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German Pages 251 Year 1972
Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse Band 57
Struktur und Funktion der Bilanz Grundfragen der betriebswirtschaftlichen Bilanz in methodologischer und entscheidungstheoretischer Sicht
Von
Marcell Schweitzer
Duncker & Humblot · Berlin
MARC ELL
SCHWEITZER
Struktur und Funktion der Bilanz
Betriebswirtschaftliche
Forschungsergebnisse
Herausgegeben von
Prof. Dr. Dr. h. c. Dr. h. c. Erich Eosiol Freie Universität Berlin
i n Gemeinschaft m i t
Prof. Dr. Erwin Grochla Universität zu K ö l n
Prof. Dr. Dieter Pohmer Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Eberhard Witte Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Heinz Langen Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Ralf-Bodo Schmidt Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Prof. Dr. Werner Vollrodt Bayerische Julius-Maximiliane-Universität, Würzburg
Prof. Dr. Knut Bleicher Justus Liebig-Universität, Gießen
Prof. Dr. Marceli Schweitzer Eberhard-K arls-U ni versität Tübingen
Prof. Dr. Günter Dlugos Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Jürgen Wild Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Prof. Dr. Norbert Szyperski Universität zu K ö l n
Prof. Dr. Klaus Chmielewicz Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Siegfried Menrad Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Ulrich Pleiß Erziehungswissenschaftliche Hochschule Rheinland Pfalz, Abt. Worms
Band 57
Struktur und Funktion der Bilanz Grundfragen der betriebewirtschaftlichen Bilanz i n methodologischer und entscheidungstheoretischer Sicht
Von
Professor Dr. Marceli Schweitzer Eberhard-Karls-Universität Tübingen
D U N C K E R
& H Ü M B L O T
/
B E R L I N
Vorwort Diese Schrift wurde von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Berlin am 15. 5.1968 als Habilitationsschrift angenommen. Den ursprünglichen Titel „Grundfragen der betriebswirtschaftlichen Bilanz in methodologischer und entscheidungstheoretischer Sicht" habe ich als Untertitel beibehalten. Aufbau und Inhalt der Schrift sind bis auf einige Ergänzungen um neuere Bilanzbeiträge unverändert geblieben. Meinem hochverehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Erich Kosiol, möchte ich meinein herzlichen Dank für seine unermüdliche Förderung dieser Arbeit aussprechen. Aus seinem langjährigen Bemühen u m bilanzrechnerische Aussagensysteme, das i n der pagatorischen Bilanzauffassung seinen Niederschlag gefunden hat, ist eine große Zahl von Anregungen geflossen, die ich gern aufgegriffen habe. Bei dem von m i r vorgelegten Bilanzierungskonzept handelt es sich u m eine Weiterführung dynamisch-pagatorischer Denkansätze. Die Unterschiede zwischen meinem Vorschlag und anderen neueren bilanzrechnerischen Beiträgen liegen i n der methodologischen und entscheidungstheoretischen Analyse der Bilanzierungsprobleme, i m Versuch einer axiomatisierten Satzformulierung des Rechnungsmodells und i n einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Bewertungsproblem. Wertvolle Hinweise habe ich von den Herren Prof. Dr. Heinz Langen, Berlin, Prof. Dr. Helmut Schneider, Mannheim, Dr. Winfried Matthes, Berlin, und ΣΗρΙ. -Kfm. Wolf gang Graurock, Berlin, erhalten. Herrn Prof. Dr. Horst Sanmann, Hamburg, danke ich für seine freundliche Unterstützung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft trug durch das Gewähren eines zwei jährigen Habilitandenstipendiums m i t zum Entstehen dieser Arbeit bei. Meinen Assistenten, Herrn Dipl.-Volkw. Fritz Dinkel, Herrn Dipl.-Kfm. Günter Otto Hettich und Herrn Dipl.-Kfm. Hans-Ulrich Küpper danke ich für zahlreiche Anregungen und ihre Unterstützung bei der Drucklegung. Tübingen, den 1. 7.1971 Marceli Schweitzer
Inhaltsverzeichnis
I . Problemstellung
11
I I . Methodologische Grundlegung
17
A . Probleme der betriebswirtschaftlichen Modellbildung
17
1. Der Modellbegriff i n der Wirtschaftswissenschaft
17
2. Elemente und Beschaffenheit wissenschaftlicher Satzsysteme . .
20
a) M i t t e l der A b b i l d u n g von Gegenstandsbereichen
20
b) A u f b a u wissenschaftlicher Satzsysteme
23
3. Klassifikation betriebswirtschaftlicher
Modelle
27
a) Beschreibungsmodelle u n d Erklärungsmodelle
28
b) Theorien u n d Entscheidungsmodelle
30
c) Realmodelle u n d Idealmodelle
32
d) Deterministische u n d nicht-deterministische Modelle
33
e) Statische u n d dynamische Modelle
34
B. Probleme der betriebswirtschaftlichen Modellanwendung
36
C. Der Erkenntniswert betriebswirtschaftlicher Modelle
40
I I I . Das Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
43
A . Der Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
43
1. Komponenten des Unternehmungsprozesses
43
2. Der realisierte Unternehmungsprozeß
48
a) Der Unternehmungsprozeß als Gesamt- u n d Teilprozeß
48
b) Der Unternehmungsprozeß als Total- u n d Partialprozeß . .
50
3. Der geplante Unternehmungsprozeß
52
a) Komponenten des geplanten Unternehmungsprozesses
52
b) K r i t e r i e n der Prozeßplanung
54
aa) M i n i m a x - K r i t e r i u m
54
bb) K r i t e r i u m des minimalen Bedauerns
55
cc) M a x i m a x - K r i t e r i u m
56
8
Inhaltsverzeichnis dd) Pessimismus-Optimismus-Kriterium
57
ee) Höchste Wahrscheinlichkeit
58
ff) Mathematische E r w a r t u n g
60
gg) Mögliche Überraschung
61
hh) Satisfizierungsniveau
62
B. Buchhalterische Kalkülinterpretationen als Abbildungen des U n ternehmungsprozesses 1. Axiomatisierung buchhalterischer Abrechnungssysteme
64 64
a) Axiomensystem der systematischen einfachen Buchhaltung
64
b) Axiomensystem der doppelten Buchhaltung
76
2. Analyse unterschiedlicher K a l k ü l s t r u k t u r e n 3. Modell der Überschußverwendung
78 83
a) K o n s t r u k t i o n des Verwendungsmodells
83
b) Stellung des Verwendungsmodells zu instrumentalen Satzsystemen höherer Ordnung
90
C. Analyse der W e r t - u n d Bewertungsprobleme i n der betriebswirtschaftlichen Bilanzrechnung
96
1. Die logische S t r u k t u r v o n Wertbegriffen
96
a) W e r t als klassifikatorischer Begriff
96
b) W e r t als komparativer Begriff
98
c) Wert als quantitativer Begriff
99
2. Analyse betriebswirtschaftlicher Wertkonzeptionen
100
a) Objektive Werttheorie
102
b) Subjektive Werttheorie
104
c) Entscheidungslogische Werttheorie
111
3. W e r t u n d Bewertung i n der Bilanzrechnung
118
a) S t r u k t u r des Wertes u n d F u n k t i o n der Bewertung i n der Bilanzrechnung 118 b) Die entscheidungslogische Wertkonzeption als konstituierendes Element der Verwendungsrechnung 122 c) Analyse neuerer Beiträge zur Bilanzbewertung
128
D. Rechtfertigung des Anschaffungswertprinzips i m Grundmodell der Bilanzrechnung 131 1. Analyse der Eigenschaften u n d der F u n k t i o n des Grundmodells 131 a) Entscheidungstheoretische Begründung des Anschaffungswertprinzips i m Grundmodell 131 aa) Überprüfung der A x i o m e des Satzsystems
131
bb) K r i t i k des Niederstwertprinzips als Entscheidungsregel 135
Inhaltsverzeichnis b) Informationstheoretische Begründung wertprinzips i m Grundmodell
des
Anschaffungs-
aa) Semantische u n d pragmatische Fragen modells als Informationsinstrument bb) K r i t i k des Niederstwertprinzips vention
als
des
Grund-
Informationskon-
141 141 145
2. Das Grundmodell als Basis retro- u n d prospektiver K a p i t a l flußrechnungen 146 3. Zusammenfassung
153
I V . Kritische Analyse der betriebswirtschaftlichen Bilanzauffassungen . . 155 A . Vorbemerkung
155
B. Analyse betriebswirtschaftlicher Bilanzauffassungen
156
1. Analyse der statischen Bilanzauffassungen
156
a) Die wichtigsten Elemente der Bilanzauffassung le Coutres . . 156 b) Analyse der Bilanzauffassung le Coutres 2. Analyse der dynamischen Bilanzauffassungen
159 162
a) Die wichtigsten Elemente der Bilanzauffassung Schmalenbachs 162 b) Analyse der Bilanzauffassung Schmalenbachs
166
c) Analyse der Bilanzauffassung Kosiols
170
3. Analyse der organischen Bilanzauffassungen
175
a) Die wichtigsten Elemente der Bilanzauffassung Schmidts . . 175 b) Analyse der Bilanzauffassung Schmidts
178
4. Analyse der Bilanzauffassung Riegers u n d verwandter Bilanzauffassungen 180 a) Die wichtigsten Elemente der Bilanzauffassung Riegers
180
b) Die wichtigsten Elemente der Bilanzauffassung v o n Albach u n d Gümbel 184 aa) Z u r Bilanzauffassung Albachs
184
bb) Z u r Bilanzauffassung Gümbels
189
c) Analyse der Bilanzauffassungen von Rieger, Albach u n d Gümbel 191 V. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
197
Summary
201
Literaturverzeichnis
205
Personenverzeichnis
239
Sachverzeichnis
243
I. Problemstellung Die Bilanzrechnung als das älteste Instrument zur Information und Dokumentation über reale und nominale Güterbewegungen sowie -bestände i n öffentlichen u n d privaten Wirtschaftseinheiten reicht in seiner Entwicklung als Rechnungssystem über vier Jahrtausende zurück und hat bis zur Gegenwart eine Geschlossenheit erreicht, die auch disziplinfremden Wissenschaftlern ein gewisses Interesse abgerungen hat 1 . Dieser Rechnung w i r d neben der Anerkennung in bezug auf ihre Einfachheit und Systematik sogar eine wirtschaftspolitische Instrumentalität zugesprochen, indem eine Abhängigkeit des kapitalistischen Wachstums auch von diesem Rechnungssystem vermutet wird 2 . Unabhängig von dieser Vermutung hat die Bilanzrechnung eine aus der Tätigkeit der Unternehmungen nicht fortzudenkende dokumentarische Aufgabe übernommen, die sich noch m i t weiteren verträglichen A u f gaben kombinieren läßt. Damit dient sie einzelwirtschaftlichen Zwecken und erlangt betriebswirtschaftliche Relevanz. Die von ihr wahrgenommene betriebswirtschaftliche Dokumentation des Unternehmungsprozesses dient informatorischen Zwecken, von denen jeweils Weise, Umfang und Inhalt des dokumentarischen Vorgehens determiniert werden. Als Kontrollmittel getroffener Entscheidungen und als Basis i n die Zukunft reichender Entscheidungen gewann die Bilanzrechnung eine besondere Bedeutung, die eine große Anzahl von Wissenschaftlern dazu angeregt hat, über ihren Aufbau, die Funktionsweise und den Informationsgehalt Untersuchungen anzustellen, wobei die Überlegungen zum Aufbau und zur Funktionsweise des Rechnungssystems eine Vorstufe zu den informatorischen Analysen darstellen. Informationen als empirisch wahre Erkenntnisse können unterschiedlichen Zwecken dienstbar gemacht werden. Die Informationsgewinming selbst kann nur zweckorientiert vorgenommen werden. Bei einem Rechnungssystem treten die Fragen der Zweckausrichtung von Informationen i n dem Augenblick i n Erscheinung, i n welchem das Rechnungssystem aufgestellt w i r d oder spätestens, wenn mit einem gegebenen Rechnungssystem mehrere Zwecke verfolgt werden sollen. 1 Cayley [Principles], Vorwort: "The principles of Bookkeeping by Double E n t r y constitute a theory which is mathematically by no means uninteresting: i t is i n fact l i k e Euclid's theory of ratios an absolutely perfect one, and i t is only its extreme simplicity which prevents i t from being as interesting as i t w o u l d otherwise be." 2 Sombart [Kapitalismus] 11, 110 ff., 118 ff.
