauso vergessen wie die Katastrophen anderer Erdteile. Wer weiß noch etwas von dem Erdbeben in Messina von 1908 (etwa 83.000 Tote), dem Erdbeben von Benevent 1930 (ca 3.000 Tote), dem Erdbeben in der jugoslawischen Stadt Skopje 1963 (ca 1.800 Tote) oder, um auf das Thema zu kommen, von den Sturmfluten von 1962 und 1976, die Schäden in Milliardenhöhe an der deutschen Nordseeküste verursachten? Nur in den Regionen, die durch Naturkatastrophen stets gefährdet sind und häufig schwere Verwüstungen erleiden mußten, bleibt die Erinnerung daran länger wach. So ist den Menschen an der Nordseeküste die Sturmflutgefahr zu aller Zeit gegenwärtig gewesen. Das liegt einmal daran, daß fast jede dort lebende Generation eine schwere Sturmflut mit ihren Folgeschäden erlebt hat. Zum anderen wurde sowohl in der mündlichen Überlieferung als auch in den Chroniken und Heimatgeschichten die Erinnerung an die älteren Sturmfluten stets wachgehalten als Mahnung, den Küstenschutz nicht zu vernachlässigen. Doch auch hier nimmt die Erinnerung an frühere Sturmfluten mit dem Fortschreiten zur Gegenwart ab. 1825, als über die Küstenländer nach über hundert Jahren wieder eine sehr schwere Sturmflut hereinbrach, wußten die Einwohner noch von den schweren Verwüstungen der Sturmflut von 1717 zu berichten. Wer aber weiß heute noch etwas über die Sturmflut von 1825 oder gar über die Sturmflut von 1717? Sturmfluten sind heute in den Geowissenschaften wieder zu einem besonders aktuellen Thema geworden. Die Erkenntnis nämlich, daß der Wasserspiegel der Meere in den letzten 25 Jahren einen größeren Höhenzuwachs verzeichnet, als alle Wissenschaftler vorherberechneten, läßt das Problem des Küstenschutzes in bisher ungeahnter Weise aktuell werden. Gingen die Hydrologen bisher davon aus, daß der Wasserspiegel der Meere sich in jeweils hundert Jahren um etwa 25 cm erhöht, so werden sie heute mit der Tatsache konfrontiert, daß allein in den letzten 25 Jahren der Wasserspiegel um 16 cm gestiegen ist. Alle Berechnungen über den künftigen Anstieg der Meere, die auch den bisherigen Küstenschutzmaßnahmen zugrunde liegen, sind dadurch überholt. Über die Ursache des Wasseranstiegs besteht unter den Wissenschaftlern noch kein Einvernehmen. Viele Forscher nehmen an, daß der An3

Borst, Das Erdbeben von 1348, S. 532.

Einleitung

3

stieg des Meerwasserspiegels durch globale klimatische Veränderungen bedingt ist und mit dem Abschmelzen des Polarreises zusammenhängt. 4 Sollten einige Wissenschaftler mit ihren pessimistischen Prognosen recht behalten, so muß sich die Menschheit darauf einstellen, daß die heute noch auf Höhe des Meerwasserspiegels liegenden Landstriche wegen des steten Anstiegs des Wassers langfristig nicht zu schützen sind und dem Meer preisgegeben werden müssen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, müßte der lange zähe Kampf der Menschen an der Nordseeküste, dem Wasser durch den Bau immer neuer und besserer Deiche zu trotzen und ihm immer weiteres Terrain abzugewinnen, als verloren angesehen werden. Doch soweit ist es glücklicherweise noch nicht. Eins ist jedoch sicher: Der beschleunigte Anstieg der Meere verstärkt auch die Wirkung künftiger Sturmfluten. Bevor wir uns der Sturmflut von 1717 zuwenden, sollte noch geklärt werden, was eine Sturmflut ist und wie sie entsteht. Als Sturmflut bezeichnet man eine Zeitspanne mit hohen Wasserständen an den Küsten, die hauptsächlich durch sehr starken Wind hervorgerufen werden.5 Sturmfluten sind an der Nordseeküste keine Seltenheit; jedoch nur wenige verursachen große Schäden. Die heutigen Hydrologen haben sich darauf geeinigt, bei welchem Scheitelwasserstand, das ist die Höhe des höchsten Wasserstandes, von einer Sturmflut zu sprechen ist. Schwere Sturmfluten liegen etwa zwischen 2,30 m und 3,00 m über dem mittleren Tidehochwasser und sehr schwere Sturmfluten über 3 m.6 Beeinflußt werden die Sturmfluten durch meteorologische, hydrologische und morphologische Faktoren. Die meteorologischen Faktoren sind Windstärke und Windrichtung, welche abhängig sind vom jeweiligen Sturmtief. Zu den hydrologischen Bedingungen gehört die Wasserstandsentwicklung vor der Sturmflut, die auch davon abhängig ist, ob der Sturm mit einer Springtide oder einer Nipptide zusammenfällt. Springtide haben wir bei Neu- und Vollmond, wenn sich die Gezeitenwirkungen von Sonne und Mond addieren und somit ein relativ hohes Tidehoch wasser eintritt; Nipptide dagegen bei Halbmond, wenn sich die Anziehungskräfte von Mond und Sonne teilweise aufheben. Besonders gefährlich ist es, wenn der durch den Sturm bewirkte Windstau des Wassers mit einer Springtide zusammenfällt, weil dann mit einer schweren Sturmflut zu rechnen ist. Für die Wirkung der Sturmflut sind aber auch die morphologischen Faktoren wie Küstenverlauf und Küstengestalt von großer Bedeutung. Treibt der Sturm zum Beispiel das Wasser direkt in eine Flußmündung, so läuft die Sturmflut dort besonders hoch auf. Ein Problem, mit dem sich die an der Wesermündung gelegenen Kirchspiele häufiger konfrontiert sahen. In früheren Jahrhunderten, in denen es noch keine exakte Statistik der 4 5 6

Kieler Nachrichten vom 16.9.1985; Frankfurter Rundschau vom 15.7.1985. Zum folgenden siehe Petersen/Rohde, Sturmflut, S. 9f. Petersen/Rohde, Sturmflut, S. 15.

4

Einleitung

Wasserstände gab, wurden die Sturmfluten an den durch sie verursachten Schäden gemessen. Insofern waren die Sturmfluten, von denen die Chroniken berichten, immer Schadensfluten. Legt man die heutige Einteilung in leichte, schwere und sehr schwere Sturmfluten zugrunde, so dürften die uns bekannten Schadensfluten früherer Jahrhunderte den schweren und sehr schweren Sturmfluten entsprochen haben. Der Begriff „Sturmflut" wurde allerdings erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts verwendet. Vorher sprach man von „Wasserfluten" oder auch von „hohen Fluten", die durch den Namen des Kalenderheiligen des entsprechenden Tages oder, wenn die Sturmflut an einem Feiertag geschah, durch diesen gekennzeichnet wurden. So lesen wir Namen wie Marcellusflut, Clemensflut, Kosmas- und Damianflut, Caecilienflut, Fastnachtsflut und Allerheiligenflut. Die Sturmflut in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1717, die nach diesem Tag „Weihnachtsflut" genannt wurde, gehörte in bezug auf den Wasserstand ohne Zweifel zu den sehr schweren Sturmfluten. Was aber die durch die Weihnachtsflut bewirkten Schäden und Folgewirkungen anbetrifft, war die Sturmflut von 1717 die schwerste Sturmflut der Neuzeit. Keine andere Sturmflut, weder die von 1634 noch die von 1825 oder 1962, hat solche verheerenden Schäden an der gesamten Nordseeküste von den Niederlanden bis nach Dänemark angerichtet. Nur die Allerheiligenflut von 1570 hat vermutlich, genau wissen wir es nicht, ähnlich hohe Verluste und ähnlich große Schäden verursacht.7

1.1. Forschungsgeschichte und Forschungsstand Naturkatastrophen sind bisher kaum Thema von umfassenden historischen Abhandlungen gewesen. Das hat seine Gründe: Solange die Geschichtswissenschaft sich vor allem der politischen Geschichte widmete, hatte sie keinen Sinn für Ereignisse, die nicht menschlichem Handeln entsprangen, sondern durch die Natur verursacht wurden. Auch die moderne strukturgeschichtliche Forschung hat die Naturkatastrophen als eigenständiges Thema noch nicht entdeckt. Deshalb wird bis heute verkannt, welche tiefgreifenden Eingriffe und Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Naturkatastrophen auslösen konnten. Für die betroffenen Gebiete hatten sie oftmals viel größere Auswirkungen als alle kriegerischen Ereignisse.8 Da viele Naturkatastrophen sich zudem in Territorien ereigneten, die am Rande des 7

8

K. de Vries u. J. P. Winsemius (Hg.), De Allerheiligenvloed van 1570, Leeuwarden 1970. Wiarda betont in seiner Ostfriesischen Geschichte, 7, S. 7, daß Ostfriesland mit der Weihnachtsflut „ein Mißgeschick" traf, „welches die Drangsalen des dreißigjährigen Krieges und die mansfeldischen und hessischen Verwüstungen überwog, oder doch wenigstens diesen Drangsalen gleich kam, ein Mißgeschick, wovon es sich in langen Jahren nicht wieder erholen konnte."

Forschungsgeschichte und Forschungsstand

5

politischen Geschehens lagen, gerieten sie nicht in den Blick der Historiographen, sondern blieben ein lokalgeschichtliches Thema, das von Heimatforschern, meistens aber von Fachleuten anderer Disziplinen aufgegriffen wurde - im Falle der Sturmfluten von Hydrologen und Geologen, im Falle von Erdbeben von Seismologen. Man wird deshalb kaum ein Handbuch zur Geschichte finden, in dem Naturkatastrophen mit ihren Auswirkungen als historisches Ereignis dargestellt werden. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich in der Soziologie eine neue Teildisziplin entwickelt, die weniger die Wirkungen als vielmehr die Auswirkungen von Naturereignissen und technischen Unfällen untersucht: die soziologische Katastrophenforschung. Ziel ihrer Untersuchungen ist erstens eine genauere Katastrophenprognostik, die sowohl die wahrscheinliche Entwicklung von Katastrophen als auch die zu erwartenden Reaktionen der betroffenen Menschen mit einbezieht, und zweitens eine wirksamere Katastrophenhilfe.' Diese soziologische Katastrophenforschung ist jedoch nicht historisch ausgerichtet. Katastrophen früherer Jahrhunderte werden nicht untersucht, und auch die Erforschung langfristiger Veränderungen von Deutungsmustern und von menschlichem Verhalten in Katastrophen bleibt weitgehend ausgeblendet. Damit vergibt die Katastrophenforschung die Möglichkeit, durch die komparatistische Analyse früherer und heutiger Katastrophen neue zusätzliche Erkenntnisse für ihre Fragestellungen zu gewinnen. Eine Ausnahme unter den Katastrophenforschern ist Michael Barkun, der in seinen Studien die Verbindung zwischen Geschichte und Katastrophe zu analysieren versucht.10 Barkun entwickelte auch eine Epocheneinteilung der Katastrophen, die sich an den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen orientiert. Bis ca. 1750 gab es demnach „homöostatische Katastrophen", die die Rhythmen und Grenzen der Natur widerspiegeln und später zu einem Gleichgewichtszustand zurückfinden; darunter sind alle Naturkatastrophen zu verstehen. Mit der Industriellen Revolution kam ein neuer Katastrophentypus auf, der durch menschliches Verhalten verursacht wurde und durch seine unklare räumliche und zeitliche Ausdehnung eine Rückkehr zum Gleichgewicht problematisch machte. Das sind „metastatische Katastrophen", wozu beispielsweise Explosionen und konventionelle Kriege gehören. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts setzte schließlich ein dritter Katastrophentypus ein: die „hyperstatische Katastrophe", die sich hauptsächlich durch ihr Ausmaß von metastatischen Katastrophen unterscheidet. Darunter versteht Barkun Völkermord, Nuklearkrieg, Weltdepression und ökologische Ungleichgewichte. Kein Katastrophentypus habe zu seiner Zeit eine Monopol-

9

10

Vgl. Clausen/Dombrowsky, Einführung in die Soziologie der Katastrophe, Bonn 1983. Barkun, Disaster and the Millenium, New Haven und London 1974.

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Einleitung

Stellung gehabt, sondern beschreibe nur die jeweils vorherrschenden Katastrophen.11 In der von Barkun angenommenen Übergangsphase von dem ersten zum zweiten Katastrophentypus ereignete sich eine Naturkatastrophe, die in allen Ländern Europas Aufsehen erregte und auch in der Erinnerung künftiger Generationen lange lebendig blieb: das Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755, das die Stadt in Schutt und Asche legte und Zehntausende von Menschen tötete. Damals wurde die bürgerliche Öffentlichkeit Europas aufgeschreckt und die optimistische Weltsicht der Aufklärer schwer erschüttert. Fast alle Zeitungen, Journale und Wochenschriften widmeten sich dieser Naturkatastrophe. Goethe erinnert in „Dichtung und Wahrheit" an dieses schreckliche Ereignis, von dem er als Kind hörte. Immanuel Kant befaßte sich eingehend mit der Katastrophe und veröffentlichte eine „Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens". 12 Diese Naturkatastrophe, die so wenig in diese „beste aller Welten" hineinpaßte, war für Voltaire der letzte Anlaß für eine Revision seiner optimistischen Weltanschauung. 13 Keine frühere und spätere Naturkatastrophe hat solche lebhaften Diskussionen unter den Philosophen und Naturwissenschaftlern hervorgerufen wie das Erdbeben von Lissabon. Es verwundert nicht, daß dieses Erdbeben eine der wenigen Naturkatastrophen ist, die schon bald zum Thema ausführlicher Abhandlungen wurde. Die beste zeitgenössische Darstellung dieses Ereignisses erschien 1758 am Ort des Geschehens, in Lissabon. 14 Dort wurde zwischen 1919 und 1932 auch das bisher umfangreichste Werk zu diesem Thema herausgegeben. 15 Weniger mit dem Erdbeben und dessen Auswirkungen als mit den zeitgenössischen Deutungen dieser Naturkatastrophe befaßt sich T.D. Kendrick in seinem 1956 erschienenen Buch, in dem er darlegt, daß mit der Aufklärung alte Erklärungs- und Deutungsmuster von Naturkatastrophen noch nicht obsolet wurden. 16 Daß wir über Naturkatastrophen im Mittelalter, z.B. über die große Sturmflut von 1362 nur recht wenig wissen, liegt nicht allein an der dürftigen Quellenlage, sondern auch an dem bisher fehlenden Bemühen, aus den verstreuten und sicher nicht immer leicht zu ermittelnden Nachrichten ein Gesamtbild dieser Ereignisse zu erstellen. Als wegweisende Studie über eine mittelalterliche Naturkatastrophe ist Arno Borsts Abhandlung über das Erdbeben 11 12 13

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16

Barkun, Disaster in History, in: Mass Emergencies 2 (1977) S. 219-231. Königsberg 1756. Rohrer, Das Erdbeben von Lissabon in der französischen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, S. 30ff. J.J. Moreira de Mendonfa, Historia Universal dos Terremotos.. .com uma narrafam individual do Terremoto do primeiro de Novembro de 1755...em Lisboa, Lissabon 1758. F.L. Pereira de Sousa, O Terremoto do I. Novembro de 1755 e um Estudo Demográfico. The Lisbon Earthquake, London 1956.

Forschungsgeschichte und Forschungsstand

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von 1348 anzusehen, die ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung sein soll.17 Aus zahlreichen Quellen zeichnet er nicht nur ein Bild dieses Erdbebens nach, sondern analysiert auch die Auswirkungen und die Bedeutung dieser Naturkatastrophe für die Zeitgenossen und beschreibt ferner „die literarischen Nachbeben der Erschütterung". Dieses Erdbeben hatte zwar nur örtlich begrenzte Auswirkungen, die Nachricht davon breitete sich aber weithin aus und trug dazu bei, das Krisengefühl der Menschen im 14. Jahrhundert zu verstärken. 18 Ein neues Kapitel historischer Katastrophenforschung begann mit dem Ausbau der Atomenergie. Bei der Planung von Atomreaktoren muß als ein für die Sicherheit der Anlage bedeutender Gesichtspunkt einbezogen werden, ob der für den Atomreaktor vorgesehene Bauplatz in einem durch Erdbeben gefährdeten Gebiet liegt und falls das der Fall ist, mit welch schweren Erschütterungen zu rechnen ist. Weil Erdbeben in Europa relativ selten geschehen, kann das letzte Erdbeben in einer Region Jahrhunderte zurück liegen, so daß von dem Ereignis oftmals außer einer vagen Kenntnis seiner Existenz nichts Weiteres bekannt ist. So ist es notwendig, historische Quellen zu Rate zu ziehen, um aus ihnen genauere Informationen über die früheren Erdbeben und deren Stärke zu bekommen. Historische Forschung und Geowissenschaften leisten somit gemeinsam einen Beitrag zur Standortsicherheit von Atomreaktoren. Aus dieser Intention heraus entstand eine Studie über das Erdbeben von 1590 in Niederösterreich, das mit Methoden der historischen und seismischen Forschung analysiert wird.15 Es wurde vermutet, daß das Epizentrum dieses Erdbebens nur etwa 30 km vom damals geplanten, aber aufgrund einer Volksabstimmung niemals in Betrieb genommenen Atomkraftwerk Zwentendorf entfernt lag, eine Annahme, die durch die Forschungen in etwa bestätigt wurde. Wenn diese Studie auch zeigt, daß „eine eklatante Diskrepanz" „zwischen der erhofften und praktisch erreichten Genauigkeit und Sicherheit der Information über das Beben" besteht 2 0 , so ist unsere historische Kenntnis über diese Naturkatastrophe doch wesentlich erweitert worden. Obwohl über die bekannteren Sturmfluten früherer Jahrhunderte viele kleinere lokalgeschichtliche Aufsätze vorliegen, ist eine alle Küstenländer einbeziehende, auf breiter Quellenbasis erarbeitete Gesamtdarstellung einer Sturmin: HZ 233 (1981) S. 529-569. Inzwischen liegt auch eine ausführliche Studie von E. Wechsler über das Erdbeben in Basel von 1356 vor. Teil I: Historische und kunsthistorische Aspekte ( = Publikationsreihe des Schweizerischen Erdbebendienstes ETH - Zürich 102, 1987). 18 Vgl. Frantisek Graus, Pest - Geissler - Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, Göttingen 1987 ( = Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 86). " Gutdeutsch/Hammerl/Mayer/Vocelka, Erdbeben als historisches Ereignis. Die Rekonstruktion des Bebens von 1590 in Niederösterreich, Berlin/Heidelberg/New Y o r k / L o n d o n / P a r i s / T o k y o 1987. 20 S. 71. 17

8

Einleitung

flut bisher nicht veröffentlicht worden. Auch die aus Anlaß des 400. und 350. Jahrestages erschienenen Schriften über die Allerheiligenflut von 1570 und die Burchardiflut von 1634, in welcher die große und reiche Insel Strand völlig verwüstet wurde, sind - und erheben auch nicht diesen Anspruch - bei weitem keine erschöpfenden Abhandlungen dieser Naturkatastrophen. 21 Über keine Sturmflut der Frühen Neuzeit wurden schon von Zeitgenossen so viele Schriften veröffentlicht wie über die Sturmflut von 1717. „Damit theils anderer Grentzen Einwohner sich daran spiegeln / theils auch denen Nachkommen der Zustand ihrer Vorfahren also hinterlassen würde", gab der Geistliche Konrad Joachim Ummen, ein Augenzeuge der Weihnachtsflut, schon wenige Monate nach dem Ereignis, eine Schrift heraus, die nach seinen Vorstellungen „eine vollkommene Nachricht der hohen Wasser = Fluht" in der Herrschaft Jever sein soll.22 Diese in Versen geschriebene Schrift stellt erstmals für ein gesamtes Territorium den Schaden an Menschen, Vieh, Deichen und Häusern zusammen. Das geschieht jedoch nicht im Text, sondern in den Anmerkungen, weil es „in Versen nicht so vollenkommen hat ausgeführet werden können". 23 Der Versuch einer ersten Gesamtdarstellung der Weihnachtsflut erschien noch im selben Jahr 1718 in Hamburg. 24 Diese anonym herausgegebene „Umständliche Historische Nachricht" basiert auf Mitteilungen, die aus den verschiedenen Überschwemmungsgebieten in den ersten Wochen nach der Sturmflut schriftlich eingeholt worden waren. Diese Mitteilungen sind allerdings von unterschiedlichem Wert; manche sind präzis, andere wiederum sehr allgemein. Weil viele Informanten noch keinen genauen Überblick über die Schäden in ihrer Region hatten, konnten sie zum Teil nur Schätzungen von Verlusten und Vermutungen über Schäden mitteilen.25 Das Erlebnis der Sturmflut, in der auch sein eigenes Leben gefährdet wurde, waren für den Emdener Prediger Gerhard Outhof der Anlaß, eine Geschichte aller hohen Sturmfluten in Europa von der Zeit Noahs bis zur Ge21

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K. de Vries u. J. P. Winsemius (Hg.), De Allerheiligenvloed van 1570, Leeuwarden 1970; B. Hinrichs/A. Panten/G. Riecken, Flutkatastrophe 1634, Neumünster 1985; vgl. auch A. Reinhardt (Hg.), „Die erschreckliche Wasser =Fluth" 1634, Husum 1984. Die Mit Thränen verknüpffte Weynachts = Freude Jeverlandes. Oder Eine ausführliche Nachricht der hohen Wasser=Fluht, Bremen 1718, S. 3. a.a.O., S. 4. Umständliche Historische Nachricht von der grossen Wasser=Fluth, Hamburg 1718. Siehe zum Beispiel die Korrekturen bei Joh. Laß, Sammelung einiger Husumischen Nachrichten, 1701-1750, S. 66. Es sind in dieser Schrift auch einige Unstimmigkeiten. Die Einzelangaben der Schäden ergeben in der Summe oft nicht die in dieser Schrift genannten Angabe; z.B. ergibt die Addition der einzelnen Zahlen der Ertrunkenen in den Kirchspielen Norderdithmarschens (S. 23, 25, 29) nicht die auf Seite 31 genannte Gesamtangabe, ebenso auch bei den Einzelangaben für Butjadingen und deren Gesamtzahl (S. 103).

Forschungsgeschichte und Forschungsstand

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genwart zu schreiben.26 Es ist verständlich, daß er sich in seinem Buch der Sturmflut von 1717 besonders ausführlich widmet, wobei die Ausführungen über Ostfriesland nicht nur am umfangreichsten, sondern auch am zuverlässigsten sind. Indem er aber diese Sturmflutkatastrophe in eine lange Reihe von Schadensfluten einordnet, relativiert er ihre Bedeutung und baut einer Deutung als einzigartiges Phänomen vor. Ebenfalls ein Augenzeuge dieser schrecklichen Naturkatastrophe war Johann Christian Hekelius, Pastor in der ostfriesischen Gemeinde Resterhafe. Er gab seine „Ausführliche und ordentliche Beschreibung derer beyden erschrecklichen und fast nie erhörten Wasserfluthen" erst 1719 heraus, weil er zunächst von allen Orten „gewisse und zuverläßige Nachrichten" vorliegen haben wollte. Auch habe er noch abwarten wollen, was Gott die Küstenbewohner nach diesen „Unglücks = Stürmen" noch erleben lasse.27 Bei aller sachlichen Berichterstattung über Ausmaß und Auswirkungen der Sturmflut von 1717 versucht er immer das Strafhandeln Gottes deutlich zu machen; dadurch bekommt sein Buch einen erbaulichen Charakter. Nicht nur „die wunderbaren Werke des grossen Gottes" erzählen, sondern auch aufzeigen, wie diese Werke „zur Lehre / Erinnerung / Warnung / Vorsichtigkeit u. beständigen Trost / nach Bewandniß der Sachen / u. Zustand der Personen / uns allewege dienen könten", will der Archidiakon Gregor Culemann aus Wilster in seinem ausführlichen Bericht über die Sturmflut in der in Holstein gelegenen Wilstermarsch.28 Sowohl Hekelius als auch Culemann verfolgten mit ihren ausführlichen Berichten über die Weihnachtsflut also praktisch-theologische Absichten. Es ist sicher kein Zufall, daß ihre Schriften in Halle erschienen. Denn Halle war damals Hauptsitz und Mittelpunkt der pietistischen Bewegung. Einen kurzen Entwurf der Weihnachtsflut brachte der Prediger Jakob Isebrand Harkenroht, Prediger in der ostfriesischen Gemeinde Larrelt, 1721 in Emden heraus.29 Harkenroht stellt in einem ersten Teil den Verlust an Menschen, Tieren und Häusern in Ostfriesland, der Herrschaft Jever, der Herr26

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Verhaal Van alle Hooge Watervloeden, In meest alle Plaatsen van Europa, Van Noahs tydt af, tot op den tegenwoordigen tydt toe.. .Met eene breede beschryvinge van den zwaaren Kersvloedt van 1717, Emden 1718, 2. vermehrte Aufl. Emden 1720. Vorrede. o.S. Die Schrift erschien in Halle. Denck = Mahl der zwo hohen Wasßers = fluthen, von welchen die Erste Ao. 1717. d. 25. Decembr. In der Christ = Nacht, die Andere Ao. 1718. d. 25. Febr. insonderheit in die Wilster = Marsch eingebrochen, Und in derselben unbeschreiblichen Schaden verursachet, Halle 1719, Vorrede. „Das mit dreyen Fortsetzungen vermehrte Denck = Mahl von den hohen Wasser = Fluthen" erschien 1728 in Wilster. Vgl. auch das Kapitel „Bestandaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen. Bußpredigt und Erbauungsschrift." Kersvloeds Kort Ontwerp Van het omgekommene aan Menschen, Beesten, ende Huizen.. .Door die verschrikkelyke Watervloed. Eine zweite Auflage dieser Schrift erschien 1723 in dem von Harkenroht in Emden veröffentlichten Sammelband „Oostfriesche Watersnood", S. 133-521.

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lichkeit Kniphausen und dem Land Butjadingen vor. Im zweiten Teil berichtet er von den Deichschäden und den ersten Bemühungen um deren Behebung. Ein dritter Teil handelt von den Schäden auf den ostfriesischen Inseln. Sein Bericht, der im wesentlichen auf einzelnen schriftlichen Mitteilungen und Berichten von Predigern und Beamten basiert, ist mit einer Menge historischer Details geschmückt, die in keinem Zusammenhang mit der Weihnachtsflut stehen. Die letzte von einem Zeitgenossen verfaßte Schrift über die Weihnachtsflut erschien ein Jahr später aus der Feder des Geistlichen Johann Friedrich Jansen aus Neuende in der Herrschaft Jever. In diesem umfangreichen Buch wird alle bisher erschienene Literatur zur Weihnachtsflut ausgewertet. 30 Jansens 1722 veröffentlichtes Werk ist die ausführlichste Darstellung zu diesem Thema und der letzte Versuch einer Gesamtdarstellung. Zwar wurde in später veröffentlichten Chroniken und Regionalgeschichten wie die von Christian Funck 31 , Anton Heimreich 32 , Johann Adrian Bolten 33 , Gerhard Anton von Halem 34 , Tilemann Dothias Wiarda 35 , Onno Klopp 36 und Gustav Rüthning 37 auf die Weihnachtsflut eingegangen und manches neue Detail ans Licht gebracht, auch erschienen in unserem Jahrhundert noch etliche lokale Skizzen und Abhandlungen über die Weihnachtsflut in Regionalzeitschriften und Heimatblättern 38 , auch beziehen einige moderne historische Arbeiten über Ostfriesland und Butjadingen einige Auswirkungen

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Historisch-Theologisch Denckmahl der Wunder=vollen Wegen Gottes in den grossen Wassern / welche sich Anno 1717. den 25. Decembr. zu vieler Länder Verderben / so erschröcklich ergossen, Jever 1722. Im ersten Teil dieser Schrift ist „eine zuverläßige und umständliche Historische Nachricht von dem / was sich in = bey = und auch nach dieser Fluth / so wohl in Zuschickung unsäglichen Elends / als auch bescherter mannigfaltiger Güte GOttes zugetragen". Christian Funck, Ost = Friesische Chronick, Teil 8, Aurich 1788. Nordfresische Chronik, hrsg. v. N.Falck, II, Tondern 1819. Ditmarsische Geschichte, IV, Flensburg und Leipzig 1788. Geschichte des Herzogthums Oldenburg, III, Oldenburg 1796. Ostfriesische Geschichte, 7, Aurich 1797. Geschichte Ostfrieslands, II, Osnabrück 1856, S. 486-493. Oldenburgische Geschichte, II, Bremen 1911, S. 114-141. Die wichtigsten seien hier genannt: Albert Brahms, Nachrichten von denen seit 1500 allhier entstandenen merkwürdigsten Wasserfluthen, besonders von der im Jahr 1717. und von dem dadurch angerichteten Schaden; W.H.Jobelmann, Der Oberdeichinspektor Jacob Ovens. Ein Beitrag zur Geschichte der Sturmflut v.J. 1717 und die Entstehung des königl. Amtes Wischhafen im Lande Kehdingen; E. von Lehe, Zerstörung und Wiederaufbau der Deiche zur Zeit der Weihnachtsflut von 1717; Hans Rohde, Die Weihnachtsflut 1717 an der schleswig-holsteinischen Westküste; O. Tenge, Der Butjadinger Deichband; ders., Der Jeversche Deichverband; R.Wiebalck, Tante Sibberns Nachrichten über die Anlage der Wurster Deiche, Sturmfluten, wirtschaftlichen Verhältnisse usw..

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der Weihnachtsflut mit ein39 , eine neue umfassende Darstellung der Weihnachtsflut wurde bisher jedoch nicht geschrieben. Das können und wollen auch die von Benno Eide Siebs und Arend W. Lang publizierten Beiträge nicht leisten. Siebs veröffentlichte 1925 eine Schrift über die Weihnachtsflut zwischen Weser und Unterelbe, in der er auch Akten aus dem Staatsarchiv in Stade heranzieht 40 , und Lang faßte 1963 aus der vorliegenden Literatur einzelne Aspekte der Weihnachtsflut skizzenhaft zusammen, die als Erläuterungen zur Lichtdruckausgabe der 1718 von Johann Baptista Homann entworfenen Karte über die Überschwemmungen nach der Weihnachtsflut 41 dienen sollten.42 Jansens „Historisch-Theologisch Denckmahl" blieb somit für über 250 Jahre das grundlegende Werk zur Sturmflut von 1717.43 In der vorliegenden Arbeit soll einerseits an Jansen angeknüpft, andererseits aber ein neuer Weg bei der Untersuchung der Weihnachtsflut und ihrer Folgen beschritten werden. Im Mittelpunkt steht deshalb nicht die Beschreibung der Katastrophe und der durch sie verursachten Schäden, obwohl auch dieses geschieht, sondern die Frage, wie die betroffenen Länder, die staatlichen Organe ebenso wie die einzelnen Menschen, diese Sturmflut mit ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen bewältigten. Die vielen Aspekte, die mit dieser Frage verknüpft sind, ließen sich nur auf einer verbreiterten Queltenbasis klären. Es mußte deshalb bisher zumeist noch nicht ausgewertetes Material der zentralen und lokalen Behörden in den verschiedenen Landesarchiven ermittelt werden. Den geographischen Rahmen dieser Darstellung bilden alle von der Sturmflut betroffenen deutschen und dänischen Territorien. Zu diesen Ländern gehörten das Fürstentum Ostfriesland; die unter dänischer Oberhoheit stehende Grafschaft Oldenburg; die Herrschaft Jever, die seit 1667 in Personalunion mit dem an der Elbe gelegenen kleinen Fürstentum Anhalt-Zerbst verbunden " Ernst Siebert, Entwicklung des Deichwesens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, II, Leer 1969, S. 167ff., 334ff.; Bernd Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft? Landesherr und Landstände im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, Hildesheim 1982, S. 152ff.; Wilhelm Norden, Eine Bevölkerung in der Krise. Historisch-demographische Untersuchungen zur Biographie einer norddeutschen Küstenregion (Butjadingen 1600-1850), Hildesheim 1984, passim. 40 Die Weihnachtsflut von 1717 zwischen Weser und Unterelbe, Bremerhaven 1925. 41 Geographische Vorstellung der jämmerlichen Wasser-Flutt in Nieder-Teutschland, Nürnberg 1718. 42 Die „Weihnachtsflut" vom 25. Dezember 1717, in: Nordseeküste. Volkstümliche Vorträge und Abhandlungen des Küstenmuseums Juist, Heft 7, Juist 1963. 43 Die in den Oldenburgischen Blättern, Nr. 38 vom 15.12.1817 aufgestellte Behauptung gilt also auch heute noch uneingeschränkt: „Eine ordentliche Geschichte dieser Wasserfluth ist nicht vorhanden." Jedoch die weitere Vermutung, daß der Zeitpunkt „vielleicht schon zu entfernt" sei, „um eine solche annoch, bey den geringen Materialien, erwarten zu können", fordert den Historiker geradezu heraus.

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war; die Herrlichkeit Kniphausen unter der Herrschaft des Grafen von Aldenburg; das Herzogtum Bremen, seit 1715 Teil des Kurfürstentums Hannover, dessen Fürst 1714 als Georg I. den englischen Thron bestiegen hatte; das Land Hadeln, welches wegen Erbstreitigkeiten seit dem Tode des letzten Herzogs von Sachsen aus dem Hause Lauenburg 1689 von einer kaiserlichen Sequestrationskommission verwaltet wurde; die Stadt Hamburg und die Herzogtümer Schleswig und Holstein, deren Küstenlandschaften zum Teil zum königlichen, zum Teil zum gottorfischen Anteil der Herzogtümer gehörten, damals aber als Folge des Nordischen Krieges alle unter dänischer Verwaltung standen. Diese Untersuchung erstreckt sich also auf keinen einheitlichen politischen Raum, sondern auf verschiedene Länder mit politisch unterschiedlich ambitionierten Herrschern und Regierungen. Alle Länder, vor allem ihre Marschlandschaften gehörten jedoch einem Natur- und Kulturraum an, so daß wir nicht nur ähnliche geographische Verhältnisse, sondern auch gleichartige Strukturen im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich antreffen. 44 Die gleichen Rahmenbedingungen machen auch die einheitliche Untersuchung der Sturmflutkatastrophe von 1717 und ihrer Auswirkungen möglich.

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Vgl. H. Aubin, Rechtsgeschichtliche Betrachtungen zum Nordseeraum, in: ZRG 72 (1955) S. 1-33; Harm Wiemann, Der Nordseekulturraum, in: Friesisches Jahrbuch 1964, S. 7-13.

2. Die Sturmflut 1717 „Die Christ = Nacht war die Zeit / da Jeverlandes Blühte Durch Sturm aus NordNord = West zum Untergang gebracht / Durch Sturm / der schon zuvor das bebende Gemühte Mit seinem steten Grimm und Wuht verzagt gemacht / Der in der weiten See die Wellen aufgetrieben / Wodurch die Teiche sind früh Morgens aufgerieben." Diese von dem Geistlichen Conrad Joachim Ummen verfaßten Verse über den Beginn der Sturmflut von 1717 in der Herrschaft Jever entsprechen in groben Zügen auch dem Ablauf der Weihnachtsflut in anderen Ländern.' Am 23. Dezember hatte ein starker Wind aus Südwesten geweht, der am Morgen des folgenden Tages noch an Heftigkeit zunahm. Am 24. Dezember mittags um zwei Uhr drehte der Wind dann auf Westen und nachmittags um etwa vier Uhr auf Nordwesten. Nachdem der Nordwestwind einige Stunden lang ständig zugenommen hatte, flaute er gegen Mitternacht wieder etwas ab. Die Küstenbewohner, die nach dem Besuch des Gottesdienstes im Kreise ihrer Familie den Heiligen Abend gefeiert hatten, rechneten nicht mehr mit einer Bedrohung ihres Landes durch das Wasser und gingen beruhigt schlafen, zumal der Mond im letzten Viertel stand und somit auch keine Springflut zu erwarten war. Jedoch kurz nach 1.00 Uhr nahm der Wind aus Nordwesten plötzlich wieder zu und entwickelte sich äußerst rasch zu einem Orkan, der dann - an manchen Orten mit einem Gewitter verbunden 2 - bis zum Morgen anhielt. Das Wasser der Nordsee stieg dadurch in relativ kurzer Zeit kräftig an und wurde mit großer Macht gegen die Deiche der Küstenländer gepeitscht.3 Die Flut sei mit solcher Geschwindigkeit gekommen, wie er es noch niemals erlebt habe, berichtet der Augenzeuge Heinrich Heimreich Waither.4 Nach einem Bericht des Amtsvogtes Röhmer stieg das Wasser bei Strückhau-

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Die mit Thränen verknüpfte Weynachts = Freude Jeverlandes, Bremen 1718, S. 13. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz.l): Anton Reinhard Lose an Stader Regierung, Burg 1.1.1718; Hencke, Fortsetzung d. Hist. Nachricht, S. 4; Hekelius, Beschreibung, S. 6 u. 49. Hekelius, Beschreibung, S. 8 berichtet, verschiedene Schiffer hätten festgestellt, daß der Sturm „das Wasser der ungestümen See so hoch aufgetrieben, daß es Himm e l h o c h gegen ihnen über gestanden, ja es wäre vor ihren Augen nicht anders gewesen, als wenn das Wasser und das Firmament des Himmels mit einander verknüpffet wären. Darauf sey das Wasser, ehe sie sichs vermuthet, mit grossen Ungestüm über die Teiche herab gefallen, und das Land einer See ähnlich gemachet." Fortsetzung der Nordfresischen Chronik, in: Anton Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 263. Vgl. Umständl. Hist. Nachricht, S. 82.

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sen neun Fuß in einer halben Stunde. 5 Viele Deiche konnten dem Druck des Wassers bald nicht mehr standhalten. 6 Die in der Nacht hereinbrechende, gewaltige Sturmflut wütete in der ganzen Nordsee und bedrohte die gesamte Küste von Dänemark bis zu den Niederlanden. Obwohl das normale Hochwasser je nach Lage des Ortes erst zwischen 6.30 und 8.00 Uhr erwartet wurde, erreichte das Wasser in den meisten Küstenregionen schon einige Stunden vorher eine solche Höhe, und hatten die Wellen eine solche Gewalt, daß die Deiche nicht mehr standhalten konnten und brachen. In Ostfriesland ist das Wasser morgens um drei Uhr eingebrochen, mehr als drei Stunden vor dem erwarteten Hochwasser. 7 In der Grafschaft Oldenburg schlug die Brandung ebenfalls um 3.00 Uhr morgens über die Deiche und zerstörte diese. 8 In der Herrschaft Jever, wo um 6.30 Uhr Hochwasser sein sollte, war das Wasser auch schon lange vorher über die Deiche geflossen. Dort hatten sich die nahe am Wasser wohnenden Menschen schon um zwei Uhr nachts auf ihre Dachböden geflüchtet.® Morgens um vier Uhr ging im Land Kehdingen das Wasser über die Deiche. 10 Im Alten Land trat die Flut erst zwischen 5.00 und 6.00 Uhr ein." Der schnelle Anstieg des Wassers überraschte die Hamburger Einwohner zwischen 5.00 und 8.00 Uhr früh; in dieser Zeit wurden große Teile der Stadt unter Wasser gesetzt.12 Etwas früher, zwischen 3.00 und 4.00 Uhr, brach das Wasser in der Wilstermarsch ein.13 In Norderdithmarschen strömte das Wasser zwischen 4.00 und 5.00 Uhr ins Land. 14 Auch in der Stadt Husum standen einige Stra5 6

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Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 115. Über den Ablauf der Sturmflut herrscht in den Quellen Übereinstimmung. Siehe StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 15ff: Johann Diedrich Kettler an Georg Albrecht, Norden 31.12.1717 und Nr. 12, fol. 3: Brenneysen und von Münnich an Georg Albrecht, Esens 25.12.1717; StA Old: Bstd. 26, 1263: Dumbstorff an Oldenburger Regierung, Hartwarden 3.1.1718; Outhof, Verhaal van alle hooge Watervloeden, S. 645; Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, 105f.; Umständliche Hist. Nachricht, S. 6; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 262f; Rohde, Die Weihnachtsflut 1717 an der schleswig-holsteinischen Westküste, S. 29; Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 130; Zijlma, De Kerstvloed van 1717, S. 4; vgl. auch Arends, Physikalische Geschichte der Nordseeküste, S. 192; Lang, Die Weihnachtsflut, S. 12ff. Nur Hekelius, Beschreibung der Wasserfluthen, S. 7 weicht in einem Punkt von den anderen Berichten ab, wenn er behauptet der Wind hätte erst morgens um 7.00 Uhr, als das Land bereits überschwemmt war, von Westen auf Nordwesten gedreht. Hekelius, Beschreibung, S. 9; Jansen, S. 109; Arends, Phys. Geschichte, S. 103.. Umständl. Hist. Nachricht, S. 91; von Halem, Geschichte des Herzogthums Oldenburg, S. 181. Ummen, Weynachtsfreude S. 15. Poppe, Vom Lande Kehdingen, S. 22. Siemens, Aus der Deich- und Siedlungsgeschichte des Altenlandes, S. 92f. Umständl. Hist. Nachricht, S. 7. Hekelius, Beschreibung, S. 86; Detlefsen, Geschichte der holst, Elbmarschen, II, S. 31. Umständl. Hist. Nachricht, S. 22; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 284.

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ßen schon um 3.30 Uhr unter Wasser, obwohl das Hochwasser hier erst um etwa 8.00 Uhr erwartet wurde.15 Wie die Nachrichten aus den einzelnen Nordseeländern zeigen, haben die Deiche den mit Macht anbrausenden Wellen schon einige Stunden vor dem für diesen Tag erwarteten Hochwasser nicht mehr standhalten können. Die Sturmflut trat also zu einem Zeitpunkt ein, an dem normalerweise noch relativ niedriges Wasser gewesen wäre. Die Uhrzeit der Deichbrüche darf nun aber nicht mit dem Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes gleichgesetzt werden; dieser wird in den meisten Fällen wohl erst etwas später erreicht worden sein.16 Denn der Zeitpunkt des Deichbruches hing nicht nur von der Höhe des Wassers, sondern auch wesentlich vom Zustand des Deiches, seiner Höhe und Stärke sowie den morphologischen Verhältnissen ab. Die meteorologische Konstellation, die zur Sturmflut des Jahres 1717 führte, wurde schon von den Zeitgenossen als eine besonders gefährliche Wetterlage angesehen. Der Nordwestwind galt allgemein als gefährlich, besonders aber, wenn vorher Südwestwind geherrscht hatte, weil dieser das Wasser in die Nordsee trieb und dort staute.17 Diese Beobachtung stimmt durchaus mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen überein, wonach die Nordwestwinde nur im Zusammenwirken mit den vorher herrschenden West- und Südwestwinden große Wasseranstauungen an der Westküste der Nordsee verursachen.18 Weitere Faktoren trugen noch dazu bei, daß es zu der verheerenden Flutkatastrophe in der Weihnachtsnacht 1717 kam. Der sich um Mitternacht etwas abschwächende Sturm aus Nordwesten entwickelte sich nach ein Uhr plötzlich zu einem Orkan von großer Stärke, was zu einer beschleunigten Anhebung des Wasserstandes, dem Windstau, führte. Da die Orkanwirkung mit der größten Steiggeschwindigkeit der Gestirnstide, die im allgemeinen in der zweiten und dritten Stunde nach Niedrigwasser liegt, zeitlich etwa zusammenfiel, addierten sich die Wirkungen des Windstaus und der Gestirnstide und führten zu dem schnellen Anstieg des Wassers und zu seiner enormen Höhe.19 Von großer Bedeutung war schließlich noch die lange, für die Nordsee untypische Dauer des Orkans, der bis über den Zeitpunkt des vorausberechneten Hochwassers der Gestirnstide anhielt.20 Dadurch blieb der Wasserstand lange Zeit sehr hoch. Viele Quellen berichten, das Wasser in der Weihnachtsflut sei so hoch ge-

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Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 263 u.278. Vgl. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 16. 17 Ummen, Weynachtsfreude S. 13f; Harkenroht, Kersvloeds Kort Ontwerp, S. 138: Der Nordwestwind sei „de schaadelykste Wind aan deeze landen". Vgl. Umständl. Hist. Nachricht, S. 5. 18 Schelling, Die Sturmfluten an der Westküste von Schleswig-Holstein, S. 119. " Schelling, Die Sturmfluten, S. 126 u. 145; vgl. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 17. 20 Schelling, Die Sturmfluten, S. 67. 16

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wesen, wie bei keiner Flut vorher.21 Nach Angabe des Amtmannes Jan Jacob Wehling aus dem ostfriesischen Pewsum soll das Wasser dort 10 bis 17 Fuß über dem „gemeinen Feld" gestanden haben. 22 Wie Hekelius berichtet, war das Wasser „in einer entsetzlichen Höhe und zwar Manns hoch und noch höher beim Einbruch übers Land her gelauffen". 23 In Abbehausen in Butjadingen stand das Wasser 10 bis 15 Fuß über dem platten Land und 4 bis 10 Fuß in den Häusern. 24 Der Wasserstand war in ganz Butjadingen so hoch, daß die größten Schiffe dort ein- und ausfahren konnten. 25 Im Jeverland war die Höhe des Wassers je nach Lage des Landes unterschiedlich, von 6 bis 14 Fuß hoch.26 Aus dem Land Wursten berichtet der Deichgeschworene Tante Sibbern, das Wasser sei dort im Lande mindestens 8 Fuß hoch gewesen.27 In der Wilstermarsch stand das Wasser 4 bis 7 Fuß hoch in den Häusern und an einigen Orten, wo die Marsch am niedrigsten ist, 12 bis 16 Fuß hoch.28 Ferner wird berichtet, im Grothusenkoog in Eiderstedt habe die Höhe des Wassers 10 Fuß betragen.29 Hans Rohde hat die Höhe der Sturmflut in Tönning auf 4,61 über NN berechnet, womit sie dann 41 cm niedriger als die Sturmflut von 1825 gewesen wäre.30 Wenn auch die Mitteilung von Hekelius und Funck etwas übertrieben sein mag, daß die Wellen „mehr als Mannes hoch über die Deiche hinweggefahren" seien31, so sprechen doch auch andere Quellen davon, daß die Deiche in einer Höhe von 4 - 6 Fuß, also etwa 1,20 m - 1,80 m überströmt wurden. Und das ist auch wahrscheinlich; denn es gibt eine ganze Anzahl von Berichten über Schiffe, die von den Wellen über die Deiche ins Landesinnere getrieben wurden, und das war nur möglich, wenn das Wasser in einer bestimmten Höhe über die Deiche floß. Die Höhe des über die Deiche strömenden Wassers war natürlich je nach Lage und Höhe des Deiches unterschiedlich. Während der Deichbaumeister Albert Brahms schreibt, die Deiche an der Jade seien 2Vi bis 3 Stunden lang bis zu einer Höhe von 95 cm überströmt worden 32 , notierte der Pastor Christian Ludwig Ferar aus Blersum im Harlinger Land im Kirchenbuch seiner Gemeinde, daß das Was-

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Vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 145. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 17, fol. 7: J. Wehling an Georg Albrecht, Pewsum 7.1.1718. Hekelius, Beschreibung, S. 8. StA Old: Closter an den dän. König, Abbehausen 17.2.1718. Vgl. auch Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 115. Hekelius, Beschreibung, S. 76. Ummen, Weynachtsfreude 17f. 27 Wiebalck, Tante Sibberns Nachrichten, S. 94. Culemann, Denkmahl, S. 14. Umständl. Hist. Nachricht, S. 34. H.Rohde, Die Weihnachtsflut 1717, S. 32. Funck, Ostfriesische Chronik, T. 8, S. 94; Hekelius, Beschreibung, S. 8. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 18f.

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ser „wohl 6 Fuß hoch über die Deiche ging".33 Auch Outhof teilt mit, das Wasser sei an einigen Orten 4 bis 6 Fuß hoch über die höchsten Deiche geströmt, so daß bei Esens das Schmackschiff des Schiffers Jan van Reen über den Deich ins Land segeln konnte. 34 Zu Kloosterburen wurde eine große Tjalk von 40 bis 50 Lasten von den Wellen über den Deich geworfen.35 Auch bei Wremen im Land Wursten kam ein Schiff von 14 bis 15 Last über den Deich.36 Ob es sich dabei um das im Land Wursten über den Deich gekommene Schiff von Jakob Tysen handelte, läßt sich nicht mehr nachprüfen. 37 In der Dornumer Grode und beim alten Harlinger Siel wurden ebenfalls Schiffe über den Deich getrieben.38 In Glückstadt trieb ein Schiff auf dem Marktplatz.39 An vielen anderen Orten zog die Strömung des Wassers Schiffe durch die größeren Deichbrüche ins Landesinnere. 40 Es ist äußerst schwierig, aus den einzelnen uns überlieferten Angaben die genaue Höhe der Sturmflut zu berechnen; denn die Angaben sind meistens nicht exakt genug und berücksichtigen auch nicht die jeweils unterschiedliche Höhe des Ortes, auf den sie sich beziehen. Jedoch gewinnen wir durch diese Angaben eine Vorstellung über die Ausmaße der Überschwemmung und auch darüber, wie tief die Häuser und das Land in den einzelnen Gebieten unter Wasser standen. Man kann sich ausmalen, was es bedeutete, wenn das Wasser vier bis zehn Fuß, also etwa 1,20 m bis 3 m hoch im Haus stand und das Land bis zu einer Höhe von fünf Metern überflutet war. Die geographische Ausdehnung der Sturmflut von 1717 war im Vergleich zu anderen Sturmfluten außergewöhnlich groß. Kein Land an der östlichen und südöstlichen Nordsee ist von der Weihnachtsflut verschont geblieben; in allen Küstengebieten ist es am frühen Morgen des ersten Weihnachtstages zu Deichbrüchen und Überschwemmungen gekommen. Die Auswirkungen dieser Sturmflut wurden noch dadurch verschlimmert, daß an vielen Orten nicht nur die See- und Flußdeiche brachen, sondern auch die im Innern der Marsch liegenden Mitteldeiche, die weniger stark und oft vernachlässigt worden waren. In vielen Marschgebieten floß das Wasser monatelang ein und aus; in einigen Gegenden konnte das Land erst nach einigen Jahren vor dem Wasser gesichert werden. Allein in Ostfriesland entstanden durch die Sturmflut vierzig Grundbrüche mit Kolken, wovon der größte zwischen Larrelt und 33 34 35 36 37 38 39 40

Abgedruckt im Harlinger Heimatkalender auf das Jahr 1964, Jg. 16, S. 59. Outhof, Verhaal, S. 654. Outhof, Verhaal, S. 772. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 27. Umständl. Hist. Nachricht, S. 82. Funck, Ostfries, Chronik, T. 8, S. 130f. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 178. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 9f; Outhof, Verhaal, S. 655 u. 717; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 6 Anm. 17; Funck, Ostfries. Chronik, T. 8, S. 130f; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 335; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 31.

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Emden lag und 400 Fuß breit und 72 Fuß tief war.41 Die ostfriesischen Ämter Emden, Greetsiel, Berum, Norden und Pewsum waren gänzlich überschwemmt, genauso die Herrlichkeiten Dornum, Lütetsburg, Rysum, Petkum, Oldersum und Gödens. Auch das Harlingerland mit Ausnahme der Orte Esens und Wittmund lag im Wasser. Die Ämter Leer und Friedeburg waren nur zum Teil überschwemmt, ebenso das Amt Aurich, in dem vor allem das Brookmerland und die Riepster Vogtei voll Wasser standen. An einigen Stellen Ostfrieslands strömte das Nordseewasser sechs Jahre lang ins Land.42 In der Herrschaft Jever sah es nicht viel besser aus, auch dort waren alle Marschgebiete überflutet worden. Die Sturmflut hatte dort mehrere Braken in die Deiche gerissen, durch die das Wasser ins Land strömte. Die größte, bei der sogenannten Pekenkuhle liegende Brake hatte eine Breite von 300 Fuß und eine Tiefe von 18 Fuß. Vier Braken waren auch am Schilliger Deich entstanden. Die Wellen der Nordsee hatten im Land Jever ferner das erst 1713 erneuerte Mariensiel weggerissen.43 Schlimm gewütet hat die Sturmflut in den Marschvogteien der Grafschaft Oldenburg, die alle unter Wasser standen.44 Besonders verheerend wirkte sich die Flut in Butjadingen aus. „Es war der Jammer und das Elend so groß / daß es mit keiner Feder genug mag vorgestellet werden", schreibt Jansen über die dortige Lage.45 Durch eine ganze Anzahl von Deichbrüchen zwischen Langwarden und Blexen drang das Wasser in Butjadingen ein. Allein zwischen Fedderwarden und Tettens im Kirchspiel Burhave waren neun Braken eingerissen, darunter die Waddenser, Ögenser, Tedlenser und Fedderwarder Brake sowie die Burhaver Sielbrake.46 An vielen Orten Butjadingens war der Deich gänzlich zerstört und bis auf den Grund weggerissen. Das an Butjadingen angrenzende Stadland und die südlicher gelegenen Vogteien Strückhausen und Hammelwarden wurden allerdings nicht durch Brüche ihrer Außendeiche, sondern von dem aus Butjadingen über den Mitteldeich in diese Gebiete stürzenden Wasser überschwemmt.47 Schlimm stand es auch mit der Vogtei Stollhamm, wo bei der Böse Hörn eine große Brake eingerissen war. Da auch der starke Hobendeich brach, der zu den Vogteien Stollhamm und Schwei gehörte, strömte auch von dieser Seite Wasser in die Marschvogteien und das Stadland ein.48 Auch der 1717 gebaute Schweiburger Deich konnte den Wellen nicht stand-

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Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 202; Freese, Ost = Frießland, S. 283. Funck, Ostfriesische Chronik, T. 8, S. 200f. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 156ff Zum folgenden Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 116ff. Hist. Theol. Denckmahl, S. 162. A.G. von Münnich, Oldenburgischer Deich = Band, S. 83 Anm. 57; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 117. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben Röhmers vom 3.1.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben Röhmers vom 30.1.1718.

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halten und ging zu zwei Dritteln verloren.49 Auch das am rechten Weserufer gelegene, zur Grafschaft Oldenburg gehörende Land Würden wurde überschwemmt. Hier hatte das Wasser hauptsächlich durch die Zerstörung des Ueterlander Siels freien Zugang ins Land. Die vielen Deichbrüche hatten zur Folge, daß das ganze Marschgebiet der Grafschaft Oldenburg unter Wasser stand. Nicht viel anders sah es in den einzelnen Landschaften des Herzogtums Bremen aus, das seit 1715 zu Hannover gehörte. Das Amt Blumenthal und die Osterstader Marsch erlitten zahlreiche Grundbrüche an ihren Deichen, wodurch auch das dortige Gebiet überflutet wurde.50 Die Weihnachtsflut überschwemmte auch das Land Wursten bis an den Geestrand. 51 Viele Grundbrüche öffneten dem Wasser hier den Weg ins Landesinnere. Am schwersten litt der Deich bei Wremen, wo sich über zwanzig Grundbrüche ereigneten. Der größte und gefährlichste Grundbruch war bei dem kleinen Dorf Rintzel entstanden. Er hatte eine Tiefe von 20 Fuß. Eine große Brake gab es außerdem im alten Deich bei Dorum.32 Im Land Hadeln wurden über 7 km des Deichs weggerissen; das ganze Land wurde überschwemmt und stand bis zu 10 Fuß unter Wasser.53 Schweren Schaden durch die Sturmflut erlitt auch das Land Kehdingen, vor allem durch den großen Grundbruch bei Wischhafen. Erst im Jahre 1721 konnte durch den Bau von Schirmdeichen die weitere Überschwemmung des Landes verhindert werden.54 Im Alten Land verzeichneten die obrigkeitlichen Beamten 40 Deichbrüche, darunter 8 Grundbrüche. Über 80% der landwirtschaftlich genutzten Fläche stand damals unter Wasser.55 Besonders schwer zu leiden hatte auch das zu Hamburg gehörende Amt Ritzebüttel wegen seiner exponierten Lage an der Elbmündung. Der im Jahr vor der Weihnachtsflut errichtete Elbdeich ging ganz verloren, und auch der alte Deich brach an fünf Stellen.56 In den Herzogtümern Schleswig und Holstein wurden ebenso fast alle Küstengebiete durch die Sturmflut von 1717 in Mitleidenschaft gezogen. Durch einen großen Grundbruch im Elbdeich bei Brunsbüttel von 22 Ruten (ca. 95 m) Breite und über 40 Fuß Tiefe und weitere zahlreiche Einbrüche in den Elbdeich und den Stördeich wurde die ganze Wilstermarsch überschwemmt.57 In Glückstadt riß das Wasser beide Schleusen weg und drang in

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so 51 52 53

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StA Old: Bstd. 26, 1263: Bericht, waß für Schade die Schweyburger Bedeichung von der übernattürl. hohen extra ordinairen Fluth gelitten hat. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 20ff. E. von Lehe, Zerstörung, S. 26. E. von Lehe, Zerstörung, S. 30; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 25. Umständl. Hist. Nachricht, S. 59; Peche, Geschichte des Hadler Deiches, S. lOf; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 32. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 39ff. Siemens, Aus der Deich- u. Siedlungsgeschichte, S. 92f. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 29. Culemann, Denkmahl, S. 9f, 13ff, 20, 22, 39f; Umständl. Hist. Nachricht, S. 16f;

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die Stadt.58 In Dithmarschen wurde die ganze Marsch durch die Weihnachtsflut unter Wasser gesetzt. Die Marsch glich „einer offenbahren See"; „mit Kähnen war man von der Geest nach Brunsbüttel und Büsum zu fahren im Stande", betont Bolten in seiner Dithmarsischen Geschichte.59 Auch in Dithmarschen waren an vielen Stellen der Deiche Grundbrüche entstanden, auf über 3500 Ruten (ca. 16 km) Länge war der Deich verschwunden; 76 Wehlen waren allein in Norderdithmarschen entstanden. 60 Genauso hatte Eiderstedt unter der Weihnachtsflut schwer zu leiden gehabt: an 81 Stellen waren dort die Deiche gebrochen, wobei 13 Wehlen entstanden waren.61 Die Weihnachtsflut fegte auch über die nordfriesischen Halligen hinweg und richtete großen Schaden an. Alle Köge der Insel Pellworm liefen voll Wasser. Da die dortigen Deiche aber in gutem Zustand waren und die Einbrüche erst bei fallendem Wasser geschahen, stand das Wasser in den Kögen nur etwa 3 bis 4 Fuß hoch.62 Das gleiche gilt für die Insel Nordstrand, wo auch alle vier Köge überschwemmt wurden, das Wasser aber nur etwa 3 Fuß hoch stand.63 Nördlich von Husum drang die Sturmflut in den Porrenkoog und in die Hattstedter Marsch ein.64 Ferner kam es zu Deichbrüchen bei Sterdebüll, Ockholm, Fahretoft, Maasbüll, Deezbüll und Tondern. 65 In allen Nordseeküstenländern verursachte die Weihnachtsflut des Jahres 1717 somit umfangreiche Deichbrüche; fast alle Marschgebiete dieser Länder mußten verheerende Überschwemmungen erleiden. Weil die Sturmflut so plötzlich und unerwartet kam, war eine rechtzeitige Warnung der Bewohner in den meisten Küstengebieten nicht möglich. Die Menschen konnten deshalb nicht, wie es sonst üblich war, durch das Läuten der Kirchenglocke vor der Sturmflut gewarnt werden. Nur aus Lunden in Norderdithmarschen, wo die Flut erst etwas später als in anderen Gegenden einbrach, wird berichtet, daß morgens um 5.00 Uhr die Sturmglocke läutete.66 Auch in Glückstadt wurde noch versucht, die Einwohner vor dem Wasser zu warnen. Die dort stationierten Soldaten gaben zu Beginn der Gefahr einige Warnschüsse aus ihren Kanonen ab, um die in der Stadt und in der umlieFortsetzung Fußnote von Seite 19 Detlefsen, Geschichte der holst. Elbmarschen, II, S. 31f, vgl. auch Geertz, Nachrichten über Überschwemmungskatastrophen, S. 128ff. 58 Umständl. Hist. Nachricht, S. 15; Geertz, Nachrichten, S. 130. 59 IV, S. 331. Vgl. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an König Friedrich IV., Meldorf 25.4.1718. 60 Umständl. Hist. Nachricht, S. 31; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 334 u. 340; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 284ff.. 61 Umständl. Hist. Nachricht, S. 151; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 284ff; vgl. Fischer, Eiderstedt, S. 210f. 62 Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 274. 63 Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 276. 64 Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 291. 65 Umständl. Hist. Nachricht, S. 42. 66 Umständl. Hist. Nachricht, S. 28.

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genden Marsch wohnenden Menschen aufzuwecken, damit sie sich in Sicherheit bringen konnten. Für viele Bewohner der Marsch war es allerdings schon zu spät.67 Ähnlich verfuhr auch der Kommandant der Festung Delfzijl, der zur Warnung der Bewohner mehrere Kanonenschüsse abfeuern ließ.68 Auf der Insel Nordstrand hielten die katholischen Einwohner noch bis nach Mitternacht ihre Christmette in der Kirche. Als sie nach Hause gingen, bemerkten sie den Sturm und das schnell ansteigende Wasser am Außendeich. Sie weckten deshalb die am Deich wohnenden Menschen und warnten sie. „Wenn dieses nicht geschehen wäre, wären ohne Zweifel mehr Menschen ums Leben gekommen", bemerkt Heinrich Heimreich Walter.69 Einige Personen konnten sich noch in Sicherheit bringen, weil sie von ihren rechtzeitig aufgewachten Nachbarn gewarnt wurden.70 Doch das waren Ausnahmen. Die meisten Menschen wurden von der Sturmflut im Schlaf überrascht. Wer sich aus dem Bett retten wollte, hatte oft nicht einmal Zeit, sich Kleider anzuziehen, sondern floh im Nachthemd auf den Dachboden seines Hauses.71 So konnte sich auch die Familie des Amtmanns Jan Volrad Kettler aus Berum in Ostfriesland nur mit knapper Not auf dem Boden in Sicherheit bringen. Dort mußten sie halbnackt im Dunkeln bis zum nächsten Tag ausharren. 72 Der Amtsvogt Hinrich Albrecht Fabricius aus Abbehausen in der Grafschaft Oldenburg berichtete in einem Brief, wie er mit seiner Familie die Sturmflutnacht erlebte: „Wir hatten es [das Wasser] bereits im Hause / da wir es erfuhren / Kisten / Kasten und alles / was an der Erden stund / fing an zu treiben; die Schräncke schlugen mit grossen Rasseln nieder / und schwömmen herum / da es dann nicht zu säumen / sich nach dem Boden zu retiriren / und trug ich meine Frau / folglich ein Kind / halb schwimmend hinauff; die übrigen 2 Kinder folgeten mit dem Gesinde / nebst etwas von der Kinder Bettzeuge / alles übrige bliebe unten schwimmend. Weil ich gantz naß worden / so legte die Kleider ab / und kroch ins Heu / nebst Frau / Kindern und Gesinde / uns dem lieben GOtt empfehlende." 73 Die Familie des Pastors Closter in Abbehausen watete in ihrem Haus schon bis unter die Arme im Wasser, bevor sie sich auf den Boden flüchten konnten. Dort mußten sie sich dann 14 Tage aufhalten. 74 Manche Eltern banden ihre Kinder an sich fest, wenn sie auf das Dach ihres Hauses steigen mußten, um sich vor dem Wasser 67 68 69 70

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Umständl. Hist. Nachricht, S. 15. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 32. Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 276f. Outhof, Verhaal, S. 647. StA Stade: 80 Wb, Tit. 180, Nr. 2, S. 478; vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 69. Vgl. Hekelius, Zwey Predigten, S. 16. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol.2: J.V.Kettler an Georg Albrecht, Berum 29.12.1717. Umständl. Hist.Nachricht, S. 95; vgl. G.A.von Halem, Geschichte des Hzgt. Oldenburg, III, S. 183. StA Old.: Bstd. 26, 141: Closter an den dän. König, Abbehausen 12.2.1718.

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zu retten.75 Es gab auch Eheleute, die sich mit einem Seil aneinanderbanden.76 Doch viele Menschen, die rechtzeitig auf den Boden oder das Dach ihres Hauses flüchten konnten, hatten damit noch nicht ihr Leben gerettet. Denn das Wasser, das überall in ungewöhnlicher Höhe und mit unbändiger Gewalt ins Land einfiel, riß viele Häuser mit sich fort. Häuser mit stabilem und fest im Boden verankerten Ständerwerk konnten den Wellen zwar standhalten, aber auch deren Mauern wurden meistens von der Flut eingedrückt. Die Folge war, daß die noch nicht auf den Boden ihres Hauses geflüchteten Menschen wie auch das Inventar des Hauses von der Flut hinausgetrieben wurden. Übrig blieb also lediglich das Ständerwerk des Hauses, alles andere ging verloren. Nur die höher liegenden, zumeist auf hohen Wurten oder Warften stehenden Häuser blieben von den Wellen weitgehend verschont.77 Manche Leute retteten sich auf Heuhaufen, weil sie ihnen als sicherere Zufluchtstätte als das Dach ihres kleinen Hauses erschienen.78 Vifcle Menschen versuchten sich aus dem Wasser auf Bäume zu retten; sei es, daß sie von ihrem im Wasser treibenden Dach aus den Ast eines Baumes zu fassen bekamen und den Baum ihrem unsicheren Floß vorzogen; sei es, daß sie sich im Wasser treibend noch an einem Baum festhalten und diesen erklimmen konnten. Mancher der auf den Bäumen sitzenden Leute wurde am Morgen nach der Sturmflut in Sicherheit gebracht; andere, deren Rettung wegen des anhaltenden stürmischen Wetters nicht schnell genug möglich war, konnten sich wegen der Kälte nicht mehr auf dem Baum halten und ertranken. 79 Was die von der Sturmflut betroffenen Menschen in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1717 erleiden mußten, läßt sich in Worte kaum fassen. Wer kann den Schrecken, das Leid und die Stunden der Angst schon beschreiben, die viele Menschen damals vor ihrer Errettung oder vor ihrem Tod im Wasser durchmachen mußten! Grauenhafte Szenen spielten sich in dieser Nacht an den Küsten der Nordsee ab. Männer sahen ihre Frauen und Frauen ihre Männer in den Fluten ertrinken. Eltern mußten erleben, wie die Wellen ihnen ihre Kinder entrissen und fortspülten. Mancher Mann und manche Frau verloren vor ihren Augen die ganze Familie. Man sah Menschen im Wasser treiben, die um ihre Rettung flehten, und konnte ihnen dennoch nicht helfen. Familien, die sich gemeinsam auf das Dach des Hauses geflüchtet hatten, wurden getrennt, weil die Flut das Dach in mehrere Teile zerschlug und dann auf jedem Stück des Daches ein Familienmitglied von den Wellen fortgetragen wurde. Um ein Bild von der Tragik dieser Sturmflutkatastrophe zu vermitteln, seien einige Beispiele menschlicher Schicksale aus den Quellen angeführt: 75 76 77 78 79

Hencke, Hist. Nachricht, S. 25. Hencke, Fortsetzung, S. 42. Culemann, Denkmahl, S. 14; Umständl. Hist. Nachricht, S. 91f.. Hekelius, Beschreibung, S. 65. Umständliche Hist. Nachricht, S. 55; Hekelius, Beschreibung, S. 67, 81.

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In Neßmersiel in Ostfriesland flüchteten 13 Personen vor der Flut auf das Dach eines Hauses. Doch schon bald riß das Wasser das Haus fort. Stück für Stück brach das Haus dann auseinander, und eine Person nach der anderen fiel ins Wasser und ertrank. Zuletzt blieben noch drei Frauen und zwei Männer übrig, die sich an einem Dachsparren und einigen Latten festhielten, aber mit ihrem Körper schon halb im Wasser hingen. Sie wurden nach einiger Zeit an einem erhöht liegenden Landstück in der Nähe des Pastorats von Resterhafe angetrieben. Auf dieser Anhöhe, auf der sie vor dem Wasser sicher waren, mußten sie zwei Tage und Nächte bei Hagel und Sturm in ihrer nassen Kleidung ausharren. Als sie sahen, daß niemand ihnen helfen konnte, sammelten sie einige angetriebene Hölzer und banden diese, weil sie kein Tau hatten, mit Stroh zusammen. Schließlich setzten sie sich auf ihr primitives Floß und ließen sich von den Wellen treiben. Da der Wind günstig stand, gelangten sie nach Resterhafe und wurden gerettet. Die drei Frauen haben sich aber, wie der dortige Pastor Hekelius mitteilt, von den Strapazen nicht mehr erholen können und sind bald darauf gestorben.80 Ein anderer Mann aus Neßmersiel hatte sich ebenfalls mit seiner Frau und den drei Kindern auf das Dach seines Hauses geflüchtet. Aber schon bald brach das Haus auseinander; seine Frau und zwei der Kinder ertranken. Der Mann und das jüngste Kind trieben mit dem Rest des Hauses schließlich in Westerholt an und wurden gerettet. Das nackte Kind konnte der Vater am Leben erhalten, weil er es unter seiner Kleidung gewärmt hatte. Der Vater allerdings hatte sich eine Ohrentzündung zugezogen und war fast taub geworden.81 Im Amt Berum hatten sich einige Personen vor dem Wasser auf den Deich gerettet. Etliche Tage harrten sie dort bei starker Kälte und Hagel unter freiem Himmel aus. Dann starb eine Person nach der anderen an Kälte und Hunger. Die Retter fanden schließlich nur noch die Leichen, die aneinandergereiht lagen, als hätten sie sich gemeinsam zum Sterben gelegt.82 Eine Mutter, deren Haus von der Flut schon schwer beschädigt worden war, schaffte es gerade noch, auf den Boden ihres Hauses zu klettern. Dort versuchte sie ein Brett des Bodens loszubrechen, um ihre drei Kinder, die sie unten auf dem Bett zurückgelassen hatte, durch diese Öffnung heraufzuholen. Es gelang ihr nicht, so daß sie ihre Kinder unten im Haus ertrinken lassen mußte.83 Isebrand Peters von Westernieland trieb mit seiner Frau auf einem Stück des Hauses und kam schließlich an ein Boot, in das sie umstiegen. Da das Boot sich immer mehr mit Wasser füllte, fühlten sie sich nicht mehr sicher darin. Als sie zu einem Baum kamen, kletterte der Mann hinauf und versuchte auch seiner Frau hinaufzuhelfen. Die Frau war jedoch von der Kälte so er80 81 82 83

Hekelius, Hekelius, Hekelius, Hekelius,

Beschreibung, Beschreibung, Beschreibung, Beschreibung,

S. 34f; ders., Zwey Predigten, S. 19 (h). S. 35. S. 32f. S. 64.

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starrt, daß sie nicht mehr allein auf den Baum steigen konnte. Ohne ihre Mithilfe schaffte es der Mann nicht, sie auf den Baum ziehen. So mußte er sie ins Wasser fallen lassen und dann ertrinken sehen. Er selbst wurde später gerettet.84 Arien Onnen aus Kniphausen suchte mit seiner Familie in der Scheune auf dem Heu Zuflucht, da er in seinem Haus vor dem Wasser nicht mehr sicher war. Nach einiger Zeit riß die Flut das Wohnhaus nieder. Etwas später wurde auch die Scheune vom Wasser zerstört und der Heuhaufen Stück für Stück weggespült. Ein Kind nach dem anderen fiel hinunter und ertrank. Eine Weile konnten sich Onnen und seine Frau mit dem kleinsten Kind auf dem Arm noch auf dem restlichen Heuhaufen halten. Dann fielen Mutter und Kind ins Wasser, etwas später auch der Mann. Ihm gelang es jedoch, sich an einem Baum festzuklammern. Nach längerer Zeit kam ein wenig Heu vorbeigetrieben, auf das er sich fallen ließ. Mit diesem Heu wurde er schließlich an einer erhöht liegenden Stelle angeschwemmt. Zwei Tage und zwei Nächte mußte er dort in der Kälte liegen, bis er gerettet wurde. Da er völlig entkräftet war, hatte er nicht aufstehen und sich durch Laufen erwärmen können. Die Kälte hatte seinen Körper so in Mitleidenschaft gezogen, daß er Hände und Füße nicht mehr bewegen konnte. Doch nach seiner Rettung gelang es dem Arzt, ihn zu kurieren.85 Außer durch die Wasserfluten wurden die Menschen auch von der Feuergefahr bedroht. Als sie sich im Dunkel der Nacht vor dem Wasser retten wollten, zündeten sie Kerzen oder Lampen an, um sich im Haus zurechtfinden. Sie nahmen diese auf den Boden ihrer Häuser mit. Wenn nun aber das Haus durch den Druck des Wassers erschüttert wurde oder der Sturm durch die Ritzen des Daches drang, konnte es leicht passieren, daß eine Kerze umfiel und das Haus Feuer fing. Aus diesem Grund gingen Feuersbrünste meistens mit Sturmfluten einher. Auch bei der Sturmflut von 1717 gerieten Häuser in Brand.86 Wir erfahren beispielsweise aus Uphusen in Ostfriesland, daß das Haus des Müllers bis auf das Wasser abbrannte. 87 Berichtet wird auch von im Wasser treibenden Häusern, die in Brand gesetzt wurden. 88 Ein brennendes Haus war auf dem Wasser durch mehrere Dörfer getrieben, bis es sich schließlich festsetzte, ohne Schaden an anderen Häusern angerichtet zu haben.89 Bei der Wahl zwischen dem Tod durch Verbrennen oder durch Ertrinken haben sich die Menschen oft lieber ins Wasser gestürzt.90 In den ersten Tagen nach der Flut bestand auch noch Brandgefahr durch die Erhitzung des 84 85 86 87 88

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Hekelius, Beschreibung, S. 67. Hekelius, Beschreibung, S. 41 f. Hekelius, Beschreibung, S. 74. Funck, Ostfriesische Chronik, S. 107. Hencke, Hist. Nachricht, S. 22; ders., Fortsetzung, S. 41; Hekelius, Beschreibung, S. 74.. Umständl. Hist. Nachricht, S. 92; Die Weihnachtsflut von 1717, S. 7. Hekelius, Beschreibung, S. 74; HStA Hannover: Hann 91, Nr. 66, fol. 9.

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nassen Heus. Das vom Salzwasser überspülte Heu hatte auf einigen Bauernhöfen bereits zu dampfen angefangen, so daß die Bewohner Maßnahmen dagegen ergreifen mußten." In der Weihnachtsnacht habe man ein großes Jammergeschrei der Leute aus der Marsch hören können, die noch auf ihren Dächern saßen und um Hilfe riefen, wird aus Süderhastedt in Dithmarschen berichtet.92 Er könne den Verlust seiner Familie eher vergessen, äußerte ein geretteter Einwohner von Westerackumer Siel, als „das jämmerliche Zeter = Geschrey der im Wasser geschwommenen Menschen". Einige hätten gewinselt und erbärmlich um Rettung gerufen, einige hätten auch laut gebetet, andere aber entsetzlich geflucht. Dieses Geschrei habe etwa eine Stunde gedauert, bis es dann in den Wellen verstummte.93 Seiner Frau sei, wie der Amtsvogt Fabricius betonte, das jämmerliche Rufen, das erbärmliche Schreien und das kümmerliche Winseln der Männer, Frauen und Kinder, welche nachts auf Teilen von zerstörten Häusern, auf Heu oder Stroh im Wasser vorbeitrieben, noch lange im Ohr geblieben.94 Das ganze Ausmaß der Sturmflutschäden nahmen die Menschen erst bei Anbruch des Tages wahr. Jetzt konnte man sehen, wie weit das Wasser ins Land eingedrungen war, wie hoch es stand und welchen Schaden es angerichtet hatte. Den Überlebenden boten sich schreckliche Bilder. Leichen von Männern, Frauen und Kindern trieben im Wasser oder waren an Land gespült worden. In der Herrlichkeit Lütetsburg wurde ein lebendes Kind geborgen, das an der Brust der toten Mutter lag.95 Teile von Häusern wie Dächer, Balken und Türen, Möbel und sonstige Hausgeräte sowie Stroh und Heu trieben im Wasser oder lagen auf den vom Wasser wieder freigegebenen Landstrichen. Man sah Menschen auf Häusern, Bäumen und Heu- und Strohhaufen sitzen, auch trieben noch Menschen auf den unterschiedlichsten Gegenständen im Wasser umher. „Um meinem Hause herum sähe es aus als wenn der grausamste Feind Hauß gehalten hätte", berichtete der Pastor Hekelius, „8 tode Kühe sambt ihren Ställen waren da angeworffen; Häuser, Haußgeräthe waren da Stück = weise angetrieben; Breter, Sparren, Latten, Leitern, Rollbäume, Waltzen, Dächer von Häusern, Thüren oder Thoren lagen da durch einander und so viel Torff, Stroh und ander Guth, daß man kaum darüber gehen konte. Auff dem Wasser selbst schwammen noch Betten, Kasten, Menschen, Vieh und allerhand Guth herum, welches unmöglich ohne Wehmuth, auch nicht ohne Angst konte betrachtet werden. Man sähe auch hin 91

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StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 18: Amtmann Renemann an Rentmeister Block, Marienhausen 14.1.1718; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 22: J. D. Kettler an Georg Albrecht, Norden 4.1.1718. Umständl. Hist. Nachricht, S. 19. Die Denckmahle der göttl. Zorngerichte, S. 73. Umständl. Hist. Nachricht, S. 96. Hekelius, Beschreibung, S. 32; Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 108. Vgl. Die Denkmahle der göttl. Zorngerichte, S. 43, 73.

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und wieder auf den Häusern Menschen sitzen, welche mit Noth = Zeichen durch Wincken und auf andere Weise ihr Elend vorstelleten..." 96 Aus Emden schrieb der Sekretär Zernemann seinem Bruder, die Stadt sehe aus, als ob sie bombardiert worden wäre. Die Straßen seien ausgehöhlt und die Brücken großenteils weggespült.97 Ein Brief vom 27. Dezember 1718 aus dem Land Wursten schildert eine ähnliche Lage: „Es war erbärmlich zu sehen, wie der Tag anbrach, daß einer auff einem Stroh = Humpel oder Berge saß, ein anderer auff dem Dache seines Hauses, und zwar allhier in Wremen, und um Errettung schrie. Andere steckten oben zu ihren Häusern oder Giebeln an langen Stangen Bettlacken und Tücher aus, und gaben also ihre Noth zu erkennen..." 98 Weiße Tücher oder Laken wehten am Morgen des 25. Dezembers und an den folgenden Tagen auf vielen vom Wasser eingeschlossenen Häusern. Die Menschen wollten dadurch auf ihre Notlage aufmerksam machen.99 In einigen Orten haben sich Einwohner in die Kirche retten können wie in Assel im Alten Land, in Blaukirchen in Ostfriesland und im Kirchspiel Berdum, wo sich ein Teil der Warfsleute dorthin begab.100 Manche Kirchen wurden während der Weihnachtstage zu Viehställen, weil die Einwohner ihr Vieh dorthin in Sicherheit brachten.101 Doch den meisten Leuten blieb keine Zeit mehr, sich um die Rettung ihrer Tiere zu kümmern. Für die damalige Lage in den überschwemmten Gebieten war die Situation sicher kennzeichnend, die der Drost von Staudach am 26. Dezember vorfand, als er mit einigen Leuten im Boot zu zwei im Wasser eingeschlossenen Gehöften fuhr: Das erste Haus, das er aufsuchte, stand noch fünf Fuß unter Wasser. Der Mann, die Frau und zwei Kinder hatten sich auf den Boden geflüchtet, wo sie sich im Stroh aufhielten. Eine Kuh und zwei Schweine waren ertrunken, die beiden Pferde standen bis zum Rücken im Wasser, lebten aber noch. Das zweite Haus, zu dem sie fuhren, war das Etzeler Grashaus. Es stand ebenfalls noch fünf Fuß unter Wasser. Die Heuersfrau Gesche Adami hatte sich mit ihren Kindern und ihrem Gesinde in der Scheune auf das Heu und das Stroh gerettet. Dorthin hatte sie auch noch 13 der besten Kühe bringen können. 16

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Hekelius, Beschreibung, S. 38. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 14. Umständl. Hist. Nachricht, S. 82. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 3: Brenneysen und von Münnich an Georg Albrecht, Esens 25.12.1717; G. Culemann, Denkmahl, 1719, S. 48; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 288. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 6: Harting und Schleiff an Georg Albrecht, Wittmund 31.12.1717; ebenda: Nr. 9, fol. 1-4: Stürenberg an Georg Albrecht, Aurich 7.1.1718; StA Stade, Rep. 80 Wb, Tit. 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Stader Regierung an die kgl. Regierung zu Hannover, Stade 29.12.1717. Umständl. Hist. Nachricht, S. 53; Hekelius, Büß- u. Trauerpredigt II, S. 139; Hencke, Fortsetzung, S. 40.

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Jungtiere lagen tot in den Ställen, während die 22 Pferde lebend im Wasser standen.102 Viele Menschen mußten tagelang auf dem Boden oder dem Dach ihres Hauses aushalten, bis sie gerettet wurden. Außer unter der Kälte litten sie besonders unter dem Hunger und vor allem dem Durst. In Schürzen und Bettüchern versuchten die vom Meerwasser eingeschlossenen Menschen das Regenwasser aufzufangen. 103 Manche Frauen haben die toten Kühe, die angetrieben wurden, noch gemolken, um ihre Kinder damit zu erhalten.104 Eltern versuchten den Durst ihrer kleinen Kinder ein wenig zu stillen, indem sie ihnen ihren Speichel gaben. Einige Menschen, die es vor Durst nicht mehr aushalten konnten, tranken ihren eigenen Urin.105 Säuglinge hätten, wie Ummen mitteilt, so stark an der Brust ihrer Mütter getrunken, daß zuletzt anstatt Milch Blut hervorgekommen sei.106 Es passierte jedoch auch, daß Müttern in den Schrecken der Sturmflut die Milch wegblieb und sie ihr Kind nicht mehr stillen konnten.107 Ein Ehepaar mit Kindern aus dem Kirchspiel Marne hatte sich fünf Tage lang von einem ihnen nachgeflogenen Huhn ernährt, dessen rohes Fleisch sie verzehrten. Zu trinken hatten sie nichts als salziges Wasser. Acht Tage nach ihrer Rettung starb die Frau.108 Mitunter konnten die notleidenden Menschen vorbeitreibende Lebensmittel aus dem Wasser fischen wie Karotten, Bohnen und Kohlköpfe; mitunter erhaschten sie auch im Wasser treibende Brote, die sie dann trockneten und verspeisten.109 Zu Blaukirchen in Ostfriesland fischten die Einwohner angetriebenes Rindvieh auf, das sie in der Kirche kochten und aßen.110 So versuchten die im Wasser eingeschlossenen Menschen sich auf verschiedene Art am Leben zu erhalten in der Hoffnung, bald aus ihrer verzweifelten Lage errettet zu werden. Doch für viele war diese Hoffnung vergeblich. Nicht mehr ermitteln läßt sich, wieviele Menschen noch in den Tagen nach der Sturmflut an Kälte und Hunger starben.

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 39f: Karl Ferdinand von Staudach und Sebastian Ihering an Georg Albrecht, Friedeburg 28.12.1717. G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 188. Hencke, Hist. Nachricht, S. 14. HStA Hannover: Hann. 91, Nr. 66: Bericht eines Studenten aus dem Amt Neuhaus; Umständl. Hist. Nachricht, S. 93, 102; Ummen, Weynachtsfreude S. 22; Hencke, Hist. Nachricht, S. 14, 34; Hekelius, Beschreibung, S. 47. Ummen, Weynachtsfreude S. 22. Hencke, Hist. Nachricht, S. 15. Bolten, Dithmarsische Geschichte, IV, S. 337. Hekelius, Beschreibung, S. 89; Culemann, 1719, S. 43; Die Weihnachtsflut von 1717, S. 12. Die Weihnachtsflut von 1717, S. 12.

3. Rettungsmaßnahmen Da die Sturmflut für die Küstenanwohner völlig überraschend kam, waren auch keine Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden. Ausgeklügelte Katastrophenschutzpläne, wie sie heutzutage in den Schubladen der für solche Fälle zuständigen Behörden liegen, gab es im frühen 18. Jahrhundert ohnehin nicht. Jeder, der von dem plötzlich in der Nacht hereinbrechenden Wasser bedroht wurde, mußte sich anstrengen, sein und seiner Familie Leben und das der übrigen Hausbewohner zu retten versuchen, so daß an die Rettung von Nachbarn kaum gedacht werden konnte. Auch machte die Dunkelheit es unmöglich, vom Ertrinken bedrohte und um Hilfe schreiende Menschen zu retten. Er hätte nicht vernommen, daß ein Mensch in der Sturmflutnacht aus dem Wasser gefischt und gerettet worden wäre, berichtet der Wittmunder Pastor Hieronymus Brückner im Wittmunder Kirchenprotokoll. 1 Rettungsmaßnahmen waren erst nach Einbruch des Tages möglich. Doch dann stellte sich auch erst das ganze Ausmaß der Katastrophe heraus und vielerorts auch die Unmöglichkeit sofortiger Rettungsaktionen. Weil der Sturm verbunden. mit Regen- und Hagelschauern über die Weihnachtstage anhielt, konnten die Helfer Rettungsmaßnahmen gar nicht oder wenn, dann nur unter Gefährdung des eigenen Lebens durchführen. 2 So mußten in den Tagen nach der Sturmflut viele Einwohner, die auf die Dächer ihrer Häuser, auf Bäume und andere höher liegende Orte geflüchtet waren, auf die Rettung aus Kälte, Hunger und Durst warten. Viele überstanden diese Tage nicht, in denen sie, meist nur mit einem durchnäßtem Nachthemd bekleidet, in eisiger Kälte auf Hilfe warteten. Viele mußten „ihres beweglichen Geschreyes unerachtet sterben und vor Kälte und Ungemach umkommen", klagte der Pastor Hekelius.3 Nur mit größeren Schiffen, die den Wellen standhalten konnten, machte man sich an einigen Orten bei Anbruch des nächsten Tages auf die Suche nach Sturmflutopfern, so in Stade, wo die Schiffer an beiden Weihnachtstagen hinausfuhren, um notleidende Menschen und ihre Habseligkeiten in die Stadt zu holen.4 Als sich drei

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Mitgeteilt von Bartels im Jahrbuch d.Gesellschaft für Bildende Kunst u. Vaterländische Altertümer zu Emden 5 (1882) H. 1, S. 131. In Loppersum z.B. wollte Albert Fock seinen Bruder retten, der nur 20 Schritte von ihm entfernt wohnte. Er fuhr mit einem Boot zu ihm hinüber. Auf der Rückfahrt war die Strömung des Wassers jedoch so stark, daß sie abgetrieben wurden. Glücklicherweise wurden sie in Ochtelbur wieder an Land gespült. Harkenroht, Kersvloeds kort Ontwerp, S. 148. Hekelius, Zwey besondere Predigten 1719, S. 20. Vgl. auch StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 5. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 50; vgl. auch Funck, Ostfriesische Chronik, 8. Teil, S. 145.

Erschwernisse der Rettungsmaßnahmen

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Tage nach der Sturmflut die Winde legten, konnte man endlich überall mit der Rettung der Notleidenden beginnen.5

3.1. Erschwernisse bei Rettungsmaßnahmen Doch jetzt stellten sich allen Rettungsmaßnahmen neue Hindernisse in den Weg. Um zu den vom Wasser eingeschlossenen Notleidenden zu gelangen, brauchte man unbedingt Schiffe oder Boote. Viele Schiffe und Boote waren aber von den Fluten weggetrieben oder zerstört worden, so daß in allen von der Katastrophe heimgesuchten Gebieten ein großer Mangel an Fahrzeugen bestand. 6 Im Amt Berum in Ostfriesland stand dem Amtmann anfangs gar kein Schiff zur Rettung der Menschen zur Verfügung; schließlich konnte er ein kleines Schiff auftreiben und später auch noch ein paar weitere, womit einige Einwohner von Hage aus zu den Notleidenden in die Marsch fuhren. 7 Der Pastor Ortgiesen aus Etzel bat am 30. Dezember 1717 darum, ein Schiff in das Amt Friedeburg zu senden, da dort noch viele Leute gerettet werden könnten. 8 Der Amtsvogt Fabricius aus Abbehausen in der Grafschaft Oldenburg schickte alle Boote, Kähne und Schiffe, die er auftreiben konnte, ins überschwemmte Land, um die noch auf den Böden und Dächern der Häuser, auf Heuhaufen und Bäumen ausharrenden Menschen zu retten.® Genauso verfuhr der Amtsvogt Röhmer in der Vogtei Strückhausen.10 Auch aus der Stadt Oldenburg wurden alle aufzutreibenden Fahrzeuge in das Land gesandt, um die vom Wasser bedrohten Menschen zu retten." Die königliche Regierung in Hannover befahl, daß der Oberhauptmann von Spörcken das Herzogtum Bremen mit Schiffen unterstützen solle.12 Auf Anordnung der Stader Regierung sollte der Amtmann von Bremervörde so viele Boote wie möglich zusammenbringen und sie im Kirchspiel Osten ausfahren lassen, um die auf den Dächern und anderen hohen Zufluchtsorten sich befindenden

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Vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 102. Hekelius, Beschreibung, S. 12f; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 25f.; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 331; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 5: Drost David Matthias von Harling und Amtmann Christian Eberhard Schleiff an Georg Albrecht, Wittmund 28.12.1717. 7 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 3. 8 StA Aurich: Rep. 4; B II q, Nr. 13, fol. 38. ' G.A.von Halem, Geschichte des Herzogtums Oldenburg, III, S. 185. 10 StA Old: Bstd. 26, 1263: Röhmer an die Oldenburgische Regierung, Strückhausen 3.1.1718. 11 Umständl. Hist. Nachricht, S. 87. 12 StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz.l); vgl. auch HStA Hannover: Hann. 91, Nr. 66, p. 3: Oberst Schlüter an die Regierung zu Hannover, Bremervörde 1.1.1718. 6

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Rettungsmaßnahmen

Menschen zu retten.13 Die Oldenburger Regierung ordnete schließlich an, daß alle Schiffer ihre Schiffe zur Rettung der im Wasser eingeschlossenen Menschen und zur Verteilung der Lebensmittel zur Verfügung stellen sollten. 14 Auch durch die Sturmflut angetriebene Boote, deren Besitzer nicht sofort zu ermitteln waren, wurden zunächst zur Rettung der vom Wasser bedrängten Einwohner eingesetzt. 15 Der königliche Landvogt von Helm aus Süderdithmarschen ließ alle Tischler und Zimmerleute in Meldorf Tag und Nacht an Kähnen und Fahrzeugen arbeiten, mit denen dann die Leute von den Böden und Dächern der Häuser und von den Bäumen geholt werden konnten. 16 Auch in der Wilstermarsch fehlte es an Booten und Kähnen. 17 Wo keine Boote vorhanden waren, versuchten einige Personen sich und andere auf zusammengenagelten Brettern und Scheunentoren zu retten.18 Doch die vorhandene Zahl an Schiffen reichte nirgendwo aus, um auch alle zunächst Überlebenden zu retten. Viele Menschen mußten tagelang, mitunter bis zu einer Woche, warten, ehe sie gerettet und in Sicherheit gebracht wurden. 19 Diese Tage des Zitterns und Bangens überstanden viele nicht; Kälte, Hunger und Durst schwächten ihren Körper und ihren Lebensmut so sehr, daß sie starben, bevor die Retter mit ihren Booten erschienen. 20 In einem Brief aus Aurich vom 4. Januar 1718 wird berichtet, daß noch viele Menschen hätten gerettet werden können, „wenn man nur Fahrzeuge gehabt hätte / so aber haben dieselben aus Mangel der Fahrzeuge theils vor Kälte / theils vor Hunger crepiren müssen". 21 13 14

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz.l). StA Old: Bstd. 26, 141: Beschluß der Oldenburger Regierung vom 10.1.1718; siehe auch Röhmer an den König, Strückhausen 31.1.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 30f: Karl Ferdinand von Staudach und Sebastian Ihering an den Fürsten. Friedeburg 2.1.1718. UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 776; Heinrich Heimreich Walter, Fortsetzung der Nordfriesischen Chronik, in: Anton Heimreich, Nordfriesische Chronik, Teil 2, hg. von N. Falck, Tondern 1819, S. 289; vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 19f; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 331. Culemann, Denkmahl, 1719, S. 15. Hekelius, Beschreibung, S. 40; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 26; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 16: Johann Dietrich Kettler an Georg Albrecht, Norden 31.12.1717. In Neustadt Gödens haben die Menschen z.B. acht Tage auf ihren Böden aushalten müssen. Umständl. Hist. Nachricht, S. 106. Die Eingesessenen von Strückhausen haben bis Pfingsten im Wasser sitzen müssen, wurden aber mit Lebensmittel versorgt. StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben der Einwohner von Strückhausen an die Deichkommission vom 7.9.1718. Vgl. auch Umständl. Hist. Nachricht, S. 55. Vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 18f. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 119. Auch aus Wittmund wurde berichtet, daß nicht einmal die noch lebenden Menschen und das Vieh, „so oben bis an das Dach der Häuser sich salviret haben und gerettet ist, theils wegen des noch anhaltenden ungestühmen Wetters, theils im mangel der nötigen fahrzeuge und bohten

Erschwernisse der Rettungsmaßnahmen

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Aber nicht allein das stürmische Wetter und der Mangel an Schiffen verzögerten und behinderten die Rettungsmaßnahmen. Erschwert wurden alle organisierten Rettungsmaßnahmen auch durch die Unterbrechung der Nachrichtenvermittlung zwischen den einzelnen Orten, zwischen den einzelnen Behörden auf kommunaler und regionaler Ebene sowie zwischen den unteren Behörden und den Regierungen in den betroffenen Ländern. Allein wegen der verzögerten Nachrichtenübermittlung war es den Regierungen nicht möglich, rechtzeitig Rettungsmaßnahmen zu organisieren. Die Regierungen wurden in der Regel erst etwa 4-7 Tage nach der Sturmflut über das Ausmaß der Verheerung in den einzelnen Landesteilen informiert. Am 4. Januar 1718 berichtete der Amtsverwalter Johann Diedrich Kettler aus Norden der ostfriesischen Regierung, daß er seinen Bericht nicht eher habe absenden können, da niemand zu Fuß, mit dem Wagen oder zu Pferde nach Aurich habe kommen können. Kettler mußte warten, bis ein Schiff den Brief mitnehmen konnte.22 Auch aus Pewsum konnte erst am 7. Januar ein Bericht an die Regierung abgesandt werden, da alle Schiffe aus Pewsum in der Sturmflut weggetrieben worden waren und man dann warten mußte, bis sich eine Gelegenheit zur Übersendung des Schreibens ergab.23 Am 29. Dezember 1717 war aus Greetsiel und Emden noch kein Bericht über den Zustand in diesen Teilen des Landes bei der Regierung in Aurich eingetroffen. 24 Es dauerte acht Tage, bis die Regierung einen Bericht aus Emden bekam.25 Selbst wenn es den Beamten in den von der Sturmflut betroffenen Gebieten möglich war, schon gleich nach den Weihnachtstagen Boten zur Regierung zu senden, so konnten sie doch nur darüber berichten, was sie aus ihrem Wohnort wußten. Denn über den Zustand der einzelnen Gemeinden ihres Amtsbezirks hatten sie wegen der Überschwemmung des Landes in der Regel noch keinen Überblick. Am 28. Dezember konnten die Beamten aus Leer noch keine genauen Nachrichten über die Auswirkungen der Sturmflut im Land zwischen Leer und

Fortsetzung Fußnote von Seite 30 weder errettet noch mit nötigen unterhalt als brodt und frisch waßer versehen werden." (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 5). 22 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 20. Vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 120. 23 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 17, fol. 8a. 24 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 12: Johann Peter Schleiff, Johann Anton Kercker und Ajold Heinrich Tammena an Georg Albrecht, Aurich 29.12.1717. 25 Funck, Ostfriesische Chronick, Teil 8, S. 99. Der Pastor Christian Funck aus Aurich sandte am 29.12.1717 einen Boten nach Resterhafe, um zu erfahren, wie es seinem Schwiegersohn, dem Pastor Hekelius, und seiner Tochter gehe. Der Bote konnte jedoch nur bis Westerholt kommen und mußte dort umkehren. Erst am 3.1.1718, also 9 Tage nach der Sturmflut, erhielt Funck einen Brief von seinem Schwiegersohn. (Ebenda).

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Rettungsmaßnahmen

Emden, im Rheiderland und Oberledingerland geben.26 Aus dem Amt Berum wird am 10. Januar 1718 berichtet, wegen des immer noch hohen Wassers im Lande gäbe es von allen Orten noch „keine eigentliche Nachricht". 27 Die Stader Regierung mußte der königlichen Regierung in Hannover am 31. Dezember 1717 mitteilen, daß sie noch nicht in der Lage sei, genauere Informationen aus den Distrikten zu übersenden. 28 Der Amtmann Renemann aus Marienhausen in der Herrschaft Jever klagte über die schlechte Verbindung zwischen ihm und der Regierung in Jever, die die notwendigen Maßnahmen verzögere.29

3.2. Rettungsmaßnahmen der lokalen Obrigkeiten Zu dem Zeitpunkt, als die Regierungen über die katastrophalen Auswirkungen der Sturmflut unterrichtet wurden, war es für die Einleitung von landesweit organisierten Rettungsmaßnahmen durch die zentralbehördlichen Instanzen zu spät.30 Nur in der unmittelbaren Umgebung der Residenz- und Regierungsstädte konnten die Regierungen Rettungsmaßnahmen einleiten und durchführen lassen, wie es in Aurich 31 und Stade 32 geschehen ist. Den Regierungen blieb es in den folgenden Monaten vorbehalten, durch gezielte Hilfsaktionen die Not der Überlebenden zu mildern. Rettungsmaßnahmen waren nur sinnvoll, wenn sie so schnell wie möglich ergriffen wurden. Die Organisation solcher Maßnahmen konnte in der damaligen Lage nur auf den unteren Ebenen der Verwaltung, in den Gemeinden und Ämtern geschehen. Wer aber war dort für die Organisation der Rettungsmaßnahmen zuständig? Gab es damals überhaupt eine an ein bestimmtes Amt gebundene Zuständigkeit für die Organisation von Rettungsmaßnahmen im Falle einer Sturmflutkatastrophe? Nach allem, was wir aus den Quellen erfahren, haben sich 26

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 15, fol. 7: Wilhelm Heinrich von Imhoff an Georg Albrecht, Leer 28.12.1717. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol.5: Jan Volrad Kettler und August Friedrich von Schacht an die Regierung; vgl. ebenda p. 2. Vgl. auch StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 6: David Matthias Harling und Christian Eberhard Schleiff an Georg Albrecht, Wittmund 31.12.1717. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 69. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 34 verkennt die damalige Situation, wenn er schreibt: „Was dagegen die ostfriesische Landesherrschaft in den ersten Tagen an Hilfeleistungen in die Wege leitete, war mehr als kläglich und zeugte von beschämender Unfähigkeit, dringend erforderliche Rettungsmaßnahmen großen Stils einzurichten." Auf Anordnung des ostfriesischen Fürsten sollen in der Umgebung von Aurich etwa 1000 Menschen gerettet worden sein, siehe Kläglicher Bericht, 1718, S. 8. Die Stader Regierung war in den ersten Tagen nach der Sturmflut damit beschäftigt, alle von Stade aus organisierbaren Rettungsmaßnahmen durchzuführen, siehe StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1).

Rettungsmaßnahmen der lokalen Obrigkeiten

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hauptsächlich die oberen Beamten in den Ämtern um die Rettung der vom Wasser bedrohten Einwohner verdient gemacht. In Süderdithmarschen leitete der Landvogt und Etatsrat von Helm die Rettungsmaßnahmen, durch die er 1100-1200 Menschen gerettet haben soll.33 Der Drost des Amtes Friedeburg in Ostfriesland, Carl Ferdinand von Staudach, fuhr selbst mit einem Corporal, drei Musketieren und dem Sohn des dortigen Schäfers mit zwei Booten zu den im Wasser liegenden Häusern, um Menschen und Tiere zu retten. In einem Schreiben an den Fürsten berichtete er von dieser Fahrt, zu der er am 26. Dezember aufbrach. 34 Am 31. Dezember mußte sich der Vogt Ferdinand Pichler auf Anordnung des Amtmannes Kettler zur Insel Juist aufmachen, um nach dem Zustand der Insel und deren Bewohner zu sehen. Bier, Brot und Käse hatte er für die Bewohner mitgenommen. 35 In der Vogtei Strückhausen in der Grafschaft Oldenburg kümmerte sich der Amtsvogt Röhmer um die Rettung der notleidenden Menschen.36 Ob die Obrigkeit an jedem Ort so viel, wie immer möglich war, unternahm, um die Notleidenden zu retten, wie Hekelius meinte, läßt sich aus den Quellen nicht mehr genau nachprüfen. 37 Wie die Beispiele zeigen, bemühten die örtlichen Beamten sich jedoch um die Rettung der auf Dächern, Böden und Heuhaufen sitzenden Überlebenden. Die Stader Regierung teilte der königlichen Regierung in Hannover am 29. Dezember mit, daß sie alle erforderlichen Anordnungen zur Rettung der noch im Wasser sich aufhaltenden Menschen gegeben hätte, „damit das Land nicht gantz öde bleibe".38 Auch in einem zwei Tage später geschriebenen Brief betonte die Regierung in Stade, daß sie sich um die Notleidenden gekümmert habe, „damit das Land nicht gänzlich von Einwohnern entblößet werde".39 Es waren also nicht allein christliche oder altruistische Motive, die die Regierung zur Rettung und zum Erhalt der in der Sturmflut Überlebenden veranlaßte. Dabei hatte sie, wie aus den Schreiben hervorgeht, auch durchaus peuplierungspolitische Aspekte im Auge.

3.3. Private Rettungsmaßnahmen Neben diesen Rettungsmaßnahmen der fürstlichen Beamten gab es auch private Bemühungen, die vom Wasser eingeschlossenen Menschen zu retten. Im 33

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Heimreich, Nordfriesische Chronik, S. 289; vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 19f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 39f: Karl Ferdinand von Staudach und Sebastian Ihering an Georg Albrecht, Friedeburg 28.12.1717. Vgl. ebenda, fol. 37f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 23, fol. 5. StA Old: Bstd. 26, 1263: Röhmer an die oldenburgische Regierung, Strückhausen 3.1.1718. Hekelius, Beschreibung, S. 12f. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). Ebenda: Brief der Stader Regierung an die königliche Regierung in Hannover, 29.12.1717.

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Rettungsmaßnahmen

Land Wursten konnten sich die armen Einwohner, die nicht auf Warften, sondern in Häusern auf dem flachen Lande wohnten, nur auf die Böden ihrer armseligen Häuser retten. Viele barmherzige Leute hätten sie von dort unter Lebensgefahr mit dem Pferd und auch zu Fuß abgeholt und in die großen Häuser auf den Wurten gebracht, wie der Deichgraf 40 Eibe Siade Johanns berichtete.41 Man habe 30, 40, 50 und mehr Menschen in einem Hause zusammengebracht. Die Erretteten saßen dort teilweise nackt, teilweise nur im Hemd, und jeder sah zu, „wie sie sich hülffen ihre Scham zu decken, und einigermassen etwas wieder ankrigten". Viele gingen auch später noch ohne Schuh und Strümpfe in dieser kalten Jahreszeit. Dyke Hindrichs und Johan Eden Schmit aus Grimersum in Ostfriesland fuhren gemeinsam mit einigen anderen Personen in einem Schiff nach Schoonort, um die dortigen hilflosen Menschen zu retten. 42 Auch im Amt Wittmund sind einige Personen mit Booten ausgefahren, um die Überlebenden zu retten. 43 Ebenso fuhren in einem Dorf in der Wilstermarsch am dritten Weihnachtstag einige Männer mit Kähnen im Dorf umher, um zu sehen, ob sie noch jemanden retten könnten. 44 Solche privaten Rettungsmaßnahmen sind auch aus weiteren Orten bekannt. 45 Elf Personen aus Ostfriesland, die sich in einem kleinen Kahn retten wollten, wurden aufs Meer hinausgetrieben. Dort nahm sich die Besatzung eines großen Schiffes, das sich gerade auf der Fahrt nach England befand, dieser Hilflosen an. Die Geretteten wurden nach England mitgenommen und auf der Rückfahrt wieder in Ostfriesland abgesetzt.46

3.4. Unterbringung der Geretteten Nachdem die Menschen aus den Überschwemmungsgebieten mit Schiffen und Booten an sichere Orte gebracht worden waren, stellte sich den Beamten die Frage, wo sie diese vielen Menschen unterbringen könnten. Wer war gewillt und imstande, den Geretteten eine vorübergehende Heimstatt zu bieten? 40

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In den niedersächsischen Küstenländern ist die Amtsbezeichnung „Deichgräfe" üblich, während nördlich der Elbe der Amtstitel „Deichgraf' verwendet wird. Im folgenden verwende ich den heute, nicht zuletzt durch Storms Novelle „Der Schimmelreiter" bekannten Titel „Deichgraf". StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 351. Vgl. Siebs, Die Weihnachstflut, S. 70. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14, fol. 22: Garreit Janß, Jan Reinders und Walter Berents bezeugen dieses am 6.8.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, fol. 3: David Matthias Harting und Christian Eberhard Schleiff an Georg Albrecht, Wittmund 31.12.1717. Culemann, Denkmahl, 1719, S. 38. Harkenroht, Kersvloeds Kort Ontwerp, S. 148; Hekelius, Beschreibung, S. 66; Hencke, Andere Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 38f.; UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 776. Hencke, Historische Nachricht, 1718, S. 21.

Unterbringung der Geretteten

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Besonders hilfsbereit zeigten sich einige Geistliche. Der Pastor Closter in Abbehausen nahm 20 gerettete Personen bei sich auf und beherbergte sie über vier Wochen lang.47 In Werdum nahm der Pastor Dietericus Gödeken für 8-14 Tage 50 Personen in seinem Pastorat auf.48 Als zwei Schiffe mit insgesamt 80 Personen aus Funnix nach Wittmund kamen, nahmen sich die Wittmunder Einwohner der Obdachlosen an. Bis zu drei Personen haben manche Familien bei sich aufgenommen. Mit gutem Beispiel gingen auch hier die Pastoren voran; Pastor Hieronymus Brückner nahm zwei Personen bei sich auf und beherbergte sie über ein Jahr. In anderen Familien blieben sie einige Monate, bis sie eine Möglichkeit zum eigenen Unterhalt gefunden hatten. Die Obdachlosen, die keine Unterkunft finden konnten, wurden von den örtlichen Beamten auf die Einwohner verteilt. Wenn aber eine Familie die einquartierten Obdachlosen als zu große Last empfand, wurden sie in einem anderen Quartier untergebracht. 49 Einige Personen fanden auch vorübergehend im Hospital von Wittmund Unterkunft. 50 Ein Teil der Bevölkerung von Osteel in Ostfriesland mußte in Notunterkünften wohnen, da ihre eigenen Häuser völlig zerstört waren.51 Am 19. Januar 1718 ermahnte die Regierung zu Jever alle Vögte des Landes, die obdachlosen Armen in den Kirchspielen auf viele Haushalte zu verteilen und nicht nur einigen wenigen die ganze Last aufzubürden. 52 In Süderdithmarschen versorgte der Landvogt die Geretteten zunächst mit Speise und Trank sowie mit Kleidern, da die meisten Menschen in ihren Nachtgewändern aufgefischt worden waren und manche seit sechs Tagen nicht gegessen und getrunken hatten. Die Gesunden verlegte er dann zu Bauern auf die Geest; die Kranken wurden den Barbieren in Meldorf zur Behandlung und zum Kurieren übergeben.53 Die geretteten Personen aus dem Kirchspiel Osten sollten auf Anordnung der Stader Regierung auf die auf der 47

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StA Old: Bstd. 26, 141: Christian Closter an den dänischen König, Abbehausen 12.2.1718. Funck, Ostfriesische Chronik, T. 8, S. 100; vgl. Hekelius, Beschreibung, 48. Hekelius nennt sogar 100 Personen. Bericht des Pastors Hiernoymus Brückner im Wittmunder Kirchenprotokoll, mitgeteilt von P.G.Bartels im Jahrbuch der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden, Bd. 5 (1882) H.l, S. 132. Andere Autoren berichten, daß es sich um 80 Kinder gehandelt habe, die mit zwei Schiffen aus Funnix nach Wittmund kamen. Siehe Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 49f; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 11; Anonymus, Die Weihnachtsflut von 1717, S . l l . Da Brückner Augenzeuge war und selbst zwei Personen aus Funnix bei sich aufnahm, ist ihm zu folgen. Ebenda, S. 132. Körte, „Durch Saltzen Wasser verdorben". Notstände nach der großen Weihnachtsflut von 1717, in: Heim und Herd, Beilage zum Ostfriesischen Kurier Nr. 12 (1963) S. 45. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 131. UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 778; Anton Heimreich, Nordfresiche Chronik, T. 2, S. 289; vgl. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 19f.

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Rettungsmaßnahmen

Geest liegenden Orte verteilt werden. „Da man nicht zweifele, es werden von denen Eingeseßenen keiner sich unbarmhertzig und der Christlich Liebe so vergeßen seyn, daß er disen miserablen und elenden nicht furerst ein Stükk brod und dergleich reichen solte", schrieb die Regierung an den Amtmann in Bremervörde.54 Zwei Tage später schrieb auch die königliche Regierung in Hannover an die Beamten in Bremervörde und ordnete nochmals an, daß die aus den Überschwemmungsgebieten geretteten Einwohner in den Geestämtern und Geestorten aufgenommen werden sollten. Auch sollten sie das gerettete Vieh mit aufnehmen und versorgen. Die Regierung in Stade werde später eine Verteilung der Geretteten vornehmen, damit nicht ein Ort eine größere Last als ein anderer zu tragen habe.55 Neben der offiziell organisierten Unterbringung obdachlos gewordener Personen gab es auch private und familiäre Fürsorgemaßnahmen. Manche Familien haben ihre Verwandten und Freunde bei sich aufgenommen; Nachbarn haben sich gegenseitig geholfen. Dieses Verhalten war so selbstverständlich, daß sich in den Quellen nur wenige Nachrichten darüber finden lassen. Der Wittmunder Pastor Brückner teilt mit, daß verschiedene Einwohner ihre Verwandten und Bekannten bei sich aufgenommen hätten.56 In seinem Haus hätten „viele Freunde" Aufnahme gefunden, berichtete der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns. 57 Ein reicher Mann beherbergte seinen obdachlos gewordenen Nachbarn mit seiner Familie für fünf Wochen bei sich aus Dank dafür, daß der Nachbar ihn in der Sturmnacht geweckt und damit rechtzeitig vor der Wassergefahr gewarnt hatte.58 In Atens brachte ein Mann mehr als hundert obdachlose Menschen in seinem Haus unter, weil es völlig unbeschädigt geblieben war.59

3.5. Unterlassene Hilfeleistung Klagen über unterlassene Hilfeleistungen werden, weil sie gegen die Normen des gesellschaftlichen Lebens verstießen, öfter geäußert.60 Zum Beispiel wird von einem Mann aus Nesse in Ostfriesland berichtet, der sich weigerte, an Rettungsmaßnahmen teilzunehmen, obwohl er es leicht hätte tun können. Auch lehnte er es ab, den Geretteten etwas zu essen zu geben. Als bald darauf sein Haus brannte, verweigerten die Dorfbewohner ihre Hilfe bei den Lösch54 55

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben vom 29.12.1717. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben der kgl. Regierung zu Hannover an die Beamten in Bremervörde vom 31.12.1717. Bericht Brückners mitgeteilt von Bartels, S. 133; vgl. auch Saucke, Monumentum (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332 AA3). Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 73. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 138f. Christian Funck, Ostfriesische Chronik, 5, S. 159. Vgl. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 41. K.Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 34.

Unterlassene Hilfeleistung

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arbeiten, so daß das Haus samt Inventar und Vieh verbrannte. 61 Weil er in eklatanter Weise gegen die althergebrachten Normen verstoßen hatte, folgte somit die Strafe der Gemeinschaft prompt. Ein weiterer Fall zeigt, zu welcher Härte manche Menschen in dieser extremen Situation fähig waren. Ein älteres Ehepaar hatte in der Hoffnung auf gute Beute einen an ihrem Haus vorbeitreibenden Koffer herangezogen, mußte aber feststellen, daß es eine Wiege war, in der ein Kind lag. Anstatt dieses Kind zu retten, stießen sie die Wiege wieder ab und ließen sie vom Wasser forttragen. 62 Vermutlich wollten sich diese Leute, die selbst in der größten Not saßen, durch die Aufnahme des Kindes nicht noch zusätzlich beschweren. Man sei der Hoffnung gewesen, „es würde ein jeder sich des armen Nächsten Noht und Elend lassen zu Hertzen gehen, und alles, was in seinen Kräfften stünde, anwenden, umb sowol Menschen alß Vieh, wie nicht weniger die hin und wieder antreibende Güter zu retten, und in Sicherheit zu bringen". Mit Entsetzen habe man aber in Erfahrung gebracht, daß einige Leute „so Gottloß und vergessen" seien, daß sie sich die Rettung der Menschen nicht gehörig zu Hertzen nähmen und dieselben hilflos krepieren ließen. Deshalb erließ der ostfriesische Fürst Georg Albrecht am 28. Dezember 1717 ein Mandat, in dem er allen Einwohnern „bey Vermeidung willkührlicher Straffe" befahl, den armen, notleidenden und sich in Gefahr befindenden Menschen so viel Hilfe wie möglich zu leisten und sie zu retten sich zu bemühen. 63 3.6. Raub statt Rettung „Wie aber die Güther und weltlichen Reichthümer gar leichte mit unzuläßigen begierden erfüllen können; also wurde, wie an vielen andern Orthen, so auch im Butjadinger= Lande, vieles ungezogene Volck gereitzet, ihre Hände nach ihres armen Nächsten Guth auszustrecken, und dasselbige auf eine diebische Weise an sich zu bringen. Es ist fast nicht zu glauben, daß es unter Christen so Barbarisch zugehen könne, wie es allhier geschehen; und daß ein Nachbar dem andern, der so plötzlich das seinige verlohren, ihm dasjenige, das noch im salvo ist, vor seinen Augen rauben könne. Allhier hatten die Menschen fast alle Menschheit abgeleget, und konnten durch keine Gewalt von ihren bösen Vorhaben abgetrieben werden." 64 Johann Christian Hekelius beschreibt hier eine Erscheinung, die sich in allen von der Sturmflut betroffenen Ländern zeigte: Plünderung und Raub. Sobald sich der Sturm gelegt hatte und mit den Rettungsmaßnahmen begonnen wurde, schwärmten auch Leute aus, um in den zerstörten und von den Einwohnern verlassenen Häu61

Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 96; Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 43f; K. Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 34. " Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 34. 63 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 3; vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 127. 64 Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 77.

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Rettungsmaßnahmen

sern die noch vorhandenen Güter zu stehlen. Sie fuhren unter dem Vorwand, andere retten zu wollen, mit ihren Booten in die überschwemmten Gebiete auf der Suche nach fremdem Gut.65 Der Pastor Dreyer in Hammelwarden klagte, viele Leute hätten ihre Kähne zum Rauben und Stehlen benutzt statt zur Rettung notleidender Menschen. Das sei ein Grund dafür, daß verschiedene in Gefahr schwebende Menschen nicht mehr gerettet werden konnten, weil die Schiffe zu diesem unmoralischen Treiben benutzt worden seien.66 Die Einwohner der Herrlichkeit Oldersum in Ostfriesland trieben, wie der Amtmann Cirk Hinrich Stürenburg berichtete, „das rauben offenbar und ohngescheuet".67 Sie kamen in Scharen mit Pferden und Schlitten und fuhren alles angetriebene Holz weg, gingen auch in die beschädigten Häuser, die vorübergehend unbewohnt waren, und stahlen, was sie fortschaffen konnten. Ähnliches lesen wir auch in einem Brief des Kammerrats Röhmer an die Oldenburger Regierung, in dem er berichtet, daß die wenigen geretteten Einwohner des Butjadingerlandes jetzt darangingen, die Häuser der Ertrunkenen auszurauben. 68 Unter den Plünderern befanden sich auch Leute, die gerade selbst mit knapper Not gerettet worden waren.69 Auch der Amtsvogt Fabricius klagte bitter darüber, daß die Schiffer, anstatt arme Menschen zu retten, auf Beutezug führen, „ungeachtet solches bey Galgen und Rad verboten" sei.70 Es wurden aber nicht allein die leeren Häuser ausgeraubt, sondern einige „Raubvögel" fuhren auch zu den Häusern, in denen die Bewohner noch auf ihre Rettung warteten, überfielen diese und raubten ihnen die wenigen noch verbliebenen Güter.71 Selbst aus Nachbarländern, vor allem aus dem Stift Bremen, kamen Räuberbanden nach Ostfriesland, Jever und Oldenburg. Manche kamen unter dem Schein, Hilfe leisten zu wollen, beraubten dann aber nur die sich schon auf ihre Rettung freuenden Notleidenden. Dabei soll es auch zu Mordtaten gekommen sein.72 Der Pastor in Oppeln mußte mitansehen, wie Leute in sein im Wasser liegendes Haus eindrangen, seine Koffer

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Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 77; Die Denckmahle der göttlichen Zorngerichte, S. 71; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 298. Culemann, Denckmahl, 1728, S. 240 berichtet, daß einige Leute erst gerettet wurden, nachdem sie ihre Getreidevorräte ausgeliefert hatten. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 89; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 299; Funck, Ostfriesische Chronik, 5, S. 159. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 21, fol. 4: Brief von Cirk Heinrich Stürenburg vom 21.2.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Brief vom 3.1.1718. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 98; Funck, Ostfriesische Chronik, 5, S. 159; StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1): Patent gegen die Plünderei vom 3.1.1718. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 98. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 98; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 20. Kläglicher Bericht, 1718, S. 7; Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 78; Die Denckmahle der göttlichen Zorngerichte, S. 71.

