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German Pages 208 Year 2017
Schriften zum Internationalen Recht Band 221
Stufenordnung und Verfahren der Setzung von Rechtsnormen in der Volksrepublik China Eine historische und normative Studie
Von
Xiaodan Zhang
Duncker & Humblot · Berlin
XIAODAN ZHANG
Stufenordnung und Verfahren der Setzung von Rechtsnormen in der Volksrepublik China
Schriften zum Internationalen Recht Band 221
Stufenordnung und Verfahren der Setzung von Rechtsnormen in der Volksrepublik China Eine historische und normative Studie
Von
Xiaodan Zhang
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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D30 Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-15229-2 (Print) ISBN 978-3-428-55229-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85229-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main im Wintersemester 2016/2017 als Dissertation angenommen. Literatur konnte bis einschließlich Juli 2016 berücksichtigt werden. Für mich war die Erstellung dieser Arbeit eine Herausforderung und eine persönlich bereichernde Erfahrung zugleich. Über die vier Jahre der Entstehung dieser Arbeit haben mich viele Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle aufrichtig danken möchte. In ganz besonderem Maße habe ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Ingwer Ebsen zu danken. Er gab mir die Anregung zu diesem Thema. Durch seine konstruktiven Anmerkungen und Hinweise sowie nicht zuletzt seine jederzeitige Diskussionsbereitschaft hat er entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Ich bedanke mich auch bei Herrn Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg, der auch Betreuer meiner Masterarbeit im Jahr 2012 war, für seine Erstellung des Zweitgutachtens. Meine Frau Dr. Wenjia Yan hat mein gesamtes Studium und diese Arbeit mit unbeschreiblichem Engagement unterstützt. Sie hat durch ihr Verständnis und ihre Ermunterungen zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen. Am wichtigsten ist aber, dass sie in dieser Zeit unseren lieben Sohn geboren hat. Besonderer Dank gebührt meiner Familie: meinen Eltern Herrn Lunhui Zhang, Frau Mingqiong Zheng, meinen Schwiegereltern Herrn Chenglin Yan, Frau Li Lu, meiner Großmutter Frau Yilan Cai und meinem großen Bruder Herrn Caihong Zhang. Sie haben es mir ermöglicht, meine Ziele zu verwirklichen und mich stets in jeglicher Hinsicht umfassend unterstützt und gefördert. Frankfurt am Main, im März 2017
Xiaodan Zhang
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Rechtsetzung – westliches Paradigma und chinesische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1. Kapitel Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems durch Rechtsetzung
25
A. Modernisierung des chinesischen Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. „Modern“, „Modernität“ und „Modernisierung“ im chinesischen Kontext . . . . . . 25 II. Bildung des instrumentalistischen Rechtsverständnisses im Prozess der Modernisierung des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Modernisierung der traditionellen Werte Chinas oder Instrumentalisierung der Werte des Westens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Der erste Modernisierungsversuch: Rechtsreform in der Spät-Qing-Dynastie . . . . . . . 37 I. Das ursprüngliche Motiv der Rechtsreform: die Beseitigung der Exterritorialität und anderer Sonderrechte westlicher Großmächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Verfassungsreform in der Spät-Qing-Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Rechtsreformen in den Bereichen Straf- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 C. Der zweite Modernisierungsversuch: die Schaffung des „Sechs-Kodex-Systems“ in der Republik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Die Gesetzgebung in der Zeit der Beiyang-Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Die Gesetzgebung der Nanjing-Nationalregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Das Verhältnis von KMD und Gesetzgebungsorganen in der RCh . . . . . . . . . . . . . 60 D. Der dritte Modernisierungsversuch: die Entstehung des „neu-demokratischen“ Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 E. Der vierte Modernisierungsversuch: Entwicklung eines sozialistischen Rechtssystems von 1949 bis 1978 in der VRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Abschaffung des „Sechs-Kodex-Systems“ der Nanjing-Nationalregierung . . . . . . 66 II. Formalisierung des sozialistischen Rechtssystems von 1949 bis 1957 . . . . . . . . . . 67 III. Zusammenbruch des Rechtssystems von 1957 bis 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
8
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Die zentrale Rechtsetzung
70
A. Formalisierung als Voraussetzung der staatlichen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Die Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Politik und Gesetzgebung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Die KPCh und die staatliche Gesetzgebung als entsprechender Ausdruck des Verhältnisses von Politik und Gesetzgebung in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Die Formalisierung der Gesetzgebung innerhalb des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Die Erweiterung der Rechtsetzungssubjekte auf der zentralen Ebene . . . . . . . . 76 2. Die Erweiterung der Rechtsetzungssubjekte auf der territorialen Ebene . . . . . . 79 3. Das GGG als Symbol des Zwischenerfolgs der Formalisierung der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Das Problem der verfassunggebenden Gewalt in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Die Geltung der VVRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 C. Gesetze (falü) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Der Nationale Volkskongress, seine Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Die Gesetzgebungskompetenz des NVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Gesetzgebungsverfahren des NVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Die Gesetzesinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Beratung des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Beratung des Gesetzesentwurfs durch die Plenarsitzung des NVK und Delegationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Beratung durch die Fachausschüsse des NVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Beratung durch den Rechtsausschuss des NVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) Ergänzende Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Anhörung des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 d) Zurücknahme des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 e) Verabschiedung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Der Ständige Ausschuss des NVK, seine Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Die Gesetzgebungskompetenz des SANVK und ihre Beziehung zu der des NVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Die Gesetzgebungsverfahren des SANVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Die Gesetzesinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Beratung des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Das Drei-Lesungen-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Beratungen durch die Fachausschüsse und den Rechtsausschuss . . . . . . 116
Inhaltsverzeichnis
9
c) Einholung der Ansichten sowie Anhörung zum Gesetzesentwurf . . . . . . . . . 117 d) Zurücknahme des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Verabschiedung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Die legislative Gesetzesauslegung des SANVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Die Geschichte der legislativen Gesetzesauslegung und das gesamte Rechtsauslegungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Das Wesen der legislativen Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Die exekutive Rechtsetzung des SR in China – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Die Gründe für die herrschende Stellung der exekutiven Rechtsetzung in China
130
1. Allgemeine Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Gründe aus der Eigenschaft des Gesetzesrechts und gewisser Schwächen der eigentlichen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Die Gründe aus moderner Staatsverwaltung und -regulierung . . . . . . . . . . . 132 2. Der Grund aus der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Die Quellen der Rechtsetzungskompetenz des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Rechtsetzung des SR aus seinen immanenten Kompetenzen . . . . . . . . . . . . 137 2. Die Rechtsetzung des SR aufgrund Ausführungsermächtigung durch Gesetz
139
3. Die Rechtsetzung des SR durch Beschluss des NVK und SANVK . . . . . . . . . . 140 4. Kurze Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Die Verfahren der Rechtsetzung des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Der jährliche Rechtsetzungsplan und das Beantragen der Aufnahme des Rechtsetzungsprojektes (lixiang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Das Entwerfen der VRN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Beschlussverfahren über die Entwürfe der VRN und deren Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Die Auslegung der VRN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 V. Regeln der Abteilungen des Staatsrats als spezielle Form der exekutiven Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
3. Kapitel Die territoriale Rechtsetzung
150
A. Grundlegende Probleme der territorialen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Die territoriale Rechtsetzung und ihr Verhältnis zur zentralen Rechtsetzung . . . . 150 II. Die Eigenschaft der lokalen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Das monistische, zweistufige Mehrebenen-Rechtsetzungssystem . . . . . . . . . . . . . 155 B. Der allgemeine Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze . . . . . . . 157 I. Der Grundsatz der Gebietsbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
10
Inhaltsverzeichnis II. Der Grundsatz des „Nichtverstoßens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Der Grundsatz der „lokalen vorzeitigen Rechtsetzung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Der Grundsatz des Wiederholungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
C. Die Arten der lokalen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Die einfache lokale Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Die Rechtsetzung der Regionen mit nationaler Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Die ermächtigte Rechtsetzung in Sonderwirtschaftszonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Das Verfahren der lokalen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Zwei wichtige Schritte: Die Genehmigung und die Meldung zu den Akten . . . . . 176 E. Regeln der territorialen Regierungen (difang zhengfu guizhang) als spezielle Form der lokalen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
4. Kapitel Die Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems
179
A. Die Festlegung der Rangverhältnisse der Rechtsnormen innerhalb des gesamten Rechtssystems und die Kollisionsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Überprüfungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Überprüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Überprüfungssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Überprüfungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
5. Kapitel Ergebnis der Untersuchung
185
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Abkürzungsverzeichnis AEV
Autonomie- und Einzelvorschriften (zizhi tiaoli he danxing tiaoli, ) BüVH Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über etliche wichtige Probleme bezüglich des allseitigen Vorantreibens der Herrschaft des Staates durch Gesetze (zhonggong zhongyang guanyu quanmian shenhua gaige ruogan zhongda wenti de juedin, ) BüVR Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über etliche wichtige Probleme bezüglich der allseitigen Vertiefung der Reform (zhonggong zhongyang guanyu quanmian tuijin yifa zhiguo ruogan zhongda wenti de jueding, ) CCP Chinese Communist Party (zhongguo gongchandang, ) GeschNVK Geschäftsordnung des Nationalen Volkskongresses (quanguo renmin daibiao ) dahui yishi guize, GeschSANVK Geschäftsordnung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (quanguo renmin daibiao dahui changwu weiyuanhui yishi guize, ) GGG Gesetzgebungsgesetz der Volksrepublik China (zhonghua renmin gongheguo lifa fa, ) ) GMD Nationale Volkspartei Chinas (zhongguo guomindang, ) GS Größere Städte (jiaodashi, GüBF Gesetz der Volksrepublik China über Bevölkerung und Familienplanung (zhonghua renmin gongheguo jihua shengyu fa, ) GüR Gesetz der Volksrepublik China über die Regionen mit nationaler Autonomie (zhonghua renmin gongheguo minzu quyu zizhi fa, ) GüVE Gesetz der Volksrepublik China über Verwaltungserlaubnis (zhonghua renmin gongheguo xingzheng xuke fa, ) GüVS Gesetz der Volksrepublik China über Verwaltungsstrafen (zhonghua renmin gongheguo xingzheng chufa fa, ) GüVZ Gesetz der Volksrepublik China über Verwaltungszwang (zhonghua renmin gongheguo xingzheng qiangzhi fa, ) KPCh Kommunistische Partei Chinas (zhongguo gongchandang, ) LSO Lokale Staatsorgane (difang guojia jiguan, ) LVK Lokale Volkskongresse (difang renmin daibiao dahui, ) NVK Nationaler Volkskongress (quanguo renmin daibiao dahui, ) OGNVK Organisationsgesetz des Nationalen Volkskongresses ( ) OVG Das Oberste Volksgericht (zui gao renmin fayuan, )
12 OVS PAS PKKCV RCh SALVK SANVK SmB SR SWZ TOG
TRN VANVK VRCh VRN VüBF VVAV VVRCh ZSO
Abkürzungsverzeichnis Die Oberste Volksstaatsanwaltschaft (zui gao renmin jiancha yuan, ) Provinzen, Autonome Gebiete, direkt der Zentrale unterstehende Städte ) (sheng, zizhiqu, zhixiashi, Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (zhongguo renmin zhengzhi xieshang huiyi, ) Republik China (zhonghua minguo, ) Ständige Ausschüsse der Lokalen Volkskongresse (difang renmin daibiao dahui changwu weiyuanhui, ) Ständiger Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (quanguo renmin dai) biao dahui changweihui, Städte mit Bezirken (she qu de shi, ) ) Staatsrat (guowuyuan, Sonderwirtschaftszone (jingji tequ, ) Gesetz der Volksrepublik China über die Organisation der territorialen Volkskongresse und der territorialen Volksregierungen aller Ebenen (territoriales Organisationsgesetz, zhonghua renmin gongheguo defang geji renmin daibiao dahui he defang geji renmin zhengfu zuzhifa, ) Territoriale Rechtsnormen (difangxing fagui, ) Volksabgeordnete des Nationalen Volkskongresses (quanguo renmin daibiao ) dahui daibiao, ) Volksrepublik China (zhonghua renmin gongheguo, Verwaltungsrechtsnorm (xingzheng fagui, ) Verordnungen über Bevölkerung und Familienplanung (jihua shengyu tiaoli, ) Verordnung über die Verfahren der Ausarbeitung der Verwaltungsrechtsnor) men (xingzheng fagui zhiding tiaoli, Verfassung der Volksrepublik China (zhonghua renmin gongheguo xianfa ) Zentrale Staatsorgane (zhongyang guojia jiguan, )
Einleitung Seit der Reform und Öffnung am Ende der 1970er Jahren entfaltet das Recht eine veränderte Funktion für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in China. Recht unterschiedlicher Formen und unterschiedlicher Hierarchieebenen ist zunehmend relevant als Rahmenordnung für Wirtschaft und Gesellschaft und als Steuerungsmedium für den Staat und innerhalb desselben. Mit dieser veränderten Rolle von Recht, den Ebenen und Formen von Rechtsnormen, den Verfahren der Rechtssetzung und der Kontrolle der Rechtssetzung soll sich die Dissertation beschreibend und rechtsvergleichend analysierend befassen. Die erst zu erforschende Frage ist, wie es zu solchem Rechtssystem gekommen ist und wie die Verfahren der Setzung der Rechtsnormen sind. Die zweite Frage ist, wie das riesige Rechtssystem funktioniert und was für eine Stufenordnung es hat, um als ein harmonisches, logisch geschlossenes System der Realität Chinas zu entsprechen. Neben der normativen und systematischen Untersuchung des vorhandenen Rechtsetzungssystems Chinas widmet sich diese Dissertation auch der historischen Dimension der Rechtsetzung Chinas seit Anfang des 20. Jahrhunderts, um die notwendige Vorgeschichte für das Verständnis des vorhandenen Rechtsetzungssystems Chinas zu liefern.
I. Rechtsetzung – westliches Paradigma und chinesische Praxis Diese Dissertation hat die chinesische Rechtsetzung zum Gegenstand. Als eine Untersuchung, die in deutscher Sprache vorzulegen ist und daher immanent eine rechtsvergleichende Methode voraussetzt, ist es angebracht, schon in der Einleitung, zuerst den entscheidenden Begriff „Rechtsetzung“ zu erläutern und das Hindernis, das sich aus der begrifflichen Mehrdeutigkeit und Variierung in unterschiedlichen Kontexten ergibt, zu beseitigen. Für das Verständnis des Begriffs „Rechtsetzung“ im chinesischen Kontext ist einerseits seine Bedeutung in westlichen Ländern zu berücksichtigen, die sich als freiheitlich, demokratische Rechtsstaaten auszeichnen, und anderseits die Bedeutung in der eigenen Praxis Chinas, die sowohl in der langen konfuzianistischen Tradition als auch in der marxistisch-leninistischen Staats- und Rechtsideologie (nach 1949) zu finden ist. Darüber hinaus hängt der Begriff der Rechtsetzung auch unmittelbar vom Verständnis über das Recht selbst ab, besonders seiner Funktion und Stellung in der gesamten Sozialregulierung, die sich aber zwischen westlicher und chinesischer Rechtskultur erheblich unterscheiden kann. Als eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Rechtsetzung Chinas muss daher diese Dissertation auch unvermeidlich auf den historischen Aspekt des chi-
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Einleitung
nesischen Rechts eingehen, der für das Verständnis der Rechtsetzung Chinas unentbehrlich ist. Verglichen mit westlichen Ländern, die eine lange Tradition des Rechtsstaates haben, entwickeln sich die staatliche Rechtsetzung und das sich daraus ergebende vorhandene Rechtssystem der Volksrepublik China (VRCh) erst seit Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Bis jetzt dauert der Prozess des Aufbaus eines Rechtssystems, das den Bedürfnissen der sozialistischen Modernisierung entspricht, nur etwa 40 Jahre. 2011 veröffentlichte der Staatsrat (SR) das Weißbuch über „Sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“, in dem es hieß: „Bis zum Ende August 2011 hat China bereits 240 Gesetze (inklusive einer Verfassung), 706 Verwaltungsrechtnormen, 8.600 lokale Rechtsnormen verabschiedet; die Rechtsgebiete, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse decken, sind vollständig geworden. […] Und das sozialistische Rechtssystem hat sich schon herausgebildet.“1 Dass China in einer kurzen Zeit – mindestens formell gesehen – ein vollständiges Rechtssystem geschaffen hat, ist nicht verwunderlich, da die Modernisierung des Rechts durch Rechtsetzung ein wichtiger Aspekt der Modernisierung Chinas ist und von Anfang an in der Mitte des sozialistischen Aufbaus seit 1978 steht. Ein sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung zu schaffen ist eine Aufgabe, die zeitplanmäßig erfüllt werden muss, ähnlich wie aufeinander folgende 5-Jahres-Pläne der Wirtschaft, die eine typische zeitliche Zielsetzung der Partei sind. Viele westliche Sinologen, Juristen oder politische Beobachter fangen ihre Aufsätze häufig mit dem Satz „mit der raschen Entwicklung der Wirtschaft in China, […]“ an, wenn sie China beschreiben.2 Die Anwendung dieses Satzes scheint eine Notwendigkeit zu sein, wenn man über China sprechen will. Die rasche Entwicklung der Wirtschaft in China und der sich daraus ergebende große wirtschaftliche Aufschwung in den vergangenen 40 Jahren sind zwar ein aufschlussreicher Ausgangspunkt, um das gegenwärtige China zu beobachten und zu erklären. Tatsächlich ist die Entwicklung der Wirtschaft aber nur ein Aspekt einer tiefen und umfangreichen Umwandlung der ganzen chinesischen Gesellschaft. Wie in den vergangenen Jahren geschehen, verband sich die schnelle Entwicklung der Wirtschaft Chinas ganz eng mit der „Modernisierung“ des Rechtssystems in China. In diesem Sinne ist es die Kraft der Institutionen, besonders relevanter Rechtsinstitute, die die Entwicklung der Wirtschaft und der ganzen chinesischen Gesellschaft vorangetrieben hat.
1 Staatsrat der VRCh, das weiße Buch über sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung, veröffentlicht am 27. 10. 2011. 2 Hier ein kleines Beispiel: Mit dem Satz „China has enjoyed considerable economic growth in recent years […]“, startete Randall Peerenboom sein Buch: China’s Long Journey to Rule of Law, Cambridge University Press 2002. Es gibt noch zahlreiche solche Sätze in vielen westlichen Schriften über China, besonders in den letzten 30 Jahren. Das widerspiegelt die allgemeinen Ansätze und Interesse der Untersuchungen über China im Westen.
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Rechtsetzung ist kein wertneutraler Vorgang, sondern hängt stets von sie umgebenden Elementen ab. Die Rechtsetzung in westlichen Ländern setzt allgemein den Rechtsstaat, und konkret die Gewaltenteilung, das Demokratieprinzip, Grundrechte, usw. im westlichen Sinne voraus. Wenn man während der Beschreibung der chinesischen Rechtsetzung auch von diesem westlichen Paradigma für Rechtsetzung ausging, wäre der Darstellung der chinesischen Rechtsetzung eine Grenze gezogen, da die letztere unter völlig unterschiedlichen Bedingungen steht. Zugleich ist es nicht selten, dass das Paradigma des Westens die Tendenz zu einer hegemonialen Perspektive hat,3 auf deren Basis das Rechtssystem Chinas häufig als eine Ausnahme4 oder ein „problem case“5 beschrieben wird. Ein bekannter Vertreter einer solchen Meinung über chinesisches Recht ist Max Weber.6 Um ein echtes und komplettes Bild über die Rechtsetzung des gegenwärtigen Chinas zu gewinnen, muss daher die eigene Rechtsetzungspraxis und das sich daraus ergebende eigene Erklärungsmodell Chinas in Betracht genommen werden. Solche Praxis liegt einerseits in der eigenen Rechtstradition, die auf dem Konfuzianismus basiert, und andererseits in den Rechtsetzungstätigkeiten, die seit der Ausrufung der VRCh unter dem marxistischleninistischem Rechtsverständnis und seinen Ausprägungen in den Gedanken von Mao Zedong und Deng Xiaoping stattfindet. China war ein Kaiserstaat unter der Herrschaft des Konfuzianismus als Staatsideologie, welcher in China über 2000 Jahren herrschte und erst bis zum Jahr 1912 sein Ende fand. In der traditionellen chinesischen Gesellschaft gab es keine parallelen Begriffe des Westens, wie Freiheit, Gewaltenteilung, Menschenrechte usw., die die Kennzeichen einer modernen Gesellschaft sind.7 Was in der traditionellen chinesischen Gesellschaft betont wurde, waren hingegen Hierarchie und die zentrali3 „More often than not, when scholars explain China’s development, they tend to make a normative or moral judgement first.“ Zheng Yongnian, S. 12. 4 Diese „Ausnahme“ kann sogar als scharfe Gegensätze systematisiert werden: „Personenherrschaft – Gesetzesherrschaft; Zwang – Freiheit; Autokratie – Demokratie; Vorrechte – Gleichheit; Pflichten – Rechte; Zentralisierung – Dezentralisierung; Abhängigkeit – Selbständigkeit; Machtkonzentration – Gewaltenteilung; Gesellschaft – Individuum; Fremdbestimmung – Selbstbestimmung sowie Abkapselung – Öffnung.“ Harro von Senger (1994), S. 28. 5 Randall Peerenboom (2006), pp. 192 – 199. 6 Max Weber beschreibt die traditionelle chinesische Gesellschaft als eine irrationale, oder „charismatisch regierte“ Gesellschaft, die eben der Gegensatz vom westlichen „rationalen Staat“ ist. „Im chinesischen Ancien Régime saß über der ungebrochenen Macht der Sippen, Gilden und Zünfte eine dünne Schicht sogenannter Beamter, der Mandarinen. […] Der eine Pfründe besitzt, selbst aber nicht im Geringsten für die Verwaltung geschult ist, keine Jurisprudenz kennt. […] Ein Staat mit solchen Beamten ist etwas anderes als ein okzidentaler Staat. In Wirklichkeit beruht hier alles auf der magischen Vorstellung. […] Anders der rationale Staat, in dem allein der moderne Kapitalismus gedeihen kann. Er beruht auf dem Fachbeamtentum und dem rationalen Recht. Sein (Chinas) Aufkommen (und damit das des rationalen Staates) wurde vielmehr durch die Ungebrochenheit der Magie verhindert.“ Max Weber, S. 17 – 18. 7 „The hallmarks of modernity are a market economy, democracy, human rights, and rule of law.“ Randall Peerenboom (2002), S. 1.
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sierte Macht des Kaisers.8 Im Bereich des Rechts gab es auch keinen „Rechtsstaat“, in dem alle Staatsgewalten an das Recht gebunden sind.9 Darüber hinaus ist das Recht im traditionellen China im Rahmen des Dualismus zwischen Ritus (li) und Recht (fa) zu verstehen und es besitzt gegenüber dem Ritual nur eine sekundäre Stellung.10 Was im traditionellen China eine entscheidende Rolle spielte, war das li. „Der Begriff li bedeutet zunächst Ritus, die Summe sakraler Regeln, dann Sittlichkeit, die Summe im gesellschaftlichen Leben zu beachtender Normen, die durch die Tradition vorgegebenen Verhaltensnormen, Sozialordnungsnormen.“11. Im Gegensatz zum Recht im Westen, welches die Gleichheit der Menschen betont, steht im System des li die Hierarchie der Menschen im Mittelpunkt. „Konfuzianismus behauptet, dass die ideale Ordnung diejenige der feudalen Gesellschaft ist, zwischen Edlem und Durchschnittlichem, Geehrtem und Ehrendem, Älterem Bruder und Jüngerem Bruder, Verwandtschaft und Nicht-Verwandtschaft zu unterscheiden; er fordert, dass das Verhalten jedes Mitglieds der Gesellschaft seiner Identität in der Familiensippe, seiner sozialen und politischen Stellung entsprechen soll. Dass Menschen mit unterschiedlicher Identität jeweilige spezielle Normen für ihr Verhalten zugeschrieben werden, ist das Wesen der li.“12 Da li als moralische Norm keine Kraft besitzt, sich selbst zu verwirklichen, und seine Durchsetzung Moral-Personen – den Kaiser und sein gesamtes Beamtentum – als Vorbilder aller Untertanen vorauszusetzen hat, hat die Herrschaft durch das System des li die Personenherrschaft (renzhi, „rule of man“) zur Folge.13 Was im Westen als Recht bezeichnet wird, wird im alten China fa genannt. „Fa ist die Sanktion, mit der auf das nach dem Maßstab der li als schädlich empfundene menschliche Tun reagiert wird. Fa ist etwas, das vom Herrscher gemacht wird, li ist 8
„Ein positives politisches Mitsprache- oder gar Mitentscheidungsrecht der Bevölkerung hat sich daraus nicht entwickelt.“ Harro von Senger (1994), S.18. 9 Obwohl der Begriff „Rechtsstaat“ als ein wichtiger politischer und rechtlicher Begriff selbst nicht ganz außer Kontroverse im Westen bleibt, können aber manche grundlegenden Merkmale dieses Begriffs zu einem Kriterium des Unterscheidens zwischen China und Westen dienen. „Allgemein lässt sich sagen, dass der Rechtsstaat ist, in dem nicht nur die Beziehungen zwischen den Bürgern, sondern auch das Verhältnis zwischen dem Staat und den Bürgern und der innerstaatliche Bereich rechtlich geregelt sind. [Das Zitat scheint mir nicht ganz zu stimmen.] Kennenzeichen für den Rechtsstaat ist also, dass (auch) die Ausübung der Staatsgewalt rechtlich gebunden ist.“ Hartmut Mauer, S. 206. Oder negativ definiert, „Der Rechtsstaat ist nicht ein Staat, der auf der Gewalteneinheit beruht. […] Der Rechtsstaat ist nicht ein Staat, in dem die Würde des Menschen nicht als der Grundsatz der gesamten Rechtsordnung aufgestellt und anerkannt wird.“ Danilo N. Basta Belgrad, S. 59. 10 „Sowohl von seiner theoretischen Zweckbestimmung wie von seiner praktischen Handhabung her besaß das traditionelle chinesische Recht keine Eigengeltung, sondern hatte nur eine Residualfunktion.“ Oskar Weggel, S. 223. 11 Robert Heuser (2002), S. 68. 12 Qu Tongzu, S. 383. 13 „In the traditional Chinese view, government was best conducted by men, wo behave like the ancient sages and set high moral examples for their subjects to follow.“ Stanley B. Lubman (1999), S. 14.
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etwas Ungemachtes, etwas im Volksleben allmählich gewachsenes.“14 Bezüglich des Verhältnisses von Recht zum Ritus sagte Konfuzius: „Will man Gehorsam durch Gesetze (zheng) und Ordnung durch Strafe (xing), dann wird sich das Volk den Gesetzen und Strafen zu entziehen versuchen und alle Skrupel verlieren. Wird hingegen nach sittlichen Grundsätzen (de) regiert und die Ordnung durch Beachtung der Riten (li) und der gewohnten Formen des Umgangs erreicht, so hat das Volk nicht nur Furcht, sondern es wird auch aus Überzeugung folgen.“15
Zwar wird fa normalerweise als „Recht“ in das deutsche und als „law“ in das englische übersetzt, dieser Begriff enthält aber kaum eine Implikation von „Herrschaft des Rechts“ oder „rule of law“. Wegen ihrer Stellung und Funktion in den Umständen des alten Chinas deutet sie vielmehr „Herrschaft durch Recht“ oder „rule by law“ an. „Das chinesische falü (fa, Gesetzesrecht) war nie als eine dem Individuum Freiräume und Schutz vor der Obrigkeit gewährleistende Ordnungsmacht, sondern mit aller Deutlichkeit stets als eines von vielen Mitteln zur Herrschaftsgewinnung, Herrschaftsausübung und Herrschaftssicherung durchdacht und gewertet worden.“16 Der subsidiären Stellung des Rechts entsprechend war die Rechtsetzung in der Rechtstradition Chinas auch unterentwickelt. Zwar existierten in jeder Dynastie ihre eigenen Kodexe als Form des fa., aber die Ausarbeitung von Kodexen ist sowohl in ihrem Inhalt, als auch in ihrem Verfahren anderes als die Rechtsetzung im modernen Sinne. Ein deutlicher Hinweis dafür kann sein, dass es in alten Kodexen Chinas keine Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Rechtsgebieten gab und zivilrechtliche und strafrechtliche Angelegenheiten zusammengeregelt wurden (minxing bufen). Darüber hinaus, als Reaktion auf die Verhalten, die gegen li verstoßen, orientiert sich die Ausarbeitung von fa auch an den Geboten des li, die ihrerseits als Moralnormen aber häufig unklar und sogar widersprüchlich formuliert sind. Dementsprechend mangelt es bei der Ausarbeitung von fa haufig auch an innerer Einheit, was im Wesentlichen die Ausarbeitung von Kodexen im alten China von der Rechtsetzung im modernen Sinne unterscheidet. Trotzdem prägt der Dualismus zwischen li und fa auch das Rechtsverständnis im gegenwärtigen China und bestimmt die Funktion und Gestaltung des Rechts und der Rechtsetzung im gesamten Regulierungssystem der Gesellschaft in der heutigen Zeit mit.17
14 Robert Heuser (2002), S. 69. „Law was but one set of norms and was inferior to principles of nature, heavenly reason, religious canons and rules of propriety.“ Stanley B. Lubman (1999), S. 14. 15 Übersetzt von Ralf Moritz, Konfuzius Gespräche (lun-yu), Leipzig 1991, S. 46. 16 Harro von Senger (1982), S. V. 17 „One of the most enduring debates in China’s body politic is the relative weight to be given to ruling according to law (yifa zhiguo) and ruling the country according to ethics (yide zhiguo).“ Roderick O’Brien, S. 166.
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Für das Verständnis der Rechtsetzung Chinas ist sodann die Rechtsetzungspraxis nach der Ausrufung der VRCh China 1949 wichtig. Die Rechtsetzung nach 1949 zeichnet sich durch eine völlige Änderung in Richtung auf die Staats- und Rechtsideologie des Marxismus- und Leninismus aus. Hiernach gilt: „Die aus den gemeinsamen Interessen einer Klasse hervorgehenden Ansprüche können nur dadurch verwirklicht werden, dass diese Klasse die politische Macht erobert und ihren Ansprüchen allgemeine Geltung in Form von Gesetzen verschafft. Jede kämpfende Klasse muss also ihre Ansprüche in der Gestalt von Rechtsforderungen in einem Programm formulieren.“18
In solchem Rechtsverständnis ist das Recht nur der Ausdruck des Willens der herrschenden Klasse und „Teil und gestaltendes Mittel der Politik“19. Das Rechtsverständnis des Marxismus-Leninismus entfaltete großen Einfluss auf die Entwicklung des Rechts in den ersten 30 Jahren der VRCh nach dessen Ausrufung 1949 bis zu der Reform und Öffnung seit Ende 1978. Rechtshistorisch gesehen zeigt sich der Einfluss einerseits in der raschen Aufhebung des von der Republik China (1912 – 1949)20 aufgebauten Rechtssystems, andererseits in der Schaffung eines sich völlig am Modell der Sowjetunion orientierenden Rechtssystems. Zwar wurde durch die Verfassung von 1954 der Nationale Volkskongress (NVK) als Gesetzgebungsorgan anerkannt, aber wegen des strengen Festhaltens an der Staats- und Rechtstheorie des Marxismus und Leninismus21 war dieser als Gesetzgebung in der Anfangsphase kaum aktiv. Außer einigen Organisationsgesetzen, die zur Festlegung der Staatsorgane für die Herrschaft durch die KPCh dringend notwendig waren, stagnierte die Gesetzgebungstätigkeit. Besonders die Definition des Rechts als Mittel zur Verwirklichung der Politik (des Willens) der Partei wirkte sich für die staatliche Rechtsetzung eher zerstörend als konstituierend aus22, da in Vertretung der Gesetze die Politik der Partei in Form von Richtlinien (fangzhen), Anweisungen (mingling) und Ansichten (yijian) usw., die nicht durch formelle staatliche Rechtsetzungsverfahren, sondern nur durch innere Verfahren der Partei gesetzt wurden, häufig als unmittelbare, allgemein verbindliche Normen wirkte. Außerdem machte das Herrschaftsmodell der KPCh, das wesentlich auf den Erfahrungen in der revolutionären Phase basierte und in welchem großer Wert auf Klassenkampf und politische
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K. Marx/F. Engels, S. 509. Adolf Laufs, S. 446. 20 Die Republik China existiert nach 1949 weiter in Taiwan. 21 Vgl. dazu Edgar Tomson/Jyun-hsyong Su, S. 55. 22 „Besonders seine (Lenins) Theorie über die Revolution und die Diktatur des Proletariats, dass das Proletariat Gewalt benutzen müsse, um gegen Bourgeoisie die Regime zu erringen sie aufrechtzuerhalten, und ohne sich an Gesetze binden zu lassen, hatte große Einflüsse auf die Vorstellungen der alten Generation der Leiter der KPCh (besonders Mao Zedong) und hatte auch riesige Nebenwirkungen auf den Aufbau des Rechtssystems der VRCh.“ Cai Dingjian (1999), S. 12. Vgl. dazu auch Yang Yifan/Chen Hanfeng (Hrsg.), S. 14. 19
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Kampagnen gelegt wurde, die staatliche Rechtsetzung auch unmöglich.23 Während der folgenden zehnjährigen Kulturrevolution (1966 – 1976) wurde die ganze formelle Staatlichkeit aufgehoben und die chinesische Gesellschaft wurde wieder militärisch organisiert, indem alle Staatsorgane durch innere Organe der Partei (Führungsgruppen, Revolutionskomitees) verdrängt wurden24 und es nur den Maoismus als verbindliche Leitlinie gab und keine staatlichen Rechtsetzungstätigkeiten möglich waren. Das Wiederbeleben der staatlichen Rechtsetzung setzte die Reflexionen über die streng marxistisch-leninistische Staats- und Rechtsideologie sowie den Personenkult Mao Zedongs voraus25. Das Ende der 1970er Jahre sah die Wendung von rein ideologischer Rechtslehre zu einer pragmatischen Rechtslehre, die das Recht als Förderungsmedium für die Entwicklung der Wirtschaft ansah und dementsprechend die bisherige starke Klassenbezogenheit des Rechts bezweifelte26. Auf den Wirt23 „Diese Grundanschauung der chinesischen Kommunisten gegenüber Recht und Justiz resultieren aus der Erfahrung des revolutionären Kampfes, der Organisation gesellschaftlicher Kräfte mit dem Ziel der Machterlangung im ganzen Land.“ Robert Heuser (2002), S. 147. „The ruling of party had not completed its transition from a ,revolutionary party‘ to a ,ruling party‘ either in its mentality or governance style. The new government die not devote real energy to the construction of a new legal system and rules, but rather adopted expedient strategy of dealing with problems on an ad hoc basis.“ Edgar Tomson/Jyun-hsyong Su, S. 55. 24 Im August 1966 verabschiedete das Zentralkomitee der KPCh den „Beschluss über die proletarische Kulturrevolution“. Dessen § 9 regelte: „Die Führungsgruppen der Kulturrevolution, die Komitees der Kulturrevolution und die Versammlung der Vertreter der Kulturrevolution sind die Machtorgane der Kulturrevolution“. Dessen § 16 bestimmte: „Der Maoismus ist die Leitlinien der proletarischen Revolution“. Auch wurden alle Tätigkeiten des Nationalen Volkskongresses und dessen Ständigen Ausschusses eingestellt. Vgl. dazu Jiang Chuanguang, S. 36. „Even the police, which had come to dominate the ,political-legal system‘, a triad consisting of the police, the courts, and the procuracy, was for years supplanted by the People’s Liberation Army in its role of maintaining public order.“ Stanley B. Lubman (1979), S. 124. 25 Das 3. Plenum des 11. Des ZKKPCh war der Erfolg solcher Reflexionen. In der Rede von Deng Xiaoping „Denkweise befreien, Wahrheit in den Tatsachen suchen, für die Zukunft zusammenschließen“ im 3. Plenum des 11. ZKKPCh (13. 12. 1978) definierte er das Recht und seine Funktion neu: „Um die Herrschaft des Volkes zu sichern, muss unser Rechtssystem gestärkt werden. Die Demokratie muss institutionalisiert und in Gesetzesform verankert werden, damit sichergestellt wird, dass Institutionen und Gesetze sich nicht mit jedem Führungswechsel oder mit jeder Meinungsänderung oder Aufmerksamkeitsverschiebung seitens der Führer ändern. Heute liegt das Problem darin, dass unser Rechtssystem unvollkommen ist und viele Gesetze noch nicht ausgearbeitet wurden. Häufig gelten die Worte der Führer als „Gesetze“, und wer damit nicht einverstanden ist, wird als „Gesetzesbrecher“ beschuldigt. Derartige „Gesetze“ ändern sich, wenn die Führer ihre Meinungen ändern. Daher müssen wir unsere Kraft darauf konzentrieren, Straf- und Zivilgesetze, eine Strafprozessordnung und weitere unentbehrliche Gesetze wie etwa ein Betriebsgesetz, Volkskommunengesetz, Forstrecht, Steppenrecht, Umweltschutzgesetz, Arbeitsgesetz und Investitionsgesetz für Ausländer in China auszuarbeiten.“ Deng Xiaoping, Das Denken befreien, die Wahrheit in den Tatsachen suchen und mit dem Blick in die Zukunft einig zusammenstehen, in: Deng Xiaoping, S. 176 – 177. 26 1980 führte der Aufsatz von Zhou Fengju – einem Rechtswissenschaftler, „Ist Recht bloß ein Mittel des Klassenkampfs? – inklusive der Diskussion über die Gesellschaftsbezogenheit
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schaftsaufbau fokussiert begann Ende der 1979er Jahre die normale staatliche Rechtsetzung in China. Entsprechende Gesetze, die in der Anfangsphase für die Durchführung der Reform und Öffnung unentbehrlich waren, wurden rasch ausgearbeitet: Strafgesetzbuch, Strafprozessgesetz, Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VRCh sowie Gesetze über Unternehmen mit ausländischen Investments usw., wodurch ein grober Rahmen für die Wirtschaft aufgestellt wurde. Am Anfang der 1990er Jahre setzte die KPCh die Theorie der „sozialistischen Marktwirtschaft“ als ihre leitende Wirtschaftstheorie fest, in der die Funktion des Rechts und der Rechtsetzung für Reform und Wirtschaft wie nie zuvor hervorgehoben wurde. Im Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über etliche Probleme beim Aufbau des Systems der sozialistischen Markwirtschaft vom 199327 heißt es: Die Errichtung und Vervollständigung der sozialistischen Marktwirtschaft muss durch ein vollständiges Rechtssystem normiert und gewährleistet werden. Man muss großen Wert auf den Aufbau des Rechtssystems legen, die Übereinstimmung der Reform und Öffnung mit dem Aufbau des Rechtssystems erzielen und erlernen, durch Gesetzesmittel die Wirtschaft zu regulieren. Das Ziel des Aufbaus des Rechtssystems ist […], bis zum Ende dieses Jahrhunderts ein der sozialistischen Marktwirtschaft entsprechendes Rechtssystem nach und nach zu errichten.28 Die Entscheidung für Reform muss sich mit der Entscheidung für Gesetzgebung verbinden. Die Gesetzgebung muss den Geist der Reform widerspiegeln. Die reibungslose Entwicklung der Reform soll durch Gesetze geleitet, vorangetrieben und gewährleistet werden. Die Gesetzgebungsplanung soll gut gemacht werden. Es sollen mit Vorrang die Gesetze ausgearbeitet werden, die der Normierung der Subjekte des Markts, der Sicherung der Marktordnung, der Stärkung der Makrosteuerung, der Vervollständigung der sozialen Sicherung, der Förderung der Reform nach außen dienen. […] Es sollen das Rechtsetzungssystem vervollständigt, die Verfahren der Rechtsetzung verbessert und die Rechtsetzung beschleunigt werden, um der Marktwirtschaft Rechtsnormen zu liefern.29
des Rechts“ zu heftigen Auseinandersetzungen über das Wesen des Rechts in den ganzen 80er Jahren. Nach dessen Auffassung sollte das Recht nicht bloß der Ausdruck der Klassenbezogenheit sein, sondern musste auch Gesellschaftsbezogenheit in Betracht ziehen. Zhou Fengjus Aufsatz wurde in der akademischen Zeitschrift der „Studien zur Rechtswissenschaft“ (faxue yanjiu, Heft 1, 1980) veröffentlicht. „Dass man die Eigenschaft des Rechts als reinen Ausdruck der Klassenbezogenheit und des Willens der herrschenden Klasse ansieht, kann die rechtlichen Phänomene des Sozialismus in unserem Land nicht erläutern. […] Das Recht des Sozialismus ist ein Recht, in dem die Klassenbezogenheit allmählich vernichtet wird. Und solches Recht enthält umfangreiche Gesellschaftsbezogenheit, es ist daher das Recht des Volks. Das Recht des Sozialismus soll die umfangreichen sozialen Beziehungen regulieren. Die Gesellschaftsbezogenheit des sozialistischen Recht ist primär, und dessen Klassenbezogenheit ist sekundär.“ Han Shuzhi (Hrsg.), S. 217 – 218. 27 Zhonggong zhongyang guanyu jianli shehui zhuyi shichang jingli tizhi ruogan wenti de jueding, angenommen von der 3. Plenartagung des XIV. Zentralkomitees der KPCh am 14. 11. 1993. 28 Paragraph 44 vom Beschluss von 1993. 29 Paragraph 45 vom Beschluss von 1993.
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Verglichen mit der Rechtsetzung in den 1980er Jahren ist seit den 1990er Jahren die Rechtsetzung Chinas detaillierter: Viele Gesetze, die direkt mit dem Aufbau der Wirtschaft zu tun haben, wurden ausgearbeitet, z. B. Gesellschaftsgesetz (1993), Gesetz über Wertpapiere (1998), Vertragsgesetz (1999), Insolvenzgesetz (2006), Gesetz über das Sachenrecht (2007) usw. Die Hervorhebung der dienenden Funktionen des Rechtssystems für die Wirtschaft heißt aber nicht, dass es nur die Rechtsetzung über die Wirtschaft in China gäbe. Vielmehr erstreckt sich die staatliche Rechtsetzung auf alle einschlägigen gesellschaftlichen Bereiche, die staatlicher Regulierung bedürfen, z. B. Arbeitsrecht, Umweltschutzrecht und Gesetz über Frauen und Kinder usw. Die Einführung vom „Schutz der Menschenrechte“ (Art. 3 VVRCh) sowie dem „Schutz des Privateigentums der Bürger“ (Art. 13 Abs. 1) in die Verfassung Chinas im Jahr 2004 kann auch ein wichtiger Hinweis dafür sein, dass die chinesische Rechtsetzung begann, auf höhere Bedürfnisse der Gesellschaft, die sich aus der Entwicklung der Wirtschaft ergeben, zu reagieren. Nicht zu leugnen ist jedoch, dass die dienende Funktion des Rechts und der Rechtsetzung für die Entwicklung der Wirtschaft, wie in der obigen offiziellen Formulierung der KPCh dargestellt, die stärkste Antriebskraft der Rechtsetzung nach 1978 ist. Das pragmatische Verständnis über Recht und Rechtsetzung hat aber auch zur Folge, dass die Rechtsetzung in China weniger von systematischer Einheit des Rechtssystems her gedacht ist, sondern sich von der Idee eines Kontextualismus leiten lässt, in dem die Funktion des Rechts für konkrete Problemlösung betont wird. Dies hat wichtige Einflüsse auf die Gestaltung des vorhandenen Rechtsetzungssystems Chinas. Einer davon ist z. B. die Amorphie und Punktualisierung der Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen unterschiedlichen Rechtsetzungssubjekten. Der andere ist z. B. der Boom der exekutiven Rechtsetzung des Staatsrats durch die Ermächtigung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (SANVK) auf der zentralen Ebene und der schon lange andauernde Boom der experimentellen Rechtsetzung auf der territorialen Ebene. Wie im Westen leistet die Rechtsetzung in China auch eine Aufgabe der Sozialregulierung. Inhaltlich hat sie aber im Wesentlichen nichts mit der Zielsetzung zur Verwirklichung von Freiheit und Demokratie im westlichen Sinne zu tun. Formell findet sie auch nicht durch das Mehrparteiensystem, die Gewaltenteilung und den demokratischen Parlamentarismus (möglicherweise auch Föderalismus) statt. Im Gegensatz dazu sind für eine Untersuchung der Rechtsetzung Chinas stets einerseits die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten, also die volksdemokratische Diktatur (Art. 1 VVRCh), das System der Volkskongresse (Art. 2 Abs. 2 VVCh), der demokratische Zentralismus (Art. 3 Abs. 1 VVRCh), der sozialistische Rechtsstaat (Art. 5 Abs. 1 und 2 VVRCh) zu berücksichtigen und andererseits die politischen Realitäten, also die Alleinherrschaft der KPCh sowie die Machtstruktur des Einheitsstaats und die Aufteilung der Rechtsetzungsmacht zwischen zentralen und lokalen Staatsorganen usw.
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Außerdem bilden das konfuzianistische Rechtsverständnis unter dem Dualismus von li und fa und das marxistisch-leninistische Rechtsverständnis unter dem Dualismus von Partei und Staat nach wie vor einen grundlegenden Rahmen für die Beschreibung des Rechts und der Rechtsetzung in der chinesischen Gesellschaft.30 Hinzukommt aber noch, dass nach der Reform und Öffnung 1978 das chinesische Recht mehr westliche „kapitalistische“ Elemente in sich aufgenommen und mehr Wert auf das Recht als Steuerungsmedium für den Markt gelegt hat. Dies ermöglicht einerseits die Trennung des Rechts und der Rechtsetzung des Staates von den direkt verbindlichen Politik-Normen der KPCh und räumt anderseits dem Recht und der staatlichen Rechtsetzung große Eigenständigkeit wie nie zuvor ein, besonders bezüglich der wissenschaftlichen und fachlichen Behandlung der (dem Westen anschlussfähigen) Markt- und Finanzregelungen und der neu zu regulierenden Gegenstände, die aus der Entwicklung der Technik und die Erweiterung der Aufgaben der Regierung in der Leitung der modernen Gesellschaft resultieren, z. B. die Atomenergie, die Gentechnik, der Schutz der Umwelt sowie der Aufbau eines umfassenden Sozialversicherungssystems für alle Bürger. Diese offenere Rechtsetzung trägt dazu bei, den strengen Dualismus mit der Unterschätzung des Rechts und der Rechtsetzung zu mildern.
II. Gang der Untersuchung Inhaltlich ist diese Untersuchung in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil (1. Kapitel) ist eine historische Studie über die Rechtsetzungsgeschichte vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Reform und Öffnung am Ende der 1970er Jahre, der zweite Teil (2. Kapitel – 4. Kapitel) ist eine normative Studie über das vorhandene Rechtsetzungssystem Chinas seit 1978. In der Darstellung der Rechtsetzungsgeschichte im 20. Jahrhundert ist der Begriff „Modernisierung“ als Interpretationsrahmen ausgewählt. Das 20. Jahrhundert in China sah die heftige Wandlung Chinas vom traditionellen feudalen Kaiserstaat (bis 1908) über einen konstitutionell-monarchischen Staat (Republik China, 1909 – 1911) und einen demokratischen republikanischen Staat (1912 – 1949) in einen Staat unter der marxistisch-leninistischen Staat- und Rechtsideologie (Volksrepublik China, nach 1949). Trotz dieser politischen Umwandlungen blieb die Modernisierung des Staates, mit dem Ziel der Selbstrettung und Selbstverstärkung der chinesischen Nation, eine unveränderte Leitlinie, da die innere Unruhe (verursacht durch die 30 Diese zwei Arten vom Dualismus stehen in gewissem Maße in einen inneren Zusammenhang: Sie beiden stellt eine primäre Ordnung (früher li, und jetzt die KPCh und ihre direkt Bindungskraft entfaltende Politik) auf, und räumt der Rechtsordnung nur eine sekundäre Stellung ein, wie ein Autor schreibt: die KPCh ist ein „organizational emperor“, sie ist „a reproduction of China’s traditional imperial political culture in modern time“ und „like all emperors in dynastic China, the China Communist Party also identifies itself as the only legitimate ruler in China.“ Zheng Yongnian, S. 14, 42.
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Kollisionen der verschiedenen politischen Kräfte in der Durchsetzung ihrer jeweiligen politischen Vorstellung) und die äußere Gefahr (resultiert aus der realen Verletzung der Souveränitätsrechte Chinas, durch von westlichen Großmächten oktroyierte ungleiche Verträge vor 1949 und der Bedrohung durch den Westen wegen des Ideologieunterschieds nach 1949) als ein gesamter Hintergrund sich im Wesentlichen nicht veränderte. Neben der Modernisierung der Wissenschaft und Technik, die den Schwerpunkt der Modernisierung, vom ersten Opium-Krieg gegen England (1840 – 1842) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bildete, gewann die Modernisierung des Politik- und Rechtssystems als eine tiefgehende Modernisierung besonders nach der Niederlage im Krieg gegen Japan (1894) eine zentrale Bedeutung. In dieser Modernisierung spielte die Rechtsetzung eine entscheidende Rolle, indem sie unterschiedliche vom Westen transportierte politische und rechtliche Vorstellungen tatsächlich erprobte und verwirklichte. Im ersten Kapitel wird zuerst der Begriff der Modernisierung im chinesischen Kontext erläutert. Sodann wird die Rechtsetzungsgeschichte vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1978 als Abfolge von vier Modernisierungsversuchen dargestellt: Der erste Modernisierungsversuch – Rechtsreform in der Spät-Qing-Dynastie; der zweite Modernisierungsversuch – die Schaffung des „Sechs-Kodex-Systems“ in der Republik China; der dritte Modernisierungsversuch – die Entstehung des „neu-demokratischen“ Rechtssystems und der vierte Modernisierungsversuch: Entwicklung eines sozialistischen Rechtssystems von 1949 bis 1978 in der VRCh. Der historische Teil dieser Untersuchung dient dazu, ein vollständiges Bild über das Rechts- und Rechtsetzungsverständnis der Chinesen in der modernen Zeit zu liefern und seine innere Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis anzudeuten. Der zweite Teil geht auf das vorhandene Rechtsetzungssystem der VRCh ein, untersucht die Erscheinungsformen und die Hierarchie aller Rechtsnormen der VRCh. In diesem Teil ist jeder Rechtsnormentyp im vorhandenen Rechtssystem gemeinsam mit seinem Geltungsrang, dem setzenden Organ und dem entsprechenden Verfahren, darzustellen. Normativ stützt er sich wesentlich auf die Verfassung, das Gesetzgebungsgesetz und relevante Organisationsgesetze der Rechtsetzungsorgane, berücksichtigt aber auch einschlägige Geschäftsordnungen des jeweiligen Rechtsetzungsorgans. Das 2. Kapitel behandelt die Rechtsnormen und die Rechtsetzung auf der zentralen Ebene. Hier geht es um die Verfassung und die verfassungsgebende Gewalt, die Gesetze des NVK und des SANVK sowie die Verwaltungsrechtsnormen des Staatsrats und die Regeln der Abteilungen des Staatsrats. Das 3. Kapitel untersucht die Rechtsnormen und die Rechtsetzung auf der territorialen Ebene. Zuerst zu erläutern ist das Verhältnis der territorialen Rechtsetzung zur zentralen Rechtsetzung. Sodann sind die Befugnisse und die Grundsätze der territorialen Rechtsetzung allgemein zu erläutern. Schließlich ist auf unterschiedliche Arten der territorialen Rechtsetzung (die einfache lokale Rechtsetzung, die Rechtsetzung der Regionen mit nationaler Autonomie sowie die ermächtigte Rechtsetzung in Sonderwirtschaftszonen) einzugehen. Im 4. Kapitel geht es um die Aufrechterhaltung der Einheit des gesamten Rechtssystems durch die gesetzliche
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Festlegung der Rangverhältnisse der Rechtsnormen innerhalb des Rechtssystems und die Aufstellung der entsprechenden Kollisionsregel sowie den Überprüfungsmechanismus innerhalb der Legislative.
1. Kapitel
Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystemsdurch Rechtsetzung A. Modernisierung des chinesischen Rechtssystems I. „Modern“, „Modernität“ und „Modernisierung“ im chinesischen Kontext Gesetzgebung, Gesetzgebungsorgane, Rechtsnormen usw. im westlichen Sinne als etwas „Modernes“ wurden erst in der Spät-Qing-Dynastie in China eingeführt. Das vergangene 20. Jahrhundert sah verschiedene Weisen des Umgangs mit den Theorien und Kodifikationen des Westens: Von deren Verwerfung über begrenzte Akzeptanz und völlige Übernahme bis zur Beseitigung. Nicht nur der beschwerliche Prozess der Gewinnung eines angemessenen Verständnisses, sondern auch die heftige Umwandlung in den wirklichen politischen Verhältnissen im 20. Jahrhundert in China und die jeweils vorherrschenden Ideen erschwerten die Beschreibung der Rechtsgeschichte. In dieser Zeit gab es zahlreiche politische Vorstellungen, die gleichermaßen versuchten, einen richtigen Weg für China zu planen. Dementsprechend gab es als Ausdruck des politischen Willens auch viele rechtliche Vorstellungen, die nicht einfach nach einem einheitlichen Kriterium dargestellt werden können. Eine Erzählung der Rechtsgeschichte Chinas im 20. Jahrhundert, die es vermeiden will, nur eine der sich abwechselnden Ordnungen und ihren Ideologien gewissermaßen zum „archimedischen Punkt“ zu machen, ist darauf angewiesen, gewisse grundlegende und allgemeine Begriffe zu finden, die auf einer Ebene oberhalb aller politischen Abhängigkeiten eines Narrativs liegen, um die scheinbar unvereinbare Vielfältigkeit unter eine Einheit zusammenzufassen, zu ordnen. Dieses übergreifende, die so unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Bewegungen in der chinesischen Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts integrierende Konzept ist dasjenige der Modernisierung. Dieses verbindet alle politischen und rechtlichen Vorstellungen der politischen Mächte auf der historischen Bühne des 20. Jahrhunderts in China, seien sie konservativ oder gemäßigt reformistisch oder radikal revolutionär. Ein modernes China aufzubauen, also das alte, traditionelle China zu modernisieren, ist das einzige Ziel aller Chinesen, ohne Rücksicht auf ihre politischen Positionen im Übrigen; und dieses Ziel dürfte auch heute noch eine zentrale Kategorie zum Verständnis der gegenwärtigen politischen Verhältnisse und der Legitimation der heutigen Führung sein, die ein zukünftiges China planen will. „Modern“ und „Moder-
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
nität“ waren nicht nur die gemeinsamen Herausforderungen der politischen Mächte in damaligen realpolitischen Verhältnissen, sondern haben auch eine modernitätsorientierte historische Beschreibung des Rechts im 20. Jahrhundert hinterlassen, die den grundlegenden Charakter der Rechtsgeschichte im 20. Jahrhundert in China bildet. Aber diese am häufigsten benutzten Begriffe „Modern“ und „Modernität“ als Rahmenbedingung der geschichtlichen Erzählung sind bis jetzt noch nicht ausreichend erklärt. Bewusst oder unbewusst haben viele Historiker aus China oder aus dem Westen sie als etwas Selbstverständliches betrachtet. Eine unkritische Anwendung dieser beiden Begriffe könnte zu ungeeigneten Konsequenzen führen, was umgekehrt die Erklärungsfähigkeit dieses Konzepts verletzen würde. Die Kernfrage ist daher, was unter „Modern“, „Modernität“, oder „Modernisierung“ zu verstehen ist, besonders im chinesischen historischen Kontext. Erst die Klarheit über diese Begriffe hilft, die bisherigen Beschreibungen der Rechtsgeschichte Chinas im 20. Jahrhundert zu verstehen. „Modern“ ist eigentlich zuerst von den westlichen Theoretikern auf die Erzählung der westlichen Geschichte seit dem 17., 18. Jahrhundert in allen wissenschaftlichen Bereichen angewandt worden. Als ein konzeptioneller Rahmen für Erklärung und Interpretation der Geschichte sind sie bis jetzt immer noch ein herrschendes Sprachund Erklärungsparadigma. Aber unter „Modern“ oder „Modernität“ ist ganz Verschiedenes zu verstehen. Hier soll vermieden werden, in die endlosen Auseinandersetzungen der Gedankengeschichte dieses Begriffs zu geraten. Sicher ist nur, dass die Begriffe „Modern“ und „Modernität“ etwas bewusst Geschaffenes sind von Philosophen und Historikern, die einen Abschnitt aus dem Strom der Zeit nehmen wollen, damit neu aufgekommene Dinge gedacht und neuer Zeitgeist widergespiegelt werden kann. „Modern“ ist gewissermaßen ein von dem „Modern-Erkennenden“ erfundenes Mittel für das Erkennen. Es ist einerseits eine Selbstrechtfertigung des „Modernen“ und es enthält andererseits eine gewisse Herabsetzung des „Nicht-Modernen“. In diesem Sinne ist „modern“ gleichzeitig der Modernisierende und dasjenige, was modernisiert wird, der Legitimierende und dasjenige, was legitimiert wird. „Modern“ ist insofern nicht nur ein Attribut von dem, was zeitlich später (also nach Antike, Mittelalter, Renaissance gemäß der westlichen Zeiteinteilung der Geschichte) kommt, sondern impliziert zugleich auch eine Bewertung. Was als „modern“ anerkannt ist, hat auch zweifellos Legitimität, was aber nicht „modern“ ist, hat seine Legitimität verloren. Weltgeschichtlich gesehen hat dieses Konzept von Modernität seine Wurzeln wesentlich im Westen. Es ist das Ergebnis langfristiger Bewegungen seit der Renaissance im Europa in allen Bereichen des Soziallebens, also in Kunst, Philosophie, Technologie, Wirtschaft usw. In der Epoche der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert fand die Modernität ihren reifen Ausdruck. Ungeachtet der Einzelheiten in unterschiedlichen Bereichen bedeutet Modernität in der Aufklärung vor allem den
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auf der Vernunft des Menschen und der Befreiung des Geistes von den Einschränkungen der traditionellen Gesellschaft basierenden allseitigen Fortschritt der ganzen Gesellschaft. „Fortschritt“ ist insofern das Kernelement der Modernität und besitzt in deren Kontext entsprechend einen positiven Wert. Seit der Aufklärung werden Modernität und Fortschritt der Ausgangspunkt aller modernen Erzählungen, sei es für sie, oder gegen sie – z. B. die Kritiken aus dem philosophischen oder historischen Postmodernismus. Im Bereich der Politik- und Rechtsgeschichte erreichte Modernität ihren Höhepunkt in Europa in der Französischen Revolution 1789, die eine Zäsur für die weltweite Politik- und Rechtsentwicklung war und in den folgenden zwei Jahrhunderten die ganze Welt tief beeinflusste. „Die Revolution rührte an die Fundamente legitimistischen Denkens und eröffnete schlagartig neue Perspektive.“31 Die ständische, feudalistische und religiöse Sozial- und Rechtsordnung wurde von den neuen politischen Mächten völlig verworfen und die von diesen vertretenen liberalen, demokratischen und politischen Ideen wurden von bloßen Theorien in die Praxis umgesetzt. „Die Französische Revolution stellte […] die politische-soziale Gesamtverfassung auf eine neue, von der Sozialtheorie des Vernunftrechts her konzipierte Grundlage. … die einzelne, freie und selbstbestimmte Einzelpersönlichkeit […] wird Ausgangs- und Zeitpunkt der politisch-sozialen Ordnungen.“32 Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Schutz des Privateigentums usw. waren die Zentralthemen der Revolution und stellten die neue Grundlage der Legalität und Legitimität für die ganze Gesellschaft dar. Der Staat gewann seine Rechtfertigung nicht mehr aus der Religion oder der ererbten Macht des Königs, sondern aus seiner „Vernunftnotwendigkeit“33, die wiederum auf der Vernunft jedes Einzelnen basierte. Dementsprechend verändert sich auch das moderne politische Bild. „Aus der Revolution erhob sich das neue nationaldemokratische Legitimitätsprinzip; gegenüber dem Fürstenstaat erhob sich der Volksstaat; gegenüber der monarchischen Souveränität erhob sich die Volkssouveränität mit dem Anspruch ausschließlicher Rechtfertigung.“34 Die traditionelle Machtstruktur des Staates war völlig zerstört und durch eine neue Grundlage ersetzt: „Das Volk ist Träger der verfassungsgebenden Gewalt und gibt sich selbst seine Verfassung.“35 Trotz der konkreten Verschiedenheiten in dem Prozess der Verwirklichung der sich aus der Französischen Revolution ergebenden Werte in einzelnen Ländern sind Liberalisierung und Demokratisierung allmählich zur generellen Basis jeder politischen Erklärung, Erzählung und Beschreibung geworden; diese Tendenz dauert bis jetzt und dürfte sich auch auf absehbare Zeit dominant bleiben. Wer politisch oder rechtlich etwas Richtiges aussprechen will, muss über Freiheit und Demokratie 31 32 33 34 35
Michael Stolleis, S. 42. Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), S. 14. Hugo Buß, S. 28. Ernst Rudolf Huber (1988), S. 18. Carl Schmitt, S. 223.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
reden. Die Französische Revolution 1789 veränderte die politischen und rechtlichen Erzählweisen und ermöglichte auch den Paradigmenwechsel der historischen Erzählungen der Politik und des Rechts, von den nicht-liberalen, nicht-demokratischen, also traditionellen Erzählweisen zu den liberalen, demokratischen, also modernen Erzählweisen. Freiheit, Demokratie, Grundrechte, Volkssouveränität, Wahlen, Parlamente, Gewaltenteilung usw. bilden die konkreten Kerninhalte des neuen Paradigmas. Die neu, auf Freiheit und Demokratie basierende politische und rechtliche Legalität und Legitimität stellen sich dem Zeitgeist der Aufklärung entsprechend auch als die Modernität der Politik und des Rechts, also als liberal-demokratische Politik und Rechtsstaat (oder Verfassungsstaat) dar, und sie werden Synonyme zu politischem und rechtlichem „Fortschritt“. Politische und rechtliche Modernität ist dann identisch mit der politischen und rechtlichen Legitimität; Was politisch und rechtlich „modern“ ist, kann auch gerechtfertigt werden. Die langfristige Modernisierung in allen Bereichen innerhalb des Westens hatte – abgesehen von dem seit Dynastien ständigen, selten abgebrochenen Austausch auf der rein kulturellen Ebene zwischen China und dem Westen – lange keinen unmittelbaren Einfluss auf China. Dies änderte sich erst, als China unter der Herrschaft der Qing-Dynastie (1644 – 1912) im Opium-Krieg (1840 – 1842) gegen England verlor, ein Land, das schmutziges Opium-Schmuggeln an den Küsten vom Südosten Chinas betrieb und im Namen von „Handelsfreiheit“ Silber aus China plünderte. Dieser Krieg bedeutete den Anfang der neuzeitlichen Geschichte Chinas, er verändert die Erzählweise der Geschichte Chinas zum ersten Mal in seiner vergangenen tausendjährigen Geschichte, von (im Kern) bloßer Geschichte des Wechsels von Dynastien seit der Qin-Dynastie (221 v. Chr.) zu einer Geschichte des allmählichen Zerfalls der traditionellen Ordnung und des mühsamen Wiederaufbaus einer neuen Ordnung. Die Niederlage in diesem Krieg erschütterte die Grundlage der Sozial- und Politikordnung Chinas und brachte das einheitliche Kaiserreich Chinas nach 221 v. Chr. in den Prozess des Zerfalls. Sie bedeutete auch den Anfang der existenziellen Krise der chinesischen Nation in dem folgenden Jahrhundert. Der Opium-Krieg machte das alte Reich der Mitte „wach“ und als das alte Reich der Mitte wieder „erwachte“, fand es, dass es am Rande der (vom Westen beherrschten) Welt stand; die früher von dem Reich der Mitte als Barbaren angesehenen Westler bewiesen in diesem Krieg ihre große Überlegenheit über China, was die frühen Intellektuellen in der Neuzeit Chinas beeindruckte und sie zwang, ihre Augen gegenüber dem Westen zu öffnen. Für die frühen Intellektuellen, die Spitzenpolitiker der zentralen Regierung, sowie den Kaiser selbst war die Überlegenheit des Westens vor allem die Überlegenheit der modernen Technik des Westens, die sich in erster Linie als militärische Technik darstellte. Der Fortschritt der westlichen Flotten und Kanonen war der anschaulichste Eindruck vom Westen für die Chinesen. Es ist daher verständlich, dass die Niederlage Chinas im Opium-Krieg dem Rückstand der (militärischen) Technik zugerechnet wurde und die frühen Maßnahmen, die vom Qing-Kaiserhof gegen die westlichen
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Großmächte unternommen wurden, im Lernen solcher Technik aus dem Westen bestanden, um dadurch ein eigenes modernes Militär aufzubauen und sich zu verteidigen. Die Modernisierung in der frühen Zeitphase in der Neuzeit Chinas ist somit vor allem die Modernisierung der Technik und des Militärs. Vom Opium-Krieg an waren die Westler für die Chinesen keine Barbaren mehr, sondern Lehrer der Technik und Vertreter des Fortschrittes (aber nur im Bereich der Technik!). Lin Zexu (1785 – 1850), der sowohl ein Regionalgouverneur und der Gesandte vom Kaiser Daoguang (1782 – 1850) im Opium-Krieg gegen England, als auch ein früher offener Denker war, argumentierte am frühsten, „die Augen offen zu halten und die Welt zu beobachten (kaiyan kan shijie)“ und übersetzte viele Bücher in den Bereichen Geographie und Naturwissenschaft ins Chinesische. Wei Yuan (1794 – 1857), Zeitgenosse von Lin Zexu, ein früher Intellektueller, fasste eine solche frühe Gedankenweise prägnant unter einen Satz zusammen: „sich durch Lernen vom Auslandes (oder besser: von den Barbaren) gegen das Ausland (die Barbaren) zu wehren (shiyi changji yi zhiyi)“36. Nach der erneuten Niederlage im zweiten OpiumKrieg (1856 – 1860) gegen England und Frankreich wurde dieser Gedanke in der Yangwu-Bewegung (von den 60er bis zu den 90er Jahren im 19. Jahrhundert) übernommen und in den Satz „sich durch das Lernen vom Ausland zu stärken (shiyi changji yi ziqiang)“ umgewandelt. Verglichen mit der anfänglichen Erkenntnis der Chinesen über den Westen, die sich wesentlich auf die (militärische) Technik beschränkte, war die Yangwu-Bewegung umfassender. Sie war eine vom aufgeschlossenen Teil innerhalb des Beamtentums der Qing-Dynastie geführte Bewegung der Selbstverstärkung, die im Wesentlichen darauf zielte, durch die Industrialisierung wichtiger Wirtschaftsbereiche des Staates, ein starkes, reiches China aufzubauen. Der offenen Schicht des Beamtentums wurde bewusst, dass, was hinter der militärischen Überlegenheit des Westens stand, außer der Technik noch die fortgeschrittenen Wirtschaftssysteme waren. Um das Militär Chinas zu verstärken, mussten auch die mit dem Militär verbundenen Bereiche verstärkt, also modernisiert werden. In ihrer 40-jährigen Zeit hat die Yangwu-Bewegung viele Gesellschaften in den Bereichen Waffenbau, Schiffbau und Bergbau, sowie Textil unter Einführung der Technik des Westens und nach dem Kommerzmodell des Westens gegründet. Auch wurden neue Bildungseinrichtungen geschaffen, die sich sowohl mit der Übersetzung ausländischen Materials beschäftigten als auch diplomatisches und naturwissenschaftliches Personal auf neue Weise erzogen. Trotz dieser mehrseitigen Modernisierungsversuche und auch relativ erheblicher Erfolge blieben die Grundansichten der Chinesen über den Westen vom OpiumKrieg bis hin zum Sino-Japan-Krieg (1894) über die Hälfte eines Jahrhunderts jedoch fast unverändert. Zhang Zhidong (1837 – 1907), einer der Vertreter der YangwuBewegung, formulierte den Grundgedanken der Chinesen in seiner berühmten philosophischen Formel: „Chinesisches Lernen für das Substantielle, westliches Lernen für das Nützliche (zhongxue wei ti, xixue wei yong)“, mit anderen Worten: 36
Wei Yuan, S. 67.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
Westliches Lernen (also westliche Wissenschaften) ist, trotz seiner Überlegenheit und Fortschritte, die die Chinesen, wegen mehrmaliger Niederlagen in den Kriegen zwischen China und westlichen Großmächten anzuerkennen hatten, nur ein Mittel, das der Wahrung des „Substantiellen“ als dem Zweck dienen sollte. Was hier mit „chinesischem Lernen“ und „dem Substantiellen“ gemeint ist, ist die auf dem Konfuzianismus basierende Grundordnung der ganzen Gesellschaft; was modernisiert werden sollte, berührte noch nicht die traditionellen Ordnungen in den Bereichen Ethik, Politik und Recht. „Was nicht verändert werden darf, ist die ethische Disziplin (des Konfuzianismus), aber nicht das Gesetzessystem (als nur eine Subordnung von Li); der heilige Weg, aber nicht die Instrumente; das Herz, aber nicht die Technik.“37 Das Selbstbewusstsein von der traditionellen Überlegenheit der chinesischen konfuzianischen Li-Gesamtordnung der Gesellschaft war nicht nur vermeintliches, sondern etwas, das in Chinas tausende Jahre langer Geschichte im Vergleich zu seinen Nachbar-Ländern vielmals bewiesen worden war. Die Niederlagen vor dem Sino-Japan-Krieg waren noch nicht groß genug, um solches Selbstbewusstsein zu erschüttern. Zeitlich gesehen war der Zeitraum von 1840 bis 1894 nur ein kurzer Abschnitt einer langen Geschichte Chinas, und somit hatten der Kaiserhof der QingDynastie und damalige Intellektuelle noch ausreichende Gründe, diese Zeitphase als eine bloße (kleine!) Ausnahme vom bisherigen Weg Chinas anzusehen. Man kann also sagen, dass China vor dem Sino-Japan-Krieg sich noch in der Massenträgheit des überkommenen Selbstbewusstseins befand. Die Niederlage im Sino-Japan-Krieg beendete den westorientierten Industrialisierungsprozess Chinas seit der Yangwu-Bewegung, und besonders die völlige Vernichtung der Beiyang-Flotten im Sino-Japan-Krieg, die das Symbol des Erfolgs der Yangwu-Bewegung und der Träger der großen Hoffnung, sowohl des Kaiserhofs der Qing-Dynastie, als auch aller Chinesen waren, bewies die Erfolglosigkeit der Yangwu-Bewegung, das heißt wiederum, die Erfolglosigkeit der Modernisierung nur in den Bereichen von Technik und Wirtschaft.38 Die Niederlage Chinas im SinoJapan-Krieg zwang China zum ersten Mal seine tausendjährige existenzielle Grundlage zu überprüfen, was eine neue Zeitphase der Modernisierung Chinas eröffnete.
II. Bildung des instrumentalistischen Rechtsverständnisses im Prozess der Modernisierung des Rechtssystems Die Modernisierung des Politik- und Rechtssystems Chinas war eine erzwungene Option, nach den mehrmaligen militärischen Niederlagen in Kriegen gegen westliche Großmächte und ein verwestlichtes Japan. „Erst die kaum unterbrochene Reihe 37
Yuan Shuyi (Hrsg.), S. 9747. „[…] The Self-Strengthening Movement […] really represented a very narrow, limited, and in a sense superficial attempt with minimum success.“ Francis Soo, S. 7. 38
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von Niederlagen, Demütigungen und Katastrophen, die die wachsenden Beziehungen zum Auslande mit sich brachten, zwangen auch breiteren Schichten, und nicht zum wenigsten dem Konfuzianertume selbst, die Erkenntnis auf, dass die staatliche Organisation, in die man sich mit beengtem Blicke hineingelebt hat, wesentliche Fehler enthalten müsse, und dass die Auffindung und Beseitigung der letzteren nicht lediglich die Berichtigung eines theoretischen Systems darstelle, sondern auch eine Frage der politischen Selbsterhaltung sei.“39 Wie oben erzählt, hatten sich alle bisherigen Modernisierungsversuche Chinas in der Niederlage im Sino-Japan-Krieg als Misserfolge erwiesen. Es ist daher ein notwendiger, aber auch natürlicher Gedankenwechsel, einen weiteren Modernisierungsversuch im Politik- und Rechtssystems als Grundlage der Gesellschaft Chinas zu unternehmen. Japan, ein früher von chinesischer Kultur tief beeinflusstes, aber seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch eine westorientierte Reform modernisiertes Land, bot den chinesischen Intellektuellen durch den Sieg ein lebhaftes Beispiel, dass nur durch eine allseitige Reform (besonders inklusive des Feldes von Politik und Recht) ein (konfuzianisch geprägtes) „rückständiges“ Land gestärkt werden konnte. Des Weiteren machte der Sieg Japans im Krieg gegen Russland (1904) die chinesischen Intellektuellen noch sicherer, dass der (vom Japan politisch und rechtlich aufgenommene) monarchische Konstitutionalismus aus dem Westen der entscheidende Grund war, warum Japan als kleiner Insel-Staat innerhalb von 10 Jahren (1894 – 1904) nacheinander China und Russland als traditionelle große Staaten besiegen konnte. „Japans Sieg liegt in seiner Verfassung, Russlands Niederlage liegt hingegen in keiner Existenz einer Verfassung.“40 Es schien den Chinesen, dass „die Macht einer Verfassung gleich wie die Macht einer Million Soldaten ist.“41 Die innerstaatlichen Fehlschläge und das ausländische erfolgreiche Vorbild ließen die Reform des traditionellen Politik- und Rechtssystems zu einem alle Hoffnungen der Chinesen tragenden Ausweg werden. Obwohl die Reform des Politik- und Rechtssystems eine tiefgehende Modernisierung Chinas darstellte, gilt es nicht zu vergessen, dass das, was unter „Modernisierung“ im Satz „Modernisierung des Politik- und Rechtssystems“ zu verstehen ist, ganz identisch mit der „Modernisierung“ im Satz „Modernisierung der Technik und Wirtschaft“ ist. „Modernisierung“ im historischen Kontext, seit der Neuzeit Chinas, enthält stets instrumentalistische Konnotationen. Ob ein Modernisierungsversuch, in der Neuzeit-Geschichte Chinas gesehen, erfolgreich ist oder nicht, ist stets an diesem Kriterium zu messen, nämlich, ob er Chinas Stärke retten kann, also, ob er China von den ausländischen Invasionsmächten unabhängig lassen und China wieder reich und stark machen kann. In diesem Sinne musste auch die später gekommene Modernisierung des Politik- und Rechtssystem im damaligen historischen Kontext den Zweck „jiuwang tucun (Untergang Chinas verhindern und seine 39 40 41
Otto Franke (1912), S. 509. Wu Jingxiong, S. 143. Pan Shufan (Hrsg.), S. 3.