12
I. Problemstellung
A u f jeden Fall sollten die genannten Überlegungen angestellt werden, wenn ein Zweckwechsel vorgenommen wird. Dieser letzte Fall gab in der Betriebswirtschaftslehre Anlaß zu einer Diskussion, die bis zur Gegenwart noch nicht als abgeschlossen angesehen werden kann. Für die Vertreter der älteren Bilanzrechnung hieß ζ. B. der zu verfolgende Rechnungszweck: „Ermittlung des Vermögens- und Schuldenstandes der Unternehmung zu einem bestimmten Zeitpunkt." A n diesem Rechnungszweck entzündeten sich alle Bilanzdeutungen und „Wertkonzeptionen" betriebswirtschaftlicher und juristischer A r t . Sie werdein heute unter der Bezeichnung der statischen Bilanzauffassungen subsumiert. Vom A r t i k e l 31 A D H G von 1861 über den § 39 HGB, den § 131 A k t G a. F. bis zum § 151 A k t G n. F. zieht sich m i t abnehmender Intensität das statische Gedankengut durch die Bilanzierungsvorschriften und die Bilamzierungspraxis. Für die neuere Bilanzrechnung ist ein Wechsel i m Rechnungszweck auf getreten, der als „Information über den Ergiebigkeitsgrad unternehmerischer Handlungen i n einem bestimmten Zeitraum" formuliert werden kann. Dieser i n abgewandelter Form zuerst von Schmalenbach3 postulierte Rechnungszweck bedeutet eine Abwendung von der Bilanz als Zusammenstellung von Vermögens- und Schuldenpositionen und eine Hinwendung zu einer erfolgsmäßigen Interpretation der Bilanzrechnung. Der bilanzielle Jahresabschluß w i r d nunmehr als ein Rechnumgssystem erklärt, das ex post Informationen über periodische Güterentstehungen und Güterverwendungen liefert. Diese Festlegung des Rechnungszwecks einer Bilanz bildet den K e r n der dynamischen Bilanzauffassungen. Von dem geänderten Rechnungszweck ausgehend, w i r d eine sinngemäße Deutung des Bilanzinhalts getroffen. Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung stellen i n dieser Blickrichtung beide systematisch verknüpfte Erfolgsermittlungsrechnungen unterschiedlichen Detaillierungsgrades dar 4 . Während die Bilanz einen globalen Ausweis des Periodenerfolgs erlaubt, zeigt die Gewinn- und Verlustrechnung denselben Erfolg spezifiziert nach entstandenen und verwendeten Güterarten an. Das dynamische Gedankengut t r i t t mit zunehmender Intensität i n die Bilanzierungsvorschriften und i n die Bilanzierungspraxis ein. Allgemein kann festgehalten werden, daß der Übergang von der statischen zur dynamischen Bilanzkonzeption i n einem Wechsel des Rechnungszwecks und i n einer damit verbundenen unterschiedlichen Interpretation des Bilanzinhalts besteht. I n groben Zügen nahm die Entwicklung der Bilanzprobleme folgenden Lauf: Die begeistert und sachlich geführte Diskussion über bilanz3 Schmalenbach [Dynamische Bilanz*] 1 ff., 65 ff., [Abschreibung] 81 ff., [Erfolgsbilanz] 379 ff. 4 Kosiol [Buchhaltung] 53 ff. u n d Münstermann [Bilanztheorien] 249.
I. Problemstellung rechnerische Fragen in der Betriebswirtschaftslehre, soweit sie echte grundsätzliche und spezielle Einzelfragen eines praktikablen Rechnungssystems zum Gegenstand hatte, liegt etwa 40 Jahre zurück. Die Wende von der statischen zur dynamischen Bilanzauffassung nahm ihren Anfang m i t dem Aufsatz Schmalenbachs „Grundlagen dynamischer Bilanzlehre" 5 , i n dem eine neue Erklärung des Sachinhalts der Bilanz gegeben sowie eine Anzahl von Bewertungsvorschriften zur Ermittlung des „vergleichbaren" Periodenerfolgs zusammengestellt wurde. Damit war der Grundstein für die Ablehnung jeder A r t von Vermögensrechnung mittels der Bilanz gelegt und die Erfolgsrechnung zum zentrierenden Element des Rechnungssystems erhoben 6 . Der Versuch einer Synthese zwischen Statik und Dynamik wurde 1921 von Fritz Schmidt 7 vorgelegt. Schmidt versuchte, den Nachweis zu erbringen, daß die beiden Rechnungszwecke Vermögensermittlung und Erfolgsermittlung i n der Bilanz sinnvoll kombiniert werden können, wobei der Gewinn Ausdruck einer relativen Substanzerhaltung der Unternehmung ist. Obwohl das Ziel (oder die Nebenbedingung) der Substanzerhaltung i n Theorie und Praxis einige Beachtung gefunden hat, ist das Rechnungssystem von Schmidt zunächst ein Entwurf geblieben. Die Gedanken Schmalenbachs fanden ihre Erweiterung und Präzisierung i n den Arbeiten von Walb s und Kosiol 9. Sie erfuhren aber auch eine sehr scharfsinnige K r i t i k durch Rieger 10, der als Ergebnis der Auseinandersetzimg mit Schmalenbach eine völlig neuartige Bilanzkonzeption vorlegte, die von der Bilanz als Nachrechnung vollständig abweicht und i h r den Charakter einer Vorschaurechnung gibt, deren Konzept auf der Definition des „heutigen Wertes" beruht 1 1 . Als Weiterführung der Gedanken von Schmidt erschien der Beitrag von Karl Hax 12, der das Problem der Substanzerhaltung gründlich analysierte. Dann wurde es — von Beiträgen zu den Buchführungs- und Bilanzierungsgrundsätzen abgesehen — relativ ruhig u m das betriebswirtschaftliche Bilanzierungsproblem. Seit 1950 etwa ist wieder ein Hinwenden zu den Fragen der Bilanzrechnung zu beobachten 13 . Die A r t der neueren Fragestellungen hat sich δ Schmalenbach [Dynamische Bilanz 1 ]. β Schmalenbach bezeichnet Versuche, einen Gesamtwert der Unternehmung i n der Bilanz zu errechnen, als unwissenschaftlich [Dynamische B i l a n z 1 3 ] 45. 7 Schmidt, F. [Organische Bilanz 1 ]. 8 Walb [Erfolgsrechnung]. β Kosiol [Formalaufbau] u n d [Bilanzreform2]. 10 Rieger [Schmalenbachs dynamische Bilanz]. 11 Rieger [Einführung]. !2 Hax, K . [Substanzerhaltung]. i3 Moxter [Grundsätze] 35 u n d die dort angegebene Literatur.
14
I. Problemstellung
jedoch gewandelt. Nachdem die Betriebswirtschaftslehre, insbesondere die Theorie der Unternehmungspolitik, durch eine beachtliche Zahl van Entscheidungsmodellen, die als instrumentale Satzsysteme das pragmatische Wissenschaftsziel des Faches verfolgen, erheblich bereichert wurde, scheint von dieser neuen Warte aus eine Besinnung auf das alte, überlieferte Abrechnungsinstrument zu erfolgen. Die heute gestellten Fragen sind auf die Aussagefähigkeit des Rechnungswesens 14 , die Möglichkeit einer Wirtschaftlichkeitsmessung 15 , die Bewertung 1 6 , die Möglichkeit einer Gesamtwertrechnung 17 und auf die Deduktion von Bilanzierungsgrundsätzen 18 gerichtet. Unter mehr oder weniger deutlich erkennbarer Ausrichtung auf die neueren Entscheidungsmodelle w i r d der Aufgabenbereich des überlieferten Rechnungssystems inhaltlich u n d formal überprüft und präzisiert. Die i n der Gegenwart angeschnittenen Einzelfragen zur Bilanz hängen sehr eng miteinander zusammen und bedürfen zu ihrer Beurteilung einer gemeinsamen Basis, die i n dieser Untersuchung durch ein einheitliches, methodologisch, entscheidungstheoretisch und informationstheoretisch fundiertes Bilanzkonzept i n der Form eines Grundmodells einschließlich eines ergänzenden Verwendungsmodells zu legen versucht wird. Der logische Empirismus als Meta-Disziplin sowie die neuere Entscheidimgstheorie werden zur Festigung dieses Fundaments herangezogen. Dieser Ansatz w i r d es erlauben, die Struktur und die Funktion von Systemen der Unternehmungsrechnung näher zu kennzeichnen sowie eine Formulierung von Anforderungen an die behandelten Satzsysteme zu treffen. Weiter sind zu einer möglichst geschlossenen Behandlung von Bilanzproblemen einige kalkültheoretische Fragen zu erörtern, m i t deren Hilfe Einzelfragen der älteren und neueren Diskussion auf ihren gemeinsamen Kern durchleuchtet werden können. Dieses Vorgehen auf einer wissenschaftlich gesicherten Grundlage führt zur Formulierung eines geschlossenen und aussagefähigen Rechnungsmodells, das allen aufgestellten Forderungen weitestgehend genügt und eine kritische Würdigung vorliegender Forschungsergebnisse ermöglicht. Der logische Empirismus w i r d i n dieser Untersuchung nur als eine der möglichen Methoden angewendet; er könnte durchaus gegen andere Methoden ausgetauscht werden, die sich jedoch durch die gleiche wissenschaftliche Leistungsfähigkeit auszeichnen sollten. 14 Lutz [Aussagefähigkeit], Schulze [Messung]. Hax, H. [Bilanzgewinn], Schneider, D. [Bilanzgewinn]. 16 Albach [Grundgedanken], Engels [Bewertungslehre]. 17 Albach [Grundgedanken], Gordon [Investment], Gümbel [Bilanztheorie], Hansen [Concept of Profit], Hax, H. [Bilanzgewinn], Honko [ E r m i t t l u n g des Jahresgewinns], Moxter [Grundsätze], Schneider, D. [Bilanzgewinn]. is Leffson [Grundsätze], Moxter [Grundsätze]. 15
I. Problemstellung Die neueren Fragestellungen und Beiträge zum Bilanzierungsproblem legen es nahe zu überprüfen, welcher Aussagensysteme sich die Betriebswirtschaftslehre zur Formulierung ihrer Erkenntnisse bedient, d.h., welche A r t e n von Aussagensystemen bestehen, wie sie zusammenhängen, welchen Entscheidungsgehalt sie haben und wie groß ihre Wirklichkeitsnähe ist. Da einzelne Bilanzauffassungen herkömmlich als „Theorien" bezeichnet werden, bietet es sich an, die Untersuchung mit grundsätzlichen Überlegungen zu betriebswirtschaftlichen Modellen zu beginnen, u m zu zeigen, daß Theorien eine besondere Klasse von Modellen darstellen, die als Satzsysteme eine ganz bestimmte Struktur zeigen und bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Die Einordnung bilanzrechnerischer Satzsysteme in eine abzuleitende Klassifikation betriebswirtschaftlicher Satzsysteme w i r d u. a. die Beantwortung der Fragen erlauben, wieweit es zweckmäßig ist, Bilanzrechnungen zu den Theorien zu rechnen und wieweit sie nur deskriptiven oder auch dispositiven Zwecken verpflichtet sind. M i t dem gewählten A n satz w i r d der Gang der Überlegungen so festgelegt, daß für die zu betrachtenden Satzsysteme Struktur und Funktionen sowie Anforderungen untersucht werden, die an Satzsysteme realwissenschaftlicher A r t zu richten sind. Entsprechend den gefundenen Ergebnissen ist dann für den Unternehmungsprozeß als Betrachtungsgegenstand ein geschlossenes, wirklichkeitsnahes, beziehungseinsichtiges und folgerungsfähiges Satzsystem zu erstellen, das dem gesetzten Rechnungzweck weitestgehend genügt. Eine strenge und anspruchsvolle Formulierung des gebildeten Satzsystems besteht i n seiner axiomatisierten Darstellung. Dieser Aussagenformulierung nahezukommen, ist ein weiteres Anliegen dieser Untersuchung. Das grundlegende Aussagensystem soll möglichst so aufbereitet werden, daß sowohl ein Begriffsnetz als auch ein Deduktionsgerüst erkennbar werden. Unter Umständen lassen sich dann Unterschiede i n einzelnen Bilanzauffassungen auf unterschiedliche Ausgangssätze (Axiome) zurückführen und einheitlich erklären. Der Diskussion u m bilanzrechnerische Fragen w i r d m i t der axiomatisierten Darstellungsform ein wissenschaftlich begründetes Beurteilungsfundament geliefert, das Fehldeutungen, Fehlentwicklungen und Scheinfragen erspart. Soweit eine vollständige Axiomatisierung des Rechnungssystems nicht gelingt, sollen mindestens spezifische Merkmale hervorgehoben werden, durch die sich einzelne Bilanzauffassungen unterscheiden, um Beurteilungskriterien für deren Zweckausrichtung, Eindeutigkeit und Wirklichkeitsnähe aufstellen zu können. Wie i n den meisten Beiträgen zur Konzeption oder Diskussion betriebswirtschaftlicher „Bilanztheorien", soll auch i n dieser Untersuchung von steuerlichen Fragen abgesehen werden, da letztere unter ganz anderen Gesichtspunkten an die Bilanzdiskussion heranführen.
16
I. Problemstellung
Das gleiche gilt für spezielle Grundsätze der Bilanzierung; sie treten i n den Ausführungen zurück, da der Verfasser die Meinung vertritt, daß eine Diskussion spezieller Grundsätze der Bilanzierung erst dann ergiebig sein kann, wenn man i n der Betriebswirtsdiaftslehre Einigkeit über die grundsätzliche Struktur und Funktion der Bilanzrechnung gefunden hat 1 9 . Erst dann könnten spezielle Bilanzierungsgrundsätze als rechtliche oder betriebswirtschaftliche Normen fixiert werden und ein einheitliches Praktizieren der betriebswirtschaftlichen Bilanzrechnung sichern. Den Betrachtungsgegenstand stellen i n erster Linie betriebswirtschaftliche Erfolgsbilanzen dar. Statusbilanzen werden aus den Erörterunigen ausgeklammert. Meßtheoretische Überlegungen treten gegenüber methodologischen, informationstheoretischen und entscheidungstheoretischen etwas zurück, da Bilanzierungsprobleme unter den letzteren Aspekten bisher nur vereinzelt und nicht geschlossen analysiert wurden. Methodologische, informationstheoretische und entscheidungstheoretische Grundfragen werden i m Aufbau der Schrift bewußt unterschiedlich behandelt. Während den methodologischen Problemen ein selbständiger Hauptabschnitt gewidmet wird, sollen als Kompromiß zur bisherigen Weise der Diskussion von Bilanzfragen der entscheidusngstheoretische sowie der informationstheoretische Fragenkomplex wegen ihrer engen Verbindung zu Wert- und Bewertungsfragen im Rahmen des zu kon^ zipierenden Grundmodells behandelt werden.