Raub statt Rettung

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aufschlugen und etwa 1.000 Reichstaler herausnahmen. 73 In Dithmarschen wurden die vom Wasser eingeschlossenen Menschen, als sie sich einige Lebensmittel heranholten, überfallen und beraubt.74 Die Tatsache, daß einzelne Marschbewohner sich auf Raubzug begaben, anstatt die sich in Gefahr befindenden Nachbarn und andere Dorfbewohner zu retten, ist Zeichen einer mangelnden Solidarität mit der Dorfgemeinschaft. Dieses Phänomen darf jedoch nicht überbewertet werden; es war nur eine relativ kleine Anzahl an Marschbewohnern, die sich in dieser Weise kriminell verhielten.75 Mit welchen Mitteln ist die Obrigkeit diesem Unwesen entgegengetreten? Da die meisten Plünderungen der im Wasser liegenden Häuser geschahen, als die Nachrichtenverbindungen in den Ländern noch weitgehend unterbrochen waren, konnten die Regierungen keine Kenntnis davon erlangen und also zunächst auch nichts dagegen unternehmen. So blieb es in den ersten Tagen den lokalen Beamten vorbehalten, Maßnahmen gegen die Plünderer zu ergreifen. Und diese schritten auch sofort ein, wenn ihnen entsprechende Mitteilungen gemacht wurden. Der Amtsvogt Fabricius drohte den Schiffern, wenn sie seinen Befehlen nicht gehorchten und weiterhin zum Rauben ausführen, anstatt bei den Rettungsmaßnahmen zu helfen, sie auf der Stelle niederzuschießen. Weil er befürchtete, daß einige Schiffe mit geraubten Waren nach Bremen fahren könnten, verbot er außerdem allen Schiffern seines Amtes bei Leib- und Lebensstrafe, das Land zu verlassen.76 Auch an einigen anderen Orten wurde den dazu beauftragten Beamten die Anordnung gegeben, auf die Raubenden zu schießen.77 In Groningen setzte man gegen herumfahrende Räuber zwei bewaffnete Schiffe ein. In Jever wurden die Plünderer öffentlich ausgepeitscht.78 Weil Leute aus dem Stift Bremen mit dem Schiff über die Weser setzten, um in den Marschgebieten am anderen Ufer zu rauben, mußten auf Anordnung der Regierung zu Oldenburg Soldaten auf der Weser kreuzen, um solche Raubzüge zu verhindern. 79 Doch alle diese Maßnahmen hatten in den damaligen chaotischen Verhältnissen nur eine begrenzte Wirkung. Es war den Beamten in den unter Wasser stehenden Gebieten nicht möglich, diese Verbrechen wirksam zu bekämpfen. Zwar wurden hin und wieder Personen festgenommen, jedoch war ihnen meistens nichts nachzuweisen. Im Amt Norden zum Beispiel ließ der Amtmann vier Männer festnehmen, die im Verdacht standen, verlassene Häuser ausgeraubt zu haben. Weil ihnen aber nichts schlüssig nachgewiesen werden 73 74 75

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HStA Hannover: Hann. 91, Nr. 66: Bericht eines Studenten aus dem Amt Neuhaus. Kläglicher Bericht, 1718. Anders verhielt es sich beim Strandraub, der zu einem Massendelikt wurde. Siehe das entsprechende Kapitel S. 201 ff. Funck, Ostfriesische Chronik, 5, S. 158f. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 78. Lang, Die „Weihnachtsflut", S. 35. Ebenda.

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Rettungsmaßnahmen

konnte, mußten sie wieder auf freien Fuß gesetzt werden. 80 Nur aus der Herrschaft Jever sind uns Verurteilungen bekannt: zwei Plünderer wurden dort des Landes verwiesen. 81

3.7. Erneute Sturmfluten Es waren noch längst nicht alle Ertrunkenen der Weihnachtsflut von 1717 gefunden und begraben, da bedrohte erneut eine Sturmflut die Küstenländer. 82 In der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1718 erhob sich ein kräftiger Sturm aus Westnordwest. Das Wasser an der Nordseeküste stieg dadurch so stark an, daß wiederum alle Marschländer überschwemmt wurden. Zwar war das Wasser an den meisten Orten nicht so hoch wie in der Weihnachtsflut 8 3 , aber die Auswirkung dieser Sturmflut war dennoch groß, weil sie auf ein noch weitgehend offen liegendes Land traf. Zusätzlichen Schaden an Deichen, Schleusen und Häusern richteten die großen aufs Land treibenden Eisschollen an, die sich in den kalten Wochen nach der Weihnachtsflut auf der Nordsee gebildet hatten. Wie berichtet wird, war in den Marschgebieten nach der Sturmflut nichts anderes als Eis und Wasser zu sehen; an einigen Stellen auf dem Lande türmte sich das Eis einige Meter hoch. 84 Die Sturmflut vom 25./26. Februar 1718, die von den Zeitgenossen wegen des starken Eisganges „Eisflut" genannt wurde, machte die von den Bewohnern schon in Angriff genommenen Deichreparaturen vollkommen zunichte. Bereits zerstörte Deiche wurden noch weiter weggerissen, Grundbrüche und Kolke noch tiefer ausgespült, manches durch die letzte Flut schon beschädigte Haus jetzt endgültig zerstört. „Wen man die nunmehro fast gäntzlich ruinirte Saat ausnimbt, so ist der importanteste Schade vor das mahl sonder zweifei an den Teichen geschehen, gestalt den befunden worden, daß nicht allein sehr viele Ruhten von neuen ausgebrochen, sondern auch waß vorhin der Erden gleich gewesen, mehrenteils grund = brüchig, die grundbrüche aber umb ein merckliches tieffer worden", stellten die Beamten des Amtes Neuhaus in einem Schreiben an die Stader Regierung fest.85 Der Schaden an den Deichen wurde durch diese Flut also noch enorm vergrößert. Auch war 80 81 82

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 18, 22, 42f. Moehring, Bey betrübter Erinnerung, o.S. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 317ff; Outhof, Verhaal, S. 795ff; Heimreich, Nordfresische Chronick, II, S. 292ff; UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 789ff. In Ostfriesland ist das Wasser 3 bis 4 Fuß niedriger als in der Weihnachtsflut gewesen, während es an der schleswig-holsteinischen Küste die Höhe der Weihnachtsflut noch übertraf. Umständl. Hist. Nachricht, S. 141; vgl. Petrus Petreus, Hist. Nachricht, 1740, S. 220f. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 2 (Fasz. 5-6): Schreiben vom 28.3.1718. Vgl. auch Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1, p. 14; Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1 (Fasz. 1).

Erneute Sturmfluten

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schon manche für die Reparatur der Deiche aufgebrachte Geldsumme umsonst investiert worden. Die Einwohner des Alten Landes beklagten beispielsweise, daß sie schon etwa 6.000 Reichstaler für die Arbeit an den Deichen ausgegeben hätten und jetzt alles vergebens gewesen sei.86 Im Vergleich zu den Schäden an Deichen und Häusern waren die übrigen Verluste in der Februarflut gering. Es ertranken nur wenige Menschen; auch erlitten die meisten Landschaften an der Nordseeküste nur geringe Verluste an Vieh. In Ostfriesland kamen in dieser Flut weder Menschen noch Vieh ums Leben; auch in der Herrschaft Jever wurde kein Mensch ein Opfer der Fluten.87 In Hadeln ertranken zwei Menschen und einige Schafe und Schweine. Größer waren dagegen die Verluste in Dithmarschen, wo 28 Menschen starben. Hier war auch der Verlust an Vieh größer als in anderen Regionen. In Süderdithmarschen betrug der Verlust an Pferden und Rindern zusammen 574 sowie an Schafen und Schweinen zusammen 212 Tiere. Dort wurden außerdem 204 Häuser weggetrieben und 382 Gebäude beschädigt. In Norderdithmarschen ertranken in der Februarflut 119 Stück Hornvieh, 41 Pferde, 36 Schafe und 22 Schweine. 92 Häuser und zwei Mühlen wurden vom Wasser weggetrieben und 201 Gebäude stark beschädigt.88 Dithmarschen hatte somit auch in dieser Flut spürbare materielle Verluste zu beklagen. Schlimmer als die erneuten Schäden war für die Menschen jedoch die psychologische Wirkung dieser Flut. Obwohl der Schock der Flutkatastrophe vom Dezember 1717 noch nicht überwunden war, glaubten viele Marschbewohner inzwischen doch, ihr in der Weihnachtsflut verwüstetes Land vor den Fluten der Nordsee wieder sichern zu können; auch bestand an einigen Orten die berechtigte Hoffnung, auf den vom Wasser wieder freigegebenen Feldern einige Früchte anbauen und ernten zu können. Diese Hoffnung wurde den Marschbewohnern durch die Eisflut geraubt. „Als die vorigen bittern Wasser verlauffen waren, und der grosse GOtt Schnee, Frost und häuffigen Regen über uns kommen ließ, so war noch wieder Hoffnung / daß das Land uns seine Früchte geben würde. Aber diese letzte Fluth hat uns alle Hoffnung benommen", schreibt Hekelius in seiner Büß- und Trauerpredigt .89 Und der " StA Stade: Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1, p. 14. Auch auf Nordstrand und Pellworm war den ganzen Winter über am Deich gearbeitet worden, und die niedergerissenen Deiche waren schon mehr als zur Hälfte wieder errichtet worden, was an jedem Ort über 1.000 Reichstaler gekostet hatte. Diese Arbeit wurde durch die Februarflut nicht nur zunichte gemacht, sondern der Schaden sogar noch vergrößert, weil wieder Löcher einrissen und wieder Kammstürze geschahen. (Umständl. Hist. Nachricht, S. 143.). 87 Funck, Ostfriesische Chronik, T. 8, S. 169. 88 UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195 A: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung, S. 661; vgl. Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 339. 89 II, S. 134. In einem Bericht aus dem Land Wursten heißt es, daß „zu der Wintersaat, da das gantze Land noch unter wasser stehet, gar kein Hoffnung mehr vorhanden." (StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. II (Fasz. 5-6)).

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Rettungsmaßnahmen

Erboberdeichgraf des neuen Landes Wursten teilte der Stader Regierung am 3. März 1718 mit, daß das alte und neue Land Wursten durch die Februarflut „extraordinair schwer wieder getroffen" sei, „in dem durchgehends die Teiche und theilß Schleusen in einen elendigen und erbärmlichen Zustand gesetzet, die Weelen, Kolke, grund brüche und Kamstürtzunge überall vergrössert worden, so daß die meisten nunmehro den Muht sincken laßen". 90 Solange das Land noch offen lag, die Deiche nicht repariert oder völlig wiederhergestellt waren, bedeutete jede auch nur kleine Sturmflut eine neue Bedrohung für Land und Leute. Und diese Bedrohungen blieben in den folgenden Jahren nicht aus. Die durch die Weihnachtsflut notwendig gewordenen Deichbauarbeiten mußten manchen schweren Rückschlag hinnehmen. Am 10. Oktober und am 14. Dezember 1718 überschwemmten Sturmfluten erneut inzwischen vom Wasser befreite Marschgebiete an der Nordsee.91 Beide Sturmfluten hätten bei intakten Deichen kaum Schaden anzurichten vermocht, aber da viele Gebiete erst notdürftig vor der See geschützt wurden, konnten auch verhältnismäßig schwache Sturmfluten größere Schäden verursachen. Erneut wurden teilweise schon ziemlich fortgeschrittene Deichbauarbeiten durch die Fluten zerstört.92 Der Oberlanddrost von Sehestedt meldete nach der Dezemberflut aus Butjadingen, daß das Land in dieser Sturmflut wieder ganz vom Salzwasser überschwemmt und viele Häuser von neuem so beschädigt worden seien, daß die Familien sie verlassen mußten. Dabei sei „das Jammern und Klagen wegen hunger und kummer fast unbeschreiblich".93 Auch in den Jahren 1719 und 1720 richteten einige leichtere Sturmfluten wieder Schäden an den großen Deichbauprojekten an, so bei Larrelt in Ostfriesland und an der Eddelaker Brake in Dithmarschen. 94 Einen weiteren großen Rückschlag für die Regeneration der Küstenländer bedeutete die Sturmflut in der Nacht vom 31. Dezember 1720 auf den 1. Januar 1721, die soge90

StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, p. 74. Vgl. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt I, Nr. 197: Sämtl. Interessenten der Kirchspiele Tating, St. Peter Ording, Wester- u. Osterhever u. Poppenbüll an die zur Landschaftsversammlung verordneten Herren, Tönning 25.4.1718. " Outhof, Verhaal, S. 803ff; Culemann, Denckmahl, II, § 34; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 357ff; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 347ff; Arends, Physische Geschichte, S. 248f. 92 Die Oktoberflut vernichtete in Dithmarschen alle Arbeiten an der Eddelaker Brake, so daß das Salzwasser erneut ins Land einströmen konnte. In Ostfriesland wurden durch die Dezemberflut fast alle im Jahr 1718 gemachten Deicharbeiten wieder zerstört. 93 StA Old: Bstd. 26, 141: Schreiben vom 28.12.1718. 94 Funck, Ostfries. Chronick, 8, S. 221, 262f, 264ff; F. Arends, Physische Geschichte der Nordseeküste, S. 249f; StA Old: Bstd. 26, 1263: Akten betr. Berichte des Oberlanddrosten Sehestedt: Extrahierter kurzer Inhalt der eingekommenen Berichte von dem Schaden, welche durch den West- und Nordwesten heftigen Sturm zwischen den 2ten und 4ten Januar verschiedene Teiche betroffen; StA Old: Bstd. 26, 511.

Erneute Sturmfluten

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nannte Neujahrsflut. 95 Erneut brachen in allen Küstenländern die Nordseedeiche, erneut kam es zu Überschwemmungen in sämtlichen Marschgebieten, erneut wurden neue oder fast fertiggestellte Deichbauten zerstört und schwer beschädigt. Da die Überschwemmung bei Tage erfolgte und da der Sturm sich schon bald legte, kam es - abgesehen von den Deichschäden - zu keinen weiteren bedeutenden Verlusten und Schäden. Die meisten Menschen hatten sich und ihr Vieh rechtzeitig in Sicherheit bringen können. 96 Nachdem Regierung und Bevölkerung nun schon drei Jahre lang große Summen Geldes in den Deichbau investiert hatten, forderte die Wiederherstellung der durch die Neujahrsflut beschädigten Deiche wieder große finanzielle Anstrengungen von den Küstenländern.

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Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 376ff; Culemann, Denkmahl, 1728, T. III, § 14ff, S. 179ff.; Funck, Ostfr. Chronick, 8, S. 264ff; F. Arends, Phys. Geschichte der Nordsee=Küste, S. 250ff; O.Tenge, Der Jeversche Deichband, S. 10; Detlefsen, Geschichte der holst. Elbmarschen, II, S. 36ff, 83f. In Ostfriesland ertranken in der Neujahrsflut 14 Menschen, 14 Pferde, 51 Stück Rindvieh und 107 Schafe; 71 Häuser wurden weggespült und 277 Häuser beschädigt. Wiarda, Ostfriesiv he Geschichte, 7, S. 57. In der Wilstermarsch ertranken 5 Menschen. S. Culemann, Denckmahl, 1728, S. 255.

4. Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden Nach dem Einbruch des Wassers waren die Regierungen der Küstenländer bemüht, sich möglichst rasch einen Überblick über die von der Sturmflut angerichteten Schäden zu verschaffen. Doch das war wegen der Überschwemmungen im Lande nicht schnell möglich. Erste Berichte über die Auswirkungen der Sturmflut in den einzelnen Ämtern erreichten die Regierungen erst einige Tage nach dem 25. Dezember 1717. Diese Berichte waren in der Regel von den Amtmännern verfaßt und ohne Anforderung der Regierung eingesandt worden. Sie enthielten Nachrichten über den Verlauf der Sturmflut, Angaben über die bereits erkennbaren Schäden an Häusern, Deichen und Sielen sowie über die ersten von den Amtmännern eingeleiteten Maßnahmen. Diese Mitteilungen waren pauschal und ungenau und bezogen sich meistens nur auf den Wohnort des Amtmannes. Nur in wenigen Fällen war der Amtmann oder einer seiner Untergebenen bereits in der unmittelbaren Umgebung seines Wohnortes mit dem Boot herumgefahren, so daß er auch über die bei dieser Fahrt wahrgenommenen Schäden berichten konnte. 1 Als Beispiel für einen dieser ersten Berichte an den Fürsten sei der am 25. Dezember 1717 geschriebene Brief des Drosts Christian Wilhelm von Münnich und des Amtmannes Johann Philipp Brenneysen aus Esens zitiert: „Durchlauchtigster Fürst! Gnädigster Herr! Der große Gott hat dismahl seine hand so ausgestrecket über dieses Ambt in jetziger Nacht, daß woll in 100 Jahren und länger kein so trauriger Zustand mag gewesen seyn. Es hat gestern wie bekant aus dem Südwesten hefftig gestürmet, darauff diese Nacht der Wind Nordwest geworden mit gleicher Hefftigkeit, wodurch das waßer so hoch gekommen, daß diesen Morgen umb 7 Uhr, da die Fluht am höchsten gewesen, ein Lerm in der Stadt entstanden, daß das Waßer in die Stadt käme, wie es denn würcklich mit der Brücken gleich unter dem Stadtthor gestanden. Ew. hochfürstl. Durchl. können daraus schon gnädigst ermeßen, daß das meiste Vieh in Bense, Sehrym, Werdum und Westerackum wird ertruncken und zugleich eine Menge Menschen umbs Leben kommen seyn. Zwey Schiffe sehen wir auff hohem Felde zwischen We1

1 Siehe die Berichte aus Friedeburg vom 26.12., aus Leer und Wittmund vom 28.12., aus Berum vom 29.12., aus Norden vom 31.12., aus Pewsum vom 7.1.1718 und aus Esens vom 25.12. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, p. 46ff; Nr. 15, p. 7; Nr. 18, p. 4ff; Nr. 10, p. 2ff; Nr. 16, p. 15ff; Nr. 17, p. 7ff und Nr. 12, p. 3ff); aus Osterstade vom 29.12. (StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 3) aus Hartwarden vom 3.1.1718 und aus Strückhausen vom 3.1.1718 (StA Old: Bstd. 26, 1263); den ersten Bericht des Etatsrats von der Maasse aus dem Amt Steinburg und des Landvogts von Helm aus Süderdithmarschen vom 28.12.1717 (RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24), vgl. auch die Berichte aus der Herrschaft Jever in StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5.

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

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sterackum und der Stadt, und hat man schon wahrgenommen Stender und Balcken aus den Häusern, Wiegen, Käsen, auch ein todtes Kind am Mittelwall der Stadt, auch sollen noch 7 Menschen auff der Seh weineweyde treiben, und ist fast keines von der Warffsleute Häuser in der Wold nahe bey der Stadt, sonsten aber Bette = Lacken oben aus den Häusern zum Zeichen, daß man die Leute retten soll, zu sehen, daß also das Unglück nicht gnug auszudrücken. Das Waßer ist zwarn etwas gefallen, doch ist das land ümb die Stadt noch überschwemmet, daß wir also noch zur Zeit keine speciale Nachricht geben können, ob etwa nur die Teiche weg und Kolcken eingeloffen, oder ob auch unsere Syhlen gahr verlohren sind. So bald es möglich seyn wird, Nachricht davon einzuziehen, werden wir solche Ew. hochfürstl. Durchl. so fort unterthänigst zuschikken.. ."2 Sobald die Wetterlage und die Wasserverhältnisse es zuließen, machten die Amtleute sich auf, um die Schäden an Deichen und Sielen sowie an den Häusern in den einzelnen Orten ihrer Ämter genauer in Augenschein zu nehmen. Anschließend sandten sie Berichte über diese Inspektionen an die Regierungen, die dadurch einen ersten Überblick über die Ausmaße der Flutkatastrophe in ihren Ländern gewannen. Manchmal erteilten die Regierungen auch schon bald nach der Sturmflut Anordnungen zur Inspektion. Auf Befehl des ostfriesischen Fürsten begab sich der Rentmeister Johann Stürenberg am 29. Dezember 1717 auf eine Inspektionsreise in die Wolder Vogtei.3 Die Stader Regierung befahl einem Schiffskapitän, die Elbe hinunterzufahren, um den Zustand der Küste zu erkunden. 4 Im Land Wursten übernahm Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns die Initiative und beauftragte am 3. Januar 1718 die Deichvorsteher und Geschworenen des alten Teils des Landes Wursten, eine „accurate designation" darüber anzufertigen, welche Grundbrüche und Kammstürzungen ihre Deiche erlitten hätten, wieviele Menschen und wieviel Vieh ertrunken seien, wie viele Häuser weggetrieben und beschädigt und wie viele Früchte vom Wasser weggespült worden seien.5 Weil einem von ihnen selbst eingereichten Bericht leicht der Verdacht der Parteilichkeit gemacht werden könnte, baten die Einwohner des Alten Landes die Stader Regierung, dem Syndikus der Ritterschaft, Caspar Dodten, die Untersuchung über den 2 3

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, p. 1-4: Stürenberg an Georg Albrecht, Aurich 7.1.1718. StA Stade: Rep. 80 Wb, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Stader Regierung an kgl. Regierung zu Hannover, 30.12.1717. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1 (Fasz. 1). Die Dornumer Deichgeschworenen teilten auf der Deichversammlung am 8.1.1718 in Padingbüttel mit, sie hätten noch keine Aufstellung über die Verluste und Schäden in ihrem Kirchspiel machen können, da die Bewohner dieses Kirchspiels sehr weit auseinander wohnten und man wegen des vielen Wassers und da Fahrzeuge fehlten zu vielen Menschen noch nicht habe kommen können. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Bd. 1 (Fasz. 1): Protokoll der Deichversammlung in Padingbüttel vom 8.1.1718.

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

angerichteten Schaden in ihrem Land zu übertragen. 6 Die Regierung stimmte diesem Vorschlag am 12. Januar 1718 zu.7 Die königliche Regierung zu Hannover wollte aber schließlich eine einheitliche Regelung bei der Schadensermittlung im Herzogtum Bremen und beauftragte deshalb die Hebungsbeamten mit der Ermittlung des Schadens in den einzelnen Landesteilen. Ihre Berichte wurden später von der neueingesetzten Kommission überprüft.

4.1. Kommissionen zur Schadensermittlung Am 31. Dezember 1717 machte die Stader Regierung der königlichen Regierung in Hannover den Vorschlag, im Herzogtum Bremen eine Kommission einzusetzen, um in allen vom Wasser überschwemmten Gebieten zu untersuchen, wie groß der Schaden jedes Eingesessenen sei.8 Nachdem die Regierung in Hannover schon am 3. Januar 1718 diesem Vorschlag zugestimmt hatte, setzte König Georg I. am 4. Februar schließlich eine „Commission zu Untersuchung des Waßer-Schadens" ein. Der Kommission gehörten der Obrist Schlüter, der Amtmann Palm zu Ehrenburg und der Amtmann Rupershoff zu Wildeshausen an. In der am 16. Februar erteilten Instruktion werden die drei Kommissionsmitglieder aufgefordert, so schnell wie möglich ins Herzogtum Bremen zu reisen, um die Lage in den Marschdistrikten zu untersuchen. 9 Beginnen sollten sie ihre Untersuchung in Osterstade und anschließend das Viehland, das Land Wursten, das Amt Neuhaus, das Land Kehdingen und das Alte Land bereisen. Dort sollten sie sich bei den jeweiligen lokalen Obrigkeiten melden und diese dann zur Hilfe heranziehen. Anders als von der Stader Regierung ursprünglich geplant, sollte die Kommission jetzt keine detaillierte Untersuchung der Schäden in den einzelnen Orten und bei den einzelnen Eingesessenen mehr vornehmen, sondern in jedem Ort nur eine Stichprobe machen, ob der Schaden tatsächlich so hoch war, wie er von den Hebungsbeamten angegeben wurde. Die Hebungsbeamten waren inzwischen von der Stader Regierung angewiesen worden, den Schaden in den einzelnen Landesteilen zu untersuchen und Listen darüber anzufertigen und an die Regierung einzusenden. Die Kommission wurde ferner beauftragt, die eingeleiteten Deichbauarbeiten zu begutachten und zu prüfen, ob alles Notwendige getan wurde, um die Schäden zu beheben. Zu untersuchen war auch, welche Orte noch in der Lage waren, die Kontribution zu entrichten und wie hoch die Summe sein werde, die man den überschwemmten Orten „nothwen6

StA Stade: Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. II (Fasz. 5-6). StA Stade: Rep. 80 Wb, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). * Nach H. P. Siemens, Aus der Deich- und Siedlungsgeschichte des Altenlandes, S. 94, soll die Deichkommission schon vom 15. bis 24. Januar 1718 das Alte Land bereist haben, also zu einem Zeitpunkt als sie vom König noch nicht eingesetzt worden war.

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Kommissionen zur Schadensermittlung

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dig und unumbgänglich" jeden Monat werde erlassen müssen. Sie sollten ferner überprüfen, ob die Maßnahmen zur Versorgung der Armen und Notleidenden ausreichend oder ob noch zusätzliche Maßnahmen erforderlich seien.10 Mit der Übersendung des Abschlußberichts war der Auftrag der Kommission erfüllt. Die Kommission sollte also nicht selbst die Schadensermittlung durchführen, sondern nur einmalige Kontrollfunktionen ausüben. Ein für die Regierung in Hannover wichtiger Teil der Untersuchung bestand darin festzustellen, wie hoch die Summe der zu gewährenden Steuererlässe sein würde. Wie sich zeigte, differierte die von der Kommission ermittelte Summe der notwendigen Steuernachlässe erheblich von der Summe, die die Stände und die Stader Regierung als Remissionsvorschlag angegeben hatten.11 Weil bei der königlichen Regierung in Kopenhagen nach der Flutkatastrophe vom 25. Dezember 1717 verschiedene Klagen aus den überschwemmten Marschgebieten der Herzogtümer Schleswig und Holstein einliefen, die den nach der Sturmflut entstandenen betrüblichen Zustand jener Gegenden aufzeigten, entschloß sich der dänische König Friedrich IV. ebenfalls, eine Kommission zur Untersuchung der Verhältnisse in den überschwemmten Gebieten einzusetzen. Am 14. März 1718 berief er den Justizrat Johann Schräder und die Kanzleiräte Claus Claussen und Johann Crane als Kommissionsmitglieder. Drei Wochen später, am 5. April 1718, wurde Graf Hans Schack zum Vorsitzenden der Kommission bestellt.12 Die Kommission, die in den Akten meistens „Teich-Commission" genannt wird, sollte unverzüglich mit einer Untersuchung der Marschgebiete in den Herzogtümern beginnen, wobei sie im Amt Tondern anfangen und von dort aus nach Süden fortschreiten sollte . Sie sollte sich bei ihrer Untersuchung nicht auf die Informationen der unteren Beamten stützen, sondern in jedem Ort alle Nachrichten selbst einziehen und dabei ermitteln, was die Marschen sowohl „in genere" als auch ein jeder Einwohner „in specie" gelitten hatten. Der König befahl allen Amtsleuten in den betroffenen Gebieten, der Kommission jede mögliche Hilfe zu leisten. Über ihre Tätigkeit sollte die Kommission, wie es hieß, von Zeit zu Zeit 10 11

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StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 1, p. 1-6. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 44: Georg I. an die Stader Regierung, Hamptoncourt 1.11.1718. Die Stände des Herzogtums Bremen hatten die Summe der aus den überschwemmten Marschgebieten nicht einkommenden Kontribution auf 7000 Rtlr. monatlich geschätzt. Diese Summe bezweifelte die Regierung in Hannover; denn das hätte bedeutet, daß aus den gesamten Marschländern mit gar keinen Kontributionsgeldern zu rechnen gewesen wäre. StA Stade: Rep. 31. 16a, Nr. 1, p. 5: NebenMemorial vom 14.2.1718. Die königliche Rentkammer hatte vorgeschlagen, noch einen Mann von Autorität der Kommission beizufügen und dabei an den General Schölten oder den Geheimrat Fuchs gedacht. Aus welchem Grund der König sich dann für Graf Hans Schack entschied, ist nicht klar. Fuchs scheint zu jener Zeit kränklich gewesen zu sein. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23.

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

einen Bericht an den König senden.13 Am 10. Mai 1718 präzisierte König Friedrich IV. diese letztere Bestimmung und befahl, der Rentkammer „posttäglich" einen Bericht zu übersenden. 14 Um ihren künftigen Aufgaben besser gerecht werden zu können, stellten die Kommissionsmitglieder am 18. März 1718 einige Forderungen an den König: Aus der Kanzlei und der Rentkammer sollten ihnen alle aus den Marschen eingegangenen Nachrichten, Klagen und Briefe übergeben werden. Den Gevollmächtigen Schäfer aus dem holsteinischen Distriktscomtoir wollte die Kommission als Protokollanten und Schreiber haben. Die Kommissionsmitglieder baten außerdem um die Befugnis, aus den vom dänischen König sequestrierten fürstlichen Wäldern Holz zum Bau und zur Reparatur der Schleusen und Siele zu requirieren. Für sich selbst forderten sie wegen ihrer notwendigen Reisen freie Pässe und Tagegelder. Der König gab ihren Forderungen weitgehend statt, wie er in einem Schreiben vom 28. März mitteilte. Nur Holz aus den sequestrierten fürstlichen Wäldern durften sie nicht ohne königliche Approbation schlagen und zum Deichbau verwenden lassen. Das Tagegeld wurde für den Justizrat Schräder auf drei Reichstaler und für die Kanzleiräte Claussen und Crane auf zwei Reichstaler täglich festgelegt.15 Später wurde auch noch entschieden, dem Grafen Schack pro Tag vier Reichstaler zu geben. Die Deichkommission nahm im April 1718 ihre Arbeit in den Herzogtümern auf.16 Am 12. April kamen Schräder und Crane beim Grafen Schack in Gram an; von dort fuhren sie am nächsten Tag nach Tondern. Dorthin hatten sie auch den Kanzleirat Claussen bestellt. Die Kommission hatte sich vorgenommen, sich zunächst nur eine generelle Übersicht über die Lage in den einzelnen Landesteilen zu verschaffen und vor allem den Deichbau in Gang zu bringen.17 Nachdem die Kommission die Visitation der Tonderner Marschgebiete beendet und auf ihrer Durchreise den Porrenkoog bei Husum inspiziert hatte, reiste sie ihrem Auftrag gemäß nach Süderdithmarschen und kam am 20. April in Meldorf an; am folgenden Tag besichtigte sie die Deichschäden bei Brunsbüttel und die Eddelaker Brake.18 „Wir haben auf solcher unser Reyse viele Häuser gantz weggetrieben, und ruiniert, auch einige Gebäude, davon theils Wände ausgespühlet, und das dach und Zimmer noch im 13

RAK: Rentekammer, B II 1, B 22 „Ekspeditionsprotokoller". RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. " Der Deichkommission ist später vom Etatsrat von Wasmer der Vorwurf gemacht worden, sie habe erst zu spät mit der Arbeit begonnen, wie aus einem Antwortschreiben der Kommissionsmitglieder Claussen und Crane hervorgeht. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Claussen und Crane an König Friedrich IV., Meldorf 9.10.1719. 17 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an König Friedrich IV., Gram 12.4.1718 18 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an König Friedrich IV., Meldorf 22.4.1718. 14 15

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Stande, hingegen wieder andere davon das dach zerrißen, vorgefunden. Die Ländereyen auf der Passage von hier nach Brunsbüttel sind trocken, und haben verschiedene unterthanen ihre Ländereyen gepflüget, und zur Sommer Saath praepariret, wovon aber andere raisoniren, daß solches bey noch nicht wieder gemachten teichen große Gefahr laufe. Im Kirchspiel Brunsbüttel ist das meiste Waßer und haben wir gestern selbst wahrgenommen, daß die Ländereyen, welche bey unserer Ankunfft in Brunsbüttel zur damahligen Ebbe Zeith noch trucken, zur Fluth Zeith mit Waßer überschwemmet waren, so, daß das Waßer bis an die Wohnhäuser in dem Flecken Brunsbüttel ging, in zweyen Öhrtern des Kirchspiels Brunsbüttel aber, als in der Mühlen Straße und Nordthusen waren die hohe Ländereyen trocken, und wird so wohl daselbst, als in andern Kirchspieln noch einiges R a a p = und Winter = Saath zuhoffen seyn", berichtete die Deichkommission am 22. April 1718 an den dänischen König.19 Drei Tage später meldeten die Kommissionsmitglieder nach Kopenhagen, daß sie über die meisten Felder des Kirchspiels Eddelak mit Kähnen und Booten fahren mußten.20 In den folgenden Monaten bereiste die Deichkommission auch die anderen Marschgebiete der Herzogtümer, die Wilster- und Krempermarsch, Norderdithmarschen und Eiderstedt sowie die Gegend nördlich Husums. An allen Orten bemühte sie sich zunächst, Maßnahmen zur Wiederherstellung der zerstörten Deiche einzuleiten oder voranzutreiben, wenn diese schon angefangen worden waren. Zwei Deichbauprojekte bereiteten der Kommission in den nächsten Monaten, ja sogar Jahren besonders große Sorgen und viele Mühen, und zwar die Arbeit an der großen Eddelaker Brake bei Brunsbüttel und die Deicharbeit im Simonsberger Koog südwestlich der Stadt Husum. Die Eddelaker Brake konnte erst im November 1721 endgültig geschlossen werden und auch die Arbeit im Simonsberger Koog setzte sich bis in die 1720er Jahre fort.21 Zur Regelung der Deicharbeit und zur Vermeidung künftiger Streitigkeiten beim Deichbau gab die Deichkommission am 6. Mai 1718 eine Verordnung heraus, die Bestimmungen über die in den überschwemmten Marschgebieten zu leistende Deicharbeit enthielt, „damit sich niemandt mit der Unwißenheit entschuldigen könne" , wie es dort hieß.22 Darin wurde angeordnet, wer zur Deicharbeit herangezogen werden solle und wieviel Arbeit die Betroffenen zu leisten hätten. Denjenigen, die ihre Deicharbeit nachlässig oder gar nicht betreiben würden, wurden harte Strafen angedroht. Auch wurde genau festgelegt, wieviel Geld ein Deicharbeiter täglich verdienen sollte. Am 12. Februar 1718 äußerte der oldenburgische Oberdeichgraf Johann " RAK. Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Ebenda. 21 Culemann, S. 56; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 355. 22 LAS: Abt. 11, Nr. 533; RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23; siehe auch ebenda G 24. 20

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Rudolf von Münnich in einem Schreiben den Wunsch, „daß zu regulierung aller Sachen jemand möchte anhero committiret werden, weil die Deich = Sachen nicht in loco, sondern abermahls in Oldenburg vorgenommen, folglich zu vieler Verzögerung auf schreiberey gezogen werde". 23 Überhaupt hatte der Oberdeichgraf zur damaligen oldenburgischen Regierung wenig Vertrauen.24 Schon Anfang des Jahres hatte er darauf gedrängt, die Deichbauarbeit energisch in Angriff zu nehmen, doch die Oldenburger Regierung rührte sich nicht.25 Kein Mitglied der Regierung fuhr nach Butjadingen, um sich den dortigen Zustand anzusehen.26 Man ergriff von Seiten der Oldenburger Regierung keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Deiche. Schon im Vorjahr war in der Grafschaft Oldenburg keine Deichschau mehr erfolgt.27 Aber auch die Finanzverwaltung der Grafschaft Oldenburg war in schlechter Ordnung.28 Die Hauptverantwortung für diese Mißstände trug der Oberlanddrost Pritzbuer, der seiner Aufgabe nicht gewachsen und außerdem ein kränkelnder Mann war. Statt Maßnahmen gegen die Schäden und Folgen der Flutkatastrophe einzuleiten, mußte er sich um seine angeschlagene Gesundheit kümmern. Eine Woche nach der Weihnachtsflut, am 1. Januar 1718, wandte er sich in einem Brief an den dänischen König Friedrich IV. und bat, ihn wegen seiner kränklichen Konstitution aus seinem Amt zu entlassen.29 Am 26. April 1718 wurde der Admiral Christian Thomsen von Sehestedt zum Oberlanddrosten ernannt, der jedoch erst im Herbst nach Oldenburg kam.30 Damit war ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Verhältnisse in der Grafschaft Oldenburg getan. 23

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StA Old: Bstd. 26, 1263. Die Einwohner des Amtes Land Würden baten schon in einem Schreiben an den dänischen König vom 4. Februar 1718, es möchten einige Mitglieder der oldenburgischen Regierung oder auch der Deichgraf von Münnich die Deichschäden im Amt Landwürden in Augenschein nehmen und Rat geben, wie die zerstörten Deiche und Siele wieder repariert werden könnten. StA Old: Bstd. 26, 1264. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben von Münnichs vom 29.1.1718. Vgl. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 122. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an Friedrich IV., Husum 30.11.1718. Ebenda. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 124. RAK: T.K.I.A. B 74. Pritzbuer bat den König, nach Lübeck übersiedeln zu dürfen, von wo aus er ein kleineres, weniger arbeitsintensives Amt in Holstein wahrnehmen wollte. Der König möge ihm aber seine bisherige Gage von 2.000 Reichstalern lassen. Friedrich IV. wollte ihm weder ein Amt in Holstein geben noch die 2.000 Reichstaler Gage weiter zahlen. Wenn Pritzbuer bereit sei, sein Amt als Oberlanddrost aufzugeben, solle er eine Pension von 1.000 Reichstaler jährlich erhalten, entschied Friedrich IV. Eine höhere Pension könne er „bey itzigen Conjunkturen" keinesfalls bekommen. Pritzbuer scheint diesem Vorschlag zugestimmt zu haben. Am 2.8.1718 teilte er dem König mit, seine Gesundheit habe es noch nicht zugelassen, nach Lübeck zu übersiedeln. Er wolle sich diesen Winter nach Hannover begeben, um sich dort von einem tüchtigen Arzt behandeln zu lassen. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 128.

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Aufgrund der guten Erfahrungen, die Friedrich IV. mit der Deichkommission in den Herzogtümern Schleswig und Holstein gemacht hatte, entschied er im Sommer 1718, diese Kommission auch in der Grafschaft Oldenburg tätig werden zu lassen. Für die Untersuchung in dieser Grafschaft wurde zusätzlich der Kammerrat Franz Erdmann Klug in die Kommission berufen. Später bat die Kommission den König, Klug auch für die Aufgaben in den Herzogtümern Schleswig und Holstein zu bevollmächtigen.31 Am 23. August 1718 traf die Deichkommission erstmals in Oldenburg ein.32 Zwei Tage später begann sie mit einer Rundreise durch die Oldenburger Marschgebiete.33 Dabei mußte sie dann feststellen, wie katastrophal die Lage in den Marschvogteien war und daß die Deicharbeit im Lande sehr schlecht betrieben wurde. An den Deichen im Butjadinger Land war noch nichts getan worden.34 In der Grafschaft Oldenburg fand die Kommission also im September noch die Situation vor wie in den Herzogtümern im April; jedoch war der durch die Sturmflut verursachte Schaden in Oldenburg wesentlich größer, und die notwendigen Deicharbeiten waren viel umfangreicher als in den Herzogtümern. Erst jetzt nach dem Eintreffen der Deichkommission wurde damit begonnen, die durch die Sturmflut verursachten Schäden in den einzelnen Ämtern zu ermitteln.35 Wegen der vielen anfallenden Aufgaben blieb die Kommission bis Mitte November in Oldenburg. Während dieser Zeit erledigte sie die schleswig-holsteinischen Angelegenheiten schriftlich. Bevor die Deichkommission Oldenburg wieder verließ, machte sie noch Ende Oktober 1718 gemeinsam mit dem neuen Oberlanddrosten Sehestedt und dem Deichgrafen von Münnich eine Rundfahrt zu allen Deichen der Grafschaft. 36 Große Deichbauarbeiten hat die Kommission in der Grafschaft Oldenburg im Jahre 1718 nicht mehr in Gang bringen können, dazu war das Jahr schon zu fortgeschritten. Erst im Frühjahr 1719 konnten neue große Projekte in Angriff genommen werden. Die Hauptaufgabe der Kommission in den Herzogtümern und in der Grafschaft Oldenburg war es, die von der Sturmflut geschädigten Landschaften wieder in einen „contribuablen" Zustand zu bringen. Dazu war es notwendig, die Deiche wiederherzustellen und das Land vor Überschwemmungen zu sichern, damit die Weiden und Äcker wieder bewirtschaftet werden konnten und Haus und Hof wieder bewohnbar wurden. Dazu gehörte aber auch, die Voraussetzungen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den 31 32 33 34

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StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an dän. König, Oldenburg 23.10.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an dän. König, 24.8.1718. Ebenda. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an König Friedrich IV., Oldenburg 4.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an Amtsverwalter Conradi, Wiemsdorf 29.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an König Friedrich IV., Oldenburg 30.10.1718; vgl. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 128.

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Marschgebieten zu schaffen. Die Einwohner mußten wieder in die Lage versetzt werden, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, Reparaturen an Haus und Hof aus eigenen Mitteln vorzunehmen, Privatschulden und Restanten abzubezahlen sowie die laufenden herrschaftlichen Abgaben zu entrichten. Die Kommission hatte die schwierige Aufgabe zu ermitteln, welche Finanzkraft in den einzelnen Landschaften und bei den einzelnen Einwohnern noch vorhanden war und ob diese ausreichte, die kostspieligen Deicharbeiten und die sonstigen notwendigen Reparaturen wie auch die Versorgung der Armen zu leisten und darüber hinaus noch die herrschaftlichen Steuern und Abgaben zu zahlen. Da die Kommission bald erkannte, daß die Einwohner der Marschgebiete nicht fähig waren, alle anstehenden Aufgaben aus eigener Kraft zu leisten, stellte sich ihr die Frage, in welcher Form die Regierung am besten helfen konnte. Die Kommission befürwortete einerseits Remissionen, also den Erlaß von Steuern, in den von der Sturmflut besonders hart getroffenen Gebieten; andererseits versuchte sie, bei allen, die noch ein wenig Einkommen hatten, die Restanten aus den Jahren vor der Sturmflut einzutreiben, um damit Deichbauprojekte zu finanzieren.37 Beide Maßnahmen hatten für die Regierung den Vorteil, daß sie die königliche Kasse, die ohnehin fast leer war, nicht direkt belasteten, sondern nur den Verzicht auf Zahlungsansprüche darstellten, die sich erst bei der künftigen Finanzplanung auswirkten. Neben dem Deichwesen nahmen die Kommissionsmitglieder somit auch die Steuererhebung fest in ihre Hand. Es zeigte sich bald, daß die Finanzverwaltung in der Grafschaft Oldenburg in einem ziemlich desolaten Zustand war. Die Kommission stellte über 100.000 Reichstaler Restanten fest, wovon viele noch aus den zurückliegenden Jahren stammten.38 Bei der Überprüfung der Rechnungsbücher bemerkte sie außerdem zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Schlampereien, die zu einem Anwachsen der Restanten mit beigetragen hatten. So fand sie heraus, daß der Amtsvogt Hawerken aus Schwei nach seinen Hebungsbüchern 1.600 Reichstaler mehr an herrschaftlichen Geldern eingenommen, als er an die Regierungskasse abgeliefert hatte. Der Hausvogt Hasse hatte allein an Stempelgeldern über 1.350 Reichstaler durchgebracht. Beide Beamte wurden unter Hausarrest gestellt, jeder von einem Unteroffizier und zwei Soldaten bewacht bis zur Zurückzahlung der herrschaftlichen Gelder.39 Für den Amtsvogt Hasse wurde als Interimsbeamter Hermann Christian von Bühren eingesetzt, für den Amtsvogt Hawerken Steno Moritz Meiners. Nach Bezahlung der noch ausstehenden Gelder durften die suspendierten Beamten ihre Ämter wieder antreten.40 Auch in anderen Vogteien war die 37

38 39 40

StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an König Friedrich IV., Oldenburg 4.9.1718. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 124. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an Friedrich IV., Oldenburg 20.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an Oberlanddrost von Sehestedt, Gottorf

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Hebung der Steuern nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, so daß die Kommission auch hier personelle Veränderungen vornahm. In der Vogtei Mooriem wurde der Administrator Moritz Röhmer und in der Vogtei Hammelwarden der Kammerrat und Amtsvogt Röhmer als Hebungsbeamter abgesetzt. An ihre Stelle trat der Regimentsquartiermeister Ahlers. In der Vogtei Blexen wurde der Amtsvogt Fabricius von Martin Reutemann abgelöst.41 Der Regierungsrat und Amtmann Bolcken aus dem Amt Apen wurde wegen seiner Nachlässigkeit beim Deichwesen seines Amtes enthoben und zu 1.000 Reichstaler Brüche verurteilt. Nachdem er seine Strafe bezahlt hatte, wurde er jedoch wieder in sein Amt eingesetzt.42 Auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein nahm die Deichkommission einige Veränderungen bei den Hebungsbeamten vor. Die Hebung der Restanten in Eiderstedt bekam der Fourageverwalter Weymann, in den Tonderschen Geestharden der Hausvogt Milnitz und in der Tonderschen Marsch Matthias Martensen. 43 Es verwundert nicht, daß das Wirken der Deichkommission von manchen Beamten sehr kritisch und nur ungern gesehen wurde.44 Denn die Kommission deckte nicht nur Fehler und Versäumnisse in der Verwaltung auf, sondern griff auch in die Amtsbefugnisse einzelner Beamten und in die Rechte von Landschaften und Gemeinden ein. In der Grafschaft Oldenburg trat die Kommission vorübergehend an die Stelle der Oldenburger Regierung, zwar nicht de jure, aber de facto. Daraus erklären sich auch die über die Anordnungen der Kommission geführten Beschwerden, die nach Kopenhagen gesandt wurden. Sie hofften nicht, betonten die Kommissionsmitglieder in einem Schreiben an König Friedrich IV. vom 18. September 1718, „daß die Königl. Rente Cammer auf der Landschaft Eyderstedt oder andern ungegründete Beschwerden reflectiren, sondern glauben werde, daß wir alles so disponiren, wie Wir es für Gott und Ihro Königl. Maytt. zu verantworten Uns Fortsetzung Fußnote von Seite 52 30.4.1719. Vor allem der Oberlanddrost von Sehestedt drängte die Deichkommission mehrfach, die entlassenen Beamten wieder in ihre Ämter einzusetzen. 41 StA Old: Bstd. 26, 1263: Nachricht einiger von der Königl. Commission unumbgänglich vorgenommener Veränderungen mit etlichen Oldenburgischen Hebungs-Beamten, 30.11.1718; StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an Oberlanddrost von Sehestedt, Oldenburg 1.11.1718. 42 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an Friedrich IV., Schleswig 28.1.1719; StA Old: Bstd. 26, 1263: Extrakt aus dem Bericht der Deichkommission vom 28.1.1719. 43 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an Rentekammer, Copenhagen 20.3.1719; vgl. Heimreich, Nordfriesische Chronik, II, S. 315. 44 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Claussen und Crane an den König, Meldorf 9.10.1719. In diesem Schreiben setzen sie sich mit einer Kritik des Etatsrats von Wasmer auseinander. Am 2.10.1718 schrieb die Kommission an den König, sie hoffe nicht, daß jemand ihre Berichte zurückhalte „oder durch andern Vorstellung rückgängig zumachen sich unterstehe". Ebenda.

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getrauen." 45 Wie die Korrespondenz mit der Regierung in Kopenhagen zeigt, legte die Kommission ihren vom König erteilten Auftrag ziemlich extensiv aus und rechtfertigte es mit der außergewöhnlichen Situation der Flutkatastrophe, die eben auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordere. 46 Die letzte Wasserflut sei etwas Extraordinäres gewesen, „da alles schlechterdings nicht nach dem alten herkommen gehalten werden kan, sondern unserer Meynung nach, nach der Necessit consideriret werden muß", erläuterten sie ihre Ansicht.47 Die Kommission war sich ihrer Stellung durchaus bewußt und wehrte Eingriffe anderer Beamten in ihre Arbeit entschieden ab. Nachdem die Rentkammer im Juni 1718 eine Relation der Deichkommission über einen neu zu schlagenden Deich in der Wilstermarsch an den Etatsrat von der Maasse zum Begutachten übergeben hatte, beschwerte sich die Deichkommission beim König. „So können wir nicht anders als bitten," schrieben sie,,, daß man doch künfftig über unsere Relationes der Beamten Bedencken nicht fodern, sondern so viel Vertrauen als Ihr. Königl. Maytt. Selbst allergnädigst in Uns setzen, Auch in Uns zu setzen belieben, und an der Wahrheit unserer Relationen nicht zweifeln wolle. Wie es dann bey Einem ohnedehm sich vornehm gnug dünckenden Beamten schlechten Egard causiret, wann Ihm über unsere Relationes zu raisonniren von Hofe aus Anlaß gegeben wird." 48 In einem anderen Schreiben bemängelte die Deichkommission, daß auch die Rentkammer in Kopenhagen mit den Bedienten in den Herzogtümern und in Oldenburg wegen Remissionen und Restanten korrespondiere. Es wäre nützlicher, wenn allen Beamten in den Herzogtümern und Oldenburg von der Rentkammer befohlen würde, sich in bezug auf Remissionen, Restanten, Deichwesen und anderen ihnen aufgetragenen Sachen einzig und allein an die Deichkommission zu wenden. Die Rentkammer in Kopenhagen habe keinen Grund, sich dieser Angelegenheiten anzunehmen; denn bisher könne der Kommission „mit Fundament nicht das geringste imputiret werden". 49 Einige Beamte in Oldenburg wie auch in den schleswig-holsteinischen Landschaften wandten sich unter Umgehung der Deichkommission direkt an die Regierung in Kopenhagen, weil sie hofften, dort mit ihren Anliegen mehr erreichen zu können. Möglicherweise hatten einige Amtsleute oder andere landschaftliche Beamte Verwandte, Freunde und Bekannte in der königlichen Regierung, von denen sie sich Unterstützung gegen die Deichkommission erhofften. In 45 46

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RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G Vgl. z.B. das Schreiben der Deichkommission an Friedrich Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G Rentekammer, Tondern 12.7.1718. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G Friedrich IV., 28.6.1718. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G Rentekammer, Copenhagen 20.3.1719.

23. IV. vom 29.4.1718. RAK: 23: Deichkommission an 23: Deichkommission an 23: Deichkommission an

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einer Relation vom 13. Dezember 1718 hatte der neue Oberlanddrost von Oldenburg, Sehestedt, kritisiert, daß einige Beamte eine unverantwortliche Korrespondenz mit der Rentkammer zum Schaden des Landes Oldenburg gehabt hätten. Er vermutete, daß die Amtsvögte Freunde unter den Unterbedienten der Rentekammer oder auch in der Rentekammer selber oder am Hofe hätten und die „sich also nach den Relationen, so ihnen solche Correspondenten ertheilet, gerichtet haben". Dies sei auch der Grund, weshalb einige Beamte bei der Eintreibung der Restanten so nachlässig gewesen seien. „Denn so bald die Commission erläuterung von den vielen Restanten bekommen, hat sie einige Beambte suspendiret, andere mit schwerer execution angestrenget, und eben dadurch die Casse so ansehnlich vermehret, weil die Hebungsbediente gesehen, daß Sie nun nicht mehr durch ihre Correspondenten zu Hofe oder an der Cammer konten geschützet werden." 50 Tatsächlich kann die Kommission am 30. November 1718 an den dänischen König berichten, daß nach ihrer Ankunft in Oldenburg noch 34.394 Reichstaler bar eingekommen seien und außerdem noch auf 33.581 Reichstaler zu hoffen sei.51 Anders als die Kommission im Herzogtum Bremen, die von der königlichen Regierung in Hannover nur den Auftrag zur einmaligen Rundreise in den Marschgebieten zwecks Kontrolle der dort nach der Sturmflut begonnenen Maßnahmen erhielt, behielt die vom dänischen König für die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie die Grafschaft Oldenburg eingesetzte Deichkommission ihre Befugnisse auch noch in den Jahren 1719 und 1720. Indem die dänische Deichkommission in den Jahren ihres Wirkens die Aufsicht über das Deichwesen und die Steuerhebung innehatte und praktisch auch über Steuererlaß und Steuersenkung für einzelne Orte und Personen entschied, wurde sie zu einer mächtigen Institution in den betroffenen Landschaften.

4.2. Die Datenerhebung Während im Herzogtum Bremen und in den Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie in der Grafschaft Oldenburg Kommissionen zur Ermittlung der Schäden eingesetzt wurden, übernahmen im Fürstentum Ostfriesland die lokalen Beamten diese Aufgabe. Der ostfriesische Fürst Georg Albrecht erließ am 20. Januar 1718 ein Mandat an die Beamten im Harlingerland, dem zufolge sie den Verlust an Menschen, Häusern, Vieh, Getreide und anderen Lebensmittel genau aufzuzeichnen hatten, und zwar nach Ordnung der Vogteien. Binnen sechs Wochen sollten die nach einer Vorlage auszufüllenden Li50

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RAK: T.K.I.A. B 73: Sehestedt an König Friedrich IV., Oldenburg 4.2.1719; Mitglieder der Rentekammer an den König, Kopenhagen 27.2.1719. StA Old: Bstd. 26, 1263.

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sten an den Fürsten eingesandt werden.52 Dieses sei nötig, damit er seine „LandesVätterliche Vorsorge in allen Vorfällen desto eigentlicher ergehen laßen und zu hülffe der Nothleydenden und Abwendung einer besorglichen theuren Zeit und Hungers Noht die dienliche Mittel Zum besten Unseres Landes unter Gottlichen Seegen und beystand zur Hand nehmen können". 53 Diese Anordnung wurde am 20. Februar und am 2. März 1718 auch an die Beamten in den von der Sturmflut betroffenen Ämtern Ostfrieslands gesandt.54 Die Schadensermittlung stellte die Beamten allerdings vor einige Probleme. Einige Orte waren noch immer vom Wasser umgeben und konnten nur mit Booten erreicht werden. Der Drost von Polmann, der Amtmann Bluhm und der Rentmeister Marcelius berichteten zum Beispiel am 29. März 1718 an die Regierung zu Aurich, daß eine zuverlässige Aufzeichnung im Augenblick noch nicht möglich sei, weil die Dörfer und Hamrichshäuser nicht erreicht werden könnten. 55 Ein vollständiger Bericht über die Schäden im Amt Emden konnte also erst zu einem späteren Zeitpunkt eingesandt werden. Wie die Beamten bei der Erhebung der Schäden in Ostfriesland vorgingen, erfahren wir aus einem Schreiben des Amtmannes Johann Dietrich Kettler aus Norden: Die Vögte erkundigten sich sowohl bei den Rottmeistern als auch Haus für Haus nach dem durch die Sturmflut entstandenen Schaden und trugen diesen in eine Liste ein, die sie dann der Regierung in Aurich übersandten. 56 Im Herzogtum Bremen wurden die Leute, welche in der Sturmflut Schäden erlitten hatten, vor die mit der Ermittlung des Schadens beauftragten Beamten gefordert und vernommen. Über diese Angaben wurden dann zusätzlich Land- und Deichgeschworene befragt und auch „andere zuverläßige Männer", wie es heißt.57 Christian Funck schreibt im 1788 erschienenen, achten Teil seiner „Ostfriesischen Chronik", daß die über die Verluste und Schäden in der Weihnachtsflut von 1717 veröffentlichten Listen oft stark von einander abwichen. Er führt dabei verschiedene Ursachen für diese Ungleichheit der Listen an: Einige Listen seien schon kurz nach der Sturmflut gemacht worden, bevor eine genaue Untersuchung stattgefunden hatte, und deshalb in ihren Angaben ungenau. Diese Listen seien dann anderen mitgeteilt und auch, weil man sie für korrekt gehalten habe, zum Druck gegeben worden. Mitunter hätten sich aber auch durch die Abschreiber der Listen allerhand Fehler eingeschlichen, die jene nicht haben entdecken können, denen die Listen mitgeteilt wurden. Mitunter habe man sich ferner, wenn die genaue Zahl nicht bekannt war, mit der 52

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Die ostfriesische Regierung akzeptierte nur Schadensaufstellungen nach dem von ihr entworfenen Muster. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 11, p. 4. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, p. 31. Ebenda. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 11, p. 4; vgl. auch Nr. 16, p. 3. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 2. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. II (Fasz. 5-6).

Die Datenerhebung

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Angabe „einige" beholfen; andere hätten dagegen die richtige Zahl erfahren und diese dann in ihre Listen eingetragen. Dadurch seien die Summen der einzelnen Zahlen in den Aufstellungen ungleich. Es sei schließlich auch vorgekommen, daß die Angaben einiger Orte gesondert aufgeführt wurden, obwohl sie bereits unter ihren Vogteien mitgerechnet worden waren. 58 Diese Kritik Funcks an den veröffentlichten Listen ist durchaus berechtigt und läßt sich an vielen Beispielen beweisen. Weil aber die Angaben in den gedruckten Berichten über die Sturmflut von 1717 eben nicht immer zuverlässig sind, wurden für die folgende Ermittlung der durch die Sturmflut entstandenen Verluste die amtlichen Untersuchungsergebnisse herangezogen. Das war leider nicht bei allen Küstenregionen möglich; denn nicht für alle Landschaften konnten in den Archiven amtliche Listen ermittelt werden. In den Fällen, wo das nicht möglich war, muß auf bereits gedruckte Listen zurückgegriffen werden, die in den Jahren nach der Sturmflut veröffentlicht wurden. Nicht möglich ist es auch, ein vollständiges Bild über die durch die Sturmflut verursachten Verluste und Schäden zu geben; denn für manche Regionen liegen keine genauen Angaben vor, weil die Obrigkeiten keine Listen anfertigen ließen. Das trifft besonders für die Kremper- und Wilstermarsch zu.59 Anzumerken ist schließlich noch, daß die aus den einzelnen Regionen vorliegenden Angaben über die Menschenverluste nur die ertrunkenen Personen zählen; nicht enthalten sind in diesen Angaben jene Menschen, die infolge der schlechten Lebensumstände nach der Flut ihr Leben noch einbüßten.

4.3. Menschenverluste in der Sturmflut 1717 Das Aufsehen, das die Weihnachtsflut in ganz Deutschland erlangte, war vor allem durch die hohe Anzahl der ertrunkenen Menschen bedingt. In allen Küstenländern der Nordsee waren damals Tote zu beklagen. Allerdings waren die Verluste an Menschen in einigen Orten und Landstrichen besonders hoch. Im Kirchspiel Minsen in der Herrschaft Jever büßten zum Beispiel 255 der 1.024 Einwohner ihr Leben ein, also ein Viertel der Bevölkerung. 60 Geht man von der für das Jahr 1702 bekannten Einwohnerzahl von 228 für das Kirchspiel Waddens in Butjadingen aus, so sind in der Sturmflut 80,8% ( = 1 8 5 Personen) der Bevölkerung ums Leben gekommen. 61 Da sich das

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S. 120. Vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 216. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6, p. 17. In dem jeverschen Kirchspiel Wiarden ertranken 68 von 530 Einwohnern, also 12,8% der Bevölkerung. Ebenda, p. 18. Norden, Bevölkerung, S. 46; Oldenburgischer Staatskalender des Jahres 1779, S. 94. Falsch ist die Angabe der Einwohnerzahl in Oldenburgische Blätter, Nr. 31, 27.10.1817, Sp. 489f. Anm. Die Einwohnerzahl von Waddens wird im Jahre 1717

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Kirchspiel Waddens infolge der Sturmflut so verkleinert hatte, daß nur noch 15 Hufen übrig geblieben waren, wurde es mit dem Kirchspiel Burhave zu einer kirchlichen Gemeinde zusammenglegt, „auf eine Zeitlang vorerst", hieß es in der Anordnung, „und bis durch Gottes gnädigen Beystand das Kirchspiel Waddens sich nachgerade in etwas wieder erhohlet haben wird". 62 Diese Zusammenlegung bestand dann bis zum Jahre 1731." In dem Kirchspiel Stollhamm in Butjadingen wohnten vor der Sturmflut 1.200 Menschen. 64 5 82 Einwohner dieses Kirchspiels ertranken in der Sturmflut, also nahezu die Hälfte der Einwohner. Nach einer Aufstellung des Pastors Rudolf Ibbeken lebten nach der Flut noch 411 Menschen in Stollhamm: 75 Männer, 90 Frauen, 170 Kinder, 35 Knechte und Jungen und 41 Mägde. 65 207 Eingesessene müssen Stollhamm also nach der Sturmflut verlassen haben, sind aber möglicherweise zum Teil später zurückgekehrt. Im Jahre 1735 lebten wieder 826 Menschen in Stollhamm 66 ; was bedeutet, das die Einwohnerzahl in den 18 Jahren nach der Sturmflut wieder kräftig angestiegen war, auch wenn sie ihren alten Bevölkerungsstand von der Zeit vor der Weihnachtsflut noch bei weitem nicht wieder erreicht hatte. In allen neun Kirchspielen Butjadingens zusammen ist ein Bevölkerungsverlust von nahezu 30% festzustellen. 67 In der Gemeinde Werdum im Harlingerland waren, wie wir einer Mitteilung des Pastors Gödecken entnehmen können, im Jahre 1717 77 Kinder getauft worden, 36 Personen waren in diesem Jahr gestorben, wozu dann noch die 284 Er-

Fortsetzung

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Fußnote von Seite 57

allerdings etwas höher gewesen sein; denn im Winter 1718/1719 wurden dort noch 61 hilfsbedürftige Personen unterstützt. Corp. Const. Old., 1722, Teil I, S. 148. Der Pastor in Waddens Johann Hartmann Klein wurde am 20.12.1721 auch zum Pastor der Gemeinde Burhave bestellt. Old. Blätter, Nr. 31, 27.10.1817, Sp. 489/490 Anm. Nach der Weihnachtsflut wurden auch die ostfriesischen Kirchengemeinden Forlitz und Blaukirchen 1719 vereinigt. Die lutherische Gemeinde Langeoog blieb infolge der Flut von 1722 bis 1851 unbesetzt. Siehe Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, S. 381. Nach der Weihnachtsflut war die Gemeinde Brunsbüttel in Süderdithmarschen nicht mehr imstande zwei Geistliche zu halten. Deshalb wurde der Pastor Gabriel Baumann 1721 nach Esgrus versetzt und der bisherige Diakon Jacob Piper Pastor der Gemeinde. Das Diakonat blieb bis 1737 unbesetzt. Siehe C.W.Wolff, Aus Brunsbüttels vergangenen Tagen, S. 51, 57. StA Old: Bstd. 26, 1263; vgl. M. Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. Norden, Bevölkerung, S. 330 gibt für das Jahr 1717 eine Einwohnerzahl von 1246 an. Diese Zahl entspricht der bei Nagel, a.a.O. S. 78 genannten Einwohnerzahl für das Jahr 1712. Auf S. 46 geht Norden bei der Berechnung des durch die Sturmflut 1717 entstandenen Bevölkerungsverlustes in Stollhamm von der Einwohnerzahl des Jahres 1702 (1.155 Einwohner) aus und kommt dann auf einen Verlust von 50,4%. StA Old: Bstd. 26, 1263. Norden, Bevölkerung, S. 330. Nach Norden, Bevölkerung, S. 46 und 330 lebten im Jahre 1702 insgesamt 8.144 Menschen in Butjadingen. Bei Zugrundelegung dieser Bevölkerungszahl ergibt sich ein Verlust von etwa 30%.

Menschenverluste in der Sturmflut 1717

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trunkenen der Sturmflut hinzukamen. 68 Die Sterblichkeitsrate erhöhte sich in dieser Gemeinde durch die Sturmflutopfer also fast um das Neunfache. Die Weihnachtsflut von 1717 hatte in den Küstenländern deutliche demographische Auswirkungen. Einige Orte und Ämter wie die Kirchspiele Butjadingens erlitten tiefe Schnitte in ihrer demographischen Entwicklung.69 Dieser starke Abfall der Bevölkerungszahl wurde in den Monaten nach der Sturmflut noch verstärkt durch die Abwanderung zahlreicher Einwohner, die sich wegen der schlechten Lebensbedingungen in den Küstenländern gezwungen sahen, ihren Lebensunterhalt in fremden Ländern zu suchen.70 Außerdem starben in den Monaten nach der Flut noch viele aus dem Wasser gerettete Menschen, weil ihre Konstitution durch Kälte, Hunger und Durst so geschwächt war, daß sie sich nicht mehr erholen konnten. 71 Zu einem weiteren Bevölkerungsabfall trugen schließlich noch die Folgewirkungen der Sturmflut bei, vor allem die Hungersnot und die sich ausbreitenden Epidemien. Daß sich die Bevölkerungsentwicklung des oldenburgischen Küstenraums im 17. und 18. Jahrhundert deutlich von den von der Historischen Demographie ermittelten allgemeinen Trends der Bevölkerungsentwicklung abhebt und diese Region in einer Zeit allgemeinen Bevölkerungswachstums eine lang anhaltende Depression erlebte, läßt sich zum großen Teil auf die Sturmfluten des 17. Jahrhunderts und ihre Folgewirkungen und auf die Auswirkungen der Weihnachtsflut von 1717 zurückführen. 72 Eine vergleichbare demographische Entwicklung ist - abgesehen vom französischen Anjou 73 bisher nur in den niederländischen Küstenprovinzen Friesland und Norderkwartier festzustellen.74 Ob die Bevölkerungsentwicklung auch in anderen deutschen Nordseeküstenregionen einen ähnlichen Verlauf genommen hat, was für einige der von Sturmfluten besonders betroffenen Gebiete zu vermuten ist, kann derzeit nicht bewiesen werden, da es an demographischen Untersuchungen über andere Küstenräume bisher fehlt.75

68

69 70 71 72 73

74

75

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, p. 22f: Dietrich Gödecken an Georg Albrecht, Werdum 5.2.1718. Norden, Bevölkerung, S. 46f. Siehe dazu das Kapitel „Auswanderung" S. 143ff. Vgl. Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 332. Norden, Bevölkerung, S. 32ff. F. Lebrun, Les hommes et la mort en Anjou aux 17e et 18e siècles Essai de démographie et de psychologie historiques, Paris 1971. J. A. Faber, Dde eeuwen Friesland - Economische en sociale ontwikkelingen van 1550-1800 (A. A. G. Bijdragen 17), Afdeling agrarische geschiedenis Landbouwhogeschool, Wageningen 1972; A. M. van der Woude, Het Norderkwartier - En regional historisch onderzoek in de demografische en economische geschiedenis van westelijk Nederland van de late middeleeuwen tot het begin van de negentiende eeuw, Teile I-II (A. A. Bijdragen 16), Afdeling agrarische geschiedenis Landbouwhogeschool, Wageningen 1972. Lorenzen-Schmidt, Ländliche Familienstrukturen, S. 164ff untersucht die Bevölke-

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Wie die amtlichen Erhebungen zeigen, kamen in Ostfriesland und im Harlingerland in der Weihnachtsflut insgesamt 2.787 Menschen ums Leben (Tab. 1). Am stärksten betroffen waren die Ämter Berum (585 Tote), Norden (282 Tote), Esens (842 Tote) und Wittmund (373 Tote). Die benachbarte Herrschaft Jever beklagte 1.294 Tote, die kleine Herrlichkeit Kniphausen allein 375 ertrunkene Menschen (Tab. 2 und 3). Die Herrschaft Jever, die zu jener Zeit etwa 16.000 Einwohner hatte76, verlor ca 8% ihrer Gesamtbevölkerung; der Verlust in den jeverschen Marschgebieten dürfte entsprechend höher gewesen sein. In der Grafschaft Oldenburg wurden 2.481 Tote registriert, worunter allein 2.306 Einwohner Butjadingens waren (Tab. 4). Die größten Verluste verzeichneten die Kirchspiele Stollhamm, Abbehausen, Eckwarden, Blexen und Langwarden. Aus den Listen der Stader Regierung geht hervor, daß im Herzogtum Bremen insgesamt 816 Menschen ihr Leben in der Weihnachtsflut einbüßten (Tab. 5). In diesem Herzogtum hatte die Sturmflut im Land Kehdingen (421 Tote), im Land Wursten (181 Tote) und im Amt Neuhaus (172 Tote) die meisten Todesopfer gefordert. Das Land Hadeln, das damals unter kaiserlicher Sequestration stand, hatte durch die Sturmflut einen Bevölkerungsverlust von 309 Toten; 245 Menschen kamen allein in Otterndorf ums Leben (Tab. 6). Noch mehr Menschen raffte die Sturmflut in dem zu Hamburg gehörenden, an der Elbmündung gelegenen Amt Ritzebüttel dahin, nämlich 312 Tote (Tab. 7). In Hamburg selbst kamen nur 3 Menschen ums Leben.77 Für die Herzogtümer Schleswig und Holstein liegen nicht so genaue Angaben über die Zahl der Ertrunkenen vor wie für die Gebiete zwischen Ems und Elbe. Aus der Kremper- und Wilstermarsch ist überliefert, daß in Kollmar 21, in Glückstadt 7 und in Seester 5 Menschen ertrunken sein sollen.78 Mehr wird über Menschenverluste in dieser Gegend nicht berichtet. Genauere Kenntnisse haben wir durch Heinrich Heimreich Walter und Bolten über die Verluste in Dithmarschen. Danach sind in Dithmarschen 468 Menschen in der Sturmflut ums Leben gekommen, und zwar in Süderdithmarschen 344, in Norderdithmarschen 124 Menschen.79 Die 344 Toten von Süderdithmarschen Fortsetzung Fußnote von Seite 59 rungsentwicklung in den drei holsteinischen Kirchspielen Marne, Neuenbrook und Hohenfelde erst seit 1803, da für die Zeit davor die Quellenlage ungünstig ist. 76 Scheer, Die Herrschaft Jever unter Anhalt-Zerbstischer Verwaltung, S. 203. 77 Umständl. Hist. Nachricht, S. 26. 78 Saucke, Monumentum (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332 AA3); vgl. auch Kläglicher Bericht, 1718, der nur 5 Menschen für Glückstadt nennt. 79 Bolten, Ditmarsische Gechichte, IV, S. 332; Heimreich, S. 284ff; Rohde, Nachrichten, S. 120. Hekelius, Beschreibung, S. 91 spricht ebenfalls von 124 Toten in Norderdithmarschen, ebenso Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 182; abweichend Umständl. Hist. Nachricht, S. 31, wo für Norderdithmarschen nur 76 Tote angegeben werden. Deutlich höhere Zahlen nennt Saucke für Brunsbüttel mit 228 und für Marne mit 184 ertrunkenen Menschen.

Menschenverluste in der Sturmflut 1717

61

verteilten sich auf die Kirchspiele Brunsbüttel 173, Eddelak 32, Marne 99, Barlt 21 und die Südervogtei Meldorf 19. In Norderdithmarschen war Büsum mit 73 Toten am schwersten betroffen; außerdem beklagten Wesselburen und Neuenkirchen 12, Hennstedt 3 und der Hedwigenkoog 36 Tote. Außerordentlich widersprüchlich sind die Angaben der Verluste in Eiderstedt. Während Hekelius80 und Outhof®1 von 2107 ertrunkenen Menschen schreiben, wird in der „Umständlichen Historischen Nachricht" 82 nur von 46 Toten berichtet. Jansen, dem nach eigener Aussage eine Spezifikation vom 11. April 1718 vorgelegen haben soll, nennt 804 Sturmflutopfer. Schon der Husumer Chronist Johannes Laß bezweifelte in seiner 1750 erschienenen „Sammelung einiger Husumischen Nachrichten" die hohen Angaben über die Toten in Eiderstedt.83 Und er hat recht; denn Hekelius und Outhof geben die Zahl der Ertrunkenen an, die nach Anton Heimreich in der Sturmflut des Jahres 1634 in Eiderstedt umgekommen waren.84 Heinrich Heimreich Walter berichtet von nur etwa 50 Toten in der Weihnachtsflut, davon 3 in Tating, 3 in St.Peter, 30 in Westerhever, 7 im Grafenkoog und noch einige im Grothusenkoog. 85 Diese Angabe entspricht in etwa der in der „Umständlichen Historischen Nachricht ", wo auch die gleiche Zahl der Toten für Westerhever und dem Grafenkoog genannt wird; die Angaben für St.Peter und Tating fehlen dagegen; der Verlust an Menschen im Grothusenkoog wird dort auf 9 beziffert. Es spricht vieles dafür, daß die bei Heimreich und in der „Umständlichen Historischen Nachricht " angegebene Zahl von etwa 50 Todesopfern richtig ist; denn Verluste in einer Größenordnung von 800 wie bei Jansen hätten in den Quellen oder in der Literatur ihren Niederschlag gefunden. Da Heinrich Heimreich Walter Augenzeuge der Sturmflut und räumlich nicht weit von Eiderstedt entfernt war, ist seinen Angaben zu vertrauen.86 Er betont in seinem Bericht über die Sturmflut 1717 auch, es stimme nicht, daß in Husum 16 Menschen durch die Flut umgekommen seien, wie es in einigen Veröffentlichungen er-

80 81 82 83 84

85

86

Beschreibung, S. 90. Verhaal, S. 732. S. 34. Sammelung einiger Husumischen Nachrichten (1701-1750), S. 66f Anm.(g). Hekelius und Outhof haben ihre Angaben aus dem am 8.1.1718 in Hamburg als Druck herausgegebenen „Extract=Schreiben aus Husum / Von den Wasser=Schaden in den Eyderstädtischen und in Nord = Strande" entnommen, worin die Verlustzahlen der Sturmflut von 1634 auf die Weihnachtsflut von 1717 übertragen wurden. Heimreich, S. 283f. Die Zahl für den Grafenkoog wird auch durch eine Angabe im KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt A 2, Kirchspiel Poppenbüll IVa, Nr. 39 gestützt. Bestätigt wird diese Größenordnung auch durch die Eiderstedter Chronik von Peter Hinrich Rosien, wo für Westerhever die ungenaue Angabe von 7-28 Ertrunkenen gemacht wird. In Osterhever sind danach 2, im Grafenkoog 7 und im Grothusenkoog 9 Menschen ertrunken.

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

wähnt würde.87 Durch Heimreich Walter, der Pastor auf der Hallig Nordstrandischmoor war, haben wir ziemlich genaue Kenntnis über die Menschenverluste auf den nordfriesischen Inseln und Halligen. Nach seiner Angabe sind auf der Hallig Langeneß 2, auf der Hallig Nordmarsch 16, auf der Insel Nordstrand 5 und auf der Hallig Nordstrandischmoor 16 Personen ums Leben gekommen. Für die Insel Pellworm nennt er keine exakte Zahl, sondern schreibt nur von mehreren Toten.88 Nach den ermittelten Angaben über die Menschverluste in den deutschen Küstenländern ergibt sich eine Gesamtzahl von etwa 9.000.89 Da nicht aus allen Küstenregionen genaue behördliche Aufzeichnungen vorliegen, ist diese durch die Quellen zu belegende Gesamtzahl sicher niedriger als die tatsächliche Anzahl der in der Sturmflut ertrunkenen Menschen. Diese Gesamtzahl weicht von den bisher in der Literatur genannten Angaben ab. Während Outhof in seinem 1720 erschienenen Buch über die Sturmfluten 9.706 Tote90 und Jansen in seinem zwei Jahre später veröffentlichten Bericht über die Sturmflut 9.736 Tote für die deutschen Küstenländer angibt", errechnete Fridrich Arends in seiner 1833 erschienenen „Physischen Geschichte der Nordseeküste" 8.434 Tote ,92 Viel zu hoch ist die Angabe der Toten auf der von Johann Baptista Homann aus Nürnberg im Jahr 1718 herausgegebenen Karte über die Weihnachtsflut. Er nennt dort für die deutschen Küstenländer 18.140 ertrunkene Menschen, wobei er z.B. für die Insel Nordstrand 6.308 Tote berechnet, was in etwa der Zahl der in der Sturmflut vom Oktober 1634 auf Nordstrand ertrunkenen Menschen entspricht.93 Wie hoch der prozentuale Anteil der Ertrunkenen an der Gesamtbevölkerung war, läßt sich für die einzelnen Marschgebiete nicht exakt angeben, weil die einzelnen Zahlen der Gesamtbevölkerung nicht bekannt sind. In Butjadingen ertranken etwa 30% der 87

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89

90 91 92 93

Z.B. in der Umständl. Hist. Nachricht, S. 37; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 185. Merkwürdig ist, daß Lang, Die Weihnachtsflut, S. 26 von 13 Toten spricht. Heimreich, II, S. 265ff. Eine im Archiv der St. Laurentius-Kirche in Tönning erhaltene, handgeschriebene „Kurze Beschreibung der hohen Fluthen und der dadurch entstandenen Überschwemmungen", die nach der Sturmflut des Jahres 1825 verfaßt wurde, nennt etwas andere Zahlen als H. Heimreich Walter: danach ertranken auf der Hallig Nordmarsch 17, auf Langeneß 4, Pellworm über 70, Nordstrandischmoor 14 und Gröde 3 Menschen. S. Rohde, Nachrichten über Sturmfluten, S. 118f. Für Pellworm nennt die Umständl. Hist. Nachricht, S. 39, 72 ertrunkene Menschen. Dazu kamen noch etwa 2.300 Tote in den Niederlanden. Siehe Outhof, Verhaal, S. 792. Verhaal, S. 792. Hist. Theol. Denckmahl, S. 215. S. 228. Vgl. Lang, Die Weihnachtsflut, S. 41 f. Heimreich berichtet in seiner Nordfriesischen Chronik, II, S. 151, daß auf Nordstrand und den Halligen 6.408 Personen in der Sturmflut 1634 umgekommen seien. Eine alte Handschrift aus dem Bremer Museum, die Jobelmann in seinem Aufsatz „Der Deichinspektor Jacob Owens", S. 76f zitiert, gibt die Zahlen von Homann wieder und kommt deshalb auch zu einer völlig falschen Gesamtzahl.

Menschen Verluste in der Sturmflut 1717

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Bevölkerung; das ist sicher der höchste Bevölkerungsverlust, den ein Marschgebiet in der Weihnachtsflut erleiden mußte. In anderen Marschgegenden dürfte der Bevölkerungsverlust zwischen 5% und 25% gelegen haben. Berechnet auf die Gesamtbevölkerung der einzelnen Länder, von denen die Überschwemmungsgebiete nur ein Teil waren, war der prozentuale Anteil dann noch erheblich geringer; er lag überall deutlich unter 10% der Gesamtbevölkerung. 94

4.4. Viehverluste in der Sturmflut 1717 Alle Küstenländer erlitten durch die Sturmflut 1717 große Verluste an Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen. Diese Verluste trugen nicht unerheblich zum Ruin mancher bäuerlichen Existenz bei. Nicht aus jeder Region liegen uns allerdings exakte Zahlen über die Verluste an Vieh vor; jedoch ließen die Regierungen der meisten Küstenländer die Verluste genau ermitteln, so in Ostfriesland, im Harlingerland, in Jever, in Kniphausen, im Herzogtum Bremen, im Land Hadeln und im Amt Ritzebüttel. Nach den amtlichen Aufzeichnungen ertranken in Ostfriesland und im Harlingerland in der Sturmflut des Jahres 1717 2.186 Pferde, 9.430 Rinder, 1.031 Schweine und 2.682 Schafe (Tab. 8). In der Herrschaft Jever waren es 452 Pferde, 2.882 Rinder, 687 Schweine und 1.287 Schafe (Tab. 9). Ziemlich große Verluste erlitt auch die Herrlichkeit Kniphausen: 101 Pferde, 1.034 Rinder, 324 Schweine und 461 Schafe (Tab. 10). Noch größer als in Ostfriesland waren die Verluste im Herzogtum Bremen, wo 2.281 Pferde, 9.231 Rinder, 3.128 Schweine und 5.671 Schafe ertranken (Tab. 11). Sehr hoch waren auch die Verluste im Land Hadeln; dort gingen 1.361 Pferde, 6.232 Rinder, 3.875 Schweine und 2.822 Schafe verloren (Tab. 12). Auch das kleine Amt Ritzebüttel verzeichnete hohe Verluste an Vieh: 210 Pferde, 958 Rinder, 638 Schweine und 585 Schafe (Tab. 13). Der Gesamtverlust an Vieh in der Grafschaft Oldenburg ist nicht überliefert. Nur aus einigen Kirchspielen des Butjadingerlandes und den zwei Marschvogteien Hammelwarden und Strückhausen liegen uns Angaben über die Anzahl des ertrunkenen Viehs vor. In Langwarden ertranken 304 Pferde 94

In der Herrschaft Jever ertranken, wie oben gezeigt, etwa 8% der Einwohner. Für Ostfriesland berechnet Arends, Ostfriesland und Jever, Bd. 1, S. 6 die Einwohnerzahl für 1652 auf 77.779. Nach einer Aufstellung der Kriegs- und Domänenkammer von 1749 betrug die Kopfzahl in Ostfriesland mit Ausschluß der Städte 59.898 (Hinrichs, Die ostfriesischen Landstände, S. 123); 1787 betrug sie nach Arends, a.a.O., S. 7 etwa 103.000 für das ganze Land. Hinrichs nimmt an, daß die Einwohnerzahl um 1744 etwa 80.000 ausmachte. Von dieser Zahl ausgehend war der prozentuale Bevölkerungsverlust in Ostfriesland ca 3,6%, vermutlich jedoch etwas höher. J. H. Pratje berechnete die Einwohnerzahl des Landes Wursten für 1769 auf 7.000 (E. von Lehe, Geschichte des Landes Wursten, S. 390). 1717 wird die Einwohnerzahl etwas niedriger gewesen sein. Der durch die Sturmflut verursachte Bevölkerungsverlust dürfte hier zwischen 2,5% und 3,5% gelegen haben.

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

und 497 Rinder, in Tossens 26 Pferde und 153 Rinder, in Burhave 126 Pferde und 280 Rinder, in Waddens 83 Pferde und 152 Rinder sowie in Eckwarden 105 Pferde und 502 Rinder.95 In der Gemeinde Stollhamm betrug der Verlust an Vieh: 335 Pferde, 795 Kühe, 344 Rinder, 567 Schafe und 137 Schweine.96 Nach einer Aufstellung des Amtsvogts Röhmer kamen in der Vogtei Strückhausen 39 Pferde, 75 Rinder, 219 Schweine und 127 Schafe ums Leben, in der Vogtei Hammelwarden 16 Pferde, 21 Rinder, 225 Schweine und 8 Schafe.97 Jansen gibt die Zahl der ertrunkenen Pferde und Rinder mit insgesamt 4.228 an; aber diese Angabe beruht auf keiner genauen Erhebung. 98 Über die Gesamtverluste in den Herzogtümern Schleswig und Holstein gibt es keine exakten Aufzeichnungen. Überhaupt keine Angaben über die Verluste liegen dort aus der Kremper- und Wilstermarsch vor. In Dithmarschen sind nach Bolten insgesamt 3.463 Pferde und Rinder und 4.067 Schweine und Schafe ertrunken.99 Davon entfielen auf Norderdithmarschen 177 Pferde, 549 Rinder, 190 Schweine und 762 Schafe.100 Viehverluste in Norderdithmarschen Pferde Büsum Wesselburen und Neuenkirchen Hennstedt Hedwigenkoog Lunden

83 24 -

70 -

177

Rinder 228 64 7 250 -

549

Schweine Schafe 92 17 1 80 -

190

103 122 10 500 27 762

Für Süderdithmarschen liegen keine genau spezifizierten Zahlenangaben vor; die Zahlen für Pferde und Rinder und für Schweine und Schafe wurden immer jeweils addiert. Nach den vorliegenden Quellen ertranken insgesamt 2.737 Pferde und Rinder und 3.115 Schweine und Schafe.101 " Hekelius, Beschreibung, S. 79. 96 Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. Nach Hinrichs/Krämer/Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 172 war der Viehbestand in der Vogtei Stollhamm im Jahr 1712: 238 Pferde, 2.478 Rinder, 248 Schafe und 447 Schweine. Der Bestand an Pferden und Schafen muß sich in den fünf Jahren bis zur Weihnachtsflut demnach stark erhöht haben. 97 StA Old: Bstd. 26, 26 1-26 II. 98 Hist. Theol. Denckmahl, S. 166. 99 Ditmarsische Geschichte, IV, S. 333. Die Addition der Zahlen für die Schweine und Schafe ist falsch, statt 3067 lies 4067. 100 Umständl. Hist. Nachricht, S. 23, 25, 27, 29, 31; Hekelius, Beschreibung, S. 91; Outhof, Verhaal, S. 732; Heimreich, Nordfr. Chronick, II, S. 284ff; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 182; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 333. 101 Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 332f. Umständl. Hist. Nachricht, S. 21 und

Viehverluste in der Sturmflut 1717

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Viehverlust in Süderdithmarschen

Brunsbüttel Eddelak Marne Barlt Süder- und Nordervogtei Meldorf

Pferde und Rinder

Schweine und Schafe

345 406 1.544 245 197

269 1.183 1.221 278 164

2.737

3.115

Sehr ungenau und übertrieben sind die Angaben über die Viehverluste in Eiderstedt. Hekelius und Outhof schreiben von 6.031 Kühen, die dort umgekommen seien.102 Diese Zahl entspricht genau der Angabe in dem 1718 gedruckten „Extract = Schreiben aus Husum / Von den Wasser = Schaden in den Eyderstädtschen und im Nord = Strande", das aber die Verlustzahlen der Sturmflut von 1634 auf die Weihnachtsflut des Jahres 1717 überträgt. Jansen dagegen nennt als Verlust 4.765 Pferde, 2.512 Rinder, 4.373 Schweine und 13 Schafe.103 Jansens Zahlen für die Pferde und Schweine sind im Vergleich zu anderen Landschaften extrem hoch und deshalb unglaubwürdig. Außerdem liegen für Eiderstedt keine amtlichen Zählungen der ertrunkenen Tiere vor, auf die Jansen sich berufen könnte. Die anderen Chronisten der Weihnachtsflut machen deshalb auch keine Angaben über die Verluste an Vieh in Eiderstedt, selbst der nordfriesische Chronist Heinrich Heimreich Walter nicht.104 Auch über die Viehverluste in Nordfriesland haben wir keine genauen Angaben. Heimreich Walter nennt einige Zahlen für die nordfriesischen Inseln und Halligen; demnach sind auf Nordstrandischmoor 30 Kühe und 500 Schafe ertrunken, auf Langeneß 48 Kühe und 100 Schafe, auf Nordmarsch 30 Kühe und 140 Schafe, auf Hooge 30 Rinder, auf Oland 2 Kühe, einige junge Rinder und einige Schafe und auf Nordstrand 116 Pferde und Rinder.105 Die Addition der uns bekannten Verluste an Vieh ergibt eine Mindestsumme an ertrunkenen Tieren von mehr als 7.000 Pferden, 31.600 Rindern, Fortsetzung Fußnote von Seite 64 Hekelius, Beschreibung, S. 90 sprechen nur von 3.000 Stück großes Vieh. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl gibt keine Angaben über die Verluste an Vieh in Süderdithmarschen. Eine Tönninger Handschrift aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts nennt 6.530 Stück Vieh, s. Rohde, Nachrichten, S. 120. 102 Hekelius, Beschreibung, S. 90; Outhof, Verhaal, S. 732. 103 Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 183f. 104 Im Kirchspiel Garding ertranken nur 21 Schafe. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt A 2, Kirchspiel Garding IVa, Nr. 30. 105 Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 265, 268, 270f, 276; Umständl. Hist. Nachricht, S. 39.

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9.800 Schweinen und 15.000 Schafen. Der tatsächliche Viehverlust muß aber höher gewesen sein; denn für einige Gebiete liegen uns keine Angaben über die Einbußen vor. Legt man die vom Deichrichter Albert Brahms genannten Durchschnittspreise von 25 Reichstalern für ein Pferd, von 15 Reichstalern für ein Rind und von etwa 2% Reichstalern für ein Schaf und für ein Schwein zugrunde 106 , so ergibt sich ein Gesamtschaden bei den Pferden von 175.000 Reichstalern, bei den Rindern von 474.000 Reichstalern, bei den Schweinen von 22.050 Reichstalern und bei den Schafen von 33.750 Reichstalern, insgesamt also in allen deutschen Küstenländern ein Mindestschaden an ertrunkenem Vieh von 704.800 Reichstalern. Schaden an Vieh in einzelnen Territorien (in Rtlrn) Ostfriesland und Harlingerland Herrschaft Jever Herrschaftlichkeit Kniphausen Herzogtum Bremen Land Hadeln Amt Ritzebüttel

204.047 Rtlr 59.165 Rtlr 19.929 Rtlr 216.216 Rtlr 144.774 Rtlr 22.704 Rtlr

Nur aus wenigen Küstengebieten sind Aufzeichnungen überliefert, die darüber Aufschluß geben, wie hoch der prozentuale Verlust an Vieh im Verhältnis zum Gesamtbestand war. So liegt eine Liste vor, nach der im Amt Hagen im Herzogtum Bremen in der Sturmflut 104 Pferde ertranken und 731 Pferde übrig blieben; das heißt, 12,4% der Pferde kamen im Wasser um. Von den im Amt Hagen vorhandenen Rindern ertranken 23,1% (253 von 1094); mehr als die Hälfte der Schweine, 211 von 411 ( = 51,3%), und die meisten Schafe, 430 von 460 ( = 93,5%), gingen verloren. Viel dramatischer waren die Verluste im Bützflethischen Teil des Landes Kehdingen, wo 46,5% der Pferde (606 von 1303) und 80,1% der Rinder (2.204 von 2.711) ertranken.107 In der Vogtei Eckwarden in Butjadingen waren vor der Sturmflut 651 Pferde und 2.217 Stück Hornvieh vorhanden 108 ; die zwei zu dieser Vogtei gehörenden Kirchspiele Tossens und Eckwarden verloren in der Sturmflut 131 Pferde und 655 Stück Hornvieh. Zur Vogtei Eckwarden gehörte aber auch noch ein großer Teil des Kirchspiels Langwarden, wo insgesamt 304 Pferde und 497 Rinder ertranken. Wieviele Tiere davon der Vogtei Eckwarden zuzurechnen sind, ist nicht be106

107 108

Oldenburgische Blätter 1825, Nr. 17, S. 136. Bei der Berechnung des Schadens für den Hedwigenkoog in Dithmarschen wurden der Preis für ein Pferd ebenfalls mit 25 Reichstalern angegeben, für ein Rind mit 12, für ein Schaf mit 1 und ein Schwein mit 3 Reichtalern. Siehe Eckermann, Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen, S. 56f. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66. Hinrichs, Krämer, Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 172. Die dortigen Angaben beziehen sich auf das Jahr 1712.

Viehverluste in der Sturmflut 1717

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kannt. Selbst wenn man nur die bekannten Angaben für die beiden Kirchspiele Tossens und Eckwarden zugrundelegt, wären in der Vogtei Eckwarden mindestens 20% der Pferde und 30% der Rinder in der Flut umgekommen, wahrscheinlich ist der Verlust aber noch höher gewesen. Viel geringer als in den an der Küste gelegenen Kirchspielen Butjadingens waren die Verluste an Vieh in den küstenfernen Wesermarschvogteien Strückhausen und Hammelwarden. In Strückhausen ertranken 7,6% der Pferde und 4,7% der Rinder, allerdings 53,8% der Schweine und 56,4% der Schafe; in Hammelwarden waren es 2,1% der Pferde, 1,0% der Rinder, 40,3% der Schweine und 38,1% der Schafe.109 Aus mehreren ostfriesischen Ämtern liegen ebenfalls Angaben über die ertrunkenen wie auch der überlebenden Tiere vor, so daß wir für große Teile dieses Gebietes den prozentualen Verlust errechnen können. Verlust an Vieh in einigen Ämtern Ostfrieslands und des Harlingerlandes in Prozenten110

Amt Aurich111 Amt Berum Amt Friedeburg Amt Greetsiel Amt Leer Amt Pewsum

109

110

111

Pferde

Rinder

Schweine

Schafe

17% (404/2372) 20,6% (389/1888) 1,5% (21/1352) 11,3% (108/950) 2,9% (129/4315) 7,9% (26/327)

29,5% (2013/6822) 32,3% (1465/4532) 1,7% (71/3975) 9,4% (212/2254) 7% (821/11597) 7,4% (63/844)

20% (52/260) 53,7% (207/385) 4% (30/744) 15,3% (34/221) 0,2% (6/1602) 9,4% (9/95)

48,8% (184/377) 67,3% (657/975) -

11,4% (194/1689) 5,3% (30/554) 17,8% (144/807)

Berechnungsgrundlage ist der Viehbestand in der Grafschaft Oldenburg im Jahre 1712. Danach waren in der Vogtei Strückhausen 512 Pferde, 1.679 Rinder, 407 Schweine und 225 Schafe und in der Vogtei Hammelwarden 742 Pferde, 2.016 Rinder, 558 Schweine und 21 Schafe. Siehe Hinrichs/Krämer/Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 172. Die Angaben sind in den Listen im StA Aurich: Rep. 4, B Ilq, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 13, Nr. 14, Nr. 15, Nr. 17 und Nr. 18. Die Angaben des Amtes Esens im StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 7; die Angabe der übriggebliebenen Tiere im Amt Esens bei Harkenroth, Watersnood, S. 176; vgl. Outhof, Verhaal, S. 684. Die erste Zahl unter der Prozentangabe gibt die Anzahl der ertrunkenen Tiere an, die zweite Zahl den Bestand an Tieren vor der Sturmflut, die sich aus der Addition der Zahlen für die verlorenen und für die übriggebliebenen Tieren ergibt.

68

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Fortsetzung: Verlust an Vieh ...

Amt Esens Amt Wittmund

Pferde

Rinder

Schweine

Schafe

13,3% (348/2615) 12,4% (251/2023)

21,7% (1574/7222) 16,3% (855/5225)

35,6% (305/855) 25% (208/832)

26,2% (293/1116) 54,6% (111/203)

Bei der Berechnung des prozentualen Verlustes an Vieh der acht oben angegebenen Ämter Ostfrieslands und des Harlingerlandes ergibt sich folgendes Ergebnis: 10,5% der Pferde, 16,6% der Rinder, 17% der Schweine und 28,2% der Schafe ertranken. Etwas höher lag der prozentuale Verlust an Pferden und Rindern in den acht in der folgenden Tabelle aufgeführten Kirchspielen der Herrschaft Jever: Verlust von Vieh in einigen Kirchspielen der Herrschaft Jever in Prozenten

Hohenkirchen Minsen Middoge St. Joost Tettens Waddewarden Wiarden Wiefels

Rindvieh Bestand Verlust

%

Pferde Bestand Verlust

%

1.260 705 187 272 940 803 300 480

16,3 38,7 11,8 45,6 22,7 14,3 51,3 8,8

481 378 63 100 321 294 236 129

10,2 18,3 4,8 20,0 25,2 6,1 11,0 1,6

205 273 22 124 213 115 154 42

49 69 3 20 81 18 26 2

Wie die Tabelle zeigt, waren die Verluste in den einzelnen Kirchspielen der Herrschaft Jever sehr unterschiedlich. Die größten Verluste erlitten die drei der Nordsee am nächsten gelegenen Kirchspiele Wiarden, Minsen und St.Joost (Hohenstief). In allen acht Kirchspielen zusammen gingen 23,2% der Rinder und 13,4% der Pferde verloren. 112

4.5. Verlust an Häusern Im ganzen Kirchspiel Abbehausen seien „nicht über 10 biß zwölff Häußer darinnen Menschen, Vieh, Haußgeräht und Wände zusammen geblieben, sondern alle sind ruiniret, daß kein Mensch unten sondern oben auf den Balcken sich halten muß und ist was rares daß Man ein lebendig Stück Vieh 112

StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6.

Verlust an Häusern

69

sehen und haben kan", berichtete der Pastor Closter am 12. Februar 1718 an den dänischen König.113 Von den 48 Häusern von Dornumer Siel sei, wie Hekelius mitteilt, nicht ein einziges unbeschädigt geblieben, „sondern sind alle zu einem Stein = Hauffen geworden, daß man nicht einmahl mehr wissen kan, wie es vorhero gewesen. Von vieren ist noch ein wenig stehen blieben, sonsten man nicht einmahl hätte wissen können, wo der Syhl gewesen."114 Aus einer Aufstellung des Pastors Rudolf Ibbeken erfahren wir, daß von den 226 Häusern im Kirchspiel Stollhamm 115 vom Wasser weggerissen und 47 zerstört wurden; nur 64 Häuser, also weniger als ein Drittel, waren nach der Sturmflut noch übriggeblieben.115 So verheerende Zerstörungen wie in Abbehausen, Stollhamm und in Dornumer Siel richtete die Sturmflut nicht in allen Orten der überschwemmten Gebiete an; jedoch in allen Nordseeküstenländern waren die Schäden und Verluste an Häusern und Scheunen groß. In den meisten Küstenländer wurden auf obrigkeitliche Anordnung auch die Verluste an Häusern ermittelt und in Listen eingetragen. Doch im Vergleich zu den Angaben über die Verluste an Menschen und Vieh sind die Angaben über die weggetriebenen und beschädigten Häuser viel lückenhafter und ungenauer, vor allem bei den Zahlen für die beschädigten Häuser. Nach den amtlichen Aufzeichnungen wurden in Ostfriesland und im Harlingerland insgesamt 922 Häuser weggespült und 1.672 beschädigt (Tab. 14).116 In der Herrschaft Jever wurden 266 Häuser von den Wellen weggetrieben und 203 Häuser zerstört. Die Herrlichkeit Kniphausen verlor 67 Häuser, 71 wurden beschädigt (Tab. 15). Unvollständig sind die Angaben über die zerstörten Häuser in der Grafschaft Oldenburg. Während die Zahl der weggetriebenen Häuser mit 578 angegeben wird, ist uns nur bei einigen Kirchspielen aus Butjadingen die Zahl der beschädigten Häuser bekannt. Auch aus dem Herzogtum Bremen sind die Angaben über die weggetriebenen und zerstörten Häuser lückenhaft. Überhaupt keine Angaben haben wir für das Alte Land. In den übrigen Landesteilen des Herzogtums Bremen wurden 412 Häuser vom Wasser weggerissen, und das Amt Ritzebüttel beklagte den Verlust von 92 Häusern (Tab. 16-18). Für die Herzogtümer Schleswig und Holstein liegen zuverlässige Angaben nur für Dithmarschen und die nordfriesischen Inseln und Halligen vor. In Dithmarschen wurden 279 Häuser weggespült und 1.077 Häuser beschädigt.

1,3 114 115 116

StA Old: Bstd. 26, 141. Beschreibung, S. 45. StA Old: Bstd. 26, 1263. Die in den Listen unter der Rubrik „beschädigte Häuser" aufgeführten Gebäude sind als schwer beschädigt oder fast zerstört anzusehen.

70

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Norderdithmarschen 117

Kirchspiel Büsum Wesselburen und Neuenkirchen Kirchspiel Lunden Hedwigenkoog Kirchspiel Hennstedt

weggetriebene Häuser

beschädigte Häuser

14 6 28 -

172 36 4 11 3

48

226

Süderdithmarschen 118 Kirchspiel Brunsbüttel Kirchspiel Eddelak Kirchspiel Marne Kirchspiel Barlt Norder- und Südervogtei Meldorf

62 76 70 16 7

198 98 429 88 38

231

851

In Eiderstedt sollen nach Hekelius 664 Häuser in der Sturmflut weggerissen worden sein119; Jansen dagegen schreibt nur von 77 ruinierten Häusern.120 Hekelius' Zahl stammt vermutlich aus dem am 8. Januar 1718 in Hamburg veröffentlichten „Extract = Schreiben aus Husum / Von dem Wasser = Schaden", in dem die Verlustzahlen der Sturmflut von 1634 auf die Sturmflut von 1717 übertragen wurden. Da in anderen Quellen keine weiteren Angaben vorliegen, kann auch die Zahl von Jansen nicht nachgeprüft werden.121 Von Heinrich Heimreich Walter liegen einige Zahlen über nordfriesische Inseln und Halligen vor, danach gingen auf Nordstrandischmoor 3, auf Hooge 12, auf Nordmarsch 19 und auf Nordstrand 36 Häuser verloren.122 Dazu kamen noch einige weggetriebene Häuser auf Oland und Langeneß; über Pellworm 117

1,8

120 121

122

Hekelius, Beschreibung, S. 91; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 333. Umständl. Hist. Nachricht, S. 91 nennt 20 weggetriebene und 215 ruinierte Häuser. Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 333. Nach einer Tönninger Handschrift wurden 1067 Häuser in Süderdithmarschen beschädigt, s. Rohde, Nachrichten, S. 12. Hekelius, Beschreibung, S. 90 nennt nur 100 ruinierte Häuser. Beschreibung, S. 90. Hist. Theol. Denckmahl, S. 184. Im Kirchspiel Garding wurde ein Haus und im Kirchspiel Poppenbüll 12-16 kleine Häuser zerstört. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt A 2, Kirchspiel Garding IVa, Nr. 30 und Kirchspiel Poppenbüll IVa, Nr. 39. Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 265ff.

Verlust an Häusern

71

macht er keine Angaben. Außerdem wurden auf der Hallig Hooge 60 und auf der Hallig Nordmarsch 48 Häuser beschädigt. Der Gesamtverlust an Häusern und die Gesamtzahl der beschädigten Häuser lassen sich wegen fehlender Angaben für einige Regionen nur schwer ermitteln. Soviel läßt sich jedoch feststellen, daß die Sturmflut in den Marschgebieten der deutschen Nordseeküstenländer etwa 3.000 Häuser weggerissen und eine noch größere Zahl an Häusern schwer beschädigt hat.123 4.6. Verlust an Getreide und anderen Vorräten In einigen von der Sturmflut betroffenen Ländern wurden auch die Verluste an Getreide und Gemüse zu ermitteln versucht. Das war jedoch keine leichte Aufgabe, wie der Amtmann Johann Dietrich Kettler aus Norden feststellte, weil viele, die darüber hätten Auskunft geben können, ertrunken seien, andere Personen aber die verlorengegangene Menge nicht genau angeben könnten; „also kein Mensch in der Welt Von denen Verlohren gegangenen Früchten eine Außrechnung, worauff zu reflectiren stünde, zu machen capabel ist."124 Für das Amt Norden liegt deshalb auch keine Liste über den Verlust an Getreide und Gemüse vor. Aber auch andere ostfriesische Ämter wie das Amt Aurich und das Amt Emden entzogen sich anscheinend dieser Pflicht. Und die Angaben aus den anderen ostfriesischen Ämtern sind nicht immer vollständig; außerdem gewinnt man den Eindruck, daß es sich bei manchen Angaben um mehr oder weniger grobe Schätzungen handelt. Im Gegensatz zu den einzelnen Angaben über den Viehbestand, der auch dem Nachbarn ungefähr bekannt gewesen sein dürfte, waren die Angaben der Einwohner über ihren Verlust an Getreide und Gemüse viel schwieriger nachzuprüfen. Akkurate Aufzeichnungen liegen aus dem Amt Wittmund im Harlingerland vor. Nach dieser Liste gingen in diesem Amt 37 Tonnen Weizen, 149 Tonnen Roggen, 851 Tonnen Gerste, 637 Tonnen Hafer und 581 Tonnen Bohnen verloren; übrig blieben nach der Sturmflut noch 628 Tonnen Weizen, 1017 Tonnen Roggen, 3.176 Tonnen Gerste, 6.172 Tonnen Hafer und 666 Tonnen Bohnen.125 Setzt man den Verlust in Relation zum übriggebliebenen Vorrat, so ist festzustellen, daß der Verlust an Bohnen und Gerste im Amt Wittmund am größten war. 123

124

125

A. Brahms hat den Schaden, der durch den Verlust und die Beschädigungen der Häuser im Jeverland entstanden war, auf 60.000 Reichstaler geschätzt. (Oldenburgische Blätter 1825, S. 136). Für einige Landschaften des Herzogtums Bremen wurde die Schäden, die durch den Verlust der Häuser und der Hausgeräte entstanden, wie folgt beziffert: das Alte Land 7.648 Rtlr, der Freiburgische Teil des Landes Kehdingen 41.089 Rtlr, Gerichte Osten 17.611 Rtlr und das Land Wursten 23.353 Rtlr. (StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 3f.: Kettler an Georg Albrecht, Norden 2.3.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18 und Nr. 12.

72

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Auch im Herzogtum Bremen wurde in den meisten Landschaften der Verlust an Getreide ermittelt. Eine Aufstellung nennt folgende Mengen126: Altes Land 116 Diemen Weizen, 1.100 Diemen Roggen, 244 Diemen Gerste, 1677 Diemen Hafer und 150 Diemen Bohnen Amt Neuhaus 1.028 Diemen und 3.992 Himten Weizen127, 1.783 Diemen und 5.463 Himten Roggen, 841 Diemen und 4.938 Himten128 Gerste, 2.874 Diemen und 6.205 Himten129 Hafer und 1.266 Diemen und 3.421 Himten Bohnen Land Wursten 174 Tonnen Weizen, 2581/4 Tonnen Roggen, 2.910/4 Tonnen Gerste, 1094 Tonnen Hafer und 1.807 Tonnen Bohnen Amt Hagen 11 Himten Weizen, 40 Himten Roggen, 343 Himten Gerste, 352 Himten Hafer und 78 Himten Bohnen Amt Stotel 3 Himten Weizen, 5 Himten Gerste, Land Kehdingen, 1.860 Himten Weizen, 5.530 Himten Roggen, Freiburger Teil 2.655 Himten Gerste, 8.009 Himten Hafer und 5.349 Himten Bohnen Gericht Osten 41 Wispel130 und 9 Himten Weizen, 112 Wispel und 28 Himten Roggen, 49 Wispel und 31 Himten Gerste, 286 Wispel und 20 Himten Hafer, 40 Wispel und 41 Himten Bohnen. Richtig bewerten könnte man den Verlust an Getreide jedoch erst, wenn wir wüßten, wie hoch der Gesamtertrag der Ernte des Jahres 1717 in den einzelnen Landesteilen des Herzogtums Bremen gewesen war. Das ist aber nicht möglich, weil über die Ernteerträge damals noch keine Statistik geführt wurde.

4.7. Deich- und Sielschäden Die Weihnachtsflut von 1717 richtete in allen deutschen Ländern an der Nordsee zahlreiche, zum Teil sehr schwere Deich- und Sielschäden an. An vielen Stellen wurde der Deich durch das Wasser bis zum Grund weggerissen; an anderen Stellen gab es dagegen nur kleine Löcher und leichtere Beschädigungen. Auch viele Siele wurden durch die Wellen der Nordsee total zerstört und mußten völlig neu errichtet werden. Es ist äußerst schwierig und 126 127 128 129 130

StA Ein Ein Ein Ein

Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66. Himten Weizen oder Roggen = ca. 20 kg. Himten Gerste = ca. 18 kg. Himten Hafer = ca. 13 kg. Wispel = 48 Himten.

Deich- und Sielschäden

73

teilweise auch unmöglich, jeden einzelnen durch diese Sturmflut verursachten Deichschaden an der deutschen Nordseeküste genau zu bezeichnen.131 Um jedoch einen Einblick in das Ausmaß der damaligen Zerstörung zu bekommen, sollen die Deichschäden einiger Landschaften und Distrikte exemplarisch dargestellt werden. Nach einer Aufstellung des Deichrichters Teelmann vom 30. Dezember 1717 und einer zweiten Aufstellung vom 22. März 1718 wiesen die 10 Quartiere der Niederemsischen Deichacht, also das Gebiet nordwestlich von Emden, folgende Deichschäden auf 132 : 1. Quartier: Hier war der größte Schaden am Deich entstanden; zwischen Emden und Larrelt war ein großer Kolk eingerissen, der sich durch die Sturmflut vom Februar 1718 noch vergrößerte und schließlich eine Breite von 125 m, eine Länge von 375 m und bis zu 25 m Tiefe hatte. Außerdem entstanden noch vier weitere Kolke. 2. Quartier: dem Maifeld133 gleich. 3. Quartier: kein besonderer Schaden. 4. Quartier: ein Loch im Rysumer Pfand, wodurch das Wasser eindringt. 5. Quartier: Im Bettewehrer Pfand war ein Kolk von 3-4 Ruten134 Breite und 10-12 Fuß Tiefe; Löcher waren auch im Midlumer, Canumer, Loquarder und Blauhauser Pfand. Der alte Knockster Siel hatte an der Ostseite und der neue Knockster Siel an der Westseite ein Loch. 6. Quartier: Im Loppersumer Pfand, im Woltzeteler Pfand und im Bettewehrer Pfand war jeweils ein Loch. 7. Quartier: Im Woldener Pfand war ein Kolk von 2 Ruten, im Loppersumer Pfand ein Kolk von 6 Ruten und im Canhusener Pfand ein Kolk von 2 Ruten; im Surhusener Pfand waren drei Kolke, von 6, 8 und 12 Ruten. 8. Quartier: Im Freepsumer Pfand war ein Kolk von etwa 6 Ruten Breite. 9. Quartier: keine besonderen Schäden. 10. Quartier: war durchgehend dem Maifeld gleich. Diese Aufstellung zeigt, wie groß die Deichschäden allein in dieser einen Deichacht waren; es gab aber 36 Deichachten in Ostfriesland und Harlingerland und in allen waren mehr oder weniger schwere Sturmflutschäden entstanden. Der ostfriesische Pastor Hekelius resümiert die Situation an den 131

132 133

134

Selbst der Amtmann Johann Dietrich Kettler aus Norden schrieb dem Fürsten Georg Albrecht am 2.3.1718, daß es unmöglich sei, alle Kappstürzungen und Löcher aufzuzeichnen. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 6). StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 52, p. 90 und 166f; vgl. Outhof, Verhaal, S. 664f. Maifeld ist das mit einer Grasnarbe bedeckte gewachsene Land, auf dem der Deich errichtet worden war. 1 ostfriesische Rute = ca. 6l/4 m.

74

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Deichen Ostfrieslands nach der Weihnachtsflut folgendermaßen: „...alle Teiche ums gantze Land sind nicht nur durchgebrochen und sehr zerrissen, sondern sie sind an den meisten Orthen der Erden gleich gemacht, und biß auf den Grund ja gar aus dem Grunde weg gespület, so daß nunmehro das gantze Land offen lieget und den schäumenden Wellen der ungestümen See exponiret ist."135 Aus der Grafschaft Oldenburg sei eine Darstellung der Deichschäden in der an der Weser gelegenen Marschvogtei Hammelwarden angeführt. In dieser nicht unmittelbar an die Nordsee grenzenden Vogtei waren am Deich mehrere Kappstürzungen 136 geschehen: in der Oberhammelwarder Feldmark ein kleiner, in der Ruschfelder drei kleine und in der Börgermoorer vier mittelmäßige Kappstürzungen. Auch in der Sandfelder Feldmark waren sechs mittelgroße Kappstürzungen zu verzeichnen, worunter zwei ziemlich lang waren; weil aber ein Groden 137 davor lag, war es zu keiner Brake138 gekommen. In der Sauerfelder Feldmark und im Fünfhauser Distrikt waren ebenfalls zwei mittelmäßige Kappstürzungen entstanden. Jeweils eine kleine Kappstürzung war auch in der Harrier und Braker Feldmark festzustellen, im Harrierwurper Pfand eine sieben bis acht Ruten lange Kappstürzung und zwei mittelmäßige Kappstürzungen im Grodendeich. Außerdem war am Braksiel an der Norderseite außen ein Loch ausgespült worden, das aber mit Busch, Pfählen und Erde unverzüglich wieder gestopft wurde.139 Wie diese Angaben zeigen, waren selbst in dieser Vogtei, in der nur fünf Menschen und verhältnismäßig wenige Tiere ertranken, an den Deichen nicht unerhebliche Schäden entstanden; wenn auch die Deichschäden in dieser Vogtei im Verhältnis zu den Schäden in anderen Vogteien gering waren. Zum Vergleich seien die Schäden am Ruhwarder Deichzug angeführt, der in Butjadingen liegt. An dem 124 Ruten (734 m) langen Deichstück, Syabbehörn genannt, waren eine Kappstürzung von 3 Ruten Länge, die in der Innenseite 5 Fuß tief unter dem Maifeld war, eine Kappstürzung 2 Ruten lang und 2 Fuß unter dem Maifeld, eine Brake von 7 Ruten Breite und 14 Fuß Tiefe und eine Brake von 7 Ruten Breite und 7 Fuß Tiefe. Die übrigen 102 Ruten des Deiches sind mit Kappstürzen ganz überhäuft. An der 456 Ruten langen Ruhwarder Einlage, die ebenfalls zu diesem Deichzug gehörte, waren neun Kappstürze von 2 bis 6 Ruten Länge entstanden; großenteils war der Deich bis zum Grund weggespült. Außerdem waren drei Braken eingerissen, eine von 4 Ruten Breite und 14 Fuß Tiefe, eine von 5'/2 Ruten Breite und 12 Fuß Tiefe 135

Beschreibung, S. 19. Kappstürzung = Deichstürzung. Es sind vom Wasser in den Deich eingerissene große Löcher. 137 Groden = Polder = Koog. So wird neueingedeichtes Land bezeichnet. 138 Brake = Kolk = Wehle = ein teichähnliches, großes Erdloch, das nach einem Deichbruch hinter dem Deich entsteht. 13 ' StA Old: Bstd. 26, 26 1-26 II: Röhmer an dänischen König, Strückhausen 13.1.1718.

136

Deich- und Sielschäden

75

und eine von 5 Ruten Breite und 13 Fuß Tiefe.140 An den anderen Deichen Butjadingens sah es nicht besser aus. Im Land Hadeln rissen die Nordseewellen in der Sturmflutnacht insgesamt 1.511 Ruten (über 7 km) Deich weg. Am stärksten wurde der Deich in den Kirchspielen Altenbruch und Otterndorf beschädigt, wo 300 und 897 Ruten Deich weggespült wurden. Im Kirchspiel Lüdingworth enstand außerdem ein Kolk von 9 Ruten Breite und 29 Fuß Tiefe.141 Eine genaue Aufstellung der Deichschäden besitzen wir aus Dithmarschen. Von den 23.510 Ruten Deich (1 Rute = 4,7 m) in Norderdithmarschen wurden 1.781 Ruten ganz weggerissen, 2.785 Ruten stark und 15.113 Ruten leicht beschädigt. Außerdem entstanden 76 Braken oder Wehlen. Vier Siele wurden von den Wellen weggerissen und fünf stark beschädigt. Den größten Schaden verzeichneten Wesselburen und Neuenkirchen, wo von 2.506 Ruten Deich 727 Ruten ganz weggingen, und das Kirchspiel Büsum, wo von 2.267 Ruten Deich 489 Ruten völlig weggespült wurden. Die Schäden in den anderen Kirchspielen waren geringer; Lunden verlor 257, Hennstedt 150, Hemme 29, Heide und Weddingstedt 16, Delve 11 und Tellingstedt 7 Ruten Deich.142 In Süderdithmarschen betrug die Länge des ganzen Deiches 10.440 Ruten; davon waren nach der Sturmflut nur etwa 900 Ruten in gutem Zustand. 2.363 Ruten Deich waren beschädigt, auf 2.496 Ruten waren Kappstürze entstanden, auf 1.291 Ruten war der halbe und auf 1.904 Ruten war der Deich ganz weg, dazu kamen noch auf 1.477 Ruten Grundrisse. Am schlimmsten war der Zustand der Deiche in den Kirchspielen Eddelak, Marne und Barlt, wo die ganze Deichlinie zerstört oder beschädigt wurde.143 Diese Beispiele zeigen, wie zahlreich die durch die Weihnachtsflut verursachten Deichschäden waren und welch große Anstrengungen unternommen werden mußten, um das Marschland wieder vor den Fluten zu sichern. Die Höhe der Deichschäden in Geld umzurechnen ist nicht möglich. Zwar tauchen hin und wieder Richtwerte zur Berechnung von Deichbauten auf, aber diese können durchaus nicht auf alle Deichbauprojekte übertragen werden, da die Kosten von verschiedenen, nicht bei allen Deichbauten konstanten Faktoren abhängen wie Deichhöhe und -breite, von der Beschaffenheit des Untergrunds und der Höhe des Arbeitslohns.144 Der Schaden an den Deichen 140

StA Old: Bstd. 26, 1263: Bericht wegen des Ruhwarder Deichzugs vom 11.1.1718. "" Outhof, Verhaal, S. 719f; Umständl. Hist. Nachricht, S. 59; vgl. Peche, Geschichte des Hadler Deiches, S. lOf. 142 Hekelius, Beschreibung, S. 91; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 334. Leicht abweichende Angaben in Umständl. Hist. Nachricht, S. 31. 143 Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 340. 144 Nach Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 336 schätzt man die einfache Bedeichung einer Rute auf 60 holländische Gulden. In der Vogtei Strückhausen in der Grafschaft Oldenburg rechneten sie mit 75 Reichstalern für einen Fuß wiederzuerrichtenden Deich (StA Old: Bstd. 26, 1264). Nach Hekelius, Beschreibung, S. 23 kostet der Bau eines Siels 8.000-14.000 Reichstaler.

76

Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

und Sielen kann am genauesten berechnet werden, wenn man sich ansieht, welche Gelder nach der Weihnachtsflut zur Wiedererrichtung und Reparatur der Deiche und der Siele in den einzelnen Ländern ausgegeben wurden.145 „En general ist der Schaden sehr groß, und werden wohl 50 Jahre passiren, ehe die herrlichen Marsch = Länder den Schaden überwinden, und in den Stand, wie es vor 4 und 5 Jahren gewesen, kommen werden", stellt Hekelius fest.146 Tatsächlich hatte der durch die Sturmflut entstandene Schaden langfristige Wirkungen, wie noch zu zeigen sein wird. Für einige Orte und Länder wurde der Versuch unternommen, den erlittenen Gesamtschaden zu schätzen. So schätzte Albert Brahms den Schaden für die Herrschaft Jever auf insgesamt 529.357 Reichstaler, wobei er für das ertrunkene Vieh 59.357 Reichstaler berechnet, für die 262 weggespülten Häuser 30.000, für die ruinierten Häuser 30.000, für die verlorenen Sachen und Hausgeräte 20.000, für Heu und Früchte 20.000, für die Wiederherstellung von 7.000 Ruten Deich 63.000, für Sielschäden 20.000, für den herrschaftlichen Vorschuß zur Schilliger Einlage und andere Deichbauten 87.000 und für den Schaden am Boden und an Obstbäumen 200.000 Reichstaler.147 Der ostfriesische Chronist Tileman Dothias Wiarda hielt es nicht für übertrieben, den durch die Weihnachtsflut in Ostfriesland verursachten Schaden an Vieh, an Häusern, an Hausgeräten und an Ernteeinbußen sowie die Deichbaukosten auf sechs Millionen ostfriesische Gulden zu veranschlagen.148 In einem Schreiben an den Kaiser hatte der ostfriesische Fürst Georg Albrecht schon im November 1719 festgestellt, daß der durch die Weihnachtsflut in Ostfriesland angerichtete Schaden sich auf einige Millionen Gulden erstrecke.149 Im Alten Land wurde der gesamte Schaden auf 22.855 Mark berechnet.150 Auch aus zwei Vogteien der Grafschaft Oldenburg liegen Angaben über den Gesamtschaden vor. Nach einer detaillierten Aufstellung belief sich der Schaden an Gebäuden, Vieh, Getreide und Hausgeräten in der Vogtei Eckwarden auf 74.327 Reichstaler und in der Vogtei Stollhamm auf 58.955 Reichstaler.151 Auf der nordfriesischen Insel Pellworm war, wie eine Berechnung der dortigen Ratleute zeigt, durch den Verlust von Häusern, Vieh und Getreide ein Schaden von knapp 80.000 Mark Courant entstanden. 152 Schließlich liegt noch eine Schätzung aus dem Hedwigenkoog in Dithmarschen vor; dort wurde der Schaden an Gebäude auf 20.000, der an Korn, Acker- und Hausgeräten ebenfalls auf 20.000 und der für das ertrunkene Vieh auf 6.440 Reichstaler geschätzt. Die Summe sämtlicher Schäden und Deichkosten von 1718 bis 1725 soll sich dort auf 107.000 145 146 147 148 149 150 151 152

Siehe dazu den Abschnitt über die Deichbaufinanzierung S. 174ff. Beschreibung, S. 73. Oldenburgische Blätter 1825, S. 136. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, VII, S. 78f. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien: RHR Denegata recentiora, Karton 916/12. Outhof, Verhaal, S. 725. StA Old: Bstd. 26, 141. D. von Chamisso, Pellworm im Jahrhundert der großen Flut, S. 164.