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Existenz verfechten)“ erfüllen. Verfassungsgeschichtlich gesehen, „wenn man die abendländischen Verfassungen in der Neuzeit als Verfassungen der Menschenrechte oder der Demokratie nennt, dann müssen die neuzeitlichen Verfassungen Chinas „reich und stark machende Verfassungen (fuqiang xianfa)“ genannt werden.“42. Entscheidend für die Chinesen war daher nicht, was ein Politik- und Rechtssystem aus dem Westen an sich selbst ist oder was für ein Politik- und Rechtssystem China aufnehmen soll, sondern, ob dieses Politik- und Rechtssystem die Existenz Chinas aufrechterhalten und die Krise der chinesischen Nation beseitigen kann. Diese instrumentalistischen Grundauffassungen der Chinesen über westliche Politik- und Rechtssysteme hat die Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Chinas auch geprägt, in der China sich dem monarchischen Konstitutionalismus, Republikanismus, Kommunismus, oder sogar der Restauration des traditionellen Kaisersystems zuwendete. Der Wechsel zwischen den obigen vier Politik- und Rechtssystemen stieß auf keine großen Hindernisse, da sie alle als politische oder rechtliche „Versuche“ gemeinsam vom starkem Existenzwille der chinesischen Nation geleitet wurden. Auch das Politik- und Rechtssystem war daher nicht ein Zweck an sich, sondern ähnlich wie die Technik und Naturwissenschaften aus dem Westen ein Mittel. Im Bereich des Rechts ist dieses instrumentelle Denken besonders deutlich. In dieser heftigen politischen Veränderungen unterworfenen Phase Chinas vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kamen in den politischen Vorstellungen verschiedener politischer Kräfte entsprechend auch verschiedene Rechtsnormen, besonders zahlreiche Verfassungstexte vor. Für politische Kräfte ist das Recht (in Form von Gesetzen) ein schnelles und angenehmes Mittel, ihren politischen Willen auszudrücken. Deshalb musste jeder, der die Rechtsgeschichte in der Neuzeit Chinas beobachtete, das Phänomen entdecken, dass die Gesetzgebungsaktivitäten in dieser Zeitphase groß (wie niemals geschehen in der vergangenen Geschichte Chinas) und die entsprechenden Rechtsnormen enorm (wie niemals gegeben in der vergangenen Geschichte Chinas) waren, aber dennoch keine (langfristig gesehen) stabile Rechtsordnung hervorbrachten. Das ist besonders deutlich im Feld der verfassungsgebenden Gewalt, die oft der Streitpunkt unterschiedlicher politischer Mächte war. Wer die überwiegende politische Macht (häufig nur vorübergehend und meistens nur durch die militärischen Machtverhältnisse entschieden) gewann, versuchte auch so schnell wie möglich ein verfassungsgebendes Organ als den Träger der verfassungsgebenden Gewalt zu begründen und einen entsprechenden Verfassungstext zu erlassen. Für eine politische Macht ist dann eine Verfassung nur ein Mittel, durch welches ihre Legalität und Legitimität vermehrt werden kann, obwohl es logisch nicht unproblematisch ist, wie das Recht als etwas, was legitimieren soll, die Politik als etwas, was legitimiert werden soll, legitimieren kann, wenn die Gesetzgebungsgewalt (besonders die verfassungsgebende Gewalt) als Ausdruck der politischen Macht im Voraus das Recht schafft. Daher sind das durch Politik legi42
Zhang Jinfan (2004), S. 11.
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timierte Recht und die durch Recht legitimierte politische Macht eine Zirkellegitimierung für einander. Solche Zirkellegitimierung hängt vor allem von der Stabilität der politischen Ordnung ab, die aber in einer politisch heftig veränderten Gesellschaft nicht leicht zu schaffen ist. Was häufig passiert ist, dass mit dem Untergang einer politischen Macht deren Verfassung auch von einer anderen politischen Macht als ungültig oder als „Pseudo-Verfassung“ erklärt wurde. Ohne eine stabile politische Ordnung (oder genauer gesagt, eine allen anderen politischen Kräften überlegen ständige zentrale politische Macht) kann dann auch keine stabile verfassungsgebende Gewalt existieren, ganz zu schweigen von einer stabilen Rechtsordnung. Das ist leider die Tatsache in der Beschreibung der chinesischen Rechtsgeschichte in der Neuzeit. Jedenfalls für das China dieser Zeit ist trotz der Warnungen aus der Rechtsphilosophie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Urteil anzuerkennen: „Die Verfassung gilt auch nicht kraft ihrer normativen Richtigkeit oder kraft ihrer systematischen Geschlossenheit. Sie gibt sich nicht selbst, sondern wird für eine konkrete politische Einheit gegeben. […] die Verfassung gilt kraft des existierenden politischen Willens desjenigen, der sie gibt.“43 Darüber hinaus ist, was die damaligen Chinesen unter „Verfassung“ verstanden, nicht eine Verfassung im westlichen Sinne, die einerseits inhaltlich die Werte von der liberal-demokratischen Politik und dem Rechtsstaat darstellt, andererseits aber selbst die Folge solcher langfristigen liberal-demokratischen politischen Bewegungen ist, sondern eine Verfassung nur im formalen Sinne, d. h., die Verfassung als eine Rechtsnorm, die den höchsten rechtlichen Geltungsrang besitzt. Die Höchstheit der Verfassung bietet den verschiedenen politischen Mächten gerade, was sie benötigten, um ihren eigenen politischen Willen als höchsten zu erklären. Verglichen mit dem formalen Aspekt der Verfassung ist dann die materielle Seite der Verfassung relativ unwichtig und gewissermaßen beliebig, da sie davon abhängt, was eine politische Macht selbst nach ihren (meistens nicht leicht erklärbaren) eigenen Interessen und Stellungnahmen aus dem Westen auswählen und damit aufnehmen wollte. Der geschichtliche Hintergrund der Krise der chinesischen Nation und somit des „jiuwang tucun“, die geborene Intimität zwischen Politik und Recht in einer politisch vibrierenden Zeitphase und das formalisierte Verständnis der Chinesen von Recht (besonders die Verfassung) führen gemeinsam zu der Bildung des instrumentalistischen Rechtsverständnisses in der Rechtsgeschichte seit der Rechtsreform der SpätQing-Dynastie. Die Modernisierung des Rechtssystems war unter diesem instrumentalistischen Rechtsverständnis erfolgt.
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Carl Schmitt, S. 22.
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III. Modernisierung der traditionellen Werte Chinas oder Instrumentalisierung der Werte des Westens? Es ist nicht selten, dass viele Historiker kritisieren, das instrumentalistische Rechtsverständnis sei der Grund, warum die Modernisierung des chinesischen Rechtssystems gescheitert sei. Was die Chinesen vom Westen gelernt hätten, seien nur die Texte des westlichen Rechts, aber nicht der hinter dem Recht stehende Geist von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat usw. Für solche Historiker bedeutet die „echte“ Modernisierung des chinesischen Rechtssystems die völlige Übernahme der liberalen- und demokratischen Werte des Westens auf der Geistesebene. Inwieweit solche Kritiken gerechtfertigt werden können, hängt aber von einer wichtigeren Frage ab, nämlich, inwieweit die traditionellen ethischen, politischen und rechtlichen Werte Chinas modernisiert werden können, oder sogar, ob solche überkommenen chinesischen Werte überhaupt modernisiert werden sollen? Zumal, wie die Rechtsgeschichte Chinas seit der Neuzeit gezeigt hat, die Übernahme der Werte aus dem Westen viel schwieriger und komplizierter ist als die einfache Übernahme von Technik und Naturwissenschaft, die wertfrei verallgemeinert werden kann. Wie oben gesagt, war die Modernisierung des chinesischen traditionellen Politikund Rechtssystems als der letzte Schritt des Modernisierungsprozesses eine gezwungene Option nach den mehrmaligen militärischen Niederlagen. Innerlich gesehen, durch die Erfahrungen der Niederlagen wurde eine gewisse notwendige Beziehung zwischen dem technischen und militärischen Fortschritt und der Überlegenheit des Westens und seinem liberal-demokratischen Politik- und Rechtssystem von damaligen chinesischen Intellektuellen als etwas Selbstverständliches angenommen. Dementsprechend existierte eine korrespondierende Hypothese, nämlich dass die traditionelle Kultur und das alte Politik- und Rechtssystem Chinas für den Rückstand seiner Technik und Wissenschaft und somit seine Schwächen verantwortlich sein sollte. Unter diesen beiden Hypothesen bedeuteten dann die militärischen Niederlagen auch die Niederlage ihres wesentlich auf dem Konfuzianismus basierenden Politik- und Rechtssystems und damit einen Legitimitätsverlust der eigenen Tradition. Diese gewissermaßen unkritischen Hypothesen bildeten die Grundlage des Gedankens, von der Modernisierung des Militärs und der Technik und Wissenschaft zur Modernisierung des Politik- und Rechtssystem überzugehen. Dieser Sprung in die Modernisierung des Politik- und Rechtssystems stellte die Modernität der Technik und Wissenschaft vom Westen nicht unproblematisch dem Fortschritt seines Politik- und Rechtssystems gleich. Mit anderen Worten war die westliche technische und wissenschaftliche Modernität den damaligen chinesischen Intellektuellen gleich der Modernität des Politik- und Rechtssystems des Westens. Hier geht es nicht darum zu argumentieren, dass es überhaupt keine Beziehung zwischen der Überlegenheit der technischen und militärischen Bereiche des Westens und seinen liberal-demokratischen Politik- und Rechtssystemen gibt, (sondern es ist nur die Auffassung zu bestreiten, dass nur unter einem liberal-demokratischen Politik- und Rechtssystem des (bloßen!) Westmodells der Fortschritt der Technik und
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Wissenschaft möglich sein könne. Ein Gegenbeispiel kann China auch selbst anbieten; das häufig als „tyrannisch“ oder „rückständig“ beschriebene China war in der Wirklichkeit der Geschichte langfristig technisch und militärisch herrschend. Aus der externen Perspektive war die westorientierte Modernisierung des chinesischen Rechtssystems kein Ergebnis der selbständigen, autonomen Abwägung innerhalb des Bereiches der Werte selbst, also zwischen den traditionellen konfuzianistischen Werten und den vom Westen vertretenen Werten der Freiheit und Demokratie, sondern ein von der militärischen Macht des Westens als etwas außer den Werten stehendes gewährleistetes „Oktroyieren“ der Werte. In diesem Sinne war die gezwungene westenorientierte „Modernisierung“ der traditionellen konfuzianistischen Werte auch nur eine Notmaßnahme gegen den Westen; daher entsprach die Funktion der Einführung des liberal-demokratischen Rechtssystems derjenigen der Einführung der Technik von Flotten und Kanonen des Westens. Die neuzeitliche Geschichte Chinas wird häufig als die Geschichte des westlichen Agierens und chinesischen Reagierens, als „China’s response to the West“ oder als „die Geschichte des Einflusses des industrialisierten Westens auf China“ bezeichnet. Das „Agierenund Reagieren“-Modell argumentiert, die Modernisierung Chinas stamme aus dem Stimulieren des Westens, ohne das die Modernisierung Chinas nicht vorstellbar sei. Wie oben erzählt, ist das „Agieren- und Reagieren“-Modell durchaus geeignet, die instrumentelle, gewissermaßen „äußere“ Ursache der Modernisierung Chinas zu erklären. Aber was dieses Erklärungsmodell nicht erklären kann, ist, ob und warum die Chinesen auf das westliche Agieren „innerlich“, also durch Übernahme der Werte selbst reagieren sollten. Das Problem dieses Erklärungsmodells ist, dass es die These als etwas Selbstverständliches voraussetzt, dass der „Stimulierte“ auf die Weise des Stimulierenden reagieren müsse. „Such an approach seems to undervalue China’s indigenous tradition und creativity – as if the Chinese people were passive recipients of a foreign impact and became active in revolutionary changes only because of it.“44 Die neuzeitliche Geschichte Chinas zeigt etwas ganz anderes. Obwohl die Modernisierung des Rechtssystems konsequenterweise eigentlich auch die Modernisierung der ihm immanenten Werte und daher eine tiefste Ebene der Modernisierung bedeutete, passierte die echte Modernisierung jedoch auf der Ebene der Werte niemals, d. h. China reagierte auf den „liberal-demokratischen“ Stimulierenden nicht, wie vielleicht theoretisch zu erwarten, auch liberal und demokratisch. Im Folgenden wird gezeigt, dass die häufig als „liberalste“ und „demokratischste“ in der chinesischen Geschichte beschriebene Republik China in der Tat auch niemals (mindestens vor dem Jahr 1949) die Werte von Freiheit und Demokratie im westlichen Sinne verwirklichte. Man kann genauer sagen, dass in Wirklichkeit nicht die eigenen Werte des traditionellen Chinas (trotz der unvermeidbaren Veränderungen in den Auseinandersetzungen mit den westlichen Werten) modernisiert wurden, sondern die ursprünglichen westlichen Werte im chinesischen historischen Kontext gemäß Chinas „indigenen“ Traditionen instrumentalisiert wurden. Die traditionellen Vorstellungen 44
Ssu-yü Teng/John K. Fairbank, preface.
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der Chinesen über Politik und Recht blieben kaum verändert. Sie waren und sind immer noch ein Kriterium, nach welchem die westlichen Werte nach eigenen Bedürfnissen gefiltert und ausgewählt wurden und werden. Was hinter dem instrumentalistischen Rechtsverständnis stand, war die Instrumentalisierung der westlichen Werte. „Es war – darüber sollte man sich in Europa keinen Täuschungen hingeben – nicht etwa die vermeintliche ungeheure Überlegenheit der abendländischen Geisteskultur, die den Chinesen die Überzeugung von der Unzulänglichkeit ihrer staatlichen Organisation aufnötigte, sondern es war, zunächst wenigstens, nichts anderes als die Brutalität der größeren physischen Stärke, der realen Machtmittel, die der neuen Erkenntnis den Weg öffnete.“45 Die Erzählweise vieler Rechtshistoriker geht von den Begriffen „Modern“ und „Modernität“ des Westens als ein Wert aus, was nicht hilfreich ist, sowohl die Rechtsgeschichte Chinas in der Neuzeit, als auch die gegenwärtige Rechtsordnung Chinas zu verstehen. Wenn die Modernisierung des Rechtssystems Chinas nur an dem Maßstab der westlichen politischen und rechtlichen Modernität als Ausdrucks der Wertentscheidung für Freiheit und Demokratie zu messen wäre, dann wäre die Modernisierung des Rechtssystems Chinas in der Neuzeit als erfolglos zu betrachten und das vorhandene Rechtssystem der VRCh unter dem (ideologisch so genannten) Sozialismus als noch modernisierungsbedürftig anzusehen sein. Die übliche, Werte der Freiheit und Demokratie enthaltende Terminologie der „Modernisierung“ impliziert eine ideologische Sicht auf das chinesische Rechtssystem, sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart, was nicht zu einer wissenschaftlichen Beschreibung der chinesischen Rechtsordnung beitragen kann. Aus diesem Grund ist im Folgenden unter „Modernisierung“ nur eine Modernisierung zu verstehen, die von ihrer wertenden Konnotation unabhängig ist. „Vier Modernisierungsversuche“ des chinesischen Rechtssystems sind dann vier Versuche der Chinesen, durch die Erneuerungen ihres Rechtssystems China wieder zu stark zu machen, setzten aber keine „Liberalisierung“ und „Demokratisierung“ im westlichen Sinne als deren Richtung voraus. Nur ein solch offener und wertfreier Begriff der „Modernisierung“ hilft, die Gesetzgebungsaktivitäten und die zahlreichen Rechtsnormen in der neuzeitlichen Rechtsgeschichte Chinas aus sich heraus und ohne von außen herangetragene Bewertungen zu verstehen. Außerdem kann nur ein so offener Begriff der Modernisierung einen Raum für die chinesische eigene Erzählweise der neuzeitlichen Rechtsgeschichte offenlassen. Wie ein Rechtshistoriker zutreffend andeutete: „The point is that Chinese law has to be examined on its own terms. Categories of the western law do not work“; „Although on paper modern China has all of the apparatus of a western legal system, it is a country that is still heavily influenced by tradition.“46
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Otto Franke (1912), S. 509. C. Stephen Hsu (editor), S. 8, 14.
B. Der erste Modernisierungsversuch
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B. Der erste Modernisierungsversuch: Rechtsreform in der Spät-Qing-Dynastie Das 19. Jahrhundert war sowohl für China als auch für Deutschland, historisch gesehen, ein entscheidendes Jahrhundert. Aber für beide Länder waren ihre Schicksale ganz anderes. Deutschland wurde, trotz unvermeidbarer Kämpfe, Regressionen und Stagnationen, allmählich zu einem einheitlichen Nationalstaat, der sich durch bürgerliche politische Bewegungen und die Reformen offener Politiker kontinuierlich den Ideen der Französischen Revolution, nämlich Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Schutz des Privateigentums annäherte und schließlich alle diese Werte in der Form vom monarchischen Konstitutionalismus festlegte und dadurch seine „politische Modernität“ erfüllte. China befand sich aber in einer gegensätzlichen Richtung. Während Deutschland sich im 19. Jahrhundert verfassungsgeschichtlich noch im „Kampf zwischen den beiden gegensätzlichen Lösungen: der straffen staatlichen Zusammenfassung Deutschlands unter einer starken Zentralgewalt und der lockeren bündischen Einung der autonomen Teile unter einem schwachen Föderativorgan, ,Staat‘ oder ,Bund‘?“47 befand, geriet das alte China, ein bereits in der Qin-Dynastie gewordenes unitarisch-zentralistisches und wesentlich auf Konfuzianismus basierendes Land in den Prozess des Zerfallens, also, von einem zentralen Kaiserstaat in einen Halbkolonie-Staat. Was die militärischen Mächte des Westens den Chinesen mitbrachten, waren außer den ständigen Niederlagen Chinas aber auch neue „Quellen der Weisheit“, welche die Chinesen dringend benötigten, um die Krise der Nation zu verbannen und die Eigenständigkeit wieder zu gewinnen. Dementsprechend veränderte sich auch die traditionelle Staatsauffassung Chinas. Der früher grenzlose Universal-Staat musste, um sich gegen die westlichen Invasionsmächte wehren zu können, in einen geschlossenen Nationalstaat umgewandelt werden. „Unter diesem Einfluss des abendländischen Geisteslebens verschob sich allmählich das konfuzianische Weltbild, der theokratische Universalstaat geriet ins Wanken, und um die Jahrhundertwende unternahm man die ersten Versuche, ihn in den nationalen Rechtsstaat umzubauen.“48 „An die Stelle des unbegrenzten Universal-Staates musste der geschlossene National-Staat treten, aus dem Kirchen-Staate mit ethnischer Grundlage musste ein Recht-Staat werden, der theokratische Absolutismus musste sich in eine durchgearbeitete gesetzmäßige Verfassung verwandeln, mit einem Worte: aus dem riesigen Gemeinwesen des Altertums musste ein moderner Staat in abendländischem Sinne gemacht werden.“49 Von Anfang des 20. Jahrhunderts an schien der Spät-Qing daher als westorientierte Rechtsreform der alleinige Ausweg Chinas zu sein, durch den ein chinesischer Nationalstaat aufgebaut werden konnte, der „Unabhängigkeit nach Außen und 47 48 49
Ernst Rudolf Huber (1988), S. 476. „Chinesisches Recht“, in: Stier-Somlo/Elster (Hrsg.), S. 870. Otto Franke (1912), S. 509 – 510.
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Einheit nach Innen“50 besitzt. Die westlichen Invasionen berührten in erster Linie die Herrschaft der Qing-Dynastie, die die letzte Dynastie in der langen Dynastie-Geschichte Chinas war. Daher ist es verständlich, dass der erste Modernisierungsversuch für das chinesische Rechtssystem eine vom Qing-Kaiserhof selbst geführte, also von oben nach unten unternommene Rechtsreform war.
I. Das ursprüngliche Motiv der Rechtsreform: die Beseitigung der Exterritorialität und anderer Sonderrechte westlicher Großmächte Die militärischen Niederlagen drückten sich rechtlich unmittelbar in der Form der ungleichen Verträge zwischen China und den westlichen Großmächten aus. China trat ein in das „Zeitalter der ungleichen Verträge“, und „for a full a centry after 1842, China remained subject to a system of international relations characterized by the ,unequal treaties‘ established by the Western powers.“51. „Sie (ungleiche Verträge) waren zwar auf dem Boden formeller Gleichberechtigung auch des chinesischen Partners zustande gekommen, doch lag die Verpflichtung zu Leistungen und Duldungen fast immer nur auf der Seite Chinas. Die Niederlagen, die es in seinen Waffengängen mit den europäischen Mächten erlitten hatte, boten den Gegnern wie üblich eine Gelegenheit, die Friedensbestimmungen einfach zu diktieren. Vor allem aber nutzten sie Chinas äußere Machtlosigkeit, die durch die vielen innerpolitischen Wirren bedingt war, und seine völkerrechtliche Unerfahrenheit aus.“52. Durch solche ungleichen Verträge wurden zahlreiche Sonderrechte westlicher Großmächte (zuerst in der Form von Vertragshafenrechten) gegründet, die sich nicht nur auf den Bereich Handel, Territorium, Kriegsentschädigung, Zoll, sondern auch auf die Judikative Chinas erstreckten. „Es handelte sich (bei Sonderrechten der westlichen Großmächte) um ein System von Einschränkungen chinesischer Hoheitsrechte.“53 Die Sonderrechte in der Judikative waren die schlimmsten für die Chinesen, da sie die unmittelbarste und anschaulichste Verletzung der Hoheitsrechte Chinas darstellten und ein schmerzhaftes Gefühl chinesischer Machtlosigkeit gegenüber den westlichen Großmächte herbeiführten, wie Lin Zexu in seinem „moral advice“ an Queen Victoria sagte: „Suppose a man of another country comes to England to trade, he still has to obey the English laws; how much more should he obey in China the laws of the Celestial Dynasty?“54 Diese Sonderrechte in der Judikative kamen in der Form von Exterritorialität oder Konsulargerichtsbarkeit zum Ausdruck, und „extend the respective national jurisdictions into China.“55 50 51 52 53 54 55
Ernst Rudolf Huber (1988), S. 3. Ssu-yü Teng/John K. Fairbank, S. 1. August Thönnes, S. 158. August Thönnes, S. 158 – 159. Lin Tse-Hsü’s Moral Advice to Queen Victoria, in: Ssu-yü Teng/John K. Fairbank, S. 27. F. E. Hinckley, S. 97.
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Nach dem ersten Opium-Krieg schloss der Qing-Kaiserhof mit England den ersten ungleichen Vertrag (den sogenannten Nanjing-Frieden 1842) in der Neuzeit Chinas ab, in dem bestimmt wurde, dass sich englische Kaufleute in rechtlichen Streitigkeiten mit Chinesen nur den englischen Gesetzen, aber keinen chinesischen Gesetzen unterwerfen sollten, wodurch die Unabhängigkeit der Judikative Chinas verletzt zu werden begann. Die Regelung über den Handel in Fünf-Vertragshafen zwischen China und England (1943) (zhongying wukou tongshang zhangcheng) konkretisierte die englische Konsulargerichtsbarkeit weiter. Die folgende Reihe von ungleichen Verträgen (Humen-Vertrag 1843, Wangxia-Vertrag 1844, HuangpuVertrag 1844, Tianjin-Vertrag 1858 usw.) verletzten weiter die Hoheitsrechte Chinas und machten die ungleiche Stellung Chinas gegenüber den westlichen Großmächten erheblicher. „Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts genossen fast 20 Länder in China jeweilige Exterritorialität“56, und dementsprechend wurden auch zahlreiche Konsulargerichte gegründet57. Die ungleichen Verträge ließen die ungleiche Stellung Chinas rechtlich rechtfertigen. Daher ist die Vernichtung der rechtlich durch die Exterritorialität festgelegten ungleichen Stellung Chinas das ursprüngliche Motiv oder „the catalyst“58, Chinas eigenes Rechtssystem zu reformieren, damit, mindestens nach dem schönen Traum vieler damaligen Juristen, die ausländische Exterritorialität aufgehoben werden konnte. Mit dem Zeitgeist des „jiuwang tucun“ seit dem ersten Opium-Krieg übereinstimmend war die rechtliche Beseitigung des Unrechts der ungleichen Verträge von Anfang an ein wesentliches Ziel der chinesischen Intellektuellen und Juristen. Die Aufhebung der Exterritorialität und „institutionalization of the state law“59 nach dem westlichen Modell verbanden sich daher von Anfang an mit dem Streben der Chinesen nach einer neuen Staatlichkeit und Staatsbildung unter Verwendung des westlichen Begriffs der „Souveränität“. „Sie (die vertragsmäßig festgelegte Exterritorialität) war für das erwachende politische Selbstgefühl eine beständige schmerzende Mahnung, dass die Rechtsordnung des eigenen Landes im internationalen Verkehr als unzugänglich galt.“60 „Für China waren solche Reformen zunächst die alleinige Hoffnung, (die Konsulargerichtsbarkeit abzuschütteln)“61. Durch die Beseitigung der Sonderrechte westlicher Großmächte erhofften sie, eine völ56
Zhang Renshan, S. 82. Großbritannien hat für seine Staatsangehörigen durch die Verordnungen (Orders in Council) von 1865 und 1904 den Obersten Britischen Gerichtshof für China geschaffen. Danach gründeten die USA 1906 in Shanghai ein Gericht für China (the Unites States Court for China), das „by virtue of the provisions of treaties“ geschaffen war. „This court took over the jurisdiction formerly exercised by United States Ministers to China.“ Crawford M. Bishop, S. 284. „In China (1926), 35 Japanese, 26 British, 18 United States, and 18 French consular courts – a total of 121 consular courts of Western countries and Japan – operated.“ Turan Kayaoglu, S. 650. 58 Turan Kayaoglu, S. 650. 59 Turan Kayaoglu, S. 665. 60 „Chinesisches Recht“, in: Stier-Somlo/Elster (Hrsg.), S. 870. 61 August Thönnes, S. 160. 57
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kerrechtliche Gleichstellung Chinas wiederzugewinnen. Daher „war das unmittelbare oder primäre Motiv der Rechtsreformbemühungen der späten Qing also außenpolitischer Natur.62 Darüber hinaus bot das Versprechen westlicher Großmächte einen weiteren Anreiz für die Reform des chinesischen Rechtssystems. Die Hauptbegründung der westlichen Großmächte für den Vorbehalt der Exterritorialität war, dass das traditionelle chinesische Rechtssystem dem westlichen aufgeklärten Rechtsgeist nicht entsprach und „Chinese laws and their method of enforcement were repugnant to the sense of equity of foreign Powers.“63 Besonders im Bereich des Strafrechts „war das in den lü enthaltene chinesische Strafrecht zwar einigermaßen deutlich, jedoch wegen seiner rechtsstaatlich unvollkommenen Gestalt und seiner nach der im Gefolge der Aufklärung eingetretenen Humanisierung des europäischen Strafrechts als extrem und grausam empfundenen Sanktionen unakzeptabel.“64. Und „the barbarity and severity of the punishments which the callousness of the natives render necessary were revolting to western ideas.“65 Daher, „chinese law was totally unsuitable for extension to Europeans.“66 Solche Behauptungen wurden bewusst und unbewusst von chinesischen Juristen, Diplomaten und Politikern seit der Spät Qing übernommen. „Sie glauben, dass der Grund für den Bestand der Exterritorialität der westlichen Großmächte in China ist, dass die Gesetze der Qing-Dynastie nicht gut sind, die Strafen brutal sind und es keine Trennung von Exekutive und Judikative gibt. […] Sie glauben zugleich, dass nach der Rechtsreform die Großmächte automatisch auf ihre Exterritorialität in China verzichten werden.“67 Das Versprechen der Großmächte kam Anfang des 20. Jahrhunderts sogar in Vertragsform zum Ausdruck. Der 12. Artikel des MakaiVertrags (1902) zwischen China und England bestimmte, dass „China den lebhaften Wunsch ausgesprochen hat, sein Gerichtsverfahren zu reformieren und es mit dem der westlichen Nationen in Einklang zu bringen, dass genannte Mächte bereit sind, dieser Reform jede mögliche Unterstützung zu gewähren und ihre exterritorialen Vorrechte in China aufgeben wollen, sobald sie sich überzeugen können, dass die chinesischen Gesetze, die Anwendungsvorschriften dafür und sonstige Umstände einen solchen Schritt rechtfertigen würden.“ Ähnliche Inhalte wurden auch in folgenden Verträgen zwischen China und Amerika, Japan und Portugal festgelegt. „Es ist also ein zweifaches Versprechen in den Verträgen enthalten: die Mächte verpflichten sich, auf die exterritoriale Gerichtsbarkeit unter gewissen Voraussetzungen zu verzichten, und China übernimmt die Verpflichtung, auf die Schaffung dieser Voraussetzungen durch solche Justiz- und Verwaltungsreformen, die von den 62 63 64 65 66 67
Robert Heuser (2008), S. 197. Charles Denby, S. 669. Robert Heuser (2008), S. 195. Gustavus Ohlinger, S. 341. G. W. Keeton (1969), S. 96. Li Guilian, S. 47.
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Mächten als genügend angesehen werden können, hinzuwirken“.68 Jedoch war ein solches Versprechen nicht verbindlich; wie und wann diese Voraussetzungen erreicht wurden, damit es „should render its continuance unnecessary“69, stand völlig im Ermessen der Großmächte. Und das einzige, was China in der Geschichte aus dem Versprechen erhielt, war eine Erneuerung des Versprechens.70 Abgesehen von der Frage, inwieweit oder ob die Rechtsreformen in der Spät Qing und in der Republik China überhaupt den Verzicht auf die Exterritorialität begünstigten71, und auch von der Frage, ob die Exterritorialität in der Wirklichkeit eine rein rechtliche Frage war72, vermehrten die schönen Versprechen westlicher Großmächte doch die Antriebskraft der Rechtsreform. Außerdem bot Japan hier wieder ein gutes Beispiel, da „as far as law reform concerned, Japan had just successfully undertaken a similar reorganization, with the result that all foreign extraterritorial rights in Japan were abolished before the close of the century.“73 „The abolition of extraterritoriality in Japan following Japanese legal reforms and Western states’ promises to abolish extraterritoriality conditioned on Chinese legal reforms encouraged the Chinese legal reorganization.“74
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Baron A. Heyking, S. 462. A. Wood Renton, S. 722. 70 Solches Versprechen bekam China 1921 an der Washington Konferenz wieder: „The Western nation are prepared to relinquish extraterritorial rights when satisfied that the state of Chinese laws, the arrangement for their administration and other considerations warrant them in doing so“, was wieder „a great gratification to the Chinese delegate“ bedeutete. See Charles Denby, S. 667. 71 Was – historisch gesehen – schließlich zur Aufhebung der Exterritorialität der westlichen Länder in China führte, war nicht rein rechtlicher Grund, wie ein Theoretiker angedeutet: „The failure to institutionalize state law led to the late abolition of extraterritoriality in China.“ Turan Kayaoglu, S. 665. Ein Beobachter hat den rechten Zweck des Vorbehaltes der Exterritorialität ausgedrückt: „Extraterritoriality is, in fact, the keystone to all foreign privileges in China. Once it is removed, the whole fabric, the result of nearly a century of constructive effort, must collapse.“ Quincy Wright, S. 218. Bis zum Jahr 1937 schrieb noch ein Verfasser „China still waits the end of extraterritoriality“. „She (China) will be the only nation bound by the shackles of the ancient system without any definite date of its abolition.“ Ching-Chun Wang, S. 745. Der Grund der Aufhebung der Exterritorialität liegt vielmehr im außerrechtlichen Bereich: „Die Geschichte hat aber bewiesen, dass die westlichen Großmächte immer noch nicht auf ihre Exterritorialität in China verzichteten, bis zum Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, als das Sechs-Kodex-System im neuzeitlichen (westlichen) Sinne von Nanjing-Nationalregierung schon gegründet war. Und der völlige Verzicht auf die Exterritorialität fand erst 1943 statt, um im Zweiten Weltkrieg Chinas Kampf gegen Japan zu fördern.“ Gao Hancheng, S. 98. 72 Wie eine Kritik lautet: „The sole motive for the establishment of consular jurisdiction was the protection of trade.“ John C. H. Wu, S. 183. 73 G. W. Keeton (1969), S. 2. 74 Turan Kayaoglu, S. 665. 69
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II. Verfassungsreform in der Spät-Qing-Dynastie Der Fortschritt oder die „Modernität“ der westlichen Rechtssysteme bestand in den Augen damaliger chinesischer Intellektueller und Juristen vor allem in ihren Verfassungen. Daher war der erste Schritt für die Rechtsreform, auch eine Verfassung für China zu schaffen (lixian). Die Herrschaft der Qing-Dynastie war nach dem SinoJapan-Krieg und der Invasion der „Vereinigten acht Staaten“ in Beijing (1900) in eine größere Krise geraten. Die Unfähigkeit und Schwäche der Qing-Regierung gegenüber den westlichen Großmächten führte einerseits zu Forderungen politischer und rechtlicher Reform durch die „offene“ Schicht innerhalb der Qing-Regierung selbst (so die „100-Tage-Reform“ des Sommers 1898, wuxu bianfa), anderseits aber auch zu Forderungen nach dem Umsturz der Qing-Dynastie durch allmählich stärker gewordene revolutionäre Kräfte. Um die eigene Herrschaft weiter aufrechterhalten zu können, musste der Qing-Kaiserhof die damaligen realpolitischen Verhältnisse berücksichtigen. Die Schaffung einer Verfassung war eine höchst dringende Aufgabe der Qing-Regierung geworden, da sie einerseits die Selbstrettung der Qing-Regierung, anderseits aber auch Zustimmung der revolutionären Mächte bewirken sollte. Obwohl wie schon gesagt die westlichen Länder für die Chinesen neue „Quellen der Weisheit“ darstellten, waren die westlichen Quellen an sich jedoch nicht einheitlich. „Dass eine derartige Reform im Staatswesen nur unter Benutzung ausländischer Vorbilder möglich war, kam ebenfalls in allen Entwürfen zum Ausdruck, verschieden waren nur die Ansichten darüber, in welchem fremden Staaten man am ehesten geeignete Vorbilder finden könnte.“75 Für damalige Juristen gab es einerseits mindestens den monarchischen Konstitutionalismus und den demokratischen Republikanimus als vorstellbare Möglichkeiten; andererseits existierten trotz eines gleichen Politiksystems, z. B. des monarchischen Konstitutionalismus von England und Deutschland, auch konkrete Unterschiede in der Gestaltung und Struktur des Verhältnisses des Monarchen zu den anderen Staatsgewalten. Aus den zahlreichen Möglichkeiten eine auszuwählen, die den chinesischen politischen Verhältnissen am besten entsprechen konnte, war daher die wichtigste Aufgabe der Verfassungsreform. Die Schaffung einer neuen Verfassung bedeutete eine neue Gestaltung der ganzen politischen und rechtlichen Ordnung Chinas. Verglichen mit der relativ deutlichen gemeinsamen Forderung aller politischen Kräfte nach einer chinesischen Verfassung waren die inhaltlichen Vorstellungen eher vage. Den damaligen realpolitischen Verhältnissen entsprechend, wurde die erste Verfassungsreform von der Qing-Regierung geleitet. Dem Lernen über westliche Verfassungen diente die Gründung einer besonderen Einrichtung. 1905 etablierte die Qing-Regierung eine besondere Behörde. Sie wurde zuerst „Amt für die Untersuchung der politischen Systeme“ (kaocha zhengzhi guan), seit 1907 „Amt für die Untersuchung und Zusammenstellung der Verfassungen“ (xianzheng biancha guan) genannt. Die Aufgabe der neuen Behörde bestand darin, 75
Otto Franke (1912), S. 510.
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Verfassungsgesetze Japans und westlicher Länder ins Chinesische zu übersetzen und eine chinesische Verfassung unter Verwendung dieses ausländischen Materials zu entwerfen. Auch wurden fünf hohe Würdenträger im Dezember 1905 vom QingKaiserhof in verschiedene westliche Länder und Japan entsandt, um dort in Japan, Amerika und den wichtigsten Staaten Europas die Verfassungen, politischen Einrichtungen und wirtschaftlichen Systeme eingehend zu beobachten und zu untersuchen, und „das Gute von ihnen aufzunehmen.“76 Die Ergebnisse der fünf Gesandten nach ihren Untersuchungen liefen auf drei Vorteile des Konstitutionalismus hinaus, nämlich: Durch die Verfassungsgebung könne „(1) die Krone des Kaisers ewig konsolidiert werden; (2) die äußere Gefahr gemindert werden; (3) die innere Unruhe beseitigt werden.“77 „Diese Vorteile der Gesetzgebung waren der QingRegierung, derer Herrschaft schon in eine große Krise geraten war, sehr attraktiv.“78 Nach weniger als einem Jahr (im September 1906) kündigte der Qing-Kaiserhof im Edikt vom Kaiser Guangxu „die Vorbereitung der Verfassungsgebung (yübei fangxing lixian) an, in dem es hieß: „[…] Der Wohlstand und die Macht der fremden Staaten beruhen in letzter Linie auf dem Grundsatze, die Kräfte von Fürst und Volk gemeinsam in den Dienst der Gesamtheit zu stellen, jedem seinen abgegrenzten Wirkungsbereich zuzuweisen und die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Kräfte wieder unter der Aufsicht der Gesamtheit sich vollziehen zu lassen. Auf Grund dieser Erfahrung wird es notwendig sein, auch China eine solche den modernen Verhältnissen entsprechende Verfassung zu verleihen. […] Nun ist aber bisher weder der Rahmen einer solchen Verfassung für China hergestellt, noch die Bildung des Volkes vorhanden, die von der Verfassung vorausgesetzt wird. Unter solchen Umständen würde eine überstürzte moderne Verfassung ein totes Schriftstück bleiben. Man wird also zunächst die Grundlagen schaffen müssen, auf denen sich die Verfassung einst aufbauen soll.“79 In der Phase der Vorbereitung der Verfassungsgebung sollten erstens das System des Beamtentums, der Exekutive und Judikative Chinas reformiert werden, zweitens das Parlament gegründet werden, und drittens, die lokale Autonomie verwirklicht werden, damit eine Grundlage für die künftige Verwirklichung der Verfassung geschafft werden konnte. Im August 1908 erklärte die Qing-Regierung, dass die Dauer der Vorbereitung der Verfassungsgebung 9 Jahre (1908 – 1917) betragen solle, und 76 Die Abteilung für die historischen Materialien der Ming- und Qing-Dynastien vom Gugong Museum (Hrsg.), Die historischen Materialien für die Vorbereitung der Verfassungsgebung in der Spät Qing (qingmo choubei lixian dangan shiliao) Band I, zhonghua shuju 1979, S. 1. 77 Zhang Jinfan (1999), S. 85. 78 Wei Qingyuan/Gao Fang, S. 140. 79 Die Abteilung für die historischen Materialien der Ming- und Qing-Dynastien vom Gugong Museum (Hrsg.), Die historischen Materialien für die Vorbereitung der Verfassungsgebung in der Spät Qing (qingmo choubei lixian dangan shiliao) Band I, Zhonghua shuju 1979, S. 43 – 44, übersetzt von Otto Franke in dessen Werk, Ostasiatische Neubildung: Beiträge zum Verständnis der politischen und kulturellen Entwicklungs-Vorgänge im Fernen Osten, Verlag von C. Boysen 1911, S. 122 – 123.
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erließ gleichzeitig „Die vom Kaiser bestätigte Verfassungsskizze der Großen Qing (qinding xianfa dagang)“, die der erste Verfassungstext in der langen Geschichte Chinas ist. Kurz vor seinem Niedergang erließ der Qing-Kaiserhof 1911 erneut eine neue Verfassung „19 grundlegende Grundsätze der Verfassung der großen Qing“. Während der Vorbereitung der Verfassungsgebung wurden auch entsprechende Verfassungsorgane geschaffen. Auf der zentralen Ebene wurde 1910 „der Beratungshof für Regierungs-Angelegenheiten (zizheng yuan)“, ein Vorparlament, gegründet. „Diese Körperschaft stellt in der Tat eine Verschmelzung von Ober- und Unterhaus dar und muss verstanden werden als das, was es sein sollte, eine Vorbereitung für das künftige wirkliche Parlament.“80 Auf der lokalen Ebene wurden Provinzial-Landtage (ziyi ju) aufgestellt, die dem Zweck der lokalen Autonomie dienen sollten. In den letzten Jahren der Qing-Dynastie hatte der Qing-Kaiserhof sowohl Verfassungen erlassen, als auch Verfassungsorgane im westlichen Sinne gegründet. Diese Versuche der Verfassungsreform der Spät Qing sind zwar die ersten in Chinas Geschichte, haben aber nur einen formellen Sinn und „keine konkreten Konsequenzen gebracht“.81 Sie hatten weder die Qing-Dynastie gerettet, noch eine Epoche des Konstitutionalismus und der liberal-demokratischen Politik eingeleitet. Zu Beginn der Vorbereitung der Verfassungsgebung erklärte der Qing-Kaiserhof ihren Zweck: „Die höchste Gewalt soll beim Throne liegen, die einzelnen Regierungshandlungen aber müssen in den Erörterungen der Gesamtheit ihren Halt haben.“82 Dieser im Voraus festgelegte Zweck hat gleichsam schon das Schicksal der Verfassungsreform vorhergesagt. Nach dem Verständnis des Qing-Kaiserhofs war eine Verfassung nur ein Mittel, wodurch seine eigene Herrschaft rechtlich und formell gerechtfertigt und festgelegt werden konnte, aber ohne jede Minderung der vorhandenen Macht des Kaisers. „Die Macht des Kaisers ist fast identisch mit der Macht des Kaisers unter dem Absolutismus.“83 Daher hatte der Qing-Kaiserhof in der Phase der Vorbereitung der Verfassungsgebung keine echte Maßnahme ergriffen, die eigene absolute Macht zu beschränken und die Rechte des Volks zu erweitern und zu garantieren. Die Verfassungsgebung der Qing-Regierung war daher „nur eine Methode der Verschleppung“ und zeigte „schließlich aber keinen echten Willen zur Realisierung von Konstitutionalismus“84. „Es gibt nur Vorbereitung, aber keine Verfassungsgebung.“85
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Otto Franke (1912), S. 520. Jing Zhiren, S. 168. 82 Otto Franke (1912), S. 516. 83 Zhang Xueren/Chen Ningsheng (Hrsg.), S. 25. 84 Yang Youjiong, S. 3. 85 Die Abteilung für die historischen Materialien der Ming- und Qing-Dynastien vom Gugong Museum (Hrsg.), Die historischen Materialien für die Vorbereitung der Verfassungsgebung in der Spät Qing (qingmo choubei lixian dangan shiliao) Band I, zhonghua shuju 1979, S. 3. 81
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„Die vom Kaiser bestätigte Verfassungsskizze der Großen Qing“ orientierte sich an den Modellen der Verfassungen von Deutschland und Japan. Der hauptsächliche Grund der Entscheidung für die Modelle von Deutschland und Japan ist, dass in den Verfassungen dieser beiden Länder die Macht des Kaisers vorrangig gewährleistet wurde und gegenüber der Legislative und Judikative noch große Eigenständigkeit einräumte. Solche Struktur der Staatsgewalten entsprach eben dem Interesse des Qing-Kaiserhofs, wonach die Rechtsreform unter der Aufrechterhaltung eigener Herrschaft stattfinden sollte.86 Ein weiterer Grund war, dass Deutschland und Japan zum europäischen kontinentalen Rechtskreis gehörten, der sich durch positive Gesetze auszeichnet. Positive Gesetze sind somit das schnellste und angenehmste Mittel, den Willen zur Rechtsreform der Qing-Regierung zu erklären. Schließlich ist der Grund auch aus der eigenen Tradition Chinas zu entnehmen: „Dass es kontinentaleuropäisches, also kodifiziertes, und nicht anglo-amerikanisches case-law war, ergab sich für die Qing-Reformer ohne weiteres aus der lü-Tradition, der jahrhundertelangen Existenz eines Kodex. … Es schien also der chinesischen Sozialtradition näher zu sein.“87 Zutreffend wurde 1922 gesagt: „Reform efforts to reconcile the practical necessities of Chinese traditions with the principles of modern jurisprudence have generally followed the continental Idea.“88 Der in der Verfassungsskizze zum Ausdruck gekommene monarchische Konstitutionalismus konsolidierte die Vorherrschaft und Prärogativen des Kaisers der Qing-Dynastie, vernachlässigte und beschränkte aber die Rechte des Volkes, „was den grundlegenden Ton der neuzeitlichen Verfassungsgeschichte Chinas bildet.“89 In ihrem Wesen ist diese Skizze noch eine der Souveränität des Kaisers, und „nur ein Produkt der Bürokratie ohne Mitwirkung der Volksvertretung.“90 „Sie ist eine Verfassung, die nur die Gewalt des Kaisers sichert, aber keinen Interessen des Volks dient.“91 Außerdem sind zizheng yuan und ziyi ju zwar Verfassungsorgane und Gesetzgebungsorgane im formellen Sinne, tatsächlich aber nur Beratungsorgane, „Unterstützungsorgane der Regierung.“92 Organisatorisch gesehen, bestand Zizheng yuan aus 200 Abgeordneten, deren eine Hälfte vom Kaiser und andere Hälfte von den Landtagen (ziyi ju) ausgewählt wurde. Den vom Kaiser ausgewählten Abgeordneten fehlte jegliche demokratische Legitimität, und die Unvollkommenheit der Auswahl der Abgeordneten auf der lokalen Ebene machte solche demokratische Legitimität schwach, „da die Auswahl der Abgeordneten unter strenger Kontrolle und Manipulation der regionalen Gouverneure stand“.93 In diesem Sinne sind zizheng yuan und 86 „While the reformers proposed a constitutional monarchy, they still wanted to preserve the basic structure of the dynastic system.“ Francis Soo, S. 10. 87 Robert Heuser (2008), S. 204. 88 Leonard S. Hsu, S. 765. 89 Zhang Jinfan (1999), S. 86. 90 Wang Shijie/Qian Duansheng, S. 348. 91 Pan Shufan (Hrsg.), S. 7. 92 Yang Youjiong, S. 41. 93 Zhang Xueren/Chen Ningsheng (Hrsg.), S. 30.
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ziyi ju keine Organe der Volksvertretung und konnten daher keine Teilnahme des Volks an der Ausübung der Staatsgewalt gewährleisten. Dementsprechend konnten diese Organe auch keine Funktion der Gesetzgebung leisten. Die Verfassung „19 grundlegende Grundsätze der Verfassung der großen Qing“ richtete sich nach der Verfassung von England und versuchte, die Macht des Kaisers stark zu beschränken, die freiheitlichen und demokratischen Rechte des Volks zu gewährleisten und die Stellung des Parlaments zu verstärken. Inhaltlich war es daher eine ganz „fortgeschrittene“ Verfassung.94 Die Verkündung dieser Verfassung fand aber erst während der Revolution 1911 (xinhai geming), kurz vor dem Niedergang der Qing-Dynastie, statt; es schien daher den Revolutionären, dass diese Verfassung nur wieder „ein politischer Betrug“ des Qing-Kaiserhofs war. Für die „offene“ Gruppe innerhalb der Qing-Regierung war „das Arzneimittel der Verfassung zwar geeignet, aber zu spät gekommen.“95 Diese erste liberale demokratische Verfassung in der Geschichte Chinas war wegen des Sieges der xinhai geming nicht verwirklicht worden und wurde mit dem Untergang der QingDynastie schnell Geschichte. Die geschilderte Verfassungsreform war der erste Modernisierungsversuch für das Rechtssystem Chinas. Sie versuchte zum ersten Mal eine Verfassung für China zu schaffen, die sowohl den westlichen Geist des Rechts als auch eigene Tradition widerspiegeln kann. Dieser Versuch scheiterte jedoch schnell, nur sieben Jahre nach seinem Anfang. Nicht zu leugnen, dass der Qing-Kaiserhof nach langem Zögern und Abwägen und tatsächlich das deutsche und japanische Modell einer konstitutionellen Monarchie als „Quelle der Weisheit“ aufgenommen hatte. Aber diese konstitutionelle Monarchie konnte den Niedergang der Qing-Dynastie nicht verhindern. Der Grund liegt darin, dass die Qing-Regierung und die damaligen Rechtsreformer das Wesen der konstitutionellen Monarchie und die Voraussetzungen für deren Anwendung nicht kannten. Die westliche Rechtsgeschichte (also hauptsächlich von England, Frankreich und Deutschland) zeigt, dass der monarchische Konstitutionalismus das Ergebnis des Kompromisses vorhandener politischer Mächte ist. „Dieser Versuch zur ,Vereinigung des Unvereinbaren‘ machte das Wesen des Konstitutionalismus aus.“96 Die Grundlage für einen solchen Kompromiss bilden die realpolitischen Mächte, also die traditionelle Macht des Monarchen und die neu aufgekommene liberal-demokratische politische Macht. „Ein monarchisch-liberaler Kompromiss […] sucht die überlieferte monarchische Herrschaftsgewalt mit bürgerlichen Freiheits- und Mitbestimmungsrechten zu vereinen.“97 „Der Grundgedanke des konstitutionellen Systems, wie es zunächst in der französischen Charte entstand, war ein dreifacher Verfassungskompromiss: die Verbindung von Staat und 94 „Wenn sie wirklich durchgeführt wäre, dann könnte der Erfolg der Regierung des Volks erreicht sein.“ Chen Ruxuan, S.15. 95 Wei Qingyuan/Gao Fang, S. 547. 96 Ernst Rudolf Huber (1965), S. 72. 97 Ernst Rudolf Huber (1988), S. 318.
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Gesellschaft überhaupt, sodann die Verbindung der monarchischen Souveränität mit weitgehenden demokratisch-parlamentarischen Bestimmungsrechten, schließlich die Verbindung von Elementen der alten feudalen Gesellschaft mit den Kräften, Ideen und Interessen der modernen bürgerlichen Gesellschaft.“98 Die konstitutionelle Monarchie ist mit anderen Worten eine Vereinbarung, „ein Dualismus von königlicher Regierung und Volksvertretung,“99 „ein organisches Miteinander von Königtum, Regierung und Volk,“100 „ein organisches Denken, das eine harmonische Einheit und einen konstitutionellen Ausgleich zwischen der überkommenen Monarchie und der neuerwachten Volksfreiheit erstrebt.“101 Aus diesem Grund durfte „die angestrebte Verfassung aber keine oktroyierte, vom Monarchen gegebene, seiner Auslegung unterworfene sein. Aus frühliberaler Sicht erforderte eine richtige ,Konstitution‘, dass sie zwischen Fürst und Volk frei vereinbart war. Dabei hatte die Garantie von Grundrechten ein besonderes Gewicht.“102 „Konstitutionelle Monarchie bedeutet in diesem Sinne Beschränkung der monarchischen Gewalt durch eine Volksvertretung.“103 Verglichen mit diesen wichtigen Punkten der konstitutionellen Monarchie im westlichen Sinne war aber das Modell des Qing-Kaiserhofs nur eine Schein-konstitutionelle Monarchie, da ihr die realpolitische Grundlage für ihre Anwendung fehlte. Seit yangwu yundong waren zwar neue kapitalistische wirtschaftliche Systeme aus dem Westen in China eingeführt, sie ließen aber weder die ganze chinesische Gesellschaft verbürgerlichen, noch eine Klasse des „Bürgertums“ bilden, das seine eigenständigen politischen liberal und demokratischen Rechte beanspruchen kann, was wiederum die Grundlage des Kompromisses mit dem Monarchen ausmachen soll. Die Verfassungen in der Spät-Qing waren vielmehr vom Qing-Kaiserhof oktroyierte Verfassungen, die weder Kompromiss noch Vereinbarung zwischen Monarch und Volksvertretung waren, und somit keinen Sinn in der Praxis finden konnten. Es ist daher auch verständlich, dass die liberalen und demokratischen Rechte der Bürger als die Kerninhalte der konstitutionellen Monarchie, niemals in der Verfassungsreform von der Qing-Regierung ihren Ausdruck finden konnten. Wie oben berichtet, war die Verfassungsreform eine von den Eliten der chinesischen Gesellschaft geleitete, eine von oben nach unten geführte Reform, die wesentlich von der äußeren Krise und der inneren Unruhe angetrieben war. Als eine Notmaßnahme der Selbstrettung hatte daher die konstitutionelle Monarchie ihren eigentlichen Sinn im chinesischen Kontext verloren, was erklären kann, warum sie in China schnell
98
Ernst Rudolf Huber (1965), S. 72. Carl Schmitt, S. 53. 100 Georg Waitz, S. 149. 101 Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), S. 31. 102 Rudolf Weber-Fas, S. 29. 103 Richard Dietrich, S. 12.
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scheiterte und nicht „die Quelle des Wohlstandes und der Macht“104 sein konnte. Im Gegensatz dazu unverändert bleibt „der leitende Gedanke, der in allen Entwürfen mehr oder weniger zum Ausdruck kam und der in der Tat das ganze amtliche Reformwerk bis in die neueste Zeit beherrscht hat, dass in keinem Falle das dem Staatsorganismus zu Grunde liegende konfuzianische System verlassen werden dürfe.“105 Trotz dieser Nachteile ist die Verfassungsreform in der Spät Qing in der Rechtsgeschichte Chinas von großer Bedeutung. Durch diese Reform sind die Gesetzgebung und entsprechende Gesetzgebungsorgane und Gesetzgebungsverfahren zumindest formell eingeführt, was die traditionelle Vorstellung der Chinesen über Gesetzgebung im Grund verändert hat. er „Bis zur Qin-Dynastie kam es für die Ausarbeitung der Rechtsnormen, die Schaffung und Beseitigung der Rechtssysteme tausende Jahre lang allein auf den Kaiser an. Das Rechtssystem einer Dynastie basiert auf bloßen Edikten des Kaisers. Es gibt gar keine Probleme der Gesetzgebung.“106 „Die Gesetze der Qing-Dynastie stammten aus dem Willen des Kaisers. Es existierten auch keine speziellen Gesetzgebungsorgane.“107 Die Verfassungsreform der Spät Qing verändert die Ausdrucksweise der Autorität. Für die später gekommenen politischen Mächte, sei es KMT oder KPCh, sind Gesetzgebung, Gesetzgebungsorgane und Gesetzgebungsverfahren unentbehrliche Elemente der Behauptung derer Legalität und Legitimität – unabhängig davon, welchen politischen Willen und welche Inhalte sie dadurch ausdrücken wollen. Wer politische Autorität aussprechen will, muss es durch eine formelle Gesetzgebung tun, nicht mehr nur in der Form des Ediktes wie in der Dynastien-Geschichte. Erst seither sind die Probleme der Gesetzgebung zu rechtlichen Problemen geworden.
III. Rechtsreformen in den Bereichen Straf- und Zivilrecht Zur neuzeitlichen Gesetzgebungsgeschichte Chinas gehören auch die Gesetzgebungsaktivitäten in Bereichen Straf- und Zivilrecht in der Spät Qing. Neben der grundlegenden Rechtsreform im Bereich der Verfassung waren auch Versuche in den Bereichen Straf- und Zivilrecht in der Spät Qing unternommen worden. Im Gegensatz zu der Verfassungsreform, die die konstitutionelle Monarchie aufnahm, aber wegen der realpolitischen Umstände scheiterte, hatten die Reformen im Straf- und Zivilrecht relativ großen Einfluss auf die Rechtsentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China, da solche Reformen den Rechtsgeist des Westens in China konkretisierten und die traditionellen, auf dem Konfuzianismus basierenden 104 „Die Quelle des Wohlstandes und der Macht bei den Staaten des Abendlandes ist die konstitutionelle Verfassung.“ Otto Franke (1911), S. 177. 105 Otto Franke (1912), S. 510. 106 Yang Youjiong, S. 1. 107 Yang Youjiong, S. 64.
B. Der erste Modernisierungsversuch
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Rechtsvorstellungen der Chinesen erschütterten. Es wäre falsch zu sagen, dass China in seiner Geschichte keine Rechtsnormen oder Gesetze des Zivil- und Strafrechts hätte. Aber was nicht verneint werden kann, ist, dass zivilrechtliche und strafrechtliche Gesetze im neuzeitlichen Sinne, d. h. formell durch Gesetzgebungsorgane erlassen, durch eine vernünftige Gestaltung kodifiziert, inhaltlich den Rechtsgeist der Aufklärung widerspiegelnd, erst ein Produkt der Rechtsreform in der Spät Qing sind. Kurz nach der Invasion der „vereinigten acht Staaten“ in Beijing erließ die QingRegierung das Edikt zur Rechtsreform (10. 12. 1900), in dem hieß: „Es ist wahrscheinlich, dass die Gesetze nach langer Zeit mangelhaft geworden sind, und wenn die Gesetze erweislich nachteilhaft sind, müssen sie verändert werden, um den Staat reich zu machen und dem Volk zu dienen.“ 1902 wurde ein anderes Edikt über die Rechtsreform verkündet, in dem hieß: „Shen Jiaben und Wu Tingfang (zwei führende Rechtsreformer in der Spät Qing) sind beauftragt, alle vorhandenen lü und li, in Verhandlungen mit dem Ausland und unter Verwendung der ausländischen Gesetze sorgfältig zu überarbeiten und entsprechende Gesetzentwürfe zu machen, damit die neuen Gesetze sowohl in China als auch in Ausland anwendbar sein und der Regierung dienen können.“ Im Mai 1904 etablierte die Qing-Regierung eine besondere Behörde, „Amt für die Zusammenstellung der Gesetze“ (falü bianzuan guan), seit 1907 auch „Amt für die Revision und Festlegung von Gesetzen“ (xiuding falü guan) genannt. Die Aufgabe der neuen Behörde bestand darin, westliche Straf-, Zivil- und Prozessgesetze ins Chinesische zu übersetzen und neue Gesetze unter Verwendung dieses ausländischen Materials auszuarbeiten. Die Überarbeitungen der Gesetze enthalten zwei Aspekte: Einerseits sollten die Inhalte vom „lü (Hauptgesetze) und li (Nebengesetze) der großen Qing“ (dem Qing-Kodex), die dem Rechtsgeist des Westens nicht entsprachen, gelöscht werden; besonders die schweren Strafen in ihnen sollen aufgehoben werden. Andererseits sollten neue, den Rechtsgeist des Westens widerspiegelnde Bestimmungen eingeführt werden. 1908 erließ xiuding falü guan „das neue Strafrecht der großen Qing“, anschließend im Jahr 1911 erließ diese Behörde „den Entwurf des Zivilrechts der großen Qing.“ Diese beiden Kodexe sind die größten Erfolge der Rechtsreform. Von Anfang an war die Reform des Strafrechts der Kerninhalt der Reform, da die Reform des Strafrechts die engste Beziehung zur Beseitigung der Exterritorialität nach den Vorstellungen damaliger Rechtsreformer hatte. In der „Petition über die Löschung der brutalen Bestimmungen in lü und li“ von Shen Jiaben (20. 03. 1905) hieß es: „Die schweren Strafe in Chinas Gesetzen werden häufig von den Westlern als unmenschlich angesehen und wegen dieser Ausrede befolgen sie nicht die chinesischen Gesetze […] diese Situation soll so schnell wie möglich verändert werden.“108 Daher „war die wichtigste und dringendste Frage auf dem Wege zur Beseitigung der Exterritorialität natürlich die Umformung des Strafrechts und Straf-
108
Shen Jiaben, S. 2083.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
prozesses.“109 Das neue Strafrecht ist ein rationalisierter Kodex im neuzeitlichen Sinne. Strukturell gesehen, löste sich das neue Strafrecht von anderen Rechtsgebieten los und wurde ein eigenständiges Rechtsgebiet, wodurch auf die traditionelle Form des chinesischen Rechts verzichtet wurde, nämlich, minxing bufen, zhufa heti, (d. h. keine Trennung zwischen konkreten Rechtsgebieten, besonders zwischen Zivilrecht und Strafrecht; die meisten Rechtnormen drücken sich wesentlich in einem sich an das Strafrecht orientierenden Kodex, aus). Auch wurde der neue Kodex durch eine vernünftige Abstrahierung in einen allgemeinen Teil und einen besonderen Teil eingeteilt. Inhaltlich nahm der neue Strafrecht-Kodex viele Grundsätze des westlichen Strafrechts auf. Er enthielt z. B. Grundsätze wie „keine Strafe ohne Gesetz“ und „Gleichheit vor dem Gesetz“. Außerdem näherten sich die Namen, der Vollzug der Strafe, das System des Gefängnisses, usw. auch den westlichen Systemen an. „Das neue Strafgesetzbuch revidierte den traditionellen Rechtsgeist Chinas, […] erschütterte heftig die festen Ansichten der ethischen Normen des Konfuzianismus.“110 Die Einführung des Geistes des westlichen Strafrechts durch die Rechtsreformer, auch fali-pai (dessen Vertreter, Shen Jiaben, Yang du) genannt, stieß jedoch auf einen heftigen Widerstand konservativer Kräfte, auch lijiao-pai (dessen Vertreter, Lao Naixuan, Zhang Zhidong) genannt, da sie die konfuzianische Grundlage berührte, was wiederum manche grundlegenden Unterschiede und Konflikte zwischen Konfuzianismus und Rechtsgeist des Westens widerspiegelte. „They [die Reformer] failed to recognize the ethical principle of Chinese law, based on family rights, duties and responsibilities.“111 Zwischen beiden Parteien fand während der Ausarbeitung des neuen Strafrechts eine berühmte Auseinandersetzung, also „li fa zhizheng“, statt. „Der Familiengedanke und der Begriff der Hierarchie sind stets die geistigen Grundlagen und die wesentlichen Merkmale des traditionellen Rechts Chinas.“112 „Der Gedanke des Konfuzianismus beruht auf seinen ethischen und moralischen Normen, die die Unterschiede zwischen hoher und niedriger Würde (guijian), hoher und niedriger Ehre (zunbei), Alten und Jungen (zhangyou), den Grad der Beziehungsnähe (qinshu) der Mitglieder der Gesellschaft betonen; infolgedessen werden auch auf verschiedene Mitglieder verschiedene Rechtnormen des Verhaltens angewandt.“113 Mit anderen Worten ist das Individuum kein direktes Subjekt des Rechts, sondern muss in erster Linie Mitglied der Familie und des Clans sein, wodurch es erst seine Rechte und Pflichten erhalten kann. „Das Recht stellt nicht das Individuum in den Mittelpunkt, d. h., es bestätigt und sichert nicht die Rechte des Einzelnen gegenüber anderen und der Gesellschaft, sondern richtet sich an Kollektive der Individuen – Familien und Clans.“114 Familien und Clans sind so gewissermaßen die 109 110 111 112 113 114
„Chinesisches Recht“, in: Stier-Somlo/Elster (Hrsg.), S. 871. Wang Boqi, S. 28. George W. Keeton (1926), S. 227. Qu Tongzu, S. 360. Qu Tongzu, S. 361. Wu Shuchen, S. 10.
B. Der erste Modernisierungsversuch
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Kupplung zwischen dem Recht und den konfuzianischen ethischen Normen und leisten die Funktion, die rechtliche Identität des Einzelnen durch die konfuzianischen ethischen Normen im Voraus festzulegen. „Die Merkmale des familienorientierten Rechtssystems sind die folgenden: der Unschuldige wird durch die Familien-Beziehung schuldig; […] Die Strafe des Schuldigen wird durch die Familien-Beziehung gemindert; […] Die Strafen für die Fälle innerhalb einer Familie sind häufig wegen der konfuzianischen ethischen Normen verschärft.“115 Z. B., „Parents and grandparents have great authority over their children and grandchildren. If death resulted from its exercise, the elders were usually not severely punished, or not punished at all, particularly if the child had been unfilial and disobedient.“116 Das neue Strafrecht zerstörte hingegen diese Grundlage der Familien und Hierarchien und erhob, dem westlichen Rechtsgrundsatz „Gleichheit vor dem Gesetz“ entsprechend, das Individuum zu einem direkten Subjekt des Rechts, ohne Rücksicht auf seine Identität in Familien oder Clans und seinen Status in der Gesellschaft zu nehmen. „The disappearance of the family as a legal unit, with its rights, duties, and responsibilities, proved a serious stumbling-block to general acceptance.“117 Für die lijiao-pai war die Unterscheidung nach Identität und Status in den sozialen Kollektiven der Kern des chinesischen Rechtssystems, den sie nicht aufgeben wollten. Ein konservativer Würdenträger führte aus: „Das vom xiuding falü guan ausgearbeitete neue Strafgesetzbuch umfasst zahlreiche Bestimmungen, die mit den li-Sitten unseres Landes nicht übereinstimmen. Die sinnwidrigsten von ihnen sind, dass der Sohn und das Enkelkind, die die konfuzianistischen Normen verletzen, nicht bestraft werden und der Ehebruch einer Frau ohne Mann auch nicht bestraft wird. […] Die Sitten des Auslandes sind anders, dementsprechend sind dessen Zwecke des Rechts auch unterschiedlich. Die Staaten in Europa und Amerika glauben an das Christentum und betonen daher die Gleichheit. Unser Land glaubt dagegen an Konfuzius und Mencius, hebt somit die ethischen Normen des Konfuzianismus hervor. Um das Ausland nachzuahmen, berücksichtigt falü guan unsere eigenen Sitten nicht, und nimmt nur den Grundsatz der Gleichheit auf, was zu einem riesigen Fehler führt.“118 Ähnliche Erfolge wie die Modernisierung des neuen Strafrechts hatte der Entwurf des Zivilrechts der großen Qing. Er zog hauptsächlich die modernen Zivilgesetzbücher Deutschlands und Japans heran, berücksichtigte aber gleichzeitig auch die Traditionen Chinas. Was in den ersten drei Teilbereichen des Entwurfs, also dem Allgemeinen Teil, dem Schuldrecht, und dem Sachenrecht dargestellt wurde, waren im Wesentlichen die Grundsätze des Zivilrechts Kontinentaleuropas. In ihnen wurden die Grundsätze wie „die Unantastbarkeit des Privateigentums“, „Vertrags115
Zhang Jinjian, S. 7 – 8. T’ ung-Tsu Ch’ü, S. 41. 117 G. W. Keeton (1969), S. 3. 118 Die Abteilung für die historischen Materialien der Ming- und Qing-Dynastien vom Gugong Museum (Hrsg.), Die historischen Materialien für die Vorbereitung der Verfassungsgebung in der Spät Qing (qingmo choubei lixian dangan shiliao) Band II, Zhonghua shuju 1979, S. 887. 116
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
freiheit“, „Privatautonomie“ und auch konkrete Rechtsinstitute wie „Rechtsfähigkeit“, „die juristische Person“ usw. bestimmt. Die Teilbereiche Familienrecht und Erbrecht beruhten dagegen auf der eigenen Tradition Chinas und berücksichtigten zahlreiche li-Sitten und Gewohnheiten Chinas, wodurch die Rechtsreformer hofften, einen Ausgleich zwischen den Lehren des Westens und der Tradition Chinas zu erzielen. Neben den relativ fortschrittlichen Inhalten war die Ausarbeitung des Zivilgesetzbuches selbst auch von großer Bedeutung. Wie oben gesagt gab es in der Rechtsgeschichte Chinas keinen eigenständigen Kodex des Zivilrechts. Regelung der zivilrechtlichen Angelegenheiten ergab sich im Wesentlichen aus den ethischen und gewohnheitsrechtlichen Normen. „Unser Land betont seit langer Zeit die Herrschaft durch li. Die zivilrechtlichen Angelegenheiten orientieren sich nach Moral und Sitten, daher existiert außer Strafrecht kein Zivilrecht.“119 Die traditionellen Kodexe sind strafrechtsorientiert. Sie „created no rights of citizens, no general legal framework independent of the state and no body of civil law as distinguished from criminal law.“120 Dementsprechend ist „die lange Geschichte der Gesetzgebung im Grund die der Gesetzgebung des Strafrechts.“121 Der Entwurf des Zivilgesetzbuchs „was the first attempt in Chinese legal history to establish a separate civil code from an all-encompassing feudal criminal code.“122 Er „hob die Struktur der Mischung von Zivilrecht und Strafrecht auf, […] wurde der Markstein der Entwicklung des Zivilrechts in China, […] und schaffte die Grundlage für das Zivilgesetzbuch in der Republik China.“123 Die Versuche der Kodifizierung von Strafrecht und Zivilrecht, sowie die Ausarbeitung relevanter Prozessgesetze und anderer einzelner Gesetze (die zwar, rechtsgeschichtlich gesehen, auch wichtig sind, aber hier wegen des Umfangs nicht berücksichtigt werden können) sind der Anfang der positiven Gesetzgebung Chinas. Im Gegensatz zu der traditionellen Gesetzgebung, deren Kriterien „auf Moral und Sitten des Konfuzianismus, aber nicht auf den Rechten beruht,“124 befreit sich die neue positive Gesetzgebung von den Fesseln der li-Sitten. Sie beseitigt den Dualismus von der traditionellen Ordnung von li und fa, in dem „li das Wesen der Herrschaft ist, fa nur eine Unterstützungsrolle besitzt.“125 Mit dem Niedergang der Qing-Dynastie fiel auch der von ihr vertretene tausende Jahre lange Rahmen der konfuzianischen Grundordnung der Gesellschaft zusammen. Das gesetzte Recht als ein neues Mittel trat an die Stelle der li-Sitten und drang seither in das Zentrum der Gesellschaftskontrolle. Aber was die rationalisierte, formalisierte und positive Ge119 120 121 122 123 124 125
Zhang Jinjian, S. 4. A. Tay, S. 563. Zhang Jinfan (1997), S. 141. Chen Lei, S. 168. Zhang Jinfan (1997), S. 452. Yang Honglie, S. 2. Zhang Jinjian, S. 5.
C. Der zweite Modernisierungsversuch
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setzgebung mit sich gebracht hat, ist die bis zur positiven Gesetzgebung bestehende Offenheit und Ungewissheit der Inhalte des Rechts. Dies bewirkte zusammen mit dem aus der Beseitigung der konfuzianischen politischen und rechtlichen Grundordnungen erwachsenen Vakuum aber wiederum die Möglichkeit neuer Modernisierungsversuche des Rechts und schuf einen Rahmen für die Gesetzgebungsgeschichte der Republik China in deren heftigen politischen Veränderungen. „Auch wenn kaum eine Reform schon in der Qing-Periode realisiert wurde, und ein landesweiter Gerichtsaufbau nicht mehr geleistet werden konnte, so dienten die zahlreichen Gesetzesentwürfe den Kodifikationsprojekten in der Republik-Periode als wichtiges Referenzmaterial. […] Das alte System war zur Disposition gestellt und die konzeptionellen Fundamente des neuen wurden gelegt.“126 Und der Gärungsprozess der Rechtsreform seit der Spät Qing gewann seinen Erfolg erst in der Republik China.
C. Der zweite Modernisierungsversuch: die Schaffung des „Sechs-Kodex-Systems“ in der Republik China Der Niedergang der Qing Dynastie bedeutete das Ende der Dynastien Chinas und den Misserfolg des Versuchs eines monarchischen Konstitutionalismus in China. In der damaligen sozialen und politischen Gegebenheit konnten weder der traditionelle Konfuzianismus noch die westliche konstitutionelle Monarchie eine neue Grundlage für die ganze chinesische Gesellschaft anbieten. Um sich von der langen Tradition als einer Belastung für die gegenwärtige neue Staatsbildung und von der durch sie tief geprägten Stagnation und Ineffizienz der Reform in der Spät Qing zu befreien, schien eine radikale Revolution das beste Mittel zu sein. Wie es im Westen auch geschehen war, entspricht der (gewissermaßen romantische) demokratische Republikanismus den radikalen revolutionären Anforderungen am besten. Der Gärprozess der liberaldemokratischen Forderungen der Revolutionäre in der Spät Qing führte endlich 1911 zum Ausbruch der Revolution. Diese radikale demokratische Revolution Chinas wurde von Sun Yat-sen geführt, deren Erfolg zur Ausrufung der Republik China (RCh, 1912 – 1949) führte. Aber die Herrschaft von RCh war instabil bis zum Jahre 1928, als ganz China nach dem Nordfeldzug (beifa) unter der Führung von Chiang Kai-Shek formell vereinigt war. Der politisch instabilen Lage entsprechend stellte sich die Rechtsgeschichte von RCh vor 1928 als eine von Fragmenten und der Diskontinuität dar. Nach der Schaffung einer relativ stabilen Zentralgewalt traten die Gesetzgebungsaktivitäten in einen normalen Zustand. „(Erst danach) begannen unter der von der GMD in Nanjing gegründeten Nationalregierung zehn relativ stabile Jahre, während denen ein umfassendes Gesetzgebungsprojekt nach dem anderen abgeschlossen wurde und das System der chinesischen ,Sechs Kodices‘ zustande
126
Robert Heuser (2008), S. 204.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
kam.“127 Mit der politischen Entwicklung vereinbar, kann die Rechtsgeschichte in der RCh grob in zwei Zeitphasen eingeteilt werden, nämlich die Zeitphase vor 1928 (auch als Beiyang-Regierung-Phase genannt) und die nach 1928 (auch als NanjingNationalregierung-Phase genannt).
I. Die Gesetzgebung in der Zeit der Beiyang-Regierung Die Ausrufung der RCh ist der Erfolg der Xinhai-Revolution (1911) unter der Führung von Sun Yan-sen, die sich auf den westlichen demokratischen Republikanismus stützte. Am 01. 01. 1912 wurde die vorläufige Regierung Nanjing gegründet, und kurz nach ihrer Gründung erließ der vorläufige Senat Nanjing als Gesetzgebungsorgan von Nanjings vorläufiger Regierung die „vorläufige Verfassung der Republik China (zhonghua minguo linishi yuefa, 8. 3. 1912)“, die zusammen mit dem „Organisationsgesetz des Parlaments“ und dem „Wahlgesetz des großen Präsidenten“ die politische und rechtliche Grundlage der RCh bildete. Diese Rechtsnormen entsprachen der Verfassungsnatur. Inhaltlich gesehen spiegelten sie die demokratischen republikanischen Rechtsverständnisse des Westens wider; in ihr wurde nicht nur das Gewaltenteilungsprinzip bestimmt, sondern auch die Grundrechte des Volkes. Ferner wurde das Prinzip des Privateigentums vorgegeben, das die RCh die kapitalistischen Merkmale besitzen ließ. In formeller Hinsicht wurden diese Rechtsnormen vom Nanjing vorläufigem Senat erlassen, der, zwar „nur die meisten Provinzen, aber nicht das ganze China vertrat“ und „deren Abgeordnete nur von den Provinzgouverneuren, nicht aber direkt vom Volk gewählt waren“128, aber in der besonderen Phase der Revolution trotzdem die demokratische Legalität und Legitimität beanspruchen konnte, da er der Vertreter aller revolutionären Kräfte war. Verglichen mit der Verfassungsgebung in der Reform der Spät Qing, war die Verfassungsgebung in der Anfangsphase der RCh völlig, also formell sowie inhaltlich, modernisiert, d. h., nach dem politischen und rechtlichen Modell Amerikas verwestlicht. Die formalisierte, verrechtlichte und den westlichen liberal-demokratischen Geiste vertretende Staatsgewalt der RCh war schnell Gegenstand der Machtkämpfe der Kriegsherren (junfa, „warlords“) geworden, die „politisch gewiegt und skrupellos den unerfahrenen, idealistischen Theoretikern gegenüberstanden und rein persönliche machtpolitische Interessen verfolgten.“129 Im April 1912 wurde die Nanjing vorläufige Regierung nach ihrem kurzen Leben (etwa 4 Monate) von der Beijing Regierung verdrängt, die unter der Kontrolle von Yuan Shikai stand, der ein vorheriger Würdeträger der Qing Dynastie und nur scheinbar ein Befürworter des demokratischen Republikanismus war. Dort wurde die Phase der Kriegsherren in China eröffnet. Die formalisierte Gesetzgebung und die formellen Gesetzgebungs127 Robert Heuser, Der Ertrag der Republikperiode (1912 – 1949) für die Modernisierung des chinesischen Rechts, S. 123. 128 Wang Shijie/Qian Duansheng, S. 356. 129 Wolfgang Franke, S. 158.