ι» Moxter
[Grundsätze] 29 f.
I I . Methodologische Grundlegung A. Probleme der betriebswirtschaftlichen Modellbildung 1. Der Modellbegriff in der Wirtschaftswissenschaft Die Wirtschaftswissenschaft als Realwissenschaft bedarf eines I n struments, um aus ihrem faktischen Gegenstandsberedch, dem Humanbereich, einen Problemkreis herauszuschälen, der ihren Erkenntnisgegenstand darstellt. Sie schafft sich gleichsam eine Reproduktion tatsächlicher Gegenstände, Eigenschaften oder Relationen, an der sie ihre analytischen oder synthetischen Operationen vornimmt. Diese Reproduktion oder Abbildung w i r d ein Modell genannt, das der Gewinnung und Überprüfung der Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse dient. Die gesamte wissenschaftliche Arbeit der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre vollzieht sich seit Menschengedenken i n mehr oder weniger einfachen, vollständigen und wirklichkeitstreuen Gegenstandsabbildungen, d.h. i n Modellen. Ob man dabei auf die ersten zahlenmäßigen Aufzeichnungen der Sumerer über Güterbewegungen oder die späteren Kreislaufkonzepte von Physiokraten, Klassikern oder Marxisten zurückgeht, ist i m Prinzip nur ein Unterschied i n der Komplikation der gebildeten Modelle und des Abbildungsumfangs; den Abbildungscharakter haben sie jedoch alle gemeinsam. Diese Erkenntnis hat man erst gewonnen, seit die Mengentheorie durch Cantor jene Verallgemeinerung erfuhr, die nicht nur eine Vereinheitlichung und Präzisierung mathematischer Denkweise ermöglichte, sondern auch zum Konzipieren einer Theorie der Abbildungen führte, die wiederum der W i r t schaftswissenschaft ein M i t t e l zur Erklärung und Verfeinerung ihres wissenschaftlichen Arbeitens i n die Hand legte. Das Vorliegen einer Abbildungstheorie bedeutet nun keineswegs, daß i n der Wirtschaftswissenschaft geschlossen ein einziger Modellbegriff verwendet w i r d 1 . Da mehrere Klassen von Abbildungen unterschieden werden können, bleibt es den einzelnen Wissenschaftlern frei, wëlche Klasse sie m i t dem Terminus „Modell" belegen wollen. Wie die folgenden Beispiele zeigen, w i r d von der Freiheit dieser Begriffswahl prinzipiell Gebrauch gemacht. Daß die häufige Verwendung dieses Begriffs i h n zum Modeausdruck werden ließ und der begrifflichen K l a r * Vgl. auch Schreiber 2 Schweitzer
[Erkenntniswert] 76 ff.
18
II. Methodologische Grundlegung
heit sehr abträglich war, ist eine Gefahr, der man nur durch eine gründliche begriffliche Analyse und eine präzise Definition begegnen kann. Der Hang zum Modellbegriff scheint seinen Hauptgrund darin zu haben, daß i n der Wirtschaftswissenschaft beim Fehlen allgemeingültiger Theorien ad hoc Satzsysteme konstruiert werden, u m für enge Einzelfragen eine Lösung (oder Optimallösung) zu finden. Für diese Satzsysteme m i t betonter Ausrichtung auf das pragmatische Wissenschaftsziel hat sich insbesondere die Bezeichnung „Modell" eingebürgert. Daß die Verwendung des Modellbegriffs auch bei den Wissenschaftstheoretikern nicht einheitlich ist, soll an den Definitionen zweier bekannter Autoren gezeigt werden. So definiert Bochenski 2: „ . . . u n t e r »Modell4 w i r d ein physisches, durch das unbewaffnete Auge prinzipiell beobachtbares Gebilde verstanden, welches dem durch die wissenschaftliche Aussage (Theorie usw.) dargestellten Sachverhalt gleichförmig ist." Dagegen legt Carnap 3 fest: „Unter einem Modell (genauer, einem logischen oder mathematischen Modell) für die axiomatischen Grundzeichen eines gegebenen Axiomensystems i n bezug auf einen gegebenen Individuenbereich D versteht man eine Bewertung für diese Zeichen derart, daß sowohl der Bereich D wie auch die Bewertung ohne Gebrauch deskriptiver Konstanten angegeben sind. Ein Modell für die Grundzeichen heißt ein Modell für das Axiomensystem, wenn es alle Axiome erfüllt (d.h. w a h r macht)." Ein Blick auf diese Definitionen zeigt, daß bei den genannten Autoren die Bezeichnung ,Modell· für artmäßig verschiedene Abbildungen verwendet wird. Während Bochenski nur Abbildungen, die mittels anschaulicher oder ikonischer Zeichensysteme (Abbildungsmittel) gewonnen werden, als Modelle bezeichnet, verwendet Carnap dieselbe Bezeichnung nur für Abbildungen, die mit Hilfe abstrakt-symbolischer (formaler) Zeichensysteme erstellt werden. Die Begriffsbildung ist i n diesen zwei Fällen offensichtlich an den verwendeten Zeichensystemen orientiert. Offen bleibt bei beiden Autoren, inwieweit eine Transformation eines Zeichensystems i n das andere möglich und damit eine generelle Ausweitung des Begriffsinhalts auf beide Abbildungsarten denkbar ist. Auch i n der Wirtschaftswissenschaft ist die Verwendung des Modellbegriffs uneinheitlich 4 . A n einem volkswirtschaftlichen und zwei betriebswirtschaftlichen Beispielen (Begriffsbildungen) sollen die unterschiedlichen Verwendungsweisen aufgezeigt werden.
2 Bochenski [Denkmethoden] 45. 3 Carnap [Symbolische L o g i k ] 174. 4 Köhler [Theoretische Systeme] 48 ff.
Α. Probleme der betriebswirtschaftlichen Modellbildung
19
Kade 5 versteht unter einem Modell: „Durch die Ausweitung des Gültigkeitsanspruchs, die ihren Weg von einem bestimmten zu scheinbar strukturähnlichen Realitätsausschnitten nimmt, kann dieser Aussagenspielraum aber syntaktisch so beschränkt sein, daß eine echte erfahrungswissenschaftliche Theorie überhaupt nicht entstehen kann, sondern nur ein Modell, nun verstanden als gedankliches Experiment ohne auf Erklärung und Prognose abgestellten Wirklichkeitsgehalt." Dagegen formuliert Angermann B: „Die i m Wege dieser Vereinfachung gewonnenen Abbilder von der Wirklichkeit werden i n der Wissenschaft allgemein als Modell bezeichnet. Modelle sind demnach nichts anderes als gedankliche Hilfsmittel zur übersichtlichen Darstellung von unanschaulichen Objekten und komplexen Vorgängen . . . So gesehen stellt ein Modell lediglich eine Approximation der betrieblichen W i r k lichkeit dar." Und bei Kosiol 7 finden w i r die Begriffsbestimmung: „ V o n Modellen spricht man aber erst, wenn es sich u m zusammengesetzte Gedankengebilde handelt, die aus der Totalinterdependenz der Wirklichkeit abgegrenzte und übersehbare Teilzusammenhänge ausgliedern, u m die bestehenden Abhängigkeitsbeziehungen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu untersuchen. Durch Modellbildung w i r d versucht, mittels isolierender Abstraktion die charakteristischen Tatbestände aus der Mannigfaltigkeit der Gegebenheiten herauszuheben, u m so den komplexen Kausalzusammenhang auf ein vereinfachtes gedankliches Gebilde zu reduzieren . . . I n der rationalen Wirtschaftstheorie ersetzt das Modell, das i n seinen Grundlagen von Befunden und Feststellungen i n der Erfahrungswelt ausgeht, das reale Experiment der Naturwissenschaften, indem es durch gedankliche und rechnerische Variation der Beziehungselemente deren Ein- und Auswirkungen zu untersuchen ermöglicht." Diesen Begriffsbestimmungen ist zu entnehmen, daß bei Kade der Modellbegriff für die Abbildung nicht-realer (idealer) Betrachtungsgegenstände reserviert wird, während bei i h m die Abbildungen realer Betrachtungsgegenstände Theorien heißen. Demgegenüber geht Angermann so vor, daß er die Abbildungen realer Betrachtungsgegenstände als Modelle kennzeichnet. Nicht-reale Betrachtungsgegenstände zieht er nicht i n seine Überlegungen ein. Kosiol geht vorerst den gleichen Weg wie Angermann, indem er nach der obigen Definition auch nur die Abbildungen realer Betrachtungsgegenstände unter dem Begriff Modell subsumiert. Später 8 nimmt er aber eine Ausweitung des Begriffs» Kade [Preistheorie] 34. Vgl. zu dieser Modellauffassung auch: Albert [Charakter] 9, [Probleme] 58, Beckerath/Kloten/Kuhn [Methodenlehre] 309 ff. β Angermann [Entscheidungsmodelle] 13. 7 Kosiol [Modellanalyse] 319, 320. Vgl. a u d i Grochla [Modelle] 383 ff. u n d Berthel [Modelle] 1122. β Kosiol [Betriebswirtschaftslehre] 755.
2*
20
I
Methodologische Grundlegung
Inhalts i n der Weise vor, daß er sowohl reale als auch ideale Betrachtungsgegenstände einschließt. Diese weite Begriffsbestimmung Kosiols erweist sich für die vorliegende Untersuchung als zweckmäßig. Als Begriffsmerkmale für Modelle sind anzugeben: 1. Abbildungscharakter 2. Teilzusammenhänge 3. Betrachtungsgegenstände 4. Strukturgleichheit (-ähnlichkeit) Nach den bisherigen Ausführungen kann der Modellbegriff wie folgt definiert werden: Ein Modell ist eine isomorphe (homomorphe) Abbildung eines Teilzusammenhangs aus einem Betrachtungsgegenstand.