Deich- und Sielschäden

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Reichstaler belaufen haben.153 Diese einzelnen Schätzungen des Schadens müssen jedoch kritisch betrachtet werden; es sind eben nur Schätzungen und keine genauen Berechnungen des tatsächlichen Schadens. Wie groß der Schaden eines einzelnen Bauernhofes sein konnte, zeigt folgende Aufstellung über den Schaden des Bauern Hinrich Abele senior aus Ellwürden in der Grafschaft Oldenburg 154 I Wohnhaus, „welches zu 1 fach weggetrieben" 300 Rtlr ein weiteres Haus und eine Scheune ruiniert 150 Rtlr an Möbel verloren 300 Rtlr an Heu und Früchten 740 Rtlr II Pferde, 44 Rinder, 7 Schafe, 9 Schweine 1.187'/2 Rtlr Gesamtschaden 2.6771/2 Rtlr Dieser Bauer, der vor der Sturmflut wohlhabend gewesen war, hatte einen so großen Schaden erlitten, daß er noch 1719 nicht imstande war, seine herrschaftlichen Gefalle zu bezahlen. Und er war in jenen Jahren nach der Sturmflut durchaus kein Einzelfall. „Einigermassen lässet sich die Grösse des Schadens daraus begreiffen / wenn man zu Gemüthe führet / wie so viele Landschafften / worin ein grosser Reichthum bisher gestecket / von denselben meistens entblösset sind / daß auch nur durchgehends die Einwohner derselben kaum ihr kümmerlich behaltenes Leben fortbringen / da doch sie vorhin meistens / wo nicht im Überfluß / dennoch ohne sonderlichen Mangel dasselbe führen können", schreibt der Jeversche Pastor Johann Friedrich Jansen in seinem 1722 publizierten Werk über die Sturmflut.155 Es verwundert nicht, daß in den Gegenden mit den höchsten Verlusten an Menschen, Vieh und Häusern auch die größten Deichschäden waren. Dieser Tatbestand hatte die bittere Konsequenz, daß gerade die Orte, deren Einwohner die größten Verluste in der Sturmflut erlitten hatten, in den Jahren danach auch die aufwendigsten Deichbauten und Deichreparaturen finanzieren mußten. Wie sich ferner zeigt, waren die Verluste durchaus nicht gleichmäßig auf alle Bevölkerungsschichten verteilt. Am meisten betroffen waren die armen Leute, deren kleine Häuser an oder auf den Deichen oder auf dem flachen Land standen und die dem über die Deiche hereinbrechenden Wasser somit in ganz besonderer Weise ausgesetzt waren. „Ein und andere arbeitsleute an ihren unten in Pewsum an der Nord = und Westseite stehenden häusern und darinnen vorhandenen gütern und viehe ziemlichen schaden gelitten", berichtete der Amtmann Jan Jacob Wehling aus Pewsum an den ostfriesischen Fürsten.156 Auch aus einer Mitteilung des Amtmannes Johann Dietrich Kettler erfahren wir, daß im Amt Norden alle kleinen Häuser, die am 153 154 155 156

Eckermann, Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen, S. 56f. StA Old: Bstd. 26, 1264. Die Aufstellung wurde vom Amtsvogt Fabricius bestätigt. Hist. Theol. Denckmahl, S. 219. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 17, p. 8.

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Bestandsaufnahme I: Verluste und Schäden

Außendeich gestanden hatten, vom Wasser fortgerissen worden seien.157 Ähnliche Nachrichten liegen auch aus dem Amt Berum und aus dem Amt Esens im Harlingerland vor.158 Ferner wird in einem anonymen Bericht über die Weihnachtsflut, der Anfang des Jahres 1718 verfaßt wurde, angemerkt, daß die kleinen Häuser, d.h. die Häuser der armen Leute mehr gelitten hätten als die großen Bauernhäuser.159 Gleiches wird aus der Herrschaft Jever, dem Land Wursten und von der Insel Pellworm berichtet.160 In dem ostfriesischen Dorf Osteel wurden die Häuser von 27 Arbeitern, 2 Schneidern und einem Krämer weggespült oder zerstört; kein Bauernhaus wurde dagegen ein Opfer des Wassers.161 Die Einwohner, die ohnehin nur wenig besaßen, verloren somit in der Sturmflut auch noch ihre geringe Habe und fielen, wenn sie sich noch hatten retten können, in die tiefste Armut. Ein kleines Haus auf dem Deich bei Beidenfleth in der Wilstermarsch, das als Herberge für die fremden Arbeiter diente, wurde auch von den Wellen heruntergerissen; dazu merkt Culemann an: „Ist vielleicht aus gerechtem Gerichte hinweg getrieben / weil in solchen Häusern gemeiniglich mehr böses / als gutes / mehr fluchen / als beten verrichtet wird."162 Mit dieser Bemerkung versucht Culemann nicht nur die Zerstörung des Hauses als eine gerechte Strafe Gottes zu rechtfertigen, sondern auch die soziale Ungleichheit zu sanktionieren, die sich selbst noch bei den Auswirkungen der Sturmflut bemerkbar machte.

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16: Brief an Georg Albrecht vom 31.12.1717. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, p. 14: Jan Volrad Kettler und August Friedrich von Schacht an Georg Albrecht, Berum 28.2.1718; Rep. 4, Nr. 12, p. 5: Brenneysen an Georg Albrecht, Esens 27.12.1717. Weiske, Die ostfr. Weihnachtsflut, S. 33. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5. p. 68 und 91; StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, p. 351: E.S.Johanns an die Regierung zu Stade, Padingsiel 12.1.1718; Heimreich, Nordfr. Chronik, II, S. 274f. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft, S. 49. Denck=Mahl, 1719, S. 28.

5. Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen Die Erfassung der durch die Weihnachtsflut entstandenen Verluste und Schäden, also die materielle Bestandsaufnahme, die sich in nüchternen Aufstellungen und Listen niederschlug, wurde von den obrigkeitlichen Beamten durchgeführt und diente vornehmlich zur Information der Landesherrschaft. Die Erforschung der Ursachen und die theologische Deutung der Flutkatastrophe, die wissenschaftliche und theologische Bestandsaufnahme sozusagen, blieb den Gelehrten, vor allem den Theologen überlassen. Sie versuchten einerseits, das Entstehen der Flut nach dem Stand ihrer naturwissenschaftlichen Kenntnis zu erklären; andererseits wollten sie das Wirken Gottes in dieser Katastrophe erfassen und beleuchten. Naturwissenschaftliche und theologische Argumentationen, die damals keine völlig voneinander getrennten Vorgänge waren, ergänzten und überschnitten sich und konnten nach zeitgenössischen Vorstellungen nur in der Zusammenschau eine ausreichende Erklärung dieses Naturereignisses liefern. Weder gab es bei den zeitgenössischen Gelehrten, die sich mit Naturereignissen befaßten, ein allgemein anerkanntes Erklärungsmodell für Sturmfluten, noch waren die damaligen Theologen in der heilsgeschichtlichen Deutung des Geschehens einer Meinung. Vielmehr unterschieden sich die Geistlichen nach ihren jeweiligen theologischen Standorten, die in jener Zeit von der schon weithin verblaßten lutherischen Orthodoxie, von dem vielerorts zu Anerkennung und Einfluß gelangten Pietismus oder auch schon von der sich ganz allmählich entfaltenden Aufklärung geprägt sein konnten.

5.1. Bußpredigt und Erbauungsschrift Es ist anzunehmen, daß die meisten Geistlichen der Küstenländer in den ersten Wochen des Jahres 1718 die Weihnachtsflut mit ihren Folgen zum zentralen Thema ihrer Predigten machten. Diese verheerende Flutkatastrophe bedurfte in ihren Augen nicht nur der heilsgeschichtlichen Deutung, sondern bot auch den besten Stoff für Bußpredigten. 1 Damit ihr Bußruf auch außerhalb ihrer Gemeinden vernommen wurde, ließen einige Prediger ihre Predigten drucken. Der reformierte Prediger in Larrelt in Ostfriesland, Jacob Isebrand Harkenroht, gab eine auf Psalm 107, 33f. aufbauende „Kerkrede ter gelegenheit van Oostfrieslands Kersvloed" heraus. Diese „Kerkrede" verliert 1

Vgl. z.B. die ungedruckten Predigten des Herzhorner Geistlichen Hieronymus Saucke in dem Manuskript „Monumentum Jubilo-Aquaticum" (UB Kiel: Cod MS. S. H. 332, AA\ fol.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

allerdings durch ihre vielen gelehrten Zusätze ihre Wirkung als Bußpredigt.2 Eine „Christliche Aufmunterung zur wahren Busse / wider die Sicherheit der Welt" verfaßte der ostfriesische Pastor Julius Ludwig Stoltnau aus der lutherischen Gemeinde Dornum. Diese an einem Büß- und Bettag über Deut. 28, 16f. gehaltene Predigt wurde mehrfach gedruckt. 1722 erschien sie zusammen mit einigen anderen Abhandlungen in Hamburg in der dritten Auflage.3 Mehrere Predigten veröffentlichte der lutherische Pastor zu Resterhafe in Ostfriesland, Johann Christian Hekelius. Als die Gemeinde sich nach der Weihnachtsflut zum ersten Mal am Neujahrstag 1718 wieder zum Gottesdienst versammelte, hielt er eine „Wehmüthige Trauer = und Büß = Predigt" über Arnos 8, 10. „Die andere Buß= und Trauerpredigt", kurz nach der Februarflut 1718 am Sonntag Esto Mihi gehalten, hatte den Text Jer. 14, 19 zur Grundlage. 4 Hekelius trat nicht nur in seiner Gemeinde als Bußprediger auf, sondern zog auch durch die Lande, wo er „in vielen Städten" über die Weihnachtsflut predigte. Zwei erbauliche Predigten über 2. Kor. 6,1 f. und über 1. Thess. 4, 1-7, die er in den Kirchen St. Marien und St. Moritz in Halle und an anderen Orten gehalten hatte, wurden 1719 von der Neuen Buchhandlung in Halle herausgegeben, damit auch andere Christen, die ihn nicht gehört hatten, „von solchen erschrecklichen Gerichten sich eine rechte lebendige Vorstellung" machen konnten. 5 Den Charakter einer Bußpredigt hat auch die anonyme Schrift „Ein allen Menschen nöthiges, heilsames und nimmer zu vergessendes Denckmahl der sonderbaren / und überaus hohen Wasser = Fluth", die im Frühjahr 1718 in Hamburg erschien.6 Über die Sturmflut von 1717 predigten jedoch nicht nur die Pastoren der Küstenländer, die Augenzeugen der Sturmflut von 1717 waren, sondern auch Geistliche in entfernten Ländern und Städten nahmen die Weihnachtsflut zum Anlaß, um ihren Gemeindemitgliedern ins Gewissen zu reden. Der Diakon Georg Johann Hencke aus Glaucha bei Halle publizierte eine von Psalm 29, 10 ausgehende Predigt über die Weihnachtsflut, die er am 20. Januar 1718 in seiner Gemeinde gehalten hatte.7 In Naumburg gab der Pastor Johann Martin Schamelius 1718 eine Predigt mit dem Titel „Gottes wilder Wassermann" heraus, nachdem er von der Flutkatastrophe von 1717 gehört hatte.8 Eine Bußpredigt über die große Wasserflut, die für den Druck mit einigen hi2 3 4

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Die Predigt ist enthalten in der Schrift „Oostfriesche Watersnood". Ost = Frieß = Lands Freuden = Schall und Trauer = Fall, Hamburg 1722. Beide Predigten sind abgedruckt in dem von ihm 1719 in Halle erschienenen Buch „Ausführliche und ordentliche Beschreibung Derer beyden erschrecklichen und fast nie erhörten Wasserfluthen". Hekelius, Zwey besondere Predigten, S. 6. Der Autor ist anonym; es heißt: „Fürgestellet von Jemanden / Der in einem solcher Länder gewohnet / und gnädiglich von GOTT erhalten worden". Titel der gedruckten Predigt: „Gott der HErr Als der Rechte Richter". Leipzig 1718.

Bußpredigt und Erbauungsschrift

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storischen Anmerkungen versehen wurde, hielt auch Christian Hochstetter, Prediger im Kloster Bebenhausen in Württemberg.' Einige Geistliche meinten, daß allein die Darstellung der Flutkatastrophe ausreiche, um die Menschen zur Umkehr zu bewegen. Die Erfahrung habe gelehrt, betont der Pastor Gregor Culemann aus Wilster, daß die Sturmfluten und die dabei geschehenen „sonder = und wunderbaren Werke Gottes" einen größeren Eindruck machen könnten als hundert Predigten.10 Deshalb hatte er sich entschlossen, ein „Denck-Mahl der zwo hohen Wassers = fluthen" herauszugeben.11 Ganz ähnlich wie der Augenzeuge Culemann argumentiert auch der anonyme Autor der in Leipzig erschienenen Schrift „Die Denckmahle der Göttlichen Zorn = Gerichte": „Weil nun die ruchlose Welt insgemein mehr durch harte Exempel göttlicher Straff = Gerichte, als durch die Ermahn = und Drohungen eiffriger Büß = Prediger beweget wird; So hat man / aus Christlicher Absicht, die betrübten Nachrichten von nur erwehnter grausamen Wasser = Fluth durch genaue Correspondentz und fleißige Lesung aller Zeitungen zusammen bringen, auch eine ordentliche Beschreibung dieser so merckwürdigen Begebenheit daraus verfertigen wollen."12 Er habe auch zeigen wollen, „wie gefährlich es sey / die Langmuth des liebreichen GOttes durch unabläßiche Fortsetzung des sündlichen Lebens dahin zu bringen, daß sich derselbe in einen Grausamen verwandelt, und seine Straf = Gericht über uns ergehen läst".13 Eine ähnliche Absicht verfolgen auch die zwei Schriften „Kläglicher Bericht", erschienen im Januar 1718, und „Erstaunenswürdiger Gedenckzettel und Relation von der erschrecklichen / fast in hundert Jahren nicht erhörtem Wasser = Fluth", ebenfalls 1718 herausgekommen.14 Während man in dem „Bericht eines Ungenannten an die Freunde in Halle" eine Mischung aus sachlichem Bericht und erbaulicher Betrachtung findet" , ist die von Georg Johann Hencke herausgegebene und mit zwei Fortsetzungen erschienene „Historische Nachricht von den merckwürdigen Exempeln der göttlichen Providence und Vorsehung in wunderbahrer Errettung der Menschen bey der Wasser = Fluth in der Christ = Nacht des vorigen 1717. Jahres" eine reine Erbauungsschrift. 16 Eine Sonderstellung unter den theologischen Schriften über die Weihnachtsflut nimmt Johann Friedrich Jansens zweiter Teil seines 1722 erschienenen Buches „Historisch-Theologisch Denckmahl" ein, in dem er einzelne theologische und naturwissen9 10

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Hencke, Andere Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 4. Culemann, Denkmahl, Vorbericht, o.S. „Werden nun die sogenannten 'Framen Holsten' nicht fromm, so werden sie es nimmermehr", betont Culemann (III, § 31). Halle 1719. „Das mit dreyen Fortsetzungen vermehrte Denck=Mahl von den hohen Wassers = Fluthen" erschien 1728 in Wilster. Die Denckmahle der Göttlichen Zorn = Gerichte, S. 3f. Ebenda, Vorrede, o.S. Beide Schriften wurden anonym und ohne Ortsangabe herausgegeben. Abgedruckt in Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut vom Jahre 1717, S. 27-40. Erschienen in Halle. o.D. (1718).

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

schaftliche Fragen, die vorher in anderen Schriften über die Sturmflut erörtert worden waren, sehr ausführlich und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit behandelt. 17 Jansen will nicht erbauen, sondern aufklären; deshalb ist er in der Deutung und Erklärung von einzelnen Erscheinungen wesentlich kritischer als andere Geistliche. Manche gebildeten Leute nahmen die Sturmflut zum Anlaß, um ihre dichterischen Fähigkeiten zu beweisen. Simon Doekes aus Emden brachte Anfang 1718 eine in Versform verfaßte Darstellung der Weihnachtsflut heraus, in der es ihm weniger um die Mitteilung einzelner Fakten als vielmehr um die Herstellung eines Stimmungsbildes geht.18 Von geringem historischen wie poetischen Wert sind auch die in Emden erschienenen Schriften ,,'t Jammernde Oostfriesland over den hoogen Water-Vloed op Kersnagt" (1718), ,,'t Beknelde Land wegens den Water-Vloed op Kersnagt" (1724) und „Frisia orientalis tarn ante quam post diluvium poesi heroica descriptio" (1724). Die von Konrad Joachim Ummen verfaßte Schrift „Die mit Thränen verknüpffte Weynachts = Freude Jeverlandes" unterscheidet sich von den anderen poetischen Werken dadurch, daß sie in den Anmerkungen ausführlich über die Schäden in der Herrschaft Jever informiert. 19 Einige Autoren schrieben Bußund Klagelieder, in denen sie in vielen Strophen die Schrecken der Sturmflut aufzeigten.20 Andere verfaßten Verse über die Weihnachtsflut, die noch ganz in der Tradition des barocken Gelegenheitsgedichtes standen.21 Eine lateinische Rede über die Weihnachtsflut, am 27. Februar 1718 in Lübeck gehalten, verfaßte der Auricher Pastor Christian Funck.22 Am ostfriesischen Hof erscholl der Bußruf auch in musikalischer Form. Auf Anordnung des Fürsten Georg Albrecht wurde am 16. Mai 1718 in Aurich ein kleines Oratorium inszeniert, zu dem der Hofkantor Johannes Jani den Text und die Musik gemacht hatte. In diesem Musikstück wurden in verschiedenen Liedern die ein17

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S. 413-795. Diesen zweiten Teil nennt Jansen „eine gründliche, meistentheils Theologische Untersuchung der wunder=vollen Wegen GOttes / die er bey dieser grossen Wasser = Fluth so mercklich erwiesen / wie auch vieler andern Sachen / welche zu genauem Erkäntniß dieses Unglücks und der dabey vorgefallenen vielfältigen Umständen helffen können / in unterschiedenen Fragen erwogen". Godts straffende Handt, Emden 1718. Bremen 1718. Graede-Vand I en Graede-Viise / Om den begradelige Vand = Flod.. .den Aar 1717.1 Jule = Dage, o.O., o.D.; P. J. Phoenixberg, En ynckelig Klage = Sang Over den forskraeckelige störe Vand = Flod / Som skeede afvigte Juule, o.O. 1718; En Smuk / Dog sorgelig Ny Viise / Om det skadelige Vandbrud, o.O. 1718; En kort sammendragen Beretning / Saavel om den Forste den 24. Dec. 1717 Som den sidste endnu forfaerdelige Vand = Flod / Den 25. Febr. 1718, Flensburg 1718; Christian Funck, Büß = Gedancken Bey Jetzigen trübseligen Zustand von wegen der in der Christ = Nacht An. 1717 herein gebrochenen grossen Wasser = Fluth, in: Hekelius, Beschreibung, S. 103f. Anthon Niclas Haselbach und Hermann Christian von Muntzbruch, Trauer = und Trost = Oden, Oldenburg 1718. Oratio de Tuba Fluminis, Hamburg 1718.

Bußpredigt und Erbauungsschrift

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zelnen Stufen der seelischen Veränderung aufgezeigt, die Gott mit seinem Strafgericht bei den Menschen bewirken wollte. Dementsprechend hießen die Lieder: 1. Die ängstliche Seele, 2. Die bußfertige Seele, 3. Die gläubige Seele und 4. Die sich Gott ergebende Seele.23 In allen diesen theologischen Schriften und Texten wird in mehr oder weniger ausführlicher Form versucht, die Sturmflut von 1717 zu erklären und zu deuten. Hier finden wir die für die Zeit typischen Erklärungsmodelle und Deutungsmuster, die im folgenden etwas näher erläutert und analysiert werden sollen.24

5.2. Die Macht der Natur Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Gelehrten in der wissenschaftlichen Erforschung des Meeres von unserer heutigen Erkenntnis noch weit entfernt. Einen bahnbrechenden Fortschritt in der wissenschaftlichen Betrachtung der Gezeiten hatte es allerdings bedeutet, als der englische Mathematiker und Physiker Isaac Newton Ende des 17. Jahrhunderts das Gravitationsgesetz entdeckte. Denn dieses ermöglichte, das Phänomen der Gezeiten und die Bewegung des Mondes hinreichend zu erklären. Newtons Erkenntnisse wurden in den hydrographischen Schriften zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch weitgehend ignoriert; auf dem Kontinent waren sie zu jener Zeit noch weithin unbekannt oder, wenn zur Kenntnis genommen, doch meistens unverstanden geblieben. 25 Noch 1738 stellte der französische Philosoph Voltaire in seiner Schrift „Éléments de la Philosophie de Newton" den Unterschied zwischen den kosmologischen Vorstellungen auf dem Kontinent und in England fest: „Ein Franzose, der von Paris nach London reist, findet bei seiner Ankunft dort alles anders als in Frankreich. Er hat eine Welt verlassen, die mit irgendeiner feinen Materie erfüllt war, hier in London ist sie leer. In Paris verursacht der Druck des Mondes die Gezeiten; bei den Engländern strebt das Wasser der Meere zum Monde hin. Ja, es ist sogar so, daß die Engländer sagen, es werde Ebbe eintreten, wenn die Pariser meinen, es müsse Flut kommen. Bei den Cartesianern geschieht alles durch feine Stöße, bei Herrn Newton durch Anziehung, deren Ursache man aber auch nicht kennt." 26 Newtons Erkenntnisse wurden in Deutschland erst von den Physikotheolo23 24

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 112f. Auch in den ersten Darstellungen über die Weihnachtsflut können wir die üblichen Deutungsmuster finden. Siehe die Angaben zu dieser Literatur in der Einleitung. Sager, Das Regime der Gezeiten und der Gezeitenströme in der Nordsee, dem Kanal und der Irischen See ( = Beiträge zur Meereskunde, Heft 11), Berlin 1964, bes. S. 20-28. A. Rupert Hall, Die Geburt der naturwissenschaftlichen Methode 16301720 von Galilei bis Newton, Gütersloh 1965, S. 352, 365f. Zitiert nach Teichmann, Wandel des Weltbildes, S. 196f.

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gen rezipiert. Die Physikotheologie war eine theologische Richtung, die auf die Engländer John Ray und William Derham zurückging. 27 Für diese Theologen wurde die Natur neben der Bibel zum zweiten Buch göttlicher Offenbarungen. Die Physikotheologen zogen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse heran, um Gottes Allmacht, Weisheit und Güte in den vielen kleinen „Wundern" der Natur aufzuzeigen. Dabei trugen sie gleichzeitig wesentlich zur Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei. Der Durchbruch dieser theologischen Bewegung geschah in Deutschland jedoch erst nach der Weihnachtsflut. Eine Deutung der Naturkatastrophe von 1717 aus physikotheologischer Sicht ist deshalb nicht überliefert. 28 In den Schriften über die Weihnachtsflut finden wir nur ältere theoretische Ansätze für die Erklärung der Gezeiten, wobei auch noch naturmystische Vorstellungen herangezogen wurden. 29 Zwar war allgemein bekannt, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Mond und der Flut geben müsse; auch wußte man, daß das Wasser bei Voll- und Neumond besonders hoch stieg; hinreichend erklären konnten die Gelehrten diese Vorgänge aber noch nicht. 30 Einige Erklärungsmodelle nennt Hekelius in seiner Schrift über die Weihnachtsflut: In Anlehnung an Johannes Kepler vertraten einige Forscher die These, Ebbe und Flut würden durch eine magnetische Anziehungskraft 27

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W. Philipp, Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht; U. Krolzik, Säkularisierung der Natur; R. u. D. Groh, Weltbild und Naturaneignung; U.-K. Ketelsen, Die Naturpoesie der norddeutschen Frühaufklärung. In seiner 1734 erschienenen „Hydrotheologie" geht der bekannte Hamburger Physikotheologe Johann Albert Fabricius auf das Phänomen der Sturmfluten äußerst kurz ein, indem er anmerkt, daß Gott nur bei Strafgerichten in Form von Überschwemmungen das Meer die ihm gesetzten Grenzen überschreiten läßt. Der zu seiner Zeit berühmte Hamburger Dichter Barthold Hinrich Brockes, der die physikotheologischen Ansichten in seinem lyrischen Werk übernahm, schildert in einem Gedicht über das Wasser auch die Gewalt einer Sturmflut mit ihren zerstörerischen Auswirkungen, wodurch er Gottes Allmacht in besonderer Weise demonstrieren wollte. Aber es steht keineswegs dieses außergewöhnliche Ereignis im Mittelpunkt seines Gedichtes, sondern vielmehr die vielen segensreichen Wirkungen des Wassers, die kleinen „Wunder" Gottes im Wasser. Siehe Brockes, Irdisches Vergnügen in GOTT, bestehend in Physicalisch = und Moralischen Gedichten, I, Hamburg 7 1744, S. 290ff, bes. 302ff. Vgl. A. Faivre/R. C. Zimmermann (Hg.), Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt, Berlin 1979. Die Naturmystik, die in diesem Buch eine positive Neubewertung erfährt, gehört „wissenschaftshistorisch gesehen zu den Kindheitsstufen und Kinderkrankheiten der modernen Naturwissenschaften" (S. 20). Noch 1755 betonte der Hamburger Pastor Joachim J. D. Zimmermann in einer Predigt, daß die Gezeiten des Meeres zwar zu sehen, aber nicht zu erklären seien; womit er demonstrieren wollte, daß die Natur eine göttliche Veranstaltung sei, um dem Menschen seine Geringfügigkeit zu erweisen. Siehe U. Ketelsen, Die Naturpoesie, S. 65. Auf Sylt gibt es die Sage, der Mann im Mond sei ein Riese, der zur Flutzeit Wasser auf die Erde gießt, während er sich zur Ebbezeit ausruht. Siehe Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder, S. 360.

Die Macht der Natur

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des Mondes bewirkt; einige führten die Gezeiten auf eine Respiration der Erde zurück; andere wiederum bevorzugten die cartesianische Theorie und meinten, der Mond würde die Luft und das Wasser so drücken, daß es dadurch zu- und abnähme. 31 Manche Forscher sahen wiederum die Sonne als Ursache für die Bewegung des Wassers an.32 Eine noch naturmystischem Denken verhaftete Erklärung für Ebbe und Flut bietet Hekelius. Seiner Ansicht nach werden die Gezeiten durch einen unergründlich großen Strudel in der See hervorgerufen. Dieser Strudel, den er auch als „Ungeheuer" bezeichnet, verschlingt das Wasser „mit solcher Grausamkeit in sich, daß einem die Haare zu Berge stehen, wer es nur von weitem höret". Nach sechs Stunden wird das Wasser wieder ausgespien, so daß dort, wo man zwischenzeitlich zu Fuß gehen konnte, wieder Schiffe fahren können. Durch diesen Schlund in der See wird außerdem Wasser in unterirdischen Kanälen über die ganze Erde verteilt, wovon es aus unzähligen Wasserquellen später über die Flüsse ins Meer zurückfließt. Allein Ebbe und Flut bewirken, daß das Wasser durch die Adern der Erde hindurchdringen und im Gebirge in die Höhe steigen kann. Einen Beweis für die Richtigkeit dieser Theorie sieht Hekelius darin, daß die See durch keinen noch so großen Zufluß des Wassers größer wird.33 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts konkurrierten somit noch unterschiedliche Erklärungsmodelle für die Entstehung von Ebbe und Flut miteinander. Diese Modelle waren Erklärungsversuche, die aus der Beobachtung der Regelmäßigkeiten in der Natur bzw. des Meeres entstanden waren. Einen so aufgeklärten Standpunkt, wie ihn der 1749 geborene französische Astronom und Mathematiker Pierre Simon de Laplace vertrat, der glaubte, in seinen hydrologischen und astronomischen Forschungen auf die Hypothese „Gott" verzichten zu können, findet man in den hydrographischen Abhandlungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch nicht.34 Das Meer wurde von Gott gemacht und wird, wie man meinte, auch von Gott in seinem ordentlichen Lauf erhalten. „Daß aber / GOtt voraus gesetzt / auch eine natürliche Ursache hier mit unterlauffe / ist wol nicht zu leugnen", urteilt beispielsweise der Geistliche Konrad Joachim Ummen.35 Gott wurde somit zwar als der Urheber, als „primus et supremus motor" von Ebbe und Flut angesehen, doch 31 32

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Vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 15. Der bekannte Hamburger Physikotheologe Johann Albert Fabricius, der die neuesten Erkenntnisse Newtons schon kannte, nahm in seiner „Hydrotheologie" an, daß diese verschiedenen Ursachen mehr oder weniger zusammenwirkten. Aber er betonte auch, daß es an einer ausreichenden Erklärung für Ebbe und Flut immer noch fehle. Siehe Hydrotheologie, S. 335f Hekelius, Beschreibung, S. 16f. Jürgen Teichmann, Wandel des Weltbildes, S. 199. Laplace hat sich seit 1774 auch intensiv mit der Erforschung der Gezeiten beschäftigt, wozu er genaue Beobachtungen der Wasserbewegungen in Brest vornahm. Weihnachts = Freude, S. 16f.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

der Ablauf der Gezeiten wurde auf immanente Gesetzmäßigkeiten der Natur zurückgeführt. Diese Unterscheidung zwischen prima causa und secundae causae stellte einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des naturwissenschaftlichen Denkens dar, weil sie von mittelalterlichen Vorstellungen Abschied nahm, nach denen Gott den täglichen Ablauf des Universums leitete.36 Wie aber erklärten die Zeitgenossen die Sturmfluten, wie vor allem die Weihnachtsflut mit ihren katastrophalen Folgen? Eine ausschließlich naturalistische Erklärung dieses Naturereignisses wurde von den Theologen einhellig abgelehnt.37 „Die sichern und frechen Menschen" schrieben die Wasserflut bloß der Natur zu, „und scheiden GOtt so von derselben / als thäte er dabey nichts", kritisierte der Pietist Hencke.38 Ein jeder wahre Christ wisse aus Gottes Wort, daß kein Übel in der Stadt und daß keine Plage im Land sei, die Gott nicht schicke 39 , schrieb Hekelius, wohl wissend, daß eine natürliche Erklärung der Flutkatastrophe keinen Stoff für eine Bußpredigt bietet. Durch solche „unchristlichen Gedanken" wie die natürliche Erklärung der Flut könne Gott „seinen Endzweck, den Er durch solche Plagen suchet, nehmlich die wahre Buße und Bekehrung, nicht erhalten noch erreichen". 40 Gleichwohl erkannten die meisten Geistlichen doch an, daß auch natürliche Ursachen bei der Entstehung von Sturmfluten mitwirken. Johann Friedrich Jansen unterscheidet zwischen natürlichen und übernatürlichen Ursachen, die zur Entstehung der Weihnachtsflut führten. 41 Zunächst lehnt er - wie auch Outhoff 2 - die Ansicht ab, daß Wasserfluten durch Kometen hervorgerufen werden könnten, wie es der Pole Stanislaw Lubieniecki in seinem „Theatrum Cometicum " (1681), der Herborner Professor Johann Heinrich Aisted in seiner „Chronologia Cometarum " und der Hamburger Mathematiker Detlev Clüver in seiner „Geologia, sive Philosophemata de Genesi ac structura Globi terreni " (1700) behaupten. 43 Hier werde nach dem falschen Schluß verfahren: post hoc, ergo propter hoc. Nicht überzeugend findet Jansen auch die Meinung, daß Wasserfluten durch 36

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Vgl. Stephen F. Mason, Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen, S. 208. Hekelius, Beschreibung, Vorrede; ders., Zwey besondere Predigten, S. 5; ders., Trauer- und Bußpredigt I, S. 113, 120; Ummen, Weihnachtsfreude, S. 16f; Hencke, Gott der Herr, S. 28; Umständl. Hist. Nachricht, S. 3; Simon Doekes, Godts straffende Hand, S. 10, Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 32. Hencke, Gott der Herr, S. 28. Vgl. Arnos, 3, 6. Hekelius, Zwey Predigten, S. 5. Zum folgenden siehe Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 531 ff. Outhof, Verhandeling van de Kometen betrekkelyk tot Watervloeden, die als Anhang in seiner ersten Auflage der Schrift „Verhaal van alle de hooge Watervloeden", Emden 1718, aufgenommen wurde. Outhof meint, daß Kometen oft auf Wasserfluten folgen. Auch Culemann, Denckmahl, S. 78 lehnt eine Mitwirkung des Gestirns an der Entstehung von Wasserfluten ab.

Die Macht der Natur

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einen großen Luftdruck von oben entstünden oder daß langanhaltender Regen solche Fluten bewirke. Zu den natürlichen Ursachen der Sturmflut rechnet er vor allem den starken Sturm, der, wie damals schon allgemein bekannt war, in der Nordsee besonders gefährlich ist, wenn er zunächst eine gewisse Zeit lang aus Südwesten weht und dann auf Nordwest dreht. Dazu kam seiner Ansicht nach eine zweite wichtige Ursache: ein Aufschwellen des Meerwassers von unten her, welches durch Winde verursacht wird, die unten aus dem Grund der See austreten. Diese Winde oder Ausdünstungen kämen aus den hohlen Gängen der Erde, in denen auch Schwefel, Salpeter und andere entzündliche Stoffe sich befänden. Beides zusammen, die aus dem Grund der See aufsteigenden Winde und der sich oben in der Luft entwickelnde Sturm, hätten zu dieser gewaltigen Sturmflut am Weihnachtsabend 1717 geführt. Daß aber auch Jansen, bei dem schon Ansätze aufklärerischen Denkens sichtbar werden, die Sturmflut nicht ausschließlich auf natürliche Ursachen zurückführt, verwundert nicht; es entsprach dem Selbst- und Weltverständnis eines Geistlichen jener Zeit. Naturvorgang und Gottes Wirken werden bei ihm verknüpft, indem er erklärt, Gott habe sich dieser natürlichen Ursachen als Mittel bedient. Seiner Meinung nach mußte Gott somit keine natürlichen Gesetze überschreiten, als er die Sturmflut hervorrief. Von dieser Sicht deutlich unterschieden ist die Vorstellung der Geistlichen Johann Christian Hekelius, Johann Martin Schamelius und Konrad Joachim Ummen, nach der Gott das Meer über seine von ihm selbst gesetzten natürlichen Grenzen treten läßt, wenn er es als eine Strafrute gebrauchen will.44 Alle vier Geistlichen bestätigen somit ein Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen. Während Jansen schon ein weitgehend mechanistisches Naturverständnis hat, indem er die Sturmflut auf Gesetzmäßigkeiten der Natur zurückführt, die Gott sozusagen nur in Gang gesetzt hat, wird die Weihnachtsflut bei Hekelius, Schamelius und Ummen durch Aufhebung der Naturgesetze zu einem Wunder.45 Da zwingende naturalistische Erklärungen für Sturmfluten bisher fehlten, war es weder irrational noch unverständlich die Weihnachtsflut als übernatürliches Ereignis zu verstehen. Von den Pietisten wurden die besonderen Umstände der Flut, die teilweise als „wider die Gewohnheit und den Lauf der Natur" angesehen wurden, als Hinweise darauf gedeutet, daß es sich bei der Weihnachtsflut nicht um ein reines Naturereignis handeln könne: Merkwürdig war es nach ihrer Ansicht, daß die Flut zu einem Zeitpunkt kam, an dem normalerweise mit hohen Was44

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Ummen, Weihnachtsfreude, S. 16f.; Schamelius, Gottes wilder Wassermann, B; Hekelius, Beschreibung, S. 10. Vgl. auch Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 32: Gott habe den Elementen befohlen, seinen Befehl auszurichten. Umständl. Hist. Nachricht, S. 3; Vgl. K. Thomas, Religion and the Decline of Magic, S. 80. Hekelius', Schamelius' und Ummens Deutung der Sturmflut als Wunderwerk Gottes geschieht ganz im Sinne der lutherischen Orthodoxie, während Jansens Deutung der Wunderauffassung des Frühaufklärers Christian Wolff nahekommt. Vgl. W. Philipp, Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht, S. 123ff.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

sern nicht zu rechnen war, nämlich zu der Zeit, als der Mond im letzten Viertel stand. Auffällig war ferner, daß das Wasser sehr schnell kam und außergewöhnlich lange in großer Höhe stehen blieb. Begleitet wurde die Sturmflut dazu von einem Gewitter, was ebenfalls als bemerkenwert registriert wurde. Als ungewöhnlich wurde es außerdem angesehen, daß die Sturmflut in so vielen Ländern zu Überschwemmungen führte und daß der Wind, wie einige Schiffer festgestellt haben wollen, zeitweilig aus allen Richtungen gleichzeitig gekommen sein soll. Das alles sprach nach Ansicht der Pietisten für ein Eingreifen Gottes.46 Als ein besonderes Zeichen Gottes wurde schließlich noch angesehen, daß die Sturmflut in der Heiligen Nacht und im zweihundertsten Jubeljahr der Reformation geschah.47

5.3. Strafgericht Gottes „Es ist diese Fluth nach Gottes Wort als ein groß Strafgericht und gleichsam Particular Sündfluth anzusehen", steht auf der Gedenktafel in der Langwarder Kirche.48 Die Weihnachtsflut sei „ein Gericht des großen Gottes" 49 , „die gerechte Heimsuchung des Höchsten" 50 ; „der gerechte und erzürnte Gott" habe seinen Grimm über das sündige Volk gehen lassen51; so weitere Urteile über die Weihnachtsflut 1717. Daß die Flutkatastrophe ein Strafgericht Gottes war, stellten die meisten Zeitgenossen nicht in Frage. Ein Vergleich mit der von Gott über die Welt verhängten Sintflut, wie sie in Genesis 7 beschrieben wird, bot sich an, und die Ähnlichkeit der Ereignisse wurde oft betont. Jedoch eine neue Sintflut konnte die Weihnachtsflut nicht sein, da Gott versprochen hatte, künftig keine Sintflut mehr über die Menschen kommen zu lassen. Zur Bestärkung dieses Versprechens und als Zeichen des neuen Bundes hatte Gott den Regenbogen an den Himmel gesetzt (Gen. 9). Folglich sprachen die Theologen von „Particular-Sündflut" und „Privat-Sündflut", die nicht mehr die ganze Erde, sondern nur noch einzelne Regionen oder Länder verwüsten. Diese „kleinen Sündfluten" wurden, wie die Geistlichen anhand historischer Beispiele darlegten, von Gott nach wie vor als Strafmit46

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Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 4ff; Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl, S. 17f; vgl. Laß, Sammlungen 1701-1750, S. 66. Ein allen Menschen.. .nöthiges Denkmahl, S. 17f; En smuk / Dog sorgelig Ny Viise / Om det skadlige Vandbrud, o.S. E. Krüger, Zeugnisse, o.S. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 3: Christian Wilhelm von Münnich u. Johann Philipp Brenneysen an Georg Albrecht, Esens 25.12.1717. Umständl. Hist. Nachricht, S. 95. Kirchenbuch Stollhamm nach M. Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. Vgl. auch StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben der Einwohner der Vogtei Rodenkirchen und Goltzwarden vom Jahre 1718 an die Deichkommission.

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tel gebraucht.52 Von einer „zweiten Sintflut" schrieben nur theologisch nicht gebildete Laien, wie Poppe Jansen und Hinrich Eilers in einer Bittschrift an den Fürsten und Jost Rispeler in einem Bericht über die Schäden am Schweiburger Deich.53 Die Vorstellung vom strafenden Gott ist so alt wie die Bibel, in der besonders im Alten Testament der Gedanke ausgeprägt ist, daß Gott die Menschen für ihre Sünden straft. Die Theologen haben diesen biblischen Gedanken des Strafgerichts Gottes zu aller Zeit als eine Erklärung für Naturkatastrophen, Krieg, Seuchen, Hungersnöte und Unglücksfälle herangezogen. „Der Zusammenhang zwischen Verbrechen und göttlicher Strafe noch auf Erden wurde für die abendländische Mentalität immer mehr zur Selbstverständlichkeit."54 Keine Abhandlung über die Sturmflut von 1717 läßt diesen Aspekt deshalb außer acht. Das Erklärungsmodell war nach damaliger landläufiger Meinung einfach: Die Weihnachtsflut war über die Nordseeländer hereingebrochen, weil Gott aus Zorn über die Sünden der Menschen zu seiner Strafrute greifen mußte. Dieser immer wiederkehrende Topos für die Begründung der Flutkatastrophe war allen Menschen der damaligen Zeit geläufig und kommt in vielen Schreiben und Berichten über die Flut vor.55 Der allmächtige Gott habe Ostfriesland wegen „seiner überhäufften Sünden" seit dem Jahr 1715 mit einigen „landesverderblichen Plagen" gestraft, schrieb der zur niederemsischen Deichacht gehörende Bauer Otto Wilhelm Falck an den Fürsten.56 Wegen ihrer Sünden seien sie mit der Viehseuche, der Mäuseplage und der Wasserflut bestraft worden, bemerkten auch die Deichinteressenten des oldenburgischen Kirchspiels Blexen.57 In einem von der Obrigkeit vorgeschriebenen Gebet für den am 3. Mai 1719 angesetzten Büß- und Bettag wird genauso argumentiert, wenn dort betont wird, daß Gott das Land der „grossen überhäufften Sünden und Missethaten" wegen mit so schweren Gerichten, 52

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Vgl. Hencke, Gott der Herr, S. 21 f.; Erstaunenswürdiger Gedenkzettel, A 2; Die Denckmahle der Göttlichen Zorn = Gerichte, S. 3; Ein Klage = Lied Uber die Ao 1717...ergangene Wasser =Fluth; Schamelius, Gottes wilder Wassermann, B2; Enewald, Biga concionum, S. 72. Die Überschwemmung hätte ihnen „gleichsam eine halbe Sündfluth zum erschrecklichen Anschauen" vorgestellt, schrieb Kammerrat Röhmer. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben an die Oldenburger Regierung vom 3.1.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 124; StA Old: Bstd. 26, 1263. Jean Delumeau, Angst im Abendland, II, S. 341. Vgl. Hekelius, Trauer- und Bußpredigt I, S. 113; Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 570ff.; Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 74ff., 95; Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl, S. 6, 24; Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 4ff.; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 39, 49; Die Denckmahle der Göttlichen Zorn = Gerichte, S. 5f: Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 31; Heimreich, Nordfriesische Chronik, II, S. 261f; StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 2): Patent der Stader Regierung vom 3.1.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 52, fol. 171: Schreiben vom 5.4.1718. StA Old: Bstd. 26, 1264.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

besonders aber mit der „erschrecklichen Wasser-Fluth" heimgesucht habe.58 Auch die Sturmflut vom 25. Februar 1718, die das noch weithin offen liegende Land erneut überschwemmte, und die Neujahrsflut vom 31. Dezember 1720 wurden von den Geistlichen als Strafgerichte Gottes angesehen, die notwendig würden, weil die Sünden trotz der schweren Strafe Gottes noch nicht abgenommen hätten. Die Menschen wollten die „harten Schläge des erzürnten GOttes, damit er sie geschlagen, nicht fühlen noch sich dadurch zur wahren Busse und Gehorsam bringen lassen", so die stereotype Klage der Geistlichen.59 Über eine Reihe von Sünden, die zum Eingreifen Gottes geführt und dessen harte Strafen notwendig gemacht haben sollen, bestand weitgehendes Einvernehmen unter den Theologen. Diese großen Sünden waren nach Ansicht der Geistlichen 1. die Geringschätzung und die Verachtung des göttlichen Wortes, 2. der Übermut, der Stolz und die Eitelkeit der Menschen, die sich unter anderem auch in der Kleiderpracht zeigten, 3. die Völlerei und die Trunkenheit besonders auf den Familienfesten wie Begräbnissen, Hochzeiten und Kindtaufen, 4. das Fluchen, Lügen, Betrügen und Stehlen sowie der Haß und der Neid, 6. der Ehebruch und die Hurerei, 7. die falsche Sicherheit der Menschen, die sich hinter ihren Deichen vor dem Wasser völlig geschützt glaubten und deshalb auch die Instandhaltung der Deiche vernachlässigten, und 8. die Entheiligung des Sonntags sowie der Büß- und Bettage.60 Nach Ansicht der Geistlichen war es kein Zufall, daß Gott die Sturmflut am Heiligen Abend geschehen ließ. Daraus meinten sie erkennen zu können, daß Gott seine Strafgerichte vor allem wegen der Entheiligung des Sabbats und der Festtage ausführte. 61 Kein Tag im Jahr würde mehr entheiligt als der Weihnachtsabend. 62 So sei es kein Wunder, daß Gott seine bei Arnos 8, 10 angekündigte Strafe schließlich wahr gemacht habe: „Ich will eure Feiertage in Trauern und alle eure Lieder in Wehklagen verwandeln." Neben diesem allgemein anerkannten Sündenregister, das einem in der theologischen Literatur der Frühen Neuzeit oft dargestellten traditionellen

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 31. Hekelius, Beschreibung, S. 97; Hencke, Hist. Nachricht, S. 4; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 34f. Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 601 ff.; Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 97ff.; Hekelius, Trauer- und Bußpredigt I, S. 113, 120f; ders., Beschreibung, S. 40; Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 9f.; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 44; Culemann, Denckmahl, 1728, S. 63f.; Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 28ff.. Hekelius, Beschreibung, S. 40; vgl. auch Doekes, Godts straffende Hand, S. 3; Ein allen Menschen.. .nöthiges Denkmahl, S. 17f. Wegen des übermäßigen Essens und Trinkens am Heiligen Abend würde dieser Abend auch mancherorts Dick-bucksAbend genannt. Umständl. Hist. Nachricht, S. 154. Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 45f

Strafgericht Gottes

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Schema entsprach 63 , führten einzelne Geistliche noch weitere Sünden an, die ihrer Ansicht nach zu diesem göttlichen Strafgericht mit beigetragen hatten. Nach Hekelius'Ansicht gehörte auch die „böse Kinderzucht" zu den schweren Sünden.64 Nicht ganz uneigennützig war es sicher, wenn Geistliche in ihren Schriften auch die Verachtung der Prediger und deren schlechten Unterhalt zu den großen Sünden der Menschen zählten.65 Ein radikaler Pietist namens Tantze aus Sengwarden in der Herrschaft Kniphausen, der mit den bekannten Separatisten Samuel Zinck und Christian Anton Römeling bekannt war, behauptete gar, eine der Sünden, die die Weihnachtsflut verursachten, seien die Zweihundertjahrfeiern des Reformationsfestes gewesen, weil Gott an diesen Festen „Abscheu und Greuel" gehabt habe.66 Als eine besonders schlimme Sünde wurde von zwei Autoren ferner ein Vorfall angeprangert, der sich kurz vor der Weihnachtsflut ereignet haben soll. Als das Wasser bereits an der Kuppe des Deiches stand und die Wellen schon hin und wieder über den Deich schlugen, habe ein Mann eine Katze totgeschlagen, sei damit an den Deich gegangen, habe sie in die See geworfen und zum Meer gesagt: „Da friß wieder etwas, du hast bisher genug ausgespien."67 Diese abergläubische Handlung, mit der die wütende See beruhigt werden sollte, erregte das größte Mißfallen der Geistlichen und zeigte ihrer Ansicht nach, wie weit der Abfall der Menschen von Gott bereits fortgeschritten war. Ob diese Geschichte allerdings authentisch ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Das Motiv des Tier- und Menschenopfers ist an der Nordseeküste jedoch bekannt und wird auch von Theodor Storm in seiner Novelle „Der Schimmelreiter" aufgenommen. 68

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Vgl. z.B. Meyfart, Das Jüngste Gericht, S. 167ff. Hekelius, Trauer- und Bußpredigt I, S. 120f: „Die Kinderzucht ist allhier so schlecht, daß sie nicht schlimmer seyn könnte. Denn es soll alles mit Liebe zugehen, man soll fein säuberlich mit den Knaben Absolon verfahren, man soll nicht mit der Ruthen der Zucht, sondern mit lauter sanfften Worten die Boßheit aus des Knaben Hertzen vertreiben. Darum untersteht sich auch fast kein Vater oder keine Mutter ihre ungerathenen Kinder zu züchtigen, und wenn es durch einen andern geschiehet, so meynen sie was dem lieben Sohne vor groß Unrecht wiederfahren wäre. So klagen sie denn seine Striemen, und machen es damit ärger als es zuvor gewesen. Und wie kan von solcher bösen Jugend etwas gutes in dem Christenthum gehoffet werden? Denn das Böse wächset mit den Jahren heran, und vermehret sich mit dem Alter, daß es hernach nicht wohl kan ausgerottet werden." Hekelius, Trauer- und Bußpredigt I, S. 120; Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 98ff. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 595ff. So der anonyme Bericht über die Weihnachtsflut bei Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 31 und wortgleich bei Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 9. Vgl. Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig-Holstein und Lauenburg, S. 242; Delumeau, Angst im Abendland, I, S. 56.

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Die Theologen teilten die Ursachen, die zur Sturmflut führten, ein „in causam efficientem" und „causam moventem": Die Ursache, welche die Sturmflut bewirkt hatte, war demnach allein Gott; die Ursache, die den Anlaß dazu gegeben hatte, waren die Sünden der Menschen. Zwar hielten die Geistlichen an der Vorstellung vom strafenden Gott fest, erklärten aber, daß Gott nicht gern strafe, wenn er aber strafe, gewissermaßen ein fremdes Werk, ein „opus alienum", tue. Allein die großen Sünden der Menschen zwängen Gott zu solchem Handeln. Sein „opus proprium", sein eigentliches Werk, aber sei es, den Menschen Gnade, Barmherzigkeit und Güte zu erzeigen.69 Gott habe die Menschen deshalb nicht nur strafen, sondern sie vor allem zur Umkehr von ihren Sünden bewegen wollen, zur wahren Buße und Bekehrung und zur Wiedergeburt, wie die Pietisten betonten. 70 Weil Gott sich von den Menschen noch nicht abgewandt habe, habe man im göttlichen Strafgericht an vielen Orten „die Fußstapfen der gütigen Vorsehung des Höchsten augenscheinlich wahrnehmen können". 71 Als sich am dritten Tag nach der Sturmflut in Ostfriesland ein schöner Regenbogen am Himmel zeigte, wurde er als ein Zeichen dafür gedeutet, daß Gott seinen Bund mit den Menschen noch nicht aufgelöst habe und auf seine Barmherzigkeit deshalb noch zu hoffen sei.72 Die Erklärungen der Theologen bewegen sich weitgehend im Rahmen der traditionellen protestantischen Dogmatik. Die Providentia Dei, die sich nach lutherisch-orthodoxer Vorsehungslehre primär auf die Erhaltung (conservatio) der Welt erstreckt, zeigt sich hier als Strafe Gottes, die zugleich Ausdruck seiner Weltregierung ist.73 Diese von Gott verhängte Strafe sollte letztlich auch der Erhaltung der Schöpfung dienen, indem sie die Menschen zum Ablassen von den die Schöpfung bedrohenden Sünden veranlassen soll. Es bleibt somit zu konstatieren, daß die Sturmflut von 1717 den Providentiaglauben der Theologen nicht zu erschüttern vermag . Erste zaghafte Zweifel an dem üblichen Erklärungsmodell kamen in den Reihen der Deichbaupraktiker auf. Die mit der Deichaufsicht und dem Deichbau befaßten Personen bezweifelten zwar nicht, daß die Weihnachtsflut ein Strafgericht Gottes sei; doch, indem sie für die schlimmen Auswirkungen der Sturmflut auch den schlechten Zustand der Deiche verantwortlich machten, hielten sie es zumindest für möglich, die Wirkung des Strafgerichts durch den Bau guter Deiche zu vermindern. Damit setzten sie sich aber gleichzeitig in einen gewissen Widerspruch zum üblichen, auch von ihnen nicht in Frage 69 70 71

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Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 577; Hencke, Gott der Herr, S. 24. Hencke, Gott der Herr, S. 48; Hekelius, Trauer- und Bußpredigt I, S. 121. So steht es auf der Gedenktafel in der Langwarder Kirche. Siehe E. Krüger, Zeugnisse, o.S.; vgl. die Schrift von G. J. Hencke, Historische Nachricht von den merckwürdigen Exempeln der göttlichen Providence und der Vorsehung in der Christ = Nacht des vorigen 1717. Jahres. Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 35. Vgl. C. H. Ratschow, Lutherische Dogmatik, 2, 209ff: H. G. Pöhlmann, Abriß d. Dogmatik, 109f.

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gestellten Erklärungsmuster. „Und wehre der neue Schweyburger Deich dies jähr nicht geleget worden, würde der alte Teich solche fluth nicht haben aushalten können, sondern daselbst in den Vier Marschvogteyen und in dem benachbarten Stattlande, noch einen größern Schaden veruhrsachet haben als im Butjadingerland geschehen", urteilte der Kammerrat Röhmer.74 Die Argumentation im Deichprotokoll des Landes Wursten liegt auf der gleichen Linie; dort wurde vermerkt: Wenn die Marschdörfer des Landes Wursten im Jahr 1717 besser auf den Oberdeichgraf Johanns gehört und ihre Deiche verbessert hätten, wären viele Menschen am Leben geblieben.75 Gegen diese nüchtern-praktische, tiefgehender metaphysischer Deutungen abholde Sicht der Deichbaupraktiker wandten sich die Theologen. Es sei ein Fehlschluß anzunehmen, so der Theologe Jansen, daß die Küstenbewohner von der Sturmflut, d.h. vom Strafgericht Gottes, verschont geblieben wären, wenn sie höhere Deiche gehabt hätten. Wer so rede, zeige ein Herz, „das nicht mit wahrer Ehrerbietung gegen GOtt erfüllet" sei, „weil es das Vertrauen / so GOtt gebühret / auf die Creaturen wendet." 76 „Die ohnmächtigen Menschen" könnten die Beschützung des Landes nicht aus eigenen Kräften leisten. Allerdings sei es auch falsch, den Deichbau zu vernächläsigen in der Hoffnung, Gott werde sie schon beschirmen. Wenn man nicht alle möglichen Mittel zum Schutz des Landes einsetze, so würde es eine Versuchung Gottes bedeuten. In der Konsequenz dieses Denkens kam die Vernachlässigung des Deichbaus einer Sünde gleich, die mit dazu beitragen konnte, die Strafe Gottes heraufzubeschwören. Die Deichbeamten waren auch nicht gewillt, jede kleine Zerstörung des Deiches als eine göttliche Strafe oder eine neue Warnung Gottes anzusehen, wie folgendes Beispiel zeigt: Nachdem im ganzen Sommer und Herbst 1719 in der ober- und niederemsischen Deichacht an den Deichen gearbeitet worden war und sie nicht ganz fertiggestellt werden konnten, wurde ein Großteil der Arbeiten im ersten Herbststurm wieder zerstört. „Der Ursprung dieses Unglücks kombt nicht von dem lieben Gott", kommentierte der Deichgraf Anton Günter von Münnich, „derselbe hat uns nach Seiner unbeschreiblichen Barmhertzigkeit einen solchen Sommer und Herbst verliehen, daß Wir keinen beßern zu reparirung der Teiche und Dämme hätten wünschen und verlangen können." Die Zerstörung des Deiches sei einzig und allein darauf zurückzuführen, daß es an Geld gemangelt habe, um den Deichbau vor Beginn der Herbststürme zu vollenden.77

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StA Old: Bstd. 26, 1263. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 789. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 131.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

5.4. Des Teufels Macht In einer Zeit, in der der Glaube an die Existenz und das Wirken des Teufels noch sehr lebendig war, mußte sich die Frage stellen, ob nicht der Satan diese schreckliche Flutkatastrophe bewirkt haben könne, zumal ihm allgemein Macht und Wirksamkeit auf dem Meer zugesprochen wurde.78 Unter den Marschbewohnern herrschte zu Beginn des 18. Jahrhunderts, so weit wir wissen, nur vereinzelt die Vorstellung, die Sturmflut komme vom Teufel.79 Das war eine aus dem Volksglauben stammende Deutung, die den Teufel in die Rolle alter heidnischer Dämonen und Geister schlüpfen ließ. Diese Deutung findet man aber nicht in den zeitgenössischen Schriften über die Weihnachtsflut.80 Die Antwort der Theologen war klar: Der Teufel hat keine Gewalt über Wasser und Winde.81 Auch kann er niemals ohne die Erlaubnis Gottes die Einwohner eines ganzen Landes sowie deren Häuser, Vieh und Ernte vernichten.82 Die Weihnachtsflut, jenes „malum poenae", darin waren sich die Theologen einig, wurde ausschließlich von Gott bewirkt; er allein ist Herr über Wasser und Wind und bedient sich der Wasserfluten als eines Strafmittels.83 Wenn der Teufel auch nicht der Urheber der Flutkatastrophe war, so hielt man ihn doch für einen Mitverursacher. Das göttliche Strafgericht wurde nach Ansicht der Theologen notwendig, weil die Sünden der Menschen überhandnahmen. Der Ursprung dieser Sünden aber, so argumentierten sie, ist der Teufel; er ist „der Vater der Sünden". So wurden die vom Teufel bewirkten Sünden zwar als der Grund für die göttliche Strafe angesehen; die Strafe als solche konnte aber nur von Gott selbst ausgeführt werden.84 In der Macht

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Nach dem von Simon Henrich Reuter herausgegebenen Buch „Das mächtige / doch umschränckte Reich des Teufels", Lemgo 1716, S. 557 ist der Satan „mächtig und wirksam" in der Luft, auf dem Meer und auf der Erde. Nach Delumeau, Angst im Abendland, I, S. 58ff. war das Meer ein bevorzugtes Revier des Teufels; für den Sturm waren Dämonen und Hexen verantwortlich. Saucke, Monumentum, p. 153 (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332, AA 3 ): vgl. auch Culemann, Denkmahl, 1728, S. 195. Es liegt wohl daran, daß sich die Einstellung zum Meer an der Küste schon gewandelt hatte, bevor es auch im Bewußtsein aller Menschen, wie A. Corbin, Meereslust, S. 37ff nachweist, eine Neubewertung erfuhr. Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 15; Culemann, Denckmahl, 1728, S. 55; Enewald, Biga concionum, S. 20 und 61. Culemann, Denkmahl, 1719, S. 78. Vgl. Matthias Lobedantz, Ach vnd Sache des im Wasser ertrunckenen Marschlandes NordStrand, Hamburg 1634, S. 6. Das betont auch noch der Hamburger Physikotheologe Johann Albert Fabricius unter Hinweis auf Genesis 1,2 („Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.") und Psalm 147,18, wo es heißt: „Der Herr läßt seinen Wind wehen, so fließen die Wasser." Siehe seine Hydrotheologie, S. 319ff. Erstaunenswürdiger Gedenckzettel, 2. Continuation, C 2.

Des Teufels Macht

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des Satans lag also durchaus nicht alles, wie Delumeau behauptet. 85 Sturmfluten waren nach vorherrschender Ansicht ein Werk des strafenden Gottes.86

5.5. Die Gerechtigkeit Gottes im Übel Wenn die Sturmflut eine Strafe Gottes für die sündigen Menschen sein sollte, dann mußten die Theologen aber auch erklären, weshalb fromme, rechtschaffene Christen und kleine unschuldige Kinder in den Wassern umkamen oder durch die Flutkatastrophe großes Leid erfuhren. 87 An der Beantwortung dieser Frage mußte sich erweisen, ob das Erklärungsmodell der Theologen schlüssig war. Die Antwort der Geistlichen auf diese Frage war meistens recht kurz und ohne ausführliche Begründung, was auf eine Unsicherheit in diesem Punkte hinweisen könnte. Einmal heißt es, nur die Unverständigen würden den Tod der Frommen als eine Pein und ein Verderben ansehen, aber nicht wissen, daß jene doch in Frieden seien. Es wurde auch hervorgehoben, Gott habe den kleinen Kindern „durch diese Ersäuffung wol mehr Gutes gethan / als wenn er sie lange das Elend in diesem Jammerthal hätte bauen / und sie durch schmertzliche Kranckheit langsam sterben lassen".88 Der Pietist Hencke erklärte kurz, die Frommen hätten durch ihren Tod in der Wasserflut keinen Schaden, sondern sie hätten sich ihrer Erlösung genähert. 8 ' Der Tod eines frommen Christen wird von diesen Theologen somit ausschließlich als ein Gnadenerweis Gottes angesehen. Ausführlich geht der Jeversche Pastor Johann Friedrich Jansen auf dieses Problem ein, das letztlich auch eine Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Bösen war, ein Theodizeeproblem, wie es seit Leibniz hieß.90 Weil es, wie er schreibt, den Anschein habe, als wenn Gott für seine Kinder nicht mehr Fürsorge trage als für die „verkehrten Sünder", hätten viele Menschen an der göttlichen Fürsorge gezweifelt und manche sie sogar geleugnet. Viele Menschen hätten sich bisher an die in mehreren Bibelstellen gegebene Zusage Gottes gehalten, Gerechte und Ungerechte nicht zusammen umkommen zu lassen (vgl. Ps. 91, lff.). Als Abraham vernommen habe, daß Sodom und Gomorra vernichtet werden sollten, habe er sich auf die Gerechtigkeit 85

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Delumeau, Angst im Abendland, II, S. 380. Simon Henrich Reuter, Reich des Teufels, S. 559 betont, daß der Teufel nicht alles tun könne, was möglich sei, „denn dieses komt allein Gott zu / welcher allmächtig ist / und eine unendliche Vollkommenheit besitzet". Der Teufel kann z.B. „den natürlichen Lauf des Himmels nicht anhalten / und also die Sonne / den Mond und die Sternen zurückziehen oder verhindern und verfinstern / denn das ist Gottes Werk" (S. 562). Vgl K. Thomas, Religion and the Decline of Magic, S. 80. Vgl. auch Rudolf Mohr, Protestantische Theologie und Frömmigkeit im Angesicht des Todes während des Barockzeitalters, bes. S. 382-397. Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl, S. 45. Hencke, Gott der Herr, S. 44. Zum folgenden siehe Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 635ff.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

Gottes berufen, die niemals erlauben würde, daß der Gerechte mit dem Gottlosen vernichtet werde (Gen. 18, 23.25). In Ps. 32, 6 und in Jes. 43, lf. würde auch ausdrücklich betont, daß der Fromme von den großen Wassern verschont bleibe. So liege der Schluß nahe, meint Jansen, als ob 1. die Ausrottung der Gerechten mit der göttlichen Gerechtigkeit nicht übereinstimmen könne oder daß 2. alle Ertrunkenen große Sünder gewesen sein müßten. An das erste könne niemand glauben, der noch etwas Gottesfurcht verspüre. Jedoch auch das zweite stimme mit der Wirklichkeit nicht überein. Vielmehr sei nach Gottes Wort durchaus auch die Vernichtung von Gerechten und Ungerechten möglich wie Ezech. 21, 3f zeige: „Siehe, ich will mein Schwert aus der Scheide ziehen und will in dir ausrotten beide, Gerechte und Ungerechte. Weil ich denn in dir Gerechte und Ungerechte ausrotte, so wird mein Schwert aus der Scheide fahren über alles Fleisch."" Auch hätten Ezechiel und Daniel als gottesfürchtige Männer die Strafe Gottes erlitten und mit den Gottlosen zusammen in die Babylonische Gefangenschaft gemußt. Die Widersprüche in den biblischen Aussagen erklärt Jansen damit, „daß auch Heilige / gleichwie in andern stücken / so auch in der Erkäntniß einige Schwachheit hatten / und nach und nach von den Wegen Gottes noch lernen und begreiffen musten / wie das mit vielen Exempeln könte dargethan und bewiesen werden." Auch Abraham habe noch nicht genug Erkenntnis gehabt und sich geirrt, als er meinte, Gott würde den Gerechten nicht mit dem Ungerechten strafen. Was Jansen hier zum Ausdruck bringt, ist eine Relativierung biblischer Inhalte und ein geschichtliches Denken, das einen Abschied von der orthodoxen Lehre der Verbalinspiration bedeutete. Am besten sei es, betont Jansen, wenn man über die geheimen Gerichte Gottes und „die verborgenen Wege seiner wunderbaren Regierung" nicht zuviel nachdenke. Was wir selbst nicht zu begreifen imstande seien, könnten wir aber auch nicht leugnen. Jedoch blieben uns doch nicht alle Handlungen Gottes verborgen, so daß er die wichtigsten Gründe aufzeigen könne, warum Gott auch Fromme in solchen Unglücksfällen umkommen lasse: 1. Gott will damit zeigen, daß er ein freier und ungebundener Gott ist und wir ihm alle den Tod schuldig sind. 2. Niemand ist vor Gott unschuldig, er sei, wer er wolle. Auch die Frommen können sich nicht freisprechen von tausendfältigen Schwächen und Fehlern. Wären die frommen Kinder Gottes von göttlichen Züchtigungen ganz befreit, so könnten sie hochmütig werden und denken, „daß sie der väterlichen Zucht = Rute gäntzlich entwachsen wären". Wer verbreite, daß die Frommen von göttlichen Strafen verschont blieben, mache nur „lieblose / stolze Heiligen / die alle andere in solchen Straffen umgekommene / wider die Christliche Liebe / vor böse im Hertzen halten und verachten / sich aber / da sie frey bleiben / vor Heilige schätzen". Hier wendet sich Jansen vor allem gegen die sogenannten „neuen Heiligen", die 91

Nach neuerer Zählung 21, 8f.

Die Gerechtigkeit Gottes im Übel

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Pietisten und Separatisten, in deren Kreisen die von ihm kritisierten Gedanken geäußert wurden. 3. Es sind eigentlich keine Strafen, mit denen Gott den Gottesfürchtigen begegnet. Was Gott über die Frommen verhängt, sind Züchtigungen, die Gott als gütiger Vater zu ihrem Besten vornimmt. Den Gottlosen aber trifft die Strafe, die Gott als gerechter Richter ihrer Sünden wegen an ihnen ausführt. 4. Die Gerichte Gottes sind für den frommen Christen von Nutzen, während sie den Gottlosen zum Verderben sind. Denn die frommen Menschen werden durch einen seligen Tod von allen Trübsalen erlöst. 5. Die Strafgerichte, in denen auch Fromme umkommen, sollen den Gottlosen zum Schrecken dienen. „Wenn ein Vater sein geliebtes Kind um ein klein Verbrechen hart züchtiget / so wird gewiß ein gottloser Knecht Ursache haben in sich zu schlagen / den Zorn seines Herrn nicht zu reitzen / weil das Gericht desto schwerer über ihn würde ergehen." Jansen, der auf viele Fragen andere Antworten als seine Amtsbrüder gab und mit manchen traditionellen Vorstellungen brach, hielt in diesem Fall an dem überkommenen Erklärungsmodell fest und zweifelte nicht, daß die Wasserflut vor allem eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen war. Der fromme Deichgraf Eibe Siade Johanns aus dem Land Wursten unterschied ebenfalls zwischen der göttlichen Strafe und der göttlichen Züchtigung. Auf der Deichversammlung am 8. Januar 1718 betonte er, daß Gott das Land Wursten nur „väterlich gezüchtigt" habe, wofür Gott zu danken sei.92 Wenn die Einwohner des Landes Wursten jedoch keine Einigkeit in den Deichbaufragen zeigten, sei zu befürchten, daß auch noch eine Strafe Gottes über das Land komme. Einige Einwohner hätten Gott beschuldigt, dieses Land in der Weihnachtsflut durch die Überschwemmungen sehr stark heimgesucht zu haben. Das sei aber „wieder der Lieben Wahrheit", „denn diß Guhte Land und alle Einwohner könten nicht anders als Gott dancken, daß er Sie in seinem Gerechten Zorn hätte noch so gnädig erhalten". 93 Für die Bewertung der Weihnachtsflut kannten die Theologen somit verschiedene Varianten. Zunächst und vor allem war es nach allgemeiner Ansicht eine Strafe, die Gott als gerechter Richter über die Sünder verhängte. Zum anderen war es eine Züchtigung, eine pädagogische Maßnahme sozusagen, die Gott als gütiger Vater an den Christen vornahm, um sie zu einem rechtschaffenen, sündlosen Leben und zu noch größerer Heiligung zu bewegen. Drittens war es ein Gnadenerweis Gottes an den frommen Christen, die durch die Wasserflut den Tod fanden und dadurch nicht nur von ihren irdischen Qualen befreit wurden, sondern auch ihrem ewigen Heil näher kamen.

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1; Bd. 1 (Fasz. 1). StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 40: Protokoll der Deichversammlung des Landes Wursten vom 25.1.1718.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

Für alle übrigen Christen war es viertens eine Warnung, sich von allen Sünden fernzuhalten, da ihnen sonst ein gleiches Schicksal passieren könnte. 94 5.6. Die Ankündigung des Unheils Es war allgemeine Ansicht, daß Gott ein Volk oder ein Land nicht ohne Vorwarnung für seine Sünden strafe, sondern vor einem großen Strafgericht versuche, die Menschen durch Warnungen von ihren Sünden abzubringen. „GOtt kommt nicht unverwarnter Sache über die Sünder, wenn er sie heimsuchet, sondern er Versuchs zuvorn, auf allerhand Arth und Weise, ob er sie von ihren sündlichen Wegen könne abbringen, und zur wahren Buße leiten." 95 Daß so nicht nur die Geistlichen argumentierten, können wir einem Notizbuch eines oldenburgischen Bauern entnehmen, in dem er die „Plagen und Drohungen" aufzeigt, die Gott vor der Wasserflut geschickt habe. Da die Menschen diese Warnungen jedoch mißachteten, habe Gott sie noch schwerer strafen müssen. 96 Als deutliche Vorzeichen der Sturmflut wurden vor allem die in den Jahren 1715 und 1716 grassierende Viehseuche und die Mäuseplage von 1716 angesehen. Außerdem wurden noch eine Anzahl anderer, zumeist lokaler Ereignisse als Warnzeichen Gottes gewertet: Dazu gehörten mehrere kleine Sturmfluten, die einige Jahre vor der Weihnachtsflut an verschiedenen Orten die Deiche beschädigt und das Land bedroht hatten. Dazu wurde auch eine Serie von Diebstählen gerechnet, die in den drei Jahren vor der Weihnachtsflut in unterschiedlichen Kirchen Ostfrieslands vorgekommen waren, „wodurch der HErr gnugsam zu verstehen gab", wie Hekelius schreibt, „daß ihm unsere GOttes = Dienste, die so kaltsinnig verrichtet werden, nicht mehr gefallen". 97 Eine ganze Reihe von Zeichen und Vorboten der Weihnachtsflut meinte der Pastor Gregor Culemann in der Wilstermarsch festgestellt zu haben: 1709 brachen zwei Deiche; zu Beginn der Jahres 1710 herrschte eine strenge, „fast übernatürliche" Kälte, so daß alles Winterkorn erfror; es folgte eine große Teuerung für Roggen und Weizen; mit dieser Teuerung einher ging eine kümmerliche Zeit für die Handwerker, Arbeiter und Tagelöhner, die fast keinen Schilling mehr verdienen konnten; auch brach der Nordische Krieg wieder voll aus; 1710 war außerdem eine Mäuseplage in der Marsch; 1712 kam 94

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Die Menschen, die von der Sturmflut verschont geblieben waren, dürften nicht denken, daß allein die Ertrunkenen Sünder gewesen seien, sondern mit Luk. 13,2ff solle nur ein jeder sich selbst anschauen, so werde er genug Sünden an sich finden, betonten die Geistlichen. Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 48; Umständl. Hist. Nachricht, S. 154f. Hekelius, Beschreibung, Vorrede und S. lff; vgl. Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 16, 53. Oldenburgische Blätter, Nr. 1, 5.1.1818, S. 13. Vgl. Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 83f. Hekelius, Beschreibung, S. 6.

Die Ankündigung des Unheils

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die Pest und 1713 folgte schließlich der Einmarsch fremder Soldaten.98 Diese von Culemann als Vorzeichen der Sturmflut gedeuteten Ereignisse hatten viele Menschen betroffen, so daß an deren Existenz nicht gezweifelt werden konnte. Anders war es, wenn einzelne Personen Zeichen wahrgenommen haben wollten, die andere nicht nachprüfen konnten, wie die Beobachtung eines alten Mannes in der Grafschaft Oldenburg, der vor der Weihnachtsflut weiße Schwalben gesehen und sie sofort als ein übles Vorzeichen gedeutet haben soll." Zu den Aufsehen erregenden Vorzeichen der Wasserflut wurden auch bestimmte Lichtzeichen am Himmel gerechnet. Am 7. März und am 21. April 1716 war an vielen Orten Deutschlands ein helles, bogenförmiges Licht am nördlichen Himmel wahrgenommen worden, von dem auch feurige Strahlen ausgingen.100 Viele Menschen hielten dieses Licht für einen Vorboten von etwas Bösem; jedoch hatte dabei noch keiner an den Ausbruch einer Sturmflut gedacht. Erst später, nach Ausbruch der Flutkatastrophe wurde dieses Licht als Ankündigung der großen Wasserflut gedeutet. Zeichen am Himmel und in der Luft, wozu Nordlichter, Kometen, Nebensonnen, Mond- und Sonnenfinsternis, Luftspiegelungen und auch Gewitter gehörten, galten allgemein als Unglücksankündigungen und wurden deshalb von den Menschen gefürchtet. Sie wurden auch als Zeichen für das bevorstehende Weltende und das Jüngste Gericht gedeutet, was ebenfalls Angst hervorrief. Die Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts sind voll von solchen Himmelserscheinungen und geben einen Eindruck von der Angst und dem Schrecken, den diese Naturereignisse auslösten. Daß diese Zeichen von den Menschen als göttliche Warnungen und Ankündigungen verstanden wurden, ist bei dem damaligen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis und angesichts der weitgehenden Durchdringung des gesellschaftlichen und individuellen Lebens mit Religiösem nicht verwunderlich.101 Das zeigte sich auch, als nach der Weihnachtsflut am 4. März 1718 wiederum Luftzeichen am ostfriesischen Himmel beobachtet wurden und die Einwohner deshalb das Schlimmste befürchteten. Der Amtmann Johann Dietrich Kettler aus Norden berichtete dem Fürsten von diesen Himmelserscheinungen: „Gestern Abend Zwischen 7. und 9. Uhren, Zeigeten sich am Himmel, wie Ich und die meinige gesehen, im Noorden helle Stellen, und, wie dieselbe sich vertheileten, kahmen helle Strahlen nicht weit Von einander, die sich dann Zueinander begaben, dann wieder voneinander theileten, dann gegeneinander stunden, und, wie sie wieder zusammen kahmen, gleichsahm im Noord Westen untergingen; wie an98

Culemann, Denckmahl, S. 7f. " Strackerjan, Aberglaube, II, S. 391. 100 Hekelius, Beschreibung, S. 3; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 499f. 101 Gerhard Bott (Hg.), Zeichen am Himmel. Flugblätter des 16. Jahrhunderts ( = Katalog der 25. Wechselausstellung der Graphischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg) Nürnberg 1982; Delumeau, Angst im Abendland, I, S. 99ff.; Wilhelm Heß, Himmels- und Naturerscheinungen in Einblattdrucken des XV. bis XVIII. Jahrhunderts, Leipzig 1911.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

dere berichten, sollen sie auch andere figuren praesentiret haben. Welche Sachen, als Vorboten mehrerer Unglücken angemercket werden. GOTT erbarme sich doch über uns arme Menschen, die wir übrig geblieben seyn, und sey unserm so schwehr heimgesuchten Lande gnädig."102 Von diesen auch noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts allgemein herrschenden Vorstellungen über die Luftzeichen setzte sich der Geistliche Jansen deutlich ab. Für ihn waren die 1716 beobachteten Lichterscheinungen am Himmel kein Vorzeichen für die verheerende Sturmflut des folgenden Jahres, weil er sie für eine natürliche Sache hielt. Jansen folgte in seiner Argumentation dem halleschen Professor Christian Wolff, einem der bedeutendsten Vorbereiter der Aufklärung in Deutschland, der 1716 eine Schrift über dieses Nordlicht veröffentlicht hatte' 03 und mit dem er wegen dieser Sache auch im Briefwechsel stand.104 Nach Wolff war das Luftzeichen „nichts anderes als ein Gewitter, so nicht zu Kräfften kommen", weil nicht genug Materie vorhanden war oder es an Wärme gefehlt hat.105 Da das Licht folglich eine natürliche Erscheinung war, konnte es auch kein Vorzeichen für die Sturmflut von 1717 gewesen sein.106 Jansen war sich aber durchaus bewußt, daß die Erklärung dieses Phänomens als natürliche Erscheinung gegen traditionelle Vorstellungen verstieß. „Es pfleget sich gewißlich der meiste Hauffe bey Wahrnehmung eines ausserordentlichen Dinges am Himmel oder sonsten gar sehr zu fürchten", schrieb er, „und da er dieselbe als Vorbothen schwerer Trübsahlen gewisse ansiehet / so pfleget er davor zu erzittern / erschrocken und sehr erbeben."107 Jansen erweist sich auch bei der Beurteilung dieser Frage als ein von der frühen Aufklärung beeinflußter Zeitgenosse. Für ihn kann gelten, was Paul Hazard über die Kritiker von Wundern im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert sagt: „Sie mußten vorsichtig sein: das Wunder durfte man nicht offen angreifen. Aber wenigstens konnten sie den einen oder anderen besonderen Aberglauben aufs Korn nehmen: deren gab es genug."108 Langfristig gesehen führte diese schrittweise Entmystifizierung zu einer „Entzauberung der Welt" 109 . Kritisch betrachtet Jansen auch die Vorhersagen und Prophezeiungen der Weihnachtsflut, die in einigen Schriften über die Flut angeführt werden.110 Er 102 103

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 71f.: Schreiben vom 5.3.1718. Gedancken über das ungewöhnliche Phaenomenon, welches.. .zu Halle und an vielen andern Orten.. .gesehen worden, Halle 1716. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 526ff. Wolff, Gedancken, S. 29; vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 508f. „Es gieng alles damit natürlich zu / und deswegen wäre es unbedachtsahm / wenn man dasselbe als eine Vorbedeutung gewisser bevorstehenden Land = straffen und Plagen hätte wollen ausgeben..." Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 513f. Hist. Theol. Denckmahl, S. 518. Die Krise des europäischen Geistes 1680-1715, S. 190. M. Weber, Die Wirtschaftsethik, S. 564. Zum folgenden siehe Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 414-499.

Die Ankündigung des Unheils

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bezweifelt nicht, daß Gott sich einzelnen Menschen noch offenbart und ihnen zu erkennen gibt, was er vorhat. Doch solches geschehe nur bei gewissen Glücks- oder Unglücksfällen, aber nicht in Lehr- und Lebenssachen, weil jene Offenbarungen der Heiligen Schrift oft Gewalt antun. Viele Voraussagen beruhten nur auf Mutmaßungen und Offenbarungen des Teufels. Die Vorhersagen des Teufels seien aber nicht unfehlbar und träfen meistens nicht ein. Er hielt es auch für nicht möglich, die Strafgerichte Gottes aus den Sternen vorherzusehen. Gott habe seinem Volk verboten, Glück und Unglück aus den Sternen zu prophezeien (Deut. 18, 9ff)-111 Die Astrologie beleidige, wie Jansen ferner meint, „die väterliche Barmherzigkeit Gottes". Wenn man nämlich die Strafgerichte Gottes aus den Sternen erkennen könnte, müßten sie folglich auch wirklich geschehen. Somit könnten sie aber nicht durch Buße geändert und gemildert werden, was aber der Barmherzigkeit Gottes und vielen Beispielen in der Bibel widerspräche (vgl. 1. Reg. 21, 27ff). m Es habe sich außerdem gezeigt, daß die wenigsten Prophezeiungen der „Sterngucker" sich erfüllten. Für den Februar 1524 hätten die besten Astrologen Italiens und Deutschlands eine große Wasserflut prognostiziert und ganz Europa in Angst versetzt, doch es sei nicht nur der Februar, sondern das ganze Jahr 1524 eine herrliche Zeit gewesen.113 Jansen gibt jedem den Rat, nicht an göttliche Offenbarungen zu glauben, wenn man auch andere Ursachen dafür finden könne. Zu den Vorhersagen, die Jansen für keine Phantasie hielt und die er als von Gott eingegeben ansah, rechnete er die von Hekelius mitgeteilte Vision des jungen Bauern Hinrich Peters aus dem Dornumer Groden in Ostfriesland.114 Peters, der anscheinend die Gabe des Zweiten Gesichts besaß115, hatte schon vier Jahre vor der Weihnachtsflut gesagt, daß eine größere Flut kommen würde. Als er eines Abends nach seinem Vieh sah, nahm er traumhaft wahr, daß das ganze Land voll Wasser stand und auf seinem Misthaufen ein großes Gaffelschiff lag, das später mit vollen Segeln ins Land fuhr. Diese 111

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Kritik an der Astrologie hat es in der Geschichte des Christentums immer wieder gegeben; aber erst die Aufklärung sieht die Astrologie als eine Kuriosität an, die in die „Geschichte der menschlichen Narrheit" gehöre. Siehe Franz Boll, Sternglaube und Sterndeutung. Die Geschichte und das Wesen der Astrologie, Berlin 1926, S. 42. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 454f. Vgl. Hubertus Fischer, Grammatik der Sterne und Ende der Welt. Die Sintflutprognose von 1524, in: Hans-Georg Soeffner (Hg.), Kultur und Alltag (Soziale Welt. Sonderband 6), Göttingen 1988; Paola Zambelli, Introduction: Astrologers' Theory of History, in: dies. (Hg.), .Astrologi hallucinati'. Stars and the End of the World in Luther's Time, Berlin, New York 1986, S. 1-28; dies., Many Ends of the World. Luca Gaurico Instigator of the Debate in Italy and in Germany, ebenda S. 239-263. Hekelius, Beschreibung, S. 4f; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 420f; Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 133f; Umständl. Hist. Nachricht, S. 115ff. Vgl. Karl Schmeing, Das „Zweite Gesicht" in Niederdeutschland. Wesen und Wahrheitsgehalt, Leipzig 1937; ders., Zur Geschichte des Zweiten Gesichts. Eidetische Grundlinien, Oldenburg 1943.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

visionäre Wahrnehmung sollte sich dann in der Weihnachtsflut tatsächlich ereignen. In dieser Flut war das Haus von Hinrich Peters sehr schnell vom Wasser umgeben. Er konnte sich rechtzeitig mit seiner Familie auf den Dachboden flüchten. Während sie dort saßen, wurde ein Gaffelschiff über den Deich geworfen. Das Schiff steuerte direkt auf das schon stark zerstörte Haus von Peters zu, so daß er befürchtete, es könnte sein Haus umwerfen. Er kletterte deshalb auf das Dach, um den Schiffer durch Wincken und Schreien darauf aufmerksam zu machen, das Schiff in eine andere Richtung zu lenken. Dem Schiffer gelang es nur mit äußerster Not das Schiff an dem Haus vorbeizusteuern. Es fuhr nun auf die Scheune zu, stieß diese zum Teil um und blieb dort zunächst eine Weile liegen, bis es schließlich von den Wellen wieder fortgerissen und weiter ins Land getrieben wurde. Hinrich Peters' Vision hatte in seiner Gemeinde großes Aufsehen erregt, so daß die Prediger sich genötigt sahen, ihre Zuhörer vor den Reden dieses Bauern zu warnen und ihn selbst ernstlich zu ermahnen, sich solcher Reden zu enthalten. Weil diese Vision sich aber immer weiter verbreitete und die Menschen überall in Angst und Unsicherheit versetzte, wurde Hinrich Peters schließlich vor Gericht zitiert, um dort auszusagen. An seiner visionären Vorhersage hielt der Bauer jedoch auch dort fest. Die Theologen bewerteten diese Vision des Bauern später als ein göttliches Vorzeichen der Weihnachtsflut. Nach ihrer Überzeugung hatte Gott den Bauern als Medium gebraucht, um auf das bevorstehende Strafgericht aufmerksam zu machen und die Menschen rechtzeitig zur Umkehr von ihren Sünden zu bewegen. Vorhersagen, Visionen, Prognosen und Träume mit visionärem Inhalt wurden in vielen Schriften über die Weihnachtsflut mitgeteilt und als Vorzeichen dieser Flut gedeutet.116 Auch astrologische Prognosen wie die, die unter dem Namen des italienischen Professors Giovanni Anthonio Magini für das Jahr 1717 herausgekommen war, wurden auf ihre Aussagekraft hinsichtlich der Weihnachtsflut geprüft. In diesem Fall wurde jedoch festgestellt, daß sich aus seiner Prognose für den Dezember 1717 nichts schließen lasse, was auf eine Wasserflut hindeute.117 Die verschiedenen von den Theologen aufgezeigten Vorzeichen waren für die theologische Deutung und Argumentation wichtig, nach der Gott große Strafgerichte wie die Weihnachtsflut nicht ohne Vorwarnungen über die Menschen verhängt. Weil Gott keine Bestrafung, sondern eine Umkehr der Menschen von ihren Sünden bewirken will, gehen seinen 116

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Hekelius, Beschreibung, S. 3ff; Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. l l f f ; Funck, Ostfriesische Chronik, S. 133ff; Umständl. Hist. Nachricht, S. 100, 115ff; vgl. Lüpkes, Ostfriesische Volkskunde, S. 249; Culemann, Denckmahl, 3, § 4ff. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 418. Unter dem Namen Magini wurden im 18. Jahrhundert für verschiedene Jahre astrologische Prognosen herausgebracht, in denen die jeweiligen monatlichen Planetenkonstellationen und die daraus abzuleitenden Vorhersagen mitgeteilt werden. Diese Jahresprognosen trugen den Titel: Der unverfälschte Italiänische Wahrsager oder die aufrichtige Prognostic auf das Jahr (1717 oder andere Jahre).

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Strafen immer Warnungen oder Vorzeichen voraus. Nicht alle als Vorzeichen gedeuteten Ereignisse wurden aber schon vor der Weihnachtsflut als Hinweise auf ein größeres Unglück angesehen, sondern vielfach erst ex eventu als Vorzeichen gedeutet. 118 Wie Culemanns Auflistung der der Sturmflut vorausgegangenen Warnungen Gottes zeigt, konnten im nachhinein fast alle nicht alltäglichen Ereignisse als göttliche Vorzeichen interpretiert werden.

5.7. Die Weihnachtsflut als Zeichen der Zeit Wie die Weihnachtsflut als Strafgericht Gottes durch verschiedene Vorzeichen angekündigt wurde, so konnte nach Ansicht der Theologen die Weihnachtsflut selbst auch ein Zeichen oder eine Vorwarnung dafür sein, daß ein noch größeres Unglück bevorstehe. Wasserfluten wurden insofern nicht nur als Strafgericht für begangene Sünden angesehen, sondern auch als eine Ankündigung noch schwererer und härterer Strafen. 119 Zu diesen Strafen gehörten Krieg und Verheerung, Teuerung und Hungersnot, Seuchen und Krankheiten sowie Brände, der „Tod hoher Häupter" und Religionsstreitigkeiten. Viele historische Beispiele wurden zur Bestätigung dieser These angeführt, darunter auch folgende: Nach der Wasserflut des Jahres 1625 folgten Krieg und Verheerung, wobei an die Auswirkungen des schon 1618 begonnenen Dreißigjährigen Krieges gedacht wurde. Nach der Sturmflut von 1634 brach ebenfalls nach neun Jahren ein Krieg aus, der erste Schwedische Krieg, und nach weiteren vierzehn Jahren der zweite Krieg zwischen Dänemark und Schweden. 120 Als Beispiel für eine auf große Überschwemmungen folgende Pest wurde auf das Jahr 1345 verwiesen, als „auf Ergiessung der Wasser / in gantz Teutschland / Franckreich / Italien / Griechenland und Engelland / eine solche erschreckliche Pestilentz" kam, die dann ganze 40 Jahre währte. 121 Für den auf eine Wasserflut folgenden Tod eines „großen Herren" wurde beispielsweise der Tod des Herzogs Johann Adolf von Gottorf angeführt, der am 31. März 1616 starb, nachdem am 5. Januar desselben Jahres „ein solch hohes Gewässer gewesen / welches über die höchste Brücke vor 118

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U1

Die nachträgliche Deutung von außergewöhnlichen Erscheinungen auf ein bestimmtes Ereignis hin, findet man in der Frühen Neuzeit oft. Beispielhaft ist Hans Heberies Deutung des Kometen von 1618 als Vorzeichen für den Ausbruch des 30jährigen Krieges. Siehe Gerd Zillhardt (Hg.), Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberies „Zeytregister" (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium ( = Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 13), Ulm 1975, S. 85f; 93f. Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl, S. 47f; Enewald, Biga concionum singularium, S. 32f, 79f.; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 732ff; Hesselius, Die Elbe, Hamburg 1675, S. 129. In der Schrift „Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl", S. 48 nennt der Autor falsche Datumsangaben für den Beginn der Schwedischen Kriege. Enewald, Biga concionum singularium, S. 82f.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

dem Schlosse zu Gottorf / als Sr. Durchl. ordentl. Residence, geflossen und nicht wenig Schaden angerichtet hat."122 Die Beispiele, die in den Schriften angeführt wurden, um zu beweisen, daß auf eine Wasserflut noch größere Strafen Gottes folgen können, wurden aus der ganzen abendländischen Geschichte genommen. Sie wirken im Rückblick ziemlich willkürlich und weit hergeholt. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es kritische Stimmen gegen dieses Deutungsmuster wie die des Geistlichen Jansen, der auch in diesem Fall mit der Tradition brach und die Vorstellung ablehnte, die Weihnachtsflut als ein Vorzeichen für größeres Übel anzusehen.123 Zwar bestreitet er nicht, daß Wasserfluten Teuerungen und Hungersnöte nach sich ziehen und infolgedessen auch Krankheiten und Seuchen entstehen können, weil Hungersnöte zu allen Zeiten Krankheiten und Seuchen nach sich gezogen haben. Die Verbindung zwischen Wasserfluten und Teuerung, Hungersnot und Seuchen hätte aber natürliche, verständliche Gründe. Es sei auch nicht so, daß bei jeder Wasserflut diese Folgen eintreten müßten. Als reinen Zufall sah er es, wenn Kriege, Brände und der Tod von Staatshäuptern auf Wasserfluten folgten, „zumahl keines von denen Stücken.. .durch eine natürliche Würckung verursachet wird."124 Die Ansicht, daß die Wasserflut ein Zeichen oder Vorbote noch weiterer Plagen sein solle, sei nicht zu begründen, da darüber nichts in der Bibel stehe und sie auch der Erfahrung widerspräche. Jansen bestreitet nicht, daß große und viele Wasser in prophetischen Visionen (Jes. 8, 7f; 17, 12f; Jer. 46, 7ff; Apok. 17, 15) als Metapher für große Kriegsheere und viele Völker verwandt würden. Jedoch hätten wirkliche Wasserfluten, die nicht in Visionen, sondern tatsächlich das Land überströmen, nicht dieselbe Bedeutung. „Es ist unmöglich / daß nicht auf dem grossen Theatro dieser Welt / zum wenigstens alle Jahre etwas grosses und wichtiges vorgehe / auch nur allein in Europa / oder Teutschland / das ein trauriges Spectacul und Ansehen giebet. Dieses aber alles als eine / durch das erst entstandene Unglücke / vorbedeutete Folge anzusehen / wird / wie leicht ein jeder gedencken kan / von schlechtem Grunde seyn."125 Die Menschen würden durch solche Vorstellungen, so Jansen, nur furchtsam und ängstlich gemacht, weil sie noch immer größere Plagen zu befürchten hätten. „Warum solte man denn die ohnedem zaghaffte und furchtsahme / noch mehr erschrökken und bange machen / da ja die Sache auf solchen 122 123

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Ebenda, S. 83. Das Erdbeben von 1590 in Österreich wurde z.B. als ein Vorzeichen für den folgenden Krieg gegen die Türken (1592-1606 langer Türkenkrieg Rudolfs II.) angesehen. Siehe Gutdeutsch/Hammerl/Mayer/Vocelka, Erdbeben als historisches Ereignis, S. 10. Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 746f. Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 754. Jansens Ansicht zu diesem Problem wurde auch von dem Hamburger Theologen Johann Christian Wolff geteilt, wie Jansen auf S. 756 mitteilt.

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schlipfferigen Grunde beruhet!" 126 Man dürfe an diesen Vorstellungen auch nicht nur deshalb festhalten, weil man die Menschen dadurch zur Gottesfurcht und immerwährenden Buße antreiben könne. Zwar sei es gut, zur Buße und Gottesfurcht anzuleiten, aber es müsse durch „rechtschaffene Mittel" geschehen. Der ostfriesische Pastor Stoltnau hält es dagegen für „eine Verleitung zur verdammlichen Sicherheit", wenn man die Zeichen Gottes „nicht als etwas besonderes anmercke / dadurch GOtt wolle zur Busse leiten".127 Dem widerspricht Jansen entschieden, wenn er schreibt: „Was man / bey Einfältigen und Unverständigen / damit möchte bessern / das wird man / bey Verständigen und Klugen / zwiefach niederreissen. Wil man die Gottlosen schröcken / so hat man andere Pfeile / die man aus Gottes Wort kan nehmen und in ihr Hertze abdrücken / und verkündige man die zwar uns verborgene / doch gewisse Gerichte GOTTES / welches gewiß mehr wird fruchten / als alle andere ungewisse vorgetragene Dinge." 128 Jansen lehnt nicht nur die Deutung der Flut als ein Zeichen für noch größere Unglücke und Veränderungen ab, sondern wendet sich auch gegen eine eschatologische Deutung der Flutkatastrophe, hier ebenfalls gegen eine alte Tradition verstoßend, die zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägt war. Schon in der alten und mittelalterlichen Kirche war ein Thema sehr beliebt, das in verschiedenen Varianten von den fünfzehn Zeichen vor dem Weltuntergang handelt. Die ersten Zeichen bezogen sich auf das Meer, das sich zunächst 40 Ellen hebt, dann so tief sinkt, daß man es kaum noch wahrnehmen kann, bis es schließlich wieder an seinen alten Ort zurückkehrt. Diesen Ereignissen folgen dann in bestimmter Chronologie weitere Zeichen bis zum Ende der Welt. Diese Endzeitzeichen gehen auf unterschiedliche Bibelstellen (Matth. 24, 4ff; Mark. 13, 3ff.; Luk. 21, 7ff.) und auf das apokryphe 4. Buch Esra zurück.129 In der frühneuzeitlichen theologischen Literatur über die Endzeit und den Jüngsten Tag wird diese Tradition aufgenommen und in mehr oder weniger modifizierter Form fortgeschrieben. Johann Matthäus Meyfart berichtet in seinem 1632 veröffentlichten Buch „Das Jüngste Gericht", nahe vor dem Jüngsten Tag würden sich neben uns „verunruhigen die Oceanischen Meer / und grosse Gefahr denen / die am Ufer wohnen / drohen / und denen / die auff den Fluthen schiffen / anthun". 130 Und auch an

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Hist. Theol. Denkmahl, S. 749f. Ostfrieslands Trauerfall, S. 17; vgl. S. 53. Hist. Theol. Denckmahl, S. 755. G. Nolle, Die Legende von den fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Tag, S. 413ff; Irene Schmale-Ott, Die fünfzehn Zeichen vor dem Weltuntergang, S. 230f.; Hans Peter Kursawa, Antichristsage, Weltende und Jüngstes Gericht in mittelalterlicher deutscher Dichtung, Diss. Köln 1976, bes. S. 284ff. S. 93. Mir lag die Ausgabe Nürnberg 1632 vor. Vgl. Hartmut Lehmann, Die Deutung der Endzeitzeichen in Johann Matthäus Meyfarts Buch vom Jüngsten Gericht, in: Pietismus und Neuzeit 14 (1988) S. 13-24. Über Meyfarts Leben und Werke siehe

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

anderer Stelle schreibt er davon, „daß vor dem Jüngsten Gericht der Erdboden erschrecklicher weise soll beweget werden / und die Oceanischen Meere verunruhiget". 131 Dem Meer und den Bewegungen des Wassers wurden also im Endzeitgeschehen ein wichtiger Platz eingeräumt. So lag es nahe, daß Geistliche auch die Weihnachtsflut in Verbindung mit dem Ende der Welt brachten. Der ostfriesische Prediger Julius Ludwig Stoltnau deutet die Weihnachtsflut zusammen mit Krieg, Teuerung und Pest als ein Zeichen der Endzeit, indem er reimt: „Aus welchem man frey sehen mag / Daß nicht mehr fern der jüngste Tag. Doch ist so sicher blind die Welt / Daß sies nicht sieht / und nichts drauff hält."132 Als ein „Zeichen der Zeit" sieht auch der Pietist Georg Johann Hencke die Sturmflut von 1717 an. Bei den anhaltenden Gerichten Gottes müsse man besonders wachsam sein in Hinsicht auf das künftige allgemeine Gericht, betonte er.133 In ein endzeitliches Szenarium ordnet der dänische Liederdichter und Buchdrucker Povel Johannes Phoenixberg die Sturmflut ein.134 Christus habe vorausgesagt, wie es am Ende der Welt zugehen werde. Es werden Zeichen an Sternen, Mond und Sonne erscheinen, Pest, Teuerungen und Hungersnöte geschehen, Kriege ausbrechen, Sturmwinde große Schäden anrichten und die Wellen des Meeres Schiffe umstoßen und Land wegspülen. Gottes Strafe hätten wir vernommen; der Tag des Gerichts sei nun nah.135 Der Hinweis auf den Jüngsten Tag, der wie ein Dieb in

Fortsetzung Fußnote von Seite 105

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vor allem Erich Trunz, Johann Matthäus Meyfart. Theologe und Schriftsteller in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, München 1987. S. 240. Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 38. Culemann, Denckmahl, 1728, S. 81f schreibt: „Gott eilt gewiß zum Ende, das zeigt alle Creatur..." Siehe auch „Kurtzer doch ausführlicher Bericht von der grossen Wasser = Fluth". Hencke, Gott der Herr, S. 43; ders., Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 47. Zu Phoenixberg siehe Dansk Biografisk Lexikon, Bd. 11, 1982. Phoenixberg, En ynckelig Klage-Sang, o.S. Vgl. daraus die folgenden Verse: „Christus har om Verdens Ende Spaaet / hvordan det skal tilgaa Og har givet os tilkiende Hvad udaf at vi skal lasre HErrens D o m er ncer for Doere... Hafvet og Vandbelgers Vande Brüse og opgifve sig / Kuldkaster Skib / bortskyller Lande Er sligt ey forskraeckelig; Slige Tegn skeer til den Ende At mand skal fra Synden vende... Thi Guds straf har vi fornommen / Dommens Dag er ogsaa naer / Aid Spaadommen er fuldkommen / Maerckes vel af Tidens Faer /

Die Weihnachtsflut als Zeichen der Zeit

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der Nacht hereinbrechen werde, und das damit verbundene Jüngste Gericht gaben den Bußpredigten über die Weihnachtsflut besonderen Nachdruck. Das Jüngste Gericht wurde in den Schriften zur Weihnachtsflut selbst dann erwähnt, wenn der Prediger sich einer Stellungnahme über die Nähe des bevorstehenden Weltendes enthielt.136 Indem die Weihnachtsflut als Strafgericht Gottes und als Zeichen der Endzeit gedeutet wurde, war sie, obwohl in ihrer Auswirkung regional begrenzt, ein Ereignis, das alle Menschen anging. Als Strafgericht Gottes war sie eine Warnung an alle Menschen, das sündhafte Leben zu unterlassen, wenn sie dergleichen Strafen nicht auf sich ziehen wollten. Wurde die Sturmflut aber als ein Zeichen der Endzeit gedeutet, so wurde sie zu einem globalen Ereignis, weil sie einen von Gott gesandten Hinweis auf das allen Menschen bevorstehende Weltende darstellte. Aus dieser Sichtweise erklärt sich auch die große Beachtung, die diese Sturmflut in vielen Ländern Europas erreichte.

5.8. Büß- und Bettage Der ostfriesischen Regierung und dem Fürsten Georg Albrecht wird von einigen Geschichtsschreibern vorgeworfen, sie hätten „statt thätigen Beistands" lieber Betstunden halten lassen.137 Büß- und Bettage seien zwar an sich löblich, damit aber sei den Deichen nicht geholfen; die Deicharbeiter hätten vielmehr zwei Stunden wöchentlich an der Arbeit verloren, kritisiert der aufgeklärte Historiker Tileman Dothias Wiarda in dem 1797 erschienenen 7. Band seiner „Ostfriesischen Geschichte".138 Diese Kritik beruht jedoch auf einem fehlenden Verständnis für die Lebenswelt und für das Weltverständnis des frühneuzeitlichen Menschen. Da die Sturmflut von 1717 als ein Strafgericht Gottes für die Sünden der Einwohner angesehen wurde, konnten auch alle Anstrengungen zur Wiederherstellung der Deiche und zur Wiedererrichtung der zerstörten Bauwerke nur sinnvoll sein, wenn weitere Gerichte Gottes verhindert und seine Gnade wiedergewonnen werden konnte. Die Landesherrschaften waren davon überzeugt, daß dazu Betstunden und Büß- und Bettage beitragen konnten. In der Herrschaft Jever schlug der Rentmeister Block der Regierung schon am 26. Dezember 1717 vor, im Lande Betstunden anzuordnen. Diese fanden daraufhin von Beginn des neuen Jahres an täglich morgens um 8.00 Uhr Fortsetzung Fußnote von Seite 106 Foromtalte Lande = Plager Heele Verden overdrager." 156 Vgl. Ein allen Menschen nöthiges.. .Denckmahl, S. 25. 1,7 Die Weihnachstsflut von 1717, S. 14; Lang, Die Weihnachtsflut, S. 34. 138 Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 37.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

statt.139 In Aurich wurde am 27. Dezember 1717 auf fürstliche Anordnung nachmittags um 3.00 Uhr eine Betstunde mit einer Andacht über Psalm 65, 4-8 gehalten, weil der Nordwestwind noch immer anhielt und immer mehr betrübliche Nachrichten aus dem Lande einliefen. Am folgenden Tag fand um 2.00 Uhr nachmittags wieder eine Betstunde statt, in der die Verse Jesaja 9, 12 und 19-21 ausgelegt wurden. 140 Nachdem das ganze Ausmaß der Schäden bekannt geworden war, erließ die ostfriesische Regierung am 4. Januar 1718 ein Mandat, das die Prediger aufforderte, an jedem Tag, ausgenommen die Predigttage und Sonnabend, in der Kirche von 10.00 bis 11.00 Uhr vormittags eine Betstunde zu halten. Texte und Gesänge, die zu diesem Anlaß paßten, sollten die Prediger selbst aussuchen. Die Betstunde wurde angeordnet, „weil man bey der allgemeinen von Gott verhängten Trübseeligkeit des gantzen Landes durch die am Weihnachtstage gewesene große waßers = Fluht Uhrsache habe, solches als ein schwehres Gericht von Gott zu erkennen, und sich in wahrer büße und bekehrung zu Ihm zu wenden, und umb gnädige Abwendung des völligen Untergangs Ihm mit ernst anzuruffen". 141 Diese Betstunden waren bis Pfingsten angeordnet worden und wurden deshalb am Freitag, 3. Juni 1718 zum letzten Mal abgehalten. 142 Am 10. Februar 1718 wurde in Ostfriesland außerdem ein außerordentlicher Büß- und Bettag gehalten. Als Texte hatte der Fürst für den Vormittag Jesaja 57, 15-18 und für den Nachmittag Hosea 5, 15-6,3 vorgeschrieben. Diese Texte sollten die von der Sturmflut hart getroffenen Menschen wieder aufrichten und ihnen die Zuversicht geben, daß Gott sich ihnen wieder zuwenden werde. 143 Dagegen 139 140 141 142 143

StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 15; Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 324. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 97. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 22; vgl. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 160; vgl. Umständl. Hist. Nachricht, S. 119f.. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 181. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 162. Der Text Jes. 57, 15-18 lautet nach der Lutherbibel: „Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnt, des Name heilig ist: Der ich in der Höhe und im Heiligtum wohne und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf daß ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen: Ich will nicht immerdar hadern und nicht ewiglich zürnen; sondern es soll von meinem Angesicht ein Geist wehen, und ich will Odem machen. Ich war zornig über die Untugend ihres Geizes und schlug sie, verbarg mich und zürnte; da gingen sie hin und her im Wege ihres Herzens. Aber da ich ihre Wege ansah, heilte ich sie und leitete sie und gab ihnen wieder Trost und denen, die über jene Leid trugen." Und in Hosea 5, 15-6, 3 heißt es: „Ich will wiederum an meinen Ort gehen, bis sie ihre Schuld erkennen und mein Angesicht suchen; wenn's ihnen übel geht, so werden sie mich suchen und sagen: Kommt wir wollen wieder zum HErrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Er macht uns lebendig nach zwei Tagen; er wird uns am dritten Tage aufrichten, daß wir vor ihm leben werden. Dann werden wir acht darauf haben und fleißig sein, daß wir den HErrn erkennen. Denn er wird hervorbrechen wie die schöne Morgenröte und wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet."

Imß- und Bettage

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war der Text Jeremia 6, 8, der für den Büß- und Bettag im August 1718 vorgeschrieben war, die beste Textvorlage für eine Bußpredigt: „Bessere dich, Jerusalem, ehe sich mein Herz von dir wende und ich dich zum wüsten Lande mache, darin niemand wohne!" 144 Am 1. November 1718 erging an die ostfriesischen Pastoren erneut die Anordnung, alle Tage, ausgenommen die Predigttage und Sonnabend, in der Kirche von 10.00 bis 11.00 Uhr vormittags Betstunden zu halten. Anlaß dieser Anordnung war eine „abermahlige von Gott verhängte Überströhmung des saltzen Meer = Wassers" am 10. Oktober 1718. „Man dahero grosse Ursache hat, den lieben Gott umb seine Gnade und Seegen zum Teichbau und Abwendung ferneren Landverderblichen Unheils inbrünstig anzuruffen." 145 Über diese im November 1718 erneut angeordneten Betstunden beklagten sich im Januar 1719 die reformierten Prediger aus dem Amt Leer bei der Obrigkeit. Sie bemängelten, daß sie durch diese zusätzliche Arbeit von anderen wichtigen Amtspflichten abgehalten würden. Auch hatten die Betstunden nach ihrer Meinung nur wenig Nutzen, da die Geistlichen meistens vor leeren Bänken und Stühlen predigten. Oft kamen nicht mehr als drei oder vier Personen in die Betstunde. In anderen Ämtern waren diese Betstunden schon eingestellt worden. Die Pastoren baten die Regierung, diese Betstunde auf einmal wöchentlich zu beschränken und eine andere Zeit dafür festzusetzen, am besten nachmittags von 16.00-17.00 Uhr, da die Zeit von 10.00-11.00 Uhr sowohl für die Handwerker, die ihre Arbeit unterbrechen müßten, als auch für die Kinder in der Schule ungünstig sei. Die Regierung war einsichtig und ordnete an, daß in ganz Ostfriesland und im Harlingerland nur noch einmal in der Woche eine Betstunde in der Kirche zu halten sei und dazu der für jeden Ort günstigste Zeitpunkt ausgesucht werden könnte.146 Aus diesem Schreiben an die Landesherrschaft bekommen wir einen kleinen Einblick in das religiöse Leben der Gemeinden. Es zeigt sich, daß die von der Obrigkeit verordneten täglichen Betstunden sowohl bei den Geistlichen als auch bei den Gemeindegliedern bald kaum noch Zuspruch fanden. Falsch wäre es, daraus auf eine mangelnde Kirchlichkeit und Frömmigkeit der Einwohner zu schließen. Nicht richtig wäre auch der Schluß, daß die Einwohner die Notwendigkeit besonderer Betstunden nicht einsehen konnten, weil sie die Weihnachtsflut nicht als ein Gericht Gottes beurteilten und auch keine neuen Strafen Gottes befürchteten. Außerdem mußte das religiös geprägte Weltverständnis der Menschen seine Entsprechung nicht unbedingt immer in der religiösen Praxis finden. Vielmehr ist anzunehmen, daß die Menschen die Anordnung der Regierung ignorierten, weil sie in krassem Gegensatz zur Lebenswirklichkeit stand. In den katastrophalen Verhältnissen 144 145

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Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 37f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 119f; vgl. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 37f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 121f.

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Bestandsaufnahme II: Zeitgenössische Erklärungen

nach der Weihnachtsflut mußten die Menschen sich um ihr Überleben kümmern, und das erforderte ihren ganzen Einsatz. So wurde es von ihnen als zusätzliche Belastung empfunden, jeden Vormittag in der Kirche die Betstunde zu besuchen. An dem üblichen Gottesdienst nahmen die Menschen aber nach wie vor teil, in den Monaten nach der Weihnachtsflut sogar zahlreicher als vorher. Hekelius berichtet, daß auch diejenigen, die sonst bei gutem Wetter die Predigt gern versäumten, sich in den Monaten nach der Sturmflut unter Lebensgefahr über das Wasser gewagt hätten, um die Predigt zu hören.147 Daß die Regierung in Ostfriesland nach der Weihnachtsflut mehr Gelegenheiten zum öffentlichen Beten und Büßen anbot als die Regierungen anderer Nordseeküstenländer, lag vor allem am Vizekanzler Enno Rudolph Brenneysen, dem leitenden Mann der ostfriesischen Regierung.148 Brenneysen, der seit seinem Studium in Halle ein entschiedener Anhänger des Pietismus war, versuchte seine religiösen Vorstellungen auch in seinem Regierungsamt umzusetzen, nicht immer im Einklang mit der Bevölkerung, wie der obige Fall zeigt. Für den 3. Mai 1719 ordnete die ostfriesische Regierung erneut einen Bußund Bettag an.149 Alle Einwohner wurden ermahnt, „mit danckbahrem Hertzen bey dem an solchem Tage zu haltenden GOttes = Dienst sich einzufinden". Bei zehn Goldgulden Strafe wurde es verboten, an diesem Tag zu arbeiten, zu handeln und zu reisen. In dem für den Büß- und Bettag vorgeschriebenen Gebet wird auf die schweren Strafgerichte Gottes hingewiesen und Gott für die ihnen bisher erwiesene Barmherzigkeit gedankt. Der pietistische Geist ist darin deutlich zu erkennen. „Segne alle Einwohner / ins besondere diejenige / welche das Ihrige durch die Wasser = Fluth größten Theils verlohren / und in Mangel und Dürfftigkeit gerathen sind. Baue wieder was zerrissen und verwüstet / ersetze nach deiner milden Hand was verlohren ist. Segne und bringe wieder in Stand unsern Acker = Bau / Vieh = Zucht und Nahrung / Fischereyen und Schiffarth / Handel und Gewerbe. Erhalte die Teiche und Dämme des Landes / und bewahre uns für schwere und schädliche Sturm = Winde und Wasser = Fluthen / auch Mißwachs und Ungewitter / Ungezieffer und Vieh = sterben. Laß unser Land wieder grünen / blühen und reichlich Frucht bringen.. .Laß die züchtigende Gnade deines Geistes sich kräfftig und mächtig erweisen / in und an unsern Seelen / daß wir rechtschaffen und von Hertzen uns von aller Sünde und Boßheit zu dir bekehren / verleugnen alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste / und züchtig / gerecht und gottselig leben in dieser Welt / und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des grossen GOttes / und unsers

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Büß- und Trauerpredigt, II, S. 139. Vgl. Heinrich Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands, S. 309ff; Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, S. 358. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 31: Verordnung vom 14.4.1719.

Büß- und Bettage

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Heylandes Jesu Christi..." 150 Nach der Neujahrsflut ordnete der Fürst im Januar 1721 nochmals einen Büß- und Bettag im ganzen Land an. Der vorgeschriebene Predigttext (Psalm 85, 8-14) hatte auch dieses Mal wieder Bezug zu den elenden Verhältnissen.151 Auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein und der Grafschaft Oldenburg wurde am 17. März desselben Jahres noch ein Büß- und Bettag verordnet. Die Notwendigkeit der göttlichen Gnade und des göttlichen Beistandes für die Arbeit an den zerstörten Deichen war auch dem Oberdeichgrafen Eibe Siade Johanns aus dem Land Wursten bewußt. Er bat die Anwesenden der vom 8.-10. Januar 1718 in Padingbüttel stattfindenden Deichversammlung, am Sonntag mit ihm zusammen in der Kirche Gott anzurufen, daß er ihnen für die Wiederherstellung der Deiche Glück und Gedeihen geben wolle. Der Deichvorsteher Friedrich Stoers sollte aus diesem Grunde den Pastor Engelmann bitten, im Gottesdienst ein entsprechendes Gebet aufzunehmen, wozu der Pastor sich auch gern bereit erklärte.152 Um Gott um seinen Beistand zu bitten, versammelten sich auch die Deicharbeiter und Deichbeamten an der Eddelaker Brake in Süderdithmarschen jeden Abend zu einer Betstunde.153

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Ebenda. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 311; Wiarda, 7, S. 60. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Protokoll der Deich Versammlung. Culemann, Denkmahl, 2, § 67, S. 59.