C. Der zweite Modernisierungsversuch
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organe hatten die regionalen Machtinhaber nicht an die vorläufige Verfassung von RCh gebunden und China keinen Verfassungsstaat oder Rechtsstaat gebracht. Vielmehr wurden Gesetzgebung und Gesetzgebungsorgane Ausdruck der politischen und militärischen Verhältnisse der Kriegsherren. Um Staatsgewalt zu erwerben, stand die Kontrolle des Parlamentes stets im Zentrum der Machtkämpfe der Kriegsherren. Das in der vorläufigen Verfassung bestimmte Parlament wurde vielmals aufgelöst und wiederaufgebaut. Organisatorisch gesehen, „von der Ausrufung der vorläufigen Nanjing Regierung 1912 bis zum Umsturz der Beijing Regierung 1928 existierten in China nacheinander als Gesetzgebungsorgane der vorläufige Senat, das Parlament, die politische Konferenz, die Verfassungskonferenz (yuefa huiyi) und der politische Beratungshof (canzheng yuan).“130 Diese verschiedenen Gesetzgebungsorgane spiegelten den politischen Willen der hinter ihnen stehenden Machtinhaber wider und hatten nichts mit der Volkssouveränität als Grundlage des demokratischen Republikanismus zu tun. „Seit der Ausrufung der RCh nach der Xinhai-Revolution bestimmte zwar die Verfassung (hier linshi yuefa gemeint) die Volkssouveränität, aber in der Tat waren das Parlament, die Provinztage und die Kreistage schon lange die Handlanger von Kriegsherren, Bürokraten und korrupten Beamten geworden.“131 Neben Gesetzen in konkreten Rechtsgebieten waren in der Verfassungsgebung zahlreiche Verfassungstexte und Verfassungsentwürfe entstanden. Z. B. teilt ein Rechtshistoriker die Verfassungsgeschichte der RCh zwischen 1912 und 1928 (innerhalb kurzer 16 Jahre) in 9 Zeitphasen ein: Die Phase der „Organisationsgrundsätze der vorläufigen Regierung der RCh“; die Phase der „vorläufigen Verfassung der RCh“; die Phase des „tiantanVerfassungsentwurfs“; die Phase der „neuen Verfassung von Yuan Shikai“, die Phase der „Wiedergeburt der vorläufigen Verfassung“; die Phase der „Verteidigung und Beratung der Verfassung im Südwesten“; die Phase der „Selbstverwaltung der verbundenen Provinzen“; die Phase der „Cao kun Verfassung“; die Phase der „Duan Qirui vorläufigen Regierung“.132 Diese komplizierten und heftigen politischen Auseinandersetzungen zeigten die Schwierigkeiten des Aufbaus der demokratischen Politik in China. Eine besonders schwere Verletzung des demokratischen Parlamentarismus der Revolutionären stellten die Auflösung des Parlaments (im November, 1913) von Yuan Shikai und seine neue „Verfassung der Republik China“ (01. 05. 1914) dar. Die Verfassung der Republik China stellte den Vorrang der Macht vom Präsidenten fest und wich stark von den ursprünglichen Inhalten der demokratischen Politik ab. Am 12. 12. 1915 erklärte sich Yuan Shikai zum Kaiser, was den Erfolg der Xinhai-Revolution völlig vernichtete. Die folgende Geschichte der Beiyang-Regierung nach Yuan Shikais Tod (06. 06. 1916) war weiter erfüllt von Kämpfen zwischen den revolutionären Verfechtern von Demokratie und Republik und den regionalen Kriegsherren, deren 130 131 132
Xie Zhenmin, S. 2. Yang Youjiong, S. 332. Pan Shufan (Hrsg.), S. 1 – 2.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
politische Stellungnahmen, um sich in einer politisch turbulenten Phase zu bewahren, oft schwankend und vage waren. Die Republik China hatte China bis 1928 keine Stabilität und Einheit herbeigebracht. „Unter diesen Verhältnissen konnte von einer wirklichen Republik keine Rede sein.“133 Gesetzgebung und Gesetzgebungseinrichtungen im westlichen Sinne spielten in dieser Phase zwar entscheidende Rollen im Aufbau der neuen Staatlichkeit, wie niemals geschehen in der langen Geschichte Chinas. Sie hatten sich jedoch dem Willen der Kriegsherren zu unterwerfen und ihre eigenen Konnotationen im westlichen Kontext verloren. Gesetzgebung und Gesetze waren keine Grundlage des Funktionierens der Staatsgewalt, d. h., ein Rahmen, innerhalb dessen alle politischen Mächte einerseits legitimiert, andererseits aber beschränkt werden konnten, sondern nur jeweilige Manifestationen der (wesentlich militärischen) Überlegenheit einer politischen Macht. „Die Kriegsherren konnten zwar zahlreiche Verfassungstexte ausarbeiten und erlassen, aber der Herrschaftsmacht keine echte demokratische Grundlage bieten.“134 „Die parlamentarische Politik in der Phase der Beiyang-Regierung erlebte einen mühsamen und beschwerlichen Prozess, was bedeutet, dass in China, einem Land mit langer Zivilisationsgeschichte, die parlamentarische Politik […] keinen Boden für ihre Existenz und Entwicklung finden konnte.“135 Das politische Chaos in der Anfangsphase der Republik China zeigt ferner, dass die Einführung westlicher Politik- und Rechtssysteme die traditionelle politische Logik Chinas nicht verließ. „Wohl weniger aus Überzeugung als aus politischer Taktik begründet der Herrscher seine Entsagung mit den uralten konfuzianischen Grundgedanken, dass des Volkes Wille Gottes Wille ist, und dass das göttliche Mandat nur so lange gilt, wie das Wohlergehen und die Zufriedenheit des Volkes verbürgert (ist). […] Dieses Argument vermag den Verzicht auf den Thron zu rechtfertigen, jedoch natürlich nur zu Gunsten eines anderen Herrschers und Mandatars, keinesfalls aber zu Gunsten einer republikanischen Regierung. Hier klafft eine Lücke, und sie ist durch nichts auszufüllen. Der Begriff einer Republik ist schlechterdings nicht in das konfuzianische System hineinzufügen, er widerspricht dem Geiste der chinesischen Kultur und bildet einen Fremdkörper im chinesischen Denken.“136 Auch in anderen Rechtsgebieten waren die Erfolge der Gesetzgebung gering, vor allem mangels stabiler und effizienter Gesetzgebungsorgane. In der Anfangsphase der RCh wurden zuerst zivilrechtliche Gesetze der Qing-Dynastie übernommen, sofern „sie nicht unvereinbar mit der republikanischen Regierungsform“ waren. „Dies wurde von der Entscheidung Nr. 304 des Obersten Gerichts (Dali yuan) bestätigt: Until the Civil Code of the Republic is promulgated, the laws of the Ching Dynasty except the penal part and those that are repugnant to the existing system of 133 134 135 136
Wolfgang Franke, S. 159. Zhang Jinfan (2004), S. 10. Zhang Jinfan (1999), S. 490. Otto Franke (1912), S. 528.
C. Der zweite Modernisierungsversuch
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government continue to be in force“.137 Im Bereich des Strafrechts wurde ein „Provisorisches Strafgesetzbuch der Republik China“ 10. 03. 1912 verkündet, dessen Vorgänger „Neues Strafgesetzbuch der großen Qing“ als wichtiger Erfolg der Rechtsreform in der Spät Qing galt. Später wurde versucht, das provisorische Strafgesetzbuch in ein endgültiges in Form eines Kodexes fortzuentwickeln. 1916 erschien ein erster und 1919 ein zweiter Entwurf. Die meisten Gesetze in dieser Phase blieben wegen des Mangels einer stabilen politischen Ordnung nur Entwurf. Trotz politischer Instabilität blieb jedoch, äußerlich gesehen, das Leitmotiv der Modernisierung des chinesischen Rechtssystems in der Frühphase der RCh kaum verändert. „Unter der an die Stelle der Monarchie getretenen Republik wurden die Modernisierungsbemühungen fortgesetzt. Sie standen weiterhin vornehmlich im Zeichen der Abschaffung der Exterritorialität.“138 „Nach dem großen Umsturz von 1911/1912 hat man die Neubildung des Rechtssystems mit verstärktem Eifer fortgesetzt. Leitmotiv blieb dabei die Abschaffung der Exterritorialität, die ganze neuere Gesetzgebung scheint nur als Mittel für diesen Zweck angesehen zu werden.“139
II. Die Gesetzgebung der Nanjing-Nationalregierung Fortgeschrittene Ideale des Westens einerseits, die realpolitische Schwäche der demokratischen, revolutionären Kräfte, diese Ideale in China zu realisieren, andererseits, führten schließlich 1924 zur Umformung der GMD. Danach wuchs die GMD allmählich zu einer neuen herrschenden politischen und militärischen Macht, wodurch ihr politischer Wille verwirklicht werden konnte. Nach dem Sieg des Nordfeldzugs (1928) erreichte die GMD ihr Ziel, China wieder zu vereinigen, und beendete damit die Epoche der Kriegsherren. Für die Rechtsmodernisierung war das neu vereinigte China unter der Herrschaft der GMD die beste Periode seit der Spät Qing. Die politische Stabilität schaffte die Voraussetzungen für die Gesetzgebungsaktivitäten, sowie die Durchsetzung der Gesetze. „Mitte der 1930er Jahre war das 30 Jahre zuvor begonnene Projekt der Rechtsmodernisierung zu einem formalen Abschluss gelangt.“140 Theoretisch orientierte sich die Nanjing-Nationalregierung an der „Drei-Volksprinzipien-Theorie (sanmin zhuyi)“ von Sun Yat-sen, nämlich dem „Prinzip der Nation (minzu)“, dem „Prinzip der Volksherrschaft oder Demokratie (minquan)“ und dem „Prinzip des Volkswohles (minsheng)“. Das war ein, aus Amerika übernommener, demokratischer Republikanismus, aber mit chinesischer Prägung, in dem das 137 Robert Heuser, Der Ertrag der Republikperiode (1912 – 1949) für die Modernisierung des chinesischen Rechts, S. 125. 138 Robert Heuser, Der Ertrag der Republikperiode (1912 – 1949) für die Modernisierung des chinesischen Rechts, S. 123. 139 „Chinesisches Recht“, in: Stier-Somlo/Elster (Hrsg.), S. 871. 140 Robert Heuser, Der Ertrag der Republikperiode (1912 – 1949) für die Modernisierung des chinesischen Rechts, S. 136.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
Ziel eines unabhängigen chinesischen Nationalstaates und seine politische Modernität verbunden wurden. Er wurde nicht nur der Leitgedanke für die Revolution Chinas, sondern auch die Grundlage für neue chinesische Staatlichkeit. Er verdrängte weitgehend die konfuzianistische Grundlage für die Gesellschaftsordnung Chinas. Praktisch sollte und konnte eine demokratische Republik in China nach der Theorie von Sun Yat-sen nur schrittweise verwirklicht werden. Er teilte den Prozess der Realisierung der Republik in China in drei Zeitphasen ein: Die Militärregierung (junzheng), die Vormundschaftsregierung (xunzheng) und die Verfassungsregierung (xianzheng). In der Phase der junzheng sollte die Grundlage der neuen Republik durch militärischen Sieg geschaffen werden, d. h., die Unabhängigkeit nach außen und die Einheitlichkeit nach innen zu realisieren. Die Phase der xunzheng war eine Übergangsphase, in der das chinesische Volk, unter der Führung der GMD, gelehrt werden sollte, seine liberalen, demokratischen Rechte auszuüben und an der Herrschaftsmacht des Staates teilzunehmen. Xianzheng war das Endziel, d. h., China sollte schließlich in eine Phase eintreten, in der die Republik unter einer freiheitlichen und demokratischen Verfassung regiert wurde. Diese drei Phasen waren eine Entwicklung, die stufenweise erfolgen und zu einem Verfassungsstaat im westlichen Sinne führen sollte. Dies bedeutete zugleich, dass ein Plan bestand oder ein Versuch unternommen wurde, die traditionellen politischen Vorstellungen in China zu beseitigen. Den drei Phasen entsprechend waren die Ideen für die Gesetzgebung in ihren jeweiligen Phasen auch unterschiedlich. In der Phase junzheng „stand das ganze China unter der Herrschaft der GMD. Die GMD und die Regierung konnten beide Gesetze erlassen, daher existierte keine eigenständige Legislative und es gab es auch keinen erheblichen Unterschied zwischen staatlichen Gesetzen und Befehlen der GMD. Das war die Gesetzgebung unter der Parteiherrschaft (dangzhi).“141 „In der Phase der Parteiherrschaft führte und überwachte die GMD die Nationalregierung. Alle Aktivitäten der Regierung orientierten sich an den Grundsätzen und Programmen der Partei (dangyi danggang). Die staatliche Gesetzgebung konnte nicht gegen die Grundsätze und Programme der Partei verstoßen. Die Gesetze aus vorheriger Zeit, die gegen dangyi danggang verstießen, wurden für ungültig erklärt. Dangyi danggang hatten zwar keine Form der Grundnorm, aber besaßen in der Tat das Wesen der Grundnorm.“142 Im August 1928 erklärte das 5. Plenum des 2. Zentralkomitees der GMD das Ende der Phase junzheng und den Eintritt in die Phase xunzheng. In der Phase xunzheng wurde die Grundlage der Republik geschaffen, d. h. die Republik trat als Souverän auf, was die formellen staatlichen Einrichtungen ermöglichte. Nach der politischen Theorie von Sun Yat-sen war die Staatsgewalt in fünf Teile eingeteilt, nämlich
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Xie Zhenmin, S. 5. Xie Zhenmin, S. 193.
C. Der zweite Modernisierungsversuch
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Legislative, Exekutive, Judikative, Prüfungsgewalt und Kontrollgewalt143, was eine Variante von der westlichen „Drei-Gewalten-Theorie“ war. Der „Fünf-Gewalten-Theorie“ entsprechend, erklärte die Nationalregierung im Oktober 1928, das „Fünf-Regierungshöfe-System“ (wuyuan zhi) auszuführen, in dem lifa yuan (Gesetzgebungshof, gegründet am 05. 12. 1928) für die Gesetzgebung zuständig war. Seitdem arbeitete lifa yuan aktiv an der Ausarbeitung neuer Gesetze in wichtigen Rechtsgebieten mit. Und bis zur Mitte der 1930er Jahre wurde ein relativ vollkommenes Rechtssystem aufgebaut, das normalerweise „Sechs-KodexRechtssystem“ (liufa tixi) genannt wurde, in diesem wurden im Wesentlichen die grundlegenden Gesetze im Sinne eines westlichen Rechtsstaates erfasst, nämlich die Verfassung (zuerst Entwurf 05. 05. 1936, später angenommen 1947), das Zivilrecht (1929), das Zivilprozessrecht (1935), das Strafrecht (1935), das Strafprozessrecht (1935) und die Verwaltungsrechtsgesetze (1929). Die Realisierung des „SechsKodex-Systems“ bedeutete den Abschluss der westlich, also liberal und demokratisch orientierten Rechtsmodernisierung seit der Spät Qing. Aber in Wahrheit verbürgte der formelle Abschluss der Rechtsmodernisierung der RCh keine Realisierung der demokratischen Politik sowie des Rechtsstaates oder Verfassungsstaates in China, denn alle Gesetzgebungsaktivitäten in der Phase xunzheng wurden wesentlich von der GMD vorangetrieben und hatten sich der Autorität der GMD und ihrer Alleinherrschaft zu unterwerfen, was es unmöglich machte, die Ideen von Demokratie, Grundrechten, sowie Gewaltenteilung, usw. als Kern des westlichen politischen und rechtlichen Lebens in China zu verwirklichen. „Lifa yuan, als das höchste Gesetzgebungsorgan, besaß Kompetenzen, über die konkreten Gesetzentwürfe zu entscheiden. Jedoch mussten die Grundsätze der Gesetzgebung von der zentralen politischen Konferenz der GMD entschieden werden.“144 Verglichen mit Gesetzgebungsorganen in einem liberal-demokratischen Rechtsstaat im Westen gewann lifa yuan seine Legalität, sowie Legitimität, nicht durch Volksvertretung von unten nach oben, sondern durch die Anerkennung seiner Funktion von der GMD von oben nach unten; „dieses Gesetzgebungsorgan war nicht durch das Volk gewählt, vertrat auch kein Volk. Es war nicht dem Volk verantwortlich, sondern der Nationalregierung und hatte sich der Führung des Zentrums der GMD zu unterwerfen.“145 Wieder, ähnlich wie die Gesetzgebung in der Spät Qing, fielen hier die scheinbare Kodifizierung und Positivierung des Rechts nach westlichen Mustern und echter liberal-demokratischer Geist auseinander. Das zeigte sich besonders deutlich in den „Grundsätzen über die Vormundschaftsregierung“ (xunzheng gangling, Oktober 1928), in denen bestimmt wurde: „(1) Mit Eintritt der Republik China in die Periode der politischen Vormundschaft vertritt der Nationalkongress der GMD die Nationalversammlung (guomin dahui) in der Führung des Staatsvolks bei der Ausübung der politischen Macht. (2) Während der Sitzungs143 144 145
Sun Zhongshan, S. 330 – 331. Xie Zhenmin, S. 5. Zhang Sheng, S. 176.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
pausen des Nationalkongresses der GMD wird die politische Macht vom Zentralexekutivkomitee der GMD ausgeübt. (3) Bei der Durchführung wichtiger Staatsangelegenheiten wird die Nationalregierung (d. h. die fünf Regierungsgewalten) von der Politversammlung (zhengzhi huiyi) des Zentralexekutivkomitees angeleitet und kontrolliert.“ „Die Verfassung in der Phase xunzheng der RCh“ (März 1931) bestimmte weiter den Status der Alleinherrschaft der GMD; auch in dieser Verfassung wurde betont, dass die Herrschaftsmacht des Volks von der GMD vertreten sei. Aber wie die GMD ihr Vertretungsrecht für das Volk zu rechtfertigen versuchte, blieb fragwürdig, zumal gar keine allgemeine, gleiche Wahl nationalweit stattfand. Historisch gesehen, blieb die RCh langfristig in der Phase xunzheng und trat bis zum Umsturz der Herrschaft der GMD auf dem Festland Chinas (1949) nie in die Phase xianzheng.
III. Das Verhältnis von KMD und Gesetzgebungsorganen in der RCh Die historischen Erfahrungen der Gesetzgebung in der RCh liegen weniger in der formellen Ausarbeitung der positiven Gesetze, als in der Schaffung eines Dualismus zwischen Partei und Staat. In der RCh wurde der Präzedenzfall des „Parteistaates“ (dangguo) geschaffen. Spricht man davon, dass in der Spät Qing der Dualismus zwischen li und fa abgeschafft wurde, dann wurde in der RCh ein neuer Dualismus zwischen dang (Partei) und guo (Staat) wiederaufgebaut. Zwischen diesen beiden Formen eines Dualismus gibt es versteckte Übereinstimmungen: li und dang sind beide eine primäre Ordnung, die der führenden politischen Herrschaft zugrunde liegt, während fa und guo eine sekundäre Ordnung ist, welche die Ordnung von li und dang zu verwirklichen und unterstützen hat. Als Folge der heftigen politischen Kämpfe in der RCh, entstand schließlich eine neue Machtkonzentration, wie es in der Geschichte der Dynastien Chinas häufig geschah. In der Geschichte der Dynastien wurde häufig der Wechsel der Herrscher durch Bauernkriege erzielt, jedoch blieb die Herrschaftsform, also das Kaiser-System, meist unberührt. Gewechselt wurde nur die Person, die Kaiser wurde, aber nicht das grundlegende politische System. Der Zyklus der Dynastien ist, mit anderen Worten, der Zyklus der wiederholten Konzentration der Macht in verschiedenen Händen. Das blieb die politische Logik Chinas. Die RCh unter der Führung der GMD erreichte wieder eine neue Machtkonzentration und eine neue Staatlichkeit in den 1930er Jahren, was aber keinen neuen Anfang der chinesischen Politik- und Rechtsgeschichte bedeutete. Vielmehr geriet die Herrschaft der GMD schnell wieder in die traditionelle politische Logik Chinas. Die GMD wurde selbst ein neues Zentrum der Staatsgewalt, wodurch sie ihre fortgeschritten demokratischen und freiheitlichen Ideale aus dem Westen realisieren konnte. Aber Liberalisierung und Demokratisierung konnten nur unter der Voraussetzung der Führung der GMD stattfinden, d. h., diese fortgeschrittenen Ideale durften nur auf der Ebene des Staates verwirklicht werden, aber nicht innerhalb der
D. Der dritte Modernisierungsversuch
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Partei selbst. Die Partei sollte nicht in den Staat integriert, sondern als Schöpfer des Staates dem Staat übergeordnet werden, wodurch die Trennung von Partei und Staat gewährleistet werden konnte. Es war ein offensichtliches Dilemma, einerseits Liberalisierung und Demokratisierung anzustreben, aber andererseits die Alleinherrschaft einer Partei als ein absolutes Machtzentrum aufrechtzuerhalten. Eine noch so nach Demokratie und Freiheit strebende Partei, die aber ihr absolutes Machtmonopol bewahrt, ist selbst eine Verletzung der Demokratie und Freiheit. Anders als der Rechtsstaat im westlichen Sinne, in dem der Staat die höchste Gewalt (Souveränität) besitzt und alle politischen Parteien sich der Staatsgewalt unterwerfen müssen, damit auch das Parteiensystem und dessen Grundlage, also Demokratie, Grundrechte und Wahl möglich sind, war es in der RCh von Anfang an kaum zu erwarten, dass die Partei als Inhaberin absoluter politischer Macht sich nach der Schaffung des Staates durch sie wieder in den Staat integrieren und dessen Organen unterwerfen werde. Mit anderen Worten, die Gewalt der Partei blieb politischer Natur und wurde nicht verrechtlicht bzw genauer: konstitutionalisiert. Besonders wenn man die Existenzkrise der chinesischen Nation seit Spät Qing in Betracht zieht, dann ist es noch eindeutiger, wie unmöglich es war, das neue absolute Machtzentrum rechtlich zu beschränken. Wie vollkommen die äußere Positivierung des Rechts sein mag, wurde es nicht geschafft, die Rechtsgebundenheit der Herrschaft zu verwirklichen. Die Herrschaft der GMD unter der dangguo-Form ging nicht über die traditionelle politische Vorstellung der Chinesen hinaus und war der Ausdruck der potenziellen, in der Gedankenweise der Chinesen noch lebendigen unitarisch-zentralistischen Staatsauffassung. Im „dangguo-System“ zeigte sich trotz des schnellen Aufbaus des „Sechs-Kodex-Systems“ die politische Stagnation des Prozesses der Liberalisierung und Demokratisierung in der RCh und das endliche Scheitern der sich formell am Westen orientierenden Politikmodernisierung und Rechtsmodernisierung Chinas. Bezüglich der Gesetzgebung wird der Präzedenzfall geschaffen, in dem die Gesetzgebung der Partei und die des Staates gleichzeitig vorhanden und parallel sind und die erstere entscheidenden Einfluss auf die letztere hat.
D. Der dritte Modernisierungsversuch: die Entstehung des „neu-demokratischen“ Rechtssystems Bei der Gesetzgebung der KPCh in der revolutionären Phase kann, streng gesehen, nicht von „Gesetzgebung“ im staatlichen Sinne gesprochen werden, da es für die damalige KPCh noch keinen eigenständigen Staat und formelle staatliche Einrichtungen unter ihrer Herrschaft gab. Viele Gesetzgebungsaktivitäten der KPCh in dieser Phase dienten vielmehr dazu, die eigene revolutionäre Macht zu stärken und schließlich die Herrschaft durch einen militärischen Sieg zu gewinnen. Die Gesetzgebung in dieser Phase kann dementsprechend „Parteigesetzgebung“ der KPCh genannt werden, deren wesentliche Merkmale „Informalität“ sowie „starke Revolutions- und Politikorientierung“ waren. Da die KPCh die Herrschaftsmacht Chinas
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
seit 1949 gewonnen hat, sind solche (nicht-staatlichen) Parteigesetzgebungsaktivitäten in der Frühphase als „Vorgeschichte“ auch für das Verständnis der späteren Entwicklung des Rechtssystems in der VRCh wichtig. Das Verständnis der führenden kommunistischen Revolutionäre vom Wesen des Rechts in dieser Phase hat den Aufbau des Rechtssystems in der VRCh tief geprägt. „Das Politik- und Rechtssystem des Sozialismus in unserem Land ist eine Zusammenfassung der langfristigen praktischen Erfahrungen während des Aufbaus des Politik- und Rechtssystems in den Rätegebieten (geming genjudi) seit der Gründung der KPCh. Viele damals geschaffenen Systeme, Rechtslinien und Rechtsgrundsätze wurden vom gegenwärtigen sozialistischen Rechtssystem übernommen und weiter entwickelt.“146 Wie oben dargestellt, wurde die GMD seit der Ausrufung der RCh erst nach dem Nordfeldzug eine herrschende Macht. Die ersten 15 Jahre nach der Ausrufung der RCh waren erfüllt von politischen Stagnationen und Restaurationen. Der liberale, demokratische Traum der Chinesen erwies sich trotz der radikalen, großen XinhaiRevolution, des Umsturzes des tausende-Jahre-langen Kaisersystems, als mühsam zu verwirklichen. Die GMD schaffte zwar die alte Ordnung erfolgreich ab, scheiterte aber daran eine ideal geplante, liberale und demokratische neue Ordnung aufzubauen. „Sun Yat-sen und sein Kreis hatten zweifellos die idealsten und uneigennützigsten Absichten; und es gebührt ihnen das Verdienst, dem nicht mehr haltbaren, morschen Bau des konfuzianischen Staates den letzten Stoß gegeben zu haben. Ihr Wirken war so in erster Linie destruktiv. Sie waren aber nicht in der Lage, etwas Überzeugendes, Neues an die Stelle des zerfallenden Alten zu setzen.“147 Die Unfähigkeit der GMD, die Unabhängigkeit Chinas nach außen zu gewinnen, sowie die Unruhe im Innern zu beseitigen, bot der KPCh die Möglichkeit, einen anderen Weg für China zu planen. „Die zwei großen Fehler der Kuomingtang-Politik, nämlich die Vernachlässigung des Dorfs und die Rückkehr zu elitären Führungsformen, ließen die kommunistische Bewegung zu einer echten Alternative werden.“148 Am 23. 07. 1921 wurde die KPCh in Shanghai gegründet. Sie war eine stark ideologisch organisierte Partei, orientierte sich an der proletarischen revolutionären Theorie und wich deshalb stark von dem vorigen „kapitalistischen Weg“ ab, der in der Spät Qing der Idee nach durch monarchischen Konstitutionalismus und in der RCh durch demokratischen Parlamentarismus vertreten war. Mit ihrer revolutionären Theorie übereinstimmend schaffte die KPCh ihr eigenes Rechtsverständnis. Die von der GMD geführte Rechtsmodernisierung ist aus der Perspektive der KPCh eine „altdemokratische“, also, „kapitalistische“. Um sich von ihr zu unterscheiden, wird die Rechtsmodernisierung in der Vorrevolutionsphase der KPCh als die der „Neu-Demokratie“ oder der „Volksdemokratie“ (renmin minzhu) bezeichnet. Verglichen mit der „kapitalistischen“ Demokratie, die in der RCh wesentlich von der oberen Schicht 146 147 148
Zhang Jinfan (1999), S. 2. Wolfgang Franke, S. 158. Oskar Weggel, S. 251.
D. Der dritte Modernisierungsversuch
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der Gesellschaft vertreten werde, sei die Volksdemokratie echte Demokratie, die besonders die Mittel- und Unterschicht (also, Arbeiter, Bauer und Kleinbürger) der Gesellschaft umfassen sollte. Unter den damaligen chinesischen Verhältnissen wurde, nach der Theorie der Klassenanalyse von Mao Zedong, die Kraft der Bauern von der KPCh besonders betont. Der richtige Weg der chinesischen Revolution sei „vom Land her die Städte erobern“, nicht aber umgekehrt. „Die Bauern sollten nicht ,von oben her‘ geleitet, sondern durch Massenaktionen ,von unten her‘ zur Eigeninitiative erweckt werden.“149 „Das Wesen der neu-demokratischen Politik ist, den Bauern Rechte zu verleihen, damit eine neu-demokratische Regierung gründet werden kann, die unter der Führung des Proletariats steht und die Befreiung der Bauern zum Gegenstand hat.“150 Die in der RCh weiter bestehende Krise der chinesischen Nation und die weiterhin ungelöste Aufgabe der rechtlichen Abschaffung der Exterritorialität legten der KPCh, ähnlich wie den Rechtsreformern in der Spät Qing und der GMD in der RCh, gleiche Modernisierungsziele nahe. Kurz nach ihrer Gründung verkündete die KPCh ihre „erste Erklärung über die vorhandene Situation Chinas“ (15. 06. 1922), in der gefordert wurde, „die Zollvereinbarung zu korrigieren“ und „die Exterritorialität der westlichen Großmächte abzuschaffen.“ Im Juni 1923 erließ die KPCh den „Entwurf des Programms der KPCh“, in dem es als Zweck der Partei beschlossen wurde, alle ungleichen Verträge zwischen China und den westlichen Großmächten abzuschaffen. 1927 verschärfte sich der Konflikt zwischen der GMD und der KPCh, was schließlich zum ersten Bürgerkrieg der beiden führte. Am 01. 08. 1927 fand der Nanchang-Aufbruch unter der Führung der KPCh statt, was den Anfang der bewaffneten Kämpfe der KPCh gegen die „GMD-Reaktionäre“ bedeutete. Ungeachtet der scheinbaren, „gezwungenen“ Zusammenarbeit zwischen der GMD und der KPCh während des Anti-Japan-Kriegs (1937 – 1945), bildeten die ständigen Auseinandersetzungen zwischen der GMD und der KPCh, bis zur Niederlage der GMD 1949, den grundlegenden Ton dieser geschichtlichen Phase. Die politische und ideologische Gegnerschaft der GMD und der KPCh verschaffte auch der KPCh eine Möglichkeit, parallel zur kapitalistischen Rechtsmodernisierung der GMD, einen Weg der proletarischen Rechtsmodernisierung zu gehen. Die kommunistische Revolutionstheorie aus dem Westen und ihre entsprechenden Anpassungen durch die chinesischen Revolutionäre waren entscheidend für die Merkmale der Rechtsmodernisierung unter der Führung der KPCh. Kurz nach dem „Herbsternte-Aufbruch“ (09. 09. 1927) wurde das erste revolutionäre Rätegebiet der KPCh auf dem Land geschaffen, was die Entstehung einer nichtstaatlichen Regierung der KPCh bedeutete und deren informellen Rechtsaufbau ermöglichte. Im Zentrum des Rechtsaufbaus in den revolutionären Rätegebieten standen die Verfassung und Organisationsgesetze. Deren Zwecke waren, die Füh149 150
Oskar Weggel, S. 251. Mao Zedong, Über die neu-demokratische Revolution (01.1940).
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
rungsrolle der KPCh zu stärken und die revolutionären roten Rätegebiete zu verteidigen. Am 07. 11. 1931 verkündete die erste Nationale Sowjetversammlung in der jiangxi Provinz „Grundsätze der Verfassung der chinesischen Sowjetrepublik“, in denen bestimmt wurde: „Die chinesische Sowjetrepublik ist ein Staat unter der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern (Artikel 2).“ Den revolutionären Verhältnissen entsprechend wurden später weitere Verfassungen oder Gesetze von Verfassungsnatur verkündet, z. B., „Grundsätze der Verfassung in den ShanganningRandgebieten (04.1946)“, „Programme der autonomen Regierung der Inneren Mongolei (04.1947)“, „Programme der Nordchina-Volksregierung (08.1948)“. Bezüglich des Aufbaus der revolutionären Regierungen wurde vor allem festgestellt, an der Führungsrolle der KPCh festzuhalten. Die sechste Nationalversammlung der KPCh (07.1927) erließ einen „Beschluss über die Organisationsfragen der Sowjetregierungen“, in dem es hieß: „Das richtige Organisieren der Sowjetregierung setzt die feste Führung der KPCh voraus. Die Partei soll jederzeit und überall der ideologische Leiter des Sowjets sein.“ „Die Führung der Partei über den Sowjet vollzieht sich durch Ausarbeitung und Durchführung einer Reihe Programme, Richtlinien und Politik der Partei.“151 1933 wurde ein Organisationsstatut für die lokalen Sowjets und 1934 ein Organstatut für den zentralen Sowjet erlassen. Gleich wichtig wie die Verfassung und die Organisationsgesetze, waren Rechtsnormen, die sich auf den Boden bezogen. Die Bodenfrage ist in der langen Geschichte Chinas entscheidend, da in dem traditionellen agrarisch orientierten chinesischen Kaiserreich die Bodenfrage und von ihr verursachte Bauerkriege die häufigste Antriebskraft des Wechsels der Dynastien waren. Die proletarische revolutionäre Theorie, welche die Massenlinien betonte, hatte gewisse Übereinstimmungen mit der traditionellen chinesischen politischen Vorstellung über Wandel und Ablösung der Macht. „Die von Sun Yat-sen wenn auch in unbestimmter und unklarer Form geforderte Landreform mit dem Grundsatz, dass der Grund und Boden demjenigen gehören solle, der ihn bestellt, wurde bald vergessen. Daran sollte die KMT schließlich scheitern.“152 Im Gegensatz dazu bestand der Erfolg der KPCh gerade darin, durch die Lösung der Bodenfrage die Kraft der Bauern wieder zu wecken, was eine tiefere Umwandlung der ganzen Gesellschaft, „eine soziale Revolution“153, ermöglichte. Um die Bauern an der Revolution teilnehmen zu lassen, wurde die Bodenfrage der Bauern von Anfang an ein Kerninhalt des Rechtsaufbaus in den roten Gebieten. Durch eine Reihe von Bodengesetzen wurde der Boden zugunsten der Bauern aufgeteilt. Wichtige Bodengesetze sind folgende: jingangshan-Bodengesetz (12.1928), xingguo-Bodengetz (04.1929), das Bodengesetz der chinesischen Sowjetrepublik (11.1931), sowie „Grundsätze des chinesischen Bodengesetzes“ (10.1947). Diese Bodengesetze, ungeachtet ihrer konkreten inhaltlichen Unter151
Zhang Jinfan (1999), S. 125. Wolfgang Franke, S. 172. 153 Diese „soziale Revolution“ als die letzte Stufe der Revolution in China seit Mitte des 19. Jahrhunderts fand nach „der Revolution der Staatsverfassung“, „der geistig-kulturellen Revolution“, „der politischen Revolution“ statt. Wolfgang Franke, S. 176. 152
D. Der dritte Modernisierungsversuch
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schiede, dienten dazu, die Bauern auf die eigene Seite zu ziehen und das politische Versprechen der KPCh, „der Boden soll denen gehören, die ihn bebauen (gengzhe you qi tian)“, zu verwirklichen. Neben Bereichen der Verfassung und der Bodengesetze wurden auch viele andere wichtigen Gesetze in der nicht-staatlichen Regierung der KPCh erlassen. Besonders in der Zeitphase 1931 – 1935 erreichten die Parteigesetzgebungsaktivitäten ihren Höhepunkt. Wahlgesetze, Verwaltungsgesetze, Wirtschaftsgesetze, Arbeitsgesetze, Strafgesetze, Ehegesetze sowie Prozessgesetze wurden verkündet, wodurch ein „neu-demokratisches Rechtssystem“ errichtet wurde. Dieses „neu-demokratische“ Rechtssystem der KPCh existierte parallel zum „Sechs-Kodex-System“ der GMD bis zum Jahr 1949. Obgleich das letzte vor 1949 als das einzige formell legitime Rechtssystem in China anerkannt wurde, wurde es aber mit der politischen und militärischen Niederlage der GMD schnell vom ersteren verdrängt. Bewertete man dieses Rechtssystem formell aus der Perspektive der Gesetzgebungsprozesse, oder inhaltlich aus der Perspektive der liberal-demokratischen Werte, dann müsste man befinden, dass es noch ganz unvollkommen ist, oder, was von ihm vertreten wurde, sogar gerade das „Gegenteil“ eines „Verfassungsstaats“ oder „Rechtsstaats“ im westlichen Sinne war. Aber wie gesagt, wurde das neu-demokratische Rechtssystem in der Revolutionsphase der KPCh gegründet und diente somit wesentlich den Revolutionsaktivitäten der KPCh. Als Mittel der Revolution der KPCh bewiesen die Gesetzgebung und relevante Rechtsnormen in dieser Phase ihre Erfolge im Gewinn der Unabhängigkeit und der Wiedervereinigung Chinas, was einen seit der Spät Qing unveränderten Traum aller Chinesen erfüllte. Wichtig ist hier daher nicht, dieses Rechtssystem ideologisch oder wissenschaftlich zu bewerten, sondern dass es als der dritte Rechtsmodernisierungsversuch schaffte, was die vorherigen zwei Rechtsmodernisierungsversuche nicht erfüllt hatten. Dies gilt besonders, wenn man keine ideologischen Vorfestlegungen in den Begriff der „Modernisierung“ einbaut. Dieses Rechtssystem war bis 1949 kein staatliches Rechtssystem. Erst mit dem Sieg der KPCh im Bürgerkrieg gegen die GMD fand das „neu-demokratische“ Rechtssystem schließlich seinen Zugang zur staatlichen Legalität und Legitimität. Viele als „Gesetze“ bezeichnete Normen sind in ihrem Wesen lediglich Ausdruck der Programme, Beschlüsse oder Richtlinien der Partei. Die KPCh als der Führer der Revolution gegen Imperialismus, Feudalismus und gegen die GMD zeigte auch ihre Führungsrolle in der Gesetzgebung, was als praktische Erfahrungen aus der Revolutionsphase der KPCh auch den Rechtsaufbau nach der Ausrufung der VRCh beeinflusste, dessen Entwicklung und Folgen erst im nächsten Abschnitt behandelt werden.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
E. Der vierte Modernisierungsversuch: Entwicklung eines sozialistischen Rechtssystems von 1949 bis 1978 in der VRCh I. Abschaffung des „Sechs-Kodex-Systems“ der Nanjing-Nationalregierung Mit der Ausrufung der VRCh (01. 10. 1949) bewies die stark ideologisch organisierte KPCh ihre Fähigkeit, die 100 Jahre lange Aufgabe der Chinesen – die Selbstrettung der chinesischen Nation – seit dem Opium-Krieg zu erfüllen. Was hinter dem militärischen Sieg der KPCh stand, war auch freilich der Sieg der politischen Ideologie und deren entsprechenden Rechtsverständnisses. Das früher wohl noch im Rahmen der Demokratie, Freiheit und Gewaltenteilung ausgelegte „SechsKodex-System“ musste sich nunmehr dem Erklärungsmodell der proletarischen Klassentheorie unterwerfen und erschien dem neugeborenen kommunistischen Regime als „ein kapitalistisches Rechtssystem“ unakzeptabel. „Da Mao nach der marxistischen Lehre die Demokratie zum Überbau, zur Kategorie der Politik, zählt, lehnt er eine allgemeingültige, festgelegte Form der Demokratie ab. ,Demokratie‘, ,Freiheit‘ und ,Volk‘ sind besondere Begriffe, die nicht aus den allgemeingültigen Grundsätzen der Menschenrechte sowie aus Gerechtigkeit und Gleichheit, wie in einem Rechtsstaat, hervorgehen, sondern vielmehr aus dem Klassencharakter des Volkes und den politischen Prinzipien eines totalitären kommunistischen Staates. Freiheit, das ist die Freiheit unter kommunistischer Führung, und Demokratie, das ist die Demokratie unter einer zentralisierten Leitung. Sie gelten also nur für die Menschen in der Kategorie des ,Volks‘ in maoistischer Prägung, nicht jedoch für alle Menschen oder die Staatsbürger, die mit der kommunistischen Politik nicht einverstanden sind.“154 „Der Grund für die Abschaffung des alten Rechtssystems ergibt sich aus dem Verständnis der Kommunisten vom Recht. Nach der klassischen Rechtstheorie des Marxismus ist das Recht nur Wille der herrschenden Klasse; die Klasse, welche die Herrschaft gewinnt, wandelt ihren Willen durch den Staatsapparat in staatliches Recht um, wodurch Recht ein Mittel der Klassenherrschaft wird.“155 Es versteht sich daher, dass noch kurz vor der Ausrufung der VRCh das „SechsKodex-System“ der GMD von der KPCh für ungültig erklärt worden war. Im Februar 1949 hatte der ZK-Rechtsausschuss (zhongyang falü weiyuanhui) bereits durch die „Anweisung über die Abschaffung der ,Sechs Kodices‘ der Guomindang und die Festlegung (der Maßgeblichkeit) der Justizprinzipien der Befreiten Gebiete“ die Abschaffung der „Sechs Kodex“ erklärt. Diese Stellungnahme der KPCh wurde in der Anweisung der Nordchina-Volksregierung (31. 03. 1949) wieder festgelegt. Hinzu kam noch die Bestimmung des „Allgemeinen Programms der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes“ (zhongguo renmin zhengzhi xieshang huiyi 154 155
Edgar Tomson/Jyun-hsyong Su, S. 50. Cai Dingjian (1997), S. 4.
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gongtong gangling)“, das faktisch Verfassungscharakter hatte und dessen Art. 17 bestimmte: „Sämtliche Gesetze und Verordnungen der reaktionären GuomindangRegierung, die das Volk unterdrücken, sind aufgehoben. Die das Volk schützenden Gesetze und Verordnungen sollen ausgearbeitet werden, und das Volks-JudikativeSystem soll aufgebaut werden“. Das „Sechs-Kodex-System“ der GMD war ideologisch und wissenschaftlich gesehen ein Rechtssystem, das dem Rechtssystem des Westens in der Geschichte Chinas am nächsten stand. Es war ebenso das vollkommenste Rechtssystem seit der Rechtsreform in der Spät Qing. Aber wie gesagt, trotz seiner „Fortschrittlichkeit“, konnte es die wichtigste, dringendste Aufgabe des neuzeitlichen Chinas „jiuwang tucun“ nicht erfüllen. Historisch gesehen, galten „Freiheit“, „Demokratie“, und „Gewaltenteilung“ in den Augen der Chinesen vor allem nicht als Werte selbst, sondern als Mittel der Rettung Chinas. Wenn „Freiheit“, „Demokratie“ und „Gewaltenteilung“ keinen Ausweg für China anbieten konnten, war es auch gerechtfertigt, auf sie und deren Rechtssystem zu verzichten. Der Modernisierungsversuch des chinesischen Rechts, der mit dem Lernen vom westlichen monarchischen Konstitutionalismus anfing und sich mit dem Lernen des demokratischen Republikanismus fortsetzte, fand seinen neuen Anlauf auf eine unerwartete Weise im Kommunismus. „Die Beseitigung des ,Sechs-Kodex-Systems‘ ließ das marxistischleninistisch-maoistische Staats- und Rechtsverständnis eine herrschende Stelle gewinnen, was einen Weg bahnte, in dem die Erfahrungen der chinesischen Kommunisten in langen Revolutionskriegen und im Aufbau des Regimes umgesetzt werden konnten.“156
II. Formalisierung des sozialistischen Rechtssystems von 1949 bis 1957 Die Ausrufung der VRCh bedeutete das Ende der semi-kolonialistischen Gesellschaft in China. China trat nunmehr als ein komplett souveräner Staat zum ersten Mal seit 1840 in die Geschichte, was eine Voraussetzung für die Formalisierung des Rechtssystems schaffte. Aber diese neue Staatlichkeit der VRCh wurde unter der Führung der KPCh gewonnen. Ähnlich wie in der Phase der RCh existierte in der VRCh das gleiche Problem, nämlich das Problem der Beziehung zwischen Partei und Staat. Wenn man von „Rechtssystem“ spricht, ist normalerweise ein Staatlichkeit voraussetzendes formelles Rechtssystem gemeint. Mit anderen Worten, es ist der moderne Staat, der dem modernen Recht seine Autorität verleiht. Im Gegensatz dazu besteht die Frage, ob und wie es möglich ist, unter einem Dualismus zwischen Partei und Staat ein formelles Rechtssystem aufzubauen. Dies steht im Zentrum der Diskussionen der Rechtsentwicklung seit 1949 und bildet einen besonderen Gesichtspunkt für die Betrachtung der Rechtsgeschichte der VRCh. Wie die Geschichte zeigt, 156
He Qinhua, S. 134.
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1. Kap.: Vier Modernisierungsversuche des chinesischen Rechtssystems
hängt die Antwort auf diese Frage wesentlich von der Beziehung der KPCh zum formellen Staat ab, oder genauer: von der Sicht der führenden KPCh auf den Staat (die formelle Staatlichkeit). In der Anfangsphase der VRCh wurde die Formalisierung des Rechts auf der staatlichen Ebene stark von der KPCh vorangetrieben. Die KPCh brauchte einen formellen Staat sowie ein formelles Rechtssystem, um ihre revolutionären Erfolge zu sichern. Staat und staatliches Rechtssystem waren gewissermaßen der Ausdruck des Sieges der KPCh. Das auf den Rätegebieten geschaffene neu-demokratische Rechtssystem, als Quelle wertvoller revolutionärer Erfahrungen, wurde durch staatliche Legitimität in ein an der Sowjetunion orientiertes sozialistisches Rechtssystem umgewandelt. „From 1949 to 1957, China experimented, frequently with varying degrees of commitment, with a legal system based in part on that of the Soviet Union and in part on the experience of the Chinese Communist Party in ruling large areas of China before its final victory.“157 1954 wurde die erste Verfassung der VRCh erlassen, die erste sozialistische Verfassung Chinas. Gleichzeitig wurden auch manche für einen formellen Staat erforderlichen Gesetze ausgearbeitet, die sich aber hauptsächlich auf die Organisation der Staatseinrichtungen, die Wahl der Volksvertretung und die Konsolidierung des Regimes bezogen. Außer diesen Bereichen waren die Erfolge der Gesetzgebung in anderen Rechtsgebieten ganz gering. Bis 1957 befanden sich viele wichtige Gesetze in den Bereichen Zivilrecht, Strafrecht und Prozessrecht noch im Stadium von Entwürfen.
III. Zusammenbruch des Rechtssystems von 1957 bis 1978 In der Phase von 1949 bis 1957 wurde mühsam ein fragiler Ausgleich zwischen Partei und Staat geschaffen und dann wegen ständiger politischer Bewegungen seit 1957 (Kampagne gegen „Rechtsabweichler“, „Großer Sprung nach vorne“, und „kulturelle Revolution“) wieder zerstört. Die Folge war, dass der Versuch, staatliche Herrschafts- und Kontrollmaßnahmen zu formalisieren und verrechtlichen, auch schnell unterbrochen wurde. Die Herrschaft des Staates wurde durch die Herrschaft der Partei verdrängt, was wiederum die formelle Voraussetzung für ein staatliches Rechtssystem abschaffte und „einen Rückfall in vormoderne Zeiten“158 bedeutete. Da diese politischen Bewegungen wesentlich von Mao Zedong initiiert und geleitet wurden, bedeutete die Beseitigung des Dualismus zwischen Partei und Staat auch die Entstehung des Dualismus von Person und Staat, mit anderen Worten, entartete der Dualismus zwischen Partei und Staat zum Dualismus von Person und Staat. Die Sorge Mao Zedongs, dass die Formalisierung des Rechtssystems das reine proletarische Wesen des neuen Chinas bedrohen und die Führung der KPCh be157
Stanley B. Lubman (1979), S. 123. Robert Heuser, „Sozialistisches Recht“ in der Erprobung. Entwicklungen der chinesischen Rechtsordnung (1949 – 2009), S. 253. 158
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schränken würde, war ein eindeutiger Ausdruck seiner Ansicht über Recht, die sich auf den Rätegebieten ausgebildet hatte. Wie oben dargelegt, war das „neu-demokratische“ Rechtssystem ein System, in dem die Führungsrolle der KPCh vorrangig garantiert war. Was aber in einem staatlichen Rechtssystem berücksichtigt werden sollte, ist dagegen nicht nur der Führungsanspruch der KPCh, sondern sind auch die Ansprüche der anderen Mitglieder der Gesellschaft, die aber wegen der Klassentheorie der KPCh sehr einfach in die Gruppe des „Feindes“, aber nicht die des „Volks“ eingeteilt werden. Formalisierung des Rechtssystems bedeutete für Mao Zedong dann ein Mittel des „Feindes“, an der Staatsgewalt des Proletariats teilzunehmen, also den Erfolg der proletarischen Revolution zu stehlen. Es ist daher verständlich, dass die Juristen und Intellektuellen, die in der „Hundert-BlumenEpoche“ (1956) ihre Meinung für die Formalisierung des Rechtssystems ausgedrückt hatten, in den folgenden politischen Bewegungen fast ausnahmslos als „Bourgeoisie“ gesäubert wurden. Mao Zedong versuchte, durch diese politischen Bewegungen die Reinheit des proletarischen Staates wiederherzustellen und zu verteidigen. Die Abschaffung der Staatlichkeit hatte sich in der „Kulturrevolution“ (1966 – 1976) zugespitzt, in der nicht nur ein formelles Rechtssystem, sondern auch formelle Staatseinrichtungen unmöglich waren. Alle in der Anfangsphase gegründeten Staatsorgane wie Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden und sogar lokale Regierung wurden abgeschafft. Die ganze chinesische Gesellschaft wurde wieder militärisch, unter der Führung von Mao Zedong und nach seinen Erfahrungen in der Revolutionsphase organisiert. Vielerorts wurden formelle Regierungen durch Revolutionskomitees verdrängt. An die Stelle des Rechts traten nun die „Befehle“, „Beschlüsse“, „Zirkulare“, oder „Direktive“ der Partei. „The ,lines‘ (luxian), ,directions‘ (fangzhen), ,resolutions‘ (jueding) and other forms of expression of the Party’s will represent the main body of the legal system.“159 Und das formelle staatliche Rechtssystem „declined towards zero.“160
159 160
Robert Heuser (1986), S. 241. Volker Behr, S. 1162.
2. Kapitel
Die zentrale Rechtsetzung A. Formalisierung als Voraussetzung der staatlichen Rechtsetzung Im vorigen Kapitel wird die Rechtsgeschichte Chinas von der Neuzeit bis zum Ende der 1970er Jahre unter vier Modernisierungsversuchen zusammengefasst. Die Geschichte der chinesischen Rechtsmodernisierung zeigt die Komplexität und Schwierigkeit des Rechtsaufbaus in China. Besonders wertvolle Erfahrungen für die Gesetzgebung und das gegenwärtige Rechtssystem Chinas mögen die Erfahrungen aus der „Kulturrevolution“ sein. Die Identität der Partei mit dem Staat und die Identität der Politik der Partei mit Gesetzen führen zum Rechtsnihilismus, was alle Modernisierungsversuche des Rechts erfolglos macht. Die daraus zu entnehmenden Erfahrungen liegen einerseits darin, wie das Verhältnis der Partei zum Staat richtig zu behandeln ist und andererseits wie innerhalb des Staates verschiedene Staatsfunktionen formell einzuteilen und dementsprechend verschiedenen Staatsorganen anzuvertrauen sind. Für Gesetzgebung ist die wichtigste Erfahrung daher, wie Gesetzgebung als eigenständige Staatsfunktion aufrechtzuerhalten und ihre Eigenständigkeit auch gegenüber der Partei und deren politischen Gesellschaftskontrollmitteln161 zu bewahren ist. Kurz gesagt, liegt das wichtigste Problem der Gesetzgebung in der neuen Epoche darin, Gesetzgebung selbst zu formalisieren, sowohl gegenüber der Partei (als politischer Führungsrolle) als auch gegenüber anderen Staatsorganen. Der Ansatz der Formalisierung ist der Ausgangspunkt des heutigen chinesischen Rechtssystems, rechtsgeschichtlich bedeutet sie „ein neues China“162.
I. Die Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei Das Verhältnis zwischen KPCh und Gesetzgebung ist wohl das schwierigste Problem der Gesetzgebung. Formalisierung bedeutet hier – am einfachsten gesagt – die Trennung von Gesetzgebung und Partei. Aber wie und inwieweit eine solche 161
Nämlich „a tradition of discretionary control by governing officials.“ Perry Keller, S. 654. 162 „If there was a New China established in 1949, another was established in the years 1979 – 85.“ Alice E.-S. Tayt, S. 572.
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Trennung möglich ist, ist nicht unproblematisch, insbesondere wenn man die vorhandene Verfassungsordnung und realpolitischen Bedingungen Chinas berücksichtigt. In der Präambel der vorhandenen Verfassung von 1982 wird ausgeführt: „Die Volksmassen aller Nationalitäten in China sind geleitet (lingdao) von der Kommunistischen Partei Chinas.“ Das ist die verfassungsrechtliche Festlegung der politischen Führungsrolle der KPCh. Und auch in der politischen Wirklichkeit „werden die Reformen und deren Operationalisierung durch das Rechtssystem durch die KPCh geleitet.“163 Das bedeutet, dass die KPCh ein Monopolentscheidungsrecht über alle Modernisierungsarbeiten im Namen der „Reform und Öffnung“ hat. Für viele westliche Beobachter, die tendenziell bewusst oder unbewusst die Verfassungsund Politikrealitäten Chinas übersehen, ist die Einheit der Gesetzgebung und Partei oder die Integration der Gesetzgebung in die Partei und ihre Politik eine entscheidendes Argument, dass es in China keine Rechtsstaatlichkeit gibt und alle Gesetze nur versteckte Politik sind.164 Für sie bedeutet die Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der KPCh eher eine politische Anforderung als eine rechtliche, d. h. die Gesetzgebung müsse gewisse politische Autonomie besitzen und dann diejenigen von dieser Autonomie übernommenen Werte selbst verwirklichen, die aber den politischen Richtungen der KPCh nicht notwendig entsprechen, oder sogar gerade gegen die politischen Bestrebungen der KPCh sind.165 Um zu verstehen, was in Abgrenzung zu solchen Überlegungen hier mit Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der KPCh gemeint ist, muss auf eine allgemeinere Frage der Gesetzgebungslehre, nämlich die Frage des Verhältnisses von Gesetzgebung und Politik, eingegangen werden. 1. Politik und Gesetzgebung im Allgemeinen Es ist ein sehr häufiger Versuch der Gesetzgebungslehre, die Gesetzgebung von der Politik zu unterscheiden, also die Gesetzgebung gegenüber Politik zu „rationalisieren“, z. B. durch „wissenschaftliche oder fachliche Rationalität“166. Aber wie 163
Robert Heuser (1988), S. 898. Beispiele: „Wir können dies zusammenfassen, dass das gesamte Rechtssystem der Operationalisierung der Parteipolitiken dient.“ Robert Heuser (1988), S. 900. „So, then, how should China’s current laws be characterized? They are articulated party policies given concrete legal form through an elaborate, indirect drafting process. Like other policies, they are communicated through traditional mobilization channels. They are created, revised, and repealed by the traditional actor, the Communist Party, and are insulated from any real popular influence. Thus, in the People’s Republic of China, law is policy and policy is law.“ Frances Hoar Foster, S. 428. 165 Insbesondere wird die „Gewaltenteilung“ als ideologische Grundlage westlicher Verfassungsordnungen zur Voraussetzung einer „Autonomie“ der Gesetzgebung erklärt. „So ist bekanntlich in vom Marxismus/Leninismus und damit von der Ablehnung der Gewaltenteilung geprägten Verfassungssystemen weder eine kompetenzielle Abgrenzung der ,Gesetzgebung‘ noch eine materielle Scheidung von anderen Steuerungs- und Führungstechniken möglich.“ Hans Heinrich Rupp, S. 43. 166 Ulrich Karpen, S. 163. 164
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eine solche Unterscheidung oder Rationalisierung möglich ist, ist wegen des gewissermaßen „natürlichen“ engen Verhältnisses zwischen Gesetzgebung und Politik nicht unproblematisch. Es kann nicht verneint werden, dass die Gesetzgebung als Vermittlung von Politik und Recht zweierlei Eigenschaften hat, einerseits besitzt sie rechtliche Normativität, da sie allgemeinverbindliche Handlungsnormen für die Mitglieder der Gesellschaft setzt, andererseits – wohl wichtiger – ist Gesetzgebung auch ein Ausdruck der politischen Willensbildung des Staates. Besonders in einer positivierten Gesetzgebungsepoche167 umfasst die „Setzung“ der Rechtsnormen als „Willensakt des Staates“168 mehr politische Konnotationen, da positive Gesetzgebung einen Prozess der Integration verschiedener politischer Interesse innerhalb eines Staates bedeutet. „Was rechtlich gilt, wird politisch bestimmt. […] Ein dem Recht eigener politikunabhängiger Inhalt existiert nicht.“169 Gesetzgebung hat ihre politische Seite, was besonders in der westlichen (deutschsprachigen) Gesetzgebungslehre unter der liberal-demokratischen Verfassungsordnung nicht verneint wird.170 „Die enge Verbindung von Recht und Politik bewusst zu machen, ist Voraussetzung für das richtige Verständnis von Gesetzgebung in der Demokratie.“171 Unter einem liberal-demokratischen politischen System ist Gesetzgebung geradezu das zentrale Element demokratischen Politik. Als Produkt der Gesetzgebung ist „Recht in der Demokratie durch Gesetze für alle verbindlich gewordene Politik.“172 Inhaltlich gesehen, ist die Gesetzgebung „in der Praxis ganz wesentlich von politischen Einflüssen bestimmt“173, sie ist „eine Aufgabe der Politik“174, sie stellt „die realen Ergebnisse der Politik“175 dar und ist „der positivierte Ausschnitt der politischen Ordnungsvorstellungen“176. Formell gesehen, ist die Gesetzgebung ein Prozess der Integration verschiedener politischer Interessen177, sie ist „ein politisch-bürokratischer Prozess“178, „wenn auch ein rechtlich kanalisierter.“179 „Die Gesetzgebung besitzt ein komplexes und kompliziertes politisches 167
„Unter der Herrschaft des Rechtspositivismus galt Gesetzgebung nicht als Wissenschaft, sondern als Aufgabe der Politik.“ Arthur Kaufmann, S. 110. 168 Wilhelm Ebel, S. 5. 169 Dieter Grimm, S. 13. 170 „Im Rahmen der demokratischen Ordnung ist Gesetzgebung Form politischer Willensbildung.“ Vgl. dazu Konrad Hesse, S. 217. 171 Ortlieb Fliedner, S. 18. 172 Ortlieb Fliedner, S. 17. 173 Hermann Hill, S. 7. 174 Hans Albrecht Hesse, S. 71. 175 Ortlieb Fliedner, S. 19. 176 Heinz Schäffer (Hrsg.), S. 126. 177 Gesetzgebung im formellen Sinne meint vor allem das Gesetzgebungsverfahren als „Garant der Interessenberücksichtigung und Legitimität der Normsetzung.“ Burkhardt Krems, S. 17. 178 Norbert Wimmer, S. 226. 179 Hans Schneider, Gesetzgebung, S. 80.
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Umfeld, in dem verschiedene Interessen und politische Kräfteverhältnisse zusammen- (oder aber auch gegeneinander) wirken. Gesetzgebung ist nicht ein isolierter Entscheidungsvorgang auf dem Boden des Parlaments, sondern ein integrierter Entscheidungsprozess im politischen System, eine Summe von formellen und informellen Entscheidungsabläufen.180 „Der erste Schritt eines Gesetzgebungsverfahrens muss die politische Vorgabe der Regierung sein (policy). Der politische Kurs, die politischen Linien des Vorhabens, seine Einpassung in das Programm der Regierung sind für das weitere Vorgehen maßgeblich.“181 In diesem Sinne ist Gesetzgebung „nur die gesetzestechnische Umsetzung politischer Entscheidungen“182, sie ist „das wichtigste Mittel, politisches Handeln erwartbar zu programmieren und mit Sanktionen zu versehen.“183 Die Anerkennung des Vorrangs der Politik gegenüber Gesetzgebung macht klar, dass die Gesetzgebung in gewissem Maße nur eine instrumentelle Stellung hat. Wenn dennoch Gesetzgebung und Politik unterschieden werden, kann nicht gemeint sein, dass Gesetzgebung gleichsam selbst eigenständige politische Werte vertreten kann, sondern vielmehr sie durch ihre Prozesse die eigentlich „nicht objektivierbare Politik“184 in Form allgemeinverbindlicher Rechtsnormen objektiviert und damit ihre Eigenständigkeit gewinnt. Der Eigenwert der Gesetzgebung liegt daher wesentlich in ihrem Prozess und der sich daraus ergebenden Objektivität und Allgemeinheit185, also im Prozess der Transformation der politischen Ungewissheit in die rechtliche, normative Gewissheit, die dann als Beurteilungsnormen der Verhalten der Mitglieder der Gesellschaft rechtssprechend anwendbar wird. In diesem Sinne hat die Gesetzgebung einen „bedingten, formalen Primat“ des Rechts gegenüber der Politik, „indem das Recht die angemessene Ausgestaltung des Verfahrens […] zu gewährleisten hat.“186
2. Die KPCh und die staatliche Gesetzgebung als entsprechender Ausdruck des Verhältnisses von Politik und Gesetzgebung in China Wie oben ausgeführt, ist die politische Seite nicht nur ein untrennbarer Bestandteil der Gesetzgebung, sondern gegenüber ihrer prozeduralen Seite sogar unbestritten eine herrschende Seite. Die allgemeine Anerkennung der politischen Natur der Gesetzgebung ist wichtig für die richtigen Beobachtungen chinesischer Gesetzgebung. Häufig dient die führende Rolle der KPCh gegenüber der Gesetzgebung als Argument zur Leugnung echter Gesetzgebung in China. Dies beruht auf einer 180 181 182 183 184 185 186
Heinrich Neisser, S. 272. Ulrich Karpen, S. 177. Konrad Redeker, S. 161. Heinz Schäffer (Hrsg.), S. 126. Ortlieb Fliedner, S. 60. „Als Wesensmerkmal des Gesetzes“. Vgl. dazu Gregor Kirchhof, S. 102 ff. Georg Müller, S. 9.
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Vermengung des Verhältnisses von Politik und Gesetzgebung mit westlicher politischer Kritik am gegebenen politischen und verfassungsrechtlichen System der VRCh. Aufgrund der Affinität zwischen Gesetzgebung und Politik, muss jede Diskussion über die Gesetzgebung „in einem ganz bestimmten politischen und verfassungsrechtlichen Umfeld“187 stattfinden. Anders als ein liberal-demokratisches System im westlichen Sinne und sein entsprechendes Mehrparteiensystem ist China „ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht.“188 Die KPCh „leitet“ gemäß der bereits erwähnten Präambel der Verfassung „die Volksmassen“. Sie ist nach ihrem eigenen Statut „die Vorhut der Arbeitsklasse, die Vertreterin des chinesischen Volkes und der aller chinesischen Nationalitäten und der führende Kern der sozialistischen Sache Chinas.“189 Diesen Ausführungen sind viele Merkmale des politischen und auch verfassungsrechtlichen Systems Chinas zu entnehmen. Die wichtigsten Merkmale bezüglich der Gesetzgebung sind aber die staatliche Gewaltenstruktur und die Quelle der Legitimität der regierenden KPCh. Das politische System Chinas kennt keine Gewaltenteilung im westlichen Sinne, hat ebenso andersartige Legitimitätsquellen, die nicht mit der demokratischen Legitimität aufgrund allgemeiner Wahlen übereinstimmend ist. Die politisch sensitive, wissenschaftlich und vernünftigerweise schwer begründbare Frage, wie die Herrschaft der KPCh nach außen und nach innen legitimiert ist, ist ein anderes großes Thema, welches im Folgenden nur teilweise, insoweit bezüglich der Gesetzgebung, erläutert werden kann. Jedenfalls aber kann das Verhältnis von Politik und Gesetzgebung im chinesischen Verfassungssystem losgelöst von einer politisch ideologischen Beurteilung190 dieses Verfassungssystems analysiert und diskutiert werden. Die KPCh als die alleinige legitimierte politische Führung Chinas ist der höchste Politikspieler in China. Es gehört zu ihrer Führungsfunktion, alle staatlichen Angelegenheiten, inklusive Gesetzgebungsangelegenheiten anzuleiten.191 Darum gilt: „Control of the formulation and implementation of legislation is clearly an essential aspect of the Party’s role as leader of state and society.“192 Wegen des politischen 187
Hans Heinrich Rupp, S. 43. Art. 1. von der Verfassung der VRCh. 189 § 1 vom Gesamten Programm der Satzung der KPCh. 190 Wie ein westlicher Beobachter mit gewissen politischen Vorurteilen schreibt: die Gesetzgebung in VRCh ist unter „party dominance“, „Although legislation continues to be promulgated in the People’s Republic of China, the real source of authority is the current party leadership.“ Frances Hoar Foster, S. 428. 191 Die Führung der Partei bedeutet wesentlich drei Aspekte: politische, ideologische und organisatorische Führung, „d. h. die Partei müssen gewährleisten, dass die staatlichen Organe für Gesetzgebung, Rechtsprechung und Vollziehung, die Wirtschafts-, Kultur- und Massenorganisationen aktiv, selbständig, verantwortungsbewusst und koordiniert arbeiten können.“ Robert Heuser (1988), S. 899. 192 Perry Keller, S. 660. 188
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Einparteiensystems kann das Problem des Verhältnisses von Politik und Gesetzgebung im chinesischen Kontext als Problem des Verhältnisses der Partei zur Gesetzgebung formuliert werden, und dementsprechend der Vorrang der Politik gegenüber der Gesetzgebung als der Vorrang der Partei gegenüber der Gesetzgebung. Die KPCh vertritt die politische Seite der Gesetzgebung. Dient im Westen die Gesetzgebung der liberalen und demokratischen Politik, dann dient in China die Gesetzgebung den politischen Vorstellungen und Linien der KPCh. Dies ist das wichtigste Urteil, um die Gesetzgebung Chinas richtig zu verstehen. Wenn unter diesen Umständen von der Bewahrung der Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei die Rede ist, bedeutet das nicht, dass die Gesetzgebung in China ihre politische Seite unter der Führung der KPCh verloren hätte oder aufgeben solle, sondern nur, dass die Funktionen und der Sinn der Gesetzgebung und ihrer Produkte, also Gesetze, als modernes Gesellschaftskontrollmittel und die Eigenständigkeit der spezifischen Prozeduren der Gesetzgebung von der Partei anerkannt werden, wie dies seit 1978 in einem gewissem Maße der Fall ist. Hier bedeutet Formalisierung nur die Hervorhebung der formellen Funktionen der Gesetzgebung, was ein moderner Ausdruck des instrumentalistischen Rechtsverständnisses seit der Spät-Qing ist. Die „Politik“ inhaltliche Führung durch die Partei wurde nach 1978 nicht etwa aufgegeben, sondern in dem Bemühen um den Wiederaufbau des in der „Kulturrevolution“ zusammengebrochenen (nur Partei, ohne Staat!) Dualismus zwischen Partei und Staat umgestaltet hinsichtlich ihres Verhältnisses zur formellen staatlichen Gesetzgebung.193 Der Führungsrolle der KPCh entsprechend besitzt die Politik der Partei inhaltlich nach wie vor eine entscheidende Rolle gegenüber der formellen Gesetzgebung. Widergespiegelt wird dies in mindestens folgenden vier Aspekten: Erstens bilden die Richtlinien der Partei über das Rechtssystem und die Gesetzgebung die grundlegenden Linien der staatlichen Gesetzgebung. Zweitens formuliert die Politik der Partei die grundlegenden Anweisungen (zhidao zhengce) für die Gesetzgebung; alle Rechtsetzungsaktivitäten basieren auf der Politik der Partei. Drittens steuert die Partei konkrete Gesetzgebungsverfahren ebenso wie die Ausarbeitung der Gesetzesentwürfe und deren Diskussion, Änderungen, Entscheidungen, usw. Viertens dominiert die Partei durch ihre Parteimitglieder die Gesetzgebungsgewalt und -organe.194 Unterschiedlich ist nur, dass die Politik der Partei nicht – wie vorher in einem System von hochgradiger „Einheit von Partei, Regierung und Gesetzen (dang zheng fa yitihua)195“ – als unmittelbare Verhaltensnormen für alle Gesellschaftsmitglieder und als Entscheidungsnormen der Gerichte angewandt werden kann, sondern durch die staatlichen Gesetzgebungsorgane formalisiert werden muss. D. h. sie muss, um 193
Diese Umstellung des Verhältnisses zwischen Partei und Gesetzgebung ist der „Beginn der Modernisierung des Rechtssystems seit Ende der 1970er Jahre“. Vgl. dazu Chen Duanhong (1998), S. 67. 194 Vgl. dazu Zhou Wangsheng (1998), S. 19 – 20. 195 Vgl. dazu Zhou Wangsheng (1998), S. 67.
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nach außen verbindlich zu werden, durch einen formalen Gesetzgebungsprozess statt eines Prozesses innerhalb der Partei konkretisiert und verrechtlicht (falühua) werden.196 Insofern liegt die Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei vor allem in ihrem formellen und prozeduralen Sinne. Da die Formalisierung der Gesetzgebung wesentlich von der KPCh selbst vorangetrieben wurde, wird deren Umfang und Geschwindigkeit auch von ihr bestimmt. Außerdem macht die inhaltlich von der Partei abhängige, nur formell unabhängige Gesetzgebung vieles, was eigentlich mit einem einheitlichen Rechtssystems nicht vereinbar ist, in China jedoch möglich wie z. B. eine hoch flexible Ermächtigungsgesetzgebung, hoch autonome Gesetzgebungskompetenz in autonomen Gebieten, die Politik „ein Land, zwei Systeme“ usw., denn all dies, wenn es auch formell gesehen rechtlich problematisch ist, kann praktisch in der Politik der KPCh als der primären Ordnung wieder vereinheitlicht werden.
II. Die Formalisierung der Gesetzgebung innerhalb des Staates Die Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei ermöglicht zugleich die Formalisierung der Gesetzgebung innerhalb des Staates. Unter dieser Formalisierung der Gesetzgebung wird zunächst die Gesetzgebungsgewalt als staatliche Funktion anerkannt und dem Staat zugeschrieben und danach die staatliche Gesetzgebungskompetenz auf verschiedene Gesetzgebungssubjekte verteilt, sowohl auf der zentralen Ebene als auch auf der territorialen Ebene. Da die „Kulturrevolution“ fast alle staatlichen Gesetzgebungsorgane zerstörte und ein „legal vacuum“ hinterließ, „the new legal system had to be developed practically from nothing.“197 Der erste Schritt zum Wiederaufbau des Rechtssystems durch Gesetzgebung ist daher, wieder formelle staatliche Rechtsetzungssubjekte zu schaffen. 1. Die Erweiterung der Rechtsetzungssubjekte auf der zentralen Ebene In der Verfassung von 1954 wurde der NVK als das höchste und einzige Gesetzgebungsorgan Chinas bestimmt198. Auf der zentralen Ebene besaßen andere Staatsorgane, also SANVK und SR, keine Gesetzgebungskompetenzen. Das von der Verfassung 1954 konzipierte Gesetzgebungssystem ist ein hoch konzentriertes „EinEbenen-Gesetzgebungssystem“ (yiji lifa tizhi)“199 und eine Art vom „Zentralismus 196
„The development of a formal legislative process during the past decade has meant that state institutions have replaced the Party as the formal source of most legislation.“ Perry Keller, S. 657 – 658. 197 Volker Behr, S. 1161. 198 Art. 22 der Verfassung 1954. 199 Zhang Chunsheng (2002), S. 5.
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der Gesetzgebung (lifa jiquan zhuyi)“200. Zu ihren gedanklichen Grundlagen gehören die Rechtsanschauungen des Marxismus-Leninismus. Aus diesem Gesetzgebungssystem sind zwei ersichtliche Elemente zu entnehmen: Erstens entspricht es der Theorie des Marxismus-Leninismus, dass sich alle politischen Gewalten auf die Vertretungsorgane des Volkes konzentrieren sollten, und in der Praxis war es eine Nachahmung des Rechtssystems der UdSSR; zweitens gibt es darum nur eine untrennbare staatliche Gesetzgebungsgewalt, die nur konzentriert ausgeübt werden darf.201 Wirtschaftlich gesehen, war dieses Gesetzgebungssystem die Umformulierung des damaligen hoch konzentrierten Planwirtschaftssystems.202 Zugleich hat es Gründe in den Realitäten der Gesetzgebung. „In der Anfangsphase unseres Staates hatten wir zu wenig Kenntnis und Praxis zu den Schwierigkeiten der Gesetzgebungsaufgaben und der Mehrstufigkeit des Gesetzgebungssystems in einem großen Einheitsstaat. […] Damals hatte der SANVK keine Gesetzgebungskompetenz, seine Befugnisse waren nur Auslegungen der Gesetze und Erlassen von rechtlichen Befehlen (faling); und der SR, die zentrale Regierung, hatte auch keine Befugnisse, Rechtsverordnungen zu erlassen, sondern durfte nur administrative Maßnahmen ergreifen.“203 Die Vorstellung, dass der NVK als das höchste Organ des Staates die absolute Gesetzgebungsgewalt monopolisieren sollte, kann wohl der hundertjährigen Anforderung der Einheit Chinas entsprechen und die absolute Kontrolle der zentralen Regierung über die lokalen Regierungen gewährleisten, übersieht aber die Schwierigkeiten einer konkreten Anwendung dieser Vorstellung in der Praxis, da der NVK als das höchste Gesetzgebungsorgan allein nicht in der Lage ist, alle dringenden und zahlreichen Gesetze und Rechtsnormen auszuarbeiten, die notwendig sind, um China zu einem auf Gesetzen als Modell der Staatsverwaltung basierenden Land zu transformieren.204 Aus den Bedürfnissen der Praxis heraus hatte es Änderungen auch schon vor der „Kultur-Revolution“ gegeben. Auf der 2. Sitzung des 1. NVK 1955 wurde beschlossen, dass aufgrund der Ermächtigung durch den NVK der SANVK zwischen den Tagungen des NVK teilweise Gesetze in gewissen Bereichen ausarbeiten kann. Auf der 2. Sitzung des 2. NVK 1959 wurde der SANVK darüber hinaus ermächtigt, veraltete und nicht passende Bestimmungen vorhandener Gesetze zu ändern und entsprechende neue Bestimmungen zu erlassen.205 Die daneben bestehende Tendenz einer allmählichen Verlagerung von Gesetzgebungsaufgaben auf den SR wurde wegen des Ausbruches der „Kulturrevolution“ abgebrochen. Der NVK blieb so zwar nach wie vor das einzige Gesetzgebungsorgan der VRCh. Wegen der Verbreitung des Rechtsnihilismus erließ er aber seit Ende der 200 201 202 203 204 205
Liu Shengping (1982), S. 12. Vgl. dazu Liu Songshan (2009), S. 31. Vgl. dazu Li Lin, S. 60. Zhang Chunsheng (2002), S. 5. Zhang Zhongqiu/Zhang Mingxin, S. 4. Vgl. dazu Han Dayuan, S. 5.