2. Elemente und Beschaffenheit wissenschaftlicher Satzsysteme a) M i t t e l d e r A b b i l d u n g v o n G e g e n s t a n d s b e r e i c h e n Vereinfachend soll zunächst unter einer Abbildung eine Zuordnung von Elementen eines Gegenstandsbereichs mittels einer Relation zu Elementen eines Abbildungsmittels verstanden werden. Z u den A b bildungsmitteln, von denen bereits unterschiedliche i n den Modelldefinitionen von Bochenski und Carnap auftraten, sollen noch einige Überlegungen angestellt werden. Je nachdem, ob man den Gegenstandsbereich durch ikonische (materiale) oder symbolische (formale) M i t t e l der menschlichen Anschauung zugänglich machen w i l l , lassen sich anschaulich-ikonische und abstrakt-symbolische Modelle unterscheiden. So sind z.B. Gebirgsreliefs, Schiffsmodelle und Versuchsanordnungen i m Labor anschaulich-ikonische Modelle. Derartige Modelle stellen i n der abendländischen Geistesgeschichte nicht selten eine beachtliche Vorstufe zu einer Theoriebildung dar, indem sie unüberschaubare, komplexe Zusammenhänge der Realität ausschnittweise und abstrahiert reproduzieren und damit die Grundstruktur der Problemzusammenhänge einfacher erkennen lassen. Interdisziplinäre Analogien, die m i t Hilfe anschaulich-ikonischer Modelle durchgeführt wurden, sind für die Modellkonstruktionen der Physiokraten kennzeichnend. Die Entstehung und Verteilung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ist i n diesem Sinne auf das Blutkreislaufmodell von Harvey und dieses selbst auf ein Modell der Wasserpumpe zurückzuführen. Daß die aus dieser Vörstellungswelt fließende stationäre Kreislaufkonzeption erst ein wissenschaftliches Durchdenken makroökono-
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mischer Vorgänge ermöglichte, kann kaum übersehen werden 9 . I n der Betriebswirtschaftslehre sind i m Gegensatz zur Volkswirtschaftslehre derartige Analogien wéniger angewendet worden 1 0 . Bei den abstrakt-symbolischen Modellen handelt es sich u m Sprachmodelle. Natürliche oder künstliche Sprachen werden hier zum A b bildungsmittel von Betrachtungsgegenständen. .Gelingt es, i n der jeweiligen Sprache die Betrachtungsgegenstände durch ein geordnetes Gefüge objektiver Sätze abzubilden 11 , so ist das Ergebnis dieser systematischen Bemühungen ein wissenschaftliches Modell. Die Aussagen, welche dieses Modell als Satzsystem macht, sind M i t t e l und Ergebnis des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. I m Gegensatz zu den ikonisch-anschaulichen Modellen erlauben abstrakt-symbolische Modelle nicht nur eine physikalisch-demonstrative Reproduktion, sondern sie lassen neben der verbalen Information über das Erkannte zusätzlich gewisse Operationen beim Erkennungs- und Denkvorgang zu. Diese Beweglichkeit der Sprachen als Abbildungsmittel setzt klare Begriffsbildungen und Sprachregelungen voraus. Begriffe haben die Aufgabe, Dinge und Eigenschaften abzubilden, während Sätze der Sprache Sachverhalte und Abhängigkeiten reproduzieren sollen. A n die Begriffe sind die Forderungen zu stellen, daß sie gegenstände- u n d zweckgerecht. sowie operational definiert sind. Neben den klassifikatonschen und komparativen Begriffen finden in der neueren Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft die quantitativen Begriffe besondere Beachtung, da sie über Klasseneinteilungen und Vergleichsfeststellungen hinaus einen Übergang 2u mathematischen Modellen erlauben. Quantitative Begriffe ermöglichen eine Messung von Dingen, Eigenschaften und Relationen i n numerischen Werten und damit eine rationale Erfassung und Durchdringung von Betrachtungsgegenständen. Die Messung i n numerischen Größen bezieht sich jedoch nur auf Mengenkomponenten von Dingen, Eigenschaften und Relationen und besteht i n einer Zuordnung reeller Zahlen zu den Elementen einer Menge unter Beachtung gegebener Meßvorschriften 1 *. Erstrebenswert ist eine Messung in intervalen oder kardinalen Skalen, da bei ihrem Vorliegen bestimmte arithmetische Transformationen in den Modellen möglich werden. Auch an die Präzision der Aussagen sind dann die höchsten Anforderungen gestellt. Die Abbildung von Begriffen und Sachverhalten erfolgt durch die Zeichen einer Sprache, die » Kade [Preistheorie] 15, Burchardt [Schemata] 530. io Findeisen [Unternehmungsform] 8 u n d 114 ff., Schmalenbach [Optimale Geltungszahl] 5 ff. Bochenski [Denkmethoden] 18. « Adam, A [Messen] 14 ff., Carnap [Logik] 170, Kloidt [Messen] 293, Schulze [Messung] 49 ff., Szyperski [Terminologie] 56 ff,
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II. Methodologische Grundlegung
die Denkinhalte oder Betrachtungsgegenstände getreu wiedergeben müssen. Nach Carnap ist eine Sprache ein „System von Zeichen m i t Regeln zur Verwendung dieser Zeichen" 13 . Derartige Zeichensysteme sind die Hauptinformationsträger zwischenmenschlicher Kommunikation für alle möglichen Denkinhalte. Zeichensysteme sind geordnete Elementmengen m i t der Eigenschaft, Bedeutungsträger werden zu können 1 4 . Zur sprachlichen Abbildung von Betrachtungsgegenständen gelangt man, indem einzelne Zeichen nach syntaktischen Regeln zu Zeichenverknüpfungen verbunden und dann nach semantischen Regeln i n bezug auf den Betrachtungsgegenstand interpretiert werden, wodurch eine inhaltliche Bestimmung der Zeichen erfolgt. Solange ein Zeichensystem vollkommen bedeutungsleer ist, d . h . m i t seinen syntaktischen Regeln nur einen operativen und keinen eidethischen Sinn hat, nennt man es einen Kalkül 16 oder ein Kodifikat. Die strukturgleiche, semantische Interpretation eines Kalküls i n bezug auf einen Betrachtungsgegenstand ist demnach ein Modell. I m Rahmen der gegebenen Syntax des interpretierten Zeichensystems ist nimmehr die Möglichkeit gegeben, Beschreibungen, Umformungen oder Ableitungen verschiedener A r t durchzuführen. Wissenschaftlich brauchbar ist ein auf diesem Wege gewonnenes Modell nur, wenn es bestimmte strukturelle Anforderungen erfüllt. Gemeint ist damit eine Entsprechung der zugehörigen Elemente und Relationen i m Betrachtungs- und A b bildungssystem. Der Bestfall der Entsprechung läge vor, wenn die Beziehungsarten i n beiden Bereichen dieselben formalen Eigenschaften hätten, welcher F a l l m i t Strukturgleichheit oder Isomorphie bezeichnet wird. Gewöhnlich w i r d dieser erstrebenswerte Zustand der Strukturübereinstimmung bei betriebswirtschaftlichen Modellbildungen jedoch nicht erreicht, da die bekannten Modelle a) nur Ausschnitte des Betrachtungsgegenstandes und b) nur die wichtigsten, mittels Abstraktion gewonnenen Relationen abbilden. Beide Vereinfachungen erlauben i m günstigsten Falle nur eine sehr große Strukturähnlichkeit, d.h. eine Homomorphie (homomorphe Abbildungen werden auch partiellisomorph genannt). Die wissenschaftliche Brauchbarkeit eines Modells hängt somit weitestgehend vom Grade seiner Homomorphie ab 1 6 .
is Carnap [Symbolische L o g i k ] 1. n Schnelle [Zeichensysteme], Oudenaarden [Zeichen], Wild [Grundlagen] 49 f., Chmielewicz [Zeichensysteme] 1990 f. « Juhos [Logik] 596, Kraft [Erkenntnislehre] 187, [Mathematik 1] 203 f. ie Vgl. dazu Frey [Modelle], Fraissé [Modeies], Kosiol [Betriebswirtschaftslehre] 755, Wild [Grundlagen] 51 f.
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Zur Erzeugung abstrakt-symbolischer Modelle können mehrere Sprachen oder Zeichensysteme herangezogen werden, die nach der Länge der verwendeten Zeichen unterteilt werden können i n 1 7 : a) langsymbolische Sprachen, b) kurzsymbolische Sprachen. Unter die langsymbolischen Sprachen fallen alle Umgangs- und die meisten Fachsprachen (einschl. Latein, Altgriechisch und Hebräisch), während als kurzsymbolische Sprachen die logistischen, mathematischen und programmtechnischen Zeichensysteme anzusehen sind. Für die nachfolgenden Überlegungen w i r d eine Einengung auf die algebraisch-mathematische Sprache vorgenommen. Die Anwendung der Mathematik als Abbildungsmittel hat den großen Vorzug, daß Umformungen und Ableitungen innerhalb des Modells unter bestimmten Voraussetzungen ohne inhaltliche Begründung und ohne Zwang zur eidetischen Interpretation eines jeden Transformationsschrittes vollzogen werden können. Dieses Manipulieren auf der syntaktischen Ebene räumt das Herausnehmen der Transformationen aus dem meinschlichen Denkprozeß ein und bietet die Möglichkeit zum Erreichen sehr hoher Umformungsgeschwindigkeiten, die heute durch elektronische Rechengeräte realisiert werden. Das Heranziehen der mathematischen Sprache zur Abbildung von Gegenstandsbereichen stellt eine Formalisierung dar, die eine Symbolisierung und eine Kalkülisierung bedeutet. Mathematische Abbildungen sind den langsymbolischen A b bildungen ζ. B. der Umgangssprache meist wegen der Klarheit, Eindeutigkeit und Bündigkeit der syntaktischen und semantischen Regeln überlegen; daher sind auch die wissenschaftlichen Anforderungen, die an mathematische Modelle gestellt werden können, höher als die an alle anderen Modelle. Die Anwendbarkeit der Mathematik zur A b bildung ökonomischer Gegenstandsbereiche ist nach heutiger Auffassung ein sprachlogisches Problem 1 8 und auf das Problem der Homomorphie (Isomorphie) zurückführbar. Sobald es gelingt, Betrachtungsgegenstände durch eine Menge reeller Zahlen homomorph abzubilden, d. h. m i t sehr großer Strukturähnlichkeit zu erfassen und zu messen, liegt es nahe, eine mathematische Formalisierung durchzuführen. b) A u f b a u w i s s e n s c h a f t l i c h e r
Satzsysteme
Die Betriebswirtschaftslehre als erfahrungswissenschaftliche Diszipl i n w i l l über ihren Gegenstandsbereich Aussagen machen, die sich 17 Kosiol [Modellanalyse] 320. ι» Kade [Verdächtigung] [Grundlagen] 54.
24 ff.,
Mangold
[Anmerkungen]
380 ff.,
WM
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II. Methodologische Grundlegung
sowohl auf konkrete Einzeltatbestände als auch auf allgemeingültige Beziehungen zwischen einzelnen Größen richten. „Dabei hat sie insbesondere die Aufgabe, generelle oder universelle, für einen bestimmten Raum-Zeit-Bereich schlechthin gültige Zusammenhänge festzustellen, die als empirische Regelmäßigkeiten oder sogenannte Gesetze eine Erklärung individueller oder singulärer Tatbestände und Ereignisse ermöglichen" 19 . Wissenschaftliche Aussagen werden i n Sätzen formuliert, wobei Individualaussagen (singuläre Aussagen) und allgemeine Aussagen (universelle Aussagen) zu unterscheiden sind 2 0 . Aussagen werden über Gegenstände (Individuen) und deren Attribute (Eigenschaften und Relationen) gemacht. Die singulären Sätze oder Individualaussagen sind Sätze, die nur sog. Individuenkonstante und Prädikate aufnehmen. A l l e behandelten Grundgegenstände heißen I n dividuen des Systems, ihre Gesamtheit macht den Individuenbereich oder kurz den Bereich des Systems aus, und die Namen für die Individuen sind die Individuenkonstanten. Prädikte sind die Bezeichnungen für Eigenschaften und Relationen von Individuen 2 1 . Singuläre Sätze sprechen nur über konkrete Einzeltatbestände, über singuläre oder individuelle Sachverhalte; ihr Gültigkeitsbereich ist damit i n Raum und Zeit genau festgelegt. Der Unterschied der singulären zu den universellen Sätzen liegt darin, daß an die Stelle der Individuenkonstanten sog. (gebundene) Individuenvariablen treten 2 2 und damit die getroffene Aussage auf alle Individuen des Systembereichs ausgedehnt wird. Bei den universellen Sätzen sind wiederum zu trennen 2 3 : Allsätze, (universelle) Existenzsätze und universelle statistische Sätze Allsätze können dazu verwendet werden, u m bei Begriffsdefinitionen Merkmale festzulegen, allen betrachteten Individuen bestimmte Eigenschaften zuzuordnen oder bestimmte Ereigniszusammenhänge zu behaupten 2 4 . Bestehen i m Betrachtungsgegenstand Gleichartigkeiten, Regelmäßigkeiten oder Gesetzmäßigkeiten, so bietet sich zu deren Erfassung die Aussageform einer universellen Implikation an, die jene Regelmäßigkeit unter bestimmten Bedingungen für jeden Zeitpunkt und jeden Kosiol [Betriebswirtschaftslehre] 747. Carnap [Symbolische L o g i k ] 34 f., Pap [Erkenntnistheorie] 13, Schreiber [Erkenntniswert] 22 ff. Carnap [Symbolische L o g i k ] 4. 22 Carnap [Symbolische L o g i k ] 34 f. 2» Carnap [Symbolische L o g i k ] 34 f., Pap [Erkenntnistheorie] 1281 pap [Erkenntnistheorie] 129, Wild [Grundlagen] 56. 20
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Ort als gültig behauptet. Die Formulierung erfolgt gewöhnlich i n einem Wenn-Dann-Satz. Nach Albert 25 werden derartige Sätze als nomologische Implikationen oder nomologische Hypothesen bezeichnet; zu ihnen gehören sowohl die Sätze, die deterministische Gesetzesaussagen machen, als auch die Sätze, die statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen 2 8 . Von Bedeutung ist noch eine Trennung der universellen Sätze nach (dem Elementumfang und) dem Raum-Zeitbezug. Liegt für eine Aussage keine Begrenzung auf (eine geschlossene Klasse von Elementen und) gegebene Raum-Zeit-Koordinaten vor, so kann ihre Allgemeinheit als strenge Allgemeinheit (strictly universality) 2 7 bezeichnet werden. Derartige streng allgemeine Wenn-Dann-Aussagen beziehen sich auf alle Tatbestände, die i n Gegenwart und Zukunft jemals eintreten können. Sie besitzen wegen dieser Allgemeinheit einen großen Informationsgehalt. Ist dagegen eine Aussage auf eine geschlossene Klasse von Elementen und ein raum-zeitliches Gebiet eingeengt, so gilt für sie eine numerische (abzählbare) Allgemeinheit, die m i t einem geringeren I n formationsgehalt verbunden ist. Diese Trennung ist für die Induktionsproblematik von Gesetzesaussägen von einiger Bedeutung. Denn da Sätze m i t numerischer Allgemeinheit durch eine Konjunktion singulärer Sätze ersetzt werden können, sind sie verifizierbar, d. h., für sie kann unumstößliche Gültigkeit oder Übereinstimmung m i t Elementen des Betrachtungsgegenstandes nachgewiesen werden. Die Sätze m i t strenger Allgemeinheit können dagegen faktisch nie verifiziert werden, da bei offenen Klassen von Elementen der Nachweis einer Übereinstimmung nicht möglich ist. Die Offenheit der Klasse bezieht sich insbesondere auf gleichartige Elemente, die i n der Zukunft liegen und für deren Verifikation der bisherige Erfahrungsschatz nicht ausreicht. Für diese unbekannten Elemente muß sich die bisher konzipierte nomologische Hypothese noch als gültig erweisen. Für die Sozialwissenschaften — und damit auch für die Wirtschaftswissenschaft — ist es kennzeichnend, daß die auftretenden Regelmäßigkeiten, Gleichmäßigkeiten oder Gesetze von größerer K o m plexität und Variabilität sind als i n den Naturwissenschaften 28 . Die damit verknüpfte Varianz der Regelmäßigkeiten i m Betrachtungsgegenstand läßt den Schluß zu, daß in der Wirtschaftswissenschaft lediglich m i t dem Vorliegen von Aussagen gerechnet werden kann, 2« 26 27 28
Albert [Probleme] 50 ff., [Theoriebildung] 23 ff. Albert [Probleme] 51, [Theoriebildung] 26 f. popper [Logik] 28, [Discovery] 62 ff. Vgl. Schreiber [Erkenntniswert] 28 f., 65 ff.