6. Auswirkungen I: Hungersnot und Armut 6.1. Kampf dem Hunger „Bey allem diesen Elend und unglücklichen Zustande stehet noch ferner zu besorgen, daß viele Menschen aus Mangel der Nahrung, so dann auch viel Vieh aus Mangel des futters und frischen Wassers werden verschmachten müßen", besorgte sich der Amtmann Kettler aus Norden in einem Schreiben an den Fürsten Georg Albrecht vom 31. Dezember 1717.1 Und diese Sorge war durchaus begründet; denn in der Sturmflutnacht waren große Mengen an Vorrat weggetrieben oder verdorben worden. Manche Orte hatten ihren gesamten Vorrat an Korn und Gemüse verloren, und die Einwohner wußten nicht, wie sie sich in den kommenden Monaten ernähren sollten. Auch fehlte es an vielen Orten an frischem Wasser. 2 Die Bauern sahen sich genötigt, ihrem Vieh im folgenden Winter Schnee statt Wasser zu geben. 3 Am 4. Januar 1718 berichtete Kettler an den Fürsten, daß es in der Stadt Norden keinen ausreichenden Vorrat für die kommenden Wintermonate gäbe und daß die Bewohner der Stadt deshalb „in Verwirrung und großer Furcht" seien.4 Auch der Baltrumer Pastor Cadovius befürchtete, wie er am 23. Januar 1718 in einem Brief an den Amtmann zu Berum schrieb, daß es im Frühling schwer werde, sich auf der Insel zu ernähren. Der Proviant sei aufgebraucht und kein Geld vorhanden. Und er fragte, woher man sich überhaupt Nahrungsmittel besorgen solle.5 Weil viele Gebiete noch monatelang nach der Sturmflut überschwemmt wurden, konnten sich viele der in ihren Häusern auf den Warften ausharrenden Menschen keine Lebensmittel beschaffen, sondern waren, falls sie noch etwas hatten retten können, auf ihren Vorrat angewiesen oder aber auf die Hilfe von außen. Blieb diese jedoch zu lange aus, so wurde die Lage für die Überlebenden äußerst schwierig. Die Witwe Agte Revers aus Riepe in Ostfriesland ernährte sich und ihre fünf Kinder deshalb sechs Wochen lang von totem Vieh.6 Auch aus dem Kirchspiel Elsfleth in der Grafschaft Olden1 2

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 18. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 21: „Es ist eine dubbelde Waßer Noht bei unß. Waßer zu viel und waßer zu wenig: fast kein tropfen frisch waßer Mehr." Vgl. ebenda, fol. 55. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt, A 2, Kirchspiel Tetenbüll IVa, Nr. 38: Schreiben vom 29.1.1718. Siehe auch Umständl. Hist. Nachricht, S. 93. Petrus Petreus, Hist. Nachricht, 1740, S. 221; G. A. von Halem, Geschichte des Herzogthums Oldenburg, III, S. 186. Wasser wurde zur Handelsware. Wer einen brauchbaren Brunnen besaß, konnte mit dem Wasser Handel treiben. Siehe Die Weihnachtsflut von 1717, S. 13. Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 227. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 23f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 10. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 44. Vgl. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9,

Kampf dem Hunger

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bürg wird berichtet, Menschen hätten aus Hunger das Fleisch von ertrunkenen Tieren gegessen. 7 Aus Hunger sind noch viele Menschen in den Monaten nach der Sturmflut gestorben. 8 In dieser verzweifelten Situation wurde auf verschiedene Weise versucht, die Hungersnot zu bekämpfen. Der ostfriesische Fürst Georg Albrecht befahl dem Drost des Amtes Aurich, Franz Heinrich von Frydag, die Prediger Aurichs zu sich kommen zu lassen und ihnen anzuordnen, in Aurich von Haus zu Haus Lebensmittel für die notleidende Bevölkerung in den Überschwemmungsgebieten zu sammeln. Jedoch meinten der Drost von Frydag und der Amtmann Cirk Hinrich Stürenberg, daß die Pastoren eine solche Aufgabe nur ungern übernehmen würden; deshalb ließen sie durch den Burggrafen und ein paar Saalwächter so viele Lebensmittel aufkaufen, wie in der Stadt zu bekommen waren. Die Lebensmittel wurden anschließend in die in der Nähe liegenden Überschwemmungsgebiete gebracht. 9 Auch ließ Georg Albrecht aus dem fürstlichen Getreidevorrat Brot für die Hungernden backen. 10 Im Amt Wittmund wurden auf Anordnung der Beamten Boote mit Lebensmitteln zu den im Wasser eingeschlossenen Menschen gesandt. 11 Ebenso verfuhr die Regierung in der Herrschaft Jever.12 Gleich nach der Sturmflut sandte auch die Stadt Hamburg Lebensmittel an die Überlebenden im Amt Ritzebüttel. 13 Die königliche Regierung in Hannover befahl den Beamten im Herzogtum Bremen, die notleidenden Leute sowohl mit Lebensmittel als

Fortsetzung Fußnote von Seite 112 fol. 127: Armenvorsteher aus Riepe an Georg Albrecht, Riepe 23.1.1718; Hencke, Hist. Nachricht, S. 14. 7 StA Old: Bstd. 26, 141: Moritz Röhmer an den dänischen König, Elsfleth 1.2.1718. ' Vgl. StA Old: Bstd. 26, 26 1-26 II: Kammerrat Röhmer an den dänischen König, Strückhausen 24.1.1718 und Bstd. 26, 1263: Brief von Röhmer vom 30.1.1718. ® StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. l l f : Schleiff, Kerker und Tammena an Georg Albrecht, Aurich 29.12.1717; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 13.. 10 Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 133. Nicht der Wahrheit entspricht es, daß Georg Albrecht nach der Weihnachtsflut lange mit Hilfsmaßnahmen zögerte, weil er sich dem Strafgericht Gottes beugen wollte und eine Auflehnung gegen Gottes Willen ihm als Sünde erschienen wäre, wie Johannes C. Stracke, 5 Jahrhunderte Arzt und Heilkunst in Ostfriesland, Aurich 1960, schreibt. Ins Reich der Legende gehört aber auch die in der Umständl. Hist. Nachricht, S. 122f mitgeteilte Nachricht, daß der ostfriesische Fürst Georg Albrecht kein Roggenbrot mehr essen wolle, wenn seine Untertanen solches nicht mehr essen könnten, sondern wie sie mit Haferbrot vorlieb nehmen wolle. Damit er die Untertanen länger unterstützen könne, habe er ferner alle überflüssigen Pferde und Bediensteten abgeschafft. Die Ausgaben für die Hofhaltung sanken nach der Weihnachtsflut von 1717 nur geringfügig, wie Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft?, S. 123 schreibt. 11 Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 131. 12 StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 4 und 55. 13 Obst, Grandauers Gedenkbuch, S. 51; vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 31.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

auch mit Feuerung zu versehen.14 Daraufhin bestellten die Beamten des Amtes Hagen für die hungernden Einwohner 4 Last Roggen in der Stadt Bremen.15 „Da das hohe herrschaftliche interesse mit der Unterthanen conservation so feste verknüpffet ist, so sind wir desto getroster zu hoffen Ew. Excellcen werden dieses gantze werck nach dero großen penetration, hohen Vermögen und gnädigen propension dergestalt secundiren, daß wir den effect davon zu verspühren und hoch zu rühmen haben", schrieben die Beamten des Amtes Hagen an die Stader Regierung.16 Auf Befehl des dänischen Königs wurden noch vor Jahresende 1717 bei den Kaufleuten in der Stadt Itzehoe 200 Tonnen Roggen aufgekauft und zur Versorgung der Einwohner nach Glückstadt gebracht.17 Die notleidenden Menschen in Süderdithmarschen wurden nach einer Entscheidung der Regierung in Kopenhagen auf Kosten des Königs mit Brot versorgt; das Brot wurde aus dem an die Obrigkeit zu liefernden Magazin-Roggen gebacken. Am 21. Januar 1718 begannen die Beamten mit der Lieferung von Broten an die Armen. 2.093 Personen bekamen zu diesem Zeitpunkt Brot zugeteilt. Nach den geführten Listen wurden einen Monat später, am 24. Februar 1718, noch 1.830 Personen mit Brot verpflegt; im März 1718 sank die Zahl nur unwesentlich ab auf 1.803 Personen.18 Vom April 1718 an mußte die Landschaft Süderdithmarschen die Verpflegung der Armen selbst übernehmen. 19 Die Regierung ging wohl davon aus, daß viele arme Einwohner, die während der Wintermonate auf Unterstützung angewiesen waren, in den Sommermonaten ihren Lebensunterhalt selbst verdienen könnten. Jedoch für die Armen, die weiterhin der Hilfe bedurften, bot die Regierung 1.000 Tonnen Magazinkorn an, das aber im kommenden Herbst wieder ersetzt oder in bar bezahlt werden mußte.20 In dem oldenburgischen Kirchspiel Abbehausen besorgte der Pastor Christian Closter auf seine Rechnung Brotkorn, Bier und Kleidung für die Notleidenden seiner Gemeinde. Die hundert Reichstaler, die Closter insgesamt ausgegeben hatte, wurden ihm später von der Oldenburger Regierung erstattet.2' Der Amtsvogt Fabricius ließ in dem zu seiner Vogtei gehörenden Kirchspiel Atens Brote backen, die an die vom dortigen Pastor Henrich Fischer als notleidend anerkannten Per-

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 3). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 3): Schreiben vom 22.1.1718. LAS: Abt. 11, Nr. 18311: Bürgermeister und Rat der Stadt Itzehoe an den König, Itzehoe 29.12.1717 und Regierung zu Glückstadt an den Rat der Stadt Itzehoe, Glückstadt 30.12.1717. RAK: Rentekammer, Nr. 191 (Kommissioner) G 24. RAK: Rentekammer, Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Rentekammer an Landvogt von Helm und Landschreiber Eggers, 29.3.1718. RAK: Rentekammer, Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Beschluß des Königs vom 10. Mai 1718. StA Old: Bstd. 26, 141.

Kampf dem Hunger

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sonen verteilt wurden. Allerdings reichte der Kornvorrat nur für die ersten Wochen nach der Weihnachtsflut. 22 Manche Bauern wollten ihre Vorräte an Getreide nicht vorschnell zur Linderung der Not opfern, sondern möglichst noch einen hohen Gewinn damit erzielen; deshalb verheimlichten sie ihren Vorrat in der Hoffnung auf noch zahlungsfähige Käufer. Aus diesem Grund ließ der Amtsvogt Fabricius zu Abbehausen die Böden der Bauernhäuser und die Mühlen in den ihm unterstehenden Vogteien Blexen und Abbehausen durchsuchen. Es wurden auch noch einige Säcke Mehl und Korn gefunden, die er gegen den Willen der Besitzer konfiszierte; allerdings bezahlte er die Ware, zu welchem Preis, ist aber nicht bekannt. In den zwei noch übriggebliebenen Backöfen ließ er daraus Brot backen und an die Hungernden verteilen.23 Viele Gemeinden appellierten in den Wochen nach der Sturmflut an die Regierung, sie mit Lebensmittel zu versorgen. So wandte sich der Pastor Balthasar Wiggers aus Oldenbrok am 3. Januar 1718 im Namen seiner Gemeinde an den dänischen König, damit dieser den vom Wasser eingeschlossenen, noch größtenteils auf den Böden ihrer Häuser verweilenden Gemeindemitgliedern Brot und Bier senden möge, weil sie sonst vor Hunger und Durst zu sterben drohten. 24 Die königliche Regierung in Kopenhagen beauftragte bald darauf die Oldenburger Regierung, die nötigen Lebensmittel zur Versorgung der notleidenden Bevölkerung zu beschaffen. 25 Jetzt wurde bei verschiedenen Händlern Korn eingekauft und daraus bei einigen Bäckern der Grafschaft Brot für die hungernden Menschen gebacken; auch wurde tonnenweise Bier aufgekauft, weil das Trinkwasser knapp war.26 Außerdem wurde angeordnet, überall in der Nähe der Orte Wasserlöcher und Kuhlen mit hoher Umdeichung anzulegen, die unter Aufsicht zu stellen waren.27 Bis zum 24. Januar 1718 wurden an die notleidenden Menschen in den Überschwemmungsgebieten der Grafschaft Oldenburg 17 Tonnen Bier und 1.900 Brote verteilt.28 Das Geld für diese Lebensmittel war aus der Deichkasse vorgeschossen worden; denn der Großeinkauf von Lebensmitteln und Kleidung war nur gegen Bargeld möglich. Kein 22 23

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Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 139. G. A. von Halem, Geschichte des Hzgt. Oldenburg, III, S. 186; Umständl. Hist. Nachricht, S. 97. StA Old: Bstd. 26, 141. StA Old: Bstd. 26, 141: Schreiben vom 15.1.1718. Am 19.1.1718 wurde z.B. der Kammerrat Breuneck von der Oldenburger Regierung angewiesen, an den Bäcker Christian Krüger für 400 Brote ä Stück 12 Groten die Summe von 66 Rtlrn und 48 Groten zu bezahlen, an Bemdt von Harten für 7 Tonnen Bier 19 Rtlr 60 Groten, an Abel Kuhlmann für 8 Tonnen Bier 22 Rtlr 48 Groten, an Conrad Wiencken für 2 Tonnen Bier 5 Rtlr 48 Groten, an Kommissar Neynaber für 150 „Commiss-Brot" 13 Rtlr 39 Groten, außerdem an den Schiffer Helmerich Bleex für Schiffsfracht 16 Rtlr und an den Schiffer Hinrich Bardewik 10 Rtlr für Schiffsfracht. (StA Old: Bstd. 26, 141). Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 227. StA Old: Bstd. 26, 141.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

auswärtiger Kaufmann war in der damaligen schlechten Zeit gewillt, Waren auf Kredit zu liefern, weil er befürchtete, sein Geld nicht oder erst viel zu spät zu bekommen. 29 Deshalb war es für die Beamten notwendig, von der Regierung mit genügend Bargeld versorgt zu werden, wenn sie der notleidenden Bevölkerung helfen wollten.30 Wie der Mangel an Schiffen in den ersten Tagen nach der Sturmflut die Rettungsmaßnahmen erschwerte, so behinderte er später die Hilfsmaßnahmen, besonders die Verteilung der Lebensmittel. Zur Versorgung der Notleidenden mit Nahrung möchten doch Bremer und Oldenburger Schiffe eingesetzt werden, bat der Amtsvogt Röhmer aus der Vogtei Strückhausen in einem Schreiben an die Oldenburger Regierung, da die Schiffe aus seiner Vogtei noch zur Rettung der Menschen und des Viehs benötigt würden. 31 Wenige Tage später teilte er mit, daß die Lebensmittel aus der Stadt Oldenburg nicht abgeholt und an die Einwohner seiner Vogtei verteilt werden könnten, da ihm keine Schiffe zur Verfügung stünden. Die eigenen Kähne benötigte er jetzt dringend, um Erde an den zu reparierenden Deich zu transportieren. Röhmer bat darum, bei anhaltendem Frostwetter die Lebensmittel auf Wagen und Schlitten in die Vogteien Strückhausen und Hammelwarden zu bringen, „damit besagte armen, wovon aus purem hunger schon verschiedene sind crepiret, nicht gäntzlich ihren geist in ermangelnder Subsistence müßen aufgeben, welches doch im Verzögerungsfall ohnausbleiblich erfolgen wird." 32 Hin und wieder kam es auch vor, daß sich Schiffer weigerten, die Brote zu den im Wasser liegenden Orten zu fahren. Der Pastor Dreyer in Hammelwarden bat aus diesem Grunde die Oldenburger Regierung, einige Soldaten hinauszuschicken, um die Kahnführer dazu zu zwingen.33 Anfang des Jahres 1719 weigerten sich 29 Elsflether Schiffer, auf ihren Kähnen weiterhin Brot zu transportieren, wenn ihr noch ausstehender Lohn nicht unverzüglich bar bezahlt würde. Da das Brot von Oldenburg nach Elsfleth und von dort weiter in die einzelnen Vogteien der Überschwemmungsgebiete gebracht wurde, kam den Elsflether Schiffern bei dem Transport eine besondere Bedeutung zu.34 So sah sich die Oldenburger Regierung gezwungen, die Schiffer auf ihren Protest hin sofort zu bezahlen. Sie ordnete aber gleichzeitig an, daß 29

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Der Pastor von Hagen aus Langwarden berichtete am 23.3.1718, daß die Schuhe und die Kleidung nicht angekommen seien, „weil die Bremer auff credit eines im Wasser sitzenden Predigers schwerlich was außfolgen lassen". (StA Old: Bstd. 26, 141). StA Old: Bstd. 26, 141: Amtsvogt Röhmer an den dänischen König, Strückhausen 31.1.1718 und Schreiben des Amtsvogts Fabricius vom 21.3.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben vom 3.1.1718. StA Old: Bstd. 26, 26 1-26 II: Schreiben vom 13.1.1718 und vom 24.1.1718. StA Old: Bstd. 26, 141. Vgl. die „Route wie das Schiff, so den 18ten Febr. dieses Monats mit Brodt für die armen im Lande hieselbst abermahl geladen und darauf zu Waßer abgesandt werden wirdt" in: StA Old: Bstd. 26, 141.

Kampf dem Hunger

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sie auch künftig mit ihren Kähnen das Brot ohne Verzögerung in die Überschwemmungsgebiete zu fahren und dort an die einzelnen Orte zu verteilen hätten.35 Nach einer Verordnung vom 1. November 1718 sollte „das ganze Land", „niemand, der des Vermögens ist, davon ausgenommen", das Brot zu Wasser und zu Land in die Marschkirchspiele „frey forthschaffen". 36 Schwierigkeiten gab es im September 1718 auch mit einigen Bäckern, die sich weigerten, Brote für die mittellosen Deicharbeiter zu backen. Schließlich sah der Deichgraf Johann Rudolf von Münnich keine andere Möglichkeit, als die Bäcker durch militärische Exekution zum Brotbacken zu zwingen. Darauf rächten sich die Bäcker, indem sie das Brot nicht gar backten.37 Ursache ihrer Weigerung war die Tatsache, daß sie das Brot auf Kredit liefern sollten. Doch damit hatten sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Der Bäcker Härmen Cordes hatte beispielsweise auf Anordnung der Oldenburger Regierung bis zum 24. April des Jahres 1718 für 489 Reichstaler und 49/4 Grote Brot an die notleidenden Menschen geliefert, dafür aber bis zum Juli nur 145 Reichstaler bekommen. 38 Die Regierung hatte ihn um Geduld hinsichtlich der restlichen Bezahlung gebeten, da in der königlichen Kasse kein Geld vorhanden sei. Im September 1718 bat er erneut, jedoch wieder vergebens um die Bezahlung der noch ausstehenden 344 Reichstaler.39 Im Januar 1720 war ihm der Restbetrag immer noch nicht gezahlt worden. Solange der Restbetrag noch ausstand, weigerte sich Härmen Cordes, auf Kredit Brot für die Notleidenden zu backen.40 Er wollte nicht die Wirtschaftlichkeit seiner Bäckerei gefährden, indem er eine finanzielle Verpflichtung für die Versorgung der hungernden Landsleute übernahm, die doch die Landesherrschaft tragen mußte. Die Maßnahmen, die in den verschiedenen Ämtern zur Versorgung der hungernden Menschen eingeleitet worden waren, reichten schon bald nicht mehr aus. Die Zahl der Hilfsbedürftigen nahm immer noch zu, da selbst diejenigen, die nach der Sturmflut noch einen gewissen Vorrat hatten, diesen bald verbrauchten und es vielen nicht möglich war, zu ihrem Unterhalt neues Brotkorn und Bier zu kaufen. Einige Einwohner verkauften nach und nach Teile ihrer aus dem Wasser geretteten Hausgeräte, um sich von dem Geld Lebensmittel zu beschaffen. 41 An manchen Orten der Küstenregionen konnte je35 56 37

38

39

40

41

StA Old: Bstd. 26, 141: Ehlers an Oberlanddrost Sehestedt; Oldenburg 8.2.1719. StA Old: Bstd. 26, 511. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichgräfe von Münnich an die Deichkommission, Tettens 29.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 141: Härmen Cordes an die Landesherrschaft, Ell würden 18.7.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Härmen Cordes an die Deichkommission, Oldenburg 14.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: H.A.Fabricius an die Deichkommission, Ellwürden 6.1.1720. StA Old: Bstd. 26, 1264.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

doch selbst derjenige, der noch im Besitz von Geld war, wegen des fehlenden Angebots kein Getreide bekommen. 42 In dem von der Sturmflut stark verwüsteten Kirchspiel Langwarden waren an die notleidenden Menschen nicht nur Brote, sondern außerdem Gerste verteilt worden, damit ein jeder Einwohner sein eigenes Brot backen konnte in den noch hier und dort vorhandenen Backöfen. Von diesen Broten sollte jeder Arme täglich ein halbes Pfund bekommen. So konnte man die armen Einwohner bis Mitte März versorgen. Am 23. März 1718 meldete der Pastor Christian von Hagen aus Langwarden der Oldenburger Regierung, daß der Vorrat nun aufgezehrt sei und sie dringend weitere Hilfe benötigten.43 Mit kurzfristigen Hilfsmaßnahmen war, wie sich bald herausstellte, die Hungersnot in den Küstenländern nicht zu bekämpfen. Selbst im Sommer 1718, als allgemein mit einer Verbesserung der Lage in den Überschwemmungsgebieten gerechnet wurde, nahmen die Klagen über die Hungersnot nicht ab. In einer Denkschrift der sämtlichen Einwohner Eckwardens vom 9. August 1718 wurde beklagt, daß die meisten Familien „das liebe trockene Brot" nicht mehr im Hause hätten, „sondern müßen, weil der Eine dem andern nicht zu helfen vermag, fast hungers crepiren". 44 Am 25. September 1718 baten 25 Einwohner des Kirchspiels Abbehausen in einem Schreiben an die Deichkommission, aus den königlichen Magazinen mit Roggen und Gerste versorgt zu werden. Sie hätten diesen Sommer nicht das Geringste ernten können und deshalb jetzt auch weder Korn noch Geld.45 Hinrich Haase, Albert Sanders und Hinrich Lawrentz aus der oldenburgischen Vogtei Schwei wandten sich schon am 27. Juli 1718 in einem bewegten Brief an den König: „Ach allergnädigster König und Herr! wir Arme in dieser großen Todes = Noht schwebende unterthanen, raffen negst Gott den allerhöchsten Ew. Königl. Maytt. allerunterthänigst, und fueßfällig an, und bitten Üm Hülffe und rettung, falß noch einige oder die geringste vorhanden ist, unßer Leben vom Verderben zu erretten. Wir sind alle Tage bey der schweren Teich = arbeit, wobey unß nicht allein Brod mangelt, sondern haben auch kein Waßer, alß nur mehrentheils das saltze; Wier bestreben unß so viel möglich vor den wilden Meeres fluhten zu beschützen, aber die Kräffte und Vermögen solches " StA Old: Bstd. 26, 141: Moritz Röhmer an den dänischen König, Elsfleth 1.2.1718. 43 StA Old: Bstd. 26, 141: Schreiben des Pastors Christian von Hagen an den dänischen König vom 15.2.1718 und vom 23.3.1718. 44 StA Old: Bstd. 26, 1263. Am 8.9.1718 wiederholten die Einwohner der Vogtei Eckwarden ihre Bitte um ausreichend Lebensmittel für die Armen (StA Old: Bstd. 26, 1264). Sämtliche Hausleute der Vogtei Strückhausen schrieben am 7.9.1718 an die Deichkommission, daß der Vorrat an Lebensmittel bei den meisten nicht für drei Wochen reiche. Für den Winter war also kein Vorrat vorhanden (StA Old: Bstd. 26, 1264). 45 StA Old: Bstd. 26, 1264. Am 8.10.1718 wandten sich auch die Einwohner des Landes Würden an die Deichkommission mit der Bitte um Brotkorn und Feuerung (StA Old: Bstd. 26, 1264).

Kampf dem Hunger

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ins werck zu setzen, mangeln unß, und wollen dennoch gerne thuen, waß wir können, wann Ew. Königl. Maytt. unß nur mit nötigen Brod, itzo und auch gegen den bevorstehenden betrübten Winter versorgen möchte." 46 Wie einige Beamte und Einwohner in ihren Schreiben an die Regierung schon befürchtet hatten, verschlimmerte sich die Lage im Winter 1718/19 in vielen Orten erneut, und die an die Obrigkeiten gerichteten Bitten um Hilfe wurden noch eindringlicher.47 Jetzt wurde außer Lebensmitteln auch noch dringend Feuerung für die kalten Wintertage benötigt. Vielfach war schon das Ständerwerk und die Dachstühle von verlassenen, ruinierten Häusern heruntergerissen und als Brennmaterial entwendet worden.48 In der Grafschaft Oldenburg übernahm die Deichkommission gemeinsam mit dem neuen Oberlanddrosten von Sehestedt im Herbst 1718 die Organisation der Hilfsmaßnahmen, als sie nach ihrer Ankunft in Oldenburg feststellen mußte, daß sich die Lage der durch die Sturmflut verarmten Menschen noch keineswegs gebessert hatte, sondern vielmehr für den Winter bei Ausbleiben staatlicher Hilfe mit einer großen Hungersnot zu rechnen war. Nachdem die Deichkommission zunächst die bisherigen Rechnungen über die von der Oldenburger Regierung und den Amtmännern angeordneten Lebensmittellieferungen überprüft hatte49 , beauftragte sie die Pastoren in den Überschwemmungsgebieten, ein Register der armen Einwohner ihres Kirchspiels anzulegen, die unbedingt mit Lebensmitteln unterstützt werden müßten. Die Pastoren sandten die einzelnen Listen im Oktober 1718 an die Deichkommission, die dann ein Gesamtregister über die hilfsbedürftigen Personen anlegte. Nach dieser nicht ganz vollständigen Aufstellung waren in der Grafschaft Oldenburg 3.772 Personen auf die staatliche Hilfe angewiesen.50 Wie sich die Armen auf die einzelnen Kirchspiele verteilten, zeigt folgende Tabelle51: 46 47

48 49 50

51

StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Schwei. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, fol. 4: die Steuerkommissare der Kirchspiele Bützfleth, Assel und Drochtersen an die Stader Regierung, Assel 16.7.1718; StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben der Einwohner des Landes Würden an die Deichkommission, 8.10.1718; StA Old: Bstd. 26, 141 : Schreiben an Oberlanddrost Sehestedt, Eckwarden 28.12.1718: „Wie ich nun Ewer Excellentz mit warheit versichern kan, daß etti. Tagelöhner in 2 und 3 Tagen nicht ein stück brod vor sich, weib und kinder gehabt haben, und wo der armuth nicht geholffen, vile entweder crepiren oder davon gehen müßen, alß habe nomine Pauperum Ewr. Excellentz demüttigst anflehen wollen, Sie geruhen die gnädige anstalt zu verfügen, daß obgemeldten recht nothleidenen armen möge geholffen werden." Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 138. StA Old: Bstd. 26, 141: Deichkommission an Oldenburger Regierung, 28.9.1718. Angaben über die Kirchspiele Atens, Esenshamm, Golzwarden und Hammelwarden fehlen in der Aufstellung. Nach einer Liste vom 18.12.1718 wurden in Atens 94 Personen mit Brot unterstützt. (StA Old: Bstd. 26, 141). StA Old: Bstd. 26, 1263. „Das Verzeichnis der armen Leute im Lande, welche Brodt bedürfen" wurde ergänzt durch die Liste der Armen in der Gemeinde Tossens, durch den „Catalogus derer Armen, bedürfftigen und Nohtleidenden in Rotenkir-

120

Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

Verzeichnis der armen Leute in der Grafschaft Oldenburg, welche Brot bedürfen Frauen

Kirchspiele

Hausväter

Abbehausen Altenhuntorf Bardenfleth Blexen Burhave Eckwarden Großenmeer Langwarden Neuenbrok Oldenbrok Schwei Seefeld Stollham Strückhausen Tossens Waddens

43 12 39 105 38 51 9 36 13 117 54 9 7 196 3 13

68 22 76 119 54 71 28 50 12 172 71 24 14 233 5 13

Rodenkirchen

745 41

1.032 84

786

1.116

Kinder bis 8 Jahre 48 19 69 116 55 75 12 62 3 149 110 27 5 232

Kinder bis Summe 15 Jahre 73 6 28 104 45 46 8 56 8 96 57 16 22 136 15 17

232 59 212 444 192 243 57 204 36 534 292 76 48 797 23 61

1.000 733 137 Kinder

3.510 262

-

18

3.772

Schaut man sich die Tabelle genau an, so fällt auf, daß in Orten wie Stollhamm und Tossens, die in der Sturmflut große Verluste erlitten hatten, im Herbst 1718 nur verhältnismäßig wenige arme Leute wohnten, während andererseits in Orten, die unter der Sturmflut viel weniger zu leiden hatten, sehr viele hilfsbedürftige Personen registriert wurden. Das lag zum einen an der unterschiedlichen Einwohnerzahl der Kirchspiele. Kirchspiele wie Tossens und Stollhamm waren zum Beispiel wesentlich kleiner als Strückhausen und Rodenkirchen, wo zwar nicht prozentual, aber in absoluten Zahlenangaben mehr Arme wohnten. Ein weiterer Grund war, daß in den von der Sturmflut schwer in Mitleidenschaft gezogenen Kirchspielen ein Großteil der Einwohner ertrunken war und sich die Zahl der Einwohner und somit auch die der Armen dadurch wesentlich reduziert hatte. Ferner ist zu bedenken, daß gerade aus den von der Flut besonders betroffenen Orten viele Einwohner im Fortsetzung Fußnote von Seite 119 chen" und durch das „Verzeichniß der nothleidenden und bedürfftigen Armuth im Kirchspei Strückhausen". Alle Verzeichnisse in StA Old: Bstd. 26, 1263.

Kampf dem Hunger

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Laufe des Jahres 1718 weggezogen waren, zum Teil in andere Länder, zum Teil aber auch nur in andere, vom Wasser schon befreite Kirchspiele der Grafschaft Oldenburg, wo sie dann auch unterstützt wurden. Daher erklärt sich zum anderen die hohe Zahl der Bedürftigen in den von der Sturmflut weniger schwer heimgesuchten Orten. Von den 262 armen Leuten im Kirchspiel Rodenkirchen kamen 33 Personen aus anderen Gemeinden, und zwar aus Abbehausen, Blexen, Burhave, Eckwarden, Schwei, Stollhamm und Waddens, also mit Ausnahme von Schwei Orten, in denen in der Sturmflut große Verluste an Menschen, Vieh und Häusern entstanden waren.52 Die Aufstellung zeigt ferner, daß im Herbst 1718 noch ein sehr großer Teil der Bevölkerung in den Oldenburger Marschgebieten auf Unterstützung angewiesen war. In Butjadingen wurde im Winter 1718/1719 über ein Viertel der Bevölkerung mit Lebensmittel unterstützt.53 In einzelnen Kirchspielen war die Zahl der Hilfsbedürftigen noch wesentlich höher, zum Beispiel in Blexen, wo etwa die Hälfte der Einwohner mit Lebensmitteln versorgt wurde, und in Waddens, wo nach der Weihnachtsflut alle überlebenden Einwohner der Hilfe bedurften. Diese genaue Aufstellung der armen Einwohner nach einzelnen Kirchspielen wurde für die Deichkommission die Grundlage für die künftigen Hilfsmaßnahmen und für die gezielte Unterstützung der Notleidenden. Am 1. November 1718 konferierte die Deichkommission mit dem Oberlanddrosten von Sehestedt über Hilfsmaßnahmen für die bedürftigen Landesbewohner. 54 Dabei berechneten sie für jede hilfsbedürftige Person für den Winter bis Ende März eine halbe Tonne Roggen. Ab April könnten die Leute wieder bei der Deicharbeit und in der Landwirtschaft Geld verdienen und sich dann selbst ernähren. Für wenig ratsam wurde es gehalten, das Korn zu verteilen, weil es in den Marschgebieten an Mühlen fehlte und die noch vom Wasser umgebenen Leute nur schwer zur Mühle kommen könnten und weil beim Verteilen 52

53

54

Das Durchschnittsalter der in der Armenliste von Rodenkirchen verzeichneten Männer betrug 48 Jahre, das der Frauen 46 Jahre. Das Durchschnittsalter der aus anderen Gemeinden nach Rodenkirchen geflüchteten Männer und Frauen war deutlich niedriger, bei den Männern 43 Jahre, bei den Frauen 35,5 Jahre. (StA Old: Bstd. 26, 1263: Catalogus derer Armen, bedürfftigen und Nothleidenden in Rotenkircher Gemeine). Geht man von der für das Jahr 1702 bekannten Bevölkerungszahl von 8.144 für Butjadingen aus und zählt davon die 2.306 in der Weihnachtsflut ertrunkenen Menschen ab, so ergibt sich eine Bevölkerungszahl von 5.838. Diese Angabe wird in etwa der Bevölkerungszahl Butjadingens unmittelbar nach der Weihnachtsflut entsprechen. Viele der überlebenden Butjadinger verliessen aber ihre Heimat in den Monaten nach der Sturmflut, so daß wir nicht wissen, viele viele Menschen im Herbst 1718 noch dort wohnten. Unterstützt wurden in Butjadingen im Herbst 1718 etwa 1.540 hilfsbedürftige Personen, also in jedem Fall mehr als ein Viertel der Bevölkerung. StA Old: Bstd. 26, 1263. Vgl. auch StA Old: Bstd. 26, 1263: Neve und Weyse an die Deichkommission, Kopenhagen 6.12.1718.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

und Mahlen des Korns auch „mancherley Eigennutz und Entwendung zu besorgen" sei.55 Deshalb sei es am besten, jedem Kirchspiel Brot zuzusenden. 56 Da Weichbrot in den feuchten Marschorten zu schnell verdürbe, sollte an die dortige notleidende Bevölkerung vor allem Hartbrot und Zwieback verteilt werden. Noch vor dem Einbruch des Winters, wenn die Schiffahrt wegen des Eises nicht mehr möglich und die Marschwege unpassierbar würden, sollte eine ausreichende Menge an Broten hinausgeschickt werden. 57 Die Verteilung der Brote sollte von den Pastoren und Kirchenjuraten jeden Sonntag nach dem Gottesdienst bei der Kirche geschehen. Wöchentlich sollte jede Person, alt oder jung, 4 Pfund Hartbrot bekommen. Über die Verteilung der Brote sollten sie eine genaue Liste führen, die mit Angabe der inzwischen verstorbenen Armen jeden Montag in doppelter Ausführung an den Proviantkommissar zu senden war. Schließlich wurde noch angeordnet, mit dem Backen der Brote unverzüglich zu beginnen. Soweit die Beschlüsse der Konferenz, die von allen Kanzeln verlesen und öffentlich angeschlagen wurden. 58 Zum Backen der Brote wurden im Winter 1718/19 1.500 Tonnen Roggen (dänisches Maß) aus dem königlich-oldenburgischen Magazin geliefert. Von diesem Korn wurden 41.768 Pfund Hartbrot und 43.752 Stück Weichbrot ä 6 Pfund gebacken, das an die notleidende Bevölkerung in den Marschgebieten gratis verteilt wurde. 59 Wieviel Brot jedes einzelne Kirchspiel bekommen hat, zeigt eine Aufstellung des Proviantkommissars Neynaber 60 :

55

56

57

58 59

60

In den Wintermonaten unmittelbar nach der Sturmflut war es bei der Brotverteilung zu allerhand Mißbrauch gekommen. Diejenigen, die zum Brotausteilen beauftragt worden waren, hatten selbst etliche Brote entwendet. Auch weigerten sich einige Personen, denen die Pastoren und Kirchenjuraten die Verteilung der Brote angeordnet hatten, diese zu übernehmen. Ferner hatten die Armenvorsteher und Kirchenjuraten den Pastoren die Aufsicht, Verwahrung, Austeilung und Berechnung für das Brot fast allein überlassen, obwohl ihnen dieses kraft ihres Amtes zukam. (StA Old: Bstd. 26, 141: Die Pastoren Dubravius (Blexen), Vechtmann (Schwei), Fischer (Atens) und Closter (Abbehausen) an den Oberlanddrost Sehestedt, 13.12.1718). Am 12.9.1718 hatte der Deichgraf Johann Rudolf von Münnich an die Deichkommission geschrieben, kein Roggen oder Mehl in die Überschwemmungsgebiete zu senden, sondern gebackenes Brot, weil das Mahlen und besonders das Backen dort sehr schwierig sei und auch Roggen und Mehl leichter gestohlen werden könnten. (StA Old: Bstd. 26, 1263). Der Pastor Claussen zu Seefeld hatte schon am 27.10.1718 darum gebeten, in seiner Gemeinde einen kleinen Vorrat an Korn auf dem Kirchenboden anlegen zu dürfen, da seine Gemeinde in der nassen Herbst- und Winterzeit nur schwer zu erreichen sei. (StA Old: Bstd. 26, 1263). StA Old: Bstd. 26, 511: gedruckte Verordnung. 3.836 Pfund Hartbrot und 2.242 Stück Weichbrot sollten ursprünglich von den Empfängern bezahlt werden. Die Regierung verzichtete jedoch später auf das Geld. Siehe Schreiben an die Rentkammer in Kopenhagen vom 2.4.1738. (StA Old: Bstd. 26, 1263). StA Old: Bstd. 26, 1263.

K a m p f dem Hunger

Hartbrot in Pfund Abbehausen Atens Bardenfleth Blexen Burhave Eckwarden Esenshamm Golzwarden Großenmeer Hammelwarden Langwarden Neuenbrok Oldenbrok Rodenkirchen Schwei Seefeld Stollham Strückhausen Tossens Waddens

Weichbrot in Stückzahl

800

2.462 952 1.476 3.799 2.248 1.797 800 1.388 3.426 1.956 1.706 894 2.504 1.148 2.804 2.852 1.020 9.664 256 600

41.768

43.752

7.900 1.440 -

6.400 3.200 3.300 1.600 -

6.928 -

3.520 4.000 -

1.360 1.320 -

123

Auch im nächsten Winter 1719/1720 hatte sich die Situation in den Marschgebieten noch nicht grundlegend geändert. Viele Menschen hätten in Ostfriesland noch vor Hunger sterben müssen, „wan sie nicht mit dem Aas des an der Kranckheit gestorbenen Viehes, welches öffters schon vergraben gewesen, ihr kümmerliches Leben hätten durchbringen" können." Am 6. Januar 1720 berichtete auch der oldenburgische Oberlanddrost von Sehestedt, daß im Lande eine Hungersnot herrsche und in Strückhausen bereits zwei Personen verhungert seien.62 Im Kirchspiel Blexen waren auch jetzt noch 364 Personen auf die Unterstützung angewiesen und im Kirchspiel Schwei waren es noch 129 Personen.63 Die 58 Hilfsbedürftigen im Kirchspiel Eckwarden waren vor allem Witwer und Witwen, Waisenkinder und Kranke, die, wie der dortige Pastor Pauli anmerkte, „wegen der allgemeinen Armuth dieses LanAdministrator von dem Appelle in seinem Bericht über die Finanzsituation auf dem Landtag im März 1720. StA Aurich: Dep. 1, 1432, fol. 122; vgl. K a p p e l h o f f , Absolutistisches Regiment, S. 158. Auch noch im Winter 1719/17120 starben Rinder durch die Viehseuche. " StA Old: Bstd. 26, 1263: Acten betr. Berichte des Oberlanddrosten Sehestedt. 63 Siehe die Listen der Armen im StA O l d : Bstd. 26, 1263.

61

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

des gahr keine Allmosen sammlen und sich deßen erfreuen können". 64 Am 6. Januar 1720 teilte der Amtsvogt Fabricius mit, die Not sei noch so groß, „daß viele Menschen bereits so verschmachtet außsehen, daß von ihrem anschauen und lamentiren einen das hertz im leibe wehe thut". 65 In diesem Kirchspiel waren noch 398 Leute auf Unterstützung mit Brot und Korn angewiesen; von diesen Armen waren 124 Personen nicht imstande, das ihnen von der Obrigkeit gegebene Brot mit Deicharbeit wieder abzuverdienen, weil sie krank, gebrechlich oder noch Kinder waren. 66 Der Oberlanddrost von Sehestedt hatte zunächst Anfang Januar 1720 Brot backen lassen und dieses aus der Deichkasse bezahlt. Für den künftig notwendigen Kauf von Brot erbat er sich Geld von der Rentkammer in Kopenhagen, da das Geld aus der Deichkasse unbedingt für die notwendigen Deichreparaturen gebraucht wurde. 67 Auch noch im folgenden Winter, nach der Sturmflut vom 31. Dezember 1720 wurden, wie der Pastor Christian Closter mitteilte, in seiner Gemeinde Abbehausen wiederum „128 blut = arme Menschen in solchen Jammer und Elend gesetzet", daß sie erneut auf obrigkeitliche Hilfe angewiesen waren. 68 Auch Privatpersonen halfen in unterschiedlicher Weise den hungernden Menschen. Ein in der ostfriesischen Stadt Norden ansässiger Jude schenkte den Armen eine halbe Last Roggen von seiner Schiffsladung. 69 Im Lande Wursten überließ der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns aus Padingbüttel den armen Leuten das nasse Getreide aus seinem auf dem Deich festsitzenden Schiff, das neun Last Gerste und 22 Tonnen Hafer geladen hatte, damit sie nicht Hungers starben. In zwei Tagen hatten die hungernden Menschen das Schiff gelöscht. Sie mußten das Getreide zunächst trocknen und dann mahlen, um es zum Essen verwenden zu können. Die Menge an Korn war aber, wie Johanns feststellte, viel zu gering, um die Not in dieser Gegend auf längere Sicht zu lindern. 70

6.2. Armut Die herrschaftlichen Korn- und Brotlieferungen konnten zwar der Hungersnot in den Überschwemmungsgebieten ihre Härte nehmen, ganz zu beseitigen vermochten sie diese jedoch nicht. Solange die durch die Sturmflut verur64

65

66 67 68 69 70

StA Old: Bstd. 26, 1263: Brief des Pastors Pauli an die Deichkommission, Eckwarden 7.12.1719 und Brief vom 8.1.1720. StA Old: Bstd. 26, 1263: Fabricius an Deichkommission und Oberlanddrost, Ellwürden 6.1.1720. StA Old: Bstd. 26, 1263. StA Old: Bstd. 26, 1263: „Actum Oldenburg d. lOten Jan. 1720". StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben vom 1.2.1721. Hekelius, Beschreibung, S. 31. StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 351f: S. E. Johanns an Regierung in Stade, Padingsiel 12.1.1718 und ebenda sein „Teichs Diarium"; vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 73.

Armut

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sachte Verarmung großer Teile der Bevölkerung nicht beseitigt werden konnte, war an eine ausreichende Subsistenzsicherung in diesen Gebieten nicht zu denken. Denn die Armut und die Hungersnot waren aufs engste miteinander verwoben. Wie groß die Armut in den Küstengebieten nach der Weihnachtsflut war, davon zeugen nicht zuletzt die genannten Zahlen über die Empfänger des obrigkeitlich verteilten Brotes. Deutlich ist auch, daß die meisten der in Armut geratenen Einwohner zu den Bevölkerungsgruppen gehörten, die auch schon vor der Sturmflut am Rande ihres Existenzminimums lebten wie Warfsleute, Köter oder Kätner und Tagelöhner.71 Von den 441 Personen, die im Dezember 1718 in Blexen in der Grafschaft Oldenburg von der Landesherrschaft Brot erhielten, waren 107 Personen arm oder krank, worunter Witwen, Kinder, Krüppel, Kranke und alte, arbeitsunfähige Personen zu verstehen sind. 279 Personen waren Arbeiter, die keine Beschäftigung hatten und jetzt im Winter, wo der Deichbau ruhte, auch keinen Broterwerb finden konnten. Die übrigen 55 Personen waren Hausleute, von denen man annahm, daß sie das Brot später bezahlen könnten. Von den 94 Personen in Atens, die Brot erhielten, waren 35 Personen arme Arbeiter, 59 Personen aber, wie es heißt, „wirkliche und wahre Arme". 72 Doch anders als in Zeiten von Mißernten und dadurch hervorgerufenen Hungersnöten, die große Bauern immer weniger hart trafen als die ärmeren Leute, gerieten durch die Sturmflut auch wohlhabende Bauern in die Armut, wenn ihr Haus und ihr Hof, das Vieh und die Vorräte und selbst die Ersparnisse ein Opfer der Flut geworden waren.73 Es sei früher nicht ungewöhnlich gewesen, in Butjadingen Bauern anzutreffen, die ein Vermögen von 80.000-100.000 Reichstaler hatten, schreibt Hekelius. In der Sturmflutnacht hätten aber sehr wohlhabende Leute innerhalb einer Stunde ihren ganzen Besitz verloren und seien in den „allerärmsten Zustand" versetzt worden.74 Auch der Pastor Closter stellte in einem 71

72 73

74

Über die Unterschichten siehe Schaer, Die ländlichen Unterschichten zwischen Weser und Ems vor der Industrialisierung - ein Forschungsproblem, in: Niedersächsisches Jahrbuch 50 (1978) S. 45-69; Engelbrecht, Die reformierte Landgemeinde, S. 60ff. StA Old: Bstd. 26, 141. Der Hausmann Anthon Günther Docius vom Hayenschlooter Hammerich in der Grafschaft Oldenburg z.B. hatte durch die Viehseuche 79 Rinder verloren; in der Weihnachtsflut verlor er noch seinen übrigen Bestand an Vieh, 18 Kühe, 8 Pferde und 8 Schafe, sowie sein Haus und alle seine Güter. Seine Leibeskräfte waren nach der Sturmflut so geschwächt, daß er nicht mehr arbeiten konnte und ganz auf die Armenfürsorge angewiesen war. (StA Old: Bstd. 26, 1264: Docius an den König, 5.9.1718 sowie ebenda, 1263: Docius an Oberlanddrost von Sehestedt und Deichkommission, 10.12.1719). Vgl. auch Culemann, Denckmahl, 1728, S. 346f. Beschreibung, S. 75f. Verschiedene vormals wohlhabende Leute seien in solche Dürftigkeit geraten, daß sie im bevorstehenden Winter wegen Mangel an Brot das Leben nicht durchbringen könnten, schrieb der Oberlanddrost von Sehestedt am 6.1.1720 an den dänischen König. (StA Old: Bestd. 26, 1263: Acten betr. Berichte des Oberlanddrosten Sehestedt); vgl. auch Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 219.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

Brief an den dänischen König fest, „daß mancher der vorhin wollhabend gewesen, anitzo nicht so viel vermögen habe, damit er nur einmahl seinen hunger und durst stillen noch seinen Leib verhüllen noch für frost verbergen könne, sondern hungrig und durstig, nackend und gantz verfroren an händ und füße angekommen sey". Die meisten überlebenden Einwohner des Kirchspiels Abbehausen befänden sich in einem armseligen Zustand und sehr viele seien bettelarm.75 Viele Einwohner, die sich früher „recht nett in Kleidung gehalten", müßten jetzt nach der Sturmflut in alten Lumpen und barfuß gehen, teilte auch Fabricius mit.76 Neben dem Verlust ihres Besitzes war es vor allem die soziale Deklassierung, unter der die ehemals gutsituierten Bauern litten. Vor der Sturmflut seien sie „in gutem Stande" gewesen und hätten niemals Armenmittel benötigt, schrieben 25 Einwohner des Kirchspiels Abbehausen an die Deichkommission; es falle ihnen sehr schwer, jetzt gemeinsam mit den Bettelarmen das Armenbrot vor der Kirchentür empfangen zu müssen und es dort selber abzuholen.77 Klagen über die große Armut im Lande wurden in den Jahren nach der Sturmflut aus allen Küstenregionen laut, wenn auch die Zahl der in Armut geratenen Leute überall unterschiedlich war. Am größten war die Armut in den Landschaften, in denen die größten Sturmflutschäden zu verzeichnen waren. „Die blaßen Gesichter und abgematteten Cörper sind zeugen so woll des Hungers als der Armuth, darin wir stehen", schrieben sämtliche Hausleute der oldenburgischen Vogtei Strückhausen in einem Brief an die Deichkommission.78 Der Zustand des Landes Würden sei so schlecht, klagten die dortigen Einwohner, daß sich auch die allerältesten Leute dergleichen trübseliger Zeiten nicht zu erinnern vermöchten. Die meisten Leute könnten nicht mehr ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten.79 „Alle unsere mobilien, Kleydungen, Haußgeräthe und was wir sonsten noch gehabt, ist aus den Häußern weg getrieben, Viele Pferde, Kühe und ander Vieh Jämmerlich ertruncken und umbgekommen, so das auch die Meisten Einwohner dieses Landes wenig und zum Theil gar nichtes behalten, sondern dadurch gantz arm, Nacket und bloß geworden, und anjetzo in den miserablesten, Erbar-

75

StA Old: Bstd. 26, 141: Brief vom 12.2.1718. Umständl. Hist. Nachricht, S. 92. 77 StA Old: Bstd. 26, 141: Schreiben vom 25.9.1718. Auch am 1.11.1718 wiederholten sie in einem Schreiben an die Deichkommission, daß sie vor der Flutkatastrophe, der Viehseuche und dem Mäusefraß nie von den Armenmitteln genossen hätten, „auch noch anitzo ungerne mit den andern Bettel Armen das Brodt, so ihnen gnädig zugesaget ist, selber holen mögen". (Ebenda). 78 StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben vom 7.9.1718. 7 ® StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben an die Deichkommission vom 8.10.1718. Auch der Pastor von Hagen aus Langwarden berichtete am 23.3.1718 an die Landesherrschaft, daß die meisten Leute seiner Gemeinde sehr arm seien. (StA Old: Bstd. 26, 141). 76

Armut

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mung-Vollesten Zustande sitzen und fast vor Frost, Hunger und Noht Vergehen unnd umkommen müßen." 80 Selbst in Gegenden, die weniger stark durch die Sturmflut in Mitleidenschaft gezogen worden waren, war die Armut in den Jahren nach 1718 zu einem großen Problem geworden. In den Herzogtümern Schleswig und Holstein wurde die Situation durch die Auswirkungen des Nordischen Krieges noch verschlimmert. Der Pastor Peter Clasen aus Rodenäs im Amt Tondern beschreibt die Lage in seiner Gemeinde in einem Brief an seinen Amtmann folgendermaßen: „Da fehlet nun dießem Kirchspiel gleich andern Marschländern 2 Dinge, nemlich zu beißen und brechen, ich meine: rocken und holtz oder torff, welches die armut sehr drücket. Die Vermögene können vor Geld alles allenthalben haben, aber so nicht die armen. Auch ist diese Gemeine vor andern schlecht daran, weil wir hier mit den vielen niedrigen Ländereyen sitzen, welche zwar auch Neukirchen 81 gnug hat, dabey haben sie doch einen Vorzug wegen ihre fischereyen und bothen, damit sie täglich reit82 zum brennen und geld durch ihre frachten machen können. Zum andern machen die schlechte Zeiten, darinnen wir eine Zeitlang gelebt, den nur kümmerlichen Zustand der Armen alhier noch miserabler, diese Zeiten sind zwar, was den Krieg betrifft, universell, indeßen ist die letzte hohe Fluth und Überschwemmung insonderheit dasjenige, so, wie die Marschländer zwar insgemein drückt, also in specie der Armuth in meinem Kirchspiel schwer fällt; was dieses letzte Gericht Gottes anlangt, so drückt es die armuth mehr, als der lOOOde gedencket. Vorigen Sommer hat man hier zum theil nur einen schlechten prospect gehabt, über hohe ländereyen war in dem alten Kog sonderlich nicht zu klagen; aber auf den niedrigen war wenig Graß und Korn, und von solchen leztern haben wir nechst Neukirchen vielmehr, als die benachbahrte: Weil nun das Korn so schlecht gestanden, so hat die armuth jezt wenig oder nichts, dadurch sie sich raths erholen kan. Die etwas bemittelte (:recht reiche sind jezt wenige im Lande:) haben dieses Jahr wenig Korn und futter, also können sie den armen nicht zu hülffe kommen. Wollen die armen brodkorn aus der Stadt haben, muß haber da seyn, davor zu geben, denn also pflegen gerne die geringe ihr brodkorn an sich zu tauschen; aber siehe, solcher ist bey ihnen rar, so fehlets auch an Stroh, und folglich feuerung, denn das Stroh wird hier des winters viel dazu gebraucht.. .Doch muß noch das dritte mit wenig anhängen, daß nemlich die fresen 83 wenig lust zu betteln haben, ja sie sollen eher in ihren häusern sitzen und verhungern, als herum lauffen und betteln, dahero man selten einen fresen auf der geest betteln gehen

80

StA Old: Bstd. 26, 1264: Sämtl. Einwohner des Landes Wührden an den dän. König, 4.2.1718. " Neukirchen ist die Nachbargemeinde von Rodenäs. 82 Reit = Reet, Ried = Schilf 83 fresen = Friesen

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

sehen wird, welches gewiß die Nothleidende nicht wenig in ihren Mangel drücket." 84 Bei einer solch rapiden Zunahme der Armut in den Küstenregionen geriet die herkömmliche Armenfürsorge an ihre Grenzen. Die Armenkassen reichten jetzt nicht mehr aus, um die vielen Armen auch nur notdürftig zu versorgen.85 Weil viele der zu den Armenhäusern gehörenden Ländereien in den Jahren nach der Sturmflut landwirtschaftlich nicht genutzt werden konnten, blieben auch die Pachtgelder weitgehend aus, so daß dieses Geld für die Armenfürsorge fehlte.86 Schwierig wurde die Versorgung der Bedürftigen auch deshalb, weil durch die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nach der Sturmflut Almosen weitgehend ausblieben.87 Im Kirchspiel Langwarden in der Grafschaft Oldenburg sollten auf obrigkeitliche Anordnung auch diejenigen Personen, die bisher aus dem Armenblock Unterstützung bekamen, genauso wie die durch die Sturmflut verarmten Einwohner von dem herrschaftlichen Brot und Getreide etwas bekommen, weil das Kirchspiel nicht in der Lage war, Almosen zu geben.88 Die ostfriesische Gemeinde Riepe war schon vor der Sturmflut kaum imstande gewesen, ihre Armen zu versorgen. Da aber die meisten Einwohner in der Sturmflut große Verluste erlitten hatten und kaum ihren eigenen Unterhalt bestreiten konnten, war es jetzt erst recht nicht mehr möglich, dieser Aufgabe nachzukommen. Die Gemeinde wußte nicht, wie sie den Armen jetzt überhaupt noch Unterstützung und Wohnung verschaffen konnte. Darüber waren die Armen in solche Not geraten, daß sie sich von gestrandetem, zum Teil schon stinkendem Vieh ernähren mußten. In dieser schlimmen Notlage wandte sich die Gemeinde schließlich an die Landesherrschaft mit der dringenden Bitte um eine wöchentliche Beisteuer von Roggen oder sonstigen Lebensmitteln. Die 84

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88

RAK: Rentekammer, Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Peter Clasen an den Amtmann Johann Georg von Holstein, Rodenäs 1.2.1719. Am 15.1.1718 wies z.B. die Regierung zu Jever den Fürsten von Anhalt-Zerbst darauf hin, daß die geringen Armenmittel nicht ausreichten, die durch die Wasserflut verarmten Leute zu versorgen (StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6, fol. 4). KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt Nr. 457: Protokolle der Landesversammlung, 31.1.1718. RAK: T.K.I.A. B 75: Andreas Gerhard Rose und Johann Memen an den dänischen König, 30.10.1720. Der Pastor Pauly aus Eckwarden stellte in einem Schreiben an die Deichkommission vom 7.12.1719 fest, daß die Armen „wegen der allgemeinen Armuth dieses Landes gahr keine Allmosen sammlen und sich deßen erfreuen können" (StA Old: Bstd. 26, 1263). Wie D. von Chamisso, Pellworm im Jahrhundert der großen Flut, S. 168 feststellt, ist auch auf Pellworm nach der Weihnachtsflut „ein fühlbares Nachlassen der Gebefreudigkeit eingetreten". Hatte der ostfriesische Fürst 1717 noch 1.568 Reichstaler für „milde Sachen" ausgegeben, worunter Gelder für Kirchen, Schulen und Armenhäuser zu verstehen sind, so waren es 1719 nur noch 113 Reichstaler. Als das Land sich erholte und die Einkünfte wieder stiegen, erhöhten sich auch diese Ausgaben wieder. Siehe Wolken, Die Finanzen des ostfriesischen Herrscherhauses, S. 36. StA Old: Bstd. 26, 141: Schreiben vom 18.2.1718.

Armut

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Regierung gewährte Riepe daraufhin bis Ostern 1718 wöchentlich eine Viertel Tonne Roggen, wovon man Brot für die Armen backen lassen sollte.89 Auch in Emden hatte sich in den Jahren nach der Weihnachtsflut die Zahl der Armen so vergrößert, daß die Kirche, der die Armenfürsorge in der Stadt oblag, sich nicht mehr imstande sah, diese zu unterstützen, weil dazu die Armenkasse nicht ausreichte. Der Kirchenrat in Emden entschied deshalb, einige Prediger in die Niederlande zu senden, um dort Geld zu sammeln. Sie waren auch sehr erfolgreich und kamen - vor allem nach der zweiten Reise in die Niederlande - mit vielen tausend Gulden nach Emden zurück, so daß die Armenkasse seit 1724 wieder für alle Bedürftigen der Stadt ausreichend sorgen konnte. 90

6.3. Bittschriften Ausdruck der großen Armut in den Küstenländern waren auch die unzähligen, nach der Sturmflut an die jeweiligen Landesherrschaften gerichteten Bittschriften, in denen uns manches Einzelschicksal vor Augen geführt wird. 91 Die armen Leute nahmen lange Wege auf sich, um die Bittschriften bei den zuständigen Behörden einzureichen. Eine alte Witwe aus Rodenäs im Amt Tondern ging bis nach Schleswig, um dort der Deichkommission ihre Supplik zu überreichen. Sie mußte in Schleswig noch drei Tage warten, bis sie vor die Kommission gelassen wurde. Diese Zeit konnte sie nur überstehen, weil ihr einige Schleswiger Pastoren zu essen und zu trinken gaben. Als sie dann schließlich vorgelassen wurde, durfte sie ihre Bittschrift überreichen und ihre Wünsche auch noch einmal mündlich vortragen. Endgültig darüber entscheiden wollten die Deichkommissare aber erst fünf Wochen später bei ihrem Aufenthalt in Tondern. 92 Die Anliegen, die die einzelnen Bittsteller in ihren Schreiben vorbrachten, waren unterschiedlich. Zahlreich waren die Ansuchen um Hilfe gegen die 89 90 91

92

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 127: Schreiben der Armenvorsteher an die Landesherrschaft vom 23.1.1718. E.Meiners, Oostvrieschlandts Kerkelyke Geschiedenisse, II, S. 500ff. Vgl. z.B. die Eingaben und Gesuche im StA Old: Bstd. 26, 1264. Über die Bedeutung von Bittschriften als Quelle siehe H.Neuhaus, Supplikationen als landesgeschichtliche Quellen - Das Beispiel der Landgrafschaft Hessen im 16. Jahrhundert, in: Hessisches Jb. f. LG 28 (1978) S. 110-189, 29 (1979) S. 63-97; vgl. auch M. Hattendorf, Begegnung und Konfrontation der bäuerlichen Bevölkerung mit Herrschaftsrepräsentanten im Spiegel von Bittschriften (am Beispiel des holsteinischen Amtes Rendsburg zwischen 1660 und 1720), in: Ulrich Lange (Hg.), Landgemeinde und frühmoderner Staat, Sigmaringen 1988, S. 149-163. RAK: Rentekammer fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Peter Clasen an J. G. von Holstein, Rodenäs 1.2.1719.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

Hungersnot. 93 Küstenbewohner, deren Häuser in der Sturmflut zerstört worden waren, baten um Holz aus dem Strandgut oder aus den landesherrlichen Wäldern zum Bau eines neuen Hauses. 94 Heuerleute ersuchten um Erlaß des Heuergeldes und Müller um Erlaß des Pachtgeldes für die Mühlen, da sie wegen der Überschwemmungen keine Einnahmen mehr hatten. 95 Aber auch wegen kleiner Beträge wurden Bittschriften an die Landesherrschaft gerichtet. So bat der Auskündiger Wilcke von Assen aus Uttum, Amt Greetsiel, den Fürsten, ihm 4 Mark Landgerichtsbrüche zu erlassen, weil er nach der Sturmflut kein Geld mehr besitze.96 Ein Arbeiter und zwei arme Witwen, Mütter von drei und vier Kindern, hatten jeweils einen Rock aus den beim Vogt deponierten Strandgütern erworben, ohne gleich zu bezahlen. Nun stellten sie den Antrag, daß wegen ihrer Armut auf die Bezahlung verzichtet werden möge.97 Schließlich ist noch auf die am häufigsten bei den Regierungen eingehenden Suppliken hinzuweisen. Das waren Anträge auf Steuererlaß oder -Stundung 98 sowie schriftliche Bitten um finanzielle Unterstützung beim Deichbau oder Befreiung vom Deichbau. 99 Diese Bittschreiben, die von einzelnen Personen, Kirchspielen oder Interessentengruppen verfaßt wurden, waren nicht nur Ausdruck individueller Notlagen, sondern auch der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage in den Küstengebieten.

6.4. Bettelei Viele Marschbewohner, die in der Sturmflut ihren gesamten Besitz verloren hatten, sahen für sich keinen anderen Ausweg, als ihren Lebensunterhalt erst einmal durch Betteln zu bestreiten. Aus den Vogteien Rodenkirchen und Goltzwarden wird berichtet, daß Hausleute mit Weib und Kind betteln gingen.100 Auch Einwohner aus den Kirchspielen Abbehausen und Esenshamm, die ihre Häuser wegen der Überschwemmung des Landes verlassen mußten, 93

94

95 96 97 98

99

100

Z.B. StA Old: 26, 1263: Dumbstorff an Oldenburger Regierung, Hartwarden 3.1.1718; Bstd. 26, 141: Joh. Christian Schröter an den Oberlanddrosten von Sehestedt, Strückhausen 17.2.1719. StA Old: 26, 1264: Eingaben und Gesuche verschiedener Untertanen der Vogteien Mooriem und Oldenbrok sowie des Amtes Neuenburg, StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 14, fol.55 und Nr. 9, fol. 56f und 108. StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen verschiedener Vogteien. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14, fol. 55: Schreiben vom 7.4.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 54. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1), Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1; StA Old: Bstd.26, 26 1-26 II, Bstd. 26, 1263 und 1264; RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23 und G 24; vgl. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft?, S. 155. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 3) und Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1; StA Old: Bstd. 26, 1263 und 1264. StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben sämtlicher Einwohner der Vogteien Rodenkirchen und Golzwarden an die Landesherrschaft, 1718.

Bettelei

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versuchten sich durch Betteln zu ernähren.101 Bauern aus Butjadingen, die „ansehnliche Güter" gehabt hatten, gingen nach Bremen, um dort vor den Haustüren ihr Brot zu erbetteln.102 Es wurden von verarmten Marschbewohnern Gesuche an die Regierung gerichtet, ihnen die Erlaubnis zum Betteln zu geben und ihnen einen Bettelbrief auszustellen. So zum Beispiel der Tagelöhner Mamme Otten vom Harlinger Siel in Ostfriesland, der vom Fürsten die Erlaubnis erhielt, vor den Kirchentüren zu sammeln. Der Drost Christian Wilhelm von Münnich und der Amtmann Johann Philipp Brenneysen aus dem Amt Esens gaben dem Fürsten jedoch zu bedenken, daß solche Bewilligungen für arme Leute nicht zu zahlreich ausgegeben werden dürften. 103 Sie sahen wohl, daß das Problem der Armut damit keineswegs bewältigt werden konnte, weil die Almosen damals nicht reichlich genug flössen. Im Herzogtum Bremen wurde am 5. Mai 1718 ein Mandat herausgegeben, nach dem alle starken, gesunden und zur Deicharbeit tauglichen Landstreicher und Bettler zur Deicharbeit heranzuziehen seien. Bei Widersetzlichkeit oder falls ein Bettler zum zweiten Mal aufgegriffen würde, sollte er sofort ins Gefängnis gesteckt werden. Diese Maßnahme sei nötig, weil „eine ungemeine grosse Anzahl Haußleute / die das ihrige in der letztmahligen Wassernoht und Ueberschwemmung derer Marschen verlohren zu haben vorschützen / das Land durchstreichen / und sich ex professo auf das Betteln legen". Der größte Teil dieser Bettler sei „eines robusten, frischen und ungebrechlichen Leibes". Die in diesem Mandat anklingenden Zweifel an der Aufrichtigkeit der bettelnden Hausleute mögen für manche Personen ihre Berechtigung gehabt haben. Denn Naturkatastrophen wie die Sturmflut von 1717 wurden von vagierenden Bettlern immer gern zum Anlaß genommen, sich selbst als Opfer einer solchen Naturkatastrophe darzustellen, um dadurch das besondere Mitleid der Spender zu erwirken. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß die Mehrheit der damals in den Küstenländern bettelnden Personen Opfer der Sturmflutkatastrophe waren. Ein Ausnahmefall unter den vagierenden Personen war Anna Britts aus der Grafschaft Oldenburg, die durch die Vortäuschung, Opfer der Sturmflutkatastrophe zu sein, die behördliche Erlaubnis zum Betteln zu erlangen versuchte. Am 3. Februar 1719 sandte sie eine in Kopenhagen verfaßte Bittschrift an den dänischen König, in der sie berichtet, daß ihr Haus im Amt Ovelgönne wie auch das dortige Haus ihrer Schwester mit allen Hausgeräten in der Weihnachtsflut weggerissen worden sei. Ihre Schwester sei in der Flut ertrunken und habe vier kleine Kinder hinterlassen, für deren Lebensunterhalt sie jetzt schon über ein Jahr sorge. Sie habe aber Mühe genug, das Brot 101

102 103

StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben einiger Einwohner aus den Kirchspielen Abbehausen und Esenshamm an die Landesherrschaft, 31.7.1718. StA Old: Bstd. 26, 90, 16, Nr. 6, fol. 4. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 62: C. W. von Münnich und J. P. Brenneysen an Georg Albrecht, Esens 3.3.1718.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

für ihre eigenen Kinder zu besorgen. Auch sei sie bei fremden Leuten auf der Geest einquartiert, bei denen sie aber nicht mehr länger leben könne. Diese große Not habe sie dazu getrieben, den weiten Weg von Oldenburg nach Kopenhagen zu Fuß auf sich zu nehmen, um dem König ihre Bittschrift zu überreichen. In ihrer Supplik bat sie darum, vor den Kirchentüren Geld sammeln zu dürfen, um wieder ein kleines Häuslein für sich und die Kinder aufbauen zu können. Ferner bat sie den König, ihrem bei der dänischen Marine in Diensten stehenden Schwager Dietrich Keyser die Demission zu geben, damit er sich um seine vier mutterlosen Kinder kümmern könne. „Gott der aller höchste der wirdt solche königliche hohe und mir erzeigte Grose Gnade reichlich an dero Königl. Hauß wieder ersetzen, wofür ich mit den armen Kindern wiewohl schuldigst abent und Morgens zu den grosen Gott welcher ein Vergelter alles guten bitten wil." Mit diesen Worten endete ihre Bittschrift. Am 18. Februar 1719 wurde daraufhin in der Deutschen Kanzlei entschieden, Anna Britts einen Kollektenbrief auszuhändigen, wenn der Amtsvogt von Ovelgönne, der Etatsrat Wardenburg, den Inhalt ihrer Bittschrift bestätigen könne. Am 8. März 1719 sandte Wardenburg sein angefordertes Gutachten an den Geheimrat und Obersekretär von Sehestedt in Kopenhagen. Darin wurde festgestellt, daß der Name Anna Britts in dortiger Gegend ein unbekannter Name sei. Jedoch habe man ermitteln können, daß Anna Britts mit richtigem Namen Anna Magdalena Weyers heiße und aus dem Kirchspiel Golzwarden stamme. Sie sei die Ehefrau von Dierk (Dietrich) Keyser und nicht, wie sie angab, seine Schwägerin. Zur Zeit der Wasserflut habe sie sich nicht im Lande Oldenburg, sondern im Herzogtum Bremen aufgehalten. Keines ihrer Kinder habe zur Zeit der Weihnachtsflut im Lande gewohnt, auch habe sie hier kein Haus besessen. Wie es ferner heißt, habe sie sich liederlich im Lande aufgeführt und sei, wie man erfragen konnte, davon gelaufen und habe ihre Kinder verlassen. Wohin sie gegangen sei, habe man aber nicht herausbekommen. 104

6.5. Hilfe für die Armen Die Versorgung der notleidenden Bevölkerung mit Lebensmitteln war nach den Rettungsmaßnahmen die dringlichste Aufgabe. Doch der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht auch - besonders im Winter - ein Dach über dem Kopf und warme Kleidung. Viele der von der Sturmflut überraschten Menschen waren von den Rettern im Nachthemd aufgefunden worden. Deshalb besorgte der oldenburgische Pastor Christian Closter aus dem Kirchspiel Abbehausen auf eigene Initiative für die notleidenden Menschen seiner Gemeinde nicht nur Brotkorn und Bier, sondern auch Strümpfe und Stoff 104

RAK: T.K.I.A. B 75: Relationer fra Landfogeder, Advocati fisci m. fl. Embedsmasnd i Oldenburg og Delmenhorst 1688-1730.

Hilfe für die Armen

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zum Schneidern von Kleidungsstücken. Außerdem kaufte er Material zur Schuhherstellung, woraus der Schuster Frerich Umbsen dann für 23 Reichstaler 50 Paar Schuhe anfertigte.105 Auch der Amtsvogt Fabricius aus Abbehausen kaufte für die armen Leute seines Amtsbezirks Strümpfe und Decken, damit sie den Winter überstehen konnten. 106 Der Pastor Christian von Hagen aus Langwarden forderte für die Armen seines Kirchspiels von der Oldenburger Regierung 200 Ellen Stoff und Leder für 80-100 Paar Schuhe. Sie hätten bisher weder Leder für Schuhe noch Stoff für Kleidung erhalten. Weil es an Kleidung mangle, hielten sich viele Menschen im Bett auf, „ihrer blosse sich schämend", schrieb er. Die Regierung ließ ihm sowohl Stoff als auch Leder zukommen, jedoch in geringerer Menge als gefordert, „weil es gegen den Sommer gehet, da der Bauer barrfuß, auch im geringen leinen Kittel sich behilfft, exceptis gantz alten leuten, auch andern valetudinariis."107 Im Kirchspiel Hohenkirchen in der Herrschaft Jever konnte ein Teil der nackten Menschen mit alten Kleidern und Schuhen versorgt werden, die anderen mußten sich nackt in den Häusern aufhalten. Kleidung sei dringend notwendig, schrieb der Pastor Grell, augenblicklich müßten einige Leute nackend aus der Hand gefüttert werden. Bedauerlich sei auch, daß diese Leute nicht unter Menschen gehen könnten, um sich Arbeit zu besorgen und zu betteln.108 Der Rentmeister Block schlug der Regierung zu Jever am 31. Dezember 1717 vor, für alle nackten Armen Kleider anzuschaffen. 109 In Süderdithmarschen versorgte der Landvogt die durch die Sturmflut mittellos gewordenen Überlebenden mit Kleidern.110 Um die allernötigsten Bedürfnisse der armen Leute befriedigen zu können, benötigten die Regierungen Geld, das in den fürstlichen Kassen aber äußerst knapp war. Die Regierungen mehrerer Länder entschlossen sich deshalb, Geldsammlungen für die notleidende Bevölkerung durchzuführen. Der englische König Georg I. verordnete, in allen seinen deutschen Ländern eine Geldsammlung zur Unterstützung der notleidenden Menschen sowie zur Reparatur der Deiche durchzuführen. 111 In jeder Stadt und jedem Ort wurde ein eigens dafür eingerichtetes Buch herumgetragen, in welches jeder Einwohner seinen Namen und den Betrag, den er spenden wollte, eintrug. In Hamburg wurde auf Befehl des Rates im Februar 1718 am Sonntag Septuagesimae in allen Kirchen eine Kollekte zugunsten des durch die Sturmflut verwüsteten Amtes Ritzebüttel angeordnet. Diese Sammlung erbrachte die stattliche 105

StA Old: Bstd. 26, 141. G. A. von Halem, Geschichte des Herzogthums Oldenburg, III, S. 186. 10 ' StA Old: Bstd. 26, 141: Christian von Hagen an den dänischen König, Langwarden 15.2.1718. ,08 StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 55. 109 StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 15. 110 Anton Heimreich, Nordfresische Chronik, T. 2, S. 289. 111 Umständl. Hist. Nachricht, S. 86. In den Amtsakten wird die Kollekte gelegentlich erwähnt, z.B. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv: Hann. 74, Münden K Nr. 1205. 106

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

Summe von 10.612 Mark lübsch. 112 In der Stadt Husum wurde nach der erneuten Sturmflut vom 31. Dezember 1720 eine Kollekte für die durch die Sturmflut ruinierten Pellwormer veranstaltet. 113 Auch in Ostfriesland wurde in den Kirchen für die Notleidenden gesammelt. 114 Doch auch diese Geldsammlungen reichten keineswegs aus, die Not der durch die Sturmflut geschädigten Menschen zu beheben; sie waren nur ein zusätzliches Mittel, um die Armut zu bekämpfen. 115

6.6. Auswärtige Hilfe 6.6.1 Württemberger

Kollekte

Am 29. März 1718 wandte die ostfriesische Regierung sich an den Herzog zu Württemberg mit der Bitte, für die durch die Sturmflut in Armut geratenen ostfriesischen Untertanen in den württembergischen Kirchen eine Kollekte durchführen zu lassen. Die ostfriesische Regierung hoffte, daß der Herzog, der ein entfernter Verwandter des Fürsten Georg Albrecht war 116 , „bey solchen von Gott verfügten Ümbständen" solchem Ansuchen gütigst stattgeben werde.117 Als Anlage sandte sie die Kopie einer Supplik mit, die von sämtlichen Armen in Ostfriesland an den ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht überreicht worden war. In dieser Supplik bitten die Armen ihren Fürsten darum, Ihnen zu erlauben, „eine beysteur außerhalb landes" zu suchen und ihnen aus diesem Grunde „ein gewöhnliches offenes Vorschreiben und Collectenbuch" zu erteilen. Diese Supplik scheint jedoch nicht von den Armen Ostfrieslands zu stammen, sondern in der ostfriesischen Regierungskanzlei aufgesetzt worden zu sein.118 Dafür sprechen mehrere Gründe: Ein Original der Bittschrift an den ostfriesischen Fürsten ist im fürstlichen Archiv nicht vorhanden. Jedoch ist das Konzept dieser Supplik dort überliefert. Wie man auf dem an mehreren Stellen korrigierten Konzept sehen kann, waren zunächst als Absender der Supplik die Armen der Ämter Esens und Wittmund 112

113 114 115

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Umständl. Hist. Nachricht, S. 80; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 170 u. 294; vgl. Obst, Grandauers Gedenkbuch, S. 52; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 31. Laß, Sammlung einiger Husumischen Nachrichten, 1701-1750, S. 80. Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 133. In Esens reichte die wöchentliche Kollekte nicht aus, um die Armen der Gemeinde zu versorgen. Wenn ihnen nicht geholfen würde, wüßten sie kein anderes Mittel als das Kapital, welches zur Armenversorgung dient, anzugreifen, schrieben der Drost Christian Wilhelm von Münnich und der Amtmann Johann Philipp Brenneysen am 26.4.1718 an den ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 99). Die Großmutter Georg Albrechts war eine Tochter des württembergischen Herzogs Eberhard III. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 32: Schreiben der ostfriesischen Regierung an den württembergischen Herzog Eberhard Ludwig vom 29. März 1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 37.

Auswärtige Hilfe

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angegeben worden. Diese Angabe der Supplikanten ist anschließend aber in die allgemeinere Angabe „sämtliche Armen in Ostfriesland" geändert worden. Außerdem ist es sehr unwahrscheinlich, daß sich unter allen Armen Ostfrieslands der Konsens zu einer gemeinsamen Bittschrift an den Fürsten herstellen ließ. Vielmehr wird man davon ausgehen müssen, daß die fürstliche Regierung sich legitimiert fühlte, im Namen aller durch die Sturmflut verarmter Einwohner Ostfrieslands zu sprechen. Durch die Übersendung dieser Supplik wollte die ostfriesische Regierung ihrer Bitte um württembergische Kollektengelder besonderen Nachdruck verleihen. Auf jeden Fall fand das Gesuch den gewünschten Widerhall bei dem württembergischen Fürsten. Herzog Eberhard Ludwig ließ in den neunzehn größten Ämtern seines Territoriums eine Kollekte zugunsten der notleidenden Ostfriesen ausschreiben und die Gemeinden von den Kanzeln „zu einem ergiebigen Beytrag" auffordern.119 Das eingesammelte Geld wurde dann an die Kirchenkastenverwaltung eingesandt und sollte einem Bevollmächtigten der ostfriesischen Regierung gegen Quittung übergeben werden. Der württembergische Kriegsrat Henrich Bacmeister wurde „zu Erhebung und Übermachung der Collectirten Gelder" bevollmächtigt.120 Da Bacmeister aber bald darauf starb, wurde die Vollmacht auf den württembergischen Kammerexpeditionsrat Johann Christoph Hopfenstock übertragen.121 Wieviel Geld Hopfenstock nach Ostfriesland expedieren konnte, entzieht sich leider unserer Kenntnis, da keine Unterlagen darüber überliefert sind. 6.6.2.

Bruderhilfe

Die reformierten Prediger und Schulbedienten Ostfrieslands fanden Unterstützung bei der niederländischen Geistlichkeit. Ihren Lebensunterhalt mußten sie aus den Einnahmen der zu den Kirchen und Schulen gehörenden Ländereien bestreiten, die sie entweder verpachteten oder selbst bearbeiten ließen. Da das Land nach der Sturmflut 1717 einige Jahre unter Wasser stand und deshalb nicht bebaut werden konnte, hatten sie keine Einkünfte mehr. Eine Unterstützung durch ihre Gemeinden war auch nicht möglich, weil diese selbst verarmt waren. Deshalb beschloß der Coetus in Emden, das höchste Gremium der reformierten Prediger in Ostfriesland, im Frühjahr 1721 eine Deputation zu den niederländischen Geistlichen zu senden. Der Prediger Gerardus ter Haar aus Suurhusen und der Lehrer Isebrand Eilert Harkenroht aus Hinte wurden zur Synode in Appingdam gesandt, wo sie die Not der ostfriesischen Prediger und Lehrer schildern und um eine Beihilfe bitten sollten. Zugleich sollten sie aber auch die dort versammelten Prediger

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121

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 35: Schreiben des Herzogs Eberhard Ludwig an den ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht, Ludwigsburg, 23. Mai 1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 34: Schreiben der ostfriesischen Regierung an den württembergischen Herzog Eberhard Ludwig vom 23. Juni 1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 34.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

ersuchen, ihre Notlage auch den übrigen Predigern in den Niederlanden bekannt zu machen. Die Reise der beiden Delegierten war keineswegs vergebens gewesen. Aus verschiedenen niederländischen Provinzen ging nach und nach Geld in Emden ein, insgesamt mehr als der Coetus erwartet hatte. Mit diesem Geld wurden die notleidenden Prediger und Schulmeister unterstützt, so daß sie nun ihr notdürftiges Auskommen hatten und ihre Tätigkeit in ihren Gemeinden fortsetzen konnten. 122 6.6.3. Handel

verbindet

Im Auftrag des Rates der Stadt Bremen wurden Lebensmittel an die notleidende Bevölkerung in den oldenburgischen Landschaften Butjadingen und Stadland geschickt, weil die Bremer mit diesen Landschaften traditionell in regem Handel standen und sie ihren Handelspartnern nun in der Not etwas helfen wollten. Allerdings reichten die Lebensmittel nur für wenige Tage.123 Auch in das zum Herzogtum Bremen gehörende Amt Hagen sandte die Stadt Bremen verschiedene Lebensmittel für die Notleidenden. 124 Außerdem ließ der Rat der Stadt Bremen am 3. Januar 1718 durch die Diakone in der Stadt eine Geldsammlung durchführen zur Unterstützung der notleidenden Nachbarn in den Überschwemmungsgebieten.125 In anderer Weise half die Stadt Hamburg dem notleidenden ostfriesischen Fürstentum. Auf Bitte des ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht befreite der Rat der Stadt Hamburg einige in der Stadt für den Deichbau gekaufte Materialien von Zöllen und anderen Gebühren. 126 6.6.4. Ein barmherziger

General

„Am meisten aber ist merkwürdig, daß sich grosses Mitleiden in OberTeutschland bey Christlichen Hertzen freywillig offenbahret, dergestalt, daß von verschiedenen Orten aus Ober-Teutschland, insonderheit aus Sachsen, etliche summen freywilliger Allmosen in hiesiges Nohtleidende Land eingeschickt worden und dadurch vielen Hunger- und Durst-Leidenden auch Nakket- und übelgekleideten Menschen Hülfe geschehen ist", notierte der Wittmunder Pastor Hieronymus Brückner im Kirchenbuch seiner Gemeinde.127 Brückner bekam - ohne sein Fordern noch Erinnern, wie er betont - aus drei 122 123

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Meiners, Oostvrieschlandts Kerkelyke Geschiedenisse, S. 491 ff. StA Old: Bstd. 26, 1263: Dumbstorff an Oldenburger Regierung, Hartwarden 3.1.1718. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 3): Brief an die Stader Regierung, Hagen 22.1.1718. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 53; Umständl. Hist. Nachricht, S. 85. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14, fol. 82: Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg an Georg Albrecht, Hamburg 26.7.1718 und fol. 90: Georg Albrecht an Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg, 30.9.1718. Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 133.

Auswärtige Hilfe

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verschiedenen Orten Sachsens Geld zugesandt, insgesamt 92 Reichstaler. Dieses Geld verteilte er zum Teil an die ihm benachbarten oder bekannten Pastoren in Nesse, Esens, Westerholt, Eggelingen, Berdum und Buttforde und an den Pastor in Sengwarden in der Herrschaft Jever, zum Teil aber auch an einzelne bedürftige Personen. Eine private Initiative zur Unterstützung der durch die Sturmflut vom 25. Dezember 1717 verarmten und notleidenden Ostfriesen ging von dem kursächsischen General Ludwig Nicolas von Hallard 128 aus. Hallard waren mehrere Nachrichten über die Sturmflutkatastrophe zu Ohren gekommen, auch hatte er durch seinen ehemaligen Haus- und Reiseprediger, den Diakon in Glaucha bei Halle, Georg Johann Hencke, von den erbärmlichen Zuständen in den Ländern an der Nordseeküste gehört. Als frommer Christ und Anhänger des Pietismus fühlte er sich verpflichtet, für „arme Prediger und andere högst bedürfftige Leut, so in dem gäntzlichen Ruin gesetzet Ein Christliche gehülfß steur zu samblen, dem armen Negsten alß glieder Christi, und glaubenß genoßen, in Etwaß Zu Soulagieren". Die erste größere Spende von 200 Reichstalern, die er eintreiben konnte, kam von Christiane Eberhardine, der Frau Augusts des Starken, des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen. Ihrem guten Beispiel sind anschließend auch andere sächsische Personen gefolgt. Schon Anfang Februar schrieb die Frau des Generals von Hallard über den Diakon Hencke an den ostfriesischen Generalsuperintendenten Levin Coldewey, er könne zur ersten Linderung der Not in Aurich schon einmal 300 Reichstaler Kredit aufnehmen, da ihm demnächst Spendengelder aus Sachsen übersandt würden.129 Mitte Februar konnte Hallard dann über Libert Meyer in Bremen 600 Reichstaler an den Generalsuperintendenten übersenden.130 Hallard bat den Generalsuperintendenten Coldewey, das Geld an notleidende Geistliche und andere Arme nach seinem Ermessen zu verteilen. Da Hallard sich noch weiterhin in Sachsen um Spenden für die notleidenden Ostfriesen bemühte, konnte er im März weitere 600, etwas später nochmals 185, am 11. April 1718 zwanzig Reichstaler und am 2. Juni 1718 schließlich die letzte Geldsumme von 220 Reichstalern aus Sachsen nach Ostfriesland schicken, insgesamt 1.625 Reichstaler für die notleidenden Ostfrie-

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Hallard entstammte einem schottischen Adelsgeschlecht. Sein Vater Elliot Henry Hallard (t 1681) war 1668 als Generalmajor und Festungskommandant in kurbrandenburgischen Diensten. Ludwig Nikolaus von Hallard trat 1700 beim Ingenieurkorps der kursächsischen Armee in Dienst, wurde 1705 Generalleutnant, am 28. Oktober 1710 General und nahm am 24. April 1719 seinen Abschied. Er starb in Rußland, wo sein jüngerer Bruder als General im Dienst des Zaren stand. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 51: Schreiben Ludwig Nicolas von Hallard an den ostfriesischen Generalsuperintendenten Coldewey, Dresden, 18. Februar 1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 47: Libert Meyer an den Generalsuperintendenten Coldewey, Bremen, 26. Februar 1718; vgl. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 7, fol. 53.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

sen.131 Nach Eingang des letzten Geldbetrages erhielt Hallard wunschgemäß eine Quittung über die gesamte Spendensumme sowie eine genaue Auflistung, an wen und wohin die Gelder verteilt worden waren. Diese Aufstellung hatte er erbeten, um den Spendern genauen Aufschluß darüber geben zu können, was mit ihrem Geld gemacht wurde.132 Ein großer Teil des Geldes kam - Hallards Wunsch entsprechend - ostfriesischen Geistlichen zugute. Von den 1.625 Reichstalern wurden etwas mehr als 500 Reichstaler zur Unterstützung von zwanzig Geistlichen und drei Pastorenwitwen verteilt.133 Außerdem wurden noch zehn Schulmeister mit insgesamt 68 Reichstalern unterstützt. Auf Anordnung Hallards sollten ferner für die Versorgung von 15 Waisenkindern 50 Reichstaler an den Pastor Christian Wilhelm Schneider in Esens, den Gründer des dortigen Waisenhauses, übersandt werden. Das übrige Geld diente zur Unterstützung der übrigen Notleidenden. Von diesem Spendengeld wurden nicht allein Lebensmittel gekauft, sondern auch Medikamente für die Armen. Eine Person erhielt einen Zuschuß von 4 Reichstalern zum Kauf eines Bootes, eine andere 27 Stüber zur Anschaffung eines Spatens. Erst der Besitz eines Spatens ermöglichte nämlich die Mitarbeit am Deichbau, so daß auch diese Anschaffung mittelbar der Existenzsicherung diente. 100 Reichstaler wurden nach Esens und Wittmund zum Kauf von Balken und Wollstoff gegeben. Die Gemeinde Esens erhielt außerdem einen Betrag von 37 Reichstalern und 2 Stübern, um Särge für die Ertrunkenen zu kaufen. Von den 150 Reichstalern, die von den kursächsischen Spendengeldern an die Beamten im Amt Wittmund zur Versorgung der Notleidenden überreicht worden waren, erhielten 91 Familien finanzielle Unterstützung, davon 4 im Flecken Wittmund, 5 im Kirchspiel Eggelingen, 11 im Kirchspiel Buttforde, 21 im Kirchspiel Berdum und 50 im Kirchspiel Funnix.134 Wie aus den Aufzeichnungen der Wittmunder Beamten ferner zu entnehmen ist, gehörten zu diesen Familien im Durchschnitt drei Kinder.135 Etwa die Hälfte der Fami131 132

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 41. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 42ff: „Rechnung und Ausgabe von denen aus Dresden eingesandten Geldern, wie sie distribuiret worden sind." 1 33 Einen Geldbetrag erhielten folgende ostfriesische Pastoren: Anton Laurents Altmann auf Juist, Hermann Barclai in Wiegboldsbur, Oltmann Friedrich Bohlen in Hatshausen, Christian Böttcher auf Langeoog, Johann Hinrich Brüggemeyer auf Spiekeroog, Johann Bernhard Brunius in Wybelsum, Carl Eberhard Cadovius auf Baltrum, Heinrich Friedrich Eiben in Eggelingen, Johann Andreas Fromann auf Norderney, Christian Friedrich Hagius in Roggenstede, Johann Friedrich von Heide in Blaukirchen, Conrad Koch in Pewsum, Johann Heinrich Kohlmeier in Loquard, Gerhard Henrich Loewenstein in Woquard, Christian Wilhelm Schneider in Esens, Johann Schreiber in Forlitz, Andreas Schröder in Bedekaspel, Inspektor Schuchard, Conrad Anton Thaden in Viktorbur und Johann Thaw in Westeraccum. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 128-135. 135 10 Familien hatten ein Kind, 15 Familien 2 Kinder, 13 Familien 3 Kinder, 23 Familien 4 Kinder, 6 Familien 5 Kinder, 4 Familien 6 Kinder und zwei Familien

Auswärtige Hilfe

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lienväter (47) hatten vor der Flutkatastrophe ihre Familien als Tagelöhner ernährt; 5 waren Weber, 3 Schneider, 2 Schuhflicker und jeweils einer Müller, Kuper, Zimmermann, Fuhrmann und Schiffer. 136 In 27 Familien war der Vater schon verstorben, in den meisten Fällen war er vermutlich in der Sturmflut umgekommen. Von den 250 Reichstalern, die den Beamten in Esens Anfang März zur Versorgung der Armen übersandt wurden, bekamen 395 verarmte Personen Brot und kleinere Geldbeträge. Die Beamten waren sich aber darüber im klaren, daß man mit dieser Hilfe nicht lange auskommen würde; „zumahl da nicht nur ein jeder das quantum annoch gerne Verhöhet haben wollen, sondern auch sich nach und nach einige bedürfftige mehr annoch angeben, Welche Mann ebenmässig nicht gantz hülffloß lassen kan." 137 Notwendig sei auch noch, Kleidung für die aus der Flut Erretteten anzuschaffen. Die Regierung beauftragte daraufhin den Kammerrat Horst, für 100 Reichstaler Tuche für die Sturmflutgeschädigten einzukaufen. 138 Dem Verzeichnis über die Verteilung der Spendengelder ist zu entnehmen, daß etwa 45% des Geldes (737 Reichstaler) in die Ämter Esens und Wittmund im Harlingerland floß. Die übrigen ostfriesischen Ämter wurden mit sehr viel niedrigeren Beträgen bedacht. 139 Auffallend ist ferner, daß die einzelnen Geldbeträge, die an die Pastoren und Schulmeister gezahlt wurden, wesentlich höher waren als die Unterstützungszahlungen an die übrigen notleidenden Menschen. Diese ungleiche Verteilung der Spenden war ganz im Sinne des Initiators, der in besonderer Weise die Geistlichen unterstützen wollte. Die Pastoren und die Schulmeister, denen Geldbeträge aus den sächsischen Spendengeldern zuteil wurden, gehörten bis auf zwei alle der lutherischen Kirche an.

6.7. Krankheit In den Wochen nach der Sturmflut hatten die Barbiere und die Chirurgen in den Küstengebieten viel zu tun. Viele Menschen, die sich vor dem Wasser auf ihre Hausböden und -dächer oder an andere hochgelegenen Stellen hatten retten können, hatten sich dort in der Kälte schwere Erfrierungen und andere Fortsetzung Fußnote von Seite 138

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7 Kinder. Bei den übrigen Familien sind keine Kinder angegeben worden, was nicht unbedingt heißen muß, daß diese Familien kinderlos waren. In manchen Familien waren die Kinder vermutlich schon aus dem Haus, so daß sie nicht mehr angeführt wurden. Fünf Familien waren aber anscheinend kinderlos. Bei einem Mann fehlt die Berufsangabe. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 61: Schreiben der Esenser Beamten an den Fürsten Georg Albrecht, Esens 3. März 1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 71; vgl. auch fol. 128ff. Zum Beispiel bekamen die Sturmflutgeschädigten in Greetsiel insgesamt 50, in Viktorbur 36, Norden 30, Wiegboldbur 29, Friedeburg 21, Blaukirchen 17, Hatshausen 14 und Bedekaspel 12 Reichstaler.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

Verletzungen zugezogen, die dringend heilkundlicher Behandlung bedurften. An manchen Orten sorgten die örtlichen Beamten für die ärztliche Versorgung der Kranken. Der Landvogt von Süderdithmarschen ließ die geretteten Menschen, die durch Nässe, Kälte und Hunger krank geworden waren, zur Behandlung zu den Barbieren in Meldorf bringen.140 Bezahlt wurden die ärztlichen Leistungen teilweise aus den auswärtigen Spendengeldern, die den Pastoren oder den lokalen Obrigkeiten für die notleidende Bevölkerung gesandt wurden. Dem Chirurgen Jeremias Laußmann in Abbehausen wurden aus dem Spendengeld 4 Taler und 24 Groten übersandt für die Behandlung von einigen Personen, denen die Füße erfroren waren.141 Die erbärmlichen Lebensumstände nach der Weihnachtsflut hatten ferner zur Folge, daß Krankheit und Epidemien sich allerorten in den Marschgebieten der Nordsee ausbreiteten. Viele Überlebende waren durch die in der Sturmflut ausgestandenen Strapazen so geschwächt, daß sie leicht Opfer von Krankheiten werden konnten. Besonders das in den Gegenden an der Nordseeküste häufig auftretende „Marschfieber" oder Wechselfieber, heute Malaria genannt, befiel viele Marschbewohner.142 Nach Benno Eide Siebs sind viel mehr Menschen am Wechselfieber als durch Ertrinken gestorben. Die Sterbeziffer des Jahres 1718 und der folgenden Jahre hat fast überall in den Küstenregionen weit über dem Durchschnitt vorhergehender Jahre gelegen. Als Beispiel führt er das Kirchspiel Neuhaus an der Oste an, wo es in den Jahren nach der Sturmflut 219 mittelbare Opfer der Sturmflut gegenüber 24 Ertrunkenen gab.143 Diese Angaben für das Kirchspiel Oste sind sicher nicht repräsentativ für alle Küstenlandschaften. Denn Wilhelm Norden kann eine solch hohe Sterbefallhäufigkeit für die Butjadinger Kirchspiele nicht feststellen.144 Der Pastor Christian Ludwig Ferar aus Blersum im Harlingerland berichtet im Kirchenbuch, daß sich im Herbst 1719 und im Frühjahr 1720 Krankheiten und heftiges Fieber in der Bevölkerung verbreiteten, so daß die meisten Menschen krank lagen, aber nur wenige daran starben.145 Doch auch im Kirchspiel Marne in Dithmarschen und im Kirchspiel Dedesdorf im Land Würden lagen die Sterbefälle in den Jahren nach der Weihnachtsflut (17181721) deutlich über dem Durchschnitt der Sterbefälle in den vorhergehenden

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Anton Heimreich Nordfresische Chronik, T. 2, S. 289; vgl. auch „Kurtzer doch ausführlicher Bericht von der grossen Wasser = Fluth". Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 128. Saucke, Monumentum (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332 AA 3 ; vgl. Norden, Bevölkerung, S. 85ff; Stöver, Die wirtschaftl. Entwicklung, S. 29. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 13. Nach Wendebourg, Zu den Sturmfluten von 1717 und 1825, S. 84 lag auch in der Gemeinde Imsum im Land Wursten die Zahl der Toten im Jahr 1718 weit über der durchschnittlichen Sterbeziffer der Gemeinde. Norden, Bevölkerung, S. 79. (C. L. Ferar) Ist eine erschrecklich große Wasserflut gewesen. Ein zeitgenössischer Bericht über die Jahre 1717-1724, in: Harlinger Heimatkalender 1964, S. 60.

Krankheit

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und in den nachfolgenden Jahren.146 Diese Häufigkeit an Todesfällen wird ihre Ursache in den sich in den Überschwemmungsgebieten ausbreitenden epidemischen Krankheiten gehabt haben. So kann durchaus festgestellt werden, daß es Epidemien, wenn auch unterschiedlichen Ausmaßes, nach der Weihnachtsflut in allen Marschgebieten gegeben hat. Als die dänische Regierung 1718 die gegen eine Anordnung des Landphysikus Dr. Röhricht gerichtete Verfügung erließ, daß es nicht ratsam sei, die Zahl der Chirurgen in der Grafschaft Oldenburg auf zwei in jeder Vogtei zu beschränken, hatte sie sicher die nach der Sturmflut im Lande herrschenden Lebensbedingungen und die daraus sich ergebenden vielen Krankheitsfälle in ihre Überlegungen miteinbezogen.147 Weil die Einwohner der vier Marschvogteien Oldenburgs, „bey itzigen ungesunden Zeiten, da das Landt mit saltzen Waßer überschwemmet und sich schon verschiedene ungesundigkeiten bey unß hin und wieder hervor zu thun scheinen", gänzlich ohne ärztliche Hilfe seien, wie in einem Schreiben an die Landesherrschaft zu lesen ist, baten die Einwohner von Elsfleth am 2. März 1718, dem seit einigen Jahren im Amt Neuenburg tätigen Chirurgen Johann Friedrich Lahusen das Privileg für die vier Marschvogteien zu erteilen und ihn dorthin zu versetzen. Sie hätten dort zwar zwei Barbiere, aber der eine, Ludolph Hermann Große, sei kränklich und habe weder einen Gesellen noch Lehrjungen, er sei auch sehr „capriciös" und habe nur wenigen Leuten jemals helfen können; der andere, Bruno Hotes, habe die herrschaftliche Waage dort gepachtet und auch keinen Gesellen, sondern nur einen Lehrjungen zur Hilfe. Die königliche Regierung in Kopenhagen, an die der Antrag gerichtet worden war, unterstützte das Anliegen der Elsflether. Jedoch bat der Landvogt von Neuenburg, Adam Levin von Witzleben, die Regierung in Kopenhagen, das Privileg erst zu erteilen, wenn sie im Amt Neuenburg einen Ersatz für den Chirurgen Lahusen gefunden hätten. Gern ließ man Lahusen von dort nicht ziehen; denn er sei, wie Witzleben betonte, sehr fleißig und habe auch Arme ohne Entgelt versorgt.148

6.8. Depression und Lethargie Der Amtmann Jan Volrad Kettler aus dem ostfriesischen Amt Berum beendete einen kurz nach der Weihnachtsflut an den Fürsten Georg Albrecht gerichteten Brief mit folgenden Worten: „Dieses ist, was ich Vorerst bey meinem durch die ausgestandene große Kälte und Näße, auch angst und schrekken überkommenen betrübten Zustand und bey gegenwärtiger confusion, da man sich kaum besinnen kan und fast nicht weiß, was man thun oder anfan146 147 148

Lorenzen-Schmidt, Ländliche Familienstrukturen, S. 224f, 248. Norden, Bevölkerung, S. 122. RAK: T.K.I.A. B 75.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

gen soll, in tieffster unterthänigkeit berichten kan." 149 Die in dem Schreiben zum Ausdruck kommende Ratlosigkeit und Verzweiflung hatte viele Menschen in den von der Sturmflut betroffenen Gebieten erfaßt.150 Die Trauer über den Verlust von Verwandten und Freunden wie auch der materiellen Güter verband sich mit der Sorge um das gegenwärtige und künftige Leben. Viele Überlebende waren verzagt, weil ihnen ihr Leben keine Perspektive mehr zu bieten schien." 1 Die Einwohner der oldenburgischen Vogteien Rodenkirchen und Golzwarden sahen zum Beispiel, daß sie sich aus eigener Kraft aus ihrer verzweifelten Lage nicht befreien könnten, wie sie in einem Brief an die Deichkommission schrieben.152 Von den überlebenden Einwohnern aus Westeraccumersiel, einem Ort, der in der Sturmflut weitgehend zerstört wurde, wird berichtet, daß sie „gantz verstöhret und wie halb Wahnsinnige gewesen" seien.153 Im März 1718 hieß es auch in einem Schreiben aus Nordholtz im Land Wursten, die meisten Menschen ließen den Mut sinken.154 „Die kläglichen Zeitungen / so uns von allen Orthen zu handen stiessen / machten unser Gemüth gantz bestürtzet / und / da wir ohne dem geringen Muth besassen / noch zaghafter", berichtete ferner der Jeversche Pastor Johann Friedrich Jansen.155 Angesichts der bedrückten Lage verfielen also viele Menschen in den überschwemmten Marschgebieten in Depression und Lethargie.156 Sie fühlten sich dem Gericht Gottes - so die gängige Deutung der Sturmflut - hilflos ausgeliefert und sahen auch, nachdem die Februarflut 1718 dem Land erneut großen Schaden zufügte, kein Ende der Strafgerichte. Was können sie gegen ein so großes Werk schon ausrichten? fragten sich die

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 3: Brief vom 29.12.1717. Am 28.2.1718 wiederholten der Amtmann Jan Volrad Kettler und der Drost August Friedrich von Schacht, daß sie nicht wüßten, was sie tun sollten (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14a). In einem Brief aus Groningen vom 28.12.1717 wird berichtet, daß die „Consternation" unter den dortigen Menschen unbeschreiblich groß sei. Siehe Umständl. Hist. Nachricht, S. 125; ferner „Kurtzer doch ausführlicher Bericht von der grossen Wasser =Fluth". Hekelius, Beschreibung, Vorrede. Die Verzagtheit und Mutlosigkeit kommt auch im Gebet zum Ausdruck, das am Büß- und Bettag des 19. März 1721 in den dänischen Ländern im Gottesdienst gesprochen werden sollte: „...gib diesen Armen nach deiner Hülffe lechzenden Seelen / bey ihrer unbeschreiblichen Angst und Elend / eine freudige Zuversicht und behertzten Muht / gedultige Schultern / unter diesem schweren Kreutze nicht kleinmühtig zu werden und zu verzagen / sondern mit getrostem Hertzen auf deine Hülffe zu hoffen." StA Old: Bstd. 26, 1264. Die Denckmahle der göttlichen Zorn = Gerichte, S. 73. StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 74: Schreiben vom 7.3.1718. Hist. Theol. Denckmahl, S. 130. Das ist ein typisches Verhaltensmuster in Katastrophensituationen. Siehe Irving L. Janis, Problems of Theory in the Analysis of Stress Behavior, S. 19.

Depression und Lethargie

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Eingesessenen des Dorfes Eißel verzweifelt.157 Was hilft der Deichbau, wenn Gott doch strafen will? fragten andere Einwohner. 158 Viele wüßten aus großer Betrübnis nicht, schrieben die Deichinteressenten des oldenburgischen Kirchspiels Blexen, ob sie deichen und arbeiten sollten, soviel sie könnten, oder alles liegen lassen; denn fast alle hätten den Mut verloren. 159 Daß eine solche Gemütslage der Beseitigung der durch die Sturmflut entstandenen Schäden und der Wiederherstellung der Deiche abträglich war, erkannten auch einige Beamten. Der Amtsvogt Röhmer schlug deshalb der oldenburgischen Regierung vor, den Marschbewohnern zur Aufmunterung für eine gewisse Zeit einen Nachlaß an den von ihnen zu entrichtenden Steuern zu geben; denn sie seien „sehr kleinmütig" geworden und ließen „den Muth fast sinken" ,160 Auch die für die Herzogtümer Schleswig und Holstein eingesetzte Deichkommission gab in einem Schreiben an den dänischen König ihrer Hoffnung Ausdruck, daß die Befreiung von den Steuern für 1718 genehmigt würde, „um die Leuthe zur Arbeith aufzumuntern und bey Muth erhalten zu können". 161 Es sei bekannt, schrieb im März 1719 der oldenburgische Oberlanddrost von Sehestedt an die Deichkommission, „wie langsam eine arbeit gehet, welche von enervirten unterthanen geschehen soll, und die kaum den Lebensunterhalt für sich bey der arbeit anschaffen können." 162 Die Verzweiflung und die Mutlosigkeit der Marschbewohner und die daraus resultierende Lethargie waren Gründe dafür, daß mancherorts nur sehr widerwillig und zögernd, andernorts aber überhaupt nicht mit den Deichbauarbeiten begonnen wurde.

6.9. Auswanderung In ihrer Verzweiflung wußten sich viele Marschbewohner nicht anders zu helfen, als das Land zu verlassen und ihr Glück in der Fremde zu suchen. Vor allem aus den Gebieten, in denen die Schäden der Sturmflut besonders groß waren, wanderten scharenweise Leute ab. So wird zum Beispiel aus allen Kirchspielen Butjadingens von Abwanderungen berichtet. Einige Familien seien mit einem weißen Stab davon gegangen, um ihr Brot in anderen Ländern zu suchen, wird in einem Brief aus dem Kirchspiel Blexen betont. 163 Das Kirchspiel Stollhamm haben, wie wir aus einer Aufstellung des dortigen Pa157

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 3): Schreiben an die Stader Regierung vom 6.3.1718. Simon Doekes, Godts straffende Hand, S. 15. StA Old: Bstd. 26, 1264. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben vom 30.1.1718. RAK: Rentekammer fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Schreiben vom 13.5.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Akten betr. die Berichte des Geh.Rats Sehestedt: Schreiben vom 5.3.1719. StA Old: Bstd. 26, 1264.

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

stors Rudolf Ibbeken wissen, 207 Personen nach der Flutkatastrophe verlassen.164 Die Einwohner der Vogtei Abbehausen berichteten am 2. November 1718, daß „viele alhie ihre häuser verlaßen, weil daß saltze waßer annoch bey unß ein undt auß gehet, die auch wegen beschädigte häuser undt Mangel an Lebenß = Mitteln nicht subsistiren können". 165 Täglich seien in den angrenzenden Ländern verarmte Leute angekommen, die aus Armut und Dürftigkeit gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, schreibt Jansen.166 Mancher Einwohner, der gern in seiner Heimat bleiben und dort auch am Neuaufbau teilnehmen wollte, wurde durch die Hungersnot aus dem Lande getrieben. Einige hoch verschuldete Einwohner flohen im Herbst 1718 mit ihrem wenigen Vieh und Besitz aus dem Land, um Pfändungen zu entgehen.167 Auch verschiedene Prediger aus den ostfriesischen Ämtern Emden und Greetsiel, die keinen ausreichenden Lebensunterhalt mehr hatten, verließen ihre Gemeinden und suchten woanders Anstellungen. Weil es der reformierten Kirche Ostfrieslands an Kandidaten für diese vakant gewordenen Predigerstellen fehlte, entschloß sich der Emder Coetus, im Notfall auch Personen, die kein Theologiestudium absolviert hatten, zum Predigtamt zuzulassen. Diese Personen mußten allerdings Zeugnisse über ihren guten Lebenswandel beibringen und sich auch einer Prüfung durch den Coetus unterziehen.168 Die Regierungen sahen die Auswanderung ihrer Einwohner nicht gern, weil sie jetzt nach der Flut für den Deichbau jede Arbeitskraft benötigten. Sie versuchten deshalb durch Auswanderungsverbote den Wegzug der Einwohner zu verhindern. Der ostfriesische Fürst Georg Albrecht verordnete gleich nach der Eisflut vom 25. Februar 1718, daß kein Arbeiter das Land verlassen dürfe, damit es bei dem dringenden Deichbau nicht an Arbeitern fehle. Wer gegen diese Bestimmung verstoße, solle mit 50 Goldgulden Strafe belegt und mit Frau und Kindern auf ewig des Landes verwiesen werden.169 Da auch viele Einwohner des Herzogtums Bremen in andere Länder abwanderten, erließ auch die hannoversche Regierung ein Auswanderungsverbot, damit das 164

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StA Old: Bstd. 26, 1263. In einem Schreiben vom 2.9.1718 teilten die Einwohner der Vogtei Stollhamm der Deichkommission mit, daß die meisten Einwohner schon abgewandert seien. (StA Old: Bstd. 26, 1264). StA Old: Bstd. 26, 1264. Auch aus der Vogtei Eckwarden wird berichtet, daß viele Arbeitsleute aus Not außerhalb Landes gingen (ebenda). Aus den Vogteien Rodenkirchen und Golzwarden wird ebenfalls mitgeteilt, einige Hausleute hätten ihren Besitz verlassen und seien „zu Kriege" gegangen (ebenda). Hist. Theol. Denckmahl, S. 137. StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichkommission an den dänischen König, 4.9.1718 und Neve und Weyse an Deichkommission, Kopenhagen 6.12.1718; vgl. Norden, Bevölkerung, S. 269. Meiners, Oostvrieschlandts Kerkelyke Geschiedenisse, S. 507; vgl. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, VII, S. 484f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 90; vgl. Funck, Ostfriesische Chronik, T. 8, S. 193; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, VII, S. 32f.

Auswanderung

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Land durch Mangel an Arbeitskräften nicht völlig zugrunde gehe.170 Gleich nach ihrer Berufung forderte die in den Herzogtümern Schleswig und Holstein eingesetzte Deichkommission von König Friedrich IV. ein Edikt, das den jungen arbeitsfähigen Einwohnern die Auswanderung aus den Herzogtümern verbiete. Der König lehnte ein solches Edikt für die Herzogtümer jedoch ab, da er sich davon keine Wirkung versprach.171 Es ist unwahrscheinlich, daß ein kurz darauf eingegangenes Schreiben des Landvogts Helm den König in seiner Entscheidung hat umstimmen können. Helm berichtete dem König am 29. März 1718, daß in Süderdithmarschen verbreitet würde, die Holländer gebräuchten zur Wiederherstellung ihrer zerstörten Deiche dringend Arbeiter und hätten diesen täglich zwei Gulden Lohn versprochen, ein Verdienst, der deutlich über dem in den Herzogtümern üblichen lag. Wenn nicht unverzüglich durch ein nachdrückliches Mandat die Annahme fremder Arbeit außerhalb des Landes verboten würde, dürfte Süderdithmarschen „von vielen Leuten zum grösten Schaden entblößet werden". 172 Ein Auswanderungsverbot scheint aber nicht ergangen zu sein. In der Grafschaft Oldenburg schlug der Kammerrat und Amtsvogt Röhmer schon am 30. Januar 1718 vor, „ein scharfes Edikt" gegen die Auswanderung von Arbeitern zu publizieren.173 Die oldenburgische Regierung ist seinem Ratschlag gefolgt und hat am 3. Februar für die Grafschaft Oldenburg ein entsprechendes Edikt erlassen.174 Viele Landesbewohner, vor allem Arbeiter zogen aber trotz dieses Verbotes weg, zum Teil wohl auch mit Duldung der lokalen Beamten. Der Deichgraf Johann Rudolf von Münnich warf dem Regierungsrat und Amtmann Bolcken zu Apen am 10. Oktober 1718 vor, Leute aus seinem Amt gegen das ergangene Verbot aus dem Lande abwandern und woanders arbeiten zu lassen.175 Auf Vorschlag der Deichkommission wurde am 22. Januar 1719 das Auswandern aus der Grafschaft Oldenburg erneut verboten, da für die in diesem Jahr geplante Deicharbeit in Butjadingen eine große Anzahl an Arbeitsleuten gebraucht wurden. In dem königlichen Edikt wurde versichert, daß die Deicharbeit, sobald das Wetter es zuließe, beginnen würde und daß „die Pütten auf einen solchen Fuß ausgedungen werden sollen, daß ein fleißiger Arbeiter ein billiges und zulängliches Tage = Geld dabey verdienen könne". Jeder Arbeiter sollte sich innerhalb von acht Tagen nach Bekanntgabe dieser Verordnung bei den zuständigen Beamten melden und sich dort in eine Liste eintragen lassen. Wer sich trotz des Verbotes aus dem Lande begäbe, sollte all 170 171 172 173 174 175

Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 15. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24. StA Old: Bstd. 26, 1263. Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 126. StA Old: Bstd. 26, 1263: Johann Rudolf von Münnich an die Deichkommission, 10.10.1718. Am 23. März 1718 betonte auch der Pastor Christian von Hagen aus Langwarden in einem Schreiben an den König, es sei den armen Leuten nicht vergönnt, außer Landes zu ziehen. (StA Old: Bstd. 26, 141).

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Auswirkungen I: Hungersnot und Armut

seiner Habe verlustig erklärt werden und, wenn er gefaßt würde, ein halbes Jahr bei der Oldenburger Festung die Karre schieben.176 Das gleiche Edikt wurde im nächsten Winter, am 13. Februar 1720, erneut veröffentlicht.177 Wie wirksam diese Auswanderungsverbote in den einzelnen Küstenländern waren, läßt sich nicht genau beurteilen. Schon die Tatsache, daß in der Grafschaft Oldenburg diese Verbote wiederholt publiziert wurden, spricht nicht gerade für ihre Wirksamkeit. Tatsächlich wurde gegen diese Verbote immer wieder verstoßen. Was blieb den Leuten auch anderes übrig, als ihr Brot in anderen Ländern zu suchen, wenn die Existenz im eigenen Land nicht mehr gesichert werden konnte. Viele Hausväter würden vom Hunger dazu getrieben, mit ihren wenigen Möbeln nachts heimlich wegzuziehen, stellten die Einwohner des Norderteils der Vogtei Schwei in einem Brief an die Deichkommission fest.178 Auch aus dem Kirchspiel Langwarden begaben sich im Spätsommer 1718 trotz Auswanderungsverbots viele Einwohner in andere Länder, weil sie keine Nahrung mehr hatten.179 In verschiedenen Schreiben wurde auch mit der Auswanderung gedroht, falls die Landesherrschaft nicht für eine ausreichende Versorgung der verarmten Einwohner sorge.180 Die Auswanderungsverbote konnten nur Wirkung erzielen, wenn von den Obrigkeiten auch Maßnahmen zur ausreichenden Subsistenzsicherung der Einwohner eingeleitet wurden. Zwar waren die Regierungen bemüht, die Hungersnot im Lande zu bekämpfen und somit viele Einwohner vor dem Hungertod zu bewahreji, jedoch wurde dadurch noch keine grundlegende Verbesserung der Lebensbedingungen erreicht. Eine Einzelmaßnahme wie das Verbot von Pfändungen, das die Deichkommission in den oldenburgischen Überschwemmungsgebieten erließ, um die Auswanderung zu verringern, reichte allerdings dazu nicht aus.181 Bei den meisten Menschen, die sich zum Auswandern entschieden, gab es ohnehin nichts zu pfänden; sie waren besitzlose Arbeiter oder kleine Landbesitzer, die ihre Habe weitgehend verloren hatten. Solange keine ausreichenden Verdienstmöglichkeiten in den deutschen Marschländern bestanden, gab es für viele Einwohner, die nicht auf Dauer in die Armut abgleiten wollten, keine andere Möglichkeit, als ihr Geld

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StA Old: Bstd. 26, 424; Corp. Const. Old., 1722, Th.II, S. 274. StA Old: Bstd. 26, 424. StA Old: Bstd. 26, 1264: Brief o.D. StA Old: Bstd. 26, 1264: Brief vom 31.8.1718. StA Old: Bstd. 26, 1264: Christian von Hagen an den dänischen König, Langwarden 23.3.1718; Einwohner der Vogtei Stollhamm an die Deichkommission, 2.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263. Ausgenommen von dieser Bestimmung waren „wohlvermögende und unwillige Debitores, imgleichen die Zinsen und Heuer = Gelder an Kirchen, Armen und Schulen".

Auswanderung

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in der Fremde zu verdienen. 182 Wohin die verarmten Marschbewohner abgewandert sind, ist im einzelnen schwer zu ermitteln. Die Einwohner der ostfriesischen und oldenburgischen Marschgebiete dürften wohl großenteils in die Niederlande gegangen sein.183

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Der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns hob auf einer Deichversammlung hervor, daß es wichtig sei, Geld zur Bezahlung der armen Leute, die am Deich arbeiten sollen und weder Geld noch Brot haben, zu beschaffen, damit selbige nicht aus dem Lande laufen. (StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 42: Deichversammlungsprotokoll vom 25.1.1718). Vgl. Schaer, Die ländlichen Unterschichten zwischen Weser und Ems vor der Industrialisierung, S. 55ff.

7. Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

„Wer kan wohl deinen Schmertz / mein Vaterland / erblicken? Wer ist / dem dein Verlust nicht Seelen = Marter macht? Den Überfluß an Vieh / so dich pflag zu erquicken / Hat nun zum Theil die Macht des Wassers umgebracht. Der Teich durchlöchert ist / viel Häuser umgetrieben / Und von der Menschen Zahl ist eine Menge blieben. Wie ist / o Jever! nun dein Glück gantz weggenommen / und wie verwüstet liegt jetzt deine Pracht und Lust. Dein Überfluß ist offt an fremde Oerter kommen. Dir war vorhero nie von Mangel was bewust. Mit Titeln Canaans pflag man dich zu belegen; Du wüstest fast von nichts / als Freude / Heyl und Segen."1 Mit diesen wenig kunstvollen Zeilen beschreibt Conrad Joachim Ummen den Niedergang seines vorher wohlhabenden Heimatlandes nach der Weihnachtsflut von 1717. Dieses Schicksal traf jedoch nicht nur das Jeverland allein, sondern in allen Marschgebieten hatte die Sturmflut von 1717 tiefgreifende wirtschaftliche Folgen; und es dauerte viele Jahre, bis sie sich davon erholt hatten. Einige Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Krise in den Küstenregionen wurden schon erwähnt: die Armut und die Abwanderung vieler Einwohner in andere Länder. Andere Kennzeichen der Krise waren die vielen Versteigerungen, der Besitzerwechsel und die Besitzkonzentration bei Bauernhöfen, der Preisverfall und die Teuerung, die hohen Privatschulden der Einwohner, die enormen Rückstände bei den Steuerzahlungen und die dadurch bedingten großen Steuereinbußen der Landesherrschaften. Der wichtigste Wirtschaftssektor der Marschregionen war die Landwirtschaft, die hier dank des fruchtbaren Bodens überdurchschnittliche Erträge erwirtschaften konnte. Von den landwirtschaftlichen Konjunkturen hing die Prosperität der Marschländer und -landschaften weitgehend ab. Den größten Anteil am landwirtschaftlichen Betrieb der Marschgegenden hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Viehhaltung, die hier seit langer Zeit marktorientiert betrieben wurde.2 Neben dem Verkauf von fetten Ochsen sicherte vor allem der Verkauf von milchwirtschaftlichen Produkten wie Butter und Käse dem Bauern hohe Erträge. Daneben spielte der Getreideanbau noch eine untergeordnete Rolle, wenn man zu dieser Zeit auch anfing, wegen der damaligen re1 2

Ummen, Die mit Thränen verknüpffte Weynachts = Freude, S. 9f. Vgl. H. Wiese/J. Bölts, Rinderhandel und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küstengebiet vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, 1966.

Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

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lativ hohen Kornpreise mehr Land als vorher unter den Pflug zu nehmen. 3 In der Herrschaft Jever und im Fürstentum Ostfriesland wurde außerdem Pferdezucht betrieben, die diesen Ländern zusätzlichen Gewinn brachte. 4 Die Sturmflut von 1717 und die folgenden Sturmfluten von 1718 und 1720 trafen die Wirtschaft dieser Küstenregionen ins Mark, indem sie ihren bestimmenden Wirtschaftssektor, die Landwirtschaft, in eine Krise stürzten. Denn durch die Sturmfluten wurden nicht allein viele Bauernhöfe mitsamt Inventar zerstört und große Teile des Viehbestandes vernichtet, sondern es war auch die Bewirtschaftung der Acker- und Weideflächen in den meisten Marschgebieten im Sommer nach der Weihnachtsflut nicht möglich, in vielen Marschgebieten auch in den kommenden Jahren nicht, weil das Salzwasser noch immer ein- und ausging und in einigen sehr tiefliegenden Landstrichen sogar auf Dauer stehenblieb. 5 Die meisten Marschbauern waren somit wegen der Überschwemmungen der Weiden auch nicht imstande, ihr aus der Sturmflut errettetes Vieh zu ernähren. Im Jahr 1718 konnten, wie es heißt, im ganzen Kirchspiel Stollhamm „keine 20 Kühe" ernährt werden. 6 Es blieb vielen Bauern, die noch einige Rinder aus der Sturmflut hatten retten können, deshalb nichts anderes übrig, als ihr Vieh gegen Bezahlung zu Bauern auf der Geest in Futter zu geben. Weil die von der Sturmflut geschädigten Bauern jedoch kein bares Geld besaßen, behielten die Geestbauern als Bezahlung einige der ihnen zur Gräsung übergebenen Rinder zurück. Es kam vor, daß die Marschbauern fast die Hälfte ihres Viehs auf der Geest zurücklassen muß-

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In einer Anweisung an alle Hebungsbeamten der Grafschaft Oldenburg vom 8.11.1718 wird z.B. daraufhingewiesen, daß die Pächter der Neuenburger VorwerksMarschländereien vor der Sturmflut von 1717 ihr Grünland gegen den Kontrakt umgepflügt und besät hätten. StA Old: Bstd. 26, 511. Vgl. Norden, Bevölkerung, S. 279. Arends, Ostfriesland und Jever, III, S. 228ff; Swart, Zur friesischen Agrargeschichte, S. 211 ff; Hinrichs/Krämer/Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 102ff; V. von Arnim, Krisen und Konjunkturen der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, S. 61f, 102. Am 1.11.1718 klagten 25 Einwohner des Kirchspiels Abbehausen, sie hätten diesen Sommer wegen der häufigen Überschwemmungen nicht das allergeringste von ihrem ausgesäten Korn ernten können; daher hätten sie jetzt weder Geld noch Lebensunterhalt (StA Old: Bstd. 26, 141). Vgl. auch StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 187: Johann Dietrich Kettler an Georg Albrecht, Norden 11.10.1718 und StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 4: die Steuereintreiber der Kirchspiele Bützfleth, Assel und Drochtersen an die Stader Regierung, Asel 16.7.1718. Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 62. Der Pastor Cadovius von der Insel Baltrum schrieb z.B. auch, es sei zu besorgen, daß für das Vieh künftigen Sommer kein Futter vorhanden sein werde. Kein Mensch könne aber dort wohnen, wenn er nicht Vieh halten könne. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, p. 10: Schreiben vom 23.1.1718); vgl. auch KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt I, Nr. 197: Sämtl. Interessenten der Kirchspiele Tating, St. Peter Ording, Wester- u. Osterhever u. Poppenbüll an die Deputierten der Landschaft, Tönning 25.4.1718..