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1950er Jahre keine Gesetze außer zwei Änderungen der Verfassung 1975 und 1978.206 Ähnlich wie der SANVK besaß auch der SR lange Zeit nach der Ausrufung der VRCh keine Kompetenz zum Erlass von Verwaltungsrechtsnormen (entsprechend deutschen Rechtsverordnungen). Aber verglichen mit dem Verhältnis zwischen dem NVK und seinem SA ist das Verhältnis zwischen NVK und SR viel komplizierter. Einerseits hatte der SR, wie gesagt, noch nicht einmal formelle Setzungskompetenz für Verwaltungsrechtsnormen aufgrund Ermächtigung durch den NVK, andererseits aber übte der SR während der Epoche des Rechtsnihilismus in der Wirklichkeit die überwiegende Verwaltungstätigkeit in staatlichen Angelegenheiten aus, und zwar auch in Form von abstrakten, landesweit allgemeinverbindlichen Normen. Diese administrativen Normen übernahmen praktisch die Funktionen der Gesetzgebungsgewalt des NVK, ein Phänomen, das oft als eine „Vereinheitlichung der Exekutive und Legislative (zheng fa yitihua)“ bezeichnet wird, in der die Exekutive häufig die Legislative verdrängte.207 Der NVK als das formelle staatliche Gesetzgebungsorgan wurde übergangen, indem der SR seine Normsetzungskompetenz direkt aus der Partei gewann und Rechtsnormen auch ohne gesetzliche Ermächtigung und einen formellen Gesetzgebungsprozess erließ, was eine totale Verzerrung der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen NVK und SR bedeutete. Erst die Verfassung von 1982 als chinesische „Geburtsstunde des Berufs zur Gesetzgebung“208 begann, die Rechtsetzungskompetenzen auf der zentralen Ebene wieder zu verteilen und das verzerrte Verhältnis im Bereich der Gesetzgebung zwischen den zentralen staatlichen Organen zu korrigieren. Die Verfassung von 1982 erweiterte zunächst die zentralen Rechtsetzungssubjekte. Ihr Kerninhalt bezüglich der Gesetzgebung war, dass der NVK und der SANVK gemeinsam die staatliche Gesetzgebungsgewalt ausüben sollten. Der SANVK wurde zum ersten Mal als formelles Gesetzgebungssubjekt anerkannt, was wohl die größte Reform des Gesetzgebungssystems Chinas darstellte. Die Verteilung der Gesetzgebungsgewalt zwischen dem NVK und seinem SA bedeutet, dass die Gesetzgebung durch das dafür primär zuständige Organ in der neuen Epoche nicht mehr nur symbolisch gegeben, sondern auch praktisch ausgeübt werden sollte. „Unser Land ist groß, die Zahl des Volks ist auch groß. Aus diesem Grund soll die Zahl der Abgeordneten des NVK auch nicht zu niedrig sein. Wenn es aber zu viele Abgeordnete des NVK gäbe, könnte dann der NVK seine täglichen Arbeiten nicht praktisch erledigen. Der SANVK ist das ständige Organ des NVK […] seine Mitgliederzahl ist gering. Er kann daher regelmäßig tagen und die schwierigen Gesetzgebungsarbeiten durchführen.“209 Auch 206
Vgl. dazu Zhou Wangsheng (1998), S. 16 – 17. Vgl. dazu Zhou Wangsheng (1998), S. 20. 208 Robert Heuser (1988), S. 897. 209 Pen Zhen, Der Bericht über den Änderungsentwurf der Verfassung VRCh (guanyu zhonghua renmin gongheguo xianfa xiugai caoan de baogao) (auf der 5. Sitzung des 5. NVK, am 26. 11. 1982), in: Blatt des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, Heft 5, 1982. 207
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wurden die Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem NVK und seinem SA konkret verteilt. Der NVK arbeitet die „grundlegenden Gesetze (jiben falü)“ aus, der SANVK kann aber die „nicht-grundlegenden Gesetze (fei jiben falü)“ erlassen. Darüber hinaus kann der SANVK unter bestimmten Bedingungen auch die vom NVK erlassenen Gesetze zwischen dessen Tagungen teilweise ändern und ergänzen.210 Unter der Verfassung von 1982 hat sich die Stellung des SR im neuen Gesetzgebungssystem verändert. Während in den vergangenen 20 Jahren vor 1978 der SR der tatsächliche „Gesetzgeber“ Chinas war, hat die neue Verfassung die Rechtsetzungskompetenz des SR in ein formelles Gesetzgebungssystem integriert. In diesem Gesetzgebungssystem wurde das Rangverhältnis zwischen dem Gesetzgebungsorgan (NVK und SANVK) und dem Exekutivorgan (SR) neu gestaltet. Gemäß allgemeiner Rangordnung innerhalb eines hierarchisch gebildeten Gesetzgebungssystems ist die Rechtsetzungskompetenz des SR der Gesetzgebungsgewalt von NVK und SANVK unterworfen und kann nur auf Grundlage einer Ermächtigung ihrerseits Rechtsverordnungen erlassen. Durch diese Umstellung, beschränkt die Verfassung von 1982 einerseits die vorherige weitreichende Rechtsetzungskompetenz der SR, erkennt ihn aber andererseits als formelles Subjekt zum Erlass von Rechtsverordnungen an. Damit ist das bisherige verzerrte Verhältnis zwischen Gesetzgebungsorgan und Exekutivorgan korrigiert. Mit diesen Bestimmungen wurden auf der zentralen Ebene drei Rechtsetzungssubjekte geschaffen: der NVK, der SAVNK und der SR. 2. Die Erweiterung der Rechtsetzungssubjekte auf der territorialen Ebene In einem großen Einheitsstaat ist es ein Kernproblem, ob und inwieweit die territorialen Staatsorgane Rechtsetzungsgewalt besitzen können. Das galt für das Verhältnis zwischen den zentralen und lokalen Staatsorganen, also die vertikale Verteilung der Staatsgewalt, auch seit der Gründung der VRCh. Anders als ein Bundesstaat, dessen Staatsgewalt von unten nach oben gebildet wird, wird in dem chinesischen Einheitsstaat die Staatsgewalt von oben nach unten gebildet. In dieser einheitsstaatlichen Gewaltstruktur liegt das Kernproblem darin, bis zu welcher Stufe die Rechtsetzungsgewalt als die wichtigste Staatsgewalt nach unten verteilt werden soll.211 Nach den historischen Erfahrungen Chinas ist festzustellen, dass wenn die lokalen Staatsorgane zu große Macht hatten, dies tendenziell zur Schwächung der zentralen Gewalt und schließlich zur Spaltung des Staates führen konnte. Wenn aber umgekehrt die lokalen Staatsorgane gar keine autonomen Kompetenzen hätten, dann wäre die Anpassungsfähigkeit der Rechtsnormen an unterschiedliche Verhältnisse 210 Pen Zhen, Die Erläuterung über den Änderungsentwurf der Verfassung VRCh (guanyu zhonghua renmin gongheguo xianfa xiugai caoan de shuoming) (auf der 23. Sitzung des 5. SANVK, am 22. 4. 1982), in: Blatt des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, Heft 2, 1982. 211 Vgl. dazu Liu Songshan (2009), S. 35.
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gefährdet und die Initiativen der lokalen Regierungen zur Entwicklung ihrer Gebiete behindert. In der Anfangsphase der VRCh ging die Entwicklung in die zweite Richtung. Nach den Bestimmungen der Verfassung von 1954 und des damaligen territorialen Organisationsgesetzes (TOG) besaßen die lokalen Staatsorgane keine Rechtsetzungskompetenz, ihre Aufgaben bestanden nur darin, die vom NVK erlassenen Gesetze durchzuführen. Wie aber die abstrakten, landesweit allgemeinverbindlichen zentralen Gesetze von den lokalen Staatsorganen – auch ohne Anwendung der Form der Rechtsnormen – in die Praxis umgesetzt werden sollten, blieb lange Zeit, nämlich bis zur Verfassung von 1982, unbeantwortet. Nach der hoch konzentrierten Gewaltentheorie der KPCh, wonach die Autorität des Zentralen gegenüber dem Lokalen vorrangig gewährleistet werden sollte, war die Verweigerung von der Rechtsetzungsgewalt der lokalen Staatsorgane nur natürlich. Aber das Ideal der Konzentration aller Rechtsetzungsgewalt war auf der zentralen Ebene in der Praxis nicht durchzuhalten, da, um den zentralen Willen des Staates oder der Partei nach unten konkretisieren zu können, gewisse Rechtsetzungsaufgaben der lokalen Staatsorgane – auch nur rechtstechnisch gesehen – unentbehrlich sind, insbesondere wenn man die lokalen vielfältigen Wirklichkeiten Chinas berücksichtigt. Um solche Wirklichkeiten anschaulich zu verstehen, ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass China 34 provinziale Verwaltungsgebiete hat, in denen 7 Provinzen (inklusive autonomer Gebiete) geographisch größer als Deutschland sind. Wenn die lokalen Staatsorgane keine Rechtsetzungsgewalt hätten und über die Rechtsnormen als allgemeinverbindliche Verwaltungsmittel nicht verfügen dürften, wäre es unmöglich, die lokalen Angelegenheiten im gewissen Maße autonom und anpassend zu regulieren. Es dauerte allerdings 30 Jahre bis zur Umsetzung der Erkenntnis, dass eine gewisse Autonomie der Regionen unvermeidlich und auch zur Förderung der Initiative und des Enthusiasmus der lokalen Staatsorgane zweckmäßig ist212. Das TOG von 1979213 hat zum ersten Mal versucht, die erstarrte staatliche Rechtsetzungsgewalt zu befreien. Es legte fest, dass die Volkskongresse und ihre SA der Provinzen (sheng), die autonomen Gebieten (zizhiqu) und direkt der Zentrale unterstehenden Städte (zhixiashi) (kurz: PAS) territoriale Rechtsnormen (TR) erlassen konnten. Die Staatsorgane auf der Ebene der PAS sind die höchsten lokalen Staatsorgane. Ihnen Rechtsetzungsbefugnisse zu verleihen, bedeutet den Beginn der vertikalen Verteilung der Rechtsetzungsgewalt Chinas, wodurch der Raum der territorialen Rechtsetzung geöffnet wurde214. Solche Bestimmungen wurden durch die Verfassung von 1982 übernommen und somit verfassungsrechtlich gewährleistet. Danach wurde die Rechtsetzungsgewalt noch darüber hinaus nach unten erweitert. 1982 und 1986 wurde das TOG verändert und es 212
Vgl. dazu Yang Limin (2001), S. 23. Offizieller Name: „Gesetz der VRCh über die Organisation der territorialen Volkskongresse und der territorialen Volksregierungen aller Ebenen“. 214 Vgl. dazu Yang Limin (2001), S. 1. 213
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wurden weitere territoriale Rechtsetzungssubjekte gegründet, nämlich die Volkskongresse und ihre SA von „größeren Städte (jiaodashi, kurz: GS)“, die Sitz der Regierung von Provinzen und autonomen Gebieten sind und die vom Staatsrat genehmigt wurden. Um die Reform der Wirtschaft zu fördern und experimentelle Wirtschaftspolitik der Partei praktisch zu überprüfen, wurde den Volkskongressen und ihren SA der Städte, die Sitz von Sonderwirtschaftszonen ebenfalls durch Ermächtigungen des NVK und des SANVK einbezogen. Indem die Rechtsetzungsgewalt nach unten verteilt und die Arten territorialer Rechtsetzungssubjekte erweitert wurden, hat sich ein zweistufiges territoriales Rechtsetzungssystem gebildet, nämlich die Ebene der PAS und die Ebene der größeren Städte. Zugleich, den Prozess der Verteilung der Rechtsetzungsgewalt nach unten begleitend, wurden den entsprechenden territorialen Regierungen gewisse Befugnisse zum Erlass von territorialen Regeln zugeschrieben. Es sei darauf hingewiesen, dass nach Hongkongs Rückkehr nach China (1997) und Macaos Rückkehr nach China (1999) auf der territorialen Ebene weitere territoriale Rechtsetzungssubjekte entstanden. Da aber die Rechtsetzungen von Hongkong und Macao als Sonderverwaltungszonen Chinas der Institution von „ein Land, zwei Systeme“ unterworfen wurden, unterschieden sich ihre Rechtsetzungssysteme erheblich von dem territorialen Rechtsetzungssystem des Festlandes Chinas und mussten wegen ihrer hoch autonomen Gewalten als spezielle territoriale Rechtsetzung behandelt werden. 3. Das GGG als Symbol des Zwischenerfolgs der Formalisierung der Rechtsetzung Seit 1978 haben außer der Verfassung viele staatliche Gesetze wie das Organisationsgesetz des NVK, das TOG und das GüR215 die Rechtsetzungsaktivitäten auf verschiedenen Ebenen reguliert. Diese Gesetze als Ausdruck über 20-jähriger Entfaltungen der Rechtsetzung der VRCh haben mit der Schaffung mehrstufiger Rechtsetzungssubjekte die staatlichen Rechtsetzungskompetenzen in vertikaler sowie horizontaler Hinsicht erfolgreich formalisiert und ein relativ vollständiges Rechtsetzungssystem geschaffen. Alle diese Entwicklungen führen zur Geburt des GGG. Am 15. 03. 2000 wurde das GGG von der 3. Sitzung des 9. NVK verabschiedet und ist am 01. 07. 2000 in Kraft getreten. Es ist das erste Gesetz, das staatliche Rechtsetzungsaktivitäten vollständig zu regulieren und zu institutionalisieren versucht, und historisch gesehen – besonders vor dem Hintergrund des Rechtsnihilismus vor kurzen 20 Jahren – ist es ein Symbol des großen Fortschrittes des Rechtsaufbaus in der VRCh. „Das GGG bedeutet die Verrechtlichung (fazhihua) der Rechtsetzung in China, sogar die Verrechtlichung des ganzen Landes.“216 Das GGG ist ebenso „die 215 Gesetz der VRCh über die Regionen mit nationaler Autonomie (zhonghua renmin gongheguo minzu quyu zizhi fa). 216 Zhou Wangsheng (2001), S. 5.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Voraussetzung und das Kennzeichen von ,yifa zhiguo‘217 und des Aufbaus eines sozialistischen Rechtsstaats.“218 Wegen seiner wichtigen Bedeutung nennt man es sogar eine „kleine Verfassung“.219 Das GGG zielt einerseits auf die Zusammenfassung der Erfahrungen, die in der Rechtsetzungspraxis in den vergangenen 20 Jahren gewonnen wurden, andererseits aber auch darauf, in der Praxis neu aufgetauchte Probleme zu lösen wie die Unklarheit der Verteilung der Rechtsetzungskompetenzen zwischen verschiedenen Rechtsetzungssubjekten220, die Konflikte rangunterschiedlicher Rechtsnormen, die Überschreitung der Rechtsetzungssubjekten jeweils zugeschriebener Kompetenzen, den Protektionismus der territorialen und ministeriellen Rechtsetzungen usw. „Diese Probleme (hätten) die Einheit und Würde der sozialistischen Rechtsordnung beeinträchtigt und auch zu Schwierigkeiten der Rechtsanwendung geführt.“221 Genau 15 Jahre nach seinem Erlass am 05. 03. 2000 wurde das GGG jüngst am 05. 03. 2015 von der 3. Sitzung des XII. NVK geändert. Dem allgemeinen dialektischen Verhältnis zwischen Recht und sozialer Realität und der Dynamik dieser beiden entsprechend, erforderte die 15-jährige schnelle Entwicklung in den Bereichen Ökonomie, Politik und Gesetzgebung selbst die Änderung. Hinzukommt, dass für das sich noch in der Reformphase befindende China die die Reform begleitende experimentelle Natur der Gesetzgebung auch verlangt, die Gesetzgebung den praktischen Reformbedürfnissen anzupassen. Das GGG a.F. selbst ist ein Ergebnis der Versuche der Rechtsetzung. Viele seiner Ausgestaltungen sind vorläufiger Natur und späteren möglichen Änderungen ganz offen. Allerdings führten alle diese Änderungen der sozialen und rechtlichen Realitäten nicht unmittelbar zu der Änderung des GGG, sie führen demgegenüber zunächst direkt zu einer Änderung der Politik der KPCh und erst dann zur Gesetzesänderung. Die Änderung des GGG ist direkt mit drei wichtigen politischen Dokumenten der KPCh verbunden: dem Bericht des XVII. Zentralkomitees auf dem XVIII. Parteitag der KPCh (08. 11. 2012), dem Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über „etliche wichtige Probleme bezüglich der allseitigen Vertiefung der Reform“ (12. 11. 2013, BüVR222), sowie dem Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über „etliche wichtige Probleme, bezüglich des 217 Das chinesische „yifa zhiguo“ ist ein wichtiges Verfassungsprinzip, das durch den 13. Verfassungszusatz vom 15. März 1999 in die gegenwärtige Verfassung eingefügt wurde. Es bedeutet „durch Gesetze das Land regulieren“, also, „rule by law“. Auch wenn es sich von „rule of law“ oder „Rechtsstaat“ im westlichen Sinne unterscheidet, so ist es doch die chinesische Entsprechung zu diesen. 218 Wang Shunfen, S. 239. 219 Yang Limin (2000), S. 15. 220 Besonders „zwischen Legislativorganen und Exekutivorganen und zwischen zentralen und lokalen Organen.“ Vgl. dazu Chen Sixi/Liu Haitao, S. 66. 221 Gu Angran, Die Erläuterungen über den Entwurf des Gesetzgebungsgesetzes der VRCh, auf der 3. Sitzung der 9. NVK, am 09. 03. 2000. 222 (zhonggong Chinesisch: zhongyang guanyu quanmian shenhua gaige ruogan zhongda wenti de jueding).
A. Formalisierung als Voraussetzung der staatlichen Rechtsetzung
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allseitigen Vorantreibens der Herrschaft des Staates durch Gesetze“ (23. 10. 2014, BüVH223). Die BüVR und BüVH enthalten zahlreiche entscheidende Formulierungen über die Rechtsetzungen in China und wurden als strategische Ausgestaltungen und wesentliche Wertentscheidungen der KPCh im neuen GGG umgesetzt. Die leitende Idee der Änderung des GGG ist zuerst im BüVR ausgedrückt. Dort heißt es: „Das gesamte Ziel der allseitigen Vertiefung der Reform ist die Vervollständigung und Entwicklung des Sozialismus chinesischer Prägung und das Vorantreiben der Modernisierung des staatlichen Regulierungssystems und der Regulierungsfähigkeit.“224 Die Änderung des GGG dient daher zuerst dazu, Gesetze besserer Qualität zu schaffen und damit bessere Instrumente für die Regulierung des modernen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens anzubieten. Im BüVH heißt es dann konkreter: „Die Herrschaft des Staates durch Gesetze ist ein wesentliches Erfordernis und eine wichtige Gewährleistung für das Festhalten am Sozialismus chinesischer Prägung und für seine Entwicklung sowie eine notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung der Modernisierung des staatlichen Regulierungssystems und der Regulierungsfähigkeit.“225 Eben in diesem Sinne besteht kein Zweifel, dass „die Änderung des GGG durch diese Modernisierungsziele geleitet sind.“226 Anzudeuten ist ebenfalls eine andere leitende Idee in diesen beiden Beschlüssen, nämlich die neuen Formulierungen zum Verhältnis von Gesetzgebung und Reform. Die gegenwärtige Gesetzgebung Chinas findet weiterhin statt vor dem Hintergrund und im Prozess der Reform, was sie wesentlich von der Gesetzgebung in westlich entwickelten Ländern unterscheidet.227 Das Veränderungsstreben der Reform und das Ziel der Rechtssicherheit stehen seit den 1980er Jahren stets in einem Spannungsverhältnis. Die wirtschaftlich orientierte Reform hat Vorrang vor der Rechtssicherheit. Das Recht muss Raum für die Reform lassen und dementsprechend muss die Gesetzgebung auf Grundsätze beschränkt grob und pauschal sein.228 Dies fördert zwar die experimentellen Möglichkeiten der Wirtschaftsentwicklung und macht eine flexible Wirtschaftspolitik möglich, aber setzt dem Aufbau des Rechtsstaates Schranken: Die zahlreichen aus den Reformbedürfnissen entstehenden vorläufigen Rechtsmaßnahmen (besonders eine umfassende Ermächtigungsgesetzgebung sowie die mächtige exekutive Rechtsetzung) stehen der Entwicklung eines systematischen formellen Rechtssystems entgegen, was wiederum die Rechtsanwendung schwer belastet und zugleich den Missbrauch der öffentlichen Gewalt durch die Regierung 223 (zhonggong Chinesisch: zhongyang guanyu quanmian tuijin yifa zhiguo ruogan zhongda wenti de jueding). 224 Punkt 2 BüVR. 225 Teil 1 Paragraph 1 BüVH. 226 Xu Xianghua, S. 11. 227 Vgl. dazu Liu Songshan, Die Strategie über die Behandlung des Verhältnisses zwischen Gesetzgebung und Reform des gegenwärtigen Chinas, S. 74. 228 Vgl. dazu Liu Songshan, Einige Vorschläge über die Änderung des Gesetzgebungsgesetzes, S. 20.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
begünstigt. Nach über 30-jährigen Erfahrungen mit der Reform und dem Aufbau des Rechtsstaates zeichnet sich eine neue Phase im Verhältnis dieser beiden Politikziele ab. Verglichen mit der Anfangsphase der Reform und Öffnung, einer Phase des völlig neuen Aufbaus, ist die heutige Phase eine solche der Vervollständigung oder eine Phase, die jüngst schon von manchen Juristen „Nachsystem-Epoche“229 genannt wurde. Ob diese theoretische Redeweise zu optimistisch für die vorhandene Lage der Gesetzgebung in China ist, kann dahinstehen. Sicher ist, dass die Redeweise „Nachsystem-Epoche“ der Gesetzgebung sich direkt mit einer offiziellen Erklärung verbindet: Am 10. 03. 2011 auf der 4. Sitzung des XI. NVK erklärte der damalige Vorsitzende des SANVK, WU Bangguo: „Das Rechtssystem chinesischer Prägung hat sich bis zum Ende 2010 schon herausgebildet durch vorhandene 236 Gesetze, 690 Verwaltungsrechtsnormen und mehr als 8600 lokale Rechtsnormen.“230 Diese Auffassung wiederholt sich auch im BüVH.231 Die Forderungen, die an die Gesetzgebung der heutigen Phase zu stellen sind, sind daher nicht mehr bloße grobe Grundsätze und Rahmenregelungen. Vielmehr sind nun die geschaffenen Rechtsnormen zu detaillieren, zu verfeinern und generell unter zwei Perspektiven zu verbessern. Dies betrifft aus einer politischen Perspektive die Verbesserung der demokratischen Beteiligung der Abgeordneten des Volks, der demokratischen Parteien und anderer sozialer Kräfte an der Gesetzgebung.232 Es betrifft andererseits aus der gesetzgebungstechnischen Perspektive die Verbesserung der konkreten Schritte in Ausarbeitung, Begründung, Beratung, Koordination und Anhörung der Gesetzesentwürfe und die Einführung eines Gesetzbewertungssystems und eines Systems der Gesetzesfolgenabschätzung, die auf die Erhöhung der Qualität der Gesetze und die Verstärkung ihrer Durchführbarkeit und Vollzugstauglichkeit zielen, also die wissenschaftliche Gesetzgebung zum Zweck haben233. Um die bisherige Grenze des Rechtsstaates durchzubrechen und die neuen Aufgaben und Funktionen der Gesetzgebung zu erzielen, gestaltet die KPCh das Verhältnis zwischen Reform und Recht um. Die Reform bleibt zwar nach wie vor die zentrale Aufgabe der Partei, sie geht aber nicht mehr dem Recht vor, sondern wird als gleichwertig mit dem Recht angesehen. Im BüVH heißt es: „Es muss verwirklicht werden, dass die Gesetzgebung und die Entscheidungsfindung der Reform aneinander anschließen; es muss erreicht werden, dass wichtige Reformen gesetzliche Maßstäbe haben“234 und „es muss an dem Vorangehen der Gesetzgebung festgehalten und die Leitungsfunktion der Gesetzgebung entfaltet werden.“235 Damit wird klar, 229 Vgl. dazu Zhang Chunsheng/Lin Yan, S. 9; Shi Dongpo, S. 32; Li Liang/Wang Quansheng, S. 41 ff.; Shi Dongpo/Yu Fan, S. 111 ff. 230 Wu Bangguo, Der Arbeitsbericht des SAVNK auf der 4. Sitzung des XI. des NVK am 10. 03. 2011. 231 Teil 1 Paragraph 3 BüVH. 232 Teil 2 Paragraph 10 BüVH sowie Punkt 28 BüVR. 233 Teil 2 Paragraph 9 BüVH sowie Punkt 27 BüVR. 234 Teil 2 Paragraph 17 BüVH. 235 Teil 2 Paragraph 1 BüVH.
A. Formalisierung als Voraussetzung der staatlichen Rechtsetzung
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dass in der neuen Phase die Reform erst im Rahmen des Gesetzes durchgeführt werden darf und man die Legalität und die Legitimität der Reform selbst beachten muss, um willkürliche und hektische Reform zu vermeiden. Diese programmatische Forderung für die Modernisierung der staatlichen Regulierung werden im GGG n.F. durch neue konkrete Ausgestaltungen der Grundsätze, des Verfahrens und der Schritte der Gesetzgebung sowie durch eine neue Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den zentralen und lokalen Machtorganen, sowie zwischen legislativen und administrativen Organen umgesetzt. Der „Beschluss über die Änderung des Gesetzgebungsgesetzes der VRCh“ des SANVK enthält insgesamt 47 Punkte. Neben den Änderungen bisheriger Regelungen wurden auch neue Bestimmungen eingeführt, der Umfang des GGG ist dementsprechend ebenso erweitert worden von 94 Paragraphen im alten GGG auf 105 Paragraphen. Formal besteht das GGG n.F. aus 6 Kapiteln: 1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen (§§ 1 – 6); 2. Kapitel: Gesetze (§§ 7 – 64), das wieder 5 Abschnitte umfasst: 1. Abschnitt: Gesetzgebungskompetenz (§§ 7 – 13), 2. Abschnitt: Gesetzgebungsverfahren des NVK (§§ 14 – 25), 3. Abschnitt: Gesetzgebungsverfahren des SANVK (§§ 26 – 44), 4. Abschnitt: Auslegung von Gesetzen (§§ 45 – 50), 5. Abschnitt: Andere Bestimmungen (§§ 51 – 64); 3. Kapitel: Verwaltungsrechtsnormen (§§ 65 – 71); 4. Kapitel: Territoriale Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelverordnungen, Regeln (§§ 72 – 86), wieder in zwei Abschnitte geteilt: 1. Abschnitt: Territoriale Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelverordnungen (§§ 72 – 79), 2. Abschnitt: Regeln (§§ 80 – 86); 5. Kapitel: Anwendung, Berichterstattung und Überprüfung (§§ 87 – 102); 6. Kapitel: Ergänzende Bestimmungen (§§ 103 – 105). Inhaltlich bezieht sich das GGG wesentlich auf folgende 6 Aspekte: Die Grundprinzipien der Rechtsetzung, die Verteilung der Rechtsetzungskompetenzen, die Rechtsetzungsverfahren, die Rechtsquellen und die Formen der Rechtsnormen, die Hierarchie und Rangordnung der Rechtsnormen und die Aufrechterhaltung der Einheit der Rechtsordnung durch Beseitigung von Konflikten zwischen Rechtsnormen. Solche gesetzlichen Bestimmungen des GGG formalisieren das junge Rechtsetzungssystem Chinas weiter, bieten allen Beobachtern des chinesischen Rechts positivierte Materialien an und machen es möglich, heute von „Rechtsquellen und Hierarchie“ des chinesischen Rechts im formellen Sinne zu sprechen. Um die vorhandenen konkreten Rechtsquellen und die Normenhierarchie Chinas, sowie deren Besonderheiten zu verstehen, ist zuvor auf die allgemeine Rechtsquellentheorie einzugehen. Die Rechtsquellentheorie ist ein Kernproblem in der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie, sowie konkreten Rechtsgebieten, da sie sich hauptsächlich auf „Entstehung, den Entstehungsvorgang, den Urheber und die Form des Rechts“236 bezieht, was für die Anwendung- und Geltungsprobleme des heutigen Gesetzesrechts entscheidend ist. In der Problemgeschichte der Rechtsquellentheorie kann „die Frage 236
Hartmut Maurer, S. 67.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
nach den Entstehungs- und Geltungsgründen des Rechts […] aus unterschiedlichen Blickwinkeln gestellt werden: historisch oder soziologisch, ethisch, rechtspolitisch, rechtsdogmatisch“237oder einfacher: „genetisch-soziologisch und juristisch-präskriptiv.“238 Den Blickwinkeln entsprechend wird grob „die Dreiteilung“239 der Rechtsquellen in der Rechtsquellentheorie rezipiert. Zwar sind die Richtungen der Rechtsquellentheorie unterschiedlich. Ihr Grundgedanke bleibt aber derselbe: die Einheit der Rechtsordnung zu begründen und bewahren. Die Forderung nach Einheit der Rechtsordnung ist im gewissen Maße ein unentbehrliches Element der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung: Eine in sich selbst widersprüchliche Rechtsordnung ist nicht zuverlässig oder nicht fähig, Gerechtigkeit herbeizubringen; und in der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist die Aufrechterhaltung der Einheit der Rechtsordnung Verpflichtung aller rechtsetzenden Organe240 und sogar eine Art Grundrecht241. Die Einheit der Rechtsordnung bedeutet ihre Systematisierung und damit verbundene „Systemgerechtigkeit, Systemkonformität, Systemtreue“242. Ein berühmter Jurist deutete schon am Anfang des 20. Jahrhunderts an: „Das System ist die letzte Rechtsquelle,“243„die rechtliche Wahrheit liegt in der durchgehenden Zusammenordnung.“244 „Die Rede von der Einheit des Rechts, der systematischen Einheit der positiven Rechtssätze, der Einheit des Rechtsorganismus, des Rechtssystems oder Rechtsordnung – in welchem terminologischen Gewand diese Rede auch jeweils auftrat – zielte immer darauf, die Vielzahl der dem juristischen Betrachter vorliegenden Rechtsnormen, Rechtssätze oder Rechtsbegriffe als ein in sich zusammenhängendes Gefüge zu erfassen.“245 Bei der Einheit der Rechtsordnung „geht es immer um die gegenseitige Verknüpfung einzelner Teilrechtsordnungen mit dem Ziel der Harmonisierung der Gesamtrechtsordnung. Hinter der Forderung nach Einheit der Rechtsordnung steht die Vorstellung, dass die Teile einer Rechtsordnung – also die verschiedenen Rechtsgebiete – nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern eine harmonische Einheit bilden.“246 237
Wolff/Bachof/Stober/Kluth, S. 236. Röhl/Röhl, S. 519. 239 Nämlich, „nach Rechtserzeugungsquellen, Rechtswertungsquellen und Rechtserkenntnisquellen, wobei Rechtserzeugungsquellen die außerrechtlichen Entstehungsbedingungen des Rechts vom Wirtschaftssystem über die Religion bis hin zum Klima beschreiben, mit Rechtswertungsquellen die zentralen Maßstäbe einer Rechtsordnung wie Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Vernunft gemeint sind, und Rechtserkenntnisquellen die ,Rechtsquellen im engeren Sinne‘ bestimmen.“ Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, S. 1087. 240 Vgl. dazu Christoph Brüning, S. 33 ff. 241 Vgl. dazu Horst Sendler, S. 2875 ff. 242 Horst Sendler, S. 2876. 243 Alf. Ross, S. 309. 244 Alf. Ross, S. 308. 245 Manfred Baldus, S. 193. 246 Dagmar Felix, S. 142. 238
A. Formalisierung als Voraussetzung der staatlichen Rechtsetzung
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Vereinfacht gesagt, bedeutet die Einheit der Rechtsordnung in erster Linie die „Widerspruchsfreiheit“ aller Rechtsnormen innerhalb einer Rechtsordnung, die Herstellung des inneren Zusammenhangs aller Rechtssätze und die innere Geschlossenheit des Normengefüges. Natürlich gibt es viele Maßnahmen, die Einheit einer Rechtsordnung zu bewahren, z. B. durch die einheitliche Auslegung des Richters und die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle usw. In der Rechtsgeschichte gibt es auch viele Theorien, solche Einheit zu begründen.247 In einer eher rechtsetzungsorientierten statt rechtsprechungsorientierten Rechtsquellentheorie248 ist das wichtigste Mittel, die Einheit der Rechtsordnung zu bewahren, gesetzgeberischerweise eine Hierarchie oder Stufenordnung der verschiedenen positiven Rechtsnormen aufzubauen. „Die Lehre der Rechtsquellen versucht, diese Vielfalt (der Rechtsnormen) in ein System zu bringen und Widersprüche, die zwischen den verschiedenen Rechtsnormen bestehen, durch eine Rangordnung der Rechtsquellen zu lösen.“249 Nach der Theorie der Hierarchie „haben nicht alle Rechtssätze gleichen Rang, sondern sind in einer Rangordnung gegliedert. […] Bei Normkollision geht der Rechtssatz höheren Ranges dem der nachgeordneten Rangstufe vor: ,Lex superior derogat legi inferiori.‘“250 Das Rangverhältnis verschiedener Rechtsnormen im Zeitalter des positiven Rechts bezieht sich zuerst auf die normative Seite, also die logische und formelle Gestaltung aller Rechtsnormen durch Normengeber. Normativ gesehen sollen und müssen alle Rechtsnormen, innerhalb eines souveränen Staates, auf eine höchste Norm (oder „Grundnorm“) zurückgeführt werden, die normalerweise als „Verfas-
247 Z. B. „Die Rückführung der positiven Rechtssätze auf einen höchsten Grundsatz (Thibaut, Kohlschütter), die Forderung nach einer Einheit durch Kodifikation (Thibaut, Gönner), die Lehren, nach denen die Einheit des Rechts in den historischen Quellen (Savigny, Eichhorn, Puchta), im Volksgeist (Puchta), in einer Verbindung von römischen und deutschem, von Volksrecht und Juristenrecht (Beseler), oder im Rechtsorganismus (Jhering), enthalten sei, die These von einer Einheit des Rechts durch einen allgemeinen Teil des Rechts (Merkel), durch den Begriff des Rechts (Stammler) sowie die Begründung der Einheit des Rechts durch staatlichen Willen (Gerber, Ehrlich, Heller), objektive Wertgesetzlichkeit des Geistes (Smend), oder Grundnorm (Kelsen).“ Manfred Baldus, S. 193. 248 In einer Rechtsquellentheorie, die eher rechtsprechungsorientiert ist, „wird als Rechtsquelle nur anerkannt, was für den Rechtsanwender verbindliche Rechtsätze erzeugt.“ Bernd Rüthers, S. 150. Was wichtig ist, ist, „Wonach sollen wir judizieren?“ Röhl/Röhl, S. 520. Unter solcher Rechtquellenlehre ist der Umfang der Rechtsquellen größer, da diejenigen Rechtsquellen, die nicht durch formelle staatliche Rechtsetzungsorgane „gemacht“ sind, auch einbezogen sind, z. B. allgemeine Rechtsgrundsätze, das „formlose und urwüchsig durch gemeinsame Übung in Rechtsüberzeugung gebildete“ Gewohnheitsrecht (vgl. dazu Fritz Ossenbühl, S. 283.), Richterrecht, Juristenrecht (auch nur in einer Hilfsfunktion, also als Auslegung, Erläuterung von Normen. Theodor Bühler, S. 108.), sogar Naturrecht. Was aber in der Epoche des positiven Rechts für die Einheit und Systematisierung einer Rechtsordnung bedeutsamer ist, ist die rechtsetzungsorientierte Rechtquellentheorie, da sie sich wesentlich auf die formal anerkannten staatlichen Rechtsnormen konzentriert. 249 Hartmut Maurer, S. 67. 250 Bernd Rüthers, S. 180.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
sung“ bezeichnet wird.251 Die höchste Norm bleibt zwar ranghöchst. Sie ist aber hoch allgemein und abstrakt, bedarf daher schrittweise der Konkretisierung und Individualisierung durch rangniedrige Normen nach unten, wodurch, anschaulich gesagt, der Aufbau einer Normenhierarchie oder einer Normenpyramide erreicht werden kann: „Die Rechtsordnung ist ein pyramidenförmiger Bau, der sich in viele Stufen, Formen oder Schichten des Rechts von unterschiedlichen Stufen gliedert. Zwischen den einzelnen Stufen besteht ein hierarchisches Verhältnis, in dem die einer höheren Stufe zugehörigen Akte den Akten der unteren Stufen gegenüber vorgehen, d. h. derogierende Kraft besitzen.“252 Allerdings hat die Stufenordnung der Rechtsnormen nicht nur ihre normative und logische Quelle, sondern zugleich auch politische. Konkret gesagt, haben die hierarchischen Verhältnisse der Rechtsnormen ihre Wurzeln einerseits in den logischen Ober- und Unterverhältnissen der generell-abstrakten und individuell-konkreten Rechtsnormen innerhalb des normativen Rechtssystems, andererseits aber auch in den Ober- und Unterverhältnissen der Rechtssubjekte, die die entsprechenden Rechtsnormen erlassen. Die Schaffung verschiedener Rechtsetzungssubjekte ist ein völlig politischer Akt und die rangverschiedenen Rechtsetzungssubjekte sind das Ergebnis der Verteilung der Rechtsetzungsgewalten auf verschiedenen Ebenen innerhalb eines Landes. In diesem Sinne begründet das Verteilungsverhältnis der staatlichen Rechtsetzungsgewalten seinerseits auch das pyramidenförmige Verhältnis der Rechtsnormen. „Maßgebliches Kriterium für die Rangordnung der Rechtquellen ist der jeweilige Urheber der Rechtsnorm und dessen Autorität.“253 Die aus der politischen Gewalt gewonnene Autorität der Rechtsetzungssubjekte bildet die Quellen verschiedener Geltungskraft der Rechtsnormen. „Dass Recht nicht gleich Recht ist, sondern unterschiedliche Geltungskraft je nach der Quelle besitzt, der es entstammt, dass die einzelnen Rechtsquellen oder Rechtsformen demnach eine stufenförmige Rangordnung bilden, gehört heute zum Lehrbuchwissen jeder Rechtsordnung.“254 Die Verknüpfung der normativen und politischen Seite der Rechtsquellen hat zur Folge, dass, was normativ nicht erklärbar ist, ein Problem der Politik bleibt. Die Einheit des staatlichen Rechtssystems zu bewahren, als normative und politische Forderung, ist, wie in jedem Staat des Gesetzesrechts, ein Hauptzweck des GGG der VRCh. Die vom GGG ergriffene Maßnahme besteht in der Festlegung einer Normenhierarchie durch Festlegung rangverschiedener Rechtsetzungssubjekte und Begrenzung ihrer gegenseitigen Rechtsetzungskompetenzen. Zwar teilt das Rechtsetzungssystem Chinas viele allgemeine Gemeinsamkeiten der Rechtsetzung in251
„Normtheoretisch bildet das Recht eine Einheit, weil alle Rechtsnormen auf den Geltungsbefehl der Verfassung oder gar einer Grundnorm zurückgeführt werden können.“ Röhl/ Röhl, S. 451. 252 Georg Müller, S. 11. 253 Hartmut Maurer, S. 67 – 68. 254 Theo Öhlinger, S. 9.
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh
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nerhalb eines Gesetzesrechtssystems. Es hat aber auch eigene Besonderheiten, die die streng formelle Normenhierarchie nach der obigen allgemeinen Rechtsquellentheorie brechen. China ist ein einheitliches Land mit verschiedenen Nationalitäten. Es „ist ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht.“255 Außerdem ist KPCh der einzige politische Führungskern Chinas. Solche Elemente finden ihren Ausdruck auch in dem neuen Rechtsetzungssystem. Aus diesem Grund sind die Rechtsquellen des chinesischen Rechts vergleichsweise vielfältiger und die Stufenordnung der Rechtsnormen auch komplexer. Das GGG der VRCh erkennt alle folgenden Organe als Rechtsetzungssubjekte an: NVK und sein SA, SR und seine Abteilungen (Ministerien und Ausschüsse), Volkskongresse (VK) und ihre SA der PAS, VK und ihre SA der Städte mit Bezirken (SmB), die Regierungen der PAS und SmB, sowie die Rechtsetzungsorgane in Sonderverwaltungszonen. Der Hierarchie der Rechtsetzungsgewalten verschiedener Rechtsetzungssubjekte entsprechend, existieren in China außer der Verfassung (xianfa) noch folgende Formen der Rechtsnormen: Gesetz (falü), Verwaltungsrechtsnorm (xingzheng fagui, kurz: VRN), die territorialen Rechtsnormen (difangxing fagui, kurz: TRN), Autonomie- und Einzelvorschriften (zizhi tiaoli he danxing tiaoli, kurz: AEV) und Regeln (guizhang) [inklusive Regeln der Abteilungen des SR (buwei guizhang) und Regeln der territorialen Regierungen (difang zhengfu guizhang)]. Im Folgenden wird zuerst die Verfassung der VRCh behandelt.
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh I. Das Problem der verfassunggebenden Gewalt in China In China hat die verfassunggebende Gewalt ihre Besonderheiten, die wesentlich in zwei Aspekten erläutert werden können, nämlich: in der Ständigkeit der verfassunggebenden Gewalt und in ihrem Verhältnis zur Macht der Abänderung der Verfassung. In traditionellen Staatsrechtslehren im Westen wird die verfassunggebende Gewalt als eine einmalige Gewalt aufgefasst und als ein historisches Faktum nur einmalig auszuüben. Nach einem erfolgreichen grundlegenden Gesellschaftswandel (normalerweise durch Revolution „als Austausch der Legitimationsgrundlagen eines Gemeinwesens“256) wird das Volk als neue Legitimitätsquelle des Staats anerkannt. Das abstrakt und im gewissen Maße auch ideologisch verstandene Volk ist zwar gedankliche Legitimitätsquelle des zu schaffenden Staates, aber in der Wirklichkeit entfaltet das unbegrenzte Volk seine legitimierende Funktion nicht durch sich selbst, sondern durch ein begrenztes Vertretungsorgan, indem das Volk „nach
255 256
Art. 1 der Verfassung der VRCh. Gerd Roellecke, S. 931.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
,klassischer‘ Konzeption eine Verfassunggebende Nationalversammlung wählt, die sodann die Verfassung erarbeitet, verabschiedet und verkündet.“257 In Vertretung des Volks besitzt diese Versammlung die verfassunggebende Gewalt. In diesem Kontext wird die verfassunggebende Gewalt normalerweise als eine „vorstaatliche“ oder „staatsgründende“ Gewalt verstanden. Das Ergebnis der Ausübung der verfassunggebenden Gewalt ist die Schaffung einer neuen Verfassung, die wiederum Grundlage eines neuen Staates wird. Nach der Gründung des Staates wird die verfassunggebende Gewalt selbst aufgelöst. Die fixierte und positivierte höchste Staatsgewalt ist dann einem demokratisch legitimierten Volksvertretungsorgan (normalerweise dem Parlament) als Gesetzgebungsorgan anvertraut, das zwar die Verfassung abändern, aber keine neue Verfassung erlassen kann, obwohl es nicht unproblematisch ist, wie das Maß des Änderns zu begrenzen ist, um es von Verfassungsgebung abzugrenzen. Eine so aufgefasste verfassunggebende Gewalt ist nur eine einmalige Gewalt und unterscheidet sich von der Gewalt der Verfassungsänderung. Im Vergleich dazu ist für China ist nicht die Einmaligkeit der verfassunggebenden Gewalt, sondern die Ständigkeit der verfassunggebenden Gewalt zu betonen; zugleich ist die Grenze zwischen der verfassunggebenden Gewalt und der verfassungsändernden Gewalt beseitigt. Der NVK als ein ständiges staatliches Organ ist nicht nur der tatsächliche Verfassungsgeber in der Geschichte, sondern auch das einzige berechtigte Organ für die Abänderung der Verfassung. In der Geschichte der VRCh gibt es eine Quasi-Verfassung258 (das Allgemeine Programm der PKKCV, 1949) und vier staatliche Verfassungen: die Verfassung von 1954, die Verfassung von 1975 und die Verfassung von 1982. Die gegenwärtig gültige Verfassung ist die Verfassung von 1982, sie wurde von der 5. Tagung des 5. NVK am 04. 12. 1982 angenommen und ist an dem gleichen Tag in Kraft getreten. Seitdem hat die VVRCh insgesamt vier Veränderungen erlebt, jeweils im Jahr 1988, 1993, 1999 und 2004. Außer dem Allgemeinen Programm der PKKCV wurden alle sonstigen Verfassungen und deren Abänderungen vom NVK erledigt. Aber selbst das Programm der PKKCV ist ein Ausdruck dieser Auffassung über die verfassunggebende Gewalt in China. Die PKKCV erließ 1949 das Allgemeine Programm der PKKCV und löste sich danach nicht auf, sondern hatte von 1949 bis 1954 als das höchste Organ der Staatsmacht die Funktionen, die später der NVK bekam. 1954 wurde die erste Verfassung der VRCh an der 1. Tagung des 1. NVK angenommen. Zwar sind die nachfolgenden drei Verfassungen nur die Ergebnisse der Änderungen der Verfassung von 1954 durch den NVK, aber die Verfassungsände257
Christoph Gröpl, S. 35. Am Anfang der VRCh befand China noch in einer „Übergangsphase“, in der „der Befreiungskrieg noch nicht zum Ende kam, eine landesweite allgemeine Wahl nicht stattfinden konnte, und der NVK somit nicht versammelt werden konnte.“ Diese Elemente in der Übergangsphase deuten darauf hin, dass „die Voraussetzungen für eine Verfassungsgebung noch nicht reif sind“. Vgl. dazu Xiao Weiyun, S. 42. 258
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh
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rungsmacht des NVK wurde so umfassend ausgeübt, dass die geänderten Verfassungen jeweils als völlig neue, eigenständige Verfassungen angesehen werden konnte. Erhebliche Beispiele sind die Transformation der 1954er Verfassung zu der 1975er Verfassung und die Transformation von der 1978er Verfassung zu der 1982er Verfassung. In diesen beiden Fällen wurden die von der vorigen Verfassung festgelegten Verfassungsprinzipien von der späteren Verfassung völlig verworfen. Die 1975er und 1978er Verfassungen programmierten während der Kulturrevolution die Ideologien des Klassenkampfes und wichen daher stark von dem durch die 1954er Verfassung festgelegten sozialistischen Weg ab. Die 1982er Verfassung korrigierte dann die Fehler der Verfassungen in der Kulturrevolution und stellte das an Wirtschaftsaufbau orientierte Verfassungsprinzip auf. Nach der vorhandenen Bestimmung der Verfassung (Art. 62 VVRCh) besitzt der NVK zwar formell nur die Macht zur (1) Abänderung der Verfassung; und zur (2) Überwachung der Durchführung der Verfassung, aber die häufigen und wesentlichen Abänderungen der 1982er Verfassung, um den Bedürfnissen der Reform und- Öffnung zu entsprechen, erwiesen tatsächlich auch eine umfassende Macht des NVK über die Verfassung259 Alle diese Verfassungsentwicklungen in der VRCh zeigen die Einheit der verfassunggebenden Gewalt und der verfassungsändernden Gewalt in der Hand des NVK. Daher besitzt der NVK zwei Eigenschaften: Einerseits ist er ein Gesetzgebungsorgan im normalen Sinne, andererseits aber auch ein ständiges Organ mit formal nicht begrenzter Macht über die Verfassung. Die Irrelevanz der Unterscheidung von verfassunggebender und verfassungsändernder passt auch zu den Bestimmungen über das Verhältnis von Volk und NVK. Art. 2 Abs. 1, 2 VVRCh bestimmt: „Alle Macht in der Volksrepublik China gehört dem Volk.“ „Die Organe, durch die das Volk die Staatsmacht ausübt, sind der Nationale Volkskongress und die lokalen Volkskongresse auf den verschiedenen Ebenen.“ Darüber hinaus bestimmt Art. 57 Satz 1 VVRCh, „Der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China ist das höchste Organ der Staatsmacht.“ Wenn das Volk als eine zwar ausgeblendete, aber ständig berufbare Legitimitätsquelle des Staates selbst ein ständiges Dasein hat, ist es logisch auch nicht schwer zu sagen, dass auch sein Vertreter eine ständige Existenz hat. Gleichfalls, wenn das chinesische Volk der Inhaber der verfassunggebenden Gewalt und der NVK sein ständiger Vertreter ist, dann ist es auch logisch nicht unhaltbar, dem NVK die verfassunggebende und verfassungsändernde Gewalt zugleich zuzuschreiben.
259 Die vier Abänderungen der 1982er Verfassung betreffen in der Tat viele wesentliche politische, wirtschaftliche Regelungen der Verfassung. Die Abänderung von 1988 stellte die Stellung der Privatwirtschaft und die Transaktion des Grundstücks fest; die Abänderung von 1993 führte die sozialistische Markwirtschaft ein; die Abänderung von 1999 bestimmte den Aufbau eines sozialistischen Rechtsstaates als Staatsziel; die Abänderung von 2004 nahm Menschenrechte in die Verfassung auf.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
II. Die Geltung der VVRCh Wie in jedem Gesetzesrechtssystem steht die Verfassung als Grundnorm auch in China an der Spitze der formellen Normenpyramide. Trotz der Vielfältigkeit der Auffassungen der chinesischen Juristen über die Eigenschaft der Verfassung seit der ersten Verfassung der VRCh bleibt aber ein Punkt seit Jahrzehnten unkontrovers, nämlich die Anerkennung der Verfassung als „das grundlegende, große Gesetz des Staates (xianfa shi guojia de genben dafa)“.260 Die Höchststellung der Geltung der Verfassung drückt sich in zwei Aspekten aus. Inhaltlich geht es bei der Verfassung um grundlegende politische, ökonomische, religiöse und kulturelle Wertentscheidungen eines Landes. Die VVRCh enthält fünf Teile, insgesamt 138 Artikel: die Präambel, Kapitel I. Allgemeine Grundsätze (§§ 1 – 32), Kapitel II. Grundrechte und Grundpflichten der Bürger (§§ 33 – 56), Kapitel III. Staatsaufbau (§§ 57 – 135), Kapitel IV. Die Staatsflagge, das Staatswappen und die Hauptstadt (§§ 136 – 138). Zusammenfassend enthält die VVRCh grundlegende Wertentscheidungen des Sozialismus chinesischer Prägung, wie folgende: „Die Führung des chinesischen Volks durch die KPCh; Sozialismus; der demokratische Zentralismus; die Modernisierung; die Garantie der Grundrechte der Bürger.“ „Diese grundlegenden Werte sind der Grundsatz für die Integration der Nation und derer politischen Konsens.“261 Typischerweise geht die Verfassung allen rangniedrigeren Rechtsnormen innerhalb eines Landes vor und bei Verletzung der Verfassung werden die rangniedrigeren Rechtsnormen nichtig. Außerdem sind die Veränderungsverfahren der Verfassung auch strenger als die von anderen Rechtsnormen. Die VVRCh regelt selbst die Festlegung solcher formeller Höchstheit: Der letzte Abschnitt der Präambel der VVRCh bestimmt, „In Gesetzesform bestätigt diese Verfassung die Errungenschaften des Kampfes der Volksmassen aller Nationalitäten in China und legt das grundlegende System und die grundlegenden Aufgaben des Staates fest; sie ist das Grundgesetz des Staates und hat die höchste gesetzliche Autorität. Die Volksmassen aller Nationalitäten, alle Staatsorgane und die Streitkräfte, alle politischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen und alle Betriebe und Institutionen des Landes müssen die Verfassung zur grundlegenden Richtlinie ihres Handelns erheben und sind dazu verpflichtet, die Würde der Verfassung zu schützen und die Durchführung der Verfassung zu gewährleisten.“ Art. 5 Abs. 2 VVRCh bestimmt, „Kein Gesetz, keine administrative oder territoriale Rechtsnorm darf im Widerspruch zur Verfassung stehen.“ Art. 64 VVRCh regelt die Änderungsverfahren der VVRCh, „Abänderungen der Verfassung müssen vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses oder von mehr als einem Fünftel der Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses vorgeschlagen und durch eine Stimmenmehrheit von mehr als zwei Dritteln aller Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses angenommen werden.“
260 261
Xu Xiuyi/Xiao Jinquan, S. 27. Vgl. dazu Chen Duanhong (2008), S. 485.
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh
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Die Höchstheit einer Verfassung in einem Verfassungsstaat wirkt sich in der Praxis in ihrer Bindungskraft für alle staatlichen Organe und deren Aktivitäten aus, besonders für das Gesetzgebungsorgan, wie Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) bestimmt, „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ Eine solche Bindungskraft der Verfassung gewährleistet, dass alle Rechtsnormen schließlich auf eine einheitliche „Grundnorm“ zurückgeführt werden können, damit die Einheit der gesamten Rechtsordnung erzielt wird. Wie oben erläutert, ist der Vorrang der VVRCh bei allen Rechtsetzungen in China zu beachten. Ausdrücklich regelt dies § 87 GGG262 : „Die Verfassung hat oberste Gesetzeskraft; kein Gesetz, keine Verwaltungsrechtsnorm, keine territoriale Rechtsnorm, keine Autonomie- und Einzelverordnung, keine Regel darf mit der Verfassung in Widerspruch stehen.“ Um die oberste Geltungskraft der Verfassung zu entfalten, muss diese in der Praxis tatsächlich angewendet werden. Rechtssoziologisch gesehen, kann eine Verfassung durch viele Maßnahmen ihre Anwendungen im Leben der Bürger finden, z. B. dadurch, dass die Bürger und Amtsträger ihr eigenes Verhalten positiv an den verfassungsrechtlichen Anforderungen orientieren, da sie die in der Verfassung ausgedrückten Werte akzeptieren. Aber das wichtigste Mittel zur Durchsetzung der Verfassung dürfte heute in den meisten Verfassungsstaaten die sogenannte „Verfassungsgerichtbarkeit“ sein, also die Prüfung staatlichen Handelns am Maßstab der Verfassung. In den meisten Ländern im Westen lässt sich – in sehr unterschiedlichen Verfahrensweisen – die Verfassung unmittelbar als Entscheidungsnorm eines konkreten Falls anwenden. Die Gesetzgebung ist hinsichtlich ihrer Funktion konkretisiert, und zwar durch die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und ist daher im gewissen Maße auch eine Art der Anwendung der Verfassung, aber wenn solche Konkretisierungen ihrerseits selbst nicht von einem unabhängigen Organ (Verfassungsgericht, Verfassungskomitee usw.) kontrolliert werden können, dann besteht die Gefahr, dass der Gesetzgeber selbst die Autorität der Verfassung verdrängt. In einer die Grundrechte der Bürger garantierenden Verfassung bedeutet Verfassungsgerichtbarkeit auch, Rechtswege für die Bürger gegen Verletzungen ihrer Grundrechte bereitzustellen. Verfassungsgerichtbarkeit in diesem Sinne wird dann ein wesentliches Kennzeichen des westlichen Verfassungsstaates und ein unentbehrliches Mittel die höchste Geltung der Verfassung zu bewahren. Um die Geltung der VVRCh darzustellen, ist daher neben wörtlichen Bestimmungen aus der Verfassung selbst, dem GGG und anderen relevanten Gesetzen noch – wohl am wichtigsten – auf die gerichtliche Anwendung der VVRCh einzugehen. Zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass es in China bisher noch keine „Verfassungsgerichtsbarkeit“ im beschriebenen weiten Sinne gibt. Die VVRCh findet keine 262 Gesetzgebungsgesetz der VRCh a.F. (zhonghua renmin gongheguo lifafa) ist von Dr. Knut Pissler ins Deutsche übersetzt. Neue Inhalte durch die Änderung vom 05. 03. 2015 sind vom Autor selbst ins Deutsche übersetzt.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
rechtsdogmatische Anwendung in der gerichtlichen Praxis. Zwar tauchte in einer Auskunft des Obersten Volksgerichts (OVG)263 im Jahre 2001 der Ansatz zur Einführung von Verfassungsgerichtbarkeit in China auf, und seitdem regte diese Auskunft heftige Diskussionen über die Möglichkeit der Einführung einer Verfassungsgerichtbarkeit in China an264, aber alles das hat nicht zur gerichtlichen Prüfung von Staatshandeln am Maßstab der Verfassung geführt.265 Fraglich ist deshalb – um nicht wieder in eine ideologische Falle zu geraten, also den Konstitutionalismus Chinas gänzlich zu verneinen –, was die von der Verfassung selbst, vom GGG und von hochrangigen Führern der KPCh wiederholt hervorgehobene Höchstheit der Verfassung ohne eine Verfassungsgerichtbarkeit bedeutet. Um diese Frage zu beantworten, müssen die Eigenschaften der Verfassung kurz angedeutet werden. Für die Erklärung der Geltung der Verfassung sind ihre Normativität und ihre faktische politische Bedeutung relevant. Dass die Verfassung ein Gesetz und zugleich aber auch eine politische Willensentscheidung ist, ist wohl ein von niemandem verworfener „common sense“ in der Verfassungslehre. Wegen der Rechtssicherheit der Rechtsordnung und der schmerzhaften Erfahrungen in den faschistischen Ländern im Zweiten Weltkrieg, in denen die ganze Verfassungsordnung als ein Wille der Diktatur behandelt wurde, ist in der Nachkriegszeit in den westlichen Ländern die Normativität der Verfassung mehr betont als ihr politischer Charakter. Aber die politische Eigenschaft der Verfassung geht nicht verloren, was manchmal in Krisenzeiten wieder in den Vordergrund rücken kann. Die politische Eigenschaft der Verfassung ergibt sich einerseits aus den in ihr enthaltenen politischen Wertentscheidungen, etwa Demokratie, Freiheit und Gewährleistung des Privateigentums, andererseits aber auch aus der Entstehung der Verfassung selbst. Jede Verfassung kann und muss nicht nur normativ, sondern auch politisch-historisch auf eine Verfassungsgebung zurückgeführt werden. Die Verfassungsgebung schafft zwar die Verfassung als Rechtsnorm und deren Normativität, aber sie stellt auch unabhängig von diesem einen politischen Akt der Ausübung einer faktischen, nämlich der Durchsetzung fähigen Ausübung verfassunggebender Gewalt dar.266 „Die Verfassung geht auf eine politische Entscheidung der die Verfassungsgebung bestimmenden politischen Kräfte zurück.“267 Und „die verfassunggebende Gewalt kann […] nicht als bloß hypothetische und auch nicht allein als na263 In dieser Auskunft zitierte das OVG direkt den Art. 46 der VVRCh über Erziehungsrecht der Bürger als Entscheidungsnorm eines konkreten Falls. 264 Die Einführung der Verfassungsgerichtbarkeit ist stark von denjenigen Juristen unterstützt, die in westlichen Ländern studiert haben, z. B. der Verfassungsjurist, Zhang Qianfan, der die Verfassungsgerichtbarkeit als die Voraussetzung Konstitutionalismus ansieht. Vgl. Zhang Qianfan (2004), S. 149. 265 Das OVG selbst hob seine Auskunft im Jahre 2008 auf, was die Möglichkeit der Verfassungsgerichtbarkeit in China verwirft. 266 „Die Verfassung schafft und begründet Recht, ist aber selbst nicht rechtlich garantiert.“ Peter Badura, S. 8. 267 Peter Badura, S. 7.
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh
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türliche Grundnorm bestimmt werden. Sie muss auch als reale politische Größe verstanden werden, die die normative Geltung der Verfassung begründet.“268 In diesem Sinne, verglichen mit ihrer Normativität, ist die politische Eigenschaft wohl eine entscheidendere Seite der Verfassung, wie der Staatsrechtswissenschaftler Carl Schmitt argumentiert, „Die Verfassung gilt nicht kraft ihrer normativen Richtigkeit oder kraft ihrer systematischen Geschlossenheit. Sie gibt sich nicht selbst, sondern wird für eine konkrete politische Einheit gegeben. […] Die Verfassung gilt kraft des existierenden politischen Willens desjenigen, der sie gibt.“269 Diese beiden Aspekte der Verfassung und ihre gegenseitige Beziehung bilden die Grundlinie der Diskussionen über die Geltung der VVRCh seit Jahren. Grob gesehen, gibt es zwei Richtungen in den Diskussionen: Eine Richtung ist der sogenannte „politische Konstitutionalismus (zhengzhi xianzheng zhuyi)“270, der argumentiert: „Historisch und ganzheitlich gesehen, ist das grundlegende Gesetz Chinas ein Gesetz von ,Überleben‘. Es hebt den gegenwärtigen und daseienden politischen Willen hervor und erhebt aber keinen umfassenden und starken Anspruch auf seine normativen Durchführungen.“271 Und „die Diskussionen über den politischen Konstitutionalismus im chinesischen Kontext müssen an zwei Voraussetzungen festhalten, nämlich die Führung der KPCh und der Vorrang des NVK (als eine politische Schaffung der KPCh).“272 Die andere Richtung ist der sogenannte „Justiz-Konstitutionalismus (sifa xianzheng zhuyi)“, oder der „normative Konstitutionalismus (guifan xianzheng zhuyi)“273, der entweder die Politik als Schatten für die Entwicklung der Verfassung auffasst274, oder zwar die politische Seite der Verfassung nicht verneint, aber behauptet, „die politische Proklamation und Verheißung der Verfassung kann die Rechtlichkeit der ganzen Verfassung nicht verwerfen.“275 Die erste Ansicht betont die politische Eigenschaft der Verfassung, dementsprechend liegt die Höchststellung der Verfassung in ihrer politischen Ebene und die politische Höchststellung der Verfassung geht ihrer normativen Höchststellung vor; das Fehlen einer normativen Höchststellung bedeutet keine Verneinung ihrer politischen Höchststellung. Die zweite Ansicht hebt dagegen die rechtspraktische Anwendung und die Normativität der Verfassung hervor. Für sie ist die Höchststellung der Verfassung in ihrer Normativität zu finden und die KPCh auch als ein konstituierendes Element der Verfassung anzusehen sei eine „versteckte Verfassungskrise“.276
268 269 270 271 272 273 274 275 276
Ernst-Wolfgang Böckenförde, S. 93. Carl Schmitt, S. 22. Dessen Vertreter, wie Juristen, Chen Duanhong, Jiang Shigong usw. Chen Duanhong (2008), S. 485. Chen Duanhong (2008), S. 511. Dessen Vertreter, wie Juristen, Lin Laifan, Zhang Qianfan, Li Zhongxia usw. Li Zhongxia, S. 629. Zhang Qianfan (2012), S. 899. Zhou Yezhong/Wang Guohua, S. 4.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Hier kann nicht im Detail auf die konkreten Auseinandersetzungen dieser beiden Richtungen eingegangen werden. Für das Verständnis der Geltung der VVRCh, unter allgemeiner Anerkennung der engen Beziehung zwischen Politik und Verfassung, mag aber eine realistische, die tatsächlichen und vermutlich langfristig stabilen Verhältnisse berücksichtigende Stellungnahme hilfreicher sein. Verfassungsgerichtsbarkeit als gerichtspraktische Anwendung der Verfassung ist das Teil der Formalisierung der Rechtsordnung, denn die Formalisierung der Rechtsordnung fordert stetige gerichtliche Auslegungen der höchsten Verfassung, um in konkreten Fällen die Einheit der Rechtsordnung gewährleisten zu können. Zwar wurde – wie oben ausgeführt – im Bereich der Gesetzgebung (im weiteren Sinne) nach 1978 in China die Formalisierung der Rechtsordnung vorangebracht, aber verglichen mit anderen Rechtgebieten ist das Verfassungsgebiet wegen seiner starken politischen Affinität wohl das am schwierigsten formalisierbare Gebiet; historisch gesehen, ist die Verfassung Chinas gerade die Schwachstelle der Formalisierung. Das faktische dauerhafte Führungsmonopol der KPCh nicht nur in Fragen inhaltlicher Politik, sondern auch hinsichtlich des führenden Personals auf allen wesentlichen Ebenen setzt im gewissen Maße auch der Formalisierung der Verfassung eine Grenze, da die flexible Politik in Form von an das die der KPCh angehörenden Mitglieder gerichteten Direktiven für sicherlich noch lange Zeit besser die weitgehende Formalisierung der Rechtsordnung mit der Führungsrolle der Partei vermitteln kann. Der hierdurch gegebene in normativer Perspektive gewissermaßen „extrakonstitutionelle“ Spielraum der KPCh hat seit 1982 eine beachtliche Entwicklung erlaubt. Seither ist die VVRCh schon vier Mal abgeändert worden, und dadurch sind viele neue, nach früherem, starrem Sozialismus kaum vorstellbaren Werte, wie Marktwirtschaft, Rechtsstaat (ursprünglich ein westlicher, „kapitalistischer“ Begriff!) und Menschenrechte, in die Verfassung eingeführt worden, was den großen Spielraum der Partei widerspiegelt. In diesem Sinne ist die gegenwärtige Verfassung eine Verfassung, die die „zweite Revolution“ (also die Revolution der sozialistischen Reform und Öffnung und der Modernisierung) verzeichnet und gewährleistet277, und es spricht viel dafür, dass diese Dynamik der Verfassung dem Entwicklungsstand und Entwicklungsprozess des Landes angemessen ist. Wenn trotzdem noch von einer „Höchststellung“ der Verfassung die Rede ist, dann ist im chinesischen Kontext wesentlich deren politische „Höchststellung“ gemeint. Aufgrund der politischen Gegebenheit des „Partei-Staates“ und unter der Anerkennung des Vorrangs der Partei gegenüber dem Staat kann solche „Höchststellung“ der Verfassung unter dem Modell von „Partei-Verfassung“ verstanden werden, in welcher die Partei wesentliche Elemente für den Staat festlegt. Die Verfassung von 1982 ist der Ausdruck der Festlegung der Staatlichkeit Chinas durch die Partei und bedeutet den Wiederaufbau des Dualismus zwischen der Partei und dem Staat. Die neue Schaffung der Verfassung impliziert aber nicht die völlige Integration (oder die Auflösung) der Partei in den Staat und in die Verfassung, was „the 277
Vgl. dazu Gong Yuzhi, S. 13.
B. Die Verfassung (xianfa) der VRCh
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Western intuition“ widerspricht, „that the CCP should be no more than a political faction. […] The CCP must give way to a superior institution, the state.“278 Vielmehr bedeutet die Schaffung der Verfassung und anderer niedriger Rechtsnormen nur die Umstellung der Herrschaftsweise der KPCh mittels Rechtsnormen. „Die KPCh steht zwar über dem Staat. Aber von Grund auf verneint sie nicht den Rechtsstaat. […] Außer dem kurzen Abbruch in der Kulturrevolution bleibt die KPCh sich stets der Wichtigkeit der Verfassung und des Rechtsstaates für die Partei und den Staat bewusst.“279 Während der Reform- und Öffnungsphase dient die KPCh „as the source of the values framework within which rule of law is understood and applied by the government.“280 In der Rede „Reform des Führungssystems von Partei und Staat (dang he guojia lingdao zhidu de gaige)“ von DENG Xiaoping auf der erweiterten Tagung des Zentralen Politbüros der KPCh am 18. 08. 1980 betonte er: „Von jetzt an sollen diejenigen Arbeiten, die unter die Kompetenz der Regierung fallen, von dem SR und den Regierungen auf verschiedenen Ebenen diskutiert und beschlossen werden. Der SR und die lokalen Regierungen sollen entsprechende Normen erlassen und die Zentrale der Partei und die lokalen Parteikomitees sollen dazu keine Anweisungen und Beschlüsse erlassen.“ Durch die Trennung von Partei und Staat tritt die Partei als solche aus der MikroVerwaltung des Staatslebens aus und leistet keine konkreten Funktionen der Regierung mehr. Die Führung der KPCh beschränkt sich nur auf die Kontrolle der grundlegenden Angelegenheiten des Staates. Zu den staatlichen Strukturen finden solche Kontrollen dadurch statt, dass „the CCP serves as the political collective from which constitutional norms are formulated, developed, defended and reviewed.“281 Im Übrigen vollzieht sich ihre Kontrolle auf eine mittelbare Weise, indem sie durch politische Beschlüsse, die sich an ihre Mitglieder richten, und die Macht zur personellen Besetzung der Staatsorgane das staatliche Leben leitet, aber die Staatsgewalt selbst nicht ausübt. Diese neue Herrschaftsweise wird als eine „sanfte Herrschaft der Partei“ bezeichnet, durch die die Partei dem Staat und der Gesellschaft gewisse Autonomie und Eigenständigkeit verleiht.282 Der dem Staat und der Gesellschaft verbliebene Raum ist dann eben der Raum des Rechtsstaates, in dem das vorhandene Rechtssystem Chinas funktioniert. Die Verlagerung der Schwerpunkte der Führung der KPCh auf die grundlegenden Bereiche des Staates entspricht gerade den Funktionen der Verfassung, die sich auch 278
Larry Catá Backer, The Rule of Law, The Chinese Communist Party, and Ideological Campaigns: Sange Daibiao (The „Three Represents“), Socialist Rule of Law, and Modern Chinese Constitutionalism, S. 102. Electronic copy available at: http://ssrn.com/abstract=92 9636. 279 Jiang Shigong (2012), S. 959. 280 Larry Catá Backer, The Party as Polity, The Communist Party, and the Chinese Constitutional State: A Theory of State-Party Constitutionalism, S. 157. 281 Larry Catá Backer, The Party as Polity, The Communist Party, and the Chinese Constitutional State: A Theory of State-Party Constitutionalism, S. 157. 282 Vgl. dazu Jiang Shigong (2012), S. 965.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
auf wesentliche Bereiche des Staates bezieht. Diese Übereinstimmungen zwischen der Führungsweise der KPCh und den Funktionen der Verfassung machen es möglich, dass die Partei auf die staatliche Verfassung als das vornehmste Mittel zum Ausdruck ihres Willens zurückgreift, aber ohne eine entsprechende Normativität der Verfassung zu betonen. Wegen der engen Beziehung zwischen der KPCh und der Verfassung taucht in letzten Jahren sogar eine radikalere Auffassung auf, die die KPCh als „die ständige Vertreterin der verfassunggebenden Gewalt (zhixianquan de changzai daibiao)“283 anerkennen will. Im chinesischen Kontext ist die Höchststellung der VVRCh daher der parallele Ausdruck zur höchsten politischen Führungsstellung der Partei und die Geltung der VVRCh ist wesentlich politischer Natur statt normativer Natur. Ein westlicher Beobachter nennt diese eher politikorientierte Verfassungsordnung Chinas einen „State-Party Constitutionalism“ und erkennt „the possibility of authoritarian constitutionalism, that is, of constitutionalism with an extreme variant of western style democratic values“ an,284 was zwar keine neue, aber eine im Westen selten vorkommende, relativ neutrale und realistische Auffassung über die Verfassungsordnung in Chinas ist. Zutreffend sagt er: „To understand Chinese constitutionalism, one has to recognize that the Chinese Constitution exists as a combination of polity and governing ideology, on the one hand, and state apparatus, on the other. The Chinese Communist Party serves as the institutionalization of the polity and the source of its substantive values. The National Constitution serves as the institutionalization of state power. Together they represent the Chinese constitutional order.“285
C. Gesetze (falü) In engem Sinne umfassen Gesetzgebungsorgane in China den NVK und seinen SA. Dass wie oben ausgeführt der NVK und sein SA zugleich Gesetzgebungsgewalt haben, ist ein Ergebnis langer Versuche in der Gesetzgebungspraxis in China, begleitet vom Lernen der Partei über das Recht und die Herrschaftsweise in einem modernen Staat. Im heutigen Gesetzgebungssystem Chinas befinden sich der NVK und sein SA an „der höchsten und wichtigsten Stelle“286 und üben auf der zentralen Ebene gemeinsam die sogenannte „staatliche Gesetzgebungsgewalt (guojia lifaquan)“ (§ 58 VVRCh sowie § 7 Abs. 1 GGG) in Form des Gesetzes aus. Aber was mit „staatlicher Gesetzgebungsgewalt“ gemeint ist, ist weder von der VVRCh noch vom GGG begrifflich erläutert, sondern nur enumerativ festgelegt. Hilfreich für das 283
Chen Duanhong (2010), S. 112. Larry Catá Backer, The Party as Polity, The Communist Party, and the Chinese Constitutional State: A Theory of State-Party Constitutionalism, S. 157. 285 Larry Catá Backer, The Party as Polity, The Communist Party, and the Chinese Constitutional State: A Theory of State-Party Constitutionalism, S. 109. 286 Vgl. dazu Zhang Chunsheng (2000), S. 5. 284
C. Gesetze (falü)
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Verständnis des Begriffs „guojia lifaquan“ kann der Begriff „Gesetzesvorbehalt“ im deutschen Recht sein. Der Gesetzesvorbehalt im GG dient im Wesentlichen dazu, Voraussetzungen für die Einschränkungen der Grundrechte der Bürger durch staatliches Handeln aufzustellen. Er fordert, dass die Einschränkungen der Grundrechte nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes (z. B. Art. 2 Absätze 1 und 2; 8; 12 Absatz 1 GG) erfolgen können. Der Schutz der Rechte der Bürger fällt auch in der VVRCh unter die wichtigsten Bereiche der Aufgaben des Staates, und die Regelungen über die Rechte und Pflichten der Bürger sind daher der (zentralen) staatlichen Gesetzgebungsgewalt vorbehalten. In ähnlicher Weise bestimmt § 8 Abs. 4 und 5 GGG, „Straftaten, Strafen und die Aberkennung der politischen Rechte von Bürgern, Zwangsmaßnahmen und Sanktionen, welche die körperliche Freiheit beschränken, können nur durch Gesetze festgelegt werden.“ Diese Bestimmungen sind dem Inhalt des „Gesetzesvorbehalts“ im deutschen Recht ähnlich. Aber der Inhalt der im § 8 GGG vorgesehenen „staatlichen Gesetzgebungsgewalt“ reicht noch weiter als der des „Gesetzesvorbehalts“. Außer den Bestimmungen über die Einschränkungen der Rechte der Bürger gehören andere Sachbereiche, die für den ganzen Staat zentrale Bedeutungen haben, auch der „guojia lifaquan“ an. Dies ist – wiederum grob gesehen – mit der ausschließlichen Gesetzgebungsgewalt des Bundes (§ 73 GG) in Deutschland vergleichbar. Über die staatliche Gesetzgebungsgewalt ist noch im Folgenden zu diskutieren. Der NVK und sein SA führen zwar gemeinsam die staatliche Gesetzgebungsgewalt aus, aber ihre konkreten Kompetenzen sind unterschiedlich und nach der Wichtigkeit der durch Gesetze zu regelnden Angelegenheiten aufgeteilt.