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II. Methodologische Grundlegung
die nur Gültigkeit für einen bestimmten Raum-Zeit-Bereich haben. Generelle Aussagen m i t einer derart begrenzten Universalität werden auch als Quasigesetze (Quasiinvarianzen) bezeichnet 29 . Die betriebswirtschaftliche Planung ist beim Vorliegen von Quasigesetzen, d. h. von Gesetzen historischen Charakters, problematisch, da sie als Antizipation prognostizierter Aussagen Hypothesen verwenden muß, die zukunftsbezogen sind. I n dieser Situation bietet sich wissenschaftsstrategisch folgender Ausweg 3 0 : Nomologische Hypothesen, die den Charakter von Quasigesetzen tragen, bewähren sich nur i n ganz bestimmten RaumZeit-Bereichen und scheitern i n anderen. Dieses Scheitern i n anderen Raum-Zeit-Bereichen ist nicht darauf zurückzuführen, daß jene anderen Raum-Zeit-Koordinaten als Determinanten auftreten, sondern als Grundkategorien andere sachliche Randbedingungen umfassen. „Die Raum- und Zeitgrenzen stehen also nicht für sich selbst, sondern stellvertretend für einen noch unbekannten, nicht explizierbaren Komplex von sachlichen Randbedingungen, dessen Realisation die Raum-ZeitBindung eigentlich betrifft" 3 1 . Die Analyse und Erforschung des unbekannten Bedingungskomplexes sollte m i t dem Ziel vorgenommen werden, die Allgemeinheit der Aussage durch Randbedingungen auf einen bestimmten Individuenbereich einzuengen, sie weniger allgemein und m i t einem kleineren Anwendungsbereich zu formulieren, dafür aber eine Zukunftsbezogenheit zu erreichen, die Prognosen ermöglicht. Ein weiteres Anliegen bleibt der Nachweis, für welches Aussagensystem höheren Allgemeinheitsgrades die i n ihrer Allgemeinheit sachlich eingeengte Aussage einen Sonderfall darstellt. Wissenschaftliche Satzsysteme enthalten neben singulären und universellen Sätzen auch Satzverbindungen oder -Verknüpfungen aus singulären und universellen Sätzen mittels Junktoren. Satzverknüpfungen stellen Aussagenverknüpfungen über den Betrachtungsgegenstand dar, die neue und erweiterte Erkenntnisse liefern. Gelingt es, eine Menge von Sätzen und Satzverknüpfungen nach logischen Prinzipien zu ordnen und sie als widerspruchsfrei sowie unabhängig 32 auf wenige Grundaussagen zu reduzieren, so erlangt das Aussagensystem eine axiomatisierte Ordnungsform, die es bei Vorliegen notwendiger Transformationsregeln ermöglicht, alle i n den Grundaussagen enthaltenen Implikationen auf logischem Wege zu deduzieren. Die Aussagen eines wissenschaftlichen Satzsystems sind ihrem Wesen nach sprachlich formulierte Reproduktionen über Zustände, Vorgänge, Zusammenhänge und Regelmäßigkeiten i m Betrachtungsgegenstand, 2 ® Albert [Theorie] 68, [Theoriebildung] 40. so Kosiol [Planung] 94, Wild [Grundlagen] 60 ff. »ι W i l d [Grundlagen] 61. 32 Wittmann [Entwicklungsweg] 6.
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d. h., sie sind Sprachmodelle des Betrachtungsgegenstandes. Diese weite Fassung des Begriffs ,Modell· führt folgerichtig zu einer Klassifizierung der i n der Betriebswirtschaftslehre verwendeten Satzsysteme, die einen systematischen und möglichst geschlossenen Überblick über diese Satzsysteme und ihre Zusammenhänge gibt. Insbesondere w i r d es möglich sein, die Bilanzrechnung als ein besonderes mathematisch formuliertes Satzsystem herauszustellen und seine Gemeinsamkeiten und Unterschiede i n bezug auf andere betriebswirtschaftliche Satzsysteme näher zu kennzeichnen. Die besondere Struktur einzelner Satzsysteme soll weiter Aussagen darüber zulassen, i n welchem Umfang ein Betrachtungsgegenstand homomorph abgebildet werden kann, m i t welcher Genauigkeit und welchem Informationsgehalt eine Reproduktion möglich ist, wie viele semantische Interpretationen eines gegebenen Kalküls betriebswirtschaftlich sinnvoll sind und welche Mischformen von Satzsystemen i n praktizierten Rechnungssystemen vorliegen. 3. Klassifikation betriebswirtschaftlicher Modelle A n den Anfang der Klassifikation betriebswirtschaftlicher Modelle sei nochmals der Modellbegriff gestellt, wie er weiter vorn bereits definiert wurde: Die strukturgleiche (iso- oder homomorphe), semantische Interpretation eines Kalküls (Abbildung) i n bezug auf einen Teilzusammenhang eines Betrachtungsgegenstands ist ein Modell. Von den unterscheidenden Merkmalen, die i n Wissenschaft und Praxis zur Klassenbildung von Modellen verwendet werden, sollen zunächst einige aufgezählt werden: a) Einschluß nomologischer Hypothesen, b) Geltungsanspruch der Aussagen, c) Wissenschaftsziel, d) Wertigkeit der Modellgrößen, e) Zeitliche Stufung. Je nachdem, ob ein Satzsystem nomologische Hypothesen einschließt oder nicht, lassen sich Erklärungsmodelle von Beschreibungsmodellen trennen. Nach dem Geltungsanspruch der Aussagen i m Satzsystem können Realmodelle und Idealmodelle unterschieden werden. I n bezug auf unterschiedliche Wissenschaftsziele sind theoretische Satzsysteme (Theorien) und instrumentale Satzsysteme (Entscheidungsmodelle) auseinanderzuhalten. Zieht man die Wertigkeit der Modellgrößen als unterscheidendes Merkmal heran, so stehen sich deterministische (einwertige) und nicht-deterministische Modelle gegenüber. Unter Berücksichtigung der zeitlichen Stufung gelangt man schließlich zur Unterschei-
28
II. Methodologische Grundlegung
dung von statischen Modellen.
(einstufigen)
und dynamischen
(mehrstufigen)
A u f die Bildung einzelner Klassen und Teilklassen von Modellen ist nunmehr näher einzugehen. Dabei w i r d i n der Analyse und in der Argumentation eine Breite (Tiefe) verfolgt, die eine präzise Einordnung der Modelle gestattet,, welche i m Zusammenhang m i t der Bilanzierungsproblematik relevant sind. a) B e s c h r e i b u n g s m o d e l l e u n d
Erklärungsmodelle
Die Einteilung der betriebswirtschaftlichen Modelle in Beschreibungsund Erklärungsmodelle ist für die vorliegende Untersuchung von großer Bedeutung; sie w i r d daher bereits i n der ersten Gliederungsstufe getroffen.. A l l e betriebswirtschaftlichen Modelle haben als Abbildungen von Betrachtungsgegenständen typische Funktionen, deren Erfüllung sie erst zu Modellen macht. Die Grundfunktion, die ein Modell erfüllen muß, ist die befriedigende Beschreibung dessen, was abzubilden ist. Beschreibung ist dabei i n dem Sinne zu verstehen, daß sie eine verbale oder schriftliche Darstellung singulärer Tatbestände i m Betrachtungsgegenstand ist. E i n Beschreibungsmodell ist als Satzsystem zu begreifen, das singuläre Sätze bzw. Satzverknüpfungen enthält. Es liefert Informationen darüber, welche Elemente der Gegenstandsbereich enthält, welche Eigenschaften die Elemente haben und welche Relationen zwischen einzelnen Elementen existieren. Es liefert aber keine Informationen darüber, warum eine Größe die beobachtete und keine andere Eigenschaft hat, oder warum sie sich so verhält und nicht anders. Mittels eines Beschreibungsmodells kann ein Betrachtungsgegenstand definitorisch und dokumentarisch erfaßt werden, unabhängig davon, ob er ein Zustands- oder Vorgangsphänomen ist 3 3 . Als Beschreibungsmethoden sind dabei die klassifikatorische, die komparative oder die quantitative möglich. Die im Zusammenhang m i t der Bilanzrechnung praktizierte Methode ist die quantitative. Sie verwendet quantitative Begriffe> die auch Maßgrößen heißen, da die Feststellung ihres Wertes auf dem Wege der Messung erfolgt. Eine quantitative Beschreibung erlaubt eine sehr exakte Kennzeichnung betrachteter Elemente und erleichtert die Formulierung von Zusammenhängen zwischen einzelnen Werten durch mathematische Funktionen. Für die einzelnen Wertausdrücke werden zweckmäßig reelle Zahlenausdrücke verwendet 3 4 .
s* Lechner [Rechnungstheorie] 1503. Carnap
[Symbolische Logik] 169.
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Neben den fachsprachlichen Beschreibungsmodellen i m Rahmen empirisch-induktiver Forschungsarbeit stellen die quantitativen Beschreibungsmodelle, sie heißen auch Ermittlungsmodelle, die hier näher zu behandelnde Klasse der Beschreibungsmodelle dar. Letztere enthalten neben den genannten Maßgrößen noch Definitionsgleichungen, die syntaktische Umformungen i n der Weise gestatten, daß die Maße einzelner Wirtschaftsgüter durch eindeutige ,mathematische 4 Verknüpfungen (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) wiederum Maße von Wirtschaftsgütern ergeben und damit eine für wissenschaftliche Aussagen erforderliche Maßstabstreue gewahrt wird, wobei unter maßstabstreu zu verstehen ist: „den Zweck-Mittel-Beziehungen angemessen und unter tunlichster Vermeidung unmotivierter spekulativer oder persönlicher Momente" 3 6 . Bei Verwendung von geldlichen Maßgrößen liegt eine arithmetische Verknüpfbarkeit vor, die z.B. i n der Bilanzierungsrechnung mittels der Verknüpfungsvorschriften Addition und Subtraktion erreicht wird. I n anderen Ermittlungsmodellen (z. B. der Verrechnung innerbetrieblicher Leistungen mit Matrizen) treten auch die Verknüpfungsvorschriften Multiplikation und Division auf. Gemeinsam ist allen Ermittlungsmodellen, daß sie die Feststellung zusammengesetzter Maße für unterschiedliche Tatbestände und Zwecke ermöglichen. Als Beispiel ökonomischer Ermittlungsmodelle lassen sich anführen: Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Wertschöpfungsrechnungen, Finanzbuchhaltung, Betriebsbuchhaltung, statistische Auswertungen und Kapitalflußrechnungen (retro- und prospektive) u. a. Empirische Wissenschaften bemühen sich zwar sehr u m eine systematische und vollständige Beschreibung ihrer Betrachtungsgegenstände, aber sie benutzen diese überwiegend, u m eine höhere Erkenntnisstufe zu erreichen, i n der Erklärungen und Prognosen der Phänomene i m Betrachtungsgegenstand möglich werden. Modelle, die Erklärungen und Prognosen zulassen, werden Erklärungsmodelle genannt; sie unterscheiden sich von den Ermittlungsmodellen dadurch, daß sie neben singulären auch generelle Aussagen enthalten, m i t deren Hilfe Deduktionen und Reduktionen durchführbar sind. Die Sätze dieses Satzsystems stehen i n einem logischen Ableitungs- und I m p l i kationszusammenhang, der eine Prognose singulärer Tatbestände zuläßt. I n Erklärungsmodellen lassen sich nach der Ableitungsrichtung zwei inverse logische Operationstypen unterscheiden, die zwei Hauptaufgaben theoretisch-empirischer Satzsysteme wahrnehmen: Erklärung und Prognose. Liegt einmal ein Tatbestand vor, der durch einen Satz beschrieben w i r d und der erklärt werden soll, so gilt es, eine nomologische Hypothese zu suchen, aus der unter bestimmten RandbedinAdam A . [Programmiertes Wirtschaften] 26.