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

ten.7 Bestand keine Möglichkeit, das Vieh bei anderen Bauern in Futter zu geben, so mußten sie es verkaufen wie die Bauern in der Wilstermarsch, die ebenfalls ihr Weideland wegen der Überschwemmung nicht nutzen konnten. 8 Von Käse und Butter hätten sie früher ihre herrschaftlichen Gefälle bezahlt und vom Kornanbau ihren eigenen Lebensunterhalt bestritten, vermerkten die Hausleute der oldenburgischen Vogtei Strückhausen in einem Schreiben vom September 1718 an die Deichkommission. Die Viehseuche und die Mäuseplage der Vorjahre hätten ihnen schon die bäuerliche Existenz schwer gemacht; die Weihnachtsflut habe ihnen „nun vollends den Rest gegeben". 9 Die Weihnachtsflut traf die Landwirtschaft der Nordseeküstenländer in einer Phase, in der sie durch vorhergehende katastrophale Ereignisse bereits stark in ihrer konjunkturellen Entwicklung beeinträchtigt worden war. Wie im übrigen Deutschland hatte die Landwirtschaft sich auch in den Küstenländern nach der großen Depression in den Jahrzehnten nach dem 30jährigen Krieg seit etwa 1690 wieder zu erholen begonnen, was besonders an den steigenden Preisen für landwirtschaftliche Produkte sichtbar wurde.10 Dieser konjunkurelle Aufschwung wurde durch die Viehseuche beendet, die in den Jahren 1715 und 1716 - vereinzelt auch noch in den folgenden Jahren" - in allen Küstenländern große Teile des Rindviehbestandes vernichtete. In Dithmarschen behielten ganze Dörfer kaum ein Stück Vieh.12 Groß waren auch die Verluste im Herzogtum Bremen. In den Jahren 1715 und 1716 verlor das im dortigen Herzogtum gelegene Lehe etwa 1.000 Stück Rindvieh, zum großen Teil Kühe.13 In der Herrschaft Jever wurden durch die grassierende Viehseuche 25,7% des Rindviehbestandes vernichtet und zwar 4.780 von 18.585 Tieren.14 In dem jeverschen Kirchspiel Wiarden waren zum Beispiel 409 Stück Hornvieh an der Seuche gestorben; 154 der noch verbliebenen 300 Tiere ertranken in der Weihnachtsflut. Im Kirchspiel Minsen raffte die Viehseuche 550 Rinder dahin; 273 Rinder ertranken später in der Weihnachtsflut; übrig blieben schließlich noch 432 Rinder.15 In den fünf Butjadinger Vog7

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StA Old: Bstd. 26, 1264: Sämtliche Hausleute der Vogtei Strückhausen an die Deichkommission, 7.9.1718. Culemann, Denckmahl, 2, § 28, S. 117. StA Old: Bstd. 26, 1264: Sämtliche Hausleute der Vogtei Strückhausen an die Deichkommission, 7.9.1718. Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen, S. 185; Norden, Bevölkerung, S. 263; V. von Arnim, Krisen und Konjunkturen, S. 61. Am 5. März 1720 berichtete der oldenburgische Oberlanddrost von Sehestedt an den Kammerrat Klug, daß sich in verschiedenen Ämtern und Vogteien die Viehseuche wieder hervorgetan habe. StA Old: Bstd. 26, 511; ferner Culemann, Denckmahl, 1728, S. 237 u. 332ff. Hansen/Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen, S. 376. Georg von Roth, Geographische Beschreibung, S. 157. Im Kirchspiel Wremen im Land Wursten starben 1716 etwa 300 Stück Rindvieh. Ebenda, S. 159 Hinrichs/Krämer/Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 176. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6.

Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

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teien Abbehausen, Blexen, Burhave, Eckwarden und Stollhamm fielen der Viehseuche 257 Ochsen, 4.729 Kühe und 2.597 Jungtiere, also insgesamt 7.583 Stück Hornvieh zum Opfer. 16 Die fürstliche Oberrentkammer in Ostfriesland schätzte den durch die Seuche erlittenen Verlust an Vieh auf über 50.000 Stück Hornvieh.17 Der Verlust an Rindvieh durch die Viehseuche der Jahre 1715 und 1716 war somit noch wesentlich größer gewesen als der Verlust durch die Weihnachtsflut von 1717.18 Die meisten Bauern hatten ihren durch die Seuche dezimierten Viehbestand noch nicht wieder auf die alte Größe aufstocken können, als die Weihnachtsflut ihnen einen erneuten schweren Schlag versetzte. Im Jahre 1716 verschlimmerte außerdem noch eine Mäuseplage von unerhörtem Ausmaß die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe in den niedersächsischen Küstenländern. Scharenweise fielen die Mäuse im Sommer kurz vor der Ernte über die Getreidefelder her, so daß die Felder anschließend wie abgemäht aussahen. An vielen Orten brachte diese Mäuseplage erhebliche Einbußen bei der Ernte.19 Wie sich die wirtschaftliche Lage im Herbst 1718 darstellte und welche Ursachen zu dieser Lage geführt hatten, legten die Einwohner des Landes Wührden in einem Schreiben dar: Schon in den Jahren 1714 und 1715 waren diesem oldenburgischen Amt durch Sturmfluten Schäden in Höhe von 25.803 Reichstaler entstanden. Im Jahre 1716 verloren sie durch die Viehseuche den größten Teil ihres Viehs und durch „den schädlichen Mäusefraß" alles Korn, so daß sie zu ihrem eigenen Unterhalt Vieh und Korn aus dem Herzogtum Bremen auf Kredit einführen mußten. Nachdem sie im Jahre 1717 schon 4.544 Reichstaler zur Eindeichung bei Schweiburg aufgewandt hatten, fügte die Weihnachtsflut dem Land im selben Jahr erneut großen Schaden zu. „Wann dann aus obigen allen, so woll der schlechte Zustand des Landes, deßen schwere und gefährliche Teiche und Siehlen, so dan wie sehr die Eingeseßene geschwächet und in Schulden Vertieffet, Ja Bludt arm geworden. Imgleichen die einige Jahre her, außgestandene harte drangsahlen und vielen Unglücks fällen, an Ihren Korn, Vieh, Teichen, Siehlen und dergleichen, alß welches die Wahre Ursache ist, wordurch Sie in einen solchen Armsehligen hochstNothleidenden und beschränkten Zustande und tiefen Schulden gerahten, satsahm erhellet, und daß das Land Wührden und deßen Einwohner gar keine Contribution und herrschafftliche Gefälle ZubeZahlen Vermögens, sondern die ruinirte Teiche, Siehlen und Bracken nicht einmahl im Gehörigen haltbahren stände wieder Zu verfertigen Capable sind, Zudeme die Mei16

Norden, Bevölkerung, S. 265 u. 378. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 152; vgl. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 4. 18 Vgl. Laß, Sammelung einiger Husumischer Nachrichten, 1701 bis 1750, S. 51. " Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 73; Hekelius, Beschreibung, S. 2f; Culemann, Denkmahl, 1728, T. I, § 12; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 6f; vgl. Norden, Eine Bevölkerung, S. 265; Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 152. 17

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

sten diesen Sommer nicht das geringste ausgesäet und so wenig am Korn alß Heu etwas Eingeerndtet, sondern Immerhin Zum Theil das Waßer in den Häusern, Theils auch rund umb die Häußer stehen gehabt..." 20 Aus diesem Bericht der Einwohner des Landes Würden wird deutlich, daß Sturmfluten, Mäusefraß und Viehseuche schon vor der Weihnachtsflut von 1717 zu großen finanziellen Belastungen geführt hatten. Die Weihnachtsflut verschlimmerte die ohnehin schon äußerst angespannte wirtschaftliche Lage des Landes noch weiter. Die Folge waren zwei wirtschaftlich schwierige Jahrzehnte.

7.1. Heuerleute in Not Unter den Auswirkungen der Weihnachtsflut hatten nicht nur die Landeigner, sondern auch die Pächter, die Heuerleute 21 , zu leiden, von denen viele in der Sturmflut große Teile ihres Besitzes, hauptsächlich landwirtschaftliche Geräte und Vieh, verloren. Nach der Weihnachtsflut gerieten viele Heuerleute in eine verzweifelte Lage. Ihre gepachteten Ländereien konnten sie wegen der Überschwemmungen nicht nutzen und somit auch keinen Gewinn erwirtschaften. Dennoch forderten viele Landeigentümer die im Kontrakt vereinbarte Pacht.22 Da die Pächter außerdem für die Reparatur der zu ihrem 20

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StA Old: Bstd. 26, 1264: Sämtliche Eingesessene des Landes Wührden an die Deichkommission, 8.10.1718. Im Herbst 1718 schilderten z.B. auch die Einwohner der Vogteien Rodenkirchen und Golzwarden in einem Schreiben an die Deichkommission ihre damalige wirtschaftliche Lage: „Alles was wir in diesem 1718ten Jahre haben aufbringen können, ist angewand worden, um den Anfang der reparation unserer Zerrißenen Erbteiche zu machen, Wobey wir auch, so wie die Lebens Nothurfft und möglichkeit es zuläßet, annoch continuiren. Auf was art und weise aber Unsere ruinirte Siehle wieder in stände und haltbahr zumachen, dazu wißen wir, bey itzigen Geldlosen Zeiten, und Unfruchtbaren Lande, weder Hülfe, Mittel noch rath. Zur herrschafftlichen Cassa hat ebenfalß seither der Waßerfluth nichts können geliefert werden, zugeschweigen, daß vom Vorigen und vorher gehenden Jahren, noch verschiedene mit allen Abgifften, in restanten stehen. Kurtz! Wir sind Arme Elende und ruinirte Leute; werden es auch bleiben, wofern Unß nicht durch Nachlaß der Gefälle, und mit verschonung fernerer schwehren Teicharbeit zu hülffe gekommen wird!" (StA Old: Bstd. 26, 1264). Heuerleute, die Pächter waren, sind zu unterscheiden von Heuerlingen, die den Tagelöhnern und Arbeitsleuten gleichgesetzt werden können. Zum Beispiel hatte Peter Bendes in Eckwarden die Hofstelle des verstorbenen Hinrich Clausen gepachtet, aber das Haus und VA Jück Land an Jürgen Hayen weiterverpachtet und zwar für etwas über 45 Reichstaler jährlich. Aus dem Jahr 1717 war Hayen noch 12 Reichstaler an Bendes schuldig geblieben. Nun verlor Hayen in der Weihnachtsflut seine beiden Pferde, 8 Stück Rindvieh und alle seine Habseligkeiten, so daß er ein ganz armer Mann wurde. Er konnte gerade sich und seine Frau und kleinen Kinder im Hemd auf einen Balken retten. Später gelang es ihm noch, einige alte Kleider von sich und seiner Frau aus dem Graben zu fischen. Das war sein ganzer Besitz. Als 1718 von dem Heuermann Peter Bendes das Pachtgeld gefordert wurde, wollte der auch die noch ausstehenden 12 Reichstaler von seinem Unter-

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Land gehörenden Deichabschnitte verpflichtet waren, wurde ihnen zusätzlich noch ein nicht unerhebliches Opfer abverlangt.23 Die Heuerleute wiesen in Schreiben an die Regierungen wiederholt auf ihre Notlage hin. Den durch die Viehseuche und den Mäusefraß verursachten Schaden hätten sie schon allein tragen müssen, klagten die Heuerleute der Wester- und Lintelermarsch in Ostfriesland; es sei ihnen jetzt nach der Weihnachtsflut aber unmöglich, die volle Last der Sturmflutfolgen wieder allein zu tragen. Um ihre bedrohliche Lage zu beschreiben, führten sie einige Verse des Propheten Joel an, und zwar 1. Kap. 10, 11, 17 und 18: „Das Feld ist verwüstet, und der Acker steht jämmerlich; das Getreide ist verdorben...Die Ackerleute sehen jämmerlich, und die Weingärtner heulen um den Weizen und um die Gerste, daß aus der Ernte auf dem Felde nichts werden kann...Der Same ist unter der Erde verfault, die Kornhäuser stehen wüste, die Scheuern zerfallen; denn das Getreide ist verdorben. O wie seufzt das Vieh! Die Rinder sehen kläglich, denn sie haben keine Weide, und die Schafe verschmachten." 24 Dieser desolate wirtschaftliche Zustand war die Ursache dafür, daß einige Heuerleute ihre Pachtstellen widerrechtlich vor Ablauf der Pachtzeit verließen. Andere Heuerleute, die schon zum 1. Mai 1718 neue Hofstellen gepachtet hatten, wollten solche nicht mehr antreten, weil sie die damit verbundene Deichlast nicht übernehmen wollten.25 Da die ostfriesische Regierung große Unordnung im Deichwesen und viele Prozesse zwischen Heuerleuten und Verpächtern befürchtete, verbot sie am 11. April 1718 den Heuerleuten bei 100 Goldgulden Strafe, ihre Pachtstellen vorzeitig zu verlassen. Ferner ordnete sie an, daß alle Heuerleute sich unabhängig vom Inhalt ihrer Pachtkontrakte an der allgemeinen Deicharbeit beteiligen und auch die zu ihrem Land gehörenden Deiche reparieren müßten. Das galt auch für die am 1. Mai zu beziehenden neuen Pachtstellen. Allerdings sollten die Eigentümer und die Pächter der Hofstellen sich die Arbeitskosten teilen. Hatten die Heuerleute über die Hälfte ihres Viehbestandes in der Sturmflut verloren, so sollten die Eigentümer zwei Drittel der Arbeitskosten tragen. Die Eigentümer wurden außerdem verpflichtet, die durch die Sturmflut ruinierten Häuser auf ihre Kosten zu reparieren. Gegen diese Anordnung waren keine Einsprüche und Ausnahmen erlaubt. Sie galt jedoch nicht für diejenigen fürstlichen HeuerFortsetzung

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Fußnote von Seite 152

Pächter Hayen einziehen, sonst ihm aber die aufgefischten Kleider abnehmen lassen. (StA Old: Bstd. 26, 1264). Büß, Die geschichtliche Entwicklung u. Bedeutung des ostfriesischen Deichrechts, S. 32f; Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 41. Vgl. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt: 3. Deichband, Nr. 18, Beschluß vom 17.4.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 124: Schreiben vom 16.6.1718. Zwischen dem Pastor Samuel Ritzius in Wolthusen und dem Heuermann Focke Jansen kam es z.B. zu einem Streit, weil Jansen sich weigerte, dem mit Ritzius geschlossenen Kontrakt gemäß seine Heuerstelle in der Westermarsch zum 1. Mai 1718 anzutreten (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, p. 95f)-

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leute, die nach ihren Heuerbriefen verpflichtet waren, alle Lasten selbst zu tragen. Die übrigen fürstlichen Heuerleute sollten sich ebenfalls nach dieser Verordnung richten.26 Diese Verordnung verhinderte, daß noch weitere Hofstellen herrenlos wurden und daß bei der Deicharbeit weitere Unordnung entstand. Auch wurde den Heuerleuten - mit Ausnahme eines Teils der fürstlichen Zeitpächter nicht die alleinige Verantwortung für die Wiederherstellung ihrer Deichabschnitte zugemutet, sondern die Verpächter an den notwendigen Deicharbeiten beteiligt. Trotz dieser Verteilung der Deichlast war aber die wirtschaftliche Existenz der Pächter, vor allem der Zeitpächter, noch keineswegs gesichert. Viele Pächter waren wegen der ausbleibenden Erträge und der zusätzlichen Kosten bald nicht mehr imstande, ihre Heuer und die herrschaftlichen Gefälle zu bezahlen. Folglich kam es zu Ausfällen bei den Pachtgeldern und Steuern.27 Die ostfriesische Landesherrschaft, für welche die Einkünfte aus dem Domanialbesitz die wichtigste Einnahmequelle war28, wollte sich im Herbst 1718 ein genaues Bild über die Lage der landesherrlichen Heuerleute verschaffen. Deshalb beauftragte der ostfriesische Vizekanzler Brenneysen den Oberrentmeister Teepcken am 29. September 1718, sich so bald wie möglich in die Ämter zu begeben, um dort gemeinsam mit den Hebungsbeamten zu ermitteln, welche Einkünfte von den landesherrlichen Pächtern im Herbst 1718 noch zu erwarten seien. Auch sollte er prüfen, ob eine Stundung oder ein Erlaß von Zinsen wegen der erbärmlichen Zustände in einigen Ämtern nötig sei. Die Regierung sah sich gezwungen, wegen der durch die Weihnachtsflut bedingten hohen Ausgaben eine Untersuchung der Haushaltslage vorzunehmen. Denn die bisher eingesandten Berichte der Renteien beschrieben zwar alle die schlechten Verhältnisse im Lande, machten jedoch keine Angaben darüber, was noch an Einkünften zu erwarten war.29 Weil die Einkünfte aus den verpachteten landesherrlichen Ländereien eine wichtige Einnahmequelle darstellten und die finanzielle Lage der Grafschaft ohnehin angespannt war, wollte die Regierung den Pächtern der fürstlichen Ländereien die Heuer nicht generell mindern oder erlassen. „Weil in guten Jahren, wann Gott denen Heuersleuten Von dem eingeheurtem Lande, reichen und mehrern Seegen hette beschehret, alß Sie an Heuren ihren Eigenem daVon zu geben Versprochen, man noch kein Exempel gefunden, das Sie Von ihrem Vorthel 26

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8; vgl. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 178ff; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 33. Siehe auch StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, p. 93f. In der Grafschaft Oldenburg wurde die Pacht für die von der Sturmflut geschädigten landesherrlichen Pachtbetriebe im Jahr 1718 um ein Drittel erlassen. (StA Old: Bstd. 26, 511: Schreiben der Deichkommission an alle Hebungsbeamte, Oldenburg 8.11.1718). König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 110. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, p. 21 f.

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solchen Eignern etwas über den Veraccordirten Heur = Schilling hetten Zu kommen laßen, es dahero auch allerdings recht und billig, daß auch die Heurleute in schlechtem Jahren solchen ihren Eignern dasienige Völlich bezahleten, was Sie nach den mit ihnen getroffenen Contract, Ihnen zu Bezahlen schuldig weren", lautete die Begründung der Regierung. Die Hebungsbedienten sollten die Heuer bei den Pächtern sofort eintreiben, die dadurch nicht in „totalen Ruin" gerieten. Wie aber bei denjenigen Heuerleuten zu verfahren sei, bei denen die Eintreibung der gesamten Heuer zum völligen Ruin führen könnte, wollte die Oberrentkammer im Einzelfall entscheiden.30 Der Amtmann Johann Dietrich Kettler in Norden kritisierte diese Einstellung der Regierung. Zwar meinte auch er, daß Erbpächtern und beherdischen Heuerleuten 31 keine Heuer erlassen werden sollte. Aber „die gemeinen Heuerleute", die Zeitpächter, müsse man von dieser Regel ausnehmen; und zwar aus folgenden Gründen: Die Pachtverträge der gemeinen Heuerleute würden nur auf sechs Jahre abgeschlossen, seien also befristet. Schon in den Jahren vor der Flut hätten die Heuerleute keine guten Erträge gehabt; denn 1715 hätten sie unter der großen Viehseuche und 1716 unter der Mäuseplage gelitten. 1717 habe die Weihnachtsflut ihre geernteten Früchte fortgetrieben, 1718 sei wegen der Überschwemmungen ein Anbau des Landes kaum möglich gewesen und für 1719 sei auch mit keiner guten Ernte zu rechnen. Die Heuerleute, deren Pachtverträge am 1. Mai 1715 oder 1716 begannen, hätten also bisher nur schlechte Erntejahre gehabt. Wollte man von allen Heuerleuten unterschiedslos die ganze Pacht verlangen, so würde man die Heuerleute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den Ruin treiben. Beharre man auf einer baren Bezahlung der Heuer, so würden die Einwohner nur abgeschreckt, künftig fürstliche Ländereien zu pachten. Kettler schlug deshalb vor, „nicht mit strenger Eintreibung, sondern mit Remissen, Gedult und dilationen" zu verfahren. „Ja, sie mögen sicherlich glauben", schrieb Kettler ferner, „daß, wenn mir das Eintreiben so leichte wäre, alß zu Aurich das Resolviren, Ich hertzlich gerne Verfahren, und Viel lieber bald Zur Richtigkeit seyn, als das gantze Jahr und den gantzen Sommer durch, da andere plaisir nehmen, plagen laßen wollte. Allein, da mir nun diese fatalität und beschwehrung, bey dem schlechten Zustande dieses Ambtes, leider! Zugestoßen ist, und mich damit schleppen, und alle Tage klagen, und Weinen hören und sehen muß, So lebe Ich auch der ZuVersicht, man werde nicht alleine mit denen bedrücketen Heurleuten, die eß nöhtig haben, und derer früchten Ich durch unpartheyische beaydigte Persohnen besehen laßen, Commiseration, sondern auch mit mir Consideration haben, und Zwarn nicht Zu meinen, 30 31

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, p. 5. Beherdisches Land ist Pachtland, das mit dem Eigenland des Pächters und seinem Hof ( = Herd) verschmolz. Der Landherr konnte bei diesem Land von seinem Kündigungsrecht nicht mehr Gebrauch machen. Siehe Swart, Zur friesischen Agrargeschichte, S. 268.

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sondern unsers gnädigsten Herrn Nutzen, und Zu mir das Vertrauen tragen, daß ich hierunter thun werde, was einem redlichen beaydigten Bedienten oblieget."32 Der Dissens zwischen Oberrentmeister Teepcken und Amtmann Kettler ist deutlich. Während Teepcken vor allem an eine Sanierung der fürstlichen Finanzen dachte, versuchte Kettler auch die Interessen der Heuerleute zu berücksichtigen. Diese unterschiedlichen Auffassungen hatten aber noch einen weitergehenden politischen Hintergrund. Kettler war einer der eifrigsten Vertreter der Stände und als solcher ein Gegner der fürstlichen Regierung, die sich gerade in dieser Zeit bemühte, ihre Macht immer weiter auszubauen. 33 Die Ordnung der fürstlichen Finanzen, um die sich der Oberrentmeister Teepcken schon seit vielen Jahren sehr bemühte 34 , war aber in den Jahren nach der Weihnachtsflut ein beinahe unmögliches Unternehmen. Resigniert stellte der Oberrentmeister deshalb auch fest, daß „es leider mit dem Cammer und Renterey wesen ietzo in solchem verworrenen Zustande gekommen ist, daß man nicht mehr wißen kan, wo man das werck ergreiffen soll, weil ein ieder seinen eigenen Sinn folgen und fast niemand sich an rechte Ordnung binden will."35 Der Ausfall an Pachtgeldern in den Jahren nach der Weihnachtsflut war groß.36 Wiarda konstatiert deshalb auch in Verkennung der wirklichen Verhältnisse, daß die Verpächter der Hofstellen die Folgen der Flutkatastrophe besonders drückten, weil sie jahrelang auf ihre Pachteinnahmen verzichten mußten und außerdem auch noch zu den Deicharbeiten mit herangezogen wurden.37 Gewiß, viele Verpächter hatten in den Jahren nach der Weihnachtsflut kaum Pachteinnahmen und dennoch außergewöhnliche Belastungen zu tragen; es wäre jedoch falsch, daraus den Schluß zu ziehen, sie hätten an den Folgen der Sturmflut mehr zu leiden gehabt als die selbst wirtschaftenden Hofbesitzer, die Heuerleute, die Kätner oder Warfsleute und die Arbeiter. Die Landesherrschaften, welche einen großen Teil ihrer Einkünfte wie der ostfriesische Fürst aus dem Domanialbesitz bestritten, erlitten durch die Zahlungsunfähigkeit der Pächter hohe Einnahmeverluste. Die fürstliche Rentei in Ostfriesland errechnete für die Zeit von der Weihnachtsflut bis zum Jahr 1720 insgesamt 66.668 Reichstaler Pachtausfälle; davon waren 45.548 Reichstaler Pachtrückstände, die nicht mehr eingetrieben werden konnten, 9.589 Reichstaler Verlust aus nicht verpachtetem Land und 11.535 Reichstaler Ver-

32 33 34 35 36 37

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, p. 13-16. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 149. König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 101 f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, p. 3. Vgl. Stöver, Die wirtschafte Entwicklung, S. 52. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 80. Vgl. auch „Die Weihnachtsflut von 1717", S. 17.

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lust durch Erlaß von Pachtgeldern. 38 Der durchschnittliche Einnahmeverlust betrug in den Jahren 1718, 1719 und 1720 also etwa 22.200 Reichstaler. Die Einkünfte aus den Domaniallandbesitzungen betrugen im Jahr 1700 insgesamt etwa 82.000 Reichstaler, was bei einer Jahreseinnahme von ca. 140.000 Reichstalern mehr als 4 / 7 der Gesamteinnahme ausmachte. 39 Geht man von dieser Zahl aus, so betrugen die Einnahmeverluste des ostfriesischen Fürsten durch Pachtausfälle in den Jahren nach der Weihnachtsflut ca 27% der Gesamteinkünfte aus den landesherrlichen Grundbesitz und 15,8% der gesamten Jahreseinnahme.

7.2. Teuerung und Preisverfall Schon unmittelbar nach der Weihnachtsflut befürchteten mehrere landesherrliche Beamten eine große Teuerung in den Marschgebieten, wodurch die Lage der durch die Sturmflut verarmten Einwohner sich noch weiter verschlechtern würde. 40 Wie sich zeigte, trat die allgemein befürchtete Teuerung in der Tat schon kurz nach der Sturmflut ein. Anfang Januar 1718, etwa zwei Wochen nach der Weihnachtsflut, mußten im Herzogtum Bremen für eine Tonne Roggen schon 5 Reichstaler 36 Grote bezahlt werden. Dieselbe Menge hatte vor der Sturmflut noch 3 Reichstaler 24 Grote gekostet. Der Preis war also nach der Weihnachtsflut um etwa 68% gestiegen.41 Auch in Eiderstedt wurde über den ernormen Anstieg des Getreidepreises nach der Weihnachtsflut geklagt 42 Der Preis für Getreide lag in den Nordseeküstenregionen im ganzen Jahr 1718 über dem Preisniveau des Vorjahres. In der Grafschaft Oldenburg stieg der Preis vom Jahr 1717 auf das Jahr 1718 für Gerste von 38 auf 49 Reichstaler pro Last und für Roggen von 68 auf 72 Reichstaler pro 38

StA Aurich: Rep. 4, C III a, 123, II. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 155 gibt nur die restierenden Pachtgelder an, die er irrtümlicherweise als Einnahmeverlust des Jahres 1720 angibt. Ihm ist bei seiner Aufstellung auch eine Zahlenverdrehung unterlaufen; im Amt Greetsiel betrugen die Restanten nicht 23.962 Reichstaler, sondern 23.692 Reichstaler. Zu den landesherrlichen Pächtern, die bis zum Jahr 1720 kein Pachtgeld zahlen konnten, gehörten die Heuerleute auf Schoonort. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, p. 146: Georg Albrecht an Regierungsrat Tammena, Aurich 13.5.1720). J ® König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 110. 40 Siehe z.B. das Schreiben des Amtmannes Jan Volrad Kettler an den Fürsten Georg Albrecht, Berum 29.12.1717: „allem Menschlichen Ansehen nach" sei „nichts als die größeste theuerung und armuth zu vermuhten". 41 StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben aus Dorum vom 8.1.1718. 42 KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt: Sämtl. Interessenten der Kirchspiele Tating, St. Peter Ording, Wester- u. Osterhever u. Poppenbüll an die Deputierten der Landschaft, Tönning 25.4.1718.

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Last.43 Mit den Roggenpreisen in Krempe in Holstein verhielt es sich ähnlich: Nachdem schon im Jahr 1717 die Preise verhältnismäßig hoch gewesen waren, war nach der Weihnachtsflut ein nochmaliger Anstieg zu verzeichnen.44 Eine Last Weizen kostete 1718 in der Wilstermarsch 80 Reichstaler, eine Last Roggen 70 Reichstaler und eine Last Hafer mehr als 30 Reichstaler.45 Da das Wasser und die Getränke in den Überschwemmungsgebieten rar waren, bekam man auch Bier nur noch zu hohen Preisen. In der Grafschaft Oldenburg forderten die Wirtsleute für eine Kanne Bier drei Grote anstatt zwei wie früher üblich.46 Auch der Preis für Kühe stieg nach der Weihnachtsflut zunächst sprunghaft an, in manchen Orten der Marsch auf 50 bis 60 Reichstaler. Erst als mit der Eisflut vom Februar 1718 die Aussichten sanken, das Wintergetreide noch ernten und die Weiden im Sommer wieder nutzen zu können, schwand in der Marsch auch die Nachfrage nach Kühen, so daß der Preis sofort stark abfiel. Die besten Kühe waren jetzt für 10 Reichstaler zu haben.47 Noch im Oktober 1719 klagten der Oberlanddrost von Sehestedt und der Kammerrat Klug, daß ein Stück Vieh oder Pferd, welches sonst 60 Reichstaler wert war, für 15 oder 16 Reichstaler verkauft würde.48 Ein derartiger Preisverfall für Kühe ist in den Herzogtümern Schleswig und Holstein allerdings nicht festzustellen. In dem von der Sturmflut nicht ganz so stark wie andere Regionen beschädigten Eiderstedt betrug der durchschnittliche Preis für eine Kuh im Jahre 1719 etwa 29 Reichstaler.49 Allerdings berichtet Rosien, daß der Viehhandel im Winter 1719/1720 in Eiderstedt im allgemeinen schlecht war, bis schließlich einige Schiffsladungen an Rinder in die Niederlande verkauft werden konnten. Pferde waren dagegen gänzlich unverkäuflich. 50 Anders sah es wieder in der Wilstermarsch aus, wo in den Jahren 1718 und 1719 die Kühe und Pferde zu guten Preisen verkauft werden konnten. 51 Besonders bedrohlich war für die Mehrheit der Bevölkerung in den Überschwemmungsgebieten der starke Anstieg des Getreidepreises nach der Weihnachtsflut, weil sich dadurch auch das Brot verteuerte und es für die ohnehin durch die Sturmflut schon verarmten Einwohner kaum noch bezahlbar 43 44 45

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Norden, Bevölkerung, S. 365. Lorenzen-Schmidt, Ländliche Familienstrukturen, S. 91. Culemann, Denkmahl, 1728, T. 2, § 5, S. 100; UB: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 802 und 839: Sowohl 1718 als auch 1719 waren die Getreidepreise demnach hoch. StA Old: Bstd. 26, 1263: Johann Rudolf von Münnich an die Deichkommission, Tettens 12.9.1718. Ferar, Ist eine erschreckliche Wasserflut gewesen, S. 59. StA Old: Bstd. 26, 511: Schreiben an die Deichkommission vom 29.10.1719. Vgl. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 134. Waschinski, Währung, Preisentwicklung und Kaufkraft des Geldes in SchleswigHolstein, S. 193. Rosien, Eiderstedtische Chronik, S. 132. Culemann, Denkmahl, 1728, T. 2, § 5, S. 100.

Teuerung und Preisverfall

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wurde.52 Deshalb berieten die Regierungen der Küstenländer über entsprechende Gegenmaßnahmen. Im Herzogtum Bremen überlegte die Stader Regierung gemeinsam mit dem Ritterschaftspräsidenten Schulten, auf welche Weise der zu befürchtenden Teuerung vorgebeugt werden könne und ob zum Beispiel ein Ausfuhrverbot für Korn das richtige Mittel dazu sei.53 Schon am 4. Januar 1718 klagte der Amtmann Kettler aus Norden in Ostfriesland, die Kaufleute jener Stadt hätten angefangen, „den Preyß des Korns ungebührlich zu Verhöhen". 54 Kettler befürchtete, daß die Preise noch weiter steigen würden, wenn die Landesobrigkeit die Ausfuhr des Kornes nicht verböte. Nach seinem Vorschlag sollte eine Konferenz mit einigen ständischen Deputierten einberufen werden, um diese Probleme zu besprechen. Als der ostfriesische Fürst Georg Albrecht eine genaue Schadensermittlung in seinem Land durchführen ließ, begründete er diese Maßnahme auch damit, „zu hülffe der Nothleydenden und Abwendung einer besorglichen theuren Zeit und Hungers Noht die dienliche Mittel" zum Besten des Landes anzuwenden. 55 Zwar wurden in einigen Ländern „teuerungspolizeiliche Maßnahmen", wie man damals zu sagen pflegte, erwogen, zur Ausführung sind sie aber anscheinend nirgends gekommen. Das mag darin seine Ursache gehabt haben, daß in den Küstenländern nicht ausschließlich Marschbauern wohnten und daß die Regierungen die auf der Geest liegenden landwirtschaftlichen Betriebe durch solche Maßnahmen nicht unnötig in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen wollten. Außerdem wären auch diejenigen Marschbauern, die noch Getreide anbauen und verkaufen konnten, in ihren Erträgen beschnitten worden. Für diese Marschbauern war der hohe Preis, wie Culemann mit Blick auf die wirtschaftliche Lage schreibt, „eine sonderbare Wohlthat vom Herrn". 56

7.3. Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen „Denn wie kümmerlich sich nunmehro mancher nach der Zeit erhalten müssen / der sonst in gutem Stande gesessen / und einer elenden Lebens = Art ist ungewohnet gewesen / kan Niemand genug beschreiben / als der Gelegenheit hat mit den Leuten auf dem Lande / welche dies Unglück gedrücket / umzugehen / und deren schlechte Lebens = Art vor Augen zu sehen. Es ist nicht nur ihr Geld weg / sondern die Verfertigung der Teiche und andere unumgängliche Verwendung der Kosten hat so viel erfordert / daß dasjenige / 52

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Vgl. Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1972. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1 (Fasz. 1): Königliche Regierung in Hannover an die Stader Regierung, 14.1.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 24: Jan Volrad Kettler an Georg Albrecht, Norden 4.1.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, p. 31. Denkmahl, 1728, T. 2, § 5, S. 100.

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was sie zu einem Noth = Pfenning hingeleget / schon längst fortgegangen / und weil auch dieses bey weiten nicht zureichen wollen / so ist auch das Hausgeräth / an Silber / Zinnen / Kupffer / Messing / Leingewand verkauffet und zu dem was nothwendig / verwandt worden. Ja es haben sich so viele in tieffen Schulden noch überdem setzen müssen / daß mancher / der die Schulden gemachet / noch auch dessen Kinder nicht im Stande kommen möchten / sich und ihre liegende Gründe aus den Schulden zu retten. Werden demnach auch Kinder / ja auch wol Kinder = Kinder / die Grösse des Schadens / der hiedurch ist verursachet / empfinden müssen."57 Die hohe Verschuldung der Bauernhöfe, von der der Pastor Johann Friedrich Jansen 1722 schrieb, war in der Tat ein großes Problem in den Jahren nach der Sturmflut von 1717 und ein deutliches Kennzeichen der damaligen wirtschaftlichen Zerrüttung in den Marschgebieten. Viele Einwohner der Marsch waren allerdings schon vor der Weihnachtsflut durch die Deichlast, die Viehseuche und die durch die Mäuseplage bedingte Mißernte in Schulden getrieben worden. Nach der Weihnachtsflut waren nun viele Einwohner nicht mehr imstande, die Zinsen für ihre aufgenommenen Kredite zu bezahlen, geschweige denn die Schulden zu tilgen. So häuften sich die Zinsen, und die Schulden stiegen immer weiter. „Wer vor der Wasserfluth nur ein wenig in Schulden gerathen, war nicht mehr zu retten", notierte der Deichrichter Albert Brahms aus der Herrschaft Jever.58 Dazu kamen jetzt nach der Weihnachtsflut noch die Kosten für die Wiederherstellung der Deiche.59 Weil die Deichpflichtigen die notwendigen Deicharbeiten, zu denen enorme Summen an Geld erforderlich waren, selbst nicht finanzieren konnten, mußten sie Kredite aufnehmen oder von der Regierung Geld vorgeschossen bekommen. Dadurch erhöhten sich die Schulden der Einwohner noch weiter; denn Tilgung und Zinsen wurden auf die einzelnen Deichinteressenten umgelegt. Um sich von diesen Zahlungspflichten und der übrigen Deichlast zu befreien und um ihr noch übriges Vermögen zu erhalten, zogen es einige Bauern vor, ihren Besitz aufzugeben. Als die ostfriesische Regierung von diesen Fällen Kenntnis erhielt, befahl sie ihren Beamten, „solche wieder recht und billigkeit lauffende eigenwillige aufgebung ihrer Piaetzen und landen" keinem Eingesessenen zu erlauben, sondern jeden Besitzer dahin zu „constringuiren", „daß er seine Pläetzen und Landen, die Er bey guten Jahren freywillig angenommen, gerne beseßen und nützlich genoßen hat, auch bey schlechten Zeiten behalten und Zu abtragung der daVon Zu leistenden praestationen 57 58 59

Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 219f. Oldenburgische Blätter, Nr. 18, 1825, S. 141. Vgl. z.B. StA Stade: Rep. 31, 16p, Nr. 2, Bd. I, Teil 1, p. 35: Heinrich Otto von der Kuhla an die Stader Regierung, 1719: „...es beweget mich haubtsächlich das Klägliche Lamentiren so vieler Armen particulier-interessenten, welche durch die bisherige vergäbliche Arbeit, und dazu hergegäbene unbeschreibliche Kosten, in den allerelendesten Zustand gesetzet worden..."

Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen

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alles was in seinem Vermögen ist, getreulich mit an wenden müste."60 Wieviele Bauern ihren Besitz aus diesen Gründen aufgaben, wissen wir nicht. Es ist aber anzunehmen, daß die meisten Landbesitzer ihre Deichpflichten, wenn auch widerwillig, auf sich nahmen, oft mit der Folge zusätzlicher Verschuldung. Und die Schulden der Marschbewohner erreichten in den 1720er Jahren enorme Höhen. Wie aus einer Aufstellung des Amtsvogts Dagerath hervorgeht, betrugen die Privatschulden der steuerpflichtigen Hofbesitzer der oldenburgischen Vogtei Stollhamm im Jahr 1722 insgesamt 43.984 Reichstaler; dazu kamen noch Restanten an herrschaftlichen Steuern in Höhe von 15.291 Reichstalern.61 Hierzu einige Beispiele von einzelnen Schuldnern: Der zur Ahndeicher Bauerschaft gehörende Bauer Johann Rohde, Besitzer von 10V4 Jück ( = 5 , 7 ha) Land, besaß nach der Sturmflut außer einem Pferd kein weiteres Stück Vieh; sein Haus war in der Flut beschädigt worden und sein Land durch das Salzwasser verdorben; seine Privatschulden beliefen sich 1722 auf 300 und seine Restanten an herrschaftlichen Gefällen auf über 40 Reichstaler. „Possessor in große Armuth gerathen", wurde auf der Liste angemerkt. In einer vergleichbaren Lage war Frerich Johannsen, Besitzer von 9 Jück ( = 5 ha) Land und einer Kuh, der 1722 mit 250 Reichstaler verschuldet war. Er hatte noch bis 1720 seine Steuern bezahlt, war dann aber dazu nicht mehr in der Lage. Ganz anders war die Situation der Großbauern. Lübbe Francken aus der Vogtei Eckwarden hatte 1722 insgesamt 2.000 Reichstaler Privatschulden. Obwohl er durch Viehsterben, Mäuseplage und Sturmflut einen Schaden von über 3.500 Reichstalern erlitten hatte, konnte er als Besitzer von 133 Jück ( = 74,5 ha) Land, 9 Pferden und 27 Stück Rindvieh noch jedes Jahr seine herrschaftlichen Gefälle bezahlen. „Die mehresten von Unß stekken in tiefen Privat Schulden, wovon wir weder Capital noch Zinsen anitzo abtragen können; Ob nun schon Unß delation 62 zugestanden würde, wächset jedoch die Zinse von Jahr zu Jahr an, so daß wann etwa nur auf ein Paar Jahre der Nachlaß in herrschafftlichen Gefällen allergnädigst placidiret würde, Wir aber unter deßen vom Saltzrigen Erdereich keinen profit nehmen, sondern kaum Unser Leben unterhalten, und nachgehends auf einmahl so wohl wiederum herrschafftliche Gefälle, onera publica, und dergleichen, als auch die Summa derer Angelaufenen Zinsen, mit eines gestehen und entrichten solten, würde es einen Weg wie den andern zum Concurs Unserer Gühter jedoch loßgehen", schrieben die Einwohner der Vogteien Rodenkirchen und Golzwarden im Herbst 1718 besorgt an die Deichkommission.63 Wie sich zeigte, führte der Weg vieler hochverschuldeter Bauern unvermeidlich in den Konkurs. In Glückstadt verstreiche kein Sonntag, „an welchem nicht Proclamata einiger zum Concurs kommenden Personen halber 60 61 62 63

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 20, p. 9f. StA Old: Bstd. 26, 141. Gemeint ist sicher dilation = Aufschub, Frist. StA Old: Bstd. 26, 1264.

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gelesen werden", berichtete die Deichkommission am 23. April 1718 an den dänischen König.64 In Norderdithmarschen stieg die Schuldenlast der Marschkirchspiele in den Jahren nach der Weihnachtsflut zu einer solchen Höhe, daß „Concurse über Concurse ausbrachen". 65 Im Oktober 1720 teilte die Deichkommission der dänischen Regierung mit, in Norderdithmarschen seien in letzter Zeit 314 Konkurse zu verzeichnen. Das bedeutete, 314 Familien mußten ihren Besitz aufgeben und ihre Höfe verlassen.66 Diese vielen Konkurse waren nicht allein auf die durch die Sturmflut an Haus und Hof verursachten Schäden und Verluste zurückzuführen, sondern neben der Viehseuche auch eine Folge der außerordentlich hohen Belastung durch öffentliche Abgaben. Schon seit 1710 war jährlich eine außerordentliche Pflugsteuer ausgeschrieben und die gewöhnliche monatliche Pflugsteuer gleichzeitig in mehreren Jahren bedeutend erhöht worden. Die Kopfsteuer stieg 1717 zu einer solchen Höhe, daß in der ersten Klasse 100 Reichstaler für den Mann, 60 Reichstaler für die Frau und 35 Reichstaler für jedes Kind zu entrichten waren; in der letzten Klasse betrug die Steuer noch 24 Reichstaler für den Mann, 18 Reichstaler für die Frau und 8 Reichstaler für jedes Kind. Ärzte und Advokaten mußten 12 Reichstaler für sich, 12 für ihre Frau, 6 für jedes Kind und 1 für jeden Dienstboten zahlen. Sogar Küster und Krüger auf dem Land hatten einen Reichstaler zu entrichten.67 Außerdem stieg die Kirchspielsanlage wegen der enormen Verschuldung der Kirchspiele ständig, weil sie an den jährlich fälligen Schuldzinsen orientiert war. Das Kirchspiel Wesselburen, das 1717 und 1720 unter schweren Deichbrüchen zu leiden hatte, war beispielsweise im Jahr 1722 mit einer Schuld in Höhe von 237.383 Reichstalern belastet mit jährlichen Zinsen von etwa 12.500 Reichstalern.68 Diese hohe Verschuldung war nicht allein auf die durch die Sturmfluten verursachten Kosten zurückzuführen, sondern vor allem auch eine Folge des Nordischen Krieges, der Brandschatzungen wie auch extreme Abgaben von der Landschaft forderte. Die durch die Auswirkungen der Weihnachtsflut sich drastisch verschlechternde wirtschaftliche Situation ließ aber keinen Abbau der Schuldenlast zu, sondern machte eine weitere Verschuldung notwendig und verschärfte somit noch die wirtschaftliche Krise. Weil in den ersten Jahren nach der Weihnachtsflut die Kirchspielsanlage wegen der „Unvermögenheit" der Eingesessenen auch nicht in der sonst üblichen Größenordnung eingefordert werden konnte und die Restantensumme noch immer weiter stieg, war das Kirchspiel nun seinerseits gezwungen, zur Bestreitung seiner 64 65

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RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Hanssen/Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen, S. 376; vgl. für Butjadingen Stöver, Die wirtschaftl. Entwicklung, S. 29f. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Hanssen/Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen, S. 375; Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 313. Steinborn, Abgaben und Dienste, S. 81.

Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen

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Ausgaben neue Kredite aufzunehmen. 69 Als in Wesselburen am 6. August 1736 auch noch ein großes Feuer ausbrach, durch das 98 Häuser und 34 Scheunen sowie die Kirche in Asche gelegt wurden, und schließlich 1758 bis 1762 erneut Sturmfluten, Mißernten und Viehseuchen auftraten, blieb eine weitere, noch höhere Verschuldung des Fleckens unausweichlich.70 Im Jahre 1768 erreichte die Schuldenlast des Kirchspiels die exorbitante Höhe von 412.000 Reichstalern.71 Da die einzelnen Hofbesitzer des Kirchspiels durch die jährliche Kirchspielsanlage an der Zahlung der Zinsen sowie an der Tilgung dieser Schuld beteiligt wurden, waren weitere Konkurse der schon hochverschuldeten Höfe unvermeidbar. 72 Nicht nur einzelne Kirchspiele, sondern auch ganze Landschaften litten seit der zweiten Dekade des 18. Jahrhunderts unter der hohen Verschuldung. Auf Anordnung der Deichkommission - bei Zuwiderhandlung drohte eine Strafe von 4.000 Reichstalern - mußten die Pfennigmeister und Ratleute der Landschaften Eiderstedt und Süderdithmarschen Anfang Dezember 1718 ein Verzeichnis aller auf der Landschaft haftenden „Commun = Schulden" anfertigen. Nach der Designatio des Pfennigmeisters Thomas Rasch betrug die Summe der Schulden im Osterteil Eiderstedts 337.405 Reichstaler. Wie die Aufstellung des Pfennigmeisters Johann Jacob Schipper zeigt, beliefen sich die Schulden im Westerteil auf 256.976 Reichstaler. Die Schulden Eiderstedts hatten Ende 1718 also insgesamt die Höhe von 594.381 Reichstalern erreicht. Die Schulden Süderdithmarschens betrugen zur gleichen Zeit nach der Aufstellung des Pfennigmeisters Peter Brehmer 420.365 Reichstaler; in dieser Summe waren auch die Kredite enthalten, die zur Bezahlung der schwedischen Brandschatzungen aufgenommen werden mußten. Ein großer Teil der in den einzelnen Landschaften aufgenommenen Gelder waren zur Bezahlung der Landes- und der Donativschulden verwandt worden. 73 Die Landschaft Norderdithmarschen war schon auf dem Kieler Umschlag des Jahres 1718, der etwa zwei Wochen nach der Weihnachtsflut stattfand, nicht mehr in der " RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Specificatio von allen in denen Kirchspielen der Landschafft Norder = Dittmarschen.. .verhandenen Restanten. 70 Bolten, Ditmarsische Geschichte, 4, S. 356. Steinborn läßt in seiner Abhandlung den großen Brand in Wesselburen unerwähnt. 71 Steinborn, Abgaben und Dienste, S. 81. 72 Steinborn, Abgaben und Dienste, S. 84. 73 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24; vgl. Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 314: Eiderstedt mußte im Jahr 1734 und 1755 jährlich 36.000 Reichstaler Zinsen zahlen. Das Land geriet „in schwere Restanten, welche wol schwerlich, so lange Menschen leben, dürften völlig bezahlet werden." Die schleswig-holsteinischen Westküstenlandschaften waren noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hoch verschuldet und mußten nach der Sturmflut von 1825 erneut Kredite aufnehmen, um die Deichschäden zu beseitigen. Siehe M. Jessen-Klingenberg, Eiderstedt 1713-1864 (Landschaft und Landesherrschaft in königlich-absolutistischer Zeit), S. 148ff.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

Lage, die Zinsen für ihre Schulden aufzubringen. 74 Es ist also festzustellen, daß die schleswig-holsteinischen Marschlandschaften schon mit einer hohen Verschuldung in die kritischen Jahre nach der Weihnachtsflut hineinkamen und daß dann, als zur Wiederherstellung der Deiche neue Kredite notwendig wurden, die Verschuldung solche Ausmaße erreichte, daß die Belastungen die Marschlandschaften und ihre Einwohner Jahrzehnte drückten. Richter und Advokaten und alle anderen Personen, die zu den Gerichten gehörten, hätten in den Jahren der wirtschaftlichen Krise nach der Weihnachtsflut über die Maßen viel zu tun bekommen; daher habe ihre Anzahl in dieser Zeit auch sehr zugenommen, schreibt Albert Brahms aus der Herrschaft Jever; Pfändungen, Verkäufe und Versteigerungen seien „unzählbar" gewesen; jede dritte oder vierte Hofstelle habe öffentlich versteigert werden müssen.75 Die Gläubiger, die das Geld jetzt oftmals selbst dringend benötigten, drängten die Debitoren zur Bezahlung der Schulden. Die meisten Schuldner besaßen jedoch kein Geld, wollten und konnten, um die Gläubiger zu befriedigen, auch nicht ihre letzten aus der Flut geretteten Güter verkaufen, weil sie dadurch den Wiederaufbau und die Wiederinbetriebnahme ihrer Bauernhöfe noch zusätzlich gefährdeten. Die meisten Gläubiger waren von sich aus aber nicht gewillt, ihre Forderungen zurückzustellen, und beantragten deshalb bei den zuständigen Behörden Pfändungen und Versteigerungen, damals Vergantungen genannt. 76 Bei einem Einwohner aus Esenshamm wurde wegen einer Schuld von nur etwa 50 Reichstalern die Hofstelle zur Vergantung gebracht.77 Es kam auch vor, daß ein Landbesitzer mehr Forderungen als Schulden ausstehen hatte und sein Besitz dennoch wegen Zahlungsunfähigkeit versteigert wurde.78 Weil der Preis des Landes in den Jahren nach der Weihnachtsflut stark gefallen war, reichte die durch die Versteigerung erzielte Summe allerdings oft nicht aus, um alle Forderungen der Gläubiger zu befriedigen. 79 Einwohner der Marschgebiete wandten sich immer wieder an ihre Regierungen mit der Bitte, vor ihren Gläubigern geschützt zu werden. Der Hausmann Albert Kamien aus Strückhausen schrieb beispielsweise am 8. Septem74

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Umständl. Hist. Nachricht, S. 32; vgl. Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 335f und Witt, Privilegien, S. 46f. Oldenburgische Blätter, Nr. 18, 1825, S. 141. Hansen/Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen, S. 376; Culemann, Denkmahl, 1728, T. 2, § 29, S. 28f; vgl. Norden, Bevölkerung, S. 268. StA Old: Bstd. 26, 1264. Es kam vor, daß ein mit 20.000 Reichstaler Kapital bemittelter Bauer keine 80 Reichstaler aufbringen konnte, „sondern darauf Vergantung erleiden müßen", schrieb der Oberlanddrost von Sehestedt und der Kammerrat Klug am 29.10.1719 an die Deichkommission (StA Old: Bstd. 26, 511). Vgl. auch Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 133. Ohling, Die Geschichte einer Landschuld, in „Ostfriesland im Schutze des Deiches", Bd. 2, S. 170. A. Brahms, Nachrichten, in: Oldenburgische Blätter, Nr. 18, 1825, S. 141.

Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen

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ber 1718 an die Deichkommission, er sei keine Stunde vor seinen Kreditoren sicher, die ihre Forderungen sehr hart eintrieben und schon sein einziges Pferd pfänden ließen. Da er in der Flut alles andere Vieh verloren habe und auf seinem 60 Jück großen Besitz in diesem Jahr auch nichts habe ernten können, sei er auf eine vierjährige Stundung seiner Rückzahlung angewiesen.80 In einem Schreiben an die Landesherrschaft klagten die Bauern des oldenburgischen Kirchspiels Blexen, daß die Gläubiger trotz der elenden Zeit die Bezahlung der Zinsen und die Tilgung der Schulden anstrengten. Die Bauern baten darum, die Bezahlung der Schulden, die noch aus der Zeit vor der Weihnachtsflut stammten, aufschieben zu dürfen, bis sie sich wieder emporgearbeitet hätten. Auch sollte die Bezahlung der Zinsen für einige Jahre erlassen werden.81 Als die Deichkommission feststellen mußte, daß Einwohner aus der Grafschaft Oldenburg mit ihrem wenigen Vieh und einigen Hausgeräten fortzogen, damit ihnen solches wegen ihrer Privatschulden nicht gepfändet würde, ließ sie am 3. September 1718 in den Marschkirchspielen eine Verfügung publizieren, die alle gerichtlichen Exekutionen, Pfändungen und Vergantungen in jenen Kirchspielen, „die der Gefahr noch unterworffen oder mit schweren Teich = Braaken und Siehl = Arbeith bishero und fernerhin belästiget seyn", verbot. Ausgenommen davon wurden nur die „wohlvermögenden und unwilligen Debitores" wie auch die Zinsen und Heuergelder an Kirchen, Armenhäuser und Schulen.82 Dadurch waren viele Schuldner zunächst vor ihren Gläubigern geschützt. Es konnte auch nicht im Interesse der Regierung sein, daß die Einwohner aus Angst vor ihren Gläubigern wegzogen und sie somit nicht mehr zur dringenden Deicharbeit herangezogen werden konnten. Anfang Dezember wies die Deichkommission den oldenburgischen Oberlanddrost von Sehestedt nochmals darauf hin, daß die Debitores „zur veranstalteten künftigen Jahrs Teich Arbeith und rettung des Landes, ohne Noth nicht gantz entkräfftet und incapable gemachet werden" sollten.83 Schon zwei Wochen vorher hatte die Deichkommission ferner angeordnet, den Marschbewohnern wegen ihrer Privatschulden keine Pferde mehr zu pfänden, da sie 80

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StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Strückhausen. Auch Johann Beck aus Strückhausen bat zum Beispiel am 21. Oktober 1718 die Deichkommission, die Rückzahlung seiner Schulden möge für einige Jahre gestundet werden. Ebenda. StA Old: Bstd. 26, 1264. StA Old: Bstd. 26, 511; Bstd. 26, 1263: Deichkommission an den dänischen König, 4.9.1718; vgl. Bstd. 26, 1263: Neve und Weyse an Deichkommission, Kopenhagen 6.12.1718; Rüthning, Oldenburigsche Geschichte, II, S. 124. Schon am 21.6.1718 hatte der oldenburgische Amtsvogt Röhmer der dänischen Regierung vorgeschlagen, allen Debitoren der Marschländer einen befristeten Aufschub ihrer Zahlungen für Zinsen und Tilgung einzuräumen. RAK: T.K.I.A. B 70: Relationer fra Regeringen i Oldenburg 1708-1719. StA Old: Bstd. 26, 511: Schreiben vom 7.12.1718..

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zur Deicharbeit benötigt würden. Die Personen, die den Marschbewohnern Saat- und Brotkorn auf Kredit gegeben hatten, sollten ferner vor anderen Gläubigern ihr Geld wiederbekommen. 84 Auch gewährte die Deichkommission einzelnen Schuldnern eine Frist, in der sie weder Zinsen noch Tilgung an ihre Gläubiger zu zahlen brauchten. 85 Am 7. November 1720 wurde schließlich allen Einwohnern von Butjadingen eine Stundung ihrer Zins- und Tilgungszahlungen für Privatschulden bis 1722 gestattet und den Einwohnern des Stadlandes bis 1721.86 Für die Landschaft Norderdithmarschen, die schon auf dem Kieler Umschlag im Januar 1718 die Zinsen für die Schulden nicht mehr hatte aufbringen können, gab der dänische König am 15. August 1718 bekannt, daß alle dortigen Gläubiger mit der Landschaft ein Jahr in Geduld stehen sollten.87 Das gesamte Kreditwesen der Marschgegenden geriet durch die Zahlungsunfähigkeit der Schuldner sowie durch die herrschaftlichen Eingriffe in Unordnung. Selbst die letzten Geldgeber könnten sich noch aus der Marschgegend zurückziehen, befürchtete das Landgericht in Ovelgönne, wenn sie nicht besser gegen ihre Schuldner geschützt würden. 88 Tatsächlich wurde bald überall bemängelt, daß im Lande der Kredit fehle und auch von auswärts kaum Kredit zu bekommen sei.89 Es bestehe, wie der Pastor Coldewey aus Golzwarden feststellte, ein ungemeiner Mangel an Geld, weil die Ausgaben groß und viel seien, die Einnahmen aber ganz und gar zurückblieben.90 Geldgeber fand man jedoch kaum. Der Hamburger Geldverleiher Aron Fürst wies die Interessenten des Hedwigenkoogs in Norderdithmarschen darauf hin, daß sie niemanden finden könnten, der ihnen einen Taler vorschießen würde.91 Die Kreditwürdigkeit der durch die Sturmflut so arg in Bedrängnis geratenen Marschbewohner war dahin; die Hypotheken hatten ihren Wert verloren. Wer in diesen Jahren Kredit haben wollte, mußte schon gute Bürgen und Sicherheiten vorweisen können. Das zeigte sich auch, als Kirchspiele, Deich-

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StA Old: Bstd. 26, 511. So zum Beispiel im Fall der Witwe von Andreas Lambsen. StA Old: Bstd. 26, 511. 86 Tenge, Der Butjadinger Deichband, S. 147. 87 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. 88 Norden, Bevölkerung, S. 269. 89 StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Strückhausen vom Sept.1718 und Schreiben der Einwohner des Landes Würden an die Deichkommission, 8.10.1718; StA Old: Bstd. 26, 511: Oberlanddrost von Sehestedt und Kammerrat Klug an Deichkommission, 29.10.1719; StA Old: Bstd. 26, 1263: Ringelmann an die Deichkommission, Oldenburg 23.9.1718: Es sei kein Kredit im Land; RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an den dänischen König, Wilster 24.5.1718: Die Süderdithmarscher fänden nur wenig Kredit; A. Brahms, Nachrichten, in: Oldenburgische Blätter, Nr. 17, 1825, S. 136; Culemann, Denckmahl, 1728, T. 2, § 29, S. 118. 90 StA Old: Bstd. 26, 1263. " Eckermann, Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen, S. 55. 85

Schulden, Konkurse, Pfändungen, Versteigerungen

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achten und selbst ganze Länder wie Ostfriesland sich um auswärtige Kredite zur Wiederherstellung ihrer Deiche bemühten. 92

7.4. Restanten, Remissionen, Exekutionen Schwierige wirtschaftliche Zeiten schlugen sich immer sofort in der Zahlungsmoral der Einwohner gegenüber dem Fiskus nieder. Die Einwohner versuchten, ihre durch wirtschaftliche Depressionen hervorgerufenen Einkommenseinbußen, die bei vielen Steuerpflichtigen oftmals zu ernsthaften Subsistenzkrisen führten, zunächst durch eine Verschuldung bei ihrer Herrschaft aufzufangen. Folglich waren in solchen Zeiten Steuerrückstände die Regel. Auch in der durch die Viehseuche, den Mäusefraß und vor allem die Weihnachtsflut verursachten Krisenzeit des 18. Jahrhunderts summierten sich in allen Nordseeküstenlandschaften die Restanten an herrschaftlichen Abgaben.93 Die Kirchspiele Norderdithmarschens, die auch noch unter den Auswirkungen des Nordischen Krieges zu leiden hatten, standen für die Jahre 1713 bis 1720 mit Restanten in Höhe von 73.594 Reichstalern zu Buch. In diesen Restanten waren die Rückstände an Contribution wie auch an Landschafts- und Kirchspielsanlagen enthalten. Die höchsten Restanten hatten das Kirchspiel Lunden mit 16.215, das Kirchspiel Wesselburen mit 12.534 und das Kirchspiel Neuenkirchen mit 9.243 Reichstalern.94 Nach der Sturmflut vom 31. Dezember 1720 verschlechterte sich die Lage in Dithmarschen noch mehr, so daß auch die Summe der Restanten weiter stieg. In anderen Marschgebieten sah es nach der Weihnachtsflut von 1717 nicht anders aus. Die Restanten der Landschaft Eiderstedt an Zoll-, Heu-, Vieh- und Landgeld sowie an Kontribution betrugen für die Zeit von 1714 bis 1718 42.015 Reichstaler.95 In der Grafschaft Oldenburg stellte die Deichkommission bei ihrer Überprüfung des oldenburgischen Finanzwesens Ende 1718 über 100.000 Reichstaler Restanten fest, die zum Teil noch aus den Jahren vor 1717 stammten.96 In den oldenburgischen Marschkirchspielen stiegen die Restanten in den folgenden Jahren weiter kräftig an. In der Vogtei Stollhamm war die Summe der Restanten an herrschaftlichen Steuern Ende 1722 auf 15.291 Reichstaler aufgelaufen. In der bedeutend kleineren Vogtei Eckwarden betrug die Summe der Restanten zur gleichen Zeit immerhin noch 4.030 Reichstaler.97 Eine ähnliche Lage auch in Ostfriesland, wo auf den meisten Land92 93 94 95

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Siehe dazu das Kapitel über die „Deichbaufinanzierung". Vgl. A. Brahms, Nachrichten, in: Oldenburgische Blätter; Nr. 17, 1825, S. 136. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt Nr. 457, Protokolle der Landesversammlung, 3.2.1719. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 124. StA Old: Bstd. 26, 141.

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tagen der Jahre 1718, 1719 und 1720 das Restantenproblem im Vordergrund stand.' 8 Schon auf dem ersten Landtag nach der Weihnachtsflut am 5. April 1718 wiesen die Akzisepächter darauf hin, sie könnten von den verarmten Einwohnern die Restanten nicht eintreiben und sie seien bei dem elenden Zustand des Landes auch nicht mehr imstande, ihr Pachtquantum einzuliefern." Nach der Weihnachtsflut von 1717 stellten reihenweise Kirchspiele wie auch Landschaften bei ihren Regierungen Anträge auf Steuererlaß oder -Stundung.100 Auch viele Einzelpersonen wandten sich mit der Bitte um Steuerbefreiung oder -minderung an die Regierung. Die Einwohner der Wilstermarsch in Holstein baten schon am 7. Januar 1718, fürs erste von der gewöhnlichen Contribution und von den Herrengeldern befreit zu werden.101 Am gleichen Tag stellten auch die Hauptleute der benachbarten Krempermarsch den Antrag, die monatliche Contribution auf drei Reichstaler ä Pflug zu senken und sie mit anderen extraordinären Abgaben zu verschonen.102 Schon am 3. Januar 1718 hatten die Eiderstedter den König gebeten, sie für sechs Jahre von allen Kontributionen und Landgeldern zu befreien.103 Zwischen den Partizipanten der Insel Nordstrand und der dänischen Regierung kam es zu jahrelangem Streit, ob ihnen wegen des notwendig gewordenen Neubaus der durch die Sturmfluten von 1717 und 1718 zerstörten Deiche gemäß § 9 des Oktroi von 1652 eine 14jährige Befreiung vom Landgeld zugestanden werden müsse.104 Das Gesuch der Partizipanten wurde schließlich am 18. Januar 1723 abschlägig beschieden, weil die Regierung sich auf den Standpunkt stellte, es handele sich nicht um eine Eindeichung, auf die der § 9 98

Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 122. " Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 31. Der Amtmann Jan Volrad Kettler aus Berum hatte den ostfriesischen Fürsten bereits am 29.12.1717 darauf hingewiesen, daß es „wegen des großen Geldmangels" ganz unsicher sei, wieviele Restanten noch einkommen würden. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, p. 3. 100 Vgl. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 155; Scherder, Chronik des Landes Hadeln, S. 448. 101 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Designation der aus dem Herzogthum Hollstein, Königl. Antheils.. .eingekommenen Memorialien und Briefen. Siehe auch Schreiben der Hauptleute der Wilstermarsch vom 22.2.1718; ebenda. 102 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: ebenda. 103 KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt Nr. 457: Protokolle der Landesversammlung, 3.1.1718. 104 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Nach der großen Sturmflut von 1634 waren nach langen Bemühungen schließlich einige Niederländer gefunden worden, die sich bereit erklärten, die Insel Nordstrand, welche nur noch ein Viertel Altnordstrands ausmachte, wiederzubedeichen. In einem Vertrag zwischen dem Herzog Friedrich III. von Gottorf und den niederländischen Partizipanten, dem sogenannten Oktroi von 1652, wurden den neuen Besitzern der Insel weitgehende Rechte eingeräumt. Nach § 9 dieses Oktroi sollten die Hauptpartizipianten nach jeder Eindeichung 14 Jahre Freiheit von Zoll und jeglichen Abgaben genießen. Siehe Karl Kuenz, Nordstrand nach 1634, S. 24ff.

Restanten, Remissionen, Exekutionen

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allein ziele, sondern um die Wiederherstellung schon bestehender Deiche.105 Wie in den Herzogtümern, so versuchten auch in den anderen Küstenländern die von den Überschwemmungen betroffenen Einwohner mit großem Nachdruck, oftmals durch wiederholte Gesuche, Steuerbefreiungen zu erwirken. Manche baten von den oneribus publicis befreit zu werden, bis sich ihre Lage verbessert habe, wie die Eingesessenen zu Wulfsdorf im Herzogtum Bremen.106 Andere, wie die Einwohner der Vogteien Rodenkirchen und Strückhausen in der Grafschaft Oldenburg, beantragten nicht nur eine Befreiung von der Steuer für die Jahre 1718 und 1719, sondern auch noch den Erlaß der Restanten des Jahres 1717.107 Die Regierungen sahen die Notlage ihrer Einwohner wohl und waren auch bereit, Steuern zu erlassen und zu stunden, wenn auch oft nicht in dem von den Einwohnern gewünschten Maße. Schon wenige Tage nach der Weihnachtsflut, am 29. Dezember 1717 stellte die Stader Regierung in einem Schreiben an die königliche Regierung zu Hannover fest, die Weihnachtsflut werde „höchstschädliche und facheuse influences und folgerungen in ansehung derer onerum publicorum" haben.108 Einen generellen Erlaß der Contribution für 1718 lehnten sowohl die Stader als auch die königliche Regierung in Hannover ab. Die Stader Regierung mußte jedoch auf königliche Anordnung prüfen, für wie lange und in welcher Höhe jedem Marschdistrikt „nach proportion des erlittenen Waßerschadens" die Contribution erlassen werden sollte. Nachdem sie sich in den einzelnen Marschgebieten des Herzogtums Bremen über die wirtschaftliche Lage der Einwohner erkundigt hatte, schlug sie vor, für das Jahr 1718 von den jährlich abzuführenden 180.000 Reichstalern an Contribution 35.563 Reichstaler zu remittieren. Sollte der König dem Land aber eine gewisse Remission versagen, „sehen Wir doch kein Mittel die seith des erlittenen Waßer Schadens auffgeschwollene, und rückständig gebliebene Contribution zu erlangen, oder auch durch die allerschärffste Execution heraußzubringen, und würde nichts anderes erfolgen als restanten mit restanten continue zu häuffen", warnte die Stader Regierung.109 Da die Kommission, welche zur Ermittlung der im Herzogtum Bremen entstandenen Sturmflutschäden eingesetzt worden war, einen weit geringeren Remissionsvorschlag als die Stader Regie105 106

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Karff, Nordstrand, S. 3 Uff. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). Vgl. z.B. auch die Schreiben der Eingesessenen des Dorfes Rade im Kirchspiel Neuenkirchen (ebenda) oder der Kätner vom Lühedeich im Alten Land (StA Stade: Rep. 80 Wb, 184, Nr. 1, 16). StA Old: Bstd. 26, 1264. Vgl. auch Gesuche um Steuerbefreiung in StA Old: Bstd. 26, 1263. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). Am 31.12.1717 wiederholte die Stader Regierung ihre Befürchtung: „...so wird dieser unglückliche Vorfall eine äußerste Confusion in der currenten Contribution und anderen oneribus publicis nach sich ziehen". Ebenda. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 26-31: Schreiben der Stader Regierung an die Geheimen Räte zu Hannover, Stade 14.9.1718.

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rung machte und inzwischen auch der Sturm vom 10. Oktober erneut Schäden angerichtet hatte, beauftragte König Georg I. die Stader Regierung, eine weitere Untersuchung vorzunehmen und ein neues Verzeichnis der ihrer Meinung nach notwendigen Remissionen anzulegen.110 Die Stader Regierung unterbreitete daraufhin im Dezember 1718 den Vorschlag, dem Herzogtum Bremen für das Jahr 1718 insgesamt 42.516 Reichstaler Remission zu gewähren.111 Diese von der Stader Regierung vorgeschlagene Remission akzeptierte König Georg I. aber nicht, sondern er erließ den Marschdistrikten nur 30.000 Reichstaler an Contribution und verzichtete somit im Jahr 1718 auf ein Sechstel seiner Contributionseinnahmen. Außerdem stundete er dem Herzogtum Bremen die Differenz zwischen dem Vorschlag der Stader Regierung und seinem tatsächlichen Steuererlaß in Höhe von 12.516 noch für ein halbes Jahr.112 „Die beiden Quellen der Landschaftlichen Einnahme, die Accisepacht und die Schätzungen waren so sehr versieget, daß die Etatsmäßigen Ausgaben bei weitem nicht daraus bestritten werden konnten", berichtet Wiarda über Ostfriesland nach der Weihnachtsflut. 113 Die Erträge aus der halbjährlich verpachteten Akzise sanken nach der Weihnachtsflut rapide. Hatten die Akzisepächter zum Beispiel für die Emder Kluft, einen der fünf ostfriesischen Akzisedistrikte, im Jahre 1717 noch 11.400 ostfriesische Gulden pro Halbjahr geboten, so betrug dieser Betrag 1720 nur noch 6.900 und 1724 schließlich nur noch 5.850 ostfriesische Gulden. Jedoch kam tatsächlich in allen Jahren nach der Weihnachtsflut viel weniger Geld ein. 114 Auch bei den ordentlichen und außerordentlichen Schätzungen erlitt die ostfriesische Regierung in den Jahren nach der Flutkatastrophe große Einbußen; bei jedem Termin mußte ein großer Teil als restant verbucht werden.115 Den Interessenten der Niederemsischen Deichacht, die nach der Weihnachtsflut besonders hohe Deichbaukosten zu tragen hatten, wurde ein Drittel der landschaftlichen Schatzun-

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StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 44f: Georg I. an die Stader Regierung, Hamptoncourt, 21.10/1.9.1718. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 54. Der Remissionsvorschlag der Stader Regierung verteilte sich folgendermaßen auf die einzelnen Landesdistrikte: Das Alte Land 7.223 Rtlr 36 ß, Land Kehdingen, Bützflethischen Teils 8.677 Rtlr 24 ß, Land Kehdingen, Freiburgischen Teils 5.407 Rtlr 24 ß, Osterstade 5.023 Rtlr 36 ß, Amt Neuhaus 8.028 Rtlr, Kirchspiel Oberndorf 508 Rtlr, Horst und Großenwörden 1.035 Rtlr 10 ß, Gericht Neuenkirchen 386 Rtlr V/2 ß, Kirchspiel Osten 1.949 Rtlr 36 ß, Land Wursten 2.488 Rtlr 24 ß, Geestendorf und Wulfsdorf im Viehlande 341 Rtlr 2 ß, Amt Stotel 591 Rtlr 40 ß und Nesse, Hemm, Warstade, Basbeck, Hechthausen und Dieksende 855 Rtlr 31 ß. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 68f: Georg I. an die Stader Regierung, London 23.12.1718/3.1.1719. Ostfriesische Geschichte, 7, S. 31. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 156f. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 158.

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gen erlassen und zwar bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 116 Als Ausgleich für die seit der Sturmflut von 1717 erlittenen Einnahmeverluste forderte der Kanzler im Mai 1722 von den Ständen 160.000 Reichstaler ,117 In den Marschlandschaften der Herzogtümer Schleswig und Holstein verfuhr die dänische Regierung mit den Gesuchen um Remissionen unterschiedlich. Während der zum dänischen Anteil des Herzogtums Holstein gehörenden Landschaft Süderdithmarschen ziemliche Zugeständnisse gemacht wurden, mußte die zum gottorflschen Anteil gehörende, aber damals unter dänischer Sequestration stehende Landschaft Norderdithmarschen deutlich stärkere Lasten tragen." 8 Süderdithmarschen wurde für das Jahr 1718 von allen ordinären und extraordinären Contributionen, von der Kriegs- und Kopfsteuer, den Nahrungs- und Donativgeldern, Magazinkorn-, Licent-, Zoll-, Einquartierungs- und Herrengeldern sowie von allen anderen extraordinären Ausschreibungen befreit.119 Die der Landschaft Süderdithmarschen für 1718 erteilten Remissionen entsprachen der Summe von 102.514 Reichstalern. Den anderen Marschregionen der Herzogtümer wurden für 1718 Remissionen in Höhe von 166.888 Reichstalern zugestanden, wovon 50.954 Reichstaler für Norderdithmarschen gewährt wurden, 61.890 Reichstaler für Eiderstedt, 17.995 Reichstaler für das Amt und die Stadt Husum, für Friedrichstadt, Schwabstedt, Pellworm und Nordstrand, 18.661 für das Amt und die Stadt Tondern, die Tonderschen Köge und die Inseln Sylt und Föhr, 10.325 Reichstaler für die Landschaft Bredstedt, den Sterdebüller Koog und die Stiftsvogtei Bordelum und 7.063 Reichstaler für das Amt Steinburg nebst den Städten Krempe, Wilster und Glückstadt.120 Setzt man die für 1718 gewährten Remissionen in Höhe von 269.402 Reichstalern in Verhältnis zu den jährlichen Gesamteinnahmen des dänischen Königs aus den Herzogtümern von etwa 1.200.000 Reichstalern121, so kann man erst die Größenordnung der durch die Remissionen bedingten Steuereinbußen erfassen, die ca. 20% der Gesamteinnahme betrugen. Im nächsten Jahr, 1719, wurde den Marschen auf 116 1,7 118

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Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 77 Anm. a. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 127, 140. Die Landschaft Norderdithmarschen klagte gegenüber der Deichkommission, daß sie während der Sequestrationszeit weit mehr extraordinäre Abgaben zu tragen hatte als andere Ämter. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an dänischen König, Kiel 25.10.1720. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Anordnung des Königs Friedrich IV. vom 17.6.1718; Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Extrakt aus den Königl. Reskripten. UB Kiel: Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm, S. 797. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Recapitulatio der von der Königlichen Kommission erteilten Remissionen; G 23: Verzeichnis der noch von Ihr. Königl. Maytt. wegen der Inundation in den Marschen allergnädigst zu bewilligenden Remissionen pro 1718. Die Einnahmen aus den Herzogtümern betrugen im Jahr 1715 insgesamt 1.244.271 Reichstaler. Siehe Kellenbenz, Die Herzogtümer, S. 301.

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königliche Anordnung keine weitere Remission zugestanden, obwohl die Deichkommission dafür plädiert hatte, einigen Orten noch eine Steuermäßigung zu geben.122 Der Finanzbedarf des dänischen Königs war im Nordischen Krieg so groß, daß aus den Herzogtümern an Steuern und Abgaben herausgepreßt werden mußte, was nur irgend möglich war.123 In der unter dänischer Oberhoheit stehenden Grafschaft Oldenburg gab es für die Marschkirchspiele ebenfalls keine allgemeine Steuerbefreiung für das Jahr 1718. Um der sich in bedrängter Lage befindenden Grafschaft jedoch zu helfen, stellte der dänische König seine Einnahmen aus der Grafschaft Oldenburg - nach Abzug der Ausgaben für das Militär, aber inclusive der Restanten bis 1717 - als Vorschuß zum dortigen Deichbau zur Verfügung.124 Wenn es auch keinen allgemeinen Steuererlaß in Oldenburg gab, so bewilligte die Deichkommission doch in Einzelfällen Remissionen, wobei sie aber keineswegs generös verfuhr, sondern äußerst strenge Maßstäbe anwandte.125 Erst als der dänische König Friedrich IV. bei einem Besuch der oldenburgischen Marschen im Jahr 1724 die große Armut der Bevölkerung mit eigenen Augen sah, erließ er den Marschbewohnern die Kontribution eines Jahres.126 Einerseits mußten die Regierungen also vielen Einwohnern der Marschländer nach der Weihnachtsflut Steuererlaß zubilligen, weil deren wirtschaftliche Lage nichts anderes zuließ, und somit auf Einnahmen verzichten; andererseits aber mußte der zur Behebung der Sturmflutschäden notwendige Finanzbedarf in den Küstendistrikten gewährleistet werden, was letztlich auch auf eine höhere Belastung der Abgabepflichtigen, vor allem der noch solventen steuerpflichtigen Einwohner hinauslaufen mußte. Folglich wurden neben den Bemühungen um ausländische Kredite auch außerordentliche Steuern zur Finanzierung der Deichbauprojekte erhoben und in allen Ländern mit 122

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RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Schreiben an die königlichen Finanzdeputierten, Kopenhagen 4.1.1720. Die Deichkommission befürwortete für die Berechnung der Contribution in den Marschlandschaften eine Herabsetzung der Pflugzahl. In Süderdithmarschen sollte die Pflugzahl von 713'/2 auf 490'/2 herabgesetzt, was bei Berechnung von monatlich 4 Reichstaler pro Pflug eine Steuereinbuße von 10.704 Reichstaler an Contribution für das Jahr 1719 bedeutet hätte. Den Ämtern Husum und Schwabstedt sowie der Landschaft Pellworm sollten nach Vorschlag der Deichkommission im Jahr 1719 noch 8.328 Reichstaler an Remissionen für Contribution und Erdbuchsgefälle zugestanden werden. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Nach der Neujahrsflut 1720/1721 wurden allerdings die überschwemmten Marschlandschaften der Herzogtümer für das Jahr 1721 von allen ordentlichen und außerordentlichen Steuern befreit. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt Nr. 198: Anordnung Friedrichs IV. vom 14.3.1721. StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an Oberlanddrost von Sehestedt, Oldenburg 9.11.1718; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 129. Vgl. z.B. das Schreiben der Einwohner des Landes Würden an die Deichkommission, 8.10.1718. (StA Old: Bstd. 26, 1264). G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 209; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 137.

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äußerster Strenge die Restanten eingetrieben.127 Ohne Ansehen der Person sollten in Ostfriesland die Restanten beigebracht werden; jedoch sollte auch darauf geachtet werden, daß die Einwohner dadurch nicht an den Bettelstab kommen möchten, weil der Landeskasse damit auch nicht gedient wäre, wie es hieß.128 In der Grafschaft Oldenburg hatte die Deichkommission die Anordnung ergehen lassen, alle aus der Zeit vor der Sturmflut von 1717 restierenden Abgaben mit Nachdruck einzutreiben. Daraufhin gingen die Beamten mit äußerster Schärfe gegen die Steuerschuldner vor. Einwohner, die ihre Restanten nicht bezahlten, wurden mit militärischer Exekution belegt. Das hieß, es wurden zwei oder auch drei Soldaten bei ihnen im Haus einquartiert, für die sie täglich eine gewisse Summe bezahlen mußten, solange bis sie ihre Restanten bezahlt hatten oder auf höhere Weisung die militärische Exekution aufgehoben wurde. Viele der auf diese Weise bedrängten Einwohner wandten sich an die Deichkommission, um eine Aufhebung der militärischen Exekution zu bewirken, wie einige Einwohner der Vogtei Abbehausen, die zu den von der Sturmflut am schwersten betroffenen Einwohnern zählten.129 Der oldenburgische Amtsvogt Röhmer forderte die Einwohner seines Amtsbezirks auf, innerhalb von vier Tagen alle alten Restanten bei ihm zu bezahlen. Wer nicht zahlen konnte, dessen Vieh wurde gepfändet und versteigert. Dieses harte Vorgehen rief den Protest der Einwohner der beiden Vogteien Strückhausen und Hammelwarden hervor, die sich daraufhin ebenfalls an die Deichkommission wandten und um Befreiung von den Restanten oder zumindest um Zahlungsaufschub bis zu besseren Zeiten baten.130 Die Beschwerden der Einwohner blieben nicht ohne Wirkung und führten schließlich dazu, daß die Deichkommission im November 1718 allen Hebungsbeamten eine genaue Anweisung gab, wie sie bei der Eintreibung der Restanten zu verfahren hätten. Dabei sollte jetzt auch darauf geachtet werden, daß durch die Steuereintreibung die Leute nicht von Haus und Hof verjagt würden. Nach dieser Anweisung mußten die Hebungsbeamten die Restanten, die noch aus der Zeit vor der Weihnachtsflut stammten, abführen, wenn sie nicht beweisen konnten, daß der Steuerschuldner schon vor der Weihnachtsflut „unvermögend und insolvendo" gewesen war. War das der Fall, konnte ihm die Steuerschuld weiter gestundet werden. Bei der Eintreibung der Restanten sollten sie sich ferner bemühen, die Schuldner zunächst durch Güte und erst bei hartnäckiger Weigerung durch militärische Exekution zur Zahlung zu bewegen. Die offenkundig armen Einwohner sollten aber keine militärische Exekution erleiden, sondern ihnen sollte ein Zahlungsaufschub gegeben werden, wenn sie bereit waren, ihre Restanten beim Deichbau 127 128 129 130

Siehe dazu auch das Kapitel „Deichbaufinanzierung". StA Aurich: Dep. 1, 1432, fol. 123f: Landtagsprotokoll März 1720. StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben vom 2.11.1718. StA Old: Bstd, 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Strückhausen: Schreiben sämtl. Hausleute vom 18.10.1718.

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abzuarbeiten. Den Bauern, die noch Pferde übrig hatten, um damit die beim Deichbau gebräuchlichen Wüppen zu ziehen, sollten solche nicht gepfändet werden; auch sollte man ihnen nicht die beiden letzten zum Lebensunterhalt notwendigen Kühe wegnehmen. Wer glaubhaft erklären konnte, daß er die Restanten in zwei oder drei Monaten bezahlen werde, sollte bis dahin Zahlungsaufschub erhalten. Völlig abgeschrieben wurden die Restanten jener Ländereien, deren Eigentümer ertrunken, gestorben oder weggezogen waren und die somit wieder der Landesherrschaft anheimfielen. Für die Einwohner, die in der Sturmflut allen Besitz verloren und von ihren Ländereien 1718 keinen Nutzen hatten, sollte, wie es hieß, „desfalls weitere Vorsorge getragen werden". 131 Trotz dieser Anordnung der Deichkommission machte sich im Lande weiter Unzufriedenheit über die Eintreibungspraxis breit. Auch der Deichgraf Johann Rudolf von Münnich sah die Mißstände und fühlte sich deshalb verpflichtet, der Deichkommission seine Ansichten darüber mitzuteilen. In seinem im Februar 1719 verfaßten Gutachten („Sentiment über die gegenwärtige Eintreibung der Herrschaftlichen Gefälle durch Execution und Verkauffung des Viehes der Untertanen") stellte er fest, daß durch die Eintreibung der herrschaftlichen Gelder, besonders durch die Versteigerung des Viehs eine große Anzahl wüster Hofstellen entstehe, was dann für mehrere Jahre Ausfall der herrschaftlichen Abgaben bedeute. „Dann wann der Haußmann keine Pferde noch Kühe hat, so kan er den Acker nicht bauen, keine Käse noch Butter machen, auch kein jung Viehe auffziehen, folglich lieget das Land wüste, die mit großen Kosten hergestellte Teiche werden in Entstehung neuer Schaden und inundation nicht repariret, und die Herrschaft bekommt ihre Revenuen nicht." Die Beamten müßten wissen, welcher Einwohner seine Schuld abtragen könne und wer nicht. Man dürfe aber nicht alle Dörfer und Vogteien gleichsetzen. Alle Einwohner, die ihre Restanten „ohne Verlust ihres Landbeschlages" bezahlen könnten, müßten diese bezahlen. Bei den anderen müsse man so lange warten, bis sie die Restanten bar bezahlen oder mit Deicharbeit abverdienen könnten. Nicht darunter gehörten jedoch diejenigen, die in den bedeichten Marschen „Schulden halber" Schulden nicht bezahlen könnten. In diesen Fällen müsse der Besitz versteigert werden.132 Ob die Deichkommission sich in ihrem Vorgehen gegen die Steuerschuldner an diese Kriterien gehalten hat, ist ungewiß. Als die Einwohner der vier Marschvogteien sich im Dezember 1720 darüber beschwerten, daß sie alle wegen ihrer Restanten mit militärischer Exekution belegt würden, wies die Deichkommission darauf hin, daß die militärische Exekution nur bei den vermögenden, noch zahlungsfähigen Einwohnern verhängt werden dürfe, die

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StA Old: Bstd. 26, 511: Anordnung vom 8.11.1718. StA Old: Bstd. 26, 141.

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verarmten Einwohner aber zu verschonen seien.133 Andererseits war die Deichkommission im Jahre 1720 aber auch nicht mehr gewillt, den hoch verschuldeten Bauern ihre Steuerrückstände zu erlassen oder diese noch für einige Jahre zu stunden. Vielmehr schlug der oldenburgische Kammerrat Klug im Februar 1720 vor, jene Hofstellen versteigern zu lassen, deren Besitzer seit zwei Jahren keine herrschaftlichen Steuern mehr bezahlt hatten. Der Oberlanddrost von Sehestedt stellte daraufhin in einem Schreiben an Klug die Frage, „ob ein Besitzer, der allerhand schwere Landes Calamität überstanden und zu Wieder Befaßung der Teich = Bande das seine redlich bey getragen hat, ohne einige Gnade oder Milterung itzo von Hauß und Hoff zu verjagen, im gleichen ob auf solche Stelle ein ander vermögsahmer Hauß Vater wieder zuerhalten möglich sey" und „ob gute Haushalter und ehemalige Bezahler in diesen Zeiten, weil sie durch Gottes Hand gezwungen sind eine Zeithero solches zu unterlaßen wegen einiger wenig Restanten von 2en schlechten Jahren her mit Fug und Billigkeit zur Vergantung gebracht werden können". 134 Wenn man die Leute vom Hof jage, bringe man nur lauter Armut zuwege, betonte der Oberlanddrost von Sehestedt, der für die bedrängten Einwohner in der oldenburgischen Marsch viel Verständnis zeigte. Die Deichkommission scheint diesen Bedenken des Oberlanddrosten jedoch nicht gefolgt zu sein. Am 6. Mai 1720 wurden allein in der Vogtei Abbehausen wegen darauf haftender Restanten 48 Hofstellen mitsamt Land meistbietend verheuert.135 Auch in den folgenden Jahren war die Restantensumme in der Grafschaft Oldenburg immer ziemlich hoch. 1723 wurde schließlich wieder eine Kommission, bestehend aus Konferenzrat Weise, Michaelsen und C. R. Gude, nach Oldenburg gesandt, um die Quittungsbücher zu überprüfen und die Steuerrückstände mit militärischer Exekution einzutreiben.136 In den Herzogtümern Schleswig und Holstein wurden die Restanten ebenfalls mit großer Härte eingetrieben. „An schweren landesverderblichen Executionen", die vor allem durch den Justizrat von Lohendahl veranlaßt wurden, hat es in den Marschen nicht gefehlt. Lohendahl war der Ansicht, wie die Deichkommission feststellte, „daß durch Execution alles zu erpreßen wäre".137 Demnach ist es nicht verwunderlich, wenn der Rodenäser Pastor Peter Clasen aus dem Amt Tondern die damalige Art der militärischen Exekution für zu hart und für ganz unerträglich hielt. Clasen führte in einem Schreiben an seinen Amtmann auch ein Beispiel an, wie die Exekutoren mit einer armen Frau seiner Gemeinde verfahren waren. Da sie kein Geld besaß und folglich auch nichts bezahlen konnte, nahmen ihr die Exekutoren ihr 133 134 135 136 137

StA Old: Bstd. 26, 1264: Schreiben vom 25.12.1720. StA Old: Bstd. 26, 511: Schreiben vom 5.3.1720. Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 133f. G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 209. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23; vgl. Rosien, Eiderstedter Chronik, S. 129.

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Bett und ihre übrige Habe weg. Nur den Stoff, den sie auf dem Webstuhl im Auftrag anderer Leute anfertigte, ließ man ihr und schnitt ihn auf ihre flehentliche Bitte hin nicht ab.138 Vermutlich war für den Amtmann Johann Georg von Holstein dieses Schreiben der Anlaß, den Landschreiber des Amtes Tondern zu beauftragen, über die armen Einwohner, die trotz Exekution ihre herrschaftlichen Gefälle nicht bezahlten, beglaubigte Atteste über ihre Lage von Pastor, Lehnsvogt oder Gevollmächtigten jeglichen Ortes einzuholen. Der Landschreiber forderte die Lehnsvögte und Gevollmächtigten der Wiedingharde, woher die meisten Klagen kamen, vor sich und bat sie, aus dem Restantenregister die ganz armen Steuerschuldner herauszuziehen. Sie weigerten sich jedoch, solches zu tun, weil sie befürchteten, daß unter den Leuten ein Aufruhr entstehe; denn ein jeder würde sich zu den Armen rechnen. Wie der Landschreiber erfuhr, klagten die Einwohner der Wiedingharde sehr darüber, daß die Exekutoren ihnen alles, was sie im Hause hätten, wegschleppten. Nach seiner Ansicht sollte die Exekution aufgehoben werden, da sie nichts mehr bewirkte. Diejenigen, die noch ein wenig Geld locker machen konnten, hatten bereits ihre Restanten bezahlt, von den anderen war aber nichts mehr zu erwarten.139 Noch im Jahre 1720 beklagten die Einwohner der Südervogtei Meldorf, daß sie mit vielen Abgaben belegt und durch militärische Exekution zu deren Zahlung gezwungen würden. Manchmal, wenn sie von der Arbeit an der Eddelaker Brake zurückkehrten, hätten die Soldaten ihnen inzwischen ihre Habseligkeiten aus dem Hause genommen.140 In Eiderstedt wurden 1720 auf obrigkeitliche Anordnung die mit Restanten behafteten Höfe zur Subhastation, also Zwangsversteigerung gebracht. Das beste Land war infolgedessen zu günstigen Preisen zu bekommen. 141 Habe man schon im Jahre 1717, also vor der Weihnachtsflut die Contribution nicht eintreiben können, „da niemand extraordinairen Schaden gelitten, und die völlige Ernte eingangen, wie will eß müglich seyn, daß man dehren jezo etwaß, daß der Mühe wehrt, eintreiben können", schrieben die Steuereintreiber der Kirchspiele Bützfleth, Assel und Drochtersen aus dem Land Kehdingen an die Stader Regierung.142 Wie sich zeigte, war es für die Beamten des Herzogtums Bremen nach der Weihnachtsflut eine schier unlösbare Aufgabe, die Einwohner zur Zahlung der Restanten zu bewegen. Es sei im Herzogtum Bremen schon seit vielen Jahren die schlimme Gewohnheit eingerissen, daß die Einwohner von ihrer Contribution nur sehr wenig gutwillig abführten, sondern alles auf die militärische Exekution ankommen ließen, 138

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RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Peter Clasen an den Amtmann Johann Georg von Holstein, Rodenäs 1.2.1719. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Landschreiber Clasen an Amtmann Johann Georg von Holstein, Tondern 17.2.1719. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Rosien, Eiderstedtische Chronik, S. 135. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 3.

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klagte die Stader Regierung im Dezember 1718. Die Einwohner bezahlten lieber einen Reichstaler Exekutionsgebühr als nur halb so viel an Contribution. Wenn sie nicht die Kavallerie einsetzen würden, könnten sie mit den „säumseeligen und muhtwilligen restantiers" nicht fertig werden. Denn mit Pfändungen könne man im Herzogtum Bremen nichts ausrichten, weil kein Einheimischer gepfändete Sachen, auch wenn sie für den halben Preis zu haben wären, kaufen würde, „sondern solches als etwas unzuläßiges, und als ob er dadurch sich eine Infamie zuzöge, ansiehet". 143 In der Weigerung der Einwohner, gepfändete Sachen zu kaufen - einem Verhalten, das aus den anderen Nordseeküstenländern nicht bekannt ist -, muß wohl ein kollektiver Protest gegen die Steuerpolitik der Landesherrschaft gesehen werden, der man auf diese Weise ein wichtiges Mittel zur Steuereintreibung nehmen wollte. Der königlichen Regierung in Hannover blieb nur, die Stader Regierung zu ermahnen, die Steuern ordnungsgemäß abzuführen. Diese wiederum ermahnte die Steuereintreiber, mit aller Härte und großem Fleiß gegen die Steuerschuldner vorzugehen; andernfalls würden sie ihres Amtes enthoben und bestraft. So wurde der Druck von oben nach unten weitergegeben. Zu leiden hatten schließlich die ohnehin schon bedrängten Einwohner, von denen „mit aller rigeur" die Steuerschulden eingetrieben wurden.

7.5. Deichbaufinanzierung „Wer solte sich solche Jammer Volle Zeiten vorgestellet haben, und wie wird das Land wieder im vorigen stände gebracht werden können", fragte sich der jeversche Amtmann Renemann, „heylsahme Rathschläge und Redliche Arbeit können viel dazu helffen, aber woher nehmen wir geldt zu den Küsten her, der Landmann ist mehrentheils ruiniret, und wird es auch wohl an Treue Arbeiter manquiren, der grundgütige Gott wolle sich aber des armen Ländchen erbarmen." 144 Die Frage, woher das Geld für die Wiederherstellung der Deiche genommen werden sollte, war in der Tat das zentrale Problem der Küstenländer nach der Weihnachtsflut von 1717. Weil viele einzelne Deichverbände, aber auch alle Deichverbände einer Landschaft gemeinsam nicht in der Lage waren, die zerstörten Deiche auf eigene Kosten wiederherzustellen, mußte vielerorts das Land bzw. die Landesregierung den notleidenden Deichverbänden bei der Finanzierung der riesigen Kosten helfen. 145 Die ein-

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StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 48f. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 5: Brief an Rentmeister Block, Marienhausen 30.12.1717 In vielen Landschaften der Nordseeküstenländer war das Land rechtlich verpflichtet, dem notleidenden Deichverband zu helfen; in anderen hatte sich diese Beihilfe des Landes inzwischen als ein Gewohnheitsrecht etabliert. Vgl. Siebert, Entwick-

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zelnen Regierungen versuchten auf verschiedene Weise, Geld für den Deichbau aufzutreiben. Zunächst waren die Landesherrschaften bestrebt, den Einnahmeausfall an Steuern, der durch die notwendige Erteilung von Remissionen entstand und der aufgrund der vielen wüsten und herrenlosen Hofstellen noch vergrößert wurde, dadurch zu verringern, daß sie mit großer Härte die Restanten eintrieben.146 Das geschah vor allem in der Grafschaft Oldenburg mit gewissem Erfolg, in Ostfriesland und im Herzogtum Bremen ziemlich erfolglos. Es zeigte sich aber bald, daß die Finanzkraft der Nordseeküstenländer und -landschaften allein nicht ausreichte, um die durch die Sturmflut zerstörten Deiche wiederherzustellen. So blieb den Deichverbänden und Regierungen nichts anderes übrig, als sich in anderen Ländern um Kredite zu bemühen. In Ostfriesland wurde schon auf dem ersten Landtag nach der Weihnachtsflut am 5. April 1718 beschlossen, auswärtige Geldanleihen für den Deichbau zu besorgen.147 Der ritterschaftliche Deputierte Heinrich Bernhard von dem Appelle sollte in Hannover Verhandlungen über einen Kredit aufnehmen. Im Juli und August 1718 brachte er in Hannover 100.300 Reichstaler ( = 270.810 fl. ostfr.) zusammen, die von Privatpersonen teils zu 5%, teils zu 6% verliehen wurden.148 Dieses Geld wurde noch 1718 für die Arbeit an den Deichen verwandt, jedoch ohne Nutzen, weil der Sturm vom 14. Dezember 1718 fast alle Deicharbeiten wieder zerstörte. Im Frühjahr 1719 wurden die Arbeiten an den ostfriesischen Deichen wieder aufgenommen und in der ersten Hälfte des Jahres auch gute Fortschritte gemacht. Unter der Leitung des Oberdeichgrafen Anton Günther von Münnich konnte am Sonnabend, dem 8. Juli 1719, der große Kolk bei Larrelt durch einen 121 Ruten langen Kaideich geschlossen werden. Diese provisorische Schließung des Larrelter Kolkes hatte 84.700 Reichstaler gekostet.149 Auch an den anderen Deichen der nieder- und oberemsischen Deichacht wurde in diesem Sommer fleißig gearbeitet.150 Am 5. und 6. Juli war auf der Versammlung der nieder- und oberemsischen Deichacht beschlossen worden, daß 9/u des wiederherzustellenden Deiches gegen bares Geld, die übrigen s/i4 aber von den Interessenten selbst gemacht werden sollten.151 Finanziert wurFortsetzung Fußnote von Seite 177 lung des Deichwesens, S. 158ff; Constabel, Das Deichrecht Süderdithmarschens, S. 51; Djuren, Das Deichrecht im Lande Wursten, S. 52f. 146 Siehe das Kapitel „Restanten, Remissionen, Exekutionen". 147 Auf diesem Landtag wurde außerdem beschlossen, daß diejenigen, die zur Reparatur der Deiche Geld verleihen wollten, vor allen anderen Gläubigern den Vorzug haben sollten, sowohl bei der Tilgung als auch bei den Zinsen. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 177; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 33. 148 Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 32. 149 Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 239. 150 Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 239; vgl. Wiarda, VII, S. 44. 151 Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 44.

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den die Deicharbeiten dieses Jahres hauptsächlich durch Geldanleihen aus Berlin (12.000 Rtlr. = 32.400 fl. ostfr.) und Braunschweig (31.000 Rtlr. = 81.245 fl. ostfr.).152 Außerdem wurden im Mai 1719 alle ostfriesischen Einwohner, die dazu in der Lage waren, aufgefordert, Obligationen von 25 Reichstalern zu 5% zum Deichbau zu zeichnen. Wider Erwarten fanden diese Obligationen jedoch wenig Zuspruch, weshalb die fürstliche Aufforderung am 2. Juli 1719 nochmals publiziert wurde. Jetzt durften statt Bargeld auch Silbergegenstände gegeben werden, für die 36 Stüber pro Lot berechnet wurden. Da die Resonanz nach der zweiten Aufforderung auch nicht viel größer wurde, stellte schließlich eine Kommission aus Vertretern der Regierung und der Stände im Herbst 1719 für jedes Amt eine Liste von Bürgern zusammen, die als vermögend genug angesehen wurden, eine Obligation von 25 Reichstalern für den Deichbau zu zeichnen, und auch zur Zahlung verpflichtet wurden. Nachdem nach den ersten beiden Aufforderungen freiwillig 62.167 fl. ostfr. zusammengekommen waren, wurden im November 1719 durch die Zahlungspflicht nochmals 62.842 fl. ostfr. eingenommen. 153 Im Juli 1719 wurde ferner auf dem Landtag eine außerordentliche Kopfsteuer für das ganze Land ausgeschrieben, die nach den Steuerregistern 61.813 fl. ostfr. erbringen sollte. 154 Tatsächlich sind jedoch nur 9.483 fl. ostfr. eingekommen. 155 Viele Einwohner waren durch die Sturmflut in solche Armut geraten, daß sie nicht mehr in der Lage waren, die Kopfschatzung zu bezahlen. 156 Das gute Wetter des Sommers 1719 begünstigte die Arbeiten an den Deichen ; jedoch war im August die Fortsetzung dieser Arbeiten gefährdet, da es 152 153

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Wiarda, VII, S. 41; Kappelhoff, S. 168. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 97; vgl. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 219f, 223; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 43; Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 29, 31, 39. Diese zwangsweise Eintreibung der Gelder erregte in Norden den Unwillen der Bürgerschaft. Siehe Kappelhoff, a.a.O., S. 29. Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 237f; Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 223ff; Freese, Ost-Frieß = und Harlingerland, S. 283; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 43f. Hofbediente, Prediger, Schulbediente, Arme, Soldaten und Kinder unter 12 Jahren waren von dieser Steuer befreit. Die übrigen Einwohner wurden nach Rang und Vermögen besteuert, z.B. mußten Mitglieder der immatrikulierten Ritterschaft 12, deren Frauen 6 und deren Kinder 3 Reichstaler bezahlen; Adlige, die nicht immatrikulierte Güter besaßen, wie auch Amtmänner 4, deren Frauen 2 und deren Kinder einen Reichstaler; Stadtsekretäre und wohlhabende Bürger 3, gemeine Handwerker 1, Heuerleute in der Marsch von 100 Grasen Land ( = 37 ha) und darüber 4, von 50 Grasen und darüber 2 Reichstaler und von 20 Grasen und darüber 18 Schillinge; Warfsleute 13 Schillinge und Tagelöhner 6 Schillinge und 15 Witten etc. StA Aurich: Dep. 1, 2061, fol. 82: Allgemeine Landschaftsrechnung. Georg Albrecht an die Landstände, Aurich 23.8.1719: „Wir haben zwar gehoffet, daß durch die eingewilligte Kopff = Schätzung und willigen Vorschuß so viel geld würde beygebracht werden als zu solchem Werck nöthig: der erfolg erweiset, daß man in solcher hoffnung fehlgeschlagen..." StA Aurich: Dep. 1, 1406, fol. 257. StA Aurich: Dep. 1, 1432, fol. 121f.: Landtagsprotokoll März 1720.

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wieder an Geld fehlte, um Deichbauunternehmer und Deicharbeiter zu bezahlen. Wurden aber die begonnenen Deichbauprojekte nicht bis zum Beginn der Herbststürme vollendet, so konnte alle bisher geleistete Arbeit umsonst gewesen sein. Eile war also geboten. Auf Vorschlag der Stände erließ Georg Albrecht deshalb am 29. August ein Edikt, das jeden Besitzer von 50 Grasen Land bei 50 Goldgulden Strafe aufforderte, einen Arbeiter sechs Tage lang kostenlos zum Deichbau in der nieder- oder oberemsischen Deichacht zu stellen. Dieses Aufgebot geschehe zur Rettung des Landes „aus höchst = dringender Noth", hieß es im Edikt.157 Außerdem bemühten sich die ostfriesischen Stände und der ostfriesische Fürst Georg Albrecht um erneute Anleihen in den Niederlanden und Hannover. 158 Beauftragte von Regierung und Landständen wurden ausgesandt, um in anderen Ländern rasch Verhandlungen aufzunehmen. Sämtliche Schreiben zwischen den Beauftragten und der Regierung wurden durch Eilboten befördert, um nur keine Zeit zu verlieren. Wie sich jedoch schon bald abzeichnete, sollten die Verhandlungen des Rechenmeisters Laubegois in den Niederlanden über einen Kredit von 300.000 Gulden erfolglos bleiben.159 Die Regierung wußte, daß es unmittelbare Folgen für die Deicharbeiten haben würde, wenn sich die Nachricht von dem Scheitern einer Anleihe in den Niederlanden erst einmal in Ostfriesland verbreiten würde. Denn Deichbauunternehmer und Deicharbeiter waren bei einer ungesicherten Finanzierung nicht mehr bereit, neue Aufträge zu übernehmen. Da der Oberdeichgraf Anton Günther von Münnich gerade neue Deichbauarbeiten vergeben wollte, hoffte er, „daß diese schlechte Zeitung noch nicht überall erschollen sey". Er wisse aber auch nicht, wie er die auf ihren Lohn drängenden Arbeiter bezahlen solle. Das Lamentieren der Arbeiter sei schon so groß, daß es zu „allerhand desordres" kommen könne.160 Die Zeit drängte also. Da eine Geldaufnahme in den Niederlanden zunächst fehlgeschlagen war, hofften Regierung und Stände nun auf einen Erfolg in Hannover. „Wir sowohl als alle andere, denen es umb die Rettung des Landes ein wahrer Ernst 157 158

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StA Aurich: Dep. 1, 1406, fol. 253. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 6: Konzept des Schreibens der fürstlichen Regierung an H. J. von Closter und A. H. Tammena, 11.8.1719. Die ostfriesische Regierung hatte schon länger auf einen Kredit in den Niederlanden gehofft. Der Vizekanzler Brenneysen schrieb schon am 24.2.1719 an Thomas Ernst Stuermann, den ostfriesischen Agenten im Haag: „Und weil einige damit umbgehen, von dem König in Preußen Geld zu negotiiren, wir aber und andere Wohlgesinnete solches gar nicht gerne sehen, so kan dieser Umbstand im Vertrauen, Wohlgesinneten insinuiret werden, das Werck dort desto mehr zu faciliren: denn Sie dort auch gar nicht gerne sehen werden, daß der König von Preußen die Hände noch mehr in unsere Sachen kriege. Und ich befürchte, wo wir anderwerts kein Geld kriegen, daß es geschehen mögte." (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 25, fol. 11). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 23: Schreiben des Regierungsrats Tammena an Brenneysen, Emden 15.8.1987

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ist, mit Schmertzen auff Nachricht von Hannover warten", schrieben der Präsident der ostfriesischen Landstände Haro Joachim von Closter und der Regierungsrat Ajold Heinrich Tammena an den Fürsten Georg Albrecht.161 In Hannover verhandelte der Regierungsrat Johann Peter Schleiff im Auftrag der ostfriesischen Stände über eine Anleihe.162 Um auch die Unterstützung der königlichen Regierung für eine Geldanleihe zu gewinnen, fuhr sogar der ostfriesische Fürst Georg Albrecht nach Hannover. Die Reise schien zunächst nicht vergeblich zu sein. Denn Georg I. erlaubte eine erneute Geldaufnahme in seinem Land bis zum Betrag von 200.000 Reichstalern und versprach auch den hannoverschen Geldgebern, ihnen zu helfen, wenn nötig „durch würckliche Execution", „daß Sie zu Ihrer Ihnen verschriebenen richtigen bezahlung an Zinsen, Capital, Schaden und Kosten, und also cum omni causa gelangen mögen".163 Doch die Garantie des Königs allein reichte den Geldgebern nicht. Da die ostfriesischen Stände für ihren ein Jahr zuvor in Hannover aufgenommenen Kredit die fälligen Zinsen noch nicht bezahlt hatten, wollten die Geldgeber jetzt noch zusätzliche Sicherheiten des Fürstentums Ostfriesland, die jedoch nicht geboten wurden.164 So scheiterten auch die Verhandlungen über eine Anleihe in Hannover. 165 Die Deicharbeiter seien „ganz niedergeschlagen" gewesen, als sie von den gescheiterten Verhandlungen in Hannover erfuhren, meldete der Regierungsrat Tammena dem ostfriesischen Fürsten.166 Wie konnte es aber weitergehen? Mußten die Deicharbeiten wegen Geldmangels abgebrochen werden? Der Oberdeichgraf von Münnich hatte dem Fürsten am 21. August 1719 einen Überschlag der noch anfallenden Kosten und der noch offenen Rechnungen gesandt und dabei einen Betrag von 174.644 Gulden errechnet.167 Es wurden also noch erhebliche Mittel für den Deichbau benötigt. Die Stände bemühten sich nun, andere Geldquellen zu erschließen. Sie wandten sich an die Juden Jonas und Levi Goldschmidt, Bankiers in Emden. Diese waren aber nur bereit, 3000 bis 5000 Gulden vorzuschießen.168 Mit die161 162 163

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 23. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 69: Vollmacht des Administratorenkollegiums für Schleiff vom 31.8.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 42 und 67: Schreiben Brenneysens an A. H. Tammena, Aurich 4.9.1719 und Kopie der Erklärung Georgs I. StA Aurich: Dep. 1, 1406, fol. 258. Die Hannoveraner Geldgeber wollten zur Sicherheit ein Amt in Ostfriesland überschrieben haben. Georg Albrecht schlug das Leerer Amt vor, verlangte aber, daß die Stände ihm zu seiner Sicherheit wiederum das Leerer Pachtcomtoir überschreiben sollten. Die Leerer protestierten gegen die Verschacherung ihres Amtes, und die Stände wollten das Pachtcomtoir nicht überschreiben. Siehe Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 41. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 73: Schreiben von Johann Zernemann an Georg I., Emden 5.9.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 63: Schreiben vom 8.9.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 567-571. Ebenda. Vgl. Lokers, Die Juden, S. 114; über die Goldschmidts bes. S. 108ff.

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sem Geld wurden die in Emden vorhandenen „unbändigen frembden Arbeiter" bezahlt, um einen Aufruhr zu verhindern.169 Noch offenstehende Rechnungen über Deichbaumaterialien wollten die Beamten „aus den mit aller rigueur einzutreibenden Schatzungsrestanten" bezahlen.170 Im Oktober 1719 wurde außerdem vom ostfriesischen Landtag beschlossen, eine außerordentliche Kapitalschatzung zu erheben, von der die am Deichbau tätigen 1.000 Arbeiter bezahlt werden sollten.171 Der Regierungsrat Tammena meinte jedoch, „daß die eingewilligte Mittel bey weitem so nicht werden beygetrieben werden können, als mann sich hoffnung dazu gemachet hat". 172 „Der Mangel aber zu fortsetzung der arbeit so woll als zu fernerer Abfindung der nohtleidenden arbeiter, solcher gestalt, groß ist, daß wenn kein frembd Geld bald kompt, kein auskommen abzusehen, sondern viel mehr an dem ist, daß, da von der Schätzung noch nichtes einkomt, die aus dem Vorschuß kommende erste Gelder auch denen Juden wegen vorhingedachter Abfindung der frembden Arbeiter angewiesen worden, solchen fals die arbeit in wenig Tagen wieder stille stehen wird."173 Dazu kam, daß bei den Deichbauunternehmern nicht mehr „der geringste glaube und vertrauen zu der Zahlung übrig" war.174 Die Folgen waren abzusehen. Der Deichbau konnte bis zum ersten Herbststurm nicht mehr fertiggestellt werden, trotz allen Bittens, Erinnerns und Ermahnens, wie der Oberdeichgraf von Münnich am 13. November 1719 klagte; er beschrieb dabei auch die von ihm vorher befürchteten und inzwischen eingetretenen Folgen: „Es ist leyder! an dem, daß dieses gute Land wieder vom Saltzen Waßer inundiret, und viele der, dis jähr gemachten Teicharbeit gestriges tages wieder ruiniret worden." 175 Im 7. Quartier der oberemsischen Deichacht war es nicht mehr gelungen, die Holzung176 zu schlagen. Da das Geld fehlte, konnten auch die 1000 Arbeiter nicht bis zum Abschluß der Deicharbeiten gehalten werden. Bis auf wenige gingen sie „wegen mangels an Brod und Lebensmittel" fort. Auch konnte kein Stroh aufgekauft werden, um den neu errichteten Deich innen 169

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 97: Schreiben von A. H. Tammena an Georg Albrecht, Emden 20.10.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 75: Schreiben von A. H. Tammena an A. G. von Münnich, Aurich 7.10.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 75: Schreiben von A. H. Tammena an A. G. von Münnich, Aurich 7.10.1719 und Dep. 1, 1432, fol. 119: Landtagsprotokoll März 1720. Der Oberdeichgraf von Münnich hatte diese zusätzlichen 1000 Arbeiter schon im Spätsommer für 4 Wochen gefordert, sie dann jedoch erst Mitte Oktober bekommen. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I. fol. 97: Schreiben von A. H. Tammena an Georg Albrecht, Emden 20.10.1719. Ebenda. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 100: Schreiben an die Regierung, Emden 20.10.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 131. Holzung = hölzernes Schutzwerk an den Deichen.

Deichbaufinanzierung

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und außen besticken zu lassen und so gegen die Fluten widerstandsfähiger zu machen.177 „Solchem nach hat das Unglück woll nicht ausbleiben können, es were den das der liebe Gott gahr keinen Sturm und hohe Fluth entstehen laßen", resümierte von Münnich und fuhr fort: „Wenn nun nicht in Zeiten anstalt gemachet wird zu einer guten Summe Geld, compatible mit der bevorstehenden Arbeit, so ist meines geringen erachtens alles verlohren und werden Ew. Hochfürstl. Durchl. und dero getreue löbl. Landes Stände gnädigst und gütigst geruhen, mich von der ferneren Direction und einer solchen verdrießlichen Sauren Arbeit zu dispensiren." 178 Die fürstliche Regierung und die Landstände sahen schließlich ein, daß nur durch eine große ausländische Anleihe die endgültige Wiederherstellung der Deiche erreicht werden konnte. Weil die Aufnahme größerer Kredite bisher aber an den zu stellenden Sicherheiten gescheitert war, wandte sich Georg Albrecht im November 1719 an den Kaiser mit der Bitte, durch ein Dekret zu gewährleisten, daß denjenigen, die Ostfriesland zur Wiederherstellung der Deiche Geld leihen, durch „parate Exekution" geholfen würde, wenn Zinszahlung und Tilgung ausblieben. Die Aufnahme von auswärtigen Geldern, die für die Deicharbeiten in der gegenwärtigen Lage unbedingt notwendig seien, würde dadurch erleichtert werden, „wenn Ew. Kayserl. Mayst. dieselbe mit Dero allerhöchsten Kayserl. autorität bekräfftigen werden", betonte Georg Albrecht und schrieb ferner: „Wann nun meine Landschafft sich solcher paraten execution Ew. Kayserl. Mayst. gern unterwerffen will, solches auch an sich billig und recht ist, Ew. Kayserl. Mayst. auch und dem gesammten Heyl. Rom. Reich daran gelegen ist, daß mein Fürstenthum Ostfrießland in seinen gegenwärtigen Grentzen und Zustand erhalten werde; So gereichet vor mich und meine getreue LandStände, meine allerunterthänigste Bitte, Ew. Kayserl. Mayst. geruhen allergnädigst, oberwehntes allerhöchstes Decret zu ertheilen, und ob summum periculum in mora schleunigst allergnädigst außfertigen zu laßen." 179 Aus Wien kam zunächst keine Antwort, so daß Georg Albrecht sich am 6. Februar 1720 erneut an den Kaiser wandte. Da der ostfriesische Fürst in seinen Schreiben nicht angegeben hatte, woher und unter welchen Konditionen Ostfriesland ausländische Anleihen zu erreichen suchte, verlangte der Reichshofrat in Wien vor einer Entscheidung nähere Angaben über die angestrebte Anleihe, vor allem auch über deren Höhe. Inzwischen hatten die ostfriesischen Landstände sich mit fürstlichem Konsens in den Niederlanden um einen Kredit in Höhe von 600.000 Gulden oder 300.000 Reichstalern bemüht und auch Geldgeber gefunden, denen sie als Sicherheit die beiden besten ostfriesischen Pachtdistrikte, die Akzisekluften 177

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 121f: A. G. von Münnich an Georg Albrecht, Emden 14.11.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 122. HHStA Wien: RHR Denegata Recentiora 916/12; Kopie in StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 7, fol. lOf.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

Leer und Norden, verpfänden wollten. Das reichte den Finanziers als Sicherheit jedoch nicht aus. Ohne Garantie der Generalstaaten war keine Geldanleihe zu bekommen. Die Generalstaaten wollten wiederum eine Garantie nur übernehmen, wenn auch der deutsche Kaiser seine Zustimmung dazu gab, daß die Niederlande bei Nichtbezahlung von Zinsen und Tilgung zur Einforderung des Geldes eine militärische Exekution in Ostfriesland durchführen dürften, und zwar mit den in Emden und in der Festung Leerort stationierten niederländischen Garnisonen. 180 Georg Albrecht hatte dieser Forderung der Generalstaaten bereits zugestimmt. Dem Kaiser wurde dieser Sachverhalt sowohl vom ostfriesischen Agenten in Wien, Daniel Hieronymus von Praun, als auch von Georg Albrecht selbst mitgeteilt mit der ausdrücklichen Bitte, ebenfalls seine Zustimmung zu erteilen.181 Noch bevor der Kaiser auf das ostfriesische Ansuchen geantwortet hatte, kam zwischen Ostfriesland und den Generalstaaten eine Einigung über eine Anleihe von zunächst 200.000 Gulden zu 5% unter den oben genannten Bedingungen zustande. Am 20. April 1720 einigte man sich schließlich auf eine weitere Anleihe über 400.000 Gulden zu gleichen Bedingungen. Jetzt wurde noch zusätzlich die Emder Akzisekluft verpfändet. Von einer Zustimmung des Kaisers war in den Vereinbarungen keine Rede mehr.182 Diese lag bisher auch noch nicht vor. Erst vier Tage nach dem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen über den Kredit, am 24. April 1720, gab der Kaiser seine Einwilligung zu einer Anleihe in den Niederlanden, wobei er jedoch eine militärische Exekution durch niederländische Truppen in Ostfriesland ablehnte; diese wollte er bei Ausbleiben der Zins- und der Tilgungszahlungen sich selbst vorbehalten.183 Es ist nicht klar, weshalb die Generalstaaten auf die Einwilligung des Kaisers inzwischen keinen Wert mehr legten. Vermutlich haben die ostfriesischen Landstände auf eine schnelle Vereinbarung gedrängt, weil sie das Geld nach Ende des Winters dringend zum Deichbau benötigten.184 Jedoch dauerte es noch einige Wochen bis die 200.000 Gulden in Ostfriesland eingingen. Die zweite Rate des Kredits über 400.000 Gulden traf

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Seit 1603/1611 waren in Emden und in der Festung Leerort niederländische Garnisonen stationiert, was eine Folge der Ständekämpfe in Ostfriesland war. Siehe Heinrich Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands, S. 229, 246ff. HHStA Wien: RHR Denegata Recentiora 916/12; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 17ff: Schreiben des Fürsten vom 17.2.1720. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 50f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 138: Ajold Heinrich Tammena an Georg Albrecht, Emden 9.5.1720 und fol. 152: Schreiben vom 14.5.1720. HHStA Wien: RHR Voten 44: Gutachten des Reichshofrates vom 12.4.1720 und RHR Denegata Recentiora 916/12. Vgl. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 50. In einem am 27.2.1720 verfaßten Schreiben an den ostfriesischen Gesandten in Wien, Georg Joachim von Brawe, klagte Georg Albrecht darüber, daß der Reichshofrat die ostfriesische Landesherrschaft und die Landstände mit ihrem Anliegen so „zappeln" lasse „und unsere landesherrliche autorität mit cordaten Decretis nicht zu Stabiliren suchet". StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 9, fol. 22.