I. Der Nationale Volkskongress, seine Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungsverfahren 1. Die Gesetzgebungskompetenz des NVK Gemäß Art. 57 Satz 1 VVRCh ist der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China das höchste Organ der Staatsmacht (zuigao guojia quanli jiguan). Eine seiner wichtigsten Kompetenzen ist die Gesetzgebung, was im Art. 62 Abs. 3 VVRCh ausgedrückt ist, dieser bestimmt: „Der Nationale Volkskongress übt folgende Funktionen und Gewalten aus: […] (3) Ausarbeitung und Abänderung von grundlegenden Gesetzen über Strafsachen, zivile Angelegenheiten, die Staatsorgane und andere Angelegenheiten.“ Diese Bestimmung der VVRCh wurde vom § 7 Abs. 2 GGG unmittelbar übernommen und durch § 8 GGG weiter konkretisiert. § 8 GGG erklärt auf enumerative Weise die Inhalte der „staatlichen Gesetzgebungsgewalt“. Er sieht vor: „Die folgenden Angelegenheiten können nur durch Gesetze festgelegt werden: (1) Angelegenheiten der staatlichen Souveränität; (2) Bildung, Organisation und Befugnisse der Volkskongresse, Volksregierungen, Volksgerichte und Volks-
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
staatsanwaltschaften auf allen Ebenen; (3) die Regelung der regionalen Autonomie der Volksgruppen, die Regelung der Sonderwirtschaftszonen, die Regelung der Selbstverwaltung der Massenorganisationen auf unterster Organisationsebene; (4) Straftaten und Strafe; (5) die Aberkennung der politischen Rechte von Bürgern, Zwangsmaßnahmen und Sanktionen, welche die körperliche Freiheit beschränken; (6) das System der Aufstellung der Arten der Steuern, die Festlegung des Steuersatzes, die Erhebung und Regulierung sowie andere grundlegende Systeme der Steuern;287 (7) die Einziehung nicht staatlichen Vermögens; (8) die grundlegende Regelung der Zivilsachen; (9) das grundlegende Wirtschaftssystem und die grundlegende Regelung der Staatsfinanzen, des Zolls, des Bankwesens sowie des Außenhandels; (10) die Regelung des Gerichtsverfahrens und des Schiedsverfahrens; (11) andere Angelegenheiten, die vom Nationalen Volkskongress und vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses durch Gesetz festgelegt werden müssen.“ Zusammenfassend betrifft die Gesetzgebungskompetenz des NVK wesentlich zwei Aspekte: Erstens die Einschränkungen der grundlegenden Rechte der Bürger und zweitens die grundlegenden Institutionen des Staates. Für einen Einheitsstaat mit zentralistischer Struktur wie in China ist es verständlich, dass die Entscheidungsmacht über alle wesentlichen Sachen des Staates dem höchsten Organ der Staatsmacht zugeschrieben sind. 2. Gesetzgebungsverfahren des NVK Im GGG sind die Gesetzgebungsverfahren des NVK besonders ausführlich durch 12 Paragraphen (§§ 14 – 25) festgelegt, was dazu dient, die vorige Intransparenz der Gesetzgebung zu beseitigen und ein Vorbild für Gesetzgebungstätigkeiten anderer Rechtsnormen setzender Organe zu sein. Darüber hinaus existieren im Organisationsgesetz des NVK (OGNVK) und der Geschäftsordnung des NVK (GeschNVK) weitere einschlägige ergänzende Regelungen für die Gesetzgebung des NVK. Zusammen regeln sie relativ vollständig das Gesetzgebungsverfahren des NVK in der Gegenwart Chinas, nämlich die Gesetzesinitiative, die Beratung und die Annahme eines Gesetzesentwurfs und die Verabschiedung eines Gesetzes. 287 Der Abs. 6 ist durch die Änderung vom 05. 03. 2015 in das GGG eingeführt, dessen Ziel ist, den Grundsatz der „Gesetzmäßigkeit der Besteuerung“ festzulegen. Als eine der wichtigsten Mächte des Staates ist die Macht zur Besteuerung in China langfristig sehr chaotisch, wofür eine deutliche Widerspiegelung in der Steuergesetzgebung gefunden werden kann. In der VVRCh gibt es nur einen Artikel, der von Steuer handelt, nämlich Art. 56, der bestimmt: „Die Bürger der Volksrepublik China sind verpflichtet, dem Gesetz entsprechend Steuern zu entrichten.“ Aus dieser Bestimmung sind zwei Punkte zu entnehmen: Sie sieht einerseits die Pflicht der Bürger vor, Steuern zu entrichten, und erkennt andererseits auch einen wichtigsten Grundsatz des Steuerrechts an, nämlich den Grundsatz der „Gesetzmäßigkeit der Besteuerung“: Die Bürger sind nur „dem Gesetz entsprechend“ verpflichtet Steuern zu entrichten. Da diese Bestimmung der VVRCh über Steuer zu einfach und grob ist, verneinen manche chinesischen Juristen die Existenz des Grundsatzes der „Gesetzesmäßigkeit der Besteuerung“ in der Verfassung. Vgl. dazu Wang Shiru, S. 106; Zhang Shouwen, S. 59; Wang Hongmao, S. 57.
C. Gesetze (falü)
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a) Die Gesetzesinitiative Im Bundesgesetzgebungsverfahren in Deutschland sind die Subjekte, die berechtigt sind Gesetzesinitiativen beim Bundestag einzubringen, nur die Bundesregierung, der Bundesrat sowie Teile des Bundestags selbst (Art. 76 Abs. 1 GG). Verglichen dazu sind die berechtigten Subjekte der Gesetzesinitiative in den Gesetzgebungsverfahren des NVK vielfältiger. In China beschränkt sich der Umfang der berechtigten Subjekte der Gesetzesinitiative nicht bloß auf zentrale Verfassungsorgane des Staates, sondern bezieht auch die Organe der Partei und einfache Volksabgeordnete des NVK ein, was dem Zweck des GGG entsprechend ein Ausdruck der Anforderung ist, „die sozialistische Demokratie zu sichern und zu entwickeln“ (§ 1 GGG). Im GGG sind die Subjekte der Gesetzesinitiative aufgezählt und in vier Kategorien eingeteilt: 1. Die Organe des NVK: Das Präsidium des Nationalen Volkskongresses (§ 14 Abs. 1 GGG), der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses, die Fachausschüsse des Nationalen Volkskongresses (§ 14 Abs. 2 GGG); 2. andere zentrale Verfassungsorgane: der Staatsrat, das Oberste Volksgericht, die Oberste Volkstaatsanwaltschaft (§ 14 Abs. 2 GGG); 3. das Organ der Partei: die Zentrale Militärkommission (§ 14 Abs. 2 GGG); 4. eine Delegation der PAS oder der Volksbefreiungsarmee oder mindestens 30 Abgeordnete des NVK durch gemeinsame Unterschrift (§ 15 Abs. 1 GGG). Diese Kategorien wurden auch von § 9 OGNVK und § 21 GeschNVK übernommen; zudem bestimmen diese beiden Vorschriften, dass nur diejenigen Gesetzesinitiativen, die die Kompetenzen (wie oben, § 8 GGG) des NVK nicht überschreiten, eingebracht werden können. Ein Gesetzesantrag, der z. B. die Kompetenz der territorialen Rechtsnormen betrifft, kann nicht bei dem NVK gestellt werden. Darüber hinaus stellt das GGG auch förmliche und inhaltliche Anforderungen an Gesetzesentwürfe. Mit der Vorlage eines Gesetzesentwurfes müssen zugleich der Text des Gesetzesentwurfes und dessen Erläuterungen vorgelegt werden, und es müssen die erforderlichen Materialien vorgelegt werden. Die Erläuterung des Gesetzesentwurfes muss Angaben zu Erforderlichkeit und Durchführbarkeit der Festlegung dieses Gesetzes sowie zu dessen hauptsächlichem Inhalt enthalten (§ 54 GGG). Aber an dieser Regelung wird in der Praxis nicht streng festgehalten und die Probleme sind klar, z. B. viele von Volksabgeordneten oder Delegationen gestellte Gesetzesinitiativen deuten zwar auf die in der Praxis existierenden Probleme hin, enthalten aber keine konkreten Inhalte für deren Lösungen; solche Gesetzesentwürfe können deswegen nicht vom NVK beraten und nur höchstens als „Gesetzesvorschläge“ angesehen werden.288 Normalerweise können die Gesetzesinitiativen während der Tagung des NVK dem NVK direkt vorgelegt werden; in der Zeit zwischen den Tagungen des Nationalen Volkskongresses können Gesetzesentwürfe, die dem Nationalen Volkskongress vorgelegt werden [sollen], zunächst dem Ständigen Ausschuss vorgelegt werden, der SANVK überprüft sie dann, bevor sie dem NVK vorgelegt werden (§ 16 Satz 1 GGG). 288
Vgl. dazu Qiao Xiaoyang (2008), S. 117.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Zwar bestimmt das GGG relativ umfangreich Subjekte für Gesetzesinitiativen, aber in der Praxis der Gesetzgebung üben aus sachlichen Gründen viele Subjekte ihre Befugnisse der Gesetzesinitiativen nicht aus. Die meisten Gesetzesinitiativen entstehen aus den Fachausschüssen des NVK, dem SANVK sowie dem SR. Der SR als die zentrale Regierung spielt dabei eine besonders wichtige Rolle, etwa 60 Prozent der Gesetzesvorlagen werden von ihm eingebracht.289 Andere Subjekte, wie die Delegationen oder einfache Abgeordnete des NVK, werden zwar von unten nach oben gewählt und besitzen in diesem Sinne die stärkste demokratische Legitimität der Gesetzgebung, aber können oder wollen mangels notwendiger Erfahrungen oder zeitlicher Investitionen in der Tat ihre Kompetenz der Gesetzesinitiative nicht ausüben. Aus diesem Grund ist die Kompetenz der Einbringung von Gesetzesentwürfen der meisten im GGG geregelten Subjekte gewissermaßen „leerlaufend“290. b) Beratung des Gesetzesentwurfs Im System der Gesetzesinitiativen des NVK spielt das Präsidium des NVK eine entscheidende Rolle, auch wenn es nur ein vorläufiges Organ des NVK ist, da es nur während der Tagungen des NVK existiert. Das Präsidium leitet die Sitzungen des NVK (OGNVK § 6; GeschNVK § 9). Es kann dem NKV nicht nur eigene Gesetzesentwürfe vorlegen, sondern entscheidet auch über die Aufnahme oder Nichtaufnahme der von anderen Subjekten vorgelegten Gesetzesentwürfe in die Tagesordnung des NVK. Dies spiegelt den Grundsatz des „demokratischen Zentralismus“ als Organisationsprinzip aller staatlichen Organe wider (Art. 3 VVRCh). Nachdem das Präsidium über die Aufnahme eines Gesetzesentwurfs in die Tagesordnung des NVK beschlossen hat, wird dieser durch verschiedene Akteure der Gesetzgebung beraten. aa) Beratung des Gesetzesentwurfs durch die Plenarsitzung des NVK und Delegationen Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Nationalen Volkskongresses aufgenommen wurde, muss der Einbringer diesen zuerst auf der Plenarsitzung des NVK erläutern. Nach den Erläuterungen des Antragstellers beraten die Delegationen des NVK diesen intern (§ 18 Abs. 1 GGG). Während die einzelnen Delegationen den Gesetzesentwurf beraten, muss der Einbringer jemanden abordnen, um die Ansicht der Delegationen zu hören und um Fragen zu beantworten (§ 18 Abs. 2 GGG). Darüber hinaus müssen einschlägig berührte Organe und Organisationen gemäß den Forderungen der Delegationen jemanden abordnen, um die Delegationen mit den Umständen vertraut zu machen (§ 18 Abs. 3 GGG). 289
Vgl. dazu Qiao Xiaoyang (2008), S. 127. Vgl. dazu Zhou Wangsheng, Erneute Diskussionen über das System des Funktionierens der Gesetzgebung des NVK, S. 69. 290
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bb) Beratung durch die Fachausschüsse des NVK Die Fachausschüsse sind die Fachorgane des NVK, sie spielen eine wichtige Rolle für die Gesetzgebung. Sie können nicht nur Gesetzesentwürfe selbst einbringen, sondern auch die von anderen Subjekten eingebrachten Gesetzesinitiativen überprüfen, was für die Qualität der Gesetze bedeutsam ist. Im NVK gibt es jetzt insgesamt neun Fachausschüsse291, die jeweils aus Volksabgeordneten des NVK (gleichzeitig auch Experten in bestimmten Bereichen) bestehen. Nachdem ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Nationalen Volkskongresses aufgenommen wurde und bereits von der Plenarsitzung und den Delegationen des NVK beraten wurde, beraten sich die betreffenden Fachausschüsse anschließend, legen dann dem Präsidium ihre Ansichten dar, zu denen sie bei den Beratungen gelangt sind, und verteilen diese Ansichten in gedruckter Form auf den Sitzungen des Nationalen Volkskongresses (§ 19 GGG). Normalerweise überprüfen die Fachausschüsse nur in ihre Kompetenzen fallende Gesetzesentwürfe. Wenn aber ein Gesetzentwurf mehrere Bereiche betrifft, dann prüfen die betroffenen Fachausschüsse ihn gemeinsam. cc) Beratung durch den Rechtsausschuss des NVK Der Rechtsausschuss berät und prüft einen Gesetzesentwurf zusammenfassend und ist direkt für das endliche Gesetz verantwortlich. Seine wesentlichen Aufgaben sind, die möglichen Konflikte zwischen dem zu erlassenden Gesetz und der Verfassung rechtsfachlich zu beseitigen und das neue Gesetz in die vorhandene Rechtsordnung zu integrieren. Der Rechtsauschuss führt unter Berücksichtigung der Ansichten, zu denen die einzelnen Delegationen und die betreffenden Fachausschüsse bei den Beratungen gelangt sind, eine zusammenfassende Beratung des Gesetzesentwurfes durch und legt dem Präsidium einen Bericht über die Ergebnisse der Beratungen, sowie ggf. eine abgeänderte Fassung des Gesetzesentwurfes vor. Wenn der Gesetzesentwurf inzwischen vom Rechtsausschuss geändert wurde, müssen wichtige abweichende Ansichten in den Bericht über die Ergebnisse der Beratungen aufgenommen werden. Nach Beratung und Verabschiedung auf der Sitzung des Präsidiums werden der Bericht über die Ergebnisse der Beratungen sowie die letztendliche Fassung des Gesetzesentwurfes in gedruckter Form auf der Sitzung des Nationalen Volkskongresses verteilt (§ 20 GGG). 291 Nämlich: das Ethnische Komitee (minzu weiyuanhui), das Gesetzeskomitee (falü weiyuanhui), das Komitee für Innere Angelegenheiten und Justiz (neiwu sifa weiyuanhui), das Komitee für Finanzielle und Wirtschaftliche Angelegenheiten (caizheng jingji weiyuanhui), das Komitee für Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Gesundheitswesen (jiaoyu kexue wenhua weisheng weiyuanhui), das Komitee für Auswärtige Angelegenheiten (waishi weiyuanhui), das Komitee für Ethnische Chinesen im Ausland (huaqiao weiyuanhui), das Komitee für Schutz der Umwelt und Ressourcen (huanjing yu ziyuan baohu weiyuanhui), das Komitee für Agrarwirtschaft und Ländliche Gebiete (nongye yu nongcun weiyuanhui) (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VVRCh).
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
dd) Ergänzende Beratungen Die ständigen Vorsitzenden des Präsidiums können, wenn dies erforderlich ist, eine Versammlung der Leiter der einzelnen Delegationen einberufen, um wegen schwieriger oder wichtiger Fragen bezüglich des Gesetzesentwurfes die Ansichten zu hören, zu denen die einzelnen Delegationen bei den Beratungen gelangt sind, und um diese zu diskutieren. Die ständigen Vorsitzenden des Präsidiums berichten diesem über die Umstände und die Ansichten bei der Diskussion (§ 21 Abs. 1 GGG). Die ständigen Vorsitzenden des Präsidiums können wegen schwerwiegender Fachfragen die Durchführung einer Diskussion mit von der Delegation ausgewählten Delegierten einberufen und dem Präsidium über die Umstände und die Ansichten der Diskussion berichten (§ 21 Abs. 2 GGG). Wenn sich bei den Beratungen über den Gesetzentwurf zeigt, dass eine weitere Untersuchung schwerwiegender Fragen erforderlich ist, kann der Nationale Volkskongress auf Vorlage des Präsidiums beschließen, den Ständigen Ausschuss zu ermächtigen, unter Berücksichtigung der Ansichten der Abgeordneten weiter zu beraten, einen Beschluss zu fassen und dem Nationalen Volkskongress auf der nächsten Sitzung über die Details des Beschlusses zu berichten; er kann den Ständigen Ausschuss auch ermächtigen, unter Berücksichtigung der Ansichten der Abgeordneten weiter zu beraten und einen abgeänderten Entwurf vorzulegen, der dem Nationalen Volkskongresses bei der nächsten Sitzung zur Beratung und zum Beschluss unterbreitet wird (§ 23 GGG). c) Anhörung des Gesetzesentwurfs Die Anhörungsverfahren des Gesetzesentwurfs des NVK sind nicht im GGG, sondern in GeschNVK geregelt. Der § 25 GeschNVK sieht vor, „vor der Sitzung des NVK kann SANVK den der Sitzung des NVK vorgelegten und zu beratenden Entwurf der wichtigen grundlegenden Gesetze veröffentlichen, um weitgehende Ansichten einzuholen. Der SANVK ordnet die gesammelten Ansichten und verteilt sie auf der Sitzung des NVK.“ d) Zurücknahme des Gesetzesentwurfs Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Nationalen Volkskongresses aufgenommen wurde und der Antragsteller vor der Freigabe zur Abstimmung die Zurücknahme fordert, muss er den Grund der Zurücknahme erklären. Mit Einverständnis des Präsidiums und nach Benachrichtigung des Nationalen Volkskongresses wird die Beratung des Gesetzesentwurfes sofort beendet (§ 22 GGG).
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e) Verabschiedung des Gesetzes Nachdem die einzelnen Delegationen den abgeänderten Gesetzesentwurf beraten haben, führt der Rechtsausschuss die Änderung unter Berücksichtigung der Ansichten durch, zu denen die Delegationen bei den Beratungen gelangt sind, und legt einen Abstimmungsentwurf des Gesetzesentwurfes vor, der dem Nationalen Volkskongress vom Präsidium zur Abstimmung vorgelegt und von mehr als der Hälfte aller Abgeordneten verabschiedet wird (§ 24 GGG). Vom Nationalen Volkskongress verabschiedete Gesetze werden durch einen vom Staatspräsidenten unterschriebenen Erlass des Präsidenten bekanntgegeben (§ 25 GGG).
II. Der Ständige Ausschuss des NVK, seine Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungsverfahren 1. Die Gesetzgebungskompetenz des SANVK und ihre Beziehung zu der des NVK Wie oben ausgeführt, übt der SANVK gemeinsam mit dem NVK die staatliche Gesetzgebungsmacht aus, d. h. die in § 8 GGG festgelegten durch Gesetze zu regelnden staatlichen Angelegenheiten gehören auch zum Umfang der Gesetzgebungskompetenz des SANVK. Rein rechtlich gesehen, besitzen der SANVK und der NVK jedoch verschiedene rechtliche Stellungen. Wie ihre gegenseitigen Beziehungen hinsichtlich der Gesetzgebung zu bestimmen sind und somit das Rangverhältnis der Geltung ihrer Gesetze festzulegen ist, bleibt langfristig kontrovers. Art. 57 VVRCh bestimmt: „Der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China ist das höchste Organ der Staatsmacht. Sein ständiges Organ ist der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses.“ Hinsichtlich der Entstehung des SANVK bestimmt Art. 65 Abs. 2 VVRCh, „der NVK wählt die Mitglieder seines Ständigen Ausschusses und hat die Gewalt, sie ihres Amtes zu entheben.“ Nach diesen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist klar, dass der SANVK als ein ständiges Organ des NVK seiner rechtlichen Stellung nach niedriger als der NVK selbst ist. Der SANVK ist nur ein ständiger Vertreter des NVK und somit von letzterem abhängig. Dem Ober- und Unterverhältnis zwischen NVK und SANVK entsprechend, sehen die VVRCh und das GGG vor, dass die Gesetzgebungskompetenz des NVK der des SANVK vorgeht, indem es die „grundlegenden Gesetze (jiben falü)“ des NVK von den „nicht-grundlegenden (fei jiben falü)“ des SANVK unterscheidet. Der Nationale Volkskongress beschließt und ändert grundlegende Gesetze über Strafsachen, Zivilsachen, die Staatsorgane und andere Angelegenheiten (Art. 61. VVRCh; § 7 Abs. 2 GGG). Im Vergleich dazu beschränkt sich die Gesetzgebungskompetenz des SANVK nur auf diejenigen „nicht-grundlegenden“ Gesetze,
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
die nicht vom NVK beschlossen werden sollen (Art. 67 Abs. 2 VVRCh; § 7 Abs. 3 Satz 1 GGG). Der SANVK übt eine seiner Gesetzgebungskompetenzen noch aus, indem er zwischen den Tagungen des Nationalen Volkskongresses teilweise Ergänzungen und Änderungen der vom Nationalen Volkskongress festgelegten Gesetze durchführt, die aber nicht den grundlegenden Prinzipien der betreffenden Gesetze zuwiderlaufen dürfen (Art. 67 Abs. 3 VVRCh; § 7 Abs. 3 Satz 2 GGG). Weitere Belege für die Gestaltung des Ober- und Unterverhältnisses der Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem NVK und seinem SA sind noch der Art. 62 Abs. 11 VVRCh und der § 97 Abs. 1 GGG. Der erstere bestimmt: „Der Nationale Volkskongress übt folgende Funktionen und Gewalten aus: […] (11) Änderung oder Aufhebung unangemessener Entscheidungen, die von dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses gefällt wurden.“ Die hier gemeinten „Entscheidungen des SANVK“ umfassen zweifellos auch die vom SANVK erlassenden Gesetze als dessen Haupthandlungsform. „Diese Bestimmung bietet gewisse Gewährleistungen für die höchste Stellung des NVK.“292 Die zweite Vorschrift regelt ähnlich: „Der Nationale Volkskongress hat das Recht, nicht angemessene Gesetze zu ändern oder aufzuheben, die sein Ständiger Ausschuss beschlossen hat; er hat das Recht, vom Ständigen Ausschuss genehmigte Autonomie- und Einzelverordnungen aufzuheben, die gegen die Verfassung oder gegen § 75 Abs. 2 GGG verstoßen.“ Diese beiden Bestimmungen verleihen dem NVK einen klaren Vorrang hinsichtlich der Gesetzgebung gegenüber seinem SA. In eben diesem Sinne argumentieren manche Juristen, dass es in China zwischen Verfassung und Verwaltungsrechtsnormen zwei Gesetzesstufen gibt, also „jiben falü“ und „fei jiben falü“,293 und jiben falü „als Gesetze zweier Stufen unmittelbar der Verfassung unterstehen“294 und in ihrer Geltung den fei jiben falü vorgehen. Aber die Versuche, das Vor-und Nachrangverhältnis zwischen NVK und seinem SA und das entsprechende Geltungsverhältnis deren Gesetze festzulegen, stoßen auf zahlreiche Schwierigkeiten, sowohl aus dem GGG selbst als auch aus der Praxis. Aus dem GGG ergeben sich zwei Probleme. Das erste Problem ist, dass das GGG die wichtigen Begriffe „jiben falü“ und „fei jiben falü“ nicht klar definiert und diese Begriffe in anderen Gesetzen nicht weiter konkretisiert werden. Zwar bezeichnet § 63 Abs. 3 VVRCh die Angelegenheiten bezüglich Strafsachen, ziviler Angelegenheiten und solche der Staatsorgane als von „grundlegenden Gesetzen“ zu regelnde Angelegenheiten, aber diese ihrerseits nicht sehr deutliche Definition von „jiben falü“ wird wiederum vom § 8 GGG verschleiert, indem dort alle durch Gesetze zu regelnden Angelegenheiten ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen 292
Han Dayuan, S. 5. Nach dieser Meinung lautet ein Teil der Rangverhältnisse der Rechtsnormen so: Verfassung – grundlegende Gesetze – nicht-grundlegende Gesetze – Verwaltungsrechtsnormen. Vgl. dazu Cui Min, S. 21. „Die Geltung der grundlegenden Gesetze gehen der der nichtgrundlegenden Gesetze vor. Die erstere sind ranghöhere Gesetze, die letztere sind aber rangniedrigere.“ Xue Zuowen, S. 58. 294 Vgl. dazu Han Dayuan/Liu Songshan, S. 10. 293
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„jiben falü“ und „fei jiben falü“ einheitlich genannt werden. Dies spricht stark dafür, dass die im § 8 GGG genannten durch Gesetze zu regelnden Angelegenheiten einfach der „staatlichen Gesetzgebungsgewalt“ zusteht und es nicht nötig ist, weiter zwischen den konkreten Trägern der staatlichen Gesetzgebungsgewalt (NVK und SANVK) zu unterscheiden. Wie in § 8 GGG geregelt, deckt sich der Umfang der durch „nicht-grundlegende Gesetze“ zu regelnden Angelegenheiten mit dem Umfang der durch „grundlegende Gesetze“ zu regelnden Angelegenheiten. In der Gesetzgebungspraxis ist die Überschneidung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen NVK und SANVK deutlich, wie die folgenden Beispiele zeigen: Das Zivilprozessgesetz (vorläufige Fassung) (minshi susong fa, shixing), seiner Eigenschaft nach, betrifft zwar Zivilsachen, ist aber vom SANVK erlassen worden; das Gesetz über die Wahl der Volksabgeordneten in der Volksbefreiungsarmee (renmin jiefangjun xuanju renda daibiao fa) ist ein Gesetz, das die Staatsorgane betrifft, aber auch vom SANVK ausgearbeitet wurde. Außerdem sind viele Gesetze gleicher Eigenschaft von verschiedenen Gesetzgebungsorganen ausgearbeitet worden: Das Vertragsrecht (hetong fa) und das Sachenrechtsgesetz (wuquan fa) sind vom NVK ausgearbeitet worden, das Gesetz über deliktische Haftung (qinquan zeren fa) ist aber vom SANVK ausgearbeitet worden; das Gesetz über Verwaltungsstrafen (xingzheng chufa fa) ist vom NVK erlassen worden, aber das Gesetz über Exekutive Berufung (xingzheng fuyi fa), das Gesetz über Exekutive Lizenz (xingzheng xuke fa) und das Gesetz über Exekutiven Zwang (xingzheng qiangzhi fa) sind dagegen vom SANVK erlassen worden; das Gesetz über die Einkommensteuer der Unternehmen (qiye suodeshui fa) ist vom NVK ausgearbeitet worden, das Gesetz über die Einkommensteuer der einzelnen Personen (geren suodeshui fa) ist hingegen vom SANVK erlassen worden.295 Das zweite Problem liegt in der Notwendigkeit und der logischen Möglichkeit der Unterscheidung zwischen „jiben falü und fei jiben falü“. Allbekannt ist, dass diejenigen Angelegenheiten, die ausschließlich der staatlichen Gesetzgebungsgewalt zustehen, schon die wichtigsten Angelegenheiten des Staates sind. Ob es notwendig oder sogar möglich ist, in diesen wichtigsten Angelegenheiten weiter die „grundlegenden“ von den „nicht grundlegenden“ zu unterscheiden, ist fraglich. Prinzipiell kann der SANVK in allen Gesetzgebungsbereichen (außer der Änderung der Verfassung) des NVK Gesetze ausarbeiten. In diesem Sinne können die Begriffe „jiben (grundlegend)“ und „fei jiben (nicht grundlegend)“ keine Unterscheidungsfunktion entfalten. Aus diesem Grund ist es „in der Gesetzgebungspraxis nicht selten, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des NVK und die Gesetzgebungskompetenz des SANVK überschneiden.“296 Darüber hinaus schwächen weitere Bestimmungen des GGG, z. B. §§ 9, 83, 85 GGG, die Unterscheidung von „jiben falü“ und „fei jiben falü“. Gemäß § 9 GGG haben der NVK und der SANVK die gleiche Befugnis, den SR zu ermächtigen, die 295 296
Han Dayuan, S. 7. Xie Baofu, S. 75.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
nach § 8 GGG durch Gesetze zu regelnden Angelegenheiten unter bestimmten Bedingungen in Form von Verwaltungsrechtsnormen zu regeln. In dieser Bestimmung ist die Unterscheidung von „jiben falü“ und „fei jiben falü“ nicht festgehalten, da sie nicht klar macht, ob die Ermächtigung nur von „fei jiben falü“ betroffene Angelegenheiten, oder auch von „jiben falü“ betroffene Angelegenheiten betrifft. Im Gegenteil können beide, NVK und sein SA, den SR zu ganzen Zuständigkeitsbereichen nach § 8 GGG ermächtigen, ohne Rücksicht auf die Unterscheidung von „jiben falü“ und „fei jiben falü“. Die Schwächung dieser Unterscheidung ist im § 94 GGG noch deutlicher, dessen Satz 1 bestimmt: „Wenn bei Gesetzen über die gleiche Angelegenheit neue allgemeine Bestimmungen und alte besondere Bestimmungen nicht übereinstimmen und nicht festgestellt werden kann, was gelten soll, wird die Frage vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses entschieden.“ In dieser Bestimmung wird der Begriff „Gesetze“ einheitlich benutzt, was bedeutet, dass die „jiben falü“ vom NVK und die „fei jiben falü“ vom SANVK gleichgestellt sind. Die Nichtunterscheidung von „jiben falü“ und „fei jiben falü“ kann dazu führen, dass im Konfliktfall der SANVK auch die Nichtanwendung der Gesetze des NVK entscheiden kann, was gegen ein rechtliches Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen NVK und seinem SA spricht. Eine vergleichbare Situation ergibt sich auch nach § 92 GGG, der bestimmt: „Wenn bei Gesetzen […], die von dem gleichen Organ festgesetzt wurden, besondere Bestimmungen und allgemeine Bestimmungen nicht übereinstimmen, gelten die besonderen Bestimmungen; wenn neue Bestimmungen und alte Bestimmungen nicht übereinstimmen, gelten die neuen Bestimmungen.“ Hier ist es deutlich, dass der Gesetzgeber des GGG den NVK und seinen SA als dasselbe Organ behandelt, da, wenn „jiben falü“ und „fei jiben falü“ zwei rangverschiedene Rechtsnormen wären, dann müsste es auch im GGG entsprechende Regelungen für die Lösung der Konflikte geben. Aber in der Tat existieren im GGG keine Bestimmungen über die Konflikte zwischen den Gesetzen des NVK und den des SANVK; umgekehrt werden im GGG die „grundlegenden Gesetze“ des NVK und die „nichtgrundlegenden Gesetze“ des SANVK häufig als dieselben behandelt. Größere Schwierigkeiten für die Unterscheidung zwischen jiben falü und fei jiben falü kommen noch aus der Gesetzgebungspraxis. Tatsächlich hat der SANVK – eigentlich nur das zweithöchste Gesetzgebungsorgan Chinas – die weitaus meisten Gesetze verabschiedet. Besonders seit den 1980er Jahren hat der SANVK über 80 % der gesamten Gesetze Chinas erlassen297, wie die folgende Tabelle zeigt:
297 „Quantitativ gesehen, ist der Anteil der vom SANVK erlassenen Gesetze etwa 85 % der gesamten Gesetze.“ Qiao Xiaoyang (2008), S. 136.
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Tabelle 1 Statistik über die Anteile der von NVK und SANVK erlassenen Gesetze298 Zeitraum
Gesetze vom NVK
09.1954 – 07.1955 Summe 5 (Organisationsgesetze) Anteil 1979 – 1982
1983 – 2011
6 (Befehle) 56 %
Summe 16 (inklusive zwei Änderungen der Gesetze)
13
Anteil
45 %
55 %
Summe 25 (inklusive 9 Änderungen der Geset- 178 ze) Anteil
1954 – 2012
45 %
Gesetze vom SANVK
12,3 %
87,7 %
Summe 46 (inklusive 11 Änderungen der Gesetze)
199
Anteil
81,2 %
18,8 %
Neben der absoluten Mehrheit in der Quantität in der normalen Gesetzgebung begründet auch die Änderungskompetenz des SANVK hinsichtlich der Gesetze des NVK seine Dominanz in der Gesetzgebung. § 7 Abs. 3 Satz 2 GGG regelt die Änderungskompetenz des SANVK für die Gesetze des NVK zwischen dessen Tagungen. Er stellt für die Änderungskompetenz des SANVK zwei, wenn auch nur wörtlich gesehen, strenge Bedingungen auf, nämlich: „teilweise Ergänzungen und Änderungen“ und „nicht den grundlegenden Prinzipien der betreffenden Gesetze (des NVK) zuwiderlaufen.“ An diesen Bedingungen wird in der Praxis jedoch nicht festgehalten. Der SANVK überschreitet häufig diese Grenzen seiner Kompetenz, und dies führt faktisch zu einer neuen Art von Gesetzgebungskompetenz und zu „einer Selbstverstärkung der Gesetzgebungskompetenz des SANVK.“299 Folgende zwei Beispiele können das deutlich zeigen. Am 28. 02. 2011 erließ die 20. Sitzung des SANVK „den Beschluss über die Änderung des ,Gesetzes der VRCh über nationale regionale Autonomie (zhonghua renmin gongheguo minzu quyu zizhi fa)‘300“. Diese Änderung des SANVK über das Gesetz ist umfangreich: 43 Paragraphen wurden geändert und entsprachen 64,18 % aller Paragraphen dieses Gesetzes. Am 28. 04. 2001 erließ die 21. Sitzung des SANVK den „Beschluss über die Änderung des ,Ehegesetzes der VRCh (zhonghua renmin gongheguo hunyin fa)‘301“. In diesem Beschluss wurde das Ehegesetz umfangreicher geändert: 21 von seinen bisherigen 37 Paragraphen wurden geändert, ein Paragraph wurde gelöscht; darüber hinaus wurden 17 neue Paragraphen eingeführt. Quantitativ gesehen waren somit 105,41 % des 298 299 300 301
Han Dayuan, S. 6. (leicht geändert). Lin Yan (2002), S. 22. Wurde 1984 vom NVK ausgearbeitet. Wurde 1980 vom NVK ausgearbeitet.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Ehegesetzes vom SANVK neu.302 Wenn ein Gesetz des NVK so umfangreich vom SANVK verändert wurde, ist es schwierig zu sagen, dieses Gesetz sei nur „teilweise“ geändert oder ergänzt worden. Und wenn ein Gesetz des NVK soweit vom SANVK geändert wurde, ist es auch fraglich, wie die grundlegenden Prinzipien des betreffenden Gesetzes gehalten werden können. Die in § 7 Abs. 3 Satz 2 GGG aufgestellten Bedingungen für die Änderungskompetenz des SANVK sind faktisch leerlaufend. In diesem Zusammenhang ist es nicht falsch zu sagen, dass sich die Änderungskompetenz des SANVK schon zu einer Gesetzgebungskompetenz erhoben und die eigentliche Gesetzgebungskompetenz des NVK über „jiben falü“ verdrängt hat. Neben der starken Änderungskompetenz des SANVK ist sein Monopol für die Kompetenz zur authentischen Auslegung von Gesetzen zu erwähnen. Statt des NVK übt in China der SANVK alleine diese Auslegungsbefugnisse von Gesetzen (Art. 67 Abs. 4 VVRCh sowie § 45 Abs. 1 GGG) aus. In diesen beiden Vorschriften wird wieder nicht zwischen „jiben falü“ und „fei jiben falü“ unterschieden, was bedeutet, dass der SANVK auch die vom NVK erlassenen Gesetze authentisch und damit verbindlich auslegen kann. Im Gegensatz zur Änderungsbefugnis des SANVK, der noch an bestimmte Bedingungen („teilweise“; „nicht den grundlegenden Prinzipien der betreffenden Gesetze zuwiderlaufen“) gebunden ist, ist die Auslegungsbefugnis des SANVK dessen ausschließliche Befugnis und sie unterliegt daher keinen rechtlichen Einschränkungen. Es gibt solche Einschränkungen weder in der VVRCh noch im GGG. Inwieweit der authentische Interpret eines Gesetzes den Willen des Gesetzgebers verdrängen darf, kann hier wegen der Komplexität der Theorie der Gesetzesauslegung nicht untersucht werden. Im chinesischen Kontext ist es aber wichtig, dass die Auslegungskompetenz faktisch schon eine Entscheidungskompetenz über den geltenden Gesetzesinhalt ist, besonders wenn man den Tatbestand in Betracht zieht, dass es keine gerichtliche Kontrolle der Gesetze gibt und darum die Auslegung durch den SANVK durch die Gerichte nicht überprüfbar ist. Wenn der SANVK gleichzeitig Gesetzgeber und Gesetzesausleger ist, dann ist seine Stellung, praktisch gesehen, höher als (oder mindestens gleich wie) die des NVK. Dies ist auch schon in einer Bestimmung des GGG ausgedrückt: „Gesetzesauslegungen durch den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses besitzen die gleiche Geltung wie Gesetze (§ 50 GGG).“ Die absolute Dominanz des SANVK in der Gesetzgebung und die Aushöhlung der Gesetzgebungskompetenz des NVK haben ihre zeitlichen und organisatorischen Gründe. Nach der Bestimmung der Verfassung findet die Tagung des Nationalen Volkskongresses (außer der vorläufigen Tagung im Notfall) nur einmal jährlich (Art. 61 Satz 1 VVRCh) statt. Verglichen mit westlichen Gesetzgebungsorganen, z. B. dem Bundestag in Deutschland als einem ständigen Gesetzgebungsorgan, der sich hauptsächlich mit der staatlichen Gesetzgebung beschäftigt, ist der NVK nur ein vorläufiges Gesetzgebungsorgan. In der ganzen Amtszeit eines NVK tagt er nur 302
Vgl. dazu Lin Yan (2002), S. 23.
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fünfmal. Die Dauer der Tagung des NVK ist nicht rechtlich geregelt, sondern wird vor jeder Tagung vom SANVK festgelegt (§ 2 OGNVK). Nach geschichtlichen Erfahrungen dauert die Tagung des NVK zwischen 5 und 26 Tagen.303 Die meisten Tagungen des NVK dauern aber nur etwa 2 Wochen. Seit Jahren besteht die Tendenz, dass die Länge der Tagung des NVK immer kürzer wird.304 Z. B. bei dem gegenwärtigen NVK Chinas, dem 12. NVK, der sich seit dem 05. 03. 2013 bildet. Seine erste Tagung fand am 05. 03. 2013 statt und dauerte 12 Tage; seine zweite Tagung fand am 05. 03. 2014 statt und dauerte nur 8 Tage. Dass für die Verwaltung und Regelung eines großen modernen Staates wie China der Zeitraum der Tagung des NVK zu kurz ist, ist zweifellos. Nicht zu vergessen ist, dass Gesetzgebung nur eine der zahlreichen Kompetenzen des NVK ist.305 Für eine konkrete Tagung des NVK ist daher die Zeit für spezielle Gesetzgebung eher gering. Wegen der Zeitknappheit ist der NVK nicht in der Lage, komplizierte und mühsame Gesetzgebungsverfahren zu verfolgen. Was alles dazu führt, dass der NVK zwar das höchste Machtorgan des Staates ist, er aber keine Zeit hat faktisch dieses höchste Machtorgan zu sein. Aus der organisatorischen Perspektive ist der NVK zu groß, um effizient Gesetzgebungstätigkeiten zu unternehmen. Der NVK besteht gewöhnlich aus etwa 3.000 Volksabgeordneten, er mag somit das größte politische Vertretungsorgan in der Welt sein. In einem so großen Vertretungsorgan ist es sachlich nicht möglich, konkrete (und häufig auch sehr mühsame und umständliche) Gesetzgebungsangelegenheiten detailliert zu beraten und effizient einen Konsens in der Gesetzgebung zu erreichen. Besonders wenn man berücksichtigt, dass sich die Gesetzgebung in einem modernen Staat häufig als Ausgleich und Kompromiss verschiedener gegeneinander laufender Interessen und verschiedener gesellschaftlicher Kräfte darstellt und viele Konflikte in der Gesetzgebung nicht immer auf offener Bühne gelöst werden können, sondern nichtförmliche und nichtöffentliche politische Operationen erfordern. Eine 3.000-Volksabgeordneten-Tagung des NVK ist klar kein richtiger Ort, wo politische Kompromisse erreicht werden können. Dieses Organ ist nur geeignet, Beschlüsse zu fassen, die schon an anderer Stelle fixiert wurden. Die unklare Beziehung zwischen dem NVK und seinem SA verursacht seit Jahren viel Kritik. Der NVK als das rechtlich höchste Organ der Gesetzgebung übt in Wirklichkeit selten seine Gesetzgebungskompetenz aus und ist zu einem „Symbol“ entartet. Im Gegensatz dazu entwickelt sich der SANVK zum tatsächlich höchsten Organ der Gesetzgebung, seine Gesetzgebungsmacht ist „umfangreicher, wirklicher und konkreter“.306 Hier stellt sich vor allem die Frage der demokratischen Legitimität des SANVK. Wenn in einem modernen demokratischen Staat angenommen werden kann, dass der Grad der Legitimität eines Gesetzes etwas mit dem Grad der demokratischen Legitimität des es erlassenden Gesetzgebers zu tun hat, dann kann auch 303 304 305 306
Liu Shuhua/Guo Ying, S. 114. Zhu Jingwen (Hrsg.), S. 58 – 59. §§ 62, 63 VVRCh haben 20 Befugnisse des NVK genannt. Jiang Jinsong, S. 19.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
allgemein erwartet werden, dass Gesetze, um mehr Legitimität zu gewinnen, durch den mehr demokratische Legitimität besitzenden Gesetzgeber erlassen werden sollen. Bezüglich des vorhandenen Verhältnisses zwischen NVK und SANVK ist es aber nicht der Fall. „Die umfangreiche und ständige Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch den SANVK beeinträchtigt die Volkswillensgrundlage (minyi jichu) des Gesetzes schwer.“307 „Der aus 3.000 Abgeordneten bestehende NVK ist das höchste Machtorgan des Staates, der aus weniger als 200 Abgeordneten bestehende SANVK hingegen kann nur als zweithöchstes Machtorgan des Staates gelten. Dass der SANVK die vom NVK erlassenen Gesetze ergänzen und ändern kann, führt dazu, dass SANVK ein, verglichen mit dem NVK, höheres Machtorgan ist, was offensichtlich dem Geist der Demokratie und des Rechtsstaates widerspricht.“308 Die Beziehung zwischen NVK und SANVK befindet sich daher in einem Dilemma: Der NVK wird zwar durch das Volk gewählt und besitzt insofern die stärkere demokratische Legitimität, er ist aber wegen seiner Größe und seines Mangels an Zeit nicht in der Lage, konkrete Gesetzgebungsangelegenheiten zu unternehmen. In der Praxis ist „seine materiell höchste Stellung in die formell höchste Stellung umgewandelt“.309 Der SANVK erfüllt in der Tat zwar die meisten Gesetzgebungsaufgaben, er als „Vertreter der Vertreter“ ist aber nicht direkt durch die Wahl des Volks legitimiert, „seine Vertretungsfähigkeit ist daher aufgrund ihres Geburtsfehlers nicht ausreichend“,310 und er tendiert auch durch seine umfangreichen Gesetzgebungsaktivitäten dazu, den NVK zu verdrängen. Die Reform der Beziehung zwischen NVK und SANVK ist schon lange ein heftig diskutiertes Thema zwischen vielen Rechtswissenschaftlern in China. Manche Theoretiker schlagen vor, die Gesetzgebungskompetenz des SANVK sollte beschränkt werden und dementsprechend sollte der NVK in der Gesetzgebung mehr Aktivität zeigen, besonders bezüglich der in den ersten 3 Absätzen des Paragraphen 8 GGG geregelten Angelegenheiten, um mit den einschlägigen Bestimmungen der vorhandenen Verfassung übereinzustimmen.311 Andere argumentieren aber, die Gesetzgebungskompetenz des SANVK sollte weiter verstärkt werden und der NVK sollte in Zukunft keine Gesetzgebungskompetenz mehr ausüben312 Um die demokratische Legitimität des SANVK zu verstärken, sollte zuerst die Zahl der Mitglieder des SANVK vermehrt werden, wodurch ein SANVK z. B. mit 600 statt 200 Mitgliedern ein normaleres und angemesseneres Gesetzgebungsorgan sein könnte.
307 308 309 310 311 312
Xu Xianghua/Lin Yan, S. 4. Cui Min, S. 22. Han Dayuan, S. 12. Jiang Jinsong, S. 26. Vgl. dazu Lin Yan (2011), S. 8. Cai Dingjian (2004), S. 15.
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Der Ausgang der möglichen Reform ist bisher noch unklar. Aber jede Umstellung der Beziehung zwischen dem NVK und dem SANVK muss die vorhandene Verfassungsordnung Chinas berücksichtigen: Der NVK leistet als eine zentrale Ausgestaltung des demokratischen Zentralismus auf der verfassungsrechtlichen Ebene eine entscheidende Integrationsfunktion des ganzen Staates und der ganzen Gesellschaft und liefert zugleich auch die Legitimitätsquelle der Partei und der Regierung. Ihm die Gesetzgebungsmacht als die höchste Staatsmacht zu entziehen, ist nicht nur verfassungswidrig, sondern auch nicht realistisch unter der Herrschaft der KPCh, die den NVK als maßgeblichen Verknüpfungspunkt zwischen Partei und Staat sieht. Ohne die Gesetzgebungsmacht des NVK könnte die KPCh ihren Herrschaftswillen nicht in Form eines organisierten modernen Staates durchsetzen. Wegen dieses Zusammenhangs ist es notwendig, dem NVK immer noch die höchste Gesetzgebungsmacht vorzubehalten. Zugleich sollte die Gesetzgebungsfunktion des SANVK verstärkt werden durch die Vermehrung seiner Mitglieder und die Verlängerung seiner Tagung313. Zu betonen ist aber, dass es bei einer Erweiterung des SANVK darum geht, deren konkreten und sachlichen Gesetzgebungsaufgaben durch personelle Verstärkung fachlich besser zu entsprechen, nicht aber die Stellung des NVK zu verdrängen. Zwar besitzt der SANVK faktisch die herrschende Gesetzgebungsmacht, aber politisch steht er immer noch unter dem NVK. Diese Unstimmigkeit kann – besonders in der Anfangsphase des Aufbaus des Rechtsstaats chinesischer Prägung – geradezu als der Ausdruck der Flexibilität in der Ausgestaltung des Gesetzgebungssystems gesehen werden. 2. Die Gesetzgebungsverfahren des SANVK Wie oben ausgeführt, dominiert der SANVK die Gesetzgebung in China. Wie seine Gesetzgebungsverfahren zu regeln und damit seine Gesetzgebungskompetenz verfahrensrechtlich klar zu bestimmen sind, ist konsequenterweise ein Schwerpunkt des GGG. Im GGG sind die Gesetzgebungsverfahren des SANVK vor allem in den §§ 26 – 44 geregelt. Darüber hinaus existieren in OGNVK und GeschSANVK auch einschlägige Bestimmungen. a) Die Gesetzesinitiative Die Subjekte, die berechtigt sind, dem SANVK einen Gesetzesentwurf vorzulegen, sind umfangreich. Die meisten Initiatoren der Gesetzesvorlagen des SANVK überschneiden sich mit denen des NVK, enthalten also den Staatsrat, die Zentrale Militärkommission, das Oberste Volksgericht, die Oberste Volksstaatsanwaltschaft und die Fachausschüsse des Nationalen Volkskongresses (§ 26 Abs. 2 Satz 1 GGG). Außerdem sind zwei andere Subjekte auch zum Vorlegen eines Gesetzesentwurfs 313 So lautet ein Vorschlag: „Die Frist der Tagung des SANVK soll schließlich 150 – 200 Tage pro Jahr erreichen,“ damit der SANVK „ständiger“ sein kann. Vgl. dazu Zhou Wei, S. 118.
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beim SANVK berechtigt, nämlich die Konferenz der Ausschussvorsitzenden (weiyuanzhang huiyi, § 26 Abs. 1 GGG) und eine Gruppe von mindestens 10 Mitgliedern des SANVK (§ 27 Satz. 1 GGG). Wie das Präsidium im NVK spielt die Konferenz der Ausschussvorsitzenden im SANVK eine entscheidende Rolle, sie ist für die täglichen wichtigen Arbeiten des SANVK zuständig, inklusive der Ausgestaltung der Tagesordnung des SANVK (§ 25 Abs. 1 GeschSANVK). Die Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Gesetzesvorlage hängt von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden ab. Bezüglich der Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Gesetzesentwurfs sind zwei Situationen zu unterscheiden: Wenn eine Gesetzesvorlage von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden selbst vorgelegt wird, dann geht sie ohne weiteres unmittelbar in die Tagesordnung des SANVK und soll auf der Sitzung des SANVK beraten werden (§ 26 Abs. 1 GGG). Wenn eine Gesetzesvorlage von anderen Subjekten vorgelegt wird, kann die Konferenz der Ausschussvorsitzenden deren Aufnahme in die Tagesordnung des SANVK beschließen, oder sie gibt sie zunächst an die betreffenden Fachausschüsse zur Beratung sowie zur Vorlage eines Berichts und beschließt dann nochmals über die Aufnahme in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses. Wenn die Konferenz der Ausschussvorsitzenden der Ansicht ist, dass eine weitere Untersuchung von schwerwiegenden Fragen des Gesetzesentwurfes erforderlich ist, kann sie den Antragstellern empfehlen, den Entwurf nach Änderung und Vervollständigung dem Ständigen Ausschuss wieder vorzulegen (§ 26 Abs. 2 GGG). Bemerkenswert ist, dass, wenn ein von mindestens zehn Mitgliedern des SANVK vorgelegter Gesetzesentwurf nicht in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wird, dies auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses berichtet oder den Antragstellern erläutert werden muss (§ 27 Satz 2 GGG). b) Beratung des Gesetzesentwurfs aa) Das Drei-Lesungen-System Um einerseits die Qualität (aus der Perspektive der Gesetzgebungstechnik) des Gesetzes zu verbessern und andererseits die Integrationsfunktion (aus der Perspektive der Ausgleiche verschiedener politischer Interessen) des Gesetzes zu verstärken, setzt sich in den Gesetzgebungsverfahren des SANVK das sogenannte „Drei-Lesungen-System“ durch. Grundsätzlich wird ein Gesetzesentwurf, der in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen worden ist, nach dreimaliger Beratung auf den Sitzungen des Ständigen Ausschusses zur Abstimmung freigegeben (§ 29 Abs. 1 GGG). Die erste Lesung einer Gesetzesvorlage bietet vor allem dem Antragsteller eines Gesetzesentwurfs die Gelegenheit, sich auf der Plenarsitzung des SANVK über seinen Gesetzesentwurf zu äußern. Die Äußerungen des Antragstellers enthalten normalerweise die Erforderlichkeit, die Durchsetzbarkeit sowie die wesentlichen
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Inhalte eines Gesetzesentwurfs.314 Die Plenarsitzung des SANVK hört dementsprechend die Erläuterungen des Antragstellers. Danach wird der Gesetzesentwurf zunächst auf Gruppensitzungen (fenzu huiyi) vorbereitend beraten – die „Anfangsberatung (chubu shenyi)“. Die hier genannte „fenzu huiyi“ ist eine der wesentlichen Handlungsformen der SANVK bezüglich der Gesetzgebung.315 Die gesamten Mitglieder des SANVK sind nach Bedürfnissen in kleine Gruppen eingeteilt. Diese kleinen Gruppen sind dann für die konkreten Beratungsarbeiten an den Gesetzesentwürfen zuständig, ihre Beratungen bilden die Grundlage der Beratung des Gesetzentwurfs auf der Plenarsitzung des SANVK.316 Wenn die Gruppensitzungen des SANVK Gesetzesentwürfe beraten, müssen die Antragsteller eines Gesetzesentwurfs jemanden abordnen, um die Ansichten der Gruppen zu hören und Fragen zu beantworten. Darüber hinaus – auf Anforderung einer Gruppe – müssen die vom Gesetzesentwurf betroffenen Organe und Organisationen jemanden abordnen, um die Gruppe mit den Umständen vertraut zu machen (§ 31 GGG). Die zweite Lesung bezieht sich auf die Beratung der materiellen Inhalte eines Gesetzesentwurfs. Hier wird im Wesentlichen die Mitteilung des Rechtsausschusses über die Umstände des geänderten Gesetzesentwurfes gehört und über wichtige Fragen beraten. Danach werden auf Gruppensitzungen weitere Beratungen durchgeführt (§ 29 Abs. 3 GGG). Bei der dritten Lesung von Gesetzesentwürfen auf einer Sitzung des Ständigen Ausschusses wird auf einer Plenarsitzung der Bericht des Rechtsausschusses über die Ergebnisse der Beratungen der Gesetzesentwürfe gehört, woraufhin auf Gruppensitzungen Beratungen über die geänderten Gesetzesentwürfe durchgeführt werden. Die Ausnahmen vom „Drei-Lesungen-System“: Die obigen drei Schritte sind der normale Prozess für die Beratungen eines Gesetzesentwurf im SANVK, aber es existieren auch Ausnahmen: Erstens, wenn die Ansichten aller Seiten über den Gesetzesentwurf, der in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, relativ übereinstimmen, kann er nach zweimaliger Beratung auf Sitzungen des Ständigen Ausschusses zur Abstimmung freigegeben werden; zweitens, wenn bei einem Gesetzesentwurf, in dem der zu regelnde Gegenstand relativ einfach und einzig ist oder bei einem teilweise abgeänderten Gesetzesentwurf die Ansichten aller Seiten relativ übereinstimmen, kann er auch nach einmaliger Beratung auf einer Sitzung des Ständigen Ausschusses sofort zur Abstimmung freigegeben werden (§ 30 GGG).
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Vgl. dazu Liu Shen (Hrsg.), S. 395. Es gibt drei Formen der Sitzung des SANVK gemäß § 9 GeschSANVK, nämlich die Plenarsitzung (quanti huiyi), die Gruppensitzung sowie die gemeinsame Sitzung mehrerer Gruppen (lianzu huiyi). Während der Ständige Ausschuss Gesetzesentwürfe berät, kann er nach Bedarf zur Diskussion wichtiger Fragen der Gesetzesentwürfe gemeinsame Sitzungen mehrerer Gruppen oder Plenarsitzungen einberufen (§ 27 Abs. 4 GGG). 316 Vgl. dazu Qiao Xiaoyang (2008), S. 133. 315
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Der Ausschluss eines Gesetzesentwurfs: Wenn bei einem Gesetzesentwurf, der in die Beratung auf den Sitzungen des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, zur Erforderlichkeit und Durchführbarkeit dieses Gesetzes und sonstigen schwerwiegenden Fragen relativ große Meinungsverschiedenheiten bestehen und der Entwurf deshalb zwei volle Jahre beiseitegelegt wurde oder wenn der Entwurf vorläufig nicht zur Abstimmung gegeben und deshalb zwei volle Jahre nicht wieder in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen worden ist, wird dem Ständigen Ausschuss von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden berichtet, dass die Beratung dieses Gesetzesentwurfes beendet ist (§ 42 GGG). bb) Beratungen durch die Fachausschüsse und den Rechtsausschuss Wie bei der Gesetzgebung des NVK spielen die Fachausschüsse und der Rechtsausschuss als gemeinsame Organe von NVK und SANVK bei der Gesetzgebung des SANVK eine entscheidende Rolle. Die Fachausschüsse sind für die materiellen Probleme eines Gesetzesentwurfs verantwortlich. Die Beratungen der Fachausschüsse finden in Form von Plenarsitzungen statt, wenn die Fachausschüsse den Gesetzesentwurf also beraten, müssen sie zur Beratung eine Plenarsitzung des jeweiligen Fachausschusses einberufen. Gemäß den Erfordernissen können sie auch fordern, dass Organe oder Organisationen die betreffenden verantwortlichen Personen abordnen, um die Umstände zu erklären (§ 34 GGG). Außerdem können sie auch Mitglieder anderer Fachausschüsse einladen, als nicht Stimmberechtigte an der Beratung teilzunehmen und ihre Ansichten zu äußern (§ 32 Abs. 2 GGG). Die betreffenden Fachausschüsse führen Beratungen über Gesetzesentwürfe durch, legen die Ansichten vor, zu denen sie bei den Beratungen gelangt sind, und verteilen diese in gedruckter Form auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses (§ 32 Abs. 1 GGG; §§ 14, 15 GeschSAVNK). Wenn aber hinsichtlich wichtiger Fragen eines Gesetzesentwurfes die Ansichten der Fachausschüsse voneinander abweichen, muss dies der Konferenz der Ausschussvorsitzenden berichtet werden (§ 35 GGG). Um die Wissenschaftlichkeit der Gesetzgebung zu verbessern, hat das neue GGG die Stellung der Fachausschüsse verstärkt, indem es regelt, dass die Fachausschüsse frühzeitig an den Gesetzesvorbereitungsverfahren teilnehmen sollen. Im GGG a.F. fanden die Beteiligungen der Fachausschüsse des NVK an den Gesetzesvorbereitungsverfahren erst statt, nachdem ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Nationalen Volkskongresses aufgenommen wurde (§ 17 GGG a.F.) oder nachdem ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde (§ 30 GGG a.F.). Wegen der kurzen Beratungszeit für den Gesetzesentwurf entfalten die mit Fachkenntnissen versehenen Fachausschüsse des NVK in der Tat nur begrenzte Funktionen hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit der Gesetzgebung sowie der Qualität der Gesetze. Um das Problem zu überwinden, bestimmt der § 53 Abs. 1 GGG: „Die Fachausschüsse des NVK […] sollen frühzeitig an den einschlägigen Vorbereitungsarbeiten am Gesetzesentwurf teilnehmen. Der umfassende,
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das Ganze berührende und grundlegende Gesetzesentwurf kann auch von einschlägigen Fachausschüssen […] ausgearbeitet werden.“ Der Rechtsauschuss ist für den ganzen Gesetzesentwurf sowohl in inhaltlicher als auch formeller Hinsicht verantwortlich. Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, führt der Rechtsausschuss unter Berücksichtigung der Ansichten, zu denen die Mitglieder des Ständigen Ausschusses und die betreffenden Fachausschüsse bei der Beratung gelangt sind, und unter Berücksichtigung der von allen Seiten vorgelegten Ansichten eine zusammenfassende Beratung durch und legt eine Mitteilung über die Einzelheiten der Änderungen oder einen Bericht über die Ergebnisse der Beratungen und ggf. einen geänderten Gesetzesentwurf vor. Wichtige abweichende Ansichten müssen in der Mitteilung oder in dem Bericht über die Ergebnisse der Beratungen erklärt werden. Über eine wichtige Ansicht eines Fachausschusses bei der Beratung, die nicht übernommen worden ist, muss mit dem betreffenden Fachausschuss Rücksprache gehalten werden (§ 33 Abs. 1 GGG). Wenn der Rechtsausschuss den Gesetzesentwurf berät, soll er Mitglieder anderer Fachausschüsse einladen, als nicht Stimmberechtigte an der Beratung teilzunehmen und ihre Ansicht zu äußern (§ 33 Abs. 2 GGG). c) Einholung der Ansichten sowie Anhörung zum Gesetzesentwurf Um die Transparenz der Verfahren der Gesetzgebung des SANVK zu vermehren und die öffentliche Beteiligung an der Gesetzgebung zu fördern, sind im GGG einschlägige Maßnahmen vorgesehen, die in den Paragraphen 36 – 38 des GGG geregelt sind. Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, müssen der Rechtsausschuss, die betreffenden Fachausschüsse und die Arbeitsorgane des Ständigen Ausschusses die Ansichten aller Seiten anhören. Zur Anhörung der Ansichten können Besprechungen, Beweisaufnahmen, Anhörungen oder andere Methoden angewendet werden (§ 36 Abs. 1 GGG). Wenn die einschlägigen Probleme in einem Gesetzesentwurf sehr spezialisiert sind und es somit einer Bewertung der Durchführbarkeit bedarf, soll es Beweisaufnahmen geben, um die Ansichten der Experten, Ministerien und Volksabgeordneten des NVK (VANVK) anzuhören (§ 36 Abs. 2). § 36 Abs. 3 regelt das Verfahren Anhörung zu einem Gesetz: Wenn es erheblich differenzierende Ansichten über die einschlägigen Probleme in einem Gesetzesentwurf gibt oder es sich um eine erhebliche Umgestaltung der Interessenverhältnisse handelt, muss eine Anhörung veranstaltet werden, um die Ansichten der einschlägigen Vertreter der untersten Ebene und der Gruppen, der Ministerien, der Volksvereine, Experten, VANVK und anderer einschlägiger gesellschaftlicher Aspekte einzuholen. Die Arbeitsorgane des Ständigen Ausschusses müssen den Gesetzesentwurf an die VANVK der betreffenden Bereiche, die SA der lokalen Volkskongresse, die betroffenen Organe, Organisationen und Experten übermitteln, um Ansichten einzuholen.
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Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, muss der Gesetzesentwurf nach der Tagung des SANVK zusammen mit seiner Vorbereitung, den Erläuterungen über die Änderungen, usw. der Gesellschaft gegenüber veröffentlicht werden, um Ansichten einzuholen; ausgenommen hiervon bleibt jedoch das, was die Konferenz der Ausschussvorsitzenden beschließt. Die Frist für die Einholung der Ansichten gegenüber der Gesellschaft kann in der Regel nicht auf weniger als 30 Tage bemessen sein. Die Umstände über die Einholung der Ansichten müssen der Gesellschaft gegenüber veröffentlicht werden (§ 37 GGG). Wenn ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde, müssen die Arbeitsorgane des Ständigen Ausschusses die Ansichten, zu denen die Gruppen bei den Beratungen gelangt sind, von allen Seiten vorgelegte Ansichten und andere Materialien sammeln und ordnen, an den Rechtsausschuss und betroffene Fachausschüsse verteilen und nach Bedarf in gedruckter Form auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses verteilen (§ 38 GGG). Darüber hinaus ist in das neue GGG zum ersten Mal die Gesetzgebungsbewertung (lifa pinggu) eingeführt. Der neue § 39 regelt: „Vor der Vorlage der Beratungsergebnisse des Rechtsausschusses können die Arbeitsorgane des SANVK die wesentlichen institutionellen Gestaltungen sowie Vorschriften in dem der Sitzung des SANVK vorzulegenden Gesetzesentwurf hinsichtlich der Durchführbarkeit, des Zeitpunktes des Erlassens des Gesetzes, der sozialen Wirkungen der Durchführung des Gesetzes sowie möglicher Probleme bewerten. Die Umstände der Bewertung müssen vom Rechtsausschuss in seinem Bericht über die Beratungsergebnisse erläutert werden.“ d) Zurücknahme des Gesetzesentwurfs Die Antragsteller haben das Recht, einen dem Nationalen Volkskongress oder dem Ständigen Ausschuss vorgelegten Gesetzesentwurf vor Aufnahme in die Tagesordnung zurückzunehmen (§ 55 GGG). Wenn aber ein Gesetzesentwurf in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses aufgenommen wurde und der Antragsteller vor der Freigabe zur Abstimmung die Zurücknahme fordert, muss er den Grund der Zurücknahme erklären. Nach dem Einverständnis der Konferenz der Ausschussvorsitzenden und Benachrichtigung des Ständigen Ausschusses wird die Beratung dieses Gesetzesentwurfes sofort beendet (§ 40 GGG). e) Verabschiedung des Gesetzes Nachdem ein abgeänderter Gesetzesentwurf auf einer Sitzung des Ständigen Ausschusses beraten worden ist, wird er vom Rechtsausschuss unter Berücksichtigung der Ansichten abgeändert, zu denen die Mitglieder des Ständigen Ausschusses bei der Beratung gelangt sind, und es wird vom Rechtsausschuss ein Abstimmungsentwurf des Gesetzesentwurfes vorgelegt, der dann von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden in einer Plenarsitzung des Ständigen Ausschusses zur Ab-
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stimmung eingebracht wird. Dieser muss dann von mehr als der Hälfte aller Mitglieder, die den Ständigen Ausschuss bilden, verabschiedet werden (§ 41 GGG, Abs. 1). Das neue GGG hat zwei Arten von Abstimmungsmethoden aufgenommen: die separate Abstimmung (dandu biaojue) und die kombinierte Abstimmung (hebing biaojue). Die erstere bezieht sich auf Probleme, über die es erheblich verschiedene Ansichten gibt; über die Bestimmungen bezüglich solcher Probleme kann einzeln abgestimmt werden (§ 41 GGG, Abs. 2). Die letztere bedeutet, dass, wenn die Bestimmungen in mehreren Gesetzen ein gleiches Problem behandeln, die Abstimmung über die Änderung dieser Bestimmungen gleichzeitig stattfinden kann (§ 43 GGG). Vom Ständigen Ausschuss verabschiedete Gesetze werden durch einen vom Staatspräsidenten unterschriebenen Erlass des Präsidenten bekanntgegeben (§ 44 GGG). Nach Unterschrift und Bekanntgabe wird das Gesetz unverzüglich im Amtsblatt des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, auf der Webseite des NVK und in im ganzen Land erscheinenden Zeitungen veröffentlicht. Der im Amtsblatt des Ständigen Ausschusses veröffentlichte Gesetzestext gilt als offizielle Fassung (§ 58 Abs. 2, 3 GGG). 3. Die legislative Gesetzesauslegung des SANVK Es dürfte eines der bemerkenswertesten Phänomene im GGG sein, dass ein Gesetz, das sich selbst „Gesetzgebungsgesetz“ nennt, auch die Gesetzesauslegung als ein eigenes Verfahren ausdrücklich vorsieht. Diese Art von Gesetzesauslegung wird in China „lifa jieshi“, also „legislative Gesetzesauslegung oder -interpretation“ genannt. Neben der unvermeidbaren Aufgabe der Gesetzesauslegung durch jeden Anwender, vor allem die Gerichte, erfüllt in China der SANVK als Gesetzgeber auch eine zusätzliche Funktion der Gesetzesauslegung. Um diesen Unterschied zu erklären, ist auf die lange Geschichte der legislativen Gesetzesauslegung sowie des gesamten Gesetzesauslegungssystems der VRCh zurückzuführen. a) Die Geschichte der legislativen Gesetzesauslegung und das gesamte Rechtsauslegungssystem Auf der zentralen Ebene der Struktur der staatlichen Gewalt wird seit der Ausrufung der VRCh die Gesetzesauslegungsmacht als eine der wichtigsten staatlichen Gewalten betrachtet. Die Verfassung von 1954 schrieb zum ersten Mal dem SANVK die Gesetzesauslegungsmacht zu. Solche Bestimmungen wurden dann von den Verfassungen von 1975 und von 1978 fast unverändert übernommen und finden ihren Ausdruck auch in der vorhandenen Verfassung von 1982. Gemäß Art. 67 Nr. 1 und Nr. 4 VVRCh hat der SANVK die Aufgabe und das Recht, die Verfassung und die Gesetze auszulegen. Dies ist die verfassungsrechtliche Quelle des vorhandenen Systems der Gesetzesauslegungsmacht des SANVK. Darüber hinaus ist die Gesetzesauslegungsmacht des SANVK auch in zwei wichtigen eigenen Beschlüssen des
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SANVK konkretisiert. Der erste ist der „Beschluss des SANVK über die Probleme der Gesetzesauslegung (guanyu falü jieshi wenti de jueyi)“ im Jahr 1955. Dieser enthält zwei Sätze: (1) Wenn die Texte der Gesetze oder Befehle selbst weiterer Festlegungen ihrer Grenzen oder ergänzender Bestimmungen bedürfen, legt der Ständige Ausschuss des NVK sie aus oder regelt sie durch Befehle. (2) Die Probleme, wie in Gerichtsverfahren die Gesetze oder Befehle konkret anzuwenden sind, sind durch den Gerichtsrat (shenpan weiyuanhui) des Obersten Volksgerichts (OVG) zu interpretieren. Hierin lässt sich der Prototyp des heutigen Gesetzesauslegungssystems chinesischer Prägung schon erkennen: Die Macht zur Auslegung der Gesetze wird als eine staatliche Gewalt aufgefasst und nach sachlichen Gebieten verschiedenen Subjekten zugeschrieben; daraus ergeben sich zwei Arten von Gesetzesauslegung, nämlich die legislative Gesetzesauslegung und die judikative Gesetzesauslegung (sifa jieshi), was einen „Dualismus der Gesetzesauslegung“317 bedeutet. Im Jahr 1981 erließ die 16. Sitzung des 5. SANVK einen weiteren „Beschluss über die Bekräftigung der Gesetzesauslegungsarbeiten (guanyu jiaqiang falü jieshi gongyuo de jueyi)“. Dieser Beschluss erweitert den Umfang der zur Gesetzesauslegung318 berechtigten Subjekte: neben dem SANVK und dem OVG sind die Oberste Volksstaatsanwaltschaft (OVS), der SR und dessen Ressorts, die Ständigen Ausschüsse der lokalen Volkskongresse, die lokalen Regierungen und derer Ressorts auch einbezogen. Diese Subjekte üben ihre Auslegungsmacht in den Bereichen ihrer eigenen sachlichen Befugnisse aus: Die OVS legt die Probleme aus, die die konkreten Anwendungen der Gesetze oder Befehle in den jiancha-Arbeiten (also Aufsichtsarbeiten, gemeint wesentlich Strafverfolgung und -vollstreckung) der Staatsanwaltschaften betreffen (Nr. 2 des Beschlusses 1981). Der SR und dessen Ressorts legen die Probleme der konkreten Anwendungen der Gesetze und Befehle aus, die nicht zur Arbeit des Gerichts und der Staatsanwaltschaft gehören (Nr. 3 des Beschlusses 1981). Entsprechend legen die Ständigen Ausschüsse der lokalen Volkskongresse, die lokalen Regierungen und deren Ressorts die von ihnen jeweils erlassenen territorialen Rechtsnormen in ihren konkreten Anwendungen aus (Nr. 4 des Beschlusses 1981). Der Beschluss 1981 des SANVK bildet den grundlegenden Rahmen des gegenwärtigen Gesetzesauslegungssystems Chinas. Von ihm wurden vier Typen der Gesetzesauslegung festgelegt, also die legislative Gesetzesauslegung, die judikative Gesetzesauslegung, die exekutive Gesetzesauslegung (xingzheng jieshi) und die territoriale Gesetzesauslegung (difang jieshi), was eine „sehr chinesische Prägung ist“319. Das GGG übernimmt in §§ 45 – 50 dann auch den Grundgedanken des Beschlusses von 1981 und sieht ausdrücklich die Gesetzesauslegungsmacht des SANVK als eine seiner wichtigsten Befugnisse an. 317
Zhou Wangsheng, Studien zum vorhandenen Rechtsauslegungssystem Chinas, S. 3. Hier ist das „Gesetz“ in „Gesetzesauslegung“ im weiteren Sinne zu verstehen, es umfasst also auch die Rechtsnormen, die nicht von „echten Gesetzgebern“, also NVK und SANVK, ausgearbeitet sind. 319 Zhou Wangsheng, Studien zum vorhandenen Rechtsauslegungssystem Chinas, S. 7. 318
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In der Anfangsphase der 1980er Jahre war es verständlich, dass die Rechtsauslegungsfunktionen so weit verteilt wurden, dass möglichst viele Regelungen für die chinesische Gesellschaft aufgestellt werden konnten, die sich gerade auf dem „Punkt Null“ des Rechts befand. Die Rechtsauslegung wurde in dieser Phase in der Tat als eine Quelle der Rechtsnormen und als abgeleitete Kompetenz in der stufenmäßig organisierten Staatsmacht aufgefasst. Aber nach der Vermehrung an praktischen Erfahrungen und vertiefter theoretischer (besonders rechtsmethodischer) Reflexion wird dieses Gesetzesauslegungssystem schon lange von vielen chinesischen Juristen heftig kritisiert. Die Nachteile des Pluralismus der Subjekte der Gesetzesauslegung sind erheblich: Einerseits bedrohen die vielfältigen Auslegungskompetenzen die Einheitlichkeit der gesamten staatlichen Rechtsordnung; andererseits werden diese Kompetenzen von verschiedenen Subjekten als Mittel zum Schutz eigener Interessen benutzt, was zum Partikularismus des Rechts führt. Als eine Institution chinesischer Prägung ist die legislative Gesetzesauslegung auch besonders betroffen. Für die Kritiker kann die lange historische Existenz der legislativen Gesetzesauslegungsmacht des SANVK ihre Rationalität und Angemessenheit nicht ohne weiteres rechtfertigen. Sie greifen auf den originären Sinn des Begriffs der Gesetzesauslegung zurück und argumentieren, die Gesetzesauslegung sei die Anwendung der Gesetze durch Richter auf konkrete Fälle. Sie existiere nur in der konkreten Behandlung eines Einzelfalls und verbinde sich unmittelbar mit der Lösung des konkreten Falls.320 Die Macht zur Auslegung der Gesetze sei eine gewissermaßen „natürliche“ Aufgabe der Durchführungsorgane der Gesetze. Das Gesetzgebungsorgan brauche keine Rechtsauslegungsmacht und solle sie auch nicht besitzen.321 b) Das Wesen der legislativen Gesetzesauslegung Zwar ist die legislative Gesetzesauslegung des SANVK theoretisch sehr umstritten. Als eine gegenwärtig gültige und wichtige Institution des GGG muss sie aber realistisch behandelt werden. Zu fragen ist daher, was ihre Eigenschaft ist und wie sie in der Praxis funktioniert. Der Begriff „legislative Gesetzesauslegung“ mag auf den ersten Blick paradox scheinen: Wie kann ein Gesetzgeber, der sich gesetzgebend (allgemeingültige, abstrakte Rechtsnormen ausarbeitend) verhalten soll, auch rechtsdurchführend (rechtsauslegend) tätig sein? Existiert überhaupt eine „abstrakte Gesetzesauslegung“, die „sich mit allgemeinen Rechtsproblemen und -konflikten befasst“?322 Oder kann die legislative Gesetzesauslegung funktionell, wie in der Theorie in Deutschland, als „eine legislative Selbstkontrolle“323 verstanden werden? Diese Fragen tauchen besonders auf, wenn man von der strikten Theorie der Ge320
Chen Liqin, S. 23. Chen Sixi, S. 63. 322 Vgl. dazu Li Feng, S. 6. 323 „Parlamentarische Eigenkontrolle ist gerade gekennzeichnet durch die Identität von Kontrollsubjekt und dem Objekt, dessen Produkte, d. h. hier: Gesetze, kontrolliert werden (sollen).“ Wolfram Höfling/Andreas Engels, S. 853. 321
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waltenteilung im westlichen Sinne ausgeht. Um diesen Zweifel aufzulösen, muss man aber die Rahmenbedingung aus der VVRCh beachten. Die VVRCh verwirft die strenge Gewaltenteilungstheorie, erkennt umgekehrt das Prinzip des demokratischen Zentralismus an. Der demokratische Zentralismus regelt nicht nur die Entstehung des Nationalen Volkskongresses und der lokalen Volkskongresse der verschiedenen Ebenen324, sondern bestimmt auch das Verhältnis der Volkskongresse zu anderen Staatsorganen: Alle Organe der Staatsverwaltung, alle Staatsorgane der Rechtsprechung und alle Organe der Staatsanwaltschaft werden von den Volkskongressen ins Leben gerufen, sind ihnen gegenüber verantwortlich und unterliegen ihrer Aufsicht (Art. 3 Abs. 3 VVRCh). Dies ist nicht nur die Verkörperung der politischen Stellung von NVK und SANVK, sondern auch die Verkörperung ihrer rechtlichen Stellung. In ihrem Verhältnis zu anderen Staatsorganen besitzen der NVK und der SANVK sowohl eine politische als auch rechtlich herrschende Stellung. In diesem Sinne „sollen NVK und SANVK nicht als bloße Gesetzgebungsorgane angesehen werden, um damit alle Gesetzesauslegungskompetenzen den Rechtsprechungsorganen zuzuschreiben.“325 Ihrer höchsten politischen Stellung innerhalb des Staates entsprechend, besitzt demgegenüber der NVK durch seinen SA auch die letzte Entscheidungsmacht über alle Rechtsprobleme auch mittels der Form der Gesetzesauslegung. In diesem Sinne ist die Gesetzesauslegungsmacht auch eine der höchsten Staatsmächte, die logisch problemlos dem SANVK als dem wesentlichen Gesetzgebungsorgan zugeschrieben werden kann; dementsprechend wird die generelle Gesetzesauslegung von derjenigen durch Richter in konkreten Fällen unterschieden.326 Der SANVK in Vertretung des NVK übt diese höchste Gesetzesauslegungsmacht aus und ist zuständig für die Auslegung des Kernteils unserer Rechtsordnung, was gerade die Anforderungen des politischen Systems Chinas ist.327 Aus diesem machtorientierten Verständnis vom Wesen der Gesetzesauslegung erklärt sich auch die Geltungshierarchie der Gesetzesauslegungen der hierarchisch organisierten Gesetzesauslegungssubjekte, was z. B. deutlich in der Entscheidungsmacht des NVK im Konfliktfall über das Geltungsverhältnis zwischen der Gesetzesauslegung des OVG und der des OVS ausgedrückt ist.328 Wenn aber nur angedeutet wird, dass die Gesetzesauslegungsmacht eine der höchsten Staatsmächte des SANVK ist, ist ihre Eigenschaft nicht schon völlig erklärt, da sie häufig in ein verworrenes Verhältnis mit der wichtigeren Macht der NVK, also der eigentlichen Gesetzgebungsmacht des SANVK, gerät. Wie ist die Beziehung 324 Art. 3 Abs. 2. VVRCh, „Der Nationale Volkskongress und die lokalen Volkskongresse der verschiedenen Ebenen werden durch demokratische Wahlen gebildet, sind dem Volk verantwortlich und stehen unter seiner Aufsicht.“ 325 Wang Chenguang, S. 11. 326 Zhang Zhiming (1997), S. 107. 327 Vgl. dazu Shen Zongling, S. 60 – 61. 328 Nr. 2 Satz 2 des Beschlusses 1981 regelt: Wenn es zwischen den Auslegungen des OVG und des OVS grundsätzliche Divergenzen gibt, wird die Frage vom SANVK ausgelegt oder entschieden.