30
II. Methodologische Grundlegung
gungen der formulierte Satz abgeleitet werden kann. Das Schlußverfahren, das hier angewendet wird, ist die regressive Reduktion, und der geschilderte Vorgang ist eine wissenschaftliche Erklärung eines Tatbestandes 36 , worunter die Kennzeichnung von Hypothesen und Bedingungen als bewirkende Ursachen des zu erklärenden Tatbestandes zu verstehen ist. Z u m anderen soll ein bestimmter Tatbestand vorhergesagt werden, wenn eine bestätigte universelle Hypothese vorliegt und bestimmte Randbedingungen zutreffen. Das anzuwendende logische Schlußverfahren ist die progressive Deduktion, und der beschriebene Vorgang ist i m Gegensatz zur Erklärung eine wissenschaftliche Prognose eines singulären Satzes, worunter die Ableitung eines wahren Satzes aus universellen Hypothesen unter Einschluß besonderer Randbedingungen zu verstehen ist 3 7 . Es zeigt sich, daß diese Feststellungen bevorzugt für eine Teilklasse der Erklärungsmodelle gelten, die sog. Theorien; darauf w i r d i n den folgenden Ausführungen noch näher eingegangen, die unterschiedliche Wissenschaftsziele von Satzsystemen behandeln. b) T h e o r i e n
und
Entscheidungsmodelle
Empirischen Wissenschaften w i r d mehr oder weniger deutlich ein pragmatisches Wissenschaftsziel zugesprochen. Nach dieser Auffassimg hat die Wissenschaft eine dienende Aufgabe zur Gestaltung der menschlichen Umwelt. Eine Wissenschaft dieses Instrumentalcharakters w i r d auch als „angewandte" Wissenschaft bezeichnet, und es w i r d i h r eine „nicht-angewandte" unter der Bezeichnung „reine" Wissenschaft (oder Theorie) gegenübergestellt. Beide Wissenschaften stellen als Satzsysteme Erklärungsmodelle dar. Der frühere Streit i n der Betriebswirtschaftslehre über die Ausschließlichkeit des Wissenschaftscharakters i n dem einen oder anderen Sinne ist heute weitestgehend i n eine Sowohl-als-auch-Konzeption aufgelöst. Damit ist die betriebswirtschaftliche Wissenschaftsauffassung an die anderer Realwissenschaften angeglichen worden, welcher Schritt auch zu einer Übernahme wissenschaftlicher Methoden und Anforderungen an die Theorien führte. Von beiden Erklärungsmodellen verlangt man heute das Bereitstellen von Informationen, die für die reine Wissenschaft darin bestehen, Erkenntnisse über den jeweiligen Betrachtungsgegenstand mittels realwissenschaftlicher Theorien zu sammeln, wobei eine Theorie als wissenschaftliches Satzsystem eine Beschreibungs-, Erklärungs- und Prognosefunk36 Bochenski [Denkmethoden] 101 f., Hempel-Oppenheim [Explanation] 319 ff., Pap [Erkenntnistheorie] 155 ff., Chmielewicz [Wirtschaftswissenschaft] 10. V Albert [Theoriebildung] 61, Pap [Erkenntnistheorie] 155 ff., Popper [Poverty] 12 ff., Chmielewicz [Wirtschaftswissenschaft] 10.
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31
tion erfüllen soll 3 8 . Demgegenüber erhält eine angewandte Wissenschaft die Aufgabe, unter Verwendung der Gegenstandserkenntnisse der reinen Theorie Handlungsregeln und -grundsätze abzuleiten, die i n bezug auf den Gegenstand brauchbare Gestaltungsmittel sind 3 9 . Gemeinsam ist beiden Erklärungsmodellen als Satzsystemen, daß sie ihre Aussagen i n Sätzen formulieren, die i n der reinen Theorie über Zusammenhänge oder Beschaffenheiten der Gegenstände und i n der angewandten Theorie über die Zweckeignung bestimmter M i t t e l und Handlungsregeln informieren. Die Aufgabe beider Satzsysteme ist es, Erkenntnisse auszudrücken, d . h . Aussagen zu treffen, die faktisch wahr sind. Ein Unterschied zwischen den Systemen liegt allein i m unterschiedlichen Wissenschaftsziel begründet, so daß das erste Aussagensystem theoretische und das zweite instrumentale Aussagen liefert. Sinngemäß lassen sich die explanatorischen Satzsysteme in theoretische und instrumentale Satzsysteme gliedern. Für die theoretischen Satzsysteme w i r d allgemein die Bezeichnung ,Theorie' verwendet, während die instrumentalen Satzsysteme m i t der Bezeichnung ,EntscheidungsmodelV belegt werden. I m Satzaufbau unterscheiden sich die beiden Teilklassen der Erklärungsmodelle dadurch, daß die Theorien singulare und universelle Sätze enthalten, während Entscheidungsmodelle zusätzlich eine Zielsetzung und gegebenenfalls Randbedingungen einer Gestaltungssituation enthalten. Die Belegung der instrumentalen Satzsysteme m i t dem Terminus ,Entscheidungsmodelle 1 ist durch den Umstand gerechtfertigt, daß diese Modelle der Ableitung zielbezogener Handlungsregeln zur Lösung ökonomischer Entscheidungen dienen. Bei den Entscheidungsmodellen ist noch eine Unterteilung i n Optimierungs- und Konsistenzmodelle denkbar 4 0 , kann aber wegen der geringen betriebswirtschaftlichen Bedeutung der Konsistenzmodelle auch vernachlässigt werden, so daß Entscheidungs- und Optimierungsmodelle als Synonyma für instrumentale Satzsysteme aufgefaßt werden können; häufig werden sie auch als Alternativmodelle bezeichnet 41 . Neben der Anwendung von Theorien i n Entscheidungsmodellen ist noch eine sog. technologische Transformation von Theorien 4 2 bekannt, bei der die Theorien nicht i n ein neues Satzsystem zwecks Umformung i n instrumentale Aussagen zur Erreichung gegebener Ziele eingebaut werden, sondern lediglich i m Hinblick auf alternative Eingriffsmög38 Albert [Theoriebildung] 47 ff., Popper [Logik] 31 ff. 3» Köhler [Theoretische Systeme] 58 ff. 40 Kade [Wirtschaftsprogrammierung] 155, Tinbergen [Centralization] 4 ff. Angermann [Entscheidungsmodelle] 164 ff., Kosiol [Modellanalyse] 322 f f [Betriebswirtschaftslehre] 759. 42 Albert [Theoriebildung] 66 ff., Popper [Poverty] 58 ff.
32
II. Methodologische Grundlegung
lichkeiten analysiert werden, die das Aussagensystem impliziert. Diese alternativenbezogene Analyse stellt eine Vorstufe zur Konstruktion von Entscheidungsmodellen dar und kann klassifikatorisch zu den Entscheidungsmodellen gruppiert werden. Als Beispiele für betriebwirtschaftliche theoretische Aussagensysteme lassen si eh angeben: die Kostentheorie und die Organisationstheorie. Während die Kostentheorie allgemeingültige und überprüfbare generelle Hypothesen über die Abhängigkeit der Periodenkosten von verschiedenen Einflußgrößen enthalten sollte, müßte die Organisationstheorie Hypothesen gleicher A r t über alternative Strukturformen und Ergiebigkeitsgrade aufweisen. Die Beispiele der instrumentalen Satzsysteme reichen von den einfachsten Modellen der Losgrößenbestimmung bis zu den Modellen der linearen, nicht-linearen und dynamischen Planungsrechnung. c) R e a l m o d e l l e
und
Idealmodelle
Betriebswirtschaftliche Modelle als strukturgleiche (-ähnliche) Abbildungen von Betrachtimgsgegenständen können auch nach dem Geltungsanspruch der Aussagen i n Klassen unterteilt werden. Differenziert man zwischen Aussagen m i t realem und nicht-realem Geltungsanspruch, so können entsprechend Realmodelle und Idealmodelle unterschieden werden 4 3 . Z u erläutern ist dann lediglich, w o r i n die Unterschiede i m Geltungsanspruch liegen: Aussagen m i t realem Geltungsanspruch beziehen sich stets auf reale Betrachtungsgegenstände 44 . Reale Betrachtungsgegenstände sind Tatbestände der erfahrbaren Wirklichkeit; sie sind faktisch existent u n d können durch Beobachtung wahrgenommen werden, sie können geschlossene Komplexe oder Ausschnitte der erfahrbaren Wirklichkeit sein. Dagegen sind ideale Betrachtungsgegenstände nur vorgestellte, denkbare oder gewünschte Tatbestände, die faktisch nicht existent sind und auch nicht durch Beobachtung festgestellt werden können. Sie sind gedankliche Konstruktionen, die i n der Realität keine Ausprägung finden. Als reale Tatbestände lassen sich nennen: Gebäude, Maschinen, Fabrikate, empirische Kostenfunktionen u.a., während zu den idealen Tatbeständen zu rechnen wären: der homo oeconomicus, der isolierte Staat Thünens, Abhängigkeiten von Produktmengen und Einsatzgütermengen i m Sinne des Ertragsgesetzes, u. a. So beziehen sich reale Satzsysteme (Reales Katterle [Methodenprobleme] 297, Kosiol [Betriebswirtschaftslehre] 755, Schreiber [Erkenntniswert] 80 ff. 44 Berthel [Modelle] 1125 f., Köhler [Theoretische Systeme] 51, Kosiol [Betriebswirtschaftslehre] 745 ff., Mellerowicz [Wissenschaft] 372, Ruffner [Rechnung] 1499 f., Wild [Grundlagen] 77/78.
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33
modelle) stets auf Tatbestände der erfahrbaren Wirklichkeit und schließen Behauptungen (Hypothesen) m i t realem Geltungsanspruch ein, wogegen ideale Satzsysteme (Idealmodelle) Bezug nehmen auf realitätsneutrale Tatbestände unter Einschluß von Behauptungen ohne realen Geltungsanspruch (Annahmen). Idealmodelle können daher nicht zu Erkenntnissen führen, die empirischen Charakter haben. Die Unterteilung i n Real- und Idealmodelle ist sowohl auf die bereits besprochenen Beschreibungsmodelle als auch auf die Erklärungsmodelle anwendbar, so daß einerseits reale und ideale Beschreibungsmodelle und andererseits reale und ideale Erklärungsmodelle unterschieden werden können. Entsprechend sind auch Theorien und Entscheidungsmodelle zu gliedern i n Realtheorien und Idealtheorien sowie i n reale Entscheidungsmodelle und ideale Entscheidungsmodelle. d) D e t e r m i n i s t i s c h e nicht-deterministische
und Modelle
Eine andere Einteilung von Modellen ist die nach dem Sicherheitsgrad der berücksichtigten Modellgrößen 45 . Danach lassen sich deterministische und ni(±Lt-deterministische Modelle trennen. Sind alle Modellgrößen einwertigt, d.h. haben sie nur eine einzige Wertausprägung, und ist das Wissen über sie sicher, so spricht man das zugehörige Satzsystem als ein deterministisches Modell an. Das Gegenstück zu den deterministischen Modellen sind die nichtdeterministischen. Sie umfassen zwei Teilklassen: die indeterministischen und die stochastischen Modelle. Herrscht über das Eintreffen der Modellgrößen Unsicherheit, so spricht man von indeterministischen Modellen. Formuliert man dagegen die Modellgrößen als mehrwertige Größen m i t einer bekannten (objektiven oder subjektiven) Verteilungsfunktion, so handelt es sich u m stochastische Modelle. Für die Größen eines stochastischen Modells ist kennzeichnend, daß für sie ex ante bei einer bestimmten Raum-Zeit-Koordinate nicht nur eine Wertausprägung angegeben werden kann, sondern mehrere und für jede der möglichen Wertausprägungen eine objektive bzw. subjektive Wahrscheinlichkeit. Der Unternehmungsprozeß, der durch stochastische Modelle abgebildet werden soll, muß aus Gründen der Strukturgleichheit ein Zufallsprozeß m i t feststellbaren Erwartungswerten für alle denkbaren Wertausprägungen sein. Beim Vorliegen solcher Prozesse sind zukünftige Größen statistisch planbar, indem sie ζ. B. als Durchschnitte und i n Schwankungsbereichen m i t hinlänglicher Sicherheit angegeben werden. 45
z.B. Angermann 330 ff. 3 Schweitzer
[Entscheidungsmodelle] 241 ff., Kosiol
[Modellanalyse]
34
II. Methodologische Grundlegung
Alle bisher besprochenen Modellklassen können i n deterministische, indetenninistische und stochastische Teilklassen tiefer gegliedert werden. e) S t a t i s c h e
und
dynamische
Modelle
Betriebswirtschaftliche Modelle bilden kleinere oder größere Ausschnitte des geschlossenen Unternehmungsprozesses ab, der als Folge oder Kette von Einzelhandlungen beschrieben werden kann. Ebenso wie i n den Naturwissenschaften, lassen sich einzelwirtschaftliche Aktionsfolgen m i t ihren geltenden Regelmäßigkeiten m i t oder ohne Berücksichtigung der Zeitkomponente abbilden. Werden verschiedene Größen des Modells als Funktion der Zeit betrachtet, so nennt man das Modell dynamisch. I m Falle der Bezogenheit aller Modellgrößen auf einen einzigen Zeitpunkt w i r d ein Modell entsprechend als statisches bezeichnet; bei dieser Klasse von Modellen fällt die Zeit als Argument fort. Die behandelte Trennung statischer von dynamischen Modellen liegt auf einer ganz anderen Ebene als die Unterscheidung i n statische und dynamische Bilanzauffassungen, was durch die folgenden Ausführungen verständlicher wird. Der historische Zeitablaiuf kann als Folge äquidistanter Zeitpunkte aufgefaßt werden. Für die Berücksichtigung des Zeitablaufs i n betriebswirtschaftlichen Modellen ergeben sich drei Möglichkeiten, die kurz skizziert werden sollen: W i r d der Zeitablauf explizit als Argument abhängiger Modellgrößen formuliert, d . h . liegen Zeitpunktkoordinaten vor, so handelt es sich stets u m dynamische Modelle 4 6 ; bei einer Berücksichtigung mehrerer, trennbarer Zeiträume und Bezug der Modellgrößen jeweils auf einen dieser Zeiträume liegt ein Übergang zur komparativ-statischen Modellbetrachtung vor; sind alle Modellgrößen auf einen einzigen Zeitpunkt (-räum) bezogen, so ist das Modell statisch. Da sowohl die „statischen" als auch die „dynamischen" Bilanzauffassungen periodische Rechnunigen sind, die eine Totalperiode in gleich große Zeitabschnitte zerlegen, handelt es sich bei den periodischen (Vermögens- und) Erfolgsermittlungsrechnungen u m komparativstatische Modelle 4 7 . Schließlich ist noch zu bemerken, daß die Entscheidungsmodelle der dynamischen Planungsrechnung (dynamic programming) echte dynamische Modelle sind, die für deterministische oder stochastische Handlungs- oder Entscheidungsfolgen eine optimale Lösung erstreben. Der betrachtete historische Zeitablauf w i r d bei diesen Modellen i n einzelne Entscheidungsstufen zerlegt, und es w i r d mittels eines Systems von 4 as Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
hier handelt es sich u m eine Abbildung von Realgüterbewegungen auf das ursprüngliche Nominalgut Geld, nur ist der abgebildete Prozeß ein leistungsbezogener Teilprozeß der Unternehmung, für den der Nominalgüterstrom f i k t i v und der Realgüterbewegung gleichgerichtet ist. Die Eigenständigkeit von Real- und Nominalgüterbewegungen i m Eigenumlauf einer Unternehmung w i r d i m folgenden Schema ersichtlich, das ein vereinfachtes A b b i l d der güterbezogenen Aktionsphasen darstellt?. Die starke Vereinfachung dieser Darstellung besteht insbesondere darin, daß die Komplexität und Simultaneität der zu realisierenden Einzelprozesse nur i n ihrer Ausrichtung auf den Leistungserstellungsprozeß berücksichtigt werden. Ob einzelne Teilprozesse Planungs-, Verwaltungs-, Kontroll- oder Entscheidungsvorgänge sind, bleibt i n diesem Zusammenhang unberücksichtigt; relevant ist nur, i n welcher Aktionsphase eine Einwirkung auf die Leistungserstellung festgestellt werden kann. A l l e Phasenbewegungen lassen sich i n den einzelnen Phasen als Zugänge oder Abgänge (Eingänge oder Ausgänge) feststellen, die zu einer Phasen-Bestandsbildung führen, sobald sie sich zeitlich und mengenmäßig unterscheiden, d.h., sobald sich eine Umsatzdauer dazwischenschiebt. Für eine industrielle Unternehmung enthält das Phasenschema fünf Realgüterphasen (Beschaffung, Einsatzlagerung, Herstellung, Absatzlagerung, Absatz) sowie drei Nominalgüterphasen (Kreditgewährung, Kassenhaltung, Kreditaufnahme). I m vorliegenden Fall werden für die einzelnen Phasen erläuternd folgende Größen vermerkt 7 : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Phasenbewegung Phasenumsatz Phasenbestand A r t der Bestandsgüter A r t der Bewegungen A r t des Umsatzes A r t der Phasendauer
2. Der realisierte Unternehmungsprozeß a) D e r U n t e r n e h m u n g s p r o z e ß Gesamt- und Teilprozeß
als
Die geldmäßige Abbildung und Abrechnung des Unternehmungsprozesses kann grundsätzlich i n Gestalt einer Nachrechnung oder β Kosiol [Unternehmung] 121. 7 Kosiol [Unternehmung] 120.