Deichbaufinanzierung

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erst Anfang September 1720 in Ostfriesland ein185, zu spät für die Deicharbeiten dieses Jahres; denn schon im Spätsommer, nachdem die erste Rate des niederländischen Kredits ausgegeben worden war, hatte es erneut an Geld gefehlt. Viele Arbeiter verließen deshalb die Deichbaustellen und gingen in andere Länder, um dort ihr Brot zu verdienen. Schon vor der schweren Neujahrsflut vom 31. Dezember 1720 rissen die Herbststürme vieles, was im Sommer gebaut worden war, wieder weg.186 Nun, zu Beginn des neuen Jahres, lagen fast alle Deiche wieder nieder, und die Arbeit mußte von vorn beginnen. Weil das 1720 in den Niederlanden geliehene Geld weitgehend ausgegeben war, wurde für die Deichbauarbeiten des Jahres 1721 erneut eine Geldaufnahme notwendig. Wieder wandten sich die ostfriesischen Landstände an Geldgeber in den Niederlanden. Die Generalstaaten waren nochmals bereit, die Garantie für einen weiteren Kredit von 600.000 Gulden zu 5% zu übernehmen. Als Sicherheit mußten die ostfriesischen Landstände ihnen dafür vier Kapital- und acht Personalschatzungen verpfänden. Am 1. Juli 1721 wurden 300.000 Gulden ausgezahlt; am 12. April 1722 bekamen die Landstände 150.000 Gulden, und die restlichen 150.000 Gulden erhielten sie erst ein Jahr später, am 2. April 1723. Ostfriesland hatte somit insgesamt 1.200.000 Gulden ( = 1.800.000 fl. ostfr.) aus den Niederlanden bekommen. Zu diesen Geldern kamen noch die Kredite aus Hannover, Braunschweig und Berlin. Bis zum Jahr 1723 hatte Ostfriesland in anderen Ländern Kredite in Höhe von 2.184.455 fl. ostfr. aufgenommen, was etwa 809.000 Reichstalern entsprach.187 Dazu kam noch die Verschuldung durch die 25-Reichstaler-Obligationen. Die hohen Schulden drückten das Land jahrelang. Von den niederländischen Anleihen waren im Jahr 1792 noch 219.481 Gulden nicht zurückbezahlt. Um die jährlichen Zinsen für diese Restschuld, die etwa 5.500 Reichstaler preuß. Courant betrugen, im Lande zu halten, wurde diese rückständige Schuld damals auf Beschluß der ostfriesischen Stände durch eine inländische Negotiation zu 4% getilgt.188

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Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 52 u. 54. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 54f. Vgl. die Aufstellung der Oberrentkammer vom 2.4.1731 in StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 7, fol. 5. Dort werden die 270.000 fl. ostfr. ( = 100.000 Rtlr.), die der Stadt Emden 1723 zum Bau des Kaideiches gegeben wurden, allerdings doppelt gezählt. Diese Summe, die aus dem zweiten niederländischen Kredit gezahlt wurde, wird in dieser Aufstellung noch einmal extra ausgeworfen. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 63 und 10, S. 1 lOf. Der erste niederländische Kredit von 600.000 fl. holl. war 1744 bis auf 40.000 Gulden zurückbezahlt, was allein darauf zurückzuführen ist, daß die Niederlande die Tilgungs- und Zinsraten durch einen eigenen Empfänger direkt aus den ihnen verpfändeten Akzisedistrikten nach Holland übersandten. Von dem zweiten Kredit waren 1744 noch 587.000 fl. holl. rückständig, nur die Zinsen waren bezahlt worden. Die Obligationsschulden betrugen im gleichen Jahr noch 30.975 fl. ostfr. Viele Inhaber der Obligationen hatten seit 1724 keine Zinsen mehr bekommen. 1754 betrugen die Gesamtschulden Ost-

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

Von den aufgenommenen Krediten, den Obligationen zu 25 Reichstalern und den außerordentlichen Schätzungen wurden die Deichbauarbeiten in den Jahren 1718 bis 1723 bezahlt. Eine Aufstellung der Gelder, die in den Jahren 1718 - 1722 an die einzelnen Deichachten ausgezahlt wurden, wurde auf dem Landtag im März 1723 vorgelegt189: 1. Niederemsische Deichacht 841.567 fl. ostfr. 2. Oberemsische Deichacht 400.246 fl. ostfr. 3. Greetsieler Deichacht 60.950 fl. ostfr. 4. Norder Marschdeichacht 144.265 fl. ostfr. 5. Norder Polderdeichacht 10.500 fl. ostfr. 6. Hager Deichacht 5.521 fl. ostfr. 7. Südbrokmer Deichacht 3.368 fl. ostfr. 8. Nessmer Deichacht 500 fl. ostfr. 9. Herrlichkeit Dornum 25.612 fl. ostfr. 10. Herrlichkeit Lütetsburg 1.306 fl. ostfr. 11. Neermoorer Deichacht 1.446 fl. ostfr. 1.495.284 fl. ostfr. 190 12. Stadt Emden, für den übernommenen Deichbau im Jahre 1723

270.000 fl. ostfr.

1.765.284 fl. ostfr. Aus den Anleihen wurden außerdem noch die angefallenen Negotiationsund Transportkosten, die Zinszahlungen an die Generalstaaten für die seit 1720 aufgenommenen Kredite sowie eine Zins- und Kapitalrückzahlung in Höhe von 163.774 fl. ostfr. nach Hannover bezahlt. Ein Teil des Geldes wurde allerdings weder direkt noch indirekt für den Deichbau verwendet. Diese Gelder, die in der Abrechnung als „Extraordinaire Ausgaben kraft Landtagsresolution" aufgeführt wurden, machten allerdings nur eine verhältnismäßig geringe Summe aus.191 Sie gingen zum Teil an das Fürstenhaus (28.921 fl. ostfr.), zum Teil wurden davon Unterhaltskosten für die brandenburgische Garnison, Münsterische Subsidien, Prozeß- und Gerichtskosten, Salarien der Agenten in Wien und Wetzlar sowie Zahlungen an ungenannte auswärtige Minister geleistet (insgesamt 72.643 fl. ostfr.).192 Fortsetzung Fußnote von Seite 185 frieslands 1.219.734 Reichstaler. Siehe Hinrichs, Die ostfriesischen Landstände, S. 173ff. 189 StA Aurich: Dep. 1, 1439, fol. 133. Vgl. Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 168; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 75f. 190 Die Endsumme ist um 3 fl. ostfr. höher als die Summe der Einzelangaben, weil nur die vollen Guldensummen und nicht die Stüber berücksichtigt wurden. 191 Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 169f. hat nachgewiesen, daß die von Carl Hinrichs aufgestellte Behauptung, nur die Hälfte des Geldes sei zum Deichbau verwendet worden, einer kritischen Überprüfung der Quellen nicht standhält. 192 Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 169f.; StA Aurich: Dep. 1, 1439, fol. 132

Deichbaufinanzierung

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Nachdem die Stadt Emden den Bau der Kaideiche in der Nieder- und Oberemsischen Deichacht für 270.000 fl. ostfr. übernommen und auch glücklich zu Ende gebracht hatte, vereinbarten am 8. August 1723 Stände und Fürst mit Emden, nun auch noch die Hauptdeiche in diesen beiden Deichachten fertigzustellen. Die Emder übernahmen diese Arbeit für 800.000 fl. ostfr. Diese Summe, die von der Stadt Emden zum großen Teil in den Niederlanden aufgenommen und den Deichachten zunächst vorgeschossen wurde, sollte - zuzüglich der Zinsen - nicht vom Land, sondern von den Interessenten der Ober- und Niederemsischen Deichacht zurückgezahlt werden.193 Nach dem Vertrag wurden die vermögenden Interessenten verpflichtet, in den nächsten vier Jahren für jedes Gras ( = 0,37 ha) Land 20 Gulden zu bezahlen; den unvermögenen Interessenten wurde eine Frist von zwölf Jahren zur Bezahlung eingeräumt. Um die Vermögenslage der einzelnen Eingesessenen festzustellen, wurde eine Kommission unter Leitung des Amtsverwalters Johann Dietrich Kettler gebildet.194 Vor dieser Kommission, die Mitte August auf der Burg in Emden tagte, mußten alle Interessenten der Oberund Niederemsichen Deichacht persönlich erscheinen und erklären, in welcher Weise sie die Schulden abtragen wollten. Wer nicht erschien oder sich zu Unrecht als unvermögend ausgab, dem drohte die Eintreibung der Gelder durch militärische Exekution. Als Sicherheit wurden der Stadt Emden sämtliche zu den beiden Deichachten gehörenden Ländereien verpfändet. Außerdem verpflichteten sich die Stände, Emden 30.000 Reichstaler vorzustrecken, die aus zwei dafür ausgeschriebenen Schätzungen erhoben werden sollten.195 Die Übertragung der Deicharbeiten an die Stadt Emden erwies sich als richtige Entscheidung. Nachdem das Land sechs Jahre lang an vielen Stellen offen gelegen hatte und das Nordseewasser während dieser Jahre ein- und ausgegangen war, konnte es durch den tatkräftigen Einsatz der Emder im Dezember 1723 endlich wieder geschlossen werden. So erfolgreich die Deicharbeiten auch beendet werden konnten, so folgenreich sollte aber die Schuldenlast für die Interessenten der Ober- und Niederemsischen Deichacht sein. Die Schulden drückten die Bauern jahrzehntelang und führten oftmals zu deren völliger Verarmung. Viele Landbesitzer waren schließlich nicht mehr in der Lage, ihren Zahlungspflichten nachzukommen, so daß viel geringere Beträge Fortsetzung Fußnote von Seite 186

193 1,4

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und Dep. 1, 2061: Allgemeine Landschaftsrechnung vom 10. März 1722-10. Mai 1723. Emden hatte 600.000 fl. ostfr. in den Niederlanden als Kredit aufgenommen. Der Kommission gehörten ferner Heinrich Bernhard von dem Appelle, Syndikus Dr. Gerhard Hessling und der Deichrichter Poppo Homfeld. StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 16: Conditiones, worauf Seine Hoch = Fürstliche Durchlt. Unser gnädigster Fürst und Herr / auf unterthänigstes Gutachten Dero getreuen Landes = Stände / wegen Verfertigung des Haupt=Teichs in der Ober = und Nieder =Embsischen Teich = Acht / mit Dero Stadt Emden einig geworden sind; Vgl. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 70f.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

als erwartet einkamen. Von den eingekommenen Geldern - bis 1744 waren es immerhin 530.000 fl. ostfr. - führte Emden jedoch nur den geringsten Teil, nämlich 50.000 fl. ostfr., an die niederländischen Gläubiger ab; der größte Teil der Gelder wurde für den Kampf der Landstände gegen die ostfriesische Landesherrschaft ausgegeben. Als Ostfriesland 1744 an Preußen fiel, waren die Schulden noch lange nicht abgetragen. Sie betrugen noch 768.725 fl. ostfr. Die neue Regierung übernahm in einer Konvention mit den Generalstaaten die Garantie für die Schulden und traf sogleich Maßnahmen zur Überprüfung der finanziellen Situation in der Ober- und Niederemsichen Deichacht. Sie ordnete zunächst eine Revision des Katasters an, ließ dann die Deichbücher wieder in Ordnung bringen und begann schließlich unverzüglich mit der Einziehung der rückständigen Schulden in der ober- und niederemsischen Deichacht. Dabei mußte sie jedoch feststellen, daß ein großer Teil der Deichinteressenten inzwischen völlig zahlungsunfähig war. Wer den ihm auferlegten Teil der Schulden nicht mehr bezahlen konnte, mußte jetzt mit harten Maßnahmen rechnen. Nach dem 1723 geschlossenen Kontrakt war die Stadt Emden berechtigt, die Höfe der zahlungsunfähigen Bauern zu versteigern; und das geschah jetzt in vielen Fällen. Fand sich aber kein Käufer, wurden die Höfe auf Rechnung der Stadt bewirtschaftet, oft jedoch mit geringem Gewinn. Der Schuldabtrag wurde in der folgenden Zeit zwar regelmäßiger und geordneter als in den vorherigen zwei Jahrzehnten vorgenommen, aber der Rest der Schulden konnte dennoch erst gegen Ende des Jahrhunderts abgetragen werden, als sich die wirtschaftliche Situation allgemein wesentlich besserte.196 In der Grafschaft Oldenburg wies der Oberdeichgraf Johann Rudolf von Münnich schon am 12. Januar 1718 darauf hin, daß der dänische König zur Wiederherstellung der Deiche Geld zuschießen müsse; eine vorübergehende Befreiung der Einwohner von herrschaftlichen Gefällen reiche nicht aus und ohne Geld lasse sich nicht arbeiten." 7 Nachdem die oldenburgische Regierung sich in verschiedenen Ländern vergeblich um Kredit bemüht hatte 1 ' 8 , erklärte der dänische König sich schließlich bereit, den Marschbewohnern seine oldenburgischen Einnahmen abzüglich der Militärausgaben als Vorschuß zum Deichbau zu überlassen.199 Doch die Einnahmen der Grafschaft reichten bei weitem nicht aus zur Finanzierung der Deichbauarbeiten, worauf 196

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1,9

Ohling, Die Geschichte einer Landschuld, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. 2, S. 167-172; Hinrichs, Die ostfriesischen Landstände, S. 190ff; 205ff. StA Old: Bstd. 26, 1263. Die Bemühungen um einen Kredit scheiterten in der Stadt Bremen, in Münster und in Preußen. RAK: T.K.I.A. B 73: Worm und Weyse an den dänischen König, Kopenhagen 11.4.1718. Selbst gegen die Verpfändung der herrschaftlichen Domänen gelang es dem dazu beauftragten Regierungsrat Gude nicht, einen Kredit über 100.000 Reichstaler aufzunehmen. Tenge, Der Butjadinger Deichband, S. 126. StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an Oberlanddrost von Sehestedt, Oldenburg 9.11.1718; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 129.

Deichbaufinanzierung

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sowohl die Deichkommission als auch der Oberlanddrost Sehestedt die königliche Regierung in Kopenhagen hinwiesen. Selbst wenn man „die Einwohner sämtlich bis aufs Blut ausmergelte", käme nicht genug Geld zusammen, stellte von Sehestedt fest; es müßten deshalb dringend Zuschüsse an Bargeld aus anderen königlichen Provinzen erfolgen.200 Die Forderungen der Deichkommission und des Oberlanddrosten blieben in Kopenhagen nicht ohne Wirkung. In den folgenden Jahren gab die dänische Regierung dem Land zum Deichbau bedeutende Vorschüsse. Von 1718 bis 1724 bekam Oldenburg von der dänischen Regierung insgesamt 728.266 Reichstaler geliehen. Diese Summe setzte sich zusammen aus Anleihen, die die dänische Regierung für Oldenburg außer Landes aufnahm 201 , aus oldenburgischen Landeseinnahmen und aus Steuerrückständen, die durch Deicharbeit abverdient (172.000 Reichstaler)202 und als Forderung des Staates bei der Deichkasse verbucht wurden.203 Am 22. Januar 1719 hatte König Friedrich IV. angeordnet, daß die oldenburgischen Einwohner, die ihre Restanten nicht bezahlen könnten, diese am Deich abarbeiten sollten. Wer seine Steuerrückstände auf diese Weise abtragen wollte, sollte zugleich auch andere Arbeit mit angewiesen bekommen, für die er bezahlt würde, damit er sich und seine Familie ernähren konnte.204 Die von der dänischen Regierung zur Verfügung gestellten Gelder wurden auf die einzelnen oldenburgischen Vogteien folgendermaßen verteilt: Eckwarden bekam 22,2% der Gesamtsumme, Burhave 21,4%, Schwei 18,5%, Blexen 17,1%, Stollhamm 8,3%, Jade 6,3%, Landwürden 2,7%, Hammelwarden 0,5%, Abbehausen 0,4%, Rodenkirchen 0,2% und sonst noch 2,4%.205 Es be200

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StA Old: Bstd. 26, 1263: Akten betr. die Berichte des Geheimrats von Sehestedt: Sehestedt an den König, Oldenburg 5.3.1719; StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an den König, 16.3.1719. Vgl. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 128f. Im Jahre 1719 wurden 20.000 Rtlr. aufgenommen, 1720 60.000 Rtlr., 1721 190.000 Rtlr. und 1722 30.000 Rtlr. Vgl. die Listen über die abverdienten Restanten in StA Old: Bstd. 26, 511 und 26, 1263. Am 9.11.1718 schrieb die Deichkommission an den Oberlanddrosten in Oldenburg, daß sie für gut befindet, „alle von Zeith zu Zeith aus dem Lande erfolgende Geldt Summen in einem großen, mit Eißen Beschlag und zweyen guten Schlößern wohl verwahrten Kasten zu deßen anschaffung der H. Cammer Rath Breuneck beordert ist, so lange hinlegen zu laßen, bis das disponirte Haubt Teichwerck angefangen und vollendet wird, imgleichen daß Ew. Excell. alß Chef der hiesigen Teich und Landes affairen, dazu den einen Schlüssel, den andern aber der H. Cammer Rath Breuneck alß Teich Cassirer in Händen haben möge, damit ohne Ew. Excell. vorbewust, daraus keine Gelder genommen werden können." StA Old: Bstd. 26, 511. Corp. Const. Old., 1722, T. 2, S. 274. Diese Anordnung wurde am 13.2.1720 nochmals wiederholt. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 137; G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 209. Am 2.1.1719 ermahnte die Deichkommission den Oberlanddrosten von Sehestedt, er möge die Bedienten zur Eintreibung der herrschaftlichen Gefälle in den nicht überschwemmten Gebieten anhalten. Es sei nicht einzusehen,

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

deutete für die betroffenen Vogteien eine große Erleichterung, daß sie bis zum Jahre 1729 für diese Schulden weder Zinsen noch Tilgung bezahlen mußten. König Friedrich IV., der 1724 die fertiggestellten Deichbauten in den oldenburgischen Marschen inspiziert und dabei auch die Armut des Landes gesehen hatte, entschloß sich auf Vorschlag der Rentkammer außerdem, alle bisher fälligen Zinsen zu erlassen und den Vogteien von der Schuldsumme 238.264 Reichstaler (32,72%) zu schenken. 206 Der Rest der Schuldsumme in Höhe von 490.002 Reichstalern wurde auf die Vogteien nach ihrem jeweiligen Kontributionsanschlag verteilt.207 Am 14. Mai 1731 erließ der seit 1730 regierende dänische König Christian VI. den oldenburgischen Vogteien schließlich noch weitere 216.960 Reichstaler (29,79%). Die noch übriggebliebenen Schulden sollten zinsfrei in acht Jahren bezahlt werden. 208 Diese Schulden wurden dann in Raten bis 1742 vollständig zurückbezahlt. Die dänische Regierung hatte den betroffenen Vogteien also von den Gesamtschulden 455.264 Reichstaler geschenkt und nur 273.041 Reichstaler zurückerhalten. 209 Der Verzicht der dänischen Regierung auf Zurückzahlung von etwa 62% der Schulden bildete eine wichtige Voraussetzung für die allmähliche wirtschaftliche Erholung der Marschgebiete in der zweiten Hälfte der 1730er Jahre. Jedoch setzte eine 1745 erneut ausbrechende Viehseuche dem langsamen wirtschaftlichen Aufschwung wieder ein Ende. 210

Fortsetzung Fußnote von Seite 189 weshalb die königliche Regierung auswärtiges Geld zum Deichbau zuschießen solle, „solange dergleichen durch fleißige Beamte aus der Grafschaft selbst aufzubringen". StA Old: Bstd. 26, 511. 206 Der größte Teil dieser Summe kam den von der Sturmflut besonders betroffenen Vogteien Burhave, Eckwarden, Blexen, Stollhamm und Schwei zugute, und zwar 178.949 Reichstaler, die genau ein Drittel der ihnen gewährten Vorschüsse ausmachten. Die Vogteien Golzwarden, Rodenkirchen und Abbehausen mußten, weil sie nicht ausreichende Hilfe bei den Deicharbeiten geleistet hatten, noch einen Anteil von 52.260 Reichstalern von der Schuld der Vogteien Burhave, Eckwarden, Blexen und Stollhamm übernehmen. 207 Corp. Const. Old., Bd. II, T. 2, 1732, S. 27-33: Verordnung vom 6.7.1729 und 27.9.1729. 208 Die Restschulden verteilten sich folgendermaßen auf die einzelnen Vogteien: Burhave 25.905 Rtlr., Eckwarden 25.905 Rtlr., Blexen 24.190 Rtlr., Stollhamm 24.000 Rtlr., Schwei 12.353 Rtlr., Abbehausen 15.951 Rtlr., Rodenkirchen 16.235 Rtlr., Golzwarden 6.720 Rtlr., Hammelwarden 4.284 Rtlr., Mooriem 615 Rtlr. und Landwürden 16.881 Rtlr. Dazu kamen noch 100.000 Rtlr., die zum Bau des Schweiburger Deiches verwandt wurden und sich auf die Vogteien Rodenkirchen, Golzwarden, Strückhausen, Hammelwarden, Oldenbrok, Mooriem, Schwei und Jade verteilten. 209 Corp. Const. Old., Bd. II, T. 2, 1732, S. 33-37: Verordnung vom 14.5.1731; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. 138. 210 Diese Viehseuche, die von 1745-1761 und von 1769-1780 die oldenburgischen Marschkirchspiele durchzog, hatte katastrophale Auswirkungen auf die Landwirtschaft jener Gegend. Siehe Norden, Bevölkerung, S. 273ff.

Deichbaufinanzierung

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Nachdem die Deichkommission Anfang September 1718 alle Einwohner der Grafschaft Oldenburg zur Beihilfe an den Deicharbeiten in Butjadingen verpflichtet hatte, indem jede Vogtei für eine ihr zugeteilte Arbeit eine bestimmte Anzahl Deicharbeiter aufbieten mußte211, wurden einige Tage später auch die sogenannten deichfreien Ländereien zu einer Geldbeihilfe für den Deichbau herangezogen.212 Diese privilegierten deichfreien Ländereien waren von der Unterhaltung der Deiche befreit, mußten stattdessen aber jährlich einen geringen Betrag an die Deichkasse abführen. Im März 1718 hatte die Regierung schon einen außerordentlichen Beitrag in vierfacher Höhe des gewöhnlichen Deichfreiengeldes gefordert. In einer Verordnung vom 14. September 1718 wurden die Besitzer deichfreier Ländereien nun wiederum verpflichtet, nach der Bonität ihres Landes gestaffelte Beiträge zu entrichten; für ein Jück guten Landes mußten sie vier, für mittelmäßiges drei, für geringes zwei und für ganz geringes Land einen Reichstaler pro Jück bezahlen. Die Ländereien, zu denen keine Deiche gehörten und die auch nicht im Deichfreien-Register standen, aber dennoch Schutz durch die Deiche hatten, sollten den doppelten Betrag erlegen. Auch die auf der Geest liegenden adligen Güter mußten nach dem Roßdienst-Pflichtigen-Register pro Pferd 30 Reichstaler in die Deichkasse bezahlen.213 1720 wurde noch einmal die Hälfte des Betrages von 1718 ausgeschrieben. Durch diese außerordentlichen Beiträge der deichfreien und der anderen adligen Güter kamen in den Jahren 1718 und 1720 insgesamt 57.356 Reichstaler in die Deichkasse.214 Zusammen mit den königlichen Krediten in Höhe von etwa 550.000 Reichstalern und den 172.000 Reichstalern Restanten, die beim Deichbau abgearbeitet wurden, stellten diese Gelder eine ausreichende finanzielle Grundlage zur Wiederherstellung der oldenburgischen Deiche dar. Eine Finanzierung der Deicharbeiten aus eigenen Mitteln war auch der 211 212

213

2,4

StA Old: Bstd. 26, 424: Verordnung vom 9.9.1718. Diese Maßnahme war wohl dadurch gefördert worden, daß Einwohner sich darüber beschwert hatten, daß die deichfreien adligen Ländereien nicht mit zur Finanzierung des Deichbaus herangezogen worden waren. Vgl. StA Old: Bstd. 26, 1264: Sämtliche Einwohner des Amtes Rastede an die Deichkommission, Oldenburg 5.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 424: Verordnung vom 14.9.1718. Vgl. G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 193ff; RAK: T.K.I.A. B 73: Sehestedt und Klug an den König, 28.10.1719. Diese Verordnung führte zu allerhand Beschwerden, da die Besitzer deichfreier Güter sich in ihren Privilegien verletzt fühlten. Die Regierung mußte immer wieder betonen, daß diese Verordnung keinen präjudiziellen Charakter hätte und nur für diese einmalige Notlage gelten sollte. Z.B. wies der Besitzer des deichfreien Gutes Gnadenfeld in einem Schreiben vom 23.9.1718 darauf hin, daß er die von der Deichkommission erlassene Verordnung nicht akzeptieren könne; aber dennoch bereit sei, freiwillig 25 Reichstaler zu zahlen. StA Old: Bstd. 26, 1263: Acten betr. die Heranziehung der freien Ländereien zum Deichwesen; vgl. auch StA Old: Bstd. 26, 511. G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 207f.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

kleinen Herrschaft Jever nicht möglich. Wie andere Küstenländer benötigte auch sie zur Wiederherstellung ihrer Deiche auswärtige Kredite. In dem Zeitraum von 1718 bis 1723 bekam die Landschaft von der fürstlich zerbstischen Rentkammer 38.694 Reichstaler geliehen. Die jeversche Rentkammer nahm in der gleichen Zeit in Bremen Gelder in Höhe von 64.300 Reichstaler auf.215 Ein Teil der Deichbaukosten wurden außerdem noch durch Privatanleihen finanziert.216 Im April 1724 betrug die landschaftliche Schuld 143.427 Reichstaler. Das Land war so arm, daß die Zinsen für die Kredite nicht bezahlt werden konnten und mehrfach gestundet werden mußten. Zwar waren zweimal außerordentliche Steuern zur Bezahlung der Zinsen ausgeschrieben worden, die eingekommenen Gelder wurden dann jedoch für andere Ausgaben verwandt. Auch in der Herrschaft Jever hatten noch die folgenden drei Generationen an der Schuldenlast zu tragen. Noch 1796 waren die Schulden nicht ganz abgetragen; es war allerdings nur noch ein Betrag von weniger als 2.000 Reichstalern zurückzuzahlen.217 Nach Ansicht der Stader Regierung sollten die Einwohner im Herzogtum Bremen die Finanzierung der Deicharbeiten selbst übernehmen. Doch bei der Größe der entstandenen Schäden waren manche Kirchspiele überfordert. Es war außerdem auch im Herzogtum Bremen äußerst schwierig, ausreichende Kredite für die Deicharbeiten zu bekommen. Der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns klagte bereits Ende Januar 1718, niemand im Lande fände sich, „zu seines Vaterlandes Besten und Nutzen" etwas vorzuschießen und Kredit zu geben. Ein an die Stader Regierung gerichtetes Gesuch der Deichvorsteher und Geschworenen des Landes Wursten, in dem sie um eine Anleihe von einigen Tausend Reichstalern zum Deichbau baten, wurde abgelehnt.218 Deshalb war es die wichtigste Aufgabe des dortigen Verwalters der Deichkasse, dem Land Kredit zu verschaffen; denn ohne Geld konnten Deichbaumaßnahmen nicht mit Aussicht auf Erfolg ergriffen werden. Noch rechtzeitig vor Beginn der Deicharbeiten gelang es ihm, bei Kaufleuten in Hamburg und Altona Geld zu bekommen. Es war sicher von Vorteil, daß das Land Wursten verglichen mit anderen Marschlandschaften nur kleine Kredite benötigte. 1718 gab es für die Wiederherstellung der Deiche insgesamt 12.000 Reichstaler aus, wovon der größte Teil für die Bezahlung der Deicharbeiter gebraucht wurde.219 Die Deicharbeiten verliefen im Sommer 1718 so außerordentlich gut, daß schon am Ende des Jahres alle Hauptschäden behoben waren. 215

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Hollmann, Kurze Darstellung der Sturmfluten, S. 99; vgl. Tenge, Der Jeversche Deichband, S. 109, wo die Kreditangabe geringfügig abweicht. Zur Wiederherstellung des Mariensieler Deichdurchbruches gab Dirk Lammers einen Kredit zur Anschaffung von Holz. Siehe Renemann, Oldenburgische Blätter, 1830, S. 288. Hollmann, Kurze Darstellung der Sturmfluten, S. 100. StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, 13 (Schreiben der Deichvorsteher und Geschworenen) und 38 (Deichprotokoll vom 25.1.1718). Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 77; E. von Lehe, Zerstörung, S. 40.

Deichbaufinanzierung

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In anderen Distrikten des Herzogtums Bremen war die Lage schlechter. Im Amt Osterstade erbaten die Einwohner schon im Januar 1718 die Hilfe der Regierung.220 Da herrschaftliche Gelder ausblieben, war es den dortigen Einwohnern nicht möglich, die Deichschäden noch im Sommer 1718 zu reparieren. Besonders die Arbeit an der Dreptesieler Brake bereitete große Schwierigkeiten. Schließlich sah die Stader Regierung ein, daß die Osterstader Eingesessenen die Deicharbeiten aus eigener Kraft nicht würden fertigstellen können. Auch mit der härtesten Exekution seien, wie die Stader Regierung mitteilte, keine zehn Reichstaler, schon gar nicht einige Tausend, wie sie zur Deicharbeit nun erforderlich seien, beizutreiben. Sie beantragte deshalb bei der königlichen Regierung in Hannover zur Wiederherstellung des Dreptesiels einen Kredit von 3.000 Reichstalern.221 Am meisten Hilfe mußte die Regierung aber dem Land Kehdingen geben, wo in der Sturmflut bei Wischhafen ein großer Grundbruch entstanden war, durch den das Wasser das gesamte Marschland überschwemmte.222 In den Jahren 1718 bis 1720 stellte die königliche Regierung in Hannover für die Wiederherstellung des Deiches und des Siels bei Wischhafen 261.429 Reichstaler als Anleihe zur Verfügung.223 Das Land Kehdingen brachte in diesem Zeitraum 132.047 Reichstaler auf. 224 Obwohl innerhalb von drei Jahren fast 400.000 Reichstaler in diese Deichbauarbeiten investiert wurden, war die Arbeit dennoch nicht von Erfolg gekrönt. Der Grundbruch blieb jahrelang offen liegen; nur um ihn herum hatten die Einwohner Schirmdeiche, später „Defensionsdeiche" genannt, gebaut, so daß wenigstens das Hinterland trokken wurde. Das vor den Schirmdeichen liegende Land blieb zunächst dem Wasser preisgegeben. Unter der hohen Schuldenlast hatte das Land Kehdingen noch Jahrzehnte zu leiden; es konnte deshalb seine Kontribution nicht mehr aufbringen. Schließlich überließ das Land Kehdingen dem König Georg I. das vor den 220

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222 223

224

StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 3): Schreiben an die Stader Regierung vom 22.1.1718. StA Stade: Rep. 31, 16 g, Nr. 1, 6: Stader Regierung an Kgl. Regierung in Hannover, Stade 25.2.1719. StA Stade: Rep. 31, 16 p, Nr. 2, Bd. 1, Teil 1, 3. 9.000 Rtlr. wurden 1718 unter der Direktion des Blasius van Harlem gegeben, 72.500 Rtlr. 1719 unter Eibe Siade Johanns, 19.079 Rtlr. unter Jacob Owens und 1720 nochmals 160.849 Rtlr. unter Owens Direktion. Im Jahre 1719 weigerten sich die Dörfer Osten, Oberndorf, Horst und Großenwörden, die Obligationen für einen Teil des 1719 von der Regierung in Hannover geleisteten Kredits zu unterschreiben. Zu dieser Widersetzlichkeit soll ein im Amt Neuhaus wohnender, begüterter Edelmann namens Dietrich Bremer nicht wenig beigetragen haben. Er verweigerte für seine in Oberndorf gelegenen Ländereien die Unterschrift und gab durch sein Beispiel auch anderen Einwohnern den Mut, gleiches zu tun. Als den Dörfern mit scharfer militärischer Exekution gedroht wurde, gaben sie ihren Widerstand auf und unterschrieben die Obligationen. StA Stade: Rep. 31, 16 p, Nr. 1, 55f und 78f. Jobelmann, Oberdeichinspector Jacob Owens, S. 95f.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

Schirmdeichen gelegene Gebiet gegen den Erlaß seiner Kontributionsschuld in Höhe von 47.914 Reichstalern. Die königliche Regierung ließ die ungeschützte Fläche in den Jahren 1741 und 1742 mit einem Kostenaufwand von 130.922 Reichstalern wieder eindeichen. Das dadurch wiedergewonnene Land wurde Domanialbesitz und bildete seit 1746 das neugeschaffene königliche Amt Wischhafen.225 In den Herzogtümern Schleswig und Holstein mußten, wie wir dem „Teich = Commissions = Buch" entnehmen können, die Norderdithmarscher 1718 alle Deiche auf eigene Kosten reparieren. Die Arbeit im Simonsberger Koog in Eiderstedt wurde dagegen aus den Restanten der Landschaft bezahlt; zum Teil mußten die Einwohner ihre Restanten beim Deichbau abarbeiten.226 Auch im folgenden Jahr wurde der Deichbau in Eiderstedt wieder ausschließlich durch Restanten finanziert, die in Höhe von 15.000 Reichstalern eingetrieben wurden.227 Die Landschaft Süderdithmarschen, die in Holland Gelder zum Deichbau aufgenommen hatte228, wurde auf obrigkeitliche Anordnung auch von den Einwohnern der Wilstermarsch finanziell unterstützt. Diese mußten einen Reichstaler ä Morgen für den Deichbau in Süderdithmarschen zahlen.229 Im Sommer 1719 brachten die Einwohner der Wilstermarsch weit über 10.000 Reichstaler für die Deicharbeiten in Süderdithmarschen auf. In den Jahren 1721 und 1722 zahlten sie über 21.000 Reichstaler.230 Weil die Finanzierung der Deicharbeiten dennoch nicht ausreichend gesichert werden konnte, wurde schließlich das gesamte Land mit herangezogen. Aus allen Ämtern der Herzogtümer, ausgenommen die Gegenden, die selbst Sturmflutschäden zu beheben hatten wie die Wilstermarsch, das Amt Husum, Bredstedt, Eiderstedt und die Wiedingharde im Amt Tondern, mußten sechs Reichstaler ä Pflug für die Deicharbeit in Süderdithmarschen bezahlt werden.231 Beihilfen aus der königlichen Kasse blieben fast ganz aus. Nach der Neujahrsflut erhielten die Pellwormer, die schon in den Jahren 1718 und 1719 über 46.000 Reichstaler für die Deicharbeiten ausgegeben hatten, zur Wiederherstellung ihrer Deichschäden 8.000 Reichstaler von der königlichen Regierung geliehen.232 Dieser Vorschuß aus der Rentkammer blieb 225 226 227

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232

Sonne, Erdbeschreibung des Königreiches Hannover, S. 250f. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an Rentekammer, Meldorf 31.8.1719. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Clausen und Crane an den König, Meldorf 9.10.1719; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 341. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Clausen und Crane an den König, Meldorf 9.10.1719. Culemann, Denckmahl, 1728, T. 2, § 73, S. 70, S. 340ff. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an Rentekammer, Meldorf 30.8.1719. Laß, Sammlungen einiger Husumischen Nachrichten, 1701-1750, S. 82; D. von Chamisso, Pellworm im Jahrhundert der Flut, S. 163.

Deichbaufinanzierung

195

jedoch eine Ausnahme. Im Juli 1721 ordnete König Friedrich IV. in Kopenhagen eine Lotterie an, deren Erlös zur Wiederherstellung der Deiche in den Herzogtümern dienen sollte. Er hoffte, auf diese Weise noch eine stattliche Summe zusammenzubringen. Ob dieser Versuch der Geldbeschaffung erfolgreich war, ist unbekannt. 233

7.6. Besitzwechsel und Besitzkonzentration In seiner 1897 erschienenen Abhandlung „Zur Topographie und Geschichte Dithmarschens" stellte Reimer Hansen fest, daß „ähnlich wie im östlichen Teile Schleswig-Holsteins die Güterwirtschaft viele Bauerndörfer verschlungen hat, so in der Marsch, besonders von Norderdithmarschen, die größeren Besitzungen viele kleinere aufgesogen haben." 234 Hansen weist nach, daß es zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in der Marsch zu einer ständig zunehmenden Besitzkonzentration kam. Das Entstehen überwiegend großer Höfe aber fällt nach seinen Untersuchungen in das 17., meistens in das 18. Jahrhundert.235 Ursachen der Besitzerwechsel und der Besitzkonzentration waren nach Hansen „ungünstige Zeiten, Krieg, Mißwachs, Viehseuchen, schlechtes Wirtschaften". 236 Nach Swart kann man diese Entwicklung zur Besitzkonzentration an der gesamten Nordseeküste von Holland bis Jütland feststellen.237 Neuere Forschungen bestätigen diese Ansicht. Jörg Engelbrecht zeigt für Ostfriesland im 17. Jahrhundert einen deutlichen Prozeß der Konzentration des Landbesitzes in den Händen weniger auf. Er kommt dabei zu der wenig erhellenden Feststellung, daß die Ursache dieser Besitzkonzentration in der Verdrängung der kleineren und mittleren Bauern durch die großen Besitzer zu vermuten sei. Die tieferen Ursachen dieser Verdrängung und Besitzkonzentration versucht er allerdings nicht zu ergründen. 238 Der niederländische Soziologe Evert William Hofstee untersuchte den Prozeß der Besitzkonzentration in den Groninger Marschgebieten, wo die an der Küste liegenden 233

234 235

236 237

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Petrus Petreus, Historische Nachricht vom Teichwesen, S. 233-237. Sollte die Lotterie nicht den gewünschten Anklang finden, so sollten alle ihr bereits bezahltes Geld zurückerhalten, hieß es in der Verordnung vom 7.7.1721. Auch im Herzogtum Bremen schlug der Deichbauunternehmer Jakob Owens am 31.12.1720 vor, eine Lotterie durchzuführen, aus deren Gewinn die durch die Deicharbeiten entstandenen Schulden abgetragen werden könnten. StA Stade: Rep. 31, 28, Nr. 1. ZSHG 27 (1897) S. 222. S. 228. Auf der nordfriesischen Insel Pellworm stieg die Zahl der Besitzer mit Höfen über 100 Demat von vier im Jahre 1688 auf elf im Jahre 1711. Siehe D. von Chamisso, Pellworm im Jahrhundert der großen Flut, S. 182. S. 232. Swart, Zur friesischen Agrargeschichte, in: Staats- u. sozialwissenschaftliche Forschungen, H. 145 (1910) S. 224. Die reformierte Landgemeinde in Ostfriesland im 17. Jahrhundert, S. 91; vgl. auch J. Bölts, Die Rindviehhaltung im oldenburgisch-ostfriesischen Raum, S. 138ff.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

landwirtschaftlichen Betriebe schließlich eine wesentlich höhere Durchschnittsgröße aufwiesen als die landeinwärts liegenden Bauernhöfe. Er erklärt diese seit der Frühen Neuzeit wahrnehmbare Entwicklung damit, daß die an der Küste liegenden Bauernhöfe ihren Besitz durch neue Eindeichungen vergrößern konnten. Denn ihnen stand das „recht op den aanwas", das Anwachsrecht zu.239 Mit diesem Prozeß der Konzentration des Landbesitzes einher ging eine Entwicklung, die immer mehr Land in die Hände von fremden Besitzern kommen ließ, also von Leuten, die nicht zur Gemeinde gehörten ; diese neuen Besitzer waren zum Teil Bauern aus benachbarten Dörfern, zum Teil Bürger aus den nahegelegenen Städten, zum Teil auch landesherrliche Beamten.240 Auch in den Oldenburger und Jever Marschgebieten läßt sich eine zunehmende Besitzkonzentration und eine deutliche Herausbildung schroffer Gegensätze im Sozialgefüge nachweisen. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts nahm die Zahl der Bauernhöfe in diesen Gebieten ab; gleichzeitig stieg jedoch ihre Durchschnittsgröße. In den Vogteien Burhave und Eckwarden in Butjadingen hat die Gesamtzahl der Besitzer sich zwischen 1613 und 1729/30 um reichlich ein Drittel vermindert. Während die größeren Bauern (über 50 Jück = 28 ha Landbesitz) 1613 nur über ca. 40% der Gesamtfläche verfügten, waren es 1729/30 schon ca. 50%.241 Nach den Kontributionsanschlägen von 1731 gab es deutlich mehr Höfe mit Landbesitz von über 50 Jück, als es die Steuerregister Ende des 17.Jahrhunderts ausweisen.242 Mit der Entwicklung zur Besitzkonzentration einher ging das Anwachsen der unterbäuerlichen Schicht mit weniger als 5 ha Besitz. Die wirtschaftliche Lage der Küstengebiete war aber nicht nur abhängig von überregionalen ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern wurde vor allem auch durch küstenspezifische Faktoren bestimmt. Neben Mißernten, Viehseuchen und epidemischen Krankheiten waren es vor allem Sturmfluten, die die konjunkturelle Entwicklung in den Marschgebieten brechen und sogar Auslöser für eine wirtschaftliche Depression werden konnten. 243 Zeitweise, wie in der zweiten Dekade des 18. Jahrhunderts, konnten alle diese genannten Ereignisse auch zusammenfallen. Der häufige Besitzerwechsel und 239

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Hofstee, Über die Ursachen der regionalen Unterschiede in der niederländischen Landwirtschaft, S. 221; vgl. H. J. Keuning, Geest und Marsch, 1957. Hansen, Zur Topographie und Geschichte Dithmarschens, S. 230f; Engelbrecht, Die reformierte Landgemeinde, S. 103. Krämer, Historisch-geographische Untersuchungen, S. 90f, 93; Stöver, Die wirtschaftliche Entwicklung, S. 73f. Norden, Bevölkerung, S. 271. Da die durch die Flutkatastrophe und ihre Folgewirkungen verursachte wirtschaftliche Krise langfristig wirkte und durch die verheerende Viehseuche des Jahres 1740 noch verstärkt wurde, setzte sich der Prozeß der Besitzkonzentration nach 1729/30 noch in verstärkten Maße fort. Vgl. auch Schaer, Die ländlichen Unterschichten zwischen Weser und Ems vor der Industrialisierung, S. 53. Vgl. Krämer, Historisch-geographische Untersuchungen, S. 96.

Besitzwechsel und Besitzkonzentration

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der Trend zur Arrondierung des Besitzes läßt sich, wie alle Untersuchungen zeigen, besonders im 17. und 18. Jahrhundert feststellen, in zwei Jahrhunderten, in denen Sturmfluten besonders viele Schäden anrichteten.244 Im 17. Jahrhundert verursachten Sturmfluten in den Jahren 1602, 1610, 1615, 1625, 1626, 1628, 1634, 1638, 1643, 1651, 1663, 1671, 1685 und 1686 schwere Deichbrüche an der Nordseeküste.245 Auch im folgenden Jahrhundert waren schon vor der Sturmflut von 1717 erhebliche Schäden an den Deichen entstanden: 1703, 1706, 1710, 1714, 1715 und 1716. Die Weihnachtsflut stellte dann alle vorhergehenden Sturmfluten in den Schatten. Als Folge der hohen Menschenverluste - ganze Familien wurden durch die Flut vernichtet - gab es viele herrenlose und wüste Ländereien. Die Fläche des herrenlosen Landes wurde noch dadurch vergrößert, daß viele Hofbesitzer ihren Betrieb wegen zu hoher Schulden aufgaben und mit ihrem restlichen Gütern wegzogen, bevor er in Konkurs ging. In der oldenburgischen Vogtei Burhave wurden beispielsweise in den Jahren 1719 1.210 Jück (678 ha) und 1720 noch 1.128 Jück (632 ha) Land als herrenlos registriert, was ca 15% der Gesamtfläche der Vogtei ausmachte. In der Vogtei Stollhamm waren 1721 noch 757 Jück (424 ha) und ein Jahr später noch mehr Land, nämlich 864 Jück (484 ha), wüst; das bedeutet, daß fünf Jahre nach der Sturmflut ca. 20% der Gesamtfläche nicht in Privatbesitz waren.246 Auch aus der oldenburgischen Gemeinde Langwarden wurde über das viele herrenlose Land geklagt, weil die an dieses Land gebundene Deichlast jetzt von den übrigen Einwohnern getragen werden mußte.247 In Norderdithmarschen lagen im Jahre 1720 noch 590 Morgen (ca. 800 ha) Land wüst, für die man keine neuen Besitzer fand.248 Als die oldenburgische Landesherrschaft Anfang Februar 1726 versuchte, das eingedeichte Schweiburger Land zu verheuern, fand sie kaum Interessenten, und diese wollten nicht mehr als einen halben Reichstaler pro Jück (0,56 ha) bezahlen.249 Das große Angebot an Ländereien in den Marschregionen führte dazu, daß der Preis für Land enorm sank. Wer Geld besaß, konnte in dieser Situation günstig Hofstellen und Land kaufen. „Die großen Kosten veranlaßten, daß man dergleichen Land um eine Kleinigkeit losschlug. Wer also nur arbeiten konnte und wollte, wurde leichtlich Eigentümer der besten Ländereyen. Manche arbeitsame Familie hob sich damals aus ihren geringen Umständen 244

245 246 247 248

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Nach der Sturmflut von 1634 kauften die Einwohner der Gemeinde Ballum im Herzogtum Schleswig die durch die Flut herrenlos gewordenen drei Höfe auf, um das Land ihren Ländereien zuzuschlagen. Siehe M. H. Nielsen, Stormfloden 1634 og dens Virkninger paa SonderjyllandsVestkyst, in: Senderjysk Aarbeger 1901, S. 68f. Vgl. Norden, Bevölkerung, S. 75f. Norden, Bevölkerung, S. 268. StA Old: Best. 26, 1264: Schreiben der Eingesessenen vom 31.8.1718. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an dänischen König, Kiel 25.10.1720. Blumenberg, Deiche - Siele - Menschenschicksale, S. 62.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

empor...", stellte Visbeck im Jahr 1798 fest.250 Familien, die auf der Geest einen kleinen Besitz hatten, kauften sich nach der Weihnachtsflut zu günstigen Bedingungen eine Hofstelle in der Marsch. 251 Die schlechte wirtschaftliche Lage in den Jahren nach der Sturmflut von 1717 führte aber vor allem dazu, daß der schon im 17. Jahrhundert beginnende Prozeß der Besitzkonzentration wesentlich beschleunigt wurde. 252 Große, kapitalkräftige landwirtschaftliche Betriebe, die von der Krise weniger in Mitleidenschaft gezogen worden waren, kauften die vor dem Konkurs stehenden oder herrenlosen Hofstellen auf und schlugen sie ihrem Besitz zu. Diese Entwicklung führte schließlich dazu, daß in der Oldenburger Küstenmarsch - im Gegensatz zu den übrigen Landesteilen - um die Mitte des 18. Jahrhunderts nur noch 28% der Bevölkerung „der führenden, über nahezu den gesamten Landbesitz verfügenden bäuerlichen Schicht" angehörten. Am Ende dieser Entwicklung „standen sich arm und reich, arrondierter, großbäuerlicher Besitz und labile, landarme Kleinexistenzen unmittelbar gegenüber". 253

7.7. Langfristige Wirkungen Die Viehseuche und der Mäusefraß hatten der Landwirtschaft in den Nordseeküstenländern in den Jahren vor der Flutkatastrophe große Verluste gebracht. Die Weihnachtsflut entzog vielen Bauern ihre wirtschaftliche Grundlage nun gänzlich, indem sie den bereits dezimierten Bestand an Vieh weiter stark verringerte oder vernichtete, Häuser und Scheunen zerstörte und durch die Überschwemmungen der Felder den Anbau von Getreide wie auch die Gräsung des Viehs für einen oder mehrere Sommer verhinderte. Große Verluste und starke wirtschaftliche Einbußen in den Jahren nach der Flut mußten sowohl die selbst wirtschaftenden Hofbesitzer als auch die Heuerleute und 250

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Visbeck, Die Nieder=Weser und Osterstade, Hannover 1798, S. 129. Ohling stellt im zweiten Band von „Ostfriesland im Schutze des Deiches. Beiträge zur Kulturund Wirtschaftsgeschichte des ostfriesischen Küstenlandes", S. 167 fest, daß die außerordentliche Verschuldung „zum völligen Ruin vieler ländlicher und städtischer Eigentümer führen und eine einschneidende Umgruppierung des Grundbesitzes zur Folge haben" sollte. Vgl. E. von Lehe, Zerstörung und Wiederaufbau, S. 43; auch Walter Fritsche, Die Landwirtschaft im Lande Wursten, auf der Hohen Lieth und im Hymenmoor einst und jetzt, S. 55. Vgl. Norden, Bevölkerung, S. 231; Old. Blätter, Nr. 32, 3.11.1817, Sp. 509f. Hinrichs/Krämer/Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg, S. 50f. Vgl. auch Swart, Zur friesischen Agrargeschichte, S. 224; Krämer/Reinders, Prozesse der sozialen und räumlichen Differenzierung, S. 104. E. von Lehe, Geschichte des Landes Wursten, S. 368 schreibt, daß es infolge der Deicharbeiten, an denen viele fremde Arbeiter sich beteiligt hatten, fast zu „einer sozialen und stammlichen Umschichtung" im Land Wursten gekommen sei. Der Anteil nichtfriesischer Einwohner sei gestiegen und der Kleingrundbesitz der Tagelöhner und Handwerker an den Deichen gewachsen.

Langfristige Wirkungen

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die Verpächter von Bauernhöfen hinnehmen. Da die Landwirtschaft im Sommer nach der Weihnachtsflut, vielerorts auch in den folgenden Jahren kaum Ertrag brachte, gleichzeitig aber die Ausgaben für den Deichbau beständig stiegen, war eine weitere Verschuldung der Bauern unausweichlich - ganz zu schweigen von den Kosten für die Wiedererrichtung oder Reparatur der Gebäude und für die Aufstockung und Neuanschaffung des Viehbestandes, der die Basis für die in der Marsch vorherrschende Milchwirtschaft war. Viele Bauernhöfe, die schon vor der Flut verschuldet waren, konnten nach der Weihnachtsflut weder Zinsen noch Tilgung aufbringen, sondern gerieten jetzt noch tiefer in Schulden, sowohl gegenüber den Gläubigern für ihre durch Anhäufung der Zinsen immer weiter steigenden Privatschulden als auch gegenüber der Landesherrschaft und dem Deichverband wegen der Steuerrückstände und der zum Deichbau vorgeschossenen Gelder, die zum größten Teil durch auswärtige Kredite finanziert wurden. Drei Generationen mußten den Abtrag dieser Kredite leisten. Die hohe Schuldenlast trieb viele Bauern in den Ruin; Konkurse waren die Folge. Bei den Bauern, die noch etwas erwirtschaften konnten, wurden staatlicherseits die Steuern und die Steuerrückstände mit aller Härte eingetrieben, weil dieses Geld zum Deichbau benötigt wurde. Dabei wurde mancher Bauer zusätzlich in seiner Existenz gefährdet. Auf Steuerstundung und -erlaß konnten nur die völlig einkommenslosen, zum Teil gänzlich verarmten Bauern hoffen. Das Aussterben ganzer Bauernfamilien, die Versteigerungen und die mehr oder weniger freiwillige Aufgabe vieler Höfe führten zu einem großen Angebot an Land, das in den Jahren nach der Weihnachtsflut zu äußerst niedrigem Preis zu haben war. Noch kapitalkräftige Hofbesitzer kauften in diesen Jahren Ländereien auf und arrondierten dadurch ihren Besitz, was zu einer deutlichen Besitzkonzentration in der Marsch führte. Aber auch die Zahl der ganz kleinen Landbesitzer nahm zu, was sich dadurch erklären läßt, daß einerseits mittelgroße Bauernhöfe sich aus wirtschaftlichen Gründen verkleinern mußten und andererseits Geestbauern und Arbeiter ohne Landbesitz mit geringem Kapital Land erwarben. In einem Gutachten über den Zustand des Butjadingerlandes aus dem Jahr 1785 schrieb der Kammerrat Bolken, 15 bis 20 Jahre nach der Weihnachtsflut von 1717 sei keine Spur der Flutkatastrophe mehr vorhanden, das Land durchgängig in gutem Wohlstande und die Anzahl bemittelter Einwohner beträchtlich gewesen.254 Ab 1733, also 16 Jahre nach der Sturmflut, konnten die Butjadinger Marschbauern, wie die Steuerregister ausweisen, ihre öffentlichen Abgaben wieder voll leisten.255 Die wirtschaftliche Entwicklung in Butjadingen darf jedoch nicht verallgemeinert und auf andere Marschgebiete 254 255

Norden, Bevölkerung, S. 271. Norden, Bevölkerung, S. 266f. Ab 1744 wurden die öffentlichen Abgaben schon nicht mehr voll abgeführt.

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Auswirkungen II: Wirtschaftlicher Niedergang

übertragen werden.256 Weil die dänische Landesherrschaft in den Jahren 1724 und 1731 auf die Zurückzahlung von 455.000 der insgesamt 728.000 Reichstaler verzichtete, die sie zur Wiederherstellung der Deiche in der Grafschaft Oldenburg vorgeschossen hatte, war die Voraussetzung für eine Erholung hier besser als in anderen Ländern. Diese wirtschaftliche Erholung war indessen nur von kurzer Dauer. Verheerende Viehseuchen und schlechtes Wetter brachten in den 1740er Jahren einen konjunkturellen Einbruch. Zwar stellt auch Wiarda für Ostfriesland fest, das Land habe lange Jahre nachher die Folgen der Flutkatastrophe empfindlich gefühlt, sich aber allmählich wieder erholt. Die wirtschaftliche Lage in Ostfriesland besserte sich jedoch erst nach Übernahme des Landes durch Preußen im Jahre 1744, also wesentlich später als in Oldenburg, und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mußten die ostfriesischen Marschbewohner die für den Deichbau aufgenommenen Kredite abbezahlen. Die Tatsache, daß Ostfriesland sich wirtschaftlich langsam wieder erholen konnte, führt Wiarda vor allem darauf zurück, daß die ungeheuren Summen an Krediten im Land blieben und dort zirkulierten, bevor sie im Laufe der Jahre abgetragen wurden.257 Zur Erholung der Marschenlandschaften trugen noch weitere Faktoren bei: die sich allgemein verbessernde konjunkturelle Entwicklung in Nordeuropa, die in steigenden Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse ihren Ausdruck fand, und die Umstrukturierung in den Besitzverhältnissen der Marsch. Viele hoch verschuldete, nicht mehr existenzfähige Bauernhöfe wurden aufgegeben und von neuen, kapitalkräftigen Besitzern übernommen, wodurch wieder eine stabilere wirtschaftliche Grundlage dieser Landschaften geschaffen wurde. Und schließlich war die Regeneration der Marschländer auch nur möglich, weil die Landwirtschaft hier aufgrund des fruchtbaren Bodens überdurchschnittliche Erträge erzielen konnte. Mit dem Gewinn, der durch die hohen Preise für Agrarprodukte noch gesteigert wurde, konnten die auf den Bauernhöfen lastenden Schulden nach und nach abgetragen und die laufenden Abgaben wieder geleistet werden.

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257

In Eiderstedt habe man die Folgen der Weihnachtsflut noch 1740 spüren können, schreibt Rosien in seiner Eiderstedter Chronik. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 79f.

8. Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Normen 8.1. Strandraub

In der Sturmflutnacht waren durch die Gewalt des Wassers aus den zerstörten und beschädigten Häusern zahlreiche Gegenstände herausgespült und weggetrieben worden. Schränke, Truhen und Kisten mit unterschiedlichem Inhalt, Tische, Betten und sonstiges Hausgerät trieben auf dem Wasser und wurden nach und nach an den höher gelegenen Orten angeschwemmt oder blieben nach Ablaufen des Wassers auf dem Lande liegen.1 Neben den organisierten Rettungsmaßnahmen stellte besonders die Sicherstellung dieses Strandgutes die örtlichen Beamten in den ersten Wochen nach der Sturmflut vor große Probleme. Etwa seit Mitte des 15. Jahrhunderts beanspruchten die Fürsten die am Strand angeschwemmten Güter in verstärktem Maße für sich.2 Seitdem gehörte das Strandrecht somit zu den hohen Regalien, d.h. zu den Regalien des Fürsten. In Strandordnungen wurde immer wieder genau festgelegt, wie mit dem Strandgut zu verfahren sei. Die 1667 für das Amt Tondern und 1669 für die Insel Nordstrand und die Halligen von Herzog Christian Albrecht erlassenen Strandordnungen bestimmten, daß das Strandgut, wenn sich kein Besitzer meldete, zu zwei Teilen an die fürstliche Obrigkeit und zu einem Teil an den Strandvogt und Berger gehen sollte. War der Besitzer bekannt, so bekam er nur ein Drittel seines Besitzes wieder, ein Drittel ging an den Fürsten 1

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Vgl. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 5: Johann Philipp Brenneysen an Georg Albrecht, Esens 27.12.1717: „Das gantze Ambt, so weit das waßer abgeloffen, ist mit allerhand gütern gleichsahm überschwemmet...". StA Old: Bstd. 26, 1263: Röhmer an Oldenburgische Regierung, Strückhausen 3.1.1718: Viele Sachen und Barschaften, Geräte, Kisten und Koffer, auch Bauholz und Dielen seien an den Deichen und hohen Ländereien in Stadland, in Hammelwarden und in der Elsflether Gegend angetrieben. Vgl. auch Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 330. Über das Strandrecht siehe Jacob Schuback, Vom Strandrecht I, Hamburg 1767, II, Hamburg 1781; Johann Georg Büsch, Darstellung des in den nördlichen Gewässern üblichen insonderheit des Schleswig-Holsteinischen Strandrechts, Hamburg 1798; Neithart Neitzel, Zur Geschichte des Strandrechts und zum heute gültigen Strandrecht, in: Schleswig-Holstein 1968, S. 255-258; Hans Meier, Vom alten Strandrecht und seinen Auswirkungen an der Küste des ehemaligen Amtes Cismar, in: HeimatWarte. Beilage zu den Wagrisch-Fehmarnschen Blättern, Nr. 11, 15. Jg., Juli 1938, S. 41 f; Ernst-Günther Meyer, Die Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Landschaft Sylt, Diss. Hamburg 1938, S. 16ff. Der im 15. und 16. Jahrhundert offenbar werdende fürstliche Anspruch auf die Strandgüter wird in Zusammenhang gebracht mit dem Verfall der Hanse. Die Hanse hatte in den vorhergehenden Jahrhunderten genug Macht, um überzogenen Ansprüchen auf ihre gestrandeten Schiffe Einhalt zu gebieten. So mußten die hansischen Kaufleute in den meisten Fällen nur Bergelohn bezahlen. Siehe Büsch, Darstellung des Strandrechts, S. 13 u. 23; H. Meier, Vom alten Strandrecht, S. 41.

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Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Normen

und ein Drittel an den Strandvogt und Berger. Wurde unverbautes Holz angetrieben, so erhielt der Fürst zwei Drittel davon und Strandvogt und Berger ein Drittel. Wrackholz und bereits verarbeitetes Holz ging jedoch allein in den Besitz des Strandvogtes über.3 Die Strandordnung des dänischen Königs Christian V. vom 29. März 1687, die er für seinen Anteil an den Herzogtümern Schleswig und Holstein erließ, war dagegen für die Besitzer von gestrandeten Schiffen oder anderen Gütern weniger hart. Danach sollte der Besitzer, wenn er sich legitimieren konnte, seine Güter gegen Bezahlung eines Bergelohnes zurückerhalten. Meldete sich der Besitzer des Strandgutes innerhalb eines Jahres nicht, so wurde das Strandgut zu gleichen Teilen zwischen dem Fürsten und dem Berger aufgeteilt.4 Ähnlich wurde auch in den anderen Küstenländern wie im Herzogtum Bremen, in Oldenburg und Ostfriesland verfahren. s Trotz dieser eindeutigen Rechtslage waren Verstöße gegen die Strandordnungen aber alltäglich.6 Der Diebstahl von Strandgütern wurde von den Küstenbewohnern nämlich nicht als ehrenrühriges Delikt angesehen.7 Selbst einige Geistliche sahen den Strandraub, wie er von der Obrigkeit genannt wurde, wohl als kein besonderes Vergehen an. Umstritten ist jedoch die inhaltliche Bedeutung der an manchen Küstenregionen üblichen Strandgebete, in denen für einen reichen Segen des Strandes gebetet wurde.8 Die Obrigkeit sah sich jedenfalls genötigt, immer wieder aufs neue Verordnungen gegen den Strandraub und Reskripte zur Einhaltung der bestehenden Strandordnungen zu erlassen.9 Daß die durch die Sturmflut 1717 geschädigten und zum großen Teil obdachlosen Einwohner großes Interesse daran hatten, unter dem Strandgut einen Teil ihrer Habe wiederzufinden, verwundert weiter nicht. Jeder wiedergefundene Teil des Besitzes, und wenn es auch nur einige Kleidungsstücke waren, erleichterte damals den besitzlos gewordenen Menschen die Existenz. Doch niemand konnte genau wissen, wohin gerade seine Mobilien getrieben 3 4 5

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Corp. Stat. Slesv. I, S. 585ff. Corp. Const. Hols. II, S. 1139ff. Büsch, Darstellung des Strandrechts, S. 25ff; Ketteier, General- und Special-Beschreibung des Hauses und Ambtes Leerorth, Anno 1735, Leer 1886, S. 64. Vgl. Krämer, Volksleben in Holstein, S. 47. Vgl. Georg Quedens, Strandgänger und Strandvögte, in: Schleswig-Holstein 1977, S. 6 und die aufschlußreichen Abschnitte in Volkmar, Versuch einer Beschreibung von Eiderstädt, S. 151ff. Schuback, Vom Strandrecht, I, S. 152ff; Neitzel, Zur Geschichte des Strandrechts, S. 255. In Mecklenburg wurde die Gebetsformel „Gott segne den Strand" erst 1777 abgeschafft, ebenda. Vgl. das am 17.3.1676 vom Staller in Eiderstedt erlassene Mandat wider diebische Entwendung der Strandgüter und das von den beiden Stallern in Husum am 31.12.1736 und Garding 4.1.1737 herausgegebene Mandat wegen des Strandguts und der dabei verübten Diebereien (Corp. Stat. Slesv. I, S. 306 u. 374). Vgl. ebenfalls die im Jahre 1724 von König Georg I. für das Herzogtum Bremen erlassene Verordnung, gedruckt bei Büsch, Darstellung des Strandrechts, S. 25ff.

Strandraub

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waren. Dennoch machten sich viele, nachdem sie gerettet worden waren und eine vorübergehende Unterkunft gefunden hatten, auf die Suche nach ihrem Besitz. Aber es gelang wohl nur wenigen, Teile des eigenen Inventars wiederzufinden. 10 So war die Versuchung groß, sich zum Ausgleich des eigenen Verlustes anderer Leute angestrandete Besitztümer anzueignen, obwohl es nach dem geltenden Strandrecht strengstens verboten war. Doch nicht allein die durch die Sturmflut verarmten Einwohner nahmen vom Strandgut mit, was sie nur tragen konnten, auch viele andere Personen machten sich in der Hoffnung auf große Funde auf die Suche nach Strandgütern. „Diejenigen, welche von dem Wasser nicht berühret, sollten billig mit ihren Nächsten Mitleiden gehabt haben, allein ihr räuberisches Herz war nur darauf bedacht, wie sie der Nothleidenden angetriebene Güter an sich bringen möchten, und Hessen unterdessen die Jammernde in ihrem Elend sitzen", urteilte der Auricher Pastor Christian Funck.11 Und wenn - wie in der Grafschaft Oldenburg - Gerüchte kursierten, daß einige Personen Tausende von alten und neuen Münzen gefunden hätten 12 , so wurde der Ansporn noch verstärkt, sich auf die schnelle, wenn auch illegale Weise zu bereichern. Es handelte sich durchaus nicht um Einzelfälle, sondern das Einholen von Strandgütern war in der katastrophalen Lage jener Zeit zu einem Massendelikt geworden.13 Der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns aus dem Lande Wursten berichtet der Stader Regierung am 12. Januar 1718, daß am dritten Weihnachtstag viele Leute mit unterschiedlichen Fahrzeugen losgezogen seien, um die Laden, Kisten und Kasten aufzufischen, entzweizuschlagen und den Inhalt an sich zu nehmen.14 Am 31. Dezember 1717 schrieb auch der Landvogt von Helm aus Süderdithmarschen an König Friedrich IV., daß die Leute fremde Strandgüter an sich nähmen. 15 In seinem im Juli 1718 verfaßten Bericht über die Weihnachtsflut 10 11

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Vgl. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 95. Ostfriesische Chronik, 5, S. 158. Vgl. Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 33f und 41. „Bey uns des raubens und plünderns so viel und groß ist, daß Gott Himmel unser Stad und Land noch 7 mahl mehr plagen muß, wo nicht eine Löbl. und Christi. Obrigkeit einen recht ernstlichen Einsicht darin thut", so J. Praetorius aus Schortens am 31.12.1717 (StA Old: Bstd. 90. 16, Nr. 5, fol. 13). StA Old: Bstd. 26, 1263: Röhmer an Oldenburger Regierung, Strückhausen 3.1.1718. Jedermann, „auch fast die Kinder in der Wiegen", hätten geplündert und geraubt, schrieb J. Praetorius aus dem Kirchspiel Schortens in der Herrschaft Jever am 31.12.1717 (StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 13). Vgl. Hencke, Andere Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 37; Hekelius, Büß- und Trauerpredigt II, S. 136; Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 330; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 14. Nach Siebs waren die „Beutemacher" zu einer „Landplage" geworden. StA Stade: Rep. 80 Wb, 180, Nr. 2, fol. 353f. In seinem „Teichs Diarium" schrieb Johanns: „d 29ten Decembris kamen aus Dornumb, Wremen und allen ohrten zu Schiffe Leute zu Padingbüttel zu mir, und war es ein groß Elend anzusehen, wie Kisten und Kasten trieben und geplündert worden...". B. E. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 72. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Designation der aus

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Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Normen

klagte der Amtmann Renemann aus Marienhausen in der Herrschaft Jever ebenfalls über „ein abscheuliches Rauben unter den weggetriebenen, hier und da angetriebenen Kisten, Kasten und Hausgeräthe". 16 Auch gestrandete Schiffe blieben von der Plünderung nicht verschont. Im Rheiderland wurde die Kajüte eines am Deich festsitzenden Schiffes, das Jan Jansen aus Delfzijl gehörte, mit Gewalt geöffnet und geplündert.17 Aus dem Amt Berum in Ostfriesland wird berichtet, daß der Diebstahl und der Raub von angestrandeten Gütern nicht zu beschreiben sei. Unter den Dieben seien auch Leute, von denen man es nicht vermutete.18 Mancher hätte fast sein eigenes Leben beim Auffischen von Gegenständen riskiert; einige hätten sich bei ihren Beutezügen so erkältet, daß sie anschließend schwer darniederlägen und einige sogar daran gestorben seien, berichtete der Wittmunder Pastor Hieronymus Brückner.19 Wer auf hohen Warften oder am Geestrand wohnte, hätte, wie Hekelius urteilte, nicht allein sein Vieh behalten, sondern auch gute Beute gemacht.20 Wie reagierte die Obrigkeit auf diese massenhaften Verstöße gegen das Strandrecht? Auch hier waren es zunächst die lokalen Beamten, die sich darum bemühten, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Als der Oberdeichgraf Johanns am 27. Dezember feststellen mußte, daß viele Leute sich auf die Suche nach Strandgütern machten, befahl er den Einwohnern des Landes Wursten bei Strafe, die angestrandeten Kisten und Kasten nicht zu öffnen, sondern in Sicherheit zu bringen. Außerdem ließ er die noch stehengebliebenen Häuser visitieren, um die dort noch vorhandenen Güter zu sichern. Mit dieser Anordnung hatte der Oberdeichgraf zwar seine amtlichen Befugnisse überschritten, jedoch meinte er, dieses Vorgehen mit der außergewöhnlichen Situation und der großen Not rechtfertigen zu können. Er habe außerdem wegen der Überschwemmung des Landes weder den Obervogt noch den Vogt erreichen können. Der Landesherr möge ihm deshalb diesen Eingriff in seine Jurisdiktion verzeihen, schrieb er am 12. Januar 1718 an die Regierung.21 Immerhin hatte diese Anordnung bewirkt, daß in dieser Gegend viele Eigentümer ihre Sachen zurückbekamen und auch neues Strandgut bei Fortsetzung Fußnote von Seite 203 dem Herzogthum Hollstein, Königl. Antheils.. .eingekommenen Memorialien und Briefen. 16 Oldenburgische Blätter, Nr. 32, 10.8.1830, S. 250. Vgl. StA Old: Bstd.,90, 16, Nr. 5, fol. 17: Schreiben des Drosten Weltzin am 27.12.1717. 17 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 11, fol. 13: Arnold Bluhm an Georg Albrecht, Emden 5.1.1718. 18 StA Aurich: Rep.4, B II q, Nr. 10, fol. 5: Jan Volrad Kettler an Georg Albrecht, Berum 10.1.1718. 19 Wittmunder Kirchenprotokoll, mitgeteilt von Bartels, S. 131. 20 Beschreibung, 1719, S. 73. 21 StA Stade: Rep. 80 Wb, Tit. 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1); vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 72.

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den dafür zuständigen Beamten angemeldet wurde. Am zweiten Weihnachtstag wurde in Jever in der Hauptpredigt ein Edikt verlesen, worin bei Geldund Leibesstrafe das Plündern verboten wurde. Alle Einwohner sollten geborgenes Strandgut den Behörden melden. Am 28. Deztmber wurde das Edikt mit Trommelschlag in der ganzen Herrschaft Jever nochmals öffentlich bekanntgegeben. 22 Am 3. Januar 1718 erließ auch die Stader Regierung auf Anordnung der königlichen Regierung zu Hannover ein Patent, das vorschrieb, alle angetriebenen und aufgefischten Güter sofort den lokalen obrigkeitlichen Beamten anzuzeigen und unbeschädigt und unaufgebrochen abzuliefern. Wer Güter unterschlage oder sich aneigne oder gar aus den Häusern stehle solle ohne Gnade mit schwerer Leibes- und in schweren Fällen mit Lebensstrafe belegt werden. Wer schon Treibgut aufgefischt oder wer aus den vom Wasser umgebenen Häusern etwas geholt habe, solle diese Güter unverzüglich abliefern, widrigenfalls sei der Stehler und dessen Hehler am Leibe oder zu Lebensstrafe zu bestrafen oder nach Hameln ins Gefängnis zu bringen.23 Dieses Patent wurde an den üblichen Orten öffentlich verlesen und auch von den Kanzeln bekanntgegeben. Auch der ostfriesische Amtmann Sebastian Ihering wartete mit den Maßnahmen gegen den Strandgutdiebstahl nicht, bis ein entsprechendes fürstliches Patent erschien. In den vier Kirchspielen Horsten, Etzel, Reepsholt und Leerhafe ließ er schon am 26. Dezember bekanntgeben, daß es bei Strafe verboten sei, angetriebene Güter zu entwenden und zu unterschlagen. 24 Im Amt Aurich wurde einen Tag später allen Vögten bei Strafe von 10 Groschen befohlen, gemeinsam mit den ihnen unterstellten „Auskündigern" 25 dafür Sorge zu tragen, daß die angetriebenen Sachen geborgen und aufgeschrieben würden, um Unterschlagung und Diebstahl zu vermeiden.26 Ein landesweites Mandat gab der ostfriesische Fürst Georg Albrecht schließlich am 28. Dezember 1717 heraus. Hierin wird den Einwohnern u.a. befohlen, die angetriebenen Sachen zu bergen und den Gerichtsdienern oder den Pastoren eines jeden Ortes einzuliefern und von diesen verzeichnen zu lassen, damit solche Gegenstände später den Eigentümern zurückgegeben werden

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Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 301. Am 30.12.1717 schlug der Rentmeister Block vor, das Edikt am nächsten Sonntag nochmals von den Kanzeln zu verlesen (StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 15). StA Stade: Rep. 80 Wb, Tit. 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 2). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 47: Sebastian Ihering an Georg Albrecht, Friedeburg 26.12.1717. Auskündiger hatten den Amtsvögten bei der Überwachung der Vogteien zu helfen, „bei Exekutions- und Immissionsfallen zu assistieren, bei Versteigerungen aufzuwarten, Delinquenten zu verhaften und abzuführen, Verordnungen, Bekanntmachungen, Mahnschreiben etc. zu befördern". Siehe J. König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 183f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 152.

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könnten. 27 Im Amt Wittmund fertigten allerdings nur die Pastoren die Verzeichnisse über das angegebene Strandgut an.28 Ein sehr strenges Vorgehen gegen die Strandräuber forderte am 8. Januar 1718 die kaiserliche Sequestrationskommission im Land Hadeln. Solche Frevler sollten sofort unter Zuziehung der Miliz verhaftet, durch einen kurzen Prozeß mit einer exemplarischen Leibesstrafe belegt und dem Befinden nach an den Galgen gehängt werden.29 Der dänische König Friedrich IV. befahl am 17. Januar 1718, daß alle Einwohner der Herzogtümer, die angestrandetes Holz oder andere Sachen an sich genommen hätten, solche bei Vermeidung schwerer fiskalischer Strafe anzeigen und zurückgeben sollten.30 In der Grafschaft Oldenburg wurde erst am 26. Januar 1718 ein Mandat erlassen, nach dem jeder Einwohner die von ihm gefundenen Strandgüter beim Landgericht oder Amtsvogt anzeigen sollte.31 Wer in der Sturmflut Sachen verloren hatte, konnte sich beim Landgericht melden und aus den dort vorhandenen Inventaríen ersehen, ob darunter auch seine Güter waren. Wie bei vielen in der Frühen Neuzeit erlassenen Verordnungen zeigte sich auch in diesem Fall, daß mit der Veröffentlichung eines Mandates noch lange nicht dessen Durchsetzung gewährleistet war. Gerade in den chaotischen Verhältnissen nach der Sturmflut war es für die lokalen Beamten schwierig, die Einhaltung fürstlicher Verordnungen zu überprüfen und durchzusetzen.32 Der Amtmann Johann Volrad Kettler konstatierte schon am 29. Dezember 1717, daß es unmöglich sei, „bey der großen confusion behörige gegenanstalt zu machen". 33 Im Amt Norden könne, wie der dortige Amtmann berichtete, die fürstliche Verordnung unmöglich cum effectu eingehalten werden, da mit zwei Vögten in einem ganzen Amt, zumal bei solchen Verhältnissen, nichts auszurichten sei.34 So wurde trotz der obrigkeitlichen 27 28

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 3f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 6: David Matthias Harling und Christian Eberhard Schleiffan Georg Albrecht, Wittmund 31.12.1717. (Scherder), Chronik des Landes Hadeln, S. 434. LAS: Abt. 11, Nr. 18311. Corp. Const. Old. 1722, Theil VI, S. 68f. Eine Verurteilung wegen Fundunterschlagung wie im Fall des Brauerknechts Behrend Rüsten in Esens zählte zu den Ausnahmen. Rüsten war von zwei Bürgern angezeigt worden, weil er einen mit Geld gefüllten Beutel nicht ablieferte. Er sollte 20 Gulden Strafe zahlen. Weil er das nicht konnte, wurde er in das Halseisen geschlossen. Siehe Drees, Die Weihnachtsflut, S. 37. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 3: Jan Volrad Kettler an Georg Albrecht, Berum 29.12.1717. Am 10.1.1718 teilten Kettler und August Friedrich von Schacht dem Fürsten Georg Albrecht mit, daß der Diebstahl und der Raub der angestrandeten Kisten, Kasten und anderer Sachen nicht zu beschreiben noch zu wehren sei, „weil es unmüglich ist, allenthalben Leute zu bestellen". (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 5). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 25: Johann Dietrich Kettler an Georg Albrecht, Norden 4.1.1718. Aus der Rüstringer Vogtei der Herrschaft Jever wird be-

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Verbote in allen von der Sturmflut betroffenen Gebieten weiterhin Strandgut entwendet. „Und scheinet es fast, daß die bosheit der Menschen so hoch gestiegen, daß Sie das Maes der Ungerechtigkeit und diebesgriffen, aller göttlichen Straffen ungeachtet noch mehr häuffen und größer machen wollen, welche Verstockung Zwar höchstens Zu bedauren, allein solcher boshafftiger Ungehorsahm und offenbahre Ungerechtigkeit auch ernstlich Zu bestraffen ist", schrieben die fürstlichen Beamten Harting und Schleiff an den Fürsten Georg Albrecht.35 Trotz aller Beschwernisse waren die zuständigen Beamten der einzelnen Länder jedoch bemüht, den Strandgutdiebstahl so weit, wie es ihnen möglich war, zu verhindern und die Diebe zur Rechenschaft zu ziehen. Um den obrigkeitlichen Anordnungen Folge zu leisten, meldeten zwar einige Einwohner den zuständigen Beamten oder Pastoren einige von ihnen geborgene Sachen, aber diese Gegenstände waren meistens nur zerbrochene Stücke Holz, altes Hausgerät und leere Kisten und Laden.36 Als die Beamten dieses feststellten, sahen sie sich genötigt, zur Durchsetzung der obrigkeitlichen Anordnungen schärfere Maßnahmen zu ergreifen. In vielen Kirchspielen wurden nun Hausdurchsuchungen angeordnet. Man hoffte, dadurch noch viele Sachen zu entdecken.37 Bei den in Midlum im Land Hadeln Anfang Januar 1718 durchgeführten Hausdurchsuchungen wurde aber nur wenig mehr gefunden, als vorher angegeben worden war. Das lag vor allem daran, daß diejenigen, die die Hausdurchsuchungen durchführten, selbst Strandgut geborgen hatten und jetzt bei der Aufspürung von Strandgütern äußerst nachlässig waren, um ihre Mittäter vor strafrechtlichen Folgen zu verschonen. Die Einwohner wurden dennoch öffentlich aufgefordert, die entwendeten Strandgüter beim Gericht deponieren zu lassen. Jedoch kein Einwohner des Kirchspiels Midlum leistete dem Folge. Deshalb bat die örtliche Obrigkeit die Stader Regierung, für einen Monat einen Corporal und sechs Mann von der Infanterie zu senden, um die Ausführung der obrigkeitlichen Befehle zu erreichen.38 Auch in anderen Kirchspielen blieben Hausdurchsuchungen mehr oder weniger erFortsetzung Fußnote von Seite 206 richtet: „Allein alle mühe und angewandter Fleiß ist vergeblich gewesen, da jedermann, auch fast die Kinder in der wiegen haben geplündert und geraubet" (StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 13). 35 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18, fol. 6f: Brief vom 31.12.1717. 36 StA Stade: Rep. 80 Wb, Tit. 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 5: Jan Volrad Kettler und August Friedrich von Schacht an Georg Albrecht, Berum 10.1.1718: Die Einwohner „melden nichts sonderliches, als nur von Holtzwerck und entzwey gestoßenen Kisten und Sachen, daran eben nicht viel gelegen ist." 37 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 5: Jan Volrad Kettler und August Friedrich von Schacht an den Fürsten, Berum 10.1.1718. 38 StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1): P. Matthiesen an die Stader Regierung, Midlum 10.1.1718.

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folglos, weil die Bewohner das geborgene Strandgut vorher außerhalb ihrer Häuser vergraben oder woanders versteckt hatten.39 Manche Einwohner hätten, wie der Pastor Brückner aus Wittmund mitteilte, falsche Eide geschworen, indem sie wahrheitsswidrig angaben, sie hätten keine Strandgüter geborgen.40 Sehr erfolgreich waren dagegen die am 3., 4. und 5. Januar durchgeführten Hausdurchsuchungen im ostfriesischen Kirchspiel Horsten. Unter Aufsicht des Burggrafen Leinern und des Vogts Michel Simons visitierten die Auskündiger Carl Christian, Sievert Jacobs und Jacob Sieverts die Häuser dieses Kirchspiels. Dabei konnten sie in 68 Wohnungen fremde Sachen sicherstellen. Bei manchen Leuten fanden sie allerdings nur einige Dinge von geringem Wert, andere dagegen hatten Kisten mit vollem Inhalt bei sich stehen. Schätze waren aber nicht darunter. So fanden die Auskündiger bei Anna Rahstedte nur einen Eichenpfosten und ein Brett; bei Gerd Ötken einen Pfahl, einen alten Stuhl und ein altes Brett; bei Otto Bley, dem Ordinärdeputierten des Amtes Friedeburg, aber eine Kiste mit allerlei Kleidungstücken, darunter ein schwarzes Wams, ein roter Rock mit Gimpen, ein graues Kamisol, zwei Hemden, ein Bettlaken, zwei Schürzen, ein Hut, zwei Kappen, eine Dose mit zwei Sechs-Groten-Stücken, eine weitere mit einem Reichstaler, fünf doppelten Markstücken sowie 14% Stüber; bei Johann Meinen Carstens wurden u.a. zwei Tonnen Bier gefunden, eine silberne Hemdspange, die er vom Hemde einer ertrunkenen Frau genommen hatte, und eine am 9. August 1698 ausgestellte gerichtliche Obligation von Rolf Fabers aus Mariensiel an Matthias von Werten und Jürgen Wallichs über 386 Mark und 2 Schilling Hamburger Geld; bei Dirck Weßels Ströhmer wurde auch ein Heuerbrief des Grafen Philipp von Gödens für Johann Balma gefunden. Wie die Listen zeigen, wurden bei diesen Hausdurchsuchungen hauptsächlich Kisten mit Kleidungsstücken, Hausgeräte und jede Art von Hölzern sichergestellt.41 Eine Ausnahme blieb jedoch der Fall Edzard Jobcken in Riepe, der in seinem Haus „viel Silber, Gold und große Sachen" zusammengetragen hatte.42 Hausdurchsuchungen fanden auch in anderen Ämtern Ostfrieslands statt wie im Amt Norden 43 , im Amt Greetsiel44 und im Amt Aurich.4S In der Grafschaft Oldenburg und in der Herrschaft Jever wurden ebenfalls Hausdurchsuchungen durchgeführt, wenn ein begründeter Verdacht vorlag.46 39

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 30f: Karl Ferdinand von Staudach und Sebastian Ihering an Georg Albrecht, Friedeburg 2.1.1718; Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 95, S. 137. Bartels, Zur Geschichte der Weihnachtsflut, S. 131f; Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut, S. 33f. Vgl. Hekelius, Büß- und Trauerpredigt II, S. 136. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 14ff. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 142. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 35ff. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14, fol. 20ff, 109ff. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 142. 45 StA Old: Bstd. 26, 1263; Jansen, Hist. Theol.Denckmahl, S. 303. Der Rentmeister

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Diese Hausdurchsuchungen ließen die Einwohner nur widerwillig über sich ergehen. In einigen Kirchspielen leisteten sie sogar Widerstand dagegen, wie in der Gemeinde Burmönken, wo sie sich der Durchsuchung und der Angabe der bei ihnen vorhandenen Strandgüter widersetzten. Deshalb wurden dem Burggrafen Leinern und dem Vogt zu Reepsholt sowie den drei Auskündigern am 30. Dezember 1717 ein Gefreiter und zwei Musketiere für die Hausdurchsuchungen zur Seite gestellt. Die dabei aufgefundenen Güter wurden von dem Notar Johann Conrad Hellmts aufgezeichnet.47 Wie die Designation des Notars zeigte, wurden dort vor allem aufgebrochene leere Kisten, Laden und Schränke gefunden. Deshalb vermutete der Drost Carl Ferdinand von Staudach, daß die Sachen schnell herausgenommen und irgendwo versteckt wurden. In den oldenburgischen Vogteien Blexen und Abbehausen hatten die Einwohner viele Dielen48 beiseite geschafft, die sie erst wieder herausgaben, nachdem der Untervogt unterstützt von einigen Soldaten Hausdurchsuchungen vorgenommen hatte.49 Die Bewohner des Großen und Kleinen Süder-Charlottenpolders im Amt Norden klagten ihrem Amtmann, etliche Leute hätten ihre weggetriebenen Kisten und Kästen aufgeschlagen und die darin befindlichen Sachen herausgenommen wie auch ihre vom Wasser fortgetragenen Mobilien weggenommen. Da von anderen Orten noch keine Leute herkommen konnten, vermuteten sie, daß ihre Nachbarn sich die Sachen geholt hätten. Der Amtmann Johann Dietrich Kettler befahl daraufhin dem Vogt Ferdinand Pichler, sich dorthin zubegeben und nach den angestrandeten Sachen zu forschen. Der Vogt sollte dort Hausdurchsuchungen vornehmen und dabei alle Kisten und Kästen öffnen lassen. Auch Häuser, Scheunen und Betten sollte er genau durchsuchen. Würden fremde Sachen gefunden werden, so seien sie den Eigentümern zurückzugeben. Im Zweifelsfall müßten die Sachen zur vorübergehenden Aufbewahrung in die Scheunen der Vögte gebracht werden.50 Problematisch war der Auftrag, da der Norder Amtmann den Vogt auch zu Hausdurchsuchungen in den benachbarten, zum Amt Aurich gehörenden Häuser ermächtigte. Er meinte aber, das in diesem Fall verantworten zu können, weil die Einwohner des Charlottenpolders sich wegen der Überschwemmung nicht an die zuständigen Beamten des Amtes Aurich wenden könnten und die Sache auch nicht aufgeschoben werden Fortsetzung Fußnote von Seite 208 Block schlug der Regierung zu Jever schon am 26.12.1717 vor, Hausdurchsuchungen vornehmen zu lassen, weil nur wenig Strandgüter angegeben würden (StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 14). 47 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 30f: Karl Ferdinand von Staudach an Georg Albrecht, Friedeburg 2.1.1718. 48 Dielen sind dicke Holzbretter, die besonders beim Deichbau gebraucht wurden. 4 ' StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichgraf von Münnich an die Kgl. Kommission, Tettens 29.9.1718. 50 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 29f: Schreiben Johann Dietrich Kettlers vom 28.12.1717.

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dürfe. Der Vogt Pichler wurde bei seinen Hausdurchsuchungen auch tatsächlich fündig. „Eß sind aber dadurch die Leute, welche der andern armen Leuten Güter unterzuschlagen Verneinet, Zu der Extremität gekommen, daß sie gedrohet, wann der Voigt Von hier wieder hinkommen würde, denselben mit gesambter Hand Zu Vertreiben und Zu schlagen, weil sie sich unmüglich weiter visitiren laßen wollten", meldete der Amtmann Kettler dem Fürsten.51 Die Leute seien, wie er gehört habe, vom Ratsverwandten Koch, „der nichts als Unruhe und troublen suchet", aufgewiegelt worden. Johann Redlef Koch war Ratsherr in der Stadt Norden und gehörte dort zur „ständischen" Partei.52 Sollte er tatsächlich die Leute gegen die fürstlichen Beamten aufgewiegelt haben, so hätte ihr Protest auch eine politische Dimension, weil sich in jener Zeit in Ostfriesland Fürst und Stände in heftigen Auseinandersetzungen um die innere Machtverteilung befanden. 53 Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Regierungen der einzelnen Küstenländer trotz der widrigen Umstände bemüht waren, eine ordentliche Sicherstellung des Strandgutes zu erreichen, um die angestrandeten Sachen den rechtmäßigen Besitzern wieder zukommen zu lassen. Das gesammelte und beschlagnahmte Strandgut wurde dazu in Listen erfaßt und an zentralen Orten zusammengetragen, in Norden z.B. im Rathaus, an anderen Orten in den Scheunen der Vögte. Dort konnten die Einwohner die geborgenen Sachen ansehen und prüfen, ob sich darunter auch ihr Eigentum befand. S4 Wiederbekommen konnten sie ihr Eigentum allerdings erst, wenn sie es auch beweisen oder durch Zeugen bestätigen konnten, daß sie die Besitzer wären. Härmen Rolffs und Jürgen Uphoff aus Wiegboldsbur zum Beispiel erhielten ihre weggetriebenen Sachen zurück, nachdem sie eidlich im Beisein eines Gerichtsdieners die Güter als die ihren erkannten. 55 Fanden sich keine Eigentümer für die aufbewahrten Güter, wurden sie öffentlich versteigert oder verkauft. Der

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StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 21f: Johann Dietrich Kettler an Georg Albrecht, Norden 4.1.1718. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 189. Koch war 1691 seines Amtes als Ratsherr entsetzt worden, weil er sich fürstlichen Anordnungen widersetzt hatte. Da er aber ohne rechtliche Form und ungehört abgesetzt worden war, wurde er später wieder in sein Amt eingesetzt. Vgl. dazu Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft? Landesherr und Landstände in Ostfriesland im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, Hildesheim 1982. Der Auskündiger Wilcke von Assen aus Uttum im Amt Greetsiel z.B. bat den Fürsten in einem Schreiben am 7. April 1718, das Holz von seinem zerstörten Haus bei den Bergern aufsuchen und zur Wiederherstellung seines Hauses verwenden zu dürfen. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 14, fol. 55. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 302. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 129. Poppe Jansen und Hinrich Eilers stellten den Antrag, ihre durch die Flut weggetriebenen und in Engerhafe und an einigen anderen Orten wieder angetriebenen Güter an sie auszuliefern. (Ebenda, fol. 123f).

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Erlös floß dann der fürstlichen Kasse zu.56 In den oldenburgischen Vogteien Strückhausen und Hammelwarden wurden Strandgüter für 224 Rtlr und 15'/ig verkauft; der Amtsvogt Dumbstorff ließ angetriebenes Brennholz für etwa 270 Rtlr an den Meistbietenden verkaufen. 57 Am 13. November 1720 wurden angetriebene und abgelieferte Strandgüter in Wilhelm Paradies' Haus bei der Stollhammer Kirche meistbietend verkauft, am 22. Januar 1722 im Materialhaus bei Bähr und am 26. März 1722 im Hause Henrich Brandcamps in Waddens.58 Aber es wurden auch Sachen, deren Besitzer nicht gefunden wurde, an Arme verteilt.59 Wie wir den Quellen entnehmen können, ist aber ein Großteil der Strandgüter nicht wieder in die Hände der Besitzer gelangt. Viele angestrandeten Gegenstände waren schnell in anderen Besitz übergewechselt. Es ist ein auffallendes Phänomen, daß der Diebstahl von Strandgütern in dieser Katastrophenzeit zu einem Massendelikt wurde. Auch die Androhung harter Strafen und die exemplarische Bestrafung von Strandräubern vermochten die Leute nicht abzuschrecken.60 Ebensowenig konnten die eindringlichen Predigten etwas gegen die Strandräuberei ausrichten. Die Prediger konnten „den Greuel dieser himmelschreyenden Sünde aus dem Worte Gottes noch so lebendig abmahlen", sie konnten „die unausbleiblichen fernere Plagen / die daselbsten auf uns gezogen würden / anzeigen / so war doch bey den meisten alles umsonst". 61 Welches mögen die Ursachen dafür sein, daß trotz staatlicher Verbote und kirchlicher Ermahnungen der Strandraub nicht zu unterbinden war? Ein Grund für den gewaltigen Anstieg dieses Deliktes ist zunächst die durch die Sturmflut entstandene allgemeine Not. Daß zwischen Diebstählen und Subsistenzkrisen eine enge Beziehung besteht, ist in der Kriminalitätsge56

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Der Kammerrat Röhmer betonte in einem Schreiben an die Oldenburgische Regierung vom 3.1.1718, daß, falls sich die Besitzer der Sachen nicht finden lassen sollten, das herrschaftliche Interesse darunter nicht versäumt werde. (StA Old: Bstd. 26, 1263). StA Old: Bstd. 26, 1263: Breuneck an die Kommsission, Oldenburg 20.6.1719 und 12.8.1719. Noch 1726 lagen eine Menge der angestrandeten und in Verwahrung genommenen Sachen bei den obrigkeitlichen Beamten auf Lager. (Ebenda: Sehestedt u. Breuneck an die Regierung in Kopenhagen, Oldenburg 6.8.1726.). Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 138. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 18: Georg Albrecht an die Beamten im Amt Wittmund, 21.2.1718; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 5: Johann Philipp Brenneysen an Georg Albrecht, Esens 27.12.1717. Die Armen von Marienhafe baten darum, angestrandetes, besitzerloses Holz zur Reparierung der ruinierten Armenhäuser benutzen zu dürfen. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 108. In Jever wurden zur Abschreckung anderer zwei Männer aus Garmssiel wegen Strandraubes an den Pranger gestellt und öffentlich ausgepeitscht. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 303. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 693. Der Pastor zu Roggenstede z.B. ermahnte seine Zuhörer in einer Betstunde, das verborgene Strandgut wieder herauszugeben. Siehe Hencke, Andere Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 41.

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schichte schon lange bekannt. 62 Der Diebstahl diente somit vor allem zur Linderung der eigenen Not. Gerade in dieser extremen Situation nach der Sturmflut konnte der Fund eines Butterfasses oder einer Tonne Korn, selbst wenn das Korn durchnäßt war, das Überleben sichern. Woher hätte der notleidende Kätner Holzbalken zur Reparatur seines kleinen Hauses bekommen können, wenn er sich nicht selbst am Strand das nötige Material zusammengesucht hätte?63 Ein weiterer Grund für den enormen Anstieg des Strandraubes ist die Tatsache, daß in den damaligen chaotischen Zuständen die Gefahr, von obrigkeitlichen Beamten bei der Entwendung von Strandgut erwischt zu werden, relativ gering war. Dadurch wurde selbst ängstlichen Menschen der Schritt zum Gesetzesbruch erleichtert. Ferner ist zu bedenken, daß Strandraub von den Küstenbewohnern nicht als schlimmes Vergehen angesehen wurde und daß die Auseinandersetzungen zwischen Strandgängern und Strandvögten eine lange Tradition haben. So ergibt sich die Frage, ob in dieser Erscheinung nicht auch ein über lange Zeit tradierter Sozialprotest der Küstenbewohner zu sehen ist, der sich eben in Krisenzeiten besonders deutlich zeigte. Der Protest hätte sich dann gegen die fürstliche Obrigkeit gerichtet, die den Küstenbewohnern ein altes Recht genommen hatte, indem sie den ihnen in Form von Strandgütern zugekommenen Gewinn für sich selbst beanspruchte. In dem theologisch-systematischen Teil seines 1722 erschienenen Buches über die Weihnachtsflut von 1717 geht der aus Jever stammende Johann Friedrich Jansen auch auf die Frage ein, „ob jemand die in der Fluth herumschwimmende / oder auch angestrandete Güter / so andern Leuten zugehörig / mit gutem Gewissen könne zu sich nehmen / sie zu halten / und wenn sie jemand zu sich genommen / ob er solche vermöge / ohne schwere Sünde / als ein rechtmäßig erworbenes Guth zu besitzen."64 In seiner Antwort argumentiert Jansen fast auschließlich theologisch; rechtliche Gesichtspunkte läßt er außer acht. Entschieden wendet er sich gegen die Ansicht, die Strandgüter seien ein von Gott geschenkter Segen. Diese irrige Annahme habe in einem Ort der Herrschaft Jever sogar dazu geführt, daß die Leute haufenweise an den Strand gelaufen seien und dabei mit Freuden den Segen Gottes gerühmt und das Lied gesungen hätten: „Wer nur den lieben Gott läßt walten. " 6S Für ihn besteht kein Zweifel daran, daß es eine schwere Sünde ist, fremde Strand62

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Vgl. Dirk Blasius, Kriminalität und Alltag. Zur Konfliktgeschichte des Alltagslebens im 19. Jahrhundert, Göttingen 1978, S. 47. Als der Tagelöhner Weyert Rippe vom Schoonorter Deich im Amt Greetsiel in einem Schreiben an den Fürsten darum bat, von dem unrechtmäßig geborgenen Holz etwas zur Reparatur seines Hauses zu bekommen, wurde ihm nur geantwortet, er solle genau angeben, an welchen Orten angestrandetes Holz verborgen würde. Gleichzeitig ging ein Mandat an den Vogt, das verborgene Holz aufzusuchen und die Liste und seinen Bericht einzusenden (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 22). Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 690ff. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 694f.

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güter in Besitz zu nehmen. Jeder, der sich fremde Güter angeeignet habe, müsse diese an den Eigentümer zurückgeben. Das lehre nicht nur die Vernunft, sondern vor allem die Heilige Schrift, wie Matth. 7, 12 und besonders Lev. 6, 1-7 zeigen. Wer gegen diese Gebote Gottes handle, müsse mit schweren Strafen rechnen. Die Vergebung dieser Sünde könne nur erwarten, wer die fremden Güter zurückgebe oder, falls er diese nicht mehr besitze, eine Erstattung leiste. Davon ausnehmen wolle er nur die ganz Armen, die zu keiner Erstattung fähig seien. Sie müßten in Reue und Buße um Vergebung bitten. Jansens Antwort, die den obrigkeitlichen Standpunkt theologisch untermauern will, gerät somit zu einer Bußpredigt für die Strandräuber, die er zu Umkehr, wahrer Buße und Bekehrung aufrief.

8.2. Tod und Schande Nach der Sturmflut lagen an den Deichen und auf den Feldern der Marschgebiete Tausende von ertrunkenen Tieren. Die Landesobrigkeiten sahen darin eine Bedrohung der überlebenden Menschen, weil sie befürchteten, daß aus diesen Tierkadavern ansteckende Krankheiten und Seuchen entstehen könnten. 66 Deshalb gingen an die Beamten in den Überschwemmungsgebieten dringende Aufforderungen, dafür Sorge zu tragen, daß die toten Tiere möglichst schnell vergraben würden. 67 Doch wer war für die Beseitigung der Tierkadaver zuständig? Nach altem Herkommen und obrigkeitlichem Privileg waren in den Küstenländern nur die örtlichen Scharfrichter und ihre Knechte, die meistens Abdecker (Schinder) waren, berechtigt, verendetes Vieh in der Erde zu verscharren. In zwei ostfriesischen Verordnungen von 1695 und 1704 wurde es den Einwohnern ausdrücklich verboten, das Vieh selbst oder durch fremde Abdecker begraben zu lassen.68 Folglich wiesen die Beamten die Scharfrichter an, sich unverzüglich mit ihren Knechten in die Marschgebiete zu begeben, um die dort herumliegenden Tierkadaver in der Erde zu vergraben. 69 Jedoch waren die Scharfrichter mit ihren Knechten bei

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Die Luft würde durch den Gestank des toten Viehs angesteckt, wodurch gefährliche ansteckende Seuchen verursacht und das Unglück des Landes und dessen Einwohner noch vergrößert würden. So heißt es z.B. in einer Verordnung der oldenburgischen Regierung vom 17.2.1718 (Corp. Const. Old., 1722, Teil VI, S. 70). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Königliche Regierung zu Hannover an die Stader Regierung, Hannover 1.1.1718; StA Old: Bstd. 26, 1263: Kammerrat Röhmer an Oldenburger Regierung, Strückhausen 3.1.1718: StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, p. 92: Tannen und Ahmeken an Rentmeister Block, Altgarmersiel 2.1.1718; StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 26f: Johann Dietrich Kettler an die Landesherrschaft, 2.1.1718. König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 303. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 4): Anordnung der Stader Regie-

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den großen Massen an ertrunkenem Vieh mit einer raschen Beseitigung der Tierkadaver überfordert. Weil auch die Regierungen sich dessen bewußt waren, aber ein schnelles Vergraben der Kadaver für dringend notwendig hielten, ordneten sie an, daß die Einwohner sich in dieser Notsituation an der Beseitigung der auf ihrem Land liegenden Tierkörper beteiligen sollten.70 Doch viele Einwohner fügten sich dieser Anordnung nicht und weigerten sich, diese Schinderarbeit zu übernehmen. „Ich habe öffters befehl ergehen laßen, daß sie das angetriebene Todte Vieh begraben solten, ich habe es bis dato noch nicht dahin bringen können", klagte Matthiesen aus Midlum in einem Schreiben vom 10. Januar 1718 an die Stader Regierung.71 Diese Weigerung der Einwohner hatte tiefere Gründe. Nach damaligen Vorstellungen übten Scharfrichter und Abdecker eine verfemte Tätigkeit aus. Sie gehörten zu den „unehrlichen Leuten", die als outcasts galten, und deshalb am Rande der Gesellschaft lebten.72 Besonders die Scharfrichter und die Abdecker wurden von der Bevölkerung wie Pestkranke gemieden; „eine förmliche Sperrkette von Tabus" umgab sie und ihre Familien.73 Wer einem Abdecker die Hand gab, mit ihm aß und trank oder seine Geräte berührte, wurde selbst „unehrlich". Da auch schon die mittelbare Verbindung mit dem Abdecker Schande und Verruf brachte, vermieden es die Menschen, in die Tätigkeit des Abdeckers einzugreifen. Das bedeutete zum Beispiel, daß man selbst keine gestorbenen Tiere begrub. Wer nur irgendeinen Kadaver berührte, wurde als dem Abdecker gleichgestellt angesehen und galt fortan als „unehrlich". 74 Diese Vorstellungen waren in der Bevölkerung der Frühen Neuzeit so fest Fortsetzung Fußnote von Seite 213

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rung vom 5.1.1718; StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, p. 15: Rentmeister Block an die Regierung in Jever, 26.12.1717. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 26f: Johann Dietrich Kettler an die Landesherrschaft, 2.1.1718. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, p. 92: Tannen und Ahmeken an Rentmeister Block, Altgarmersiel 2.1.1718. Der ostfriesische Scharfrichter Jobst Froböse protestierte gegen die Beteiligung der Einwohner und forderte für sich und seine Abdeckerknechte das ausschließliche Recht, die Tierkadaver zu beseitigen. Die Regierung wollte ihm dieses Recht in dieser außergewöhnlichen Lage jedoch nicht zugestehen. Doch solle, wie betont wurde, „dieser extraordinaire Casus weder ihme noch seinen Knechten künfftig zum praejuditz oder Consequentz gereichen". (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, p. 81, 84). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). Danckert, Unehrliche Leute, Bern 2 1979; Beneke, Von unehrlichen Leuten, Berlin 1899; Wisseil, Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, I, Berlin 1929; Chr. Meyer, Die unehrlichen Leute in älterer Zeit, Hamburg 1894 ( = Virchows Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, N.F. IX, Heft 193); Stoltze, Unehrliche Leute, in: Zeitschrift f. Kulturgeschichte, N.F., 2 (1873), S. 255ff; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 8, Sp. 1398-1404. Danckert, Unehrliche Leute, S. 14. Danckert, Unehrliche Leute, S. 168f.

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verwurzelt, daß auch obrigkeitliche Anordnungen die meisten Einwohner der Küstenländer nicht dazu bewegen konnten, das ertrunkene Vieh selbst zu vergraben. Und auch die Angst vor Seuchen, die von den verwesenden Tierkadavern ausgehen könnten, bewirkten bei den meisten Einwohnern keinen Sinneswandel. In der Verordnung der oldenburgischen Regierung vom 17. Februar 1718, nach der die Einwohner sich an der Beseitigung der toten Tiere beteiligen sollten, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Verscharren der toten Tiere niemandem „zu einem Vorwurff gereichen, noch sonst an seiner Ehren und guten Nahmen im geringsten nachtheilig seyn soll". „Immassen diejenige, so dieser heilsamen Verordnung auch in diesem Stück nachleben, wider alles Vorrücken mit Nachdruck geschützet werden sollen", hieß es ferner.75 Daß sich traditionelle Vorstellungen nicht durch eine Verordnung verändern lassen, war aber auch der Regierung klar. Sie verfügte deshalb zugleich: Wer die auf seinem Land angetriebenen Tierkadaver nicht selbst vergraben wolle, solle dem Abdecker Bescheid geben, damit er diese beseitige. Die Wochen und Monate nach der Weihnachtsflut waren für die Abdecker in den Küstenregionen eine einträgliche Zeit, da es außergewöhnlich viel zu tun gab. Zwar bekamen sie für das Vergraben der Kühe in der Regel kein bares Geld, aber als Lohn für ihre Arbeit durften sie die Felle behalten, die sie den toten Tieren abzogen und die sie später an die Gerber weiterverkauften. Wollte ein Bauer das Fell aber selbst behalten, so mußte er dem Abdecker für das Vergraben der Tierkadaver eine genau festgesetzte Gebühr entrichten. Die Regierungen der Küstenländer ordneten ferner an, daß die Gruben, in die das tote Vieh hineingeworfen werden sollte, von den Einwohnern ausgehoben werden mußten, auf deren Grundstück die Tierkadaver lagen. Das sei notwendig, weil es bei der Menge des ertrunkenen Viehs, wie es in der oldenburgischen Verordnung hieß, nicht möglich sei, „und zu langweilig und gefährlich seyn würde, wann die Abdecker solches verrichten solten".76 In Ostfriesland weigerten sich Einwohner, die Gruben für die toten, von den Abdeckern schon enthäuteten Tiere auszuheben, obwohl es ihre Pflicht war.77 Die Arbeit der Abdecker nahm viele Wochen in Anspruch. Noch im Mai 1718 begab sich der Scharfrichter Martin Meyer mit einigen Knechten auf Befehl der Stader Regierung in die Marschländer des Herzogtums Bremen, um die dort noch herumliegenden Tierkadaver zu vergraben. Da er für diese Arbeit mehr Knechte benötigte, als er selbst hatte, ließ er sich einen Knecht 75 76

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Corp. Const. Old., 1722, Teil VI, S. 70. Ebenda. In Ostfriesland und im Land Kehdingen war es anscheinend alte Gewohnheit, daß die Einwohner die Gruben für die zu vergrabenden Tiere selbst aushoben. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 26f: Johann Dietrich Kettler an die Landesherrschaft, 2.1.1718; StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 4). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, p. 26f: Johann Dietrich Kettler an die Landesherrschaft, 2.1.1718.

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aus Kiel und einen weiteren aus Holstein kommen. Jeder Knecht bekam für seine Arbeit 22 Reichstaler sowie Essen und Trinken frei. Über 650 tote Tiere haben Meyer und seine Knechte noch im Land Kehdingen und im Land Wursten vergraben.78 Die große Masse an ertrunkenen Tieren weckte nicht nur bei den einheimischen, privilegierten Abdeckern die Hoffnung auf Gewinn, sondern auch fremde Abdecker kamen ohne obrigkeitliche Genehmigung in die Überschwemmungsgebiete, um von den Tierkadavern die Felle abzuziehen.79 Der Auricher Scharfrichter Jobst Froböse, dessen Familie schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts und später bis in die preußische Zeit hinein die Scharfrichterämter in Emden und Aurich innehatte 80 , führte darüber bittere Klage bei der ostfriesischen Regierung. Denn Froböse, der in jedem ostfriesischen Amt einen Knecht als Abdecker hielt, bewertete das Eindringen der fremden Abdecker nicht nur als einen Eingriff in seinen Amtsbereich, sondern sah sich vor allem auch in seinen Verdienstmöglichkeiten beeinträchtigt. Sein Knecht aus Norden beschwerte sich außerdem darüber, daß sogar die Juden sich dort als Abdecker betätigten.81 Auch durch Butjadingen zogen in den Wochen nach der Sturmflut fremde Abdecker in der Absicht, von dem toten Vieh möglichst viele Felle abzuziehen und mitzunehmen. Als die oldenburgische Regierung davon Kenntnis bekam, befahl sie ihren dortigen Beamten, die fremden Abdecker sofort aus dem Land zu verweisen. Bei Weigerung sollten sie für vogelfrei erklärt werden und „bey befundener Widersetzlichkeit todt geschossen werden, wo sie anzutreffen sind". 82 Die fremden Abdekker wurden nicht nur als große Last empfunden, weil sie widerrechtlich in die Geschäfte ihrer Kollegen eingriffen, sondern auch, weil sie sich um die Beseitigung der Tierkadaver nicht scherten. Nachdem sie den Tieren die Felle abgezogen hatten, ließen sie diese hautlos liegen, wodurch eine noch schnellere Verwesung gefördert und eine noch schnellere Verbreitung von Seuchen befürchtet wurde.

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 4). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, p. 81; Corp. Const. Old., 1722, Teil VI, S. 69. König, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands, S. 303. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, p. 81f, 86ff: Schreiben von Jobst Froböse an die Landesherrschaft, o.D. (Ende Dezember 1717 u. Anfang Januar 1718). Froböse betonte in seinen Schreiben, daß er am liebsten keine Knechte hätte. „Dann dieses ist einmahl gewiße, und giebet es die tägliche Erfahrung von selbst, daß wer dergleichen Gesindel in gebührenden Schranken halten soll, daß der sein Leben in continuirlichen Verdruß und Hertzeleid zubringet; Ich habe das Meinige überflüßig Empfunden, möchte wünschen, daß man im gantzen Lande nicht einen eintzigen Knecht zuhalten nöthig hette, alleine hier sitzet es, so bald nur am Hoffe etwas Crepiret von Pferden, Hund oder Katze oder anderergestalt, Heimblichkeiten u. Gefangen Häußer zu Renoviren, auff den geringsten Winck Knechte herbey schaffen muß..." Corp. Const. Old., 1722, Teil VI, S. 70.

Tod und Begräbnis

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8.3. Tod und Begräbnis In der frühen Neuzeit waren Tod und Begräbnis durch strenge sittliche und religiöse Gesetze im Lebenskreis der Gemeinschaft fest integriert. Nach den damaligen gesellschaftlichen Ansprüchen mußte ein Begräbnis „ehrlich" stattfinden, was bedeutete, die in der Gemeinschaft üblichen, traditionellen Sitten beim Begräbnis, das ausschließlich ein Akt der Kirche sein sollte, genauestens einzuhalten." Todansagen, Herrichtung und Aufbahrung der Leiche, Parentation, Glockenläuten, Trauerzug, Leichenpredigt und Feier am Grabe wurden in festen rituellen Formen vorgenommen, wobei es aber durchaus regionale und auch lokale Unterschiede in den Trauerbräuchen gab.*4 Die Hinterbliebenen achteten darauf, daß die soziale Stellung des verstorbenen Gemeinschaftsmitgliedes auch in den Begräbnisfeierlichkeiten ihren deutlichen Ausdruck fand. Oft hatte der Verstorbene sogar schon zu Lebzeiten für sein späteres Begräbnis Sorge getragen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte das Begräbnis sich zu einer aufwendigen Feier entwickelt und einen Höhepunkt der Ritualisierung gefunden.85 Je größer aber die Prachtentfaltung auf den Begräbnisfeiern der Reichen war, desto stärker traten im Tode auch die sozialen Unterschiede hervor. Und diese Unterschiede waren in jenen Regionen am stärksten, wo auch die sozialen Gegensätze am krassesten waren, wie z.B. in den Marschgebieten der Nordseeküstenländer. Während dort für die reichen Bauern aufwendige Begräbnisfeiern veranstaltet wurden, wurden die Armen, die sich die kirchlichen Zeremonien nicht leisten konnten, vielfach ohne Begleitung eines Pfarrers früh morgens oder spät abends im kleinen Kreis vom Totengräber auf dem Friedhof bestattet. Ein ehrliches Begräbnis wurde Selbstmördern und Mitgliedern „unehrlicher" Berufe wie Scharfrichtern, Abdeckern und Bütteln grundsätzlich verweigert. Die vielfaltigen Trauerrituale dienten sowohl dem Abschiednehmen und der Trennung von dem Toten als auch dem Hinübergeleiten des Verstorbe" Vgl. Art. „Bestattung" in TRE 5, S. 746; Bruno Jordahn, Das kirchliche Begräbnis, bes. S. 5-14 über das ehrliche Begräbnis. 14 Paul Satori, Sitte und Brauch, Teil 1, Leipzig 1910 S. 123-160; Ernst Feddersen, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins, II, Kiel 1938, S.487ff; W. Lüpkes, Ostfriesische Volkskunde, Emden (1907), S. 117ff; Gustav von der Osten, Geschichte des Landes Wursten, Breklum 1932, S. 271f; Hermann Allmers, Marschenbuch. Land und Volksbilder aus den Marschen der Weser und Elbe, Oldenburg 1875, S. 217f u. 269; A.Tienken, Kulturgeschichtliches aus den Marschen am rechten Ufer der Unterweser, in: Z. d. Vereins f. Volkskunde 9 (1899) S. 54f; Karl Häberlin, Trauertrachten und Trauerbräuche auf der Insel Föhr, in: Z. d. Ver. f. Volkskunde, H. 3 (1909), S. 261-281; H. Carstens, Totengebräuche aus Dithmarschen, in: Am Ur-Quell, Monatsschrift f. Volksskunde N.F. Bd. 1 (1980) S. 7ff, 31ff, 48ff; Ruth-E. Mohrmann, Volksleben in Wilster im 16. und 17. Jahrhundert, Neumünster 1977, S. 305ff, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 1 (1927) Sp. 976ff. 85 Vgl. Philippe Aries, Geschichte des Todes, München 31987, S. 417; Feddersen, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins, S. 490.

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nen in die neue Welt, in der er nach den Vorstellungen jener Zeit ein mehr oder weniger wesenhaftes Dasein führen sollte. Diese Rituale basierten aber nicht allein auf dem christlichen Glauben, sondern beruhten vor allem auf Vorstellungen des Volksglaubens. Viele Trauerrituale waren deshalb auch keine symbolische Handlung; sie galten vielmehr den als real angenommenen und tätig gedachten Mächten, die unschädlich gemacht werden mußten.86 Und das konnte am ehesten erreicht werden, wenn die herkömmlichen Trauerriten genauestens eingehalten wurden, wobei man auch noch davon ausging, daß der Tote alles genau beobachte und fühle, was bei seiner Beerdigung geschehe.87 Wurde einem Verstorbenen nicht die gebührende Achtung erwiesen und wurden die Trauerfeierlichkeiten nicht nach altem Herkommen begangen, so konnte man nach damaliger Ansicht den Toten nicht zur Ruhe bringen, er würde wiederkommen und sein Recht fordern. 88 Diese Vorstellung vom Wiedergänger, dem nicht zur Ruhe kommenden Toten, war in den Küstenländern weit verbreitet.89 Es wurden unterschiedliche Gründe für die Wiederkehr von Toten angenommen. Sehr wichtig war bei der Bestattungsfeier zum Beispiel die genaue Einhaltung des hergebrachten Totenweges; im damaligem Volksglauben herrschte die Ansicht, daß der Tote, wenn man vom traditionellen Weg zum Kirchhof abweiche, nicht zur Ruhe kommen könne und ein Wiedergänger würde.90 Befürchtet wurde das Erscheinen als Wiedergänger auch, wenn der Tote nicht aufgefunden und nicht begraben werden konnte, was oft bei Ertrunkenen der Fall war.91 Großen Wert legte man ferner auf die Bestattung der Toten in geweihter Erde, d.h. auf dem Friedhof, weil sie als Hilfe für das Seelenheil der Toten angesehen wurde.92 Außerdem glaubte man, daß ein Toter nur auf einem Friedhof Ruhe fände. Die Beerdigung in ungeweihter Erde wurde dagegen als Bestrafung angesehen. Diese vor allem auf altem Volksglauben beruhenden Vorstellungen waren auch noch bei den Überlebenden der Sturmflut von 1717 lebendig. Die Hinterbliebenen erkundigten sich immer wieder, ob ihre Verwandten auch mit 86 87 88

89

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92

Sartori, Sitte und Brauch, S. 124. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 1, Sp. 976. Ludwig Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg, Bd. 1, Oldenburg 1909, S. 196 u. Bd. 2, Oldenburg 1909, S. 217. Über „Wiedergänger" siehe Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 9, Sp. 570-578. Lüpckes, Ostfriesische Volkskunde, S. 120; L. Strackerjan, Aberglaube und Sagen, Bd. 2, S. 218; K. Häberlin, Trauertrachten und Trauerbräuche, S. 276, G. von der Osten, Geschichte des Landes Wursten, S. 272. Vgl. Müller/Röhrich, Der Tod und die Toten, S. 358 u. 363; Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig-Holstein und Lauenburg, S. 183; Delumeau, Angst im Abendland, I, S. 121 ff. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 1, Sp. 978; Derwein, Geschichte des christlichen Friedhofs, S. 80f; vgl. auch S. 32.

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begraben worden wären, berichtet der Pastor Hekelius.93 Denn viele Einwohner bekamen keine Gewißheit über den Verbleib ihrer Familienmitglieder; sie wußten nicht, wohin das Wasser sie getrieben hatte. Von den 284 ertrunkenen Personen aus Werdum in Ostfriesland waren zum Beispiel bis zum 5. Februar 1718 nur 32 gefunden worden, wovon 25 auf dem Kirchhof in Werdum, die übrigen 7 auf dem alten Harlingersiel begraben wurden.94 Bis Ende Januar 1718 waren auch nur 14 der 125 Ertrunkenen aus dem Kirchspiel Sande in der Herrschaft Jever auf ihrem Heimatfriedhof beerdigt worden.95 Aus Tossens in Butjadingen waren 126 Einwohner in der Weihnachtsflut ums Leben gekommen, von denen nur 21 auf dem Kirchhof begraben wurden. Etliche gefundene Leichen waren in der Erde verscharrt worden und die übrigen mit der Flut weggetrieben.96 Ob alle anderen ertrunkenen Einwohner dieser Gemeinden inzwischen an jenen Orten, an denen sie angetrieben worden waren, auch ein ordentliches Begräbnis bekommen hatten, war eine nicht zu beantwortende Frage. Aber gerade diese Ungewißheit war es, die die Hinterbliebenen beunruhigte. „Sie beklagen und beweineten die Ihrigen, nicht daß sie im Wasser wären umgekommen, sondern darum, daß sie nicht sollten begraben werden, oder weil sie keine Nachricht haben konten, daß sie begraben wären."97 Die Nachricht, daß ein Familienmitglied gefunden und begraben worden war, oder das Auffinden eines ertrunkenen Verwandten habe die Leute „eben also getröstet, als wenn sie nicht wären verlohren gewesen", stellte Hekelius fest.98 Als ein Schiffer auf dem Giebel seines Hauses nach langem Umhertreiben im Wasser schließlich an Land gespült wurde, bemerkte er, daß sein kleiner Sohn, den die Wellen vom Dach heruntergespült hatten und den er verloren gegeben hatte, mit den Kleidern an einem Balken hängengeblieben war. Obwohl der Sohn tot war, freute sich der Vater, ihn überhaupt wiederbekommen zu haben. Der Schiffer bot auch demjenigen, der seine von den Wellen weggetriebene Schwester finden würde, zehn Reichstaler als Finderlohn. Als sie nach sechs Tagen gefunden wurde, begrub er sie gemeinsam mit dem Sohn auf dem Kirchhof in Esens.99 Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine ehrliche Bestattung der Familienmitglieder für die Hinterbliebenen war.100 Diese Sorge der Hinterbliebenen war 93

Hekelius, Beschreibung, 1719, S.94. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12: Pastor Dietrich Gödeken an Georg Albrecht, Werdum 5.2.1718. ,s StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6, fol. 3. 96 Krüger, Zeugnisse der Weihnachtsflut 1717. 91 Hekelius, Beschreibung, 1719, S.94. " Ebenda. 99 Hencke, Hist. Nachricht, S. 29f. Hekelius, Beschreibung, S. 61 berichtet, daß zwei Männer ihren toten Bruder an den Haaren festhielten, bis sie gerettet wurden. 100 Die Sorge um ein ehrliches Begräbnis der Angehörigen ist vermutlich auch verbunden mit einem Bedürfnis nach „sozialer Gewißheit", d.h. nach Gewißheit über das Schicksal der Angehörigen. Soziale Gewißheit oder Ungewißheit bestimmt das 94

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Auswirkungen III: Verfall gesellschaftlicher Nonnen

auch dem Pastor Hekelius bekannt. Er versuchte deshalb die Überlebenden in einer Trauer- und Bußpredigt zu trösten. „Es wünschet ja freylich ein frommer Christ ehrlich begraben zu werden, und es ist auch eine Gnade GOttes, wem dergleichen gewähret wird", betonte er in der Predigt.101 Die Sorge seiner Gemeindemitglieder, daß ihre ertrunkenen und vom Wasser weggetriebenen Familienmitglieder möglicherweise kein Begräbnis bekommen wurden, suchte er abzuschwächen, indem er darauf hinwies, daß in ihrer Gemeinde doch alle angetriebenen Leichen ein ehrliches Begräbnis bekommen hätten. Weshalb sollten sie also in anderen Orten mit den angetriebenen Ertrunkenen anders verfahren? „Und warum sollte uns denn GOtt auch nicht dergleichen können gewähren? Und wenn auch unsere Leiber von der wilden See verschlungen würden, so wird doch dieselbe am Tage der allgemeinen Auferstehung selbige müssen wieder geben."102 Der Pastor Georg Johann Hencke sah es allerdings als ein göttliches Verhängnis an, daß manche in der Sturmflut ertrunkenen Menschen nicht haben begraben werden können.103 An ein Begräbnis in hergebrachter Form war in den schlimmen Verhältnissen nach der Sturmflut nicht zu denken. In den Tagen nach der Flut, in denen die Rettungsmaßnahmen und die Sicherung der eigenen Existenz die ganze Kraft der Überlebenden erforderten, war die Bestattung der vielen in der Sturmflutnacht angetriebenen Leichen eine zusätzliche Belastung für die Einwohner. Am ersten und zweiten Weihnachtstag wurden zum Beispiel in Esens im Harlingerland 16 Tote geborgen, am folgenden Tag, den 27. Dezember, waren es 19 Tote, am 28. Dezember wiederum 16 Leichen und am 29. Dezember nochmals 21 Tote.104 Da allgemein befürchtet wurde, daß durch die herumliegenden Leichen Seuchen sich im Lande ausbreiten könnten, ordnete die Obrigkeit allerorten an, die Leichen so schnell wie möglich zu bestatFortsetzung Fußnote von Seite 219 Handeln der Menschen in Katastrophen. So konnte nachgewiesen werden, daß „Katastrophenbetroffene, die ihre Angehörigen in Sicherheit wußten, wesentlich schneller, besser und engagierter zu helfen begannen als jene, die über das Schicksal ihrer Angehörigen im unklaren waren. Auch zeigte sich, daß die Letzteren leichter von Gerüchten und Propaganda beeinflußt werden konnten, eher zu Nervosität, Gereiztheit und Depressionen neigten und ausgeprägtere Angstsymptome zeigten." Wolf R. Dombrowsky, Soziologische Katastrophenforschung im Aufriß, in: Clausen/Dombrowsky, Einführung in die Soziologie der Katastrophe, S. 32. 101 Hekelius, Trauer- und Bußpredigt, I, S. 123f. 102 Hekelius, Trauer- und Bußpredigt, I, S. 123f. Vgl. das von Lobbe Obbesen verfaßte Sturmflutgedicht aus dem Jahr 1636, wo es heißt: „EfTte men den Lichnam nicht wedder finden kan, so schöle wy Godt doch alletydt lauen, dar schöle gy keinen twiffel han, Godt hefft de süluen begrauen, se rouwen nu van alle ehre Plage, dar Christus se am Jüngsten Dage, werdt thor ewigen Fröwde vperwecken." In: K. Witt, Plattdeutsche Sturmflutlieder, S. 13. 103 Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, 1718, S.44; ders., Gott der Herr, S. 26. Hencke dachte dabei an die Worte in Jer. 25, 32f. 104 Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, 1718, S. 37ff.