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zwischen der Auslegungsmacht des SANVK und seiner eigenen Gesetzgebungsmacht? Ist die Gesetzesauslegungsmacht eine eigenständige Macht des SANVK oder nur eine derivative oder „ergänzende Macht“329 der eigentlichen Gesetzgebungsmacht des SANVK? Oder konkret gesagt, in welchen Verhältnissen steht die legislative Gesetzesauslegung des SANVK zu Gesetzgebung, Gesetzesabänderung und ergänzender Gesetzgebung330? Oder sogar gibt es eine Art von Gesetzgebung, die „auslegende Gesetzgebung“ heißt? Viele chinesische Juristen verneinen die Eigenständigkeit der Gesetzesauslegungsmacht des SANVK, sie argumentieren, dass die Gesetzesauslegungsmacht nur eine derivative Macht des SANVK ist.331 Wenn – wie oben schon angedeutet – die Gesetzesauslegungsmacht als eine der höchsten Staatsmächte des SANVK verstanden wird, stimmt sie in der Tat mit der Gesetzgebungsmacht des SANVK überein, oder es ist zumindest schwierig, diese beiden höchsten Mächte in der Hand des gleichen Subjektes voneinander zu unterscheiden. „Wenn die Gesetzesauslegungsmacht im Sinne der Gesetzgebungsmacht durchgeführt ist, ist sie die eigentliche Macht des SANVK. Ist es noch notwendig, eine weitere Gesetzesauslegungsmacht aufzustellen?“332 Darüber hinaus übt der SANVK seine Gesetzesauslegungsmacht zwar in der Form von „Auslegung (jieshi)“ aus. Aber die meisten Auslegungen des SANVK beziehen sich auf allgemeine, abstrakte, landesweite Probleme und sind daher schwierig von einem formellen Gesetz, einer Gesetzesabänderung oder einer ergänzenden Gesetzgebung des SANVK zu unterscheiden. § 45 Abs. 2 GGG regelt die Voraussetzungen, unter denen der SANVK die legislativen Gesetzesauslegungen beschließen kann: (1) Wenn es bei Gesetzesbestimmungen erforderlich ist, die konkrete Bedeutung näher festzulegen; (2) wenn nach Erlass des Gesetzes neue Umstände aufgetreten sind, so dass es erforderlich ist, den Geltungsbereich des Gesetzes klarzustellen. Hier mag es sich um viele komplizierte Fragen der Rechtsmethodenlehre und der konkreten Rechtsauslegungslehre handeln. Aber die entscheidende Frage ist, wie die Rechtsauslegung sich an ihre eigenen Grenzen hält und nicht in die Gesetzgebung eingreift (oder gerät). Ungeachtet der konkreten Rechtsauslegungsmethoden und -techniken wird dieses Problem in westlichen Ländern zum einen grundsätzlich durch das Prinzip der Gewaltenteilung gelöst, unter dem die Rechtsauslegung der Judikative zugeschrieben wird und sie in gewissem Umfang bleiben muss, um den eigentlichen Gesetzgeber nicht zu ersetzen. Zum anderen ist es auch westlichen Gesetzgebern möglich, schon im Rahmen der Gesetzgebung oder bei Auftauchen von Unklarheiten im Wege der Gesetzgebung zu präzisieren, was mit einer Vorschrift gemeint ist. Dann bleibt es allerdings in der alleinigen Kompetenz der Gerichte zu bestimmen, ob die neue Regelung eine 329
Cai Dingjian/Liu Xinghong, S. 36. „Der SANVK erlässt seine Gesetzesauslegungen in Form der speziellen Beschlüsse oder Entscheidungen, die sich kaum von ergänzenden Gesetzgebungen unterscheiden können.“ Zhang Zhiming (1996), S. 72. 331 Vgl. dazu Chen Liqin, S. 21. 332 Yuan Jiliang, S. 28. 330
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Rechtsänderung ist oder nur das genauer formuliert, was schon zuvor gegolten hat. Wenn allerdings, wie in China, kein Gewaltenteilungsprinzip anerkannt wird und ferner bei der legislativen Gesetzesauslegung Gesetzgebungssubjekt und Gesetzesauslegungssubjekt dasselbe sind, wird die Ziehung einer Grenzlinie zwischen Gesetzgebung und Gesetzesauslegung noch schwieriger, ist aber auch praktisch weniger relevant. In der vorhandenen Rechtsordnung Chinas verfügt der SANVK faktisch über eine Wahlmöglichkeit zwischen Handlungsformen bei Rechtsproblemen. Für das Ziel, „die konkrete Bedeutung näher festzulegen“, kann der SANVK prinzipiell auch die Form der ergänzenden Gesetzgebung wählen. Das Ziel, neue Umstände in den Geltungsbereich des vorhandenen Gesetzes einzuschließen, ist neben der Gesetzesauslegung auch eine Gesetzesabänderung möglich, in manchen Fällen mag die letztere sogar näher liegen; hinsichtlich neuer Umstände kann sogar eine neue Gesetzgebung in Betracht kommen. Dies alles bedeutet, dass die Bestimmungen über die Anwendungsbereiche der legislativen Gesetzesauslegung in § 45 Abs. 2 GGG nicht ausschließen können, dass in diesen Anwendungsbereichen der SANVK auch in anderen Formen handeln kann. In der Tat wurden schon in den Beschlüssen von 1955 und 1981 des SANVK, bezüglich der Probleme der Gesetzesauslegung, die Handlungsformen – „Rechtsauslegung“ und „Befehle (faling)“ – gleichzeitig vorgesehen, allerdings ohne dass jeweilige konkrete Anwendungsbedingungen dieser beiden festgestellt wurden. Hier können die „Befehle“ des SANVK auch in Form der Gesetzgebung, Gesetzesabänderung oder ergänzender Gesetzgebung in Erscheinung treten. Welche Handlungsformen bezüglich der in § 45 Abs. 2 geregelten Umstände zu unternehmen sind, steht daher völlig im Ermessen des SANVK selbst, was wiederum die Unterscheidung zwischen der Ausübung der Gesetzesauslegungsmacht und der Ausübung der Gesetzgebungsmacht des SANVK erschwert und irrelevant macht. Der Gesetzgeber des GGG hat dieses Problem bemerkt und versucht, die Eigenständigkeit der legislativen Gesetzesauslegung zu rechtfertigen und ihre Beziehung zur Gesetzgebung näher zu erklären. Seine Mittel sind die eigenständigen Verfahren der legislativen Gesetzesauslegung festzulegen, die von denen der Gesetzgebung abweichen.333 § 46 GGG regelt die Subjekte, die berechtigt sind, den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses zur Auslegung von Gesetzen aufzufordern; diese Subjekte sind: der Staatsrat, die Zentrale Militärkommission, das Oberste Volksgericht, die Oberste Staatsanwaltschaft und die Fachausschüsse des Nationalen Volkskongresses, sowie Ständige Ausschüsse der Volkskongresse der PAS. Der Umfang dieser Subjekte stimmt nicht völlig mit dem Umfang der Subjekte der Gesetzesentwürfe überein, da er noch Ständige Aus333 Das GGG hat zum ersten Mal die Verfahren der legislativen Gesetzesauslegung gesetzlich vorgesehen. Danach erließ der SANVK im Jahr 2004 eine weitere Norm: „Die Arbeitsverfahren des SANVK bezüglich der Gesetzesauslegungen (quanguo renda changweihui falü jieshi gongzuo chengxu)“, die zwar nur innerhalb SANVK verbindlich, also eine Art von Geschäftsordnung des SANVK bezüglich der Gesetzesauslegung ist, aber die Auffassung des SANVK über die Verfahren der legislativen Gesetzesauslegung widerspiegelt.
C. Gesetze (falü)
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schüsse der Volkskongresse der PAS umfasst, was dazu dient, die Kontrollen des SANVK über die territorialen Rechtsanwendungsprobleme zu verstärken. Aus § 46 GGG ist auch zu entnehmen, dass die legislative Gesetzesauslegung eine passive Auslegung ist, welche die Aufforderung zur Auslegung von Gesetzen durch ein anderes Subjekt voraussetzt.334 Ob der SANVK auch aktiv eine legislative Auslegung erlassen kann, ist im GGG nicht klar vorgesehen;335 dies hindert aber nicht, dass, wenn notwendig, der SANVK auch in anderen Handlungsformen, z. B. in Form der Gesetzesabänderung, aktiv mit dem Ziel der Klarstellung in neu aufgetauchte Umstände und Rechtsprobleme eingreift. Die Arbeitsorgane des Ständigen Ausschusses untersuchen und entwerfen Gesetzesauslegungsentwürfe, über deren Aufnahme in die Tagesordnung des Ständigen Ausschusses die Konferenz der Ausschussvorsitzenden beschließt (§ 47 GGG). Nachdem der Entwurf einer Gesetzesauslegung auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses beraten worden ist, führt der Rechtsausschuss unter Berücksichtigung der Ansichten, zu denen die Mitglieder des NVK, die den Ständigen Ausschuss bilden, bei ihrer Beratung gelangt sind, eine Beratung und [ggf.] Änderungen durch und legt einen Abstimmungsentwurf zur Gesetzesauslegung vor (§ 48 GGG). Der Abstimmungsentwurf zur Gesetzesauslegung wird von mehr als der Hälfte aller Mitglieder, die den Ständigen Ausschuss bilden, verabschiedet und vom Ständigen Ausschuss durch öffentliche Bekanntmachung bekanntgegeben (§ 49 GGG). Die Versuche, durch relativ detaillierte prozedurale Bestimmungen die Eigenständigkeit der legislativen Auslegung zu rechtfertigen und sie von der eigentlichen Gesetzgebung zu unterscheiden, scheinen bisher erfolgreich, aber scheitern doch an § 50 GGG, der bestimmt, dass Gesetzesauslegungen durch den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses die gleiche Geltung wie Gesetze haben, wodurch Gesetzesauslegungen zu Gesetzen erhoben werden.336 Trotz vieler theoretischer Auseinandersetzungen legt der Gesetzgeber des GGG daher ausdrücklich fest, dass die Gesetzesauslegungen des SANVK ihrem Wesen nach eine Art von Gesetzen sind und die Gesetzesauslegungsmacht auch eine Art von Gesetzgebungsmacht ist, was auch erklärt, weshalb die Gesetzesauslegung im GGG geregelt ist. Aber die oben genannten prozeduralen Bestimmungen über die legislative Gesetzesauslegung deuten an, dass die Gesetzesauslegungsmacht des SANVK keine normale Gesetz334 „Ohne die Aufforderung durch ein gewisses Subjekt darf der SANVK nicht ein Gesetz aktiv auslegen.“ Li Feng, S. 7. 335 Aber der Stellung des SANVK innerhalb der Gesetzgebung entsprechend mag es auch problemlos sein, dass der SANVK selbst Gesetzesauslegungsentwürfe stellen kann. Dies bestätigt später die Norm über „die Arbeitsverfahren des SANVK bezüglich der Gesetzesauslegungen“, in der bestimmt ist, dass die Konferenz der Ausschussvorsitzenden Gesetzesauslegungsentwürfe bei SANVK vorlegen kann. 336 „Die Ausarbeitung der legislativen Gesetzesauslegungen scheint zwar anderes als die Ausarbeitung der Gesetze. Aber aus dem Grund, dass die legislativen Gesetzesauslegungen und die eigentlichen Gesetze gleiche Gültigkeit besitzen, gibt es zwischen ihnen keine wesentlichen Unterschiede“. Zhang Mingkai, S. 23.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
gebungsmacht ist. Verglichen mit den Verfahren der Gesetzgebung scheinen die Verfahren der Gesetzesauslegung einfach und in gewissem Maße auch „karg“. in den normalen Verfahren der Gesetzgebung gibt es, wie oben ausgeführt, zahlreiche und detaillierte Bestimmungen über die 3 Lesungen, die inhaltlichen Anforderungen an die Gesetzentwürfe, die Verfahren der Beratungen der Gesetzentwürfe, sowie die zusätzlichen Verfahren, z. B. die Anhörung zu den Gesetzentwürfen, usw. Demgegenüber gibt es bei den Verfahren der Gesetzesauslegungen nur eine „Lesung“; die wesentlichen Akteure der Gesetzesauslegung sind nur die inneren Arbeitsorgane des SANVK und der Rechtsausschuss, deren Kooperationen mit den anderen Subjekten während der Verfahren der Gesetzesauslegung, anders in den Gesetzgebungsverfahren, sehr selten sind. In diesem Sinne ist die Gesetzesauslegungsmacht des SANVK eine vereinfachte Gesetzgebungsmacht. Warum aber eine solche vereinfachte Gesetzgebungsmacht in Form der Gesetzesauslegungsmacht in China notwendig ist und der Gesetzgeber trotz vieler Kritiken auf sie nicht verzichten will, mag aus den historischen Erfahrungen der legislativen Gesetzesauslegung zu erklären sein. Zwar ist die Gesetzesauslegungsmacht gesetzlich als eine der höchsten Kompetenzen des SANVK bestimmt, aber paradoxerweise übt der SANVK diese seit den 1980er Jahren, verglichen mit seinen Gesetzgebungstätigkeiten, nur sehr selten aus.337 Erst im Jahr 1996 – fünfzehn Jahre nach dem Beschluss 1981 – übte der SANVK zum ersten Mal formell seine Gesetzesauslegungsmacht aus und erließ seine erste legislative Gesetzesauslegung: „Die Auslegung bezüglich einiger Probleme über die Durchführung des Staatsangehörigkeitsgesetzes der VRCh im Xianggang (Hongkong)-Sonderverwaltungsgebiet“. Seither bis zum Ende 2014 hat der SANVK insgesamt 16 Gesetzesauslegungen ausgearbeitet: Drei von ihnen behandeln die Probleme in Xianggang- und Ao’men (Macao)-Sonderverwaltungsgebieten – die Staatsangehörigkeitsfragen und die Durchführungsfragen des XianggangGrundgesetzes und des Ao’men-Grundgesetzes; alle anderen Gesetzesauslegungen behandeln Probleme im Strafrecht, die wesentlich die Konkretisierungen und Erklärungen gewisser Regelungen des Strafgesetzbuches der VRCh betreffen. Auf den anderen Rechtsgebieten gibt es bisher noch keine Gesetzesauslegungen des SANVK; die Rechtsauslegungsprobleme in diesen Bereichen werden vom OVG, also der Judikative-Rechtsauslegung erledigt. Aus den zwei wesentlichen Kategorien der Anwendungsbereiche der Gesetzesauslegung des SANVK ist zu entnehmen, dass die Gesetzesauslegung des SANVK sich nur auf Probleme konzentriert, die landesweit von großer Bedeutung sind: Wegen der besonderen, „hoch-autonomen“ Stellungen von Xianggang und Ao’men sind viele Rechtsprobleme hoch sensibel, da sie die Einheit der staatlichen Souveränität betreffen. Aus der Perspektive der zentralen Staatsmacht ist es daher selbstverständlich, die endgültigen Entscheidungen über solche Probleme in Form der Gesetzesauslegung dem SANVK vorzubehalten. Im 337 „Demgegenüber sind die meisten Rechtsauslegungen von OVG und OVS ausgearbeitet.“ Shen Zongling, S. 61 – 62. Sogar in manchen Umständen sind die Gesetze von der Regierung interpretiert. Vgl. dazu Perry Keller, S. 653.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui)
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Strafrecht sind die Gesetzesauslegungen des SANVK ebenso wichtig, da es sich bei vielen Problemen nicht nur um die landesweit einheitliche Durchführung des Strafgesetzes, sondern auch um den Schutz der (auch hoch sensiblen) Menschenrechte handelt. Diese zwei Kategorien von sensiblen Problemen sind meistens eher politisch als rechtlich; unter Berücksichtigung auf das politische System Chinas ist der SANVK als ein politisches und rechtliches Staatsorgan zu sehen, daher geeigneter und autoritativer, über solche Probleme zu entscheiden, als ein reines Staatsorgan der Rechtsprechung, z. B. das OVG. „Gegenüber den (reinen) Rechtsanwendern besitzt die Gesetzesauslegung des SANVK natürlichen psychologischen Vorrang und natürliche Autorität.“338 Verglichen mit den komplexen Gesetzgebungsverfahren kann die Gesetzesauslegung des SANVK durch ihre relativ einfachen Verfahren schneller auf neu aufgetauchte und sensible Rechtsprobleme reagieren und die zentrale Kontrolle über diese Probleme gewährleisten. In diesem Sinne ist die legislative Gesetzauslegungsmacht eine vereinfachte, dringende Gesetzgebungsmacht des SANVK, die „den Maßnahmengesetzen“339 in Deutschland ähnelt. Sie kann zwar rechtswissenschaftlich nicht völlig in ein System der Rechtsauslegungstheorie integriert werden und bringt auch Probleme mit sich340. Als eine Institution „chinesischer Prägung“ passt sie sich aber sowohl den Anforderungen des politischen demokratischen Zentralismus als auch den praktischen Bedürfnissen an; auf sie zu verzichten ist für China, ein Land, das sich noch in einer schnellen Reform- und Transformationsphase befindet, in nächster Zeit noch nicht vorhersehbar.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui) Die Verwaltungsrechtsnorm (VRN) ist eine Form der Rechtsnormen, die mit der Rechtsverordnung in Deutschland vergleichbar ist, deren „konstitutives Kennzeichen“ und „trennendes Merkmal“ sind ihre exekutive Herkunft: Urheber einer Verordnung können ausschließlich Regierungs- und Verwaltungsorgane sein.341 In China sind unter der VRN wesentlich solche Rechtsnormen zu verstehen, die formell vom SR, der zentralen Regierung, erlassen werden. Die VRN ist eine allgemein, landesweit verbindliche Rechtsnorm; ihrer Geltung nach steht die VRN unmittelbar 338
Tang Jiyao, S. 889. „Es handelt sich bei dem Maßnahmengesetz um Aktion, die, zweck- und zielorientiert, nichts konstituieren soll und kann, sondern Regelungen trifft, die einer situativen Zweckverwirklichung entspringen und mit ihr untrennbar verbunden sind.“ Hans Heinrich Rupp, S. 47. Die Merkmale des Maßnahmengesetzes sind „die Situationsgebundenheit, die Zweckorientiertheit.“ Vgl. dazu Georg Müller, S. 97. 340 Es besteht z. B. Zweifel daran, ob die Flexibilität der legislativen Gesetzesauslegung im Bereich des Strafrechts die grundlegenden Prinzipien des Strafrechts, „nullum crimen sine lege“ und „nulla poena sine lege praevia“ gefährdet. Vgl. dazu Lin Wei, S. 66 – 68. 341 Arnd Uhle, Die Rechtsverordnung, S. 590. Dieter Wilke, S. 200. 339
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
unter Gesetzen von NVK und SANVK und bildet daher den dritten Rang innerhalb der Normenpyramide Chinas. Als das Ergebnis der Ausübung der exekutiven Rechtsetzungsmacht spielt die VRN in China eine sehr wichtige Rolle in der staatlichen Verwaltung und Regulierung, wirft aber – wie in anderen Ländern – gleichzeitig auch viele Probleme auf, die die exekutive Rechtsetzung selbst (notwendig) mit sich bringt. Für Deutschland wurde gesagt: „Die Bedeutung der Rechtsverordnungen für die Rechtspraxis ist enorm, ihre Regelung in der Verfassung indes eher spärlich.“342 Dies gilt auch für die Regelung der VRN in VVRCh. In der VVRCh gibt es nur eine Vorschrift zur VRN: § 89 VVRCh regelt die Befugnisse des SR und sieht in dessen Abs. 1 vor, dass eine der Funktionen des SR die „Festlegung von Verwaltungsmaßnahmen, Ausarbeitung von administrativen Verordnungen und Vorschriften und Verkündung von Entscheidungen und Anordnungen in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen“ ist. Hierdurch ist die Rechtsetzungsmacht des SR als eine seiner Funktionen verfassungsrechtlich anerkannt. Aber es bleiben auch viele Lücken wie zum Verhältnis der Verordnungsgebungsmacht des SR zur Gesetzgebungsmacht von NVK und SANVK sowie die Verfahren der Rechtsetzung des SR usw. Im alten GGG von 2000 wurde die exekutive Rechtsetzung durch sieben Paragraphen (§§ 56 – 62) geregelt. Das ist ein großer Fortschritt in der Ausausarbeitung der VRN, da die Verordnungsmacht des SR zum ersten Mal gesetzlich geregelt und konkretisiert wurde. In diesen Bestimmungen sind die allgemeinen Elemente einer exekutiven Rechtsetzung erhalten: die Festlegung der Verordnungsmacht des SR (§ 56 Abs. 1 GGG a.F.), die Anwendungsbereiche der VRN (§ 56 Abs. 2 GGG a.F.), die Verfahren ihrer Ausarbeitung (§§ 57 – 62 GGG a.F.). Diese Bestimmungen sind durch jüngste Änderung des GGG im März 2015 weiter vervollständigt worden. Die Änderung konzentriert sich besonders auf die Verfahren der Ausarbeitung der VRN. Eingeführt wurden z. B. die jährliche Planung der Setzung der VRN (§ 66 GGG n.F.), die Verteilung der Aufgaben des Entwerfens der VRN innerhalb der SR (§ 67 GGG n.F.) usw. Weitere verfahrensrechtliche Vorschriften finden sich im Organisationsgesetz des Staatsrates der VRCh sowie in der geschäftsordnungsrechtlichen Bestimmung des SR, also, „Regeln über das Festlegungsverfahren von Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui zhiding chengxu tiaoli)“.
I. Die exekutive Rechtsetzung des SR in China – ein Überblick Unter der Perspektive der Formalisierung der Rechtsetzung in China erhielt der SR auf der zentralen Ebene als das letzte Subjekt (dem NVK und dem SANVK folgend) die Rechtsetzungsbefugnis in Form der VRN. In den Verfassungen von 342
Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, S. 435.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui)
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1954, 1975 und 1978 gab es keine Bestimmungen über die Rechtsetzungsmacht des SR, die Rechtsetzungsmacht stand nur dem NVK zu, und der SR konnte nur als Gesetze vollziehendes Organ tätig werden. Die verfassungsrechtliche Verneinung der exekutiven Rechtsetzungsmacht des SR verhinderte jedoch nicht, dass der SR vor 1982 langfristig der tatsächliche, alleinige „Gesetzgeber“ Chinas war. Dies hat einerseits, wie vorher schon ausgeführt, mit der schwachen Stellung der Gesetzgebungsorgane (NVK und SANKV) vor 1978 zu tun, andererseits auch damit, dass der SR als der höchste Verwalter des Staates auch in der Epoche des Rechtsnihilismus seinen Aufgaben nicht ausweichen konnte und Regelungen für das Funktionieren der ganzen Gesellschaft gewährleisten musste. Erst durch den Wiederaufbau des Rechtssetzungssystems und die parallele Umstellung des Verhältnisses zwischen NVK, SANVK und SA, bezüglich der Rechtsetzung in der Verfassung von 1982, erhält der SR die formelle Macht zur Verordnungsgebung. § 89 VVRCh nennt 18 Befugnisse des SR, unter denen die exekutive Rechtsetzung des SR als seine erste Funktion anerkannt wird. Der Festlegung der Stellung des SR als „die vollziehende Körperschaft des höchsten Organs der Staatsmacht und das höchste Organ der Staatsverwaltung (§ 85 VVRCh)“ entsprechend, versucht die VVRCh durch die Reformalisierung der Verhältnisse zwischen NVK, SANVK und SR die VRN als eine Art von Rechtsnorm, die ihrer Geltung nach unter Verfassung und Gesetz steht, anzuerkennen und somit die VRN des SR in ein formell einheitliches Rechtssystem zu integrieren. Dieser rationale Gestaltungsversuch des Verfassungsgebers von 1982 stößt seither stets auf zahlreiche Herausforderungen aus der Rechtspraxis. Die Verfassung von 1982 verstärkt zwar die Stellung von NVK und SANVK als Gesetzgebungsorgane. Aber hinsichtlich ihrer Verhältnisse zum SR ist festzustellen, dass langfristig seit 1982 sich der NVK und sein SA nach wie vor in einer schwachen Stellung befinden. Die Anerkennung der Verordnungsmacht des SR rechtfertigt zwar die Stellung des SR als Verordnungsgeber und verstärkt die Legalität seiner VRN innerhalb eines formellen Rechtssystems. Das Ziel, die VRN den Gesetzen von NVK und SANVK unterzuordnen und seine bisherige außerordentliche Priorität aufzuheben, erfüllt sich jedoch nicht. Faktisch haben seit 1982 anstatt der Gesetze die VRN eine herrschende Stellung in der staatlichen Verwaltung und ändern häufig die einfachen Gesetze von NVK und SANVK oder verdrängen sie sogar. Die Rechtsetzungsmacht der SR ist in der Tat etwas kaum Beschränkbares oder Integrierbares geworden. Das Verhältnis des SR zum NVK sowie seinem SA ist gewissermaßen ein Maßstab für die Beobachtung des Aufbaus des sozialistischen Rechtsstaats Chinas, und die Frage, wie man die exekutive Rechtsetzung in ihrer eigentlichen Stellung halten kann, ist eine Kernfrage des Aufbaus eines Rechtsstaates in China.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
II. Die Gründe für die herrschende Stellung der exekutiven Rechtsetzung in China 1. Allgemeine Gründe Für wohl alle Länder gilt, dass die Zahl der Verordnungen die der formellen Gesetze bei weitem übersteigt.343 Für die exekutive Rechtsetzung des SR sprechen auch die allgemeinen Gründe, die die exekutive Rechtsetzung in einem modernen Staat rechtfertigen können. a) Gründe aus der Eigenschaft des Gesetzesrechts und gewisser Schwächen der eigentlichen Gesetzgeber Die Notwendigkeit der exekutiven Rechtsetzung kann zunächst auf die Eigenschaft der parlamentarischen Gesetze zurückgeführt werden. Die Gesetze des Parlaments sind abstrakte, allgemein verbindliche Rechtsnormen. Sie stellen normalerweise die wesentlichen Wertentscheidungen eines Staates dar und beschränken sich somit in der Regel auf die wichtigsten Punkte des zu regelnden Bereiches. Es ist nicht notwendig, aber auch kaum möglich, alle Details des zu regelnden Gegenstandes in einem Gesetz vorzusehen. Darüber hinaus tragen die Grenze der Erkenntnisse des Gesetzgebers in einem bestimmten Zeitraum und die örtlichen Komplexitäten und die Vielfältigkeit der Rechtspraxis auch zu einer „Ohnmacht“ des Gesetzgebers bei. Demzufolge ist das parlamentarische Gesetz häufig ergänzungsbedürftig, um anwendbar zu sein. Die „Ohnmacht“ des Gesetzgebers ist in China erheblich. Erst seit 1978 sind der NVK und sein SA als tatsächliche Gesetzgeber tätig. Ihre Gesetzgebungserfahrungen und Gesetzgebungstechniken sind gering; ihre Erkenntnisse über die Eigenschaften der Gesetze als Regulierungsmittel des modernen Staates, zugleich aber unter der Berücksichtigung der sozialistischen Ideologie chinesischer Prägung und der Führung der KPCh, befinden sich noch in einer Versuchsphase. All dies fordert den NVK und den SANVK, freiwillig oder unfreiwillig auf ihre eigenen Befugnisse zu verzichten: Freiwilligen Verzicht üben sie da, wo sie die Belastung und Verantwortung für Entscheidungen über manche schwerwiegenden Probleme vermeiden und zugleich trotz praktischer Schwäche ihre legitimatorisch hohe Stellung aufrechterhalten können. Unfreiwillig ist der Verzicht insoweit, als ihre Instrumente und Verfahrensmöglichkeiten nicht genügen, um Dinge gesetzlich zu regeln, die heute fast ausschließlich durch VRN geregelt werden. Die schwache Stellung von NVK und SANVK drückt sich in einem Politikgrundsatz aus der frühen Phase der Gesetzgebung Chinas aus, nämlich dem Grundsatz „Die Gesetzgebung soll grob und nicht detailliert sein (lifa yi cu buyi xi).“ Nach diesem Grundsatz sollen die Gesetze von NVK und SANVK nur einen Rahmen 343
Hans Schneider, Gesetzgebung, Rn. 231 ff.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui)
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für die zu regelnden Bereiche festlegen, können (oder müssen) aber konkretere Bestimmungen offenlassen. Der von „grober Gesetzgebung“ hinterlassene Raum macht dessen Ergänzungen durch VRN besonders unentbehrlich. Eine Lösung für solche Erfordernisse der Ergänzungsbedürftigkeit der Gesetze könnten eigentlich die Änderung der Gesetze und die Ergänzungsgesetzgebung durch NVK und SANVK selbst oder auch ihre eigenen Gesetzesauslegungen sein. Die Änderung der Gesetze, die Ergänzungsgesetzgebung und die Auslegungen des Gesetzgebers können durch die Präzisierung gewisser vager Regelungen des Gesetzes zwar auch Konkretisierungs- und Ergänzungsfunktionen für Gesetze entfalten, können – schon wegen der größeren Schwerfälligkeit der Verfahren – den Abstand zwischen den formellen Gesetzen und ihren konkreten Anwendungen nur begrenzt verringern. Darüber hinaus sind für NVK und SANVK die an sie gestellten Änderungs-, Ergänzungs- und Auslegungsaufgaben nicht einfacher als die Aufgabe, neue Gesetze zu erlassen, mit anderen Worten: NVK und SANVK sind qualitativ häufig nicht in der Lage, Konkretisierung- und Ergänzungsaufgaben zu übernehmen, da verglichen mit der bloßen gesetzlichen Festlegung eines groben Rahmens die für die praktische Anwendbarkeit notwendige politisch, wirtschaftlich oder technisch raffinierte Behandlung eines Gesetzes Sachverstand benötigt wird, der eher beim SR mit seinen nachgeordneten Ministerien anzutreffen ist als im NVK und SANVK. Dies erklärt auch, weshalb der SANVK seine Gesetzesauslegungsmacht und seine Macht zur Ergänzungsgesetzgebung seit 1978 nur selten ausübt. Sachlich beschränken sich die Ergänzungsgesetzgebung und die Gesetzesauslegung des Gesetzgebers normalerweise nur auf Probleme, die erhebliche politische und wirtschaftliche Bedeutungen für die Gesellschaft haben, erstrecken sich aber nicht auf solche Gebiete, die zwar konkretisierungs- und ergänzungsbedürftig, aber nicht von entscheidender Bedeutungen sind, z. B. technische Kriterien in den Ausführungen der Umweltgesetze. In diesem Sinne können die Ergänzungsgesetzgebung und die Gesetzesauslegungen des Gesetzgebers nur als punktuelle Konkretisierungs- und Ergänzungsmittel des Gesetzes gesehen werden und nicht als allgemeine Ergänzungs- und Konkretisierungsfunktion für Gesetze. Die Gesetzesanwendung der Gerichte durch ihre Gesetzesauslegungen in konkreten Fällen ist zwar ein wesentliches Konkretisierungsmittel für Gesetze. Es ist aber im politischen und verfassungsrechtlichen System der VRCh nicht die Rolle der Gerichte, mit weiten Spielräumen der Rechtsanwendung in großem Umfang faktische Rechtsetzung zu betreiben. Unter der Berücksichtigung der politischen Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative können und dürfen die Urteile der Gerichte keine abstrakten und allgemein verbindlichen Rechtsnormen schaffen. Verglichen mit den Konkretisierungen des Gesetzgebers durch Gesetzesänderung, Ergänzungsgesetzgebung oder Gesetzesauslegung und den Urteilen der Richter ist die Rechtsverordnung ein geeigneteres Mittel, den Abstand zwischen Gesetzen und deren Anwendung zu verringern. Die Rechtsverordnung der Exekutive legitimiert sich normalerweise aus der unmittelbaren Ermächtigung des Gesetzge-
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
bers und muss sich auf ein Parlamentsgesetz stützen. „Nach deutschem Staatsrecht ist das Verordnungsrecht grundsätzlich eine von der Legislative der Exekutive verliehene Rechtsetzungsmacht. Die Rechtsverordnungen sind damit als abgeleitete (derivative) Rechtsquellen Ausdruck einer delegierten Rechtsetzung.344 Aus diesem Grund besitzt die Rechtsverordnung eine viel stärkere demokratische Legitimation als die Urteile der Gerichte in konkreten Fällen und ist berechtigt, landesweit allgemeine Probleme einheitlich und rechtzeitig zu regeln und damit abstrakte und allgemein verbindliche Rechtsnormen zu schaffen. Zugleich ist bei einer exekutiven Rechtsetzung gefordert, z. B. in Deutschland, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden müssen (§ 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung des Gesetzgebers stellen einerseits die Anforderungen an die Ermächtigung selbst, andererseits aber auch Grenzen für die Rechtsverordnung dar, da die Anforderung an Bestimmtheit von Inhalt, Zweck und Ausmaß bedeutet, dass der Verordnungsgeber nur im von der Ermächtigung festgelegten gewissen konkreten Bereich tätig sein kann und der festgelegte Umfang der Rechtsverordnung bei Inhalt, Zweck und Ausmaß lediglich konkreter als der des eigentlichen ermächtigenden Gesetzes sein kann. Demzufolge ist die Rechtsverordnung eine untergesetzliche Konkretisierungs- und Ergänzungsaufgaben übernehmende Rechtsnorm; sie ist vollziehendes Gesetz im materialen Sinne. Die sich aus der Eigenschaft der Konkretisierungs- und Ergänzungsbedürftigkeit vom Gesetzesrecht ergebende Notwendigkeit der Rechtsverordnung spricht auch für die VRN Chinas. Anders als nach dem genannten Standard ist nur, dass in China, wegen der „groben Gesetzgebung“ des NVK und SANVK eine weitaus größere Konkretisierungs- und Ergänzungsbedürftigkeit für deren Gesetze besteht und die exekutive Rechtsetzung des SR mehr „gesetzesschaffende“ Funktionen übernehmen muss als nur gesetzeskonkretisierende Funktionen. Hinzu kommt, dass es in der frühen Phase der Gesetzgebung seit 1978 üblich war, dass es gar keine den SR ermächtigenden Gesetze von NVK und SANVK gab. Der SR wurde gewissermaßen gezwungen, sich selbst eine Ermächtigung zum Erlassen der VRN zu erteilen, damit die mindesten notwendigen Rechtsnormen für die ganze Gesellschaft geschaffen werden konnten. b) Die Gründe aus moderner Staatsverwaltung und -regulierung Es kann nicht geleugnet werden, dass der Rechtsnormenbedarf einer Gesellschaft nicht starr ist, sondern sich von Epoche zu Epoche verändert. Unser Zeitalter zeichnet sich durch seine raschen Entwicklungen in den Bereichen Technik, Wirtschaft und anderen neuen Bereichen aus, die die Staatsaufgaben vermehren, eine moderne Staatsverwaltung und Regulierung erforderlich machen und ebenfalls zum vermehrten Normenbedarf führen. Gewöhnlich erbringt der Gesetzgeber im engen 344
Fritz Ossenbühl, S. 262.
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Sinne also das gewählte Parlament, die hauptsächliche Leistung in der Erzeugung der Rechtsnormen eines Staates. Dies ist eine notwendige Anforderung an demokratische Politik in modernen Staaten, da nur der Gesetzgeber über die unmittelbare demokratische Legitimität verfügt. Aber schon lange ist in keinem modernen Land dieser Gesetzgeber alleine in der Lage, den Normenbedarf oder sogar den „Normenhunger“345 der modernen Gesellschaft allein zu befriedigen. Hinzu kommt, dass zunehmend – insbesondere in den Bereichen von Technik, Wirtschaft, Prävention und Abwehr von Risiken – zunehmend spezialisierter Sachverstand für die Rechtsetzung nötig ist, der nur noch in entsprechend spezialisierten Organisationen – auch administrativen Einheiten – verfügbar und abrufbar ist. Darum ist, um diesen Erfordernissen moderner Gesetzgebung zu genügen, mehr Zusammenarbeit, anstatt Begrenzung, zwischen Parlament und Regierung gefragt.346 Auch soweit die Gesetzgeber selbst die erforderlichen Rechtsnormen hervorbringen, bedeutet dies zunehmend, dass fachliche Aspekte der Rechtsetzung aus den Regierungsapparaten oder – vermittelt durch diese – aus Expertenorganisationen stammen. Dies findet vor allem durch ihr umfassendes und dominierendes Initiativrecht in formellen Verfahren der parlamentarischen Gesetzgebung statt.347 In Deutschland z. B. kann die Initiative zur Bundesgesetzgebung zwar ergriffen werden: von der Bundesregierung, vom Bundesrat oder „aus der Mitte des Bundestages“ (Art. 76. Abs. 1 GG). „In der Praxis pflegen aber die allermeisten Vorlagen von der Bundesregierung zu kommen.“348 „In der abgedruckten Gesetzgebungsstatistik der Wahlperioden ab 1990 wird die Bundesregierung bei ca. 70 bis 80 % der vom Bundestag verabschiedeten Gesetze als Gesetzinitiator genannt.“349 Sogar die Gesetzesinitiativen aus dem Bundestag wie Bundesrat selbst gehen weitgehend auf ursprüngliche Formulierungen oder spätere Formulierungshilfen von Regierungen zurück,350 die ihr „Sachwissen“ und „erhöhte Informationen“351 in der Ministerialbürokratie352, genauer in ihren Fachministerien,353 und ihnen zugeordnete nach 345
Karl-Peter Sommermann, S. 435. Dies ist sogar „der Kern des parlamentarischen Systems“. Ulrich Karpen, S. 172. 347 „Die Regierung hat kraft ihrer Staatsleitungsaufgabe und der zahlenmäßig dominierenden Initiativfunktion einen überragenden Anteil an der Gesetzgebung.“ Ulrich Karpen, S. 175. 348 Hans Schneider, Gesetzgebung, S. 62. 349 Ortlieb Fliedner, S. 98. Vgl. dazu auch, Ulrich Karpen, S. 176. 350 Günther Winkler/Bernd Schilcher (Hrsg.), S. 4. In Wirklichkeit stammen sogar praktisch alle Initiativen, welche formell von den tragenden Fraktionen eingebracht werden, auch aus der Bundesregierung und ihren Ministerien. 351 Vgl. dazu Heinrich Neisser, S. 275. 352 Armin von Bogdandy, S. 8. 353 „Bei der Vorbereitung eines von der Bundesregierung einzubringenden Gesetzentwurfs obliegt dem sachgebietsmäßig zuständigen Fachministerium die Federführung.“ Hans Schneider, S. 65. „Ministerien tragen in der Praxis die Hauptlast der Gesetzesvorbereitung und -formulierung.“ Ortlieb Fliedner, S. 98. 346
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Sachgebieten strukturierte Verwaltungsorganisationen abrufbar haben. Insofern ist es schon eine zurückhaltende Formulierung, die Regierung beeinflusse die parlamentarische Gesetzgebung „inhaltlich stark“.354 Die Situation in China ist kaum anders.355 „Despite the formal position of the NPC as the country’s highest legislative organ, the State Council has practical control over the pace and content of China’s legislative program through its responsibility for drafting most central government legislation.“356 Eine andere wichtigere Form der Beteiligung der Regierung an der Rechtsetzung ist ihr eigenes Rechtsetzungsrecht. Und soweit sich die wesentlichen Grundentscheidungen von den wissenschaftlich-technischen Elementen, weniger grundsätzlichen oder vermutlich häufiger änderungsbedürftigen Details von Regulierungen abgrenzen lassen, liegt es nahe, nur die ersteren formell in den Gesetzen und die letzteren in administrativen Normen nach Maßgabe gesetzlicher Ermächtigung unterzubringen, was zu einer Entlastung des Gesetzgebers führt.357 Auch sind die Verfahren der Rechtsetzung durch die Exekutive relativ einfacher, so dass sie schneller auf Veränderungen gerade in den wissenschaftlich-technischen Entwicklungen reagieren und sich der zeitlichen und örtlichen Vielfältigkeit der Praxis anpassen kann.358 Und häufig sind derartige administrative Normen sowohl für die Bürger359 als auch für den Verwaltungsvollzug360 handhabbarer. Dabei ist es eine Frage der jeweiligen Verfassungsordnung, wie detailliert die gesetzlichen Vorgaben für derartige Ermächtigungen zu sein haben.361 Art. 80 Abs. 2 GG regelt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden müssen. Dies dient einerseits dazu, den Gesetzgeber selbst zu beschränken, also einen völligen Verzicht auf seine eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten durch eine „Blankoermächtigung“ zu verhindern, andererseits aber auch den Verordnungsgeber zu beschränken, also seine rechtsetzenden Tätigkeiten außerhalb der ermächtigten Bereiche zu verbieten. Unter diesen Voraussetzungen ist exekutive Rechtsetzung kein „rechtsstaatlicher Schönheitsfehler“.362 Viele der obigen Gründe gelten in besonderem Maße auch für die exekutive Rechtsetzung in China. Der Aufbau eines Rechtssystems in China begann zwar fast mit „Null“, aber das am Anfang des Rechtsaufbaus stehende China selbst befand sich 354
Michael Kloepfer, S. 624. „Seit der Anfangsphase der Reform und Öffnung kommt 70 % der Gesetzesinitiative aus dem SR“. Vgl. dazu Zhou Wangsheng (1988), S. 12. 356 Perry Keller, S. 675. 357 Bernhard Wolff, S. 194. Vgl. dazu auch Fritz Ossenbühl, S. 262. 358 Karl-Peter Sommermann, S. 435. Vgl. dazu auch Arnd Uhle, S. 592 – 593. 359 „Die Rechtsverordnungen […] sind aus der Sicht der Betroffenen bedeutsamer, fühlbarer und folgenreicher als die parlamentsbeschlossenen Gesetze.“ Fritz Ossenbühl, S. 268. 360 Arnd Uhle, S. 593. 361 Vgl. dazu Karl-Peter Sommermann, S. 434. 362 Dieter Wilke, S. 213. 355
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nicht in einer Epoche „Null“, sondern in einer hoch technisierten Epoche der Welt. Die Politik der Reform und Öffnung zielte ihrem Wesen nach auf die Modernisierung Chinas ab. Im Kern dieses Modernisierungsversuchs stand das Lernen westlicher Technik, des westlichen wirtschaftlichen Systems und anderer grundlegender Systeme, also, das Lernen aller Modernisierungsförderungsmittel aus dem Westen. Die staatliche Verwaltung und Regulierung Chinas musste und muss sich daher auch mit ähnlichen Problemen und Herausforderungen in Bereichen der Technik, der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Verwaltung und Regulierung konfrontieren, mit denen die Länder im Westen sich ebenfalls konfrontieren müssen. Von vielen chinesischen Juristen betonte positive Gründe für die exekutive Rechtsetzung sind z. B. die Fachlichkeit und die technische Natur der Angelegenheiten in der administrativen und wirtschaftlichen Regulierung, die hohe Effektivität der exekutiven Rechtsetzung und die zahlreichen Erfahrungen der Regierung in den sich rasch verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen363. In der Anfangszeit bedurfte die von der Reform und Öffnung eingeleitete rasche Entwicklung der Marktwirtschaft auch der Verordnungsgebung als eines behelfsmäßigen Mittels für den Normenmangel in der Regulierung der Wirtschaft: Viele bisherige Gesetze und andere Rechtsnormen, die der Planwirtschaftsnatur entsprachen, konnten den Erfordernissen zum Aufbau einer sozialistischen Marktwirtschaft nicht entsprechen, und die Gesetzgebung des Gesetzgebungsorgans war langsam. Um die Ordnung der Marktwirtschaft zu regulieren, wurde auf die exekutive Rechtsetzung großer Wert gelegt.364 Die Betonung der exekutiven Rechtsetzung hat die Rechtsetzungspolitik in der Anfangsphase stark geprägt und führte zur Politik der sogenannten „zuerst Verwaltungsrechtsnormen, dann Gesetze (xian xingzheng fagui, hou falü)“ bilden.365 Die Konkretisierungsnotwendigkeit für Rechtsnormen, die fachlichen Notwendigkeiten in der Behandlung der zu regelnden Gegenstände, die Anforderungen an die Effektivität der Rechtsnormenerzeugung sowie die Regulierungstiefe und -dichte machten die Verordnungsgebung durch den SR unentbehrlich und tragen auch zu ihrer langfristig herrschenden Stellung in China bei. 2. Der Grund aus der Partei Wie schon dargestellt, setzte die Rechtsetzung seit der Reform und Öffnung die Formalisierung des Verhältnisses von der Partei und der staatlichen Gesetzgebung voraus. Die vorige „allmächtige“ Partei trat aus konkreten Angelegenheiten aus und überließ sie den Staatsorganen. Die Herrschaft und Führung der Partei vollzieht sich seither wesentlich in der Form der „politischen, gedanklichen und der organisatorischen Führung (zhengzhi lingdao, sixiang lingdao he zuzhi ling-
363 364 365
Vgl. dazu Liu Chunhua, S. 93 – 94; Zhu Weijiu, S. 33. Vgl. dazu Wu Xielin, S. 39. Vgl. dazu Yuan Mingsheng, S. 50.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
dao).“366 Diese Führung der Partei beschränkt sich auf die wichtigsten Punkte des Staates und zielt darauf, einen Rahmen für alle Staatsorgane zu setzen. Aber wie diese Führung sich in der Wirklichkeit vollziehen kann, ist nicht problemlos. Vor 1978 fungierte die Politik der Partei als eine Art von „Rechtsnorm“, die zwar mit der formellen Rechtsnorm nicht vergleichbar war, aber mindestens den Normbedarf der Gesellschaft in gewissem Maße erfüllen konnte. Aber wegen der schmerzlichen Erfahrungen über die Politik der Partei in der Kulturrevolution kündigte Deng Xiaoping schon im Jahr 1980, kurz nach der Reform und Öffnung, den Austritt der Partei aus den konkreten Angelegenheiten der Staatsverwaltung und -regulierung an. In seiner Rede „Reform des Führungssystems von Partei und Staat (dang he guojia lingdao zhidu de gaige)“ auf der erweiterten Tagung des Zentralen Politbüros der KPCh am 18. 08. 1980 betonte er: „Von jetzt an sollen die Entscheidungen, die in die Kompetenz der Regierung fallen, vom SR und den Regierungen auf verschiedenen Ebenen diskutiert und beschlossen werden. Der SR und die lokalen Regierungen sollen entsprechende Normen erlassen und die Zentrale der Partei und die lokalen Parteikomitees sollen dazu keine Anweisungen geben und Beschlüsse treffen.“ Demgegenüber bedeutete der Wiederaufbau zahlreicher Bereiche in der Reform und Öffnung einen erhöhten Normenbedarf der Gesellschaft. Aber wegen der schwachen Gesetzgebungskompetenzen von NVK und SANVK, des Mangels an Gesetzgebungserfahrungen und Techniken in der Anfangsphase der Reform und Öffnung konnten NVK und SANVK sowie andere (noch schwächere) Rechtsetzungssubjekte nicht schnell genug ausreichende Rechtsnormen schaffen, um diesen Normenbedarf in kurzer Zeit zu erfüllen. Wenn man diese Umstände der staatlichen Rechtsetzung berücksichtigt, verschärfte für die ganze Gesellschaft der Austritt der Politik der Partei aus den konkreten Angelegenheiten das Problem des Normenvakuums. Darüber hinaus waren die Reform und Öffnung sowie der Aufbau der sozialistischen Marktwirtschaft eine tiefe Wende der chinesischen Gesellschaft, die große neue Herausforderungen sowohl für die Verwaltung und Regulierung der Gesellschaft als auch für die Herrschaft der Partei (z. B. ihre Legitimität gegenüber der Demokratisierungsforderung in Form des Westens) mitbrachten. Die politische, gedankliche und organisatorische Führung der Partei ihrerseits ist abstrakt und pauschal. Wie diese Führung auch ohne konkrete Maßnahmen gewährleistet werden kann, ist nicht problemlos. Mit dem Austritt der Partei aus den konkreten Angelegenheiten: „Party control over lawmaking and the legislature has devolved greatly to lower levels.“367 Der Verlust der Kontrolle der Partei wegen der Formalisierung der Gesetzgebung gegenüber der Partei musste daher in anderer Form kompensiert werden. Vor dem Hintergrund des Vorantreibens der Formalisierung des staatlichen Rechtssystems ist dann die exekutive Rechtsetzung des SR ein ideales Ersatzmittel 366 Der 28. Paragraph des „Allgemeinen Programms“ des Statuts der Kommunistischen Partei Chinas (zhongguo gongchandang zhangcheng). 367 Murray Scot Tanner, S. 403 – 404.
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für die Politik der Partei geworden: Die relativ einfachen Verfahren der Verordnungsgebung sowie die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Verwaltungsrechtsnormen entsprechen wesentlich der Vorgehensweise der Politik der Partei. In diesem Sinne sind die Verwaltungsrechtsnormen gewissermaßen ein paralleler Ausdruck der Politik der Partei, mit ihnen übt die exekutive Staatsführung die Kontrolle über die konkrete Staatsverwaltung und -regulierung in Vertretung der Politik der Partei aus. Das enge Verhältnis zwischen den Verwaltungsrechtsnormen und der Politik der Partei erklärt auch, warum die exekutive Rechtsetzung des SR lange Zeit eine herrschende Stellung besitzt und ein am schwierigsten formalisierbarer Teil des staatlichen Rechtssystems ist. Als ein Überlappungsbereich von Verwaltungsrechtsnormen und der Politik der Partei ist die exekutive Rechtsetzung des SR ein Übergangsgebiet, auf dem der endliche Austritt der Politik der Partei aus der konkreten Staatsverwaltung und -regulierung und die Verordnungsgebung des Staates durch den SR gleichzeitig probiert werden kann. Es ist damit auch ein Bereich, in dem die Kräfte der Formalisierung des Rechtssystems und die Kräfte der Antiformalisierung des Rechtssystems miteinander konkurrieren.
III. Die Quellen der Rechtsetzungskompetenz des SR Die Quellen der Rechtsetzungskompetenz des SR sind eine zentrale Frage in den Diskussionen hinsichtlich der Rechtsetzung des SR. Anders als in Deutschland, wo die Verordnungsgebung der Exekutive nur durch die Ermächtigung des Gesetzgebers in Form des Gesetzes erfolgen darf (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG), kann in China die Rechtsetzung des SR auf einer umfangreicheren Grundlage stattfinden. Die positiven Bestimmungen über die Rechtsetzung des SR finden sich sowohl in der VVRCh (Art. 89 Abs. 1) als auch im GGG (§§ 9 – 12, 65). Diese Bestimmungen erkennen insgesamt drei Quellen der Rechtsetzungskompetenz des SR an: die Rechtsetzung aus seinen immanenten Kompetenzen, die Rechtsetzung aus der Ermächtigung durch Gesetz sowie die Rechtsetzung aus der Ermächtigung von NVK und SANVK. 1. Die Rechtsetzung des SR aus seinen immanenten Kompetenzen Die Quelle der Rechtsetzungskompetenz aus den immanenten Kompetenzen des SR wird „Kompetenz-Rechtsetzung (zhiquan lifa)“ genannt. Mit „immanenten Kompetenzen des SR“ sind hier wesentlich die verfassungsrechtlich gegebenen (verfassungsunmittelbare) Rechtsetzungskompetenzen des SR gemeint. In der VVRCh sind insgesamt 18 Kompetenzen des SR normiert. Als erste Kompetenz des SR nennt die Verfassung die Kompetenz, Verwaltungsrechtsnormen auszuarbeiten (Art. 89 Abs. 1 VVRCh). Diese Bestimmung wurde vom GGG von 2000 übernommen und bleibt auch unverändert im GGG von 2015. Dessen § 65 Abs. 2 Satz 2 regelt: „Verwaltungsrechtsnormen können zu Angelegenheiten Bestimmungen treffen, in denen der Staatsrat gemäß der Bestimmung des Art. 89 der Verfassung die
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Verwaltungskompetenz hat.“ Durch diese Bestimmungen wird eine originäre, funktionsimmanente und selbständige Rechtsetzungsmacht des SR geschaffen. Dies unterscheidet sich erheblich von der Rechtsetzung der Exekutive in Deutschland.368 Fraglich ist, wie der Umfang dieser Rechtsetzung des SR ist. Gemäß Art. 89 Abs. 1 VVRCh erstreckt sich die Rechtsetzungskompetenz des SR auf alle Kompetenzbereiche des SR. Da der SR der hauptsächliche Träger der Verwaltung und Regulierung für die ganze Gesellschaft ist, sind seine Kompetenzen zwar in der Verfassung aufgezählt, aber in Wirklichkeit fast grenzenlos, dies bedeutet auch, dass die Rechtsetzungskompetenz des SR auf Grundlage der Verfassung ebenso fast grenzenlos ist. Da sowohl die Gesetzgebungsmacht von NVK und SANVK als auch die Rechtsetzungsmacht des SR auf der Verfassungsebene anerkannte Macht ist, ist es nicht unproblematisch, wie die Rechtsetzungskompetenz des SR von der Gesetzgebungsmacht von NVK und SANVK verfassungsrechtlich unterschieden werden kann. Um diese Grenze festzustellen, muss auf die verfassungsrechtliche Funktionenteilung zwischen dem SR und dem NVK (SANVK) geschaut werden. Der NVK und sein SA werden in der VVRCh als „das höchste Organ der Staatsmacht“ bezeichnet (Art. 57 Satz 1 VVRCh). Dementsprechend schreibt die Verfassung ihnen die staatliche Gesetzgebungsmacht zu (Art. 58 VVRCh), die vor allem die Befugnis zur Ausarbeitung und Abänderung von grundlegenden Gesetzen über Strafsachen, zivile Angelegenheiten, die Staatsorgane und andere Angelegenheiten enthält (Art. 62 Satz 3 VVRCh). Die Inhalte der staatlichen Gesetzgebungsmacht sind dann in § 8 GGG weiter konkretisiert, indem dort die nur durch Gesetze festzulegenden Angelegenheiten, also ein Monopolbereich der Gesetzgebung, genannt werden. In der VVRCh ist der SR nur als die vollziehende Körperschaft des höchsten Organs der Staatsmacht bestimmt (Art. 85 VVRCh). Dies scheint auf den ersten Blick gleichsam zu einer Art von „Gesetzesvorbehalt“ zu führen: Das Handeln des SR als (nur) vollziehende Körperschaft“ müsste eigentlich eine gesetzliche Grundlage des NVK oder des SANVK haben. Aber dieser „Gesetzesvorbehalt“ wird durch weitere Bestimmungen der VVRCh verneint: Die Verfassung selbst nennt die Kompetenzen des SR in Art. 89 ausdrücklich. Dies unterscheidet sich erheblich von der Vorgehensweise des GG Deutschlands, in dem die Bestimmungen (Art. 62 – 69 GG) über die Exekutive eher organisationsrechtlich als kompetenzbestimmend sind. Diese verfassungsrechtlich unmittelbare Anerkennung der Kompetenzen des SR macht deutlich, dass der SR aufgrund der unmittelbaren Ermächtigung der Verfassung seine Kompetenzen ausüben und entsprechende Verwaltungsrechtsnormen erlassen darf, auch wenn es keine einfachgesetzliche Grundlage gibt. In diesem Sinne ist die Rechtsetzung des SR aus seinen immanenten Kompetenzen nur eine seiner Handlungsformen (neben Festlegung von Verwaltungsmaßnahmen und Verkündung 368 „Von den Sondervorschriften der Art. 81 und 119 GG abgesehen, enthält das Grundgesetz selbst keine Ermächtigung der Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen.“ Bernhard Wolff, S. 195.
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von Entscheidungen und Anordnungen, Art. 89 Abs. 1 VVRCh), um die Aufgaben in der staatlichen Verwaltung und Regulierung landesweit einheitlich auszuüben. Gemäß der parallelen Anerkennung der Gesetzgebungsmacht von NVK und SANVK und der Kompetenzen des SR in der Verfassung liegt dann die Grenze der Rechtsetzung des SR nur in der allgemeinen gegenseitigen Funktionsabgrenzung zwischen Legislative und Exekutive: Außerhalb der nur durch NVK und SANVK in Form der Gesetze zu regelnden Bereiche (dem Monopolbereich der Gesetzgebung) kann der SR eigenständig alle notwendigen Rechtsnormen in seinen Kompetenzbereichen ausarbeiten. Bei diesem Kompetenzverhältnis zwischen der Legislative und der Exekutive kann die Rede von einem „Gesetzesvorbehalt“ nur einen beschränkten Vorbehalt meinen, nämlich die den NVK und SANVK vorbehaltenen Bereiche: Erst wenn der SR in den allein durch Gesetze von NVK und SANVK zu regelnden Bereichen Verwaltungsrechtsnormen erlassen will, muss er die vorhandenen Gesetze beachten, ansonsten kann er direkt von der Ermächtigung der Verfassung ausgehen und aufgrund seiner Kompetenzen die erforderlichen Rechtsnormen setzen. Die Rechtsetzung aus den immanenten Kompetenzen des SR ist eine ständige, umfangreiche Quelle und somit die wichtigste Quelle der Rechtsetzung des SR.
2. Die Rechtsetzung des SR aufgrund Ausführungsermächtigung durch Gesetz In der VVRCh ist nur die Rechtsetzung des SR aus seinen immanenten Kompetenzen geregelt. Die Rechtsetzung des SR aufgrund Ermächtigung durch Gesetz als eine weitere Quelle der Rechtsetzungsmacht des SR wurde erst vom GGG von 2000 festgelegt und ist vom GGG von 2015 übernommen worden. Dies erweitert den Umfang der Rechtsetzungsbefugnis des SR erheblich.369 § 65 Abs. 2 Satz 1 GGG bestimmt: „Verwaltungsrechtsnormen können zu Angelegenheiten Bestimmungen treffen, deren Festlegung in Verwaltungsrechtsnormen zur Durchführung von Bestimmungen eines Gesetzes erforderlich ist.“ Diese Art von Ermächtigung des SR zur Rechtsetzung durch Gesetze ist ganz üblich in vielen einfachen Gesetzen. Sie erfolgt normalerweise in einem Gesetz, dessen Bestimmungen fordern, dass der SR durch Verwaltungsrechtsnormen gewisse in diesem Gesetz geregelte Inhalte weiter konkretisieren soll, damit die Bestimmungen des Gesetzes vollzugsreif sein können. Beispiele dafür sind zahlreich, hier seien nur drei Bespiele genannt: § 14 Abs. 2 des Gesetzes der VRCh über die Vorbeugung und Kontrolle der Verschmutzung der Luft (zhonghua renmin gongheguo daqi wuran fangzhi fa, Inkrafttreten seit 01. 09. 2000) regelt: „Die Erhebung der Schadstoffgebühren muss die vom Staat festgelegten Kriterien befolgen, deren konkreten Methoden und Verfahren vom SR zu bestimmen sind.“ § 13 Abs. 2 des Gesetzes der VRCh über die Sicherheit des Straßenverkehrs (zhonghua renmin gongheguo daolu jiaotong anquan fa, Inkrafttreten seit 01. 05. 2004) regelt: „Die Überprüfung der technischen Sicherheit des Kraftfahrzeuges ist 369
Vgl. dazu Liu Songshan (2009), S. 34.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
von gesellschaftlichen Körperschaften durchzuführen, deren konkrete Methoden vom SR festzulegen sind.“ § 62 des Baugesetzes der VRCh (zhonghua renmin gongheguo jianzhu fa, Inkrafttreten seit 01. 03. 1998) regelt: „Auf das Bauprojekt ist das System der Qualitätsgarantie anzuwenden. Der konkrete Umfang und die Mindestfrist der Garantie sind vom SR vorzusehen.“ Gemäß diesen Ermächtigungen der Gesetze hat der SR dann jeweils entsprechende Verwaltungsrechtsnormen erlassen. Den oben genannten Beispielen sind die Merkmale der Rechtsetzung des SR aus der Ermächtigung des Gesetzes zu entnehmen. Erstens: Bei dieser Ermächtigung handelt es sich nur um konkrete Einzelbereiche in einem Gesetz, der Umfang der Ermächtigung ist eng und ihr Zweck und Inhalt ist klar bestimmt. Zweitens: Diese delegierten Bereiche sind technik- und anwendungsorientiert. Drittens: Diese Rechtsetzung des SR leistet wesentlich die Konkretisierungsfunktion, schafft aber keine eigenständigen Rechtsnormen, wie es in der Rechtsetzung aus seinen immanenten Kompetenzen der Fall ist. In diesem Sinne sind die Verwaltungsrechtsnormen des SR aus der Ermächtigung des Gesetzes Ausführungsverordnungen. Für sie gilt wie in Deutschland, dass sie „keinen neuen selbständigen Rechtsgedanken“ enthalten, sondern nur „zu Ende (führen), was im Gesetz bereits angeordnet (ist). Ihre Aufgabe (ist) die Detaillierung und Entfaltung der vorgegebenen gesetzlichen Regelung.“370 Befugnis von NVK und SANVK, durch Gesetz eine solche Ermächtigung zu erteilen, ist nicht ausdrücklich in der VVRCh geregelt, sondern muss auf deren höchste Stellung zurückgeführt werden. Als das höchste Organ der Staatsmacht besitzen der NVK und sein SA umfangreiche Gestaltungsfreiheit in der Ausarbeitung der Gesetze, soweit es nicht der Verfassung widerspricht. Und angesichts der sonstigen Kompetenzen des SR spricht nichts dagegen, ihn durch Gesetz zu Ausführungsverordnungen zu ermächtigen. 3. Die Rechtsetzung des SR durch Beschluss des NVK und SANVK Die dritte Quelle der Rechtsetzungsmacht des SR ist die Ermächtigung von NVK und SANVK. Art. 89 Abs. 18 VVRCh regelt, dass der SR neben den in Abs. 1 – 17 genannten Funktionen und Gewalten auch alle anderen ihm vom Nationalen Volkskongress und dessen Ständigem Ausschuss übertragenen Funktionen und Gewalten ausüben kann. Welche Funktionen und Gewalten von NVK und SANVK an den SR delegiert werden können, ist in dieser Bestimmung nicht klar ausgeführt. Man kann allerdings davon ausgehen, dass NVK und SANVK als höchste Organe der Staatsmacht alles, was sie für erforderlich halten, auf den SR übertragen können, davon auch ihre Rechtsetzungsbefugnisse. Diese verfassungsrechtliche Ermächtigung der Ermächtigung macht die Übertragung der Rechtsetzungsbefugnisse des 370
Wilhelm Mößle, S. 23 – 24.
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Gesetzgebers auf die Exekutive möglich und bildet die Grundlage der Ermächtigungsrechtsetzung der Exekutive. Gemäß dieser Ermächtigung der Verfassung von 1982 existierten schon vor 2000 zahlreiche Rechtsetzungstätigkeiten des SR auf der Grundlage von drei Ermächtigungen von NVK und SANVK in den 1980er Jahren: Die 2. Sitzung des 6. SANVK beschloss am 02. 09. 1983, dass der SR ermächtigt wurde, beide von der 2. Sitzung des 5. SANVK genehmigten vorläufigen Methoden, die die Versorgung von alten, schwachen, kranken und behinderten Funktionären sowie die Versorgung der in Rente gegangenen oder aus den Stellen ausgetretenen Arbeiter betrafen, teilweise zu ergänzen und zu verändern.371 Die 7. Sitzung des 6. SANVK ermächtigte den SR am 18. 09. 1984, in der Durchführung der Steuererhebung in den staatlichen Unternehmen und in der Reform des Steuersystems in Industrie und Handel steuerliche Verwaltungsrechtsnormen auszuarbeiten. Die 3. Sitzung des 6. NVK ermächtigte am 10. 04. 1985 den SR, bezüglich der Probleme in der Reform des Wirtschaftssystems und der Öffnung, in Übereinstimmung mit der Verfassung, den Grundsätzen der Gesetze und den von NVK und SANVK festgelegten Grundsätzen vorläufige Bestimmungen zu erlassen. Durch diese drei Ermächtigungen „the legislative powers of the State Council have been expanded considerably […].“372 Aber erst im GGG von 2000 wurde ein relativ vollständiges System der Ermächtigungsrechtsetzung des SR geschaffen. Das GGG von 2015 hat dieses System übernommen und vervollständigt. Im GGG von 2015 sind zuerst die ausschließlichen Gesetzgebungsbereiche von NVK und SANVK festgelegt (§ 8 GGG). Diese ausschließlichen Gesetzgebungsbereiche voraussetzend, ist dann die Ermächtigungsrechtsetzung des SR als deren „Ausnahme“ geregelt. § 9 Satz 1 GGG sieht allgemein die Ermächtigungsbefugnisse von NVK und SANVK vor: „Hinsichtlich der in § 8 dieses Gesetzes bestimmten Angelegenheiten, die noch nicht durch Gesetz festgelegt worden sind, haben der Nationale Volkskongress und sein Ständiger Ausschuss das Recht zu beschließen, dass der Staatsrat ermächtigt wird, entsprechend den Erfordernissen der Praxis zunächst diese Angelegenheiten teilweise durch Verwaltungsrechtsnormen festzulegen.“ § 9 Satz 2 GGG regelt als Einschränkung der Ermächtigung die nicht delegierbaren Bereiche, nämlich Straftaten und Strafe, Aberkennung der politischen Rechte von Bürgern, Zwangsmaßnahmen und Sanktionen, welche die körperlichen Freiheit beschränken, die Gerichtsorganisation und andere Angelegenheiten. § 10 GGG legt dann weiter die Bedingungen für die Ermächtigung selbst (also das Bestimmtheitsgebot der Ermächtigung) fest. Verglichen mit dem GGG von 2000 sind die Bedingungen für die Ermächtigung selbst strenger: Neben dem im GGG a.F. geregelten Zweck und Umfang der Ermächtigung müssen Angelegenheiten, die Frist sowie die Grundsätze, die das delegierte Organ in der Durchführung der Ermäch371 „Guowuyuan guanyu anzhi lao ruo bing can ganbu de zanxing banfa“ sowie „guowuyuan guanyu gongren tuixiu, tuizhi de zanxing banfa“. 372 Perry Keller, S. 670.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
tigung befolgen muss, auch im Ermächtigungsbeschluss klar angegeben werden (§ 10 Abs. 1 GGG). § 10 Abs. 2 regelt die maximale Frist einer Ermächtigung: „Die Frist einer Ermächtigung darf nicht über 5 Jahre hinausgehen, sofern nicht der Ermächtigungsbeschluss etwas anderes bestimmt.“ § 10 Abs. 3 bestimmt die Berichtspflichten des SR über die Durchführungsumstände der Ermächtigung: „Das ermächtigte Organ soll 6 Monate vor dem Ablauf der Frist für die Geltung der Ermächtigung dem delegierenden Organ über die Durchführungsumstände der Ermächtigung berichten und eine Einschätzung geben, ob es notwendig ist, nunmehr entsprechende Gesetze auszuarbeiten. Wenn nach Ansicht des Delegatars eine Ermächtigung weiterhin erforderlich ist, kann dieser eine entsprechende begründete Empfehlung geben, über die der NVK oder der SANVK beschließt.“ § 11 GGG regelt die Pflicht von NVK und SANVK zum Ausarbeiten eines entsprechenden Gesetzes nach der Vollendung der Ermächtigung: „Sobald praktische Erfahrungen gesammelt worden und die Umstände zur Festlegung durch Gesetz reif sind, legen der Nationale Volkskongress und sein Ständiger Ausschuss die Angelegenheiten, in denen zur Gesetzgebung ermächtigt wurde, unverzüglich durch Gesetz fest. Nachdem das Gesetz festgelegt worden ist, endet dementsprechend die Ermächtigung zur Rechtsetzung in der Angelegenheit.“ § 12 GGG regelt schließlich das Verbot der Weiterübertragung einer Ermächtigung: „Das ermächtigte Organ muss die Befugnis strikt gemäß dem Ermächtigungsbeschluss ausüben. Das ermächtigte Organ darf nicht die Befugnis durch Weiterermächtigung auf andere Organe übertragen.“ Die Ermächtigung von NVK und SANVK findet in Form des „Beschlusses (jueding)“ statt. Der Beschluss ist eine der Handlungsformen von NVK und SANVK und ist in der Verfassung geregelt. Art. 62 und 67 VVRCh regeln eine Reihe von Entscheidungen durch Beschluss von NVK und SANVK. Insofern liegt es nahe und ist jetzt auch durch das GGG geregelt, dass die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen nach Art. 89 Abs. 18, § 9 GGG durch Beschluss erfolgt. Der Beschluss von NVK und SANVK betrifft normalerweise konkrete Probleme, die aber von großer Bedeutung sind. Anders als für die Ausarbeitung von Gesetzen gibt es keine spezifischen Verfahrensbestimmungen über den Beschluss. Gefordert ist nur, dass der Beschluss von mehr als der Hälfte aller Abgeordneten verabschiedet werden muss (§ 52 Abs. 1, Geschäftsordnung des NVK sowie § 32 Geschäftsordnung des SANVK). Die Rechtsetzung des SR aufgrund der Ermächtigung durch Beschluss von NVK und SANVK hat praktische Bedeutung vor allem für die Funktion der experimentellen Rechtsetzung. Sie ist in den noch nicht durch Gesetz festgelegten Bereichen einzusetzen (§ 9 Satz 1 GGG) und dient dazu, eine spätere mögliche Gesetzgebung von NVK und SANVK vorzubereiten. Aus diesem Grund wurde in der Anfangsphase nach der Verfassung von 1982 auf die Ermächtigungsrechtsetzung des SR großer Wert gelegt. Besonders in den Bereichen des Steuer- und Wirtschaftssystems, wie die zwei Ermächtigungen von 1984 und 1985 zeigen, wurde die Ermächtigungsrechtsetzung des SR wegen ihrer experimentellen Funktion bevorzugt.