.
er Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
49
Vorrechnung aufgemacht werden. Eine Nachrechnung w i r d am Ende einer Abrechnungsperiode für den i n Raum und Zeit realisierten, i n der Vergangenheit liegenden Unternehmungsprozeß erstellt. Entsprechend ist eine Vorrechnung am Anfang einer Abrechnungsperiode für einen i n Raum und Zeit noch nicht realisierten, für die Zukunft erwarteten, gewünschten oder gar befürchteten Unternehmungsprozeß einzurichten. Wünschenswert wäre das Einrichten einer Simultanrechnung; diese ist jedoch i n der Wirtschaftspraxis kaum erreichbar. Betrachtet man zunächst den realisierten Unternehmungsprozeß näher, so zeigt sich, daß die Wahl des Abrechnungszeitpunktes unterschiedlich weit vom Gründungszedtpunkt entfernt sein kann. Durch die Wahl dieses Abrechnungszeitpunktes w i r d die Länge der abzurechnenden Teilperiode festgelegt. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Vergleichbarkeit, Übersichtlichkeit und Ordnung wählt man äquidistante Zeitpunkte der Abrechnung und erhält gleich lange Abrechnungsperioden. Das komplexe Gefüge des gesamten Unternehmungsprozesses w i r d durch derartige Zäsuren i n Prozeßabschnitte 8 zerlegt, für die kennzeichnend ist, daß sie i n einzelnen Komponenten den gewählten Zeitabschnitt überlappen. Da jedoch Prozeßabschnitte m i t dem Ziel ihrer Abrechnung gebildet werden, sind Abgrenzungen bestimmter überlappender Güterbewegungen so vorzunehmen, daß eine Abrechenbarkeit des vom Gesamtprozeß abgeschnittenen Betrachtungsgegenstandes erreicht wird. Je nach Informationsbedarf, Rechnungsart und Rechnungsumfang kann die Länge der Abrechnungsperiode von einem Tag bis zu einem Jahr reichen. Wirtschaftsrechtliche Normen verlangen i m Prinzip ein Jahr als Abrechnungsperiode. Beim realisierten Unternehmungsprozeß kann die Abrechnungsperiode maximal von der Gründung bis zum Lebensende dauern. I n dieser Gesamtperiode ergeben sich keine Abgrenzungsprobleme periodengerechter Güterbewegungen, da das Lebensende m i t dem Zeitpunkt der letzten Güterbewegung identisch ist und Überlappungen über diesen Zeitpunkt hinaus nicht möglich sind. Innerhalb dieser Gesamtabrechnungsperiode werden Abgrenzungsfragen unproblematisch, da zum Zeitpunkt des Lebensendes lediglich nach einer Gesamtabrechnung des Unternehmungsprozesses gefragt wird. Andererseits ist die Nachrechnung der gesamten Lebensperiode der Unternehmung ein w i r k lichkeitsfremder Vorsatz, zumal Rechnungsinformationen für dispositive Eingriffe i n den Unternehmungsprozeß in großem Umfange und zu vielen Zeitpunkten benötigt werden, die erheblich vor dem Unternehmungsende liegen. Der Unternehmungsprozeß bedarf dauernder menschlicher Steuerungseingriffe, damit die gesetzten Sach-, Formal8 Vgl. a u d i Schmalenbach 4 Schweitzer
[Dynamische B i l a n z 1 8 ] 65 ff.
50
III.
as Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
und Sozialziele der Unternehmung auch realisiert werden. Solange also ein Spielraum für steuernde Eingriffe gegeben ist, bleibt die Frage nach kurzfristigen Informationen aus der Unternehmungsrechnung gestellt und muß termingerecht und empirisch gehaltvoll beantwortet werden. Der realisierte Unternehmungsprozeß kann weiter als kumulierter Prozeß betrachtet werden, der von dem Gründungszeitpunkt bis zum Endzeitpunkt der jeweils abzurechnenden Teilperiode reicht. Er kann aber auch lediglich i n seiner letzten Teilperiode oder in einem Teilperiodengesamt analysiert werden. I n allen genannten Fällen der Bildung von Prozeßabschnitten sind zum größten Teil die Prozeßkomponenten ex post eindeutige Größen, d. h., die einzelnen Güterbewegungen sind einwertig bestimmt, welcher Umstand für die jeweils zugehörige Abschnittsrechnung sowohl eine Vereinfachung der Rechentechnik als auch eine Erhöhung der Anforderungen an die Rechnungsinformation bedeutet. b) D e r U n t e r n e h m u n g s p r o z e ß als T o t a l - u n d Ρ a r t i a 1 ρ r ο ζ eß Während i n den bisherigen Ausführungen der Unternehmungsprozeß unter dem Gesichtspunkt seiner zeitlichen Ausdehnung behandelt und entsprechend i n Prozeßabschnitte verschiedener zeitlicher Länge zerlegt wurde, soll er nachfolgend unter dem Aspekt seiner umfangmäßigen Ausdehnung beschrieben und i n mehreren auftretenden oder denkbaren Prozeßaussclnnitten erkennbar gemacht werden. Die einzelnen Prozeßausschnitte können sich auf den Gesamtprozeß oder beliebige Teilprozesse der Unternehmung, d.h. auf beliebig lange Prozeßabschnitte, beziehen. Die einzelnen Prozeßausschnitte werden als Partialprozesse bezeichnet und stellen verschiedene Abstraktionen des totalen Unternehmungsprozesses dar. Damit stehen sich nach der zeitlichen Ausdehnung die Begriffe Gesamtprozeß und Teilprozeß sowie nach der umfangmäßigen Ausdehnimg die Begriffe Totalprozeß und Partialprozeß gegenüber 9 . Den Totalprozeß bildet das Gefüge von Güterbeständen und -bewegungen sowie von Ansprüchen und Verpflichtungen der Unternehmung einschließlich aller Arbeitssubjekte und aller organisatorischen, sozio9 Bei der hier getroffenen Begriffswahl w i r d insofern v o m bereits eingeführten Begriff der Totalperiode abgewichen, als dieser durch den Begriff der Gesamtperiode ausgetauscht w i r d . Der Gesamtprozeß der Unternehmung k a n n nach dieser Sprachregelung als totaler Prozeß (ohne Abstraktionen) oder als partialer Prozeß (mit Abstraktionen) betrachtet werden. Das gleiche g i l t f ü r alle Teilprozesse.
Α. Der Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
51
logischen und rechtlichen Strukturen. Aus diesem Prozeß können verschiedene Ausschnitte je nach Zwecksetzung herausgehoben und i n einem Modell abgebildet werden. Die bei diesem Vorgehen entstehenden Partialmodelle sollen näher beschrieben werden: Eine sehr wichtige Vereinfachung des Totalprozesses ist die Ausklammerung des Arbeitssubjekts aus dem Unternehmungsprozeß. Obwohl die persönlichen Leistungsabgaben als Gütereinsatz i n den Unternehmungsprozeß eingehen, w i r d von dem Vorratspotential der immateriellen menschlichen Leistungen, vom Menschen, abstrahiert. Die Person scheidet damit als Abrechnungsgröße des Unternehmungsprozesses aus. Insbesondere beim Ausklammern von Arbeitssubjekten, die Kontrakteinkommen beziehen, führt diese Handhabung zu bestimmten Konsequenzen bei der Verteilung des erwirtschafteten Gewinns. A u f einer anderen Ebene liegt die Frage, ob die verwendeten Rechenkalküle zu dieser Ausklammerung zwingen. Ebenso ist es eine andere Frage, ob eine Person aus ethischen Gründen vermögensrechtlich — wie es ζ. B. bei Rohstoffvorräten geschieht — an eine Unternehmung gebunden werden kann und sollte 10 . Obwohl einige Autoren schon relativ früh die Ausklammerung des Menschen aus dem abzurechnenden Unternehmungsprozeß bemängelt haben, ist dennoch die Frage offen, wie der Mensch rechnungstechnisch behandelt werden sollte, da hinter dieser Frage noch nicht gelöste Probleme der Erfolgszurechnung stehen 11 . Eine andere Vereinfachung des Totalprozesses der Unternehmung kann i n der Weise vorgenommen werden, daß einige Prozeßphasen aus der Betrachtung ausgeklammert werden. So können i m Phasenschema ζ. B. aus rechentechnischen Erwägungen die Phasen Beschaffung und Absatz fortgelassen werden. W i r d der dann verbleibende Partialprozeß i n Geld abgebildet, so kann das Rechenmodell folgerichtig keine Information über die Höhe, Zusammensetzung und Terminierung der Realforderungen und der Realschulden geben. Der auftretende Informationsverlust macht sich sehr deutlich i n der Liquiditätsplanung bemerkbar, für die alle fraglichen Informationen außerhalb des buchhalterischen Ermittlungsmodells gesammelt werden müssen. Der Totalprozeß der Unternehmung kann auch dadurch eine A b straktion erfahren, daß zum Zwecke der Prozeßabbildung bei allen Prozeßelementen eine dimensionale Vereinfachung vorgenommen wird. Ist ζ. B. ein Prozeßelement durch die drei Dimensionen A r t , Preis und Geldwerdungszeitpunkt bestimmt und vernachlässigt man i m Rechen1° Vgl. Lutz [Aussagefähigkeit] 70 ff. u Fettel [Faktor A r b e i t ] 617 ff., Lehmann, M . R. [Leistungsmessung] 13, Kink [Wertschöpfungsprozeß] 175, Schäfer [Unternehmung] 303 ff. 4*
52
III.
as Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
modell die Geldwerdungszeitpünkte, so bildet man wiederum einen Partialprozeß unter Informationsverlusten ab. Das Erfassen von Forderungen auf einem Forderungssammelkonto berücksichtigt zwar die Dimensionen A r t und Höhe, wann jedoch einzelne Forderungen getilgt werden, w i r d gewöhnlich nur nebengeordnet erfaßt, was zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Terminierung von Geldrückflüssen führt 1 2 . Dasselbe Problem t r i t t bei der Festlegung eines Realisationsprinzips auf, das für das Rechenmodell einen kreditorischen Vorgang i m Zeitpunkt der Anspruchsbegründung als realisiert definiert. Liegt der Abrechnungszeitpunkt zwischen Begründungs- und Tilgungszeitpunkt, so kann bei Erfolgswirksaimkeit dieses Vorganges nichts über die geldmäßige Realisation des ermittelten Gewinns ausgesagt werden 1 3 . Dieses Wissen kann wiederum nur durch zusätzliche Analysen gewonnen werden. Abschließend sed noch auf die sehr wichtige Abstraktion des Totalprozesses um die leistungsneutralen Güterbewegungen eingegangen. Nach der exakten Festlegung der Unternehmungsleistung an den Markt können alle Güterbewegungen ausgesondert werden, die nur einen „mittelbaren" Bezug auf die Erstellung der Marktleistung haben. Der verbleibende Partialprozeß stellt den engeren Arbeitsprozeß der Unternehmung dar; ein zugehöriges Rechnungsmodell erlaubt die E r m i t t lung des sog. Betriebsergebnisses. Dieses als Betriebsbuchhaltung bekannte Rechnungsmodell enthält neben der geschilderten Abstraktion noch einige Fiktionen u n d ist dadurch auf besondere Rechnungszwecke ausgerichtet, die selbst wiederum Informationen für bestimmte unternehmerische Dispositionen darstellen. I n bezug auf das Unternehmungsergebnis (Gesamtergiebigkeit der Unternehmung) ist das Betriebsergebnis informationsarm. A u f die Informationsverzerrungen durch Änderungen des Geldmaßstabs w i r d an anderer Stelle eingegangen. A u f weitere Abstraktionsmöglichkeiten zur Konstruktion spezieller Beschreibungsmodelle verweisen Ijiri 14, Koch 15, Pohmer 16 und Moxter 17. 3. Der geplante Unternehmungsprozeß a) K o m p o n e n t e n d e s g e p l a n t e n Unternehmungsprozesses Neben dem i n Raum und Zeit realisierten kann auch ein geplanter Unternehmungsprozeß zum Betrachtungsgegenstand erhoben und zah12 Langen [Untersuchungen] 98 ff., Langen Lücke [Finanzplanung] 38 ff. 13 Moxter [Grundsätze] 54. ι * Ijiri [Axioms and Structures] 43 ff.
[Zahlungseingänge] 289 ff., 293,
. er Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
53
lenmäßig abgebildet werden. Das entstehende Rechnungsmodell ist eine Vor- oder Planungsrechnung, das sich auf verschieden lange Prozeßabschnitte und umfangmäßig unterschiedliche Prozeßausschnitte beziehen kann. Dabei ist eine unbegrenzte Vorausschau auf beliebig viele Prozeßabschnitte kaum durchzuführen, da m i t zunehmender Länge der Planungsperiode die Informationen über die zu planenden Größen immer unvollkommener werden; die Mehrdeutigkeit der für die Planimg erforderlichen Daten wächst. Unsicherheit bzw. Ungewißheit über Datenkonstellationen zukünftiger Prozeßabschnitte greift Platz und erschwert das Schätzen zukünftiger tatsächlicher Entwicklungen. Wertvolle Helfer sind i n dieser Situation Verfahren der Prognose zukünftiger Daten 1 8 . Welche komplexe Prozeßalternative aber als Plan vorgegeben werden soll, ist m i t diesen Verfahren nicht ZJU beantworten. Jeder zukünftige Prozeßabschnitt ist, i n welcher Datenkonstellation auch immer, das Ergebnis einer Anzahl von Entscheidungen, für die alle Prozeßresultate des vorangehenden Prozeßabschnitts Daten sind. Diese mehrstufige Prozeßinterdependenz und das m i t der Ungewißheit verbundene Risiko des Eintretens eines ungünstigen Falls bzw. die verbundene Chance des Eintretens eines günstigen Falls sind kennzeichnend für einen geplanten Unternehmungsprozeß. I n dem hier verfolgten Zusammenhang ist ein Unternehmungsprozeß als Konsequenz eines Entscheidungsprozesses bedeutsam und nicht als Entscheidungsprozeß selbst. Allerdings ist es für die Planung eines bestimmten Entscheidungsresultats erforderlich zu wissen, welche Größen i n das Entscheidungsmodell der Unternehmungsführung eingehen, insbesondere welche Zielfunktion m i t ihrer Hauptbedingung verfolgt wird, d. h., welches Entscheidungskriterium Maxime der A l t e r nativenauswahl ist. Bei Kenntnis dieser Größen lassen sich entweder ein extremales oder ein befriedigendes als globales oder als detailliertes Entscheidungsresultat vorausschauend ermitteln und als Richtgröße für laufende Entscheidungen der Zielerreichung vorgeben. Die Entscheidungsresultate können i n den Augen des Entscheidenden entweder determiniert, durch unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten gekennzeichnet sein, oder es fehlt jede Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Datenkonstellation. Die Entscheidungskriterien bei optimalen und globalen Entscheidungsresultaten für nicht-deterministische Situationen unterstellen bestimmte psychische Grundeinstellungen der Entscheidungen zu Chance und Risiko sowie die Möglichkeit, jede Entscheidungsalternative i n Ein« Koch [Kostenbegriff] 366 ff., 383 ff.
« Pohmer
[Betrieblicher Werteumlauf] 312 ff.
17 Moxter [Grundsätze] 49. 18 Kosiol [Planung] 84 ff., 93 f.
54
III.
as Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
heiten der jeweiligen Zielfunktion (mit einer Größe) zu bewerten. Sie sind auf spezielle Personentypen zugeschnittene Entscheidungsregeln. b) K r i t e r i e n aa)
der
Prozeßplanung
Minimax-Kriterium
Das bekannteste Entscheidungskriterium der beschriebenen Klasse ist das Minimax-Kriterium, das je nach psychischer Einstellung des Entscheidenden zu Chance und Risiko i n mehreren Modifikationen als Entscheidungsregel auftritt. Handelt ein Entscheidender nach der M i n i max-Regel, so muß er aus der Anzahl der möglichen Alternativen diejenige auszuwählen, die bei E i n t r i t t der ungünstigsten Datenkonstellation zum größten Erfolg führt, das kann entweder der höchste Gewinn oder der kleinste Verlust sein. Bei i möglichen Alternativen und j möglichen Datenkonstellationen werden i n einer Tabelle m i t den Alternativen A i als Zeileneingängen und den Datenkonstellationen D,· als Spalteneingängen allen Feldern eindeutig erwartete Erfolgsgrößen Gy zugeordnet, über die das Element A
m
= max m i n G^
i
j
die günstigste Alternative (A o p t) bestimmt. A n folgendem Beispiel mag dieser Zusammenhang erläutert werden: D2 Ds Di
G
ü
=
min
i
Aj
70
80
20
60
20
A2 A3
70
60
50
50
50
60
80 40
max 70 %
80
50
-^opt
70 40 70
-
Bestimmt man über die Zeilenminima das Maximum, so ermittelt man die Alternative A2 als diejenige, die bei Eintreten der ungünstigsten Datenkonstellation (D3) zum höchsten Gewinn (50) führt. Diese Entscheidungsalternative führt als Konsequenz zu einem Unternehmungsprozeß, der als zukünftig erwarteter Prozeß bei einem sehr ausgeprägten Pessimismus des Entscheidenden geplant werden kann. Ausdruck dieses sehr großen Pessimismus ist die i n dieser Regel enthaltene Annahme, daß die Mitbewerber den Gewinn des Entscheidenden bewußt minimieren wollen. Sieht man von ruinösem Wettbewerb
. er Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
55
ab, so ist diese Annahme empirisch kaum gehaltvoll und bedarf einiger inhaltlicher Veränderungen. Berücksichtigt man jedoch, daß das M i n i max-Kriterium von Wald 19 eigentlich zur Auswahl der günstigsten Hypothese aufgrund von statistischen Beobachtungen entwickelt und von Neumann und Morgenstern 20 zur Lösung des strikt deteiminierten Zweipersonen-Nullsummenspiels herangezogen wurde, so ist die Notwendigkeit einer inhaltlichen Neuinterpretation bei von den obigen Konzepten abweichenden Fragestellungen naheliegend. bb) Kriterium
des minimalen
Bedauerns
Eine entsprechende inhaltliche Veränderung des Minimax-Kriteriums ist von Niehans und von Savage vorgenommen worden. Niehans 21 modifiziert das K r i t e r i u m i n der Weise, daß er zur Maximierung der Sicherheit das entstehende Risiko nicht als den minimalen Gewinn oder den maximalen Verlust einer Alternative interpretiert, sondern als den maximalen der relativen Nachteile der zu wählenden Alternative gegenüber derjenigen Alternative, die für eine beliebige Datenkonstellation die günstigste gewesen wäre. Diese Regel heißt Minimax-Regret Criterion oder Regel des minimalen nachträglichen Bedauerns. Sie w i l l sagen, daß ein Entscheidender die Alternative wählen soll, bei der er es für die ungünstigste Datenkonstellation am wenigsten bedauert, die und keine andere Alternative gewählt zu haben. Die relativen Nachteile Nij für jedes Tabellenfeld werden wie folgt definiert: N ti = G
y
- max Giy i
Für das Beispiel des Mimmax-Kriteriums nehmen die Na folgende Werte an: max
D 2 J>8
7
0
0
30
10
30
0
20
0
20
20
A 8 10
0
10
0
10
Al
Aopt
= min m a x ( - N { . ) i j
Das M i n i m u m über die Zeilenmaxima weist die Alternative aus, bei der i m Planungszeitpunkt die höchst mögliche Enttäuschung über 19 W a l d [Statistical Decision Functions] 18, [Theory of Statistical Estimation] 265 ff. 20 Neumann-Morgenstern [Spieltheorie] 98 ff. 21 Niehans [Preisbildung] 433 ff.
56
III.
as Grundmodell betriebswirtschaftlicher Bilanzrechnung
eine falsche Alternativenwahl am kleinsten ist. Ein Unternehmungsprozeß, der das Resultat eines Entscheidungsprozesses nach dem Kriterium des minimalen nachträglichen Bedauerns ist, folgt, wie beim Minimax-Kriterium einer pessimistischen Entscheidungsregel, da die erste Regel die Annahme impliziert, daß der Entscheidende sich nach Durchführung der Entscheidung möglichst wenig über Abweichungen von der optimalen Entscheidung ärgern w i l l . Diese psychische Einstellung zum Risiko mag zwar für einen bestimmten T y p von Entscheidungsträgern kennzeichnend sein, ihre Allgemeinheit dürfte aber kaum groß sein, womit auch die Bedeutung des Kriteriums des geringsten nachträglichen Bedauerns umrissen sein dürfte 2 2 . Weiter läßt sich das K r i t e r i u m des geringsten Bedauerns i n ein Kriterium des größten Frohlockens transformieren, wie es Jöhr 29 vorgeschlagen hat. Eine derartige Regel zur Sicherung der größten Chance, bestimmt durch die größten relativen Vorteile V,·;·, hat die Gestalt: A o p t = max m a x V f i , * i
wobei für die Va g i l t : V i} = Gi}-
m i n Ωχ
Durch dieses K r i t e r i u m w i r d wiederum eine spezifische psychische Einstellung des Entscheidenden zur Chance ausgedrückt; seine Allgemeingültigkeit ist entsprechend von der Klasse dieses Entscheidungstyps abhängig. cc)
Maximax-Kriterium
Ersetzt man i n der Regel des größten Frohlockens die Werte der Vij durch die Gij, so erhält man das Maximax-Kriterium als Pendant zum Minimax-Kriterium. Bei analoger Interpretation verlangt das M a x i max-Kriterium vom Entscheidenden, diejenige Alternative zu wählen, die durch das Maximum über die Zeilenmaxima determiniert wird. Für die optimale Alternative gilt daher allgemein: A o p t = m a x m a x GiS
i
j
Für die psychische Einstellung des Entscheidenden impliziert diese Regel die Annahme eines Hanges zu übertriebenem Optimismus. Auch 22 Z u r weiteren Diskussion des behandelten K r i t e r i u m s : Busse von Cölbe [Betriebsgröße] 258 ff., Jöhr [Konjunkturschwankungen] 402 ff., Krelle [Preistheorie] 617 ff., Niehans [Preisbildung] 433 ff., Savage [Statistical Decision] 55 ff., Wittmann [Unternehmung] 72 ff. 23
Jöhr [Konjunkturschwankungen] 407.
A. I>er Unternehmungsprozeß als Abrechnungsgegenstand
57
von dieser Entscheidungsregel ist zu sagen, daß sie nur für einen speziellen Typus von Entscheidenden gilt. dd)
Pessimismus-Optimismus-Kriterium
Eine interessante Verbindung von Minimax- und Maximax-Kriterium kann nach Hurwicz 24 i n der Weise vorgenommen werden, daß durch Gewichtung m i t Faktoren α* eine Linearkombination der beiden „Eckpunkte" der zwei Prinzipien erzeugt wird. Legt man fest, daß für ai gilt: 0 < 0Ci < 1 und S «1 = 1 . t dann w i r d die optimale Alternative bestimmt durch den Ausdruck: A o p t = max (