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ten.105 Es blieb also keine Zeit für Bemühungen, die Identität der Toten zu ermitteln. So gab der Drost des ostfriesischen Amtes Friedeburg, Carl Ferdinand von Staudach, die Anweisung, alle angetriebenen Toten auf dem Kirchhof des jeweiligen Ortes zu beerdigen.106 Eine gleiche Anordnung gab auch der Amtsverwalter Kettler im Amt Norden.107 Auch in der Grafschaft Oldenburg und in der Herrschaft Jever wurden die Leichen sofort nach ihrem Auffinden bestattet.108 Eine Verordnung der Stader Regierung vom 28. Dezember 1717 schrieb vor, daß jeden Tag am Strand nachgesehen werden sollte, ob Leichen angetrieben wurden. Diese sollten dann unverzüglich dem Gerichtsvogt gemeldet werden, der für die rasche Beerdigung zu sorgen hatte.10' In der Wilstermarsch wurden eine große Anzahl ertrunkener Menschen, die aus Dithmarschen beim Kudensee angetrieben waren, mit Schiffen nach St. Margarethen gebracht und dort in Gemeinschaftsgräbern auf dem Kirchhof bestattet.110 Wie die Quellen zeigen, bemühten sich die lokalen Obrigkeiten, soweit es in der damaligen Lage möglich war, die ertrunkenen Männer, Frauen und Kinder auf den Friedhöfen zu bestatten. Es versteht sich, daß nicht für jeden Toten eine individuelle Trauerfeier stattfinden konnte. Das war allein deshalb schon nicht sinnvoll, weil die Identität vieler Toter ohnehin nicht bekannt war. Diese Bestattungen auf den Kirchhöfen fanden außerdem nur mit äußerst bescheidenem Ritual statt. So heißt es im Verzeichnis der Begrabenen aus dem Kirchspiel Imsum im Land Wursten: „Den 29. Dezembris 1717. Claes Vilands aus Dingen, alt ungefähr 70 Jahre ohne Leichensermon. NB. Dieser ist in der hohen Wasserflut, so am 25. Dezember a.c. morgens um 3 Uhr eingebrochen, umbkommen, aus seinem Hause weg und auf Frerich Erleffs zu Dingen Wohnhofstelle angetrieben, und in dessen Hause angekleidet und eingesarket, folgends heute durch Eide Eibes zu Dingen und Dietrich Benecken aus Bremen in einer Jolle an hiesigen Kirchhof gebracht, auf welchen er auch unterm Laute der Glocken, wiewohl ohne Gesang, Leichsermon und Gefolge, weil aus Dingen für Wasser ihn niemand begleiten können, beerdigt

105

Die königliche Regierung in Hannover ordnete z.B. am 1.1.1718 an, daß die Leichen sofort beerdigt werden sollten, „damit aus Ermangelung nicht etwan contagieuse ansteckende Seuchen und Kranckheiten entstehen." (StA Stade: Rep. 31, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). 106 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 13, fol. 41: C. F. von Staudach u. Ihering an Georg Albrecht, Friedeburg 28.12.1717. "" StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 26: Anordnung vom 2.1.1718. ,0 * StA Old: Bstd. 26, 1263: Kammerrat Röhmer an Regierung in Oldenburg, Strückhausen 3.1.1718. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 92: Tannen und Ahmeken an Rentmeister Block, Altgarmersiel 2.1.1718. 109 StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz.l). 1,0 Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 114; vgl. Bolten, Dithmarsische Geschichte, IV, S.331; Geerz, Nachrichten (1980) S. 127.

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worden."111 Die Ertrunkenen seien „mehrerentheils ohne Gefolge und Ceremonien" beerdigt worden, wird im Kirchenbuch der oldenburgischen Gemeinde Stollhamm mitgeteilt."2 Und in dem Totenbuch der Neuen Kirche auf Pellworm wird ebenfalls berichtet, die wiedergefundenen Ertrunkenen seien „ohne Gesang und Klang", in vielen Fällen auch ohne Pfarrer bestattet worden.113 Auch konnte an jenen Orten, wo sehr viele Leichen angetrieben worden waren, nicht jedem Toten ein eigenes Grab gegeben werden. Hier bestatteten die Totengräber die ertrunkenen Menschen in Gemeinschaftsgräbern, in denen jeweils zehn bis zwanzig Verstorbene ihre letzte Ruhe fanden.114 Es fehlte überall an Särgen für die Toten.115 Da es auch an Holzvorräten mangelte, wurden die Särge zum Teil aus angetriebenen Brettern gezimmert.116 In Esens stellten Tischler und Zimmerleute in den ersten Wochen nach der Sturmflut Tag und Nacht Särge her. Der Tischler Johannsen und die Zimmerleute Gerdes und Rolffs forderten später von der Obrigkeit 335 Gulden für die Herstellung von Husholtern, wie die hölzernen Särge in Ostfriesland genannt wurden.117 In den ersten Tagen nach der Sturmflut wurden auf manchen Kirchhöfen, wie Hekelius berichtet, „an einem Tag wohl 10, 20 biß 30 begraben und ehrlich zur Erden bestattet".118 Doch viele Ertrunkene wurden erst einige Wochen nach der Flutkatastrophe gefunden. Einige Tage nach der Sturmflut hatte ein starker Frost und Schneefall eingesetzt und die Toten unter sich begraben, so daß die Suche nach den Toten kaum noch möglich war.119 Erst als nach fast zwei Monaten, am 21. Februar 1718 das Frostwetter endete und Schnee und Eis zu tauen begannen, wurden wieder zahlreiche Leichen gefunden.120 Von den 13 in der Sturmflutnacht ertrunkenen Personen aus der ost111

1,2 113 1.4

1.5

116

1,8 119 120

Zit. nach Wendebourg, Zu den Sturmfluten von 1717 und 1825, S. 82. Auch die Sbrigen im Kirchspiel Imsum ertrunkenen und angetriebenen Personen wurden ohne herkömmliches Trauerritual bestattet. Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. D. von Chamisso, Pellworm im Jahrhundert der großen Flut, S. 162. Umständliche Hist. Nachricht, 1718, S. 114. Vgl. Derwein, Geschichte des christlichen Friedhofs, S. 92f; 117f: Oft mußten die ganz armen Leute mit Massengräbern vorlieb nehmen. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben vom 27.12.1717 an die Regierung zu Stade. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 13: Schreiben von J. Praetorius. Schortens 31.12.1717. Auf dem Kirchhof der Gemeinde Stollhamm wurden die Ertrunkenen teils in Särgen, teils aber auch ohne Särge begraben. Siehe Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 97. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 5, fol. 14: Rentmeister Block an Regierung zu Jever, 26.12.1717; Ein Klag=Lied Uber die Ao 1717 in der Christ=Nacht ergangene Wasser=Fluht, o.S. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 12, fol. 111; Umständl. Hist. Nachricht, 1718, S. 114. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 93. Vgl. Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 36. „Auch werden jetzo so Viele leichen gefunden, daß die Leute gnug Zu thun haben, solche Zu begraben, und ist das schlimste dabey, daß die Menschen schon so lange

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friesischen Gemeinde Resterhafe wurden 12 erst am 24. Februar 1718 gefunden, wovon 11 Tote in Utarp angetrieben waren und dort auch begraben wurden. 121 Im Kirchspiel Berdum im Harlingerland wurden am 25. Februar drei, am 28. Februar vierzehn und im März nochmals 48 Tote gefunden und begraben, im April und Mai schließlich noch weitere sieben Tote geborgen. 122 Auch das Kirchenbuch von Imsum (Land Wursten) zeigt, daß erst am 23. und 24. Februar sowie am 1. März und 8. Mai in der Sturmflut umgekommene Personen gefunden wurden. 123 Jetzt nach dem Einbruch des Tauwetters boten sich den Überlebenden erneut grauenvolle Bilder. Man fand tote Mütter auf dem Feld, die ihre toten Kinder umklammerten; andere Mütter hatten ihre Kinder an sich festgebunden. Man fand auf dem Feld liegende Personen, die sich noch an den Händen hielten. Man fand Leichen, die von Vögeln und Hunden angefressen worden und auch sonst zum Teil übel zugerichtet waren. Die Obrigkeit ordnete deshalb an, daß die Toten nicht auf dem Kirchhof bestattet werden müßten, sondern jeder solle die Leichen im Beisein seiner Nachbarn so schnell wie möglich an dem Ort begraben, wo sie gefunden wurden. Auch sollte bei der Bestattung auf einen Sarg verzichtet werden. 124 In Accum wurden die Leichen einen Monat lang auf dem Felde zu zwanzig und mehr in einem Loch begraben, dort, wo man sie gefunden hatte. 125 Der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns hatte schon am 30. Dezember 1717 angeordnet, alle aufgefundenen Toten sofort im Deich, der einzigen trockenen Stelle in der Marsch, zu begraben und bei den Begräbnissen keine Kosten entstehen zu lassen.126 Die Leichen wurden, nur auf ein Brett gebunden oder in ein Tuch eingenäht, in der Erde vergraben. 127 Fortsetzung Fußnote von Seite 222 tod gewesen, und daraus abzunehmen, wie es mit solchen cörpern aussehe", schrieb am 28.2.1718 der Amtmann Jan Volrad Kettler an Georg Albrecht. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 14. 121 Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, 1718, S. 46. 122 G. Janssen, Auch ein Beitrag zur Familienkunde, in: Jb. d. Ges. f. bild. Kunst u. vaterländische Altertümer zu Emden 25 (1937) S. 183ff. 123 Wendebourg, Zu den Sturmfluten von 1717 und 1825, S. 83. Die letzte der in der Sturmflut ertrunkenen Personen wurde im Kirchspiel Neuhaus im Herzogtum Bremen am 16. September 1718 beerdigt. Siehe Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 38. In der Gemeinde Stollhamm in Butjadingen wurden die letzten Sturmflutopfer am 16. April 1718 gefunden und bestattet. Siehe Norden, Eine Bevölkerung, S. 78. 124 Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 97; vgl. auch S. 127. Im Kirchenbuch der Gemeinde Stollhamm heißt es: „Die meisten Cörper waren von der Flut weggerissen und ein großer Teil nach Esensham hingeführet, wenige wurden auch aus Not auf dem Felde verscharret." Zit. nach Norden, Eine Bevölkerung, S. 77. Siehe auch Culemann, Denckmahl, S. 72. 125 Hencke, Fortsetzung der Hist. Nachricht, S. 42. Auch im Kirchenbuch der Gemeinde Stollhamm wird mitgeteilt, daß einige Ertrunkene auf dem Feld eingescharrt wurden. Siehe Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. 126 Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 73. 127 Ebenda, S. 13.

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In einer Gesellschaft, in der die Trauerfeiern zu einer öffentlichen und genau festgelegten Zeremonie mit deutlicher Hervorhebung der sozialen Unterschiede geworden waren, mußte die Nichteinhaltung dieser gesellschaftlichen Nonnen zu einer weiteren Verunsicherung der Bevölkerung führen. In den katastrophalen Verhältnissen nach der Sturmflut gab es jetzt eine soziale Gleicheit im Tode. Reiche und Arme wurden mit gleichem Ritual und oftmals sogar in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt; allerdings bekamen jetzt alle Toten nur ein Arme-Leute-Begräbnis. Einen weitereren Verfall gesellschaftlicher Normen stellte es dann dar, als nach dem Einsetzen des Tauwetters die Leichen auf obrigkeitliche Anordnung nur noch an den Orten, an denen sie aufgefunden worden waren, in der Erde verscharrt wurden. Ein solches Begräbnis war sonst nur bei Mördern und Inhabern unehrlicher Berufe üblich. Außerdem wurde gegen die damals gängige Ansicht verstoßen, daß Tote nur auf dem Kirchhof Ruhe finden könnten.128 Der Pastor Hekelius zu Resterhafe mußte in seiner Gemeinde außerdem feststellen, daß die ertrunkenen Menschen von ihren Verwandten nicht mit solchen Trauer- und Begräbniszeremonien bedacht wurden, wie sie sonst in der Gemeinde bei Sterbefallen üblich waren. Falls überhaupt jemand Trauerkleider getragen habe, so sei es nur mit halber Trauer geschehen. Auch hätten gegen die herkömmliche Sitte Kinder Gräber für ihre Eltern ausgehoben, Väter Gräber für ihre ertrunkenen Kinder gemacht und Brüder ihre eigenen Geschwister zu Grabe getragen.1" Standen die Trauernden bei der Trauerfeier in der Kirche bei der Verlesung des Evangeliums sonst auf, so blieben die Hinterbliebenen der in der Sturmflut Ertrunkenen sitzen. Hekelius wunderte sich über dieses Verhalten, „da doch das Volck alhier sonst sehr auf seine hergebrachten Gewohnheiten hält".130 In mehreren zeitgenössischen Darstellungen über die Sturmflut 1717 hat ein Ereignis aus Wewelsfleth Eingang gefunden, das als „etwas sonderliches und spectaculöses" bezeichnet wird.131 Das Wasser hatte auf dem Kirchhof von Wewelsfleth ziemlich gewütet und fünfzehn oder sechzehn Leichname aus ihren Särgen gespült.132 Außerdem waren drei noch verschlossene Särge aus den Gräbern herausgerissen und bei dem nahe am Kirchhof gelegenen Haus von Claas Mecklenborg angetrieben worden. Leere und zerstörte Särge, aus denen die Leichen weggespült worden waren, lagen auch noch in dem zur Schule gehörenden Kirchengarten. Das merkwürdigste Ereignis jedoch, "» Vgl. Krämer, Volksleben in Holstein, Kiel 1987, S. 254. 1J ' Vgl. Müller/Röhrich, Der Tod und die Toten, S. 355. 130 Hekelius, Beschreibung, 1719, S. 94f. 131 Culemann, Denckmahl, 1719, S. 25f; Umständl. Hist. Nachricht, S. 16; Outhof, Verhaal, S. 729; Kläglicher Bericht, 1718; Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 178. Saucke, Monumentum, fol. 114 (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332 AA3). Vgl. auch C. Jensen, Die nordfriesischen Inseln, S. 335f. 132 Auch auf Langeneß wurden vier Leichen aus ihren Gräbern herausgespttlt, wie bei Heimreich, Nordfresische Chronik, II, S. 270 mitgeteilt wird.

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worüber auch er sich am meisten entsetzt habe, sei, wie Culemann schreibt, folgendes: Ein männlicher Leichnam, dem Hände und Füße fehlten, war an einem Zaun unweit des Kirchhofs hängen geblieben. Die Totengräber Ilpern Breyde und Heinrich Lucht nahmen diesen, weil er schon ziemlich vermodert war, stückweise vom Zaun herunter und vergruben ihn wieder auf dem Kirchhof. Die Tatsache, daß die Sturmflut auch den heiligen Bezirk des Kirchhofs nicht verschonte und sogar die Ruhe der Toten störte, wurde von den Autoren als ein besonderes Kennzeichen dieser verheerenden Katastrophe angesehen. Da Kirchhof und Kirche nach damaliger Ansicht von den bösen Mächten und vom Teufel gemieden wurden133 , mußte die Flutkatastrophe in den Augen der damals lebenden Menschen ein Ereignis sein, das seine Ursache in einer über diesen Mächten liegenden Kraft hatte, und das konnte nur Gott selbst sein.

153

Vgl. Strackerjan, Aberglaube und Sagen, Bd. 2, S. 9.

9. Auswirkungen IV: Deichwesen 9.1. Deichverwaltung und Deichordnungen „Die Deiche sind beim Grund geschlicht, wer soll sie wieder machen? Damit gehts, wie zu Babylon, Wo nichts war, als Confusion, da man bracht Kalk für Steine. Vereinigt sind die Sinnen hier, Wie Katz und Hund beym Braten, Zum Stehlen fehlts an Eintracht nie, Gleich dort die Raben thaten: Cras! Cras! Cras! Cras! da wollen wir, Den einen dort, den andern hier, Fein meisterlich beluksen."1 Dieses Spottgedicht, das der ostfriesische Fürst durch den Schinder öffentlich verbrennen ließ, beschreibt die Unordnung im ostfriesischen Deichwesen nach der Weihnachtsflut. Diese Unordnung wurde hauptsächlich durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Landständen und dem Fürsten hervorgerufen. Der Fürst beanspruchte die alleinige Oberdirektion über das Deichwesen und wollte das durch eine Klage beim Reichshofrat in Wien ausdrücklich feststellen lassen. Gegen dieses Ansinnen der fürstlichen Regierung setzten die Stände sich vehement zur Wehr.2 Anstatt sich in dieser für das ganze Land bedrohlichen Situation mit vereinter Kraft den Deichbauarbeiten zu widmen, verstrickten sich Stände und Landesherrschaft in grundsätzlichen Fragen über die Kompetenzen im Deichwesen. Weil die Deichachten Ostfrieslands nach der Weihnachtsflut mit der Wiederherstellung der Deiche überfordert waren, beantragten sie die für diesen Fall im Deichrecht vorgesehene Landeshilfe, die ihnen auf Beschluß des Landtags auch gewährt wurde.3 Den ganzen Sommer 1718 wurde an den Deichen gearbeitet. Doch alle Mühen waren vergeblich gewesen, da die Herbststürme die Deicharbeiten wieder zerstörten. Auf Initiative der fürstlichen Regierung wurde deshalb auf dem Landtag im März 1719 ein vernehmlich beschlossen, dem früheren oldenburgischen und jetzigen jeverschen Deichgrafen Anton Günther von Münnich die Direktion über den Deichbau allein zu 1 2

3

Zit. nach Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 121. KappelhofT, Absolutistisches Regiment, S. 139, 161; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 67, 145. Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 40; Siebeit, Entwicklung des Deichwesens, S. 158ff. Zum folgenden siehe Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 1591T.

Deichverwaltung und Deichordnungen

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übertragen.4 Zwischen von Münnich und den leitenden Männern der Deichachten kam es schon bald zu Auseinandersetzungen und Kompetenzstreitigkeiten, die ihre Ursache darin hatten, daß die Deichachten, die das Deichwesen bisher in Eigenverantwortung geführt hatten, sich der Direktion des Deichgrafen nicht unterwerfen wollten, dieser aber nachdrücklich auf seiner leitenden Stellung beharrte und nur wenig Kooperationsbereitschaft zeigte. Auch wirkte sich der Verfassungskonflikt zwischen Ständen und Landesherrschaft zunehmend auf das Deichwesen aus. Der Deichgraf von Münnich wurde immer mehr als der verlängerte Arm der fürstlichen Regierung angesehen und war für viele Landesdeputierte bald nicht mehr tragbar. Am 21. September 1719 beklagte sich von Münnich beim Fürsten, daß er seine Mühe und Arbeit nicht schützen könne gegen „verschiedene übell gesinnete Menschen", die seine Werke verachteten und geringschätzten und „allerhand querelies d'Allemand" zu machen suchten.3 Im Mai 1720 brach der Konflikt offen aus. Der dritte Stand und die Städte Emden, Norden und Aurich, aber auch andere ihm bisher zugetane Mitglieder der Ständeversammlung lehnten eine weitere Zusammenarbeit mit dem ohne Zweifel sehr tüchtigen Deichbauer von Münnich ab.6 Nach längeren Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Ständen kam von Münnich seiner Entlassung vom Amt des Deichgrafen schließlich durch den Rücktritt zuvor.7 Ein dreiköpfiges ständisches Deichdirektorium wurde nun eingesetzt, in das aus dem Ritterstand Heinrich Bernhard von dem Appelle, von den Städten der Emder Syndikus Dr. Gerhard Hessling und aus dem dritten Stand der Administrator von Lengering entsandt wurden. Die Oberaufsicht über den Deichbau wurde dem holländischen Ingenieur Sebastian Anemaet gegeben. Als besondere Deichaufseher wurden außerdem für die oberemsische Deichacht Poppe Homfeld aus Niederreiderland und der Emder Bürgermeister Johann de Pottere, für die niederemsische Deichacht Hans Homfeld aus Ditzum und Jacob Kampen aus Wirdum gewählt." Die Änderung in der Leitung des Deichwesens bewirkte keineswegs eine zügigere Wiederherstellung der Deiche. Da auch in den folgenden Jahren die Deiche nicht geschlossen werden konnten, gingen die Streitigkeiten zwischen Ständen und Landesherrschaft über das Deichwesen weiter. Es waren aber nicht allein diese Streitigkeiten, die eine rasche Wiederherstellung der Deiche verhinderten. Dazu kam auch der Geldmangel, der den Beginn der Deicharbeiten verzögerte und ihre mehrmalige Unterbrechung notwendig machte. 4

Freese, Ostfriesland, S. 284f; Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 216. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 560. ' StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 154f: Regierungsrat Ajold Heinrich Tammena an Georg Albrecht, Emden 14.5.1720. Freese, Ostfriesland, S. 288f. 7 Der Fürst ernannte den Deichgrafen Anton Günter von Münnich daraufhin zum Geheimen Rat. 8 Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 52f; Freese, Ostfriesland, S. 288f; Kappelhoff, Absolutistisches Regiment, S. 162f. 5

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Auswirkungen IV: Deichwesen

Auch unter den Ständen kam es bald zu Auseinandersetzungen. Die Stadt Aurich und der dritte Stand protestierten gegen alle Geldaufnahmen des Landes für den Deichbau; sie plädierten dafür, daß die Deichachten sich selbst helfen sollten. Auch über ein allgemeines Landaufgebot zum Deichbau und über den Umfang der Deichbauarbeiten konnte unter den Ständen kein Einvernehmen erzielt werden. Die Stände überwarfen sich außerdem mit dem holländischen Ingenieur Anemaet, so daß er seinen Abschied suchte. Fürst und Stände einigten sich nun darauf, dem oldenburgischen Kanzleirat Johann Rudolf von Münnich, dem Sohn des Geheimrats Anton Günter von Münnich, ab März 1723 die Leitung des Deichbaus zu übergeben. Ferner wurde eine neue Deichkommission eingesetzt, der von fürstlicher Seite Johann Rudolf von Münnich und von ständischer Seite der städtische Deputierte Dietrich Ulrich Stürenberg, der Deputierte des dritten Standes Poppe Homfeld und der Administrator von dem Appelle angehörten. Diese Kommission hatte nur wenig Bedeutung, da der Deichbau in den nächsten Jahren ganz der Stadt Emden überlassen wurde, der es 1723 gelang, die Deiche wieder zu schließen und den Hauptdeich bis zum Sommer 1725 fertigzustellen.9 Schon im 16. und frühen 17. Jahrhundert hatte die ostfriesische Landesherrschaft in das bis dahin noch weitgehend autonome Deichwesen eingegriffen. Die Deichverbände waren der Aufsicht und der Polizeigewalt der Landesherrschaft unterstellt worden und hatten ihre Satzungsgewalt verloren. Bei einigen besonders wichtigen Verwaltungsmaßnahmen wie der Einlage10 mußten sie die Zustimmung des Landesherrn einholen." Die Deichverbände hatten aber das Recht der Wahl ihrer Beamten behaupten können. Auch blieb den Verbandsmitgliedern noch ein Teil ihrer genossenschaftlichen Betätigung, wie die Bewilligung der Deichlast und die Teilnahme bei der Rechnungslegung. Ferner übten sie weiterhin die niedere Gerichtsbarkeit aus.12 Die landesherrliche Aufsicht über die Deichachten bestand auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts fort, wurde jedoch in der Praxis oft nicht mehr ausgeübt, weil mit dem Erstarken der Stände auch die Deichachten wieder eine größere Selbständigkeit erreicht hatten. So war die Mitwirkung von landesherrlichen Beamten an den Mitgliederversammlungen der Deichachten, an 9

Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 64ff. Vgl. das Kapitel „Deichbaufinanzierung". 10 Als „Einlage" bezeichnet man eine Zurückverlegung des Deiches ins Landesinnere. Ein Teil des Landes wird also ausgedeicht. " Als die Wester und Linteler Deichachtsinteressenten im März 1718 ohne die Bewilligung des Landesherrn beschlossen, bei Anlegung des neuen Deiches verschiedene Hofstellen auszudeichen, wurde es ihnen von der Regierung strengstens verboten, weil dadurch gegen die landesherrliche Hoheit und Regalien verstoßen und die Renteieinnahmen vermindert würden. Deichrichtern und Interessenten stehe es nicht zu, Aber die Ausdeichung zu entscheiden, schon gar nicht, wenn der Landesherr selbst Interessent sei. (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 108f.). 12 Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 79f.

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den Deichschauungen, den Gerichtssitzungen und der Rechnungslegung eingeschränkt oder inzwischen ganz eingestellt worden.13 Die Landesregierung unter der Leitung Brenneysens wollte diese Entwicklung umkehren und die alten landesherrlichen Rechte wiederherstellen und noch ausbauen. Die Lage nach der Weihnachtsflut schien der dafür geeignete Zeitpunkt zu sein. Brenneysen stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der Stände, so daß es ihm nicht gelang, die Rechte der Deichachten weiter einzuschränken. Allerdings machten die dringenden Deichbauarbeiten organisatorische Veränderungen im Deichwesen notwendig, die aber nur von Landesherrschaft und Ständen gemeinsam durchzusetzen waren. So kam es in den 1720er Jahren erstmals zu Ansätzen einer zentralen Deichorganisation. Durch die Schaffung eines Deichdirektoriums wurden aber auch die Aufsichtsrechte der Regierung wieder anerkannt und bekräftigt. Um weitere Kompetenzstreitigkeiten zu vermeiden und um die Deichbauarbeiten künftig erfolgreicher durchführen zu können, wurde schon 1721 eine Neuregelung des Deichwesens angestrebt, die jedoch wegen der Landesunruhen zunächst nicht zustande kam. Erst nach Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fürst und Ständen wurde 1728 auf Beschluß der kaiserlichen subdelegierten Kommission, die 1723 vom Reichshofrat zur Untersuchung der Streitpunkte nach Ostfriesland entsandt worden war14, ein zwölfjähriges Deichdirektorium unter Ausschluß der Stadt Emden eingerichtet. Dieses Direktorium wurde 1740 für zwölf Jahre erneuert. Es bestand aus einem fürstlichen Kommissar und drei ständischen Deputierten. Die Deichdirektoren hatten jährlich drei Deichschauungen vorzunehmen und unter Zustimmung der Deichverbände die Deichanlagen zu genehmigen. Auch durfte der Deichrentmeister ohne ihre Anweisung keine Gelder auszahlen. Die seit 1744 die Oberhoheit in Ostfriesland ausübende preußische Regierung übernahm diese Einrichtung und setzte 17S0 für die Ober- und Niederemsische Deichacht zusätzlich noch einen besonderen Deichkommissar ein.'s In den politischen Auseinandersetzungen zwischen den Ständen und der Landesherrschaft in Ostfriesland spielte die Weihnachtsflut mit ihren Folgen eine entscheidende Rolle. Der Vorwurf des Vizekanzlers Brenneysen, daß das ständische Finanzwesen Ostfrieslands in großer Unordnung sei, schien in der schlechten wirtschaftlichen Lage nach der Weihnachtsflut für viele plausibel zu sein. Daß die Wiederherstellung der Deiche jahrelang nicht gelang, wurde ebenfalls hauptsächlich den Ständen angelastet. Brenneysen nutzte diese Si13 14

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Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 75. Der Reichhofrat hatte dem König von Polen als Kurffirsten von Sachsen und dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel die Untersuchung der Streitpunkte übertragen. Jedoch war aus Kostengründen nur eine subdelegierte kaiserliche Kommission vorgesehen, so daß Sachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel jeweils nur einen hohen Beamten mit dem notwendigen Personal nach Ostfriesland zu senden brauchten. Siehe KappelhofT, Absolutistisches Regiment, S. 202. Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 75.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

tuation für seine Propaganda und Politik aus, die das Ziel verfolgte, das innere Machtverhältnis zwischen Landständen und Landesherrschaft ganz im Sinne der absolutistischen Staatstheorie zugunsten des Fürsten auszubauen. „Neben der großen Notlage erweist sich der langwierige Deichbau als zweite Voraussetzung einer erfolgreichen Durchsetzung der Politik Brenneysens", urteilt Kappelhoff." Grundlegende Umgestaltungen des Deichwesens konnten nur durch die Schaffung neuer Deichordnungen bewirkt werden. Das war ein oft schwieriger und langwieriger Weg, auf dem viele Hindernisse zu überwinden waren. Bei den Deichinteressenten gab es in der Regel große Abneigungen gegen neue Ordnungen, von denen sie nur Nachteile befürchteten.17 Wenn die Mängel des Deichwesens sich jedoch zu deutlich zeigten und dadurch auch wichtige Deicharbeiten be- oder gar verhindert wurden, wie es oft nach großen Sturmfluten der Fall war, nahmen die Regierungen diese Situation zum Anlaß, neue Deichordnungen auszuarbeiten und, wenn möglich, in Kraft zu setzen. Das zeigt sich auch deutlich in dem vom ostfriesischen Fürsten regierten Harlingerland, wo es keine ständische Vertretung gab und landesherrliche Maßnahmen sich deshalb besser durchsetzen ließen. Hier waren nach Sturmfluten und kriegerischen Ereignissen, die eine Neuordnung des Deichwesens erforderten, verschiedentlich Deichordnungen erlassen worden. So wurde beispielsweise die Deichordnung Ulrichs II. von 1629 am 12. April 1630 schon wieder durch eine neue Deichordnung ersetzt, da nach den Sturmfluten Ende 1629/Anfang 1630 die Einführung der Kommuniondeichung18 zur Wiederherstellung der Deiche als erforderlich angesehen wurde. Auch die Deichordnung Enno Ludwigs vom 18. Juli und 11. August 1651 war durch die Folgen der Sturmfluten von 1650/51 notwendig geworden. „Die verbesserte Deich- und Syhlordnung für das Harlingerland" vom 28. November 1730 war eine Konsequenz der nach der Weihnachtsflut gemachten Erfahrungen, die die Wichtigkeit einer funktionierenden Deichverwaltung zeigten. Diese vorbildliche Deichordnung orientierte sich im wesentlichen an der Deichordnung von 1670. Damit die Interessenten künftig ihre Deichpflichten besser erfüllen, werden die entsprechenden Vorschriften zu deren Einhaltung verschärft. Die bisherigen sechs Deichschauungen werden durch drei weitere 16

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Absolutistisches Regiment, S. 174; vgl. auch Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 106f: „Die Wasserfluthen führten außer den traurigen Folgen auch das Mißgeschick mit sich, daß die Mißhelligkeiten zwischen dem Fürsten und den Ständen immer stärker wurden." Das zeigt zum Beispiel auch der Widerstand der Oldenburger Interessenten gegen die 1681 eingeführte Deichordnung. Siehe Rüthning, Oldenburgische Geschichte, 2, S. lOOf. Kommuniondeichung bedeutet gemeinsame Unterhaltung des Deiches, während bei der Pfanddeichung der Deich in einzelne Abschnitte, die sogenannten Pfänder, aufgeteilt wird, für die jeweils der Eigentümer eines deichpflichtigen Grundstückes aufzukommen hat.

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Deichschauungen vermehrt, wodurch eine rechtzeitigere Erkennung und Behebung von Deichschäden gewährleistet werden soll. In dieser Deichordnung wird der Drost, der höchste landesherrliche Beamte, offiziell als Deichgraf bezeichnet, was nochmals die Unterordnung des Deichwesens unter die landesherrliche Macht deutlich macht." Die Selbstverwaltung im Deichwesen hatte die Landesherrschaft allerdings schon lange vorher aufgehoben. Die Deichverbände hatten keinen Einfluß mehr auf die Verwaltung; auch die Deich- und Sielrichter waren inzwischen landesherrliche Beamten geworden.20 In der Herrschaft Jever übernahm nach seiner Ankunft im Juni 1718 der Erbprinz Johann August von Anhalt-Zerbst die Aufsicht über die Deicharbeiten. Als Deichbaufachmann stand ihm der spätere ostfriesische Deichgraf Anton Günter von Münnich zur Seite. Als Johann August am 17. September 1718 nach Zerbst zurückkehrte, wurde von Münnich die alleinige Leitung der Deichbauarbeiten übergeben. Es gab viel zu tun. Durch die Weihnachtsflut war in der Herrschaft Jever nicht allein der ungenügende Zustand der Deiche, sondern auch die Mangelhaftigkeit der Verwaltung und der deichrechtlichen Verhältnisse offenbar geworden. Von Münnich hatte schon im April 1718 nach einer Besichtigung der jeverschen Deiche festgestellt, daß diese sich in einem desolaten Zustand befanden. Um eine durchgreifende Verbesserung des Deichwesens zu erreichen, waren seiner Ansicht nach vor allem vier Dinge erforderlich: 1. eine neue Deichordnung, 2. ein Generalbesteck21 von allen Deichen, 3. ein Reglement für die Deichbeamten und 4. eine Verordnung über die Vergütung der Deichbeamten.22 Weil von Münnich schon im Februar 1719 aus den Jeverschen Dienst ausschied, unterblieben durchgreifende Reformen. Nach der Weihnachtsflut zeigten sich in Jever außerdem die Nachteile der Pfanddeichung.23 Es herrschte bei den Arbeiten an den Deichen ein heilloses Durcheinander; weder Deichrichter noch Interessenten konnten die richtigen Pfander finden. Einige Interessenten deichten gar nicht, andere zum Teil auf fremden Deichabschmitten. Bei solchem Zustand war es in der Tat schwer, die Deiche wieder in Ordnung zu bringen. Um diesen Mißstand zu beheben, beabsichtigte von Münnich, neue Deichbücher anzulegen, die künftig genaue Auskunft darüber geben sollten, zu welchem Land die einzelnen Deichpfänder gehörten. Am 4. Februar 1719 erließ er eine Anordnung, wonach alle Einwohner der Herrschaft Jever den dafür eingesetzten Kommissaren über die Größe ihres Landbesitzes und der dazu gehörenden Deichabschnitte Aus" Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 12f, 78f. Gröttrup, Verfassung, S. 89fT; Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 76ff; 80. 21 Ein Besteck ist eine Vorschrift über die Anlage eines Deiches. 22 Tenge, Der Jeversche Deichband, S. 98f. 23 Siehe Anm. 18. 20

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kunft geben sollten. Diese Maßnahme kam nach dem Abschied von Münnichs jedoch ins Stocken. Es lag vor allem daran, daß man sich über ein einheitliches Maß für die Neuvermessung der Deiche nicht einigen konnte. Erst nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die Deichverbände 1730 auf die Rute zu 20 Fuß rheinländisch. Zur Anlegung neuer Deichbücher kam es dennoch nicht. Zwar wurde am 23. Mai 1735 noch einmal eine entsprechende Anordnung erlassen, damit hatte es aber sein Bewenden.24 Es ist ganz offensichtlich, daß die Deichinteressenten keine neuen Deichbücher wünschten und daß sie deshalb die landesherrlichen Anordnungen verzögerten und unterliefen. Weil sie befürchteten, daß eine Neuvermessung und Zuweisung der Deichpfander zu ihren Ungunsten ausgehen könnte, beließen sie es lieber bei dem für die Sicherheit des Landes schädlichen Durcheinander. Wie schwer Veränderungen im Deichwesen durchzusetzen waren und wie leicht man sich durch die Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen Gegner schaffen konnte, mußte auch der Sohn Anton Günter von Münnichs, der Oldenburger Deichgraf Johann Rudolf von Münnich, erfahren, der seit 1712 im Deichwesen der Grafschaft tätig war. Kurz nach der Weihnachtsflut hatte er dem dänischen König eine Denkschrift über die Unordnung in der oldenburgischen Deichverwaltung gesandt. Von Münnich wollte nicht, daß diese Denkschrift auch der Oldenburgischen Regierung übergeben würde, weil er dann, wie er schrieb, die Leute auf den Hals bekäme und die Sache dadurch nicht besser würde.25 Folgen zeitigte diese Denkschrift zunächst nicht. In der Grafschaft Oldenburg kam es erst nach dem Eintreffen der Deichkommission und dem Amtsantritt des neuen Oberlanddrosten von Sehestedt zu Veränderungen in der Deichverwaltung. Am 9. November 1718 ordnete der Landdrost von Sehestedt an, daß Beamte, Geschworene und Einwohner künftig alle das Deichwesen betreffende Eingaben in doppelter Ausführung an den Deichgrafen zu übergeben hätten. Der Deichgraf sollte ein Exemplar für sich behalten, auf das andere sein Gutachten setzen und es an den Oberlanddrost weiterleiten, der dann darüber zu entscheiden hatte. Eingaben, die gegen diese Anordnung verstießen, sollten abgewiesen werden. Dieser neu vorgeschriebene Verwaltungsweg sollte zu einer Beschleunigung der Entscheidungen im Deichwesen führen. Bei dem bisherigen Verfahren blieben viele Eingaben zu lange liegen, und manche notwendige Maßnahme wurde dadurch versäumt.26 Nachdem alle Deiche wiederhergestellt und verbessert worden waren, gab der Oberlanddrost ferner ein Reskript heraus, das regeln sollte, wie bei künftigen Deichschäden zu verfahren sei. Die mit der Deich24 25 26

Tenge, Der Jeversche Deichband, S. 128f. StA Old: Bstd. 26, 1263: Brief vom 29.1.1718. Corp. Const. Oldenb. 1722, II, S. 273f. Bisher wurden alle Berichte an den Oberlanddrosten oder die Königliche Regierung gesandt, worauf diese die Eingaben an den Deichgrafen zur Begutachtung zurücksandte. Der Deichgraf überreichte dann wiederum sein Gutachten der Regierung oder dem Landdrosten.

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aufsieht betrauten Männer sollten bei Feststellung eines Deichschadens sofort „per Expressen" dem Oberlanddrosten wie auch dem Deichgrafen davon berichten und zugleich ohne den geringsten Zeitverlust mit den Deichund Sielgeschworenen darüber beraten, wie eine Vergrößerung des Schadens vermieden und der Schaden am besten behoben werden könne. Alle verfügbaren Leute sollten, gleichgültig um wessen Pfand es sich handelte, sofort mit den nötigen Geräten zur Arbeit herangezogen werden. Über die Arbeit sollte ein genaues Journal geführt und dieses alle zwei, drei, spätestens aber acht Tage an den Landdrosten gesandt werden. Auch sollte ein „Mannzahlregister" geführt werden, das genaue Auskunft darüber geben konnte, wie lange ein jeder Arbeiter gearbeitet hatte und welche Materialien verbraucht worden waren.27 Neben diesen vom Oberlanddrosten verfügten Einzelmaßnahmen zur Verbesserung des Deichschutzes wurden auch grundsätzliche Veränderungen des Deichwesens gefordert. In einem Bericht vom 6. September 1718 schlug der Amtsvogt Hinrich Albrecht Fabricius vor, wegen der Uneinigkeit im Deichbau die Kommuniondeichung in der Grafschaft Oldenburg einzuführen, wie sie in dem zum Herzogtum Bremen gehörenden Land Wursten bereits bestand. In Kommunion zu deichen, hieß, daß alle Interessenten gemeinsam für die Herstellung des gesamten Deiches verantwortlich waren und daß nicht mehr wie bisher jeder Interessent nur für ein Teilstück des Deiches, sein Deichpfand, zuständig war. Das Verfahren bei der Kommuniondeichung verlief so, daß bei einem Deichbruch der Deichgraf mit den Deichgeschworenen und einigen dazu delegierten Personen eine Deichschau vornahm. Gemeinsam wurde dann ein Kostenvoranschlag gemacht und anschließend auf gemeinsame Rechnung gedeicht. Jeder Interessent hatte einen Anteil der Kosten zu tragen, der nach der Größe und Bonität seines deichpflichtigen Landbesitzes berechnet wurde. Wer am Deich arbeitete, dessen Beitrag wurde gesenkt, und wer über seinen Beitrag hinaus arbeitete, konnte sich noch Geld dazuverdienen, das ihm aus der Deichkasse gezahlt wurde.28 Der Vorschlag des Amtsvogts Fabricius wurde von der Deichkommission aufgegriffen. Nachdem sie am 9. November 1718 erstmals über eine neue Deichordnung beraten hatte, wandte sie sich mit der Aufforderung an den Oberlanddrosten, „ein oder andere monita" zu erforschen und der Kommission mitzuteilen, „damit eine solche höchst nöthige Ordnung auf einmahl mit Bestände und ohne erheblichen oppositiones errichtet werden könne". 29 Anfang Februar 1719 sandte von Sehestedt den Entwurf einer hauptsächlich von dem Deichgrafen von Münnich erarbeiteten Oldenburgischen Deich- und 27 28 29

Corp. Const. Oldenb. 1732, Bd. 2, T. 2, S. 38f: Reskript vom 20.11.1727. StA Old: Bstd. 26, 1263; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 121. StA Old: Bstd. 26, 511: Deichkommission an den Oberlanddrosten von Sehestedt, Husum 24.11.1718.

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Sielordnung an die Deichkommission. 30 Obwohl im Stil und in der Ordnung noch einiges zu ändern sei, wozu er keine Zeit mehr gefunden habe, schrieb von Münnich am 12. Februar 1719, werde man doch alle das Deichwesen betreffende Sachen „so special darin finden, als bis daher in keiner andern Deich = Verordnung". 31 Die wesentliche Neuerung in dieser Deichordnung war die Einführung der Kommuniondeichung anstelle der Pfanddeichung, wobei von Münnich allerdings die Trennung nach Kirchspielen und Vogteien beibehalten wollte. 32 Hiergegen äußerten die Gevollmächtigen der Butjadinger Vogteien Blexen, Eckwarden und Burhave schwere Bedenken. Wenn die Deiche jeweils innerhalb einer Vogtei in Kommunion gemacht werden sollen, bedeute es keine wesentliche Erleichterung. Es sei auch ungerecht, daß weiterhin die eine Vogtei eine große Deichlast, die andere aber auf Grund ihrer kürzeren Deichstrecke und der weniger gefährlichen Küstenlage eine viel geringere Belastung zu tragen hätte. So forderte man, bei der Pfanddeichung zu verbleiben. Doch sei es notwendig, daß die nach Größe und Bonität des Landes berechnete Deichlast für den einzelnen Interessenten noch zu leisten sei. Bei großen Deichbeschädigungen sollte jedes Kirchspiel die Deichlast bis zur Grenze des Erträglichen selbst übernehmen. Welche Belastung einem einzelnen Kirchspiel zugemutet werden könnte, sollte vorher auf der Basis eines Jücks genau festgesetzt werden. Die Kosten, die darüber hinausgingen, sollten dann nicht von der Vogtei, sondern vom ganzen Deichband übernommen werden. Der Widerstand der Vogteien gegen die 1719 entworfene Deichordnung war so groß, daß auf ihre Einführung verzichtet wurde. Zu einem weiteren Versuch der Einführung einer neuen oldenburgischen Deichordnung kam es nach der Neujahrsflut 1720/1721, die erneut die Dringlichkeit eines intakten Deichwesens vor Augen geführt hatte. Nachdem der Amtsvogt Hinrich Albrecht Fabricius 1721 dem Deichgrafen Johann Rudolf von Münnich in seinem Amt gefolgt war, ging er daran, eine neue Deichordnung zu entwerfen. Diese Deichordnung lag 1723 vor. Danach sollte in der ganzen Grafschaft Oldenburg die Pfanddeichung aufgehoben und die Kommuniondeichung eingeführt werden. Jede Vogtei stellt einen eigenen Deichverband dar, in welchem alle Deicharbeiten nach gewöhnlicher Repartition zu machen sind. Wenn sich die Kosten im Jahr auf mehr als einen Reichstaler pro Jück belaufen, sollen die darüber hinausgehenden Kosten von der allgemeinen Deichkasse übernommen werden. Wenn diese dazu nicht imstande ist, müssen sämtliche deichpflichtige Ländereien der Grafschaft diese bestreiten. Auch diese von Fabricius entworfene Deichordnung 30

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StA Old: Bstd. 26, 511: Oberlanddrost von Sehestedt an die Deichkommission, Oldenburg 30.11.1718; Deichkommission an von Sehestedt, Tondem 7.12.1718 und 25.2.1719. StA Old: Bstd. 26, 1263. Zum folgenden siehe Tenge, Der Butjadinger Deichband, S. 180ff.

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erlangte keine Gesetzeskraft, weil sie auf die Ablehnung der meisten Vogteien stieß. Es hatte allein mehrere Jahre gedauert, bis die Gutachten der einzelnen Vogteien eingelaufen waren. Auch darin äußerte sich der Widerstand der Marschkirchspiele. Trotzdem gelang es dem Deichgrafen Fabricius - unterstützt von dem Oberlanddrosten von Sehestedt - die vier Butjadinger Vogteien Blexen, Burhave, Eckwarden und Stollhamm für eine Neuorganisation ihres Deichwesens zu gewinnen. Auf Anordnung des Oberlanddrosten trafen sich Fabricius und die Amtsvögte Reutemann, Möller und Schwencker mehrere Male mit den Deichgeschworenen und einem großen Ausschuß aus den Dorfschaften dieser Vogteien, um gemeinsam über Verbeserungen zu beraten. Auf einer abschließenden Sitzung am 4. Oktober 1729 wurde einmütig befunden, daß bei der bisherigen Pfanddeichung weder die Sicherheit des Landes gewährleistet noch eine Gleichheit bei der Deichlast vorhanden sei. Wie die bisherigen Deicharbeiten zeigten, sei ein Pfand früh, das andere spät, etliche gut, andere schlecht, wieder andere seien gar nicht gemacht worden. Einige Interessenten, die das schlechteste Land besäßen, müßten die gefährlichsten Deiche, Besitzer von gutem Land dagegen nur einige außer Gefahr liegende Deiche in Stand halten. Auch käme es wegen der vielen herrenlosen Deichpfänder zu vielen Streitigkeiten. Die Deiche, die in Gemeinschaftsarbeit gemacht würden, seien nicht nur rechtzeitiger und einheitlicher fertiggestellt, sondern auch viel fester, sicherer und verläßlicher als die Deiche, an denen viele Leute in sehr unterschiedlicher Weise deichen. Die Versammlung war deshalb einmütig der Ansicht, daß das Deichwesen „am besten, richtigsten, sichersten, gleichsten, erträglichsten und billigsten" einzurichten sei, wenn in jeder Vogtei die Deiche gemeinschaftlich repariert und unterhalten würden. 33 Damit war in den durch die Nordsee am stärksten gefährdeten Vogteien der Grafschaft Oldenburg die Pfanddeichung durch die Kommuniondeichung ersetzt worden, was eine deutliche Verbesserung im Deichwesen bedeutete. Im Land Hadeln waren erste schriftlich festgehaltene Deichgesetze und -Verordnungen unmittelbar oder bald nach größeren Sturmfluten erlassen worden, so vor allem nach den Sturmfluten von 1436, 1570 und 1571.34 Diese einzelnen deichrechtlichen Bestimmungen regelten das Deichwesen in Hadeln bis zur Weihnachtsflut von 1717. Sie wurden aber von der kaiserlichen Sequestrationskommission, die 1689 nach dem Tode des letzten Lauenburger Herzogs wegen der Erbstreitigkeiten vom Kaiser eingesetzt worden war, als nicht mehr ausreichend zur Bewältigung der anstehenden Probleme angese-

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StA Old: Bstd. 26, 424. Vgl. G. A. von Halem, Geschichte Oldenburgs, III, S. 21 lf; Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 138ff; Oldenburgische Blätter, Nr. 38 vom 15.12.1817, Sp. 602f. Peche, Die Geschichte des Hadler Deiches, S. 5f.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

hen. 35 Mit seinem ersten Vorschlag, den Deichbau im ganzen Land in Kommunion vorzunehmen, war der damalige Vorsitzende der Sequestrationskommission, Graf von Fuchs, auf den geschlossenen Widerstand der Bevölkerung gestoßen. Diesen Sachverhalt berücksichtigte er dann bei der Ausarbeitung einer neuen Deichordnung. Da nach den alten Privilegien gesetzliche Maßnahmen durch die Landesherrschaft nur mit Zustimmung der drei Stände erlassen werden durften, legte er den Landständen den Entwurf der neuen Deichordnung am 16. Mai 1718 auf dem Landeshaus in Otterndorf vor. Diese sogenannte „Provisional = Teichordnung", die das Hadler Deichwesen gründlich reformieren sollte, bestimmte, daß die Wiederherstellung der Deiche innerhalb eines Kirchspiels mit gesamter Hand unter der Aufsicht eines auswärtigen Ingenieurs geschehen sollte. Die Deichbauarbeit wird als eine Arbeit der „Landesnot" angesehen, zu der alle Landbesitzer, auch die der bisher beitragsfreien Pfarrländereien beitragen sollen. Besondere Geldbeiträge „zu des Landes Bestem" sollen erhoben werden. Als Schlußtermin für die Fertigstellung der Deiche wird Jakobi (25. Juli) festgesetzt. Bei Säumigkeit muß ein Kirchspiel Strafen von 300, 600 und 1.000 Mark zahlen, die dann dem Deichbau zugute kommen sollen. Auch die Stärke des Deiches und die Mischung der Deicherde werden genau vorgeschrieben. Wer gegen die Anweisungen des Deichmeisters verstößt, soll bei Wasser und Brot in Arrest gesetzt, faule Interessenten sollen an Pfähle gebunden und in Halseisen gesteckt werden. Sogar das Fluchen will man mit einer Geldstrafe von 18 Schillingen ahnden, weil es den Deichfrieden stört. Diese Deichordnung wurde von den Ständen und der Bevölkerung Hadelns als tiefer Eingriff in die Selbstverwaltung und als Verstoß gegen die dem Land gegebenen Privilegien angesehen. Sie wandten sich vor allem gegen die Zuziehung auswärtiger Ingenieure und argumentierten, daß die Schultheißen und Kirchspielsgerichte bisher als Aufseher bei den Deicharbeiten immer genügt hätten. Sie forderten ferner, den Geistlichen auch weiterhin die Freiheit von aller Deicharbeit zu gewähren. Auch lehnten sie die neuen Abgaben und die Einführung neuer Strafen für Vergehen gegen das Deichrecht ab. Außerdem hielten sie Jakobi als Termin zur Fertigstellung der Deiche für viel zu früh. Da die Sequestrationskommission eine neue Deichordnung nur gemeinsam mit den Landständen durchsetzen konnte, mußte sie es bei den bisherigen Regelungen lassen und sich auf eine Beaufsichtigung der Arbeiten beschränken. Die Sequestrationskommission scheiterte auch bei einem weiteren Versuch, in das Hadler Deichwesen einzugreifen. Als sie im Juli 1718 verfügte, daß auch die in der Stadt Otterndorf wohnenden Landbesitzer einmalige Beiträge zur Wiederherstellung der Deiche an die Kirchspiele Osterende = Otterndorf 35

Zum foldenden siehe Rüther, Geschichte des Hadler Elbdeiches und Eigenart des Hadler Deichrechts, S. 70f; Peche, Die Geschichte des Hadler Deiches, S. 11 ff.

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und Westerende = Otterndorf zu entrichten hätten, lehnten die Otterndorfer diese Anordnung ab, weil die Stadt von alters her von allen Deichlasten befreit war. Die Kommission verlangte, daß die Beiträge innerhalb von drei Tagen gezahlt würden, und sie drohte der Stadt bei Weigerung die militärische Exekution an. Dem Magistrat wurde jedoch auf seine Bitte eine Aussetzung der Zwangsbeitreibung zugesichert, so daß er sich mit einem Gesuch an den Kaiser wenden konnte. Dieses Gesuch hatte Erfolg. Die Stadt Otterndorf blieb weiterhin von allen Deichpflichten befreit. 36 Im Alten Land nahm die Stader Regierung nach der Weihnachtsflut einen einschneidenden Eingriff in die Deichverwaltung vor, indem sie für jeden der drei Deichverbände, hier Meile genannt, zwei Sachverständige ernannte, die darauf zu achten hatten, daß die Deiche ordentlich wiederhergestellt wurden. Damit wurden die Kompetenzen der bisher dafür zuständigen Deichrichter und Deichgeschworenen beschränkt. Das Entgelt für diese landesherrlichen Deichbediensteten in Höhe von 50 Mark mußte jeder Deichverband aufbringen. Als in der zweiten Meile die zwei von der Regierung eingesetzten Sachverständigen prüfen wollten, ob auch alle Interessenten an der Deicharbeit teilnahmen, brach ein Sturm der Empörung los. Selbst der Landessekretär Posteis schloß sich dem Einspruch an. Die Regierung drohte den Einwohnern daraufhin mit militärischer Exekution, Gefängnis und Leibesstrafen. Dem Landessekretär wurde sogar die Absetzung angedroht. 37 Der Widerstand der Deichinteressenten bewirkte jedoch, daß die Regierung diese Anordnung später rückgängig machte. Ein weiterer Eingriff in das Deichwesen des Herzogtums Bremen geschah im Februar 1718, als die Stader Regierung für das gesamte Herzogtum ein Reglement erließ, daß die Amtsdauer der Deichvorsteher und -geschworenen künftig drei Jahre nicht überschreiten dürfe. Bisher waren die Ämter oft überaus lange in einer Hand gewesen, was zu Amtsmißbrauch geführt hatte. Auch wurde die Zahl der Deichgeschworenen in den einzelnen Kirchspielen nach dem Umfang der anfallenden Arbeit neu festgesetzt. Allerdings kehrten die meisten Kirchspiele schon bald wieder zur alten Anzahl zurück. 38 Nach der Weihnachtsflut entstand auch ein Streit über die Beteiligung der Pfarrländereien an der Deichlast, der jedoch mit einem Vergleich endete, in dem sich die Pastoren bereit erklärten, sich „nachbarlich" an der Deichlast zu beteiligen. Nachdem die kritischen Jahre nach den Sturmfluten überstanden waren, sahen die Kirchspiele allerdings häufig wieder davon ab, die Pastoren mit Deichabgaben zu belasten. 39 Wie in anderen Territorien, so zeigte sich in den Jahren nach der Weih36 37 38 39

Peche, Geschichte des Hadler Deiches, S. 13f; Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 36. Siemens, Aus der Deich- und Siedlungsgeschichte, S. 96f, S. 99. Djuren, Das Deichrecht im Lande Wursten, S. 19, 30. Djuren, Das Deichrecht im Lande Wursten, S. 41.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

nachtsflut auch im Herzogtum Bremen die Unzulänglichkeit der seit 1692 bestehenden Deichordnung. 40 In einem Reskript vom 21. August 1720 ordnete König Georg I. deshalb an, die bisherige Deichordnung auf Mängel durchzusehen, zu revidieren und zu vervollständigen. Dazu sollte die Stader Regierung einige im Deichwesen erfahrene Leute bestellen, die bei der Revision der Deichordnung die Erfahrungen berücksichtigen sollten, die in den Jahren nach der Weihnachtsflut bei der Wiederherstellung der Deiche gemacht worden waren.41 1724 war die revidierte Deichordnung, die vorher mit den Ständen abgestimmt worden war, fertiggestellt. 42 Die königliche Regierung zu Hannover erlaubte die Inkraftsetzung jedoch nicht, da sie noch einige Punkte näher geklärt haben wollte. Zu den strittigen Punkten gehörten die ungleiche Aufteilung der Deichpfänder, die Frage der Kommuniondeichung und die Anlegung von Schiengen (Buhnen). Offen war auch die Frage, wie der für die Landesherrschaft bei der Ausdeichung entstehende Verlust von Steuern wieder ausgeglichen werden könnte. Die neue Deichordnung sollte sich außerdem nicht ausschließlich an der Deichordnung orientieren, die in dem von Jodocus Hackmann 1690 in Stade herausgegebenen Tractatus juridicus de jure aggerum abgedruckt ist, da diese noch viele Fehler und Mängel enthalte. Sie sollten vielmehr die neu erarbeitete oldenburgische Deichordnung mit heranziehen und sich davon eine Abschrift besorgen. Die königliche Regierung zu Hannover befahl der Stader Regierung, die sich „aufs neue aufgegebene Dubia" „sowohl vor sich selbst nicht nur in reiffer Überlegung zunehmen, alß auch mit dortige LandtStände und Teich Bediente, insonderheit aber mit denenjenigen Landes Eingeseßenen, welche durch die ungleiche Vertheilung der Teiche bishero am meisten und vor andern graviret und gedrücket worden, daraus zu communiciren und letztere nach Nohtdurfft zu hören." 43 Die Einwände der königlichen Regierung führten dazu, daß der Entwurf der Deichordnung noch einmal gründlich erörtert wurde. Seine Inkraftsetzung wurde jedoch nicht nur durch die erneut notwendig gewordene Beratung auf viele Jahre verschoben, sondern auch durch die gezielte Verschleppungstaktik jener Deichverbände und Interessenten, die durch die neue Deichordnung Nachteile befürchteten. Außerdem sahen die Einwohner die Dringlichkeit einer neuen Deichordnung mit dem zunehmenden Abstand von der Weihnachtsflut immer weniger ein. So konnte die „Geänderte und verbesserte Teich = Ordnung", die eine unmittelbare Reaktion auf die nach der Weihnachtsflut offenbar gewordenen Mißstände im Deichwesen sein

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Die Deichordnung ist abgedruckt in: Der Herzogthümer Bremen und Verden Policey = Teich = Holtz= und Jagt = Ordnung, Stade 1732, S. 71-146. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 3, fol. 8f. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 3, fol. 42ff. StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 3, fol. 153.

Deichverwaltung und Deichordnungen

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sollte, erst im Juli 1743 in Kraft treten. 44 Diese Deichordnung unterscheidet sich letztlich nur in wenigen Bestimmungen von der 1692 erlassenen Deichordnung. Sie legt ziemlich genau fest, wie bei künftigen Deicharbeiten zu verfahren ist. Die Deiche sollen nicht mehr so steil, sondern flach auslaufend gebaut werden u n d oben mindestens 6-8 Fuß breit sein. Sie sollen auch alle in gleicher Stärke, „ N a c h b a r Nachbars gleich", gemacht werden. Künftig sollen alle Ländereien zur Deichlast herangezogen werden, „sowol Adeliche, Freye, als Haus = Leute Ländereyen, sie werden von Geist = oder Weltlichen, Hohen oder Niedrigen, Fremden oder Einheimischen, wes Standes sie auch seynd, gebraucht" (S. 212). Weil es bei der Führung der Deichregister zu vielen Unregelmäßigkeiten u n d Schlampereien gekommen war, werden jetzt entsprechend genaue Anweisungen gegeben. Die Pfanddeichung wird im Herzogtum Bremen beibehalten; nur im Land Wursten darf weiterhin in K o m m u n i o n gedeicht werden. Die K o m m u n i o n und die Deichkasse in Wursten seien aber „von sehr schädlicher Operation in praxi b e f u n d e n worden: So wird Unsere Bremische Regierung nicht ermangeln, die unverlängte Versehung zu thun, d a ß das werck an selbigen Orte fodersamst auf einen andern Fuß gestellet w e r d e " (S. 218). Dieses Urteil erstaunt, da die Kommuniondeichung des Landes Wursten von den Deichbeamten in Oldenburg u n d Ostfriesland als vorbildlich angesehen wurde und sich bei der Wiederherstellung der Deiche nach der Weihnachtsflut auch durchaus bewährt hatte. Außerdem hatte sich die Regierung nach der Weihnachtsflut für die Einführung der Kommuniondeichung in Kehdingen und im Alten Land eingesetzt. 45 Die Verwaltung im Deichwesen u n d deren landschaftliche Vielfalt wird nach dieser neuen Deichordnung nicht verändert. Eine Neuerung gab es bei den Deichschauungen. Einer der Deichgeschworenen wird verpflichtet, alle vierzehn Tage in seinem Bezirk eine Deichschau vorzunehmen u n d den Zustand des Deiches dem Deichgrafen und den übrigen Deichgeschworenen zu melden. Daneben sollen jährlich vier Hauptschauungen stattfinden, die erste am ersten Mai, die zweite sechs Wochen später, die dritte vier Wochen vor Michaelis (29. September) u n d die letzte auf Martini (11. November). Die neue Deichordnung der Herzogtümer Bremen und Verden stellte keine grundlegende N e u o r d n u n g des dortigen Deichwesens dar. Die Neuerungen betrafen hauptsächlich Vorschriften über Anlage, Unterhaltung u n d Benutzung der Deiche, also M a ß n a h m e n , die eine größere Sicherheit der Marschgebiete durch Verbesserung der Deiche erreichen sollten. Dazu gehörte als wichtige Voraussetzung auch die gerechte Verteilung der Deichlast. An der bisherigen Organisationsstruktur des Deichwesens wurde dagegen festgehalten u n d in die Rechte der Deichverbände nicht weiter eingegriffen. 44

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Die Deichordnung ist abgedruckt in: Fernerweiteter Anhang zu der in Anno 1732. aufgelegten Policey = , Teich = , Holtz= und Jagt = Ordnung der Hertzogthümer Bremen und Verden, Stade 1749, S. 196-247. Vgl. Schulz, Das Deichrecht im Lande Kehdingen, S. 18 u. 65f.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

Einen Eingriff in die Selbstverwaltung bedeutete es allerdings, als infolge des in der Weihnachtsflut entstandenen Grundbruchs bei Wischhafen der König 1741/42 das ihm inzwischen überlassene Land eindeichen ließ, dort ein neues königliches Amt einrichtete und den dortigen, neu eingesetzten Amtmann gegen den Einspruch der Einwohner zugleich zum Deichgraf des Büthflethischen Teils vom Land Kehdingen machte. Damit verlor das Land Kehdingen - als späte Folge der Weihnachtsflut - das Indigenatsrecht bei der Besetzung dieses Amtes; auch war seitdem Drochtersen nicht mehr der Sitz des Deichgrafen, sondern die neu entstandene Gemeinde Neuland. 46 In den Herzogtümern Schleswig und Holstein setzte sich die vom König eingesetzte Deichkommission über bestehende Deichordnungen hinweg, als sie am 6. Mai 1718 eine „Deichverordnung" herausgab, die allgemeine Bestimmungen über die Organisation der Deicharbeiten enthielt. In dieser Verordnung, die für alle schleswig-holsteinischen Marschgebiete galt, wurde die „allgemeine und extraordinaire Beyhülffe" geregelt. Jeder Interessent sollte sich entsprechend der Größe seiner Ländereien, „Morgen Morgen gleich", wie es hieß, an der Reparation der Deiche beteiligen „und einer des andern Last der Nathürlichen Billigkeit nach, dieses mahl ohne seinen Praejuditz und Consequence mittragen". Damit aber niemand „über Gebühr beschweret" würde, sollten die Deiche, die durch die Sturmflut ganz weggespült wurden, von den Deichinteressenten des Deichverbandes zunächst vier Fuß hoch wiederaufgebaut werden. An der Deicharbeit sollten sich neben den Kätnern auch die Heuerleute beteiligen, die in der Sturmflut keine Schäden erlitten hatten. Für jede fünf Morgen Land, die sie gepachtet hatten, mußten sie eine Pütt Erde unentgeltlich ausheben und an die beschädigten Deichabschnitte des Verpächters oder, falls diese intakt waren, an die anderen beschädigten Deiche des Deichverbandes transportieren. Ferner wurde die Strafe für nachlässige Deicher festgelegt. Wer sein Tagwerk nicht ordentlich verrichtete, sollte sofort mit einer Geldstrafe belegt, wer aber mehrere Male seine Arbeit vernachlässigte, ins Gefängnis gesetzt werden. Verboten wurde außerdem, daß jemand vom Spatenrecht Gebrauch machte und sich somit durch die Aufsteckung des Spatens seiner Deicharbeit entledigte. Von diesem Verbot waren nur die Deichinteressenten ausgenommen, die eidlich erklärten, daß sie zur Wiederherstellung ihrer Deiche nicht in der Lage seien und auch keine Hilfe finden könnten. Von der außerordentlichen Deicharbeit nach der Weihnachtsflut durften weder Kirchspielsvögte noch Deichgrafen und Deichgeschworene befreit werden. Jedes Kirchspiel sollte dem Deichgrafen aber für seine Mühen bis zur Wiederherstellung der Deiche monatlich acht und jedem Deichgeschworenen monatlich vier Reichstaler geben. In dieser 46

Poppe, Vom Lande Kehdingen, S. 21, 29; von Kobbe, Geschichte u. Landesbeschreibung der Herzogtümer Bremen und Verden, I, S. 143.

Deichverwaltung und Deichordnungen

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Verordnung wurde auch der Lohn für die Deicharbeiter auf täglich 14 Schilling lübsch festgesetzt. Wer gratis verpflegt wurde, sollte nur sieben Schilling lübsch erhalten. Schließlich wurde noch angeordnet, daß die Kirchspielsvögte und Gevollmächtigten in jedem Kirchspiel täglich die Deiche visitieren und die Arbeit der Deichgrafen und Deichgeschworenen überprüfen sollten. Alle Unordnungen bei den Deicharbeiten sollten sie unverzüglich der Landesobrigkeit melden. 47 Mit dieser Anordnung wollte die Deichkommission allen Auseinandersetzungen vorbeugen. Sie griff dabei jedoch, wenn auch nur vorübergehend, in die Rechte der einzelnen Deichverbände ein und erließ Regelungen, die sonst in Eigenverantwortung der Deichverbände getroffen wurden. Weil in der Wilstermarsch die Leistung der Nothilfe bei der Beseitigung der Sturmflutschäden nicht nach einheitlichen Grundsätzen erfolgt war und zu vielen Streitigkeiten geführt hatte, sah sich die Landesherrschaft gezwungen, hier eine Neuregelung zu treffen. Am 18. November 1729 erschien deshalb eine königliche Verordnung „wegen der Grund-Brüche und Not-Hülfe, so dabei von den Interessenten zu leisten", die genaue Bestimmungen über die Verfahrensweise enthielt. 48 In der Wiederaufbauphase nach der Weihnachtsflut, in der von den für das Deichwesen zuständigen Beamten große organisatorische Leistungen erfordert wurden, zeigten sich manche Mängel im Deichwesen, die sich nachteilig auf die Deichbaumaßnahmen auswirkten. Regierungen und landesherrliche Beamte bemühten sich um die Beseitigung dieser Mängel, die sich sowohl im administrativen und deichrechtlichen als auch im personellen Bereich zeigten. Nicht alle von den Landesherrschaften angestrebten Verbesserungsmaßnahmen waren aber auch durchsetzbar. Landesherrliche Maßnahmen, die einen Eingriff in den Kompetenzbereich der Deichverbände darstellten, stießen in der Regel auf die entschiedene Ablehnung der Deichinteressenten und konnten in der damaligen Situation, wie das Beispiel des Alten Landes zeigt, von der Landesherrschaft nur mit Androhung von Gewalt und auch dann nur vorübergehend durchgesetzt werden. Es gelang den Regierungen allerdings, Verbesserungen in der Deichverwaltung vorzunehmen, wenn dadurch die Rechte der Deichverbände nicht unmittelbar berührt wurden. Oft war die Durchsetzung von Verbesserungsmaßnahmen vor allem von der Initiative einzelner Beamter abhängig. Der Versuch der Landesherrschaften, in den damaligen katastrophalen Verhältnissen, in denen ihre Hilfe im Deichwesen notwendig wurde, die noch vorhandene teilweise Autonomie der Deichverbände weiter einzuschränken und das Deichwesen immer mehr zu einer Sache der Zentralverwaltung zu machen, muß jedoch als weitgehend gescheitert angesehen werden. Nur in Ostfriesland wurde mit dem von Ständen und 47 48

LAS: Abt. 11; Nr. 533; RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Fischer, Elbmarschen, S. 187.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

Landesherrschaft gemeinsam getragenen Deichdirektorium eine neue Oberbehörde des Deichwesens eingerichtet. Erfolgreich waren die Deichverbände in den Jahren nach der Weihnachtsflut meistens in der Abwehr neuer Deichordnungen. Darin zeigt sich nicht nur der Wille der Deichinteressenten, die noch bestehenden Rechte der Deichverbände zu erhalten und weitere Eingriffe des absolutistischen Staates in die noch vorhandene teilweise Autonomie abzuwehren, sondern auch die Angst des einzelnen Interessenten, durch neue Ordnungen neue Deichlasten übernehmen zu müssen. Die Tatsache, daß es den Deichverbänden in den meisten Küstenländern gelang, neue Deichordnungen zu verhindern, zeigt auch, wie stark ihr Einfluß noch war. Dabei wurde aber offenbar, d a ß die Wahrung von Besitzständen u n d Privilegien den Deichinteressenten oft wichtiger war als die Sicherheit des ganzen Landes. Wie lange sich der Widerstand gegen die Einführung einer neuen Deichordnung erstrecken konnte, zeigte sich im Herzogtum Bremen, wo die schon 1720 geplante Deichordnung schließlich nach fast einem Vierteljahrhundert eingeführt wurde. Langfristige Folgen im Deichwesen hatte die Weihnachtsflut vor allem im völlig ruinierten Butjadingen, wo die Pfanddeichung durch die Kommuniondeichung ersetzt wurde.

9.2. Streit und Arbeitsverweigerung Die Geschichte des Deichwesens in der Frühen Neuzeit ist, wie die uns überlieferten Akten der Deichverwaltung zeigen, eine Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Deichverbänden und Landesherren sowie zwischen Deichverbänden und einzelnen Deichinteressenten untereinander. 4 9 Die Phase nach der Weihnachtsflut unterscheidet sich darin nicht von anderen Zeiten. Allerdings kam es in diesen Jahren zu einer H ä u f u n g von Auseinandersetzungen, weil die Flutkatastrophe mit ihren verheerenden Folgen viele Anlässe zu Streitigkeiten bot. „Nirgends so wenig mitten im Lande als an der Küste bei den Deichen herrschte Einigkeit", betonte Wiarda im Hinblick auf die Jahre nach der Weihnachtsflut. 5 0 In einem Bericht an den Fürsten stellte der A m t m a n n von Emden, Arnold Bluhm, fest, d a ß in der oberemsischen Deichacht „die vieljährige confusion u n d Uneinigkeit" sich fortsetze. 51 Streitigkeiten u n d Prozesse beim Deichbau seien „grand m o d e " geworden, be-

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Vgl. auch H. Schütt, Genossenschaften und Landesherrschaft, S. 95f. Peter Sax schreibt in seiner Descriptio Hardae Nordergosicae aus dem Jahre 1637: „In Teichsachen aber ist unter den Marschleuten immer Streidt, und will keiner zu einer Ausfassung, Nothülf, Zustewr und anderen Mitteln sich bekennen." Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 63. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 24, fol. 261.

Streit und Arbeitsverweigerung

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tonte der Pastor Culemann aus Wilster. 52 Immer wieder sahen sich die landesherrlichen Beamten genötigt, an den Gemeinsinn der Deichinteressenten zu appellieren und vor Uneinigkeit untereinander zu warnen. Auf der Deichversammlung der ostfriesischen West- und Lintelermarsch ermahnte der Amtsverwalter Kettler die Interessenten zur Einigkeit und Hintansetzung „aller privat affecten und passionen". 53 Der Prediger Harkenroht äußerte in seiner „Kerkrede" über die Weihnachtsflut die Hoffnung, daß Gott in den Deichversammlungen Weisheit und Einigkeit geben möge, damit das Vaterland gerettet werden könne. 54 „Sie mögten sich diese Nacht noch einmahl bedencken, und nicht suchen einer dem andern zu nah zu treten, sondern einigkeit zu lieben, Gott hätte ein gefallen, wie Sie selber wüsten, an treu und redlichkeit...", bat am 8. Januar 1718 der Deichgraf Johanns die versammelten Deichrichter eindringlich. 55 Diese Appelle hatten nur eine begrenzte Wirkung und veränderten im Verhalten der einzelnen Deichinteressenten anscheinend nur wenig. Die Streitigkeiten im Deichwesen hatten sehr unterschiedliche Ursachen. Es kam zu Auseinandersetzungen über den Verlauf von Einlagen, weil dadurch Land ausgedeicht werden mußte und dieses einigen Landbesitzern somit entschädigungslos verloren ging. Hier war zu entscheiden zwischen dem Existenzrecht einzelner Bauern und der Sicherheit des ganzen Landes. Ein solcher Streit entstand zwischen der ostfriesischen Gemeinde Larrelt und der Deichdirektion. 56 Bei der Wiederherstellung des Norder Siels opponierten die Schiffer gegen den Bauplan, weil sie danach, wie sie meinten, ihre Schiffe nicht mehr sicher am Kai anlegen könnten. Der Amtsverwalter Kettler mußte die Schiffer sogar von Tätlichkeiten zurückhalten. 57 Weil viele Deichinteressenten den Mut verloren hatten und eine Wiederherstellung der Deiche angesichts der Größe der Schäden und der fehlenden finanziellen Mittel aus eigener Kraft für nicht möglich hielten, weigerten sie sich, die Deicharbeit aufzunehmen. Besonders im schwer beschädigten Butjadingen blieb die Deicharbeit lange liegen. Darüber kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den dortigen Vogteien und den landesherrlichen Beamten, die in der Weigerung der Butjadinger nur Sturheit und Ungehorsam erkennen wollten. Am 2. September 1718 klagte der Deichgraf von Münnich, 52 53

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Culemann, Denckmahl, 1728, S. 369. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 66: Kettler an Georg Albrecht, Norden 3.3.1718. Oostfriesche Watersnood, S. 114. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Protokoll der Deichversammlung vom 8.-10.1.1718. Auch über die Uneinigkeit der Kehdinger beklagte sich Johanns. StA Stade: Rep. 31. 16 p. Nr. 2, Bd. I, Teil 1: Schreiben an die Stader Regierung vom 8.4.1719. Vgl. auch Johanns Rede, die er auf der Deichversammlung am 24.4.1717 hielt. Siehe E. von Lehe, Zerstörung, S. 48f. Freese, Ostfriesland, S. 290. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 63: Schreiben vom 1.3.1718.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

daß er nicht die Macht habe, die Einwohner Butjadingens zum Deichen zu zwingen, weder durch Pfändung noch Exekution. Er wünschte aber, „ d a ß die Hartnäckigkeit der unterthanen einmahl möge gestraffet werden". 58 „Ordres gibt man hier, niemand aber pariret weiter alß ihm gut deucht", klagte von Münnich ein anderes Mal. 59 Auch in anderen Vogteien der Grafschaft Oldenburg wurde sehr nachlässig gedeicht. Als der Deichgraf auf Befehl der Deichkommission den einzelnen Vogteien die Deicharbeit an der Volkser Einlage zuteilen wollte, konnten nur Rodenkirchen und Golzwarden ihr Maß empfangen. Aus den Vogteien Mooriem, Hammelwarden und Strückhausen war niemand erschienen, weder Beamte noch Geschworene noch Ausschußleute. „Welches dienet zum Zeugnis des üblen Gehorsams hiesiger unterthanen in deich Sachen", stellte von Münnich fest.60 Die Vogteien Hammelwarden und Mooriem waren auch zur Arbeit an der Achtermeerischen Brake beordert worden, hatten sich jedoch nicht darum geschert, so daß die Brake weiterhin offen blieb. 61 Der Deichgraf von Münnich beschuldigte auch einige Beamte, daß sie die Deicharbeit „vorsetzlich in Verwirrung, wo nicht gar in stecken zu bringen trachten". 62 Dazu zählte er vor allem den Kammerrat Röhmer, der wiederholte Regierungsanordnungen nicht respektierte. Schließlich wurde auf Anraten des Deichgrafen über den Kammerrat Röhmer als Amtsvogt von Strückhausen die militärische Exekution verhängt, „biß der Amtsvogt die Deicharbeit sich gebührend angelegen sein läßt, auch selbst in Persohn sich dabei einfindet und beständig dabei bleibet". 63 Die zur oberemsischen Deichacht gehörenden Vogteien weigerten sich noch im Sommer 1719, ihre Deichabschnitte zu reparieren. Der ostfriesische Fürst, Georg Albrecht, ordnete am 21. Oktober 1719 schließlich an, daß die Eingesessenen sich Mann für Mann am nächsten Montag zur Deicharbeit begeben sollten. Falls das nicht geschähe, sollten die Deiche auf ihre Kosten repariert und das Geld durch militärische Exekution eingetrieben werden. 64 Besonders viele Anlässe zu Auseinandersetzungen brachten die in dieser 58 59

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StA Old: Bstd. 26, 1263. StA Old: Bstd. 26. 1263: Schreiben an die Deichkommission, Tettens 29.9.1718. Vgl. ebenda: Kammerrat Röhmer an die oldenburgische Regierung, Strückhausen 3.1.1718. „Was nutzen anordnungen, wann niemand folgen will", klagte J. R. von Münnich in einem Schreiben an die Oberrentkammer, Elsfleth 8.8.1718 (StA Old: Bstd. 26, 1263). StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben an die Deichkommission vom 10.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 24.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 17.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 26 1-26 II: Anordnung vom 14.7.1718; Schreiben J. R. von Münnichs an den König, Elsfleth 29.7.1718. Vgl. StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben J. R. von Münnichs vom 24.1.1718 und 8.8.1718. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 100, 103; vgl. Freese, Ostfriesland, S. 287.

Streit und Arbeitsverweigerung

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katastrophalen Lage zur Rettung des Landes geforderte Nothilfe und die von benachbarten Gemeinden und Deichverbänden verlangte Beihilfe zu außerordentlichen Deicharbeiten, die nach den deichrechtlichen Bestimmungen gefordert werden konnten. 65 Einige Interessenten im ostfriesischen Amt Berum verweigerten ihre Beihilfe am Neßmer Deich, ,,auß der nichtiglichen Einrede, daß sie nur ihren Antheil an ihrem Teich zu machen schuldig wären und üm solcher Uneinigkeit willen dieser Teich biß hieher in solchem Zerrißenen und miserablen Zustand liegen geblieben". 66 Zu langjährigen Prozessen, die erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihren Abschluß fanden, kam es in der Landschaft Eiderstedt. Dabei ging es um die stärkere Beteiligung einiger Kirchspiele an den Deichkosten, die durch die Wiederherstellung der Deiche nach der Weihnachtsflut und der Neujahrsflut entstanden waren. 67 Im Herzogtum Bremen beschwerten sich die vier Norderdörfer des osterstadischen Distrikts, daß die vier Süderdörfer sich an der Reparation ihrer Deiche nicht beteiligen wollten. Die Regierung in Hannover befürchtete, daß durch den „Disput zwischen denen Interessenten die so nötige teich reparation" nicht weitergeführt würde. 68 Große Streitigkeiten gab es auch über die Reparation des Wischhafener Grundbruchs. 6 9 Im August 1718 schrieb die Stader Regierung, sie habe „mit höchstem Mißfallen" zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Eingesessenen des Landes Kehdingen sich bei der Reparation des Wischhafener Grundbruchs „zum theil gar wiederspenstig undt unfleißig erweisen, und sich dabey, als ob Ihnen nicht daran gelegen undt es genug sey, wenn Sie nuhr nach ihrer Commodität dabey arbeiteten, anstelleten". 70 Den Einwohnern sei die Notwendigkeit des Deichbaues und dessen Fertigstellung vor dem Winter klarzumachen und sie zur Fortsetzung der Arbeit aufzufordern. Falls der Bau bis zum Winter nicht fertig werde und das Land weiterhin unter Wasser stehe, könnten die Einwohner mit dem Erlaß der Kontribution und anderer öffentlicher Abgaben wie auch einer Befreiung von der Einquartierung nicht rechnen. Die Marschdörfer wollten die Geestdörfer an den Deicharbeiten beteiligt sehen, weil sie auch einige Marschwiesen besaßen und insofern Nutzen vom Deichbau hatten. Gegenseitige Hilfe wollten die Marschdörfer sich erst leisten, wenn die eigenen Deiche wieder65

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Vgl. Noosten, Die Entwicklung des Deichrechts, S. 39ff, 42; Djuren, Das Deichrecht im Lande Wursten, S. 50ff; Constabel, Das Deichrecht Süderdithmarschens, S. 50ff; Grube, Das Deichrecht Norderdithmarschens, S. 86f., Johannsen, Zur Geschichte des Nordfriesischen Deichrechts, S. 50ff; Schulz, Das Deichrecht im Lande Kehdingen, S. 59 u. 70f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10: Schreiben einiger Deichrichter an Georg Albrecht vom März 1718; J. V. Kettler an Georg Albrecht, Berum 2.4.1718; vgl. B II q, Nr. 17. Fischer, Eiderstedt, S. 218ff. StA Stade: Rep. 31, 16 g, Nr. 1, fol. 2, 8ff. Siehe Wendig, Die Deicharbeiten in Wischhafen, S. 48f. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1).

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Auswirkungen IV: Deichwesen

hergestellt waren. Wie der Oberdeichgraf feststellte, versuchte „einer dem andern die Last des Teichwesens.. .auf den Halse zu schieben". 71 Ein typischer Fall war folgender: Am 6. September 1718 besichtigte der Oberdeichgraf Eibe Siade Johanns die Geestendorfer und Wulsdorfer Deiche. Dabei stellte er fest, daß sie sich in elendem Zustand befanden und an vielen Stellen der Erde gleich waren. An den Deichen war bisher nicht gearbeitet worden, nur die Grundbrüche waren mit einem Damm durchzogen und die Schleusen wieder eingelegt worden. So konnten die Deiche zwar die tägliche Flut abhalten, aber schon bei einem kleinen Sturm würde das Land wieder überschwemmt werden. Als Johanns den Geestendorfern und Wulsdorfern vor Augen hielt, in welcher Gefahr sie lebten und wie wenig sie bisher zur Abwendung dieser Gefahr getan hätten, verteidigten sie sich damit, daß sie unvermögend seien und außerdem mit der Heu- und Kornernte zu tun gehabt hätten. Der Amtsvogt jedoch klagte, sie seien halsstarrige und faule Deicher, die er nicht zur Arbeit bringen könne. Wenn die Stader Regierung sie durch Exekutionsmittel nicht dazu zwingen werde, sei zu befürchten, schrieb Johanns, „daß ihr Land wieder unter waßer gesetzet wird, und Sie selbste alle zum Bettelstab bringe, weilen sie itzo schon schlecht im Stande sind." 72 Da der Oberdeichgraf Johanns die Dörfer Geestendorf und Wulsdorf für nicht fähig hielt, die Deichbauarbeiten ohne Beihilfe zu verrichten, schlug er vor, die benachbarten Dörfer Schiffdorf und Bramel dazu mitheranzuziehen. Denn auch sie hätten Nutzen von der Deichverbesserung. Das war auch ganz im Sinne der Geestendorfer. In einem Schreiben an die Stader Regierung hatten sie um eben diese Beihilfe gebeten. 73 Nachdem die Stader Regierung dem Amtsvogt Conrad Christopher von Damm schon mehrere Male befohlen hatte, „die Leute durch alle und Jede in der Teichordnung anhand gegebene Executions = Mittel zu ungesäumbter reparation Ihrer so sehr beschädigten Teiche anzuhalten", ordnete sie am 22. September 1718 abermahls an, daß die Geestendorfer und Wulsdorfer die Reparation ihrer Deiche sofort in Angriff nehmen sollten. Bei weiterer Weigerung sollten die beschädigten Deiche auf ihre Kosten durch fremde Arbeiter wiederhergestellt werden. Auch wurde den Einwohnern von Schiffdorf und Bramel befohlen, beim Deichbau zu helfen. 74 Gegen diese Anordnung der Stader Regierung protestierten die Schiffdorfer: „Sölten wir jetzo noch 71

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StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Protokoll der Deichversammlung vom 8.-10.1.1718. Der Amtsvogt Röhmer aus Strückhausen warf den Butjadinger Gemeinden vor, sich bei Sturmschäden immer auf die Beihilfe ihrer Nachbarn im Stadlande zu verlassen, mit welchen sie in einem Deichband standen und zur gemeinschaftlichen Hilfe verpflichtet waren (StA Old: Bstd. 26, 1263: Röhmer an die Landesherrschaft, Strückhausen 30.1.1718). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben von Eybe Siade Johanns an die Stader Regierung, Bremen 9.9.1718. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1). StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1).

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denen Geestendorffern zu Hülffe kommen, So hätten Sie die intention erreichet, weicherhalben Sie das teichen bißhero eingestellet." Andere Dörfer hätten ihre Deiche auch ohne fremde Hilfe wiederhergestellt; das könnten die Geestendorfer auch, wenn sie nur von der Obrigkeit dazu angehalten würden. Sie, die Schiffdorfer, seien nicht verpflichtet und auch nicht fähig, ihnen zu helfen, da sie noch viele Tausend Ruten am Deich des Geesteflusses zu reparieren hätten. 75 Obwohl ihr Einspruch von der Stader Regierung abgelehnt wurde, weigerten sie sich, die Deicharbeit aufzunehmen. Anfang November befahl der Amtsvogt Conrad Christopher von Damm den Schiffdorfern nochmals, sich sofort mit 30 Wagen und 60 Personen an die Deicharbeit zu machen. Sie ließen jedoch auch jetzt durch ihre Abgeordneten mitteilen, daß sie sich am Deichen nicht beteiligen würden. So blieb die Deicharbeit lange liegen. Der Amtsvogt fragte schließlich bei der Stader Regierung an, wieviele Dragoner er ihnen ins Dorf legen solle, damit diese sie dann zur Deicharbeit brächten. 76 Leider geben uns die Akten keine Auskunft darüber, wie dieser Fall weiterging. Wir wissen nur, daß die Geestendörfer und auch die Wulsdorfer die Deicharbeit inzwischen aufgenommen hatten. Um die große finanzielle Belastung zu begrenzen, die die Bauern durch den Wiederaufbau ihres Betriebes und durch die Wiederherstellung der Deiche zu tragen hatten, taten viele Gemeinden gerade das Nötigste, um ihr Land vor der täglichen Flut zu schützen und somit ihre Wiesen und Äcker wieder zu nutzen. Die drei Kirchspiele Bützfleth, Assel und Drochtersen im Land Kehdingen waren nach der Weihnachtsflut durch die Errichtung des sogenannten Defensionsdeiches so weit geschützt, daß ihr Land nicht mehr ständig unter Wasser stand und sie dieses schon wieder landwirtschaftlich nutzen konnten. Das Land war durch diesen Deich jedoch nur notdürftig gesichert. Sollte es auf Dauer gesichert werden, war eine Verstärkung des Deiches notwendig. Darüber waren sich die drei Kirchspiele einig. Uneinigkeit herrschte allerdings über die von den einzelnen Kirchspielen zu übernehmenden Deichabschnitte und Kosten. Als am 29. März 1722 ein leichter Sturm den Defensionsdeich stark beschädigte, wurde die Wichtigkeit einer Deichverstärkung und die Notwendigkeit einer raschen Einigung in dieser Frage noch einmal unterstrichen. 77 „Die allhier nicht ungewöhnliche Uneinigkeit" sei ein großes Hindernis gewesen, den Deichbau rechtzeitig zu beginnen und fertigzustellen, betonte Hekelius. 78 Die Streitigkeiten im Deichwesen trugen tatsächlich dazu bei, daß mancherorts die Deiche erst sehr spät wiederhergestellt wurden. Ursache der 75 76

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Ebenda. StA Stade: Rep. 80 Wb, 176, Nr. 1, Bd. 1 (Fasz. 1): Schreiben des Amtsvogts von Damm an die Regierung zu Stade, Geestendorf 12.11.1718. StA Stade: Rep. 31, 16 g, Nr. 2, fol. 4ff, 8ff. Hekelius, Beschreibung, Vorrede 3. Vgl. Hollmann, Kurze Darstellung der Sturmfluthen, S. 34.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

meisten Auseinandersetzungen waren handfeste wirtschaftliche Interessen, die bei den meisten Deichinteressenten einen höheren Stellenwert hatten als die langfristige Sicherung des Landes vor der See. Oftmals wurde ignoriert, daß beides eng miteinander verknüpft war. Sollten die Deiche aber wieder in haltbaren Stand gebracht werden, so waren, wie der ostfriesische Kommissar Zur Mühlen richtig feststellte, drei Dinge unbedingt notwendig: „Einigkeit, Geld u n d Holz". 7 9 War die Einigkeit nicht herzustellen, Geld nicht genügend vorhanden u n d deshalb auch der Holzkauf nicht möglich, so mußte die Landesherrschaft eingreifen. U n d das geschah in den Jahren nach der Weihnachtsflut nicht selten.

9.3. Arbeitermangel und Arbeitspflicht Weil in der Weihnachtsflut viele Menschen ertrunken waren, fehlte es in den Küstenregionen an Arbeitskräften f ü r die Wiederherstellung der Deiche. Viele heimische Arbeiter, die jetzt in den Jahren nach der Katastrophe dringend benötigt wurden, hatten ihr Leben in der Flut lassen müssen. „So weiß hier auch kein Mensch raht, wie es mit reparation der Deiche anzufangen; die Arbeitsleute, so in der Marsch und bey denen Deichen sonderlich häuffig gewohnet, seyn alle t o d " , klagten der Drost August Friedrich von Schacht u n d der Amtmann Jan Volrad Kettler aus dem ostfriesischen Amt Berum. 80 In anderen Küstengebieten sah die Lage nicht anders aus. Am 30. Januar 1718 berichtet der oldenburgische Amtsvogt Röhmer, d a ß es ihm unmöglich erscheine, noch in diesem Jahr den Ellensdammer G r o d e n einzudeichen, weil die dazu nötigen Arbeiter fehlten. Ein Großteil der Arbeiter sei in der Flut ertrunken ; viele stürben aber noch täglich an Hunger u n d Kälte. 81 Diesen Mangel an Arbeitskräften versuchten die Landesregierungen auszugleichen, indem sie einerseits das in ihrem Land vorhandene Arbeitspotential möglichst ausschöpften u n d andererseits in anderen Ländern Arbeiter f ü r den Deichbau anwarben. Damit die Anzahl der Arbeiter sich nicht noch weiter verringerte, erließen die meisten Landesregierungen der Küstenländer schon bald nach der Weihnachtsflut Ausreiseverbote. 82 Doch darauf beschränkten sich die landesherrlichen M a ß n a h m e n keineswegs. In Ostfriesland erging am 24. J a n u a r 1718 ein fürstliches Mandat, nach dem alle in der " Das teilte der Amtmann Arnold Bluhm in einem Schreiben vom 10.3.1718 an Georg Albrecht mit. Siehe StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 24. 80 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 10, fol. 14: Schreiben vom 28.2.1718 an Georg Albrecht. 81 StA Old: Bstd. 26, 1263.Die Einwohner der Vogtei Stollhamm schrieben am 2.9.1718 an die Deichkommission, daß ihre Vogtei „gar gering von Mannschafft und nicht mehr den 45 arbeitsahme Mann starck seyn". (StA Old: Bstd. 26, 1264) 82 Siehe das Kapitel „Auswirkungen I: Auswanderung". Vgl. auch Schaer, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Deicharbeiter, S. 120f.

Arbeitermangel und Arbeitspflicht

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Niederemsischen Deichacht wohnenden Handwerker, Tagelöhner und Warfsleute drei Tage umsonst am Deich arbeiten mußten. Wer noch länger arbeiten wollte, erhielt pro Tag 12 Stüber Arbeitslohn von der Deichacht.83 Auf der Deichversammlung der Wester- und Lintelermarsch beschloß man, daß aus jedem Haus ein Mann zur Deicharbeit abgestellt werden sollte; auch jedes Quartier der Stadt Norden sollte eine gewisse Anzahl Arbeiter stellen.84 Die zur Südbrokmer Deichacht gehörenden Einwohner mußten mit Ausnahme der Prediger und anerkannten Armen acht Tage lang ohne Entgelt an dem Schoonorther Deich mitarbeiten.85 Auf Vorschlag der Landstände erließ Georg Albrecht im August 1719 ein Edikt, nach dem „von jedem 50. Grasen Landes ein zur Arbeit tüchtiger Mann sechs Tage lang" zur Mitarbeit an den großen Deichbaustellen in der nieder- und oberemsischen Deichacht gestellt werden sollte. Dieses Aufgebot geschehe zur Rettung des Landes „aus höchst = dringender Noth". 86 Im nächsten Jahr verordnete der ostfriesische Fürst erneut, daß alle in seinem Land wohnenden Arbeiter sich bei 20 Goldgulden Strafe zur Deicharbeit einfinden sollten. Ihr Lohn sollte ihnen wöchentlich bar bezahlt werden. Wer sich nicht zur Arbeit einfände, sollte aus dem Land verbannt werden.87 Am 17. Juni 1718 verordnete König Friedrich IV. von Dänemark, daß von allen sequestrierten fürstlichen Ämtern der Herzogtümer Schleswig und Holstein 413 Wagen mit Pferden und Treibern zur Deicharbeit in Süderdithmarschen beigesteuert werden mußten. Die Pferde sollten an den Außendeichen freie Gräsung und die Treiber kostenlose Verpflegung erhalten.88 Im nächsten Jahr mußten die sequestrierten fürstlichen Ämter wieder Hilfe beim Deichbau leisten. Für 14 Tage sollten sie die Fuhren an den Deichen übernehmen oder stattdessen einen gewissen Betrag entrichten.89 Zur Mitarbeit an der Eddelaker Brake in Süderdithmarschen wurden auch die Geestbewohner 13

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StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 52, fol. 134. Gegen dieses Mandat protestierten 71 Untertanen aus der Herrschaft Rysum vergeblich. Ebenda, fol. 178f; 180f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 68, 101. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 92f. Gegen diesen Befehl protestierten sämtliche Arbeitsleute aus Viktorbur. Sie seien arme Leute, die nur wenig oder nichts besäßen als ein Häuschen voller Kinder und bisher noch nichts verdienen konnten, wovon sie acht Tage leben könnten. Der Fürst möge die Verfügung an die Deichrichter ergehen lassen, daß die Hausleute, die den Deich reparieren müßten, ihnen während der acht Tage Essen und Trinken verschaffen sollten. Der Fürst entschied, daß die wirklich armen Leute von der Deicharbeit verschont werden sollten (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 9, fol. 92f.). StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 36 u. 49; vgl. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 240. Funck, Ostfriesische Chronik, 8, S. 285f; Freese, Ostfrießland, S. 290; Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 54. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Clausen u. Crane an den dänischen König, Meldorf 9.10.1719.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

dieser Landschaft sowie die Wilster- und Krempermarscher verpflichtet.90 Die Wilstermarsch beteiligte sich mit 750 Mann und die Krempermarsch mit 200 Mann." Die Südervogtei Meldorf mußte zum Beispiel für die Arbeiten an der Eddelaker Brake anfangs für jeden Pflug täglich einen Mann stellen, dann für 3 Pflüge täglich einen Mann und für drei Pflüge jeweils ein Gespann samt Treiber und Spitter.92 Die Eiderstedter wurden gegen ihren entschiedenen Willen zur Deicharbeit in der Lundenbergharde herangezogen. Sie mußten auf obrigkeitliche Anordnung 300 Wagen, später sogar 400 zum Deichbau im Hecklauer Koog beisteuern. Dieser Koog, auch Simonsberger Koog genannt, war herrschaftlicher Besitz und brachte jährlich etwa 10.000 Reichstaler Pacht ein. Weil die Eiderstedter an der Wiedereindeichung dieses Kooges kein besonderes Interesse hatten, mochten sie der obrigkeitlichen Anordnung nicht folgen. Mehrfach blieben sie der Arbeit fern, so daß der Deich nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte. Schließlich ließ man 1720 und 1721 die dortige Arbeit ganz ruhen, weil die Landschaft Eiderstedt sich bereit erklärt hatte, für die Einnahmen, die der König aus diesem Koog bezog, aufzukommen, wenn der Koog dafür unbedeicht liegenbleiben könne. Somit hatten die Eiderstedter sich von ihren Leistungen zum dortigen Deichbau freigekauft. 93 Obwohl die Einwohner der Butjadinger Kirchspiele Waddens und Burhave im August 1718 damit drohten, das Land zu verlassen, wenn sie mit Gewalt zur Deicharbeit angehalten würden 94 , befahl die Deichkommission Anfang September 1718 allen Beamten und Einwohnern, sich bei den Deichen in Butjadingen einzufinden und den ihnen vom Deichgrafen zugewiesenen Distrikt zu bedeichen.95 Von der Kanzel zu Hammelwarden wurde am 4. September die Anordnung verlesen, daß „ein Jeder sich nach der Schweyburger und Butjadinger Teicharbeit verfügen solte".96 Auch die küstenfernen Vog90

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Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 341, 355; RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Clausen und Crane an den dänischen König, Meldorf 9.10.1719. Fischer, Elbmarschen, S. 183f. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Schreiben der Eingesessenen der Südervogtei an den König, o.D. Ein Spitter ist ein Arbeiter, der gräbt. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an den König, Oldenburg 2.10.1718 und Meldorf, 27.10.1719; ebenda: G 24: TeichCommissions-Buch von den Verrichtungen und Nutzen in annis 1719 et 1720 so weith es die Herzogthümer Schleßwig-Hollstein betrifft, p. lOOf, 105f.; KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt A2 , Kirchspiel Kating IV a, Nr. 28; Laß, Sammelung einiger Husumischen Nachrichten, 1701-1750, S. 71, 74; Fischer, Eiderstedt, S. 193 f. StA Old: Bstd. 26, 1263: J. Daelhausen an J. R. von Münnich, Burhave 12.8.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Neve und Weyse an die Deichkommission, Kopenhagen 6.12.1718. StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen von der Vogtei Hammelwarden: Eilert Addicks an die Deichkommission, 5.9.1718.

Arbeitermangel und Arbeitspflicht

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teien der Grafschaft Oldenburg wurden zur Beihilfe im Deichbau herangezogen. Die Einwohner des Amtes Rastede mußten im Sommer 1718 am Schweiburger Deich mitarbeiten. Auch stellten sie 50 Mann für die Arbeit am Ellensdammer Siel. Da sie in einer waldreichen Gegend wohnten, wurden sie außerdem dazu verpflichtet, gegen Bezahlung große Pfähle an die Schweiburger und Käseburger Deichbaustellen zu liefern.97 Aus der Hausvogtei Oldenburg mußte jeder Hausmann einen Mann zur Arbeit am Notdeich in Butjadingen schicken. Wenn der Deich noch bis Weihnachten fertig werden solle, schrieb der Deichgraf von Münnich an die Deichkommission, dann müsse jeder Hausmann sofort drei, wenigstens aber zwei tüchtige Männer stellen. Auch dürften sie nicht, wie es jetzt zum Teil geschähe, nur Jungen zur Deicharbeit senden.98 Weil die Vogteien Bockhorn und Zetel eine zu schwache Mannschaft hatten und ihre Deicharbeit deshalb nicht rasch genug voranschritt, ordnete der Deichgraf von Münnich am 23. September 1718 an, daß ein Voll = Erbe vier Mann stellen sollte.99 Diese Anordnung war nicht zu erfüllen, da auf vielen Bauernstellen weder ein Bauer noch sonst ein Mann vorhanden war. So war es vielen Hausleuten kaum möglich, einen, geschweige denn mehr Männer zu stellen.100 Die Einwohner übernahmen die ihnen von der Landesherrschaft auferlegte Arbeitspflicht nur ungern. In Eingaben an die Deichkommission baten sie um die Freistellung von diesen Arbeiten.101 Diese Gesuche hatten aber keinen Erfolg. Einige Einwohner weigerten sich dennoch, die Deicharbeit zu übernehmen. Auf Anforderung des Amtsvogtes Bode aus der Vogtei Bockhorn wurden deshalb ein Unteroffizier und sechs Soldaten in seine Vogtei gesandt, um durch militärische Exekution die widerspenstigen Einwohner zur Deicharbeit zu bewegen. „Der mehreste Theil der Unterthanen aber leyder so beschaffen, daß man ihn zu allem, was Er thun soll, wie ein faules Pferd anspornen und treiben muß", klagte Bode.102 Die Einwohner der Vogtei Zetel hatten sich auch zunächst geweigert, die ihnen aufgetragene Deicharbeit zu übernehmen. Jedoch begaben sie sich noch vor Ankunft der dorthin kom97

StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Rastede und Jade: Schreiben der sämtlichen Einwohner des Amtes Rastede vom 8.9.1718. 98 StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 24.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1264: Extrakt aus dem Deichbeschauungsprotokoll vom 28.10.1718. " StA Old: Bstd. 26, 1263. 100 StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben des Amtsvogts Bode aus Bockhorn vom 23.9.1718. 101 StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogtei Hammelwarden: Schreiben vom 10.9.1718; Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogteien Rastede und Jade: Schreiben vom 8.9.1718; Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Hausvogtei Oldenburg: Schreiben vom 7.9.1718. 102 StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben und Gesuche verschiedener Untertanen des Amtes Neuenburg: Bode an die Deichkommission, Bockhorn 30.9.1718 und 24.10.1718.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

mandierten Soldaten an die Arbeit.103 Einige zur Deicharbeit verpflichtete Personen kehrten schon bald von der Deicharbeit zurück unter dem Vorwand, sich verletzt zu haben. Diese Vorfälle waren der Anlaß für den Deichgrafen von Münnich, die Deichkommission um einen Chirurgen zu bitten, der untersuchen könne, ob es sich um vorgetäuschte Krankheiten handele oder nicht.104 In Süderdithmarschen, in Eiderstedt und in der Grafschaft Oldenburg wurden auch die Kätner oder Köter, wie sie Oldenburg hießen, zur Deicharbeit herangezogen.105 Von den 600 Arbeitern, die für die Deicharbeiten im oldenburgischen Westerstede und Apen benötigt wurden, mußten 120 Mann von den Kötern gestellt werden.106 Weil alle Interessenten der Mooriemer Vogtei bei der Volkser Einlage deichten, mußten die dortigen Köter das zur Vogtei gehörende Deichstück bei der Achtermeerischen Brake machen.107 Für die Köter bedeutete diese Arbeitspflicht ein großes Opfer, besonders wenn sie für ihre Deicharbeit nicht pünktlich und ausreichend bezahlt wurden. Beschwerden waren die Folge. Die Köter aus Elsfleth beklagten sich bei der Deichkommission, daß sie nicht länger arbeiten könnten, da sie nichts zu essen hätten. Sie bekämen keinen Tageslohn und hätten nicht einmal einen Zehrpfennig, den sie mitnehmen könnten. Auch seien sie nicht mehr imstande, ihre Frauen und Kinder zu ernähren. Sie würden nur noch weiter arbeiten, wenn sie mit dem notwendigen Unterhalt versorgt und Tageslohn bekommen würden.108 Manche Köter erschienen gar nicht erst zur Arbeit und täuschten vor, daß sie krank seien. Sie hatten allerdings mit Strafen zu rechnen, wenn ihr Betrug entdeckt wurde.109 Andere verweigerten die Arbeit ohne Angabe von

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StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben und Gesuche veschiedener Untertanen des Amtes Neuenburg: G. Weinemann an die Deichkommission, Bockhorn 13.9.1718. 104 StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 3.10.1718. 105 RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Verordnung vom 6.5.1718. KA NF: Landschaftl. Archiv Eiderstedt Nr. 457: Protokolle der Landesversammlung, 20.6.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263 und 1264. Der Amtsvogt Röhmer stellte schon in einem Brief vom 31.1.1718 an die Landesherrschaft fest, daß er für die Reparation des neuen Schweiburger Deiches kein anderes Mittel sehe, als daß „dazu größesten theils die Kötere von den geesten Neuenburg und Schwey emploiren" (StA Old: Bstd. 26, 1263). 106 StA Old: Bstd. 26, 1264: Kommerzienrat Witken an die Deichkommission, Tettens 10.10.1718. 107 StA Old: Bstd. 26, 1263: Deichgraf J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 11.10.1718. Auf Beschluß der Deichkommission mußten auch alle Kätner in den Marschgebieten Süderdithmarschens Deicharbeit leisten (RAK: Rentekammer, Nr. 191 (Kommissioner) G 24: Anordnung vom 6.5.1718). "" StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben der Eingesessenen der Vogteien Mooriem und Oldenbrok: Schreiben vom 14.10.1718. 109 StA Old: Bstd. 26, 1263: Schreiben von J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 1.10.1718; vgl. auch StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben und Gesuche

Arbeitermangel und Arbeitspflicht

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Gründen. 110 Zwei Köter aus der Vogtei Zetel versuchten die gesamte Zeteler Mannschaft aufzuwiegeln, so daß der Amtsvogt befürchtete, sie würden alle nach Hause laufen, falls an diesen beiden kein Exempel statuiert würde.111 Auf Vorschlag der Deichkommission sollten in Oldenburg ferner straffällig gewordene Einwohner zur Deicharbeit herangezogen werden.112 Der Deichgraf von Münnich wollte die Straftäter in Gruppen von 6 bis 12 Mann zusammensetzen und sie dann nach der Schwere ihrer Straftat Erde ausheben und zum Deich bringen lassen. Das Quantum der Pütten, also der auszuhebenden Erde, sollte danach bemessen werden, wieviel Brüchegeld sie hätten geben müssen. Wer 1 oder 2 Reichstaler an Brüche zu bezahlen hatte, mußte dafür eine halbe Pütt Erde ausheben, was dem normalerweise dafür gezahlten Lohn entsprach.113 Gleichzeitig mit dem Ausreiseverbot vom Januar 1719 ordnete die oldenburgische Regierung an, daß sich jeder Arbeitsmann innerhalb von acht Tagen nach Bekanntgabe des Mandats bei seinen Beamten melden und in einer Liste verzeichnen lassen sollte, ob er „mit Wüppen" oder „mit Kojren bey die Deiche arbeiten könne". 114 Der Beamte sollte die Liste innerhalb von vierzehn Tagen an den Deichgrafen senden, damit dieser einen Überschlag machen könne, ob die hiesigen Einwohner für die Deicharbeit ausreichen würden.115 In Oldenburg wurde mit dieser Maßnahme erstmalig der Versuch unternommen, das vorhandene eigene Arbeitspotential statistisch zu erfassen, um danach den Bedarf an auswärtigen Arbeitern besser zu ermitteln.116 Nach dieser Erhebung konnte das Land nur ein Drittel der erforderlichen Arbeiter stellen. Der größte Teil der Arbeiter mußte also aus anderen Ländern herangeholt werden. Da alle Küstenländer ihre Arbeiter dringend selbst benötigten, kamen nur Binnenländer in Frage. Der Oberlanddrost von Sehestedt schrieb deshalb Anfang März 1719 an verschiedene benachbarte Regierungen und bat sie, ihrer Bevölkerung bekannt zu machen, daß in Oldenburg Fortsetzung Fußnote von Seite 252 verschiedener Untertanen des Amtes Neuenburg: Siercke Peters an die Deichkommission, Oldenburg 3.9.1718. 110 StA Old: Bstd. 26, 1263: Designatio von J. R. von Münnich vom 21.9.1718. 111 StA Old: Bstd. 26, 1264: Eingaben und Gesuche verschiedener Untertanen des Amtes Neuenburg: Schreiben des Amtsvogts Bode an den Deichgrafen J. R. von Münnich, Sollens 16.9.1718. 112 StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 24.9.1718. 113 StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 29.9.1718. 114 Eine Wüppe ist eine zweirädrige Sturzkarre. Kojern oder koyern bedeutet, mit einer Koyerkarre Erde zu transportieren. Die Koyerkarren entsprachen unseren heutigen Schubkarren. 115 StA Old: Bstd. 26, 424; Corp. Const. Old. 1722, T. II, S. 274f. 116 Schaer, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Deicharbeiter, S. 121.

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Arbeiter beim Deichbau Geld verdienen könnten." 7 Schon im Vorjahr hatten an den Deichen der Butjadinger Vogteien Abbehausen und Blexen Arbeiter aus dem lüneburgischen und bremischen Gebiet gearbeitet. 1 ' 8 Für die Deicharbeiten im Jahr 1720 benötigte man in Oldenburg nach Berechnung des Oberlanddrosten wieder etwa 2.000 fremde Arbeiter. 1 " In Oldenburg bestand auch ein Mangel an Deichbauspezialisten wie Deichsticker, die der Deichgraf von Münnich in den benachbarten Marschgegenden zu gewinnen versuchte.120 Auch in anderen Küstenländern wurden nach der Weihnachtsflut fremde Arbeiter zum Deichbau benötigt.121 An der großen Deichbaustelle bei Larrelt in Ostfriesland arbeitete beispielsweise eine Anzahl Männer aus Westfalen.122 Der ostfriesische Fürst Georg Albrecht hatte sich ebenfalls an die Regierungen mehrerer Länder gewandt mit der Bitte, Arbeiter aus ihren Territorien für den Deichbau in Ostfriesland zur Verfügung zu stellen. Am 22. Februar 1718 schrieb er zum Beispiel an die Äbtissin des Stifts Essen und bat sie, im dortigen Land eine entsprechende Bekanntmachung zu erlauben.123 Diese öffentlichen Aufrufe in den verschiedenen Ländern hatten zur Folge, daß zahlreiche auswärtige Arbeiter sich in der Hoffnung auf einen guten Verdienst in die Küstenländer begaben. Reichten bei großen Deichbauprojekten die einheimischen und fremden Deicharbeiter nicht aus, so wurden oft Soldaten zur Deicharbeit herangezogen. Sie waren als Arbeitskräfte billig und wegen der den Vorgesetzten zu leistenden Gehorsamspflicht leichter zu lenken als die übrigen Deicharbeiter.124 In den Jahren nach der Weihnachtsflut wurden in mehreren Gegenden Soldaten beim Deichbau eingesetzt. In Oldenburg plante die Regierung, im Frühsommer 1718 700 Mann des oldenburgischen Nationalregiments und 300 Mann des Marinebataillons zur Deicharbeit abzukommandieren. Jeder Soldat sollte für die Arbeit täglich zehn Schilling lübsch oder 15 Grote erhalten nebst 1V2 Pfund Kommißbrot, an Sonntagen und an Tagen, an denen wegen schlechten Wetters nicht gearbeitet werden könnte, jedoch nur 2 Schil117

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StA Old: Bstd. 26, 1263: Acten betr. Berichte des Oberlanddrosten Sehestedt: Sehestedt an die Deichkommission, Oldenburg 5.3.1719; vgl. Bstd. 26, 511. Der oldenburgische Amtsvogt Röhmer klagte am 30.1.1718, daß es unmöglich sei, von auswärtigen Orten Leute zu bekommen, weil alle benachbarten Marschländer großen Schaden erlitten hätten und sie deshalb nicht erlaubten, daß Arbeiter aus ihren Ländern fortgingen (StA Old: Bstd. 26, 1263). StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 29.9.1718. StA Old: Bstd. 26, 1263: Sehestedt und Klug an den König, Oldenburg 13.1.1720. StA Old: Bstd. 26, 1263: J. R. von Münnich an die Deichkommission, Tettens 23.9.1718 und 29.9.1718. E. von Lehe, Zerstörung, S. 43. Hekelius, Beschreibung, S. 29f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 8, fol. 27. Schaer, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Deicharbeiter, S. 141.

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ling lübsch oder 3 Grote. Der Einsatz der Soldaten kam aber nicht zustande, weil den Marschvogteien das Geld zur Bezahlung der Soldaten fehlte.125 Zum Einsatz von Soldaten kam es erst nach der Neujahrsflut 1720/21, als wieder ein großer Mangel an Arbeitskräften herrschte. Am 25. Mai 1721 begannen die Soldaten vom Königlichen Marineregiment für einen täglichen Lohn von sechs Schilling lübsch mit der Deicharbeit. Sollte der Oberlanddrost von Sehestedt damals alle Kompanien zur Deicharbeit bekommen haben, die er angefordert hatte, so müssen im Sommer 1721 etwa 1.600 Soldaten an den oldenburgischen Deichen gearbeitet haben.126 In den Herzogtümern Schleswig und Holstein wurden im Frühjahr und Sommer 1718 vier Bataillone für die Arbeit an den Deichen zur Verfügung gestellt Ein von der Deichkommission angefordertes fünftes Bataillon wurde vom König nicht genehmigt. Auf Beschluß des Königs sollten die Soldaten täglich zehn Schillinge erhalten, an Sonntagen und an arbeitsfreien Tagen jeweils zwei Schillinge. Die Deichverbände konnten stattdessen auch täglich sechs Schillinge zahlen und dazu dann Essen und Trinken frei geben.127 Am 24. Mai 1718 fragte die Deichkommission beim König an, ob das Tagegeld für die Soldaten auf vier bis fünf Schillinge reduziert werden könne, „weil sonst Niemand Soldaten zu hülffe verlanget und tägl. dazu eine ansehnliche Summe erfordert wird, wann noch überdehm 1 Ingenieur Major, 1 Ingenieur Capitaine und 2 Conducteurs und ein Materialverwalter zu verpflegen". 128 Ob dieser Bitte entsprochen wurde, ist nicht bekannt. Von den in den Herzogtümern zum Deichbau kommandierten Soldaten arbeiteten seit Juli 1718 allein 600 an den Deichen bei Simonsberg in Eiderstedt; am 7. August 1718 kamen noch 132 Soldaten dazu. Sie arbeiteten dort bis Anfang November, dann ging es wieder ins Quartier.129 Weil die Schlie125

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StA Old: Bstd. 26, 1263: Acten betr. die Verwendung von Soldaten behuf Wiederherstellung der durch die Weihnachtsfluth de 1717 zerstörten Deiche. Vgl. Tenge, Der Butjadinger Deichband, S. 127, wo fälschlicherweise davon geschrieben wird, daß die Soldaten von April bis Ende Juli gearbeitet hätten. So auch bei Krüger, Zwischen Weser und Jade, S. 127. StA Old: Bstd. 26, 1263: Acten betr. Berichte des Oberlanddrosten Sehestedt: Sehestedt an den General Schölten, Oldenburg 9.4.1721; Sehestedt an das Kammerkollegium, Oldenburg 25.5.1721; Sehestedt an den König, Oldenburg 20.7.1721. Vgl. Rüthning, Oldenburgische Geschichte, II, S. 134; Blumenberg, Deiche - Siele Menschenschicksale, S. 61. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Anordnung des Königs vom 10.5.1718 und 13.5.1718; Deichkommission an den König, Glückstadt 17.5.1718. RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23. Nach einer Bestimmung vom 30. April 1718 sollten für den Fortifikationsmajor monatlich 40, für den Ingenieur-Capitain 25 und für jeden Conducteur 12 Reichstaler gezahlt werden (Ebenda). Laß, Sammelung einiger Husumischen Nachrichten, 1701-1750, S. 69ff; 72; RAK: Rentekammer fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23: Deichkommission an Rente-

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Auswirkungen IV: Deichwesen

ßung der Eddelaker Brake in Süderdithmarschen in den Jahren 1718 und 1719 nicht gelang, mußten dort seit dem 10. Mai 1720 auf königlichen Befehl unter der Aufsicht des Generals Jobst von Schölten 5.000 Soldaten arbeiten. 130 Für diese Arbeit forderte die königliche Rentkammer später von der Landschaft Süderdithmarschen 100.000 Reichstaler. Auf Gesuch der Dithmarscher wurde diese Summe jedoch auf 60.000 Reichstaler herabgesetzt, die dann an sechs Terminen bezahlt wurden. 131

9.4. Lawai Schon lange vor dem Aufkommen der Streiks der Industriearbeiter im 19. Jahrhundert gab es in den norddeutschen Küstenländern und in den Niederlanden eine Form der vorübergehenden Arbeitsniederlegung zur Durchsetzung höherer Löhne. 132 Diese Arbeitsniederlegungen, die man Lawai nannte 133 , wurden von Deicharbeitern durchgeführt. Seit wann es diese Lohnkämpfe der Deicharbeiter gab, ist nicht genau zu bestimmen. Vermutlich entstanden sie Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts, als an allen Küsten der Nordsee eine neue Phase der Landgewinnung begann und man dazu überging, die Deiche mit Hilfe von Karren, sogenannten Koyerkarren, zu bauen. 134 Koyerarbeit war Akkordarbeit, für die der Lohn vor Beginn der ArFortsetzung Fußnote von Seite 255 kammer, Husum 28.6.1718; Eckermann, Eindeichungen südlich von Husum, in Eiderstedt und Stapelholm, S. 105. 130 Culemann, Denckmahl, 1728, S. 171. Über Jobst von Schölten siehe Dansk Biogr. Lex., 3. Aufl., Bd. 13, S. 171ff. 131 Bolten, Ditmarsische Geschichte, IV, S. 355; Detlefsen, Geschichte der holst. Elbmarschen, II, S. 35; vgl. Laß, Sammelung einiger Husumischen Nachrichten, 17011750, S. 76; vgl. Fischer, Dithmarschen, S. 193, 195. 132 Arbeitsniederlegungen gab es schon unter den Handwerksgesellen im Mittelalter. Zum Beispiel kämpften bereits 1351 die Weberknechte in Speyer für eine Lohnerhöhung. Siehe Georg Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellenvereine im Mittelalter, Leipzig 1876 (Unveränderter Neudruck, Glashütte 1976, S. 47f. und S. 113. 133 Auch „Lavai", „Lawai" und „Lawei" geschrieben. Nach J. ten Doornkaat Kolman, Wörterbuch der ostfriesischen Sprache, hatte das Wort „Laway" folgende Bedeutungen : a) das Aufgeben und Verlassen der Arbeit, auch das Sich-frei-machen von der Arbeit, daher auch die Bedeutung „Feierabend"; lawei maken = Feierabend machen, b) Das Zeichen zur Arbeitseinstellung, gewöhnlich eine Fahne oder ein Lappen, der an einer Stange befestigt ist. 134 Das Verbum „Lawaien" ist 1568 zum ersten Mal nachgewiesen, siehe Schaer, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Deicharbeiter, S. 137 Anm.133. In Eiderstedt wurden die Koyerkarren im Jahr 1610 zum ersten Mal beim Deichbau eingesetzt. Siehe Laß, Sammelung einiger Husumischen Nachrichten, Fortsetzung 17011750, Anlage ad 1751, S. 11 Anm.d und Eckermann, Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen, ZSHG 12 (1882) S. 71. Der 1618 entstandene

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beit ausgehandelt wurde. 1 " Berechnet wurde der Lohn nach der Anzahl der ausgespitteten Pütten Erde, d.h. nach einem bestimmten ausgehobenen Kubikinhalt Erde.136 Für eine Pütt erhielten die Arbeiter zu Anfang des 18. Jahrhunderts zwischen 3 und 5 Reichstaler. Durch Arbeitsniederlegungen während der Arbeitssaison konnten die Koyer meistens eine, mitunter auch mehrere Lohnerhöhungen bewirken.137 Je weiter das Jahr vorangeschritten war, desto höheren Lohn konnten sie fordern. Denn die Deichbauunternehmer waren, wenn sie ihren Deichbau noch vor dem Winter abschließen wollten, auf die Deicharbeiter angewiesen. Zwar wurden die Lawais hauptsächlich als Kampfmittel zur Lohnerhöhung eingesetzt, aber es gab auch andere Gründe für die Arbeitsniederlegungen, z.B. eine schlechte Versorgung mit Lebensmitteln oder zu späte Lohnzahlungen. Lawais waren in der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert keine seltene Erscheinung, sondern sie waren bei Deichneubauten, an denen viele auswärtige Arbeiter beteiligt waren, eher die Regel. Ein Lawai verlief immer nach dem gleichen Muster, wobei die Initiative meist von einer kleinen aktiven Minderheit ausging. Ein von den Arbeitern dazu bestimmter Kollege lief an der Deichbaustelle entlang und informierte die Kollegen, indem er laut „Lawai" rief. Gleichzeitig wurden Lawaifahnen aufgestellt, die allen Arbeitern als Signal zur Arbeitsniederlegung galten. Die Koyer legten daraufhin die Arbeit nieder, gingen zum Marketender, um etwas zu trinken, oder zogen sich in ihre Hütten zurück. Erst wenn die Deichbeamten zu ihnen kamen, um nach dem Grund ihrer Arbeitsniederlegung zu fragen, stellten sie ihre Forderungen. Wurden die Forderungen erfüllt, gingen die Deicharbeiter sofort an ihre Arbeit zurück. Andernfalls ließen sie die Arbeit weiter ruhen, bis die Deichbeamten schließlich doch nachgaben oder der Streik gewaltsam beendet wurde. Der Erfolg ihres Streiks beruhte vor allem auf der großen Solidarität unter den Arbeitern, die in der Regel geschlossen die Arbeit niederlegten. Gab es jedoch Arbeitswillige, so wurden sie von den Streikenden an der Arbeit gehindert und für ihr unsolidarisches Verhalten bestraft. Harro Feddersen aus Husum berichtete im Herbst 1685, daß den Arbeitswilligen von den Streikenden angedroht wurde, sie mit Hacken zu zerrreißen.138 Oft waren es die auswärtigen Deicharbeiter, die Lawais anzettelten, da sie sich von der fremden Landesobrigkeit weniger abhängig fühlten als die heimischen Fortsetzung Fußnote von Seite 256 Brunsodder Koog war im Amt Tondern der erste Koog, der mit Karren eingedeicht wurde. Er wurde deshalb auch Koyerkoog genannt. Siehe Eckermann, Die Eindeichungen von Husum bis Hoyer, ZSHG 21 (1891) S. 215. 135 Zum folgenden siehe Siebert, Entwicklung des Deichwesens, S. 68ff. 134 Eine Pütt maß 20 x 20 Fuß, also etwa 6 x 6 m in der Grundfläche, und war in der Regel 4 Fuß tief. 137 Zum folgenden siehe die ausgezeichnete Studie von Schaer, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Deicharbeiter, S. 130ff. 138 Eckermann, Die Eindeichungen von Husum bis Hoyer, S. 201.