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4. Kurze Bewertung Wie oben erklärt, stellt die Rechtsetzung des SR eine Mischung dar: Sie besteht aus der Ermächtigung der Verfassung und den Ermächtigungen im Gesetz und durch Beschluss des Gesetzgebers; sie enthält sowohl ermächtigungsfreie, eigenständige und originäre Rechtsetzungsmacht als auch ermächtigungsbedürftige, abgeleitete Rechtsetzungsmacht. Die umfassenden Quellen der Rechtsetzung des SR haben dazu geführt, dass die Rechtsetzungsmacht des SR seit der Verfassung von 1982 eine dominierende Stellung besitzt und ein gewisses Hindernis für die Formalisierung des sozialistischen Rechtsstaates darstellt. Vor diesem Hintergrund werden diese umfangreichen Quellen der Rechtsetzungsmacht des SR von immer mehr Juristen kritisiert. Die Juristen, die die Rechtsetzung des SR beschränken wollen, pflegen die Ermächtigungseigenschaft der Rechtsetzung des SR zu betonen und schlagen vor, die Rechtsetzung des SR völlig unter die Kontrolle von NVK und SANVK zu stellen. „Die Rechtsetzungstätigkeit der Exekutive ist keine ihrer selbstverständlichen Befugnisse.“373 „Es gehört zur Eigenschaft der Exekutive des Staates, dass die von ihr ausgeübte Rechtsetzungsbefugnis einen delegierten, derivativen und beschränkten Charakter hat.“374 Besonders seit der Gesetzgeber (NVK und SANVK) in der Gesetzgebung aktuell immer aktiver ist und mehr Rechtsnormen für die Gesellschaft erzeugen kann, werden die Stimmen gegen die Rechtsetzung des SR aus seiner immanenten Befugnis immer lauter: „Die Kompetenz-Rechtsetzung des SR schreibt dem SR unbeschränkte Rechtsetzungsmacht zu und macht den eigentlichen Gesetzgeber überflüssig.“375 „Die eigenständige Rechtsetzung des SR widerspricht den Grundsätzen der Verfassung schwerwiegend.“376 Die Ausarbeitung des GGG von 2000 und seine Änderung im Jahr 2015 wurden erheblich von obigen Stellungsnahmen beeinflusst. In ihnen ist die Ermächtigungsrechtsetzung des SR ausführlicher geregelt und hat deutlich den Zweck, die Rechtsetzung des SR zu beschränken. Demgegenüber sind die Bestimmungen über die Rechtsetzung des SR aus seiner immanenten Befugnis und aus der Ermächtigung des Gesetzes, wie dargestellt, nur knapp. Die Schaffung und Vervollständigung der Ermächtigungsrechtsetzung des SR ändert aber nichts an der Struktur der Quellen der Rechtsetzung des SR: Die Kompetenz-Rechtsetzung des SR besitzt wegen ihrer Verfassungsunmittelbarkeit nach wie vor eine herrschende Stellung, die Rechtsetzung aus der Ermächtigung des Gesetzes ist wegen ihrer häufigen Anwendungen in der Praxis auch von großer Bedeutung. Im Vergleich dazu, wird die Ermächtigungsrechtsetzung aufgrund Beschlusses in der Tat selten vom SR benutzt. Außer den drei Ermächtigungen in den 1980er Jahren sind danach keine weiteren Ermächtigungen der Gesetzgebung von NKV und SANVK an den SR erteilt worden. 373 374 375 376
Vgl. dazu Liu Shen, S. 88 – 89. Li Lin, S. 71. Guo Daohui, S. 16. Wang Lei, S. 61.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
Die 9. Sitzung des 11. SANVK erließ am 27. 06. 2009 den „Beschluss über die Aufhebung etlicher Gesetze“, in dem auch die Ermächtigung von 1984 aufgehoben wurde. Unter den neuen Regelungen über das Bestimmtheitsgebot und die Frist der Ermächtigung im GGG stehen die noch gültigen Ermächtigungen von 1983 und 1985, wegen ihrer über 30-jährigen und daher fast unbefristeten Erprobung auch unter großem Druck, deren Aufhebung ist nur eine Frage der Zeit. Wie bereits angedeutet, leistet die Ermächtigungsrechtsetzung des SR in China wesentlich die Funktion der experimentellen Rechtsetzung auf der zentralen Ebene, dies erklärt einerseits ihren „Schwung“ in den 1980er Jahren, andererseits aber auch ihren „Niedergang“ in einer „Nachsystemepoche (hou tixi shidai)“, in der die Blankobereiche der Gesetze und somit die Versuchsfelder der Ermächtigungsrechtsetzung des SR geringer sind. Die Hoffnung, durch die Beschränkung der Ermächtigungsrechtsetzung des SR die ganze Rechtsetzung des SR zu beschränken, ist ein Irrtum. Zu erwarten ist, dass die Ermächtigung aus der Verfassung und die Ermächtigung aus dem Gesetz weiterhin der Rechtsetzung des SR eine herrschende Stellung verleihen und dies dann auch die bisherige dominierende Stellung des SR (die Alleinherrschaft der Exekutive, xingzheng duda) innerhalb der zentralen Staatsorgane aufrechterhält.
IV. Die Verfahren der Rechtsetzung des SR Verglichen mit der Wichtigkeit der Verwaltungsrechtsnormen in der gesamten Normenpyramide Chinas waren die Bestimmungen über die Verfahren der Rechtsetzung des SR im GGG 2000 gering und grob. Im GGG von 2000 gab es darüber nur 7 Paragraphen (§§ 56 – 62), die einen bloßen Rahmen für die Rechtsetzung des SR festlegten. Die Änderung des GGG im Jahr 2015 hat die Verfahrensregelungen der Rechtsetzung vervollständigt und zielt darauf, die Qualität der VRN zu verbessern. Andere Bestimmungen über die Verfahren der Rechtsetzung finden sich in einzelnen Artikeln der VVRCh, dem Organisationsgesetz des SR sowie einer spezifischen „Verordnung über die Verfahren der Ausarbeitung der Verwaltungsrechtsnormen (VVAV, Inkrafttreten seit 01. 01. 2002, xingzheng fagui zhiding tiaoli)“. Zusammen bilden sie ein relativ vollständiges System der Verfahren der Rechtsetzung des SR.
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1. Der jährliche Rechtsetzungsplan und das Beantragen der Aufnahme des Rechtsetzungsprojektes (lixiang) Diese beiden Schritte finden vor den formellen Verfahren der Rechtsetzung des SR statt und dienen wesentlich dazu, die einheitliche Planung über die Rechtsetzungsarbeit des SR zu ermöglichen. Im GGG von 2000 wurden sie nicht geregelt, sondern erst in der VVAV (§§ 6 – 9) festgelegt. Dies ist dann in das GGG von 2015 aufgenommen worden. Das Rechtsarbeitsorgan (fazhi jigou) des SR377 soll gemäß der gesamten Gestaltung der Arbeiten des Staates einen jährlichen Rechtsetzungsplan entwerfen, der dann dem SR zur Überprüfung und Genehmigung vorzulegen ist. Dieser jährliche Plan muss sich an der Gesetzgebungsplanung und dem jährlichen Plan der Gesetzgebung von NVK und SANVK orientieren. Das Rechtsarbeitsorgan des SR soll rechtzeitig die Durchführungsbedingungen des Rechtsetzungsplans durch die Abteilungen des SR verfolgen und die Organisation und Kooperation sowie die Überwachung und Leitung verstärken (§ 66 Abs. 1 GGG). Wenn betroffene Abteilungen des SR die Ausarbeitung von Verwaltungsrechtsnormen für erforderlich halten, müssen sie dies dem Staatsrat berichten und die Aufnahme dieses Rechtsetzungsprojektes beantragen (§ 66 Abs. 2 GGG sowie § 7 Abs. 1 VVAV). Diese Beantragung soll die wesentlichen Probleme, die ihr zugrunde liegende Richtlinie und Politik der Partei sowie die festzulegende Institution angeben (§ 7 Abs. 2 VVAV). 2. Das Entwerfen der VRN Anderes als in den Verfahren der Gesetzgebung ist der Kreis der Initiatoren der VRN sehr klein. Berechtigt dazu sind nur die Abteilungen und das Rechtsarbeitsorgan des SR.378 Die Abteilungen des SR können die VRN in ihren eigenen Kompetenzbereichen allein oder zusammen mit anderen entsprechenden Abteilungen (§ 13 VVAV) entwerfen. Um die Qualität der VRN zu verbessern, hat das GGG von 2015 gezielt die Stellung des Rechtsarbeitsorgans des SR hervorgehoben. Wichtige VRN über die Verwaltung und Regulierung sollen von Rechtsarbeitsorgan allein entworfen werden (§ 67 Satz 1 GGG); darüber hinaus ist das Rechtsarbeitsorgan des SR zuständig für die Überprüfung der Entwürfe der VRN, die von Abteilungen des SR ausgearbeitet sind. Nach seiner Überprüfung legt dann das Rechtsarbeitsorgan dem SR einen Prüfbericht sowie eine mögliche Änderungsfassung des Entwurfs vor (§ 68 GGG). Als eine Institution mit juristischem Sachverstand kann das Rechtsarbeitsorgan des SR Rechtsfragen und -angelegenheiten fachgerecht behandeln und 377
Das vorhandene Rechtsarbeitsorgan des SR ist das Büro der rechtlichen Angelegenheiten des SR (guowuyuan fazhi bangongshi). 378 Dies ist schon auf Kritik gestoßen: „Die vom GGG bestimmten Subjekte, die zu Initiativen für VRN berechtigt sind, sind zu eng […] Dies widerspricht dem Demokratieprinzip der Rechtsetzung der Exekutive und kann die Interesse der Adressaten der Verwaltung nicht schützen.“ Wang Li, S. 22.
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
somit die Formulierungen der Rechtssätze sowie die Zielgenauigkeit und die Durchführbarkeit einer Rechtsnorm verbessern. Zugleich, da das Rechtsarbeitsorgan selbst nicht unmittelbar mit konkreten staatlichen Verwaltungsangelegenheiten betraut ist, kann es sich eher von Interessen der einzelnen Ministerien befreien und damit dem Protektionismus der einzelnen Ministerien beim Entwurf der VRN entgegenwirken. Wegen der Abgeschlossenheit der Rechtsetzung des SR wird seit Jahren mehr Öffentlichkeit und Transparenz der VRN und die Beteiligung der Betroffenen379 und des Publikums an der Ausarbeitung der VRN gefordert. „Das Recht auf die Beteiligung an der Rechtsetzung der Exekutive ist ein sich entwickelndes, neues, demokratisches Recht.“380 „Die Rechtsetzung der Exekutive soll unter Beteiligung des Publikums an deren Verfahren stattfinden, um ihre demokratische Qualität zu verstärken und ihre Transparenz zu vermehren. Unser Land entwickelt sich allmählich zu einer Gesellschaft mit Subjekten von pluralistischen Interessen, die Rechtsetzung der Exekutive betrifft oft gegeneinander konkurrierende Personen. Es muss daher ein effektives Beteiligungssystem aufgebaut werden, damit die betroffenen Personen miteinander verhandeln und einen Konsens erreichen können und die Durchführung der VRN gefördert werden kann.“381 Um die Öffentlichkeit und Transparenz der VRN zu verstärken, regelt § 67 Satz 2 GGG: Während der Ausarbeitung der VRN müssen umfassend die Ansichten von betroffenen Organen, Organisationen, Abgeordneten der Volkskongresse und Bürgern eingeholt werden. Zur Einholung von Ansichten können Besprechungen, Beweisaufnahmen, Anhörungen oder andere Methoden angewendet werden. Außerdem soll ein Entwurf der VRN grundsätzlich veröffentlicht werden; ausgenommen hiervon bleibt jedoch das, was der SR beschließt, nicht zu veröffentlichen (§ 67 Abs. 2 GGG). Unklar ist aber nach wie vor, in welchem Umfang das Rechtsarbeitsorgan die eingeholten Ansichten berücksichtigt und wie es sie behandelt, was die demokratische Eigenschaft der Rechtsetzung der Exekutive schwer beeinträchtigt.382 3. Die Beschlussverfahren über die Entwürfe der VRN und deren Veröffentlichung Das GGG regelt das Beschlussverfahren über die Entwürfe der VRN nicht direkt, sondern verweist auf einschlägige Bestimmungen im Organisationsgesetz des SR (§ 69 GGG). In China trägt der Ministerpräsident die volle Verantwortung für den SR (§ 86 Abs. 2 Satz 1 VVRCh, zongli fuzezhi) und leitet die Arbeit des SR (§ 88 Abs. 1 Satz 1 VVRCh). Zwar legt die VVRCh zwei Formen der Sitzungen des SR als dessen 379 „Die Beteiligung der Betroffenen an der Rechtsetzung der Exekutive in unserem Land ist fast noch ein Vakuum.“ Zhu Mang, S. 64. 380 Fang Shirong, S. 115. 381 Yuan Hongshu/Li Honglei, S. 10. 382 Vgl. dazu Wang Li, S. 22; Zou Yi, S. 84.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui)
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Handlungsformen fest, nämlich die Ständige Sitzung (changwu huiyi) und die Plenarsitzung (quanti huiyi), aber sie entfalten nur Beratungsfunktionen (§ 26 VVAV sowie § 37 Geschäftsordnung des SR), sie treffen auch keine verbindlichen Entscheidungen. Die letztliche Entscheidungsmacht ist hingegen dem Ministerpräsidenten vorbehalten. Im Organisationsgesetz des SR ist entsprechend geregelt, dass die vom SR erlassenen VRN vom Ministerpräsidenten unterschrieben werden sollen (dessen § 5 sowie § 44 Geschäftsordnung des SR). Die Unterzeichnung bedeutet zugleich auch die Ermächtigung zur Bekanntmachung der VRN (§ 70 Abs. 1 GGG). Die VRN, die den Aufbau der Landesverteidigung betrifft, kann vom Ministerpräsidenten und dem Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gemeinsam unterzeichnet und veröffentlicht werden (§ 70 Abs. 2 GGG). Nach der Unterzeichnung und Bekanntmachung wird die Verwaltungsrechtsnorm unverzüglich im Amtsblatt des Staatsrates, auf der Webseite der Rechtsinformationen der Regierung Chinas (zhongguo zhengfu fazhi xinxi wang) und in im ganzen Land erscheinenden Zeitungen veröffentlicht. Der Text der Verwaltungsrechtsnormen im Amtsblatt des Staatsrates gilt als offizielle Fassung (§ 71 GGG). Darüber hinaus sollen Verwaltungsrechtsnormen innerhalb von 30 Tagen nach ihren Bekanntmachungen dem SANVK zu den Akten gemeldet werden (§ 98 Nr. 1 GGG sowie § 30 VVAV). 4. Die Auslegung der VRN Die Auslegungsinstitution der VRN wird speziell von der VVAV geregelt. Wenn der Text der VRN weiterer Festlegung für seine Grenze oder ergänzender Bestimmungen bedarf, ist er vom SR zu interpretieren. Das Rechtsarbeitsorgan des SR untersucht und arbeitet einen Entwurf zur Auslegung aus, der dann dem SR zur Genehmigung vorzulegen ist. Nach der Genehmigung kann der SR selbst die Auslegung bekanntmachen oder entsprechende Abteilungen des SR ermächtigen, die Auslegung zu veröffentlichen (§ 31 Abs. 1 VVAV). Die Auslegung der VRN besitzt gleiche Geltung wie die VRN (§ 31 Abs. 2 VVAV). Die Abteilungen des SR, die Regierungen von Provinzen, Autonomen Gebieten und direkt der Zentrale unterstehenden Städten (PAS) sind berechtigt, ein Auslegungsersuchen an den SR zu stellen (§ 32 VVAV). Entsprechend können die Rechtsarbeitsorgane der PAS sich an das Rechtsarbeitsorgan des SR wenden; das Rechtsarbeitsorgan des SR kann diesbezüglich eine Auskunft erteilen. Wenn es sich aber um schwerwiegende Probleme handelt, muss das Rechtsarbeitsorgan des SR dem SR einen Vorschlag vorlegen; erst nachdem der SR diesen Vorschlag genehmigt hat, kann das Rechtsarbeitsorgan des SR eine entsprechende Auskunft erteilen (§ 33 VVAV).
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2. Kap.: Die zentrale Rechtsetzung
V. Regeln der Abteilungen des Staatsrats als spezielle Form der exekutiven Rechtsetzung Regeln der Abteilungen des Staatsrats (bumen guizhang) sind Rechtsnormen, die von Abteilungen (Ministerien und Ausschüssen) des Staatsrats festgelegt werden und in betroffenen Bereichen landesweit allgemeine Bindungskraft entfalten. Sie stellen eine sekundäre exekutive Rechtsetzung auf der zentralen Ebene dar. Die Rechtsetzungsmacht der Abteilungen des Staatsrats ist in der VVRCh von 1982 anerkannt. Art. 90 Abs. 2 VVRCh regelt: In Übereinstimmung mit den Gesetzen und den Verwaltungsrechtsnormen, Entscheidungen (jueding) und Anordnungen (mingling) des Staatsrats erlassen die Abteilungen des Staatsrats […] Regeln im jeweiligen Zuständigkeitsbereich. In das GGG wurde diese Bestimmung übernommen: Alle Ministerien und Ausschüsse des Staatsrates, die Chinesische Volksbank, der Rechnungshof und direkt dem Staatsrat unterstellte Organe383, die Verwaltungs- und Regulierungsfunktionen haben, können gemäß den Gesetzen und den Verwaltungsrechtsnormen Entscheidungen und Anordnungen des Staatsrates innerhalb des Zuständigkeitsbereichs dieser Abteilung Regeln festlegen (§ 80 Abs. 1). Anderes als die umfangreiche exekutive Rechtsetzungsmacht des Staatsrats beschränkt sich die Rechtsetzungsmacht der Abteilungen des Staatsrats auf die Durchführung von Gesetzen oder Verwaltungsrechtsnormen, Entscheidungen oder Anordnungen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 GGG). Eine eigenständige Rechtsetzungsmacht der Abteilungen des Staatsrats existiert nicht. Darüber hinaus zieht das GGG der Rechtsetzung der Abteilungen des Staatsrats inhaltlich eine enge Grenze: Ohne Gesetze, Verwaltungsverordnungen, Entscheidungen oder Anordnungen des Staatsrates als Maßstäbe dürfen Abteilungen des Staatsrats keine Regeln festlegen, die die Rechte der Bürger, der juristischen Personen und anderer Organisationen einschränken und verletzen oder ihre Pflichten mehren; ebenso keine Regeln, die eigene Befugnisse mehren oder eigene gesetzliche Pflichten der Ministerien reduzieren (§ 80 Abs. 2 Satz 2 GGG). Das Verfahren zur Festlegung von Regeln der Abteilungen des Staatsrats ist im GGG und in der „Verordnung über das Verfahren zur Festlegung von Regeln“384 geregelt – im GGG allerdings nur punktuell: Z. B. Angelegenheiten, welche in die Kompetenz mehrerer Abteilungen des Staatsrates fallen, müssen dem Staatsrat zur Festlegung von VRN vorgelegt oder von den betreffenden Abteilungen des Staatsrates gemeinsam durch Regeln festgelegt werden (§ 81); Regeln der Abteilungen müssen auf einer Sitzung des Ministeriums (buwu huiyi) bzw. Sitzung des Ausschusses (weiyuanhui huiyi) beschlossen werden (§ 84). Ausführliche Vorschriften über das Verfahren der Festlegung von Regeln der Abteilungen des Staatsrats finden sich hingegen in der Verordnung über das Verfahren zur Festlegung von Regeln. Sie 383
Momentan existieren im Staatsrat 23 Ministerien und Ausschüsse und 15 direkt dem Staatsrat unterstellte Organe. Vgl. dazu http://www.gov.cn/guowuyuan/zuzhi.htm, zuletzt besucht am 04. 06. 2016. 384 Guizhang zhiding chengxu tiaoli, erlassen vom Staatsrat, Inkrafttreten seit 01. 01. 2012.
D. Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui)
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orientiert sich an dem Verfahren zur Ausarbeitung von Verwaltungsrechtsnormen und regelt konkrete wichtige Schritte: das Entwerfen (§§ 13 – 17), Überprüfen (§§ 18 – 26), Beschließen (§§ 27 – 32) und Interpretieren (§§ 33 – 35) der Regeln der Abteilungen des Staatsrats.
3. Kapitel
Die territoriale Rechtsetzung A. Grundlegende Probleme der territorialen Rechtsetzung I. Die territoriale Rechtsetzung und ihr Verhältnis zur zentralen Rechtsetzung Mit der territorialen Rechtsetzung ist wesentlich die Rechtsetzung gemeint, die von den lokalen Volkskongressen (LVK) und ihren Ständigen Ausschüssen (SALVK) durchgeführt wird. Momentan gibt es auf der lokalen Ebene drei Typen der Rechtsetzung: die Rechtsetzung von Provinzen (sheng), autonomen Gebieten (zizhiqu), direkt der zentralen unterstehenden Städte (zhixiashi) (PAS), die Rechtsetzung der Städte mit Bezirken (SmB) sowie die Rechtsetzung der Sonderwirtschaftszone (SWZ) durch die direkte Ermächtigung des NVK. Wie schon angedeutet, ist die territoriale Rechtsetzung ein Ergebnis der Formalisierung der Rechtsetzung innerhalb des Staates. Seit dem territorialen Organisationsgesetz (TOG) von 1979 und der Verfassung von 1982 wird zwar die Rechtsetzungsmacht der lokalen Staatsorgane allgemein anerkannt, aber ihre Eigenschaft sowie ihr Verhältnis zur zentralen Rechtsetzung blieben lange unklar. Die Verteilung der Rechtsetzungsmacht zwischen zentralen und lokalen Staatsorganen ist kein rein rechtliches, sondern auch ein politisches Problem, das allgemein das Verhältnis zwischen den zentralen Staatsorganen (ZSO) und den lokalen Staatsorganen (LSO) betrifft.385 Seit der Politik der Reform und Öffnung werden zwar die Reformen von der KPCh stark betont, aber diese Reformen beschränken sich wesentlich auf den Bereich der Wirtschaft. Die politischen Reformen, darunter auch die Reform der Machtverteilung zwischen dem Zentrum und den lokalen Ebenen, als ein wichtiger Aspekt hatten dagegen stagniert. In gewissem Maße haben die Erfolge der Wirtschaft die Notwendigkeit der Reform im politischen Bereich verschleiert. Die Verteilung der Rechtsetzungsmacht zwischen den ZSO und den LSO ist vor diesem Hintergrund zu analysieren. Die größte Schwierigkeit für die horizontale Verteilung der Rechtsetzungsmacht kommt wohl aus dem Paradox zwischen dem Ideal der Konzentration der politischen Macht und der sachlichen Notwendigkeit der Machtverteilung, wegen der Regulierung der konkreten Angelegenheiten des Staates. Sowohl die traditionelle 385
Vgl. dazu Xin Chunying, S. 31.
A. Grundlegende Probleme der territorialen Rechtsetzung
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(staatsphilosophische) Ansicht der Chinesen über den Staat (ein Reich der Mitte mit einer mächtigen zentralen Regierung) und das von der KPCh übernommene Konzentrationsmodell der Staatsmacht aus der UdSSR sprechen für eine Konzentration der Gesetzgebungsmacht des Staates auf ein zentrales „allmächtiges“ Staatsmachtorgan; dagegen fordert die Vielfältigkeit der einzelnen Gebiete eine flexiblere und anpassungsfähigere Normenproduktion. Die Diskussionen unter chinesischen Juristen über die lokale Rechtsetzung bewegen sich stets zwischen diesen beiden Polen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz über dieses Problem liegt in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 VVRCh. Art. 3 Abs. 1 regelt den Grundsatz des „demokratischen Zentralismus“. Dieser Grundsatz gilt ursprünglich nur für das Entscheiden innerhalb der Staatsorgane und ist somit ein Organisationsprinzip der Staatsorgane. Er fordert, dass eine Entscheidung, bevor sie getroffen wird, zunächst innerhalb eines Staatsorgans demokratisch diskutiert werden muss und dann vom Leiter dieses Staatsorgans als „der zentralen Instanz“ getroffen wird. Aber ob und inwieweit diese inneren „demokratischen Diskussionen“ für die letztliche Entscheidung relevant sind und die „demokratischen Ansichten“ in den endlichen Beschluss aufgenommen und berücksichtigt werden, bleibt völlig im Ermessen des Leiters. Demzufolge begünstigt der Grundsatz des demokratischen Zentralismus in der Willensbildung eher den „Zentralismus“, vernachlässigt aber häufig „die Demokratie“. Der Grundsatz des demokratischen Zentralismus ist aber inzwischen erweitert interpretiert und fungiert auch als ein Prinzip für die richtige Gestaltung des Machtverhältnisses zwischen den ZSO und den LSO allgemein und des Verhältnisses hinsichtlich der Rechtsetzung konkret. „Der Maßstab für die Festlegung der Befugnisse des NVK und der Befugnisse der lokalen Volkskongresse ist die einheitsstaatliche Struktur unter der Leitung des Prinzips des demokratischen Zentralismus.“386 „China ist ein sozialistischer Staat. Politisch setzt sich der Grundsatz des demokratischen Zentralismus durch. […] Hinsichtlich der Rechtsetzung ist gefordert, dass der Grundsatz des demokratischen Zentralismus nicht nur in allen konkreten Verfahren der Rechtsetzung, sondern auch auf die angemessene Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO angewandt werden muss. Die angemessene Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO ist gerade der Ausdruck und die Anforderung des Grundsatzes des demokratischen Zentralismus.“387 Ausgehend vom originären Sinne des Grundsatzes des demokratischen Zentralismus führte die direkte Anwendung dieses Grundsatzes auf die Verteilung der Rechtsetzungsmacht zwischen den ZSO und den LSO aber dazu, dass die territoriale Rechtsetzung stets vernachlässigt wurde, wie die Erfahrungen der Rechtsetzung vor 1979 zeigten: die Rechtsetzungsmacht der ZSO wurde vorrangig gewährleistet; dagegen besaßen die LSO keine oder nur geringe Rechtsetzungsmacht. Um eine 386 387
Cai Dingjian (1993), S. 7. Zhou Wangsheng, Über die Stellung der territorialen Rechtsetzung in China, S. 10.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
extreme Konzentration der Rechtsetzungsmacht auf die ZSO zu vermeiden, stellt die Verfassung von 1982 einen neuen Grundsatz auf, der speziell das Verhältnis zwischen den ZSO und den LSO betrifft. Art. 3 Abs. 4 VVRCh regelt: Die Teilung der Funktionen und Gewalten zwischen den zentralen und den lokalen Staatsorganen lässt sich von dem Prinzip leiten, die Initiative und den Enthusiasmus der lokalen Behörden unter der einheitlichen Leitung der zentralen Behörden voll und ganz zu entfalten. Man kann dies das „lokale Aktivitätsprinzip“ nennen. Zwar betont dieses Prinzip nach wie vor die „einheitliche Leitung der ZSO“ in der Rechtsetzung und hält weiter an dem Kernelement des Prinzips des demokratischen Zentralismus fest. Aber es erkennt auf jeden Fall zum ersten Mal die positive Stellung der lokalen Rechtsetzung an und öffnet den Raum für die lokale Rechtsetzung. Das Prinzip des demokratischen Zentralismus und das lokale Aktivitätsprinzip bilden den Rahmen für die Festlegung der Rechtsetzungsbefugnisse der ZSO und LSO. „Dass die Gesetzgebungsmacht sich auf die ZSO konzentriert, stimmt völlig mit der einheitsstaatlichen Struktur unseres Landes und dem demokratisch-zentralistisch Organisationsprinzip überein; es gewährleistet die Einheit der Rechtsetzung unseres Landes und somit auch die Einheit des sozialistischen Rechtssystems. Zugleich müssen wir die Existenz der lokalen Besonderheiten anerkennen. Diese Besonderheiten zu berücksichtigen und die Flexibilität in der Rechtsetzung zu beachten, entsprechen völlig den Bedingungen unseres Landes.“388
II. Die Eigenschaft der lokalen Rechtsetzung Die allgemeine Anerkennung der lokalen Rechtsetzung bedeutet eine Aufteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO389, sie wirft aber zugleich die Frage auf, wie die Eigenschaft dieser Aufteilung ist, ob sie eine Aufteilung der Staatsmacht selbst oder nur eine solche der Staatsfunktionen ist. Wenn erstere der Fall ist, bedeutet es, dass die LSO im Rahmen der zentralen Rechtsnormen eine immanente und unabhängige Rechtsetzungsmacht besitzen könnte. Einfachrechtlich wird die lokale Rechtsetzung vom TOG von 1979 geregelt. Dessen § 2 und § 4 legen zuerst die LVK und seine SA aller Ebenen als die lokalen Organe der Staatsmacht fest, § 7 regelt dann weiter, dass die LVK und ihre SA auf der Ebene der PAS die territorialen Rechtsnormen ausarbeiten können. Diese Gestaltungen über die lokale Rechtsetzung wurden von der Verfassung von 1982 (in ihren Art. 2 Abs. 2, Art. 96 sowie Art. 100) übernommen. Wenn nach diesen Bestimmungen des TOG und der VVRCh die LVK auch als „Organe der Staatsmacht“ definiert sind, könnten sie dann auch, ähnlich wie der NVK, der als „das höchste Staatsorgan der Staatsmacht (Art. 57 VVRCh)“ definiert ist und somit die „staatliche Rechtsetzungsmacht“ (Art. 58 VVRCh) ausübt, eine Art von „lokaler Rechtsetzungsmacht“ ausüben. In 388 389
Wang Zilin, S. 92. Vgl. dazu Shen Guancheng, S. 17.
A. Grundlegende Probleme der territorialen Rechtsetzung
153
diesem Fall wäre dann die Aufteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO eine solche der Rechtsetzungsmacht. Diese Auffassung wird zwar auch von manchen Juristen geteilt390, stößt aber auf Schwierigkeiten aus den positiven Bestimmungen von Art. 57 und 58 VVRCh. Wenn der NVK das höchste Organ der Staatsmacht ist und monopolisiert die staatliche Rechtsetzungsmacht ausübt, bedeutet dies dann, dass alle anderen Staatsorgane (der SR sowie die LSO) keine eigenständige Rechtsetzungsmacht mehr besitzen dürfen, da es in einem Einheitsstaat nur eine (untrennbare) Staatsmacht und somit nur eine (untrennbare) Rechtsetzungsmacht gibt.391 Wenn die anderen Staatsorgane trotzdem noch als „Normgeber“ tätig sind, können ihre Rechtsetzungsbefugnisse nur aus ihren jeweiligen eigenen Befugnissen oder aus der direkten Ermächtigung durch den NVK (seinen SA) stammen. In der exekutiven Rechtsetzung des SR ist dies gerade der Fall: Der SR kann direkt aufgrund seiner (von der VVRCh festgelegten) Befugnisse oder aufgrund der Ermächtigung des SANVK in Form des Beschlusses oder des Gesetzes Verwaltungsrechtsnormen erlassen. Im ersten Fall stellt die Ausarbeitung der Rechtsnormen keine Ausübung einer Rechtsetzungsmacht dar, sondern nur eine Erfüllung der exekutiven Funktionen in Form der Rechtsnormen, mit anderen Worten, basiert die Ausarbeitung der Verwaltungsrechtsnormen nicht auf einer Gesetzgebungsmacht im originären Sinne, sondern auf der eigentlichen exekutiven Macht und dient der Erfüllung der staatlichen Verwaltungsaufgaben der Regierung. Nur im zweiten Fall übt der SR durch die Ermächtigung des SANVK ausnahmsweise die Rechtsetzungsmacht in Vertretung des NVK (oder des SANVK) aus. Im Fall der lokalen Rechtsetzung ist es ähnlich. Die lokale Rechtsetzung, die unmittelbar aufgrund einer Ermächtigung des SANKV erfolgt und somit eine „Verteilung“ der Rechtsetzungsmacht darstellt, findet nur ausnahmsweise in der Rechtsetzung der WSZ statt; in der Regel üben die LVK ihre Rechtsetzungsbefugnisse aber nur aufgrund der von der Verfassung zugeschriebenen Funktionen der LVK (§ 99 Abs. 1392, § 100 VVRCh sowie § 8 TOG) aus.393 In diesem Sinne ist die 390 „Innerhalb eines Einheitsstaates darf es auch die Verteilung der Gesetzgebungsmacht geben. Die Verteilung der Gesetzgebungsmacht findet nicht exklusiv im Bundestaaten statt.“ Chen Duanhong (1994), S. 27 – 28. „Die LVK und ihre SA sind Machtorgane. Die lokale Rechtsetzungsmacht unseres Landes ist eine von NVK und SANVK nach unten befreite, relativ eigenständige Macht.“ Liu Songshan (2009), S. 34. 391 „Die Rechtsetzungsmacht ist der Ausdruck der Souveränität. […] In einem Einheitsstaat gibt es nur eine Rechtsetzungsmacht.“ Guo Daohui, S. 11. „Die Eigenschaft des Einheitsstaates determiniert, dass die Rechtsetzungsmacht der LSO nicht originär und immanent ist.“ Chen Duanhong (1993), S. 40. „Zwar existieren in China auch die Rechtsetzungstätigkeiten des SR, der LVK der PAS, der LVK der autonomen Bezirke und autonomen Kreise sowie der LVK der größeren Städte. Sie aber besitzen keine eigenständige Rechtsetzungsmacht, ihre Rechtsetzungsarbeiten sind nur ein Teil des NVK.“ Cai Dingjian (1993), S. 4. „Unser Staat ist ein Einheitsstaat[…] die LSO besitzen keine immanenten Angelegenheiten, in die die ZSO nicht eingreifen dürfen.“ Zhu Liyu, S. 92. 392 Art. 99 Abs. 1 VVRCh sieht vor: Die LVK aller Ebenen gewährleisten in ihren jeweiligen Verwaltungsgebieten die Einhaltung und Durchführung der Verfassung, der Gesetze und
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
übliche lokale Rechtsetzung keine Verteilung der „Gesetzgebungsmacht“ des Staates, sondern nur eine Verteilung der Staatsfunktionen zwischen den ZSO und LSO gemäß der Verfassung. Dafür spricht auch das für die lokale Rechtsetzung geltende Gebot, dass die lokalen Rechtsnormen nicht im Widerspruch zu der Verfassung, den Gesetzen und den Verwaltungsrechtsnormen des SR stehen dürfen und dem SANVK zur Archivierung (bei an), die eine Art nachträgliche Kontrolle der lokalen Rechtsetzung ist, übermittelt werden sollen (Art. 100 Halbsatz 2 VVRCh). Im Fall der Rechtsetzung in autonomen Gebieten ist es klarer. Die autonomen Gebiete genießen zwar Selbstverwaltungsmacht (zizhi quan), aber diese Selbstverwaltungsmacht begründet keine eigenständige Rechtsetzungsmacht der autonomen Gebiete. Die LVK der autonomen Gebiete können zwar Autonomie-Vorschriften und spezielle Vorschriften entsprechend den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der Nationalität oder der Nationalitäten dieses Gebietes ausarbeiten, aber bevor sie in Kraft treten, bedürfen solche Rechtsnormen der Bestätigung und der Genehmigung des SANVK (Art. 106 Abs. 1 VVRCh, § 19 Abs. 1 GüR sowie § 75 Satz 1 GGG). Hinzu kommt noch, dass der Raum für eine abweichende Rechtsetzung in den autonomen Gebieten gering ist.394 In diesem Sinne existiert auch in den autonomen Gebieten keine echte Verteilung der Gesetzgebungsmacht. Textlich benutzt weder das GGG von 2000 oder das GGG von 2015 in ihren Texten (bewusst oder unbewusst) den Begriff der „lokalen Rechtsetzungsmacht“. Es regelt deskriptiverweise nur, dass die LVK gemäß der Verfassung, den Gesetzen oder den Verwaltungsrechtsnormen die lokalen Rechtsnormen ausarbeiten können (§ 72 GGG), führt aber nicht aus, dass diese Rechtsetzung eine Art der Ausübung der Gesetzgebungsmacht auf der lokalen Ebene ist. Die normativen Analysen zeigen, dass der Struktur des Einheitsstaates entsprechend es in China keine echte lokale Autonomie gibt und daher auch keine lokale Rechtsetzung, die auf einer originären und immanenten Gesetzgebungsmacht basiert, wie es in Bundesstaaten regelmäßig der Fall ist. Die Verteilung der Rechtadministrativen Verordnungen und Vorschriften; im Rahmen ihrer vom Gesetz festgelegten Machtbefugnisse verabschieden und verkünden sie Beschlüsse und überprüfen und bestimmen die Pläne für die lokale wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung und für die Entwicklung der öffentlichen Dienstleistungen. 393 Während der Ausarbeitung des GGG von 2000, forderten manche LSO, die direkte Ermächtigung der Rechtsetzungsmacht von NVK und SANVK auf die LVK und ihre SA festzulegen. Aber diese Forderung wurde abgelehnt. Geregelt wurde hingegen nur die Ermächtigung auf die WSZ. Vgl. dazu Liu Songshan (2000), S. 7 – 8. 394 § 75 Abs. 2 bestimmt: In Autonomie-Vorschriften und speziellen Vorschriften können gegenüber Bestimmungen von Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen gemäß den Besonderheiten der örtlichen Volksgruppen adjustierende Bestimmungen getroffen werden, die jedoch nicht den grundlegenden Prinzipien der Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen zuwiderlaufen dürfen, und es dürfen nicht gegenüber Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes über die Autonomie der Volksgruppengebiete und anderer Bestimmungen einschlägiger Gesetze und Verwaltungsrechtsnormen, die speziell für die Autonomie der Volksgruppengebiete ausgearbeitet wurden, adjustierende Bestimmungen getroffen werden.
A. Grundlegende Probleme der territorialen Rechtsetzung
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setzungsbefugnisse zwischen den ZSO und LSO ist vielmehr eine Verteilung der Staatsfunktionen: Die ZSO übernehmen die Staatsaufgaben, die landesweit bedeutsam sind, und der NVK und sein SA als höchster Gesetzgeber besitzen eine absolute Autorität gegenüber den lokalen Rechtsetzungsorganen. Die LSO übernehmen die lokalen Staatsaufgaben, die gebietsspezifisch sind, die LVK und ihre SA können, um diese lokalen Aufgaben zu erfüllen, im Rahmen der Verfassung, der Gesetze und der Verwaltungsrechtsnormen lokale Rechtsnormen als ein Mittel erlassen. In diesem Sinne ist die lokale Rechtsetzung eine derivative Rechtsetzung395, die sich der zentralen Rechtsetzung unterwerfen muss, sie ist eher eine Arbeitsteilung als Machtteilung zwischen den ZSO und den LSO.396
III. Das monistische, zweistufige Mehrebenen-Rechtsetzungssystem Unter dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus bedeutet der Monismus des Rechtsetzungssystems, dass verfassungsrechtlich sowie einfachrechtlich es in China nur eine Gesetzgebungsmacht gibt, die ausschließlich dem NVK und seinem SA zugeschrieben ist. Wenn die LVK und ihre SA lokale Rechtsnormen ausarbeiten, müssen sie die Verfassung und die Gesetze von NVK und SANVK beachten und die Einheit des sozialistischen Rechtssystems aufrechterhalten (Art. 5 Abs. 2 VVRCh). Die lokale Rechtsetzung ist nur eine „Durchführungsrechtsetzung“. Außerdem ist der SR zwar nur ein „exekutives Organ“, aber die Geltung der von ihm erlassenen Verwaltungsrechtsnormen sind auch höher als die Geltung der Rechtsnormen der LVK und ihrer SA, die die lokalen Machtorgane sind. Man nennt die einzige Quelle der Gesetzgebungsmacht und den Vorrang der Rechtsetzung der ZSO gegenüber der Rechtsetzung der LSO „den Monismus der Rechtsetzung (lifa yiyuan zhuyi)“ in China. Das zweistufige Rechtsetzungssystem bedeutet, dass die zentrale Rechtsetzung sich mit der lokalen Rechtsetzung kombiniert. Die lokale Rechtsetzung ist zwar keine Rechtsetzung, die auf einer immanenten Rechtsetzungsmacht des LSO basiert, aber da sie sich direkt aus der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Funktionen der LSO ergibt, ist ihre relativ eigenständige Stellung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Praktisch machen der Bedarf an regional unterschiedlicher experimenteller Rechtsetzung seit der Reform und Öffnung397 und die Notwendigkeit einer anpassungsfähigen Durchführung der zentralen Rechtsnormen auf der territorialen 395 Vgl. dazu Hou Bingwei, S. 54, 55; Zhou Wangsheng, Über einige theoretischen Probleme der lokalen Rechtsetzung, S. 33; Huang Ziyi, S. 19; Li li, S. 44; Qiao Xiaoyang (1993), S. 5. 396 Gui Yushi/Chai Yao, S. 109 – 110. 397 „Die lokale Rechtsetzung koordiniert sich mit der zentralen Rechtsetzung, […] sammelt die Erfahrungen und schafft die Voraussetzungen für die zentrale Rechtsetzung.“ Huang Ziyi, S. 19. Vgl. dazu auch Zhou Wangsheng, Über die Stellung der territorialen Rechtsetzung in China, S. 11; Yang Limin (2001), S. 24; Hou Bingwei, S. 55; Gui Yushi/Chai Yao, S. 8.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
Ebene398 die lokale Rechtsetzung zu einem unentbehrlichen Bestandteil innerhalb des gesamten Rechtsetzungssystems. Strukturell gesehen, existieren so schon zwei Stufen der Rechtsetzung: auf der zentralen und auf der lokalen Ebene. Die Mehrebenen-Rechtsetzung bedeutet, dass auf der zentralen und lokalen Ebene wiederum verschiedene Subjekte der Rechtsetzung existieren. Auf der zentralen Ebene gibt es drei Arten der Rechtsetzung, nämlich die Rechtsetzung des NVK, die des SANVK und die des SR; auf der lokalen Ebene gibt es drei Arten der Rechtsetzung, nämlich die Rechtsetzung der PAS, die der SWZ, und die der Städte mit Bezirken (SmB). Der Begriff des „monistischen zweistufigen Mehrebenen-Rechtsetzungssystems (yiyuan, liangji, duocengci lifa tizhi)“ ist eine theoretische Zusammenfassung der Erfahrungen der Rechtsetzung seit der Reform und Öffnung. Er enthält in sich zwar noch Widersprüche, z. B. zwischen der Festlegung der höchsten Stellung des NVK als staatlicher Gesetzgeber und der parallelen Anerkennung der Rechtsetzungsbefugnisse der LSO aus ihren Funktionen und Aufgaben, auch ohne die Ermächtigung des NVK oder des SANVK, aber es ist inzwischen eine herrschende Meinung über das Rechtsetzungssystem Chinas geworden.399 Dieses Rechtsetzungssystem ist ein Produkt der Kombination der unitarischen Struktur der Staatsmacht unter der Alleinherrschaft der KPCh und der objektiven Notwendigkeit der sachlichen Teilung der Rechtsetzungsmacht. Es unterscheidet sich einerseits von dem Rechtsetzungssystem in einem Bundesstaat, andererseits aber auch von dem Rechtsetzungssystem in einem reinen Einheitsstaat und ist „ein unitarisiertes Dezentralisierungsmodell der Rechtsetzung (jiquan de fenquan moshi)“.400
398
„Einer der Grundsätze der lokalen Rechtsetzung ist, die lokalen Besonderheiten auszuprägen.“ Zhou Wangsheng (2003), S. 3. „China ist ein Land mit großer Fläche und zahlreicher Bevölkerung. Die Entwicklungen der Politik, Wirtschaft und Kultur in verschiedenen Gebieten sind nicht gleich. […] Um den Staat effektiv zu regulieren, bedarf es neben der zentralen Rechtsetzung auch der lokalen Rechtsetzung als Ergänzung und Vervollständigung.“ Qiao Xiaoyang (1993), S. 3. „Die Umstände unseres Landes entscheiden, dass das Einheitsprinzip der zentralen Rechtsetzung mit dem Diversitätsprinzip der lokalen Rechtsetzung kombiniert werden muss.“ Feng Lixia, Studien zur Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen den zentralen und lokalen Staatsorganen hinsichtlich der Rechtsetzung, S. 119. 399 Vgl. dazu Qu Maohui, S. 123; Ruan Rongxiang (Hrsg.), S. 24 – 25. „Wie es sich in der Praxis bewährt, entfaltet dieses Rechtsetzungssystem die Initiative der zentralen Staatsorgane und die der lokalen Staatsorgane. Es entspricht den Bedürfnissen der administrativen Verwaltung und gewährleistet die Einheit des Rechtssystems des Staates.“ Liu Songshan (2009), S. 36. 400 Li Lin, S. 60.
B. Allgemeiner Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze
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B. Der allgemeine Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze Terminologisch werden im GGG die Rechtsnormen, die von LVK und SALVK der PAS, von LVK und SALVK der WSZ und von LVK und SALVK der SmB erlassen sind, einheitlich „territoriale Rechtsnormen (TRN, difangxing fagui)“ genannt, obwohl diese drei Arten von TRN ihrer Geltung nach unterschiedlich sind; z. B. ist die Geltung der TRN der PAS höher als die Geltung der TRN der SmB. Unter diesem einheitlichen Begriff regelt das GGG zuerst allgemein den sachlichen Umfang der territorialen Rechtsetzung.
I. Der Grundsatz der Gebietsbezogenheit § 73 Abs. 1 GGG legt fest: Territoriale Rechtsnormen können über folgende Angelegenheiten Bestimmungen treffen: (1) Angelegenheiten, bei denen zur Durchführung der Bestimmungen von Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen die Festlegung von konkreten Bestimmungen nach den tatsächlichen Umständen dieses Verwaltungsbezirkes erforderlich ist; (2) Angelegenheiten, die zu den territorialen Aufgaben gehören und bei denen die Festlegung von territorialen Rechtsnormen erforderlich ist. Bei diesem Absatz handelt sich um zwei Fälle: Die territoriale Rechtsetzung, die zur Durchführung der ranghöheren Rechtsnormen dient (sogenannte „TRN zur Durchführung, zhixing xing difang xing fagui“) und die territoriale Rechtsetzung, die ausschließlich die Regulierung der Angelegenheiten des eigenen Verwaltungsbezirkes betrifft (sogenannte „autonome TRN“, zizhu xing difangxing fagui“401). Zwar dienen die TRN der Durchführung wesentlich zur Konkretisierung der ranghöheren Rechtsnormen, aber das entscheidende Kriterium für diese Konkretisierung sind die „tatsächlichen Umstände eines Verwaltungsbezirkes“. In diesem Sinne unterscheidet sich der erste Fall kaum vom zweiten, in dem der Begriff der „territorialen Aufgaben“ betont ist. Diesen beiden Fällen gemeinsam ist deshalb der „Grundsatz der Gebietsbezogenheit“402 der zu regelnden Angelegenheiten. Dies ist der erste Grundsatz der lokalen Rechtsetzung. Der Grundsatz der Gebietsbezogenheit der lokalen Rechtsetzung fungiert einerseits als eine Beschränkung der lokalen Rechtsetzung: Die lokale Rechtsetzung muss sich auf Besonderheiten des Gebiets beziehen. Andererseits entfaltet dieser Grundsatz aber vor allem auch die Funktion, den Raum für die lokale Rechtsetzung zu öffnen. Was zu der „lokalen Wirklichkeit“ gehört, ist zwar wegen eines unitaristischen Rechtsetzungssystems auch der zentralen Rechtsetzungsmacht zugänglich. Aber die Vielfältigkeit und Komplexitäten 401
Vgl. dazu, Yu Zhaobo, S. 21; Ren Jin, S. 23. Um die „Gebietsbezogenheit“ auszudrücken und zu betonen, benutzt das GGG neben den Begriffen „tatsächliche Umstände des Verwaltungsgebiets“ und „lokale Angelegenheiten“ auch die Begriffe „konkrete Umstände“ und „praktische Bedürfnisse“ des Verwaltungsgebiets (§ 72 Abs. 1, 2 GGG). 402
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
der zu regelnden lokalen Gegenstände schließen die tatsächlichen Eingriffe der zentralen Rechtsetzungsmacht in lokale Angelegenheiten faktisch aus, fordern hingegen die LSO heraus, aktiv und anpassungsfähig die Regulierung eigener gebietsbezogener Angelegenheiten zu übernehmen. In diesem Sinne kann dieser Grundsatz die lokale Rechtsetzung von dem vorigen starren Rechtsetzungssystem befreien und eine sachliche Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO ermöglichen. Fraglich ist nur, was die „Gebietsbezogenheit“ der lokalen Rechtsetzung ist. Da wie oben ausgeführt in China keine echte lokale Autonomie und daher auch keine echte Autonomie in der Rechtsetzung der LSO existieren, ist der Begriff der „lokalen Angelegenheiten“ seinerseits vage. Verfassungsrechtlich können Art. 99 Abs. 1 und § 107 Abs. 1 VVRCh Hinweise für den Begriff der „lokalen Angelegenheiten“ liefern, in denen die Aufgaben der LSO (wesentlich der LVK, der SALVK und der lokalen Regierungen) genannt sind. Art. 99 Abs. 1 Halbsatz 2 VVRCh regelt die Aufgaben der LVK: Die lokalen Volkskongresse aller Ebenen […] bestimmen die Pläne für die lokale wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung und für die Entwicklung der öffentlichen Dienstleistungen. Art. 107 Abs. 1 VVRCh bestimmt die Aufgaben der lokalen Regierungen von der Kreisebene aufwärts: Sie verwalten im Rahmen ihrer gesetzlich festgelegten Kompetenzen in ihren jeweiligen Verwaltungsgebieten die Wirtschaft, das Erziehungswesen, die Wissenschaft, die Kultur, das Gesundheitswesen, die Körperkultur, die städtische und ländliche Entwicklung, die Finanzen, die zivilen Angelegenheiten, die Öffentliche Sicherheit, die Nationalitäten-Angelegenheiten, die Justizverwaltung, die aufsichtführende Arbeit, die Familienplanung und andere Verwaltungsarbeiten; sie verkünden Entscheidungen und Anordnungen, ernennen und entlassen, schulen und prüfen die Verwaltungsfunktionäre, zeichnen sie aus und bestrafen sie. Diese verfassungsrechtlichen Regelungen sind im TOG wiederholt und ergänzt. § 8 Abs. 3 sowie § 44 Abs. 4 TOG nennen die Kompetenz-Bereiche der LVK und der SALVK: Sie erörtern wichtige Angelegenheiten der Arbeit ihres Verwaltungsgebiets in den Bereichen von Politik, Wirtschaft, Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit, Umwelt und Ressourcenschutz, soziale und Wahlangelegenheiten und der Volksgruppenangelegenheiten und fassen Beschlüsse darüber. § 59 Abs. 5 TOG regelt die Aufgaben der Regierungen von der Kreisebene aufwärts: Sie führen den Plan der Entwicklung von Volkswirtschaft und Gesellschaft und den Haushalt aus und steuern in ihrem Verwaltungsgebiet die Verwaltungsarbeit in den Bereichen von Wirtschaft, Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit, sportlichen Angelegenheiten, Umwelt und Ressourcenschutz, der Stadt- und Dorfbauangelegenheiten, der Finanzen, der sozialen und Wahlangelegenheiten, der öffentlichen Sicherheit, der Volksgruppenangelegenheiten, der Justizverwaltung, der Überwachung und der Geburtenkontrolle. Diese Regelungen nennen die konkreten Aufgabenbereiche der LVK, der SALVK sowie der lokalen Volksregierungen und diese Bereiche können insgesamt als „lokale
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Angelegenheiten“ gesehen werden, die durch die TRN geregelt werden können. Aber begrifflich gesehen, bleiben diese Regelungen noch zu pauschal und können keine Unterscheidungsfunktion entfalten, da die Kompetenz-Bereiche der LSO sich kaum von den Tätigkeitsbereichen der zentralen Gesetzgeber unterscheiden lassen können.403 Z. B. können sowohl der NVK als auch der LVK entsprechende Rechtsnormen im Bereich der Wirtschaft erlassen, besonders in manchen wichtigen großen Städten geht die Rechtsnorm ihrer LVK über die Wirtschaft sogar der Rechtsnorm des NVK vor, obwohl die Festlegung solcher Regelung der Gegenstand eines Gesetzes ist.404 Die Bereiche der Erziehung, der Angelegenheiten der Volksgruppen, der Justizverwaltung usw. sind auch nicht bloß gebietsweise bedeutsam, sondern sie sind auch wichtige Aufgabenbereiche von NVK und SANVK, und wenn die LSO entsprechende Regelungen in diesen Bereichen erlassen wollen, müssen sie vorhandene Rechtsnormen der ZSO beachten. In diesem Sinne sind die Angelegenheiten, die zwar verfassungsrechtlich als „lokale Aufgaben der LSO“ eingestuft sind, auch keine echten lokalen Angelegenheiten. Vor diesem Hintergrund, um das Einteilungskriterium der Rechtsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO klarer aufzustellen, legte das GGG von 2000 die ausschließlichen Gesetzgebungsbereiche von NVK und NVK im § 8 fest, indem es die 11 nur durch Gesetze zu regelnden Gegenstände nennt. Die Festlegung der ausschließlichen Gesetzgebungsbereiche geht offenbar von einer „Wesentlichkeitstheorie“ aus405, die den zentralen Gesetzgeber verpflichtet, wesentliche Rechtsgebiete selbst zu regeln. Die ausschließliche Rechtsetzung von NVK und SANVK schließt einerseits die Tätigkeitsmöglichkeiten des SR in diesen gleichen Bereichen aus, wenn keine Ermächtigungsgrundlage durch den NVK (oder seinen SA) vorliegt, schließt andererseits aber auch die Tätigkeit der lokalen Rechtsetzungsorgane in diesen gleichen Bereichen aus, wenn es keine Ermächtigung (besonders auf die SWZ) vom SANVK gibt. Hinsichtlich der vertikalen Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse bedeutet die ausschließliche Gesetzgebung der zentralen Gesetzgeber zugleich, dass theoretisch außerhalb dieser ausschließlichen Bereiche die lokalen Rechtsetzungsorgane in allen anderen Bereichen tätig sein dürfen. Dies ist eine negative Weise für die Festlegung der Rechtsetzungsbereiche der lokalen 403 Die Nennung dieser Aufgabenbereiche der lokalen Staatsorgane hindert nicht, dass die zentralen Gesetzgeber jederzeit in sie eingreifen. Vgl. dazu Xu Anbiao, S. 40. 404 Das Gesellschaftsgesetz der VRCh ist ein wichtiges Gesetz im Bereich der Wirtschaft. Aber die Versuche, ein landesweit einheitliches Gesellschaftsrecht zu erlassen, waren vielmals gescheitert. Als eine wichtige Stadt der Wirtschaft benötigte Shenzhen dringend ein Gesellschaftsgesetz die Stadt arbeitete daher 1993 zunächst zwei lokale Verordnungen über die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkte Haftung aus, die einem landesweit einheitlichen Gesellschaftsgesetz (1994) vorgingen. Vgl. dazu Li Yahong, S. 25, 26. 405 „Den entsprechenden Regelungen von der VVRCh und dem GGG ist zu entnehmen, dass in unserem Land das Einteilungskriterium der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den ZSO und den LSO der Grad der Wichtigkeit der zu regelnden Gegenstände, aber nicht der Umfang des Einflusses, ist.“ Feng Lixia, Das Einteilungskriterium der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den zentralen und lokalen Staatsorganen, S. 38.
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Rechtsetzungsorgane. Zwar ist die Ansicht, man solle eine positive Abgrenzung der lokalen Rechtsetzungsbefugnisse vornehmen, also „eine ausschließliche Rechtsetzung der lokalen LSO“ zu schaffen, von manchen Juristen in den letzten Jahren vertreten worden406, aber da diese Ansicht mit der Machtstruktur der KPCh und des Staates und dem Rahmen des vorhandenen (unitaristischen) Rechtsetzungssystems nicht übereinstimmt, bleibt sie unrealistisch. Unter der ausschließlichen Gesetzgebung der zentralen Gesetzgeber hat die Gebietsbezogenheit der lokalen Rechtsetzung eine relativ klare Konnotation: Was zu den lokalen Angelegenheiten gehört, sind diejenigen Angelegenheiten, die nicht unter die Bereiche der ausschließlichen Rechtsetzung der Gesetzgeber fallen und zugleich gebietsweise bedeutsam sind.
II. Der Grundsatz des „Nichtverstoßens“ Der Grundsatz des „Nichtverstoßens“ (bu dichu yuanze) heißt allgemein, dass die von lokalen Rechtsetzungsorganen erlassenen Rechtsnormen nicht mit ranghöheren Rechtsnormen im Widerspruch stehen dürfen. Innerhalb eines unitaristischen Staates ist dieser Grundsatz selbstverständlich, um die Einheit der Rechtsordnung aufrechtzuerhalten. Er ist daher auch vom GGG mehrfach betont worden. § 72 Abs. 1 GGG regelt: Volkskongresse der PAS und deren Ständige Ausschüsse können […] territoriale Rechtsnormen unter der Voraussetzung festlegen, dass diese nicht mit der Verfassung, den Gesetzen oder den Verwaltungsrechtsnormen im Widerspruch stehen; § 72 Abs. 2 GGG regelt: Volkskongresse der SmB und deren Ständige Ausschüsse können territoriale Rechtsnormen […] unter der Voraussetzung festlegen, dass diese nicht mit der Verfassung, den Gesetzen, den Verwaltungsrechtsnormen oder den territorialen Rechtsnormen der PAS im Widerspruch stehen. Viel diskutiert, jedoch noch umstritten ist aber, in welchem Fall eine rangniedrigere (lokale) Rechtsnorm mit einer ranghöheren (zentralen) Rechtsnorm „in Widerspruch steht“. Der Tatbestand dieses „Verstoßens“ der TRN gegen zentrale Rechtsnormen ist nicht im GGG definiert. Theoretisch sind aber drei Fälle voneinander zu unterscheiden: das Verstoßen der TRN gegen konkrete Regelungen der Verfassung, der Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen; das Verstoßen der TRN gegen Grundsatz, Zweck oder Leitgedanken eines Gesetzes; das Verstoßen der TRN gegen die Politik der KPCh, was eine spezielle Erscheinung im chinesischen Kontext ist.
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„Nur wenn die lokalen Staatsorgane ausschließliche Rechtsetzungsbefugnisse genießen, können die Angelegenheiten der lokalen Rechtsetzung ausführlich genannt werden und damit kann die Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den zentralen und lokalen Staatsorganen verrechtlicht werden.“ Sun Bo (2008), S. 118. Vgl. dazu auch Cui Zhuolan/Sun Bo, S. 4.
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Das Verstoßen der TRN gegen konkrete Regelungen der Verfassung, der Gesetze oder der Verwaltungsrechtsnormen bedeutet, dass die ranghöhere Rechtsnorm durch konkrete Bestimmungen selbst schon den Raum für eine entsprechende rangniedrigere Rechtsnorm festgelegt hat. Dieser Fall ist relativ einfach zu beurteilen. Dafür seien hier drei Beispiele im Bereich des Verwaltungsrechts genannt. (1) § 11 Abs. 1 des Gesetzes der VRCh über Verwaltungstrafen (GüVS)407 regelt: Die territorialen Rechtsnormen können Verwaltungsstrafen vorsehen, ausgenommen sind die Beschränkung der körperlichen Freiheit und die Abschaffung der Lizenzen der Unternehmen. Abs. 2 der Vorschrift regelt: Wenn Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen über die das Recht verletzenden Handlungen Regelungen getroffen haben und die TRN dazu konkrete Regelungen festlegen muss, muss die TRN innerhalb der Arten der mit Verwaltungsstrafen zu verhängenden Handlungen, der Arten und des Umfangs der Verwaltungsstrafen, die von Gesetzen oder Verwaltungsrechtsnormen festgelegt sind, vorgehen. Hier setzen diese beiden Absätze des GüVS ausdrücklich die Grenze für die entsprechende TRN. Wenn z. B. ein lokales Rechtsetzungsorgan eine TRN im Bereich der Beschränkung der körperlichen Freiheit ausarbeitet, stellt dies einen klaren Verstoß gegen das GüVS als ranghöhere Rechtsnorm dar. (2) § 11 Abs. 1 des Gesetzes der VRCh über Verwaltungszwang (GüVZ)408 regelt: Wenn Gesetze über Gegenstand, Voraussetzung und Art einer Maßnahme des Verwaltungszwangs schon Regelungen getroffen haben, dürfen […] territoriale Rechtsnormen keine erweiterten Regelungen treffen; dessen Abs. 2 Satz 1 regelt: Wenn eine Maßnahme des Verwaltungszwangs nicht in einem Gesetz steht, darf sie auch nicht in einer TRN geschaffen werden. (3) Ähnliche Regelungen finden sich auch in § 16 des Gesetzes der VRCh über Verwaltungserlaubnis (GüVE)409. Dessen Abs. 2 sieht vor: Territoriale Rechtsnormen können in einem Bereich von Angelegenheiten, für den Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen Verwaltungserlaubnisse vorsehen, konkrete Bestimmungen für die Erteilung dieser Verwaltungserlaubnisse treffen; dessen Abs. 4 regelt: Die konkreten Bestimmungen von territorialen Rechtsnormen […] für die Erteilung von in höherrangigem Recht vorgesehenen Verwaltungserlaubnissen dürfen keine weiteren Verwaltungserlaubnisse vorsehen; die konkreten Regelungen für die Bedingungen für Verwaltungserlaubnisse dürfen keine zusätzlichen Bedingungen vorsehen, welche anderen Bedingungen im höherrangigen Recht zuwiderlaufen. Diese typischen Beispiele aus GüVS, GüVZ und GüVE410 stellen den möglichen Regelungsbereich für die entsprechenden, rangniedrigeren TRN fest, deuten somit auch die Fälle des möglichen Verstoßes einer TRN gegen konkrete Regelungen eines Gesetzes an. Durch diese Umgrenzungen in konkreten Regelungen ist der Fall des Verstoßens einer TRN gegen ein Gesetz relativ klar.
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Zhonghua renmin gongheguo xingzheng chufa fa, Inkrafttreten seit 01. 10. 1996. Zhonghua renmin gongheguo xingzheng qiangzhi fa, Inkrafttreten seit 01. 01. 2012. Zhonghua renmin gongheguo xingzheng xuke fa, Inkrafttreten seit 01. 07. 2003. Vgl. dazu Xiang Lili, S. 69.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
Der zweite Fall des Verstoßens einer TRN gegen eine zentrale Rechtsnorm liegt darin, dass diese TRN gegen Grundsatz, Zweck oder Leitgedanken einer zentralen Rechtsnorm verstößt. In diesem Fall wird das Problem des „Verstoßens“ häufig in ein Auslegungsproblem der Rechtsnorm umgewandelt, dessen Lösung, unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass in China bis jetzt kein vollständiges System der Rechtsdogmatik existiert, schwierig ist. Verglichen mit dem ersten Fall ist dieser Fall relativ schwierig zu beurteilen, da Grundsatz, Zweck oder Leitgedanke eines Gesetzes relativ abstrakt und allgemein sind und ihre normative Kontrollfunktion über eine rangniedrigere Norm dementsprechend schwach ist. Besonders in der Anfangsphase der Gesetzgebung Chinas war dieses Problem häufiger. Unter dem Gedanken, dass Gesetzgebung und Gesetze grob und nicht detailliert sein sollen, und auch wegen des Mangels an der Gesetzgebungstechnik sind viele Regelungen in (auch noch heutigen) Gesetzen Chinas wenig konkret. Dies drückt sich einerseits darin aus, dass Grundsatz, Zweck oder Leitidee eines Gesetzes ihrerseits vage sind, und anderseits darin, dass die konkreten Regelungen, die zur Verwirklichung von Grundsatz, Zweck oder Leitidee eines Gesetzes dienen, nicht zielgenau sind. Diese Vagheit erweitert zwar den Versuchsraum der lokalen Rechtsetzung, macht aber die Determinierung von TRN durch zentrale Rechtsnormen schwierig, da sie einen zu großen Raum für die lokale Rechtsetzung belässt. Wegen der Vagheit der Bestimmungen können Grundsatz, Zweck oder Leitidee eines Gesetzes in ihm selbst oft nicht klar erkannt werden. In diesem Fall ist dann die Beurteilung des Verstoßens einer TRN gegen Grundsatz, Zweck oder Leitidee eines Gesetzes kaum möglich. Tatsächlich bleiben darum viele TRN, wenn sie nicht gerade sensible politische Fragen berühren, gültig, auch wenn ihre Konformität mit einem ranghöheren Gesetz fraglich ist. Im Rahmen der Versuchspolitik des Rechts und der Wirtschaft wird eine solche Nicht-Konformität sogar bewusst toleriert. Da konkrete Festlegungen des Bereichs für lokale Rechtsetzungsorgane in einer zentralen Rechtsnorm wie in den oben genannten Beispielen im Bereich des Verwaltungsrechts nur Ausnahmefälle sind411, kommt es faktisch für das Nichtverstoßen 411 Die Regelfälle sind vielmehr, dass eine zentrale Rechtsnorm (normalerweise Gesetz oder Verwaltungsrechtsnorm) die Befugnisse lokaler Regierungen im bestimmten Bereich festlegt und sie befiehlt, gewisse Verwaltungsakte zu ergreifen, um die von dieser zentralen Rechtsnorm festgelegte Pflicht zu erfüllen. Dass ein Gesetz oder eine Verwaltungsrechtsnorm direkt einen lokalen LVK oder SALVK verpflichtet, eine bestimmte TRN unter den vom NVK (SANVK) oder SR festgelegten Voraussetzungen zu erlassen, ist hingegen selten. Das Gesetz der VRCh über Umweltschutz (GüU, zhonghua renmin gonghe guo huanjing baohu fa, Inkrafttreten seit 26. 12. 1986, zuletzt geändert am 24. 04. 2014) bestimmt lokale Volksregierungen als Hauptsubjekte im Umweltschutz auf der lokalen Ebene und sieht weitreichende Befugnisse und Verpflichtungen lokaler Regierungen vor: Die Verantwortlichkeit lokaler Regierungen für die Qualität der Umwelt (§ 6 Abs. 2 GüU), die finanziellen Investitionen in den Umweltschutz (§ 8 GüU), die Überwachung-und Regulierungsarbeiten (§ 10 Abs. 2) usw. Im GüU sind hingegen keine Befugnisse und Verpflichtungen lokaler Rechtsetzungsorgane geregelt. Dies bedeutet, dass die lokalen Rechtsetzungsorgane, verglichen mit den lokalen Regierungen, hinsichtlich des Umweltschutzes, größeren Raum besitzen und somit die Beurteilung des Stoßens einer TRN hinsichtlich des Umweltschutzes gegen das GüU schwierig ist.
B. Allgemeiner Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze
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einer TRN zumeist auf Grundsatz, Zweck oder Leitgedanken einer zentralen Rechtsnorm an. Aus der technischen Perspektive der Rechtsetzung drückt sich dies auch in der Nennung der zentralen Norm aus. In zahlreichen Beispielen der TRN ist das ihr zugrunde liegende Gesetz normalerweise nur grob als Ganzes genannt, und auf die konkreten Regelungen dieses Gesetzes, die eine TRN befolgen muss, wird hingegen selten hingewiesen. Ein Beispiel: § 1 der Verordnung der Guangdong Provinz über Umweltschutz lautet: „Diese Verordnung ist […] gemäß dem Gesetz der VRCh über Umweltschutz und anderen Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen ausgearbeitet.“ Eine fast gleiche Bestimmung findet sich auch in § 1 der Verordnungen über Umweltschutz der Provinzen Sichuan, Hubei, Hunan usw. Weitere Regelungen, die die Grundlage einer TRN zum Ausdruck bringen können, existieren nicht. Da die Angabe über die Grundlage für die Ausarbeitung einer TRN über Umweltschutz so grob und allgemein ist, ist es fast unmöglich zu beurteilen, ob eine solche TRN mit dem ranghöheren Gesetz über Umweltschutz im Widerspruch steht. Zwar werden die Einheit des Rechtssystems und die Autorität der ZSO in der Rechtsetzung viel betont, aber die Aushöhlung des Prinzips des „Nichtverstoßens“ führt zu einer faktischen Teilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen ZSO und LSO. Noch unklarer wird es beim Verstoßen einer TRN gegen die Politik der Partei. Zwar entfaltet die Politik als Wille der Partei in China bis jetzt noch wichtige (oder entscheidende) Leitungsfunktionen in allen Bereichen des Staatslebens, aber sie ist keine Rechtsnorm, weder im formellen noch im materiellen Sinne. Das Streben nach der Formalisierung des Staates gegenüber der Partei seit 1978 im Rahmen des Aufbaus eines sozialistischen Rechtsstaates fordert eine klarere Abgrenzung zwischen Politik und Recht und eine Beschränkung der Funktion der Politik der Partei im Staatsleben. Aber all dies verhindert nicht, dass die Politik der Partei in der Gesetzgebung weiter als Kriterium bleibt, was auch im GGG gesetzlich festgelegt ist412. Ihrem Wesen nach spiegelt die Politik der Partei das Verständnis und die Willensentscheidung einer jeweiligen Führungsgeneration der Partei über die Regulierung und Verwaltung des Staates wider, und sie ist daher häufig unstabil und nur im bestimmten Zeitraum gültig. Darüber hinaus ist ihre Ausarbeitung, sowohl prozessual als auch inhaltlich, mit einer formellen Rechtsnorm nicht vergleichbar. In diesem Sinne stehen die Bestrebungen der Politik häufig im Spannungsverhältnis mit einer Rechtsnorm, die Rechtssicherheit und Öffentlichkeit als zwei grundlegende Werte gewährleisten soll. Aus diesem Spannungsverhältnis heraus ergibt sich nicht selten, dass die TRN der Politik der Partei zuwiderlaufen.
Ähnliche Beispiele finden sich auch im Gesetz der VRCh über Wasser (zhonghua renmin gongheguo shui fa, Inkrafttreten seit 21. 01. 1988), Gesetz der VRCh über Forst (zhongguo renmin gongheguo senlin fa, Inkrafttreten seit 20. 09. 1984) usw. 412 § 3 GGG regelt: Die Gesetzgebung soll […] an der Führung der Partei festhalten. Dies bedeutet dann auch, dass die Gesetzgebung nicht gegen die Politik als Wille und Handlungsform der Partei verstoßen darf.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
Der typische Fall ist, dass, nachdem eine Politik der Partei geändert wurde, eine mit ihr, z. B. hinsichtlich der Zielsetzung, im Widerspruch stehende TRN weiter im bestimmten Zeitraum gültig bleibt. Dafür kann die Änderung der Politik der Partei über die Geburtsplanung in den vergangenen 3 Jahren ein lebhaftes Beispiel liefern: Um das Alterungsproblem der Bevölkerung, das durch die Geburtsplanungspolitik (jihua shengyu zhengce) als „eine grundlegende Staatspolitik“ seit den 1970 Jahren entstanden ist, zu mildern, entschied die 3. Plenartagung des XVIII. Zentralkomitees der KPCh am 12. 11. 2013, die bisher strenge „Ein-Kind-Politik“ als Kerninhalt der Geburtsplanungspolitik zu ändern. Die neue Politik erlaubt, dass Ehepaare, unter der Voraussetzung, dass der Ehemann oder die Ehefrau selbst einziges Kind seiner oder ihrer Eltern sind, ein zweites Kind zu haben, die sogenannte „dan du er tai“-Politik. Abhängig von den Umständen und der Rechtsetzungskapazität der jeweiligen SALVK dauerte es einige Monate, bis diese neue Leitungspolitik der Partei landesweit allmählich von den TRN in den jeweiligen Verwaltungsgebieten umgesetzt wurde, z. B., es dauerte in der Stadt Beijing etwa 3 Monate, bis die entsprechende TRN geändert wurde.413 Dieser Zeitunterschied zwischen der Änderung der Geburtsplanungspolitik und den Änderungen entsprechender TRN stellte einen Konflikt zwischen der Politik der Partei und den TRN dar, eine Art des Konflikts zwischen der politischen Priorität der Politik und der normativen Geltung der Rechtsnorm. Diese Art des Verstoßens der TRN gegen eine Politik der Partei tritt in China häufig auf. Hinsichtlich der Geburtsplanungspolitik werden voraussichtlich die zahlreichen TRN über Bevölkerung und Geburtsplanung in kurzer Zeit geändert, da die 5. Plenartagung des XVIII. Zentralkomitees der KPCh im Oktober 2015 entschieden hat, die Geburtsplanungspolitik weiter zu lockern und die Politik „des allseitigen zweiten Kindes“414 durchzusetzen. Da die Politik und die Rechtsnorm von verschiedener Natur sind, also die Politik nicht rechtlich verbindlich wirkt und auch keine einer Rechtsnorm vergleichbare normative Funktion entfalten kann, kann der Konflikt zwischen ihnen nicht rechtlich, z. B. durch reine Normenkontrolle innerhalb der Stufenordnung der Normenpyramide gelöst werden. In China wird ein solcher Konflikt vielmehr durch politische und organisatorische (als nicht formelle) Mittel gelöst. Mit „politischen und organisatorischen Mittel“ ist gemeint, dass ranghöhere Organe der KPCh (mindestens theoretisch) die absolute Kontrolle über Parteimitglieder der rangniedrigeren Parteiorganisationen haben – durch Ernennungen und Entlassungen, Auszeichnen und Bestrafen usw. Diese Kontrolle wirkt als innerer Druck nach unten, der hilft, die Politik nach unten durchzusetzen. Die Mitglieder rangniedrigerer Parteiorganisa413 Die „dan du er tai“-Politik wurde durch den Änderungsbeschluss vom 21. 02. 2014 von der 9. Sitzung des Ständigen Ausschusses des 14. Volkskongresses der Stadt Beijing in die Verordnung der Stadt Beijing über Bevölkerung und Geburtsplanung aufgenommen. Ähnliche Änderungsbeschlüsse fanden in der Stadt Shanghai am 25. 02. 2014, in der Provinz Sichuan am 20. 03. 2014, in der Provinz Guangdong am 27. 03. 2014 statt, usw. 414 Dies bedeutet, dass alle Ehepaare ein zweites Kind haben dürfen, ohne Berücksichtigung, ob ein Teil des Ehepaares einziges Kind seiner oder ihrer Eltern ist.