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Auswirkungen IV: Deichwesen

Koyer. Die Obrigkeit sah in vielen Fällen keine andere Möglichkeit, als den Forderungen der Streikenden nachzugeben; sie versuchte aber die Rädelsführer zu verhaften und zu bestrafen, wenn sie ihrer habhaft werden konnte. Es war jedoch nicht ganz leicht, in der großen Zahl der Deicharbeiter, die die Zahl 1000 oft weit übertraf, die Rädelsführer ausfindig zu machen. Es kam aber durchaus vor, daß die Obrigkeit nicht gewillt war, den Forderungen nachzugeben, und deshalb Soldaten zur Niederschlagung des Lawais heranzog. In der Zeit nach der Sturmflut vom Dezember 1717, in der an der ganzen Nordseeküste an der Wiederherstellung der Deiche gearbeitet wurde, kamen viele hundert auswärtige Arbeiter in die Küstenländer, um beim Deichbau Geld zu verdienen. Die Sicherung des Landes vor den Fluten der Nordsee war damals die wichtigste Aufgabe der Regierungen. Nur wenn sie gelang, konnte die Existenzgrundlage vieler tausend Einwohner wiederhergestellt werden. Es entsprach der Erfahrung, daß die Deicharbeiter eine solche Lage, in der dem Deichbau absolute Priorität eingeräumt werden mußte und in der es außerdem vielerorts an Arbeitskräften mangelte, zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchten. So verwundert es nicht, daß schon bald die Lawaifahne aufgezogen wurde. Am 30. März 1718 legten die Koyer am Mariensiel in der Herrschaft Jever ihre Arbeit nieder. Die Regierung ließ daraufhin den Anstifter Lübbe Lübben durch zwei Soldaten festnehmen und „zur exemplarischen Bestrafung", wie es heißt, in die Stadt Jever bringen. Außerdem bot die Regierung dem Amtmann Renemann zur Verhütung künftiger Lawais Soldaten an. Die Regierung bezweifelte, ob den Deicharbeitern mehr Geld gegeben werden dürfe, als vor Arbeitsbeginn im Kontrakt vereinbart wurde. Es wäre ein schlechtes Beispiel, „wenn die Arbeiter viel mehr durch Trotz und Laveydrohungen wider ihren eingegangenen Accord als durch Güte ein Mehreres erpressen könnten". 139 Im Land Wursten hatte am 26. März 1718 der aus Wremen gebürtige Deicharbeiter Johann Itjen unter den fremden Arbeitern einen Lawai angezettelt. Er forderte, daß pro Pütt, die vor dem Kajedeich ausgehoben wurde, nicht unter zehn Mark gezahlt werden sollten. Die Arbeiter bekamen bisher acht Mark pro Pütt. Der Deichgraf Johanns ging auf diese Forderung nicht ein, sondern verwies Johann Itjen von der Arbeit. Bald darauf fanden sich die Arbeiter wieder am Deich ein und setzten ihre Arbeit zu dem am Anfang vereinbarten Lohn fort.140 Es verlief also nicht jeder Lawai für die Deicharbeiter erfolgreich. Die häufigste Ursache für Lawais auf den Deichbaustellen nach der Weih139

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Bericht des Amtmanns Renemann über die Weihnachtsflut 1717, in: Old. Blätter 1830, S. 312. StA Stade: Rep. 80 Wb, Tit. 180, Nr. 2, fol. 130ff: E. S. Johanns an die Regierung in Stade, Padingsiel 4.4.1718.

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nachtsflut war allerdings nicht die Unzufriedenheit der Deicharbeiter über ihren Lohn, sondern vielmehr der Ärger über die vielen Verzögerungen bei der Lohnauszahlung. Da für viele Deichbauprojekte bei Beginn der Arbeit noch keine ausreichende Finanzierung vorlag, kam es immer wieder vor, daß das vorhandene Geld schon ausgegeben, der Deichbau aber noch nicht beendet war. Um nun eine Unterbrechung der Deichbauarbeit zu vermeiden und die Fertigstellung des ganzen Bauprojekts vor dem Winterbeginn nicht zu gefährden, bemühten sich die Deichinteressenten und die Regierungen um Kredite zur Fortsetzung der Arbeit. Dabei entstanden aber immer wieder finanzielle Engpässe, die dazu führten, daß nicht genügend Geld zur Bezahlung der Deicharbeiter vorhanden war. Eine solche Situation entstand auch 1718 bei den Arbeiten am Westermarscher Deich in Ostfriesland. Schon Mitte August 1718 hatten die Deicharbeiter am Westende des neuen Westermarscher Deichs einen Lawai gemacht, weil sie ihren Lohn nicht bekommen hatten. Diese Unruhe legte sich bald wieder, da die am Ostende tätigen Deicharbeiter sich nicht beteiligen wollten und die vom Westende zu ihnen gekommenen Aufwiegler vertrieben.141 Am 24. und 25. August 1718 waren wieder sechs Lawaifahnen aufgesetzt worden, wovon fünf durch den Ingenieur Emmius abgenommen wurden. Als er die sechste Lawai abnehmen wollte, wurde er von über hundert Deicharbeiter verfolgt und gezwungen, die fünf Lawaifahnen wieder aufzustellen. Daraufhin strömten am 25. August den ganzen Tag Deicharbeiter in die Stadt Norden, um dort ihr verdientes Geld zu fordern. Weil sie das Geld von dem Deichbeamten Allardt nicht bekamen, streuten sie das Gerücht aus, daß sie nun die Häuser des Ingenieurs Taco Friedrich Emmius sowie der Deichbeamten Allardt und Ihno Peters zerstören wollten. Der Bürgermeister Holens in Norden befürchtete Schlimmes und ließ in der Stadt offiziell bekanntgeben, daß auf Trommelschlag aus jedem Rott zwei Männer, mit „Kranz und Lot" versehen, bereitstehen sollten. Am Nachmittag des gleichen Tages kamen die Deichrichter und Deputierten zusammen, um sich zu beraten. Sie beschlossen endlich, daß der Deichrichter Oicke Bohlen, der Deichbeamte Allardt und der Bürgermeister Holens nach Lütetsburg fahren sollten, um den dortigen Herrn zu ersuchen, ihnen 50 Soldaten zur Niederwerfung der Unruhen zur Verfügung zu stellen. Weil ihnen wohl bewußt war, daß ihr Vorgehen gegen Landesrechte verstieß, sollte der Landesfürst Georg Albrecht nichts davon erfahren. Ihre Mission nach Lütetsburg war aber vergeblich. Daraufhin brachen die drei Delegierten am nächsten Tag nach Emden auf, um von dort Soldaten zu holen.142 Verborgen blieb ihr Vorgehen den obrigkeitlichen Behörden jedoch nicht. Als der 141

142

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 162f: Johann Dietrich Kettler an den Fürsten Georg Albrecht, Norden 15. August 1718; vgl. Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 164. StA Aurich: Rep 4, B II q, Nr. 16, fol. 167f: Relation Von dem Lawai bey dem Westermarscher Neuen Noord-Teich, verfaßt von dem Vogt Ferdinand Pichler, Norden 26. August 1718.

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Amtsverwalter Johann Dietrich Kettler von den Unruhen am Westermarscher Deich und den Bemühungen um deren Beilegung erfuhr, meldete er dies unverzüglich seinem Landesherrn. In seinem Schreiben hob er besonders die „Absurditäten des Verfahrens" hervor, die seiner Ansicht nach darin bestanden, daß man sich bei den Unruhen weder an den Landesherrn noch dessen Regierung, auch nicht an die ordentlichen Deichkommissare, den Herrn von Dornum, Haro Joachim von Closter, und den Regierungsrat Schleiff gewandt, sondern unter Umgehung dieser Instanzen zunächst bei der Lütetsburger Herrschaft Unterstützung gesucht hatte. Als diese nicht gewährt wurde, hatten sie sich aber wiederum nicht an die Landesobrigkeit gewandt, sondern sich nach Emden begeben, um von dort Soldaten zu holen.143 Die Regierung stellte in einem Reskript vom 31. August 1718 fest, daß die Deichinteressenten sich um Hilfe an den Landesherrn hätten wenden müssen, da nur er für solche militärische Hilfe zuständig sei. Weil die Lage aber höchst prekär war, genehmigte der Landesherr die Heranziehung einiger Soldatenmannschaften aus Emden. Allerdings sollten sie, wie üblich, dem Befehl des Amtsverwalters Kettler unterstellt werden144, der sie dann nach Absprache mit den Deichrichtern nach Notwendigkeit einzusetzen hätte. Das beste Mittel, Unruhen zu beheben, sei jedoch, wie die Regierung betonte, die Arbeiter „richtig und wol" zu bezahlen.145 Am 3. September, als schon wieder Ruhe unter den Deicharbeitern herrschte, kam der Sergeant Jacob Dircks Picker aus Emden mit 12 Soldaten in Norden an. Picker hatte schon Erfahrung bei der Niederschlagung von Deicharbeiterstreiks gesammelt.146 Auf Befehl des Amtsverwalters Kettler begab der Sergeant sich mit seiner Mannschaft nach Itzendorf, wo er mit sechs Soldaten das Haus von Ammen Hinrichs bezog, die anderen sechs Soldaten wurden aber in dem Haus von Garmer Wulffers einquartiert. Die Soldaten sollten, vor allem bei Anbruch des Tages, auf dem Deich patrouillieren und darauf achten, daß die Deicharbeiter künftig keine Lawais mehr machten. Falls aber Lawaistöcke aufgesteckt werden sollten, mußten solche sofort entfernt und zu ihrem Quartier zurückgebracht werden. Wer die Soldaten darin hinderte, sollte sofort festgenommen, im Notfalle durfte auch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden. Wichtigste Aufgabe der Soldaten war es, 143

144

145 146

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 164f: Johann Dietrich Kettler an den Fürten Georg Albrecht, Norden 26. August 1718. So war es auch 1707 gewesen, als zur Bekämpfung der Unruhen unter den Arbeitern am neuen Deich bei Bunde einige Mannschaften angefordert wurden. Diese wurden dem Befehl des dortigen Drosten von Münnich unterstellt. Vgl. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 173. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 172. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 178: Johann Dietrich Kettler an den Fürsten Georg Albrecht, Norden 3. September 1718: Der Sergeant war schon in Bunde bei Deicharbeiterunruhen eingesetzt worden.

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die Ruhe zu erhalten, um eine ungehinderte Deicharbeit zu ermöglichen.' 47 Der Bitte des Amtverwalters, auch die am Deich arbeitenden fürstlichen Soldaten notfalls gemeinsam mit den Soldaten aus Emden zur Bekämpfung von Unruhen heranziehen zu dürfen, gab die Regierung nicht statt. Das war nach Ansicht der Regierung auch wenig zweckmäßig, da diese Soldaten keine Gewehre bei sich hatten.148 Im Hedwigenkoog in Norderdithmarschen kam es bei der Wiederherstellung der Deiche nach der Sturmflut von 1717 ebenfalls zu Arbeitsniederlegungen. Grund dieser Streiks waren auch hier ausgebliebene Lohnzahlungen. Am 12. Juni 1718 zogen deshalb 20 bis 30 Arbeiter zum Haus des Landgerichtsnotars Wedderkop, wo sie allerdings nur dessen Frau, seine Tochter und seinen Sohn antrafen. Während der Sohn entkommen konnte, bedrohten die Arbeiter die Frau mit dem Spaten und schlugen die Tochter. Wedderkop gehörte nicht nur zu den Landbesitzern in diesem Koog, sondern war auch als „Annehmer" am Deichbau beteiligt. Er war aber ein säumiger Zahler. Als am 16. Juni der Kanzleirat J. A. Graba, der die Inspektion und Gerichtsverwaltung im Koog hatte, die Frau des Landgerichtsnotars um Geld für die Deicharbeiter bitten ließ, wurde er auf den nächsten Tag vertröstet, an dem ihr Mann zurückkehren sollte. In der folgenden Nacht ließ sie fünf große Koffer nach Wesselburen bringen; sie selbst folgte am nächsten Morgen. Dieses Verhalten trug nicht gerade zur Beruhigung der Deicharbeiter bei. Am 22. Juni 1718 holten einige Deicharbeiter schließlich vier Pferde vom Hof des Landgerichtsnotars und ritten damit fort, um sie zu verkaufen. Der Täter Hans Voß aus Dörpling und seine Gehilfen wurden gefaßt und angeklagt. Sie mußten die Pferde wieder abliefern und Strafgelder bezahlen. Die Situation im Koog verschärfte sich jedoch so, daß die meisten Besitzer den Koog verließen. Dadurch konnten sich die Deicharbeiter an den verlassenen Höfen schadlos halten. Sie drohten damit, Pferde wegzunehmen und sogar den Deich durchzustechen, bis ihren Drohungen und Ausschreitungen durch die Übersendung von Geld ein Ende gemacht wurde.149 Auch im folgenden Jahr kam es wegen versäumter Lohnzahlungen wieder zu Lawais durch fremde Arbeiter.150 Im Oktober desselben Jahres wurde aus 147

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 179: Ordre des Amtsverwalters für den Sergeanten Jacob Dircks Picker, Norden 3. September 1718; vgl. Wiarda, VII, S. 37. 148 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 16, fol. 178: Johann Dietrich Kettler an den Fürsten Georg Albrecht, Norden 5. September 1718. I4 ' Eckermann, Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen, S. 55f. Um einen Aufruhr unter den Deicharbeitern von vornherein zu unterbinden, waren in Süderdithmarschen auf Anforderung des Landvogts von Helm ein Leutnant, zwei Unteroffiziere und 12 Soldaten der Kavallerie zur Aufrechterhaltung der Ordnung an den Deich entsandt worden (RAK: Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23). 150 StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I: von Münnich an Georg Albrecht, Emden 27.8.1719.

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Emden berichtet, daß den „unbändigen frembden" Arbeitern ihr Lohn schnell ausgezahlt worden sei, damit sie keinen Anlaß zum Aufruhr hätten.151 Als die beiden Deichbauunternehmer Gerd Wilts und Hannen Meints den Lohn nicht mehr auszahlen konnten, wurden sie von Deicharbeitern mit Hakken und Stangen vom Deich heruntergerissen. Sie befürchteten, daß es wegen des Geldmangels noch zu Mord und Totschlag kommen könnte. Deshalb baten sie den Fürsten, sie bei der Erlangung ihrer Geldforderungen von den Landständen zu unterstützen.152 Die Deichbauunternehmer Conrad Boelcken und Arnold von dem Bosch klagten in einem Schreiben an den Fürsten, sie könnten eine übernommene Deicharbeit nicht beenden, da die Arbeiter „wegen Mangels des Geldes und Proviants schon zu dreyen mahlen davon gelauffen" seien.153 In einem weiteren Brief baten sie den Fürsten auch im Namen einiger anderer bei der Niederemsichen Deichacht tätigen Deichbauunternehmer um Unterstützung bei der Eintreibung ihrer Forderungen in Höhe von 12.966 Gulden. Es sehe sehr gefährlich für Ostfriesland aus, schrieben sie, „wenn die Arbeiter nicht bald mit Geldern gestillet werden, damit nicht eines theils die Arbeit liegen bleibe, andern theils aber der gar sehr zu befürchtende Auff = Ruhr der Arbeiter hintertrieben werde, maßen wir und unsere Constituenten insonderheit unseres Lebens nicht sicher sind, wo wir nicht bald Rath schaffen, daß denen Arbeitern ihr verdientes Lohn bezahlet werde. In unserm Vermögen stehet es nicht, daß wir das geringste mehr vorschießen können, maßen wir nicht allein alles was wir gehabt, bezahlet, sondern auch so gar, was nur loß gewolt, bereits versetzet, daß wir nur denen Arbeitern das Brodt verschaffet. Nun aber ist es leider mit uns aus, und können wir das Elend und die Gefahr, die uns über den Köpffen schwebet, nicht gnugsam beschreiben, weil uns täglich gedrohet wird, daß unsere Häuser uns nicht allein nieder gerißen werden sollen, sondern auch daß Sie uns unseres Lebens berauben wollen. Hätten wir vorher gewust, daß es so ergehen solte, wir würden uns in Ewigkeit nicht resolviret haben, solche Arbeit über uns zu nehmen, und unser Gut und Blut in Gefahr zu setzen, wenn uns die dafür versprochene Gelder nicht bezahlet werden solten."154 Im Sommer 1719 bemühten sich die ostfriesischen Stände um einen Kredit über 300.000 Gulden in den Niederlanden. Mit diesem Geld sollten die Deiche in der Oberemsichen Deichacht repariert werden. 50.000 Gulden wollten sie so bald wie möglich haben „zu befriedigung der andringenden arbeiter", wie es hieß.155 Nachdem die Geldaufnahme in den Niederlanden im August 151

152 153 154 155

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 97: Tammena an Georg Albrecht, Emden 20.10.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 24, fol. 20. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 24, fol. 12. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 24, fol. 13f. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, fol. 10: H. J. von Closter und Tammena an Georg Albrecht, Emden 12.8.1719.

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1719 gescheitet war, hoffte man sehr auf Geld aus Hannover. Denn zur Fortführung der Deicharbeiten war das Geld dringend notwendig, vor allem mußten die Deicharbeiter bezahlt werden. Sie würden „von denen umb ihren verdieneten Lohn schreienden arbeitern solcher gestalt angelauffen werden", daß sie nicht mehr wüßten, mit welcher Vertröstung sie die Arbeiter weiter hinhalten könnten, berichteten Haro Joachim von Closter, der Präsident der ostfriesischen Landstände, und der Regierungsrat Tammena am 18. August 1719 an den Fürsten Georg Albrecht.156 Da einige Deiche vor dem Winter unbedingt fertiggstellt werden mußten, wenn man die bisherige Arbeit nicht gefährden wollte, hielten sie es für unausweichlich, auf dem bevorstehenden Landtag zu entscheiden, „woher die arbeiter ihren lohn nehmen sollen, sintemahlen... unglückliche desordres zuversichtlich zu vermuhten stehen". Es gelang aber nicht, genügend Geld zur Bezahlung der Deicharbeiter zu besorgen, so daß die 1000 Deicharbeiter schließlich fortliefen.157 Es gingen noch einige Jahre ins Land, bis die Wiederherstellung der durch die Sturmflut zerstörten Deiche beendet war. Die Finanzierung der Deichbauten war nach wie vor schwierig; immer wieder kam es zu Engpässen bei der Bezahlung der Deicharbeiter und folglich auch zu Auseinandersetzungen zwischen Deichbeamten und Deichbauunternehmern auf der einen und Deicharbeitern auf der anderen Seite. Anfang November 1721 griffen Arbeiter von der niederemsischen Deichbaustelle den Ingenieur Emmius an und beschimpften ihn, weil sie ihren Lohn noch nicht bekommen hatten. Der Fürst erließ daraufhin ein Mandat, in dem den Deicharbeitern mit Leib- und Lebensstrafe gedroht wurde, wenn sie sich künftig nicht solcher Bedrohungen in Worten und Taten enthalten.158 Am 19. Juni 1722 kam es in Emden zu einem Tumult.159 Etliche hundert Deicharbeiter waren in die Stadt gekommen, um ihren schon lange ausstehenden Lohn zu fordern. Sie gingen zum Hause des Administrators von Lengering und verlangten von ihm die sofortige Bezahlung ihres Lohnes. Dabei kam es zu Beschimpfungen und Bedrohungen, auch wurden einige Fenster seines Hauses mit Steinen eingeworfen. Erst als der Magistrat der Stadt einige Soldaten sandte und der Assessor Tammena sie durch gute Worte zu besänftigen verstand, zogen sie weiter. Anschließend konnte die Wache sie noch gerade davon abhalten, den Administrator Heinrich Bernhard von dem Appelle ins Wasser zu werfen. Appelle, der gerade mit einem Boot nach Emden gekommen war, trat unverzüglich die Rückfahrt zur Herrlichkeit Groß156 157

158 159

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 29. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 121: Oberdeichgraf von Münnich an Georg Albrecht, Emden 14.11.1719. StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 211. StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 97, fol. 2ff: Landschaftssekretär Zernemann an Brenneysen, Emden 20.6.1722 und fol. 15f: A. Bluhm an Georg Albrecht, Emden 19.6.1722. Vgl. auch Wiarda, Ostfriesische Geschichte, VII, S. 145f.

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midlum an. Als die Deicharbeiter merkten, daß sie in Emden nichts erreichen konnten, drohten sie damit, sich aufs Land zu begeben, um dort die Häuser der Administratoren und anderer Landesbeamten zu plündern und zu zerstören. Daraufhin wurden Soldaten zum Schutz der Häuser dorthin gesandt. Am nächsten Tag veröffentlichte der Fürst ein Mandat, das allen Deicharbeitern bei Leib- und Lebensstrafe befahl, sich der Bedrohungen und Tätlichkeiten zu enthalten. Sie sollten den ihnen zustehenden Lohn bescheiden, nicht gruppenweise und ohne Bedrohungen fordern und „ihre befriedigung nach itziger Zeiten umbständen und gelegenheit in gedult" erwarten.160 Daß die Forderungen der Deicharbeiter ihre Berechtigung hatten, wird in diesem Mandat nicht in Abrede gestellt. Die ostfriesische Regierung betonte ferner in einem Schreiben an den Landschaftssekretär Zernemann, daß man die um ihren Lohn klagenden Deicharbeiter nicht ohne Hilfe lassen dürfe.161 Die Regierung ließ auch Kritik an der Verwaltung der Gelder anklingen, indem sie darauf hinwies, daß der Fürst oftmals einen Nachweis angefordert habe, wie die zum Deichbau im Ausland aufgenommenen Gelder verwendet worden seien und aus welchen Ursachen die Arbeiter nicht bezahlt werden konnten. Der Fürst habe einen solchen aber niemals bekommen. Es steht außer Frage, daß die Klagen und die Forderungen der Deicharbeiter berechtigt waren. Zu lange hatten sie auf ihren Lohn warten müssen; inzwischen waren sie selbst in große Not geraten und konnten auch ihre Familien nicht mehr ernähren. Den Deicharbeitern war zwar immer Brot und Bier geliefert worden, jedoch stand der größte Teil des Lohnes für die Jahre 1718, 1719 und 1721 noch aus.162 Diese zögerliche Auszahlung des Lohnes war nur möglich, weil es sich bei diesen Untertanen um einheimische und nicht um fremde Deicharbeiter handelte. Die protestierenden Arbeiter stammten aus Petkum, Oldersum und Borsten und hatten an den Deichen der Oberemsischen Deichacht gearbeitet. Fremde Deicharbeiter hätten ihren Forderungen schon viel eher Nachdruck verliehen und wären schließlich aus dem Land abgezogen. Den ostfriesischen Untertanen war in diesen Jahren aber verboten, zur Arbeit in andere Länder zu gehen.

160 161 162

StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 27, Vol. I, fol. 208. StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 97, fol. 11: Schreiben vom 22.6.1722. StA Aurich: Rep. 4, B II p, Nr. 97, fol. 17: Supplik der Untertanen aus Petkum, Oldersum und Borsten an den Fürsten Georg Albrecht, o.D.

10. Die Katastrophe als Krise Die Weihnachtsflut war ein tiefer Einschnitt in der Geschichte der Küstenländer, der von den dort lebenden Zeitgenossen auch als solcher empfunden wurde. Um diese Zäsur deutlich zu machen, begann der Pastor Rudolf Ibbeken nach der Weihnachtsflut im Kirchenbuch seiner oldenburgischen Gemeinde Stollhamm eine neue Jahreszählung. Das Jahr 1718 bezeichnete er als das „erste Jahr nach der Sündflut". Bemerkenswert ist, daß seine beiden Nachfolger, Gerlach Ärmster und Johann Andreas Strackerjan, diese Zählung fortsetzten. Bis zum Jahr 1751 heißt es im Stollhammer Kirchenbuch jeweils am Anfang eines neuen Jahres: „im soundsovielten Jahre nach der Sündfluth, nach der großen Fluth, nach der großen Überschwemmung, nach der hohen Fluth". 1 Weshalb Strackerjan, der von 1732 bis 1758 Pastor in Stollhamm war, in der Mitte des Jahrhunderts mit dieser Jahreszählung aufhörte, ist nicht klar. Vielleicht hielt er die Periode, die von den Folgen der Weihnachtsflut so stark geprägt worden war, jetzt für endgültig abgeschlossen. Auch Wiarda stellt fest, daß mit der Sturmflut von 1717 „eine neue Periode" in der Geschichte Ostfrieslands begonnen habe.2 Die durch die Flutkatastrophe bewirkte Zäsur sollten ebenfalls in Kirchen angebrachte Gedenktafeln dokumentieren, auf denen an die Schrecken der Flut und an die Verluste an Menschen, Tieren und Gebäuden erinnert wird. Gleichzeitig sollen diese Tafeln den nachlebenden Menschen eine stete Ermahnung sein, durch einen unchristlichen Lebenswandel nicht Gottes Strafgerichte auf sich zu ziehen. „Bessre Dich in Zeiten, damit dein Untergang mag werden abgewant", heißt es auf der Gedenktafel in der Kirche zu Burhave.3 1

2 3

Nagel, Geschichte der Gemeinde Stollhamm, S. 61. Eine gewisse Parallelität ist festzustellen, wenn die Erinnerung an den Bauernkrieg für einige Zeitgenossen noch so lebendig blieb, daß sie dieses Ereignis noch Jahrzehnte später zur Bestimmung des eigenen Lebensalters nutzten. Siehe Helmut Gabel u. Winfried Schulze, Folgen und Wirkungen, in: Buszello/Blickle/Endres (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn 1984, S. 348. Ostfriesische Geschichte, 7, S. 7. Krüger, Zeugnisse der Weihnachtsflut, o.S. ; Harkenroht, Oostfriesche Watersnood, S. 151f; Allmers, Marschenbuch, S. 44. In dem für den Büß- und Bettag am 3.5.1719 vorgeschriebenen Gebet wird betont, daß die Erinnerung an die Weihnachtsflut noch den Nachkommen als stete Mahnung präsent sein sollte: „Laß HErr! deine schwere Zorn = Gerichte / die du über uns ergehen lassen / nimmer aus unserm Gedächtniß kommen / laß uns auch unsern Kindern und Nachkommen dieselbe vorstellen / und eine heilige Ehr = Furcht für Dich in unsere Hertzen und Gemüther eingedrucket werden / daß wir uns fürchten lernen für deinen Zorn / und uns hüten / daß wir deine Güte nicht auf fleischliche Sicherheit und Muthwillen ziehen / in unsere vorige Sünden und Unbußfertigkeit fallen / und also deinen Zorn aufs neue

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Die Katastrophe als Krise

Welch tief empfundene Erfahrung diese Flutkatastrophe gewesen sein muß, zeigt sich auch daran, daß in verschiedenen Gemeinden jährliche Gedenkstunden eingerichtet wurden. Im Land Hadeln fand noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts an jedem 24. Dezember eine Betstunde in Erinnerung an die Weihnachtsflut von 1717 statt.4 In der Otterndorfer Kirche wurde bis 1899 am Nachmittag des Heiligen Abends eine sogenannte Wasserpredigt gehalten. Seit diesem Jahr wurde an jedem vierten Adventssonntag die Geschichte der Weihnachtsflut während des Gottesdienstes vorgelesen.5 In den Oldenburgischen Blättern wurde im Dezember 1817 zu einer „Feyer des Säcular = Tages der großen Wasserfluth vom 25. Dezember 1717" aufgerufen. Diese Gedenkstunden und -feiern sollten die Erinnerung an die Weihnachtsflut ebenso wachhalten wie einige Medaillen, die anläßlich der Flutkatastrophe an verschiedenen Orten geprägt wurden.6 Als ständige Warnung an die Nachlebenden können auch die Sturmflutmarken verstanden werden, die an Häusern angebracht wurden, um die Höhe des Wassers in der Weihnachtsflut anzuzeigen. An vielen alten Häusern in Hadeln fand man noch bis zum Beginn unseres Jahrhunderts an der Wand oder an Türpfosten ein „W" angebracht als Zeichen für die Höhe der Weihnachtsflut.7 In Tönning wurde damals an dem Haus der Schiffergilde eine Sturmflutmarke befestigt und vor der Kirche in Glückstadt ein Stein errichtet, der die Höhe der Überschwemmung angab.8

Fortsetzung Fußnote von Seite 265 reitzen / folglich noch mehrere und schwerere Gerichte uns über den Halß ziehen." (StA Aurich: Rep. 4, B II q, Nr. 31). ' Sonne, Erdbeschreibung des Königreiches Hannover, S. 228. 5 Peche, Die Geschichte des Hadler Deiches, S. 14f, vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 19. Solche Gedenkfeiern wurden in manchen Orten auch nach anderen großen Sturmfluten veranstaltet. Auf Pellworm hielt man noch 1740 am Tage nach Allerheiligen jährlich einen Bußtag zum Andenken der Flut von 1532. Siehe Petrus Petreus, Historische Nachricht, S. 228. 6 Auf der Medaille, die im Auftrag des ostfriesischen Fürsten angefertigt wurde, ist auf der einen Seite ein Leuchtturm in der stürmischen See abgebildet und als Inschrift Arnos 8, 10 zu lesen. Auf der Rückseite wird an das Jubelfest der Reformation erinnert. Siehe Wiarda, Ostfriesische Geschichte, 7, S. 20. Auf einer anderen Medaille ist die unter Wasser stehende Stadt Hamburg dargestellt. Eine weitere Medaille zeigt auf der einen Seite ein überschwemmtes Land, wo Menschen und Tiere im Wasser schwimmen, auf der anderen Seite steht: Zum Andencken der grossen Wassers = Fluthen, welche an Dämmen, Deichen, Häusern, Ländern, Gütern, auch Menschen und Vieh, sehr viel Schaden verursachet 1717. den 25. Decembr. und 1718. d. 25. Febr. Als Legende ist folgender Spruch hinzugefügt: „Wenn GOtt mit uns im Zorn wil zu gerichte gehen, So mus auch Wind und Meer ihm zu Gebote stehen." Siehe Umständl. Hist. Nachricht, S. 152f; vgl. Jansen, Hist. Theol. Denkmahl, S. 250f; Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1754, Sp. 104. 7 Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 32. 8 Rohde, Nachrichten über Sturmfluten, S. 127; ders., Die Weihnachtsflut 1717, S. 32. Als das heutige Schifferhaus 1808 neu erbaut wurde, ließ man die Sturmflutmarken

Die Katastrophe als Krise

267

In den Marschgebieten der Nordseeländer herrschte nach der Weihnachtsflut ausgesprochene Krisenstimmung. Ein solches Krisengefühl kann sowohl auf der subjektiven Wahrnehmung der Menschen beruhen, die einzelne Störungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich verallgemeinern und als Krise der Gesamtgesellschaft deuten, als auch in den tatsächlich vorhandenen krisenhaften Verhältnissen begründet sein. Will der Historiker die Vergangenheit rekonstruieren, so muß er die das kollektive Bewußtsein zeitweilig dominierenden Stimmungen auch dann erfassen, wenn sie in den realen Verhältnissen keine Entsprechung fanden; denn in historischer Perspektive stellen auch die subjektiven Deutungen ein Element vergangener Wirklichkeit dar.® Im historischen Rückblick läßt sich sagen, daß die Krisenstimmung der Einwohner in den Küstenlandschaften auf damals real vorhandenen krisenhaften Erscheinungen beruhte, die sich vorwiegend im wirtschaftlichen, aber auch im gesellschaftlichen Leben der Einwohner deutlich zeigten. Zwar war die Weihnachtsflut mit ihren Auswirkungen nicht die einzige, aber doch die weitaus wichtigste Ursache dieser Krise. Die Sturmflut stellte gewissermaßen den Kulminationspunkt der krisenhaften Entwicklung dar, die schon mit Viehseuche und Mißernte und in den Herzogtümern Schleswig und Holstein mit dem Nordischen Krieg ihren Anfang genommen hatte. Das Krisengefühl der Einwohner wurde in den Monaten nach der Weihnachtsflut noch verstärkt durch den Verfall traditioneller Gewohnheiten wie zum Beispiel die Abkehr von üblichen Begräbnisbräuchen. Wenn Sitte und Brauch, die den Alltag des Menschen formieren, nicht mehr eingehalten werden können, führt es zu Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in der Gemeinschaft. Wie tief traditionelle Vorstellungen im Bewußtsein der Menschen verankert waren und welche bestimmende Norm sie für das alltägliche Leben darstellten, zeigte sich beim Problem der Tierkadaverbeseitigung. Die Einwohner nahmen eher die drohende Gefahr ansteckender Seuchen auf sich, als sich durch die eigenhändige Beseitigung von verendeten Tieren in den Ruf der „Unehrlichkeit" zu bringen. Intensiviert wurde das Krisenbewußtsein auch dadurch, daß die Sturmflut die Existenz der Einwohner nicht nur in materieller, sondern auch in spiritueller Hinsicht in Frage stellte. Dieses Naturereignis, das die existentielle Fortsetzung Fußnote von Seite 266 des alten Hauses weg. Saucke, Monumentum, p. 82 (UB Kiel: Cod. MS. S. H. 332, AA3). Auf diesem Stein stand geschrieben: „Was Gott an Wasserfluht am Christtag dir gethan, Zeigt Glückstadt dieser Stein mit seiner Höhe an."Der Pastor Hieronymus Saucke empfahl seiner Gemeinde, daß jeder Hausbesitzer an seinem Haus ein Zeichen über die Höhe des Wassers anbringen sollte, „damit er bey ansehung dieses, seine Sünde stäts möge bereuen, sein Leben und Wandel bessern und sich vorsehen hin führo für gott zu wandeln in Heiligkeit und Gerechtigkeit, wie es ihm gefellig ist." p. 141. 9 Vgl. die Einleitung von Kossellek in Kossellek/Widmer (Hg.), Niedergang. Studien zu einem geschichtlichen Thema, S. 7.

268

Die Katastrophe als Krise

Grundlage so vieler Menschen zerstörte, war in ihren Augen ein Resultat göttlicher Vorsehung. Was hatte eine Bevölkerung, die allem Anschein nach die Gnade Gottes verspielt hatte, noch zu erwarten? Eine solche Deutung der Flut hatte ihre Auswirkungen auf die kollektive Gemütslage der Bevölkerung und nahm ihr vorübergehend alle Hoffnung. Da die Sturmflut als eine über die sündige Bevölkerung verhängte Strafe Gottes angesehen wurde, wurde die Gemeinschaft andererseits von der inquisitorischen Suche nach Schuldigen entlastet und die Identität und der Zusammenhalt der Gemeinschaft nicht zusätzlich gefährdet. Die Küstenanwohner, stets auf ihre Eigenständigkeit bedacht, waren nach der Weihnachtsflut nicht in der Lage, die Krise aus eigener Kraft zu bewältigen. Vielmehr waren sie in dieser Situation in vielfacher Weise auf die Hilfe der Landesherrschaft angewiesen. In ganz besonderem Maße gilt das für die Wiederherstellung der Deiche. Es war nicht allein die finanzielle Überforderung der einzelnen Deichverbände, die einen Eingriff des Staates notwendig machte, sondern, um den Deichbau überhaupt beginnen zu können, mußten viele Einwohner der besonders in Mitleidenschaft gezogenen Gebiete aus ihrer fatalistischen Lethargie und Mutlosigkeit herausgerissen und wieder zum Deichbauen angespornt werden, notfalls sogar mit Androhung schwerer Strafen. Auch war in der damaligen Lage eine Klärung der vielen Streitfälle im Deichwesen ohne den starken Arm der Landesobrigkeit nicht möglich. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang nach den langfristigen Auswirkungen dieser Sturmflut oder besser von Sturmfluten überhaupt. Als eine der wesentlichen Grundlagen für die „Freiheit der Friesen" wird der Kampf mit der See und der damit verbundene Deichbau angesehen. Schon im hohen Mittelalter entstanden an der Küste Landgemeinden, die sich auf genossenschaftlicher Basis organisierten und ihre alltäglichen Angelegenheiten, vor allem den Deichbau und die Entwässerung autonom regelten.10 Die Landesherrschaften waren bei der damals noch schwach ausgeprägten Staatlichkeit bereit, den Landgemeinden an der Nordseeküste weitgehende Rechte einzuräumen. Das änderte sich erst mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und dessen steigendem Finanzbedarf. Jetzt wurden die fruchtbaren Marschlandschaften als eine besonders ergiebige Steuerquelle angesehen. Es waren also zunächst fiskalische Gründe, die zu einem Interesse des Fürsten an dem Deichwesen führten. Ein erster tiefer Eingriff in bisherige Verhältnisse war der Anspruch der 10

Ob der Kampf mit dem Meer gemeindebildende Kraft hatte und zu den genossenschaftlichen Zusammenschlüssen führte, wie Hermann Aubin, Von den Ursachen der Freiheit der Seelande an der Nordsee, und Heinz Stoob, Landausbau und Gemeinde, S. 407 meinen, oder ob der genossenschaftliche Deichbau bereits den „Sinn für gemeinsames Handeln und das Eintreten für die Gemeinschaft" voraussetzen, wie Heinrich Schmidt, Studien zur Geschichte der friesischen Freiheit im Mittelalter, S. 24ff vermutet, soll hier nicht weiter erörtert werden.

Die Katastrophe als Krise

269

Landesherrschaft auf das vor den Außendeichen anwachsende Land, das bisher Gemeineigentum der Deichverbände gewesen war." Mit der Einführung des Außendeichregals stieg auch das Interesse der Landesherrschaft an der Landgewinnung. Gerade in der Phase des sich entwickelnden frühmodernen Staates kommt es zu vielen Eindeichungen an der Nordsee. Das weitere Vordringen des Menschen in den Nordseeraum war bei den damaligen deichtechnischen Fähigkeiten mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden. Es ist sicher kein Zufall, daß sich gerade in dieser Phase besonders viele Schadensfluten ereigneten; denn durch die Eingriffe in den Naturraum mußte sich auch die Gefahr von Naturkatastrophen erhöhen. Die häufigen Deichbrüche und Überschwemmungen, vor allem im 17. Jahrhundert, die von den Deichverbänden aus eigener Kraft vielfach nicht behoben werden konnten, machten Eingriffe des Staates immer wieder notwendig. Es scheint, daß gerade in diesen Jahren, in denen die Deichverbände auf landesherrliche Hilfe angewiesen waren, die Landesherrschaft die Notlage für ihre Interessen ausnutzte. Der Preis der Hilfe war eine fortschreitende Einschränkung der Autonomie der Deichverbände. Diese Entwicklung lag im Trend der Zeit, in der auch auf anderen Gebieten der Ausbau des frühmodernen Staates mächtig voranschritt. Als die Weihnachtsflut über die Küstenländer hereinbrach, waren die Rechte der Deichverbände schon eingeschränkt. Eingriffe oder versuchte Eingriffe der Landesherrschaft in die noch bestehenden Rechte der Deichverbände blieben dennoch nicht aus. Ohne staatliche Hilfe wäre aber die Wiederherstellung der durch die Weihnachtsflut zerstörten Deiche nicht gelungen. Insofern galt das alte Wort „Deus mare, Frisio litora fecit" zu Beginn des 18. Jahrhunderts nur noch eingeschränkt.

11

Vgl. Franz Breuel, Geschichte des Anwachsrechts in Ostfriesland, S. 30ff; H. Schütt, Genossenschaften und Landesherrschaft, S. 141 ff.

Tabellen Tabelle 1: Tote in Ostfriesland Amt Aurich:

92 Tote1 Norderbrokmer Vogtei Süderbrokmer Vogtei Riepster Vogtei Holtroper Vogtei Bagbander Vogtei

35 26 23 7 1 92

Amt Berum:

585 Tote2 Hagener Vogtei Arier Vogtei Ostermarscher Vogtei Nessemer Vogtei

20

14 226 325 585

Amt Emden:

53 Tote3 Vogtei Hinte Vogtei Midlum Vogtei Larrelt

15 4 34 53

Amt Friedeburg: Amt Greetsiel:

1 Toter 4 95 Tote5 Ostervogtei Westervogtei Hausvogtei

31 2 62 95

Amt Leer:

5 Tote6 Bingumer Vogtei Leerer oder Mormer Vogtei

Amt Norden:

282 Tote7 Westermarscher Vogtei Lintelermarscher Vogtei

183 99 282

1 2 3 4 5

6 7

StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 9 und BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 29. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 10; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 26. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 11 und BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 26. Hekelius, Beschreibung, S. 26; vgl. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 13 und BIIp, Nr. 7. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 14; in der Liste über Verluste im Amt Greetsiel (StA Aurich: BIIp, Nr. 7) fehlt die Angabe der Toten (10) für Schoonorth, Ostervogtei; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 26. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 15. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 16.

Tabellen

271

Fortsetzung Tabelle 1. 9 Tote8

Amt Pewsum:

Pewsum Campen Loquard

Ostfriesland insgesamt': 1.122 Tote Tote im Harlingerland: Amt Esens:

842 Tote" Stedesdorfer Vogtei Holtriemer Vogtei Westeraccumer Vogtei Benser Vogtei Seriemer Vogtei Werdumer Vogtei

34 13 397 146 118

134 842

373 Tote11

Amt Wittmund :

Kirchspiel Funnix Kirchspiel Berdum Kirchspiel Buttforde

243 113 17 373

12

Harlingerland insgesamt : 1.215 Tote Tote in Ostfriesland und Harlingerland13 : Ostfriesland Insel Juist14 Harlingerland 10 Herrlichkeiten15 insgesamt 8

1.122 Tote 28 Tote 1.215 Tote 422 Tote 2.787 Tote

StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 17. ' Vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 144-164 und 337. StA Aurich: Rep. 4, Blip, Nr. 7; vgl. G. V. Moehring, Die hohe Wasser-Fluth; Hekelius, Beschreibung, S. 49 nennt 847 Tote, ebenso Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 191. 11 StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 18 u. Nr. 12; Blip, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 50; Moehring, Die hohe Wasser-Fluth, o.S.; Jansen, Theol. Hist. Denckmahl, S. 190. 12 Vgl. Outhof, Verhaal, S. 688; Harkenroht, Waternood, S. 176, 339. 13 StA Aurich: Rep. 4, Blip, Nr. 7; Stoltnau, Ostfrieslands Trauerfall, S. 3 Anm. 6; abweichend Jansen, Theol. Hist. Denckmahl, S. 201 und G. A. v. Halem, Geschichte des Hzgts. Oldenburg, III, S. 189 (2.423 Tote); Lang, die Weihnachtsflut, S. 23 nennt 2.752 Tote. 14 Die Angabe der Toten auf Juist auch in der „Relation von der itzigen betrübten Zu Stand auff der Insull Juist" (StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 16). Vgl. Outhof, Verhaal, S. 689; Harkenroht, Watersnood, S. 327, 340. 15 Outhof, Verhaal, S. 688: 424 Tote, dagegen im Gesamtverzeichnis der Toten auf S. 689 nur 422. Abweichend auch Harkenroht, Watersnood, S. 164ff., 338: 369 Tote. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 195 nennt 426 Tote für die 10 Herrlichkeiten. 10

272

Tabellen

Tabelle 2: Tote in der Herrschaft Jever1 Stadt Jever Kirchspiel Heppens Kirchspiel Hohenkirchen Kirchspiel Middog Kirchspiel Minsen Kirchspiel Neuende Kirchspiel Oldorp Kirchspiel Pakens Kirchspiel Sande Kirchspiel Schortens Kirchspiel Sillenstedt Kirchspiel St. Joost (Hohenstief) Kirchspiel Tettens Kirchspiel Waddewarden Kirchspiel Wiarden Kirchspiel Wiefels Kirchspiel Wüppels insgesamt

8 Tote 128 Tote 120 Tote 28 Tote 255 Tote 287 Tote 36 Tote 13 Tote 125 Tote 17 Tote 24 Tote 71 Tote 30 Tote 57 Tote 68 Tote 2 Tote 25 Tote 1.294 Tote

Tabelle 3: Tote in der Herrlichkeit Kniphausen2

1

2

Kirchspiel Accum Kirchspiel Fedderwarden Kirchspiel Sengwarden

25 Tote 149 Tote 201 Tote

insgesamt

375 Tote

StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6. Die Angaben in den „Umständl. Hist. Nachrichten", S. 107ff. weichen bei zwei Kirchspielen etwas ab: Hohenkirchen 130 und Tettens 28. Ummen, Die mit Thränen verknüpffte Weynachts-Freude, S. 22 ff. hat abweichende Angaben für die Kirchspiele Hohenkirchen 100, Neuende 295, Sande 122, Schortens 15, Tettens 31 und Wiarden 68 und kommt auf eine Gesamtzahl von 1.275 Toten; die Gesamtangabe von 1.275 Toten findet sich auch in einer Aufstellung im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7. Vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 75; Moehring, Die hohe WasserFluth; Outhof, Verhaal, S. 694; Harkenroht, Watersnood, S. 184; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 152. Umständl. Hist. Nachricht, S. 109f.; Outhof, Verhaal, S. 695; Harkenroht, Watersnood, S. 186.

Tabellen

273

Tabelle 4: Tote in der Grafschaft Oldenburg1 (inklusive Varel) Zetel Seefeld Schwei Butjadingen: Abbehausen Atens Blexen Burhave Eckwarden Langwarden Stollhamm Tossens Waddens Elsfleth Esenshamm Hammelwarden Rodenkirchen Strückhausen Varel insgesamt

1

2 Tote 50 Tote 3 Tote 442 Tote 43 Tote 262 Tote 142 Tote 275 Tote 260 Tote 582 Tote 115 Tote 185 Tote 10 Tote 76 Tote 5 Tote 5 Tote 3 Tote 11 Tote 2.481 Tote

Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 161 ff.; nach Jansens Einzelangaben ergibt sich die Gesamtzahl von 2.470 Toten für die Grafschaft Oldenburg und nicht 2.471, nicht enthalten ist die Angabe für Varel. Mit geringfügigen Abweichungen Umständl. Hist. Nachricht, S. 88-104 und Hekelius, Beschreibung, S. 79, wo jeweils nur 2.468 Tote genannt werden; unvollständige Angaben bei Outhof, Verhaal, S. 708ff. Kleine Abweichungen bei den Angaben für die neun Kirchspiele Butjadingens auch bei Norden, Bevölkerung, S. 46, wo die Zahl der Ertrunkenen um 5 niedriger ist. Leider gibt Norden nicht an, woher er seine Zahlenangabe hat.

274

Tabellen

Tabelle 5: Tote im Herzogtum Bremen1 Altes Land Amt Hagen Amt Stotel Land Kehdingen2 Amt Neuhaus Gerichte Osten Land Wursten'

4 Tote 9 Tote 1 Toter 421 Tote 172 Tote 18 Tote 181 Tote

insgesamt

816 Tote

Tabelle 6 : Tote im Land Hadeln 4 Altenbruch Lüdingworth Nordleda Neuenkirchen Osterbruch Otterndorf Ihlienworth Steinau Wanna Odisheim

12 Tote 21 Tote 7 Tote 7 Tote 7 Tote 245 Tote 3 Tote 1 Toter 1 Toter 5 Tote

insgesamt

309 Tote

Tabelle 7: Tote im Amt Ritzebüttel 5

1 2 3 4

5

Kirchspiel Groden Flecken Ritzebüttel Kirchspiel Döse Insel Neuwerk

106 Tote 16 Tote 178 Tote 12 Tote

insgesamt

312 Tote

StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66 und Rep. 80Wb, 176, Nr. 1, Bd. 2 (Fasz. 5-6). Jansen, Theol. Hist. Denckmahl, S. 174 gibt für das Land Kehdingen und das Amt Neuhaus zusammen nur 388 ertrunkene Personen an. Jansen, Theol. Hist. Denckmahl, S. 168 gibt für das Land Wursten nur 35 Tote an, also deutlich zu wenig. Umständl. Hist. Nachricht, S. 58; Hekelius, Beschreibung, S. 82; Moehring, Die hohe Wasser-Fluth; Outhof, Verhaal, S. 720; vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 171. Hekelius, Beschreibung, S. 82; Umständl. Hist. Nachricht, S. 62, 66, 78f.; vgl. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 169; B. E. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 30f.; A. Obst, Grandauers Gedenkbuch, S. 51 zählt nur 306 Tote.

Tabellen

275

Tabelle 8: Viehverluste in Ostfriesland

Amt Aurich' Norderbrokmer Vogtei Südbrokmer Vogtei Riepster Vogtei Holtroper Vogtei Bagbander Vogtei

Pferde

Rindvieh

Schweine

Schafe

55 83 110 20 136

128 415 543 210 717

15 23 5 1 8

53 82 32 17

404

2013

52

184

29 172 173 15

128 593 646 98

26 96 79 6

7 446 201 3

389

1465

207

657

17 21 47

141 163 115

14 9 4

187 121 211

85

419

27

519

7 14

27 44

24 6

21

71

30

-

18 86 4

70 85 57

10 11 13

91 33 70

108

212

34

194

-

2

Amt Berum Arier Vogtei Ostermarscher Vogtei Nessemer Vogtei Hagener Vogtei

1

Amt Emden Vogtei Hinte Vogtei Midlum Vogtei Larrelt

4

Amt Friedeburg Vogtei Horsten Vogtei Reepsholt

-

5

Amt Greetsiel Hausvogtei Ostervogtei Westervogtei

1

2

3

4

5

StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 9 und BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 29; Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 160, 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 10; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 160 f., 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 11 und BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 26, der nur in der Angabe der ertrunkenen Schweine abweicht, statt 27 schreibt er 97. Vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 145 ff., 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 13 und BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 26; Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 163, 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 14; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 158, 337. Die Aufstellung im StA Aurich: BIIp, Nr. 7 enthält nicht die Angaben für Schoonort, Wirdumer Neuland und Ahland.

276

Tabellen

Fortsetzung Tabelle 8. Pferde

Rindvieh

Schweine

Schafe

6

Amt Leer Weener Vogtei Bingumer Vogtei Leerer oder Mormer Vogtei

2

5

-

-

-

-

127

816

1 5

129

821

6

30

231 46

535 160

72 25

254 134

277

695

97

388

26

63

9

144

3

21

-

1442

5780

-

30

7

Amt Norden Westermarscher Vogtei Lintlermarscher Vogtei

Amt Pewsum' Insel Juist' Ostfriesland insgesamt

6

10

462

68 2184

StA Aurich: Rep. 4, BHq, Nr. 15: Die Addition der einzelnen Zahlen ist zweimal falsch, statt 816 lies 821 Stück Hornvieh und statt 3 Schweine lies 6. Vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 155, 337. 7 StA Aurich: Rep. 4, BHq, Nr. 16; vgl. Harkenroht, Watersnood, S. 159, 337; abweichend Outhof, Verhaal, S. 687: 347 Pferde, 755 Rinder, 110 Schweine, 388 Schafe. 8 StA Aurich: Rep. 4, BHq, Nr. 17; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 164, 337. ' StA Aurich: Rep. 4, BHq, Nr. 16. 10 Die Gesamtaufstellung im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7 unterscheidet sich etwas: 1509 Pferde, 5814 Rinder, 479 Schweine, 2116 Schafe. Vgl. Outhof, Verhaal, S. 687.

Tabellen

277

Viehverluste im Harlingerland Pferde

Rindvieh

Schweine

Schafe

21 17 136 70 33 71

140 41 414 425 213 341

61 3 39 64 61 77

29 109 10 91 54

348

1574

305

293

11

Amt Esens Stedesdorfer Vogtei Holtriemer Vogtei Westeraccumer Vogtei Benser Vogtei Sehrimer Vogtei Werdumer Vogtei

-

12

Amt Wittmund Wittmund Kirchspiel Burhave Kirchspiel Funnix Kirchspiel Berdum Kirchspiel Eggelingen Kirchspiel Toquard Kirchspiel Asel Kirchspiel Buttforde Kirchspiel Blersum

14 412 298 8 9 5 93 16

2 8 95 49 8 5 5 30 6

251

855

208

111

Ostfriesland Harlingerland 10 Herrlichkeiten13

1.442 599 145

5.780 2429 1221

462 513 56

2.184 404 94

insgesamt14

2.186

9.430

1.031

2.682

11

12

13

14

1 1 137 96 4 -

12 -

-

-

78 30 2 -

1 -

StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7; etwas abweichend von diesen Angaben Outhof, Verhaal, S. 688 und Harkenroht, Watersnood, S. 176, 339: 354 Pferde, 1.264 Rinder, 305 Schweine, 273 Schafe; Hekelius, Beschreibung, S. 49: 363 Pferde, 1648 Rinder, 293 Schweine, 311 Schafe und Moehring, Die hohe Wasser-Fluth: 354 Pferde, 1624 Rinder, 305 Schweine, 293 Schafe, ebenso Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 191. StA Aurich: Rep. 4, BHq, Nr. 18 und Nr. 12 sowie BIIp, Nr. 7; vgl. Hekelius, Beschreibung, S. 50; Moehring, Die hohe Wasser-Fluth; Outhof, Verhaal, S. 688; Harkenroht, Watersnood, S. 176, 339, etwas abweichend Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 190: 246 Pferde, 855 Rindvieh, 111 Schweine, 206 Schafe. Von diesen Zahlen weicht Outhof, Verhaal, S. 688 etwas ab: 208 Pferde, 1221 Rinder, 62 Schweine, 94 Schafe; ebenfalls Harkenroht, Watersnood, S. 164ff.: 248 Pferde, 1.275 Rinder, 100 Schweine, 238 Schafe, vgl. auch Harkenroht, S. 338. Die Gesamtaufstellung im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7 weicht etwas von der Summe der aus den für die einzelnen Ämter und Kirchspiele angegebenen Zahlen ab: Pferde 2.259, Rinder 9.514, Schweine 1.048, Schafe 2.614. Abweichend auch Funck, Ostfr. Chronik, 8, S. 119: 2.302 Pferde, 9.552 Rinder, 1.148 Schweine, 2.841 Schafe.

278

Tabellen

Tabelle 9: Viehverluste in der Herrschaft Jever1 Pferde

Rindvieh

Schweine

Schafe

11

26

_

9 18 222

7 14 503

687

1.287

Stadt Jever Kirchspiel Cleverns Kirchspiel Hohenkirchen Kirchspiel Middoge Kirchspiel Minsen Kirchspiel Oldorf Kirchspiel Packens Kirchspiel St. Joost (Hohentiefs) Kirchspiel Sillenstedt Kirchspiel Tettens Kirchspiel Waddewarden Kirchspiel Westrum Kirchspiel Wiarden Kirchspiel Wiefels Kirchspiel Wüppels Rüstringer Vogtei2

49 3 69 7 11 20 22 81 18 1 26 2 3 129

51 23 205 22 273 105 66 124 185 213 115 51 160 42 58 1189

insgesamt

452

2.882

-

-

55 16 104 38 -

45 82 56 -

16 -

-

39 -

206 2 200 221 43 45 -

7 -

Tabelle 10: Viehverluste in der Herrlichkeit Kniphausen3

Kirchspiel Accum Kirchspiel Fedderwarden Kirchspiel Sengwarden insgesamt 1

2 3

Pferde

Rindvieh

Schweine

Schafe

7 58 36

123 550 361

63 126 135

44 195 222

101

1.034

324

461

StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6; Umständl. Hist. Nachricht, S. 113. Vgl. Ummen, Die mit Thränen verknüpfte Weihnachts-Freude, S. 22 ff. Bei Ummen fehlt die Einzelangabe der 56 ertrunkenen Schweine im Kirchspiel Tettens, obwohl die Gesamtsumme der toten Schweine übereinstimmt. Die Summe für die Schafe ist bei Ummen falsch, lies 1.287 statt 1.308. Die bei Ummen genannten Zahlen finden sich auch im Gesamtverzeichnis im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7 und bei Outhof, Verhaal, S. 694; Harkenroht, Watersnood, S. 184. Etwas abweichend auch Moehring, Die hohe WasserFluth: 455 Pferde, 2.896 Rinder, 687 Schweine, 1.308 Schafe; vgl. auch Hekelius, Beschreibung, S. 75 und Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 155. Die Rüstringer Vogtei besteht aus den Kirchspielen Neuende, Heppens, Sande und Schortens. Umständl. Hist. Nachricht, S. 109 f. Die Addition stimmt nicht, statt der dort angegebenen 1.039 Rinder sind es nur 1034 und statt 314 Schweinen sind es 324. Gleiche Angaben mit Additionsfehlern auch bei Outhof, Verhaal, S. 695. Vgl. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6. Abweichend davon Moehring, Die hohe Wasser-Fluth und Hekelius, Beschreibung, S. 80: 101 Pferde, 935 Rinder, 304 Schweine, 424 Schafe; ebenso Harkenroht, Watersnood, S. 186. Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 161 hat statt 1034 Rindern nur 1.019 angegeben.

Tabellen

279

Tabelle 11: Viehverluste im Herzogtum Bremen1 Altes Land Amt Hagen Amt Stotel Land Kehdingen Amt Neuhaus Gerichte Osten Kloster Amt Stade Land Wursten Amt Blumenthal und Neuenkirchen insgesamt

Pferde 23 104 3 957 560 412

Rindvieh 68 253 28 4.801 2.261 1.225

Schweine 34 211 11 1.139 934 237

Schafe 33 430 -

1.850 1.415 692 41 1.210







220 2 2.281

587 8 9.231

544 18 3.128

5.671

Rindvieh 836 671 564 176 659 118 1137 911 1035 125 6.232

Schweine 796 580 471 247 111 179 832 435 190 34 3.875

Schafe 559 363 255 150 202 96 577 309 283 28 2.822

Rindvieh 887 116 455 958

Schweine 250 60 328 638

Schafe 367 79 139 585

-

Tabelle 12: Viehverluste im Land Hadeln 2 Altenbruch Lüdingworth Nordleda Neuenkirchen Odisheim Osterbruch Otterndorf Ihlienworth Steinau Wanna insgesamt

Pferde 112 89 137 41 110 118 327 287 109 31 1.361

Tabelle 13: Viehverluste im Amt Ritzebüttel } Kirchspiel Groden Flecken Ritzebüttel Kirchspiel Döse insgesamt 1

2

3

Pferde 44 -

166 210

StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66; geringfügig abweichende Zahlen, d.h. teilweise etwas niedrigere Zahlen in der Liste der Gesamtverluste im StA Stade: Rep. 80Wb, 176, Nr. 1, Bd. 2 (Fasz. 5-6). Lückenhafte Angaben und viel zu niedrige Zahlen für einige Landschaften bei Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 168ff., S. 214: Die Summe für das Amt Neuhaus und das Land Kehdingen wird wie folgt angegeben: 350 Pferde, 2.471 Rinder, 501 Schweine, 1033 Schafe; für das Alte Land: 11 Pferde, 78 Rinder, 36 Schweine, 33 Schafe. Etwas abweichend auch Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 46. Umständl. Hist. Nachricht, S. 56 ff. Die Addition ist bei den Angaben für die ertrunkenen Rinder und Schafe falsch; die Zahl der Rinder erhöht sich um 1; die Zahl der Schafe um 9; vgl. Outhof, Verhaal, S. 720. Geringe Abweichungen bei Hekelius, Beschreibung, S. 82: 1.369 Pferde, 3.865 Schweine; vgl. Moehring, Die hohe WasserFluth; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 171 f. Umständl. Hist. Nachricht, S. 62, 66, 79; Outhof, Verhaal, S. 716ff.; Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 169f. Fehlerhaft Hekelius, Beschreibung, S. 82; vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 30. Etwas abweichend die Angaben in Obst, Grandauers Gedenkbuch, S. 51.

280

Tabellen

Tabelle 14: Zerstörte Häuser in Ostfriesland Amt Aurich1 Nordbrokmer Vogtei Südbrokmer Vogtei Riepster Vogtei Holtroper Vogtei Bagbander Vogtei Amt Berum2 Hagener Vogtei Arier Vogtei Ostermarscher Vogtei Nessemer Vogtei Amt Emden3 Vogtei Hinte Vogtei Midlum Vogtei Larrelt Amt Friedeburg4 Vogtei Horsten Vogtei Reepsholt Amt Greetsiel5 Hausvogtei Ostervogtei Westervogtei Amt Leer6 Weener Vogtei Esklumer Vogtei Leerer oder Mormer Vogtei

1

2 3 4 5

6

weggetriebene Häuser

beschädigte Häuser

24 22 35 3 9 93

27 74 92 52 74 319

5 8 78 97 188

22 12 82 48 164

10 2 22 34

15 21 23 59

-

19 5 24

20 22 5 47

35 32 13 80

1 1 10 12

53 21 75 149

StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 9; BIIp, Nr. 7; Outhof, Verhaal, S. 687 und Harkenroht, Watersnood, S. 337 geben insgesamt 465 beschädigte und 93 weggetriebene Häuser an. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 10; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 11 und BIIp, Nr. 7; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 13 und BIIp, Nr. 7; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 13; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. Die Aufstellung im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7 enthält nicht die Angaben für Schoonort, Wirdumer Neuland und Ahland. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 15; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. Die Zahlen der beschädigten Häuser in der Esklumer und Leerer Vogtei sind zu niedrig; in diesen Vogteien wurden, wie auf der Liste angemerkt ist, viel mehr Häuser beschädigt.

Tabellen

281

Fortsetzung Tabelle 14. weggetriebene Häuser Amt Norden7 Westermarscher Vogtei Lintelermarscher Vogtei

53 30

beschädigte Häuser keine Angabe einige

83 Amt Pewsum8

8

Insel Juist

20

Ostfriesland insgesamt

36 -

477

831

13 414 104 '/2 43 36 29

61 VA 115% 73 56 89

230

402'/4

Zerstörte Häuser im Harlingerland Amt Esens' Stedesdorfer Vogtei Holtriemer Vogtei Westeraccumer Vogtei Benser Vogtei Sehriemer Vogtei Werdumer Vogtei

10

Amt Wittmund Kirchspiel Funnix Kirchspiel Berdum Kirchspiel Eggelingen Kirchspiel Toquard Kirchspiel Asel Kirchspiel Buttforde Kirchspiel Burhave Wittmund

56 29

-

140 83 19 8 11 43 11 10

86

325

-

1 -

Ostfriesland Harlingerland 10 Herrlichkeiten

477 316 129

831 121 Vt 114

insgesamt"

922

1.672%

7

StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 16; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. 8 StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 17; vgl. Outhof, Verhaal, S. 687; Harkenroht, Watersnood, S. 337. ' StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7; vgl. Outhof, Verhaal, S. 688; Harkenroht, Watersnood, S. 176,339. 10 StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 18 und Nr. 12 und BIIp, Nr. 7; vgl. Outhof, Verhaal, S. 688; Harkenroht, Watersnood, S. 176, 339. 11 In der Gesamtaufstellung im StA Aurich: Rep. 4, BIIp, Nr. 7 sind 1.030 weggetriebene und 1.838 beschädigte Häuser angegeben; Outhof, Verhaal, S. 689: 1.019 weggetriebene und 1.841 beschädigte Häuser.

282

Tabellen

Tabelle 15: Zerstörte Häuser in Jever und Kniphausen weggetriebene Häuser

beschädigte Häuser

1

Herschaft Jever Wiefels Middoge Tettens Hohenkirchen St. J o o s t ( H o h e n t i e f s ) Minsen Wiarden Westrum Packens Neuende Heppens 1 Rüstringer Sande | Vogtei Schortens ' insgesamt Herrlichkeit

1

2

Kniphausen2

22 17 20 55 18

15 5 78

5

31 43 9 22

129

keine Angabe

266

203

67

71

StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6; vgl. StA Aurich: Rep. 4, Bllq, Nr. 7; dort keine Angabe über die beschädigten Häuser. Siehe auch Ummen, Die mit Thränen verknüpfte Weihnachts-Freude, S. 29; Umständl. Hist. Nachricht, S. 113; Outhof, Verhaal, S. 694; Harkenroht, Watersnood, S. 184 schreibt von 291 weggetriebenen Häusern. StA Old: Bstd. 90, 16, Nr. 6; vgl. Umständl. Hist. Nachricht, S. 109f.; Outhof, Verhaal, S. 695; etwas abweichend Harkenroht, Watersnood, S. 186: 67 Häuser seien weggetrieben und 117 beschädigt worden.

Tabellen

283

Tabelle 16: Zerstörte Häuser in Oldenburg3

Zetel Seefeld Schwei Langwarden Tossens Burhave Waddens Eckwarden Stollhamm Blexen Atens Abbehausen Esenshamm Rodenkirchen

3

weggetriebene Häuser

beschädigte Häuser

1 16 5 73 26 45 46 60 115 72 15 88 14 2

keine Angabe keine Angabe keine Angabe 121 30 114 22 87 47 keine Angabe keine Angabe keine Angabe keine Angabe keine Angabe

578 + 6 Schulen

421

Der Tabelle liegen die Angaben von Jansen, Hist. Theol. Denckmahl, S. 162 ff. zugrunde; nur die Zahlen für die Kirchspiele Stollhamm und Abbehausen wurden verändert, weil zuverlässigere Zahlen aus einer Aufstellung des Pastors Ibbeken in Stollhamm und aus einem Schreiben der Einwohner von Abbehausen vom 2.11.1718 bekannt sind (StA Old: Bstd 26, 1263 und 1264. Hekelius, Beschreibung, S. 79 schreibt von 564 weggerissenen Häusern und 10 Schulen; Umständl. Hist. Nachricht, S. 103: 501 Häuser weggetrieben und 11 Schulen.

284

Tabellen

Tabelle 17: Zerstörte Häuser im Herzogtum Bremen4

5

Altes Land Amt Hagen Amt Stotel Land Kehdingen6 Amt Neuhaus Kloster Amt Stade Amt Blumenthal u. Neuenkirchen Gerichte Osten Land Wursten insgesamt

weggetriebene Häuser

beschädigte Häuser

keine Angabe 19 1 63 119 5 13 58'/2

keine Angabe 221 41 524 691 3 9 keine Angabe keine Angabe

412/4

1489

-

Tabelle 18: Zerstörte Häuser im Amt Ritzebüttel 7 weggetriebene Häuser Kirchspiel Groden Flecken Ritzebüttel Kirchspiel Döse Insel Neuwerk insgesamt

4

5

6

7

28 4 57 3

beschädigte Häuser keine Angabe keine Angabe fast alle noch bestehenden ruiniert keine Angabe

92

StA Stade: Rep. 31, 16a, Nr. 7, p. 66. Die Angaben sind nicht vollständig. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 46 gibt für das Land Wursten noch die Zahl von 215 beschädigten Häusern und Scheunen an wie auch für den Freiburger Teil des Landes Kehdingen die Zahl von 164 weggetriebenen und 535 beschädigten Häusern und Scheunen, ohne jedoch anzugeben, woher er die Zahlen entnommen hat. In einem Generalverzeichnis des Gesamtschadens im Alten Land wird der Schaden an Häusern mit 22945 Mark angegeben, s. StA Stade: Rep. 80Wb, 176, Nr. 1, Bd. 2 (Fasz. 5-6). Die Angaben für den Freiburgischen Teil des Landes Kehdingen fehlen; die genannte Zahl ist also viel zu niedrig. Umständl. Hist. Nachricht, S. 62, 66, 78f.; vgl. Siebs, Die Weihnachtsflut, S. 30f.; Obst, Grandauers Gedenkbuch, S. 51 gibt an, daß 127 Häuser weggetrieben und 20 eingestürzt seien.

Quellen

I. Ungedruckte Quellen Niedersächsisches Staatsarchiv in Aurich Fürstliches Archiv: Rep. 4, B II p, Nr. 7, 9, 10, 16, 24, 52, 97. Rep.4, B l l q , Nr. 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19,20,21,22,23,24, 25, 26, 27 Vol. I, 28, 29,31. Rep. 4, C III a, 123 II. Archiv der Ostfriesischen Landschaft: Dep. I, 694, 1406, 1432, 1439, 2061, 5393. Niedersächsisches Staatsarchiv in Oldenburg Oldenburgisches Deicharchiv: Bstd. 26, Tit. 26 1-26 II, 141, 424, 472, 511, 512, 1224, 1263, 1264. Herrschaft Jever: Bstd. 90, Tit. 3, 4, 5, 6, 7, 16. Herrschaft Varel-Kniphausen: Bstd. 120, Tit. 654, 1018. Niedersächsisches Staatsarchiv in Stade Geheime Räte in Hannover betr. Bremen-Verden: Rep. 31, Tit. 16 a, 1,3,7. Tit. 16 g, 1,2. Tit. 16 h, 1 a. Tit. 16 p, 1 und 2, Bd. I, Teil 1. Tit. 28, 1. Regierung und Landdrostei in Stade: Rep. 80 Wb, Tit. 176, Nr. 1, Bd. I (Fasz. 1, 2, 3, 4). Nr. 1, Bd. II (Fasz. 3 und 5-6). Rep. 80 Wb, Tit. 180, Nr. 2. Tit. 184, Nr. 1. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hann. 91, Nr. 66

Hannover

286

Quellen- und Literaturverzeichnis

Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv in Schleswig Regierungskanzlei zu Glückstadt: Abt. 11, Nr. 533. Abt. 13 A, Nr. 754. Rentekammer zu Kopenhagen: Abt. 66, 298. Reichsarchiv Kopenhagen Rentekammer, fol. reg. Nr. 191 (Kommissioner) G 23 und G 24. Rentekammer, B II 1, B 22 „Ekspeditionsprotokoller". T.K.I.A. B 70 Relationer fra Regeringen i Oldenburg. B 73 Relationer vedr. Digevaesenet i Oldenburg. B 74 Relationer fra Landdrosterne i Oldenburg. B 75 Relationer fra Landfogeder, Advocati fisci m. fl. Embedsmaend i Oldenburg. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien RHR Denegata Recentiora 916/12 RHR Voten 44 Kreisarchiv Nordfriesland Landschaftliches Archiv Eiderstedt I. Nr. 197 Nr. 457 A 2, Kirchspiel Kating IV a, Nr, 28 Kirchspiel Poppenbüll IV a, Nr. 39 Kirchspiel Tetenbüll IV a, Nr. 38 u. 39 Kirchspiel Garding IV a, Nr. 29. Schleswig-Holsteinische

Landesbibliothek

Petrus Petreus, Historische Nachricht vom Teichwesen und damit verbundenen Umständen, das Amt Tondern betreffend, 1740 (Abschrift). Universitätsbibliothek Kiel Cod. MS. S. H. 195: Hans Detlefs Dithmarscher Chronik, Fortsetzung von Johann Blohm. Cod. MS. S. H. 332, AA3: Hieronymus Saucke, Monumentum Jubilo-Aquaticum, das ist Ewiges Gedechtnis der Jubel und Wasser-Zeit.

Gedruckte Quellen

287

2. Gedruckte Quellen Anonymus, En kort sammendragen Beretning / Saavel om den Forste den 24. Dec. 1717 Som den sidste endnu forfaerdeligere Vand = Flod / den 25. Febr. 1718, Flensburg 1718. - Kläglicher Bericht / in welchen kurtz und zuverläßig zu ersehen was denen Benachbarten an der Elbe / Eyder und Weser für grosser Schaden von der starcken und fast nie erhörten Waßerfluht so den 25 December 1717. frühe am 1. Heil. Weinachts Feyertage sich sehr gewaltig ergossen / an Menschen und Vieh und sonsten überall / unverhofft zugestossen. Gedruckt / im Januario Anno 1718. - Kurtzer doch ausführlicher Bericht von der grossen Wasser = Fluth / So in und bey Brunßbüttel / alß auch in Dithmarschen und andern Orthen den 24. DEC. 1717. gewesen. - Ausführliche und Höchstbetrübte Beschreibung der fast unerhörten bejammerns-würdigen, durch einen Nord-Ost-West-Wind verursachten Wasseroder Kleinen Sünd-Fluth, welche am Ersten Heiligen Christ-Tage Anno 1717 einen grossen Theil derer Herzogthümer Hollstein und Brehmen... überschwemmet, Leipzig 1718. - Körte Beschrijvinge Van de Schrikkelijke WATER-VLOED.. .voorgevallen tusschen den 24. en 25. December 1717, Leeuwarden 1718. - Die Denckmahle der Göttlichen Zorn = Gerichte Uber den grösten Theil von Europa, und sonderlich die an den Küsten der West = See In Nieder = Teutschland Sich befindende Ein wohner... Fünff davon ans Licht gekommenen Beschreibungen, mit beygefügtem Kupffer = Stiche, vorgestellet, Leipzig 1718. - Ein Allen Menschen Nöthiges, heilsames, und nimmer zu vergessendes Denckmahl Der Sonderbaren / und überaus hohen Wasser = Fluth / Damit der Allmächtige GOTT / Anno 1717 dem 25. Decembr., in der heil. Christ-Nacht und Morgen, die sündige, sichere Menschen in vielen Ländern / allen Nachlebenden zur Warnung und Besserung / auffgewecket / heimgesuchet und gestraffet hat; Fürgestellet von Jemanden / Der in einem solcher Länder gewohnet / und gnädiglich von GOTT erhalten worden, Hamburg 1718. - Sandfertig Og hvis Efterretning Om den jammerlige og meget bedrovelige Vand = Flod, Kopenhagen 1718. - Extract = Schreiben aus Husum / Von den Wasser = Schaden in den Eyderstädtschen und im N o r d = Strande, de dato 8ten Januarij 1718. - Frisia orientalis tarn ante quam post diluvium Poesi heroica descriptio, Emden 1724. - Erstaunenswürdiger Gedenckzettel und Relation Von der Erschrecklichen / fast in hundert Jahren nicht erhörten Wasser = Fluth / Welche An dem Ersten Heiligen Christ = Tage / frühe Morgens zwischen 5. und 6. Uhren /

288

Quellen- und Literaturverzeichnis

war der 25. December Anno 1717. Wider aller Menschen Vermuthen / sich in Hamburg ergossen / und unglaublichen Schaden verursachet / Nebst einem Anhange Was andere Nachbarschafften / an der Elbe / Eyder und Weser dabey erlitten (mit 2. Continuationen), o.O. 1718. - Graede-Vand I en Graede = Vise / Om den begradelige Vand = Flod.. .den Aar 1717. I Jule = Dage, o.O., o.D. - Ein Klag = Lied Uber die Ao 1717 in der Christ Nacht ergangene Wasser =Fluht, o.O.,o.D. - Umständliche Historische Nachricht von der grossen Wasser = Fluth, welche in der Christnacht des 1717. Jahrs die Herzogthümer Holstein / Schleßwig / Bremen; imgleichen Delmenhorst / Oldenburg, Jever, Kniephausen, Ost = Frießland, Groningen, Frießland, Holland und übrige vereinigte Provintzen betroffen. Wobey merckwürdige Particulada von dieser Fluth, auch einige besondere Nachrichten von gedachten Ländern mit angeführet. Samt einem Anhange von den hohen Fluthen am 25. 26. Febr. und 16. Mart. 1718. Alles aus beglaubten Briefen und Original-Documenten gezogen, Hamburg 1718. - 't Beknelde Land wegens den Water-Vloed op Kers Nagt, Emden 1724. - 't Jammernde Oostfriesland over den hoogen Water-Vloed op Kers Nagt, Emden 1718. - Trauer = und Trost = Oden / Welche / Als durch die hohe Wasser =Fluht am 25ten Decembr. 1717. unbeschreiblicher Schade geschehen / Und dißfalls Anthon Nielas Haselbach / Und Hermann Christian von Muntzbruch / Dergleichen betrübten Zeiten / Durch Lateinische und Deutsche Reden am (11.) Julij 1718 sich vorzustellen bemüheten / Vor und nach solchen gebundenen Reden in der Jeverschen Stadt = Kirchen sollen musiciret werden, Oldenburg (1718). - En Smuk / Dog sorgelig Ny Viise / Om det skadelige Vandbrud, o.O. 1718. - Die Weihnachtsflut in der Christnacht des Jahres 1717. Bericht eines Ungenannten an die Freunde in Halle, in: K. Weiske, Die ostfriesische Weihnachtsflut vom Jahre 1717. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus in Ostfriesland, Upstalsboom-Blätter, Bd. 13 (1927) S. 27-40. Corpus constitutionum Oldenburgicarum select. oder Verordnungen in dessen beyden Grafschafften Oldenburg und Delmenhorst wie auch denenselben incorporierten Landen als Stad- und Butjadinger- Würden- und Stedinger Lande nebst einigen Rescriptis und Resolutis, bis August 1775 publiciret, 6 Teile und 3 Suppl.-Bde zu 4 Bde., hrsg. von J. C. von Oetken u. J. H. Schloifern, Oldenburg 1732-1775. Corpus constitutionum Regio-Holsaticarum, oder allerhöchst-autorisirte Sammlung der in dem Herzogthum Holstein, Königlichen Antheils, samt incorporirten Landen, wie auch der Herrschaft Pinneberg, Stadt Altona und Graffschaft Rantzau in Krafft eines beständigen Gesetzes ergangenen

Gedruckte Quellen

289

Constitutionen, Edicten, Mandaten, Decreten, Resolutionen, Privilegien, Concessionen und andern Verfügungen, 3 Bde, hrsg. von Friedrich Detleff Karl von Cronhelm, Altona 1749/1753. Corpus Statuorum Slesvicensium, oder Sammlung der in dem Herzogthum Schleswig geltenden Land- und Städtrechte, nebst den für diese Gegenden erlassenen neueren Verfügungen. Mit Anmerkungen begleitet, 3 Bde, hrsg. von Cai Lorenz Freyherrn von Brockdorff und Friedrich Ludwig von Eggers, Schleswig 1794-1812. Culemann, Gregor, Denck = Mahl der zwo hohen Waßers = fluthen, von welchen die Erste Ao. 1717. d. 25. Decembr. In der Christ = Nacht, die Andere Ao. 1718. d. 26. Febr. insonderheit in die Wilster = Marsch eingebrochen, Und in derselbe unbeschreiblichen Schaden verursachet; Nebst denen dabey angemerckten wunderbaren Wercken der Weißheit, Allmacht, Gerechtigkeit, Gnade und väterlichen Vorsorge des grossen und Allmächtigen GOTTES, Halle 1719. - Das Mit dreyen Fortsetzungen Vermehrte Denck = Mahl Von den hohen Wassers = Fluthen / Wie selbige insonderheit In die Wilster= Marsch eingebrochen / Und in den Jahren von 1717. bis 1727. inclusive in derselben unbeschreiblichen Schaden / und excessive Teich = Kosten verursachet; Denn auch Was in den angezeigten und andern Jahren darauf erfolget / Nebst denen dabey angemerckten wunderbahren Wercken der Weißheit / Allmacht / Gerechtigkeit / Gnade / und väterlichen Vorsorge des grossen und allmächtigen GOttes, Wilster 1728. Doekes, Simon, Godts straffende Handt, uitgestrekt over de Landen gelegen aan de Rivieren de Elve, Weser, Eems, het Y, ende Maas bezonderl gevoelt in den swaaren Watervloedt den XXV. December. M. DCC.XVII, Emden 1718. Enewaldt, Broder, Biga concionum singularium. Das ist / Zwo absonderliche Predigten Deren die Erste / Von starcken Sturm = Winden / über Syr. XXXIX. 33 sq. Die Andere / Von mächtigen Wasser = Fluthen / über Genes. VI. 17. Durch Veranlassung Des heftigen Sturm = Windes und der hohen Fluth / Welche Anno MDCCI. d. XVII Octobr. in hiesigen und andern Ländern / mit mercklichem Schaden / verspühret und empfunden worden, Glückstadt 1704. Fabricius, Johann Albert, Hydrotheologie Oder Versuch durch aufmerksame Betrachtung der Eigenschaften, reichen Austheilung und Bewegung Der Wasser, die Menschen zur Liebe und Bewunderung Ihres Gütigsten, Weisesten, Mächtigsten Schöpffers zu ermuntern, Hamburg 1734. Funck, Christian, Oratio de Tuba Fluminis Ad diem 25. Decembris Anno M.DCCXVII. in ipsis Nativitatis Christi feriis, Per Circulum Eyderstadiensem & Dithmarsiensem, aliasque plures regiones personante, Nec non de Tuba Flaminis Ad diem 25. Febr. Anno M.DCCXVIII. in nostram admonitionem intonante, cum distinctis indiciis providentiae divinae ad salu-

290

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Namensregister Abele, Hinrich 77 Adami, Gesche 26 Ahlers, Regimentsquartiermeister 53 Aldenburg, Graf von, Kniphausen 12 Allardt, Deichbeamter 259 Aisted, Johann Heinrich 86 Altmann, Anton Laurenz 138 A. Anemaet, Sebastian 227f. Appelle, Heinrich Bernhard von dem 178, 187 A., 227f„ 263 Arends, Fridrich 62 Ärmster, Gerlach 265 Assen, Wilcke von 130, 210 A. Bacmeister, Henrich 135 Balma, Johann 208 Barclai, Anton 138 A. Bardewik, Hinrich 115 A. Barkun, Michael 5f. Baumann, Gabriel 58 A. Beck, Johann 165 A. Bendes, Peter 152 A. Benecken, Dietrich 221 Berents, Walter 34 A. Bleex, Helmerich 115 A. Block, Gerhard, Rentmeister 107, 133, 205 A., 209 A. Bluhm, Arnold 56, 242 Bode, Philipp Julius, Amtsvogt 251 Boelcken, Conrad 262 Bohlen, Oicke 259 Bohlen, Oltmann Friedrich 138 A. Bolcken, Franz Heinrich, Amtmann u. Regierungsrat 53, 145, 199 Bolten, Johann Adrian 10,20,60,64 Borst, Arno 2, 6 Bosch, Arnold von dem 262 Böttcher, Christian 138 A. Brahms, Albert 16,66, 71 A., 76, 160, 164 Brandcamp, Henrich 211 Brawe, Georg Johann von 184 A. Brehmer, Peter 163 Bremer, Dietrich 193 A. Brenneysen, Enno Rudolph 110, 154, 180 A., 229f. Brenneysen, Johann Philipp 44, 131, 134 A., 201 A. Breuneck, Gustav Carl, Kammerrat 115 A, 189 A

Breyde, Ilpern 225 Britts, Anna siehe Weyers, Anna Magdalena Brockes, Barthold Hinrich 84 A. Brückner, Hieronymus 28, 35f., 136, 204, 208 Brüggemeyer, Johann Hinrich 138 A. Brunius, Johann Bernhard 138 A. Bühren, Hermann Christian von 52 Cadovius, Carl Eberhard 112, 138 A., 149 A. Carstens, Johann Meinen 208 Christian Albrecht, Herzog v. Gottorf 201 Christian V., König v. Dänemark 202 Christian, Carl 208 Christiane Eberhardine von Ansbach-Bayreuth, 137 Clasen, Peter 127, 175 Clausen, Hinrich 152 A. Claussen, Claus 47f., 53 A. Claussen, J. C., Pastor 122 Closter, Christian 16, 21, 34f„ 69, 114, 122 A., 124f„ 132 Closter, Haro Joachim von 181, 260, 263 Clüver, Detlef 86 Coldewey, Levin 137 Coldewey, Pastor in Golzwarden 166 Cordes, Härmen 117 Crane, Johann 47f., 53 A. Culemann, Gregor 9, 78, 81, 98f., 103, 159, 225,243 Dagerath, Johann Anton, Amtsvogt 161 Damm, Conrad Christopher von 246f. de Pottere, Johann 227 Delumeau, Jean 95 Derham, William 84 Docius, Anthon Günther 125 A. Dodten, Caspar 45 Doekes, Simon 82 Dreyer, Valentin 38, 116 Dubravius, Stephan 122 A Dumbstorff, Joh. Nie., Amtsvogt 211 Eberhard Ludwig, Herzog von Württemberg 135

Namensregister Eiben, Heinrich Friedrich 138 A. Eibes, Eide 221 Eilers, Hinrich 89, 210 A. Emmius, Taco Friedrich 259, 263 Engelbrecht, Jörg 195 Engelmann, Pastor, Padingbüttel 111 Enno Ludwig, Fürst von Ostfriesland 230 Erleffs, Frerich 221 Fabers, Rolf 208 Fabricius, Hinrich Albrecht 21, 25, 29, 38f., 53, 114f., 126, 133, 233ff. Fabricius, Johann Albert 84 A., 85 A., 94 A. Falck, Otto Wilhelm 89 Feddersen, Harro 257 Ferar, Christian Ludwig 16, 140 Fischer, Henrich 114, 122 A. Fock, Albert 28 A. Francken, Lübbe 161 Friedrich III. von Gottorf 168 A. Friedrich IV., König von Dänemark 47f., 50f., 53, 145, 172, 189f„ 195, 203, 206, 249 Froböse, Jobst 214 A., 216 Fromann, Johann Andreas 138 A. Frydag, Franz Heinrich von 113 Fuchs, Geheimrat, Dänemark 47 A. Fuchs, Graf von 236 Funck, Christian 10, 16, 31 A., 56f., 82, 203 Fürst, Aron 166 Georg Albrecht, Fürst von Ostfriesland 37, 55, 76, 82, 107, 112f, 134, 136, 141, 144, 157 A„ 159, 179 A., 180f., 183f., 201 A., 205, 207, 219, 244, 249, 254, 259, 263 Georg I., König von England 12, 46, 133, 170, 181, 193,238 Gerdes, Zimmermann 222 Gödeken, Dietericus 35, 58 Goethe, Johann Wolfgang 6 Goldschmidt, Jonas 181 Goldschmidt, Levi 181 Graba, J.A., Kanzleirat 261 Grell, Pastor 133 Große, Ludolph Hermann 141 Gude, C. R., Regierungsrat 175, 188 A.

307

Haase, Hinrich 118 Hackmann, Jodocus 238 Hagen, Christian von 116 A., 118, 126 A„ 133, 145 A. Hagius, Christian Friedrich 138 A. Halem, Gerhard Anton von 10 Hallard, Ludwig Nicolas von 137f. Hansen, Reimer 195 Harkenroht, Isebrand Eilert 135 Harkenroht, Jakob Isebrand 9, 79, 243 Harlem, Blasius von 193 A. Harting, David Matthias von 207 Harten, Bernd von 115 A. Hasse, Hausvogt, Oldenburg 52 Hawerken, Joh. Friedrich, Amtsvogt 52 Hayen, Jürgen 152 A. Hazard, Paul 100 Heberle, Hans 103 A. Heide, Johann Friedrich von 138 A. Heimreich, Anton 10, 61 Hekelius, Johann Christian 9, 16, 23, 25, 28, 31 A„ 33, 37, 41, 61, 65, 69f„ 73, 76, 80, 84-87,91,98, 101, 110, 125, 204, 219, 222, 247 Hellmts, Johann Conrad 209 Helm, von, Landvogt 30, 33, 145, 203, 261 A. Hencke, Georg Johann 80f., 86, 95, 106, 137, 220 Hessling, Gerhard 187 A., 227 Hindrichs, Dyke 34 Hinrichs, Ammen 260 Hochstetter, Christian 81 Hofstee, Evert William 195 Holens, Bürgermeister, Norden 259 Holstein, Johann Georg von 176 Homann, Jophann Baptista 11, 62 Homfeld, Hans 227 Homfeld, Poppe 187 A., 227f. Hopfenstock, Johann Christoph 135 Horst, Kammerrat, Ostfriesland 139 Hotes, Bruno 141 Ibbecken, Rudolf 58, 69,144, 265 Ihering, Sebastian 27, 205 Itjen, Johann 258 Jacobs, Sievert 208 Jani, Johannes 82 Jansen, Focke 153 A. Jansen, Johann Friedrich 10f., 18, 61 f., 64f., 70, 77, 81 f., 86f„ 93, 95ff., 100f., 104f., 142, 212f.

308

Namensregister

Jansen, Poppe 89, 210 A. Janß, Garreit 34 A. Jobcken, Edzard 208 Johann Adolf von Gottorf 103 Johann August von Anhalt-Zerbst 231 Johanns, Eibe Siade 34, 36, 45, 93, 97, 111, 124, 147 A., 193 A., 203f., 223, 243, 246, 258 Johannsen, Tischler 222 Johannsen, Frerich 161 Kamien, Albert 165 Kampen, Jacob 227 Kant, Immanuel 6 Kappelhoff, Bernd 230 Kendrick, T. D. 6 Kepler, Johannes 84 Kettler, Jan Volrad 141f., 157 A., 159, 168 A., 206, 207 A., 223 A., 248 Kettler, Johann Dietrich 14, 31, 33, 56, 71, 73 A., 77, 99, 112, 155f., 209f., 221, 243, 260 Keyser, Dietrich 132 Klein, Johann Hartmann 58 A. Klopp, Onno 10 Klug, Franz Erdmann 51, 150 A., 164 A„ 175, 254 Koch, Conrad 138 A. Koch, Johann Redlef 210 Kohlmeier, Johann Heinrich 138 A. Krüger, Christian 115 A. Kuhla, Heinrich Otto von der 160 A. Kuhlmann, Abel 115 A. Lahusen, Johann Friedrich 141 Lambsen, Andreas 166 A. Lammers, Dirk 192 A. Lang, Arend W. 11 Laplace, Pierre Simon de 85 Laß, Johannes 61 Laubegois, Rechenmeister 180 Laußmann, Jeremias 140 Lawrentz, Hinrich 118 Leibniz, Gottfried Wilhelm 95 Leinern, Burggraf 208f. Lengering, v., Administrator 227, 263 Loewenstein, Gerhard Henrich 138 A. Lohendahl, v., Justizrat 175 Lübben, Lübbe 258 Lubieniecki, Stanislaw 86 Lucht, Heinrich 225

Maasse, von der, Etatsrat 44, 54 Magini, Giovanni Anthonio 102 Marcelius, Rentmeister 56 Martensen, Matthias 53 Matthiesen, P., Midlum 214 Mecklenborg, Claes 224 Meiners, Steno Moritz 52 Meints, Härmen 262 Meyer, Libert 137 Meyer, Martin 215f. Meyfart, Johann Matthäus 105 Michaelsen, dän. Kommissar 175 Milnitz, Hausvogt, Amt Tondern 53 Möller, Benedictus, Amtsvogt 235 Münnich, Anton Günter von 93, 178, 180-183, 226ff., 231 f., 260 Münnich, Christian Wilhelm von 44, 131,134A. Münnich, Johann Rudolf von 49ff., 117, 122, 145, 174, 188, 228, 232ff., 243f., 25 lf, 254 Newton, Isaac 83 Neynaber, Proviantkommissar

115 A.,

122

Norden, Wilhelm

140

Obbesen, Lobbe 220 A. Onnen, Arien 23 Ortgiesen, Pastor in Etzel 29 Otten, Mamme 131 Outhof, Gerhard 8, 17, 61 f., 65, 86 Owens, Jacob 193 A., 195 A. Palm zu Ehrenburg, Amtmann 46 Paradies, Wilhelm 211 Pauli, Ferdinand 123, 128 A. Peters, Hinrich lOlf. Peters, Ihno 259 Peters, Isebrand 23 Philipp, Graf von Gödens 208 Phoenixberg, Povel Johannes 106 Pichler, Ferdinand 33, 209f. Picker, Jacob Dircks 260 Piper, Jacob 58 A. Polmann, von, Drost 56 Posteis, Landessekretär 237 Praun, Daniel Hieronymus von 184 Pritzbuer, Oberlanddrost 50 Rahstedte, Anna 208 Rasch, Thomas 163

Namensregister Ray, John 84 Reen, Jan van 17 Reinders, Jan 34 A. Renemann, Friedrich, Amtmann 32, 177, 204, 258 Reutemann, Martin 53, 235 Reuter, Simon Henrich 94 A, 95 A. Revers, Agte 112 Rippe, Weyert 212 A. Rispeler, Jost 89 Ritzius, Samuel 153 A. Rohde, Hans 16 Rohde, Johann 161 Röhmer, Hans Christoph, Amtsvogt 13, 29, 33, 38, 53, 64, 93, 116, 143, 145, 165 A., 173, 201 A., 211 A., 244, 246, 248, 252 A., 254 A. Röhmer, Moritz 53 Röhricht, Landphysikus 141 Rolffs, Härmen 210 Rolffs, Zimmermann 222 Römeling, Christian Anton 91 Rosien, Peter Hinrich 61 A., 158 Rupershoff zu Wildeshausen 46 Rüsten, Behrend 206 Rüthning, Gustav 10 Sanders, Albert 118 Saucke, Hieronymus 267 A. Sax, Peter 242 A. Schacht, August Friedrich von 142, 206 A., 207 A., 248 Schack, Graf Hans 47 Schäfer, Schreiber 48 Schamelius, Johann Martin 80, 87 Schipper, Johann Jacob 163 Schleiff, Christian Eberhard 207 Schleiff, Johann Peter 181, 260 Schlüter, Oberst, Bremervörde 46 Schmit, Johan Eden 34 Schneider, Christian Wilhelm 138 Schölten, Jobst von, General 47 A., 256 Schräder, Johann, Justizrat 47f. Schreiber, Johann 138 A. Schröder, Andreas 138 A. Schuchard, Inspektor 138 A. Schulten, Alexander von, Ritterschaftspräsident 159 Schwencker, Amtsvogt, Butjadingen 235 Sehestedt, Christian Thomsen von 42, 50f,.53 A„ 55, 119, 121-124, 132, 143,

309

150 A., 158, 164 A., 165, 175, 189, 232, 235, 253, 255 Sibbern, Tante 16 Siebs, Benno Eide 11, 140 Sieverts, Jacob 208 Simons, Michel 208 Spörcken, von, Hauptmann 29 Staudach, Karl Ferdinand von 26, 33, 209, 221 Stoers, Friedrich 111 Stoltnau, Julius Ludwig 80, 105f. Storm, Theodor 91 Strackerjan, Johann Andreas 265 Ströhmer, Dirck Weßels 208 Stuermann, Thomas Ernst 180 A. Stürenberg, Cirk Hinrich 38, 113 Stürenberg, Dietrich Ulrich 228 Stürenberg, Johann 45 Swart, Friedrich 195 Tammena, Ajold Heinrich 181 f., 263 Tammena, Assessor, Emden 263 Tantze, Sengwarden 91 Teelmann, Deichrichter 73 Teepcken, Oberrentmeister 154,156 ter Haar, Gerardus 135 Thaden, Conrad Anton 138 A. Thaw, Johann 138 A. Tysen, Jakob 17 Ulrich II., Fürst von Ostfriesland 230 Umbsen, Frerich 133 Ummen, Konrad Joachim 8, 13, 27, 82, 85, 87, 148 Uphoff, Jürgen 210 Vechtmann, M., Pastor Vilands, Claes 221 Visbeck, J. H. 198 Voltaire 6,83 Voß, Hans 261

122 A.

Wallichs, Jürgen 208 Waither, Heinrich Heimreich 13, 21, 60ff„ 65, 70 Wardenburg, Ernst Günther, Etatsrat, Amtsvogt 132 Wasmer, von, Etatsrat 48 A., 53 A. Wedderkop, Landgerichtsnotar 261 Wehling, Jan Jacob 16, 77 Weise, Konferenzrat, Dänemark 175

310

Namensregister

Werlen, Matthias von 208 Weyers, Anna Magdalena 131 f. Weymann, Fourageverwalter 53 Wiarda, Tilemann Dothias 10, 76, 107, 156, 170, 200, 242 Wiarda, Tilemann Dothias 265 Wiencken, Conrad 115 Wiggers, Balthasar 115 A. Wilts, Gerd 262

Witzleben, Adam Levin von 141 Wolff, Christian 87 A., 100 Wulffers, Garmer 260 Zernemann, Johann 26 Zimmermann, Joachim J. D. 84 A. Zinck, Samuel 91 Zur Mühlen, Kommissar, Ostfriesland 248

Ortsregister Abbehausen 16, 21, 29, 34f., 60, 68f., 114f., 118, 120f., 123f., 126, 130, 132f., 140, 144, 149 A., 151, 173, 175, 189, 190f., 209, 254 Accum 223 Afrika 1 Ahndeich 161 Altenbruch 75 Altenhuntorf 120 Altes Land 14, 19, 26, 41, 45f., 71 A„ 72, 76, 170 A., 237, 239, 241 Altona 192 Anhalt-Zerbst, Fürstentum 11, 128 A., 231 Anjou 59 Apen 252 Appingdam 135 Armenien 1 Asien 1 Assel 26, 176, 247 Atens 36, 114, 119 A., 123. Aurich 18, 31 f., 56, 67, 71, 82, 108, 113, 137, 155, 157, 203, 205, 208f., 216, 227 Ballum 197 A. Baltrum 112, 138 A., 149 A. Bangla Desh 1 Bardenfleth 120, 123 Barlt 61,65,70,75 Basbeck 170 A. Bebenhausen, Kloster 81 Bedekaspel 138 A„ 139 A. Beidenfleth 78 Benevent 2 Bense 44 Berdum 26, 137f., 223 Berlin 179, 185 Berum 18, 21, 23, 29, 32, 44 A., 60, 67, 78, 112, 141, 168 A., 204 Bettewehr 73 Blauhaus 73 Blaukirchen 26f., 58 A., 138 A., 139 A. Blersum 16, 140 Blexen 18, 53, 60, 89, 115, 120f., 123, 125, 143, 151, 165, 189, 190 A., 209, 234f„ 254 Blumenthal 19 Bockhorn 251 Bordelum 171

Borsten 264 Böse Hörn 18 Bramel 246 Braunschweig 179, 185 Braunschweig-Wolfenbüttel 229 A. Bredstedt 171, 194 Bremen, Hzgt. 12, 19, 29, 38f., 46f., 55f., 60, 63,66,69,71 A., 113, 116, 131 f.-, 136, 144, 150f., 157, 159, 169f., 176ff., 192f., 215, 221, 223 A., 233, 237ff., 242, 245, 254 Bremen, Stadt 114, 131, 136f., 188 A., 192 Bremervörde 29,36 Brookmerland 18 Brunsbüttel 19f., 48f, 58 A., 60 A., 61, 65,70 Brunsodder Koog 257 A. Bunde 260 A. Burhave 18, 58, 64, 120f„ 123, 151, 189, 190 A„ 196f., 234f„ 250, 265 Burmönken 209 Büsum 20,61,64,70,75 Butjadingen 10, 16, 18, 27, 42, 50f., 57f., 59, 60, 62f., 66f., 69, 74f„ 121, 131, 136, 140, 143, 145, 150, 166, 196, 199, 216, 219, 223 A., 234, 242f„ 246 A„ 250f„ 254 Buttforde 137f. Bützfleth 176,247 Canum 73 Charlottenpolder

209

Dänemark 4, 14, 103, 106, 249 Dedesdorf 140 Deezbüll 20 Delfzijl 21,204 Delve 75 Dieksende 170 A. Dingen 221 Dithmarschen 14, 20, 25, 30, 33, 35, 39, 41f., 44, 48f., 60, 64, 66 A., 69f., 75f., 111, 114, 140, 145, 150, 162f., 167, 171, 194, 197, 203, 221, 249, 252, 256, 261 Ditzum 227 Dornum 17f., 45 A., 80, 186, 203 A., 260 Dornumer Groden 101 Dornumer Siel 69

312

Ortsregister

Dörpling 261 Dorum 19, 157 Drochtersen 176, 240, 247 Eckwarden 60, 64, 66f., 76, 118, 120f., 123, 128 A., 144 A., 151, 152 A, 161, 167, 189, 190 A., 196, 234f. Eddelak 42, 48f., 61, 65, 70, 75, 111, 176, 249f., 256 Eggelingen 137f. Eiderstedt 16, 20, 49, 53, 61, 65, 70, 157f., 163, 167f., 171, 176, 194, 200 A., 245, 250, 252, 255 Eißel 143 Ellwürden 77 Elsfleth 112, 116, 141, 201 A., 252 Emden 8f., 18, 26, 31f., 56, 71, 73, 82, 129, 135f., 144, 170, 181, 184, 185 A„ 186ff., Engerhafe 210 A., 216, 227ff., 242, 259f., 263f. England 34, 83f., 103 Esens 17f., 44, 60, 67, 78, 131, 134, 137ff., 206 A„ 219f., 222 Esenshamm 119 A„ 123, 130, 164,223 A. Esgrus 58 A. Essen 254 Etzel 26, 29, 205 Europa lf., 7f. Fahretoft 20 Fedderwarden 18 Föhr 171 Forlitz 58 A., 138 A. Frankreich 83, 85, 103 Freepsum 73 Friedeburg 18, 29, 44 A„ 67, 139 A., 208,221 Friedrichstadt 171 Friesland 59 Funnix 35, 138 Garding 70 A. Garmsiel 211 A. Geestendorf 170 A., 246f. Glaucha 80, 137 Glückstadt 17, 19f., 60, 114, 162, 171, 266, 267 A. Gnadenfeld, Gut 191 A. Gödens, Herrlichkeit 18, 208 Golzwarden 119 A., 123, 132, 142, 144 A., 152 A„ 161, 166, 190 A„ 244

Gottorf 103f., 168 A. Grafenkoog 61 Gram 48 Greetsiel 18, 31, 67, 130, 139 A., 144, 157 A., 208, 210 A., 212 A. Griechenland 103 Grimersum 34 Gröde 62 A. Groningen 39, 142 A., 195 Großenmeer 120, 123 Großenwörden 170 A., 193 A. Großmidlum 264 Grothusenkoog 16,61 Hadeln 12, 19, 41, 60, 63, 66, 75, 206f. Hadeln 235f., 266 Hage 29 Hagen 66,72,114,136 Halle 9,80,110,137 Hamburg 2, 8, 12, 14, 19, 60, 70, 80, 86, 113, 133, 166, 192, 266 A. Hameln 205 Hammelwarden 18, 38, 53, 63f., 67, 74, 116, 119 A„ 123, 136, 173, 189, 190 A., 201 A., 211,244, 250 Hannover 12, 19, 32f, 45ff., 50 A., 55, 113, 169, 177f„ 180f., 185f., 193, 205, 221 A., 238, 245, 263 Harlinger Land 16, 18, 55, 58, 60, 63, 68, 69, 71, 73, 78, 109, 139f., 220, 223, 230 Harlinger Siel 17,131,219 Hartwarden 44 A. Hatshausen 138 A., 139 A. Hattstedter Marsch 20 Hayenschloter Hammerich 125 A. Hechthausen 170 A. Hecklauer Koog 250 Hedwigenkoog 61, 64, 66 A., 70, 76, 166, 261 Heide 75 Hemm 170 A. Hemme 75 Hennstedt 61,64,70,75 Herborn 86 Hinte 135 Hohenkirchen 68, 133 Holland 195 Holstein 9, 12, 19, 47, 50 A., 51, 53ff., 60, 64,69, 111, 127, 143, 158, 168, 171, 175, 194, 216, 240, 249, 255, 267 Hooge 65,70f.

Ortsregister Horst 170 A., 193 A. Horsten 205,208 Husum, Amt u. Stadt 14, 20, 48f., 61, 70, 134, 171, 172 A„ 194 Imsum 140 A., 221, 222 A., 223 Italien 101 f., 103 Itzehoe 114 Itzendorf 260 Jade 189, 190 A. Jever, Herrschaft 8-11, 13f, 16, 18, 32, 38-41, 44 A., 57, 60, 63, 66, 68f„ 76ff., 82, 95, 107, 113, 128 A., 133, 137, 148ff., 160, 164, 177, 192, 196, 205, 206 A., 208, 209 A., 210, 211 A., 219, 221, 231 Jever, Stadt 32, 35 Juist 138 A. Jütland 195 Käseburg 251 Kehdingen 14, 19, 46, 60, 66, 71 A., 170 A„ 176, 193, 215 A., 216, 239f„ 243 A., 245, 247 Kiel 216 Kloosterburen 17 Kniphausen 10, 12, 24, 60, 63, 66, 69, 91 Knockster Siel 73 Kollmar 60 Kopenhagen 47, 49, 53, 114f., 124, 131 f., 141, 189, 195, Krempe 158, 171 Krempermarsch 49, 57, 60, 64, 168, 250 Landwürden siehe Würden Langeneß 62, 65, 70 Langeoog 58 A., 138 A. Langwarden 18, 60, 63, 66, 88, 116 A., 118, 120, 123, 126 A„ 128, 133, 145 A„ 146,197 Larrelt 9, 17, 42, 73, 79, 178, 243 Lauenburg 12 Leer 18, 31, 44 A„ 67, 109, 181, 183 Leerhafe 205 Leerort 184 A. Lehe 150 Leipzig 81 Linteler Marsch 153 Lissabon 6 London 83

313

Loppersum 28 A., 73 Loquard 73, 138 A. Lübeck 50 A. Lüdingworth 75 Lunden 20, 64, 70, 75, 167 Lundenbergharde 250 Lüneburg 254 Lütetsburg 18, 25, 186, 259f. Maasbüll 20 Marienhafe 211 A. Marienhausen 32, 177, 204 Mariensiel 18, 208, 258 Marne 60 A„ 61, 65, 70, 75, 140 Meldorf 30, 35, 48, 61, 65, 70, 140, 176, 250 Messina 2 Middoge 68 Midlum 73,214 Minsen 57,68, 150 Mittelamerika 1 Mooriem 53, 190 A., 244, 252 Münster 188 A. Naumburg 80 Nesse 36, 137, 170 A. Neßmersiel 23 Neuenbrok 120, 123 Neuenburg 141, 252 A. Neuende 10 Neuenkirchen, Dithmarschen 61, 64, 70, 75, 167 Neuenkirchen, Gericht 170 A. Neuhaus 39f., 46, 60, 72, 140, 170 A., 193 A., 223 A. Neukirchen 127 Neuland 240 Neustadt Gödens 30 A. Niederlande 4, 14, 129, 136, 147, 158, 180, 183ff., 187, 262 Norden 18, 31, 39, 44 A„ 56, 60, 71, 73 A., 77, 99, 112, 124, 139 A„ 159, 184, 206, 208ff., 221, 227, 249, 259 Norderdithmarschen 14, 20, 41, 49, 60f., 64, 70, 75, 162, 166f., 171, 194f., 197, 261 Norderkwartier 59 Norderney 138 A. Nordfriesland 20, 65, 69f„ 76 Nordholtz 142 Nordhusen 49 Nordmarsch 62, 65, 70f.

314

Ortsregister

Nordstrand 20f„ 41 A„ 62, 65, 70, 168, 171,201 Nordstrandischmoor 62, 65, 70 Nürnberg 62 Oberledingerland 32 Oberndorf 170 A., 193 A. Ochtelbur 28 A. Ockholm 20 Oland 65,70 Oldenbrok 115, 120, 123, 190 A. Oldenburg, Grafschaft 11,14, 18f., 21, 29f„ 33, 38f., 50f., 52-55, 59f., 63, 67, 69, 74, 76f., 98f., 11 lff., 115-119, 121, 123, 125f., 128, 131 f., 141, 143, 145f„ 151, 154 A„ 157f„ 161, 165, 167, 169, 173, 175, 178, 188, 190f., 196f., 202f„ 206, 208, 215f„ 221f., 232ff., 235, 239, 244,248,251-254 Oldenburg, Stadt 29, 50, 55, 116 Oldersum 18, 38, 264 Oppeln 38 Osteel 35,78 Osten 29,35, 71 A., 72, 170 A., 193 A. Osterhever 61 A. Österreich 7, 104 A. Osterstade 19, 44 A„ 46, 170 A., 193 Ostfriesland 4 A., 9-11, 14, 17, 21, 23f, 26f, 29, 31, 34-38, 41f., 43 A., 45, 55f., 60, 63, 66ff„ 69, 71, 73f., 76f„ 79f., 82, 89, 92, 98f„ 101, 105-110, 112f„ 123f., 128, 131, 134-137, 144, 149, 151, 153f., 157, 159f, 167, 170, 173, 178-185, 188, 195, 200, 202, 204, 208, 210, 215, 219, 221 f., 226, 229, 239, 241, 243ff., 248, 259, 262, 264 Otterndorf 60, 75, 236f., 266 Ovelgönne 13 lf., 166 Padingbüttel 45 A., 111, 124, 203 A. Paris 83 Pellworm 20, 41 A., 62, 70, 76, 78, 171, 172 A., 194, 195 A., 222, 266 A. Petkum 18,264 Pewsum 16, 18, 31,44 A„ 67, 77, 138 A. Philippinen 1 Polen 86, 229 A. Poppenbüll 70 A. Porrenkoog 20,48 Preußen 180 A., 188 A.

Rastede 251 Reepsholt 205,209 Resterhafe 9, 23, 31 A., 80, 223f. Rheiderland 32, 204, 227 Riepe 18, 112, 128f., 208 Rintzel 19 Ritzebüttel 19, 60, 63, 66, 69, 133 Rodenäs 127, 129, 175 Rodenkirchen 119 A„ 120f., 123, 142, 144 A., 152 A„ 161, 169, 189, 190 A., 244 Roggenstede 138 A., 211 A. Ruhwarden 74 Rysum, Herrlichkeit 18, 73, 249 A. Sachsen 12, 136f., 229 A. Sande 219 Schiffdorf 246f. Schleswig, Hzgt. 12, 19, 47, 51, 53ff., 60, 64,69, 111, 127, 143, 158, 171, 175, 194, 240, 249, 255, 267 Schleswig, Stadt 129 Schleswig-Holstein 195 Schoonort 34, 157 A., 212 A., 249 Schortens 203 A. Schwabstedt 171, 172 A. Schweden 103 Schwei 18, 52, 118, 120f., 123, 146, 189, 190 A„ 252 A. Schweiburg 18, 151, 197, 250f„ 252 A. Seefeld 120, 122 A., 123 Seester 60 Sengwarden 137 Seriem 44 Simonsberg 49, 194, 250, 255 Skopje 2 Spiekeroog 138 A. St. Joost 68 St. Margarethen 221 St. Peter Ording 61 Stade 11, 29, 32f., 35f., 40, 42, 45, 47, 60, 114, 169f„ 192, 205, 214f„ 221, 237, 245 Stadland 18, 93, 136, 201 A. Steinburg 44 A., 171 Sterdebüll 20, 171 Stollhamm 18, 58, 60, 64, 69, 76, 120f., 123, 143, 144 A., 151, 161, 167, 189, 190 A., 197, 211, 222, 223 A., 235, 248 A., 265 Stotel 72, 170 A.

Ortsregister Strückhausen 13f., 18, 30 A., 44 A., 63f., 67, 75 A., 116, 118 A., 120, 123, 126, 150, 165, 169, 173, 190 A„ 211, 244, 246 A. Sudan 1 Süderdithmarschen 25, 30, 33, 35, 41f., 44 A., 48, 60f„ 64f„ 70, 75, 111, 114, 133, 145, 163, 171, 172 A„ 194, 203, 249, 252, 256 Süderhastedt 25 Suurhusen 73, 135 Sylt 84, 171 Tating 61, 157 Tellingstedt 75 Tettens 18,68 Tondern, Amt und Stadt 20,47f., 53, 127, 129, 171, 175f., 194, 201, 257 A. Tönning 62,266 Tossens 64, 66f., 119, 120, 123, 219 Ueterlander Siel Uphusen 24 Utarp 223 Uttum 130

19

Verden 239 Viehland 46, 170 A. Viktorbur 138 A., 139 A., 249 A. Waddens 18, 57f., 64, 120f., 123, 211, 250 Waddewarden 68 Warstade 170 A. Weddingstedt 75 Werdum 35, 44, 58, 219 Wesselburen 61, 64, 70, 75, 162f., 167, 261 Westeraccum 44, 138 A.

315

Westeraccumer Siel 25, 142 Westerhever 61 Westerholt 23, 31 A„ 137 Westermarsch 153,259f. Westernieland 23 Westerstede 252 Wetzlar 186 Wewelsfleth 224 Wiarden 57 A., 68, 150 Wiedingharde 176, 194 Wiefels 68 Wiegboldsbur 138 A, 139 A. Wien 183,186,226 Wilster 9,81,166,171,243 Wilstermarsch 9, 14, 16, 19, 30, 34, 43 A., 49, 54, 57, 60, 64, 78, 98, 158, 168, 194, 221,241,250 Wirdum 227 Wischhafen 19, 193f., 240, 245 Wittmund 18, 28, 30 A., 34ff., 44 A., 60, 67,71, 113, 134, 136, 138f„ 204,206,208 Wolde 73 Wolthusen 153 A. Woltzeten 73 Woquard 138 A. Wremen 17, 19, 203 A„ 258 Wulsdorf 170 A„ 246 Würden 19, 50 A., 118 A., 119 A„ 126, 140, 151f„ 189, 190 A.. Wursten 16f„ 19, 26, 34, 41 A., 42, 45f„ 60, 63 A„ 71 A., 72, 78, 93, 97, 111, 124, 140 A., 142, 170 A., 192, 198 A., 203f., 216, 221,223, 233,239, 258 Württemberg 81, 134f. Wybelsum 138 A. Zerbst 231 Zetel 251,253 Zwentendorf 7

Ancien Régime Aufklärung und Revolution Band 1: Günther Lottes Politische Aufklärung und plebejisches Publikum Band 2: Susanne Petersen Lebensmittelfrage und revolutionäre Politik in Paris 1792 -1793 Band 3: Klaus Deinet Konrad Engelbert Oelsen und die französische Revolution Band 4: Hans Ulrich Gumbrecht, Rolf Reichardt, Thomas Schleich (Hrsg.) Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich Band 5: Emmanuel Joseph Sieyes Politische Schriften 1788 -1790 Band 6: Gerd van den Heuvel Grundprobleme der französischen Bauernschaft 1730 -1794 Band 7: Michel Vovelle Die französische Revolution Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten Band 8: Hans-Jürgen Lüsebrink Kriminalität und Literatur im Frankreich des 18. Jahrhunderts Band 9: Die französische Revolution - zufälliges oder notwendiges Ereignis? Band 10: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680 -1820 Band 11: Manfred Agethen Geheimbund und Utopie Band 12: Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit Band 13: René Louis d'Argenson Politische Schriften Band 14: Ulrich Christian Pallach Materielle Kultur und Mentalitäten im 18. Jahrhundert Band 15: Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins Band 16: Aufklärung und Geheimgesellschaften Band 17: Charles-Irenée Castel de Saint-Pierre Kritik des Absolutismus Band 18: Otto Ulbricht Kindsmord und Aufklärung in Deutschland Band 19: Hans-Christian Harten Elementarschule und Pädagogik in der französischen Revolution Band 20: Michael Meinzer Der französische Revolutionskalender (1792 -1805) Band 21: Erich Pelzer Der elsässische Adel im Spätfeudalismus Band 22: Elisabeth Botsch Eigentum in der französischen Revolution Band 23: Stefan Breit „Leichtfertigkeit" und ländliche Gesellschaft