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tionen, die zugleich auch Mitglieder entsprechender Staatsorgane sind, müssen aktiv mit der Politik übereinstimmend handeln, damit sie mögliche politische Risikos vermeiden und Möglichkeiten für den Aufstieg aufrechterhalten können. Für lokale Rechtsetzungsorgane, deren Mitglieder auch allermeist Parteimitglieder sind, wird das zeitbedingte Verstoßen ihrer eigenen TRN gegen die neuste Politik durch ihre aktive Änderung der bisherigen TRN gelöst. Hinsichtlich seiner Funktionen wirkt das Prinzip des „Nichtverstoßens“ als eine Beschränkung des Prinzips der Gebietsbezogenheit, aber zugleich auch als eine Erweiterung der Rechtsetzungstätigkeiten lokaler Rechtsetzungsorgane, die ohne Abwarten der Änderung zentraler Rechtsnormen unmittelbar die Politik der Partei umsetzen können. Beschränkend wirkt das Prinzip des „Nichtverstoßens“ in den der lokalen Rechtsetzung zugeschriebenen Bereichen. Unter dem Prinzip der Gebietsbezogenheit sind lokale Rechtsetzungsorgane berechtigt, alle TRN zu treffen, insofern deren Gegenstände gebietsweise bedeutsam und zugleich nicht Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung von NVK und SANVK sind. Aber dies bedeutet nicht, dass lokale Rechtsetzungsorgane im so umgrenzten Umfang der Rechtsetzungsbefugnisse dann völlig frei wären. Die ausschließliche Gesetzgebung von NVK und SANVK legt nur fest, dass bestimmte Bereiche nur durch Gesetze zu regeln sind. Sie regelt aber nicht, dass alle anderen Bereiche, die nicht der ausschließlichen Gesetzgebung angehören, nicht durch Gesetze geregelt werden können. Da der NVK (und sein SA) in der Verfassung als das höchste Machtorgan des Staates (§ 58 Satz 1 VVRCh) bestimmt ist, ist es konsequent, dass der NVK (und sein SA) in allen Bereichen des Staatslebens tätig sein darf, inklusive auch derjenigen Bereiche, die zu den lokalen Rechtsetzungskompetenzen gehören. Dies führt einerseits, wie oben ausgeführt, zur Unmöglichkeit der Festlegung der sogenannten „lokalen ausschließlichen Rechtsetzung“, andererseits auch zur Beschränkung der lokalen Rechtsetzungstätigkeiten: Wenn es in den der lokalen Rechtsetzung zustehenden Bereichen schon entsprechende zentrale Rechtsnormen gibt, darf die lokale Rechtsetzung ihnen nicht zuwiderlaufen. Die Rechtsetzungskompetenzen lokaler Rechtsetzungsorgane erweiternd wirkt das Prinzip des „Nichtverstoßens“ hingegen in den ausschließlichen Bereichen von NVK und SANVK. Die ausschließliche Gesetzgebung von NVK und SANVK fordert, dass andere Staatsorgane, der SR und die LSO, nicht in den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung handeln dürfen, wenn keine direkte Ermächtigung von NVK und SANVK vorliegt. Das Prinzip des „Nichtverstoßens“ bricht im gewissen Maße aber den strengen Grundsatz der ausschließlichen Gesetzgebung: Wenn in den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung schon entsprechende Gesetze existieren, dürfen lokale Rechtsetzungsorgane auch in den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung entsprechende TRN ausarbeiten, soweit sie nicht gegen diese Gesetze verstoßen. Da aber das Prinzip des „Nichtverstoßens“, dessen wesentlicher Teil das „Nichtverstoßen“ gegen Grundsatz, Zweck oder Leitdanken eines
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
Gesetzes ist, nur schwache normative Kraft gegenüber der lokalen Rechtsetzung entfalten kann, ist der ihm von der lokalen Rechtsetzung überlassene Raum in den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung sehr groß.415 Es ist nicht daher nicht selten, dass in der Praxis die TRN die Regelungen der Gesetze der ausschließlichen Gesetzgebung ändern oder vertreten. Die Rechtsfolge der Verletzung des Prinzips des „Nichtverstoßens“ ist in § 96 und § 97 GGG geregelt. § 96 GGG bestimmt: Wenn bei Gesetzen, Verwaltungsrechtsnormen, territorialen Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelverordnungen oder Regeln einer der folgenden Umstände vorliegt, werden sie von dem betreffenden Organ gemäß der Zuständigkeit nach § 88 dieses Gesetzes geändert oder aufgehoben: […] (2) wenn nachrangiges Recht gegen Bestimmungen höherrangigen Rechts verstößt. § 97 bestimmt: Für die Zuständigkeit für die Änderung oder Aufhebung der Gesetze, Verwaltungsrechtsnormen, territorialen Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelverordnungen sowie Regeln gilt: […] (2) der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat das Recht […], territoriale Rechtsnormen aufzuheben, die im Widerspruch zur Verfassung, zu den Gesetzen oder den Verwaltungsrechtsnormen stehen; er hat das Recht, von den Ständigen Ausschüssen der Volkskongresse der PAS genehmigte Autonomie- und Einzelverordnungen aufzuheben, die gegen die Verfassung oder gegen § 75 Abs. 2 dieses Gesetzes416 verstoßen. Zwar ist die Macht des SANVK zur Kontrolle über die lokale Rechtsetzung ein wichtiger Teil seiner Kompetenzen. Jedoch übt der SANVK seit 1978 diese Kompetenz nicht aus. Es liegt bis jetzt noch kein Fall vor, in dem eine TRN rechtlich durch den SANVK geändert oder aufgehoben wurde. Dies bedeutet aber keineswegs, dass Verstöße nicht existierten. Die Gründe für die scheinbare „Harmonie“ können einerseits sein, dass der langfristig schwache Gesetzgeber, der sich zuerst auf die Schaffung neuer Gesetze konzentrieren muss, keine ausreichende Energie für die Kontrolle über die lokale Rechtsetzung aufbringen kann; andererseits aber auch, dass potentielle Konflikte schon in der Vorbereitungsphase einer TRN politisch gelöst wurden, d. h. durch interne Beratungen und Anpassungen in der Partei „harmonisiert“ wurden.
415 „Das Prinzip des ,Nicht-Gegen-Stoßens‘ hinterlässt der lokalen Rechtsetzung großen Spielraum.“ Shen Guancheng, S. 19. 416 Er regelt: In Autonomie- und Einzelverordnungen können gegenüber Bestimmungen von Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen gemäß den Besonderheiten der örtlichen Volksgruppen adjustierende Bestimmungen getroffen werden, die jedoch nicht den grundlegenden Prinzipien der Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen zuwiderlaufen dürfen, und es dürfen nicht gegenüber Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes über die Autonomie der Volksgruppengebiete und anderer Bestimmungen einschlägiger Gesetze und Verwaltungsrechtsnormen, die speziell für die Autonomie der Volksgruppengebiete ausgearbeitet wurden, adjustierende Bestimmungen getroffen werden.
B. Allgemeiner Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze
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III. Der Grundsatz der „lokalen vorzeitigen Rechtsetzung“ Die Anwendung des Prinzips des „Nichtverstoßens“ setzt die Existenz der entsprechenden, ranghöheren Rechtsnormen voraus. Wenn es keine solchen ranghöheren Rechtsnormen gibt, räumt das GGG unter bestimmten Bedingungen der lokalen Rechtsetzung gewissen Vorrang ein. Dieser Vorrang der lokalen Rechtsetzung wird als „Grundsatz der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung“ (difang xianxing lifa yuanze) bezeichnet. Klar ist, dass dieser Grundsatz sich wesentlich aus der Versuchspolitik der Rechtsetzung in der Übergangsphase seit 1978 ergibt.417 § 73 Abs. 2 GGG bestimmt: Wenn in anderen als den in § 8 bestimmten Angelegenheiten zentralstaatlich noch kein Gesetz und noch keine Verwaltungsrechtsnorm festgelegt worden ist, können PAS, SmB und autonome Bezirke (zizhi zhou) den konkreten Umständen und den praktischen Bedürfnissen dieser Region entsprechend zunächst territoriale Rechtsnormen festlegen. Nach Inkrafttreten eines zentralstaatlich festgelegten Gesetzes oder einer zentralstaatlich festgelegten Verwaltungsrechtsnorm treten Bestimmungen der territorialen Rechtsnormen außer Kraft, die mit dem Gesetz bzw. der Verwaltungsrechtsnorm in Widerspruch stehen, und das festlegende Organ muss sie unverzüglich ändern oder aufheben. Die Anwendung des Grundsatzes der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung muss folgenden Voraussetzungen unterliegen: (1) Die Bereiche der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung müssen keine Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung sein. Rechtfertigung dafür könnte sein, dass die Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung von so großer Bedeutung sind, dass sie nicht auf der lokalen Ebene vorzeitig „versucht“ werden dürfen und den zentralen Gesetzgebern vorbehalten werden müssen, damit sie nicht in unterschiedlichen TRN unterschiedlich geregelt werden. (2) Die Gebietsbezogenheit der TRN der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung. Zwar üben lokale Rechtsetzungsorgane in der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung gewisse „Gesetzgebungsmacht“ in Vertretung der zentralen Gesetzgeber aus, aber sie dürfen, anderes als echte zentrale Gesetzgeber, keine eigene das Verwaltungsgebiet übergreifende, oder sogar landesweit gültige TRN ausarbeiten, sondern müssen von den konkreten Umständen und den praktischen Bedürfnissen eigener Verwaltungsgebiete ausgehen und „lokale“ TRN erlassen. (3) Die Geltung der TRN, dem vorläufigen und Versuchscharakter der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung entsprechend, ist provisorisch und sekundär. Sobald entsprechende zentrale Rechtsnormen in Kraft treten, werden die ihnen zuwiderlaufenden TRN ungültig und müssen aufgehoben oder abgeändert werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auch in den Bereichen der nicht-ausschließlichen Gesetzgebung NVK und SANVK absoluten Vorrang besitzen.418 Bezüglich seiner Funktionen erweitert der Grundsatz der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung vor allem den Umfang der Tätigkeitsbereiche lokaler Rechtset417 418
Vgl. dazu Yu Zhaobo, S. 23; Li Dianbiao, S. 57. Li Lin, S. 64.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
zungsorgane. Der Zweck des GGG, Gesetzgebungskompetenzen zentraler Gesetzgeber durch die lokale vorzeitige Rechtsetzung auf lokale Rechtsetzungsorgane zu übertragen, ist klar, damit die Versuchspolitik der Rechtsetzung durchgesetzt werden und die Lücken der Rechtsnormen in der Regulierung der Gesellschaft vorläufig gefüllt werden können. Die vorzeitige Rechtsetzung lokaler Rechtsetzungsorgane macht ihre Tätigkeiten in den Bereichen möglich, die zwar nicht zu der ausschließlichen Gesetzgebung gehören, aber wegen des Unitarismus der Rechtsetzung auch stillschweigend den zentralen Gesetzgebern vorbehalten sind. Andererseits, wie die drei oben genannten Bedingungen für die lokale vorzeitige Rechtsetzung darstellen, sind das Misstrauen und die Vorsicht zentraler Gesetzgeber gegenüber dieser Art von lokaler Rechtsetzung auch deutlich. Besonders durch die zeitliche Einschränkung ihrer Geltung lässt sich die TRN von der Art der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung von den TRN der „normalen“ lokalen Rechtsetzung unterscheiden. In diesem Sinne stellt der Grundsatz der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung auch strenge Einschränkungen für die lokale vorzeitige Rechtsetzung selbst dar. Während der Grundsatz des „Nichtverstoßens“ eine Einschränkung für die lokale Rechtsetzung im Falle der Existenz entsprechender zentraler Rechtsnormen darstellt, zielt der die zeitliche Einschränkung der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung darauf, den Vorrang noch nicht existierender zentraler Rechtsnormen für den Fall ihrer künftigen Geltung zu sichern und so die absolute Autorität der zentralen Gesetzgeber zu gewährleisten. Fraglich ist nur, wie die Vorläufigkeit und damit die zeitliche Beschränkung gesichert werden kann. § 73 Abs. 2 GGG stellt zwar strenge Bedingungen für lokale Rechtsetzungsorgane auf, die die lokale vorzeitige Rechtsetzung ausüben, er schafft aber keine entsprechenden Pflichten für zentrale Gesetzgeber. In diesem Absatz heißt es: Wenn entsprechende zentrale Rechtsnormen nachher in Kraft treten, werden die mit ihnen im Widerspruch stehenden TRN der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung ungültig. Durch diesen Absatz wird jedoch nicht vorgesehen, ob und wann ein zentraler Gesetzgeber eine solche zentrale Rechtsnorm erlassen soll, um zu beurteilen, dass eine TRN von der Art der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung mit ihr im Widerspruch steht. Einfachgesetzlich kann eine Handlungspflicht der zentralen Gesetzgeber nur in den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung festgelegt werden, da in diesen Bereichen nur NVK oder SANVK handeln dürfen und sie somit verpflichtet sind, entsprechende Gesetze auszuarbeiten. In den Bereichen der nichtausschließlichen Bereiche, die gewissermaßen die „konkurrierenden Bereiche der Rechtsetzung“ darstellen, besitzen die zentralen Gesetzgeber zwar ein stillschweigendes Monopol, aber aus dem fast allseitigen Monopol (eher im politischen und symbolischen Sinne) von NVK und SANVK eine tatsächliche Handlungspflicht zu folgern, ist verfassungsrechtlich unbegründbar.419 In der Praxis der Rechtsetzung
419 Bezüglich der Funktionen und der Kompetenzen von NVK und SANVK ist die Vorgehensweise der VVRCh vielmehr, ihre höchste Stelle als das Machtorgan des Staates zu betonen und ihre wichtigsten Befugnisse zu nennen (§§ 57, 62, 67 VVRCh). Ihnen gewisse Handlungspflichten (in der Gesetzgebung) aufzulagern, kennt die VVRCh aber nicht, da die
B. Allgemeiner Umfang der territorialen Rechtsetzung und ihre Grundsätze
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neigen NVK und sein SA dazu, ihre Monopolstellung in der Rechtsetzung eher als „Rechte“ statt „Pflichten“ zu verstehen, wodurch NVK und sein SA sich selbst entlasten. Zudem, wie schon ausgeführt, wegen ihrer langfristigen schwachen Stellung sind NVK und SANVK faktisch nicht in der Lage, alle notwendigen zentralstaatlichen Gesetze zu erlassen, um die lokalen vorzeitigen, experimentellen Rechtsnormen auslaufen zu lassen. Entsprechende Pflichten des SR, Verwaltungsrechtsnormen zu erlassen, um lokale vorzeitige Rechtsnormen zu beenden, sieht das GGG nicht vor. Die fehlende Kontrolle durch NVK und SANVK oder SR führt nicht selten dazu, dass die eigentlich zeitlich beschränkte lokale vorzeitige Rechtsnorm eine permanente wird. Es ist zu erinnern, dass, anders als die lokale Rechtsetzung auf der Grundlage der Ermächtigung, die lokale vorzeitige Rechtsetzung keiner zentralen Ermächtigung bedarf420 und sich daher auch keinen entsprechenden Voraussetzungen einer Ermächtigung zu unterwerfen braucht. Außer obigen drei Einschränkungen für die lokale vorzeitige Rechtsetzung bestehen im GGG keine weiteren, konkreteren Voraussetzungen für die Anwendung der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung wie etwa einer vorzeitigen zentralen Festlegung von Zweck, Inhalt oder Ausmaß einer lokalen vorzeitigen Rechtsnorm durch ein Gesetz oder eine Verwaltungsrechtsnorm.421 Besonders die Gebietsbezogenheit der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung zielt eigentlich zwar darauf ab, den Umfang der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung einzuschränken, aber tatsächlich wirkt sie eher erweiternd für die Befugnisse der lokalen Rechtsetzungsorgane, da das, was „lokale konkrete Umstände und praktische Bedürfnisse“ sind, im Ermessen der lokalen Rechtsetzungsorgane steht. All dies hat zur Folge, dass bei der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung die lokalen Rechtsetzungsorgane fast völlig frei sind, ob und wie eine vorzeitige TRN zu erlassen ist. In diesem Sinne schafft die lokale vorzeitige Rechtsetzung eine „faktisch selbstständige“ Rechtsetzungsmacht der LSO und bildet einen wichtigen Teil der Machtquellen der lokalen Rechtsetzung.
Pflichten des höchsten Machtorgans zu bestimmen, logischerweise nicht mit ihrer höchsten Stellung vereinbaren kann. 420 Vgl. dazu Gu Angran, Über einige wesentliche Probleme des Gesetzgebungsgesetzes, S. 11 – 12. 421 Weitere Einschränkungen für eine lokale vorzeitige Rechtsnorm bestehen hingegen nur ausnahmsweise in wenigen einfachen Gesetzen. Zu nennen ist § 10 Abs. 3 des Gesetzes der VRCh über Verwaltungszwang (GüVZ), er regelt: Wenn es keine entsprechenden Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen bestehen und die zu regelnden Gegenstände zu lokalen Angelegenheiten gehören, können lokale Rechtsnormen Mittel des Verwaltungszwangs festlegen, die in § 9 Sätzen 2 und 3 dieses Gesetzes geregelt sind, also die Sperrung (chafeng) von Orten, Einrichtungen oder Dingen und der vorläufige Entzug (kouya) der Sachen. Das Zwangsmittel, das die Einschränkung der körperlichen Freiheit der Bürger anordnet (§ 9 Satz 1 GüVZ), darf aber von der lokalen vorzeitigen Rechtsetzung nicht festgelegt werden.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
IV. Der Grundsatz des Wiederholungsverbotes In der Änderung des GGG vom 15. 03. 2015 wurde ein neuer Absatz 4 in § 73 eingefügt, der lautet: „Bei der Ausarbeitung einer TRN, dürfen die Inhalte, die bereits von einer ranghöheren Rechtsnorm ausdrücklich vorgesehen sind, normalerweise nicht wiederholt werden.“ Dieser Absatz legt den Grundsatz des sogenannten „Wiederholungsverbotes“ der lokalen Rechtsetzung fest und zielt darauf, die Wiederholung zentraler Rechtsnormen durch die lokale Rechtsetzung zu überwinden. Die lokale Wiederholungsrechtsetzung (difang chongfu lifa) ist ein spezielles und momentan auch sehr auffälliges Phänomen in der lokalen Rechtsetzung in China. Unter der lokalen Wiederholungsrechtsetzung ist zu verstehen, dass die lokalen Rechtsetzungsorgane entweder den Text einer ranghöheren Rechtsnorm ohne jede Änderung gänzlich oder teilweise kopieren422 oder den Text einer ranghöheren Rechtsnorm zerlegen, neu zusammensetzen und umformulieren423 aber ohne konkretisierende Bestimmungen. Nicht völlig ausgeschlossen ist auch ein anderer Fall der Wiederholung, dass eine TRN eine andere TRN in einem ähnlichen zu regelnden Gegenstand wiederholt. Dieser Fall wird sogar als ein „Abschreiben“424 der lokalen Rechtsetzung bezeichnet, die ihren Grund hauptsächlich im Mangel der Rechtsetzungstechnik hat. Im Folgenden ist nur auf die Wiederholung der zentralen Rechtsnormen durch die lokale Rechtsetzung einzugehen. Mit dem Problem der lokalen Wiederholungsrechtsetzung gehen die Juristen sehr kritisch um, da sie die Verbesserung der Qualität der lokalen Rechtsetzung verhindert, die jeweilige Autorität der zentralen gegenüber der lokalen Rechtsetzung beeinträchtigt, die ergänzende, konkretisierende und detaillierende Funktion und die Zielgenauigkeit der lokalen Rechtsetzung vernachlässigt und die Kosten der Rechtsetzung und Rechtsanwendung, sowie die logische Einheit und die Vollständigkeit des ganzen Rechtssystems verletzt.425 Die Fälle der lokalen Wiederholungsrechtsetzung sind in der Praxis zahlreich. Sie treten wesentlich in der sogenannten „durchführenden“ lokalen Rechtsetzung auf (§ 73 Abs. 1 Satz 1 GGG), die eine zentrale Rechtsnorm voraussetzt. Das Widerholungsverbot ist zum einen dadurch nicht absolut, weil es ausdrücklich nur „normalerweise“ gilt. Im Übrigen sind Wiederholungen häufig mit konkretisierenden oder ergänzenden Regelungen verbunden, so dass es – abgesehen – von schlicht kopierenden TRN jeweils gründlicher Analyse bedarf, um zu beurteilen, welche Teile nur Wiederholung sind. Und es dürfte auch häufig sinnvoll sein, bestimmte Wiederholungen vorzunehmen, damit die konkretisierenden und ergänzenden Bestimmungen besser verständlich sind. Insofern ist das häufige Vorkommen von Wiederholungsbestimmungen in der TRN auch ein Ergebnis der Regeln über die 422 423 424 425
Vgl. dazu Tang Shanpeng/Yan hailiang, S. 157. Vgl. dazu Lin Lin, S. 35. Vgl. dazu Sun Bo (2007), S. 3. Vgl. dazu Cao Shengliang, S. 66; Sun Bo (2007), S. 5 – 6; Li Buyun, S. 21; Li Lin, S. 69.
C. Die Arten der lokalen Rechtsetzung
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lokale Rechtsetzung selbst. Der Grundsatz der „Gebietsbezogenheit“ und der Grundsatz des „Nichtverstoßens“ sind zwei wichtige Grundsätze für die lokale Rechtsetzung, welche den Umfang der lokalen Rechtsetzung umgrenzen, und der letztere besitzt Vorrang vor dem ersteren, da er die zentrale Autorität vertritt und somit auch die Einheit des Rechtssystems als einen wichtigeren Wert innerhalb eines Systems des Unitarismus sichert. Die durch „Gebietsbezogenheit“ begründeten relativ eigenständigen Bestimmungen der TRN müssen sich daher auch an den Grundsatz des „Nichtverstoßens“ halten: Was gebietsbezogen ist und somit durch eigenständige Bestimmungen geregelt werden kann, kann nur durch zentrale Rechtsnormen festgelegt werden. In diesem Sinne ist der Raum für die lokale Rechtsetzung sehr eng. Wenn in einem so eng umgrenzten Raum lokale Rechtsetzungsorgane handeln müssen und zugleich die durch lokale Rechtsnormen zu regelnden Gegenstände sich kaum von den durch zentrale Rechtsnormen zu regelnden Gegenständen unterscheiden können, dann ist die Wiederholung der entsprechenden zentralen Rechtsnorm eine logisch unvermeidbare Folge. Und um nicht mit einer ranghöheren zentralen Rechtsnorm im Widerspruch zu stehen und eigene Rechtsetzungsrisikos zu reduzieren, ist es auch für lokale Rechtsetzungsorgane die beste Methode, die Texte einer zentralen Rechtsnorm zu wiederholen.426 Eine vorgeschlagene Lösung für die lokale Wiederholungsrechtsetzung ist, zwischen nötiger und unnötiger Wiederholung zu unterscheiden. Als nötige Wiederholungen seien die Wiederholungen des Zwecks und des Grundsatzes einer ranghöheren Rechtsnorm anzusehen, denn die Wiederholung des Zwecks gewährleiste die Vereinbarkeit des Ziels und des Geistes einer lokalen Rechtsnorm mit ihrer ranghöheren Rechtsnorm und die Wiederholung des Grundsatzes versichere die Legalität einer lokalen Rechtsnorm.427 Dieser Vorschlag ist aber sinnlos, da, wie erläutert, die Wiederholung ranghöher Rechtsnormen durch die lokale Rechtsetzung ein strukturelles Problem aus der vorhandenen Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen den zentralen und lokalen Rechtsetzungsorganen ist und nicht durch eine rein technische Unterscheidung zwischen nötiger und unnötiger Wiederholung überwindet werden kann.
C. Die Arten der lokalen Rechtsetzung I. Die einfache lokale Rechtsetzung Auf der lokalen Ebene gibt es zwei Ebenen von Subjekten, die berechtigt sind, lokale Rechtsnormen auszuarbeiten, nämlich LVK und SALVK von Provinzen (sheng), autonomen Gebieten (zizhiqu), direkt der Zentrale unterstehenden Städten 426 „Im Fall der Wiederholung […] einer zentralen Rechtsnorm liegt es kein Stoß gegen diese zentrale Rechtsnorm vor.“ Xie Libin, S. 94. 427 Vgl. dazu Tang Shanpeng/Yan hailiang, S. 158.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
(zhixiashi) (PAS) und LVK und SALVK von Städten mit Bezirken (SmB). Die Rechtsetzung von PAS bildet den ersten Rang und die von Städten den zweiten Rang auf der lokalen Ebene. Die Rechtsetzungsbefugnisse von PAS und Städten ergeben sich aus der allgemeinen Einteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen zentralen und lokalen Staatsorganen und unterwerfen sich nur den von obigen vier Grundsätzen festgelegten Voraussetzungen. Aus diesem Grund wird die Rechtsetzung von LVK und SALVK der PAS und der Städte theoretisch oft „einfache lokale Rechtsetzung (yiban difang lifa)“ genannt. Anders als bei den PAS, die direkt nach der Kulturrevolution in der Verfassung von 1982 lokale Rechtsetzungsbefugnisse erhielten, brauchte die Einräumung der lokalen Rechtsetzungsbefugnisse an Städte eine lange Zeit. Auf der Ebene der Städte wurden von den 1980er Jahren bis 2015 die lokalen Rechtsetzungsbefugnisse nur denjenigen Städten zugeschrieben, die sich als „größere Städte“ qualifizierten, und zwar die Städte, die Sitz der Regierung von Provinzen und autonomen Gebieten, die Sitz von Sonderwirtschaftszonen und die vom SANVK genehmigte sonstige Städte waren. Es gab insgesamt 49 größere Städte, die in den 1980er Jahren nach ihrer Bevölkerungszahl, Größe sowie der Wirtschaftsleistung ausgewählt wurden.428 Durch die Änderung des GGG vom 15. 03. 2015 wurde diese Beschränkung aufgehoben und die lokalen Rechtsetzungsbefugnisse auf der Ebene der Städte wurden allen 284 SmB, die auch bisherige größere Städte umfassen, verliehen. Mit Ausnahme der Rechtsetzung der bisherigen größeren Städte, die ihren Status behalten haben, erstreckt sich die Rechtsetzung der SmB nur auf Angelegenheiten, die den Aufbau und die Regulierung der Städte und Kommunen, den Schutz der Umwelt sowie den Schutz der Geschichte und Kultur usw. erfassen (§ 72 Abs. 2 Satz 1 GGG). Und die lokalen Rechtsnormen von SmB bedürfen vor ihrem Inkrafttreten der Genehmigung durch den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses der Provinz bzw. des autonomen Gebietes (§ 72 Abs. 2 Satz 2 GGG).429
II. Die Rechtsetzung der Regionen mit nationaler Autonomie In den Gebieten, in denen nationale Minderheiten in geschlossenen Gemeinschaften leben, wird regionale Autonomie praktiziert; in jedem dieser Gebiete werden Selbstverwaltungsorgane zur Ausübung der Autonomie eingerichtet (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 VVRCh). Die Regionen mit nationaler Autonomie umfassen ihrem Rangverhältnis nach autonome Gebiete (zizhiqu), autonome Bezirke (zizhizhou) und autonome Kreise (zizhixian) (Art. 30 Abs. 3 VVRCh). Momentan existieren in China 5 autonome Gebiete, 30 autonome Bezirke und 121 autonome Kreise.430 Die Organe der Selbstverwaltung der Regionen mit nationaler Autonomie sind die Volkskon428
Zhang Chunsheng/Lin Yan, S. 7. Vgl. dazu Zhang Xiaodan, S. 464 – 465. 430 Diese Statistik stammt aus „State Ethnic Affairs Commission of the People’s Republic China“, http://www.seac.gov.cn/col/col121/index.html, zuletzt besucht am 27. 05. 2016. 429
C. Die Arten der lokalen Rechtsetzung
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gresse und Volksregierungen der autonomen Gebiete, autonomen Bezirke und autonomen Kreise (Art. 112 VVRCh). Als Kernelement der nationalen Autonomie ist eine zusätzliche Rechtsetzungsmacht an die autonomen Regionen eingeräumt worden: Autonome Gebiete, autonome Bezirke und autonome Kreise besitzen neben der einfachen lokalen Rechtsetzungsmacht auch die Rechtsetzungsmacht, gemäß den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der Nationalität oder der Nationalitäten dieses Gebietes spezielle Rechtsnormen auszuarbeiten (Art. 116 Satz 1 VVRCh sowie §§ 4, 19 GüR431). Die so erlassenen Rechtsnormen werden Autonomie-Vorschriften (zizhi tiaoli) und Einzelvorschriften (danxing tiaoli) genannt. Autonomie-Vorschriften sind Rechtsnormen, die als „kleine Verfassungen“ in den autonomen Regionen fungieren und grundlegende Angelegenheiten bezüglich z. B. der Gestaltung der autonomen Organe regeln.432 Einzelvorschriften beziehen sich hingegen sachlich auf konkrete Angelegenheiten innerhalb der autonomen Regionen.433 Bemerkenswert ist, dass, anders als in der einfachen lokalen Rechtsetzung, die Macht zum Erlassen der Autonomie-Vorschriften und speziellen Vorschriften nur den Volkskongressen, nicht ihren Ständigen Ausschüssen der autonomen Regionen zugeschrieben wird. Darüber hinaus können in Autonomie- und Einzelvorschriften gegenüber Bestimmungen von Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen gemäß den Besonderheiten der örtlichen Volksgruppen adjustierende Bestimmungen getroffen werden, die jedoch nicht den grundlegenden Prinzipien der Gesetze oder Verwaltungsrechtsnormen zuwiderlaufen dürfen, und es dürfen nicht gegenüber Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes über die Autonomie der Volksgruppengebiete und anderen Bestimmungen einschlägiger Gesetze und Verwaltungsrechtsnormen, die speziell für die Autonomie der Volksgruppengebiete ausgearbeitet wurden, adjustierende Bestimmungen getroffen werden (§ 75 Abs. 2 GGG). Wenn in Autonomieund Einzelverordnungen rechtmäßig gegenüber Gesetzen, Verwaltungsrechtsnormen oder territorialen Rechtsnormen adjustierende Bestimmungen getroffen wurden, gelten [insoweit] in dieser autonomen Region die Bestimmungen der Autonomie- und Einzelverordnungen (§ 90 Abs. 1 GGG).
431 Gesetz der VRCh über die Regionen mit nationaler Autonomie (zhonghua renmin gongheguo minzu quyu zizhi fa). 432 Bis jetzt sind insgesamt 120 Autonomie-Vorschriften ausgearbeitet (Diese Statistik stammt aus „State Ethnic Affairs Commission of the People’s Republic China“, http://www. seac.gov.cn/gjmw/zcfg/M2904index_1.htm, zuletzt besucht am 27. 05. 2016). Die Ausarbeitung der Autonomie-Vorschriften beschränke sich aber nur auf die Ebenen der autonomen Bezirke und autonomen Kreise. Auf der Ebene der autonomen Gebiete haben aber alle fünf autonomen Gebiete, also Guangxi, Xinjiang, Xizang, Ningxia, Neimenggu, wegen der Unklarheit der Umgrenzung der autonomen Macht der autonomen Gebiete und des Misserfolgs der Versuche zur Vermittlung der Interessenkonflikte zwischen der Zentralen und autonomen Gebieten, keine Autonomie-Vorschriften erlassen. Vgl. dazu Que Chengping, S. 9; Mao Gongning, S. 27. 433 Vgl. dazu Song Caifa, S. 74 – 76; Zhou Wangsheng (1995), S. 18.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
III. Die ermächtigte Rechtsetzung in Sonderwirtschaftszonen Die ermächtigte Rechtsetzung existiert nicht nur auf der zentralen Ebene in Form der Delegation der Gesetzgebungsbefugnisse von NVK und SANVK auf den Staatsrat, sondern auch auf der lokalen Ebene in den Sonderwirtschaftszonen (SWZ). Neben den Rechtsetzungsbefugnissen aus der einfachen Rechtsetzungsmacht, erhalten Volkskongresse von Provinzen und Städten, in denen sich eine Sonderwirtschaftszone befindet, und deren Ständige Ausschüsse durch Ermächtigungsbeschluss des NVK eine zusätzliche Rechtsetzungsmacht, die im Wesentlichen die Wirtschaftspolitik der Partei auf der lokalen Ebene experimentell durchführt und überprüft und für mögliche spätere landesweite Gesetzgebung Erfahrungen sammelt.434 § 74 GGG regelt: Volkskongresse von Provinzen und Städten, in denen sich eine Sonderwirtschaftszone befindet, und deren Ständige Ausschüsse legen entsprechend den Ermächtigungsbeschlüssen des Nationalen Volkskongresses Rechtsnormen fest, die innerhalb des Gebietes der Sonderwirtschaftszone durchgeführt werden. Wenn in Rechtsnormen von Sonderwirtschaftszonen aufgrund einer Ermächtigung gegenüber Gesetzen, Verwaltungsrechtsnormen oder territorialen Rechtsnormen adjustierende Bestimmungen getroffen wurden, gelten [insoweit] in dieser Sonderwirtschaftszone die Bestimmungen der Rechtsnormen der Sonderwirtschaftszone (§ 90 Abs. 2 GGG). In den1980er, 1990er Jahren wurden Volkskongressen und deren Ständigen Ausschüssen von 3 Provinzen435 und 4 Städten436 solche Rechtsetzungsmacht zugeschrieben. Als ein Mittel zum Versuche der Wirtschaftspolitik braucht sich die spezielle Rechtsetzungsmacht über SWZ, verglichen mit der einfachen lokalen Rechtsetzung, nur lockeren Bedingungen zu unterwerfen. Im Ermächtigungsbeschluss vom SANVK vom 26. 11. 1981437 heißt es: Die Volkskongresse und deren Ständige Ausschüsse von Provinzen Guandong und Fujian werden ermächtigt, gemäß den Grundsätzen der einschlägigen Gesetze, Rechtsbefehle (faling) und Politik und den konkreten Umständen und Bedürfnissen der Sonderwirtschaftszonen, wirtschaftliche Einzelnormen festzulegen. Das ist fast eine Blanko-Ermächtigung, da „gemäß den konkreten Umständen und Bedürfnissen der Sonderwirt434 Wang Chunguang, S. 81 – 82. Viele landesweit bedeutsamen Gesetze haben ihre Vorgänger in Sonderwirtschafszonen, z. B. Verordnung über Gesellschaften mit ausländischen Elementen in der Sonderwirtschaftszone von Provinz-Guangdong (1986); Insolvenzverordnung über Gesellschaften mit ausländischen Elementen in der Sonderwirtschaftszone von Shenzhen (1987) sowie Arbeitsverordnung in der Sonderwirtschaftszone von Provinz-Guangdong (1988) stellen jeweils eine Vorbereitung für späteres landesweites Gesellschafsrecht, Insolvenzrecht sowie Arbeitsrecht dar. Vgl. dazu Huang Ziyi, S. 20. 435 Guangdong Provinz (1981), Fujian Provinz (1981), Hainan Provinz (1988). 436 Shenzhen-Stadt (1992), Xiamen-Stadt (1994), Zhuhai-Stadt (1996) und Shantou-Stadt (1996). 437 „Beschluss von SANVK bezüglich der Ermächtigung von Volkskongressen und deren Ständigen Ausschüssen der Provinzen Guangdong und Fujian zur Festlegung einzelner wirtschaftlicher Rechtsnomen über Sonderwirtschaftszonen“.
D. Das Verfahren der lokalen Rechtsetzung
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schaftszonen“ in der Tat eine schrankenlose Rechtsetzungsmacht begründet und im Vergleich dazu die Kontrolle darüber durch „gemäß den Grundsätzen einschlägige Gesetze, Rechtsbefehle (faling) und Politik“ eher schwach ist.438
D. Das Verfahren der lokalen Rechtsetzung I. Allgemeine Bestimmungen Da auf der lokalen Ebene zahlreiche Rechtsetzungssubjekte existieren, gibt es keine einheitlichen Regelungen über das Verfahren der lokalen Rechtsetzung. Hingegen überlässt das GGG die Festlegung verfahrensrechtlicher Regelungen über die lokale Rechtsetzung jeweiligen lokalen Volkskongressen verschiedener Ebenen. § 77 GGG bestimmt: Das Verfahren für die Vorlage, Beratung und Abstimmung bei Entwürfen von territorialen Rechtsnormen und von Autonomie- und Einzelverordnungen wird nach dem „Gesetz der Volksrepublik China über die Organisation der territorialen Volkskongresse auf allen Ebenen und der territorialen Volksregierung auf allen Ebenen“ und unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Abschnitte 2, 3 und 5 des 2. Kapitels des vorliegenden Gesetzes von dem Volkskongress der betreffenden Ebene bestimmt. Diesbezüglich erließen nach dem GGG von 2000 28 (von 32) Volkskongresse auf der Ebene der PAS und 36 Volkskongresse auf der Ebene der größeren Städte eigene Regelung über die lokale Rechtsetzung439, und zwar unter verschiedenen Namen wie z. B. „Verordnung über lokale Rechtsnormen“440 (in den Städten Beijing, Tianjin), „Verordnung über die lokale Rechtsetzung“441 (in den Provinzen Hebei, Shanxi, Hunan usw.), „Verfahrensbestimmungen über die Festlegung und Genehmigung der lokalen Rechtsnormen“442 (in der Provinz Liaoning) usw. Strukturell folgen diese Regelungen über die lokale Rechtsetzung wesentlich dem Muster des GGG.443 Einheitliche Bestimmungen über die Festlegung der lokalen Rechtsnormen im GGG sind karg und beziehen sich nur auf die Bekanntmachung der territorialen Rechtsnormen444 : Territoriale Rechtsnormen, die von den Volkskongressen der PAS 438
Song Fangqing, S. 10; Su Yuanhua, S. 26; Wan Qigang, S. 48. Vgl. dazu Sun Chao/Xu Xianghua, S. 61. 440 Difang xing fagui tiaoli. 441 Difang lifa tiaoli. 442 Zhiding he pizhun difang xing fagui chengxu guiding. 443 Z. B. enthält die Rechtsetzungsregelung von Zhe Jiang-Provinz (zhe jiang sheng lifa tiaoli), ähnlich wie das GGG, als ihre Regelungsgegenstände die Umgrenzung der Rechtsetzungsbefugnisse, die Verfahren der Festlegung der lokalen Rechtsnormen jeweils durch LVK und SALAVK, die Auslegung der lokalen Rechtsnormen usw. 444 Hiervon ausgenommen ist § 76 GGG, der regelt: Territoriale Rechtsnormen, in denen besonders schwerwiegende Angelegenheiten dieses Verwaltungsbezirkes bestimmt werden, müssen vom Volkskongress verabschiedet werden. Dieser Paragraph versucht, die Rechtset439
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
festgelegt worden sind, werden von dem Präsidium des Kongresses durch öffentliche Bekanntmachung bekanntgegeben (§ 78 Abs. 1). Territoriale Rechtsnormen, die von den Ständigen Ausschüssen der Volkskongresse der PAS festgelegt worden sind, werden von dem Ständigen Ausschuss durch öffentliche Bekanntmachung bekanntgegeben (§ 78 Abs. 2). Territoriale Rechtsnormen, die von den Volkskongressen der Städte mit Bezirken oder der autonomen Bezirken und von deren Ständigen Ausschüssen festgelegt worden sind, werden nach Bericht und Genehmigung von dem Ständigen Ausschuss des Volkskongresses der Stadt mit Bezirken oder des autonomen Bezirks durch öffentliche Bekanntmachung bekanntgegeben (§ 78 Abs. 3). Autonomie- und Einzelverordnungen werden nach Bericht und Genehmigung von dem Ständigen Ausschuss des Volkskongresses des jeweiligen autonomen Gebietes, autonomen Bezirkes oder autonomen Kreises durch öffentliche Bekanntmachung bekanntgegeben.
II. Zwei wichtige Schritte: Die Genehmigung und die Meldung zu den Akten Die auffälligsten zwei Schritte in der lokalen Rechtsetzung sind die Genehmigung (pizhun) und die Meldung zu den Akten (bei’an). Unter der Genehmigung ist zu verstehen, dass eine vom lokalen Rechtsetzungsorgan beschlossene Rechtsnorm vor ihrem Inkrafttreten der Bestätigung einer ranghöheren Instanz bedarf. Sie stellt eine strenge vorzeitige Kontrolle über die entsprechende lokale Rechtsetzung dar. Die Genehmigung wird auf zwei Arten der lokalen Rechtsetzung angewendet, nämlich die Rechtsetzung der autonomen Regionen und die Rechtsetzung der Städte mit Bezirken. § 72 Abs. 2 Satz 2 sowie Abs. 5 GGG regelt: Die lokalen Rechtsnormen von Städten mit Bezirken und von autonomen Bezirken treten nach einem Bericht an und eine Genehmigung durch den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses der Provinz oder autonomen Gebiete tritt in Kraft. § 75 Sätze 2 und 3 GGG sehen vor: Autonomie- und Einzelvorschriften der autonomen Gebiete treten nach einem Bericht an und eine Genehmigung durch den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses in Kraft. Autonomie- und Einzelvorschriften der autonomen Bezirke und autonomen Kreise treten nach einem Bericht an und eine Genehmigung durch den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses der PAS tritt in Kraft. Die Meldung zu Akten bedeutet, dass eine lokale Rechtsnorm nach ihrem Inkrafttreten innerhalb von 30 Tagen dem entsprechenden ranghöheren Organ zu den Akten gemeldet werden muss (§ 98 GGG). Die Meldung zu den Akten stellt eine zungsbefugnisse zwischen LVK und SALVK einzuteilen. Aber da, welche Angelegenheiten „besonders schwerwiegend“ sind, weder im GGG selbst noch in Regelungen über die lokale Rechtsetzung definiert ist, kann er kein einheitliches Kriterium für die Abgrenzung der Rechtsetzungsbefugnisse von LVK und SALVK aufstellen. In der Praxis ist die absolute Mehrheit von den lokalen Rechtsnormen von SALVK festgelegt. Vgl. dazu Li Li, S. 46; Ren Jin, S. 24.
E. Regeln der territorialen Regierungen (difang zhengfu guizhang)
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nachträgliche mögliche Kontrolle über die lokale Rechtsnorm dar, und verglichen mit den genehmigungsbedürftigen lokalen Rechtsnormen besitzen die lokalen Rechtsnormen, die nur zu Akten gemeldet werden müssen, mehr Eigenständigkeit. Zu bemerken ist aber, dass die lokalen Rechtsnormen, die der Genehmigung bedürfen, nach ihrem Inkrafttreten, auch dem entsprechenden Organ zu Akten gemeldet werden müssen. Im GGG sind auf der lokalen Ebene folgende Fälle der Meldung zu den Akten vorgesehen: 1. Territoriale Rechtsnormen, die von den Volkskongressen der PAS und ihren Ständigen Ausschüssen festgelegt worden sind, werden dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses und dem Staatsrat zu den Akten gemeldet. Territoriale Rechtsnormen, die von den Volkskongressen der Städte mit Bezirken und der autonomen Bezirke und deren Ständigen Ausschüssen festgelegt worden sind, werden von den Ständigen Ausschüssen der Volkskongresse der Provinzen und autonomen Gebiete dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses und dem Staatsrat zu den Akten gemeldet (§ 98 Abs. 2 GGG). 2. Autonomie- und Einzelvorschriften, die von autonomen Bezirken und autonomen Kreisen festgelegt worden sind, werden von den Ständigen Ausschüssen der Volkskongresse der PAS dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses und dem Staatsrat zu den Akten gemeldet (§ 98 Abs. 3 Satz 1 GGG). 3. Rechtsnormen, die aufgrund einer Ermächtigung festgelegt worden sind, müssen dem Organ, welches den Ermächtigungsbeschluss erlassen hat, zu den Akten gemeldet werden (§ 98 Abs. 5 GGG).
E. Regeln der territorialen Regierungen (difang zhengfu guizhang) als spezielle Form der lokalen Rechtsetzung Zwar ist die Eigenschaft der Festlegung von Regeln der territorialen Regierungen, ob sie eine Art von Rechtsetzung oder nur eine Ausübung der lokalen exekutiven Macht in Form von Normen ist, in China seit langem umstritten.445 Aber nicht ignorierbar ist, dass Regeln der territorialen Regierungen eine wichtige Rolle in der Normenpyramide Chinas spielen, und zwar nicht nur in ihrer Quantität, sondern auch in ihrer tatsächlichen direkten Bindungskraft für die Bürger.446 Aus diesem Grund sind im GGG Regeln der territorialen Regierungen als eine Art von Rechtsnormen und deren Festlegung als eine Art von Rechtsetzung vorgesehen. Auf der lokalen Ebene sind infolgedessen neben Volkskongressen und deren Ständigen Ausschüssen verschiedener Ebenen auch den entsprechenden lokalen Regierungen parallel Rechtsetzungskompetenzen zugeschrieben. Die territorialen 445
Vgl. dazu Shen Ronghua (1999), S. 76, 78; ders. Einige Überlegungen über die Regeln der territorialen Regierungen, S. 76; Xu Jinglin/Liu Liming, S. 127; Li Lin, S. 60; Ying Songnian, S. 4. 446 Vgl. dazu Zhang Xiaodan, S. 462 – 463; Yang Limin (2000), S. 16 – 17.
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3. Kap.: Die territoriale Rechtsetzung
Regierungen, die berechtigt sind, Regeln zu erlassen, sind die Volksregierungen der PAS, der Städte mit Bezirken und der autonomen Gebiete; sie können gemäß den Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen und gemäß den territorialen Rechtsnormen dieser PAS Regeln festlegen (§ 82 Abs. 1 GGG). Regeln der territorialen Regierungen können über folgende Angelegenheiten Bestimmungen treffen: (1) Angelegenheiten, bei denen zur Durchführung von Gesetzen und Verwaltungsrechtsnormen und von territorialen Rechtsnormen die Festlegung von Regeln erforderlich ist; (2) Angelegenheiten, die zu der konkreten Verwaltung dieses Verwaltungsbezirkes gehören (§ 82 Abs. 2 GGG). Zu bemerken ist aber, dass, anders als Regeln der territorialen Regierungen auf der Ebene der PAS, die Regelungsgegenstände der Regeln der Städte mit Bezirken und der autonomen Bezirke sich auf Angelegenheiten beschränken, die den Aufbau und die Regulierung der Städte und Kommunen, den Schutz der Umwelt sowie den Schutz der Geschichte und Kultur usw. erfassen (§ 72 Abs. 2 Satz 1 GGG). Darüber hinaus wurde in der Änderung des GGG im Jahr 2015 die sogenannte „vorzeitige Festlegung der Regeln der territorialen Regierungen“ vorgesehen: Wo eine lokale Rechtsnorm festgelegt werden soll, aber die Bedingungen dafür nicht reif sind, dann kann wegen dringender Bedürfnisse der Verwaltung eine Regel der territorialen Regierungen vorab ausgearbeitet werden. Wenn nach zwei Jahren ihrer Durchführung die von dieser Regel festgelegte Verwaltungsmaßnahme weiter erforderlich ist, so muss der entsprechende Volkskongress oder sein Ständiger Ausschuss eine lokale Rechtsnorm festlegen (§ 82 Abs. 5 GGG). Bezüglich des Verfahrens zur Festlegung von Regeln der territorialen Regierungen sieht das GGG nur vor, dass Regeln der territorialen Regierung auf der ständigen Sitzung oder der Plenarsitzung der Regierung beschlossen werden müssen und vom jeweiligen Leiter der PAS, der Städte mit Bezirken oder der autonomen Bezirke unterschriebenen und bekanntgegeben werden muss (§ 84 Abs. 2 sowie § 85 Abs. 2 GGG). Der Staatsrat ist ermächtigt, weitere Verfahrensbestimmungen über die Festlegung von Regeln der territorialen Regierungen unter Berücksichtigung der Bestimmungen über die exekutive Rechtsetzung des Staatsrats im 3. Kapitel dieses Gesetzes zu bestimmen. Demensprechend erließ der Staatsrat am 01. 01. 2002 die „Verordnung über das Verfahren zur Festlegung von Regeln“,447 in der das Entwerfen, Beraten, Anhören, Beschließen und Interpretieren von Regeln der territorialen Regierungen geregelt sind. Regeln der territorialen Regierungen werden dem Staatsrat zu den Akten gemeldet; sie müssen zugleich dem Ständigen Ausschuss des Volkskongresses auf derselben Ebene zu den Akten gemeldet werden. Regeln, die von den Volkskongressen der Städte mit Bezirken und der autonomen Bezirke festgelegt worden sind, müssen zugleich dem Ständigen Ausschuss des Volkskongresses und der Volksregierung der Provinz bzw. des autonomen Gebietes zu den Akten gemeldet werden (§ 98 Abs. 4 GGG).
447
Guizhang zhiding chengxu tiaoli.
4. Kapitel
Die Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems Das GGG stellt auf der zentralen wie auch auf der lokalen Ebene rangverschiedene Rechtsetzungssubjekte und dementsprechend auch rangverschiedene Normtypen fest: – Gesetze (grundlegende Gesetze, jiben falü, vom NVK sowie nicht-grundlegende Gesetze, fei jiben falü, vom SANVK); – Verwaltungsrechtsnormen (xingzheng fagui, vom Staatsrat); – lokale Rechtsnormen (difangxing fagui) von Volkskongressen und deren Ständigen Ausschüssen der PAS; – lokale Rechtsnormen auf der Grundlage der Ermächtigung durch den SANVK (von Volkskongressen von Provinzen und Städten, in denen sich eine Sonderwirtschaftszone befindet, und deren Ständigen Ausschüsse); – lokale Rechtsnormen von Städten mit Bezirken und autonomen Bezirken (von Volkskongressen der Städte mit Bezirken und der autonomen Bezirke und deren Ständigen Ausschüsse); – Autonomie- und Einzelvorschriften (zizhi tiaoli, danxing tiaoli, von Volkskongressen der autonomen Gebiete, Bezirke und Kreise); – Regeln der Abteilungen des Staatsrats (bumen guizhang) und Regeln der lokalen Regierungen (difang zhengfu guizhang). Wie die innere Einheit dieser Rechtsakte zu erzielen und eine widerspruchfreie Normenhierarchie aufzubauen ist, ist ein wichtiges Problem während der Formalisierung des Rechtssystems. An dem Modell des Verfassungsgerichts von Deutschland und dem Modell des Conseil Constitutionnel von Frankreich orientiert, gab es unter chinesischen Juristen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts heftige Diskussionen über die Möglichkeit, ein ähnliches Organ in China zu errichten und eine Verfassungsgerichtbarkeit einzuführen.448 Eine der wichtigsten Antriebskräfte für diese Diskussionen ist, dass viele Juristen die Verfassungskontrolle von Gesetzen und die Normenkontrolle von anderen Rechtsnormen im Wege der Rechtsprechung (durch Gerichte) zu realisieren versuchten.449 Aber diese Diskussionen führten nicht 448 Wichtige Aufsätze z. B. Xu Chongde/Zheng Xianjun, S. 60 – 65; Jiang Shigong (2003), S. 19 – 28; Cai Dingjian (2005), S. 110 – 124; Tong Zhiwei, S. 22 – 48. 449 Vgl. dazu Fan Zhongxin, S. 40.
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4. Kap.: Die Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems
zur Ablösung des bisherigen Modells des „Systems der legislativen Überwachung (lifa jiandu zhidu)“. Unter der legislativen Überwachung ist zu verstehen, dass die Organe, die zur Rechtsetzung berechtigt sind, gleichzeitig auch die Kontrolle über Rechtsnormen durchführen können. Im System der legislativen Überwachung können die jeweils übergeordneten Rechtsetzungsinstanzen die Rechtsakte der untergeordneten Ebenen auf ihre Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit hin überprüfen. Im Gegensatz dazu sind die Gerichte nicht befugt, die fehlende Verfassungs- bzw. Gesetzesmäßigkeit von Normen festzustellen und diese dann zu verwerfen.450 Dieses System wurde von der Verfassung von 1982 geschaffen, in der die Überprüfung der Rechtsnormen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht üblicherweise als eine wichtige Kompetenz des entsprechenden Rechtsetzungsorgans vorgesehen ist. Art. 67 VVRCh regelt: Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses übt folgende Funktionen und Gewalten aus: (7) Aufhebung von Verwaltungsrechtsnormen […], die im Widerspruch zur Verfassung und zu den Gesetzen stehen; (8) Aufhebung von lokalen Rechtsnormen […] der Organe der Staatsmacht der Provinzen, autonomen Gebiete und regierungsunmittelbaren Städte, die im Widerspruch zur Verfassung, zu den Gesetzen und zu Verwaltungsrechtsnormen stehen. Ähnliche Kompetenzen wurden auch dem Staatsrat (Art. 89, Ziff. 13, 14 VVRCh), lokalen Volkskongressen und deren Ständigen Ausschüssen verschiedener Ebenen (Art. 99 Abs. 2, Art. 104 VVRCh) und lokalen Regierungen (Art. 108 VVRCh) eingeräumt. Das System der legislativen Überwachung wurde vom GGG übernommen und weiter vervollständigt durch die gesetzliche Festlegung der Rangverhältnisse von Rechtsakten und durch den Aufbau eines Überprüfungsmechanismus für die Verfassungs- bzw. Gesetzeswidrigkeit von Rechtsakten.
A. Die Festlegung der Rangverhältnisse der Rechtsnormen innerhalb des gesamten Rechtssystems und die Kollisionsregel Zwar sind die Rangverhältnisse der Rechtsnormen auf verschiedenen Ebenen durch die Umgrenzung der Rechtsetzungsbefugnisse und die eigene Position in der Stufenordnung der rechtsetzenden Organe zu einem großen Grad schon klargestellt, trotzdem widmet sich das GGG der weiteren Festlegung der Rangverhältnisse der Rechtsnormen intensiv (§§ 87 – 95 GGG). Zugleich stellt das GGG auch die Kollisionsregel im Fall der Normenkonflikte auf. Bezüglich der Rangverhältnisse der Rechtsnormen regelt das GGG: Die Verfassung hat oberste Gesetzeskraft; kein Gesetz, keine Verwaltungsrechtsnorm, keine territoriale Rechtsnorm, keine Autonomie- und Einzelverordnung, keine Regel darf mit der Verfassung in Widerspruch stehen (§ 87). Gesetze gehen Verwaltungsrechtsnormen, territorialen Rechtsnormen und Regeln vor. Verwaltungsrechtsnormen gehen territorialen Rechtsnormen und Regeln vor (§ 88). Territoriale Rechts450
Sebastian Heilmann, Nicole Schulte-Kulkmann und Lea Shih, S. 8.
A. Die Festlegung der Rangverhältnisse der Rechtsnormen
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normen gehen Regeln der territorialen Regierungen auf derselben Ebene und auf niedrigeren Ebenen vor. Regeln, die von der Volksregierung der Provinz oder des autonomen Gebietes festgelegt wurden, gehen Regeln vor, die von Volksregierungen von Städten mit Bezirken oder autonomen Bezirken innerhalb desselben Verwaltungsbezirkes festgelegt wurden (§ 89). Regeln der Abteilungen untereinander sowie Regeln der Abteilungen und Regeln der territorialen Regierungen untereinander sind gleichrangig; sie werden innerhalb des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs durchgeführt (§ 91). Bezüglich der Kollisionsregel für die Rechtsnormen regelt das GGG: Wenn bei Gesetzen, Verwaltungsrechtsnormen, territorialen Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelvorschriften oder Regeln, die vom gleichen Organ festgesetzt wurden, besondere Bestimmungen und allgemeine Bestimmungen nicht übereinstimmen, gelten die besonderen Bestimmungen; wenn neue Bestimmungen und alte Bestimmungen nicht übereinstimmen, gelten die neuen Bestimmungen (§ 92). Wenn bei Gesetzen über die gleiche Angelegenheit neue allgemeine Bestimmungen und alte besondere Bestimmungen nicht übereinstimmen und nicht festgestellt werden kann, was gelten soll, wird die Frage vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses entschieden. Wenn bei Verwaltungsrechtsnormen über die gleiche Angelegenheit neue allgemeine Bestimmungen und alte besondere Bestimmungen nicht übereinstimmen und nicht festgestellt werden kann, was gelten soll, wird die Frage vom Staatsrat entschieden (§ 94). Wenn territoriale Rechtsnormen oder Regeln untereinander nicht übereinstimmen, entscheidet das betreffende Organ gemäß den nachfolgend bestimmten Zuständigkeiten (§ 95): (1) Wenn neue allgemeine Bestimmungen und alte besondere Bestimmungen, die vom gleichen Organ festgelegt wurden, nicht übereinstimmen, entscheidet das Organ, welches sie festlegt; (2) Wenn territoriale Rechtsnormen und Regeln von Abteilungen des Staatsrates untereinander in den Bestimmungen über dieselbe Angelegenheit nicht übereinstimmen und nicht festgestellt werden kann, was gelten soll, wird vom Staatsrat eine Ansicht vorgelegt; wenn der Staatsrat der Ansicht ist, dass die territoriale Rechtsnorm gelten muss, muss beschließt er, dass in dem betreffenden Gebiet die Bestimmungen der territorialen Rechtsnorm gelten; wenn der Staatsrat der Ansicht ist, dass die Regeln der Abteilung gelten müssen, muss er dies dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses zur Entscheidung vorlegen; (3) Wenn Regeln der Abteilungen des Staatsrates untereinander oder Regeln der Abteilungen und Regeln der territorialen Regierungen untereinander in den Bestimmungen über dieselbe Angelegenheit nicht übereinstimmen, entscheidet der Staatsrat. Wenn aufgrund einer Ermächtigung festgelegte Rechtsnormen nicht mit Gesetzen übereinstimmen und nicht festgestellt werden kann, was gelten soll, entscheidet der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses.
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4. Kap.: Die Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems
B. Überprüfungsmechanismus Im Fall der Gesetzeswidrigkeit sind die betreffenden Organe befugt, entsprechende nachrangige Rechtsnormen zu ändern oder aufzuheben. Das GGG legt fünf Maßstäbe für die Feststellung der Gesetzeswidrigkeit der Rechtsnormen fest und sieht ein Überprüfungsverfahren vor.
I. Überprüfungsmaßstäbe Wenn bei Gesetzen, Verwaltungsrechtsnormen, territorialen Rechtsnormen, Autonomie- und Einzelvorschriften oder Regeln einer der folgenden Umstände vorliegt, werden sie von dem betreffenden Organ gemäß der Zuständigkeit nach § 97 geändert oder aufgehoben: (1) wenn die Zuständigkeit überschritten worden ist; (2) wenn nachrangiges Recht gegen Bestimmungen höherrangigen Rechts verstößt; (3) wenn bei nicht übereinstimmenden Bestimmungen von Regeln über dieselbe Angelegenheit entschieden wurde, sodass die Bestimmungen einer Seite geändert oder aufgehoben werden müssen; (4) wenn Bestimmungen von Regeln, die als nicht angemessen angesehen werden, geändert oder aufgehoben werden müssen; (5) wenn gegen das gesetzliche Verfahren verstoßen wurde (§ 96 GGG).
II. Überprüfungssubjekte § 97 GGG nennt insgesamt 7 Arten von Subjekten, die berechtigt sind, entsprechende gesetzeswidrige Rechtsnormen zu ändern oder aufzuheben: (1) Der Nationale Volkskongress hat das Recht, nicht angemessene Gesetze zu ändern oder aufzuheben, die sein Ständiger Ausschuss festgelegt hat; er hat das Recht, vom Ständigen Ausschuss genehmigte Autonomie- und Einzelvorschriften aufzuheben, die gegen die Verfassung oder gegen § 75 Abs. 2 dieses Gesetzes verstoßen; (2) der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat das Recht, Verwaltungsrechtsnormen aufzuheben, die im Widerspruch zur Verfassung und zu den Gesetzen stehen; er hat das Recht, territoriale Rechtsnormen aufzuheben, die im Widerspruch zur Verfassung, zu den Gesetzen oder den Verwaltungsrechtsnormen stehen; er hat das Recht, von den Ständigen Ausschüssen der Volkskongresse der PAS genehmigte Autonomie- und Einzelvorschriften aufzuheben, die gegen die Verfassung oder gegen § 75 Abs. 2 dieses Gesetzes verstoßen; (3) der Staatsrat hat das Recht, nicht angemessene Regeln der Abteilungen und der territorialen Regierungen zu ändern und aufzuheben; (4) die Nationalen Volkskongresse der PAS haben das Recht, nicht angemessene territoriale Rechtsnormen zu ändern oder aufzuheben, die von ihren Ständigen Ausschüssen festgelegt und genehmigt worden sind; (5) die Ständigen Ausschüsse der territorialen Volkskongresse haben das Recht, nicht angemessene Regeln aufzuheben, die von der Volksregierung auf derselben Ebene festgelegt
B. Überprüfungsmechanismus
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worden sind; (6) die Volksregierungen der PAS haben das Recht, nicht angemessene Regeln zu ändern und aufzuheben, die von den Volksregierungen auf niedrigerer Ebene festgelegt worden sind; (7) das ermächtigende Organ hat das Recht, Bestimmungen aufzuheben, die von dem ermächtigten Organ unter Überschreitung des Bereichs der Ermächtigung oder unter Verstoß gegen den Zweck der Ermächtigung festgelegt worden sind; wenn dies erforderlich ist, kann das ermächtigende Organ die Ermächtigung aufheben.
III. Überprüfungsverfahren Das GGG regelt das Überprüfungsverfahren nur beim SANVK ausführlich selbst, überlässt aber im Übrigen den jeweiligen berechtigten Subjekten die Befugnis zur Festsetzung der Bestimmungen über Überprüfungsverfahren unter der Berücksichtigung des Prinzips der Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems (§ 102 GGG).451 Die Initiierung des Überprüfungsverfahrens: Das Überprüfungsverfahren beim SANVK kann von dem Staatsrat, der Zentralen Militärkommission, dem Obersten Volksgericht, der Obersten Volksstaatsanwaltschaft oder dem Ständigen Ausschuss eines PAS-Volkkongresses initiiert werden, wenn diese Organe der Ansicht sind, dass eine Verwaltungsrechtsnorm, territoriale Rechtsnorm oder Autonomie- oder eine Einzelvorschrift der Verfassung oder einem Gesetz widerspricht; sie können schriftlich den Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses um Prüfung ersuchen; die Arbeitsorgane des Ständigen Ausschusses teilen die Sache dem betreffenden Fachausschuss zu, der die Prüfung durchführt und seine Ansicht dazu vorlegt (§ 99 Abs. 1 GGG). Außerdem kann das Überprüfungsverfahren auch von anderen Staatsorganen oder gesellschaftlichen Körperschaften, Unternehmen und Institutionsorganisationen oder Bürgern initiiert werden (§ 99 Abs. 2 GGG). Schließlich können die betreffenden Fachausschüsse des NVK und die Arbeitsorgane des SANVK (z. B. das Arbeitsorgan für Rechtsarbeiten) auch die zu Akten gemeldeten Rechtsnormen aktiv überprüfen (§ 99 Abs. 3 GGG). Die Folgen der Überprüfung: Wenn Fachausschüsse des NVK oder die Arbeitsorgane des SANVK bei der Prüfung zu der Ansicht gelangen, dass Verwaltungsrechtsnormen, territoriale Rechtsnormen oder Autonomie- oder Einzelvorschriften im Widerspruch zur Verfassung oder zu Gesetzen stehen, können sie dem festlegenden Organ ihre Ansicht schriftlich vorlegen, zu der sie bei der Prüfung gelangt sind. Der Rechtsausschuss des NVK, Fachausschüsse und die Arbeitsorgane des SANVK können eine gemeinsame Prüfungssitzung des Rechtsausschusses und der betreffenden Fachausschüsse einberufen und das festlegende Organ auffordern, 451 Z. B. Der Staatsrat erließ am 14. 12. 2001 die „Verordnung über die Meldung von Rechtsnormen und Regeln zu Akten“ (fagui guizang bei’an tiaoli), Inkrafttreten seit 01. 01. 2002.
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auf der Sitzung die Umstände zu erläutern und dann dem festlegenden Organ schriftlich ihre Ansicht vorlegen, zu der sie bei der Prüfung gelangt sind. Das festlegende Organ muss die Vorschrift innerhalb von zwei Monaten überprüfen, seine Ansicht zu ihrer Änderung oder Nichtänderung vorlegen und mit dem Rechtsausschuss des Nationalen Volkskongresses und den betreffenden Fachausschüssen Rücksprache halten (§ 100 Abs. 1). Wenn der Rechtsausschuss des NVK, die betreffenden Fachausschüsse, die Arbeitsorgane des SANVK nach der Bestimmung des vorhergehenden Absatzes dem festlegenden Organ ihre Ansicht vorlegen, zu der sie bei der Prüfung gelangt sind, und das festlegende Organ gemäß dieser Ansicht seine Rechtsnorm ändert und aufhebt, endet das Überprüfungsverfahren (§ 100 Abs. 2). Wenn der Rechtsausschuss des Nationalen Volkskongresses, die betreffenden Fachausschüsse und die Arbeitsorgane des SANVK bei der Prüfung zu der Ansicht gelangen, dass Verwaltungsrechtsnormen, territoriale Rechtsnormen oder Autonomie- oder Einzelverordnungen im Widerspruch zur Verfassung oder zu Gesetzen stehen, das festlegende Organ sie jedoch nicht ändert, können der Konferenz der Ausschussvorsitzenden schriftlich die Ansicht, zu der man bei der Prüfung gelangt ist, und ein Vorschlag zur Aufhebung vorgelegt werden; die Konferenz der Ausschussvorsitzenden beschließt, ob die Sache auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses zur Beratung und zum Beschluss vorgelegt wird (§ 100 Abs. 3).
5. Kapitel
Ergebnis der Untersuchung In der langen Geschichte Chinas mangelte es nicht an Rechtsnormen und sie erzeugender Rechtsetzung, aber wie diese Untersuchung zeigt, sind die moderne Rechtsetzung Chinas, d. h. die Rechtsetzung, die im Kontext des Nationalstaats steht, und grundlegende Elemente erst Produkt des 20. Jahrhunderts. Zu diesen grundlegenden Elementen gehören das Monopol der Gesetzgebungsmacht durch den Staat, die organisierte Ausübung der Gesetzgebungsmacht durch spezielle Organe, die an den zu regelnden Gegenständen orientierte Fachlichkeit sowie die Trennung des Erlassens der Rechtsnormen von der einfachen Offenbarung der Moralnormen und gewisse Werte im Verfahren der Rechtsetzung, z. B., Demokratie und Öffentlichkeit. Zwar wurden die Rechtsetzung und das gesamte Rechtsverständnis Chinas im 20. Jahrhundert vielseitig vom Westen beeinflusst. Die Rechtsetzungsgeschichte Chinas im 20. Jahrhundert zeigt aber auch ihre Besonderheiten. Einen gesamten Hintergrund für das Verständnis der Rechtsetzung Chinas bildet vor allem das im ganzen 20. Jahrhundert unveränderte Ziel, „den Untergang Chinas zu verhindern und seine Existenz zu verfechten (jiuwang tucun)“, ein Ziel, das jede politische Macht, welche politische Vorstellung sie auch verfolgt, nicht außer Betracht lassen konnte. Die Wege für „jiuwang tucun“ wurden in unterschiedlichen Modernisierungsversuchen umgesetzt, die von der politischen Vorstellung der jeweiligen politischen Macht geprägt wurden. Verglichen mit den Bemühungen um technische und wissenschaftliche Modernisierung ging die Rechtsetzung als Mittel der Modernisierung tiefer, da sie die gesamte Grundlage des bisherigen chinesischen Staats- und Rechtsverständnisses betraf und neue politische Ideen durch positivierte Regelungen verwirklichte. Bezüglich des Staats- und Rechtsverständnisses erlebte China im 20. Jahrhundert zwei heftige Umwandlungen, nämlich vom traditionellen, auf dem Konfuzianismus basierenden (bis 1912), zum am Westen orientierten freiheitlich-demokratischen Staats- und Rechtsverständnis (1912 – 1949) und vom freiheitlich-demokratischen zum marxistisch-leninistischen Staats- und Rechtsverständnis (seit 1949). Diese Umwandlungen entfalteten dialektische Funktionen für die Rechtsetzung. Zum einen förderten sie die Errichtung der Rechtsetzungsorgane und die Rechtsetzungstätigkeit des Staates in der jeweiligen Phase. Trotz der Abwechslung in der herrschenden politischen Macht blieb die grundlegende Vorstellung der Rechtsetzung als Mittel zur Verwirklichung des jeweiligen politischen Willes und zur Festlegung der neuen Ordnung unverändert, und um die Legalität der Herrschaft der jeweiligen politischen Macht auszudrücken, wurde in jeder Phase die Rechtsetzung
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5. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
stark vorangetrieben. Zum anderen wirkten sich diese großen Umwandlungen zusammen mit weiteren politischen Unruhen in jeder Phase, aber auch für die Rechtsetzung zerstörend aus. Sie führten zur Fragmentierung der Rechtsetzung und machten eine konsequente Rechtstradition unmöglich. Wegen der Ersetzung der vorherigen politischen Macht durch eine spätere wurden auch alle von ihr erlassenen Rechtsnormen beseitigt (die Beseitigung des auf monarchischem Konstitutionalismus basierenden Rechtssystems der Spät-Qing-Dynastie durch die Republik China und die Beseitigung der Sechs-Kodexe der Republik China durch das kommunistische China). Darüber hinaus, war die wesentliche Funktion der Rechtsetzung wegen der politischen Instabilität eher politisch erklärend als praktisch relevant, d. h. umfangreiche und handhabbare Regelungen für das Gesellschaftsleben existierten nicht oder hatten kaum soziale Bedeutung. Dies drückt sich besonders darin aus, dass in jeder Phase zuerst (nur) auf die Verfassungsgebung und den Erlass der Organisationsgesetze über Staatsorgane großer Wert gelegt wurde. Eine relative politische Stabilität gewinnt China erst nach der Reform- und Öffnungspolitik im Jahr 1978. Die reale Antriebskraft für die Rechtsetzung bilden der Wille der KPCh zur Beseitigung des von der Kulturrevolution verursachten politischen Chaos einerseits und der Bedarf an Rechtsnormen für die Einführung und Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft. Die Rechtsetzungsgeschichte nach 1978 kann als Reformalisierung zusammenfasst werden, deren Ziel in der Anfangsphase die Trennung der Partei vom Staat und der Wiederaufbau der staatlichen Rechtsetzungsorgane auf der zentralen und lokalen Ebene war. Den Höhepunkt der Reformalisierung bildete der Erlass des Gesetzgebungsgesetzes im Jahr 2000. Das GGG behandelt und regelt zum ersten Mal wichtige Probleme bezüglich der Rechtsetzung systematisch Das gilt insbesondere für – die Abgrenzung der Gesetzgebungsbefugnisse zwischen NVK und SANVK, zwischen NVK und SANVK und dem Staatsrat, zwischen den zentralen und lokalen Rechtsetzungsorganen; – die Festlegung des Rechtsetzungsverfahrens des jeweiligen Rechtsetzungssubjekts; – die Normierung der ermächtigten Rechtsetzung des Staatsrats und der Sonderwirtschaftszone; – die Festlegung der Stufenordnung unterschiedlichen Rechtsnormen und – die Schaffung des legislativen Überwachungssystems für die Aufrechterhaltung der Einheit des Rechtssystems. Trotz dieser Erfolge der Formalisierung bleibt die Rechtsetzung in China aber auch mit Herausforderungen konfrontiert. Die dominierende Stellung des SANVK gegenüber dem NVK und die dominierende Stellung des Staatsrats gegenüber dem NVK und SANVK in der Rechtsetzung verzerren das gesetzlich geregelte Verhältnis zwischen ihnen; zahlreiche Wiederholungsrechtsetzungen spiegeln den Rückstand der lokalen Rechtsetzung in der Rechtsetzungstechnik wider; das legislative Über-
5. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
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wachungssystem ist meistens schwach und leerlaufend und hat zahlreiche Normenkonflikte zur Folge. Darüber hinaus, unter dem Dualismus zwischen Partei und Staat, könnten die von der Partei vorangetriebene Formalisierung der staatlichen Rechtsetzung und das sich daraus ergebende Rechtssystem ebenfalls von innen heraus gefährdet werden.
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Stichwortverzeichnis Alleinherrschaft 60 f. Allgemeines Programm der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes 66 Anhörung des Gesetzesentwurfs 104 Ausgleich zwischen Partei und Staat 68
Genehmigung und Meldung zu den Akten 176 Gesetze (falü) 98 Gesetzesinitiative 101 Gesetzesvorbehalt 99 grundlegende Gesetze (jiben falü) 105
Beiyang-Regierung 54 Beratung des Gesetzesentwurfs 102 Beratungshof für Regierungs-Angelegenheiten 44
Herbsternte-Aufbruch 63 Hundert-Blumen-Epoche 69
canzheng yuan 55 chinesische Sowjetrepublik
Instrumentalisierung 33, 35 Instrumentalistisches Rechtsverständnis 30, 33
64
Dali yuan 56 Dangguo-System 61 Drei-Volksprinzipien-Theorie 57 Dualismus von dang (Partei) und guo (Staat) 60 Dualismus von li und fa 52, 60 Einheit des Rechtssystem 179 Entwurf des Zivilrechts der großen Qing 49 Ergänzende Beratungen 104 Exterritorialität 38, 40, 63 Extraterritoriality 41 Fachausschüsse des NVK 103 falü bianzuan guan 49 Formalisierung 67 f., 70, 75 Formalisierung der Gesetzgebung innerhalb des Staates 76 Formelle Staatlichkeit 68 Formelles Rechtssystem 67 Führungsanspruch der KPCh 69 Fünf-Gewalten-Theorie 59 Fünf-Regierungshöfe-System 59 fuqiang xianfa 32 Geltung der VVRCh geming genjudi 62
92
jiuwang tucun
31, 33, 39
kaiyan kan shijie 29 Kapitalistisches Rechtssystem 66 Kodifikation 25, 53 Kollisionsregel 180 Konfuzianismus 15 f., 30, 34, 48, 50 KPCh und staatliche Gesetzgebung 73 Kulturrevolution 69 Legislative Gesetzesauslegung des SANVK 119 Liberalisierung und Demokratisierung 60 f. lifa yuan 59 Lokale Regierungen 177 Lokale Volkskongresse 150 Massenlinien 64 Modernisierung – Dritter Modernisierungsversuch 25 – Erster Modernisierungsversuch 25 – Modern 25 – Modernität 25 – Vierter Modernisierungsversuch 25 – Zweiter Modernisierungsversuch 25 Modernität 58
Stichwortverzeichnis Monarchischer Konstitutionalismus 31, 42, 46 Monistisches, zweistufiges, MehrebenenRechtsetzungssystem 155
– Gesetzgebungsverfahren des SANVK 105 Ständigkeit der verfassunggebenden Gewalt 89 f.
Nanchang-Aufbruch 63 Nanjing-Nationalregierung 57 Nationaler Volkskongress – Gesetzgebungskompetenz des NVK 99 – Gesetzgebungsverfahren des NVK 99 Neu-demokratisches Rechtssystem 61 Neues Strafrecht der großen Qing 49 Nicht-grundlegende Gesetze (fei jiben falü) 105 Normativer Konstitutionalismus 95
Territoriale Rechtsetzung – Arten 150 – Eigenschaft 150, 152 – Grundsätze 150 – Umfang 150 – Verfahren 150 Territoriale Rechtsnormen 157 Trennung von Gesetzgebung und Partei
Opium-Krieg
23, 28
Parteigesetzgebungsaktivitäten 65 Parteistaat 60 Politik und Gesetzgebung 71 Politischer Konstitutionalismus 95 Provinzial-Landtage 44 Provisorisches Strafgesetzbuch der Republik China 57 Rangverhältnisse der Rechtsnormen 180 Rechtsausschuss des NVK 103 Rechtsnihilismus 70, 78 Regeln der Abteilungen des Staatsrats 148 Regeln der territorialen Regierungen 177 Republikanismus 32, 53 – 55 Revolutionskomitees 69 Sechs-Kodex-System 23, 53, 59, 65 f. shiyi changji yi zhiyi 29 shiyi changji yi ziqiang 29 Sonderrechte 38 f. Sonderwirtschaftszone 150 Sozialistisches Rechtssystem 66, 68 Staatliche Gesetzgebungsgewalt 98 Staatsrat 128 Städte mit Bezirken 150 Ständige Vertreterin der verfassunggebenden Gewalt 98 Ständiger Ausschuss des NVK 105 – Gesetzgebungskompetenz des SANVK 105
207
70
Überprüfungsmechanismus – Überprüfungsmaßstäbe 182 – Überprüfungssubjekte 182 – Überprüfungsverfahren 182 Ungleiche Verträge 23, 38 Verfahren der Rechtsetzung des SR 144 Verfassung der Republik China 55 Verfassung von 1982 78 – 80 Verfassunggebende Gewalt 32, 89 f., 94 Verfassungsgerichtbarkeit 93, 96 Verfassungsreform 42 Verfassungsskizze der Großen Qing 44 f. Verrechtlichen 68 Verwaltungsrechtsnormen 127 Volksdemokratie 62 Volkssouveränität 55 Vorläufige Verfassung der Republik China 54 xianzheng biancha guan 42 Xinhai-Revolution 55 Xinhai-Revolution (1911) 54 xiuding falü guan 49 xunzheng gangling 59 Yangwu-Bewegung 29 yübei fangxing lixian 43 yuefa huiyi 55 Zentralismus der Gesetzgebung (lifa jiquan zhuyi) 77 zhongxue wei ti, xixue wei yong 29 zhongyang falü weiyuanhui 66